Die subjektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht [1 ed.] 9783428523887, 9783428123889

Zu den objektiven Grenzen des Streitgegenstands, wie sie für Rechtshängigkeit und Rechtskraft maßgebend sind, gibt es ei

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Die subjektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht [1 ed.]
 9783428523887, 9783428123889

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Schriften zum Prozessrecht Band 205

Die subjektiven Grenzen der Rechtsha¨ngigkeitssperre im deutschen und europa¨ischen Zivilprozessrecht Von Sebastian Otto

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

SEBASTIAN OTTO

Die subjektiven Grenzen der Rechtsha¨ngigkeitssperre im deutschen und europa¨ischen Zivilprozessrecht

Schriften zum Prozessrecht Band 205

Die subjektiven Grenzen der Rechtsha¨ngigkeitssperre im deutschen und europa¨ischen Zivilprozessrecht Von

Sebastian Otto

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakulta¨t der Albert-Ludwigs-Universita¨t Freiburg i. Br. hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet u¨ber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 25 Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenu¨bernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 978-3-428-12388-9 Gedruckt auf alterungsbesta¨ndigem (sa¨urefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Anna-Caroline

Vorwort Diese Dissertation entstand während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Deutsches und Ausländisches Zivilprozessrecht der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Rechtsprechung und Literatur sind bis einschließlich April 2006 berücksichtigt. Ich danke meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Leipold für die große Unterstützung und viele wertvolle Anregungen bei der Bearbeitung meines Dissertationsthemas. Ich werde die Zeit an seinem Lehrstuhl in sehr guter Erinnerung behalten. Mein Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Rolf Stürner, der bei meiner studentischen Ausbildung im Zivilrecht eine maßgebliche Rolle spielte und das Zweitgutachten erstellte. Meinem Vater Christoph Otto und meinem Lehrstuhlkollegen Dr. Falk Lichtenstein danke ich für ihre große Hilfe beim Verfassen dieser Arbeit, die sie bei der Durchsicht des Textes und durch viele Verbesserungsvorschläge geleistet haben. Dieses Buch ist meinem Patenkind Anna-Caroline Röver gewidmet. Sie steht nun als Grundschülerin am Beginn ihrer Ausbildung. Ich wünsche ihr auf diesem langen Weg in gleichem Maße Glück und Unterstützung durch Eltern, Familie und Freunde, wie ich beides erfahren durfte. Karlsruhe-Durlach, im April 2007

Sebastian Otto

Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Begriff der Rechtshängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Rechtshängigkeitssperre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die relevanten Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Struktur der Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Funktion und Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Maßnahme der Verfahrenskoordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weitere Instrumente zur Verfahrenskoordination . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das Verhältnis zum Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Im nationalen deutschen Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Im europäischen Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Verhältnis zweier Verfahren zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachliches Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Identisches Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhältnis der Präjudizialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Identität in Vorfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die subjektive Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bei identischem Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bei einem Präjudizialitätsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bei Identität in Vorfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zuordnungszweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Bedeutung des materiellen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Berührte Verfahrensgrundrechte und Prozessmaximen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Justizgewährungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prozessökonomie, Prozessbeschleunigung und Konzentration . . . . . . V. Rechtshängigkeit bei grenzüberschreitenden Prozessen . . . . . . . . . . . . . . . .

17 17 19 19 20 21 21 22 23 26 28 28 31 33 34 34 34 35 36 36 38 39 39 40 41 41 45 46

B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die relevanten Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit: Der Streitgegenstand . . . . . . 1. Systematik des Begriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51 51 51 51 53 53

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Inhaltsverzeichnis b) Der Sachverhalt (Klagegrund) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Streitgegenstand und Rechtsschutzform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Streitgegenstand der Leistungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Streitgegenstand der Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Streitgegenstand bei der Gestaltungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Streitgegenstand bei gesellschaftsrechtlichen Auflösungs- und Ausschlussklagen gem. §§ 133, 140 HGB . . . . . . (2) Der Streitgegenstand bei der aktienrechtlichen Anfechtungsbzw. Nichtigkeitsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Der Streitgegenstand in Abstammungsprozessen . . . . . . . . . . 4. Das kontradiktorische Gegenteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Streitgegenstand und Vorfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Das Verhältnis von Rechtshängigkeitssperre und Rechtskraft . . . . . . a) Rechtskraftwirkungen und rechtskraftähnliche Wirkungen . . . . . . b) Streitgegenstand und Urteilsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Bedeutung des Anspruchs auf rechtliches Gehör . . . . . . . . . . d) Die unterschiedliche Reichweite beider Verfahrensinstrumente . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Aussetzung und Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Rechtshängigkeit, Klageänderung, Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit: Identität der Parteien . . . . . 1. Die Erstreckung der materiellen Rechtskraft auf Dritte . . . . . . . . . . . a) Rechtskrafterstreckung bei Rechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtskrafterstreckung bei der Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . . c) Sonderfall der Prozessstandschaft: Rechtskrafterstreckung bei Forderungspfändungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtskrafterstreckung bei Abstammungsprozessen . . . . . . . . . . . e) Rechtskrafterstreckung bei der aktienrechtlichen Anfechtungsbzw. Nichtigkeitsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Rechtskrafterstreckung bei gesellschaftsrechtlichen Auflösungsund Ausschlussklagen gem. §§ 133, 140 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . g) Rechtskrafterstreckung bei der Gesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Rechtskrafterstreckung bei Gesamtgläubigerschaft . . . . . . . . . . . . i) Rechtskrafterstreckung bei akzessorischer Haftung . . . . . . . . . . . . j) Rechtskrafterstreckung bei alternativer Berechtigung bzw. Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundvoraussetzung: Identischer Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis und Ausgangslage für die weitere Untersuchung 4. Rechtshängigkeitssperre und Streitverkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtshängigkeitssperre bei Rechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.

57 58 58 65 66 67 69 72 74 79 80 80 82 84 89 92 93 95 98 100 101 105 107 112 113 116 117 120 122 122 124 125 125 126 127

Inhaltsverzeichnis 6.

IV.

Rechtshängigkeitssperre bei Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtshängigkeitssperre bei bestrittener Prozessstandschaft . . . . . b) Rechtshängigkeitssperre bei parallelen Klagen von Mitberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Rechtshängigkeitssperre bei Klagen nach Forderungspfändungen . . . 8. Rechtshängigkeitssperre bei Abstammungsprozessen . . . . . . . . . . . . . 9. Rechtshängigkeitssperre bei der aktienrechtlichen Anfechtungsbzw. Nichtigkeitsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Rechtshängigkeitssperre bei gesellschaftsrechtlichen Auflösungsund Ausschlussklagen gem. §§ 133, 140 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Rechtshängigkeitssperre bei der Gesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Rechtshängigkeitssperre bei Gesamtgläubigerschaft . . . . . . . . . . . . . . . 13. Rechtshängigkeitssperre bei akzessorischer Haftung . . . . . . . . . . . . . . 14. Rechtshängigkeitssperre bei alternativer Verpflichtung bzw. Berechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einzelergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mögliche Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die relevanten Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit: Klagen „wegen desselben Anspruchs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Entwicklung durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Gubisch-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Tatry-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Mærsk-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Zusammenhang mit der Unvereinbarkeitsregel . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rezeption der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenhang mit der Reichweite der Rechtshängigkeitssperre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rezeption der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Gubisch-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Tatry-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Das Verhältnis von Feststellungsklage und Leistungsklage . . c) Umsetzung durch die nationale Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 4. Analyse der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlage der Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Gegenstand der Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 129 130 131 134 135 137 140 141 146 150 151 156 156 159 162 162 163 163 164 165 166 167 168 168 172 175 178 178 180 180 181 185 186 187 189

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Inhaltsverzeichnis (1) Der prozesstaktische Zweck der Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die wörtliche Anwendung der Kernpunkt-Formel . . . . . . . . . (3) Der wirtschaftliche Zweck der Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Die materiell-rechtliche Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtshängigkeitssperre und Aussetzung (Artt. 27, 28 EuGVO) . . . a) Die Aussetzung gem. Art. 28 Abs. 1 EuGVO . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Verhältnis zwischen Rechtshängigkeitssperre und Aussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Der Anwendungsbereich des Art. 28 Abs. 2 EuGVO . . . . . . . . . . . . . III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit: Klagen „zwischen denselben Parteien“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Drouot-Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Analyse der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rezeption der Drouot-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Aufbereitung des materiell-rechtlichen Hintergrundes . . . . . . . . . (1) Die große Haverei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Seeversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Fortgang des Rechtsstreits Drouot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Identische und voneinander untrennbare Interessen . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Bedeutung der Rechtskrafterstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Allgemein zur Rechtskraft nach englischem Recht . . . . . . . . (2) Rechtskrafterstreckung auf Dritte im englischen Recht . . . . . (3) Allgemein zur Rechtskraft nach französischem Recht . . . . . . (4) Rechtskrafterstreckung auf Dritte im französischen Recht . . (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bedeutung der Rechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Bedeutung der Verfahrensgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Verhinderung miteinander unvereinbarer Entscheidungen . . . e) Zwischenergebnisse und Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Umsetzung der Vorgaben aus Drouot durch nationale Gerichte a) Die Entscheidung des OLG Köln vom 8.9.2003 . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Entscheidung Turner/Grovit des Court of Appeal . . . . . . . . . c) Die Entscheidung des OLG München vom 19.1.2000 . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Das „Interesse“ in materiell-rechtlichem Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zum Verhältnis verschiedener Anspruchsgrundlagen . . . . . . . . . .

190 191 192 193 195 195 196 199 203 204 204 206 207 207 208 210 211 212 215 218 220 220 223 230 239 245 252 253 256 257 259 260 260 262 265 272 272 273

Inhaltsverzeichnis

IV.

b) Die Bedeutung der Rechtssubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Gesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vorrangige Haftung eines Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Parallelen im englischen und französischen Recht . . . . . . . . . . . . . (1) Gesamtschuld nach englischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gesamtschuld nach französischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis zur Gesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Bürgschaft nach englischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Bürgschaft nach französischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Zwischenergebnis zur Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Teilergebnisse für den Fortgang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . 7. Rechtshängigkeitssperre bei der Gesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Rechtshängigkeitssperre bei der Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Rechtshängigkeitssperre bei der Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . . . . 10. Rechtshängigkeitssperre bei verschiedenen Sachrechtsnormen . . . . . 11. Rechtshängigkeitssperre und Streitverkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Rechtshängigkeitssperre bei alternativer Berechtigung (zugleich Lösung zum Fall Drouot) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 276 277 278 280 280 280 283 285 286 287 288 288 289 291 292 295 299 305 308

D. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 I. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 II. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. AC AcP ADS a. E. AktG Art. Artt. BauR BGB BGBl. BGH Bull. civ. BVerfG bzw. CA Cass. civ. Cass. comm. CLA CLJ CMR CPR d.h. EFZG EGMR EheVO

ELR EMRK etc.

anderer Ansicht am angegebenen Ort The law reports Appeal Cases Archiv für die civilistische Praxis Allgemeine Deutsche Seeversicherungsbedingungen am Ende Aktiengesetz Artikel Artikel (Mehrzahl) Zeitschrift für das gesamte öffentliche und zivile Baurecht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bulletin des arrêts de la Cour de cassation, chambres civiles Bundesverfassungsgericht beziehungsweise Court of Appeal Cour de cassation, chambre civile Cour de cassation, chambre commerciale Civil Liability (Contribution) Act 1978 The Cambridge Law Journal Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr vom 15.5.1956/16.8.1961 Civil Procedure Rules das heißt Entgeltfortzahlungsgesetz Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg Verordnung (Nr. 2201/2003/EG) vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 1347/2000/EG European Law Review Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 et cetera

Abkürzungsverzeichnis EuGVO

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Verordnung (Nr. 44/2001/EG) vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuGVÜ Brüsseler EWG-Übereinkommen vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuLF European Legal Forum EuZPR Europäisches Zivilprozessrecht EuZVR Europäisches Zivilverfahrensrecht EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWiR Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht EWS Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht f./ff. und folgende(r)/und folgende FamRÄndG Gesetz zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften (Familienrechtsänderungsgesetz) vom 11.8.1961 FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht FG Festgabe FS Festschrift GA Generalanwalt GbR Gesellschaft bürgerlichen Rechts (gem. § 705 BGB) GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbHR GmbH-Rundschau GRURInt Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Internationaler Teil HGB Handelsgesetzbuch Hk-ZPO Handkommentar Zivilprozessordnung HL House of Lords h. M. herrschende Meinung Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz ICLQ International and Comparative Law Quarterly ILPr International Litigation Procedure IPR Internationales Privatrecht IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts IZPR Internationales Zivilprozessrecht IZVR Internationales Zivilverfahrensrecht JZ Juristenzeitung KapMuG Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz) KG Kommanditgesellschaft (gem. § 161 HGB) KG (in Fußnoten) Kammergericht KTS Zeitschrift für Insolvenzrecht (Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen) LEC Ley de Enjuiciamiento Civil

16 LG Lloyd’s Rep LM LMCLQ MDR m. E. MIA MünchAnwHb MünchKomm m.w. N. NCPC NJW NJW-RR NZBau NZG ÖJZ oHG OLG OLGR PflVG QB RabelsZ Rev. crit. dr. int. privé RIW SGB sog. StVG TGI TranspR u. a. VersR Vgl. VVG WLR YAR ZfRV ZGR ZPO ZPR ZZP ZZPInt

Abkürzungsverzeichnis Landgericht Lloyd’s Law reports Lindenmaier/Möhring Kommentierte BGH-Rechtsprechung Lloyd’s Maritime and Commercial Law Quarterly Monatsschrift für Deutsches Recht meines Erachtens Marine Insurance Act 1906 Münchener Anwaltshandbuch Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen Nouveau Code de procedure civile Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Österreichische Juristen-Zeitung Offene Handelsgesellschaft (gem. § 105 HGB) Oberlandesgericht OLG-Report Gesetz über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter (Pflichtversicherungsgesetz) The law reports Queen’s Bench Division Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Revue critique de droit international privé Recht der Internationalen Wirtschaft Sozialgesetzbuch sogenannte Straßenverkehrsgesetz Tribunal de grande instance Transportrecht und andere Zeitschrift für Versicherungsrecht Vergleiche Versicherungsvertragsgesetz The weekly law reports York-Antwerpen-Rules Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zivilprozeßordnung Zivilprozessrecht (bzw. Zivilprozeßrecht) Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International

A. Einführung Diese Arbeit befasst sich mit den subjektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre im Zivilprozess. Das Verständnis und die Wirkung von Rechtshängigkeit in anderen Prozessarten, beispielsweise dem Strafprozess oder dem Verwaltungsprozess, bleiben unberücksichtigt. Mit den „Subjektiven Grenzen“ soll der Personenkreis umschrieben werden, der von der Rechtshängigkeitssperre betroffen ist. Die Untersuchung konzentriert sich auf das nationale deutsche Zivilprozessrecht und das europäische Zivilprozessrecht.1 I. Der Begriff der Rechtshängigkeit „Rechtshängigkeit“ bezeichnet den Umstand, dass ein Gericht mit einem bestimmten Streit befasst ist und ihn entscheiden muss. Sie wird gem. § 261 Abs. 1 ZPO durch die Erhebung der Klage (d.h. gem. § 253 Abs. 1 ZPO durch Zustellung der Klageschrift) begründet. Am besten charakterisiert man das Phänomen mit den Wirkungen, die von ihm ausgehen.2 Das Zivilprozessrecht verbindet mit der Rechtshängigkeit die sog. „perpetuatio fori“ gem. § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO.3 Ist ein Gericht bei Begründung der Rechtshängigkeit zuständig, ist eine Veränderung der zuständigkeitsbegründenden Umstände ohne Auswirkungen. Wird zum Beispiel der Beklagte gem. §§ 12, 13 ZPO an seinem Wohnsitz verklagt und wechselt er später den Wohnort, bleibt das Gericht gem. § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO zuständig.4 Auch die Parteien des in Gang gesetzten Prozesses sollen möglichst nicht verändert werden.5 Deshalb bestimmt § 265 ZPO, dass grundsätzlich die Veräußerung des in Streit befangenen Gegenstands6 erlaubt ist, aber die veräußernde Person Partei des Rechtsstreits bleibt, gleich ob sie Kläger oder Beklagter ist.7 1

Zum Begriff des „europäischen Zivilprozessrechts“ H. Koch JuS 2003, 105. A. Blomeyer ZPR (1985) § 45 I (S. 259); zu den Beschreibungsversuchen des Begriffs „Rechtshängigkeit“ in der Vergangenheit vgl. Herrmann Die Grundstruktur der Rechtshängigkeit (1988) S. 75 ff. 3 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 97 Rdnr. 30 ff.; Zöller/Greger ZPO (2005) § 261 Rdnr. 12. 4 Zeiss/Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 347 f. auch zu den Ausnahmen. 5 A. Blomeyer ZPR (1985) § 45 II (S. 261). 6 Dazu Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 99 Rdnr. 3. 7 Grunsky ZPR (2006) Rdnr. 114a, auch zu anderen gesetzlichen Lösungsmöglichkeiten. 2

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A. Einführung

Sie führt den Prozess im eigenen Namen fort. Das bedeutet, dass der Erwerber nicht die Befugnis zur Prozessführung erhält; sie steht stattdessen weiterhin der veräußernden Partei zu.8 Es handelt sich um einen Fall der Prozessstandschaft.9 Mit Eintritt der Rechtshängigkeit durch die Erhebung der Klage wird das Streitprogramm des Prozesses fixiert. Änderungen dieses Streitprogramms sollen nur ausnahmsweise möglich sein.10 Daher lässt § 263 ZPO nur eingeschränkt Klageänderungen zu.11 Mit der Rechtshängigkeit einer Klage ist auch die Widerklage des Beklagten als besonderes Gegenangriffsmittel zulässig.12 Die Widerklage stellt in mancher Hinsicht eine Privilegierung des Beklagten dar,13 unter anderem steht ein besonderer Gerichtsstand am Gericht der Klage gem. § 33 ZPO beziehungsweise gem. Art. 6 Nr. 3 EuGVO zur Verfügung. Weiterhin entsteht gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO der Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit (die sog. Rechtshängigkeitssperre). Dieselbe Streitsache darf von keiner Partei vor einem anderen Gericht anhängig gemacht werden. Anschaulich wird dieser Einwand als Verbot der Prozessverdoppelung bezeichnet.14 Es handelt sich um eine Zulässigkeitsvoraussetzung (auch negative Prozessvoraussetzung genannt) für eine Klage, die das Gericht von Amts wegen beachten muss.15 Stellt das Gericht fest, dass derselbe Prozess bereits vor einem anderen Gericht rechtshängig ist, muss es die Klage als unzulässig abweisen. Einer darauf hinzielenden Rüge einer Partei bedarf es nicht.16 Die Parteien können auch nicht auf den Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit verzichten.17 Die materiell-rechtlichen Folgen der Rechtshängigkeit bleiben durch die prozessualen Vorschriften gem. § 262 ZPO unberührt. Zu nennen ist an erster Stelle die Hemmung der Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Daneben 8 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 46 Rdnr. 5, 9; Hk-ZPO/Saenger (2006) § 265 Rdnr. 13; Thomas/Putzo/Reichold ZPO (2005) § 265 Rdnr. 12. 9 A. Blomeyer ZPR (1985) § 47 II (S. 264); Zeiss/Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 360. 10 A. Blomeyer ZPR (1985) § 45 II (S. 261); Herrmann Die Grundstruktur der Rechtshängigkeit (1988) S. 89 ff. 11 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch der § 264 ZPO, der gewisse Änderungen im Klagevortrag nicht als Klageänderung qualifiziert. 12 Zeiss/Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 403; Herrmann Die Grundstruktur der Rechtshängigkeit (1988) S. 119 ff. 13 Herrmann Die Grundstruktur der Rechtshängigkeit (1988) S. 119; Rosenberg/ Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 95 Rdnr. 8. 14 Zeiss/Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 342. 15 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 97 Rdnr. 18; Thomas/Putzo/Reichold ZPO (2005) § 261 Rdnr. 15. 16 Schilken ZPR (2002) Rdnr. 236. 17 MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) § 261 Rdnr. 5.

II. Die Rechtshängigkeitssperre

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führen aber auch andere Maßnahmen der Rechtsverfolgung oder Rechtssicherung zur Verjährungshemmung, wie etwa die Zustellung der Streitverkündung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB.18 Schließlich führt die Rechtshängigkeit in einer Reihe von Situationen zur Haftungsverschärfung.19 II. Die Rechtshängigkeitssperre 1. Die relevanten Vorschriften Gegenstand dieser Untersuchung ist die Wirkung des Prozesshindernisses gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO, die sog. Rechtshängigkeitssperre. Diese Wirkung wird auch als „Regelungsschwerpunkt“ der Rechtshängigkeit, als die „ihr eigentümliche Wirkung“ charakterisiert.20 Im europäischen Zivilprozessrecht regelt Art. 27 EuGVO21 in Abschnitt 9 unter der Überschrift „Rechtshängigkeit (. . .)“ die Unzuständigkeit wegen doppelter Rechtshängigkeit. Entsprechendes gilt für Art. 21 EuGVÜ22 in dessen Abschnitt 8. Auf diese Vorschriften ist die Untersuchung fokussiert.23 Anders als § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO sieht Art. 27 EuGVO nicht sogleich die Abweisung der Klage vor, vielmehr ist eine Aussetzung des Verfahrens vorgeschaltet. Erst wenn sich das zuerst angerufene Gericht bezüglich des Erstverfahrens für zuständig erklärt hat, kann die zweite Klage gem. Art. 27 Abs. 2 EuGVO abgewiesen werden. Damit soll ein sog. negativer Kompetenzkonflikt24 verhindert werden, der ansonsten entstehen könnte, wenn sich ein Gericht wegen einer (seiner Ansicht nach bestehenden) Rechtshängigkeitssperre nicht mit der Klage befassen will, während das bereits befasste Gericht im Laufe des Prozesses seine Unzuständigkeit erkennt, so dass es am Ende zu keiner Sachentscheidung kommen würde.25 Darüber hinaus wird auf diese Weise sicherge-

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Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 97 Rdnr. 36. Zöller/Greger ZPO (2005) vor § 253 Rdnr. 26 mit Nennung zahlreicher Vorschriften. 20 MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) § 261 Rdnr. 1, 4. 21 Verordnung vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Nr. 44/ 2001/EG). 22 Brüsseler EWG-Übereinkommen vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. 23 Zu verwandten Vorschriften im europäischen Zivilprozessrecht vgl. unten C.I. 24 Vgl. Schack IZVR (2002) Rdnr. 395 ff. 25 Keine ausreichenden Regelungsmechanismen zum Schutz vor negativen Kompetenzkonflikten erkennt Geimer/Schütze EuZVR (2004) A.1 Art. 27 Rdnr. 3, weil nach wie vor zwei Gerichte sich für unzuständig und das jeweils andere für zuständig halten können. 19

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stellt, dass die Hemmung bzw. Unterbrechung der Verjährungsfrist durch die zweite Klage erhalten bleibt.26 2. Struktur der Tatbestände Eine Klage entfaltet eine Rechtshängigkeitssperre gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO nur für solche nachfolgenden Verfahren, in denen dieselbe „Streitsache“ anhängig gemacht werden soll. Erforderlich ist also eine objektive (sachliche) Identität beider Verfahren.27 Zudem müssen die Parteien in beiden Prozessen dieselben sein.28 Das beschreibt die subjektive bzw. persönliche Dimension. Entsprechend verlangt auch Art. 27 EuGVO bzw. Art. 21 EuGVÜ, dass Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden sollen. Auch hier ist also Übereinstimmung in sachlicher wie persönlicher Hinsicht erforderlich.29 Besonderes Augenmerk gilt im Folgenden der Identität zweier Klagen in subjektiver Hinsicht, also der Frage, welcher Personenkreis von der Rechtshängigkeitssperre erfasst wird. Insbesondere wird zu klären sein, ob und unter welchen Voraussetzungen auch solche Personen, die eigentlich nicht Partei einer Klage sind, dennoch als Partei im Sinn der Rechtshängigkeitsvorschriften gelten können. Anders formuliert geht es um die Möglichkeit der Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre auf Dritte. Eine Klage blockiert nachfolgende identische Klagen nur für die Zeit ihrer Anhängigkeit.30 Die Rechtshängigkeitssperre besteht nur bis zum Abschluss des Prozesses. Ihr Anwendungsfeld sind parallele Verfahren, nicht nacheinander laufende Verfahren. Sowohl § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO als auch Art. 27 EuGVO bzw. Art. 21 EuGVÜ geben dem zuerst rechtshängig gewordenen Prozess den Vorrang. Es gilt also der Prioritätsgrundsatz.31

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Kropholler EuZPR (2005) Art. 27 Rdnr. 25. MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) § 261 Rdnr. 57. 28 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 97 Rdnr. 20; Thomas/Putzo/Reichold ZPO (2005) § 261 Rdnr. 11; Zöller/Greger ZPO (2005) § 261 Rdnr. 8a. 29 Geimer/Schütze/Försterling Internationaler Rechtsverkehr (2005) B Vor I 10 b Art. 27 Rdnr. 6. 30 Zeiss/Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 343. 31 Geimer/Schütze/Försterling Internationaler Rechtsverkehr (2005) B Vor I 10 b Art. 27 Rdnr. 2; Rauscher/Leible EuZPR (2004) Art. 27 Brüssel I-VO Rdnr. 1. 27

II. Die Rechtshängigkeitssperre

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3. Funktion und Wirkungsweise a) Maßnahme der Verfahrenskoordination Indem die Rechtshängigkeitssperre ein zweites identisches Verfahren verhindert, ist sie eine Maßnahme der Verfahrenskoordination.32 Parallele Verfahren können entstehen, wenn aufgrund allgemeiner und besonderer Gerichtsstände mehrere Gerichte zur Entscheidung einer Streitsache berufen sind. Gem. § 35 ZPO hat der Kläger dann die Wahl zwischen den Gerichten. Das gilt auch im europäischen Zivilprozessrecht nach den Bestimmungen der EuGVO bzw. des EuGVÜ.33 Die Wahl des Gerichts ist für die Beteiligten des Rechtsstreits von nicht zu vernachlässigender Bedeutung. Der Kläger wird darauf achten, dass der Prozess für ihn möglichst einfach und bequem geführt werden kann. Dabei spielen die örtliche Lage des Gerichts und – in internationalen Streitigkeiten – die Gerichtssprache eine Rolle. In internationalen Streitigkeiten kommt hinzu, dass das angerufene Gericht die anwendbare materielle Rechtsordnung, nach der der Streit zu entscheiden ist, nach seinen eigenen Regeln des Internationalen Privatrechts ermittelt.34 Diese Regeln des Internationalen Privatrechts sind trotz einiger Harmonisierungsansätze in der Europäischen Gemeinschaft zum Teil weiterhin unterschiedlich. Es kann daher durchaus sein, dass beispielsweise ein deutsches Gericht einen Zivilrechtsstreit nach deutschem Recht lösen würde, ein französisches Gericht dagegen nach französischem Recht. Da sich auch die materiellen Rechtsordnungen häufig im Detail unterscheiden, kann der Streit je nach Wahl des Gerichts einen anderen Ausgang nehmen.35 Außerdem wendet jedes Gericht sein eigenes nationales Zivilprozessrecht (also die „lex fori“) an.36 Das jeweilige nationale Verfahrensrecht regelt unter anderem auch die Zusammensetzung des Gerichts, die Methode und den Umfang der Tatsachenermittlung und eventuelle Aufklärungs- und Offenbarungspflichten der Parteien. Die Fragen, ob eine Jury an der Entscheidungsfindung beteiligt ist, welche Beweise mit welchen Beweismitteln erhoben werden können und ob die Parteien eigenes beweiserhebliches Material zur Verfügung stellen müssen, können ausschlaggebend für Erfolg oder Misserfolg einer Klage sein.37 Hinzu kommen sehr oft ein Misstrauen gegenüber fremden Rechtssystemen, in denen sich der Fremde nicht sel32 McGuire ZfRV 2005, 83; Otte Umfassende Streitentscheidung (1998) S. 217 ff.; Walter FS Schumann (2001), 559 (560). 33 Geimer/Schütze EuZVR (2004) A.1 Art. 2 Rdnr. 82; Hau Positive Kompetenzkonflikte (1996) S. 24; Nagel/Gottwald IZPR (2002) § 3 Rdnr. 37; vgl. auch den Erwägungsgrund Nr. 12 der EuGVO. 34 Schack IZVR (2002) Rdnr. 215. 35 Geimer IZPR (2005) Rdnr. 1099. 36 Schack IZVR (2002) Rdnr. 40. 37 Dazu Geimer FS Nagel (1987), 36 (40); Geimer IZPR (2005) Rdnr. 1924 ff.

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A. Einführung

ten in einer Position der Schwäche fühlt, und dadurch bedingt ein Drang, den Rechtsstreit in vertrauter Umgebung auszutragen.38 Die Ausübung des Wahlrechts zwischen mehreren Gerichten nach eigennützigen Gesichtspunkten wird mit dem Begriff „forum shopping“ belegt.39 Durch konkurrierende Zuständigkeiten und die beschriebene Bedeutung der Gerichtswahl entsteht für jeden Beteiligten der Anreiz, vor seinem bevorzugten Gericht zu prozessieren. Auf diese Weise können mehrere Gerichte zur Entscheidung eines Streits angerufen werden. Das erzeugt stets die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen.40 Die Rechtshängigkeitssperre vermeidet solche Kompetenzkonflikte, indem sie weitere identische Klagen verhindert.41 Darin liegt ihre Funktion als Maßnahme der Verfahrenkoordination. Zugleich wird damit auch ihr Zweck beschrieben: Die Rechtshängigkeitssperre soll einander widersprechende Entscheidungen verhindern und für mehr Wirtschaftlichkeit bei der Prozessführung sorgen.42 b) Wirkungsweise Die Rechtshängigkeitssperre hat zur Folge, dass der Kläger eine an sich bestehende Zuständigkeit eines Gerichts nicht für seine Klage nutzen kann. Ist das Gericht für die Entscheidung über ein paralleles Verfahren nicht einmal zuständig, so kann es die Klage schon aus diesem Grund als unzulässig abweisen, ohne sich mit der möglicherweise schwierigen Frage der Identität beider Verfahren beschäftigen zu müssen.43 Weil die Rechtshängigkeitssperre bestehende Zuständigkeiten beschneidet, ist sie zumindest auch eine Zuständigkeitsregel.44 In der französischen Zivilprozessrechtsdogmatik beispielsweise wird die Rechtshängigkeitssperre unter dem Gesichtspunkt der Zuständigkeit erörtert.45 Bei 38 Juenger RabelsZ 46 (1982), 708 (711) mit Beispielen aus der Praxis und einer Analyse möglicher entscheidungsleitender Motive bei der Forumswahl; von einem Beispiel für „exzessives forum shopping“ berichtet Hess FS Jayme Band 1 (2004), 339 (347) (betrifft den Fall Canada Trust gegen Stolzenberg). 39 Zum Phänomen Geimer IZPR (2005) Rdnr. 1095. 40 So die französische Regierung in ihrem Plädoyer vor dem EuGH v. 30.11.1976 (Bier/Mines de Potasse d’Alsace) Slg. 1976, 1735 (1739). 41 McGuire ZfRV 2005, 83 (86). 42 BGH v. 10.10.1985 NJW 1986, 2195 (2196); Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 97 Rdnr. 18; vgl. auch unten A.II.4. 43 Kropholler EuZPR (2005) vor Art. 27 Rdnr. 2. 44 Andere dagegen meinen, es sei „systematisch abwegig“, die Rechtshängigkeitssperre mit der internationalen Zuständigkeit in Verbindung zu bringen, so Zöller/Geimer ZPO (2005) IZPR Rdnr. 101; ähnlich Geimer/Schütze EuZVR (2004) A.1 Art. 27 Rdnr. 52 mit dem Hinweis, dass das Gericht des Zweitverfahrens durch die Rechtshängigkeitssperre nicht seine Zuständigkeit verliere. 45 Vgl. die Darstellung bei Sohm-Bourgeois Juris Classeur Procédure civile (1997) Fasc. 213-2 nº 1 ff.

II. Die Rechtshängigkeitssperre

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Art. 27 EuGVO erkennt man dessen zuständigkeitsordnenden Charakter an Absatz 2 der Vorschrift. Danach ist die zweite Klage wegen Unzuständigkeit abzuweisen.46 Auch der EuGH ordnet die Art. 21 EuGVÜ bzw. Art. 27 EuGVO in das System der Zuständigkeitsverteilung ein.47 c) Weitere Instrumente zur Verfahrenskoordination Zur Abstimmung mehrerer Verfahren steht auch die Aussetzung zur Verfügung. Sie unterscheidet sich von der Rechtshängigkeitssperre in ihren Folgen: Es wird keine Klage wegen Unzulässigkeit abgewiesen, sondern ein Prozess wird angehalten, um den Fortgang und eventuell das Ergebnis des anderen Prozesses abzuwarten. Der ausgesetzte Rechtsstreit bleibt seinerseits rechtshängig. Die zentrale Vorschrift zur Aussetzung bei parallelen Verfahren ist im deutschen Recht § 148 ZPO. Daneben gibt es für einige speziellere Fälle paralleler Verfahren auf dem Gebiet des Familienrechts die Vorschriften §§ 152 bis 154 ZPO. Bei mehreren Prozessen in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten sieht neuerdings § 7 KapMuG48 eine Aussetzung nach der Bekanntmachung eines Musterverfahrens vor. Im europäischen Zivilprozessrecht ist die Aussetzung in Art. 28 EuGVO bzw. Art. 22 EuGVÜ vorgesehen. Wesentliche Voraussetzung ist ein Zusammenhang zwischen den Klagen, der in Absatz 3 dieser Vorschriften definiert ist. Danach muss zwischen den zu verbindenden Verfahren eine so enge Beziehung gegeben sein, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen können. Gem. Art. 28 Abs. 2 EuGVO bzw. Art. 22 Abs. 2 EuGVÜ kann unter diesen Umständen das Gericht des zweiten Verfahrens sich für unzuständig erklären, wenn das Gericht des ersten Verfahrens für beide Klagen zuständig ist und die Verfahren vor diesem Gericht verbunden werden können. Eine Möglichkeit zur Verweisung gibt Art. 28 Abs. 2 EuGVO nicht, sondern nur die Befugnis zur Klageabweisung.49 Richtet man sein Augenmerk auf die Rechtsfolgen, dann erkennt man in der Klageabweisung gem. Art. 28 Abs. 2 EuGVO eine Regel ähnlich der Rechtshängigkeitssperre. Sie hat zwar einen weitgehend gleichen Tatbestand wie die Aussetzungsnorm gem. Art. 28 Abs. 1

46 Den Wortlaut unterstreicht auch McGuire Verfahrenskoordination (2004) S. 159. Die Rechtshängigkeitssperre beseitige daher eine zunächst gegebene Zuständigkeit. 47 EuGH v. 9.12.2003 (Gasser/MISAT) IPRax 2004, 243 (248 f. dort Rdnr. 72 und Rdnr. 67 mit Zitat der Kommission). 48 Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten, BGBl 2005 I S. 2437. 49 Kropholler EuZPR (2005) Art. 28 Rdnr. 9; Rauscher/Leible EuZPR (2004) Art. 28 Brüssel I-VO Rdnr. 11.

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A. Einführung

EuGVO,50 aufgrund der vergleichbaren Rechtsfolgen steht sie aber dem Art. 27 EuGVO näher. Parallele Verfahren kann man auch durch ihre Verbindung vor einem Gericht koordinieren. Nach deutschem Zivilprozessrecht ist dies unter den Voraussetzungen von § 147 ZPO gestattet. Darüber hinaus gibt es spezielle Normen, die in bestimmten Verfahrenssituationen eine Verbindung mehrerer Prozesse vorschreiben, zum Beispiel im Recht der Aktiengesellschaft bei Klagen gegen Beschlüsse der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft gem. §§ 246 Abs. 3 S. 3, 249 Abs. 2 AktG.51 Die Verbindung gem. § 147 ZPO erlaubt ausschließlich eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung bei Prozessen, die vor demselben Gericht anhängig sind. Wenn verschiedene Spruchkörper desselben Gerichts mit den Prozessen befasst sind, kann die Verbindung allerdings Schwierigkeiten bereiten.52 Im europäischen Zivilprozessrecht gibt es keine entsprechende Vorschrift. Ähnlich wie bei der Verbindung können mittels Verweisung mehrere Prozesse vor einem Gericht gebündelt werden. Allerdings sind sie vor verschiedenen Gerichten anhängig, so dass ein Gericht sein Verfahren zur Verbindung an das andere Gericht abgibt. Nicht gemeint ist damit die Verweisung wegen Unzuständigkeit. Diese gibt es zum Beispiel gem. § 281 ZPO bei örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts und gem. § 17a Abs. 2 GVG bei Wahl des falschen Rechtswegs. Solche Verweisungen erfolgen unabhängig von einem Parallelverfahren. Gemeint ist vielmehr die Verweisung zur Verbindung mit einem anderen Verfahren wegen eines Sachzusammenhangs zwischen den Verfahren. Dem deutschen Zivilprozessrecht ist eine solche Vorschrift bisher unbekannt. Im französischen Zivilprozessrecht gibt es ein Beispiel für die Verweisung zur Verbindung wegen Sachzusammenhangs. Art. 101 NCPC lautet: S’il existe entre des affaires portées devant deux juridictions distinctes un lien tel qu’il soit de l’intérêt d’une bonne justice de les faire instruire et juger ensemble, il peut être demandé à l’une de ces juridictions de se dessaisir et de renvoyer en l’état la connaissance de l’affaire à l’autre juridiction.

Besteht also ein sachlicher Zusammenhang zwischen beiden Prozessen, der eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung angezeigt sein lässt, dann darf ein Gericht sein Verfahren auf Antrag53 an das andere Gericht verweisen. Das europäische Zivilprozessrecht kennt solche Verweisungsnormen noch nicht,

50 Bis auf die zusätzlichen Tatbestandsvoraussetzungen, dass die zu verbindenden Klagen in erster Instanz anhängig sein müssen, die Verbindung vor dem zuerst angerufenen, zuständigen Gericht möglich ist und ein entsprechender Antrag vorliegt. 51 Weitere Beispiele bei Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 3 (2005) § 147 Rdnr. 12. 52 Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 3 (2005) § 147 Rdnr. 2 f. 53 Cadiet Droit judiciaire privé (2000) Rdnr. 722: Nur auf Antrag, nicht von Amts wegen.

II. Die Rechtshängigkeitssperre

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auch wenn sowohl die Verweisung wegen Unzuständigkeit54 als auch die Verweisung zur Verbindung55 de lege ferenda immer wieder gefordert werden. Schließlich werden mehrere Verfahren durch die materielle Rechtskraftwirkung aufeinander abgestimmt. Die materielle Rechtskraftwirkung eines Urteils wird mit der endgültigen Maßgeblichkeit des Entscheidungsinhalts umschrieben.56 Sie ist nicht zu verwechseln mit der formellen Rechtskraft einer Entscheidung, die besteht, sobald die Entscheidung unanfechtbar geworden ist (§ 705 ZPO). Die formelle Rechtskraft macht das Urteil unanfechtbar, die materielle Rechtskraft macht es verbindlich.57 Die formelle Rechtskraft ist Voraussetzung für die Maßgeblichkeit des Entscheidungsinhalts, also die materielle Rechtskraft.58 Die materielle Rechtskraft entfaltet zwei Wirkungsarten, eine positive und eine negative Wirkung.59 Erging ein Urteil über einen Gegenstand, um den in einem nachfolgenden Prozess erneut gestritten werden soll, dann ist dieser Prozess wegen entgegenstehender Rechtskraft des ersten Urteils unzulässig. Es handelt sich um eine negative Prozessvoraussetzung, die von Amts wegen zu beachten ist.60 Für diese Wirkung stehen die Schlagwörter „ne bis in idem“ und „Wiederholungsverbot“.61 Die zweite Komponente der materiellen Rechtskraft wird mit „Bindungswirkung“ oder „Abweichungsverbot“ umschrieben.62 Ist der Gegenstand des ersten Urteils im zweiten, noch schwebenden Prozess erneut strittig, aber nicht direkt zur Entscheidung gestellt, sondern lediglich Vorfrage (präjudiziell) für den eigentlichen Gegenstand des Prozesses, dann ist das Gericht des Zweitverfahrens an die Beurteilung durch das erste Urteil gebunden und muss das Ergebnis seinem Urteil zugrunde legen.63 Beispiel: Wenn A und B sich über das Eigentum an einer Sache streiten und A gegen B eine Klage auf Feststellung seines Eigentums gewinnt, dann ist das Gericht in einer nachfolgenden Klage auf Herausgabe der Sache wegen Eigentums gem. § 985 BGB an die Feststellung des Eigentums gebunden.64 Keine der Parteien wird mit einer davon abweichenden Behauptung gehört.

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Vgl. die Darstellung bei McGuire ZfRV 2005, 83 m.w. N. Kropholler EuZPR (2005) Art. 28 Rdnr. 9; McGuire ZfRV 2005, 83 (86); Schack IZVR (2002) Rdnr. 768. 56 Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 9. 57 Schellhammer Zivilprozess (2004) Rdnr. 835. 58 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 148 Rdnr. 1 f.; Zeuner 50 Jahre BGH Band III (2000), 337 (338). 59 Herrmann Die Grundstruktur der Rechtshängigkeit (1988) S. 24. 60 BGH v. 14.7.1995 NJW 1995, 2993; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 150 Rdnr. 10 ff.; Grunsky ZPR (2006) Rdnr. 234. 61 Fasching ZPR (1990) Rdnr. 1499; Jauernig ZPR (2003) § 62 III (S. 251). 62 MünchKommZPO/Gottwald Band 1 (2000) § 322 Rdnr. 46; Fasching ZPR (1990) Rdnr. 1501. 63 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 150 Rdnr. 15. 55

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A. Einführung

Durch Wiederholungsverbot und Bindungswirkung werden vor allem aufeinander folgende Prozesse in Einklang gebracht. Aber auch parallele Prozesse können auf diese Weise harmonisiert werden, indem das zuerst ergehende Urteil den noch laufenden Prozess beeinflusst. 4. Der Zweck Im deutschen Zivilprozessrecht soll nach herrschender Meinung die Rechtshängigkeitssperre einerseits einen wirtschaftlichen Umgang mit den begrenzten Ressourcen der Rechtsprechung sicherstellen. Die Gerichte sollen sich nicht unnötig in mehreren Verfahren mit Streitigkeiten befassen müssen, die auch in einem Verfahren gemeinsam erledigt werden können. Auch die Parteien sollen nicht in mehreren Verfahren den Aufwand ihrer Rechtsverteidigung betreiben müssen, sondern möglichst gebündelt. Daneben dient sie der Verhinderung sich widersprechender Entscheidungen.65 Das gilt nach der herrschenden Meinung im Übrigen nicht nur für die Rechtshängigkeitssperre, sondern auch für die Aussetzung gem. § 148 ZPO,66 und ebenso im europäischen Zivilprozessrecht, wo beide Instrumente im 9. Abschnitt der EuGVO bzw. im 8. Abschnitt der EuGVÜ geregelt sind.67 Bei der Entscheidung über die Verbindung zweier Verfahren gem. § 147 ZPO ist die Prozesswirtschaftlichkeit, die durch die Verbindung erreicht werden kann, als ermessensleitendes Kriterium zu berücksichtigen.68 Durch Verbindung werden einander widersprechende Entscheidungen verhindert.69

64 MünchKommZPO/Gottwald Band 1 (2000) § 322 Rdnr. 47; Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 205; weitere Beispiel bei Grunsky ZPR (2006) Rdnr. 235. 65 So für das deutsche Zivilprozessrecht BGH v. 10.10.1985 NJW 1986, 2195 (2196); Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 3 (1997) § 261 Rdnr. 3; Hk-ZPO/Saenger (2006) § 261 Rdnr. 1; Jauernig ZPR (2003) § 40 II (S. 169); Musielak/Foerste ZPO (2005) § 261 Rdnr. 9; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 97 Rdnr. 18. 66 Stein/Jonas/Roth ZPO Band 3 (2005) § 148 Rdnr. 3; Musielak/Stadler ZPO (2005) § 148 Rdnr. 1. 67 Zur Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen: EuGH v. 8.12.1987 (Gubisch/Palumbo) NJW 1989, 665 (= Slg. 1987, 4861 = IPRax 1989, 157) dort Rdnr. 12; EuGH v. 6.12.1994 (Tatry/Maciej Rataj) IPRax 1996, 108 (= Slg. 1994 I, 5439 = JZ 1995, 619) dort Rdnr. 32; EuGH v. 19.5.1998 (Drouot/CMI) ZZPInt 3 (1998), 234 (= Slg. 1998 I, 3075 = EuZW 1998, 443) dort Rdnr. 17; zuletzt wieder EuGH v. 9.12.2003 (Gasser/MISAT) IPRax 2004, 243 (= Slg. 2003 I, 14693) dort Rdnr. 41. – Ebenso für die EuGVO Kropholler EuZPR (2005) vor Art. 27 Rdnr. 1. – Zur Prozesswirtschaftlichkeit: OLG Düsseldorf v. 30.9.1999 GRURInt 2000, 776 (779); Hau Positive Kompetenzkonflikte (1996) S. 52 m.w. N.; Schack IZVR (2002) Rdnr. 747. 68 Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 3 (2005) § 147 Rdnr. 1, 11; Zöller/Greger ZPO (2005) § 147 Rdnr. 4. 69 MünchKommZPO/Peters Band 1 (2000) § 147 Rdnr. 1; Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 3 (2005) § 147 Rdnr. 22.

II. Die Rechtshängigkeitssperre

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Schließlich lassen sich Parallelen in der Zwecksetzung auch bei der Rechtskraft feststellen. Die Bindung an eine getroffene Entscheidung dient der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden;70 sie ist zugleich notwendige Folge des Justizgewährungsanspruchs und des Rechtsverfolgungsmonopols des Staates. Denn eine Rechtsverwirklichung, die der Staat garantiert, ist ohne eine abschließende, endgültige Entscheidung über einen Streit nicht denkbar. Es gehört damit zum Rechtsstaatsprinzip, eine einmal getroffene Entscheidung gegen spätere Angriffe zu schützen.71 Sich widersprechende Entscheidungen sollen auf diese Weise ausgeschlossen werden.72 Die Rechtskraft soll diese Endgültigkeit herstellen. Zugleich dient die Rechtskraft der Prozessökonomie, indem sie ein erneutes Befassen der Gerichte mit einer Sache verhindert.73 Die Möglichkeit, dass eine falsche Entscheidung bestehen bleibt, wird um dieser Ziele willen in Kauf genommen.74 Für die Rechtshängigkeitssperre ist allerdings die soeben beschriebene Zwecksetzung bestritten worden. Ulrich Herrmann hat in seiner Untersuchung zur Rechtshängigkeit bezweifelt, dass die Rechtshängigkeitssperre auch die Entstehung widersprechender Entscheidungen verhindern soll.75 Ein Widerspruch lasse sich bereits durch die materielle Rechtskraft vermeiden. Wenn zwei Verfahren parallel laufen, könne eine Abstimmung der Ergebnisse dadurch erfolgen, dass die Gerichte eine früher ergehende Entscheidung im Parallelverfahren berücksichtigen. Ergehen fast zeitgleich widersprechende Urteile, so könne der Widerspruch durch Rechtsbehelfe aufgelöst werden, zur Not durch Restitutionsklage gem. § 580 Nr. 7a ZPO. In der Tat gibt es solche Ansätze der Verfahrenskoordination im Ausland, namentlich in den USA unter dem Stichwort „parallel proceedings rule“. Dieser Regel zufolge lässt man zwei Prozesse nebeneinander laufen, bis das erste Urteil erlassen wird, das dann im anderen Prozess beachtet wird.76 Zwar könne sich auf diese Weise eine bereits erfolgte Sach- und Rechts-ermittlung als überflüssig erweisen, weil nun einfach das Ergebnis des anderen Prozesses übernommen werden müsse, aber das sei ein Aspekt des wirtschaftlichen Umgangs mit Prozessführungsressourcen. Indem die Rechtshängigkeitssperre solch überflüssigen Prozessaufwand den Parteien und Gerichten erspare, diene sie der Prozessökonomie.77 70

BGH v. 10.7.1951 BGHZ 3, 82 (86). Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 150 Rdnr. 1 f.; Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 30 ff.; Stürner FS Schütze (1999), 913. 72 MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) § 261 Rdnr. 6 bezeichnet es als die eigentliche Aufgabe der materiellen Rechtskraft. 73 Brox JuS 1962, 121 (122); Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 32; Zeuner FG 50 Jahre BGH Band III (2000), 337 (339). 74 BVerfG v. 30.4.2003 NJW 2003, 1924; BGH v. 10.7.1951 BGHZ 3, 82 (86). 75 Herrmann Die Grundstruktur der Rechtshängigkeit (1988) S. 38. 76 Dazu Hau Positive Kompetenzkonflikte (1996) S. 64 f. 71

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A. Einführung

Dieser Standpunkt berücksichtigt nicht ausreichend, dass die Rechtshängigkeitssperre bereits die Entstehung einander widersprechender Entscheidungen verhindern kann und dabei lediglich zeitlich früher ansetzt.78 Gleichzeitig ergehende widersprüchliche Urteile werden verhindert. Eine nachträgliche Beseitigung des Widerspruchs ist nicht mehr erforderlich. Überdies drohte in parallel geführten Prozessen ein Wettlauf um das erste Urteil, der die Arbeit der Gerichte beeinträchtigen könnte.79 Die Rechtshängigkeitssperre will daher auch die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sicherstellen. Die Überlegungen von Herrmann sind aber ein Argument dafür, dass die Vermeidung doppelter Prozessführung von Parteien und Gerichten – also die Prozessökonomie – der vorrangige Sinn der Rechtshängigkeitssperre ist.80 Allen genannten prozessrechtlichen Instrumenten ist folglich dieselbe Zwecksetzung gemein, die sie zu Maßnahmen der Verfahrensabstimmung macht. Die Verfahrenskoordination mit dem Ziel der Prozessökonomie geschieht auf der einen Seite zum Schutze der Parteien, die vor doppelter Belastung bewahrt werden sollen,81 auf der anderen Seite ist sie auch aus öffentlichem Interesse geboten, um die rechtsprechenden Organe von unnötiger Arbeit freizuhalten.82 Die Bedeutung des öffentlichen Interesses kann man an der Tatsache ablesen, dass sowohl auf den Einwand der Rechtshängigkeit als auch auf die materiellen Rechtskraftwirkungen nicht verzichtet werden kann.83 5. Das Verhältnis zum Rechtsschutzbedürfnis a) Im nationalen deutschen Zivilprozessrecht Das Rechtsschutzbedürfnis (auch Rechtsschutzinteresse genannt) dient nach herrschender Meinung als eine gesetzlich nicht geregelte Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Klage.84 Grundsätzlich ist von einem Rechtsschutzbedürfnis aus77 Herrmann Die Grundstruktur der Rechtshängigkeit (1988) S. 30 ff., 38; ebenso bereits Rimmelspacher Materiellrechtlicher Anspruch (1970) S. 311 ff.; zustimmend M. Koch Unvereinbare Entscheidungen (1993) S. 55 f. 78 Ähnlich Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO (2005) § 261 Rdnr. 3. 79 Zöller/Greger ZPO (2005) § 261 Rdnr. 1. 80 MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) § 261 Rdnr. 6. 81 Musielak/Foerste ZPO (2005) § 261 Rdnr. 9. 82 Herrmann Die Grundstruktur der Rechtshängigkeit (1988) S. 45 f. hebt diesen Aspekt hervor. 83 Für die Rechtshängigkeitssperre MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) § 261 Rdnr. 43; für die Rechtskraft MünchKommZPO/Gottwald ZPO Band 1 (2000) § 322 Rdnr. 53. 84 BGH v. 28.3.1996 NJW 1996, 2035 (2036); Grunsky ZPR (2006) Rdnr. 98, 100; für das Internationale Zivilprozessrecht Schack IZVR (2002) Rdnr. 516; skeptisch Brehm FG 50 Jahre BGH Band III (2000), 89; Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 3 (1997) vor § 253 Rdnr. 100 ff.; ablehnend Fasching ZPR (1990) Rdnr. 738 ff.

II. Die Rechtshängigkeitssperre

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zugehen; der rechtsschutzsuchende Bürger hat einen Anspruch darauf, dass sein Begehren sachlich geprüft und entschieden wird.85 Ein positiver Nachweis des Rechtsschutzbedürfnisses ist nur in wenigen Fällen erforderlich, so zum Beispiel bei einer Klage auf zukünftige Leistung gem. § 259 ZPO. Ebenso sind Feststellungsklagen nur gestattet, wenn der Kläger ein tatsächliches schützenwertes Interesse an der begehrten Feststellung gem. § 256 ZPO hat.86 Im Übrigen ist einer Klage das Rechtsschutzbedürfnis nur ausnahmsweise zu versagen. Eine solche Ausnahme besteht zum Beispiel, wenn es einen einfacheren und billigeren Weg zur Erreichung des Rechtsschutzziels gibt.87 Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt außerdem, wenn sich die Klage als schikanös oder rechtsmissbräuchlich darstellt,88 etwa wenn eine Forderung centweise eingeklagt wird.89 Als unzulässig wird eine Klage schließlich auch dann angesehen, wenn die begehrte Leistung unmöglich oder ein Urteil mit Sicherheit nicht vollstreckbar ist.90 Das Rechtsschutzbedürfnis wirkt also als Filter,91 der solche Verfahren aussortieren soll, für die das angerufene Gericht zwar zuständig ist, die aber ausnahmsweise nicht einer Sachentscheidung bedürfen.92 Die genannten Beispiele mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses zeigen, dass hinter der Klageabweisung Erwägungen der Prozesswirtschaftlichkeit stehen. Derselbe Gedanke liegt der Rechtshängigkeitssperre zugrunde, die den Kläger auf ein bereits laufendes Parallelverfahren verweist; auch die Rechtshängigkeitssperre verfolgt das Ziel der ökonomischen Nutzung der Ressource Rechtsprechung [vgl. oben A.II.4.]. Daher wird die Rechtshängigkeitssperre bisweilen als speziell geregelter Fall des Rechtsschutzbedürfnisses bezeichnet.93

85 BGH v. 28.3.1996 NJW 1996, 2035 (2037); Zöller/Greger ZPO (2005) vor § 253 Rdnr. 18. 86 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 89 Rdnr. 29. 87 BGH v. 28.3.1996 NJW 1996, 2035 (2036); Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 89 Rdnr. 30, 32 mit Beispielen; kritisch Brehm FG 50 Jahre BGH Band III (2000), 89 (99); Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 3 (1997) vor § 253 Rdnr. 108: Besser sei es, die Klage wegen Spezialität eines anderen Rechtsschutzmittels als unzulässig abzuweisen. 88 Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 3 (1997) vor § 253 Rdnr. 117. 89 Brehm FG 50 Jahre BGH Band III (2000), 89 (103 f.), der in solchem Fall aber wegen Rechtsmissbrauchs abweisen will und den Rückgriff auf das Rechtsschutzbedürfnis für überflüssig hält. 90 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 89 Rdnr. 33. 91 Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO (2005) Grundz § 253 Rdnr. 34. 92 Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 3 (1997) vor § 253 Rdnr. 101. 93 Zeiss/Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 342, 345. Dasselbe könnte man von der Rechtskraft in der Ausprägung des ne-bis-in-idem-Verbots behaupten. Von Überschneidungen und Verwechselungen mit dem Zulässigkeitshindernis der entgegenstehenden Rechtskraft in der Vergangenheit berichtet Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 3 (1997) vor § 253 Rdnr. 101a. Ein Beispiel findet sich bei RG v. 26.5.1916 RGZ 88, 267.

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A. Einführung

Wegen dieser Überschneidungen in der Zielsetzung und wegen seiner Funktion als Verfahrensfilter bietet sich eventuell an, das Rechtsschutzbedürfnis bei der Koordination paralleler Verfahren subsidiär neben oder anstelle der Rechtshängigkeitssperre anzuwenden.94 Im internationalen Zivilprozessrecht plädieren einige Stimmen für die Anwendung zur Verhinderung paralleler Prozesse, weil das Rechtsschutzbedürfnis dank größerer Flexibilität bessere Ergebnisse im Einzelfall liefern könne.95 Im nationalen deutschen Zivilprozessrecht spricht dagegen, dass die Rechtshängigkeitssperre eine spezielle Regelung ist, die den Rückgriff auf den allgemeinen Gedanken des Rechtsschutzbedürfnisses verbietet.96 Außerdem hat das Rechtsschutzbedürfnis keinen geschriebenen Tatbestand. Es haben sich vielmehr Fallgruppen herausgebildet, die bereits oben beispielhaft aufgezählt wurden und zur Koordination mehrerer Prozesse nur sehr eingeschränkt taugen. Wendet man dagegen das Rechtsschutzbedürfnis nach Kriterien der Zweckmäßigkeit an, wie es in der Literatur und Rechtsprechung bisweilen zu beobachten ist,97 könnte man mit ihm zwar flexiblere Verfahrenskoordination erreichen; als Kehrseite dieses Vorteils gefährdete man aber die für den Rechtsschutzsuchenden berechenbare Durchsetzung seiner subjektiven Rechte und damit den Zweck des Zivilprozesses überhaupt.98 Der subsidiäre Rückgriff auf das Rechtsschutzbedürfnis ist im nationalen deutschen Zivilprozessrecht daher abzulehnen.99 Das schließt aber nicht aus, bei der Auslegung und Anwendung der Rechtshängigkeitsnormen Erwägungen der Prozesswirtschaftlichkeit einfließen zu lassen, die sowohl dem Rechtsschutzbedürfnis als auch der Rechtshängigkeitssperre zugrunde liegen.

94 Beispiele dafür bei A. Blomeyer ZPR (1985) § 49 III 2 (S. 275); Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 81; Wieser Das Rechtsschutzinteresse (1971) S. 168 ff. 95 Schack IZVR (2002) Rdnr. 764. 96 MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) § 261 Rdnr. 7. 97 Dafür zum Beispiel Wieser Das Rechtsschutzinteresse (1971) S. 141 ff.; 241 f. mit recht offenen Kriterien für die Zweckmäßigkeit, die sich allerdings zu einem guten Teil mit allgemein anerkannten Fallgruppen des Rechtsschutzbedürfnisses decken; vgl. auch Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 3 (1997) vor § 253 Rdnr. 101 dort Fn. 174, der ein seiner Meinung nach „abschreckendes Beispiel“ aus der Rechtsprechung erwähnt. 98 Baur Studi in onore di Tito Carnacini (1984), 27 (29) im Rahmen genereller Betrachtungen zum Zivilprozessrecht; zum Prozesszweck MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) Einleitung Rdnr. 7; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 1 Rdnr. 7; Stein/Jonas/Brehm ZPO Band 1 (2003) vor § 1 Rdnr. 9. 99 Ebenso Bettermann Rechtshängigkeit und Rechtsschutzform (1949) S. 30 f.; Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 3 (1997) vor § 253 Rdnr. 103 dort Fn. 215 und Rdnr. 118.

II. Die Rechtshängigkeitssperre

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b) Im europäischen Zivilprozessrecht Die EuGVO bzw. das EuGVÜ nennt das Rechtsschutzbedürfnis nicht ausdrücklich. Es stellt sich auch hier die Frage, ob Gerichte den Rechtsschutz, der von einem Kläger aufgrund einer Zuständigkeitsnorm der EuGVO bzw. des EuGVÜ verlangt wird, versagen und sich dabei auf fehlendes Rechtsschutzinteresse berufen können, wenn das nationale Prozessrecht ein solches Instrument kennt. Diskutiert wurde diese Frage insbesondere im Zusammenhang mit der forum-non-conveniens-Doktrin des britischen Zivilprozessrechts. Die Rechtsfigur des forum non conveniens wurde maßgeblich im schottischen Recht entwickelt und von englischen Gerichten übernommen.100 Nach dieser Doktrin kann ein englisches Gericht trotz bestehender Zuständigkeit eine Entscheidung verweigern und das Verfahren aussetzen, wenn ein ausländisches Gericht zur Entscheidung besser berufen ist.101 Um zu beurteilen, welches Gericht das „natural forum“ mit der engsten Verbindung zum zu entscheidenden Fall ist, müssen alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden: So zum Beispiel das anzuwendende Recht, die Verfügbarkeit von Beweismitteln, der Ort des Tätigkeitsschwerpunkts der Parteien.102 Wenn diese Abwägung der einzelnen Tatsachen den Vorrang des ausländischen Gerichts begründet, ist das englische Verfahren auszusetzen, wenn nicht ausnahmsweise besondere Umstände die Gewährung eines englischen Verfahrens erfordern.103 Mithin beruht die forum-non-conveniens-Doktrin auf ähnlichen Erwägungen wie das Rechtsschutzbedürfnis nach deutschem Verständnis104 und wirkt ebenfalls zuständigkeitsbeschränkend.105 Grundsätzlich erfordert ihre Anwendung kein ausländisches Parallelverfahren; es kann dazu führen, dass der Kläger auf die Möglichkeit ausländischen Rechtsschutzes verwiesen wird und dort die Erhebung der Klage betreiben muss.106 100 Beaumont in: Fawcett (Hrsg.) Declining Jurisdiction (1995), 207 (209); P. Huber Die englische forum-non-conveniens-Doktrin (1994) S. 52 ff.; zur Entwicklung der englischen Rechtsprechung vgl. auch The Abidin Daver [1984] AC 398 (418 f. Lord Brandon of Oakbrook) (HL). 101 Spiliada Maritime Corp v Consulex Ltd (The Spiliada) [1987] AC 460 (476 Lord Goff of Chieveley) (HL); erläuternd dazu GA Leger Schlussantrag C-281/02 (Owusu/Jackson) dort Rdnr. 25 ff. 102 Spiliada Maritime Corp v Consulex Ltd (The Spiliada) [1987] AC 460 (478 Lord Goff of Chieveley) (HL); eine ausführliche Darstellung der relevanten Aspekte bei der Bestimmung des „natural forum“ bei Beaumont in: Fawcett (Hrsg.) Declining Jurisdiction (1995), 207 (212 ff.). 103 Spiliada Maritime Corp v Consulex Ltd (The Spiliada) [1987] AC 460 (478 Lord Goff of Chieveley) (HL). 104 Die sachliche Nähe der beiden Rechtsfiguren veranschaulichen Versuche, die forum-non-conveniens-Doktrin oder einzelne ihrer Aspekte im Rechtsschutzbedürfnis zu verankern, vgl. Schack RabelsZ 58 (1994), 40 (42 f.). 105 Heinze/Dutta IPRax 2005, 224 (225 f.); von einem „Verzicht“ auf an sich gegebenen inländische Zuständigkeit spricht Schack RabelsZ 58 (1994), 40 (41). 106 GA Leger Schlussantrag C-281/02 (Owusu/Jackson) dort Rdnr. 255.

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A. Einführung

Die Doktrin dient jedoch auch der Bewältigung des Problems eines ausländischen Parallelverfahrens. Denn ein Aspekt bei der Entscheidung über die Aussetzung ist, ob es im Ausland eine „lis alibi pendens“ gibt. Wenn im Ausland bereits ein Verfahren über dieselbe Angelegenheit („the same matter“) anhängig ist, soll nur unter besonderen Umständen ein paralleles englisches Verfahren möglich sein.107 Damit wird ausländische Rechtshängigkeit zu einem von mehreren Faktoren bei der Aussetzungsentscheidung.108 Das House of Lords hat durch Vorlage beim EuGH eine Klärung der viel diskutierten Frage, ob englische Gerichte auch bei einer nach EuGVÜ bzw. EuGVO begründeten Zuständigkeit die forum-non-conveniens-Doktrin anwenden dürfen, herbeigeführt. Der EuGH hat in der Entscheidung Owusu/Jackson109 die forum-non-conveniens-Doktrin wegen Unvereinbarkeit mit dem grundsätzlich verbindlichen System der Zuständigkeitsregeln der EuGVÜ bzw. des EuGVO als unzulässig qualifiziert. Die Entscheidung bezog sich auf einen Fall, in dem ausschließlich in England Klage erhoben worden war und die Beklagten Abweisung wegen Unzulässigkeit verlangt hatten, weil ihrer Meinung nach wegen engeren Bezugs der Streitigkeit mit Jamaika die Klage dort erhoben werden sollte; es gab folglich nur ein Verfahren und keine Parallelverfahren. Ob ausnahmsweise die forum-non-conveniens-Doktrin bei engem Zusammenhang mit einem bereits laufenden Parallelverfahren in einem Drittstaat zum Zuge kommen darf, hat der EuGH ausdrücklich offen gelassen.110 Im Geltungsbereich der EuGVO muss, so der EuGH, die Kompetenzverteilung vorhersehbar sein, um das Ziel eines sicheren und verlässlichen Rechtsschutzes in der Europäischen Gemeinschaft zu verwirklichen. Dieser Grundsatz ist im Erwägungsgrund Nr. 11 der EuGVO niedergelegt; seine Bedeutung wird vom EuGH hervorgehoben.111 Da nicht bloß die zuständigkeitsbegründenden Normen der Artt. 2 bis 24 EuGVO Vorschriften zur Zuständigkeit sind, sondern auch zuständigkeitsbeschränkende Normen wie die Rechtshängigkeitssperre 107

The Abidin Daver [1984] AC 398 (411 f. Lord Diplock) (HL). Das gilt anscheinend auch weiterhin nach Inkrafttreten der CPR. Die CPR bietet zwei Instrumente zur Bewältigung von Parallelverfahren, und zwar die Verfahrensaussetzung („stay of proceedings“) gem. CPR 3.1 (2) (f), die unter anderem auch angewendet werden kann, wenn zwei Verfahren dieselben oder ähnliche Streitpunkte betreffen und gleichzeitig anhängig sind (vgl. Zuckerman Civil Procedure [2003] Rdnr. 13.21), und das „strike out“ von Verfahrensschriftsätzen gem. CPR 3.4, mit der das Gericht auch die gesamte Klage wegen Verfahrensdopplung als unzulässig abweisen und den Kläger auf ein bereits laufendes Verfahren verweisen kann (vgl. das Beispiel Buckland v Palmer [1984] 1 WLR 1109 [CA]). 109 EuGH v. 1.3.2005 (Owusu/Jackson) RIW 2005, 292 (= JZ 2005, 887 = IPRax 2005, 244). 110 EuGH v. 1.3.2005 (Owusu/Jackson) RIW 2005, 292 (296 dort Rdnr. 48 ff.); für die Beachtung anderweitiger Rechtshängigkeit nach autonomem Prozessrecht Kropholler EuZPR (2005) vor Art. 27 Rdnr. 2 und Heinze/Dutta IPRax 2005, 224 (228 f.). 111 EuGH v. 1.3.2005 (Owusu/Jackson) RIW 2005, 292 (295 dort Rdnr. 40). 108

III. Das Verhältnis zweier Verfahren zueinander

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oder auch das Rechtsschutzbedürfnis [vgl. oben A.II.3.b)], müssen auch sie diesen Anforderungen genügen. Bei der Rechtshängigkeitssperre muss dieser Aspekt bei der Auslegung des Tatbestands beachtet werden. Der Berechenbarkeit bei der Rechtsschutzgewährung wird höherer Wert beigemessen als den Bestrebungen, dem Gericht eine Lösung nach den Umständen des Einzelfalls zu erlauben.112 Damit ist dem Bestreben, die Unzulässigkeit einer Klage mit reinen Zweckmäßigkeitserwägungen zu begründen, weitgehend der Boden entzogen worden.113 Auch für das tatbestandslose Rechtsschutzbedürfnis bleiben, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkte Anwendungsbereiche. Das gilt ebenfalls im Geltungsbereich der Artt. 27 ff. EuGVO. Hier kommt das aus dem nationalen Prozessrecht bekannte Argument der lex specialis zum Tragen. Das Verhältnis zweier gleichzeitig in Mitgliedstaaten laufenden Verfahren ist in den Artt. 27 ff. EuGVO besonders geregelt. Ein Rückgriff auf allgemeine Prinzipien verbietet sich. Im autonomen internationalen Zivilprozessrecht mag dies anders zu beurteilen sein;114 die vorliegende Untersuchung konzentriert sich indessen auf den rein deutschen und den europäischen Zivilprozess. III. Das Verhältnis zweier Verfahren zueinander Im Folgenden soll kurz anhand kleiner Beispiele illustriert werden, wie zwei Verfahren miteinander verflochten sein können, so dass ein Bedürfnis nach Abstimmung entsteht.

112 Kritisch aus englischer Sicht zu dieser eher kontinentalen Konzeption Hartley ICLQ 54 (2005), 813 (826 f.). 113 Bruns JZ 2005, 890 (892); Geimer/Schütze EuZVR (2004) A.1 Art. 2 Rdnr. 54 ff. (in Rdnr. 70 ff. besonders gegen forum-non-conveniens-Erwägungen). – In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass der Grundgedanke des forum non conveniens im internationalen Zivilprozessrecht durchaus weiterhin Anhänger hat und eine Renaissance erleben könnte. In Art. 21 des geplanten Haager Übereinkommens über die Zuständigkeit sowie die Anerkennung und Vollstreckung ist vorgesehen, dass ein Gericht ein Verfahren trotz Zuständigkeit aussetzen kann, wenn ein anderes Gericht ebenfalls zuständig und für die Entscheidung eindeutig besser geeignet. Dazu Walter FS Schumann (2001), 559 (575 f.); Nagel/Gottwald IZPR (2002) § 5 Rdnr. 241. Eine Verwirklichung dieser Regelungen scheint indessen in weite Ferne gerückt zu sein, vgl. Geimer IZPR (2005) Rdnr. 244a. 114 Art. 27 EuGVO ist nicht anwendbar, wenn das erste Verfahren nicht in einem Mitgliedstaat anhängig ist; dann soll grundsätzlich autonomes Recht des Mitgliedstaats zur Anwendung kommen, in dem das zweite Verfahren anhängig ist, vgl. Kropholler EuZPR (2005) vor Art. 27 Rdnr. 2; Rauscher/Leible EuZPR (2004) Art. 27 Brüssel I-VO Rdnr. 3. – Eine Anwendung der forum-non-convenies-Doktrin bei lis alibi pendens in Drittstaaten für zumindest nicht ausgeschlossen hält Bruns JZ 2005, 890 (892); dafür auch Harris ICLQ 54 (2005), 933 (946 f.).

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A. Einführung

1. Sachliches Verhältnis Zunächst wird die Frage der beteiligten Personen, also die subjektive Dimension des Verfahrens, ausgeblendet und das Spektrum der möglichen objektiven Überschneidungen dargestellt. a) Identisches Ziel Zwei Klagen können erhoben werden, um dasselbe Ergebnis zu erreichen. Beispiele: Vor zwei Gerichten wird derselbe Kaufpreisanspruch eingeklagt. Oder: In zwei Verfahren wird derselbe Beschluss einer Gesellschaft angegriffen.

Die Begriffe „identisches Ziel“ und „dasselbe Ergebnis“ sind an dieser Stelle betont untechnisch gemeint und ausfüllungsbedürftig. Die Beurteilung, ob zwei Verfahren sachlich identisch sind, ist im Detail nicht einfach zu treffen, wie das bekannte Problem aus dem folgenden Beispiel zeigt: Beispiel: Der angebliche Schuldner A klagt auf negative Feststellung, dass ein von B behaupteter Anspruch nicht besteht. Daraufhin klagt B vor einem anderen Gericht auf Zahlung wegen desselben Anspruchs.

Sicherlich geht es in beiden Klagen um denselben Anspruch; auf der anderen Seite ist der verlangte gerichtliche Ausspruch einmal auf Feststellung, im anderen Prozess auf Leistung gerichtet. Die Frage, ob beide Prozesse in objektiver Hinsicht deckungsgleich sind, wird uns im Laufe der Untersuchung noch mehrmals beschäftigen. b) Verhältnis der Präjudizialität „Präjudiziell“ heißt im allgemeinen Sprachgebrauch, dass etwas bedeutsam für die Beurteilung eines späteren Sachverhalts ist.115 Ein Verfahren ist im prozessrechtlichen Verständnis „präjudiziell“ (oder „vorgreiflich“), wenn sein Ergebnis für das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs oder für die Beurteilung eines Rechtsstreits von Bedeutung ist.116 Beispiele: Zwischen den Parteien ist eine Feststellungsklage über die Wirksamkeit eines Kaufvertrags rechtshängig. Zeitgleich klagt eine der Parteien auf Zahlung des Kaufpreises. Für den Kaufpreisanspruch ist die Wirksamkeit des Kaufvertrags Voraussetzung. Oder: Im ersten Prozess wird auf Feststellung des Eigentumsrechts an einer bestimmten Sache geklagt. Im zweiten Prozess soll ein Herausgabeanspruch, der auf Eigentum gegründet ist (vgl. zum Beispiel § 985 BGB), durchgesetzt werden. 115

Duden Band 5 Das Fremdwörterbuch (2001) Stichwort „präjudiziell“. Creifelds Rechtswörterbuch (2000) Stichwort „Präjudizielles Rechtsverhältnis“ (verweist auf „Vorgreifliches Rechtsverhältnis“); Reischl Die objektiven Grenzen der Rechtskraft (2002) S. 34. 116

III. Das Verhältnis zweier Verfahren zueinander

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Oder: Im ersten Verfahren wird ein Anspruch auf Unterhalt zwischen getrennt lebenden Ehegatten eingeklagt (vgl. § 1361 BGB). Im zweiten Verfahren wird die Scheidung der Ehe beantragt. Das eheliche Verhältnis ist Voraussetzung für den Ehegattenunterhalt bei getrennten Ehegatten. Selbst wenn danach ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt besteht (eventuell sogar in identischer Höhe), so sind diese Ansprüche nicht identisch. Wurde der Ehegattenunterhalt erfolgreich eingeklagt, so kann mit diesem Titel nicht nachehelicher Unterhalt verlangt werden.117 Der anspruchsberechtigte Ehegatte muss gegebenenfalls erneut klagen.118

Es kommt stets darauf an, dass das Ergebnis eines Prozesses für den Ausgang des anderen von Bedeutung ist. Nach deutschem Zivilverfahrensrecht wird prinzipiell nur über Rechtsverhältnisse mit bindender Wirkung entschieden, nicht über reine Tatsachen.119 Eine Klage auf Feststellung von Tatsachen ist dem deutschem Recht ebenfalls unbekannt; gem. § 256 ZPO kann mit Ausnahme der Urkundenechtheit nur das Bestehen oder Nichtbestehen von Rechtsverhältnissen festgestellt werden.120 Eine Ausnahme stellt die Interventionsbzw. Streitverkündungswirkung gem. §§ 68, 74 Abs. 3 ZPO dar, die zur Bindung an Tatsachenfeststellungen führen kann.121 Das englische Prozessrecht beispielsweise kennt dagegen in gewissem Umfang auch die rechtskräftige Feststellung von Tatsachen [vgl. unten C.III.4.a)(1)]. c) Identität in Vorfragen Zwei Verfahren können eine gemeinsame Vorfrage haben, ohne dass diese Vorfrage Gegenstand des Urteils in beiden Verfahren ist.122 Diese Fallgruppe ist weiter zu unterteilen: Einmal kann die gemeinsame Vorfrage ein Rechtsverhältnis sein. Beispiel: Der Kläger fordert im ersten Verfahren vom Beklagten die Einräumung von Besitz aufgrund eines Mietvertrags, im zweiten Verfahren vor einem anderen Gericht den Ersatz für den bisher entstandenen Vermögensschaden wegen Verzögerung der Besitzeinräumung. Gemeinsame Vorfrage ist hier die Wirksamkeit des Mietvertrags.

Lässt man es zu, dass ein Anspruch in rechtlich selbständige Teilansprüche zerlegt werden kann und diese gesondert eingeklagt werden können, dann ste-

117 MünchKommBGB/Wacke Band 7 (2000) § 1361 Rdnr. 49: Die Scheidung muss per Vollstreckungsgegenklage gem. § 767 ZPO gegen den Titel eingewendet werden. 118 Rauscher Familienrecht (2001) Rdnr. 338, 559. 119 Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 74 ff. und 84. 120 Grunsky ZPR (2006) Rdnr. 102. 121 BGH v. 14.11.1991 NJW 1992, 1698 (1699); MünchKommZPO/Schilken Band 1 (2000) § 68 Rdnr. 15; Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) § 68 Rdnr. 5. 122 Oberhammer IPRax 2002, 424 (428) nennt diese Konstellation „Vorfrage-Vorfrage-Verhältnis“.

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A. Einführung

hen auch die Teilklagen im Verhältnis der Vorfragenidentität. Gemeinsame Vorfrage für jede Teilklage ist, ob der Gesamtanspruch dem Grunde nach besteht. Zum anderen ist auch eine Tatsache als Vorfrage möglich. Beispiele: Zwei Unfallbeteiligte klagen gegeneinander in parallelen Prozessen auf Ersatz des durch den Unfall erlittenen Schadens. Beide behaupten das alleinige Verschulden des jeweils anderen. Gemeinsame Vorfrage für das Urteil über zwei verschiedene Ansprüche ist die Tatsache, wer den Unfall verschuldet hat. Oder: Der Kläger verlangt im ersten Verfahren Kaufpreiszahlung aufgrund eines Vertrages. Der Beklagte soll durch einen Brief das Vertragsangebot des Klägers angenommen haben. Im zweiten Verfahren vor einem anderen Gericht klagt er auf Ersatz des immateriellen Schadens wegen einer Beleidigung, die in dem Brief enthalten war. Der Beklagte bestreitet in beiden Verfahren die Authentizität des Briefs.

2. Die subjektive Dimension Nun wird der beteiligte Personenkreis in die Betrachtung mit einbezogen. Der Zivilprozess ist traditionell ein Zwei-Parteien-Verfahren zwischen Kläger und Beklagtem.123 Unter gewissen Voraussetzungen können auf der Klägerbzw. Beklagtenseite auch mehrere Personen teilnehmen, zum Beispiel im deutschen Recht bei Streitgenossenschaft gem. §§ 59, 60 ZPO124 oder im englischen Recht gem. CPR 19.1.125 Nach herrschendem Verständnis im deutschen Zivilprozessrecht liegt in der Streitgenossenschaft keine Abweichung vom Zwei-Parteien-Verfahren; durch mehrere Kläger oder Beklagte werden mehrere, voneinander unabhängige Prozessrechtsverhältnisse gebildet.126 Dennoch können auch zwei Prozesse, an denen nicht dieselben Personen beteiligt sind, Verbindungen untereinander aufweisen. a) Bei identischem Ziel Es sei nochmals betont, dass damit noch nicht behauptet wird, die Verfahren seien in den folgenden Beispielen auch objektiv identisch. Es geht ausschließ123 Für das deutsche Recht: Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 40 Rdnr. 26 ff.; Schellhammer Zivilprozess (2004) Rdnr. 1167; ein etwas älterer rechtsvergleichender Überblick über das Konzept des Parteibegriffs bei Cohn International Encyclopedia Vol. XVI Chapter 5 (1976) S. 5 ff. 124 Musielak Grundkurs ZPO (2004) Rdnr. 226 ff.; Schellhammer Zivilprozess (2004) Rdnr. 1590. 125 CPR 19.1 besagt: „Any number of claimants or defendants may be joined as parties to a claim.“ Einen etwas älteren rechtsvergleichenden Überblick über die Mehrheit von Parteien gibt Cohn International Encyclopedia Vol. XVI Chapter 5 (1976) S. 38 ff. 126 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 48 Rdnr. 12, 16 ff.

III. Das Verhältnis zweier Verfahren zueinander

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lich um den phänomenologischen Befund, dass dasselbe Ergebnis angestrebt wird. Verschiedene Personen können um ein identisches Ziel bzw. Prozessergebnis streiten. Das kann zum einen passieren, wenn sich zwei Kläger für berechtigt halten, dasselbe Recht einzufordern. Beispiele: A klagt gegen B auf Zahlung wegen einer Kaufpreisforderung. C hält sich für den Gläubiger, beispielsweise weil er eine wirksame Abtretung der Forderung seitens A behauptet, und klagt ebenfalls gegen B. Oder: Zwei Gesellschafter bzw. Aktionäre klagen gegen einen Beschluss ihrer Gesellschaft in getrennten Verfahren.

Im ersten Beispiel geht es um die sog. alternative Gläubigerschaft. Die Gründe, weshalb sich zwei Prätendenten desselben Rechts berühmen, können vielfältig sein. Der Hauptauslöser dürfte, wie im Beispiel geschildert, ein umstrittener Rechtsübergang zwischen den Prätendenten sein. Denkbar ist aber auch eine Situation mit mehreren Mitberechtigten, die ein Recht gemeinsam halten, wenn einzelne Mitberechtigte ihren eigenen Prozess mit dem Verpflichteten um das Recht führen. Das erfordert freilich eine Prozessführungsbefugnis für jeden einzelnen Mitberechtigten, die es im deutschen Recht beispielsweise bei Mitgläubigern gem. § 432 Abs. 1 S. 2 BGB, bei Miteigentümern gem. § 1011 BGB und bei Miterben eines ungeteilten Nachlasses gem. § 2039 S. 2 BGB gibt.127 Darüber hinaus gibt es weitere Fälle, in denen die Rechtsordnung mehreren Personen die Befugnis verleiht, um denselben Gegenstand zu prozessieren. Beispiel: Im Rahmen der Pfändung einer Forderung im Zuge der Zwangsvollstreckung gem. § 829 ZPO wird die gepfändete Forderung dem Vollstreckungsgläubiger zur Einziehung gem. §§ 835, 836 ZPO überwiesen. Auf diese Weise erlangt er eine Einziehungsbefugnis128 und ist berechtigt, die Forderung gegen den Drittschuldner in eigenem Namen, also in Prozessstandschaft,129 einzuklagen. Auf diese Klage gegen den Drittschuldner ist er angewiesen, wenn der Drittschuldner nicht freiwillig zahlt.130 Im Prozess verpflichtet ihn § 841 ZPO, dem Schuldner den Streit zu verkünden. Der Vollstreckungsschuldner bleibt aber Inhaber der Forderung; er darf lediglich die Forderung nicht mehr selbst einziehen. Er kann jedoch weiterhin selbst gegen den Drittschuldner klagen, muss dann aber den Klageantrag auf Leistung an

127 Jauernig ZPR (2003) § 22 III 3 (S. 77); Musielak/Weth ZPO (2005) § 51 Rdnr. 21, 23; Stein/Jonas/Bork ZPO Band 2 (2004) vor § 50 Rdnr. 44; a. A. Schellhammer Zivilprozess (2004) Rdnr. 1223; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) vor § 50 Rdnr. 27. 128 Schur KTS 2001, 73 m.w. N.; Thomas/Putzo ZPO (2005) § 836 Rdnr. 3. 129 MünchKommZPO/Smid Band 3 (2001) § 835 Rdnr. 13; Rosenberg/Gaul/Schilken Zwangsvollstreckungsrecht (1997) § 55 II 1 b (S. 859) m.w.N; ausführlich dazu Schur KTS 2001, 73 (74, 83 ff.); a. A. Thomas/Putzo ZPO (2005) § 835 Rdnr. 3; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) vor § 50 Rdnr. 30. 130 Brox/Walker Zwangsvollstreckungsrecht (2003) Rdnr. 640.

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A. Einführung den Vollstreckungsgläubiger formulieren.131 Es kommt folglich zu einer Vervielfältigung der Prozessführungsbefugnisse über ein und dieselbe Forderung.132

Das Phänomen, dass mehrere Personen um dasselbe Ziel streiten, kann sich auch aus Unklarheiten auf der Passivseite ergeben, wenn nämlich unsicher ist, wer aufgrund eines Rechts verpflichtet ist. Beispiel: A wird durch einen Autounfall verletzt. Es ist aber unklar, wer von den beiden Insassen des Autos, das ihn verletzt hat, am Steuer saß und damit als Fahrer haftet. Hier kann es nur einen Anspruch gegen einen der Insassen geben, also auch nur ein Prozessziel, das möglicherweise in getrennten Prozessen gegen die in Frage kommenden Schuldner verfolgt wird. Die möglichen Ansprüche gegen den Fahrzeughalter und eine Haftpflichtversicherung sind in diesem Zusammenhang ausgeblendet.

Hier geht es um alternative Haftung.133 b) Bei einem Präjudizialitätsverhältnis Der Ausgang eines Prozess zwischen A und B kann von Bedeutung für das Ergebnis sein, das in einem zweiten Prozess zwischen anderen Parteien angestrebt wird. Wenn das Ergebnis sich im Ausspruch über einen Anspruch oder ein Rechtsverhältnis zwischen A und B beschränkt, dann muss der zweite Prozess gerade von diesem Anspruch oder Rechtsverhältnis abhängen. Das materielle Recht kennt solche Abhängigkeiten zwischen Rechtsverhältnissen trotz Verschiedenheit der daran beteiligten Personen. Ein Beispiel ist die akzessorische Haftung, die das Wesensmerkmal der Bürgschaft gem. § 765 BGB, der Hypothek gem. § 1113 BGB und anderer Sicherungsmittel ist. Ein Anspruch wegen akzessorischer Haftung zeichnet sich dadurch aus, dass er in seiner Entstehung, seinem Umfang und seinem Erlöschen existentiell mit der zu sichernden Hauptforderung verbunden ist.134 Beispiel: Gläubiger A klagt gegen Hauptschuldner B auf Zahlung des angeblich geschuldeten Betrags. B bestreitet, dass die Hauptforderung besteht. Kommt es zum Prozess zwischen A und dem Bürgen C wegen der Bürgschaftsforderung, dann ist das Bestehen der Hauptforderung gem. § 767 BGB für die Entscheidung in diesem Prozess Vorfrage.

Vorgreifliche Verfahren finden wir auch bei der „ersetzenden Haftung“: Ein Gläubiger glaubt, einen Anspruch gegen einen Schuldner zu haben, und betraut einen Dritten mit der Durchsetzung und Sicherung dieses Anspruchs. Dieser Dritte ist im Regelfall ein Anwalt; solche Verpflichtungen können im Einzelfall 131 BGH v. 5.4.2001 NJW 2001, 2178 (2179 f.); grundsätzlich zustimmend Berger JZ 2002, 46; Brox/Walker Zwangsvollstreckungsrecht (2003) Rdnr. 618 f. 132 Stein/Jonas/Brehm ZPO Band 8 (2004) § 835 Rdnr. 33. 133 Mehr Beispiele bei Vondenhoff-Mertens Alternative Haftung (2001) S. 107 ff. 134 Lettl JA 2004, 238 ff.

III. Das Verhältnis zweier Verfahren zueinander

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auch Architekten aufgrund ihres Architektenvertrags treffen.135 Macht der Dritte Fehler und vereitelt dadurch die Realisierung des Anspruchs (meist wegen Eintritts der Verjährung), so kann er unter Umständen wegen Pflichtverletzung haften. Wirtschaftlich betrachtet tritt diese Haftung an die Stelle des vereitelten Anspruchs. Beispiel: Bauherr K hat Bauunternehmer B mit der Errichtung eines Hauses beauftragt. In das fertig gestellte Haus dringt Regenwasser ein. K klagt gegen B auf Schadenersatz wegen Mängeln am Bauwerk. B verteidigt sich damit, dass er sich bei der Errichtung an die üblichen Standards gehalten habe und das Eindringen des Wassers nicht auf einen Fehler seinerseits zurückzuführen sei. Die Frage muss im Prozess mit Hilfe von Sachverständigengutachten geklärt werden. K verliert den Prozess. Der Grund ist seiner Meinung nach ein Fehler seines Anwalts und Prozessbevollmächtigten A, der ein weiteres, dem Kläger günstiges Gutachten nicht rechtzeitig dem Gericht vorgelegt habe. K klagt daher nunmehr gegen A auf Schadensersatz wegen Vereitelung seines Anspruchs. Zur Entscheidung über diese zweite Klage muss das zuständige Gericht wiederum das Bestehen eines Anspruchs von K gegen B prüfen. Denn nur wenn der Anspruch tatsächlich bestand, kann seine Durchsetzung vereitelt und dadurch ein Schaden entstanden sein.136

Parallele Prozesse sind hier selten, weil der Fehler in aller Regel erst nach einem vergeblichen Prozess gegen den Schuldner bemerkt wird oder aber ein Prozess gegen den Schuldner gar nicht mehr angestrengt wird. c) Bei Identität in Vorfragen In Verfahren mit unterschiedlichen Beteiligten können dieselben Vorfragen entscheidungserheblich sein. Beispiele: Nach einem Verkehrsunfall prozessiert der Geschädigte K gegen den Fahrer F, den Halter H und die Haftpflichtversicherung V, um Schadensersatz von ihnen zu erhalten. In allen Prozessen sind die Einzelheiten des Unfallhergangs von Bedeutung. Oder: K kauft von V eine Sache, die er an D weiterveräußert. D klagt im weiteren Verlauf gegen K, weil die Sache Mängel aufweise, die bei D zu einem Schaden geführt hätten. Ob die Sache wirklich mangelhaft ist, ist nicht nur in diesem Prozess, sondern auch in einem Rechtsstreit zwischen K und V wegen Gewährleistung entscheidend für den Ausgang.

d) Zuordnungszweifel Die Zuordnung in die hier gebildeten Fallgruppen kann natürlich im Einzelfall fraglich sein. Wer zum Beispiel bestreitet, dass bei alternativer Gläubiger135 136

3071.

Beispiel: OLG Zweibrücken v. 30.3.1993 NJW-RR 1993, 1237 (1238). Das Beispiel ist angelehnt an den Sachverhalt in BGH v. 16.6.2005 NJW 2005,

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A. Einführung

schaft um dasselbe Ziel gestritten wird, muss zumindest eine regelmäßig enge Verzahnung beider Verfahren durch weitgehend identische Vorfragen anerkennen: Der Beklagte wird nämlich entweder das Bestehen des eingeklagten Anspruchs oder die Berechtigung der Kläger (oder gar beides) bestreiten. Damit sind in beiden Prozessen identische Tatsachen- und Rechtsfragen relevant. Umgekehrt kann man die Geltendmachung der ersetzenden Haftung, die oben zur Fallgruppe des Präjudizialitätsverhältnisses gezählt wurde, als Variante einer Klage mit demselben Ziel begreifen. Immerhin tritt die ersetzende Haftung an die Stelle des vereitelten Anspruchs. Die gewählte Zuordnung soll auch nicht endgültig oder vorentscheidend sein, sondern nur vor der eigentlichen Untersuchung die Verbindungslinien anschaulich machen, die es zwischen Prozessen geben kann. 3. Die Bedeutung des materiellen Rechts Die soeben angestellten Betrachtungen über das Verhältnis mehrerer Verfahren zueinander zeigen die Gemeinsamkeit, dass stets das materielle Recht mit einbezogen wird. Das rührt vom Hauptzweck eines jeden Zivilprozesses her; der Zivilprozess dient in erster Linie der Feststellung und Durchsetzung subjektiver materieller Rechte137 und damit letztlich der Verwirklichung der materiellen Rechtsordnung.138 Im Lichte des Prozesszwecks ist es unmittelbar einleuchtend, dass materiell-rechtliche Abhängigkeiten und Wechselwirkungen (Beispiel Akzessorietät) oder Gemeinsamkeiten im Tatbestand materiell-rechtlicher Vorschriften (Identische Vorfragen) zu Interferenzen der Prozesse führen müssen. Ein Prozess, der das auf den zugrunde liegenden Sachverhalt anzuwendende materielle Recht effektiv erkennen will, muss dessen Besonderheiten stets berücksichtigen. Das gilt bei der Auslegung jeder Vorschrift der Prozessordnung und daher auch bei der Interpretation und Anwendung von Instrumenten der Verfahrenskoordination.139 Daraus ergibt sich, dass man sich bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften zur Rechtshängigkeitssperre auch an den materiell-rechtlichen Verbindungen zwischen den Klagen orientieren muss. 137 Baur Studi in onore di Tito Carnacini (1984), 27 (29); MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) Einleitung Rdnr. 7; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 1 Rdnr. 7; Stein/Jonas/Brehm ZPO Band 1 (2003) vor § 1 Rdnr. 9. 138 Hk-ZPO/Saenger (2006) Einführung Rdnr. 16; Spellenberg ZZP 106 (1993), 283 (284); dazu auch W. Lüke Die Beteiligung Dritter (1993) S. 238 ff.; Walker ZZP 111 (1998), 429. 139 Dohm Die Einrede der ausländischen Rechtshängigkeit (1996) S. 79 f.; Herrmann Die Grundstruktur der Rechtshängigkeit (1988) S. 56; Hk-ZPO/Saenger (2006) Einführung Rdnr. 16; Stein/Jonas/Brehm ZPO Band 1 (2003) vor § 1 Rdnr. 92 f. mit Hinweis auf die Grenzen dieser materiellrechtsfreundlichen Auslegung des Prozessrechts.

IV. Berührte Verfahrensgrundrechte und Prozessmaximen

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IV. Berührte Verfahrensgrundrechte und Prozessmaximen 1. Der Justizgewährungsanspruch Der Justizgewährungsanspruch des rechtsschutzsuchenden Bürgers verpflichtet den Staat bei zivilrechtlichen Streitigkeiten, einen wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewähren.140 Er ist nirgends ausdrücklich verbürgt, sondern wird nach herrschender Meinung aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes hergeleitet.141 Außerdem ist er in Art. 6 EMRK verankert.142 Diese Vorschrift stellt im deutschen Recht einfaches Bundesrecht dar; ihm kommt folglich kein Verfassungsrang zu.143 Sie erhält aber im europäischen Zivilprozessrecht eminente Bedeutung, weil sie wegen ihrer übernationalen Geltung in Europa eine gemeinsame Basis der Verfahrensprinzipien bilden und damit Einfluss auf die Auslegung des europäischen Zivilprozessrechts nehmen kann.144 Der EuGH berücksichtigte in der Vergangenheit ausdrücklich Art. 6 EMRK, um die richtige Anwendung des EuGVÜ zu bestimmen.145 Außerdem beeinflusst die Auslegung und Anwendung von Art. 6 EMRK auch die deutsche Entwicklung bei den Verfahrensgrundrechten.146 Ähnlich formuliert und in der Sache an Art. 6 EMRK anknüpfend ist der Anspruch auf Justizgewährung jetzt auch in Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert.147 Der Justizgewährungsanspruch enthält zwei Komponenten: Er gibt ein subjektives Recht auf Zugang zu den Gerichten und auf wirksamen Rechtsschutz durch die Gerichte.148 Ein wirksamer (effektiver) Rechtsschutz muss zu einer 140

BVerfG v. 11.6.1980 BVerfGE 54, 277 (291). BVerfG v. 11.6.1980 BVerfGE 54, 277 (291) und BVerfG v. 30.4.2003 NJW 2003, 1924 (in Verbindung mit den Grundrechten, insbesondere Art. 2 GG); Stein/ Jonas/Leipold ZPO Band 3 (2005) vor § 128 Rdnr. 124; Stürner Die Aufklärungspflicht der Parteien (1976) S. 39. 142 Stein/Jonas/Brehm ZPO Band 1 (2003) vor § 1 Rdnr. 286. 143 BVerfG v. 14.10.2004 NJW 2004, 3407 (3408); Schultes Beteiligung Dritter am Zivilprozess (1994) S. 18; Stürner Aufklärungspflicht der Parteien (1976) S. 33 dort Fn. 17. 144 Wolf FS Söllner (2000), 1279; Hess FS Jayme Band 1 (2004), 339 (353 ff.) mit Beispielen für den Einfluss. 145 Beispiel EuGH v. 28.3.2000 (Krombach/Bamberski) IPRax 2000, 406 (= Slg. 2000-I, 1935 = NJW 2000, 1853). 146 H. Koch JuS 2003, 105 (109). 147 Schilling IPRax 2004, 294 (296 f.); keine inhaltlichen Unterschiede zwischen Art. 47 Grundrechte-Charta und Art. 6 EMRK erkennt auch Hess FS Jayme Band 1 (2004), 339 (358). – Bereits vor der Grundrechte-Charta hat der EuGH für das Gemeinschaftsrecht den allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundsatz des Gebots effektiven Rechtsschutzes aufgestellt, vgl. EuGH v. 25.7.2002 (Unión de pequenos agricultores) JZ 2002, 938 f. dort Rdnr. 39. 141

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A. Einführung

Entscheidung innerhalb angemessener Zeit führen. Das ist in Art. 6 Abs. 1 EMRK ausdrücklich postuliert und gilt auch für den nationalen Justizgewährungsanspruch.149 Daher verpflichtet der Justizgewährungsanspruch den Staat, Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung bereitzustellen.150 Aus dieser Pflicht resultiert der Grundsatz der Prozessbeschleunigung,151 der zu den Prozessmaximen gehört und sich durch den gesamten von der ZPO geregelten Prozessablauf zieht.152 Er ist insbesondere in Vorschriften zur Fristsetzung und zur Präklusion verankert, aufgrund deren die Parteien zu Prozesshandlungen innerhalb eines begrenzten Zeitraums angehalten und mit verspätetem Vorbringen vom Gericht nicht mehr gehört werden.153 Von wirksamem Rechtsschutz kann außerdem nur gesprochen werden, wenn die gerichtliche Entscheidung verbindlich und beständig ist und auf diese Weise für Rechtssicherheit sorgt.154 Daraus folgt die Pflicht, für formelle und materielle Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung zu sorgen. Bei der Ausgestaltung der Rechtskraft sowohl in objektiver wie in subjektiver Hinsicht bleibt dem Gesetzgeber ein Spielraum.155 Konkrete Vorgaben lassen sich dem Justizgewährungsanspruch nicht entnehmen. Wie wir am Gebot der materiellen Rechtskraft sehen, erfordert der Justizgewährungsanspruch in gewisser Hinsicht sogar die Koordination von Verfahren. Auf der anderen Seite verlangt der Justizgewährungsanspruch, dem rechtsschutzsuchenden Bürger Zugang zu einem gerichtlichen Verfahren zu verschaffen.156 Dieses Recht gilt allerdings nicht absolut; es kann beschränkt werden.157 148 Detterbeck AcP 192 (1992), 325 (327); Papier Handbuch des Staatsrechts Band VI (2001) § 153 Rdnr. 11. 149 MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) Einleitung Rdnr. 146; Stein/Jonas/Brehm ZPO Band 1 (2003) vor § 1 Rdnr. 288, 290; Hk-ZPO/Saenger (2006) Einführung Rdnr. 59; Thomas/Putzo/Reichold ZPO (2005) Einl I Rdnr. 28. 150 Papier in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.) Handbuch des Staatsrechts Band VI (2001) § 153 Rdnr. 19. 151 Hk-ZPO/Saenger (2006) Einführung Rdnr. 59; Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 3 (2005) vor § 128 Rdnr. 193. 152 MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) Einleitung Rdnr. 212. 153 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 81 Rdnr. 5 ff.; Zeiss/Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 206 ff. 154 BVerfG v. 30.4.2003 NJW 2003, 1924. 155 Papier in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.) Handbuch des Staatsrechts Band VI (2001) § 153 Rdnr. 18; für Art. 6 EMRK Wolf FS Söllner (2000), 1279 (1294 f.); Meyer-Ladewig Hk-EMRK (2003) Art. 6 Rdnr. 25. 156 Für das deutsche Recht BVerfG v. 30.4.2003 NJW 2003, 1924; Papier in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.) Handbuch des Staatsrechts Band VI (2001) § 153 Rdnr. 11; für Art. 6 EMRK Meyer-Ladewig Hk-EMRK (2003) Art. 6 Rdnr. 18; Peukert RabelsZ 63 (1999), 601 (608). 157 EGMR v. 27.8.1991 (Philis/Griechenland) EuGRZ 1991, 355 (356 dort Rdnr. 59).

