Die Theorie der Institution und zwei andere Aufsätze von Maurice Hauriou: Mit Einleitung und Bibliographie [1 ed.] 9783428415335, 9783428015337

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Die Theorie der Institution und zwei andere Aufsätze von Maurice Hauriou: Mit Einleitung und Bibliographie [1 ed.]
 9783428415335, 9783428015337

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Die Theorie der Institution und zwei andere Aufsätze von Maurice Hauriou

Schriften zur R e c h t s t h e o r i e Heft 5

Die Theorie der Institution und zwei andere Aufsätze von Maurice H a u r i o u

Mit Einleitung und Bibliographie

herausgegeben von

R o m a n Schnur

DUNCKER

& HUMBLOT

· BERLIN

Übersetzung aus dem Französischen von Hans und Jutta Jecht

Alle Rechte vorbehalten © 1965 Duncker & Humblot, Berlin Gedruckt 1965 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany

Vorwort Im gegenwärtigen deutschen rechtswissenschaftlichen Schrifttum mehren sich die Hinweise auf die Institutionenlehre des französischen Rechtslehrers Maurice Hauriou (1856—1929). Man scheint damit etwas nadizuholen, was man vor drei, vier Jahrzehnten versäumt hat. Insofern ist das aufkommende Interesse an Haurious Ideen sehr zu begrüßen. Es könnte dazu führen, daß die Diskussion aus der stark politisch bedingten Einengung auf die Fragestellung „Naturrecht oder Rechtspositivismus?" herauskommt und sich einem Thema zuwendet, das die Fragwürdigkeit dieser Dichotomie offenkundig macht. Man kann aber auch bereits feststellen, daß Haurious Ideen hierzulande in dieselbe Gefahr geraten sind wie früher in Frankreich, nämlich daß sie ungenau gemacht werden, um sie für andere Zwecke verwenden zu können. Darauf muß notwendigerweise mit ebenso ungenauen Verdikten geantwortet werden, und zwar meistens mit Kenntnissen aus zweiter oder dritter Hand. Auch besteht die Gefahr, daß man die Ergiebigkeit der Institutionenlehre für die Lösung konkreter rechts dogmatischer Probleme überschätzt, eine Gefahr, vor der kein Beitrag zur sozialwissenschaftlichen Grundlagenforschung gefeit ist. So leicht sollte man es sich mit dem Thema der Institutionen nicht machen, erst recht nicht vom Standpunkt der Rechtstheorie aus. Weder ist dieses Thema in positivem Sinne ausdiskutiert, noch ist es erledigt. Das kann man nur dann annehmen, wenn man noch nicht bemerkt hat, daß eine der größten Leistungen der neueren deutschen Anthropologie, nämlich Arnold Gehlens Werk, um den Begriff der Institution zentriert ist, und wer dieses Werk kennt, weiß, wie fruchtbar, aber auch: wie schwierig das Thema „Institution" ist. Um Kurzschlüsse über den Inhalt und über die Bedeutung eines Werkes zu vermeiden, bleibt nichts anderes übrig, als immer wieder auf den maßgeblichen Text zurückzugreifen. Im Falle Haurious hat es damit jedoch sein eigenes Bewenden: Keiner der einschlägigen Texte ist in Frankreich auf dem Büchermarkt greifbar, und eine „Wissenschaftliche Buchgesellschaft"* oder ein Antiquariat wie Scientia-Aalen gibt es dort nicht. Da überdies die Kenntnis fremder Sprachen in dem Maße nachläßt, wie sie propagiert wird, muß die Übersetzung unentbehrlich werden.** * Es sei darauf hingewiesen, daß in der Reihe „Wege der Forschung" der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft (Darmstadt) ein Band „Theorie der Institution" erscheinen wird, der die in unten Bibl., Nr. 58, 60, 62, 66, 74, 81, 83,100, 113,145,146,148,158, aufgeführten Studien enthält (gegebenenfalls in deutscher Übersetzung) und vom Herausgeber dieses Buches eingeleitet wird. ** Die Übersetzung von Santi Romanos rechtstheoretischem Hauptwerk (Bibl., Nr. 91) ist in Vorbereitung (Berlin, Duncker & Humblot).

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Vorwort

•Die hier vorgelegte Sammlung von Aufsätzen Haurious ist nur eine Auswahl. Damit stellen sich die Nachteile ein, die jeder Auswahl anhaften. Sie werden im Falle Haurious dadurch gemildert, daß der erste Aufsatz dieser Sammlung zum Kern von Haurious Institutionenlehre gehört. Im übrigen ist es fast unmöglich, eine repräsentative Auswahl zu treffen, denn es kennzeichnet dieses Werk, daß in ihm bestimmte Themen in erneuten Anläufen angegangen werden. Da heute allenfalls die ältere Generation genauere Vorstellungen mit dem Namen Hauriou verknüpft, erschien es angebracht, eine kurze Einführung in Leben und Werk des französischen Rechtslehrers zu geben. Auf eine Auseinandersetzung mit Haurious Ideen glaubte der Herausgeber verzichten zu sollen, weil es zunächst einmal auf die Information ankommt. Aus diesem Grunde erschien auch eine Bibliographie mit den Werken Haurious und mit Arbeiten über Hauriou vonnöten. Diese Bibliographie ist nicht vollständig. Eine vollständige Bibliographie hätte sich nur in Frankreich erstellen lassen. Vielleicht entdeckt eine der vielen internationalen Organisationen amtlicher oder privater Natur, daß auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft bibliographische Arbeit nützlich ist, um die Bestände des europäischen Rechtsdenkens zu wahren — hier liegt eine Aufgabe, die neben der Veranstaltung eindrucksvoller Tagungen usw. ihren legitimen und gewiß nicht kostspieligen Platz hat. — Der Herausgeber möchte auch an dieser Stelle in verschiedenen Richtungen herzlichen Dank aussprechen: Der Verleger, Herr Ministerialrat a. D. Dr. J. Broermann, hat die Idee, Aufsätze Haurious in deutscher Übersetzung vorzulegen, als eine Selbstverständlichkeit behandelt. Herr Dr. Hans Jecht und Frau, derzeit in Berkeley (USA), haben sich trotz großer beruflicher und familiärer Pflichten sogleich bereit erklärt, die keineswegs einfachen Texte Haurious zu übersetzen. Die französische Botschaft in Bad Godesberg hat durch M. le Conseiller Culturel Pierre Moisy einen beträchtlichen Zuschuß zu den Kosten der Übersetzung geleistet und damit erneut gezeigt, daß Kulturdiplomatie nicht nur Schöngeistiges zum Inhalt hat. Herr Prof. André Hauriou-Paris und sein Assistent, Herr Jean Gicquel, haben liebenswürdigerweise dafür gesorgt, daß die Übersetzungsrechte ohne Mühe gewonnen werden konnten, wofür auch den Verlagen gedankt sei. Besonderer Dank gilt auch Herrn Lucien Sfez, Assistent der Pariser Rechtsfakultät, der dem Herausgeber seine noch ungedruckte große Dissertation über Hauriou überließ, welche die bislang umfassendste Darstellung von Haurious Werk enthält. Wertvolle bibliographische Hinweise verdankt der Herausgeber den Herren Professoren Sebastian Martin-Retortillo (Valladolid), Enrico di Robilant (Triest) und Karl Doehring (Heidelberg).

Vorwort •Dem Herausgeber wurde noch weitere Hilfe zuteil: Herr Prof. Olivier Dupeyroux von der Toulouser Faculté de Droit et de Sciences Economiques gab ihm viele bibliographische Daten. Der Herausgeber dankt dem Toulouser Rechtslehrer dafür vielmals, ihm, dem Sohn des viel zu früh verstorbenen Toulouser Gelehrten Henri Dupeyroux, des Schülers von Achille 'Mestre, der seinerseits Schüler und Kollege von Maurice Hauriou in Toulouse war, in jener Rechtsfakultät, in der einst Jean Bodin lehrte. Heidelberg/Lausanne, im Januar 1965

Roman Schnur

Anmerkung des Herausgebers: Die Ubersetzung der Texte Haurious beruht auf den in Bibl., Nr. 15, enthaltenen Fassungen. Die Anmerkungen in eckigen Klammern stammen entweder vom Herausgeber oder von den Übersetzern.

Inhalt Roman Schnur: Einführung

11

Maurice Hauriou: 1. Die Theorie der Institution und der Gründung (Essay über den sozialen Vitalismus)

27

2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht

67

3. Macht, Ordnung, Freiheit und die Verirrungen der objektivistischen Systeme

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Roman Schnur: Bibliographie

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Einführung I. Maurice-Jean-Claude-Eugène Hauriou entstammt einer Landschaft, die auch die Heimat seines berühmten Freundes und wissenschaftlichen Gegners, Léon Duguit1, war. Er wurde am 17. 8. 1856 in Ladiville (Charante) geboren. Nach ungetrübter Kindheit und Jugend nahm er das Studium der Redite an der Universität seiner engeren Heimat, in Bordeaux, auf. Ihn interessierte vor allem die Rechtsgeschichte. 1876 erwarb er die Licence, 1879 promovierte er. Schon der für ganz Frankreich zentrale Concours d'Agrégation2 im Jahre 1882, der damals noch einheitlich für alle juristischen Disziplinen war, ließ die Qualitäten des jungen Gelehrten erkennen: Hauriou erhielt den ersten Platz vor Duguit (sowie u.a. Michoud und Berthélémy) zugesprochen und wurde Anfang 1883 zum professeur agrégé in der Faculté de Droit in Toulouse ernannt, mit dem Auftrag, das Fach der Rechtsgeschichte wahrzunehmen. Dieser Beginn seiner akademischen Laufbahn war für Hauriou die Zeit der Sammlung, in welcher er die Grundlagen für alles weitere legte. Literarisch trat er in dieser Zeit vor allem mit rechtshistorischen Beiträgen hervor. Im Jahre 1888 erhielt er, ebenfalls in Toulouse, den Lehrstuhl für Verwaltungsrecht. Hauriou, der sich des Standes dieser Disziplin und ihrer Wertschätzung bewußt war, sah das zunächst als eine Art persönlicher Katastrophe an8. Doch arbeitete er sich derart rasch und gründlich in die ihm bis dahin fremde Materie ein, daß er bereits 1892 seinen „Précis de Droit Administratif" veröffentlichen konnte4. Im Jahre 1920 wechselte Hauriou auf den Lehrstuhl für Verfassungsrecht über, den er bis zum Ende seiner akademischen Laufbahn innehatte. Hauriou wurde im Jahre 1904 zum Assesseur du Doyen und dann 1906 zum Dekan seiner Fakultät gewählt. Dieses Amt behielt er bis zum Jahre 1926, dem Jahr seiner Pensionierung. Auch war er Mitglied des Conseil de l'Université, des maßgeblichen Beirats beim Erziehungsministerium in Paris. 1 Uber ihn s. etwa: Congrès Commémoratif du Centenaire de la Naissance du Doyen Léon Duguit (Bordeaux, 29.—30. Mai 1959), in: Revue juridique et économique du Sud-Ouest, Série Jur., 10, 1959, Nos 3—4, sowie R. Schnur, Neue Polit. Lit., 5, 1960, Sp. 30 ff. 8 Entspricht in seiner Bedeutung der Habilitation. 8 Vgl. Mestre, Bibl., Nr. 5, S. 270. 4 Siehe Bibl., Nr. 2.

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Einführung

An äußeren Ehrungen war das Leben Haurious nicht übermäßig reich. Er war korrespondierendes Mitglied des Institut de France und assoziiertes Mitglied der königlichen Akademie von Belgien, ferner Ritter der Ehrenlegion. Hauriou hatte zwei Kinder; die Tochter Geneviève starb früh, der Sohn André wurde ebenfalls Rechtslehrer und ist heute Professor für Staatsrecht in der Faculté de Droit et de Sciences Economiques in Paris. Maurice Hauriou starb am 12. 3. 1929 in Toulouse, einige Monate bevor ihm die von Freunden und Schülern dargebrachte Festschrift in einer Feier zum 700. Jahrestag der Universität (8. Juni) überreicht werden sollte. II. Hinter diesen äußerlich wenig ereignisreichen Daten verbirgt sich ein menschlich wie wissenschaftlich überaus reiches Leben. Es scheint, als habe Hauriou einer solchen Festigkeit der persönlichen Umwelt bedurft, um der oftmals stürmischen Entwicklung seiner Ideen einen festen Rahmen zu geben. Er hat ein Gelehrtenleben von großer Konzentration geführt. Die Symbiose von außerordentlicher geistiger Beweglichkeit und enormer Schaffenskraft wird stets Bewunderung hervorrufen. Es überrascht daher nicht, daß von Haurious Lehrtätigkeit eine starke Ausstrahlung ausging. Doch beruhte sie nicht auf meisterlicher Rhetorik, wie sie etwa Léon Duguit beherrschte. Niemand habe sich, so sagt sein Schüler Achille Mestre5, so wenig aus Rhetorik gemacht wie Hauriou. Vielmehr beeindruckte Hauriou durch die Frische und Unmittelbarkeit seines Vortrags. So unterbrach er bisweilen seine Vorlesung, überlegte und notierte sich einen Einfall — „et soudain une sorte de fusée éclairante qui illuminait tout un horizon"6. Auf diese Weise wurden die Hörer unmittelbare Zeugen intensiver geistiger Arbeit 7, die dennoch nichts Aufgeregtes an sich hatte. So wenig wie im geistigen Bereich hat Hauriou das Bequeme, Saturierte, im eigentlichen Wissenschaftsbetrieb gesucht8. Manchem war er offenbar kein sehr bequemer Kollege. Darüber geben die von Dottin mitgeteilten Vermerke in den Personalakten interessante Aufschlüsse9. So notierte z. B. sein Dekan im Jahre 1888: „M. Hauriou a l'esprit fin et délié, avec une tendance à s'étendre trop facilement d'idées soi-disant nouvelles", während der Recteur de l'Académie 1890 vermerkte: „esprit très ouvert, plus que celui de la plupart de ses collègues." Im Jahre 1898 notierte dann der Dekan: „M. Hauriou entretient avec le Doyen des rapports tellement négatifs, ne le δ

Siehe Bibl., Nr. 85, S. 269. • Siehe Mestre, Bibl., Nr. 49, S. 7. 7 Siehe auch Bonnecase, Bibl., Nr. 59, Bd. 1, S. 481, der bei Hauriou hörte. 8 Auch sei erwähnt, daß Hauriou zu den Reformern des Rechtsunterrichts zu zählen ist, weil er in Toulouse Praktika einführte, was damals in Frankreich eine Neuerung darstellte, vgl. Bibl., Nr. 27. 8 Siehe Bibl, Nr. 51, S. 5 f.

Einführung saluant même pas, que le Doyen ne peut porter sur ce collègue aucune appréciation particulière." Der Recteur, offenbar ein souveräner Mann, fügt hinzu: „Est de ceux qui peuvent et doivent être promus au choix (i. e. zum Dekan)." Das geschah dann auch im Jahre 1906, für 20 Jahre. Es mag sein, daß Haurious immenser Wissensdrang manchen Fachkollegen beunruhigte, denn er kannte, auch im Alter, keine Grenzen. Hauriou war z. B. auf naturwissenschaftliche und theologische Zeitschriften abonniert und interessierte sich lebhaft für die wissenschaftliche Arbeit des Auslandes. Zu seinen engeren Bekannten in Toulouse zählten weniger die unmittelbaren Fakultätskollegen als einige Mitglieder der Philosophischen Fakultät, von denen er mehr Anregungen erwartete und auch erhielt, nämlich der Psychologe F. Rauh und die beiden Philosophen G. Dumesnil und J. Jaurès, mit denen er sich regelmäßig zum Spaziergang und dann im „Café de la Paix" traf 10. Wenn audi die Grundlagen, auf denen Hauriou sowohl seine rechtstheoretischen als auch seine rechtsdogmatischen Werke aufbaute, außerordentlich breit waren, verlor er sich nicht in den vielen Einzelheiten, die seine enorme Lektüre einbrachte; sie wurden, wie besonders seine Anmerkungen zu den Entscheidungen des Conseil d'Etat zeigen, stets in den größeren Zusammenhang gestellt. Jedem Leser seiner Werke wird die Redlichkeit bewußt, mit welcher Hauriou ans Werk ging. Er räumte auch dem Mittelmäßigen eine faire Chance ein und gab wie selbstverständlich eine wissenschaftliche Position auf, die der Kritik nicht standzuhalten schien. Zwar war sich Hauriou dessen bewußt, daß er zu den Schöpfern der modernen französischen Verwaltungsrechtswissenschaft gehörte, doch wies er stets auf die Verdienste seiner Vorläufer, wie beispielsweise Aucoq und Laferrière, hin11. So scharf er sich auch mit den Thesen Duguits auseinandersetzte, so wenig war er geneigt, dessen Ideen von vorneherein abzulehnen; das Verschweigen bedeutsamer Gegenmeinungen erlaubte er sich nicht. Einige seiner Kritiker haben geglaubt, Hauriou bisweilen Unklarheit der Gedankenführung vorwerfen zu sollen. Dieser Vorwurf trifft vielleicht einzelne Stellen des Werkes, aber wohl nicht das Entscheidende. Gewiß fällt es mitunter nicht leicht, Haurious endgültige Ansicht von einem Problem auszumachen. Doch beruht das weniger auf einen Mangel an Klarheit als vielmehr auf der Scheu, sich in einer als schwierig empfundenen Sache vorschnell festzulegen. Auch wenn er seine Gedanken ohne großen Plan fixierte, so ließ er sie langsam reifen 12. Man 10

Siehe Mestre in Bibl., Nr. 85, S. 272, und Nr. 49, S. 7, was Hauriou mit seinem „humour coutumier" nannte „la forte éducation du café." 11 Das hebt z. B. Berthélémy hervor, vgl. Bonnecase, Bibl., Nr. 59, S. 484. Berthélémy habilitierte sich mit Hauriou, war später Professor und Dekan in Paris. Von ihm stammt ein weitverbreitetes Lehrbuch des Verwaltungsrechts, doch hat er, sich selbst ein Denkmal setzend, in seiner Gedächtnisrede auf Hauriou dessen Überlegenheit anerkannt (abgedrudtt in Bibl. Nr. 50). 12 Vgl. die Darstellung der Art und Weise, wie Hauriou seine Urteilsanmerkungen schrieb, bei Fournier, Bibl., Nr. 70, S. 158.

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Einführung

wird deshalb Haurious Arbeitsweise besser gerecht, wenn man in ihr etwas Tentatives sieht, ein unaufhörliches Bohren am harten Holz 13 . Wenn er bestimmte Themen über Jahrzehnte hinweg erörterte, so war das weniger ein stetes Repetieren als vielmehr ein unermüdliches Angehen eines Problems — den großen, diese Sammlung einleitenden Aufsatz über die Theorie der Institution schrieb Hauriou als beinahe Siebzigjähriger, von Wiederholung oder Ermüdung ist dort nichts zu spüren. So sagt Ri vero: „...exemple d'une pensée rebelle à toute sclérose, toujours en quête du vrai, toujours en état d'invention et de bouillonnement"14. Allerdings wird man in dieser Arbeitsweise keine Grundsatzlosigkeit sehen dürfen; ein grenzenloses „Geöffnetsein", das existentialistische Denkweisen für modern und fortschrittlich halten mögen, lag Hauriou fern. Nur hielt Hauriou seine Grundsätze so bescheiden und elastisch, daß er imstande war, immer wieder auf die Erfahrung Bedacht zu nehmen. Diese intellektuelle Redlichkeit war es auch, die Hauriou jegliches Proselytenmachen als unwürdig erscheinen ließ, wie denn jedwedes Ereifern nicht seine Sache war. Auch eine neue, von anderen als radikal empfundene Ansicht trug er gelassen, fast wie selbstverständlich vor. Dies und das Vertrauen in die langsame, stille Wirkung bedeutender Ideen hielten ihn davon ab, den Ruhm zu suchen. Während Duguit ein großer Vortragsreisender war 15 und stets ein gewisses Bewußtsein seiner eigenen und seiner Nation Sendung hatte, hielt sich Hauriou in offensichtlich betonter Weise zurück. Vielleicht legte er sich gerade wegen seines außerordentlichen Reichtums an Ideen und an Wissen eine Art geistiger Askese auf. Diese Zurückhaltung hat jedoch nichts mit jener Pedanterie zu tun, die man bei einem zeitlebens in der Provinz wirkenden Gelehrten vermuten könnte. Achille Mestre rühmt Haurious feinen Humor, seine leise Ironie1®, also Eigenschaften, die der Verhärtung entgegenwirken, doch scheint Hauriou die wohlwollende Distanz der vorschnellen Freundschaft vorgezogen zu haben. So sagt Berthélémy: „Hauriou possédait surtout la qualité suprême de l'homme: la bonté. Sous un aspect réservé et même froid, il cachait le cœur le plus tendre et le plus sensible"17. Seine Freundschaften hatten etwas persönlich Desinteressiertes, wie denn Hauriou allgemein eine gewisse Desinvolture zeigte: Er erstattete zwar (10 bis 12) Rechtsgutachten, aber er lehnte, wiewohl nicht vermögend, ein Honorar ab18. So mußte Hauriou schon aufgrund seiner Persönlichkeit vorbildhaft wirken und die jüngere Generation nachhaltig beeinflussen. 13 Hauriou selbst schrieb (Bibl., Nr. 9, 2. Aufl., S. X X V I I ) : „ . . . mes travaux ne sont en réalité que des bulletins successifs d'un laboratoire de recherches . . 14 Siehe Bibl., Nr. 85, S. 471. 15 Vgl. die Hinweise von Laborde-Lacoste, Bibl, Nr. 138, S. 99 ff. 18 Bibl., Nr. 50. 17 Bonnecase, Bibl., Nr. 59, S. 484. 18 Siehe Bibl., Nr. 51, S. 4.

Einführung III. Haurious Œuvre ist, wie schon ein Blick auf die Bibliographie zeigt, außerordentlich umfangreich und thematisch überaus umfassend. Will man es nach bestimmten Gesichtspunkten ordnen, so kann das nicht auf die Weise geschehen, daß die Zäsuren im Hinblick auf die Thematik oder auf die Methode gelegt werden. Haurious Werk läßt sich allenfalls nach inneren Entwicklungen einteilen, die das gesamte Œuvre durchziehen und auf die später noch einzugehen ist. Wiewohl Hauriou Rechtstheorie und Rechtsdogmatik zu unterscheiden wußte, so bilden seine Arbeiten auf beiden Bereichen doch eine innere Einheit. Sie stehen nicht, wie bisweilen Arbeiten anderer bedeutender Rechtslehrer, beziehungslos nebeneinander, auch nicht in zeitlicher Hinsicht. Schon darin offenbart sich eine Grundkonzeption Haurious, nämlich sein Bestreben, die reditsdogmatischen Fragen nie ohne Grundlagenbezug zu erörtern und umgekehrt die Erfahrung nie außer acht zu lassen. Insofern sind diejenigen seiner Kritiker, die ihm Mangel an Systematik vorwerfen, im Unrecht: Es geht viel mehr um zwei ganz verschiedene Vorstellungen von dem, was für den Juristen „System" ist. Wie schon erwähnt, begann Hauriou mit rechtsgeschichtlichen Arbeiten und war der Beginn seiner akademischen Laufbahn für ihn die Zeit der Sammlung, der Grundlegung. Ohne diese Vertiefung wäre es dem damals erst 36jährigen Rechtslehrer kaum möglich gewesen, ein Lehrbuch des Verwaltungsrechts vorzulegen19, das an Kenntnis der Einzelheiten und an Kraft der Systematisierung allen Vorläufern überlegen war und auch bald als bahnbrechend anerkannt wurde: Der „Précis de Droit Administratif" gehört zu den großen Werken der neueren europäischen Rechtswissenschaft. Das Bedeutsame, Bahnbrechende dieses Werkes liegt vor allem in zwei Momenten: Hauriou bezog in die Verrechtlichung der Verwaltung auch solche Phänomene ein, welche die Verwaltungsrechtswissensdhaft bislang mehr oder weniger vernachlässigt hatte — vermutlich deshalb, weil hier die tradierten juristischen Kategorien nicht mehr zugereicht hatten. Erst Haurious Lehrbuch läßt den Umfang und die Bedeutung der Verwaltung im modernen Staat richtig erkennen. Erst Hauriou gelang es, das Verwaltungsrechtsdenken jedenfalls von den groben Resten zivilistischen Denkens zu befreien und es dadurch zu einem autonomen, mit eigenen Begriffen ausgestatteten Bereich der Jurisprudenz zu machen20. Man wird wohl sagen können, daß Haurious Lehrbuch der Verwaltungsrechtswissenschaft Frankreichs zur vollen Anerkennung innerhalb des Wissenschaftsbetriebs verholfen hat: Die Zivilistik verlor ihre Vorrangstellung als juristische Disziplin par excellence, die Zivilprozeßrechtslehre gar konnte sich bald mit der Verwaltungsprozeßrechtslehre nicht messen. Hierin liegt das Hauptverdienst von Haurious Lehrbuch, und alle spätere Kritik hat zu 19 20

Vgl. Bibl., Nr. 2. Siehe dazu vor allem die Beiträge in Bibl., Nr. 49.

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Einführung

beachten, daß sie selbst erst auf dem durch Hauriou erschlossenen Boden möglich geworden ist, daß Hauriou die Maßstäbe geschaffen hat, an dem alles weitere auf dem Gebiet der Verwaltungsrechtswissenschaft zu messen war. Aber nicht nur mit diesem Lehrbuch befruchtete Hauriou seine Disziplin: Er erhielt bald Gelegenheit, die immer umfangreicher werdende Rechtsprechung des Conseil d'Etat und des Tribunal des Conflits kritisch zu würdigen und sich von ihr Impulse für die weitere Ausgestaltung seines Verwaltungsrechtssystems geben zu lassen. Im Jahre 1892 trat die Leitung des „Recueil Sirey" (einer der beiden maßgeblichen juristischen Zeitschriften mit hoher Auflage) an Hauriou mit der Bitte heran, die Entscheidungen des Conseil d'Etat regelmäßig zu kommentieren. Das tat Hauriou 36 Jahre lang — schon in literarischer Hinsicht eine bewunderungswürdige Leistung21. Hier hob ein Zwiegespräch zwischen Rechtslehre und Rechtsprechung an, das wohl in der gesamten Rechtsliteratur seinesgleichen sucht, auch wenn die Entscheidungsgründe des Conseil d'Etat kaum erkennen lassen, in welchem Maße Hauriou auf sie eingewirkt hat. Wenn Hauriou den zu seiner Zeit, der Zeit starken Glaubens an die überragende Stellung des Gesetzes im Aufbau der Rechtsordnung, geradezu revolutionären Satz aussprach, das Verwaltungsrecht sei weitgehend ein „droit prétorien", so hat er damit gewiß recht, doch verschweigt er gleichzeitig den Einfluß der Rechtslehre, vor allem der eigenen, auf die Herausbildung dieses „droit prétorien". Gewiß gab und gibt es andere bedeutende Kommentatoren der Rechtsprechung, so den Pariser Rechtslehrer Gaston Jèze, der die Rechtsprechung des Conseil d'Etat fortlaufend in der „Revue du Droit Public" besprach22. Während aber Hauriou die Entscheidung des Conseil d'Etat zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen nahm (und diese hinter den Entscheidungen abdrucken ließ), sieht es bei Jèze oft so aus, als nehme er bloß eine Gelegenheit wahr, seine eigenen Konzeptionen zu demonstrieren, und wo Hauriou bei aller Kritik das Gespräch mit den Richtern sucht, klingt bei Jèze bisweilen jene Überheblichkeit gegenüber dem Entscheidenden an, die dem sich betont rationalistisch Gebenden eigen zu sein pflegt 23. Auch zeigt sich heute, daß Hauriou bei der Auswahl der zu besprechenden Entscheidungen ein viel sichereres Auge für die Bedeutung dieser Entscheidungen hatte als Jèze24. Was Haurious notes d'arrêts besonders auszeichnet, ist ihre Verbindung von großer Lebensnähe und Systematik. Wenn der Leser den Eindruck hat, als breite der Kommentator eine Fülle von Einfällen vor ihm aus, geradezu ein 21

Vgl. die Sammlung der notes d'arrêts in Bibl., Nr. 14. Über diesen Teil des Werkes von Hauriou s. besonders die Aufsätze von Arrighi und Fournier in Bibl., Nr. 53, bzw. Nr. 70, sowie Sfez, Bibl., Nr. 98, S. 509 ff. 22 Fournier, a. a. O., S. 158 f. 23 So auch Fournier, a. a. O., S. 158. 24 In dem ausgezeichneten Auswahlband mit Entscheidungen des Conseil d'Etat, den Long-Weil-Braibant veranstaltet haben (1. Aufl. 1956), sind aus der Zeit von Haurious Kommentartätigkeit 45 „grands arrêts" ausgewählt — 39 davon hat Hauriou besprochen (bei Jèze ist das Verhältnis 64 : 28).

Einführung Labyrinth von Gedanken, wird er unmerklich an den Kern des Falles herangeführt, wird ihm der Zusammenhang klargemacht. Hier gelang jene Verbindung von Konkretheit und Grundsatz, die das Ideal des Juristen ist — Folge jener Einstellung Haurious, die Mestre mitteilt: „. ..même dans un procès de mur mitoyen sommeille toujours, nécessairement, un problème métaphysique"25 ! Haurious intensive Beschäftigung mit dem Verfassungsredit setzte später ein, freilich ohne daß sein Interesse am Verwaltungsrecht nachgelassen hätte. Wenn er später auf diesem Gebiet keine größeren Arbeiten mehr vorlegte, so lag das daran, daß dieser Teil seines Werkes in den Grundzügen feststand. Das eigentliche staatsrechtliche Œuvre begann Hauriou mit einer Reihe von größeren Aufsätzen, die er in der Zeitschrift seiner Fakultät veröffentlichte 28. Bevor er im Jahre 1923 sein Lehrbuch des Verfassungsrechts vorlegte, versuchte er, die Grundlagen dafür in seinen „Principes de Droit Public" zu gewinnen27. Es ging ihm in diesem Werk um nichts weniger als um die Bemühung, einen allgemeinen Teil des öffentlichen Rechts auszuarbeiten, „une base de cristallisation"28. Das konnten nicht „Grundzüge des öffentlichen Rechts" im üblichen Sinne sein, vielmehr kam es Hauriou darauf an, die Grundtheorie der gesamten Rechtsordnung darzustellen. Hier entfaltete er im Zusammenhang seine Vorstellungen von ordre, équilibre und institution. In dieser seiner Grundkonzeption blieb dieses Werk Haurious so vereinzelt wie im deutschen Schrifttum etwa Carl Schmitts „Verfassungslehre" aus dem Jahre 1928. In die Zeit des Ersten Weltkriegs fällt übrigens ein Aufsatz Haurious, der erkennen läßt, daß auch dieser große Gelehrte von der Hysterie des Krieges nicht frei war 29. Die Grobheit seiner Attacke auf das deutsche Rechtsdenken wirkt um so unangenehmer, als Hauriou ein Meister der Nuance ist. Doch wer nun glaubt, diese „Vergangenheit" Haurious „bewältigen" zu müssen, kommt zu spät, das ist in Frankreich schon längst geschehen30. Im Jahre 1923, also im Alter von 67 Jahren, veröffentlichte Hauriou dann seinen umfangreichen „Précis de Droit Constitutionnel"31. Dieses sein Lehrbuch des Staatsrechts stellt wohl seine entschiedendste Stellungnahme für die rechtstaatliche Demokratie dar. Hauriou war sich der Gefahren, die diesem politischen Regime von den verschiedensten Seiten drohten, sehr klar bewußt. Bei aller Liebe für das rechtstechnische Detail wußte er, daß es auf die politische Stellungnahme ankam, auf den Willen zu den Grundgedanken des bürgerlichen Rechtsstaats, und wenn diesen audi die Lehrbücher der Duguit und EsmeinNézard in großartiger Weise zur Darstellung bringen, so enthält keines davon eine so klare Entscheidung für die rechtsstaatliche Demokratie wie Haurious 25 2e 27 28 29 30 31

Siehe Bibl., Nr. 49, S. 8. Siehe Bibl., Nr. 33—36. Siehe Bibl., Nr. 9. Principes, 1. Aufl., Vorwort, S. V I I I . Siehe Bibl., Nr. 39. Vgl. Bibl., Nr. 15, S. 13, Anm. 1. Siehe Bibl., Nr. 11.

2 Hauriou

Einführung

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„Précis de Droit Constitutionner 32. Das zeigt sich schon daran, daß der erste Teil des Werkes die Uberschrift trägt „Les croyances constitutionnelles" und daß dessen erstes Kapitel lautet: „La croyance en l'ordre individualiste", und es ist wohl auch kein Zufall, daß Hauriou gerade in diesem Werk nachdrücklich auf die Grenzen der Befugnis zur Verfassungsänderung hingewiesen hat, ein Hinweis, der im Jahre 1932 in Deutschland aufgegriffen wurde 88. Diese Sorge um den Kernbestand der Verfassung war es auch, die Hauriou für die richterliche Kontrolle des Gesetzgebers eintreten ließ34. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß Hauriou seine rechtstheoretischen Bemühungen niemals als etwas betrachtete, das sich vom rechtsdogmatischen Teil seines Gesamtwerkes loslösen lasse. Allerdings treten seine rechtstheoretischen Ansichten erst verhältnismäßig spät mit den rechtsdogmatischen Meinungen in engen Bezug. So sind die beiden größeren sozialwissenschaftlichen Werke, die er vor 1900 veröffentlichte 35, zwar Zeugnisse seines großen Interesses an der sozialwissenschaftlichen Grundlagenforschung und hat er manche der dort entwickelten Ansichten auch später nicht aufgegeben, doch blieben seine verwaltungsrechtlichen Arbeiten davon noch wenig berührt. Diese beiden Bücher waren für Hauriou offenbar mehr Versuche denn Ergebnisse. Hingegen entfaltete sich die eigentliche rechtstheoretische Leistung Haurious, die Theorie der Institution, in erigem Zusammenhang mit seinen rechtsdogmatischen Arbeiten. Zwar erschien der erste größere Beitrag, der sich mit dem Thema der Institution befaßt, noch separat88, aber dann baute Hauriou seine Ideen über die Institution in die berühmte 6. Auflage des „Précis de Droit Administratif" (1907) ein. Von da an bleiben diese vermeintlich rein theoretischen Erwägungen stets mit der Rechtsdogmatik verbunden. Das gilt ebenso für die „Principes de Droit Public" wie für den „Précis de Droit Constitutionnel", wo sich längere Ausführungen über die Institution finden. Hauriou selbst hat darauf hingewiesen, daß diese Ideen nicht unabhängig von seinen rechtsdogmatischen Arbeiten konzipiert worden, sondern allmählich aus 81

Vgl. etwa Précis, 1. Aufl., Vorwort, S. V I : „Les formes des institutions constitutionnelles sont d'une importance moindre que les croyances politiques . . . " und S. 7: „Mais il faudrait se garder de croire que les doctrines soient uniquement matière d'histoire et qu'elle appartiennent uniquement au passé; il faut qu'elles soient matière de croyance et de conviction actuelle; cela est nécessaire pour la vie constitutionnelle parce que toute vie est un acte de foi constamment renouvelé." 83 Siehe Bibl., Nr. 161. Schmitts Hinweis wurde jedoch beim Erlaß des Ermächtigungsgesetzes im Jahre 1933 (dazu Hans Schneider, Das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, Vjh. f. Zeitgesch., 1, 1953, S. 215 ff.) ebensowenig beachtet wie Haurious Lehre in Frankreich selbst, als die Nationalversammlung am 10. Juli 1940 die schrankenlose Befugnis zum Erlaß einer neuen Verfassung der Regierung übertrug (s. dazu G. Burdeau, Droit Constitutionnel et Institutions Politiques, 10. Aufl., Paris 1963, S. 329 ff.)· Diese frappierende Ähnlichkeit bedeutender verfassungsrechtlicher Vorgänge ist bislang kaum richtig beachtet, geschweige denn gewürdigt worden. 84 Vgl. Précis, 1. Aufl., S. 302 ff. 85 Siehe Bibl., Nr. 4 und Nr. 7. 86 Siehe Bibl., Nr. 33.

