Die Tschechische Republik und die Europäische Union: Dokumentation des zweiten Treffens der Juristenfakultäten der Eberhard Karls-Universität Tübingen und der Karls-Universität Prag 2001 [1 ed.] 9783428511006, 9783428111008

Die erste Runde der Osterweiterung der EU ist beschlossene Sache. Der Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäisch

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Die Tschechische Republik und die Europäische Union: Dokumentation des zweiten Treffens der Juristenfakultäten der Eberhard Karls-Universität Tübingen und der Karls-Universität Prag 2001 [1 ed.]
 9783428511006, 9783428111008

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NETTES HEIM I OPPERMANN (Hrsg.)

Die Tschechische Republik und die Europäische Union

Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Herausgegeben von Thomas Oppermann in Gemeinschaft mit Heinz-Dieter Assmann, Burkhard HeB Kristian Kühl, Hans v. Mangoldt Wernhard Möschel, Martin Nettesheim Wolfgang Graf Vitzthum, Joachim Vogel sämtlich in Tübingen

Band 66

Die Tschechische Republik und die Europäische Union Dokumentation des zweiten Treffens der luristenfakultäten der Eberhard Karls-Universität Tübingen und der Karls-Universität Prag 2001

Herausgegeben von

Martin Nettesheim Thomas Oppermann

Duncker & Humblot . Berlin

Bibliografische Infonnation Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Gennany ISSN 0720-7654 ISBN 3-428-11100-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

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Vorwort Die Präambel des Vertrags über die Europäische Union vom 7. Februar 1992 hebt die "historische Notwendigkeit der Überwindung der Teilung des europäischen Kontinents und der Notwendigkeit, feste Grundlagen für die Gestalt des zukünftigen Europa zu schaffen", besonders hervor. Die Überwindung der Teilung setzt nicht nur voraus, daß den beitrittswilligen Staaten Mittel- und Osteuropas die Aufnahme in die Europäische Union ermöglicht wird. Sie gelingt nur dann, wenn die beiden so lange getrennten Hälften des Kontinents auch im Bereich des Gesellschaftlichen, des Kulturellen und der Wissenschaft zusammenwachsen. Die Juristischen Fakultäten der Karls-Universität Prag und der Eberhard-Karls-Universität Tübingen führten erstmalig im September 1999 ein Symposium durch, mit dem der wissenschaftliche Austausch zwischen den Mitgliedern beider Fakultäten vorangetrieben werden sollte. Die Ergebnisse dieses Symposiums hat Herr Prof. Dr. Lubos Tichy unter dem Titel "Europeizace Narodnfch Pnivnfch Radu" im Jahre 2000 veröffentlicht. Die wissenschaftliche Kooperation fand mit der Durchführung eines zweiten Symposiums in Tübingen im September 2001 eine Fortsetzung. Dieses Symposium stand unter der Überschrift: "Der Eintritt der Tschechischen Republik in die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion". Die wissenschaftliche Leitung hatten von Prager Seite die Kollegen Lubos Tichy und Jiri Zemanek sowie von Tübinger Seite die Herausgeber dieses Bandes inne. Die Vorträge, die im Rahmen dieses Symposiums gehalten wurden, werden in dem Band einem breiteren Kreis vorgestellt. Die Herausgeber danken zunächst der Leiterin des Internationalen Zentrums der Universität Tübingen, Frau Dr. Karin Moser von Filseck, für die Organisation des Symposiums. Ohne ihre Hilfe wäre die Veranstaltung, die im Fürstenzimmer des Schlosses Hohentübingen stattfand, nicht zustande gekommen. Herrn Dr. Gerald G. Sander danken wir für wertvolle Hilfe bei der Organisation der Veranstaltung und bei der Fertigstellung dieser Veröffentlichung. Dank schulden wir schließlich dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Baden-Württemberg, welches das Symposium großzügig unterstützt hat. Tübingen, im Oktober 2002

Die Herausgeber

Inhaltsverzeichnis I. Grundfragen des Beitritts Thomas Oppermann Zur "Philosophie" des Eintritts der Tschechischen Republik in die Europäische Union. Anfragen an Deutschland und an die Tschechische Republik

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11. Wettbewerb im Binnenmarkt Martin Nettesheim EU-Recht und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge .......................

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Lubos Tichy Der Konzern im Kartellrecht - eine Skizze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

53

Wernhard Möschel Paradigmenwechsel im europäischen Kartellrecht? Ex ante-Kontrolle versus ex post-Kontrolle im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen .............

65

111. Gesellschafts- und prozessrechtliche Probleme im Binnenmarkt Monika Pauknerovd Gründungs- und Sitztheorie im tschechischen Gesellschaftsrecht

81

Burkhard Heß Die Bedeutung des Vorabentscheidungsverfahrens für das europäische Privat- und Verfahrensrecht .............................................

95

Harm Peter Westermann Das europarechtliche Schicksal von Gründungs- und Sitztheorie im internationalen Gesellschaftsrech: ........................................... 119

IV. Elektronischer Handel im Binnenmarkt Pavel Svoboda Copyright and the E-Commerce ...................................... 141 Gerald G. Sander Zur europarechtlichen Zulässigkeit des Versandverbots von Medikamenten . 159

Inhaltsverzeichnis

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V. Energie und Umwelt im Binnenmarkt Günter Püttner Europäische Liberalisierung der Elektrizitätswirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 179 Richard Pomahac e-Governance in the e-Europe Perspective ............................. 189

VI. Europäische Währungsunion und EU-Beitritt

Jm Zemdnek

Die verfassungsrechtliche Stellung der Tschechischen Zentralbank ........ 201

Dietmar K. R. Klein Alternative Währungsszenarien für EU-Beitrittskandidaten vor und nach dem Beitritt ........................................................ 211 Michal Tomdsek The Euro in the Czech Legal System ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

I. Grundfragen des Beitritts

Zur "Philosophie" des Eintritts der Tschechischen Republik in die Europäische Union Anfragen an Deutschland und an die Tschechische Republik Von Thomas Oppermann, Tübingen I. Wirtschaftliche und politische Dimension des EU-Beitritts Ein Beitritt zur Europäischen Union (Art. 49 EU-Vertrag) bedeutet heute mehr als den Eintritt in eine Wirtschaftsgemeinschaft. Die EU ist nach ihrer ganzen Entwicklung seit den fünfziger Jahren nicht mehr nur Wirtschaftsund Währungsunion. Sie versteht sich als eine auf Dauer angelegte auch politische Verbindung ihrer Mitgliedstaaten, die nach Art. 6 EUV den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet sind. "We are in Politics, not only in Economics" (Walter Hallstein). Häufig wird die EU mit Blick auf Art. 6 EUV als Wertegemeinschaft bezeichnet, deren Mitglieder sich gemeinsamen politischen Idealen verpflichtet fühlen. 1 Die Europäische Union versteht sich nicht zuletzt als eine Friedensgemeinschaft von Völkern, die in der Geschichte lange miteinander in Streit lagen. Die Überwindung der "Erbfeindschaft" zwischen Deutschland und Frankreich nach 1945 ist hierfür bisher das wichtigste Beispiel. Jenseits der Lösung aller wirtschaftlichen und tagespolitischen Probleme bedeutet die Osterweiterung der EU für die Bürger Deutschlands und seiner mitteleuropäischen Nachbarn wie vor allem Polens und der Tschechischen Republik die Herausforderung, die Schatten einer unseligen Vergangenheit von mehr als hundert Jahren hinter sich zu lassen und Mitglieder einer dauerhaften größeren Gemeinschaft zu werden. Nach dem "Kopenhagener Kriterienkatalog" von 1993 gelten als Beitrittsvoraussetzungen die freiheitlich-demokratische Staatsform (darin spiegeln sich die Grundsätze des Art. 6 EUV wieder), die Bereitschaft zur vollen Mitgliedschaft einschließlich der Gemeinsamen Außen- und SicherheitsI Lenz, Gemeinsame Grundlagen und Grundwerte des Rechts der Europäischen Gemeinschaft, Zeitschrift für Rechtspolitik 1988, S. 449 ff.; Scheuing (Hrsg.), Europäische Demokratie, 1998.

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politik und der Polizeilich-lustitiellen Zusammenarbeit, eine den Grundprinzipien einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb entsprechende Wirtschaftsordnung (Art. 4 EGV) und die Übernahme des beim Beitritt geltenden primären und sekundären Gemeinschaftsrechts ("Acquis communautaire,,).2 Mit der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen haben die EU-Mitgliedstaaten ihre Auffassung bekundet, dass die Tschechische Republik in der Lage ist, die Beitrittsvoraussetzungen zu erfüllen. Wie andere Beitrittsstaaten beteiligt sich die Tschechische Republik seit 2002 im Europäischen Verfassungskonvent beratend an den Vorbereitungen für eine europäische Verfassung der künftigen "Groß-EU" mit 25 und mehr Mitgliedstaaten. 3 11. Eintritt in eine dauerhafte "Föderation von Nationalstaaten" Die Europäische Union soll auf unbestimmte Zeit bestehen (Art.51 EUV). Sie will kein "Superstaat" sein, sondern achtet die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten (Art. 6 Abs. 3 EUV). Die EU entwickelt ihre Strukturen immer noch weiter, gegenwärtig im so genannten "Post-Nizza-Prozeß". In ihm soll eine Regierungskonferenz ab 2004 aufgrund der Vorschläge des Verfassungskonvents über die Rechtsgestalt des großen Europas entscheiden. In der kontroversen politischen Diskussion über die Finalität der EU wird neuerdings öfter von einer "Föderation von Nationalstaaten" gesprochen, sowie von der Notwendigkeit, eine "europäische Verfassung" zu schaffen. Unabhängig von diesen noch diffusen Erörterungen bedeutet die Mitgliedschaft in der EU keine rein völkerrechtliche Verbindung, sondern den Eintritt in ein "geregeltes Verfassungsleben".4 In den Organen der EG/ EU werden eine Fülle meist wirtschaftlicher Fragen (z. B. in den Bereichen von Währung, Wettbewerb, Landwirtschaft, Personenfreizügigkeit oder Umweltschutz) in einer Art und Weise behandelt, die dem innerstaatlichen Rechts- und Verwaltungsverkehr und nicht diplomatischen Beziehungen entspricht. Die Staatsangehörigen der EU-Staaten sind gleichzeitig Unionsbürger (Art. 17 ff. EGV). Die Unionsbürgerschaft ergänzt die nationale Staatsbürgerschaft und verleiht verschiedene "europäische" Rechte. Auch an dem umfassenden Rechtsschutz bei der europäischen Gerichtsbarkeit in Luxem2 Näher zu den Beitrittsvoraussetzungen Oppermann, Europarecht, 2. Aufl. 1999, S. 799 ff. 3 Nach der Erklärung von Laeken vom 15.12.2001 (Doc SN 283/01), mit welcher der Konvent einberufen wurde, ist die Tschechische Republik wie alle EUStaaten und Bewerberländer mit einem Regierungsvertreter und zwei Parlamentariern im Konvent vertreten. Vgl. auch Wägenbaur, Die Erklärung von Laeken zur Zukunft der EU, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2002, S. 65. 4 Zum Verfassungscharakter des Europäischen Gemeinschaftsrechts EuGHE 1991, 6079 - Gutachten 1/91 "EWR"; Rodriguez 19lesias, Zur "Verfassung" der Europäischen Gemeinschaft, 1996.

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burg (Gerichtshof und Gericht erster Instanz, Art. 220 ff. EGV) wird der staatsähnliche und nicht klassisch-internationale Charakter der Europäischen Union sichtbar. 5 III. Deutschland und die Tschechische Republik in einem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt Die Europäische Gemeinschaft als "harter Kern" der Union konstituiert sich wesentlich durch den Binnenmarkt als Raum ohne Binnengrenzen (Art. 14 EGV).6 Die Schaffung eines solchen Raumes für den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital kann in der Realität auf Dauer nur gelingen, wenn sich zwischen den Beteiligten über das "Geschäftliche" hinaus ein positives Verhältnis entwickelt. Der Beitritt bedeutet daher für Deutschland und die Tschechische Republik kraft ihrer geographischen Nachbarschaft eine ganz besondere Verpflichtung, ihre Beziehungen über das Wirtschaftliche hinaus zu gestalten. Die Politiker tragen Verantwortung für einen konstruktiven Umgang beider Länder in ihren offiziellen Beziehungen. In einem Europa der Bürger beschränken sich diese Aufgaben aber nicht auf die Regierungskontakte. Um ein gutnachbarliches Verhältnis zu schaffen, müssen die deutschen und tschechischen Bürger ohne Berührungsängste und Ausschlussforderungen aufeinander zugehen. Erfreulicherweise arbeiten bereits seit Jahren verschiedene deutsch-tschechische Gesprächskreise in diesem Sinne. 7 IV. Deutsch-Tschechische Vergangenheit und gemeinsame EU-Mitgliedschaft Für die Tschechische Republik bedeutet die EU-Mitgliedschaft die Rückkehr in ein demokratisches Europa einer ganzen Reihe von Staaten wie etwa Frankreich oder Großbritannien, mit denen die damalige Tschechoslowakei bereits in früheren Zeiten in guten Beziehungen lebte.

5 Oppermann, Die dritte Gewalt in der Europäischen Union, Deutsches Verwaltungsblatt 1994, S. 901 ff.; Sander, Der Europäische Gerichtshof als Förderer und Hüter der Integration, 1998. 6 Dauses, Die rechtliche Dimension des Binnenmarktes, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1990, S. 8 ff. 7 Etwa die deutsch-tschechischen "Iglauer Begegnungen", die seit über einem Jahrzehnt unter Beteiligung von Bürgern und Politikern beider Seiten regelmäßig stattfinden, vgl. den Bericht in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.4.2001, S. 9. Gefördert werden solche Kontakte durch das offizielle deutsch-tschechische Gesprächsforum und finanziell durch den deutsch-tschechischen Zukunftsfonds.

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Demgegenüber ist die Entwicklung eines gutnachbarlichen Verhältnisses zwischen den deutschen und tschechischen Bürgern, die mit dem Beitritt gemeinsame Unionsbürger werden (Art. 17 EGV), ein weitaus schwierigeres und historisch belasteteres Unterfangen. Es setzt die allmähliche Überwindung der Distanz und des Misstrauens voraus, welches aufgrund der leidvollen deutsch-tschechisch-österreichischen Geschichte seit dem 19. Jahrhundert auf bei den Seiten teilweise bis heute herrscht. 8 Für die bilateralen Beziehungen schlug der Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 27.2.1992 die erste Brücke. In Art. 10 sagte Deutschland seine Unterstützung der vollen Eingliederung der damaligen Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik in die Europäischen Gemeinschaften zu. Für die Führung der Beitrittsverhandlungen auf deutscher und tschechischer Seite gilt inzwischen auch die deutschtschechische Erklärung von 1997, wonach die beiden Staaten "ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten".9 Ungeachtet dieser gemeinsamen Anstrengungen um ein positives Gesprächsklima sind seit dem Fortschreiten der Brüsseler Beitrittsverhandlungen mit Blick auf die Anerkennung der so genannten "Homogenitätsklausel" des Art. 6 EUV durch die Tschechische Republik im politischen Raum Deutschlands und Tschechiens alte Verletzungen und Ängste wieder aufgebrochen. Europarechtlich geht es dabei um die Fragen der Fortgeltung und Vereinbarkeit der tschechischen Nachkriegsgesetzgebung 1945/46, welche die entschädigungslose Enteignung und Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei legalisierten, mit der in Art. 6 EUV umschriebenen "homogenen" Wertegemeinschaft der Union. 1O Bei einer beiderseitigen Besinnung auf den Geist der deutsch-tschechischen Beziehungen, wie sie im Vertrag 8 Die geschichtliche Problematik des tschechisch-sudetendeutschen Verhältnisses vom "Völkerzwist" 1848/49 bis zur Errichtung des "Protektorates Böhmen und Mähren" 1939 beschreiben HoffmannlHarasko (Hrsg.), Odsun. Die Vertreibung der Sudentendeutschen, Bd. 1, 2000. 9 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit v. 27.2.1992, BOB!. 11 S. 463; Deutsch-Tschechische Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung, Text: Bulletin Presse- und Infonnationsamt der Bundesregierung 19977/61. Die Erklärung wurde vom Deutschen Bundestag und von der tschechischen Abgeordnetenkammer mehrheitlich angenommen. Vg!. auch Blumenwitz, Die deutsch-tschechische Erklärung vom 21. Januar 1997, Archiv des Völkerrechts 1998, S. 19 ff. 10 Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, 2000. - Gegenstand sind die Dekrete des tschechosolwakischen Staatspräsidenten Edvard BeneS Nr. 5112/33/ 71112211081137 zwischen dem 19. Mai und 27. Oktober 1945 sowie das StraffreisteIlungsgesetz v. 8. Mai 1946.

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von 1992 und in der Erklärung von 1997 dokumentiert wurden, erscheint kaum vorstellbar, dass der Komplex "Benes-Dekrete" zu einem endgültigen juristischen Hindernis für den EU-Beitritt der Tschechischen Republik werden könnte. II Um diese Beziehungen jedoch auf der für eine gemeinsame EU-Mitgliedschaft wesentlichen Bürgerebene zu normalisieren, bedarf es mehr als einer Regierungserklärung, nämlich der fortschreitenden Bereitschaft sowohl der Offiziellen als auch der Menschen, im Wissen um die Vergangenheit aufeinander zuzugehen und eine gute nachbarliche Zukunft zu gestalten. Wie die neu erwachten Emotionen vor den Parlamentswahlen in Tschechien und Deutschland 2002 erkennen ließen, liegt insofern noch ein Stück Weges vor allen Beteiligten. 12 Nach allen Erfahrungen ist die umfassende Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen, die der Beitritt Tschechiens zur EU mit sich bringt, die beste Voraussetzung dafür, dass sich die menschlichen Beziehungen wandeln und vertiefen. V. Freizügigkeit von Deutschen und Tschechen im gemeinsamen Binnenmarkt

Das schwierigste Beitrittsthema zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik bei der Herstellung des Binnenmarktes ohne Grenzen ist die Freizügigkeit der Personen (Freizügigkeit der Arbeitnehmer, Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit der Selbständigen, Art. 39 ff. EGV) in beiden Richtungen. 13 Hier berühren sich Wirtschaft, Soziales und das Menschliche. Die Freizügigkeitsdiskussion ist auf deutscher und tschechischer Seite sowie in Brüssel lange in unglücklicher Weise von ForderunII Das Europäische Parlament und andere am EU-Beitritt beteiligte Instanzen haben Rechtsgutachten zu diesen Fragen erbeten (Frowein, Nettesheim). Auf tschechischer Seite hat zuletzt die Erklärung des Abgeordnetenhauses vom 23.4.2002 die Nachkriegsgesetzgebung (oben Fn. 10) als "konsumiert" bezeichnet, sodass heute auf ihrer Grundlage keine neuen Rechtsbeziehungen entstehen könnten. Andererseits seien die aus ihnen hervorgegangenen rechtlichen und Eigentumsverhältnisse "unantastbar und unveränderbar". In Deutschland kommt ein besonnener Autor wie Tomuschat in seiner Analyse (Reckoning with the Past in the Czech Republic: a Test for the Homogeneity Clause pursuant to Article 6 EC Treaty, Common Market Law Review 2002, S. 451 ff.) zu dem Ergebnis, dass die eigentlichen BeneS-Dekrete von 1945 kein unüberwindliches Hindernis für den tschechischen EU-Beitritt darstellten. Jedoch müsse das Gesetz vom 8.5.1946 mit der umfassenden Freistellung von allen gegen Sudentendeutsche verübten Straftaten zwischen 30.9.1938 und 28.10.1945 wegen Unvereinbarkeit mit Art. 6 EUV vor dem Beitritt der Tschechischen Republik aufgehoben werden. 12 Spengler/Müller. Wahlen zum Abgeordnetenhaus in Tschechien, KAS/Auslandsinformationen 7/2002, S. 23 ff. 13 Hailbronner (Hrsg.), 30 Jahre Freizügigkeit in Europa, 1998.

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gen nach Übergangsfristen beherrscht worden, welche die Herstellung der Freizügigkeit unter verschiedenen Aspekten (Mobilität der Arbeitskräfte, Landerwerb u. a. m.) um fünf, sieben Jahre oder noch länger aufschieben sollen. 14 Wahrscheinlich lassen sich gewisse Übergangsfristen aus wirtschaftlichen und anderen Gründen nicht vermeiden. Sie sind bei den früheren EU-Beitritten auf den verschiedensten Gebieten üblich gewesen. 15 Im Interesse der raschen und wirksamen Herstellung des freien Binnenmarktes sollten diese Fristen jedoch so kurz wie möglich gehalten werden. Aus politischer Sicht empfiehlt sich eine paritätische zeitliche Länge. Die Übergangsfristen sollten ferner flexibel gestaltet werden, d. h. sie müssen verkürzt werden können, wenn sich herausstellt, dass die in Deutschland wie in Tschechien befürchteten Gefahren einer "Überflutung durch billige tschechische Arbeitskräfte" oder eines "Landausverkaufs an die Sudentendeutschen" nicht eintreten. Die Erfahrung bei den früheren EG-Beitritten beispielsweise Irlands, Spaniens oder Portugals hat gezeigt, dass nur geringe Wanderungsbewegungen eintreten, da mit dem Beitritt zur Union infolge der verbesserten Lage zu Hause der wirtschaftliche Anreiz entfällt, Arbeit in einem anderen EU-Staat aufzunehmen. Auch der Wunsch von Sudetendeutschen und ihrer Nachkommen, die seit 1945 in Deutschland und Österreich leben, sich in der Tschechischen Republik niederzulassen, wird sich zahlenmäßig in engen Grenzen halten. In Deutschland besteht mittelfristig aufgrund der demographischen Entwicklung ein Bedarf an Zuwanderung qualifizierter Personen. Die Herstellung des freien Binnenmarktes für Personen und die gemeinsame Unionsbürgerschaft verlangen rechtlich (Art. 12, 14, 18 EGV) und politisch, dass die Personenfreizügigkeit beiderseits umfassend, in überschaubaren Fristen und ohne jegliche Diskriminierung hergestellt wird. Was nach 1958 zwischen Deutschen und Franzosen, Griechen und Italienern und überall sonst in der EU möglich war, muß auch für das deutsch-tschechische Verhältnis gelten. 16 Im Übrigen dient die Erfüllung dieser Pflichten den zwischenmenschlichen Beziehungen. Die gegenseitige Freizügigkeit 14 Die Kommission empfiehlt bisher eine grundSätzliche Übergangsfrist von fünf Jahren bei der Freizügigkeit für die Bewerberländer mit Möglichkeit der Verlängerung auf sieben Jahre, aber auch mit Abkürzungsmöglichkeiten im Lichte der Erfahrungen. Von tschechischer Seite wird gefordert, das Recht auf Grunderwerb durch Bürger anderer EU-Staaten um sieben oder sogar zehn Jahre hinauszuschieben. Ein solcher "Beitritt zweiter Klasse" wird öfters kritisiert. Vgl. auch Hänlein. Übergangsregelungen beim EU-Beitritt der MOE-Staaten im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der sozialen Sicherheit, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 2001, S. 165 ff. 15 Beim Beitritt Spaniens und Portugals 1986 wurde die Arbeitnehmerfreizügigkeit für eine Übergangszeit von sieben Jahren eingeschränkt, Wölker, Rechtsprobleme nach dem Eintritt Spaniens und Portugals in die EG, Juristenzeitung 1988, S. 140 ff.

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ermöglicht ein dauerhaftes und vertieftes Kennenlernen und ist damit die beste Voraussetzung für gutnachbarliche Beziehungen zwischen den Bürgern. VI. Juristischer und tatsächlicher Eintritt der Tschechischen Republik in die Europäische Union Trotz aller Schwierigkeiten bei einigen "Beitrittsdossiers" und zeitlichen Verzögerungen aufgrund von Differenzen zwischen einzelnen EU-Staaten über die "Beitrittsgeschwindigkeit" dürfte der Eintritt der Tschechischen Republik in die Europäische Union absehbar geworden sein. Der Vertrag von Nizza hat die künftige Stellung Tschechiens in den Institutionen der Gemeinschaft geklärt. 17 In den Verhandlungen mit Brüssel liegt die Tschechische Republik zusammen mit Ungarn an der Spitze der ersten Gruppe der mittelosteuropäischen Beitritts staaten. Meist wird das Jahr 2004 als erreichbares Datum genannt. Dann finden die nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament statt, an denen die ersten Beitrittsstaaten nach Möglichkeit teilnehmen sollen. Bis Mitte 2003 ist der Europäische Verfassungskonvent unter tschechischer Beteiligung aufgerufen, den Entwurf für die Verfassung der künftigen "Groß-EU" mit 25 und mehr Mitgliedstaaten vorzulegen. Anschließend ab 2004 soll eine neuerliche Regierungskonferenz als Abschluss des "Post-Nizza-Prozesses" die endgültige Gestalt dieser Vertragsverfassung beschließen. 18 Bis die Beitritte und die EU-Verfassung mit den notwendigen parlamentarischen Ratifikationen juristisch in Kraft treten, dürften die Jahre ab 2006 anbrechen. 16 In einem Briefwechsel der Außenminister Dienstbier und Genscher in der Anlage zum deutsch-tschechischen Nachbarschaftsvertrag vom 27.2.1992 (oben Fn. 9) erklärte die Regierung der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik, dass die in Art. lO des Vertrages erwähnte Perspektive der vollen Eingliederung in die Europäischen Gemeinschaften "die Möglichkeit schaffen wird, dass sich auch Bürger der Bundesrepublik Deutschland in der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik niederlassen können". 17 Nach der Erklärung zum Nizza-Vertrag zur Erweiterung der Europäischen Union soll die Tschechische Republik im Europäischen Parlament über 20 Sitze von 732 verfügen. Wie alle EU-Staaten ist Tschechien im Rat vertreten und besitzt dort bei der Stimmengewichtung 12 von 345 Stimmen. Bis zur endgültigen Regelung nach 2005 stellt die Tschechische Republik wie die anderen Beitrittsstaaten ein Mitglied der EU-Kommission und je einen Richter im Gerichtshof und beim Gericht erster Instanz. 18 Schwarze, Auf dem Wege zu einer europäischen Verfassung, Deutsches Verwaltungsblatt 1999, S. 1677 ff.; Müller-Graff, Der Post-Nizza-Prozeß. Auf dem Weg zu einer neuen europäischen Verfassung? Integration 2001, S. 208 ff.; Oppermann, Vom Nizza-Vertrag 2001 zum Europäischen Verfassungskonvent 200212003, DVBl. 2003, S. 1 ff. 2 Neuesheim/Oppermann (Hrsg.)

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Wenn der juristische Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union daher noch eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen wird, geht die tatsächliche Entwicklung erfreulicherweise einen rascheren Gang. Wirtschafts- und Bürgerebene haben den Beitritt gelegentlich heute schon vorweggenommen. Ein großes deutsches Automobiluntemehmen arbeitet seit Anfang der neunziger Jahre erfolgreich in Tschechien. 19 Tschechische Fußball profis spielen in den besten Bundesligavereinen um die deutsche und europäische Meisterschaft. Auf regionaler Ebene finden - oft unter maßgeblicher politischer Beteiligung - ermutigende Begegnungen statt. 20 Hierzu rechnen nicht als Geringstes die Wissenschaftsbeziehungen zwischen den Universitäten und Fakultäten. Die beiden Symposien der "Karls-Universitäten" in Prag und Tübingen 1999/2001 gehören in diesen Zusammenhang. 21 Es besteht begründete Hoffnung, dass die "Philosophie" der gemeinsamen Zugehörigkeit der Deutschen und Tschechen als Unionsbürger zur Wertegemeinschaft der Union in Deutschland und Tschechien, insbesondere in den jüngeren Generationen, wachsende Resonanz findet. Ihre Verankerung in den Köpfen und Herzen der Bürger wäre mindestens so wichtig wie alle Artikel des Beitrittsvertrages.

19 Das 1991 von der Volkswagen AG übernommene tschechische Staatsunternehmen Skoda wird in Wolfsburg als die "schönste Tochter von VW" bezeichnet. 20 Oben Fn. 7. 21 Tichy (Hrsg.), Europeizace Narodnfch Pnlvnfch Radu, 2000 (= Verhandlungen des ersten Symposiums in Prag 15.-17.9.1999).

11. Wettbewerb im Binnenmarkt

EU -Recht und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge Von Martin Nettesheim, Tübingen I. Einleitung Um die Zukunft der öffentlichen Daseinsvorsorge wird in der Europäischen Union heftig gestritten. Die mitgliedstaatliche Infrastrukturwirtschaft ist gegenwärtig starkem europarechtlichem Veränderungsdruck ausgesetzt. Weite Bereiche der überkommenen Ordnung von Post, Verkehr, Energie, Finanzdienstleistungen oder Rundfunk erscheinen vor dem Hintergrund des europäischen Wettbewerbsrechts als rechtfertigungsbedürftig, vielleicht aber auch als anpassungspflichtig. Für die Verteidiger der nationalen Traditionen besteht in dieser Situation die Gefahr, daß ein behauptetermaßen ausschließlich wettbewerbsökonomischen Zielen verpflichtetes Europarecht die gewachsenen, in sich ruhenden und ihren Telos in sich tragenden Strukturen mitgliedstaatlicher Daseinsvorsorge überrollt. Dieser Sichtweise zufolge beabsichtigen die Organe der EU, wesentliche und traditionsreiche Strukturbestandteile der mitgliedstaatlichen Wirtschaftsordnung zu vernichten, indem sie in Anwendung der Wettbewerbsbestimmungen des EG-Vertrages den Mitgliedstaaten das Recht nehmen, durch öffentliche Unternehmen gemeinwohlorientierte Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zu erbringen - oder durch privilegierte private Unternehmen erbringen zu lassen. Den Mitgliedstaaten werde so die Möglichkeit genommen, eine flächendeckende und für alle verfügbare Versorgung mit elementaren Gütern sicherzustellen; es drohe die Gefahr, daß weniger finanzkräftige Bevölkerungskreise von der Versorgung mit Gütern wie Energie, Wasser, Finanzdienstleistungen etc. ausgeschlossen würden. Der gegenteiligen Sichtweise zufolge zwingt das Europarecht die Mitgliedstaaten lediglich dazu, in konsequenter Fortführung erfolgreicher Deregulierungspolitik auch im Bereich der öffentlichen Unternehmen jenen Wettbewerb zu etablieren, der sich - allen ursprünglichen Widerständen und Einwänden zum Trotze - in vielen anderen Bereichen als so wohltuend und gewinnbringend erweist. l Danach wird der Zugriff des EU-Rechts auf die Unternehmen der Daseinsvorsorge2 lediglich jene Liberalisierung und

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wettbewerbsorientierte Umpolung erzwingen, an der sich in anderen Bereichen des mitgliedstaatlichen Wirtschafts- und Kulturlebens niemand reibt und die Freiheit, Wohlstand und Vielfalt auf marktwirtschaftlichem Wege erzeugt. Für die Verteidiger der wettbewerbsrechtlichen Kontrolle erscheint es schwer verständlich, warum zwar die Versorgung mit Finanzdienstleistungen als so elementar angesehen wird, daß sie von Seiten der öffentlichen Hand garantiert werden muß (Sparkassen), zugleich aber niemand daran denkt, den Lebensmittelhandel wegen der Bedeutung einer flächendeckenden Versorgung in die Hände eines öffentlichen Unternehmens zu legen. Man plädiert dafür, auch in den Sektoren Post, Energie, Wasser etc. den Wettbewerb zum Tragen kommen zu lassen. Der Gefahr, daß finanzschwache Bevölkerungsgruppen vom Bezug lebenswichtiger Leistungen abgeschnitten würden, sei durch die Gewährung sozialstaatlicher Leistungen an die Bedürftigen zu begegnen, nicht aber durch verzerrende und verbraucherschädigende Eingriffe in den Wettbewerb. Damit sind die Eckpositionen beschrieben, zwischen denen sich die gegenwärtig wogende, teilweise heftige Diskussion um die Stellung der Unternehmen bewegt, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erbringen und hierfür eine Sonderbehandlung beanspruchen. 3 Diese Diskussion hat sich inzwischen nicht nur in Vertragsänderungen niederge1 So im Hinblick auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Blickrichtung von Scholz, Zukunft von Rundfunk und Fernsehen: Freiheit der Nachfrage oder reglementiertes Angebot?, AfP 1995, S. 357 (359 f.), und Dengel, Multimedia und das deutsche Verfassungsrecht, in: Hoffmann-RiemlVesting (Hrsg.), Perspektiven der Informationsgesellschaft, 1995, S. 155 (160). 2 Zum Begriff der Daseinsvorsorge vgl. Püttner, Daseinsvorsorge und service public im Vergleich, in: Cox (Hrsg.), Daseinsvorsorge und öffentliche Dienstleistungen in der Europäischen Union. Zum Widerstreit zwischen freiem Wettbewerb und Allgemeininteresse, 2000, S. 45 mwN. 3 Aus der Literatur zuletzt: Ambrosius, Services publies. Leistungen der Daseinsvorsorge oder Universaldienste, 2000; Badura, "Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse" unter der Aufsicht der EG, FS Oppermann, 2001, S. 571; Brede (Hrsg.), Wettbewerb in Europa und die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, 2001; Cox (Hrsg.), Daseinsvorsorge und öffentliche Dienstleistungen in der Europäischen Union. Zum Widerstreit zwischen freiem Wettbewerb und Allgemeininteresse, 2000; DeckertlSchräder, Öffentliche Unternehmen und Beihilferecht, EuR 1998, S. 291; Frenz, Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, EuR 2000, S. 901; Harms, Daseinsvorsorge im Wettbewerb, 2001; Magiera, Gefährdung der öffentlichen Daseinsvorsorge durch das EG-Beihilfenrecht, FS Rauschning, 2001, S. 269; Mestmäcker, Daseinsvorsorge und Universaldienst im europäischen Kontext, FS Zacher, 1998, S. 665; Pielow, Grundstrukturen der öffentlichen Versorgung, 2001; Püttner, Die Aufwertung der Daseinsvorsorge in Europa, ZögU 2000, S. 373; Rumpf, Das Ende der öffentlichen Dienstleistungen in der Europäischen Union?, 2000; Schwarze, Daseinsvorsorge im Lichte des europäischen Wettbewerbsrechts, EuZW 2001, S. 334; Tettinger, Maastricht 11 - Vertragsergänzung zur Sicherung der Daseinsvorsorge in Europa?, DVBl. 1997, S. 341.

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schlagen,4 sondern auch die Kommission zu inzwischen zwei Mitteilungen und einem Bericht über "Leistungen der Daseinsvorsorge" veranlaßt. 5 Um eine wirklich neue Diskussion handelt es sich aber nicht. Die Auseinandersetzungen über den Wert und die Funktion mitgliedstaatlicher Daseinsvorsorge lassen sich bis in die Gründungsphase der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zurückverfolgen. 6 Schon während den Vertragsverhandlungen traten zwischen jenen Mitgliedstaaten, die traditionsreiche öffentliche Wirtschaftssektoren unterhielten und einen Großteil der Wirtschaftsleistung durch öffentliche Unternehmen erbrachten, und den Mitgliedstaaten mit einer überwiegend privatwirtschaftlichen Unternehmensstruktur Meinungsverschiedenheiten auf. Während Staaten wie Frankreich und Italien in dem Ziel der Errichtung eines Gemeinsamen Marktes mit freien und unverfälschtem Wettbewerb (Art. 3 lit. F EWGV a.F.) eine Gefährdung ihrer regulativen politischen Zielsetzungen erblickten, meinten diejenigen Mitgliedstaaten, die ihre Wirtschaft vor allem wettbewerbsorientiert operieren ließen, einen Wettbewerbsnachteil der privaten Unternehmen gegenüber dem staatlich geförderten öffentlichen Sektor jener anderen Mitgliedstaaten zu erblicken. Man einigte sich 1957 auf einen dilatorischen Kompromiß, der von dem Grundsatz ausging, daß den Mitgliedstaaten die freie Entscheidungsgewalt über die Strukturen der Eigentumsordnung verblieb (Art. 222 EWGV, heute Art. 295 EGV). Keinem Mitgliedstaat wurde und wird die Privatisierung öffentlicher Unternehmen aufgezwungen. Auf der anderen Seite legten die Verhandlungspartner in Art. 90 Abs. 1 EWGV (heute: Art. 86 Abs. 1 EGV) fest, daß die Mitgliedstaaten den öffentlichen Unternehmen grundsätzlich keine vertragswidrige Begünstigung zukommen lassen dürfen, daß also private und öffentliche Unternehmen grundSätzlich den gleichen Regeln im Wettbewerb unterworfen sind. Die der Philosophie der "service public" verhafteten Mitgliedstaaten konnten immerhin durchsetzen, daß in Art. 90 Abs. 2 EWGV (heute: Art. 86 Abs. 2 EGV) eine Freistellungsklausel aufgenommen wurde, wonach auf Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder die den Charakter eines Finanzmonopols haben, die Vorschriften des Vertrags nur insoweit gelten, wie dies nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben rechtlich oder tatsächlich verhindert.

Art. 16 EG-Vertrag. Kommission, Daseinsvorsorge in Europa. Mitteilung vom 26.9.1996, KOM (96) 443, ABI. C 281/1996, S. 3; Kommission, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, Mitteilung vom 20.9.2000, KOM (2000) 580 endg., ABI. C 17/2001; Kommission, Bericht für den Europäischen Rat in Laeken. Leistungen der Daseinsvorsorge, 17.10.2001, KOM (2001) 598. 6 Wilms, Das Europäische Gemeinschaftsrecht und die öffentlichen Unternehmen, 1996, S. 91 ff. 4

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Bis in die achtziger Jahre hinein war der so gefaßte Komprorniß keiner Bewährungsprobe ausgesetzt. Über lange Jahrzehnte lagen die öffentlichen Unternehmen im toten Winkel europäischer Wettbewerbspolitik. Die Kommission war bei der Anwendung des Wettbewerbsrechts und des Beihilferechts auf öffentliche Unternehmen und solchen Unternehmen, die mit besonderen oder ausschließlichen Rechten ausgestattet worden waren, zunächst sehr zurückhaltend. Erst spät gingen die Organe der EG dazu über, Wettbewerbsidee und Wettbewerbsrecht auch in jenen Sektoren zur Geltung zu bringen, die traditionell von der Tätigkeit öffentlicher Unternehmen geprägt wurden - beispielsweise Telekommunikation, Post, Energie, öffentlicher Nahverkehr, Luftverkehr, Sparkassen und Rundfunk. Anpassungsdruck entstand erst, als mit der Fonnulierung des Binnenmarktziels, mit dem Abbau nationaler Marktschranken und dem Gelingen der Liberalisierung in privatwirtschaftlichen Sektoren die staats wirtschaftlich organisierten Bereiche immer mehr als Merkwürdigkeit und Besonderheit herausstachen. Vor dem Hintergrund der klaren Fonnulierung, die das Regel-AusnahmeVerhältnis von Wettbewerb und staatlichem Eingriff in den Binnenmarktund Wettbewerbsregeln erfährt, lastete auf den öffentlichen Unternehmen plötzlich ein erheblicher Rechtfertigungsdruck. 7 11. Der europarechtliche Zugriff auf die mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge

Seit nunmehr einer Dekade macht der Integrationsverband damit ernst, das Ziel einer gemeinschaftlichen Wirtschaftsverfassung, die auf dem Grundsatz der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb besteht (Art. 4 Abs. 1 EGV), flächendeckend und damit auch in jenen Sektoren durchzusetzen, in denen öffentliche Unternehmen operieren. Dabei stoßen die EU-Organe auf drei voneinander zu unterscheidenden Regelungsebenen vor:

7 Vgl. z.B.: Ehlermann, Les entreprises publiques et le controle des aides d'etat, RMC 1992, S. 613; Ehricke, Staatliche Eingriffe in den Wettbewerb - Kontrolle durch Gemeinschaftsrecht, 1994; Wilms (oben Fn. 4); Edward, Art. 90 EC-Treaty and the Deregulation, Liberalisation und Privatisation of Public Enterprises and Public Monopolies, 1996; Badura, Das öffentliche Unternehmen im europäischen Binnenmarkt, ZGR 1997, S. 291; Burgi, Die öffentlichen Unternehmen im Gefüge des primären Gemeinschaftsrechts, EuR 1997, S. 261; Jung, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zum EUV/EGV, 1999, Art. 86 Rdnr. 17 ff.; Pemice, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union - Kommentar, Art. 90 a. F. EGV Rdnr. 1 ff.; Emmerich, Monopole und öffentliche Unternehmen, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts (Loseblatt 2000), Abschnitt H 11 Rdnr. 89.

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1. Beihilferecht Unter Anwendung des europäischen Beihilferechts8 ging die Kommission gegen die Begünstigung öffentlicher Unternehmen durch staatliche Subventionen vor. Eines der bekanntesten Beispiele ist der Versuch der Kommission, die wettbewerbs verzerrende Subventionierung mitgliedstaatlicher Luftfahrtgesellschaften zu unterbinden. Ein anderes, vor allem in Deutschland aufsehenerregendes Beispiels ist das Vorgehen der Kommission gegen Anstaltslast und Gewährträgerhaftung im Bereich der Landesbanken und Sparkassen. 9 Mancher Uneinsichtigkeit und manchen Widerständen zum Trotze konnte die Kommission bei der Anwendung der Art. 87 und Art. 88 des EGV erhebliche Erfolge erzielen. Daß es der Kommission bei der Anwendung des Subventionskontrollrechts nicht an Sensibilität für mitgliedstaatliehe Sorgen mangelt, zeigt das Vorgehen der Kommission bei der Beurteilung der Europarechtskonformität einer Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. In der abwartenden, ja wohl sogar dilatorischen Behandlung der Beschwerden, die seit Anfang der neunziger Jahre von privaten Rundfunkveranstaltern bei der Kommission gegen die Gebührenfinanzierung ihrer öffentlich-rechtlichen Konkurrenten erhoben worden, drücken sich der Respekt vor dem gewachsenen System der öffentlich-rechtlichen Rundfunkordnungen in den Mitgliedstaaten ebenso aus wie das Wissen um die Schwierigkeiten, die sich bei der Auflösung des spannungsreichen Verhältnisses von Traditionswahrung, mitgliedstaatlicher Berechtigung zur Verfolgung legitimer gesellschaftlicher Allgemeinwohlziele und europäischem Interesse am Schutz des Wettbewerbs stellen. Bislang zeigte sich die Kommission wenig geneigt, gegen die Gebührenfinanzierung einzuschreiten. Zeitlichen Spielraum verschaffte sie sich dadurch, daß sie sich bereits im Vorfeld einer Einleitung eines förmlichen Beihilfeaufsichtsverfahrens in ungewöhnlich umfangreicher Weise Informationen einholte und die Erstellung einer Studie beauftragte. In einem (allerdings zurückgezogenen) Entwurf von "Leitlinien für staatliche Beihilfen für Kunst und Kultur unter besonderer Berücksichtigung des audiovisuellen Sektors", den die Kommission im Jahre 1995 vorgestellt hat,1O billigte die Kommission den Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung der Rundfunkordnung erhebliche Freiheit zu und stellte ihnen insbesondere die Entscheidung darüber frei, wie sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten finanzieren (Rundfunkgebühren, steuerliche 8 Überblick bei: Koenig/Kühling, Grundfragen des EG-Beihilfenrechts, NJW 2000, S. 1065. 9 Dazu im einzelnen nachfolgend V. 10 Dazu Dörr, Die öffentlich-rechtliche Rundfunkfinanzierung und die Vorgaben des EG-Vertrags, in: Stem/Prütting (Hrsg.), Rechtliche und ökonomische Fragen der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Lichte des europäischen Rechts, 1998, S. 5 (20 f.).

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Subventionen, Zulassung von Werbung oder Sponsorentätigkeit oder eine Mischform). Eine verbotene Beihilfe solle erst dann vorliegen, wenn die staatlichen Zuwendungen über die Kosten hinausgehen, die dem Sender aus der Erfüllung seiner öffentlichen Diensteverpflichtung entstehen. 11 In Anwendung dieser Grundsätze hat die Kommission dann am 24. Februar 1999 die Einrichtung der gebührenfinanzierten Spartenkanäle "Kinderkanal" und "Phönix" gebilligt. 12 Und im September 1999 erklärte die Kommission in der Beihilfesache 88/98 die britischen Regelungen über die Finanzierung des BBC-Programms News24 für europarechtskonform. 13 Inzwischen hat das unentschiedene und zögerliche Agieren der Kommission bei der Behandlung der Beschwerden ihr eine Verurteilung durch das Gericht erster Instanz (GEI) im Untätigkeitsverfahren nach Art. 232 EG eingetragen. Der Gerichtsentscheidung vom 3. Juni 1999 14 lag eine Klage der französischen Gesellschaft Television Francaise 1 SA (TF1) zugrundelag, deren Beschwerde die Kommission über 31 Monate nicht beschieden hatte. Am 10. Mai 2000 15 hat das GEI einer Klage der portugiesischen Sciedade Independente de Comunicacao (SIC) weitgehend stattgegeben, die sich gegen die Entscheidung der Kommission richtete, kein förmliches Beihilfeverfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG zur Überprüfung einer staatlichen Förderung gegen Maßnahmen des portugiesischen Staats zur Förderung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einzuleiten. In ihrer Mitteilung vom 20. September 2000 über "Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa"16 hat die Kommission nunmehr bekanntgegeben, daß sie die anhängenden Beschwerden in den nächsten Monaten zügig bescheiden wird.

II Die Kommission weist auch darauf hin, daß es in der Praxis schwierig festzustellen ist, die Kosten der Diensteverpflichtung zu bestimmen und zu errechnen, wie hoch ein angemessener Ausgleich für solche Kosten auszufallen hat. Nach den Leitlinien soll Art. 87 Abs. 1 EG nur in extremen Fällen anwendbar sein, in denen die öffentliche Finanzierung eindeutig in keinem Verhältnis zu den Kosten der Diensteverpflichtung stehe. 12 Entscheidung der Kommission vom 24.2.1999, Beihilfesache NN 70/98, Kinderkanal und Phönix, ABI. C 238 vom 21.8.1999, S. 3. 13 Entscheidung der Kommission vom 29.9.1999, Beihilfesache NN 88/98, BBC News24, ABI. C 78 vom 18.3.2000, S. 6. 14 EuG, Rs. T-17/96, Television fran~aise 1 SA/Kommission, Slg. 1999,11-1757 (Bestätigung durch EuGH, Rs. C-302/99 P und C-308/99 P, noch nicht in der amtI. SammI.). 15 EuG, Rs. T-46/97, SIC-Sociedade Independente de Comunicacao SA/Kommission, Slg. 2000, 11-2125. 16 Kommission, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, Mitteilung vom 20.9.2000, KOM (2000) 580 endg., ABI. C 1712001 S. 4, Anhang 1. Dazu Ennuschat, Die neue Mitteilung der EU-Kommission zu den "Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa", RdE 2001, S. 46.

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2. Wettbewerbsrecht

Ein zweiter Liberalisierungsansatz bestand in der Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts, namentlich der Art. 81 und Art. 82 EGV, auf öffentliche Unternehmen oder solcher Unternehmen, die von den Mitgliedstaaten mit besonderen oder ausschließlichen Rechten ausgestattet worden sind. Bei dem Ansinnen, auch öffentliche Unternehmen dem Kartellverbot sowie dem Verbot des Mißbrauchs marktbeherrschender Stellungen zu unterwerfen, stießen die europäischen Organe - Kommission und Gerichtshof - zunächst auf erhebliche Widerstände. So machte beispielsweise die französische Regierung im Rechtsstreit um die Zulässigkeit einer mitgliedstaatlichen Monopolisierung des Endgerätemarkts für Telekommunikationsgeräte die unbegrenzte Freiheit der Mitgliedstaaten geltend, öffentlichen Unternehmen ausschließliche Rechte zu verleihen und den Wettbewerb auszuschalten. 17 Die Regierung konnte sich dabei immerhin auf den Wortlaut des Art. 86 Abs. 1 EGV berufen, wonach den Mitgliedstaaten lediglich untersagt ist, in Bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen mit besonderen oder ausschließlichen Rechten vertragswidrige Maßnahmen zu ergreifen. Daß die Vergabe ausschließlicher Rechte bereits als solche vertragswidrig sei, sagt Art. 86 Abs. 1 EGV gerade nicht. Es bedarf allerdings keiner langen Begründung festzustellen, daß die Bestimmungen des Vertrags weitgehend leerlaufen würden, wenn es die Mitgliedstaaten in der Hand hätten, frei zu entscheiden, welche ausschließlichen oder besonderen Rechte sie vergeben wollen. Zu Recht ist der EuGH deshalb der Auffassung vieler mitglied staatlicher Regierungen nicht gefolgt und hat bereits die mitgliedstaatliche Entscheidung über die Begründung einer privilegierten Stellung einer Rechtmäßigkeitskontrolle unterworfen. 18 Europarechtswidrig ist dieser Rechtsprechung zufolge die Begründung eines besonderen oder ausschließlichen Rechts immer dann, wenn es nach Art und Inhalt zwangsläufig dazu führt, daß das begünstigte Unternehmen seine beherrschende Stellung mißbrauchen muß. 19 Auf dieser Grundlage hat der EuGH beispielsweise entschieden, daß die Monopolisierung des Marktes für Telekommunikationsendgeräte unangemessen ist und deshalb ein Einschreiten der europäischen Wettbewerbshüter rechtfertigt. Im Fall Höfner20 ging der EuGH davon aus, daß die Monopolisierung des Marktes für Arbeitsvermittlung jedenfalls in manchen Sektoren mit Europarecht unvereinbar ist. EhtEuGH, Rs. C-202/88, Frankreich/Kommission, Slg. 1991, S. 1-1223. Dazu Ross, Article 16 E.C. and services of general interest: form derogation to obligation?, ELR 2000, S. 22 (28). Vgl. auch Edward/Hoskins, Article 90: Deregulation and E.C. Law, CMLR 1995, S. 157. 19 EuGH, Rs. C-41190, Höfner, Slg. 1991, 1-1979 (Rdnr. 29); EuGH, Rs. C-323/ 93, La Crespelle, Slg. 1994,1-5077 (Rdnr. 18). 20 EuGH, Rs. C-41190, Höfner, Slg. 1991,1-1979. 17 18

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sprechend stellte der EuGH im Fall Bodson21 fest, daß es mitgliedstaatlichen Organen untersagt sei, "die Anwendung unangemessener Preise durch die konzessionierten Unternehmen dadurch zu fördern, daß sie derartige Bedingungen eines Konzessionsvertrag erzwingen". Der EuGH betont: "Soweit die Gemeinden ihren Konzessionären ein bestimmtes Preisniveau aufgezwungen haben sollten ... , würden sie den Tatbestand des Art. 90 I EGV [heute: Art. 86 Abs. 1 EGV] erfüllen." Dieser Rechtsprechung zufolge ist Art. 82 EGV - ohne daß es noch eines akzessorischen unternehmerischen HandeIns bedürfte - auf Maßnahmen der Mitgliedstaaten gerade dann anwendbar, wenn diesen ein autonomes Handeln nicht möglich ist. 22 Es muß hier deutlich herausgestellt werden, daß der EuGH seine Rechtsprechung zur Anwendung des Wettbewerbsrechts auf Unternehmen mit ausschließlichen oder besonderen Rechten keinesfalls gradlinig und schwankungsfrei entwickelt hat. 23 Immer wieder ergingen Entscheidungen, die sich in die bisherige Dogmatik nicht richtig einfügen ließen. Noch immer läßt sich die Frage, wann ein besonderes oder ausschließliches Recht den Wettbewerb unangemessen beschränkt, nicht in jeden Fall eindeutig beantworten. Immerhin läßt sich der Rechtsprechung mit Eindeutigkeit entnehmen, daß dem Europarecht sowohl eine Sichtweise, die den Mitgliedstaaten absolute Freiheit einräumt, als auch eine Sichtweise, die die Verleihung von ausschließlichen oder besonderen Rechten grundsätzlich verbieten will, fremd ist. Nach Auffassung des EuGH geht es darum, "das Interesse der Mitgliedstaaten am Einsatz bestimmter Unternehmen, insbesondere des öffentlichen Sektors, als Instrument der Wirtschafts- oder Fiskalpolitik mit dem Interesse der Gemeinschaft an der Einhaltung der Wettbewerbsregeln und der Wahrung der Einheit des Gemeinsamen Marktes in Einklang zu bringen. ,,24 Daß der EuGH bei der Anwendung der Art. 82, 86 Abs. 1 EGV nicht einseitig vorging, belegen Fälle, in denen besondere oder ausschließliche Rechte europarechtlichen Bestand hatten. So entschied der EuGH beispielsweise 1994,25 daß es mit Europarecht vereinbar sei, wenn Frankreich den EuGH, Rs. 30/87, Bodson, Slg. 1988, S. 2479 (2516 Rdnr. 33). Dazu sehr anschaulich Schwarze (oben Fn. 3), EuZW 2000, S. 626 (auch zur Gegenansicht). 23 Wichtige Leitentscheidungen zur Anwendung des Wettbewerbsrechts (Art. 81, 82, 87 EGV) vor allem: EuGH, Rs. C-202/88, Frankreich/Kommission, Slg. 1991, S. 1-1233; EuGH, Rs. C-260/89, ERT, Slg. 1991, S. 1-2925; EuGH, Rs. C-17/88, RTf, Slg. 1991, S. 1-5941; EuGH, Rs. C-230/91, Corbeau, Slg. 1993, S. 1-2533; EuGH, Rs. C-393/92, Almelo, Slg. 1994, S. 1-1477; EuGH, verb. Rs. C-157-160/ 94, Kommission/Niederlande u.a., Slg. 1997, S. 1-5699, 1-5789, 1-5815, 1-5851; EuGH, Rs. C-266/96, Corsica Ferries, Slg. 1998, S. 1-3949; EuGH, Rs. C-360/96, BFI-Holding, Slg. 1998, S. 1-6821. 24 EuGH, Rs. C-202/88, Kommission/Frankreich, Slg. 1991,1-1213 (1263). 25 EuGH, Rs. C-323/93, La Crespelle, Slg. 1994,1-5077. 21

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für die künstliche Befruchtung von Tieren zuständigen Stellen ein ausschließliches Gebietsrecht verlieh und so den Wettbewerb ausschaltete. Der EuGH nahm es dabei sogar hin, daß die Stellen in ihrer Preisgestaltung differenzieren und einzelne Züchter benachteiligen durften. Unter vergleichbarer Betonung der mitgliedstaatlichen Gestaltungsfreiheit billigte der EuGH eine italienische Regelung, die einem öffentlichen Monopolunternehmen das Monopol zur Einfuhr und zum Vertrieb von Tabakprodukten verlieh. 26 Die Rechtsprechung des EuGH gab der Kommission Rückhalt bei dem Versuch, ihrerseits auf der Grundlage der Kompetenz des Art. 86 Abs. 3 EGV unangemessene Einschränkungen des Wettbewerbs in traditionell abgeschotteten Märkten zu bekämpfen. Einer ersten allgemeinen Regelung der Transparenzrichtlinie vom 25. Juni 1980 - folgten seit 1988 Richtlinien zur Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte (Endgeräte, Dienste und Netzgang), durch die die vollständige Liberalisierung des Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen zum 1.1.1998 gelang. Wesentlich größere Mühe machte die auf Art. 95 EGV gestützte Liberalisierung der Postdienste, die bislang nicht über die ersten Anfänge hinausgekommen ist. Entscheidungen, mit denen Marktöffnung punktuell und im Hinblick auf bestimmte Unternehmen erzwungen werden sollte, betrafen beispielsweise das Monopol bei der Versicherung öffentlicher Vermögen in Griechenland, selektive Tarifermäßigungen im Luft- und Seeverkehr für Bewohner der Kanarischen Inseln und der Balearen, die Erstreckung des Postmonopols auf Eilkurierdienste in den Niederlanden, die Geltung des spanischen Postmonopols für internationale Eilkurierdienste, die staatlich verordnete Verweigerung des Zugangs zum Hafen von Rodby für nicht-dänische Schiffahrtsgesellschaften oder die faktische Besserstellung nationaler fluggesellschaften durch das Rabattsystem auf dem Brüsseler Flughafen. 27 3. Grundfreiheiten

Ein dritter Regelungsansatz lag schließlich in der Durchsetzung der Grundfreiheiten auch gegenüber Unternehmen mit besonderen oder ausschließlichen Rechten. Kommission und Europäischer Gerichtshof haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge nicht zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung der Waren- und Dienstleistungsfreiheit der Art. 28 und 29 EGV sowie Art. 49 EGV führen dürfe. So verstößt ein Mitgliedstaat gegen Art. 29 EGV, wenn er einem öffentEuGH, Rs. C-387/93, Bancero, Slg. 1995, S. 1-4663. Überblick bei: Jung, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zum EUV/EGV, 1999, Art. 86 Rdnr. 17 ff.; Pernice, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union - Kommentar, Art. 90 a. F. EGV Rdnr. 1 ff. 26 27

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lichen oder privilegierten Unternehmen die Ausfuhr bestimmter Altöle verbietet. 28 Eine mitgliedstaatliche Regelung, mit der die Ein- und Ausfuhr von Elektrizität zum Schutz der Stellung eines einheimischen öffentlichen Stromerzeugers beschränkt wird, muß sich an Art. 28 EGV messen lassen;29 ein Mitgliedstaat, der ein Unternehmen mit Dienstleistungen von all, gemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut hat (Art. 86 Abs. 2 EGV), wird nicht von dem Verbot befreit, zugunsten dieses Unternehmens oder zum Schutz seiner Tätigkeit Maßnahmen zu treffen, durch die die Einfuhr von Waren oder Dienstleistungen aus einem anderen Mitgliedstaat beschränkt wird. Eine niederländische Regelung,30 die den Export von bestimmten Müll verbot, um die wirtschaftliche Lebensfähigkeit eines Unternehmens zu schützen, das mit der Verbrennung von Müll betraut worden war, verstößt ohne Zweifel gegen die Freiheit des Warenverkehrs. Eine unzulässige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit kann darin liegen, daß ein Mitgliedstaat über Monopolrechte weitere Wettbewerber ausschaltet. 3) Art. 86 Abs. 2 EGV rechtfertigt daher beschränkende Maßnahmen nach Art. 28, 49 EGV nicht.

III. Der politische Streit um die Zukunft der Daseinsvorsorge Die EU-Organe sind so seit nunmehr einem Dutzend Jahren darum bemüht, im Wege der Anwendung des Wettbewerbsrechts, der Grundfreiheiten und des Beihilfekontrollrechts sowie durch Erlaß von Liberalisierungspflichten die öffentlichen Sektoren schrittweise und schonend dem Rechtsregime des Binnenmarkts zu unterwerfen. Aus ihrer Sicht gehen sie dabei in voller Anerkennung des Rechts der Mitgliedstaaten zur Wahrung ihrer Eigentumsordnung sowie unter Anerkennung der grundsätzlichen Legitimität der Begründung besonderer unternehmerischer Aufgaben vor. Aus mitgliedstaatlicher Sicht handelt es sich demgegenüber nur zu häufig um eine unzulässige Beeinträchtigung von Traditionsbeständen, die jenseits des europapolitisch Gewünschten und europarechtlich Erlaubten liegt. Seit Anfang der neunziger Jahre machen sich denn auch Bemühungen um den Schutz öffentlicher oder privilegierter Unternehmen bemerkbar. 32

EuGH, Rs. 172/82, Inter-Huiles, Slg. 1983, S. 555 (566 0. EuGH, verb. Rs. C-156-160/94, KommissionINiederlande u. a., Slg. 1997, S. 15699 ff. 30 EuGH, Rs. C-203/96, Chemische Afvalstoffen Dusseldorp, Slg. 1998, S. 14075. 31 EuGH, Rs. C-179/90, Porto di Genova, Slg. 1991, S. 1-5889 (5929 Rdnr. 21). 32 Dazu Tettinger (oben Fn. 3), DVBl. 1997, S. 341. 28

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1. Widerstand im Kreis der Verbände

Widerstand regt sich - dies ist nun wirklich nicht erstaunlich - bei denjenigen Verbänden, die die Interessen privilegierter Unternehmen vertreten. Wie überall, wo sich die Einwirkungen des Europarechts bemerkbar machen - ich denke beispielsweise an den Wunsch der Sportverbände, von der Pflicht zur Respektierung der Freizügigkeitsregeln verschont zu bleiben plädierten auch diese Verbände für eine Freistellung von der Pflicht zur Beachtung des Europarechts. So schlug beispielsweise der Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft (CEEP) vor, Art. 90 EGV zu streichen und den Vertrag statt dessen um einen neuen Art. 94a EGV zu ergänzen: ,,0) In den Bereichen, in denen es aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, des Verbraucherschutzes, des sozialen Zusammenhalts oder der Förderung einer dauerhaften Entwicklung gerechtfertigt ist, liegt es im Ermessen der Mitgliedstaaten, Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse einzurichten. (2) Unternehmen, die mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind, unterliegen besonderen Pflichten, insbesondere hinsichtlich der Gleichbehandlung der Verbraucher, der Kontinuität der Dienstleistungen, ihrer Anpassungsfähigkeit, der Qualität der sichergestellten Dienstleistung, der Transparenz, der Effizienz und der Öffnung ihrer Tätigkeit für abgestimmtes Vorgehen. . .. Sie unterliegen den Vorschriften dieses Vertrages, insbesondere den Wettbewerbsregeln, soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert .... "

Mit dieser Bestimmung sollte die Entscheidung darüber, welche Aufgaben privilegierte Unternehmen erbringen und wie sie dabei unterstützt werden, der souveränen Bestimmungsmacht der Mitgliedstaaten überantwortet werden. Die öffentlichen Sektoren sollten von den Anforderungen des Marktes freigestellt werden; Qualitätssicherung hätte nicht über den Wettbewerb, sondern über staatliche Festlegungen gewährleistet werden sollen. Der Zentral verband der öffentlichen Wirtschaft stützte seinen Vorstoß mit der Proklamation einer "Europäischen Charta der Dienstleistungen von allgemein wirtschaftlichem Interesse,,33 ab. Dieser Charta zufolge handelt es sich beim öffentlichen Sektor um ein zentrales Instrument mitgliedstaatlicher Wirtschaftspolitik. Die Charta läuft inhaltlich auf einen Gegenentwurf zur Idee einer von offenen Märkten und freiem Wettbewerb gekennzeichneten Wirtschaftsverfassung hinaus. 2. Meinungsverschiedenheiten im Kreis der Politik

Reaktionen zeigen sich aber auch in Kreisen der Politik. So verlangte beispielsweise der Bundesrat in einer Entschließung vom 4. Februar 2000 33

Nachweise bei: Tettinger (oben Fn. 3), DVBl. 1997, S. 342 Fn. 14.

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zur Eröffnung der Regierungskonferenz 2000 eine vertragliche Klarstellung dahingehend, daß öffentliche Dienstleistungen zum Zwecke der Daseinsvorsorge nach dem Subsidiaritätsprinzip Aufgabe der Mitgliedstaaten - und damit in der Bundesrepublik Deutschland vor allem Aufgabe der Länder und Gemeinden - seien. 34 In einer weiteren Erklärung brachten die Regierungschefs der Länder ihre Sorge zum Ausdruck, daß die Anwendung des EGBeihilferechts auf mitgliedstaatliche Einrichtungen der Daseinsvorsorge eine Gefährdung bewährter Strukturen und Institutionen bewirken würde. Gefordert wurde eine "Sicherstellungsklausel", mit der Ausgriffe der EUOrgane (namentlich der Kommission) in die Sphäre mitgliedstaatlicher Daseinsvorsorge abgewehrt werden sollten. 35 Der Widerstand begrenzte sich aber nicht auf Deutschland, auch in anderen Mitgliedstaaten machten sich Abwehrbemühungen bemerkbar. Das Europäisches Parlament forderte seit 1993 in mehreren Entschließungen, das Konzept des "service public" in den EG-Vertrag aufzunehmen, seine eigenständige und positive Bedeutung anzuerkennen und sogar einen subjektiven Anspruch der EU-Bürger auf garantierte Mindest-Leistungsstandards zu schaffen. Deutlicher Rückhalt fand die Idee mitgliedstaatlicher Daseinsvorsorge auch in den Diskussionen der sog. Reflexionsgruppe (Westendorp-Gruppe), die mit der Vorbereitung der Regierungskonferenz von Amsterdam beauftragt wurde. In diesen Diskussionen wurde immer wieder die Auffassung vertreten, daß der Zugang zu gemeinschaftlichen Diensten zu den wesentlichen Grundlagen eines auf Menschenrechten und Solidarität basierenden "Europäischen Gesellschaftsmodells" gehöre. In ihrem Abschlußbericht betont die Gruppe, daß zu den allen europäischen Gesellschaften gemeinsamen Wertvorstellungen auch "der gleichberechtigte Zugang der Bürger zu Universaldiensten sowie zu Versorgungs- und Dienstleistungen [gehöre], die der solidarischen Daseinsvorsorge dienen". Die Kommission hat diese Feststellung in ihrer Stellungnahme vom 28. Februar 1996 ausdrücklich begrüßt. 36 In ihrer Mitteilung vom 11. September 1996 über "Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa,,37 hat die Kommission im gleichen Jahr festgestellt, daß "Solidarität und Gleichbehandlung in einer offenen und dynamischen Marktwirtschaft ... grundlegende Ziele der Europäischen Gemeinschaft" seien. Die Leistungen der Daseinsvorsorge würden von vielen Europäern als soziale Rechte und als wesentlicher Bestandteil des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts angesehen. Daher bildeten sie, wie die Kommission behauptet, "den Kern des europäischen GesellBeschluß des Bundesrates vom 4.2.2000, BR-Drs. 61/00, Ziff. 1711. FAZ vom 25.3.2000, S. 2. 36 Bulletin der EU 1-2/l996, S. 9, S. 166. 37 Kommission, Daseinsvorsorge in Europa. Mitteilung vom 26.9.1996, KOM (96) 443, ABI. C 281/l996, S. 3. 34 35

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schaftsmodells". Sie seien eine Komponente der kulturellen Identität aller europäischen Länder. Hierin drücke sich die Originalität Europas aus. Solcher Überschwang konnte bei vielen Beobachtern nur auf Erstaunen und Befremden stoßen. Zuhauf äußerten sich in Wissenschaft38 und Praxis warnende Stimmen. Zu Recht schwächt die Kommission ihre Bewertung der Daseinsvorsorge in ihrer Mitteilung vom 20. September 200039 denn auch wieder ab; dort ist nur noch davon die Rede, daß in den Diensten ein Schlüsselelement des europäischen Gesellschaftsmodells liege. 3. Art. 16 EUV als Legitimationsnorm

Die Vorstöße, mit denen eine Aufweichung der europäIschen Wirtschaftsverfassung erreicht werden sollte, stießen allerdings im Vorfeld der Vertragsverhandlungen von Amsterdam und Nizza jeweils auf Widerstand. Zurückhaltung machte sich beispielsweise in den Schlußfolgerungen des Europäischen Rats von Lissabon bemerkbar, in denen der Rat zwar die Kommission dazu aufforderte, ihre Mitteilung zu den "Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa,,4o zu aktualisieren, sich aber im übrigen der Forderung nach einer Vertragsergänzung nicht anschloß. Einwände formulierten im Vorfeld der Konferenz insbesondere das Vereinigte Königreich und Spanien; die Bundesregierung und die Europäische Kommission äußerten sich kritisch zurückhaltend. 41 Man befürchtete, daß die Freistellung mitgliedstaatlicher Institutionen der Daseinsvorsorge sich zu einem bedenklichen Präzedenzfall entwickeln könne, auf dessen Hintergrund Mitgliedstaaten andere und neue Formen der Marktabschottung würden rechtfertigen können. Vor diesem Hintergrund überraschte es kaum, daß sich die Befürworter einer Freistellung der daseinsvorsorgenden Institutionen in den Verhandlungen der Regierungskonferenz dann nicht haben durchsetzen können. Die Versuche, privilegierte Unternehmen von der Pflicht zur Beachtung der Wettbewerbsregeln freizustellen, konnten richtigerweise abgewehrt werden. Das Ansinnen, den Kanon der grundlegenden Aufgaben der EU in Art. 3 EGV um eine Pflicht zur Pflege und Förderung der öffentlichen Daseinsvorsorge zu ergänzen, war erfolglos. 42 Auch konnte sich das Ansinnen, den Bürgern ein subjektives Recht auf qualifizierte Versorgung mit einem Min38 Z. B. Lecheler, Die Versorgung mit Strom und Gas als "service public" und die Bedeutung der "service public-Doctrin" für Art. 90 Abs. 2 EGV, RdE 1996, S. 212 (217). Ähnlich auch: Tettinger (oben Fn. 3), S. 341 (346). 39 Oben Fn. 5. 40 Kommission (oben Fn. 5), S. 3. 41 FAZ vom 29.3.2000, S. 6. 42 So die (in der Sache allerdings zurückhaltende) Position der Kommission. 3 Nenesheim/Oppennann (Hrsg.)

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deststandard einschlägiger Leistungen der Daseinsvorsorge zu verleihen, nicht durchsetzen. Immerhin wurde das Primärrecht des EGV um die Bestimmung des Art. 16 EGVergänzt: "Unbeschadet der Artikel 73, 86 und 87 und in Anbetracht des Stellenwerts, den Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse innerhalb der gemeinsamen Werte der Union einnehmen, sowie ihrer Bedeutung bei der Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts tragen die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse im Anwendungsbereich dieses Vertrags dafür Sorge, daß die Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren dieser Dienste so gestaltet sind, daß sie ihren Aufgaben nachkommen können. ,,43

Der in Art. 16 EGV begründete Auftrag wird allerdings vorbehaltlich der Bestimmungen des europäischen Wettbewerbsrechts erteilt und begründet deshalb keine Freistellung von der Beachtlichkeit der Art. 81, 82 und 86 EGV; ebensowenig wird dadurch mitgliedstaatlichen Maßnahmen nichtmarktkonformer Art eine Wertigkeit und Legitimität zugeschrieben, die jener von marktkonformen Maßnahmen gleichsteht.44 Der marktwirtschaftlich geprägten Wirtschaftsverfassung der EU wird durch diese Vorschrift auch kein Gegenprinzip entgegengestellt. 45 Daß es den Mitgliedstaaten bei der Schaffung des Art. 16 EGV nicht darum ging, die Rechtsgehalte des europäischen Wettbewerbsrechts zu durchbrechen, läßt sich deutlich der 13. Erklärung zur Schlußakte von Amsterdam entnehmen. Dort wird hervorgehoben, daß die "Umsetzung" (besser: Anwendung) des Artikels "unter uneingeschränkter Beachtung der Rechtsprechung des Gerichtshofs" zu erfolgen hat. Zwar werden in der Erklärung vor allem die Anforderungen an Gleichbehandlung, Qualität und Dauerhaftigkeit der Dienste hervorgehoben; die Erklärung gibt aber deutlich zu erkennen, daß die Rechtsprechung des EuGH nicht nur im Hinblick auf diese inhaltlichen Anforderungen uneingeschränkte Beachtlichkeit finden soll. Art. 16 EGV läßt sich daher nach Wortlaut, genetischem Hintergrund und Funktion nicht als Vorschrift begreifen, die geeignet wäre, eine Überlagerung oder Durchbrechung der europäischen Wirtschaftsverfassung zu bewirken. 43 Erste Bewertungen bei: Rodriques, Les services publies et le Traite d'Amsterdam, RevMC 1998, S. 37; Ross, Article 16 E.C. and services of general interest: from derogation to obligation?, ELR 2000, S. 22; Magiera, Gefahrdung der öffentlichen Daseinsvorsorge durch das EG-Beihilferecht?, FS Rauschning, 2001, S. 269; vgl. auch Mestmiicker, Daseinsvorsorge und Universaldienst im europäischen Kontext, FS Zacher, 1998, S. 665. 44 Vgl. beispielsweise van Miert, La Conference intergouvemementale et la politique communautaire de concurrence, Competition Policy Newsletter 1997, Vol. 3, Nr. 2, S. 1 (3 f.); Badura, Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, FS Opperrnann, 2001, S. 571 (578); Koenig, Daseinsvorsorge durch Wettbewerb!, EuZW 2001, S. 481. 45 So die Sichtweise von Schwarze (oben Fn. 3), EuZW 2001, S. 334.

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Unmittelbare rechtliche Bedeutung (es geht hier nicht über die politische oder sozialpsychologische Bedeutung) kann die Bestimmung daher nur dort entfalten, wo die Bestimmungen des europäischen Beihilferechts, des Wettbewerbsrechts und der Grundfreiheiten Auslegungsspielräume eröffnen. Hier mag das in Art. 16 EGVenthaltene Bekenntnis zum Wert der Dienste auslegungsbeeinflussende Wirkung haben - mehr aber auch nicht. 46 Der rechtliche Gehalt dieser Bestimmung ist denn auch klein und wird von den meisten rechtswissenschaftlichen Beobachtern richtig eingeschätzt; erst in jüngster Zeit äußern sich Stimmen, die erneut den Versuch unternehmen, in Art. 16 EGVeine grundlegende Neuorientierung der EU, ihrer Wirtschaftsverfassung, sowie des Verhältnisses von Unionsbürgern und EU hineinzulesen. Wie problematisch gerade dieser letztgenannte Versuch ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, daß Art. 16 EGV sicherlich kein subjektives Recht auf Bereitstellung angemessener Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse begründet. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, daß die jüngst feierlich proklamierte Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Art. 36 bekräftigt, daß die Union den Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse anerkennt und achtet. 47 Es liegt auf der Hand, daß die Hauptbedeutung des Art. 16 EGV im programmatisch-politischen Bereich liegt. Die Norm leitet die politisch handelnden Organe der EU dabei an, im Rechtsetzungsprozeß einen angemessenen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Anliegen herzustellen: auf der einen Seite die Marktöffnung, sowie die Herstellung von Wettbewerbsfairneß und Wettbewerbsgleichheit, auf der anderen Seite die Bewahrung der mitgliedstaatlichen Möglichkeit, elementare, gerade aus sozialstaatlicher Sicht unverzichtbare Dienste zu erbringen oder erbringen zu lassen. Die Kommission hat sich in letzter Zeit daran gemacht, die Wertungen des Art. 16 EGV bei einer Reihe von Vorhaben zu berücksichtigen. So hat die Kommission im Januar 2001 Gruppenfreistellungsverordnungen zum Thema Ausbildungsbeihilfen, "De-minimis"-Beihilfen und staatliche Beihilfen an kleine und mittlere Unternehmen48 erlassen, in denen sich nicht zuletzt das Anliegen niederschlug, den Mitgliedstaaten die Förderung der Bereitstellung meritorischer Dienste zu ermöglichen. In die gleiche Richtung zielt die Mitteilung über die Anwendung der Vorschriften über staatliche BeihilVon einer "Aufwertung" spricht Püttner (oben Fn. 3), ZögU 2000, S. 373. In Artikel 36 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die auf der Tagung des Europäischen Rats von Nizza feierlich proklamiert worden ist, heißt es: "Die Union anerkennt und achtet den Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, wie er durch die einzel staatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten im Einklang mit dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft geregelt ist, um den sozialen und territorialen Zusammenhalt der Union zu fördern." 48 ABI. 2001 L 10120, 30, 33 vom 13.1.2001. 46

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fen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk49 • Die Wertungen des Art. 16 EGV spiegeln sich auch in der "Mitteilung zu bestimmten Rechtsfragen im Zusammenhang mit Kinofilmen und anderen audiovisuellen Werken,,5o wieder. 51 Aus Art. 16 EGV läßt sich insbesondere ein politisches Gebot ableiten, den Übergang von einer wettbewerbswidrigen Ordnung zu einer mit den Vertragsgrundsätzen vereinbaren Ordnung schrittweise und unter Berücksichtigung mitgliedstaatlicher Anpassungsschwierigkeiten vorzunehmen. Die EU hat sicherzustellen, daß es nicht zu Diskontinuitäten und Unterbrechungen im Leistungsangebot kommt. Sie muß Vorkehrungen treffen, um sicherzustellen, daß die gemeinwohldienlichen Leistungen weiterhin erbracht werden können und vorgegebenen Qualitäts standards entsprechen. IV. Die Auflösung des Spannungsverhältnisses

Skizzen artig läßt sich auf diesem Hintergrund festhalten: Dem Europarecht liegt die Einschätzung zugrunde, daß öffentliche Daseinsvorsorge und marktwirtschaftlich geprägte Wirtschaftsverfassung nicht prinzipiell in Widerspruch stehen. 52 Die Betätigung der öffentlichen Hand im Markt ist als solche nicht wettbewerbs beeinträchtigend, solange dabei die für alle geltenden Spielregeln eingehalten werden. Das Europarecht respektiert deshalb auch die mitgliedstaatliche Entscheidung über die Organisationsform der wirtschaftenden Unternehmen; es begründet kein Privatisierungsgebot und spricht noch nicht einmal eine Empfehlung zur Privatisierung aus. 53 Es ist insofern jedenfalls mißverständlich, wenn in der europarechtlichen Literatur teilweise von einem prinzipiellen Konflikt oder Gegensatz zwischen der Wirtschaftsverfassung des EGV und der gemeinwohlorientierten mitgliedstaatlichen Daseinsvorsorge gesprochen wird. Spannungslagen treten nur ABI. 2001 C 320/5 vom 15.11.2001. KOM (2001) 534 vom 26.09.2001. 51 VgI. auch die Leitlinien für staatliche Umweltschutzbeihilfen (ABI. 2001 C 37/3 vom 3.2.2001). 52 So aber z.B. Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Bd. 11, 1997, Art. 37, 90, D Rn. 3; Jung, in: Calliess/Ruffert, Kommentar zu EU! EG, 1999, Art. 16 EGV Rdnr. 3. 53 Modal versperrt das EU-Recht nicht den Übergang von der staatlichen Erbringung zur staatlichen Gewährleistungsverantwortung: Es steht dem Staat frei, Monopolleistungen zu erbringen (interessanterweise in der kontinentaleuropäischen Tradition weitgehend ohne rechtlich erzwingbare Vorgaben, Bindungen und Maßstäbe); es steht ihm aber auch frei Privatunternehmen die Pflicht zur Grundversorgung aufzuerlegen und sie dabei zu unterstützen (Fondslösung, Steuerlösung) (Aufgabenprivatisierung). 49

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dort auf, wo die Mitgliedstaaten Daseinsvorsorge unter Einsatz nicht-marktkonformer Mittel betreiben. Es ist ferner deutlich zu betonen, daß den Mitgliedstaaten nicht die Möglichkeit versperrt ist, Zielsetzungen zu verfolgen, die sich in der Formensprache des Marktes nicht realisieren lassen und deshalb den Einsatz öffentlicher Institutionen und Unternehmen mit besonderem Dienstleistungsauftrag und besonderer Finanzierung verlangen. Der EG-Vertrag reduziert den zulässigen Zielhorizont der Mitgliedstaaten nicht auf marktmäßig realisierbare Ziele. Er stellt es ihnen vielmehr frei, in Gemeinwohlorientierung Zielsetzungen jenseits ökonomischer Effizienz und fiskalischer Gewinnerzielung anzustreben. Dabei geht es nicht nur um Fälle des Marktversagens, also um Fälle, in denen Planungshorizont und Informationsstand der Marktteilnehmer nicht ausreichen, um ein bestimmtes Gut hinreichend zu schätzen (Investition in Bildung). Es geht auch um das Ziel, sicherzustellen, daß bestimmte (meritorische) Güter öffentlich zugänglich sind (Museen etc.). Ferner geht es um das Ziel, sicherzustellen, daß bestimmte Leistungen allen Bürgern zu einem angemessenem Preis und mit Mindestqualität zur Verfügung gestellt werden. Instrumentell müssen sich die Mitgliedstaaten insofern nicht damit begnügen, den Ordnungsrahmen eines funktionierenden Marktes einzurichten, in dem sich dann private und öffentliche Unternehmen gewinnorientiert bewegen. Es ist den Mitgliedstaaten von Europarecht wegen nicht untersagt, öffentliche Institutionen und Unternehmen zum Leben zu erwecken, denen der Auftrag zur Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge erteilt wird, die so im Markt nicht, qualitativ schlechter oder zu höheren Preisen erbracht würden. 54 Bei diesen marktförmig nicht einlösbaren Gemeinwohlzielen kann es beispielsweise um die Sicherung einer flächendeckenden Versorgung aller Nachfrager zu einem erschwinglichen Preis oder um die Sicherung der Verfügbarkeit einer Dienstleistung gehen, die vom Markt nicht in gleicher Qualität erzeugt würde. Im Grundsatz sind die Mitgliedstaaten in diesem Zusammenhang frei zu entscheiden, ob sie die Leistung selbst (durch staatliche Einrichtungen) erbringen oder die Leistungsvergabe an Private übertragen wollen. Das Europarecht weist ihnen auch das Recht zu, zu bestimmen, wie die gemeinwohldienliche Leistung erbracht werden soll und weIche Qualitätsstandards eingehalten werden müssen. Von Europarecht wegen sind die Mitgliedstaaten allerdings gehalten, den besonderen Dienstleistungsauftrag klar zu definieren; ohne klare Festlegungen ist ihnen die Berufung auf Art. 86 Abs. 2 EGV zu versagen. 55 Die Ver54 Wie die Kommission in ihrer Mitteilung vom 20.9.2000 (oben Fn. 5) schreibt, haben gemeinwohlorientierte Dienste ihren Platz dort, wo "durch die Kräfte des Marktes keine zufriedenstellende Bereitstellung von Leistungen" erwartet werden kann (S. 3).