IV. Berührte Verfahrensgrundrechte und Prozessmaximen

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Bei der Einschränkung ist darauf zu achten, dass die einschränkende Rechtsnorm das Justizgewährungsrecht nicht in seinem Wesensgehalt antastet.158 Außerdem muss die Einschränkung einem berechtigten Ziel dienen und darf nicht unverhältnismäßig sein.159 Nicht nur die einschränkende Vorschrift muss diesen Anforderungen genügen; auch bei der Anwendung der betreffenden Vorschrift im Einzelfall überprüft der EGMR, ob die Anwendung offensichtlich fehlerhaft oder willkürlich war.160 Dem Bürger muss folglich nicht vor jedem Gericht seiner Wahl Rechtsschutz gewährt werden, sondern er muss sich an die Zuständigkeitsverteilung halten, sofern die Vorschriften zur Zuständigkeit den aufgezählten Anforderungen genügen.161 Erhebt der Bürger vor einem zuständigen Gericht Klage und wird die Entscheidung mit Blick auf ein bereits laufendes anderes Verfahren verzögert (wie bei der Aussetzung) oder gar verweigert (wie bei der Rechtshängigkeitssperre oder bei fehlendem Rechtsschutzbedürfnis), dann wird sein Justizgewährungsanspruch dadurch eingeschränkt.162 Verfahrenskoordination ist also nicht nur eine notwendige Folge des Justizgewährungsanspruchs (wie am Beispiel der Rechtskraft aufgezeigt), sondern kann ihn auch beschneiden. Einschränkende Zulässigkeitsvoraussetzungen und Verfahrensmaßnahmen sind prinzipiell möglich, wenn sie sachlich begründet163 und verhältnismäßig sind und einem berechtigten Ziel dienen.164 Die Verwirklichung von mehr Wirtschaftlichkeit bei der Prozessführung165 wird als legitimierendes Ziel angesehen.166 Maßnahmen der Verfahrenskoordination verfolgen allesamt diesen Zweck der Prozessökonomie, wie bereits ausgeführt wurde [vgl. oben A.II.4.]. Ob sie im Einzelnen mit dem Justizgewährungsanspruch in Einklang zu bringen sind oder ihn verletzen, bleibt eine Frage der Ausgestaltung der Maßnahme. Es gilt die Grenze der Verhältnismäßigkeit; dem Gesetzgeber wird ein weiter Gestaltungsspielraum einge-

158 EGMR v. 27.8.1991 (Philis/Griechenland) EuGRZ 1991, 355 (356 dort Rdnr. 59); Meyer-Ladewig Hk-EMRK (2003) Art. 6 Rdnr. 21. 159 EGMR v. 18.2.1999 (Waite und Kennedy/Deutschland) dort Rdnr. 59; EGMR v. 12.7.2001 (Prinz von Liechtenstein/Deutschland) dort Rdnr. 44. 160 EGMR v. 12.7.2001 (Prinz von Liechtenstein/Deutschland) dort Rdnr. 60 ff. 161 Frowein/Peukert EMRK (1985) Art. 6 Rdnr. 42. 162 Dohm Die Einrede der ausländischen Rechtshängigkeit (1996) S. 26; Geimer NJW 1984, 527 (528 f.); Lenenbach EWS 1995, 361 (364); Otte Umfassende Streitentscheidung S. 9. 163 Papier in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.) Handbuch des Staatsrechts Band VI (2001) § 153 Rdnr. 15. 164 EGMR v. 18.2.1999 (Waite und Kennedy/Deutschland) dort Rdnr. 59; EGMR v. 12.7.2001 (Prinz von Liechtenstein/Deutschland) dort Rdnr. 44. 165 Zur Prozessökonomie im Zivilprozess Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 1 (20. Auflage 1984) Einleitung Rdnr. 81. 166 Oepen ZIP 2000, 526 (533) stützt sich auf EGMR v. 8.7.1986 (Lithgow/Vereinigtes Königreich).

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A. Einführung

räumt.167 Für eine Bestimmung des Anwendungsbereichs von Maßnahmen der Verfahrenskoordination wie der hier im Zentrum der Untersuchung stehenden Rechtshängigkeitssperre gibt der Justizgewährungsanspruch also nur äußere Grenzen vor. Bei der Anwendung müssen stets das Interesse des Klägers an einem von ihm gewählten Rechtsschutz, das durch seinen Justizgewährungsanspruch geschützt wird, und das Interesse an Prozessökonomie, das insbesondere ein öffentliches Interesse ist, weil der Staat seine Gerichte möglichst effizient einsetzen will, gegeneinander abgewogen werden. Der Einsatz und Umfang von koordinierenden Verfahrensmaßnahmen ist also letztlich eine Wertungsfrage, bei der rechtspolitische Erwägungen zum Tragen kommen.168 Bei der Abwägung der Interessen muss berücksichtigt werden, dass die Maßnahmen zur Verfahrenskoordination in unterschiedlichem Ausmaß den Justizgewährungsanspruch beeinträchtigen: Während die Aussetzung nur zu einer zeitlichen Verzögerung der Entscheidung führt, bricht die Rechtshängigkeitssperre den vom Kläger angestrengten Prozess vollständig ab, eventuell mit nachteiligen Prozesskostenfolgen. Aber immerhin kann der Kläger unter Umständen nach Beendigung des vorrangigen Parallelverfahrens seine Klage erneut erheben. Die Rechtshängigkeitssperre hindert ihn daran zumindest nicht. Die materielle Rechtskraft dagegen verwehrt es dem Kläger endgültig, eine einmal rechtskräftig entschiedene Frage erneut durch ein von ihm angerufenes Gericht beurteilen zu lassen. Je geringer die Beschneidung des Justizgewährungsanspruchs ausfällt, desto einfacher ist sie zu rechtfertigen. Auf der anderen Seite verwirklichen die genannten Maßnahmen ihr Ziel von mehr Prozessökonomie ebenfalls nicht in gleichem Maß: Am zuverlässigsten wirkt die materielle Rechtskraft. Sie verhindert für die Zukunft jede erneute gerichtliche Beschäftigung mit einer Frage und zwingt daher am stärksten zur konzentrierten Streiterledigung in einem Verfahren. Die Rechtshängigkeitssperre beendet den zweiten Prozess und gibt den Parteien zumindest dann, wenn sie an einer zügigen Klärung der Streitfrage interessiert sind, Anlass zur Rechtsschutzverfolgung im vorrangigen Parallelverfahren. Die Aussetzung unterbricht lediglich den Prozess, der weiterhin seiner Entscheidung harrt. Zu prozessökonomischen Wirkungen kommt es nur, wenn der ausgesetzte Prozess eine bindende Entscheidung des vorrangigen Parallelprozesses übernehmen kann und muss. Ohne Bindung an die Entscheidung des Parallelprozesses muss das Gericht bei Fortgang des ausgesetzten Verfahrens nach üblichen Grundsätzen urteilen; der prozessökonomische Effekt beschränkt sich regelmäßig auf die Hoffnung, dass sich der ausgesetzte Prozess aus anderen Gründen erledigt oder vereinfacht, 167 Papier in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.) Handbuch des Staatsrechts Band VI (2001) § 153 Rdnr. 15. 168 So Jauernig ZPR (2003) § 37 VII 2 (S. 159) für die Bestimmung des Streitgegenstands im deutschen Recht. Der Befund lässt sich meines Erachtens bezüglich aller Koordinationsmaßnahmen verallgemeinern.

IV. Berührte Verfahrensgrundrechte und Prozessmaximen

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etwa weil die Parteien nach dem Ausgang des Parallelprozesses einsichtig geworden sind und auf strittigen Positionen nicht mehr beharren. Je weniger die Maßnahme für die angestrebte Prozesswirtschaftlichkeit bringt, desto eher wird man sie für unverhältnismäßig halten müssen. Dabei fällt auf, dass die stark einschneidenden Maßnahmen in der Regel auch am wirksamsten sind (siehe Rechtskraft) und die schwach wirkenden Maßnahmen den rechtsschutzsuchenden Bürger am wenigsten beeinträchtigen. Folglich muss auf Akzentverschiebungen durch die Umstände des Einzelfalls geachtet werden. 2. Prozessökonomie, Prozessbeschleunigung und Konzentration Das Interesse an Prozessökonomie, um derentwillen der Justizgewährungsanspruch eingeschränkt wird, ist nicht zu verwechseln mit dem Gebot der Prozessbeschleunigung, das eine Folge des Justizgewährungsanspruchs ist. Mit der Zielvorstellung der Prozessökonomie soll im Zivilprozess eine möglichst effiziente und daher kostensparende Nutzung seiner Rechtsprechungsorgane verwirklicht werden. Das ist bei der Ausgestaltung des Prozesses und der Anwendung der ZPO-Vorschriften zu beachten.169 Doppelte Prüfung von Tatsachen- und Rechtsfragen ist soweit wie möglich zu vermeiden. Das deckt sich mit dem Interesse der Streitbeteiligten, möglichst nur einmal umstrittene Rechtspositionen verteidigen zu müssen. Eine so verstandene Prozessökonomie lässt sich sicherlich auch durch beschleunigte Erledigung des Prozesses erreichen.170 Die Herkunft der Beschleunigungs- und Konzentrationsmaxime aus dem Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz macht aber deutlich, dass sie nicht in erster Linie übergeordnete Wirtschaftlichkeitsinteressen fördern soll, sondern vorrangig das Interesse der beteiligten Parteien an einer schnellen Entscheidung. Eine schnelle Entscheidung kann durch wirtschaftliche Koordinationsmaßnahmen gerade behindert werden. Wenn ein ausgesetzter Prozess auf den Ausgang eines anderen Verfahrens warten muss oder ein Prozess durch Verbindung oder andere Maßnahmen mit weiterem Streitstoff angereichert wird, dann verzögert sich in der Regel die Entscheidung. Das Interesse an Prozessökonomie und das Gebot der Beschleunigung können folglich durchaus miteinander kollidieren und sind dann in Ausgleich zu bringen. Wenn die Prozessökonomie daher nicht dem Beschleunigungsgebot entspringt und auch keine Prozessmaxime bzw. kein Verfahrensgrundsatz ist, so muss sie dennoch als Leitbild bei der Anwendung von verfahrensrechtlichen Instrumenten berücksichtigt werden.171 169 Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 1 (20. Auflage 1984) Einleitung Rdnr. 81; ein Beispiel für die Beachtung prozessökonomischer Aspekte bei der Ausgestaltung des Zivilverfahrens bei BGH v. 7.7.1994 NJW 1994, 3107. 170 Fasching ZPR (1990) Rdnr. 708 hält deshalb die Verfahrensbeschleunigung nur für einen Teil der allgemeinen Forderung nach Prozessökonomie. 171 Fasching ZPR (1990) Rdnr. 708; Musielak Grundkurs ZPO (2004) Rdnr. 205.

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A. Einführung

Der Grundsatz der Prozessbeschleunigung wird bisweilen auch Konzentrationsmaxime genannt,172 oder aber Beschleunigung und Konzentration werden in einem Atemzug als Wesensmerkmale derselben Prozessmaxime bezeichnet.173 Prozessmaximen können zur Auslegung der Verfahrensvorschriften herangezogen werden.174 Man könnte daher die Beschleunigungs- bzw. Konzentrationsmaxime auch zur Auslegung der Rechtshängigkeitsvorschriften heranziehen. Die Maßnahmen der Koordination mehrerer Verfahren haben per se eine Verfahrenskonzentration zur Folge. Bei der Verbindung zweier Prozesse gem. § 147 ZPO ist das unmittelbar einleuchtend; aber auch die Rechtshängigkeitssperre oder die materielle Rechtskraft halten die Streitbeteiligten dazu an, ihren Rechtsschutz in einem einzigen Verfahren zu suchen.175 Je weiter man den Anwendungsbereich der betreffenden Vorschriften definiert, desto größer ist der Konzentrationseffekt. Streitet nun die Konzentrations- bzw. Beschleunigungsmaxime für einen möglichst weiten Anwendungsbereich der Koordinationsmaßnahmen? Die Frage ist zu verneinen; der Grund liegt wiederum im Ursprung und im Zweck der Beschleunigungsmaxime. Sie ist ein Ausfluss des Rechts auf wirksamen Rechtsschutz.176 Mit Konzentrationsmaxime ist hauptsächlich die konzentrierte Verhandlung eines Prozesses in einem oder möglichst wenigen Terminen gemeint.177 Konzentration mehrerer Streitigkeiten in einem Verfahren kann diesem Anliegen sogar entgegenwirken, weil sie – wie bereits erläutert – das Verfahrensprogramm verkompliziert. Ein Gebot zur verfahrensübergreifenden Konzentration ist folglich dem Justizgewährungsanspruch oder der Beschleunigungsmaxime nicht zu entnehmen; im Gegenteil streiten sie für eine rasche Sachentscheidung jeder Klage. V. Rechtshängigkeit bei grenzüberschreitenden Prozessen Diese Untersuchung beschränkt sich nicht auf das nationale deutsche Recht,178 sondern will auch den Versuch unternehmen, die Reichweite der Rechtshängigkeitssperre im grenzüberschreitenden europäischen Zivilprozess in172

MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) Einleitung Rdnr. 211. Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 81. 174 Fasching ZPR (1990) Rdnr. 636; MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) Einleitung Rdnr. 166; skeptisch und letztlich ablehnend gegenüber der Einordnung als Prozessmaxime Leipold FS Fasching (1988), 329 (332), der die Beschleunigung als Zielvorgabe begreift; anders in Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 3 (2005) vor § 128 Rdnr. 4 dort Fn. 3. 175 Leipold Wege zur Konzentration von Zivilprozessen (1999) S. 8, 19, 29. 176 Papier in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.) Handbuch des Staatsrechts Band VI (2001) § 153 Rdnr. 19; Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 3 (2005) vor § 128 Rdnr. 193; HkZPO/Saenger (2006) Einführung Rdnr. 59. 177 Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 3 (2005) vor § 128 Rdnr. 194; Jauernig ZPR (2003) § 28 II (S. 108 f.). 173

V. Rechtshängigkeit bei grenzüberschreitenden Prozessen

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nerhalb des Geltungsbereichs von EuGVO und EuGVÜ zu bestimmen. Die Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit ist auch in Europa keine Selbstverständlichkeit mit langer Tradition. In jüngerer Vergangenheit gab es nationale Vorschriften, laut derer sich die Gerichte um ein paralleles ausländisches Verfahren nicht zu kümmern hatten.179 Im 8. Abschnitt des EuGVÜ und im 9. Abschnitt der EuGVO ist die staatenübergreifende Rechtshängigkeitssperre vorgesehen. Beide Regelungswerke wollen die zwischenstaatliche Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen erleichtern und beschleunigen.180 Die Anerkennung erfolgt gem. Art. 33 EuGVO bzw. Art. 26 EuGVÜ grundsätzlich ohne besonderes Verfahren („ipso jure“) und umfasst vor allem die materielle Rechtskraft der Entscheidung.181 Sobald eine Entscheidung ergeht, sind folglich die Gerichte anderer Mitgliedstaaten daran gebunden. Um einen Wettlauf in parallelen Verfahren um die erste rechtskräftige Entscheidung zu unterbinden und einander widersprechende Urteile zu verhindern, lag es also auch hier nahe, eine Rechtshängigkeitssperre zu installieren.182 Der Rücksichtnahme auf ausländische Verfahren und der Anerkennung ihrer Entscheidungen liegt das prinzipielle Vertrauen in die Arbeit ausländischer Gerichte und die Rechtsstaatlichkeit ihrer Verfahren zugrunde.183 Im Einzelfall mögen erhebliche Qualitätsunterschiede – gerade in der üblichen Verfahrensdauer – zu beobachten sein;184 dennoch bildet diese Wertung die Basis, auf der das EuGVÜ und die EuGVO185 aufbauen. Sie wird auch in dieser Untersuchung nicht in Frage gestellt, mögen sich auch in jüngster Zeit die zweifelnden Stimmen an der „Überzeugungskraft dieser Arbeitshypothese“ mehren.186 178 Die Besonderheiten bei grenzüberschreitenden Prozessen außerhalb von EuGVO und EuGVÜ, die sich nach deutschem autonomem internationalen Prozessrecht richten, bleiben ausgeklammert. 179 Vgl. Walter FS Schumann (2001), 559 f. zu einer früheren italienischen Norm. 180 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 2 der EuGVO und die Präambel des EuGVÜ; zu diesem Ziel auch Geimer/Schütze/Pörnbacher Internationaler Rechtsverkehr (2005) B Vor I 10 b Einleitung Rdnr. 9. 181 Geimer/Schütze/Tschauner Internationaler Rechtsverkehr (2005) B Vor I 10 b Art. 33 Rdnr. 1, 8; Kropholler EuZPR (2005) vor Art. 33 Rdnr. 2, 11; Schlosser EUZPR (2003) Art. 33 EuGVVO Rdnr. 3. 182 Schack IZVR (2002) Rdnr. 747. 183 EuGH v. 9.12.2003 (Gasser/MISAT) IPRax 2004, 243 (= Slg. 2003 I, 14693) dort Rdnr. 72 und EuGH v. 27.4.2004 (Turner/Grovit) IPRax 2004, 425 (426) (= Slg. 2004 I, 3565 = EuZW 2004, 468) dort Rdnr. 24. – Ähnlich BGH v. 6.2.2002 NJW 2002, 2795 (2796) und OLG München v. 2.6.1998 RIW 1998, 631. 184 Prütting GS Lüderitz (2000), 623 (630), der auf erhebliche tatsächliche Defizite bei der Gewährung des Justizanspruchs hinweist (am Beispiel von Italien); zur wiederholten Befassung des EGMR und des Ministerkomitees des Europarats mit der überlangen Dauer italienischer Gerichtsverfahren vgl. Schilling IPRax 2004, 294 m.w. N. 185 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 16 der EuGVO. 186 Hau ZZPInt 9 (2004), 191 (195); mit deutlicher Kritik Hartley ICLQ 54 (2005), 813 (820, 823).

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A. Einführung

Problematisch wird die Rechtshängigkeitssperre, wenn ein Kläger durch die Wahl seines Gerichts die bestehenden Qualitätsunterschiede ausnutzt und absichtlich ein voraussichtlich sehr lang laufendes Verfahren in Gang setzt. Nicht selten wird ein Verfahren in einem Staat mit notorisch langsam arbeitender Justiz nur deshalb in Gang gesetzt, um drohenden effektiveren Rechtsschutz der Gegenseite zu verhindern. Diese Vorgehensweise wurde als „italienischer (oder belgischer) Torpedo“ bekannt.187 Der Kläger dieses „Torpedo“-Verfahrens ist regelmäßig derjenige, der angeblich oder wahrscheinlich ein bestimmtes Verhalten oder einen bestimmten Betrag schuldet. Sein „Torpedo“ kommt daher meist im Gewand einer negativen Feststellungsklage daher, mit der er festgestellt haben möchte, dass er eben nicht schuldet. Der Justizgewährungsanspruch desjenigen, der anschließend eine zweite Klage erhoben hat, welche dann an der Rechtshängigkeitssperre scheitert, wird dadurch massiv eingeschränkt. Die Rechtshängigkeitssperre hat folglich gerade im internationalen Rahmen ein gewisses Missbrauchspotential. Unter welchen Bedingungen man von einem Missbrauch sprechen muss und welche Gegenmaßnahmen getroffen werden können, ist bereits Gegenstand einer recht umfangreichen Diskussion, an der sich auch die Rechtsprechung beteiligt. Der von einer breiten Strömung getragene Vorschlag geht dahin, die Rechtshängigkeitssperre entfallen zu lassen, sobald das ausländische Erstverfahren eine angemessene Dauer überschritten hat. Der Justizgewährungsanspruch gem. Art. 6 EMRK gebiete dann, das an sich blockierte Zweitverfahren fortzusetzen.188 Das OLG München hielt eine über fünfjährige Verfahrensdauer vor einem italienischen Gericht in erster Instanz für noch nicht ausreichend, um die Aufhebung der Rechtshängigkeitssperre begründen zu können.189 Der Grundsatz der Gleichwertigkeit des Rechtsschutzes in den Mitgliedstaaten stehe einem allzu laxen Umgang mit der Rechtshängigkeitssperre entgegen; nur in krassen Ausnahmefällen dürfe diese entfallen.190 An diesen Gedanken anknüpfend erhebt die Gegenmeinung prinzipielle Bedenken gegen eine zeitliche Begrenzung 187 Dazu Hartley ICLQ 54 (2005), 813 (815 ff.) mit einer kurzen Schilderung der Entstehung des Begriffs und seines Hintergrunds; Pitz GRURInt 2001, 32; Simons EuLF 2003, 289; Treichel GRURInt 2001, 175. 188 Geimer NJW 1984, 527 (529 f.); Geimer/Schütze EuZVR (2004) A.1 Art. 27 Rdnr. 58; Grothe IPRax 2004, 205 (211 f.); Schlosser EU-ZPR (2003) Art. 27 EuGVVO Rdnr. 11; Treichel GRURInt 2001, 175 (178); vgl. dazu auch die Untersuchung von Nieroba Die europäische Rechtshängigkeit (2006) S. 116 ff. mit dem Vorschlag, die Rechtshängigkeitssperre entfallen zu lassen, wenn im Erstverfahren eine Verfahrensstagnation von sieben Monaten ohne einen Verfahrensfortschritt eingetreten ist (a. a. O. S. 139 f.). 189 OLG München v. 2.6.1996 RIW 1998, 631; ähnlich bereits das OLG Frankfurt a. M. v. 15.6.1989 IPRspr 1989 Nr. 210b, das eine über vierjährige Verfahrensdauer in Italien für nicht ausreichend hielt. 190 OLG München v. 2.6.1996 RIW 1998, 631 f.; zustimmend Taschner EWS 2004, 494 (499); kritisch Grothe IPRax 2004, 205 (211 dort in Fn. 52).

V. Rechtshängigkeit bei grenzüberschreitenden Prozessen

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der Rechtshängigkeitssperre und verlangt, dass die Betroffenen alle verfügbaren Mittel (bis hin zum Gang vor den EGMR) ausschöpfen, um im Erstverfahren wirksamen Rechtsschutz zu erhalten.191 Die vermittelnde Position will eine Ausnahme von der Rechtshängigkeitssperre nur in seltenen Ausnahmefällen zulassen, wobei greifbare Kriterien für einen Ausnahmefall nicht angegeben werden.192 Vom EuGH abgelehnt wurde der Versuch, die Rechtshängigkeitssperre bereits dann nicht anzuwenden, wenn das Erstverfahren voraussichtlich sehr lange dauern wird. Die voraussichtliche Verfahrensdauer könnte nur anhand von länderspezifischen Statistiken und Erfahrungen bewertet werden. Derart pauschale Betrachtungen stehen im Widerspruch zu der Grundannahme von EuGVO und EuGVÜ, dass der Rechtsschutz in den Mitgliedstaaten gleichwertig ist. Außerdem entstünden durch doppelte Verfahrensführung Rechtsunsicherheit und doppelte Belastung für die Parteien. Zur Wahrung einer verlässlichen Zuständigkeitsordnung ist es vom EuGH nicht zugelassen worden, Art. 27 EuGVO bzw. Art. 21 EuGVÜ nur deshalb nicht anzuwenden, weil das Erstverfahren „im Allgemeinen“ unvertretbar lange dauern wird.193 Eine Ausnahme von der Rechtshängigkeitssperre ist nur in Betracht zu ziehen, wenn das Erstverfahren bereits eine übermäßig lange Zeit läuft. Diskutiert wird auch eine Ausnahme von der Rechtshängigkeitssperre, wenn die erste Klage entgegen einer ausschließlichen Zuständigkeit des vom zweiten Kläger angerufenen Gerichts erhoben wird. Allein die Erhebung einer Klage entgegen einer Gerichtsstandsvereinbarung gem. Art. 17 EuGVÜ/Art. 23 EuGVO sei noch nicht per se rechtsmissbräuchlich und gestatte daher dem später angerufenen Gericht, das sich selbst für zuständig hält, keine Ausnahme von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVO.194 Es obliege dem zuerst angerufenen Gericht selbst, über seine Zuständigkeit zu befinden.195 191

Kropholler EuZPR (2005) Art. 27 Rdnr. 21; Taschner EWS 2004, 494 (499). BGH v. 6.2.2002 NJW 2002, 2795 (2796); Hess FS Jayme Band 1 (2004), 339 (357); MünchKommZPO/Gottwald Band 3 (2001) Art. 21 EuGVÜ Rdnr. 16; Rauscher/Leible EuZPR (2004) Art. 27 Brüssel I-VO Rdnr. 18; schwankend Dohm Die Einrede der ausländischen Rechtshängigkeit (1996) S. 179 ff.; sehr skeptisch IsenburgEpple Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit (1992) S. 99 f., die eine textliche Ergänzung der Vorschriften vorzieht. – Ähnlich auch das OLG Frankfurt a. M. v. 15.6.1989 IPRspr 1989 Nr. 210b, das neben der Verfahrensdauer als weiteres Kriterium die wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens benennt. 193 EuGH v. 9.12.2003 (Gasser/MISAT) IPRax 2004, 243 dort Rdnr. 70 ff. 194 Für Ausnahmen unter solchen Umständen war man vor allem in England, vgl. Dicey & Morris The Conflict of Laws Band 1 (2000) Rdnr. 12-043; vgl. auch die Stellungnahme der Regierung des Vereinigten Königreichs in Gasser/MISAT, dargestellt bei EuGH v. 9.12.2003 (Gasser/MISAT) IPRax 2004, 243 (dort Rdnr. 29 ff.); eine Ausnahme für ausschließliche Zuständigkeit gem. Art. 16 EuGVÜ/Art. 22 EuGVO erwägt auch der EuGH v. 27.6.1991 (Overseas Union Insurance/New Hampshire Insurance) NJW 1992, 3221 dort Rdnr. 26. 192

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A. Einführung

Bei den vorgeschlagenen Ausnahmen geht es stets um eine übergesetzliche Abhilfemöglichkeit in Sondersituationen. Unter welchen Voraussetzungen eine Ausnahme gerechtfertigt ist, soll in dieser Arbeit nicht weiter untersucht werden. Das ist Gegenstand der speziellen Diskussion, deren Aufgabe die Suche nach tauglichen Kriterien für Ausnahmen ist. Eventuell wird das Ergebnis der Diskussion in eine Änderung der Artt. 27, 28 EuGVO münden. Es erscheint aber sachgerecht, einer möglichen rechtsmissbräuchlichen Berufung auf die Rechtshängigkeitssperre mit einer Ausnahme von Art. 27 EuGVO zu begegnen. Man sollte dagegen nicht den Anwendungsbereich der Rechtshängigkeitssperre generell möglichst eng bilden, um dem Missbrauchspotential entgegenzuwirken. In der folgenden Untersuchung zur Anwendung der Rechtshängigkeitssperre hat die Möglichkeit des Rechtsmissbrauchs daher nur marginale Bedeutung.196

195 EuGH v. 9.12.2003 (Gasser/MISAT) IPRax 2004, 243 dort Rdnr. 48 f., 54. – Ob das auch für ausschließliche Zuständigkeit gem. Art. 16 EuGVÜ/Art. 22 EuGVO gelten soll, ist nicht eindeutig geklärt; der EuGH formuliert seine Antwort nur in Bezug auf Art. 17 EuGVÜ. Für eine Ausnahme von der Aussetzungspflicht wegen ausschließlicher Zuständigkeit des zweiten Gerichts gem. Art. 16 EuGVÜ/Art. 22 EuGVO Taschner EWS 2004, 494 (496). 196 Gesteigertes Missbrauchspotential geht von der negativen Feststellungsklage aus; vgl. dazu unten C.II.3.b)(2).

B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO I. Die relevanten Vorschriften Die Rechtshängigkeit ist in der deutschen Zivilprozessordnung in § 261 ZPO geregelt. Die Absätze 1 und 2 dieser Vorschrift bestimmen den Zeitpunkt, ab dem eine „Streitsache“ rechtshängig wird. In Absatz 3 Nr. 1 folgt das Verbot, die Streitsache nach Eintritt der Rechtshängigkeit anderweitig anhängig zu machen. Daneben enthält auch § 640c Abs. 2 ZPO für den Bereich der Kindschaftsverfahren ein Verbot, „entsprechende Klagen“ anderweitig anhängig zu machen. Im Folgenden befasst sich diese Untersuchung in erster Linie mit der bedeutenderen Vorschrift des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit: Der Streitgegenstand 1. Systematik des Begriffs Gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO darf keine Partei die „Streitsache“ anderweitig rechtshängig machen. Nach allgemeiner Ansicht ist unter „Streitsache“ in diesem Zusammenhang der Streitgegenstand gemeint.1 Die Individualisierung des Verfahrens in objektiver Hinsicht erfolgt also mit Hilfe des Begriffs „Streitgegenstand“. Daneben dient dieser Begriff auch der Grenzziehung bei der Rechtskraft von Urteilen und wird bei der Beurteilung der Frage, ob Klagehäufung oder Klageänderung vorliegen, herangezogen.2 In der ZPO findet sich keine Bestimmung des Begriffs; der Gesetzeswortlaut variiert an vielen Stellen.3 In einigen relevanten Vorschriften ist der Begriff „Anspruch“ zu lesen, so zum Beispiel bei der Klagehäufung gem. § 260 ZPO und vor allem bei der Rechtskraft gem. § 322 ZPO, demgemäß Urteile nur insoweit der Rechtskraft fähig sind, als über den durch die Klage erhobenen Anspruch entschieden ist. Der historische Gesetzgeber meinte damit den materiell-rechtlichen Anspruch, der eingeklagt

1 BGH v. 10.10.1985 NJW 1986, 2195; MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) § 261 Rdnr. 57; Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 3 (1997) § 261 Rdnr. 56; Zöller/ Greger ZPO (2005) § 261 Rdnr. 9. 2 Hk-ZPO/Saenger (2006) Einführung Rdnr. 93; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 92 Rdnr. 3 ff.; Thomas/Putzo/Reichold ZPO (2005) Einl II Rdnr. 2. 3 Hk-ZPO/Saenger (2006) Einführung Rdnr. 94.

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

wurde.4 Dieses Konzept wurde bald als unzulänglich angesehen5 und es entwickelte sich ein eigenständiger prozessualer Anspruchsbegriff, als Streitgegenstand bezeichnet,6 der maßgeblich an den Antrag des Klägers anknüpft. Dennoch hat sich bezeichnenderweise bei der Wahl des deutschen Wortlauts für EuGVÜ und EuGVO wieder die alte, überkommene Terminologie vom „Anspruch“ durchgesetzt, mit der auch der EuGH Probleme hatte, so dass er die französische Fassung bevorzugte, die von „objet“ und „cause“ (also Gegenstand und Grundlage) des Verfahrens spricht und die der EuGH für aussagekräftiger hielt.7 Auch das deutsche Recht kennt das Begriffspaar „Gegenstand und Grundlage“. Es findet Erwähnung in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Danach muss der Kläger in seiner Klageschrift „Gegenstand und Grundlage des erhobenen Anspruchs“ benennen. Da nun aber der „erhobene Anspruch“ als Streitgegenstand verstanden wird und – wie noch auszuführen sein wird – maßgeblich durch den Antrag des Klägers bestimmt wird (der ebenfalls in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erwähnt ist), herrscht weitgehend Unsicherheit darüber, was unter dem „Gegenstand“ im Sinn von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu verstehen ist. Teilweise wird seine besondere Erwähnung schlicht für überflüssig gehalten.8 Da das Gesetz unterschiedliche Begriffe (in § 253 ZPO „Gegenstand“ und davon losgelöst „Anspruch“ und „Antrag“, in § 261 ZPO „Streitsache“, in § 322 ZPO nur „Anspruch“) verwendet, ist ein einheitliches Verständnis des Streitgegenstands nicht zwingend.9 Der Wortlaut der deutschen ZPO lässt also eine unterschiedliche Konzeption der Reichweite des laufenden Verfahrens (also der Rechtshängigkeit) und der Reichweite des Verfahrensergebnisses (also der Rechtskraft des Urteils) zu. Dennoch will eine starke Strömung in der Literatur den Streitgegenstand für all diese Anwendungsbereiche gleich bestimmen.10 Die

4 Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 1 (20. Auflage 1984) Einleitung Rdnr. 264 f.; Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974) S. 28; Musielak Grundkurs ZPO (2004) Rdnr. 140. 5 Zur Kritik Wieczorek/Schütze/Prütting ZPO Band I (1994) Einleitung Rdnr. 61; Musielak Grundkurs ZPO (2004) Rdnr. 140. 6 BGH v. 19.11.2003 NJW 2004, 1252 (1253); Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974) S. 501; Hk-ZPO/Saenger (2006) § 322 Rdnr. 22; MünchKommZPO/ Gottwald Band 1 (2000) § 322 Rdnr. 104. 7 EuGH v. 8.12.1987 (Gubisch/Palumbo) NJW 1989, 665 dort Rdnr. 14, 15. 8 Hk-ZPO/Saenger (2006) § 253 Rdnr. 12: Unter Klagegegenstand sei der Inhalt des begehrten Anspruchs zu verstehen. Dieser ergebe sich aus dem Antrag, weshalb das Merkmal Klagegegenstand keine eigenständige Bedeutung habe. – Schellhammer Zivilprozess (2004) Rdnr. 26: Da Klageantrag und Klagegrund den Gegenstand des erhobenen Anspruchs bestimmen, ist seine besondere Bezeichnung überflüssig. 9 K. Blomeyer ZZP 65 (1952), 52 (58). 10 MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) vor § 253 Rdnr. 33; Grunsky Grundlagen des Verfahrensrecht (1974) S. 35; Habscheid FS Schwab (1990), 181 (188); MünchKommZPO/Gottwald Band 1 (2000) § 322 Rdnr. 106; skeptisch dagegen Rosenberg/

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

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Gegenmeinung zieht diese Einheitlichkeit in Zweifel und plädiert für eine unterschiedliche, situationsbezogene Bestimmung des Streitgegenstands. Insbesondere ein unterschiedliches Verständnis bei Rechtshängigkeit und Rechtskraft (Lehre vom Urteilsgegenstand11) wird befürwortet.12 In jedem Fall ist eine Auseinandersetzung mit dem deutschen Streitgegenstandsbegriff unerlässlich, wenn man die Reichweite der Rechtshängigkeit nach deutschem Recht beschreiben will. 2. Allgemeine Definition Die herrschende Meinung der deutschen Zivilprozessrechtslehre bestimmt den Streitgegenstand durch zwei Merkmale: durch den Antrag und den zugrunde liegenden Sachverhalt (sog. zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff).13 Im Einzelnen gibt es aber Differenzen und Unsicherheiten. a) Der Antrag Mit dem Antrag macht der Kläger deutlich, welche Rechtsfolge er im Prozess beansprucht (daher „prozessualer Anspruch“) und welches Rechtsschutzziel er verfolgt.14 Weichen zwei Klageanträge inhaltlich voneinander ab, so ergeben sich allein daraus zwei Streitgegenstände.15 Da die Formulierung des Antrags davon abhängt, ob der Kläger die Verurteilung zur Leistung, eine Feststellung oder eine Gestaltung begehrt, spielt die gewählte Rechtsschutzform eine bestimmende Rolle.16 Daher haben eine Leistungsklage und eine Feststellungsklage, Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 92 Rdnr. 7; Baumgärtel JuS 1974, 69 (72) mit einer Darstellung der Kritik am Einheitsbegriff. 11 Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 1 (20. Auflage 1984) Einleitung Rdnr. 283 unter a) und Rdnr. 292, 294 für Leistungsklagen; ebenso Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 103 f.; A. Blomeyer ZPR (1985) § 89 III (S. 481); dagegen Hk-ZPO/Saenger (2006) § 322 Rdnr. 24; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 152 Rdnr. 2; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) vor § 322 Rdnr. 39; Zeiss/Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 569. 12 Dafür Wieczorek/Schütze/Prütting ZPO Band I (1994) Einl. Rdnr. 69; neuerdings auch Gottwald Dogmatische Grundfragen (2000), 85 (99); ein Beispiel bei Musielak Grundkurs ZPO (2004) Rdnr. 146; eine Darstellung verschiedener Theorien zu relativen (variablen) Streitgegenstandsbegriffen bei H. Köhler Der Streitgegenstand bei Gestaltungsklagen (1995) S. 16 ff. 13 BGH v. 26.9.2000 NJW 2001, 157 (158) und BGH v. 10.12.2002 NJW 2003, 828 (829), als ständige Rechtsprechung bezeichnet; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 92 Rdnr. 10, 22; Hk-ZPO/Saenger (2006) Einführung Rdnr. 97; Schellhammer Zivilprozess (2004) Rdnr. 129 f.; Thomas/Putzo/Reichold ZPO (2005) Einl II Rdnr. 25; Zeiss/Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 307 f., 311. 14 BGH v. 11.12.1986 NJW-RR 1987, 683 (684). 15 Thomas/Putzo/Reichold ZPO (2005) Einl II Rdnr. 15. 16 Zeiss/Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 312.

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

die denselben materiellen Anspruch betreffen, einen unterschiedlichen Streitgegenstand. Beispiel: G behauptet gegenüber S, dass dieser ihm die Rückzahlung einer als Darlehen gegebenen Geldsumme schulde. S bestreitet das Darlehen und erhebt daher negative Feststellungsklage mit dem Antrag festzustellen, dass er dem Beklagten G keine Rückzahlung schulde. Noch während das Verfahren läuft, klagt G seinerseits vor einem anderen Gericht gegen S auf Verurteilung zur Zahlung.

Die herrschende Meinung sieht in der negativen Feststellungsklage kein Hindernis für die nachfolgende Leistungsklage.17 Die Anträge seien verschieden formuliert, und die Leistungsklage gehe über das Ziel einer bloßen Feststellung des Anspruchs hinaus.18 Einer Gegenmeinung zufolge soll es zumindest dann ein Verbot einer anderweitigen Rechtshängigkeit geben, wenn der Beklagte des Erstverfahrens Leistungswiderklage im selben Prozess erheben kann.19 Diese Lösung, die sich bisher im deutschen Recht nicht durchsetzen konnte, lässt Erwägungen des Rechtsschutzbedürfnisses mit einfließen20 und strebt eine Konzentration der Streitbeilegung im Erstverfahren an. Die Annahme verschiedener Streitgegenstände führt aber nicht etwa dazu, dass beide Klagen ungestört nebeneinander laufen. Um der Gefahr widersprechender Entscheidungen zu entgehen, muss ein Verfahren zurückstehen. Überwiegend wird angenommen, dass bei der zuerst erhobenen Feststellungsklage nach Erhebung der Leistungsklage das Feststellungsinteresse entfällt und sie damit als unzulässig abzuweisen ist.21 Nach anderer Ansicht soll die Leistungs-

17 So schon RG v. 5.4.1909 RGZ 71, 68 (73 f.); Otte Umfassende Streitentscheidung (1998) S. 226 ff. m.w. N.; Walker ZZP 111 (1998), 429 (432 f. und 440 f.); a. A. Bettermann Rechtshängigkeit und Rechtsschutzform (1949) S. 29 ff., 32; Gruber ZZP 117 (2004), 133 (138 ff.); Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974) S. 36 f.; Zeuner FS Lüke (1997), 1003 (1013) für die Rechtshängigkeitssperre. 18 BGH v. 20.1.1989 NJW 1989, 2064; a. A. Gruber ZZP 117 (2004), 133 (138 ff.), der Teilidentität der Streitgegenstände erkennt und mit Blick auf den Zweck der Rechtshängigkeitssperre die nachfolgende Leistungsklage sperren will. 19 A. Blomeyer ZPR (1985) § 49 III 2 (S. 275); zur Möglichkeit und Zulässigkeit der Leistungswiderklage Gruber ZZP 117 (2004), 133 (154 f.). Gegen solche und ähnliche Erwägungen (zum Beispiel Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 3 [21. Auflage 1997] § 256 Rdnr. 126: unzulässig im Einzelfall wegen Rechtsmissbrauchs) für den Bereich des Wettbewerbsrechts BGH v. 7.7.1994 NJW 1994, 3107 (3108). 20 Vgl. Wieser Das Rechtsschutzinteresse (1971) S. 185 ff., der die nachfolgende Leistungsklage nicht wegen anderweitiger Rechtshängigkeit, sondern mangels Rechtsschutzbedürfnisses wegen Unzweckmäßigkeit abweisen will. Kritisch dazu generell Bettermann Rechtshängigkeit und Rechtsschutzform (1949) S. 30 f. 21 RG v. 5.4.1909 RGZ 71, 68 (73); BGH v. 2.3.1999 NJW 1999, 2516 (2517); Thomas/Putzo/Reichold ZPO (2005) § 256 Rdnr. 19; eine Ausnahme wird gemacht, wenn die zuerst erhobene Feststellungsklage entscheidungsreif oder im Wesentlichen entscheidungsreif ist, die Leistungsklage dagegen noch nicht, vgl. BGH v. 21.12.1989 NJW-RR 1990, 1532.

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

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klage bis zur Entscheidung über die Feststellungsklage gem. § 148 ZPO ausgesetzt werden.22 Etwas anderes gilt für den umgekehrten Fall, dass die Feststellungsklage nach einer denselben Anspruch betreffenden Leistungsklage erhoben wird. Hier ist der Streitgegenstand der Feststellungsklage nach h. M. im Streitgegenstand der zuvor rechtshängig gemachten Leistungsklage enthalten.23 Ein Leistungsurteil enthält nach allgemeiner Ansicht neben dem im Urteil ausgesprochenen Leistungsbefehl auch eine Feststellung, dass der eingeklagte Anspruch besteht, auch wenn dies im Tenor nicht ausdrücklich aufgenommen wird.24 Dementsprechend enthalte auch der Antrag auf Erlass eines solchen Urteils implizit den Antrag zur Feststellung. Bereits an dieser Stelle erkennt man die Bereitschaft im deutschen Prozessrecht, nicht am Wortlaut des Antrags zu hängen. Eine ähnliche Relativierung des Antragswortlauts ist zu beobachten, wenn in einer ersten Klage Naturalrestitution, in einer zweien Klage stattdessen Schadensersatz in Geld gefordert wird. Wegen der abweichend formulierten Anträge wird von einigen Stimmen in der Literatur behauptet, es handele sich um einen anderen Streitgegenstand.25 Aus materiell-rechtlicher Sicht kann allerdings nur einer der Ansprüche bestehen, auch wenn der Gläubiger in bestimmten Situationen zwischen ihnen auswählen kann (vgl. § 249 Abs. 2 BGB); im Ergebnis muss (eventuell nach der Wahl des Gläubigers) nur auf eine Weise Schadensersatz geleistet werden: Entweder berechtigt der vom Schuldner zu verantwortende Schadensfall den Geschädigten, Ersatz durch Naturalrestitution zu verlangen, oder aber der Schaden ist in Geld zu ersetzen.26 Die Gegenmeinung folgt daher dieser sehr formalen Betrachtungsweise nicht, sondern stellt auf die Identität der geltend gemachten materiellen Ansprüche ab; der Wiederherstellungsund der Geldersatzanspruch seien Ausprägungen ein und desselben Anspruchs.27

22 Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 3 (21. Auflage 1997) § 256 Rdnr. 126; Walker ZZP 111 (1998), 429 (454); a. A. Bettermann Rechtshängigkeit und Rechtsschutzform (1949) S. 33 ff. 23 BGH v. 20.1.1989 NJW 1989, 2064 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 97 Rdnr. 23. 24 BGH v. 17.3.1964 NJW 1965, 688 (691) = BGHZ 42, 340 (348 f.); zustimmend Schellhammer Zivilprozess (2004) Rdnr. 852; Mittenzwei Die Aussetzung des Prozesses (1971) S. 56. 25 Habscheid Streitgegenstand (1956) S. 43 dort in Fn. 85; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 153 Rdnr. 2. 26 Vgl. Larenz Schuldrecht Band I (1987) § 28 I (S. 467 ff.), auch zum Sonderfall des § 251 Abs. 1 2. Fall, demgemäß ein Geldersatzanspruch ergänzend neben dem Naturalrestitutionsanspruch bestehen kann. 27 A. Blomeyer ZPR (1985) § 89 V 4 b (S. 492 f.); Zeuner FG 50 Jahre BGH Band III (2000), 337 (353) in Bezug auf die Rechtskraft; in diese Richtung auch die Rechtsprechung: RG v. 20.12.1929 RGZ 126, 401 (403); BGH v. 26.2.1991 NJW 1991,

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

Von den Formulierungen der Anträge löste sich der BGH auch im folgenden Fall:28 Die Klägerin hatte die Beklagte mit Bauarbeiten beauftragt. Zur Sicherung der Ansprüche gegen die Klägerin hatte die Bürgin auf Veranlassung der Klägerin eine Bürgschaft „auf erstes Anfordern“ gegenüber der Beklagten übernommen. In der Folge kam es zum Streit zwischen Klägerin und Beklagter über die ordnungsgemäße Erfüllung der Werkverpflichtung. Die Beklagte erhob daher im Erstprozess Klage auf Werklohnzahlung. Zeitgleich wandte sie sich außerprozessual an die Bürgin und verlangte Zahlung aufgrund der Bürgschaft. Daraufhin erhob die Klägerin Widerklage mit dem Antrag, die Bürgin aus ihrer Bürgschaftsverpflichtung zu entlassen und die Bürgschaftsurkunde herauszugeben. Zugleich beantragte sie eine einstweilige Verfügung mit der Anordnung an die Beklagte, eine weitere Inanspruchnahme der Bürgin zu unterlassen. Aufgrund der einstweiligen Verfügung erhob die Klägerin Klage in der Hauptsache und verfolgte dort ihren Unterlassungsanspruch weiter. Dem BGH stellte sich nun die Frage, ob diese Unterlassungsklage wegen der Rechtshängigkeit der Widerklage unzulässig ist.

Der BGH konstatierte zwar, dass die Anträge in der Widerklage und der eigenständigen Klage voneinander abweichen und dass auch zwei unterschiedliche Rechtsfolgen durchgesetzt werden sollen, nämlich auf der einen Seite die Entlassung der Bürgin aus ihrer Verpflichtung und auf der anderen Seite das Unterlassen weiterer Inanspruchnahme der Bürgin. Nach einer ausgedehnten Analyse des materiell-rechtlichen Hintergrunds der Bürgschaft „auf erstes Anfordern“ kommt der BGH zu dem Schluss, dass der Streitgegenstand der Unterlassungsklage in der Widerklage enthalten sei. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch sei nur ein Teil des Verzichtsanspruchs gem. § 812 BGB, der dem Hauptschuldner (hier die Klägerin) gegenüber dem Gläubiger (hier der Beklagten) zustehen könne.29 Damit die Streitgegenstände identisch im Sinn von § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO sind, müssten die geltend gemachten Rechtsfolgen nicht in jeder Hinsicht deckungsgleich sein. Es genüge, wenn der Streitgegenstand der früher erhobenen Klage denjenigen der später erhobenen Klage umfasst. Das entspricht der Ansicht des BGH zum Verhältnis von zuerst erhobener Leistungsklage und später erhobener Feststellungsklage bezüglich desselben materiellen Anspruchs [vgl. oben Fn. 23]. Diese Beispiele demonstrieren die Bedeutung des materiellen Rechts bei der Bestimmung des prozessualen Streitgegenstands [vgl. generell dazu oben A.III.3.]. Wegen materiell-rechtlicher Besonderheiten ist man bereit, die zweigliedrige Definitionsformel großzügiger anzuwenden, und nimmt trotz Abweichungen im Antrag identische Streitgegenstände an. 2014, beide Entscheidung betreffen eine nachfolgende Klage auf Geldersatz nach erfolgloser Klage auf Naturalersatz. 28 BGH v. 11.12.1986 NJW-RR 1987, 683; Sachverhaltsdarstellung leicht gekürzt und vereinfacht. 29 BGH v. 11.12.1986 NJW-RR 1987, 683 (684 f.).

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

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b) Der Sachverhalt (Klagegrund) Die höchstrichterliche Rechtsprechung formuliert regelmäßig, diejenigen Tatsachen seien zur Streitgegenstandsbestimmung heranzuziehen, die bei natürlicher Betrachtungsweise aus der Sicht der Parteien zu dem Lebenssachverhalt gehören, den der Kläger zur Begründung seines Begehrens der gerichtlichen Entscheidung unterbreitet.30 Sie hält es nicht für erforderlich, dass einzelne Elemente dieses einheitlichen Lebensvorgangs wirklich vorgetragen wurden.31 Erfasst sind vielmehr sämtliche Tatsachen, die für die behauptete Rechtsfolge entscheidungserheblich sind.32 Die Bestimmung des Sachverhalts gewinnt vor allem bei der Klageänderung und der materiellen Rechtskraft Bedeutung, wenn nämlich zu beurteilen ist, ob ein neuer Tatsachenvortrag des Klägers innerhalb der Klage ohne weiteres zulässig ist oder nach rechtskräftigem Abschluss eines Verfahrens eine neue Klage rechtfertigt. An der Methode des BGH ist mangelnde Präzision kritisiert worden.33 Die „natürliche Betrachtungsweise“ berge erhebliche Unsicherheiten in sich.34 Sinn und Zweck des Streitgegenstandsbegriffs sei es aber, zu Rechtsfrieden und Rechtssicherheit durch Streiterledigung beizutragen.35 Zudem gebe es eine natürliche Betrachtungsweise nicht. Die Zusammenfassung einzelner Ereignisse und Tatsachen zu einem einheitlichen Vorgang erfolge stets nach dem Blickwinkel, den der Betrachter einnimmt.36 Stattdessen wird vorgeschlagen, die Grenzziehung des historischen Lebenssachverhalts an den Regeln des materiellen Rechts und ihren Voraussetzungen zu orientieren.37 Dieser Ansatz macht es freilich erforderlich, das Verhältnis der materiellen Regeln untereinander zu klären. Denn es mag passieren, dass ein Kläger sein Klagebegehren (also seinen Antrag) im Wesentlichen beibehält, ihn aber auf eine andere materielle Rechtsnorm stützt, die wegen ihrer Tatbestandsvoraussetzungen den Vortrag anderer Tatsachen erfordert. Liegt darin eine Veränderung des Streitgegenstands, die eine neue Klage gestattet? Dieser Frage widmet man sich am besten unter Berücksichtigung der Besonderheiten der einzelnen Rechtsschutzformen. 30

BGH v. 6.5.1999 NJW 1999, 2118 (2119). BGH v. 19.12.1991 NJW 1992, 1172 (1173 f.); Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 229 f.; a. A. Brox JuS 1962, 121 (126) mit argumentum e contrario durch Verweis auf die spezielle gesetzliche Regelung des § 616 Abs. 1 ZPO. 32 Böhm FS Kralik (1986), 83 (112); Jauernig ZPR (2003) § 37 VIII 1 (S. 160). 33 Das räumen auch Hk-ZPO/Saenger (2006) Einführung Rdnr. 101 und Schilken ZPR (2002) Rdnr. 231 ein, die dennoch an der Methode des BGH festhalten wollen. 34 Musielak Grundkurs ZPO (2004) Rdnr. 144. 35 Dazu Böhm FS Kralik (1986), 83 (85). 36 Lent ZZP 65 (1952), 315 (352). 37 In diese Richtung Böhm FS Kralik (1986), 83 (106 f.); Lent ZZP 65 (1952), 315 (352 f.); Musielak NJW 2000, 3593 (3595 ff.); Rimmelspacher JuS 2004, 560 (562); a. A. Hk-ZPO/Saenger (2006) Einführung Rdnr. 98. 31

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

3. Streitgegenstand und Rechtsschutzform Um ein Mehr an Präzision beim Streitgegenstand zu schaffen, wird in vielen Darstellungen zwischen den verschiedenen Klagearten unterschieden und versucht, für jede einzelne deren Besonderheiten zu berücksichtigen.38 a) Der Streitgegenstand der Leistungsklage Bei Leistungsklagen entstehen – wie bereits erwähnt – Probleme aufgrund der Vielzahl materiell-rechtlicher Anspruchsgrundlagen, die nebeneinander anwendbar sein können. Wann ist die Berufung auf eine andere Anspruchsgrundlage, die einen völlig oder teilweise neuen Tatsachenvortrag erfordern kann, eine Änderung des Streitgegenstands? Die Entwicklung des prozessualen Anspruchsbegriffs ist hauptsächlich diesem Problem geschuldet. Beispiele: Der Fahrgast eines Taxis kommt durch einen Unfall zu Schaden. Er kann nun Schadensersatz wegen Verletzung vertraglicher Pflichten gem. § 280 BGB, wegen unerlaubter Handlung gem. §§ 823 ff. BGB und nach dem Straßenverkehrsgesetz gem. §§ 7, 18 StVG verlangen (sog. Fahrgastfall). Oder: Jemand verlangt vom Besitzer einer Sache Herausgabe. Er kann sein Begehren eventuell auf sein Eigentum gem. § 985 BGB, auf seinen früheren Besitz gem. §§ 861, 1007 BGB oder auf vertragliche Verpflichtung, beispielsweise bei Miete oder Leihe gem. §§ 546, 604 BGB stützen.

Die dezidiert vom materiellen Recht losgelöste Bestimmung des Streitgegenstands soll die noch immer bestehenden Unsicherheiten über das Verhältnis mehrerer Anspruchsgrundlagen zueinander umgehen. Ob mehrere Anspruchsgrundlagen einen einzigen Anspruch im prozessualen Sinn ergeben, wird nach herrschender Meinung über den Lebenssachverhalt ermittelt. Diese Methode wählt insbesondere die Rechtsprechung. Wie bereits erwähnt, bestimmt sie den der Klage zugrunde liegenden Sachverhalt nach einer natürlichen Betrachtungsweise. Der Streitgegenstand erfasse alle materiell-rechtlichen Ansprüche, die sich im Rahmen des gestellten Antrags aus dem vorgetragenen Lebenssachverhalt herleiten lassen.39 Ob mehrere Anspruchsgrundlagen, deren Voraussetzungen erfüllt sind, einen einheitlichen oder mehrere materiell-rechtliche Ansprüche erzeugen, kann daher aus prozessualer Sicht dahinstehen. Der BGH zeigt allerdings Ansätze, prinzipiell mehrere materiell-rechtliche Ansprüche anzunehmen.40 38 So zum Beispiel Baumgärtel JuS 1974, 69 (73 ff.); Hk-ZPO/Saenger (2006) Einführung Rdnr. 108 ff.; Jauernig ZPR (2003) § 37 VIII (S. 159 ff); Zeiss/Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 312 ff. 39 BGH v. 19.11.2003 NJW 2004, 1252 (1254); für Habscheid FS Schwab (1990), 181 (187) ist der Klagegrund deshalb „das eigentlich Prozessuale an der prozessualen Theorie“.

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

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In Ablehnung des rein prozessualen Anspruchsbegriffs wurden in der Literatur Streitgegenstandstheorien entwickelt, nach denen der Streitgegenstand durch einen Rückgriff auf das materielle Recht näher bestimmt werden soll;41 nur so lasse sich auch der Klagegrund sinnvoll abgrenzen [vgl. schon oben bei Fn. 37]. Es dürfe nur nicht der Fehler begangen werden, aus jeder Anspruchsgrundlage einen eigenen Streitgegenstand zu folgern. Alle Theorien laufen im Ergebnis darauf hinaus, mehrere Anspruchsgrundlagen zu einem materiell-rechtlichen (Gesamt-)Anspruch zusammenzufassen, der zugleich auch der prozessuale Anspruch ist und somit einen einheitlichen Streitgegenstand bildet.42 Der entscheidende Gedanke hinter dieser Orientierung am materiellen Recht ist, dass der prozessuale Streitgegenstandsbegriff wegen der Funktion des Prozesses, das materielle Recht zu erkennen und durchzusetzen,43 das materielle Recht nicht unbeachtet lassen dürfe44 [dazu bereits oben A.III.3.]. Kommen mehrere Anspruchsgrundlagen in Betracht, so sei zunächst ihr materiell-rechtliches Verhältnis zueinander zu klären. Die einfache, zu eindeutigen Ergebnissen führende Regel, dass jede Anspruchsgrundlage einen Anspruch erzeuge, gelte nicht. Nach verbreiteter Ansicht unterscheidet man stattdessen zwischen Anspruchsgrundlagenkonkurrenz (auch Anspruchsnormenkonkurrenz genannt45) und Anspruchskonkurrenz. Stehen verschiedene Anspruchsgrundlagen in Normenkonkurrenz, so liege auch nur ein einziger materiell-rechtlicher Anspruch vor, der auch nur einen Streitgegenstand bildet.46 Selbst wenn sich der Kläger also in seiner Klagebegründung nur auf eine Anspruchsgrundlage bezieht, so seien auch die normenkonkurrierenden Ansprüche Gegenstand der Klage. Es obliege gegebenenfalls dem Richter, auf weitere Anspruchsgrundlagen und den dafür notwendigen Sachvortrag hinzuweisen. Dem Kläger sei es verwehrt, eine wei40 BGH v. 10.12.2002 NJW 2003, 828 (829): In der Entscheidung stützte der Kläger seinen Antrag auf einen Ausgleichsanspruch gem. § 426 Abs. 1 BGB und auf einen gem. § 426 Abs. 2 BGB auf ihn übergegangenen Schadensersatzanspruch nach StVG. Der BGH führt aus, dass die möglichen „materiellen Rechte (. . .) einen einheitlichen prozessualen Anspruch“ bilden. 41 Vgl. die Darstellungen bei Wieczorek/Schütze/Prütting ZPO Band I (1994) Einleitung Rdnr. 65 und Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 1 (20. Auflage 1984) Einleitung Rdnr. 277 ff. 42 Stürner FS Schütze (1999), 913 (918) dort Fn. 18. 43 Vgl. Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 34 ff. und bereits oben A.III.3. 44 Henckel Parteilehre und Streitgegenstand (1961) S. 253 und 270 ff.; Beys ZZP 105 (1992), 145 (171); Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974) S. 32; Rimmelspacher JuS 2004, 560 (561); vgl. auch die Anregung von Leipold bei Heiderhoff Diskussionsbericht ZZP 111 (1998), 455. 45 Georgiades Anspruchskonkurrenz (1968) S. 164; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) Einleitung Rdnr. 70. 46 Nikisch AcP 154 (1955), 271 (282 ff.); Georgiades Anspruchskonkurrenz (1968) S. 242 ff.; Jahr FS Lüke (1997), 297 (300); Larenz/Wolf Allgemeiner Teil BGB (2004) § 18 Rdnr. 33.

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

tere Klage auf eine konkurrierende Anspruchsgrundlage zu stützen. Bei echter Anspruchskonkurrenz, bei der zwei Ansprüche nebeneinander stehen, sollen dagegen zwei Streitgegenstände vorliegen. Auf diese Weise sei die notwendige Harmonie zwischen materiellem Zivilrecht und Zivilprozessrecht wiederhergestellt.47 Es werden verschiedene Kriterien vorgeschlagen für die Bestimmung des Verhältnisses mehrerer Anspruchsgrundlagen zueinander [dazu auch unten C.III.6.a)]. Eine teleologische Auslegung der Normen soll der Schlüssel sein. Dabei seien der begehrte Leistungsinhalt und dessen wirtschaftliches Ziel zu beachten.48 Zudem soll nach vereinzelter Meinung neben dem wirtschaftlichen Interesse, dem der Anspruch dient, auch dessen rechtliche Ordnungsfunktion beachtet werden.49 Einer weiteren Ansicht zufolge ist entscheidend, ob die beiden Ansprüche Gegenstände getrennter Verfügungen sind und deshalb auch unterschiedlichen Rechtsträgern zustehen können.50 Auch diese Frage sei durch teleologische Auslegung der anzuwendenden Normen zu beantworten.51 Im Übrigen unterliegen auch die Ansichten hinsichtlich des Konkurrenzverhältnisses von Ansprüchen einem kontinuierlichen Wandel,52 was aber nicht prinzipiell gegen eine materiell-rechtlich orientierte Streitgegenstandsbestimmung sprechen muss. Denn auch die rein prozessuale Abgrenzung durch die natürliche Betrachtungsweise des Lebenssachverhalts ist letztlich reine Wertung, die Veränderungen unterliegt. Ebenfalls einen materiell-rechtlichen Ansatz verfolgt Bruno Rimmelspacher. Nach seiner Analyse des materiellen Rechts verwendet er den Begriff der Rechtsposition, hinter der sich die Anwartschaft auf einen bestimmten Wert verberge,53 die man auch als „Interesse“ bezeichnen könne.54 Wenn mehrere Ansprüche im herkömmlichen Sinn durch dieselbe Erfüllungshandlung befriedigt werden, so liege trotz Mehrheit der Ansprüche nur eine Rechtsposition vor. 47 Georgiades Anspruchskonkurrenz (1968) S. 282; Nikisch AcP 154 (1955), 271 (283). 48 Georgiades Anspruchskonkurrenz (1968) S. 160 ff.; Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974) S. 33. 49 Böhm FS Kralik (1986), 83 (89, 116). Gedacht wird an dieser Stelle anscheinend insbesondere an den Vergleich possessorischer und petitorischer Ansprüche; beide zielen auf die Herausgabe einer Sache ab, haben aber unterschiedliche Funktionen. 50 Henckel Parteilehre und Streitgegenstand (1961) S. 270 ff. (272 ff.); Jahr FS Lüke (1997), 297 (304); Larenz/Wolf Allgemeiner Teil BGB (2004) § 18 Rdnr. 34; für Wechselklage und Kaufpreisklage vgl. schon RG v. 17.5.1939 RGZ 160, 338 (347 f.); skeptisch dazu zum Beispiel Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 57 in Fn. 196. 51 Larenz/Wolf Allgemeiner Teil BGB (2004) § 18 Rdnr. 34. 52 Jauernig ZPR (2003) § 37 III 1 (S. 154 f.). 53 Rimmelspacher Materiellrechtlicher Anspruch (1970) S. 104. 54 Rimmelspacher Materiellrechtlicher Anspruch (1970) S. 168.

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

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Rimmelspacher schlägt vor, den Streitgegenstand durch diese Rechtsposition zu bilden.55 Sind bei Leistungsklagen mehrere Anspruchsgrundlagen einschlägig, so müsse entschieden werden, ob der Kläger aufgrund dieser Anspruchgrundlagen nur einmal Leistung verlangen kann. Dies habe durch Analyse der gesetzlichen Wertungen oder (anscheinend bei vertraglichen Ansprüchen) des Willens der Vertragsparteien zu erfolgen.56 Kann er nur einmal Leistung verlangen, liege ein einheitlicher Streitgegenstand vor. Diese Sichtweise Rimmelspachers ähnelt in gewisser Weise der von Karl Heinz Schwab entwickelten Streitgegenstandslehre, die maßgeblich auf den Antrag abstellt und daher auch „eingliedrige Streitgegenstandslehre“ genannt wird.57 Der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt dient danach nur der Auslegung des Klageantrags. Stützt sich beispielsweise der Klageantrag, mit dem Verurteilung zur Zahlung einer bestimmten Summe begehrt wird, auf verschiedene Kaufverträge, so gebe es in Wahrheit mehrere Anträge und damit mehrere Streitgegenstände.58 Umgekehrt sollen eine Klage auf Zahlung von 1000 DM und die Klage auf Zahlung desselben Betrags wegen eines parallel abgegebenen Anerkenntnisses denselben Streitgegenstand haben. Zwar sei das Anerkenntnis ein vom Kaufvertrag unabhängiges Zahlungsversprechen, aber diese materiell-rechtliche Sicht sei nicht maßgeblich. Prozessual sei entscheidend, dass beide Anspruchsgrundlagen zur Zahlung ein und desselben Betrags verpflichten. Gleiches gelte bei Ansprüchen aus Eigentum und aus Miete auf Herausgabe einer bestimmten Sache. Beide materiell-rechtlichen Ansprüche seien auf dasselbe Ziel gerichtet und bildeten daher nur einen Streitgegenstand.59 Ein Blick ins Kostenrecht stütze diesen Befund: Da beide Ansprüche wirtschaftlich betrachtet auf dieselbe Leistung gerichtet seien, werde als Streitwert nur der einfache Betrag angesetzt.60 Im Ergebnis ist also nach Schwab bei Leistungsklagen die gemeinsame Erfüllungswirkung derselben Handlung ein entscheidendes Kriterium für die Streitgegenstandsbildung.

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Rimmelspacher Materiellrechtlicher Anspruch (1970) S. 213 ff. für die Rechts-

kraft. 56

Rimmelspacher JuS 2004, 560 (562). Vgl. die Darstellung bei Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 92 Rdnr. 11 ff. Die Lehre Schwabs wird nicht zur den materiell-rechtlichen Streitgegenstandstheorien gezählt. 58 K. H. Schwab Der Streitgegenstand (1954) S. 183, 185. 59 K. H. Schwab Der Streitgegenstand (1954) S. 127 für die Rechtshängigkeitssperre. Zu teilweise engeren Ergebnissen kommt Schwab bei der Rechtskraft. Der Kläger sei bei einer Klage mit identischem Antrag nur mit dem Vortrag solcher Tatsachen ausgeschlossen, der sich gegen die Feststellungen des ersten rechtskräftigen Urteils richtet. Entscheidend sei, ob die in der zweiten Klage vorgetragenen Tatsachen mit den Feststellungen des ersten Urteils im Zusammenhang stehen. Vgl. a. a. O. S. 171 f. 60 K. H. Schwab Der Streitgegenstand (1954) S. 126. 57

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

Zu vergleichbaren inhaltlichen Ergebnissen kommt eine jüngere Untersuchung Frauke Werneckes. Sie will die prozessualen Streitgegenstandslehren auf einen materiell-rechtlichen Kern zurückzuführen.61 Auch sie ist der Meinung, der prozessuale Streitgegenstandsbegriff müsse sich an dem Konkurrenzverhältnis der vom Gericht zu erwägenden materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlagen orientieren.62 Der Streit, ob nach materiell-rechtlicher Beurteilung bei mehreren einschlägigen Anspruchgrundlagen ein Anspruch oder mehrere Ansprüche eingeklagt werden, hat in ihrem Konzept keine Relevanz. Ihr Augenmerk gilt ebenfalls der Erfüllung: Werden Ansprüche, die aufgrund verschiedener Anspruchsgrundlagen bestehen, durch dieselbe Handlung erfüllt und zum Erlöschen gebracht, bildeten sie auch im Fall der Klage einen Streitgegenstand.63 Ob die Ansprüche eigenständige Verfügungsobjekte sein können, sei nicht entscheidend. Erst bei erfolgter getrennter Verfügung ergebe sich eine Vervielfältigung der Streitgegenstände, die in einer Hand immer einen Streitgegenstand bildeten.64 Ob mehrere Ansprüche durch eine Handlung erfüllt werden, müsse durch eine Bewertung der Interessen anhand des zugrunde liegenden Lebenssachverhalts beurteilt werden. Hier greift Wernecke die herrschende Meinung im deutschen Recht zur „Erfüllungskonnexität“ mehrerer Ansprüche auf [dazu auch unten C.III.6.a)]. Sie ergänzt diese materielle Interessensanalyse um prozessuale Aspekte; bei der Bereitstellung eines besonderen Verfahrens zur Rechtsverfolgung soll es auch verfahrensrechtlich geschützte Interessen an doppelter Prozessführung geben, beispielsweise wenn ein Gläubiger Ansprüche aus einem Kaufvertrag und aus einem Wechsel hat.65 Daher könnten sich trotz materieller Identität mehrere Streitgegenstände ergeben. Sind mehrere Anspruchsgrundlagen einschlägig und ergibt die Analyse der Interessen, dass sie nebeneinander bestehende Ansprüche begründen und nicht durch dieselbe Handlung erfüllt werden, nennt Frauke Wernecke diesen Fall Anspruchshäufung.66 Daraus ergäben sich verschiedene Streitgegenstände. Der klagebegründende Lebenssachverhalt wird zur Bewertung herangezogen, ob zwei Klagen auf die Befriedigung desselben Interesses abzielen.67

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Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 54. Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 61. 63 Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 57, 59. 64 Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 58. 65 Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 57; ebenso schon K. H. Schwab Der Streitgegenstand (1954) S. 127; dafür auch Georgiades Anspruchskonkurrenz (1968) S. 250; Rimmelspacher Materiellrechtlicher Anspruch (1970) S. 321; im Ergebnis ebenso die herrschende Meinung, vgl. Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO (2005) § 261 Rdnr. 20; Schellhammer Zivilprozess (2004) Rdnr. 135; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) Einleitung Rdnr. 75 m.w. N. 66 Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 59. 67 Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 59 ff. 62

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

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Keine dieser materiell-rechtlichen Theorien hat sich bisher durchsetzen können. Die Rechtsprechung greift sie nicht explizit auf. Insbesondere wird ihnen vorgeworfen, dass schon ihr Ansatz verfehlt sei: Der prozessuale Anspruch (also der Streitgegenstandsbegriff) erfülle eine andere Funktion als der materiell-rechtliche Anspruch. Eine Vereinheitlichung sei daher nicht geboten und liefe im Gegenteil Gefahr, sinnwidrige Ergebnisse zu produzieren.68 Zudem konzentrierten sich die materiell-rechtlichen Theorien auf die Leistungsklagen und versagten bei Gestaltungs- und Feststellungsklagen.69 Es stellt sich aber die Frage, ob nicht die rein prozessuale Streitgegenstandstheorie und die eher materiell-rechtlich orientierten Theorien letztlich zum selben Ziel führen.70 Während die eine Meinung bereits auf materiell-rechtlicher Ebene die Verhältnisse zwischen mehreren möglichen Vorschriften, die die Klage stützen können, klärt und den so gebildeten Anspruch auch als Streitgegenstand begreift, kümmert sich die andere Meinung nicht um dieses materielle Verhältnis, sondern trifft eine eigenständige Wertung auf prozessualer Ebene.71 Unterschiede sind bei der Kriterienbildung zu erkennen: Während die materiellrechtlichen Theorien sich um fassbare Kriterien bemühen, begnügt sich die prozessuale Theorie mit dem flexiblen „einheitlichen Lebenssachverhalt nach natürlicher Betrachtungsweise“. Womöglich wirken sich aber nach beiden Vorgehensweisen mal mehr, mal weniger deutlich dieselben Aspekte richtungsweisend aus. Dass auch die Rechtsprechung bei der Streitgegenstandsbestimmung den materiell-rechtlichen Hintergrund nicht außer Acht lässt, wurde bereits oben [B.II.2.a)] gezeigt. Auch Vertreter der prozessualen Theorie plädieren trotz ihrer Ablehnung der materiell-rechtlichen Lehren ausdrücklich dafür, bei der Abgrenzung des Klagegrunds das dem Klagebegehren zugrunde liegende materielle Recht zu beachten.72 Auf diese Weise wird der prozessuale Anspruch wieder an das materielle Recht herangeführt. Lösung der Beispiele: Weitestgehend einheitlich geht man sowohl nach prozessualen wie auch materiell-rechtlichen Theorien davon aus, dass Schadensersatzansprüche wegen desselben Schadens aufgrund von Vertragsverletzung, unerlaubter Handlung und sonstiger gesetzlicher Haftung (beispielsweise gem. StVG) trotz einer Mehrzahl von anwendbaren Anspruchsgrundlagen einen einheitlichen Streitgegenstand bilden.73 Weil es nur ein schadenerzeugendes Ereignis gebe, sei auch der Lebenssachverhalt einheitlich.74

68 Klein Konkurrenz und Auslegung (1997) S. 46; Musielak/Musielak ZPO (2005) Einleitung Rdnr. 73; skeptisch deshalb auch Schilken ZPR (2002) Rdnr. 228. 69 Habscheid FS Schwab (1990), 181 (195). 70 In dieser Richtung auch Arens AcP 170 (1970), 392 (415). 71 Vgl. auch Habscheid FS Schwab (1990), 181 (193 f.). 72 Musielak/Musielak ZPO (2005) Einleitung Rdnr. 73, 76; für die Beachtung des materiellen Rechts bei der Streitgegenstandsbestimmung auch Jauernig ZPR (2003) § 37 IV (S. 156) und § 37 VIII 1 (S. 160); Schilken ZPR (2002) Rdnr. 230.

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO Herausgabeansprüche betreffend dieselbe Sache, die sich sowohl aus Eigentum gem. § 985 BGB als auch aus besitzrechtlichen Ansprüchen gem. § 861 BGB oder § 1007 BGB ergeben, bilden nach umstrittener Meinung zwei verschiedene Streitgegenstände.75 Nach einer Meinung werden sie durch verschiedene Lebenssachverhalte begründet,76 nach anderer Meinung habe das Gesetz diese materiellrechtlichen Ansprüche erkennbar unterschiedlich ausgestaltet.77 Wird der Herausgabeanspruch dagegen zugleich auf Eigentum gem. § 985 BGB und auf einen vertraglichen Anspruch gestützt, so wird allgemein ein einziger Streitgegenstand angenommen.78 Einer dritten Meinung von Friedrich Lent zufolge muss nach der Prozesssituation differenziert werden: In beiden Beispielen lägen während des Prozesses einheitliche Streitgegenstände vor, so dass für alle Beispiele umfassend eine Rechtshängigkeitssperre ausgelöst werde; ebenso seien Tatsachenergänzungen zur Stützung einer konkurrierenden Anspruchsgrundlage, die bisher übersehen worden sei, nicht als Klageänderung zu werten. Bezüglich der Rechtskraft werde nur über die Ansprüche bindend entschieden, die das Gericht in seiner Entscheidung tatsächlich geprüft habe. Übersehene Ansprüche könnten daher erneut eingeklagt werden. Dadurch komme es zwar zu dem Phänomen, dass die Rechtshängigkeit weiter greift als die Rechtskraft, aber das sei dem Zivilprozessrecht nicht unbekannt. Auch bei Eventualanträgen würden diese zunächst rechtshängig, ohne dass über sie entschieden werden müsse.79 Die Rechtskraftreichweite bestimmt sich somit nach einem Urteilsgegenstand, der enger ist als der für die Rechtshängigkeitssperre maßgebliche Streitgegenstand. Dies will prinzipiell auch die sog. Lehre vom Urteilsgegenstand [dazu oben bei Fn. 11], deren Vertreter aber nicht unbedingt dem Ergebnis von Lent zustimmen.80

73 Musielak/Musielak ZPO (2005) Einleitung Rdnr. 76; Schellhammer Zivilprozess (2004) Rdnr. 133; Schilken ZPR (2002) Rdnr. 230 f.; Thomas/Putzo/Reichold ZPO (2005) Einl II Rdnr. 16; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) Einleitung Rdnr. 70. 74 Arens AcP 170 (1970), 392 (417). 75 Georgiades Anspruchskonkurrenz (1968) S. 249, 260; Musielak NJW 2000, 3593 (3597). Vgl. auch die Darstellung bei Jauernig ZPR (2003) § 37 III 2 (S. 154 f.). A.A. und daher für Streitgegenstandseinheit MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) § 260 Rdnr. 6; Palandt/Bassenge BGB (2006) § 861 Rdnr. 2, 17; Schilken ZPR (2002) Rdnr. 224, 231. 76 Bamberger/Roth/Fritsche BGB Band 2 (2003) § 861 Rdnr. 13. 77 Zöller/Vollkommer ZPO (2005) Einleitung Rdnr. 70. 78 Böhm FS Kralik (1986), 83 (116); MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) § 260 Rdnr. 6; uneinheitlich BGH v. 9.2.1953 NJW 1953, 663 (664), der für der Frage der Klagehäufung einen einheitlichen Streitgegenstand annimmt, nicht dagegen für die Grenzen der Rechtskraft; a. A. und daher für Mehrheit von Streitgegenständen Georgiades Anspruchskonkurrenz (1968) S. 232 f., 250 f. 79 Lent ZZP 65 (1952), 315 (338, 341, 346 f.); ihm folgend anscheinend BGH v. 9.2.1953 NJW 1953, 663 (664) für das Verhältnis verschiedener Herausgabeansprüche. 80 Z. B. Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 109: Rechtskräftige Entscheidung auch über nicht geprüfte oder übersehene Anspruchsgrundlagen möglich.

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

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b) Der Streitgegenstand der Feststellungsklage Bei Feststellungsklagen soll der Antrag allein regelmäßig schon aussagekräftig sein, um den Streitgegenstand zu bestimmen.81 Das gelte dann, wenn der Inhalt des behaupteten Rechts ausreiche, um es zu individualisieren, wie etwa bei der Feststellung von Eigentum.82 Lediglich bei beantragter Feststellung bestimmter schuldrechtlicher Ansprüche müsse ausnahmsweise wie bei der Leistungsklage der Sachverhalt hinzugezogen werden.83 Manche Autoren sehen den Streitgegenstand bei Feststellungsklagen im behaupteten materiellen Recht bzw. Rechtsverhältnis.84 Die Gegenmeinung gesteht auch bei Feststellungsklagen dem begründenden Sachverhalt eine eigenständige Bedeutung zu.85 Besonders augenfällig wird der Unterschied zwischen beiden Meinungen bei Klagen auf Feststellung eines absoluten Rechts (wie z. B. des Eigentumsrechts), die unterschiedliche Streitgegenstände haben sollen, wenn sie sich auf verschiedene Erwerbsgründe stützen, die bei natürlicher Betrachtungsweise nicht einen einheitlichen, sondern verschiedene Lebenssachverhalte bilden.86 Beispiel: A klagt gegen B auf Feststellung, dass er Eigentümer eines Autos sei, und führt zur Begründung an, er habe es von E geerbt. Die Klage wird abgewiesen. Daraufhin strengt A eine erneute Feststellungsklage gegen B an, die er diesmal mit einer schon lange zurückliegenden Übereignung durch E noch zu dessen Lebzeiten begründet.

Eine Meinung lässt den Antrag zur Streitgegenstandsbestimmung ausreichen und verzichtet auf den Sachverhalt. Von diesem Standpunkt aus wird (bis zur zeitlichen Grenze des § 767 Abs. 2 ZPO) umfassend im ersten Verfahren über das geltend gemachte Eigentum geurteilt. Bringt der Kläger alternative Er81 Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 3 (1997) § 256 Rdnr. 1; Jauernig ZPR (2003) § 37 VIII 3 (S. 161); Henckel Parteilehre und Streitgegenstand (1961) S. 282 ff.; Grunsky LM Nr. 139 zu § 322 ZPO; Wieczorek/Schütze/Prütting ZPO Band I (1994) Rdnr. 69. Ebenso für die Rechtshängigkeitssperre K. H. Schwab Der Streitgegenstand (1954) S. 128. 82 Zeuner FG 50 Jahre BGH Band III (2000), 337 (346); dies solle auch für auf Eigentum gestützte Herausgabeklagen gelten, obwohl sie eigentlich Leistungsklagen seien. 83 Jauernig ZPR (2003) § 37 VIII 3 (S. 161); Thomas/Putzo/Reichold ZPO (2005) Einl II Rdnr. 22; a. A. K. H. Schwab Der Streitgegenstand (1954) S. 128 von der Warte der eingliedrigen Streitgegenstandslehre. 84 Zöller/Vollkommer ZPO (2005) Einleitung Rdnr. 77 und § 322 Rdnr. 6; Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974) S. 35; Nikisch AcP 154 (1955), 271 (295); in diese Richtung auch Zeiss/Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 313 („Eigentum bleibt Eigentum“). 85 Hk-ZPO/Saenger (2006) Einführung Rdnr. 109; Schilken ZPR (2002) Rdnr. 233 und die in Fn. 86 Genannten. 86 Habscheid FS Schwab (1990), 181 (191); Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 106; Musielak NJW 2000, 3593 (3598) m.w. N.

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

werbsgründe nicht vor, dürfe er mit ihnen im zweiten Verfahren nicht gehört werden.87 Deshalb müsse auch die Rechtshängigkeitssperre eingreifen, wenn die zweite Klage noch vor Abschluss des Erstverfahrens erhoben wird.88 Die Gegenmeinung hält den begründenden Sachverhalt für relevant und fragt danach, ob beide Erwerbsgründe Teil eines einheitlichen Lebenssachverhalts sind.89 Da sie hier zeitlich sehr weit auseinander liegen, seien demnach zwei Streitgegenstände gegeben, weshalb die Rechtskraft des ersten Urteils dem nachfolgenden Verfahren nicht entgegenstehe. Vertreter dieser Gegenmeinung äußern sich nur selten dazu, ob sie auch zwei parallele Klagen vor verschiedenen Gerichten zulassen würde, die einerseits auf rechtsgeschäftlichen Erwerb, andererseits auf Vererbung gestützt sind.90 Die Diskussion ist weitgehend auf die Rechtskraftreichweite konzentriert. Die Probleme im Verhältnis zur Leistungsklage wurden bereits oben [B.II.2.a)] erläutert. c) Der Streitgegenstand bei der Gestaltungsklage Bei Gestaltungsklagen ist der Meinungsstand zur Bildung des Streitgegenstands vielfältig differenziert. Allgemein besteht eine stark ausgeprägte Bereitschaft, den Besonderheiten der einzelnen Klagesituation und der materiell-rechtlichen Grundlage Rechnung zu tragen.91 Ähnlich wie bei der Feststellungsklage findet man auch bei der Gestaltungsklage zwei gegensätzliche Ausgangspositionen vor: Während die einen bereits den Antrag auf Gestaltung für die Streitgegenstandsbestimmung genügen lassen92 und so zu einem umfassenden Streitgegenstand gelangen, ist nach anderer Meinung auch der zur Begründung vorgetragene Lebenssachverhalt zu beachten.93 Innerhalb dieser Meinung ist

87 Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974) S. 35; Lent ZZP 65 (1952), 315 (328); Zeuner FG 50 Jahre BGH Band III (2000), 337 (346); Zöller/Vollkommer ZPO (2005) § 322 Rdnr. 12. 88 Nikisch AcP 154 (1955), 271 (295). 89 Brox JuS 1962, 121 (125); Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 106 m.w. N. 90 Für eine eingliedrige Bestimmung nur durch den Antrag Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 103. Danach muss im genannten Beispiel die Rechtshängigkeitssperre eingreifen. 91 Vgl. die ausführliche Untersuchung von H. Köhler Der Streitgegenstand bei Gestaltungsklagen (1995) und die einleitenden Worte der Beobachtungen bei Zöller/Vollkommer ZPO (2005) Einleitung Rdnr. 80. 92 K. H. Schwab Der Streitgegenstand (1954) S. 131; Thomas/Putzo/Reichold ZPO (2005) Einl II Rdnr. 23; Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 3 (1997) vor § 253 Rdnr. 59 für den Streitgegenstand während der Klage. 93 So Hk-ZPO/Saenger (2006) Einführung Rdnr. 112; Nikisch AcP 154 (1955), 271 (291); Schilken ZPR (2002) Rdnr. 233; Zeiss/Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 314; so

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

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umstritten, wie scharf der Lebenssachverhalt zu begrenzen ist. Wir wollen uns im Folgenden mit einigen besonderen Gestaltungsklagen näher befassen, die für diese Untersuchung von hervorgehobenem Interesse sind, weil bei ihnen grundsätzlich mehrere Personen betroffen sein können. (1) Der Streitgegenstand bei gesellschaftsrechtlichen Auflösungs- und Ausschlussklagen gem. §§ 133, 140 HGB Bei einer oHG und KG kann der einzelne Gesellschafter die Auflösung der Gesellschaft betreiben, wenn ein wichtiger, die Auflösung rechtfertigender Grund vorliegt. Das Gesetz lässt nicht die Erklärung der Kündigung (wie bei der GbR gem. § 723 BGB) genügen, sondern verlangt eine gerichtliche Entscheidung (§ 133 Abs. 1 HGB). Der Gesellschafter, der die Gesellschaft beenden will, muss eine auf Gestaltung gerichtete Auflösungsklage gegen alle übrigen Gesellschafter erheben.94 Es können mehrere Gesellschafter zur Auflösungsklage berechtigt sein. In diesem Fall können sie gemeinsam klagen, müssen es aber nicht tun.95 Tritt ein zur Auflösung berechtigender Grund in der Person eines anderen Gesellschafters ein, so bietet sich die Ausschließung des Gesellschafters gem. § 140 HGB an. Diese Ausschließung ist wiederum im Weg der Gestaltungsklage zu betreiben, grundsätzlich durch alle übrigen Gesellschafter gegen den auszuschließenden.96 Beiden Klagen liegen materielle Gestaltungsrechte zugrunde,97 die bei der Auflösung jedem einzelnen Gesellschafter,98 beim Ausschluss dagegen allen Gesellschaftern gemeinsam zustehen.99 Der Gesetzgeber verweist die Gesellschafter zur Vornahme solcher Änderungen im Gesellschaftsverhältnis auf den Gerichtsweg, um in diesem Bereich ein möglichst hohes Maß an Rechtssicherheit zu gewährleisten.100 Bei der Bestimmung des Streitgegenstands wird wiederum darüber gestritten, ob schon der Antrag umfassend den Streitgegenstand bestimmt oder ob zu seiner Abgrenzung auch die zur Begründung vorgetragenen Gründe mit heranzu-

auch Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 3 (1997) vor § 253 Rdnr. 59 für den Urteilsgegenstand. 94 K. Schmidt Gesellschaftsrecht (2002) § 52 III 4 (S. 1517 f.). 95 Hueck/Windbichler Gesellschaftsrecht (2003) § 17 Rdnr. 5. 96 K. Schmidt Gesellschaftsrecht (2002) § 50 III 1 c (S. 1463). 97 H. Roth FS Großfeld (1999), 915. 98 Staub/C. Schäfer HGB Band 2 (2004) § 133 Rdnr. 39; K. Schmidt Gesellschaftsrecht § 52 III 4 (S. 1517). 99 Staub/C. Schäfer HGB Band 2 (2004) § 140 Rdnr. 5. 100 Zum Aspekt der Rechtssicherheit K. Schmidt Mehrseitige Gestaltungsprozesse S. 4.

68

B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

ziehen sind. Die Meinungsverschiedenheiten werden in erster Linie im Zusammenhang mit der Reichweite der Rechtskraft des Urteils ausgetragen. Beispiel:101 A und B sind Gesellschafter einer oHG. A erhebt nun Klage auf Auflösung gem. § 133 HGB mit der Begründung, B könne wegen Krankheit seine Gesellschafterpflichten nicht erfüllen. Er unterliegt im Prozess und strengt deshalb eine neue Klage auf Auflösung an. Diesmal begründet er die Klage damit, B habe Gesellschaftsvermögen veruntreut. Der Vorfall soll bereits vor Erhebung der ersten Klage stattgefunden haben.

Nach einer Meinung steht der zweiten Klage die Rechtskraft des ersten Urteils entgegen. Wer hier allein den Antrag für maßgebend zur Streitgegenstandsbestimmung hält, kommt ohne weiteres zu diesem Ergebnis. Aber selbst Vertreter eines zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs bei Gestaltungsklagen wollen den Klagegrund, den sie grundsätzlich mit zur Begrenzung heranziehen, hier sehr weit als einheitlichen Sachverhalt begreifen; die generalklauselartige Formulierung der Auflösungsgründe in § 133 HGB gebiete solches Vorgehen. Zum Streitgegenstand gehörten daher alle zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegenden Auflösungsgründe; ob sie tatsächlich vorgetragen wurden, spiele keine Rolle.102 Über den Bestand der Gesellschaft müsse abschließend geurteilt werden, die sukzessive Anfechtung wegen unterschiedlicher Gründe führe zu nicht tragbarer Rechtsunsicherheit.103 Die Gegenmeinung lässt dagegen die neue Klage zu, wenn sie auf einen bisher nicht vorgetragenen und deshalb nicht entschiedenen Auflösungsgrund gestützt wird.104 Hervorzuheben ist, dass viele Vertreter der Gegenmeinung ihre Sicht auf die materielle Rechtskraft und ihre Grenzen beschränken. Für die Rechtshängigkeit soll ausdrücklich ein weiterer Streitgegenstand deren Grenzen abstecken. Er werde allein durch den Antrag bestimmt und decke sämtliche möglichen Auflösungsgründe ab.105 Damit erkennen wir einen Anwendungsfall der Lehre vom Urteilsgegenstand [vgl. oben bei Fn. 11].

101

Nach Brox JuS 1962, 121 (127). MünchKommZPO/Gottwald Band 1 (2000) § 322 Rdnr. 176; Musielak/Musielak ZPO (2005) § 322 Rdnr. 64; etwas anders A. Blomeyer ZPR (1985) § 89 VII (S. 498 f.): Ausschluss solcher Gründe, die zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorlagen und die der Kläger kannte. 103 Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974) S. 39. 104 Brox JuS 1962, 121 (127); Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 104; Zeiss/Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 314; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) Einleitung Rdnr. 80. 105 H. Köhler Der Streitgegenstand bei Gestaltungsklagen (1995) S. 91 ff., der seine Meinung mit dem Zweck der Rechtshängigkeitssperre und dem wünschenswerten Konzentrationseffekt begründet; Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 104 ebenfalls mit Hinweis auf den Konzentrationseffekt; ähnlich Stein/Jonas/ Schumann ZPO Band 3 (1997) vor § 253 Rdnr. 59. 102

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

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Andere wollen den Streitgegenstand einheitlich eng anhand der vorgetragenen Gründe bestimmen, aber die zweite Klage wegen mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses abweisen; der Kläger habe kein Bedürfnis für eine weitere Klage, er könne den neuen Gestaltungsgrund auch im bereits laufenden Prozess einbringen.106 Ein Beispiel für die schon oben [A.II.5.] erwähnte Tendenz, das Rechtsschutzbedürfnis als erweiterte Rechtshängigkeitssperre zu instrumentalisieren, um deren enge Voraussetzungen zu umgehen. (2) Der Streitgegenstand bei der aktienrechtlichen Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage Die Aktiengesellschaft wird in den grundlegenden Angelegenheiten von der Hauptversammlung der Aktionäre gelenkt, vgl. §§ 118 ff. AktG. Die Hauptversammlung entscheidet durch Beschluss. Ihre Beschlüsse können an Fehlern leiden. Das Aktienrecht kennt zwei Kategorien von Fehlern, die zur Nichtigkeit des Beschlusses führen können: Fehler, die gem. § 241 AktG aus sich heraus die Nichtigkeit begründen, und Fehler, die einen Beschluss anfechtbar gem. § 243 AktG machen. Eine wirksame Anfechtung führt zur Nichtigkeit gem. § 241 Nr. 5 AktG. Da die Nichtigkeit gem. § 241 AktG bereits aufgrund des Gesetzes besteht, kann jedermann sich in beliebiger Situation auf die Nichtigkeit berufen, wie auch § 249 Abs. 1 S. 2 AktG klarstellt. So kann grundsätzlich in einem Handelsregisterverfahren oder in jedem Rechtsstreit, in dem es auf die Wirksamkeit des fraglichen Beschlusses ankommt, die Nichtigkeit behauptet werden.107 Daneben stellt das Gesetz in § 249 Abs. 1 S. 1 AktG eine spezielle Klage zur Feststellung der Nichtigkeit zur Verfügung. Fehler, die zur Anfechtbarkeit führen, sind dagegen in einer Anfechtungsklage gem. §§ 246 ff. AktG zu rügen. Allein im Weg der gerichtlichen Überprüfung kann die Frage geklärt werden, ob der oder die behaupteten Fehler bestehen. Beschlussfehler, die einen Anfechtungsgrund darstellen können, müssen gem. § 246 Abs. 1 AktG binnen Monatsfrist durch Klage geltend gemacht werden. Diese Frist ist nach herrschender Meinung keine prozessuale Klagefrist, sondern eine materiell-rechtlich wirkende Ausschlussfrist.108 Die Anfechtungsklage ist Gestaltungsklage.109 Der Kläger begehrt eine Änderung der materiellen Rechtslage, die nur durch ein stattgebendes Urteil verändert werden kann. In diesem Fall erklärt das Gericht den Beschluss gem. § 241 Nr. 5 AktG für nichtig. Diese Rechtsgestaltung wirkt für und gegen jedermann.110

106

Nikisch AcP 154 (1955), 271 (293 f.). Weitere Beispiele bei K. Schmidt Gesellschaftsrecht (2002) § 28 IV5 c (S. 858). 108 Hüffer AktG (2004) § 246 Rdnr. 20; K. Schmidt JZ 1977, 769 (771). 109 Hüffer AktG (2004) § 246 Rdnr. 8 m.w. N.; K. Schmidt Gesellschaftsrecht (2002) § 28 IV 5 e (S. 860). 107

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

Welchen Charakter die Nichtigkeitsklage hat, ist dagegen umstritten.111 Die wohl noch herrschende Meinung112 betont den Wortlaut des § 249 Abs. 1 S. 1 AktG und nimmt eine Feststellungsklage an. Dafür spreche auch, dass nach der Gesetzessystematik Nichtigkeitsgründe nach § 241 AktG keiner Prüfung in speziellem Verfahren bedürften, sondern in vielfacher Weise geltend gemacht werden könnten. Die Nichtigkeit bestehe schon von sich aus und brauche nicht gestaltend festgestellt zu werden. Die Gegenmeinung113 nimmt eine Gestaltungsklage an und verweist auf die Wirkung eines stattgebenden Urteils in einer Nichtigkeitsklage gem. § 249 Abs. 1 S. 1 AktG. Nach überwiegender Meinung entfaltet nämlich ein stattgebendes Nichtigkeitsfeststellungsurteil gleich einem Gestaltungsurteil Wirkung gegenüber jedermann.114 Wenn es aber dieselbe Wirkung habe, dann sei die Nichtigkeitsfeststellungsklage auch eine Gestaltungsklage.115 Zu diesem Streit soll in der vorliegenden Untersuchung nicht weiter Stellung genommen werden; wegen des engen Zusammenhangs zur Anfechtungsklage wird auch die Nichtigkeitsklage hier unter der Überschrift „Streitgegenstand bei Gestaltungsklagen“ behandelt. Neben diese gesetzlich normierten Klagen tritt die positive Beschlussfeststellungsklage, die unter gewissen Voraussetzungen für zulässig gehalten wird. Stellt beispielsweise der Hauptversammlungsleiter das Ergebnis einer Beschlussabstimmung falsch fest oder nimmt an der Abstimmung eine eigentlich nicht stimmberechtigte Person teil, dann nutzt dem Kläger die rein kassatorische Wirkung seiner Klage womöglich wenig. Es besteht dann ein Bedürfnis nach gerichtlicher Feststellung des tatsächlich gefassten Beschlusses.116 In diesem Fall darf der Kläger seinen Anfechtungsantrag mit dem Antrag auf Feststellung des eigentlich gefassten Beschlusses verbinden.117 Das stattgebende Ur110 Allgemein für Gestaltungsklagen Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 91 Rdnr. 13; Hüffer AktG (2004) § 248 Rdnr. 5. 111 Ausführlich dazu M. Schwab Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten (2005) S. 270 ff. 112 Hüffer AktG (2004) § 249 Rdnr. 10 m.w. N.; M. Schwab Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten (2005) S. 273 f.; MünchAnwHbAktienrecht/Meller (2005) § 39 Rdnr. 3, 40; Sosnitza NZG 1998, 335 (337). 113 K. Schmidt JZ 1988, 729; ders. Gesellschaftsrecht (2002) § 15 II 2 (S. 445 f.). 114 BGH v. 17.2.1997 NJW 1997, 1510 (1511); AnwKommAktienrecht/Heidel (2003) § 249 AktG Rdnr. 14; Hüffer AktG (2004) § 249 Rdnr. 17; MünchAnwHbAktienrecht/Meller (2005) § 39 Rdnr. 40; kritisch M. Schwab Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten (2005) S. 272 f. 115 K. Schmidt JZ 1988, 729 (735). 116 BGH v. 13.3.1980 NJW 1980, 1465 (1467); Happ/Tielmann Aktienrecht (2004) 18.01 Rdnr. 9c; K. Schmidt Gesellschaftsrecht (2002) § 28 IV 5 (S. 860 f.); Hüffer AktG (2004) § 246 Rdnr. 42. 117 Auf die Zulässigkeit nur bei Verbindung legt Zöllner ZGR 1982, 623 (625) Wert; für eine Ausnahme, wenn der Beschluss nicht förmlich festgestellt wurde, BGH v. 13.11.1995 NJW 1996, 259.

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

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teil einer positiven Feststellungsklage hat ebenfalls gestaltende Wirkung, denn es ersetzt die Feststellung des Hauptversammlungsleiters.118 Diese Gestaltungswirkung tritt wie bei der Anfechtungs- und der Nichtigkeitsklage inter omnes ein.119 Bei der Bestimmung des Streitgegenstands geht man nach herrschender Meinung zunächst wie üblich vom Antrag aus. Durch den Antrag individualisiert der Kläger den angegriffenen Beschluss. Eine Besonderheit gilt für das Verhältnis von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage bezüglich desselben Beschlusses: Da hier der Antrag auf Erklärung als nichtig lautet, während er dort auf Feststellung der Nichtigkeit gerichtet ist, müssten wegen der Abweichung im Antrag die zwei Klagen auch verschiedene Streitgegenstände haben. Das war in der Tat einmal herrschende Meinung. Nach erfolgloser Anfechtungsklage konnte folglich immer noch eine Nichtigkeitsklage versucht werden, in der der Anfechtungsgrund als Nichtigkeitsgrund vorgebracht wurde.120 Von dieser Sichtweise hat sich der BGH im Jahr 1997 gelöst und einen einheitlichen Streitgegenstand für Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage angenommen.121 Da beide Klagen dasselbe „materielle Ziel“ verfolgen, haben sie auch denselben Streitgegenstand, wenn zur Begründung derselbe Lebenssachverhalt vorgetragen wird.122 Gemeinsamer Streitgegenstand von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen ist also das Begehren des Klägers, die Nichtigkeit eines bestimmten Hauptversammlungsbeschlusses mit Wirkung für und gegen jedermann zu klären.123 Erneut beobachten wir eine Lösung vom Antragswortlaut zugunsten einer Beachtung des zugrunde liegenden materiellen Rechts. Im Übrigen ist nach Ansicht der Rechtsprechung auch der begründende Sachverhalt Teil des Streitgegenstands. Bleibt nur noch zu klären, wie der Lebenssachverhalt abgegrenzt wird. Der BGH hat den Streit, der auch hier zwischen den Extrempositionen einer sehr engen Begrenzung auf einzelne Fehlergründe und einer sehr großzügigen Einheitsbildung ausgetragen wurde, in einer Entscheidung aus dem Jahre 2002 entschieden, und zwar zugunsten der letzteren Ansicht.124 Mehrere Umstände, die für sich genommen die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses bewirken, sind daher in einem Streitgegenstand zusammengefasst. Tragender Gedanke hinter dieser besonderen Grenzziehung des Sachverhalts ist das erforderliche Maß an Rechtssicherheit, das wegen der Arbeits- und Funktionsfähigkeit innerhalb der Aktiengesellschaft als besonders hoch eingeschätzt 118

Zöllner ZGR 1982, 623 (628); Hüffer AktG (2004) § 248 Rdnr. 9. Zöllner ZGR 1982, 623 (629). 120 Zur historischen Entwicklung der Ansichten zu diesem Problem Sosnitza NZG 1998, 335 (336 f.). 121 BGH v. 17.2.1997 NJW 1997, 1510. 122 BGH v. 17.2.1997 NJW 1997, 1510 (1511). 123 AnwKommAktienrecht/Heidel (2003) § 246 AktG Rdnr. 20. 124 BGH v. 22.7.2002 NJW 2002, 3465. 119

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wird. Es soll verhindert werden, dass derselbe Kläger denselben Beschluss erneut einer gerichtlichen Überprüfung unterziehen kann. Führt der Kläger im Laufe des Verfahrens einen zusätzlichen Fehler zur Begründung ein, so ist dies keine Klageänderung.125 Auf der anderen Seite ist nach Abschluss eines Verfahrens eine zweite Klage des Klägers gegen denselben Beschluss wegen der entgegenstehenden Rechtskraft ausgeschlossen, auch wenn er neue Fehler des Beschlusses geltend machen will.126 Man kann bei der aktienrechtlichen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage beobachten, wie der BGH bei der Streitgegenstandsbildung die tatsächlichen und rechtlichen Besonderheiten im Recht der Aktiengesellschaft einfließen lässt. (3) Der Streitgegenstand in Abstammungsprozessen Bezüglich der Abstammung eines Kindes ist die leibliche Mutter in aller Regel eindeutig zu bestimmen; in § 1591 BGB wird derjenigen Frau das rechtliche Mutter-Kind-Verhältnis zugeschrieben, die das Kind geboren hat. Gerichtsverfahren zur Klärung der rechtlichen Stellung als Mutter sind daher eine Ausnahme.127 Abstammungsprozesse sind also in aller Regel Prozesse zur Feststellung oder Klärung der Vaterschaft, die in tatsächlicher Hinsicht weitaus schwieriger zu ermitteln sein kann. Das materielle Abstammungsrecht der §§ 1592 ff. BGB knüpft an verschiedene äußere Tatbestände an, um die rechtliche Stellung als Vater zuzuordnen. So gilt gem. §§ 1592 Nr. 1, 1593 BGB der Ehemann der Mutter unter gewissen Voraussetzungen als Vater. Gem. § 1592 Nr. 2 BGB ist derjenige der Vater, der die Vaterschaft anerkannt hat. Eine Anerkennung ist aber nur möglich, wenn keine andere Vaterschaft besteht, vgl. § 1594 Abs. 2 BGB. Bereits an dieser Vorschrift kann man erkennen, dass es im System der rechtlichen Vaterschaftsbestimmung eine negative Sperrwirkung gibt:128 Solange eine rechtliche Vaterschaft besteht, kann niemand anderes wirksam die Vaterschaft begründen oder für sich in Anspruch nehmen. Eine bestehende rechtliche Vaterschaft, sei es durch Ehe oder wirksame Anerkennung begründet, kann nur gem. § 1599 BGB angefochten werden. Die Anfechtung kann nur durch eine Klage geltend gemacht werden. Anfechtungsberechtigt ist neben dem rechtlichen Vater, der Mutter und dem Kind neuerdings129 gem. 125 Kritisch Bork NZG 2002, 1094, weil der Kläger nun in einer Anfechtungsklage neue Anfechtungsgründe über die Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG hinaus nachschieben könne. 126 In der Begründung hob der BGH diese Konsequenz seiner Ansicht hervor, sie bringe ein erwünschtes Maß an Rechtssicherheit, BGH v. 22.7.2002 NJW 2002, 3465 (3466). 127 Denkbare Ausnahmen bei Kindesverwechselung und Ähnliches erwähnt Zöller/ Philippi ZPO (2005) § 640 Rdnr. 7. 128 Rauscher Familienrecht (2001) Rdnr. 770. 129 § 1600 BGB geändert durch Gesetz vom 23.4.2004 (BGBl 2004 I 598).