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dem verwaltungswissenschaftlichen Werk herausgewachsen sind. Das haben auch Betrachter von Haurious Werk festgestellt 87. Hauriou sah darin einen Ausfluß der von ihm vertretenen induktiven Methode. Im Jahre 1925 legte er dann nochmals eine selbständige Untersuchung über das Thema der Institution vor, nämlich den in dieser Sammlung als Nr. 1 abgedruckten Aufsatz. Haurious Ideen von der Bedeutung der Institution sind in engem Zusammenhang mit zeitgenössischen Denkströmungen in Frankreich entstanden: Einerseits der spätestens seit der Französischen Revolution machtvolle Subjektivismus, der dem einzelnen ein außerordentliches Maß an Freiheit, aber nur wenig Bindung an Eingelebtes beilegte, also aus einer konkreten politischen Situation eine angeblich allgemeine Theorie ableitete; andererseits als Reaktion darauf der Objektivismus, der aus dem Nachweis von solchen sozialen Phänomenen, die sich dem Einfluß des einzelnen entziehen, ebenfalls eine allgemeine Theorie machte. Diesen Gegensatz wollte Hauriou mit seiner Theorie der Institution überwinden. Er glaubte, weder auf subjektive noch auf objektive Elemente verzichten zu können. Geschichtlich gesehen war das der Versuch, der Französischen Revolution nur bis zur Entwicklung etwa des Jahres 1791 zu folgen, um damit den Anschluß an das englische und amerikanische Denken zu gewinnen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß Hauriou die „cartesische" Denkrichtung ablehnte und dem eher „empirischen" Denken den Vorzug gab38, wie denn überhaupt Hauriou zu jenen französischen Denkern zählt, die dem im angloamerikanischen Bereich verbreiteten Pragmatismus nahestehen (er schätzte z.B. William James sehr). Dieser Grundtendenz von Haurious Denken entspricht es, wenn er Begriffe wie Pluralismus und Gleichgewicht zu zentralen Kategorien erhob8®, und wenn man die Tradition der „Legisten" und „Politiques" im Auge behält40, erkennt man, daß Hauriou wie kaum ein anderer französischer Jurist der neueren Zeit diese Tradition fortgeführt hat. Bald nach dem Tode Haurious gab sein Sohn André die Urteilsanmerkungen in drei starken Bänden heraus41. Das Interesse an diesem einzigartigen Dokument konkreten Rechtsdenkens war so groß, daß bald (1931) ein unveränderter Nachdruck vorgelegt werden konnte. Im Jahre 1933 sammelte Paul Archambault in seinen „Cahiers de la Nouvelle Journée", einer sehr aufgeschlossenen katholischen Zeitschrift mit auffallend starkem Interesse an juristisch-politischen Problemen, eine Reihe von Haurious rechtstheoretischen Aufsätzen 42. 37

So C. Schmitt, Bibl., Nr. 96, S. 55 f., und Sfez, Bibl., Nr. 95, S. 147. Zu diesem Gegensatz s. etwa F. Jonas, Das Selbstverständnis der ökonomischen Theorie, Berlin 1964, S. 13 ff. 88 Vgl. auch Sfez, a. a. O., S. 41 ff. 40 Darüber s. R. Schnur, Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts, Berlin 1962; ders., Individualismus und Absolutismus. Zur politischen Theorie vor Thomas Hobbes (1600—1640), Berlin 1963. 41 Siehe Bibl., Nr. 14. 42 Diese Sammlung ist in Deutschland unauffindbar, in Frankreich auch antiquarisch kaum zu haben. 88



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Schließlich sei erwähnt, daß Hauriou im Jahre 1929 eine Festschrift gewidmet wurde, die auch heute noch von großem Interesse ist43, und daß die „Archives de Philosophie du Droit et de Sociologie juridique", deren Gründung vor allem Georges Gurvitch zu verdanken ist und die für leider nur kurze Zeit der Rechtstheorie in Frankreich ein breiteres Publikum gewinnen konnten, ihr erstes (Doppel-) Heft dem Rechtsdenken Haurious widmeten44. IV. Wer die Wirkung eines rechtswissenschaftlichen Werkes feststellen will, sieht sich einer schwierigen Frage gegenüber, die nur rechtssoziologisch zu beantworten ist und angesichts des Standes dieser Disziplin kaum eine zureichende Antwort finden kann. So muß zunächst geklärt werden, auf welche Seite eines Werkes sich die Frage beziehen soll — schon das kann vielerlei sein. Die Frage kann den Sprachstil betreffen, sodann rechtsdogmatische Einzelheiten als auch die Grundvorstellungen eines Autors sowohl in rechtsdogmatischer wie in rechtstheoretischer Hinsicht. Ferner ist zu fragen, wo der Einfluß festgestellt werden soll: Im Schrifttum, in der Rechtsprechung oder in der sonstigen Rechtspraxis. Da dort Einflüsse wiederum in sehr verschiedener Weise kenntlich gemacht werden (in einer Rechtsprechung wie der des Conseil d'Etat beispielsweise so gut wie überhaupt nicht), wird man nicht zuletzt auch die zahlenmäßige Verbreitung eines Werkes beachten müssen. Was rechtsdogmatische Einzelheiten angeht, so ist es in der Regel wenig sinnvoll, hier von Schulbildung zu sprechen, denn sonst hätte jeder Autor, der bei einer Problemerörterung positiv herangezogen wird, schulbildend gewirkt. Zudem ist die Aufzählung gleichgesinnter Autoren oft nur das Ergebnis einer Abstimmung nach Kopfzahl und nicht einer Prüfung des Gewichts der Äußerung. Auch ist oftmals eine Meinung zu einem bestimmten Problem fast gänzlich von der Grundkonzeption gelöst, so daß sich aus der Bejahung dieser Meinung durch andere noch nichts für die Wirkung der Grundkonzeption ergibt. Schließlich kann die Gesetzgebung Ansichten zu einzelnen Problemen obsolet machen. Diese Andeutungen machen schon klar, wie schwer es ist, Haurious »Einfluß zu messen". Sicher ist jedenfalls, daß die große Zahl von Auflagen seines verwaltungsrechtlichen Lehrbuchs ihre Wirkung nicht verfehlt haben kann, auch wenn sie ansonsten kaum näher zu bestimmen ist. Darüber hinaus ist es nicht verwunderlich, wenn Lucien Sfez in eingehenden Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen ist45, daß Haurious Einfluß auf die Erörterung von verwaltungsrechtlichen Einzelheiten nicht übermäßig groß gewesen sei — auch bei anderen berühmten Rechtslehrern würde man kaum zu einem anderen Ergebnis kommen. Das soll die Feststellung nicht ausschließen, 43 44 45

Die Festschrift erschien im Verlag Sirey. Siehe etwa Bibl., Nr. 64. Sfez, a. a. O., S. 599 ff.

Einführung daß Haurious Meinung über etliche wichtige Probleme, ζ. B. in der Diskussion über die Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht, noch heute eine große Rolle spielt4®. Wichtiger ist die Feststellung, daß allein schon Haurious Kraft zur Systematisierung eines noch wenig durchdogmatisierten Stoffs seinem Werk bleibende Bedeutung verschafft hat. Insofern jedenfalls kann sein Einfluß kaum überschätzt werden; er dürfte der Wirkung, die Otto Mayer für das deutsche Verwaltungsrecht hatte, zumindest nicht nachstehen. Das gilt erst recht für die Wirkung von Haurious Grundvorstellung, für seine Art und Weise, die Probleme anzugehen. Sein Bestreben, möglichst konkret zu sein und doch nicht auf ordnende Begriffe zu verzichten, die von ihm so meisterhaft verwirklichte Verbindung von Tradition und Fortschritt, hat eine Reihe von Schülern gefunden. Das gilt nicht nur für seinen engsten Schüler (und Kollegen) Achille Mestre, der als Fortsetzer dieser Haltung ebenfalls wiederum schulbildend gewirkt hat47, sondern auch für maßgebliche Vertreter der jetzigen Verwaltungsrechtswissenschaft. So zeichnen sich die Arbeiten von Jean Rivero durch große Problemnähe aus. Rivero bemüht sich unaufhörlich, neue Entwicklungen zu erkennen und sie in den Strom der Tradition zu leiten. Hier ist auch Marcel Waline zu nennen, dessen großes Lehrbuch des Verwaltungsrechts heute weitverbreitet ist. Sowenig Hauriou bei aller Einsicht in die Bedeutung des Richterrechts einem bloßen Meinen und Dafürhalten das Wort geredet hat, sowenig sind Waline48 und Rivero 49 geneigt, unter Flexibilität des Rechts völlige Grundsatzlosigkeit, einen „juristischen Existenzialismus", zu verstehen. Ähnliche Warnungen vor der Auflösung klarer und damit ordnungstiftender Maßstäbe haben auch andere Rechtslehrer aus der HauriouMestre-Schule ausgesprochen, wie z. B. O. Dupeyroux50. Der Einfluß von Haurious verfassttngsreditlidiem Werk hingegen ist geringer. Das beruht jedoch nicht auf den Qualitäten dieses Teils seines Gesamtwerkes. Vielmehr ist zu bedenken, daß Haurious Eintreten für eine starke Exekutive und für eine gerichtliche Kontrolle des Gesetzgebers im Gegensatz zur Verfassungspraxis und auch zur Verfassungsrechtslehre sowohl der I I I . wie der IV. Republik stand. So gesehen, fällt jedoch von der Verfassung der V. Republik auf Haurious staatsrechtliche Ansichten ein ganz anderes Licht: Man wird darin einen postumen Erfolg seiner Lehren sehen können, und es ist nicht ausgeschlossen, daß sie, einschließlich der bisher kaum beachteten Theorie vom „pouvoir 48

Einzelheiten bei Sfez, a. a. O., S. 705 ff. Ihm ist 1956 eine Festschrift gewidmet worden unter dem Titel „L'Evolution du Droit Public", wo man Näheres über Mestre findet; siehe auch Sfez, a. a. O., S. 614 ff. 48 Vgl. Waline, Empirisme et Conceptualisme dans la Méthode juridique — Faut' il tuer les Catégories juridiques? Mélanges Jean Dabin, Bd. 1, Brüssel 1963, S. 359 ff. 49 Vgl. Ri vero, Apologie pour les Faiseurs des Systèmes, Dalloz, 1951, Chronique, S. 99 ff. Siehe auch sein Vorwort zu J.-Cl. Venezia, Le Pouvoir discrétionnaire, Paris 1959. 50 O. Dupeyroux, La Jurisprudence, Source abusive de Droit, Mélanges Jacques Maury, Bd. 2, Paris 1960, S. 349 ff. 47

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de suffrage", auch in der wissenschaftlichen Diskussion eine große Rolle spielen werden.51 Hier ist auch ein Wort über den Einfluß von Haurious staatsrechtlichem Werk im Ausland am Platze, und zwar vor allem, was Deutschland betrifft. Es muß als sicher angesehen werden, daß Haurious Ideen zur Herausbildung und Verfeinerung zweier zentraler Figuren des deutschen Verfassungsrechts maßgeblich beigetragen haben. Die Vermittlung hatte Carl Schmitt übernommen: Das gilt sowohl für die Vorstellung von dem unabänderbaren Kern einer jeden Verfassung, dem „bloc des idées incontestables"52 als auch für die institutionelle Garantie53. Aber auch hier bedurfte es zunächst übler politischer Erfahrung, bis diese Ideen Recht wurden — erst nach 1945 wurden sie geltendes deutsches Verfassungsrecht 54. Haurious Institutionenlehre fand alsbald große Aufmerksamkeit. Aus den verschiedensten Lagern wurde sie als seine größte Leistung, ja sogar als die bedeutendste rechtstheoretische Leistung des 20. Jahrhunderts angesehen, und wenn man die rechtstheoretische Diskussion in Frankreich der 20er und 30er Jahre verfolgt, kann man leicht feststellen, daß sie weitgehend von Haurious Ideen bestimmt wurde. Auch im Ausland fand sie bei namhaften Gelehrten ein großes Echo. So ist Haurious Einfluß auf Santi Romano, den manche als den bislang bedeutendsten italienischen Rechtsgelehrten unseres Jahrhunderts ansehen55, unverkennbar, auch wenn dieser schon im Jahre 1918 sein berühmtes Buch „L'Ordinamento giuridico" veröffentlicht hatte58. In Spanien diskutierte man ebenfalls Haurious Institutionenlehre, doch wirkten sich die politischen Ereignisse auf die rechtswissenschaftliche Erörterung überhaupt nachteilig aus57 Heute scheint es dort zu einer Wiederbelebung der Diskussion über die Theorie der Institution zu kommen, wobei freilich Santi Romanos Lehren im Vordergrund stehen58. Im englischen Sprachbereich wurde Hauriou vor allem durch eine Studie von Ivor W. Jennings bekannt59, und erst kürzlich wies der führende australische 51

Siehe aber die Erörterungen von Auby, Bibl., Nr. 103. Zum ganzen jetzt Halbecq in Bibl., Nr. 78. 62 C. Schmitt, Legalität und Legitimität, 1932 (zit. nach dem Abdruck in: Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze, Berlin 1958, S. 310 ff.). 53 Vor allem in: Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung, 1931 ( = Verfassungsrechtliche Aufsätze, a. a. O., S. 140 ff.). 54 So in Art. 79 Abs. 3 GG und in der unbestrittenen Auslegung von Art. 33 Abs. 5 und 28 GG als institutioneller Garantien. 55 Eine schöne Würdigung von Santi Romano hat der berühmte Rechtslehrer und Politiker Orlando gegeben, vgl. Bibl., Nr. 148. 58 Darauf weist Santi Romano in Bibl., Nr. 91, selbst hin. 57 Näheres bei Martin-Retortillo in Bibl., Nr. 145. Vgl. ferner P. Lucas Verdù in Bibl., Nr. 143. 58 Siehe die unter Bibl., Nr. 145, zitierte Übersetzung von Santi Romanos rechtstheoretischem Hauptwerk. 59 Siehe Bibl., Nr. 81.

Einführung Rechtslehrer Julius Stone auf Hauriou (und Romano) hin00. In Italien wurde Hauriou ebenfalls sehr beachtet, wenn auch verständlicherweise Romanos Ideen eingehender diskutiert wurden. Immerhin ist in Italien eine Arbeit erschienen, in der auf Haurious Liberalismus hingewiesen wurde 61. Was Deutschland betrifft, so hatte die Wirkung Haurious ein merkwürdiges Schicksal. Vor 1933 wurde seine Institutionentheorie kaum beachtet. Erst 1934 wies Carl Schmitt auf sie hin und stellte er neben die Denkformen des Normavitismus und Dezisionismus das „konkrete Ordnungsdenken"®2. Damit war ein Stich wort gegeben für Entwicklungen, die zumindest nicht von Hauriou her gedeckt sind; dieses Stichwort setzte ein Vehikel in Marsch, mit dem man die Lücken schließen wollte, welche die „nationale Revolution" aufgerissen hatte und die zu schließen das „neue Rechtsdenken" nicht in der Lage war®3. Da half auch ein mutiger Versuch von Leontowitsch, Haurious Institutionenlehre als in der abendländischen Tradition stehend vorzustellen, nichts mehr®4, zumal der zunehmende Nationalismus zur Vernachlässigung ausländischen Rechtsdenkens und damit zu einem Provinzialismus führte, dessen Folgen noch heute zu spüren sind. Doch sei auch darauf hingewiesen, daß Haurious Institutionentheorie auf die eigenständige deutsche Institutionenlehre, nämlich diejenige von Arnold Gehlen, gewirkt hat®5. Das außergewöhnliche große Echo, das Hauriou vor allem in Frankreich gefunden hat, ist jedoch nicht immer Zeichen für ein zutreffendes Verständnis von Haurious Lehren. Vielmehr beruht es weitgehend auf MißVerständnissen. Diese Mißverständnisse rühren in erster Linie nicht von Unklarheiten in Haurious Werk, sondern von der geistig-politischen Situation her, in welcher Hauriou seine Lehren vortrug: Sie verbreiteten sich also nicht selbst, sondern wurden im Zuge von anders inspirierten Bemühungen bekannt. Mit anderen Worten: Haurious Lehren wurden nicht ausgebaut, sondern in andere geistige Strömungen eingebaut. Dies mußte zur Verfälschung schon des Ansatzes führen. 60

Vgl. Bibl., Nr. 100. Siehe Bibl., Nr. 13; vgl. auch Nr. 88 und Nr. 165. M Siehe Bibl., Nr. 96, S. 54 ff., wo auch auf die Institutionenlehre Santi Romanos hingewiesen wurde. Auch dieser Hinweis blieb so gut wie unbeachtet. e3 Die Sammelbezeichnung „nationalsozialistisches Rechtsdenken" ist viel zu weit, um wirklich etwas auszusagen. Man muß vielmehr davon ausgehen, daß allenfalls die Front gegen den „Liberalismus" außerordentlich breit war und insofern viele Juristen auf der Parteilinie lagen. Der eigene konstruktive Beitrag des Nationalsozialismus war recht schmal, er bezog sich nur auf wenige Lebenssachverhalte. Im übrigen ließ er die Diskussion laufen, mit der Folge, daß die verschiedensten Meinungen vorgetragen wurden. Angesichts dieser Lage kann es nicht Wunder nehmen, daß selbst subtile Theorien rasch zur Schließung dieser Lücken herangezogen wurden, sofern nur der letzte liberale Rest aus ihnen beseitigt wurde. M Siehe Bibl., Nr. 83. «5 Vgl. Bibl., Nr. 117. Dazu F. Jonas in Bibl., Nr. 134. M

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Das gilt in erster Linie für gewisse katholische Bemühungen, die Hauriou für sich reklamieren wollten. Es soll hier, ohne nähere Beweisführung, die These vertreten werden, daß das spezifisch Katholische in Haurious Institutionenlehre nicht die Kernpunkte betrifft 88. Gleichwohl war sein Vorhandensein für Denker wie Renard87 und Delos68, aber auch Desqueyrat89, Anlaß, weitreichende und sehr spezifizierte Systeme als Fortentwicklung des Hauriouschen Denkansatzes auszugeben: Hauriou erschien dort als Anhänger modernen scholastischen Denkens. Proteste gegen eine derartige Festlegung Haurious fruchteten wenig70, nicht einmal der Hinweis, Haurious Katholizismus, wenn man ihn schon für belangvoll halte, sei viel weniger von der Scholastik denn von Augustinus und Pascal bestimmt71. Vielmehr setzte sich die scholastische inspirierte Auslegung Haurious durch, mit der Folge, daß man sein Werk heute noch durch diese Brille sieht und daß der ursprüngliche Text nahezu wie ein Palimpsest behandelt werden muß, wo es doch für eine wissenschaftliche Betrachtung selbstverständlich sein müßte, zuerst den Text und dann erst die Interpretationen zu lesen. Ein weiteres MißVerständnis hat Haurious Institutionenlehre zu weiter Verbreitung geholfen und sie zugleich in Mißkredit gebracht, nämlich das Bemühen, diese Lehre so rasch wie möglich in rechtsdogmatisches Kleingeld umzumünzen. So erfreulich das Bemühen ist, rechtstheoretische Einsichten auf die Praxis anzuwenden, so groß ist die Gefahr, daß sie dabei überzogen und umgebogen werden. Subtile Theorien entziehen sich oft dem direkten Zugriff des Praktikers, der ja stets entscheiden muß (und dazu noch termingemäß). Er neigt dann dazu, die Theorie als Formel aufzufassen, die ihn der mühseligen Begründung der Entscheidung enthebt, und diese Versuchung liegt um so näher, je mehr das bisherige Recht in eine „Grundlagenkrise" geraten ist. So war es verständlich, daß eine Lehre wie diejenige Haurious, die vom Subjektivismus wegstrebte, unverzüglich zur Begründung antiindividualistischer Thesen herangezogen wurde, wobei der Sinn von Haurious Lehren, die auf eine Überwindung des Gegensatzes von Subjektivismus und Objektivismus abzielten, immer mehr verlorenging. Daß diese auf solche Weise auch in die Nähe der nach seinem Tode in Frankreich aufkommenden korporativen Ideen gerieten, nimmt daher nicht wunder, kann aber nur äffektgeladenen Autoren Anlaß sein, Hauriou von ββ Wenn man jedoch vom eigentlichen dogmatischen Bereich absieht und auf die Formelemente des Katholizismus abstellt, dann ist freilich Haurious Institutionenlehre „katholisch". Das würde aber für viele Ideen und Theorien zu gelten haben. In unserem Zusammenhang interessiert jedoch das spezifisch Dogmatische, und das steht bei Haurious Institutionenlehre am Rande. 67 Siehe Bibl., Nr. 89. 88 Siehe Bibl., Nr. 64. 89 Siehe Bibl., Nr. 65. 70 So vor allem Gurvitch in Bibl., Nr. 74, S. 155 f., aber auch C. Schmitt in Bibl., Nr. 96, S. 57 f. Siehe auch die Klarstellung von Archambault, a. a. O., S. 7. 71 Vgl. Gurvitch, a. a. O., S. 155/156, Anm. 1. Sfez weist an Hand des unveröffentlichten Briefwechsels mit Jacques Chevalier darauf hin, daß Hauriou stets von Pascal beeinflußt worden sei, vgl. a. a.O., S. 36, Anm. 47.

Einführung Mißbräuchen her zu interpretieren 72 . Dabei hätte ein einziger Blick auf Haurious Texte gezeigt, wie wenig sie für derlei Ideen hergeben: Ein schönes Beispiel dafür, wie man eine Grundkonzeption, konkret: eine freiheitliche, vom Mißbrauch her treffen will, um für die eigenen Ansichten freie Bahn zu haben 78 .

72 Das gilt vor allem für W. Friedmann in Bibl., Nr. 72, S. 183 ff., dem sich erstaunlicherweise Scheuner angeschlossen hat (vgl. Bibl., Nr. 159, S. 53 f.). 7S Dieser Gedanke drängt sich auf, wenn man ζ. B. Friedmanns Ausführungen liest. Aber was würde er, der sozialistischen Gedankengängen nicht fern steht, antworten, wenn man ihm vorhielte: Wohin der Sozialismus führe, habe sich bei Stalin gezeigt? Oder wenn man Autoren, die für einen weiten Bereich der Regierung eintreten, auf das Beispiel Hitlers festnagelt? Solche Erwägungen sind primitiv und Zeichen dessen, wohin in der Turbulenz der letzten Jahrzehnte das rechtswissenschaftliche Denken geraten ist. So läßt sich das Problem der Verantwortung eines Autors für den Gebrauch, den man von seinen Ideen macht, nicht lösen.

1. Die Theorie der Institution und der Gründung* (Essay über den sozialen Vitalismus) Die Institutionen bilden im Recht wie in der Geschichte die Kategorie der Dauer, der Beständigkeit und des Wirklichen; der Vorgang ihrer Gründung bildet die rechtliche Grundlage für die Gesellschaft und den Staat. Die Rechtstheorie von der Institution, die sich eng an die historische Wirklichkeit anlehnt, hat sich nur langsam auszubilden vermocht. Sie hat ihre Grundlage erst finden können, nachdem ihr die Wege geebnet waren durch die Auseinandersetzung mit der Lehre vom Sozialkontrakt und mit der Lehre vom Objektiven und vom Subjektiven. Der Streit mit der Lehre vom Sozialkontrakt ist nunmehr entschieden. Rousseau hatte sich vorgestellt, daß die bestehenden sozialen Institutionen zum Untergang verurteilt seien, weil sie auf bloßer Gewalt gegründet wären, und daß man sie mit H i l f e des Sozialkontrakts, als dem Instrument freier Vereinbarung, neu gründen müsse. Er hatte dabei die Gewalt (force) m i t der Macht (pouvoir) verwechselt. Die Institutionen verdanken ihre Gründung nämlich der Macht, die indessen immer noch Spielraum für eine Form der Vereinbarung gewährt. Wenn der von der Macht ausgeübte Druck nicht gerade bis zur puren Gewalt reicht, dann ist die von dem Betroffenen gegebene Einwilligungserklärung immer noch rechtsgültig: coactus voluti, sed voluti . Heute besteht schon allgemein Übereinstimmung darüber, daß soziale Bindungen, da sie natürlich und notwendig sind, überhaupt nur unter dem Gesichtspunkt eines coactus volui analysiert werden können. So ist die Institution als Siegerin aus dieser ersten Kraftprobe hervorgegangen, aber eine weitere wartete bereits auf sie: die Auseinandersetzung m i t der Lehre vom Objektiven und der Lehre vom Subjektiven. Hatte die erste Streitfrage dazu gedient, den Grad der Zustimmung genau herauszuarbeiten, der in den Institutionen noch enthalten ist, so sollte die zweite dazu dienen, den Grad der Objektivität, d. h. den Grad eigener Existenz, zu bestimmen, der ihnen zukommt. * Aus: Heft I V der „Cahiers de la Nouvelle Journée" (La Cité moderne et les Transformations du Droit), 1925 [Bibl, Nr. 41].

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1. Die Theorie der Institution und der Gründung

So wenig w i r es für notwendig halten, auf den Streit mit der Sozialkontraktslehre wieder zurückzukommen, so wichtig erscheint es uns doch, auf die Auseinandersetzung m i t der Lehre vom Objektiven einzugehen. I h r läßt sich nicht einfach jede Bedeutung absprechen, und zu ihrer Klärung mag die Theorie der Institution, die im Laufe dieser Auseinandersetzung erst voll entwickelt worden ist, vielleicht einen Beitrag leisten. Diese Darstellung soll daher an die Stelle einer Einführung treten. Vorweg aber sind einige Definitionen erforderlich. Unter subjektivem Recht verstehen die Juristen alles i m Recht, was sich auf den bewußten Willen bestimmter Einzelpersonen stützt, also zum Beispiel den Inhalt von Verträgen und von testamentarischen Verfügungen, dem sog. letzten Willen. Unter objektivem Recht verstehen sie dagegen alles im Recht, was ohne den Einsatz des bewußten Willens bestimmter Einzelpersonen Bestand erhält, was sich also durch sich selbst zu erhalten scheint, wie zum Beispiel eine Gewohnheitsrechtsnorm. Geht man aber den Dingen auf den Grund, so zeigt sich bald, daß die Rechtsverhältnisse, die scheinbar aus sich selbst heraus Bestand erhalten, in Wirklichkeit auf Ideen zurückgehen, die im Unterbewußtsein einer unbestimmten Zahl von Einzelpersonen vorhanden sind. Diese i m Unterbewußtsein haftenden Ideen leben in den Bereichen' unserer Erinnerung, ohne daß sie für uns zu bewußten Willensvorstellungen aktualisiert würden. Es sind dies Ideen, die w i r einmal erfaßt und in uns aufgenommen, dann aber wieder aus dem Blickfeld verloren haben. Gleichwohl bleiben sie aber noch lebendig in uns und beeinflussen sogar, ohne daß w i r es wissen, unsere Entscheidungen und Handlungen in gleicher Weise, wie es die uns vertrauten Objekte tun. Es sind Objekte, die in uns wohnen. A u f diese Weise also w i r d das Subjektive von unseren bewußten Willensäußerungen getragen, das Objektive aber von unseren i m Unterbewußtsein lebenden Ideen. M i t dieser Feststellung wollen w i r uns der Darstellung der Auseinandersetzung zwischen subjektivem und objektivem Recht zuwenden. Schon von jeher hatten die Juristen instinktiv das Nebeneinanderbestehen von subjektiven und objektiven Elementen i m Rechtssystem anerkannt: die Rechtsfähigkeit, die subjektiven Rechte, die Rechtsakte bildeten die erste Gruppe; die öffentliche Ordnung und das, was man die „Rechtsordnung" („la réglementation") nannte, d.h. die Masse der Gesetze, der Satzungen und der Gewohnheitsrechtssätze, bildete die zweite Gruppe. I n diesem Dualismus, der dem Dualismus von bewußtem Willen

1. Die Theorie der Institution und der Gründung und i m Unterbewußtsein vorhandener Idee entspricht, lag ein weiser Kompromiß. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts aber wurde dieser Kompromiß mit der Entstehung eines extrem subjektivistischen Systems hinfällig, das seinerseits fünfzig Jahre später die Ausbildung eines extrem objektivistischen Systems auslöste. A u f diese Weise entspann sich die Auseinandersetzung. Das subjektivistische System nahm von der Basis der Rechtsfähigkeit seinen Ausgang; den natürlichen Personen wurden die verbandsmäßigen juristischen Personen und, als wichtigste von allen, die Person des Staats an die Seite gestellt. Dabei gab man sich der Vorstellung hin, daß man diese Personen und ihre subjektiven Willensentscheidungen zum Träger einer jeden dauerhaften Rechtsposition und sogar auch der Rechtsnormen machen könne. Einige deutsche Autoren, Gerber, Laband und Jellinek, wollten die Rechtsnorm auf subjektive Willensvorstellungen des als Person verstandenen Staats zurückführen, nur um die „Rechtsordnung" gewaltsam in das subjektive Rechtssystem zu pressen. Soweit es sich um gesetzliche Vorschriften handelte, brachte diese Konzeption nichts Neues: Rousseau hatte ja bereits das Gesetz als den Ausdruck der volonté générale definiert, die nach seinem Gedanken offenbar den Willen der Person ,Staat' bezeichnen sollte. Aber diese Vorstellung blieb der politischen Philosophie verhaftet, und es war reine Unklugheit der Juristen, sie zu verallgemeinern und auf das Gebiet des Rechts zu übertragen. M a n kann zwar die Gesetze und die sonstigen Erlasse, die von den Staatsorganen ausgehen, notfalls noch als Willensäußerungen des Staats oder wenigstens als Willensäußerungen des Gesetzgebers oder der Regierung ansehen. Aber es ist ganz unmöglich, auf den Staatswillen auch die Gewohnheitsrechtsätze zurückzuführen, die nicht von einem Staatsorgan her stammen und sogar oft weit vor dem modernen Staat entstanden sind. Allerdings konnte das Zeitalter des Gewohnheitsrechts um die M i t t e des 19. Jahrhunderts als beendet gelten. I n Frankreich war es als Rechtsquelle bereits durch die Einführung des code civil außer Kraft getreten. Auch in Deutschland war es scheinbar schon zum Absterben verurteilt, fand aber noch einmal eine kräftige Wiederbelebung während der Arbeiten an dem neuen Bürgerlichen Gesetzbuch. I m angelsächsischen Rechtskreis schließlich blieb das allgemeine Gewohnheitsrecht in Gestalt des common law nach wie vor außerordentlich lebenskräftig. Der Versuch des subjektiven Rechtssystems, die gesamte Rechtsordnung mit Beschlag zu belegen, war daher von vornherein zum Scheitern verurteilt.

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1. Die Theorie der Institution und der Gründung

Es gab schließlich noch eine weitere Klippe. Der Staat ist nicht von jeher vorhanden gewesen, er ist erst ein politisches Gebilde am Ende zivilisatorischer Entwicklung. Zuvor aber haben menschliche Gemeinschaften bereits sehr viel länger unter der Herrschaft der Sippen, der Stämme und der Feudalherrschaften gelebt als unter der Herrschaft des Staates. I n diesen Primärstadien war das Recht entweder reines Gewohnheitsrecht oder es war Ausfluß der Führungsgewalt des Ältesten, keineswegs war es Ausdruck der Willensbetätigung von juristischen Personen, die es noch gar nicht gab. Müßte man daher nicht sogar so weit gehen zu sagen, daß das Recht von Sippe und Stamm oder das Feudalrecht überhaupt kein Recht i m echten Sinne war, oder noch einfacher, daß bis zum Aufkommen des Staats Rechtsvorschriften in keiner Form existierten? Selbst noch bis zu dem Zeitpunkt, da der Staat auch als Rechtspersönlichkeit in Erscheinung tritt, könnten dann Rechtsvorschriften gar nicht existiert haben, da sie ja angeblich dessen subjektiven Willensäußerungen sein sollen. Schließlich müssen die Staaten im allgemeinen eine lange politische Entwicklung durchlaufen haben, bis endlich ihre Rechtspersönlichkeit in Erscheinung tritt. Während dieser langen Periode sollte nun das Recht des Staats selbst nicht vorhanden gewesen sein? Durch diese Konsequenz ließ sich Jellinek indessen nicht irremachen, wenn er erklärte: „Geburt, Leben und Tod der Staaten unterstehen nur der Geschichte", d. h. zum Recht gehört nur, was sich als Willensäußerung der juristischen Person ,Staat* manifestiert. Der gegen die Rechtsordnung gerichtete Angriff sollte um so mehr gegen das subjektivistische System selbst zurückschlagen, als sich in diesem mehr als nur eine Schwäche verbarg. Dieses System meinte, die Kontinuität der Rechtsverhältnisse gewährleisten zu können, indem es deren Erhaltung den juristischen Personen zurechnete. Aber es fehlte ihm sogar eine brauchbare Theorie der Rechtsfähigkeit. Zwar strebte es danach, sich bei den Verbandspersonen von der Fiktionstheorie abzusetzen. Indem es aber jeder Rechtsfähigkeit das substratum der Willensmacht gab, konnte es einmal schon die Kontinuität nicht überzeugend erklären — denn die Willensmacht kann durchaus als das Gegenteil von Kontinuität verstanden werden —, und zum anderen verfing es sich selbst in einem erheblichen Widerspruch: ihm war es nicht möglich, die dem Minderjährigen und dem Geisteskranken zuerkannte Rechtsfähigkeit zu rechtfertigen, weil es diesen an einem vernünftigen Willen fehlt. So hatte die K r i t i k leichtes Spiel, und es kam zu dem unvermeidlichen Rückschlag, der zu einer Gegenbewegung des objektivistischen Systems werden sollte. Nicht ohne eine gewisse Logik der Dinge begann das neue

1. Die Theorie der Institution und der Gründung System sogleich bei jener „Rechtsordnung", die das subjektivistische System so schlecht hatte verkraften können, anzusetzen. Es handelt sich dabei um das objektive Rechtssystem von Léon Duguit. Seine These ist nicht weniger absolut als diejenige, gegen welche sie Front macht. Der objektive Totalitätsanspruch w i r d nun gegen den subjektiven Totalitätsanspruch ausgespielt. Die Rechtsnorm, der nunmehr aus sich selbst heraus Bestandskraft zuerkannt wurde, sollte jetzt zum Träger jeder rechtlichen Existenz werden und damit an die Stelle der Rechtsfähigkeit treten, die nicht etwa nur bei den verbandsmäßigen Institutionen, sondern auch bei den natürlichen Personen verworfen wurde. Ein Institut subjektiver Rechte wurde nicht mehr anerkannt, alles Gewicht vielmehr einseitig auf die Rechtsnorm verlagert. Die Einzelakte konnten einen rechtserheblichen Erfolg nur bei Übereinstimmung mit der N o r m haben. Deren Anwendung aber bringt doch grundsätzlich auch wieder nur objektive Rechtsverhältnisse hervor, es sei denn, daß I n d i v i dualhandlungen ausdrücklich für zulässig erklärt werden, die dann vorübergehend auch zu subjektiv bestimmten Rechtsverhältnissen führen dürfen. Die gewaltige Menge der objektiven Rechtsverhältnisse aber und ihre Dauer führt bei weitem zu einem Vorherrschen der objektiven über die subjektiven Rechtsverhältnisse und die subjektiven Rechte, die aus ihnen erwachsen. Dieses objektive Rechtssystem war nicht von ungefähr gekommen, es kam vielmehr i m Gefolge der Woge, die das soziologische System von Durkheim ausgelöst hatte, der ebenfalls dem Objektiven den Vorrang vor allem anderen gab, indem er das individuelle Bewußtsein dem sozialen Milieu unterordnete. Die Verwandtschaft ist offenkundig. Die Rechtsnorm stellte ihrerseits nur ein Produkt der sozialen Umwelt dar, eine von der „Masse der Bewußtseinsinhalte" als verbindlich anerkannte Regelung. Diese Masse der Bewußtseinsinhalte (masse des consciences) übernahm an Stelle des Individualbewußtseins die Aufgabe, die Richtung des Rechts festzulegen. Dieses System läßt sich schon deshalb nicht übernehmen, weil es über das Ziel hinausschießt. Es beschränkt sich nicht etwa darauf, die Rechtsnorm zu einem Element der Kontinuität der sozialen Institutionen zu erheben, es stellt vielmehr die These auf, aus ihr das Gestaltungselement schlechthin machen zu könen. Selbst wenn es indessen zutreffen würde, daß die Rechtsnormen ein Element für die Erhaltung und Dauer der Institutionen darstellen, so könnte man daraus noch nicht den Schluß ziehen, daß sie auch als Kraft für die Schaffung der Institutionen wirksam

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1. Die Theorie der Institution und der Gründung

wären. Hier aber liegt gerade das Problem: es handelt sich darum zu wissen, wo in der Gesellschaft die schöpferische Macht liegt: ob nämlich die Rechtsnormen die Institutionen geschaffen haben oder ob es nicht vielmehr gerade die Institutionen sind, die dank der ihnen eigenen Führungsmacht die Rechtsnormen schaffen. A n dieser Frage nach der Initiative und der Schöpfung scheitert das System der objektiven Rechtsnorm. Die Schaffung der sozialen Institutionen durch die Rechtsnormen zuzulassen würde bedeuten, mittelbar ihre Schaffung durch das soziale Milieu zuzugestehen, das seinerseits angeblich die Rechtsnorm selbst hervorbringt. Hierin liegt ein nur zu handgreifliches Fehlurteil. Dem sozialen Milieu ist nur ein Trägheitsmoment zuzuschreiben, das sich in verstärkter Form jeder Einzelinitiative mitteilt, wo es sich diese zu eigen macht, oder es w i r k t sich das soziale Milieu als lästige Behinderung aus, wo es diese Initiative verwirft. Aber es hat weder selbst von sich aus eigene Initiative noch hat es irgendeine schöpferische Macht. So ist es ausgeschlossen, daß aus ihm eine ihrerseits schöpferische Rechtsnorm hervorgeht, von der w i r annehmen dürften, sie würde der Institution vorangehen. W i r wollen schließlich noch hinzufügen, daß die Rechtsnorm, vorausgesetzt, daß das soziale Milieu wirklich mit schöpferischer Macht ausgestattet wäre, ein klägliches Werkzeug zur Schöpfung wäre, weil in ihr nämlich von vornherein das Prinzip der Beschränkung angelegt ist. Denn die Rechtsnormen beruhen auf Kompromißformeln, die dem Machtstreben der einzelnen und der Institutionen einen Riegel vorschieben sollen. I n ihnen sind also mögliche Konflikte von vornherein beigelegt. I n der revolutionären Begriffswelt kommt diese Eigentümlichkeit deutlich zum Ausdruck: „Die Ausübung der natürlichen Rechte jedes Menschen findet ihre Schranken ausschließlich in der Ausübung derselben Rechte durch andere Mitglieder der Gesellschaft. Diese Schranken dürfen nur durch Gesetz näher bestimmt werden." (Erklärung der Menschenrechte, A r t . 4). A u f diese Weise übernimmt der Gesetzgeber die Rolle eines agrimentors (Feldvermessers), der zwischen verschiedenen Interessen Grenzen absteckt. Alle Gesetze über die Menschenrechte, das Gesetz über die Presse, das Vereinsgesetz, die Gesetze über die Lehrfreiheit, die Vorschriften über die Vertragsfreiheit oder über die Anerkennung des Privateigentums sind selbst dort noch, wo sie uns konstitutiv erscheinen, in Wirklichkeit nur Grenzen und Schranken. V o n daher stammt denn auch der traditionelle Grundsatz des Individualismus, wonach „alles, was nicht ausdrücklich gesetzlich verboten ist, erlaubt" sei, oder noch besser,

1. Die Theorie der Institution und der Gründung daß „alles, was nicht ausdrücklich gesetzlich verboten und was Ausdruck des Individualwillens ist, auch rechtsgültig ist" (Erklärung der Menschenrechte, A r t . 4 und 5). W i r werden weiter unten noch Gelegenheit haben, auf diese Grundideen zurückzukommen, hier haben w i r fürs erste über sie genug gesagt. Immerhin ist nun ganz deutlich, was das normative Rechtssystem an gefährlichen Fehlschlüssen in sich birgt; man braucht jetzt nur das dem Individualismus stets entgegengesetzte Prinzip aufzustellen und käme dann dazu, zu sagen: „Alles, was von der Rechtsnorm nicht ausdrücklich zugelassen w i r d oder alles, was nicht mit einer vorangehenden Rechtsnorm übereinstimmt, ist rechtsunwirksam." Außer dem ausgesprochen anti-individualistischen Charakter eines solchen Grundsatzes sollte man auch seine Unfruchtbarkeit beachten. Alle Neugründungen, die rein der gesellschaftlichen Wirklichkeit entstammen, müßten auf unabsehbare Zeit außerhalb des Rechts verbleiben, weil sie weder mit überkommenem noch mit neuem Recht übereinstimmen würden, das ja erst nach einer entsprechenden Wandlung des sozialen Milieus entstehen kann. Damit müßten sie zwischen zwei Stühlen bleiben. Der grundlegende I r r t u m dieser ganzen Konstruktion liegt auf der H a n d : was bloße Auswirkung ist, w i r d hier als Handlung angesehen, Dauer w i r d zur Schöpfung. N u r die subjektiven Elemente indessen sind schöpferische Gewalt und Aktion. Die objektiven Elemente, also die Rechtsnorm, das soziale Milieu, die öffentliche Ordnung, stellen nur Elemente der Auswirkung, der Dauer und der Kontinuität dar. Den einen die Rolle der anderen zuzuteilen, hieße die Dinge auf den K o p f stellen. Demnach sind beide Systeme zu verwerfen, sowohl dasjenige, für welches alles im Subjektiven liegt, als auch jenes, für welches alles im Objektiven liegt. Das eine hat die bewegende Kraft als Dauer aufgefaßt, das andere hat die Dauer als bewegende Kraft aufgefaßt. Durch einen eher komisch anmutenden Zufall sind beide Systeme übrigens dazu gekommen, wichtige Elemente in die Geschichte zu verbannen, die sie in ihrer Rechtskonstruktion nicht unterzubringen wußten. So hat das subjektivistische System erklärt, daß die Entstehung der Staaten ausschließlich der Geschichte zuzurechnen sei, womit der Vorgang ihrer Gründung aus dem RECHT herausgenommen würde. Das objektivistische System hat sich seinerseits veranlaßt gesehen zuzugestehen, daß die Ausbildung der Rechtsnormen ausschließlich der Geschichte zuzurechnen sei, weil die N o r m solange keinen Rechtsinhalt habe, als sie nicht als verbindlich i m Bewußtsein der Masse verankert sei, worüber viel Zeit vergeht. 3 Hauriou

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Von zwei Seiten w i r d damit der Vorgang der Gründung nicht in das System einbezogen, weder jener der Gründung der Staaten noch jener der Gründung der Rechtsnormen. M a n verbannt auf diese Weise die Grundlagen des RECHTS aus dem Recht; denn einmal sind, wie w i r schon gesehen haben, die Grundlagen nichts als beständige Gründungen, zum anderen w i r d man doch w o h l einräumen, daß sowohl die Grundlage des Staats wie auch jene der Rechtsnorm auch zu den Grundlagen des Rechts gehören. Nach der Logik, die in den Strömungen von Ideen waltet, war es nur natürlich, daß die Theorie der Institution und der Gründung, die historisch auf das subjektivistische und das objektivistische System folgt, gerade bei der Frage der Gründung ansetzte, an der die beiden antagonistischen Systeme in gleicher Weise gescheitert waren. So ist es zum Hauptanliegen dieser neuen Theorie geworden, den Nachweis zu erbringen, daß die Gründung der Institutionen rechtlichen Charakter aufweist und daß unter diesem Gesichtspunkt die Grundlagen der Rechtsdauer auch selbst rechtlicher A r t sind. Übrigens hat diese Theorie aus den Auseinandersetzungen zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven nur gewonnen: sie erkennt den Dualismus dieser beiden Befunde an; denn sie sieht in diesem Gegensatz nicht so sehr getrennte Elemente als verschiedenartige Zustände, durch die je nach dem Zeitpunkt entweder eine verbandsmäßige Institution oder aber eine Rechtsnorm hindurchlaufen kann.