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pflichtungen, die dem mit der Erbringung der Dienstleistung beauftragten Unternehmen auferlegt worden sind, müssen in einem hoheitlichen Akt (auch gegebenenfalls durch verfassungsnormative Festlegung) oder in einem Vertrag mit der zuständigen Behörde festgelegt werden. Die Freiheit der Mitgliedstaaten, nicht marktförmig erreichbare Ziele dadurch zu verfolgen, daß Unternehmen mit Diensten VOn allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut werden, soll nach Auffassung der Kommission nur einer Kontrolle auf "offenkundige Fehler" unterworfen sein. Gemeint ist damit, daß den Mitgliedstaat eine Pflicht des Inhalts trifft, darzulegen, daß die dem Dienstleister auferlegten Zielsetzungen (1) VOn hinreichendem Gewicht sind und (2) sich nicht auch von Privaten im freien Wettbewerb in einer marktwirtschaftlich geprägten Ordnung verwirklichen lassen. Soweit die Mitgliedstaaten einen gemeinwohlbezogenen Dienstleistungsauftrag erteilen, der außerhalb des Marktes liegt, finden die Wettbewerbsregeln und die Binnenmarktvorschriften keine Anwendung; es steht den Mitgliedstaaten insofern frei, "nichtwirtschaftliche Tätigkeiten" ohne Prüfung der Wettbewerbskonformität zu fördern. Nach Auffassung des EuGH gilt als " ... eine wirtschaftliche Tätigkeit jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten".56 Ob dies eine Tätigkeit wirtschaftlicher oder nichtwirtschaftlicher Art ist, läßt sich damit nicht abstrakt und allgemein sagen. Die Einstufung hängt jeweils vom Umfeld ab, in dem der Auftrag erfüllt wird. Ein und dieselbe Tätigkeit kann nichtwirtschaftlicher Natur sein, wenn sie in einem Sektor erbracht wird, in dem sich bislang keine Marktstrukturen herausgebildet haben (polizeiliche Sicherheit; Grundschulbildung); sie wird zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit, wenn sich private Anbieter im jeweiligen Sektor etablieren und so ein Markt entsteht. Der Versuch, ein abstraktes und allgemeines Verzeichnis VOn Leistungen der Daseinsvorsorge aufzustellen, die nichtwirtschaftliche Tätigkeiten sind, muß daher scheitern. Spannungen zwischen öffentlicher Daseinsvorsorge und einer marktwirtschaftlich geprägten Wirtschaftsverfassung entstehen, wenn ein Mitgliedstaat ein im Markt operierendes daseinsvorsorgendes Unternehmen von der Einhaltung der allgemeinen Spielregeln freistellt - sei es, daß ihnen besondere Rechte (möglicherweise gar ein Monopol) eingeräumt werden, sei es, 55 So auch Ehlermann, Role of the European Commission as Regards National Energy Policies, Journal of Energy and National Resources Law 12 (1994), S. 342 (350): "A monopoly would only be legal if it can be demonstrated that this is the least restrictive option. First of all the public needs to have been identified and described carefully. The public service argument is too often put ahead without one knowing exactly what it covers. The public service missions will have therefore be clearly defined." 56 EuGH, verb. Rs. C-180-184/98, Pavel Pavlov und Andere/Stichting Pensioenfonds Medische Specialisten, Slg. 2000, S. 1-6451.

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daß ihnen besondere Vorzüge gewährt werden. Im Grundsatz geht der EGV davon aus, daß die Mitgliedstaaten bei der Erteilung eines gemeinwohl bezogenen Dienstleistungsauftrags, dessen Erfüllung in einem Markt erfolgt, die Wettbewerbsregeln und die Binnenmarktvorschriften zu beachten haben: Öffentliche und privilegierte Unternehmen operieren im Grundsatz unter den allgemeinen Vertragsregeln; daseinsvorsorgende und sonstige Unternehmen sind im Grundsatz gleich zu behandeln. Zugunsten von Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind, finden die Vertragsbestimmungen nach Art. 86 Abs. 2 EGV allerdings nur insoweit Anwendung, wie dies nicht die Erfüllung der übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert. Eine Dispensierung kommt insoweit in Betracht, wie die regelgerechte Anwendung der Gemeinschaftsbestimmungen eine Gefährdung der zweckentsprechenden, gemeinwohlorientierten Aufgabenerfüllung unter wirtschaftlich tragbaren Bedingungen bewirken würde. 57 Für das Subventionsverbot des Art. 87 EGV bedeutet dies, daß eine finanzielle Unterstützung in dem Umfang zulässig ist, wie dies zur Erfüllung der besonderen Aufgabe erforderlich und angemessen ist (Verhältnismäßigkeit). Inhaltlich kommt den Mitgliedstaaten in der Frage, wie der Ausgleich gewährt wird, ein umfassender Ermessensspielraum zu. Es steht ihnen die Möglichkeit offen, direkte Subventionen zu gewähren. Sie können nach den Bedürfnissen der betreffenden Unternehmen eine steuerliche Vorzugsbehandlung zukommen lassen oder sie von bestimmten Lasten befreien. Für das Wettbewerbsrecht folgt aus dem Gesagten, daß Unternehmen in dem Umfang ausschließliche und besondere Vorteile gewährt werden dürfen, wie dies erforderlich ist, um dem Unternehmen die Erbringung der Dienstleistung zu ermöglichen. Unbedenklich sind besondere Vorteile vor allem dann, wenn sie nicht über das hinausgehen, was zur Erbringung des besonderen Dienstleistungsauftrags erforderlich ist. Idealiter wäre in diesem Zusammenhang danach zu fragen, welchen Marktpreis die Erfüllung des besonderen Dienstleistungsauftrags hat; im Umfang dieses Preises dürfte das privilegierte Unternehmen unterstützt werden. Feststellbar ist der Marktpreis einer Dienstleistung dadurch, daß sie ausgeschrieben und festgestellt wird, welchen Förderbedarf der günstigste Anbieter hat. Es ist deshalb davon auszugehen, daß in einem Fall, in dem der Mitgliedstaat den Dienstleistungsauftrag in einem offenen, transparenten und fairen Verfahren ausgeschrieben und an den wirtschaftlichsten Anbieter vergeben hat, der dem erfolgreichen Bieter gewährte Vorteil dem Marktwert entspricht und daher keine wettbewerbsrechtlichen Bedenken aufwirft. Geboten ist eine öffentli-

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Frenz (oben Fn. 3), EuR 2000, S. 901 (unter 11.2., 11.3.).

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che Ausschreibung, wenn die Vergabe des Dienstleistungsauftrags von den EU-Richtlinien über öffentliches Beschaffungswesen erfaßt werden. 58 Es ist bedauerlich, daß die europäische Gerichtsbarkeit bei der Anwendung der Wettbewerbsvorschriften nicht diesen Marktwertmaßstab, sondern einen Kostenmaßstab zur Anwendung bringt. In seinem Urteil in der Rechtssache FFSA geht das Gericht erster Instanz davon aus, daß "... die Zahlung einer staatlichen Beihilfe ... dann nicht unter das Verbot des Artikels 92 fällt, wenn die betreffende Beihilfe nur die Mehrkosten ausgleichen soll, die dem mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrauten Unternehmen durch die Erfüllung der ihm übertragenen besonderen Aufgabe entstehen, und wenn die Gewährung der Beihilfe erforderlich ist, um diesem Unternehmen die Erfüllung seiner Verpflichtungen als öffentlicher Dienstleistungserbringer unter wirtschaftlich tragbaren Bedingungen zu ermöglichen".59 Entspricht der dem Unternehmen gewährte Vorteil den Mehrkosten, die sich aus der Verpflichtung zur Erbringung einer öffentlichen Dienstleistung ergeben, so sollen sich gegen die Förderung keine Einwände formulieren lassen. In seiner Entscheidung vom 22. November 2001 hat der EuGH diese Sichtweise bestätigt; er erachtet Vorteile, die einem privilegierten Unternehmen gewährt werden, nur insoweit für europarechtlich problematisch, als diese die zusätzlichen Kosten, die aus der Erfüllung der durch eine nationale Regelung auferlegten gemeinschaftlichen Pflicht entstehen, übersteigen. 6o Damit allerdings wird dem europäischen Wettbewerbsrecht in problematischer Weise ein kameralistisches Verständnis zugemessen. Die europäische Gerichtsbarkeit vermag mit diesem Kostenmaßstab sicherstellen, daß einem Unternehmen nicht Vorteile zufließen, die über den Aufwendungen für die Erbringung des Dienstleistungsauftrages liegen. Weder kann es einem privilegierten Unternehmen dadurch gelingen, sich an einem Dienstleistungsauftrag "zu bereichern", noch kommt einem derartigen Unternehmen die Möglichkeit zu, im Wege der Quersubventionierung die "überschüssigen" Vorteile zur Förderung der Tätigkeit in anderen Bereichen zu verwenden. Mit dem Maßstab gelingt es allerdings nicht, die mitgliedstaatliche Förderung von Ineffizienz und Verschwendung (und damit mittelbar: die Störung des Wettbewerbs) zu unterbinden: Solange sich nur die Vorteile im Rahmen der Kosten bewegen, spielt es keine Rolle, ob diese Kosten effizient sind oder nicht. Es wäre zu begrüßen, Vgl. die Richtlinien 92/50/EWG, 93/37/EWG, 93/36/EWG und 93/38/EWG. EuG, Rs. T-106/95, Federation Fran~aise des Societes d' Assurances (FFSA) und Andere/Kommission, Slg. 1997, S. 11-229, Rdnr. 178 (Bestätigung durch EuGH, Rs. C-174/97 P, Slg. 1998, S. 1-1303); vgl. auch EuG, Rs. T-46/97, SIC Sociedade Independente de Comunica~äo SA/Kommission, Slg. 2000, S. 11-2125. 60 EuGH, Urt. v. 22.1l.2oo1, Rs. C-53/00, Ferring S/Agence centrale des organismes de securite sociale (ACOSS), noch nicht in der amtl. Sammlung. 58

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wenn die europäische Gerichtsbarkeit ihren Ansatz überprüfte und Effizienzgesichtspunkte stärker berücksichtigte. Erhebliche Rechtsunsicherheiten bestehen demgegenüber in der Frage, wie Fälle zu beurteilen sind, in denen die Vorteile, die einem Unternehmen als Gegenleistung für die Erbringung einer gemeinwohldienlichen Dienstleistung gewährt werden, die Kosten überschreiten. Dem Wortlaut des Art. 86 Abs. 2 EGV zufolge könnte ein solcher Überausgleich vor dem europäischen Wettbewerbsrecht Bestand haben, wenn a) diese Finanzierung erforderlich ist, damit die mit einer Dienstleistung betrauten Unternehmen diese rechtlich und tatsächlich erbringen können, und b) dadurch die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt wird, das dem Interesse der EU zuwiderläuft. Schwierigkeiten bereitet insbesondere die nähere Konkretisierung des erstgenannten Maßstabs. Vor dem Hintergrund des Umstandes, daß es marktwirtschaftlich nie erforderlich ist, für die Erbringung einer (auch besonderen) Dienstleistung mehr als den Marktpreis und mehr als die entstandenen Kosten zu zahlen, bleibt für den Anwendungsbereich dieser Formulierung wenig Raum. Immerhin könnte man daran denken, daß über Art. 86 Abs. 2 EGV ein Gewinnaufschlag finanziert werden darf. Der EuGH hat hierzu in seiner Entscheidung vom 22. November 2001 keine vertieften Feststellungen gemacht; er hat im Hinblick auf einen Überausgleich lediglich knapp und kurz festgestellt, daß "dieser Vorteil, soweit er diese zusätzlichen Kosten übersteigt, jedenfalls nicht als notwendig betrachtet werden [kann], damit diese Marktbeteiligten ihre besondere Aufgabe erfüllen können. ,,61 Art. 86 Abs. 2 EGV decke "eine Abgabenvergünstigung für Unternehmen, die mit einer gemeinschaftlichen Aufgabe betraut sind, wie das im Ausgangsverfahren klagende Unternehmen, nicht ... , soweit diese Vergünstigung die sich aus der gemeinschaftlichen Aufgabe ergebenden zusätzlichen Kosten übersteigt.,,62 Ungeklärt bleibt damit aber, in welchen Fällen Art. 86 Abs. 2 EGVeine eigenständige Tragweite entfaltet. Geht man davon aus, daß es Fälle gibt, in denen Art. 86 Abs. 2 EGV einen Überausgleich zuläßt, so ist sicherzustellen, daß dieser Überausgleich nur für die Erbringung der besonderen Dienstleistung verwandt, nicht aber im Wege der Quersubventionierung in anderen Tätigkeitsbereichen herangezogen wird. In diesen Fällen ist Transparenz zu gewährleisten; Quersubventionierungen zwischen Geschäftsfeldern, in denen dem Unternehmen eine Privilegierung erteilt ist, und Geschäftsfeldern, in denen ein Unternehmen vollumfänglich im Markt steht, sind zu verhindern. Aus diesem Grund muß es ein vorrangiges Anliegen des EG-Rechts sein sicherzustellen, daß sich 61 62

EuGH, Urt. v. 22.11.2001 (Fn. 60), Rdnr. 32. EuGH, Urt. v. 22.11.2001 (Fn. 60), Rdnr. 33.

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Art und Höhe des geldwerten Vorteils nach eindeutigen, transparenten und nicht diskriminierenden Regeln bestimmen müssen.

V. Einzelsektoren

Es kann hier nicht darum gehen, den Rechtsgehalt des europarechtlichen Beihilferechts, des Wettbewerbsrechts sowie der Grundfreiheiten nunmehr im einzelnen zu entfalten und die Vielzahl der Streitfragen zu beantworten, die hinter der gerade entworfenen Skizze stehen. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Fallen staatliche Vergünstigungen und Vorteile, die lediglich dem Kostenausgleich dienen, bereits nicht unter den Tatbestand des Art. 87 Abs. 1 EGV,63 oder werden derartige Vergünstigungen und Vorteile lediglich durch Art. 86 Abs. 2 EGV freigestellt?64 Inwieweit erbringt ein Unternehmen eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, wenn ihm sozialpolitische Anliegen (beispielsweise die Förderung einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe) übertragen werden (Stichwort: Ausgleichszahl für den Einnahmeausfall bei ermäßigter Beförderung von Studenten, Rentnern etc.)?65 Inwieweit ist es zulässig, einem Unternehmen, das zur Erbringung eines unwirtschaftlichen Universaldienstes verpflichtet wird, Monopolrechte in profitablen Geschäftsfeldern einzuräumen und so eine Mischkalkulation zu ermöglichen? Oder muß in einem solchen Fall eine saubere Trennung vollzogen werden und der unwirtschaftliche Auftrag über Subventionen oder über eine Fondslösung finanziert werden? Inwieweit ist es zulässig, die Profitabilität eines verarbeitenden Unternehmens dadurch zu sichern, daß ein Exportverbot für die zu verarbeitende Ware begründet wird?66 Wie berechnet sich der Ausgleich, den ein Unternehmen für die Erbringung eines Dienstes im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse verlangen kann, ohne daß hierin ein Verstoß gegen Art. 87 EGV läge? Diesen und ähnlichen Fragen hier nachgehen zu wollen, bedeutete nicht nur, den mir zur Verfügung stehende Zeitrahmen zu sprengen. Ich käme auch nicht umhin, Fragen zu erörtern, die von meinen Mitreferenten im Laufe der nächsten zwei Tage noch behandelt werden. Erlauben Sie mir daher, mich So EuGH, Urt. v. 22.11.2001 (Fn.60). EuG, Rs. T-106/95, Federation Fran~aise des Societes d' Assurances (FFSA) und Andere/Kommission, Slg. 1997, 11-229, Rdnr. 178 (Bestätigung durch EuGH, Rs. C-174/97 P, Slg. 1998,1-1303); vgl. auch EuG, Rs. T-46/97, SIC - Sociedade Independente de Comunica~1io SA/Kommission, Slg. 2000, 11-2125. 65 Insoweit sind im Personennahverkehr Ausgleichszahlungen für den Einnahmeausfall bei ermäßigter Beförderung von Studenten, Senioren oder Behinderten zulässig? Inwieweit ist ein Ausgleich von Einnahmeausfällen in einem Verkehrsverbund mit Art. 86 Abs. 2 EGV vereinbar? 66 EuGH, Rs. C-203/96, Chemische Afvalstoffen Dusseldorp, Slg. 1998, S. 14075. 63

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auf zwei spezielle Problempunkte zu begrenzen - jene der Europarechtskonformität der Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und jene der staatlichen Absicherung von Landesbanken und Sparkassen. 1. Öffentliche Kreditwirtschaft

Erstens zum Problem der wettbewerbsrechtlichen Bewertung von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung: 67 Hierbei handelt es sich um Beihilfen, die insofern von Art. 87 Abs. I EGV erfaßt werden, als sie geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Dies dürfte jedenfalls für den Bereich der Landesbanken, wohl aber auch für den Bereich der größeren Sparkassen der Fall sein. Im Marktsegment der lediglich regional tätigen Sparkassen dürfte demgegenüber (noch) kein grenzüberschreitender Wettbewerb zu beobachten sind. Lassen sich diese Beihilfen unter Hinweis auf Art. 86 Abs. 2 EGV rechtfertigen? Mustert man die Funktionen, die üblicherweise der Sparkasse zugeschrieben werden (Gewährleistungsfunktion, Struktursicherungsfunktion, Hausbankfunktion, Wettbewerbsfunktion, Ankerfunktion, außerökonomische Förderfunktion68 ), so ist Differenzierung erforderlich. Nicht alle der von der Sparkasse erbrachten Funktionen sind solche, die als Dienstleistung vom allgemeinem wirtschaftlichem Interesse angesehen werden können. Die außerökonomische Förderfunktion (also die Unterstützung der Künste etc.) läßt sich ebensowenig wie jene der Hausbankfunktion oder jene der Wettbewerbsfunktion als Dienstleistung im Sinne des Art. 86 Abs. 2 EGV ansehen. Hierbei handelt es sich um Ziele, die nicht der Allgemeinheit zugutekommen oder nichtwirtschaftlicher Natur sind. Art. 86 Abs. 2 EGV kommt demgegenüber insoweit zur Anwendung, als es um die Gewährleistungsfunktion (umfassende Versorgung der Bevölkerung und Wirtschaft mit Finanzdienstleistungen), Struktursicherungsfunktion (Absicherung einer ausgeglichenen räumlichen Wirtschafts struktur) und Ankerfunktion (stabilisierende Verknüpfung von lokaler Wirtschaft und Finanzsektor) geht. Im Umfang des Preises, der auf dem Markt für die Erbringung dieser Aufgaben zu zahlen wäre, kann die öffentliche Gewalt den Landesbanken und Sparkassen eine Beihilfe zukommen lassen, ohne daß damit gegen Art. 87 Abs. 1 EGV verstoßen würde. Festzustellen wäre dieser Preis wiederum dadurch, daß die Pflicht zur Errichtung einer flächendeckenden Präsens ausgeschrieben würde und so festgestellt 67 Immenga/Rudo, Die Beurteilung von Gewährträgerhaftung und Anstaltslast der Sparkassen und Landesbanken nach dem EU-Beihilferecht, 1997; Kinzl, Anstaltslast und Gewährträgerhaftung. Unbegrenzte staatliche Einstandspflicht für öffentliche Banken unter dem Beihilfe- und Durchführungsverbot des EG-Vertrags, 2000. 68 Kruse, Kommunale Sparkassen im Blickfeld des europäischen Beihilferechts, NVwZ 2000, S. 721 (723 f.).

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würde, was private Anbieter hierfür verlangten. Ich will auf die Frage, wie dabei auftauchende Bewertungsschwierigkeiten gelöst werden, hier nicht eingehen. Sicher ist jedenfalls, daß Anstaltslast und Gewährträgerhaftung in keinerlei Relation zu dem Preis stehen, der für die besonderen nicht-marktförmigen Leistungen von Landesbanken und Sparkassen zu zahlen sind. Insofern lassen sich beide Regeln nicht europarechtlich rechtfertigen. Den Ländern ist anzuraten, Landesbanken und Sparkassen in den Wettbewerb zu entlassen und dort, wo es zur Auflösung einer flächendeckenden Präsenz und zur Gefährdung der Struktursicherung kommt, stimulierende Beihilfen zu zahlen. Gegebenenfalls ließe sich auch ein Universaldienst ausschreiben und durch Subventionen abstützen. Diese, aber auch nur diese Form der Unterstützung wiese den konkreten Bezug zur Aufgabe auf und hätte deshalb vor Art. 87 Abs. 1 iVm. Art. 86 Abs. 2 EGV Bestand. Am 17. Juli 2001 schlossen denn auch die Kommission und die sog. Koch-Weser-Gruppe (in Vertretung der Bundesregierung und der deutschen Bundesländer) eine Vereinbarung, die vorsieht, daß Gewährträgerhaftung und Anstaltslast bis Ende 2002 (vorbehaltlich von Übergangsregelungen für Altverbindlichkeiten) abzuschaffen sind. 69 In Konkretisierung des europäischen Wettbewerbsrechts wird in der Vereinbarung betont, daß ,,[j]egliche Verpflichtung des öffentlichen Eigners zu wirtschaftlicher Unterstützung des Kreditinstituts" ausgeschlossen werden muß. Die finanzielle Beziehung zwischen dem öffentlichen Eigner und dem öffentlichen Kreditinstitut dürfe sich nicht von einer normalen marktwirtschaftlichen Eigentümerbeziehung unterscheiden. 2. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk

Zweitens zur Problematik der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: 7o Es läßt sich im Lichte der neueren EuGH-Rechtsprechung in 69 Möschel, Die Anstaltslast bei öffentlichen Banken ist tot, FAZ vom 25.9.2001, S. 19. 70 Dazu z. B. Bartoseh, Öffentlich-rechtliche Rundfunkfinanzierung und EG-Beihilfenrecht - eine Zwischenbilanz, EuZW 1999, S. 176; Berg, Gerät der öffentlichrechtliche Rundfunk in die Krise?, KritV 1997, S. 104; Damm, Gebührenprivileg und Beihilferecht: Zur Vereinbarkeit der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland mit Art. 92 EGV, 1998; Dörr/Cloß, Die Vereinbarkeit der Gebührenfinanzierung des Österreichischen Rundfunks mit dem EG-Beihilferecht, ZUM 1996, S. 105; Engel, Europarechtliche Grenzen für öffentlich-rechtliche Spartenprogramme? Beihilfeaufsicht, Wettbewerbsregeln, Grundfreiheiten. Ein Rechtsgutachten, 1996; Frey, Das öffentlich-rechtliche Fernsehen im Wettbewerbsrecht der EG, ZUM 1999, S. 528; Holzer, Deutsche Rundfunkgebühr als unzulässige Beihilfe im Sinne des europäischen Rechts?, ZUM 1996, S. 279; Lenz, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und europäisches Gemeinschaftsrecht, in: KonradAdenauer-Stiftung (Hrsg.), Duales Rundfunksystem und europäisches Recht, 2000,

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Frage stellen, ob es sich bei der Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks um eine Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EGV handelt. 71 Im Preussenelektra-Urteil hat der EuGH entschieden, daß eine staatliche Regelung, die die Abnehmer von Leistungen oder Produkten dazu zwingt, einen Preis zu bezahlen, der oberhalb des Marktpreises liegt, nicht als Regelung anzusehen ist, deren Folgen eine Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EGV begründen würden. Staatliche Regelungen, die gestaltend in die Vertrags beziehungen zwischen Produzenten und Abnehmer eingreifen, sind danach selbst dann nicht als beihilfebegründend zu bewerten, wenn sie dem Produzenten einen geldwerten Vorteil verschaffen. Vor dem Hintergrund des insofern eindeutigen Wortlauts stellt der EuGH in seiner Entscheidung fest, daß nur solche Vorteile als Beihilfen im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag anzusehen seien, die unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt werden. Art. 87 Abs. 1 EG-Vertrag wolle den Beihilfebegriff nicht lediglich auf die unmittelbar vom Staat gewährten Vorteile erstrecken, sondern auch mittelbar gewährte Vorteile erfassen. Die S. 34; Mäschel, Europäisches Kartellrecht in liberalisierten Wirtschaftssektoren, WuW 1999, S. 832; Neumann, Weiterentwicklung des dualen Rundfunksystems und das Europarecht, in: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.), Duales Rundfunksystem und europäisches Recht, 2000, S. 38; Oppermann, Deutsche Rundfunkgebühren und europäisches Beihilferecht, 1997; Otten, Die Gebührenfinanzierung der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten im Rahmen des Art. 92 EGV, ZUM 1997, S. 790; Rüggeberg, Europäische Medienrechtsordnung und die deutsche Fernsehlandschaft, WiVerw 1999, S. 204; Selmer/Gersdorf, Die Finanzierung des Rundfunks in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Prüfstand des EG-Beihi1ferechts, 1994; Stern/ Prüttning (Hrsg.), Rechtliche und ökonomische Fragen der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Lichte des europäischen Rechts, 1998, von Wallenberg, Die Vereinbarkeit der staatlichen Finanzierung öffentlich-rechtlicher Fernsehanstalten mit Art. 92 EGV, GS Grabitz, 1995, S. 867. Zur allgemeineren Entwicklung des Sektors: Bullinger, Die Aufgaben des öffentlichen Rundfunks - Wege zu einem Funktionsauftrag, 1998; Holznagel, Rundfunkrecht in Europa: auf dem Weg zu einem Gemeinrecht europäischer Rundfunkordnungen, 1996. 71 EuGH, Rs. C-379/98, PreussenElektra AG/Schleswag AG, Slg. 2001, S. 12099. Hierzu: Koenig/Kühling, Das PreussenElektra-Urteil des EuGH: Freibrief für Abnahme- und Vergütungspflichten in der Energiewirtschaft, NVwZ 2001, S. 768; Ruge, Anmerkung, EuZW 2001, S. 247; Ruge, Das Beihilfe-Merkmal der staatlichen Zurechenbarkeit in der Rechtsprechung des EuGH am Beispiel des Stromeinspeisungsgesetzes, Wirtschaft und Wettbewerb (WuW) 2001, S. 560; Sybe de Vries, Anmerkung Rs. C-379/98 (PreussenElektra AG/Schleswag AG), EELR 10 (2001), s. 193; Dederer, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 13.3.2001, Rs. C-379/ 98 - PreussenElektra, BayVBl. 2001, S. 366; lust, Unmittelbar oder mittelbare Übertragung staatlicher Mittel als notwendiges Tatbestandsmerkmal einer Beihilfe, EWiR 2001, S. 423; Martinez, Zum Stromeinspeisungsgesetz, DVBI 2001, S. 881; Streinz, Deutsches Stromeinspeisungsgesetz keine Beihilferegelung, JuS 2001, S. 596; Ruge, Das Beihilfemerkmal der staatlichen Zurechenbarkeit in der Rechtsprechung des EuGH am Beispiel des Stromeinspeisungsgesetzes, WuW 2001, S.560.

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Fonnulierung "aus staatlichen Mitteln" sei allerdings nicht in dem Sinne zu verstehen, daß "alle von einem Staat gewährten Vorteile unabhängig davon Beihilfen darstellen, ob sie aus staatlichen Mitteln finanziert werden". Mit dieser Fonnulierung sollten vielmehr lediglich jene Vorteile erfaßt werden, "die über eine vom Staat benannte oder errichtete öffentliche oder private Einrichtung gewährt werden".72 In ersten Bewertungen ist man davon ausgegangen, daß mit diesem Urteil auch entschieden sei, daß das deutsche Rundfunkgebührensystem nicht vom Tatbestand des Art. 87 Abs. 1 EGVerfaßt würde. 73 Dieser Sichtweise zufolge sind als Beihilfen im EG-vertraglichen Sinne nur solche Vorteile anzusehen, die aus einem öffentlichen Haushalt gezahlt würden. "Dabei erfaßt der Begriff des öffentlichen Haushaltes neben dem Haushalt des Staates und der gliedstaatlichen Gebietskörperschaften auch die Haushalte staatlich eingesetzter öffentlicher oder privater Einrichtungen. ,,74 Der Auffassung dieser Autoren zufolge kommt dem Erfordernis der Existenz eines öffentlichen Haushaltes, durch den die begünstigenden Mittel fließen, damit für die Bestimmung der Tragweite des Art. 87 Abs. 1 EG-Vertrag konstitutive Bedeutung zu. In Fällen, in denen öffentliche Unternehmen am Wettbewerb teilnehmen, soll dabei davon auszugehen sein, daß dieser Haushalt nicht mit dem Haushalt der öffentlichen Unternehmen selbst identisch sein darf. Bildlich gesprochen muß der Vorteil danach weitergereicht werden; das Geld muß zweimal fließen. Vor dem Hintergrund dieses Vertragsverständnisses wäre das System der Rundfunkgebühren in Deutschland nur dann als Beihilfe anzusehen, wenn die Gebühreneinzugszentrale (GEZ) eine derartige Einrichtung mit eigenem Haushalt wäre. Dies läßt sich mit guten Gründen verneinen?5 Daß die Kommission zur Überprüfung und Ennittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) nicht als Einrichtung anzusehen ist, über deren Haushalt der Vorteil an die Rundfunkanstalten fließt, liegt auf der Hand. Zwingend erscheint dieses Verständnis der "Preussenelektra"-Entscheidung des EuGH aber nicht. Bedenken weckt erstens der Umstand, daß der EuGH als Beihilfen aus staatlichen Mitteln alle Vorteile ansieht, "die über 72 EuGH, Rs. C-379/98 (oben Fn. 71), Rdnr. 58. Der EuGH zitiert in diesem Zusammenhang die Urteile Rs. 82/77, Van Tiggele, Slg. 1978, S. 25, Rn. 24 und 25; Rs. C-189/9l, Kirsammer-Hack, Slg. 1993, S. 1-6185, Rn. 16; verb. Rs. C-52/ 97 bis C-54/97, Viscido u. a., Slg. 1998, S. 1-2629, Rn. 13; Rs. C-200/97, Ecotrade, Slg. 1998,1-7907, Rn. 35; Rs. C-295/97, Piaggio, Slg. 1999, S. 1-3735, Rn. 35. 73 Z. B. Koenig/Kühling, How to cut a long story short: Das PreussenElektra-Urteil des EuGH und die EG-Beihilfenkontrolle über das deutsche Rundfunkgebührensystem, ZUM 2001, 537. 74 Koenig/Kühling (oben Fn. 73), S. 537 (543). 75 Koenig/Kühling (oben Fn. 73), S. 537 (544 ff.).

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eine vom Staat benannte oder errichtete öffentliche oder private Einrichtung gewährt werden".76 Die hier verwandte Formulierung, wonach die Vorteile "über" eine vom Staat errichtete Einrichtung gewährt werden, würde jedenfalls vom semantischen Gehalt her das Verfahren der Gebühreneinziehung durch die GEZ durchaus erfassen. Man sollte sich nicht darauf verlassen, daß sich der EuGH auf die subtile Feststellung einläßt, daß dieser äußere Schein trügt und die GEZ nicht mehr als eine "in die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eingegliederte Annahme- und Weiterleitungseinheit,,77 ist. Das in der Literatur postulierte Erfordernis, wonach der Vorteil in den Haushalt einer Einrichtung fließen und aus diesem gewährt werden müsse, findet sich im "Preussenelektra"-Urteil jedenfalls nicht. Auch in der Stellungnahme des Generalanwalts Jacobs läßt sich diesbezüglich keine Festlegung erkennen. Der Generalanwalt grenzt zwar die im konkreten Fall zu beurteilende Konstellation des staatlichen Eingriffs in eine private Leistungsbeziehung vom Fall der staatlichen Erhebung und Verteilung parafiskalischer Sonderabgaben ab; die Aussage, daß sich der Fall der Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit dem Fall eines staatlichen Regelungseingriffs in eine private Beziehung gleichsetzen lasse, findet sich in dem Urteil gerade nicht. Für Generalanwalt Jacobs ließen sich die Fälle, in denen der EuGH den Beihilfetatbestand zur Anwendung brachte, dadurch kennzeichnen, daß "der Staat in irgendeiner Form die Kontrolle über die fraglichen Mittel ausübte".78 Seiner Auffassung nach können als staatliche Mittel im Sinne von Artikel 87 Abs. 1 EG-Vertrag nur solche Mittel angesehen werden, "die staatlichen Behörden zur Veifügung stehen,,79. Diese Situation liegt bei parafiskalischen Abgaben vor, weil dort die Mittel in das Vermögen des Staates übergehen, bevor sie an die begünstigten Unternehmen ausgezahlt werden. 8o Sie liegt auch im Falle des staatlichen Verzichtes auf Einkünfte vor, weil sich dort der Staat eines Betrages begibt, auf den er an sich Anspruch hätte. 81 Gerade das letztgenannte Beispiel belegt, daß es Fälle gibt, in denen der Vorteil nicht durch einen besonderen Haushalt fließen muß. - Die These, wonach nunmehr geklärt sei, daß das deutsche Rundfunkgebührensystem außerhalb des Tatbestand des Art. 87 EuGH, Rs. C-379/98 (oben Fn. 71), Rdnr. 58. Koenig/Kühling (oben Fn. 73), S. 537 (546). 78 Generalanwalt Jacobs, Schlußanträge vom 26.10.2000, in: Rs. C-379/98, PreussenElektra AG/Schleswag AG, Slg. 2001, 1-2099, Rdnr. 165. 79 Generalanwalt Jacobs, Schlußanträge vom 26.10.2000 (oben Fn. 78), Rdnr. 165. 80 Siehe den Fall EuGH, Rs. C-72/92, Herbert ScharbatkelDeutschland, Slg. 1993, S. 1-5509. 81 Siehe den Fall EuGH, Rs. C-83/98 P, Frankreich/Ladbroke Racing und Kommission, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht (Bestätigung des Urteils EuG, Rs. T-67/94, Ladbroke Racing/Kommission, Slg. 1998, S. 11-1). 76

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Abs. 1 EGV liegt, muß zweitens deshalb bezweifelt werden, weil der EuGH ausdrücklich davon spricht, daß es ausreiche, wenn der Mittelfluß über eine vom Staat (lediglich) benannte Einrichtung privaten Charakters erfolge. Diese Formulierung gibt zu erkennen, daß die Anforderungen an die "Staatsnähe" des Mittelflusses nicht überspannt werden sollten. Die Erhebung und Verteilung parafiskalischer Abgaben mag ein Fall der Erfüllung des Art. 87 Abs. 1 EGV sein; die Lektüre des EuGH-Urteils offenbart, daß es nicht der einzige Fall des tatbestanderfüllenden Mittelflusses sein muß. Zweifel weckt drittens der Umstand, daß zwischen a) dem Fall, daß der Staat in die Leistungsbeziehung zwischen zwei privaten Unternehmen regelnd eingreift, b) dem Fall, daß eine mit Hoheitsgewalt ausgestattete Behörde Mittel einzieht und an die zu begünstigenden öffentlichen Unternehmen weiterleitet, und c) dem Fall, daß der Staat ein (im beihilferechtlichen Sinne) öffentliches Unternehmen dazu ermächtigt, unter Ausübung von Hoheitsgewalt Mittel einzuziehen und zu verwenden, erhebliche Unterschiede bestehen. Manches läßt sich für die Auffassung anführen, daß zwischen den Fallgruppen b) und c) größere Gemeinsamkeiten bestehen als zwischen a) und c). Die präjudizielle Bedeutung der "Preussenelektra"-Entscheidung darf insofern nicht überschätzt werden. - Zweifel löst schließlich der Umstand aus, daß auch die "letzte Verteidigungslinie" derjenigen, die die deutsche Rundfunkgebührenordnung unter die EuGH-Entscheidung fassen wollen, europarechtlich nicht gerade sehr stark ist: die Behauptung nämlich, wonach die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung nicht Teil des Staates bildeten, sondern dem gesellschaftlichen Bereich zuzuordnen seien und daher die Gebührenerhebung ein rein privat-gesellschaftlicher Sachverhalt sei, der mit jenem in "Preussenelektra" vergleichbar sei. Auch wenn man dem BVerfG darin folgt, daß die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten funktional staatsfern zu organisieren sind, wird man doch nicht umhinkommen, daß sie institutionell Träger von Staatsgewalt sind - wie es sich deutlich im Verfahren der Durchsetzung der Pflicht zur Zahlung der Rundfunkgebühr äußert. Es fällt auf, daß auch die Kommission in ihrer "Mitteilung über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk,,82 in diesem Punkt keine wirkliche Klarheit herstellt. Die Ausführungen in der Mitteilung ist im hier interessierenden Punkt schwammig und unbestimmt (Rz. 17). Nicht einmal das "Preussenelektra"-Urteil des EuGH wird zitiert. Es kann hier nicht darum gehen, eine abschließende Exegese des Art. 87 Abs. 1 EGV zu betreiben und zu Ergebnissen zu kommen. Statt dessen soll lediglich ein Blick auf die Folgen geworfen werden, die einträten, wenn das Gebührensystem als Beihilfe anzusehen wäre: Ein Mitgliedstaat hat, 82

ABi. 2001 C 320/5 vom 15.11.2001.

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wie oben festgestellt werden konnte, die Freiheit, nicht marktförmig erreichbare Ziele durch Betrauung eines öffentlichen Unternehmens zu verfolgen. Insofern läßt sich nicht daran zweifeln, daß den Mitgliedstaaten die Freiheit zusteht, einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzurichten und finanziell abzusichern, dem durch den Grundversorgungsauftrag die Pflicht zur meritorischen, d.h. gemeinwohldienlichen Programmgestaltung auferlegt ist. Ziel ist es dabei, eine für den demokratischen Verfassungsstaat konstituierende informative, ausgewogene, pluralistische Informationslandschaft zu konturieren. 83 Dem Grundversorgungsauftrag 84 liegt die Entscheidung zugunsten der Verfügbarkeit bestimmter Programminhalte (kultureller, politischer, bildungspolitischer, wissenschaftlicher, auch minderheitsbezogener etc. Art) und bestimmter Funktionen (Integration, freie politische Meinungsbildung, kulturelle Bildung durch Information, anspruchsvolle Unterhaltung und Kommentar etc.) zugrunde, deren Verfügbarkeit für das Gedeihen des demokratischen und kulturverankerten Verfassungsstaates als unverzichtbar angesehen wird. 85 Die duale Rundfunkordnung weist den öffentlich-rechtlichen Rundanstalten damit nicht nur gemeinwohlförderliche Aufgaben von hinreichendem Gewicht ZU. 86 Es handelt sich auch um Aufgaben, die von Privaten im Ordnungskontext eines freien Wettbewerbs so nicht erfüllt würden. Zwischen den Kriterien, die danach an das Programm der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten im Hinblick auf Thematik, Vielfalt und Niveau zu formulieren sind, und den bei marktförmiger Ausrichtung maßgeblichen Kriterien der "Massenattraktivität" liegen Welten. Der werbefinanzierte Privatfunk fällt zwangsläufig in puncto Pluralität, Ausgewogenheit und Niveau hinter den gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk zurück. 87 Daß die Veranstaltung öffentlich-rechtlichen Rundfunks als 83 BVerfGE 57, S. 295 (320); 73, S. 118 (152); 74, S. 297 (323 f.); 83, S. 238 (295); 87, S. 181 (197); 90, S. 60 (87). 84 Eingehend Niepalla, Die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, 1990; Bethge, Der Grundversorgungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der dualen Rundfunkordnung, Media-Perspektiven 1996, S. 66. 85 Den Aspekt der Menschenwürde betont Bunneister, Medienmarkt und Menschenwürde, EMR-Schriftenreihe, Bd. 2, 1991, S. 38 ff. 86 Vgl. die Schlußfolgerungen der Hochrangigen Expertengruppe für Audiovisuelle Politik: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe "eine wichtige Rolle bei der Förderung der kulturellen Vielfalt jedes Einzelstaates [zu] spielen, indem [er] erzieherische oder bildende Programme anbietet, die Öffentlichkeit auf objektive Weise ... informiert, die Meinungsvielfalt sichert und auf demokratische und kostenlose Weise qualitativ hochwertige Unterhaltung liefert" (Die Rolle des öffentlichrechtlichen Rundfunks - Das digitale Zeitalter: Europäische Audiovisuelle Politik. Bericht der Hochrangigen Expertengruppe für Audiovisuelle Politik, 1998). 87 Die tatsächliche Entwicklung dürfte allerdings über die Feststellung des BVerfG, wonach privater Rundfunk nur dann und solange hinnehmbar ist, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Funktionsauftrag vollumfänglich erfüllt (BVerfGE 90, S. 60 (90 f.), hinweggegangen sein. 4 Nettesheim/Oppennann (Hrsg.)

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eine Dienstleistung im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse ebenso wie seine Gebührenfinanzierung vor den Regeln des EG-Vertrages grundsätzlich Bestand hat, ist dementsprechend auch von den vertragsgebenden Mitgliedstaaten und den Unionsorganen anerkannt worden. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang nicht nur die vielzitierte Protokollerklärung zum Amsterdamer Vertrag. 88 Das darin enthaltene Bekenntnis zur Befugnis der Mitgliedstaaten, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu finanzieren, wird in einer Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 25. Januar 1999 über den öffentlichrechtlichen Rundfunk 89 wiederholt und bekräftigt. Die Förderung der Erbringung dieses Programmauftrags wäre europarechtlich unbedenklich, wenn und soweit sie erforderlich ist, um den Rundfunkanstalten die Erfüllung ihres Sendeauftrages zu ermöglichen. Die Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dürfte über den Ausgleich der Nachteile nicht hinausgehen, die sich mit der Auferlegung des Grundversorgungsauftrages und seiner Ausgestaltung (z. B. Beschränkung der Werbezeiten) verbinden. Von Seiten der Befürworter des deutschen Rundfunkgebührenmodells wird in diesem Zusammenhang geltend gemacht, daß damit alle Kosten, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bei der Erfüllung ihres Programmauftrags entstehen, durch eine Gebühr ausgleichsfähig sind. Unter Zugrundelegung eines kameralistischen Verständnisses, wie es sich in der europäischen Rechtsprechung gegenwär88 Sie lautet auszugsweise: "Die Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft berühren nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu finanzieren, sofern die Finanzierung der Rundfunkanstalten dem öffentlich-rechtlichen Auftrag, wie er von den Mitgliedstaaten den Anstalten übertragen, festgelegt und ausgestaltet wird, dient und die Handelsund Wettbewerbsbedingungen in der Gemeinschaft nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft, wobei den Erfordernissen der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags Rechnung zu tragen ist." 89 Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 25. Januar 1999 über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Darin wird festgestellt: "Der Zugang einer breiten Öffentlichkeit zu verschiedenen Kanälen und Diensten frei von jeglicher Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit ist eine Vorbedingung für die Erfüllung der besonderen Verpflichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks". Darüber hinaus müsse der öffentlich-rechtliche Rundfunk "den technologischen Fortschritt" nutzen, "der Öffentlichkeit die Vorteile der neuen audiovisuellen Dienste und Informationsdienste, sowie der neuen Technologien nahe bringen" und seine Tätigkeiten "im digitalen Zeitalter" weiterentwickeln und diversifizieren. Schließlich müßten "die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten imstande sein, weiterhin ein großes Programmspektrum im Einklang mit ihrem von den Mitgliedstaaten definierten Auftrag bereitzustellen, um die Gesellschaft insgesamt anzusprechen; in diesem Zusammenhang ist es legitim, wenn die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten danach streben, hohe Einschaltquoten zu erzielen."

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tig findet,90 hat die deutsche Rundfunkgebührenordnung in der Tat vor Art. 87 Abs. 1, 86 Abs. 2 EGV Bestand. Folgt man demgegenüber der vorzugswürdigen Sichtweise, wonach nicht Kosten, sondern der Marktwert ausgeglichen werden soll, so müßte danach gefragt werden, welchen Marktwert der Grundversorgungsauftrag - also die Pflicht zur meritorischen, d. h. gemeinwohldienlichen Programmgestaltung - hat. Dieser Marktwert ließe sich feststellen, indem der öffentlich-rechtliche Programmauftrag ausgeschrieben würde und festgestellt würde, wie hoch der Subventionsbedarf des am effizientesten operierenden privaten Anbieters ist. In dieser Höhe wäre dann auch eine Gebührenfinanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zulässig. Man würde insofern zu dem Schluß kommen, daß die Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks grundsätzlich vor dem Europarecht Bestand hat, daß aber die gegenwärtig verwandte kameralistische Berechnungsmethode (Feststellung der Kosten - Bestimmung der Gebühren) zur Bestimmung des Marktpreises des Grundversorgungsauftrags nicht geeignet ist und insofern gegen Art. 87 Abs. 1 EGV verstößt.

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Siehe oben Fn. 58, 59.

Der Konzern im Kartellrecht - eine Skizze Von Lubos Tichy, Prag I. Fragestellung Mit der Problematik des "Konzerns im Kartellrecht" sollen die Entstehung und die Existenz (das Verhalten) des Konzerns unter dem Aspekt des Zwecks des Wettbewerbsschutzes und der einschlägigen konkreten Regelung untersucht werden, um festzustellen, inwieweit diese Phänomene kartellrechtliche Relevanz besitzen. Im Prinzip kann der Konzern von allen drei Gesichtspunkten des Wettbewerbschutzes durch Kartellrecht betroffen sein: a) Inwieweit ist die Konzernierung relevant aus der Perspektive des Kartellrechts? b) In welchem Maße ist das Prinzip des Mißbrauchs der Marktmacht auf die Konzerne anwendbar? c) Sind die Entstehung und das Verhalten eines Konzerns der Fusionskontrolle zu unterwerfen? Dies sind auch die Grundprobleme, deren Beschreibung und Auswertung ich mich im folgenden widmen möchte. An dieser Stelle muss in Erinnerung gerufen werden, dass meine Problematik etwas jenseits des Augenmerks liegt. Das überrascht. Sie scheint mir weder problemlos noch völlig befriedigend gelöst zu sein. Tatsache ist allerdings, dass kein Gesetzgeber die Initiative ergriffen hat, die Stellung des Konzerns im Kartellrecht ausdrücklich "positiv" zu regeln. Die diesbezügliche "Landschaft" in der Tschechischen Republik ist von dieser Problematik bisher fast unberührt: Keine Spur in der Literatur, und auch die Rechtsprechung hat sich noch nicht mit der Problematik auseinandergesetzt. In meiner Darstellung möchte ich zunächst einmal die grundlegenden Begriffe kurz analysieren (ad 11.), die Lage in den drei meistentwickelten Jurisdiktionen kurz beschreiben und bewerten (ad III.) und zuletzt zu Folgerungen übergehen (IV., V.), um eine Lehre für die sich entwickelnde Doktrin und Praxis der Tschechischen Republik zu ziehen (VI.).

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11. Erläuterung der Grundbegriffe Die Begriffe Konzern und Kartell werden häufig als sich gegenseitig ausschließend gegenübergestellt. Dabei sind beide jeweils aus mehreren Rechts- oder Wirtschaftseinheiten bestehende Gebilde. Der Kartellbegriff sollte sich daher nicht auf die Organisationsform als solche beziehen, sondern auf die Art der Wettbewerbsbeschränkung. Diese KlarsteIlung sollte sowohl dem europäischen als auch dem tschechischen Recht zu Gute kommen. Denn von der Grundauffassung her ist die tschechische Ausgangslage mit der gemeinschaftlichen, bzw. mit der deutschen, völlig vereinbar, und zwar auf beiden Ebenen. Die tschechische Gesetzgebung hat neulich die entsprechende Regelung des deutschen Konzernrechts im Aktiengesetz mit einigen Ausnahmen übernommen, und das tschechische Kartellrecht ist nach wie vor grundsätzlich mit der europäischen Vorlage kompatibel. Vielleicht sollte doch ein Unterschied in der Begriffsjurisprudenz erwähnt werden: Die tschechische Doktrin hat sich mit dem Ausmerzen der Kategorie des "Unternehmens" als Subjekt der Rechtsverhältnisse durchgesetzt, so dass auch das positive, geltende Recht das Wort "Unternehmen" nur im Sinne eines Gegenstandes anwendet. Dies ist wichtig für das Verständnis im tschechischen Kartellrecht, in dem anstatt des Begriffs des "Unternehmens" der des "Wettbewerbers" eingeführt wurde, sowie für das Gesellschaftsrecht, in dem bei konzernartigen Gegebenheiten der Begriff "Gesellschaft" anstatt "Unternehmen" verwendet wird. Grundsätzlich werden die Begriffe "Kartell" und "Konzern" als funktionale Begriffe verwendet. Der eine im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, der andere im Gesellschaftsrecht, wobei beide zweifellos manche gemeinsame Züge aufweisen. Sie unterscheiden sich freilich - wie Harms l überzeugend belegte - in der Souveränität, Unternehmensfunktion, Vollgemeinschaft und Exklusivität.

111. Die Einstellung der Rechtsprechung und Doktrin in den ausgewählten Jurisdiktionen 1. USA

Der Sherman Act (SA) wurde sehr weit gefasst und führte dazu, dass es zur Intra-Corporate, bzw. Intra-Enterprise Conspiracy Doctrine kommen I

Hanns, Konzerne im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1968, S. 200 ff.

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konnte. Der genaue Inhalt dieser Doktrin ist sehr schwierig einheitlich festzustellen. Das war allerdings der Beginn? Heute wird die Intra-Corporate Conspiracy Doktrin nicht mehr vertreten. 3 Der Grund, der zu dieser Ablehnung führte, war eine Verlagerung von einer rein formalistischen Betrachtung einer Abstimmung zwischen zwei Personen zu einem am Markt wirksam werdenden Verhalten. Solange sich die Abstimmung innerhalb der juristischen Person abspielt, handelt es sich um keine conspiracy im Sinne der Section I SA.4 Daher wurde zur Intra-Enterprise-Conspiracy übergegangen. Dieser Lehre geht es um das Verhältnis Mutter- zur Tochtergesellschaft beziehungsweise Tochter- zur Tochtergesellschaft. Die wichtigste Entscheidung zu dieser Intra-Enterprise Conspiracy Doktrin ist die Copperweld-Entscheidung. 5 Es sollte aber noch auf die Praxis vor der Copperweld-Entscheidung eingegangen werden. In der Doktrin wurde vertreten,6 dass die Mutter- und Tochtergesellschaft stets eine Mehrheit von Handelnden darstellen und daher gegen Section 1 SA verstoßen können, obschon sie die einzigen Beteiligten an der conspiracy sind. Mutter- und Tochtergesellschaft können zwar eine Mehrheit von Handelnden verkörpern und daher gegen Section 1 SA verstoßen, doch muss dies erst anhand bestimmter Umstände im Einzelnen festgestellt werden. Innerhalb dieser Doktrin wurden die so genannten Sole-decision-maker-rule und die Holding rule entwickelt. Die meistverbreitete Auffassung in der Literatur vor der Copperweld-Entscheidung war, dass eine Wirtschaftseinheit keine Mehrzahl von Handelnden darstellt, wie sie für die Anwendung von Section 1 SA gerade erforderlich ist. Allerdings unterschieden sich die Kriterien, wann eine solche Wirtschaftseinheit vorliegen sollte, im einzelnen. 7 Im Grunde genommen tendierte man vor der Copperweld-Entscheidung zu der Grundauffassung, dass die Vereinbarungen innerhalb einer wirtschaftlichen Einheit nicht gegen Seetion 1 SA verstossen. Allerdings wurden auch in der Literatur keine klaren einheitlichen Kriterien bestimmt, ab wann eine solche wirtschaftliche Einheit vorliegt. 8 In der Copperweld-Entscheidung erklärte der Supreme Court erstmals, dass eine Muttergesellschaft und ihre hunderprozentige Tochtergesellschaft sich nicht miteinander im Sinne Section 1 SA verschwören können. Ob Areeda/Kaplow, Antitrust Analysis, 4. ed. 1988, S. 315, 316. Nachweise siehe Potrafke, Kartellrechtswidrigkeit konzerninterner Vereinbarungen und darauf beruhender Verhaltensweisen, 1991, S. 56. 4 Vgl. Potrafke (oben Fn. 3), S. 31 ff. 5 Siehe Copperweld Corp. v. Independence Tube Corp, 467 D.S. 752 (1984). 6 Vgl. Sullivan/Hovenkamp, Antitrust Law, Policy and Procedure, 2. ed. 1989, S. 267, 268. 7 Siehe Sullivan/Hovenkamp (oben Fn. 6), S. 273 ff. 8 Sullivan/Hovenkamp (oben Fn. 6), S. 273 ff. 2

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diese Doktrin auf andere Mehrheitsverhältnisse auch weiterhin anwendbar ist, wurde nicht ausdrücklich entschieden. In dem dem Copperweld-Urteil zugrundeliegenden Sachverhalt kaufte ein großer amerikanischer Hersteller von Stahlprodukten im Jahre 1972 einen anderen Stahlkonzern bzw. deren unselbstständige Abteilung Regal Tube. Regal produzierte Stahlröhren und wurde nach dem Kauf von Copperweld als eigenständige Gesellschaft errichtet. Copperweld gehörten 100 % der Eigentumsanteile. Der relevante Kaufvertrag verbot den Wettbewerb zwischen dem früheren Besitzer (Lear Siegier, Inc.) und seinen Niederlassungen einerseits und dem Regal andererseits auf dem Gebiet der USA für 5 Jahre. Kurz danach gründete Lear Siegier Inc. die Handelsgesellschaft Independest Tube Corp., die noch im Jahr 1972 Geschaftspartner eines der Kunden von Coopperweld wurde, und im Jahr 1973 mit Stahlröhren belieferte. Copperweid und Regal versandten Schreiben und kontaktierten Kunden, Lieferanten und Banken. Unter anderem sandte Copperweld nach einem Treffen zwischen den Direktoren von Copperweld und Regal einen Brief an einen anderen Produzenten, in dem gewarnt wurde, dass Copperweld höchst besorgt darüber sei, dass ein Konkurrent versucht, auf den Markt für Stahlröhren zu treten. Das Gericht entschied, dass die gemeinschaftlichen Aktionen von Copperweld und Regal keine conspiracy war, die den Wettbewerb beschränkt. Im Grunde genommen sah der Supreme Court als wesentlichen Grund dafür an, dass konzerninterne Vereinbarungen nicht gegen das Kartellverbot von Section 1 SA verstoßen und dass der Sherman Act zwischen einseitigem und mehrseitigem Verhalten unterscheidet. 9 Das Verhalten von Mutter- und ihrer 100%-Tochtergesellschaft gilt als einseitiges Verhalten einer wirtschaftlichen Einheit. Verschiedene Gesellschaften als eine solche Einheit anzuerkennen, begründet der Supreme Court damit, dass Mutter und 100%-Tochtergesellschaft lediglich ein einheitliches Interesse besäßen. Die Anerkennung einer wirtschaftlichen Einheit beruht auf der Möglichkeit der Muttergesellschaft, ihre Macht jederzeit auszuüben. Die Kritik, die der von dieser Entscheidung abweichende Richter machte, sorgte dafür, dass die Diskussion durch die Copperweld-Entscheidung nicht beendet wurde. 10 Das Problem besteht nach wie vor. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bei sich verändernden Umständen durchaus wieder strikt durchgegriffen werden wird. Insbesondere könnte im Bereich der Konzerne, wo die Muttergesellschaft nicht zu vollen 100 % an der Tochtergesellschaft beteiligt ist, Section 1 SA auf konzerninterne Vereinbarungen volle Anwendung finden. Es kann zusammengefasst werden, dass in den USA eine Beurteilung von Konzernvereinbarungen darauf basiert, ob das außenwirkende Verhalten ein einseiti9 10

Siehe das Urteil des Supreme Court. Vgl. Areeda/Kaplow (oben Fn. 2), S. 324 ff. und die Fn. 72.

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ges Verhalten einer Wirtschaftseinheit darstellt (oder nicht). Mehrere Gesellschaften bilden gemäß der Copperweld-Entscheidung dann eine solche wirtschaftliche Einheit, wenn Mutter- und Tochtergesellschaft ein einheitliches Interesse besitzen und verfolgen. Dies soll im Verhältnis Mutter- zu 100 %-Tochtergesellschaft stets der Fall sein. Aus den Ausführungen des Supreme Courts wird teilweise der Schluss gezogen, dass es für das Vorliegen der wirtschaftlichen Einheit bereits genügt, wenn die Muttergesellschaft jederzeit Einfluss auf die konkrete Rechtsform der Tochtergesellschaft habe. 11 Dieses Beurteilungskriterium sollte auch bei anderen Beteiligungsverhältnissen herangezogen werden und maßgeblich sein. Es muss hervorgehoben werden, dass die bisherige Praxis der unteren Gerichte diesen Schluss nicht bestätigte. Die Instanzgerichte allerdings betonen das identische Interesse. Eine Entwicklung fand aber dahingehend statt,12 dass ein solches identisches Interesse sowohl im Verhältniss zweier 100%-Tochtergesellschaften zueinander gegeben sein soll, als auch bei Identität des Gesellschafterbestandes zweier Gesellschaften. Fehlt es aber an einem identischen Interesse, bedarf es stets eines Nachweises einer konkreten Abstimmung. 2. Europäische Gemeinschaften

Sowohl die Praxis (EuGH und die Europäische Kommission), als auch die Literatur vertreten nach langen Schwankungen die Ansicht, dass Artikel 81 EGV grundsätzlich Anwendung auch auf konzerninterne Vereinbarungen findet. Es wird auch vertreten, dass gewisse konzerninterne Vereinbarungen nicht unter Artikel 81 EGV fallen. Die Praxis der Kommission scheint dahinzugehen, konzerninterne Vereinbarungen gar nicht zu prüfen. In der Literatur können sich sehr subtile unterschiedliche Einstellungen und Auffassungen finden. Je nach Autor genügen sie entweder allein oder zusammen mit anderen. 13 So sollen konzerninterne Vereinbarungen und darauf beruhende Verhaltensweisen dann nicht gegen Artikel 81 EGV verstoßen, wenn folgende Bedingungen gegeben sind: 14 es besteht überhaupt kein Konzernverhältnis, es besteht zwischen den Unternehmen kein Wettbewerb, ein 11 Vgl. dissenting opinion vertraten die Richter Stevens, Brennen und Marshall; vgl. auch SullivanlHovenkamp (oben Fn. 6), S. 275 ff. 12 Vgl. die Urteile Tunis Bros. v. Ford Motor Co., 763 f.2a, 1482 (3d Cir.1985), Computer Identics Corp. v. Southern Par. Co. 756 f.2d 200 (Ist. Cir.1985). 13 Siehe Schröter, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EU-EGVertrag, Artikel 85-87 EGV, 2/1, 1999, S. 187. 14 Vgl. ImmengalMestmäcker, EG Wettbewerbsrecht, Kommentar, Bd. 1., 1997, Art. 85 Abs. 1, Rn. 50 ff.; GleisslHirsch, EWG-Kartellrecht, 4. Auf!. 1993, Art. 85, Rn. 190 ff.; WaelbroecklFrignani, Concurrence, in: Megret, Le droit de la CE, Bd. 4, Nr. 150 ff.; Harms, Intra enterprise concpiracy?, EuR 1966, S. 23 ff.

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Wettbewerb der Tochtergesellschaft gegen den Willen der Muttergesellschaft erscheint auf längere Sicht nicht möglich, es besteht eine einheitliche Leitung und die abhängigen Unternehmen besitzen keine wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit, es gibt keine Unternehmensplanung unter den Konzerngesellschaften, die Muttergesellschaft kann immer eine Weisung erteilen, die Tochter steht im lOO%-Eigentum der Muttergesellschaft. 15 Wenn konzerninterne Vereinbarungen deshalb nicht unter Artikel 81 EGV fallen, weil die Konzerngesellschaften wirtschaftlich unselbstständig sind, bzw. eine Wirtschaftseinheit bilden, werden so die oben dargestellten Grundgedanken konkretisiert. 16 Obschon es eine vergleichbare Tendenz zwischen den beiden Systemen (USA und Europäische Gemeinschaft) gibt, gehen die Entwicklungen nach der Copperweld-Entscheidung weiter auseinander. 17 3. Deutschland

Es gibt keine höchstrichterliche Rechtsprechung. In einer Entscheidung hatte das OLG Frankfurt/M. festgestellt,18 dass grundsätzlich auch Konzernunternehmen untereinander kartellrechtlich relevante Verträge schließen können, da sie an sich rechtlich selbstständig sind. Ein Verstoß gegen das Kartellverbot ist nur dann ausgeschlossen, wenn die eingetretene Beschränkung letziich nur einer vollen Konzernbildung dient, also einer einheitlichen Leitung mit entsprechender Weisungsbefugnis unterstellt wird. Daraus folge, dass nur das Verhalten des Konzerns gegenüber Dritten wettbewerbsrechtlich relevant sei. Zu einem anderen Ergebnis kommt das OLG Düsseldorf. 19 Seine Entscheidung besagt, dass im Unterordnungskonzern das Kartell verbot auf wettbewerbsbeschränkende Verträge volle Anwendung findet. Das OLG StuttgartZO erklärte einen Vertrag zwischen zwei Gesellschaften über deren Zusammenarbeit für wirksam. Es hatte bereits das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung mangels Spürbarkeit abgelehnt. In der deutschen Literatur gibt es verschiedene Meinungen. Einige Autoren zi vertreten die Ansicht, dass eine uneingeschränkte Anwendung des Kartellverbotes auf konzerninterne Vereinbarungen geboten ist. Diese MeiVgI. Schröter (oben Fn. 13), S. 190, 191. VgI. Emmerich, Kartellrecht, 6. Aufl., S. 412. 17 Allerdings überzeugt die Praxis des EuGH von einer kontinuierlichen Entwicklung. Dazu nur das Urteil Viho/Porke. Pen (Slg. 1996, 1-5482) und auch die Entscheidung der Kommission Kodak, ABI. 1970 Nr. L 147. S. 29. 18 VgI. WUW/E OLG 3600 "Guy Laroche". 19 VgI. WUW/E OLG 2631 "Heilwasser", zititert nach Potrafke (obenFn. 3), S. 102. 20 VgI. WUW/E OLG 2352, zit. nach Potrafke (oben Fn. 3), S. 102. 21 VgI. Potrafke (oben Fn. 3), S. 103 ff. 15

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nung wird nur vereinzelt vertreten. Die Meinung, dass das Kartellverbot auf konzerninterne Vereinbarungen generell nicht anzuwenden ist, wird schon von einer größeren Anzahl Autoren22 vertreten. Eine maßgebliche Mehrheit der Autoren geht vom Unternehmensbegriff aus. 23 Harms 24 meint, dass Verträge innerhalb eines Konzerns bezeugen, dass eine Unternehmensgemeinschaft fehlt. Für Harms ist der Konzern eine Innengesellschaft des bürgerlichen Rechts. Von einem speziellen Unternehmensbegriff spricht Potrafke?5 Der Konzern ist ein Unternehmen im Sinne des GWB, das durch Verträge die Beziehungen zwischen einzelnen Konzerngesellschaften regelt. Die Konzernsphäre wird nicht berührt. Klippert26 geht auf verschiedene Konzernformen ein und kommt entsprechend zu verschiedenen Lösungen. Vom Kartellverbot nimmt er die vertraglichen Unterordnungskonzerne aus. Der Zentralbegriff ist für ihn der gemeinsame Zweck. Eigene gemeinsame Zwecke verfolgen zu können heißt, dass kein Verstoß gegen das Kartellverbot vorliegt. 27 Eine weitere Ansicht meint,28 dass im Vertragskonzern das Kartellverbot nicht anwendbar ist, wenn durch Weisung eine wettbewerbsbeschränkende Koordination herbeigeführt wurde. Vorherrschend ist die Auffassung,29 dass es auf den Einzelfall ankommt, ob konzerninterne Vereinbarungen gegen das Kartellverbot verstoßen. Das ist allerdings keine zufriedenstellende Lösung. Losgelöst von der Anknüpfung lassen sich verschiedene Kriterien herausfiltern, die bewirken sollen, dass konzerninterne Vereinbarungen nicht gegen das Kartellverbot verstoßen. So soll ein Verstoß dann nicht vorliegen, wenn die wirtschaftliche Selbstständigkeit eines beteiligten Unternehmens unterdrückt wird, die verfolgten Interessen der Gesellschaften auf Grund von Abhängigkeit identisch sind, Leitungsmacht mit Dauertendenz geltend gemacht und tatsächlich ausgeübt wird. 3o Vgl. Ulmer, Archiv für Presserecht, zit. nach Potrafke (oben Fn. 3), S. 103. Vgl. Harms (oben Fn. 1), S. 88 ff., Pohlmann, Der Unternehmensverbund im Europäischen Kartellrecht, 1996, S. 36-57, Potrafke (oben Fn. 3), S. 260. 24 Vgl. Harms (oben Fn. 1), S. 158. 25 Vgl. Potrafke (oben Fn. 3), S. 122 ff. 26 Klippert, Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung von Konzernen, 1984, S. 125 ff. 2? Klippert (oben Fn. 26), S. 130 ff. 28 Immenga (oben Fn. 26), S. 214 ff. ImmengalMestmäcker, GWB-Kommentar, 3. Aufl., 2001, § 1, Rn. 287. 29 Siehe Potrafke (oben Fn. 3), S. 109. GleisslHirsch, EWG-Kartellrecht, 4. Aufl., 1993, Art. 85, Rn. 190 ff. WaelbroecklFrignani, Concurrence, in: Megret, Le droit de la CE, Bd. 4, Nr. 150 ff., Hanns, Intra enterprise concpiracy?, EuR 1966, S. 23 ff. 30 Vgl. Potrafke (oben Fn. 3), S. 109. 22 23

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IV. Der Vergleich und die Auswertung 1. Der Vergleich der drei Jurisdiktionen

Die eindeutigste Situation findet sich in den USA. Der Supreme Court hat eine eindeutige Aussage bezüglich des Verhältnisses von Mutter- zu lOO%-Tochtergesellschaft gemacht. Im Gemeinschaftsrecht bemüht man sich, die Kriterien sehr zu begrenzen. Die Praxis in Deutschland ist unterschiedlich. In den USA hat sich die Judikatur ausschließlich gegen die Anwendbarkeit des Kartellverbots auf Vereinbarungen zwischen Unternehmen gewandt, die unter der gleichen Leitungsmacht stehen?! Innerhalb des Kartellverbots im engeren Sinne kann man feststellen, dass nicht jede Art von Konzern gleichgesetzt werden kann und darf. Eher muss schon von einer Anwendbarkeit des GWB bzw. EGV auf konzerninterne Vereinbarungen und auch darauf beruhende Verhaltensweisen ausgegangen werden. Nicht richtig ist die Behauptung, dass nur wegen der Konzernverbundenheit die Handlungsfreiheit des Konzerns nicht weiter beschränkt werden darf, bzw. kein Verstoß gegen das GWB vorliegt. Statt dessen muss anerkannt werden, dass die Gesellschaft Rechte und Pflichten ausüben darf. So kann sie bei der Tochtergesellschaft an der originären Willensbildung beteiligt sein?2 Es müssen folgende Charakteristiken berücksichtigt werden: Der umfassende Schutzzweck der Kartellnormen ist der Hauptfaktor. Er zielt auf den Schutz der nicht an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen. Dies bedarf einer flexiben Einstellung. Bei der Auswertung, was das Unternehmen ist und wer tatsächlich als Unternehmen tätig wird, ist eine konkrete Handlung maßgeblich, die sich auf dem Markt auswirkt. Der Unternehmensbegriff ist die Ausgangslage für die Bewertung der Verhaltensweisen, die einem Konzern zuzuordnen sind. Der Konzern muss überhaupt als Unternehmensträger in Frage kommen und relevant sein. Diese Voraussetzung ist nur dann erfüllt, wenn er eine mehr oder weniger feste Einheit darstellt. Ob diese Einheit eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts sein muss, ist eine Frage. Eine der weiteren Bedingungen ist, dass die konkrete und nach außen wirkende Verhaltensweise dem Konzern zuzurechnen ist. Der Unternehmensbegriff hat zwei Funktionen. Er ist ein formaler Abgrenzungsfaktor. Seine Funktion ist, die Normadressaten zu bestimmen. 33 Er hat aber auch eine materielle Konkretisierungsfunktion, die dazu dient, den Begriff des Abstimmens, des Vertrags oder der Vereinbarung zu konkretisieren. 31 32

33

Vgl. auch Potrafke (oben Fn. 3), S. 71 ff. Vgl. Potrafke (oben Fn. 3), S. 130 ff. Siehe Potrafke (oben Fn. 3), S. 260.

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2. Die Auswertung der bisherigen Erkenntnisse

Für die Beurteilung bestimmter Handlungen im Rahmen einer Konzernstruktur sollten die folgenden Gesichtspunkte relevant sein: a) Das Handeln der Muttergesellschaft gegenüber der Tochtergesellschaft kann die Charakteristiken des Handeins in Übereinstimmung oder die Züge anderer Kartellpraktiken erfüllen. b) Der Umstand, dass alle Konzernteile eine wirtschaftliche Einheit bilden, schließt manchmal das Vorgehen gern. Art. 81 Abs.1 EGV, bzw. § 5 des tschechischen Kartellgesetzes über das Kartellverbot nicht aus. Im Rahmen des oben erwähnten Konzerns besteht immer noch eine gute Chance für die Anwendung der Kartellpraktiken. c) Manchmal jedoch existiert kein Willen, die Kartellvereinbarung auszuführen. Der EuGH geht von dem Prinzip aus, dass das Kartellverbot gern. Art. 81 Abs.l EGV nicht anwendbar ist, soweit die Muttergesellschaft und die Tochtergesellschaft eine Einheit bilden, in deren Rahmen sich die Tochtergesellschaft nicht autonom entscheiden kann. Sie muss daher den Anweisungen der Muttergesellschaft folgen. Der Grund dieser Überlegung ist die Feststellung, dass zwischen der Muttergesellschaft und der Tochtergesellschaft kein einzuschränkender Wettbewerb besteht. d) Die Feststellungen reichen jedoch dazu aus, dass man die Anwendung des Kartellverbots ausschließen kann, obschon sich der Wettbewerb zwischen der Mutter- und Tochtergesellschaft im Rahmen der Anweisungen der Muttergesellschaft nicht einschränken lässt. Es kann jedoch durchaus die Möglichkeit des Absatzes und der Versorgung von Drittpersonen bedroht sein. Dieser Vorfall setzt zweifellos einen bestimmten einschränkbaren Raum des freien Handeins der Tochtergesellschaft voraus. Fehlt ein solcher Raum und daher die Möglichkeit des freien Entscheidungswillens auch gegenüber Drittpersonen, dann ist irgendein kartellrelevantes Verhalten der Tochtergesellschaft kaum denkbar. Anders liegt das Problem jedoch, wenn man dieses Verhalten vom Standpunkt der Muttergesellschaft aus beurteilt, die, obschon nur z. B. zwecks der Begrenzung der internen Freiheit, auch die Beziehungen der Tochtergesellschaft gegenüber Drittpersonen, den Marktteilnehmern bzw. den Drittunternehmen, einschränkt. e) Ob die Mutter- und Tochtergesellschaft tatsächlich nur eine Wirtschaftseinheit bilden, und ob im Rahmen dieser Einheit kein Wettbewerb stattfindet, mit anderen Worten, ob diese Struktur das freie Marktverhalten ausschließt, ist nur am konkreten Fall zu beurteilen. Erteilt die Muttergesellschaft ihrer Tochtergesellschaft Anweisungen, die die Tochterge-

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seIlschaft unmittelbar ausführen und vorbehaltlos respektieren muss, handelt es sich um einen Mangel oder das Nichtbestehen von Entscheidungsautonomie, insbesondere dort, wo weitere Anweisungen seitens der Muttergesellschaft als die Reaktion auf Ungehorsamkeit im Hinblick auf die bereits erteilten Anweisungen folgen. Die größte Rolle dabei wird der Umstand spielen, ob die Muttergesellschaft ihre Tochtergesellschaft ausschließlich kontrolliert, und ob sich die Muttergesellschaft an der Kontrolle zusammen mit anderen Subjekten beteiligt oder die Kontrolle allein ausübt. 1) Wenn jedoch die Entscheidungsfreiheit im Rahmen der Konzernstruktur

der Tochtergesellschaft gewährt ist (aus welchen Gründen auch immer), dann kann die betroffene Gesellschaft im Rahmen des Konzerns keine einzige Einheit darstellen und den allgemeinen Regeln des Wettbewerbs unterliegen.

g) Es stellt sich allerdings die Frage, inwieweit sich die Verträge und das Verhalten zwischen der Mutter- und Tochtergesellschaft durch ein Kartellverbot abdecken lassen, wenn ein derartiges Verhalten anderen Zwecken dient als der eigenen Organisation des Konzerns. Der Zweck des Konzerns ist gemäß der bisherigen Rechtsprechung des EuGH die Voraussetzung der Nichtanwendung des Kartellverbots nach Art. 81 Abs. 1 EGV. Aus dieser praktisch ständigen Rechtsprechung konnte man folgern, dass es unzulässig ist, die Stellung der Drittpersonen (Unternehmen und Verbraucher) auf dem Markt einzuschränken. Daher hielt man auch solches konzerninternes Verhalten, das zur Isolation und Separation der nationalen Märkte in der Gemeinschaft, bzw. zur Separation der Nationalmärkte von dem gemeinsamen Markt führte, für unzulässig. h) Die Praxis hat sich jedoch der Meinung zugewandt, die den Anwendungsbereich des Kartellverbots einschränkt. Dies geschah leider unter Inkaufnahme der negativen Folgen der Anwendung dieser Ansicht für die Marktaufteilung. Daraus resultiert einen erheblichen Abstand von der bisher vorherrschenden Praxis und eine Zuneigung zu einer eher sehr liberalen Auffassung von Wettbewerb, bzw. der Beurteilung von Kartellpraktiken. i) Man kann jedoch eine liberale Meinung teilen, nach der die horizontalen Beziehungen der Tochtergesellschaften untereinander ähnlich zu beurteilen sind, wie die vertikalen Beziehungen zwischen der Muttergesellschaft einerseits und der Tochtergesellschaft andererseits.