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§ 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch der sog. Vaterschaftsprätendent, also ein Mann, der sich für den Erzeuger des Kindes hält. Die Anfechtungsklage ist Kindschaftssache gem. § 640 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und zählt zu den Gestaltungsklagen,130 weil nur durch das Urteil im Anfechtungsverfahren das bestehende Vater-Kind-Verhältnis beseitigt werden kann. Ist das geschehen, kann ein anderer Mann durch Anerkennung eine Vaterschaftsstellung begründen. Wenn das Kind mangels Ehe der Mutter oder Anerkennung vaterlos ist oder aber durch erfolgreiche Anfechtung vaterlos geworden ist, kann die Vaterschaft durch ein Feststellungsverfahren gem. § 1600d BGB gerichtlich bestimmt werden. Auch dieser Prozess ist ein Kindschaftsverfahren gem. § 640 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Wird im Urteilsausspruch jemand als Vater festgestellt, dann ist er gem. § 1592 Nr. 3 BGB auch materiell-rechtlich der Vater. Ob deshalb die Vaterschaftsfeststellungsklage zu den Gestaltungsklagen gehört, ist umstritten.131 Klageberechtigt sind gem. § 1600e BGB das Kind, die Mutter und der präsumtive Vater.132 Die Klage kann in positiver wie negativer Weise formuliert werden;133 d.h. ein Vaterschaftsprätendent kann gegen das vaterlose Kind auf Feststellung seiner Vaterschaft klagen, ebenso wie ein Mann auf Feststellung klagen kann, dass er nicht Vater sei. Das Kind oder die Mutter können gegen einen Mann auf Feststellung dessen Vaterschaft klagen, sowie auch auf Feststellung, dass ein Vaterschaftsprätendent nicht Vater sei, was aber eher selten vorkommen wird. Neben dieser Feststellungsklage direkt zur Vaterschaft gibt es noch die Klage auf Feststellung der (Un-)Wirksamkeit der Vaterschaftsanerkennung gem. § 640 Abs. 2 Nr. 1 2. Halbsatz ZPO. Damit wird nicht die Anerkennung angefochten, sondern die Feststellung ihrer Unwirksamkeit wegen Fehlens der formellen Voraussetzungen gem. §§ 1594 ff. BGB begehrt.134 Äußerungen zur Streitgegenstandsbestimmung speziell von Vaterschaftsanfechtungs- und Vaterschaftsfeststellungsklage sind selten zu finden. Nimmt man die allgemeinen Äußerungen zur Feststellungs- und Gestaltungsklage, so ist der Streitgegenstand durch den Antrag zu bestimmen.135 Der Streit, ob der zur Begründung vorgetragene Sachverhalt mit zur Streitgegenstandsbestimmung heranzuziehen ist,136 hat wegen der Besonderheiten der Vaterschaftsbestimmung im Grunde genommen keine Auswirkungen. Der für die Zeugung des Kindes in 130

BGH v. 20.1.1999 NJW 1999, 1632. Dafür zum Beispiel MünchKommZPO/Coester-Waltjen Band 2 (2000) § 640 Rdnr. 19; Wieser NJW 1998, 2023; dagegen Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 168 Rdnr. 31; MünchKommBGB/Seidel Band 8 (2002) § 1600 d Rdnr. 17. 132 MünchKommZPO/Coester-Waltjen Band 2 (2000) § 640 Rdnr. 26. 133 MünchKommBGB/Seidel Band 8 (2002) § 1600 e Rdnr. 31. 134 MünchKommZPO/Coester-Waltjen Band 2 (2000) § 640 Rdnr. 35. 135 Vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) § 640c Rdnr 4. 136 Dafür zumindest bei der Vaterschaftsanfechtungsklage BGH v. 30.10.2002 NJW 2003, 585 (586) für die Reichweite der materiellen Rechtskraft. 131

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Frage kommende Zeitraum muss in aller Regel umfassend in einem Prozess gewürdigt werden.137 Hinzu treten immer zuverlässigere Ergebnisse bei der genetischen Begutachtung,138 deren Ergebnis für die Entscheidung besonderes Gewicht hat. Besondere Untersuchungen zum Streitgegenstand drängen sich aber auch deshalb nicht auf, weil das Gesetz in § 640c Abs. 2 ZPO eine besondere Regelung zur Rechtshängigkeit enthält.139 Diese Vorschrift verbietet parallele „entsprechende“ Verfahren und bezieht sich nicht wie § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO in ihrem Tatbestand auf die „Streitsache“. Streitgegenstandsidentität im herkömmlichen Sinn ist daher nicht erforderlich.140 Diese erweiterte Sperre blockiert alle nachfolgenden Abstammungsprozesse, die dasselbe Kind betreffen,141 gleich ob der Antrag nun auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der Vaterschaft, auf Anfechtung der Anerkennung oder die Feststellung ihrer Nichtigkeit gerichtet ist. Die klageberechtigten Personen, die weitere Abstammungsprozesse bezüglich desselben Kindes anstrengen wollen, müssen also Widerklage erheben oder dem laufenden Prozess beitreten.142 Dem Begriff des Streitgegenstands nach der herkömmlichen zweigliedrigen Definition kommt folglich bei der Rechtshängigkeitssperre wegen der speziellen Vorschrift in § 640c Abs. 2 ZPO keine Funktion zu. 4. Das kontradiktorische Gegenteil Die Bedeutung des Antrags für den Streitgegenstand könnte den Parteien theoretisch die Möglichkeit eröffnen, durch eine bloße Umformulierung des Wortlauts in einer zweiten Klage das Gegenteil des ersten Rechtsschutzbegehrens zu verfolgen. Beispiel: A hat gegen B auf Feststellung geklagt, dass A Eigentümer einer bestimmten Sache sei. B klagt nun gegen A in einem weiteren Verfahren auf Feststellung, dass A nicht Eigentümer sei. 137 Eine denkbare Ausnahme wäre höchstens, dass eine Mutter einen Beischlaf mit dem fraglichen beklagten Vater behauptet, für den dem Beklagten der Gegenbeweis gelingt, und erst nach Abweisung der Feststellungsklage gegen den Beklagten erinnert sich die Mutter an einen zweiten Beischlaf mit ihm im möglichen Empfängniszeitraum. Dieses Problem kann sich allerdings nur dann stellen, wenn eine sichere Begutachtung durch eine genetische Analyse nicht möglich ist. 138 Vgl. MünchKommBGB/Seidel Band 8 (2002) § 1600 d Rdnr. 65 ff. 139 Zöller/Philippi ZPO (2005) § 640c Rdnr. 6; der BGH v. 27.3.2002 NJW 2002, 2109 (2110) setzt in Zusammenhang mit § 640c Abs. 2 ZPO den Begriff „Rechtshängigkeitssperre“ in Anführungszeichen. 140 Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) § 640c Rdnr. 4. 141 Hk-ZPO/Kemper (2006) § 640c Rdnr. 8; Zöller/Philippi ZPO (2005) § 640c Rdnr. 6. 142 Musielak/Borth ZPO (2005) § 640c Rdnr. 4; Zöller/Philippi ZPO (2005) § 640c Rdnr. 6.

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Da hier der Antrag der zweiten Klage abweichend vom Antrag der ersten Klage formuliert ist, könnte man auf den Gedanken kommen, es handele sich um verschiedene Streitgegenstände. Nicht so die herrschende Meinung in der Literatur und vor allem die Rechtsprechung: Nach ihrer Ansicht wird mit der Feststellung einer Rechtsfolge zugleich das Nichtvorliegen des mit ihr unvereinbaren Gegenteils festgestellt.143 Der BGH begründet dieses Ergebnis, wie bereits ausgeführt, mit der Identität des Streitgegenstands:144 „Dabei ist Identität der Streitgegenstände nicht nur dann anzunehmen, wenn der nämliche Streitgegenstand zwischen denselben Parteien rechtshängig gemacht wird. Vielmehr sind die Streitgegenstände auch identisch, wenn im Zweitprozess der Ausspruch des kontradiktorischen Gegenteils begehrt wird.“145

Mit anderen (sprachlich nicht ganz logischen) Worten: Derselbe Streitgegenstand liegt auch bei kontradiktorischem Gegenteil des Streitgegenstands vor. Andere nehmen verschiedene Streitgegenstände an, allerdings werde die Rechtskraft eines Urteils über seinen Gegenstand hinaus auf das Gegenteil erstreckt.146 Diese Aussage gilt anscheinend im Grundsatz auch für die Rechtshängigkeitssperre. Allgemein unterscheidet man zwei Arten des kontradiktorischen Gegenteils: das sog. „unmittelbare“ (logische) Gegenteil und das unechte kontradiktorische Gegenteil. Beim unmittelbaren Gegenteil ist der Widerspruch bereits in den Anträgen zu erkennen. Dies ist vor allem bei Feststellungsklagen möglich, aber auch im Verhältnis von Feststellungs- zu Leistungsklage möglich, da hier in die Verurteilung zur Leistung auch eine Feststellung über die Leistungspflicht hineingelesen wird [vgl. oben bei Fn. 24].147 Beispiel: Typisch für ein kontradiktorisches Gegenteil ist das bereits geschilderte Beispiel der Klage auf Feststellung, dass A Eigentümer sei, und einer parallelen oder nachfolgenden Klage auf Feststellung, dass A nicht Eigentümer sei. Im selben Verhältnis stehen die Klage auf Zahlung von 1000 A und die Klage auf Feststellung, dass der Kläger des ersten Prozesses keinen Anspruch auf 1000 A habe, sofern der zur Begründung vorgetragene Lebenssachverhalt als identisch zu werten ist. In beiden Fällen haben die Klagen denselben Streitgegenstand.

Bei Vaterschaftsfeststellungsklage gibt es mit § 641h ZPO eine besondere Vorschrift zum kontradiktorischen Gegenteil. Klagt ein Mann auf Feststellung, 143

BGH v. 7.7.1993 NJW 1993, 2864; Jauernig ZPR (2003) § 63 II (S. 158). Vgl. auch Musielak Grundkurs ZPO (2004) Rdnr. 566. 145 BGH v. 17.3.1995 NJW 1995, 1757; ebenso BGH v. 26.6.2003 NJW 2003, 3058 (3059). 146 So explizit Musielak Grundkurs ZPO (2004) Rdnr. 566; ebenso in der Sache Schellhammer Zivilprozess (2004) Rdnr. 875; Zeiss/Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 571; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 153 Rdnr. 2 ff.; A. Blomeyer ZPR (1985) § 89 V 3 (S. 490). 147 MünchKommZPO/Gottwald Band 1 (2000) § 322 Rdnr. 39. 144

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er sei nicht der Vater eines Kindes, muss bei Unbegründetheit dieser Klage das Gericht nicht bloß die Klage abweisen, sondern darüber hinaus von Amts wegen gem. § 641h ZPO im Urteilstenor die Vaterschaft feststellen. Zu dieser Vorschrift wurde kommentiert, es handele sich lediglich um eine Klarstellung,148 die keine Abweichung vom Grundsatz der Bindung an die Anträge (§ 308 ZPO) sei, da der Tenor im Rahmen des vom Klageantrag erfassten „Erkenntnisgegenstands“ bleibe.149 Beide zitierten Anmerkungen weisen nicht ausdrücklich darauf hin, dass es sich um einen Fall des echten kontradiktorischen Gegenteils handelt. Wenn die negative Vaterschaftsfeststellungsklage als unbegründet abgewiesen wird, ist damit zugleich festgestellt, dass der Kläger Vater ist.150 Das ist generell per Auslegung dem klageabweisenden Tenor zu entnehmen. Darum ist die ausdrückliche Tenorierung gem. § 641h ZPO reine Klarstellung. Und der Tenor überschreitet auch nicht den Rahmen des Klageantrags, weil er nicht mehr Rechtswirkung schafft als die reine Klageabweisung. Die Feststellung, dass jemand nicht Vater ist, und die Feststellung, dass diese Person Vater ist, gehören schon nach allgemeiner Lehre zu ein und demselben Streitgegenstand. Zwei Leistungsklagen dagegen können streng genommen nicht im Verhältnis des logischen Gegensatzes zueinander stehen.151 Das logische Gegenteil wäre: „A wird nicht verurteilt zu leisten . . .“, aber eine solche negative Leistungsklage gibt es nicht, sie wäre auch unsinnig. Es wird jedoch auch dann von einem kontradiktorischen Gegenteil gesprochen, wenn zwei Klagen auf Ansprüche gestützt sind, von denen materiell-rechtlich beurteilt nur einer bestehen kann, und daher im Verhältnis der logischen Alternativität zueinander stehen. Klaus Reischl bezeichnet solche Fälle als „unechtes kontradiktorisches Gegenteil“.152 Beispiel: A verklagt B auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme. Der Klage wird stattgegeben. Aufgrund des Urteils zahlt B. In einem zweiten Prozess klagt B nun gegen A auf Rückzahlung dieser Summe wegen ungerechtfertigter Bereicherung. A habe gar keinen Anspruch auf die Zahlung gehabt.

Der BGH153 führt zu dieser Fallkonstellation aus, dass die zweite Klage des B wegen der entgegenstehenden Rechtskraft des ersten Urteils nicht zulässig 148

Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) § 641h Rdnr. 1. MünchKommZPO/Coester-Waltjen Band 2 (2000) § 641h Rdnr. 3. 150 Hk-ZPO/Kemper (2006) § 641h Rdnr. 1. – Abweisungen wegen einer non-liquet-Situation gibt es nach herrschender Meinung im deutschen Kindschaftsrecht nicht mehr, vgl. MünchKommZPO/Coester-Waltjen Band 2 (2000) § 641h Rdnr. 2 m.w. N.; Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) § 641h Rdnr. 2; a. A. Zöller/Philippi ZPO (2005) § 641h Rdnr. 4 f. 151 MünchKommZPO/Gottwald Band 1 (2000) § 322 Rdnr. 40; ihm zustimmend BGH v. 7.7.1993 NJW 1993, 2864 (2685). 152 Reischl Die objektiven Grenzen der Rechtskraft S. 210 unter Berufung auf Koussolis. 153 BGH v. 11. 3. 1953 LM Nr. 10 zu § 322 ZPO. 149

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sei. Der Kläger stelle mit seiner nachfolgenden Klage ein bereits im ersten Prozess gefundenes Ergebnis, ob nämlich A aufgrund desselben Tatbestands, der bereits den Gegenstand des Vorprozesses bildete, ein Anspruch entstanden ist, erneut in Frage. Die Rechtskraft wolle gerade die obsiegende Partei davor schützen, sich wegen derselben Sache mit derselben Partei nochmals auseinandersetzen zu müssen. Deshalb lasse sie nicht zu, dass das aufgrund eines rechtskräftigen Urteils Beigetriebene in einem neuen Rechtsstreit als grundlose Bereicherung zurückgefordert wird. Präziser sollte man nicht vom kontradiktorischen Gegenteil sprechen, sondern von einem kontradiktorischen Gegenrecht oder einem kontradiktorischen Anspruch.154 Denn in diesen Fällen wird das kontradiktorische Gegenteil nur angenommen, weil es sich um eine evidente materiellrechtliche Unvereinbarkeit zweier Urteile handelt.155 Nicht völlig geklärt ist, ob das sog. unechte kontradiktorische Gegenteil auch die Annahme ein und desselben Streitgegenstands in beiden Verfahren rechtfertigt.156 Die Urteilsbegründung des BGH im Beispielsfall157 deutet auf die Annahme von Streitgegenstandsidentität hin; der BGH spricht immerhin von „der gleichen Sache“. Das OLG Köln nimmt in einer Entscheidung aus dem Jahr 1982 ausdrücklich Streitgegenstandsidentität an; es werde nur „scheinbar ein neues Begehren“ geltend gemacht.158 Überwiegend wird jedoch die Streitgegenstandsidentität verneint. Auch der BGH bezeichnet in einem sehr viel späteren Urteil das Verhältnis zweier Ansprüche, die er für kontradiktorische Gegensätze hält,159 als Präjudizialitätsverhältnis.160 In der Literatur findet diese Auffassung Zustimmung.161 Streitgegenstandsidentität sei in diesen Fällen aber nicht gegeben, das kontradiktorische Gegenrecht (z. B. der Bereicherungsanspruch) zur Klageforderung im Erstprozess (z. B. Anspruch auf Erfüllung) sei gerade nicht Gegenstand des Erstprozesses.162 Eindeutig ist die Position der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht. In einigen Entscheidungen, in denen es um ein kontradiktorisches Gegenrecht 154

So der BGH v. 20.10.1995 JZ 1996, 524 (525). MünchKommZPO/Gottwald Band 1 (2000) § 322 Rdnr. 40. 156 Reischl Die objektiven Grenzen der Rechtskraft (2002) S. 210 stellt fest, dass es sich um eine zwischen Identität und Präjudizialität angesiedelte Konstellation handele. 157 BGH v. 11.3.1953 LM Nr. 10 zu § 322 ZPO. 158 OLG Köln v. 19.11.1982 MDR 1983, 411. 159 Es handelte sich um einen Wohnungskauferfüllungsanspruch und einen Anspruch auf Zustimmung zur Löschung einer Auflassungsvormerkung zur Sicherung dieses Anspruchs. 160 BGH v. 20.10.1995 JZ 1996, 524. 161 Berger Die subjektiven Grenzen der Rechtskraft (1992) S. 130; Reischl Die objektiven Grenzen der Rechtskraft (2002) S. 210 f.; Zeuner Die objektiven Grenzen der Rechtskraft (1959) S. 55; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) vor § 322 Rdnr. 25 (Bindung an das erste Urteil). 162 Walker LM Nr. 144 Bl. 4 zu § 322 ZPO. 155

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ging, hat der BGH die Bindung an das erste Urteil mit einer offenbar eigenständigen Präklusionswirkung begründet: Die Rechtskraft der vorangehenden Entscheidung dürfe nicht ausgehöhlt werden, indem eine Abweichung von der rechtskräftig festgestellten Rechtsfolge angestrebt wird und dazu vorgebracht wird, das rechtskräftige Urteil beruhe auf falschen tatsächlichen Feststellungen. Daher werde der Kläger des nachfolgenden Prozesses nicht mit Tatsachen gehört, die er schon im ersten Prozess hätte vorbringen können und müssen.163 Für die Beurteilung der Rechtskraftwirkung des ersten Urteils mag dieser Streit noch marginale Bedeutung haben. Bei Präjudizialität hält das zweite Gericht sich an das erste Urteil und erlässt ein entsprechendes Sachurteil. Bei Streitgegenstandsidentität verweigert es ein Sachurteil wegen entgegenstehender Rechtskraft. Für die Koordination zeitgleich laufender Prozesse dagegen ist die Entscheidung zwischen Streitgegenstandsidentität und Präjudizialität von weichenstellender Bedeutung. Allerdings stellt sich die Frage im oben genannten Beispielsfall selten, weil typischerweise der Prozessverlierer das erste Urteil wirtschaftlich besehen rückgängig machen will. Es handelt sich vielmehr um ein Problem nacheinander ablaufender Prozesse, mithin um ein Problem der materiellen Rechtskraft. Parallele Prozesse im Verhältnis eines unechten kontradiktorischen Gegenteils kann es im folgenden Beispiel geben: A klagt gegen B auf Feststellung seines Eigentums. Kurz darauf erhebt B seinerseits Klage auf Feststellung seines Eigentums vor einem anderen Gericht.

Nach verbreiteter Meinung haben zwei Klagen von A und B auf Feststellung des Eigentums an einer Sache unterschiedliche Streitgegenstände, weil die Anträge unterschiedlich formuliert sind.164 Die Klage des B betreffe nicht bloß das kontradiktorische Gegenteil der Klage des A;165 das kontradiktorische Gegenteil läge in der Feststellung, A sei nicht Eigentümer. Die Klage des B gehe darüber hinaus, deshalb sei sie auch als Widerklage im ersten Prozess geeignet und zu empfehlen, denn die bloße Abweisung der Klage des A gegen B stelle noch nicht das Eigentum des B fest.166 Wenn im ersten Prozess das Eigentum des A rechtkräftig festgestellt wurde, soll diese Entscheidung trotz der unterschiedli163

BGH v. 7.7.1993 NJW 1993, 2684 (2685); BGH v. 11.11.1994 NJW 1995, 967

(968). 164 A. Blomeyer ZPR (1985) § 89 V 3 (S. 490); Musielak/Musielak ZPO (2005) § 322 Rdnr. 21; a. A. Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 197. 165 Jauernig ZPR (2003) § 63 II (S. 254); a. A. Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 197 insbesondere dort Fn. 254; A. Blomeyer ZPR (1985) § 89 V 2 (S. 490), der allerdings auch von verschiedenen Streitgegenständen ausgeht. 166 Jauernig ZPR (2003) § 46 I (S. 189); Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) § 33 Rdnr. 21; MünchKommZPO/Patzina Band 1 (2000) § 33 Rdnr. 9; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) § 33 Rdnr. 7; das räumt auch Zeuner Die objektiven Grenzen der Rechtskraft (1959) S. 11 f. ein.

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chen Streitgegenstände nicht ohne Einfluss auf den zweiten Prozess bleiben. Die Rechtskraft der Feststellung des Eigentums von A umfasse auch die Feststellung, B sei nicht Eigentümer.167 Mehr oder weniger unverblümt wird der Urteilsgegenstand hier also weiter gezogen als der Verfahrensgegenstand. Dieses Ergebnis widerspricht aber dem einleuchtenden Grundsatz, dass die Bindung der Parteien an ein Urteil niemals weiter gehen kann als über den Gegenstand hinaus, um den sie im Verfahren gestritten haben.168 Nach anderer Ansicht haben beide Klagen trotz verschiedener Anträge einen identischen Streitgegenstand.169 Beide Meinungen unterscheiden sich indes nicht im Ergebnis: Wurde dem Kläger ein Recht zugesprochen, das nur einer Person zustehen kann, so sei damit zugleich festgestellt, dass der Beklagte nicht Inhaber des Rechts ist.170 Damit ist aber nur die Frage der Rechtskraftreichweite beantwortet. Solche Klagen können aber durchaus parallel laufen, wenn nämlich B nicht Widerklage erhebt, sondern gesonderte Klage an einem ihm genehmen Gericht. Wer identische Streitgegenstände annimmt, kann das Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre einfach begründen. Dazu mehr unten bei B.II.7. 5. Streitgegenstand und Vorfragen Die herrschende Sichtweise im deutschen Recht hat zur Folge, dass die Vorfragen des prozessualen Anspruchs (der Rechtsbehauptung bzw. des Klagebegehrens) nicht Teil des Streitgegenstands sind. Obwohl der Rechtsfrieden und die Entlastung der Gerichte für eine möglichst umfassende Rechtskraftwirkung sprechen, hat sich der historische Gesetzgeber für eine begrenzte Reichweite der Rechtskraft entschieden, um die Beteiligten vor Überraschungen durch bindende Feststellungen zu Vorfragen zu bewahren, um die nicht mit letzter Konsequenz gestritten wurde.171 Daher greift auch keine Rechtshängigkeitssperre ein, wenn der Gegenstand des einen Verfahrens präjudiziell für das andere Verfahren ist172 und beide Verfahren daher im Verhältnis der Präjudizialität stehen [vgl. oben A.III.1.b)]. In einem solchen Fall kommt nur die Aussetzung gem. § 148 ZPO

167 A. Blomeyer ZPR (1985) § 89 V 3 (S. 490); Musielak/Musielak ZPO (2005) § 322 Rdnr. 21. 168 Vgl. Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 103 a. E. 169 Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 197 insbesondere dort Fn. 254; Schilken ZPR (2002) Rdnr. 1028. 170 So die Formulierung des BGH v. 7.7.1993 NJW 1993, 2684 (2685) mit Zitat Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 197. 171 Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 75 ff. 172 Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 3 (1997) § 261 Rdnr. 55; MünchKommZPO/ Lüke Band 1 (2000) § 261 Rdnr. 56; A. Blomeyer ZPR (1985) § 49 III 1 (S. 274); Schilken ZPR (2002) Rdnr. 237.

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in Betracht. Diese These ist weitgehend festgefügte Meinung im deutschen Prozessrecht; nur vereinzelt trifft man auf Stellungsnahmen, die aus Gründen der Prozessökonomie die Einbeziehung präjudizieller Fragen in den Streitgegenstand vorschlagen.173 Ebensowenig greift die Rechtshängigkeitssperre ein, wenn beide Verfahren lediglich identische Vorfragen haben [vgl. oben A.III.1.c)].174 6. Das Verhältnis von Rechtshängigkeitssperre und Rechtskraft a) Rechtskraftwirkungen und rechtskraftähnliche Wirkungen Die materielle Rechtskraft verbietet einerseits, einen bereits entschiedenen prozessualen Anspruch erneut einzuklagen, und bewirkt andererseits, dass in noch zu entscheidenden Prozessen die Gerichte an das rechtskräftige Urteil gebunden sind175 [vgl. schon oben A.II.3.c) bei Fn. 59]. Auf diese Weise ist sie in der Lage, die Ergebnisse von Verfahren mit identischem Ziel [vgl. oben A.III.1.a)] und von Verfahren im Verhältnis der Präjudizialität [vgl. oben A.III.1.b)] aufeinander abzustimmen. Infolge der Streitgegenstandsbestimmung der herrschenden Meinung erfasst auch die materielle Rechtskraft nicht die Feststellungen über entscheidungserhebliche Vorfragen, seien es nun Tatsachen oder präjudizielle Rechtsverhältnisse.176 Selbst wenn sich das Gericht ein Urteil über diese Vorfragen bilden muss, um die Klage entscheiden zu können, so können die Vorfragen in anderen Verfahren abweichend beurteilt werden. Folglich trägt die Rechtskraft bei Verfahren mit identischen Vorfragen [vgl. oben A.III.1.c)] nichts zur Abstimmung bei. Will eine der Parteien eine bindende Feststellung von präjudiziellen Rechtsverhältnissen erreichen, muss sie per Zwischenfeststellungsklage gem. § 256 Abs. 2 ZPO das betreffende Rechtsverhältnis selbst zum Streitgegenstand machen. Mit der Erhebung einer Zwischenfeststellungsklage verändert sich das Verhältnis zweier Verfahren, die bisher gemeinsame Vorfragen hatten. Da mindestens eine Vorfrage nunmehr selbst Streitgegenstand wird, stehen die Verfahren im weiteren Verlauf im Präjudizialitätsverhältnis. Zur Koordination paralleler Verfahren bei Präjudizialitätsverhältnis vgl. unten B.II.6.f). 173 Beys ZZP 105 (1992), 145 (173), der auf entsprechende Regelungen im griechischen Recht verweist (a. a. O. 167 ff.). 174 Hk-ZPO/Saenger (2006) § 261 Rdnr. 18; Zöller/Greger ZPO (2005) § 261 Rdnr. 10. 175 Grunsky ZPR (2006) Rdnr. 233 ff.; Jauernig ZPR (2003) § 61 I (S. 247); Zeiss/ Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 558 ff. 176 BGH v. 7.7.1993 NJW 1993, 2684 (2685); Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 152 Rdnr. 11 ff.; Zeiss/Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 573 ff.; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) vor § 322 Rdnr. 34; zur Entscheidung des historischen Gesetzgebers für diese begrenzte Rechtskraftwirkung siehe oben Fn. 171.

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Eine besondere Bindung an Urteilselemente nach deutschem Zivilprozessrecht erzeugt die Interventionswirkung gem. § 68 ZPO. Sie ist Folge der Nebenintervention eines Dritten, der an dem Prozesssieg einer Partei ein rechtliches Interesse hat (§ 66 ZPO) und ihr deshalb zur Unterstützung beitritt. Der Nebenintervenient wird nicht Partei des Prozesses,177 hat aber gewisse Beteiligungsrechte gem. §§ 67, 69 ZPO, um zum Erfolg der unterstützten Partei beizutragen. Kehrseite seiner Beteiligung ist die Interventionswirkung gem. § 68 ZPO, derzufolge sich der Nebenintervenient nicht auf die Unrichtigkeit des Urteils berufen darf. Er ist also an die Entscheidung gebunden, und zwar nicht nur an den Ausspruch über den Streitgegenstand, sondern auch an die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen der Urteilsbegründung, auf denen der Ausspruch beruht.178 Insofern unterscheidet sich die Interventionswirkung von der Rechtskraft, die die Begründungselemente der Entscheidung nicht umfasst.179 Weil sie eine Bindung an die Entscheidung für Folgeentscheidungen bewirkt, kann man sie als rechtskraftähnlich charakterisieren.180 Die Interventionswirkung ist auch die Folge einer Streitverkündung gem. §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO. Die Streitverkündung geht nicht von einem Dritten aus, sondern von einer Partei, die im Fall eines ihr ungünstigen Prozessausgangs einen Anspruch gegen einen Dritten zu haben glaubt oder den Anspruch eines Dritten fürchtet (§ 72 ZPO). Ein Beispiel für eine solche Situation wurde bereits oben gegeben [vgl. A.III.2.c)]: Beispiel: K kauft von V eine Sache, die er an D weiterveräußert. D klagt im weiteren Verlauf gegen K, weil die Sache Mängel aufweise, die bei D zu einem Schaden geführt hätten. Wenn die Sache wirklich mangelhaft ist, hat grundsätzlich auch K einen Gewährleistungsanspruch gegen seinen Verkäufer V. Ob die Sache wirklich mangelhaft ist, ist daher nicht nur in diesem Prozess, sondern auch im Fall einer Klage des K gegen V wegen Gewährleistung entscheidend für den Ausgang.

Wenn K aufgrund der Klage des D zur Gewährleistung verurteilt wird, könnte V grundsätzlich in der Rückgriffsklage des K weiterhin den Mangel der Sache bestreiten, weil ihn das Urteil zwischen K und D nicht betrifft und nicht binden kann.181 Aus diesem Grund könnte K beide Prozesse verlieren, obwohl er nach materieller Rechtslage einen der Prozesse gewinnen müsste. Um genau dieses Ergebnis zu verhindern, stellt die ZPO das Instrument der Streitverkün-

177 Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) § 66 Rdnr. 1; MünchKommZPO/Schilken Band 1 (2000) § 67 Rdnr. 2; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) § 67 Rdnr. 1. 178 BGH v. 27.11.2003 BGHZ 157, 97 (99); Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) § 68 Rdnr. 5. 179 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 50 Rdnr. 66; Zeiss/Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 758. 180 So Jauernig ZPR (2003) § 83 V (S. 346). 181 Grunsky ZPR (2006) Rdnr. 128 zu einem ähnlichen Beispiel.

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

dung bereit.182 Wenn sich V nicht als Nebenintervenient an der Klage beteiligt, steht K der Weg der Streitverkündung offen, um durch die Interventionswirkung den V an das Ergebnis des Prozesses zwischen K und D zu binden. Aufgrund der bindenden Entscheidung auch über Vorfragen verändert sich durch Nebenintervention und Streitverkündung das Verhältnis zweier Verfahren: Hatten sie zuvor lediglich gemeinsame Vorfragen, stehen sie danach im Verhältnis der Präjudizialität [vgl. oben A.III.2.b) und c)]. Zur Koordination solcher paralleler Verfahren vgl. unten B.II.6.f) und B.III.4. b) Streitgegenstand und Urteilsgegenstand Die materielle Rechtskraft und die ihr ähnliche Interventionswirkung sorgen für eine Abstimmung der Prozessergebnisse. Die übrigen Maßnahmen (Rechtshängigkeitssperre, Aussetzung, Verbindung und Verweisung zur Verbindung) ordnen das Verhältnis noch laufender Prozesse. Dabei fällt auf, dass die Rechtshängigkeitssperre dem Wiederholungsverbot der materiellen Rechtskraft entspricht. Die Anordnung des „ne bis in idem“ verbietet das erneute Begehren einer gerichtlichen Entscheidung über einen bereits entschiedenen prozessualen Anspruch, die Rechtshängigkeitssperre die doppelte Klage bezüglich desselben Anspruchs. Es wurde daher bereits frühzeitig und völlig zu Recht ein funktioneller Gleichklang zwischen Rechtshängigkeit und Rechtskraft entdeckt: Die Rechtshängigkeitssperre sichere die spätere Rechtskraft und damit deren Wiederholungsverbot,183 an Stelle der Rechtshängigkeitssperre trete die Rechtskraft.184 Wegen dieses funktionellen Zusammenspiels ist weit verbreitete Meinung, dass sich die sachlichen Grenzen bei der Rechtshängigkeitssperre entsprechen müssten185 und daher der Streitgegenstand bei Rechtshängigkeit und Rechtskraft übereinstimmend gebildet werden müsse.186 Diese Meinung ist auch mit dem Justizgewährungsanspruch der Beteiligten begründet worden: Die Abweisung einer Klage wegen anderweitiger Rechtshängigkeit, die dann aber nachfolgend doch erhoben werden kann, sei eine übermäßige und kontraproduktive Maßnahme, die den Justizgewährungsanspruch des Zweitklägers in ungerecht182

BGH v. 14.11.1991 NJW 1992, 1698 (1699). RG v. 4.5.1939 RGZ 160, 191 (192); Bettermann Rechtshängigkeit und Rechtsschutzform (1949) S. 86 f. 184 Schack IZVR (2002) Rdnr. 765. 185 RG v. 4.5.1939 RGZ 160, 191 (192); speziell für das internationale Verfahrensrecht Dohm Die Einrede der ausländischen Rechtshängigkeit (1996) S. 150 ff. 186 MünchKommZPO/Gottwald Band 1 (2000) § 322 Rdnr. 106 f.; Jauernig ZPR (2003) § 37 VII 3 (S. 159); Hk-ZPO/Saenger (2006) Einführung Rdnr. 106; Musielak/ Musielak ZPO (2005) Einleitung Rdnr. 74; Schilken ZPR (2002) Rdnr. 225; Zeiss/ Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 569; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) vor § 322 Rdnr. 39. 183

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fertigter Weise einschränke.187 Die Rechtshängigkeitssperre müsse daher auf die Reichweite der Einrede entgegenstehender Rechtskraft abgestimmt werden. Ob diese Konsequenz wirklich zu ziehen ist, wurde wiederholt bezweifelt.188 Ulrich Herrmann bestritt bereits die Wesens- und Zweckgleichheit von Rechtshängigkeit und Rechtskraft.189 Auch Mary-Rose McGuire hält es wegen des Zwecks der Rechtshängigkeitssperre, sowohl die Rechtspflege als auch die Parteien vor Prozessverdopplung zu schützen, für möglich, parallele Verfahren in größerem Umfang zu sperren, als die materielle Rechtskraft reicht.190 Schließlich geht auch die bereits vorgestellte Lehre vom Urteilsgegenstand andere Wege und zieht die sachlichen Grenzen der Rechtskraft enger als die diejenigen der Rechtshängigkeitssperre [vgl. oben bei Fn. 11]. Anwendungsbeispiele dieser Lehre sind uns im Laufe dieser Untersuchung bereits begegnet [vgl. oben B.II.3.a) bei Fn. 79 und B.II.3.c)(1) bei Fn. 105]. Begründet wird die Erweiterung der Rechtshängigkeitssperre im Vergleich zur Rechtskraft zum einen mit dem Konzentrationseffekt, der dadurch erreicht werde.191 In der Tat werden Streitigkeiten zwischen zwei Personen in einem einzigen Verfahren konzentriert, wenn die Beteiligten angehalten werden, ihre Klagebegehren in einem bereits laufenden Verfahren geltend zu machen, anstatt separate Verfahren vor mehreren Gerichten zu eröffnen. Dafür kann die Rechtshängigkeitssperre sorgen. Das mag zwar Grund für einen weiten Anwendungsbereich der Rechtshängigkeitssperre sein, erklärt aber noch nicht, weshalb Rechtshängigkeitssperre und Rechtskraft unterschiedliche Reichweite haben sollen. Denn auch eine weite Rechtskraftwirkung zwingt die Beteiligten zur konzentrierten Streiterledigung, sogar in noch größerem Maß, weil sie ihre von der Rechtskraft präkludierten Begehren endgültig nicht mehr vor Gericht bringen können.192 Um Wirtschaftlichkeit und Konzentration bei der Verfahrensführung zu erreichen, wäre also ein gleichermaßen weiter Umfang von Rechtshängigkeitssperre und materieller Rechtskraft wünschenswert. Als weiteres Argument für einen weitergehenden Umfang der Rechtshängigkeitssperre gegenüber der Rechtskraft wird vorgebracht, dass die Rechtshängigkeit eines prozessualen Anspruchs entfallen könne, ohne dass ein Sachurteil über den betreffenden Anspruch entscheidet. Die Klage könne stets zurückge187 Dohm Die Einrede der ausländische Rechtshängigkeit (1996) S. 89 f., zu Art. 21 EuGVÜ. 188 Vgl. die Äußerungen von Leipold und Schack bei Heiderhoff Diskussionsbericht ZZP 111 (1998), 455. 189 Herrmann Die Grundstruktur der Rechtshängigkeit (1988) S. 71 f. 190 McGuire Verfahrenskoordination (2004) S. 56 f. 191 H. Köhler Der Streitgegenstand bei Gestaltungsklagen (1995) S. 94; Hau ZZP 117 (2004), 31 (35) zur Widerklagelast. 192 Vgl. die Betrachtungen von Hau ZZP 117 (2004), 31 (45 ff.) zur „definitiven Widerklagelast“.

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

nommen oder für erledigt erklärt werden.193 Werde ein Antrag unter einer innerprozessualen Bedingung gestellt (Eventualantrag), dann trete bezüglich dieses prozessualen Anspruchs Rechtshängigkeit ein. Wenn die Bedingung nicht erfüllt wird, dann ergehe ebenfalls kein Sachurteil über diesen Anspruch.194 Rechtshängigkeit trete in all diesen Beispielen ein, nicht jedoch Rechtskraft. Dieses Argument hat nur schwache Überzeugungskraft. Sicherlich wird in allen genannten Beispielen ein Anspruch zunächst rechtshängig, im weiteren Prozessverlauf über ihn aber nicht rechtskräftig entschieden. Das geschieht aber stets aus Umständen, die im Prozessverlauf selbst begründet liegen: Der Kläger verzichtet auf ein Sachurteil (Rücknahme), die Sache hat sich erledigt, oder aber der Kläger wollte eine Entscheidung über eines seiner Begehren nur unter einer bestimmten Bedingung, die eben nicht eingetreten ist. Davon zu unterscheiden ist die Situation, wenn der Streitgegenstand umfassender gebildet wird als der Urteilsgegenstand: Dann wird nicht über den gesamten Streitgegenstand geurteilt, sondern nur über einen Ausschnitt, nämlich den engeren Urteilsgegenstand. Die Beteiligten können gewisse Aspekte ihres Rechtsstreits, die vom Streitgegenstand umfasst sind, während der Dauer des Prozesses nicht anderweitig rechtshängig machen, obwohl der zu erwartende Urteilsgegenstand diese Aspekte nicht abdeckt und daher kein Sachurteil darüber ergehen wird. Dieses Konzept erscheint prinzipieller als die Berücksichtigung der außergewöhnlichen Umstände von Klagerücknahme, Erledigung etc. Es bedarf also einer tragfähigeren Begründung für eine voneinander abweichende Bestimmung von Streit- und Urteilsgegenstand. Eventuell kann man sie im Anspruch auf rechtliches Gehör der Beteiligten finden. Wir müssen daher einen kurzen Blick auf dieses Prozessgrundrecht werfen. c) Die Bedeutung des Anspruchs auf rechtliches Gehör Das rechtliche Gehör ist ein Prozessgrundrecht.195 Es wird innerstaatlich durch das Grundgesetz in Art. 103 Abs. 1 GG und international durch verschiedene Menschenrechtsverbürgungen garantiert. Im europäischen Kontext ist das Recht in Art. 6 EMRK und Art. 47 Abs. 2 EuGrCharta als Bestandteil des Rechts auf ein faires Verfahren verbürgt.196 193

McGuire Verfahrenskoordination (2004) S. 54. Lent ZZP 65 (1952), 315 (347). 195 Die Terminologie, auch die des BVerfG, ist uneinheitlich, zuletzt sprach es zugleich von einem „Verfahrensgrundrecht“ und einem „grundrechtsähnlichen Recht“, vgl. BVerfG v. 30.4.2003 NJW 2003, 1924 (1926). Für die Behandlung als Grundrecht Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann GG (1988) Art. 103 Rdnr. 4; v. Mangoldt/Klein/ Starck/Nolte GG Band 3 (2005) Art. 103 Abs. 1 Rdnr. 6. 196 BVerfG v. 30.4.2003 NJW 2003, 1924 (1926); Meyer-Ladewig Hk-EMRK (2003) Art. 6 Rdnr. 38; Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 3 (2005) vor § 128 Rdnr. 10; v. Mangoldt/Klein/Starck/Nolte GG Band 3 (2005) Art. 103 Abs. 1 Rdnr. 15 f. 194

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Der Anspruch auf rechtliches Gehörs verlangt, dass den formell oder materiell Beteiligten197 des Rechtsstreits ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt wurde. Die Anspruchsberechtigten198 müssen sich zu Tatsachen und zur Rechtslage äußern dürfen.199 Das heißt im Zivilprozess vor allem, selbst Tatsachen zu behaupten, Beweismittel dafür anzubieten und Rechtsausführungen zu machen.200 Mit den Worten von Wolfgang Grunsky: „Es geht nicht an, jemandem ein Recht abzuerkennen, ohne ihm die Möglichkeit gewährt zu haben, sein Recht zu verteidigen.“201 Selbstverständlich erschöpft sich der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht bloß in dieser Gelegenheit zur Äußerung, er beinhaltet auch die Kenntnisnahme des Gerichts, das sich mit den Äußerungen auseinandersetzen muss.202 Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist somit Verfahrensbeteiligungsrecht und steht sachlich in der Nähe des bereits erwähnten Justizgewährungsanspruchs [siehe oben A.IV.1.]. Beide Verfahrensgrundrechte sind folgendermaßen skizziert und voneinander abgegrenzt worden: Während der Justizgewährungsanspruch den Staat verpflichtet, dem Rechtsschutzsuchenden ein Gericht und ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, um Wahrheit und Gerechtigkeit erreichen zu können,203 gewährt Art. 103 Abs. 1 GG die Mitwirkung an der Wahrheits- und Rechtsfindung.204 Solange ein Verfahren vor Gericht noch nicht anhängig ist, hilft der Justizgewährungsanspruch beim Zugang zum Gericht. Sobald ein Verfahren in Gang gesetzt ist, wirkt der Anspruch auf rechtliches Gehör bei der Frage der Beteiligung am Verfahren.205 Auch der Anspruch auf rechtliches Gehör ist ebenso wie der Justizgewährungsanspruch nicht schrankenlos gewährt. Bei Art. 103 Abs. 1 GG stellt sich nach deutscher verfassungsrechtlicher Dogmatik das Problem, dass ein ausdrücklicher Vorbehalt der Einschränkung im Wortlaut fehlt. Daher können nur Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Prinzipien die

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Zur Frage, wer Träger des Grundrechts ist, später unter B.III.1. Gemeint sind nicht die nach materiellem Zivilrecht Anspruchsberechtigten, sondern die Träger des Rechts auf rechtliches Gehör. 199 Jarass/Pieroth GG (2004) Art. 103 Rdnr. 19; Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann GG (1988) Art. 103 Rdnr. 85. 200 v. Mangoldt/Klein/Starck/Nolte GG Band 3 (2005) Art. 103 Abs. 1 Rdnr. 41; Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 3 (2005) vor § 128 Rdnr. 59. 201 Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974) S. 227. 202 Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann GG (1988) Art. 103 Rdnr. 94 ff.; Stein/Jonas/ Leipold ZPO Band 3 (2005) vor § 128 Rdnr. 65 ff. 203 So Stürner Die Aufklärungspflicht der Parteien (1976) S. 35. 204 BVerfG v. 30.4.2003 NJW 2003, 1924 (1926); Stürner Die Aufklärungspflicht der Parteien (1976) S. 35. 205 Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann GG (1988) Art. 103 Rdnr. 7; Waldner Der Anspruch auf rechtliches Gehör (1989) S. 6. 198

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

Einschränkung des rechtlichen Gehörs rechtfertigen.206 Dazu zählen zum einen das Recht des Einzelnen auf eine rasche und endgültige Entscheidung, das ein Element des Justizgewährungsanspruchs ist [vgl. oben A.IV.1.], und zum anderen objektive Elemente des Rechtsstaatsprinzips wie das Beschleunigungsgebot,207 die Rechtssicherheit und die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege.208 Bei der Einschränkung des rechtlichen Gehörs ist stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren.209 Die einschränkende Maßnahme muss geeignet und erforderlich sein, um den erstrebten Zweck (hier also den Schutz der genannten Grundrechte Dritter und anderer Werte von Verfassungsrang) zu erreichen. Zudem ist eine Gesamtabwägung zwischen dem Eingriff und dem Gewicht der rechtfertigenden Gründe vorzunehmen. Dabei ist insbesondere die Schwere des Eingriffs in das rechtliche Gehör zu beachten und bei der Abwägung zu bewerten, ob der Eingriff dem Grundrechtsträger zumutbar ist.210 Bei der Anwendung der Verfahrensvorschriften der ZPO ist Art. 103 Abs. 1 GG zu beachten und eine verfassungskonforme Auslegung vorzunehmen. Ist die ZPO lückenhaft, können sich Rechte bzw. Pflichten zur Gewährung rechtlichen Gehörs unmittelbar aus der Verfassung ergeben.211 Die soeben skizzierten Grundsätze sind also auch der Ausgestaltung der materiellen Rechtskraft zugrunde zu legen. Die sachlichen Grenzen der Rechtskraft werden gem. § 322 Abs. 1 ZPO durch den „Anspruch“ gezogen, soweit im Urteil über ihn entschieden wurde. Hinter dem „Anspruch“ verbirgt sich nach herrschender Meinung der Streitgegenstand [vgl. oben B.II.1.]. Die Bestimmung des Streitgegenstands, wie sie bereits oben dargestellt wurde, bringt es mit sich, dass die unterlegene Partei nicht einen neuen Prozess anstrengen kann, in dem sie Tatsachen behauptet und beweisen will, die sie im ersten Prozess noch nicht vorgebracht hat, dies vielleicht nicht einmal konnte. Denn der Streitgegenstand wird nach herrschender Meinung durch den Sachverhalt gebildet, der nach natürlicher Betrachtungsweise einen einheitlichen Lebensvorgang mit den zur Begründung vorgetragenen Tatsachen bildet [siehe oben B.II.2.b)]. Er erfasst daher auch nicht vorgetragene Tatsachen, die bereits vor Ende der letzten mündlichen Verhandlung entstanden sind (zeitliche Grenze der Rechtskraft gem. § 767 Abs. 2 ZPO). Man bezeichnet diesen Ausschluss von Tatsachen auch als eine der Rechtskraft

206

Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann GG (1988) Art. 103 Rdnr. 16. Das sich teilweise auch aus dem Justizgewährungsanspruch ergibt; Einzelheiten des Stands der verfassungsrechtlichen Dogmatik sollen nicht weiter erörtert werden. 208 Jarass/Pieroth GG (2004) Art. 103 Rdnr. 4; Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann GG (1988) Art. 103 Rdnr. 17 f. 209 v. Mangoldt/Klein/Starck/Nolte GG Band 3 (2005) Art. 103 Abs. 1 Rdnr. 9. 210 Zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz BVerfG v. 9.3.1994 NJW 1994, 1577 (1578 f.) = BVerfGE 90, 145. 211 Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 3 (2005) vor § 128 Rdnr. 18. 207

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

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innewohnende „Präklusionswirkung“.212 Sie kann dazu führen, dass eine an sich begründete nachfolgende Klage nicht zum Erfolg geführt werden kann. Sie hindert die Parteien allerdings nicht, identische Anträge mit einem anderen Lebensvorgang, etwa einen neuen Leistungsversprechen des Gegners, zu begründen.213 Präklusionsvorschriften (wie beispielsweise § 296 ZPO zur Zurückweisung von verspätetem Vorbringen im laufenden Prozess) beschränken den Anspruch auf rechtliches Gehör.214 Der rechtfertigende Grund für die Rechtskraftpräklusion ist das Bedürfnis nach einer endgültigen Entscheidung und nach Rechtssicherheit,215 selbst um den Preis, dass am Ende möglicherweise eine falsche Entscheidung Bestand hat [vgl. oben A.II.4.]. Dies ist den Beteiligten zumutbar, weil sie eine durch Art. 103 Abs. 1 GG abgesicherte Möglichkeit hatten, ihre Rechte zu verteidigen und auf die Entscheidung Einfluss zu nehmen.216 Wegen dieser Wechselwirkungen von Rechtssicherheit und Anspruch auf rechtliches Gehör innerhalb der materiellen Rechtskraft müssen die Grenzen der Präklusion (also die Grenzen des „einheitlichen Lebensvorgangs“ als Element des Streitgegenstands) mit Bedacht gezogen werden.217 Der historische Gesetzgeber der ZPO hat dies getan, indem er sich beispielsweise gegen die Rechtskraftwirkung für Vorfragen entschied.218 Dadurch müssen sich die Beteiligten nicht mit vollem Einsatz um jede Vorfrage des Klagebegehrens streiten. Aus der Schwere des Eingriffs in das rechtliche Gehör erklären sich auch entsprechende Tendenzen bei der Streitgegenstandsbildung, die wir im Laufe dieser Untersuchung bereits an verschiedenen Stellen beobachten konnten: Wer den Streitgegenstand bei Feststellungsklagen auf die geltend gemachten Erwerbsgründe oder bei Gestaltungsklagen auf die geltend gemachten Gestaltungsgründe beschränken will [vgl. oben B.II.3.b) und B.II.3.c)], wird dabei in aller Regel den Schutz des Klägers und seines Anspruchs auf rechtliches Gehör im Auge haben. Deutlich wird dies zum Beispiel an den Ausführungen von 212 BGH v. 24.9.2003 NJW 2004, 294 (295); Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 228 ff.; Grunsky Grundlagen des Verfahrensrecht (1974) S. 505; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 154 Rdnr. 5 ff. 213 BGH v. 13.12.1989 NJW 1990, 1795 (1796) und BGH v. 30.10.2002 NJW 2003, 585 (586); Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 154 Rdnr. 10. 214 Jarass/Pieroth GG (2004) Art. 103 Rdnr. 39; Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann GG (1988) Art. 103 Rdnr. 128 ff. 215 MünchKommZPO/Gottwald Band 1 (2000) § 322 Rdnr. 2; Schack NJW 1988, 865. 216 BVerfG v. 30.4.2003 NJW 2003, 1924. 217 v. Mangoldt/Klein/Starck/Nolte GG Band 3 (2005) Art. 103 Abs. 1 Rdnr. 61 und Wieczorek/Schütze/Prütting ZPO Band I (1994) Einleitung Rdnr. 69 für eng gezogene Präklusionswirkung. 218 Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 77 f.; Brox JuS 1962, 121 (123).

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

Friedrich Lent aus dem Jahr 1952. Er will – anders als die heute herrschende Meinung – die Rechtskraft von Leistungsurteilen auf die tatsächlich entschiedenen materiellen Anspruchsgrundlagen beschränken [dazu bereits oben B.II.3.a) am Ende]. Denn es gehe nicht an, in der Verneinung eines vertraglichen Anspruchs zugleich auch die Verneinung eines Deliktsanspruchs zu sehen. Es sei vielmehr ausgeschlossen, dass über einen Anspruch entschieden werde, über den nicht verhandelt worden ist. Andernfalls würden elementare Grundsätze verletzt und der Rechtsschutz illusorisch.219 Mit den „Grundsätzen“ meinte Friedrich Lent vermutlich unter anderem den Anspruch auf rechtliches Gehör. Wer dagegen die Rechtskraftgrenzen weit bestimmen will, bewirkt eine Verkomplizierung der Prozesse. Denn durch die drohende endgültige Präklusion werden die Beteiligten dazu gedrängt, alle Tatsachen und Elemente des Streits, über denen die drohende Rechtskraft schwebt, in den Prozess einzuführen und mit großer Zähigkeit darum zu streiten, und sei es auch nur vorsorglich. Das widerspricht dem Ziel der Prozessbeschleunigung [vgl. bereits oben A.IV.2.]. Die Rechtshängigkeitssperre bewirkt dagegen keine Präklusion. Sie berührt genau genommen nicht einmal den Anspruch auf rechtliches Gehör, weil sie niemanden an seinem Vortrag in einem laufenden Verfahren hindert, sondern früher ansetzt und bereits nicht zulässt, dass sich das Gericht mit dem Rechtsschutzbegehren sachlich befasst. Sie beschränkt vielmehr den Justizgewährungsanspruch, der aber in engem Zusammenhang mit dem rechtlichen Gehör steht.220 Lediglich mittelbar wird auch der Anspruch auf rechtliches Gehör beschnitten, weil der Kläger mit einem beabsichtigten Sachvortrag nicht gehört wird. Dieser Eingriff wiegt aber nicht so schwer wie die Rechtskraftpräklusion, denn er ist nicht endgültig, sondern zeitlich begrenzt [vgl. schon oben A.IV.1. am Ende]. Darüber hinaus besteht je nach den Umständen des Einzelfalls die Möglichkeit, dass der Kläger des zweiten Verfahrens seinen Sachvortrag auch im ersten Verfahren einbringen kann. Wenn diese Ergänzung des Streitprogramms im ersten Verfahren zulässig ist, dann schrumpft die Einschränkung der Prozessgrundrechte des Klägers des Zweitverfahrens auf den Umstand, dass er nicht vor einem selbst gewählten Gericht seine Rechte verteidigen kann. Sind beide Klagen vor deutschen Gerichten erhoben worden, verliert diese Einschränkung fast vollständig an Bedeutung. Eine weite Rechtshängigkeitssperre bewirkt anders als eine weite Rechtskraft auch nicht, dass die Beteiligten den Prozessstoff vorsorglich anreichern und dadurch verkomplizieren. Es droht keine endgültige Präklusion. Die Sperre sorgt lediglich dafür, dass ein zusammenhängender Streit vor einem und nicht vor mehreren Gerichten ausgetragen wird.

219 220

Lent ZZP 65 (1952), 315 (341). BVerfG v. 30.4.2003 NJW 2003, 1924 (1926).

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

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Sind also die Folgen der Rechtshängigkeitssperre weniger einschneidend, dann liegt es nahe, sie um der Prozessökonomie willen etwas großzügiger zu schneidern als die Rechtskraft.221 Wenn man den Gegenstand eines Feststellungs- oder Gestaltungsurteils noch auf einzelne Gründe beschränkt, so müssen deshalb nicht auch parallele Klagen mit identischen Anträgen zulässig sein, die sich auf verschiedene Gründe stützen. Hier kann man die Beteiligten durch die Rechtshängigkeitssperre zur Konzentration in einem Prozess anhalten. d) Die unterschiedliche Reichweite beider Verfahrensinstrumente Das Ganze soll an einem Beispiel verdeutlicht werden: Beispiel:222 Der Kläger verklagt B auf Zahlung von Werklohn. Im Prozess wird die Klage abgewiesen, weil der Werkvertrag nicht mit B, sondern mit X zustande gekommen sei. Im Folgeprozess gegen X wird auch diese Klage abgewiesen, weil ein Vertrag mit X ebenfalls nicht gegeben sei. Nun klagt K wiederum gegen B, diesmal wegen ungerechtfertigter Bereicherung. Steht diesem Prozess die Rechtskraft des ersten Urteils entgegen?

Losgelöst vom geschilderten Fall liest man häufig, dass zwei sich gegenseitig ausschließende Ansprüche wie der Kaufpreisanspruch und der Bereicherungsanspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung zu ein und demselben Streitgegenstand gehören. Zwar seien es zwei verschiedene materielle Ansprüche, es könne aber nur einen von ihnen nach materieller Rechtslage geben.223 Der BGH verneint dennoch die Einrede der entgegenstehenden Rechtskraft und lässt die nachfolgende Klage zu. Entscheidend sei hier gewesen, dass der Kläger im ersten Verfahren gegen B nicht die Lieferung und den Verbrauch der Ware vorgetragen habe; das sei erst in der nachfolgenden Klage geschehen, weshalb sie auf einen neuen Lebenssachverhalt gestützt werde und folglich einen anderen Streitgegenstand besitze.224 221

Wieczorek/Schütze/Prütting ZPO Band I (1994) Einleitung Rdnr. 69. Gebildet nach BGH v. 13.12.1989 NJW 1990, 1795. 223 Jauernig ZPR (2003) § 37 VIII 1 (S. 160); Zöller/Vollkommer ZPO (2005) Einleitung Rdnr. 74. 224 BGH v. 13.12.1989 NJW 1990, 1795 (1796); etwas anderes gelte, so der BGH, wenn bereits in der ersten Klage der Verbrauch der Ware vorgetragen worden ist; dann könne bei Klageabweisung nicht erneut geklagt werden, möge das Gericht auch die Anspruchsgrundlage wegen Bereicherung übersehen haben; so auch OLG Dresden v. 24.10.1996 OLGR 1997, 221. – Nach Ansicht des BGH stellt ein abweisendes Urteil bei einer Leistungsklage grundsätzlich umfassend fest, dass die verlangte Rechtsfolge unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt aus dem zur Begründung vorgetragenen Lebenssachverhalt herzuleiten ist. Davon würden auch solche Anspruchsgrundlagen erfasst, die das Gericht übersehen hat, vgl. BGH v. 18.7.2000 NJW 2000, 3492 (3494). Ob der Verbrauch der Ware bzw. der zurückzugewährenden Sache vorgetragen wurde, wird in aller Regel eher zufällig sein. Eventuell wäre besser darauf abzustellen, ob der Bereicherungsanspruch offensichtlich von allen Beteiligten einschließlich des Gerichts übersehen oder nicht in Betracht gezogen worden ist. Der geschilderte 222

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

Dieses Ergebnis des BGH erhält zu Recht viel Zustimmung;225 es ist aber stark auf die Rechtskraft zugeschnitten. Im laufenden Verfahren wäre es ein eigenartiges Ergebnis, eine parallele Klage zuzulassen, in der der Klageantrag auf ungerechtfertigte Bereicherung gestützt und die Lieferung und der Verbrauch der Sache vorgetragen wird. Im ersten Verfahren könnte der Vertrag mit B für wirksam gehalten werden und der Kaufpreisklage stattgegeben werden, während im zweiten Verfahren der Vertrag gerade verneint wird und deshalb auch der Bereicherungsklage stattgegeben wird. Es drohten sich widersprechende Entscheidungen. Die Rechtshängigkeitssperre muss daher auch die noch nicht vorgetragenen Tatsachen zur Begründung des Bereicherungsanspruch umfassen und auf diese Weise Druck auf den Kläger ausüben, seine erste Klage hilfsweise auch mit der ungerechtfertigten Bereicherung zu begründen, sobald er die Notwendigkeit dafür erkennt. Diese Sicht zur Rechtshängigkeitssperre korrespondiert im Übrigen mit einer Literaturmeinung, derzufolge im Übergang von einer Klage auf Vertragserfüllung zu einer Bereicherungsklage während des Prozesses keine Änderung des Streitgegenstands und daher auch keine Klageänderung gem. § 263 ZPO zu sehen sei.226 Die bisherigen Ausführungen zur unterschiedlichen Grenzziehung von Rechtskraft und Rechtshängigkeitssperre bezogen sich ausschließlich auf den Tatsachenvortrag, also das Sachverhaltselement im Streit- bzw. Urteilsgegenstand. Der Gegenstand kann sich auch durch einen abweichenden Antrag ändern. Eine gewisse Bereitschaft von Literatur und Rechtsprechung, sich bei der Streitgegenstandsbestimmung situationsbezogen vom Antragswortlaut zu trennen, war im Laufe der Untersuchung verschiedentlich zu beobachten [vgl. dazu generell oben B.II.2.a)], etwa beim Verhältnis von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gem. §§ 246, 249 AktG [vgl. oben B.II.3.c)(2)]. An zwei Beispielen soll untersucht werden, ob die Rechtshängigkeitssperre auch über den gestellten Antrag hinaus weitere Anträge umfassen kann.

Beispielsfall verdeutlicht auch diesen Aspekt: Der Kläger hatte zunächst Anlass, davon auszugehen, dass er mit einem der sukzessiv beklagten Personen einen Vertrag geschlossen hat. Erst als feststand, dass überhaupt kein Vertrag wirksam bestand, musste er wieder gegen B vorgehen, diesmal wegen ungerechtfertigter Bereicherung. Insofern hat K „glücklicherweise“ nicht „aus Versehen“ im ersten Prozess den Verbrauch vorgetragen. Für strikte Annahme von zwei Streitgegenständen daher A. Blomeyer ZPR (1985) § 89 III 2 b und 3 c (S. 483 f.); ihm zustimmend MünchKommZPO/Gottwald Band 1 (2000) § 322 Rdnr. 112, beide aber offensichtlich in Bezug auf die Rechtskraft. 225 Musielak NJW 2000, 3593 (3599); Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 27 dort in Fn. 77; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) vor § 322 Rdnr. 41. So auch schon Brox JuS 1962, 121 (125); Lent ZZP 65 (1952), 315 (349 f.), die alle hervorheben, dass die wesentliche Änderung des Streitgegenstands im Vortrag der Lieferung und des Verbrauchs der Kaufsache liege. 226 MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) § 263 Rdnr. 18; Musielak/Foerste ZPO (2005) § 263 Rdnr. 3.

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Ein Beispiel ist uns schon begegnet, nämlich beim Verhältnis von Leistungsklage und negativer Feststellungsklage bezüglich desselben materiellen Anspruchs [siehe oben B.II.2.a) bei Fn. 17]. Eine in der Literatur vertretene Meinung erkennt bei beiden Klagen identische oder wenigstens teilidentische Streitgegenstände und lässt daher auch die negative Feststellungsklage eine parallele Leistungsklage sperren.227 Wenn ein Sachurteil über den negativ formulierten Feststellungsantrag ergehe, sei damit selbst bei Klageabweisung noch keine Anordnung zur Leistung verbunden. Der Anspruchsinhaber müsse seinerseits klagen, um einen Vollstreckungstitel zu erhalten; nach Möglichkeit solle er das bereits in Form der Leistungswiderklage tun. Diese Meinung hat sich zwar bisher noch nicht durchgesetzt; die bisher herrschende Meinung, der auch die Rechtsprechung folgt, lässt eine selbständige Leistungsklage zu und will der Feststellungsklage das notwendige Interesse versagen. Die Gegenmeinung, die für eine Rechtshängigkeitssperre für die nachfolgende Leistungsklage durch eine vorangehende negative Feststellungsklage plädiert, ist von Urs Peter Gruber bereits ausführlich begründet worden.228 Hervorzuheben sind folgende Gründe: Beiden Anträgen liege im wesentlichen derselbe Sachverhalt zugrunde, weshalb keiner der Beteiligten nennenswert in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör eingeschränkt werde; die Rechtshängigkeitssperre blockiere den Rechtsschutz nur vorübergehend, und durch die Sperre werde ein Druck zur Verfahrenskonzentration erzeugt, die widersprechende Urteile vermeiden helfe und den Aufwand zum Rechtsschutz für die Gerichte und die Beteiligten verringere. Damit soll nicht endgültig Stellung speziell zum Verhältnis von Leistungsund Feststellungsklage genommen werden; es mag durchaus Gründe geben, die negative Feststellungsklage als zweitrangig zu behandeln, wie es die herrschende Meinung im deutschen Zivilprozessrecht tut. An ihrem Beispiel soll nur illustriert werden, dass es Gründe geben kann, die Rechtshängigkeitssperre über den Klageantrag hinaus anzuwenden. Ein weiterer Fall ist die Teilklage; die Frage der Rechtskraftwirkung eines Urteils, das über einen nur teilweise eingeklagten Anspruch entscheidet, für den Restanspruch ist seit langem umstritten.229 Die herrschende Meinung will sie strikt auf den eingeklagten Teil beschränken.230 Ungeachtet der Rechtskraftwirkung sollte erwogen werden, für parallele Teilklagen die Rechtshängigkeits227 Bettermann Rechtshängigkeit und Rechtsschutzform (1949) S. 29 ff., 32; Gruber ZZP 117 (2004), 133 (138 ff.); Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974) S. 36 f. 228 Gruber ZZP 117 (2004), 133 (138 ff.). 229 Vgl. MünchKommZPO/Gottwald Band 1 (2000) § 322 Rdnr. 118 ff.; Stein/ Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 150 ff. 230 BGH v. 9.4.1997 NJW 1997, 1990 m.w. N.; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 153 Rdnr. 12 ff.; Rüßmann ZZP 111 (1998), 399 (422).

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sperre eingreifen zu lassen. Der Kläger soll, wenn er mehr als den bisher rechtshängigen Teil des Anspruchs einklagen will, seine Klage erweitern. Es besteht für ihn kein schützenswertes Interesse an einer parallelen Teilklage vor einem anderen Gericht. Die oben genannten Gründe sprechen auch hier für ein weites Rechtshängigkeitskonzept.231 Dennoch haben die Teilklagen verschiedene Streitgegenstände, denn der Kläger muss seine erste Klage erweitern. Eine Rechtshängigkeitssperre, die über den Klageantrag hinausgeht, kennt auch die ZPO in einer speziellen Regelung zu Kindschaftssachen (definiert in § 640 Abs. 2 ZPO), die oben bereits vorgestellt wurde [B.II.3.c)(3)]. § 640c Abs. 2 ZPO lässt keine weiteren „entsprechenden Klagen“ vor anderen Gerichten zu. Damit geht die Rechtshängigkeitssperre bei Kindschaftssachen über die allgemeine Rechtshängigkeitssperre des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO sowie über den herkömmlichen Streitgegenstandsbegriff hinaus und blockiert auch Klagen vor anderen Gerichten, die die Vaterschaft bezüglich desselben Kindes betreffen, deren Klageantrag aber mit anderem Wortlaut formuliert ist.232 Die Rechtshängigkeitssperre wird somit zum Platzhalter für weitere Klagebegehren, die wegen ihres engen tatsächlichen Zusammenhangs mit dem bereits initiierten Prozess dort eingebracht werden sollen (per Widerklage, Klageerweiterung oder Eventualantrag), damit in diesem Prozess prozessökonomisch und widerspruchsfrei entschieden wird. Die Streitsache im Sinn von § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO kann über den Streitgegenstand hinausgehen. Der ausschlaggebende Grund für eine Rechtshängigkeitssperre, die weiter greift als die Rechtskraft, ist der Unterschied in den Wirkungen beider Instrumente. Sie wollen nicht einheitlich zur Konzentration der Prozesse beitragen, wie dies gelegentlich behauptet wird.233 Prozessökonomie als Zielvorgabe zum Schutze der Beteiligten und zur Schonung der Justizressourcen sollte so weit wie möglich verwirklicht werden. Wegen ihrer geringeren Beeinträchtigung der Prozessgrundrechte kann die Rechtshängigkeitssperre in weiterem Umfang angelegt werden. Und wegen der beschriebenen Konzentrationswirkungen ist eine weit angelegte Rechtshängigkeitssperre keineswegs eine übermäßige und kontraproduktive Einschränkung des Justizgewährungsanspruchs, wie bisweilen eingewandt wird [vgl. oben bei Fn. 187]. e) Zwischenergebnis Damit soll keine neue, eigene Streitgegenstandsdefinition gebildet werden. Ausgangspunkt dieser Untersuchung bei der Streit- und Urteilsgegenstandsbil231

Dafür auch A. Blomeyer ZPR (1985) § 49 III 2 (S. 275). Gaul FamRZ 1997, 1441 (1452); Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) § 640c Rdnr 4. 233 MünchKommZPO/Gottwald Band 1 (2000) § 322 Rdnr. 107. 232

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dung wird weiterhin die herkömmliche zweigliedrige Definition sein, die aus dem Antrag und dem zur Begründung vorgetragenen Lebenssachverhalt besteht. Die Ausführungen sollten nur begründen, weshalb man sich bei der Grenzziehung der objektiven Rechtshängigkeitsreichweite lösen sollte von Erwägungen, die in der Rechtskraft ihren Platz haben. Festgehalten wird aber an der grundsätzlichen Funktion des Streitgegenstands zur Bestimmung der objektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre, in Abgrenzung zum Urteilsgegenstand als Maßstab für den Umfang der Rechtskraft. Festgehalten wird auch an der Aussage, der Streitgegenstand sei das Rechtsschutzbegehren des Klägers.234 Allerdings kann die Rechtshängigkeitssperre in Ausnahmefällen wie zum Beispiel bei mehreren Teilklagen auch über den Streitgegenstand hinaus eingreifen. Der alternative Weg zu dieser Relativierung des Streitgegenstandsbegriffs und seiner Bedeutung wäre die Verhinderung paralleler Verfahren mittels der Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses. Auf diese Weise könnte man einen einheitlichen Streitgegenstandsbegriff für alle Verfahrenssituationen bewahren und dennoch parallele Verfahren, deren Verhinderung aus materiell-rechtlichen oder verfahrenswirtschaftlichen Erwägungen geboten erscheint, als unzulässig behandeln. In dieser Untersuchung haben wir uns bereits [oben A.II.5.a)] prinzipiell gegen die subsidiäre Anwendung des Rechtsschutzbedürfnisses entschieden. Die Verhinderung paralleler Verfahren ist Angelegenheit der speziellen Vorschriften zur Rechtshängigkeitssperre. Diese Vorschriften müssen durch sachgerechte Auslegung zu tragfähigen Ergebnissen führen. Eine gewisse Relativierung des Streitgegenstandsbegriffs bzw. seiner Bedeutung ist der Preis, der dafür zu zahlen ist. Das Dogma der Einheitlichkeit ist entgegen der herrschenden Meinung wiederholt bezweifelt worden [vgl. oben B.II.1.]; unser Zwischenergebnis in dieser Untersuchung bestätigt diese Zweifel zumindest hinsichtlich der Einheitlichkeit von Streitgegenstand und Urteilsgegenstand. f) Aussetzung und Rechtskraft Während die Rechtshängigkeitssperre in ihrer Funktion mit dem Wiederholungsverbot der materiellen Rechtskraft vergleichbar ist (ohne notwendig denselben Anwendungsbereich haben zu müssen), sichert die Aussetzung gem. § 148 ZPO eine spätere präjudizielle Bindung in einem Verfahren an die Entscheidung im anderen Verfahren.235 Daher setzt der Tatbestand von § 148 ZPO ein präjudizielles Verhältnis zwischen den parallelen Prozessen [vgl. oben A.III.1.b)] voraus: Die Entscheidung des auszusetzenden Prozesses muss ganz oder zum Teil von einem Rechtsverhältnis abhängen, das Gegenstand des ande234 So BGH v. 26.9.2000 NJW 2000, 157 (158); Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 92 Rdnr. 22. 235 Mittenzwei Die Aussetzung des Prozesses (1971) S. 81.

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ren Rechtsstreits ist.236 Es kommt darauf an, ob das aussetzende Gericht an das Ergebnis des anderen Verfahrens gebunden ist.237 Das ist der Fall, wenn eine Klage auf Feststellung eines Rechtsverhältnisses gerichtet ist, das im anderen Prozess Vorfrage ist; Beispiel: In einem Prozess wird auf Feststellung geklagt, dass ein bestimmter Kaufvertrag bestehe oder nicht bestehe. Im zweiten Prozess wird der Kaufpreisanspruch (oder Gewährleistungsansprüche) aus diesem Vertrag geltend gemacht.

ferner wenn ein Prozess auf die Gestaltung eines Rechtsverhältnisses gerichtet ist, das im anderen Prozess Vorfrage ist.238 Beispiele: In einem Prozess wird die Scheidung beantragt, im anderen wird der eheliche Unterhalt für getrennt lebende Ehegatten eingeklagt. Oder: In einem Prozess wird die Auflösung einer Gesellschaft beantragt, im anderen werden Ansprüche unter Gesellschaftern eingeklagt.

Die Aussetzung stellt folglich die Beachtung der präjudiziellen Rechtskraft oder präjudiziellen Gestaltungswirkung sicher. Sie vereinfacht auf diese Weise die Entscheidungsfindung im anderen Prozess und übernimmt die Funktion einer Verfahrensverbindung und -verweisung zwischen verschiedenen Gerichten.239 Wenn eine Verbindung der Verfahren möglich ist, etwa gem. § 147 ZPO bei Rechtshängigkeit an demselben Gericht, ist diese Koordinationsmaßnahme vorrangig anzuwenden und eine Aussetzung unzulässig.240 Schließlich kann ein Prozess nach einer Nebenintervention oder Streitverkündung durch die Interventionswirkung gem. § 68 ZPO für einen anderen Prozess Bindungswirkung erzeugen. Zwar sind die von der Interventionswirkung erfassten Tatsachen weder ein Rechtsverhältnis noch Gegenstand eines Verfahrens (wie es § 148 ZPO fordert), aber die rechtskraftähnliche Bindungswirkung der Tatsachenfeststellung für andere Verfahren rechtfertigt die Aussetzung.241 Es gibt Bestrebungen, die Aussetzung auch über ihren Wortlaut hinaus analog anzuwenden, wenn in beiden Verfahren dieselben tatsächlichen oder rechtlichen Fragen zu klären sind [vgl. oben die Fallgruppe „Verfahren mit identischen Vorfragen“ A.III.1.c)]. Zwar bestehe hier keine Bindung des aussetzenden Ge236 BGH v. 30.3.2005 NJW 2005, 1947; OLG Jena v. 10.7.2000 NJW-RR 2001, 503; OLG Stuttgart v. 28.12.1998 OLGR 1999, 134; kein klares Bild in der Rechtsprechung erkennt H. Roth FS Jayme Band I (2004), 747 (750). 237 H. Roth FS Jayme Band I (2004), 747 (756). 238 MünchKommZPO/Peters Band 1 (2000) § 148 Rdnr. 8; Stein/Jonas/Roth ZPO Band 3 (2005) § 148 Rdnr. 23 f. 239 H. Roth FS Jayme Band I (2004), 747 (750 f.). 240 OLG München v. 10.11.1995 NJW-RR 1996, 766; Stein/Jonas/Roth ZPO Band 3 (2005) § 148 Rdnr. 31 a. E.; Zöller/Greger ZPO (2005) § 148 Rdnr. 9. 241 OLG Hamm v. 29.10.1993 MDR 1994, 618 (619); H. Roth FS Jayme Band I (2004), 747 (755 f.); Zöller/Greger ZPO (2005) § 148 Rdnr. 5; vgl. auch unten B.III.4.

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richts an die Ergebnisse des abzuwartenden Verfahrens, es könne sich aber ein tatsächlicher Einfluss auf das auszusetzende Verfahren ergeben, weil beispielsweise die Parteien die betreffenden Sach- und Rechtsfragen nicht mehr bestreiten.242 Das LG Freiburg will ein Verfahren auch dann aussetzen, wenn sich eine in Literatur und Rechtsprechung stark umstrittene Rechtsfrage stellt, die der BGH in einem anderen Verfahren bald höchstrichterlich klären wird.243 Dem ist der BGH entgegengetreten: Das Ergebnis des einen Prozesses müsse den Ausgang des anderen Prozesses rechtlich beeinflussen. Es bedarf also einer Bindungswirkung; rein tatsächlicher Einfluss genügt nicht. Die Verwirklichung und das Ausmaß des tatsächlichen Einflusses sind zu unsicher. Der rein tatsächliche Einfluss wäre somit ein viel zu vages Kriterium, um die Beeinträchtigung der Justizgewährung, die durch die Verzögerung der Entscheidung im auszusetzenden Prozess eintritt, rechtfertigen zu können.244 Hinzu tritt, dass bei einer bloß tatsächlichen Beeinflussung nicht immer feststeht, von welchem Verfahren der Einfluss ausgehen soll und welches beeinflusst wird. Häufig wird sogar eine gegenseitige Einwirkung möglich sein. Damit ist aber nicht definiert, welchem Verfahren der Vorrang gebührt. Die zeitliche Reihenfolge des Eintritts der Rechtshängigkeit spielt in § 148 ZPO (anders als in § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO oder Artt. 27, 28 EuGVO) keine Rolle. Es bliebe den Gerichten überlassen, sich zu verständigen, welches Verfahren ausgesetzt und welches vorrangig fortgeführt werden soll. Bei einer rechtlichen Abhängigkeit in Form einer Bindung ist dagegen eindeutig, welches Verfahren zuerst zu einem Ergebnis kommen muss, das im auszusetzenden Verfahren übernommen wird. Daher ist es plausibel, in § 148 ZPO die zeitliche Reihenfolge der Klageerhebung zu ignorieren. Ein präjudizielles Verfahren kann auch später rechtshängig geworden sein; es ist sinnvoll, in diesem Fall auch das zuerst in Gang gesetzte Verfahren anzuhalten. Haben zwei Prozesse also lediglich identische Vorfragen, kann keines von ihnen ausgesetzt werden. Bei ihnen kommt auch keine Rechtskraftwirkung in Frage, die zu schützen wäre. Solche Verfahren laufen also nach deutschem Prozessrecht grundsätzlich ohne Koordination unbeeinflusst nebeneinander. 7. Rechtshängigkeit, Klageänderung, Widerklage Wenn die Rechtshängigkeitssperre auch mehrere Klagebegehren umfassen kann, um die Konzentration der betroffenen Begehren in einem Prozess zur fördern, dann sollte es den Beteiligten auch möglich sein, die betroffenen Begehren in die bereits rechtshängige Klage einzubringen. Das erfordert eine Abstimmung mit den Instrumenten der Klageänderung und der Widerklage. Die Ver-

242 243 244

MünchKommZPO/Peters Band 1 (2000) § 148 Rdnr. 10. LG Freiburg v. 23.9.2003 NJW 2003, 3424. BGH v. 30.3.2005 NJW 2005, 1947.

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bote der Klageänderung und der mehrfachen Prozessführung schließen einander aus.245 Da man auch den Beklagten zur Verfahrenskonzentration anhalten will, ist gleichermaßen eine Abstimmung mit der Widerklage erforderlich. Nähern wir uns dem Problem zunächst anhand folgender zwei Beispiele: Beispiele: K hat bisher nur einen Teil eines Schadensersatzanspruchs eingeklagt und will nun auch den Restbetrag einklagen. Oder: K hat zunächst nur auf Feststellung seines Anspruchs geklagt und will nun auf Leistung klagen.

Wenn man dem Kläger aus Gründen der Prozessökonomie und zum Schutze des Beklagten vor doppelter Verteidigungslast eine separate Klage vor einem anderen Gericht verbieten will, sollte es ihm möglich sein, das weitere Klagebegehren in das bereits in Gang gesetzte Verfahren einzuführen. Das erlaubt ihm die Zivilprozessordnung auch ohne weiteres: Die Umstellung der Klage von der Teilklage auf einen größeren Betrag oder von Feststellung auf Leistung sind bloße Klageerweiterungen, die gem. § 264 Nr. 2 ZPO jederzeit möglich sind.246 Das Verbot anderweitiger Rechtshängigkeit und die Regeln zur Klageänderung greifen also in diesen Beispielsfällen gut ineinander. Wenden wir uns mit einem Beispiel der Widerklage zu: Beispiel: A klagt auf Feststellung, dass eine bestimmte Sache in seinem Eigentum stehe. B ist der Ansicht, er sei Eigentümer, und will das ebenfalls gerichtlich festgestellt wissen.

Wir hatten uns mit dieser Konstellation bereits oben [B.II.4. am Ende] beschäftigt und festgestellt, dass die Meinungen über die Frage, ob die sich kreuzenden Anträge auf Feststellung des Eigentums denselben Streitgegenstand haben, durchaus auseinandergehen. Einigkeit herrscht aber im Ergebnis, dass die Feststellung des Eigentums von A auch Rechtskraftbindung für die Klage des B auf Feststellung seines Eigentums schafft. Die Rechtskraft geht über den Antrag hinaus, denn mit dem Eigentum des B beschäftigt sich die Klage des A nicht unmittelbar; eine Entscheidung über sein Eigentum erfolgt auf keinen Fall, auch dann nicht, wenn die Klage des A abgewiesen wird. Allein wegen der möglichen Rechtskraftbindung ist es geboten, die anderweitige Rechtshängigkeit der Feststellungsklage von B zu verhindern. Zudem sprechen Erwägungen der Prozesswirtschaftlichkeit in diesem Beispielsfall ganz massiv dafür, das strittige Eigentum an der Sache in einem Verfahren zu klären. Aus diesen beiden Gründen sollte man die Rechtshängigkeitssperre anwenden und daher in beiden Klagen von A und B einen identischen Streitgegenstand 245

A. Blomeyer ZPR (1985) § 49 III 2 (S. 275). Hk-ZPO/Saenger (2006) § 264 Rdnr. 5; MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) § 264 Rdnr. 13 f.; Schilken ZPR (2002) Rdnr. 749; für den Übergang von der Feststellungs- zur Leistungsklage BGH v. 16.5.2001 NJW-RR 2002, 283. 246

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erblicken [vgl. oben Fn. 169]. Dem B wird empfohlen, Widerklage zu erheben. Es ist aber zweifelhaft, ob ihm das nach herkömmlicher zivilprozessualer Dogmatik gestattet ist. Nach herrschender Meinung darf der Widerklage nicht die Einrede der anderweitigen Rechtshängigkeit entgegenstehen.247 An dieser Auffassung ist sicherlich nicht zu zweifeln, wenn es bereits zwei Klagen gibt, die unbeeinflusst nebeneinander vor verschiedenen Gerichten anhängig sind und nun einer der Beteiligten den Gegenstand einer Klage als Widerklage im Parallelverfahren einbringen will. Nicht damit gemeint sein kann die anderweitige Rechtshängigkeit der Klage, gegen die sich die Widerklage richtet. Träfe dies zu, dürfte der Beklagte im Beispielsfall nicht einmal Widerklage erheben.248 Zur endgültigen Entscheidung eines Streits zwischen zwei Eigentumsprätendenten ist die Widerklage aber erwünscht. Aus dem Verbot anderweitiger Rechtshängigkeit wird auch abgeleitet, dass die Widerklage einen anderen Streitgegenstand haben müsse als die Klage.249 Soweit mit diesem Erfordernis nur gemeint ist, der Widerklageantrag dürfe kein verkappter Klageabweisungsantrag sein,250 ist auch diese Forderung für sich genommen ausreichend. Es bleibt der Auslegung überlassen, ob der Beklagte wirklich einen Widerklageantrag stellen wollte oder in Wahrheit ein Klageabweisungsantrag gemeint war. Sinn und Zweck der Rechtshängigkeitssperre liegen in der Prozessökonomie und der Verhinderung widersprechender Urteile. Beide Ziele sind aber durch Widerklage gewahrt.251 Es ist nur ein Gericht in einem Verfahren befasst und kann widerspruchsfrei über beide Anträge entscheiden.252 Auch der Wortlaut der Rechtshängigkeitsvorschrift § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO unterstützt diese Sicht: Sie verbietet die anderweitige Rechtshängigkeit einer Klage. Darin ist angelegt, dass es sich um ein anderes Gericht handeln muss. Es kann also Widerklage erhoben werden, wo eine selbständige Klage wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig wäre. Die Widerklage hat „Sogwirkung auf zusammenhängende Streitverhältnisse“,253 die von der Rechtshängigkeitssperre unterstützt wird. Wurde eine eigenständige Klage vor einem anderen Spruchkörper desselben Gerichts erhoben, bietet sich die Verbindung gem. 247

Zeiss/Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 402. Gruber ZZP 117, 133 (154): Wenn eine selbständige Klage unzulässig ist, läge die Annahme nahe, auch eine Widerklage für unzulässig zu halten. 249 Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) § 33 Rdnr. 21; Zeiss/Schreiber Zivilprozessrecht (2003) Rdnr. 402; Zimmermann ZPO-Fallrepetitorium (2004) Fall 117 (S. 89); Zöller/Vollkommer ZPO (2005) § 33 Rdnr. 7 m.w. N. 250 Vgl. das Beispiel von Musielak Grundkurs ZPO (2004) Rdnr. 316. 251 Vgl. die Beschreibung zu Zweck und Wirkungsweise der Widerklage bei Herrmann Die Grundstruktur der Rechtshängigkeit (1988) S. 119 f. 252 Gruber ZZP 117, 133 (155). 253 Herrmann Die Grundstruktur der Rechtshängigkeit (1988) S. 121, seiner Meinung nach schon wegen der Privilegierung der Widerklage. 248

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§ 147 ZPO an. Die Verbindungsregel ist lex specialis gegenüber dem § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO, ähnlich wie im Verhältnis zur Aussetzung [vgl. oben Fn. 240]. Da sie Rechtshängigkeit bei demselben Gericht voraussetzt, ist ihr Anwendungsbereich gering. Dass Widerklagen zulässig sind, die als selbständige Klagen am Verbot anderweitiger Rechtshängigkeit scheitern würden, ist in Kindschaftssachen bezüglich der speziellen Vorschrift in § 640c Abs. 2 ZPO gefestigte Meinung. Das Kind dürfe einer negativen Feststellungsklage eines Mannes eine positiv formulierte Klage entgegensetzen, obwohl es sich bei der bloßen Umformulierung des Antrags um ein echtes kontradiktorisches Gegenteil und damit um denselben Streitgegenstand im herkömmlichen Sinn handelt [vgl. oben B.II.4.]. Die Widerklage wird dennoch zugelassen, um zugleich eine einstweilige Verfügung gem. § 641d ZPO und Unterhalt gem. § 653 ZPO zu ermöglichen.254 Ebenso kann einer Anfechtungsklage eine Anfechtungswiderklage entgegengesetzt werden. In solchem Fall sind die Anträge notwendig identisch formuliert und bilden einen einheitlichen Streitgegenstand. Man will dennoch die Anfechtungswiderklage ermöglichen, weil es mögliche Unterschiede bei den Anfechtungsvoraussetzungen (vor allem der Frist) gebe und der § 640d ZPO den in Kindschaftssachen gem. §§ 640 Abs. 1, 616 ZPO geltenden Untersuchungsgrundsatz einschränke und dem Kläger den Widerspruch bei der Verwertung anfechtungsfeindlicher Tatsachen erlaube.255 Der Anfechtungsbeklagte soll sicherstellen können, dass über die Anfechtung auch in der Sache korrekt entschieden wird und das Urteil nicht an Gründen scheitert, die in der Person des Anfechtungsklägers liegen. Da keine widersprechenden Entscheidungen bei der Widerklage drohen, könne man sie zulassen.256 8. Zwischenergebnis Für die weitere Untersuchung soll von folgenden Ergebnissen und Prämissen ausgegangen werden: Der objektive Anwendungsbereich der Rechtshängigkeitssperre wird grundsätzlich durch den Streitgegenstand bestimmt. Der Streitgegenstand ergibt sich aus dem Antrag und dem zur Begründung unterbreiteten Lebenssachverhalt. Zu diesem Sachverhalt gehören nicht nur die vorgetragenen Tatsachen, sondern der gesamte Lebenssachverhalt, der mit den vorgetragenen Tatsachen bei natürlicher Betrachtungsweise eine Einheit bildet. 254 Musielak/Borth ZPO (2005) § 640c Rdnr. 3; Zöller/Philippi ZPO (2005) § 640c Rdnr. 5; a. A. MünchKommZPO/Coester-Waltjen Band 2 (2000) § 640c Rdnr. 7. 255 Baumbach/Lauterbach/Albers ZPO (2005) § 640c Rdnr. 2; MünchKommZPO/ Coester-Waltjen Band 2 (2000) § 640c Rdnr. 6; Musielak/Borth ZPO (2005) § 640c Rdnr. 3; a. A. Hk-ZPO/Kemper (2006) § 640c Rdnr. 6: Widerklage grundsätzlich nur mit anderem Streitgegenstand zulässig. 256 Musielak/Borth ZPO (2005) § 640c Rdnr. 3.

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Die Rechtshängigkeitssperre dient dem schonenden Umgang mit den Ressourcen der Rechtsprechung und soll die Beteiligten eines Streits vor mehrfacher Belastung mit Prozessen schützen. Außerdem kann sie dazu beitragen, einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern und die Arbeit der Gerichte aufeinander abzustimmen. Diese Ziele soll sie so weit wie möglich verwirklichen. Dieselben Ziele verfolgt auch die materielle Rechtskraft mit ihren beiden Ausprägungen, erstens der Einrede der entgegenstehenden Rechtskraft (Wiederholungsverbot, ne bis in idem) und zweitens der Bindung im Präjudizialitätsverhältnis. Das Verbot der doppelten Prozessführung (Rechtshängigkeitssperre) entspricht dabei im Grundsatz funktionell dem Wiederholungsverbot und sichert es zeitlich vorangehend bei parallelen Prozessen ab. Weil aber die Rechtshängigkeitssperre eine geringere Beeinträchtigung der Prozessgrundrechte der Beteiligten (vor allem Justizgewährungsanspruch und Anspruch auf rechtliches Gehör) hervorruft, kann sie breiter angelegt werden. Auf diese Weise bewirkt sie einen Druck auf die Beteiligten, ihren Streit umfassend in einem Verfahren beizulegen, und trägt damit zur Verfahrenskonzentration und letztlich zu mehr Prozessökonomie bei. Bei der Rechtskraft kann insbesondere der Anspruch auf rechtliches Gehör erfordern, deren objektive Grenzen enger zu ziehen. Dieser Urteilsgegenstand wird ebenfalls prinzipiell durch den Antrag und den begründenden Lebenssachverhalt ermittelt. Beim Streitgegenstand (sprich bei der Rechtshängigkeitssperre) kann der Lebenssachverhalt großzügiger umrissen werden als bei der Rechtskraft, bei der dauerhafte Präklusion droht und bei der man daher vorsichtiger vorgehen muss. Die Rechtshängigkeitssperre kann im Einzelfall auch über den im Erstprozess gestellten Antrag hinausgehen und sachlich eng verknüpfte Anträge mit einschließen. Welche weiteren Anträge davon betroffen sind, ist nach den Gegebenheiten des Einzelfalls, insbesondere nach dem zugrunde liegenden materiellen Recht und der prozessualen Situation, zu ermitteln. Die betroffenen Anträge können dann nicht in selbständigen Verfahren gestellt werden, sondern können allenfalls in das bereits laufende Verfahren eingebracht werden. Um das zu ermöglichen, müssen die in Frage kommenden Instrumente, vor allem die Klageänderung und die Widerklage, entsprechend justiert werden. Daher muss auch davon abgesehen werden, die von der Klage ausgehende Rechtshängigkeitssperre auf die Widerklage anzuwenden. Wenn die Widerklage im Ergebnis lediglich den Klageantrag verneint, ist sie ein ungeschickt gestellter Klageabweisungsantrag und entsprechend auszulegen. Enthält sie einen neuen Antrag, der ausnahmsweise bereits von der Rechtshängigkeitssperre der Klage erfasst wird, ist sie dennoch zulässig. Die weite Rechtshängigkeitssperre will gerade dazu anhalten, dass der Antrag als Widerklage gestellt wird. Wann Ausnahmen von der herkömmlichen Definition des Streit- und des Urteilsgegenstands zu machen sind, muss unter Berücksichtigung des zugrunde liegenden materiellen Rechts beurteilt werden. Wir konnten im bisherigen Ver-

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lauf der Untersuchung an verschiedenen Stellen beobachten, wie um die Grenzziehung diskutiert wird und man sich teilweise von der traditionellen Begriffsbestimmung lösen will, weil das materielle Recht dies erfordert, so zum Beispiel bei sich kreuzenden Klagen auf Feststellung des Eigentums an einer Sache [vgl. oben B.II.3.b) und B.II.7.] oder bei aktienrechtlichen Anfechtungs- und Feststellungsklagen [vgl. oben B.II.3.c)(2)]. Wenn man die Funktion des Zivilprozesses bedenkt, der das materielle Recht verwirklichen soll, ist es selbstverständlich, bei der Ausformung und Anwendung des Prozessrechts einen Blick auf die materiell-rechtliche Ausgangslage zu werfen und sie zu berücksichtigen. Die Lösung der Rechtshängigkeitssperre von den Vorgaben der Rechtskraft wird auch im Hinblick auf die subjektiven Grenzen beider Verfahrensinstrumente zu erwägen sein. III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit: Identität der Parteien Obwohl der einschlägigen Norm im deutschen Zivilprozessrecht, dem § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO, das Erfordernis der Parteienidentität für die Rechtshängigkeit nicht eindeutig entnommen werden kann (die Vorschrift spricht lediglich „von keiner Partei“), ist nach allgemeiner Meinung die Identität der Parteien in beiden Verfahren vorauszusetzen, wobei stets hinzugefügt wird, dass es auf die Parteirolle (Kläger/Beklagter) nicht ankomme.257 Die Rollen können in beiden Prozessen auch vertauscht sein. Diese Parteienidentität wird in formellem Sinn verstanden. Das heißt, in beiden Verfahren müssen grundsätzlich dieselben Personen formell Partei sein. Wer Partei ist, ergibt sich aus verfahrenseinleitenden Schriftstücken; Kläger ist derjenige, in dessen Namen Rechtsschutz verlangt wird, und Beklagter ist die Person, gegen die Rechtsschutz verlangt wird (formeller Parteibegriff).258 Es herrscht aber weitgehend Einigkeit, dass über den formellen Parteistatus hinaus auch diejenigen Personen in die Rechtshängigkeit miteinbezogen werden müssen, die nicht Partei sind, aber auf die sich die Rechtskraft einer Entscheidung möglicherweise259 erstrecken wird. Als Beispiel werden stets die in §§ 325 ff. ZPO normierten Fälle aufgeführt.260 Zur Untersuchung der subjektiven Rechtshängigkeitsgrenzen ist folglich ein Blick auf die Regeln über die Rechtskraft257 BGH v. 17.5.2001 NJW 2001, 3713 (3714); Jauernig ZPR (2003) § 40 II (S. 170); Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 97 Rdnr. 20; Thomas/Putzo/ Reichold ZPO (2005) § 261 Rdnr. 11. 258 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 40 Rdnr. 2 und § 41 Rdnr. 2; Schilken ZPR (2002) Rdnr. 75; Zeiss/Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 125, 134. 259 Bettermann Rechtshängigkeit und Rechtsschutzform (1949) S. 12 betont, dass die bloße Möglichkeit der Urteilskollision ausreicht, um Rechtshängigkeit zu begründen.

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erstreckung erforderlich. Es handelt sich um eine Auswahl wichtiger Fälle, erschöpfend kann und soll das Thema nicht behandelt werden. 1. Die Erstreckung der materiellen Rechtskraft auf Dritte Die Bindung an eine getroffene Entscheidung soll Rechtssicherheit schaffen und den Justizgewährungsanspruch des rechtsschutzsuchenden Bürgers verwirklichen. Denn eine Rechtsverwirklichung, die der Staat garantiert, ist ohne eine abschließende, endgültige Entscheidung über einen Streit nicht denkbar. Eine einmal getroffene Entscheidung muss gegen spätere Angriffe geschützt werden. Die Rechtskraft soll diese Endgültigkeit herstellen. Zugleich verhindert die Rechtskraft, dass sich Gerichte und Parteien mehrfach mit einem Streit oder bestimmten Streitpunkten befassen müssen, und dient auf diesem Weg der Prozessökonomie [vgl. oben A.II.4.]. Ohne dass dies besonders in § 322 Abs. 1 ZPO Ausdruck findet, gilt die Rechtskraft grundsätzlich nur zwischen den Parteien.261 Hintergrund ist der maßgebliche Einfluss, den die Parteien wegen des Dispositions- und Verhandlungsgrundsatzes auf die Entscheidung haben.262 Die Beschränkung des Prozesses und seines Ergebnisses ist im Übrigen vom materiellen Recht vorgeben; dort geht es in aller Regel um die Durchsetzung bzw. Feststellung von Zwei-Personen-Verhältnissen.263 Dennoch erscheint die Erstreckung der Bindung auf weitere Personen unter bestimmten Umständen als wünschenswert oder geboten, um Rechtssicherheit herzustellen, den Prozess ökonomischer zu gestalten oder Entscheidungen zu verhindern, die materiellrechtliche Widersprüche in Bezug auf die Rechtsverhältnisse zwischen den Parteien und Dritten enthalten.264 Wenn das materielle Recht die Rechtspositionen verschiedener Personen abhängig voneinander ausgestaltet oder Wechselwirkungen vorsieht, erscheint das Bedürfnis nach Abstimmung mit den Rechtsverhältnissen nicht formell beteiligter Dritter besonders hoch. Der Zweck des Prozessrechts ist insgesamt die Durchsetzung des materiellen Rechts.265 Gerade die Rechtskraft in ihrer Funktion, die Endgültigkeit einer gerichtlichen Feststellung über materielles Recht abzusichern, gerät damit zum „Schnittpunkt von Prozeß und materiellem 260 Jauernig ZPR (2003) § 40 II (S. 170); MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) § 261 Rdnr. 52; Schellhammer Zivilprozess (2004) Rdnr. 116; Schilken ZPR (2002) Rdnr. 236. 261 Dem § 325 ZPO als Ausnahmevorschrift wird der Grundsatz der auf die Parteien beschränkten Rechtskraft entnommen, vgl. Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 Rdnr. 2. 262 Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 Rdnr. 1; Musielak/Musielak ZPO (2005) § 325 Rdnr. 1; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 155 Rdnr. 1. 263 Spellenberg ZZP 106 (1993), 283 (284). 264 Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO (2005) § 325 Rdnr. 1; Otte Umfassende Streitentscheidung (1998) S. 59 f.