Die großen Linien dieser neuen Theorie lassen sich so kennzeichnen: eine Institution ist eine Idee vom Werk oder vom Unternehmen, die i n einem sozialen Milieu Verwirklichung und Rechtsbestand findet. Damit diese Idee in die konkrete Tatsachenwelt umgesetzt wird, bildet sich eine Macht aus, von der sie mit Organen ausgestattet wird. Zwischen den M i t gliedern der an der Durchsetzung der Idee beteiligten sozialen Gruppe ergeben sich unter der Oberleitung der Organe Gemeinsamkeitsbekundungen, die bestimmten Regeln folgen. Es gibt zwei Typen von Institutionen, jene, die zur selbständigen Person werden, und solche, die nicht zu einer selbständigen Person werden. Die ersten bilden die Kategorie der Personen-Institutionen (institutionspersonnes)

oder

Körperschaften

(Staaten,

Vereinigungen,

Gewerk-

schaften usw.), bei ihnen gliedern sich die organisierte Macht und die Gemeinsamkeitsbekundungen der Mitglieder der Gruppe in den Rahmen

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der Idee vom Werk ein: nachdem diese das Objekt der verbandsmäßigen Institution abgegeben hat, w i r d sie zum Subjekt der juristischen Person, die sich in der Körperschaft ausbildet. Bei den Institutionen der zweiten Kategorie, die man als Sach-Institutionen (institutions-choses) bezeichnen kann, sind weder das Element der organisierten Macht noch das der Gemeinsamkeitsbekundungen der M i t glieder der Gruppe in den Rahmen der Idee vom Werk einbezogen, sie sind zwar i m sozialen Milieu vorhanden, verbleiben aber außerhalb der Idee. So ist die sozial fest verankerte Rechtsnorm eine Institution dieses Typs. Sie ist insofern eine Institution, als sie sich in ihrer Eigenart als Idee im sozialen Milieu ausbreitet und in diesem lebt, bringt aber äußerlich keine eigene Körperschaft hervor. Sie lebt im sozialen Ganzen, etwa i m Staat, entlehnt dabei dessen Strafgewalt und zieht Nutzen aus den Gemeinsamkeitsbekundungen, die sich in diesem vollziehen. Indessen kann sie schon deshalb keine Körperschaft hervorbringen, weil sie nicht etwa ein Handlungs- und Unternehmensprinzip darstellt, sondern, ganz i m Gegenteil, ein Prinzip der Beschränkung. Institutionen entstehen, leben und sterben nach den Regeln des Rechts. Sie entstehen durch Gründungsvorgänge, die ihnen ihre Rechtsgrundlage vermitteln und damit ihren Fortbestand sichern. Sie leben i m Objektiven wie i m Subjektiven dank wiederholter Rechtsakte von Regierung und Verwaltung, welche nach einem vorgeschriebenen Verfahren erlassen werden. Schließlich sterben sie auf Grund rechtlicher Auflösungs- oder Aufhebungsverfügungen. A u f diese Weise gewinnen sie Rechtsbestand auf Dauer, und ihr breiter, sicherer Weg w i r d gelegentlich gekreuzt von den Spuren flüchtiger Rechtsbeziehungen. W i r wollen uns hier ausschließlich den Personen-Institutionen oder verbandsmäßigen Institutionen widmen, ihre Elemente herausarbeiten und ihr Leben beobachten. M a n könnte sich ebenso auch mit den Sachinstitutionen, insbesondere mit den Rechtsnormen, beschäftigen. Dafür fehlt uns indessen der Raum. W i r beschränken uns daher insoweit darauf, ihre wesentlichen Unterschiede gegenüber den verbandsmäßigen Institutionen im Laufe unserer Untersuchung von Zeit zu Zeit herauszustellen. I. Jede verbandsmäßige Institution weist, wie w i r wissen, drei Elemente auf: 1. die Idee des in einer sozialen Gruppe zu schaffenden Werks; 2. die i m Dienst dieser Idee stehende organisierte Macht, um die Idee zu 3·

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verwirklichen; 3. die Gemeinsamkeitsbekundungen, die innerhalb der sozialen Gruppe mit Bezug auf die Idee und ihre Verwirklichung erfolgen. Denken w i r auch daran, daß für unsere Institutionen auch das Phänomen der Verkörperung (incorporation) gilt, d. h. der Einbeziehung (intériorisation) des Elements „organisierte Macht" und des Elements „Gemeinsamkeitsbekundungen der Mitglieder der Gruppe" in den Rahmen der Idee des zu schaffenden Werks, weiter auch daran, daß diese Verkörperung zur Personifizierung (personnification) führt. Sie führt dazu um so leichter, als in Wirklichkeit der corpus, der das Ergebnis der Verkörperung ist, selbst schon ein eher vergeistigtes Gebilde ist. Die Gruppe der Mitglieder geht dabei in der Idee vom Werk auf; die Organe folgen einer Macht, diese Idee zu verwirklichen; die Gemeinsamkeitsbekundungen schließlich liegen i m psychischen Bereich. Unter diesem Aspekt sind alle diese Elemente eher vergeistigt als materiell, und dieses Gebilde selbst in psycho-physischer Natur. I . Das wichtigste Element jeder verbandsmäßigen Institution ist das Element der Idee des zu schaffenden Werks (idée de l'œuvre à réaliser) innerhalb einer sozialen Gruppe oder zum Vorteil dieser Gruppe. Jede Körperschaft besteht um der Verwirklichung eines bestimmten Werkes oder Unternehmens willen. Eine Aktiengesellschaft ist die Verwirklichung eines Geschäfts, d. h. eines Unternehmens, um Gewinn zu erzielen. Ein Krankenhaus ist eine Anstalt, die um einer Wohlfahrtsidee willen eingerichtet wird. Ein Staat ist ein verfaßtes Gebilde, in dem mehrere Ideen ihren Niederschlag finden; die uns am ehesten zugänglichen lassen sich durch folgende Formel wiedergeben: „Schutzherrschaft über eine nationale bürgerliche Gesellschaft durch eine öffentliche Gewalt in territorialer Zuständigkeit, aber unabhängig vom Eigentum an Grund und Boden und unter Gewährung eines großen Freiheitsbereichs für die Staatsbürger." Die Idee des zu schaffenden Werkes, die die Bezeichnung „Leitidee des Unternehmens" (idée directrice de l'entreprise) verdient, darf nicht mit dem Begriff des Zwecks und auch nicht mit dem der Funktion verwechselt werden. So ist etwa die Idee des Staats etwa ganz anderes als sein Zweck oder seine Funktion. Ein erstes Unterscheidungsmerkmal zwischen dem Zweck eines Unternehmens und seiner Leitidee liegt darin, daß der Zweck als dem Unternehmen von außen aufgegeben angesehen werden kann, während die Leitidee in ihm selbst liegt. Ein zweites Unterscheidungsmerkmal, das

1. Die Theorie der Institution und der Gründung mit dem ersten verbunden ist, liegt darin, daß in der Leitidee ein Element der Planung des Vorhabens und seiner Organisation liegt, das über den Begriff des Zwecks in eigentümlicher Weise hinausgeht. Wenn man sagt, die Idee des Staats bestehe in der Schutzherrschaft (protectorat) über die nationale bürgerliche Gesellschaft, dann erweckt diese Idee der Schutzherrschaft die Vorstellung einer bestimmten Organisation und eines bestimmten Aktionsprogramms. Spräche man dagegen von dem Staatszweck, so würde man diesen i m Schutz (protection) der nationalen bürgerlichen Gesellschaft sehen, womit ich nur die Vorstellung eines bestimmten Erfolgs verbinden würde. Der Unterschied zwischen Aktionsprogramm und Erfolg zeigt deutlich, worin sich Leitidee und Zweck voneinander unterscheiden. Es würde sogar ungenau sein, wollte man die Leitidee der „Zweckverfolgung" gleichsetzen, denn jene meint gleichzeitig den Zweck und die zu seiner Erreichung einzusetzenden Mittel, während Zweckvorstellung allein die anzuwendenden M i t t e l nicht mit einschließt. Ebensowenig ist die Idee des von einer Institution zu schaffenden Werks mit ihrer Funktion zu verwechseln. Die Idee des Staats geht in eigentümlicher Weise auch über den Begriff seiner Funktion hinaus. Die Funktion ist nur ein bereits in die Wirklichkeit umgesetzter oder wenigstens vorgeplanter Teilbereich des Unternehmens. I n der Vorstellung der Leitidee steckt indessen noch ein Teil unbestimmbaren Wirkungsvermögens, das über die Vorstellung der Funktion hinausreicht. Wie sehr diese beiden Bereiche auseinanderzuhalten sind, fällt besonders am Staat auf. D o r t gibt es den Bereich der Funktion, nämlich die Verwaltung und die Erfüllung bestimmter Leistungen; es gibt aber auch das Element der Leitidee, nämlich in der politischen Führung, die sich i m Unbestimmbaren vollzieht. U n d tatsächlich bewegen auch politische Entscheidungen die Bürger sehr viel mehr als die Arbeit der Verwaltung, so daß das Unbestimmbare an der Leitidee sich auf die Gemüter viel stärker ausw i r k t als alles, was in der Form der Staatsfunktion bereits feststeht. Die Leitidee der anderen verbandsmäßigen Institutionen ließe sich ebensowenig auf die Vorstellung einer bestimmten Funktion zurückführen. I n unserem Rechtssystem hat sich allerdings lange Zeit der Irrtum gehalten, daß dies möglich sei. So hat das Verwaltungsrecht den Versuch unternommen, den Funktionsbereich der religiösen und der Wohlfahrtseinrichtungen dort Beschränkungen zu unterwerfen, wo die Annahme mildtätiger Stiftungen mit besonderer Zweckbestimmung in Frage stand. Einem der Kirche gehörenden Wirtschaftsbetrieb wurde die

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Berechtigung abgesprochen, Almosen anzunehmen, einer Krankenanstalt verweigerte man die Entgegennahme von Legaten, die für die Einrichtungen einer Schule bestimmt waren, usw. . . . Ebenso stellte das Handelsrecht die Lehre von der Beschränkung des Funktionsbereichs bei den Handelsgesellschaften auf, dem diese nach ihrer Satzung zwingend unterliegen sollten. Als die großen Eisenbahngesellschaften eigene Bahnhofshotels einrichteten, stellte sich daher die Frage, ob nicht damit ihr Funktionsbereich bereits überschritten werde. Aber noch viel weiterreichende Ideen haben sich inzwischen durchzusetzen vermocht; die Bahnhofshotels sind in Betrieb geblieben; die Abweichung von den Satzungen der Gesellschaften wurde weithin für zulässig erklärt. Die Beschränkung des Funktionsbereichs öffentlicher Anstalten versteht man nunmehr als eine ausschließlich ordnungsbehördliche, übrigens durchaus vertretbare Regelung. Hierbei erweist sich noch einmal der Vorrang der so eigentümlich unbestimmten Leitidee gegenüber dem genau bestimmbaren Funktionsbereich. Die Engländer ihrerseits haben die Beschränkung des Funktionsbereichs bei Handelsgesellschaften daher abgeschafft, so daß nunmehr jede Gesellschaft zu jedem beliebigen Handelsgeschäft berufen ist, weil ihre Leitidee die Gewinnerzielung schlechthin ist. Die Leitidee vom Werk, die auf diese Weise über die Begriffe von Zweck und Funktion hinausgeht, ließe sich eher m i t dem Begriff des Objekts identifizieren. Die Idee des Unternehmens ist das Objekt des Unternehmens; denn das Unternehmen hat die Verwirklichung dieser Idee zum Objekt. Diese ist so sehr sein Objekt, daß sich gerade durch sie und in ihr das Unternehmen objektivieren läßt und damit seine soziale Individualität erhält. Tatsächlich ist es gerade die Idee des Unternehmens, die im Gedächtnis einer Unzahl von einzelnen haften bleibt, um in ihrem Unterbewußtsein als objektive Vorstellung weiterzuleben, als die Bank von Frankreich, die Stadt Paris, als der Staat selbst. Die Idee schafft sich ihre Anhänger in dem Verband, der sich für die Verwirklichung des Unternehmens einsetzt, weil es sich hier um Teilhaber oder um Staatsbürger handelt. Selbst aber in diesem Verband unmittelbar Beteiligter w i r d die Idee allgemein noch im Unterbewußtsein verobjektiviert bleiben. Gewiß w i r d sie von Zeit zu Zeit in bewußten Willensäußerungen subjektiviert werden. Das w i r d aber, zumindest scheinbar, nur vorübergehend vorkommen, während die Beschäftigung m i t dem Objektiven i m Unterbewußtsein der Erinnerung fortwährend anhält.

1. Die Theorie der Institution und der Gründung Ohne Zweifel w i r d die objektive Idee nicht überall im Gedächtnis auf gleiche Weise verstanden werden. Es gilt, sorgsam zu unterscheiden zwischen der Idee, die in sich selbst ruht, und den subjektiven Vorstellungen, mit deren H i l f e sie geistig erfaßt wird. Der Verstand spricht bei jedem Menschen auf die Idee an und macht sich eine bestimmte Vorstellung von ihr. Das ewige Thema leidenschaftlichen Ringens mit Pflicht oder Vernunft w i r d von Racine anders behandelt als von Sophokles oder Euripides. Auch w i r d eine Tragödie von Racine im 20. Jahrhundert anders aufgeführt, aber auch anders verstanden als im 17. Jahrhundert. Das gleiche gilt für das Ideal der Gerechtigkeit, es wurde immer wieder anders verstanden. Trotzdem läßt sich nicht sagen, daß es nichts Fortdauerndes, nichts Wirkliches und Objektives an der Idee der Gerechtigkeit gibt, sowenig sich das etwa von der Idee der Pflicht und von der der Liebe behaupten läßt. Trotz der subjektiven Auslegung, die sich aus der Entwicklung eigener Vorstellungen bei jedem ihrer Anhänger ergeben muß, besitzt eine Idee vom Werk, die sich i m sozialen Milieu ausbreitet, doch objektive Existenz. Gerade deren Vorhandensein übrigens erlaubt es ihr, von dem einen K o p f zum anderen überzuspringen und sich in jedem anders darzustellen, ohne sich indessen aufzulösen oder zu verflüchtigen. M a n muß sich allerdings fragen, welchen Quellen diese Objektivität der Idee ursprünglich entsprungen ist. Wäre die Idee die geistige Schöpfung einer einzigen Persen, so wäre es kaum verständlich, weshalb sie so objektiven Charakter gewinnen und sich einem anderen Geist mitteilen können sollte. V o n dem Augenblick an, da die Ideen von dem einen zum anderen überspringen, müssen sie von Anfang an objektive N a t u r gehabt haben. I n Wirklichkeit kann man Ideen gar nicht erschaffen, man kann nur auf sie stoßen. Ein Minnesänger, ein Dichter in seiner Begeisterung trifft auf eine Idee ebenso wie ein Bergmann auf einen Edelstein trifft; die objektiven Ideen sind also bereits in der weiten Welt vorhanden, mitten zwischen den Dingen, die uns hier umgeben. I n den Augenblicken der Eingebung entdecken w i r sie und bringen sie aus dem Berg von Ballast ans Tageslicht. Über diese Betrachtungen der Ursprünglichkeit objektiver Ideen, bei denen w i r nicht weiter verharren wollen, dürfen w i r nicht die Beschäftigung m i t jener Gruppe von Menschen vergessen, die in einer verbandsmäßigen Institution an dem Erfolg der Leitidee des Unternehmens beteiligt sind. Es gibt keine verbandsmäßige Institution ohne eine solche Gruppe von Beteiligten (groupe d'intéressés), d. i. i m Staat die Gruppe der Untertanen und Bürger, in der Gewerkschaft die Gruppe der Gewerk-

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schaftler, i n der Aktiengesellschaft die Gruppe der Aktionäre. Diese Gruppierung mag teilweise auch durch die Zwangsgewalt einer Macht bestimmt sein, aber der Einfluß der Idee vom Werk und das Interesse, das die Beteiligten an ihrer Verwirklichung haben, spielen eine so erhebliche Rolle, daß sich die Beitrittserklärungen auch auf freie Entschließungen gründen. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Beitretenden ein persönliches Risiko mit der Verwirklichung oder NichtVerwirklichung des Unternehmens auf sich nehmen. Diese Gruppe von Beteiligten ist zusammen mit den Führungsorganen Trägerin der Idee des Unternehmens. Unter diesem Gesichtspunkt muß man anerkennen, daß die Gruppe der Mitglieder des Staats gleichzeitig auch Subjekt der Staatsidee ist. Diese Beobachtung gibt dem Wort „Subjekt" eine besonders tiefe Bedeutung 1 . Damit soll nämlich gesagt sein, daß jeder Staatsangehörige die Idee des Staats in sich trägt und daß er insofern Subjekt dieser Idee ist, als er die Risiken und die Verantwortlichkeit für ihr Gelingen trägt. Subjekt (Bürger, Untertan) eines Staats ist er, insgesamt gesehen, wie ein Aktionär des Unternehmens „Staat". U n d unter diesem Gesichtspunkt gewinnt der Untertan auf die Dauer seine Rechtsstellung als Staatsbürger (citoyen). D a er auch den Risiken des Unternehmens ausgesetzt ist, ist es nur recht und billig, wenn er auf der anderen Seite auch Rechte auf Kontrolle und Beteiligung bei der Verwaltung eingeräumt erhält. M i t dieser Analyse der Eigenschaften der Gruppe von Beteiligten nehmen w i r die Vorstellungen wieder auf, die von Michoud bereits 1906 in seiner „Theorie de la personnalité morale" vertreten worden sind, nur mit der einen wesentlichen Einschränkung, daß w i r in der Gruppe der Beteiligten nicht den einzigen Träger der Idee des Staats oder der Idee des verbandsmäßigen Unternehmens, wie es sich im Einzelfall auch darstellen mag, sehen, sondern daß es für uns daneben noch Organe der Regierung und Verwaltung gibt, die Macht ausüben. So erklärt sich auch, daß die Idee des Staats sich einer autonomen Führungsmacht bedient, die sich den Bürgern aufdrängt und an der sie sich allenfalls beteiligen können. I I . Das zweite Element jeder verbandsmäßigen Institution ist in der Tat eine organisierte Führungsmacht (un pouvoir de gouvernement organisé), der sich die Idee des Unternehmens zu ihrer Verwirklichung 1

[H. verwendet hier ein Wortspiel mit dem franz. Ausdruck „sujet" (hier i. S. von Bürger, Untertan), das sich im Deutschen nicht nachvollziehen läßt. Anm. d. Übers.]

1. Die Theorie der Institution und der Gründung bedient. Gewöhnlich spricht man insoweit von der Organisation der Institution, aber es ist wichtig, daß man die Organisation als eine organisierte (d. i. mit Organen ausgestattete) Macht versteht, weil die Macht selbst eine Form des Willens ist, ihre Organe aber nicht anders als Willensmächte zu verstehen sind, und dadurch das menschliche Element der Organisation vergeistigt wird. Auch die Organisation der Führungsmacht geht ihrerseits ganz auf vergeistigte Grundlagen zurück, die letztlich auf zwei Prinzipien hinauslaufen, nämlich auf die Gewaltenteilung (séparation des pouvoirs) und auf das repräsentative Herrschaftssystem (régime représentatif). Jede Gewaltenteilung ist eine Aufteilung der Zuständigkeiten, also rein geistiger Bezüge. Nach der Aufteilung des modernen Staats hat die vollziehende Gewalt die intuitive Zuständigkeit zur Entscheidung über den Vollzug, die beschließende Gewalt die jeweilige Zuständigkeit zur Beschlußfassung und schließlich die Abstimmungs-Gewalt diejenige zur Zustimmung. Gewiß sind diese Zuständigkeiten menschlichen Organen anvertraut, aber der beste Beweis dafür, daß die Organe den Zuständigkeiten unterworfen sind, liegt in der Vielzahl der Organe, die untereinander Einklang erzielen müssen, um ein und dieselbe Gewalt ausüben zu können: bei der Ausübung der vollziehenden Gewalt der Präsident der Republik und die Minister, bei der Ausübung der beschließenden Gewalt die beiden Kammern des Parlaments, bei derjenigen der Abstimmungs-Gewalt (pouvoir de suffrage) die Wähler eines Wahlkreises. Bei dieser Teilung der Gewalten, die eine noch größere Teilung der Organe nach sich zieht, darf es sich nicht einfach um die Verteilung bloßer Gewalt handeln, sondern muß es i m Gegenteil um die Verleihung von Rechtsmacht gehen, die geeignet ist, Recht zu schaffen; die Teilung aber stellt die Oberhoheit der Zuständigkeit gegenüber der Herrschaftsmacht sicher, von der sonst, ohne diese Vorbeugung, die Organe angezogen würden. Der Grundsatz der repräsentativen Herrschaftsform entspricht einer anderen Notwendigkeit. Die Führungsmacht einer verbandsmäßigen Institution muß i m Namen des Verbandes handeln, wenn ihre Entscheidungen als solche des Verbandes selbst angesehen werden sollen. Ein Verband ist aber nichts ohne seine Organe und äußert seinen Willen nur durch diese, doch dürfen diese nur für ihn, nicht für sich selbst wollen. Dieses schwierige Problem w i r d durch den Grundsatz des Repräsentativsystems gelöst, der seinerseits gänzlich auf der Idee des zu schaffenden Werks beruht. Diese Leitidee w i r d als eine gemeinsame Vorstellung bei

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den Führungsorganen und den Mitgliedern angesehen. Die gesamte Technik der repräsentativen Organisation muß daher darin bestehen, auch in den tatsächlichen Gegebenheiten die Verwirklichung dieser gemeinsamen Sichtweise sicherzustellen, und zwar möglichst gleich auf Dauer, zumindest aber für eine gewisse Periode. Daß auch leitender Wille unter die Idee des zu schaffenden Werks unterzuordnen ist, kann sich ohne weiteres ebenso in der hochfahrenden Einstellung eines absoluten Fürsten zeigen wie in der geschmeidigen Haltung eines von seiner Wiederwahl abhängigen Ministers. Die Wahl ist nicht Wesensbestandteil der repräsentativen Herrschaftsform, aber sie ist ein natürliches Element ihrer Technik, weil sie als Garantie für eine Gemeinsamkeit in den Ansichten zwischen den leitenden Männern und den einfachen Mitgliedern des Verbands erscheint. Die Führungsmacht einer Institution hält sich nicht immer an jene Abhängigkeit und Einheitlichkeit, die w i r gerade geschildert haben. Die Geschichte der Staaten und selbst die einiger privater Institutionen lehrt, daß nur zu oft die an der Spitze stehenden Machthaber sich von der Verfolgung des gemeinsamen Wohls abwenden, um eigenen Interessen nachzugehen. Aber, im ganzen genommen, beweist diese Geschichte zweierlei: einmal, daß die Führungsmacht eine Gewalt zu eigenmächtiger Handlung und nicht etwa nur die Aufforderung zur Erfüllung einer Funktion darstellt, weil nur allzuoft diese Gewalt zum Handeln sich gegen ihre Funktion auflehnt; zum anderen deckt diese Geschichte aber auch die zunehmende Stärke der Idee des zu schaffenden Werks auf, weil sich selbst im Staat die heftigen Leidenschaften der Herrschenden langsam aber sicher dieser Idee schließlich doch gebeugt haben. Gewiß hat dabei auch der Mechanismus der Verfassung mitgeholfen, aber dieser Mechanismus wäre entweder selbst gar nicht erst in Gang gesetzt worden oder hätte zu nichts gedient, wenn er nicht durch eine Staatsgesinnung i n der Öffentlichkeit unterstützt worden wäre. Die freiwillige Unterwerfung seitens der Herrschenden unter bestimmte Leitideen ließe sich nicht besser verdeutlichen als durch das Beispiel der Unterwerfung der Militärs unter die zivile Gewalt in den modernen Staaten. Diese Abhängigkeit der militärischen Macht, die der N a t u r der Dinge an sich durchaus widerspricht, hätte sich niemals mit dem M i t t e l eines einfachen Mechanismus der Verfassung bewerkstelligen lassen. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer Einstellung, die auf den Einfluß einer Idee zurückgeht, wonach zivile Herrschaft auf den Frieden, als den allgemeinen gültigen Normalzustand, verpflichtet ist. Schon 1896 haben

1. Die Theorie der Institution und der Gründung w i r in einem Kapitel unserer „Science Sociale Traditionnelle" auf die Autorität hingewiesen, die die Leitidee gegenüber der Macht gewonnen hat. W i r nannten sie das Phänomen der Institution und legten den A k zent dabei auf die moralische Aufwertung der auf Macht gegründeten Organisation, die dieser Begriff bietet. I I I . Es bleibt uns nun noch ein letztes Element der verbandsmäßigen Institution einzureihen, nämlich die Gemeinsamkeitsbekundung (la manifestation de communion) der Verbandsmitglieder ebenso wie der Führungsorgane im Hinblick entweder auf die Idee des zu schaffenden Werks oder aber auf die Idee der dabei anzuwendenden Mittel. Dieses Gemeinsamkeitsphänomen, das w i r bereits berührt haben und das der Leitidee vom Werk unmittelbar subjektive Gestalt verleiht, soll hier daraufhin untersucht werden, wie es sich in der Wirklichkeit darstellt. Die beste Möglichkeit, dieses Phänomen zu erfassen, ergibt sich aus den großen Volksbewegungen, die sich mit der Gründung neuer politischer oder sozialer Institutionen verbinden. Die Gründung der Gemeinden im Mittelalter war begleitet von großen moralischen Krisen, die die Bevölkerung in den R u f nach „Gemeinsamkeit, Gemeinsamkeit" ausbrechen ließen. Die Bildung von Gewerkschaften am Ende des 19. Jahrhunderts hat in der Arbeiterklasse die gleiche Einigungsbewegung ausgelöst. Es kann schließlich auch kein Zweifel daran bestehen, daß die Bildung der Staaten zu der Zeit, da sie sich gleichsam wie durch Übertragung ausbreiten, also etwa gegen 1000 vor Christus, eine entsprechende Bewegung in Gang gebracht hat. W i r haben einen Beleg hierfür in jener Stelle des Buches Samuel, wo die Juden „einen König verlangen". I n geringerem Umfang zeigen sich derartige Bewegungen auch im Stadium der Gründung der Einzelinstitutionen. Nach einem bekannten Modell erfolgt die Gründung selbst fast immer auf Grund einer Versammlung, in welcher sie im Prinzip mehr oder weniger begeistert gefeiert wird. Aber auch wenn die Institutionen bereits funktionieren, ergeben sich Gemeinsamkeiten gleicher A r t und Weise, und zwar insbesondere auf Grund der Einrichtung vön parlamentarischen Organen. Gewiß bieten nicht alle Sitzungen so erregende Szenen wie der Schwur im Ballhaus* 2

[Am 20. Juni 1789 schwuren die Abgeordneten des Dritten Standes, die im Saal Jeu de paume" (Ballspiel) in Versailles tagten, nicht eher wieder auseinanderzugehen, bis sie Frankreich eine Verfassung gegeben hätten. Anm. d. Ubers.] B

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oder die Nacht vom 3. August 5 , und nicht immer entsteht gleich eine heilige Union. U n d doch erfordert die Bildung einer Mehrheit auch bei einer nicht so bewegten Abstimmung immer die Bildung eines Übereinkommens. Diese Bewegungen aus Gemeinsamkeit lassen sich keinesfalls als Äußerungen eines Kollektivbewußtseins erklären; es sind vielmehr gerade die einzelnen, die aus dem Bewußtsein von einer gemeinsamen Idee zu Aufrührern werden und bei denen das Gefühl gemeinsamer Erregung sich fortpflanzt. Mittelpunkt dieser Bewegung ist die Idee, die sich in gleichen Vorstellungen im Bewußtsein von Tausenden widerspiegelt und dort Bereitschaft zur A k t i o n auslöst. Die Idee gewinnt im Bewußtsein der Tausende augenblicklich subjektive Form und faßt diese zu einer Einheit zusammen. I m Bewußtsein von einzelnen aber erhält sie ihren Namen, und so steigt sie herab mitten unter sie, um Gestalt anzunehmen. So also spielt sich das in Wirklichkeit genau ab. Dieses Phänomen als Erscheinung eines Kollektivbewußtseins deuten zu wollen, wie es die Durkheim-Schule tut, hieße die Wirklichkeit entstellen, denn die Entstehung von Kollektivbewußtsein würde auf der Ausbildung einer Durchschnittsmeinung im sozialen Milieu, d. h. in der Masse der Anschauungen, beruhen. Demgegenüber bleibt, wenn dieselbe Leitidee im Bewußtsein von vielen einzelnen akzeptiert wird, die führende Rolle erhalten, die den Vornehmsten für die Folgerungen zukommt, die aus der A k t i o n zu ziehen sind. Der Unterschied zwischen diesen beiden Analysen liegt darin, daß die eine den kulturellen Fortschritt dem Vorgehen der Eliten zuschreibt, während die andere ihn allein aus der Entwicklung des Milieus erklärt. Gemeinsamkeit in der Idee: das ist Ariel 4 , Kollektivbewußtsein: das ist Kaliban 5 . Die Gemeinsamkeit in der Idee zieht das Einvernehmen i m gemeinsamen Wollen unter Führung eines Oberhauptes nach sich; sie umfaßt nicht nur die rein intellektuelle Zustimmung, sondern auch den Willen zum Handeln und den Beginn eines Tuns, das wegen des damit verbundenen Risikos den ganzen Einsatz für die gemeinsame Sache verlangt. M i t einem Wort, hier handelt es sich um eine gemeinsame A k t i o n (une communion d'action). 8

[4. August 1789: Abschaffung der Vorrechte des Adels in Frankreich. Anm. d. Übers.] 4 [Name des Luftgeistes, eines in höheren Regionen lebenden Wesens in Shakespeares „Sturm", von dort später in Goethes „Faust" übernommen. Anm. d. Übers.] 5 [Ebenfalls Phantasiegestalt aus Shakespeares „Sturm", Sohn einer Hexe und eines Dämons, ein auf niederer Stufe lebendes, gnomenhaftes Wesen, das widerwillig einer höheren Macht gehorcht. Anm. d. Übers.]

1. Die Theorie der Institution und der Gründung Diese Ubereinkommen nehmen die Bedeutung eines besonderen rechtlichen Vorgangs an, nämlich des Gründungsvorgangs (opération de fondation), der uns im nächsten Abschnitt beschäftigen soll. I V . Die Institutionen unterliegen dem Phänomen der Verkörperung, das sie in das Phänomen der Personifizierung weiterleitet®. Diese beiden Phänomene sind ihrerseits wiederum abhängig von einer Bewegung der Einbeziehung, die einmal die Führungsorgane mit ihrer Willensmacht, zum anderen aber auch die Gemeinsamkeitsbekundungen der Mitglieder der Gruppe in den Rahmen der Leitidee vom Unternehmen integriert. Diese Drei-Stufen-Bewegung von Einbeziehung, Verkörperung und Personifizierung ist von ausschlaggebender Bedeutung für die Theorie von der Fähigkeit, Person zu sein (théorie de la personnalité). Ist diese Fähigkeit erst einmal festgestellt, so führt sie auch zum Vorhandensein einer moralischen Person (personnalité morale), die wiederum die Grundlage für die juristische Person (personnalité juridique) abgibt; denn die Drei-Stufen-Bewegung w i r d eingreifen, sofern eine natürliche Tendenz zur Personifizierung vorhanden ist. Das gilt ebensosehr für die natürlichen Personen wie für die Verbandspersonen; denn darüber darf man sich keinen Illusionen hingeben, daß die Frage der Rechtsfähigkeit bei natürlichen Personen gegenwärtig ebenso umstritten ist wie bei Verbandspersonen. Dieser Stand der Meinungen gibt uns die Möglichkeit, eine neue Methode der vergleichenden Betrachtung anzuwenden, indem w i r die Psychologie bei Verbandspersonen der Psychologie bei Einzelpersonen gegenüberstellen, um ein Argument aus dem Ergebnis der Selbstbeobachtung in der Psychologie der Einzelperson zu gewinnen, das w i r für die Analyse der Verbandspersönlichkeit einsetzen können, um aber auch umgekehrt die Ergebnisse der Psychologie des Verbandes zu verwenden, um die Ergebnisse der Selbstbeobachtung der Einzelpersonen aufzuhellen. Die Rechtfertigung dieser vergleichenden Methode beruht auf dem Postulat, daß die Gesellschaft ein psychologisch zu verstehendes Gewebe ist und daß in diesem Gewebe ein H i n und Her zwischen dem menschlichen Geist und bestimmten objektiven Ideen stattfinden, den Grundlagen der Institutionen; daß ferner die Fähigkeit, Person zu sein, bei den Verbänden eine gesellschaftliche Schöpfung ist, die weitgehend derjenigen bei natürlichen Personen entspricht, daß sie aber, da sie sich im Unterbewußtsein bildet, Kraftfelder der natürlichen Person erschließen kann, die bei der bewußten Selbstbeobachtung nicht freigelegt werden; ® [Vgl. dazu oben, unter I, S. 40. Anm. d. Übers.]