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V. Die Fusionskontrolle und das Missbrauchsverbot im Hinblick auf die Konzernpraktiken 1. Die Fragen einer Fusionskontrolle und eines Missbrauchverbotes

Bisher ist Gegenstand der Untersuchung die Rolle eines Konzerns als potentielles Kartell gewesen. Nun will ich mich der Problematik der Konzentrierung und des Missbrauchs widmen. Es wird als überall akzeptables Resultat angenommen, dass eine Beherrschung innerhalb des Konzernrechts einen Fusionszusammenschluss darstellt. 34 Man kann auf das, was unter dem Punkt Kartell erwähnt wurde, zurückkommen. Unter der Bedingung, dass ein Verhalten des beherrschten Unternehmens einen gemeinsamen Zweck mit dem beherrschenden Unternehmen verfolgt und so zu einer ökonomischen Einheit bzw. zu einem Unternehmen führt, handelt es sich nicht um einen Verstoß gegen das Missbrauchsverbot. 35 2. Zurechnungsfrage

Aus der Untersuchung von Lipowsky36 geht hervor, dass die Praxis der Kommission, des EuGH und des Bundeskartellamts in materieller Hinsicht in gewissem Einklang steht. Die Zurechnung eines Verstoßes setzt nämlich die Mitwirkung durch die zurechnungsbelastete Gesellschaft voraus. Bei der Frage nach dem Grund einer Zurechnung von Wettbewerbsverstößen zwischen verbundenen Unternehmen wurde ein innerer Zusammenhang zwischen der Frage der Anwendbarkeit von Artikel 81 EGV und der Zurechnung von Verstößen sichtbar, soweit sie auf Grund aktiver Mitwirkung erfolgt war. Die Praxis geht davon aus, dass grundsätzlich den handelnden Gesellschaften jene Verstöße zuzurechnen sind, auf die sich die Mitwirkung bezog - als ein notwendiger und wichtiger Schritt zu Wettbewerbsregeln gegen verbundene Unternehmen. VI. Folgerungen und Lehre für die tschechische Auffassung 1. Es sollte auf den Zweck des Gesetzes abgestellt werden. Wo kein Wett-

bewerb besteht, bedarf es keines Verbots. Die Frage nach der Schwelle ist dahingehend zu beantworten, dass sie zwischen 70 und 90% Beteili-

lmmenga/Mestmäcker, GWB - Kommentar, 3. Auf!. 1998, zu § 36, Rn. 35 ff. Vgl. Lipowsky, Die Zurechnung von Wettbewerbsverstössen zwischen verbundenen Unternehmen im EWG-Wettbewerbsrechts, 1987, S. 247. 36 Vgl. Lipowsky (oben Fn. 35), S. 99 ff. 34

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gung der herrschenden Gesellschaft an der unterworfenen Gesellschaft liegt. 2. In einem Gleichordnungskonzern ist die Beurteilung stets am konkreten Einzelfall vorzunehmen. 3. Die Entstehung eines Konzerns bedarf einer Zustimmung, weil es sich um eine Fusion zweier oder mehrerer Einzelunternehmen handelt. 4. Ein kartellwidriges Verhalten der unterworfenen Gesellschaft ist der beherrschenden Gesellschaft zuzurechnen. 5. Das Missbrauchsverbot findet bei Konzernen keine Anwendung.

Paradigmenwechsel im europäischen Kartellrecht? Ex ante-Kontrolle versus ex post-Kontrolle im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen Von Wernhard Möschel, Tübingen

I. Einleitung Im Bundesministerium der Justiz gibt es einen Abteilungsleiter, der von Zeit zu Zeit Geschichten aus dem Grenzbereich zwischen Wissenschaft und Nonsens veröffentlicht, so auch dieses Jahr einen Roman, der ein wenig den Charakter eines Schlüsselromans hat. Der Held ist Kartellrechtsreferent im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Folglich spielt die letzte Novelle des Kartellrechts eine Rolle. Es heißt dort u. a.: "Ein Dutzend Hochschullehrer, einer eitler und missgünstiger als der andere, sollte seine Meinung zum Kartellrecht sagen, und das taten sie denn auch, aber nicht etwa wie normale Menschen geradeheraus, sondern derart verschraubt und gewunden, voll historischer Prologe und intellektueller Pirouetten, komplizierter Verschachtelungen und rhetorischer Girlanden, dass es Joachim (das ist der Held der Geschichte) wieder mal grauste."J Er fahrt dann fort: "Selbst der obligatorische Eingangswitz des notorisch eingangswitzigen Mannheimer Professors (das ist die etwas verfremdende Umschreibung für mich) vermochte ihn nicht mehr zu erheitern. Unter dem Alten Fritz sei ein Mecklenburgischer Pastor einst wegen Wilderei angeklagt worden. Er habe mit seiner Frau im Garten gesessen. Da sei ein Hase vorbeigehoppelt, und die Frau Pastorin habe ihn mit ihrem breiten Rock gefangen. Und da habe der Alte Fritz entschieden, dem Pastor könne das Jagdrecht in den Röcken seiner Frau nicht verwehrt werden." Jetzt kommt die Pointe unseres Ministerialbeamten: "Niemand lachte." Im April 1999 hat die Kommission ihr Weißbuch zur Änderung der europäischen Wettbewerbsregeln vorgelegt; im September 2000 folgte der konkrete Verordnungsentwurf. 2 Wird er realisiert, kann man in der Tat von einem Paradigmenwechsel im europäischen Kartellrecht sprechen. Der harte Hucko, Von der Liebe zu den Apfelbäumen, 2001, S. 157. ABI. EG C 132 vom 12.5.1999, S. 1-33; Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 EG- Vertrag niedergelegten 1

2

5 Nenesheim/Oppennann (Hrsg.)

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Kern der insgesamt komplexen Kommissionsvorschläge liegt darin: Ein System der ex ante-Kontrolle mittels Anmeldung soll ersetzt werden von einem System der ex post-Kontrolle durch Abschreckung. Meine Ausführungen gliedern sich in drei Teile: - Ich beginne mit einer begrifflichen Klärung der einander gegenübergestellten Kontrollsysteme und verdeutliche diese mit Regelungsbeispielen aus dem deutschen, dem europäischen und dem US-amerikanischen Recht. - Ich stelle dem das Reformkonzept der Kommission gegenüber und - diskutiere dann Für und Wider der beiden hier untersuchten Regelungsmuster. Auf diesem Abschnitt liegt das Schwergewicht. Mein Ergebnis wird sein: Die Aufgabe einer ex ante-Kontrolle ist wettbewerbspolitisch riskant. Wir werden über kurz oder lang auf EG-Ebene mit einer kompensierenden Einführung echter Kriminal strafen , d. h. hier Gefängnisstrafen, bei einzelnen Kartellrechtsverstößen rechnen müssen. 11. Begrimiche Klärung Ex ante und ex post meinen in unserem Zusammenhang, ob ein Marktteilnehmer, der eine potentiell wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise praktizieren will, vor ihrer Durchführung eine Kontrollinstanz, in der Regel eine Behörde, einschaltet. Dies mag freiwillig geschehen; er mag dazu verpflichtet sein. In Deutschland haben wir eine ex ante-Kontrolle mit Anmeldepflicht bei den Widerspruchskartellen nach § 9 Abs. 1-3 GWB und bei den Freistellungskartellen i. S. v. § 10 Abs. 1 GWB. Hinzu treten die Anerkennung von Wettbewerbsregeln nach § 26 Abs. 2 S. 1 GWB, die Freistellung von Lizenz- und sonstigen Verträgen, die gegen § 17 Abs. 1 oder § 18 GWB verstoßen, nach § 17 Abs. 3 und die präventive Fusionskontrolle nach den §§ 35 f. GWB. In all diesen Fällen erfolgt eine vorherige Prüfung durch die Kartellbehörde. Bei der ex post-Kontrolle ist zu unterscheiden: In zwei Fällen besteht eine Anmeldepflicht. Doch darf die ins Auge gefasste Maßnahme sofort praktiziert werden. Dies gilt für Einkaufskooperationen nach §§ 4 Abs. 2/9 Abs. 4 GWB sowie für die Empfehlungen nach § 22 Abs. 2-5 GWB. In den meisten Fällen der ex post-Kontrolle besteht keine Anmeldepflicht. Dies gilt für die Verbotstatbestände: Kartellverbot nach § 1 GWB, Verbot Wettbewerbsregeln, Brüssel, den 27.9.2000, KOM (2000) 582 endgültig; dazu XXX. Bericht über die Wettbewerbspolitik 2000, 2001, Tz. 37 ff.

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von vertikalen Preis- und Konditionenbindungen nach § 17 GWB, das Verbot wettbewerbsbeschränkender Lizenz- und sonstiger Verträge nach § 171 18 GWB (soweit nicht angemeldet), die Missbrauchsverbote nach §§ 19, 20 und 21 GWB, das Empfehlungsverbot nach § 22 Abs. 1 GWB und verbotswidrig vollzogene Zusammenschlüsse. Zur ex post-Kontrolle ohne Anmeldepflicht gehört schließlich die Missbrauchsaufsicht über Ausschließlichkeitsbindungen nach § 16 GWB. Weitere Anwendungsbeispiele finden sich in den Sonderregeln für bestimmte Wirtschaftsbereiche nach §§ 28 ff. GWB. Auf EU-Ebene haben wir gegenwärtig eine ex ante-Kontrolle mit Anmeldepflicht bei den Einzelfreistellungen vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 EGVertrag gern. Art. 81 Abs. 3/Art. 6 VO Nr. 17 und bei der präventiven Fusionskontrolle? Eine ex post-Kontrolle greift beim Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag für nicht angemeldete und für nicht anmeldepflichtige Vereinbarungen (Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 17) und für solche Vereinbarungen, die unter eine Gruppenfreistellungsverordnung fallen. Gleiches gilt für das Missbrauchsverbot nach Art. 82 EG-Vertrag und für verbots widrig vollzogene Zusammenschlüsse (Art. 14 FKVO). Bei Art. 82 EG-Vertrag bleibt die Erteilung eines Negativattestes nach Art. 2 VO Nr. 17 möglich; doch kommt dies praktisch kaum vor. In den USA besteht eine ex ante-Kontrolle für die größeren Unternehmenszusammenschlüsse nach Section 7A Clayton Act in der Form des Hart-Scott-Rodino Antitrust Improvements Act von 1976, für reine Exportkartelle, die einer Registrierungspflicht bei der FfC unterliegen (WebbPommerene Act von 1918; hinzu tritt seit 1982 die Zertifizierungsmöglichkeit für sog. Export Trading Companies. Sie wird vom Department of Commerce im Benehmen mit dem Department of Justice ausgeübt).4 Freiwillige Anmeldungen sind seit 1984 möglich für Forschungs- und Entwicklungskooperationen, die im Jahre 1993 auf Produktionskooperationen ausgedehnt wurden (Prüfung nach einem rule of reason-Standard, keine Strafbewehrung, kein dreifacher, sondern nur einfacher Schadenersatz eines betroffenen Dritten). Die Unternehmen nutzen diese letzteren Möglichkeiten kaum; sie ziehen es vor, ihre Kooperation geheim zu halten. Daneben gibt es die informelle Praxis sog. advisory opinions (Federal Trade Commission) oder sog. business review letters (Department of Justice). Sie haben keine bin3 Hierzu Wils, Notification, Clearance and Exemption in E.C. Competition Law: An Economic Analysis, E.L.Rev. 1999 S. 139-156. 4 Überblick bei Paulweber, The End of a Success Story? The European Commission's White Paper on the Modernisation of the European Competition Law. A Comparative Study about the Role of the Notification of Restrictive Practices within the European Competition and the American Antitrust Law, Journal of World Competition 2000 S. 3, 25 ff.

5"

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dende Wirkung in einem strikten Sinne. Praktisch können sich die Unternehmen auf solche Auskünfte in der Weise verlassen, dass die jeweilige Antitrust-Behörde bei unverändertem Sachverhalt später kein Verfahren einleitet. Im Übrigen ist die amerikanische Praxis durch eine ex post-Kontrolle gekennzeichnet: Dies gilt für Section 1 und 2 Sherman Act ebenso wie für die Verbotstatbestände nach Section 2 und 3 Clayton Act (Preisdiskriminierung, Alleinbezugs- und Koppelungsvereinbarungen), für die "normale" Fusionskontrolle nach Section 7 Clayton Act und für die umfassenden Handlungsmöglichkeiten der FfC nach der Generalklausel des Section 5 FfCAct. Auf die privatrechtliche Durchsetzung komme ich zurück.

III. Der geplante Systemwechsel auf EG-Ebene Das geplante Reformvorhaben auf EG-Ebene lässt das Missbrauchsverbot nach Art. 82 EG-Vertrag und die präventive Fusionskontrolle unberührt. Der entscheidende Wechsel liegt im Übergang vom bisherigen System des Verbots in Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag mit ausschließlich von der Kommission auszuübendem Administrativvorbehalt nach Abs. 3 Vorschrift zu einem System der Legalausnahme: Art. 81 Abs. 1 und 3 sind integriert und unmittelbar anzuwenden. Einer vorgängigen Klärung seitens einer Kartellbehörde bedarf es nicht mehr. Lässt man Art. 10 des Verordnungsentwurfs mit der Möglichkeit deklaratorischer Entscheidungen zur Nichtanwendbarkeit von Art. 81 und Art. 82 einmal beiseite - sie werden ausschließlich von Amts wegen und aus Gründen des öffentlichen Interesses erlassen und sollen nach Auffassung der Kommission eher abstrakte Rechtsfragen klären -, so ist dies ein Übergang von einer ex ante-Kontrolle durch Anmeldung auf eine ausschließliche ex post-Kontrolle mittels Abschreckung. 5 Die Motive der Kommission waren lange unklar. Das ohnehin eher oberflächliche Argument von der Arbeitsentlastung steht nicht im Vordergrund. Es hat allenfalls insofern einen gewissen Stellenwert, als eine Befreiung der Kommission von den bisherigen Freistellungsverfahren nach Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag es der Kommission eher erlauben könnte, sich auf die Verfolgung der gravierendsten Kartellverstöße zu konzentrieren wie Preis-, Gebiets- und Quotenkartelle. Die Beteiligten halten ein System der ex post-Kontrolle durch Abschreckung auch und gerade unter dem Aspekt des Wettbewerbsschutzes für effizienter' jedenfalls wenn man das Reformvorhaben in seiner Gesamtheit in 5 Vgl. hierzu Mäschel, Europäische Wettbewerbspolitik auf Abwegen, Wirtschaftsdienst 1999, S. 504-512; ders., Systemwechsei im Europäischen Wettbewerbsrecht?, JZ 2000, S. 61-67.

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den Blick nimmt. Der innerste Kern freilich liegt in einem veränderten Verständnis von Wettbewerb und Wettbewerbsbeschränkung: Das durch die bisherige Trennung von Art. 81 Abs. 1 und 3 EG-Vertrag ermöglichte zu juristische Verständnis einer Wettbewerbsbeschränkung als die einverständliche Beseitigung von Ungewissheit im Hinblick auf das Marktverhalten von Konkurrenten, sei zu uferlos und durch eine integrierende Berücksichtigung des Abs. 3 auf einen ökonomisch sinnvollen Pfad zu bringen. Aus dieser Sicht wird das überkommene Vorurteil gegenüber Kooperationen zwischen Wettbewerbern verabschiedet. Solche Kooperationen haben keinerlei Vermutung der Wettbewerbsschädlichkeit mehr gegen sich. 6 Das berühmte Diktum Adam Smith's, wonach Kaufleute des gleichen Gewerbes selten zusammenkommen, selbst zu Festen und zur Zerstreuung, ohne dass das Gespräch in einer Verschwörung gegen die Öffentlichkeit endet oder irgendein Plan ausgeheckt wird, wie man die Preise erhöhen kann,1 wird der Dogmengeschichte überantwortet. Aus dem gleichen Ansatz, den die Kommission einen "stärker wirtschaftlichen" zu nennen beliebt, soll die Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag "auf Unternehmen mit einer gewissen Marktrnacht" beschränkt bleiben. Solche Ideen wurden schon im 19. Jahrhundert geäußert. 8 Sie haben die Debatte um ein modemes Kartellrecht mehr oder minder ständig begleitet. Prüfen wir Für und Wider: IV. Für und Wider der beiden Regelungsmuster 1. Abschichtungen

Vorweg lassen sich einige Vereinfachungen treffen. a) Fusionskontrolle Bei der Fusionskontrolle lässt sich im Rechtsvergleich eine deutliche Bewegung weg von der ex post-Kontrolle hin zu einer ex ante-Kontrolle feststellen. Niemand befürwortet eine Umkehr dieser Bewegung. Dies hat im Wesentlichen zwei Gründe:

6 Weißbuch der Kommission (Fn. 2), Tz. 78; hierzu auch Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABI. EG C 3 vom 6.1.2001, S. 2-30. 7 Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776, Übersetzung von Recktenwald, 1974, S. 112. 8 VgI. hierzu Möschel, 70 Jahre deutsche Kartellpolitik, 1972, S. 11 ff.

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Angesichts des Investitionscharakters von Unternehmenszusammenschlüssen ist das Bedürfnis nach Planungssicherheit für die Beteiligten, d. h. hier Rechtssicherheit, überragend. Das streitet für eine ex ante-Kontrolle. Hinzu treten die bekannten Schwierigkeiten mit der Entflechtung einmal vollzogener Unternehmenszusammenschlüsse. Bei einer ex post-Kontrolle wären diese Schwierigkeiten nachgerade systemprägend.

b) Hardcore-Kartelle Sog. Hardcore-Kartelle bleiben von der Frage ex ante- oder ex post-Kontrolle unberührt. Da diese Kartelle per definitionem keine Legalisierungschance haben, werden sie in keinem kartellkritischen System angemeldet. Das Argument der Kommission, solche Kartellreformen würden von der Anmeldemöglichkeit nach Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag nicht erfasst, ist zwar richtig. Die Schlussfolgerung, auch deshalb sei auf den Administrativvorbehalt nach Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag zu verzichten, ist indes evident unrichtig. Diese Art von Kartellen hat damit noch nie etwas zu tun gehabt. c) Missbräuchliches Ausnutzen einer marktbeherrschenden Stellung

Einer ex post-Kontrolle unterliegen Verhaltensweisen, die von Art. 82 EG-Vertrag oder im deutschen Recht von den §§ 19 f. GWB erfasst werden können. Auch daraus lässt sich entgegen verbreiteter Argumentation kein Argument für eine Gleichbehandlung mit Kartellen gewinnen. Es geht bei diesen Vorschriften - ähnlich wie im Bereich des UWG - um Einzelverhaltensweisen, die im Verdacht stehen, aus wettbewerblicher Perspektive "unreinlich" zu sein. In den Worten eines Kollegen der Nationalökonomie: Es geht um wettbewerbspolitischen "Schweinkram". Ein konkretes Marktverhalten wie eine Lieferverweigerung, ein Koppelungsverlangen, bestimmte Formen der Rabattpolitik u. ä. erregen Anstoß. Erst im zweiten Zugriff stellt sich dann die Frage, was dagegen im Einzelfall rechtlich gemacht werden kann, was wiederum die weitere Frage nach einer eventuell bestehenden Marktmacht aufwirft. Zugleich sind solche Verhaltensweisen im deutlichen Unterschied zu Kartellvereinbarungen - im Markt sichtbar. Es gibt Betroffene, welche den Wirkungen solchen Verhaltens konkret ausgesetzt sind. Sie haben dann die grundSätzliche Chance, sich dagegen zu wehren, sei es mit Hilfe eines Dritten (Beschwerde bei einer Kartellbehörde), sei es ggf. aus eigener Kraft mit Mitteln des privaten Rechts. Ein Anmeldeverfahren wäre hier wiederum ziemlich funktionslos. Belegt wird dies durch die bereits mitgeteilte Beobachtung, dass vorgängige Negativatteste der Kommission in Richtung Art. 82 EG-Vertrag praktisch kaum vorkommen.

Paradigmenwechsel im europäischen Kartellrecht?

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d) Vertikale Bindungen Ganz ähnlich liegt es bei vertikalen Bindungen. Es gibt immer Betroffene. Solche Verhaltensweisen sind im Markt sichtbar. Sie haben von daher unter dem Aspekt ex ante oder ex post eine ganz andere Qualität als Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern. Section 1 Sherman Act und Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag erfassen überdies solche vertikalen Bindungen im Ausgangspunkt materiell in gleicher Weise wie horizontale Vereinbarungen. Es ist mittlerweile unstreitig, dass dies wettbewerbspolitisch zu undifferenziert ist. In den USA hat sich u. a. deshalb die Trennung von per se-Verboten und von rule of reason-Sachverhalten entwickelt. Gleichzeitig griff der Gesetzgeber schon im Jahre 1914 mit der Verabschiedung des Clayton Act ein. Reformnotwendigkeiten ergaben sich ebenso auf EG-Ebene. Die ausgedehnte Verabschiedung sog. Gruppenfreistellungsverordnungen, deren Schwergewicht gerade bei vertikalen Bindungen liegt, hängt damit zusammen. Es wäre aber sachwidrig, wegen eines in Richtung vertikaler Bindungen grundsätzlich einzuschränkenden Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag eine ex ante-Kontrolle insgesamt zu beseitigen, also auch dort, wo sie ggf. Sinn machen könnte. Dafür kommt der gesamte Bereich horizontaler Kooperationen in Betracht, der nicht aus hardcore-Kartellen besteht. Dies sind in Deutschland die §§ 2 ff. GWB, in den USA horizontale rule of reason-Sachverhalte und auf EG-Ebene alles, was bislang dabei in Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag bzw. seiner praktischen Ersatzform des sog. comfort letters erledigt wurde. 9 Das ist nicht gerade wenig. 2. Kriterien

Kriterium für eine Wahl zwischen ex ante- und ex post-Kontrollarrangement sollte die Effizienz des Wettbewerbsschutzes sein. Folgende Aspekte fallen ins Gewicht: a) Information Eine ex ante-Kontrolle ermöglicht Transparenz und Information. Dies gilt nicht nur für eine Kartellbehörde, sondern auch für betroffene Dritte, Konkurrenten, Zulieferer, Abnehmer einschließlich Verbrauchern. Noch vor wenigen Jabren war sich die Kommission dessen wohl bewusst: "Die Anmeldungen sind für die Kommission eine unerschöpfliche Quelle der Information über Geschäftsvorhaben."JO Bei einer ex post-Kontrolle fehlt dieser 9 Statistischer Überblick in xxx. Bericht über die Weubewerbspolitik (Fn. 2), Schaubilder 1-3 (nach Tz. 229).

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Mechanismus. Überzeugende Ersatzoptionen sind nicht erkennbar. Sektorenuntersuchungen bringen kaum etwas. Das belegen namentlich die USamerikanischen Erfahrungen. Informationen als Nebenprodukt von Fusionskontrollfällen, die nach Brüssel kommen, ermöglichen einen allgemeinen Einblick in Markverhältnisse. Sie wirken als Navigatoren hin zu kartellrechtlich bedenklichen Absprachen aber bestenfalls nur bei den unmittelbar fusionsbeteiligten Unternehmen. Eine Intensivierung von Kronzeugenregelungen, von sog. leniency programs, bezieht sich auf hardcore-Kartelle. Diese haben mit der Frage ex ante/ex post indes, wie gezeigt, nichts zu tun. b) Rechtssicherheit Rechtssicherheit ist für die Beteiligten ein wesentlicher Gesichtspunkt. Er mag für eine F- & E-Kooperation oder für ein Rationalisierungskartell von geringerem Gewicht sein als typischerweise bei einem Unternehmenszusammenschluss. Doch verringert sich lediglich das relative, nicht das absolute Gewicht des Gesichtspunkts. Eine Selbstveranlagung der Unternehmen oder ihrer Anwälte im Rahmen des Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag wird diese Sicherheit schwerlich liefern. Den beteiligten Unternehmen fehlen vielfach die erforderlichen Marktdaten. Sie haben nicht die Aufklärungsbefugnisse einer Kartellbehörde, in der Regel auch nicht deren Erfahrung und Sachverstand. Eine Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag wird dann schnell zur Spekulation. In den USA, dem Land mit ausgeprägter ex post-Kontrolle mittels Abschreckung, sind die Rechtsunsicherheiten auf dem Felde des antitrust unverändert hoch. Im board einer corporation sitzt immer der Geist des Senators Sherman mit am Tisch. Die gegenwärtige Anmeldepraxis in Brüssel führt zwar nur ganz selten zu förmlichen Entscheidungen. 90% der Fälle werden bekanntlich mit comfort letters oder sonst auf informellem Wege abgeschlossen. Für die Praxis bleibt dies alles in allem ein befriedigendes Verfahren. Die Unternehmen schätzen die Auskunft der zuständigen Kartellbehörde jedenfalls allemal höher ein als die Auskunft eines Anwaltes. Die Vorstellung der Kommission, hier mit ausgedehnten Bekanntmachungen, Leitlinien u. ä. helfen zu wollen, hringt nur ganz Begrenztes. Die Schwierigkeiten in der Kartellrechtspraxis liegen nicht so sehr im AbstraktNormativen, sie liegen im Tatsächlichen. Jeder Fall ist anders. c). Kohärenz Angesichts der Kompetenzverteilung zwischen nationalen Kartellbehörden, nationalen Gerichten einerseits und EG-Kommission, europäischen Ge10 Grünbuch der Kommission zur EG-Wettbewerbspolitik gegenüber vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen, KOM (96), 721 endg. Rn. 188.

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richten andererseits wird die Kohärenz in der Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag zum Problem. Was eine Zusammenarbeit zwischen den Kartellbehörden, die Generaldirektion Wettbewerb in Brüssel mit eingeschlossen, anbelangt, wird man eine positive Prognose stellen dürfen. Schwer vorstellbar ist dies bei den nationalen Gerichten, von Helsinki bis Palermo und von Lissabon bis demnächst Budapest. Dies gilt jedenfalls für Zivilverfahren, bei denen üblicherweise die Parteien Herren des Verfahrens sind (Beibringungsgrundsatz, Dispositionsmaxime). Eine bessere Option gegenüber dem Systemwechsel, den die Kommission vorschlägt, wäre schlicht die dezentrale Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag durch die jeweiligen nationalen Behörden unter der koordinierenden Letztverantwortung der Kommission. 11 Die Errichtung eines solchen Koordinierungssystems ist ohnehin beabsichtigt.

d) Subsidiarität Die Kommission verbindet den Übergang zu einer ex post-Kontrolle mit dem Gedanken einer erwünschten stärkeren Subsidiarität in der Anwendung der europäischen Wettbewerbsregeln. Sieht man genauer hin, erkennt man: Die postulierte Subsidiarität ist im Wesentlichen eine scheinbare. Die Kommission behält sich ein Aufgreifrecht vor, nicht nur gegenüber nationalen Kartellbehörden, auch gegenüber nationalen Gerichten. Letzteres gilt so lange, als ein Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, wobei eine eingetretene Rechtskraft auch nur inter partes, nicht etwa erga omnes wirken würde. Scharf formuliert: Die Organe der Mitgliedstaaten mutieren letztendlich zu Hilfstruppen der Kommission.

e) Abschreckungswirkung Zentral ist die Frage, bei welchem System die höhere Abschreckungswirkung zu erzielen ist. Ein Anmeldesystem gibt der Kartellbehörde die Möglichkeit, schon im Vorfeld der Praktizierung horizontaler Vereinbarungen aktiv auf ihre wettbewerbsverträgliche Gestaltung hinzuwirken. Bei den Kartellbeteiligten führt es zu disziplinierenden Wirkungen; sie schließen die Verträge eher kartellrechtskonform ab, um auf diese Weise eine Freistellung zu erlangen. Ähnlich verringert sich ein Anreiz, von der erlaubten Kooperation zu einer verbotenen überzugehen. Denn die Unternehmen wissen, dass die Behörde "weiß". Letzteres ist ein Gesichtspunkt, der allgemeinere Bedeutung hat. Die Kommission stellt mit ihrem Vorschlag Wettbewerbsfrei11 Hierzu namentlich Monopolkommission, Kartellpolitische Wende in der Europäischen Union? Sondergutachten 28, Baden-Baden 1999, Tz. 61 ff.

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heit und Kartellfreiheit letztlich auf eine Stufe. Dies ist geeignet, die erörterte Abschreckungswirkung im Mark zu treffen, nämlich insoweit, als die Aufrechterhaltung des Rechtsbewusstseins auf diesem Felde gefährdet wird. Abschreckung ist ja nicht nur im alten Feuerbach'schen Sinne als Androhung von Sanktion zu verstehen, sie hat diese wohl wichtigere kulturelle Komponente der Aufrechterhaltung des Rechtsbewusstseins. Es wäre Primitivökonomie, wenn man diese Dimension menschlicher Verhaltensbeeinflussung außer Acht ließe. Dies gilt umso mehr, als man Zweifel haben kann, ob der Wettbewerbsgedanke in den europäischen Regierungen und bei den Bevölkerungen wirklich stabil verankert ist. Berücksichtigt man die zahlreichen Verstöße gegen die europäischen Beihilfevorschriften, die Bemühungen, national champions zu kultivieren, die weitgehende Akzeptanz des service public-Gedankens, so scheint Skepsis auf. Die anstehende Erweiterung der EU wird in dieser Richtung schwerlich einen positiven Impuls bringen. Auf eine forcierte zivilrechtliche Bekämpfung von Wettbewerbsbeschränkungen kann man nach den bisherigen Erfahrungen in den europäischen Verhältnissen nicht setzen. Die Verkoppelung des unbestimmten Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag mit einern noch unbestimmteren Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag erleichtert Zivilklagen jedenfalls nicht. Zu Recht ist die Frage gestellt worden, ob Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag überhaupt self-executing i. S. d. EuGH-Rechtsprechung sein, ob er ohne vorgängige Behördenentscheidung unmittelbare Rechte und Pflichten zwischen Privatrechtsparteien begründen kann. 12 f) Durchsetzungskosten

Es scheint ausgemachte Sache zu sein, dass ein System der ex post-Kontrolle geringere enforcement costs verursache als ein System der ex anteKontrolle. 13 Richtig ist daran zunächst: Es werden die Ressourcen frei, die innerhalb eines Anmeldesystems gebunden sind. Das beschreibt das Bild indes nicht vollständig. Gegenzurechnen sind die innerhalb eines Anmeldesystems bestehenden Möglichkeiten, Freistellungen zu dosieren und diese auf spezialisierte Behörden zu konzentrieren, welche entsprechende Sachkunde aufbauen können. Zu fragen ist ferner nach dem Gewicht der Ermitt12 Grundlegend Mestmäcker, Versuch einer kartellpolitischen Wende in der EU, EuZW 1999, S. 523 ff.; Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Reform der europäischen Kartellpolitik, BMWi-Dokumentation Nr. 480, Berlin 2000, Tz. 7 = WuW 2000, S. 1096-1101; zur Frage, ob die Reformvorschläge der Kommission nicht eine Änderung des primären Gemeinschaftsrechts bedingen, siehe Monopolkommission (Fn. 11), Tz. 13 ff., und Mäschel, Europäisches Wettbewerbsrecht und EU-Beitritt, in: Tichj (ed.), Europeizace Narodnfch Pnivnfch Radu, Prag 2000, S. 275, 290 ff. 13 Vgl. Wils (Fn. 3).

Paradigmenwechsel im europäischen Kartellrecht?

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lungskosten innerhalb eines Systems der ex post-Kontrolle. Eine eindeutige Antwort scheint sich nicht aufzudrängen. g) US-amerikanische Eifahrungen

Eine Einräumung ist zu machen: Ein System der ex post-Kontrolle durch Abschreckung kann wirksam sein. 14 Das zeigen die Erfahrungen des USamerikanischen Antitrust-Rechts. Es weist mit seiner Trennung von per seSachverhalten einerseits und rule of reason-Sachverhalten andererseits freilich einen anderen Charakter auf als das in Aussicht genommene EGSystem, wonach zunächst verbotene Wettbewerbs beschränkungen grundsätzlich allesamt zulässig sein können. Ein solches System setzt im Übrigen eine Fülle flankierender Regelungen voraus, die in Europa nicht vorhanden sind. - Eine zivilrechtliehe Verfolgung von Kartellverstößen bedingt die Möglichkeit eines pretrial discovery-Verfahrens. Der Privatmann wird sozusagen zum Staatsanwalt. - Erfolgshonorare für Anwälte schaffen einen Anreiz zur Rechtsverfolgung. Sie gelten in Europa weithin als sittenwidrig. - Treble damages liefern einen zusätzlichen Anreiz. Amerikanische Urteile, welche solche punitive damages enthalten, werden in Europa freilich in der Regel nicht anerkannt. Sie verstoßen hier gegen den ordre public. - Man darf die Negativseiten amerikanischer Rechtsdurchsetzung nicht übersehen. Die hohe Rechtsunsicherheit wurde bereits erwähnt. Zivilklagen lassen sich in den USA überdies als Instrument der Einschüchterung, in unserem Zusammenhang als Instrument der Wettbewerbsbeschränkung einsetzen. Ein zu Unrecht Beklagter bleibt auf seinen eigenen Kosten, namentlich beträchtlichen Anwaltskosten, sitzen. Das zwingt fast die Parteien zu einem Arrangement. Man muß weiter bedenken: Unabhängige private Klagen, also solche, die nicht lediglich "follow on-cases" nach Entscheidungen der Antitrust-Behörden sind, konzentrieren sich auf Unternehmens verhalten, welches im Markt sichtbar ist und ein klar identifizierbares Opfer aufweist. Horizontale Vereinbarungen, gerade auch hard core-Kartelle, werden auf diesem Wege dagegen weniger häufig vor die Gerichte gebracht. 15

14 15

Vgl. hierzu Mäschel (Fn. 5), JZ 2000, S. 61, 66. Vgl. Paulweber (Fn. 4), auf S. 24.

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3. Ausblick

Das anstehende Reformvorhaben der Kommission ist nicht von politischer Seite ausgedacht worden. Es stammt aus einer technokratischen Ecke. Eine interne Arbeitsgruppe der Generaldirektion Wettbewerb hatte die Pläne über einen Zeitraum von zwei Jahren ausgearbeitet, bis sie im März 1999 den Kartellbehörden der Mitgliedstaaten und einen Monat später der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Wouter Wils, Mitglied des Juristischen Dienstes der Kommission und Mitglied dieser Arbeitsgruppe, hatte in einem Vortrag die Grundlinien dieser Vorschläge wissenschaftlich vorbereitet. 16 Nach gegenwärtigem Kenntnisstand sind - je nach Standpunkt - die Chancen oder Risiken, dass diese Vorschläge im Wesentlichen umgesetzt werden, hoch. Mittlerweile zeichnet sich ein möglicher nächster Schritt ab. Anfang Juni dieses Jahres präsentierte Wouter Wils auf einem Wettbewerbssymposium am Europäischen Universitätsinstitut in Florenz ein Papier, wonach ein Übergang zu Kriminalstrafen, d.h. hier Gefängnisstrafen, als Sanktion auf Verstöße gegen Art. 81 ff. EG-Vertrag wettbewerbspolitisch zwingend sei. 17 Dies folgt US-amerikanischem Vorbild. Andere Optionen verwirft er: - Ein Anmeldesystem hält er für nutzlos; das kann niemanden überraschen. - Private Verfolgung zu ermutigen, helfe nicht viel. Das mag vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Kommissionsvorschläge schon erstaunlicher erscheinen. - Eine Erhöhung der Wahrscheinlichkeit, Wettbewerbsverstöße zu entdecken, löse für sich allein das Problem nicht. - Kurz: In der Logik der Kommissionsvorschläge liegt die Einführung von Gefängnisstrafen als Sanktion für Kartellverstöße. Nach Wouter Wils ist eine Änderung des primären Gemeinschaftsrechts dafür nicht erforderlich, ebenso wenig müsse die Gemeinschaft eigene Gefängnisse bauen. Ich danke ihm für diesen tröstlichen Hinweis und Ihnen für Ihre freundliche Aufmerksamkeit.

V. Zusammenfassung Die EG-Kommission plant, das Kartellrecht der Europäischen Gemeinschaft durchgreifend zu verändern. Das bisherige System des Verbots in Artikel 81 Abs. 1 EG-Vertrag mit Freistellungsvorbehalt nach Abs. 3 der VorVgl. Fn. 3. Wils, Does the effective enforcement of Articles 81 and 82 EC require not only fines on undertakings hut also individual penalties, in particular imprisonment?, erhältlich unter http:/www.iue.it/RSC/competition 2001 (papers).html. 16 17

Paradigmen wechsel im europäischen Kartellrecht?

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schrift soll in ein System der Legalausnahme überführt werden. Artikel 81 Abs. 1 und 3 EG-Vertrag sind dann integriert und unmittelbar anwendbar. Eine vorgängige Klärung seitens einer Kartellbehörde entfällt. Dies ist ein Übergang von einer ex ante-Kontrolle mittels Anmeldung zu einer ex postKontrolle mittels Abschreckung. Verfasser klärt für die deutsche, die europäische und die US-amerikanische Rechtsordnung, in welchem Mischungsverhältnis dort Elemente der ex ante-Kontrolle und der ex post-Kontrolle vorhanden sind. Er hält die Vorschläge der EG-Kommission für wettbewerbspolitisch riskant. Er prüft dies anhand der Kriterien Transparenz, Rechtssicherheit, Kohärenz der Rechtsanwendung, Subsidiarität, Abschreckungswirkung und Durchsetzungskosten. In der Logik der Kommissionsvorschläge dürfte die Einführung von Gefängnisstrafen als Sanktion für Kartellverstöße liegen.

111. Gesellschafts- und prozess rechtliche Probleme im Binnenmarkt

Gründungs- und Sitztheorie im tschechischen Gesellschaftsrecht Von Monika Pauknerova, Prag

I. Einleitung Das Internationale Privatrecht erlebt gegenwärtig seine Renaissance. Im Rahmen des "europäischen" Privatrechts ist das IPR sogar als ein Rechtsgebiet angesehen, das sich in nächster Zukunft am schnellsten entwickeln wird. I Das tschechische Recht steht vor einer umfangreichen, ganz neuen Kodifikation des Privatrechts, die gegenwärtig vorbereitet wird und die auch mit einem neuen Gesetz über das internationale Privatrecht rechnet. Die Vorstellung, dass das Privatrecht der Einzelstaaten durch eine materiellrechtliche Vereinheitlichung in größerem Umfang ersetzt werden könnte, welcher wir seit Jahren in verschiedenster Form und auf verschiedensten Ebenen begegnet sind, scheint vorläufig nicht realisierbar zu sein. Es ist davon auszugehen, dass die Kollisionsnormen zwar das Privatrecht nicht in dem Maße wie die Sachnormen vereinheitlichen können, anderseits jedoch deren Anwendung für eine Reihe von Vertragsstaaten ein gangbarerer Weg als eine materielle Rechtsvereinheitlichung ist, welche direkt in das eigentliche Sachrecht der Vertragsstaaten eingreift. Eine Sicherheit für die Teilnehmer der Privatrechtsbeziehungen wird somit das anwendbare Recht sein, dem die Rechtsbeziehungen unterliegen werden, und das ist nicht wenig. Die Bedeutung des Gesellschaftsrechts für die europäische Integration braucht man nicht näher zu analysieren. Sie ist evident und aus den Ergebnissen der Bestrebungen nach Rechtsvereinheitlichung und Harmonisierung wird offensichtlich, welche große Aufmerksamkeit diesem Thema in der Europäischen Union gewidmet wird. Die Tschechische Republik verfolgt aufmerksam die Entwicklung der Regelung des Gesellschaftsrechts im Gemeinschaftsrecht und ist sehr intensiv um die Harmonisierung des tschechischen Rechts mit dem EG-Recht bemüht. Die rechtliche Regelung der Handelsgesellschaften im Handelsgesetzbuch Nr. 513/1991 Slg. i.d.g.F. (tsch. HGB) entspricht schon in großem Maße den Regelungen in den vom Rat verabschiedeten EG-Richtlinien über das Gesellschaftsrecht und damit zu1 Vgl. Jayme, Zum lahrtausendwechsel: Das Kollisionsrecht zwischen Postmoderne und Futurismus, IPRax 3/2000, S. 165 m.w.N. 6 Neuesheim/Oppennann (Hrsg.)

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sammenhängende Fragen; das tschechische HGB sieht sogar eine am 1.1.2001 in Kraft getretene Neuregelung der Übernahmeangebote im Aktienrecht vor, welche dem EG-Entwurf der 13. Richtlinie entspricht, der vorläufig noch nicht gebilligt wurde und nach den letzten Informationen sogar im Europäischen Parlament gescheitert ist (vgl. §§ 183a ff. tsch. HGB). Demgegenüber ist die Lage betreffend das Internationale Gesellschaftsrecht unter dem Gesichtspunkt der Tendenzen im Gemeinschaftsrecht und im Recht der EU-Mitgliedstaaten einerseits und im tschechischen Recht anderseits, verschieden. Es scheint, mindestens auf erste Sicht, dass der Weg des tschechischen Rechts im Vergleich mit dem Gemeinschaftsrecht gerade umgekehrt ist. Zu diesem Thema möchte ich in meinem Beitrag kritisch Stellung nehmen. 11. Relativ autonome Stellung des tschechischen internationalen Privatrechts - einschließlich des Internationalen Gesellschaftsrechts - in historischer Sicht 1. Relativ autonome Stellung

Die Grundvorschrift, welche die Normen des internationalen Privatrechts enthält, ist das Gesetz über das Internationale Privat - und Prozessrecht Nr. 97/1963 Slg. i. d. g.F. (lPRG 1963). Diese Vorschrift gilt bis heute in der Fassung, die im Verlauf der Zeit seit dem Inkrafttreten dieser Vorschrift im Jahre 1964 nicht wesentlich geändert wurde, und das nicht einmal trotz bedeutender politischen und wirtschaftlichen Änderungen, die in Tschechien bzw. noch in der Tschechoslowakei erfolgten. Dadurch unterscheidet sich das IPRG 1963 bedeutend von den übrigen tschechoslowakischen privatrechtlichen Vorschriften aus dieser und späterer Zeit. Das internationale Privatrecht nimmt somit eine relativ autonome Stellung ein. So eine Stellung ist ohne Zweifel durch die eigene Natur der Kollisionsnormen gegeben, welche in der Mehrheit von Rechtsordnungen, und zwar ohne Rücksicht auf die gesellschaftlich-politische Lage, oft sehr ähnlich sind. Es sind "gefühlsneutrale" Normen. Wenn sich die Kollisionslösungen unterscheiden, dann scheint es unabhängig von der gesellschaftlich-politischen Lage zu sein. Es bestehen aber andere rechtspolitische Tatsachen, welche eventuelle Unterschiede zwischen Kollisionsnormen einzelner Staaten begründen. 2. Internationales Gesellschaftsrecht - Begriff

Das Personalstatut einer Gesellschaft (Gesellschaftsstatut) wird allgemein als eine Rechtsordnung begriffen, die maßgebend für die Beurteilung der mit einer bestimmten Person verbundenen Rechtsfragen ist, d. h. die Rechts-

Gründungs- und Sitztheorie im tschechischen Gesellschaftsrecht

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ordnung, nach der sich die Entstehung einer Gesellschaft, ihre Rechtsnatur, ihre Rechtsfahigkeit einschließlich der Berechtigung, im Namen der Gesellschaft zu handeln, ihre innere Beziehungen und einige weitere Fragen richten. Zwei Grundprinzipien der Bestimmung des Gesellschaftsstatuts, d.h. des für die Gesellschaft maßgebenden Rechts, sind das Inkorporationsprinzip oder Gründungsprinzip (Gründungstheorie) und das Sitzprinzip (Sitztheorie). Nach der Gründungstheorie ist maßgebend das Recht des Staates, nach dem die Gesellschaft gegründet wurde. Eine Gesellschaft, welche einmal gültig gegründet wurde, kann ihren Sitz in einen anderen Staat verlegen, ohne damit ihre Identität zu verlieren. Das Sitzprinzip beurteilt die Gesellschaft demgegenüber nach dem Recht ihres tatsächlichen Sitzes, Sitzes ihrer Hauptverwaltung usw., das hängt von der konkreten Regelung ab. Ist eine Gesellschaft nach einem anderen Recht gegründet, wird sie grundsätzlich nicht als rechtsfähig anerkannt. In Unterschied zu dem Gründungsprinzip ermöglicht das Sitzprinzip die Verlegung des Sitzes in einen anderen Staat ohne Statutenwechsel nicht. Wenn eine gültig errichtete Gesellschaft ihren Sitz in einen anderen Staat verlegen möchte, wäre es notwendig, dass sie in dem Wegzugstaat aufgelöst und abgewickelt und in diesem neuen Staat (Zuzugstaat) nach dessen Vorschriften neu errichtet würde. Dieser Hauptunterschied zwischen beiden Prinzipien ist nur schematisch, konkrete Regelungen können von diesem Schema durch verschiedene Einschränkungen abweichen. 3. Historische Sicht

Ein kurzer Überblick über die Geschichte des tschechischen Rechtes zeigt, dass die kollisionsrechtliche Regelung der Bestimmung des Gesellschaftsstatuts eine interessante Entwicklung durchgelaufen hat, die offensichtlich noch nicht beendet ist. Die österreichische Regelung, die auch nach dem Entstehen der Tschechoslowakischen Republik im Jahre 1918 in Kraft geblieben ist, ging von dem effektiven Sitzprinzip aus (vgl. §§ 28, 33 und 34 ABGB), was auch einige Entscheidungen des tschechoslowakischen Obersten Gerichtes in den zwanziger Jahren nachweisen. Das Sitzprinzip jedoch fing an, in den Hintergrund zu treten, wie es von der nicht eindeutigen Rechtsprechung und Standpunkten in der Theorie dreißiger Jahren nachgewiesen wird. Nicht einmal die Nachkriegszeit hat eine klare Antwort gebracht - das erste Gesetz über das Internationale Privatrecht Nr. 41/1948 Slg. regelte diese Frage nicht und die damalige Theorie führte ausdrücklich auf, dass im tschechischen Recht keine feste Kollisionsnorm besteht, die eine Anknüpfung in dieser Richtung vorsehen würde. 6*

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Eine wesentliche Änderung trat auf im Zusammenhang mit der großen Kodifizierung der Hauptgebiete des tschechoslowakischen Rechts, in deren Rahmen das Gesetz über das Internationale Privat- und Prozessrecht Nr. 97/ 1963 Slg. (IPRG 1963) und das Gesetzbuch über den internationalen Handel Nr. 101/1963 Slg. (IHG) mit Wirkung ab 1.4.1964 aufgenommen wurden. Das IPRG 1963 enthält keine Kollisionsnorm, die sich mit juristischen Personen oder Gesellschaften beschäftigt. Das IHG 1963, das in Beziehung zu dem IPRG lex specialis ist, verankert ausdrücklich das Gründungsprinzip in reiner Form: "Die Rechtsverhältnisse juristischer Personen sind durch die Rechtsvorschriften geregelt, nach denen sie errichtet worden sind" (§ 8 IHG). Dieses Prinzip geht - wie ich von Zeitzeugen erfahren habe (schriftliche Vermerke habe ich nicht gefunden) - vor allem von dem englischen Rechtssystem aus. Im Jahre 1991 ist das IHG, gleich wie weitere Vorschriften des Handelsund Wirtschaftsrechts, durch das Handelsgesetzbuch Nr. 513/1991 Slg. (tsch. HGB) aufgehoben worden. Das HGB knüpfte in einigen Richtungen eng an die IHG Regelung an, einschließlich der kollisionsrechtlichen Bestimmung des Personalstatuts. Das HGB gilt in einer teilweise novellierten Fassung bis heute. 111. Gründungsprinzip als Ausgangspunkt des heutigen Kollisionsrechts Die grundlegende Bestimmung, von welcher das tschechische Internationale Gesellschaftsrecht ausgeht, ist § 22 HGB: "Die Rechtsfähigkeit, die eine andere als eine natürliche Person laut der Rechtsordnung besitzt, nach der sie gegründet wurde, hat sie auch im Bereich der tschechischen Rechtsordnung. Nach der Rechtsordnung, nach der sie gegründet wurde, richten sich ebenfalls ihre internen Rechtsverhältnisse und die Haftung der Mitglieder der Gesellschafter für ihre Verbindlichkeiten."

Diese Bestimmung ist eine Kollisionsnorm, die auf die vorgehende, im IHG enthaltene Konzeption anknüpft. Anders ist die Benutzung des Begriffes "eine andere als eine natürliche Person", der es ermöglicht, auch solche Gebilde des ausländischen Rechts zu berücksichtigen, die keine (keine volle) Rechtsfähigkeit besitzen. Das Gründungsprinzip wurde in der ehemaligen Regelung des HGB, die bis 2000 in Kraft war, sogar ad absurdum geführt, und zwar im § 24 Abs. 2 HGB, der festlegte, dass die juristische Person mit ausländischer Vermögensbeteiligung nach tschechischem oder einem fremden Recht gegründet werden kann. Diese Bestimmung, durch die erst zusätzlich der ehemalige Regierungsvorschlag aufgrund einer Abgeordneteninitiative ergänzt wurde, sah also die Möglichkeit einer Rechtswahl, und zwar einer unbegrenzten

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Rechtswahl, vor. Infolge einer starken Kritik ist diese Bestimmung mit Wirkung vom 1.1.2001 aufgehoben worden. Die Verlegung des Sitzes einer ausländischen Person ins Inland wird im

§ 26 HGB geregelt, der ursprünglich festlegte:

"Eine nach fremdem Recht zur untemehmerischen Tätigkeit gegründete juristische Person mit Sitz im Ausland kann ihren Sitz auf das Gebiet der Tschechischen Republik verlegen. Voraussetzung ist, dass dies sowohl die Rechtsordnung, nach der sie gegründet wurde, als auch die Rechtsordnung des Staates, in dem sie bisher ihren Sitz hatte, erlauben."

Die Verlegung des Sitzes ins Inland war also unter folgenden Bedingungen möglich: - Die ausländische Gesellschaft musste eine juristische Person sein, die zu dem Zweck der untemehmerischen Tätigkeit gegründet wurde. Es genügte also nicht, das sie "eine andere als natürliche Person", d.h. unter Umständen ein Gebilde mit Teilrechtsfähigkeit oder ohne Rechtsfähigkeit gewesen wäre. - Die Sitzverlegung, die von dem Gesetz offensichtlich als eine Verlegung unter Wahrung der Identität der Gesellschaft verstanden wird, musste von dem Recht des bisherigen Sitzes der Gesellschaft erlaubt werden. Der Sitz wurde dabei, von allen unseren Fachleuten einhellig, als ein tatsächlicher Sitz ausgelegt? Die Sitzverlegung musste weiter von dem Recht, nach welchem die juristische Person gegründet wurde, gestattet sein. Eine formelle Bedingung für die Verlegung des Sitzes einer juristischen Person in die Tschechische Republik, die bis heute gilt, ist die Eintragung in das Handelsregister. Laut § 26 Abs. 3 HGB richten sich die inneren Verhältnisse der juristischen Person auch nach der Sitzverlegung nach der Rechtsordnung, nach der sie gegründet wurde. Nach dieser Rechtsordnung haften auch ihre Mitglieder oder Gesellschaften gegenüber Dritten; diese Haftung darf jedoch nicht geringer sein als die, welche durch die tschechische Rechtsordnung für diese oder eine vergleichbare Gesellschaftsform der juristischen Person vorgesehen ist. Eine interessante Frage, in der sich die tschechische Theorie nicht einig ist, war die Frage, ob eine Sitzverlegung der tschechischen juristischen Person (juristischen Person mit Sitz in Tschechien) ins Ausland möglich sei. Diese Frage war nicht ausdrücklich festgelegt. Ein Teil der Wissenschaft sprach sich dafür aus: das HGB erwähnt diese Sache nicht, woraus geschlossen wurde, dass das HGB deswegen eine Sitzverlegung ins Ausland 2 Die Abgrenzung des Sitzes im HGB hat jedoch den Sitz als einen Satzungssitz begriffen, vgl. die Begriffsbestimmung im § 2 Abs. 3 HGB, nach welchem der Sitz der juristischen Person die Adresse ist, die als Sitz im Handelsregister eingetragen ist.

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nicht untersage. 3 Auf der anderen Seite wurde die Ansicht vertreten, dass die Verlegung ins Ausland, mit Rücksicht auf die Absenz einer ausdrücklichen Regelung im HGB, ausgeschlossen oder mindestens streitig sei. 4 Diese Frage der Verlegung einer juristischen Person aus Tschechien ins Ausland wurde, soweit ich weiß, von den Gerichten nicht entschieden. IV. Das Sitzprinzip im tschechischen Kollisionsrecht und seine schrittweise Durchsetzung Das tschechische Recht geht zwar von dem Gründungsprinzip aus, es wird aber von dem Sitzprinzip korrigiert. Im Vergleich mit der im IHG verankerten Regelung kommt es zu einer gewissen Abschwächung des Gründungsprinzips zugunsten des Sitzprinzips. 1. Haftung der Gesellschafter der aus dem Ausland in die Tschechische Republik verlegten juristischen Person

Ich habe im Sinn die Bestimmung des § 26 Abs. 3 HGB, die verlangt, dass die Haftung der Gesellschafter oder Mitglieder einer in die Tschechische Republik aus dem Ausland verlegten juristischen Person gegenüber Dritten nicht geringer ist, als die durch das tschechische Recht für eine vergleichbare Fonn der juristischen Person festgestellte Haftung. Dadurch wird meines Erachtens der Anwendungsbereich des Rechts, nach dem die Gesellschaft gegründet wurde, zugunsten des Rechts des Sitzes, der sich in der Tschechischen Republik befindet, eingeschränkt. 5 Die angeführte Bestimmung wurde offensichtlich mit dem Ziel des Schutzes Dritter aufgenommen, obwohl der "Schutz" nur sehr vage definiert ist. Der Gesetzgeber hatte hier vor allem das Erfordernis im Sinn, dass das Grundkapital der verlegten Gesellschaft nicht geringer sein sollte, als das, welches von den tschechischen Vorschriften für den gegebenen Gesellschaftstyp, bzw. Typ, dem die verlegte Gesellschaft am nächsten liegt, vorgeschrieben wird. 3 Diese Ansicht wurde vor allem von Prof. JUDr. Z. Kucera, DrSc., Professor des internationalen Privatrechts an der Juristischen Fakultät der Karlsuniversität Prag, Autor von Mezinarodnf pravo soukrome (Internationales Privatrecht), 1999 geäußert. In der Literatur vertreten diese Ansicht Pauknerovti, Spolecnosti v mezinarodnfm pravu soukromem (Gesellschaften im Internationalen Privatrecht), 1998, S. 181 und K. ElitiS, Obchodnf zakonfk (Handelsgesetzbuch), 3. Aufl., 1999, S. 115. 4 Vgl. Peliktinovti, Komentar k obchodnfmu zakonfku (Kommentar zum HGB) I. Teil, 1994, S. 95. 5 In Einzelheiten vgl. die Argumente in: Pauknerovti, Spolecnosti v mezinarodnfm pravu soukromem (Gesellschaften im Internationalen Privatrecht) (oben Fn. 3), S. 153-194.

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2. Novellierung des HGB vom 2000

Das Gründungsprinzip galt deswegen offenbar nicht einmal in der ehemaligen Fassung des HGB ausnahmslos. Weitere Änderungen, die meines Erachtens eine Verschiebung von dem Gründungsprinzip in Richtung Sitzprinzip bedeuten, bringt die umfangreiche Novellierung des HGB von 2000 (Ges. Nr. 370/2000 Slg.), deren Ziel es vor allem war, das tschechische Recht in Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht zu bringen. Das ist zweifellos in einigen Punkten, wie im materiellen Gesellschaftsrecht, oder z. B. in der Regelung von Handelsvertretungen, gelungen. Im internationalen GeseIlschaftsrecht ist es hingegen nicht der Fall. Als Grundlage bleibt das Gründungsprinzip: laut § 22 HGB, der unangetastet blieb, ist das maßgebende Recht, nach dem sich eine andere als eine natürliche ausländische Person richtet, das Recht, nach dem diese Person gegründet wurde. Veränderungen der Rechtsregelung, die aber eine Abschwächung des Gründungsprinzips bringen, stellen meines Erachtens zwei novellierte Bestimmungen dar: die neue Abgrenzung des Sitzes der juristischen Personen und die neue Regelung der Möglichkeit der Sitzverlegung. 3. Abgrenzung des Sitzes juristischer Personen

Der Sitz einer juristischen Person ist laut novelliertem § 2 Abs. 3 HGB "die Adresse, die als Sitz im Handelsregister eingetragen ist. Der Unternehmer ist verpflichtet, seinen tatsächlichen Sitz in das Handelsregister einzutragen. Der tatsächliche Sitz ist die Adresse der Stelle, aus welcher die juristische Person durch ihr statutarisches Organ gelenkt wird." Die so vertretene Definition bezweckt offenbar die Erhöhung des Gläubigerschutzes. Im Unterschied zu der ehemaligen Regelung, die nur einen Satzungssitz vorsah, verankert die Novellierung die Anforderung eines tatsächlichen Sitzes, den sie relativ genau abgrenzt. Der begleitende Bericht zum Entwurf des Gesetzes Nr. 370/2000 Slg., durch welches das HGB geändert wird, führt zu dieser Veränderung an, dass das HGB sich dadurch "dem üblichen Konzept des Sitzes im Ausland nähert"; ein Sitz ist somit keine beliebige von dem Unternehmer bestimmte Stelle, sondern die, welche das tatsächliche Zentrum der Tätigkeit ist. Diese Bestimmung wurde offenkundig mit dem Ziel angenommen, den Unternehmern größeren Schutz zu gewähren, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des in der Praxis erscheinenden Widerspruchs zwischen dem tatsächlichen Sitz und dem Satzungssitz. Der begleitende Bericht führt die Fälle an, wenn die Gläubiger z. B. Reklamationen an einen tatsächlichen (anderen als eingetragenen) Sitz zustellten, aber der Unternehmer damit argumentierte, dass man nicht ordentlich und rechtzeitig reklamiert hatte. 6

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Eine Inspiration zu dieser Novellierung war wahrscheinlich das französische Recht, bzw. rechtliche Regelungen in den Staaten, welche meistens als Vorlage für das tschechische Handelsrecht dienen, d. h. Regelungen, die von dem Sitzprinzip ausgehen (Frankreich, Deutschland). Diese Bestimmung verfolgt also vor allem, wie es scheint, den Gläubigerschutz. Es ist aber außer Zweifel, dass sie mindestens sekundär zugleich das Grundungsprinzip als Prinzip beruhrt, welches sich seinem Wesen nach mit dem Satzungssitz zufrieden geben würde. Aus dieser Definition kann man jedoch - mindestens meiner Ansicht nach - nicht ableiten, dass sie direkt im Widerspruch zu dem Grundungsprinzip stünde: diese Definition an sich verhindert doch eine Sitzverlegung nicht. Letzten Endes spricht auch das schweizerische Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht von 1987 (schweizerisches IPRG), das der tschechischen Rechtskonzeption wohl am nächsten steht, nicht nur über den Sitz, sondern über den "Mittelpunkt der Geschäftsfähigkeit", "centre d' affaires" , vgl. Art. 162 schw. IPRG). Die Kommentatoren zu dem schweizerischen IPRG führen an, dass, obwohl das IPRG mit dem Erfordernis der Verlegung des Mittelpunktes der Geschäftsfähigkeit vom Inkorporationsprinzip abweicht, dieses Erfordernis sich durch die Tatsache rechtfertigt, dass in den meisten kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen in der Regel die Anknüpfung an den tatsächlichen Verwaltungssitz gilt und deshalb nur durch dieses Erfordernis die Anerkennung der Verlegung gewährleistet ist. Und es scheint daher richtig, wie der IPRG-Kommentar anführt, die Gesellschaft strengeren Bedingungen zu unterwerfen als im Fall der (Neu-)Grundung in der Schweiz?

4. Möglichkeit der Verlegung des Sitzes der juristischen Personen

Die Sitzverlegung wird in dem novellierten § 26 HGB geregelt. § 26 Abs. 1 HGB lautet: "Eine nach dem Recht eines fremden Staates zum Zweck einer Unternehmung gegründete juristische Person mit Sitz im Ausland kann ihren Sitz auf das Gebiet der Tschechischen Republik verlegen, wenn dies ein internationaler Vertrag, durch den die Tschechische Republik gebunden ist und der in der Gesetzessammlung veröffentlicht wurde, ermöglicht. Dasselbe gilt für die Verlegung des Sitzes einer tschechischen juristischen Person in das Ausland." 6 Vgl. den begleitenden Bericht zum Entwurf des Gesetzes Nr. 37012000 Slg., durch welches das HGB verändert wird, S. 1,5 und 6. 7 Vgl. Vischer in: Heini u.a. (Hrsg.), IPRG Kommentar, Kommentar zum Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG) vom 1. Januar 1989, 1993, S. 1399 m. w.N. (Reymond).

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Weitere Anforderungen, also insbesondere die Pflicht die Sitzverlegung in das Handelsregister einzutragen, sowie die Frage des maßgebenden Rechts, nach dem sich die inneren Verhältnisse einer solchen Person nach ihrer Verlegung in die Tschechische Republik richten werden, bleiben unverändert (§ 26 Abs. 2 und 3 HGB). Das bedeutet, dass auch weiterhin in dieser Richtung lex incorporationis gelten wird, die Haftung der Gesellschafter oder Mitglieder der verlegten juristischen Person gegenüber Dritten, " ...jedoch die nach dem tschechischen Recht für dieselbe oder ähnliche Form einer juristischen Person festgesetzte Höhe nicht unterschreiten darf." Aus der angeführten Bestimmung § 26 HGB folgt, dass das HGB gleich wie in der ehemaligen Fassung - eine Verlegung ohne Neugründung, mit Erhaltung der Rechtsfähigkeit, im Sinn hat. Neu ist die Möglichkeit der Verlegung einer juristischen Person aus dem Inland ins Ausland, welche die ehemalige Fassung des § 26 GHB ausdrücklich nicht vorsah. Diese Möglichkeit ist aber in beiden Fällen dadurch bedingt, dass es ein internationaler Vertrag ermöglicht - das ist eine neu festgelegte Bedingung, welche die Situation radikal ändert. Der Kommentar zum HGB führt nur lakonisch an, dass die Möglichkeit einer Verlegung des Sitzes einer juristischen Person aus dem Ausland und in dasselbe einen gegenständigen Schritt für die Subjekte mit internationalem Tätigkeitsbereich bedeutet und dass eine Bindung dieser Möglichkeit auf die von einem internationalen Vertrag festgelegten Bedingungen es ermöglicht, die Grundsätze der Gegenseitigkeit zu beachten und die Rechtssicherheit zu stützen; in diesem Zusammenhang kann man nicht einmal die fiskalische Interessen des Staates übersehen. 8

5. Verlegung des Sitzes aus dem Ausland in die Tschechische Republik

Die Bedingungen, unter denen man den Sitz einer ausländischen Person in die Tschechische Republik verlegen kann, sind aufgrund der Analyse von § 26 HGB i. V. m. § 2 Abs. 3 HGB wie folgt: - Es kann dies nur eine juristische Person tun, die nach dem Recht des ausländischen Staates zum Zweck einer Unternehmung gegründet wurde, und die ihren Sitz im Ausland hat. Es genügt also nicht, wenn dies nur "eine andere als natürliche Person" im Sinne § 22 HGB wäre; es muss sich direkt um eine juristische Person handeln. - Als Sitz ist ein tatsächlicher Sitz zu verstehen. 8 Vgl. Zunt, in: Stenglova/Plfva/Tomsa u. a., Obchodnf zäkonfk. Komentar (Handelsgesetzbuch. Kommentar). 6. Aufl. 2001, S. 77.

90

Monika Pauknerov3.

- Die Verlegung des Sitzes einer ausländischen Person ins Inland verlangt keine spezielle Genehmigung. 9 Sie muss jedoch durch einem internationalen Vertrag zugelassen sein. - Die Verlegung muss in das Handelsregister eingetragen werden und ist erst ab dem Tage dieser Eintragung wirksam. - Die Haftung der Gesellschafter oder Mitglieder der verlegten juristischen Person Dritten gegenüber darf nicht geringer sein, als das tschechische Recht für dieselbe oder ähnliche Form einer juristischen Person festlegt. 6. Verlegung des Sitzes aus der Tschechischen Republik ins Ausland

- Eine tschechische juristische Person kann ihren Sitz ins Ausland verlegen, wenn dies ein internationaler Vertrag ermöglicht. - Die Verlegung muss in das Handelsregister eingetragen werden und ist erst ab dem Tage dieser Eintragung wirksam. Daraus kann man meines Erachtens schließen, dass im tschechischen Recht, was die allgemeine im HGB enthaltene Regelung betrifft, das Gründungsprinzip von dem Sitzprinzip in drei bedeutenden Punkten durchgebrochen ist: (i) Die Haftung der Gesellschafter der aus dem Ausland in die Tschechische Republik verlegten juristischen Person: maßgebend für die minimale Höhe der Haftung ist das tschechische Recht als Recht des Sitzstaates, obwohl die juristische Person sich auch im weiteren nach dem Gründungsrecht richten wird (§ 26 Abs. 3 in fine HGB) (ii) Die Abgrenzung des Sitzes: der Sitz ist ausdrücklich als tatsächlicher Sitz definiert, für eine Identifikation einer Gesellschaft genügt daher der Satzungssitz allein nicht (§ 2 Abs. 3 HGB). (iii) Die Verlegung des Sitzes einer juristischen Person aus einem Staat in einen anderen mit Erhaltung ihrer Identität ist von der Existenz eines internationalen Vertrages abhängig (§ 26 Abs. 1 HGB), wodurch dieselbe praktisch verhindert wird (siehe weiter).

v.

Zusammenstoß des Gründungsprinzips und des Sitzprinzips in der Regelung der Sitzverlegung ins Ausland

Die Beantwortung der Frage, ob eine Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft aus dem Ausland ins Inland ohne Statutenwechsel, d. h. ohne Änderung des maßgebenden Rechts möglich ist, ist im Wesentlichen das, was 9

Zunt, (oben Fn. 8).

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konkret beide Prinzipien der Bestimmung des Gesellschaftsstatuts unterscheidet. Während das Gründungsprinzip eine Sitzverlegung aus einem Staat in einen anderen grundsätzlich ermöglicht, gestattet das Sitzprinzip diese Möglichkeit grundsätzlich nicht. Die Realität, d. h. eine konkrete Regelung, kann selbstverständlich unterschiedlich sein, das Gründungsprinzip kommt oft nicht in der klassischen Form vor, aber in einer teilweise - mehr oder weniger modifizierter Form zugunsten des Sitzprinzips. Und ebenfalls im Rahmen der Regelungen, die vom Sitzprinzip ausgehen, treten Fälle auf, in denen eine Sitzverlegung ermöglicht wurde (z. B. in Belgien). Die bisherige tschechische Regelung ermöglichte laut § 26 HGB eine Sitzverlegung in die Tschechische Republik unter der Bedingung, dass die juristische Person berechtigt war, ihren Sitz nach dem Recht ihres Sitzes und unter Umständen auch nach ihrem Gründungsrecht zu verlegen, wenn sich diese zwei Rechtsordnungen unterscheiden. Die Bedingung war nur eine Angleichung der Regelung der Haftung der Gesellschafter oder Mitglieder gegenüber Dritten an das tschechische Recht. Demgegenüber bringt die novellierte Regelung, in Kraft seit Anfang 2001, eine wesentliche Veränderung: die Hauptbedingung ist die Existenz eines internationalen Vertrages, der so eine Verlegung ermöglicht. Der begleitende Bericht führt dazu aus, dass diese neue Regelung "eine Sitzverlegung einer nach ausländischem Recht gegründeten Person nur bei Erhaltung der Gegenseitigkeit und unter den im internationalen Vertrag bestimmten Bedingungen ermöglicht und ebenfalls das Rechtsregime der Verlegung des Sitzes der tschechischen Personen ins Ausland (gegenseitig) regelt.,,10 Die Frage der internationalen Verträge, die eine Sitzverlegung ermöglichen, ist prinzipieller Natur und ich bin nicht sicher, ob der tschechische Gesetzgeber die Verankerung dieser Bedingung bis zum Ende durchgedacht hat. Die ersten Kommentare zum HGB wiederholen nur das in dem begleitenden Bericht enthaltene Wort "Gegenseitigkeit"; ich muss ganz offen sagen, dass bisher niemand imstande war, meine Frage zu beantworten, welchen "internationalen Vertrag" das HGB im Sinn hat. Welche internationalen Verträge würden daher in Frage kommen? Soweit mir bekannt ist, bestehen internationale, regelmäßig bilaterale Verträge, die sich unter anderem auch mit der Anerkennung von Gesellschaften bzw. juristischen Personen des Vertragsstaates befassen. Zu solchen Verträgen gehören insbesondere Niederlassungsverträge und Investitionsförderungsverträge. Im EWG-Rahmen wurde seinerzeit ein EWG-Übereinkommen über die Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen vom 29.2.1968 vorbereitet, das aber nie von den Niederlanden ratifiziert wurde

10

Vgl. den angeführten begleitenden Bericht, S. 9.

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und heute keine Aussicht auf das Inkrafttreten hat. 11 Ebenso wie dieses sog. Brüsseler Übereinkommen berühren auch andere multilaterale internationale Übereinkommen, wie das Haager Abkommen über die Anerkennung der Rechtspersönlichkeit ausländischer Gesellschaften, Personenverbindungen und Stiftungen von 1.6.1956 und das Straßburger Europäische Übereinkommen über Niederlassung von Gesellschaften von 20.1.1966 nur die Anerkennung der Gesellschaften, nicht aber die Sitzverlegung. Ähnlich muss man meines Erachtens auch das Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den EG und ihren Mitgliedstaaten und der Tschechischen Republik vom 4.10.1993, das auch nur die bloße Anerkennung der Subjekte aus den Vertragsparteien berührt, beurteilen. Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) hat allein eine ähnliche Bestimmung in Art. 48 EG (Art. 58 EGV a. F.). Was die Anerkennung der ausländischen Gesellschaften betrifft, kann man in Beziehung auf das tschechische Recht unter diesem Gesichtspunkt die Bestimmung des § 22 HGB, die das Gründungsprinzip verankert, für ausreichend halten. Auch wenn dies nicht der Fall wäre, berühren die in den internationalen Verträgen enthaltenen Bestimmungen über die Anerkennung von ausländischen Gesellschaften, die ich erwähnt habe, jedoch m. E. eine Sitzverlegung nicht; 12 als "internationale Verträge" im Sinn des § 26 HGB können diese Verträge nicht beurteilt werden. Welche anderen internationalen Verträge könnten also in Frage kommen? Hat der Gesetzgeber an sogenannte Übereinkommen europäischen Charakters laut Art. 293 EG (Art. 220 EGV a.F.) gedacht, oder hat er sich von französischem Recht inspirieren lassen (vgl. Art. 154 Code de Commerce)? Eine Inspiration - als die Bedingung eines "internationalen Vertrages" könnte man insbesondere im schweizerischem Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht suchen, das seinem Konzept nach dem tschechischen Recht näher steht als den vom Sitzprinzip ausgehenden Regelungen. Unter dem Gesichtspunkt des tschechischen Rechts bleibt diese Frage gegenwärtig offen. Persönlich glaube ich, dass die novellierte Bestimmung des § 26 HGB über die Sitzverlegung einen nicht organischen Einbruch in die traditionelle tschechoslowakische Konzeption der Bestimmung des Per11 V.~l. in Einzelheiten Drobnig, Kritische Bemerkungen zum Vorentwurf eines EWG-Ubereinkommens über die Anerkennung von Gesellschaften, ZHR 1966, S. 93 ff.; Goldman/Lyon-Caen, Droit commercial europeen, 1983, S. 191-203; Timmermans, Die europäische Rechtsangleichung im Gesellschaftsrecht, RabelsZ 1984, S. 39 ff. m.w.N. u.a. 12 Vgl. z. B. Steiger, Identitätswahrende Sitzverlegung von Gesellschaften aufgrund bilateraler Staatsverträge?, RIW 1999, S. 170 ff.; in der tschechischen Literatur Pauknerowi, Spolecnosti v mezinarodnfm pravu soukromem (Gesellschaften im Internationalen Privatrecht) (oben Fn. 3), S. 64 ff. m. w. N.

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sonalstatuts aufgrund des Inkorporationsprinzips bedeutet. Es ist notwendig, diese in dieser Richtung kritisch zu beurteilen, sie bedeutet einen Schritt zurück.

VI. Schlussbemerkungen - Konfrontation der Entwicklung des tschechischen Rechts mit der Entwicklung in der EU Die Entwicklung des tschechischen Kollisionsrechts im Bereich des Internationalen Gesellschaftsrechts ist der neuesten Entwicklung des Kollisionsrechts im Rahmen der EU gegenüberzustellen. Was das neue tschechische Recht betrifft, so war das Ziel der Novellierung des HGB von 2000 zweifellos vor allem eine weitere Angleichung des tschechischen Rechts an das Gemeinschaftsrecht und dieses Vorhaben ist in einer Reihe von Fällen wirklich erfüllt worden. Die neue tschechische Regelung strebte in § 26 HGB offensichtlich danach, Art. 293 EG (Art. 220 EGV a.F.) vorwegzunehmen, der die Möglichkeit eines Gemeinschaftsübereinkommens zwischen den EU-Mitgliedstaaten über eine identitätswahrende Sitzverlegung der Gesellschaften von einem in einen anderen EU-Mitgliedstaat verankert.

In der Europäischen Union ist inzwischen eine bedeutsame Verschiebung im Bereich der Möglichkeit einer Sitzverlegung der Gesellschaften von einem in einen anderen EU-Mitgliedstaat vorgekommen. Wie immer wir die Reichweite der EuGH-Entscheidungen in der Sache "Daily MaiI" vom 27.9.1988 (81/87, Slg. 1988, 5484) und insbesondere in der Sache "Centros Ltd." vom 9.3.1999 (C-212/97, Slg. 1999,1-1459) beurteilen, ist es notwendig festzustellen, dass diese Sache "in Bewegung" ist und dass sich die Ansichten weiter entwickeln. Und offenbar muss man anerkennen, dass sie sich vielmehr zugunsten des Gründungsprinzips entfalten. Ich möchte erinnern, wie die Fragen, welche Gegenstand der aktuellen Diskussion in Deutschland sind, formuliert werden: es handelt sich vor allem um die Vereinbarkeit der Sitztheorie mit Art. 43 EG (Art. 52 EGV a. F.) und Art. 48 EG (Art. 58 EGV a.F.). Die Diskussion in Deutschland betrifft in der letzten Zeit insbesondere den Beschluss des Amtsgerichts Heidelberg vom 3.3.2000, der dem EuGH die Fragen der Möglichkeit einer Sitzverlegung einer nach deutschem Recht wirksam errichteten und im deutschen Register eingetragenen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (deren alleinige Gesellschafterin eine spanische Firma ist) nach Spanien vorgelegt hat. 13 Von Interesse ist auch der Beschluss des BGH vom 30.3.2000 mit der Vorlagefrage an den EuGH, ob das Gemeinschaftsrecht (Art. 43 und Art. 48 EG) zur Aufgabe der SitztheoI3

Vgl. EuZW 13/2000, S. 414-416, m. Anmerkungen von Behrens.

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rie zwingt. 14 Ein jüngst erlassener Beschluss des österreichischen Obersten Gerichtes führt direkt an, dass die im § 10 österreichischen IPRG verankerte Sitztheorie mit der durch Art. 58 EGV (jetzt Art. 48 EG) i. V. m. Art. 52 EGV (jetzt Art. 43 EG) eingeräumten sekundären Niederlassungsfreiheit im Widerspruch steht. 15 Man muss zur Kenntnis nehmen, dass es sich nur um Fälle im Rahmen der EU handelt, die sich bemüht, das Gesellschaftsrecht schrittweise, und zwar mit einem hohen Schutzniveau, zu harmonisieren. Die jüngste Entwicklung deutet an, dass eine identitätswahrende Sitzverlegung der Gesellschaften aus einem Staat in einen anderen ausdrücklich ermöglicht wird, wie es der Entwurf der 14. Richtlinie über die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat mit Wechsel des für die Gesellschaft maßgebenden Rechts vom 22.4.1997,16 sowie der Vorschlag einer Verordnung über die "Societas Europea,,17 vorsehen. Im Licht der harmonisierten EG-Regelungen können wir also zu dem Schluss gelangen, dass das Sitzprinzip auf der EG-Ebene wahrscheinlich schrittweise verlassen und durch das Gründungsprinzip ersetzt wird. Aus dem "Centros" Urteil allein kann man jedoch meines Erachtens einen solchen Schluss nicht ziehen. 18 Ich möchte betonen, dass ich persönlich die jüngste Entwicklung in der Rechtsprechung des EuGH und der Gerichte der EU-Mitgliedstaaten vielmehr zurückhaltend schätze. Zugleich sollte ich hinzufügen, dass die angedeuteten Überlegungen an den Regelungsstandard dank Harmonisierung des Gesellschaftsrechts der EU-Mitgliedstaaten gebunden sind und daher außerhalb des EU-Rahmens noch nicht einfach übernommen werden können. Die Frage des Vergleichs von Gründungsprinzip und Sitzprinzip ist nicht nur theoretisch, sondern hat auch bedeutsame ökonomische und politisch juristische Konsequenzen, die einen breiteren Bereich der Rechtsregelung beeinflussen. Die Diskussion in der EU, ebenso wie die Diskussion in den EU-Mitgliedstaaten, ist bei weitem nicht beendet. Ich hoffe, dass nicht einmal eine Diskussion in der Tschechischen Republik beendet sein wird, über die man vorerst nichts anderes als das feststellen kann, dass sich das tschechische Recht in der kollisionsrechtlichen Frage der Sitzverlegung auf einen dem Gemeinschaftsrecht entgegengesetzten Weg gemacht hat.