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Recht“.266 Rein aus der Sicht des materiellen Rechts wäre eine einheitliche und widerspruchsfreie Beurteilung des materiell-rechtlichen „Gebäudes“ und der dieses Gebäude bildenden subjektiven Rechte anzustreben. Und dort, wo materielle Rechte tatbestandlich voneinander abhängen oder sachlich eng miteinander verknüpft sind, müsste die prozessuale Urteilswirkung diese materiell-rechtliche Abhängigkeit nachvollziehen und damit notfalls auch am Prozess Unbeteiligte binden. Dann wäre eine Rechtskrafterstreckung anzustreben. Jede Erstreckung der Rechtskraftwirkungen auf Dritte gerät in Konflikt mit deren Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG bzw. Art. 6 EMRK.267 Zum Inhalt dieses Rechts wurde bereits einiges gesagt [vgl. oben B.II.6.c)]. Gehört werden müssen nicht etwa nur die Parteien oder sonstigen Beteiligten des Rechtsstreits.268 Träger des Anspruchs auf rechtliches Gehör sind auch am Verfahren bisher nicht beteiligte Dritte, in deren Rechte durch dieses Verfahren unmittelbar eingegriffen werden kann.269 Wie der Personenkreis der anhörungsberechtigten Dritten bestimmt werden kann, ist im Einzelnen umstritten.270 Unzweifelhaft zählen dazu aber diejenigen Personen, zu deren Rechten eine Entscheidung bindende Feststellungen trifft.271 Prinzipiell muss folglich allen, für die die Rechtskraft des Urteils gelten soll, rechtliches Gehör gewährt werden. Die Endgültigkeit einer Entscheidung wird ja gerade durch die Beteiligung des Betroffenen legitimiert [vgl. oben bei Fn. 216]. Grundsätzlich müssen also die rechtlich betroffenen Personen von Amts wegen vom Prozess unterrichtet werden, damit sie selbst entscheiden können, ob sie sich beteiligen wollen.272 Dabei ist zu beachten, dass die Beteiligung Dritter zu beträchtlichen Verzögerungen beim Verfahrensabschluss führen kann und dann in Kollision mit dem Recht der Parteien auf effektiven Rechtsschutz und ihrem Interesse an einem strengen Zweiparteienprozess gerät.273 Hier ist also abzuwä265 Dohm Die Einrede der ausländische Rechtshängigkeit (1996) S. 79 f.; Herrmann Die Grundstruktur der Rechtshängigkeit (1988) S. 56 f.; dazu auch W. Lüke Die Beteiligung Dritter (1993) S. 238 ff. 266 Zeuner FG 50 Jahre BGH Band III (2000), 337. 267 Schack NJW 1988, 865; Stürner FS Schütze (1999), 913 (918). 268 Die förmlich Beteiligten sind ohne Zweifel anhörungsberechtigt, vgl. Maunz/ Dürig/Schmidt-Aßmann GG (1988) Art. 103 Rdnr. 34. 269 BVerfG v. 9.2.1982 NJW 1982, 1635 (1636) (= BVerfGE 60, 7); W. Lüke Die Beteiligung Dritter im Zivilprozess (1993) S. 128 f.; Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann GG (1988) Art. 103 Rdnr. 38; a. A. Fasching ZPR (1990) Rdnr. 694, 698: die Nebenintervention stehe jedem mit rechtlichem Interesse offen, damit könne er sich einen Anspruch auf rechtliches Gehör als Verfahrensbeteiligter verschaffen, von Amts wegen müssten den Unbeteiligten kein rechtliches Gehör gewährt werden. 270 Vgl. W. Lüke Die Beteiligung Dritter im Zivilprozess (1993) S. 130 ff. 271 Grunsky ZPR (2006) Rdnr. 242; Jarass/Pieroth GG (2004) Art. 103 Rdnr. 8; Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann GG (1988) Art. 103 Rdnr. 42. 272 BVerfG v. 9.2.1982 NJW 1982, 1635 (1636). 273 Wolf JZ 1971, 405 (406 f.).

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gen, ob das erwähnte Interesse der bisherigen Parteien gegen eine Beteiligung und eventuell für eine Rechtskrafterstreckung ohne Beteiligung spricht, oder ob sowohl von einer Beteiligung als auch einer Bindung des Dritten besser ganz abgesehen werden muss.274 Wurde entgegen diesen Grundsätzen dem Dritten kein rechtliches Gehör gewährt, so kommen zwei Wege zur Berücksichtigung dieses Verstoßes in Betracht. Der Dritte kann von den Wirkungen der Entscheidungen ausgenommen werden (keine Rechtskrafterstreckung),275 oder aber man hält an der Rechtskrafterstreckung fest, ermöglicht dem Dritten aber die Anfechtung der Entscheidung, wobei eventuell mangels Zustellung der Entscheidung an den Dritten die Rechtsmittelfristen erst spät einsetzen und eine Anfechtung daher noch lange möglich ist.276 Eine Rechtskrafterstreckung auf Dritte ohne deren Beteiligung kann dagegen nur die Ausnahme sein.277 Es gibt Umstände, unter denen die Bindung ohne rechtliches Gehör gerechtfertigt ist, um die Ziele der Rechtssicherheit und Prozessökonomie zu verwirklichen.278 Die herrschende Meinung plädiert diesbezüglich für hohe Anforderungen.279 Zum Anspruch auf rechtliches Gehör gesellt sich ein zweiter Aspekt, der auf eine Einschränkung von Rechtskrafterstreckung hinwirkt: der Verhandlungsgrundsatz, der den Parteien aufgibt, die entscheidungserheblichen Tatsachen beizubringen.280 Wenn nicht alle Personen, deren materielle Rechte durch eine mögliche Entscheidung betroffen sind, sich an der Rechtsfindung beteiligen, kann es zu schlechter Prozessführung durch die Beteiligten und damit zu fehlerhaften Entscheidungen kommen. Eine weitgehende Bindung würde diese Fehler 274 Prinzipiell für die zweite Lösung Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974) S. 230. 275 Dafür Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974) S. 232. 276 Marotzke ZZP 100 (1987), 164 (171 ff., 180 ff.); differenzierend Waldner Der Anspruch auf rechtliches Gehör (1989) S. 127 f., je nachdem, ob man rechtlich betrachtet das Urteil zwischen den Parteien gelten lassen kann, aber nicht gegenüber dem nicht beteiligten Dritten; einen eigenen Lösungsvorschlag, der die Anfechtung (notfalls durch Verfassungsbeschwerde) des Urteils durch den Dritten bevorzugt, gibt Schultes Beteiligung Dritter am Zivilprozess (1994) S. 185 ff. 277 Hk-ZPO/Saenger (2006) § 325 Rdnr. 1; Musielak/Musielak ZPO (2005) § 325 Rdnr. 3; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 155 Rdnr. 35; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) § 325 Rdnr. 2 a. E. 278 Jauernig ZZP 101 (1988), 361 (384); Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 Rdnr. 1; Stürner FS Schütze (1999), 913 (918) spricht von Ausnahmen aus „Gründen des Allgemeininteresses“. 279 Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO (2005) § 325 Rdnr. 2; Maunz/Dürig/ Schmidt-Aßmann GG (1988) Art. 103 Rdnr. 43 a. E.; Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 Rdnr. 1. 280 Einige Autoren sehen gerade in der Verhandlungsmaxime den Grund für eine enge Begrenzung der Rechtskraft, so z. B. Bettermann Die Vollstreckung des Urteils in den Grenzen seiner Rechtskraft (1948) S. 81; skeptisch dazu Otte Umfassende Streitentscheidung (1998) S. 70.

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perpetuieren. Nur wenn der Untersuchungsgrundsatz gilt und dem Gericht eigene Aufklärung der Sach- und Rechtslage gebietet, kann diese Gefahr abgemildert sein.281 Ganz auszuschließen ist diese Gefahr aber nicht, denn der nicht beteiligte Dritte kann nicht an der Rechtsfindung mitwirken. Schließlich gilt der Anspruch auf rechtliches Gehör auch in Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz,282 und das mit Recht, denn die Beteiligung des Betroffenen an der Entscheidungsfindung bietet eine gewisse Gewähr dafür, dass die Entscheidung richtig und gerecht ist. Die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes allein kann eine Rechtskrafterstreckung daher nicht begründen.283 Aus diesen Gründen sind im Gesetz nur wenige Ausnahmen einer ausdrücklichen Rechtskrafterstreckung auf Dritte vorgesehen. Generell unproblematisch im Hinblick auf das rechtliche Gehör erscheint vordergründig die Erstreckung der Urteilswirkungen zugunsten Dritter.284 Das muss nicht bedeuten, dass grundsätzlich ein für einen Dritten günstiges Urteil auch für ihn wirken soll; zumindest aber steht das rechtliche Gehör einer solchen Erstreckung nicht entgegen. Unter Mitwirkung des Dritten hätte die Sache nicht besser für ihn entschieden werden können, während die unterlegene Partei in ausreichendem Maß Gelegenheit hatte, auf das Urteil einzuwirken. Ihr braucht keine erneute Möglichkeit eingeräumt zu werden, die bereits entschiedene Frage in einem nachfolgenden Prozess gegen den Dritten zu verhandeln. Wenn dennoch eine umfassende Rechtskrafterstreckung zugunsten des Dritten abgelehnt wird, dann aus dem Gesichtpunkt der Chancengleichheit. Dieser zivilprozessuale Verfahrensgrundsatz, der auch Grundsatz der Waffengleichheit genannt wird und auf Art. 3 GG und Art. 6 EMRK beruht,285 verbürgt für alle Beteiligten grundsätzlich gleiche Möglichkeiten bei der Durchsetzung ihrer subjektiven Rechte.286 Dieses Verfahrensprinzip ist aber beeinträchtigt, wenn man durch weitgehende Rechtskrafterstreckung einer Partei im Verhältnis zu ihrem Prozessgegner nur die einfache Gewinnchance zubilligt, aber eine doppelte Verlustchance im Verhältnis zum Gegner wie zum Dritten.287 Aus diesem Gesichtspunkt bedarf auch die Erstreckung zugunsten eines Dritten besonderer Rechtfertigung.

281 Schack NJW 1988, 865; A. Blomeyer ZPR (1985) § 91 II 3 a (S. 507); das setzt ein gut und gewissenhaft arbeitendes Gericht voraus. 282 Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974) S. 226 dort Fn. 2; W. Lüke Die Beteiligung Dritter im Zivilprozess (1993) S. 116. 283 Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 Rdnr. 88. 284 Jauernig ZZP 101 (1988), 361 (377). 285 BVerfG v. 25.7.1979 NJW 1979, 1925; v. Mangoldt/Klein/Starck GG Band 1 (2005) Art. 3 Rdnr. 224; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 1 Rdnr. 28 m.w. N. 286 MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) Einleitung Rdnr. 144. 287 Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 Rdnr. 87; ähnlich Otte Umfassende Streitentscheidung (1998) S. 71.

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a) Rechtskrafterstreckung bei Rechtsnachfolge Das Gesetz sieht bei der Rechtsnachfolge während des Prozesses eine Rechtskrafterstreckung gem. § 325 ZPO vor. Hinter dieser Anordnung steht die Überlegung, dass eine Veräußerung während des Prozesses den Gegner der veräußernden Partei belastet. Um diese Belastung zu minimieren, muss gem. § 265 ZPO grundsätzlich die alte Partei den Prozess fortführen, damit der Gegner seinen Prozess nicht gegen seinen Willen neu ausrichten muss.288 Ist aber demzufolge die Prozessführungsbefugnis dem Rechtsnachfolger genommen und dem Rechtsvorgänger zugewiesen, dann muss auch der Rechtsnachfolger an das Ergebnis gebunden sein, soll der Prozess nicht vergeblich geführt werden.289 Die Rechtskraft erfasst im Übrigen auch den Rechtsnachfolger, wenn er den streitbefangenen Gegenstand erst nach Abschluss des Prozesses erwirbt.290 Der erworbene Gegenstand ist dann gleichsam mit dem rechtskräftigen Urteil belastet. Bei einer Rechtsnachfolge vor Eintritt der Rechtshängigkeit gilt § 325 ZPO nicht.291 Hier hat von vornherein ein Rechtsfremder den Prozess geführt, durch den der Rechtsträger in seiner Rechtsdurchsetzung nicht beeinträchtigt werden soll. Das Gesetz gibt dem Rechtsfremden mangels Anwendbarkeit des § 265 ZPO292 schon keine Prozessführungsbefugnis.293 Der Rechtsfremde soll sich nicht ohne Einwilligung des nunmehr Berechtigten in Angelegenheiten einmischen, die ihn nichts mehr angehen. Besonderes gilt gem. § 407 Abs. 2 BGB für Forderungen. Bei ihnen gibt es keine Publizität, wie sie bei Sachen durch Besitz und Grundbuch hergestellt ist. Daher kann es eher vorkommen, dass trotz Abtretung der Zedent die Forderung per Klage durchzusetzen versucht, etwa weil er die Abtretung für unwirksam und sich selbst daher immer noch für berechtigt hält, oder weil er bei gesetzlichem Forderungsübergang um den Verlust seiner Forderung nicht einmal weiß. § 407 Abs. 2 BGB bestimmt für solche Fälle, dass der vermeintliche Schuldner bei einem Prozesssieg das zu seinen Gunsten ergehende Urteil auch dem Zessionar entgegenhalten kann und sich nicht erneut verteidigen muss. Wird die Zession bereits im Prozess aufgedeckt,

288 Herrmann Die Grundstruktur der Rechtshängigkeit (1988) S. 107; Schilken FS Gerhardt (2004), 879 (884). 289 Zur Rechtfertigung der Rechtskrafterstreckung vgl. zum Beispiel Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974) S. 542 f. 290 BGH v. 17.2.1983 NJW 1983, 2032; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) § 325 Rdnr. 13. 291 Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 Rdnr. 16; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) § 325 Rdnr. 27. 292 Zum Anwendungsbereich generell Schilken FS Gerhardt (2004), 879. 293 Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO (2005) § 265 Rdnr. 15; Rosenberg/ Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 99 Rdnr. 15; Thomas/Putzo/Reichold ZPO (2005) § 265 Rdnr. 11.

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kann nach herrschender Meinung der Schuldner den Prozess mit dem Zedenten fortführen. In diesem Fall ist der Zedent prozessführungsbefugt.294 Die Übertragung der streitbefangenen Sachen soll nach herrschender Meinung nicht ohne Auswirkung auf den Klageantrag bleiben: Er muss nach der Relevanztheorie, die mehrheitlich in der Rechtsprechung295 und Literatur296 vertreten wird, den Klageantrag mangels eines Einziehungsrechts auf Leistung an den Erwerber umstellen. Die Neuformulierung des Antrags stelle eine Veränderung des Streitgegenstands und damit eine Klageänderung dar, die aber gem. § 264 ZPO zulässig sei.297 Der BGH teilt diese Ansicht; er spricht zwar in älteren Entscheidungen von einer „Modifikation“ der Anträge, ohne sie als Änderung der Klage zu behandeln,298 hält aber in einer neueren Entscheidung die Umstellung des Antrags auf Leistung an den Abtretungsempfänger für eine Änderung, die allerdings gem. § 264 Nr. 2 ZPO oder § 264 Nr. 3 ZPO zulässig sei.299 Da der Streitgegenstand nach herrschender Meinung in gleicher Weise für die Klageänderung wie für die Rechtskraft gilt, ist es folgerichtig, den Rechtsnachfolger nicht an das Urteil zu binden, wenn der Veräußernde als Kläger unterlässt, den Klageantrag umzustellen. Die Klage muss dann mangels Berechtigung abgewiesen werden. Das Urteil sagt in diesen Fällen nichts über die Berechtigung des Erwerbers aus, sie wurde nicht geprüft. Der Rechtsnachfolger darf erneut klagen, diesmal mit dem korrekten Antrag auf Leistung an sich.300 Das erscheint zum Schutz des Rechtsnachfolgers geboten, ist aber nicht unproblematisch, da es dem Veräußernden nach Lage des Falls eine Möglichkeit zu einer Art „kalten Klagerücknahme“ ohne die gem. § 269 ZPO grundsätzlich erforderliche Einwilligung des Beklagten gibt, wenn der Prozess ungünstig zu verlaufen scheint; er stellt dann den Antrag nicht auf Leistung an seinen Rechtsnachfolger um und erzielt eine Abweisung lediglich mangels Sachlegiti294 A. Blomeyer ZPR (1985) § 41 V (S. 244); Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 46 Rdnr. 31 f.; Staudinger/Busche BGB (2005) § 407 Rdnr. 18. 295 BGH v. 12.3.1986 NJW 1986, 3206 (3207). 296 Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 3 (1997) § 265 Rdnr. 36, 42; Musielak Grundkurs ZPO (2004) Rdnr. 212. 297 MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) § 265 Rdnr. 87 (entsprechend § 264 Nr. 3 ZPO); a. A. Henckel Parteilehre und Streitgegenstand (1961) S. 217 f., nach dessen Meinung die §§ 263, 264 ZPO unanwendbar bleiben, sondern die Klageänderung durch § 265 ZPO selbst gedeckt ist. 298 BGH v. 24.11.1977 ZZP 91 (1978), 314 (316) (mit ablehnender Anmerkung Grunsky) hält eine Anschlussberufung des Klägers (und Berufungsbeklagten) für unnötig, wenn er wegen einer Abtretung den Klageantrag in der Berufung „modifiziert“; Grunsky (317 f.) erkennt dagegen eine Klageänderung und hält deshalb die Anschlussberufung für erforderlich. 299 BGH v. 19.3.2004 BGHZ 158, 295 (305). 300 Dinstühler ZZP 112 (1999), 61 (70); MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) § 265 Rdnr. 90.

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mation (freilich mit nachteiliger Kostenentscheidung). Der mit dem unterlegenen Kläger kooperierende Rechtsnachfolger könnte dann einen neuen Versuch unternehmen, die Forderung vor Gericht erfolgreich durchzusetzen.301 An der erforderlichen Umstellung des Klageantrags erkennen wir ein Phänomen, das man auch als „subjektive Dimension“ des Streitgegenstands bezeichnen kann: Der Antrag ist bei Leistungsklagen auf einen Berechtigten ausgerichtet, der nicht der Kläger selbst sein muss. Da der Antrag nach herrschender Meinung für den Streitgegenstand maßgeblich ist, bringt, wenn man die verbreitete Definitionsformel streng anwendet, jede Auswechselung des Begünstigten im Antrag eine Streitgegenstandsveränderung mit sich. Etwas anders beurteilt sich die Situation, wenn die Rechtsnachfolge nach Rechtshängigkeit im Prozess nicht zur Sprache kommt. Wenn das Gericht die Klage abweist, so wird dies nicht unbedingt mangels Sachlegitimation geschehen, sondern eventuell weil die Forderung nicht existiert. In diesem Fall erscheint es zum Schutze des Prozessgegners geboten, die Wirkung dieses Urteils auf den Rechtsnachfolger zu erstrecken. Trotz des anderslautenden Antrags sollte man seine Klage wegen entgegenstehender Rechtskraft als unzulässig behandeln. Die Rechtskraft sollte folglich flexibel nach dem Inhalt der Urteilsbegründung bestimmt werden;302 das bloße Festhalten am Antragswortlaut führte zu ungerechten Ergebnissen. Angesichts dieser Probleme kann man erwägen, ob man nicht doch der Irrelevanztheorie folgen soll, die eine Antragsumstellung für nicht erforderlich hält. Das Phänomen der „subjektiven Dimension“ des Streitgegenstands wird uns sogleich bei der Prozessstandschaft erneut begegnen. b) Rechtskrafterstreckung bei der Prozessstandschaft Im Normalfall eines Zivilprozesses klagt derjenige, der ein Recht oder einen Anspruch zu haben behauptet, gegen denjenigen, gegenüber dem das Recht bzw. der Anspruch bestehen soll. Verglichen mit der materiellen Rechtslage tritt also regelmäßig der Gläubiger/Rechtsinhaber als Kläger und der angebliche Schuldner als Beklagter auf. Wer dagegen nicht in eigenem Namen, sondern in fremdem Namen für einen anderen vor Gericht handelt, wird demnach nicht Partei, sondern handelt als Vertreter.303 In Ausnahmefällen kann aber auch ein anderer als der Rechtsinhaber das fremde Recht im eigenen Namen einklagen.304 Ob dem Kläger gestattet ist, den fraglichen Anspruch gerichtlich geltend zu machen, wird unter dem Stichwort 301 Grundsätzlich kritisch gegenüber der h. M. daher Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 99 Rdnr. 33 vom Boden der Irrelevanztheorie aus. 302 Zur Bedeutung des Abweisungsgrunds für die Grenzen der Rechtskraft vgl. Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 186. 303 Zeiss/Schreiber ZPR (2003) Rdnr. 159.

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der „Prozessführungsbefugnis“ geklärt.305 Im Regelfall liegt die Prozessführungsbefugnis bei demjenigen, der nach materiellem Recht Träger des streitbefangenen Rechts ist.306 Ist ein anderer als der Rechtsinhaber zur Prozessführung berechtigt, nennt man diesen Fall Prozessstandschaft. Man unterscheidet zwischen der Prozessstandschaft aufgrund Gesetzes und der gewillkürten Prozessstandschaft, die aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Ermächtigung zur Prozessführung entstehen kann und von der herrschenden Meinung unter gewissen Voraussetzungen für zulässig gehalten wird. Zu unterscheiden ist die Prozessführungsbefugnis von der Frage der Sachlegitimation.307 Die Sachlegitimation betrifft die materielle Berechtigung bzw. materielle Verpflichtung. Sie ist in der Begründetheit der Klage zu prüfen und spielt eine entscheidende Rolle bei der Formulierung des Klageantrags: Ist derjenige, dessen Verurteilung beantragt wird, auch materiell verpflichtet, richtet sich der geltend gemachte Anspruch wirklich gegen ihn? Dann ist er passivlegitimiert. Und ist derjenige, an den laut Klageantrag zu leisten ist, auch zur Forderung dieser Leistung berechtigt? Dann ist er aktivlegitimiert. Prozessführungsbefugnis und Sachlegitimation können auseinanderfallen. Wenn der Gegner schon einen zulässigen Prozess gegen einen Prozessführungsbefugten führen muss, dann soll der Rechtsträger das Ergebnis dieses Prozesses grundsätzlich gegen sich gelten lassen müssen.308 So wird bei der gewillkürten Prozessstandschaft309 die Erstreckung der Urteilswirkungen auf den Rechtsträger ebenso angenommen wie in den Fällen der alleinigen gesetzlichen Prozessstandschaft, die in der Regel einhergeht mit einem Entzug auch der materiell-rechtlichen Verfügungsbefugnis, so z. B. beim Insolvenz- und beim Nachlassverwalter.310 Eine feste Regel, dass die Klage eines Prozessführungsbefug304 Möglich ist auch die Klage gegen einen anderen als den Schuldner. Dieser Prozessstandschaft auf der Beklagtenseite wird allgemein weniger Beachtung geschenkt, sie kommt in der Praxis anscheinend weit seltener vor. Wegen der Bedeutung der Prozessstandschaft auf der Klägerseite soll unsere Untersuchung auf diese Konstellation beschränkt werden. 305 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 46 Rdnr. 1 ff.; Schilken ZPR (2002) Rdnr. 272 ff. 306 Schellhammer Zivilprozess (2004) Rdnr. 1202; Schilken ZPR (2002) Rdnr. 273. 307 Musielak Grundkurs ZPO (2004) Rdnr. 120; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 46 Rdnr. 2. 308 Häsemeyer ZZP 101 (1988), 385 (404). 309 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 46 Rdnr. 62; die gewillkürte Prozessstandschaft ist in den Zivilverfahrenssystemen der meisten europäischen Länder ausgeschlossen, vgl. die Aufzählung bei Schack FS Gerhardt (2004), 859 (870 f.), der im Anschluss an frühere Kritik (z. B. Frank ZZP 92 (1979), 321) die Zulässigkeit im deutschen Recht in Frage stellt (Schack a. a. O. S. 878). Zur Ablehnung der Prozessstandschaft in Österreich vgl. Fasching ZPR (1990) Rdnr. 344. 310 Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 Rdnr. 55; A. Blomeyer ZPR (1985) § 92 I 1 (S. 509); Partei kraft Amtes, vgl. Schack FS Gerhardt (2004), 859 (866).

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ten immer für den/die Rechtsträger Bindungswirkung entfalte, gibt es allerdings nicht.311 So wird bei einer Klage eines Mitberechtigten gem. § 2039 BGB oder gem. § 432 Abs. 1 BGB auf Leistung an alle Mitberechtigten (oder auf Hinterlegung) eine Bindung der übrigen Mitberechtigten abgelehnt,312 um ihnen die eigene prozessuale Chance nicht zu nehmen.313 Die Belastung des Gegners mit einer Mehrzahl von Prozessen wird in Kauf genommen.314 Der Anspruch auf rechtliches Gehör der einzelnen Mitberechtigten setzt sich nach herrschender Meinung gegenüber dem Interesse des Gegners und der Allgemeinheit an Rechtssicherheit durch. Eine Ausnahme wird gemacht für die Mitberechtigten, mit deren Zustimmung die Klage geführt wurde. Sie werden nicht für schutzwürdig erachtet und daher an das Prozessergebnis gebunden.315 Ebenso wie bei der Rechtsnachfolge bezüglich des streitbefangenen Gegenstands gibt es nach herrschender Meinung auch hier im Streitgegenstand ein subjektives Element. Die herrschende Meinung will den Streitgegenstand anhand der beteiligten Rechtssubjekte individualisieren.316 Dementsprechend sei der Streitgegenstand im Prozess des Prozessstandschafters und dem nachfolgenden Prozess des Rechtsträgers, die denselben Anspruch betreffen, auch ein und derselbe.317 Immerhin lautet der Antrag in beiden Fällen auf Leistung an den Rechtsträger. In den meisten Fällen, in denen Rechtskrafterstreckung auf den 311 Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 § 325 Rdnr. 54; A. Blomeyer ZPR (1985) § 92 I 2 (S. 509 f.); Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 46 Rdnr. 58 f.; a. A. Berger Die subjektiven Grenzen der Rechtskraft (1992) S. 141 ff.; für eine solche Regel auch Schellhammer Zivilprozess (2004) Rdnr. 1206, der im Einzelfall aber häufiger keine Prozessstandschaft, sondern ein eigenständiges materielles Recht annimmt, und deshalb zu mit der hM übereinstimmenden Ergebnissen bei der Rechtskrafterstreckung kommt. 312 BGH v. 23.1.1981 NJW 1981, 1097; MünchKommZPO/Gottwald Band 1 (2000) § 325 Rdnr. 39; Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 Rdnr. 58 m.w. N.; Zeuner FG 50 Jahre BGH Band III (2000), 337 (365); a. A. Berger Die subjektiven Grenzen der Rechtskraft (1992) S. 223 ff. (249 ff.); eine teilweise Beachtung des ersten, abweisenden Urteils erwägt von Olshausen FS Gerhardt (2004), 705 (715 ff., 723), wenn nämlich der zuerst klagende Mitberechtigte wegen mangelnder eigener Berechtigung oder wegen eines Besitzrechts des Beklagten ihm gegenüber abgewiesen wird. Dann soll ein nachfolgend klagender Mitberechtigter nicht mehr auf Herausgabe auch an den unterlegenen Erstkläger klagen können. 313 Schack NJW 1988, 865 (869). 314 Dies beklagt Häsemeyer ZZP 101 (1988), 385 (404). 315 BGH v. 28.6.1985 NJW 1985, 2825. 316 OLG Düsseldorf v. 30.9.1999 GRURInt 2000, 776 (778 f.); Berger Die subjektiven Grenzen der Rechtskraft (1992) S. 2 f.; Henckel Parteilehre und Streitgegenstand (1961) S. 196; vgl. auch die Ausführungen bei Bettermann Rechtshängigkeit und Rechtsschutzform (1949) S. 21 und Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 58 (dort Fn. 201). 317 Bettermann Rechtshängigkeit und Rechtsschutzform (1949) S. 11; Berger Die subjektiven Grenzen der Rechtskraft (1992) S. 3; so auch der BGH in einem Fall, in dem zunächst ein vermeintlicher Prozessführungsbefugter geklagt hatte, dann im Berufungsverfahren der Rechtsträger in den Prozess einsteigen wollte; eine Veränderung

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nicht beteiligten Rechtsinhaber (oder umgekehrt auf den nachfolgend klagenden Prozessstandschafter) in Betracht kommt, wird sich daher die Frage der Streitgegenstandsidentität nicht stellen. Ausnahmen sind dennoch denkbar, beispielsweise kann der Prozessstandschafter von vornherein den falschen Antrag stellen. Beispiel:318 Der Kläger macht einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Beschädigung eines Zauns auf dem Grundstück der Erbengemeinschaft geltend. Er ist Teil der Erbengemeinschaft, stellte aber zunächst einen Klageantrag auf Verurteilung zur Leistung an ihn selbst. Er wurde vom Gericht darauf hingewiesen, dass er seinen Antrag gem. § 2039 BGB auf Leistung an alle Miterben oder auf Hinterlegung umstellen müsse. Er kam diesem Hinweis nicht nach, worauf seine Klage in erster Instanz abgewiesen wurde. In der Berufung verlangte er erstmals Verurteilung zur Hinterlegung. Das Berufungsgericht meint, wegen der Veränderung des Antrags habe der Kläger nicht sein ursprüngliches Begehren weiterverfolgt, sondern einen neuen Streitgegenstand in das Verfahren eingeführt. Die Berufung sei daher unzulässig.

Der BGH verwarf diese Sichtweise des Berufungsgerichts. Der Kläger mache weiterhin den ursprünglichen Anspruch der Erbengemeinschaft auf Schadensersatz geltend. Die Umstellung des Antrags von Verurteilung zur Leistung an den Kläger selbst auf Verurteilung zur Hinterlegung sei keine Klageänderung, sondern eine Beschränkung des Antrags, die nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässig sei. Wie wirkt sich diese Lösung des BGH auf den Umfang der materiellen Rechtskraft aus? Indem der BGH auf § 264 Nr. 2 ZPO zurückgreift, geht er offensichtlich selbst von einer Streitgegenstandsveränderung aus.319 Das spricht dafür, auch Mitberechtigte, die der Prozessführung des Klägers zugestimmt haben und daher von der Rechtskraft erfasst werden, ausnahmsweise nicht zu binden. Sie können, wenn sie nach Urteil im ersten Prozess korrekt auf Hinterlegung klagen, einen neuen Streitgegenstand geltend machen. Die Einrede der entgegenstehenden Rechtskraft erscheint – entsprechend der Lösung bei der Rechtsnachfolge [vgl. oben B.III.1.a)] – zumindest dann nicht gerechtfertigt, wenn die erste Klage gerade wegen des falschen Antrags, also wegen der fehlenden Sachlegitimation des Klägers, abgewiesen wurde.320 Wurde der Fehler im Antrag dagegen übersehen und die Klage abgewiesen, weil überhaupt kein

des Streitgegenstands sei in dieser Konstellation nicht gegeben; BGH v. 7.5.2003 NJW 2003, 2172 (2173 a. E.). 318 Gebildet nach BGH v. 19.4.2005 NJW-RR 2005, 955. 319 Nach herrschender Meinung sind Änderungen im Antrag, die unter § 264 Nr. 2 ZPO zu subsumieren sind, Streitgegenstandsänderungen und damit Klageänderungen, die per se zulässig sind; vgl. dazu MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) § 264 Rdnr. 3 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 98 Rdnr. 12; Hk-ZPO/Saenger (2006) § 264 Rdnr. 1; a. A. Zöller/Greger ZPO (2005) § 264 Rdnr. 2. 320 Zur Bedeutung des Abweisungsgrunds für die Grenzen der Rechtskraft vgl. Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 186.

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Anspruch besteht, spricht vieles dafür, die dem Prozess zustimmenden Mitberechtigten zu binden. Die Situation unterscheidet sich nicht wesentlich von derjenigen nach Abweisung eines korrekten Klageantrags. Der unbeachtet gebliebene Fehler im Antrag ist ein Zufallsmoment, das nicht über Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines neuen Antrags entscheiden darf. Zu Problemen kann es auch kommen, wenn anstatt des Rechtsinhabers der Prozessstandschafter die Aktivlegitimation besitzt und daher auf Leistung an sich selbst klagen kann. Prominentes Beispiel ist die stille Sicherungszession, bei der der Zedent zur Sicherung von eigenen Verpflichtungen gegenüber dem Zessionar eine Forderung gegen den Drittschuldner abtritt; der Zedent bleibt gewöhnlich zur gerichtlichen und außergerichtlichen Geltendmachung der Forderung ermächtigt. Die Ermächtigung umfasst eine gewillkürte Prozessstandschaft, damit der Zedent weiterhin in eigenem Namen klagen kann, und eine Einziehungsermächtigung, die ihm die Aktivlegitimation verleiht.321 Er kann also den Klageantrag auf Leistung an sich selbst formulieren. Meines Wissens gibt es niemanden, der den Rechtsinhaber (also den Zessionar) nicht an ein Urteil, das die Klage des Zedenten abweist, binden will. Wenn der Zessionar den Zedenten zur Klage auf Leistung an den Zedenten ermächtigt, muss er das Ergebnis hinnehmen und kann sich nicht darauf berufen, er stelle einen neuen Antrag. Dieses Ergebnis wird von Ausführungen des BGH zur Frage der Klageänderung unterstützt. Wenn der Zessionar die Einziehungsermächtigung während des Prozesses des Zedenten widerruft, muss der klagende Zedent seinen Antrag auf Leistung an den Zessionar umstellen. Das sei aber keine Streitgegenstandsänderung, sondern lediglich eine „notwendige Anpassung an die veränderte prozessuale Lage“.322 Mit diesem Befund „keine Streitgegenstandsänderung“ lässt sich auch die Rechtskrafterstreckung trotz abweichenden Antrags begründen. Vergleicht man die diese Ansicht des BGH mit derjenigen bei der Klageumstellung wegen Rechtsnachfolge (nach der herrschenden Relevanztheorie), scheint er mit zweierlei Maß zu messen. Immerhin bemüht er dort § 264 ZPO, um die Umformulierung des Antrags zu gestatten, und geht damit offenbar von einer Streitgegenstandsveränderung aus. Entsprechend der dortigen Lösungen sollte man daher auch bei der stillen Sicherungszession zumindest dann dem Zessionar eine eigene nachfolgende Klage erlauben, wenn er die Einziehungsermächtigung noch im Prozess widerruft, der Kläger aber nicht wie geboten den Antrag verändert und allein deshalb die Klage als unbegründet abgewiesen wird. Kam dagegen die Abtretung als stille Sicherungszession im Prozess nicht zur Sprache, gründet sich die Abweisung nicht auf mangelnde Sachlegitimation 321 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 46 Rdnr. 38; Palandt/Grüneberg BGB (2006) § 398 Rdnr. 21; Baur/Stürner Sachenrecht (1999) § 58 Rdnr. 4. 322 BGH v. 23.3.1999 NJW 1999, 2110 (2112).

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des Klägers; vielmehr wurde in aller Regel die Forderung selbst geprüft, mit negativem Ergebnis. Da der Rechtsinhaber mit diesem Prozess und auch mit dem Antrag des Zedenten einverstanden war (immerhin gab er ursprünglich seine Einziehungsermächtigung), muss er auch das Ergebnis hinnehmen. c) Sonderfall der Prozessstandschaft: Rechtskrafterstreckung bei Forderungspfändungen Die Pfändung einer Geldforderung gem. §§ 828 ff. ZPO ist ein Weg für einen Gläubiger, wegen einer bereits titulierte Forderung gegen den Schuldner zu vollstrecken. Wenn sich der Gläubiger die Forderung zur Einziehung gem. §§ 835, 836 ZPO überweisen lässt, erlangt er eine Einziehungsbefugnis323 und ist berechtigt, die Forderung gegen den Drittschuldner in eigenem Namen, also in Prozessstandschaft,324 einzuklagen. Auf diese Klage gegen den Drittschuldner ist er angewiesen, wenn der Drittschuldner nicht freiwillig zahlt.325 Der Vollstreckungsschuldner bleibt Inhaber der Forderung; er darf lediglich die Forderung nicht mehr selbst einziehen. Er kann jedoch weiterhin selbst gegen den Drittschuldner klagen, muss dann nur den Klageantrag auf Leistung an den Vollstreckungsgläubiger formulieren.326 Auf diese Weise kann der Schuldner selbst Verzögerungsschäden abwenden, wenn der Vollstreckungsgläubiger nicht rechtzeitig gegen den Drittschuldner klagt; zudem kann er einen möglichen Mehrbetrag der Forderung, der das Pfandrecht des Vollstreckungsgläubigers übersteigt, in derselben Klage zu eigenen Gunsten einfordern.327 Die Prozessführungsbefugnisse von Gläubiger und Schuldner bestehen parallel nebeneinander.328 Das Urteil im Einziehungsprozess des Vollstreckungsgläubigers gegen den Drittschuldner bindet den Schuldner ebensowenig329 wie umgekehrt den Vollstreckungsgläubiger das Urteil, das der Schuldner gegen den Drittschuldner erwirkt hat.330 323

Schur KTS 2001, 73; Thomas/Putzo ZPO (2005) § 836 Rdnr. 3. Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO (2005) § 835 Rdnr. 9; MünchKommZPO/Smid Band 3 (2001) § 835 Rdnr. 13; Rosenberg/Gaul/Schilken Zwangsvollstreckungsrecht (1997) § 55 II 1 b (S. 859) m.w. N.; dies ist umstritten; nach a. A. klagt der Gläubiger ein eigenes Recht ein; vgl. Schur KTS 2001, 73 (74) m.w. N. zum Meinungsstand. 325 Brox/Walker Zwangsvollstreckungsrecht (2003) Rdnr. 640. 326 BGH v. 5.4.2001 NJW 2001, 2178 (2179 f.); grundsätzlich zustimmend Berger JZ 2002, 46; Brox/Walker Zwangsvollstreckungsrecht (2003) Rdnr. 618 f. 327 Stein/Jonas/Brehm ZPO Band 8 (2004) § 835 Rdnr. 33. 328 Stöber Forderungspfändung (2005) Rdnr. 671. 329 RG v. 26.9.1913 RGZ 83, 116 (117 ff.) mit der Begründung, dass sowohl der Schuldner als auch der Vollstreckungsgläubiger selbständige Befugnisse hinsichtlich der Forderung und ein selbständiges Interesse an deren Durchsetzung hätten; Stein/ Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 Rdnr. 60; Stein/Jonas/Brehm ZPO Band 8 (2004) § 829 Rdnr. 100; Stöber Forderungspfändung (2005) Rdnr. 665. 324

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Eine besondere Regelung enthält § 856 ZPO für den Fall, dass eine Forderung mehrfach gepfändet wurde. Bei mehrfacher Pfändung soll der Schuldner der gepfändeten Forderung nicht das Risiko tragen, den tatsächlichen Gläubiger ermitteln zu müssen, und darf sich deshalb gem. § 853 ZPO durch Hinterlegung befreien.331 Jedem Pfändungsgläubiger steht gem. § 856 Abs. 1 ZPO eine eigenständige Klagebefugnis zur Durchsetzung des Anspruchs auf Hinterlegung gem. § 853 ZPO zu. Die übrigen Gläubiger haben gem. § 856 Abs. 2 ZPO das Recht, sich der Klage anzuschließen. Dahinter verbirgt sich eine gesetzliche Möglichkeit zum Parteibeitritt.332 Die sich gem. § 856 Abs. 2 ZPO anschließenden Pfändungsgläubiger werden nicht bloß Streithelfer, sondern ebenfalls Kläger als notwendige Streitgenossen.333 Um die Benachrichtigung der nicht klagenden Vollstreckungsgläubiger sicherzustellen, ist der Drittschuldner gem. § 856 Abs. 3 ZPO verpflichtet, bei Gericht ihre Beiladung zu beantragen. Auf diese Weise wird ihnen die Gelegenheit geboten, ihren Anspruch auf rechtliches Gehör wahrzunehmen.334 Es bleibt dann den Beigeladenen überlassen, ob sie sich wirklich beteiligen oder ihr Anschlussrecht nutzen wollen. § 856 Abs. 4 ZPO ordnet im Grundsatz eine Rechtskrafterstreckung auf die nicht klagenden übrigen Pfändungsgläubiger an. Zum einen soll eine einheitliche Entscheidung gegenüber dem Drittschuldner sichergestellt werden,335 zum anderen soll der Drittschuldner sicher sein dürfen, nicht mit mehrere Klagen überzogen zu werden. Ausnahmsweise werden solche Gläubiger gem. § 856 Abs. 5 nicht durch die Entscheidung gebunden, die zum Prozess nicht geladen waren und deshalb womöglich nicht von ihm erfahren haben. Wurde ihnen im ersten Verfahren keine Gelegenheit zur Beteiligung geboten, so können sie in einem zweiten Verfahren uneingeschränkt ihre Rechte verteidigen. Gegenüber dem Vollstreckungsschuldner entfaltet das Urteil ohnehin keine Bindungswirkung.336 d) Rechtskrafterstreckung bei Abstammungsprozessen Bei Kindschaftssachen gelten die Urteile gem. § 640h Abs. 1 S. 1 ZPO für und gegen alle; ihre materielle Rechtskraft bindet jedermann.337 Von der Wirkung ausgenommen sind gem. Absatz 1 Satz 2 Personen, die ein elterliches 330

BGH v. 5.4.2001 NJW 2001, 2178 (2180); zustimmend Berger JZ 2002, 47. Zum Normzweck des § 853 ZPO vgl. Musielak/Becker ZPO (2005) § 853 Rdnr. 1. 332 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPO (2004) § 42 Rdnr. 2. 333 MünchKommZPO/Smid Band 3 (2001) § 856 Rdnr. 2; Zöller/Stöber ZPO (2005) § 856 Rdnr. 1. 334 MünchKommZPO/Smid Band 3 (2001) § 856 Rdnr. 4. 335 Schack NJW 1988, 865 (867). 336 Zöller/Stöber ZPO (2005) § 856 Rdnr. 5 sowie oben bei Fn. 329. 337 Dazu Zöller/Philippi ZPO (2005) § 640h Rdnr. 3 ff. 331

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Verhältnis oder die elterliche Sorge für sich in Anspruch nehmen und nicht am Prozess teilgenommen haben. Die betroffenen Personen müssen tatsächlich teilgenommen haben, die bloße Möglichkeit der Teilnahme genügt nicht.338 Sie sollen an die Entscheidung nur gebunden werden, wenn man ihnen rechtliches Gehör gewährt hat.339 Damit liegt dem § 640h ein ähnliches „Denkmodell“ zugrunde wie § 856 Abs. 4 und 5 ZPO.340 Eine Ausnahme von der Ausnahme wird in Absatz 1 Satz 3 für die Vaterschaftsfeststellung gem. § 1600d BGB gemacht. Ein Verfahren nach § 1600d BGB wird notwendig, wenn nicht eine Vaterschaft aufgrund einer Ehe mit der Mutter (§ 1592 Nr. 1 BGB) oder aufgrund einer Anerkennung (§ 1592 Nr. 2 BGB) besteht341 oder wenn die rechtliche Vaterschaft wirksam angefochten wurde.342 Die Mutter gilt dann als verpflichtet, gegen den vermutlichen leiblichen Vater auf Feststellung zu klagen.343 Männer, die die Vaterschaft für sich beanspruchen, sind an das Prozessergebnis gem. § 640h Abs. 1 S. 1 und 3 ZPO auf jeden Fall gebunden. Mit dieser Regelung wurde die prozessuale Rechtskraftwirkung auf das ehemals geltende materielle Recht abgestimmt.344 Nach der Konzeption des Rechts der Vaterschaft in §§ 1592 ff. und §§ 1600 ff. BGB a. F. konnte ein Dritter, der die Vaterschaft für sich in Anspruch nahm, eine zeitlich früher gelegene Vaterschaftsbegründung eines anderen Mannes durch Ehe oder ausdrückliche Anerkennung nicht anfechten; eine eigene Erklärung zur Vaterschaftsanerkennung blieb solange ohne Wirkung. Und wer nicht eigenständig Einfluss auf die rechtliche Beurteilung der Vaterschaft eines anderen Mannes nehmen konnte, der musste in einem Prozess zur Feststellung der Vaterschaft nicht zwingend gehört werden, damit das Prozessergebnis auch für ihn bindend feststand.345 Dieses sog. Prioritätsprinzip stand schon während seiner Geltung in der Kritik346 und wurde vom Bundesverfassungsgericht in einer Ent338

Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 168 Rdnr. 27. Zöller/Philippi ZPO (2005) § 640h Rdnr. 8. 340 So die Bezeichnung von Marotzke ZZP 100 (1987), 164 (171). 341 Hohloch Familienrecht (2002) Rdnr. 757; MünchKommBGB/Seidel Band 8 (2002) § 1600d Rdnr. 1. 342 Gaul FamRZ 1997, 1441 (1452); eine erfolglose Vaterschaftsanfechtung entfaltet für den leiblichen Vater gem. § 640h Abs. 1 S. 1 ZPO Wirkung; jedoch gilt für Anfechtungsklagen nur die Ausnahme des Satzes 2, nicht die Rückausnahme des Satzes 3. Daher tritt die Bindungswirkung nur ein, wenn der Vaterschaftsprätendent am Verfahren beteiligt wurde; vgl. Palandt/Diederichsen BGB (2006) § 1599 Rdnr. 8. 343 Hohloch Familienrecht (2002) Rdnr. 758; wobei eine Verletzung dieser Pflicht praktisch folgenlos bleibt, weshalb es letztlich doch der Mutter überlassen ist, ob sie Vaterschaftsfeststellungsklage erhebt, vgl. Gaul FamRZ 1997, 1441 (1452). 344 MünchKommZPO/Coester-Waltjen Band 2 (2000) § 640h Rdnr. 1; Stein/Jonas/ Schlosser Band 5/2 (1993) § 640h Rdnr. 12; Jauernig ZZP 101 (1988), 361 (380 f.). 345 Jauernig ZZP 101 (1988), 361 (381). 346 Vgl. Helms FamRZ 1997, 913 ff. m.w. N. dort in Fn. 15 zur damaligen verfassungsrechtlichen Diskussion. 339

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scheidung vom 9. April 2003 wegen Verstoßes gegen Art. 6 GG für teilweise verfassungswidrig erklärt.347 Nunmehr hat auch der biologische Vater gem. § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB unter den Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 eine eigene Anfechtungsbefugnis. Dieser materiell-rechtlichen Veränderung wurde der § 640h ZPO nur insofern angepasst, als gemäß dem neu eingefügten Absatz 2 eine Anfechtung durch den leiblichen Vater bei Erfolg der Klage notwendigerweise auch zur Feststellung der Vaterschaft des Anfechtenden führt, um so eine bestehende rechtliche Vaterschaft für das betroffene Kind abzusichern.348 Bei dieser Neuregelung ist nicht ganz klar, ob der § 640h Abs. 1 S. 3 ZPO nicht auch für die notwendige Feststellung des erfolgreich Anfechtenden als Vater gilt. Dessen Wortlaut enthält weiterhin nur den Hinweis auf § 1600d BGB. Für eine Anwendung spricht, dass die Feststellung gem. § 640h Abs. 2 ZPO dieselbe Funktion hat wie die Klage nach § 1600d BGB,349 nämlich die Feststellung der wahren Vaterschaft für das ansonsten ohne rechtlichen Vater lebende Kind. Gäbe es den § 640h Abs. 2 nicht, müsste gegen den anfechtenden Dritten sofort eine Klage gem. § 1600d erhoben werden. Ficht ein Vaterschaftsprätendent also erfolgreich an und wird gem. § 640h Abs. 2 ZPO als Vater festgestellt, so gilt für weitere, nicht am Prozess beteiligte Vaterschaftsprätendenten die uneingeschränkte Rechtskrafterstreckung gem. § 640h Abs. 1 S. 3 ZPO. Während also Männer, die sich selbst für den Vater eines Kindes halten, neuerdings die Vaterschaft eines anderen Mannes kraft Ehe oder Anerkennung gem. § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB anfechten können, sind sie an die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft eines anderen in jedem Fall gebunden, auch wenn sie an der Entscheidungsfindung nicht teilgenommen haben. Hintergrund dieser gesteigerten Autorität der gerichtlichen Feststellung ist offenbar das große Vertrauen des Gesetzgebers in die Verlässlichkeit neuer Feststellungsmethoden,350 die von Amts wegen zu nutzen sind.351 Wenn die Urteile in diesem Bereich wegen des wissenschaftlichen Fortschritts mit immer größerer Wahrscheinlichkeit richtig sind, kommt der Rechtssicherheit gegenüber dem rechtlichen Gehör des Einzelnen größeres Gewicht zu. Ob dieses gesteigerte Vertrauen in jedem Fall gerechtfertigt ist, darf bezweifelt werden. Wenn ausnahmsweise ein Feststellungsurteil zur Vaterschaft von A nur aufgrund übereinstimmender Angaben von A und der Mutter des Kindes erging und kein biologisches Gutachten angefertigt wurde, bleibt einem weiteren Vaterschaftsprätendenten B keine Möglichkeit, gegen diese Feststellung vorzugehen. Er ist daran gem. § 640h Abs. 1 S. 3

347 348 349 350 351

BVerfG v. 9.4.2003 NJW 2003, 2151. BT-Drucks. 15/2253 S. 12 f. Zur Funktion vgl. Palandt/Diederichsen BGB (2006) § 1600d Rdnr. 1. Dazu MünchKommZPO/Coester-Waltjen Band 2 (2000) § 640h Rdnr. 5. Palandt/Diederichsen BGB (2006) § 1600d Rdnr. 3.

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ZPO gebunden. Ob sich das BVerfG in Zukunft mit einem solchen Fall befassen muss, bleibt abzuwarten. e) Rechtskrafterstreckung bei der aktienrechtlichen Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage Diese Klagen gem. §§ 246, 249 AktG wurden bereits oben [B.II.3.c)(2)] kurz vorgestellt. Beide Klagen sind nach vordringender Meinung Gestaltungsklagen, weil bei ihnen das Gericht am Ende des Verfahrens verbindlich über die Nichtigkeit eines Beschlusses befindet.352 Sie werden nach herrschender Meinung auch zur Anfechtung bzw. Überprüfung von Beschlüssen einer GmbH eingesetzt. Denn anders als das Aktienrecht enthält das GmbHG keine Regelung über fehlerhafte Beschlüsse. Nach herrschender Meinung und in ständiger Rechtsprechung werden daher die aktienrechtlichen Vorschriften angewendet, soweit sie zur Situation in der GmbH passen.353 Die Gestaltungswirkung von Nichtigkeits- und Anfechtungsurteilen tritt gegenüber jedermann ein.354 Davon zu trennen ist die Rechtskraft; sie tritt auch bei Gestaltungsurteilen grundsätzlich nur gegenüber den Parteien ein.355 Sie betrifft die Frage, wer das Urteil später in Frage stellen kann. Bei der Anfechtungs- und der Nichtigkeitsklage kann es mehrere zur Klage gegen denselben Beschluss befugte Personen geben, vgl. §§ 245, 249 AktG. Gem. § 248 Abs. 1 AktG werden auch die übrigen, bisher nicht verfahrensbeteiligten Klageberechtigten an die Entscheidung gebunden. Damit sollen Rechtsklarheit und -sicherheit gewährleistet werden.356 Das rechtliche Gehör der übrigen Beteiligten wird in gewissem Maß durch die Pflicht des Vorstands zur Benachrichtigung der 352 K. Schmidt Gesellschaftsrecht (2002) § 15 II 2 (S. 445 f.) m.w. N. zum Streitstand; a. A. M. Schwab Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten (2005) S. 272 f.; vgl. auch oben bei B.II.3.c)(2). Auch nach der wohl noch herrschenden Meinung, die eine Feststellungsklage annimmt, kommt einem Nichtigkeitsfeststellungsurteil Wirkung für und gegen jedermann vergleichbar einer Gestaltungswirkung zu, vgl. oben Fn. 114. 353 Aus der Rechtsprechung RG v. 20.1.1941 RGZ 166, 129 (131 f.); BGH v. 17.2.1997 NJW 1997, 1510; Scholz/K. Schmidt GmbHG Band 2 (2002) § 45 Rdnr. 36; Roth/Altmeppen GmbHG (2003) § 47 Rdnr. 91. 354 BGH v. 17.2.1997 NJW 1997, 1510 (1511); MünchKommAktG/Hüffer Band 7 (2001) § 248 Rdnr. 5; generell zu Gestaltungsurteilen Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 91 Rdnr. 13; für die Wirkung von Nichtigkeitsurteilen gem. § 249 AktG gegenüber jedermann Hüffer AktG (2004) § 249 Rdnr. 17. 355 MünchKommAktG/Hüffer Band 7 (2001) § 248 Rdnr. 6; Rosenberg/Schwab/ Gottwald ZPR (2004) § 91 Rdnr. 13. 356 MünchKommAktG/Hüffer Band 7 (2001) § 248 Rdnr. 3. Zur Begründung der Rechtskraft auch bei stattgebenden Gestaltungsurteilen Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 91 Rdnr. 15; aufgrund der Rechtskraft kann eine Klage gegen den Anfechtungskläger auf Schadensersatz wegen unrechtmäßiger Anfechtungsklage keinen Erfolg haben.

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übrigen Aktionäre/Gesellschafter gem. §§ 246 Abs. 4, 249 Abs. 1 AktG gesichert. Die übrigen Klageberechtigten können dann als streitgenössische Nebenintervenienten gem. § 69 ZPO beitreten,357 und zwar sowohl auf der Seite des Anfechtungsklägers als auch auf der Seite der beklagten AG.358 Wird die Benachrichtigungspflicht verletzt und kann deshalb ein Klageberechtigter sich nicht am Verfahren beteiligen, sieht das Gesetz keine Ausnahme von der Rechtskrafterstreckung vor. Das ist mit Blick auf Art. 103 Abs. 1 GG nicht unbedenklich, wenn man berücksichtigt, dass rechtsgestaltend auf einen Beschluss einer Hauptversammlung eingewirkt wird und somit die Stimmrechtsmacht des einzelnen Aktionärs beeinträchtigt wird.359 Der § 248 Abs. 1 AktG gilt entsprechend für die Beschlussfeststellungsklage [dazu vgl. oben B.II.3.c)(2)].360 Wurde ein Beschluss gerichtlich festgestellt, kann demgemäß kein Anfechtungsberechtigter mehr den Beschluss durch Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage angreifen.361 Das abweisende Urteil dagegen führt nicht zur Rechtskrafterstreckung gem. § 248 Abs. 1 AktG. Andere klageberechtigte Personen können also erneut den fraglichen Beschluss per Klage angreifen.362 Jenseits der in § 248 AktG gezogenen Grenzen werden Dritte durch die Gestaltungswirkung des Urteils erfasst. Eine Einschränkung des rechtlichen Gehörs ist diese Wirkung auf jedermann nicht; Personen, die nicht die rechtliche Möglichkeit haben, durch Mitwirkung am Beschlussverfahren oder durch Anfechtung Einfluss auf das Schicksal des Beschlusses zu nehmen, sind nicht in ihren Rechten betroffen. Das Urteil wirkt nur reflexiv auf sie, rechtliches Gehör ist ihnen im Verfahren daher nicht zu gewähren.363 f) Rechtskrafterstreckung bei gesellschaftsrechtlichen Auflösungsund Ausschlussklagen gem. §§ 133, 140 HGB Auch diese Klagen sind bereits oben [B.II.3.c)(1)] skizziert worden. Bei der Klage auf Auflösung einer oHG oder einer KG gem. § 133 HGB müssen grundsätzlich alle Gesellschafter entweder als (gemeinschaftliche) Kläger oder 357

Happ/Tielmann Aktienrecht (2004) 18.01 Rdnr. 5. Hüffer AktG (2004) § 246 Rdnr. 7. 359 Vgl. für die vergleichbare Rechtslage bei der GmbH K. Schmidt NJW 1986, 2018 (2020). 360 BGH v. 13.3.1980 NJW 1980, 1465 (1468); Hüffer AktG (2004) § 246 Rdnr. 43. 361 Dieser Ausschluss einer weiteren Klage ist aus Gründen der Rechtssicherheit erwünscht, BGH v. 13.3.1980 NJW 1980, 1465 (1468). 362 KG v. 31.1.1996 AG 1996, 421; K. Schmidt JZ 1977, 769 (771). 363 Scholz/K. Schmidt GmbHG Band 2 (2002) § 45 Rdnr. 173; die Bedeutung der Gestaltungswirkung inter omnes in diesem Fall deshalb relativierend Häsemeyer ZZP 101 (1988), 385 (398 f.). 358

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als Beklagte auftreten.364 Der oder die Kläger haben sämtliche Gesellschafter zu verklagen, die nicht mit ihnen als Kläger auftreten.365 Durch dieses „Mehrparteienmodell“ hat der Gesetzgeber abgesichert, dass alle Gesellschafter rechtliches Gehör erhalten.366 Die Praxis gewährt allerdings Erleichterungen. Gesellschafter können sich aus dem Streit heraushalten, wenn sie ihr Einverständnis mit der Auflösungsklage bindend erklärt haben.367 In diesem Einverständnis liegt eine gewillkürte Prozessstandschaft für die klagenden Gesellschafter.368 Sind alle Gesellschafter an einem laufenden Prozess beteiligt, so können sich unter dem Gesichtpunkt der subjektiven Reichweite der Rechtshängigkeit keine Probleme bei einer parallel erhobenen Klage ergeben. Allein entscheidend für das Eingreifen einer Rechtshängigkeitssperre ist, wie man den objektiven Streitgegenstand bestimmt [vgl. oben B.II.3.c)(1)]. Probleme können erst auftreten, wenn sich ein oder mehrere Gesellschafter in Anwendung der zitierten herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur zunächst aus der Klage heraushalten und nach Abschluss des Prozesses ihr Einverständnis bestreiten.369 Das könnten sie ohnehin nicht, wenn das Urteil auch rechtskräftig die Prozessstandschaft feststellte,370 was aber von der wohl herrschenden Meinung abgelehnt wird.371 Ein nicht beteiligter Gesellschafter kann also in einem nachfolgenden Prozess behaupten, er habe seine Zustimmung nie erteilt bzw. seine Zustimmung sei nicht wirksam gewesen. Bei der Klage auf Auflösung einer GmbH hat das Bundesverfassungsgericht es für gem. Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geboten gehalten, dass alle Gesellschafter Gelegenheit zur Teilnahme erhalten.372 Das muss auch für den 364 Baumbach/Hopt HGB (2006) § 133 Rdnr. 13; K. Schmidt Mehrseitige Gestaltungsprozesse S. 60. 365 H. Roth FS Großfeld (1999), 915 (916); Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 49 Rdnr. 33; Staub/C. Schäfer HGB Band 2 (2004) § 133 Rdnr. 51. 366 So K. Schmidt Mehrseitige Gestaltungsprozesse S. 37; für die Ausschließungsklage BGH v. 18.10.1976 NJW 1977, 1013 (1014). 367 BGH v. 15.9.1997 NJW 1998, 146; Baumbach/Hopt HGB (2006) § 133 Rdnr. 13; MünchKommHGB/K. Schmidt Band 2 (2004) § 133 Rdnr. 48. 368 K. Schmidt Mehrseitige Gestaltungsprozesse S. 70; Staub/C. Schäfer HGB Band 2 (2004) § 140 Rdnr. 37 a. E.; diese Analyse trifft auch für das deutsche Recht der österreichische OGH v. 27.4.2001 NZG 2001, 1028 (1032); für den entsprechenden Fall bei der Ausschließungsklage BGH v. 18.10.1976 NJW 1977, 1013. 369 Dazu K. Schmidt Mehrseitige Gestaltungsprozesse S. 73. 370 Dafür Berger Die subjektiven Grenzen der Rechtskraft (1992) S. 181 ff. 371 A. Blomeyer ZPR (1985) § 41 IV 5 (S. 244); Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974) S. 265; Schneider MDR 1966, 982 (983); offenlassend BGH v. 7.5. 2003 NJW 2003, 2172 (2173 f.). 372 BVerfG v. 9.2.1982 NJW 1982, 1635 = BVerfGE 60, 7; dort kann der Fall häufiger auftreten, weil dort nicht das Mehrparteienmodell, sondern das sogenannte Repräsentationsmodell gilt, vgl. K. Schmidt Mehrseitige Gestaltungsprozesse S. 38. Die Klage ist gegen die Gesellschaft zu richten. Kritisch zu dieser Gesetzeslage Marotzke ZZP 100 (1987), 164 (208 ff.).

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Gesellschafter einer Personengesellschaft gelten, der der Prozessführung nicht wirksam zugestimmt hat. Ihm ist die Möglichkeit zu gewähren, ein stattgebendes Urteil zur Auflösung auch nach Rechtskraft zu beseitigen und trotz eines abweisenden Urteils erneut auf Auflösung klagen zu können, und zwar auch mit denselben Klagegründen. Solche Situationen will Herbert Roth verhindern, indem er die analoge Anwendung des § 856 ZPO vorschlägt [dazu bereits oben B.III.1.c)]. Diejenigen Gesellschafter, die zwar mit der Auflösung einverstanden sind, aber nicht als Kläger auftreten wollen, sollten gem. § 856 Abs. 3 ZPO beigeladen werden.373 Die Beiladung erfolgt auf Antrag der beteiligten Gesellschafter.374 Bleibe der unbeteiligte Gesellschafter auch nach Beiladung untätig, so sei ihm auf jeden Fall in ausreichendem Maß Gelegenheit zur Beteiligung gegeben worden. Dem einzelnen Gesellschafter bleibe auf diesem Weg die Möglichkeit gesichert, nicht unbedingt am Prozess teilnehmen zu müssen.375 Der bisher unbeteiligte Kläger könne aber auch analog § 856 Abs. 2 ZPO als Kläger dem Prozess beitreten; die Kläger seien dann notwendige Streitgenossen.376 Auf der Beklagtenseite soll der Beigeladene dagegen nicht als Partei teilnehmen können. Hier bleibe nur die Möglichkeit einer Nebenintervention gem. § 66 ZPO. Kann sich der Gesellschafter im laufenden Prozess von seinem Einverständnis lösen oder erfolgreich dessen Unwirksamkeit geltend machen, so müsse er ebenfalls auf Auflösung verklagt werden.377 Ganz ähnliche Fragen stellen sich bei der Ausschlussklage gem. § 140 HGB. Sie ist ebenfalls eine Gestaltungsklage. Richtige Beklagte sind der oder die auszuschließenden Gesellschafter. Klagen müssen grundsätzlich alle übrigen Gesellschafter als notwendige Streitgenossen.378 Es gilt auch hier das sog. „Mehrparteienmodell“. Der Ausschluss eines Gesellschafters stellt eine Änderung des Gesellschaftsvertrags dar379 und betrifft daher alle Gesellschafter unmittelbar in ihrer gesellschaftsrechtlichen Position.380 Allen Gesellschaftern ist daher rechtliches Gehör zu gewähren, was in Normalfall durch ihre Beteiligung auf Klägeroder Beklagtenseite geschieht.381 Parallel zur herrschenden Meinung bei der Auflösungsklage gilt es als zulässig, dass Gesellschafter sich nicht beteiligen, wenn sie zuvor ihr bindendes Einverständnis in das Vorgehen des klagenden 373

H. Roth FS Großfeld (1999), 915 (927). H. Roth FS Großfeld (1999), 915 (923). 375 Dieses Anliegen hält H. Roth FS Großfeld (1999), 915 (921) für schützenswert. 376 H. Roth FS Großfeld (1999), 915 (927). 377 H. Roth FS Großfeld (1999), 915 (927); nach K. Schmidt Mehrseitige Gestaltungsprozesse S. 62 hat dies im Wege der Parteierweiterung zu geschehen. 378 Staub/C. Schäfer HGB Band 2 (2004) § 140 Rdnr. 36; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 49 Rdnr. 22: notwendige Streitgenossenschaft aus materiell-rechtlichen Gründen. 379 Grunewald Der Ausschluss aus Gesellschaft und Verein (1987) S. 106. 380 K. Schmidt Mehrseitige Gestaltungsprozesse (1992) S. 36. 381 So BGH v. 18.10.1976 NJW 1977, 1013 (1014). 374

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Gesellschafters erklärt haben.382 Wenn sich ein Gesellschafter mit der Klage nicht einverstanden zeigt, so muss er nach herrschender Meinung auf Zustimmung zur Ausschließung verklagt werden.383 Probleme bezüglich der subjektiven Grenzen der Rechtskraft können sich ergeben, wenn ein angeblich einverstandener Gesellschafter die Unwirksamkeit seines Einverständnisses geltend macht. Hier gibt es keine Unterschiede zur Lage bei der Auflösungsklage. Auch hier schlägt Herbert Roth zur Vorbeugung solcher Probleme die notwendige Beiladung eines klageunwilligen Gesellschafters analog § 856 ZPO vor. Beteiligt sich der Beigeladene nicht, so wirke das ergehende Urteil analog § 856 Abs. 4 und 5 ZPO auch gegenüber ihm. Er könne sich analog § 856 Abs. 2 ZPO der Klage noch anschließen. Auf Beklagtenseite könne er nur gem. § 66 ZPO als Nebenintervenient auftreten.384 Es fehle nach diesem Modell auf der Klägerseite kein Kläger. (Zur Erinnerung: Grundsätzlich müssen alle Gesellschafter gegen den Auszuschließenden klagen.) Gem. § 856 ZPO gehe die Prozessführungsbefugnis auf die klagenden Gesellschafter über, wenn sich die Beigeladenen nicht am Prozess beteiligen.385 g) Rechtskrafterstreckung bei der Gesamtschuld Bei der Gesamtschuld gem. § 421 BGB kann der Gläubiger von jedem Schuldner die bestehende Forderung in voller Höhe einfordern. Wird die Forderung befriedigt, so wirkt dies für alle Gesamtschuldner gem. § 422 BGB gleichermaßen befreiend. Da jeder Schuldner im Grunde genommen dieselbe Forderung386 schuldet und eventuell die Schuldner gem. § 426 BGB untereinander 382

BGH v. 15.9.1997 NJW 1998, 146; Staub/C. Schäfer § 140 Rdnr. 37 m.w. N. BGH v. 18.10.1976 NJW 1977, 1013; kritisch dazu K. Schmidt Mehrseitige Gestaltungsprozesse S. 84 ff.; MünchKommHGB/K. Schmidt § 140 Rdnr. 62; ablehnend dazu wiederum H. Roth FS Großfeld (1999), 915 (921 ff.) mit eigenem Konzept (analoge Anwendung des § 856 ZPO). 384 H. Roth FS Großfeld (1999), 915 (923 ff.). 385 H. Roth FS Großfeld (1999), 915 (925); ob dies auch gilt, wenn sich der Beigeladene als Nebenintervenient auf die Seite des Beklagten schlägt, wird nicht ganz deutlich. Immerhin ist der Beigeladene dann am Prozess beteiligt, jedoch nicht auf der Klägerseite (der Nebenintervenient wird nicht Partei, ist aber am Prozess beteiligt, vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 50 Rdnr. 1, 33). Da H. Roth auch von einer teleologischen Reduktion des § 140 HGB spricht, scheint es ihm wohl ausreichend, wenn alle Gesellschafter irgendwie am Ausschließungsprozess beteiligt sind und von der Rechtskraft der Entscheidung erfasst werden. Dann müssten nicht unbedingt alle übrigen Gesellschafter gemeinsam klagen. Infolge von Beiladung und Intervention auf Beklagtenseite wäre diese Anforderung Genüge getan. 386 Dabei wird nicht verkannt, dass nach herrschender Meinung die einzelnen Forderungen gegen die Gesamtschuldner einzeln abgetreten werden können, vgl. MünchKommBGB/Bydlinski Band 2a (2003) § 425 Rdnr. 31; Palandt/Grüneberg BGB (2006) § 425 Rdnr. 9. Identisch sind die Forderungen gegen die Gesamtschuldner nach materiellem Recht daher wohl nicht. 383

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Ausgleichsansprüche haben, wäre auch eine einheitliche und widerspruchsfreie gerichtliche Entscheidung wünschenswert. Das Gesetz geht aber ausdrücklich einen anderen Weg: Gem. § 425 Abs. 2 BGB wirkt ein rechtskräftiges Urteil gegen einen Gesamtschuldner nicht für und gegen die anderen Schuldner. Die Gemeinsamkeiten in den Vorfragen, wie sie bei der Gesamtschuld bestehen, genügen zur Begründung einer Rechtskrafterstreckung nicht.387 Wird daher die Klage gegen einen Schuldner abgewiesen, kann der Gläubiger ohne Einschränkungen in einem weiteren Prozess gegen einen anderen Schuldner erneut sein Glück versuchen. Führt die zweite Klage zum Erfolg, kann der verurteilte Schuldner beim ersten Beklagten Regress nehmen.388 Der verklagte Gesamtschuldner kann allerdings durch Streitverkündungen gegenüber den anderen Gesamtschuldnern seinen möglichen Sieg absichern.389 Zwar ist die Streitverkündung gem. § 72 ZPO zulässig, um im Fall des ungünstigen Ausgangs für den verklagten Gesamtschuldner seinen möglichen Anspruch gem. § 426 BGB zu sichern.390 Die Streitverkündung bleibt aber wirksam, wenn der Streitverkündende den Prozess gewinnt, und entfaltet auch dann die Interventionswirkung gem. §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO.391 Die Streitverkündung dient damit dem beklagten Gesamtschuldner auch über den eigentlichen Zulässigkeitsanlass in § 72 ZPO hinaus zur Abwehr von möglichen Ausgleichsansprüchen anderer Gesamtschuldner. Der Streitverkündende ist dadurch für jeden Prozessausgang gerüstet. Eine Ausnahme von der Regel des § 425 Abs. 2 BGB gibt es im Pflichtversicherungsrecht. Der Geschädigte hat dort neben seinem Anspruch gegen den Schädiger auch einen direkten Schadensersatzanspruch gegen die Haftpflichtversicherung (§ 3 Nr. 1 PflVG). Schädiger und Versicherung haften als Gesamtschuldner gem. § 3 Nr. 2 PflVG. Dennoch ordnet § 3 Nr. 8 PflVG eine Rechtskrafterstreckung392 zugunsten der nicht beteiligten Versicherung bzw. des nicht beteiligten angeblichen Schädigers an. Dies gilt aber nur bei Urteilen zugunsten der Versicherung bzw. des Versicherungsnehmers. Dem Geschädigten wurde zwar ein direkter Anspruch gegen die Versicherung gewährt, dieser Vorteil soll nach der Wertung des Gesetzes aber nicht dazu führen, dass er nach einem erfolglosen Versuch ein zweites Mal klagen kann.393 387

Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 Rdnr. 70. Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 Rdnr. 99. 389 Vgl. Schack NJW 1988, 865 (869). 390 OLG München v. 11.10.1985 NJW 1986, 263 mit insoweit zustimmender Anmerkung Vollkommer; Stein/Jonas/Bork ZPO Band 2 (2004) § 72 Rdnr. 13. 391 BGH v. 9.10.1975 NJW 1976, 39 (40); BGH v. 22.12.1977 NJW 1978, 643 f.; Hk-ZPO/Kayser (2006) § 74 Rdnr. 6; Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) § 74 Rdnr. 2 a. E.; Wieczorek/Schütze/Mansel ZPO Band I/2 (1994) § 68 Rdnr. 64; Ziegert Interventionswirkung (2003) S. 67 ff.; a. A. MünchKommZPO/Schilken Band 1 (2000) § 74 Rdnr. 8; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) § 74 Rdnr. 6. 392 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 155 Rdnr. 25; Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 Rdnr. 71. 388

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h) Rechtskrafterstreckung bei Gesamtgläubigerschaft Der Gesamtschuldnerstellung ähnlich geregelt ist die Gesamtgläubigerschaft gem. § 428 BGB. Die Gesamtgläubiger können unabhängig voneinander dieselbe Leistung vom Schuldner verlangen, der aber nur einmal leisten muss.394 Die Erfüllung hat also Gesamtwirkung, wie auch der Verweis in § 429 Abs. 3 BGB auf § 422 BGB klarstellt. Trotz dieser Erfüllungskonnexität stehen die Forderungen der Gesamtgläubiger selbständig nebeneinander und können einzeln abgetreten werden.395 Auch ein rechtskräftiges Urteil zwischen einem Gesamtgläubiger und dem Schuldner wirkt gem. §§ 429 Abs. 3, 425 Abs. 2 BGB nicht zugunsten oder zu Lasten eines anderen Gesamtgläubigers.396 i) Rechtskrafterstreckung bei akzessorischer Haftung In einigen Fällen ergibt sich aus dem materiell-rechtlichen Abhängigkeitsverhältnis zwischen Ansprüchen gegen verschiedene Schuldner eine Rechtskrafterstreckung. Eine feste Regel für eine Rechtskrafterstreckung wegen solcher Abhängigkeit lässt sich aber nicht aufstellen.397 Zwei Beispiele für Rechtskrafterstreckung wegen materiell-rechtlicher Abhängigkeit sollen kurz vorgestellt werden. Das erste Beispiel betrifft die Bürgschaft. Die Verpflichtung des Bürgen ist gem. § 767 Abs. 1 BGB existentiell mit dem Bestehen der zu sichernden Hauptforderung verknüpft. Prozessual betrachtet ist die Hauptforderung für die Bürgschaft präjudiziell. Ist das Bestehen der Hauptforderung umstritten, sollte sowohl in einem Prozess um die Hauptforderung als auch in einem Prozess um die Bürgschaft über diese Frage einheitlich entschieden werden.398 Aus § 768 Abs. 1 BGB399 entnimmt man die gesetzliche Anordnung, dass sich auch der Bürge auf die Verneinung der Hauptforderung in einem rechtskräftigen Urteil berufen können soll.400 Umgekehrt gilt dies nach herrschender Meinung 393 Schack NJW 1988, 865 (868); Stiefel/Hofmann Kraftfahrtversicherung (2000) § 3 Nr. 8 PflVG Rdnr. 1. 394 Bamberger/Roth/Gehrlein BGB Band 1 (2003) § 428 Rdnr. 1; MünchKommBGB/Bydlinski Band 2a (2003) § 428 Rdnr. 3. 395 BGH v. 4.3.1959 NJW 1959, 984 (985); Palandt/Grüneberg BGB (2006) § 428 Rdnr. 1. 396 BGH v. 10.5.1984 NJW 1985, 2411 (2412). 397 Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 Rdnr. 84 ff.; Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974) S. 547; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 155 Rdnr. 27. 398 Das Bedürfnis nach kohärenter Entscheidung erscheine besonders stark, meint Schack NJW 1988, 865 (870). 399 Ob dies ein Fall der Rechtskrafterstreckung ist oder ob dem Bürgen eine materiell-rechtliche Einrede analog § 768 BGB zusteht (und damit eine von der Rechtskraft zu unterscheidende „Reflexwirkung“ des Urteils), ist umstritten, vgl. Jauernig ZPR (2003) § 63 IV 5 (S. 260); Zeuner FG 50 Jahre BGH Band III (2000), 337 (364).

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nicht zu Lasten des Bürgen.401 Wurde die Hauptforderung im Prozess zwischen Gläubiger und Hauptschuldner rechtskräftig bejaht, kann der Bürge deren Bestehen im Verfahren gegen ihn immer noch bestreiten. Eine Rechtskrafterstreckung auch bei Verurteilung des Hauptschuldners wird als nicht zu rechtfertigender Eingriff in den Anspruch auf rechtliches Gehör des Bürgen empfunden.402 Etwas anders stellt sich die Rechtslage nach herrschender Meinung bei der persönlichen Haftung des Gesellschafters für Gesellschaftsschulden dar. Auch hier ist die Forderung gegen den Gesellschafter gem. § 128 HGB in akzessorischer Weise abhängig von der Gesellschaftsschuld.403 § 129 Abs. 1 HGB bestimmt, dass der Gesellschafter gegen seine persönliche Haftung auch Einwendungen der Gesellschaft gegen die Gesellschaftsschuld erheben kann, aber lediglich soweit sie die Gesellschaft erheben kann. Wenn die Gesellschaft in einem Prozess Einwendungen gegen ihre Forderung rechtskräftig verloren hat, können diese Einwendungen daher auch vom Gesellschafter nicht mehr erhoben werden. Somit werde die Wirkung des Urteils auf den Gesellschafter erstreckt.404 Diese Rechtskrafterstreckung wirkt auch zugunsten des Gesellschafters, falls die Gesellschaft in einem Prozess über Schulden der Gesellschaft Erfolg hat.405 Der Grund für die im Vergleich zur Bürgschaft umfangreichere Bindung liegt in der materiellen Rechtslage: Die Gesellschaft hat keine eigene Rechtspersönlichkeit, sondern die Gesellschafter haften für die Gesellschaftsverbindlichkeiten. Es gibt keine Trennlinie zwischen dem Gesellschafts- und den Gesellschaftervermögen. Deshalb ist auch eine einheitliche Beurteilung verstärkt erforderlich. Zudem hat der Gesellschafter durch seine Einflussnahmemöglichkeiten auf die Geschicke der Gesellschaft auch indirekten Einfluss auf die Prozessführung. Eine Rechtskrafterstreckung ist aus diesen Gesichtspunkten gerechtfertigt.406 Die Erstreckung der Urteilsbindung auf den Bürgen oder Gesellschafter wird auf Normen des materiellen Rechts (§ 768 BGB, § 129 HGB) gestützt. Daher könnte man sich fragen, ob es sich um eine prozessuale Rechtskrafterstreckung oder um eine schlichte Folge materiellen Rechts handelt. Die Frage ist nicht 400 BGH v. 24.11.1969 NJW 1970, 279; Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 Rdnr. 95 m.w. N. 401 Hk-ZPO/Saenger (2006) § 325 Rdnr. 4; Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998)§ 325 Rdnr. 96 m.w. N. 402 Zeuner FG 50 Jahre BGH Band III (2000), 337 (365). 403 Ebenroth/Boujong/Joost/Hillmann HGB (2001) § 128 Rdnr. 19; K. Schmidt Gesellschaftsrecht (2002) § 49 II 3 (S. 1415 ff.). 404 Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO (2005) § 325 Rdnr. 28; Baumbach/Hopt HGB (2006) § 129 Rdnr. 7; Musielak/Musielak ZPO (2005) § 325 Rdnr. 16 m.w. N. 405 Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 Rdnr. 94 m.w. N.; Baumbach/ Lauterbach/Hartmann ZPO (2005) § 325 Rdnr. 29; Ebenroth/Boujong/Joost/Hillmann HGB (2001) § 128 Rdnr. 62. 406 Schack NJW 1988, 865 (870).

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rein akademisch, denn zumindest erscheint es möglich, dass sich die unterschiedlichen Sichtweisen auswirken, wenn die beschriebene Bindung von Bürge oder Gesellschafter in einem anderen Staat als dem Urteilsstaat anerkannt werden soll.407 Die herrschende Sichtweise ordnet die Bindung der prozessualen Bindungswirkung zu.408 Ein Gegenbeispiel für fehlende Rechtskrafterstreckung trotz materiell-rechtlicher Abhängigkeit ist das Verhältnis zwischen Vermieter, Mieter und Untermieter. Zwar ist der Untermieter gem. § 546 Abs. 2 ZPO dem Vermieter zur Herausgabe verpflichtet, wenn das Mietverhältnis mit dem Mieter beendet ist (und zwar als Gesamtschuldner neben dem Mieter409). Der Vermieter muss diesen Anspruch aber in einer eigenständigen Klage durchsetzen, in der der Untermieter den Fortbestand des Mietverhältnisses behaupten kann, auch wenn bereits das Gegenteil gegenüber dem Mieter festgestellt wurde.410 Wenn der Untermieter den Besitz nach Rechtshängigkeit erhalten hat, gelten selbstverständlich die §§ 265, 325 ZPO.411 j) Rechtskrafterstreckung bei alternativer Berechtigung bzw. Verpflichtung Besteht Unsicherheit, welche von mehreren Personen der Schuldner eines Anspruchs ist, hat ein Urteil gegen eine dieser Personen keine Auswirkungen auf die übrigen. Selbst wenn der Gläubiger mit der ersten Klage gegen einen mutmaßlichen Schuldner Erfolg hat, hindert dies nicht die nachfolgende Klage gegen eine weitere Person.412 Solches Vorgehen muss nicht rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Gläubiger meint, ein Fehlurteil erstritten zu haben.413 Ent407 Vgl. dazu Schack IZVR (2002) Rdnr. 919, der allein auf den Grund der Rechtskrafterstreckung abstellen will. Liege der im materiellen Recht, dann solle die lex causae den Umfang der Rechtskrafterstreckung bestimmen. 408 Wieser MDR 2001, 421 (422); Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 Rdnr. 92, der den zitierten Vorschriften des materiellen Rechts im Wege der Auslegung die Anordnung zur Rechtskrafterstreckung entnimmt; so auch letztlich Otte Umfassende Streitentscheidung (1998) S. 68. Diese sei wie jede Rechtskraftwirkung von Amts wegen zu beachten, vgl. Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 dort Fn. 186; a. A. Schack NJW 1988, 865 (870): Verlust einer materiell-rechtlichen Einrede, keine Rechtskrafterstreckung. 409 Palandt/Weidenkaff BGB (2006) § 546 Rdnr. 21; Musielak/Musielak ZPO (2005) § 325 Rdnr. 18. 410 Musielak/Musielak ZPO (2005) § 325 Rdnr. 18; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 155 Rdnr. 29; Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 Rdnr. 91; a. A. Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974) S. 545. 411 Musielak/Musielak ZPO (2005) § 325 Rdnr. 10, 18. 412 Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 Rdnr. 100. 413 Im Einzelfall kann rechtsmissbräuchliches Verhalten vorliegen, dann ist eine weitere Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, vgl. Rosenberg/Schwab/ Gottwald ZPR (2004) § 65 Rdnr. 49 ff., 53.

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sprechendes gilt, wenn sich mehrere Personen für die Inhaber einer bestimmten Forderung halten. Die Klage eines Prätendenten erzeugt keine Wirkung für die übrigen Prätendenten, es sei denn, die Unklarheiten über die Person des Berechtigten beruhen auf einer umstrittenen Rechtsnachfolge und die Voraussetzungen von § 325 ZPO oder § 407 Abs. 2 BGB sind erfüllt [vgl. oben B.III.1.a)]. 2. Grundvoraussetzung: Identischer Streitgegenstand Die Feststellung einer möglichen Rechtskrafterstreckung darf nach herrschender Meinung nicht zur vorschnellen Annahme führen, auch die Rechtshängigkeitssperre müsse auf den möglicherweise gebundenen Dritten erstreckt werden. Stets wird betont, dass auch der Streitgegenstand identisch sein müsse. Daher greift nach herrschender Ansicht keine Rechtshängigkeitssperre bei parallelen Prozessen gegen eine Personengesellschaft und gegen gem. § 128 HGB persönlich haftende Gesellschafter ein.414 Gleiches müsste für parallele Klagen gegen den Hauptschuldner und den Bürgen gelten. Wir werden uns mit beiden Konstellationen noch [vgl. unten B.III.13.] beschäftigen. 3. Zwischenergebnis und Ausgangslage für die weitere Untersuchung Die Position der herrschenden Meinung soll als Ausgangspunkt übernommen werden: Personen, auf die sich möglicherweise die Rechtskraft des Urteils im ersten Prozess erstreckt, ist eine eigenständige parallele Klage bezüglich desselben Streitgegenstands versagt. Sie gelten als identisch mit den Parteien des Erstverfahrens im Sinn von § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Das rechtfertigt sich aus der Zwecksetzung der Rechtshängigkeitssperre. Zum einen wird Prozesswirtschaftlichkeit geschaffen. Wenn über den fraglichen Streitgegenstand im Erstverfahren auch für den Dritten bindend entschieden wird, ist ein eigenes Verfahren überflüssig. Zum anderen könnten in parallelen Verfahren Entscheidungen mit einander widersprechenden Rechtskraftwirkungen ergehen. Die Rechtshängigkeitssperre kann dies verhindern. Die Rechtshängigkeitssperre kann aber möglicherweise auch dort parallele Verfahren blockieren, wo keine Rechtskrafterstreckung in Betracht kommt. Bereits beim objektiven Element, dem Streitgegenstand, kamen wir zu dem Ergebnis, dass die enge Fassung bei der Rechtskraft in Form des „Urteilsgegenstands“ aus Gründen des rechtlichen Gehörs geboten ist, und dass der Streitgegenstand wegen der geringeren Eingriffsintensität der Rechtshängigkeitssperre in den Anspruch auf rechtliches Gehör bzw. den sachlich eng verknüpften Justizgewäh414 Ebenroth/Boujong/Joost/Hillmann HGB (2001) § 128 Rdnr. 60; Rosenberg/ Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 97 Rdnr. 21; Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 3 (1997) § 261 Rdnr. 55; a. A. RG v. 13.4.1901 RGZ 49, 340 (343 f.).

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rungsanspruch weiter gefasst sein kann. In gewissem Umfang kann die Rechtshängigkeitssperre sogar über den Streitgegenstand hinaus eingreifen [vgl. dazu das Zwischenresümee oben bei B.II.8.]. Bei der Annahme von Rechtskrafterstreckung auf Dritte ist Zurückhaltung zu beobachten. Sie erklärt sich mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör. Grundsätzlich sollen nur die Personen die materielle Rechtskraft spüren, die auch Gelegenheit hatten, ihre Rechte zu verteidigen [vgl. oben B.III.1.]. Diese gesetzliche Wertung ist abzulesen an den speziellen Regelungen in § 856 ZPO und § 640h ZPO, denenzufolge die Rechtkraft nur gegenüber solchen Personen wirkt, die am Prozess beteiligt waren bzw. Gelegenheit zur Teilnahme hatten. Nur in gerechtfertigten Ausnahmefällen darf es eine Bindung ohne Beteiligung geben, etwa bei der Rechtsnachfolge gem. § 325 ZPO415 oder in gewissen Fällen der Prozessstandschaft [vgl. auch oben B.III.1.a) und B.III.1.b)]. Die Rechtshängigkeitssperre dagegen wirkt nur zeitlich begrenzt und ist daher eine Maßnahme, die die Prozessgrundrechte der Dritten in geringerem Maß beschränkt. Die Eingriffsintensität verringert sich noch mehr, wenn die Dritten die Möglichkeit haben, sich am bereits laufenden Prozess zu beteiligen, und dort ihre Rechte verteidigen können. Unter dieser Prämisse kann die Rechtshängigkeitssperre zur Verfahrenskonzentration beitragen. Dieser Effekt wurde bereits im Rahmen der Betrachtungen zum Streitgegenstand oben bei B.II.7. beschrieben. Diese positive Auswirkung der Prozessökonomie und die geringere Beschränkung erlauben es im Hinblick auf die betroffenen Prozessgrundrechte, den Anwendungsbereich der Rechtshängigkeitssperre weiter zu ziehen. Wie beim Streitgegenstand [vgl. oben im Zwischenresümee bei B.II.8.] muss auch bei der Frage der Parteienidentität die materielle Rechtslage der einzelnen zu bildenden Fallgruppen berücksichtigt werden. Wenn der Zivilprozess das materielle Recht verwirklichen soll, kann eventuell die materielle Rechtslage als Argument dienen, bestimmte Personen wegen bestehender materiell-rechtlicher Abhängigkeiten in die Rechtshängigkeitssperre mit einzubeziehen. 4. Rechtshängigkeitssperre und Streitverkündung Die Streitverkündung führt im deutschen Recht nach herrschender Meinung nicht zu einer Erweiterung der Rechtshängigkeitssperre. Zum einen wird der Streitverkündungsempfänger, selbst wenn er dem Verfahren seines Streitverkünders beitritt, nicht zur Partei dieses Verfahrens.416 Zum anderen wird durch die Streitverkündung kein materiell-rechtlicher oder prozessualer Anspruch geltend

415 Zur Rechtfertigung vgl. zum Beispiel Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974) S. 542 f. 416 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 50 Rdnr. 33.

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gemacht417 und damit kein Streitgegenstand eingeführt,418 sondern lediglich die Interventionswirkung angestrebt. Die Streitverkündung verhindert also keinen parallelen Prozess zwischen Streitverkündendem und Streitverkündungsempfänger über den Anspruch, zu dessen Sicherung gem. § 72 ZPO der Streit verkündet wurde.419 Die Interventionswirkung führt vielmehr dazu, dass der Prozess, in dem der Streit verkündet wurde, präjudiziell für einen parallelen Prozess zwischen dem Streitverkündendem und dem Streitverkündungsempfänger werden kann [vgl. oben B.II.6.a)]. Streitverkündung (wie im Übrigen auch die Nebenintervention) bewirkt daher, dass dieser parallele Prozess gem. § 148 ZPO ausgesetzt werden kann [vgl. schon oben B.II.6.f)].420 5. Rechtshängigkeitssperre bei Rechtsnachfolge Bei Rechtsnachfolge nach Rechtshängigkeit nimmt die herrschende Meinung eine Sperre gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO von Prozessen unter Beteiligung des Rechtsnachfolgers an, weil eine Rechtskrafterstreckung gem. § 325 ZPO möglich ist.421 Die Unzulässigkeit solcher Prozesse ergibt sich außerdem aus der fehlenden Prozessführungsbefugnis des Rechtsnachfolgers; gem. § 265 ZPO bleibt ausschließlich der Veräußernde prozessführungsbefugt.422 Dem Rechtsnachfolger bleiben nur die Beteiligungsmöglichkeiten gem. § 265 Abs. 2 S. 2 und 3 ZPO. Fand die Rechtsnachfolge vor Rechtshängigkeit statt, so kommt eine Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsnachfolger nur in Frage, wenn eine Forderung eingeklagt wird (vgl. 407 Abs. 2 BGB). Auch wenn der Rechtsübergang während des Prozesses aufgedeckt wird, kann der Schuldner nach herrschender Meinung auf die Rüge fehlender Sachlegitimation verzichten und so am Zedenten als Kläger festhalten, der dann prozessführungsbefugt bleibt.423 Bereits aus diesem Grund ist eine eigene Klage des Zessionars während der Rechtshängigkeit der Klage des Zedenten unzulässig.424 Wegen der drohenden Rechtskrafterstreckung muss außerdem die Rechtshängigkeitssperre gem. § 261 417 Mansel IPRax 1990, 214 (215) und Wieczorek/Schütze/Mansel ZPO Band I/2 (1994) § 72 Rdnr. 6. 418 Herrmann Die Grundstruktur der Rechtshängigkeit (1988) S. 129. 419 Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO (2005) § 261 Rdnr. 11; MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) § 261 Rdnr. 16; Wieczorek/Schütze/Mansel ZPO Band I/2 (1994) § 72 Rdnr. 6. 420 Stein/Jonas/Roth ZPO Band 3 (2005) § 148 Rdnr. 24, 29; vgl. auch oben Fn. 241. 421 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 97 Rdnr. 20; Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 3 (1997) § 261 Rdnr. 55; Zöller/Greger ZPO (2005) § 261 Rdnr. 8a. 422 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 99 Rdnr. 22; Hk-ZPO/Saenger (2006) § 265 Rdnr. 13; Thomas/Putzo/Reichold ZPO (2005) § 265 Rdnr. 12. 423 A. Blomeyer ZPR (1985) § 41 V (S. 244); Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 46 Rdnr. 31 f.; vgl. auch oben bei Fn. 294. 424 Bettermann Rechtshängigkeit und Rechtsschutzform (1949) S. 21 f.

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

Abs. 3 Nr. 1 ZPO eingreifen,425 so dass man auch in diesem Fall die Unzulässigkeit doppelt begründen kann. Allein die Rechtsnachfolge für sich genommen begründet jedoch nicht die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre. Klagt zum Beispiel bei Abtretung einer Forderung der Erwerber zuerst, kann die Vorschrift des § 407 Abs. 2 BGB bei einer nachfolgenden Klage des Zedenten diesem keine Prozessführungsbefugnis verleihen und für keine Rechtskrafterstreckung sorgen; der Schuldner kennt bei Eintritt der Rechtshängigkeit die Abtretung.426 Bestreitet der klagende Zedent die Rechtsnachfolge nicht, ist die Klage sogleich wegen mangelnder Aktivlegitimation abzuweisen; die Rechtshängigkeitssperre ist dagegen mangels Rechtskrafterstreckung nicht anzuwenden. Der Zedent wird allerdings eine solche Klage in aller Regel nur erheben, wenn er die Wirksamkeit des Forderungsübergangs bestreitet. Somit besteht ein Fall der alternativen Berechtigung, auf den später noch ausführlich eingegangen wird [vgl. unten B.III.14.]. Weiterhin ist fraglich, ob die Rechtshängigkeitssperre auch gilt, wenn der Rechtsnachfolger einen parallelen Prozess mit der Behauptung beginnt, er werde gem. § 325 Abs. 2 ZPO ohnehin nicht von der Rechtskraft des Urteils für und gegen seinen Vorgänger erfasst. Trifft die Behauptung zu, wird dem Veräußernden auf Einwand des Gegners gem. § 265 Abs. 3 ZPO die Prozessführungsbefugnis genommen.427 Wegen dieses Zusammenhangs mit der Prozessführungsbefugnis soll das Problem erst im folgenden Unterabschnitt bei der Prozessstandschaft erörtert werden [unten B.III.6.a)]. Bei Rechtsnachfolge ist also nur dann eine Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre auf den Erwerber zweifellos gerechtfertigt, wenn feststeht, dass das Prozessrecht den Veräußernden weiterhin als die richtige Partei mit der Befugnis zur Prozessführung behandelt. 425 Schwab GS Bruns (1980) S. 181 (185); a. A. Herrmann Die Grundstruktur der Rechtshängigkeit (1988) S. 156 f. von seinem Standpunkt aus, dass die Rechtshängigkeit nicht dem Schutz der Rechtskraft und dem Entscheidungseinklang, sondern dem Schutz der in den Erstprozess investierten Kosten und Aufwendungen und der dadurch erreichten Früchte diene (S. 131 ff.). Da in der zweiten Klage des Zessionars das Urteil niemals Rechtskraft für den Erstprozess des Zedenten schaffen könne, drohte keine Entwertung der bisherigen Prozessmühen im Erstprozess. Daher greife die Rechtshängigkeitssperre nicht ein. Die herrschende Meinung und diese Untersuchung gehen freilich von einer anderen Prämisse aus, dass nämlich die Rechtshängigkeitssperre umfassende Prozessökonomie schaffen und deshalb auch die Gerichte und die Parteien des Zweitprozesses vor nutzlosen Aufwendungen bewahren will. Wenn der Erstprozess früher zum Urteil kommt, das für den Zeitprozess Rechtskraft schafft, wäre dieser vergeblich geführt worden. 426 Durch die Klagebegründung des Zessionars kennt er in aller Regel die Umstände, die vernünftigerweise einen Schluss auf den Rechtsübergang zulassen. Das genügt, um von einer Kenntnis des Schuldners von der Zession zum Zeitpunkt der Klageerhebung seitens des Zedenten auszugehen, vgl. Staudinger/Busche BGB (2005) § 407 Rdnr. 31. 427 Knöringer Die Assessorklausur im Zivilprozess (2005) S. 157, 159; Schellhammer Zivilprozess (2004) Rdnr. 1211.

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Probleme können sich auch dann ergeben, wenn der Kläger noch nicht gemäß dem Gebot der Relevanztheorie seinen Antrag umgestellt hat. Bleibt er bei seinem ursprünglichen Antrag, dann muss die Klage allein wegen mangelnder Sachlegitimation abgewiesen werden; ein solches Urteil wirkt nicht gegenüber dem Rechtsnachfolger [siehe oben bei B.III.1.a)]. Und wenn man bedenkt, dass die herrschende Meinung den Streitgegenstand nach dem im Antrag behaupteten Rechtsträger bestimmen will [vgl. oben bei Fn. 316], dann könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass hier bereits verschiedene Streitgegenstände vorliegen und schon deshalb keine Rechtshängigkeitssperre eingreifen kann. Das liefe darauf hinaus, dass der Rechtsnachfolger solange selbständige Klage erheben könnte, wie der Klageantrag des Veräußernden nicht umgestellt ist. Streng genommen wäre nach selbständiger Klage des Rechtsnachfolgers diese Umstellung gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO unzulässig, weil der neue Antrag bereits mit der selbständigen Klage rechtshängig gemacht worden wäre. Ein Ergebnis, das ersichtlich der Konzeption des § 265 ZPO zuwiderläuft. Das Gesetz erwartet gemäß der herrschenden Relevanztheorie vom Veräußernden, dass er seinen Klageantrag auf Leistung an den Rechtsnachfolger umstellt. Diese Umstellung ist ohne weitere Voraussetzungen gem. § 264 ZPO zulässig [vgl. oben bei Fn. 299]. Gem. § 265 ZPO soll der Prozess grundsätzlich mit dem Veräußernden beendet werden. Daher muss verhindert werden, dass sich der Rechtsnachfolger vor der erforderlichen Umstellung des Klageantrags mit einer eigenen Klage dazwischenschiebt. Wenn der Streitgegenstand der Klage des Veräußernden bereits vor Umstellung des Klageantrags auch den Antrag auf Leistung an den Rechtsnachfolger umfasst, ermöglicht er das Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre. Damit wird ähnlich den oben bei B.II.7. genannten Situationen abgesichert, dass der umgestellte Antrag in den laufenden Prozess eingeführt werden kann. 6. Rechtshängigkeitssperre bei Prozessstandschaft Dort, wo bei Prozessstandschaft die Rechtskraft auf den Rechtsinhaber erstreckt wird, muss allein aus diesem Grund auch die Rechtshängigkeitssperre auf ihn erstreckt werden. Das betrifft vor allem die gewillkürte Prozessstandschaft; der Rechtsinhaber darf keine parallele Klage erheben.428 Die Unzulässigkeit kann man hier ebenso wie bei der Rechtsnachfolge alternativ auf fehlende Prozessführungsbefugnis stützen, wenn man annimmt, dass die gewillkürte Prozessstandschaft eine exklusive Übertragung der Klagebefugnis ist. Bei Klagen von Mitberechtigten gem. §§ 432, 2039 BGB wird die Rechtskraft grundsätzlich nicht auf die nicht beteiligten Mitberechtigten erstreckt [vgl. 428 MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) § 261 Rdnr. 52; Rosenberg/Schwab/ Gottwald ZPR (2004) § 97 Rdnr. 20.

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

oben B.III.1.b)]. Anders ist dies nur bei den Mitberechtigten, die sich mit der Klage einverstanden erklären [vgl. oben bei Fn. 315]. Für diese Mitberechtigten muss wegen der Rechtskrafterstreckung die Rechtshängigkeitssperre gelten. Man kann dieses Ergebnis auch damit begründen, dass mit dem Einverständnis die an sich bestehende gesetzliche Prozessstandschaft von einer gewillkürten Prozessstandschaft überlagert wird, für die ebenfalls die Regeln der gewillkürten Prozessstandschaft gelten müssen. Ähnlich wie bei der Rechtsnachfolge [vgl. oben B.III.5.] kann die Rechtskrafterstreckung auch bei der Prozessstandschaft daran scheitern, dass ein falscher Antrag gestellt wird oder der Antrag nach Widerruf oder sonstiger Beendigung der Einziehungsermächtigung nicht wie erforderlich auf Leistung an den Rechtsinhaber umgestellt wird [vgl. oben B.III.1.b)]. Hier passen dieselben Erwägungen, die bereits oben bei der Rechtsnachfolge für die Rechtshängigkeitssperre sprachen: die Richtigstellung des Klageantrags ist gem. § 264 ZPO zulässig bzw. eine bloße Anpassung des Klageantrags [vgl. oben bei Fn. 318 und 322]. Die Rechtshängigkeitssperre muss die Möglichkeit dieser Anpassung sichern. Der Streitgegenstand der Klage des Prozessstandschafters umfasst daher bereits dann den richtigen Klageantrag, wenn dieser noch nicht gestellt wurde. a) Rechtshängigkeitssperre bei bestrittener Prozessstandschaft Es mag vorkommen, dass der Rechtsinhaber einen parallelen Prozess beginnt und dort behauptet, dem Kläger des ersten Prozesses fehle die Prozessführungsbefugnis. Bei der gewillkürten Prozessstandschaft ist so etwas durchaus denkbar. Da die Feststellungen zur Prozessführungsbefugnis nicht in Rechtskraft erwachsen429 [vgl. oben bei Fn. 371], wäre eine nachfolgende Klage ohnehin möglich. Ebenso kann ein Rechtsnachfolger die Grundlage der Prozessstandschaft bestreiten, indem er eine Rechtskrafterstreckung wegen § 325 Abs. 2 ZPO für ausgeschlossen hält. Trifft das zu, dann wäre auf Einwand des Prozessgegners gem. § 265 Abs. 3 keine Prozessstandschaft gegeben.430 In beiden geschilderten Situationen kann der Rechtsinhaber nach Abschluss des ersten Prozesses eine eigene Klage erheben und die Grundlagen der Prozessstandschaft bestreiten. Dringt er damit durch, muss ein zweites Sachurteil ergehen. Stimmt das Gericht den Annahmen des Gerichts im ersten Prozess zu, muss die Klage wegen entgegenstehender Rechtskraft abgewiesen werden. Kann der Rechtsinhaber deshalb auch zeitgleich Klage erheben? Die Rechtshängigkeitssperre muss hier nicht unbedingt eingreifen, um sich widersprechende Entscheidungen 429 A. Blomeyer ZPR (1985) § 41 IV 5 (S. 244); Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974) S. 265; Schneider MDR 1966, 982 (983); offenlassend BGH v. 7.5.2003 NJW 2003, 2172 (2173 f.). 430 Knöringer Die Assessorklausur im Zivilprozess (2005) S. 157, 159; Schellhammer Zivilprozess (2004) Rdnr. 1211.