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daß im übrigen aber die Beobachtung der Person bei den Verbänden noch dadurch erleichtert wird, daß dort die Organisation in ihren Einzelheiten stark vergrößert w i r d und gleichsam wie von einem Projektor an die Wand geworfen w i r k t . A . W i r wollen uns zunächst mit H i l f e unserer vergleichenden Methode die Drei-Stufen-Bewegung von Einbeziehung, Verkörperung und Personifizierung vergegenwärtigen, also das Vorhandensein einer selbständigen Person unter dem Gesichtspunkt ihrer natürlichen Entstehungsweise. Anschließend wollen w i r uns noch einer anderen Seite des Problems zuwenden, nämlich der Frage, bis zu welchem Grade und auf welche Weise die Institution nach Verkörperung und Personifizierung Fortbestand und Dauer für sich selbst sichert: denn gewiß dienen Verkörperung und Personifizierung dazu, ihr diese Fähigkeit zu verleihen. Vorweg ist indessen noch eine Feststellung geboten: die vergleichende Psychologie der Verbandsperson und der natürlichen Person ist dadurch bedingt, daß die natürliche Person selbst wenigstens in einem gewissen Umfang einer verbandsmäßigen Institution angeglichen werden kann. Diese Voraussetzung, so überraschend sie auf den ersten Blick auch erscheinen mag, findet ihre Berechtigung in so zahlreichen und wesentlichen Umständen, daß man bei einigem Nachdenken bereit sein wird, sie zu akzeptieren. Es ist durchaus möglich, daß auch das menschliche Wesen vornehmlich in „einer Idee des zu schaffenden Werks" besteht, „die sich einer Führungsmacht bedient und Gemeinsamkeitsbekundungen in einer Gruppierung von elementaren Wesen hervorruft". Daß auch das menschliche Sein, wie übrigens jeder Teil der Schöpfung, wesentlich i n einer Idee des zu schaffenden Werks besteht, deckt sich direkt mit dem Problem der Vorsehung. Wenn sich dieses gegenwärtig auch mehr auf religiöser und moralischer Ebene stellt als i m Bereich der Philosophie und Naturwissenschaft, so tut das seiner Bedeutung für den Menschen doch keinen Abbruch. Dementsprechend läßt sich, wenn es der menschliche Geist ist, den die Idee des zu schaffenden Werks versinnbildlichen soll, in dieser Übertragung nicht allein das gestaltende Prinzip wiedergeben, das im Geist liegt, sondern auch der ethische Charakter dieses Prinzips. Endlich erscheint der menschliche Geist auf diese Weise als eine objektive Gegebenheit, die genausogut positiven Bestand hat wie die Idee des zu schaffenden Werks in einer verbandsmäßigen Institution. Daß der menschliche Geist, versteht man ihn als eine Idee des zu schaffenden Werks, über eine Willensmacht verfügt, die für ihn ein Füh-

1. Die Theorie der Institution und der Gründung rungsorgan zur Verwirklichung seiner Bestimmung darstellt, das dürften die moderne Psychologie und Psycho-Physik kaum in Abrede stellen können, da für sie der menschliche Körper m i t seinem Nerven- und Gehirnapparat ja einen psycho-physischen Organismus darstellt. Gewiß ist die herrschende Psychologie noch nicht so weit, daß sie die psychischen Äußerungen des Gehirns einer Leitidee zurechnen würde, die ein objektiver Geist wäre. Sie hält vielmehr nach außen hin noch an der Vorstellung einer geistigen Synthese elementarer Bewußtseinszustände fest. Einerseits aber ist diese Vorstellung einer geistigen Synthese, der es an einer auf Dauer berechneten Mitte fehlen würde, durchaus nicht in der Lage, die Kontinuität der menschlichen Person zu erklären, zum anderen ist gerade hier der rechte O r t gegeben, um die Analogie zu der Verbandsperson wieder aufzunehmen, in welcher tatsächlich eine objektive Leitidee vorhanden ist. Gewiß w i r d damit die berühmte „idée directrice" (Leitidee) von Claude Bernard in einem vitalistischen Sinne verstanden, und das w i r d ganz sicher auch bis zu den Biologen widerhallen. Gerade unter ihnen aber hat der Vitalismus seine Anhänger, und schließlich bleibt es auch eine Tatsache: auf die soziale Ebene projiziert erscheint die Leitidee i m tatsächlich vorhandenen Phänomen des Verbandes als objektiv; sie ist es, die die M i t glieder beeinflußt, und ihre geheimnisvolle Wirkung ist es, die die Massen i n Bewegung bringt. A m wenigsten w i r d man w o h l bei dem dritten Punkt auf Zustimmung rechnen dürfen, wonach sich nämlich im menschlichen Wesen, nachdem sich dieses also als eine Verbandsinstitution m i t einer Gruppe von elementaren Einzelbestandteilen darstellt, Gemeinsamkeitsbekundungen i m Rahmen einer Leitidee vollziehen und wonach diese dem entsprechen, was w i r die Bewußtseinszustände nennen. Betrachten w i r zunächst die Tatsache der Gruppierung elementarer psychischer Strukturen i m menschlichen Wesen, w i r werden noch sehen, ob sich die Bewußtseinszustände als Krisen der Gemeinsamkeit dieser elementaren psychischen Strukturen analysieren lassen, die in eine Leitidee einmünden. Wenn w i r den menschlichen Geist, insofern also getrennt vom Körper, auf das Element der Leitidee festlegen, wenn w i r gleichzeitig zugrunde legen, daß der Körper eine psycho-physische Organisation ist und daß infolgedessen nach außen in Erscheinung tretende psychische Äußerungen von ihm abhängig sind, dann hindert uns nichts daran anzunehmen, daß das System dieser psychischen Äußerungen die Eigenart von Gruppen

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hat. Das stimmt mit der biologischen Tatsache der Vereinigung der Nervenzellen überein, die, denken w i r daran, alle Töchter ein und derselben Mutter sind. Das stimmt weiter mit der psycho-physischen Tatsache von der Vielzahl der Bewußtseinszustände und ihrer Synthese überein, so daß nur noch ein Vorbehalt hinsichtlich des vitalistischen Prinzips der Leitidee zu machen bleibt. Wie es auch i m Verhalten der Gruppen nicht ohne Reibungen und Widersprüche abgeht, so stimmt unsere Hypothese auch mit den Feststellungen psychologischer Selbstbeobachtung der Bewußtseinskonflikte überein, der inneren Kämpfe gegen Instinkte und Leidenschaften, der Überlegungen, bei denen sich eine Mehrheit gegenüber einer widerstrebenden Minderheit abzuzeichnen scheint, der Schwenkungen des Bewußtseins, der Sinnesänderungen usw. . . . Die Psychologie hatte diese Bewegungen und Gegenbewegungen zunächst i n einen Geist verlegt, dem schließlich jede Komplexität abzugehen schien; es erscheint aber viel natürlicher, sie in den psycho-physischen Organen dieses selben Geistes zu beheimaten. Gewiß bleibt der Geist, die Leitidee, dabei nicht unberührt, er bekommt die Auswirkungen zu spüren und erlangt gerade inmitten dieser allgemeinen Unruhe subjektive Gestalt, um seine Bestimmung zu erfüllen, aber es ist nicht ohne Belang zu wissen, daß er sich i m psycho-physischen Bereich bewegt und sich in der Abhängigkeit von dem Körper bewähren muß, an den er gebunden ist. Besteht dieser Körper aber wesentlich auch aus einer Gruppe von elementaren psychischen Strukturen, die sich um eine Leitidee scharen, so dürfen w i r annehmen, daß die Tatsache des Bewußtseins sich aus einer Krise der Gemeinsamkeit zwischen allen jenen elementaren psychischen Strukturen ergibt, in deren Verlauf die Leitidee selbst subjektive Gestalt annimmt. Diese Hypothese weist allerdings eine Gefahr auf, sie könnte den A n schein erwecken, als wollte sie die Existenz des Ichs an diejenige der Gemeinsamkeit der elementaren psychischen Strukturen binden. Aber diese Gefahr besteht nur scheinbar, die Bindung ist nicht so eng, denn der Schlaf unterbricht den Zustand des Bewußtseins, ohne aber die Kontinuität des Ichs zu unterbrechen. W i r werden übrigens weiter unten noch auf das Problem subjektiver Kontinuität zurückkommen (siehe B). A u f diese Weise läßt sich die Einzelperson als Verbandsperson ausgestalten, und w i r können nunmehr dank unserer vergleichenden Methode bei beiden zugleich die Fortschritte verfolgen, die das Phänomen der Ein-

1. Die Theorie der Institution und der Gründung beziehung in seinen beiden Stadien der Verkörperung und der Personifizierung erreicht. Als T y p der Verbandsperson nehmen w i r hier den Staat. V o n Verkörperung können w i r beim Staat sprechen, sobald das Stadium der repräsentativen Herrschaft erreicht ist; dann ist ein erster A b schnitt der Einbeziehung beendet, in dem Sinn, daß die Regierungsorgane mit ihrer Willensmacht im Rahmen der Leitidee des Staats für das allgemeine Wohl tätig werden. I n diesem Stadium besitzt der Staat bereits objektive Individualität, er gewinnt für das Völkerrecht um so mehr die Eigenschaft einer MACHT, als die Nation m i t ihrer Regierung eine Einheit bildet; nicht etwa daß sie gemeinsam mit der Regierung A k t i v i t ä t entfalten müßte, aber doch indem sie sich passiv von ihr leiten läßt. Eine repräsentative Regierung dieser A r t braucht noch keine einzige politische Freiheit zuzugestehen, d . h . keine Beteiligung der Bürger an der Regierungsgewalt auf dem Wege über ein Wahlsystem oder anderswie, sie kann aristokratisch sein, gleichwohl w i r d sie repräsentativ sein, solange sie sich nur an die Leitvorstellungen der Staatsidee hält. Von Personifizierung können w i r beim Staat sprechen, sobald das Stadium der politischen Freiheit mit Beteiligung der Bürger an der Regierungsgewalt erreicht ist; dann ist ein zweiter Abschnitt der Einbeziehung beendet, in dem Sinn, daß sich nunmehr im Rahmen der Leitidee Gemeinsamkeitsbekundungen zwischen den Mitgliedern der Gruppe vollziehen, die mit den Entscheidungen der Regierungsorgane H a n d in H a n d gehen (Wahlen, Parlamentsbeschlüsse, Volksentscheide usw.). Die Personifizierung erfolgt, weil die Gemeinsamkeitsbekundungen zwischen den Mitgliedern des Staatsverbandes sich als subjektive Krisen darstellen, in denen die Idee des Staats selbst im Bewußtsein ihrer Träger (sujets) subjektive Gestalt gewinnt (vgl. unsere Arbeit Liberté politique et personnalité morale de l'Etat , in: Précis de droit constitutionnel, zweiter Anhang, 1923). Es ist noch zu erwähnen, daß durch das Stadium der Personifizierung nicht etwa die Auswirkungen der Verkörperung wieder zunichte gemacht werden. Die Rechtspersönlichkeit kommt zu der objektiven Individualität des Verbands noch hinzu, ohne daß diese aber verschwindet. So beruht zum Beispiel die Regierungsgewalt i m Stadium der Verkörperung auf einer Minderheit, im Stadium der Personifizierung indessen auf einer Mehrheit des Volkes, im ersten Fall ist sie vorwiegend Exekutivorgan, i m zweiten vorwiegend Beschlußorgan. Tatsächlich verbindet sich aber die auf Mehrheit beruhende und beschließende Gewalt, die gleichzeitig das 4 Hauriou

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Erscheinen der politischen Freiheit und der Rechtspersönlichkeit kennzeichnet, mit der auf Minderheit beruhenden Exekutivmacht, die als Erbteil der objektiven Individualität des Verbandes erhalten bleibt. Übertragen auf die Psychologie der Einzelperson vermag die Unterscheidung der zwei Stadien und der zwei Arten von Regierung, die w i r gerade analysiert haben, einiges Licht auch auf unser Innenleben zu werfen. Offensichtlich gibt es nämlich in uns eine Führung aus logischem Bewußtsein (un gouvernement de conscience discursive) und eine solche aus intuitivem Bewußtsein (de conscience intuitive). Die logische Führung leitet uns unter all dem Getöse der Öffentlichkeit im Zustand des Wachseins, während die intuitive Führung uns lautlos während des Schlafs, aber auch wenn w i r wach sind, noch gleichsam unterirdisch lenkt. Unsere logische Führung ist diejenige der selbständigen Rechtsperson, sie ist mehr auf Beratung eingerichtet und auf Mehrheit aufgebaut, sie läßt innerer politischer Freiheit Raum, d. h. sie gestattet die Beteiligung der elementaren psychischen Strukturen bei der Festlegung der Richtlinien. U n d zwar ganz sicher aus dem Gedanken des Ausgleichs und der Kontrolle gegenüber einer anderen Führungsmacht. Welcher A r t aber ist diese andere Führungsmacht, die einer solchen Kontrolle bedarf? Hier ist die Stelle, wo sich die Analogie zum Verband als wertvoll erweist. Diese intuitive Macht, die es zu kontrollieren gilt, steht nicht etwa auf einer niederen Stufe, sie beruht nicht etwa auf dem Instinkt. Vielmehr handelt es sich um eine höhere, sehr edle Herrschaftsmacht, ausgestattet mit sehr weitreichenden Befugnissen und begabt mit großer Einsicht. Es ist die Minderheitsregierung der besten psychischen Elemente des Organismus; nur dieser Rat der Oberen darf von der gewaltigen Öffentlichkeit des ratgebenden Bewußtseins kontrolliert werden, so wie der Verstand selbst der Kontrolle bedarf. So muß auch die Exekutive von einem Parlament beschränkt werden können, und gelegentlich müssen selbst die Parlamentarier von den Parlamentsdienern im Zaum gehalten werden. Es ist diese Kontrolle des Verstandes der Elite durch die elementaren psychischen Strukturen der Masse, die den letzten Strich an der moralischen Verantwortlichkeit zeichnet, der hervorragendsten Eigenschaft der Persönlichkeit. B. Die Tatsache der historischen Entstehung des Staats im Fließen von Verkörperung und Personifizierung w i r d zusammen mit den Analogien, die diese Entwicklung in der Struktur der natürlichen und der Verbandspersonen eröffnet, gewiß genügen, um die Personifizierung der Gruppen

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als eine natürliche, von selbst hervortretende Erscheinung auszuweisen. Das Problem des Vorhandenseins juristischer Personen bildet indessen nicht den unmittelbaren Anlaß für unsere Besorgnis, diese bezieht sich vielmehr auf die Erklärung der in den Institutionen hervortretenden Dauer und Beständigkeit durch die Phänomene von Verkörperung und Gruppenbildung. Es geht uns daher auch um die Erklärung der Bildung der Institutionen selbst; denn warum soll es eigentlich eine Idee vom Werk oder Unternehmen nötig haben, sich in eine verbandsmäßige Institution zu versetzen, nur um sich besser verwirklichen und fortsetzen zu können, statt frei in einem gegebenen sozialen Milieu zu verbleiben? Eine Lösung für dieses grundlegende Problem läßt sich nur entwickeln, wenn man das Stadium der Verkörperung von dem der Personifizierung trennt und bei beiden Beobachtungen darüber anstellt, wie die fortwährende Wirksamkeit der Leitidee zustande kommt. 1. I m Stadium der Verkörperung (incorporation) kann es sich nur um ein bloß objektives Fortbestehen der Idee und ihrer Wirkung handeln, weil nach unserer Annahme hier noch keine Gemeinsamkeitsbekundungen erfolgen, an denen alle Mitglieder der Gruppe beteiligt sind. A n dem Verlauf der Geschichte, die gerade über die gewöhnliche Herausbildung des Staats soviel aussagt, sehen wir, wie sich die Periode der Verkörperung über Jahrhunderte hinzieht, bis schließlich auch eine eigene Rechtspersönlichkeit auftritt. Aus der Geschichte ergibt sich auch, daß die Kontinuität, die sich zuerst ausbildet, auf der Machtstellung einer Minderheit beruht und daher außerordentlich unsicher ist. I n Frankreich endete die Macht der ersten Capetinger geweils mit ihrem Tode, die Privilegien, die der König während der Zeit seiner Regierung verliehen hatte, d. h. die Rechtspositionen, die er anderen um seinen Thron herum eingeräumt hatte und die an sich nur hätten fortzubestehen brauchen, konnten von seinem Nachfolger widerrufen werden und bedurften erneut seiner Bestätigung. Nachdem sich dann ein Stand von Würdenträgern um den Thron gebildet und zwei Jahrhunderte hindurch bestanden hatte, ergab sich zum ersten M a l insofern eine Abweichung, als der zu Lebzeiten seines Vaters in diesen Verband aufgenommene Prinz verpflichtet war, die Privilegien wenigstens zugunsten derjenigen Würdenträger zu bestätigen, die für seine Aufnahme in diesen Verband gestimmt hatten. Aber auch als das Prinzip des Erbgangs eingeführt und damit der regelmäßige Übergang der Macht garantiert war, lag damit der ungestörte Fortbestand der auf dieser Macht beruhenden Rechtspositionen noch keineswegs fest. Es bedurfte weiterhin der Bestätigung 4*

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durch den neuen König, die dieser indessen durchaus nicht immer erteilte, weil er sich als absoluten Herrscher betrachtete. Z u diesem Zeitpunkt brachten die Legisten das Prinzip der Legitimität ins Spiel, d. h. sie verbreiteten die Idee, daß beim Tode des Königs die Macht sich nicht jure successionis vererbte, sondern kraft eines Grundgesetzes des Königtums; so empfing der den Thron besteigende Prinz seine Macht vom Gesetz mit allen Auflagen, denen sie regelmäßig unterlag. Er konnte sich nur i n dem Maße gegen bestehende Rechte wenden, wie er es auch i m Falle des Eigentumsübergangs i m Erbwege konnte. Diese lex regia ist i n diesem Zusammenhang nur als eine Form der Leitidee des Staats zu verstehen, die in dieser Weise der äußeren Erhaltung der Macht dient, auf der anderen Seite aber macht diese langdauernde Bemühung der Legisten um die Erhaltung der Macht und ihrer Wirksamkeit innerhalb der Institution des Königstums auch deutlich genug, wie wichtig die Wirksamkeit der organisierten Macht für die Durchsetzung der Leitidee des Staats und für die ihr eigene Kontinuität war. Ausschließlich organisierte Macht vermag Rechtspositionen zu schaffen und ihren Fortbestand zu garantieren. Auch eine Idee vom Werk oder Unternehmen läßt sich aber in der sozialen Wirklichkeit nicht realisieren, ohne daß in dieser Idee und um sie herum Rechtspositionen geschaffen werden und erhalten bleiben. Die Verkörperung der Leitidee in einer Institution sichert ihr also, dank der fortwährenden Wirksamkeit der organisierten Macht, die von dieser ausgeht, die Errichtung und die Erhaltung eines Inbegriffs von Rechtspositionen, inmitten derer sie sich unter außergewöhnlich günstigen Bedingungen bewegen kann. 2. M i t dem Stadium der Personifizierung (personnification) eröffnen sich neue Aussichten auf eine Fortdauer der Wirkung der Leitidee, weils diese Idee im Inneren der Institution nun auch in subjektive Gestalt übergeht. Zunächst läßt sich die Frage stellen, worauf die Kontinuität der subjektiven Ausstrahlung der Leitidee beruht, zum anderen aber bleibt zu fragen, welche Auswirkungen diese fortdauernde Wirksamkeit zeitigt. Die fortwährende Eigenentfaltung der Leitidee im Inneren der verbandsmäßigen Institution läßt sich nur mit H i l f e des Faktors der Gemeinsamkeitsbekundungen der Mitglieder der Gruppe hervorrufen, die, wie w i r schon festgestellt haben, auf Krisen beruhen, in deren Verlauf die Leitidee in den Willensvorstellungen der Mitglieder subjektive Gestalt gewinnt; indessen läßt sich dem sogleich ein Einwand entgegensetzen, der gewichtig zu sein scheint, daß nämlich Gemeinsamkeitsbekundungen zwischen den Mitgliedern einer Verbandsgruppe keineswegs kontinuierlich zu erfolgen pflegen.

1. Die Theorie der Institution und der Gründung Sie bilden vielmehr eine Kette von sporadischen Kundmachungen, die allenfalls periodisch wiederkehren, eine Aufeinanderfolge von Wahlvorgängen, von Beschlüssen in den parlamentarischen Organen, von öffentlichen Versammlungen. Lange Zeitspannen liegen zwischen diesen Augenblicksereignissen, diesen Wetterleuchten, die nachts am H i m m e l aufblitzen. Damit die Leitidee zum Subjekt des rechtlich verselbständigten Verbands werden kann, muß sie indessen audi so angesehen werden können, als habe sie ununterbrochen subjektive Gestalt. I n der natürlichen Person erscheint uns das Rechtssubjekt an sich als fortdauernd vorhanden, obwohl die herrschende Psychologie das Bewußtsein in zusammenhanglose Einheiten zerlegt, und obwohl w i r Unterbrechungen des Bewußtseins durch Schlaf und Ohnmacht erleben. Es handelt sich also darum, eine Erklärung zu finden, um von der offensichtlichen Zusammenhanglosigkeit der Bewußtseinszustände zu einer Kontinuität des Subjekts zu gelangen, wie sie uns auch innerlich bestätigt wird. Diese Erklärung läßt sich nicht etwa daraus entnehmen, daß die gleichsam bewegliche Reihe der Bewußtseinszustände durch die Leitidee, insofern diese objektiv ist, verbunden würde; denn dann handelte es sich nicht um eine Kontinuität i m Subjektiven. Aber sie läßt sich aus der Wirksamkeit der Macht entnehmen, wie sie in allen bewußten Willensakten enthalten ist, wo die Leitidee bereits subjektiviert ist. Rückwirkend in die Vergangenheit wie auch vorwärtsgreifend in die Zukunft baut die Macht Brücken zu jedem Bewußtseinszustand, genau wie die Klappbrücken zwischen den Waggons eines dahinrollenden D-Zuges dessen Kontinuität bewirken. I n jedem einzelnen bewußten Willensakt ist auch Ausübung von Macht enthalten. A u f jeden Fall liegt Betätigung von Macht in den Gemeinsamkeitsbekundungen der Mitglieder einer verbandsmäßigen Gruppe, sei es daß die vollziehende Gewalt hier wirksam wird, sei es daß sich Macht über ein auf Mehrheit beruhendes Beschlußorgan entfaltet. Die W i r k samkeit solcher Machtausübung kann in dem Sinne auch in die Vergangenheit zurückreichen, daß sie sich auf die Rechtsverhältnisse aus der Vergangenheit bezieht, sie kann aber auch in der Weise in die Zukunft hineinreichen, als sie Rechtsverhältnisse regelt, die erst in der Zukunft entstehen. Das Gesetz selbst, als subjektives Werk eines auf dem Mehrheitsprinzip beruhenden Beschlußorgans, ist begrifflich eine allgemeine Regelung (une règle générale) in dem Sinn, daß es die Zukunft für immer regelt, solange bis es aufgehoben oder abgeändert wird.

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Unter diesen Umständen ist es zu verstehen, daß man in Deutschland versucht hat, die Willensmaòt zum Subjekt der juristischen Person zu erheben, um so der weitreichenden Macht gerecht zu werden, die die Auswirkungen einer subjektiven Willensbekundung zu verlängern vermag, bis sie in die nächste Willensbekundung einmünden, und die auf diese Weise eine subjektive Kontinuität herstellt. Indessen ist die deutsche These nicht richtig, weil die Willensmacht allein trotz ihrer Dehnungsfähigkeit die Willensbekundungen nicht nahtlos zusammenfügen würde, wenn sie nicht im Dienste einer Leitidee stände, denn in welcher Richtung sollte sie sonst wohl die Kontinuität herstellen? Es handelt sich dabei um die Kontinuität einer Flugbahn, deren Kurve allein die Leitidee mit der ihr eigenen Dynamik festlegen kann, zumal sie sich selbst als das Subjektive bestimmt, das die einzelnen Willensakte zu tragen vermag. Das eigentliche Subjekt der Rechtsperson bleibt deshalb sehr wohl die Leitidee vom Werk, die im Bewußtsein der Mitglieder der Gruppe subjektive Gestalt annehmen muß, nicht nur durch Gemeinsamkeitsbekundungen, sondern auch durch das Ausstrecken der Fühler der Macht, die jene untereinander verbinden, der Macht, diezumTeil im Willen der Führungsorgane liegt, zum Teil aber auch in der Leitidee selbst7»8. So also fügt die verbandsmäßige Institution zu der Kontinuität der Idee im objektiven Zustand, wie sie sich bereits im Stadium der Verkörperung zeigt, im Stadium der Personifizierung noch die Kontinuität derselben Idee im subjektiven Zustand hinzu. Welchen Vorteil trägt aber diese neue Form von Kontinuität der Leitidee ein? Sie hat dadurch, wie uns scheint, sogar einen dreifachen Gewinn: einmal den Vorteil, sich ausdrücken zu können, zum anderen den Vorteil, sich verpflichten zu können und schließlich denjenigen, verantwortlich sein zu können. a) Die Leitidee jeder Unternehmung neigt dazu, sich in subjektiver Weise darzustellen. Zunächst äußert sie in jeder Institution durch Ordnungsvorschriften oder Satzungsbestimmungen sozusagen ihre Besonderheit. Natürlich verobjektivieren sich diese Vorschriften außerordentlich 7 Diese Analyse der subjektiven Kontinuität der Verbandsperson ist uns durch das hervorragende Werk von Jacques Chevalier (Professor an der Universität Grenoble) über le continu et le discontinu nahegelegt worden, das er uns dankenswerterweise überreicht hat und das sich unter den Memoranden der „Aristotelian Society", suppl. volume IV, London, 1924, S. 170—196, findet. [Wieder abgedruckt in Heft X V der „Cahiers de la Nouvelle Journée". Anm. d. Hrsg.] 8 Uns scheint jetzt, daß ein weiteres Element der Kontinuität in dem intuitiven Bewußtsein der Mitglieder der Elite liegt, in einem Bewußtsein also, das sich nicht nur in periodischen Krisen zeigt, sondern das wirklich dauernd besteht (Anm. d. Verf. von 1928).

1. Die Theorie der Institution und der Gründung schnell, aber im Augenblick, da sie aufgestellt werden, sind sie sehr wohl subjektiver Willensausdruck der gesetzgebenden Gewalt, die im Namen der Institution spricht. Natürlich muß auch betont werden — und das fällt noch mehr ins Gewicht —, daß diese Vorschriften den wirklichen Inhalt der Leitidee der Institution keineswegs unmittelbar zum Ausdruck bringen. Welche Gesetze des Staats könnten audi ohne weiteres den eigentlichen Inhalt der Staatsidee wiedergeben? Wie w i r schon gesehen haben, haben die Rechtsnormen im wesentlichen Beschränkungen zum Inhalt, sie kennzeichnen nur die Umrisse der Dinge; allerdings kann es vorkommen, daß sich der genaue Inhalt bis zu einem gewissen Grade aus diesen Umrissen mittelbar ableiten läßt. Das gilt vor allem für die Satzungsund Verfassungsvorschriften. Die höchsten Formen indessen, nach denen die Leitidee einer Institution dahin angelegt ist, sich in dieser selbst subjektiv darzustellen, sind nicht im eigentlichen Sinne rechtlicher Herkunft, es sind vielmehr Formen der Moral oder der Einsicht, oder aber, wenn sie sich doch rechtlich einordnen lassen, sind es höherstehende Prinzipien des Rechts. So sind zum Beispiel in der revolutionären Krise am Ausgang des 18. Jahrhunderts in Amerika und später in Frankreich die Erklärungen der Menschenrechte als Ergebnis der modernen Staatsidee von jener individualistischen Ordnung hervorgeschossen, die der Staat in der Gesellschaft zu schützen bestimmt ist, sie sind von daher „die Prinzipien des öffentlichen Rechts der Franzosen" geblieben. So verdeutlicht sich mehr und mehr die zu einem großen Teil ungreifbare Substanz der Leitidee des Staats. Als ein noch bezeichnenderes Beispiel läßt sich auch die Geschichte der Kirche heranziehen. A n der Idee des Christentums, der Erneuerung der Welt durch Vergebung, blieb auch nach der Botschaft von Christus noch vieles unbestimmt. Es ist nun sehr lehrreich, die Idee nach und nach I n halt annehmen zu sehen und vor allem zu beobachten, wie die Kontinuität der Idee mit zunehmender Bestimmtheit ihres Inhalts bewahrt bleibt, was auf die Tatsache zurückzuführen ist, daß die Idee des Christentums sich in der Institution der christlichen Kirche verkörpert hat. Darin liegt die Geschichte der Kirche und des Dogmas; hier versteht sich und äußert sich die religiöse Idee durch Symbole, weil die Grundlage jeder religiösen Idee der Glaube ist. Worin hat wohl die verbandsmäßige Kontinuität der Kirche die Kontinuität der Entwicklung des Dogmas im eigentlichen Sinne der Leitidee fördern können? Hätte die Idee des Christentums, nachdem sie einmal in die Welt gebracht worden war, nicht auch auf sich selbst gestellt in Freiheit und

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i m Zustand objektiver Wahrheit weiter Fortschritte madien können? Das Unglück w i l l es, daß die objektiven Ideen von den Menschen nur über subjektive Vorstellungen erfaßt werden, so sehr, daß die Offenbarung, würde man sie sich ganz selbst überlassen, in Gefahr käme, in einem Meer von subjektiven Deutungen und Häresien unterzugehen. Die Institution der Kirche und die Gemeinsamkeitsbekundungen, die auf tausend verschiedene Arten im Schoß dieser Institution vollzogen und von ihren Priestern geleitet werden, haben die genaue Festlegung einer gemeinsamen Wahrheit ermöglicht. Eben diese subjektive offizielle Auslegung bildet das Dogma und Symbol. Sie erschöpft nicht den Inhalt der objektiven Idee, weil dieser in den Mysterien fortbesteht, aber sie gewährleistet doch die Wiedergabe dieses Inhalts und gleichzeitig die Dauer der Wirksamkeit der Idee noch immer am ehesten. Das führt uns darauf zurück zu betonen, daß jedes Vorgehen der Führung, das sich mit einer Gemeinsamkeit unter den Anhängern im Einklang befindet, eine weit bessere Gewähr für Kontinuität in der subjektiven Auslegung der Leitidee bietet als etwa ein Vorgehen nach freier individueller Auslegung. b) A n zweiter Stelle vermittelt die subjektive Kontinuität der Idee einer Institution die Fähigkeit, sich zu verpflichten. Es würde allerdings unseren Rahmen sprengen, hier in rechtliche Erwägungen über die Auswirkungen dieser Verpflichtungsfähigkeit einzutreten. Beschränken w i r uns daher auf die Feststellung, daß die Selbständigkeit der Rechtsperson des Staats sich besonders deutlich bei der öffentlichen Verschuldung zeigt und daß der Fortbestand dieser Schuldenlast sich auf diese Weise hat auf ewig ausdehnen lassen, mit H i l f e eindrucksvoller Ubereinstimmung in dieser Frage unter den aufeinanderfolgenden Generationen. Stellen w i r weiter fest, daß für den Staat mit dieser Fähigkeit zu Verpflichtungen auch die Möglichkeit korrespondiert, sich der ausgedehnten Hilfsquellen der Kreditbeschaffung zu bedienen. Dieselben Vorteile genießen dank ihrer Verpflichtungsfähigkeit alle personifizialen Verbandsinstitutionen. c) Schließlich bewirken subjektive Kontinuität der Idee und Rechtspersönlichkeit, daß die Verbandsinstitution subjektiver Verantwortlichkeit teilhaftig wird, die das Gegenstück zur Freiheit darstellt. Es wären auch hier rechtliche Erwägungen anzustellen, vor allem über die Anwendung der Grundsätze der Verschuldenshaftung auf den Staat und die Verbandsinstitutionen. Trotz der Wichtigkeit dieser Fragen müssen w i r uns hier darauf beschränken, diesen Punkt lediglich zu berühren, indem w i r feststellen, daß diese Grundsätze tatsächlich angewandt werden.

1. Die Theorie der Institution und der Gründung Insgesamt gesehen vervollständigt und bereichert die in der Fähigkeit zu rechtlicher Selbständigkeit liegende subjektive Kontinuität der K ö r perschaft auf einzigartige Weise; in der Personifizierung findet die Verkörperung ihre Vollendung, die eine wie die andere sorgen mit allem Nachdruck dafür, daß die objektive Idee i m sozialen Milieu tatsächlich Gestalt findet. II. Nach der Anatomie der verbandsmäßigen Institutionen wenden w i r uns nun ihrer Physiologie zu, um sie leben zu sehen und um ihre Entstehung, ihr Wirken und ihr Ende zu beobachten. W i r werden dabei auch die Rechtsqualität herausstellen, die ihnen in jedem Zeitpunkt ihres Daseins zukommt. I . Die Entstehung der verbandsmäßigen Institutionen vollzieht sich in einem Gründungs Vorgang (opération de fondation). W i r haben zu unterscheiden zwischen den Gründungen auf Grund förmlichen Verfahrens und solchen auf Grund von Gewohnheiten. D a aber die Elemente der förmlichen Gründungsvorgänge deutlicher hervortreten, gehen w i r diesen bei unserer Erörterung den Vorzug. Auch in diesem Fall gibt es wiederum zwei Modalitäten der Gründung, einmal die allein auf Grund des Einzelwillens einer bestimmten Person und zum anderen diejenige auf Grund gemeinsamer Willensäußerung mehrerer Personen. Nach der ersten Gründungsart entstehen Institutionen der Kategorie der Anstalten (établissements) (Krankenhäuser, Wohlfahrtsanstalten usw.), bei denen es keinerlei ständige Mitgliedergruppe gibt, welche die Gründung fortsetzen könnte, bei denen dieses Element vielmehr durch die Einsetzung eines Zweckvermögens ersetzt wird. Nach der zweiten, üblicherweise angewandten, Gründungsart entstehen Institutionen der Kategorie der Verbände (corporations) oder universitates, in denen eine ständige Mitgliedergruppe besteht, die die Gründung fortbestehen läßt. W i r haben uns hier nur mit den Gründungen aus gemeinsamem Willen zu befassen, aus denen verbandsmäßige Institutionen hervorgehen. Der Wirkungsbereich dieser Gründungsvorgänge ist ausgedehnter, als allgemein angenommen wird, weil es eine große Anzahl von Gründungen gibt, die sich hinter anderen Vorgängen verbergen, mit denen sie sich überschneiden. So empfiehlt es sich, jedesmal wenn durch einen Vertrag oder sonst ein Übereinkommen irgendeine Körperschaft entsteht, in Rechnung zu stellen, daß sich mit dieser vertraglichen Vereinbarung auch ein

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Gründungsvorgang verbinden kann. Wenn bei der Aktiengesellschaft im Handelsrecht auch eine Körperschaft entsteht, dann deshalb, weil ihre Satzung, mag sie uns auch als Vertragswerk erscheinen, eine Gründung beinhaltet; denn der Vertrag würde aus sich selbst nur Verpflichtungen zwischen den Beteiligten entstehen lassen, wie es bei der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts der Fall ist. Als Waldeck-Rousseau seinen Gesetzentw u r f über die Vereinigungen einbrachte, zeigte sich, daß ihnen aber jeglicher Verbandscharakter fehlte. Dieser Vorschlag wurde daher, bis er schließlich zum Gesetz vom 1. Juli 1901 wurde, noch in dem Sinne geändert, daß sich zu dem vertraglichen auch ein Gründungsvorgang gesellte. A u f internationaler Ebene sind deshalb auf Grund von Abkommen, wiewohl diese reine Vertragswerke sind, Staaten entstanden, weil sich in den Vertrag eine Gründungsmaßnahme seitens der Gründer-Staaten mit einschleichen konnte (Staaten, auf Grund der Friedensverträge von 1919 und 1920 durch Gründungsbeschluß der alliierten Mächte entstanden.) Der Gründungsvorgang aus gemeinsamem Willen selbst setzt sich wiederum aus den folgenden Elementen zusammen: 1. Bekundung gemeinsamen Willens in Gründungsabsicht, 2. Abfassung der Satzung, 3. tatsächliche Einrichtung der verbandsmäßigen Institution, 4. Anerkennung ihrer Rechtsfähigkeit. Die Bekundung gemeinsamen Willens in Gründungsabsicht bildet das bei weitem wichtigste Element, in ihr liegt der Ausdruck der Einigung und damit die rechtliche Grundlage nicht nur für den Gründungsvorgang, sondern für die Existenz der damit gebildeten Körperschaft schlechthin, weil diese Existenz sich in der Fortsetzung der Gründung äußert. D a w i r hier keine erschöpfenden Rechtserläuterungen geben wollen, beschränken w i r uns auf die Behandlung nur dieses einen Elements. Die Bekundung gemeinsamen Willens in Gründungsabsicht bedeutet, daß vielfältige Willenserklärungen von jedem Mitglied der Gründungsgruppe abgegeben werden müssen. Das kann gleichzeitig in einem einzigen A k t vor sich gehen, ebensogut aber können die Erklärungen auch nach und nach einzeln abgegeben werden. Sie enthalten auf jeden Fall eine gemeinsame Willensbekundung, nämlich ein bestimmtes Werk oder Unternehmen zu gründen, dessen Leitidee unter den Gründern bekannt ist. Diese Willensbekundungen, die also gemeinsam erfolgen, bilden ein Bündel von Ubereinstimmung, das den angestrebten Rechtserfolg hervorbringt, d. h. juristisch die Gründung bewirkt. Dabei sind zwei Momente noch zu erläutern: einmal der Rechtserfolg der Gründung, zum anderen die Bildung des Bündels von Ubereinstimmung.