Vgl. RIW 7/2000, S. 555-557. Vgl. OGH, Beschluss vom 15.7.1999 - 6 Ob 123/99, RIW 5/2000, S. 378 ff. 16 Vgl. ZIP 1997, S. 1721. 17 Der Beitrag wurde im September 2001 abgeschlossen. 18 In der tschechischen Literatur vgl. Pauknerowi, Svoboda usazovan( obchodnfch spolecnostf v Evropske unii (Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften in der EU), Pravn( rozhledy 9/2001, Pi110ha Evropske pravo (Beilage Europäisches Recht), S. 1 ff. m. w. N. 14 15

Die Bedeutung des Vorabentscheidungsverfahrens für das europäische Privat- und Verfahrensrecht l Von Burkhard HeB, Tübingen

I. Einleitung Das Vorabentscheidungsverfahren befindet sich im Umbruch: Die steigende Zahl der Vorlagen kann der Gerichtshof nicht mehr bewältigen, die Verfahrensdauer nimmt kontinuierlich zu 2 • Die "Vergemeinschaftung" zusätzlicher Politikbereiche und der Beitritt neuer Mitgliedstaaten zur Gemeinschaft führen zu weiterer Mehrbelastung. Zugleich werden die Verfahrenshandhabung und die Rechtsprechung des EuGH in den Mitgliedstaaten sehr grundsätzlich kritisiert. Die Krise des Vorabentscheidungsverfahrens hat in den 90er Jahren eine intensive Diskussion über dessen Reform ausgelöst3 , die die Verträge von Amsterdam4 und Nizza5 aufgegriffen haben. Die Reform der Europäischen Gerichtsbarkeit durch den Vertrag von Nizza wird die Handhabung des Art. 234 EG durch die nationalen Gerichte und den EuGH nachhaltig verändern. Das folgende Referat will diesen Entwicklungen aus prozessualer Sicht nachgehen. Im Anschluss an eine frühere Studie6 werden die Schnittstellen zwischen den nationalen Prozessrechten und dem Vorabentscheidungsverfahren untersucht. Dabei beschränke ich mich auf das Privatrecht, unter Einbeziehung der Gemeinschaftskompetenz im internationalen Privat und Verfahrensrecht im IV. Teil des EG-Vertrags 7 . Eine erweiterte Fassung des Vortrags findet sich in RabelsZ 2002, S. 470 ff. Sie beträgt derzeit durchschnittlich 21 Monate. Zusammenfassung der aktuellen Probleme im Reflexionspapier des EuGH vom 28.5.1999, Die Zukunft des Gerichtssystem der EU, EuZW 1999, 750 ff.; "Due-Report" der Reflexionsgruppe der Kommission, Sonderbeilage NJW 1912000. 3 Rasmussen, Remedying the grumbling EC-Judicial System, CMLR 2000, S. 1071 ff.; Rodriguez 19lesias, EuGH und nationale Gerichtsbarkeit, NJW 2000, S. 1889 ff.; zuletzt Lipp, Europäische Justizreform, NJW 2001, S. 2657 ff. 4 Amsterdamer Vertrag vom 2.10.1997, BGBI. 199811 387. 5 ABI. EG C 2001 Nr. 80, S. 1 ff. 6 Heß, Einwirkungen des Vorabentscheidungsverfahrens auf das deutsche Zivilprozessrecht, ZZP 1995, S. 59 ff. 7 Zu diesen vgI. Heß, NJW 2000, S. 23 ff.; ders., JZ 2001, S. 573 ff. I

2

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11. Perspektiven im Vorabentscheidungsverfahren Das Vorabentscheidungsverfahren beruht, trotz den Formeln vom "Kooperationsverhältnis" und der "Zusammenarbeit" zwischen den vorlegenden Gerichten und dem EuGH8 auf einer klaren Trennung von Ausgangs- und Vorabentscheidungsverfahren9 . Dies impliziert unterschiedliche Perspektiven, nämlich die des vorlegenden Gerichts, das vom Ausgangsfall her und aus der Systematik des nationalen Rechts die Vorlagefrage stellt, und die des Gerichtshofs, der über den Anlassfall hinaus für die einheitliche Anwendung und Fortbildung des Gemeinschaftsrechts verantwortlich ist. 1. Die Sicht des Gemeinschaftsrechts

a) Funktionen des Vorabentscheidungsveifahrens

Die gemeinschaftsrechtliche Sicht wird von den Zwecken des Art. 234 EG geprägt. Nach ständiger Rechtsprechung wahrt das Vorabentscheidungsverfahren nicht nur die Einheit des Gemeinschaftsrechts (vgl. Art. 220 EG), sondern ist auch ein Instrument des Individualrechtsschutzes 10. Zwischen diesen Verfahrenszwecken besteht ein Spannungsverhältnis l1 . Auch die aktuelle Diskussion um die Entlastung des EuGH dreht sich bekanntlich um diese Gesichtspunkte. Dabei zeichnet sich eine Verstärkung der objektiven Prozesszwecke ab l2 . Institutionelle Änderungen beschneiden den "Zugang zum EuGH", vor allem die beschränkte Vorlagebefugnis letztinstanzlicher Gerichte nach Art. 68 I EG 13 , aber auch das von den Mitgliedstaaten einschränkbare Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 35 EU 14 • Das im Vertrag von Nizza geschaffene, zweistufige Vorabentscheidungsverfahren zur 8 Diese Tenninologie setzt sich im Anschluss an das Maastricht-Urteil des BVerfG (E 89, 155, 175) zunehmend durch. Der EuGH spricht vom "Geist der Zusammenarbeit" zwischen Vorlagegericht und Gerichtshof, Rs. 16/65, Schwarze, Slg. 1965, S. 1152, 1165; Rs. C-231189 Gmurzynska-Bscher/OFD Köln, Slg. 1990, S. 4003, 4017; Zuleeg, RdA 1996, S. 73, 77. 9 Rodriguez 19lesias, NJW 2000, S. 1889. 10 Über die Vorlage der Gerichte der Mitgliedstaaten können sich die Parteien des Ausgangsverfahrens an den Gerichtshof wenden, um ihre vom Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechte durchzusetzen, EuGH, Rs 26/62, van Gend & Loos, Slg. 1963, 1 - seitdem st. Rspr. Vgl. dazu Tesauro, The European Court and National Courts, YbEL 1993, S. 1, 5 ff.; Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Gebot des Europäischen Gemeinschaftsrechts (1997), S. 263 ff. 11 Dazu Hergenröther, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, 1995, S. 72ff. 12 Bamard/Sharpstone, The Changing Face of ArticIe 177 References, CMLR 1997, S. 1113, 1122 ff.; dazu bereits Heß, ZZP 1995, S. 59, 75 f. 13 Dazu unten bei III.3.a).

Vorabentscheidungsverfahren im Privat- und Verfahrensrecht

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Wahrung der Kohärenz des Gemeinschaftsrechts (Art. 225 III EG n.P.) entspricht ebenfalls dieser Entwicklung l5 . Diese institutionellen Änderungen gehen einher mit einer Akzentverschiebung bei der Aufgabenverteilung zwischen EuGH und mitgliedstaatlichen Gerichten. Nach der Rechtsprechung des EuGH gewähren letztere als "dezentrale Gemeinschaftsgerichte" den Einzelnen effektiven Rechtsschutz I 6. Der Gerichtshof nimmt im Vorabentscheidungsverfahren vor allem Aufsichtsfunktionen wahr 17 und entscheidet über die Auslegung und Fortbildung des Gemeinschaftsrechts l8 . Die damit einhergehende Reduktion der Rechtsschutzfunktion entspricht der zurückgenommenen Judikatur des EuGH zur justiziellen Rechtsangleichung, die gleichfalls in den 90er Jahre eingesetzt hat l9 . Diese Entwicklung nimmt Vorschläge der Literatur, das Vorabentscheidungsverfahren auf die Gerichte der Mitgliedstaaten zurückzuverlagem, teilweise vorweg 20 . b) Die Verfahrensautonomie nationaler Gerichte beim Vollzug des Art. 234 EG

Mangels eines originären Prozessrechts der EU wenden die Gerichte der Mitgliedstaaten bei der Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts ihr jeweiliges Verfahrensrecht an21 . Das gilt auch für das Ausgangsverfahren im Vorabentscheidungsverfahren. Der EuGH spricht vom "Grundsatz der Verfah14 Dazu Knapp, DÖV 2001, S. 12, 13 f., Classen, Die Jurisdiktion des EuGH nach Amsterdam, EuR Beih. 111999, S. 73, 83 ff. 15 Vgl. unten III.3.b). 16 Dazu Kahl, in: Ruffert/Callies Art. 10 EGV (1999), Rdn. 33 m. w. N.; Temple Lang, The Duties of National Courts under Comrnunity Constitutional Law, ELR 1997, S. ,3, 15 ff.; Tesauro, YbEuL 1993, S. I, 12 ff.; Rodriguez Iglesias, NJW 2000, S. 1889, 1890. 17 So beispielsweise über die Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Grenzen des Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ, EuGH, Rs. C-38/98, Renault Usines, Tz. 27, IPRax 2001, S. 328, 330. 18 Diese neuere Akzentuierung hat selbstverständlich nicht zur Folge, dass die Funktion des Vorabentscheidungsverfahrens, Individualrechtsschutz zu gewähren, ganz entfallen wäre. 19 Roth, in: Müller-Graff/Roth, Recht und Rechtswissenschaft, 2001, S. 351, 366; Rasmussen, CMLR 2000, S. 1071, 1082, spricht treffend von "minimalist judicial role in the [policy] making". 20 Zuletzt Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2662 f. 21 EuGH, Rs. 33/76, Rewe, Sig. 1976, S. 1989, 1998; verb. Rs. C-430/93, 431193, van Schijndel und van VeenlStichting Pensioenfonds voor Fysiotherapeuten, Slg. 1995, S. 1-4705, Tz. 21 f.; Rs. C-312/93, PeterbroecklBelgien Slg. 1995, S. 1-4599; Rs. C-126/99, Ecco SwisslBenetton International NV, Slg. 1999, S. 1-3095, Tz. 44-46; verb. Rs. C-240/98-244/98, Oceano Group Editorial SA, RIW 2000, S. 700, Tz. 29. 7 Nettesheim/Oppennann (Hrsg.)

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rensautonomie der Mitgliedstaaten,m. In der Sache geht es hier um eine untechnische "Kollisionsnorm", die dem lex fori-Prinzip im IZVR ähnelt 23 . Jedoch steht die Anwendung des nationalen Prozessrechts unter Mindestvorbehalten der Gleichbehandlung und der Effektivität24 . Nichtdiskriminierung und Effektivität sind grobmaschige Maßstäbe, die dem EuGH erheblichen Spielraum bei der Kontrolle der nationalen Prozessrechte eröffnen. Anders als beim "Vorrang" oder bei der "unmittelbaren Anwendbarkeit" setzt sich hier das Gemeinschaftsrecht nicht gegen das nationale Verfahrensrecht durch, sondern verlangt lediglich die Einhaltung von Mindeststandards (Nichtdiskriminierung und Effizienz). Diese werden weiter dadurch abgeschwächt, dass der EuGH die gemeinschaftsrechtlichen Vorbehalte gegen die jeweiligen Zwecke der nationalen Verfahrensregelung abwägt25 . Dabei hat der EuGH den "Gerechtigkeitsgehalt" verfahrensrechtlicher Normen gerade in Bezug auf das Zivilprozessrecht wiederholt anerkannt26 . Hinter dem Grundsatz der Verfahrensautonomie verbirgt sich letztlich das Gebot einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung nationalen Prozessrechts 27 • Daher wirkt das Gemeinschaftsrecht nur im Rahmen vorhandener Interpretationsspielräume auf das anwendbare Verfahrensrecht ein28 . Präklusionsregeln und Ausschlussfristen, Dispositions- und Beibringungsgrundsatz im Zivilverfahren bleiben grundsätzlich bestehen. Richterliche Ermessensspielräume und prozessuale GeneralklauseIn müssen jedoch zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts genutzt werden 29 - das übrigens gilt auch für das Vorlageermessen nach Art. 23411 EG30 . Nur in Extremfällen, wenn die 22 Ähnlich Cahn, ZEuP 1998, S. 974 f.: "Verweisung" auf das jeweilige nationale Verfahrensrecht. Anwendbares Verfahrensrecht kann auch sekundäres Gemeinschaftsrecht sein, beispielsweise Art. 34 Nr. I, 40 ff. VO 44/01/EG, dazu EuGH, Rs. C-38/98 Renault Usines, Tz. 32-34. 23 Anders Rodriguez Iglesias, EuGRZ 1997, S. 289 ff., 295, der eine "tiefe, wechselseitige Durchdringung" von Gemeinschaftsrecht und nationalem Verfahrensrecht konstatiert. 24 Dazu Kahl, in: Ruffert/Callies, Art. 10 EG, 1999, Rdn. 24; van Gerven, On Rights, Remedies and Procedures, CMLR 2000, S. 501 ff. 25 Biondi, CMLR 1999, S. 1271, 1282 ff.; Prechal, CMLR 1995, S. 681, 690, spricht von einer "procedural rule of reason"; ablehnend Hinsworth, ELR 1997, S. 291, 307 f.: "vague standard and considerable uncertainty in the law". 26 EuGH Rs. C-430 und 431/93, van Schijndel, Sig. 1995, S. 1-4705, Tz. 21, dazu Rodriguez Iglesias, EuGRZ 1997, S. 289, 293. 27 Heß, IPRax 2001, S. 301, 304, zur Übertragung dieses Grundsatzes auf die Auslegung von Art. 27, 34 III EuGVÜ. 28 Dies erklärt die unterschiedliche Einwirkungsintensität des Gemeinschaftsrechts auf die nationalen Prozessrechte - freilich immer unter dem Vorbehalt von Gleichbehandlung und Effektivität, dies berücksichtigt die Kritik von Weyer, EuR 2000, S. 145, 152, nicht hinreichend.

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nationalen Prozessrechte keine Rechtsbehelfe eröffnen und damit die Anrufung des Gerichtshofs nach Art. 234 EG praktisch vereiteln, setzt sich das Gemeinschaftsrecht durch 31 . Diese Rechtsprechung zeigt m.E. einen bemerkenswerten Respekt des EuGH vor den Systemzusammenhängen der nationalen Verfahrensrechte - sogar um den Preis einer nicht ganz einheitlichen Geltung des Gemeinschaftsrechts in den Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten32 . 2. Die Perspektive des nationalen Rechts

a) Die Krise des Vorabentscheidungsverfahrens im Zivilrecht Aus der Sicht des deutschen Privatrechts ist eine nachhaltige Krise des Vorabentscheidungsverfahrens zu konstatieren. Sie äußert sich in der mangelnden Vorlagebereitschaft deutscher Zivilgerichte, einschließlich des BGH 33 . Die zunehmende "Europäisierung" des Privatrechts hat nämlich bisher kein entsprechendes Ansteigen der Vorlagen aus der Zivilgerichtsbarkeit bewirke 4 . Dies verdeutlicht die aktuelle Statistik: Zwischen dem 1.1.1998 29 Bei der Anwendung des Art. 234 11 EG müssen beispielsweise die nationalen Instanzgerichte - gerade bei unstreitiger Tatsachensituation und umstrittener Rechtslage auf Gemeinschaftsebene - ihr Vorlageermessen dahin reduzieren, dass sie (schon im Interesse eines zeitgerechten Rechtsschutzes) die Vorlagefrage sofort stellen und die Parteien nicht auf den langwierigen Instanzenweg verweisen. Allerdings ist das gemeinschaftsrechtliche Effektivitätsprinzip nicht justiziabel: Denn ein Rechtsbehelf gegen die Nichtvorlage des Instanzgerichts steht den Parteien des Ausgangsverfahrens nach deutschem Zivilprozessrecht regelmäßig nicht zu, die Nichtvorlage kann nur im Rechtsbehelfsverfahren gerügt werden, dazu Heß, ZZP 108 (1995), 59,97 ff. 30 Zuletzt EuGH, Rs. C-394/98, Masterfood, EuZW 2001, S. 113. 31 Beispiel: EuGH, Rs. C-213/89, Factort~me Ltd, Slg. 1990, S. 1-2433; van Gerven, CMLRev. 2000, S. 501, 522 ff., unterscheidet zwischen "remedies" und "procedure" bei der Durchsetzung gemeinschaftsrechtlicher Positionen und konstatiert Einflüsse des Gemeinschaftsrechts im Bereich der "remedies", nicht bei den "procedures". Zwar erscheint diese Abgrenzung für das deutsche Prozessrecht wenig aussagefähig, die Grundtendenz jedoch zutreffend. 32 Dieses Ergebnis konstatiert auch Heiderhoff, ZEuP 2001, S. 276, 289 ff., als Resultat einer Untersuchung der Anforderungen des Gemeinschaftsrechts an ein Verbraucherprozessrecht; ebenso van Gerven, CMLRev. 2000, S. 501, 526 ff. 33 Mit Ausnahme des I. Zivilsenats, der im Zeitraum zwischen 1998 und Mitte 2001 mehr als die Hälfte aller Vorabentscheidungsersuchen dem Gerichtshof vorgelegt hat. A. A. Pfeiffer, Richtlinien der EU und ihre Umsetzung, in: Hohloch (Hrsg.), Richtlinien der EU, 2001, S. 9, 23 (Vorlagebereitschaft habe sich erhöht). 34 So auch Basedow, Die Klauselrichtlinie und der Europäische Gerichtshof, in: Schulte-Nölke/Schulze, Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte, 1999, S. 277 ff.; Brandner, FS Rechtsanwaltschaft BGH, 2000, S. 299, 311 ff.; Ulmer, BB 1998, S. 1865 f.

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und dem 31.5.2001 haben der BGH achtzehnmal, Oberlandesgerichte dreimal und Land- bzw. Amtsgerichte sechsmal das Verfahren nach Art. 234 EG eingeleitees. Der EuGH ist also - trotz anderslautender Befürchtungen 36 - nicht zur "Superrevisionsinstanz in Zivilsachen" avanciert. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man nach dem Gegenstand der Ersuchen fragt: Der ganz überwiegende Teil betraf den gewerblichen Rechtsschutz, insbesondere die Markenrichtlinie (RL 89/l04/EWG)37. Im Gesellschaftsund im Verbraucherrecht kommt es hingegen kaum zu Vorlagen, trotz der langjährigen bzw. zunehmenden Vergemeinschaftung der Rechtsgebiete38 . Anders als in der Arbeitsgerichtsbarkeit ist zudem die Bereitschaft der Instanzgerichte wenig ausgeprägt, den Gerichtshof nach Art. 234 11 EG anzurufen 39 . Die überwiegende Literatur in Deutschland kritisiert die mangelnde Vorlagebereitschaft der Fachgerichte kaum. Ganz im Gegenteil: Ablehnung gilt dem EuGH, vor allem dessen apodiktischem Urteilsstil und (angeblich) unzureichenden Begründungen4o . Darüber hinaus wird dem Gerichtshof "mangelnde Sachkenntnis" im Privatrecht und eine fehlende Dialogbereitschaft vorgehalten41 • Eingefordert wird vor allem ein anderer Argumentationsstil des Gerichtshofs 42 und eine verstärkte Auseinandersetzung mit den Die Zahlen beruhen auf einer im August 2001 durchgeführten juris-Recherche. Canaris, EuZW 1994, S. 417; Schulze-Osterloh, ZGR 1995, S. 170, 174 (Fn. 35). 37 Das entspricht der bisherigen Rechtsentwicklung. Zivilrechtliche Schwerpunkte betrafen das Handels- und Gesellschaftsrecht, das Immaterialgüterrecht sowie das Lauterkeitsrecht; vgl. die umfassende Auswertung der Rechtsprechung bei Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts (1998), S. 167-432. 38 Eine lobenswerte Ausnahme ist der Beschluss des VII. Zivilsenats vom 30.3.2000, IPRax 2000, S. 423, der die innerstaatliche Diskussion zur Reichweite des Centros-Urteils des Gerichtshofs (Rs. C-212/97, Slg. 1999, S. 1-1459) aufgegriffen hat und den EuGH nach der Vereinbarkeit der Sitztheorie mit Art. 43, 48 EG fragt. Vorausgegangen war freilich ein Vorlageersuchen des AG Heidelberg, IPRax 2000, S. 425, das der Gerichtshof inzwischen (mangels streitigem Verfahren) als unzulässig zurückgeweisen hat. 39 Auffallend ist das Fehlen gemeinschaftsrechtlicher Argumente in den Instanzentscheidungen, die im EuGH, Rs. C-481199, Heininger, Slg. 2001, S. 1-9945, zu einer Vorlage an den Gerichtshof führten, LG München WM 1998, 1723 f.; OLG München WM 1999, S. 1418; vgl. auch OLG München WM 2000, S. 1336 ff. gegenteilige Sachentscheidung trotz Vorlage des BGH. 40 Zusammenfassung des Meinungsstands bei Franzen, Der EuGH und das Bürgerliche Recht, dargestellt an dem Beispiel der EuGH-Urteile "Dietzinger" und "Draehmpaehl", FS Maurer, 2001, S. 889 ff.; Markwardt, Die Rolle des EuGH bei der Inhaltskontrolle vorformulierter Verbraucherverträge, 1999, S. 217; Schlachter, Der Europäische Gerichtshof und die Arbeitsgerichtsbarkeit, 1995, S. 13 ff. (zu Reaktionen auf das Urteil C-392/92, Slg. 1994, S. 1-1311 Christel Schmidt); offene Verweigerung beispielsweise bei LAG Düsseldorf, DB 1995, S. 275 f. und bei BGH BB 1998, S. 1863, 1865 mit zutreffender Kritik von Ulmer, BB 1998, S. 1865 ff. 35

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Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten43 - die freilich nach dem Wortlaut des Art. 234 EG nicht Gegenstand des Verfahrens sind. Manchem Kritiker ist freilich die mangelnde Auseinandersetzung mit dem andersartigen, von der französischen Tradition beeinflussten Rechtsprechungsstil des EuGH entgegen zu halten44 . Denn der deutschen Dogmatik fällt die Einbeziehung rechtsvergleichender Erwägungen und andersartiger Argumentationsstile in die Auslegung des Privatrechts - nach 100jähriger dogmatischer Fixierung auf die nationale Kodifikation - naturgemäß schwer45 . Ob die neuere Entscheidung des BVerfG zur verschärften Kontrolle von Nichtvorlagen nach Art. 101 I 2 GG46 eine Trendwende herbeiführen wird, erscheint fraglich. Bei der AGB-Richtlinie47 ist der deutschen Rechtsprechung eine offene Verweigerungshaltung zu attestieren48 . b) Die Situation im europäischen Zivilprozess recht

Die scharfe Ablehnung des EuGH steht in Kontrast zu seiner Akzeptanz im europäischen Zivilprozessrecht. Die Judikatur - inzwischen mehr als 120 Urteile - betrifft vor allem die Auslegung des Brüsseler Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens, darüber hinaus die Anwendung der Marktfreiheiten auf die nationalen Prozessrechte (insbesondere auf fremdenrechtliche Regelungent9 . Auch im Verfahrensrecht wurde an einzelnen Urteilen des EuGH deutliche Kritik geübt - auffallenderweise aber 41 Dabei mag auch die der französischen Praxis entsprechende Übung des EuGH, sich nicht zu Stellungnahmen aus der Literatur zu äußern (anders die Schlussanträge der Generalanwälte) den Eindruck fehlender Dialogbereitschaft verstärkt haben. 42 Schack, ZZP 1995, S. 47, 56 ff.; Leible, in: Martiny (Hrsg.), Auf dem Weg zu einem europäischen Zivilgesetzbuch, 1999, S. 53, 76 ff.; Adomeit, NJW 1998, S.2021. 43 Zu diesem Problem aufschlussreich Franzen, FS Maurer, 2001, S. 889, 897 ff. 44 So beispielsweise Schwab, ZGR 2000, S. 446 ff. 45 Immerhin zeigt sich neuerdings (auch außerhalb der eigentlichen gemeinschaftsrechtlichen "Fachliteratur") eine verstärkte Auseinandersetzung mit Urteilen des EuGH, die sich auf Vorlageersuchen aus anderen Mitgliedstaaten beziehen. 46 BVerfG, NJW 2001, S. 1267 f. = 1Z 2001 (Anm. Vosskuhle). 47 RL 93113/EWG, ABI. 1993 L 95, S. 29 ff. 48 V gI. insbesondere die Rechtsprechung des IX. Zivil senats zu Art. 4 11 RL 931 13/EWG, BB 1998, S. 1863 mit zutreffender Kritik von Ulmer, BB 1998, S. 1865 ff.; Basedow, in: Schulze/Schulte-Nölke, Europäische Rechtsangleichung und nationale Prozessrechte, 1999, S. 277 ff. 49 Ebenso Pfeiffer, in: Hohloch (Hrsg.), Richtlinien der EU, 2001, S. 9, 28 f. Zusammenfassung der Rechtsprechung bei Roth, in: Müller-Graff/Roth, Recht und Rechtswissenschaft, 2001, S. 351 ff.; Lando, in: Reichelt (Hrsg.), Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH, 1998, S. 30 ff.; Heß, Der Binnenmarktprozess, 1Z 1998, S. 1021 ff.

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auch in Bereichen, in denen der Gerichtshof zurückhaltend judiziert und eine Ausstrahlung des Übereinkommens in die nationalen Verfahrensrechte abgelehnt hat 5o . Sogar als der EuGH den Streitgegenstandsbegriff im Zusammenhang mit Art. 21 EuGVÜ/ 27 va 44/0l/EG autonom und abweichend vom bisher vorherrschenden Begriffsverständnis der deutschen Prozessrechte dogmatisch deutete, blieb der allgemeine Aufschrei aus. Vielmehr wurde die gemeinschaftsrechtliche Konzeption ausführlich diskutiert - eine Übernahme in das autonome Prozessrecht hat der BGH jedoch bisher noch nicht vollzogen 51 . Massive Kritik wurde lediglich bei der Anwendung der Marktfreiheiten auf das internationale Zivilprozessrecht laut52 - also in Bereichen, in denen der EuGH unmittelbare Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts in die nationalen Prozessrechte bejaht und überkommene Strukturen aufgebrochen hat. An dieser Schnittstelle besteht eine fehlende Vorlagebereitschaft der nationalen Gerichte53 , die fehlende Akzeptanz der Rechtsprechung des EuGH widerspiegelt54 . Hier zeigt sich eine Parallele zur Privatrechtsangleichung. Denn auch dort erfasst die Rechtsprechung des EuGH das nationale Privatrecht - wie beispielsweise bei der Bürgenhaftung - punktuell, hat jedoch Auswirkungen auf dessen allgemeine Strukturen. Kritisiert wird vor allem die Ausblendung des systematischen Kontextes des nationalen Privatrechts in der Rechtsprechung des EuGH. Jedoch ist die Vermeidung von Systembrüchen primär Aufgabe des nationalen Gerichts. Es kann dabei auf die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung, quasi als "methodisches Gegenstück" zum Vorabentscheidungsverfahren, zurückgreifen55 . Seine prozessuale Ver50 So beispielsweise an der restriktiven Auslegung des Art. 5 Nr. I EuGVÜ, dazu jüngst Kubis, ZEuP 2001, S. 742, 744 (Fn. 10) zu EuGH, Rs. C-440/97 (GIE Graupe Concorde), IPRax 2000, S. 399. 51 Dazu Rüßmann, ZZP 1998, S. 399 ff.; Walker, S. 429 ff.; Diskussionsbericht Heiderhoff, S. 455. Hier ist allerdings nicht auszuschließen, dass die fehlende Bindungs wirkung der Rechtsprechung des EuGH außerhalb des EuGVÜ die wissenschaftliche Diskussion merklich beruhigt hat. 52 Schack, ZZP 1995, S. 47, 56 ff. - zur Entscheidung C-398/92, Mund & FesterlMatrex, Sig. 1994, S. 1-467. 53 Beispiel: BGH, JZ 1999, 415 ff.; abI. Roth; ders., Grundfreiheiten des EG-Vertrages und nationales Zivilprozessrecht, in: Müller-Graff/Roth (Hrsg.), Recht und Rechtswissenschaft (2001), S. 351, 366; Stadler, FS Wissenschaft f. d. BGH III, 2000, S. 645, 666 ff. 54 Allerdings ist nicht zu verkennen, dass der Gerichtshof durchaus bereit ist, seine Rechtsprechung aufgrund der Kritik in den Mitgliedstaaten zu revidieren. Beispiel: Rs. C-206/94, Paletta II, Sig. 1996, S. 1-2359; zutreffend Everling, in: Reichelt (Hrsg.), Vorabentscheidungsverfahren, 1998, S. 11, 18 f.

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antwortung besteht sowohl im Vorlage- als auch im Umsetzungs stadium des Ersuchens: Zum einen ist der EuGH im Vorlagebeschluss über den Inhalt und systematischen Kontext des nationalen Rechts zu informieren56 . Denn der Dialog zwischen vorlegendem Richter und EuGH überbrückt verschiedene Rechtskulturen, der an einem nicht hinreichend verdeutlichten Vorverständnis der involvierten Rechtsinstitute schlicht scheitern kann 57 . Vor allem muss das nationale Gericht das Auslegungsergebnis des Gerichtshofs in die Struktur und das System des Privatrechts einpassen. Das ist schwierig oder gar ausgeschlossen, wenn der Gerichtshof autonome Lösungen entwickelt, die sich nicht einordnen lassen 58 • Umgekehrt sollten Zivilgerichte bei der Umsetzung des EuGH-Urteils darauf achten, "systemsprengende" obiter dicta nicht vorschnell in die nationalen Privatrechte zu "transplantieren". Zutreffend erscheint in diesem Zusammenhang die Folgeentscheidung des IX. Zivilsenats 59 zum Dietzinger-Urteil des EuGH 60 : Die angreifbaren Ausführungen des Gerichtshofs zur "Akzessorietät" (Tz. 22 f.) werden dort nicht aufgegriffen, die Reichweite des Urteils entsprechend dessen Tenor auf die Aussage zur Anwendbarkeit der Haustürrichtlinie (RL 85/577 /EWG) auf die Bürgschaft begrenzt61 . Manche Schwierigkeiten des "justiziellen Dialogs" sind freilich hausgemacht und Folge der "informellen Handhabung" des Vorabentscheidungsverfahrens: Problematisch ist die Praxis des Gerichtshofs, Vorlagefragen umzuformulieren 62 . Zum einen verändert der Gerichtshof damit den Verfahrensgegenstand. Zum anderen wird dem vorlegenden Gericht die Um setSchmidt, Rabe1sZ 1995, S. 569, 572 ff. Deutlich Dieterich, NZA 1996, S. 273, 278 ff.; Franzen, FS Maurer, 2001, S. 889, 897; Hinweise des EuGH zum Vorabentscheidungsverfahren, EuZW 1997, S. 142. 57 Zutreffend Franzen, FS Maurer, 2001, S. 889, 895, Fn. 48; Schulte-Nölke, in: Schulze (Hrsg.), (oben Fn. 48), S. 143, 154 ff. 58 Problematisch ist zudem die - vom öffentlichen Recht herkommende - "Eindimensionalität der Rechtsprechung des EuGH, der die Regelungszwecke punktueller Angleichung ("Verbraucher"-, "Arbeitnehmerschutz") überbetont und gegenläufige Interessen Privater nicht immer hinreichend berücksichtigt, dazu Franzen, FS Maurer, 2001, S. 889, 902, 904 f. 59 BGH, NJW 1998, S. 2356. 60 EuGH, Rs. C 45/96, Slg. 1999, S. 1-1199 Dietzinger; dazu Franzen, FS Maurer, 2001, S. 889, 993 ff.; Schulte-Nölke, in: Schulze (Hrsg.), (oben Fn. 48), S. 143, 154 ff. 61 Zutreffend auch BGH NJW 1998, S. 1939, zur Unanwendbarkeit des VerbrKrG auf gewerbliche Kredite in Umsetzung der Dietzinger-Entscheidung des EuGH. 62 Dazu Wägenbaur, EuZW 2000, S. 37, 40; Barnard/Sharpston, CMLR 1997, S. 1113, 1120 ff.; Dieterich, NZA 1996, S. 673, 678. Ein derartiges Vorgehen erscheint speziell im Umfang mit den Obergerichten der Mitgliedstaaten justizpolitisch bedenklich. 55

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zung des Auslegungsergebnisses des EuGH nachhaltig erschwert. Kooperation gebietet hier eine Rückfrage beim vorlegenden Gericht nach der neugefassten Regelung des Art. 104 § 5 VerfOEuGH 63 . Die aktuelle Krise des Vorabentscheidungsverfahrens im deutschen Zivilrecht lässt sich - das zeigt das Beispiel des Brüsseler Übereinkommens deutlich - nur durch eine verstärkte Befassung des EuGH mit zivilrechtlichen Fragestellungen überwinden, die dem Gerichtshof die Herausarbeitung einer Systematik des Gemeinschaftspri vatrechts ermöglicht. III. Justizielle und institutionelle Entwicklungen 1. Der Prüfungsgegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens

Zu den in Deutschland derzeit stark diskutierten Fragen gehört die Anwendung des Art. 234 EG auf die sog. überschießenden Richtlinienumsetzung 64 . Damit bezeichnet man bekanntlich Konstellationen, in denen der nationale Gesetzgeber Gemeinschaftsrechtsakte auf nicht harmonisierte Bereiche erstreckt - wie beispielsweise die RL 78/660/EWG auf das gesamte deutsche Bilanzrecht (§§ 264 ff. HGB)65. Eine ähnliche Situation besteht bei der Mindestharmonisierung. Dort wird das gemeinschaftsrechtliche Regelungsmuster häufig für das betroffene Rechtsgebiet insgesamt übernommen - so überträgt beispielsweise das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz die Systematik der Verbrauchsgüterrichtlinie 1999/44/EG66 auf das gesamte Kaufrecht des BGB 67 . Der EuGH lässt in gefestigter Rechtsprechung Vorabentscheidungsersuchen zu, die aus dem "überschießenden Anwendungsbereich" der Gemeinschaftsrechtsakte resultieren68 : Er begründet dies mit dem Wortlaut des 63 Zur unzureichenden Rechtslage vor der Neuregelung vgI. Dauses, Gutachten D. zum 60. DIT, 1994, D 134 f. 64 Ausführlich Habersack/Mayer, JZ 1999, S. 913, 917 ff.; Hommelhoff, FS BGH 11, 2000, S. 889, 914 ff.; Roth, FS Wiss. BGH 11, 2000, S. 847, 883 ff.; Kropholler/ von Hein, FS GroBfeld, 1998, S. 615, 624. 65 Dazu Habersack/Mayer, Die überschieBende Umsetzung von Richtlinien, JZ 1999, S. 913, 914 ff.; Hommelhoff, FS BGH III, 2000, S. 819 ff. 66 Richtlinie zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABI. EG 1999 L 171/12. 67 Dazu Dömer, Die Integration des Verbraucherrechts in das BGB, in: Schulze/ Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreforrn vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, 2001, S. 177, 184 f. 68 EuGH, Rs. C-23 1/89, Gmurzynska-Bscher, Slg. 1990, S. 1-4003, Tz. 23; Rs. C-297/98, 197/99, Dzodzi, Slg. 1990, S. 1-3763; Rs. C-28/95, Leur-Bloem, Slg. 1997, S. 1-4161; Rs. C-130/95, Giloy, Slg. 1997, S. 1-4291; anders Rs. C-346/93, Kleinwort Benson, Slg. 1995, S. 1-615; Rs. C-291196, Grado, Slg. 1997, S. 1-5531.

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Art. 234 EG: Danach muss die Gemeinschaftsrechtsnorm für den Ausgangsrechtsstreit lediglich "entscheidungserheblich" sein, um die Kompetenz des Gerichtshofs zu begründen69 • Allerdings soll ein Ersuchen nur zulässig sein, wenn das Auslegungsergebnis des EuGH das vorlegende Gericht bindet7o .

Die Gegenposition der Generalanwälte71, die neuerdings zu bröckeln scheint72, hat den Grundsatz formuliert, dass es "außerhalb des Geltungsbereichs des Gemeinschaftsrechts kein Gemeinschaftsrecht geben kann,,73. Diese Aussage vermag jedoch angesichts der Unterscheidung zwischen Rechtsgeltung und Rechtsanwendung, zumindest einen Kollisionsrechtler kaum zu überzeugen 74 . Gewichtiger erscheint der u. a. von Habersack formulierte Einwand, dass die Mitgliedstaaten nicht einseitig den Anwendungsbereich des Vorabentscheidungsverfahrens erweitern können 75. Jedoch ist das gemeinschaftsrechtliche Angleichungskonzept der Mindestharmonisierung auf eine derartige "Erstreckung" des Gemeinschaftsrechts geradezu angelegt. Die Mitgliedstaaten sollen das Harmonisierungskonzept über die Grenzen des Umsetzungsbefehls hinaus annehmen76 . Wichtige Gründe sowohl auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts als auch auf der Ebene des nationalen Privat- und Prozessrechts sprechen jedoch für eine Auslegungskompetenz des Gerichtshofs bei der überschießenden Richtlinienumsetzung: Aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts geht es um dessen einheitliche Auslegung und Fortbildung77 , die Hilfestellung des EuGH entspricht dem Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme zwischen Gemeinschaft 69 Auch der Zweck des Art. 234 EG, die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu sichern, spricht für die Zulässigkeit derartiger Vorlagen, EuGH, Rs. C-264/96, ICI, Slg. 1998, S. 1-4695, Tz. 34; Rs. C-28/95, Leur-BLoem, Slg. 1997, S. 1-4161, 4201, Tz. 32. 70 EuGH, Rs. C-346/93, KLeinwort Benson, Slg. 1995, S. 1-615, Tz. 18, dazu KohLer, ZEuP 1996,434,437; Kropholler/von Hein, FS Drobnig, 1998, S. 615, 620 ff. 71 Deutlich GA Darmon, Schlussanträge in: Rs. C-297/88 (Dzodzi) Slg. 1990, S. 1-3778, Tz. 8 ff.; GA Tesauro, in: Rs. C-73/89, (Foumier), Slg. 1992, S. 1-5621; und in Rs. C-346/93 (KLeinwort Benson), Slg. 1995, S. 1-617, 629. 72 GA Liger, Schlussanträge in Rs. C-208/98 (Berliner KindL), Tz. 25 f., mit der Erwägung, dass bei der Mindestharmonisierung der Gemeinschaftsgesetzgeber die Erstreckung der Richtlinie auf den nicht erfassten Bereich ausdrücklich intendiert. Dagegen spricht sich GA Jacobs in seinen Schlussanträgen vom 15.11. 2001 in der Rs. C-306/99, BIAO, wiederum deutlich gegen die Zuständigkeit des Gerichtshofs aus. 73 So die eingängige Formulierung von GA Darmon, in: Schlussanträge in: Rs. C-297/88 (Dzodzi) Slg. 1990, S. 1-3778, Tz. 8 ff. 74 So zutreffend Kropholler/von Hein, FS Großfeld, 1998, S. 615, 624. 75 Habersack/Mayer, JZ 1999, S. 9l3, 919. 76 GA Liger, Schlussanträge in Rs. C-208/98 (Berliner KindL), Slg. 2000, S. 11741, Tz. 25 f.

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und Mitgliedstaaten (Art. 10 EG), die gerade im Verfahren nach Art. 234 EG besonders ausgeprägt ist78 . Aus der Sicht des nationalen Rechts erscheint die Auslegung durch den Gerichtshof geradezu zwingend: Denn zum einen hat sich der nationale Gesetzgeber für eine Übernahme des gemeinschaftsrechtlichen Regelungsmodells entschieden, nicht nur dem Wortlaut nach, sondern gerade in seiner jeweiligen Auslegung durch den EuGH 79 . Die nationalen Gerichte müssen deshalb die Rechtsprechung des EuGH befolgen. Ohne Vorlagemöglichkeit führt dies aber zu "spekulativen Urteilen" - die Entscheidung des House of Lords im Fall Kleinwort Benson ist hier ein abschreckendes Beispie1 8o • Eine denkbare Alternative wäre es, dieselbe Norm je nach Anwendungsbereich unterschiedlich zu interpretieren81 . Dies wird freilich mittelfristig den nationalen Gesetzgeber veranlassen, gemeinschaftsrechtliche Regelungsmodelle nicht mehr zu übernehmen - aus der schlichten Überlegung, dass die divergierende Auslegung identischer Normen Gerichte und Rechtsunterworfene überfordert 82 . Inzwischen wird die Diskussion in Deutschland von der Entscheidung ,J-leininger" geprägt. In diesem Fall ging es um das Verhältnis der Widerrufsrechte nach der Haustür- und der Verbraucherkreditrichtlinie (RL 851 577/EWG, RL 871102/EWG) bei Realkreditverträgen. Der EuGH interpretierte in einem Urteil vom 13.12.2001 83 das Konkurrenzverhältnis der Wi77 So auch EuGH, Rs. C-28/95 Leur Bloem, Sig. 1997, S. 1-4161, 4201-4202, dazu W. H. Roth, FS Wiss. BGH 11, 2000, S. 847, 883 f. 78 AA. Hommelhoff, FS Wiss. BGH, 2000, S. 889, 917 ff., mit der Erwägung, dass Art. 234 EG lediglich die Wahrung der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts in verschiedenen Mitgliedsstaaten wahren solle und im übrigen ein Instrument der Rechtsangleichung sei. Dies ist m. E. zu eng: Die Rechtsangleichung setzt gerade keinen grenzüberschreitenden Bezug voraus, auch lässt sich der Verfahrenszweck des Art. 234 EG nicht auf ein "Divergenzverfahren" reduzieren. 79 AA Hommelhoff, FS Wiss. BGH 11, 2000, S. 889, 918; wie hier Schulze, in: ders., Auslegung des europäischen und angeglichenen Rechts, 1999, S. 18 f. 80 AA Habersack/Mayer, JZ 1999, S. 913, 920 f., die - m.E. nicht nachvollziehbar - dieses Urteil als ein "beeindruckendes Beispiel" dafür bezeichnen, dass die nationalen Gerichte gelernt hätten, die Rechtsprechung des EuGH bei der eigenen Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Die Entscheidung des House of Lords [1997] 4 All ER 641, erging mit dem denkbar knappsten Ergebnis von 5 zu 4, die Lordrichter waren gezwungen, darüber zu spekulieren, wie der EuGH entschieden hätte. 81 Dies räumt auch Hommelhoff, FS Wiss. BGH 11, 2000, S. 889, S. 919, ein, wie hier W. H. Roth, FS Wiss. BGH 11, 2000, S. 847, 881. 82 Diesen Gesichtspunkt betonen zu Recht Schulze, in: ders. (Hrsg.), Auslegung europäischen Privatrechts, 1999, S. 9, 18; Roth, FS Wiss. BGH 11, 2000, S. 847, 883; Wassermeyer, FS Lutter, 2001, S. 1639. 83 EuGH, Rs. C-481/99 (Heininger/Bayerische Hypo- und Vereinsbank AG), NJW 2002, 281, dazu Staudinger, NJW 2002, S. 653, 655. Der Ausgangsfall war

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derrufsrechte zugunsten des Verbraucherschutzes weit. Der deutsche Gesetzgeber hatte hingegen die Konkurrenz entgegengesetzt gesehen84 . Nach dem Urteil des EuGH wurde in der Literatur die Frage nach der Bindung des BGH aufgeworfen. Denn Heininger betraf einen Fall der überschießenden Richtlinienumsetzung, weil das deutsche Haustürwiderrufsgesetz den Begriff des Haustürgeschäfts weiter fasst als die europäische Richtlinie 85 . Zum Teil wurde die Meinung vertreten, dass der BGH wegen der "überschießenden Richtlinienumsetzung" das Urteil des EuGH gar nicht beachten müsse 86 . Der XI. Zivil senat erteilte jedoch diesen Überlegungen in seinem abschließenden Urteil vom 9.4.2002 eine deutliche Absage 87 : Der Senat bejahte eine Befolgungspflicht der nationalen Gerichte auch bei der überschießenden Umsetzung aus der (einleuchtenden) Erwägung, dass eine "gespaltene" Interpretation derselben Vorschrift (je nachdem, ob diese vom sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst wird oder nicht) untragbare Rechtsunsicherheit bewirken würde. Die praktischen Konsequenzen dieses kein Einzelfall, sondern ein "Pilotverfahren" mit erheblicher wirtschaftlicher Breitenwirkung. Denn es geht um die Frage, ob sich Käufer ostdeutscher Immobilien, die in den 90er Jahren mit dem Versprechen erheblicher Steuererspamis und fester Vermietbarkeit vor allem an westdeutsche Investoren verkauft wurden, aus den inzwischen überwiegend notleidenden Verträgen lösen können, dazu Felke, MDR 2002, S. 226 ff. 84 Der Ausgangsfall betraf einen 1993 abgeschlossenen Realkreditvertrag über ca. 150.000,- DM, den die Kläger bei der beklagten Bank zur Finanzierung einer Eigentumswohnung aufgenommen hatten. Da der Darlehensvertrag (zumindest teilweise) in der Wohnung der Kläger abgeschlossen worden war, machten diese das Widerrufsrecht nach § 1 HtWiG geltend. Da die Bank über das Widerrufsrecht nicht belehrt hatte, konnten die Kläger den Widerruf bis zur Vertragsbeendigung erklären - also auch Jahre nach Vertragsschluss (vgl. § 2 I 4 HtWiG a. F.). Die beklagte Bank verwies hingegen auf § 5 Abs. 2 HtWiG. Danach war das Widerrufsrecht für Haustürgeschäfte auf Verbraucherkreditverträge nicht anwendbar. Die spezielle Widerrufsregelung für Kreditverträge nach § 7 VerbrKrG war allerdings vorliegend nicht eröffnet, weil § 3 II 2 VerbrKrG Realkredite von dieser Vorschrift ausnahm. Der Vorlagebeschluss des BGH, NJW 2000, S. 521 hatte dem EuGH eine entsprechend restriktive Abgrenzung der Richtlinien voneinander vorgeschlagen. 85 Während Art. 1 RL das Haustürgeschäft dahin definiert, dass der Vertrag "in der Wohnung" des Verbrauchers selbst abgeschlossen wird, lässt die deutsche Rechtsprechung zu § I HtWiG es ausreichen, dass der Vertragsschluss in einer Haustürsituation angebahnt wurde, auch wenn der eigentliche Vertragsschluss später in den Geschäftsräumen des Unternehmers erfolgte. Damit hat der deutsche Gesetzgeber den Schutz der Richtlinie über das vorgeschriebene Mindestmaß (vgl. Art. 8 RL 85/ 577 /EWG) ausgedehnt. Im Fall Heininger wurde der Vertrag von einem Kundenberater der beklagten Bank in der Wohnung der Kläger angebahnt, jedoch in den Geschäftsräumen der Bank abgeschlossen. Wörtlich genommen war die Richtlinie also gar nicht anwendbar. 86 So in der Tat Habersack/Mayer, WM 2002, S. 258; vorsichtiger Piekenbrockl Schulze, WM 2002, S. 527; wie hier Staudinger, NJW 2002, S. 655 ff. 87 BGH, ZIP 2002, S. 1075 mit zustimmender Anm. Ulmer.

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Urteils für das deutsche Zivilrecht sind erheblich 88 : Der XI. Zivil senat hat damit die Auslegungskompetenz des EuGH auch für alle Bereiche des Bürgerlichen Rechts anerkannt, in denen der deutsche Gesetzgeber die Systematik der europäischen Privatrechtsrichtlinien als Modell für das autonome bürgerliche Recht übernommen hat. Aufgrund dieser Rechtsentwicklung wächst der EuGH in die Rolle eines letztinstanzlichen Zivilgerichts mit zunehmender Tendenz 89 - hinein 9o . Ob der Gerichtshof den damit verbundenen Arbeitzuwachs wird verkraften können, ist eine derzeit offene Frage. Bejaht man mit dem EuGH und dem BGH die Auslegungskompetenz des Gerichtshofs bei überschießender Richtlinienumsetzung, so bleibt die Frage nach ihrem Rechtsgrund. Auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts wird sie vom Wortlaut des Art. 234 EG umfasst und folgt aus dem Gebot kooperativen Verhaltens (Art. 10 EG). Der Gerichtshof stellt seine Auslegungskompetenz den Mitgliedstaaten sozusagen im Wege "untechnischer Rechtshilfe" zur Verfügung. Aus diesem Grund greift auch die Vorlagepflicht nach Art. 234 III EG nicht ein: Denn diese Vorschrift erzwingt als Instrument der Rechtsangleichung die Vorlage an den EuGH nur dort, wo das Gemeinschaftsrecht selbst seine einheitliche Anwendung einfordert91 . Aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts sind die letztinstanzliche Gerichte lediglich zur Vorlage berechtigt, nicht aber verpflichtet92 . Aus der Perspektive des nationalen Rechts beruht die Kompetenzzuweisung an den Gerichtshof auf der Entscheidung des nationalen Gesetzgebers für das gemeinschaftsrechtliche Regelungsmodell. Dass eine derartige Entscheidung kompetenzielle Auswirkungen hat, ist nicht ungewöhnlich: Auch eine Änderung von Kollisionsnormen, die die Verweisung auf ausländisches Sachrecht erweitern, nimmt die Prüfungskompetenz des BGH zurück (v gl. § 549 ZPO)93. Entsprechend beschneidet die Übernahme des gemeinschafts88 Ausführlich Heß, Schuldrechtsreform und Zivilprozess, in: Dauner-Lieb/Konzen/Schmidt, Das neue Schuldrecht in der Praxis, 2003, S. 665, 679 ff. 89 Eine weitere Vergemeinschaftung des Zivilrechts ist beispielsweise durch die Anti-Diskrirninierungs-RL 2000/43/EG, ABI. EG Nr. L 180, S. 22 ff., zu erwarten. 90 Basedow, AcP 2000, S. 445 ff. 91 A.A. Wassermeyer, FS Lutter, 2001, S. 1639, aus der Erwägung, dass es auch hier um die "Auslegung von Gemeinschaftsrecht" gehe. Dafür spricht zwar der Wortlaut des Art. 234 III EG, nicht aber der Normzweck. Wie hier GA Jacobs, Schlussanträge in Rs. 338/95, Wiener, Slg. 1997, S. 1-6495, 6515. 92 Dementsprechend ist die Kommission nicht befugt, im Fall der Nichtvorlage ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 f. EG einzuleiten - es sei denn, die abweichende Auslegung des gemeinschaftsrechtlichen Rechtsbegriffs gefährdet die Kohärenz des Gemeinschaftsrechts nachhaltig. 93 Nach § 549 ZPO entscheidet der BGH nicht über die Auslegung ausländischer Rechtsnormen.

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rechtlichen Regelungsmodells die Auslegungskompetenz des BGH. Die Kompetenzübertragung an den EuGH hat demnach ihren Geltungsgrund im nationalen Recht. Es bleibt zu prüfen, ob nach nationalem Recht eine Vorlagepflicht der letztinstanzlichen Gerichte an den EuGH besteht: Dafür spricht, dass der nationale Gesetzgeber dem Gerichtshof die Auslegung des Gemeinschaftsrechtsakts im Anwendungsbereich des abgeleiteten Rechts übertragen hat. Damit korrespondiert eine entsprechende Vorlagepflicht an den Gerichtshof, die die einheitliche Auslegung des überschießenden Rechts sichert. Sieht man die Dinge so, dann entscheidet der EuGH innerhalb und außerhalb des gemeinschaftsrechtlichen Geltungsbereichs der Richtlinie als "gesetzlicher Richter" i. S. v. Art. 101 I 2 GG94 • 2. Die Änderungen durch die Verträge von Amsterdam und Nizza

a) Rechtsschutzverkürzung nach Art. 68 EG Der Amsterdamer Vertrag schafft erstmals eine institutionelle Zugangsschranke im Vorabentscheidungsverfahren: Um eine befürchtete "Vorlageflut" aus den neuen Politikbereichen (insbesondere im Hinblick auf die Vergemeinschaftung des Asylrechts) zu bewältigen, begrenzt Art. 68 I EG die Vorlageberechtigung auf Gerichte, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können 95 . Damit wurde die Regelung des Art. 234 III EG über die Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte auf die Vorlagebefugnis nach Art. 68 I EG übertragen 96, jedoch ohne die Kontroverse um den Begriff des letztinstanzlichen Gerichts zu klären 97 . Bekanntlich stehen sich hier die sog. "abstrakte" und "konkrete" Betrachtungsweise gegenüber, die entweder die Vorlage auf die obersten Gerichtshöfe der Mitgliedstaaten oder aber auf das jeweils im Instanzenzug konkret letztentscheidungsbefugte Gericht beziehen98. AA Habersack/Mayer, JZ 1999, S. 913, 920. Zu den Motiven zur Begrenzung des Art. 68 I EG vgl. Classen, EuR Beil. 1, 1999, S. 73 ff.; Girerd RTDE 1999, S. 238 ff. 96 Dabei ist ungeklärt, ob Art. 68 I an der Vorlagepflicht 1etztinstanzlicher Gerichte festhält, so die (zutreffende) h.M., die sich auf den Wortlaut des Art. 68 I EG stützen kann, Brechmann, in: Rujfert/Calliess, Art. 68 EG, Rdn. 2; Girerd, RTDE 1999,243; Röben, in: Grabitz/Hi1f, Art. 68 EG, Rdn. 6; a.A Potacs, Auswirkungen des Amsterdamer Vertrags auf das österreichische Rechtsschutzsystem, in: Hummer (Hrsg.), Rechtsfragen in der Anwendung des Amsterdamer Vertrages, 2001, S. 243, 250; Schwarz/Wiedmann, Art. 68 EG, Rdn. 3. 97 Zum Meinungsstreit ausführlich Wölker, EuR Beil. 111999, S. 99, 105 (für konkrete Theorien); Knapp, DÖV 2001, S. 12, 15; Brechmann/Rujfert/Calliess, Art. 68 EG, Rdn. 2; Schwarze, Art. 234 EG, Rdn. 41 f. 94

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Die jüngste ZPO-Refonn in Deutschland99 nimmt dieser Kontroverse viel an Brisanz. Denn nach der Neuregelung ist auch bei Streitwerten unter 600 € die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat lOo . Damit ist - zumindest idealtypisch - auch in Bagatellsachen die Revision eröffnet 101 , folglich der Bundesgerichtshof "letztinstanzliches Gericht" im Sinne des Art. 68 lEG. Für das internationale Privat- und Verfahrensrecht, die - zufällig und nicht aus systematischen Gründen 102 - in den IV. Teil des EGVeingestellt wurden, ist die Begrenzung der Vorlagebefugnis auf das letztinstanzliehe Gericht fatal. Denn die Rechtsunterworfenen sind nunmehr gezwungen, über mehrere Instanzen zu prozessieren, um eine Entscheidung des EuGH herbeizuführen lO3 • Mag dies bei "allgemeinen zivilrechtlichen Streitigkeiten" im Anwendungsbereich der VO 44/0l/EG lO4 noch hinnehmbar sein lO5 , so ist dies bei der VO 1347/00/EG (in Ehe- und Sorgerechtssachen)106 sowie beim geplanten Rechtsakt zur Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über die elterliche Verantwortung 107 an98 Der Entlastungszweck des Art. 68 I EG und die zunehmende Objektivierung des Vorabentscheidungsverfahrens legen ein institutionelles Verständnis nahe - die konkrete Betrachtungsweise wird vor allem mit der Gewährung von individuellem Rechtsschutz durch den Gerichtshof begründet, lmmenga/Mestmäcker/K. Schmidt, § 96 GWB, Rdn. 39 m. w. N. In seinem Urteil vom 4.6.2002 hat sich der EuGH in bisher nicht gekannter Deutlichkeit für die konkrete Betrachtungsweise ausgesprochen, EuGH, Rs. C-99/00, Lyckeskog, Slg. 2002, S. 1-4839. 99 Zivilprozessrechtsreformgesetz vom 27.7.2001, BGBI. I 2001, S. 1887 ff. 100 § 511 II ZPO n. F. Allerdings ist gegen die Nichtzulassung der Berufung keine Beschwerde eröffnet, so dass den Parteien in dieser Konstellation nur die Verfassungsbeschwerde wegen willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 I 2 GG) verbleibt, vgI. dazu zuletzt BVerfG, JZ 2001 (Vosskuhle). 101 Speziell in Verbraucherstreitigkeiten eröffnet die erweiterte Verbandsklagebefugnis der Verbraucherverbände aufgrund der RL 28/27/EG, ABI. EG 1998 L 166, S. 51 ff. die Möglichkeit, das Verbraucherschutzrecht der Gemeinschaft im Wege des kollektiven Rechtsbehelfs durchzusetzen. 102 Dazu Heß, NJW 2000, S. 23, 28 ff. 103 In der Literatur wird diese Zurücknahme der Entscheidungsbefugnis einmütig kritisiert, vgI. so Heß, NJW 2000, S. 23, 27 ff.; Basedow, CMLR 2000, S. 687, 696 ff.; Müller-Graff/Kainer, DRiZ 2000, S. 350 ff.; Staudinger, ZtRV 2000, S. 93, 104; Jayme/Kohler, IPRax 2000, S. 454, 465; Kohler, Rev. Crit. 1999, S. 1, 16 ff.; Kennett, The Enforcement of Judgments in Europe, 2000, S. 14 f. 104 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000, ABI. EG L 12 vom 16.1.2001. 105 Nicht zuletzt vor dem Hinterwund der Rechtsprechung des EuGH, der in mehr als 130 Urteilen das Brüsseler Ubereinkommen ausgelegt und wesentliche Fragen geklärt hat. 106 ABI. EG 2000 L 160, S. 19 ff. 107 Verordnungsentwurf über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und die Verfahren betreffend die

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ders. In Sorgerechtssachen knüpfen Gerichtsstände beispielsweise an den "gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes,,108 an oder stehen unter dem Vorbehalt des Kindeswohls lO9 , derartige Streitigkeiten erfordern zeitnahen Rechtsschutz. Es erscheint wenig wahrscheinlich, dass der EuGH zur Auslegung dieser Verordnungen angerufen wird. Vielmehr werden die Instanzgerichte "durchentscheiden" - dazu sind sie nach Art. 68 I EG (mangels Vorlagebefugnis) verpflichtet. Bis der BGH dem EuGH die Frage vorlegen kann, haben sich die meisten Streitigkeiten erledigt 1 10. Der europäische Raum des Rechts muss also "ohne Justiz" 1 II auskommen. Auch erscheint es höchst unwahrscheinlich, dass das objektive Auslegungsverfahren nach Art. 68 III EG I12 geklärt werden kann. Denn - abgesehen vom hier nicht einschlägigen Protokoll 11 zum Luganer Übereinkommen - existiert derzeit kein effektives Berichtssystem über die Spruchpraxis in den Mitgliedstaaten, das zur Ermittlung der "grundsätzlichen Fragen", die in diesem Verfahren zu klären sind, geeignet wäre. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Mitgliedstaaten gemäss Art. 67 11 EG die Anwendung der allgemeinen Vorschriften auf das Verfahren nach Art. 68 EG beschließen eine erste Chance hierzu wurde bei der Ratifizierung des Vertrags von Nizza verpasst 113 . In der Literatur wird angesichts der Mängel des Art. 68 EG vorgeschlagen, Rechtssetzungsakte im internationalen Privat- und Verfahrensrecht soweit wie möglich auf die Binnenmarktkompetenz des Art. 95 EG zu stützen. Damit soll Prozessparteien und Gerichten der Zugang zum EuGH über Art. 234 EG offengehalten werden 1l4 . Jedoch erscheint dieser Vorschlag bedenklich: Er verstärkt die "Konkurrenzfragen" zwischen den Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 und 68 EG 1l5 :

elterliche Verantwortung, KOM (2002) 222 endg./2, vorgelegt von der Kommission am 17.5.2002. 108 So Art. 10 des Verordnungsentwurfs über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung. 109 So Art. 12 11 (c) VO-Entwurf der Kommission. 110 Diese Probleme sind nicht auf die Zuständigkeit begrenzt, sie stellen sich gleichermaßen bei den Rechtshilferegelungen der europäischen Prozessverordnungen. 111 So eingängig Basedow, ZEuP 2001, S. 437 ff. 112 Dazu Jayme, in: Reichelt (Hrsg.), Vorabentscheidungsverfahren, S. 43 ff. 113 Zu den Änderungen des Vertrages von Nizza vgl. Heß, JZ 2001, S. 573, 574. 114 So wiederholt Basedow, CMLR 2000, S. 683, 707; zuletzt ZEuP 2001, S. 437 ff. 115 Dazu Classen, EuR Beil. 1999/1, S. 73, 80; ausführlich Peers, YEL 1998, S. 337, 397 ff.

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Ein Beispiel ist die anstehende Hannonisierung des Mahnverfahrens: Nach Art. 5 der Zahlungsverzugsrichtlinie, die auf Art. 95 EG gestützt wird, müssen die Mitgliedstaaten ein vereinfachtes Beitreibungsverfahren einführen 116. Hier geht es um Mindesthannonisierung im Binnenmarkt. Mittlerweile liegt ein Grünbuch der Kommission über ein europäisches Mahnverfahren vor, das einen umfassenden Rechtsakt (Verordnungsvorschlag) vorbereiten soll, der auf Art. 65 EG gestützt wird l17 • Die Beispiele lassen sich, etwa in Bezug auf das europäische Verbraucherprozessrecht, unschwer fortsetzen 118. Nach welchen Kriterien sich bei derartigen "mixed pillar"-Rechtsakten das statthafte Verfahren und der zuständige Spruchkörper bestimmt, ist ungewiß: man wird zunächst auf die im Sekundärrechtsakt genannte Rechtsgrundlage abstellen 119, andernfalls auf den jeweiligen Regelungsschwerpunkt. Schwieriger ist die Zuordnung, wenn es um übergeordnete Rechtsfragen geht, beispielsweise um die Vereinbarkeit eines Sekundärrechtsakts mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Gemeinschaft 120 oder vorrangigem Primärrecht 121 . Derartige Verfahrenskonkurrenzen sollten hier - im Sinne der Funktionsfähigkeit des Gemeinschaftsrechts und des zeitgerechten Individualrechtsschutzes - zugunsten des allgemeinen Verfahrens nach Art. 234 EG aufgelöst werden 122. b) Neuer Instanzenzug im Vorabentscheidungsveifahren

Nach den Vertragsänderungen von Nizza können Vorabentscheidungen in bestimmten Rechtssachen auf das Europäische Gericht erster Instanz übertragen werden. Zugleich ist ein zweistufiger Ausbau des Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 225 III EG n. F.) vorgesehen: Bei grundSätzlichen 116 Art. 5 RL 2000/35/EG vom 29.6.2000 zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Handelsverkehr, ABI. EG L 200, vom 8.8.2000, S. 35 ff., schreibt ein vereinfachtes Beitreibungsverfahren für unbestrittene Forderungen, das das deutsche Mahnverfahren zum Vorbild hat, vor, dazu Gsell, ZIP 2000, S. 1861, 1867 f. 117 KOM (2002) 746 endg.; vgI. auch Heß, in: FS Geimer, 2002, S. 339 ff. Il8 Heß, JZ 2001, S. 573, 574 f. Il9 Dabei ist auch zu bedenken, dass der EuGH eine Kontrolle der Ermächtigungsgrundlage vornimmt. Wie im Fall der Wahl einen unzulässigen Ermächtigungsgrundlage zu entscheiden ist, ist ebenfalls ungeklärt. Im Sinne der Rechtsunterworfenen ist wohl auf die "Meistbegünstigungstheorie" abzustellen. Ausführlich Peers, YEL 1998, S. 337, 396 ff. 120 Beispiel: Das derzeit beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängige Stolzenberg- Verfahren des House of Lords, Canada Trust v. Stolzenberg [2000] 3 W.L.R. 1376 (H.L.). 121 Beispiel: EuGH, Rs. C-38/98, Renault Usines/Maxicar, IPRax 2001, S. 328. 122 So Peers, YEL 1998, S. 337, 399; a.A. Classen, EuR 1999, Beil. 1, S. 73, 80.

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Fragen, die die Einheit und Kohärenz des Gemeinschaftsrechts berühren, können die Kammern des EuG den Rechtsstreit an den Gerichtshof verweisen, Art. 225 III UA 2 EG n.F. In Ausnahmefällen kann der 1. Generalanwalt gegen das Urteil des EuG den Gerichtshof anrufen, wenn er dies für die Wahrung der Einheit und Kohärenz des Gemeinschaftsrechts für erforderlich hält (Art. 225 III UA 3 EG n.F., Art. 62 I Satzung EuGH n.F.)123. Die Zuweisung von Vorabentscheidungsersuchen an spezialisierte Spruchkörper entspricht langjährigen Überlegungen der Literatur 124. Derartige Zuweisungen werden nicht nur im gewerblichen Rechtsschutz 125 oder in Kartellsachen, sondern auch für das internationale Privat- und Verfahrensrecht im Anwendungsbereich des Art. 68 EG diskutiert. Allerdings hat die mit der Spezialisierung einhergehende Zweistufigkeit ihren Preis: Sie verlängert die Distanz zum Ausgangsgericht und zu den dort prozessierenden Parteien. Denn letztere sind nicht befugt, einen entsprechenden Rechtsbehelf einzulegen - ihr prozessualer Status bleibt auf ein bloßes Anhörungsrecht reduziert 126 • Auch im Hinblick auf die Verfahrensdauer ist der zweistufige Ausbau problematisch. Nach Art. 62 SatzEuGH n. F. ist über das Rechtsmittel im beschleunigten Verfahren (Art. 104a VerfO-GH) zu entscheiden, das Urteil soll binnen 2 Monaten ergehen. Die Zuweisung rechtsgrundsätzlicher Fragen in ein beschleunigtes Verfahren leuchtet freilich nicht ein. Zahlreiche Einzelheiten sind noch offen, wie Protokollerklärungen Nr. 12-17 zum Vertrag von Nizza zeigen. Sie sollen vor dem Inkrafttreten der Vertragsänderungen geklärt werden. Insgesamt ist jedoch zu konstatieren, dass die Änderungen die objektiven Zwecke des Vorabentscheidungsverfahrens erheblich aufwerten.

123 Dieser Rechtsbehelf ist der cassation dans l'interet de la loi (art. 618-1 nouveau code de procedure civile) nachgebildet, dazu Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2662, Azizi, Die Reform der Europäischen Gerichtsbarkeit im Lichte der aktuellen Entwicklung, Schriften des österreichischen Völkerrechtstags 2001, S. 167, 177 ff. 124 Dauses, Gutachten D zum 60. Deutschen Juristentag, 1994, D 98 ff. m. w.N. 125 Art. 229a EG n. F. ermöglicht im gewerblichen Rechtsschutz die Einführung eines echten Instanzenzugs zwischen Gerichtshof und Mitgliedsstaaten. Letzterer wäre danach befugt, über Rechtsmittel gegen die Urteile mitgliedsstaatlicher Gerichte zu entscheiden. Die Übertragung erfolgt durch einen von den Mitgliedsstaaten gesondert zu ratifizierenden, einstimmigen Ratsbeschluss, Azizi, Reform, S. 167, 178 f. 126 In diesem Zusammenhang erscheint es zumindest erwägenswert, die Erstattung der Mehrkosten einer anwaltlichen Vertretung vor dem EuGH nicht den Prozessordnungen der Mitgliedstaaten zu überantworten (so derzeit Art. 104 § 6 VerfOEuGH), sondern eine Erstattung im Urteil des Gerichtshofs selbst anzuordnen.

8 Neuesheim/Oppennann (Hrsg.)

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3. Eingrenzung der Vorlagepflicht nach Art. 234 III EG?

a) Mangelnde Praktikabilität der CILFIT-Rechtsprechung

Die Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte nach Art. 234 III EG hat der EuGH bekanntlich in der CILFIT-Entscheidung konkretisiert 127. Die dort formulierten Ausnahmen von der Vomahmepflicht im Sinne einer "begrenzten acte clair"-Doktrin werden mit Recht als zu eng kritisiert 128 . Insbesondere der Prüfungsmaßstab, dass eine Vorlage nur dann unterbleiben darf, wenn weder das Ausgangsgericht, noch andere mitgliedstaatliche Gerichte Auslegungszweifel in Bezug auf die gemeinschaftsrechtliche Vorschrift haben, ist in der Praxis nicht einzuhalten 129. Die höchstrichterliche Praxis ist von einer vordergründigen Bezugnahme auf die CILFIT-Kriterien gekennzeichnet, die in der Sache nicht befolgt werden 130. Auch Generalanwalt Jacobs hat den Gerichtshof in der Rs. C-338/95 "Wiener" zur Überprüfung der CILFIT-Kriterien aufgefordert, und eine Begrenzung des Vorabentscheidungsverfahrens auf übergreifende Fragestellungen angeregt 131 . Dahinter steht nicht zuletzt die Einsicht, dass die CILFIT-Kriterien vor der Vollendung des Binnenmarkts formuliert wurden, also zu einem Zeitpunkt, als das Gemeinschaftsrecht eine sehr viel geringere Regelungsdichte aufwies 132. Der Gerichtshof hat jedoch die Schlussanträge des Generalanwalts nicht aufgegriffen 133. Auch in einer aktuellen Entscheidung zu Art. 234 III EG ließ der EuGH die Frage nach einer weitergehenden Begrenzung der Vorlagepflicht offen. 134 127 EuGH, Rs. 283/81 CILFIT, Sig. 1982, S. 3415, dazu Heft, ZZP 1995, S. 59, 80 ff.; Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft (1999), S. 278 ff.; "Due-Report" der Reflexionsgruppe der Kommission, Sonderbeilage NJW 1912000, S. 7 f. 128 Deutlich zuletzt Rasmussen, CMLR 2000, S. 1071, 1107 ff. 129 So auch das Due-Papier, NJW 2000, Sonderbeilage zu Heft 17, S. 7. 130 Dazu Heft, ZZP 1995, S. 59, 81 ff.; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 384 ff. 131 So insbesondere Schlussanträge G.A. Jacobs, Sig. 1997, S. 1-6487, Tz. 8 ff. (Wiener), - der Sachverhalt betraf die zolltariflichen Einordnung von Nachthemden - über die Einordnung von Schlafanzügen hatte der EuGH bereits entschieden. Zurückhaltend jedoch Rodriguez Iglesias, NJW 2000, S. 1889, 1895 f. Ablehnend Everling, in Reichelt (Hrsg.), Vorabentscheidungsverfahren, 1998, S. 11, 21 f. mit dem Hinweis auf die "erheblichen finanziellen Folgen" zoll tariflicher Einordnungen. Freilich steht diese Erwägung im Gegensatz zur aufgezeigten Tendenz des deutschen Prozessrechts, das Rechtsmittelsystem streitwertunabhängig auszugestalten. 132 So auch Schlussanträge G.A. Jacobs, Rs. C-338/95, Wiener, Sig. 1997, S. 16487, Tz. 59. I33 Die Sachentscheidung verweist allerdings auf die frühere Rechtsprechung des EuGH, an der sich der vorlegende BFH hätte orientieren könne, Rs. C-338/95, Wiener, Sig. 1997, S. 1-6487, Tz. 13 f., 21.

Vorabentscheidungsverfahren im Privat- und Verfahrensrecht

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Die im Jahr 2000 novellierte Verfahrensordnung setzt auf Abhilfe durch ein vereinfachtes Verfahren, das dem EuGH die Möglichkeit eröffnet, nach Anhörung der Beteiligten (Art. 103 § 2 VerfO-EuGH) durch Beschluss zu entscheiden und in den Gründen gegebenenfalls (pauschal) auf die frühere Rechtsprechung zu verweisen (so Art. 104 § 3 VerfOEuGH)135. Dies ermöglicht die rasche Erledigung von "Wiederholungsersuchen" wie im Fall "Wiener,,136, ohne dass der EuGH von seiner großzügigen Praxis bei der Zulassung auch bereits "ausdiskutierter" Vorlageersuchen absehen müsste 137. Darüber hinaus zeigen neuere Urteile eine gewisse Tendenz zur verstärkten Bezugnahme auf die frühere Rechtsprechung 138 und auf die Schlussanträge des Generalanwalts 139. Zu einer formalen Aufgabe der CILFIT-Rechtsprechung hat sich der Gerichtshof hingegen nicht durchringen können 140. b) Vorlagepflicht bei grundsätzlicher Bedeutung

Die überwiegende Literatur 141 will hingegen die Vorlagen (und die korrespondierende Auslegungskompetenz des EuGH selbst) auf "grundsätzliche" Fragen begrenzen 142. Dies entspricht der revisionsähnlichen Funktion des Vorabentscheidungsverfahrens 143 , zudem wird auf das Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 EG) verwiesen 144 . Auch die institutionellen Reformen des Vertrages von Nizza, die eine Befassung des EuGH im gestuften Vorabentscheidungsverfahren bei "grundsätzlichen" Rechtsfragen vorsehen (Art. 225 III EG n.F.), sprechen für eine vorgängige Filterung auf der Ebene der nationalen EuGH, Rs. C-9/00, Lyckeskog, Slg. 2002, S. 1-4839. Nach Art. 20 V Satzung-EuGH idF des Vertrags von Nizza (2000) können Rechtssachen, die keine neuen Rechtsfragen aufwerfen, ohne Beteiligung des Generalanwalts entschieden werden. 136 EuGH, Rs. C-338/95, Wiener, Slg. 1997, S. 1--6487. 137 Dahinter steht ersichtlich der Gedanke, das informale Verfahren möglichst weitgehend fortzuführen, um den Dialog gerade auch mit den Gerichten der neu beigetretenen Mitgliedsstaaten nicht übermäßig zu erschweren. 138 Beispiel: EuGH, Rs. C-338/95, Wiener, Sig. 1997, S. 1--6487, Tz. 13 f., 21. 139 EuGH, Rs. C-I44/99 (Kommission/Niederlande), EuZW 2001, S. 437, Rdn. 19, die Kritik von Leible, EuZW 2001, 439, vermag nicht zu überzeugen. 140 Dafür insbesondere Rasmussen, CMLR 2000, S. 1071, 1108 ff.; Lipp, NJW 2001,2657,2662. 141 "Due-Report" der Reflexionsgruppe der Kommission, Sonderbeilage NJW 19/ 2000, S. 7 mit einem Vorschlag zur Neufassung von Art. 234 EG. 142 Zuletzt Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2662; Hirsch, ZRP 2000, S. 57, 59 - allerdings erscheint dessen Anwendung im Verhältnis zwischen EuGH und nationalen Gerichten zweifelhaft. 143 Dazu Heß, ZZP 1995, S. 59, 84 ff. 144 So insbesondere Hirsch, ZRP 2000, S. 57, 59. 134 135

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Burkhard Heß

Gerichte 145. Denn nach der Neufassung des EG-Vertrages besteht kein Zweifel daran, dass das Vorabentscheidungsverfahren die Einheit und der Kohärenz des Gemeinschaftsrechts wahren S011 146 . Auch die Funktion der nationalen Gerichte, die als "dezentrale Gemeinschaftsgerichte" einfach gelagerte Sachen "durchentscheiden", spricht für eine Konzentration des EuGH auf grundsätzliche Rechtsfragen l47 . Freilich ist damit noch nicht die Frage beantwortet, wie "Rechtsgrundsätzlichkeit" konkret zu bestimmen ist l48 . Bereits CILFlT hat klargestellt 149, dass es auf die Perspektive des Gemeinschaftsrechts ankommt 150. Für die Praxis bedeutete dies zweierlei: Zum einen ist die Grundsätzlichkeit anhand der Funktionen des EuGH selbst zu beurteilen, dies gilt vor allem für seine Befugnis, über die Auslegung des Primärrechts zu wachen (Art. 234 I a) EG). Bei der Auslegung von Sekundärrecht (Art. 234 I b) EG) sind die vorlegenden Gerichte verpflichtet, die Grundsätzlichkeit der Vorlage nicht nur in Bezug auf die eigene Rechtsordnung, sondern auch in Bezug auf die Rechtsprechung in anderen Mitgliedstaaten zu beurteilen I51 . Insbesondere bei Rechtsbegriffen, die in verschiedenen Gemeinschaftsrechtsakten vorkommen und eine einheitliche Auslegung erfordern, besteht Grundsätzlichkeit l52 . Dasselbe gilt für Ersuchen, deren Bedeutung über den Anlassfall hinausgeht l53 . Es kommt - in der Formulierung des Vertrages von Nizza (Art. 225 III EG n.F.) - auf die Wahrung der Einheit und Kohärenz des Gemeinschaftsrechts an. Ansätze für ein restriktives Verständnis der Vorlagepflicht finden sich auch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Unterscheidung zwischen 145

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So auch Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2662 f. Azizi, Reform der Europäischen Gerichtsbarkeit, Schriften des österreichischen

Völkerrechtstags, 2001, S. 167, 187 ff. 147 Die Begrenzung der Vorlagepflicht wäre keine prinzipielle Abkehr von der CILFIT-Rechtsprechung, sondern lediglich eine Konkretisierung ihrer Kriterien. 148 Kritisch zur Unbestimmtheit des Kriteriums vor allem Franzen, Europäisierung des Privatrechts, S. 288 f. 149 Die Bezugnahme auf das Gemeinschaftsrecht ergibt sich aus dem Erfordernis, auch die Rechtsprechung in anderen Mitgliedstaaten zu beachten, EuGH, Rs. 2831 81 CILFlT, Slg. 1982, S. 3415, 3430, Tz. 16. 150 Dazu bereits Heß, ZZP 1995, S. 59, 84 ff.; kritisch und LE. ablehnend Franzen, Europäische Privatrechtsangleichung, S. 287 ff. 151 Franzen, Europäische Privatrechtsangleichung, S. 287 ff. 152 So zutreffend Roth, FS Drobnig, 1998, S. 135, 146 zum Verbraucherbegriff in Art. 2 RL 851577 IEWG. 153 Dies wird man regelmäßig bei einer Verbandsklage nach der RL 98/27 lEG (ABI. 1998 L 166, S. 155, bejahen können, da es um die Bekämpfung grenzüberschreitender, verbraucherschutzwidriger Praktiken im Binnenmarkt geht, vgl. zur Richtlinie Heß, in Ernst/Zimmermann (Hrsg.) Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, 2001, S. 527 ff.