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zu verhindern, denn einen solchen Widerspruch lässt das Verfahrensrecht mangels Rechtskrafterstreckung zu. Auf der anderen Seite kann der Prozessstandschafter einen Erfolg seiner Klage erringen. Dann kann der Rechtsinhaber seine Bedenken fallen lassen und das stattgebende Urteil ausnutzen. Das gilt auch bei der Rechtsnachfolge, denn § 325 Abs. 2 ZPO wirkt nur zugunsten des Rechtsnachfolgers.431 Es spricht also die Prozessökonomie dafür, erst einmal den Ausgang der Prozessstandschafterklage abzuwarten und dem Gegner sowie der Rechtsprechung keinen zweiten Prozess zuzumuten. Entscheidend gegen die Rechtshängigkeitssperre mit Wirkung für den Rechtsinhaber spricht aber, dass hier aus Sicht des Rechtsinhabers sein Recht vom falschen Kläger gerichtlich geltend gemacht wird. Wenn er nach Abschluss des Prozesses jederzeit die Grundlagen dessen Prozessführungsbefugnis bestreiten kann, weil das Gericht dazu keine rechtskräftigen Feststellungen trifft, warum sollte er dann den Prozess abwarten müssen, wenn er auch sogleich ein Gericht von der Unwirksamkeit der Prozessstandschaft im Parallelprozess überzeugen kann? Die Konstellation der bestrittenen Prozessstandschaft zeigt Gemeinsamkeiten mit den Fällen der alternativen Berechtigung. Dort behaupten zwei oder mehrere Personen, Inhaber eines bestimmten Rechts zu sein. Eigenständige Klagen gegen den denselben Beklagten bewirken für die jeweils anderen Prätendenten keine Rechtskraft [vgl. oben B.III.1.j)]. Sie können daher beide erfolgreich sein, wenn die Kläger ihr Gericht jeweils von ihrer Sachlegitimation überzeugen können, ebenso wie sämtliche Klagen abgewiesen werden können. Bei bestrittener Prozessstandschaft behaupten zwei Personen, ein bestimmtes Recht in eigenem Namen einklagen zu dürfen; können sie das jeweils angerufene Gericht von ihrer Prozessführungsbefugnis überzeugen, können auch sie beide erfolgreich sein, ebenso wie sie jeweils ihren Prozess verlieren können. Wegen dieser Parallelen liegt es nahe, die Konstellation der bestrittenen Prozessstandschaft nach dem Muster der alternativen Berechtigung zu lösen. Unten bei B.III.14. wird darauf zurückzukommen sein. b) Rechtshängigkeitssperre bei parallelen Klagen von Mitberechtigten Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass bei Klagen gem. §§ 432, 2039 BGB auf Leistung an alle Mitberechtigten bzw. auf Hinterlegung eine Rechtskrafterstreckung auf nicht beteiligte Mitberechtigte ausgeschlossen ist. Nur wenn sie der Klage zugestimmt haben, können sie an das Urteil gebunden werden, weshalb in diesem Fall auch die Rechtshängigkeitssperre auf sie erstreckt werden muss [vgl. oben B.III.6.]. Es bleibt noch zu klären, ob diejenigen Mitberechtigten, die nicht zugestimmt haben, parallele Klagen erheben können. Die Verhinderung einander widerspre431

Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 325 Rdnr. 32.

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

chender Entscheidungen drängt nicht auf die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre; mangels Rechtskrafterstreckung kann die Klage eines Mitberechtigten abgewiesen, der Klage eines anderen stattgegeben werden. Führen beide Klagen zum Erfolg, stimmen sie in ihren Rechtsfolgen überein, denn beide ordnen Leistung zugunsten aller Mitberechtigten an. Der nicht beteiligte Mitberechtigte würde faktisch von einer erfolgreichen Klage profitieren. Eine zweite Klage wäre nicht erforderlich. Eine parallele Klage zwänge zudem den Schuldner zu einer doppelten Verteidigung, obwohl eventuell eine Klage ausreichte. Teleologische Erwägungen der Prozessökonomie sprechen daher für eine Rechtshängigkeitssperre gegen Klagen weiterer Mitberechtigter. Anders als bei der bestrittenen Prozessstandschaft ist hier aus Sicht des nicht beteiligten Mitberechtigten der Kläger zur Prozessführung berechtigt. Die Befugnis zur Klage steht gem. §§ 432, 2039 BGB allen Mitberechtigten parallel zu. Unter diesem Aspekt ist es den übrigen Mitberechtigten eher zumutbar, einen bereits laufenden Prozess erst einmal abzuwarten. Schließlich wäre die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre auf Mitberechtigte, die der Klage nicht zustimmen, leichter zu rechtfertigten, wenn sich diese Mitberechtigten am Prozess beteiligen könnten. In Betracht kommt ein Parteibeitritt auf Seiten des Klägers. Nach herrschender Meinung ist ein Beitritt auf Klägerseite nur mit Zustimmung des Klägers möglich, weil auch eine ursprüngliche gemeinsame Klage Einigkeit zwischen den Klägern voraussetzt.432 Auf diesem Weg ist eine Beteiligung weiterer Mitberechtigter am Prozess nicht ausreichend sichergestellt. Möglich ist weiterhin eine Nebenintervention des Mitberechtigten gem. § 66 ZPO. Das erforderliche rechtliche Interesse ist bei Mitberechtigung gegeben.433 Es handelt sich dann aber um keine streitgenössische Nebenintervention gem. § 69 ZPO, da es zu keiner Rechtskrafterstreckung auf den Mitberechtigten kommt. Deshalb kann der intervenierende Mitberechtigte nur solche Prozesshandlungen vornehmen, die nicht im Widerspruch zum Prozessvorgehen der Hauptpartei stehen.434 Damit sind dem Streithelfer zu große Fesseln angelegt, als dass die Möglichkeit der Nebenintervention ein Verbot selbständiger Klagen rechtfertigen könnte.

432 Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 3 (1997) § 264 Rdnr. 132; A. Blomeyer ZPR (1985) § 114 IV 2 a (S. 661). 433 Das erforderliche rechtliche Interesse besteht nach herrschender Meinung, wenn die Entscheidung des Hauptprozesses durch Inhalt oder Vollstreckung mittelbar oder unmittelbar auf seine privatrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Verhältnisse einwirkt; es soll genügen, wenn zwar keine Nachteile, bei einem Sieg aber Vorteile für den Intervenienten in Aussicht stehen; vgl. Musielak/Weth ZPO (2005) § 66 Rdnr. 5; Schilken ZPR (2002) Rdnr. 690. Bei einer Klage eines Mitberechtigten, die auf Leistung an alle Mitberechtigten gerichtet ist, profitieren auch die übrigen Mitberechtigten. 434 Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO (2005) § 67 Rdnr. 8; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) § 69 Rdnr. 7.

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Es bleibt zu erwägen, ob bei Klagen gem. §§ 432, 2039 BGB die Beteiligungsvorschrift des § 856 Abs. 2 und 3 ZPO analog angewendet werden sollten. Diese Vorschrift sieht bei Klagen von Vollstreckungsgläubigern auf Hinterlegung des Forderungsbetrags gem. § 853 ZPO nach mehrfacher Pfändung der Forderung ein Anschlussrecht der übrigen Vollstreckungsgläubiger vor. Der Forderungsschuldner ist verpflichtet, die Ladung der übrigen Vollstreckungsgläubiger zu beantragen, damit diese vom Prozess erfahren und ihr Anschlussrecht nutzen können [vgl. zu § 856 ZPO bereits oben B.III.1.c)]. Eine entsprechende Vorschrift gibt es für die Klage von Mitberechtigten gem. §§ 432, 2039 BGB nicht, insofern besteht eine Gesetzeslücke. Die Klage gem. §§ 432, 2039 BGB und die Klage gem. §§ 856 Abs. 1, 853 ZPO haben gemeinsam, dass alle Mitberechtigten und alle Vollstreckungsgläubiger befugt sind, Klage zu erheben, die im Antrag auf Leistung an alle bzw. auf Hinterlegung lautet. Die Interessenlage ist also weitgehend identisch. Zudem ist die Anschlussbefugnis gem. § 856 Abs. 2 ZPO ein geeignetes Instrument, für eine Bündelung der vielfachen Klagebefugnisse in einem Prozess zu sorgen. Die nicht beteiligten Mitberechtigten sollten daher bei Klagen gem. §§ 432, 2039 BGB ein Anschlussrecht in analoger Anwendung des § 856 Abs. 2 ZPO haben und zur Kenntnisnahme vom Prozess analog § 856 Abs. 3 ZPO beigeladen werden. Folgt man dieser Prämisse, fällt es nicht mehr schwer, die Rechtshängigkeitssperre für die übrigen Mitberechtigten zu begründen. Sie haben ein Anschlussrecht analog § 856 Abs. 2 ZPO und sollen durch die Rechtshängigkeitssperre angehalten werden, dieses zu nutzen.435 In Gesamtschau aller Einzelaspekte ist dann jeder Mitberechtigte an einer zeitgleich erhobenen eigenen Klage gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO gehindert. Ingo Mittenzwei will bei parallelen Prozessen von Mitberechtigten zur Aussetzung greifen, um einen Widerspruch der Entscheidungen zu vermeiden, der „keinem rechtlich denkenden Menschen“ einleuchte.436 So ganz einleuchtend ist aber auch die Meinung von Mittenzwei nicht, denn immerhin fordert er ganz allgemein für die Aussetzung einen materiell-rechtlichen Vorfragenzusammenhang,437 der bei zwei Klagen von Mitberechtigten nicht zu erkennen ist. Allenfalls könnte Identität der Vorfragen bestehen. Eine Anwendung aufgrund einer Analogie wird von Mittenzwei nicht weiter begründet; in einer Gesamtschau der Interessenslage hält er die Aussetzung für eine „angebrachte“ Maß-

435 Die herrschende Meinung nimmt auch bei mehrfacher Pfändung ein Verbot weitere Klagen gegen den Forderungsschuldner an, vgl. MünchKommZPO/Smid Band 3 (2001) § 856 Rdnr. 5; Musielak/Becker ZPO (2005) § 856 Rdnr. 3; Stein/Jonas/Brehm ZPO Band 8 (2004) § 856 Rdnr. 2; Zöller/Stöber ZPO (2005) § 856 Rdnr. 1; im Ergebnis ebenso wegen mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses Baumbach/Lauterbach/ Hartmann ZPO (2005) § 856 Rdnr. 4. 436 Mittenzwei Die Aussetzung des Prozesses (1971) S. 93 f. 437 Mittenzwei Die Aussetzung des Prozesses (1971) S. 82 f.

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

nahme.438 Die Aussetzung gem. § 148 ZPO erfordert nach herrschender Meinung eine rechtliche Bindung an die Entscheidung des einen Prozesses im anderen Prozess [vgl. oben bei B.II.6.f)]. Diese besteht bei Klagen mehrerer Mitberechtigter gem. §§ 432, 2039 BGB nicht. Daher wäre nicht einmal eindeutig zu bestimmen, welcher Prozess ausgesetzt werden soll. Die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre ist daher die sachgerechtere Maßnahme zur Koordination der Prozesse. 7. Rechtshängigkeitssperre bei Klagen nach Forderungspfändungen Wenden wir uns zunächst der Klage eines Vollstreckungsgläubigers auf Hinterlegung gem. §§ 856 Abs. 1, 853 ZPO nach mehrfacher Forderungspfändung zu. Die herrschende Meinung will parallele Klagen verbieten und in diesem Zusammenhang die Rechtshängigkeitssperre gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO direkt oder zumindest in entsprechender Weise anwenden.439 Dieses Ergebnis lässt sich mit der möglichen Rechtskrafterstreckung begründen; zwar wäre ein nicht beigeladener und nachfolgend klagender Gläubiger von der Rechtskraft nicht erfasst. Mit der Beiladung wird aber eine Rechtskrafterstreckung gem. § 856 Abs. 4 ZPO möglich; der Drittschuldner ist gem. § 856 Abs. 3 ZPO zum Antrag auf Beiladung des parallel klagenden Vollstreckungsgläubigers verpflichtet, sie liegt auch in seinem Interesse. Die Beiladung ist deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, weshalb auch die Rechtskrafterstreckung die Regel sein wird. Eine andere Meinung begründet die Unzulässigkeit von parallelen Verfahren mit dem Rechtsschutzinteresse.440 Da die übrigen Pfändungsgläubiger ein Anschlussrecht gem. § 856 Abs. 2 ZPO hätten, stünde ihnen ein leichterer Weg der Rechtsdurchsetzung als mittels eigenständiger Klage offen. Richtigerweise wird man diesen Gedanken als weiteres Argument für die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre verwenden. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob auch Vollstreckungsgläubiger und Vollstreckungsschuldner nach einer Forderungspfändung parallel klagen dürfen. Beide haben die Prozessführungsbefugnis zu einer solchen Klage,441 wobei der Vollstreckungsschuldner mangels Einziehungsberechtigung bis zur Höhe des Pfändungsbetrags auf Leistung an den Vollstreckungsschuldner klagen muss; eine Rechtskrafterstreckung auf den jeweils anderen Prozessführungsbefugten lehnt die herrschende Meinung grundsätzlich ab [vgl. oben B.III.1.b)]. Mangels Rechtskrafterstreckung scheint daher auch keine Rechtshängigkeits438

Mittenzwei Die Aussetzung des Prozesses (1971) S. 94. MünchKommZPO/Smid Band 3 (2001) § 856 Rdnr. 5; Musielak/Becker ZPO (2005) § 856 Rdnr. 3; Stein/Jonas/Brehm ZPO Band 8 (2004) § 856 Rdnr. 2; Zöller/ Stöber ZPO (2005) § 856 Rdnr. 1. 440 Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO (2005) § 856 Rdnr. 4. 441 Stein/Jonas/Brehm ZPO Band 8 (2004) § 835 Rdnr. 33. 439

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sperre erforderlich. Stefan Smid möchte den Drittschuldner dennoch nicht parallelen Klagen von Vollstreckungsgläubiger und -schuldner aussetzen, weil er eine maßgebliche Verschlechterung der Stellung des Drittschuldners befürchtet.442 Für die Unzulässigkeit einer zweiten parallelen Klage gibt es einige weitere Argumente: Wenn der Vollstreckungsschuldner zuerst gegen den Drittschuldner klagt, muss er vorrangig auf Leistung an den Gläubiger klagen. Der Gläubiger würde also von einem Prozessausgang direkt profitieren, eine eigene Klage wäre nicht mehr notwendig. Umgekehrt entfällt bei einer früheren Klage des Vollstreckungsgläubigers das Bedürfnis nach einer eigenen Klage des Schuldners. Dem wurde die Prozessführungsbefugnis in erster Linie zugesprochen, damit er die Forderung noch beitreiben kann, wenn sein Gläubiger untätig bleibt [vgl. oben bei Fn. 327]. Außerdem ist ähnlich wie bei Klagen von Mitberechtigten [vgl. oben B.III.6.b)] aus der Sicht des zweiten Klägers der erste Kläger zur Klage befugt. Bei dieser Vervielfachung der Klagebefugnisse in Bezug auf dasselbe Recht ist es für den späteren Kläger zumutbar, bis zum Ausgang des ersten Prozesses warten zu müssen, bis er gegebenenfalls eine eigene Klage anstrengen darf. Einfacher zu begründen ist die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre, wenn man den § 856 Abs. 3 bis 5 ZPO analog anwendet. Der Drittschuldner soll danach die Beiladung des jeweils nicht beteiligten Prozessführungsbefugten analog § 856 Abs. 3 ZPO beantragen können und müssen.443 Nach erfolgter Beiladung werde die Rechtskraft des Urteils auf den Beigeladenen erstreckt. Allein die mögliche Rechtskrafterstreckung zeichnet die Erstreckung auch der Rechtshängigkeitssperre vor. Für die entsprechende Anwendung des § 856 Abs. 3 bis 5 ZPO spricht in der Tat vieles: die Sach- und Interessenlage ist vergleichbar, weil es jeweils um die Durchsetzung eines identischen Anspruchsinhalts durch mehrere Klagebefugte geht. Außerdem wird dem Drittschuldner ein Instrument an die Hand gegeben, mit dem er sich vor doppelter Prozessführung schützen kann. § 856 Abs. 3 bis 5 ZPO ist folglich auf Klagen gegen den Drittschuldner nach Forderungspfändung anzuwenden. Durch die Klage von Vollstreckungsschuldner oder Vollstreckungsgläubiger wird die Rechtshängigkeitssperre gegenüber Klagen weiterer Klagebefugter ausgelöst. 8. Rechtshängigkeitssperre bei Abstammungsprozessen Abstammungsverfahren sind Kindschaftsverfahren gem. § 640 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO, für die das Gesetz eine spezielle Vorschrift zur Rechtshängigkeit bereithält: § 640c Abs. 2 ZPO [vgl. dazu bereits oben bei B.II.3.c)(3)]. Anders 442 443

MünchKommZPO/Smid Band 3 (2001) § 835 Rdnr. 18. Stein/Jonas/Brehm ZPO Band 8 (2004) § 829 Rdnr. 100.

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

als in § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO wurde bei dieser Vorschrift auf die Tatbestandsmerkmale einer identischen Streitsache und identischer Parteien verzichtet. Unzulässig sollen alle „entsprechenden Verfahren“, die dasselbe Kind betreffen, sein. Während mit dieser Formulierung in objektiver Hinsicht sämtliche weitere Verfahren bezüglich desselben Eltern-Kind-Verhältnisses unabhängig von der Antragsformulierung und dem Rechtsschutzziel blockiert werden sollen, wird in subjektiver Hinsicht weiteren Personen, die gem. §§ 1600, 1600e BGB klageberechtigt wären, eine separate Abstammungsklage verboten.444 Sie können allerdings von vornherein gemeinsam klagen, Widerklage erheben oder sich ansonsten am Rechtsstreit beteiligen.445 Den Eltern und dem Kind gibt § 640e Abs. 1 S. 2 ZPO das Recht, einer Partei zur Unterstützung beizutreten. Einem potentiellen Vater kann gem. § 640e Abs. 2 ZPO der Streit verkündet werden. Er kann sich auch aus eigener Initiative per Nebenintervention gem. § 66 ZPO am Prozess beteiligen; das erforderliche rechtliche Interesse besitzt er. Die Rechtshängigkeitssperre gem. § 640c Abs. 2 ZPO geht im Einzelfall über die mögliche Rechtskrafterstreckung hinaus. Das geschieht nicht unbedingt, um eine konzentrierte Feststellung der Vaterschaft zu bewirken, wie folgendes Beispiel zeigt: Beispiel: Gegenüber A wird dessen Vaterschaft angefochten. B hält sich selbst für den Vater. Solange er nicht tatsächlich am Prozess gegen A teilnimmt, wird die Rechtskraft des Urteils gem. § 640h Abs. 1 S. 2 ZPO nicht auf ihn erstreckt. Er kann sich als Nebenintervenient am Prozess gegen A beteiligen, aber auf diese Weise nicht die eigene Vaterschaft feststellen lassen. In seinem Interesse wäre eine eigene Vaterschaftsanfechtungsklage, die gem. § 640h Abs. 2 ZPO bei Erfolg automatisch in die Feststellung seiner Vaterschaft münden würde. Diese Klage darf er aber gem. § 640c Abs. 2 ZPO nicht während der Rechtshängigkeit des Prozesses gegen A erheben. Es steht ihm auch kein Instrument zur Verfügung, seine Anfechtungsklage in den laufenden Prozess einzuführen. B muss also den Ausgang des Prozesses gegen A abwarten und kann erst nachfolgend klagen. Dann ist er, wie bereits erwähnt, an das Ergebnis im Prozess gegen A gem. § 640 h Abs. 1 S. 2 ZPO nicht gebunden, sofern er auf eine Teilnahme verzichtet hat. (Wurde die Anfechtungsklage gegen A wegen genetischer Untersuchung, die dessen Vaterschaft ergibt, abgewiesen, so tut er gut daran, seine eigenen Erfolgschancen zu überdenken.)

An diesem Beispiel ist eine überschießende Reichweite der Rechtshängigkeitssperre aus § 640c Abs. 2 ZPO zu erkennen. Das Gesetz will offensichtlich um jeden Preis verhindern, dass zeitgleich verschiedene Gerichte über dasselbe Eltern-Kind-Verhältnis zu befinden haben. Der Gegenstand wird als derart sensibel bewertet, dass jede Möglichkeit einander widersprechender Urteile ausge-

444

Hk-ZPO/Kemper (2006) § 640c Rdnr. 2. Musielak/Borth ZPO (2005) § 640c Rdnr. 4; Zöller/Philippi ZPO (2005) § 640c Rdnr. 6. 445

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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schlossen sein soll.446 Außerdem gelten anscheinend Abstammungsprozesse als besonders belastend für alle Beteiligten. Darum will man jede Verfahrensdopplung ausschließen. Und wenn ein Dritter möglicher Vater ist, der selbst keine Feststellungen dazu im laufenden Verfahren beantragen kann, dann besteht doch die vage Hoffnung, dass einer der Beteiligten auf den möglichen Vater aufmerksam wird und ihn durch Klageerweiterung oder (eventuell isolierte) Drittwiderklage447 als Beklagten in den Prozess mit einbezieht. Die weite Rechtshängigkeitssperre des § 640c Abs. 2 ZPO sichert auch diese entfernter liegenden Konzentrationsmaßnahmen. Die daraus resultierende Einschränkung des Justizgewährungsanspruchs eines dritten Vaterschaftsprätendenten rechtfertigt sich durch die überragende Bedeutung der Abstammungsfeststellung, die besonders strikte Maßnahmen erlaubt. Bei Vaterschaftsfeststellungsklagen gem. § 1600d BGB ist das weitgreifende Rechtshängigkeitskonzept dagegen konsequent auf die zwingende Rechtskraftwirkung gegenüber jedermann gem. § 640h Abs. 1 S. 1 und 3 ZPO abgestimmt. 9. Rechtshängigkeitssperre bei der aktienrechtlichen Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage Erinnern wir uns, dass nach herrschender Meinung für die Anfechtungsklage gem. § 246 AktG und die Nichtigkeitsklage gem. § 249 AktG bezüglich desselben Beschlusses ein gemeinsamer Streitgegenstand gilt, dass auch der Klagegrund sehr weit gezogen wird und vom gesamten Lebensvorgang der Beschlussfassung gebildet wird [vgl. oben bei B.II.3.c)(2)]. Weiterhin hatten wir festgestellt, dass ein stattgebendes Urteil gem. §§ 248 Abs. 1, 249 Abs. 1 AktG Rechtskraft für alle Klageberechtigten (§§ 245, 249 AktG) schafft. Ein abweisendes Urteil dagegen führt zu keiner Rechtskrafterstreckung [vgl. oben bei B.III.1.e)]. Wegen dieser möglichen Rechtskrafterstreckung erscheint auf den ersten Blick die Rechtshängigkeitssperre parallele Klagen von anderen Klageberechtigten gegen denselben Beschluss verhindern zu müssen. Es gibt allerdings eine besondere Koordinationsmaßnahme bei aktienrechtlichen Anfechtungs- und Nichtigkeitsprozessen, nämlich die Prozessverbindung gem. §§ 246 Abs. 3 S. 3, 249 Abs. 2 S. 1 AktG. Würde bereits die Rechtshängigkeitssperre mehrere Prozesse verhindern, dann blieben diese Normen vor dem Hintergrund des umfassenden Streitgegenstands bei solchen Klagen [vgl. oben B.II.3.c)(2)] weitgehend ohne Bedeutung. Die Prozessverbindung dient der Konzentration von Klagen 446 Vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) § 640c Rdnr. 4; Zöller/Philippi ZPO (2005) § 640c Rdnr. 6. 447 Die in Abstammungsverfahren großzügiger zugelassen werden sollte als im Allgemeinen, vgl. zum Ausnahmecharakter nach herrschender Meinung Musielak Grundkurs ZPO (2004) Rdnr. 325 f.; Stein/Jonas/Roth ZPO Band 1 (2003) § 33 Rdnr. 44.

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

gegen denselben Beschluss und will sich widersprechende Entscheidungen vermeiden.448 Ihre Zielsetzung stimmt mit derjenigen der Rechtshängigkeitssperre überein. Daher kann die Prozessverbindung grundsätzlich den Platz der Rechtshängigkeitssperre einnehmen. Sie gestattet übrigen klagewilligen Aktionären die Beteiligung am gemeinsamen Prozess und verhindert, dass sie unter den Folgen einer schlechten Prozessführung des ersten Klägers zu leiden haben;449 auf diese Weise leistet sie bessere Verfahrenskoordination als die Rechtshängigkeitssperre. Die §§ 246 Abs. 3 S. 3, 249 Abs. 2 S. 1 AktG sind daher lex specialis zu § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO und vorrangig anzuwenden. Weitere Klagen anderer Klageberechtigter gegen denselben Beschluss vor demselben Gericht sind folglich zulässig, aber mit dem bereits laufenden Prozess zu verbinden.450 Im Übrigen ist es in den meisten Fällen zu erwarten, dass sich die Kläger an dasselbe Gericht wenden, denn die Zuständigkeit für Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen ist gem. §§ 246 Abs. 3 S. 1, 249 Abs. 1 S. 1 AktG beim Landgericht am Sitz der Gesellschaft konzentriert. Wegen dieser Zuständigkeitskonzentration könnte man annehmen, dass parallele Verfahren an verschiedenen Gerichten gar nicht möglich seien. Entgegen dem Anschein, den § 5 AktG erweckt, sind Doppelsitze einer Aktiengesellschaft jedoch nicht ausgeschlossen. Tatsächlich gibt es sie,451 auch wenn sie nach verbreiteter Meinung als grundsätzlich unzulässig und nur ausnahmsweise zulässig erachtet werden.452 Somit kann es auch zu parallelen Prozessen vor verschiedenen Gerichten kommen.453 Die Rechtshängigkeitssperre wäre nicht anzuwenden, wenn die Verfahrensverbindung gem. §§ 246 Abs. 3 S. 3, 249 Abs. 2 S. 1 AktG auch in diesem Fall lex specialis wäre und eine verweisende Verbindung von einem Gericht zum anderen erlaubte. Der Wortlaut dieser Normen enthält – anders als bei § 147 ZPO – keine Voraussetzung, dass die zu verbindenden Verfahren vor demselben Gericht anhängig sein müssen. Die systematische Stellung in § 246 Abs. 3 AktG (auf den § 249 AktG verweist) in 448 AnwKommAktienrecht/Heidel (2003) § 246 AktG Rdnr. 1; M. Schwab Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten (2005) S. 309. 449 M. Schwab Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten (2005) S. 311. 450 Bork ZIP 1995, 609 (612); M. Schwab Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten (2005) S. 311. 451 Happ/Tielmann Aktienrecht (2004) 18.01 Rdnr. 3; ein Beispiel gibt Borsch GmbHR 2003, 258. 452 BayObLG v. 29.3.1985 Rechtspfleger 1985, 242; AG Essen v. 5.1.2001 AG 2001, 434; für eine großzügigere Zulassung Borsch GmbHR 2003, 258; für grundsätzliche Zulässigkeit auch LG Essen v. 23.3.2001 AG 2001, 429. 453 Das verhindern wollen Bork ZIP 1995, 609 (616), AnwKommAktienrecht/Heidel (2003) § 246 AktG Rdnr. 50 und MünchKommAktG/Hüffer Band 7 (2001) § 246 Rdnr. 67, die auf den tatsächlichen Verwaltungssitz für die Zuständigkeitsbestimmung abstellen; auch der kann aber unter Umständen nicht eindeutig bestimmbar sein; für doppelte Zuständigkeit KG v. 31.1.1996 AG 1996, 421; Happ/Tielmann Aktienrecht (2004) 18.01 Rdnr. 3; MünchAnwHbAktienrecht/Meller (2005) § 38 Rdnr. 4.

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direkter Umgebung der Zuständigkeitsanordnung spricht dafür, dass das Gesetz nur eine Verbindung von Verfahren an demselben Gericht meint. Weiterhin geben die Vorschriften nicht an, bei welchem Gericht die Verfahren zu verbinden wären. Zwar kann auch bei Verbindung innerhalb eines Gerichts bei Anhängigkeit an verschiedenen Spruchkörpern Abstimmungsbedarf bestehen;454 dieser ist aber in aller Regel zuverlässiger zu bewältigen als bei einer Abstimmung zwischen verschiedenen Gerichten. Man denke nur an die Missachtung der Bindungswirkung von Rechtswegverweisungen zwischen verschiedenen Gerichten gem. § 17a Abs. 2 GVG.455 Die Verbindungsvorschrift sollte ohne eine klare Hierarchieregelung daher nicht zur gerichtsübergreifenden Verbindung angewendet werden. Um Schwierigkeiten bei der Abstimmung zwischen den Gerichten und sich kreuzende Verbindungsanordnungen zu vermeiden, ist die Verbindung von Verfahren wie bei § 147 ZPO nur innerhalb desselben Gerichts möglich.456 Damit ist der Weg frei für die Rechtshängigkeitssperre. Gem. §§ 248, 249 AktG ist eine Rechtskrafterstreckung möglich, weshalb bereits aus diesem Grund die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre geboten ist, um einander widersprechende Entscheidungen zu vermeiden.457 Schließlich haben die übrigen Klageberechtigten die Möglichkeit, ihre eigene Klage am Gericht des bereits in Gang gesetzten Verfahrens zu erheben. Es folgt dort die obligatorische Verfahrensverbindung.458 Die Rechtshängigkeitssperre wirkt daher in den wenigen Fällen des Doppelsitzes kaum einschränkend. Auf der anderen Seite erzeugt sie einen Druck zur prozessökonomischen Verfahrenskonzentration. Daher sollte bei Gesellschaften mit Doppelsitzen die Rechtshängigkeitssperre gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO die anderweitige Rechtshängigkeit von Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklagen bezüglich desselben Beschlusses an unterschiedlichen Gerichten verhindern. Anderer Ansicht ist das Kammergericht, das ohne weitere Begründung die Aussetzung gem. § 148 ZPO vorschlägt.459 Diese Lösung übersieht aber, dass parallelen Klagen mehrerer Klageberechtigter das von § 148 ZPO vorausgesetzte Abhängigkeitsverhältnis fehlt. Keines der Verfahren ist für das andere 454 Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 3 (2005) § 147 Rdnr. 2 f. Zur Verbindung gem. §§ 246 Abs. 3 S. 3, 249 Abs. 2 S. 1 AktG bei Verfahren, die einerseits vor der Handelskammer, andererseits vor der Zivilkammer anhängig sind, vgl. MünchKommAktG/ Hüffer Band 7 (2001) § 246 Rdnr. 70. 455 Ein Beispiel dazu bei BGH v. 13.11.2001 NJW-RR 2002, 713. 456 Ebenso Bork ZIP 1995, 609 (613). 457 Bork ZIP 1995, 609 (612). Die Bedeutung des Widerspruchs bagatellisiert mit einigem Recht das KG v. 31.1.1996 AG 1996, 421. 458 Das macht den Unterschied zu der Verbindung gem. § 147 ZPO aus; dort steht die Verbindung nur im Ermessen des Gerichts, während hier das Gericht zur Verbindung verpflichtet ist, vgl. MünchKommAktG/Hüffer Band 7 (2001) § 246 Rdnr. 69. 459 KG v. 31.1.1996 AG 1996, 421; zustimmend MünchAnwHbAktienrecht/Meller (2005) § 38 Rdnr. 4.

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

vorgreiflich.460 Allenfalls besteht insofern eine Abhängigkeit, als dass das früher zur Entscheidung kommende Verfahren im Fall der Stattgabe wegen der Rechtskrafterstreckung gem. § 248 AktG dem noch laufenden Verfahren das Ergebnis vorgibt. Diese Abhängigkeit besteht aber gegenseitig; daraus ergibt sich nicht eindeutig, welches Verfahren vom Ergebnis des anderen abhängt. Es bliebe bei noch schwebenden Verfahren unklar, welches Verfahren nach § 148 ZPO auszusetzen wäre.461 Außerdem bewirkt die Rechtshängigkeitssperre einen Druck auf die Klageberechtigten zur Verfahrenskonzentration. Diesen Effekt kann die Aussetzung nicht leisten, da bei ihr das parallele Verfahren getrennt rechtshängig bliebe. Der Vorteil in der Prozessökonomie spricht für die Rechtshängigkeitssperre. 10. Rechtshängigkeitssperre bei gesellschaftsrechtlichen Auflösungsund Ausschlussklagen gem. §§ 133, 140 HGB Bei diesen Klagen ist durch das Mehrparteiensystem grundsätzlich sichergestellt, dass alle Gesellschafter entweder auf Kläger- oder auf Beklagtenseite am Prozess teilnehmen. Daher werden auch alle Gesellschafter von der Rechtskraft des Urteils erfasst [vgl. oben B.III.1.f)]. Wenn alle Gesellschafter grundsätzlich Partei sind, bereitet auch die Voraussetzung der Parteienidentität in § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO keine Probleme. Die Rechtshängigkeitssperre verhindert jede parallele Klage. Schwierigkeiten können sich erst durch die Ausnahme ergeben, die die herrschende Meinung aus Praktikabilitätserwägungen vom Mehrparteiensystem macht. Sie gestattet es, eine Klage ohne Beteiligung der Gesellschafter zu erheben, die ihr Einverständnis zur Klage erteilt haben. Mit dem Einverständnis wird eine gewillkürte Prozessstandschaft geschaffen, die die Erstreckung sowohl der Rechtskraft als auch der Rechtshängigkeitssperre auf den nicht beteiligten Gesellschafter begründet [vgl. oben B.III.1.f) und B.III.6.]. Eine eigene Klage der nicht beteiligten Gesellschafter ist für die Zeit der Rechtshängigkeit der bereits laufenden Klage ausgeschlossen. Anders liegt es, wenn ein nicht beteiligter Gesellschafter sein Einverständnis bestreitet und daher eine eigene Klage erheben will. Wir befinden uns dann in der bereits oben geschilderten Situation, dass die Grundlage der Prozessstandschaft unsicher ist. Wer dem Lösungsvorschlag von Herbert Roth folgt und § 856 ZPO analog anwenden will [dazu oben B.III.1.f)], kann die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre begründen: Die beteiligten Gesellschafter sind analog § 856 Abs. 3 ZPO verpflichtet, die Beiladung zu beantragen. Ist sie erfolgt, werden die übrigen Gesellschafter analog § 856 Abs. 4 und 5 ZPO in jedem 460 461

LG Bonn v. 14.9.1994 AG 1995, 44. Bork ZIP 1995, 609 (614).

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Fall an das Ergebnis gebunden. Diese Möglichkeit der Rechtskrafterstreckung rechtfertigt auch die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre. Wer diesem Modell dennoch nicht folgen will, muss die eigenständige Klage prinzipiell zulassen. Wenn der nicht beteiligte Gesellschafter sein Einverständnis als Grundlage für das Erstverfahren vor einem zweiten Gerichten ohne Einschränkungen bestreiten kann, weil das Gericht des Erstverfahren darüber nicht bindend entscheidet, dann besteht kein Grund, weshalb er mit seiner eigenen Klage warten soll [vgl. oben B.III.6.a)]. Wegen der Ähnlichkeiten zur Situation bei alternativer Berechtigung sollte die Koordination entsprechend gelöst werden [vgl. unten B.III.14.]. 11. Rechtshängigkeitssperre bei der Gesamtschuld Wie oben bei B.III.1.g) gesehen, kommt wegen § 425 Abs. 2 BGB bei der Gesamtschuld eine Rechtskrafterstreckung auf den nicht beteiligten Gesamtschuldner nicht in Frage. Eine Ausnahme zu diesem Grundsatz besteht im Bereich der Pflichtversicherung, vgl. § 3 Nr. 8 PflVG. Befassen wir uns aber zunächst mit der gewöhnlichen Gesamtschuld. Von der Warte der Rechtskraft aus gesehen sind parallele Prozesse unter Beteiligung verschiedener Gesamtschuldner unbedenklich. Aus materiell-rechtlicher Sicht ist eine einheitliche Entscheidung gegen alle Gesamtschuldner dagegen wünschenswert, denn die Ansprüche gegen die Gesamtschuldner sind durch die gemeinsame Wirkung der Erfüllung gem. § 422 BGB und die Regressansprüche des § 426 BGB eng miteinander verknüpft. Außerdem kann eventuell durch eine Sperre eigenständiger Verfahren gegen verschiedene Gesamtschuldner Verfahrenskonzentration erreicht werden. Immerhin kann der Gläubiger alle Gesamtschuldner gemeinschaftlich als Streitgenossen gem. § 59 ZPO verklagen.462 Das ist ohne weiteres zulässig, wenn bezüglich aller Beklagten ein gemeinsamer allgemeiner oder besonderer Gerichtsstand gegeben ist. Fehlt ein solcher gemeinsamer Gerichtsstand, kann gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auf Gesuch bzw. Antrag eines Beteiligten (in aller Regel des Klägers) durch das nächsthöhere Gericht das zuständige Gericht bestimmt werden. Damit gibt es in der ZPO keinen allgemeinen Gerichtsstand für Streitgenossen,463 sondern der Kläger ist auf das komplizierte Verfahren der Zuständigkeitsbestimmung angewiesen, das einen gesonderten Aufwand für Gerichte und Parteien bedeutet.464 Damit wird der Zweck des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, Prozessökonomie zu schaffen,465 partiell vereitelt. Dieser Umstand spricht aber nicht unbedingt gegen den Druck zur Konzentration mittels der Rechtshän462

Schilken ZPR (2002) Rdnr. 664; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) § 60 Rdnr. 5. Stein/Jonas/Roth ZPO Band 1 (2003) § 36 Rdnr. 22, anders als in Art. 6 Nr. 1 EuGVO/EuGVÜ. 464 Leipold Wege zur Konzentration von Zivilprozessen (1999) S. 9. 465 MünchKommZPO/Patzina Band 1 (2000) § 36 Rdnr. 22. 463

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

gigkeitssperre, sondern eher dafür: Die Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO hilft, die mehrfache Inanspruchnahme der Gerichte und einander widersprechende Entscheidungen zu vermeiden, und dient ganz allgemein der Verringerung des Rechtsschutzaufwands für Gerichte und Parteien.466 Das sind weitgehend dieselben Ziele, die auch die Rechtshängigkeitssperre verfolgt. Durch den erhöhten Aufwand der Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO könnte ein Kläger davon abgehalten werden, die Gesamtschuldner gemeinsam zu verklagen. Die Rechtshängigkeitssperre würde ihn in gewissem Maß dazu anhalten. Auf diese Weise griffen die in ihrem Zweck gleichgerichteten §§ 36 Abs. 1 Nr. 3, 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO ineinander. Ein dritter Aspekt tritt hinzu, der im Ausgleichsanspruch zwischen den Gesamtschuldnern gem. § 426 BGB begründet ist und am Ende wieder zur Vermeidung sich widersprechender Klagen führen wird. Wird zunächst ein Gesamtschuldner A verklagt (oder klagt er negativ auf Feststellung des Nichtbestehens der angeblichen Schuld), dann verkündet er den anderen Gesamtschuldnern zweckmäßigerweise den Streit gem. § 72 ZPO, um seinen möglichen Regressanspruch abzusichern.467 Lässt man die Erhebung einer parallelen Klage unter Beteiligung eines anderen Gesamtschuldners B468 zu oder läuft diese Klage bereits, könnte man eine Aussetzung dieser Klage gem. § 148 ZPO bis zur Entscheidung im ersten Verfahren erwägen. Die Aussetzung gem. § 148 ZPO ist grundsätzlich auch dann möglich, wenn die Interventionswirkung zu einer Bindung des einen Prozesses an Ergebnisse des anderen führt [vgl. oben B.II.6.f)]. Die Streitverkündung erzeugt allerdings nur im Verhältnis von Streitverkündendem und Streitverkündungsempfänger,469 also zwischen den Gesamtschuldnern, Interventionswirkung. Die Interventionswirkung führt daher zu keiner Bindung 466 BGH v. 16.2.1984 NJW 1984, 1624 (1625); Leipold Wege zur Konzentration von Zivilprozessen (1999) S. 13. 467 § 72 ZPO erfasst nach herrschender Meinung auch den möglichen Ausgleichsanspruch unter Gesamtschuldnern, vgl. Zöller/Vollkommer ZPO (2005) § 72 Rdnr. 7; Kraft Grenzüberschreitende Streitverkündung und Third Party Notice (1997) S. 188. Es sei angemerkt, dass eine Streitverkündung seitens des Klägers gegenüber dem anderen Gesamtschuldner nach herrschender Meinung nicht in Betracht kommt. Dieser Fall kumulativer Haftung wird vom Wortlaut nicht erfasst, und die herrschende Meinung weigert sich, durch erweiternde Auslegung den Fall mit einzubeziehen, vgl. BGH v. 9.10.1975 NJW 1976, 39 (40); zustimmend Zöller/Vollkommer ZPO (2005) § 72 Rdnr. 8. An einer Streitverkündung mag der Gläubiger einer Gesamtschuld durchaus Interesse haben, um bloß einmal über gemeinsame Grundlagen der Haftung streiten zu müssen, vgl. W. Lüke Die Beteiligung Dritter (1993) S. 319. Dann aber kann er auch sogleich beide Gesamtschuldner in einem Prozess verklagen, § 36 Nr. 3 ZPO. Das räumt auch W. Lüke Die Beteiligung Dritter (1993) S. 320 ein. 468 Dabei kann es sich wiederum sowohl um eine Klage des Gläubigers als auch um eine abwehrende Klage des Gesamtschuldners B handeln. 469 BGH v. 22.12.1977 BGHZ 70, 187 (192); Hk-ZPO/Kayser (2006) § 74 Rdnr. 6; Musielak/Weth ZPO (2005) § 74 Rdnr. 4; Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) § 74 Rdnr. 2.

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im Prozess des Gesamtschuldners B mit dem Gläubiger. Aufgrund dessen ist eine Aussetzungssituation nicht gegeben.470 Klagt der Gläubiger parallel gegen Gesamtschuldner B, ist dieser in seinem Prozess seinerseits gut beraten, den anderen Gesamtschuldnern und damit auch A den Streit zu verkünden, um seinen möglichen Regressanspruch zu sichern. Auf die bereits im ersten Verfahren gegen ihn erfolgte Streitverkündung kann sich B nicht verlassen, denn diese Streitverkündung gilt nur zugunsten des Streitverkündenden,471 und nicht zugunsten des B. Auswirkungen hätte eine unterlassene Streitverkündung gegen A vor allem dann, wenn sowohl A als auch B unterliegen und B den vollen Betrag zahlt. Wollte er daraufhin gegen A den Ausgleichsanspruch gem. § 426 BGB einklagen, könnte A erneut die Grundlagen der Haftung bestreiten. Auf die Interventionswirkung durch die Streitverkündung seitens des A kann sich B nicht berufen. Demgemäß werden sich beide Gesamtschuldner in parallelen Klagen gegenseitig den Streit verkünden. Aus sich solchermaßen kreuzenden Streitverkündungen können sich im Einzelfall einander widersprechende Interventionswirkungen ergeben. Der Widerspruch ist möglich, weil die Interventionswirkung gem. §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO nach herrschender Meinung auch bei einem Prozesssieg des Streitverkündenden eintritt.472 Obsiegt B in seinem Verfahren gegen den Gläubiger, während A unterliegt, muss A seine Regressklage gegen B möglicherweise mit Tatsachen begründen, die in beiden Vorprozessen unterschiedlich festgestellt wurden. Das ist beispielsweise bei Mittätern denkbar, die erst in ihrem Zusammenwirken einen Schaden verursacht haben und gem. §§ 830, 840 BGB als Gesamtschuldner haften. Um solche Widersprüche zu verhindern, sollte der Kläger angehalten wer-

470 Hier kann man selbstverständlich anderer Meinung sein und den § 148 ZPO analog anwenden. Dann bleibt aber der bereits mehrfach erwähnte Nachteil, dass die Aussetzung nicht in gleicher Weise wie die Rechtshängigkeitssperre zur Konzentration der Verfahren drängt und eine Behandlung des Klagebegehrens im vorrangigen Verfahren sogar wegen der Rechtshängigkeitswirkung des ausgesetzten Verfahrens unmöglich macht. Und nach Ende des ersten Prozesses kann im zweiten Verfahren mangels Bindung immer noch abweichend entschieden werden. 471 BGH v. 2.2.2000 NJW 2000, 1407 (1408); Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) § 74 Rdnr. 4; a. A. W. Lüke Die Beteiligung Dritter (1993) S. 341 ff. unter ausführlicher Darstellung des Streitstands m.w. N. 472 Vgl. oben bei Fn. 391. Wer anderer Meinung ist und die Interventionswirkung bei Prozesssieg des Streitverkündenden ablehnt, vermeidet auf diese Weise die Gefahr von einander widersprechenden Interventionswirkungen. Für den obsiegenden Gesamtschuldner wäre nur die (ihm nachteilige) Interventionswirkung aus dem Prozess des unterliegenden Gesamtschuldners maßgeblich. Das setzte die Gesamtschuldner aber jeweils unter Zwang, nicht nur in ihrem eigenen Verfahren, sondern eventuell auch per Beitritt im Parallelverfahren ihre Rechte bestmöglich zu verteidigen, um auch den drohenden Ausgleichsanspruch abwehren zu können. Das liefe auf eine doppelte Verteidigungslast für die Gesamtschuldner in parallelen Verfahren hinaus und ist ein Argument dafür, mit der Rechtshängigkeitssperre parallele Verfahren zu verhindern.

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den, möglichst gemeinsam gegen die Gesamtschuldner in einem Verfahren vorzugehen. Nun könnte man versuchen, allein die sich kreuzenden Streitverkündungen zu verhindern. Man müsste die zweite Streitverkündung als unzulässig behandeln. Das widerspricht aber dem berechtigten Interesse des ersten Streitverkündungsempfänger, seinerseits eine Interventionswirkung herstellen zu können. Des Weiteren könnte man bei sich kreuzenden Streitverkündungen ein Verfahren analog § 148 ZPO aussetzen. Die Streitverkündungswirkung ist aber nicht vorgreiflich für den Prozess zwischen Gläubiger und Gesamtschuldner und daher für die Entscheidung ohne Belang. Das Gericht des ausgesetzten Prozesses kann ohne Rücksicht auf das Ergebnis des ersten Prozesses entscheiden. Eine Aussetzung verhindert also nicht einen Widerspruch in den Streitverkündungswirkungen. Zudem wäre nach dem Tatbestand des § 148 ZPO, der nicht auf die zeitliche Reihenfolge der Verfahren abstellt, mangels eines Vorgreiflichkeitsverhältnisses nicht eindeutig, welches Verfahren ausgesetzt werden müsste. Diese Probleme bei der Koordination paralleler Prozesse gegen Gesamtschuldner drängen zur Verhinderung paralleler Prozesse. Die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre auf nicht beteiligte Gesamtschuldner bietet sich an, um diese Aufgabe zu übernehmen und auf eine Bündelung der Klagen vor einem Gericht, eventuell nach einer Gerichtsstandsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, hinzuwirken. Getrennte Prozesse gegen Gesamtschuldner sind dann nur nacheinander zulässig. Allerdings darf das nicht dazu führen, dass der Gläubiger durch eine negative Feststellungsklage eines Gesamtschuldners daran gehindert wird, seinerseits Leistungsklage gegen einen anderen Gesamtschuldner seiner Wahl erheben zu können. Eventuell will der Gläubiger den klagenden Gesamtschuldner gar nicht in Anspruch nehmen oder hält die nachfolgenden Vollstreckungsaussichten bei ihm für nicht ausreichend; dem Gläubiger muss daher grundsätzlich die Wahl seines Beklagten überlassen bleiben. Kombiniert man aber die hier vertretene Rechtshängigkeitssperre mit der herrschenden Meinung zum Verhältnis von Leistungsklage und negativer Feststellungsklage [vgl. oben B.II.2.a)], löst sich auch dieses Problem: Die negative Feststellungsklage des Gesamtschuldners wird durch die nachfolgende Leistungsklage des Gläubigers wegen Wegfalls des Feststellungsinteresses unzulässig. Dadurch kann zwar der bisherige Prozessfortschritt entwertet werden und der klagende Schuldner möglicherweise gezwungen sein, sein Verteidigungskonzept gegen den angeblichen Gläubiger erneut vor Gericht zu bringen, dann als Nebenintervenient nach einer möglichen Streitverkündung durch den nunmehr beklagten Gesamtschuldner. Die herrschende Meinung zum Verhältnis von Leistungsklage und negativer Feststellungsklage basiert auf der Vorstellung, dass der negativen Feststellungsklage ein geringerer Stellenwert zukommt und ein potentieller Schuldner grundsätzlich auf ein Agieren des angeblichen Gläubigers warten muss. Es ist kein Grund ersichtlich, warum dies nicht auch einem möglichen Gesamtschuldner

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zumutbar wäre. Dem Gläubiger muss die Wahl überlassen bleiben, gegen welchen Schuldner er vorgehen will. Im Einzelfall kann dem klagenden angeblichen Schuldner geholfen werden, indem man sein Interesse an der Feststellung ausnahmsweise nicht durch die später erhobene Leistungsklage entfallen lässt, weil seine Feststellungsklage im Wesentlichen entscheidungsreif ist.473 Eine Ausnahme vom Grundsatz in § 425 Abs. 2 BGB, dass es zwischen Gesamtschuldnern keine Rechtskrafterstreckung gibt, macht das Pflichtversicherungsgesetz in § 3 Nr. 8 PflVG [vgl. oben B.III.1.g)]. Danach gelten Urteile gegen den Versicherungsnehmer bzw. die Versicherung, die das Nichtbestehen des Schadensersatzanspruchs feststellen, auch zugunsten des jeweils anderen. Wegen dieser Rechtskrafterstreckung wurde bei zwei gleichzeitigen Klagen gegen die Versicherung bzw. den Versicherungsnehmer vor verschiedenen Gerichten eine analoge Anwendung des § 148 ZPO vorgeschlagen. Ein Prozess solle ausgesetzt werden, damit es nicht zu sich widersprechenden Urteilen komme.474 Gegen eine Aussetzung spricht, dass die Klagen gegen beide Gesamtschuldner nicht in einem Verhältnis der Vorgreiflichkeit stehen; sie haben lediglich gemeinsame Vorfragen.475 Daran ändert auch die mögliche Rechtskrafterstreckung nichts. Solange beide Prozesse laufen, ist nicht erkennbar, welcher Prozess von der Entscheidung des jeweils anderen abhängen wird. Erst wenn ein Gericht die Klage rechtkräftig abgewiesen hat, gibt es eine klare Vorgabe für die Entscheidung im anderen Prozess.476 Welches Gericht als erstes entscheiden wird, ist bei laufenden Prozessen nicht vorherzusagen. Es wäre daher auch nicht eindeutig bestimmt, welches Gericht sein Verfahren aussetzen darf. Wie bereits mehrfach erwähnt, enthält § 148 ZPO keine zeitliche Hierarchievorgabe, sondern nur diejenige der Präjudizialität. Weil die Aussetzung als Maßnahme der Verfahrenskoordination ausfällt, wird sogar gefordert, de lege ferenda die Verbindung der Prozesse gegen Versicherungsnehmer und Versicherung zwingend vorzuschreiben.477 Das ist unnötig. Wie bei jeder gesamtschuldnerischen Haftung sollte auch nach Erhebung einer Klage gegen den Versicherungsnehmer bzw. die Versicherung eine parallele Klage gegen den jeweils anderen untersagt werden. Wegen der möglichen Rechtskrafterstreckung drohten andernfalls einander widersprechende Entscheidungen; dieser Aspekt unterstützt sogar noch die Forderung nach Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre. 473 Vgl. zur dieser Ausnahme bereits oben in Fn. 21 und BGH v. 21.12.1989 NJWRR 1990, 1532. 474 Prölls/Martin/Knappmann Versicherungsvertragsgesetz (2004) § 3 Nr. 8 PflVG Rdnr. 3. 475 OLG Koblenz v. 12.11.1991 VersR 1992, 1536 (1537); Reiff VersR 1990, 113 (117). 476 OLG Koblenz v. 12.11.1991 VersR 1992, 1536 (1537). 477 Reiff VersR 1990, 113 (117).

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

12. Rechtshängigkeitssperre bei Gesamtgläubigerschaft Gesamtgläubiger gem. § 428 BGB können dieselbe Leistung für sich fordern; der Schuldner ist aber nur einmal zur Leistung verpflichtet und kann an den Gläubiger seiner Wahl leisten. Die Stellung von Gesamtgläubigern ist ähnlich der Gesamtschuld ausgestaltet. Die Leistung hat gem. §§ 429 Abs. 3, 422 BGB befreiende Wirkung gegenüber allen Gläubigern. Die Ansprüche der Gläubiger stehen dennoch selbständig und gleichwertig nebeneinander.478 Urteile, die von einem Gesamtgläubiger erstritten werden, entwickeln keine Rechtskraft für die übrigen Gesamtgläubiger [vgl. oben B.III.1.h)]. Lässt man gleichzeitig mehrere Klagen von Gesamtgläubigern zu, bürdet man dem Schuldner die doppelte oder gar mehrfache Verteidigungslast auf. Das soll an einem Beispiel verdeutlicht werden:479 Beispiel: Kläger Nr. 1 stand mit der Beklagten, die ein Lagerhaus betreibt, in Geschäftsbeziehung und lagerte Waren ein, die im Eigentum des Klägers Nr. 2 standen. Teile der Waren kamen abhanden. Diesen Schaden machen beide Kläger nun gegen die Beklagte gerichtlich geltend. Der BGH bejahte einen Anspruch des Klägers Nr. 1 wegen Verletzung der Pflichten aus dem Lagervertrag, der zwischen ihm und dem Beklagten bestand. Zwar sei ihm selbst kein Schaden entstanden, aber er könne den Schaden, den der Kläger Nr. 2 erlitten habe, nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation480 ersetzt verlangen. Daneben könne auch der Kläger Nr. 2 Schadenersatz verlangen, und zwar aufgrund eines Anspruchs aus unerlaubter Handlung. Beide Ansprüche stünden unabhängig nebeneinander, die Kläger seien Gesamtgläubiger gem. § 428 BGB.

Zwar kam es im zu entscheidenden Fall nicht auf die Rechtshängigkeit an, aber der BGH führte beiläufig aus, dass auch bei getrennter Klage nicht die Rechtshängigkeitssperre eingreife.481 Dieses Ergebnis wirkt auf den ersten Blick vor dem Hintergrund des beschriebenen Sachverhalts eigenartig, geht es wegen der Drittschadensliquidation doch in beiden Fällen darum, den Schadenersatz für den Kläger Nr. 2 einzufordern. Zwei getrennte Klagen zur Erreichung desselben wirtschaftlichen Ziels erscheinen überflüssig und für den Schuldner unnötig belastend. Da die Gesamtgläubigerschaft gewissermaßen spiegelbildlich zur Gesamtschuld konstruiert ist, sollen die dortigen Überlegungen auch hier angestellt werden. Dazu gehört die Frage, ob sich die Verbindung der Ansprüche über den Ausgleichsanspruch zwischen den Gesamtgläubigern gem. § 430 BGB auswirkt. Bei den Gesamtschuldnern drohen sich kreuzende Streitverkündungen. Bei Ge478

BGH v. 10.5.1984 NJW 1985, 2411 (2412). BGH v. 10.5.1984 NJW 1985, 2411. 480 Dazu Palandt/Heinrichs BGB (2006) vor § 249 Rdnr. 112 ff.; die nicht geschädigte Vertragspartei kann den Schaden des Geschädigten ersetzt verlangen. Sie kann Zahlung an sich oder sofort an den Dritten fordern. 481 BGH v. 10.5.1984 NJW 1985, 2411 (2412). 479

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samtgläubigern erscheint auf den ersten Blick deren Zulässigkeit gem. § 72 ZPO zweifelhaft. Danach kann Streit verkündet werden, wenn dem Streitverkündenden für den ungünstigen Ausgang des Prozesses ein Anspruch droht. Der Ausgleichsanspruch gem. § 430 BGB entsteht nur insoweit, als der Gesamtgläubiger mehr erhalten hat, als ihm im Innenverhältnis zusteht.482 Ein Ausgleichsanspruch droht also nur bei einem Prozesserfolg des Klägers. Schließlich ist auch keine Streitverkündung erforderlich, um Feststellungen des Gerichts zur Anteilsquote des Klägers mit Interventionswirkungen zu versehen. Solche Feststellungen sind nicht erforderlich, weil jeder Gesamtgläubiger den ganzen Betrag fordern kann und nicht bloß seinen Anteil. Hat das Gericht dennoch betreffende Feststellungen gemacht, so sind sie nicht entscheidungserheblich und nehmen ohnehin nicht an der Interventionswirkung teil.483 Die Streitverkündung gegenüber den übrigen Gesamtgläubigern ist mithin unzulässig. Der Ausgleichsanspruch kann nicht zu sich kreuzenden Interventionswirkungen führen. Aus diesem Blickwinkel müssen parallele Verfahren nicht verhindert werden. Parallel zu den Ausführungen bei der Gesamtschuld ist auch bei den Gesamtgläubigern der Einwand zu prüfen, dass eine schleppende und schlechte Prozessführung zwischen einem Gesamtgläubiger und dem Schuldner aussichtsreiche Klagen der übrigen Gesamtgläubiger nicht hindern dürfe. Ein vergleichbares Gegenargument wie der Vorrang der Leistungsklage, der bei Gesamtschuldverhältnissen den Justizgewährungsanspruch des rechtsschutzsuchenden Gläubigers absichert, gibt es hier nicht. Anders als bei Klagen von Mitberechtigten profitieren die Gesamtgläubiger nicht in gleicher Weise wie die Mitberechtigten von einer erfolgreichen Klage. Es kommt zu keiner Verurteilung auf Leistung an alle, sondern nur dem erfolgreichen Kläger nutzt das Urteil. Die übrigen Gesamtgläubiger müssen ihre Ausgleichsansprüche geltend machen, das Risiko der Insolvenz des siegreichen Klägers inklusive. Indes würde die den Justizgewährungsanspruch einschränkende Wirkung der Rechtshängigkeitssperre abgeschwächt, wenn sich klagewillige Gesamtgläubiger ausreichend am bereits laufenden Verfahren beteiligen können. Die Hauptintervention gem. § 64 ZPO eines weiteren Gesamtgläubigers, die zumindest zur Zusammenführung der Verfahren führen könnte,484 kommt nicht in Frage, weil die Hauptintervention voraussetzt, dass der Intervenient ein (teil-) identisches Recht für sich in Anspruch nimmt.485 Gesamtgläubiger machen 482 Bamberger/Roth/Gehrlein BGB Band 1 (2003) § 430 Rdnr. 1; Palandt/Grüneberg BGB (2006) § 430 Rdnr. 1. 483 Stein/Jonas/Bork ZPO Band 2 (2004) § 68 Rdnr. 7. 484 Die Verbindung des Hauptprozesses mit dem Interventionsprozess ist nicht zwingend, aber in der Regel zweckmäßig, vgl. MünchKommZPO/Schilken Band 1 (2000) § 64 Rdnr. 16. 485 Vgl. Zöller/Vollkommer ZPO (2005) § 64 Rdnr. 3; MünchKommZPO/Schilken Band 1 (2000) § 64 Rdnr. 8 m.w. N.

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

aber, wie bereits erwähnt, stets ihr eigenes materielles Recht gem. § 428 BGB geltend. Die einfache Nebenintervention gem. § 66 ZPO486 ist aus Gesichtspunkten des rechtlichen Gehörs unbefriedigend, weil aufgrund der rechtlichen Stellung des Nebenintervenienten keine Prozesshandlungen im Widerspruch zum Handeln der Hauptpartei möglich sind. Klageänderungen sind dem Nebenintervenienten ohnehin verwehrt.487 Eine weitere Beteiligungsmöglichkeit wäre der Eintritt in das Verfahren als weiterer Kläger. Ein Beitritt auf Klägerseite ist nur mit Zustimmung des bisherigen Klägers möglich [vgl. oben bei Fn. 432] und daher eine zu unsichere Möglichkeit für weitere Gesamtgläubiger, am Prozess teilzunehmen. Man könnte nun auch hier eine analoge Anwendung des gesetzlichen Beitrittsrechts gem. § 856 Abs. 2 ZPO in Betracht ziehen. Nur ist schon die materielle Rechtslage nicht vergleichbar, weil mehrere Pfändungsgläubiger Hinterlegung zugunsten aller verlangen können, während die Gesamtgläubiger jeweils Leistung an sich selbst fordern dürfen. Wenn sich andere Gesamtgläubiger auf diesem Weg an einer Klage beteiligen können, stünden dann verschiedene Anträge auf Leistung an verschiedene Kläger nebeneinander. Würde einer solchen Klage stattgegeben, müsste der Tenor entsprechend der materiellen Rechtslage gem. § 428 BGB auf wahlweise Leistung an einen der Kläger lauten. Der Anschluss gem. § 856 Abs. 2 ZPO ist auf einen Anspruch gem. § 853 ZPO (bzw. §§ 854 f. ZPO) zugeschnitten; eine analoge Anwendung drängt sich daher nicht gerade auf. Den übrigen klagewilligen Gläubigern steht also kein adäquater Weg der Beteiligung am laufenden Verfahren zur Verfügung. Ihr Justizgewährungsanspruch wäre durch die Rechtshängigkeitssperre erheblich eingeschränkt. Es bleibt zu prüfen, ob diese Einschränkung durch den Effekt der Prozesswirtschaftlichkeit, den die Rechtshängigkeitssperre auslöst, bei der Gesamtgläubigerschaft vor dem Hintergrund der materiellen Rechtslage legitimiert werden kann. Wir hatten bereits festgestellt, dass dem Schuldner durch parallele Verfahren eine doppelte Verteidigungslast aufgebürdet wird. Laufen zwei Klagen von Gesamtgläubigern parallel und endet ein Verfahren zuerst mit der Verurteilung des Schuldners zur Leistung, die der Schuldner akzeptiert und pflichtgemäß leistet, dann hat sich das noch laufende Verfahren erledigt. Dennoch müsste der Schuldner auch die Kosten dieses Verfahrens ganz oder teilweise tragen, obwohl eine einfache gerichtliche Überprüfung ausgereicht hätte. Eventuell wird der Schuldner sogar in beiden Verfahren zur Leistung verurteilt. Zahlt der Schuldner dann an einen Kläger, muss er eventuell die Erfüllungswirkung gem. §§ 429 Abs. 3, 422 BGB 486 Eine streitgenössische Nebenintervention mit erweiterten Handlungsmöglichkeiten kommt mangels Rechtskrafterstreckung nicht in Frage. 487 Hk-ZPO/Kayser (2006) § 67 Rdnr. 12; MünchKommZPO/Schilken Band 1 (2000) § 67 Rdnr. 16.

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per Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO gegen den anderen Titelgläubiger geltend machen.488 Es kann also zu sehr viel unnötigem gerichtlichem Aufwand kommen. Es erscheint geboten, vor allem den Schuldner, aber auch die Gerichte vor diesem unnötigen Aufwand zu bewahren. Greift die Rechtshängigkeitssperre dagegen ein, wird das Bestehen der Forderung zunächst in nur einem Prozess geklärt. Wird der Klage stattgegeben, muss der Schuldner leisten. Die übrigen Gläubiger können nun ihre Ausgleichsansprüche geltend machen. Zahlt er trotz des Urteils nicht und unterlässt der Titelgläubiger die Vollstreckung, besteht ausnahmsweise Bedarf nach einem weiteren Prozess. Entweder können die übrigen Gesamtgläubiger den erfolgreichen Kläger aufgrund von bestehenden Pflichten im Innenverhältnis auf Nutzung des Titels zur Vollstreckung verklagen, oder sie versuchen, einen eigenen Vollstreckungstitel gegen den Schuldner zu erlangen. Es sind keine zwingenden Gründe ersichtlich, warum man den übrigen Gläubigern erlauben sollte, zeitgleich zu klagen. Selbst die Aussicht auf ein schnelleres Urteil erscheint nicht schützenswert. Der Schuldner muss nicht dem ersten Urteil nachkommen, sondern kann auch an andere zahlen und den errungenen Titel durch Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO wieder entwerten. Aus dieser Möglichkeit unnötiger Verfahren entsteht ein Bedürfnis nach Koordination, das wesentlich im Interesse des Schuldners liegt. Deshalb ist zu erwägen, ob man es nicht dem Schuldner überlässt, die Grundlagen für die Koordination zu schaffen. Wenn der Schuldner parallel klagenden Gesamtgläubigern den Streit verkünden könnte, dann wäre wegen der Interventionswirkung auf deren Prozesse die Aussetzung gem. § 148 ZPO möglich [vgl. oben B.III.4.; diese Lösung bietet sich bei alternativer Berechtigung an, vgl. unten B.III.14.]. Dazu müsste die Streitverkündung gem. § 72 ZPO zulässig sein. Die Ansprüche der übrigen Gesamtgläubiger müssten dazu für den Fall des ungünstigen Ausgangs des Prozesses drohen. Das ist aber gerade nicht der Fall, die Ansprüche gem. § 428 BGB bestehen kumulativ. § 72 ZPO ist aber nur analog anwendbar, wenn die Ansprüche alternativ bestehen.489 Dieser Weg der Verfahrenskoordination ist daher nicht gangbar. Zum Schutze des Schuldners und zur Schonung von Rechtsprechungsressourcen sollte dennoch auch bei Gesamtgläubigerschaft die Rechtshängigkeitssperre parallele Klagen mehrerer Gläubiger verbieten. Sie steht zugegebenermaßen auf schmaler Rechtfertigungsbasis.

488 Die nachträgliche Erfüllung ist typischer Einwand gegen den titulierten Anspruch, vgl. Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO (2005) § 767 Rdnr. 21; Musielak/ Lackmann ZPO (2005) § 767 Rdnr. 24. 489 Vgl. BGH v. 9.10.1975 NJW 1976, 39 (40) für den umgekehrten Fall der Gesamtschuld.

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

13. Rechtshängigkeitssperre bei akzessorischer Haftung Bei parallelen Klagen wegen einer Hauptforderung und wegen eines akzessorischen Anspruchs verneint die herrschende Meinung die Rechtshängigkeitssperre bereits mangels eines identischen Streitgegenstands. Zwar besteht die Möglichkeit der Rechtskrafterstreckung, sie allein ist aber kein ausreichender Grund, auch die Rechtshängigkeitssperre zu erstrecken [vgl. oben B.III.2.]. Dem ist zuzustimmen. Selbst bei identischem Antrag beispielsweise gegen Hauptschuldner und Bürgen oder gegen die Gesellschaft und die gem. § 128 HGB persönlich haftenden Gesellschafter wird jeweils ein anderer Klagegrund zur Begründung vorgetragen. Der Lebenssachverhalt der Klagen gegen den Bürgen bzw. den Gesellschafter unterscheidet sich dadurch von demjenigen der Klagen wegen der Hauptforderung, dass die akzessorisch Haftenden ihre persönlichen Einreden geltend machen können.490 Parallele Prozesse sind hier vielmehr durch Aussetzung zu koordinieren. Das Bestehen der Hauptforderung ist Existenzbedingung für die akzessorische Haftung. Zudem wirkt ein Urteil über die Gesellschaftsschuld stets auch gegenüber dem Gesellschafter. Bei der Bürgschaft wirkt ein Urteil immerhin zugunsten des Bürgen [vgl. oben B.III.1.i)] Wegen dieser Rechtskrafterstreckung kann es zu der rechtlichen Bindung des Prozesses gegen Bürgen bzw. Gesellschafter an das Urteil im Hauptforderungsprozess kommen, die § 148 ZPO voraussetzt [vgl. oben B.II.6.f)]. Daher sind parallele Klagen gegen den Bürgen bzw. Gesellschafter auszusetzen.491 Anderer Meinung bezüglich des Verhältnisses von Klagen gegen die Gesellschaft und persönlich haftende Gesellschafter war das Reichsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 1901;492 es betonte den Charakter der oHG, die keine juristische Person sei, weshalb auch die Schulden der oHG eigentlich Schulden der Gesellschafter seien. Aus diesem Grund werde auch die Rechtskraft eines Urteils gegen die Gesellschaft über eine Gesellschaftsschuld auf die Gesellschafter erstreckt. Und deshalb müsse auch der Gesellschafter bereits als Partei im Prozess gegen die oHG angesehen werden. Einer Erstreckung der Rechtshängigkeit auf den Gesellschafter stehe auch nicht die Vorschrift des § 129 Abs. 4 HGB entgegen. Sie betreffe nur die Frage der Vollstreckbarkeit des Urteils auch gegen das Gesellschaftervermögen und berühre nicht den Fragenkreis der Rechtshängigkeit und der Rechtskraft. Das Reichsgericht begründet die Rechtshängigkeitssperre also mit einem identischen Streitgegenstand und der möglichen Rechtskrafterstreckung. Hinzufügen kann man, dass die oHG 490 Palandt/Sprau BGB (2006) § 768 Rdnr. 2 für den Bürgen; Baumbach/Hopt HGB (2006) § 129 Rdnr. 6 für den Gesellschafter. 491 Mittenzwei Die Aussetzung des Prozesses (1971) S. 96 f. 492 RG v. 13.4.1901 RGZ 49, 340 (343 f.).

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und ihre Gesellschafter Streitgenossen gem. §§ 59, 60 ZPO sind und daher gemeinsam verklagt werden können.493 § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erlaubt die Bestimmung eines gemeinsam zuständigen Gerichts. Durch die Rechtshängigkeitssperre wäre der Gläubiger zumindest vorübergehend zur gemeinsamen Klage gezwungen. Dieses Argument stützte bereits bei der Gesamtschuld die Annahme der Rechtshängigkeitssperre [vgl. oben B.III.11.]. Konsequenterweise müsste man auch den Eintritt der Rechtshängigkeitssperre annehmen, wenn zuerst der Gesellschafter verklagt wird. Diese Klage kann jedoch abgewiesen werden, ohne dass rechtskräftig über die Gesellschaftsschuld entschieden worden ist.494 § 148 ZPO gestattet dagegen auch die Aussetzung des zuerst anhängig gewordenen Prozesses. Durch die Rechtskrafterstreckung ist sichergestellt, dass im ausgesetzten Prozess die Vorfrage nicht gerichtlich geprüft werden muss, die bereits im anderen Prozess geprüft wurde. Die Aussetzung erzeugt damit einen größeren Wirtschaftlichkeitseffekt, während sie auf der anderen Seite die Beteiligten geringer belastet. Außerdem „kann“ das Gericht gem. § 148 ZPO aussetzen, d.h. die Entscheidung über die Aussetzung steht im Ermessen des Gerichts.495 Das gewährt der Verfahrenskoordination eine gewisse Flexibilität, die bei der akzessorischen Haftung von Vorteil sein kann. War beispielsweise die Klage gegen den persönlich haftenden Gesellschafter zuerst rechtshängig und ist sie schon so weit vorangeschritten, dass das Gericht auf jeden Fall wegen persönlicher Einreden des Gesellschafters ein abweisendes Urteil erlassen will, dann ist ein Abwarten nicht erforderlich. Insgesamt betrachtet ist daher der Aussetzung bei akzessorischer Haftung der Vorzug zu geben. 14. Rechtshängigkeitssperre bei alternativer Verpflichtung bzw. Berechtigung Ein Gläubiger, der sich eines Anspruchs berühmt, kann im Ungewissen sein, wer sein Schuldner ist, weil von zwei oder mehreren Personen nach Lage der Dinge nur einer der Schuldner sein kann. Solche Alternativität der möglichen Schuldner kann es geben, wenn ein Vertragsschluss mittels eines Vertreters stattgefunden hat und unklar ist, ob der geschlossene Vertrag von der Vertretungsmacht gedeckt war,496 oder wenn zwei Schädiger als Schuldner eines Schadensersatzes in Frage kommen, aber mit Sicherheit nur einer für den Schaden verantwortlich ist (etwa bei unerlaubter Handlung).497 493 Schellhammer Zivilprozess (2004) Rdnr. 1606; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) § 60 Rdnr. 5. 494 Ebenroth/Boujong/Joost/Hillmann HGB (2001) § 128 Rdnr. 63. 495 Thomas/Putzo/Reichold ZPO (2005) § 148 Rdnr. 2; Zöller/Greger ZPO (2005) § 148 Rdnr. 7. 496 W. Lüke Die Beteiligung Dritter (1993) S. 307; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 51 Rdnr. 20.

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

Beispiel 1: Nach einem Unfall möchte der Geschädigte K Schadensersatz haben. Er weiß aber nicht genau, ob X oder Y für den Schaden verantwortlich sind. X und Y beschuldigen sich gegenseitig. K geht daher gegen beide gerichtlich vor. Beispiel 2: Ein Verkäufer bezieht Waren bei einem Hersteller und verkauft sie an den Käufer. Der Käufer behauptet Mängel an den Waren. Entweder hat der Verkäufer einen Anspruch auf den vollen Kaufpreis gegen den Käufer (wenn es keine Mängel gibt), oder er hat bei tatsächlichen Mängeln einen Schadensersatzanspruch gegen den Hersteller.

Getrennte Prozesse gegen die möglichen Schuldner zeichnen sich dadurch aus, dass sie gemeinsame Vorfragen haben, im ersten Beispiel die Frage der Schadensverursachung, der Schadenshöhe und der Verantwortlichkeit, im zweiten Beispiel die Frage des Mangels an der Kaufsache. Klagt der Gläubiger nacheinander gegen beide möglichen Schuldner, so ist er durch das Ergebnis des ersten Prozesses nicht gehindert, den zweiten Prozess anzustrengen; eine Rechtskrafterstreckung gibt es nicht [vgl. oben B.III.1.j)]. Folglich ist der Eintritt der Rechtshängigkeitssperre nicht erforderlich, um sich widersprechende Entscheidungen zu verhindern. Alternative Schuldner haben im Gegensatz zu Gesamtschuldnern [vgl. oben B.III.11.] untereinander in aller Regel keine Rechtsbeziehung, auf die Rücksicht zu nehmen wäre. Außerdem bringt die Erfüllung durch den „falschen“ Schuldner die Forderung gegen den eigentlichen Schuldner nicht zum Erlöschen. Auch insofern besteht kein Zusammenhang zwischen den Forderungen. Die Rechtshängigkeitssperre könnte allerdings mit prozessökonomischen Effekten begründet werden, wenn der Kläger in einem Verfahren beide Schuldner zugleich verklagen könnte. Eine Klage gegen beide gemeinsam mit dem alternativ formulierten Antrag, einen der beiden zur Leistung zu verurteilen, ist unzulässig. Ein solches Vorgehen bedeutete eine grundsätzlich unzulässige eventuelle Klageerhebung.498 Eine unbedingte gemeinsame Klage mit Anträgen gegen beide möglichen Schuldner, deren Zulässigkeit mit Blick auf §§ 59, 60 ZPO fraglich ist, hätte zwangsläufig zur Folge, dass der Kläger mit einem (letztlich unbegründeten) Antrag gegen den vermeintlichen Schuldner kostenpflichtig unterliegen würde. Ein solches Vorgehen ist ihm daher nicht zumutbar. Auf eine gebündelte Klage kann der Gläubiger also nicht verwiesen werden. Es bleibt dabei, dass der Gläubiger gegen jeden möglichen Schuldner gleichzeitig getrennte Klagen anstrengen kann. Jedem Schuldner obliegt es, sich nach Kräften zu verteidigen. Doppelte Prozessführung wird ihnen nicht zugemutet, die mutet sich der Gläubiger selbst zu.

497 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 51 Rdnr. 18; MünchKommZPO/ Schilken Band 1 (2000) § 72 Rdnr. 13. 498 Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) § 60 Rdnr. 5; Schellhammer Zivilprozess (2004) Rdnr. 60.

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Der Gläubiger kann sich also unter Umständen in beiden Verfahren durchsetzen, er kann aber auch in beiden Verfahren unterliegen. Er trägt damit auch ein gewisses Risiko und hat demzufolge ein Interesse daran, die Alternativschuldner in einem Prozess zu beteiligen und an das Prozessergebnis zu binden. Im Fall alternativer Haftung erlaubt die herrschende Meinung dem Gläubiger die Streitverkündung gegenüber dem nicht verklagten Alternativschuldner.499 Das gilt nach umstrittener Meinung selbst dann, wenn wie im Beispiel 1 die Alternativität auf Tatsachen beruht.500 Infolge der Streitverkündung tritt gegenüber dem nicht verklagten Alternativschuldner die Interventionswirkung gem. §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO ein. Dieser kann in einem Folgeprozess nicht mehr behaupten, der Mangel habe nicht bestanden bzw. der zuerst beklagte Schuldner sei verantwortlich gewesen, wenn das Gericht im ersten Prozess das Gegenteil festgestellt hat.501 Dem Gläubiger ist folglich zu raten, in einem Verfahren dem dort nicht beklagten Alternativschuldner den Streit zu verkünden, um dem Risiko doppelten Unterliegens zu begegnen. Dann kann das Parallelverfahren gem. § 148 ZPO ausgesetzt werden [vgl. oben B.III.4.]. Damit ist zu einem entscheidenden Teil dem Gläubiger die Koordination paralleler Verfahren in die Hand gelegt. (Zum anderen Teil dem Gericht, in dessen Ermessen die Aussetzung steht.) Die Alternativschuldner können nichts dazu beitragen. Die Streitverkündung eines Schuldners gegenüber dem alternativen Schuldner ist einerseits nicht zulässig502 und würde andererseits nicht zu einer Aussetzungsmöglichkeit führen, weil die Interventionswirkung nicht gegenüber dem Gläubiger wirkt und daher eine Bindung des Gerichts im anderen Verfahren nicht eintreten kann. Alternativität kann es nicht nur auf Seite der Schuldner, sondern auch auf der Seite der Inhaber eines Rechts geben. Beispiel: X klagt gegen B auf Zahlung eines bestimmten Betrags. Er behauptet im Verfahren, Y habe ihm das Recht abgetreten. Y bestreitet die Abtretung oder hält sie nicht für wirksam und klagt daher seinerseits gegen B auf Zahlung. § 407 Abs. 2 BGB ist auf die Klage des Zedenten nicht anzuwenden, weil der Schuldner Kenntnis von der Zession bei Klageerhebung hatte, vgl. oben Fn. 426. Daher handelt es sich um keinen Fall, der der oben bei B.III.5. beschriebenen Fallgruppe zuzuordnen wäre.

Dieses Beispiel zeigt, dass vor allem unklare Zessionen das Problem alternativer Berechtigung hervorrufen können.503 Die herrschende Meinung lehnt eine 499 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § Rdnr. 16; Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) § 72 Rdnr. 7. 500 Wieczorek/Schütze/Mansel ZPO Band I/2 (1994) § 72 Rdnr. 62; a. A. Zöller/ Vollkommer ZPO (2005) § 72 Rdnr. 8 a. E. 501 Zur Wirkung bei Alternativverhältnissen vgl. Stein/Jonas/Bork ZPO Band 2 (2004) § 68 Rdnr. 7; Wieczorek/Schütze/Mansel ZPO Band I/2 (1994) § 72 Rdnr. 62. 502 Häsemeyer ZZP 107 (1994), 228 (234); Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) § 72 Rdnr. 7. 503 Wieczorek/Schütze/Mansel ZPO Band I/2 (1994) § 72 Rdnr. 72.

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

Rechtshängigkeitssperre bereits deshalb ab, weil die Streitgegenstände in beiden Klagen verschieden seien, denn der Streitgegenstand werde durch die behaupteten Rechtsträger bestimmt.504 Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass der nicht prozessbeteiligte Forderungsprätendent die Hauptintervention gem. § 64 ZPO betreiben könne.505 Es gibt anders als bei der Gesamtgläubigerschaft keine materiell-rechtliche Verbindung zwischen den Klagen. Die Leistung des Schuldners an den vermeintlichen Schuldner befreit ihn nicht gegenüber dem richtigen Berechtigten.506 Man könnte allerdings die Rechtshängigkeitssperre mit Hinweis auf die Beteiligungsmöglichkeit durch Hauptintervention rechtfertigen, um möglichst eine konzentrierte und den Schuldner schonende Erledigung in einem Verfahren zu erreichen. Dazu müsste von der Hauptintervention eine ausreichende Konzentrationswirkung ausgehen. Die Hauptintervention gem. § 64 ZPO führt zu einem eigenständigen Interventionsprozess, der neben dem Hauptprozess an demselben Gericht anhängig wird. Der Hauptprozess kann gem. § 65 ZPO ausgesetzt werden. Das Urteil des Interventionsprozesses wirkt nur zwischen dessen Parteien und nicht für den Hauptprozess.507 Beide Prozesse können gem. § 147 ZPO verbunden werden, was zweckmäßig, aber nicht zwingend ist.508 Damit erscheint die Konzentrationswirkung durch eine Hauptintervention nicht besonders hoch. Sie ist eben keine echte Einmischungsklage, bei der in einem Prozess einheitlich über einen zwischen zwei Prätendenten umstrittenen Anspruch entschieden würde.509 Daher kann die Möglichkeit der Hauptintervention keine Ausdehnung der Rechtshängigkeitssperre begründen. Jeder angebliche Gläubiger kann uneingeschränkt von den Rechtsverfolgungsbemühungen anderer sein Recht gegenüber dem Schuldner einklagen. Auch hier hat jedoch der Schuldner ein Interesse daran, am Ende nicht zweimal zahlen zu müssen, obwohl er nur einmal verpflichtet sein kann. Es besteht daher ein Bedürfnis nach einem Instrument, mit dem er die Feststellungen zur Berechtigung gegenüber einem Prätendenten auch für die übrigen möglichen Kläger bindend werden lassen kann. Spiegelbildlich zur alternativen Verpflichtung ist auch die Streitverkündung des beklagten Schuldners gegenüber nicht beteiligten möglichen Gläubigern zuzulassen.510 Nach der Streitverkündung 504 Grunsky Grundlagen des Verfahrensrecht (1974) S. 34; vgl. auch oben bei Fn. 316. 505 Grunsky Grundlagen des Verfahrensrecht (1974) S. 34 dort Fn. 43; zur Zulässigkeit einer Hauptintervention Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 52 Rdnr. 19. 506 Eine Ausnahme macht § 409 Abs. 1 BGB, die hier aber vernachlässigt werden soll. 507 Zöller/Vollkommer ZPO (2005) § 64 Rdnr. 6. 508 MünchKommZPO/Schilken Band 1 (2000) § 64 Rdnr. 16. 509 Vgl. W. Lüke Die Beteiligung Dritter (1993) S. 426 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 52 Rdnr. 6.

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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können parallele Verfahren anderer Prätendenten gem. § 148 ZPO ausgesetzt werden [vgl. oben B.III.4.]. Wiederum ist es den Beteiligten überlassen, für die Grundlagen der Verfahrenskoordination zu sorgen. Hier obliegt dies dem Schuldner, der daran ein eigenes Interesse hat, um der Gefahr doppelter Verurteilung zu entgehen. Der alternativen Berechtigung vergleichbar ist die Situation, in der lediglich die Klagebefugnis unklar ist. Auch hier treten zwei Kläger gegenüber dem Beklagten auf, von der einer behauptet, er dürfe für den Berechtigten klagen, was dieser bestreitet. Wegen der fehlenden rechtskräftigen Feststellung zur Prozessführungsbefugnis und der daraus resultierenden fehlenden Rechtskrafterstreckung fiel es uns schwer, eine Rechtshängigkeitssperre gegenüber dem nicht beteiligten Berechtigten zu begründen [vgl. oben B.III.6.a) und B.III.10.]. Anders als bei Mitberechtigten, Gesamtgläubigern oder anderen Fällen vervielfachter Klagebefugnis tritt hier aus Sicht des Rechtsinhabers der falsche Kläger auf. Ein Abwarten ist dem Rechtsinhaber und wahren Klagebefugten nur schwerlich zuzumuten. Es bietet sich vielmehr an, die Koordination ebenso wie bei der alternativen Berechtigung in die Hand des Schuldners zu legen. Er hat ein Interesse daran, nicht zwei Verfahren gleichzeitig führen zu müssen. Ihm sollte daher die Streitverkündung möglich sein. Wird im Verfahren mit dem Prozessstandschafter dessen Prozessführungsbefugnis festgestellt, kann diese vom Rechtsinhaber in seinem Prozess nicht mehr bestritten werden. Auf diese Weise wird die Einrede der entgegenstehenden Rechtskraft in diesem Prozess abgesichert. Diese Lösung setzt freilich voraus, dass die Interventionswirkung gem. §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO auch Feststellungen über die Sachurteilsvoraussetzung der Prozessführungsbefugnis erfasst. Das ist für Sachurteilsvoraussetzungen generell umstritten. Ein Teil der Literatur ist dagegen,511 andere sind dafür, weil auch das Sachurteil von den Zulässigkeitsvoraussetzungen abhängen kann.512 Wegen der Nähe der Prozessführungsbefugnis zum materiellen Recht und damit zur Begründetheit eines Klagebegehrens sollte man zumindest für sie eine Ausnahme machen und Feststellungen dazu in die Interventionswirkung aufnehmen. Damit kann die Streitverkündung im Zusammenwirken mit einer Aussetzung auch bei Doppelprozessen mit bestrittener Prozessführungsbefugnis für Koordination sorgen. Beispiel: K klagt als Prozessstandschafter gegen B auf Zahlung wegen einer Forderung des D. Er behauptet, von D zur Prozessführung ermächtigt worden zu sein. D erhebt daraufhin seinerseits Klage gegen B und bestreitet in diesem Prozess die 510 Staudinger/Busche BGB (1999) § 407 Rdnr. 27; Wieczorek/Schütze/Mansel ZPO Band I/2 (1994) § 72 Rdnr. 71. 511 Wieczorek/Schütze/Mansel ZPO Band I/2 (1994) § 68 Rdnr. 95; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) § 68 Rdnr. 10 a. E. 512 Stein/Jonas/Bork ZPO Band 2 (2004) § 68 Rdnr. 10; Ziegert Interventionswirkung (2003) S. 169 ff.

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

Wirksamkeit der gewillkürten Prozessstandschaft. Die Klage des K gehe ihn nichts an. Damit hat er zunächst Recht, die Klage des K löst keine Rechtshängigkeitssperre gegenüber der Klage des D aus. B kann aber im Prozess gegen K dem D den Streit verkünden. Damit wird das Verfahren zwischen K und B vorgreiflich für das Verfahren zwischen D und B und kann gem. § 148 ZPO ausgesetzt werden. Das Gericht, vor dem die Klage des K anhängig ist, muss Feststellungen zur umstrittenen Prozessführungsbefugnis treffen. Geht es von einer wirksamen Prozessermächtigung aus, kann es eine Sachentscheidung treffen, die auch den D als Rechtsinhaber bindet. Die Prozessführungsbefugnis kann er wegen der Interventionswirkung gem. §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO nicht mehr (bzw. nur noch ausnahmsweise gem. § 68 2. Hs. ZPO) bestreiten. Die Klage des D ist wegen entgegenstehender Rechtskraft abzuweisen. Weist das Gericht die Klage des K dagegen mangels Prozessführungsbefugnis als unzulässig ab, steht der Fortsetzung des Prozesses zwischen D und B nichts im Wege.

IV. Ergebnis 1. Einzelergebnisse Die Rechtshängigkeitssperre hat die Aufgabe, überflüssige Prozesse und widersprechende Prozessergebnisse zu vermeiden. Soweit in einem Urteil über einen Gegenstand mit materieller Rechtskraft entschieden wird, muss daher die Rechtshängigkeitssperre parallele Prozesse möglichst verhindern. Daher ist eine Rechtskrafterstreckung durch eine entsprechende Rechtshängigkeitserstreckung nachzuvollziehen. Folglich dürfen Rechtsnachfolger nicht eine eigene Klage erheben, solange noch der Rechtsvorgänger gem. § 265 ZPO oder gem. § 407 Abs. 2 BGB513 um den übergegangenen Anspruch prozessiert. Gleiches gilt für Rechtsinhaber, deren Recht von Dritten in Prozessstandschaft eingeklagt wird und die an das Ergebnis dieses Prozesses gebunden werden, also für die gewillkürte Prozessstandschaft und für Klagen von Insolvenzverwaltern und Testamentsvollstreckern. Stellt der Prozessstandschafter514 den falschen Antrag (etwa auf Leistung an sich anstatt an den Rechtsinhaber), deckt die Rechtshängigkeitssperre auch den korrekten Antrag ab. Der Rechtsinhaber muss abwarten, dass der Kläger seinen Antrag richtigstellt. Geschieht das nicht, ist eine Rechtskrafterstreckung allerdings zumindest dann ausgeschlossen, wenn die Klage ausschließlich mangels Sachlegitimation abgewiesen wurde. An dieser Stelle löst sich die Rechtshängigkeitssperre vom Antragswortlaut und greift weiter als die materielle Rechtskraft. Dies entspricht den Ergebnissen, die be-

513 § 407 Abs. 2 BGB begründet auch eine Prozessführungsbefugnis des Rechtsvorgängers, vgl. oben Fn. 294. 514 Damit ist auch der Veräußernde gemeint, der gem. § 265 ZPO als Standschafter den Prozess fortführt.

IV. Ergebnis

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reits bezüglich des objektiven Umfangs der Rechtshängigkeitssperre gefunden wurden [vgl. oben B.II.6.e) und B.II.8.]. Wegen der möglichen Rechtskrafterstreckung von stattgebenden Urteilen gem. § 248 AktG sind parallele Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gem. §§ 246, 249 AktG gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO unzulässig. Das betrifft nicht Klagen am selben Gericht. Bei diesen sorgt die spezielle Anordnung der Verbindung gem. §§ 246 Abs. 3 S. 3, 249 Abs. 2 S. 1 AktG für Koordination. Damit bleibt für die Rechtshängigkeitssperre nur ein schmaler Anwendungsbereich, der einen Doppelsitz der Aktiengesellschaft voraussetzt. Nur dann kann es wegen der Zuständigkeitskonzentration gem. § 246 Abs. 3 S. 1 AktG parallel zuständige Gerichte geben. Die Rechtshängigkeitssperre kann aber auch über die Reichweite der Rechtskraft hinaus Dritte erfassen. Gesetzlicher Modellfall sind Kindschaftssachen gem. § 640 ZPO. Diese Untersuchung konzentrierte sich auf Abstammungsprozesse. § 640c Abs. 2 ZPO verbietet anderweitige entsprechende Klagen, ohne Rücksicht auf den Kläger. Es spielt auch keine Rolle, ob das laufende Verfahren für den klagebereiten Dritten eine rechtskräftige Entscheidung bringen kann. Das Gesetz verbietet umfassend parallele Klagen bezüglich der Abstammung desselben Kindes. Das erklärt sich durch den für die Beteiligten bedeutsamen und sensiblen Gegenstand des Verfahrens. Abgesehen von dieser Spezialvorschrift kann auch § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO eine Rechtshängigkeitssperre über die von der Rechtskraft betroffenen Personen hinaus begründen. Grundlage sind die Zielsetzungen dieser Vorschrift, die Prozesswirtschaftlichkeit schaffen und widersprechende Entscheidungen verhindern soll. Insbesondere müssen die Prozessbeteiligten so gut wie möglich vor doppelter Verteidigungslast geschützt und die Gerichte vor unnötiger Inanspruchnahme bewahrt werden. Je nach materiell-rechtlicher Ausgangslage kann es daher geboten sein, dem klagewilligen Dritten die Klage zu verbieten und ihm aufzugeben, das Ergebnis des ersten Prozesses abzuwarten. Diese Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre ist leichter begründbar, wenn dem Dritten ein Weg eröffnet ist, sich am laufenden Verfahren zu beteiligen. Die Rechtskraft muss dagegen im Einzelfall enger gezogen werden. Wegen ihrer Endgültigkeit muss sie gesteigerte Rücksicht auf den Anspruch auf rechtliches Gehör des Dritten nehmen. Bei der Rechtshängigkeitssperre ist man wegen deren nur vorübergehender Wirkung in der Ausgestaltung freier. Das Zusammenspiel von Beteiligungsmöglichkeit im laufenden Prozess und Rechtshängig-keitssperre lässt sich gut an Klagen mehrerer Pfändungsgläubiger gegen den Drittschuldner auf Hinterlegung gem. §§ 856, 853 ZPO darstellen. Klagt ein Gläubiger, haben die übrigen Gläubiger ein Anschlussrecht gem. § 856 Abs. 2 ZPO. Eine Rechtskrafterstreckung ist gem. § 856 Abs. 4, 5 ZPO erst möglich, wenn die Gläubiger beigeladen wurden. Auch vor der Beiladung

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

sind parallele Klagen an anderen Gerichten unzulässig. Die übrigen Gläubiger sollen gehalten werden, ihr Anschlussrecht zu nutzen. Dadurch werden der Drittschuldner vor vielfacher Vereidigungslast und die Gerichte vor mehrfachen Prozessen geschützt. Ähnlich ist die Interessenlage bei Klagen von Mitberechtigten gem. §§ 2039, 432 BGB. Auch hier klagt jeder Mitberechtigte auf Leistung an alle oder auf Hinterlegung. Daher sollte erwogen werden, die Vorschrift des § 856 Abs. 2 ZPO analog anzuwenden. Dann wäre die Rechtshängigkeitssperre gegenüber den übrigen Mitberechtigten leichter zu begründen: Sie sollen sich an der laufenden Klage beteiligen. Aber auch ohne adäquate Beteiligungsmöglichkeit muss zum Schutze des Schuldners die Rechtshängigkeitssperre eingreifen. Da ein Prozesssieg wirtschaftlich allen Mitberechtigten nutzt, müssen sie zunächst abwarten, ob schon die Klage des einen Mitberechtigten den von ihnen gewünschten Erfolg bringt. Ist das nicht der Fall, haben sie immer noch Gelegenheit, in einer nachfolgenden Klage die Durchsetzung ihrer Rechte zu versuchen. Mit vergleichbaren Argumenten ist auch die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre bei der Gesamtschuld und der Gesamtgläubigerschaft zu begründen. In beiden Konstellationen bringt die Erfüllung eines Anspruchs auch die übrigen Ansprüche zum Erlöschen. Deswegen ist bei der Gesamtgläubigerschaft im Interesse des Schuldners und im öffentlichen Interesse an schonendem Umgang mit den Justizressourcen die Rechtshängigkeitssperre auch auf noch nicht klagende Gesamtgläubiger zu erweitern, auch wenn sie keine ausreichende Beteiligungsmöglichkeit haben sollten. Bei der Gesamtschuldnerschaft soll die Rechtshängigkeitssperre einerseits einen unnötigen Prozess verhindern, andererseits den Gläubiger dazu bringen, die Schuldner in einem Prozess zu verklagen, wenn er gleichzeitig gegen sie vorgehen will. Eine einheitliche Zuständigkeit eines Gerichts ermöglicht § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Dagegen wird die Rechtshängigkeitssperre nicht bei akzessorischer Haftung auf Dritte erstreckt. Eine Klage gegen den Bürgen sperrt daher nicht die Klage gegen den Hauptschuldner und umgekehrt, ebenso wenig sperrt eine Klage gegen die Gesellschaft eine weitere Klage gegen persönlich haftende Gesellschafter. Auch wenn hier eine gemeinsame Klage auf Grundlage von §§ 59, 60, 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO möglich wäre, ist die Rechtshängigkeitssperre nicht das geeignete Koordinationsinstrument. Die Klage wegen der Hauptschuld und die Klage wegen der akzessorischen Haftung stehen in einem Präjudizialitätsverhältnis. Auf die akzessorische Haftung zugeschnitten ist die Aussetzung gem. § 148 ZPO. Sie erlaubt eine optimale Abstimmung beider Verfahren unabhängig von der zeitlichen Reihenfolge der Rechtshängigkeit, indem sie die Übernahme des einen Prozessergebnisses für die Beurteilung einer Vorfrage im ausgesetzten Verfahren gestattet.