1. Die Theorie der Institution und der Gründung Der Reditserfolg der Gründung bedarf der Erklärung ebensosehr bei der Gründung durch Einzelwillen wie bei jener durch gemeinsamen Willen: wie können individuelle Willensäußerungen ein Sozialgebilde ins Leben rufen? H i e r besteht ein MißVerhältnis zwischen Ursache und Wirkung, das zunächst überrascht: die Dauer der Institution überschreitet bei weitem die Lebensdauer der Gründer und ihrer Willensbetätigung. Aber man muß bedenken, daß Organisation in einem Sozialgebilde und Dauer der Institution nicht einzig und allein auf den Willen der ursprünglichen Gründer zurückzuführen sind, daß sie vielmehr auch auf der eigentümlichen Kraft der Leitidee einer einmal gegründeten Institution beruhen. Diese w i r d immer wieder neue Anhänger anziehen, die insofern neue Gründer werden, als sie die Gründung in dem Maße fortsetzen, wie diese sich im sozialen Milieu objektiviert. Die ursprünglichen Gründer taten so anscheinend mehr, als sie eigentlich konnten, da sie eine lebenskräftige Idee in das soziale Milieu einpflanzten, die sich nun, nachdem sie einmal Wurzeln geschlagen hat, von selbst dort weiterentwickelt. Damit haben die Gründer aber gar nichts anderes getan, als was Tag für Tag die Besitzer von Weinbergen oder Wäldern tun, die ihre Besitzer bestimmt auch überdauern und deren Wert dank der M i t w i r k u n g des Bodens in einem eigentümlichen Mißverhältnis zu den Bemühungen ihrer Besitzer steht. Die Rechtfertigung der individuellen Freiheit zur Gründung entstammt demselben Bereich wie die Eigentumsfreiheit: der Mensch hat das Recht, sich die allenthalben vorhandene M i t w i r k u n g des sozialen Milieus ebenso zunutze zu machen wie die Kraft des Bodens. Es sind rein politische Gründe, die den Staat veranlassen, sich nur allzuoft gegenüber der Freiheit zur Gründung feindlich zu zeigen, er befürchtet eben die Konkurrenz von spontan entstehenden Gebilden. Doch haben w i r nicht die Möglichkeit, diese Überlegungen hier weiterzuführen. Auch die Bildung des Bündels von Zustimmungen bei der Gründung aus gemeinsamem Willen, das die Einigung über die Gründung vereinheitlicht, bedarf noch der Erklärung. Drei Faktoren wirken bei der Bildung dieses Bündels m i t : 1. ein und dasselbe Objekt für alle Zustimmungserklärungen, 2. Wirksamkeit einer Macht, 3. Bindung an ein vorgeschriebenes Verfahren. Die Einheitlichkeit des Objekts für die Zustimmungserklärungen w i r d durch die Idee vom Werk realisiert, weil einzig und allein diese das Objekt abgibt und weil sie eine Einheit ist; w i r haben uns schon genügend mit der Anziehungskraft dieses Objekts befaßt. Man darf indessen nicht glauben, daß diese Anziehung allein schon genüge und daß daher die

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Willensbekundungen i n Gründungsabsicht im übrigen ganz aus freien Stücken erfolgten. Diesem I r r t u m verfallen die deutschen Autoren, wenn sie die „Vereinbarung 1c analysieren, die nichts anderes ist als das, was w i r lieber die gemeinsame Gründung (communion fondative) nennen, wie sie in einem Bündel von parallellaufenden Zustimmungserklärungen liegt, die allein durch die Identität ihres Objekts bestimmt werden. Darin liegt immer noch der I r r t u m der Lehre vom Sozialkontrakt. War doch in diesem Sinne auch Rousseaus Sozialkontrakt bereits eine „Vereinbarung" y denn die Vertragschließenden tauschten nicht etwa gegenseitige Erklärungen der Zustimmung, sondern sprachen parallellaufende Erklärungen aus, die alle das gleiche Objekt hatten. I n Wahrheit ist die Bildung des Bündels von Zustimmungserklärungen teilweise auch auf die Einwirkung einer Macht zurückzuführen, und das liber volui w i r d hier stark von einem coactus volui beeinflußt. Bei der Gründung des Staats, die sich vor unseren Augen in jeder Verfassungsänderung wiederholt, ist die Wirksamkeit politischer Macht offenkundig: zunächst sind es mehr die Regierungsorgane, die die Verfassungsänderung von sich aus in Angriff nehmen, dann aber geben sie dabei auch einer politischen Mehrheit nach. Auch bei der Gründung eigener Verbände, der Vereinigungen, Gewerkschaften und Aktiengesellschaften kommen die Beschlüsse der Hauptversammlung zum Tragen, die nicht etwa einstimmig, sondern nach einem bestimmten Mehrheitsverhältnis gefaßt werden. Natürlich könnte sich die Opposition aus dem gemeinsamen Unternehmen zurückziehen, tatsächlich w i r d sie jedoch durch tausend Überlegungen davon abgehalten. U n d diese Erwägungen bedeuten nichts anderes, als daß ein moralischer Druck auf den Unterlegenen lastet. Übrigens ist es eine Tatsache, daß schon im Verlauf der Gründung einer bestimmten Institution die Initiative von einem oder von mehreren A n führern übernommen wird, die es verstehen, alle möglichen Einflüsse auszuspielen. Außerdem gibt es aber auch viele Menschen, die sich aus dem einen oder anderen Grunde einem Beitritt nicht entziehen können. Wenn dadurch also auch das Element Macht noch wirksam wird, so handelt es sich hier um einen doppelten Effekt. Einmal verbindet dieses Element die verschiedenen Zustimmungserklärungen zu einer Einheit. Selbst dort nämlich, wo die Macht auf einer Überlegenheit der Mehrheit in der Abstimmung beruht, erweist sich die Tatsache, daß die Opposition notgedrungen die Mehrheitsentscheidung akzeptiert, schon allein daran, daß die Mitglieder der Minderheit sich nun nicht etwa aus der Institution zurückziehen. Zum anderen zeichnen sich

1. Die Theorie der Institution und der Gründung diese Beschlüsse dadurch aus, daß sie aus sich selbst heraus rechtlich Geltung erlangen, worin gerade die typische Eigenart von Machthandlungen liegt. Daraus läßt sich nur der Schluß ziehen, daß die „gemeinsame Gründung" ebensosehr ein Machtvorgang wie ein Einigungsakt ist und daß die Gründer Macht ausüben. Schließlich ist auch die Gründung durch Einzelwillen genaugenommen ebenfalls Ausübung einer individuellen Macht, die derjenigen des Erblassers entspricht, der ein Testament errichtet. Die Freiheit zur Gründung ist also private Machtentfaltung, woraus sich auch ein wenig die Bedenken erklären, m i t denen der Staat ihre Ausübung überhaupt gewährt. Z u der Einheitlichkeit des Objekts und zu der Wirksamkeit einer Macht kommt schließlich noch die Bindung an ein bestimmtes Verfahren hinzu. Dabei handelt es sich um das formelle äußere Element, das erforderlich ist, damit der Gründungsvorgang, trotz seiner Vielschichtigkeit und trotz der Aufeinanderfolge seines Zeitablaufs, sich einheitlich in einem Rechtsakt niederschlägt. Die materiellen Elemente der Einheitlichkeit des Objekts und das Wirksamwerden der Macht allein würden dazu nicht ausreichen. Von dem Augenblick an, da nach und nach die Beitrittserklärungen abgegeben werden, da verschiedenartige Förmlichkeiten sich anschließen können, wie etwa die Einzahlung eines Viertels des übernommenen Kapitals, wie die Prüfung der Einlagen bei den Aktiengesellschaften, wie die wiederholten Sitzungen von Versammlungen, von da an müssen diese sich vervielfältigenden Ereignisse durch Verfahrensvorschriften geregelt werden. Für den Gründungsabschnitt bei Aktiengesellschaften w i r d dieses Verfahren durch Gesetz geregelt. I n einer Schrift von 1906 über „L'institution et le droit statutaire", die übrigens noch sehr unvollkommen ist, haben w i r uns bereits mit der Eigenschaft „ v o m Vorgang zum Verfahren" (d'opération à procédure) beschäftigt, die sich bei der Gründung von Institutionen feststellen läßt. Hier möchten w i r daher von weiteren Bemerkungen zu dieser Frage absehen. Andere Klarstellungen erfordern vielmehr nun unsere Aufmerksamkeit. Die Gründung ist ein subjektiv bestimmter Vorgang. Die Verbandsinstitutionen entstehen in einer Krise i n der Gemeinsamkeit zwischen den an der Gründung teilnehmenden Willensträgern, in deren Verlauf die Idee vom Werk i m Bewußtsein der Beteiligten subjektiven Charakter erhält. Z u dem, was w i r hierüber bereits ausgeführt haben, haben w i r noch folgendes hinzuzufügen: aus dieser subjektiven Krise läßt sich schließen, daß die juristische Person der Institution zu gleicher Zeit entsteht wie ihre verbandsmäßige Organisation, indessen wäre es übertrie-

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1. Die Theorie der Institution und der Gründung

ben, aus ihr schließen zu wollen, daß sie dieser vorausgehen und sie sogar erklären würde. Diesem I r r t u m erliegen allerdings die Anhänger des ultra-subjektivistischen Systems, wenn sie die Verfassung des Staats aus dem Willen der juristischen Person erklären wollen. Diesem I r r t u m verfallen aber auch jene Handelsrechtler, die das ganze Gründungsverfahren bei Aktiengesellschaften bereits aus dem Willen der juristischen Person der entstehenden Gesellschaft erklären zu können glauben. Diese verfehlten Vorstellungen verhüllen eine Wahrheit, nämlich daß von Anfang an nur die Idee vom Werk oder Unternehmen existiert und daß sie es ist, die den Sauerteig abgibt, ohne den das Brot nicht gebacken werden kann. Doch kann sie in diesem Anfangsstadium noch nicht mit eigener Rechtsfähigkeit ausgestaltet werden, weil sie noch gar keine Organe besitzt. Anders ausgedrückt, es wäre eine petitio principii anzunehmen, daß die Organe einer juristischen Person aus dem Willen eben dieser Person hervorgehen würden, weil diese, bis sie über eigene Organe verfügt, gar keinen eigenen Willen hat. I n Wahrheit w i r d die Organisation der juristischen Person von außen her durch ihre Gründer geschaffen. Die Krise der Gründung ist nur a parte condentium (von den Gründern her) subjektiv. Sobald die juristische Person erst einmal entstanden ist und es sich nur noch um ihre laufende Leitung und Verwaltung handelt, werden die Krisen in der Gemeinsamkeit, zu denen die Geschäftsführung Anlaß gibt, subjektiv a parte perso nae conditae (von der gegründeten juristischen Person her). Wenn das nicht so wäre, dann gäbe es keinerlei Unterschied zwischen „pouvoir constituant" (Gründungsmacht) und „pouvoir gouvernemental" (Regierungsmacht). I I . Die Entstehung der verbandsmäßigen Institution ist also auf jeden Fall das Ergebnis eines Rechtsvorgangs (opération juridique). Gibt nun ihr alltägliches Leben zu ebensolchen Vorgängen Anlaß? A n der A n t w o r t kann kein Zweifel sein, alle Handlungen, durch die eine Verbandsinstitution ihren Bestand sichert, Versammlungsbeschlüsse, Entscheidungen des Vorstands und des Geschäftsführers, haben rechtliche Bedeutung. Bei den privaten Institutionen ergibt sich dieses juristische Element bereits aus der Satzung oder aus dem Gesellschaftsvertrag. Auch die Klage auf Aufhebung derartiger Rechtsakte findet gegebenenfalls ihre Grundlage in der Satzung oder im Gesellschaftsvertrag. Bei den öffentlichen Institutionen und besonders beim Staat beruht der Rechtscharakter der Entscheidungen, durch welche die Funktionsfähigkeit von Regierung und Verwaltung gewährleistet wird, auf Macht. Diese Ent-

1. Die Theorie der Institution und der Gründung Scheidungen erhalten ihre rechtliche Geltung durch die Macht, die sie trifft. I n Frankreich können sie daher mit einem dem durchaus angemessenen Rechtsmittel angefochten werden, nämlich mit der Beschwerde wegen Mißbrauchs von Macht (Kompetenzüberschreitung) (recours pour excès de pouvoir). Die rechtliche Ausgestaltung ist hier i m öffentlichen Recht genauer als i m Privatrecht. Denn hier wie dort, also auch bei den privatrechtlichen Verbandsinstitutionen, gehen die Entscheidungen von einer Macht aus. Sie verdienten es daher auch dort, als Ausdruck einer Entscheidungsmacht isoliert betrachtet und ebenfalls einer besonderen Beschwerde wegen Machtmißbrauchs (Kompetenzüberschreitung) unterworfen zu werden. I I I . Zwar sind die verbandsmäßigen Institutionen auf lange Dauer angelegt, sie sind aber so vergänglich wie jedes andere Wesen. Manchmal beruht ihr Untergang auf inneren Ursachen, wie auf schlechter Organisation oder Verschleiß der Idee, oft ist er aber auch auf äußere Ereignisse zurückzuführen, wenn die Institutionen ihr Ansehen verlieren oder das soziale Milieu sich ihnen gegenüber feindlich verhält. Auch ihr Ende nimmt grundsätzlich die Form eines Rechtsakts an: Entweder werden die Institutionen durch eine äußere Macht beseitigt, wie etwa im 18. Jahrhundert i m Falle der Teilung des polnischen Staatsverbandes nach Vereinbarungen zwischen Preußen, Österreich und Rußland; wie auch i m Falle der Beseitigung der Stände des ancien régime in Frankreich durch die Revolutionsgesetzgebung; oder wie im Falle der Abschaffung und Liquidation der religiösen Orden in Frankreich durch Gesetz vom 1. Juli 1901, soweit nicht eine ausdrückliche Zulassung vorlag; oder aber die Institutionen lösen sich durch Beschluß ihrer Mitgliederversammlung selbst auf. Beseitigung von außen oder Selbstauflösung ziehen rechtliche Folgerungen hinsichtlich der Liquidation der Vermögenswerte nach sich. Die Idee der Selbständigkeit des Verbands hat gerade in diesem Bereich seit einem Jahrhundert große Fortschritte gemacht. Noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts vertrat man ohne Bedenken die Auffassung, daß das Vermögen einer erloschenen Verbandsinstitution nach A r t . 539 und 713 code civil über das Recht an herrenlosen Sachen dem Staat zufalle; nach der gegenwärtigen Auffassung aber kann die Satzung der Institution für den Fall ihrer Auflösung oder Beseitigung eigene Vorschriften über den Verbleib des Vermögens enthalten oder aber es kann der Hauptversammlung vorbehalten bleiben, selbst darüber zu bestimmen. So kann die Institution also eine A r t rechtsverbindliches Testament errichten.

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1. Die Theorie der Institution und der Gründung

Diese kurzen Angaben mögen für unser Vorhaben genügen. Es ging uns hier nur darum, auf die ganz und gar rechtliche Eigenart der Entstehung, des Wirkens und des Untergangs der Institution hinzuweisen, nicht aber alle Einzelheiten für jeden A k t dieses Dramas aufzuzeigen.

III. Aus den vorangehenden, recht vielschichtigen Ausführungen ließen sich nun zahlreiche Schlußfolgerungen ziehen. W i r wollen uns hier jedoch auf drei Punkte beschränken, von denen der erste die Grundlagen der Kontinuität in der Gesellschaft, in Staat und Recht betrifft, der zweite die Realität der moralischen und juristischen Person, während der dritte die sekundäre Rolle der Rechtsnormen betrifft. I . Gerade bei den verbandsmäßigen Institutionen, zu denen auch der Staat gehört, und bei dem Gründungsvorgang dieser Institutionen ist die Grundlage für die Kontinuität im Gesellschaftlichen zu suchen. Solange die verbandsmäßigen Institutionen bestehen und solange sie in sich selbst und um sich herum die Kontinuität ihrer Leitidee und deren Wirksamkeit in objektiver wie in subjektiver Hinsicht bewahren, solange unterstützen und erhalten sie durch ihre Macht auch alle Rechtsverhältnisse um sich herum, die auf Dauer angelegt sind. Wenn sie selbst ihr Bestehen einem Gründungsvorgang verdanken, der sich dauernd wiederholt, so ergibt sich das aus der Verbindung der drei Elemente des Gründungsvorgangs: der Leitidee, der Macht und ein übereinstimmenden Bekundungen von Gemeinsamkeit, also Elementen, die sich in der Institution selbst wiederfinden, worauf ihre Dauer und Kontinuität beruht. M a n kann folgende Gleichungen aufstellen: 1. Kontinuität gleich Institution und Gründung; 2. Institution und Gründung gleich Leitidee, Macht, gemeinsame Ubereinstimmung. I I . Weiter haben w i r das Vorhandensein von moralischen Personen bestätigt gefunden, als w i r den natürlichen Charakter der Phänomene der Verkörperung und der Personifizierung der Institutionen näher betrachteten. Die Bedeutung dieser ersten Beobachtung wurde noch bekräftigt durch eine zweite, daß nämlich, wenn die Verkörperung für die Leitidee der Institution bereits objektive Kontinuität schafft, die Personifizierung ihrerseits subjektive Kontinuität für dieselbe Idee schaffen muß, deren Auswirkungen noch hinzuzufügen waren. Es erscheint uns ausgeschlossen, die Beweisführung über das Vorhandensein der moralischen Person

1. Die Theorie der Institution und der Gründung noch weiterzuführen, und soweit es um die juristische Person geht, so kommt sie von ihr her, denn sie ist nichts anderes als eine kleine Abweichung und eine Stilisierung der moralischen Person und beruht infolgedessen auch auf demselben Tatsachengrund. I I I . Die sekundäre Rolle der Rechtsnorm im gesamten Rechtssystem schließlich scheint uns aus den vorangehenden Überlegungen hervorzugehen. Die bezeichnende Tatsache, die w i r weiter oben bereits angeführt haben, daß nämlich die Rechtsnormen, soweit sie überhaupt als Leitidee in Frage kommen, nicht genügend Lebenskraft in sich haben, um einen Verband um sich herum aufzubauen, der zu ihnen gehört und in dem sie Gestalt gewinnen, beweist zur Genüge, daß sie den Leitideen unterlegen sind, die über ausreichende Lebenskraft verfügen, um sich zu verselbständigen. Dieser schlagende Beweis lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die uralte Wahrheit hin, daß das entscheidende Element in einem Rechtssystem diejenigen sind, die Rechtshandlungen vollziehen (les acteurs juridiques), nämlich die Individuen einerseits, die verbandsmäßigen Institutionen andererseits, weil sie die lebendigen und schöpferischen Persönlichkeiten sind, sowohl durch die Ideen von den Unternehmen, die sie repräsentieren, wie durch ihre Macht zu deren Verwirklichung. Die Rechtsnormen dagegen stellen nur Ideen der Beschränkung dar, statt Ideen des schöpferischen Unternehmens zu verkörpern. I n einer Welt, die leben und handeln w i l l , ganz in der Verbindung von Handlung mit Kontinuität und Dauer, nehmen die Verbandsinstitutionen neben den Einzelpersonen den ersten Rang ein, weil sie ebensosehr Handlung wie Kontinuität verkörpern. Die Rechtsnormen dagegen sind zweitrangig, weil sie, mögen sie auch Kontinuität verkörpern, doch keine Handlung repräsentieren. Als Léon Duguit sein System des objektiven Rechts aufbaute, lag sein I r r t u m darin, daß er auf das objektive Recht, auf die Rechtsnorm setzte. Das eigentlich objektive Element des Rechtssystems ist aber gerade die Institution. Zwar enthält sie auch einen subjektiven Kern, der sich in der Erscheinung der Personifizierung entwickelt. Aber das objektive Element besteht in dem corpus der Institution, und dieser corpus allein, mit seiner Leitidee und seiner organisierten Macht, ist in rechtlicher Beziehung der Rechtsnorm weit überlegen. Es sind die Institutionen, welche die Rechtsnormen schaffen, aber nicht die Rechtsnormen, welche die Institutionen schaffen. 5 Hauriou

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1. Die Theorie der Institution und der Gründung

Schränken w i r nun die Tragweite dieser Abhandlung auf die ihr angemessenen Verhältnisse ein. Sie trägt den Titel „Essay über den sozialen Vitalismus" (essai de vitalisme social), und schon daraus ergibt sich ganz und gar ihr Anliegen. Die Leitideen, die sich insofern durch eine erstaunliche Objektivität auszeichnen, als sie vermöge der von ihnen ausgehenden Anziehungskraft von einem K o p f zum anderen überspringen, ohne dabei ihre Identität zu verlieren, bilden das Vitalprinzip der sozialen Institutionen, sie vermitteln ihnen ein eigenes, von demjenigen der einzelnen in dem gleichen Umfang zu sonderndes Leben, wie die Ideen selbst sich von unserem Geist absondern lassen und gleichzeitig auf ihn zurückwirken. W i r wollen uns auf die Feststellung dieses Phänomens beschränken. W i r wollen es uns versagen zu untersuchen, ob der phänomenalen Objektivität der Ideen auch eine substantielle geistige Realität entspricht. Das zu wissen wäre sicherlich wichtig, denn es könnten bestimmte Ideen vielleicht mehr Realität aufzuweisen haben als andere, sie könnten auch der Wahrheit näherkommen. Aber eine derartige Untersuchung des substantiell Realen gehört zum Aufgabenbereich der Philosophen. Seit dem Erscheinen der Arbeit über die Rolle der Vorstellungen (Rôle des concepts) von Georges Dusmenil vor über dreißig Jahren w i r d bereits an der Frage nach dem Realismus der Ideen auf Grund neuer Ergebnisse gearbeitet. W i r versprechen uns davon die metaphysische Ausarbeitung dieser Erscheinung, die der Vitalismus der sozialen Institutionen darstellt (vgl. Jacques Chevalier, L'idéalisme français au dix-septième siede, Annales de l'Université de Grenoble, 1923).

2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht* Unser Kollege Georges Renard hat bekanntlich an der Universität Nancy drei Jahre hindurch eine philosophische Einführung in das Studium des Rechts gegeben, die in drei Bänden veröffentlicht worden ist 1 . Diese dreiteilige Vorlesungsreihe zeugt von umfassender Orientierung, von beachtlicher Einfühlungskraft und von sehr überlegter Stellungnahme des Verfassers. Uberaus vorsichtig hat sich dieser auch darum bemüht, Verständnis für das Problem des Naturrechts zu erwecken. Er hat das RECHT zunächst einmal nacheinander m i t den subjektiven Fähigkeiten des menschlichen Geistes verglichen, also m i t der Willensmacht, der Logik, dem gesunden Menschenverstand und der Vernunft, und dann jenen Ideen gegenübergestellt, deren Inhalt man als Elemente der Objektivität ansehen kann, wie Ordnungsgedanke und Gerechtigkeitsideal. A m Ende seiner Einführung gibt sich der Verfasser dann Rechenschaft darüber, daß das entscheidende Problem i m Verhältnis des RECHTS zu den objektiven Ideen liege, also i m Verhältnis zum Ideal der Gerechtigkeit — das versteht sich von selbst — , darüber hinaus aber und ganz besonders auch i m Verhältnis zu der Idee der Sozialordnung. Meine eigenen Untersuchungen, die ich aus Anlaß einer Vorlesung über das Verhältnis des Staats zum RECHT angestellt habe, haben mich nicht nur zu denselben Schlußfolgerungen geführt, sondern mir darüber hinaus auch einige Aufklärung über die Idee der Sozialordnung vermittelt. Dieses Zusammentreffen ist gewiß nicht dem bloßen Zufall zuzuschreiben. Es ermutigt mich, aus einem umfassenderen Gesamtwerk, das sich noch i n Vorbereitung befindet 2 , das folgende Kapitel, oder besser: die folgende Skizze mehrerer Kapitel vorwegzunehmen. W i r werden uns m i t den folgenden Abschnitten zu beschäftigen haben: 1. Unterschied und Verhältnis von Sozialordnung und Gerechtigkeit; * Aus: Revue trimestrielle de droit civil, 1927 (S. 795—825) [Bibl., Nr. 44]. Le Droit, la Justice et la Volonté , Paris (Sirey) 1923/24; Le Droit, la Logique et le Bon Sens, 1924/25; Le Droit , l'Ordre et la Raison , 1925/27. (Siehe dazu: La Revue trimestrielle , 1924, S. 615; 1925, S. 870; und 1927, S. 356.) 1

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[Dieses Werk ist nicht mehr erschienen. Anm. d. Hrsg.]

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2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht 2. Der grundlegende Unterschied zwischen der Sozialordnung der seßhaften, zivilisierten und der nichtzivilisierten Völker; 3. Die Elemente der individualistischen Sozialordnung der seßhaften, zivilisierten Völker; 4. Das Schicksal der individualistischen Sozialordnung der seßhaften, zivilisierten Völker; 5. Verhältnis des RECHTS zu Sozialordnung und Gerechtigkeit; das Naturrecht. /. Unterschied und Verhältnis von Sozialordnung und Gerechtigkeit

W i r nehmen Sozialordnung und Gerechtigkeit in ihrer Eigenschaft als objektive Vorstellungen, gleich einer vom menschlichen Geist wahrgenommenen Wirklichkeit, und behandeln sie infolgedessen wie Tatsachen. So eng sie auch miteinander verbunden sind, so sind Sozialordnung und Gerechtigkeit doch keineswegs ein und dasselbe. Sehr oft w i r d eine bestimmte Sozialordnung, oder doch irgendeine Institution dieser Sozialordnung, als ungerecht angesehen; umgekehrt aber kommt es auch vor, daß von Gerechtigkeit erfüllte soziale Gebilde deshalb scheitern müssen, weil sie den Grunderfordernissen der Sozialordnung nicht entsprechen. Gerechtigkeit löst soziale Revolutionen aus, wo die vorhandene Ordnung in sich zusammensinkt; eine festgefügte Ordnung aber erstickt „neue Gesellschaften" schon in ihrem Keim. I . Betrachtet man die Kulturgeschichte in großen Zeiträumen, so zeigt sich, daß Sozialordnung und Gerechtigkeit sich bald in Einklang befinden, bald aber in Widerspruch zueinander stehen; i m ersten Fall handelt es sich dann um organische Epochen, im zweiten um mehr oder weniger ausgedehnte soziale Krisen, mit gewissen Zwischenperioden, in denen Kompromißlösungen und Vergleiche nur vorübergehend für Ruhe sorgen. A m aufschlußreichsten sind die Beispiele sozialer Krisen, weil gerade das Auseinanderklaffen der Grundlagen die Möglichkeit eröffnet, ihre Eigenart festzustellen. Nehmen w i r als Beispiel die revolutionäre Krise, die in Frankreich 1789 zur gewaltsamen Abschaffung des mittelalterlichen, feudalen und aristokratischen ancien régime führt und das staatliche, demokratische und egalitäre nouveau régime hervorbringt. Zweifellos w i r d hier eine neue Sozialordnung an die Stelle der alten gesetzt, aber doch nicht in der Weise, daß die neue Ordnung die alte zerstören würde, sondern indem Gerechtigkeitsvorstellungen die alte Ordnung zu

2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht Boden zwingen und die neue Ordnung ihre größere Bestandskraft erweist. Gerade in der Vorbereitung der Revolution und in den ersten Monaten nach ihrem Ausbruch lassen sich die Auswirkungen der Gerechtigkeitsparolen beobachten, die in Büchern, Schmähschriften und in den Clubs ausgegeben und propagiert und in Volksliedern unter die Menge gebracht werden: Freiheit, Gleichheit, Abschaffung der Vorrechte des Adels, Enteignung des Grund und Bodens zugunsten der Pächter. Wenn diese Gerechtigkeitsvorstellungen — Gesprächsstoff in den Salons seit einem halben Jahrhundert — nicht bei den Privilegierten selbst Eingang gefunden hätten und diese an ihren Vorrechten so hätten zweifeln lassen, daß sie schon an freiwilligen Verzicht dachten statt sich entschlossen zur Wehr zu setzen und sich der M i t t e l zu bedienen, die ihnen eine Sozialordnung mit all ihren Hilfsquellen noch bot, dann hätten sie dem Sturm die Stirn bieten können. I n der Nacht des 4. August indessen sollte sidi ihr Untergang entscheiden8, ihr Nachgeben hatte sie ihren K o p f gekostet. Gerechtigkeit hatte sie einen nicht wiedergutzumachenden politischen Fehler begehen lassen. So spielte sich in ihrem Gewissen ein tragischer Konflikt ab, in dem sie, verkannte Märtyrer, um der Gerechtigkeit willen eine ganze Sozialordnung opferten. Dieselben Gerechtigkeitsvorstellungen, die „Revolutionsideen", wie man sie nennt, wurden durch die Armeen der Republik und des Kaiserreichs über ganz Mitteleuropa verbreitet, um überall die feudale und aristokratische Sozialordnung zu erschüttern, so sehr, daß diese Ideen trotz des Widerstands der Heiligen Allianz schließlich doch triumphierten, erst hier, dann dort, nach 1830, nach 1848, nach 1860 und schließlich nach 1918 in einigen Ländern, die erst nach dem ersten Weltkrieg zu selbständigen Staaten geworden sind. Vielleicht war die Auseinandersetzung zwischen einer alten Sozialordnung und neuen Gerechtigkeitsvorstellungen im Laufe des 19. Jahrhunderts in den Ländern Mitteleuropas deshalb am besten zu erfassen, weil sie dort am längsten währte. Zudem ist die Revolution auf dem Agrarsektor noch immer keineswegs beendet, und in einer Hinsicht w i r d sie dort niemals zu einem Abschluß kommen; immer wieder w i r d die Agrarfrage gestellt werden, da die Pächter und Landarbeiter den Boden bearbeiten müssen, nicht aber die Eigentümer, denen nach dem Grundbuch das Land gehört. 8 [4. August 1789: Abschaffung der Vorrechte des Adels in Frankreich. Anm. d. Übers.]

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2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht

Die Sozialordnung spricht also wohl für denjenigen, dem der Eigentumstitel formell zusteht, — steht aber nicht die Gerechtigkeit auf der Seite desjenigen, der das Land bearbeitet, zumal wenn er in ständiger mühevoller Arbeit erst dessen produktiven Wert geschaffen hat? Dieser sozusagen ewige Konfliktsstoff w i r d auf erschütternde Weise in der Erzählung vom Knecht Bartholomäus von I v a n Cankar aufgenommen 4 . Ein alter Knecht hat 42 Jahre in derselben Familie gedient, er hat den Acker bestellt und das Haus gebaut. Soll er nun von dem jungen Sohn seines Herrn mit der Begründung entlassen werden können, er habe ja seinen Lohn empfangen? Ist er nicht wenigstens Miteigentümer geworden? Er bittet nicht etwa um Gnade, sondern verlangt Gerechtigkeit und das, was er für sein gutes Recht hält. Er verlangt es zunächst still und ruhig von allen denen, die um ihn herum die Sozialordnung repräsentieren, seinem Herrn, dem Bürgermeister, dem Pfarrer, dem Richter, den Geschworenen und schließlich selbst von den Kindern an der Ecke. Durch alle ihre Repräsentanten aber weist ihn die Sozialordnung höhnisch zurück. Da legt er voller Zorn Feuer an das Haus und w i r d als Brandstifter erschlagen. A u f derselben Frage nach der Beteiligung der Arbeiter am Unternehmensgewinn beruhen i m Grunde genommen auch die gegenwärtigen Spannungen zwischen den Fabrikarbeitern und den Fabrikbesitzern. Die bestehende Sozialordnung verweist die Arbeiter auf ihren Lohn, die wachsende Gerechtigkeit aber verlangt ihre Beteiligung am Unternehmen. W i r werden weiter unten sehen, daß diese in Einzelfällen bereits Wirklichkeit geworden ist. Übrigens gibt es in allen zivilisierten Ländern trotz der unterschiedlichen politischen Bezeichnungen genaugenommen immer nur zwei Parteien, deren Standort sich aus ihrer Einstellung zu der vorhandenen Sozialordnung und zu den i m Namen der Gerechtigkeit geforderten Reformen ergibt. Die Konservativen, Gemäßigten oder Reaktionären sind für die Beibehaltung der bestehenden Sozialordnung, die Reformisten oder Revolutionären treten für Gerechtigkeit und Änderungen ein. Keineswegs ist immer dieselbe Partei i m Recht, sondern bald diese, bald jene, je nach den Umständen. Natürlich ordnen sich solche Reformen, sind sie in einem Land erst einmal durchgeführt, ihrerseits wieder in die Sozialordnung ein — eine zu4 [Ivan Cankar, slowenischer Volksdichter, 1876—1918. Seine Erzählung vom Knecht Bartholomäus (Hldpec Jerney in njegóva pravica) erschien zuerst 1907, franz. 1926 (Le valet Barthélémy et son droit, Les Œuvres libres No. 65, Paris), deutsch 1929. Anm. d. Übers.]

2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht sätzliche Schwierigkeit, durch die w i r uns indessen nicht verwirren lassen dürfen. Diese so neu entstandene Sozialordnung, die also bereits etwas Gerechtigkeit in sich aufgenommen hat, w i r d die Reformisten nicht lange zufriedenstellen; bald werden sie wieder neue Reformen i m Namen einer neuen Gerechtigkeitsvorstellung oder i m Namen einer noch weiter gespannten Gerechtigkeit fordern. So entsteht der Konflikt von neuem. Schon lange stellt die bürgerliche Demokratie, wie sie aus der Revolution hervorgegangen ist, das V o l k nicht mehr zufrieden, zumindest sind jene Klassen des Volkes nicht mit ihr einverstanden, die noch nicht verbürgerlicht sind. I n ihren sozialistischen oder kommunistischen Programmen werden ihre Forderungen laut, immer im Namen der Gerechtigkeit. M i t anderen Worten heißt das, daß der Konflikt zwischen Sozialordnung und Gerechtigkeit sich in der Praxis stets viel komplexer und verwobener darstellt, als w i r zunächst angenommen hatten. Schon die festgefügte Sozialordnung ist mit einiger Gerechtigkeit durchsetzt, ebenso aber erscheinen auch die Reformbestrebungen ihrerseits bereits beeinflußt von Systemen sozialer Organisation. U m das Bild zu vervollständigen, muß man auch daran denken, daß die Geschichte Beispiele für durchaus unterschiedliche Sozialordnungen enthält, die sich als bestandskräftig erwiesen, weil sie als genügend gerecht empfunden wurden. Das mittelalterliche und aristokratische ancien régime vermochte immerhin über Jahrhunderte eine Sozialordnung zu tragen, die, verglichen mit 1789, auf genau entgegengesetzten Prinzipien beruhte. Auch dieses Regime hat einmal seine glänzende Zeit gehabt, es hat in gewissem Umfang zu einer Einheit der Christenheit geführt, hat sich Verdienste um die kulturelle Entwicklung erworben und hatte sein eigenes Recht, das auch ein gewisses Maß von Gerechtigkeit erkennen ließ. Auch dieses Regime stellt daher eine organische Epoche dar, so sehr es sich auch von dem neuen demokratischen Regime unterscheiden mag. U m diese widerspruchsvoll erscheinenden Tendenzen auf einen Nenner zu bringen, können w i r uns hier auf einige Leitsätze beschränken: 1. Die Sozialordnung ist wandlungsfähig in dem Sinn, daß es verschiedene Typen organischer Ordnung gibt und eine unbegrenzte Zahl von Ubergangsformen; die Gerechtigkeitsidee jedoch bleibt immer dieselbe, nur daß sie sich in unterschiedlichem Maße mit verschiedenen Gesellschaftszuständen verbindet und in einer Vielzahl von Arten auftritt; 2. Eine festgefügte Sozialordnung enthält praktisch immer ein gewisses Maß von Gerechtigkeit, die ihr bereits innewohnt, aber sie befindet

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2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht

sich auch praktisch immer in einer Auseinandersetzung m i t einem neuen Maß von Gerechtigkeit, das ihr noch nicht innewohnt; 3. Dem jeweiligen Gesellschaftszustand bereits innewohnend oder nicht, läßt sich Gerechtigkeit immer von Ordnung trennen, weil sie nicht dasselbe Ziel verfolgt und sogar, ganz i m Gegensatz zur Ordnung, revolutionär erscheint. I I . Die Gerechtigkeit sieht ihr Ziel in dem aequum et bonum des römischen Rechtsgelehrten Paulus; ihr Anliegen ist es, die Menschen in gesellschaftlicher wie in wirtschaftlicher Beziehung im Hinblick: auf das GUTE möglichst gleichzustellen. Die Sozialordnung, soweit sie sich als Verwirklichung einer Idee darstellt (denn sie hängt darüber hinaus noch von vielen Erfordernissen ab), sieht ihr Ziel in der Erhaltung des jeweiligen Gesellschaftszustands. Einmal ist der Gerechtigkeit also eine individualistische Tendenz eigen, während der Ordnung eine mehr auf die Gesellschaft gerichtete Tendenz zukommt; dann aber richten sich diese Tendenzen keineswegs auf dasselbe Objekt. Dem besseren Verständnis dieser einander entgegengesetzten Ziele soll ein Beispiel dienen: w i r entnehmen es den vorgeschlagenen oder durchgeführten Plänen zur Lösung der Finanzkrise in den Ländern, die nach dem ersten Weltkrieg mit der Geldentwertung zu kämpfen hatten. Die Gerechtigkeit hätte die Aufwertung der nationalen Währung gefordert, als das einzige Mittel, um eine unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Gläubiger des Staates auszuschließen; die Sozialordnung aber verlangte in den meisten Ländern die Beibehaltung der Währung auf dem nach dem Kriege abgesunkenen Währungsstand, und zwar schon im Interesse der Wiederaufnahme des Handels, welche eine Beibehaltung der Währungskurse verlangte, als unabdingbare Voraussetzung für die Herstellung eines stabilen Geschäftsverkehrs. I n einem solchen Augenblick überdeckt der Gedanke sozialer Ordnung einfach alles andere. Wie die entstehenden Ungerechtigkeiten abzugleichen sind, w i r d man dann später noch sehen, das heißt nie. Jene Franzosen, die geschickt genug waren, ihre Ersparnisse in Schatzanweisungen anzulegen, haben daher weniger zu leiden als jene Durchschnittsbürger, die während des Kriegs öffentliche Anleihen gezeichnet hatten. Aber wie hier Abhilfe schaffen? Eile tut not, die Stabilisierung soll eine finanzielle Katastrophe verhindern. Die Sozialordnung steht fest und sicher auf beiden Beinen, die Gerechtigkeit aber stützt sich auf Krücken. Muß in diesem Zusammenhang noch an die berüchtigte Frage einer gleichmäßigen Handhabung der Grundsteuer erinnert werden, die durch

2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht das ganze 19. Jahrhundert off engeblieben ist? Diese Frage ist niemals gelöst, sondern durch die Einführung neuer Wertpapiersteuern praktisch nur zurückgedrängt worden; in einer neuen Form taucht sie in Gestalt der Steuerveranlagung auf, die wiederum höchst ungleichmäßig vorgenommen wird. Eine Lösung aber gibt es überhaupt nicht, weil nämlich — welche Methode man immer auch zur Bewertung der Einkünfte anwendet — die öffentliche Ordnung verlangt, daß sie überall unter Einhaltung bestimmter Formen und Fristen erfolgt, infolgedessen auch unter Einschluß möglicher Irrtümer, die um der notwendigen Bestandskraft der Steuerfestsetzung in K a u f genommen werden müssen. Auch hier verdrängt also die Sozialordnung, i m Hinblick auf den Vorrang ihrer Zwecksetzung, die Gerechtigkeit. Nach diesem unterschiedlichen Vorrang in ihrer Zielsetzung muß der Soziologe zu dem Schluß kommen, daß die Sozialordnung ein viel ursprünglicheres Element der Gesellschaften ist als die Gerechtigkeit. M i t dieser Feststellung muß man sich wohl oder übel abfinden. N u r die festgefügte Sozialordnung trennt uns von der Katastrophe. I n ihrer Mehrzahl sind die Menschen in den zivilisierten Ländern auch eher bereit, ein gewisses Ausmaß an Ungerechtigkeit zu ertragen als eine Katastrophe zu riskieren. Die Sozialordnung stellt ein gewisses Existenzminimum dar, soziale Gerechtigkeit dagegen ist ein Luxus, den man bis zu einem gewissen Umfang entbehren kann. W i r brauchen nur noch hinzuzufügen, daß die Sozialordnung, die ja über die Macht- und Zwangsmittel wie auch über den ganzen Justizapparat verfügt, tatsächlich keineswegs darauf verzichtet, zur Sicherung ihres Bestandes auch diese Trümpfe auszuspielen, die sie in ihrem Spiel hat. Meistens stehen den Reformbestrebungen aus Gerechtigkeit die Kräfte der organisierten Staatsgewalt und gleichzeitig noch der instinktive Konservativismus der Masse entgegen, die an dem Erfolg des Sprungs ins Ungewisse zweifelt. Diese allzu pessimistischen Überlegungen sind indessen auf Grund von zwei weiteren Beobachtungen einzuschränken: einmal sind die Organisationen in irgendeinem Gesellschaftszustand, selbst wenn sie von Ungerechtigkeiten nur so strotzen, darauf bedacht, ihren Bestand zu sichern; das aber setzt voraus, daß sie in ihrem täglichen Verhalten wenigstens ein gewisses Maß von Gerechtigkeit walten lassen, weil sie auf eine gewisse Anerkennung in ihrem Bereich angewiesen sind und daher unmöglich ständig nur mit Zwang arbeiten können; historisch ist es das Phänomen der Institution, das die sozialen Organisationen nach und nach

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2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht

hat maßvoller und menschlicher werden lassen, das die Vorherrschaft des Adels i m 12. Jahrhundert gegenüber dem 10. Jahrhundert gemildert und das Unternehmertum i m 20. Jahrhundert zugänglicher als seine Vorläufer im 19. Jahrhundert gemacht hat. Die zweite Feststellung, zu der w i r auch oben bereits gelangt sind, liegt darin, daß, wenn Gerechtigkeit während einer Generation Eingang in gesellschaftliche Organismen findet, in der nächsten oder übernächsten Generation auch die Sozialordnung selbst als festgefügtes System von ihr erfaßt wird, so daß diese also auch Gerechtigkeit in sich aufnimmt. I I I . W i r sind nun soweit, daß w i r uns auch an Definitionen wagen können. Uns ist schon die Definition der Gerechtigkeit durch das aequum et bonum bekannt, durch die Gleichstellung i m Hinblick auf das GUTE. Es blieben nur noch einige Erläuterungen hinzuzufügen, für die hier kein Raum mehr ist, vor allem zu dem Begriff des GUTEN, über den das Recht auf die Moral Bezug nimmt und in die Richtung geistiger Freiheit weist. Doch wollen w i r hierzu keine weiteren Wegweiser aufstellen. Fügen w i r indessen noch zwei zusätzliche Hinweise an: 1. Gerechtigkeit, die im Grunde immer dieselbe ist und bleibt, verwirklicht sich nach und nach, tropfenweise, doch schon ein einziger Tropfen hat sozusagen unendlichen Wert: der Krieger aus der Ilias, der in der Schlacht gestürzt und der Gnade seines Gegners ausgeliefert ist, umarmt dessen Knie, nur damit dieser ihm sein Leben als Sklave schenkt; so führt man ihn in Gefangenschaft, wie es dem Kriegsrecht entspricht, und dieser eine Tropfen Gerechtigkeit rettet ihm seine Existenz. Gerade von dieser Seite her gesehen erschien die Sklaverei so vielen Geistern in der Antike als gerecht. U n d sie war es auch, sofern man sie als Strafmilderung ansieht. Aus dem gleichen Grunde hat die Umwandlung der persönlichen Leibeigenschaft in eine an Grund und Boden gebundene Leibeigenschaft die Lage der Leibeigenen lange Zeit gerechtfertigt. W i r d nicht auch politische Freiheit nur Tropfen für Tropfen errungen, ebenso wie die bürgerliche Freiheit, und hatte nicht auch selbst das geringste, einmal errungene staatsbürgerliche Vorrecht für seine ersten Träger einen unschätzbaren Wert? 2. Gerechtigkeit w i r d wahrhaft nur durch besondere Entscheidungen im konkreten Fall in die Tat umgesetzt. Wenige allgemeine Regeln sind vollkommen gerecht, weil sie zu unterschiedliche Fälle auf gleiche A r t und Weise behandeln; um zu einer gerechten Lösung zu kommen, bedarf es eines Richterspruchs, der die Regel auf den Einzelfall anwendet. Allgemeine Regeln, also auch die Gesetze, sind eher Instrumente einer Sozialordnung als der Gerechtigkeit.