Vorabentscheidungsverfahren im Privat- und Verfahrensrecht

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der "Auslegung" und der "Anwendung" des Gemeinschaftsrechts im Rahmen des Art. 234 EG. Sie ermöglicht dem EuGH bestimmte Fragen an das vorlegende Gericht mit dem Bemerken zurückzugeben, dass eine weitere Beantwortung der Frage sich aus seiner Rechtsprechung bereits ergebe und deren Anwendung auf den Ausgangsfall Aufgabe des nationalen Gerichts sei 154. Damit ist aber ein wesentlicher Gesichtspunkt aufgezeigt: Hat der EuGH die maßgeblichen Wertungen bzw. Definitionen herausgearbeitet, dann können und müssen die nationalen Gerichte unter Beachtung dieser Rechtsprechung den Sekundärrechtsakt anwenden. Umgekehrt verpflichtet ein derartiges Rollenverständnis den EuGH, wesentliche Gesichtspunkte für die Auslegung des Sekundärrechtsakts frühzeitig herauszuarbeiten und (möglichst) über den Ausgangsfall hinausgehend die Gerichte zur Umsetzung seiner Rechtsprechung regelrecht "anzuleiten". Die Judikatur zum EuGVÜ enthält hierzu Anschauungsmaterial: So hat der EuGH beispielsweise den Begriff der einstweiligen Maßnahme nach Art. 24 EuGVÜ anhand der allgemeinen Grundsätze des Übereinkommens autonom definiert, und eine reale Verknüpfung zwischen dem Streitgegenstand und dem im vorläufigen Rechtsschutz erkennenden Gericht gefordert 155 • Was eine reale Verknüpfung ist, umschreibt der Gerichtshof in allgemeiner Weise. Hier ist es Aufgabe der nationalen Gerichte, den Begriff näher auszufüllen, eine Vorlage an den EuGH, quasi zur "Überprüfung" des Ergebnisses im Einzelfall bedarf es nicht mehr l56 . Ähnlich ist auch die Judikatur zur Bestimmung des Handelsbrauchs in Art. 17 I 2 lit c) EuGVÜ zu verstehen: Die Castellitti-Entscheidung l57 gibt den vorlegenden Gerichten eine regelrechte Anleitung zur Feststellung internationaler Handelsbräuche. Damit ist die Grundsatzfrage geklärt l58 . Der Kritik an der Begrenzung der Vorlagepflicht auf "rechtsgrundsätzliehe Sachen" ist freilich zuzugeben, dass dieser Begriff keine vollständige Trennschärfe erreichen kann l59 . Denn die "Grundsätzlichkeit" einer RechtsBeispiel: EuGH, Rs. C-338/95, Wiener, Slg. 1997, S. 1-6487, Tz. 13 f., 21. EuGH, Rs.C-391195, Van Uden Maritime BVIDeco Line et al., Slg. 1998, S. 1-7091 = IPRax 1999, mit Anm. HeßlVollkommer, IPRax 1999, S. 220 ff.; Rs. C99/96, Hans Hermann Mietz ./. Intership Yachting Sneek BV, Slg. 1999, S. 1-2277, Heß, IPRax 2000, S. 370 ff. 156 HeßlVollkommer, IPRax 1999, S. 220, 222 f.; Heß, IPRax 2000, S. 370, 373. 157 EuGH, Rs. C-159/97, CasteIletti Spedizione SpA, Slg. 1999, S. 1-1597, Tz. 22-30, dazu Heß/Hub, WuB VII B Art. 17 EuGVÜ, 1.00. Der Gerichtshof systematisierte zugleich in diesem Urteil seine bisherige Rechtsprechung, nicht zuletzt vor dem Hintergrund zahlreicher Meinungsverschiedenheiten in der Literatur. 158 Aus diesem Grund erscheint die Ansicht von DietzelSchnichels, EuZW 2000, S. 521, 524 verfehlt, der EuGH möge die aufgestellten Kriterien möglichst rasch weiter konkretisieren. Diese Aufgabe obliegt nunmehr - mangels Rechtsgrundsätzlichkeit - den nationalen Gerichten. 154 155

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Burkhard HeB

frage wird von auch materiellrechtlichen Gesichtspunkten, also der konkret auszulegenden Vorschrift mitbestimmt. Das ist aber im nationalen Rechtsmittelrecht nicht anders 160. Vielmehr geht es darum, die Auslegungskompetenz des Gerichtshofs bei neuartigen und übergreifenden Rechtsfragen zu sichern mit der Folge, dass nach der Klärung wesentlicher Grundfragen die Zahl der Vorabentscheidungsersuchen zu einzelnen Sekundärrechtsakten abnimmt. Zugleich wird dadurch die Konzentration des EuGH auf die Wahrung der Einheit und Kohärenz des Gemeinschaftsrechts gestärkt, die Gerichte der Mitgliedstaaten auf die Leitbildfunktion des EuGH als Revisionsgericht "eingeschworen... 161 Wenn diese notwendigen Anpassungen gelingen, dann besteht m. E. kein Anlass zur Besorgnis, dass das Vorabentscheidungsverfahren auch weiterhin seine einheitsstiftende Wirkung für das Gemeinschaftsrecht entfalten kann.

Franzen, Europäische Privatrechtsangleichung, S. 289 f. Hergenröther, Zivilprozessuale Grundlagen, S. 56 f. 161 Zu dieser Funktion der Grundsätzlichkeit, die auf Kooperation zwischen den Gerichten im Instanzenzug setzt, vgl. MünchKomm/Wenzel § 546 ZPO (2. Aufl. 1990), Rn. 35. 159

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Das europarechtliche Schicksal von Gründungs- und Sitztheorie im internationalen Gesellschaftsrecht Von Harm Peter Westermann, Tübingen

I. Fragestellungen Bei der Planung meines Beitrages zur heutigen Tagung, die sich mit Fragen des Eintritts der Tschechischen Republik in die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion befassen soll, war daran gedacht, die bei einem solchen Eintritt eines neuen Mitglieds in eine Rechtsgemeinschaft u. a. relevante Frage aufzugreifen, welchen Einfluss die europarechtlichen Regeln über Niederlassungsfreiheit - diesmal nicht natürlicher, sondern hauptsächlich juristischer Personen und Gesellschaften - auf das internationale Gesellschaftsrecht des Beitrittsstaates haben würden. Es lag dabei auf der Hand, dass es nicht darum gehen konnte, das internationale Gesellschaftsrecht der Tschechischen Republik vorzustellen; dies ist dann auch in der jetzigen Tagung schon vorher von Frau Pauknerova besorgt worden, die auch schon auf die internationale Sitzverlegung und das Europäische Recht eingegangen ist. Bis hierhin mag die Planung in etwa das Richtige getroffen haben. Zu diesem Zeitpunkt lag nämlich bereits das viel diskutierte Centros-Urteil des EuGH I vor, das die Diskussion um die Abwägung zwischen Gründungs- und Sitztheorie nicht nur neu belebt, sondern möglicherweise völlig auf den Kopf gestellt hatte. Ich spielte daher mit dem Gedanken, meinem Vortrag den etwas theologisch-endzeitlich beeinflussten Titel zu geben: Gibt es ein Leben nach "Centros"? Diesen hochfliegenden Plan hatte ich aber bald aufgegeben, nachdem man feststellen konnte, dass die Ansichten, ob nun der EuGH aus europarechtlichen Gründen die in Mitteleuropa herrschende Sitztheorie verworfen hatte, im wissenschaftlichen Schrifttum weit auseinander gingen, und in der Tat nicht sicher ist, ob der EuGH sich zu dieser Frage überhaupt hat äußern wollen. 1 Urteil v. 9. März 1999, abgedruckt in: Die AG 1999, S. 226 = BB 1999, S. 809; EuZW 1999, S. 216 = JZ 1999,669 = NJW 1999, S. 2027. Die nicht übersehbare Fülle von Kommentierungen dieses Urteils verbietet jeden Versuch einer Dokumentation an dieser Stelle, neueste Zusammenstellung bei Palandtl Heldrich, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rn. 2; Mülbert/Schmolke, ZVgIRWiss 2002, S. 233, 235.

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Hann Peter Westennann

Als dann die Planungen für dieses Symposium in eine konkretere Phase eintraten, wollte ich nur noch ganz pragmatisch über die neuesten Entscheidungen des EuGH auf Vorlagebeschlüsse deutscher Gerichte, insbesondere des BGH und des AG Heidelberg, berichten, und daraus die für einen Beitrittskandidaten vielleicht interessanten Folgerungen ableiten, wie es nun in Zukunft in Europa mit der Gründungs- und Sitztheorie weitergehen soll. Leider lag danach der Spruch des EuGH zu dem Vorlagebeschluss des BGH vom 30.3.20002 nicht vor, wobei aus Kreisen des EuGH zu hören war, die Sache werde dort noch als "pending case" geführt, im Übrigen jedoch zu lesen ist, die Parteien dieses Verfahrens hätten sich verglichen, was allerdings wohl nicht zutraf. 3 Der aus deutscher Sicht ebenfalls interessante Vorlagebeschluss des AG Heidelberg4 betreffend die Behandlung der Sitzverlegung ist als unzulässig verworfen worden, weil ein Registergericht kein "Gericht" sei. Das fordert zwar zu der ketzerischen Frage heraus, ob in Zukunft der EuGH auch die Gerichtsverfassung der nationalen Rechtsordnungen zu überprüfen gedenkt, die Rechtsverweigerung im Hinblick auf das internationale Gesellschaftsrecht muss aber hingenommen werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Reaktion des EuGH auf Vorlagebeschlüsse der Gerichte anderer Mitgliedstaaten5 Klarheit bringt. Im Übrigen muss man sich vorläufig darauf beschränken, welche Probleme das Centros-Urteil geklärt und welche es - vielleicht auch unbewusst - offen gelassen hat. Das schließt die Frage ein, welche Folgen für die Abwägung zwischen Gründungs- und Sitztheorie das Urteil gebracht hat, so dass möglicherweise ein großer Teil der europäischen Staaten sein internationales Gesellschaftsrecht umstellen muss. Die diesbezüglichen Entschließungen sind vermutlich nicht besonders eilig, und die deutsche Anwaltschaft hat signalisiert, dass die Gestaltungs- und Reaktionsmöglichkeiten für Unternehmen, im Ausland tätig zu werden, sich durch diese Entwicklung nicht maßgeblich verändert hätten. 6 Das ist besonders bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die deutschen Juristen sich gewöhnlich in einem international nicht unbedingt überall akzeptierten Ausmaß von theoretischen Gesichtspunkten leiten lassen, während möglicherweise die Juristen anderer Länder und damit auch der EuGH von praktischen Fragestellungen wie denen der Sitzverlegung ins Ausland, der Gründung einer ausländischen Zweigniederlassung und/oder der Gefahrdung inländischer Vertragspartner durch ausländische Briefkastengesellschaften ausgehen und sich mit einer befriedigenden Lösung derarZIP 2000, S. 967 ff. PalandtlHeldrich (oben Fn. 1). 4 EuZW 2000, S. 414. 5 Etwa LG Salzburg NZG 2001, S. 459 mit Anmerkung Leible zur Gründung einer Zweigniederlassung; siehe dazu auch Lurger, IPRax 2001, S. 346; Kantongerecht Groningen EWS 2000, S. 280 (anhängig als Rs. C 410/99). 6 Dazu näher Kiem, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 1999, S. 199 ff. 2

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Gründungs- und Sitztheorie im internationalen Gesellschaftsrecht

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tiger Fragen begnügen. Mit dieser Maßgabe kann eine Stellungnahme zur europarechtlichen Einschätzung von Gründungs- und Sitztheorie zwar nicht ohne einen Schuss Spekulation, aber vielleicht wenigstens als Momentaufnahme und Stimmungsbild hier präsentiert werden 7 . 11. Die Behandlung von primärer und sekundärer Niederlassungsfreiheit auf der Grundlage der in Deutschland herrschenden Sitztheorie 1. Auslandswirkungen und Sitzverlegung

Die Sitztheorie ist keine deutsche Eigenheit, sie wird außer in Deutschland in Frankreich, Belgien, Luxemburg, Portugal und Griechenland angewendet. Demgegenüber hängen die angloamerikanischen Rechte, aber auch - worauf hier zurückzukommen sein wird - etwa Dänemark der Gründungstheorie an, ferner die Niederlande, die Schweiz und Liechtenstein. Zu den kontinental-europäischen Staaten, die die Sitztheorie anwenden, treten Polen und die Türkei. Man sieht also, dass sich die Tschechische Republik in dieser Hinsicht in eine recht bunte Umgebung begeben wird, obwohl sie selber (mit Einschränkung) die Gründungstheorie anwendet. Diese Vielfalt führt dazu, dass das deutsche Recht, welches ohne gesetzgeberische Entscheidung bisher überwiegend der Sitztheorie folgt 8 , für den Fall, dass eine nach deutschem Recht gegründete Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz im Ausland hat, danach unterscheiden muss, ob der ausländische Staat die Sitz- oder die Gründungstheorie anwendet. Im ersteren Fall beurteilen wir die Gründung nach dem ausländischen Gesellschaftsrecht, beachten allerdings auch, ob eine nach ausländischem Recht erforderliche Registrierung im Sitzstaat gegeben ist9 , während die Eintragung in ein deutsches Handelsregister nicht in Betracht kommt. Fehlt es an einem in7 Inzwischen sind zwei weitere grundlegende Entscheidungen ergangen, von denen vielleicht noch nicht das erste (BGH, DB 2002, S. 2039 und dazu Leible/Hojfmann DB 2002, S. 2203 U), wohl aber das zweite (EuGH, RIW 2002, S. 945 "Überseering", kann Leible/Hojfmann RIW 2002, S. 925 ff.) für Deutschland einen wahren Neubeginn markiert. 8 BGHZ 53, 181, 183; 97, 269; BGH, NJW 1995, 1032; 1996, 55; BayObLGZ 1992, S. 113; KG, RIW 1997, S. 599; OLG Brandenburg, ZIP 2000, S. 1616; Zusammenstellung der Rechtsprechung bei Ebke, Festgabe 50 Jahre BGH, 2000, S. 799, 806 ff.; im wissenschaftlichen Schrifttum ferner Staudinger/Großfeld, Art. 12 EGBGB, Rn.72; Erman/Hohloch, Anh. 11 Art. 37 EGBGB, Rn. 25; Scholz/H. P. Westennann, GmbHG, Allgern. Einleitung, Rn. 83; MünchKomm/Kindler, Art. 12 EGBGB, Rn. 312 ff.; PalandtlHeldrich (oben Fn. 1), Rn. 2; abweichend OLG Frankfurt RIW 1999, 783; Bungert, Die AG 1995, S. 491; schon früher Beitzke, ZHR 64, S. 1, Knobbe-Keuk, ZHR 90, S. 325; Sandrock, RabelsZ 1998, S. 249. 9 MünchKomm/ Kindler, Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 386.

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Hann Peter Westennann

ländischen Satzungssitz, so kann ein Registerverfahren ebensowenig ausrichten, wenn der tatsächliche Sitz der Hauptverwaltung der Gesellschaft im Ausland liegt. Folgt der ausländische Staat hingegen der Gründungstheorie, so kann es sein, dass eine nach deutschem Recht gegründete Gesellschaft trotz ihres ausländischen Verwaltungssitzes auch von uns als wirksam gegründet angesehen wird 10. Ich habe von dieser h. M. in Deutschland vor einiger Zeit in einem Rechtsgutachten Gebrauch gemacht, in dem ich darauf stieß, dass zwei deutsche Kaufleute von allerdings zweifelhafter Seriosität über eine in Hongkong gegründete, aber nur in Deutschland tätige Gesellschaft Geschäfte mit deutschen Staatsangehörigen gemacht hatten, aus denen sie in Deutschland Aktivprozesse führten. Der deutsche Anwalt der Beklagten stellte in Hongkong fest, dass dort noch nicht einmal am offiziellen Satzungssitz ein Firmenschild hing und die Gesellschaft in Hongkong keinerlei Aktivität entfaltete; dass sie in Deutschland aktiv war und prozessieren wollte, stieß also nach deutscher Sicht auf das Hindernis, dass sie hier nicht existierte, und es gelang, zwar nicht die erste, aber denn doch die zweite Instanz in den neuen Bundesländern von der Richtigkeit einer Klageabweisung unter diesem Gesichtspunkt zu überzeugen. Verlegt ein in Deutschland gegründetes und hier tätiges Unternehmen seinen Satzungssitz ins Ausland, so wird dies vielfach als zwingender Grund für die Liquidation der Gesellschaft, auch gegen einen entgegenstehenden Willen der Gesellschafter, angesehen 11. Dafür wird angeführt, dass ein Sitzwechsel unter Wahrung der Identität der Gesellschaft daran scheitere, dass die juristische Person durch ihre Verbindung zu einer bestimmten Gesellschaftsrechtsordnung geprägt sei 12. Dies ist zwar umstritten, doch wird man jedenfalls sagen müssen, dass es grenzüberschreitende Sitzverlegungen, bei denen die Identität der Gesellschaft erhalten bleibt, jedenfalls dann nicht geben kann, wenn im Wegzugs- wie im Zuzugsstaat die Sitztheorie angewendet wird. Daher ist tatsächlich von einer Auflösung der Gesellschaft auszugehen, wenn die deutsche Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz in ein Land verlegt, das die Sitztheorie anwendet. Wird demgegenüber der Sitz einer deutschen Gesellschaft nach England verlegt, so ergibt sich ein Auflösungszwang nur, wenn auch der Satzungssitz nach England verlagert wird, oder wenn dem beibehaltenen inländischen Satzungssitz keine im Inland betriebenen unternehmerischen Aktivitäten mehr entsprechen. Es sind auch andere Gestaltungen denkbar, dann nämlich, wenn nicht der Verwaltungs-, sondern der Satzungssitz einer nach deutschem Recht gegrün10 BGH, WM 1996, S. 671 f. - Dieser Fall betraf eine OHG deutschen Rechts mit Sitz in der Tschechoslowakei; siehe ferner MünchKomml Kindler (oben Fn. 8), Rn. 387. II BGHZ 25, 134, 144; BayObLGZ 1992, 113, 116; weitere Nachweise bei MünchKommlKindler (oben Fn. 8), Rn. 393. 12 Staudinger/Großfeld, Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 618.

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deten Gesellschaft ins Ausland verlegt wird. Im deutschen internationalen Gesellschaftsrecht gehen wir davon aus, dass der Satzungssitz kein Anknüpfungspunkt des Personalstatuts ist,13 sondern nur der tatsächliche Sitz der Hauptverwaltung, da hier der Schwerpunkt des körperschaftlichen Lebens liegt l4 . Dann führt also ein Beschluss über die Verlegung lediglich des Satzungssitzes ins Ausland nicht zu einer so wichtigen Veränderung, dass man international-privatrechtlich von einem Statutenwechsel ausgehen müsste; das deutsche Gesellschaftsrecht bleibt also anwendbar. Dennoch pflegt die juristische Praxis einen solchen Beschluss einer Gesellschafterversammlung als Auflösungsbeschluss zu behandeln l5 - was allerdings nicht recht einleuchtet 16. Im Hinblick auf das Centros-Urteil sind möglicherweise die Fälle der Verlegung des Verwaltungssitzes einer nach ausländischem Recht gegründeten Gesellschaft nach Deutschland interessanter. Verlegt eine solche Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz vom Gründungsstaat in einen internationalprivatrechtlich der Sitztheorie folgenden Staat, wie etwa Deutschland oder Österreich, so führt dies automatisch zu einer Änderung des Personalstatuts 17. Daraus wird nach dem jetzt maßgeblichen nationalen Recht die Notwendigkeit einer Neugründung abgeleitet - in dem soeben erwähnten praktischen Fall konnte geschlossen werden, dass die möglicherweise eines Tages in Hongkong wirksam gegründete Gesellschaft durch Verlegung ihres Verwaltungssitzes nach Deutschland hier nur anerkannt werden konnte, wenn sie hier korrekt gegründet war, was nicht der Fall war. Man muss sich allerdings überlegen, ob die Aktivität einer solchen Gesellschaft im Inland einfach nur ignoriert werden kann, oder ob man nicht den einfachen Sachverhalt, dass im Inland natürliche Personen gemeinsam unternehmerisch tätig werden, nach deutschem Gesellschaftsrecht beurteilen und etwa die Existenz einer Personengesellschaft annehmen kann l8 ; darauf ist im Zusammenhang mit der Diskussion eines der Vorlagebeschlüsse noch einmal zurückzukommen. Um den Bilderbogen ein wenig abzurunden, kann noch darauf hingewiesen werden, dass jedenfalls die Verlegung des Verwaltungssitzes und des Satzungssitzes einer nach ausländischem Recht gegründeten Gesellschaft nach Deutschland als Statutenwechsel anzusehen ist.

I3 MünchKommlKindler (oben Fn. 8), Rn. 399; ähnlich Staudinger/Großfeld (oben Fn. 12), Rn. 241. 14 BGHZ 97, 272; ScholzlH. P. Westermann, Einleitung, Rn. 84; PalandtlHeldrich (oben Fn. 1), Rn. 3. 15 BayObLGZ 1992, 113, 116; siehe auch EbenrothlAuer, 1Z 1993, 374, 375. 16 So auch MünchKommlKindler (oben Fn. 8), Rn. 399. 17 MünchKommlKindler (oben Fn. 8), Rn. 401. 18 Gerade dazu das in Fn. 7 erwähnte Urteil BGH, DB 2002, 2039.

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Das Centros-Urteil betraf nun nicht direkt die Verlegung des Verwaltungssitzes oder einen Gründungsfall, sondern den Versuch einer in England - also unter Anwendung der Gründungstheorie - wirksam gegründeten Gesellschaft, in Dänemark eine Zweigniederlassung in den Registern eintragen zu lassen und über diese die ausschließliche Geschäftstätigkeit abzuwickeln, wogegen sich die dänischen Behörden wendeten. Hierbei handelt es sich also nicht um eine Verlegung des Verwaltungs- oder des Satzungssitzes, sondern um das Sonderproblem der Schaffung von Zweigniederlassungen, ohne dass dabei die Wirksamkeit der Auslandsgründung als solcher in Rede stand. In dem oben 19 erwähnten Aufsatz wurde aufgezeigt, dass dies jedenfalls für die Aktivitäten ausländischer Gesellschaften in der Bundesrepublik Deutschland ein eher ungewöhnlicher Weg ist, da gewöhnlich Tochtergesellschaften gegründet werden oder unmittelbar über nicht rechtsfähige Repräsentanzen gehandelt wird. Die große Bedeutung, die der im Centros-Urteil erörterten Fallgestaltung beigemessen wird, zwingt aber dennoch dazu, den Fall der Zweigniederlassung gesondert zu erörtern. An dieser Stelle genügt daher der Hinweis, dass die Beteiligung ausländischer Kapitalgesellschaften an deutschen AG's oder GmbH's durch Erwerb von Anteilen international-privatrechtlich an der Anwendbarkeit des deutschen Rechts auf das Gesellschaftsverhältnis nichts ändert. Auch wenn also demnächst die Fälle von Übernahmeangeboten ausländischer Bieter auf inländische Kapitalgesellschaften und die daraus folgenden Versuche eines Squeeze-out sich häufen sollten, kann man unzweifelhaft sagen, dass sich dies allein nach deutschem Gesellschaftsrecht richten wird. Das gilt selbstverständlich erst recht für die Gründung einer inländischen Tochtergesellschaft. Wenn man freilich die Diskussion um das Centros-Urteil verfolgt, wird man einem ausländischen Investor demnach nicht empfehlen, es in einem Staat, der der Sitztheorie folgt, mit der Gründung einer Zweigniederlassung zu versuchen. 2. Prognose zur europarechtlichen Einschätzung

Bis vor einiger Zeit hatte es den Anschein, als werde das Europarecht weder den Ländern, die der Sitztheorie folgen, noch denjenigen, die der Gründungstheorie anhängen, in dieser Hinsicht Vorschriften machen. Dies gründet sich insbesondere auf den Stand der Judikatur vor "Centros". Allerdings würde es nicht verwundert haben, wäre eine Erschwerung von Sitzverlegungen sowie die Begründung von Hindernissen für ein Auseinanderfallen von Gründungsort und Verwaltungssitz von Gesellschaften bei der zunehmenden Internationalisierung der Märkte zu Tage getreten. Verbreitet wurde angenommen, die Einführung der Niederlassungsfreiheit innerhalb der EG aufgrund der Art. 52, 58 bzw. jetzt 43, 48 EGV werde in Europa 19

Kiem (oben Fn. 6).

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Impulse in Richtung auf den Übergang zu der auch in den USA befolgten Gründungstheorie geben. In der Tat ist im wissenschaftlichen Schrifttum in Deutschland dies mit großem Gewicht so gesehen worden2o , weil man davon ausging, dass die Sitztheorie gerade wegen ihrer Vorbehalte gegen eine Sitzverlegung über die Grenzen die Unternehmen gewissermaßen im Gründungsstaat "einmauert". Es hat auch Hinweise in der deutschen Rechtsprechung gegeben, die ein wenig geschwankt haben, ob es bei der Sitztheorie bleiben solle21 , doch sind diese Zweifel durch die Entscheidung des EuGH aus dem Jahre 1998 im Falle Daily-Mail zunächst beseitigt worden 22 . In diesem Fall war keine deutsche Beteiligung Gegenstand der Entscheidung, vielmehr ging es um eine Sitzverlegung von England in die Niederlande, die, da das englische Recht der Gründungstheorie folgt, die Existenz der Gesellschaft nicht angetastet haben würde, aber steuerrechtlich einer Genehmigung der Finanzverwaltung bedurfte. Die Gesellschaft vertrat vor dem High Court of Justice die Ansicht, diese Behinderung verstoße gegen die Regeln über die Niederlassungsfreiheit, auf welchem Wege die Dinge dann vor den EuGH gelangten. Dieser ging zwar davon aus, dass das Recht der Niederlassung in einern Gemeinschaftsstaat nicht nur Gemeinschaftsbürgern, sondern auch Gesellschaften zustehe, und dass dem Herkunftsstaat, also hier England, untersagt sei, die Niederlassung einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einern anderen Mitgliedsstaat zu behindern. Das war also nicht eigentlich ein Problem der Vereinbarkeit der Sitztheorie mit dem Gemeinschaftsrecht, zumal England und die Niederlande der Gründungstheorie folgen 23 . Nun stellte aber der EuGH im Rahmen der Auseinandersetzung um die Anwendung des Gründungsrechts der Gesellschaft fest, dass die Regeln über die Niederlassungsfreiheit als Anknüpfungsmerkrnal den satzungsmäßigen Sitz, die Hauptverwaltung und die Hauptniederlassung gleichstellen, so dass durch die Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit die Probleme, die sich aus den unterschiedlichen Regelungen der für ihre Gesellschaften erforderlichen Anknüpfung ergeben, auf diese Weise nicht gelöst wurden. Daher sei eine Lösung im Wege der Rechtsetzung durch die Mitgliedsstaaten oder des Vertragsschlusses erforderlich. Demgemäß kann die Forderung, wonach eine Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedsstaats gegründet 20 Siehe etwa Behrens, EuZW 1991, 1997; Knobbe/Keuk, ZHR 1990, S. 325, 353 ff.; Thömmes, DB 1993, S. 1021 ff. 21 Siehe etwa das Urteil BayObLGZ, NJW 1986, 329 f.; inzwischen aber BayObLG, GmbHR 1992, 529. 22 EuGHE 1988, 5505 = NJW 1998, 2186; dazu EbenrothlEyles, DB 1989, S. 363; Sandrock/Austmann, RIW 1989, S. 249 ff.; Meilicke, RIW 1990, 449; ScholzlH. P. Westermann, Einleitung, Rn. 85; PalandtlHeldrich (oben Fn. 1), Rn. 2. 23 Zu diesem Aspekt siehe auch KnobbelKeuk (oben Fn. 20), S. 332 f.; a.M. aber MünchKornrnlKindler (oben Fn. 8), Rn. 363.

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Hann Peter Westermann

sein muss, und ihren Satzungssitz sowie ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben muss, in der Tat als bewusste Respektierung nationaler Kollisionsrechte verstanden werden24 . Man muss dies so interpretieren, dass die europarechtlich normierte Niederlassungsfreiheit keinen zwingenden Anstoß zur Überwindung der stark aus nationalen Schutzerwägungen (genauer: Abwehr unkontrollierbarer Gründungen nach Auslandsrecht) verstandenen Sitztheorie gibt. Dies wurde zwar schon damals angegriffen 25 , und man hat das Daily-Mail-Urteil z. T. auch als den Versuch eines Kompromisses gedeutet. Insbesondere war der Entscheidung nicht zu entnehmen, ob man der Sitztheorie, so wie sie in Deutschland verbreitet verstanden wird, entnehmen muss, dass auf die Verlegung des Verwaltungssitzes einer in Deutschland bestehenden Gesellschaft ins Ausland unbedingt nur mit dem Verlust der Rechtsfähigkeit reagiert werden kann. In Ansehung solcher Entscheidungen, die ja an einem - materiell-rechtlich gesehen - reinen Randproblem aufgehängt sind, stellt sich manchmal die Vorstellung ein, im Ganzen überwögen die theoretischen Probleme die praktische Bedeutung. Es ist daher angebracht, kurz einige in Deutschland durchaus praktische Folgerungen aus der Anwendung der Sitztheorie gerade bei grenzüberschreitenden Beteiligungen vorzustellen. So sind mehrere Personalstatute betroffen, wenn eine rechtsfahige Gesellschaft Anteile an einer einer anderen Rechtsordnung zugeordneten Gesellschaft erwirbt. Das ist, wie schon oben dargestellt, beim Erwerb von Anteilen an Kapitalgesellschaften weitgehend unproblematisch; in Deutschland besteht aber im Bereich der Personenhandelsgesellschaften durch die sonst fast nirgends bekannte sog. Grundtypenvermischung eine besondere Situation. Es handelt sich hierbei darum, dass an einer KG, also einer Personenhandelsgesellschaft, als einziger persönlich haftender Gesellschafter eine Kapitalgesellschaft, in aller Regel eine GmbH, teilnimmt, was haftungsrechtlich bedeutet, dass weder die Kommanditisten noch die Gesellschafter der GmbH für die Verbindlichkeiten uneingeschränkt aufzukommen haben. Es kann nicht verwundern, dass diese Gestaltung in Deutschland auch das Interesse ausländischer Gesellschaften erweckt hat, die auf den Gedanken gekommen sind, an einer deutschen KG die Rolle der Komplementärin zu übernehmen. Einen solchen Fall26 hatte das BayObLG zu entscheiden, als 24 Dazu näher GroßfeldlLuttermann, JZ 1989, 386; ScholzlH. P. Westermann, Einleitung. 25 Siehe etwa v. Bar, Internationales Privatrecht, Band 2, Rn. 170; Niessen, Die AG 1986, S. 116. 26 Landshuter Druckhaus Ltd., BayObLG NJW 1986, S. 3029; dazu näher Sandrock/Austmann, RIW 1989, S. 349, 352; Scholz/H. P. Westermann, Einleitung, Rn. 123.

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sich eine der deutschen GmbH vergleichbare, aber doch nicht in allen Belangen gleichwertige Ltd. des englischen Rechts als Komplementärin an einer deutschen KG beteiligen wollte. Die Bedenken konzentrierten sich auf die Mischung von Statuten durch die Anwendung verschiedenen Rechts für die KG und ihre Komplementärin; letzteres musste eintreten, weil die persönlich haftende Gesellschafterin, die englische Ltd., um nach der Sitztheorie, die in Deutschland angewendet wird, ihre Rechtsfähigkeit nicht zu verlieren, ihren Sitz in ihrem englischen Gründungsstaat beibehalten musste. Das führte zu der aus der Sicht des deutschen Rechts wenig erfreulichen Konsequenz, dass das Innenverhältnis der Komplementär-Gesellschaft nach einem anderen Recht zu beurteilen war als das Verhältnis dieser Komplementärin zu den Kommanditisten, dies selbst dann, wenn die Kommanditisten auch Gesellschafter der Komplementärin waren. Das BayObLG hat die Konstellation dennoch zugelassen, und wir würden heute angesichts der Häufung grenzüberschreitender Beteiligungen vor einer solchen Lösung nicht mehr zurückschrecken; man muss aber auch verstehen, dass der Schutz inländischer Gläubiger einer solchen Gesellschaft, der im Wesentlichen auf der Leistungsfähigkeit der Komplementär-Gesellschaft beruht, gefährdet ist, wenn man weiß, dass eine englische Ltd. nicht annähernd die Anforderungen an die effektive Kapitalaufbringung und Höhe des Stammkapitals zu erfüllen hat wie eine deutsche GmbH. 3. Insbesondere: das Centros-Urteil

Hier tritt ein Motiv in den Vordergrund, das auch bei der Erörterung des Centros-Urteils eine Rolle gespielt hat, nämlich die Frage, ob einzelne Mitgliedsstaaten, fast unabhängig von ihrer Bindung an Gründungs- oder Sitztheorie, berechtigt sind, im Ausland gegründeten Gesellschaften bei ihrer Tätigkeit im Inland um des Gläubigerschutzes willen auf die Finger zu schauen. Dies ist einer der Kernpunkte der Diskussion um das Centros-Urteil, auf das nunmehr einzugehen ist. In diesem Fall ging es um die dänischen Gesellschafter einer in England gegründeten Private-Limited Company, die im Gründungsland anders als in Dänemark mit einem minimalen Stammkapital errichtet werden konnte und gegründet worden war. Dabei war nach dem Sachverhalt klar, dass die Gründer nicht die Absicht hatten, in Großbritannien irgendeine Geschäftstätigkeit zu entfalten; dies sollte vielmehr ausschließlich durch eine dänische Zweigniederlassung geschehen. Diese sollte in Dänemark eingetragen werden - die dänischen Behörden verweigerten die Eintragung, weil sie ein Unterlaufen der Gründungsvorschriften für Kapitalgesellschaften, wie sie das dänische Recht vorsieht, befürchteten. Was dies bedeutet, kann man sich vor dem Hintergrund des Sachverhaltes klarmachen: Das in England

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Harm Peter Westennann

gezeichnete Kapital betrug 100r, eingezahlt wurde aber nichts; der Sitz der Gesellschaft befand sich an der Adresse eines Freundes des Ehemanns. In Deutschland würde man sagen, dass dem Vorhaben die Unseriosität geradezu auf die Stirn geschrieben war. Die Vorlagefrage bezog sich darauf, ob die Ablehnung der Eintragung mit den Regeln des EGV vereinbar sei, ferner auf die Relevanz der Absicht, die gesamte Geschäftstätigkeit in dem Land zu betreiben, in dem die Zweigniederlassung errichtet werden sollte, um dadurch die Einzahlung eines Mindestgesellschaftskapitals, wie sie in Dänemark erforderlich gewesen wäre, zu vermeiden. Der EuGH entschied im Sinne der Unternehmens gründer. Er bejahte zunächst die Anwendbarkeit der Art. 43 ff. des EGV, da die dänischen Behörden die Ausübung der in diesen Bestimmungen gewährleisteten Freiheiten beschränkten. Das liegt insofern auf der Linie der früheren Judikatur, als das Niederlassungsrecht nicht nur im Sinne eines Diskriminierungsverbotes interpretiert werden darf27 • Der EuGH versteht die Niederlassungsfreiheit somit dahin, dass dieses Recht von einem Rechtsträger geltend gemacht werden kann, der dem Niederlassungsstaat nicht zuzurechnen ist, wobei sich diese Zurechnung bei juristischen Personen durch Maßgeblichkeit desjenigen Staates ergibt, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat28 . Auch ist schon hier zu bemerken, dass die dänischen Behörden die in England erfolgte Gründung nicht in Zweifel zogen, was richtig war, da das dänische Recht der Gründungstheorie folgt. Weiterführend ist allerdings die Ansicht des EuGH, die Mitgliedsstaaten dürften zwar Maßnahmen treffen, die verhindern sollen, dass sich Staatsangehörige unter Missbrauch der durch den EGV geschaffenen Möglichkeiten der Anwendung des nationalen Rechts entziehen, dabei seien aber die Ziele der einschlägigen Bestimmungen des EGV zu beachten. Vor diesem Hintergrund hält der EuGH die hier vorliegende Ausnutzung weniger strenger Gründungsvorschriften des englischen Rechts durch ein Unternehmen, das in Dänemark tätig werden wollte, nicht für einen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit, zumal mit dieser Freiheit auch das Recht eingeräumt werden soll, mittels einer Agentur, Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft in anderen Mitgliedsstaaten tätig zu werden. Der EuGH geht dabei auch davon aus, das Ziel der dänischen Vorschriften, Gläubigerschutz zu betreiben, sei nicht erreichbar, denn bei einer Geschäftstätigkeit in England wäre die 27 EuGH v. 31. März 1993, Slg. 1993, S. 1-1663 ("Kraus"); EuGH v. 30. November 1995, Slg. 1995, S. 1-4165 ("Gebhart"); i. d. S. auch zu "Centros" Koppensteiner, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussion 1999, S. 150, 158. 28 So das dem Centros-Urteil in mancher Hinsicht voraufgegangene Urteil im Fall Segers (EuGH v. 10. Juli 1986, Slg. 1986, 2382); siehe aber auch das Urteil v. 13. Juli 1993, Slg. 1993, S. 1-4017 ("Commerzbank"); zum Segers-Urteil auch MünchKommlKindler (oben Fn. 8), Rn. 362.

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Zweigniederlassung auch in Dänemark eingetragen worden, obwohl die dänischen Gläubiger in diesem Fall nicht minder gefahrdet gewesen wären als ohne ergänzende Geschäftstätigkeit im Vereinigten Königreich. Den Gläubigem sei auch bekannt, dass die Gesellschaft nicht dem dänischen Recht unterliege, weil sie ja dort nur als Zweigniederlassung eingetragen werden solle. Allerdings obliege es dem Sachrecht der Mitgliedsstaaten, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung von Betrügereien zu ergreifen, wobei sich das Urteil hierzu nähere Ausführungen erspart und sich damit begnügt, dass Missbräuche jedenfalls nicht durch eine schlichte Versagung der Anerkennung der Gesellschaft oder der Zweigniederlassung abgewehrt werden können 29 . Das Centros-Urteil erwähnt die nach verbreiteter Meinung bis dahin grundlegende Daily-Mail-Entscheidung nicht mit einem Wort, ebenso wenig der Generalanwalt La Pergola. Das wird vielfach für verwunderlich gehalten, lässt sich aber möglicherweise daraus erklären, dass es sich im DailyMail-Fall um eine Sitzverlegung, bei Centros um einen Fall der sekundären Niederlassungsfreiheit handelte 3o . Man kann das Centros-Urteil also auf den Satz reduzieren, dass Gründung und Satzungssitz in einem Mitgliedstaat der EG ausreichen, um der Gesellschaft das Recht zu verschaffen, in anderen Mitgliedsstaaten eine Zweigniederlassung zu errichten. Hierin wird auch die Übereinstimmung zu dem erwähnten Segers-Fall gesehen 31 . Wenn es dagegen, wie im Fall Daily Mail, um die Frage geht, ob eine britische Gesellschaft den Sitz ihrer Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedstaat verlegen konnte, und wenn das Centros-Urteil sich zu dieser Frage nicht abgrenzt, so kann der Schluss gezogen werden, dass die Voraussetzungen sekundärer und primärer Niederlassungsfreiheit nach Auffassung des EuGH unterschiedlich zu bestimmen sind32 . Hervorzuheben ist auch, dass beide Urteile sich auf Rechtsordnungen beziehen, die der Gründungstheorie näher stehen als der Sitztheorie, so dass hier nicht die Gründung einer ausländischen Gesellschaft mit inländischem Verwaltungssitz verboten war und das Gericht die kollisionsrechtliche Frage nach der Maßgeblichkeit einer der Theorien wohl nicht zu stellen brauchte 33 .

Tz. 35 des Urteils; zustimmend dazu Kieninger, ZGR 1999, S. 724, 740 f. So Koppensteiner (oben Fn. 27), S. 153. 31 Koppensteiner (oben Fn. 27), S. 154. 32 Koppensteiner (oben Fn. 27), S. 155. 33 Schülz/H. P. Westennann Einleitung, Rn. 85b; s. auch Palandt/Heldrich (oben Fn. 1), Rn. 2. Anders gerade in diesem Punkt das in Fn. 7 erwähnte Urteil EuGH, RIW S. 2002, 925. 29

30

9 Nettesheim/üppermann (!frsg.)

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Harm Peter Westermann 4. Das Centros-Urteil als Markstein oder Durchgangsphase der Entwicklung

Dennoch ist dem Urteil sowohl für die Fragen der primären und sekundären Niederlassungsfreiheit als auch für den Theorienstreit zwischen Gründungs- und Sitztheorie zentrale Bedeutung beigemessen worden; erst in letzter Zeit vermehren sich die Zweifel, ob man dem EuGH damit nicht zu viel unterstellt. Dies lässt sich zunächst an den etwas vordergründigen praktischen Konsequenzen für die Niederlassungsfreiheit zeigen, bevor wenigstens kurz überlegt werden soll, ob, wie man zunächst befürchtet oder auch gehofft hatte, mit diesem Spruch des EuGH die Sitztheorie in Europa ad acta gelegt werden kann. Nach deutschem Recht bedeutet die Verlegung des Verwaltungssitzes einer ausländischen Gesellschaft nach Deutschland einen Statutenwechsel, so dass nunmehr deutsches materielles Recht anwendbar ist, was den Verlust der im Ausland erworbenen Rechtsfahigkeit nach sich zieht?4 Ebenso muss es in den Ländern sein, die, wie etwa Österreich, die Sitztheorie anwenden; die Errichtung einer Zweigniederlassung erfordert, dass die ausländische Gesellschaft im Inland anerkannt wird. Vor diesem Hintergrund könnte die Entscheidung des EuGH im Centros-Fall besagen, dass aus der europarechtlichen Einrichtung der Niederlassungsfreiheit kollisionsrechtlich die freie Wahl des Gesellschaftsstatuts wird. 35 Denn von einer Ausübung der sekundären Niederlassungsfreiheit kann nur gesprochen werden, wenn zuvor eine Hauptniederlassung besteht. Dennoch bleibt zweifelhaft, ob man wirklich, wie die Kritik meint, nach einem Ansatz bei der sekundären Niederlassungsfreiheit offenlassen kann, welche von der Gründungs- oder Sitztheorie beeinflussten international-gesellschaftsrechtlichen Fragen hinfort auch aus dem Blickwinkel der Niederlassungsfreiheit zu behandeln sein werden 36 • Immerhin hat in einem zeitlich auf das Centros-Urteil folgenden Spruch das LG München die Niederlassungsfreiheit in der Deutung des EuGH nicht als Hindernis angesehen, zu prüfen, ob eine nach dem angeblichen Gründungsstatut gegründete Gesellschaft wirklich nach diesem Recht bestand. 37 Was nun die sekundäre Niederlassungsfreiheit im Einzelnen anbelangt, so ist davon auszugehen, dass Subjekte dieses Rechts Gesellschaften sind, die nach dem Recht eines Mitgliedsstaates gegründet wurden und ihren Sitz 34 BGHZ 97, S. 269, 271 f.; OLG Jena, IPRax 1998, S. 364, 365 f.; Staudinger/ Großfeld, Rn. 642 f. 35 Kieninger (oben Fn. 29), S. 731; Scholz/H. P. Westermann, Einleitung, Rn. 85b; kritisch Kindler, NJW 1999, S. 1999. 36 So die Kritik durch Roth, ZIP 1999, S. 862, 863. 37 ZIP 1999, S. 1680.

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in dem mitgeteilten weiteren Sinn innerhalb der Gemeinschaft haben. Das bedeutet zugleich, dass der Niederlassungsstaat eine Gesellschaft, der dieses Recht zusteht, als rechtsfahig behandeln, sie also anerkennen muss 38 . Der kritische Punkt an dieser Ableitung liegt aber gerade darin, dass nicht sicher ist, ob man die Niederlassungsfreiheit so weit fassen kann, ohne mindestens irgendeine geschäftliche Tätigkeit im Lande des Satzungssitzes zu fordern, und ohne sich darum zu kümmern, ob hierbei eine Umgehung des Gründungsrechts des Landes des Verwaltungssitzes stattfindet. Aus dieser Sicht müssen die Dinge auch im Rahmen solcher Rechtsordnungen überlegt werden, die in ihrem Gründungsrecht gläubigerschützende Voraussetzungen wie etwa ein gesichertes Mindestvermögen für die Anerkennung der Rechtsfahigkeit einer Kapitalgesellschaft eingeführt haben. Nach dem Centros-Urteil macht es in der Tat keinen Unterschied, dass die englische Gesellschaft durch zwei Dänen und nicht etwa durch zwei Engländer gegründet wurde 39 , und der EuGH muss sich auch vorhalten lassen, dass er die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Niederlassungsrechts durch Gesellschaften anders bestimmt hat als bei natürlichen Personen, die nur dann niederlassungsberechtigt sind, wenn sie die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates haben und darüber hinaus innerhalb der Gemeinschaft ansässig sind. So gesehen, bedeutet das Centros-Urteil, dass mitgliedsstaatliche Ordnungsprinzipien aufgegeben werden, ohne dass dies durch reale Vorteile bei der Verwirklichung des Binnenmarktes erfordert würde. Der EuGH hat dies bis zu einem gewissen Grad gesehen und weist deshalb ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedsstaaten hin, Missbräuchen mit Instrumenten des nationalen Rechts zu begegnen. Hierüber ist in Deutschland dann auch nachgedacht worden, und es erschiene denkbar, dass man gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutz gegenüber Scheinauslandsgesellschaften im Rahmen der gerichtlichen Anwendung der Regeln über die Haftung der Gesellschafter für Gesellschaftsverbindlichkeiten zu verwirklichen sucht. 4o Besser wäre es freilich, wenn der EuGH im Rahmen der jetzt zur Entscheidung anstehenden Vorlagefragen sich die Dinge noch einmal überlegen und davon abrücken würde, dass ein bloßer Satzungssitz im Gründungsstaat ausreichen soll, um der Gesellschaft das Recht zur Niederlassung in der gesamten Gemeinschaft zu verschaffen. Es wäre vorzuziehen, hierfür eine geschäftliche Betätigung in diesem oder in einem anderen Mitgliedsstaat, nicht lediglich im Niederlassungsstaat, zu verlangen, die geeignet ist, eine tatsächliche und 38 Dies ist allerdings nicht unstreitig, dafür Koppensteiner (oben Fn. 27), S. 160; Leible, NZG 1999, S. 300, 301; Roth, (oben Fn. 34). 39 Koppensteiner (oben Fn. 27), S. 162. 40 Dazu näher Ulmer, JZ 1999, 662, 664; Roth (oben Fn. 34), S. 863; Scholz/ H. P. Westermann, Einleitung, Rn. 8c.

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dauerhafte Verbindung mit der Wirtschaft des Gründungsstaates zu begründen41 . Was die primäre Niederlassungsfreiheit anbelangt - hier also die Verlegung des Verwaltungssitzes -, so könnte man dazu neigen, die Dinge unter dem Eindruck des Centros-Urteils so zu behandeln, dass der Gründung einer Gesellschaft in einem Mitgliedsstaat mit dortigem Satzungssitz, aber mit Verwaltungssitz in einem anderen Mitgliedsstaat (das ist der Centros-Fall) die Verlegung einer zunächst in einem Mitgliedsstaat zusammen mit dem Satzungssitz liegenden Hauptverwaltung in einen anderen Mitgliedsstaat gleichgestellt wird. In der Tat ist anzunehmen, dass bei einer solchen Gleichbehandlung der Probleme auch im Bereich der primären Niederlassungsfreiheit das Centros-Urteil mit Daily-Mail nicht mehr zu vereinbaren ist. 42 Dann allerdings hätte sich das Centros-Urteil mit Daily-Mail auseinandersetzen müssen, so dass man überlegen kann, ob wirklich der Gerichtshof die beiden Fallkonstellationen gleich einschätzt. Sollte sich, etwa in einem klärenden Spruch des EuGH, die neuere Linie des Centros-Urteils durchsetzen, so würde dies bedeuten, dass eine Gesellschaft mit Satzungs sitz in einem EG-Mitgliedsstaat, die ihren Verwaltungssitz in das Inland verlegt, dies tun kann, ohne dabei ihre Rechtsfähigkeit einzubüßen. Es könnte sein, dass man zu ähnlichen Ergebnissen kommen kann, indem man im Inland nach der Verlegung des Verwaltungssitzes immerhin eine Vorgesellschaft annimmt; auch das ist aber mit der Vorstellung des Centros-Urteils nicht mehr recht vereinbar, wonach die Befugnis zur Verlegung aus dem ausländischen Gesellschaftsstatut abgeleitet wird, und überdies ist die Figur der Vorgesellschaft europarechtlich eine alles andere als geklärte Einrichtung. 43 Auch hier sind Hilfsmaßnahmen des inländischen Rechts erwogen worden, wobei daran zu erinnern ist, dass bei einer deliktsrechtlichen Begründung der Durchgriffshaftung an das am Sitz geltende Recht anzuknüpfen wäre. 44 Es ist aber zu befürchten, dass der EuGH ein solches Vorgehen, ebenso wie die Nichteintragung einer Zweigniederlassung, als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit werten würde45 . Ohne genaue Analyse des "Überseering"-Urteils kann jetzt nicht prognostiziert werden, ob die Sitztheorie europarechtlich noch zu halten ist, was trotz des Centros-Urteils und der soeben vorgeführten Bedenken vielfach 41 Etwa in diesem Sinne auch Behrens, ZGR 1994, 1, S. 17; Koppensteiner (oben Fn. 27), S. 165. 42 Ebenso Kieninger, ZGR 1999, S. 724, 738; Leible, NZG 1999, S. 300, 301; Neye, Kurzkommentar EWiR, Art. 52 EGV 1199; Koppensteiner (oben Fn. 27), S. 180. 43 Zur Frage, ob die Publizitätsrichtlinie auf die Vorgesellschaft Anwendung findet, s. etwa Mülbert/Nienhaus, RabelsZ 2001, S. 513 ff. 44 Scholz/H. P. Westennann, Einleitung, Rn. 8c. 45 So auch Roth (oben Fn. 34), S. 863.

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bejaht wird46 . Diejenigen, die die Grundentscheidung noch für offen halten, müssen allerdings versuchen, auf dem Boden der Sitzanknüpfung zu erreichen, dass die im Ausland sich betätigende, sich niederlassende oder mit Zweigniederlassungen operierende juristische Person dies ohne Identitätsverlust tun kann. Sie müssen dies erreichen, solange die vom EuGH für zulässig gehaltenen, aber eben noch nicht existierenden gemeinschaftsrechtlich veranlassten Vereinheitlichungen des Gesellschaftsrechts fehlen. Die gesellschaftsrechtliche Praxis wird mit dem Centros-Urteil leben können. Sie geht zunächst davon aus, dass die Eintragung einer Zweigniederlassung einer ausländischen Kapitalgesellschaft nunmehr stark erleichtert ist, ohne dass der deutsche Markt davon viel hat, denn über welches Vermögen die Zweigniederlassung verfügt, ist aus dem Handelsregister nicht zu entnehmen47 • Ferner steht fest, dass eine Pflicht zur Eintragung einer Zweigniederlassung nicht besteht, die ausländische Kapitalgesellschaft sich vielmehr auch direkt im Inland unternehmerisch betätigen kann, jedenfalls dann, wenn sie im Übrigen im Ausland tätig bleibt. Man wird ferner einräumen können, dass ein deutscher Unternehmer, der im Inland ohne die Beschränkungen des hiesigen Gesellschaftsrechts Geschäfte machen will, nach dem Centros-Urteil das Recht hat, eine Briefkastenfirma nach englischem oder niederländischem Recht zu gründen, um sich sodann unter den Mantel einer Zweigniederlassung dieser Briefkastenfirma in Deutschland zu betätigen. Damit geht man allerdings einen Schritt, der bisher nicht zugelassen wurde, und von dem anzunehmen ist, dass die Gerichte ihn weiterhin werden bekämpfen wollen 48 . Neben der Zweigniederlassung kommt natürlich auch ein Beteiligungserwerb oder die Gründung von Tochtergesellschaften in Betracht. In dieser Hinsicht mag interessant sein, dass das Berliner Kammergericht noch vor nicht langer Zeit von einer nach dem Recht der niederländischen Antillen gegründeten Gesellschaft, die die Geschäftsanteile einer deutschen GmbH erworben und nunmehr verschiedene registerrechtlich relevante Maßnahmen beschlossen hatte, die Vorlage von Nachweisen bezüglich der Belegenheit des Verwaltungs sitzes im Gründungsstaat verlangt hat49 . Man muss sich 46 Ebke, JZ 1999, S. 656; Roth (oben Fn. 34), S. 861; Bungert, DB 1999, S. 1841; PalandtlHeldrich (oben Fn. 1), Anh. Art. 12 Rz. 2; ErrnanlHohloch (oben Fn. 8), Anh. 11 Art. 37 EGBGB, Rn. 25a; a.M. aber Meilicke, DB 1999, S. 627; Risse, MDR 1999, S. 753; Kieninger, ZGR 1999, S. 724; Behrens, IPRax 1999, S. 323; am Ende wohl auch Koppensteiner (oben Fn. 27). Das "Überseering"-Urteil des EuGH (dazu Fn. 7) wird als Hinwendung zu einem "Herkunftsland-Prinzip" verstanden, s. LeibleiHoffmann (oben Fn. 7). 47 Dazu näher Kiem (oben Fn. 6), S. 204. 48 Siehe etwa das Urteil des BayObLG, RIW 1998, S. 966. 49 KG, IPRax 1998, S. 360; dazu auch Bummert, IPRax 1998, S. 339.

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aber darüber im Klaren sein, dass von einer Gesellschaft mit Satzungssitz in einem Mitgliedsstaat derartiges nicht verlangt werden könnte. Diese Unterscheidung zwischen EG-Mitgliedsländern und anderen ist, wenn man die letzten in Deutschland gemachten praktischen Erfahrungen mit Gesellschaften von den Antillen oder dem Cayman-Inseln in Betracht zieht,50 wohl doch immer noch zu rechtfertigen. Natürlich bleiben Schwierigkeiten speziell im Registerrecht, da wir keine Vorschriften über die Eintragung einer Hauptniederlassung einer ausländischen Gesellschaft haben und uns auch nicht damit helfen können, dass wir eine Hauptniederlassung als Zweigniederlassung behandeln. Wenn es also bei der Rechtslage allein nach dem Centros-Urteil bleiben sollte, wird der Gesetzgeber auch Regeln für die Eintragung von Hauptniederlassungen ausländischer Gesellschaften zu schaffen haben. Bei dieser Gelegenheit könnte er denn auch die vom EuGH zwar nicht konkretisierten, aber doch allgemein für möglich gehaltenen Sicherungsmaßnahmen gegen Missbrauch der sekundären oder primären Niederlassungsfreiheit ergreifen. 111. Die ersten Klärungsversuche 1. Die deutschen Vorlageentscheidungen

Ich komme am Ende auf das zurück, was ich ursprünglich an den Anfang hatte stellen wollen, nämlich die Auseinandersetzung der Vorlagebeschlüsse mit der Centros-Rule; es muss in Kauf genommen werden, dass dabei bis zu einem gewissen Grade Rechtsgeschichte betrieben wird, dies erst recht nach dem Erlaß des "Überseering"-Urteils des EuGH. Der erste Fall war verhältnismäßig einfach. In der Nähe von Heidelberg war im Jahr 1988 eine deutsche GmbH wirksam gegründet worden, deren Anteile später durch die bisherigen Gesellschafter an eine spanische SL veräußert wurden. Die Gründungsgesellschafter dieser Gesellschaft sowie der Geschäftsführer der deutschen Gesellschaft betrieben aufgrund entsprechender Beschlüsse der Gesellschafterversammlung die Sitzverlegung der bisher deutschen Gesellschaft nach Spanien, wo sich in Zukunft die alleinige Tätigkeit der Gesellschaft abspielen sollte. Das AG Heidelberg51 - Handelsregister - sah sich an einer solchen Eintragung der Sitzverlegung durch die in Deutschland h. M. gehindert, wonach eine Gesellschaft, die wirksam in Deutschland gegründet wurde und hier ihren Satzungssitz hat, den tatsäch50 Für nicht-deutsche Leser: Der Vorstand der unter skandalösen Umständen in Schwierigkeiten geratenen Berliner Bankgesellschaft hatte versucht, durch die Gründung einer Gesellschaft auf den Cayman-Inseln die Existenz eines Käufers für eine zu den Ursachen der Krise gehörende Tochtergesellschaft vorzutäuschen. 51 ZIP 2000, S. 1617.

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lichen und satzungsmäßigen Sitz nicht ohne Verlust ihrer Rechtspersönlichkeit ins Ausland verlegen kann, so dass nicht die Eintragung einer Verlegung des Sitzes, sondern eine Löschung geboten wäre 52 . Da in Deutschland ein Sitz der Gesellschaft nicht verbleiben solle, könne auch die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft nach deutschem und spanischem Recht nicht durch die Gründung und Eintragung einer Zweigniederlassung, wie es im Centros-Fall geschehen war, durchgesetzt werden. Daher gelangte man zu der Vorlagefrage, ob Deutschland als Mitgliedsstaat nach den Grundsätzen der Niederlassungsfreiheit gegenüber Gesellschaften, die wirksam im eigenen Land errichtet worden sind, die aber ihren tatsächlichen Sitz und Tätigkeitsschwerpunkt in einen anderen Mitgliedsstaat verlegt haben, die Eintragung der Sitzverlegung im Handelsregister ablehnen darf, und die Gesellschaften somit aufzulösen und zu liquidieren sind. Dem stellte das AG Heidelberg noch die Frage voran, ob eine solche identitätswahrende Sitzverlegung zu den von Art. 43 und 48 EGV erfassten Rechten gehört. Nicht viel komplizierter lag der Sachverhalt der Vorlage durch den BGH, der zum "Überseering"-Urteil des EuGH geführt hat. Eine niederländische Gesellschaft, die dort im Jahre 1990 wirksam gegründet worden war und Eigentümerin eines Grundstücks in Düsseldorf war, auf dem ein größeres Garagengebäude und ein Motel standen, entschloss sich, eine deutsche Gesellschaft mit der Sanierung dieser Gebäude zu beauftragen. Kurz danach gab es einen Wechsel in der Inhaberschaft an der niederländischen Gesellschaft und im Zuge dieses Vorgangs die Verlegung des Verwaltungssitzes der Gesellschaft nach Düsseldorf. Nunmehr klagte die ehemals niederländische Gesellschaft aus dem Werkvertrag gegen die deutsche Gesellschaft, die Instanzgerichte hielten die Klage für unzulässig, weil die Gesellschaft nach der Sitzverlegung nicht mehr parteifähig sei. Dies entspricht nach Ansicht des BGH der herrschenden, von der Sitztheorie bestimmten deutschen Praxis, nach der es vielmehr darauf ankomme, ob die Gesellschaft nach dem Recht des Gründungsstaats fortbestehe, und ob sie auch nach deutschem Recht rechtsfähig sei 53 , was hier freilich nicht anzunehmen war, da die Gesellschaft keinerlei Anstrengungen in Richtung auf eine Registrierung in Deutschland unternommen hatte. Der BGH prüfte, ob an dieser Rechtslage nach europarechtlichen Regeln festgehalten werden könne, was nach dem Daily-Mail-Urteil an sich der Fall sei, sah aber das Bedenken aus dem Centros-Urteil und ging auch davon aus, dass nach in Deutschland herrschender Ansicht der Gerichtshof hiermit die Sitzanknüpfung für mit der Niederlassungsfreiheit unvereinbar erklärt habe. Da dies aber streitig sei, sei die Vorlage geboten. Dazu näher BGHZ 53, S. 181; 97, S. 269; BayObLG Rechtspfleger 1999, S. 27. Siehe wiederum BGHZ 53, S. 181; 97, S. 269; Staudinger/Großfeld (oben Fn. 12), Rn. 38. 52 53

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Das AG Heidelberg machte es sich in dieser Hinsicht noch etwas einfacher, indem es darauf hinwies, die Centros-Entscheidung habe es mit der Eintragung einer Zweigniederlassung zu tun gehabt und nicht mit einer identitäts wahrenden Sitzverlegung. Daher sei aus der bisherigen Judikatur des Gerichtshofs die Rechtslage nicht deutlich ersichtlich. 2. Beurteilung

Die Aufnahme dieser Vorlageentscheidungen durch die deutsche Wissenschaft ist unterschiedlich. Bei der Durchsicht der Besprechungen dürften vor allem die Richter des VII. BGH-Senats von der einen Überraschung in die andere gefallen sein. 54 Was zunächst die identitätswahrende Sitzverlegung von Deutschland nach Spanien betrifft (AG Heidelberg), so wird dem Gericht bestätigt, dass es sich in der Tat um Auswirkungen der Niederlassungsfreiheit für die Auflösung der Gesellschaft ex lege und den Statutenwechsel im Falle einer Verlegung des Verwaltungssitzes gehandelt habe, so dass jedenfalls die Vereinbarkeit mit der Daily-Mail-Entscheidung zu überprüfen war. 55 Dem steht nach Ansicht des AG der Gedanke gegenüber, dass die in den Mitgliedsstaaten wirksam gegründeten Gesellschaften Zugang zu den Märkten der anderen Mitgliedsstaaten haben müssten, und das Gericht entnimmt dem Centros-Urteil, dass aus diesem Grunde möglicherweise von "Daily-Mail" abzurücken sei. Damit hätte der Gerichtshof aufgrund dieser Vorlage die Gelegenheit gehabt, die aufgetretenen Zweifelsfragen zu klären. Demgegenüber ist nach Ansicht von Teilen des deutschen Schrifttums die Vorlage des BGH für den zu entscheidenden Fall nicht entscheidungserheblich, so dass der EuGH in dieser Sache nicht entscheiden könne 56 . Nach dieser Ansicht handelt es sich nämlich nicht um ein Problem des internationalen Gesellschaftsrechts, sondern lediglich um die Frage, ob und wann eine ausländische Handelsgesellschaft in Deutschland partei- und prozessfähig ist, nachdem klar ist, dass das Recht des Gründungsstaats das Gebilde als juristische Person weiterhin anerkennt, was bei einer nach niederländischem Recht gegründeten Gesellschaft zutrifft57 • Es muss dann allerdings überlegt werden - dies ist der Kern weiterer kritischer Argumentationen58 54 Zu beiden Vorlageentscheidungen: Behrens, EuZW 2000, S. 385; Roth, ZIP 2000, S. 1597; Kindler, RIW 2000, S. 649; Heidenhain, Anm LM § 50 ZPO Nr. 51; Kieninger, NZG 2001, S. 611; Altmeppen, DStR 2000, S. 1061. 55 Roth (oben Fn. 52). 56 Insoweit übereinstimmend Altmeppen, Roth im Wesentlichen auch Kindler, alle (oben Fn. 52). 57 So Altmeppen (oben Fn. 54), S. 1062. 58 Insbesondere von Roth und Kindler (oben Fn. 54).

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ob nicht das Gebilde, das sich nach Verlegung seiner Aktivitäten nach Düsseldorf in Deutschland betätigte, hier jedenfalls als Personenhandelsgesellschaft oder auch als Gesellschaft bürgerlichen Rechts anzusehen ist, wobei es im ersteren Fall aufgrund des § 124 Abs. 1 HGB uneingeschränkt parteifähig wäre, im Übrigen nach § 50 Abs. 2 ZPO. Man kann dem nach der neuesten Entwicklung noch hinzufügen, dass der BGH in seinem Urteil vom 29.1.2001 59 der Gesellschaft bürgerlichen Rechts die Rechts- und Parteifähigkeit zugesprochen hat, sie aber, was die Haftung anbetrifft, im Wesentlichen wie die OHG behandeln will, so dass jedenfalls aufgrund dieser international-privatrechtlichen Substitution60 die Konflikte außerhalb der Vorlagefrage allein nach deutschem Sachrecht zu entscheiden wären. Es wurde dann weiter noch angenommen, dass selbst in einer Versagung der Rechts- und Parteifähigkeit keine Verletzung der Niederlassungsfreiheit liege, was aus dem Urteil Daily-Mail zu entnehmen sei61 • Dies allerdings könnte der Punkt sein, an dem der EuGH ansetzt, wenn er es für geboten hält, die Rechtslage weiter aufzuhellen, was inzwischen mit weiteren Überraschungen geschehen ist. Denn der Unterschied in der Anwendung eines allgemein-prozessrechtlichen Grundsatzes und der international-gesellschaftsrechtlichen Sitztheorie, der die deutschen Autoren überzeugt, mag dem Gerichtshof nicht im gleichen Maße einleuchten. Ob diese Prognose aber zutrifft, kann jetzt vorläufig nicht beurteilt werden, so dass es bei einem Bedauern bleibt, dass das Internationale Gesellschaftsrecht vorerst auf seiner europarechtlichen Seite eine offene Flanke aufweist.

59 Dazu aus dem ebenfalls fast unübersehbaren Schrifttum nur: BGHZ 146, S. 341; dazu H. P. Westermann, NZG 2001, S. 289 ff.; Schrnidt, NJW 2001, S. 993 ff.; Ulrner, ZIP 2001, S. 585 ff.; Wiedernann, JZ 2001, S. 661 ff.; Habersack, BB 2001, S. 477 ff. 60 Dazu besonders Kindler (oben Fn. 54). 61 Insbesondere Kindler (oben Fn. 54), S. 653.

IV. Elektronischer Handel im Binnenmarkt

Copyright and the E-Commerce By Pavel Svoboda, Prag In Europe, but not in the USA' or Japan, copyright is usually referred to as an example of a legal discipline which has remained quite unaffected by the emergence of the Internet; in principle, it is enough to adapt the current norm to the new reality. 2 The following pages should prove that reality is different. I would like to discuss this statement by presenting specific issues related to the relationship between the Internet and copyright.

I. The Internet and Disputes on Copyright The Internet enables cross-border distribution of work protected by copyright to an unprecedented extent. This gives rise to possibIe disputes containing a foreign element. From this point of view, the comparison of the Czech rules on jurisdiction with the ones of EU law and the international copyright treaties 3 shall not cause any difficulties as these rules of law are governed by very similar principles. Let us first recall the ruIes of general jurisdiction. 1. General Jurisdiction

The extra-contractual liability is most often dealt with in the context of damages or other violation of law. In terms of the Czech law, it is either the court of the defendant (§ 84 of Civil Judicial Code (CJC) following Cf. Digital Millenium Act of October 28, 1998. Cf. report of the French Conseil d'Etat "internet et reseaux numeriques", in doctrine cf. Thieffry, L'emergence d'un droit europeen du commerce electronique, RTD euro 36(4) 2000. 3 Cf. in particular two WIPO treaties (1996 (30 ratifications are necessary for their effectiveness - cf. ratification score of WCT-WIPO Copyright Treaty- and on the related rights WPPT-WIPO Performances and Phonograms Treaty) of December 20, which are, among others, inspired by the TRIPs Convention of April 15, 1994 (in CR published as Communication of the Ministry of Foreign Affairs, No. 19l/ 1995 Col!.), which obligates the signatories to respect the Revised Bern Convention of September 9, 1886. 1

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§ 37/1 of the Czech Act on International Private Law) that possesses jurisdiction to detennine the damage liability, or the court of the district in which the matter establishing the right for indernnification occurred4 (§ 87(b) CJC). This place is detennined based on the infonnation given by the plaintiff, even if the defendant repudiates it. 5

The Brussels Convention6 is based on the rule of the defendant's general jurisdiction (Art. 2). Apart from that, a defendant who has residence ina Contracting State may be sued in another Contracting State if the damage arose as a result of illegal or similar behavior (Art. 5.3). According to the European Court of Justice (ECJ), illegal or similar behavior is any behavior establishing the liability of the defendant, unless it relates to a contract within the meaning of Art. 5/1 of the Brussels Convention. 7 If there is more than one origin of the damaging event, the plaintiff may choose any of them. 8 This ability to choose is called forum shopping, with the plaintiff searching for the court which would give hirn the most powerful protection. The use of this choice is also dependent on the claim: e. g. a negatory claim (the defendant is prohibited from further violation of law) shall be applied in the most efficient way in the country where the violation of law occurred, while indemnification shall be most efficiently dealt with in the court of the residency/seat of the defendant or, even better, in the place where the defendant keeps his possessions.

4 Cf. more subtle differentiation between the place where the damage occurred (e.g. a place in a computer damaged by a virus) and the place from which the damage originated (e.g. the place from which the virus was sent by e-mail); both places confer the court's jurisdiction based on the decision of the French CA Paris in the case of Ste Allaban of March 1, 2000 (conflict of trade mark and domain name); cf. also the decision of TGI Paris in the case of Nart Inc. of May 3, 2000 ("the Internet represents a huge auction hall for auction purposes which can be indefinitely molded", so by offering the auction articles to internauts in Paris "this virtual auction hall is being extended within the reach of Paris territory", but in France, auctions of movables are controlled by special state officials "commisairespriseurs"), cf. also decision of TGI Paris of May 22, 2000 in the case of Yahoo.com (offers of Nazi articles in the Internet). 5 Cf. Supreme Court of CSFR, Supreme Court of CR and Supreme Court of SR on civil court proceedings and notarial procedure, SEVT Praha 1986, p. 708. 6 Brussels Convetion is not applicable for plaintiffs residing outside the territory of the Contracting States. 7 189/87 Kalfelis v. Schroder & Co., ECR 1988,5585. 8 According to the Czech law, this conclusion is based on the fact that (a) court jurisdiction by the nature of the damage (§ 87(b) o.s.r.) is a jurisdiction which the plaintiff can choose apart from his general jurisdiction and that (b) for the purpose of determining the jurisdiction, the court uses information provided by the plaintiff. For international reference cf. also English decision of Mines de Potasse, QB 1978, 708.

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For example, if a German company distributes a computer virus to a French company's computers and damages them, the German company could be sued both in France and Germany. However, this choice may not be applied for those who suffered a secondary loss9; if the French Company went bankrupt because of the virus, its creditors may bring claims only in the country of the defendant' s residence, i. e. in the Federal Republic of Germany. For worldwide purposes, the Hague Conference on Private International Law prepared The Draft Convention on Jurisdiction and Foreign Judgments in Civil and Commercial Matters ("CJFJ")lO, inspired by the Brussels Convention, but having worldwide territorial operation. Art. 10 of the CJFJ draft is based on the determination criterion: it stipulates that "a plaintiff may bring a tort or delict action to the courts of the State (a) in which the act or omission that caused injury occurred, (b) in which the injury arose, unless the defendant establishes that the person claimed responsible could not reasonably have foreseen that the act or omission could result in an injury of the same nature in the State." 2. Jurisdiction for Copyright Infringement

Special cases of jurisdiction include, inter alia, copyright infringement, which, thanks to the Internet, can occur in many places and can be sued therein, although more subtle differentiation of jurisdiction rules could be made following the kind of the (ab)use of a work: (i) exhibition of the work on a web page (i. e. recording of data onto the respective server) usually constitutes the jurisdiction of the court in the server's location. Although forum shopping (see above) could be disagreed with by some, it is necessary to enable the protection against so called copyright havens - territories with no or minimum levels of Cf. 220/88 Dumez France v. Hessische Landesbank (Helaba), SbSD 1990, I-49. Diplomatie Conference should accept CJFJ at the beginning of 2002; see www.hcch.netle/conventions/draft36e.html. CJFJ is based on three categories: (i) general jurisdiction according to the "habitual residence" of a defendant; (ii) prohibited grounds of jurisdiction: the court of a Contracting State e. g. must not accept jurisdiction merely on the basis that the defendant "carries out commercial or other activities" on the territory of the respective State (Art. 18.2(e) CJFJ); however, it allows special jurisdiction under the national law (see below sub (iii», if the dispute is directly related to such activities. General jurisdiction of the defendant should thus be applied only when its habitual residence and the carrying on of activities in question are concurrent; (iii) allowed reasons for constituting jurisdiction under the national law, however, conditioned by the fact that decisions made based on such jurisdiction are effective only under the nationallaw, not under CJFJ. 9

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copyright protection. If only the court of the server' s location had exclusive jurisdiction, all servers containing illegal works would be located on the territory of such copyright havens. (ii) downloading of work onto an end-user's computer should constitute the jurisdiction of the court where the server is located. 11 According to ECJ, however, total indemnification from all these territories can be claimed only in the general jurisdiction of the defendant; in other states only partial indemnification may be claimed based on the injury suffered on the territory of the respective State. 12 This approach of ECJ has been criticized as illogical because, the rights in question are the rights related to the plaintiff, who suffers the injury mainly in his state of residence. 13 On the other hand, admitting that, fundamentally, the plaintiff s court has jurisdiction would result in possible higher expenses for the plaintiff. 11. Distraction from the Legal Protection for the Benefit of Technological Protection Supported by Law The Internet makes it relatively simple to disseminate, obtain, change and interconnect data, information and pictures worldwide in seconds. Moreover, a digital copy is undistinguishable from the original; however, its nature is different. While the traditional analogue method conveyed a work or its copy in a tangible medium (a book on paper), the Internet enables the creation of digital version of works. This threatens intangible property which is being copied, changed and further distributed to third persons without prior consent of the respective copyright owners. Legal protection and especially its application fall far behind the technical development forcing copyright owners to rely on technology enabling both coding and control over the use of their works, rather than on legal instruments. 14 These technical means of protection are stressed not only by § 43-44 of the Act on Copyright (AC), but also by Art. 6 of EU Directive on Copyright of May 22, 2001, Art. 12 of WCT, Art. 19 of WPPT, The American Digital Millenium Copyright Act and § 69f UrhG. Cf. Cenruik, Internet a autorske pnivo, Pnivnik 6/2000, p. 556-558. 68/93 Shevill v. Presse Alliance S.A., SbSD 1995, p. 415. 13 Cf. Ginsberg, Private International Law Aspects of the Protection of Works and Objects of Related Rights Transmitted Through Digital Networks, WIPO Report GCPIC/2 of November 30, 1998, 18; see www.wipo.int. 14 For these technical possibilities cf. presentation of Baker at WIPO International Conference on Electronic Commerce and Intellectual Property (September 1999); see http://ecommerce.wipo.intlmeetings/1999/index/htm. 11

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At the same time, worldwide systems for administration of these uses are being developed (ECMS 15), e. g. European commission project IMPRIMATUR 16, coordinated by a British organization of authors ALCS, SDMI 17 or Genuine Music Mark l8 . These systems can be seen both in an unprecedented outburst of creations combining picture, sound and computer programming and in the fact that technical potential of creating and distributing of works via the Internet dominate the technology for the protection of the use of these works, resulting in an increasing demand to change the system of granting copyright authorizations. Furthermore, new types of e-authors have emerged: computer graphics, programmers of multimedia creations etc. IH. New Kinds of Protected Works

Any information transmitted via the Internet bears copyright protection, provided that it meets certain conditions. According to the Czech law, any work "which is a unique result of the creative work of an author and is expressed in any objectively perceivable form, including electronic form, permanently or temporarily, notwithstanding its scope, purpose or importance" has copyright protection (§ 2/1 of AC I9 ; similarly § 2 UrhG). If the condition of uniqueness and objective perceivability is met, a computer program 20 or a database is also considered a work (§ 2/2 AC, §s 69 and 87 UrhG). Electronic Copyright Management Systems. Intellectual Multimedia Property Rights Model and Terrninology for Universal Reference; see www.imprimatur.alcs.co.uk. 17 Secure Digital Music Initiative, launched by the International Federation of Phonograph Industry IFPI, associating more than 120 companies and associations; see www.sdrni.org. 18 Of the initiative of Genuine Music Coalition for identification of legal MP3 files. 19 Act on Copyright No. 12112000 Col!. 20 A specific issue concerns patent protection of software, simultaneously with copyright protection. The question arises, whether such a patent is innovative because it protects investment, or whether it hampers economic competition. Pursuant to Art. 5212,3 of the European (Munich) Patent Treaty, software "as such" is exempt from the possibility to be patented. However, technical inventions, software being one of them, do receive patents. The Commission launched research on this issue in October 2000. According to the world of industry, Europe shall lose its position in the market without the possibility to patent such inventions. On the other hand, the supporters of Open-Source-Software (e. g. Linux) are opposed to the idea of possible patenting of software. At present, a change of the European Patent Treaty is being prepared which shall deal with such issues. Many of the Member States have already indicated that they 15

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10 Nettesheim/Oppermann (Hrsg.)

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The fact that the infonnation is in a digital rather than original fonn does not have any significant influence on the copyright protection. Digitizing a work does not create a new subject matter to be protected; it rather transfonns familiar literary, musical and other works into a new fonnat: binary code decipherable by a machine. Such a technical procedure is not unknown in the field of copyright; recordings of musical works onto tapes and transfonnation of sound into digital data for CDs can serve as a weIlknown example. Apart from traditional works of authors distributed by new means, special attention must be paid to new fonns on the Internet whose copyright protection have not been yet properly reviewed by the courts in the Czech Republic. 1. Web Page

Web pages qualify for copyright protection under the above stated conditions as other works. This is applicable to the horne page as weIl as to the attached pages which are connected to additional Web pages by hyperlinks. Although the pages are interconnected, copyright protection is not restricted to the work as a whole, but it is also applicable to the individual Web pages because "copyright is applicable to the completed work, its individual development phases and parts, induding the name ..." (§ 2/3 AC; similarly § 2/1 UrhG). A typieal Web page contains the following aspects open to protection: text as a literary work, agraphie presentation as a work of graphie art, or sound effects as a work of musieal art. Moreover, aIl of these are inter-activated by a computer program which, as such, represents a protected work (§ 2/1, Nr. 1 and 69a/2 UrhG). The nature of a Web page allows it to be protected as (a) a collection if it is "a collection of individual works or other items which is, with respect to the method of selection of arrangement of the contents, a unique result of personal intellectual creation." (§ 2/5 AC, § 4 UrhG); a special kind of a collected work constitutes a database (§s 2/2, 2/5 and 88 AC, § 87 UrhG). Typieal collections of works are not only dictionaries and illustrated books but also multimedia products (see below) as well as Web pages and sequences of Web pages connected by hyperlinks; (b) a collective work if it is "a work produced by a number of authors, which is created upon an initiative and under the supervision of a natuare not ready to accept the possibility of patenting the software. Cf. in more detail hup:/ / europa.int/comm/intema'-market/de/int -prop/indprop/softpatde.htm.