IV. Ergebnis

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Ebenfalls nicht ein Fall für die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre ist die alternative Berechtigung. Wenn zwei Personen als exklusiv Berechtigte klagen, kommt eine Sperre der einen Klage durch die andere nicht in Frage. Die Leistung durch den Schuldner an den letztlich falschen Prätendenten bleibt für den Anspruch des Rechtsinhabers ohne Einfluss. Dem Prätendenten, der die zweite Klage erheben will, steht keine ausreichende Beteiligungsmöglichkeit an dem zuerst begonnenen Prozess offen. Der doppelt in Anspruch genommene Schuldner hat allerdings ein schützenswertes Interesse daran, sich nicht parallel verteidigen zu müssen und womöglich beide Prozesse zu verlieren. Ihm steht die Streitverkündung zur Verfügung. Durch die Interventionswirkung gem. §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO erfährt er eine gewisse Absicherung gegen die Gefahr des doppelten Prozessverlusts. Zugleich wird dadurch die Voraussetzung für eine Aussetzung gem. § 148 ZPO geschaffen. Vergleichbar ist die Situation bei einer bestrittenen Prozessstandschaft. Aus Sicht des Rechtsinhabers klagt dann wie bei alternativer Berechtigung der falsche Kläger, weshalb der Zwang zum Warten durch die Rechtshängigkeitssperre dem Rechtsinhaber nicht zuzumuten ist. Wiederum obliegt es dem angeblichen Schuldner, durch eine Streitverkündung für die Voraussetzungen einer Aussetzung zu sorgen, um doppelte Prozessführung und die Gefahr doppelten Unterliegens zu vermeiden. Dieser Lösung liegt als Prämisse zugrunde, dass die Interventionswirkung gem. §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO auch die Feststellungen zur Prozessführungsbefugnis erfasst. Entsprechend der alternativen Berechtigung ist auch der Fall der alternativen Schuldnerschaft zu lösen. Es obliegt dann dem angeblichen Gläubiger, mittels Streitverkündung eine Koordination durch Aussetzung zu ermöglichen. Das wird regelmäßig in seinem Interesse liegen. Dazu gehört auch der Fall, dass trotz einer Rechtsnachfolge der Rechtsvorgänger klagt, weil er die Wirksamkeit des Rechtsübergangs bestreitet. Anders liegt es nur, wenn aufgrund einer Verfahrensvorschrift der Rechtsvorgänger zur Prozessführung befugt ist, etwa gem. § 265 ZPO oder § 407 Abs. 2 BGB. Dann ist eine Rechtskrafterstreckung möglich und deswegen auch die Rechtshängigkeitssperre zu erstrecken. 2. Mögliche Einwände Betrachtet man diese Einzelergebnisse, so fällt auf, dass die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre in vielen Fällen auf Praktikabilitätserwägungen gestützt wird. Der Dritte soll im Einzelfall erst einmal das Ergebnis eines anderen Prozesses abwarten. Diese Auslegung des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO ist stark am Zweck der Rechtshängigkeitssperre ausgerichtet und betont die Prozessökonomie zu Lasten des Justizgewährungsanspruchs des Klägers im zweiten Verfahren. Sie steht in gewissem Widerspruch zur herrschenden Meinung bei der Aussetzung, die eine analoge Anwendung aus Zweckmäßigkeitserwägungen in wei-

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B. Die Rechtshängigkeitssperre der deutschen ZPO

tem Umfang ablehnt [vgl. oben B.II.6.f)]. Der Widerspruch scheint sich noch zu verstärken, wenn man bedenkt, dass die Rechtshängigkeitssperre zur vollständigen Abweisung der Klage führt und damit die schärfere Koordinationsmaßnahme ist. Die Rechtshängigkeitssperre kann aber dennoch teleologisch großzügiger ausgedehnt werden. Das liegt erstens an der Tatbestandsstruktur von § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO und § 148 ZPO. Letzterer enthält als einziges Kriterium, mit der das Verhältnis zweier Verfahren bestimmt wird, die Vorgreiflichkeit bzw. Abhängigkeit vom Ergebnis eines anderen Verfahrens. Ein solches Präjudizialitätsverhältnis ist also unverzichtbar, um erkennen zu können, welches Verfahren ausgesetzt werden soll. Lässt man eine tatsächliche Einflussmöglichkeit genügen, so gilt diese meistens gegenseitig mit der Folge, dass die Bestimmung des auszusetzenden Verfahrens unmöglich wird (vgl. oben beispielsweise zum Vorschlag, Verfahren von gleichzeitig klagenden Mitberechtigten auszusetzen [B.III.6.b)] und § 148 ZPO bei parallelen Klagen gegen Versicherungsnehmer und Versicherung im Fall von § 3 PflVG anzuwenden [B.III.11.]. Man müsste dann schon für solche Situationen die Vorrangigkeit des früher rechtshängig gewordenen Verfahrens in den § 148 ZPO hineinlesen. In § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO ist dagegen das Prioritätsprinzip verankert. Man kann den Tatbestand dieser Vorschrift daher vorsichtig teleologisch erweitern und behält immer den Vorrang des früheren Prozesses bei. Zweitens ist ein rein tatsächlicher Einfluss in vielen Fällen spekulativ. Unter Umständen wartet das ausgesetzte Verfahren vergeblich auf einen solchen Einfluss. Die Aussetzung beschränkt aber stets den Justizgewährungsanspruch des Klägers, der Anspruch auf eine zügige Entscheidungsfindung hat. Die nur vage Einflussmöglichkeit rechtfertigt kaum diese Beschränkung. Drittens ist zwar auch nach der hier entwickelten Konzeption der Rechtshängigkeitssperre eine nachfolgende Klage eventuell noch möglich und auch nötig. Die Rechtshängigkeitssperre führt aber durch ihre Abweisung der Klage zu einem gesteigerten Konzentrationseffekt; der abgewiesene Kläger erfährt einen Druck, sein Rechtsschutzbegehren im laufenden Verfahren einzubringen und klären zu lassen. Das ist bei der Aussetzung nicht möglich, weil die Klage noch anhängig bleibt. Man setzt also mit der Rechtshängigkeitssperre eine gegenüber der Aussetzung schärfere Maßnahme ein und erhält dafür einen höheren Konzentrationseffekt. Bleibt nur noch ein weiterer möglicher Einwand zu erwähnen, dass nämlich die hier entwickelte weite Rechtshängigkeitssperre nicht einem Berechtigten die Einrede der Verjährung einbringen darf. Die Gefahr bestünde zum Beispiel bei Mitberechtigten oder bei Gesamtgläubigern. Um die Verjährung zu hemmen, sind die Berechtigten unter Umständen auf Rechtsverfolgungsmaßnahmen angewiesen (vgl. § 204 Abs. 1 BGB). Die vorrangige Klage eines anderen hindert sie aber an einer eigenen Klage. Auch eine Beteiligung an der bereits erhobenen Klage, die entsprechend einer Rechtsverfolgungsmaßnahme die Hemmung

IV. Ergebnis

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auslösen könnte, ist nicht (bei Gesamtgläubigern) bzw. nicht sicher (bei Mitberechtigten, bei denen freilich § 856 Abs. 2 ZPO analog angewendet werden sollte) möglich. Das darf nicht dazu führen, dass sie damit der Verjährung ihres Anspruchs zusehen müssen. Entweder muss die vorrangige Klage analog § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB auch ihren Anspruch hemmen, oder man muss großzügig eine andere Hemmungsvorschrift für den Zeitraum der vorrangigen Klage anwenden, beispielsweise § 203 BGB, indem man Verhandlungen ab dem Zeitpunkt annimmt, an dem der klagewillige Dritte Kontakt mit dem angeblichen Schuldner aufgenommen hat und von diesem auf die bereits erhobene Klage hingewiesen wurde. Auf eine vertiefende Untersuchung muss im Rahmen dieser Arbeit leider verzichtet werden. Im Übrigen wäre die Erweiterung der Rechtshängigkeitssperre über ihre Funktion als vorlaufende Sicherung der Einrede entgegenstehender Rechtskraft unnötig, wenn zwei eigenständige Klagen mit Anträgen, die in einem engem Zusammenhang zueinander stehen, miteinander verbunden werden könnten, und zwar nicht nur gerichtsintern gem. § 147 ZPO, sondern auch gerichtsübergreifend. Die Einführung einer entsprechenden Verweisungsnorm wegen engen Sachzusammenhangs ist verschiedentlich gefordert worden. Gäbe es sie, wäre sie lex specialis zu § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO und würde die Rechtshängigkeitssperre vom hier entwickelten weiten Verständnis auf ihren herkömmlichen Kernbereich zurückdrängen. Albrecht Zeuner515 und Dieter Leipold516 haben eine analoge Anwendung des § 281 ZPO ins Spiel gebracht, um eine Abweisung der Klage wegen weiter gefasster Rechtshängigkeitssperre zu vermeiden. Dieser Vorschlag hat einiges für sich, ihm soll hier aber nicht weiter nachgegangen werden. Mit dieser Arbeit wird in erster Linie untersucht, in welchem Umfang parallele Verfahren an verschiedenen Gerichten mit unterschiedlichen formell Beteiligten verhindert werden können. Als Maßnahme zur Verhinderung paralleler Verfahren wird die Rechtshängigkeitssperre vorgeschlagen. Das bedeutet eine Erweiterung gegenüber dem herkömmlichen Konzept der Rechtshängigkeitssperre. Akzeptiert man diese Erweiterung und will die Klageabweisung vermeiden, dann ist die vorgeschlagene analoge Anwendung des § 281 ZPO lediglich eine Reaktion auf eine erweiterte Rechtshängigkeitssperre.

515 Zeuner FS Lüke (1997), 1003 (1016) für das Verhältnis von Feststellungs- und Leistungsklage. 516 Leipold Wege zur Konzentration von Zivilprozessen (1999) S. 23.

C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO I. Die relevanten Vorschriften Die zentrale Vorschrift zur Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO ist deren Art. 27. Nach dieser Norm muss bei Klagen, die vor Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht wurden, das später angerufene Gericht sein Verfahren aussetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Sobald sie feststeht, hat sich gem. Art. 27 Abs. 2 EuGVO das später angerufene Gericht für unzuständig zu erklären. Art. 27 EuGVO ist anwendbar, sobald Gerichte in zwei Mitgliedstaaten angerufen worden sind. Dabei ist unerheblich, ob ihre Zuständigkeit auf der EuGVO oder auf autonomem nationalem Recht beruht.1 Ist eines der Verfahren dagegen in einem Drittstaat anhängig, greift Art. 27 EuGVO nicht ein.2 Die Vorschrift übernimmt damit den Wortlaut von Art. 21 EuGVÜ,3 das von der EuGVO abgelöst wurde und lediglich noch im Verhältnis zu Dänemark gilt.4 Die Vorgängernorm spielt für die Untersuchung deshalb eine Rolle, weil die wichtigen Entscheidungen des EuGH zur Auslegung noch den Art. 21 EuGVÜ betrafen. Die dort gewonnenen Erkenntnisse sind auf Art. 27 EuGVO zu übertragen. Der Erwägungsgrund Nr. 19 der EuGVO fordert eine Kontinuität zwischen dem EuGVÜ und der EuGVO. Diese Kontinuität bezieht sich auch auf die Interpretation der sich entsprechenden Vorschriften.5 Ferner ist in diesem Zusammenhang Art. 28 Abs. 2 EuGVO zu beachten, der als Rechtsfolge ebenfalls die Abweisung wegen Unzuständigkeit vorsieht und deshalb in der Nähe der Rechtshängigkeitssperre steht [vgl. bereits oben

1 EuGH v. 27.6.1991 (Overseas Union Insurance/New Hampshire Insurance) NJW 1992, 3221; Cheshire/North Private International Law (1999) S. 251. 2 Geimer/Schütze/Försterling Internationaler Rechtsverkehr (2005) B Vor I 10 b Art. 27 Rdnr. 3; Gaedke ÖJZ 1997, 286 (287); Heinze/Dutta IPRax 2005, 224 (228). 3 Wortgleich auch Art. 21 des Übereinkommens von Lugano vom 16.9.1988, Amtsblatt Nr. L 319 vom 25.11.1988. Zu diesem „Parallelübereinkommen“, bei dessen Auslegung der Rechtsprechung des EuGH zum EuGVÜ Rechnung getragen werden soll, vgl. Schack IZVR (2002) Rdnr. 108 ff. 4 Thode BauR 2005, 1533. 5 Geimer/Schütze/Pörnbacher Internationaler Rechtsverkehr (2005) B Vor I 10 b Einleitung Rdnr. 28; Kropholler EuZPR (2005) Einl Rdnr. 40; GA Leger Schlussantrag C-281/02 (Owusu/Jackson) dort Rdnr. 194; Thode BauR 2005, 1533.

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

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A.II.3.c)]. Im Unterschied zu Art. 27 EuGVO steht die Anwendung von Art. 28 Abs. 2 EuGVO im Ermessen des Gerichts.6 Eine Parallelvorschrift zu Art. 27 EuGVO gibt es in Art. 19 EheVO für den Anwendungsbereich der EheVO, d.h. für Ehesachen und Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung. Streitigkeiten aus einer entgeltlichen grenzüberschreitenden Güterbeförderung auf der Straße können zugleich der EuGVO und dem Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) unterfallen. Art. 31 Abs. 1 CMR enthält Zuständigkeitsregeln und Art. 31 Abs. 2 CMR eine Vorschrift zur Rechtshängigkeitssperre. Da Art. 71 EuGVO (bzw. Art. 57 EuGVÜ) derartige Regelungen unberührt lässt, ist Art. 31 Abs. 2 CMR lex specialis und daher vorrangig gegenüber Art. 27 EuGVO anzuwenden.7 Im Zentrum dieser Untersuchung wird Art. 27 EuGVO stehen. Die Vorschrift ist wegen ihrer Voraussetzungen, des in ihr verankerten Prioritätsgrundsatzes und ihrer für die Gerichte zwingenden Beachtung mit § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO vergleichbar. Auf die übrigen Vorschriften soll nur am Rande und nur dort, wo es nötig erscheint, eingegangen werden. II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit: Klagen „wegen desselben Anspruchs“ Die Rechtshängigkeitssperre gem. Art. 27 EuGVO setzt sachliche Identität der parallelen Verfahren voraus. Art. 27 EuGVO in der deutschen Fassung verwendet zur Bestimmung der objektiven Identität das Kriterium „desselben Anspruchs“ [vgl. bereits oben A.II.2.]. Der EuGH hat sich in einer Reihe von Entscheidungen zur objektiven Identität zweier Verfahren geäußert. Seine Rechtsprechung soll im Folgenden dargestellt werden. 1. Die Entwicklung durch den EuGH Der EuGH hatte in der Vergangenheit bereits mehrfach über die Frage zu befinden, ob zwei parallele Verfahren „denselben Anspruch“ im Sinn von Art. 21 Abs.1 EuGVÜ8 betreffen. 6

Rauscher/Leible EuZPR (2004) Art. 28 Brüssel I-VO Rdnr. 11. BGH v. 20.11.2003 ZZP 118 (2005), 95 (97) (= NJW-RR 2004, 497 (498)); Koller Transportrecht (2000) Art. 31 CMR Rdnr. 1; MünchKommHGB/Basedow Band 7 (1997) Art. 31 CMR Rdnr. 9, 11, 13; Staub/Helm HGB Band 7/2 (2002) Anh. VI Art. 31 CMR Rdnr. 3. 8 Die zur EuGVÜ getroffenen Interpretationen des EuGH behalten grundsätzlich auch für die EuGVO Gültigkeit, vgl. oben Fn. 5; speziell für Kontinuität der Rechtsprechung zu Art. 21 EuGVÜ für Art. 27 EuGVO Geimer/Schütze/Försterling Internationaler Rechtsverkehr (2005) B Vor I 10 b Art. 27 Rdnr. 8 a. E. 7

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

a) Die Gubisch-Entscheidung Im Fall Gubisch/Palumbo9 hatte der deutsche Kläger zunächst in Deutschland eine Klage auf Kaufpreiszahlung erhoben. Danach wandte sich der italienische Beklagte dieses Verfahrens an ein italienisches Gericht und klagte dort gegen seinen deutschen Kontrahenten mit dem Hauptantrag auf Feststellung, dass der Kaufvertrag zwischen den beiden nichtig sei. Im italienischen Verfahren erhob der deutsche Beklagte den Einwand der Rechtshängigkeit, worauf schließlich der Corte di cassazione dem EuGH die Frage vorlegte, ob gem. Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ auch dann von Rechtshängigkeit auszugehen sei, wenn eine Partei die Feststellung der Unwirksamkeit eines Vertrags begehrt, während die andere auf Erfüllung desselben Vertrags klagt. Der EuGH stellte in seiner Antwort zunächst klar, dass zur Ermittlung der Rechtshängigkeit nicht auf das diesbezügliche Verständnis der beteiligten nationalen Rechtsordnungen zurückgegriffen werden müsse, sondern dass die in Art. 21 EuGVÜ verwendeten Begriffe autonom aus dem System der EuGVÜ auszulegen seien.10 Die Artt. 21 ff. EuGVÜ dienten der Verhinderung von gegensätzlichen Entscheidungen, die durch parallele Verfahren entstehen können. Die Regelung solle daher soweit wie möglich eine Situation ausschließen, wie sie in Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ (Art. 34 Nr. 3 EuGVO) geregelt ist, nämlich die Nichtanerkennung einer Entscheidung wegen Unvereinbarkeit mit einer inländischen Entscheidung.11 Von dieser Zielvorgabe ausgehend wendet sich der EuGH der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „wegen desselben Anspruchs“ zu. Der deutsche Wortlaut scheint dem EuGH zu wenig aussagekräftig zu sein. Er greift auf die französische Textfassung zurück, die von „demandes ayant le même objet et la même cause“ spricht. Da alle Sprachfassungen den gleichen Sinn haben müssten, sei die deutsche Formulierung ebenso zu verstehen. Beide Rechtsstreitigkeiten müssten also denselben Gegenstand und dieselbe Grundlage haben.12 Dieselbe Grundlage sei im Fall Gubisch gegeben, stellt der EuGH lapidar fest: Diese liege in ein und demselben Vertragsverhältnis, auf dem beide Rechtsstreitigkeiten beruhen.13 Entscheidend sei die Frage, ob beide Klagen auch denselben Gegenstand beträfen. Dazu stellt der EuGH auf den Zweck der Klagen ab, der bei der deutschen Leistungsklage darin liege, den Vertrag wirksam werden zu lassen, während die italienische Feststellungsklage umgekehrt darauf abziele, dem Vertrag die Wirksamkeit zu nehmen. „Kernpunkt“ beider Klage sei somit die 9

EuGH v. 8.12.1987 (Gubisch/Palumbo) NJW 1989, 665 (vgl. auch oben Fn. 67). EuGH v. 8.12.1987 (Gubisch/Palumbo) NJW 1989, 665, dort Rdnr. 11. 11 EuGH v. 8.12.1987 (Gubisch/Palumbo) NJW 1989, 665, dort Rdnr. 8. 12 EuGH v. 8.12.1987 (Gubisch/Palumbo) NJW 1989, 665, dort Rdnr. 14, 15. 13 EuGH v. 8.12.1987 (Gubisch/Palumbo) NJW 1989, 665, dort Rdnr. 15. 10

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

165

Wirksamkeit des Vertrags. Man könne die zweite italienische Klage sogar als bloßes Verteidigungsmittel gegen die erste Klage betrachten.14 Die parallelen Verfahren haben also, so der EuGH, denselben Gegenstand. Auf die formale Identität komme es dabei nicht an. Dieses Ergebnis überprüft der EuGH anhand des Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ: Zweifellos würde ein Leistungsurteil, das die eine Partei zur Zahlung des Kaufpreises und damit zur Erfüllung des Vertrags verurteilte, in einem anderen Staat nicht anerkannt, in dem ein inländisches Urteil die Unwirksamkeit eben jenes Vertrags feststellte.15 b) Die Tatry-Entscheidung In der zweiten Entscheidung Tatry/Maciej Ratej16 baute der EuGH auf diesen Aussagen auf und präzisierte sie. Das Schiff Tatry hatte Ladung von verschiedenen Eigentümern nach Rotterdam transportiert. Beim Entladen stellte sich eine Verunreinigung der Ladung heraus. Die Schiffseigner erhoben Klage gegen einen Teil der Ladungseigentümer vor einem niederländischen Gericht auf Feststellung, dass sie keinerlei Verpflichtung zum Schadensersatz treffe. Die Ladungseigentümer klagten daraufhin vor einem englischen Gericht gegen die Schiffseigner auf Leistung des Schadensersatzes. Der Court of Appeal legte dem EuGH unter anderem17 die Frage vor, ob Rechtshängigkeit im Sinn von Art. 21 EuGVÜ vorliege, wenn die eine Partei in einem Staat die gerichtliche Feststellung begehrt, dass sie der anderen Partei wegen angeblicher Beschädigung der Schiffsladung nicht hafte, und diese andere Partei den Kläger des Erstverfahrens in einem anderen Staat wegen der beschädigten Ladung auf Ersatz des entstandenen Schadens verklagt. Der EuGH bezog sich in seinen Entscheidungsgründen zunächst auf die Entscheidung Gubisch/Palumbo und bekräftigte, dass die Begriffe in Art. 21 EuGVÜ autonom auszulegen seien und dabei der Zweckzusammenhang mit Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ zu beachten sei.18 In seiner Antwort auf die Frage nahm er wieder die seiner Meinung nach aussagekräftigere französische Vertragsfassung zu Hilfe, da die englische Fassung nur von „same cause of action“ spricht. Unter „Grundlage“ des Anspruchs seien, so präzisiert der EuGH gegenüber seinen Ausführungen in Gubisch/Palumbo, der Sachverhalt und die Rechtsvor14

EuGH v. 8.12.1987 (Gubisch/Palumbo) NJW 1989, 665, dort Rdnr. 16. EuGH v. 8.12.1987 (Gubisch/Palumbo) NJW 1989, 665, dort Rdnr. 18. 16 EuGH v. 6.12.1994 (The Tatry/The Maciej Rataj) IPRax 1996, 108 (vgl. auch oben Fn. 67). 17 Zum Sachverhalt und den anderen Fragen des Court of Appeal ausführlicher Bäumer Ausländische Rechtshängigkeit (1999) S. 138 ff. 18 EuGH v. 6.12.1994 (The Tatry/The Maciej Rataj) IPRax 1996, 108, dort Rdnr. 30, 32. 15

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

schriften zu verstehen, auf die die Klage gestützt wird. Da beide Klagen dieselbe Bulkladung betreffen, die unter denselben Umständen beschädigt wurde, hätten beide Klagen dieselbe Grundlage.19 Auch hinsichtlich der Interpretation des „Gegenstands“ einer Klage wird der EuGH deutlicher: Dieser bestehe im Zweck der Klage.20 Im Mittelpunkt beider Verfahren stehe die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens der Haftung, beide Verfahren haben daher denselben Gegenstand. Auf die Formulierung der Anträge komme es daher nicht an.21 c) Die Mærsk-Entscheidung In einer neueren Entscheidung des EuGH22 hatte ein niederländischer Kutter Öl- und Gasleitungen der Firma Mærsk in der Nordsee beschädigt. Die Schiffeigentümer stellten in der Folge bei einem niederländischen Gericht Antrag auf Beschränkung ihrer Haftung. Kurz darauf erhob Mærsk vor einem dänischen Gericht Klage auf Schadensersatz gegen die Schiffseigentümer. In den Niederlanden erging im weiteren Verlauf ein Beschluss, in dem die begehrte Haftungsbeschränkung festgesetzt und ein Haftungsbeschränkungsfond angeordnet wurde. Eine mögliche Kassationsbeschwerde legte Mærsk nicht ein und meldete beim eingerichteten Fond trotz Aufforderung keine Ansprüche an, sondern verfolgte vor einem dänischen Gericht eine Schadensersatzklage gegen den Schiffseigentümer. Das dänische Gericht fragte sich nun, ob das niederländische Verfahren zur Errichtung eines Haftungsbeschränkungsfonds ein Verfahren im Sinn von Art. 21 EuGVÜ sei. Der EuGH erinnert in seiner Antwort zunächst an den Zweck des Art. 21 EuGVÜ, unvereinbare Entscheidungen zu vermeiden. Zu diesem Zweck sei die Vorschrift weit auszulegen.23 Das niederländische Verfahren zur Errichtung eines Haftungsbeschränkungsfonds sei sicherlich auch eine „Klage“ im Sinn von Art. 21 EuGVÜ, müsse aber denselben Gegenstand und dieselbe Grundlage wie die dänische Schadensersatzklage haben.24 Der EuGH stellt dazu fest, dass die Klagen „offensichtlich nicht“ denselben Gegenstand hätten. Die Schadensersatzklage ziele auf die Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs ab, während 19 EuGH v. 6.12.1994 (The Tatry/The Maciej Rataj) IPRax 1996, 108, dort 39, 40. 20 EuGH v. 6.12.1994 (The Tatry/The Maciej Rataj) IPRax 1996, 108, dort 41. 21 EuGH v. 6.12.1994 (The Tatry/The Maciej Rataj) IPRax 1996, 108, dort 43. 22 EuGH v. 14.10.2004 (Mærsk Olie & Gas/Firma M. de Haan en W. de EuLF 2004, 282. 23 EuGH v. 14.10.2004 (Mærsk Olie & Gas/Firma M. de Haan en W. de EuLF 2004, 282, dort Rdnr. 32. 24 EuGH v. 14.10.2004 (Mærsk Olie & Gas/Firma M. de Haan en W. de EuLF 2004, 282, dort Rdnr. 34.

Rdnr. Rdnr. Rdnr. Boer) Boer) Boer)

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das niederländische Verfahren die Beschränkung dieser Haftung, sollte sie denn bestehen, erreichen soll.25 Wiederum wird also auf den Zweck der Klage abgestellt, ohne allerdings die Tatry-Entscheidung zu erwähnen. Auch die Tatsache, dass im niederländischen Verfahren das Bestehen des im dänischen Verfahren eingeklagten Anspruchs geprüft wird und im dänischen Verfahren der Schuldner Einwendungen erheben kann, könne zu keinem anderen Ergebnis führen. Zur Bestimmung des Gegenstands seien nur die Klageansprüche maßgeblich, nicht auch die vorgebrachten Einwendungen. Zudem erkennt der EuGH auch keine Übereinstimmung in der Grundlage, die, so wiederholt der EuGH seine Formulierung aus der Tatry-Entscheidung, aus dem Sachverhalt und den rechtlichen Regelungen, die der Klage zugrundegelegt werden, bestehe. Möge hier auch derselbe Sachverhalt in beiden Klagebegründungen gegeben sein, so beruhe der geltend gemachte Schadensersatz auf außervertraglicher Haftung, während die Haftungsbeschränkung auf der Grundlage eines internationalen Übereinkommens über die Beschränkung der Haftung der Eigentümer von Seeschiffen vom 10.10.1957 beantragt werde.26 Das Ergebnis des EuGH entspricht der Sichtweise englischer Gerichte, die sich bereits mit der Frage des Verhältnisses von Haftungsbeschränkungsverfahren und paralleler Haftungsklage auseinandersetzen mussten. In England geht man davon aus, dass beide Verfahren nebeneinander geführt werden können.27 2. Der Zusammenhang mit der Unvereinbarkeitsregel In seinen Entscheidungen zur Rechtshängigkeit hat der EuGH stets den Zusammenhang mit Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ (Art. 34 Nr. 3 EuGVO) herausgestellt: Die Rechtshängigkeitssperre habe den Zweck, so weit wie möglich das Entstehen miteinander unvereinbarer Gerichtsentscheidungen zu vermeiden.28 Das EuGVÜ wolle die weitestmögliche Anerkennung von Urteilen in seinem Geltungsbereich erreichen.29 Die Nichtanerkennung wegen Unvereinbarkeit mit einer anderen Entscheidung sei ein Störfall, den es zu verhindern gelte. Es ist aber längst noch nicht geklärt, wann zwei Entscheidungen miteinander unvereinbar sind. Für „unvereinbar“ kann man schon Urteile halten, die in ein25 EuGH v. 14.10.2004 (Mærsk Olie & Gas/Firma M. de Haan en W. de Boer) EuLF 2004, 282, dort Rdnr. 35. 26 EuGH v. 14.10.2004 (Mærsk Olie & Gas/Firma M. de Haan en W. de Boer) EuLF 2004, 282, dort Rdnr. 38. 27 Saipem SpA v Dredging VO2 BV (The Volvox Hollandia) [1988] 2 Lloyd’s Rep 361 (371 Kerr L.J.) (CA); generell dazu P. Huber Die englische forum-non-conveniens-Doktrin (1994) S. 105 f. 28 EuGH v. 8.12.1987 (Gubisch/Palumbo) NJW 1989, 665 dort Rdnr. 8; EuGH v. 6.12.1994 (Tatry/Maciej Rataj) IPRax 1996, 108 dort Rdnr. 32. 29 Vgl. auch Kropholler EuZPR (2005) Art. 34 Rdnr. 1 m.w. N.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

zelnen Punkten der Urteilsbegründung entgegengesetzte Aussagen treffen bzw. sich in Feststellungen zu gemeinsamen präjudiziellen Rechtsverhältnissen widersprechen;30 man kann aber auch einen Widerspruch im Urteilsausspruch verlangen.31 a) Die Rechtsprechung des EuGH In der Entscheidung Hoffmann/Krieg32 wollte die ehemalige Ehefrau gegen ihren geschiedenen Mann einen in Deutschland ergangenen Beschluss wegen Trennungsunterhalts in den Niederlanden vollstrecken, wo der Mann mittlerweile lebte. Der Mann hatte jedoch bereits in den Niederlanden erfolgreich die Scheidung der Ehe betrieben. Dieses Urteil war in Deutschland noch nicht anerkannt. (Es fiel nicht in den Anwendungsbereich der EuGVÜ und wurde daher nicht automatisch anerkannt, sondern musste erst noch durch die Landesjustizverwaltung gem. Art. 7 § 1 FamRÄndG anerkannt werden.33) Mit Rechtsbehelf im niederländischen Vollstreckungsverfahren machte der Ehemann die Scheidung der Ehe in den Niederlanden geltend, weshalb er auch keinen (ehelichen) Trennungsunterhalt mehr schulde. Der Hoge Raad der Nederlanden legte dem EuGH die Frage vor, ob der deutsche Beschluss betreffend den Trennungsunterhalt mit dem niederländischen Scheidungsurteil unvereinbar und deshalb nicht anzuerkennen sei. Der EuGH stellte zunächst fest, dass sich die Wirkungen eines Urteils grundsätzlich nach dem Recht des Urteilsstaats bestimmen.34 Die Unvereinbarkeit zweier Entscheidungen beurteilt der EuGH danach, ob die zwei Entscheidungen Rechtsfolgen haben, die sich gegenseitig ausschließen.35 Im konkreten Fall sei diese Voraussetzung erfüllt, denn die ausländische Entscheidung zum Trennungsunterhalt setze notwendig das Bestehen der Ehe voraus, diese sei aber durch die inländische Entscheidung geschieden worden. b) Rezeption der Rechtsprechung Diese Entscheidung des EuGH ist vielfach kritisiert worden. Es wurde eingewandt, dass die beiden Gerichtsentscheidungen eben keine sich widersprechenden Rechtsfolgen bewirkten; das Scheidungsurteil treffe hinsichtlich des Tren-

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MünchKommZPO/Gottwald Band 3 (2001) Art. 27 EuGVÜ Rdnr. 31. Lenenbach Unvereinbarkeiten (1997) S. 114. 32 EuGH v. 4.2.1988 (Hoffmann/Krieg) NJW 1989, 663 (= Slg. 1988, 645 = IPRax 1989, 159). 33 Schack IPRax 1989, 139. 34 EuGH v. 4.2.1988 (Hoffmann/Krieg) NJW 1989, 663, dort Rdnr. 11. 35 EuGH v. 4.2.1988 (Hoffmann/Krieg) NJW 1989, 663, dort Rdnr. 22. 31

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nungsunterhalts selbst überhaupt keine Regelung, ebenso wie sich der Trennungsunterhaltsbeschluss nicht zum Bestand der Ehe äußere.36 Zwar seien die Betrachtungen des EuGH materiell-rechtlich zutreffend, denn das Scheidungsurteil setze dem Trennungsunterhalt ein zeitliches Ende,37 aber darauf komme es nicht an. Das Vorgehen des EuGH sei in der Sache eine revision au fond, die nach Art. 29 EuGVÜ/Art. 36 EuGVO verboten sei.38 Man hätte den Unterhaltsschuldner auf den Rechtsschutz gegen den Unterhaltstitel im Urteilsstaat (also Deutschland) verweisen müssen.39 Zudem widerspreche sich der EuGH selbst, wenn er einerseits feststelle, die ausländische Entscheidung müsse im Anerkennungsstaat dieselben Wirkungen haben wie im Urteilsstaat, andererseits nehme er einander ausschließende Rechtsfolgen an, obwohl das Scheidungsurteil keine Wirkung hinsichtlich des Trennungsunterhalts habe wie auch umgekehrt.40 Die Auslegung des Begriffs „Unvereinbarkeit“ solle sich streng an den nationalen Rechtskraftwirkungen orientieren. Unvereinbare Entscheidungen seien daher nur solche, die sich in ihren nach nationalem Recht zu bestimmenden Rechtskraftwirkungen gegenseitig ausschließen. Mit dieser Definition würde der Anwendungsbereich von Art. 34 Nr. 3 EuGVO (Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ) in wünschenswerter Weise eng gezogen.41 Sicherlich ist richtig, dass ein direkter Widerspruch im Ausspruch beider Entscheidungen nicht existiert. Allerdings betraf das Scheidungsverfahren ein präjudizielles Rechtsverhältnis für die Entscheidung über den Trennungsunterhalt. Insofern liegt die Entscheidung Hoffmann/Krieg auf der Linie der Gubisch-Entscheidung, in der Unvereinbarkeit auch zwischen einem Urteil über das Bestehen eines Kaufvertrags und einem Urteil über einen daraus resultierenden Kaufpreisanspruch für möglich gehalten wurde. Ein deutsches Urteil über den Kaufpreisanspruch würde aber keine rechtskraftfähige Entscheidung über die Wirksamkeit des Kaufvertrags treffen [als präjudizielles Rechtsverhältnis nicht von der Rechtskraft erfasst, vgl. oben B.II.6.a) bei Fn. 176], wie auch ein italienisches Urteil nicht über den Kaufpreisanspruch befindet.42 Der EuGH greift also für die Bestimmung der Unvereinbarkeit offensichtlich nicht auf die 36

Schack IPRax 1989, 139 (141). Linke RIW 1988, 822 (825). 38 Lenenbach Unvereinbarkeiten (1997) S. 131. 39 Linke RIW 1988, 822 (825); MünchKommZPO/Gottwald Band 3 (2001) Art. 27 EuGVÜ Rdnr. 37 a. E. 40 Lenenbach Unvereinbarkeiten (1997) S. 132. 41 Lenenbach Unvereinbarkeiten (1997) S. 132; zustimmend Adolphsen ZZPInt 3 (1998), 249 (257); für eine enge Interpretation wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift auch Leipold GS Arens (1993), 227 (234); a. A. Nieroba Die europäische Rechtshängigkeit (2006) S. 199: Ein solch enges Verständnis von Unvereinbarkeit liefe darauf hinaus, den Art. 34 Nr. 3 EuGVO zu einem Einwand entgegenstehender Rechtskraft nach prozessualer Theorie zu verkürzen. 42 Leipold GS Arens (1993), 227 (234); Lenenbach EWS 1995, 361 (365). 37

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Rechtskraftwirkungen nach nationalem Recht zurück.43 „Rechtsfolge“ im Sinn der Hoffmann-Entscheidung ist also nicht gleichbedeutend mit „Rechtskraftwirkung“ des Urteils.44 Es stellt sich auch die Frage, ob Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ bzw. Art. 34 Nr. 3 EuGVO eine echte Urteilskollision, in der sich zwei Urteile in ihrem Ausspruch widersprechen, überhaupt fordert. Für die Sicht des EuGH spricht der Wortlaut des Art. 34 Nr. 3 EuGVO (wie auch des Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ), der anders als Art. 34 Nr. 4 EuGVO keine Urteile aus Rechtsstreitigkeiten „wegen desselben Anspruchs“ voraussetzt und damit kein Tatbestandsmerkmal enthält, das eine objektive Identität der Urteile oder auch nur der vorangegangenen Verfahren verlangt.45 Dagegen spricht auch, dass die nationalen Rechtskraftwirkungen nicht selten sehr eng sind und daher in weitem Umfang Entscheidungen nebeneinander zuließen, wie an der Gubisch-Entscheidung nachzuvollziehen ist. Man muss den Sachverhalt aus der Gubisch-Entscheidung nur etwas verändern, um sich die Interessenlagen der Beteiligten zu verdeutlichen: Nehmen wir an, der italienische Kläger hätte unabhängig von einer deutschen Leistungsklage in Italien die Feststellung der Vertragsunwirksamkeit beantragt und auch erreicht. Nun will der deutsche Beklagte ein eigenes deutsches Leistungsurteil vollstrecken, das – warum auch immer – neben dem italienischen Urteil ergangen ist. Es wäre eigenartig, den italienischen Kläger auf formale Unterschiede im Ausspruch beider Urteile zu verweisen und ein Nebeneinander beider Urteile zu erlauben.46 Schließlich wird er seine Klage mit der Intention geführt haben, dass gegen ihn keinerlei Ansprüche aus dem Vertrag erhoben werden. Ihm darf kein Nachteil erwachsen, weil er nicht zusätzlich auch die Feststellung beantragt hatte, dass keine Ansprüche aus dem Vertrag erwachsen. Das ist eine Selbstverständlichkeit und bedarf keines gesonderten Antrags. Würde beiden Klagen 43 Entsprechend dem ausdrücklichen Vorschlag des GA Darmon Schlussantrag Rs. 145/86 (Hoffmann/Krieg) Slg. 1987, 654 (655). 44 So verstehen den EuGH auch Adolphsen ZZPInt 3 (1998), 249 (254 f.); Bäumer Ausländische Rechtshängigkeit (1999) S. 158 Fn. 580; Nieroba Die europäische Rechtshängigkeit (2006) S. 193. 45 Vgl. Geimer/Schütze EuZPR (2004) A.1 Art. 34 Rdnr. 168; Geimer/Schütze/ Tschauner Internationaler Rechtsverkehr (2005) B Vor I 10 b Art. 34 Rdnr. 55; Kropholler EuZPR (2005) Art. 34 Rdnr. 49; Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) Art. 34 EuGVVO Rdnr. 17; a. A. Schack IZVR (2002) Rdnr. 859; Adolphsen ZZPInt 3 (1998), 249 (255) mit der Ansicht, dass der EuGH den durch die „Kernpunkttheorie“ bestimmten Streitgegenstand auch bei Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ anwende und zwei Urteile für unvereinbar halte, die über denselben Kernpunkt unterschiedlich befinden. Eine gewagte Analyse, denn im Zusammenhang mit Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ verwendet der EuGH den „Kernpunkt“-Begriff nicht. 46 Zur Erinnerung: Wenn es sich um einen rein deutschen Fall gehandelt hätte, wäre die Restitutionsklage der richtige Weg bzw. es könnten je nach Reihenfolge der Urteile auch beide Urteile in einem Spannungsverhältnis nebeneinander bestehen. Vgl. dazu unten Fn. 57. Gem. Art. 34 Nr. 3 EuGVO bzw. Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ gebührt inländischen Urteilen aber absoluter Vorrang.

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stattgegeben und behielten beide Urteile nebeneinander ihre Wirksamkeit, dann könnte der siegreiche italienische Kläger unter Berufung auf sein Feststellungsurteil den Betrag zurückfordern, den der deutsche Kläger zuvor aufgrund seines Leistungsurteils vollstreckt hat. Alice Nieroba weist zu Recht darauf hin, dass in diesem Rückforderungsprozess die Unvereinbarkeit beider Urteile offen zu Tage trete.47 Daher verdient die Feststellung des EuGH zur Unvereinbarkeit eines deutschen Leistungsurteils und eines italienischen Feststellungsurteils, das den anspruchsbegründenden Vertrag für unwirksam erklärt, Zustimmung. Und diese Betrachtungen zum Fall Gubisch machen plausibel, weshalb der EuGH die Unvereinbarkeit gem. Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ (Art. 34 Nr. 3 EuGVO) nicht auf reine Rechtskraftkollisionen begrenzen wollte. Der EuGH hat denn auch in einer späteren Entscheidung die Forderung aus der Wissenschaft nach engerer Auslegung und strikter Ausrichtung auf die nationalen Rechtskraftwirkungen nicht aufgenommen, sondern sich auf die Formeln aus der Entscheidung Hoffmann/Krieg bezogen und sie bekräftigt.48 Die Unvereinbarkeit müsse sich bei den Wirkungen gerichtlicher Entscheidungen zeigen. Da damit nicht die Rechtskraftwirkungen gemeint sein können, stellt sich die Frage, auf welche Wirkungen es sonst ankommt. Über den Einzelfall hinausgehende greifbare Kriterien werden nicht recht deutlich.49 Die Analysen in der Literatur sind nicht einheitlich; der EuGH erhält immerhin viel Zustimmung in seiner vertragsautonomen Interpretation des Begriffs „unvereinbar“, die sich nicht am nationalen Verständnis des Begriffs in den Mitgliedstaaten orientiert.50 Teilweise wird aus der Rechtsprechung des EuGH gefolgert, dass es genüge, wenn beide Urteile nach ihrem materiell-rechtlichen Zusammenhang nicht richtig sein können.51 Nach anderer Meinung sind Entscheidungen unvereinbar, die entweder in ihrem Ausspruch oder aber in besonders krasser Weise in den Entscheidungsgründen widersprüchlich sind.52 Einer dritten Meinung zufolge besteht Unvereinbarkeit zwischen zwei Urteilen, die sich entweder in ihrem jeweiligen Urteilsausspruch (Tenor) widersprechen, die gemeinsame präjudizielle Rechtsverhältnisse unterschiedlich beurteilen oder von denen eines im Ergebnis eine wirtschaftliche Vermögensposition entzieht, die 47

Nieroba Die europäische Rechtshängigkeit (2006) S. 197. EuGH v. 6.6.2002 (Italian Leather/WECO Polstermöbel) NJW 2002, 2087 dort Rdnr. 40, 44. 49 Dies beklagen auch Adolphsen ZZPInt 3 (1998), 249 (251) und Geimer/Schütze EuZPR (2004) A.1 Art. 34 Rdnr. 167; vgl. auch Oberhammer IPRax 2002, 424 (428): Was eine unvereinbare Entscheidung sein soll, sei bis dato noch nicht ganz klar. 50 M. Koch Unvereinbare Entscheidungen (1993) S. 21 ff.; Musielak/Weth ZPO (2005) Art. 34 EuGVO Rdnr. 9; Schack IZVR (2002) Rdnr. 859; Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) Art. 34 EuGVVO Rdnr. 17. 51 Leipold GS Arens (1993), 227 (240). 52 MünchKommZPO/Gottwald Band 3 (2001) Art. 27 EuGVÜ Rdnr. 36 a. E. 48

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das andere zugesprochen hat.53 Unmaßgeblich sei dabei stets, ob sich der Widerspruch aus einer unterschiedlichen Sachverhaltsfeststellung oder Wertung, etwa im Rahmen der Verschuldensbeurteilung, oder aber allein aus der Anwendung unterschiedlicher Rechtsordnungen ergibt.54 Im Fall Gubisch wäre es, wenn das deutsche Gericht die Wirksamkeit des Vertrags anders als das italienische Gericht beurteilt, demgemäß gleichgültig, ob die Differenzen auf unterschiedlichen Tatsachenfeststellungen nach der Beweisaufnahme beruhen oder ob beide Gerichte dieselben Tatsachen erkennen, die vom italienischen Gericht angewendete Rechtsordnung (beispielsweise das italienische Zivilrecht) aber andere Rechtsfolgen aus diesem Sachverhalt herleitet als die vom deutschen Gericht angewendete Rechtsordnung (beispielsweise das BGB).

c) Analyse Weitestgehend unbestritten ist, dass zwar die Identität der Streitgegenstände nach deutschem Verständnis nicht Voraussetzung ist, dass aber stets zumindest widersprechende Urteile mit identischem Streitgegenstand oder über das kontradiktorische Gegenteil unter Art. 34 Nr. 3 EuGVO fallen.55 Vergleicht man die Entscheidungen Hoffmann/Krieg und Gubisch, so fällt die Gemeinsamkeit auf, dass jeweils in einem Verfahren Rechtsverhältnisse (der Kaufvertrag bzw. das Eheverhältnis) Gegenstand waren, die im anderen Verfahren als Vorfrage entscheidungserheblich waren. Beide Verfahren standen in einem Präjudizialitätsverhältnis [vgl. oben A.III.1.b)]. Lässt man die Frage der zeitlichen Reihenfolge der Entscheidungen einmal beiseite, dann könnte prinzipiell die eine Entscheidung durch ihre präjudizielle Rechtskraftwirkung (im Fall Gubisch) oder (wie im Fall Hoffmann/Krieg) durch ihre Gestaltungswirkung Einfluss auf das Ergebnis der anderen Entscheidung ausüben. Die Sicht des EuGH auf den Begriff „Unvereinbarkeit“ könnte folglich auch so zu verstehen sein, dass es dem Anerkennungsstaat erlaubt wird zu überprüfen, ob ein ausländisches Urteil zum Zeitpunkt des Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsverlangens auch als inländisches Urteil noch erlassen werden könnte. Müsste ein zu diesem Zeitpunkt bereits ergangenes inländisches Urteil in seinen Rechtswirkungen, ob nun direkt oder präjudiziell, beachtet werden und hat das ausländische Urteil dies nicht getan, dann muss es gem. Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVO nicht anerkannt werden.56 Ob eine Beachtung überhaupt möglich oder nicht vielmehr wegen des zeitlich früheren Urteilserlasses im Ausland sogar ausgeschlossen war, 53

M. Koch Unvereinbare Entscheidungen (1993) S. 45. M. Koch Unvereinbare Entscheidungen (1993) S. 35 f. 55 Rauscher/Leible EuZPR (2004) Art. 34 Brüssel I-VO Rdnr. 45 a. E.; Schack IZVR (2002) Rdnr. 859; Schlosser EU-ZPR (2003) Art. 34–36 EuGVVO Rdnr. 22. 56 Ähnlich Schlosser EU-ZPR (2003) Art. 34–36 EuGVVO Rdnr. 22: Ein ausländisches Urteil ist dann mit einem deutschen unvereinbar, wenn es entweder denselben Streitgegenstand anders entscheidet oder auf Prämissen aufbaut, die mit der materiel54

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spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Entscheidend ist der Zeitpunkt des Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsverlangens. Den Mitgliedstaaten wird auf diesem Weg eine weitreichende Prävalenz ihrer inländischen Rechtsprechung eingeräumt.57 Bildlich gesprochen dürfen sie das materiell-rechtliche Gebäude in sich stimmig beurteilen und deshalb Trennungsunterhalt nach einer von ihnen ausgesprochenen Scheidung bzw. Kaufvertragsansprüche nach der Feststellung der Vertragsunwirksamkeit verneinen.58 Auf diese Weise können sie die „Kohärenz ihrer Rechtsordnung“ wahren.59 Die Unvereinbarkeit kann damit einseitig sein. Im Fall Hoffmann/Krieg käme aus deutscher Sicht sicherlich niemand auf die Idee, das niederländische Scheidungsurteil für unvereinbar mit der deutschen Unterhaltsentscheidung zu halten und deshalb in Deutschland nicht anerkennen zu wollen. Dem deutschen Unterhaltstitel ist vielmehr die Grundlage entzogen, weshalb Vollstreckungsrechtsbehelfe gegen ihn möglich sind. Wenn man sich den Ausgangspunkt des EuGH in Erinnerung ruft, dass sich die Unvereinbarkeit in den Wirkungen der Entscheidung manifestieren müsse, dann zeigt der EuGH Ansätze eines materiellen Verständnisses von der Urteilswirkung in Europa. In Deutschland dominiert bei der Rechtskraftwirkung ein prozessuales Verständnis;60 allerdings hat das Scheidungsurteil im Fall Hoffmann/Krieg auch nach deutscher Lehre als Gestaltungsurteil eine materiellrechtliche Wirkung.61 Das Anerkennungshindernis wegen Unvereinbarkeit sichert mithin nicht nur den Urteilsausspruch selbst vor gegenläufigen ausländischen Entscheidungen, sondern auch die vom Urteil ausgehenden Präjudizialbindungen. Weil ein direkter Widerspruch in den Rechtskraftwirkungen nicht erforderlich ist, kann es geschehen, dass durch zwei zeitlich nacheinander ablaufende Prozesse zulässigerlen Rechtskraft oder der Gestaltungswirkung eines inländischen Urteils unvereinbar sind. 57 Im deutschen Zivilprozess ist eine Beseitigung eines Urteils, das im Widerspruch zu einer präjudiziellen Entscheidung ergangen ist, im Wege der Restitutionsklage gem. § 580 Abs. 7a ZPO nur möglich, wenn die präjudizielle Entscheidung früher rechtskräftig wurde; vgl. Stein/Jonas/Grunsky ZPO Band 5/1 (1994) § 580 Rdnr. 24; Zöller/ Greger ZPO (2005) § 580 Rdnr. 14. Ist das Urteil über den präjudiziellen Sachverhalt später rechtskräftig geworden, bleiben beide Entscheidungen nebeneinander bestehen, vgl. Lenenbach Unvereinbarkeiten (1997) S. 104 ff. und 135. 58 Vgl. die Analysen von Leipold GS Arens (1993), 227 (240) (vgl. schon oben bei Fn. 51) und Nieroba Die europäische Rechtshängigkeit (2006) S. 193: „materiellrechtlich geprägte Beurteilung der Unvereinbarkeit“; ähnlich auch der BGH v. 8.2.1995 NJW 1995, 1758 (1759): „Unvereinbarkeit liegt deshalb immer dann vor, wenn der durch das Leistungsurteil zuerkannte Anspruch nach dem Feststellungsurteil nicht bestehen kann.“ 59 GA Darmon Schlussantrag Rs. 145/86 (Hoffmann/Krieg) Slg. 1987, 654 (655). 60 Vgl. Jauernig ZPR (2003) § 62 II (S. 249 f.); Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 150 Rdnr. 3 f. 61 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 148 Rdnr. 5; Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 13.

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weise Entscheidungen gefällt werden, die miteinander unvereinbar sind.62 Deutlich wird dies am Beispiel der Entscheidung Gubisch: Ein zusprechendes deutsches Urteil über den Kaufpreisanspruch enthält keine rechtskräftige Entscheidung über den Kaufvertrag [vgl. oben Fn. 42]. Ein nachfolgend angerufenes italienisches Gericht muss sich bei seinem Urteil über die Wirksamkeit des Vertrags daher nicht an das deutsche Urteil halten.63 Es kann auch die Unwirksamkeit des Vertrags feststellen. Damit entstehen unvereinbare Entscheidungen.64 Erfährt der deutsche Kläger von der nach Rechtskraft des deutschen Urteils erhobenen Klage in Italien, bleibt ihm womöglich nur noch ein überschaubares Zeitfenster, innerhalb dessen er seinen deutschen Titel in Italien vollstrecken kann. Offen bleibt im Hinblick auf Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ bzw. Art. 34 Nr. 3 EuGVO, ob auch schon bei Widerspruch in der Beurteilung gemeinsamer Vorfragen [vgl. die Fallgruppe oben bei A.III.1.c)] die Unvereinbarkeit gegeben ist.65 Dazu einige Beispiele: Beispiele: A und B verklagen sich gegenseitig auf Aufhebung eines Vertrags und auf Schadensersatz wegen Scheiterns der Vertragsdurchführung. Gemeinsame Vorfrage ist hier, wer für das Scheitern des Vertrags verantwortlich war.66 Die Gerichte beantworten diese Frage jeweils zugunsten des Klägers. Sind damit beide Urteile unvereinbar? Oder: Zwei Unfallgegner verklagen sich gegenseitig auf Schadensersatz und behaupten die alleinige Schuld des jeweils anderen. Die Gerichte geben den Klagen jeweils vollständig statt. Sind diese Urteile unvereinbar?

Subsumiert man diese Beispielsfälle unter die Anforderung an die Unvereinbarkeit, dass die Urteile Rechtsfolgen haben müssen, die sich gegenseitig ausschließen, und versteht man dabei „Rechtsfolgen“ im materiell-rechtlichen Sinne, dann wären in beiden Beispielsfällen die Urteile unvereinbar. Die jeweils festgestellten Ansprüche sind materiell-rechtlich nicht nebeneinander

62 Geimer/Schütze/Tschauner Internationaler Rechtsverkehr (2005) B Vor I Art. 34 Rdnr. 54; Geimer/Schütze EuZPR (2004) A.1 Art. 34 Rdnr. 164; Kössinger Rechtskraftprobleme (1993) S. 181, auch zur Frage, was gilt, wenn das ausländische Urteil bereits durchgesetzt bzw. vollstreckt wurde. 63 Wegen dieser Diskrepanz zwischen Rechtskraftwirkung und Unvereinbarkeit wurde ein EuGVÜ-autonomes Rechtskraftwirkungskonzept vorgeschlagen, dass sich an der bisherigen Rechtsprechung des EuGH orientiert, vgl. M. Koch Unvereinbare Entscheidungen (1993) S. 161; dagegen überzeugend Lenenbach Unvereinbarkeiten (1997) S. 138; Otte Umfassende Streitentscheidung (1998) S. 201. Für eine Beibehaltung der Wirkungserstreckung auch in Rahmen der EuGVO Kropholler EuZPR (2005) vor Art. 33 Rdnr. 9. 64 Rüßmann ZZP 111 (1998), 399 (424 f.). 65 Diese Frage stellt auch Oberhammer IPRax 2002, 424 (428). 66 Nach OLG München v. 3.12.1999 RIW 2000, 712, das sich zur möglichen Unvereinbarkeit nicht direkt äußert.

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denkbar.67 Wenn nach nationalem Recht in mindestens einem Urteilsstaat auch die präjudizielle Vorfrage in Rechtskraft erwächst,68 spräche schon das für die Annahme von Unvereinbarkeit;69 dann nämlich stünden wegen der möglichen Präjudizialbindung beide Verfahren in einem Verhältnis, das demjenigen im Fall Gubisch entspricht. Eine Klarstellung zur Frage der Unvereinbarkeit wegen Widerspruchs in Beurteilungen gemeinsamer Vorfragen durch den EuGH steht noch aus. d) Zusammenhang mit der Reichweite der Rechtshängigkeitssperre Das Feld ist noch lange nicht vollständig aufbereitet, weshalb auch in Zweifel zu ziehen ist, in welchem Umfang die Reichweite der Unvereinbarkeit für die Grenzziehung bei der Rechtshängigkeitssperre hilfreich und maßgeblich sein kann. Der EuGH selbst scheint an dieser Stelle zur Vorsicht zu neigen und formuliert in ständiger Rechtsprechung, dass Art. 21 EuGVÜ das Entstehen unvereinbarer Entscheidungen so weit wie möglich verhindern solle. Der EuGH hält anscheinend Fälle für denkbar, in denen parallele Verfahren zulässig sind und doch zu unvereinbaren Urteilen führen können. Dies lässt sich auch mit dem Wortlaut des Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVO erklären, der, anders als Art. 27 Nr. 5 EuGVÜ oder Art. 34 Nr. 4 EuGVO, das Merkmal „desselben Anspruchs“ nicht aufgenommen hat.70 Zwei Urteile müssen daher nicht denselben Streitgegenstand (auch nach autonom-europäischem Verständnis) haben, um miteinander unvereinbar sein zu können [vgl. auch oben Fn. 45]. Die Rechtshängigkeitssperre des Art. 27 EuGVO muss auch nicht unbedingt in jedem Fall drohender Unvereinbarkeit zweier Prozessergebnisse eingreifen. Immerhin steht mit der Aussetzung wegen Konnexität gem. Art. 28 EuGVO eine zweite Koordinationsmaßnahme zur Verfügung.71 Betrachten wir noch einmal die beiden Entscheidungen Gubisch und Hoffmann/Krieg, dann wird bereits an diesen beiden Fällen deutlich, dass der Zu-

67 Geimer/Schütze EuZPR (2004) A.1 Art. 34 Rdnr. 168, 177 für den ersten Fall; Kössinger Rechtskraftprobleme (1993) S. 180 für den zweiten Fall; anscheinend ablehnend im ersten Fall, zustimmend im zweiten Fall Koch Unvereinbare Entscheidungen (1993) S. 43 f. 68 Anders als im deutschen Recht können auch Vorfragen und Feststellungen in der Begründung in einigen Rechtsordnungen unter bestimmten Umständen in Rechtskraft erwachsen, vgl. M. Koch Unvereinbare Entscheidungen (1993) S. 90 bis 147 mit rechtvergleichender Untersuchung. Stürner FS Schütze (1999), 913 (921 f.) für das englische Recht und (926 ff.) für das französische Recht. Zu beiden Rechtsordnungen ausführlicher später unter C.III.4.a). 69 Erwägend Oberhammer IPRax 2002, 424 (428). 70 Für unerheblich hält diese Unterschiede im Wortlaut Schack IZVR (2002) Rdnr. 859. 71 Tiefenthaler ZfRV 1997, 67 (72).

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

sammenhang zwischen der Rechtshängigkeitssperre und der Vermeidung unvereinbarer Entscheidungen nicht zwingend ist. Im Fall Gubisch haben wir bereits festgestellt, dass die Entstehung von Unvereinbarkeit durch nacheinander, nicht gleichzeitig ablaufende Prozesse durchaus möglich ist [vgl. oben bei Fn. 63]. Von daher ist das Argument des EuGH, die Rechtshängigkeitssperre müsse zur Vermeidung unvereinbarer Entscheidungen eingreifen,72 nicht zwingend.73 Umgekehrt würde im Fall Hoffmann/Krieg trotz der Unvereinbarkeit der Entscheidungen nicht unbedingt die Rechtshängigkeitssperre eingreifen. Zwar hat sich der EuGH in seinem Urteil dazu nicht geäußert, weil die Verfahren nicht parallel liefen. Es wäre aber schon auf den ersten Blick ein befremdliches Ergebnis, wenn eine rechtshängige Klage auf Trennungsunterhalt die Einleitung eines Scheidungsverfahrens blockieren würde. Käme allein die deutsche ZPO zur Anwendung, könnte das Gericht der Unterhaltsklage das Verfahren gem. § 148 ZPO aussetzen, weil mit der Ehe über ein präjudizielles Rechtsverhältnis entschieden wird und das Gericht durch die Gestaltungswirkung des Scheidungsurteils gebunden wird [vgl. oben B.II.6.f)]. Wenn die Titulierung des Unterhalts eilbedürftig ist, mag zuvor eine einstweilige Anordnung gem. § 620 ZPO oder § 644 ZPO ergehen. Ein Argument gegen die Rechtshängigkeitssperre könnte sein, dass das Scheidungsverfahren auf eine Rechtsgestaltung gerichtet ist. Üblicherweise werden in Rechtsordnungen, in denen die Privatautonomie herrscht, Rechtsverhältnisse durch die Betroffenen selbst per Rechtsgeschäft gestaltet. Nur in Ausnahmen behält sich der Staat wegen der Sensibilität der Materie oder zur Wahrung von Drittinteressen und Rechtssicherheit vor, die Rechtsgestaltung durch gerichtliche Entscheidung vornehmen zu lassen.74 Die Gestaltungsklage übernimmt also die Funktion privater Rechtsgestaltung. Die rechtsgeschäftliche Einwirkung auf präjudizielle Rechtsverhältnisse ist den Beteiligten während eines Prozesses nicht untersagt; das Gericht hat bei Erlass des Urteils die eingetretenen Veränderungen zu berücksichtigen. Nichts spricht dagegen, auch solche Gestaltungen während eines laufenden Prozesses zu gestatten, die nur durch das Gericht vorgenommen werden können. Ähnlichkeiten zum Fall Hoffmann/Krieg zeigt bei genauerem Hinsehen der Fall Mærsk. Dort hatte sich der EuGH nicht zur Unvereinbarkeit geäußert. Er hatte lediglich ausdrücklich abgelehnt, dass das niederländische Haftungsbeschränkungsverfahren eine Rechtshängigkeitssperre gem. Art. 21 EuGVÜ für eine dänische Haftungsdurchsetzungsklage auslöst. Der Generalanwalt Leger hat in seinem Schlussantrag zum Verfahren Mærsk die Unvereinbarkeit der niederländischen Haftungsbeschränkung mit einem dänischen Urteil auf Durchsetzung bzw. Feststellung eines Schadensersatzanspruchs bejaht. Das Haftungsbe72 73 74

EuGH v. 8.12.1987 (Gubisch/Palumbo) NJW 1989, 665 dort Rdnr. 18. Rüßmann ZZP 111 (1998), 399 (408, 425 f.). Stein/Jonas/Schumann ZPO Band 3 (1997) vor § 253 Rdnr. 40.

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

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schränkungsverfahren solle gerade verhindern, dass über den darin festgesetzten Haftungsbetrag hinaus Schadensersatzforderungen geltend gemacht würden.75 Dennoch ist auch nach seiner Ansicht keine Rechtshängigkeitssperre gegeben, weil die Klagen in Grundlage und Gegenstand nicht identisch seien.76 Der EuGH ist ihm in diesem Punkt später gefolgt. Generalanwalt Leger will unvereinbare Entscheidungen in beiden Verfahren durch die Aussetzung gem. Art. 22 EuGVÜ (Art. 28 EuGVO) verhindern. Im Fall Mærsk wird demnach trotz drohender Unvereinbarkeit der Entscheidungen keine Rechtshängigkeitssperre gem. Art. 21 EuGVÜ (Art. 27 EuGVO) zur Koordination der Verfahren angenommen. Ein Grund mag auch hier der rechtsgestaltende Charakter eines Haftungsbeschränkungsverfahrens sein. Dieser ist nicht so offensichtlich erkennbar wie bei einer Scheidungsklage (vgl. Fall Hoffmann/Krieg), aber dennoch gegeben: Die Einrichtung und Verteilung des Haftungsbeschränkungsfonds sorgt für die Freistellung von weiterer Haftung aus dem schädigenden Ereignis.77 Das Haftungsbeschränkungsverfahren wirkt somit auf möglicherweise bestehende Schadensersatzansprüche ein, indem es sie in der Höhe kappt. Ob der überschießende Teil der Ansprüche erlischt oder nicht klagbar wird, ist unerheblich. Der Anspruch wird in beiden Fällen verändert. Darin liegt der rechtsgestaltende Charakter des Haftungsbeschränkungsverfahrens. Es ist auch möglich, dass die Haftungsbeschränkung erst nach einer gerichtlichen Feststellung eines Haftungsanspruchs erfolgt.78 Der Unterschied zwischen der Durchsetzung eines Anspruchs und der Gestaltung desselben Anspruchs spricht gegen eine Sperre des einen Verfahrens durch das andere.79 Halten wir als Zwischenergebnis fest, dass die drohende Unvereinbarkeit der Entscheidungen nicht das einzige Argument für die Rechtshängigkeitssperre sein kann (Fall Gubisch) und dass die drohende Unvereinbarkeit nicht die Rechtshängigkeitssperre zwingend erfordert (Fall Hoffmann/Krieg und Fall Mærsk). Zur Bestimmung des Anwendungsbereichs von Art. 27 EuGVO (Art. 21 EuGVÜ) ist eine vorherige umfassende Klärung des Anwendungsbereichs der Unvereinbarkeitsregel in Art. 34 Nr. 3 EuGVO (Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ) nicht notwendig. In welchen Fällen unvereinbare Entscheidungen drohen, ist lediglich ein teleologisches Argument für die Beurteilung, ob die Rechtshängigkeitssperre eingreifen soll.

75 GA Leger Schlussantrag C-39/02 (Mærsk Olie & Gas/Firma M. de Haan en W. de Boer) dort Rdnr. 45. 76 GA Leger Schlussantrag C-39/02 dort Rdnr. 41 f. 77 GA Leger Schlussantrag C-39/02 dort Rdnr. 9. 78 GA Leger Schlussantrag C-39/02 dort Rdnr. 45 a. E. 79 Das klingt m. E. auch bei GA Leger Schlussantrag C-39/02 dort Rdnr. 42 an. Im Ergebnis stimmt Mankowski RIW 2005, 561 (566) dem EuGH ebenfalls zu, allerdings weil die Haftungsbeschränkung zu den Verteidigungsmitteln gehöre, ähnlich der Aufrechnung, die den Streitgegenstand nicht prägten.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

3. Rezeption der Rechtsprechung des EuGH Bis zur Gubisch-Entscheidung des EuGH ist in der Literatur und von nationalen Gerichten die objektive Reichweite der Rechtshängigkeitssperre nicht autonom, sondern nach der jeweiligen lex fori (dem anwendbaren nationalen Verfahrensrecht) oder kumulativ nach den Verfahrensordnungen der Staaten, in denen die Parallelverfahren anhängig sind, bestimmt worden.80 Diese Meinung ist danach in die Defensive geraten. Die autonome Interpretation des Begriffs „desselben Anspruchs“ in Art. 21 EuGVÜ hat weitgehend Zustimmung gefunden.81 a) Die Gubisch-Entscheidung Das konkrete Ergebnis der Gubisch-Entscheidung ist dennoch vielfach kritisiert worden.82 Das zweite Verfahren in Italien werde wegen drohender Unvereinbarkeit der Entscheidungen verhindert, obwohl die materielle Rechtskraft in Deutschland eine nachfolgende Feststellungsklage in Italien nicht verbiete. Später könnten daher doch noch unvereinbare Entscheidungen ergehen, weshalb die Rechtshängigkeitssperre sinnlos und somit eine ungerechtfertigte Beschränkung des Justizgewährungsanspruchs des Zweitklägers sei.83 Der EuGH setze die Rechtshängigkeitssperre daher nicht in erster Linie zur Vermeidung unvereinbarer Entscheidungen ein, sondern zur Schaffung von mehr Wirtschaftlichkeit bei der Prozessführung.84 In den Augen des EuGH sei es nicht notwendig, dass der im Zweitverfahren begehrte Rechtsschutz bereits im Erstverfahren gewährt wird, damit die Rechtshängigkeitssperre ausgelöst wird, sondern es genüge dafür, dass er den Rechtsschutz auch im Erstverfahren bekommen kann. Der Zweitkläger werde auf die Zwischenfeststellungsklage im Erstverfahren verwiesen.85 Eine solche Konzentrationslast sei aber im EuGVÜ nicht angelegt.86 Es

80 Geimer/Schütze/Försterling Internationaler Rechtsverkehr (2005) B Vor I 10 b Art. 27 Rdnr. 7 m.w. N. 81 Gaedke ÖJZ 1997, 286 (288); Isenburg-Epple Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit (1992) S. 140 ff. m.w. N. und 212; MünchKommZPO/Gottwald Band 3 (2001) Art. 21 EuGVÜ Rdnr. 5; Rüßmann ZZP 111 (1998), 399 (404); Schack IZVR (2002) Rdnr. 762. 82 Kurze Darstellungen der Kritik bei Isenburg-Epple Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit (1992) S. 141 ff.; M. Koch Unvereinbare Entscheidungen (1993) S. 67 ff.; Leipold GS Arens (1993), 227 (230 f.). 83 Dohm Die Einrede der ausländischen Rechtshängigkeit (1996) S. 89; Lenenbach EWS 1995, 361 (365); in diese Richtung auch Geimer IZPR (2005) Rdnr. 2694b. 84 Lenenbach EWS 1995, 361 (365). 85 Leipold GS Arens (1993), 227 (241). 86 Leipold GS Arens (1993), 227 (242); positiver gegenüber der Konzentrationslast eingestellt Leipold Wege zur Konzentration von Zivilprozessen (1999) S. 19 f.

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

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habe sich vielmehr die Aussetzung gem. Art. 22 EuGVÜ wegen Konnexität beider Verfahren angeboten.87 Auf Ablehnung stößt auch die Bedeutungslosigkeit des Antrags für die Bestimmung des Verfahrensgegenstands. Ein rechtsvergleichender Blick auf die nationalen Verfahrensrechtsordnungen hätte ergeben, dass in den meisten Mitgliedstaaten der Klageantrag sehr wohl bei der Streitgegenstandsbildung eine Rolle spielt.88 Die Auslegung des EuGH dagegen lasse klare, anwendbare Kriterien vermissen und produziere nur Rechtsunsicherheit.89 Die Gubisch-Entscheidung findet aber auch Zustimmung. Die weite und autonome Auslegung des Begriffs „desselben Anspruchs“ verhindere zuverlässig sich widersprechende Entscheidungen durch parallele Verfahren; der vorübergehende Zwang zur Widerklage sei dem Erstbeklagten zumutbar.90 Die Rechtshängigkeitssperre sei der Aussetzung gem. Art. 22 EuGVÜ vorzuziehen, weil dort den Gerichten ein Ermessen bei der Anwendung eingeräumt sei, das Fehlanwendungen wahrscheinlich mache, und daher die Aussetzung gem. Art. 22 EuGVÜ nicht in gleichem Maß zur Verhinderung von Entscheidungskollisionen beitrage.91 Käme im Fall Gubisch allein die deutsche ZPO zur Anwendung, wäre nach herrschender Meinung keine Rechtshängigkeitssperre gegeben.92 Die Feststellungsklage zielt auf die Feststellung eines für die Leistungsklage präjudiziellen Rechtsverhältnisses ab, weshalb das Gericht der Leistungsklage sein Verfahren gem. § 148 ZPO aussetzen kann, bis über die Wirksamkeit des Vertrags entschieden wurde.93 Auf die zeitliche Reihenfolge der Klageerhebung kommt es dabei nicht an. Hier zeigt sich ein elementarer Unterschied zur Aussetzung 87 Hau Positive Kompetenzkonflikte (1996) S. 136 ff. (140); Linke RIW 1988, 822 (823); Wolf FS Schwab (1990), 561 (573); so schon GA Mancini Schlussantrag Rs. 144/86 (Gubisch/Palumbo) Slg. 1987, 4867 (4870). 88 Isenburg-Epple Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit (1992) S. 157 ff., 212 ff.; kritisch aus französischer Sicht an der Gubisch-Entscheidung deshalb Gaudemet-Tallon Rev. crit. dr. int. privé 1988, 374 (377): Auch im französischen Recht wird der Streitgegenstand durch die Anträge („prétentions“) der Parteien gebildet. Vgl. auch Isenburg-Epple Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit (1992) S. 179. 89 Isenburg-Epple Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit (1992) S. 212; ähnlich Leipold GS Arens (1993), 227 (236); Pfeiffer Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1991, 71 (84). 90 Schack IPRax 1989, 139 (140); ähnlich Schulte Rechtshängigkeit im US-Zivilprozeßrecht (2001) S. 75 f. 91 M. Koch Unvereinbare Entscheidungen (1993) S. 88; Rüßmann ZZP 111 (1998), 399 (407); Schack IPRax 1989, 139 (140). 92 Leipold GS Arens (1993), 227 (230 f.); Otte FS Schütze (1999), 619 (621 f.). 93 Rüßmann ZZP 111 (1998), 399 (416), der allerdings die später erhobene Feststellungsklage mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig behandeln will; es stehe die Zwischenfeststellungsklage gem. § 256 Abs. 2 ZPO zur Verfügung.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

gem. Art. 22 EuGVÜ bzw. Art. 28 EuGVO: Dort gilt das Prioritätsprinzip, weshalb nur die später erhobene Klage ausgesetzt werden kann. Das Besondere an der Gubisch-Entscheidung ist neben der Lösung vom Klageantrag die Zusammenfassung von Anspruch und präjudiziellem Rechtsverhältnis in einem Verfahrensgegenstand. Konsequent weitergedacht müsste auch eine zuerst erhobene negative Feststellungsklage bezüglich der Wirksamkeit eines Vertrags jede nachfolgende Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs aus diesem Vertrag sperren.94 Zweifel könnte man daran haben, weil der EuGH den Charakter der italienischen Klage als Verteidigungsmittel gegen die frühere Leistungsklage hervorhebt. Eventuell spielte also die besondere prozessuale Situation eine entscheidende Rolle.95 Die spätere Tatry-Entscheidung ist allerdings, obwohl bei ihr keine Verfahren im Präjudizialitätsverhältnis, sondern Verfahren über denselben materiellen Anspruch den Hintergrund bildeten, ein Hinweis, dass die zeitliche Reihenfolge von Feststellungs- und Leistungsklage keine Rolle spielen. Außerdem lässt sich aus der Gasser-Entscheidung schließen, dass auch die frühere Klage auf Feststellung der Vertragsunwirksamkeit die spätere Leistungsklage wegen vertraglicher Ansprüche sperrt. Denn eben diese Konstellation lag der Entscheidung zugrunde.96 Zwar hat das vorlegende österreichische Gericht diesbezüglich keine Frage gestellt, so dass der EuGH auch keinen unmittelbaren Anlass zur Äußerung hatte. Hätte aber das vorlegende Gericht die Gubisch-Entscheidung fehlinterpretiert, wäre ein Hinweis zu erwarten gewesen. b) Die Tatry-Entscheidung (1) Reaktionen Nachdem sich der EuGH bereits in der Gubisch-Entscheidung von nationalen Rechtshängigkeits- und Streitgegenstandskonzepten gelöst und dem Antrag keine entscheidende Bedeutung zugemessen hatte, war es für die meisten Beobachter keine Überraschung, dass gem. Art. 21 EuGVÜ eine negative Feststellungsklage betreffend das Nichtbestehen eines bestimmten Anspruchs die nachfolgende Leistungsklage über denselben Anspruch blockiert. Das Ergebnis der Tatry-Entscheidung ist vorausgesagt worden.97 Es erhält überwiegend zustimmende Kritik: Eine Koordination beider Verfahren wird als dringend erforderlich empfunden, um einander widersprechende Entscheidungen zu vermeiden.98 94 Dafür Schack IPRax 1989, 139 (140); dagegen GA Mancini Schlussantrag Rs. 144/86 (Gubisch/Palumbo) Slg. 1987, 4867 (4869). 95 Leipold GS Arens (1993), 227 (245); Linke RIW 1988, 822 (823). 96 EuGH v. 9.12.2003 (Gasser/MISAT) IPRax 2004, 243. 97 OLG Hamm v. 3.12.1993 IPRax 1995, 104 (108); Rüßmann IPRax 1995, 76 (80); Schack IPRax 1989, 139 (140). 98 Lenenbach EWS 1995, 361 (363); Rüßmann IPRax 1995, 76 (79).

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Während in Deutschland die herrschende Meinung dieses Ziel mit der Nachrangigkeit der Feststellungsklage zu erreichen sucht,99 sei es sinnvoll, im Rahmen von EuGVO und EuGVÜ die Rechtshängigkeitssperre auch für eine später erhobene Leistungsklage anzuwenden. Auf diese Weise werde Chancengleichheit zwischen Gläubiger und Schuldner hergestellt; auch der Schuldner könne durch eine zügige Klage das forum wählen und damit die bereits oben [A.II.3.a)] beschriebenen wichtigen Weichenstellungen für das anwendbare Sach- und Verfahrensrecht vornehmen.100 Außerdem sorge die Rechtshängigkeitssperre für einen Druck zur Konzentration der Verfahren beim Erstgericht, die unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie als wünschenswert begrüßt wird.101 (2) Das Verhältnis von Feststellungsklage und Leistungsklage In der Tatry-Entscheidung hat der EuGH geklärt, dass im Rahmen der Anwendung von Art. 21 EuGVÜ (Entsprechendes gilt für Art. 27 EuGVO) die negative Feststellungsklage bezüglich eines Anspruchs und die Leistungsklage zur Durchsetzung desselben Anspruchs gleichwertig sind und deshalb wegen einer negativen Feststellungsklage die nachfolgende Leistungsklage unzulässig ist. Der angebliche Gläubiger muss Leistungswiderklage erheben. Das wird, wie soeben geschildert, aus Erwägungen der Chancengleichheit zwischen den Beteiligten und der Prozessökonomie begrüßt. Es gibt aber auch skeptische Stimmen. In den nationalen Rechtsordnungen bleiben parallele Feststellungs- und Leistungsklagen ebenfalls nicht ohne Koordination. Dort dominiert indessen ein Lösungsweg, der durch Vorrangigkeit der Leistungsklage einander widersprechende Entscheidungen über denselben materiellen Anspruch verhindert.102 Die deutsche Lösung, die das Feststellungsinteresse entfallen lässt, haben wir bereits kennengelernt [vgl. oben B.II.2.a)]. In Frankreich ist man generell skeptisch gegenüber der negativen Feststellungsklage und lässt sie nur in absoluten Ausnahmenfällen zu.103 In der Regel wird auch hier das Feststellungsinteresse verneint,

99 Wird zuerst auf Feststellung des Nichtbestehens eines Anspruchs, dann auf Leistung geklagt, entfällt nach herrschender Meinung das erforderliche Rechtsschutzinteresse an der Feststellung, vgl. oben B.II.2.a). 100 Den Gedanken der Chancengleichheit betonen Barnert ZZP 118 (2005), 81 (85); McGuire Verfahrenskoordination (2004) S. 104; Schack IPRax 1996, 80 (82); Treichel GRURInt 2001, 175 (177). 101 Barnert ZZP 118 (2005), 81 (85); Gohm Maßnahmen zur Beschleunigung (2004) S. 222 f.; MünchKommZPO/Gottwald Band 3 (2001) Art. 21 EuGVÜ Rdnr. 9 a. E.; Tichadou Rev. crit. dr. int. privé 1995, 601 (607); Zöller/Vollkommer ZPO (2005) Einleitung Rdnr. 62a. 102 Einen rechtsvergleichenden Überblick gibt Otte FS Schütze (1999), 619 (624 ff.). 103 Desdevises Juris Classeur Procédure civile (1996) Fasc. 126-2 nº 48 ff.; Tichadou Rev. crit. dr. int. privé 1995, 601 (607).

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

allerdings sogar von vornherein und nicht erst bei Konkurrenz mit einer Leistungsklage.104 In England wird der negativen Feststellungsklage bei der Beurteilung, ob das angerufene englische Gericht das forum non conveniens ist [dazu bereits oben A.II.5.], ein geringeres Gewicht zugebilligt. Der Feststellungskläger solle sein Begehren als Widerklage in den laufenden Prozess einbringen oder sogar abwarten, dass er verklagt werde.105 Es ist Ausdruck prinzipiellen Misstrauens in England gegenüber der Feststellungsklage, die im Verdacht des unerwünschten forum shoppings steht.106 Ausgehend von den nationalen Verfahrensordnungen ist die Gleichwertigkeit von Feststellungs- und Leistungsklage also nicht selbstverständlich.107 Auch im internationalen Zivilprozessrecht sind gegenläufige Tendenzen zu beobachten, die der Leistungsklage den Vorrang gegenüber einer negativen Feststellungsklage einräumen. Ein Beispiel dafür findet sich im grenzüberschreitenden Straßenverkehrsgütertransportrecht bei der Anwendung der Rechtshängigkeitssperre gem. Art. 31 Abs. 2 CMR. Diese Vorschrift verbietet eine neue Klage wegen derselben Sache zwischen denselben Parteien, es sei denn, dass die Entscheidung der ersten Klage im Staat des Zweitverfahrens nicht vollstreckt werden kann. Sie ist gegenüber Art. 27 EuGVO bzw. Art. 21 EuGVÜ lex specialis und daher vorrangig anzuwenden [vgl. oben bei Fn. 7]. Es wurde vorgeschlagen, bei der Auslegung des Art. 31 Abs. 2 CMR die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 21 EuGVÜ zu übernehmen und dessen Kernpunkttheorie anzuwenden. Danach würde auch eine negative Feststellungsklage die Rechtshängigkeitssperre gem. Art. 31 Abs. 2 CMR auslösen.108 Die Rechtsprechung ist diesem Vorschlag nicht gefolgt. Sie legt Art. 31 Abs. 2 CMR nach eigenständigen Maßstäben aus und berücksichtigt den Zusammenhang mit der Zuständigkeitsnorm in Art. 31 Abs. 1 CMR. Dort seien mehrere Gerichtsstände zur Auswahl bereitgestellt. Das Wahlrecht stehe aber dem materiell Berechtigten, also dem angeblichen Gläubiger zu. Dieses Wahlrecht dürfe weder durch Gerichtsstandsvereinbarungen (vgl. Art. 41 CMR) noch durch andere Handlungen des angeblichen Schuldners untergraben werden. Im Bereich der CMR besteht also keine Chan104

Cadiet Droit judiciaire privé (2000) Rdnr. 847. Beaumont in: Fawcett (Hrsg.) Declining Jurisdiction (1995), 207 (216); P. Huber Die englische forum-non-conveniens-Doktrin (1994) S. 107; Otte FS Schütze (1999), 619 (627). 106 Saipem SpA v Dredging VO2 BV (The Volvox Hollandia) [1988] 2 Lloyd’s Rep 361 (371 Kerr L.J.) (CA); vgl. auch Fentiman CLJ 1995, 261 (262), der „rein taktische Erwägungen“ bei der Erhebung „künstlicher Feststellungsklagen“ für möglich hält. 107 Die generelle Zulässigkeit von Feststellungsklagen nach nationalen Rechtsordnungen betont dagegen GA Tesauro Schlussantrag C-406/92 (The Tatry/The Maciej Ratej) Slg. 1995, 5455, ohne weitere Belege. 108 MünchKommHGB/Basedow Band 7 (1997) Art. 31 CMR Rdnr. 30; Staub/Helm HGB Band 7/2 (2002) Anh. VI Art. 31 CMR Rdnr. 49; dafür auch OLG Düsseldorf v. 17.6.1999 TranspR 2002, 237. 105

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cengleichheit zwischen den Beteiligten; der Leistungsklage des Gläubigers gebührt der Vorrang.109 Die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen wird in Kauf genommen;110 man erwartet anscheinend, dass sämtliche Gerichte bei der Anwendung der CMR diese Sicht teilen und die negative Feststellungsklage als unzulässig behandeln.111 Bei jüngsten Bemühungen um die Aufstellung von Regeln zur Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Zivilurteilen ist in Art. 21 des geplanten Haager Übereinkommens die Nachrangigkeit einer Feststellungsklage ausdrücklich aufgenommen.112 Eine Verwirklichung dieser Regelungen scheint allerdings in weite Ferne gerückt zu sein.113 In solchen Planungen manifestiert sich aber auf internationaler Ebene eine gewisse Skepsis gegenüber der negativen Feststellungsklage und eine Tendenz, die Leistungsklage zu bevorzugen. Überdies ist die Gleichwertigkeit beider Klagearten auch für das EuGVÜ bzw. die EuGVO nicht unbestritten. An seiner Grundlage, dem Gebot der Chancengleichheit zwischen den Beteiligten bei der Fixierung des forums, werden Zweifel angemeldet; es müsse stets ermittelt werden, wessen Interessen schützenswert sind.114 Für die CMR hatten wir gesehen, dass die herrschende Meinung in Deutschland die Interessen des Anspruchstellers höher bewertet und die Auswahl des Gerichtsstands ihm überlassen will. Im Bereich des EuGVÜ wird der Beklagte durch das Prinzip „actor sequitur forum rei“ geschützt, demzufolge grundsätzlich das Gericht am Wohnsitz des Beklagten örtlich zuständig ist (vgl. Art. 2 Abs. 1 EuGVO).115 Und dort, wo dem Kläger eine Wahl zwischen verschiedenen Gerichtsständen gewährt wird, geschieht dies nicht selten im Interesse des Anspruchsinhabers, wie etwa bei der Wahl im Fall der Durchsetzung deliktischer Ansprüche gem. Art. 5 Nr. 3 EuGVO zwischen dem Handlungsund dem Erfolgsort.116 109 BGH v. 20.11.2003 ZZP 118 (2005), 95 (99); OLG Köln v. 8.3.2002 TranspR 2002, 239 (241); OLG Hamburg v. 7.11.2002 TranspR 2003, 25 (26); a. A. OLG Düsseldorf v. 17.6.1999 TranspR 2002, 237: gegen das alleinige Wahlrecht des Gläubigers gem. Art. 31 Abs. 1 CMR und für Chancengleichheit zwischen den Beteiligten. 110 Aus diesem Grund kritisch gegenüber der Rechtsprechung Barnert ZZP 118 (2005), 81 (88 ff.). 111 Ein Beispiel aus England: Andrea Merzario Ltd v Internationale Spedition Leitner GmbH [2001] 1 Lloyd’s Rep 490 (505 Rix L.J.) (CA) tendiert gegen die Rechtshängigkeitssperre durch negative Feststellungsklage. 112 Dazu Nagel/Gottwald IZPR (2002) § 5 Rdnr. 241; Walter FS Schumann (2001), 559 (575 f.). 113 Geimer IZPR (2005) Rdnr. 244a. 114 Herber TranspR 2003, 19 (20); Leipold GS Arens (1993), 227 (242 ff.); Walker ZZP 111 (1998), 429 (446). 115 Zu dieser Regel Schack IZVR (2002) Rdnr. 192. 116 P. Huber JZ 1995, 603 (607); dementsprechend gibt es Versuche von nationalen Gerichten, dem Kläger einer negativen Feststellungsklage den Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ/EuGVO zu verweigern, vgl. Simons EuLF 2003, 289 (290) m.w. N.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Im Kern wird der Streit um das Verhältnis von negativer Feststellungs- und Leistungsklage von zwei Positionen aus geführt, die aufgrund von Anschauungen und Bewertungen eingenommen werden und mit Argumenten letztlich nicht zu belegen sind: Auf der einen Seite finden sich diejenigen, die dem vermeintlichen Schuldner tatsächliche Bedürfnisse zur Erhebung einer negativen Feststellungsklage und das Recht, ebenfalls durch Klage das zuständige Gericht zu fixieren, zugestehen wollen.117 Auf der anderen Seite stehen die Skeptiker, die hinter negativen Feststellungsklagen taktische Manöver zur Verhinderung der Rechtsdurchsetzung vermuten und ihr deshalb reserviert bis ablehnend begegnen.118 Ich möchte mich vorsichtig den Skeptikern anschließen. Trotz dieser Zweifel an der Gleichwertigkeit ist dem EuGH letztlich doch darin zuzustimmen, dass auch die negative Feststellungsklage eine nachfolgende Leistungsklage sperrt. Dadurch wird die konzentrierte Verfahrenserledigung gefördert. Auf der anderen Seite erlaubt diese Lösung den leistungsunwilligen Schuldnern den Einsatz von „Torpedoklagen“. Der eigentliche Grund für die Rechtshängigkeitssperre durch die negative Feststellungsklage ist, dass dem EuGH die Regelungsalternativen fehlen, um sich widersprechende Entscheidungen zu verhindern. Die nationalen Rechtsordnungen behandeln mangels Rechtsschutzinteresses die Feststellungsklagen als unzulässig. Eine Vorschrift zum Rechtsschutzinteresse ist weder im EuGVÜ noch in der EuGVO enthalten.119 Der EuGH könnte also die Koordination beider Klagearten per Rechtsschutzinteresse nicht kontrollieren und überwachen. Erst wenn die Nachrangigkeit der Feststellungsklage in die entsprechenden Vorschriften von EuGVÜ und EuGVO aufgenommen worden ist,120 wird der EuGH ohne Risiko für eine geordnete Rechtspflege in Europa von der Gleichwertigkeit der Feststellungs- und Leistungsklage abrücken können. Bis dahin bleibt es in der Verantwortung der nationalen Gerichte, zuerst erhobene negative Feststellungsklagen auf eventuelle Missbräuchlichkeit zu untersuchen und gegebenenfalls nach ihrem nationalen Verfahrensrecht als unzulässig abzuweisen, um der nachfolgenden Leistungsklage den Weg freizumachen.121 In welchem Umfang das Gericht das erforderliche Feststellungsinteresse verneinen und damit dem Kläger einer negativen Feststellungsklage einen an sich gegebe117 GA Tesauro Schlussantrag C-406/92 (The Tatry/The Maciej Ratej) Slg. 1995, 5455; dezidiert Schack IPRax 1996, 80 (82). 118 Beispielsweise Fentiman CLJ 1995, 261 (262); Otte EWiR 1995, 463 (464): „Praktisch erlaubt der EuGH mit der neuen Marschrichtung obendrein in vielen Fällen dem wirklichen Rechtsverletzer auch noch die Gerichtsstandswahl.“ 119 P. Huber JZ 1995, 603 (608); Lenenbach EWS 1995, 361 (363); Otte FS Schütze (1999), 619 (631). 120 Einen Formulierungsvorschlag gibt Otte FS Schütze (1999), 619 (638); ebenso Prütting GS Lüderitz (2000), 623 (631 f.). 121 Briggs LMCLQ 1995, 161 (165); Collins Essays (1994) S. 287; Fentiman CLJ 1995, 261 (263).

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

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nen Gerichtsstand der EuGVO verweigern darf, ist nach der Entscheidung Owusu/Jackson [vgl. oben A.II.5.b)] allerdings zweifelhaft geworden. c) Umsetzung durch die nationale Rechtsprechung Die deutsche Rechtsprechung folgt für den Anwendungsbereich des EuGVÜ den Vorgaben des EuGH. Der BGH weicht von seiner bisherigen Rechtsprechung in rein nationalen Fällen ab und akzeptiert für den Geltungsbereich des EuGVÜ die Sichtweise des EuGH.122 Daher entfalle bei einer negativen Feststellungsklage vor deutschen Gerichten betreffend Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüche nicht das Feststellungsinteresse, wenn nachfolgend in einem anderen Vertragsstaat dieselben Ansprüche im Wege der Leistungsklage eingeklagt werden. Die deutschen Gerichte müssten davon ausgehen, dass sich die ausländischen Gerichte unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung im Fall Tatry gem. Art. 21 EuGVÜ für unzuständig erklären.123 Das OLG München geht in einer Entscheidung aus dem Jahr 1999124 sogar über die vom EuGH bisher entschiedenen Fallkonstellationen hinaus: Es hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem ein deutscher Fensterhersteller bei einer italienischen Firma eine Fensterfertigungsmaschine bestellt hatte. Nachdem die italienische Firma den vereinbarten Liefertermin nicht einhalten konnte, kündigte die deutsche Firma den Vertrag und machte vor dem LG Passau Schadensersatzansprüche wegen Nichtlieferung geltend. Zuvor hatte die italienische Firma bereits Klage in Rimini erhoben, die auf Vertragsaufhebung und Verurteilung zum Schadensersatz gerichtet war. Nach Meinung der italienischen Firma sei der deutsche Fensterhersteller für das Scheitern des Vertrags verantwortlich, denn er habe die vertraglich vereinbarte Mitwirkung unterlassen. Anders als bei Gubisch und Tatry geht es weder um Klagen, die im Präjudizialitätsverhältnis stehen (wie bei Gubisch), noch um Klagen, die denselben materiell-rechtlichen Anspruch verfolgen, aber eine unterschiedliche Rechtsschutzform gewählt haben (wie bei Tatry), sondern um zwei Klagen, die zwar eine gemeinsame Vorfrage haben („Wer ist verantwortlich für das Scheitern des Vertrags?“), aber unterschiedliche materiell-rechtliche Ansprüche betreffen. Das OLG München sah unter Berufung auf die EuGH-Rechtsprechung bei beiden Klagen identische Streitgegenstände, denn es gehe in beiden Verfahren um dieselbe Frage, wer für das Scheitern des Vertrags verantwortlich sei, und nach den Gesetzen der Logik sei nur eine einheitliche Entscheidung darüber möglich.125 Möglicherweise hat 122 BGH v. 6.2.2002 NJW 2002, 2795; ebenso in Österreich der OGH v. 25.2.1999 ZfRV 1999, 150 und in England Haji-Ioannou v Frangos [1999] 2 Lloyd’s Rep 337 (351 Lord Bingham of Cornhill) (CA). 123 BGH v. 11.12.1996 NJW 1997, 870 (872). 124 OLG München v. 3.12.1999 RIW 2000, 712. 125 OLG München v. 3.12.1999 RIW 2000, 712 (714).

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

hier, ohne ausdrücklich erwähnt zu sein, beim OLG München die Erwägung dominiert, eventuell unvereinbare Entscheidungen zu verhindern. Ob schon ein Widerspruch in der Beurteilung einer gemeinsamen Vorfrage zwei Entscheidungen unvereinbar machen kann, ist allerdings ungewiss. Demgemäß ist auch umstritten, ob eine gemeinsame Vorfrage in parallelen Verfahren die Rechtshängigkeitssperre auszulösen vermag.126 4. Analyse der Rechtsprechung Die Aussagen des EuGH zur objektiven Verfahrensidentität als Voraussetzung der Rechtshängigkeitssperre sind folgendermaßen zusammengefasst worden: Zwei Klagen sind wegen „desselben Anspruchs“ anhängig gemacht worden, wenn sie auf dieselbe Grundlage gestützt sind und denselben Gegenstand haben. Die Grundlage einer Klage setzt sich aus dem Sachverhalt und den Rechtsvorschriften zusammen, auf denen die Klage gründet. Hinter dem Gegenstand einer Klage verbirgt sich ihr Zweck. Um zu beurteilen, ob derselbe Zweck verfolgt wird, ist nicht auf die Klageanträge abzustellen, sondern der Kernpunkt der Klage zu ermitteln.127 Da sich der EuGH nicht „mit den Spitzfindigkeiten des nationalen Streitgegenstandsbegriff abgegeben hat“,128 wird aus deutscher Sicht bezweifelt, ob der EuGH in diesen Entscheidungen im Begriff sei, einen europäischen Streitgegenstandsbegriff zu entwickeln, der eine dem deutschen Streitgegenstand vergleichbare Funktion hat. Der EuGH selbst spreche zumindest nicht von einem Streitgegenstand.129 Dem ist insofern zuzustimmen, als der EuGH einen Streitgegenstandsbegriff mit der Tragweite und Bedeutung, wie ihn das deutsche Prozessrecht kennt, nicht zu entwickeln braucht. Er kann sich auf den Umfang der Rechtshängigkeit beschränken und muss nicht die Auswirkungen bedenken, die ein von ihm gebildeter Streitgegenstandsbegriff in anderem Kontext haben könnte. EuGVÜ und EuGVO sorgen nur für eine partielle Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts. Der Unterbau bleibt den nationalen Prozessordnungen vorbehalten, die noch keine Harmonisierung erfahren haben.130 Außerdem haben wir bereits zum deutschen Prozessrecht gesehen, dass die Rechtshängigkeitssperre 126 Dafür MünchKommZPO/Gottwald Band 3 (2001) Art. 21 EuGVÜ Rdnr. 6 a. E.; Schlosser EU-ZPR (2003) Art. 27 EuGVVO Rdnr. 4 (wechselseitige Schadensersatzklagen von Unfallbeteiligten seien identisch). Vgl. auch Turner v Grovit [1999] ILPr 656 (673 Laws L.J.) (CA) dort Rdnr. 29 a. E. [dazu auch unten bei Fn. 150 und bei C.III.5.b)]: Der Court of Appeal lässt bereits die Möglichkeit der Widerklage genügen, um objektive Identität der Verfahren anzunehmen. Dagegen Leipold GS Arens (1993), 227 (249); Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 32, 47 f. 127 Rauscher/Leible EuZPR (2004) Art. 27 Brüssel I-VO Rdnr. 8; Walker ZZP 111 (1998), 429 (433 f.). 128 So wörtlich Schack IPRax 1991, 270. 129 Leipold Wege zur Konzentration von Zivilprozessen (1999) S. 20.

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einen Anwendungsbereich jenseits des Streitgegenstands haben und beispielsweise weitere Teilklagen umfassen kann [vgl. oben B.II.8.]; das mag zwar nicht der herrschenden Meinung entsprechen, die den Streitgegenstand für allein maßgeblich hält, ist aber aus prozessökonomischer Sicht wünschenswert und schränkt den Justizgewährungsanspruch des zweiten Klägers nicht übermäßig ein. Art. 21 EuGVÜ und Art. 27 EuGVO sind für ein solches erweitertes Rechtshängigkeitskonzept durchaus offen. Immerhin sprechen die Vorschriften in ihrem deutschen Wortlaut von Klagen „wegen desselben Anspruchs“ und in ihrer englischen Version von Klagen „involving the same cause of action“. Diese Formulierungen lassen es zu, dass man nicht die vollständige Identität der Klagen in objektiver Hinsicht voraussetzt, sondern einen gemeinsamen Bezugspunkt genügen lässt. Auf der anderen Seite verlangt der französische Wortlaut Klagen, die denselben Gegenstand haben; diesen Wortlaut bevorzugt der EuGH. Zudem beschreibt nach deutschem herrschenden Verständnis der Streitgegenstand die Rechtshängigkeitsgrenzen. Wegen dieser funktionellen Übereinstimmung erscheint es zumindest nicht abwegig, von einem „europäischen Streitgegenstandsbegriff“ zu sprechen.131 Man sollte dabei aber stets bedenken, dass hinter diesem Begriff nicht unbedingt das steckt, was man nach deutschem Recht als Streitgegenstand begreift. Herausragende Bedeutung haben für die Bildung der objektiven Rechtshängigkeitsgrenzen das Begriffspaar „Grundlage und Gegenstand“ der Klage. Sowohl hinsichtlich der Grundlage der Klage als auch hinsichtlich ihres Gegenstands bestehen auch nach den Entscheidungen des EuGH Unsicherheiten über das korrekte Verständnis.132 Sicher ist nur die Erkenntnis, dass es auf den Wortlaut der Anträge in beiden Verfahren nicht ankommt.133 a) Grundlage der Klage Die „Grundlage“ einer Klage setzt sich aus dem Sachverhalt und den Rechtsvorschriften zusammen, die der Klage zugrunde gelegt werden.134 Die Bedeutung der Rechtsvorschrift für die Klagegrundlage ist scharf kritisiert worden.135 130 Vgl. auch Nieroba Die europäische Rechtshängigkeit (2006) S. 283 f., die wegen der durch das EuGVÜ und die EuGVO angestoßene Vereinheitlichung für die Zukunft einen Harmonisierungsdruck auf die nationalen Prozessrechte erwartet. 131 Dafür Gottwald Dogmatische Grundfragen (2000), 85 (91). 132 So auch die Einschätzung von Lüpfert Konnexität (1997) S. 112. 133 Geimer/Schütze/Försterling Internationaler Rechtsverkehr (2005) B Vor I 10 b Art. 27 Rdnr. 8; Leipold Wege zur Konzentration von Zivilprozessen (1999) S. 17 f.; Thode BauR 2005, 1533 (1536). 134 EuGH v. 6.12.1994 (Tatry/Maciej Rataj) IPRax 1996, 108 (dort Rdnr. 39); EuGH vom 14.10.2004 (Mærsk Olie & Gas/Firma M. de Haan en W. de Boer) EuLF 2004, 282 (dort Rdnr. 38). 135 Pfeiffer Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1991, 71 (85).

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Damit würde bei Leistungsklagen die konkrete Anspruchsgrundlage den Streitgegenstand bilden; das liefe auf eine enge Rechtshängigkeitsinterpretation hinaus, die im deutschen Recht durch die Schaffung des prozessualen Anspruchsbegriffs bereits vor langer Zeit überwunden wurde. Einige Kommentare zur EuGH-Rechtsprechung enthalten daher auch die Meinung, dass die Rechtsvorschrift nicht relevant sein könne. Bei Rechtsstreitigkeiten in verschiedenen Staaten könnten unterschiedliche Rechtsordnungen zur Entscheidung herangezogen werden. Damit lägen notwendigerweise formal unterschiedliche Rechtsvorschriften vor.136 Wollte man dennoch auch die Rechtsvorschriften zur Beurteilung der Verfahrensidentität heranziehen, ergäben sich schwierige Qualifikationsprobleme.137 In der Tatry-Entscheidung wird in der Tat nur die Übereinstimmung des zur Begründung vorgetragenen Sachverhalts festgestellt;138 auf die Rechtsvorschriften wird nicht eingegangen.139 Der EuGH hingegen meint die Nennung der Rechtsvorschrift als Element der Klagegrundlage offensichtlich ernst. In der Mærsk-Entscheidung lässt er die Rechtshängigkeitssperre neben anderen Gründen auch an den unterschiedlichen Rechtsvorschriften scheitern; die dänische Klage stütze sich auf das Recht der außervertraglichen Haftung, während die Haftungsbeschränkungsklage auf dem Übereinkommen von 1957 und den niederländischen Umsetzungsvorschriften beruhe.140 Der EuGH vergleicht die entscheidungsbedeutsamen Rechtsvorschriften in beiden Verfahren allerdings eher oberflächlich und formell.141 Ein ausführlicher Vergleich von Zweck, Funktion und Wirkungsweise beider Vorschriften erfolgt nicht. Insofern scheinen sich die Befürchtungen von Thomas Pfeiffer [vgl. oben Fn. 135] zu bewahrheiten, dass sich der Streitgegenstand in Art. 21 EuGVÜ schematisch an der Rechtsvorschrift orientiert, auf die die Klage gestützt wird. Indessen zeigt der EuGH an der zitierten Stelle in der Mærsk-Entscheidung erste Ansätze zu einer Qualifikation der Rechtsvorschriften, indem er feststellt, dass die dänische Klage „auf das Recht der außervertraglichen Haftung“ gestützt wird. Die konkrete dänische (oder sonstige nach dänischem IPR anwendbare) Norm wird nicht erwähnt und spielt offenbar keine Rolle. Daraus ist zu folgern, dass zwei Klagen auf einem identischen Klagegrund beruhen, sofern sie auf denselben Sachverhalt und auf verschiedene Vorschriften aus unterschiedlichen Rechtsordnungen, die aber beide der außervertraglichen Haftung zuzuordnen sind, gestützt werden. Wenn die entscheidungsrelevanten Rechtsvorschriften tatsächlich Bedeutung für die Streitgegenstandsbildung haben, müssen 136

Gaedke ÖJZ 1997, 286 (289); McGuire Verfahrenskoordination (2004) S. 85. Lenenbach EWS 1995, 361 (364). 138 Vgl. EuGH v. 6.12.1994 (Tatry/Maciej Rataj) IPRax 1996, 108 (dort Rdnr. 40). 139 Lenenbach EWS 1995, 361 (363). 140 EuGH vom 14.10.2004 (Mærsk Olie & Gas/Firma M. de Haan en W. de Boer) EuLF 2004, 282 (dort Rdnr. 38). 141 Kritisch auch Mankowski RIW 2005, 561 (566). 137

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sie also nicht formal betrachtet übereinstimmen, sondern in ihrem Zweck und ihrer Funktion übereinstimmen. Daraus mögen sich in der Tat schwierige Qualifikationsprobleme ergeben, denen man sich stellen muss. Es geht um den Vergleich von Rechtsvorschriften aus unterschiedlichen Rechtsordnungen, die auf Übereinstimmungen untersucht werden müssen, um zu bewerten, ob sie sich entsprechen. Das Problem ist aus dem Internationalen Privatrecht bekannt, wo fremde Rechtsgebilde unter die Systembegriffe der nationalen Kollisionsnormen subsumiert werden müssen. Die dort entwickelten Methoden der Qualifikation könnten auch beim Vergleich des Grundes zweier Klagen angewendet werden.142 Die Rechtsvorschriften, auf die die Klage gestützt wird, sind folglich Teil des europäischen Streitgegenstandsbegriffs; sie müssen freilich nicht formal übereinstimmen. Eine Klage in Staat A, die auf das Recht dieses Staats gestützt wird, und eine Klage in Staat B, die auf das Recht in Staat B gestützt wird, können also durchaus identisch sein;143 es kommt darauf an, die jeweiligen Rechtsvorschriften funktionell und teleologisch zu vergleichen. b) Der Gegenstand der Klage Nicht sicher ist auch der Inhalt des „Gegenstands“ einer Klage. Laut EuGH wird er durch den Zweck bestimmt, der wiederum nicht formal durch die Anträge, sondern anhand des „Kernpunkts“ der Streitigkeit zu ermitteln ist. Für Markus Lenenbach ist darunter der materiell-rechtliche Streitpunkt zu verstehen, der in beiden Klagen im Mittelpunkt steht.144 Damit wird auch der Gegenstand letztlich wieder auf die zugrunde liegenden materiell-rechtlichen Vorschriften zurückgeführt. Peter Gottwald meint, dass der Streitgegenstand allein durch einen weit gefassten Lebenssachverhalt bzw. durch die pragmatisch verstandene Einheit über die Rechtsfolgen eines Lebenssachverhalts gebildet werde.145 Damit näherte sich der Anwendungsbereich der Rechtshängigkeitssperre bedenklich demjenigen der Konnexitätsregel des Art. 28 EuGVO bzw. Art. 22 EuGVÜ an, die für eine Aussetzung des späteren Verfahrens einen sachlichen Zusammenhang genügen lässt. Vor allem wird aber der Zweck der Klage vernachlässigt, dem der EuGH in allen Entscheidungen Einfluss auf die Identität eines Verfahrens beimisst. Folgende Deutungen der Begriffe „Gegenstand/ Zweck/Kernpunkt der Klage“ kommen in Betracht:

142 Vgl. dazu insgesamt Kegel/Schurig Internationales Privatrecht (2004) § 7 (S. 327 ff.). 143 Mankowski RIW 2005, 561 (566). 144 Lenenbach EWS 1995, 361 (364); ähnlich Gaedke ÖJZ 1997, 286 (289). 145 Gottwald Dogmatische Grundfragen (2000), 85 (91).