2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht Was die Sozialordnung angeht, so wollen w i r sie definieren als ein Unternehmen zur Stabilisierung des jeweiligen Gesellschaftszustands durò ein im Gleichgewicht befindliches Gefüge (entreprise de stabilisation de l'état social par une structure équilibrée). M i t dem Zweck der Stabilität oder der Stabilisierung haben w i r uns bereits befaßt; das M i t t e l des im Gleichgewicht befindlichen Gefüges, auch des rationell ausgewogenen Gefüges, hat uns schon in den „Principes de D r o i t Public" 5 beschäftigt. So bleibt nur das Element Unternehmen, das zugleich eine Leitidee (idée directrice) und eine Willensbetätigung (œuvre de volonté) umfaßt. W i r kommen auf dieses Element i m folgenden noch zurück. Die Beziehungen zwischen Sozialordnung und Gerechtigkeit sind denjenigen recht ähnlich, die das Modell einer Statue mit dem Ideal der geformten Schönheit verbinden. Schon das Modell weist Schönheit auf, selbst wenn es bloß der erste Entwurf ist, aber der Künstler muß noch weiter daran arbeiten, um ihm noch mehr Schönheit zu verleihen. Auch in der unfertigsten Sozialordnung liegt bereits Gerechtigkeit, aber weitere Änderungen müssen folgen, um ihr immer mehr davon zu vermitteln. Indessen gibt es auch eine Grenze: keine Änderung darf das statische Gleichgewicht des Gesamtgefüges in Gefahr bringen. Die demokratische Sozialordnung gewährt zwar mehr soziale Gerechtigkeit als die aristokratische, aber nach aller Erfahrung hat sie sich auch als anfälliger erwiesen, weil Gleichheit in Freiheit ihr statisches Gleichgewicht gefährdet, auf dem Macht und Autorität beruhen. II. Der grundlegende Unterschied zwischen der Sozialordnung der seßhaften, zivilisierten und der nichtzivilisierten Völker Das Unternehmen zur Stabilisierung des jeweiligen Gesellschaftszustands durch ein i m Gleichgewicht befindliches und rationelles Gefüge, wie w i r die Sozialordnung beschrieben haben, bedarf einiger zusätzlicher Erörterungen, weil es von einigen natürlichen Erfordernissen und ebenso auch von einigen Ideen abhängig ist. Diese Abhängigkeit w i r d sogleich augenscheinlich, wenn w i r uns einmal die Mühe machen, die Sozialordnungen zivilisierter und nichtzivilisierter Völker gegenüberzustellen, deren Verhältnis zueinander auf den Gegensatz zwischen seßhaften und nomadisierenden Völkern zurückgeht. Es hat nacheinander zwei verschiedene Menschenarten gegeben, die nomadisierende und die seßhafte Menschenart, homo vagus und homo β

[Siehe Bibl., Nr. 9. Anm. d. Hrsg.]

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manens. Erst mit der seßhaften Menschenart beginnt die Geschichte menschlicher Kultur, ebenso wie auch die meisten uns geläufigen Institutionen erst danach auftauchen, so i m politischen Bereich die Erscheinung des Staats, i m sozialen Bereich das Privateigentum an Grund und Boden und der rechtsförmige individualistische Handelsverkehr. Die nomadisierende Menschenart, deren letzte Vertreter sehr schnell von der Erde verschwinden, jedenfalls soweit sie sich nicht anzupassen vermögen, gehört in Wirklichkeit in die Zeit der Vorgeschichte; ihr lassen sich nur Beziehungen innerhalb des Verwandten- oder Kundenkreises zurechnen, deren Wurzeln überdies zweifelhaft sind. I m gesamten übrigen Bereich dieses Gesellschaftszustands erscheint uns nichts als eine tiefe Kluft. Der seßhaft gewordene Mensch unterscheidet sich vom Nomaden nicht weniger als die fest auf der Sandbank verhaftete Muschel von dem noch frei im Meer herumschwimmenden Seetierchen, bevor es sich sein Muschelhaus baut. Die Menschheit, die angeblich „wie ein Mensch, der immer mehr wächst", lebt, ist in aller Schärfe dieses Ausdrucks ein sich verwandelndes Lebewesen nach seiner Mauser. Diese Mauser hat sich bei den am weitesten fortgeschrittenen Völkern in der Zeit der Vorgeschichte und selbst noch vor dieser vollzogen, höchstwahrscheinlich im Verlauf des Neolithikums. Wie alle lebensgestaltenden Entwicklungen ist sie unwiderruflich. Sitzt die Muschel erst einmal fest auf ihrer Bank, dann kann sie sich nicht mehr in ein sich bewegendes Lebewesen zurückverwandeln, sowenig wie ein Schmetterling wieder zur Raupe werden kann. So werden einmal seßhaft gewordene Gesellschaften sich nicht mehr zu Nomaden zurückentwickeln. M i t der Seßhaft werdung t r i t t ein neues Element in Erscheinung: die Notwendigkeit regelmäßiger Arbeit für den täglichen Lebensbedarf, den es seither der Erde durch die Bestellung des Ackers abzuringen gilt. Bald kommt die Notwendigkeit, auch Reserven anzulegen hinzu, um der Gefahr von Mißernten zu begegnen, worin der Ursprung der Kapitalbildung liegt. Gleichzeitig führt die Seßhaftwerdung aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus zur Bildung von Städten, und mit dem städtischen Leben entwickelt sich die Zivilisation, ein Wort, dessen Wurzel sich in civitas findet. Die Nomaden, die ihren Lebensbedarf mit dem Einsammeln w i l d wachsender Früchte, mit Jagd und Fischfang bestritten, kannten keinerlei Verpflichtung zur Arbeit, sie lebten von der H a n d in den Mund, ohne Reserven und ohne Kapital. Weder erreichten sie jemals städtische Lebensformen, noch kannten sie irgendeine Form der Zivilisation.

2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht Wahrscheinlich w i r d sich wohl niemals aufklären lassen, zu welcher Zeit, an welchem Ort, unter welchen Bedingungen und im Verlauf welcher Ubergänge sich die Wandlung vollzogen hat. Die am weitesten zurückreichenden Uberlieferungen, die uns bekannt sind, beziehen sich auf die letzte Übergangsphase, auf den Konflikt zwischen der Lebensart der Bauern und derjenigen der Hirten, welcher bereits eine gewisse Arbeitsleistung eigentümlich ist. I n der Genesis deuten die Vorgeschichte zum Verlorenen Paradies und die Geschichte von K a i n und Abel, sofern man sie nur in einem weniger übernatürlichen Sinn versteht, auf den Triumph hin, den bäuerliche Lebensart über die Lebensweise der H i r t e n davonträgt. Dieser Triumph bekommt hier das Vorzeichen eines Verbrechens — aus moralischer Absicht und auch deshalb, weil Hirtenleben und Nomadentum, besonders aus einem gewissen zeitlichen A b stand, als das goldene Zeitalter der Menschheit angesehen wurden. Das ändert aber nichts daran, daß Kains Nachkommen als Städtegründer, als Erfinder von Werkzeugen und überhaupt als Urheber der Zivilisation gelten, die auf diese Weise mit der Zeit der Seßhaftwerdung und der Ausbildung bäuerlicher Lebensformen verknüpft wird. Die griechischrömischen Sagen um das goldene Zeitalter, zur Zeit Saturns, wie um das eherne Zeitalter oder die Eisenzeit, zur Zeit Jupiters, erinnern an denselben Umsturz und tragen dieselbe Sehnsucht nach dem verlorenen Leben der Hirten und Nomaden i n sich. Die Umstellung muß in der Tat am Anfang außerordentlich mühevoll gewesen sein. Regelmäßige Arbeitsleistung ist dem Menschen so wenig natürlich, daß er sich, um es ganz offen zu sagen, wohl bis heute nicht daran gewöhnt hat. Daneben haben erst so starke Leidenschaften wie N e i d und Begehrlichkeit, hervorgerufen durch die Einführung des Privateigentums, den Menschen hart und grausam werden lassen. Paradoxerweise hat demnach die zivilisatorische Entwicklung ihren Ausgang von einer verhaßten Grundlage aus genommen. Die Entspannung ergab sich glücklicherweise von der Zeit der Entdeckung der Weinrebe an. Nach Noë und Bacchus hörten die Menschen auf, die Erde zu verfluchen. Das leibliche Vergnügen am Wein ersetzte das primitive Vergnügen an einem freien Leben in Wald und Flur, der Wein ließ dieses bald in Vergessenheit geraten und Arbeit und Entbehrung auf dem Felde erträglich werden. Nach einer dunklen Periode beginnender zivilisatorischer Entwicklung, in der man noch Gewaltherrschaft und schweres Unglück vermuten darf, eröffnet sich damit eine glücklichere Zeit, vielleicht auch mit neuen Rassen und unter günstigeren klimatischen Verhältnissen. Nunmehr vermag die Sozialordnung auf

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der Stufe der Zivilisation durch Seßhaftwerdung eine bestandskräftige Form zu finden. Es ist keineswegs das Ideal der Gerechtigkeit, das auf dieser Entwicklungsstufe die Völker von der Gesellschaft der Nomaden unterscheidet, es ist einzig und allein ihre Sozialordnung, die von der Notwendigkeit der Produktion beherrscht wird. Das Ideal der Gerechtigkeit ist, wie w i r wissen, in jedem Gesellschaftszustand dasselbe, es ist immer jenes aequum et bonum, das in der Wirklichkeit des Lebens mehr oder weniger vorhanden ist. Aber eine Sozialordnung, die durch wirtschaftliche Produktion bestimmt wird, kann man nicht mit einer anderen, die weder Produktion noch Arbeit kennt, vergleichen. A u f entgegengesetzten Grundlagen beruhend können diese beiden Sozialordnungen vielmehr nur durch ungleiche politische und wirtschaftliche Institutionen und durch unterschiedliche Prinzipien gekennzeichnet sein. Das Spiel der kollektivistischen und kommunistischen Parteien, die jetzt in unsere Zivilisation eindringen, zielt darauf ab, auch ihre Systeme als eine Forderung der Gerechtigkeit hinzustellen. W i r dürfen uns durch diese Etikettierung nicht irreführen lassen. Auch hier handelt es sich gut und gerne um eigene Sozialordnungssysteme, auch sie sind unvereinbar mit der Sozialordnung der zivilisierten Länder, weil sie unfähig sind, die Produktion sicherzustellen. Möglicherweise haben nomadisierende Gesellschaften mit ihrer geringen Bevölkerung und mit ihrer Gewohnheit, ihren Bedarf aus Naturprodukten zu decken, sogar in kommunistischen Systemen gelebt. Dem hätte jedenfalls kein entscheidendes Hindernis entgegengestanden, weil es noch nicht erforderlich war, die Produktion sicherzustellen. Die zivilisierten Gesellschaften indessen mit ihrer zahlenmäßig stärkeren Bevölkerung und ihrer Gewohnheit, ihren Lebensbedarf aus produzierten Gütern zu befriedigen, können nicht unter kommunistischer Herrschaftweise leben, das hat die Erfahrung gelehrt. Sie können nicht leben ohne die mächtige Stütze des Individualismus, der die produktive Arbeitsweise gewährleistet. U n d das alles läßt sich auch nicht wieder rückgängig machen. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß die zivilisierten Völker ihre Ansprüche einschränken, ihre Städte verlassen und zu einem einfachen Leben zurückkehren würden, um die Produktion einschränken zu können. I m Gegenteil, ihre Bedürfnisse steigen ständig, es entstehen immer neue Städte und die Ansprüche an das Leben wachsen, so daß die Angewiesenheit auf eine steigende Produktion zunimmt. Schon jetzt läßt sich für

2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht das industrielle Zeitalter, das auf die bäuerliche Lebensweise gefolgt ist, eine weitere Verstärkung der Arbeitsintensivität voraussagen, folglich auch eine Steigerung des Individualismus. Das aber bedeutet, nach amerikanischem Vorbild, eine Beschleunigung des Rhythmus der Sozialordnung der zivilisierten Welt. Würde man auch, was an sich undenkbar ist, die Städte wieder einebnen und das Land wieder Steppe werden lassen, die zivilisierten Menschen würden doch nicht wieder zu Nomaden werden, sie würden angesichts der Wildnis schlicht und einfach von der Erdoberfläche verschwinden. Man gewöhnt sich an die Zivilisation, aber man gewöhnt sich nicht noch einmal an die Wildnis: so verläuft der Sinn des Lebens.

III.

Die Elemente der individualistischen Sozialordnung der seßhaften, zivilisierten Völker

Bei der Wandlung der Menschheit haben naturbedingte Notwendigkeiten (des nécessités naturelles) mitgewirkt, darüber hinaus aber Unternehmungsgeist (une entreprise volontaire) und Leitideen (des idées directrices). I . Unter den naturbedingten Notwendigkeiten haben w i r schon die Notwendigkeit der Produktion für den täglichen Lebensbedarf genannt, nachdem dieser aus den vorhandenen Früchten der Erde nicht mehr gedeckt werden konnte. Diese Notwendigkeit zur Produktion selbst beruhte auf verschiedenen Gründen, einmal auf der Verschlechterung der klimatischen Bedingungen, auf der unbedachten, zur Verschwendung neigenden Lebensart der Nomaden und sehr wahrscheinlich ganz besonders auf der ständigen Zunahme der Bevölkerung. Das stetige Wachsen der Bevölkerung, das nur zeitweise durch allgemeine Notlagen einmal unterbrochen wurde, aber niemals ganz zum Stillstand kam, ist ein Phänomen, das schon seit Urzeiten zu beobachten ist. Die Geschichte selbst beginnt für ein V o l k erst, wenn es die Stufe der Nation erreicht und sich auf einem Territorium ständig niedergelassen hat. Zuvor steht es zunächst noch auf der Stufe eines Volkstamms, dann erst auf der Stufe eines Volkes im eigentlichen Sinn. Der Volksstamm besteht ganz und gar aus Nomaden. Danach entsteht ein halb-nomadisierendes Volk, das sich bereits für längere Zeiträume i n bestimmten Gebieten niederläßt, aber noch mit Sack und Pack auf Wagen in andere Gegenden weiterzieht, bis es auch dazu zu zahlreich geworden ist. A u f dieser Stufe standen die germanischen, slavischen und mongolischen Barbaren, als sie in das

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römische Reich einfielen, aber auch schon die Helenen, die Italiker und die Kelten, als sie zu noch unerforschter Zeit nach Westeuropa und in den Mittelmeerraum einwanderten. Dasselbe Phänomen der Übervölkerung setzt sich später auch bei den Nationen fort, nur daß diese, nachdem sie ganz und gar seßhafl geworden sind, nicht mehr in Massen wandern, sondern Kolonien gründen oder aber ihren Bevölkerungsüberschuß durch Einzelauswanderung vermindern. I I . Wie hoch man aber immer die naturbedingten Notwendigkeiten veranschlagt, die das System individualistischer Sozialordnung bei den seßhafl gewordenen zivilisierten Völkern ausgelöst haben, uns erscheint am interessantesten der Unternehmungsgeist, den dieses System voraussetzt. Hätte es nämlich nur materiellen Mangel gegeben, dann hâttè sich dieser auf die Dauer bei allen Volksstämmen aller Rassen bemerkbar gemacht, und es würde schon seit langer Zeit keine Nomaden und keine Wilden mehr geben. Doch noch vor einem Jahrhundert waren ihrer viele vorhanden, und selbst heute gibt es sie noch. Es spielt also in diesem Element auch ein psychologischer Faktor mit. Bei den zurückgebliebenen Wilden handelt es sich um Volksstamme, denen der Forschergeist und der für die Arbeit auf dem Felde notwendige Ansporn gefehlt oder bei denen sich keine jener großen Eingebungen gezeigt hat, wie sie an den Wendepunkten der Geschichte die Heilsideen haben keimen lassen. Diese Völkerschaften haben vielmehr der Lösung der Bequemlichkeit den Vorzug gegeben. Nach dem Grundsatz der geringsten Anstrengung sind sie in Fatalismus und Elend steckengeblieben. Dagegen haben sich die zivilisierten Völker auch von Hindernissen nicht abschrecken lassen, haben dem Gesetz der Arbeit Folge geleistet und haben das Glück gehabt, von Zeit zu Zeit große Männer hervorzubringen. Diese Volksführer und Gesetzgeber, die zu legendären Halbgöttern geworden sind, haben die Leitideen, die für eine neue Ordnung der Dinge Voraussetzung waren, zunächst formuliert, dann aber kraft ihrer Autorität auch durchgesetzt. Vielleicht sind diese Völker auch einer mutigeren Rasse zuzurechnen als jene anderen. Denken w i r nun an das audax Japeti genus 9. Aber natürlicher M u t ist schließlich auch ein psychologisches Element. W i r behaupten also keineswegs, die Zivilisation sei eine übernatürliche Erscheinung, w i r begnügen uns vielmehr mit der Feststellung, daß ihre Entwicklung teilweise auf freier menschlicher Initiative beruht. β

[Gemeint ist hier Prometheus, ein Sohn des Japetus, vgl. Horaz, Car. 1,3,27. Anm. d. Übers.]

2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht Es bleibt uns noch etwas zu sagen über die Kräfte, die der Zivilisation für die Ausbildung des Unternehmungsgeistes zur Verfügung standen. W i r unterscheiden drei solcher Kräfte, die sich wie folgt abstufen lassen: i n erster Linie die geistigen Energien der einzelnen, entfesselt und hervorgebracht durch das eigene Schicksal, für den Menschen und seine Familie; in zweiter Linie die Energien der sozialen Gruppe, angewandt in einer dreifachen Funktion von Schutz, Wohlfahrt und Strafe; in dritter Linie die großen Leitideen oder Kulturbekenntnisse bestimmt, die geistigen Grundlagen für das individualistische System zu schaffen und die Willensvorstellungen der einzelnen zu vereinfachen und miteinander in Einklang zu bringen. A . V o n den geistigen Energien der einzelnen wollen w i r hier nur die festhalten, die für das Wirtschaftsleben von Bedeutung sind, sowie zusätzlich diejenigen, die für das politische Leben in Frage kommen; dagegen lassen w i r ganz bewußt diejenigen außer acht, die nur den Bereich der Familie angehen. Die hier in Frage kommenden Energien sind das Gefühl für den persönlichen Vorteil, das Besitzstreben, der Machthunger, schließlich die Leidenschaft von Spiel und Spekulation. Juristen sind von Berufs wegen mit den drei zuerst genannten Arten vertraut, w i r werden uns indessen hier nur mit der vierten beschäftigten, die uns auch die wichtigste für unsere Darlegungen zu sein scheint. Der Mensch ist schon von N a t u r aus Spieler. Die Spielleidenschaft kommt der Leidenschaft der Liebe gleich; von beiden gehen die stärksten Antriebe zum Handeln aus. Die Spielleidenschaft ist es, die in Form der Spekulation auf Gewinn die Initiative zu Unternehmungen auslöst. Für die primitiven Nomaden sind es noch ihre kleinen Jagden, ihre kleinen Kriege. Wirkliche Größe aber hat menschlicher Unternehmungsgeist erst zur Zeit der großen vorhistorischen Jagden angenommen, die dem Zeitalter des Ackerbaus vorangehen und diesen teilweise erklären. Diese großen Jagden gehen sehr weit in das Paleolithikum zurück und lassen sich durch das Neolithikum bis in die Frühgeschichte hinein weiterverfolgen. I n der biblischen Überlieferung w i r d N i m r o d zum „großen Jäger vor der Ewigkeit", zum Städtebauer und zum Begründer politischer Herrschaft, qui coepit esse potens. D a m i t werden w i r zu den Anfängen menschlicher Zivilisation zurückgeleitet. Die großen Jagden haben zur Ausbildung abenteuerlustiger Gruppen außerhalb der vorhandenen Stämme geführt, bereit, neue 6 Hauriou

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Lebensformen anzunehmen. Hatten sie zunächst nur Bison und Rentier gejagt, so gingen sie nun dazu über, auf Menschen Jagd zu machen und diese auszuplündern, zu versklaven und zu unterwerfen. Sie bauten sich Schlupfwinkel aus und schufen damit den Anlaß der Anlage von befestigten Städten. Auch die ersten Versuche, Ackerbau zu betreiben, müssen unter derartigen Bedingungen von Pionieren außerhalb der Stämme gemacht worden sein, die auch während der Arbeit Bogen und Speer zur H a n d behielten. Vielleicht waren es Jägerbanden oder doch ähnliche Gruppen; denn der Ackerbau beginnt mit dem Abenteuer. Abgesehen von der Gefahr von Überfällen liegt im Ackerbau nicht weniger Wagnis als in der Jagd. Genausogut wie das W i l d kann nämlich die Ernte ausbleiben. Ebenso wie uns daher die Höhlenmalereien der Dordogne die magischen Riten der alten Jäger für eine gute Jagd zeigen, so weist die Volkskunde der primitiven Ackerbauer andere magische Riten auf, die eine gute Ernte sichern sollen. U n d nichts hat sich seit diesen weit zurückliegenden Zeiten am Anfang der Zivilisation geändert. Immer noch geht der Antrieb zur Produktion von Gruppen von Menschen aus, die wagemutiger sind als die übrigen, die in gewisser Weise auch außerhalb des gewöhnlichen bürgerlichen Lebens stehen, Kaufleute, Industrielle und Spekulanten. U n d noch immer ist es das Spiel und die Spekulation, die ihre Abenteuerlust stillt: kaufmännisches Risiko und Börsenspekulation. Seit dem Beginn mit der Spekulation im Ackerbau, die nach wie vor das Fundament bildet, ist das Gebäude der Zivilisation in die Höhe geschossen, aber Spekulation herrscht in allen seinen Stockwerken. Indem sich der Geist der Spekulation zu der Arbeit in der Produktion gesellt, verhüllt er auf gleichsam hypnotische Weise, welche Mühsal sich mit jener verbindet. Das gilt natürlich nur für den Unternehmer, der in seinem eigenen Betrieb arbeitet. Bei den Arbeitern bleibt die Mühsal der Arbeit vollkommen erhalten, weil sich in ihrer Vorstellung keinerlei Spekulation mit der von ihnen geleisteten Handarbeit verbindet. Darin liegt eben gerade der Nachteil der abhängigen Arbeit. Alles aber, was er für sich persönlich unternimmt, so bescheiden es auch immer sein mag, erzeugt in der Vorstellung des Arbeiters bereits Spekulationen. Selbst Enttäuschungen entmutigen ihn dann nicht. Perette mußte erleben, wie sich ihr Traum von „ K a l b und Kuh, Schweinen und Hühnern" in Nichts auflöste, und doch kehrte sie am nächsten Tag wieder frohen Muts auf den M a r k t zurück, mit einem T o p f Milch auf dem K o p f und ihren „Schlössern in Spanien" vor

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Augen 7 . Der spekulative Geist des Abendlandes benutzt so für seine A k t i v i t ä t den Traum, in dem das Morgenland dahinschlummert. Die Spekulation verfügt übrigens auch über ein eigenes Instrument, nämlich das Kapital aus den Uberschüssen der Produktion, das sie in den Unternehmungen investiert. I n den zivilisierten, individualistischen Gesellschaften erfüllt das Kapital eine doppelte Funktion: einmal macht es die Spekulation möglich, zum andern w i r d es zum entscheidenden Element zur Stabilität der Sozialordnung, dadurch daß es Reichtum und Besitz für die Masse der Bevölkerung schafft; denn aus Angst, etwas zu verlieren, werden die Menschen zum Konservativismus bekehrt. W i r haben bereits weiter oben auf diese Furcht vor gesellschaftlichen U m wälzungen hingewiesen, die die Menschen Ungerechtigkeiten i n Kauf nehmen läßt: die Katastrophe, vor der sie aber am meisten Angst haben, ist der Verlust oder die Abschaffung des Kapitals. Der verborgene Antrieb des individualistischen Organismus liegt demnach nicht etwa nur im Eigeninteresse ganz allein, sondern in dessen Verbindung mit dem Geist der Spekulation und, in diesem Sinne, mit der Leidenschaft des Spiels. Eine individualistische Gesellschaft, die nichts aufs Spiel zu setzen bereit ist, hat keinen Unternehmungsgeist mehr und w i r d zu einer toten Gesellschaft. Das individualistische Rechtssystem ist in seinen tiefsten Vorstellungen um den Mittelpunkt der Spekulation, des Risikos und des Unternehmens aufgebaut, und zwar gilt dies selbst für das Zivilrecht, das ein Ausdruck des bürgerlichen Lebens ist. Sobald man den Grundgedanken dieses Systems einmal erfaßt hat, stellt man überrascht fest, wie sehr diese von der Vorstellung beherrscht ist, daß der Mensch nicht in der Gegenwart, sondern einzig und allein in der Zukunft lebt, die den geometrischen Punkt für spekulative Gewinnerwartungen abgibt. Die subjektiven Rechte sind virtuelle Ansprüche und Formen zum Erwerb; in dieser Eigenart stellen sie sich als Vermögenswerte dar; audi die Rechtsfähigkeit ist nichts als die Fähigkeit zum Erwerb. Unternehmen, um zu erwerben, ist die w i r k liche Devise. Alles ist auf den zukünftigen Erwerb abgestellt, nichts auf den sofortigen Genuß, d. h. alles ist auf die Produktion ausgerichtet, nichts bezieht sich auf den Verbrauch. Das bedeutet eine weitgehende Vergeistigung, denn die Lust zu erwerben liegt auf geistiger, nicht auf materieller Ebene; das Gesetzbuch 7

[Perette, das Milchmädchen aus Lafontaines Fabel „La laitière et le pot au lait", träumte von künftigem Reichtum, als ihr der Milchkrug zu Boden fiel und mit ihm alle Traume zerbrachen. Anm. d. Ubers.]

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befaßt sich mit dem materiellen Genuß so wenig wie mit dem Verzehr des Wohlstandes. I m Hintergrund steht aber gleichzeitig stets die Frage des Geschäftsrisikos; so bildet denn auch das Vermögen des einzelnen, mit dem er arbeitet und sich Kredite beschafft, üblicherweise die Sicherheit für seine Gläubiger und w i r d von diesen oft i n Anspruch genommen und liquidiert. B. W i r halten es nicht für notwendig, hier nur um der Symmetrie willen auch die Reaktion der sozialen Gruppe in allen Einzelheiten zu erörtern, soweit diese sich als Gleichgewicht gegenüber den vordrängenden Energien erweist, die von den einzelnen ausgehen. Denn w i r sind uns darüber klar, daß w i r hier nichts als Stichworte für ganze Kapitel liefern können, wenn w i r angeben, was uns bisher am wenigsten erkannt, aber am wichtigsten zu sein scheint. Jedermann weiß, daß das individualistische System keineswegs beabsichtigt, die sozialen Gruppen zu unterdrücken, und daß es sich mit den von ihnen ausgehenden Energien unter Beobachtung einiger Vorsichtsmaßnahmen abfindet. Es gewährt Rechte für die Familie, für den Staat und sogar für die Berufs- und Fachverbände. Wenn die von der Revolution aufgestellte Liste der Menschenrechte auch weder die Vereinigungsfreiheit noch die Freiheit zur Gründung enthielt, so ist sie seitdem zumindest insoweit vervollständigt worden, als es sich um die Vereinigungen und die Verbandsformen handelt, in denen sie sich organisieren können. Darüber hinaus hält die individualistische Rechtsordnung auch zu einem großen Teil an den Pflichten der einzelnen fest, die entweder aus dem Vorhandensein der Familie oder des Staates zu verstehen sind. Das einzige Merkmal, auf das es der individualistischen Ordnung wirklich entscheidend ankommt, liegt darin, daß dem privaten Unternehmen für die wirtschaftliche Produktion der Vorrang vor den Unternehmen der sozialen Gruppen und selbst denjenigen des Staats erhalten bleibt. Daß das so ist, ergibt sich für uns Juristen sehr deutlich schon aus der einfachen Tatsache, daß das Privatrecht, also das Recht der privaten, individualistischen Lebensform, inhaltlich als das allgemein geltende Recht angesehen wird, während das öffentliche Recht unabhängig von seiner Bedeutung in diesem System jedenfalls nur eine Ausnahme vom allgemeinen Recht darstellt. Für ein dynamisches Verständnis des sozialen Lebens bedeutet das, daß der Initiative der einzelnen und derjenigen der Gruppen die Bedeutung von Wirkung und Gegenwirkung zukommt, die sich gegenseitig ausbalancieren sollen. Unter dem Staat wurde dieses Gleichgewicht auf der Grundlage einer Trennung des wirtschaftlichen und politischen Bereichs

2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht hergestellt. Den einzelnen kommt die wirtschaftliche Betätigung, die Produktion der Güter des Wohlstands und das Eigentum an den Sachen in Form des Kapitals zu. Dem Staat bleibt das politische Tätigkeitsfeld und die Ausübung von Macht über die Menschen vorbehalten. Über die Ausübung der Staatsgewalt und über die rechtlichen Möglichkeiten, die diese eröffnet, ist folglich dem Staat auch die Macht verliehen, auf den Bereich der Wirtschaftstätigkeit der einzelnen einzuwirken. Diese Macht zur Einwirkung ist immer noch so gewaltig, daß die individualistische Unternehmenswirtschaft gehalten ist, sich sorgsam gegen sie abzuschirmen. V o n daher sind alle jene verfassungsrechtlichen Klauseln zu verstehen, die die öffentliche MACHT einschränken und abmildern, um das zu sichern und aufrechtzuerhalten, was man gemeinhin die Freiheit nennt, die ganz wesentlich ökonomische Freiheit der privaten Unternehmen ist. Nachdem w i r das dargelegt haben, wollen w i r uns darauf beschränken, daran zu erinnern, daß der so gezähmte und in den Dienst der bürgerlichen Gesellschaft gestellte Staat drei wesentliche Funktionen zu erfüllen hat: 1. die individualistische Gesellschaft durch seine Regierung zu schützen, ihr Frieden und Ordnung von innen und außen durch seine Armee, seine Diplomatie, seine Polizei, seine Gesetzgebung und seine Gerichte zu sichern; 2. sie zu kontrollieren und ihr durch seine Verwaltung Dienste zu leisten; 3. Ausartungen des Individualismus durch Strafverfolgung wie auch auf erzieherischem Wege zu unterbinden. C. Damit ist indessen noch nicht alles gesagt. Die Sozialordnung der seßhafl: gewordenen, zivilisierten Völker stellt sich als ein Gleichgewicht zwischen drei Faktoren dar. Neben den Energien der einzelnen und denen der sozialen Gruppen spielen auch die Kulturideen eine Rolle. Für sich allein hätten die Energien der einzelnen nicht ausgereicht, um den Sieg über die Gruppen davonzutragen und den Individualismus durchzusetzen, aber ihnen kamen die Ideale und Grundsätze der Religionen und der Morallehren zu Hilfe, und die ihnen eigene Energie gab dank ihrer Autorität über den Geist den Ausschlag. I m übrigen ließ die auf der Seßhaftwerdung beruhende Zivilisation auch die geistige Entwicklung des Menschen fortschreiten und ihn sich

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seiner mehr und mehr selbst bewußt werden. Das Wissen um das Privateigentum an den Sachen erweckte ein tiefes Verständnis für ein „NichtIch", in dessen täglidiem Umgang dann das I d i emporgestiegen ist. Die Zeit, die einer Elite auf Grund des Produktionsüberschusses zugestanden werden konnte, ließ dieser Elite die Möglichkeit zu verstärkter geistiger Tätigkeit, und diese hat glänzende Ideen zur Folge gehabt. M a n muß sich daran gewöhnen, die Ideen, von denen soziale Strömungen ausgehen und die sich in beständigen sozialen Institutionen verkörpern, als wirksame Kräfte und daher auch als Tatsachen anzuerkennen. Hierher gehören aber in erster Linie die religiösen und moralischen Ideen. Schon Fustel de Coulanges hatte bemerkt, daß die Gründung der antiken Städte durch neue Religionen vorbereitet worden war. Damit nicht genug ist das ganze Zeitalter der Seßhaftwerdung des Menschen von religiöser Erneuerung vorbereitet und begleitet worden. N u n sind aber die Religionen dieses Zeitalters überaus individualistisch. Nicht nur steht das individuelle W o h l ihrer Gläubigen bei ihnen ganz im Vordergrund, ihre Gottheiten weisen audi, sieht man einmal von ihren Unzulänglichkeiten ab, wenigstens insofern einen gemeinsamen Zug auf, als sie als handelnde Einzelwesen erscheinen. W o h l scheint hinter ihnen noch das antike unpersönliche und schicksalhafte FATUM durch, an das die primitive Menschheit einmal glaubte. Aber sie nehmen den Kampf mit diesem auf, wie es uns in den Kosmogonien, den Mythologien und den Dichtungen gezeigt und vor allem von Homer vor Augen geführt wird. Ein weiterer Schritt sollte mit der jüdisch-christlichen Offenbarungsreligion getan werden, deren einziger Gott noch tatkräftiger hervortritt, weil er Schöpfer ist und durch seine Fügung und Gnade das Wirken des FATUM aufhebt. Die abendländische K u l t u r sollte auf zweifache Weise aus den jüdischchristlichen Werten Gewinn ziehen. Sie befreite sich einmal von dem schicksalsergebenden Fatalismus, der so schwer auf den Völkern in Asien und, später, auf denen des Islam lastete. Zum anderen blieb ihr mit dem Gedanken von Gott als dem einen Herrn der Schöpfung die Gefahr des Pantheismus erspart, der eine andere Möglichkeit darstellt, im unendendlichen Nirwana zu versinken. Der Pantheismus findet sich mit der Problematik des Göttlichen ab, indem er dessen Verwirklichung in eine vage Zukunft verlegt. Der Glaube an die Schöpfung dagegen geht das Problem von vorne an und stellt das Göttliche als den Grund der Welt ganz an den Beginn. Es verlangt zwar am Anfang mehr Glaubenskraft, hat aber den großen Vorzug, an die erste Stelle das Kausalitätsprinzip

2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht zu setzen, auf welchem jede Unternehmung beruht, da jenes nichts anderes besagt, als daß diese einem schöpferischen A k t entsprungen sein muß. Übrigens findet sich jene Form der Askese, die das Leben von Spekulation und Arbeit mit sich bringt, bekräftigt durch die religiöse Askese und durch den Glauben an ein ewiges Leben, in das die A n t w o r t auf die Frage nach dem persönlichen Glück des einzelnen verlegt wird. Diese Glaubensüberzeugungen strömen einen leidenschaftlichen schöpferischen Glauben aus, vermitteln dem Menschen die Kraft, auch dem Mißgeschick gegenüber standzuhalten und beschwichtigen seinen Ärger und Zorn. Die Sozialordnung baut zwar nicht ausschließlich auf ihnen auf, aber sie vervollständigen auf wunderbare Weise die ihr zur Verfügung stehenden Mittel. Ihren größten Dienst aber leisten sie ihr dadurch, daß sie die entfesselten individualistischen Instinkte fest an die Kette des Sittengesetzes legen. Das ganze Strafensystem des Sozialapparats beruht auf dem Sittengesetz, und dieses wiederum ist in den religiösen Glaubensüberzeugungen verankert. Die geistigen und zivilisatorischen Glaubensüberzeugungen hatten einmal viel Mühe, um diese moralische Bremse einzubauen. Aber das Ergebnis von Erziehung und Ausrichtung war erstaunlich. Handelte es sich doch darum, rohe, ungezähmte Menschen daran zu gewöhnen, sich ständig selbst unter einer moralischen Kontrolle zu halten, während man sie andererseits auch zu eigenen Initiativen, Unternehmungen und Spekulationen anhielt. Man bewundert schon ein Pferd, dem sein Reiter die Sporen gibt und es gleichwohl in der Gewalt behält; seine beherrschte, bebende Kraft bildet ein eindrucksvolles Schauspiel. Noch eindrucksvoller aber ist die in Zaum gehaltene Kraft des zivilisierten Menschen, denn er spornt sich selbst an und hält sich gleichwohl fest in der Hand. Schließlich haben die Ideen der westlichen Zivilisation einen letzten Dienst erwiesen, indem sie diese mit dauerhaften Institutionen ausstatteten. Durch die von diesen ausgehenden Widerstände wurde das Tempo der sozialen Bewegung auf eine relativ langsame Gangart zurückgeschaltet, die Entwicklung im Strom der Ereignisse durch Zwischenstufen unterbrochen und den folgenden Generationen der Eindruck einer genügenden Stabilität vermittelt, die ihnen erfolgversprechende Unternehmungen gestattet. A u f diese Weise sind die westlichen Völker vor dem Eindruck des ständigen Fließens aller Dinge und deren Unbeständigkeit bewahrt geblieben, wie er sich im Hinduismus niedergeschlagen und diesen von Tatkraft und Handlung entfremdet hat.