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ral or a legal person and which is distributed to the public under its name, and the contributions of such a work cannot be exploited individually" (§ 59/1 AC).21 Furtherrnore, whether the Web page was created ex nihilo - out of nothing, or based on currendy existing works, should also be taken into account. 2. Parts of a Web Page

Parts of a copyrighted work can also be protected under the Czech law

(§ 2/3 AC). On the other hand, UrhG does not specifically mention protec-

tion of parts of a work. Altogether, it is true that in the case of a dispute, screen backgrounds, if not considered a personal intellectual creation as such, icons would be in a much more difficult position due to the absence of the uniqueness of the creation, should anyone claim their authorship to be accepted. However, the possibility cannot be eliminated that such an item could be at the same time protected as a utility pattern or a combined or graphic trademark. 3. Hyperlink Lists

In connection with Web pages, a due account must be taken of the connections between them, i. e. so called links or hyperlinks. Within the area of the Internet, links are designated as the words or icons connected with the content of the Web page by which, by means of clicking on it, direct contact to a subpage of the same Web page (simple linking), or to another Web page (deep linking), or to asound or picture element of another Web page (inline linking) is brought about. The framing technique makes it possible to divide the Web page into several autonomous frames and, by the means of the links, insert a frame from another Web page into the original Web page with the visitor to the original page not having aleast knowledge of it. The links are used in particular as active overviews of the contents, allowing immediate transfer to a chosen place. There are service providers which provide structured overviews about the Internet using such links and refer then to such links and search engines, which, as a result, present a user with a list of links. Such summaries and lists can enjoy copyright protection if a personal intellectual creation exists within the acts of selection 21 Cf. also relationship of a collective work to an emp10yee work (§ 59/2 AC), audiovisual work (§ 59/3 AC) and work created on demand (§ 61 AC). 10*

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and arrangement. This is the case if the compilation of various concepts can be undertaken and, therefore, allow sufficient individual discretion. 22 For example, a purely alphabetical arrangement is not sufficient for the purposes of acquiring copyright protection. 4. E-mails, News groups and Contributions in Mailing Lists

E-mails as weIl as contributions to discussions by means of mailing lists or so-called news groups are also capable of copyright protection. The collection of contributions to a certain topic from news groups are, however, only capable of copyright protection if a particular individual originality is visible in the arrangement. This situation occurs very seldom. It could, again, be a collection protected as a collected work (§ 2/5 AC, § 4 UrhG). However, the prerequisite for such protection is that the activities of the moderator - afterwards becoming the arranger - are comparable to those of an editor. However, even if sufficient creative originality could not be proven at the level of review and arrangement of the contribution, there is at least protection of such fonnation as a database pursuant to § 212, 2/5 and 88 AC, § 87 et seq. UrhG. 5. Multimedia

The Internet gave birth to creations combining picture, sound, computer programming and text, to technology hybrids and media which were used separately before, called multimedia. Standard copyright law stipulates specifics for each fonn of presentation of a work. 23 22 Should the hyperlink list be treated as a protected database, cf. also judicature in Great Britain at Countrywide Assured pIe v. Homemovers Ltd, UK Copyright and Rights in Databases Regulations 1997, uk.intemet.com. 23 Multimedia production often consists of a large number of works from which the need for a large number of consents from the rightholders arises. In the case of existing works, it is necessary to identify and trace all those rightholders and acquire a license from them, which is costly and time consuming. Moreover, the fees paid based on the individual licenses could reach amounts thwarting whole multimedia projects. It can also happen that rightholders could not be identified or that these persons would refuse to give necessary consent. The missing licenses - even if we are talking about individual cases - mayaiso hinder whole multimedia projects. Various solutions are available: a) creation of a common center for obtaining necessary consents (One Stop Shopping) by the means of (i) concentrating the property rights in the hands of multimedia producers, either by establishing a legal presumption of total delegation of such rights or by producers becoming the owners of copyright to a multimedia work which they create. This suggestion is naturally based on a copyright scheme according to Anglo-Saxon principles;

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Multimedia creations comprise the following features: they represent combinations of works traditionally classified within different categories as texts, pictures, sequences of images and sounds. All these kinds of works are transformed into a digital format, therefore they can be stored in a single medium. The collection of works saved in this way can be transmitted, used and processed very quickly and on a mass sc ale. At the same time they represent combination of information and communication technologies. Due to the combination of these technologies, the multimedia services permit easy and full access to the information saved in databases, which are gradually being built everywhere. They also represent an interactive collection enabling dialogue between the user and the system used. The user can ask for a certain piece of information or certain material and receives a satisfactory answer. 24 The legal nature of multimedia works (and consequently the kind of protection provided) does not offer solutions similar to those applied for a Web page (see above); however, the increasingly sophisticated nature of these works leads to the question of whether or not they might represent a new type of work, as, for example, an audiovisual work. 25 (ii) another common administration of the rights by protection organizations or

clearing centers. This would undoubtedly simplify the process of obtaining the rights giving rise to a suitable environment for the widest possible use of works, corresponding with the interests of the authors as weIl. However, the key question remains whether the authors would have to be made to delegate their rights to the respective organizations for the mentioned purposes; (b) establishing a lawful license combined with an appropriate compensation to authors with respect to already existing works. The Commission's standpoint predicates, above all, that difficulties conceming the identification of the relevant rightholders must not lead to reduction of copyright and the related rights (cf. The Green Paper on Copyright and Related Rights in the Information Society, COM (95) 182 final) of July 19, 1995). It considers in particular the idea of lawful license to be condemnable. Also, the Commission's Position on legal presumption of delegation of the property right to the hands of multimedia producers is rather unstable. On the other hand, it must be considered that even in the Community directives there are presumptions of the delegation of rights between both copyright worlds. 24 The Commission describes multimedia as follows: "interaetive multimedia represent a eoneept referring to show, storage, eall up and dissemination of meehanieally proeessed data expressed by multiple means as text, voice, pieture, sound and video. Teehnologieally, it is a erossing of information and eommunication teehnologies eombining digital video, information and digital eommunieation." - Cf. European Commission, DG XIII Report on Multimedia 30.9.1992, 5. 25 Digitizing the work does not create a new subject matter of protection; however, certain differences distinguishing multimedia from the traditional kinds of works must not be ignored. First, it must be considered that traditional classification of works into categories such as literary work, musical work, etc. has been losing

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IV. Revised Content of Author's Rights The copyright does not protect the author only in his personal relationship to the work (personal/individual copyright) but it also protects property rights, especially the right to use the work. Of those rights, within the frame of the Internet and e-Commerce, both the right of the author to copyright notice and the right to give consent to use the work for the reproduction and distribution of copies and communication of the work to the public are of exceptional importance. 1. Copyright Notice

The author of the work has a right to "claim the recognition of his copyright, including the right to decide if and how his authorship should be indicated upon publishing the work" (§ 11/2 AC, § 13/1 UrhG)26. This is usually accomplished (even if it is not necessary) by the means of a copyright notice which includes the name, the author, the relevant year of the use of the work and the symbol ©.27

its significance within the multimedia environment. The above stated works are being stored in the same digital environment. Do multimedia products represent works of literature, music or other works? Do they represent an audiovisual work? A computer program? A compilation? A database? The Commission seems to favor the idea of multimedia being similar to databases. Therefore, the database directive (see above) gives protection according to a double principle: it first gives copyright protection to those databases which meet the condition of copyright and, under this directive, the Member States are obliged to provide protection to databases as to collected works pursuant to Art. 2/5 of the Revised Bem Treaty (Art. 2/1 Database Directives). Such protection applies to the creation of a file, its compilation as such, not to the content of the database. Therefore, it is not dear, whether the content of a database may be protected or not. Subsequently, the directive introduced a new economic right sui generis: it protects investments put in a database and introduces the right of the database owner to protect for 15 years mining and other exploitation of materials contained in the database. 26 Cf. also Art. 6 bis Revised Bem Conventions; see MZV Notice No. 133/1980 Coll. 27 It is the reservation of authorship and the statement on the copyright registration in the Anglo-Saxon environment, where the copyright protection may be applied only to registered works and works marked as such; since the USA joined the Revised Bem Treaty, this obligation does not apply to authors coming from the States without obligatory registration. The copyright notice applies to the protected work, however not to related works, e. g. other Web pages connected by a link. The copyright notice must not exude an impression that the copyright applies also to the works of third parties e. g. induded in the Web page. That would constitute not only a violation of the copyright, it would have competitive-Iegal consequences.

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ECJ, regarding the case of Phi! Collini 8, decided that personal rights allowing the author to defend hirnself against deformations or modifications should these damage his reputation shall also be subject to copyright protection. As a digitized work is very easily processed and modified, "a thought 0/ vital importance will have to be considered, that is the question 0/ the moral rights 0/ the author, including the right to object to unauthorized use 0/ the work and claim the right 0/ authorship. ,,29 A great danger represents for example a transfer of musical recordings from CD's to MP3 format and their distribution, which lose any reference to authors and performers due to the absence of a tangible medium. This deficiency should be eliminated, at least with respect to the neighboring rights to compensation and giving the consent to use, by the use of digital codes which could be removed only with great difficulty, any success in which would be subject to legal prosecution?O 2. The Exploitation Right

"The author has the right to exploit his work and authorize another person to exercise this right by the means of a contract" (§ 12/1 AC; si milarly § 15 et seq. UrhG). The most frequent cases of exploitation of the work of the author in relation to the Internet and e-Commerce are as follows:

a) The Reproduction Right § 13 AC/§ 16 UrhG grants the author an exclusive right to reproduce his work, no matter by what means and to what extent, i. e. "to make temporary or permanent, direct or indirect copies of the work, no matter by what means and no matter in what form ..." (§ 13/1 AC), that is, among others, "in a digital form including both analogue and digital expression" (§ 13/2 in fine AC). The same is stipulated by § 16 UrhG. The author has the exclusive right to permit digital reproduction of the work, which was originally produced in an audio, visual, audiovisual, text, etc form. 28 EuGH, Dec. of 20.10.1993 - Cases C-92/92 and C-326/92 (Phil Collins ./. Imtrat Handelsgesellschaft mbH und Patricia Im- und Export Verwaltungsgesellschaft mbH ./. EMI Electrola GmbH) GRUR Ißt. 1994, p. 53. 29 Green Paper, 65. 30 e. g. IDDN (Inter Deposit Digital Number); cf. § 44 AC, quot. above. The USA judicature in the case of code removing cf. decision in the case of Motion Picture Association of America (MPCL) v. operators of the regarding the distribution of DeCSS software, which enables the removal of DVD code and copying films onto a computer hard disc - see Decision laDecision 11.

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The difference between classical and digital reproduction could be characterized as follows: (a) speed, (b) ease, (c) mass scope, (d) the process of digital reproduction cannot be grasped by human senses, (e) quality of digital copies is undistinguishable from the original, (f) data digitizing enables both passive control of the reproduction process (recording the data from a database can be registered as well as the amount of data and their user can be identified), and active control of the reproduction process (data transfer towards the user can be eliminated either by determining the amount of transferable data or by selection of transferable data files). Reproduction, i. e. the use of a work within the meaning of § 13 AC/

§ 69c/1 UrhG constitutes:

(a) digitizing the work by scanner; (b) copying the document onto computer hard disk including saving an e-mail message or a contribution to a news group onto a hard disk; (c) temporal saving of such reproduction; (d) even simple, technically caused temporal reproduction actions as, for example, interim storage (buffer memory, caches) in the main memory (RAM) of the computer and the temporary storage of documents which prevents overload of the Internet and which the current browser software automatically undertakes 31 , as it is "making the reproduction which is necessary for implementation and storage of a computer program into the computer's memory as well as for its display, operation and transmission" (§ 66/2 AC, similarly in § 69C/1 UrhG), although it is a temporary reproduction (§ 13/1 AC) in a digital form (§ 13/2 AC). However, this provision must not be interpreted "disproportionately, violating thus the lawful rights of the author or in a disagreement with ordinary use of the computer program" (§ 66/4 AC). Therefore, these reproductions, which are technically indispensable, represent reproductions within the meaning of the copyright; however, they should be exempt from the obligation to obtain the author' s consent. According to a part of a German doctrine 32 , it must be taken into account that the differentiation between a technically indispensable reproduction and intentional storage onto the computer hard disk cannot be made; all these actions require the consent of the author33 , and the conclusion is 31 Such temporary storage arises e. g. upon downloading a Web page to a computer screen. Such downloading does not occur only if such temporary storage of a document has been intentionally blocked. 32 Bömer, The German Internet Law Adviser, Bundesanzeiger Verlag 2000, p. 121-122. 33 Cf. also decision of a German court OLG Düsseldorf, CR 1996, p. 728-729.

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made that insofar as the author offers his work without any access controls in the Internet or furnishes it with a notification of consent in advance, he implicitly declares his consent and waives his right to remuneration. However, within the Czech legal framework, such interpretation would collide with the impossibility to waive the right to remuneration (§ 26/1 AC) in relation to the more general § 574/2 of the Civil Code). The division of data into small batches for the purpose of easier transfer and their compilation in the end-user' s computer, however, is not deemed to be reproduction 34 . A lawful license for producing a reproduction for private use does not apply for software and databases (§ 30/1 AC); German law also regards the application of a similar license as improbable (§ 53 UrhG).35

b) The Dissemination Right The author has, among others, the exclusive right to distribute originals or reproductions of the work, make the work available in a tangible form and offer the work for those purposes (§ 14 AC, § 17 UrhG). The application of this provision in the area of e-Commerce is problematical, in that the works are being offered in an intangible form, most often via the transfer of data from one computer to another. Thus, sending software via the Internet (i. e. in an intangible form) on demand is explicitly governed neither by the dissemination right nor, as we shall further see, by the public reproduction right. c) Public Reproduction

If the work is sold in a digital form, in the Czech legal environment

§ 18/2 AC can be applied, which discusses "making the work available in

such a way that it is accessible to anyone from a place and at a time individually chosen by them, in particular via computer or a similar network." Typically, this provision relates to software being offered for downloading (copy making) either for free (shareware) or for consideration. It does not cover, however, the act of sending software (an active operation by the seIler) on the demand of the buyer. 36 34 Of foreign literature cf. Koch, GRUR 1997, p. 417, 425; Bechthold; Der Schutz des Anbieters von Information - Urheberrecht und gewerblicher Rechtsschutz im internet ZUM 1997, p. 427, 436 and references therein. 35 Cf. Bömer, o.c., 122. 36 Economic models of individual distribution of works are characterized by the following:

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An ordinary accessibility of a work in digital form must be distinguished from radio or TV broadcasting via the Internet (§ 21 AC), because the broadcaster does not offer the respective broadcasting "at the time of one's individual choice" (§ 18/2 AC), but the works are being offered at the time chosen by the broadcaster (cf. § 21/4 AC). If Internet broadcasting is being taken over by a third party, it is a transmission (§ 22 AC). Under German law, these questions must be dealt with in accordance with the 1996 Tele- offering of materials to users in exchange for their registered data, which the AP user can further use for marketing purposes; - providing an extract for free with the whole document being available for consideration (the teaser approach); - subscription: subscribers can download anything (open bar); - each download is payable (by-the-drink); - bonus: e-version is provided as a bonus upon purchasing a printed version or vice versa (bonus scheme). Uncertainty residing in the legal treatment in the case of sending digital files to individual offers have lead to ideas suggesting the implementation of a new right to give consent to electronic access or digital distribution (cf. Becker, Die digitale Verwertung von Musikwerken aus der Sicht der Musikurheber, Munich, 1994, 45, 64). As much as the legislation on copyright of the EU Member States is in general open to imbedding new rights, international treaties on copyright only refer to the traditional limited catalogue of rights. Therefore, in order to implement new electronic rights, including the right to give consent to use-on-demand, a new international treaty would have to be prepared. Having excluded this possibility, the problem can be solved only by analogy, in particular using the mutatis mutandis application - the provision on distribution to the public. Public exploitation - communication to the public under AC - is usually characterized by the fact that distribution is aimed at an unlimited number of people at one time. Service on-demand is certainly intended for an unlimited number of people; however, the use of works does not usually occur in the same time. On the contrary, each representative of the public can receive a broadcast at a different time with respect to his individual needs. The same problem applies to interactive services. Here, the user does not only decide on the time of the broadcast, but also on the kind and part of the service to be received. Community directives do not provide the definition of the term "communication to the public". There are several solutions applicable to the issue: (a) to interpret the term communication to the public in such a way that it would also include broadcasting aimed at a large number of people, even if it does not happen simultaneously. The term public reproduction was designed for traditional forms of dissemination as public operation or broadcasting, which, due to technical reasons, allowed receipt by a large number of people, but only at the same time. This term was adopted mainly for the reasons of distinguishing reproduction meant for a large number of persons for private use, which does not require the consent of an authorized person. Even if the term public reproducti on would lacked the prerequisite of the simultaneous distribution, it would satisfy the purpose of the term. (b) to classify interactive services on demand as the distribution of tangible reproduction, according to AC "dissemination". The right of distribution does not require that sales, offers to the public and another relevant actions be made at the same time.

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communications Act as implemented in the Interstate Broadcasting Agreement and the Interstate Media Services Agreement. It is here that we come upon a new way of dissemination of works, so called streaming,37 which enables access to audio and videocontent of pages (without the consent of the medium) in the following forms (1) webcasting, 38 - takeover of TV or radio broadcasting, its digitizing and

subsequent dissemination via the Internet without consene9 ; and

(2) downloading of works - recording without consent (music downloading Internet services), e.g. by cracking the protective software (MP3).4o 37 Cf. www.music.music.music.com; www.real.com; www.eet.com, CDNow: www.cdnow.com; Interjuke: www.interjuke.com. 38 Cf. www.sonicnet.com; www.liveconcerts.com. 39 Of the USA judicature: - Twentieth Century Fox Corp. v. iCraveTV pre1iminary measure prohibiting iCraveTV from dissemination of works, followed, upon an agreement, by the total termination of the respective Web page; - Los Angeles RecordTV.com, v. 12 large Hollywood film studios and Motion Picture Association of America (MPCL); cf. respective action, and ECommerce Times of 16.6.2000 and counteraction of RecordTV.com v. the Motion Picture Association of America (MPCL): RecordTV said, that its activities are not different from the sale or lease of VCR equipment - see IP Network of July 10, 2000. 40 MP3, among others, enables distributors and artists to decide whether they will make the file downloading payable or not. The below mentioned law suits have popularized this software, which compresses sound files in 1: 10 ratio, and unsuccessful legal actions against the sale of the portable Rio system, which is designed for recording and replaying MP3 files, made MP3 a technical standard (MP3 is now available on the Internet - "freeware", "shareware"), outmatching other competition software for dissemination of music via the Internet, e. g. A2B, developed by AT&T and providing compression 1:20; MP3 has become the second most popular entry searched for in the Internet after "sex". The House Committee on Small Business (USA) examined the impact of Napster, Inc., MP3.com and similar pages on business activities of small publishing companies - see CNET of May 10, 2000. These firms have been forced to quit illegal activities: Freenet ,Metallic ster, MP3Board.com, and especially MP3.com, which had to dose the access to all recordings of major companies - see ECommerce Times of May 11, 2000, after having lost cases with (a) Recording Industry Association of America (RICL) defending Sony Music, Warner Bros. Records Inc., EMI Group PIc, Universal Music Group a BMG Entertainment; MP3 violated copyright by creating a database of recordings enabling internauts to access their CD collections through my.mp3.com. (b) MPL Communications, owned by Sir Paul McCartney, for violation of the copyright to 6 songs; cf. ZDNet of March 27, 2000, (c) Universal Music Group, (d) EMusic.com, Inc.; as weil as Napster Inc. based on the legal action brought by Metallica; the cases dealt with controversial software, which enable users to find and download music in MP3 format. Of German judicature: HitBit Software GmbH v. AOL Germany, see ZDNet of April 13, 2000. These "services" are not subject of the "safe harbor" provision under Digital Millenium Copyright Act 1998 ("DMCA") limiting the Internet service providers to

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d) Press Release via Internet

A press release via the Internet is a specific kind of use which requires individual consent, even if it is done by the publisher of a "newspaper", because it is a new way of communication characterized by certain technological specifics. 41 The opposing opinion says that newspapers are regarded as collective works; therefore, the right to use their content belongs to the publisher without any other conditions, i. e. regarding newspapers, whether it is a new use of the work or not is irrelevant. 42 Accordingly, more evident violation is the intentional copying of the work (newspaper article), or providing the space for doing it (Web notice board) and the instructions how to do it. 43 V. Exhaustion of Copyright

Exhaustion of copyright is a popular topic, in particular owing to decisions of the European Court of Justice in cases of Silhoutte and Sebago, which fortified the principle of intra-community exhaustion and the prohibition of international exhaustion for EU Member States. The case law related to trademarks seems to be applicable to copyright as weIl. Within the Czech law, the right to introduce a work in the Czech market is exhausted upon the first sale or other transfer of the copyright to the original or a reproduction of the work, not upon the offer as such, if the offer to disseminate the work originates in the Czech Republic; however, should the sale not be realized in the Czech Republic, but abroad, the right to the dissemination of the respected work or its reproduction in the Czech Republic is not exhausted. Therefore, the question of where the sale of the work or its reproduction was realized must be clearly answered. However, this provision does not decisively solve the issue of exhaustion of the right to the respective reproduction of work in digital form, as § 14/ 2 AC does for tangible works. The answer can be logically deducted. While § 14/2 AC applies simultaneously to the license for use of a work and the sale of a material medium by which the work is conveyed, i. e. the copyright infringement liability for simply transmitting information over the Internet - see ZDNet of 8.5.2000, Napster Inc., ECommerce Times of May 10, 2000, i.e. they can be generally sanctionable. 41 Cf. e. g. decision of the French courts TGI Strasbourg of February 3, 1998, CA Colmar of September 15, 1998, TGI Paris of May 10, 2000 or in the USA Tasini v. New York Times, 192 F.3d 356, 52 USPQ2d 1186 (2d Cir. 1999). 42 Cf. "Charte d'edition electronique", published by the French association Geste (Groupement des editeurs de services en ligne) April 2, 2000. 43 Cf. e.g. in the USA The Los Angeles Times v. Free Republic.

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relation between the ownership of a thing and the license for the exploitation of the copyright is being dealt with, § 8 AC governs only the authorization to use the work in an intangible form. This difference is stressed in § 9/3 AC stipulating that "acquiring the right of ownership or other material right to the thing which is an instrument of the work's expression does not constitute authorization to exercise the right to use the work, if not agreed upon otherwise or resulting from the provisions of this act otherwise." In the case of intangible copies of a work without a tangible medium, the issue of the right exhaustion does not usually have to be dealt with, because a person who downloads the work from a computer does not have the right to further disseminate the work or its reproduction.

Zur europarechtlichen Zulässigkeit des Versandverbots von Medikamenten Von Gerald G. Sander, Tübingen/Stuttgart

I. Einführung Ein Schwerpunkt unseres gemeinsamen Symposions ist dem E-Commerce gewidmet. Aus aktuellem Anlass möchte ich mich mit einem Teilbereich des sog. E-Health-Business, dem Internet-Handel mit Arzneimitteln, beschäftigen. In Deutschland hat sich der Streit um die Aktivitäten der niederländischen Internet-Apotheke "DocMorris" vor den Gerichten zugespitzt und jetzt auch eine europarechtliche Dimension erreicht. Nachdem in verschiedenen Entscheidungen deutscher Gerichte der Arzneimittelversand der Online-Apotheke nach Deutschland untersagt wurde,l setzte das LG Frankfurt das Verfahren in der Hauptsache aus und legte dem Europäischen Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung nach Art. 234 EGV verschiedene Fragen zur Anwendbarkeit europäischen Rechts beim Internet-Handel vor? Auch in der eher spärlichen deutschen Literatur besteht Streit darüber, ob die nationalen Versandhandels- und Werbeverbote gegen die EG-Warenverkehrsfreiheit verstoßen oder ob hier Ausnahmetatbestände Anwendung finden? Im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Medikamenten über das Internet stellt sich zunächst die Frage, inwieweit auf die einzelstaatlichen Vorschriften abschließend die E-Commerce-Richtlinie der EG anwendbar ist. 4 Wenn dies nicht der Fall sein sollte, kommt eine Rechtfertigung aus GeI Z. B. die Urteile des LG Frankfurt/Main vom 9. November 2000 (2-03 0 3651 00), ZIP 2000, S. 2080 ff., des OLG Frankfurt/Main vom 31. Mai 2001 (6 U 2401 00), ZIP 2001, S. 1164 ff. sowie des Kammergerichts Berlin vom 29. Mai 2001 (5 U 10150100); a.A. LG Berlin vom 7. November 2000 (103 0 192/00), Kommunikation & Recht 2001, S. 168 ff. und LG Berlin vom 30. Oktober 2001 (103 0 109101). 2 Beschluss des LG Frankfurt/Main vom 10. August 2001 (3/11 0 64/01). 3 Für einen Verstoß Koenig in verschiedenen Beiträgen, vgl. nur Koenig/Engelmann, E-Commerce mit Arzneimitteln im Europäischen Binnenmarkt und die Freiheit des Warenverkehrs, ZUM 2001, S. 19 ff.; dagegen Meyer, E-Commerce mit Arzneimitteln, 2000, der die Keck-Rechtsprechung des EuGH für einschlägig hält.

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sundheitsschutzgründen nach Art. 30 EGV in Betracht, falls es sich bei den nationalen Regelungen um Maßnahmen gleicher Wirkung wie Kontingente nach Art. 28 EGV und nicht um Absatzmodalitäten handelt. Zuvor sollen jedoch die nationalen Bestimmungen dargestellt werden, die durch den Online-Handel mit Arzneimitteln verletzt sein könnten. 11. Einschlägige Verbotsvorschriften im deutschen ArzneimiUelrecht

Der Handel mit Medikamenten fällt im deutschen Recht wegen der besonderen Art der Produkte unter das Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (AMG) und das Gesetz über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens (HWG).5 Arzneimittel bedürfen nach § 21 Abs. 1 AMG der Zulassung, um in Deutschland verkehrsfähig zu sein. Diese nationale Regelung basiert auf Art. 3 der EG-Richtlinie 65/65/EWG6 (jetzt Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001l83/EG7 ). Auch für nach Deutschland importierte Medikamente ist eine solche Zulassung erforderlich. Mit der Verordnung (EWG) 2309/93 8 wurde ein zentrales europäisches Zulassungsverfahren neben die einzelnen nationalen Verfahren gestellt, das allerdings nur auf bestimmte Präparate Anwendung findet. Nach § 43 Abs. 1 S. 1 AMG dürfen apothekenpflichtige Arzneimittel berufs- oder gewerbsmäßig für den Endverbraucher nur in Apotheken und nicht im Wege des Versandes in den Verkehr gebracht werden. Dieses Apothekenmonopol soll die Existenzgrundlage der Apotheken als Einrichtung des Gesundheitswesens sichern. Ferner dient die Apothekenpflicht der Kenntnis der einzelnen Arzneimittelhändler, um diese effektiv überwachen zu können. Auch bei einer Internet-Apotheke kann es sich um eine solche zugelassene öffentliche Apotheke handeln. Erforderlich ist aber nach § 43 Abs. 1 AMG, dass das In-Verkehr-Bringen apothekenpflichtiger Arzneimittel in der Apotheke und nicht im Wege des Versandes stattfindet. Angesichts der Betonung des verbotenen Versandes sind mit der ersten Alternative die Räumlichkeiten der Apotheke gemeint. Auf diese Weise soll eine sachverständige Information und Beratung des Kunden durch fachkundiges 4 Dies bejaht generell die Monopolkommission in: Netzwettbewerb durch Regulierung. Hauptgutachten 200012001, 2003, S. 350 f., jedoch unter Verkennung von Art. 2 lit. h der RL. 5 Ausführlich Deutsch, Medizinrecht, 4. Aufl. 1999, S. 459 ff. 6 ABi. EG 1965, S. 369. 7 ABi. EG 2001 Nr. L 311, S. 67. Diese Richtlinie fasst die bisherigen Richtlinien im Arzneimittelbereich zusammen. 8 ABi. EG 1993 Nr. L 214, S. 1.

Zulässigkeit des Versandverbots von Medikamenten

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Personal gewährleistet werden. Das Gebot, Medikamente nur in den Apothekenräumen zu vertreiben, gilt ebenfalls für ausländische Apotheken, da es allein auf das In-Verkehr-Bringen der Ware im Geltungsbereich des AMG ankommt. 9 Auch das Versandverbot ist auf Apotheken im Ausland anwendbar, weil nur der Ort der Medikamentenabgabe entscheidend ist. Diese vollzieht sich beim Internet-Handel wie beim Thekenverkauf regelmäßig in Deutschland, da die Verfügungsgewalt auf den Käufer erst mit der Übergabe an den Besteller übergeht. Ziel der Vorschrift ist gleichfalls die Sicherstellung der persönlichen Beratung des Patienten. Dabei spielt es keine Rolle, von welchem Ort aus der Versand erfolgt. Zusätzlich kommt ein Verstoß gegen § 43 Abs. 1 S. 2 AMG in Betracht, weil außerhalb von Apotheken kein Handel mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln getrieben werden darf. Beim Internet-Handel wird jedoch ein Online-Kaufvertrag im Wege eines Fernabsatzvertrages geschlossen, bei dem beide Vertragsparteien nicht am gleichen Ort anwesend sind. Gemäß § 73 Abs. 1 AMG dürfen Medikamente, die der Pflicht zur Zulassung oder zur Registrierung unterliegen, nur in den Geltungsbereich des AMG verbracht werden, wenn sie zum Verkehr im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassen oder registriert oder von den Anforderungen freigestellt sind und der Empfänger im Falle der Verbringung aus einem Mitgliedstaat der EG oder des EWR pharmazeutischer Unternehmer, Großhändler, Tierarzt ist oder eine Apotheke betreibt. Ziel dieser Vorschrift ist die Sicherstellung der Einhaltung der nationalen oder zentralen Zulassungspflicht. Allerdings könnte der OnIine-Vertrieb unter die Ausnahme des § 73 Abs. 2 Nr. 6a AMG fallen. Diese Vorschrift setzt voraus, dass ein Endverbraucher Arzneimittel in einer dem üblichen persönlichen Bedarf entsprechenden Menge ohne gewerbs- oder berufsmäßige Vermittlung aus anderen Mitgliedstaaten bezieht. Beim Online-Handel mit Arzneimitteln ist jedoch das Internet-Angebot des Lieferanten, das erst die Beziehung zwischen Endverbraucher und E-Pharmacie herstellt, als gewerbliche Vermittlung zu verstehen. Nach § 8 Abs. 1 HWG darf Werbung nicht darauf hinwirken, Medikamente, deren Abgabe den Apotheken vorbehalten ist, im Wege des Versandes zu beziehen. Damit verstößt die Internet-Werbung für den Arzneimittelversand offensichtlich gegen dieses Werbeverbot. Ferner ist nach § 8 Abs. 2 HWG die Werbung für den Bezug von Arzneimitteln durch Teleshopping oder von bestimmten Arzneimitteln in Form der Einzeleinfuhr nach § 73 Abs. 2 Nr. 6a oder § 73 Abs. 3 AMG unzulässig. Die Online-Werbung für Arzneimittel ist damit nicht wie das Teleshopping ausdrücklich verboten worden. 10 Nicht erlaubt ist allerdings die Werbung für die besondere VerMeyer. E-Commerce mit Arzneimitteln, S. 12. Koenig/Müller/Trajkowski. Internet-Handel mit Arzneimitteln und Wettbewerb im EG-Binnenmarkt. EWS 2000, S. 100. 9

10

11 Nettesheim/Oppennann (Hrsg.)

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triebsart. Mit Hilfe dieses Werbeverbots wird der Ausnahmestatus des Einzelbezugs flankiert. Nach § 3 a HWG ist die Werbung für Arzneimittel, die der Pflicht zur Zulassung unterliegen und die nicht nach den arzneimittelrechtlichen Vorschriften zugelassen sind oder als zugelassen gelten, verboten. Soweit die im Internet gehandelten Medikamente aus anderen Mitgliedstaaten stammen und in Deutschland nicht zugelassen sind, darf für sie im Internet also nicht in der Form geworben werden, dass die Angebote auf deutschsprachigen Seiten mit DM-Preisen unmittelbar auf den deutschen Markt abzielen. 11 Mit Einführung des Euro ist die Internet-Präsentation anhand weiterer Merkmale darauf hin zu untersuchen, ob sie sich direkt an deutsche Abnehmer wendet. § 10 Abs. 1 HWG erlaubt die Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel nur bei Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Apotheken sowie bei Personen, die mit diesen Medikamenten erlaubterweise Handel treiben. Soweit die Internet-Angebote der E-Pharmacie in Deutschland verschreibungspflichtige Medikamente enthalten und sich die Werbung an den Endverbraucher richtet, ist sie verboten. 12 Im Ergebnis verstößt der Internet-Handel mit Arzneimitteln gegen §§ 43 Abs. 1, 73 Abs. 1 AMG sowie §§ 8, 3a und 10 Abs. 1 HWG. III. Der Anwendungsbereich der E-Commerce-Richtlinie der EG

Das Gemeinschaftsrecht genießt Vorrang vor dem nationalen Recht. 13 Einzelstaatliche Normen müssen sich deshalb am europäischen Primär- und Sekundärrecht messen lassen. Hinsichtlich des Internet-Handels kommt unter anderem eine Beurteilung anhand der Richtlinie 2000/31/EG I4 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt ("Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr" - auch sog. "E-Commerce-Richtlinie") in Betracht. Dieser Akt der Gemeinschaft musste von den Mitgliedstaaten bis spätestens 17. Januar 2002 in nationales Recht umgesetzt sein. Meyer, E-Commerce mit Arzneimitteln, S. 39. LG Frankfurt/Main (2-03 0 366/00), ZIP 2000, S. 2087 f. I3 Hierzu ausführlich Oppermann, Europarecht, 2. Aufl. 1999, Rdnr. 615 ff.; zur Auffassung des EuGH und des BVerfG Sander, Europäischer Gerichtshof und nationale Verfassungsgerichtsbarkeit, DÖV 2000, S. 588 ff. und ders., Vztah mezi Evropskym soudnim dvorem a Spolkovym ustavnim soudem [Das Spannungsverhältnis zwischen EuGH und BVerfG], Evropske a Mezimirodni Pravo [Tschechische Zeitschrift für europäisches und internationales Recht] 2001, Heft 5-6, S. 3 ff. 14 ABI. EG 2000 Nr. L 178, S. 1 ff. II

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Nach Art. 1 Abs. 1 soll die Richtlinie einen Beitrag zum einwandfreien Funktionieren des Binnenmarktes leisten, indem sie den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft sicherstellt. Hierzu zählt auch der Online-Verkauf von Waren (Art. 2 fit. ader RL i. V. m. Art. 1 Nr. 2 der Transparenzrichtlinie 15 ). In Art. 3 Abs. 1 und 2 der RL wird das Herkunftslandprinzip für Internet-Dienste normiert. Jeder Mitgliedstaat stellt die Einhaltung der nationalen Vorschriften für die Dienste heimischer Anbieter sicher. Die anderen Mitgliedstaaten dürfen den freien Verkehr dieser Dienste nicht aus Gründen einschränken, die in den koordinierten Bereich der Richtlinie fallen. Damit findet für diese Dienste im Ergebnis ausschließlich das Recht des Staates Anwendung, in dem der Anbieter seine Niederlassung besitzt. Die Beurteilung der Zulässigkeit des Internet-Vertriebs von Arzneimitteln im Falle von "DocMorris" würde sich dann z. B. nach niederländischem Recht richten, das solche Handelspraktiken erlaubt. Beschränkende Maßnahmen dürfen von einem anderen Staat nach Art. 3 Abs. 4-6 der RL nur zum Schutze der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit sowie zum Schutze der Verbraucher erlassen werden. Fraglich ist aber, inwieweit die E-Commerce-Richtlinie auf Bestimmungen des nationalen Arzneimittelrechts Anwendung findet. Sie umfasst jedenfalls grundSätzlich die Dienste der Informationsgesellschaft, zu denen insbesondere der Online-Verkauf von Waren, mithin auch von ArzneimitteIn, zählt. 1. Die Anwendbarkeit der Richtlinie auf Kaufvertragsabschlüsse § 43 Abs. 1 S. 2 AMG verbietet das Handeltreiben außerhalb von Apotheken. Soweit dieses Handeltreiben den Abschluss von Kaufverträgen betrifft, gilt nach dem Herkunftslandprinzip das Recht am Geschäftssitz der Internet-Apotheke. Die Erwägungen 21 und 34 bis 39 nehmen in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf elektronisch geschlossene Verträge Bezug. In Erwägung 11 wird allerdings darauf hingewiesen, dass u. a. die Richtlinie 97/7 /EG 16 über den Fernabsatz und die Richtlinie 92/28/EWG 17 über Werbung für Humanarzneimittel uneingeschränkte Geltung behalten. 15 Richtlinie 98/34/EG (ABI. EG 1998 Nr. L 204, S. 37); geändert durch Richtlinie 98/48/EG (ABI. EG 1998 Nr. L 217, S. 18). 16 ABI. EG 1997 Nr. L 144, S. 19. 17 ABI. EG 1992 Nr. L 113, S. 13. Mittlerweile wurden die einzelnen Richtlinien im Arzneimittelbereich in der RL 200l/83/EG (ABI. EG 2001 Nr. L 311, S. 67) zusammengeführt. 11*

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Gera1d G. Sander

Konkretisiert wird dieser Gedanke in Art. 1 Abs. 3 der E-CommerceRichtlinie. Nach Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie bleibt das durch gemeinschaftliche Bestimmungen sowie einzelstaatliche Rechtsvorschriften, die zu deren Umsetzung erlassen wurden, erreichte Schutzniveau vom Herkunftslandprinzip unberuhrt. Die Fernabsatz-Richtlinie erlaubt den Mitgliedstaaten in Art. 14 ausdrucklieh, den Fernabsatzvertrieb für bestimmte Waren und Dienstleistungen, insbesondere auch für Arzneimittel, im Interesse der Allgemeinheit in ihrem Hoheitsgebiet unter Berucksichtigung des EG-Vertrages zu verbieten und damit strengere nationale Maßnahmen einzuführen oder aufrechtzuerhalten. Im Ergebnis ist ein nationales Verbot, Kaufverträge abzuschließen, die solche Geschäfte zum Gegenstand haben, wirksam. Ob durch die E-Commerce-Richtlinie allerdings ein "gemeinschaftliches" Schutzniveau ausgehebelt würde, ist fraglich. Aufgrund der ausdrucklichen Erwähnung der Humanarzneimittel in Art. 14 der Fernabsatz-Richtlinie kann argumentiert werden, dass nationale Verbote in diesem Bereich als europäisches Schutzniveau anerkannt werden. Zudem würde es zu Wertungswiderspruchen kommen, da Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie das Teleshopping für zulassungspflichtige Arzneimittel ausdrucklieh verbietet, in der Sache aber kein Unterschied zum Internet-Handel mit diesen Produkten besteht. 18 Art. 14 der Fernabsatz-Richtlinie kann aber auch als EG-Vorschrift verstanden werden, die keinen Standard normiert, sondern lediglich nationale Gestaltungsspielräume offen hält. 19 Für diese Auffassung spricht, dass in einigen Ländern der EU, wie in den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich, diese Form des Arzneimittelhandels zulässig ist. Es ist deshalb problematisch, von einem europäischen Standard zu sprechen. Ein solcher kann nur bei harmonisierenden Vorschriften der EG vorliegen. Bei dieser Sichtweise bleibt im Ergebnis das Recht des Niederlassungsstaates für das schuldrechtliche Verhältnis anwendbar. 2. Die Anwendbarkeit der Richtlinie auf nationale Lieferverbote

Nach Art. 2 Lit. h ii) der RL fallen Anforderungen betreffend Waren als solche, die Lieferung von Waren und jene Dienste, die nicht auf elektronischem Wege erbracht werden, nicht in den koordinierten Bereich. Fraglich ist deshalb die Anwendung der Richtlinie auf nationale Regelungen wie § 43 Abs. 1 S. 1 und § 73 Abs. 1 AMG, die es verbieten, Arzneimittel zu versenden oder im Falle ihrer Nichtzulassung grenzüberschreitend einzufüh18 19

So Meyer, E-Commerce mit Arzneimitteln, S. 30 f. Koenig/Müller/Trajkowski, EWS 2000, S. 101.

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ren. Bei diesen Verboten könnte es sich um spezifische Lieferungsanforderungen an besondere Waren handeln. zo Sie könnten aber angesichts ihres materiellen Gehalts über reine "Anforderungen" im Sinne von Art. 2 lif. h ii) der RL hinausgehen. Problematisch erscheint, ob Anforderungen an die Lieferung nicht einen grundsätzlich zulässigen Liefervorgang voraussetzen und nur Detailfragen der Lieferung von der Richtlinie unberührt bleiben. Faktisch führen das Versand- und das Verbringungsverbot nämlich dazu, dass der gesamte Liefervorgang unzulässig ist, ein Geschäftsabschluss mithin sinnlos wird. Die Erwägung 18 der Richtlinie stellt in diesem Zusammenhang klar, dass "Tätigkeiten wie die Auslieferung von Waren als solche oder die Erbringung von Offline-Diensten" nicht vom Rechtsakt erfasst werden. Danach soll der gesamte Vorgang der Lieferung aus dem Anwendungsbereich ausgenommen werden, da er selbst keine Beziehung zu Online-Handlungen aufweist. Zudem fallen nach Erwägung 21 insbesondere Online-Werbung und Online-Vertragsabschlüsse in den koordinierten Bereich der Richtlinie. Die Beförderung von Waren, einschließlich der Lieferung von Humanarzneimitteln, wird hier ausdrücklich ausgenommen. Die deutschen Lieferverbote fallen im Ergebnis also nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie. 3. Die Anwendbarkeit der Richtlinie auf nationale Werbeverbote

Die Internet-Werbung gehört nach Art. 2 lif. h i) i. V.m. Erwägung 21 ausdrücklich zum koordinierten Bereich der E-Commerce-Richtlinie. Hinsichtlich der Zulässigkeit und der Modalitäten der Werbung gilt damit grundSätzlich das Herkunftslandprinzip. Aber auch hier darf nicht der gemeinschaftsrechtliche Standard im Verbraucher- und Gesundheitsschutz ausgehebelt werden. Für das spezielle Verbot der Werbung für den Versandweg nach § 8 Abs. 1 HWG besteht keine einschlägige Gemeinschaftsvorschrift, so dass es an der E-Commerce-Richtlinie zu messen bleibt. § 8 Abs. 2 HWG könnte auf einer Umsetzung des gemeinschaftlichen Werbeverbots in Art. 2 Abs. 1 der EG-Arzneimittel-Werberichtlinie 92/28/ EWG Z1 beruhen?Z Diese nationale Vorschrift ergänzt § 3a HWG, der die Werbung für nicht zugelassene, aber genehmigungspflichtige Medikamente verbietet. Bei der Einzeleinfuhr nach § 73 Abs. 2 Nr. 6a und Abs. 3 AMG wird jedoch auf eine Zulassung ausnahmsweise verzichtet, so dass § 3 a 20

21 22

Meyer, E-Commerce mit Arzneimitteln, S. 25 f. ABI. EG 1992 Nr. L 113, S. 13. So das LG Frankfurt/Main (2-03 0 366/00), ZIP 2000, S. 2087.

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HWG hier nicht einschlägig ist. In diesem Fall greift dann das Werbeverbot des § 8 Abs. 2 HWG. Nach Art. 2 Abs. 1 der EG-Richtlinie haben die Mitgliedstaaten die Werbung für jene Arzneimittel zu untersagen, die keine Zulassung nach den Vorschriften der Gemeinschaft besitzen. Die Werbung ist auch dann verboten, wenn in einem anderen Mitgliedstaat eine Zulassung vorliegt. § 8 Abs. 2 HWG bezieht sich jedoch nicht wie Art. 2 Abs. I der RL unmittelbar auf die Zulassungspflicht, sondern knüpft an der Bezugsart an und unterstützt damit den Ausnahmecharakter des ohne Genehmigung erlaubten grenzüberschreitenden Einzelerwerbs. Auf diesem Weg verhindert die Vorschrift zugleich die Umgehung der nationalen Zulassungspflicht. Damit hat die deutsche Vorschrift eine von Art. 2 Abs. I der RL abweichende Intension. 23 Ob aus Art. 2 Abs. 1 der RL die umzusetzende Pflicht abzuleiten ist, die Werbung gleichfalls für Medikamente zu verbieten, die in dem betreffenden Mitgliedstaat nicht zugelassen sind, auch wenn diese Präparate aufgrund einer nationalen Ausnahmevorschrift in den Verkehr gebracht werden dürfen, erscheint fraglich. 24 Es ist deshalb zweifelhaft, ob § 8 Abs. 2 HWG auf der besagten Gemeinschaftsnorm beruht. Für den Fortgang der Beurteilung soll davon ausgegangen werden, dass hier keine europarechtliche Grundlage besteht. 25 Damit verbleibt § 8 Abs. 1 und 2 HWG im Anwendungsbereich der E-Commerce-Richtlinie. Dies hat zur Folge, dass das Herkunftslandprinzip hier Geltung erlangt. § 3a HWG verbietet die Werbung für nicht zugelassene Arzneimittel. Diese Vorschrift beruht damit zweifelsfrei auf Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 92/28/EWG. Die Norm der Werberichtlinie gehört gern. Art. 1 Abs. 3 i. V.m. der Erwägung 11 der E-Commerce-Richtlinie auch zum europäischen Standard im Gesundheits- und Verbraucherschutz und bleibt von der E-Commerce-Richtlinie somit unberührt. § 10 Abs. 1 HWG, der die Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel nur gegenüber bestimmten Berufsgruppen zulässt, beruht seinem Inhalt nach auf Art. 3 Abs. 1 der EG-Arzneimittel-Werberichtlinie Getzt Art. 88 Abs. 1 der RL 200l/83/EG) und darf als gemeinschaftlicher Standard deshalb ebenfalls nicht durch die E-Commerce-Richtlinie beseitigt werden.

23 Für Art. 2 Abs. 1 der RL als Basis von § 8 Abs. 2 HWG Hiltl, EuGH: Werbeverbot für Einzelimporte europarechtskonform, Pharma Recht 1995, S. 117. 24 Vgl. die Schlussanträge von GA Gulmann, in: EuGH Slg. 1994, S. 1-5243 (5255, Ziff. 28) - Rs. C-320/93 "Ortscheit". 25 So auch Meyer, E-Commerce mit Arzneimitteln, S. 42.

Zu lässigkeit des Versand verbots von Medikamenten

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4. Die Behandlung von Wertungswidersprüchen

Die gewonnenen Ergebnisse zur Anwendbarkeit der E-Commerce-Richtlinie führen zu erheblichen Wertungswidersprüchen. So richtet sich der elektronische Abschluss von Kaufverträgen und die Online-Werbung, mit Ausnahme der Öffentlichkeits werbung für Arzneimittel und der Werbung für nicht zugelassene Medikamente, nach der E-Commerce-Richtlinie und somit nach dem Herkunftslandprinzip. Dies kann, wie im Beispiel des niederländischen Rechts, dazu führen, dass die Kaufverträge zunächst wirksam und die grenzüberschreitende Werbung in Deutschland teilweise zulässig ist, die Lieferung der Arzneimittel in das deutsche Hoheitsgebiet jedoch wegen der nationalen Verbote untersagt bleibt. Diese Rechtslage würde illegale Lieferungen geradezu provozieren. 26 Der Widerspruch resultiert bei § 8 HWG aus der Besonderheit der Werbevorschrift, die sich ausschließlich auf den Bezugsweg bezieht, der selbst aber vom koordinierten Bereich der Richtlinie ausgeschlossen ist. Wegen dieses engen Verhältnisses von Werbung und Lieferung sowie zur Beseitigung der Wertungswidersprüche erscheint es sinnvoll, solche in der Praxis selten vorkommenden speziellen Werbevorschriften aus dem Geltungsbereich des Herkunftslandprinzips herauszunehmen. Im Umkehrschluss aus Art. 3 Abs. 2 der RL lässt sich folgern, dass Beschränkungen von Diensten der Informationsgesellschaft aus Gründen, die nicht in den koordinierten Bereich fallen, durch die Richtlinie nicht untersagt sind. Im Ergebnis sind die Werbevorschriften bezüglich Lieferverboten genauso zu behandeln wie die Lieferung selbst. Werbeverbote, die sich direkt auf den Liefervorgang für Waren beziehen, fallen somit nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie. Auch die Online-Kaufverträge werden nach dem jeweils anwendbaren einzelstaatlichen Privatrecht voraussichtlich unwirksam sein. Hier sind Rechtsinstitute wie die rechtliche Unmöglichkeit, Wegfall der Geschäftsgrundlage oder Unwirksamkeit wegen eines gesetzlichen Verbotes im ausländischen Recht denkbar. 5. Ergebnis

Soweit deutsche Vorschriften wie § 3 a und § 10 Abs. 1 HWG auf den Vorgaben sekundärer Rechtsakte der EG beruhen, sind die einzelstaatlichen Normen wirksam. Kollidieren hingegen nationale Werbeverbote mit der ECommerce-Richtlinie, sind sie dahingehend auszulegen, dass sie nur auf heimische Dienstanbieter Anwendung finden, nicht aber bezüglich ausländi26

Koenig/Müller/Trajkowski, EWS 2000, S. 102.

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scher Anbieter. Eine Besonderheit gilt für das Werbeverbot für bestimmte Lieferungsarten nach § 8 HWG, das vom Herkunftslandprinzip nicht erfasst wird. Sofern keine sekundären EG-Bestimmungen einschlägig sind, sind die staatlichen Normen (§§ 43 Abs. 1 S. 1, 73 Abs. 1 AMG sowie § 8 Abs. 1 und 2 HWG) an den Vorschriften des EG-Vertrages über die Warenverkehrsfreiheit zu messen. IV. Nationale Versand- und Werbeverbote und das EG-Recht Nach Art. 28 EGV sind mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen von Waren sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten grundsätzlich verboten. Allerdings kommt für einzelstaatliche Bestimmungen noch die Möglichkeit einer Rechtfertigung gemäß Art. 30 EGV in Betracht, wenn besondere Schutzgüter betroffen sind. 1. Maßnahmen gleicher Wirkung nach Art. 28 EGV

In der Entscheidung "Dassonville" definierte der EuGH die "Maßnahmen gleicher Wirkung" als Handelsregelungen der Mitgliedstaaten, die geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern?7 Aus der Dassonville-Formel folgt, dass es unerheblich ist, ob die in Frage stehende Maßnahme tatsächlich den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigt. Es ist bereits ausreichend, wenn die betreffende Maßnahme objektiv für derartigen Behinderungen geeignet ist?8 Die zu untersuchenden nationalen Arzneimittel- und Werbevorschriften können solche Maßnahmen gleicher Wirkung darstellen. Das deutsche Versandverbot des § 43 Abs. 1 S. 1 AMG und die Werbe vorschrift des § 8 Abs. 1 HWG sind ihrer Wirkung nach geeignet, den Absatz von Arzneimitteln potenziell zu behindern, insbesondere auch von ausländischen Medikamenten. Bei § 73 Abs. 1 AMG liegt die Wirkung der Einfuhrbeschränkung auf der Hand. Ausländischen Arzneimittel dürfen nur unter bestimmten Bedingungen nach Deutschland eingeführt werden. § 8 Abs. 2 HWG betrifft in der Variante der Einzeleinfuhr ebenfalls nur ausländische Medikamente. Damit ist der Absatz von ausländischen und heimischen Präparaten nicht in gleicher Weise berührt. Das Werbeverbot ist vielmehr geeignet, potenziell das Volumen der Importe von nicht zugelassenen Arzneimitteln nach Deutschland zu beschränken, weil es Informationen über die Existenz und 27 28

EuGH Slg. 1974, S. 837 (847) - Rs. 8/74. EuGH Slg. 1975, S. 181 (198) - Rs. 12/74.

Zulässigkeit des Versandverbots von Medikamenten

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die Verfügbarkeit solcher Medikamente verhindert. 29 Die Vorschriften sind deshalb als Maßnahmen gleicher Wirkung anzusehen. 30 2. Verkaufs- und Absatzmodalitäten

Die dargestellte rechtliche Ausgangslage wurde durch eine Jungere Rechtsprechung des EuGH in den Fällen "Keck und Mithouard,,31 sowie "Hünermund,,32 modifiziert. In der Entscheidung "Keck", dem Ausgangspunkt der neuen Rechtsprechung, ging es um das französische Verbot der Absatzstrategie, Waren unter ihrem Einkaufspreis zu verkaufen. Entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung wandte der EuGH die Vorschrift des Art. 28 EGV nicht mehr auf nationale Vorschriften an, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten. Dies gilt allerdings nur für unterschiedslos geltende Regelungen, und der Absatz ausländischer Produkte darf rechtlich wie tatsächlich nicht mehr berührt sein als der Absatz inländischer Waren. 33 Das Urteil "Hünermund" drehte sich um ein Werbeverbot für apothekenübliche Waren außerhalb von Apotheken. Die Apotheker sahen hierdurch den freien Warenverkehr verletzt, weil sich das Werbeverbot auch auf Importware erstreckte. Nach alter Rechtsprechung wäre dies eine Maßnahme gleicher Wirkung gewesen, denn zumindest mittelbar und potenziell kann das Werbeverbot auch den Absatz ausländischer Waren beeinträchtigen. Weil es sich hier aber um eine bloße Verkaufsmodalität handelt und nicht um eine Regelung, welche die Waren direkt betrifft (z. B. ihre Zusammensetzung, das Gewicht oder ihre Aufmachung), fällt das Werbeverbot aus den Maßnahmen gleicher Wirkung heraus und muss nicht mehr hinsichtlich einer Rechtfertigung geprüft werden. In einem weiteren Fall erachtete der EuGH eine nationale Vorschrift für zulässig, die den Verkauf verarbeiteter Milch für Säuglinge grundsätzlich den Apotheken vorbehält. 34 Im Ergebnis wird die weite Definition der "Maßnahmen gleicher Wirkung" für Einschränkungen und Verbote bestimmter Verkaufsmodalitäten eingegrenzt, sofern diese den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Produkte aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich und tatsächlich in der gleichen Weise berühren. 35 Art. 28 EGV wird EuGH Slg. 1994, S. 1-5243 ff. - Rs. C-320/93 "Ortscheit". Hinsichtlich § 73 AMG vgl. EuGH Slg. 1989, S. 617 (638) - Rs. 215/87 "Schumacher" . 31 EuGH Slg. 1993, S. 1-6097 ff. - verb. Rs. C-267/91 u. C-268/91. 32 EuGH Slg. 1993, S. 1-6787 ff. - Rs. C-292/92. 33 Ausführlicher Becker, Von "Dassonville" über "Cassis" zu "Keck" - Der Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung in Art. 30 EGV, EuR 1994, S. 162 ff. 34 EuGH Slg. 1995, S. 1-1621 ff. - Rs. C-391192. 29

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damit nach der neuen Rechtsprechung des EuGH als weit gefasstes Diskriminierungsverbot und nicht mehr als Beschränkungsverbot verstanden. a) Das Versandverbot als Absatzmodalität

Insbesondere die rechtliche Beschränkung der Absatzwege auf spezielle Verkaufsstellen ist vom EuGH wiederholt unter die Verkaufsmodalitäten subsumiert worden. 36 Solche nationalen Absatzmodalitäten werden häufig aus Gründen des Verbraucher- und Gesundheitsschutzes erlassen. 37 Auch das Versandverbot des § 43 Abs. I S. I AMG regelt keine konkreten Anforderungen an die Waren, sondern normiert bestimmte Modalitäten des Absatzes. So dürfen Pharmazeutika nur in Apotheken verkauft und nicht versandt werden. Eine rechtliche SchlechtersteIlung ausländischer Medikamente wird durch die Apothekenpflicht allerdings nicht bewirkt. Auch eine faktische Diskriminierung ausländischer Produkte findet nicht statt. Die Betrachtung der Rechtsprechung des EuGH zeigt, dass diese Judikatur nationale Maßnahmen betrifft, die zwar potenziell zu einem verringerten Absatz der Waren führen können, nicht aber die Einfuhr an sich berühren. 38 Nach in der Literatur vertretener Ansicht soll deshalb nicht jede Verkaufs modalität in den Anwendungsbereich der Keck-Formel fallen. Zu den Verkaufs- und Absatzmodalitäten im Sinne der Keck-Rechtsprechung sollen nur solche Regelungen gehören, die wie das Sonntagsverkaufsverbot erst nach dem Import der Ware greifen. Beschränkt eine nationale Maßnahme dagegen den Marktzugang zu dem betreffenden Mitgliedstaat, soll sie weiterhin in den Anwendungsbereich des Art. 28 EGV fallen. 39 Hieraus wird gefolgert, dass das Versandhandelsverbot des § 43 Abs. I S. I AMG weiterhin eine Maßnahme gleicher Wirkung darstelle, weil es im Zusammenhang mit dem Apothekenmonopol dazu führe, dass ausländische Medikamente kaum einen Weg zum deutschen Endverbraucher finden. 4o 35 Mäschel, Kehrtwende in der Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit, NJW 1994, S. 430. 36 Vgl. EuGH Slg. 1995, S. 1-1621 ff. - Rs. C-391/92 "Säuglingsmilch"; EuGH Slg. 1995, S. 1-4663 ff. - Rs. C-387/93 "Banchero". 37 Zu den Verkaufsmodalitäten Ackennann, Warenverkehrsfreiheit und "Verkaufsmodalitäten", RIW 1994, S. 189 ff. 38 EuGH Slg. 1995, S. 1-1621 (1648, Rdnr. 20) - Rs. C-391/92. 39 EuGH Slg. 1997, S. 1-5909 (5974 f.) - Rs. C-189/95 "Franzen". 40 Koenig/Engelmann, ZUM 2001, S. 22 f. Allerdings wird hier die Beschränkung des Warenverkehrs vor allem mit der schwierigen Übernahmemöglichkeiten von deutschen Apotheken durch EG-Ausländer begründet. Diese Verquickung mit der Niederlassungsfreiheit überzeugt bei der Prüfung der Warenverkehrsfreiheit im Sinne von Art. 28 EGV jedoch nicht. Ausländische Medikamente können auch von deutschen Apothekern abgegeben werden, wenn die Arzneien die erforderliche Zu-

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Dass die Apothekenpflicht die ausländischen Arzneimittel möglicherweise stärker benachteiligt als heimische, da sie sich in Deutschland oft erst noch Märkte erobern müssen und der Apothekenzwang der Festschreibung von Handelsstrukturen und Marktanteilen Vorschub leistet,41 reicht jedoch für eine Ablehnung der Keck-Konsequenzen nicht aus. Es handelt sich hierbei um eine bloße abstrakte Erwägung, die für die Anforderungen an eine faktische Diskriminierung nicht genügt. Ansonsten würde der Unterschied zur Dassonville-Rechtsprechung eingeebnet. Die vom EuGH geforderte "faktische Diskriminierung" ist deshalb inhaltlich anders auszulegen und anzuwenden als die "potenzielle Beschränkung" der Dassonville-Formel. Beschränkende Auswirkungen auf den Handel reichen seit "Keck" also alleine nicht mehr aus,42 um Art. 28 EGV anzuwenden. Hinzu treten muss ein spezifischer Zusammenhang mit den Einfuhren. Auch außerhalb der Verkaufsmodalitäten kommt es auf diesen hinreichenden Zusammenhang an. 43 Erforderlich für die Anwendung von Art. 28 EGV ist, dass durch die Verkaufsmodalität ein Absatzweg verschlossen wird, von dem die ausländischen Arzneimittel für ihren Markteintritt zwingend abhängig sind. Bei vorliegender Zulassung des ausländischen Medikamentes kommt jedoch wie bei deutschen Präparaten der Bezug und Vertrieb mittels inländischer Apotheken in Betracht. Der Apothekenzwang soll die hinreichende Kundenberatung sicherstellen, wobei das Versandverbot folgerichtig auch dem deutschen Apotheker untersagt, Medikamente an Patienten zu verschicken. Für die Einfuhr eines ausländischen Präparates in Deutschland spielt also zunächst die Frage der Zulassung eine Rolle. Beim Absatz werden sie dann nicht schlechter gestellt als deutsche Präparate. Eine übermäßige Beschränkung oder wesentliche Behinderung ihres Absatzes ist somit nicht ersichtlich. 44 Da keine faktische Diskriminierung ausländischer Medikamente vorliegt, fällt das Apothekenmonopol nach der Keck-Rechtsprechung aus dem Anwendungsbereich des Art. 28 EGV heraus.

lassung besitzen. Das Problem der Niederlassungsfreiheit ist deshalb gesondert zu erörtern und steht in keinem direkten Zusammenhang mit der Warenverkehrsfreiheit von Arzneimitteln. 41 Wägenbaur, EuZW 1998, S. 715. 42 Bereits zuvor schon angedeutet in EuGH Slg. 1984, S. 523 ff. - Rs. 238/82 "Duphar" und EuGH Slg. 1986, S. 3449 ff. - Rs. 148/85 "Forest". 43 Weyer, Freier Warenverkehr und nationale Regelungsgewalt in der EU, 1997, S.406. 44 Zur Einschränkung der Keck-Formel Lüder, Die Grenzen der Keck-Rechtsprechung, EuZW 1996, S. 617.

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b) Das Verbringungsverbot als Absatzmodalität ? Anders stellt sich die Ausgangslage beim Einfuhrverbot des § 73 Abs. 1 AMG für im Inland noch nicht zugelassene Arzneimittel dar. Fraglich ist bereits, ob überhaupt eine Absatz- oder Verkaufsmodalität vorliegt, weil der Regelungsgehalt der Norm eigentlich die Voraussetzungen einer erlaubten Grenzüberschreitung statuiert und allenfalls mittelbar den Absatz der Waren tangiert. Jedenfalls liegt eine Diskriminierung der ausländischen Produkte gegenüber den deutschen Medikamenten vor, weil das Verbringungsverbot nur auf Präparate, die aus dem Ausland importiert werden sollen, anwendbar ist. Für die Beurteilung spielt es keine Rolle, dass auch für in Deutschland hergestellte Arzneimittel eine Zulassung für ihr In-Verkehr-Bringen verlangt wird, weil die jeweilige Regelung isoliert betrachtet werden muss. Aufgrund der diskriminierenden Wirkung der Vorschrift greift die KeckRechtsprechung hier nicht ein. c) Die Werbeverbote als Absatzmodalitäten?

Die Bestimmung des § 8 HWG könnte als Werbevorschrift unter die Verkaufs- und Absatzmodalitäten fallen. Die Werbeverbote der Regelung bezwecken einerseits die Unterstützung des Versandhandelsverbots in § 43 Abs. 1 S. 1 AMG, andererseits die Sicherstellung des Ausnahmecharakters des Einzelbezuges nach § 73 Abs. 2 Nr. 6a und Abs. 3 AMG. Formal unterscheidet § 8 Abs. 1 HWG bei seiner Anwendbarkeit nicht zwischen dem Vertrieb von inländischen und ausländischen Medikamenten. Dagegen könnte argumentiert werden, das Werbeverbot trage dazu bei, den grenzüberschreitenden Absatz auf diesem Bezugsweg zu unterbinden. Es liege eine faktische Diskriminierung ausländischer Arzneimittel vor, weil die potenziellen heimischen Kunden keine Informationen über die fremden Produkte und ihre Bezugsmöglichkeit erhalten. Damit werde ihnen der Marktzutritt vereitelt. Ebenso wie der Apothekenzwang fällt aber auch das korrespondierende Werbeverbot als Verkaufsmodalität nicht in den Anwendungsbereich von Art. 28 EGV. Hier müssen letztlich dieselben Argumente wie beim Versandhandelsverbot des § 43 Abs. 1 S. 1 AMG gelten. Das Werbeverbot gilt unterschiedslos und belastet die ausländischen Produkte nicht wesentlich schwerer als die heimischen. § 8 Abs. 2 HWG bezieht sich ausdrücklich nur auf ausländische Arzneimittel, so dass hier der Absatz ausländischer und inländischer Waren nicht in gleicher Weise berührt ist. § 8 Abs. 2 HWG enthält damit nicht nur bloße Vertriebsanforderungen im Sinne der Keck-Rechtsprechung, sondern wirkt rechtlich diskriminierend. Dieses Werbeverbot ist deshalb als Maßnahme gleicher Wirkung zu behandeln.

Zulässigkeit des Versand verbots von Medikamenten

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d) Ergebnis

Bei den Verboten in § 73 Abs. 1 AMG und § 8 Abs. 2 HWG handelt es sich um Maßnahmen gleicher Wirkung nach Art. 28 EGV. Eine Prüfung von zwingenden Erfordernissen kommt nicht in Betracht, da es sich bei § 73 Abs. 1 AMG und § 8 Abs. 2 HWG um keine unterschiedslos geltenden Maßnahmen handelt. Sie können jedoch aus Motiven des Gesundheitsschutzes gemäß Art. 30 EGV gerechtfertigt sein. Bei § 43 Abs. 1 S. 1 AMG und § 8 Abs. 1 HWG handelt es sich um Verkaufsmodalitäten im Sinne der Keck-Formel, die keiner Rechtfertigung bedürfen. 3. Die immanente Schranke der "zwingenden Erfordernisse"

Der EuGH entwickelte im "Cassis de Dijon"-UrteiI45 sog. "zwingende Erfordernisse", um den weiten Anwendungsbereich der Dassonville-Formel einzuschränken. Sie stellen eine immanente Schranke des Verbots von Maßnahmen gleicher Wirkung dar, die allerdings nur bei formal unterschiedslos geltenden und verhältnismäßigen Regelungen greifen kann. 46 Zu den anerkannten Gründen zählt der Gerichtshof beispielsweise den Umweltschutz47 oder die Lauterkeit des Handelsverkehrs48 . Hinsichtlich §§ 43 Abs. 1 S. 1 AMG, 8 Abs. 1 HWG kann an eine Prüfung aus Gründen des Verbraucherschutzes und des öffentlichen Gesundheitsschutzes als vorrangige öffentliche Interessen gedacht werden, da die Maßnahme unterschiedslos deutsche und ausländische Waren betrifft. Bei § 73 Abs. 1 AMG und § 8 Abs. 2 HWG ist dies indessen nicht der Fall, weil diese Verbote, wie bereits oben gezeigt wurde, ausländische Waren ausdrücklich diskriminieren. Regelmäßig sind diese zwingenden Erfordernisse vor der Rechtfertigung zu prüfen, außer die nationale Bestimmung könnte aufgrund des Gesundheitsschutzes nach Art. 36 EGV gerechtfertigt sein. 49 Dies käme bei § 43 Abs. 1 S. 1 AMG und § 8 Abs. 1 HWG in Betracht, wenn sie nicht als Absatzmodalitäten bereits aus dem Anwendungsbereich von Art. 28 EGV herausfallen würden.

EuGH Sig. 1979, S. 649 ff. - Rs. 120/78. Zu den Voraussetzungen Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1300. Ausführlich Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des EuGH zu Art. 30 EGV, 1997. 47 EuGH Sig. 1988, S. 4607 ff. - Rs. 302/86 "Dänische Pfandflaschenregelung". 48 EuGH Sig. 1984, S. 1299 ff. - Rs. 16/83 "Prand". 49 Vorrangige Prüfung des Gesundheitsschutzes z.B. in EuGH Sig. 1989, S. 229 ff. - Rs. 274/87 "Reinheitsgebot für Fleischerzeugnisse". 45

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4. Gesundheitsschutz als Rechtfertigungsgrund

Weil die Hannonisierung im Bereich der Herstellung und Vermarktung von Arzneimitteln sowie auf dem Gebiet der Werbung in der EU nicht abgeschlossen ist, kann sich ein Mitgliedstaat noch auf eine Rechtfertigung nationaler Maßnahmen nach Art. 30 EGV berufen. 50 Erst bei einer vollständigen Harmonisierung würde diese Rechtfertigungsmöglichkeit entfallen. Als Ausnahmebestimmung zu der Grundfreiheit des Art. 28 EGV ist Art. 30 EGV restriktiv auszulegen. 51 Zu den ausdrücklich erwähnten Rechtfertigungsgründen zählt der Gesundheits- und Lebensschutz. Grundsätzlich haben die Mitgliedstaaten das Vorliegen eines Gesundheitsrisikos nachzuweisen. Dem Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gebührt nach der Rechtsprechung des EuGH der "erste Rang" unter den in Art. 30 EGV aufgezählten Rechtsgütern. 52 Deshalb besitzen die Mitgliedstaaten einen großen Ermessensspielraum sowohl bei der Entscheidung, ob bestimmte Vorschriften zum Schutze der Gesundheit unter die Ausnahmeregelung des Art. 30 EGV fallen, als auch hinsichtlich der Frage, wie umfassend sie diesen Schutz gestalten möchten. Die beschränkenden nationalen Maßnahmen müssen jedoch insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen.

a) Rechtfertigung des § 73 AMG Ein absolutes Verbringungsverbot von in Deutschland zugelassenen ausländischen Medikamenten nach Deutschland ist sicherlich nicht mehr gerechtfertigt, wie der EuGH in der Entscheidung "Schumacher,,53 zu § 73 AMG festgestellt hat. Danach muss es möglich sein, dass Privatpersonen im Einzelfall im Einfuhrmitgliedstaat zugelassene und ohne ärztliches Rezept erhältliche Medikamente, die in einem anderen Mitgliedstaat in einer Apotheke gekauft worden sind, für ihren persönlichen Bedarf einführen können. Außerdem ist es unzulässig, Privatpersonen zu verbieten, Arzneimittel, die in Deutschland verschreibungspflichtig sind, in einer dem üblichen persönlichen Bedarf entsprechenden Menge einzuführen, wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat durch einen Arzt verschrieben und in einer Apotheke gekauft worden sind. 54 Diesen Grundsätzen des EuGH trägt nunmehr § 73 Abs. I AMG mit seinen Ausnahmen in Abs. 2 Nr. 6a und Abs. 3 ausreichend Rechnung. Ferner 50 51 52 53 54

EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH

Slg. Slg. Slg. Slg. Slg.

1994, 1968, 1976, 1989, 1992,

S. S. S. S. S.

1-5243 (5263). 679 (694) - Rs. 13/68 "Salgoil". 613 (635). 617 ff. - Rs. 215/87. 1-2575 ff. - Rs. C-62/90.

Zulässigkeit des Versandverbots von Medikamenten

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erkennt der EuGH aus Gesundheitsschutzgründen das Recht der Staaten an, Kontrollen bei der Einfuhr von verschreibungspflichtigen Medikamenten unter Beachtung der Grundrechte durchzuführen. Bei einer generellen Zulässigkeit des Arzneimittelversandes wären diese allerdings kaum noch sinnvoll durchführbar. Damit wird der Ausnahmecharakter dieser Vertriebsart unterstrichen. Eine weite Auslegung der unzulässigen gewerblichen Vermittlung im deutschen Recht steht damit nicht im Widerspruch zur Judikatur des EuGH und ist aufgrund des Ausnahmecharakters sogar geboten. 55

b) Rechtfertigung des § 8 Abs. 2 HWG § 8 Abs. 2 HWG soll u. a. verhindern, dass die deutschen Zulassungsvoraussetzungen für Arzneimittel umgangen werden, indem Hersteller die Genehmigung in einem Mitgliedstaat mit geringeren Anforderungen beantragen und sie von dort nach Deutschland einführen. Das Ziel, den Ausnahmecharakter der Einfuhr von im Importstaat nicht zugelassenen Arzneimitteln zu wahren, ist zum Schutze der Gesundheit nach der EuGH-Rechtsprechung zumindest solange gerechtfertigt, wie neben der gemeinschaftlichen Zulassung die nationalen Genehmigungen noch fortbestehen. 56 Als Ergänzung zum gerechtfertigten Verbringungsverbot ist das Werbeverbot somit ebenfalls rechtmäßig. 5. Ergebnis

Während § 43 Abs. 1 S. 1 AMG und § 8 Abs. 1 HWG als Verkaufsmodalitäten aus dem Anwendungsbereich von Art. 28 EGV herausfallen, lassen sich § 73 AMG und § 8 Abs. 2 HWG mit Art. 30 EGV rechtfertigen.

V. Schlusswort Nationale Versandhandelsverbote und mit ihnen in Zusammenhang stehende Werbeverbote fallen nicht in den koordinierten Bereich der E-Commerce-Richtlinie. Soweit sie heimische und ausländische Produkte gleich behandeln, stellen sie bloße Verkaufsmodalitäten dar, im Übrigen können sie über Art. 30 EGV gerechtfertigt werden. Ein europarechtliches Gebot für die Zulassung des Online-Vertriebs von Arzneimitteln besteht demzufolge nicht. 55 In der "Schumacher"-Entscheidung (EuGH Sig. 1989, S. 617 ff.) ging es um einen Apotheker, der gelegentlich auch Medikamente versandte. Dieser Versand gehörte aber nicht zu seiner Hauptgeschäftstätigkeit. 56 EuGH Sig. 1994, S. 1-5243 (5265, Rdnr. 19).

V. Energie und Umwelt im Binnenmarkt

12 Nenesheim/Oppennann (Hrsg.)

Europäische Liberalisierung der Elektrizitätswirtschaft Von Günter Püttner, Tübingen I. Die traditionelle Elektrizitätswirtschaft

Die überkommene Elektrizitätsversorgung war in allen europäischen Ländern vom Netzmonopol geprägt. Es war nämlich und ist bis heute richtig, dass das der Stromversorgung dienende Leitungsnetz ein einheitliches sein sollte, weil parallele Leitungen angesichts der hohen erforderlichen Investitionen absolut unwirtschaftlich sind und nur ausnahmsweise (als Stichleitungen von begrenzter Länge) in Betracht kommen. Traditionell hat man deshalb die Strom- (und auch Gas-) Versorgung insgesamt als ein natürliches Monopol aufgefasst und ausgestattet. Für jeden Abnehmer, gleich ob privater Haushalt, Kleingewerbe oder Industrieunternehmen, gab es deshalb bisher nur einen sozusagen zuständigen Stromlieferanten. Zum Schutz der Verbraucher gegen Ausbeutung durch den Monopolisten engagierte sich die öffentliche Hand überall maßgebend in der Energieversorgung. Im 19. Jahrhundert entsprach dieses Engagement nicht nur der herrschenden Auffassung in der Wissenschaft (wenn schon Monopol, dann in öffentlicher Hand und öffentlicher Verantwortung), sondern fußte auch auf praktischen Erfahrungen mit den zunächst konzessionierten englischen Gasgesellschaften (diese haben schon zugelangt; so konnte die Stadt Düsse1dorf kurz vor der Jahrhundertwende bei Übernahme der Versorgung den Gaspreis auf die Hälfte senken und trotzdem noch Gewinne machen). Öffentliches Engagement bedeutete aber auch, dass die Staatsstruktur auf die Versorgungsstruktur durchschlug. In den zentralistischen romanischen Staaten entstand je ein großes, landesweit tätiges Stromversorgungsunternehmen, so in Frankreich die EDF als Staatsunternehmen (das nach dem Umsatz größte europäische Unternehmen überhaupt). Diese betreibt die Kraftwerke, das Hochspannungsnetz und auch örtliche Stromverteilung über die Niederspannungsnetze einheitlich. Ähnlich verlief die Entwicklung in Italien und Spanien, übrigens auch in Großbritannien. In Deutschland haben zunächst die Städte ihre örtlichen Netze und ihre Stadtwerke aufgebaut und bislang behauptet. Das Reich hat sich in der Stromversorgung nie wirklich engagiert, und so gab es bislang als Großunternehmen (in der Fachsprache: Verbundunternehmen) mit Kraftwerken 12*

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und Hochspannungsnetz Unternehmen der Länder und gemischtwirtschaftliche Unternehmen, als größtes das RWE, entstanden als Gemeinschaftsunternehmen von Großstädten und Kreisen an Rhein und Ruhr. In einigen ländlichen Gebieten hatten sich regionale Versorgungsunternehmen, getragen von Landkreisen, etabliert. Diese pluralistische Versorgungsstruktur, bestehend aus rund 600 größeren, mittleren und kleineren Stromversorgungsunternehmen besteht bis heute, muss sich nun aber unter der Liberalisierung neu bewähren. Bisher hatte es nämlich trotz der pluralistischen Struktur so gut wie keinen Wettbewerb gegeben, weil die geschilderte Monopolsituation durch Konzessions- und Demarkationsverträge wirkungsvoll abgesichert war und für diese Verträge im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen eine Ausnahme vom Kartellverbot verankert war. Im früheren Energiewirtschaftsgesetz war die monopolistische Versorgungsstruktur nicht festgeschrieben, aber stillschweigend vorausgesetzt. Neben den Städten (über die Konzessionsverträge) bemühten sich die im Kriege installierte Preisaufsicht und später die Kartellaufsicht um den Schutz der Verbraucher, aber der Erfolg dieser Bemühungen hielt sich in Grenzen. 1. Die Liberalisierung

Jahrzehntelang herrschte die Auffassung vor, dass angesichts der technischen Rahmenbedingungen das geschilderte System gar nicht entscheidend geändert werden könne und Wettbewerb auf den Netzen nicht möglich sei. Die Gegenansicht konnte sich aber nicht zuletzt wegen technischer Fortschritte, vor allem aber aus grundsätzlichen marktwirtschaftlichen Überlegungen heraus in jüngster Zeit vor allem auf EU-Ebene durchsetzen. Im Jahre 1997 erging eine die Liberalisierung (= Netzöffnung) fordernde Richtlinie für Elektrizität, später eine ähnliche für Gas 1. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Richtlinien durch Aufhebung der Kartellverbotsausnahme und durch das neue Energiewirtschaftsgesetz von 19982 umgesetzt. Im Prinzip kann nun in Deutschland jeder Abnehmer, jeder Haushalt, jedes Unternehmen, auch jeder Weiterverteiler, seinen Stromlieferanten selbst wählen. Jedem Lieferanten steht der Zugang zu den Netzen (Hoch-, Mittel-, Niederspannungsnetzen) unter gewissen Bedingungen frei. Es haben auch einige größere Anbieter verlockende Angebote gemacht, und einige Kunden, besonders Unternehmen, haben sich von bisheri1 Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie 96/92/EG (ABI. L 27 vom 30.1.1997; Erdgas-Richtlinie 98/30/EG (ABI. L 204 vom 21.7.1998). 2 BGBI I S. 730.