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

(1) Der prozesstaktische Zweck der Klage Bereits in der Gubisch-Entscheidung hatte der EuGH zur Begründung der Annahme einer Rechtshängigkeitssperre ausgeführt, die zweite Klage auf Feststellung der Vertragsunwirksamkeit sei nichts anderes als eine Verteidigungsmaßnahme gegenüber der ersten Klage auf Kaufpreiszahlung.146 Darin könnte man das ausschlaggebende Begründungselement erkennen und eine Analyse verlangen, was der Kläger mit seiner zweiten Klage in der prozessualen Situation bezweckt. Der Gedanke ist von Johanna Lüpfert aufgegriffen und mit dem Rechtsschutzbedürfnis verknüpft worden:147 Art. 21 EuGVÜ (Art. 27 EuGVO) greife nur ein, wenn das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers des Zweitverfahrens bereits im ersten Prozess vollständig befriedigt wird. Die Frage sei nicht von Einzelfall zu Einzelfall, sondern abstrakt zu bestimmen. Und eine abstrakte Beurteilung müsse anhand des Umfangs der zu erwartenden gerichtlichen Entscheidung erfolgen. Danach werde das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers des Zweitverfahrens nur dann vollständig befriedigt, wenn über sein Begehren bereits im ersten Prozess rechtskräftig entschieden werde. Diese Meinung läuft auf ein sehr enges Verständnis des Anwendungsbereichs von Art. 21 EuGVÜ/ Art. 27 EuGVO hinaus. Nur wenn sich übereinstimmende Rechtskraftwirkungen von beiden Verfahren ergeben, greift danach die Rechtshängigkeitssperre ein. Für die restlichen Fälle sei Art. 22 EuGVÜ/Art. 28 EuGVO die besser passende Vorschrift mit der nötigen Flexibilität.148 Der Rückgriff auf den Begriff des Rechtsschutzbedürfnisses (bzw. Rechtsschutzinteresses) begegnet Bedenken. Der Begriff wird nach herkömmlicher deutscher Terminologie als Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Klage benutzt und zumeist negativ formuliert: Bei Leistungsklagen liegt das Rechtsschutzbedürfnis in aller Regel vor und entfällt nur, wenn der Kläger auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalls der von ihm geforderten Hilfeleistung des von ihm gewählten Gerichts nicht bedarf; nur in Ausnahmefällen ist das Rechtsschutzbedürfnis abzulehnen [vgl. oben A.II.5.a)]. Das Rechtsschutzinteresse hat folglich keinen materiellen Gehalt. Es bietet nach bisheriger Lesart selbst keine Kriterien für die Bestimmung des Streitgegenstands eines Verfahrens. Offenbar will Johanna Lüpfert dem Rechtsschutzinteresse solch materiellen Gehalt zumessen, und zwar durch die Reichweite der Rechtskraft. Durch diese Hintertür werden die nationalen Konzepte vom Streitgegenstand in den europäischen 146 EuGH v. 8.12.1987 (Gubisch/Palumbo) NJW 1989, 665 (dort Rdnr. 16). So auch die Analyse von Tichadou Rev. crit. dr. int. privé 1995, 601 (606), derzufolge Rechtsstreitigkeiten zwei Gesichter, nämlich Forderungs- und Verteidigungscharakter haben können. 147 Lüpfert Konnexität (1997) S. 126 f., ausgehend von Betrachtungen von Leipold GS Arens (1993), 227 (240 ff.). 148 Lüpfert Konnexität (1997) S. 127 f.

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Streitgegenstandsbegriff wieder eingeführt. Diese Deutung ignoriert die Auffassung des EuGH zur Unvereinbarkeit von Entscheidungen gem. Art. 34 Nr. 3 EuGVO, wonach die Rechtskraftwirkungen der Entscheidungen gerade keine maßgebende Bedeutung haben. Da die Rechtshängigkeitssperre unvereinbare Entscheidungen verhindern soll, bliebe ihr Anwendungsbereich deutlich zu klein. Es bleibt noch die Möglichkeit, den „Zweck der Klage“ unter Zuhilfenahme des Rechtsschutzbedürfnisses im herkömmlichen Sinn auszulegen. Zwei Klagen hätten danach einen identischen Gegenstand im Sinn von Art. 27 EuGVO, wenn der Kläger des Zweitverfahrens zwar nicht unbedingt bereits im ersten Verfahren Rechtsschutz bekommt, aber ihn bekommen kann.149 Es gibt nationale Gerichte, die mit diesem Argument die Identität des Gegenstands zweier Verfahren bejahen.150 Gegen eine solche Vorgehensweise spricht deren Unschärfe bei der Anwendung der Rechtshängigkeitssperre. Der EuGH hat selbst in der OwusuEntscheidung vorhersehbare Zuständigkeitsregeln angemahnt.151 Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsverteilung ist für einen sicheren und zuverlässigen Rechtsschutz in Europa unverzichtbar. Das muss auch für die Rechtshängigkeitssperre als Teil der Zuständigkeitsordnung gelten. Überließe man die Bestimmung des Anwendungsbereichs von Art. 27 EuGVO allein Erwägungen des Rechtsschutzbedürfnisses, dann hinge das Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre von den Umständen des Einzelfalls ab; die Bestimmung wäre zu unpräzise [vgl. bereits oben A.II.5.b)]. Nichts spricht indessen dagegen, den Gedanken des Rechtsschutzbedürfnisses als ein Argument unter mehreren mit heranzuziehen, um die Grenzen der Rechtshängigkeitssperre festzulegen; die Überlegung, ob der Kläger des zweiten Prozesses auf eine selbständige Klage angewiesen ist, darf als systematisches Argument bei der Auslegung von Art. 27 EuGVO eine Rolle spielen [vgl. zum deutschen Recht oben B.III.3.]. (2) Die wörtliche Anwendung der Kernpunkt-Formel Man kann die Formel vom „Kernpunkt des Verfahrens“ in den Vordergrund rücken. Danach sind alle wirklich umstrittenen rechtlichen oder tatsächlichen Fragen rechtshängig, die entscheidungserheblich sind und deshalb vom Gericht zwischen den Parteien entschieden werden müssen. Diese Analyse der wirk149

Leipold GS Arens (1993), 227 (241), selbst ablehnend gegenüber dieser Lösung. Turner v Grovit [1999] ILPr 656 (673 Laws L.J.) (CA): In beiden Verfahren ging es um denselben Arbeitsvertrag und die Umstände seiner Beendigung, weshalb ein identischer Klagegrund vorliege. Die Behauptungen und Anträge im zweiten Verfahren hätten aber auch im Wege der Widerklage in den ersten Prozess eingebracht werden können. Das genüge, um einen identischen Klagegegenstand in beiden Verfahren anzunehmen. 151 EuGH v. 1.3.2005 (Owusu/Jackson) RIW 2005, 292 (295 dort Rdnr. 39 ff.). 150

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lichen Streitpunkte erinnert an eine Theorie im französischen Recht zur Ermittlung der Rechtskraft eines Urteils („théorie de question litigieuse“), die sich freilich in Frankreich nicht durchsetzen konnte.152 [Zur Rechtskraft nach französischem Recht vgl. unten C.III.4.a)(3)] Nach dieser Theorie erwächst jede tatsächliche oder rechtliche Frage in Rechtskraft, die zwischen den Parteien umstritten war und diskutiert wurde und über die das Gericht tatsächlich entscheiden musste. Eine die zwischen den Parteien strittigen Fragen analysierende Vorgehensweise ist sicherlich die weitestreichende Methode bei der Ermittlung des Kernpunkts zweier Verfahren, sie zeichnet sich zugleich aber auch durch wenig Präzision aus. Gleichwohl bedienen sich gerade deutsche Gerichte gerne der beschreibenden Vorgehensweise bei der Anwendung des Art. 21 EuGVÜ. So zum Beispiel das OLG München in der bereits geschilderten Entscheidung [vgl. oben Fn. 124]: Dort genügte es dem Gericht, dass in beiden Verfahren dieselbe Frage umstritten war, wer für das Scheitern des Vertrags verantwortlich sei, um die Rechtshängigkeitssperre auszulösen. (3) Der wirtschaftliche Zweck der Klage Der Zweck der Klage könnte in den wirtschaftlichen oder, sollten diese völlig fehlen, in den ideellen Absichten des Klägers liegen. Es müsste ermittelt werden, worum es dem Kläger in der Sache geht. Die Mærsk-Entscheidung enthält allerdings Hinweise, dass der EuGH diese Deutung nicht erwägt: Während in der Tatry-Entscheidung die angeblichen Schädiger den befürchteten Schadensersatzanspruch mit einer negativen Feststellungsklage bekämpften, wenden sich in der Mærsk-Entscheidung die Schädiger ebenfalls gegen einen befürchteten Schadensersatzanspruch, nur bringen sie in diesem Fall eine Haftungsbeschränkung in Stellung. Berücksichtigt man die Höhe des geltend gemachten Schadens (ca. 1,7 Mio. US $ und 52.000 GBP) mit der Höhe der beschränkten Haftung (ca. 52.000 NLG) und bedenkt man, dass das Ergebnis der niederländischen Haftungsbeschränkung nicht nur in den Niederlanden wirkt, sondern als Entscheidung gem. Art. 25 EuGVÜ/Art. 32 EuGVO anzuerkennen ist,153 dann nähert sich zumindest bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise das niederländische Haftungsbeschränkungsverfahren einer negativen Feststellungsklage wie in der Tatry-Entscheidung an.154 Der EuGH nimmt zu solchen Erwägungen keine Stellung. Er konstatiert recht knapp, dass die Klagen in Dänemark und den Niederlanden unterschiedliche Ziele verfolgten: einerseits die Durchsetzung eines

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Kössinger Rechtskraftprobleme (1993) S. 85 ff. EuGH vom 14.10.2004 (Mærsk Olie & Gas/Firma M. de Haan en W. de Boer) EuLF 2004, 282 (dort Rdnr. 52). 154 Das erkennt anscheinend auch GA Leger Schlussantrag C-39/02 (Mærsk) dort Rdnr. 43 a. E., der aber die Unterschiede betont. 153

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Anspruchs, andererseits die Beschränkung der Haftung.155 Der EuGH zieht zur Bestimmung des Klagezwecks folglich auch das materielle Recht heran. Das führt uns zu einer möglichen materiell-rechtlichen Deutung. (4) Die materiell-rechtliche Deutung Man kann den Streitgegenstand gem. Art. 27 EuGVO eng an das materielle Recht anbinden und bei der Bestimmung des Zwecks der Klage darauf abstellen, welche materiell-rechtlichen Anspruchspositionen in den Klagen geltend gemacht werden. In England tendieren Gerichte zu dieser Sicht der Dinge. In jüngster Zeit wurde die Verfahrensidentität im Sinn von Art. 27 EuGVO verneint, obwohl beiden Klagen ein einheitlicher Lebenssachverhalt zugrunde lag, weil in einer Klage vertragliche Ansprüche, in der zweiten Klage deliktische Ansprüche eingefordert wurden.156 Eine schematische Lösung nach den Anspruchsgrundlagen, auf denen die Klagen beruhen, ist aus deutscher Sicht sehr eng und bedeutet einen Rückfall in überwundenes Denken.157 Frauke Wernecke hat einen Lösungsansatz entwickelt, der den europäischen Streitgegenstandsbegriff von der einzelnen Anspruchsgrundlage lösen soll, sich aber dennoch am materiellen Recht orientiert. Identität der Streitgegenstände zweier Verfahren sei gegeben, wenn in beiden Verfahren über dieselbe Rechtsfolge gestritten werde. Das sei immer dann der Fall, wenn sich die mit den Klagen verfolgten Rechtsfolgen auf Grundlage (teil-)identischer Sachverhalte aus identischen Normen, miteinander konkurrierenden Normen oder einander ausschließenden Normen ergeben.158 Wenn in zwei parallelen Verfahren die Klagen auf unterschiedliche Normen gestützt werden, müsse geprüft werden, ob die Normen miteinander konkurrieren oder sich gegenseitig ausschließen. Sie konkurrieren laut Frauke Wernecke, wenn sie dasselbe Interesse des Anspruchinhabers befriedigen.159 Sie schließen sich gegenseitig aus, wenn sie in ihren Tatbestandsvoraussetzungen Gegenteiliges erfordern, z. B. das Bestehen eines Vertrags für einen Kaufpreisanspruch und das

155 EuGH vom 14.10.2004 (Mærsk Olie & Gas/Firma M. de Haan en W. de Boer) EuLF 2004, 282 (dort Rdnr. 35). 156 The Bank of Tokyo-Mitsubishi v Baskan Gida Sanayi ve Pazarlarma [2004] ILPr 427 (473 Collins J.) (Chancery Division): In der zweiten Klage in England wurden sowohl vertragliche als auch deliktische Ansprüche geltend gemacht. Das Gericht nahm eine Rechtshängigkeitssperre durch die frühere Feststellungsklage nur bezüglich der vertraglichen Ansprüche an, auf die die Feststellungsklage ausschließlich bezogen gewesen sei. 157 Kritisch deshalb Pfeiffer Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1991, 71 (85). 158 Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 25 f., 47. 159 Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 26 dort Fn. 76.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Nichtbestehen für einen Rückforderungsanspruch nach Bereicherungsrecht.160 In solchen Fällen liege Identität der Streitgegenstände vor und die Rechtshängigkeitssperre könne eingreifen. Kumulieren die Normen nebeneinander, weil sie unterschiedliche Interessen der Anspruchinhaber befriedigen sollen, dann seien zwei unterschiedliche Streitgegenstände gegeben161 und die Rechtshängigkeitssperre ausgeschlossen. Der Klageantrag behält bei dieser Bestimmung des Streitgegenstands eine gewisse Bedeutung. Der Antrag des Klägers umreiße stets, was er wolle. In Zusammenschau mit dem Sachverhalt, mit dem er seine Forderung begründet, und mit den anwendbaren Normen ergebe sich die Rechtsfolge, die der Kläger verfolge.162 Der Antrag diene demnach der Orientierung, um welche Rechtsfolge es dem Kläger geht. Die Gubisch-Entscheidung, in der die italienische Klage lediglich auf die Feststellung der Unwirksamkeit des Kaufvertrags abzielte, erklärt Frauke Wernecke mit einer Umdeutung des Feststellungsantrags: Eigentlich sei es dem italienischen Kläger nur um die Abwehr des Kaufpreisanspruchs gegangen, als er die Feststellung des Vertragsunwirksamkeit begehrte. Man dürfe also nicht am Wortlaut des Antrags haften, sondern den „eigentlichen Antrag“ herauslesen.163 Im Ergebnis handelt es sich bei Werneckes Bestimmung des Streitgegenstands um eine rechtlich-wirtschaftliche Methode. Es werden nicht nur vordergründig die zur Entscheidung relevanten materiell-rechtlichen Normen berücksichtigt, sondern auch das Interesse, das diese Normen befriedigen sollen. Dienen unterschiedliche Normen der Befriedigung desselben Interesses, gehören sie zu einem einheitlichen Streitgegenstand, auch wenn sich die Kläger nicht ausdrücklich auf beide Normen berufen. Der Antrag behält eine untergeordnete Rolle als grobe Vorgabe, welche Rechtsfolgen vor Gericht geltend gemacht werden. Diese Streitgegenstandsbestimmung entspricht dem Ansatz Werneckes, den sie in Bezug auf den deutschen Streitgegenstandsbegriff vertritt [vgl. oben B.II.3.a)].164 Es ist zu erwägen, von Werneckes Interpretation der Kernpunkt-Rechtsprechung des EuGH den Begriff des Interesses aufzugreifen, den sie in die Diskussion einbringt: Zwei Klagen sind objektiv identisch im Sinn von Art. 27 EuGVO, wenn mit ihnen dasselbe Interesse verfolgt wird. Das Interesse wird 160 Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 27 dort Fn. 77; das treffe aber nicht auf das Verhältnis zwischen der Kaufpreisklage eines Verkäufers und der Schadensersatzklage wegen Pflichtverletzung des Käufers zu. Zwar stützten sich beide Klagen auf gemeinsame Vorfragen, jedoch seien nicht dieselben Interessen betroffen, Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 32, 47 f. 161 Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 27 dort Fn. 78 und S. 47. 162 Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 22, 25. 163 Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 19 dort Fn. 47 und S. 23. 164 Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 106 f.

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

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dabei auf das geltend gemachte materielle Recht bezogen. Es kommt darauf an, ob die Rechtsnormen, auf die sich die Klagen stützen, der Befriedigung desselben Interesses dienen. 5. Rechtshängigkeitssperre und Aussetzung (Artt. 27, 28 EuGVO) a) Die Aussetzung gem. Art. 28 Abs. 1 EuGVO Art. 28 Abs. 1 EuGVO und Art. 22 Abs. 1 EuGVÜ ermöglichen die Aussetzung eines Verfahrens, wenn es mit einem anderen, früher rechtshängig gewordenen Verfahren in Zusammenhang steht. Der Begriff des „Zusammenhangs“ wird jeweils in Abs. 3 der beiden Vorschriften genauer definiert. Zweck der Bestimmung ist die Vermeidung gegensätzlicher Entscheidungen und somit die Sicherung einer geordneten Rechtspflege in der Europäischen Gemeinschaft.165 Diese Zielsetzung hat sie mit den Vorschriften zur Rechtshängigkeit gemein. Daneben dient sie der Prozessökonomie,166 indem das Gericht den Ausgang des vorrangigen Prozesses abwarten kann. Eventuell wird die Fortsetzung des Verfahrens überflüssig, weil es sich nach Abschluss des ersten Prozesses erledigt hat, oder es können Ergebnisse des ersten Verfahrens übernommen werden. Durch die Aussetzung wird der Justizgewährungsanspruch des Klägers gem. Art. 6 EMRK und Art. 47 Abs. 2 EuGrCharta beeinträchtigt.167 Da der von ihm in Gang gesetzte Prozess nur unterbrochen wird, ist die Beeinträchtigung nicht erheblich und kann nur bei fortschreitender Dauer der Aussetzung an Bedeutung gewinnen. Die Einschränkung der Justizgewährung ist geringer als die durch eine vollständige Abweisung der Klage entstehende Beeinträchtigung, die gem. Art. 22 Abs. 2 EuGVÜ/Art. 28 Abs. 2 EuGVO oder wegen einer Rechtshängigkeitssperre gem. Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVO ausgesprochen werden kann.168 Anders als Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVO ist die Identität der Parteien und des Streitgegenstands für die Aussetzung nach Art. 22 EuGVÜ/Art. 28 EuGVO keine Voraussetzung.169 Einzige Bedingung für die Aussetzung ist der Zusammenhang zwischen beiden Verfahren gem. Abs. 3 der Vorschriften, auch Konnexität genannt. Er ist gegeben, wenn in den beiden Verfahren sich widersprechende Entscheidungen ergehen können. Der EuGH hat klargestellt, dass die Gefahr „unvereinbarer Entscheidungen“, wie sie in Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/ 165 EuGH v. 6.12.1994 (The Tatry/The Maciej Ratej) IPRax 1996, 108 dort Rdnr. 52; Kropholler EuZPR (2005) Art. 28 Rdnr. 1. 166 Lüpfert Konnexität (1997) S. 46. 167 Geimer/Schütze EuZVR (2004) A.1 Art. 28 Rdnr. 3. 168 Lüpfert Konnexität (1997) S. 48. 169 OLG Frankfurt v. 19.6.2000 NJW-RR 2001, 215; Kropholler EuZPR (2005) Art. 28 Rdnr. 5.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Art. 34 Nr. 3 EuGVO gefordert ist, nicht bestehen muss. Eine Aussetzung ist also auch dann möglich, wenn sich die möglichen Rechtsfolgen beider Entscheidungen nicht gegenseitig ausschließen und beide Urteile nebeneinander vollstreckt werden könnten.170 b) Das Verhältnis zwischen Rechtshängigkeitssperre und Aussetzung Die Rechtshängigkeitssperre gem. Art. 27 EuGVO ist gegenüber der Aussetzung gem. Art. 28 Abs. 1 EuGVO das speziellere Verfahrensinstrument und daher vorrangig anwendbar.171 Art. 28 EuGVO hat einen sehr weit gefassten Tatbestand, indem er einen tatsächlichen Zusammenhang zwischen Verfahren genügen lässt, sofern die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen besteht. Art. 27 EuGVO ist enger, da er die Identität beider Verfahren in objektiver und subjektiver Hinsicht verlangt. Die Grenzziehung zwischen beiden Vorschriften muss von der spezielleren Vorschrift des Art. 27 EuGVO her erfolgen. Sowohl Art. 27 EuGVO als auch Art. 28 EuGVO verfolgen dieselbe Zielsetzung, nämlich Prozessökonomie zu schaffen und die Entstehung unvereinbarer Entscheidungen zu verhindern [vgl. oben A.II.4. bei Fn. 67]. Teleologisch können die beiden Verfahrenskoordinationsinstrumente folglich nicht unterschieden werden. Sie zeigen aber Abweichungen in der Anwendung durch das Gericht (mit und ohne Ermessen) und in den Wirkungen. Beide Kriterien sind bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale des Art. 27 EuGVO als systematisches Argument einzubeziehen. Denn es kann sinnvoll sein, die Rechtshängigkeitssperre in gewissen Situationen hinter der Aussetzung zurücktreten zu lassen, wenn sie sich als das geeignetere Instrument erweisen sollte. An der EuGH-Rechtsprechung zu Art. 21 EuGVÜ wurde gerade von der deutschsprachigen Rechtswissenschaft wiederholt kritisiert, sie dehne ohne Not den Anwendungsbereich von Art. 21 EuGVÜ bzw. Art. 27 EuGVO zu Lasten von Art. 22 EuGVÜ/Art. 28 EuGVO aus. Die Aussetzung des Verfahrens sei in den meisten Fällen die flexiblere und daher bessere Maßnahme.172 Hinter der Bevorzugung der ermessensgeleiteten Aussetzung scheint unausgesprochen der Umstand zu stehen, dass die Gerichte bei der Entscheidung über die Aussetzung auch die voraussichtliche Anerkennungsfähigkeit des Urteils aus dem Erst170 EuGH v. 6.12.1994 (The Tatry/The Maciej Ratej) IPRax 1996, 108 dort Rdnr. 55 ff.; der Zusammenhang zwischen Art. 22 Abs. 3 EuGVÜ und Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ war fraglich, weil in der englischen Fassung jeweils der Begriff „irreconcilable judgment“ verwendet wurde. In anderen Sprachfassungen sind verschiedene Begriffe gewählt (widersprechend/unvereinbar). 171 Lüpfert Konnexität (1997) S. 91. 172 Hau Positive Kompetenzkonflikte (1996) S. 136 ff. (140); Linke RIW 1988, 822 (823); Wolf FS Schwab (1990), 561 (573); vgl. oben bei Fn. 87.

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

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verfahren berücksichtigen dürfen.173 Art. 27 EuGVO ist demgegenüber ohne Anerkennungsprognose anzuwenden.174 Das kann sich insbesondere auswirken, wenn in der ersten Klage ein Gericht entgegen den ausschließlichen Zuständigkeiten aus den Abschnitten 3, 4 und 6 des Kapitels II der EuGVO angerufen wird. Ist die Rechtshängigkeitssperre anwendbar, dann muss das Gericht des zweiten Verfahrens gem. Art. 27 Abs. 1 EuGVO aussetzen, bis das Gericht des Erstverfahrens seine Unzuständigkeit erkannt hat (was unter Umständen lange Zeit dauern kann).175 Definiert man den Bereich der Rechtshängigkeitssperre dagegen sehr eng, ist in weiterem Umfang der Art. 28 EuGVO einschlägig. Bei der Aussetzung könnte das Gericht in seiner Ermessensentscheidung berücksichtigen, dass die Entscheidung des Erstgerichts wegen des Verstoßes gegen die ausschließliche Zuständigkeit gem. Art. 35 Abs. 1 EuGVO nicht anerkennungsfähig sein wird. Dadurch ließe sich jede Verzögerung des Verfahrens vor dem ausschließlich zuständigen Gericht vermeiden. Freilich gibt es auch Gegenstimmen, die auf entscheidende Schwächen des Art. 22 EuGVÜ aufmerksam machen. Aufgrund des in Art. 22 EuGVÜ eingeräumten Ermessens werde die Vorschrift nicht selten fehlerhaft nicht angewendet.176 Zudem gelte sie nur in der ersten Instanz; parallele Verfahren könnten aber auch erst in höheren Instanzen erkannt werden.177 Letzterem Argument ist nach der inhaltlichen Veränderung von Art. 28 EuGVO gegenüber der Vorgängerregelung des Art. 22 EuGVÜ im Wesentlichen der Boden entzogen worden. Und ob nun gerade das Ermessen in Art. 22 EuGVÜ in höherem Maß Fehlentscheidungen provoziert, als dies bei einem weitgefassten Anwendungsbereich des Art. 21 EuGVÜ der Fall ist, bedarf noch der Untersuchung. Generell gilt, dass die Einräumung eines Ermessens die bessere Berücksichtigung der Einzelfallumstände erlaubt und damit mehr Einzelfallgerechtigkeit ermöglicht, es zugleich aber dem Kläger erschwert, die Zulässigkeit seines Vorgehens bei der Wahl eines Gerichtsstands einzuschätzen, und damit eines der Ziele der EuGVO beeinträchtigt, nämlich die Vorhersehbarkeit der Zuständigkeiten (Erwägungsgrund Nr. 11). Die Frage ist vielmehr, ob Art. 22 EuGVÜ bzw. Art. 28 EuGVO wirklich die flexiblere Maßnahme zur Koordination zweier Verfahren bilden. Denn diese 173 OLG Frankfurt a. M. v. 19.6.2000 NJW-RR 2001, 215; Lüpfert Konnexität (1997) S. 211; Schlosser EU-ZPR (2003) Art. 28 EuGVVO Rdnr. 7. 174 BGH v. 8.2.1995 NJW 1995, 1758 (1759); Zöller/Geimer ZPO (2005) Anh I Art. 27 EuGVVO Rdnr. 11. 175 Es werden allerdings Ausnahmen von der Aussetzungspflicht diskutiert, vgl. oben A.V. bei Fn. 195. 176 Schack IPRax 1989, 139 (140); zustimmend Bäumer Ausländische Rechtshängigkeit (1999) S. 137, vgl. auch oben Fn. 91. 177 Schulte Rechtshängigkeit im US-Zivilprozeßrecht (2001) S. 75 f. und dort in Fn. 258; Bäumer Ausländische Rechtshängigkeit (1999) S. 137.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Normen erlauben lediglich die Aussetzung des zweiten Verfahrens und nicht wie beispielsweise § 148 ZPO die Aussetzung auch des zuerst rechtshängig gewordenen Verfahrens. Während im deutschen Recht sich das „besondere“ Verfahren sehr gut auf das „allgemeine“, über das präjudizielle Rechtsverhältnis urteilende Verfahren einstellen kann, auch wenn dieses später rechtshängig wird, tritt im europäischen Recht ein nachfolgendes präjudizielles Verfahren auf der Stelle, obwohl sich das zweite Verfahren womöglich gar nicht nach dem ersten zu richten hat [wie das Beispiel des Gubisch-Falls zeigt, vgl. oben C.II.3.a)]. Nur um den Prioritätsgedanken zu verwirklichen, hat man der Aussetzungsvorschrift die nötige Flexibilität genommen. Vergleicht man die Aussetzung und die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVÜ bzw. EuGVO miteinander, so unterscheiden sich die Vorschriften ausschließlich darin, dass bei letzterer das Zweitverfahren ganz abbricht, während es bei ersterer nur eingefroren wird. Der Nachteil der Rechtshängigkeitssperre gegenüber der Aussetzung reduziert sich darauf, dass sich das Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre möglicherweise im Nachhinein als überflüssig erweist und deshalb Prozessergebnisse unnötig verworfen wurden. Da aber die Tatsache eines bereits laufenden Parallelverfahrens in aller Regel schon zu Verfahrensbeginn vorgebracht wird, dürfte der drohende Verlust von Prozessergebnissen in der Regel nicht allzu groß sein. Während die Nachteile also in aller Regel überschaubar bleiben, gibt es einen deutlichen Vorteil der Rechtshängigkeitssperre gegenüber der Aussetzung; er liegt in der stärkeren Konzentrationswirkung.178 Wenn ein paralleles Verfahren wegen Rechtshängigkeit abgebrochen wird, wird der Kläger des Zweitverfahrens veranlasst, seinen Rechtsschutz im Erstverfahren zu suchen und eventuell mit Widerklage oder Klageerweiterung zu reagieren. Dem Ziel, Prozessökonomie und Entscheidungseinklang zu fördern, wird durch die Rechtshängigkeitssperre besser gedient als durch die Aussetzung. Hier bleibt das Verfahren anhängig, und der Kläger muss seine Klage sogar selbst zurücknehmen, um eine entsprechende Widerklage oder Klageerweiterung im Erstverfahren erheben zu können [vgl. schon zum deutschen Recht oben B.IV.]. Als nennenswerter Vorteil der Aussetzung bleibt allein die Möglichkeit, die Koordination zweier Verfahren an eine Anerkennungsprognose zu knüpfen [vgl. oben Fn. 173]. Damit gestattet man den Gerichten, Bewertungen zu treffen, die 178 Gegen die Annahme einer solchen „Konzentrationslast“ aufgrund Art. 21 EuGVÜ Leipold GS Arens (1993), 227 (241 ff.); ebenso Lüpfert Konnexität (1997) S. 125 f.; Otte Umfassende Streitentscheidung (1998) S. 441; positiver eingestellt nun Leipold Wege zur Konzentration von Zivilprozessen (1998) S. 19 ff. Die Konzentrationswirkung begrüßend Barnert ZZP 118 (2005), 81 (85); Gohm Maßnahmen zur Beschleunigung (2004) S. 222 f.; MünchKommZPO/Gottwald Band 3 (2001) Art. 21 EuGVÜ Rdnr. 9 a. E.; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) Einleitung Rdnr. 62a; Tichadou Rev. crit. dr. int. privé 1995, 601 (607). Vgl. dazu bereits oben bei Fn. 86, 101.

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

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eigentlich dem angerufenen Gericht obliegen. Der EuGH steht solchen Bestrebungen äußerst reserviert gegenüber. Im Hinblick auf die Entscheidung über die Zuständigkeit hat er wiederholt hervorgehoben, dass das angerufene Gericht diese Entscheidung selbst treffen müsse.179 Das Gericht des zweiten Verfahrens sollte möglichst nicht über das Ergebnis des Erstverfahrens spekulieren, sondern es abwarten. Anerkennungsprognosen sind notwendig mit Unsicherheiten verbunden.180 Die Möglichkeit einer Anerkennungsprognose bei der Aussetzungsentscheidung spricht also nicht für einen engen Anwendungsbereich der Rechtshängigkeitssperre zugunsten der Aussetzung. Im Gegenteil sollte jedes Gericht bei seiner Aussetzungsentscheidung die Anerkennungsprognose sehr vorsichtig einsetzen. Alles in allem muss man im Rahmen von EuGVÜ und EuGVO den Anwendungsbereich der Rechtshängigkeitssperre nicht zugunsten der Aussetzung möglichst eng halten. Die Aussetzung ist nicht die bessere Verfahrenskoordinationsmaßnahme und daher nicht zu bevorzugen. Bei der Auslegung des Art. 27 EuGVO kann man deshalb allein auf die Zielsetzung der Vorschrift und die Tatbestandsvoraussetzungen abstellen und muss keine Rücksicht auf den Anwendungsbereich der alternativen Aussetzung nehmen. 6. Der Anwendungsbereich des Art. 28 Abs. 2 EuGVO Weil die Rechtsfolge des Art. 28 Abs. 2 EuGVO auf Abweisung der Klage wegen Unzuständigkeit gerichtet ist, steht diese Vorschrift der Rechtshängigkeitssperre nahe [vgl. oben A.II.3.c)]. Allerdings steht die Anwendung im Ermessen der Gerichte, was für eine Rechtshängigkeitsregel untypisch ist. Der EuGH hat sich – soweit ersichtlich – zu Art. 28 Abs. 2 EuGVO bzw. Art. 22 Abs. 2 EuGVÜ noch nicht geäußert. Der Anwendungsbereich der Vorschriften ist relativ dunkel. Art. 28 Abs. 2 EuGVO enthält die Voraussetzung, dass beide Verfahren noch in der ersten Instanz anhängig sind. Dies ist in Art. 22 Abs. 2 EuGVÜ nicht ausdrücklich genannt, gilt aber nach herrschender Meinung auch für diese Vorschrift.181 Diese Eingrenzung soll verhindern, dass eine Partei durch die Abweisung wegen Verbindung mit der anderen Klage eine Instanz verliert.182 Daraus 179 EuGH v. 27.6.1991 (Overseas Union Insurance/New Hampshire Insurance) NJW 1992, 3221 (dort Rdnr. 23); EuGH v. 9.12.2003 (Gasser/MISAT) IPRax 2004, 243 (dort Rdnr. 48 f.). Dieser Gedanke lässt sich auch auf andere Anerkennungshindernisse übertragen. Ein Beispiel bei BGH v. 8.2.1995 NJW 1995, 1758; dort stritten sich die Parteien in drei Verfahren über die Wirksamkeit eines Vertrags. Der Kläger des dritten Prozesses machte geltend, das Ergebnis des zweiten (parallelen) Prozesses sei möglicherweise unvereinbar gem. Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ mit dem Ergebnis des ersten, abgeschlossenen Prozesses, weshalb der dritte Prozess ungehindert weiterlaufen sollte. Der BGH wies dieses Vorbringen zurück. 180 Kropholler EuZPR (2005) Art. 27 Rdnr. 18 a. E.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

resultiert aber ein nicht unerheblicher Wirkungsverlust dieser Vorschrift bei der Verfahrenskoordination.183 Es können daher im Verhältnis zur „klassischen Rechtshängigkeitssperre“ gem. Art. 27 EuGVO bzw. Art. 21 EuGVÜ dieselben Argumente benutzt werden, die auch gegen die Aussetzung gem. Art. 22 Abs. 1 EuGVÜ vorgebracht wurden [vgl. oben bei Fn. 177]. Zweite Voraussetzung ist die Möglichkeit der Verbindung beider Klagen beim Gericht des ersten Rechtszugs; eine Verbindung muss nach dem Prozessrecht dieses Gerichts zulässig sein. Hier gibt es Unterschiede in Art. 22 Abs. 2 EuGVÜ und Art. 28 Abs. 2 EuGVO; nach Art. 22 Abs. 2 EuGVÜ ist das Recht des aussetzenden Gerichts zu befragen.184 Das Gericht des zweiten Verfahrens kann aber nicht auf der Grundlage von Art. 22 Abs. 2 EuGVÜ sein Verfahren an das Erstgericht bindend verweisen.185 Nach herrschender Meinung ist eine nationale Vorschrift erforderlich, die Verweisungen zum Zweck der Verbindung ermöglicht, wie sie beispielsweise in Frankreich mit Art. 101 NCPC existiert. Nach deutschem Recht erlaubt § 147 ZPO eine Verbindung nur innerhalb eines Gerichts.186 Diese herrschende Meinung ist im Übrigen nicht ganz mit der Rechtsfolge von Art. 22 Abs. 2 EuGVÜ in Einklang zu bringen. Schließlich soll das zweite Gericht sich danach für unzuständig erklären; eine Anordnung zur verweisenden Verbindung ist etwas anderes. Bei der Schaffung der EuGVO wurde in Art. 28 Abs. 2 EuGVO eine Änderung vorgenommen. Nach dem Wortlaut der EuGVO-Vorschrift kommt es auf das Prozessrecht des ersten Gerichts an.187 Nach seinem nationalen Prozessrecht muss die Verbindung der Prozesse möglich sein. Drei Wege der Verbindung sind denkbar: Erstens kann Art. 28 Abs. 2 EuGVO erfordern, dass das erste Gericht die Klage vor dem zweiten Gericht an sich ziehen und mit seinem eigenen Prozess verbinden kann. Nationale Verfahrensregeln, die ihren Gerichten solche Kompetenzen grenzüberschreitend einräumen, sind aber kaum denkbar. In Deutschland ermöglicht § 147 ZPO lediglich die Verbindung von Prozessen, die vor demsel181 Die Voraussetzung der Anhängigkeit beider Verfahren im ersten Rechtszug in Art. 22 Abs. 1 EuGVÜ soll ursprünglich ausschließlich für Abs. 2 vorgesehen gewesen sein, vgl. Lüpfert Konnexität (1997) S. 130 m.w. N. 182 Rauscher/Leible EuZPR (2004) Art. 28 Brüssel I-VO Rdnr. 8. 183 Kritisch zu dieser Voraussetzung auch Geimer/Schütze EuZVR (2004) A.1 Art. 28 Rdnr. 15. 184 Leipold GS Arens (1993), 227 (237); dazu auch Lüpfert Konnexität (1997) S. 155 m.w. N. 185 OLG Stuttgart v. 24.11.1999 IPRspr. 1999 Nr. 149; MünchKommZPO/Gottwald Band 3 (2001) Art. 22 EuGVÜ Rdnr. 6 a. E.; Kropholler EuZPR (2005) Art. 28 Rdnr. 9, der aber de lege ferenda die Möglichkeit bindender Verweisung befürwortet. 186 Leipold GS Arens (1993), 227 (239); Lüpfert Konnexität (1997) S. 158 ff. mit einem rechtsvergleichenden Überblick. 187 Kropholler EuZPR (2005) Art. 28 Rdnr. 8; Schlosser EU-ZPR (2003) Art. 28 EuGVVO Rdnr. 2.

II. Die objektive Grenze der Rechtshängigkeit

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ben Gericht anhängig sind.188 Außerdem wäre dann eine Klageabweisung durch das Gericht des zweiten Verfahrens nicht mehr notwendig; Art. 28 Abs. 2 EuGVO sieht eine solche Abweisung aber ausdrücklich vor. Diese Art der Verbindung kann Art. 28 Abs. 2 EuGVO folglich nicht meinen. Zweitens kann „Verbindung“ bedeuten, dass der Kläger nach Abweisung der Klage vor dem zweiten Gericht seine Klage vor dem ersten Gericht neu erhebt und das Gericht beide Verfahren anschließend verbindet.189 Ist das erste Gericht ein deutsches, erlaubt § 147 ZPO eine Verbindung, die im Ermessen des Gerichts steht.190 Im französischen Recht gestattet Art. 367 NCPC191 eine Verbindung zweier Klagen, die vor demselben Gericht anhängig sind. Auch dem französischen Richter ist bei der Entscheidung ein Ermessen eingeräumt.192 Im englischen Recht gibt CPR 3.1 (2) (g)193 dem Gericht die Möglichkeit der Prozessverbindung. Gem. CPR 3.1 (2) (h)194 kann es mehrere Klagen zugleich verhandeln. Die Vorschriften gehören zu den „court’s general powers of management“. Die dazu zählenden Maßnahmen stehen generell im Ermessen des Gerichts.195 Dieser kurze rechtsvergleichende Überblick zeigt, dass in Deutschland, Frankreich und England die Verbindung Ermessenssache des Gerichts und damit nicht sichergestellt ist. Das ist für Art. 28 Abs. 2 EuGVO auch nicht erforderlich; die Vorschrift lässt genügen, dass die Verbindung zulässig ist. Aus Sicht der Gerichte, denen die Verbindung obliegt, ist sie zulässig. Schließlich kann man drittens zur Beurteilung einer möglichen „Verbindung“ danach fragen, ob der Kläger des zweiten Verfahrens in der Lage ist, sein Begehren im Wege von Klageerweiterung oder Widerklage im ersten Prozess einzubringen.196 Vor einem deutschen Gericht ist die Widerklage ohne größere 188 Deshalb meint Geimer/Schütze/Försterling Internationaler Rechtsverkehr (2005) B Vor I 10 b Art. 28 Rdnr. 22 dort Fn. 32, dass Art. 28 Abs. 2 EuGVO zumindest in Deutschland ins Leere laufe. 189 So Schlosser EuGVÜ (1996) Art. 22 Rdnr. 2 als Vorschlag zur korrigierenden Auslegung von Art. 22 Abs. 2 EuGVÜ. 190 Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 3 (2005) § 147 Rdnr. 11. 191 Art. 367 NCPC lautet: „Le juge peut, à la demande des parties ou d’office, ordonner la jonction de plusieurs instances pendantes devant lui s’il existe entre les litiges un lien tel qu’il soit de l’intérêt d’une bonne jusitice de les faire instruire ou juger ensemble. – Il peut également ordonner la disjonction d’une instance en plusieurs.“ 192 Couchez Procédure civile (1998) Rdnr. 1046 (Nicht mehr ausdrücklich dazu und insgesamt deutlich kürzer in der Darstellung derselbe Procédure civile (12. Auflage 2002) Rdnr. 380). 193 CPR 3.1 (2) (g) lautet: „Except where these Rules provide otherwise, the court may consolidate proceedings.“ 194 CPR 3.1 (2) (h) lautet: „Except where these Rules provide otherwise, the court may try two or more claims on the same occasion.“ 195 Andrews English civil procedure (2003) Rdnr. 13.01 ff. 196 Schlosser EU-ZPR (2003) Art. 28 EuGVVO Rdnr. 2.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Hürden möglich; die Klage, der mit einer Widerklage begegnet werden soll, muss noch rechtshängig sein, Klage und Widerklage müssen derselben Prozessart zugehören und das Gericht muss auch für die Widerklage zuständig sein. § 33 ZPO gibt einen besonderen Gerichtsstand bei sachlichem Zusammenhang.197 Umstrittene Zulässigkeitsvoraussetzung ist ein sachlicher Zusammenhang mit der Klage,198 der aber in aller Regel bestehen wird, denn bereits für die Abweisung gem. Art. 28 Abs. 2 EuGVO ist ein Zusammenhang gem. Art. 28 Abs. 3 EuGVO erforderlich. Klageerweiterungen sind als Klageänderungen gem. § 263 ZPO grundsätzlich nur zulässig, wenn sie sachdienlich sind oder der Gegner einwilligt. Wie Klageänderungen werden auch parteierweiternde Klagen und Widerklagen gegen Dritte behandelt.199 Das französische Prozessrecht lässt gem. Art. 70 Abs. 1 NCPC200 Widerklagen und Klageerweiterungen zu, wenn sie mit den ursprünglichen Klageanträgen durch einen hinreichenden Zusammenhang verbunden sind. In England ist gem. CPR 20.4 (2)201 eine Widerklage zusammen mit der Klageerwiderung ohne gerichtliche Erlaubnis, ansonsten nur mit gerichtlicher Erlaubnis gestattet. Eine Klageerweiterung nach Zustellung der Klage ist – ähnlich wie im deutschen Recht – gem. CPR 17.1 (2)202 nur mit Einwilligung der übrigen Parteien oder mit gerichtlicher Erlaubnis zugelassen. Nach allein objektiven Gesichtspunkten wird die Zulässigkeit nur für die Widerklage nach deutschem und französischem Recht und für die Klageerweiterung nach französischem Recht bestimmt. In den anderen Fällen ist die Verbindung durch Maßnahmen seitens des zweiten Klägers nicht sicher, sondern von der Zustimmung des Gegners, der übrigen Parteien oder des Gerichts abhängig. Wiederum ist die Verbindung im Einzelfall nicht sichergestellt. Fraglich ist, ob in solchen Fällen das zweite Gericht sich gem. Art. 28 Abs. 2 EuGVO für unzuständig erklären darf. Die Verbindung seines Rechtsschutzbegehrens mit dem ersten Verfahren ist nun nicht mehr Sache des ersten 197

Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 95 Rdnr. 10 ff. So die herrschende Meinung der Rechtsprechung, BGH v. 5.4.2001 NJW 2001, 2094 (2095). 199 Zur parteierweiternden Klageänderung MünchKommZPO/Lüke Band 1 (2000) § 263 Rdnr. 84 m.w. N. aus der Rechtsprechung; a. A. die herrschende Lehre, vgl. z. B. Hk-ZPO/Saenger (2006) § 263 Rdnr. 21; zur Drittwiderklage BGH v. 12.10.1995 NJW 1996, 196. 200 Art. 70 Abs. 1 NCPC lautet: „Les demandes reconventionnelles ou additionnelles ne sont recevables que si elles se rattachent aux prétentions originaires par un lien suffisant.“ 201 CPR 20.4 (2) lautet: „A defendant may make a counterclaim against a claimant (a) without the court’s permission if he files it with his defence, or (b) at any other time with the court’s permission.“ 202 CPR 17.1 mit der Überschrift „Amendments to statements of case“ lautet: „(1) A party may amend his statement of case at any time before it has been served on any other party. (2) If his statement of case has been served, a party may amend it only (a) with the written consent of all the other parties; or (b) with the permission of the court.“ 198

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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Gerichts, sondern primär des Klägers des zweiten Prozesses. Durch diesen Perspektivenwechsel kann man den Standpunkt vertreten, dass die Verbindung objektiv zulässig sein müsse. Andernfalls könnte es zu der Situation kommen, dass der Kläger sowohl mit seiner eigenständigen Klage als auch mit seinem anschließenden Verbindungsversuch abgewiesen wird. Insgesamt erscheint die zweite Lösung plausibel, die den zweiten Kläger darauf verweist, beim ersten Gericht Klage zu erheben und es dem ersten Gericht zu überlassen, ob es diese beiden Klagen verbindet oder nicht. Der Verfahrenskonzentrationseffekt dieses Vorgehens ist zweifelhaft, da nicht unbedingt beide Klagen gemeinsam verhandelt und entschieden werden. Der Anwendungsbereich des Art. 28 Abs. 2 EuGVO ist überdies beschränkt, da beide Verfahren in der ersten Instanz anhängig sein müssen. Wegen des eingeräumten Ermessens eignet sie sich nicht in gleichem Maß zur Verfahrenskoordination wie die Rechtshängigkeitssperre gem. Art. 27 EuGVO. An der Vorschrift wird aber deutlich, dass die EuGVO das Recht zur Wahl eines Gerichtsstands unter mehreren zur Verfügung stehenden Gerichtsständen als Bestandteil des Justizgewährungsanspruchs nicht besonders hoch einschätzt. Ein Zusammenhang zwischen zwei Verfahren gem. Art 28 Abs. 3 EuGVO und die Möglichkeit der Verbindung vor dem ersten Gericht genügen, damit ein Gericht sich für unzuständig erklären kann und der Kläger vor dem ersten Gericht erneut klagen muss. Die daraus resultierende Einschränkung des Justizgewährungsanspruchs ist nicht besonders groß, weil es sich lediglich um eine Verengung von ursprünglich mehreren zuständigen auf ein zuständiges Gericht handelt. Die mögliche prozesswirtschaftliche Konzentration bei der Streiterledigung kann die Einschränkung des Justizgewährungsanspruchs aus Art. 28 Abs. 2 EuGVO rechtfertigen. Dahinter steht die Überlegung, den Kläger auf das erste Verfahren zu verweisen, anstatt ihm ein eigenständiges Verfahren zuzubilligen. Sie wurde bereits in den Untersuchungen zum deutschen Recht verwendet, um eine vorsichtige Ausdehnung der Rechtshängigkeitssperre zu begründen [vgl. oben B.II.6.c) und B.III.3.]. Wie an Art. 28 Abs. 2 EuGVO gezeigt, erkennt auch die EuGVO diesen Gedanken an. Er ist daher auch bei der Auslegung von Art. 27 EuGVO heranzuziehen. III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit: Klagen „zwischen denselben Parteien“ Gem. Art. 27 EuGVO greift die Rechtshängigkeitssperre nur bei Klagen „zwischen denselben Parteien“ ein. In den meisten nationalen Zivilrechtsordnungen hat sich der formelle Parteibegriff etabliert.203 Danach ist Partei, wer als Kläger auftritt oder als Beklagter benannt wird und sich verteidigen muss. 203

Vgl. Cohn International Encyclopedia Vol. XVI Chapter 5 (1976) S. 3.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Der Parteistatus ist losgelöst von der Frage, ob die auftretende Partei in der Sache überhaupt klagen darf (Prozessführungs- bzw. Klagebefugnis) oder ob sie eine materiell-rechtliche Beziehung zu der Sache hat. Es gibt also keine „richtige“ oder „eigentliche“ Partei. Allein die formelle Partei wird im Prozess als Partei behandelt und darf als solche Prozesshandlungen vornehmen. Einer formellen Partei, der die Prozessführungsbefugnis oder die Sachlegitimation fehlt, droht die Klageabweisung wegen Unzulässigkeit bzw. Unbegründetheit.204 Es liegt also nahe, von diesem formellen Verständnis auszugehen und es auch der Auslegung des Art. 27 EuGVO zugrunde zu legen. Zwei Verfahren sind danach identisch, wenn zwischen denselben formellen Parteien um denselben Anspruch gestritten wird. Auf die jeweilige Parteirolle in den Prozessen kommt es nicht an; der Kläger des einen Prozesses kann im anderen Prozess Beklagter sein.205 Wenn die Parteien nur teilweise identisch sind und in einem Verfahren mehrere Kläger oder Beklagte am Verfahren beteiligt sind, muss der zweite Prozess auch nur teilweise ausgesetzt bzw. die Klage abgewiesen werden. In Bezug auf die nur einfach beteiligten Parteien kann er fortgesetzt werden.206 Diese Erkenntnisse aus der Tatry-Entscheidung finden allgemein Zustimmung.207 Kann Art. 27 EuGVO aber auch zur Anwendung kommen, wenn die formellen Parteien nicht übereinstimmen? In der Rechtssache Drouot/CMI208 hatte der EuGH Gelegenheit und Anlass, sich mit der Frage zu befassen. 1. Die Drouot-Entscheidung des EuGH a) Sachverhalt Anlass des Rechtsstreits war der Untergang des Schiffs „Sequana“ in niederländischen Binnengewässern. Das Schiff hatte eine Ladung Ferrochrom, die der Firma Consolidated Metallurgical Industries (CMI) gehörte und die bei der Versicherung Protea Assurance versichert war, von Rotterdam in einen französischen Hafen zu verfrachten. Beim Transport schlug das Schiff Leck und setzte außerhalb der Fahrrinne auf Grund. Die Firma Drouot Assurance SA, bei der das Schiff versichert war, veranlasste die Bergung des Schiffs auf ihre eigenen 204

Cohn International Encyclopedia Vol. XVI Chapter 5 (1976) S. 3. EuGH v. 6.12.1994 (The Tatry/The Maciej Rataj) IPRax 1996, 108, dort Rdnr. 31. 206 EuGH v. 6.12.1994 (The Tatry/The Maciej Rataj) IPRax 1996, 108, dort Rdnr. 34. 207 Vgl. zum Beispiel Dicey & Morris The Conflict of Laws Band 1 (2000) Rdnr. 12-044; Rauscher/Leible EuZPR (2004) Art. 27 Brüssel I-VO Rdnr. 7; Schlosser EUZPR (2003) Art. 27 EuGVVO Rdnr. 3; Taschner EWS 2004, 494 (496) zitiert eine Entscheidung des OLG Stuttgart v. 24.11.2003 – 5 U 64/03. 208 EuGH v. 19.5.1998 (Drouot/CMI) ZZPInt 3 (1998), 246 (= Slg. 1998 I 3075 = EuZW 1998, 443). 205

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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Kosten und ermöglichte somit auch die Bergung der Ladung. Drouot erhob daraufhin Klage vor dem Tribunal de Grande Instance Paris im Dezember 1990 gegen CMI und Protea209 auf Zahlung von 99.485,53 HFL. Diese Summe war zuvor vom Dispacheur als Anteil der Firmen CMI und Protea an der großen Haverei [zu diesem Begriff unten C.III.2.d)(1)] festgesetzt worden. CMI und Protea wehrten sich gegen diese Klage mit der Einrede der Rechtshängigkeit. Sie hatten zuvor im August 1990 eine Klage gegen den Kapitän des Schiffs und Versicherungsnehmer, Herrn Velghe,210 vor der Arrondissementsrechtbank Rotterdam erhoben, in der sie die Feststellung beantragten, keinen Beitrag zur großen Haverei leisten zu müssen. Sie hatten die Klage in den Niederlanden nur deshalb nicht auch gegen Drouot gerichtet, weil ihrer Meinung nach das niederländische Verfahrensrecht eine Beteiligung des Versicherers nicht zulasse. In diesem Zusammenhang war zwischen Drouot und CMI/Protea umstritten, ob die Versicherung des Schiffs durch Drouot lediglich die Schäden abdecke, die vom Schiff einem anderen Schiff oder einem Bauwerk zugefügt werden (als Schiffskasko bezeichnet), oder ob sie auch die persönliche Haftung des Kapitäns und Eigners umfasse.211 Nachdem der Tribunal de Grande Instance eine Rechtshängigkeitssperre abgelehnt, die Cour d’appel in zweiter Instanz sie dagegen bejaht hatte, legte die Cour de cassation die Frage dem EuGH zur Entscheidung vor, ob in einem solchen Fall unter Berücksichtigung des Begriffs „dieselben Parteien“ Rechtshängigkeit gem. Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ bestehe, wenn nach Ansicht des später angerufenen Gerichts die Beteiligung des Schiffsversicherers im ersten Verfahren nach nationalem Recht beschränkt sei und man den Versicherer vermittelt durch den Versicherungsnehmer als beteiligt ansehen könne.212 Es stellte sich also die Frage, ob die durch den Prozess zwischen CMI/Protea und dem Schiffseigner und Versicherungsnehmer Velghe ausgelöste Rechtshängigkeitssperre auf die Versicherung Drouot als in diesem Prozess Nichtbeteiligte zu erstrecken sei.

209 Die Klage richtete sich auch gegen GIE Réunion, den Bevollmächtigten von Protea, der aber im weiteren Verlauf keine Rolle spielte. 210 Die Klage war ursprünglich auch gegen einen Herrn Walbrecq erhoben worden, der zum Zeitpunkt der Verhandlung vor dem EuGH schon verstorben war. Er war wohl Eigner des Schiffs, nach seinem Tod soll dies Herr Velghe geworden sein. Seine Rolle wird nicht für maßgeblich gehalten, vgl. GA Fennelly Schlussantrag C- 351/96 (Drouot/CMI) Slg. 1998 I 3078 dort Fn. 7. Zum Zeitpunkt des Untergangs war anscheinend Herr Velghe sowohl Eigner als auch Kapitän, vgl. EuGH v. 19.5.1998 (Drouot/CMI) ZZPInt 3 (1998), 246 dort Rdnr. 5. 211 GA Fennelly Schlussantrag C- 351/96 (Drouot/CMI) Slg. 1998 I 3080 f. 212 Vgl. zum genauen Wortlaut EuGH v. 19.5.1998 (Drouot/CMI) ZZPInt 3 (1998), 246, dort Rdnr. 13.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

b) Die Entscheidung Der EuGH bezog sich in seiner Antwort zunächst auf die Ausführungen in der Tatry-Entscheidung und wiederholte, dass die Begriffe in Art. 21 EuGVÜ autonom auszulegen seien. Zudem müsse auch in der zu entscheidenden Frage der Zweck des Art. 21 EuGVÜ berücksichtigt werden, der darin liege, das Entstehen miteinander unvereinbarer Urteile gem. Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ zu verhindern.213 Im weiteren Verlauf der Urteilsbegründung stellte der EuGH auf die Interessen der in beiden Verfahren beteiligten Parteien ab und formulierte in seiner abschließenden Antwort, dass Art. 21 EuGVÜ bei einem Fehlen der formellen Identität der Parteien in einem Verfahren nicht anwendbar sei, es sei denn, es werde dargetan, dass hinsichtlich des Gegenstands der beiden Verfahren die Interessen des Schiffsversicherers und die seiner Versicherungsnehmer – des Eigners und des Charterers dieses Schiffs – identisch und voneinander untrennbar sind.214 Nach Ansicht des EuGH könnten die Interessen von Schiffsversicherer und Versicherungsnehmer gewiss hinsichtlich zweier Rechtsstreitigkeiten soweit übereinstimmen, dass ein Urteil gegen den einen auch Rechtskraft gegenüber dem anderen entfaltet. Das wäre insbesondere der Fall, wenn statt des Versicherungsnehmers der Versicherer kraft übergegangenen Rechts klagt oder verklagt wird, ohne dass der Versicherungsnehmer in der Lage wäre, auf den Ablauf des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Dann wären die beiden als ein und dieselbe Partei im Sinn von Art. 21 EuGVÜ anzusehen.215 Auf der anderen Seite dürfe Art. 21 EuGVÜ auf keinen Fall dazu führen, dass der Versicherungsnehmer oder der Versicherer, wenn die Interessen voneinander abweichen, nicht ihre Rechte gerichtlich geltend machen können. Ein Abweichen komme hier in Betracht, da Drouot als Schiffsversicherer offenbar nicht als Vertreter des Versicherungsnehmers klage, sondern als am Wiederflottmachen des Schiffs unmittelbar Beteiligter.216 Es sei jedoch Sache des vorlegenden Gerichts zu prüfen, ob die Interessen von Versicherer und Versicherungsnehmer identisch und voneinander untrennbar seien. Und der EuGH fügt noch hinzu, dass die Existenz einer nationalen Verfahrensvorschrift über die Beteiligungsmöglichkeit des Versicherers unter diesen Umständen irrelevant sei.217

213 214 215 216 217

EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH

v. v. v. v. v.

19.5.1998 19.5.1998 19.5.1998 19.5.1998 19.5.1998

(Drouot/CMI) (Drouot/CMI) (Drouot/CMI) (Drouot/CMI) (Drouot/CMI)

ZZPInt ZZPInt ZZPInt ZZPInt ZZPInt

3 3 3 3 3

(1998), (1998), (1998), (1998), (1998),

246, 246, 246, 246, 246,

dort dort dort dort dort

Rdnr. Rdnr. Rdnr. Rdnr. Rdnr.

16, 17. 25. 19. 20, 22. 24.

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

207

2. Analyse der Entscheidung a) Ausgangslage An dieser Stelle sei vorangestellt, dass man die subjektiven Grenzen der Rechtshängigkeit auch nach den nationalen Rechtsordnungen der beteiligten Gerichte bestimmen könnte, wie es in älteren Entscheidungen und Stellungnahmen befürwortet wurde.218 Aber nach den Entscheidungen Gubisch und Tatry und der dortigen autonomen Auslegung von „Klagen wegen desselben Anspruchs“ überrascht es nicht, dass der EuGH auch eine autonome und zweckorientierte Auslegung des Tatbestandsmerkmals „zwischen denselben Parteien“ vornimmt. Innerhalb der autonomen Auslegung musste er sich zwischen den Extremen eines streng formellen Begriffs der Parteienidentität, der das Auftreten derselben Personen als Parteien in beiden Verfahren, eventuell in umgekehrten Parteirollen, verlangt, und eines materiellen Verständnisses von Parteienidentität entscheiden. Nach letzterem greift die Rechtshängigkeitssperre auch gegenüber solchen Personen ein, die im Erstverfahren nicht in formellem Sinn Parteien sind, jedoch rechtlich oder tatsächlich von diesem Verfahren in einem Maß betroffen sind, das die Sperre des zweiten Verfahrens rechtfertigt. Die Herausforderung ist zweifelsohne, für die Beurteilung dieser Frage die Kriterien zu bestimmen. Für ein formelles Verständnis plädierten in ihren Stellungnahmen die französische Regierung, die Kommission und Generalanwalt Fennelly.219 Ein weites, materielles Verständnis des Begriffs „derselben Parteien“ sei wenig praktikabel und erschwere die Beurteilung der Frage für die Gerichte, die die materiellen Auswirkungen des Erstverfahrens auch nach fremden Rechten zu ermitteln hätten. Zudem gefährde die Annahme einer Rechtshängigkeitssperre auch für formell nicht beteiligte Personen deren Recht auf Verteidigung und rechtliches Gehör. Der Begriff „dieselben Parteien“ sei vielmehr strikt und buchstäblich zu interpretieren.220 Dagegen befürwortete die deutsche Regierung einen vorsichtig weiter gefassten Begriff „derselben Parteien“. Art. 21 EuGVÜ solle auch Anwendung finden, wenn eine Person im Erstverfahren nicht Partei ist, ein Urteil aus dem Erstverfahren aber für diese Person Rechtskraft entfalten kann. Da Art. 21 EuGVÜ die Entstehung unvereinbarer Entscheidungen gem. Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ verhindern solle, müsse Rechtshängigkeit auch bei möglicher Rechtskrafterstreckung

218 Und zwar durch eine Doppelqualifkation, wonach Identität der Verfahren nach den Prozessrechtsordnungen beider beteiligten Gerichte bestehen muss, vgl. OLG Hamm v. 25.9.1985 IPRax 1986, 233; Schütze RIW 1975, 78 (79). 219 GA Fennelly Schlussantrag C-351/96 (Drouot/CMI) Slg. 1998 I 3082 mit Wiedergabe der Stellungnahmen von Regierungen und Kommission und 3088 f. 220 Vgl. die Analyse des Schlussantrags bei Seatzu ELR 1999, 540 (541).

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

auf Dritte angenommen werden, um die Gefahr unvereinbarer Entscheidungen auch in dieser Hinsicht auszuschließen. In seiner abschließenden Antwort in Rdnr. 25 des Urteils öffnet der EuGH die Tür sehr weit für eine materielle Interpretation des Begriffs „derselben Parteien“, indem er auf die Interessen der Beteiligten abstellt. Welche Kriterien zur Bestimmung der Interessen herangezogen werden sollen, wird nicht explizit erläutert. b) Rezeption der Drouot-Entscheidung Die Ausführungen des EuGH werden in ihrem Bedeutungsgehalt unterschiedlich interpretiert. Stimmen die Ansichten überwiegend in der Analyse überein, der EuGH verstehe den Begriff „Partei“ in Art. 21 EuGVÜ nicht formell,221 so gehen sie über die Worte des EuGH zur Frage, wann formell verschiedene Parteien als identisch gelten, auseinander.222 Das Meinungsspektrum reicht von der Betonung der Rechtskrafterstreckung, die maßgebliches Kriterium sein solle,223 bis zur Feststellung, es komme entscheidend auf die fehlende Einflussnahmemöglichkeit der nicht beteiligten Person im jeweils anderen Rechtsstreit an.224 Andere wiederum streichen die Rechtsnachfolge heraus, die vom EuGH in Rdnr. 19 erwähnt wird: Die Parteien seien identisch, wenn der Versicherer im Namen des Versicherten kraft übergegangenen Rechts im Namen des Versicherten klagt.225 Einigen Stimmen in der Literatur zufolge fordere der EuGH grundsätzlich die formelle Identität der Parteien und fasse nur ausnahmsweise bei Interessenidentität auch verschiedene Parteien als identisch auf, wobei diese Ausnahme eng gefasst sei.226 Solche Schlussfolgerungen sind Versuche, es so weit wie möglich bei einer formellen Beurteilung der Parteienidentität zu belassen. An den Unsicherheiten über den Anwendungsbereich von Art. 21 EuGVÜ bzw. Art. 27 EuGVO, die sich aus der Unschärfe des Kriteriums der Interessenidentität ergibt, entzündet sich verbreitete Kritik. Infolge der Entscheidung werde die Prüfung der Rechtshängigkeit durch die Gerichte nur erschwert.227 221 Cheshire/North Private International Law (1999) S. 253; Nieroba Die europäische Rechtshängigkeit (2006) S. 280; Pitz GRURInt 2001, 32 (34). 222 „Verwirrend“ nennen Geimer/Schütze EuZVR (2004) A.1 Art. 27 Rdnr. 13 die Ausführungen des EuGH. 223 So Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 42; Rauscher/Leible EuZPR (2004) Art. 27 Brüssel I-VO Rdnr. 6. 224 Pitz GRURInt 2001, 32 (34). 225 So vor allem in England: Cheshire/North Private International Law (1999) S. 253; Dicey & Morris The Conflict of Laws Band 1 (2000) Rdnr. 12-046. 226 Henssler/Dedek EWiR 1998, 499 (500); Rémery Rev. crit. dr. int. privé 1999, 774 (775). 227 Jayme/Kohler IPRax 1998, 417 (421).

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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Die Bestimmung der Rechtshängigkeitsgrenzen hänge nun von materiell-rechtlichen Vorfragen ab, zudem sei der sich daraus ergebende weite Bereich der Rechtshängigkeit sachlich gar nicht erforderlich, es gebe die pragmatische Vorschrift des Art. 22 EuGVÜ/Art. 28 EuGVO.228 Es gibt aber auch zustimmende Äußerungen, die dem EuGH zumindest in seiner Annahme beipflichten, bei Rechtskrafterstreckung sei Interessenidentität gegeben und greife daher auch die Rechtshängigkeitssperre ein.229 Jedoch sei die Rechtskrafterstreckung streng nach den national-rechtlichen Vorschriften zu bestimmen.230 Eine eigenständige Beurteilung der Interessen im Rahmen der Anwendung des Art. 21 EuGVÜ verbiete sich, denn eine Interessenabwägung habe schon auf nationaler Ebene bei der Beurteilung der Rechtskrafterstreckung stattgefunden,231 wobei angemerkt wird, dass es nach nationalem Recht eine Rechtskrafterstreckung auch in Fällen widerstreitender Interessen gebe.232 Diese national-gesetzgeberische Wertung der betroffenen Interessen müsse berücksichtigt werden. Eine Rechtshängigkeitserstreckung auf formell nicht beteiligte Dritte jenseits einer möglichen national-rechtlichen Rechtskrafterstreckung verbiete sich.233 Auch im Ausland stößt das Merkmal der „Interessenidentität“ auf Kritik. Zur Ermöglichung einer einfachen Handhabung der Vorschrift des Art. 21 EuGVÜ hätte der EuGH den nationalen Gerichten griffige Kriterien und Auslegungshilfen für die Beurteilung der Interessenidentität an die Hand geben müssen. Indem er dies aber den nationalen Gerichten überlasse, stelle er selbst seine wiederholt geforderte „autonome Auslegung der Begriffe in Art. 21 EuGVÜ“ wieder in Frage.234 Gerade die Verschiedenheit beim Versicherungsrecht in den nationalen Rechtsordnungen mache eine unterschiedliche Beurteilung der Interessenidentität möglich.235 In Frankreich wird nicht nur das Abstellen auf die Interessen kritisiert, sondern auch der Beispielsfall des EuGH für Interessenidentität, nämlich die Rechtskrafterstreckung, in Frage gestellt. Die Ermittlung einer möglichen Rechtskrafterstreckung sei schwierig und verkompliziere unnö-

228 Dietze/Schnichels EuZW 1999, 549 (551); Geimer/Schütze EuZVR (2004) A.1 Art. 27 Rdnr. 13; Geimer/Schütze/Försterling Internationaler Rechtsverkehr (2005) B Vor I 10 b Art. 27 Rdnr. 21 a. E.; Rauscher/Leible EuZPR (2004) Art. 27 Brüssel IVO Rdnr. 6 a. E.; ähnlich auch Pitz GRURInt 2001, 32 (34), der Bedenken gegenüber der Abkehr vom formellen Parteibegriff bei der Anwendung von Art. 21 EuGVÜ hat. 229 Adolphsen ZZPInt 3 (1998), 249 (253); grundsätzlich zustimmend Henssler/Dedek EWiR 1998, 499 (500). 230 Adolphsen ZZPInt 3 (1998), 249 (256 f.). 231 Adolphsen ZZPInt 3 (1998), 249 (251). 232 Adolphsen ZZPInt 3 (1998), 249 (260). 233 Adolphsen ZZPInt 3 (1998), 249 (261). 234 Seatzu ELR 1999, 540 (543). 235 Seatzu ELR 1999, 540 (542).

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

tig die Anwendung des Art. 21 EuGVÜ.236 Zudem wird kritisiert, auch das Abstellen auf das Recht zur Verteidigung in Rdnr. 20 der Entscheidung gehe fehl. Darin unterstreicht der EuGH, den Beteiligten dürfe durch die Anwendung von Art. 21 EuGVÜ auf keinen Fall die Möglichkeit genommen werden, ihre eigenen (von den Beteiligten des Erstverfahrens abweichenden) Interessen gerichtlich geltend zu machen. Dieses Argument gelte nur für den Fall, dass sich der Schiffsversicherer im Erstverfahren nicht beteiligen kann.237 c) Stellungnahme Die Kernaussage der Antwort auf die Vorlagefrage enthält Rdnr. 25 der Drouot-Entscheidung, wonach die Frage der Parteienidentität anhand des Interesses der Parteien zu beantworten sei. Identisch und voneinander untrennbar müssten die Interessen der Parteien am Gegenstand der beiden Verfahren sein. In diesem Satz erwähnt der EuGH eher beiläufig den Klagegegenstand.238 Im deutschen Zivilprozessrecht wird stets betont, dass für eine subjektive Erstreckung der Rechtshängigkeit in jedem Fall in beiden Verfahren derselbe Streitgegenstand gegeben sein müsse [vgl. oben B.III.2.]. Daher prüft man in aller Regel zuerst die objektive Übereinstimmung beider Verfahren. Eine solche explizite Äußerung trifft der EuGH in der Drouot-Entscheidung nicht, noch untersucht er im Fall Drouot die Übereinstimmung der Streitgegenstände. Diese Enthaltung einer Äußerung zu den objektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre liegt nicht an der Frage der vorlegenden Cour de cassation, denn sie begehrte eine Auskunft ganz allgemein zur Anwendung der Rechtshängigkeitssperre. Der EuGH hatte also Anlass, sich umfassend zur Identität beider Verfahren zu äußern. Dass er seine Antwort auf die subjektive Dimension beschränkte, kann zwei Gründe haben: Erstens hatte er eventuell keine Zweifel an der objektiven Identität der Verfahren; dann wäre aber eine kurze Klarstellung zumindest nützlich gewesen. Oder zweitens bezog er seine Antwort auch auf die objektive Identität beider Verfahren. Es wäre dann zuerst zu prüfen, welches „Interesse“ beide Kläger mit ihren Klagen verfolgen, und dann abzugleichen, ob beide Interessen übereinstimmen. Versteht man die Drouot-Entscheidung in diese Richtung, ist damit zugleich präzisiert, was hinter dem „Zweck der Klage“ als Kla236 Droz Rev. crit. dr. int. privé 2000, 63 (66); ebenso Geimer/Schütze/Försterling Internationaler Rechtsverkehr (2005) B Vor I 10 b Art. 27 Rdnr. 21; Jayme/Kohler IPRax 1998, 417 (421 f.). 237 Droz Rev. crit. dr. int. privé 2000, 63 (65). 238 In der französischen Fassung lautet die entscheidende Passage: „. . . à moins qu’il ne soit pas établi que, par rapport à l’objet des deux litiges, les intérêts [. . .] sont identiques et indissociables“, vgl. EuGH v. 19.5.1998 (Drouot/CMI) Rev. crit. dr. int. privé 2000, 58 (62). In der englischen Fassung sie folgendermaßen formuliert: „. . . unless it is established that, with regard to the subject matter of the two disputes, the interests [. . .] are identical to and indissociable from [. . .]“, vgl. EuGH v. 19.5.1998 (Drouot/CMI) [1999] QB 497 (514).

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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gegegenstand im Sinn der Tatry-Entscheidung steht: nämlich das Interesse, das der Kläger durchzusetzen versucht. Frauke Wernecke schlägt eine entsprechende Auslegung der Art. 27 EuGVO bzw. Art. 21 EuGVÜ vor: Danach sind zwei Klagen in ihrem Gegenstand identisch, wenn mit ihnen dieselbe Rechtsfolge durchgesetzt werden soll. Ob dieselbe Rechtsfolge begehrt wird, solle anhand des durch die materiellen Normen geschützten Interesses beantwortet werden [vgl. oben C.II.4.b)(4)]. Damit wird der Streitgegenstand letztlich auf den Begriff des Interesses zurückgeführt. In der Tat finden sich in der Literatur Stellungnahmen, die der Drouot-Entscheidung und dem Kriterium der „Interessenidentität“ Bedeutung für den objektiven Streitgegenstand beimessen wollen.239 Das lässt sich zwar nur schwerlich mit der Antwort des EuGH in Rdnr. 25 der Drouot-Entscheidung vereinbaren, in der vom „Interesse am Gegenstand“ und damit auf den ersten Blick von zwei voneinander zu unterscheidenden Merkmalen die Rede ist. Es wird aber noch zu untersuchen sein, ob diese Analyse nicht dennoch zutrifft. Der EuGH verwendet in der Drouot-Entscheidung einige Begriffe, um die von ihm geforderte „Interessenidentität“ zu erläutern. Dies sind die Rechtskrafterstreckung, die Klage als Vertreter und die Klage kraft Rechtsnachfolge. Diese Begriffe werden in den Urteilsanmerkungen je nach Standpunkt des Autors hervorgehoben [vgl. oben C.III.2.b)]. Ihre Bedeutung wird noch genauer zu untersuchen sein. Wenden wir uns aber zunächst dem Fortgang des Rechtsstreits zu. Die Cour de cassation musste selbst bewerten, ob nach den Vorgaben des EuGH Interessenidentität bestehe. Dazu soll kurz der materiell-rechtliche Hintergrund aufbereitet werden. d) Aufbereitung des materiell-rechtlichen Hintergrundes Im Fall Drouot kommt Interessenidentität in Frage, wenn die Versicherung Drouot im französischen Verfahren als Rechtsnachfolgerin den Havereibeitrag des Ladungseigentümers eingeklagt hat und der Schiffseigner und -kapitän als Versicherungsnehmer auf den Ablauf des Verfahrens keinen Einfluss nehmen kann (vgl. Rdnr. 19 der Drouot-Entscheidung). Der Schlüssel für das richtige Verständnis des materiell-rechtlichen Hintergrunds im Fall Drouot ist der Begriff der großen Haverei. Darauf hat schon Generalanwalt Fennelly in seinen Schlussanträgen hingewiesen und der Erläuterung der großen Haverei einen gewichtigen Platz eingeräumt.240 239 Treichel GRURInt 2001, 175 (176); Zöller/Geimer ZPO (2005) Anh I Art. 27 EuGVVO Rdnr. 20 a. E. 240 GA Fennelly Schlussantrag C-351/96 (Drouot/CMI) Slg. 1998 I 3082 (3084) dort Rdnr. 18 ff.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

(1) Die große Haverei Die große Haverei (englisch: general average, französisch: avarie commune, niederländisch: averij grosse241) ist eine Rechtsfigur, die aus der Antike kommt und durch die Rezeption des römischen Rechts in – soweit ersichtlich – vielen Rechtsordnungen weltweit Eingang gefunden hat. Sie ist im HGB in den §§ 700 ff. geregelt. In den für die Praxis wichtigen York-Antwerpen-Regeln (YAR) ist sie ebenfalls aufgenommen worden.242 Die YAR sind internationale AGB, die heutzutage in die meisten Seetransportverträge eingeführt werden und die daher die ansonsten geltenden nationalen Regeln verdrängen.243 Zwar ist die Rheinschifffahrt eine Binnenschifffahrt, aber auch hier gelten die Regeln der großen Haverei gemäß den „Règles du Rhin IVR 1979“.244 Welches Regelwerk gilt, bleibt in allen Entscheidungen zum Fall Drouot offen; lediglich die grundsätzliche Geltung von Seerecht auf dem Rhein aufgrund einer alten Gesetzgebung des deutschen Reichs wird erklärt.245 Grundgedanke der großen Haverei ist die Umlage von Kosten und Schäden, wenn bei einem Seetransport Schiff und Ladung gemeinsam in Gefahr geraten und der Kapitän zur Rettung aus der Gefahrenlage Maßnahmen ergreift, die Schäden an Schiff und/oder Ladung oder sonstige Kosten verursacht. Der Gedanke gemeinsamer Kostentragung entstand in der Antike, als die Beförderung von Gütern auf See kein gewöhnlicher Transportvertrag, sondern ein gemeinsames, nicht selten abenteuerliches Unternehmen war.246 Von diesem ursprünglichen Regelungsgedanken hat sich die große Haverei mittlerweile entfernt. Sollten damals nur Schäden auf mehrere Schultern verteilt werden, so sind es heute vermehrt Kosten für Bergung, Notreparatur, Anlaufen eines Nothafens und ähnliches, die im Rahmen der großen Haverei gemeinsam getragen werden sollen.247 Und während früher die Schiffseigner und die Ladungseigentümer sich die Kosten teilten, sind es in unserer Zeit praktisch nur noch die Versicherun241 GA Fennelly Schlussantrag C-351/96 (Drouot/CMI) Slg. 1998 I 3083 dort Fn. 16. 242 Herber Seehandelsrecht (1999) § 35 VIII (S. 381 f.). 243 Herber Seehandelsrecht (1999) § 35 II (S. 376); Rèmond-Gouilloud Droit maritime (1993) Rdnr. 702. – Die York-Antwerpen-Rules sind englisch und deutsch abgedruckt und erläutert in Prüssmann/Rabe Seehandelsrecht (2000) Anhang zu § 733 HGB. 244 Voet FS Walter Müller (1993), 273 (276); Wüst Probleme des Binnenschiffahrtsrechts V (1988) S. 4: Regeln der Internationalen Vereinigung des Rheinschiffahrtsregisters (IVR), auch Rheinregeln 1979 genannt. 245 Rémery Rev. crit. dr. int. privé 1999, 774 (776); GA Fennelly Schlussantrag C351/96 (Drouot/CMI) Slg. 1998 I 3083 f. dort Rdnr. 18 f. 246 Informativ zur Herkunft von Begriff und Rechtsinstitut Grau TranspR 1998, 279 f.; Puttfarken Seehandelsrecht (1997) Rdnr. 751 ff.; Voet FS Walter Müller (1993), 273 ff. 247 Puttfarken Seehandelsrecht (1997) Rdnr. 755.

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gen von Schiff und Ladung, für die das Verteilungsverfahren der großen Haverei von Bedeutung ist.248 Voraussetzungen der großen Haverei sind eine Gefahr, die für Schiff und Ladung gemeinsam droht, sowie Maßnahmen des Kapitäns und damit verbundene Aufwendungen, um Schiff und Ladung zu retten.249 Ein unbeabsichtigt entstandener Schaden (z. B. unabsichtliche Strandung) ist keine große Haverei, wohl aber die für das Wiederflottmachen erbrachten Opfer (z. B. das Überbordwerfen von Ladung, um das Schiff leichter zu machen).250 Diese Maßnahmen müssen für Schiff und Ladung wenigstens teilweise Erfolg haben. Die gesamte Aufopferung von Schiff oder Ladung zur Rettung des jeweils anderen ist keine große Haverei.251 Sobald der Schiffseigner die große Haverei erklärt hat, beginnt das Umlageverfahren (Dispacheverfahren). Im Rahmen dieses Verfahrens bestimmt ein amtlich bestellter und vereidigter Sachverständiger, der sog. Dispacheur (vgl. § 729 HGB),252 die Beiträge zu den zu verteilenden Kosten, die jeder einzelne zu tragen hat. Der am Ende aufgestellte Verteilungsplan wird Dispache genannt.253 Wendet man die Regeln der großen Haverei auf den Fall Drouot an, so ergibt sich folgendes Bild: Infolge des Aufgrundsetzens der „Sequana“ befanden sich Schiff und Ladung in einer gemeinsamen Notlage. Durch die Bergung des Schiffs wurde auch die Ladung gerettet. Daher kann die große Haverei erklärt werden. Daraus folgt grundsätzlich die Beteiligung des Ladungseigners CMI an den Bergungskosten. Gehen wir zur Vereinfachung zunächst davon aus, dass für das Wiederflottmachen des Schiffs der Schiffseigner (und nicht seine Versicherung wie im Fall Drouot) aufgekommen wäre (so auch der ursprüngliche Grundgedanke bei der großen Haverei), dann könnte Herr Velghe als Schiffseigner einen Beitrag von CMI verlangen. CMI machte im Rechtsstreit aber geltend, dass der Schiffseigner schon die Notlage verschuldet habe. Deshalb solle er die Bergungskosten allein tragen. 248

Puttfarken Seehandelsrecht (1997) Rdnr. 758. Rule A der YAR; Grau TranspR 1998, 279 (282); Rèmond-Gouilloud Droit maritime (1993) Rdnr. 705, 710; vgl. auch die Definition in Art. 66 Abs. 2 des englischen Marine Insurance Act 1906 (abgedruckt in Butterworths Insurance Law Handbook (2002) Rdnr. 3050 ff. (S. 1157 ff.): „There is a general avarage act where any extraordinary sacrifice or expenditure is voluntarily and reasonably made or incurred in time of peril for the purpose of preserving the property imperilled in the common adventure.“ 250 Einzelheiten in Rules I-XV der YAR; vgl. Grau TranspR 1998, 279 (283 f.). 251 Zu den Voraussetzungen im Einzelnen und ausführlicher Herber Seehandelsrecht (1999) § 35 IV (S. 377 ff.); Prüssmann/Rabe Seehandelsrecht (2000) § 700 Rdnr. 3 ff.; Wüst Probleme des Binnenschiffahrtsrechts V (1988) S. 9 ff. 252 Im anglo-amerikanischen Bereich ein privater general average adjuster, vgl. Herber Seehandelsrecht (1999) § 35 III (S. 377). 253 Puttfarken Seehandelsrecht (1997) Rdnr. 769 (S. 325). 249

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Bei der großen Haverei besteht die Besonderheit, dass sie auch im Fall einer verschuldeten Notlage anwendbar ist.254 Selbst wenn einer der Beteiligten also die Notlage schuldhaft herbeigeführt hat, kann die große Haverei erklärt und daraufhin eine Dispache aufgemacht werden. Dies gilt nach international standardisiertem Recht gem. Rule D YAR. Die Beteiligten können untereinander die Beiträge verlangen. Gem. Rule D YAR ebenso wie nach den „Rheinregeln 1979“ sind Beitragsansprüche des Verantwortlichen nicht ausgeschlossen.255 Das Dispacheverfahren soll von den schwierigen Verschuldensfragen freigehalten werden.256 Im seinem Bericht zur endgültigen Entscheidung der Cour de cassation zitiert Conseiller référendaire Rémery Art. 27 der loi nº 67-545 vom 7. Juli 1967 betreffend Ereignisse auf See,257 der weitestgehend inhaltsgleich zu Rule D YAR ist.258 Nach beiden Vorschriften sind die Regeln der großen Haverei auch bei Verschulden eines Beteiligten anwendbar, hindern aber ausdrücklich nicht einen Rückgriff der übrigen Beteiligten gegen den Verantwortlichen. Nach deutschem Verständnis der Rule D YAR könnte der Ladungseigner CMI dem Schiffseigner gegen dessen Havereibeitragsanspruch seinen Freistellungsanspruch entgegenhalten und dadurch abwehren.259 Die Klage von CMI gegen den Schiffseigner in den Niederlanden auf Feststellung, keinen Beitrag leisten zu müssen, wäre vor dem Hintergrund dieser materiell-rechtlichen Sichtweise erfolgreich. Eine ähnliche Sicht der Dinge scheint auch in Frankreich vorzuherrschen, wonach dem Verantwortlichen das Recht verweigert wird, seinen Havereibeitragsanspruch geltend zu machen, weil er am Ende die gesamten Havereikosten zu tragen habe260 (wobei die Cour de cassation dieser Meinung nicht gefolgt ist, sondern die Unabhängigkeit des Havereiverteilungsverfahrens vom Rückgriffsverfahren betont261). Ergibt sich nun materiell-rechtlich betrachtet ein Unterschied dadurch, dass nicht der Schiffseigner, sondern seine Versicherung Drouot die Bergungskosten 254 Herber Seehandelsrecht (1999) § 35 V (S. 378 f.); Puttfarken Seehandelsrecht (1997) Rdnr. 764 (S. 323); Rèmond-Gouilloud Droit maritime (1993) Rdnr. 709. 255 Grau TranspR 1998, 279 (283); Rèmond-Gouilloud Droit maritime (1993) Rdnr. 709: auch nach Art. 27 loi du 7 juillet 1967; für die „Rheinregeln 1979“ Wüst Probleme des Binnenschiffahrtsrechts V (1988) S. 27. Anders ist die Rechtslage nach deutschem Recht gem. § 702 Abs. 2 HGB. 256 Wüst Probleme des Binnenschiffahrtsrechts V (1988) S. 27. 257 Rémery Rev. crit. dr. int. privé 1999, 774 (776). 258 Rèmond-Gouilloud Droit maritime (1993) Rdnr. 709; GA Fennelly Schlussantrag C-351/96 (Drouot/CMI) Schlussantrag C- 351/96 (Drouot/CMI) Slg. 1998 I 3083 f. 259 OLG Hamburg v. 3.9.1992 TranspR 1993, 66 (67 f.); Prüssmann/Rabe Seehandelsrecht (2000) Anhang § 733 HGB Rdnr 16; Puttfarken Seehandelsrecht (1997) Rdnr. 764 (S. 323). 260 Vgl. die Zitate von Rémery Rev. crit. dr. int. privé 1999, 774 (776) dort in Fn. 5. 261 Vgl. Bericht von Rémery Rev. crit. dr. int. privé 1999, 774 (776); nicht ganz so deutlich im Urteil Cass. comm. v. 22.6.1999 (nº de pourvoi 94-16830) Rev. crit. dr. int. privé 1999, 777 (778 f.) dort im dritten attendu.

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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aufgebracht hat und ersetzt haben möchte? In der heutigen Wirklichkeit des Seetransports ist die große Haverei, das wurde bereits erwähnt, keine Auseinandersetzung zwischen Schiffseigner und Ladungseigentümern mehr, sondern zwischen den Versicherungen der beiden. Es sollte also zu erwarten sein, dass sich die Rechtsordnungen und auch die internationale Vertragspraxis bei maritimen Versicherungen auf die große Haverei eingerichtet haben. Und in der Tat finden sich zum Teil recht detaillierte Bestimmungen, die Antwort geben auf die sich im Fall Drouot stellenden Fragen. Bevor auf diese Bestimmungen eingegangen werden soll, sind einige Sätze im Allgemeinen über Seeversicherungen zum besseren Verständnis hilfreich. (2) Die Seeversicherung Auf dem internationalen Markt der Seeversicherungen haben sich bestimmte Arten von Seeversicherungen herausgebildet, von denen hier die Schiffskaskoversicherung und die Schiffshaftpflichtversicherung interessieren. Die Schiffskaskoversicherung deckt das Interesse des Schiffseigners an der Erhaltung des Schiffs.262 Die Schiffshaftpflichtversicherung dagegen sichert die Haftpflichtrisiken des Eigners für das Schiff ab, also insbesondere die außervertragliche Haftung für Personen- und Sachschäden sowie die vertragliche Haftung für Schäden an der Ladung.263 Im Fall Drouot war zwischen Drouot und CMI umstritten, ob Drouot lediglich Schiffskaskoversicherer oder aber Schiffshaftpflichtversicherer war.264 Die Cour de cassation geht in ihrer abschließenden Entscheidung von einer Kaskoversicherung aus.265 Im deutschen Recht finden sich Regeln über die Schiffskaskoversicherung im Zusammenhang mit einer großen Haverei in den §§ 834 ff. HGB. Diese Vorschriften sind dispositiv und werden in aller Regel durch die vertraglich vereinbarten Allgemeinen Deutschen Seeversicherungsbedingungen (ADS) ersetzt. Die gesetzlichen Regelungen finden daher praktisch keine Anwendung266 und sollen hier nicht weiter behandelt werden. Von Bedeutung ist vielmehr § 29 ADS: Nach dieser Vorschrift hat der Schiffskaskoversicherer die Schäden und Kosten des Schiffseigners bei einer großen Haverei zu ersetzen. Gleiches gilt im englischen (vgl. Art. 66 Abs. 4 Marine Insurance Act 1906 (MIA))267 und 262

Herber Seehandelsrecht (1999) § 40 I (S. 416); Franck TranspR 1997, 215

(218). 263

Herber Seehandelsrecht (1999) § 40 V (S. 423). GA Fennelly Schlussantrag C-351/96 (Drouot/CMI) Slg. 1998 I-3081 dort Rdnr. 12 und 13. 265 Cass. comm. v. 22.6.1999 (nº de pourvoi 94-16830) Rev. crit. dr. int. privé 1999, 777 (778 f.). 266 Prüssmann/Rabe Seehandelsrecht (2000) §§ 778 ff. HGB Rdnr. 1 („totes Recht“); Herber Seehandelsrecht (1999) § 40 IV (S. 419) („obsolet“). 264

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

französischen Recht (vgl. Artt. 172-11, 172-12 und Art. 172-26 Code des assurances)268 und dürfte daher internationaler Standard sein. Aus diesem Grund ist im Fall Drouot die Versicherung Drouot tätig geworden und hat die Bergung veranlasst. Damit ist sie ihren Pflichten als Versicherer, die eigentlich nur im Geldersatz liegen, nachgekommen. Eigentlich greift die große Haverei nur für Maßnahmen ein, die vom Kapitän des Schiffs zur Rettung aus der Gefahrenlage getroffen oder veranlasst worden sind. Es genügt aber auch das stillschweigende Einverständnis des Kapitäns in die Maßnahme.269 Von diesem ist im Fall Drouot auszugehen. Nun hat der Schiffseigner bei einer großen Haverei prinzipiell noch seine Havereibeitragsansprüche gegen die übrigen Havereibeteiligten, vor allem gegen die Ladungseigner. Wenn seine havereibedingten Schäden und Kosten aber schon von der Versicherung getragen werden, dann sollten auch der Versicherung diese Beitragsansprüche zustehen. So ist es im Seeversicherungsrecht geregelt. Nach § 31 Abs. 2 ADS gehen die Beitragsansprüche aus der großen Haverei auf den Versicherer über.270 Im deutschen Binnenschifffahrtsrecht wird dieser Anspruchsübergang auf § 67 VVG gestützt, falls er nicht in den Vertragsbedingungen geregelt wurde.271 Im englischen Recht ordnet Art. 79 MIA 1906272 die „Subrogation“273 der Versicherung in die Rechte des Versi267 Abgedruckt in Butterworths Insurance Law Handbook (2002) Rdnr. 3050 ff. (S. 1157 ff.). 268 Zum ausländischen Recht Ritter/Abraham Das Recht der Seeversicherung (Kommentar zu den ADS) (1967) § 29 Anm. 44 f. 269 Schlegelberger Seeversicherungsrecht (1960) § 29 Rdnr. 7. 270 Ritter/Abraham Das Recht der Seeversicherung (1967) § 29 Anm. 6 und § 31 Anm. 8 ff. 271 Lorenz in Wüst: Probleme des Binnenschiffahrtsrechts V (1988) S. 58; Prölss/ Martin Versicherungsvertragsgesetz (2004) § 67 Rdnr. 4. 272 Abgedruckt in Butterworths Insurance Law Handbook (2002) Rdnr. 3050 ff. (S. 1157 ff.). 273 Wenn zwei Schuldner jeweils gegenüber demselben Gläubiger zu einer Leistung verpflichtet sind und der Gläubiger diese Leistungen nicht kumulativ erhalten soll, wird im englischen Recht der Ausgleich zwischen den Schuldnern in manchen Fällen durch „subrogation“ sichergestellt. Zu dieser Ausgleichsfunktion der „subrogation“ Friedmann/Cohen International Encyclopedia Vol. X Chapter 11 (1991) S. 21. Die Versicherung kann die ursprünglichen Rechte des Versicherten gegen den Schädiger im Wege der „subrogation“ geltend machen. Durch die „subrogation“ soll verhindert werden, dass entweder der Versicherte zweimal Leistung fordern kann oder aber die Versicherung die finanzielle Last zu tragen hat, die eigentlich der Schädiger/Hauptschuldner tragen soll; vgl. Mitchell The Law of Subrogation S. 74. Der „subrogation“ liegen damit der Gedanke des Bereicherungsverbots (vgl. Banque Financière de la Cité v Parc (Battersea) Ltd [1999] 1 AC 221 (231 Lord Hoffmann) (HL)) und Gerechtigkeitserwägungen zugrunde; vgl. Goff/Jones The Law of Restitution (2002) Rdnr. 3-006 f.; rechtsvergleichend Zweigert/Kötz Einführung in die Rechtsvergleichung (1996) S. 557. Die Wirkungsweise der „subrogation“ wird mit den Worten umschrieben, sie erlaube einer dritten Person, die Rechte eines Gläubigers gegen seinen Schuldner aus-

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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cherten an. Im französischen Recht erwirbt die Versicherung gem. Art. 172-29 Code des assurances die Ansprüche des Versicherungsnehmers gegen Dritte.274 Nach deutschem Recht gem. § 31 Abs. 2 ADS gehen die Beitragsansprüche bereits mit ihrem Entstehen auf den Versicherer über. Der Versicherer sei von Anfang an Verfügungsberechtigter, folgern Ritter/Abraham aus dieser Vorschrift,275 was darauf schließen lässt, dass sie von einem Direkterwerb der Ansprüche ausgehen.276 Im englischen Recht gilt die „subrogation“ ebenfalls ab dem Entstehen der Forderung, vgl. Art. 79 MIA.277 Nach Art. 172-29 Code des assurances erwirbt die Versicherung die Ansprüche anscheinend erst, wenn sie die durch die große Haverei entstandenen Schäden und Kosten des Versicherungsnehmers tatsächlich übernommen hat. Daraus scheint man den Schluss ziehen zu müssen, dass Drouot den Havereibeitrag von CMI als Rechtsnachfolger des Schiffseigners einklagte. Beachtet man die Besonderheiten der „subrogation“ nach englischem Recht [vgl. oben bei Fn. 273], nach dem der Versicherungsnehmer Rechtsträger bliebe, würde man die Versicherung nicht als Rechtsnachfolger bezeichnen können, dafür aber zuüben und somit gleichsam „in dessen Schuhe zu steigen“, und zwar ohne Zustimmung oder ausdrückliche Abtretung des Gläubigers; Butterworths The Law of Restitution (2002) Rdnr. 8.1. Das klingt nach Zession, und in der Tat gibt es Autoren, die „subrogation“ mit Zession gleichsetzen; vgl. Guldener Zession, Legalzession und Subrogation im internationalen Privatrecht (1930) S. 125 ff., dort in erster Linie für das französische und schweizerische Recht, auf S. 127 auch eine kurze Stellungnahme zum englischen Recht. In der Versicherungssituation liegen die Dinge anscheinend anders; hier kommt es zur „simple subrogation“: Durch die Zahlung der Versicherung wird der Anspruch gegen den Schädiger nicht durch Erfüllung zum Erlöschen gebracht; er bleibt bestehen, und zwar in der Person des Versicherten. Die Versicherung kommt nur in die Lage, im Namen des Versicherten klagen zu können, so Mitchell The Law of Subrogation S. 6, 37 f., 80; ein Beispiel: Buckland v Palmer [1984] 1 WLR 1109 (CA). Da die Versicherung nicht Anspruchgläubiger wird, kann man die „simple subrogation“ nicht mit einer Zession gleichsetzen, wohl aber sind beide Rechtsfiguren in ihrer Funktion vergleichbar, Zweigert/Kötz Einführung in die Rechtsvergleichung (1996) S. 557. Ebenso gibt es Unterschiede zur deutschen Prozessstandschaft, da der rechtsfremde Kläger nicht in eigenem Namen vor Gericht agieren kann, sondern nach einer „simple subrogation“ im Namen des Rechtsträgers geklagt werden muss. Partei wird im englischen Zivilprozess immer derjenige, in dessen Namen geklagt wird, Baumgarten Der richtige Kläger (2001) S. 170. Der Versicherte (d.h. der Rechtsträger) ist also „nominal plaintiff“, auch wenn die Versicherung den Prozess führt, Baumgarten Der richtige Kläger (2001) S. 172, 195 f. 274 Zum ausländischen Recht Ritter/Abraham Das Recht der Seeversicherung (1967) § 29 Anm. 44 f. 275 Ritter/Abraham Das Recht der Seeversicherung (1967) § 31 Anm. 9. 276 Zur Unterscheidung Durchgangserwerb/Direkterwerb vgl. Larenz Lehrbuch des Schuldrechts Band I (1987) § 34 III (S. 585 f.), der einen Direkterwerb nur annimmt, wenn die Rechtsgrundlage der abzutretenden Forderung bereits gelegt ist, was bei großer Haverei niemals der Fall sein wird. Die Abtretung in ADS wird in der Regel schon bei Vertragsschluss vor Transportbeginn vereinbart, während das die große Haverei auslösende Ereignis erst im Laufe des Transports geschieht. 277 Ritter/Abraham Das Recht der Seeversicherung (1967) § 31 Anm. 9.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

als „Vertreter“ des Versicherungsnehmers, weil er dessen Forderung einklagt. Es scheint also nach den Kriterien des EuGH Interessenidentität gegeben. Lediglich wenn man die Tatsache des Direkterwerbs nach deutschem Recht bzw. der direkten „subrogation“ mit Entstehung des Havereibeitragsanspruchs nach englischem Recht in den Vordergrund stellte, könnte man vertreten, die Einforderung des Havereibeitrags sei originäre Angelegenheit der Versicherung. Die Forderung des Havereibeitrags lag niemals in den Händen des Schiffseigners. Diesen Standpunkt nimmt der Generalanwalt Fennelly ein, indem er einen eigenen Havereianspruch der Versicherung als „am Geschäft Beteiligte“ erkennt und eine Rechtsnachfolge deshalb verneint.278 Damit unterdrückt man aber den Umstand, dass die Versicherung eine Angelegenheit übernimmt, die nach dem Konzept der großen Haverei dem Schiffseigner obliegt und die ihr durch versicherungsrechtliche Bestimmung übertragen wird. Und man ignoriert die materielle Rechtslage, deren Vorschriften einen Rechtsübergang bzw. eine „subrogation“ anordnen. Wir wollen sehen, wie die Cour de cassation abschließend entschieden hat. 3. Der Fortgang des Rechtsstreits Drouot Der EuGH hatte in seiner Entscheidung den Rechtsstreit an die vorlegende Cour de cassation zurückgegeben mit der Aufgabe zu prüfen, ob die Interessen des Schiffsversicherers Drouot und seines Versicherungsnehmers identisch und voneinander untrennbar anzusehen seien. Die Cour de cassation hat unter Berücksichtigung der rechtlichen Vorgaben des EuGH entschieden und das Urteil der Cour d’appel aufgehoben.279 Die Cour d’appel hatte eine Rechtshängigkeitssperre durch das niederländische Verfahren angenommen. Die Cour de cassation konnte hingegen keine für die Identität der Parteien erforderliche Interessenidentität zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer erkennen. Ausschlaggebend sei der Umstand, dass das Versicherungsunternehmen Drouot nur für den Anteil des versicherten Schiffs „Sequana“ an der großen Haverei (avarie commune) aufkommen müsse. Die Versicherung decke dagegen nicht die Haftpflicht des Schiffseigners (frz.: armateur) ab, um die im niederländischen Verfahren gestritten werde. Daher sei auch keine Interessenidentität anzunehmen und Rechtshängigkeit in einem anderen Verfahren daher abzulehnen.280 In seinem Bericht verdeutlicht der Conseiller référendaire Rémery die Erwägungen, die zum Urteil der Cour de cassation geführt haben. Entscheidend sei 278 GA Fennelly Schlussantrag C-351/96 (Drouot/CMI) Slg. 1998 I-3084 f. dort Rdnr. 20, 22. 279 Cass. comm. v. 22.6.1999 (nº de pourvoi 94-16830) Rev. crit. dr. int. privé 1999, 777 (= Bull. Civ. 1999 IV nº 135). 280 Cass. comm. v. 22.6.1999 (nº de pourvoi 94-16830) Rev. crit. dr. int. privé 1999, 777 (778 f.).