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88 IV.

Das Schicksal der individualistischen Sozialordnung der seßhaften, zivilisierten Völker

Die westliche Zivilisation nimmt zwar gegenwärtig auf Grund ihrer Stärke, ihres Handels und ihrer Ideen eine Vorrangstellung gegenüber der übrigen Welt ein, doch ist es ihr nicht gelungen, diese ganz und gar zu assimilieren. Gewiß sind heute fast alle Völker auf der Stufe der Seßhaftwerdung angelangt und haben sogar das individualistische W i r t schaftssystem übernommen, indessen verfügen sie nicht alle über dieselbe unternehmerische Spannkraft. Viele von ihnen bewahren noch die von der Zeit des Hirtenlebens überkommene Trägheit. Außerdem haben sie nicht dieselben Glaubensüberzeugungen. Kurz, diese Völker besitzen nicht dieselbe Geisteshaltung. Obwohl sie in unsere Schule gegangen sind und die technischen Errungenschaften von uns übernommen haben, wenden sie sich wieder dem Geist der Altvorderen zu und verlieren sich in nationalistische Eifersüchteleien. Z u gleicher Zeit hat die westliche Zivilisation eine jener Krisen zu bestehen, die in regelmäßigen Zeitabständen in den Systemen freier Auseinandersetzung auftreten. I m 19. Jahrhundert hatte die K r i t i k über den Geist des Schöpfungsglaubens gesiegt. I n Auswirkung dieser Entwicklung begann man dann i m Westen selbst, am Wert der eingeschlagenen Richtung zu zweifeln. Diese vorübergehende Schwäche wäre allerdings bedeutungslos, fiele sie nicht gerade zusammen mit jenem Widerstandsgeist, den w i r bei den unterentwickelten Völkern feststellen, die uns umgeben. Ohne noch einmal die Erinnerung an das tragische Ende des von den Barbaren eingeschlossenen römischen Reichs heraufzubeschwören, berechtigt die gegenwärtige Situation Europas doch zu Besorgnissen 8. Dabei gilt es nicht für die Zivilisation als solche Befürchtungen zu hegen, sondern für die zivilisierten Völker Europas selbst. Einmal könnte die Zivilisation auf andere Kontinente übergehen. Zum anderen aber würde die Zivilisation auch in Europa, würde dieses von den Barbaren überrannt, bestehen bleiben, genauso wie sie schon die Völkerwanderungen überstanden hat, die einst das weströmische Reich überschwemmt haben. Den neuen Eindringlingen würde es nicht anders als den alten ergehen, sie würden durch die Umwelt assimiliert werden. Vielleicht würde man ein neues Mittelalter erleben, d. h. die individualistische Sozialordnung würde eine Zeitlang jene aristokratische, feudale Form annehmen, die mit der demokratischen abzuwechseln scheint, doch das Prinzip des Individualismus bliebe gewahrt. Jene großen religiösen 8

Siehe H. [Henri] Massis, Défense de l'Occident [Paris 1927].

2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht oder moralischen Zivilisationsideen aber würden auch diese schwierige Periode überdauern, wie sie schon die erste erfolgreich überwunden haben. Die Fragestellung ändert sich aber, wenn man sie auf die Völker selbst bezieht, die gegenwärtig in Europa leben. Völker können wie im Sturm verschwinden, unter Qual und Leiden. Daher gilt es sich zu verteidigen, und dabei vor allem gegen sich selbst. Nicht der äußere Feind ist gefährlich, sondern der innere. Für uns besteht kein Anlaß, an dem Wert unserer westlichen Zivilisation zu zweifeln. Ist sie doch nicht etwa das Ergebnis eines Zufalls, sondern die Offenbarung einer endgültigen sozialen Wahrheit. Der Beweis hierfür liegt darin, daß alles, was sie hervorgebracht hat — zweifellos Werke von Schönheit und geistiger Klarheit — , klassisch geworden ist. W i r müssen etwas bei diesem Beweis durch die Klassik verweilen. Es handelt sich dabei nicht etwa um eine A r t Pragmatismus, sondern um die Beweisführung durch einen langsam fortschreitenden Prozeß, der sich im Verlauf von Jahrhunderten abspielt, nicht etwa nur vor den Augen einiger Fachleute, sondern vor dem Publikum insgesamt. Er beginnt mit der Schöpfung von Kunstwerken, literarischen oder wissenschaftlichen Werken, über welche geniale Menschenkraft ihrer Eingebung der N a t u r einige ihrer Geheimnisse entreißen. Er findet seine Fortsetzung in der K r i t i k , die jedes Kunstwerk, jede literarische Neuentdeckung, jede wisschenschaftliche Hypothese — kaum daß sie an die Öffentlichkeit gelangt sind — sogleich hervorruft. Endlich kommt er nach sehr langer Zeit und nach weiterer kritischer Überprüfung zum Abschluß in der allgemeinen Bewunderung der Nachwelt. Worauf basiert aber solch ein Prozeß: er bedient sich aller Formen der Vernunft, der Eingebung, der Aussprache und des gesunden Menschenverstandes, und zwar jeweils an dem ihnen eigenen Platz, der Eingebung für den Einfall in der Schöpfung, der Aussprache für die freie Diskussion, des gesunden Menschenverstandes für den abschließenden Richtspruch; unbestreitbar w i r d er damit zu dem geeignetsten Weg, um in uns jene letzte Überzeugung entstehen zu lassen, die das Kennzeichen der Wahrheit ist. Welcher Skeptiker würde wohl der Überzeugungskraft widerstehen können, die von einem klassischen Meisterwerk ausgeht? N u n hat aber die abendländische K u l t u r geradezu Überfluß an klassischen Meisterwerken. Diese Beobachtung hätte keine große Bedeutung, wären diese Werke nur für westliche Menschen selbst klassisch geworden; aber sie sind es für alle wohlmeinenden Menschen auf der ganzen Welt,

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2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht

die genügend Bildung erworben haben. Das rührt daher, daß sie menschlich (humains) sind. Die Klassik drückt die großen Züge einfacher Empfindungen aus, die der ganzen Menschheit gemeinsam sind und der N a t u r jener Menschenart entsprechen, wie sie sich in der Stufe der Seßhaftwerdung voll ausgebildet hat. So ist die Klassik menschlich, weil die Menschheit in ihr charakteristische Züge ihrer eigenen A r t wiedererkennt. Vergessen w i r nicht, daß klassische Bildung, Kenntnis klassischer Sprachen und klassischer Literatur bezeichnenderweise als humanistisch verstanden wird. Z u den klassischen Werken der westlichen K u l t u r gehören auch die Ergebnisse der Wissenschaft. Sie sind wohl die am wenigsten umstrittene Frucht der Klassik, gleichwohl gibt man sich nur selten Rechensdiaft darüber, daß sie schließlich nichts anderes darstellen als gemeinhin als klassisch anerkannte Wahrheiten. Sie sind nichts als auf Einhebung beruhende Hypothesen, die durch kritische Experimente überprüft und vom gesunden Menschenverstand für richtig befunden worden sind. Es sind statistisch belegte Wahrheiten, die sich auf Durchschnittswerte stützen und aus denen sich immer auch einige Widersprüche ergeben 9. Immerhin sind sie noch genau genug, um uns Einwirkungen auf die N a t u r zu ermöglichen, und gerade diese Einwirkungen auf die Natur, diese A r t von Weltschöpfung, die der Mensch gleich einem Demiurgen fortsetzt, w i r d in Wirklichkeit zu der klassischen Leistung der Wissenschaft. Diese wahrhaft gewaltige Leistung stützt sich ihrerseits direkt auf die sittliche Leistung, die das eigentliche Meisterwerk unserer K u l t u r ist. Diese Grundlinie w i r d nicht immer erkannt, weil man zu leicht übersieht, daß die Entdeckung des Wahren gleichzeitig Ergebnis einer Tugend wie einer Methode ist. Die wissenschaftliche Methode der Beweisführung erfordert bei dem Gelehrten die Tugend von Wahrhaftigkeit und Demut: Wahrhaftigkeit bei der Beobachtung, Demut gegenüber den Korrekturen, die der Tatsachenverlauf an seinen früher aufgestellten Hypothesen vornimmt. Die Methode der Beobachtung, schon von Aristoteles niedergelegt und angewandt, hat erst zweitausend Jahre später zu greifbaren Ergebnissen geführt, ohne welche die auf gegenseitigem Austausch beruhende Arbeitsweise der Wissenschaft unmöglich wäre. Wie anders ließe sich diese Verspätung erklären als dadurch, daß es erst einer gewissen Zeit zur Durchsetzung christlicher Moral bedurfte, um die Bevölkerung Europas in den Stand zu versetzen, eine genügende Menge von Gelehr9 E. [Êmile] Boutroux, De la contingence des lois de la nature, [Paris 1895]; H. [Henri] Poincaré, Science et hypothèse [Paris 1902].

2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht ten hervorzubringen, denen Wahrhaftigkeit und Demut vor der W i r k lichkeit gegeben war? Erst mußte der Kreis von Phantastereien erschöpft sein, bevor ein Zugang zu dem Feld der Beobachtung gefunden werden konnte. So begannen die Chemie mit der Alchimie, die Archäologie mit der Phantasie und die Sozialwissenschaften m i t philosophischem Theorienstreit. Die Ansammlung der klassischen Meisterwerke, angefangen bei wissenschaftlich begründeter Wahrheit bis hin zu Schönheit und sittlicher Reinheit, ohne hier die literarischen, künstlerischen und musikalischen Werke zu zählen, ist von einer so beredten Fülle, daß es schwerfallen muß, ihr Zeugnis nicht anzuerkennen. Nachdem die jungen Generationen durch die Realitäten des Lebens von dem unfruchtbaren Spiel der kritischen Analyse abgekommen und durch sportliche Betätigung wieder an die Disziplin der tätigen Handlung gewöhnt worden sind, werden sie schließlich auf ganz natürliche Weise auch wieder aufgeschlossen werden für das dramatische Unternehmen der menschlichen Kultur. V. Verhältnis des RECHTS ZU Sozialordnung und Gerechtigkeit: das Naturrecht Das RECHT ist eine A r t Programm, das gleichzeitig auf die Herstellung von Sozialordnung und Gerechtigkeit eingerichtet ist. Seine Regeln sollen die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse so ordnen, daß sie in diese beiden Koordinaten hineinpassen, wobei die Sozialordnung nach einer von uns schon getroffenen Feststellung praktisch die wichtigere ist. Eine weitere Feststellung besagt, daß der Einfluß der Sozialordnung auf das Recht sich über manchmal willkürlich getroffene Anordnungen vollzieht, während der Einfluß der Gerechtigkeit immer nach dem gleichen natürlichen Gesichtspunkt verläuft, nämlich nach bestem Wissen und Gewissen. Die Untersuchung des geltenden Rechts irgendeines Volkes bestätigt diese Bemerkungen. Die Paragraphen eines Gesetzbuchs werden ihrem Inhalt nach auf Sozialverhältnisse angewandt, die untereinander nach einer bestimmten Gliederung geordnet sind. Die Faktoren von Gliederung, Organisation und Koordination treten hierbei viel greifbarer in Erscheinung als das Element der Gerechtigkeit. Richtig ist auch, daß sich ziemlich häufig auch in dieser sozialen Gliederung noch Elemente der W i l l k ü r und des Gutdünkens mit ansiedeln, wie zum Beispiel bei den Formular-Verfahren. Dem alten römischen Recht mit seinen genau vorgeschriebenen

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Rechtshandlungen und seinem Aktionen-System fehlten diese W i l l k ü r elemente nicht, die sich in den alten Rechtssystemen keineswegs aller Völker finden lassen. Statt dessen treten dort aristokratische und nationalistische Elemente in den Vordergrund. Die Sozialordnung drückt aber nicht nur dem geltenden Recht eines jeden Volkes ihren Stempel auf, sie ist es auch, die jedem beliebigen Rechtssystem das tragende Gerüst verleiht, das heißt den Komplex von in Kategorien aufgeschlüsselten Regeln, die sich auf die entsprechenden Kategorien von Sozialverhältnissen beziehen. Gäbe es keine Sozialordnung in den Gesellschaften, sondern gäbe es nur Gerechtigkeit, dann bedürfte es keiner Kategorien, denn Gerechtigkeit ist eine unteilbare Einheit, nur die Sozialordnung ist uneinheitlich. Diese Überlegung führt uns zum Problem des Naturrechts, denn es handelt sich dabei vor allem darum zu wissen, ob dieses von Sozialordnung und Gerechtigkeit gleichzeitig getragen w i r d oder ob es ausschließlich eine Sammlung von Gerechtigkeitsgeboten darstellt. Wenn das Naturrecht nichts anderes sein sollte als eine Sammlung von Gerechtigkeitsgeboten, dann enthielte seine Konzeption nichts Ursprüngliches, weil sie sich nicht mehr abheben würde von der Konzeption der Gerechtigkeit selbst. Übrigens stellen auch die Institutionen Justinians, die man durchaus als Naturrecht ansehen könnte, keineswegs einzig und allein Gerechtigkeitsgebote dar: „alterum non laedere", „suum cuique tribuere", das sind Formeln, die bereits individualistische Sozialordnung, Erbrecht und Privateigentum ausdrücken. Auch werden sie von den Institutionen selbst als Rechtsgebote, nicht aber als Gerechtigkeitsgebote bezeichnet: „juris praecepta sunt baec". Freilich w i r d das Naturrecht als der Natur näherstehend angesehen als die geltenden Rechtsordnungen, naturam sequitur, — welches aber ist die wahre N a t u r des Menschen und der Gesellschaften? Ist es allein Recht und Billigkeit untereinander, oder ist es nicht zu gleicher Zeit auch Ordnung im sozialen Gefüge? Der Mensch ist ein „zoon politikon", die römischen Rechtsgelehrten aber, da sie das Naturrecht praktisch mit dem jus gentium verwechselten, waren ebensosehr darauf bedacht, die politischen Eigenheiten ihres alten römischen Rechts auszumerzen, wie auch dieses mit dem Geist der Billigkeit zu erfüllen. Ist das Naturrecht aber ein Rechtskörper, der auch eine bestimmte Sozialordnung mit umfaßt, welcher A r t ist dann diese Ordnung? Diese Frage, die auf den ersten Blick wohl recht schwer zu lösen zu sein scheint, läßt sich im Gegenteil leicht beantworten, sofern man nur bereit ist, den Glauben an das Naturrecht als eine historische Tatsache zu behandeln.

2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht Man braucht nur die Geschichte zu befragen, um festzustellen, in welchen Zeitpunkten dieser Glaube eine Wirkung auf den Geist der Menschen hat ausüben können und welchem Ideenkomplex und welcher Sozialordnung er infolgedessen zuzuordnen ist. Es zeigt sich dann sogleich, daß der Ideenkomplex, dem er zugehört, mit den großen demokratischen Perioden der Geschichte zusammenfällt. Die Konzeption eines Naturrechts erscheint zum ersten M a l in der griechischen Philosophie, nur kurze Zeit vor der Besetzung Griechenlands durch die Römer. Diese Konzeption w i r d dann indie römische Rechtswissenschaft übernommen, wo sie noch bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung vorherrscht. Während dieser Jahrhunderte wies die antike Zivilisation ein doppeltes Gesicht auf. Einmal lebten alle Nationen der griechisch-römischen Welt unter demokratischen Bedingungen. Zum anderen ermöglichten die rechtlich geordneten Handelsbeziehungen die Schaffung eines allgemeinen Rechts der Nationen. So handelt es sich also gleichzeitig um eine Epoche egalitärer Demokratie und des jus gentium. Diese beiden Gegebenheiten finden sich wiederum vereinigt, als das N a turrecht nach einem langen Schlaf durch das Mittelalter schließlich i m 17. und 18. Jahrhundert mit der Natur- und Völkerrechtsschule wieder zum Leben erweckt w i r d und aufs neue die Geister zu bewegen beginnt. Das war am Beginn einer neuen Epoche egalitärer Demokratie und allgemeinen RECHTS der Nationen. Jene individualistische Konzeption wurde auf die Beziehungen im internationalen Recht ausgedehnt von Grotius, Pufendorf und Vattel, i m innerstaatlichen öffentlichen Recht wurde sie zur Grundlage der Erklärung der Menschenrechte. So w i r d aus dem allgemeinen Recht sämtlicher zivilisierter Völker einer demokratischen Epoche das historische Faktum, das die Vision eines idealen Naturrechts heraufbeschwört. Ganz sicher deshalb, weil kein anderes System so viel egalitäre Gerechtigkeit in sich birgt wie gerade das demokratische, und weil in diesem die Klammern der Sozialordnung bis zu der äußersten Grenze gelockert sind, ohne doch das ganze Gebäude der Gesellschaft der Gefahr des Einsturzes auszusetzen. Dagegen glauben w i r nicht, daß irgendeine aristokratische Institution in den Bereich des Naturrechts einbezogen werden könnte, ebensowenig wie das Lehnsrecht, das Erstgeburtsrecht oder welche sozialen Vorrechte auch immer. Diese Institutionen haben sehr wohl ihre historische Daseinsberechtigung; im allgemeinen lösen sie ausgehende Demokratien ab, mit dem geschichtlichen Auftrag, wieder die Energie der Macht in das soziale Räderwerk einströmen zu lassen, welche die Demokratien vergeudet

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2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht

haben; aber sie enthalten zu viel Sozialordnung und zuwenig Gerechtigkeit, um in ein Bild des Naturrechts zu passen. So verstanden ist das Naturrecht eigentlich eine große Besonderheit, aber ein absolutes Ideal kann gleichzeitig auch etwas ganz Besonderes sein. Gott w i r d gleichzeitig als eine absolute Existenz und als ein persönliches Wesen verstanden. Übrigens ist das Ideal des Schönen ebensosehr etwas Besonderes wie das Ideal des Naturrechts. Die klassischen Meisterwerke drücken menschliche Schönheit mit H i l f e besonderer Typen aus. Die Venus von M i l o ist der zu einer bestimmten Epoche vorherrschende T y p der griechischen Frauenschönheit, und doch ist er zu einem T y p weiblicher Schönheit schlechthin geworden. So gesehen hat sich das Naturrecht teilweise schon durchgesetzt. Sein Weg ist bekannt, er w i r d markiert durch zwei weit herausragende Blöcke, den des klassischen römischen Rechts, der als „niedergeschriebene Vernunft" bezeichnet wurde, und den des gegenwärtigen allgemeinen Rechts. Die Rechtsinstitutionen, die sich in diesen zweitausend Jahren auseinanderliegenden Blöcken finden, bieten am meisten Anhaltspunkte, viel Naturrecht zu enthalten. Gewiß gilt es, danach noch zu suchen, aber das ist nur eine Frage des „Wer sucht, der findet". Diese Lösung des Problems des Naturrechts, nach der es schon genau in sich abgegrenzt erscheint, läßt überdies deutlich werden, wie weit auseinander die Perioden seines historischen Auftretens und seiner Wirksamkeit liegen. Der Glaube an das Naturrecht wird, indem er an das Entstehen der Demokratie gebunden ist, nur zusammen mit dieser wieder lebendig. Gleich einem Kometen steigt es im Abstand von Jahrtausenden am Horizont auf, um uns während einiger Jahrhunderte zu leuchten, dann aber wieder zu versinken und uns aufs neue im dunkeln zurückzulassen. Das ist nicht etwa die Schuld des Kometen, der ja deshalb nicht weniger fortbesteht, vielmehr führt uns die Wandlung des Gesellschaftszustandes weit fort von ihm und bringt uns erst nach einem langen Umlauf wieder zu ihm zurück. Diese Lösung des Problems bietet auch bestimmte Vorteile: 1. Sie schließt die Vorstellung eines sich immer weiter entwickelnden Naturrechts aus. I n sich ist das Naturrecht nicht wandlungsfähig, weder in seinen Grundsätzen von demokratischer Sozialordnung noch in seinen Grundsätzen von Gerechtigkeit. Aber einerseits stellt es sich äußerlich nur in den klassischen Meisterwerken dar, die übrigens im Verhältnis untereinander auch Fortschritte aufweisen können. Zum anderen ist jedes A u f treten des Naturrechts aus den bereits angegebenen Gründen nur auf eine vorübergehende Zeit beschränkt.

2. Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht 2. M i t dieser Lösung entledigen w i r uns gleichermaßen des Sozialismus und des Kommunismus. Gewiß werden auch diese Systeme von einem Gerechtigkeitsgefühl beflügelt, das sich indessen mit Ansichten über die Möglichkeiten der Entwicklung der Sozialordnung verbindet, die grundfalsch sind. Es müßte denn die Menschheit zu einem Stand der Produktionsbeschränkung zurückfallen, der dem Naturzustand auf der Stufe primitiven Nomadentums gleichkäme. Aber die Entwicklung der Menschheit zur Seßhaftwerdung und Zivilisation läßt sich nicht wieder rückgängig machen. Übrigens vermag die individualistische Sozialordnung auf eine ihr eigentümliche Weise mehr und mehr egalitäre Gerechtigkeit zu gewähren. I n den Vereinigten Staaten haben die Arbeiter, dank guter Löhne, damit begonnen, an der Börse Aktien der Unternehmen zu kaufen, in denen sie beschäftigt sind, und damit auch die Rechte von Aktionären in diesen Unternehmen zu erwerben. 3. Schließlich bringt uns diese Lösung durch ihre Vorstellung von einem Ideal von Naturrecht, das sich nach und nach in den klassischen Meisterwerken vollendet, zurück zu der künstlerischen Definition des Rechts. Zwar gibt es eine Wissenschaft des RECHTS, und ebenso gibt es Hilfswissenschaften des RECHTS, aber dadurch, daß es Schöpfer von Sozialordnung und Gerechtigkeit ist, ist das RECHT eine Kunst. Es ist gleichzeitig die ars boni et aequi und die ars stabilis et securi. Jede Rechtstheorie ist ein Kunstwerk, das Rechtssystem in seiner Gesamtheit ein besonders großartiges und vornehmes. Es hieße das RECHT geringschätzen, wollte man es zu einer bloßen Technik reduzieren. Der Ausdruck Technik muß bestimmten beruflichen Verhaltensformen vorbehalten bleiben. Der Rechtsgelehrte indessen darf ebensowenig mit dem Praktiker verwechselt werden wie der Bildhauer oder Architekt. Recht ist nicht reine Praxis. Ulpian, Papinian oder Cujas können genausowenig wie Homer, Vergil oder Dante, wie Phidias, Praxiteles oder Michelangelo als Techniker bezeichnet werden. Jede ungeeignete Bezeichnung begegnet schon deshalb Bedenken, weil sie irgendein in Wirklichkeit vorhandenes Element nicht deckt. Als Kunst verstanden dringen RECHT und Rechtswissenschaft zu sozialer Wahrheit vor, sind sie Schöpfer von Sozialordnung und Gerechtigkeit. Wer aber würde darauf kommen können, wollte man sie als eine Technik herausstellen? Ihre Ausbildung erfordert mehr als bloße Technik, sie bedarf künstlerischer Intuition, und das Gebilde (le construit) ist dann ein Kunstwerk — nicht aber ein Werk der Technik.

3. Macht, Ordnung, Freiheit und die Verirrungen der objektivistischen Systeme* Jede Disziplin hat ihre notwendigen Postulate. Die Wissenschaft ist angewiesen auf einen Determinismus, allerdings nicht auf einen absoluten Determinismus — denn dieser ist nach der K r i t i k von Lachelier, Boutroux und H . Poincaré 1 ohne Wert — , aber auf einen relativen Determinismus. Das RECHT ist angewiesen auf den freien Willen, nicht auf den absolut freien Willen, aber auf einen relativ freien Willen. Die philosophische Formel dafür hat noch niemand gegeben. W i r wollen uns hier bemühen, einige Elemente für sie herauszuarbeiten. Diese Elemente werden den Beziehungen zwischen Macht, Ordnung und persönlicher Freiheit zu entnehmen sein, betrachtet man diese unter dem Blickwinkel des geltenden Rechts, wie es sich geschichtlich entwikkelt hat. Unter diesem Gesichtspunkt kommt der Ordnung, wie sie sich in den Institutionen, den Sitten und den positiven gesetzlichen Regelungen manifestiert, die Rolle einer Schranke gleichzeitig für die Macht und für die Freiheiten zu. Solche Schrankenziehung darf man nicht mit Unterordnung verwechseln. Das geltende Recht duldet es nicht, Macht und Freiheiten der Ordnung zu unterwerfen: i m Bereich der Schranken, die ihnen gesetzt sind, genießen diese eine gewisse Autonomie. Allerdings ist auch dieser Autonomie eine Tendenz zur Ordnung eigen, die davon herrührt, daß Macht und Freiheit etwas von einer potentiellen Ordnung i n sich tragen. Doch ist diese eigentümliche Tendenz nur ein Gesichtspunkt dieser Autonomie. Wenn sich diese Tendenz verwirklicht, dann gründet sich die vorhandene Ordnung auf Macht und Freiheiten. Doch bedeutet das keineswegs, daß die Ordnung, wie sie i m Geist der Menschen angelegt ist, sich von selbst in die vorhandene Ordnung verwandelt. Es bedeutet i m Gegenteil, daß sich diese Wandlung auf der Grundlage freier menschlicher Entfaltung und unter den Bedingungen vollzieht, die ihr eigentümlich sind. Woraus sich denn auch — je nach Zeit und O r t — soviel Verschiedenheiten in der * Aus: Revue de Métaphysique et de Morale , 1928 [Bibl., Nr. 45].

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[Vgl. oben S. 90, Anm. 9. Anm. d. Hrsg.]

3. Macht, Ordnung, Freiheit und die Verirrungen der objektivistischen Systeme Rechtswissenschaft, soviel menschlicher Einfallsreichtum und oft genug auch soviel W i l l k ü r erklären lassen. Historisch gesehen liegt der Anfang menschlicher Gemeinschaften in großer Unordnung. Ordnung ist erst das Ergebnis beharrlicher Bemühungen und eine Erlösung von Leiden, die den langen Perioden der Unordnung entstammen. Bevor sich endlich bei den primitiven Gruppen gebieterisch das Bedürfnis meldete, sich in nationalen Bürgerschaften zusammenzuschließen — wie vieler Jahrhunderte hat es zunächst bedurft, um die Plage der Blutrache zwischen den Sippen und Familien auszurotten, die der festen Verbindung dieser Völkerschaften entgegenstand? Hier erweist sich, i n welchem Ausmaß von Autonomie und unter dem Zwang welcher Notwendigkeiten die bestehenden Beziehungen zwischen Macht, Ordnung und Freiheit entstanden sind. Wenn auch dieses Ausmaß von Autonomie relativ ist, so ist diese selbst doch jedenfalls notwendig: 1. Zunächst ist eine relative Autonomie individuellen Willens bei der Schöpfung des RECHTS notwendig, damit die wirtschaftlichen Unternehmungen funktionieren, die eine individualistische Ordnung den einzelnen überläßt. Ihnen obliegen rechtliche Initiativen und Verantwortlichkeiten. Gewiß erstreckt sich ihr Wille bei der Schöpfung des RECHTS durch Rechtsakte nur auf deren Inhalt, während die Ausführung allein der öffentlichen Gewalt vorbehalten bleibt. Aber der Inhalt der Rechtsakte beruht auf der Ubereinstimmung von Entscheidungen und Verpflichtungen der einzelnen. Die Bestimmungen eines Testaments werden von dem Richter nach dem Willen des Erblassers ausgelegt, die Bestimmungen eines Vertrags nach demjenigen der Parteien; der Inhalt des RECHTS als Ergebnis von Ubereinkommen hat daher seinen Ursprung i m individuellen Willen. Wenn auch die Formen von der öffentlichen Gewalt vorgeschrieben und auch die Sanktionen von dieser verhängt werden, so bleibt doch der individuelle Wille wesentlich. Wenn w i r auf dem Jahrmarkt in eine Schießbude gehen, benutzen w i r wohl den Stand, auch die Gewehre und die Schießscheibe, aber unsere eigene Leistung bleibt gleichwohl das Wesentliche, wenn w i r ins Schwarze treffen, und das Ergebnis, das heißt die Anerkennung, gebührt uns. Unsere Handlung hat sich i n der Schießbude unter den Augen ihres Besitzers vollzogen, aber davon abgesehen, sind w i r niemandem unterworfen. Der Bereich der Privatautonomie, sosehr er einmal zur Zeit des w i r t schaftlichen Liberalismus ausgedehnt war, beginnt gewiß zu schrumpfen; uns ist heute die Theorie vom Rechtsmißbrauch, die Wiederbelebung der 7 Hauriou

3. Macht, Ordnung, Freiheit und die Verirrungen der objektivistischen Systeme Institutionen und die Ersetzung der Verschuldenshaftung durch reine Gefährdungshaftung bei Betriebsunfällen usw. geläufig. Aber auch das sind historische Schwankungen, wie die des Liberalismus oder des Interventionismus, die nur schwache Auswirkungen zeitigen. Wer an der Küste ein Stück Land eindeicht, hat damit noch nicht die ganze Nordsee trockengelegt. Die Autonomie des individuellen Willens und der Grundsatz seiner Selbstverantwortlichkeit bilden den Schlüssel ebenso für das Bürgerliche Recht wie für das Strafrecht, also für vier fünftel des Rechts überhaupt. Historisch gesehen haben sich diese Rechtsgrundsätze langsam fortschreitend ausgebildet, verbunden mit der Entwicklung der K u l t u r durch die Seßhaft werdung der Menschen; solange nun aber diese K u l t u r noch fortbesteht, gibt es keinen Grund zu der Besorgnis, diese Grundlagen des Rechts könnten verlorengehen 2 . 2. Die Rechtsschöpfung durch eine politische Macht kraft einer gewissen Autonomie ist nicht weniger notwendig für das geltende Recht. Wohl kann dieses auf die absolute Souveränität der öffentlichen Gewalt verzichten, nicht aber auf ihre relative Souveränität. Die Herrschaft menschlicher Gruppen, die sich in der ständigen Hervorbringung von Ordnung und Recht verwirklicht, führt notwendigerweise dazu, daß die Herrschenden auch selbst Recht schaffen können. Gegen diese autonome Rechtsschöpfung durch die politische Macht laufen die objektivistischen Systeme mit noch mehr Erbitterung Sturm als gegen die Privatautonomie der einzelnen. Sie bestreiten, daß es irgendeine brauchbare Rechtfertigung für das Recht zum Befehlen gebe, und daß es überhaupt möglich wäre, eine solche zu finden. Offenbar leiden sie unter einem recht schlechten Gedächtnis. Es gibt nämlich eine sehr alte und sehr brauchbare juristische Rechtfertigung des Rechts zum Befehlen; sie liegt in der Zustimmung der Beherrschten. Diese alte Erkenntnis hatten schon die Pilgerväter i m Kielraum der „Mayflower" niedergelegt, als sie auszogen, um Amerika zu gewinnen. Sie entdeckten sie in ihren Archiven am Unabhängigkeitstage wieder und verewigten sie im Eingang ihrer Erklärung: „ D i e Grundlage für die Machtausübung liegt in der Zustimmung der Beherrschten". Diese rechtliche Bestätigung bedarf gleichwohl noch einiger Bemerkungen, um sie in ihrer Eigenart gleichzeitig als relativ, ausreichend und notwendig zu bestimmen. 2

Über die Entwicklung der Kultur durch Seßhaftwerdung siehe unseren Aufsatz

über L'Ordre

social y la Justice et le Droit in der Revue trimestrielle

1927, S. 795: „Der Bestand der seßhaften Nationen erfordert individualistische Produktionsweise, individualistische Unternehmensformen und eine bestimmte subjektive Rechtschöpfung." [In der späteren Fassung nicht mehr enthalten. Anm. d. Hrsg.]

de Droit c

3. Macht, Ordnung, Freiheit und die Verirrungen der objektivistischen Systeme 99 Nicht die Anweisungen der Staatsgewalt i n dem Augenblick, da sie als Einzelakte hervortreten, werden vom V o l k gebilligt. A u d i nicht die Staatsgewalt als solche w i r d gebilligt, es ist vielmehr die politische I n stitution, in deren Namen sie Anweisungen erläßt. Je nach der Zeit, dem O r t und den Umständen w i r d das die Institution der Krone oder des Staates oder irgendeine andere sein. Entscheidend ist, daß in dem Verband überhaupt eine politische Institution vorhanden ist, die bei den einzelnen gewöhnlich auf breite Zustimmung stößt. Diese Zustimmung bezieht sich auf Institutionen wie auf Rechtssätze, mit Vorrang aber zunächst auf die Institutionen. Eine Macht schafft eine Institution, die zu einer gewohnten Einrichtung wird, auf die sie sich sodann stützt, um i n ihrem Namen Recht zu schöpfen. So beginnt der Reigen immer von neuem. Diese Erklärung bietet keine erschöpfende Theorie der Macht, es ist eine ausschließlich praktische Ableitung. Ihering hätte sie w o h l ein „Vorwerk" der Macht genannt, genau wie der Besitz ein „ V o r w e r k " (eine Rechtsschutzposition) des Eigentums ist 5 . I n der Tat w i r d diese Rechtskonstruktion allen Erfordernissen gerecht: abgesehen von der Rechtfertigung des Rechts zum Befehlen, sichert sie den Fortbestand der Macht, indem sie diese mit dem Fortbestand politischer Institutionen verbindet. Sie bietet eine Grundlage für den permanenten Wechsel der Macht, schafft den Gegensatz zwischen de-jure- und de-facto-Herrschaften, läßt sich auch auf die Ereignisse anwenden, welche diesen Gegensatz aufheben, und enthält im Keime selbst die Theorie der repräsentativen Herrschaftsform, weil nach ihr die Regierenden erst dann rechtmäßig Macht ausüben, wenn ihre Anweisungen im Namen einer politischen Institution erfolgen, die auf der Zustimmung der einzelnen beruht, d. h. wenn sie in der Eigenschaft von Repräsentanten handeln, wenn auch noch nicht des Volkes selbst, so doch immerhin einer Institution, die vom V o l k gewollt ist. 3. Eine gewisse Autonomie der ORDNUNG ist schließlich notwendig für das Bestehen des geltenden Rechts, nicht etwa, um alles aneinander anzugleichen, sondern um alles in Schranken zu halten. W i r haben bereits eine der Formen kennengelernt, in der sich die Autonomie der Ordnung darstellt; w i r meinen eine potentielle Ordnung, die innerhalb von Macht und Freiheit vorhanden ist, die sich sicherlich erst über einen freien s [Vgl. Jhering, Über den Grund des Besitzschutzes, 2. Aufl., Jena 1869, S. 64,79. Anm. d. Übers.]

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IOC 3. Macht, Ordnung, Freiheit und die Verirrungen der objektivistischen Systeme Entschluß verwirklicht, den sie nicht bedingt, den sie aber immerhin auslöst. Es gibt noch eine andere objektivere Form des eigentlichen, autonomen Bestehens der Ordnung, nämlich die Institutionen und ganz besonders die verbandsmäßigen Institutionen. Das ganze Geheimnis verfassungsmäßiger Ordnung liegt in der Schaffung lebensfähiger Institutionen. Die Verfassungen bedeuten nur soviel wie Regeln, sie haben keine andere Bedeutung, als Satzungen für Institutionen zu sein. Die verfassungsmäßigen Institutionen setzen der Macht Schranken, balancieren sich gegenseitig aus und passen sich den jeweiligen Erfordernissen an. Man müßte Scheuklappen tragen, wollte man eine Selbstbegrenzung der Macht nicht anerkennen. Diese folgt allerdings noch nicht aus einem Beschluß zur Schaffung von Institutionen als solchem, sondern erst aus seiner Verwirklichung durch die Errichtung von Institutionen, weil sich hier die Staatsgewalt der lebendigen Kraft der Ordnung bedient, nur um sich selbst die Hände zu binden. Seit einem Jahrhundert hatten die Regierungen Frankreichs nacheinander regelmäßig beschlossen, einen Teil des Haushalts zur Tilgung der Staatsschulden zu verwenden, doch stand hierfür niemals Geld zur Verfügung. I m August 1926 wurde durch eine Ergänzung der Verfassung schließlich eine autonome Tilgungskasse geschaffen und ihr eine bestimmte Summe zugewiesen. Seither erfolgt die Tilgung ordnungsgemäß und im Haushalt wird jährlich Geld hierfür bereitgestellt. Man braucht nicht zu befürchten, daß es der Ordnung an Autonomie gebricht, ganz im Gegenteil, es steht eher zu befürchten, daß sie davon zuviel hat und dadurch zu übermächtig wird. Die Geschichte lehrt uns, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen gegenüber einer allzu übertriebenen Entwicklung der Institutionen. Eine gesunde Philosophie muß sich ihrerseits davor hüten, die Rolle einer potentiellen Ordnung, wie sie dem Geist der Menschen vorschwebt, zu hoch zu bewerten, um nicht schon im Keime den Grad von Freiheit zu ersticken, ohne den das geltende Recht nicht auskommt. Hierin liegt der Irrweg der objektivistischen Systeme. Sie haben die Rolle der Ordnung überbewertet und die Autonomie der Macht ebenso in Abrede gestellt wie die Autonomie der Freiheit der Person. So haben sie das im geltenden Rechtssystem vorhandene Gleichgewicht zerstört.