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gen Monopolisten (z.B. dem "zuständigen" Stadtwerk) abgewandt. Die Masse der Verbraucher ist allerdings bislang den traditionellen Lieferanten, besonders den Stadtwerken, treu geblieben, weil auch diese die Preise senken konnten und gesenkt haben, nämlich weil sie ihrerseits am entstandenen Strommarkt günstiger als früher einkaufen konnten. Offensichtlich entwickelt sich der Wettbewerb im Strombereich erst allmählich, und es ist schwer vorherzusagen, wie einige Jahre später die Versorgungsstruktur in Deutschland aussehen wird. Die Umsetzung der EG-Richtlinien in den großen westlichen Ländern gestaltet sich angesichts der dort gegebenen Bedingungen anders als in Deutschland. Vorab ist anzumerken, dass die Mitgliedstaaten, weil der EGVertrag gemäß Art. 295 deren Eigentumsstruktur unberührt lässt, nicht verpflichtet sind, ihre staatlichen Großunternehmen ganz oder teilweise zu privatisieren; sie können an öffentlicher Regie festhalten und werden das wohl vielfach auch tun. Die Staaten sind auch nicht verpflichtet, ihr landesweit tätiges Großunternehmen, z. B. die EDF oder Gaz de France, in mehrere Unternehmen aufzuspalten, um Wettbewerb zu ermöglichen (In Klammem: Großbritannien hat das frühere Staatsunternehmen bei der Privatisierung in zwei Unternehmen zerlegt und dann Wettbewerb erhofft; die Hoffnung wurde ziemlich enttäuscht). Es darf also auch weiter die landesweit agierenden staatlichen Großunternehmen geben, nur müssen sie sich nunmehr grundsätzlich Konkurrenz gefallen lassen. In dieser Hinsicht hat aber Frankreich die EG-Richtlinien in der ersten Stufe sehr EDF-schonend umgesetzt. Nur die 30% des Stromabsatzes, die auf die größten Abnehmer entfallen, sind für den Wettbewerb freigegeben, demnächst sollen es 50% werden. Die Masse der Privat- und der kleingewerblichen Kunden muss noch lange auf die Vorteile des Wettbewerbs warten. Ob Frankreich die Richtlinie damit hinreichend umgesetzt hat, wäre noch zu überprüfen. Unter den gegebenen Umständen erscheint es äußerst fraglich, ob es einem deutschen oder anderen nicht-französischen Unternehmen in überschaubarer Zeit gelingen wird, in den französischen Markt einzudringen, zumal das Strom-Import-Monopol der EDF (mit Billigung durch den EuGH) noch weiter fortgilt. Umgekehrt ist es für die EDF wesentlich einfacher, in Deutschland Fuß zu fassen, und sie ist ja auch bereits präsent. Es besteht aber derzeit ein etwas ungleicher Strom-Markt in Europa. 2. Das Gegenprinzip "Daseinsvorsorge"

In gewissem Kontrast zur Liberalisierung, die ja auch Kommerzialisierung meint, steht die erfolgte Aufwertung der "Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse" im EG-Vertrag. Zu diesen Dienstleistungen hat die Kommission 1996 und 2000 jeweils eine ausführliche Mittei-

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lung 3 herausgegeben und darin die einschlägigen Sektoren näher beschrieben, zu denen auch die Stromversorgung gehört. Die deutsche Fassung der Mitteilungen ist überschrieben mit "Leistungen der Daseinsvorsorge", eine höchst problematische Übersetzung, denn die von Ernst Forsthoff in Anlehnung an Jaspers und andere Philosophen entwickelte Vorstellung von staatlicher Daseinsvorsorge und Daseinsvorsorgeverantwortung hat wenig zu tun mit der französischen Doktrin vom service public, die augenscheinlich den "Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse" nach EGRecht als Vorbild gedient hat. Die Unterschiede hat Pielow in seiner kürzlich erschienenen Habilitationsschrift4 näher herausgearbeitet. Dem Sprachendienst der EG muss dringend angeraten werden, solche irreführenden Übersetzungen zu unterlassen. Mit der Verwendung des Terminus "Daseinsvorsorge" wird ja doch dem unbefangenen deutschen Leser der Eindruck vermittelt, die Kommission habe die entsprechenden deutschen Vorstellungen rezipiert und richte sich daran aus. Davon kann jedoch überhaupt keine Rede sein, den Kommissaren der EG ist (außer vielleicht den deutschen) die Lehre von der Daseinsvorsorge mit Sicherheit gänzlich unbekannt. Was die Sache selbst betrifft, so enthielt der EG-Vertrag von Anfang in Art. 90 Abs. 2, jetzt Art. 86, Abs. 2, eine Klausel, wonach Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind (z.B. mit der Stromversorgung), im erforderlichen Umfang von den Wettbewerbsvorschriften des Vertrages befreit sind. Lange Zeit schlummerte diese Vorschrift vor sich hin, erst in neuerer Zeit erlangte sie praktische Bedeutung und war häufig Gegenstand von Urteilen des EuGH5 . Auf dem Amsterdamer Gipfel ist der Vertrag um eine diese Dienstleistungen positiv wertende Vorschrift erweitert worden, den neuen Art. 16, wonach die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten für das gute Funktionieren dieser Dienste Sorge tragen sollen. Die Vorschrift, wie immer man sie sonst einstuft6 , liest sich jedenfalls eher als Aufforderung zu staatlicher Intervention und nicht als Ausdruck des Vertrauens auf den Markt, wie doch in der Liberalisierung angelegt. Die EG spricht also mit zwei Zungen, und erklären lässt sich diese Gespaltenheit wohl nur damit, dass die romanischen Länder und ihre mächtigen Versorgungsunternehmen die Liberalisierung letztlich nicht voll verwirklicht sehen wollen und deshalb auf eine Gegenvorschrift im EG-Vertrag 3 4

KOM (1996) endgültig; KOM (2000) 580 endgültig.

Pielow, Grundstrukturen der öffentlichen Versorgung, 2001.

5 Vgl. besonders EuGH Slg 1991, S. 5889 (Porto di Genova), Slg. 1998, S. 14075, 4123 (Düsseldorf), Slg. 2000, S. 1-3743 (Kopenhagen). 6 Vgl. meinen Beitrag: Die Aufwertung der Daseinsvorsorge in Europa, ZögU 2000, S. 373 ff.

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gedrungen haben. Welche Schranken Art. 86 Abs. 2 und Art. 16 EGV der Liberalisierung der Stromversorgung tatsächlich setzen werden, ist allerdings noch ziemlich offen und wird sich erst in Zukunft zeigen. Anzumerken ist, dass die Mitgliedstaaten berechtigt sind, für die Stromversorgung über Art. 86 Abs. 2 EGV Ausnahmen von den EG-Wettbewerbsvorschriften zu statuieren, dazu aber keineswegs verpflichtet sind. Der deutsche Gesetzgeber zeigt bisher keine Neigung, von Art. 86 Abs. 2 EGV Gebrauch zu machen, so dass dieser Artikel in Deutschland leerläuft. Denn eine automatische Befreiung von Wettbewerbsvorschriften je nach der Sachlage ohne staatlichen Freistellungsakt gibt es nicht. 3. Die mit der Liberalisierung aufgeworfenen Probleme

Was nun die Formen und Rahmen des entstehenden Wettbewerbs in der Elektrizitätswirtschaft betrifft, so zeichnen sich die Konturen erst langsam ab. Die Kunden können unter den Anbietern wählen, werden sich aber wohl immer auf eine gewisse Mindestabnahmezeit und Kündigungsfristen wie bei anderen Dauerschuldverhältnissen einrichten müssen. Einen dauernden Lieferantenwechsel wie auf dem Wochenmarkt wird sich voraussichtlich nicht als möglich und tunlich erweisen. Aber das ist eigentlich nichts Besonderes. Im Übrigen zeichnet sich, obwohl rein rechtlich ein Gebot des "unbundling", der Trennung von Netz und Betrieb, nicht besteht, doch eine dahingehende Tendenz ab. Viele Stadtwerke hatten schon bisher keine oder nur eine geringe Eigenerzeugung von Strom und waren im Wesentlichen reine Verteilerunternehmen. Für sie ändert sich die Position kaum, nämlich nur insofern, als sie nicht mehr nur Strom kaufen und weiterverkaufen wie bisher, sondern den Lieferanten nun auch die Durchleitung durch ihr Netz zur unmittelbaren Belieferung der Kunden öffnen müssen, natürlich gegen Entgelt. Verschiedene Städte überlegen, ob sie sich nicht ganz von der Eigenschaft als Zwischenhändler verabschieden und nur noch durchleiten sollen. Manche Städte sind deshalb dabei, mit ihren Stadtwerken gesonderte Konzessionsverträge über den Netzbetrieb und über die Stromlieferung abzuschließen. Einen Streitpunkt bilden naturgemäß die Durchleitungsbedingungen und die Durchleitungsentgelte. Hierüber haben sich die beteiligten Gruppen der Elektrizitätswirtschaft in einer Verbändevereinbarung verständigt. Obwohl die Verständigungsregelungen nur empfehlenden Charakter tragen, sehen die Kartellbehörden darin grundsätzlich einen Verstoß gegen den Grundsatz des freien Wettbewerbs und haben Bedenken erhoben. Sollten sie damit Erfolg haben, wird wohl die von der EG ohnehin geforderte Regulierungsbe-

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hörde für Energie (Bundesenergieamt o. ä.) geschaffen werden, um einen Rahmen zu setzen. Aber noch ist die Entwicklung offen. Wie sich der Wettbewerb zwischen den großen und den kleinen oder mittleren Versorgungsunternehmen gestalten und welche Ergebnisse er haben wird, ist ebenfalls noch offen. Zu den insoweit aufgeworfenen Problemen habe ich im März diesen Jahres vor dem Energierechtsinstitut der Humboldt-Universität Stellung genommen und verweise Interessenten auf den Tagungsband. Ein Trend zur Konzentration, zur Bildung größerer Unternehmenseinheiten zeichnet sich bereits ab, wie man das ja aus anderen Wirtschafts sektoren gewohnt ist. Das GWB bietet den Mittelständlern einige Kooperationsmöglichkeiten an (§ 4), um gegenüber Wirtschaftlichkeitsvorsprüngen der Großen mitzuhalten, aber es ist fraglich, ob diese Hilfe zur Behauptung der Kleinen ausreichen wird. Der Wettbewerbstheorie und dem Wettbewerbsrecht kommt es im Übrigen nur darauf an, dass funktionierender Wettbewerb gewährleistet ist. Wenn mehrere große Unternehmen dafür ausreichen, weint das Wettbewerbsrecht dem Untergang der Kleinen und der Mittelständler keine Träne nach. Mittelstand ist für die Verfechter freien Wettbewerbs kein Wert an sich; wer nicht mithalten kann, muss eben ausscheiden. Im konkreten Fall geht es nun allerdings nicht um private Mittelständler, sondern um die örtlichen Stadtwerke. Sie bilden seit dem 19. Jahrhundert ein Kernstück der kommunalen Selbstverwaltung, und so läge im Aufgehen der Stadtwerke im überörtlichen Großunternehmen ein spürbarer Verlust an Selbstverwaltung. Reine Marktwirtschaftler werden eine solche Entwicklung eher begrüßen, war ihnen doch das städtische Engagement in der Versorgung immer ein Stein des Anstoßes. Wer dagegen vom Wert der Selbstverwaltung im deutschen Staatswesen überzeugt ist, sieht die Entwicklung mit einiger Besorgnis, zumal sich im Sparkassenwesen Ähnliches abzeichnet und es die deutsche Selbstverwaltung, einmalig in Europa, ohnedies nicht leicht hat, ihre Stellung zu behaupten. Die europäische Dimension des Problems ist überhaupt ein Punkt, der den deutschen Stadtwerken das Überleben zusätzlich schwer machen wird. Wenn die erwähnten Großunternehmen aus Frankreich und anderswo stärker in den deutschen Markt eindringen und den Stadtwerken Kunden abjagen, wird es den Davids kaum wie in biblischer Zeit gelingen, den Goliaths standzuhalten. Die Stadtwerke sind, jedenfalls nach überwiegendem geltenden Recht, nicht befugt, außerhalb ihres Gebietes als Ersatz für verlorene Kunden im Stadtgebiet neue andere Kunden zu werben. Aber selbst wenn der Gesetzgeber wie in Nordrhein-Westfalen die Gemeinden zu solchem Angreifen ermächtigt, bleibt offen, inwieweit ein auswärtiges Engagement tatsächlich Verluste auf einem Gebiet ausgleichen kann.

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Im Übrigen ist noch unklar, ob und inwieweit die deutschen Großunternehmen sich gegen die auswärtigen Giganten im europaweiten Wettbewerb auf Dauer behaupten werden. Schließen sie sich zu Unternehmen mit vergleichbarer Größe zusammen, stoßen sie zur Zeit noch auf Kritik im eigenen Land, weil auf dem deutschen Markt die "Megafusionen" den Wettbewerb beeinträchtigen könnten. Also wer kann es ihnen verdenken, wenn sie sich wappnen, ehe es vielleicht zu spät ist. Insgesamt gesehen stehen wir jedenfalls erst am Anfang der Entwicklungsprozesse, die sich im Gefolge der Liberalisierung der Elektrizitätswirtschaft abzeichnen. Ich möchte darüber nicht weiter spekulieren, sondern noch einen anderen Punkt, der mit der Liberalisierung zusammenhängt, ansprechen. 11. Energiegewinnung und Umweltschutz

Es geht um die Frage des Primärenergieeinsatzes und damit verbunden um den Umweltschutz bei der Energiegewinnung. Diese Seite war nicht eigentlicher Gegenstand der jetzigen Liberalisierung, aber der durch den einsetzenden Wettbewerb erzeugte Druck auf die Energiepreise zwingt zur Wahl der preisgünstigsten Energiequellen und lässt wenig Spielraum für den Einsatz umweltschonender, aber teuerer Primärenergien. Auch die heilige Kuh der nationalen Energiereserve scheint heimlich geschlachtet worden zu sein. Wenn im europäischen Energienetz Strom aus anderen Ländern billiger als aus deutschen Kraftwerken bezogen werden kann, steht es frei, sich aus dieser Quelle zu bedienen. Wenn auf diese Weise künftig statt der vorhandenen Überkapazität Unterkapazitäten in Deutschland gegeben sein werden, gilt das nicht mehr als Gefahr für die nationale Versorgungssicherheit, solange nur insgesamt in Europa genügend Angebot vorhanden ist. Aber davon geht man im Zeitalter der Marktwirtschaft wie selbstverständlich aus. Im einzelnen stellen sich aber doch manche delikaten Fragen. Wenn z. B. Atomstrom aus Ländern mit niedrigeren Sicherheits- und Umweltstandards für Kernkraftwerke billiger angeboten werden kann als aus deutschen Kernkraftwerken mit höheren Anforderungen, dann weckt diese Wettbewerbsverzerrung doch Bedenken. Man wird in Deutschland geneigt sein, die Nachbarn, vielleicht Frankreich, vielleicht auch Tschechien, zur Einhaltung hoher Standards zu mahnen, zumal etwaige Pannen sich ja grenzüberschreitend auswirken. Die deutsche Regierung wird vermutlich in der EU auf einheitliche, hinreichend hohe Standards hinarbeiten. Vielleicht erledigt sich dieses Wettbewerbsproblem aber längerfristig durch den mit den Unternehmen vereinbarten Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland. Man hat inzwischen den Eindruck, dass die deutschen Ver-

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sorger gar nicht so ungern aus dem inländischen Kernkraftbetrieb aussteigen, wenn sie sich anderweitig günstiger eindecken können. Gedacht ist dabei nicht nur an auswärtigen preisgünstigen Atomstrom, sondern z. B. auch an skandinavischen Strom aus Wasserkraft, der zudem noch als besonders umweltfreundlich gilt. Der Strornhandel, der mittlerweile eingesetzt hat, kann sich noch sehr interessant entwickeln. Kehren wir ins Inland zurück, so stoßen wir auf das Problem der möglichen Verdrängung besonders umweltfreundlicher Energiegewinnungsverfahren aus erneuerbaren Energien und aus Anlagen der Kraft-Wärme-Koppelung. Diese Verfahren lassen sich nur unter Abgehen von Wettbewerbsprinzip durch gezielte Subventionen zum Beihilfenverbot des Art. 87 EGV, soweit die eingesetzten Mittel letztlich aus öffentlichen Quellen stammen. Wie eine dauerhafte Rechtfertigung solcher Subventionen aussehen kann, ob über Umweltschutz oder Art. 86 Abs. 2 EGV, ist noch offen und bedarf der Klärung. IH. Ausblick Wie wird es weitergehen mit der liberalisierten Energiewirtschaft? Niemand kann diese Frage zuverlässig beantworten. Aber es zeichnen sich einige Entwicklungen ab, die jedenfalls Anhaltspunkte für den künftigen Zustand dieses Wirtschaftszweiges liefern. Zunächst ist festzustellen, dass Liberalisierung - niedergelegt - nicht laissez-faire meint wie im 19. Jahrhundert. Zur Sicherung des gewünschten funktionierenden Wettbewerbs, aber auch zum Schutz der Umwelt und der Verbraucher gibt es zunehmend Regulierungen (wie die einschlägigen Vorschriften neuerdings nennt). Hinsichtlich des Netzzugangs missfällt die Problembewältigung durch Verbändevereinbarungen, wie ausgeführt, den Anhängern reinen Wettbewerbs, und so ist insbesondere seitens der EG-Kommission die Forderungen nach Schaffung einer Regulierungsbehörde laut geworden, wie es sie ja für die Bereiche Telekommunikation und Eisenbahnwesen bereits gibt. Voraussichtlich gehen wir eine Epoche intensiver Regulierung entgegen; jedenfalls ist von Deregulierung kaum noch die Rede. Ob sich die vielen mittleren und kleinen deutschen Versorgungsunternehmen behaupten werden, ist - wie gesagt - ziemlich offen und ungewiss. Wahrscheinlich wird es eine Konzentrationsbewegung geben, aber sicher ist das nicht. Denkbar ist insbesondere, dass sich Stadtwerke als reine Durchleiter, als reine Netzbetreiber behaupten und von den Entgelten leben, die die Energielieferanten für die Durchleitung bezahlen. Der wirtschaftliche Vorgang unterscheidet sich dann kaum von dem des Betreibers einer Mautstraße, der selbst nicht fährt, aber die Straße gegen Entgelt zur Benutzung anbietet. Warum nicht?

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In eine Art "Sinnkrise" sind allerdings die Stadtwerke in ihrer Eigenschaft als öffentliche Unternehmen geraten. Ihr bisheriger "öffentlicher Zweck", die Verbraucher vor der Ausbeutung durch einen (auswärtigen) Monopolisten zu schützen, ist weitgehend entfallen. Der Wettbewerb als solcher, die Kontrollaufsicht und die Regulierung sichern die Belange der Verbraucher himeichend, und auch die Versorgungssicherheit wird voraussichtlich nicht leiden. Viele Städte mit angespannter Finanzlage fragen sich deshalb, ob es noch Sinn macht, an eigenen Stadtwerken festzuhalten und Mittel dafür einzusetzen, die für andere städtische Leistungsangebote dringender benötigt würden. Es kann also Umstrukturierungsprozesse geben, die mit der Liberalisierung der Stromversorgung unmittelbar gar nichts zu tun, sondern Folgewirkungen darstellen. So viel zu Deutschland. In den anderen europäischen Ländern wird sich wahrscheinlich in den nächsten Jahren wesentlich weniger ändern, weil der gewünschte Wettbewerb nur langsam in Gang kommen kann. Aber Europa befindet sich ja insgesamt in einer Phase der wirtschaftlichen Weiterentwicklung, in deren Rahmen die Liberalisierung der Elektrizitätsversorgung durchaus den Auftakt bilden kann für weitergehende Umstrukturierungen. Wer weiß, was die Zukunft noch bringen wird?

e-Governance in the e-Europe Perspective By Richard Pomahac, Prague I. On-line Communication, Transparency and Data Protection

The e-Europe initiative was launched by the European Commission in December 1999 with the objective to bring Europe on-line. The initiative aims at accelerating the uptake of digital technologies across Europe and ensuring that all Europeans have the necessary skills to use them and it plays a central role in the agenda of economic and social renewal for Europe. Better public information on-line would make the Internet more relevant to daily lives and so boost the number of Internet users and thereby have spill-over benefits of wider participation in the information society. The potential of the Internet could be utilised to realise the objective of the Amsterdam Treaty to ensure fuB transparency and ensure that decisions are taken as openly as possible. The Lisbon European Council conclusions called for - inter alia - efforts by public administrations at aB levels to exploit new technologies to make information as accessible as possible. Member States were asked to provide generalised electronic access to main basic public services by 2003. In order to achieve this target Interchange of Data between Administrations (IDA Programme) supports the implementation of a wide range of Community policies. The IDA generic services enable integrated ways of working between administrations and support the implementation of trans-European applications and services to citizens and enterprises through the linking of the back-office systems of the administrations. In the provision of customer-centric services, major lines of action have been defined as (i) to cooperate with national, regional, and local administrations, in order to identify where new services are being introduced, to benchmark them, to spread best practice, and to determine what additional functionality is required to add value at the pan-European level; (ii) to establish the single point of access to multiple sources of information; (iii) to promote the application of electronic certificates and the interoperability of the national public key infrastructure implementations of the Member States. The Czech reaction to the e-Europe initiative was referred in details at the European Ministerial Conference on information society in Warsaw [4].

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The government' s strategic document specifies the following eight basic priorities: (i) to achieve information literacy by all citizens; (ii) to put into practice the citizen's right to direct access to information; (iii) using information technologies to improve the services provided to public by the public administration; (iv) to build a communication infrastructure as a prerequisite for the development of an information society; (v) to ensure trustworthiness, security and order in the specific conditions of the information society, with the use of electronic identifiers and the provision of personal data protection; (vi) to foster the conditions for the development of e-commerce in the Czech Republic, as a necessary pre-condition for its integration into the global economy; (vii) to foster a transparent business environment and to subject the management of public funds to public control, and (viii) to ensure the stability and security in the information society. The state's policy focuses on improving the distribution of general public data. All the information systems are to be easily accessible through also outlined Public Sector Portal. In the sphere of legal approximation the problems of electronic signature and its application are very attractive topics these days [5]. The Czech Act on Electronic Signature is compatible with the Directive for a System of Electronic Signature. The Directive is rather general, technically neutral, but at the same time shows effort to harmonise technical and other aspects of electronic signature. The Act on Electronic Signature does not affect all possible situations but only a target of quality in this area. It regulates the application of electronic signatures and use of some certificates, i. e. a guaranteed electronic signature and qualified certificates. Absolutely indispensable is the Act on Electronic Signature in the area of public administration: public administration authorities shall accept only guaranteed electronic signatures and qualified certificates issued by accredited providers of certification services. The development of an information society is not just the task of the government and of its administration, but above all depends on a partnership between government, public administration, towns, municipalities, general public, business sec tor, as weIl as academic and research spheres. The management of public politics is more and more local and inter-governmental. It requires a co-operation between the state territorial agencies, at regional or local level, and consequently an important increase of information exchanges and sharing among the services. The new information and communication technologies will assist the administrative organisations to adapt themselves to the users needs. The long-standing rule and practice of administrative secrecy resulted from a presumption of secrecy, which was often based on an unreasoned and disproportional denial of public access rather than on a well-founded, reasonable balancing of the conflicting interests in secrecy on the one hand

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and openness on the other. It is important to draw attention to the fact that the public's right of access can be infringed upon not only by COntentbased restrictions relating to secrecy interests but also by conditions dealing with the format in which One can have access to information, the quantity of the information, the costs of getting access to information, and the possibility of using software to retrieve, link or analyse public data. Conditions like these, which are so essential in the computer age, can also limit the right of access to official information and therefore have to meet the requirements for restricting this fundamental right. The Constitutions of Central and Eastern European countries often include rights of access to public information. Although the grounds for exceptions may vary considerably, these generally fall into one of two categories: protection of the general interest and protection of the individual interest [1]. As regards personal data, most of the systems generally provide for non-disclosure of this kind of information unless consent is given by the person concemed, and stipulate respect for the private life of individuals named in documents or for similar other protected interests. In disclosing documents emanating from third parties, the question may arise of whether to consult the author or whether to respect the classification of document fixed by the third party. The European Parliament and Council adopted a Directive On the Protection of Individuals with regard to the Processing of Pen)onal Data. The Directive provides for principles of processing of personal data, rights for the persons concemed and the establishment of external control. In particular, certain principles of the European Data Protection Directive were cited as being incompatible with the open access principle [5]. The areas of conflict were the limited purposes principle, time limitation and protection of sensitive data. Protection of the general interest includes exceptions for reasons as numerous and varied as the security of the state, national security and defence matters, economic and financial interest, investigation of criminal offences, etc. Protection of the individual interest cOncems exceptions with regard to the protection of personal privacy and the confidentiality in particular of business information. The Directive allows processing of personal data only for specific enumerated reasons, e. g. where necessary for compliance with a legal obligation to which the controller is subject or for the purposes of the legitimate interest pursued by the controller or by the third party to whom the data are disclosed except where the interests are overridden by the interests for fundamental rights and freedoms of the data subject. Privacy is the toughest problem for re-engineering dissemination policy because so much of the commercially valuable information involves personal data. The starting point conceptually is to subject public information

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within the scope of a general privacy protection regime to the regime, and let it operate in the usual way. There is no obvious reason why privacy interests are less if the initial collector and custodian of information is the government instead of private enterprise. Personal data may only be processed where necessary for the purpose being pursued. In this context, two questions need to be raised. The first concerns the extent to which social tasks need to be performed by public authorities. The second question concerns the extent to which the use of personal data is really necessary for the execution of any task given to a public authority. Secondary uses for different purposes may change the quality of personal data. Data which have been relevant for one purpose may not qualify in the same way in another context. Moreover, they may have been obtained through ob ligatory procedures which may limit future use for fairness reasons. The manual nature of processing was a powerful barrier against secondary uses.

11. e-Democracy, e-Governance and Globalisation of Administrative Law The development of e-Democracy can be viewed as underpinning a new approach to democratic theory. The basis of this theory is that representational democracy has failed. The perceived weaknesses of existing democratic arrangements are that members of the representative assemblies represent partisan interests, that they tend to follow only their own partial understanding of what is good for their constituencies, and that they are more responsive to the requirements of the political party they belong to, than to the citizens whose mandate they have received. The implementation of new technologies, it is argued, will allow for the adoption of the more desirable model of direct democracy in which the opinions and preferences of all members of the public can have a significant impact on decisionmaking at various levels. According to Edes [2] the exciting potential of new information and communication technologies to radically upgrade and expand public information services is tempered by some facts, inter alia: (i) access to the Internet within countries is very unequal, with the poor, women and minorities enjoying lower access rates than men, the wealthy and the highly educated. It cannot be assumed that everyone will receive information put on to government web sites, and some target groups will be particularly hard to reach via electronic means; (ii) giving citizens the option of sending an email at any time instead of making a phone call or personal visit during regular business hours to seek answers to questions may cause unprepared administrations to be overwhelmed with easily dispatched electronic queries; (iii) if governments are compelled to expand transparency even

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further granting broad rights of public access to information in the administration, there is areal risk that public servants will shy away from giving free and frank advice. This could harm rational policy development and the exploration of creative solutions to societal problems. Direct participation in collective rule-making has never been so widespread, although this is dominated by the involvement of groups rather than individuals or politicians. One major trend is the development of non-parliamentary systems of governance in a wide variety of policy sectors. Examples include financial institutions, economic organisations, environmentalists, and administrators of public services. The governance leads to a diffusion of authority and decision-making into specialised policy sectors in civil society, a decentralisation downward into regions and municipalities, and a centralisation upwards into international institutions and networks. This makes it difficult to maintain the centrality of representative democracy. The dramatic impact of the Internet has led to discussion of e-Democracy and on-line voting. Some early enthusiasts declared that the Internet could replace representative democracy, enabling everyone to vote on everything and anything at the push of a button. Such visions oversimplified the democratic process. Trying to take into consideration the Czech experience in the field of public consultations, communication with wide public, however rising from good intentions, stays hopelessly single-way [3] [6]. Active participation of citizens in decision-making is still strongly biased by their above-mentioned negative experience from the past regime. The citizens' distrust in public administration organisations and their aversion to participate in their activities seems to be a problem not only of post-communist countries. There is no doubt that public administration was initially rather restrained to base its key activities successively on the use of progressive technologies. The respondents point to a big pressure made by private businesses during their communication with the administration, which speeded up the development. Accelerating globalisation erodes both the nation-state and the nationlaw. As for the administrative law, the origin of its fragmentation has been affected by the success and expansion of the administrative state at multiple levels. The law is gradually becoming a less powerful force. Lawyers may be skilled at assessing fairness to individuals, but they hold no special competence in fashioning comprehensive policies. Yet, at the same time the citizens expect their governments to cope with whatever becomes defined as a social problem and public servants try to pass a law satisfying those demands. Traditionally, a dichotomy of goals was perceived within the scope of administrative institutions and procedures. One purpose is to assist adminis13 Neuesheim/Oppennann (Hrsg.)

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trative institutions in carrying out the tasks set by government. The other is to ensure that individuals who are affected by the actions and decisions of administrative institutions should be treated properly and fairly. Certain communities are more regulated and controlled than others, and it may be that the curbing of the degree of state regulation is a desirable goal to be aimed at. Administrative powers raise important issues about how people should be treated. In a society based on the rule of law, it is important that administrative powers should derive from the legal authority of the constitution or parliamentary enactment, and that they should be stated with reasonable certainty and clarity. However, it is not sufficient to show that administrative powers are derived from a legitimate legal source, because other principles are needed to ensure that, in the use of those powers, persons are properly and fairly treated in the administrative process. Finally, just as international conventions and trans-national rulings may be the source of rights, so they may contain provisions which give meaning and content to the principle of good administration. The global inclinations in administrative law shaped so as to externalise outside administrative institutions and procedures was often presented with the emphasis on deregulation. By contrast, supplementary importance is attached to such matters as openness in the conduct of administration, effective participation in the process by those whose rights and interests are at stake, impartiality on the part of the administrators, the specification of the criteria of decision-making and the disclosure of the reasons. Administrative law as a matter of internalisation seems to be deeply rooted in local or regional customs and beliefs to the extent that respect for individual rights depends for their recognition and application on suitable institutions, or a similar way on the education, training, and attitudes of officials. The concept of legal globalisation often denotes the degree to which the whole world lives under a single set of legal rules and principles. Such a condition seems to be perilous and objectionable. Individuals should as precisely as possible know what the legal consequences of an action would be. However hard we tried to make sure of legal certainty, it is really worth considering that we tackled a bipolar problem. Administrative State as a phenomenon of a strong regularity become dead, but administrative law is on call to maximise both the influence of interest groups in policy-making process and the transparency of collective choice. New administrative law is therefore designed to support of rectitude in public and joint decision-making. Not only the effect, but administrative process and keeping it honest and fair deserves keen attention. Incidentally, great advances have not moved very far in establishment of a single global law giver and enforcer or through a strong nation-state consensus in the field of administrative law. On the other hand, legal prin-

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ciples are preferred to legal rules for the reason that the aim is to promote general recognition of certain common guidelines and together leave as much freedom as possible in choosing the means for ensuring that administration will conform in substance with the principles set out. That is particularly intended for principles of official integrity (a ban on any financial or other obligation to outside individuals or organisations that might influence the performance of official duties), transparency (a duty to be as open as possible about all the administrative actions to give reasons for decisions and to restrict information only when the wider public interest clearly demands), and responsibility (a condition of accountability for decisions and actions to the public). Global transparency and global professional ethics invent operations which overdraw the universal principles of administrative law as appreciation of traditions common to governments. Universal principle of transparency means that without having to show any specific interest, everyone is entitled upon request to be given information which is in the pos session of an administrative authority. The administrative authorities should supply information as soon as possible. Obviously, very numerous requests for information coming from the public can entail a considerable workload for administrative authorities and, at some point, be considered as incompatible with good and efficient administration and be handled with delay. The principle factors for assessing what is reasonable time are the nature and complexity of the information and the time needed for the administrative authorities to supply it. It is generally recognised that a democratic system can function more effectively when the public is fully informed about the issues of public life, because to be informed is aprerequisite of acceptance, participation and adherence, it is, thus, necessary that the public have, subject to unavoidable exceptions and limitations, access to the large quantities of records and information of general interest and importance which administrative authorities hold at all levels. Moreover, in order to protect the rights of the private person, it is most important that the person concerned be aware of the information held by the administrative authorities concerning hirnself or his interests. Such openness is also likely to strengthen the confidence of the public in the administration. The administrative authorities on their part will often benefit from the feed-back received from the private persons. Access to information may be subject only to such limitations as are necessary in a democratic society for the protection of legitimate public interests and privacy and other legitimate private interests. Legitimate public interests in a democratic society are, for instance, national security, public safety, public order, the economic well-being of the country (protection of the currency and the credit, etc), the prevention of crime, preventing the 13"

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disclosure of infonnation received in confidence, etc. To ensure the protection of legitimate public and private interests, access to infonnation has to be subject to certain limitations. Refusal of access may be justified as regards certain kinds of internal documents, such as documents exchanged within an administrative authority on a personal basis, or prepared as internal working papers. For there is, within any working environment including public administrations, a private sphere in which work is being done in a rather infonnal way and which has to be protected. The protection of confidential personal data as weIl as the protection of the reputation and the rights of private persons other than those who request access to the infonnation, can justify refusal of access to infonnation. It is nonnally not for the administrative authorities to assess the applicant's own personal interest for access to infonnation which the authorities possess on hirn or her. Such infonnation should be furnished, subject only to specific limitations as in the case of, for example, certain medicalor police records. The administrative authorities must give a statement of reasons where access to infonnation is refused, and the refusal must be subject to judicial or other independent review. Where it is established that the competing interests involved were not balanced before disclosure was refused, in particular because the reason given was that the ruIes of procedure do not allow disclosure of documents such as those requested, the refusal is therefore to be annulled. Indeed, in the absence of judicially enforceable rules which confer on European citizens a general right of access to documents held by public authorities and which are limited by strict, clear and precise grounds of public or private interest in order to protect justified interests of confidentiality, there is no substance in the promises of increased openness. Administrative law undertakes the producers of infonnation on the one hand and those who mediate this infonnation on the other. Governments, like private companies, found themselves struggling with the demands of the transfonnation from the industrial age to the infonnation society. An example to be quoted points at producers of infonnation who are also its important receivers, because one can hardly imagine decision making process in the democratic environment without weIl functioning feedback. To a certain extent, producers mayaiso be mediators of the infonnation, but the dominant roIe is played by specialised institutions. In the representative democracy main producers of infonnation, relevant to governance and administration of the country, are its legislative and executive authorities and other institutions. New tools of strengthening government-citizen connections have to be used as a compIement to the old ones. The reasons are: not satisfactory accessibility of new media for public at large, limited financial resources

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and, last but not least, a certain unwillingness of citizens to change their custorns and to leam to use new technologies of cornmunication. Conceding paradigrn of European Administrative Space, the European Union is entitled to demand that future or current Member States have a reliable system of governance capable of incorporating Community standards and decisions into their legal systems, effectively implementing these standards and decisions, as weIl as ensuring their enforcement. European Administrative Space is gradually taking shape in which public servants meet regularly, exchange information and examine issues jointly, including those having to do with public administration. Administrative reliability, which is necessary for the rule of law, effective policy implementation and economic development is one of the key characteristics of this space. The rule of law promotes certainty and predictability, consistency in action and equality in treatment, respect for persons and an objective standard for judging administrative action. The openness of an administration is an essential sign of its confidence and trust in its employees and in those to whom it is accountable. This means transparency internally in terms of communicating effectively at all levels, showing receptiveness to new ideas and taking a positive attitude to criticism; and externally as an organisation fully open to public scrutiny. In that sense, transparency is about accountability in the political realm.

References [l] Comparative analysis of the Member States legislation concerning the access to documents, European Commission, SG, D(2oo0)545158 [2] Edes, B. W.: The Role of Public Administration in Providing Information, EIPA

Seminar on Efficient, Transparent Government and the Rights of Citizens to Information, Maastricht 2000

[3] Chum, J.: Urad zbaveny tajemstvf, Verejna spniva 4112000

[4] Information society - Accelerating European Integration, Reports of European Ministerial Conference held on May 11-12, 2000 in Warsaw [5] Smejkal, V. a kol.: Pravo informacnfch a telekomunikacnfch systemu, Beck:

Praha 2001

[6] Tmka, D./Chum, J.: Vychodiskem pro kvalitativnf zmenu v komunikacf mezi

institucf a obcanem Internet?, Verejna sprava 4011999

VI. Europäische Währungsunion und EU-Beitritt

Die verfassungsrechtliche Stellung der Tschechischen Zentralbank Von Jifi Zemanek, Prag

I. Zwei Ansätze zur Thematisierung der Frage Die Transformation der Volkswirtschaft und der gesamten Gesellschaft in der Tschechischen Republik kann erst mit der vollen Einbindung des Landes in den europäischen Integrationsprozess vollendet werden. In diesem Kontext ist der Beitritt zur Europäischen Union nur als ein - ganz wichtiger - Zwischenschritt auf der Strecke anzusehen, die später mit dem Ersatz der Nationalwährung: Tschechische Krone durch die Gemeinschaftswährung: Euro gekrönt werden soll. Diese Weiterentwicklung war schon in den sog. Kopenhagener Beitrittskriterien (1993) vorprogrammiert, u. a.: • die politischen Institutionen eines Kandidats müssen stabil und funktionsfähig sein, und • jeder Kandidat muss bereit sein, seine Verpflichtungen als ein EU-Mitgliedstaat treu zu erfüllen und Ziele der politischen, sowie auch Wirtschafts- und Währungsunion anzunehmen. Der EU-Beitritt wird zwar zugleich durch die Einhaltung von fünf wirtschaftspolitischen "Maastrichter" Konvergenzkriterien für den Einstieg in die dritte Stufe der WWU (über die Preisstabilität, die Haushaltsdisziplin und die Wechselkurspolitik) nicht bedingt, doch ist das strikte institutionelle Erfordernis • der Unabhängigkeit der nationalen Zentralbank und • ihre Orientierung an die Preisstabilität als Hauptziel ihrer Tätigkeit noch vor dem Beitritt herbeizuführen, obwohl für die Mitgliedstaaten in der zweiten Stufe nur der Grundsatz der Nichteinmischung in die Zuständigkeit der nationalen Währungsbehörden galt (Art. 116 Abs. 5 EGV). Offensichtlich wegen der politischen Empfindlichkeit in der Sache soll jeder Kandidat seine entsprechende innerstaatliche Rechtsvorschriften einschließlich der Satzung seiner Zentral bank mit dem acquis communautaire in Einklang bringen, d.h. angleichen bzw. Widersprüche beseitigen, und nicht auf seine unmittelbare Anwendbarkeit nach dem Beitritt vertrauen.

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Dazu kommen noch: • das Verbot, öffentliche Haushalte durch die Mittel der Zentral bank zu finanzieren, • das Verbot eines privilegierten Zutritts der öffentlichen Institutionen zur Kreditgewährung, • die Harmonisierung der Statistik zu Zwecken der Koordination von Wirtschaftspolitik und Durchführung der einheitlichen Währungspolitik.! Die Unabhängigkeit der mitgliedstaatlichen Zentralbank wird im Gemeinschaftsrecht durch die folgenden Gesichtspunkten definiert: • unter dem institutionellen Aspekt, als das Verbot, Hinweise von Gemeinschaftsorganen, der Regierung bzw. von einem anderen Staatsorgan zu verlangen oder durch diese zu erteilen (Art. 107 EGV, Art. 7 ESZBI EZB-Satzung); • unter dem persönlichen Aspekt, als das Verbot, die Dienstperiode der Mitglieder des Zentralbankrats kürzer als 5 Jahre zu gestalten und sie durch die Regierung abberufen zu dürfen (Art. 14 ESZB/EZB Satzung); • unter dem funktionellen Aspekt, das Hauptziel der Zentral bank in ihrer Eigenverantwortung zu erfüllen (Art. 105 EGV, Art. 2 ESZB/ECB Satzung); • unter dem finanziellen Aspekt, der Regierung wird verboten, den Haushalt der Zentralbank zu beeinflussen (Art. 104 EGV). Die Debatte über die Rolle und die Rechtsstellung der Tschechischen Nationalbank wurde zuerst aber mit der scharfen, vom wirtschaftlichen (USamerikanischen) Neo-Konservatismus der 80er Jahre geprägten Kritik ihrer restriktiven Währungspolitik (Anti-Inflationspolitik) seit dem 2. Halbjahr 1996 durch die Regierung betrieben. Die Debatte wurde anlässlich der Berufung des neuen Zentralbankrats (2000) wieder belebt. Seitdem ist zwischen der Regierung und dem Parlament, zwischen beiden Kammern innerhalb des Parlaments sowie auch mit dem Präsidenten der Republik um die Novellierung der Verfassung und den Änderungsentwurf zum Zentralbankgesetz gekämpft worden. In der Anlaufphase der Europäischen Zentral bank blieb aber auch den Mitgliedstaaten mit etablierten Marktwirtschaften und demokratischen politischen Strukturen - Deutschland, Niederlande und Großbritannien auf der einen, Frankreich und Spanien auf der anderen Seite - heftige Auseinandersetzung nicht erspart, die zwar ratione personae artikuliert wurde, aber Ur1 Prochdzka, K postupu integrace ceskeho bankovnictvf do jednotneho trhu Evropske unie, Finance a uver 2000, S. 335.

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sachen ratione materiae hatte und sogar mit dem Abschied Frankreichs vom Projekt der WWU drohte (s. Fall "Wim Duisenberg"). 11. Die dogmatischen Hintergründe

Mit der Deregulierung und Abschaffung des totalitären Banksystems, in dem kein offener Zweifel über die Abhängigkeit der Zentralbank von der Regierung zugelassen worden war, wurden einige Alternativmodelle zum Monopol der Zentralbank auf stabilisierende (makroökonomische) und vertrauensbildende (mikroökonomische) Regulierungs- und Aufsichtsfunktionen kurz besprochen. Man hat auf den spontanen evolutiven Prozess der wettbewerbsbezogenen Suche eines Marktregulators, der die kollektive Rationalität und die Tendenz zur Selbstregulierung aller Marktbeteiligten bei der Ausübung von einigen dieser Funktionen personifizieren könnte, verzichtet. Das zentralisierte Modell wurde - auch mit Rücksicht auf die inländische Vorgeschichte 2 und das Entwicklungsniveau des Marktes mit Bankleistungen - gegründet. Seine institutionelle3 und inhaltliche4 Grundmerkmale wurden wie folgt bestimmt: • die hoch selbstständige Zentralbank als ein Verfassungsorgan mit einem bestimmten Hauptziel (teilweise ähnlich wie bei der Bundesbank), • mit einer relativ großen Diskretionsmacht - in der Rechtsstellung eines Verwaltungsamtes - zur Erfüllung des Hauptziels in Bereichen der Währungspolitik, der Emission der legalen Zahlungsmittel, der Steuerung des Geldumlaufs und Zahlungsverkehrs, sowie auch anderer Tätigkeiten nach den Sondergesetzen (Bankgesetz Nr. 21/1992 Slg., Devisengesetz Nr. 228/1992 Slg.), • ein Vermögen, das im lOO%igen Besitz des Staates war (wie bei der Bundesbank), 2 Über ein "institutionelles Gedächtnis" kann man kaum sprechen, denn nur zwischen 1948-1999 hatte sich die Rechtsgrundlage der Zentralbank siebenmal umgestaltet. 3 Art. 98 Verf (Nr. 1/l993 Slg.) lautet: ,,(1) Die Tschechische Nationalbank ist die Zentrale Bank des Staates. Hauptziel ihrer Tätigkeit ist die Sorge um die Stabilität der Währung; jeder Eingriff in ihre Tätigkeit ist nur auf der Grundlage des Gesetzes möglich. (2) Stellung, Befugnisse, Organisationsstruktur der Tschechischen Nationalbank und weitere Einzelheiten legt das Gesetz fest . .. Art. 62 lautet: "Der Präsident der Republik

... )

(

k) ernennt die Mitglieder des Bankrates der Tschechischen Nationalbank. .. 4 Gesetz Nr. 6/1993 Slg., über die Tschechische Nationalbank.

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• sie sollte eine dominierende Rolle bei der Bankenaufsicht spielen (im Unterschied zur Bundesbank), • ihre Tätigkeiten waren vom eigenen Budget, d.h. unabhängig vom Staatshaushalt bzw. anderen öffentlichen Haushalten zu finanzieren (ähnlich wie bei der Bundesbank), die Gewinnerzielung durch die Zentralbank in der Lage eines Unternehmers - war unwichtig (im Unterschied zur Bundesbank), • die professionellen und persönlichen Voraussetzungen für die Ernennung der 7 Bankratmitglieder (einschl. die der Inkompatibilität mit anderen Ämtern oder Tätigkeiten) wurden gesetzlich bestimmt (ähnlich wie bei der Bundesbank), • der Gouverneur sowie die Bankratsmitglieder wurden durch das Staatsoberhaupt (wie bei der Bundesbank) in seinem freien Ermessen ernannt bzw. abberufen (kein formeller Entwurf eines anderen Verfassungsorgans ist vorgesehen), d.h. nicht durch die Regierung (wie z. B. in der Schweiz) oder durch das Parlament gewählt (wie in Polen), • die Amtszeit der Bankratsmitglieder betrug 6 Jahre (Bundesbank: 8 Jahre), • die Wiedernennung wurde erlaubt (wie in der Schweiz, im Unterschied u. a. zur EZB). Diese Lösung wurde weder von der Absicht der Regierung, aus der Zentralbank ein "Opferlamm" für mögliche, zum Teil auch unvermeindliche Misserfolge des riskanten Experiments der laufenden Wirtschaftstransformation zu machen, noch von den negativen Erwartungen der Öffentlichkeit - die Regierung neigt immer dazu, populistisch zu handeln und die langfristigen Interessen wegen den Wahlergebnissen in Kauf zu nehmen motiviert. Die Ausgangspunkte für die zukünftige Rolle und Stellung der tschechischen Zentralbank wurden vielmehr vom enormen Zeitdruck der Auflösung der Tschechoslowakei im 2. Halbjahr 1992 bestimmt. Die öffentliche Debatte konnte deshalb nicht die Fragen nach der restriktiven oder liberalen Währungspolitik, nach dem vernünftigen Ausmaß der politischen Unabhängigkeit der Zentralbank und nach der demokratischen Legitimität ihrer Entscheidungen abschließen: inwieweit sollte ihre Fachkenntnis mit der politischen Verantwortung gekoppelt werden? (s. den Streit um Comitology). Sollte das menschliche Substrat der Zentralbankleitung politisch möglichst neutral gestaltet werden oder vielmehr aufgrund einer transparenten Ausbalancierung der politischen Einflüsse entstehen? Ist die erste Option nicht eine bloße Illusion, während die zweite zu riskant für die junge Demokratieordnung scheint? Was wird die effektivere Empfehlung zur Gewinnung der Vertrauenswürdigkeit der Zentralbank, die für die Autorität ihrer Maßnahmen so unersetzbar wird, sein?

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Damals war man auch viel mehr von der formalen Kraft des neukodifizierten Rechts begeistert, als sich der realen Erwartungen seiner faktischen Wirkungspotenzials bewusst. Politischen Konsensus zwischen den Verfassungsgebenden gab es über die fundamentale Gewaltenteilung im klassischen Sinne (Legislative-Exekutive-Gerichtsbarkeit), nicht klar genug aber über das Phänomen der unabhängigen Verfassungsorgane, wie das Oberste Verwaltungsgericht (Art. 87 Abs. 2 Verf, bisher noch nicht gegründet!), die Oberste Kontrollbehörde (Art. 97 Verf) und die Zentralbank als "vierte Gewalt"; auch das Verfassungsgericht (Art. 83-89 Verf) musste sich danach einerseits gegenüber dem Obersten Gericht durchsetzen, andererseits sich gegen den Einzug in die Gesetzgebung verteidigen; als andere Beispiele sind die höheren territorialen Selbstverwaltungseinheiten (Art. 99-105 Verf), die erst im Jahre 2000 ihre Verfassungsaufgaben aufnehmen konnten, sowie eine Reihe von Aufsichtsbehörden, die zwar in der Verfassung nicht inkorporiert worden sind, doch in der Lage sein sollen, unabhängig von der Regierung handeln zu können (die Anti-Monopo1behörde, die Kommission für Wertpapiere, usw.).

111. Die Kritik Die Kritik der zu weitgehenden Autonomie des Zentral bankwesens kommt mehr von den Politikern (Oskar Lafontaine, Vdclav Klaus) als aus Wirtschaftskreisen. Dies ist nicht verwunderlich: nur die Politiker sind - als die "Vertragspartei" des contrat social über Ausübung eines Teils der Hoheitsgewalt durch die unabhängige Zentral bank - zur Verantwortung vor der Öffentlichkeit für sein praktisches Funktionieren zu ziehen. Was aber verwunderlich ist: sie verlangen nur eine rechtliche Begrenzung der Befugnisse der Zentralbank, die unmittelbare politische Einflussnahme, d. h. eine institutionalisierte Kontrolle über ihre Tätigkeiten durch die pouvoir constitue, statt sie zur Rechenschaft vor der Öffentlichkeit, d.h. vor der pouvoir constituant zu ziehen: durch mehr Informationspflichten der Zentral bank betr. Begründung der Maßnahmen zur Erfüllung ihres Hauptziels, durch mehr Transparenz in ihrer Kommunikation mit der Öffentlichkeit (offene Sitzungen, Sitzungsprotokolle im Internet, usw.), wie es der Fall in Federal Reserve System bzw. Bank of England ist. Die Tendenz der letzten Zeit zur Verstärkung von Garantien der Unabhängigkeit der Zentralbank, die besonders bei der EZB zu beobachten war, kann man als eine Reaktion auf das Versagen der demokratischen Prozesse ("Demokratie-Defizit") im Zeitalter der Globalisierung beurteilen. Es ist nicht die sachbezogene Eigenart der Tätigkeit, die die Zentral bank der alltäglichen Politik entzieht, sondern die politische Entscheidung, die dem eingeführten Gesamtkonzept der checks and balances entsprechen muss.

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Ein Land in der Transfonnation zur demokratischen Rechtsstaatlichkeit und funktionsfähigen Marktwirtschaft wie die Tschechische Republik braucht, m. E. nach, eine Zentralbank, die nicht total isoliert bei der Zielsetzung ist. Mehrere wirtschaftpolitische Entscheidungen, die nur durch die Regierung (bzw. das Parlament) noch getroffen werden müssen, könnten zur Verwirrung der Preis- (bzw. Währungs-)stabilität als Hauptziel der Zentral bank führen (z. B., Entscheidungen über die Rest-Deregulierung der Preise für Energieversorgung, Miete in Gemeindewohnungen, usw., über den Vollzug der Wettbewerbsregeln zum Marktmissbrauchsverbot und Anpassung der Handelsmonopole, über Privatisierung der restlichen staatlichen Anteile an den kommerziellen Banken, Versicherungsgesellschaften bzw. noch an einigen Großindustrieunternehmen, über Sanierung von uneinbringlichen Forderungen im Ausland, usw.), die nur der Regierung zukommt. Die Konkretisierung ihres verfassungsmäßigen Hauptziels sollte die Zentralbank mit der Regierung im Voraus besprechen (was aber nicht heißen muss, einige Teilaspekte abzustimmen). Die Instrumentalisierung ihres Hauptziels, d. h. die Wahl der Mittel und der Wege zur Realisierung des Hauptziels, muss auch im Handlungsspielraum der Zentralbank als unabhängige Diskretionsbefugnis liegen. Die Aussagekraft der empirischen Daten ist aber in diesem Zusammenhang oft nicht überzeugend: eine klare (= inverse) Korrelation zwischen dem Ausmaß der Unabhängigkeit der Zentralbank und dem statistischen Inflationsrat scheint fraglich zu sein (s. z. B. die Entwicklung der Inflation in Frankreich und Deutschland in den 80er Jahren). Nach den o.g. rasanten Streitigkeiten wurde mit großer Spannung erwartet, wie die Neuberufung des Gouverneurs und der sonstigen Bankratsmitglieder im Jahre 2000 verlaufen wird. Die Ernennung der Zentralbankfunktionäre nach Art. 62 k) Verf. durch den Präsidenten der Republik wurde von der Regierung beim Tschechischen Verfassungsgericht prinzipiell (!) angeklagt, mit der Begründung, auch diese Entscheidung des Präsidenten bedürfe zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Vorsitzenden der Regierung nach Art. 63 Abs. 3 Verf. (wie z. B. im Falle der Ernennung von Richtern). Das Verfassungsgericht hat aber die Klage abgelehnt. IV. Die Euro-Novelle des ZentralbankG Im Februar 2000 hatte die Regierung dem Abgeordnetenhaus des Parlaments das Änderungsgesetz zum Gesetz Nr. 6/1993 Slg. über die Tschechische Nationalbank vorgelegt, mit folgenden Punkten: • die neue Definition des Hauptziels - "die Sorge um die Preisstabilität"; diese Verengung im Gemeinschaftsrecht berücksichtigt die Begrenzung

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der mitgliedstaatlichen Fremdwährungsreserven zur langfristigen Unterstützung des Wechselkurses der Nationalwährung; • die Verpflichtung der Zentralbank zur Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik der Regierung, "soweit ihr Hauptziel dadurch nicht betroffen wird"; • die Verpflichtung der Nationalbank, in Übereinstimmung mit dem Grundsatz der offenen Marktwirtschaft mit dem freien Wettbewerb zu handeln; • die Garantien der Unabhängigkeit - das Verbot für die Bankratsmitglieder, Weisungen von der Regierung, von anderen Verwaltungsämtem oder von Organen der territorialen Selbstverwaltung zu verlangen oder anzunehmen sowie andere Erwerbstätigkeit auszuüben; • das Verbot, den Staatsorganen, öffentlichen Körperschaften und durch den Staat kontrollierten Personen (mit Ausnahme von Banken) Kredite und irgendwelche Beihilfen zu gewähren; • und - mit dem späteren In-Kraft-Treten (seit der Gültigkeit der EU-Beitrittsabkommen: - die Verpflichtung der Zentralbank zur "Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik in der Europäischen Gemeinschaft mit der Absicht, zur Erreichung der Ziele der EG beizutragen, soweit ihr Hauptziel dadurch nicht betroffen wird"; - die Verpflichtung, als ein Glied des ESZB, der den Euro als seine Nationalwährung nicht eingeführt hat, die ESZB/EZB Satzung und die Rechtsakte der EZB zu wahren; - das Verbot, Weisungen von den EU-Organen, von den Regierungen, anderen Verwaltungsorganen oder Organen der territorialen Selbstverwaltung der Mitgliedstaaten zu verlangen oder anzunehmen; - das Verbot, der EU sowie ihren Mitgliedstaaten Kredite und irgendwelche Beihilfen zu gewähren. Das Änderungsgesetz 5 wurde durch das Abgeordnetenhaus ergänzt und auch neu verfasst (insgesamt: 96 Verbesserungsvorschläge) und mit 121 gegen 32 Stimmen (Quorum: 87 Stimmen, Gegenstimme: 100% Kommunisten und Christlich-Demokratische Partei) verabschiedet, was es zum Teil in Widerspruch mit der Absicht der Gesetzvorlage brachte, und zwar in den folgenden wichtigsten Punkten: • die Verpflichtung der Zentralbank zur Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik der Regierung ist auf die Politik bezogen, die "zum haltbaren Wirtschaftswachstum führt"; 5

Gesetz Nr. 44212000 Slg.

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• in Angelegenheiten des Wechselkurs-Regimes und der Bestimmung des Inflationszieles berät sich die Tschechische Nationalbank mit der Regierung, wobei die Regierung die betreffenden Informationen darüber einholen kann (§ 9 Abs. 2); die andere Bestimmung schreibt dazu aber eine Vereinbarung vor: "im Einvernehmen" bzw. "in Absprache" (§ 35); • die Zentralbank hat eine relativ extensive Informationspflicht gegenüber dem Parlament; • die Berufung der Bankratsmitglieder, einschließlich des Gouverneurs (durch den Präsidenten), ist nur auf Vorschlag der Regierung möglich (wie noch im letzten Gesetz über die Tschechoslowakische Staatsbank vom 1992 der Fall war); • die Begrenzung der Amtsperiode der Bankratsmitglieder: Wiederernennung nur einmal zugelassen; • der Haushalt für die Erfüllung des Hauptziels wird nur durch den Bankrat angenommen, die Betriebs- und Investitionsunkosten werden aber durch das Abgeordnetenhaus des Parlaments bestimmt(!); • der Rechnungsabschluss wird von einem Rechnungsprüfer, der in Absprache mit dem Finanzministerium zu bestimmen ist, geprüft, die Finanzwirtschaft betr. Betriebs- und Investitionsunkosten wird durch die Oberste Kontrollbehörde (als unabhängiges Verfassungsorgan) kontrolliert. Unter den Verbesserungsvorschlägen, die nicht gebilligt wurden, war z. B. die Unterwerfung der Geschäfte der Zentralbank mit Wertpapieren der Kompetenz der Aufsichtsbehörde für den Kapitalmarkt. Der Senat des Parlaments (35 Verbesserungsvorschläge ) hatte das durch das Abgeordnetenhaus ergänzte Änderungsgesetz im August 2000 abgelehnt (mit 28 gegen 14 Stimmen, Quorum: 26 Stimmen), offensichtlich mit der Begründung, das Änderungsgesetz sei zumindest in einem Punkt (Bestimmung eines Teils des Haushaltes durch das Angeordnetenhaus) verfassungswidrig (der Vorschlag des Verfassungsausschusses) und mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar (der Verbesserungsvorschlag des Europa-Ausschusses). Im Oktober 2000 hatte das Abgeordnetenhaus die Vorschläge des Senats abgelehnt. Der Präsident der Republik hatte das Änderungsgesetz im Oktober 2000 nicht unterschrieben und dem Abgeordnetenhaus zurückgegeben. Das Abgeordnetenhaus hat das Veto des Präsidenten im Dezember 2000 abgelehnt. Das Änderungsgesetz ist - mit der Unterschrift des Ministerpräsidenten - ab dem 1. Januar 2001 in Kraft getreten.

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V. Die Verfassungs-Novelle

Im August 2000 hatte die Regierung dem Abgeordnetenhaus des Parlaments ein Entwurf zur Änderung des Art. 98 Verf. vorgelegt, mit dem Vorschlag, die Bestimmung über das Hauptziel herauszulassen. Diesen Entwurf hat man im Januar 2001 verabschiedet (mit 123 gegen 35 Stimmen, Quorum = qualifizierte Mehrheit: 120 Stimmen). Seitdem liegt die Novelle im Senat und kommt jetzt in der ersten Herbstsitzung des Plenums zur Verhandlung. (Zugleich wird sich der Senat auch mit der sog. Euro-Novelle der Verfassung beschäftigen, d.h. allgemein über die Anpassung der Kompetenzen der Verfassungsorgane an das zukünftige EU-Beitrittsabkommen - Art. lOa, lOb, u. a.). Der Wirtschaftsausschuss hat mehrere Verbesserungsvorschläge entworfen, während der Verfassungsausschuss die Ablehnung vorgeschlagen hat. Die verfassungsrechtliche Stellung der Tschechischen Nationalbank ist und bleibt auch in den folgenden Phasen des Transformationsprozesses ein brisantes politisches Thema. Die Perspektive einer Übertragung der wichtigsten währungspolitischen Kompetenzen auf die Europäische Zentralbank kann heute nur teilweise zur Entschärfung dieses Streits beitragen.

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Alternative Währungsszenarien für EU-Beitrittskandidaten vor und nach dem Beitritt Von Dietmar K. R. Klein, Frankfurt am Main I. Einleitung Am Anfang waren es sechs europäische Staaten, die 1957 auf der Basis der Römischen Verträge die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gründeten. Mit dem Abschluß der letzten Erweiterungsrunde in 1995 hat sich die Zahl der Mitgliedsländer auf 15 erhöht. Seit dem Maastricht-Vertrag von 1992 sprechen wir von der Europäischen Union (EU). Von den 15 EU-Mitgliedsländern gehören inzwischen 12 der Europäischen Währungsunion (EWU) an, deren dritte und Endstufe mit der Einführung des Euro und dem Beginn einer einheitlichen europäischen Geldpolitik durch den Rat der Europäischen Zentralbank am 1. Januar 1999 in Kraft getreten ist. l Die Wechselkurse der Teilnehmerwährungen zur gemeinsamen Eurowährung und damit auch untereinander liegen seitdem unabänderlich fest, wie bereits im Mai 1998 zwecks Orientierung der Devisenmärkte vom Europäischen Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs (ER) beschlossen. Seit März 1998 führt die Europäische Kommission (EK) Verhandlungen mit nunmehr 12 weiteren Beitrittskandidaten, von denen die 10 Transformationsländer aus Mittel- und Osteuropa (MOE) im Mittelpunkt des Interesses stehen. 2 Ziel ist es, die Verhandlungen der ersten MOE-Verhandlungsrunde bis Ende 2002 abzuschließen, sodaß der tatsächliche Beitritt nach der Ratifizierung in allen beteiligten Ländern bereits 2004 erfolgen könnte. Mit dem EU-Beitritt nehmen die Beitrittsländer an der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) als "Mitgliedstaaten, für die eine Aus1 Die 3. Stufe endet im wesentlichen am 1. Januar 2002 mit der Einführung von Euro-Noten und -Münzen und, nach kurzer Übergangszeit, der Ablösung der bisherigen Währungen durch den Euro als einziges gesetzliches Zahlungsmittel. Siehe Klein, Die Bankensysteme der EU-Länder, 3. Aufl. 1998, S. 54 ff. 2 Seit März 1998 mit Estland, Polen, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern; seit Februar 2000 mit Bulgarien, Lettland, Litauen, Malta, Rumänien und Slowakische Republik. Die Türkei hat den Status eines Beitrittskandidaten, erfüllt jedoch nicht die Voraussetzungen für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Siehe auch Europäische Kommission, Erweiterung der Europäischen Union, 2001, S. 1 ff.

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nahmeregelung gilt", teil (Art. 122 Abs. 1 EGV), werden also zunächst nicht Mitglieder der EWU. 3 Die MOE-Länder werden also in der bevorstehenden EU-Erweiterungsphase grundsätzlich wie die Gründungsmitglieder und die später beigetretenen Mitgliedsländer behandelt. Gleichwohl haben die Verhandlungen mit den 10Reformländern eine besondere Qualität. De facto liegen die Eintrittsbarrieren höher. Der europäische Integrations- und Konvergenzprozeß setzt den erfolgreichen Abschluß des Transformationsprozesses - d. h. den Übergang von der Zentralverwaltungswirtschaft zur Marktwirtschaft und zur Demokratie entweder voraus oder verschmilzt mit ihm zu einer Einheit. Dies wurde bereits 1993 vom ER in Kopenhagen festgelegt, wonach als Voraussetzung für einen EU-Beitritt die Erfüllung bestimmter politischer und wirtschaftlicher Kriterien sowie die Übernahme und Umsetzung des Gemeinschaftsrechts, des sog. "Acquis communautaire", im Rahmen der Beitrittsverhandlungen verlangt wird. Zum Acquis gehören auch die Übernahme der Ziele der Politischen Union sowie der WWU. Im Herbst 2001 erfüllten alle Länder, mit denen Verhandlungen geführt werden, die politischen Kriterien, die wirtschaftlichen Kriterien dagegen nur Malta und Zypern. Hinsichtlich der Übernahme des Rechtsbesitzstandes der EU, der in 31 Sachkapitel eingeteilt ist und der sich überdies dynamisch weiterentwickelt ("Shooting at a running target"), konnten zwar für die am weitesten fortgeschrittenen Länder4 schon mehr als zwei Drittel aller Kapitel vorläufig geschlossen werden. Die abschließenden Verhandlungen in 2002 über die schwierigsten und sensitivsten Kapitel stehen jedoch noch aus. 5 Dazu gehören vor allem die Kapitel Landwirtschaft, Strukturpolitik einschl. Zuteilung von Strukturfondsmitteln und Haushaltsangelegenheiten sowie die Festlegung einiger Übergangsfristen bei der Gewährung der EU-weiten Freizügigkeit von Arbeitskräften und Kapitaltransaktionen (u. a. Kauf von Grundstücken). 3 Deutsche Bundesbank, Perspektiven der EU-Erweiterung nach dem Europäischen Rat von Nizza, Monatsbericht, März 2001, S. 15 ff., und dies., Währungspolitische Aspekte der EU-Erweiterung, Monatsbericht, Oktober 2001, S. 16 ff. 4 Bulgarien und Rumänien liege~ vergleichsweise so weit zurück, daß sie nicht mehr mit einem erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen in 2002 rechnen können. 5 Zum Stand des Beitrittsprozesses siehe Fußnote 3, zweiter Teil; ferner Europäische Kommission, Die Erweiterung erfolgreich gestalten, Strategiepapier und Bericht der Europäischen Kommission über die Fortschritte jedes Bewerberlandes auf dem Weg zum Beitritt, nebst Regelmäßige Länderberichte, November 2001, S. 11 ff.

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Ferner unterscheiden sich die Motivationen der jetzigen Beitrittskandidaten von denen der Mitgliedsländer der frühen Stunde. Für die Gründungsväter war und ist die EU eine Antwort auf die beiden Weltkriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die im Kern europäische Bürgerkriege waren. Sie ist eine Absage an eine Einigung Europas auf der Basis der Hegemonie eines einzelnen Staates oder einiger regionaler Großmächte, wenngleich die endgültige Aussöhnung zwischen den alten Erzrivalen Frankreich und Deutschland und die Herausbildung einer inoffiziellen Politikachse eine wesentliche Voraussetzung für den weiteren Ausbau der EU geblieben ist. Zugleich ist die fortschreitende westeuropäische funktionelle und institutionelle Integration bis zur Wende Ende der achtziger Jahre eine Antwort auf die lang anhaltende Bedrohung durch das sowjetisch-russische Imperium gewesen, das im Zeichen des Kalten Krieges quer durch Deutschland und Europa einen "Eisernen Vorhang" hochgezogen hatte. Die seit den Kopenhagener Beschlüssen des ER in 1993 aktuell gewordene EU-Erweiterung nach Osten hin bedeutet dagegen für die Beitrittskandidaten in erster Linie die Befreiung vom Diktat Moskaus und die Wiederherstellung von Marktwirtschaft, Demokratie und nationaler Selbstbestimmung. 6 Erst in zweiter Linie steht für sie nach einer längeren transformatorischen Übergangszeit die institutionelle Eingliederung in die EU und in den Brüsseler Entscheidungsprozeß auf der Agenda. 11. Beitritt zur Wirtschafts-, aber nicht zur Währungsunion?

So drängt sich im Vorfeld die Frage auf, ob es doch noch die Alternative gibt, zwar der EU, jedoch nicht der EWU mit all ihren Verpflichtungen beizutreten. Sie steht im engen Zusammenhang mit der wichtigen Frage nach der Finalität des europäischen Integrationsprozesses. Diejenigen, die in der Tradition der Gründungsväter stehen und heute wie damals von einem "supranationalen Eros" beseelt sind7 und die Währungsunion voll und ganz bejahen, sehen diese als einen entscheidenden Teilbereich und eine Vorentscheidung für eine wünschenswerte Europäische 6 Ein Sonderfall blieb die politische Wiedervereinigung Deutschlands in der Fonn eines Beitritts der neuen Bundesländer in der ehemaligen DDR, die damit zum 3. Oktober 1990 automatisch und indirekt Mitglied der EU wurden. Die DMark wurde bereits zum 1. Juli 1990 in der Fonn einer Währungsrefonn übernommen. 7 Weiden/eid (Hrsg.), Nizza in der Analyse, Strategien für Europa, 2001, S. 42.

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Politische Union als Garant einer europäischen Friedensordnung. Dies wird von den entschiedenen Gegnern einer solchen politischen Union insofern bestätigt, da sie gerade wegen des eminent politischen Charakters einer Währungsunion diese ablehnen. Dies gilt umso mehr, als die Stabilität der einheitlichen Eurowährung funktionell und institutionell durch die Autonomie der Europäischen Zentralbank und der teilnehmenden nationalen Zentralbanken als Teile des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) abgesichert wird. Die Teilnehmerwährungen, unter denen die D-Mark in den achtziger und frühen neunziger Jahren faktisch eine hegemoniale Stellung erlangt hatte, sind inzwischen stufenweise durch den Euro als Einheitswährung abgelöst worden. Die Kritiker einer Politischen Union können anführen, daß der Maastricht-Vertrag von 1992 zwar die Einführung einer Europäischen Währungsunion ohne Wenn und Aber in allen Einzelheiten regelt, wichtige andere Politikfelder wie vor allem die Fiskal- und Außenpolitik einer zwar immer engeren, aber doch weiterhin stark intergouvernemental geprägten Zusammenarbeit der EU-Mitgliedsländer überlassen und damit gerade nicht vergemein sc haftet hat. An dieser Sachlage hat sich durch die Verträge von Amsterdam (Juni 1997) und Nizza (Februar 2001) - letzterer noch nicht ratifiziert - nichts Entscheidendes geändert. Sie haben zwar mit Müh' und Not die formale rechtliche Basis für die Handlungsfähigkeit der Organe in einer zukünftig erweiterten EU geschaffen, ohne jedoch auf längere Sicht die Frage zufriedenstellend zu beantworten, wie der politische Vertiefungs- mit dem geographischen Erweiterungsprozeß in Einklang zu bringen sei und wie das Prinzip der differenzierten Integration konkret in die politische Praxis umgesetzt werden könne. Eine weitere Regierungskonferenz über diese Fragen ist für 2004 vorgesehen, doch gilt ihr erfolgreicher Abschluß nicht als neue Bedingung für die Erweiterung. Der Regierungskonferenz wird dieses Mal zur Vorbereitung ein Verfassungskonvent in 2002 und 2003 vorgeschaltet. Den Kritikern ist insoweit zuzustimmen, daß der Euro zwar als mächtiger Katalysator und Beschleuniger wirken wird, daß jedoch die wirtschaftliche Integration allein die politische Integration unter Einbeziehung weiterer Politikfelder auf längere Sicht letztlich nicht ersetzen kann. 8 Nur die Schlußfolgerung ist eine andere: Gerade deshalb muß neben der funktionellen Integration die institutionelle schrittweise hinzukommen, indem weitere qualifizierte politische Mehrheitsentscheidungen als gestaltender Faktor zugelassen werden.

8 Hanket, Europas Größenwahn. Aus Politik und Zeitgeschichte, B 52/53, 22. Dezember 2000, S. 2 f.

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Was auch immer die Zukunft hinsichtlich der Finalität des europäischen Einigungsprozesses und der langfristigen Dauerhaftigkeit der europäischen Einheitswährung bringen mag: Der Maastrichter Vertrag geht jedenfalls vom Vertragsziel aus, daß alle EU-Mitglieder letzten Endes auch Mitglieder der EWU werden, und er definiert die sogenannten "Maastrichter Kriterien" als Vorbedingung zum EWU-Beitritt (Art. 121 EUV/EGV und 27. Protokoll). Wer diese Kriterien nach Ansicht des ER noch nicht erfüllt, gilt als ein "Mitgliedstaat, für den eine Ausnahmeregelung gilt". Diese Lösung hat jedoch Interimscharakter. Es gibt keine separate EU-Mitgliedschaft als selbständiges Zwischenziel. Alle zwei Jahre, auch ohne Antrag eines Mitgliedstaates, entscheidet der ER nach Einschaltung von Kommission, EZB und Parlament, ob die Ausnahmeregelung weiter gelten soll oder nicht (Art: 122, Abs. 2 EUV/EGV). Von den drei jetzigen EU-Staaten, die noch nicht der EWU angehören, haben sich 1991/92 zwei EU-Mitgliedstaaten, nämlich das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland sowie Dänemark, eine Freistellung ausbedungen (29. und 30. Protokoll EUV /EGV). Ein Verfahren zur Aufhebung der Freistellung kann nur nach einem entsprechenden Antrag des Mitgliedstaates eingeleitet werden. Schweden, das erst 1995 zusammen mit den EFT A-Ländern Österreich und Finnland der EU beigetreten ist, hat keinen Vorbehalt eingelegt. Der schwedische Reichstag hat sich jedoch gegen eine EWU-Teilnahme ausgesprochen. Der ER hat daraufhin festgestellt, daß Schweden das Wechselkurskriterium nicht erfüllt (Art. 121 Abs. 1, 3. und 4. Gedankenstrich EUV/EGV, i. V.m. Art. 3 und 4 des 27. Protokolls) und deshalb zunächst nicht EWU-Mitglied werden könne. Es gibt keine vernünftigen Gründe, warum Nicht-EU-Mitgliedern eine formelle Freistellung eingeräumt werden sollte. Aber auch Schweden kann nicht als Präzedenzfall herangezogen werden, denn nach dem Vertrag wird von den EU-Mitgliedsländern erwartet, daß sie nach Erfüllung der Maastrichter Kriterien unter Einschluß einer Mitgliedschaft von mindestens zwei Jahren im sogenannten Wechselkursmechanismus 11 (WKM 11) den Antrag auf Vollmitgliedschaft in der EWU stellen. Schließlich dürfen Übergangsklauseln nicht dazu dienen, Regeln und Politiken der Union zu verändern oder sie nicht in Kraft treten zu lassen. Sie müssen begrenzt in Zeit und Umfang sein, dürfen zu keinen wesentlichen Wettbewerbs verfälschungen führen und müssen von einem genauen Plan für die schrittweise Anwendung des Acquis begleitet sein. Zusammenfassend ist zu sagen: Es muß von Anfang an der grundsätzliche Wille zu einem späteren Beitritt zur EWU vorhanden sein. Ein EUBeitritt ist überdies nur möglich, wenn im Rahmen der effektiven Übernahme des Acquis Communautaire auch die Voraussetzungen zu einem

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späteren EWU-Beitritt geschaffen werden. Zwar sind Geschwindigkeit und Grad der Vertiefung der EU zu einer Politischen Union im Sinne einer supranationalen bundesstaatlichen Föderation durchaus offen. Dementsprechend hat der Amsterdamer Vertrag den Mitgliedsländern generell die Option eröffnet, daß einige Mitgliedstaaten untereinander eine verstärkte Zusammenarbeit nach dem Unionsvertrag eingehen können (Art. 43 ff. EUV, 11 EGV). Diese kann von den übrigen Mitgliedern nicht verhindert werden. Diese Regelung eröffnet einem Kandidatenland jedoch weder die rechtliche Möglichkeit noch den politischen Hebel, der EU als Wirtschaftsunion beizutreten und zugleich auf eine vertraglich abgesicherte Option auf Nichtbeitritt zur EWU zu dringen. Auch die Verschiebung eines EWU-Beitritts ad calendas graecas durch die vorsätzliche Nichterfüllung eines der vertraglich vorgesehenen Voraussetzungen nach dem EU-Beitritt, z.B. durch eine willkürliche Nichtübernahme der WKM lI-Regeln, wäre daher als vertragswidrig einzustufen. Diesbezügliche Absichten würden von vornherein die notwendige Zustimmung der Altmitgliedsländer zu einem EU-Beitritt in Frage stellen. III. Alternative Währungsszenarien bis zum EU-Beitritt Es zeigt sich daher, daß sich die Frage nach alternativen Währungsszenarien schon für den Zeitraum vor dem EU-Beitritt nicht ohne Rückgriff auf den Maastricht-Vertrag und die sogenannten Maastrichter Kriterien beantworten läßt. Auch die sogenannten Kopenhagener EU-Kriterien von 1993 sind im Hinblick auf das vertragliche Endziel einer späteren Teilnahme an der EWU formuliert. Die geforderte aktive Teilnahme am EU-Erweiterungsprozeß geht dabei über den juristisch engen Begriff des völkerrechtlichen Beitritts zum EU-Vertrag weit hinaus. Unter der Erweiterung ist die Gesamtheit aller notwendigen juristischen und wirtschaftlichen Maßnahmen zu verstehen, die vor und nach dem EU-Beitritt getroffen und durchgesetzt werden und die über das hinausgehen, was alle beteiligten Länder sowieso getan hätten. 9 Entscheidend ist auch der Zeitfaktor. Fragen nach dem optimalen Währungsraum und Währungssystem lassen sich weder für alle Zeitabschnitte noch für alle Länder einheitlich beantworten. Eine vertragskonforme Teilnahme an der EWU dürfte erst nach einem längeren Konvergenzprozeß möglich sein. Selbst für die weiter fortgeschrittenen Kandidatenländer, z. B. für die Tschechische Republik, dürfte dieser Zeitpunkt erst gegen Ende des 9 European Commission, Directorate General for Economic and Financial Affairs, The economic impact of enlargement, June 2001, S. 6.

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laufenden Jahrzehnts eintreten, also knapp zwei Jahrzehnte nach der politischen Wende von 1989/90. 1. Die währungspolitischen Alternativen der Transformationsländer in der Stabilisierungsphase

Bald nach dem endgültigen Zusammenbruch des RGW-Systems im Jahre 1991, das im Kern ein multilaterales Verrechnungssystem auf Verrechnungs-Rubel-Basis zwecks Abwicklung des zentral gelenkten Tauschhandels innerhalb des damaligen Ostblocks gewesen war, führten die Transformationsländer in Mittel- und Osteuropa zweistufige Bankensysteme und selbständige Wechselkursregime ein. In vergleichsweise wenigen Jahren wurden die eigenen Währungen für laufende Transaktionen und später, im Zuge der Kapitalliberalisierung, in größeren Teilbereichen auch für Kapitaltransaktionen konvertibel gemacht. lO Zwischen 1991 und 1996 wurden Assoziationsverträge mit der EU abgeschlossen und etwas später zu unterschiedlichen Terminen Anträge auf volle EU-Mitgliedschaft gestellt. 11 Erstaunlich ist die große Vielfalt der neu eingerichteten Wechselkursregime und der damit einhergehenden währungspolitischen Strategien der Beitrittsländer in der Frühphase ihrer wirtschaftlichen Transformation. Die Transformationsländer haben sich noIens voIens für den Wettbewerb unterschiedlicher Integrationskonzepte entschieden. Allen Ländern gemeinsam ist das Bestreben gewesen, zwecks Stabilisierung ihrer Volkswirtschaften in der Transformationsphase einen Stabilitätsanker zu finden, der unter den gegebenen Voraussetzungen wie Außenhandelsstruktur und Kapitalbewegungen auf längere Sicht ein Optimum an Stabilität und wirtschaftlichem Wachstum versprach. Einerseits wurden Festkurssysteme eingerichtet, bei denen die Ankerfunktion von einer Referenzwährung als Nominalanker erfüllt wird, wie z. B. D-Mark (später abgelöst vom Euro) oder US-Dollar, oder auch von einem Währungskorb mit einer bestimmten Währungskombination, wie z. B. DMark/US-Dollar oder das Sonderziehungsrecht des IWF. Die strikteste Form eines Festkurssystems ist die eines Currency Board: wie in Estland ab Juni 1992, in Litauen - nach einigen Experimenten - ab April 1994 und in Bulgarien ab Juli 1997, nach der Periode einer unkontrollierten Hyperinflation. 12 10 Cooper, Currency Convertibility in the Transforming Economies, in: ZlochChristy (Ed.), Economic Policy in Eastern Europe - Were Currency Boards a Solution?, 2000, S. 41 ff. 11 lochemISeIl, Währungspolitische Optionen für die Mittel- und Osteuropäischen Beitrittskandidaten zur EU. Schriften zur angewandten Wirtschaftsforschung 88, 2001, S. 1-7.