Schon lange ließ sich dieser Irrtum erkennen, um so schwieriger aber war es, ihn wirklich nachzuweisen. Wir müssen daher dem Wiener Professor Hans Kelsen dankbar sein, daß er uns eine Handhabe dazu gegeben

3. Macht, Ordnung, Freiheit und die Verirrungen der objektivistischen Systeme hat 4 . I n einem ebenso gewagten wie eleganten System, das w i r weiter unten analysieren wollen, stellt er objektive Ordnung und statische Ordnung gleich und unterwirft die Dynamik streng der Statik. Damit w i r d praktisch die Bewegung des RECHTS ausgeschlossen. Indessen ist doch das geltende Redit, wie es sich historisch weiter entwickelt, ein Recht, wie es sich historisch weiter entwickelt, ein Recht in Bewegung. Widerspruch und Verirrung des Systems fallen in die Augen. Es wäre allerdings unwahrscheinlich, daß ein Jurist und Philosoph vom Range Kelsens diese unnanehmbare Konsequenz seines Systems nicht gesehen haben sollte, wäre nicht in Rechnung zu stellen: 1. daß Sozialordnung und soziale Stabilität gewöhnlich gleichgestellt werden; 2. daß soziale Stabilität allgemein als eine Form der Statik gilt, während sie doch gerade eine bestimmte Form der Bewegung bildet. Soziale Stabilität ist das Ergebnis der langsam fortschreitenden Bewegung im Rhythmus der Wandlungen eines geordneten sozialen Systems. — Diese Vorstellung läßt sich direkt aus geschichtlicher Erfahrung ableiten, aber man begegnet ihr wieder i m Bereich der Mechanik und Thermodynamik. Es gibt zahlreiche Hypothesen, nach denen die Stabilität eines physikalischen Systems auf dieselbe Formel zu bringen ist. Ebenso ist die Stabilität eines lebenden Organismus einzuordnen, denn es gibt keinen Organismus, der sich nicht ständig in allen seinen Teilen wandelt, wenn auch die Veränderungen langsam, gleichmäßig vonstatten gehen und das Gleichgewicht der Gesamtheit unangefochten lassen. Was die Menschen Stabilität nennen, ist keineswegs eine absolute U n beweglichkeit, das ist vielmehr langsame und gleichmäßige Bewegung, die eine bestimmte allgemeine Form der Dinge bestehen läßt, an die man sich gewöhnt hat. Die Menschen legen alle in der „ Z e i t " einen langen oder kurzen Lebensweg zurück, und wenn sich die ihnen vertraute gesellschaftliche Umwelt um sie herum nicht zu schnell verändert, dann haben sie den Eindruck, sich überhaupt nicht bewegt zu haben. I h r Streben nach Glück gibt sich mit dieser Relativität zufrieden und selbst ihr Gewinnstreben und ihre Unternehmungslust, weil sie ihre Berechnungen auf dieser relativen Stabilität aubauen, die in Wirklichkeit reine Wahrscheinlichkeitsrechnungen darstellen. Was die Menschen „verworrene Zeiten" nennen und als das Gegenteil von Stabilität und Ordnung ansprechen, das sind Perioden, in denen die 4 [Der Herausgeber möchte darauf hinweisen, daß es zweifelhaft ist, ob Hauriou Kelsen richtig verstanden hat. Der Leser dürfte daher guttun, Kelsens Texte heranzuziehen.]

3. Macht, Ordnung, Freiheit und die Verirrungen der objektivistischen Systeme soziale Entwicklung sich beschleunigt oder gar in Revolutionen stürzt; das sind aber auch Perioden, in denen die sozialen Errungenschaften und Institutionen insgesamt gesehen in Verfall geraten. Zwar bleiben sie zum Teil aufrechterhalten, zum anderen Teil aber stürzen sie zusammen. A u f diese Weise haben die Menschen den Zeitlauf in ihre Geometrie sozialer Stabilität integriert und diese, ohne es selbst zu wissen, relativiert. Diese Entwicklung paßt wunderbar zu der Vorstellung Bergsons über Zeitdauer und Leben, so wie er sie in seiner Schrift „Evolution créatrice" [erstmals Paris 1907] dargestellt hat. Nach diesem hervorragenden Philosophen müßte es in der Natur einen „élan v i t a l " geben, der sich durch die fortwährende Schöpfung von Neuem auszeichnete und der daher auf irgendeine Weise in ständiger Bewegung nicht aufhebbare Dauer hervorbrächte. Dies ist richtig, es ist auch genial, wie Bergson das Entstehen von Dauer durch das Leben auf die Entstehung von Neuem zurückführt. Immerhin darf man wohl hinzufügen, daß die Entstehung des Neuen vielleicht nur deshalb zur Entstehung von Dauer führt, weil ein Rhythmus von Verlangsamung dazwischengeschaltet ist. Denn die Entwicklung der Lebewesen vollzieht sich stufenweise über die Arten und die Entwicklung der Gesellschaft stufenweise über die Institutionen. Innerhalb der Arten und Institutionen aber vollziehen sich langsam und gleichmäßig Wandlungen. Ohne diesen Einhalt gebietenden Rhythmus wäre der Baum des Lebens in die Höhe geschossen wie die Raketen eines Feuerwerks, die nur für einen einzigen Augenblick aufleuchten. Durch diese Reibungen und Widerstände w i r d der „élan v i t a l " auf natürliche Weise gebremst; allein im gesellschaftlichen Bereich, und zwar vor allem in der Errichtung des Staats, hat menschlicher Fleiß der N a tur in bemerkenswerter Weise noch durch die Schaffung von Gleichgewichten der Kräfte nachgeholfen, die den Zeiger der Zeit mit der regelmäßigen Weile eines Pendels ablaufen lassen5. Die langsame, gleichförmige Bewegung eines sozialen Systems ist das Ergebnis einer Auseinandersetzung zwischen Kräften der Verfestigung 5

Wir hätten es uns nicht erlaubt, diesen kleinen Zusatz zu Bergsons Philosophie vorzuschlagen, wenn er sich nicht nach der Lektüre der „Schöpferischen Entwicklung" aufgedrängt hätte. Aber unsere Gedanken über die langsame und gleichförmige soziale Entwicklung und über die Gleichgewichte, die übrigens der Mechanik und der Thermodynamik entnommen sind, fanden ihren Ausdruck schon in unserer

Schrift Science sociale traditionnelle

von 1896 und in der Schrift Mouvement social vo

1899. Das ist ein zufälliges Zusammentreffen. Wir haben um so mehr Anlaß anzuerkennen, um wieviel schwieriger die Idee der Schöpfung von Neuem zu finden war als diejenige von der langsamen Bewegung.

3. Macht, Ordnung, Freiheit und die Verirrungen der objektivistischen Systeme und Kräften der Bewegung, und man kann über diese Auseinandersetzung zwei Feststellungen treffen: 1. Die Kräfte der Bewegung tragen den Sieg über die Kräfte der Verfestigung davon; ihr Vorsprung ist allerdings nicht groß, und das ist der Grund, weshalb die soziale Bewegung so langsam und gleichförmig verläuft. Aber immerhin ist dieser Vorsprung vorhanden, ohne welchen es überhaupt keine Bewegung mehr geben würde und daher denn auch kein Leben mehr, denn Leben ist Bewegung; 2. Die Kräfte der Bewegung und Wandlung sind nicht notwendigerweise auch Kräfte der Unordnung, denn es gibt Wandlungen, die eine bessere Ordnung herbeizuführen vermögen. Andererseits sind auch die Kräfte der Verfestigung nicht immer besonders geeignet, die beste Ordnung zu gewährleisten. Damit w i r d bewiesen, daß in dem beweglichen Gleichgewicht, dem die geordnete soziale Bewegung entstammt, materielle und moralische Kräfte einander gegenüberstehen. Doch haben w i r keinen Anlaß, an dieser Stelle über diese beiden Kräfte ein Urteil zu fällen, denn die moralischen müssen sich ebenso wie die materiellen Kräfte an jene Relativität der langsamen, gleichförmigen Bewegung anpassen, die allein uns hier beschäftigt. Darin spiegelt sich die geschichtliche Entwicklung wider, in der sich das Leben des geltenden RECHTS vollzieht. Gestern noch bestand eine bestimmte Sozialordnung und ein bestimmter Rechtszustand; heute schon haben sie sich geändert; und morgen werden es wieder andere sein. So sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft die Etappen für die Entwicklung ein und desselben sozialen Systems und ein und desselben Bestandes an RECHT. Beziehungen des Nacheinander halten eine dieser Etappen m i t der anderen zusammen, während gleichzeitig Beziehungen des Nebeneinander die verschiedenen Teile des Systems verbinden. Die Vergangenheit dieser Gesamtheit von Institutionen erklärt ihren gegenwärtigen Zustand, erhellt aber auch ihre Zukunft. I n den Blütezeiten hat man das RECHT unter diesem historischen Blickpunkt studiert und ist damit der Wirklichkeit am nächsten gekommen. Erörterung der statischen und objektivistischen Systeme. — Diese Systeme stellen sich gerne als objektive hin. Sie sind es tatsächlich auch, weil sie das Willenselement beim Menschen ausschalten, das die Quelle des Subjektiven bildet. V o r allem aber sind sie statisch angesichts ihrer verqueren Vorstellung von der Sozialordnung. W i r werden uns also hier mit diesem statischen Aspekt der Systeme auseinandersetzen, weil darin ihre Unvereinbarkeit mit dem Leben sichtbar wird.

3. Macht, Ordnung, Freiheit und die Verirrungen der objektivistischen Systeme W i r analysieren zwei dieser Systeme, die zwar von verschiedenen Ausgangspunkten herkommen, ersichtlich aber zu den gleichen Ergebnissen gelangen: die Systeme von Kelsen und von Duguit. 1. Das transzendente und statische Rechtssystem von Hans Kelsen e. W i r wollen m i t dieser Lehre beginnen, wenn sie zeitlich auch die jüngere ist, einmal weil sie transzendental, zum anderen weil sie logischer und klarer in ihren Schlußfolgerungen ist als diejenige von Duguit. W i r brauchen übrigens nicht ihre innere Struktur zu analysieren, sondern ausschließlich ihre Postulate. Das System bietet sich i n zwei Teilaspekten dar, deren einer, auf die Rechts- und Staatsordnung bezogen, statisch ist, während der andere, dem Ursprung der Ordnung gewidmet, dynamisch ist. Diese Zweischichtigkeit hätte den Autor zu annehmbaren Ergebnissen führen können; i n der A r t aber, wie Kelsen das dynamische dem statischen Element untergeordnet hat, ist alles verdorben. Das statische Element. — H i e r werden Rechts- und Staatsordnung ins Auge gefaßt wie der Ausdruck eines kategorischen Imperativs der praktischen Vernunft, dieser läßt das Transzendentale direkt i n die Gesellschaft hineinfließen. Er stellt ein Sollen dar, das sich in das Sein versetzt, um dieses der Ordnung anzupassen. Dieser der Philosophie Kants entnommene kategorische Imperativ findet seinen Ausdruck in einer objektiven Bewußtseinsordnung, die menschliche Vorstellungskraft übersteigt, wenn sie auch notwendig auf diese zurückgreift, und von der menschliche Vorstellungskraft sich nur eine Idee bilden kann, die ihrer praktischen Verwirklichung dienen könnte (s. Kelsens Aufsatz in: Revue du Droit Public, 1926, S. 565—570). Doch unser Autor ist nicht nur Kantianer, er ist, wie er selbst sagt, auch Pantheist, Idealist und daher auch Monist. Sein Monismus kommt sogleich in einem zweiten Postulat zum Ausdruck, daß nämlich i m statischen Bereich Staat und RECHT ineinander übergehen. Sie sind deshalb identisch, weil der Staat nichts ist als ein Normengebäude, in dem die Organe und Funktionen zusammengefaßt sind und i n dem die Staatsgewalt selbst sich nur als das Bestehen eines Rechtssystems zur Anwendung von Zwang darstellt (denn der Staat ist i m wesentlichen Zwangsanstalt, aaO, S. 572, 574). β

Aperçu d'une théorie générale de l'Etat , Aufsatz von Kelsen, Revue du Droit public , 1926, S. 561 ff.; Werke von Kelsen in deutscher Sprache: Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 1911, Allgemeine Staatslehre, 1925, Bd. X X I I I der Enzyklopä die der Rechts- und Staatswissenschaft von Kohlrausch. Siehe eine Analyse von Duguit

in seinem Traité de Droit Constitutionnel , 3. Aufl. 1927, und J.-L. Kunz, La primauté du droit des gens, Revue de Droit international de Gand, 1925,S. 564 ff.

3. Macht, Ordnung, Freiheit und die Verirrungen der objektivistischen Systeme Die einzelnen, die nicht anders als juristische Personen angesehen werden, bilden selbst nur Normenbündel, die indessen von dem staatlichrechtlichen Normengebäude wohl zu unterscheiden sind und die sich schließlich auch untereinander unterscheiden. I n diesem ganz idealistischen System verschwinden die einzelnen Wesen, da sie alle nichts anderes als Zusammenballungen von Bestimmungen darstellen. Immerhin sind die einzelnen einer Gehorsamspflidit gegenüber dem Staat unterworfen oder unterliegen doch wenigstens in Form einer Verpflichtung dem Zwang, der sich aus dem Bestehen eines staatlichen Rechtssystems ergibt. Sie haben andererseits auch nicht unbedingt eigene Rechte, die sie dem Staat entgegensetzen könnten, weil dem ihnen eigenen Rechtssystem keinerlei Bestandskraft innewohnt, die gegenüber dem Staat verbindlich wäre. M i t dieser schwerwiegenden Schlußfolgerung w i r d nicht nur politische Freiheit, sondern werden auch die Bürgerrechte abgelehnt. Das dynamische Element. — M i t der Begründung der staatlichen Rechtsordnung kommen w i r zu dem dynamischen und historischen Element. Hier lassen sich einige interessante Feststellungen treffen. Wenn sich zum Beispiel unter dem statischen Aspekt die Einheit und Unteilbarkeit der Staatsgewalt aufdrängen müßte, da diese ja nichts anderes als das Bestehen eines Rechtssystems bedeutete, so braucht deshalb — wenn man die Begründung der Rechtsordnung unter dem dynamischen Aspekt betrachtet — die Zulassung einer Gewaltentrennung durchaus nicht ausgeschlossen zu sein (aaO, S. 620). Was die Lehre von den Quellen des RECHTS angeht, so stellen w i r hier fest, daß Recht von der Gesetzgebungsgewalt, von der Verordnungsgewalt usw. geschaffen werden kann. W i r dürfen uns aber nicht zu der Annahme verleiten lassen, der Autor würde sich, wenigstens unter dem dynamischen Teilaspekt, der klassischen Lehre über die freie Rechtsschöpfung durch die zuständige Gewalt anschließen. W i r dürfen nicht vergessen, daß für den Autor das dynamische Element dem statischen unterworfen ist und infolgedessen auch die Rechtsquellen dem transzendenten Recht unterstehen. Zunächst sind die Quellen des geltenden Rechts streng einander über- und untergeordnet. Stufenweise steigen sie an, um in letzter Instanz die Verfassung des Staats zu erreichen. Ginge es nach den Wünschen des Autors weiter, so müßte darüber wohl noch ein internationales Statut folgen. Immerhin folgt über der höchsten Stufe des geltenden Rechts auf alle Fälle noch eine hypothetische transzendente Verfassung.

3. Macht, Ordnung, Freiheit und die Verirrungen der objektivistischen Systeme Diese ganze Hierarchie läßt nun nicht etwa auf jeder ihrer Stufen einen gewissen freien Spielraum bestehen, nein, die Eigenart dieses Rechts liegt darin, daß es auch seine eigene Schöpfung noch selbst regelt: „Jede Rechtsnorm wird nach den Vorschriften einer höheren Norm gesetzt". Damit sind keinesweg nur die Regeln über das bei der Setzung des RECHTS einzuhaltende Verfahren gemeint. Auch sein Inhalt liegt bereits von vornherein fest. Es handelt sich auch nicht etwa um ein Ausschlußsystem gegenüber nicht ordnungsgemäß zustande gekommenen Recht, wie es dem in jenen Ländern angewandten System entsprechen würde, die eine richterliche Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zulassen. Vielmehr handelt es sich um ein Präventivsystem in dem Sinn, daß die Ungültigkeit einer Bestimmung, die im Widerspruch zu jener hypothetischen Verfassung steht, von vornherein feststeht, und zwar als vollkommene rechtliche Nichtigkeit. Ist nicht bereits die Staatsgewalt ein System der Geltungen und infolgedessen rechtlicher Ungültigkeit? Fügen wir noch die Bemerkung hinzu, daß Kelsen, was nur ganz logisch ist, dem Mann der Verwaltung den Vorzug gibt, für den Richter aber nur Verachtung aufbringt. In einem so gut in Regeln gefaßten System wäre der Richter nur Anlaß zur Störung; denn ihm ist eine nicht beschränkbare Macht, zu entscheiden und selbst RECHT ZU schöpfen, verliehen. Er wäre daher nicht zuverlässig sowohl gegenüber der Norm wie auch gegenüber jener hypothetischen Verfassung. Sehr viel geeigneter wäre da ein gut abgerichteter Verwaltungsbeamter, vor dem es keine Verhandlungen geben würde. H a t nicht auch Napoleon um seinen Code Civil gebangt, als er ihn den Richtern in die Hand gab? Bemerkungen zu Kelsens System. — 1. Dieses System, mit dessen Postulates nicht mit dessen innerer Struktur wir uns hier befassen, stellt nicht etwa eine völlige Neuerung für Deutschland dar. Es führt nur, allerdings mit bewunderungswürdiger Kraft und Eleganz, Ideen zu ihren äußersten logischen Konsequenzen, die bereits mehr oder weniger in einem von Kant begründeten und von Fichte und Hegel weiterverfolgten Gedankengang entwickelt worden sind. Unser Kollege Carré de Malberg hat sich in seiner „Contribution à la théorie générale de l'Etat" — erschienen 1920, aber konzipiert im wesentlichen schon vor 1914 — von gewissen dieser Gedanken leiten lassen. Auch er räumt praktisch ein, daß RECHT und Staat ineinander übergehen: die große Quelle für das RECHT ist die Verfassung des Staats; kurz, die Rolle der Macht muß im Staat soweit wie irgend möglich eingeschränkt werden.

3. Macht, Ordnung, Freiheit und die Verirrungen der objektivistischen Systeme Es hat ganz den Anschein, daß man sich wieder diesen Gedankengängen der deutschen Philosophie zuwendet, um den Gefahren der Lehre von der „Herrschaft" zu entgehen, zumindest scheint dies für Carré de Malberg zuzutreffen. Indessen umschifft man damit nur eine Klippe, um auf eine andere wieder aufzufahren, die nicht etwa deshalb weniger gefährlich ist, weil sie schwerer zu erkennen ist. 2. In der Tat, mag diese Rechtsphilosophie auch ohne die Theorie von der Herrschaft der Staatsgewalt auskommen, sie läuft doch hinaus auf die Herrschaft eines kategorischen Imperativs, der einer im wesentlichen auf Notwendigkeiten beruhenden Sozialordnung entspricht. Der Primat einer relativen Freiheit wird damit ersetzt durch den Primat von Ordnung und Autorität. Grundlegende Maxime ist nicht mehr der Satz „Alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt bis zur Grenze", sondern der Satz: „Alles, was nicht im Einklang mit der hypothetischen Verfassung steht, ist rechtsungültig". Das wird uns übrigens vom Autor selbst ausdrücklich bestätigt: „Es bestehen nicht notwendigerweise subjektive Rechte der einzelnen gegenüber dem Staat; infolgedessen besteht auch nicht notwendigerweise Freiheit." Und was könnte man schließlich auch schon mit der Freiheit anfangen in einem statischen System? Das Joch einer derartigen Philosophie wäre für das Recht noch unerträglicher als das Joch der Theologie: für die katholische Theologie gilt der Primat der menschlichen Freiheit; die göttliche Ordnung wird dem Menschen durch die Gnade gewährt, sie drängt sich ihm nicht als zwingende Notwendigkeit auf, während die Ordnung des idealistischen Pantheismus, wie sie den nachkantianischen Juristen vorschwebt, dem Menschen in dieser Form auferlegt ist. Redslob gibt sich in dieser Hinsicht einer Illusion hin {Revue du Droit public, 1926, S. 147) 7 . Diese nachkantianische Rechtsphilosophie wird in Frankreich keinen Erfolg haben, nicht etwa deshalb, weil sie unverständlich wäre — denn sie ist nur zu durchsichtig —, nicht, weil man sie nur als eine geistige Spielerei ansehen würde — denn dazu ist sie nur zu ernst zu nehmen —, vielmehr weil sie in ihren Tendenzen mit dem RECHT unvereinbar ist. Allein eine Philosophie der Freiheit ist mit dem RECHT vereinbar.

2. Das statische System objektiven Rechts bei Léon Duguit. — Mehr als zwanzig Jahre diesem vorausgehend hat das System Duguits keineswegs den gleichen Ausgangspunkt wie das von Kelsen. Duguit verabscheut jegliche Metaphysik; er gibt vor, Realist zu sein, d. h. nur das gelten 7 [Es handelt sich um die Besprechung von Kelsens Allgemeiner Staatslehre, 1925. Anm. d. Übers.]

3. Macht, Ordnung, Freiheit und die Verirrungen der objektivistischen Systeme zu lassen, was sich auch sinnlich wahrnehmen läßt. So wäre er eher in die Nähe von Durkheim und Auguste Comte zu redinen. Seine besondere Mühe galt dem Bestreben, die M a d i t als Quelle des RECHTS auszuschließen. Einerseits hält er es für unzulässig, daß eine menschliche Willensmacht, welche auch immer es wäre, einer anderen menschlidien Willensmacht eine Verpflichtung auferlegen könne; er kennt nicht mehr den Begriff von der Macht des Rechts, die im Namen einer allgemein anerkannten Institution ausgeübt wird, wie w i r sie schon beschrieben haben. Andererseits meint er, in Auseinandersetzung mit der damals herrschenden deutschen Lehre von der ,Herrschaft*, man müsse den Staat um jeden Preis dem RECHT unterwerfen, und er sieht dazu kein besseres Mittel, als ihn durch seine eigene Gewalt daran zu hindern, RECHT ZU schaffen; denn, so meint er, soweit der Staat RECHT schafft, w i r d er auf keine Weise zu unterwerfen sein. Man dürfe also nicht auf die eigene Selbstbeschränkung des Staats zählen, für die es keine Garantie gebe. Eine einmal gefaßte interne Entschließung könne jederzeit durch eine andere wieder zu Fall gebracht werden. Es hat nicht den Anschein, als habe der Autor weit genug gedacht, wenn er eine objektivierte, von der Verfassung genau geregelte Selbstbeschränkung verlangt, die doch ein Ergebnis der Schaffung von Institutionen ist, die der Verhinderung bestimmter Bestrebungen des Staats dienen. Mögen aber seine Bedenken gegenüber der Macht des Rechts mehr oder weniger wohl begründet sein, unser Kollege kommt jedenfalls dazu, RECHT und Staat vollkommen voneinander zu trennen, also gerade die entgegengesetzte Position gegenüber Kelsen einzunehmen. Er w i l l also jetzt das System des RECHTS ohne die M i t w i r k u n g des Staats errichten und ohne Zuhilfenahme der Macht und der Metaphysik. Seinen Ausgangspunkt findet er in der positivistischen Vorstellung einer Ordnung im Sozialen, die wie eine Fortsetzung der Ordnung i m Bereich des Natürlichen verstanden wird. Aus dieser Ordnung rühren die Normen her. I n einer ersten Fassung dieser Lehre hatten die Normen überhaupt keinen genau bestimmbaren Ursprung; in einer zweiten werden sie auf den gleichen Ursprung bezogen, den die Savigny-Schule der Gewohnheit zuwies, nämlich den Inhalt des Massenbewußtseins; das sind grundlegende Verhaltensregeln, bei denen das Empfinden entsteht, als seien sie von vornherein durch eine soziale Reaktion gegen alle jene sanktioniert, die sie verletzen sollten. A u f diesen Normen also, die nicht sehr zahlreich sind, beruht [für Duguit] die ganze Geltung des Rechtssystems. Gewiß werden auch durch

3. Macht, Ordnung, Freiheit und die Verirrungen der objektivistischen Systeme die Staatsgewalt Vorschriften erlassen, aber diese können aus sich selbst keinen rechtlichen Bestand haben, sondern einzig und allein auf Grund ihrer Übereinstimmung mit der einen oder anderen jener Normen. Die einzelnen geben bei ihren Geschäftsabschlüssen Willenserklärungen ab, denen Rechtswirksamkeit ebenso nur auf Grund ihrer Ubereinstimmung mit der N o r m z u k o m m t . . . , usw. Zu der Sanktion ist zu sagen, daß sie sich [für Duguit]unmittelbar aus gesellschaftlichem oder staatlichem Zwang ergibt. Die Normen haben keinen Verpflichtungsinhalt, sie sind vielmehr ausschließlich auf den Vollzug ausgerichtet. Man fragt sich, warum Duguit gemeint hat, hier die obligatio )nris auslassen zu müssen; man kann sich sogar fragen, ob es überhaupt eine wirkliche Rechtsnorm ohne obligatio juris gibt; ob die Definition des RECHTS allein durch die Idee vom durch Zwang sanktionierten Gebot wirklich ausreichend ist; ob man damit nicht zu einer Strafvorschrift abgleitet, bei der sich Zwangsanwendung unmittelbar mit der gegebenen Ordnung verbindet; und vor allem, ob das Straf recht nicht mit dem Zwang selbst verwechselt wird, da doch die Einschaltung eines Richters erst mit der Einführung der obligatio juris möglich wird. Doch lassen w i r diese Einwendungen hier beiseite und bemühen w i r uns, den statischen Charakter des Systems freizulegen. Zunächst w i r d dadurch, daß subjektive Macht zur Schöpfung von RECHT abgelehnt wird, die Bewegung i m Recht, die doch vor allem eine Folge subjektiver Kräfte ist, angehalten, es sei denn, daß ausnahmsweise einmal eine N o r m anerkannt wird, die den Grundsatz einer Freiheit aufstellt, wie etwa im Falle der Vertragsfreiheit. I n allen anderen Fällen kann sich RECHT nur entwickeln im Rahmen vorhandener Normen oder aber durch die Einrichtung von neuen Normen. Das aber bedeutet eine Ausbildung von Gewohnheitsrecht, wofür außergewöhnlich lange Zeiträume zu veranschlagen sind. Hierdurch bedingt neigt das System zur Unbeweglichkeit, gegenüber welcher nur dort eine Besonderheit gilt, wo es sich um die Begründung von Gewohnheitsrecht in einem großen Land handelt, das die Form von sehr allgemeinen Geboten annimmt, was allerdings gewöhnlich nicht die Regel ist. Für den Autor selbst besteht kein Zweifel, daß das Objektive sich gegenüber dem Subjektiven und das Statische sich gegenüber dem Dynamischen durchsetzen muß. Darüber hat er sich mehrfach geäußert. So hat er zwei Werke verfaßt, um selbst Gewißheit zu erlangen, daß die Umbildungen des Rechts unausweichlich zum Objektiven führen.

3. Macht, Ordnung, Freiheit und die Verirrungen der objektivistischen Systeme Daß nach der Logik seines Systems der Primat der Freiheit durch den der Ordnung ersetzt wird, sieht Duguit vielleicht weniger klar, aber dieses Postulat w i r d schon von Auguste Comte aufgestellt 8 . Natürlich könnte das Objektive nicht das Subjektive bezwingen, würde nicht auch die Ordnung über die Freiheit den Sieg davontragen. Trotz gewisser scheinbarer Annäherungen, die der äußerst individualistischen Einstellung des Autors zuzuschreiben sind, steht also Duguits System nun doch ebenso i m Widerspruch zu den Postulaten des geltenden RECHTS wie schon das System Kelsen. Wie diese ist es m i t dem Leben unvereinbar.

8 Catéchisme positiviste (achtes Gespräch). Comte irrt aber, wenn er sagt: „Freiheit ist die Übereinstimmung mit Ordnung", statt zu sagen: „Freiheit ist die Möglichkeit, sich an Ordnung zu halten." Zu der Frage der Unterordnung des Dynamischen unter das Statische, einen anderen Irrtum, s. ebendort (sechstes Gespräch).

Bibliographie Die im folgenden aufgeführte Bibliographie enthält mit Sicherheit Lücken und Ungenauigkeiten. Das liegt in erster Linie daran, daß der Bearbeiter die Bibliographie in Deutschland zusammenstellen muß te. Hier aber konnten aus den öffentlichen Bibliotheken nicht alle Arbeiten Haurious, geschweige denn die in Betracht kommende Sekundärliteratur beschafft werden. Was in den Institutsbibliotheken vorhanden ist, ließ sich nur in geringem Maße ermitteln und beschaffen. Die Abteilung I I der Bibliographie, also die Aufzählung der Sekundärliteratur, weist noch größere Lücken auf als die Abteilung I. Das läßt sich bei derlei Vorhaben schwerlich vermeiden. Es kommt hinzu, daß die Sprachkenntnisse des Bearbeiters nicht groß sind und demgemäß Schrifttum aus nur wenigen Sprachbereichen berücksichtigt werden konnte. Es sei ferner darauf hingewiesen, daß die Grenzen zwischen den Gruppen sub 1. und sub 2. der Abteilung I I fließen und daß die Einteilung keine Wertung darstellt. Schrifttum über Hauriou, das nicht eingesehen werden konnte, ist in die Bibliographie nicht aufgenommen worden. Der Bearbeiter wäre für Hinweise auf Lücken und Ungenauigkeiten der Bibliographie sehr dankbar. I. D a s W e r k

Haurious

1. Selbständige Veröffentlichungen 1. Etude sur la Décentralisation Administrative, Paris 1892, 62 S. 2. Précis de Droit Administratif et de Droit Public, Paris 1892, X , 783 S. 2. Aufl., 1893, X I I , 759 S. 3. Aufl., 1897, IV, 915 S. 4. Aufl., 1901, VI, 896 S. 5. Aufl., 1903, X X X I I , 880 S. 6. Aufl., 1907, X V I I I , 915 S. 7. Aufl., 1911, XV, 1010 S. 8. Aufl., 1914, X I I I , 1032 S. 9. Aufl., 1919, X I I , 1099 S. 10. Aufl., 1921, V I I I , 942 S. 11. Aufl., 1927, X V , 1068 S. 12. Aufl., 1933, X X , 1050 S. (besorgt von André Hauriou).

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Bibliographie

3. De la Formation du Droit Administratif Français depuis l'An V I I I , Paris 1893, 34 S. 4. Cours de Science Sociale. La Science Sociale Traditionnelle, Paris 1896, X I I , 432 S. 5. Etude sur le Droit Administratif Français, Paris 1897, 88 S. 6. La Gestion Administrative. Etude Théorique de Droit Administratif, Paris 1897, IV, 97 S. 7. Leçons sur le Mouvement social, Paris 1899, V I I I , 176 S. 8. Principes de la Loi de 1905 sur la Séparation des Eglises et de l'Etat, Paris 1906, 80 S. 9. Principes de Droit Public, Paris 1910, X I , 734 S. —, 2. Aufl., 1916, X X X I I , 828 S. 10. Notice sur les Œuvres de Léon Michoud, Grenoble 1917, 54 S. 11. Précis de Droit Constitutionnel, Paris 1923, V I I I , 742 S. —, 2. Aufl., 1929, XV, 759 S. 12. Précis Elémentaire de Droit Administratif, Paris 1925, VI, 521 S. —, 2. Aufl., Préface d'André Hauriou, 1930, V I I I , 499 S. —, 3. Aufl., 1933, 521 S. —, 4. Aufl., 1938, V I I I , 597 S. (besorgt von André Hauriou). —, 5. Aufl., 1943, V I I I , 534 S. (besorgt von André Hauriou). 13. Précis Elémentaire de Droit Constitutionnel, Paris 1926, X I I , 318 S. —, 2. Aufl., 1930, X I , 324 S. —, 3. Aufl., 1930, X I , 324 S. —, 4. Aufl., 1938, X I I , 341 S. (besorgt von André Hauriou). 14. La Jurisprudence Administrative de 1829 à 1929, d'après les notes d'arrêts du Recueil Sirey, réunies et classées par André Hauriou, 3 Bände, Paris 1929, X I I , 743 S.; 764 S., 846 S. —, unveränderter Nachdruck, 1931. 15. Aux Sources du Droit. Le Pouvoir, l'Ordre et la Liberté, Cahiers de la Nouvelle Journée, 23,1933, S. 11—191 (es handelt sich um eine Sammlung von Aufsätzen). 2. Aufsätze 16. Boni Viri Arbitrium et Clausula Doli, Nouvelle Revue Historique de Droit Français et Etranger, 5, 1881, S. 99—114. 17. Origine de la Corréalité, ebenda, 6, 1882, S. 219—240 (auch separat im Buchhandel). 18. Histoire externe du Droit, Revue Critique de Législation et de Jurisprudence, 7, 1884, S. 78—93.

Bibliographie 19. Note sur l'Influence exercée par les Institutes en Matière de Classification du Droit, ebenda, 10,1887, S. 373—392. 20. Les Facultés de Droit et la Sociologie, Revue Générale du Droit, de la Législation et de la Jurisprudence en France et à l'Etranger, 17, 1893, S. 289—295. 21. Dangers des Monopoles de Fait établis par Occupation de la Voie Publique — Le Gaz et l'Electricité, Revue du Droit Public, 1, 1894, S. 78—87. 22. La Crise de la Science Sociale, ebenda, 1, 1894, S. 294—321. 23. L'Alternance des Moyen-Age et des Renaissances, Revue de Métaphysique et de Morale, 3, 1895, S. 527—549. 24. Les Actions en Indemnité contre l'Etat pour Préjudices causés dans l'Administration publique, Revue du Droit Public, 1896, 5, S. 51—65. 25. De la Personnalité comme Elément de la Réalité sociale, Revue Générale du Droit usw., 22, 1898, S. 5—23,119—140. 26. Philosophie du Droit et Science Sociale, Revue du Droit Public, 12, 1899, S. 462—476. 27. Création de Salles de Travail pour Conférence et Cours de Doctorat à la Faculté de Droit de l'Université de Toulouse, Revue Internationale de l'Enseignement, 41, 1901, S. 547—558. 28. Duguit: L'Etat, le Droit objectif et la Loi positive, Revue du Droit Public, 17,1902, S. 346—366 (zusammen mit Achille Mestre). 29. La Force motrice des Cours d'Eau et le Droit des Riverains, Bulletin de la Société d'Etudes Législatives, 2, 1903, S. 125—150 (zusammen mit H . Ader). 30. La Déclaration de Volonté dans le Droit Administratif Français, Revue Trimestrielle de Droit Civil, 2, 1903, S. 543—586 (zusammen mit Guillaume de Bezin). 31. Recherches de Jurisprudence sur les Dépenses obligatoires, Revue de Législation Financière, 1903, S. 499—513. 32. Les Eléments du Contentieux, Recueil de Législation de Toulouse, 1,1905, S. 1—98; 3, 1907, S. 149—191. 33. L'Institution et le Droit statutaire, Recueil de Législation de Toulouse, 2, 1906, S. 134—182 (auch separat im Buchhandel). 34. Le Point de Vue de l'Ordre et de l'Equilibre, Recueil de Législation de Toulouse, 5, 1909, S. 1—86 (auch in Nr. 9,1. Aufl., S. 1—69). 35. Les Idées de M. Duguit, Recueil de Législation de Toulouse, 7, 1911, S. 1—40 (auch in Nr. 9,2. Aufl., S. 799 ff.). 8 Hauriou

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Bibliographie

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3. Herausgeberschafl 47. Gemeinsam mit Gaston Jèze und Charles Rabany das Jahrbuch „L'Année Administrative" für die Jahrgänge 1903 und 1904 (Paris).

4. Übersetzungen von Werken Haurious 48. Principios de Derecho Publico y Constitucional, ins Spanische übersetzt von Carlo Ruiz del Castillo, Madrid 1927, 2. Aufl., 1950 (Ubersetzung von Nr. 9, 2. Aufl., mit einem Vorwort Haurious).

Bibliographie

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II. A r b e i t e n ü b e r das W e r k H a u r i o u s 1. Selbständige Schriften, Aufsätze und Buchstellen die sich vorwiegend und direkt mit dem Werk Haurious befassen 49. Fête du V I I e Centenaire de l'Université de Toulouse. Séance solennelle de la Faculté de Droit, 8 juin 1929, Paris 1929. 50. Discours de la Cérémonie d'Inauguration du Monument élevé à Maurice Hauriou le 22 avril 1931, Paris 1931. 51. Ansprachen anläßlich der Feier des 100. Geburtstages von Maurice Hauriou in der Faculté de Droit von Toulouse, abgedruckt in: Annales de la Faculté de Droit et de Sciences Economiques de Toulouse, Toulouse, t. 5, Fase. 1, 1957, S. 3—15. 52. Archambault, Paul, Vorwort zu Nr. 15, S. 5—9. 53. Arrighi, Pascal, Un Commentateur des Arrêts du Conseil d'Etat: Hauriou, in: Le Conseil d'Etat — Livre Jubilaire, Paris 1952, S. 341—345. 54. Aubry, Pierre, Essais de Critique philosophique: 1. La Philosophie de M. Hauriou, Annales de la Faculté de Droit d'Aix, 5, 1912, S. 1—14. 55. Battaglia, Felice, La Crisi del Diritto Naturale. Saggio su alcune tendenze contemporanee della filosofia del diritto in Francia, Venedig 1929, S. 64—94. 56. Bignè de Villeneuve, Marcel de la, Traité Général de l'Etat. Essai d'une Théorie réaliste de Droit politique, Paris 1929, S. 348—364. 57. Bonnecase, Julien, Science du Droit et Romantisme. Le Conflit des Conceptions juridiques en France de 1800 à l'Heure actuelle, Paris 1928, S. 348—364. 58. ders., Science du Droit. Une nouvelle Mystique: La Notion d'„Institution", Revue Générale du Droit usw., 55, 1930, S. 241—254; 56, 1931, S. 1—12, 81—108; 161—178, 241—263. 59. ders., La Pensée juridique française de 1804 à l'Heure présente, Bordeaux 1933, Bd. 1, S. 476—484 u. Ö., Bd. 2, S. 119—123, 185—188, 212—219. 60. Burdeau, Georges, Traité de Science Politique, Bd. 2, Paris 1949, S. 234—246. 61. Cayret, Etienne, Le Procès de l'Individualisme juridique, Thèse Droit Toulouse 1932, S. 237 ff. 62. Davy, Georges, Le Droit, l'Idéalisme et l'Expérience, Paris 1922, S. 16 bis 27, 132—160. 63. ders., Eléments de Sociologie. Bd. 1: Sociologie politique, 2. Aufl., Paris 1950, S. 35—66. 64. Delos, J.-T., La Théorie de l'Institution. La Solution réaliste du Problème de la Personnalité morale et le Droit à Fondement objectif, Archives de Philosophie du Droit et de Sociologie juridique, 1931, S. 99—153. 8*

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