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Auf der anderen Seite des Spektrums der Alternativen gibt es in den Transformationsländem immer mehr und überwiegend Systeme des kontrollierten Floatens, bei denen die Zentral bank mit ihren geldpolitischen Instrumenten flexibel auf tendenzielle Veränderungen im Inflationsgefälle, sprich Wettbewerbssituation, und auf plötzliche Kapitalzu- und -abflüsse reagieren kann. Die Ankerfunktion wird hier mehr indirekt von der heimischen Zentralbank mit ihrer auf Binnenpreisstabilität ausgerichteten Geld- und Währungspolitik wahrgenommen. Im Falle Estlands und Litauens handelt es sich um sehr kleine und relativ offene Volkswirtschaften, bei denen die wünschenswerte Stabilisierung der Wirtschaft und insbesondere der Währung über die feste Wechselkursanbindung durch den Import der Stabilität der Ankerwährung angestrebt wird. Weitere Voraussetzungen für den nachhaltigen Erfolg eines Currency Board sind ausreichende Währungsreserven, die die Basis für den inländischen Geldumlauf bilden, eine diszipinierte Fiskalpolitik, ein stabiles Finanzsystem mit einer angemessenen Regulierung und Aufsicht sowie Güter- und Arbeitsmärkte mit flexiblen Preisen und Löhnen. 13 Im Falle Bulgariens ist die Anbindung an die DEM (ab 1. Januar 1999 an den Euro) dagegen in erster Linie die Konsequenz des Scheiterns jeder glaubwürdigen inländischen Geldpolitik gewesen. Dementsprechend kritisch fällt auch die allgemeine Bewertung in der Literatur aus, wenn die genannten strengen Voraussetzungen nicht gegeben sind und ein Currency Board längerfristig nur zu einer aufgestauten Abwertung und wirtschaftlichen Stagnation sowie zu aufgeschobenen Reformen führt. 14 In gewisser Weise symptomatisch ist die Entwicklung in der Tschechischen Republik verlaufen, die im Dezember 1997 als Konsequenz vorangegangener Wechselkurs turbulenzen ein Wechselkurssystem unabhängigen Floatens eingeführt hat. Die inländische Geldpolitik der Nationalbank ist seitdem an einem bestimmten Inflationsziel ausgerichtet. 15 Dieses war zunächst ein Nettoinflationsziel ("Net inflation targeting"), bei dem einmalige 12 Estland: 1 DEM = 8 Estnische Kronen (ekr) bzw. 1 EUR = 15,6466 EEK; Litauen: 1 USD = 4 Litas (LTL), eine Umstellung auf Euro-Basis ist für Anfang 2002 vorgesehen; Bulgarien: 1 DEM = 1 Lew (LW) bzw. 1 EUR = 1,95583 BGN. 13 European Commission, Directorate General for Economic and Financial Affairs, Czech Republic, the Financial Sector, August 2000, S. 13. 14 Zloch-Christy, Conclusion: What Have We Leamed?, in: dies. (Ed.), a. a. 0., S. 155 ff.; lochem/Seil (oben Fn. 12), S. 179 f. 15 Czech National Bank and Monetary and Exchange Affairs Department 01 the International Monetary Fund, Inflation Targeting in Transition Economies. The Case of the Czech Republic, 2000, S. 147 ff.; Houban, What central banks have leamed: lessons from the pre-EMU Europe. Quarterly Review/Banca Nazionale de1 Lavoro, 2001, S. 308 f.

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und unvenneidliche Preiserhöhungen unberücksichtigt blieben (z. B. als Folge von Preisliberalisierungen). Da dies jedoch mit der Zeit zu einer Glaubwürdigkeitslücke führte, legt die Nationalbank seit dem April 2001 den umfassenden Verbraucherpreisindex der Berechnung des angestrebten Preisziels zugrunde. Zuvor, von Januar 1991 bis Februar 1997, hatte ein System fester Wechselkurse innerhalb eines zunächst engen Wechselkursbandes (im Februar 1996 auf plus/minus 7,5 % ausgeweitet) gegolten, mit einem D-Mark/USDollar-Währungskorb als Nominalanker und einem ergänzenden Geldmengenziel. Dieses Wechselkursregime ließ sich nicht mehr halten, als es der Zentralbank trotz ihrer restriktiven Geldpolitik nicht gelang, die negativen Auswirkungen einer expansiven Fiskalpolitik und des Wachstums der inländischen Nominaleinkommen, das den gleichzeitigen Produktivitätszuwachs erheblich überstieg, zu kompensieren. Hinzu kamen zeitweilig sehr hohe Kapitaleinfuhren. Sie waren einerseits eine unmittelbare Folge der Privatisierung mit Hilfe der Beteiligung ausländischer strategischer Investoren. Andererseits wurden sie durch das im internationalen Vergleich hohe Zinsniveau angelockt. Das Geldmengenziel wurde durch ein direktes Inflationsziel ersetzt, da es sich erwiesen hatte, daß die Nachfrage nach Geld in Abhängigkeit vom Bruttoinlandsprodukt nicht stabil blieb, teils auf Grund immer neuer und für ein Transfonnationsland typischer Strukturumbrüche, teils als Folge größerer grenzüberschreitender Kapitalbewegungen mit wechselnder Zielrichtung. Welche wechselkurs- und geldpolitischen Strategien für jedes einzelne Transfonnationsland optimal erscheinen, kann und muß hier dahingestellt bleiben. 16 Generell läßt sich sagen, daß sich ein Jahrzehnt nach der Wende ein gewisser Konsensus herausgebildet hat, wonach Currency Board-Systeme nur unter bestimmten engen Voraussetzungen ihren Zweck erfüllen können, während die große Mehrzahl der Transfonnationsländer auf die Flexibilität, die mit Systemen eines kontrollierten oder unabhängigen Floatens einhergeht, nicht verzichten können. Insbesondere Mischfonnen haben sich als wenig dauerhaft erwiesen, da die Zentralbanken in Krisensituationen die feste Kursanbindung, oder einen vorher bestimmten Wechselkurspfad, mangels Glaubwürdigkeit und Spielraum schlecht verteidigen können. Dieses vorläufige Ergebnis stimmt auch mit den währungs- und wechselkurspolitischen Erfahrungen überein, die die europäischen Zentralbanken in der Zeit vor dem Beginn der EWU und mit dem WKM I gemacht haben. 17 16 European Commission, Seminar (25 November 1999) Currency Boards in the context of EU accession, May 2000; Europäische Zentralbank, Das Eurosystem und die EU-Erweiterung, Monatsbericht Februar 2000, S. 41 ff., Überblick mit Stand Februar 2000.

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2. Die Heranführungsphase bis zum EU-Beitritt und die Kopenhagener Kriterien

In der Heranführungsphase, d. h. zwischen dem Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen und dem effektiven EU-Beitritt, bleibt die Wahl des jeweiligen Wechselkursregimes in der Verantwortung des jeweiligen Beitrittslandes. Gleichwohl unterliegen die Transformationsländer, die einen Antrag auf eine EU-Voll mitgliedschaft mit dem Ziel eines späteren EWU-Beitritts gestellt haben und die seit einigen Jahren mit der EK in aktiven Beitrittsverhandlungen stehen, einem gewissen "Trichtereffekt", da sich die währungspolitische Integration der Beitrittsländer in Stufen vollzieht. 18 Nach dem dritten Kopenhagener Kriterium der Übernahme des Besitzstandes der Gemeinschaft müssen bereits vor dem EU-Beitritt eine Vielzahl detaillierter gesetzlicher und sonstiger Vorkehrungen getroffen werden, ohne die eine (spätere) Währungsunion nicht denkbar wäre. Dazu gehören drei zentrale Gebiete: • Unabhängigkeit der Zentralbank in Übereinstimmung mit der im Vertrag und in den Statuten des ESZB vorgeschriebenen Unabhängigkeit (Art. 108 u. 109 EGV); • Gesetzgebung über die Abschaffung von Kapitalrestriktionen; • Gesetzgebung zur Sicherstellung der Voraussetzungen für ein stabiles Banken-und Finanzsystem. Direkt relevant für die EWU sind aber auch Vorkehrungen auf anderen Politikfeldern, die das reibungslose Funktionieren des Einheitlichen Marktes gewährleisten sollen. Dazu gehören die freie Bewegung von Gütern, Dienstleistungen und Personen; Wettbewerbspolitik, Außenhandelspolitik und gewisse Aspekte der Steuerpolitik. 19 Die Beitrittsländer sind ferner bereits jetzt aufgerufen, ihre aktuelle Wechselkurspolitik angesichts ihrer späteren Teilnahme am WKM 11 zu überdenken, worauf die Europäische Zentralbank in ihrem Jahresbericht für 2000 besonders hinweist. 2o Zwar werden die Beitrittsländer erst mit ihrem effektiven Beitritt zu "Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung 17 Brabant, Exchange rate policy in eastem Europe and EU integration. Quarterly Review Banca Nazionale de1 Lavoro, 2001, S. 219 ff., 247 f. 18 Deutsche Bundesbank, Währungspolitische Aspekte der EU-Erweiterung, Monatsbericht, Oktober 2001, S. 17 ff. 19 Europäische Zentralbank, Das Eurosystem und die EU-Erweiterung, Monatsbericht, Februar 2000, S. 41 ff.; European Commission (oben Fn. 16), Mai 2000, S. 7 ff. und (oben Fn. 9), Juni 2001, S. 19 ff. 20 Europäische Zentralbank (2001), S. 115.

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gilt", wodurch sie ihre Wechselpolitik als eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse gestalten müssen (Art. 124 EGV). Sie dürfen dann keine Wechselkurspolitik mehr verfolgen, die das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtigt. Ob sie aber diesen Anforderungen gerecht werden können, wird bereits vor dem Aufnahmebeschluß des ER und beim Ratifizierungsprozeß der Beitrittsverträge eine Rolle spielen, und nicht erst nach dem EU-Beitritt. IV. Währungspolitische Alternativen bis zum EWU-Beitritt Mit dem EU-Beitritt beginnt eine weitere Übergangsphase, die mit der effektiven Teilnahme an der EWU als dem vertragskonformen Endziel endet. Sie ist die eigentliche Testphase. Ihre Dauer muß wegen der im Vertrag festgelegten WKM lI-Hürde mindestens zwei Jahre betragen, dürfte in Wirklichkeit jedoch erheblich länger sein. Hinzu kommt, daß selbst der Beginn der WKM lI-Periode nicht fest steht, da er freiwillig ist. "Allerdings kann von den Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt, erwartet werden, daß sie sich an dem (Wechselkurs)Mechanismus beteiligen".21 Die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien, insbesondere die uneingeschränkte Übernahme des Besitzstandes der Gemeinschaft und deren Verwirklichung im Finanz- wie im Realwirtschaftsbereich, wird zu Beginn der neuen Übergangsphase bereits vorausgesetzt, wenngleich es sich dabei um einen fortgesetzten Prozeß handelt. Aufschlußreich könnte ein Blick in die Vergangenheit des WKM I zwischen 1979 und dem Eintritt in die 3. Stufe der WWU Anfang 1999 sein, als der WKM I vom WKM 11 abgelöst wurde. Nur Österreich, das schon viele Jahre vor 1995 eine feste Wechselkursanbindung zur D-Mark innerhalb einer sehr geringen Wechselkursbandbreite unterhalten hatte, trat zeitgleich sowohl in die EU als auch in den damals gültigen WKM I ein. Griechenland, das viele innerpolitische Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der notwendigen Konvergenzmaßnahmen zu bewältigen hatte, nahm dagegen 17,3 Jahre in Anspruch. Dazwischen lagen Finnland (1,8 J.) und die bei den anderen Südeuropastaaten Spanien (3,5 J.) und Portugal (6,3 J.)?2 21 Europäische Zentralbank, Abkommen vom 1. September 1998 zwischen der Europäischen Zentralbank und den nationalen Zentral banken der nicht dem EuroWährungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten über die Funktionsweise eines Wechselkursmechanismus in der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 98/C 345/05 vom 13.11.1998, WKM 11 Gründe 4. Gedankenstrich. 22 Klein, (oben Fn. 1), S. 45 ff., 265 ff.

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1. Nachhaltige Konvergenzerfordernisse nach den Maastrichter Kriterien

Mit dem effektiven EU-Beitritt nehmen die Beitrittsländer zwar an der dritten Stufe der WWU als "Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt" teil. Sie unterliegen damit jedoch sofort den vier quantifizierten nominalen Maastrichter Konvergenzkriterien im engeren Sinne, von denen das erste und das vierte Kriterium im Sinne des Themas von ausschlaggebender Bedeutung ist. 23 Sie sind zugleich auch Stabilitätskriterien. Gefordert werden, daß (1) die Inflationsrate im letzten Jahr vor der Prüfung höchstens l'h Prozentpunkte über der durchschnittlichen Inflationsrate der drei preisstabilsten Mitgliedsländer liegt; es genügt also nicht der Durchschnitt aller Mitgliedsländer als Teilkriterium; (2) die langfristigen Zinssätze innerhalb eines Jahres das entsprechende Niveau nicht mehr als 2 Prozentpunkte überschreiten; (3) das öffentliche Defizit höchstens 3 % und der öffentliche Schuldenstand maximal 60% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen; und (4) das Land mindestens zwei Jahre innerhalb der normalen Bandbreiten von plus/minus 15% an dem WKM 11 teilgenommen hat, ohne von sich aus eine Abwertung vorzunehmen. Entscheidend wird dabei die Beurteilung der Nachhaltigkeit der inzwischen erzielten Konvergenz sein, bei der " ... auch die Ergebnisse der Integration der Märkte, der Stand und die Entwicklung der Leistungsbilanzen, die Entwicklung bei den Lohnstückkosten und andere Preisindizes" zu berücksichtigen sind (Art. 121 EGV). Neben der nominalen bzw. finanziellen Konvergenz ist auch die sogenannte reale Konvergenz zu berücksichtigen, für die der Vertrag - wohlweislich - keine quantifizierten Vorgaben macht. 24 Sie ist das Ergebnis von Integrationsprozessen, strukturellen Anpassungen und Reformen. Ziel ist, inflationären Tendenzen vorzubeugen und damit Spannungen zu verhindern, die sich ergeben können, wenn die einheitliche und gemeinsame Geldpolitik nicht den Bedürfnissen aller Mitgliedsländer entspricht. 25 Je größer aber die reale Konvergenz sein wird, 23 Art. 121 EGV i. V. m. Protokoll Nr. 21 über die Konvergenzkriterien nach Art. 121 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (1992); für die Beitrittsländer bestätigt durch den ER in Nizza im Dezember 2000 in einem Bericht über die Wechselkursaspekte der Erweiterung. Siehe auch Deutsche Bundesbank, Währungspolitische Aspekte der EU-Erweiterung, Monatsbericht, Oktober 2001, S. 19 ff. 24 Welfens, Reale versus finanzielle Integration der EU mit Osteuropa, in: Caesar/ Heinemann (Hrsg.), EU-Osterweiterung und Finanzmärkte, 2001, S. 13 ff.

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desto einfacher, schneller und nachhaltiger werden die nominalen Konvergenzkriterien erfüllt werden können. Die bisherige Entwicklung in den Beitrittsländern, wie sie von der EK, der EZB, der Europäischen Wiederaufbaubank, anderen internationalen Gremien und nationalen Stellen sowie in der akademischen Literatur regelmäßig registriert und kommentiert wird, zeigt ein differenziertes Bild. Hinsichtlich der nominalen Konvergenz konnte eine Reihe von Ländern in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte erzielen. Insbesondere die Rückführung der in den frühen Transformationsjahren zunächst sehr hohen Inflationsraten erwies sich jedoch hartnäckiger als erwartet. Der für einen wirtschaftlichen Aufholprozeß typische Anstieg der Preise von nichthandelbaren Gütern (vor allem Dienstleistungen) sowie die Liberalisierung von bislang administrierten Preisen werden auch weiter anhalten. Damit ist "auf mittlere Sicht noch mit Inflationsraten über dem Gemeinschaftsniveau zu rechnen".26 Hinsichtlich der realen Konvergenz gibt es bisher z. B. sehr große Fortschritte im Bereich der Neuausrichtung der Export- und Importstrukturen, da der Anteil der mit den bisherigen und den demnächst neuen EU-Mitgliedsländern abgewickelte Außenhandel der Beitrittsländer bei gleichzeitig hohen Zuwachsraten inzwischen weit über 50% hinausgeht?7 Einige Beitrittsländer sind heute bereits handelsmäßig ähnlich weit in die EU integriert wie es frühere Beitrittsländer in Südeuropa zum Zeitpunkts ihres Beitritts waren. Dies ist der Fall, obwohl die in den frühen neunziger Jahren abgeschlossenen Europa-Assoziationsverträge noch bedeutende Handelshemmnisse enthalten, etwa im Agrar- und Textilbereich. Soweit sich die reale Konvergenz grob an der Entwicklung des BIP pro Kopf im Verhältnis zum EU-Durchschnitt messen läßt, ist dagegen noch von einem längeren Aufholprozeß auszugehen. Selbst wenn man das BIP nicht zu jeweiligen Marktpreisen auf der Basis der jetzigen Wechselkursrelationen in Euro umrechnet und bewertet, sondern auf der Basis von Kaufkraftstandards, lag das BIP pro Kopf im Jahr 2000 im Durchschnitt aller Kandidatenländer nur bei etwa 39% des Gemeinschaftsniveaus (einschl. der Türkei bei einem Drittel). Nur Zypern (82 %) und Slowenien (72 %) haben grosso modo ein Wohlstandsniveau erreicht, das demjenigen der wirtschaftlich schwächeren Mitgliedstaaten entspricht. Weitere vier Staaten liegen noch oberhalb oder in der Nähe der 50%-Linie: Tschechische Republik 25 Welteke, The Bundesbank's view on the world economy. Speech Dublin 4 September 2001, in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln Nr. 40, 7. September 2001, S. 7. 26 Deutsche Bundesbank (oben Fn. 3), Oktober 2001, S. 20 ff. 27 Buch/Piazolo, Handel und Kapitalströme in Europa: Determinanten und Simulationen für die Osterweiterung, in: Caesar/Heinemann (Hrsg.) (oben Fn. 24), S. 81, 87.

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(60%), Malta (53%), Ungarn (52%) und Slowakei (48%).28 Bei der großen Mehrzahl der Beitrittsländer bedarf es "eines signifikant höheren realen Wachstums im Vergleich zur Gemeinschaft, um den Rückstand so weit abzubauen, dass daraus keine zu großen Spannungen zwischen den Teilnehmerländern entstehen". Die Frage wird also sein, welche Wechselkursregime genügend Spielraum für einen solchen Aufholprozeß gewähren. 2. Für und Wider einer einseitigen "Euroisierung"

Das umständliche und langwierige Zulassungs verfahren sowie die Furcht, externen Währungsspekulationen und sonstigen Währungskrisen in der Zwischenzeit relativ schutzlos ausgeliefert zu sein, haben immer wieder zu Überlegungen interessierter Kreise geführt, ob nicht die sogenannte "Euroisierung" für ein Beitrittsland oder für ein sonstiges MOE-Land ein günstiger und akzeptabler Verkürzungsschritt auf dem Weg zur Einführung des Euro sein könnte?9 Die EK und die EZB als Hüterinnen der EU-Verträge, aber auch viele andere haben sich im Falle eines Beitrittslandes gegen einen solchen Schritt ausgesprochen. 3o Von einer "Euroisierung i. e. S." spricht man, wenn ein Land den Euro einseitig - damit vorzeitig - und ohne logistische Kooperation der Europäischen Zentralbank als gesetzliches Zahlungsmittel einführt. Das Land gibt die eigene Währung auf, wird aber nicht Mitglied im Eurosystem. Hier ist nicht gemeint die Euroisierung i. w. S., wenn z. B. Euro-Bargeld in nennenswertem Umfang in Nicht-EWU-Nachbarländern umläuft und dies von den Währungsbehörden dieser Länder geduldet wird, also eine Art hinkendes Doppelwährungssystem entsteht, oder wenn auf Nicht-EWU-Finanzmärkten der Euro von den Marktteilnehmern in größerem Umfang als Kreditwährung bzw. von ausländischen Währungsbehörden als eine wichtige Reservewährung benutzt wird. Dies macht die Aufgabe der Geld- und Währungspolitik der EZB zwar nicht leichter, kann aber mit manchen Wohlfahrtsgewinnen für das Euroland verbunden sein. 28 Deutsche Bundesbank (oben Fn. 3), Oktober 2001, S. 21; Europäische Zentralbank (oben Fn. 19) Februar 2000, S. 28 ff. 29 K. c., Dubrovnik-Konferenz, Maastricht-Kriterien unter Beschuß - EU Beitrittskandidaten erwägen, den Euro einseitig einzuführen. F.A.Z. vom 3.7.2001; Kurm-Engels, et a1. , Schwelender Streit über die einseitige Euro-Einführung, Handelsblatt, 7. August 2001; von Hagen, Euroisierung ist eine attraktive Option für kleine Beitrittsländer, Handelsblatt, 10.8.2001; Kaps. Lehrjahre auf dem Weg zum Euro, Perspektiven der Kandidatenländer, F.A.Z., 26.7.2001. Siehe ferner BerglBorensztein, The Pros and Cons of Full Dollarization. IMF Working Paper 00/50, March 2000. 30 Europäische Zentralbank (2001), S. 115; Deutsche Bundesbank (oben Fn. 3) Oktober 2001, S. 28 ff.; Spethmann, Vorsicht vor zu einer schnellen "Euroisierung" Europas. Gastkommentar Handelsblatt, 31.8.2001.

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Gemeint ist dagegen der Fall, wenn ein Nicht-EWU-Land den Euro einseitig rechtlich wie faktisch übernimmt, ungeachtet ob das umlaufende Bargeld besonders gekennzeichnet sein sollte oder nicht. Das betreffende Land importiert das kostbare öffentliche Gut Euro, indem es Euro-Noten und -Münzen durch die Hergabe von Devisen kauft, die es durch Leistungsbilanzüberschüsse oder Kreditaufnahmen erworben hat. Dagegen kann sich das ESZB, wenn es denn wollte, auch nicht wehren. Das übernehmende Land ist frei, gewisse Kapitalrestriktionen und sonstige Marktbeschränkungen beizubehalten. Beispiele dafür gibt es in einigen Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien mit dem Umlauf von D-Mark bzw. Euro, nachdem die frühere Dinar-Währung in den langjährigen Bürgerkriegswirren das Vertrauen der Bürger und damit jeglichen Funktionswert verloren hatte. Entscheidend ist die Frage, ob die einseitige Euro-Übernahme ein rechtlich möglicher und volkswirtschaftlich gesehen optimaler Weg ist, die Zeit bis zur Euro-Einführung und zur späteren Aufnahme in die EWU mit Mitspracherecht in den Organen der Gemeinschaft zu verkürzen. In rechtlicher Hinsicht und aus Sicht der Gemeinschaft lautet die Antwort eindeutig Nein: "Der Weg von Beitrittsländern in die EU und in den Euroraum ist vorgegeben, d.h. die potenziellen neuen Mitglieder müssen die im EG-Vertrag verankerten Verfahren durchlaufen und die entsprechenden Verpflichtungen einhalten. Die Euroisierung durch ein Kandidatenland würden den der WWU zu Grunde liegenden wirtschaftlichen Überlegungen zuwiderlaufen, welche die Einführung des Euro als das Ende eines Konvergenzprozesses in einem multilateralen Rahmen vorsehen. Dieser Ansatz ist Ausdruck des allgemeinen Konsenses darüber, daß makroäkonomische Konvergenz zwischen den Teilnehmerländern und Übereinstimmung in grundsätzlichen Fragen, wie die Einführung der unwiderruflich festgelegten Wechselkurse, die Voraussetzungen für eine Währungsunion sind,,?1

Die Ablehnung läßt sich aber auch volkswirtschaftlich sowohl im wohlverstandenen Eigeninteresse der jetzigen wie der zukünftigen EU-/EWUMitgliedsländer begründen. Die Befürworter stützen sich nicht auf die Theorie des "Optimalen Währungsraums", die ähnliche und wettbewerbsfahige Wirtschaftsstrukturen voraussetzt. Sie betonen eher solche Aspekte wie Finanzmarktstabilität und externe Kreditwürdigkeit, Schutz vor sogenannter "Marktwillkür" sowie den Schutz vor den Auswirkungen volatiler Kapitalströme. Da die Euroisierung i. e. S. die härteste Form einer Wechselkursanbindung an eine Ankerwährung darstellt, sei ihre Glaubwürdigkeit im Hinblick auf Dauerhaftigkeit noch größer als die einer Currency-Board-Lösung. Manche versprechen sich davon auch eine schnelle Verringerung der Länderrisikoprämie in der Form sinkender Nominalzinsen und damit einhergehende Wohlfahrts gewinne. 31

Europäische Zentralbank (2001), S. 115.

15 Nettesheim/Oppermann (Hrsg.)

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Eine solche Argumentation ist jedoch weder längerfristig angelegt noch zwangsläufig. Das Wechselkursrisiko ist nämlich nur ein Teilaspekt des gesamten Länderrisikos. Sind die Güter- und Arbeitsmärkte nur wenig flexibel - also wenig wettbewerbsfähig - und rechnen die Märkte überdies bei hartnäckigen Leistungsbilanzdefiziten mit unumgänglichen realwirtschaftlichen Anpassungsmaßnahmen und verstärkten Kapitalfluchtbewegungen, so könnte eine solche Euroisierung sogar als eine Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen angesehen werden. Da das Sicherheitsventil Wechselkursänderung nicht (mehr) vorhanden ist, steht es zur Sicherung oder Wiederherstellung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit - gemessen am realen Wechselkurs - nicht zur Verfügung. Gravierende Wachstums- und Beschäftigungseinbußen wären die Folge. Als illustratives und aktuelles Beispiel ließe sich im Augenblick Argentinien anführen, das einerseits ein Currency-Board-System mit einer strikten US-Dollar-Anbindung besitzt und zugleich eine sehr weitgehende faktische Dollarisierung zugelassen, andererseits jahrelang eine defizitäre Fiskalpolitik mit hoher Auslandsverschuldung betrieben hat. Verschärft wurde die Lage Argentiniens durch die starke Abwertung der Real-Währung des großen Nachbarlandes Brasilien. Ein weiteres Gegenargument ist, daß ein einseitig und viel zu früh euroisierendes Land, das jedwede geldpolitische Autonomie abgegeben hat, nicht damit rechnen darf, daß das EZB-System bei seinen geldpolitischen Entscheidungen dessen Wirtschaftslage berücksichtigt. Bei fehlendem konjunkturellen Gleichklang kann daher das Zins niveau im krassen Gegensatz zu seinen aktuellen binnenwirtschaftlichen Notwendigkeiten stehen. Eine schnell eintretende makroökonomische Stabilisierung würde auf längere Sicht erkauft mit gravierenden Beschränkungen im wirtschaftlichen Aufholprozeß im Vergleich zu den alten EU-Mitgliedsländern. Jedenfalls verlangt die frühzeitige Selbstauferlegung eines Konvergenzzwanges von einem euroisierten Land mehr Marktwirtschaft, als sie die EU-Staaten im Durchschnitt praktizieren. Allerdings ließe sich der Nachteil der Inflexibilität durch ein vergleichsweise niedriges, in Euro denominiertes Ausgangspreisniveau abmildern. Eine vollständige Euroisierung verwehrt der Zentralbank auch die Möglichkeit, dem heimischen Bankensystem in Krisensituationen Liquiditätshilfen in inländischer Währung gewähren zu können, da sie nicht mehr das gesetzliche Zahlungsmittel emittiert (Verlust der Lender-of-Last-Resort-Funktion). Überdies ist es zweifelhaft, ob sie im Notfall auf Kreditlinien bei internationalen Banken zu akzeptablen Bedingungen zurückgreifen könnte. Schließlich sollte der Nachteil nicht unerwähnt bleiben, der sich aus dem zwangsläufigen Verlust an Seigniorage-Einkommen für das Land ergibt, soweit das ausländische Bargeld direkt im Land zirkuliert. Dies sind die üblichen Zins gewinne der heimischen Zentralbank (Notenbank) aus ihren Anla-

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gen im Ausland, die durch die Ausgabe von Zentralbankgeld in der Form von eigenen Noten bei ihr finanziert werden, sowie durch die Münzgewinne des Schatzamtes der Regierung bei der Emission eigener Münzen, jeweils abzüglich der dabei entstandenen Kosten. 32 Aus der Sicht eines potentiellen Beitrittslandes erscheinen daher die Vorteile einer einseitigen Euroisierung begrenzt und nicht immer eindeutig meßbar zu sein, während die Kosten und Risiken im Sinne von Wachstumsverlusten auf längere Sicht viel höher sind und im Zweifel nicht zu einer gleichberechtigten europäischen Partnerschaft führen. 3. Teilnahme am Wechselkursmechanismus 11 als Testphase vor dem endgültigen EWU-Beitritt

Die Teilnahme am WKM 11 ist als entscheidende Testphase vor dem endgültigen EWU-Beitritt anzusehen. Der Vertrag sieht bei Einhalten bestimmter Bedingungen zwar nur einen Mindestzeitraum von zwei Jahren VOr. 33 Bei den meisten Teilnehmern dauerte die Testphase im WKM I jedoch viel länger an?4 Nur bei drei Nachzüglerstaaten (Finnland, Griechenland und ltalien35 ) lag sie bei rund zwei Jahren; bei Österreich betrug die Zeitspanne rund vier Jahre, Portugal rund 6 1h Jahre, Spanien knapp 10 Jahre und bei den übrigen EWU-Ländern knapp 20 Jahre. Es kann also keine Rede davon sein, von einer normalen Testphase von nur zwei Jahren im WKM 11 auszugehen. Wesentliche Elemente des WKM 11: 36 Der WKM 11 wurde in einer Entschließung des Europäischen Rats vom 16.06.1997 beschlossen und durch Vereinbarungen vom 1. 09.1998 "zwischen der EZB und den nationalen Zentralbanken der nicht dem Euro-Währungs gebiet angehörenden Mitgliedstaaten über die Funktionsweise eines Wechselkursmechanismus in der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion" konkret umgesetzt. Es gibt eine Standardschwankungsbandbreite von plus/minus 15 % bezogen auf die individuell festgelegten Leitkurse gegenüber dem Euro, doch 32 Dazu Berg/Borensztein (oben Fn. 27) und Deutsche Bundesbank, Der DM-Umlauf im Ausland. Volkswirtschaftliche Forschungsgruppe, Diskussionspapier 1/95, 1995. 33 Art. 121, Abs. 1,3. und 4. Gedankenstrich EGV i. V.m. Art. 3 und 4 des Protokolls Nr. 21 über die Konvergenzkriterien nach Art. 121 EGV (1992). 34 Griechenland wurde Mitglied im WKM 11. 35 Im Falle Italiens nach einer Suspension zwischen dem 17. September 1992, nachdem das britische Pfund nach einer massiven Marktspekulation den WKM I verlassen hatte, und dem 24. November 1996. 36 Europäische Zentralbank, WKM lI-Vereinbarungen vom 1. September 1998, (oben Fn. 21) 15*

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kann nach Art. 15.2 WKM 11 auch eine engere Schwankungsbandbreite vereinbart werden. Dies ist z. Zt. bei der Dänenkrone der Fall (plus/minus 2 1/4%). Da der Euro eine echte Währung ist, beziehen sich im WKM 11 die Leitkurse auf den Euro ("Nabe und Speichen-Ansatz"), während im WKM I "die" ECU nur als Recheneinheit und abhängiger Indikator diente. Der ECU-Wert der in der Recheneinheit vertretenen Währungseinheiten sowie das Paritätengitter wurde über die D-Mark als inoffizielle Leitwährung errechnet?? Leitkursanpassungen im WKM 11 sollen bei spürbaren Kursverzerrungen in einem vertraulichen Verfahren rechtzeitig erfolgen. Das ESZB, vertreten durch die EZB, kann Erörterungen zur Neufestsetzung von Leitkursen einleiten. Automatische oder koordinierte intramarginale Interventionen sind nur als unterstützendes Instrument im Verein mit anderen Maßnahmen einzusetzen - "einschließlich geeigneter, die wirtschaftliche Konvergenz und die Wechselkursstabilität fördernder geld- und finanzpolitischer Maßnahmen". Interventionen an den Interventionspunkten werden grundsätzlich automatisch und in unbegrenzter Höhe erfolgen, wobei eine sehr kurzfristige Finanzierung im Rahmen begrenzter und sehr kurzfristiger gegenseitiger Kreditfazilitäten zur Verfügung steht. Sowohl die EZB als auch die teilnehmenden, nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden nationalen Zentralbanken können die Interventionen aussetzen, "wenn diese ihrem vorrangigen Ziel der Gewährleistung der Preisstabilität zuwiderlaufen sollten". Nach Ansicht der EZB können Wechselkurssysteme, die auf einer festen Anbindung oder einem kontrollierten Floaten mit dem Euro als Bezugswährung basieren, grundsätzlich in den WKM 11 integriert werden?8 Wechselkursanbindungen mit gleitender Abwertung - sei es zu vorher festgelegten starren Abwertungssätzen und -zeiten oder im ungeregelten Ermessen von Regierung und/oder Zentralbank des Beitrittslandes liegend - sind hingegen nicht mit dem WKM 11 vereinbar. Dasselbe gilt für ein System vollkommen flexibler Wechselkurse. Von vornherein einleuchtend ist ferner, daß Wechselkursregime, deren Bezugswährung nicht der Euro ist, nicht mit den Zielen des WKM 11 kompatibel sind. Etwas differenzierter ist die Frage zu beantworten, ob auf Euro basierende Currency-Board-Vereinbarungen während der Teilnahme am WKM 11 aufrechterhalten werden können. Die Frage ist nach Ansicht der EZB ist grundsätzlich zu bejahen, damit Beitrittsländer zur Einführung des Euro nicht eine zweimalige Änderung ihres Wechselkursregimes vornehmen müssen. Diese Vereinbarungen können jedoch nicht als Ersatz für die Teil37

38

Klein (oben Fn. 1), S. 48; Houben (oben Fn. 15), S. 290 ff., 298. Europäische Zentralbank (oben Fn. 15) (2001), S. 115.

Alternative Währungsszenarien für EU-Beitrittskandidaten

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nahme am WKM 11 gelten. Verläßlichkeit und Stabilität der auf eine EuroAnbindung basierenden Strategie wird von Fall zu Fall vom Rat geprüft werden. Die EZB wird keine weiteren Verpflichtungen gegenüber dem WKM II-Mitgliedsland übernehmen als wie gegenüber jedem anderen Teilnehmerland. Außerdem müssen EZB und WKM II-Beitrittsland gemeinsam einen Leitkurs gegenüber dem Euro festlegen. Schlüsselbegriffe für den WKM 11 sind "wirtschaftliche Konvergenz", "Preisstabilität" und "Dauerhaftigkeit der von dem Mitgliedstaat erreichten Konvergenz und seiner Teilnahme am Wechselkursmechanismus". Sie prägen die Interpretation der vier bereits genannten "nominalen Konvergenzkriterien" von Maastricht (siehe IV.l.). 4. Zur Diskussion über das Maastricht-Kriterium der Stabilität der Verbraucherpreise

Das 1. Kriterium der anhaltenden Verbraucherpreisstabilität - nicht höher als 1112 Prozentpunkte über der Inflationsrate der drei preisstabilsten Mitgliedsländer während des letzten Jahres vor dem EWU-Beitritt - legt die Meßlatte für die neuen Beitrittskandidaten relativ hoch und hat in jüngerer Zeit zu Diskussionen geführt. Das Kriterium bedeutet nämlich, daß neben der Preisstabilität bei international handelbaren Gütern i. w. S., bei denen üblicherweise die Produktivitätszuwächse relativ hoch und die Preissteigerungen daher niedrig sind, auch die stärker steigenden Verbraucherpreise bei den nichthandelbaren Gütern mitgerechnet werden -, bei denen die Produktivitätszuwächse vergleichsweise gering, die Lohnzuwachsraten aber ähnlich hoch sind wie im handelbaren Sektor ("Balassa-Samuelson-Effekt"). Bei Entwicklungs- und Transformationsländern - bei denen typischerweise das Ausgangsniveau der Preise im internationalen Vergleich niedrig ist - muß also im Zuge des Anpassungsprozesses mit einer tendenziellen Aufwertung des realen Wechselkurses gegenüber dem Euro auf Verbraucherpreisbasis gerechnet werden. Will man aber nicht, daß sich die überdurchschnittlichen Preissteigerungen im nichthandelbaren Sektor auf die Gesamtpreisentwicklung negativ auswirken, so muß der nominale Wechselkurs gegenüber dem Euro als der wichtigsten Handelswährung tendenziell leicht aufgewertet (bzw. ceteris paribus weniger abgewertet) werden. Der erstere Fall ist "Maastricht-unschädlich", aber von der weiterhin noch in der nationalen Verantwortung liegenden Geld- und Währungspolitik nicht leicht durchzusetzen. Nach Berechnungen der Bundesbank für die 10 MOE-Länder in den Jahren 1994-1999 ist der Balassa-Samuelson-Effekt mit gut 2 Prozentpunkten für rund die Hälfte der durchschnittlichen realen Aufwertung in Mittel- und Osteuropa verantwortlich gewesen. 39

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Da der Effekt in den nächsten Jahren tendenziell abnehmen dürfte, läge ein Ausweg aus dieser Schwierigkeit in einer längeren Probezeit, in der die unvermeidlichen Anpassungs- und Konvergenzprozesse ablaufen können. Denkbar wäre auch, die Phase zwischen EU-Beitritt und Beginn der Teilnahme am WKM 11 zu verlängern, falls die Anforderungen im Licht der Fortschritte an nominaler und realer Konvergenz zu hoch und risikoreich erscheinen. Erwägenswert sind auch Vorschläge in Richtung WKM III mit weicheren Bedingungen, bis die Verpflichtungen nach dem WKM 11 erfüllt werden können. 40 Inakzeptabel, weil ein Verstoß gegen das Nachhaltigkeitsprinzip, dürfte ein denkbarer Versuch sein, durch eine zeitweise besonders restriktive Geld- und Fiskalpolitik für nur zwei Jahre die Maastrichter Nominalkriterien erfüllen zu wollen, um den EWU-Eintritt zu schaffen, um danach aber um so glücklicher sündigen und die negativen Folgen für die Preisstabilität der EWU-Gemeinschaft aufbürden zu können. De lege ferenda gibt es Vorschläge, als Referenzgröße für das Preisstabilitätskriterium die durchschnittliche Inflationsrate der gesamten Eurozone (mit oder ohne Beitrittskandidaten) zu nehmen, und nicht den Durchschnitt der drei Mitgliedstaaten mit den geringsten Inflationsraten. Letztere Version hätte im Jahr 2000 einen zusätzlichen Inflationsspielraum von etwa 1 Prozentpunkt eröffnet. 41 Ein ähnlicher Vorschlag geht dahin, nicht die in der EU übliche Methode der Inflationsberechnung auf der Basis des harmonisierten Preisindexes zu wählen, sondern einen Preisindex unter Ausklammerung bestimmter Werte wie z. B. administrierte Preise. Wie bereits in III. 1 erwähnt, wurde diese Methode für einige Jahre - während der Heranführungsphase - von der Tschechischen Nationalbank bei der Vorgabe des offiziellen Inflationszieles im Rahmen der Geldpolitik angewandt. Bei allen diesen Vorschlägen ist es allerdings mehr als fraglich, ob die alten Mitgliedsländer bereit sein würden, einer solchen tendenziellen Aufweichung des Euro zuzustimmen, auch wenn die Beitrittskandidaten bevölkerungsmäßig und mehr noch hinsichtlich ihrer Wirtschaftskraft eine kleine Minderheit in einer erweiterten EU (einschl. EWU) darstellen werden. Auch an dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, daß die nominalen und quantifizierten Konvergenzkriterien nur die sogenannte sichtbare Spitze des Eisbergs der Probleme sind. Wirtschaftliche Konvergenz bedeutet auch reale Konvergenz i. S. von struktureller und einkommensmäßiger Konvergenz. Einige der zu beobachtenden Strukturindikatoren - wie gesagt keine Deutsche Bundesbank (oben Fn. 3), Oktober 2001, S. 25 f. Brabant (oben Fn. 17), S. 219 ff., 245. 41 Szapary, Transition countries' choice of exchange rate regime in the run-up to EMU membership. Finance & development 2001, S. 28 f. 39

40

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stringenten Konvergenzkriterien i. e. S. - werden in Art. 121 Abs. I EGV erwähnt: Stand und Entwicklung der Leistungsbilanzen, die Entwicklung bei den Lohnstückkosten - ein Schlüsselbegriff für die Wettbewerbsfähigkeit im gemeinsamen Markt, da ja nur das Produkt aus Lohn- und Produktivitätsniveau signifikant ist - und andere Preisindizes. Zentrale Indikatoren sind ferner sowohl Aexibilität bei Löhnen und Preisen als auch Mobilität für Güter, Arbeitskräfte und (Real)Kapital. Das gilt nicht nur für grenzüberschreitende Bewegungen innerhalb des gemeinsamen Marktes, sondern auch und gerade für Anpassungsprozesse innerhalb der einzelnen EU-Mitgliedsländer, in denen es starre Strukturen und riesige Ungleichgewichte geben kann. Die zentrale Frage ist nicht die, ob alle notwendigen Rahmenbedingungen für einen optimalen Währungsraum im Sinne der Theorie bereits vorhanden sind, sondern inwieweit die jetzigen Rahmenbedingungen verbessert werden müssen, damit ein Beitritt zur EWU sowohl aus der Sicht der bisherigen wie der neu hinzutretenden EU-Mitgliedsländer voll gerechtfertigt werden kann. Langwierige und teilweise sehr schmerzliche strukturelle Anpassungsprozesse liegen noch vor uns, und dies nicht nur für die Beitrittsländer! Aus der Sicht der Währungsunion würde es bei mangelnder Nachhaltigkeit der Konvergenz "für eine Geldpolitik schwierig oder sogar unmöglich, gleichzeitig den Interessen der reiferen Volkswirtschaften und der Reformländer gerecht zu werden".42 Daraus entstehende Spannungen im geldpolitischen Entscheidungsprozeß könnten ein einheitliche Zinspolitik erschweren. Ein wichtiger Erfolgsindikator wird sein, ob der wirtschaftliche Aufholprozeß in den neuen EU-Beitritts ländern weitgehend aus eigener Kraft nachhaltig und zügig vorankommt. Dabei könnte der anhaltende wirtschaftliche Aufschwung in Irland mit weit überdurchschnittlichen Zuwachsraten seite den frühen neunziger Jahren ein besonders positives Beispiel bilden, selbst wenn die leicht überdurchschnittliche Inflationsrate inzwischen Anlaß zu gewisser Besorgnis gibt. Das Bruttoinlandsprodukt je Kopf liegt in Irland inzwischen über dem durchschnittlichen EU-Niveau. Als eher negatives und warnendes Beispiel sind die Neuen Bundesländer in Deutschland anzuführen, in denen die Preise und Kosten seit der Währungsunion kurz nach der politischen Wende viel schneller als die gesamtwirtschaftliche Produktivität gestiegen sind. Ungeachtet der weiterhin hohen finanziellen Nettotransferleistungen von West nach Ost in der Größenordnung von 70 Mrd. Euro p. a. ist der Aufholprozeß im Vergleich zu den alten Bundesländern seit 1997 zum Stillstand gekommen. Eine fehlerhafte Wirtschaftspolitik und eine die Wirtschaft überfordernde und undifferen42

Deutsche Bundesbank (oben Fn. 3), Oktober 2001, S. 29.

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zierte Tariflohnpolitik lassen seit Jahren die hohen Arbeitslosenquoten in den Neuen Bundesländern bei etwa 17% bis 18% verharren, so daß inzwischen sogar Vergleiche mit der wirtschaftlichen Situation in Süditalien gezogen werden ("Mezzogiorno-Syndrom"). Schließlich spielt auch die reale Konvergenz im Sinne eines synchronisierten Ablaufs der Konjunkturzyklen eine wichtige Rolle. Die Geldpolitik der EZB kann sich mit ihren Instrumenten nur auf den Euroraum als Ganzem beziehen. Unterschiedliche Konjunkturabläufe könnten auch nicht durch eine strukturell ausgerichtete europäische Regionalpolitik ausgeglichen werden, die vom methodischen Ansatz her und größenordnungsmäßig nicht mit einem allgemeinen europäischen Finanzausgleich gleichgesetzt werden darf. V. Abschließende Bemerkungen

Abschließend läßt sich feststellen, daß der vertragliche Mindestzeitraum von zwei Jahren für eine Teilnahme im WKM 11 aus heutiger Sicht, im wohlverstandenen Eigeninteresse sowohl der alten wie der potentiell neuen EU-Mitglieder in Mittel- und Osteuropa, für die meisten Reformländer eine viel zu geringe Probezeit sein dürfte. Bis zum Ende dieses Jahrzehnts werden nur wenige EU-Beitrittsländer auch Mitglied der EWU geworden sein. Das wäre keineswegs zu bedauern. Eine hinreichende politische und wirtschaftliche Konvergenz im Sinne der Kriterien von Kopenhagen und Maastricht in allen ihren Facetten muß ausprobiert werden. Der WKM 11 eröffnet den Kandidatenländern die Möglichkeit, bei einer mäßigen Schwankungsbreite des Wechselkurses gegenüber dem Euro-Leitkurs die Vorteile des gemeinsamen Marktes weitgehend zu nutzen und sich auf die Übernahme der Eurowährung vorzubereiten, ohne dabei den Fehler einer zu frühen und irreversiblen Bindung zu begehen. Er ermöglicht den Ländern, ihr Währungsregime besser mit der eigenen Wirtschaftslage und -politik und dem jeweiligen EntwiCklungsstand in Übereinstimmung zu bringen. Zum Abschluß sei ein Zitat von Horst Köhler angeführt, dem Geschäftsführenden Direktor des Internationalen Währungsfonds, der die Frage nach den Voraussetzungen für ein erfolgreiches Währungsregime wie folgt auf den Punkt gebracht hat: "But no matter what type of exchange rate system a country may choose, ultimately it is the strength of the underlying policies and institutions that is decisive for sustained growth and financial stability.'A3 43 Zitiert nach Welteke, The Bundesbank's view on the world economy. Speech in Dublin 4 September 2001, in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln Nr. 40, 7. September 2001, S. 3.

The Euro in the Czech Legal System By Michal Tomasek, Prag I. Introductory Remarks The introduction of the new single currency in eleven, later twelve I member states of the European Union is the most ambitious economic project of modem times as weH as a major political decision. Last but not least it is a crucial legal act affecting legal relations within countries which substitute the euro unit for their national currency units as weH as outside the euro area, including Czech Republic 2 . In many ways, the creation of the euro two years ago has represented the culmination of a 50 year process of economic and political integration in Western Europe. 50 years ago, it became clear that nationalism had proven its highly destructive force and that Europe needed to establish forms of political co-operation in order to resolve conflicts of interests peacefuHy. But it also became evident that the protectionism and competitive devaluations of the inter-war period also had to be abandoned. Therefore, from the outset, the European integration process has been driven both by political ambition and economic pragmatism. This combination was essential in restoring economic growth and improving social conditions in post-war Europe. A similar situation exists for the Candidate Countries today, including the Czech republic. They see their integration into the EU as a way of ensuring that the necessary conditions for the sustainable, long-term growth of their economies. But they also want to bring their contribution to the political development of the uniting Europe. First of aH, the Europe Agreements which were signed between the EU and each of the Candidate Countries provide asound and legitimate basis for economic co-operation in a large number of sectors. Since then, the Association Councils have been supporting the transition process by regularly examining the accomplishments of economic reforms in the Candidate Countries. 1 Eleven EU Member States joining the euro from 1st January 1999 are Austria, Belgium, Finland, France, Germany, Ireland, Italy, Luxembourg, Netherlands, Portugal and Spain, joined by the twelfth EU Members State - Greece - from January 1st 2001. 2 Nemecek, International Monetary System, 2000.

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The economic reasoning, which lies behind the Copenhagen economic criterion3 (the existence of a functioning market economy as weIl as the capacity to cope with competitive pressures and market forces within the European Union) is quite straightforward and requires little elaboration. Even if it is no doubt a difficult and sometimes painful task, fulfilling this criterion is an essential step towards creating a solid basis for future noninflationary economic growth. Likewise, the third Copenhagen criterion conceming the adoption of the acquis communautaire, requires that a Candidate Country is able to take on all the obligations of EU membership, including the adherence to the aims of political, economic and monetary integration.Included in these obligations are the specific provisions of the Maastricht Treaty regarding Economic and Monetary Union (EMU). It has been decided that no new "opt-out" clauses, such as those negotiated by the United Kingdom and Denmark, shall be available to new Member States. This implies that, when joining the EU, the new Member States will have to comply with all of the requirements outlined in the acquis communautaire which relate to EMU. Moreover, following accession, they shall each have to prepare themselves for the eventual adoption of the euro. Of course, meeting the Maastricht convergence criteria is not a prerequisite for joining the EU. However, the introduction of the euro certainly puts some pressure on accession countries to make progress towards fulfilling the convergence criteria. In fact, we might consider their progress towards adopting the euro as part of a continuum, encompassing three distinct stages and crucial steps. These are: EU membership, participation in ERM 11, and eventual adoption of the euro. The first of these steps requires implementation of the EMUrelated acquis communautaire. Then, on the date of accession, new Member States will join EMU with the status of "countries with aderogation". With the ultimate goal of adopting the euro in mind, the Czech Republic will, once it has achieved a sufficient degree of convergence, be expected to participate in ERM 11. Following this, when the Maastricht criteria are met, the Czech Republic can then be expected to exchange its national CUfrency for the euro and become full participant in Economic and Monetary Union. In order to join the euro area, the convergence criteria with respect to inflation, long-term interest rates, public finances and exchange rate stability have to be fulfilled. Sustainable convergence is aprerequisite for adopting the euro. This is in the interest of the countries which have already introduced the euro including Germany, but even more so in the in3

As adopted by the European Council in Copenhagen in 1993.

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terest of new countries entering the euro area, including Germany's neighbor the Czech Republic. Without having achieved sustainable convergence, the loss of the exchange rate and interest rate instrument could cause costly tensions in the economy at the expense of growth and employment. Moreover, achieving convergence is not a process which ends with adopting the euro. On the contrary, being a member of the euro area and being able to benefit from the potentially great opportunities that offers call for ongoing adaptation to the new environment and the new rules of the game. What will be the role of he Eurosystem (i. e. the ECB and the 12 national central banks of the Member States which have adopted the euro) in this process? As a result of this process, the competencies of the Eurosystem, namely monetary policy, exchange rate policy, the smooth functioning of payment systems and financial stability, will become directly relevant as soon as the applicant countries join the EU. Therefore, if the challenge o~ EU enlargement and the subsequent enlargement of the euro area is to be successfully met, it is essential that Eurosystem is adequately prepared. For this reason the Eurosystem is already closely monitoring developments in accession countries which are directly related to its areas of competence. Naturally this is being done in co-operation with the Candidate Countries themselves. Since the successful integration of the accession countries into the euro area will ultimately depend on the policy strategies which they adopt, the Eurosystem is already taking a particular interest in these strategies. In this regard, it is quite encouraging that, in most cases, the monetary policies pursued are increasingly similar to those of the Eurosystem. First, they aim at achieving and maintaining price stability by supporting a disinflation process which is in some cases already fairly advanced, even if performance generally still remains out of line with EMU standards. In that respect, the determined efforts of the Czech Republic, in particular of the Czech National Bank, to achieve price stability have to be commended. And second, their strategies are increasingly based upon the process of using indirect and market-based instruments to control the degree of liquidity of the banking system. More precisely, these strategies include the use of standing facilities, repurchase agreements and other open market operations, and deposit reserve requirements. With regard to exchange rate policy, the Candidate Countries currently pursue a variety of strategies, and it's up to them, at this stage, to find the most appropriate exchange rate strategy given their situation.

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However, it is clear that with their entry into the EU and the consequent liberalisation of capital movements, accession countries will become less and less able to target their exchange rate without "importing" their monetary policy from the euro area. One may therefore expect that the monetary strategies of these countries will increasingly be conducted with a view to an orderly entry into ERM 11 and the adoption of the euro. The Eurosystem also has a vital interest in the proper functioning of financial systems in the Czech Republic. This is not least the case because integration into EU structures will entail increased competition for banks and other financial institutions. Therefore, beyond the general need for financial sector reform, there is more specifically, the need to ensure the stability of the financial systems. Of course, in the context of compliance with EU legal and institutional requirements, the Czech Republic is expected to adopt EU legislation in the area of financial services, including those related to banking, insurance and investment firms. Moreover, with the framework of the Copenhagen criteria, they will also be required to meet the broader set of structural and institutional requirements necessary for the establishment of an efficient and competitive banking sector. Nevertheless, one should point out that establishing sound and efficient banking, financial and payment systems is also an essential requirement for a proper conduct of monetary policy and therefore also for successful participation in the euro area. This is true for a number of reasons. First, the creation of deep and liquid capital markets is a necessary step if indirect and market-based instruments involving a number of counterparts are to be used for the conduct of monetary policy. Second, in the absence of sufficiently developed capital markets, it might be difficult for the Czech Republic to comply with the rules relating to the prohibition of privileged access to the financial system of govemment. And finally, structural weaknesses in the financial system could also have implications for the monetary policy transmission mechanism, since poor competition and soft budget constraints may affect the responsiveness of banks to changes in the monetary policy stance. Some voices in some Candidate Countries have already considered the possibility of joining the euro ahead the timetable laid out earlier, or even before joining the EU altogether. Some Candidate Countries wish to take advantage of the elimination of the exchange-rate risk that adopting the euro would entail. Leaving aside commenting on the merits of a such astrategy, or even its institutional feasibility, one needs to recognise that certain Candidate Countries have already achieved through conventional means - that is a determined disinflation strategy with a highly flexible exchange rate regime - the prize of high exchange rate stability with the euro area.

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The Czech Republic is a good example of such an approach. This result was achieved in a time of high volatility of the dollar/euro exchange rate. There are various exchange rate regimes, which are available to the Candidate Countries, in order to stabilise the value of their currencies in relation to the euro. Finding the most appropriate strategy in order to achieve that goal depends on the particular conditions prevailing in the Candidate Countries. It is impossible to say when the Czech Republic will join the EU or adopt the euro, or whether this enlargement will take place in a single wave. However, irrespective of the individual time frames pursued, what is clear is that the accession process requires a significant amount of preparatory work on the part of all involved. On the other hand, the Czech Republic as a neighbor of two EMU participants - Austria and Germany - is facing external impacts of the single currency. Those are economic, political and legal. This article is focusing on legal ones. 11. Time EfTect of the Changeover

The changeover to the new euro currency is implemented in several stages, each of which has a specific effect on a certain area of legal and economic environment. In total, these stages and their legal effects will lead to a final and complete introduction of the euro unit and cancelling of the national currency units of the participating eleven member states. It means that the changeover to the single currency is a process taking place within a certain time horizon called the transitional period. Considering all the material aspects of the changeover it is obvious that it requires a long term sequence of events. Introduction of new currency in Czech Republic in 1993 also required a transitional period though much shorter and based on different principles than the changeover to the single euro currency. The new tender, Czech crown, started to circulate on 1 January 1993 and the former Czechoslovak crown ceased to be legal tender as of 8 February 1993. The changeover to the new tender was implemented by stamping the banknotes, the unstamped Czechoslovak crown notes lost the status of legal tender by the end of July 1993 while the stamped notes by the end of August 1993. The coins of the old tender were in circulation till the end of November 1993. The precluded Czechoslovak crown notes could be exchanged for the new tender till May 1994 at the latest. While the transitional period for the changeover to the new currency in Czech Republic was a couple of months, the changeover to the euro will

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last three years starting on 1 January, 1999 and ending on 31 December 2001. Changeover to new legal tender in Czech Republic involved about 10 million inhabitants, while the euro will be legal tender of 270 million inhabitants and was used in more than 20% of the world financial transactions on 1 January 1999. The mechanism of the transitional period is also different. Instead of stamping notes, two basic "changeover gears" are used, namely: - from public to private finances, - from electronic settlements to payments in cash. As from 1 January, 1999 the euro was introduced to public finances of eleven participating member states. Euro is used in interbank settlements between the European Central Bank and central banks of the member states. Likewise, each member state redenominated in the euro unit its outstanding debt denominated in its national currency and all references to state finances are in the euro unit. At the meeting of the European Council held in Madrid in December 1995 the decision was taken that in the transitional period the euro will be introduced to private finances, i. e. to the non-state sector, using the market principles and not the administrative principles. The euro will be introduced pursuant to "no compulsion - no prohibition" principle according to which no private entity shall be forced to use the euro against its own will. On the other hand, legal equivalence has been established between the euro unit and the national currency units which means that each and every private entity in the euro states is obliged to accept payments both (obviously with due respect for the temporary absence of euro notes and coins). The process of changeover to the euro in the private sector is marketdriven. Many undertakings in EU member states switched to the euro already at the beginning of 19994 . This very fact has triggered a significant accelerating effect whereby the euro was taken up by all major EU companies during the first year of the transitional period, often as part of their image building strategy. On the other hand many undertakings, particularly those outside the euro area, realise that they will have to operate in two currencies in the transitional period. They will have to keep two sets of accounts - one in the euro unit and the other in their national currency units and perform their day-to-day operations in both currencies. Companies operating in multiple currencies need not regard it as achallenge. Nevertheless, taking into account all the repercusions on the company's functions it is quite dear that such operations will be a substantial burden. 4 Sear, Managing the Impact of the Euro, 1998, Torruisek, Foreword to the Czech edition, 1999.

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III. Territorial Effect of the Changeover The legal framework for introducing the single currency is given by the provisions of the EU primary legislation, namely the Treaty Establishing the European Community, Article 109 (123)5 as weIl as by the following three Council regulations: (1) Council Regulation (EC) No. 1103/97 of 17 June 1997 on certain pro-

visions relating to the introduction of the euro,

(2) Council Regulation (EC) No. 974/98 of 3 May 1998 on the introduction of the euro, (3) Council Regulation (EC) No. 2866/98 of 31 December 1998 on conversi on rates between the euro and currencies of member states introducing the euro. According to general principles of the Community Law, regulations have direct effect on the rights and duties of all entities within the EU member states. Nevertheless, direct applicability of these three regulations is restricted by the fact that only eleven out of fifteen EU member states have joined the single currency project6 . The Effect on Non-Member States is based on the lex monetae principle of the international law which provides that: - every state is endowned with monetary sovereignity including the right to establish and change its currency, - the sovereign right of every state to exercise control over its currency must be recognised by all other states and their judiciary and executive bodies, - every state may refuse to recognise the sovereign right of another state over its currency only in case that it is exercised in a discriminatory way to other states which, however, is not the case of the euro. Application of the lex monetae principle to the euro means that pursuant to international law all states of the world shall recognise the euro unit as the successor of the national tender of the respective countries. EU member states are bound to recognise it in keeping with the Treaty establishing the European Community as weIl as the EC regulations mentioned above. The argument that the recognition of the single currency pursuant to the above lex monetae principle of the international law is further strengthened 5 Nicolaysen, Rechtliche Rahmenbedingungen der Teilnahme an der Währungsunion und dem Wechselkursmechanismus, European and International Law, No. 67/2000. 6 As from 1st January 2001 twelve, including Greece.

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by the provisions of the European Agreement signed by candidate countries (such as Czech Republic) obliging them to harmonise their legislation with the Community Law is somewhat controversial. Provisions of the European Agreement on Approximation of Legislation do not replace the direct effect. Therefore, the provisions on approximation of legislation or any other provisions of the European Agreement cannot be considered as directly applicable and the same principle applies to the Council regulations on the euro 7 . Compliance with these legal instruments does not have the power of law for Czech Republic, nevertheless, it is motivated by strong political will to join the European Union and therefore by political readiness to adopt aH the provisions established by the Community Law and otherwise. However, political readiness is not sufficient for law enforcement. Recognition of the single currency must be supported by provisions of the Czech law. Given the fact that Act No. 6/1993 Coll. on the Czech National Bank, Section 16 stipulates that the legal tender to be used for all payments on the territory of Czech Republic are the notes and co ins issued by the Czech National Bank, it is obvious that the euro as weH as other foreign currencies is subject to foreign exchange regulations goveming the circulation of foreign currencies on the Czech territory. Pursuant to Act No. 215/ 1995 Coll. on Foreign Exchange, Section 10 the obligor may fulfil his obligation also in currencies other than Czech crowns if agreed by the two parties and he may, therefore, buy the respective amount of foreign exchange to settle his liability. There are no explicit or mandatory provisions conceming the type of foreign exchange, these are specified by regulations issued mainly by the Ministry of Finance or the Czech National Bank. In case of the euro, it is necessary to note its entry into force as from 1 January 1999, to note the termination of the accounting unit ECU as from 31 December 1998 and the substitution of the euro for the currencies of participating member states. This was done by the following acts: (1) Official Communication of the Czech National Bank No. 23/1998 of

30 September 1998 on the Introduction of the Euro Unit,

(2) Official Communication of the Ministry of Finance and the Czech National Bank No. 140/1998 of 25 November 1998 on the Changeover Strategy to Single European Currency, (3) Official Communication of the Czech National Bank No. 28/1998 of 31 December 1998 on Conversion Rates between the Single European Currency ("euro") and its Denominations. 7 de Campos (Baneo de Portugal), European Banking Law and Economic and Monetary Union, European and International Law, No. 2/1997.

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The legal power of these regulations may be formally challenged because none of them is included in the Collection of Laws and consequently their role is rather descriptive than prescriptive. That does not raise a problem on its own, e. g. information about conversion rates is communicated arnong the countries concemed in the same way as information about their exchange rates. In terms of missing reference to the euro in the Collection of Laws that, too, cannot be challenged because reference can be made to the Measure of the Ministry of Finance No. 29/98 of 14 December 1998 Notifying Changes in the Content and Particulars of Customs Declaration. Article 1 thereof stipulates that the list of currencies given in Decree No. 135/ 1998 Coll., Annex No. 16, Part VIII conceming the implementation of certain provisions of the Customs Act is being extended for "EUR euro". Information about legal substitution of the euro unit for the ECU presents more problems and the same applies to the information about complete cancelling of national currency units and their replacement by the euro unit in every respect. Our legal practice is divided on this issue. Some invoke the lex monetae principle and argue that the new currency, Czech crowns, introduced in this country a couple of years ago, was not challenged by anybody anywhere. Others are afraid of unfair dealing by some parties which might abuse the legal succession of the euro to national curreneies and claim discontinuance of their liabilities and cancellation of their obligation to pay. The latter, therefore, postulate the question of continuity or discontinuity of liabilities in the context of introducing the single currency euro 8 .

IV. Payments in the Euro in the Transitional Period Payment in cash is an important and frequently raised claim because every receivable can be transformed into a pecuniary debt in case that the original obligation was not met. Pecuniary receivable or debt is an obligation arising in case that a debtor obliges to pay to the creditor a sum of money, i. e. a certain amount of generic measure of value representative of an asset. The measure of value and the means of payment is obviously cash (banknotes and coins) or non-cash money (checks, payment cards, electronic transfer of funds, etc.). Pecuniary debt is to be settled in due time and place by cash or non-cash money with certain restrietions, e. g. the creditor is not obliged to accept a large sum of money in petty cash or acheck for a small amount of cash, etc. However, even a pecuniary receivable may be negotiated with a special clause that settlement shall be done in specified type of currency units. On the contrary, there is no substantial difference 8

Tomdsek, Euro as a Legal Successor, 2000.

16 Nellesheim/Oppennann (Hrsg.)

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between a receivable representing an asset which may be substituted by alternative assets, and a receivable to be paid explicitly by a specified amount of money. The tacit assumption being that money is not used to express a certain sum total but rather to express the value of an asset or obligation. The civil law provides for two types of alternative fulfilment of an obligation, namely the alternative liability and the alternative option (alternativa facultas). The alternative liability is treated by our Civil Code, Section 561 as foIlows: in case there are several ways of fulfilling an obligation, the debtor has the right of choice, unless provided otherwise. In other words, if there are two or more assets constituting an obligation specified ex lege or ex contractu, the actual choice of the asset is subject to individual judgement, i. e. duae res sunt in obligatione - una est in solutione. However, if there is no substantial difference in terms of pecuniary settlement mentioned above between alternative assets and a receivable referring to settlement by a specified sum of money, then provisions of the Civil Code, Section 561 do not apply to cases when the option is e. g. between settlement in the euro or DEM. The assumption again being that currency units are not used to express a specified amount but rather to express the value of an asset or settlement. Although the transitional period starting from 1 January 1999 till 31 December 2001 offers the option to settle liabilities in which the value of assets or settlement was expressed in currency units replaced by the euro unit (e. g. DEM), it is not a case of alternative liability pursuant to the Civil Code, Section 561 but alternative option - alternativa facultas. The latter is not, however, treated explicitly by our law although it is not inconsistent with the objective of the Ci vii Code, namely Section 51. The private law of the EU member states provides explicitly that in the transitional period the euro is being introduced to the private sector as a voluntary option for individual entities ("no compulsion - no prohibition" principle). The absence of compulsion brings with it the duty of aIl private entities to accept payments both in the euro unit and in the respective national currency units due to their legal equivalence. Obviously, as there are no euro notes or coins in circulation yet, the euro cannot be used for settlements in cash, it will be used only as non-cash money in the transitional period. Whatever code of practice or mIes apply to electronic transfers today, they apply mutatis mutandis to electronic payments in the euro unit as weIl. The fact that the euro and the respective national currency of the participating state are alternative facultas is defined explicitly by the Council Regulation No. 974/98, Article 8, par. 3 which establishes that in the transitional period 1999-2001 there is a legal equivalence between the euro unit and the national currency units. In other words, a person obliged to

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settle a liability denominated in the national currency may do the settlement either in the national currency or euro during the transitional period. Section 51 of the Civil Code thus makes it possible for our legal practice to negotiate an agreement whereby both contractual parties agree to change over from settlement in e. g. DEM to settlement in the euro as of a specified date during the transitional period. Arrangements like this are naturally crucial in banking, the bank and its clients typically agree on the changeover of the respective deposit or credit accounts. Our banking practice assumes correctly that conversion of deposits or loans denominated in e. g. DEM to the euro must take place on the basis of bilateral intent of both the bank and the client. In this way the bank honours informally provisions of Council Regulation No. 1103/97 and 974/98 and in the same token satisfies provisions of Section 51 of the Czech Civil Code. After all, pursuant to the Czech Commercial Code, Section 732, par. 1 the debtor is obliged to fulfil his pecuniary liability in the currency in wh ich it was negotiated. It indicates the need to negotiate in the transitional period the relevant bilateral agreement on changeover to payments in the euro. The Commercial Code, par. 733 further provides that in case when contracting parties agree on payment in a specified currency and the debtor is obliged, pursuant to the contract made with the creditor or pursuant to an international treaty or another applicable law, to make the settlement in another currency, the conversion shall be done using the mid rate of the two currencies valid at the time of the payment at the place specified in the contract, or at the seat of the creditor, in his business or residence. In terms of the Council Regulation No. 2866/98 which was published by the Official Communications of the Ministry of Finance and the Czech National Bank mentioned above, provisions of Section 733 should be mutatis mutandis interpreted in such a way that no mid rate shall be used between the euro and the currencies of participating states because it ceased to exist as from 1 January 1999, instead a conversion rate shall be applied.

V. The Euro as Legal Substitute In case that following the rise of a receivable changes occur in the currency or tender, the law stipulates that payment shall be done in legal tender valid at the due-date at the exchange rate relevant at the rise of the obligation. This rate is given either by a commercial rate, e. g. the exchange rate, or more often by the law. The euro operates as legal substitute in two ways at two different time horizons. By the way, this principle in relation to the debtor only is stipulated by the Commercial Code, Section 732, par. 2 which provides the following: in case that legal regulations of the state where the debtor has his seat or business or residence (i. e. legal regulations 16*

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of the European Union) or other applicable law bar the payment in the currency negotiated in the contract, it is the debtor' s duty to indemnify the creditor for the damages he incurred by receiving the settlement in another currency. The related provisions under Section 733 should be interpreted in the same way as mentioned above. The Euro is Legal Substitute to the ECU as from 1 January 1999. The exchange rate between the euro and the ECU 1: 1 was set by Council Regulation No. 1103/97, Article 2, par. 1. The rate was announced by the Official Communication of the Ministry of Finance and the Czech National Bank No. 140/1998 of 25 November 1998 on the changeover to the single European currency. Pursuant to this provision of the Czech law, the liabilities and receivables expressed in the ECU are substituted by liabilities and receivables in the euro at 1:1 rate as from 1 January 1999. As from 1 January 2002 the euro is obligatory legal substitute to German marks, Belgian, French and Luxembourg francs, Austrian shillings, Italian liras, Irish pounds, Dutch guilders, Finnish marks, Greek Drachmas, Spanish pesetas and Portuguese escudos or other currencies of the participating states which will have joined the monetary union before that date. The exchange rate between the euro unit and these currency units is given by Council Regulation No. 2866/98 and it was announced by Official Communication of the Czech National Bank No. 28/1998 of 31 December 1998 on conversion rates between the single European currency ("euro") and its denominations. The widespread opinion that the Czech law should honour the continuity of liabilities after the changeover from the ECU and national currencies to the euro has got no legal force until such a legal opinion has been pronounced by the court. Therefore we should be able to find in the Czech judicature a similar judgement establishing the continuity of liabilities following the cancellation of a currency and its replacement by another currency. Obviously this should be the case of the cancellation of CzechosloYak crowns in 1993, namely Act No. 6011993 Coll. on Separation of Currency, Section 1 which stipulates that as from 1 January 1993 the currency unit of the Czech Republic is Czech crown, i. e. Kc. As an example we can use the Judgement of the High Court in Prague pronounced on 13 June 1995, 5Cmo 527/94 on whether a bill of exchange denominated in Czechoslovak crowns (Kcs) and issued after 8 February 1993 was a valid bill of exchange or not. The plaintiff asked the opponent to pay the bill in Czechoslovak crowns. The court discussed the proposition and dismissed it. The grounds of the judgement were as folIows: the original of the bill of exchange showed that the opponent signed the bill issued on 22 June 1993 promising to pay in the hands of the plaintiff the debt amounting to 301,500 Kcs. Act No. 191/

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1950 Coll. on Bills and Checks, Article I, item 2 stipulates that an essential part of a foreign bill of exchange shall be the unconditional order to pay a specified sum of money. In keeping with Act No. 60/1993 Coll. and Govemment Ordinance No. 61/1993 Coll. on Implementation of the Act on Separation of Currency, Czechoslovak crown ceased to be valid currency on 8 February 1993. Therefore, bills of exchange issued in Czechoslovak crowns after 8 February 1993 are not valid. Consequently, the plaintiff s claim was rejected. The plaintiff appealed against the decision claiming that the Act on Bills and Checks does not refer to concepts such as "valid currency" or "existing currency". He argued that although the fonner Czechoslovak crown was not a legal tender any more, it continued to exist because banknotes could be exchanged till May 1994. The drawer could pay the drawer the specified amount of money in legal tender which admittedly constituted aseparate currency but was being exchanged at the 1: 1 rate. The plaintiff claimed that at the time when he challenged the court judgement, financial institutions still used the fonns indicating Kcs as the currency of the state. However, the court of appeal confinned the decision that a bill of exchange issued in Czechoslovak crowns after 8 February 1993 is not a valid bill. It stated in the grounds of the judgement that a bill becomes a valid foreign bill of exchange only on the condition that pursuant to Act No. 191/1950 Coll, Article I, Section 1, item 2 it contains an unconditional order to pay a specified sum of money. The amount payable must be specified in the bill of exchange in such a way as to leave no doubts what should be paid against the specified bill. The requirement of explicit statement applies not only to the precise figure of the amount payable but also to the explicit statement of the currency in which the bill shall be met. The specified currency can be only the currency which is in circulation in the territory of the specified state and which is actually used to pay with. Pursuant to Act No. 60/1993 Coll., Section 1, par. 4, the nominal value of liabilities and receivables expressed in Czechoslovak crowns shall be converted into Czech crowns at the 1: 1 rate as of the date of separation of the currency. The date of separation of the currency was decreed by Govemment Ordinance 61/1993 Coll. to be 8 February 1993. Likewise, liabilities expressed as of this day in the already non-existing currency were at that specified moment in time converted into Czech crowns at I: 1 rate. This rule of continuity, however, applies explicitly only to this specified moment in time and cannot be applied to liabilities which would have arisen after that date. The fact that banknotes and coins of the CzechosloYak crowns were in circulation still after 8 February 1993, either stamped or unstamped, is irrelevant. They were merely the yet unchanged symbols of the new currency, Czech crowns.

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It means that on the date of issue of the bill of exchange on 22 June 1993 no specified liability could have arisen from the bill because it was not clear how much should be paid as the currency written on the bill, i. e. Kcs, did not exist any more and the rate of exchange pursuant to Act No. 60/1993, Section 1, par. 4 was not applicable as of that date. In any case it would have been a problem to decide whether it should be paid in Czech crowns or Slovak crowns. It might be assumed that the purpose of issuing a bill of exchange was to give rise to a liability in Czech crowns but this intent was not specified on the bill. Rights arising from a bill are always determined by the content of the bill and not by the intentions behind its issuance.

Apart from the practical impact of the High Court decision upon the law of exchange and the specific relationship between Czechoslovak crown and Czech crown, the general conclusions to be drawn are as folIows: (1) Specified currency shall mean only a currency which is in circulation

in the territory of a specified state and is actually in full use for payments.

(2) The rule of continuity of liabilities applies explicitly only to the moment of changing over to a new currency and cannot be applied to liabilities which arose or were to arise after this date. (3) Circulation of banknotes and coins of the former currency, stamped or without any marking, after the introduction of a new currency does not amend the rule of continuity. Applying these conclusions to legal continuity of the euro as the substitute for its legal predecessors (the ECU and national currencies), we can expect that Czech courts would proceed in the same way in matters of continuity of liabilities with reference to the judgement discussed above. Thus there is no doubt that the specified and valid currency of the participating member states of the European Monetary Union as from 1 January 1999 is the euro and the respective national currencies because they are in circulation in the territory of these states and they are actually used in day-to-day payments in compliance with the relevant local regulations. The rule of continuity of liabilities between the ECU and the euro applies explicitly, only and entirely to 1 January 1999, i.e. the moment of changeover from the ECU to the euro and therefore it cannot be applied to liabilities arising in the ECU after 1 January 1999. If contracting parties agree on payment in the ECU or issue a bill of exchange in the ECU after 1 January 1999, they run the risk that the court will rule the liability void and null.

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The rule of continuity of liabilities between Gennan marks, Belgian, French or Luxembourg francs, Austrian shillings, Italian liras, Irish pounds, Dutch guilders, Finnish marks, Spanish peseta and Portuguese escudos or other currencies to the states which will have joined the monetary union by that time, shall apply explicitly as of 1 January 2002. Therefore, bills of exchange in national currencies are free from any risk if issued before 31 December 1998. The same rule may apply to negotiating other liabilities in these national currencies. The court may decide, in the same way as the High Court of Prague, that a liability denominated in DEM and negotiated after 1 January 2002 is void and null irrespective of the fact that DEM banknotes and coins will be in circulation in the Gennan territory parallel with the euro banknotes and coins until 28 February 2002. In view of the pending issue of shortening the transitional period, the deadline of 1 January 2002 seems to be dies certa an, incerta quando and consequently for the sake of legal certainty it is advisable to stop negotiating liabilities and especially issuing bills of exchange in the outgoing national currencies in the course of the transitional period and change over to the euro as quickly as possible. The conversion to the euro is not a currency refonn, but rather an equivalent conversion of financial assets and monetary debts into another currency which replaces a large number of previously existing currencies. In the case of currency refonns, several zeros are usually deleted from the monetary value. Wages and pensions are cut: savings are devaluated. None of this happens in the case of EMU. A number of different currencies is simply being converted into one single currency. EMU should not be considered an unforeseen occurrence that might result in an adjustment or even tennination of existing contractual agreements. A regulation which is binding for all EU countries stipulates that existing contractual legal relationships will not change. As a rule, contracts affecting a currency being replaced by the euro continue to be valid after introduction of monetary union. The same applies to the conversion of ECU into euros, especially if such contracts were concluded after the Maastricht Treaty came into force. In the case of contracts which are subject to Czech law, it is assumed that these too continue to be valid. As far as can be detenninated, the same holds true for contracts subject to the laws of other non-EU countries (e. g. Japan, Switzerland, USA). There is no change in the agreed interest rate for securities or loan contracts. Customers who hold fixed-income securities with maturities after the year 2002 (i. e. after the end of the transition period) will no longer receive their interests paid out in Gennan marks or French francs, but in euros, at the exchange rate at which the Gennan mark or the French franc was irrevocably fixed on 1st January 1999.

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As regard to payments, there is no need for the customers to worry about the euro launch. The banks have taken necessary steps to ensure that the customers are able to make their payments quickly and easily. There should be no additional costs involved, and the conversion takes place using the irrevocably defined conversion rates. The same applies to euro accounts as for DEM accounts. No additional charges are levied for payments in EMU currencies via the euro account. During the transition period, the account holders can decide either to continue holding their ac counts in EMU currencies or to convert them into the new euro currency. The conversion takes place using the fixed conversion rates. All other accounts will be converted automatically into euro accounts on 1st January 2002. All entries in accounts statements are shown in the account currency and in euros. The introduction of the single currency sees the creation of one of the largest securities exchanges in the world. Within Europe, competition among financial centres intensifies, and efficiency, innovative strengths, technology and flexible legal structures become essential factors. Professional traders and brokers are settling transactions only in euros. Introduction of the single currency is far from being detrimental to the consumers9 . Creating a huge financial market in Europe it creates a more transparent environment which will contribute to more sophisticated means of consumers protection under conditions of globalised market of financial services.

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Torruisek, Finanzinstitutionen als Teil von Finanzgruppen in Tschechien, 2000.