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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die Geltung des droit maritime auch für die Rheinschifffahrt. Danach gebe es die speziellen Regeln der großen Haverei (avarie commune), die auch im vorliegenden Fall zur Anwendung kämen. Nach diesen Regeln sollten alle Beteiligten an einem Schaden ihren Anteil tragen, den einer der Beteiligten zur Vermeidung größerer Verluste auf sich genommen oder erlitten hat.281 Diese Regeln seien stets anwendbar, auch wenn einer der Beteiligten aufgrund seines schuldhaften Handelns den Schaden ganz allein zu tragen bzw. zu ersetzen hat. Dann müssten die anderen Beteiligten notfalls den von ihnen zu tragenden Anteil beim Verantwortlichen wieder einfordern.282 Der Schiffsversicherer trage aber nur den Anteil, den das Schiff an der großen Haverei zu tragen habe. Er stehe nur für die Interessen des gleichsam personifizierten Schiffs ein, nicht für die Interessen des Schiffseigners. Auf keinen Fall versichere er die Schäden, die durch das verantwortliche Handeln des Schiffseigners entstehen.283 Mit dieser Qualifikation von Drouot als Versicherung des Schiffs, nicht des Schiffseigners umgeht die Cour de cassation die Rechtsnachfolge, die nach den Vorgaben des EuGH scheinbar unweigerlich zur Interessenidentität geführt hätte. Das Gericht verhindert zugleich, dass der Ladungseigentümer seine Einwendungen, die ihm gegenüber dem Schiffseigner im Fall von dessen Verantwortlichkeit zugestanden hätten, gegenüber Drouot geltend machen kann. Zumindest nach deutschem Recht könnte der Ladungseigentümer seinen Freistellungsanspruch gegen den Schiffseigner [vgl. oben C.III.2.d)(1)] auch der Versicherung als Zessionarin gem. § 404 BGB entgegenhalten.284 Das gilt auch dann, wenn man einen Direkterwerb der Versicherung annimmt, denn die Stellung des Schuldners darf durch den Rechtsübergang nicht verschlechtert werden.285 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Regeln der großen Haverei und des Versicherungsrechts sucht man im Urteil der Cour de cassation vergeblich. Die Annahme einer „Versicherung des Schiffs, nicht des Schiffseigners“ erweckt den Eindruck eines Kunstgriffs und vernachlässigt, dass in der großen Haverei die Versicherungen keine Beteiligten sind und dass dem Schiff keine Ansprüche aus der Haverei zustehen können. Es sind Schiffs- und Ladungseigner, die sich auseinandersetzen müssen. Und man kann daran zweifeln, ob es 281 Dazu auch schon kurz GA Fennelly Schlussantrag C-351/96 (Drouot/CMI) Slg. 1998 I 3084 dort Rdnr. 19. 282 Rémery Rev. crit. dr. int. privé 1999, 774 (776) zitiert Regel D der York-Antwerpen-Regeln sowie Art. 27 der loi nº 67-545 vom 7. Juli 1967. 283 Rémery Rev. crit. dr. int. privé 1999, 774 (776 f. ): „l’assureur corps étant plus chargé des interêts du navire, presque personifié, que de l’armateur proprement dit“. 284 BGH v. 11.3.1985 NJW 1985, 1768; Staudinger/Busche BGB (1999) § 404 Rdnr. 19. 285 BGH v. 19.11.1968 NJW 1969, 276; Palandt/Grüneberg BGB (2006) § 398 Rdnr. 12.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

eine gerechte Lösung ist, dem Ladungseigentümer gegenüber der Versicherung „des Schiffs“ die Einwendungen aus der Hand zu schlagen, die gegenüber dem Schiffseigner bestanden. 4. Identische und voneinander untrennbare Interessen Es stellt sich die Frage, ob die Cour de cassation wirklich zur Konstruktion der „Versicherung des Schiffs, nicht des Schiffseigners“ greifen musste, um zu dem am Ende eventuell zustimmungswürdigen Ergebnis zu kommen, dass die Rechtshängigkeitssperre gem. Art. 21 EuGVÜ (Art. 27 EuGVO) der Klage von Drouot nicht entgegensteht. Die Hinweise, die der EuGH zur Erläuterung der „Interessenidentität“ gibt, bedürfen einer genaueren Untersuchung. a) Die Bedeutung der Rechtskrafterstreckung In einer recht umständlichen Formulierung erwähnt der EuGH in Rdnr. 19 des Urteils die Rechtskraft. Der EuGH ist hier anscheinend so zu verstehen, dass eine Rechtskrafterstreckung auf Dritte unwiderlegliches Indiz für das Übereinstimmen der Interessen ist. Teilweise wird die Frage der Rechtskrafterstreckung auf unbeteiligte Dritte als das entscheidende Kriterium für Interessenidentität herausgestellt.286 Die Wortwahl des EuGH lässt vermuten, dass er auch die Frage der Rechtskrafterstreckung auf Dritte autonom bestimmen möchte. Denn er greift nicht zurück auf das nationale Rechtskraftverständnis im niederländischen Erstverfahren (bzw. im französischen Zweitverfahren), sondern hält ein Entfalten der Rechtskraft auf andere insbesondere dann für möglich, wenn „statt des Versicherungsnehmers der Versicherer kraft übergegangenen Rechts klagt oder verklagt wird, ohne dass der Versicherungsnehmer in der Lage wäre, auf den Ablauf des Verfahrens Einfluss zu nehmen.“ Indem der EuGH also eigene Kriterien für eine Rechtskrafterstreckung auf Dritte aufstellt, könnte er auf dem Weg sein, entgegen seinen bisherigen Bekenntnissen zur Wirkungserstreckung287 ein eigenes Rechtskraftkonzept zu entwickeln.288 Aus deutscher Sicht wäre dies ein eigenartiges Konzept von Rechtskrafterstreckung. Wenn der neue Rechtsträger kraft übergegangenen Rechts klagt oder verklagt wird, ist eine Erstreckung der Rechtskraft auf den alten Rechtsträger nicht notwendig. Wegen des Verlusts des Rechts geht ihn der Prozess nichts mehr an. Und weshalb sollte er den Versuch unternehmen, auf den Prozess Einfluss zu nehmen? Denkbar wäre dies nur, 286 Zum Beispiel Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 42; ähnlich Adolphsen ZZPInt 3 (1998), 249 (253). 287 Vgl. EuGH v. 4.2.1988 NJW 1989, 663 (Hoffmann/Krieg) dort Rdnr. 11. 288 So die Befürchtungen von Adolphsen ZZPInt 3 (1998), 249 (251 f.).

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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wenn der vermeintliche Vorgänger die Rechtsnachfolge bestreitet. Dann wäre aber auch die Prämisse des EuGH, dass der Versicherer kraft übergegangenen Rechts klagt oder verklagt wird, in Frage gestellt, und mit ihr auch die Grundlage für die Rechtskrafterstreckung. Unter Gesichtspunkten der Rechtskrafterstreckung wäre eine Untersuchung der möglichen Wirkungen des ersten, niederländischen Verfahrens viel interessanter. Hier kann es zu einer Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsnachfolger kommen, weil das nationale Verfahrensrecht den Rechtsvorgänger trotz des Rechtsübergangs weiterhin als die für die Prozessführung maßgebliche Person behandelt und deshalb auch die Rechtskraft einer Entscheidung auf den Rechtsnachfolger erstreckt (etwa wie im deutschen Recht gem. §§ 265, 325 ZPO). Um eine mögliche Rechtskrafterstreckung im niederländischen Verfahren, das immerhin zuerst rechtshängig geworden war, kümmert sich der EuGH nicht. Eine nationale Verfahrensvorschrift, die die Verfahrensführung exklusiv in die Hände des in den Niederlanden verklagten Versicherungsnehmers legt, soll gerade unbeachtlich sein.289 Es scheint also, als habe sich der EuGH im zweiten Satz der Rdnr. 19 in der Drouot-Entscheidung auf das falsche Verfahren konzentriert. Die Bedeutung der Rechtskrafterstreckung wird dadurch insgesamt zweifelhaft. In Rdnr. 22 bringt der EuGH zudem den Begriff des Vertreters ins Spiel; dessen Bedeutung wird nicht ganz klar. Er will ihn offensichtlich verwenden, um Zweifel an der Annahme einer Identität von Versicherer und Versicherungsnehmer auszudrücken. Heißt das nun, dass die Interessen beider Beteiligten übereinstimmen, wenn einer von ihnen als Vertreter des anderen auftritt? Also neben dem Rechtsübergang ein zweiter Regelfall für Interessenidentität? Nach deutschem Verständnis des Begriffs „Vertreter“ im Zivilprozess würde eine solche Sichtweise keinen Sinn ergeben, denn danach ist ein Vertreter im Zivilprozess niemals Partei, sondern handelt immer im Namen einer Partei.290 Mit „Vertretung“ könnte der EuGH die Fälle der Vermögensvertretung meinen, etwa Verfahren unter Beteiligung von Insolvenzverwalter oder sonstigen gesetzlichen Vertretern, oder die Prozessstandschaft, die man bisweilen in der deutschen Zivilprozessrechtslehre als Form der Stellvertretung beschreibt291 und bei der je nach Einzelfall eine Rechtskrafterstreckung möglich ist [vgl. oben B.III.1.b)]. Gemeint sein könnte unter anderem auch die „representative proceedings“ des englischen Rechts. Sie sind in CPR 19.6 geregelt; diese Vorschrift ersetzt die RSC Order 15 rule 12292 und gestattet, dass ein Prozess begonnen oder fortge289

EuGH v. 19.5.1998 (Drouot/CMI) ZZPInt 3 (1998), 246 dort Rdnr. 24. Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 53 Rdnr. 1 ff.; Schellhammer Zivilprozess (2004) Rdnr. 1168, 1199; Zöller/Vollkommer ZPO (2005) vor § 50 Rdnr. 4. 291 Bettermann Rechtshängigkeit und Rechtsschutzform (1949) S. 11 (dort Fn. 7). 292 Andrews English civil procedure (2003) Rdnr. 41.59; White Book 19.6.2. 290

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

setzt werden kann, indem eine Partei weitere Nichtbeteiligte vertritt, die dasselbe Interesse an der Klage haben. Gem. CPR 19.6 (4) ist das Urteil eines solchen Prozesses für die repräsentierten Personen bindend, sofern das Gericht nichts anderes anordnet, kann aber nur mit gerichtlicher Erlaubnis gegen diese Personen vollstreckt werden. Die vertretenen Personen werden nicht Partei des Prozesses.293 Voraussetzung für eine solche „Stellvertreterklage“294 ist ein gemeinsames Interesse an der Klage; das Interesse, das der „cause of action“ des Vertretenen unterliegt, muss identisch sein mit demjenigen, das der „cause of action“ des Klägers unterliegt.295 Unter welchen Bedingungen diese Voraussetzung erfüllt ist, wird im Allgemeinen nur vage beantwortet. Man müsse die Zielsetzung der Vorschrift CPR 19.6 berücksichtigen und den Begriff „same interest“ so auslegen, dass die Stellvertreterklage eingesetzt werden kann, um Rechtsstreitigkeiten schneller und kostengünstiger beizulegen.296 Da der Kläger bei „representative proceedings“ eine bindende Entscheidung auch für fremde Rechte herbeiführen kann,297 hat er eine der Prozessstandschaft vergleichbare Befugnis. Festzuhalten bleibt, dass in CPR 19.6 die beiden vom EuGH verwendeten Begriffe der Vertretung und desselben Interesses enthalten sind. Vielleicht hat der EuGH den „Vertreter“-Begriff auch von der französischen Lehre inspiriert verwendet. Nach französischer Prozessrechtslehre stellt der Begriff der „représentation“ eine Sammelbezeichnung für bestimmte Fallgruppen dar, unter denen eine formell nicht beteiligte Person in einem Rechtsstreit als vertreten gilt und deshalb die Rechtskraft auf sie erstreckt wird.298 Der EuGH erhält mit der Erwähnung der „représentation“ insbesondere aus Frankreich Zustimmung,299 wahrscheinlich weil man den Begriff dort als bekanntes Kriterium im Problemfeld der Wirkungen eines Verfahrens auf unbeteiligte Dritte schätzt. Es wird in dieser Untersuchung daher auf die Rechtskrafterstreckung nach französischem Vorbild und die dortige Verwendung des Begriffs der „représentation“ einzugehen sein.

293 Andrews English civil procedure (2003) Rdnr. 41.62 ff.; Ellger in: Basedow u. a. (Hrsg.) Die Bündelung gleichgerichteter Interessen (1999), 103 (110, 116) noch zur Vorgängerregelung RSC Order 15 rule 12. 294 So die Übersetzung von Ellger in: Basedow u. a. (Hrsg.) Die Bündelung gleichgerichteter Interessen (1999), 103 (109). 295 Andrews English civil procedure (2003) Rdnr. 41.61. 296 White Book Civil Procedure (2005) 19.6.2. 297 Andrews English civil procedure (2003) Rdnr. 41.57. 298 Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 136 ff.; Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 43 f.; Spellenberg ZZP 106 (1993), 283 (295 ff.). 299 Droz Rev. crit. dr. int. privé 2000, 63 (65), der die Frage einer Vertretung des Versicherungsnehmers durch den Versicherer davon abhängig machen will, ob der Versicherer die Haftung des Kapitäns absichert oder direkt das Schiff selbst.

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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In England dagegen kommt im Rahmen der Rechtskrafterstreckung auf Dritte der Begriff des „Interesses“ zum Tragen. Neben den „privies of blood“ und den „privies of title“ werden Dritte an ein Urteil gebunden, weil sie als „privies of interest“ gelten.300 Eventuell liefert die englische Lehre zur Rechtskrafterstreckung wegweisende Vorgaben für die Deutung der Drouot-Entscheidung. Wegen der Bedeutung der vom EuGH verwendeten Begriffe in der englischen und französischen Rechtskraftlehre wird es hilfreich sein, einen Blick auf die Rechtskraftwirkungen nach englischem und französischem Zivilprozessrecht zu werfen. Außerdem soll damit ein Test verbunden werden, ob die Rechtskrafterstreckung ein praktikables Kriterium zur Beurteilung der Interessenidentität und damit letztlich der Parteienidentität im Sinn von Art. 27 EuGVO ist. (1) Allgemein zur Rechtskraft nach englischem Recht Die Rechtskraft, traditionell mit dem Stichwort „res judicata“ bedacht,301 wird in der englischen zivilprozessrechtlichen Literatur unter der Überschrift „Finality in civil proceedings“ behandelt.302 „Finality“ sei erforderlich, um dem Prozesssieger die Früchte seines Erfolgs im Prozess zu bewahren und ihn davor zu schützen, mehrfach unter Aufwendung von Zeit und Kosten um seine Rechte kämpfen zu müssen. Außerdem diene sie dazu, die knappe Ressource Rechtsprechung verantwortungsvoll zu nutzen; anstatt sich wiederholt einer bereits entschiedenen Sache widmen zu müssen, sollten sich die Gerichte besser zügig mit den neu entstandenen Streitigkeiten befassen.303 Aus dieser Unumstößlichkeit von rechtskräftigen Entscheidungen entstehe ein Spannungsfeld mit dem Streben nach materieller Gerechtigkeit und Wahrheit. Es bestehe aber grundsätzlich die Möglichkeit, bis zum Eintritt der Rechtskraft das Urteil durch Rechtsmittel überprüfen zu lassen, so dass das Vertrauen in die Richtigkeit der gefundenen Entscheidung berechtigt sei; unter besonderen Umständen gebe es ausnahmsweise die Möglichkeit, auch ein rechtskräftiges Urteil anzugreifen.304 Der Zweck der „res judicata“ zeigt damit deutliche Parallelen zu den Zielen der Rechtskraft nach deutschem Verständnis [vgl. oben A.II.4.]. Um diese Ziele der

300 Carl Zeiss Stiftung v Keeler N. 2 [1967] 1 AC 853 (910 Lord Reid, 945 Lord Upjohn) (HL); Gleeson v Wippell & Co [1977] 1 WLR 511 (514 Megarry V.-C.) (Chancery Division); House of Spring Gardens Ltd v Waite [1991] 1 QB 241 (252 Stuart-Smith L.J.) (CA). 301 Vgl Blackstone’s Civil Practice (2004) Rdnr. 4.4. 302 Andrews English civil procedure (2003) Chapter 40; Zuckerman Civil Procedure (2003) Rdnr. 24.47 ff. 303 Andrews English civil procedure (2003) Rdnr. 40.07; Zuckerman Civil Procedure (2003) Rdnr. 24.1; P. Barnett Res judicata (2001) S. 9. 304 The Ampthill Peerage [1977] AC 547 (569 Lord Wilberforth) (HL); Zuckerman Civil Procedure (2003) Rdnr. 24.3.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Rechtskraft zu erreichen, kennt man im englischen Prozessrecht verschiedene Rechtsfiguren. Zum einen den cause of action estoppel und den issue estoppel, die beide zur Figur der res judicata gehören, und nach neuerer Terminologie auch cause of action finality und issue finality genannt werden.305 Zum anderen wird der Rechtsgedanke des abuse of process herangezogen, um eine erneute Klage oder bestimmtes Vorbringen in einer nachfolgenden Klage zurückweisen zu können.306 Alle diese Formen der Rechtskraft beschneiden aber das Recht des Klägers auf Zugang zum Gericht und dürfen nur dort angewendet werden, wo die Umstände des Einzelfalls es rechtfertigen.307 Der cause of action estoppel hindert eine Partei daran, eine bestimmte cause of action zu behaupten oder zu bestreiten, die bereits Gegenstand eines früheren Urteils zwischen denselben Parteien war und die in diesem früheren Urteil festgestellt oder verneint wurde.308 Daher kann ein erfolgreicher Kläger diese „cause of action“ nicht erneut einklagen; die unterlegene Partei kann die gerichtliche Entscheidung nicht in einem nachfolgenden Verfahren in Frage stellen.309 Was genau unter der cause of action zu verstehen ist, wird nur selten präzisiert. Die cause of action bestehe aus den notwendigen Tatsachen, die der Kläger vorbringen und beweisen muss, um mit seinem Klagebegehren Erfolg haben zu können.310 Was sich sachlich hinter der cause of action verbirgt, ist damit noch nicht geklärt. An einigen Stellen in der Literatur klingt es an, dass es sich um den materiellen Anspruch handelt.311 In der deutschen Literatur findet man ebenfalls diese Analyse; so spricht Ulf Ritter, nicht zuletzt wegen der aus seiner Sicht bestehenden römisch-rechtlichen Tradition des cause of action estoppel, auch von einem „Anspruch-Estoppel“, der es verbiete, einen entschie305 Specialist Group International Ltd v Deakin (No. 1) [2001] EWCA Civ 777 (dort unter Rdnr. 10 Aldous L.J.). 306 Zusammenfassend zu diesen drei Formen der Rechtskraft Specialist Group International Ltd v Deakin (No. 1) [2001] EWCA Civ 777 (dort unter Rdnr. 23 May L.J.); Zuckerman Civil Procedure (2003) Rdnr. 24.72; Andrews English civil procedure (2003) Rdnr. 16.01 und 40.31. 307 Specialist Group International Ltd v Deakin (No. 1) [2001] EWCA Civ 777 (dort Rdnr. 10 Aldous L.J.). 308 Thoday v Thoday (1964) 2 WLR 371 (384 Diplock L.J.) (CA); dahinter stehe die Anwendung der römischen Regel „nemo debet bis vexari pro una et eadem causa“. 309 Phipson on Evidence (2000) Rdnr. 38.16. 310 Republic of India v India Steamship Co. Ltd. [1993] AC 410 (419 Lord Goff of Chieveley) (HL): „a cause of action consists of the minimum facts which a plaintiff is required in law to plead and (if traversed) prove in order to obtain the relief which he claims.“ Stürner FS Schütze (1999), 913 (920) übersetzt „relief which he claims“ mit „Rechtsschutzziel, das er beansprucht.“ 311 P. Barnett Res judicata (2001) S. 21: „the very right or cause of action claimed or put in suit“.

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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denen Anspruch ein weiteres Mal einzuklagen.312 Losgelöst vom materiellen Recht kann man in der cause of action auch den prozessualen Anspruch sehen, auf den die final order des Urteils (vergleichbar dem deutschen Urteilstenor) die Antwort gibt.313 Auf jeden Fall wird die cause of action durch die zur Klagebegründung notwendigen Tatsachen näher bestimmt. Im zitierten Fall Republic of India v India Steamship Co. Ltd.314 hatte ein Schiff Munition zu transportieren. Infolge eines Feuers im Laderaum wurden einige Munitionskisten so stark beschädigt, dass sie auf See über Bord geworfen wurden. Nach Ankunft der Ladung wurde jedoch festgestellt, dass auch die übrige Munition durch die Hitze beschädigt worden war. Der indische Staat klagte daraufhin vor einem indischen Gericht auf Schadensersatz wegen Nichtablieferung der über Bord geworfenen Kisten und obsiegte. Vor einem englischen Gericht wurde nachfolgend der Schaden für die Beschädigung der gesamten Ladung eingefordert. Im englischen Verfahren machte der Beklagte, die Transportfirma, den cause of action estoppel geltend. Dagegen wurde eingewendet, dass es sich um unterschiedliche causes of action handele, weil einmal die Tatsache fehlender Kisten die Klage stütze, das andere Mal die Beschädigung der Munition durch die Hitze und der daraus entstandene Schaden. Das englische Gericht verwarf diese Sicht und stellte darauf ab, dass sowohl für den Seewurf einiger Kisten als auch für den Hitzeschaden letztlich der Ausbruch des Feuers als entscheidende vertragliche Pflichtverletzung gewirkt habe.315 Der Klage stand daher der cause of action estoppel entgegen. Bei Klagen wegen Haftung aufgrund von Fahrlässigkeit (negligence316) können verschiedene Schadenspositionen (zum Beispiel Sachschaden und Personenschaden infolge eines Unfalls) auch verschiedene causes of action bilden.317 Es ist allerdings nicht gestattet, mehrere Schäden, die aus derselben cause of action herrühren, in aufeinanderfolgenden Klagen einzufordern.318 Daraus resultiert ein Verbot der Teilklage.319 Dieses Verbot gilt nicht absolut, im Einzelfall soll eine Ausnahme möglich sein.320 312

Ritter ZZP 87 (1974), 138 (169). Stürner FS Schütze (1999), 913 (920 f.). 314 [1993] AC 410 (HL). 315 Republic of India v India Steamship Co. Ltd. [1993] AC 410 (421 Lord Goff of Chieveley) (HL). 316 Dazu v. Bernstorff Einführung in das englische Recht (1996) S. 75 ff. 317 Republic of India v India Steamship Co. Ltd. [1993] AC 410 (420 Lord Goff of Chieveley) (HL), diese Sicht wird dort aber anscheinend bezweifelt. In diesem Fall kann auch eine Rechtskraftsperre für aufeinanderfolgende Klagen bezüglich der einzelnen Schadenspositionen unter dem Gesichtspunkt des abuse of process eingreifen; vgl. dazu unten bei Fn. 337. 318 Buckland v Palmer [1984] 1 WLR 1109 (1115 Griffiths L.J.) (CA); Andrews English civil procedure (2003) Rdnr. 40.16. 319 Stürner FS Schütze (1999), 913 (922). 313

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Das Verbot, identische causes of action erneut vor Gericht zu bringen, gilt in striktem Sinn und lässt daher nur wenige Ausnahmen zu. Neu zu beschaffende Beweismittel oder Rechtsänderungen genügen nicht.321 Anerkannte Ausnahmen, in denen ein rechtskräftiges Urteil beseitigt werden kann, sind betrügerisch erlangte Urteile322 oder Urteile, an denen ein befangener Richter mitgewirkt hat.323 Der cause of action estoppel greift aber nicht unbedingt dort ein, wo das kontradiktorische Gegenteil einer ersten erfolgreichen Klage verlangt wird. Ein Beispiel gibt der Fall Specialist Group International Ltd. v Deakin (No. 1).324 Dort forderten die Geschäftführer einer Gesellschaft bestimmte Boni ein. Diese wurden aber nicht ausgezahlt, sondern als Darlehen der Geschäftsführer an die Gesellschaft behandelt. Später klagten die Geschäftführer auf Rückzahlung der Darlehen. Man einigte sich im Vergleich, und gewisse Geldsummen wurden ausgezahlt. Nun forderte die Gesellschaft in einer nachfolgenden Klage entsprechende Geldbeträge von den Geschäftsführern, weil die Boni damals ohne notwendigen Gesellschaftsbeschluss und damit rechtswidrig erlangt worden seien. Die Geschäftsführer machten res judicata geltend, weil die Rechtswidrigkeit der Beschlüsse schon im ersten Verfahren hätte vorgebracht werden können und müssen. Das Gericht wies diese Einrede zurück; das Darlehen sei von den Boni unabhängig gewesen. Zur Verteidigung hätte die beklagte Gesellschaft wegen Rechtswidrigkeit der Boni Widerklage erheben oder aufrechnen können. Die Rechtswidrigkeit der Boni hätte aber nicht direkt gegen die Darlehen als Klagegrund vorgebracht werden können. Aus deutscher Sicht ist diese Antwort des Gerichts überraschend. Die Darlehen wurden zur Erfüllung angeblicher BoniForderungen eingegangen (im Zweifel erfüllungshalber gem. § 364 Abs. 2 BGB). Spätestens mit Erfüllung der Darlehensrückzahlungsforderung würden nach deutschem Recht auch die Boni-Forderungen erlöschen. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich folglich die Klage auf Rückzahlung als kontradiktorisches Gegenteil der Darlehensklage. Nach deutschem Recht stünde der Rückzahlungsklage die Rechtskraft der Darlehensklage entgegen. Die Gesellschaft hätte also im ersten Verfahren, gestützt auf die Nichtigkeit der Boni-Forderung mangels Gesellschaftsbeschluss, die Einrede der Bereicherung gem. § 821

320 Buckland v Palmer [1984] 1 WLR 1109 (1115 Sir Donaldson M.R.) (CA): Wenn ein unerfahrener Kläger von einem erfahrenen Beklagten zur Teilklage verleitet wird. 321 Zuckerman Civil Procedure (2003) Rdnr. 24.60. 322 The Ampthill Peerage [1977] AC 547 (569 Lord Wilberforce); vgl. im deutschen Recht die Restitutionsklage gem. § 580 Nr. 4 ZPO. 323 Taylor v Lawrence [2002] 3 WLR 640 (CA): „court was biased“; vgl. im deutschen Recht § 579 Abs. 1 Nr. 2 und 3 ZPO. 324 [2001] EWCA Civ 777.

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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BGB325 bzw. die Einrede „dolo agit qui petit quod statim redditurus est“ aus § 242 BGB326 gegen den Darlehensanspruch erheben müssen. Der issue estoppel verbietet es den Parteien, solche Tatsachen oder rechtlichen Beurteilungen von Tatsachen zu behaupten oder zu bestreiten, die bereits in einem früheren Prozess essentielles Element der Klagebegründung oder Verteidigung waren und dort vom Gericht entgegengesetzt beurteilt worden sind.327 Der issue estoppel entspringt Gerechtigkeitserwägungen und gilt daher nicht ausnahmslos.328 Wenn zum Beispiel die Richtigkeit eines bestimmten Urteilselements durch neues Material bestritten wird, das die Prozesspartei auch bei gebotener Sorgfalt nicht im ersten Prozess hätte vorbringen können, dann kann dieser Punkt im nachfolgenden Prozess neu verhandelt werden.329 Der issue estoppel führt also dazu, dass auch präjudizielle Tatsachen und Rechtsverhältnisse in Rechtskraft erwachsen können.330 Hervorgehoben wird aber die Notwendigkeit einer gewissen Bedeutung des issue im Rechtsstreit, damit der estoppel greifen kann. Der issue muss „essentiell“ sein,331 andernfalls sei es nicht gerechtfertigt, die Parteien an die vorangegangene Entscheidung zu binden. Wären auch nebensächliche Streitpunkte betroffen, fühlten sich die Parteien womöglich angehalten, auch um Unwichtiges mit viel Energie zu streiten, was dem Ziel der Prozesswirtschaftlichkeit zuwiderliefe.332 Eben diese Überlegung führte bei der Schaffung der ZPO dazu, die Entscheidungsgründe von der Rechtskraft generell auszunehmen.333 Das englische Recht teilt also diese Bedenken, erlaubt aber eine flexiblere, auf den Einzelfall ausgerichtete Handhabung der Rechtskraft von Begründungselementen. Klagt ein Gläubiger beispielsweise gegen zwei Gesamtschuldner in einem Prozess und unterliegt er gegen einen Gesamtschuldner, so kann er unter Umständen wegen issue estoppel daran gehindert sein, Behauptungen über entscheidungsrelevante Tatsachen gegen den anderen Gesamtschuldner fortzusetzen.334 (Obwohl hier mehrere Personen involviert waren, ging es nicht um Rechtskraft325 BGH v. 15.12.1994 JZ 1995, 569 (570); Palandt/Sprau BGB (2006) § 821 Rdnr. 1. 326 Vgl. Bamberger/Roth/Wendehorst BGB Band 2 (2003) § 821 Rdnr. 3. 327 Mills v Cooper [1967] 2 QB 459 (468 f. Diplock L.J.) (Divisional Court). 328 Arnold v National Westminster Bank plc [1991] 2 AC 93 (108 f. Lord Keith of Kinkel) (HL). 329 Mills v Cooper [1967] 2 QB 459 (469 Diplock L.J.); Phipson on Evidence (2000) Rdnr. 38.42. 330 Ritter ZZP 87 (1974), 138 (172). 331 So Mills v Cooper [1967] 2 QB 459 (468 f. Diplock L.J.). 332 Specialist Group International Ltd. v Deakin (No. 1) [2001] EWCA Civ 777 (dort unter 12. Aldous L.J.); Zuckerman Civil Procedure (2003) Rdnr. 24.62. 333 Vgl. Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 (1998) § 322 Rdnr. 77; Brox JuS 1962, 121 (123). 334 Gregson v Evangelou [2003] EWHC 332.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

erstreckung, weil sowohl der Gläubiger als auch die angeblichen Gesamtschuldner sämtlich am Verfahren als Partei beteiligt waren.) Wie eng die Rechtsfiguren des estoppel und des sogleich erläuterten abuse of process beieinander liegen, kann man daran erkennen, dass gelegentlich bestimmtes Parteivorbringen im Prozess sowohl wegen estoppel als auch wegen abuse of process zurückgewiesen wird.335 Der Missbrauch wegen Belastung von Gerichten und Parteien durch mehrfache Prozessführung gilt als gemeinsamer Grundgedanke hinter allen Formen von res judicata und estoppel.336 Über diese beiden Formen des „res judicata estoppel“ hinaus kann eine nachfolgende Klage oder ein bestimmtes Vorbringen in einer nachfolgenden Klage wegen „abuse of process“ unzulässig sein, wenn es bei gebotenem umsichtigen Vorgehen bereits im ersten Prozess hätte vorgebracht werden können.337 Es handelt sich um eine Konzentrationslast für die Parteien und um ein Gebot zur möglichst umfassenden Erledigung des Streitstoffs. Dabei kann es sich einerseits um eine eigenständige „cause of action“ handeln, die der Kläger des zweiten Verfahrens im früheren Verfahren nicht eingeklagt hat (daher keine „cause of action estoppel“), aber wegen eines engen Sachzusammenhangs dort hätte einklagen können und müssen.338 Es können andererseits auch Tatsachen erfasst sein, die zwar im ersten Verfahren nicht aufgeworfen und beurteilt wurden, dort aber hätten vorgebracht werden können und müssen.339 Damit einher geht eine Erweiterung des durch das erste Urteil abgeurteilten Sachverhalts über das tatsächliche Vorbringen der Parteien hinaus.340 Das Verhältnis dieser Einrede des „abuse of process“ zum „cause of action estoppel“ und zum „issue estoppel“ ist nicht ganz geklärt. Einige halten es für eine „extended doctrine of res judicata“341, ein „wider sense of the doctrine of res judicata“342 oder bezeichnen es als „quasi res judicata“343 und sehen eine

335 House of Spring Gardens Ltd. v Waite [1991] 1 QB 241 (254 f. Stuart-Smith L.J.) (CA). 336 Specialist Group International Ltd. v Deakin (No. 1) [2001] EWCA Civ 777 (dort unter 10. Aldous L.J.); Stürner FS Schütze (1999), 913 (923). 337 Sogenanntes Henderson v Henderson principle nach dem gleichnamigen Fall [1843] 3 Hare 100 (115), dazu auch Andrews English civil procedure (2003) Rdnr. 6.126 und 40. 31 ff.; Zuckerman Civil Procedure (2003) Rdnr. 24.72. 338 Phipson on Evidence (2000) Rdnr. 38.42. 339 Phipson on Evidence (2000) Rdnr. 38.32. 340 Stürner FS Schütze (1999), 913 (922). 341 P. Barnett Res judicata (2001) S. 23. 342 Republic of India v India Steamship Co. Ltd. [1993] AC 410 (417 Lord Goff of Chieveley zitiert Yat Tung Investment Co. Ltd. v Dao Heng Bank Ltd. [1975] AC 581 (590 Lord Kilbrandon)) (HL). 343 Gleeson v J. Wippell Co. [1977] 1 WLR 511 (513 Mergarry V.-C.) (Chancery Division).

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Vermengung mit dem klassischen cause of action estoppel,344 während andere den Unterschied zu den beiden Figuren des estoppel betonen.345 Auf jeden Fall dient sie demselben Ziel, das auch die beiden estoppel-Figuren haben, nämlich einer wirtschaftlichen und effizienten Prozessführung im Interesse der Parteien und im öffentlichen Interesse,346 und kann daher zur Rechtskraft gezählt werden. Die Rechtsfigur wurzelt in equity347 und wird als „rule of justice“ angesehen, die die Parteien und Gerichte vor Klagen schützen soll, die als vexatious or oppressive beurteilt werden.348 Geboten ist daher stets eine Einzelfallbetrachtung; generelle Regeln können nicht aufgestellt werden.349 Klagen oder bestimmtem Prozessvorbringen der Parteien, denen eine rechtskräftige Entscheidung (wegen „estoppel“ oder „abuse of process“) entgegensteht, begegnet das Gericht durch sog. „strike out“ [vgl. CPR 3.4 (2) (b)].350 Das bedeutet, die Klageschrift oder sonstige Schriftstücke, die prozessuales Vorbringen enthalten, werden aus dem Prozess herausgestrichen und im weiteren Verlauf ignoriert.351 Dem Einwand der Rechtskraft kann mit der Behauptung des Prozessbetrugs begegnet werden; ein betrügerisch erlangtes Fehlurteil darf nicht durch Rechtskraft perpetuiert werden. Allerdings werden gesteigerte Anforderungen an die Betrugsbehauptung gestellt; ein Urteil soll nicht stets diesem Angriff ausgesetzt sein.352 Die Rechtskraft hat im englischen Recht also die Wirkung, dass bestimmtes Vorbringen einer Partei vom Gericht nicht gehört und kein Beweis darüber zugelassen wird. Deshalb diskutiert man, ob es sich um eine Regel des Beweisrechts handelt.353

344

Stürner FS Schütze (1999), 913 (923). Johnson v Gore Wood & Co [2002] 2 AC 1 (31 Lord Bingham of Cornhill, dazu auch 58 f. Lord Millet) (HL); Andrews English civil procedure (2003) Rdnr. 40.60; zum Meinungsspektrum auch Phipson on Evidence (2000) Rdnr. 38.43 ff. 346 Johnson v Gore Wood & Co [2002] 2 AC 1 (31 Lord Bingham of Cornhill). 347 P. Barnett Res judicata (2001) S. 23: „equity regards as done that which ought to have been done“ und „equity assists the diligent and not the tardy“. 348 Gairy v Att-Gen of Grenada (2002) 1 AC 167 (181 Lord Bingham of Cornhill) (Privy Council). 349 Johnson v Gore Wood & Co [2002] 2 AC 1 (31 Lord Bingham of Cornhill) (HL), dort S. 28 f. zitiert: Manson v Vooght [1999] BPIR 376 (388 f.). 350 Vgl. Andrews English civil procedure (2003) Rdnr. 9.47 ff.: statement of case can be struck out because of abuse of process and because of re-litigation of res judicata; Phipson on Evidence (2000) Rdnr. 38.64. 351 Zum strike out Loughlin/Gerlis Civil Procedure (2004) S. 365 ff. 352 Phipson on Evidence (2000) Rdnr. 38.08. 353 Phipson on Evidence (2000) Rdnr. 38.15 m.w. N. zu den Meinungen. 345

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

(2) Rechtskrafterstreckung auf Dritte im englischen Recht Grundsätzlich gilt die Rechtskraft in ihren verschiedenen Auswirkungen nur zwischen den Parteien, sofern es sich um „judgments in personam“ handelt. Neben diesen gewöhnlichen Klagen zwischen Trägern von Rechten kennt das englische Zivilprozessrecht auch „judgments in rem“, die einen Status über einen bestimmten Sachverhalt festsetzen.354 Solche Urteile sind für jedermann bindend; anschaulich wird gesagt, dass bei „judgments in rem“ die ganze Welt Partei sei.355 Welche Urteile „judgments in rem“ sind, kann nicht abschließend genannt werden; man tut sich schwer, griffige Abgrenzungskriterien zu nennen. Es werden beispielsweise dazu gezählt: Scheidungsurteile, Feststellungen über Nichtigkeit oder Gültigkeit einer Ehe und Entscheidungen über die Abstammung („parentage“).356 Bei „judgments in personam“ ist die Beschränkung der Bindung auf die Parteien nicht strikt; das englische Recht kennt eine Erstreckung der Rechtskraft auf nicht am Prozess beteiligte Dritte. Das betrifft insbesondere die Rechtsnachfolger der Parteien (successors in title357), sofern sie das Recht nach dem Urteil erworben haben.358 Neben dieser weitgehend unumstrittenen Gruppe wird die Bindung weiterer Personengruppen diskutiert. So soll es nicht beteiligte Dritte geben, die als Partei behandelt werden, sog. „deemed parties“.359 Der Begriff wird nur selten benutzt, seine Bedeutung in der aktuellen englischen Zivilprozessrechtsdoktrin darf daher bezweifelt werden. Zu dieser Gruppe sollen Arbeitgeber gehören, die ihre Arbeitnehmer zu einer bestimmten Prozessführung anweisen, die eigentlich im Interesse des Arbeitgebers stattfindet.360 Die Rechtsprechung hat den Begriff „deemed party“ noch nicht aufgegriffen. In der Sache nahe kommend fragt Lord Wilberforce in Carl Zeiss Stiftung v Rayner & Keeler Ltd.361 danach, wer tatsächlich im Hintergrund die Klage veranlasst hat und betreibt. Die übrigen Richter in der zitierten Entscheidung prüfen dagegen privity of interest (dazu sogleich).362

354

Vgl. die Definition bei Phipson on Evidence (2000) Rdnr. 38.14. Phipson on Evidence (2000) Rdnr. 38.10. 356 Phipson on Evidence (2000) Rdnr. 38.14. 357 Mills v Cooper [1967] 2 QB 459 (468 f. Diplock L.J.). 358 Phipson on Evidence (2000) Rdnr. 38.27. 359 P. Barnett Res judicata (2001) S. 67. 360 P. Barnett Res judicata (2001) S. 67: „those who direct another to pursue litigation on their behalf.“ Letzteres kann nicht im Sinne von „Klagen in deren Namen“ gemeint sein; im englischen Zivilprozess gilt der formelle Parteibegriff, das heißt derjenige wird als Partei behandelt, in dessen Namen der Prozess eröffnet wird, vgl. Baumgartner Der richtige Kläger (2001) S. 170 f. 361 [1967] 1 AC 853 (968) (HL). 362 Carl Zeiss Stiftung v Keeler N. 2 [1967] 1 AC 853 (910, 928, 936, 945) (HL). 355

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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Ist eine Person in einem ersten Prozess als Partei aufgetreten und klagt nachfolgend als Vertreter oder Testamentsvollstrecker bzw. Nachlassverwalter ihrer verstorbenen Frau, ist sie durch die Entscheidung im ersten Verfahren nicht gebunden.363 Allgemein wird vertreten, dass eine Entscheidung die beteiligten Parteien und ihre „privies“ bindet. Über die genaue Bedeutung des Begriffs „privy“364 herrscht allerdings Uneinigkeit. Für gewöhnlich wird eine Unterteilung in privy in blood, privy in title und privy of interest vorgenommen.365 Es gibt aber die Ansicht, der Begriff „privy“ beschränke sich auf Rechtsnachfolger (successors in title).366 Zu privies in blood zählen Vorfahren und Erben der Parteien. Privies in title sind die Rechtsnachfolger der Parteien.367 Der Einzelrechtsnachfolger aufgrund des Verkaufs einer beweglichen Sache ist aber nur an ein Urteil, das zwischen dem Verkäufer und einem angeblichen dritten Eigentümer ergeht und das Eigentum des Dritten feststellt, gebunden, wenn er das Eigentum nach dem Urteil erwirbt. Hat er es vor Urteilserlass, aber nach Rechtshängigkeit erworben, dann kommt es zu keiner Rechtskrafterstreckung, zumindest wenn der klagende Dritte von der Veräußerung wusste und keine Anstalten machte, den Erwerber in den Prozess miteinzubeziehen368 [vgl. CPR 19 (5.1)]. Ein häufig genanntes Beispiel für privies of interest sind der „trustee“ und der „beneficiary“ beim „trust“.369 Bei der Rechtsfigur des „trust“ wird einem Treuhänder („trustee“) Eigentum übertragen, damit dieser das Eigentum treuhänderisch zugunsten eines anderen („beneficiary“) hält. Ein „trust“ wird in aller Regel rechtsgeschäftlich errichtet (auch stillschweigend möglich), kann aber auch aufgrund Gesetzes entstehen. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig und reichen von der Nachlassregelung bis hin zu Vermögensverwaltung und Kreditsicherung.370 Wesensmerkmal ist die formale Eigentümerposition des „trustee“, 363

Phipson on Evidence (2000) Rdnr. 38.21. Man findet in Wörterbüchern für das Adjektiv „privy“ die Übersetzungen „mitwissend“ oder „eingeweiht“. „Privies“ in diesem Zusammenhang übersetzt man auch mit „Genossen“, „gemeinschaftlich Beteiligte“ oder „in gemeinsamer Beziehung Stehende“, vgl. Romain Wörterbuch Englisch – Deutsch (1989) Stichwort „privies“. 365 Carl Zeiss Stiftung v Keeler N. 2 [1967] 1 AC 853 (910 Lord Reid, 945 Lord Upjohn) (HL); Gleeson v Wippell & Co [1977] 1 WLR 511 (514 Megarry V.-C.) (Chancery Division); House of Spring Gardens Ltd. v Waite [1991] 1 QB 241 (252 Stuart-Smith L.J.) (CA). 366 Zuckerman Civil Procedure (2003) Rdnr. 24.64. 367 Barnett Res judicata (2001) S. 69; Spellenberg ZZP 106 (1993), 283 (294). 368 Powell v Wiltshire [2005] QB 117 (126 Latham L.J.) (CA), dort unter dem Aspekt der privity of interest behandelt. 369 Gleeson v Wippell & Co [1977] 1 WLR 511 (515 Megarry V.-C.) (Chancery Division). 370 Vgl. zum „trust“ v. Bernstorff Einführung in das englische Recht (1996) § 10 (S. 111 ff.); Henrich/Huber Einführung in das englische Privatrecht (2003) § 7 (S. 108 ff.). 364

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

obwohl das Eigentum wirtschaftlich dem Begünstigten zugeordnet wird. Nach außen hin hat der „trustee“ die Befugnis, als Eigentümer aufzutreten, während die wirtschaftliche Zuordnung zum Beispiel im Konkurs deutlich wird, bei dem der Gegenstand des „trust“ nicht in die Masse fällt und der Begünstigte Sonderrechte besitzt.371 Aufgrund seiner formalen Eigentümerstellung tritt der „trustee“ im Zivilprozess als Kläger auf und klagt in eigenem Namen, aber zu fremdem Nutzen, womit der „trust“ die Funktion der Prozessstandschaft übernimmt, wegen der Übereinstimmung von materieller Berechtigung und Klägerstellung aber deutliche Unterschiede aufweist.372 Die wirtschaftliche Zuordnung zum Begünstigten spiegelt sich in dessen Bindung an das Urteil wegen „privity of interest“ wider.373 Die Rechtsfigur der Prozessstandschaft gehört nicht zur „privity of interest“; sie hat sich im englischen Recht nicht etabliert. Entweder bedient man sich dort eines „trusts“, bei dem der „trustee“ eigene Rechte einklagt, oder aber der Kläger ist in Situationen, in denen er nach deutschem Recht fremde Rechte einklagen würde (etwa bei der Testamentsvollstreckung oder in der Insolvenz), nach englischem materiellem Recht auch Träger der Rechte.374 Ein Urteil, das der Insolvenzverwalter erstreitet, bindet auch den Gemeinschuldner (ein Fall der Rechtsnachfolge).375 Bei der Bürgschaft gilt der Bürge nicht als „privy“ des Hauptschuldners; ein Urteil gegen den Hauptschuldner bindet daher nicht den Bürgen.376 Fraglich ist, ob sich wie im deutschen Recht377 der Bürge auf ein klageabweisendes Urteil zugunsten des Hauptschuldners berufen kann, wenn er vom Gläubiger verklagt wird. Angesichts des Grundsatzes, dass eine einseitige Rechtskrafterstreckung nicht möglich ist und ein Dritter sich nur auf ein ihm günstiges Urteil berufen kann, wenn ihn auch ein ungünstiges Urteil bindet,378 wird man das verneinen

371

v. Bernstorff Einführung in das englische Recht (1996) § 10 (S. 117 f.). Spellenberg ZZP 106 (1993), 283 (287). 373 Gleeson v Wippell & Co [1977] 1 WLR 511 (515 Megarry V.-C.) (Chancery Division). 374 Cohn International Encyclopedia Vol. XVI Chapter 5 (1976) S. 21, 23; Spellenberg ZZP 106 (1993), 283 (287); zur Insolvenz vgl. auch Blackstone’s Civil Practice (2004) Rdnr. 14.40. 375 Stürner FS Schütze (1999), 913 (923). 376 Phipson on Evidence (2000) Rdnr. 38.28. 377 Im deutschen Zivilprozess kennt man bei der Bürgschaft eine unterschiedliche Rechtskrafterstreckung je nach Prozessausgang. Die Abweisung der Klage gegen den Hauptschuldner kann vom Bürgen gem. § 768 Abs. 1 BGB im eigenen Prozess der Klage des Gläubigers entgegengehalten werden. Umgekehrt verliert der Bürge bei Klagerfolg des Gläubigers gegenüber dem Hauptschuldner nicht das Recht, im eigenen Prozess die Hauptschuld zu bestreiten; vgl. oben B.III.1.i). 378 Phipson on Evidence (2000) Rdnr. 38.27. 372

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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müssen. Der Gläubiger ist folglich nicht durch eine Niederlage gegen den Hauptschuldner in seiner Rechtsverfolgung gegen den Bürgen eingeschränkt. Im Folgenden sollen einige Entscheidungen zur „privity of interest“ auf ihre Verallgemeinerungsfähigkeit hin untersucht werden. In Gleeson v Wippell & Co379 hatte die Klägerin ein Hemd entwickelt, das der Beklagte Wippell unberechtigterweise kopiert und dann produziert und vertrieben haben soll. Dabei soll er mit einem Herrn Denne zusammengearbeitet haben, dem er seine Hemden als Muster zur Produktion im größeren Stil überlassen hat. Die Klägerin hatte zunächst Klage gegen Denne wegen Bruchs ihres copyright erhoben. In diesem Verfahren war unbestritten, dass Denne seine Muster von Wippell bekommen hatte, womit im Zentrum des Verfahrens der Streitpunkt stand, ob Wippell die Hemden unberechtigt von Gleeson kopiert hat. Die Klägerin unterlag in diesem Prozess. Danach verklagte sie Wippell selbst wegen desselben behaupteten Bruchs ihres copyright. Wippell machte issue estoppel geltend. Die Frage war nun, ob sich Wippell als Nichtbeteiligter des ersten Prozesses auf den issue estoppel berufen könne. Möglich war die Erstreckung dieser Rechtskraftwirkung auf Wippell nur, wenn er privy of interest der Prozesspartei Denne war. Das Gericht lehnte das ab. In der Begründung stellt es aber keine klaren Kriterien für eine privity of interest auf.380 Es benutzt eher allgemeine Begriffe und Erwägungen: Der Begriff „interest“ könne nicht allein im Sinn von „interessiert sein“ oder „Betroffenheit“ verstanden werden. Es müsse vielmehr ein ausreichendes Maß an Identität zwischen der Partei und dem Dritten bestehen. Das sei zum Beispiel der Fall beim trust, wo trustee und beneficiaries einander privies of interest sind.381 Im Fall Gleeson sei dies aber anders. Um die Interessenlage zu verdeutlichen, wandelte das Gericht in einem Gedankenspiel den Fall ab und ließ die Klägerin im ersten Verfahren erfolgreich sein.382 Würde dann die Klägerin mit dem issue estoppel-Einwand gegen Wippell Erfolg haben? Diese Erwägung fußt auf dem bereits oben erwähnten Grundsatz, dass eine Rechtskrafterstreckung nur beidseitig denkbar ist, also unabhängig vom Prozessausgang sowohl zugunsten als auch zu Lasten wirken muss.383 In dem Gedankenspiel war es für das Gericht offensichtlich, dass ein issue estoppel zu Lasten Wippells eine ungerechtfertigte Beschränkung seiner Verteidigungsrechte sei. Allerdings bedeutet jede Ersteckung der Rechtskraft auf unbeteiligte Dritte eine Beschränkung des rechtlichen Gehörs. Die Frage ist, ob 379

[1977] 1 WLR 511 (Chancery Division). Dessen ist sich das Gericht selbst bewusst, vgl. Gleeson v Wippell & Co [1977] 1 WLR 511 (517 Megarry V.-C.). 381 Gleeson v Wippell & Co [1977] 1 WLR 511 (515 Megarry V.-C.). 382 Gleeson v Wippell & Co [1977] 1 WLR 511 (516 Megarry V.-C.). 383 Phipson on Evidence (2000) Rdnr. 38.27: „estoppels must be mutual“. 380

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Umstände vorliegen, die diese Beschränkung rechtfertigen. Solche Umstände konnte das Gericht offenbar nicht erkennen, ohne dies genauer zu begründen. Seiner Ansicht nach sei auch die Erstreckung des estoppels zugunsten Wippells eine ungerechtfertigte Beschneidung des Klagerechts der Klägerin. Sie müsse in der Lage sein, ihre Interessen gegen Wippell durchzusetzen. Es bestehe daher auch keine Pflicht der Klägerin zur Konzentration des Verfahrens durch gemeinsame Klage gegen beide möglichen Schuldner. Selbst wenn die Möglichkeit für die Klägerin bestand, den nicht beteiligten Wippell im ersten Verfahren als Beklagten hinzuzufügen [vgl. CPR 19.2 (2)], sei sie dazu nicht verpflichtet gewesen. Aus einem diesbezüglichen Untätigbleiben ergibt sich zumindest keine Erstreckung des estoppels zugunsten dieses Dritten.384 Im Fall House of Spring Gardens Ltd. v Waite385 hatte der Kläger schusssichere Westen entwickelt und wollte diese im Zusammenwirken mit Mr Waite in Afrika verkaufen. Waite verhandelte mit Geschäftspartnern in Libyen und konnte dort in der Tat unter Mithilfe von Mr McLeod Westen verkaufen. Dem Kläger machten beide allerdings weis, dass die Verhandlungen gescheitert seien. Der Kläger erfuhr die Wahrheit und verklagte Waite, McLeod und weitere Beklagte in Irland erfolgreich auf Schadensersatz. Gegen dieses Urteil erhoben einige der Beklagten, nicht allerdings McLeod, Klage auf Beseitigung des Urteils in Irland. Gestützt wurde diese Beseitigungsklage auf Prozessbetrug.386 Die Klage wurde abgewiesen. Nun erhob der Kläger in England Klage gegen alle Beklagten zur Durchsetzung des irischen Urteils.387 Der Beklagte McLeod wandte in diesem Verfahren ein, der Kläger habe sein Urteil in Irland durch 384

Gleeson v Wippell & Co [1977] 1 WLR 511 (517 Megarry V.-C.). [1991] 1 QB 241 (CA). 386 Zur Möglichkeit im englischen Recht, ein Urteil auch außerhalb der besonderen Anfechtungsverfahren wegen „fraud“ zu überprüfen, vgl. Cheshire/North Private International Law (1999) S. 441 ff. Vgl. im deutschen Recht die Möglichkeit der Wiederaufnahme gem. § 580 Nr. 4 ZPO, dazu Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 159 Rdnr. 18, und die Durchbrechung der Rechtskraft durch einen materiellen Anspruch gem. § 826 BGB, dazu Stein/Jonas/Leipold ZPO Band 4/1 § 322 Rdnr. 268 ff.; Walker FG 50 Jahre BGH Band III (2000) S. 367 ff. Beide Möglichkeiten der Beseitigung eines rechtskräftigen Urteils dienen der Durchsetzung der Gerechtigkeit in Ausnahmefällen, in denen die Abwägung zwischen den beiden Verfahrensprinzipien Rechtssicherheit und Suche nach richtiger und gerechter Entscheidung zugunsten des letzteren ausfällt, vgl. Zeuner FG 50 Jahre BGH Band III (2000) S. 337 (343). 387 Nach „Common Law“ kann ein ausländisches Urteil nicht direkt vollstreckt werden, sondern der Titelgläubiger muss eine „action on the foreign judgment“ durchführen, Dicey & Morris The Conflict of Laws Band 1 (2000) Rdnr. 14-009; Schack IZVR (2002) Rdnr. 910; zur Vollstreckung aufgrund gesetzlicher Regelung Foreign Judgment (Reciprocal Enforcement) Act 1933 und Civil Jurisdiction Act 1982, dazu Dicey & Morris The Conflict of Laws Band 1 (2000) Rdnr. 14-012 und ff. – Vgl. im deutschen Recht zur Vollstreckungsklage §§ 722 f. ZPO; zur Zulässigkeit einer Leistungsklage aus ausländischem Urteil, um dessen Vollstreckung zur ermöglichen beziehungsweise zu vereinfachen Schack IZVR (2002) Rdnr. 887 sowie Geimer IZPR (2005) Rdnr. 3167 mit Zweifeln am Rechtsschutzbedürfnis im Einzelfall. 385

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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Betrug erschlichen.388 Die Frage war, ob er an das zweite Urteil, das die Beseitigung des ersten Urteils wegen Prozessbetrugs ablehnte, gebunden war und daher nicht selbst den Prozessbetrug im englischen Prozess vortragen durfte (estoppel). Dazu musste er privy der übrigen Beklagten sein, die bereits in Irland erfolglos die Beseitigung des Urteils wegen Prozessbetrugs versucht hatten. In Betracht kam nur privity of interest. Das Gericht stellte darauf ab, dass McLeod und die übrigen Beklagten „joint tortfeasors“ waren und als solche in Irland verurteilt worden sind. McLeod wusste von dem Versuch der übrigen Beklagten, das Urteil in Irland wegen Betrugs zu beseitigen. Er enthielt sich dennoch und überließ es den anderen, für seine Interessen zu streiten. Dass die Beseitigungsklage in seinem Interesse war, begründet das Gericht mit der positiven Wirkung eines stattgebenden Urteils: Hätten die übrigen Beklagten mit ihrer Beseitigungsklage Erfolg gehabt, dann wäre die Wirkung dieses Urteils auch McLeod zugute gekommen.389 Interessanterweise stützt sich das englische Gericht auch in diesem Fall auf die hypothetische Überlegung des umgekehrten Prozessausgangs. Der tiefere Grund für die Rechtskrafterstreckung bei einem Erfolg der Beseitigungsklage bleibt indessen dunkel. Zusätzlich begründete das Gericht die Ablehnung des Rechts von McLeod, im englischen Prozess den Prozessbetrug des Klägers einzuwenden, mit „abuse of process“. Es könne nicht angehen, dass Streitpunkte verhandelt werden, die bereits in zwei vorangehenden Prozessen diskutiert worden sind. Es drohten zudem unvereinbare Entscheidungen. Die Rechtssicherheit verlange nicht zuletzt zum Schutz des Klägers, dass McLeod nicht erneut das erste irische Urteil in Frage stellen kann.390 Die Begründung des Gerichts gibt nicht viel her für eine Präzisierung des „privy of interest“. Zunächst wird die Erstreckung des estoppel durch das klageabweisende zweite irische Urteil damit begründet, dass es bei einem klagestattgebenden Urteil auch zur Rechtskrafterstreckung käme. Warum das so sein soll, wird nicht genauer erläutert. Zum anderen werden der Gedanke der Rechtssicherheit und die Gefahr drohender Widersprüche in den Entscheidungen zur Begründung herangezogen. Diese Ziele der Rechtskraft sprechen aber stets für 388 Im englischen Recht ist der Einwand des Prozessbetrugs gegen die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Urteils zulässig und verbreitetes Verteidigungsmittel, Dicey & Morris The Conflict of Laws Band 1 (2000) Rdnr. 14-129 und 14206. – Im deutschen Recht ist die Anerkennung eines durch Prozessbetrug erschlichenen ausländischen Urteils wegen Verstoßes gegen den deutschen ordre public (§ 328 Nr. 4 ZPO; Art. 34 Nr. 1 EuGVO) ausgeschlossen, BGH v. 6.5.2004 NJW 2004, 2386 (2388); Geimer/Schütze EuZVR (2004) A.1 Art. 34 Rdnr. 60 ff.; Schack IZVR (2002) Rdnr. 865a mit Beispielen aus der Rechtsprechung. 389 House of Spring Gardens Ltd. v Waite [1991] 1 QB 241 (253 Stuart-Smith L.J.) (CA). 390 House of Spring Gardens Ltd. v Waite [1991] 1 QB 241 (255 Stuart-Smith L.J.) (CA).

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

eine Erstreckung. Warum gerade in diesem Fall diese Ziele Vorrang haben vor dem grundsätzlichen Recht des Beklagten auf Verteidigung und rechtliches Gehör, bleibt offen. Über die entscheidenden Umstände können daher nur Mutmaßungen angestellt werden. Möglicherweise ist der Grund für die Bindung die Tatsache, dass die Beklagten joint tortfeasors waren. Das Gericht stellt diesen Umstand heraus, ohne deutlich zu machen, ob er entscheidend ist. Ob dieser Gedanke verallgemeinerungsfähig ist, darf bezweifelt werden. Im englischen Recht gilt bei getrennter Prozessführung gegen Gesamtschuldner die Grundregel, dass es keine Rechtskrafterstreckung auf nicht beteiligte Gesamtschuldner gibt. Dazu gibt es in section 3 des Civil Liability (Contribution) Act (CLA) 1978 eine gesetzliche Regel:391 Urteile gegen Beklagte, die für dieselbe Schuld oder denselben Schaden haften, bewirken danach zumindest keine Rechtskraftsperre gegenüber einer nachfolgenden Klage gegen einen nicht beteiligten Schuldner. Auch die Verwehrung einer nachfolgenden Klage gegen einen anderen Gesamtschuldner wegen abuse of process soll regelmäßig nicht möglich sein; der Gläubiger könne viele Gründe haben, getrennt in aufeinanderfolgenden Prozessen vorzugehen. Nur ausnahmsweise könne einer zweiten Klage abuse of process entgegengehalten werden, wenn beispielsweise der erste Prozess nur geführt wurde, um den Prozess gegen den zweiten Schuldner zu finanzieren.392 Vielleicht war es aber auch die besondere Abfolge der Prozesse, die die Rechtskrafterstreckung auf den nicht beteiligten Gesamtschuldner trägt. Immerhin wurde in den drei Prozessen über dieselbe Rechtsfolge gestritten, nämlich den Schadensersatzanspruch des Klägers wegen heimlicher Verträge mit Libyen. Im ersten Prozess war McLeod beteiligt und daher bereits zu diesem Zeitpunkt gehalten, seine Verteidigung wahrzunehmen. Der zweite Prozess zielte auf die nur ausnahmsweise gewährte Beseitigung des Urteils ab, der dritte diente der bloßen Durchsetzung des ersten Urteils. Das Interesse McLeods an eigener Verteidigung wiegt daher nicht mehr schwer; er hatte bereits Gelegenheit dazu. Dagegen überwog das Interesse an Rechtssicherheit. Die Versagung gegenüber dem nicht beteiligten Gesamtschuldner McLeod, den Prozessbetrug vortragen zu können, war daher gerechtfertigt. Wegen der außergewöhnlichen Umstände taugt das Urteil aber kaum, daraus allgemeingültige Prinzipien abzuleiten.

391 Section 3 CLA 1978 besagt: „Judgment recovered against any person liable in respect of any debt or damage shall not be a bar to an action, or to the continuance of an action, against any other person who is (apart from any such bar) jointly liable with him in respect of the same debt or damage.“ 392 So in einem obiter dictum Johnson v Gore Wood & Co [2002] 2 AC 1 (60 Lord Millett) (HL).

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Nicht nur bei „res judicata estoppels“, sondern auch bei der Rechtskraftfigur des „abuse of process“ (sog. „Henderson-Doktrin“) ist eine Erstreckung über die Parteien hinaus möglich.393 In der neueren Entscheidung Johnson v Gore Wood & Co394 hatte die Firma WWH Beraterverträge mit einer Rechtsberatungsfirma im Zusammenhang mit bestimmten geschäftlichen Transaktionen geschlossen. Inhaber der wesentlichen Geschäftsanteile war der Kläger Mr Johnson. Die betroffenen Geschäfte entwickelten sich nicht wie erwartet, weshalb die Firma erhebliche Verluste machte. Mr Johnson veranlasste daher, dass die Firma WWH ihre Rechtsberatungsfirma auf Schadensersatz verklagte. Er selbst behauptete, er habe auch persönliche Beraterverträge mit der Rechtsberatungsfirma geschlossen und persönliche Verluste durch die gescheiterten Geschäfte erlitten, klagte aber in dem Prozess nicht auch seine eigenen Forderungen ein, sondern hielt diese Klage mangels finanzieller Möglichkeiten noch zurück. Der Prozess zwischen WWH und der Rechtsberatungsfirma endete in einem Vergleich. Bei den Vergleichsverhandlungen war den Beteiligten bewusst, dass Mr Johnson auch persönliche Forderungen geltend macht, diese Forderungen wurden von dem Vergleich aber ausgenommen. Der Vergleich enthielt Bestimmungen, die diese Forderungen erwähnten, ohne sie völlig auszuschließen. Einige Zeit später erhob Mr Johnson Klage wegen seiner persönlichen Forderungen. Der Prozess zog sich über viereinhalb Jahre hin, bis die Rechtsberatungsfirma schließlich einwandte, die Klage sei wegen „abuse of process“ unzulässig (strike out). Mr Johnson hätte zusammen mit der WWH klagen müssen. Der Prozessvertreter des Klägers konterte den Einwand der Beklagten mit zwei Argumenten: Ein Vergleich sei kein Urteil, daher sei die Rechtsfigur des „abuse of process“ nicht anwendbar. Dieses Argument wurde mit wenigen Worten zurückgewiesen; auch nach einem Vergleich könne eine nachfolgende Klage einen „abuse of process“ darstellen.395 Der zweite Einwand lautete, dass der Kläger persönlich nicht Partei in dem Verfahren gewesen sei, weshalb der Einwand des „abuse of process“ ihm nicht vorgehalten werden könne. Das Gericht war dagegen der Meinung, der „abuse of process“ könne nicht nur die Parteien des früheren Verfahrens, sondern auch ihre „privies“ von weiteren Klagen abhalten. Dieser Grundsatz der res judicata sei auch auf den „abuse of process“ anwendbar.396 In Frage komme, dass Mr Johnson „privy of interest“ seiner Firma sei. Ein Richter zitiert aus der bereits erläuterten Entscheidung Gleeson v Wippell, dass ein ausreichendes Maß an Identität zwischen den beiden bestehen müsse, damit eine Bindung des nicht prozessbeteiligten Dritten gerechtfertigt sei. Ohne

393 394 395

Phipson on Evidence (15. Auflage 2000) Rdnr. 38.56. [2002] 2 AC 1 (HL). Johnson v Gore Wood & Co [2002] 2 AC 1 (32 Lord Bingham of Cornhill)

(HL). 396

Johnson v Gore Wood & Co [2002] 2 AC 1 (60 Lord Millett) (HL).

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

weitere Begründungen bejahte er diese (wenig präzisen) Voraussetzungen.397 Ein anderer Richter hob hervor, dass der Kläger als maßgebliche Person hinter der Firma in der Lage gewesen sei, über deren und seine eigene Prozessführung zu entscheiden. Das begründe „privity of interest“. Im Übrigen aber wies das Gericht den Einwand der Beklagten eines „abuse of process“ zurück und erlaubte die Klagen. Zum einen liege kein Prozessmissbrauch vor; der Kläger habe aufgrund seiner besonderen finanziellen Situation und derjenigen seiner Firma und aufgrund des Beklagtenverhaltens im ersten Prozess aufeinanderfolgende Prozesse führen dürfen.398 Alternativ begründeten einige Richter ihre Zurückweisung des Beklagteneinwands mit einem „estoppel“: Da die Beklagten vom Ausgangspunkt des Klägers, er habe auch persönliche Forderungen gegen sie, bereits im ersten Verfahren wussten und dies vom Vergleich nicht erfasst werden sollte, hätten sie den Kläger in Sicherheit gewogen in der Annahme, er müsse nicht zugleich mit seiner Firma Klage erheben. Aufgrund dieses Verhaltens sei ihnen nicht zu gestatten, den Einwand des Prozessmissbrauchs zu erheben.399 Die Vorgehensweise des Gerichts erscheint ungewöhnlich, da es sich erst der Frage der Rechtskrafterstreckung widmet und diese prinzipiell bejaht, bevor es klärt, ob das erste Verfahren dem zweiten überhaupt wegen „abuse of process“ entgegenstehe. Es mag mit den Besonderheiten dieser Rechtsfigur zusammenhängen; über den Prozessmissbrauch entscheiden englische Gerichte extrem einzelfallorientiert.400 Und so war es für das Gericht anscheinend wichtig, die Umstände des Einzelfalls bezogen auf den Kläger abzuwägen. Und um wiederum die Beziehung zu den im ersten Prozess nicht beteiligten Kläger zu begründen, hat es (ohne große Begründung) den Kläger als „privy of interest“ qualifiziert. Das hat zur Folge, dass grundsätzlich und ohne die besonderen Umstände dieses Falls zu berücksichtigen, der maßgebliche Gesellschafter zusammen mit seiner Gesellschaft Forderungen einklagen muss, die in einem gewissen tatsächlichen Zusammenhang stehen. Zwar handele es sich, wie ein Richter zugibt, um verschiedene Rechtspersönlichkeiten, und auch seien zum Teil unterschiedliche Tatsachen entscheidungserheblich (wie etwa die Fragen einer direkten vertraglichen Verbindung zwischen Kläger und Beklagten und der persönlichen Schäden 397

Johnson v Gore Wood & Co [2002] 2 AC 1 (32 Lord Bingham of Cornhill)

(HL). 398 Johnson v Gore Wood & Co [2002] 2 AC 1 (34 Lord Bingham of Cornhill; 60 f. Lord Millett, der in einem obiter dictum auch auf den Zeitablauf abstellt; so spät im Prozess habe die Beklagte den Einwand nicht mehr erheben dürfen). 399 Johnson v Gore Wood & Co [2002] 2 AC 1 (33 f. Lord Bingham of Cornhill; 40 f. Lord Goff of Chieveley). 400 Wie auch in Johnson v Gore Wood & Co [2002] 2 AC 1 (31 Lord Bingham of Cornhill) nochmals betont wird: „As one cannot comprehensively list all possible forms of abuse, so one cannot formulate any hard and fast rule to determine whether, on given facts, abuse is to be found or not.“

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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für den Kläger).401 Auf der anderen Seite gebe es gemeinsame Sachfragen (wie etwa der Sorgfaltsmaßstab der Beklagten bei Vertragsdurchführung),402 die es erstrebenswert sein ließen, dass beide Klagen zugleich verhandelt werden.403 Der Begriff des „interest“ wird hier also sehr weit ausgelegt. Es genügt die Einwirkungsmöglichkeit auf eine Prozesspartei, um als ihr „privy“ zu gelten. Im Fall Johnson v Gore Wood & Co verfolgten beide Kläger zumindest in materieller Hinsicht ihre eigenen Interessen: Die Gesellschaft wollte ihre Schäden ersetzt erhalten, der Gesellschafter seine persönlichen Schäden. Die rechtliche Trennlinie zwischen Gesellschaft und Gesellschafter wird im Prozessrecht nicht Ernst genommen. Die Gruppe der privies of interest hat bisher noch keine scharfen Konturen bekommen. Allgemein wird ein Mangel an Entscheidungen zu diesem Problem beklagt, der es schwierig mache, den Begriff „interest“ mit Inhalt zu füllen.404 Aus den bisher vorliegenden Entscheidungen sind nur schwer allgemein gültige Linien zu extrahieren. Die englischen Gerichte betonen an vielen Stellen die Notwendigkeit, bei der res judicata und ihren verwandten Rechtsfiguren alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen [vgl. oben bei Fn. 307, 328 und 400]. Ebenfalls bindend sind Entscheidungen einer Stellvertreterklage gem. CPR 19.6 für die nicht beteiligten, aber im Prozess vertretenen Personen, die bezüglich der Klage dasselbe Interesse haben. Nach welchen Kriterien sich die Beurteilung des Interesses zu richten hat, ist noch nicht völlig geklärt. Man plädiert für eine sehr offene Handhabung des Begriffs, um eine möglichst weitgehende Bündelung von Klagebegehren in einem Prozess zu ermöglichen [vgl. oben bei Fn. 296]. Bei Klagen auf Schadensersatz soll erforderlich sein, dass den geltend gemachten Ansprüchen ein gemeinsamer Sachverhalt zugrunde liegt.405 (3) Allgemein zur Rechtskraft nach französischem Recht Die Rechtskraft ist im französischen Recht als gesetzliche Vermutung für die Wahrheit des Urteilsinhalts konzipiert (Section III, Art. 1350 f. Code civil).406 401

Johnson v Gore Wood & Co [2002] 2 AC 1 (60 Lord Millett). Johnson v Gore Wood & Co [2002] 2 AC 1 (60 Lord Millett, der deshalb auch die Erstreckung eines diesbezüglichen issue estoppel auf den Kläger annimmt: Weder Kläger noch Beklagten könnten die Frage des Sorgfaltsmaßstabs erneut vor Gericht bringen, wenn darüber geurteilt worden wäre). 403 Johnson v Gore Wood & Co [2002] 2 AC 1 (34 Lord Bingham of Cornhill). 404 P. Barnett Res judicata (2001) S. 69; House of Spring Gardens Ltd v Waite [1991] 1 QB 241 (252 Stuart-Smith L.J.) (CA). 405 Ellger Basedow u. a. (Hrsg.) Die Bündelung gleichgerichteter Interessen (1999), 103 (113). 406 Kössinger Rechtskraftprobleme (1993) S. 64. 402

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Der Titel der section III des Code civil lautet „présomptions“. Der Rechtskraft nach französischem Recht wird ein materiell-rechtlicher Charakter zugeschrieben.407 Rechtspolitische Ziele der Rechtskraft sind in Frankreich die Rechtssicherheit und der Rechtsfriede.408 Nach französischer Auffassung liegt es im Interesse der Parteien, dass ab einem gewissen Zeitpunkt ein Streit endgültig entschieden wird. Zudem solle die Regelung das Ansehen der Rechtspflege stärken, indem sie widersprüchliche Urteile verhindert, die das Ansehen beeinträchtigen könnten. Hinter diesen beiden Zielen habe das Streben nach einer richtigen Entscheidung zurückzutreten. Um der Rechtssicherheit und einer geordneten Rechtspflege willen müssten im Ernstfall auch falsche Urteile bestand haben.409 Die drei Rechtsordnungen in Frankreich, England und Deutschland weisen mithin der Rechtskraft eine weitgehend identische Funktion zu. Der Akzent wird im französischen Recht freilich auf das Privatinteresse der Parteien am Bestand einer Entscheidung gelegt.410 Dies äußert sich unter anderem darin, dass nach herrschender Meinung grundsätzlich die von der Entscheidung begünstigte Partei den Einwand der Rechtskraft im nachfolgenden Prozess erheben muss und folglich auch darauf verzichten kann.411 Parallel zur deutschen Diskussion entwickelt man auch in Frankreich verschiedene Konzeptionen über das Wesen der Rechtskraft. Nach einer klassischen Lehre werden durch die gesetzliche Vermutung des Urteils neue Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien geschaffen; das ist ein materiell-rechtliches Verständnis der Rechtskraftwirkung. Nach der Gegenauffassung wird den Parteien durch ein rechtskräftiges Urteil die Befugnis genommen, im Prozess bereits entschiedene Fragen wieder aufzugreifen; dahinter steht eine prozessuale Konzeption.412 Ähnlich wie im deutschen Recht hat die Rechtskraft eine positive und eine negative Komponente. Negativ verhindert sie, dass ein bereits entschiedener Streit erneut vor Gericht gebracht werden kann. Positiv sorgt sie für eine Bindung an die getroffene Entscheidung in zukünftigen Verfahren.413 Vorausset407 Schack IZVR (2002) Rdnr. 926; Otte Umfassende Streitentscheidung (1998) S. 106 f. 408 Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 5. 409 Zu den Zielen der Rechtskraft Kössinger Rechtskraftprobleme (1993) S. 65. 410 Karila de Van Répertoire de droit civil Dalloz (1996), Stichwort „chose jugée“ nº 4; Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 9 analysiert die ältere höchstrichterliche Rechtsprechung dahingehend, dass nach ihr ausschließlich Privatinteressen geschützt seien. 411 Cass. civ. v. 8.2.1968 Bull. civ. 1968 III Nr. 49; M. Koch Unvereinbare Entscheidungen (1993) S. 134; Kössinger Rechtskraftprobleme (1993) S. 157. 412 Kössinger Rechtskraftprobleme (1993) S. 68 ff. 413 Héron/Le Bars Droit judiciare privé (2002) Rdnr. 333; Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 2; Kössinger Rechtskraftprobleme (1993) S. 72 f.; Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 12.

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zung für diese Rechtskraftwirkungen ist gem. Art. 1351 Code civil414 die Identität von „objet“, „cause“ und Parteien, die zudem in derselben Eigenschaft („en même qualité“) prozessiert haben müssen.415 Der Begriff „cause“ wird allgemein als Klagegrund verstanden, Einzelheiten sind aber umstritten. Nach wohl herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung ist damit „le fondement légal du droit qu’une partie fait valoir en justice“ gemeint.416 Grundsätzlich versteht man darunter die „Gesamtheit der Tatsachen, die die Parteien vorbringen“.417 In der Schadenshaftung begreift die Rechtsprechung „cause“ als Vorschrift, auf die die Klage gestützt wird und die daher vom Gericht geprüft wird.418 Stützt ein Kläger eine neue Klage auf eine andere Vorschrift und trägt einen im Wesentlichen gleichen Sachverhalt vor, dann steht dieser Klage nicht ein bereits ergangenes Urteil entgegen. Als Beispiel werden Schadensersatzklagen, die auf Art. 1382 Code civil bzw. Art. 1384 Code civil gestützt werden, genannt.419 Gleichermaßen sind eine Schadensersatzklage wegen deliktischer Haftung und eine Klage wegen desselben Schadens aufgrund vertraglicher Haftung nicht identisch.420 Ähnlich steht es bei Herausgabeklagen, die auf neu vorgebrachte Erwerbsgründe gestützt werden können.421 Ebenso wie im deutschen Zivilprozessrecht wird auch in Frankreich über den Umfang des Klagegrunds speziell bei Nichtigkeitsklagen gestritten. Die Frage ist auch hier, ob jeder einzelne Nichtigkeitsgrund eine eigene Klage ermöglicht. Das Meinungsspektrum reicht von einem umfassenden Klagegrund, der alle möglichen Nichtigkeitsgründe erfasse, bis zur entgegengesetzten Position, dass jeder Nichtigkeitsgrund eine eigene cause darstelle. Dazwischen liegen Ansich414 Art. 1351 Code civil lautet: „L’autorité de la chose jugée n’a lieu qu’à l’égard de ce qui a fait l’objet du jugement. Il faut que la chose demandée soit la même; que la demande soit fondée sur la même cause; que la demande soit entre les mêmes parties, et formée par elles et contre elles en la même qualité.“ 415 Kössinger Rechtskraftprobleme (1993) S. 74 ff. 416 Kössinger Rechtskraftprobleme (1993) S. 75. 417 Karila de Van Répertoire de droit civil Dalloz (1996), Stichwort „chose jugée“ nº 158; Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 165. 418 Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 171 m.w. N. aus der Rechtsprechung. Vgl. auch Otte Umfassende Streitentscheidung (1998) S. 103 ff.; der Rückgriff auf die entscheidungsrelevante Gesetzesvorschrift funktioniert wegen des französischen materiellen Rechts: Einerseits soll jeder materielle Anspruch auch ein Klagerecht geben, andererseits werden an sich parallel bestehende materielle Ansprüche (v. a. aus Vertrag und Delikt) nicht zugleich gewährt, es gilt das non cumul, vgl. Otte Umfassende Streitentscheidung (1998) S. 104. 419 Karila de Van Répertoire de droit civil Dalloz (1996), Stichwort „chose jugée“ nº 164 ff.; Dalloz Code civil (2004) Art. 1351 nº 44; Kössinger Rechtskraftprobleme (1993) S. 76, 83 f. m.w. N. aus der älteren Rechtsprechung. 420 Cass. civ. v. 21.1.2003 (nº de pourvoi 00-15781) Bull. civ. 2003 I nº 18. 421 Stürner FS Schütze (1999), 913 (929).

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ten, die nach der Natur des Nichtigkeitsgrunds differenzieren wollen und so gebildete Gruppen in einem Klagegrund zusammenfassen wollen.422 Art. 1351 Code civil verlangt die Identität der „chose demandée“. Diese Voraussetzung wird überwiegend als „identité d’objet“ interpretiert.423 Dazu enthält Art. 4 NCPC424 eine Definition: Der Verfahrensgegenstand (objet) wird durch den Klageantrag und die Anträge des Beklagten bestimmt.425 Nach traditioneller Methode wird „identité d’objet“ in drei Teilfragen untergliedert: Sind die „demandes“, die „droit réclamés sur la même chose“ und die „questions à résoudre“ identisch?426 Im Zentrum der Betrachtung steht dabei nicht die Rechtsfolge, die in beiden Verfahren begehrt wird, sondern das materielle Recht. Mit den Worten von Cadiet: „Il est nécessaire que le litige porte sur le même droit relativement à la même chose.“427 Nach anderer Ansicht betrifft die Rechtskraft in erster Linie die Beurteilung des Gerichts über die Anwendbarkeit von Rechtsvorschriften auf einen bestimmten Sachverhalt.428 Nach herrschender Ansicht im französischen Recht haben daher ein Urteil über possessorische Ansprüche und ein Urteil über petitorische Ansprüche aufgrund von Rechten an einem Grundstück nicht dasselbe „objet“. Rechtskraftkonflikte zwischen solchen Urteilen kann es daher nicht geben.429 Dagegen bejaht man Identität der Gegenstände bei Schadensersatzklagen, die auf verschiedene Arten des Schadensersatzes gerichtet sind (Geldersatz bzw. Naturalrestitution). Verlangt der Kläger Geldersatz und wird seine Klage abgewiesen, kann er nicht mehr auf Naturalersatz klagen.430 In Rechtskraft erwächst grundsätzlich nur der Tenor der Entscheidung („dispositif“).431 Diese Beschränkung der Rechtskraft entnimmt man im Allge-

422 Karila de Van Répertoire de droit civil Dalloz (1996), Stichwort „chose jugée“ nº 170 ff.; Kössinger Rechtskraftprobleme (1993) S. 80; Stürner FS Schütze (1999), 913 (930). 423 Cadiet Droit judiciaire privé (2000) Rdnr. 1468 ; Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 127. 424 Art. 4 Abs. 1 NCPC lautet: „L’objet du litige est déterminé par les prétentions respectives des parties.“ 425 Isenburg-Epple Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit (1992) S. 179. 426 Einzelheiten dazu bei Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 155 ff. 427 Cadiet Droit judiciaire privé (2000) Rdnr. 1468; ähnlich Dalloz Code civil (2004) Art. 1351 nº 24. Vgl. auch die Wortwahl bei Karila de Van Répertoire de droit civil Dalloz (1996), Stichwort „chose jugée“ nº 138 f.: „identité materielle“ und „identité des droits réclamés“. 428 Héron/Le Bars Droit judiciare privé (2002) Rdnr. 335. 429 Cass. civ. v. 3.5.1990 (nº de pourvoi 88-13500) Bull. civ. 1990 III nº 103; Kössinger Rechtskraftprobleme (1993) S. 90. 430 Kössinger Rechtskraftprobleme (1993) S. 91.

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meinen den beiden Vorschriften Art. 455 Abs. 2 NCPC und Art. 480 NCPC.432 Trotz dieser Bezugnahme auf den „dispositif“, den Urteilstenor, kommt auch den Begründungselementen gewisse Bedeutung zu. Zum einen sollen sie als Interpretationshilfe für den Tenor dienen, wo dieser für sich genommen nicht ausreichend aussagekräftig ist.433 Zum anderen würden „motifs“, die ein „soutien nécessaire du dispositif“ sind, von der Rechtskraft erfasst.434 Entscheidet beispielsweise das Gericht über einen Herausgabeanspruch wegen einer Schenkung im Tenor und als dessen Voraussetzung über die Frage einer wirksamen Schenkung in der Begründung, dann nehme auch diese zweite „Entscheidung“ an der Rechtskraft teil. Eine Bindung an solche Begründungselemente finde aber nur statt, wenn beide Verfahren in einem logischen Zusammenhang stehen und das Gericht über die gemeinsame Vorfrage entscheiden musste, weil sie von den Parteien in ihren „conclusions“435 aufgegriffen wurde und damit umstritten war.436 Weitere Beispiele von Brigitte Kössinger: A verlangt vor einem französischen Gericht von B Schadensersatz wegen Sachbeschädigung. B verteidigt sich mit der Behauptung, nicht A, sondern er selbst sei Eigentümer der Sache. Das Gericht gibt der Klage statt. Wenn nun B in einer nachfolgenden Klage den Eigentümerherausgabeanspruch hinsichtlich der beschädigten Sache geltend macht, dann ist das Gericht im zweiten Verfahren an die Feststellung zur Eigentümerlage aus dem ersten Urteil gebunden.437 A verlangt von B Darlehenszinsen. Vor Gericht wendet B ein, er habe das Darlehen längst zurückbezahlt, daher sei der eingeklagte Zinsanspruch nicht entstanden. Folgt das französische Gericht der Darstellung von B und weist deshalb die Klage ab, dann wirkt in einem Folgeverfahren, in dem A nunmehr die Rückzahlung der Darlehenssumme verlangt, eine Bindung hinsichtlich des Streitpunkts der Darlehensrückzahlung. Auch die zweite Klage muss daher als unbegründet abgewiesen werden.438

431 Cadiet Droit judiciaire privé (2000) Rdnr. 1461; Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 99; M. Koch Unvereinbare Entscheidungen (1993) S. 134; Stürner FS Schütze (1999), 913 (926). 432 Art. 455 Abs. 2 NCPC lautet: „Il [le jugement] énonce la décision sous forme de dispositif.“ – Art. 480 NCPC lautet: „Le jugement qui tranche dans son dispositif tout ou partie du principal, ou celui qui statue sur une exception de procédure, une fin de non-recevoir ou tout autre incident a, dès son prononcé, l’autorité de la chose jugée relativement à la contestation qu’il tranche. – Le principal s’entend de l’objet du litige tel qu’il est déterminé par l’article 4.“ 433 Dalloz Code civil (2004) Art. 1351 nº 20. 434 Cadiet Droit judiciaire privé (2000) Rdnr. 1462; Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 108. 435 Cornu Vocabulaire juridique (1987) Stichwort „Conclusions“: bedeutet das Vorbringen der Parteien im Prozess, sowohl die Anträge als auch die zur Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen und Rechtsausführungen. 436 Kössinger Rechtskraftprobleme (1993) S. 92 ff. 437 Kössinger Rechtskraftprobleme (1993) S. 144 f. 438 M. Koch Unvereinbare Entscheidungen (1993) S. 135; Kössinger Rechtskraftprobleme (1993) S. 149.

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In jüngerer Zeit wird diese Lehre der Rechtskraftwirkung von Elementen der Entscheidungsbegründung zurückgedrängt. Eine formelle Ansicht verbreitet sich, die unter Berufung auf Art. 480 NCPC die Rechtskraft strikt auf den Tenor beschränken will.439 Schließlich werden bei einem Urteil auch „décisions implicites“ für möglich gehalten, die nicht ausdrücklich, sondern stillschweigend mit der eigentlichen Entscheidung getroffen werden.440 Auch diese „décisions implicites“ sollen von der Rechtskraftwirkung erfasst werden und die Gerichte daran gebunden sein, wenn sich in nachfolgenden Verfahren die Frage, über die stillschweigend entschieden wurde, erneut stellt. Dabei handelt es sich um eine Rechtskraftwirkung von Teilen der Entscheidungsbegründung („motifs“), sondern die „décisions implicites“ werden auf den Urteilstenor („dispositif“) zurückgeführt. Sie sind stillschweigend („virtuellement“) mitentschieden.441 „Décisions implicites“ können dann ergehen, wenn eine Vorfrage nach logischen Gesichtspunkten notwendigerweise beantwortet werden muss, um über das eigentliche Klagebegehren entscheiden zu können. Beispielsweise ist nach einer Teilklage in Frankreich eine Bindung auch für den Rest der Forderung möglich. Wurde eine Teilklage auf Schadensersatz mit der Begründung abgewiesen, der Beklagte habe entgegen der Behauptung des Klägers nicht schuldhaft gehandelt, so ist auch eine spätere Klage über den Restbetrag notwendig unbegründet.442 Und wenn sich der Kläger in einer ersten Leistungsklage wegen eines Anspruchs aus Vertrag durchsetzt, steht einer nachfolgenden Klage auf Vertragsnichtigkeit die Einrede der Rechtskraft entgegen.443 Das ist für diese Untersuchung von besonderem Interesse, weil die Situation derjenigen der Gubisch-Entscheidung entspricht. Losgelöst vom Gesetzeswortlaut des Art. 1351 Code civil soll nach einer vereinzelt vertretenen Meinung der Rechtskraftumfang anhand der im Urteil behandelten „questions litigieuses“ bestimmt werden. „Question litigieuse“ sei jede für ein Rechtsverhältnis relevante Frage, die sich im Prozess stellt und zwischen den Parteien umstritten ist, so dass sich das Gericht damit im Urteil befassen muss.444 Diese Meinung hat sich aber bisher in Frankreich nicht durchsetzen können. 439 Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 113 mit zahlreichen Beispielen aus der Rechtsprechung. Eine uneinheitliche Rechtsprechung beobachtet auch M. Koch Unvereinbare Entscheidungen (1993) S. 134. 440 Cadiet Droit judiciaire privé (2000) Rdnr. 1463. 441 Cadiet Droit judiciare privé (2000) Rdnr. 1463; Dalloz Code civil (2004) Art. 1351 nº 22; Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 116. 442 Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 118; M. Koch Unvereinbare Entscheidungen (1993) S. 135; Kössinger Rechtskraftprobleme (1993) S. 151; Ritter ZZP 87 (1974), 138 (153). 443 Cass. comm. v. 14.10.1997 (nº de pourvoi 95-15544) Bull. civ. 1997 IV nº 256, vgl. Stürner FS Schütze (1999), 913 (928 dort Fn. 66).

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Für die Parteien ist die Rechtskrafterweiterung schwer vorhersehbar, da die stillschweigend entschiedene Vorfrage nicht zwischen den Parteien umstritten und auch nicht in ihren „conclusions“ genannt worden sein muss.445 Diese Gefahr wird gesehen; es werden ähnliche Bedenken erhoben, die im deutschen Recht zur engen Grenzziehung der Rechtskraft geführt haben: Es könne passieren, dass eine Partei bezüglich einer Frage gebunden wird, an die sie nicht gedacht und deshalb in ihrer Prozessstrategie vernachlässigt hat. Dagegen stehe aber die öffentliche Funktion der Rechtskraft, die Widersprüche in den gerichtlichen Entscheidungen verhindern soll, denn widersprüchliche Entscheidungen könnten dem Ansehen der Rechtsprechung insgesamt schaden.446 Die Grenzziehung der Rechtskraft bei stillschweigend entschiedenen Vorfragen ist schwierig; es wird nicht recht deutlich, welche Anforderungen an den logischen Sachzusammenhang von Vorfrage und eigentlichem Klagebegehren zu stellen sind und ob diese strenger sind als bei den „motifs soutien nécessaire du dispositif“. Damit die Rechtskraft der „décision implicite“ geltend gemacht werden kann, ist aber stets die Übereinstimmung in Parteien, Streitobjekt („objet“) und Klagegrund („cause“) erforderlich.447 Die identité d’objet wird dabei erweiternd begriffen: Sie besteht unter gewissen Umständen auch dann, wenn die Klagen in den begehrten Rechtsfolgen zwar voneinander abweichen, aber gleiche Vorfragen behandelt und entschieden werden müssen. Erforderlich ist ein rechtslogischer Zusammenhang; der Richter des nachfolgenden Prozesses darf dann nicht der Vorentscheidung widersprechen.448 Abschließend ist festzuhalten, dass sich die Rechtskraft nach französischem Recht am geltend gemachten materiellen Anspruch orientiert und auch präjudizielle Rechtsverhältnisse – sei es in Form eines „soutien nécessaire du dispositif“ oder in Form einer „décision implicite“ – umfassen kann.449 (4) Rechtskrafterstreckung auf Dritte im französischen Recht Nach herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur in Frankreich ist die Wirkung der Rechtskraft auf die Parteien beschränkt.450 Dazu ein Zitat von Roger Perrot und Natalie Fricéro: „Cette relativité de la chose jugée peut surprendre. En effet, si le jugement est le reflet exact de la vérité, il est para-

444

Vgl. Kössinger Rechtskraftprobleme (1993) S. 85 ff. Kössinger Rechtskraftprobleme (1993) S. 102 f. 446 Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 115; dort wird sogar von der „Würde der Rechtsprechung“ („dignité de la justice“) gesprochen. 447 Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 120. 448 Otte Umfassende Streitentscheidung (1998) S. 109 f. 449 M. Koch Unvereinbare Entscheidungen (1993) S. 134. 450 Cadiet Droit judiciaire privé (2000) Rdnr. 1470. 445

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doxal que cette vérité existe au regard de certaines personnes et non à l’égard de tout le monde: la vérité est une, elle est ou elle n’est pas.“451 Als Grund für die grundsätzliche Beschränkung wird der im Zivilprozess geltende Beibringungsgrundsatz genannt: Wenn das Gericht seiner Entscheidung nur das Parteivorbringen und die dazu von den Parteien vorgebrachten Beweismittel zugrunde lege, dann sei es vernünftig, auch nur die Parteien an das Ergebnis des Prozesses zu binden. Aus diesem Grund erkenne das Gericht keine absolute Wahrheit, sondern es gebe nur eine relative „Gerichtswahrheit“.452 Deshalb fordere auch die zentrale Norm des Art. 1351 Code civil, dass das Urteil zwischen denselben Parteien ergangen ist, die auch im Nachfolgeprozess miteinander streiten.453 Ausnahmsweise gibt es Urteile, denen eine „autorité absolue“ zukommt. Dazu zählen Abstammungsurteile,454 auch wenn Art. 311-10 Code civil den nicht beteiligten Dritten die „tierce opposition“ eröffnet.455 In Frankreich gilt ein formelles Verständnis des Parteibegriffs. Grundsätzlich sind die Personen, die als Kläger und Beklagter in der Klage benannt sind und vor Gericht auftreten, die Parteien.456 Weiterhin haben die Personen, die als Intervenient zum Verfahren hinzutreten, Parteistatus, ohne Rücksicht auf die Art der Intervention als „intervention volontaire“ oder „forcée“, als „intervention principale“ oder „accessoire“;457 sie werden allein wegen ihrer Beteiligungsmöglichkeit in vollem Umfang an die Entscheidung gebunden.458 Treten im Nachfolgeprozess solche Personen als Parteien auf, die im Erstverfahren nicht Parteien waren, können sie die Relativität der Rechtskraftwirkung einwenden, wenn sich ihr Gegner auf das im Erstverfahren ergangene Urteil beruft.459 Dort, wo es keinen Nachfolgeprozess gibt, aber das Urteil wegen rein tatsächlicher Auswirkungen die Interessen des Dritten berührt, eröffnet das französische Prozessrecht gem. Art. 583 NCPC den Rechtsbehelf der „tierce opposition“. Voraussetzungen sind einerseits die Eigenschaft als Dritter und anderseits ein Interesse an der „tierce opposition“. Mit diesem Rechtsbehelf macht der be451

Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 129. Karila de Van Répertoire de droit civil Dalloz (1996), Stichwort „chose jugée“ nº 104; Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 130; Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 31, 37. 453 Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 31. 454 Cadiet Droit judiciaire privé (2000) Rdnr. 1471. 455 Dazu Karila de Van Répertoire de droit civil Dalloz (1996), Stichwort „chose jugée“ nº 135. 456 Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 132. 457 Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 132; Schweikkert Die subjektiven Grenzen (1967) S.40 ff. 458 Karila de Van Répertoire de droit civil Dalloz (1996), Stichwort „chose jugée“ nº 105. 459 Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 32. 452

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troffene Dritte aktiv die Grenzen der Rechtskraft geltend.460 Die „tierce opposition“ bietet sich dort an, wo ein nicht beteiligter Dritter die tatsächlichen Konsequenzen eines Urteils spürt; Gläubiger attackieren auf diese Weise fragwürdige Urteile gegen ihren Schuldner, damit sein Vermögen nicht geschmälert wird. Eine erfolgreiche „tierce opposition“ bewirkt, dass aus dem Urteil kein Nachteil für den Dritten entsteht; sie hat also eine rein relative Wirkung.461 Dritter ist man gem. Art. 583 NCPC nicht, wenn man Partei war oder von einer Partei vertreten („représenté“) wurde. Damit bekommt der Begriff der „représentation“ (Vertretung) zentrale Bedeutung für die Erstreckung der Rechtskraft über die Parteien hinaus.462 Der Begriff des „représenté“ geht über die Stellvertretung im materiellen Recht aufgrund von Vertretungsmacht hinaus.463 Man bildet gewöhnlicherweise verschiedene Fallgruppen:464 Die Gruppe „mandats“ umfasst die Prozessvertretung durch einen anderen,465 etwa den Erziehungsberechtigten für einen Minderjährigen466 oder den Geschäftsführer für eine Gesellschaft,467 Liquidatoren und Insolvenzverwalter.468 In welchen von diesen Fällen der Repräsentant selbst als Partei auftritt oder nur für und im Namen des Vertretenen das Verfahren führt, wird in der Literatur nicht eindeutig benannt.469 Diese Gruppe fällt im Großen und Ganzen unter den engeren Wortsinn von „représentation“. Über diesen Wortsinn hinaus benutzt die Rechtsprechung die „représentation“ und wendet sie auf Situationen an, in denen nicht selten eine Vertretung lediglich fiktiv ist.470 Bei den „cointéressés“ berührt der Urteilsgegenstand die Interessen mehrerer Personen. Umgekehrt gilt aber nicht der Satz, dass stets eine 460

Spellenberg ZZP 106 (1993), 283 (295). Cohn International Encyclopedia Vol. XVI Chapter 5 (1976) S. 67. 462 Spellenberg ZZP 106 (1993), 283 (295). 463 Héron/Le Bars Droit judiciare privé (2002) Rdnr. 340. 464 Vgl. Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 44 f. 465 Das französische Recht unterscheidet zwischen der „représentation à l’action“ und der „représentation à l’instance“, vgl. Baumgarten Der richtige Kläger (2001) S. 102, 137: Bei der „représentation à l’action“ hat der Vertreter weitreichende Entscheidungsbefugnisse, ob die Klage erhoben und mit welcher Strategie sie geführt wird. Bei der „représentation à l’instance“ dient der Vertreter lediglich zur Durchführung einzelner Verfahrenshandlungen, etwa weil der Kläger selbst nicht postulationsfähig ist. 466 Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 137. 467 Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 47. 468 Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 52 f.; ebenso Karila de Van Répertoire de droit civil Dalloz (1996), Stichwort „chose jugée“ nº 109, allerdings ohne Erwähnung eines „mandat“. 469 Baumgarten Der richtige Kläger (2001) S. 144, der darauf hinweist, dass sowohl der Vertreter als auch der Vertretene vor Gericht geladen werden können. Dies ergebe sich Art. 197 NCPC. 470 Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 140. 461

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Rechtskrafterstreckung auf Personen erfolgt, deren Interessen durch das Urteil berührt sind.471 Die herrschende Meinung nimmt hier Parteienidentität infolge Repräsentation an, weil eine Partei und ein nicht beteiligter Dritter an dem Prozessgegenstand gemeinsames Interesse hätten.472 Wegen des Zusammentreffens der beiden Begriffe „Vertretung“ und „gemeinsames Interesse“ zur Beurteilung der Rechtskrafterstreckung ist diese Fallgruppe für die Deutung der Drouot-Entscheidung von besonderer Relevanz. Zu den „cointéressés“ zählen die „débiteurs solidaires“ (Gesamtschuldner). In einer Klage gegen nur einen Gesamtschuldner „vertritt“ dieser nach einer Ansicht in Rechtsprechung473 und Literatur474 die übrigen Gesamtschuldner. Dieses Ergebnis wird mit der Annahme einer stillschweigenden Beauftragung zur Vertretung („mandat tacite“) begründet. Unsicherheiten und Meinungsverschiedenheiten bestehen hinsichtlich der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen diese Vertretung unbeschränkt besteht. Einige wollen nur eine Rechtskrafterstreckung zugunsten der übrigen Gesamtschuldner;475 die herrschende Meinung lehnt sie ab, wenn ein nicht beteiligter Gesamtschuldner eine persönliche Einwendung vorbringen kann oder die Parteien betrügerisch zusammengewirkt haben.476 Gesamtschuldner einer „obligation in solidum“ [dazu vgl. unten C.III.6.c)(2)] vertreten sich dagegen nach herrschender Meinung nicht.477 Auch die Bürgschaft („cautionnement“) gehört zu den „cointéressés“. Die Rechtsprechung nimmt die Vertretung des Bürgen durch den Hauptschuldner in einem Prozess zwischen Gläubiger und Hauptschuldner an. Das hat zur Folge, dass das Urteil auch den Bürgen bindet. Ausnahmen werden angenommen, wenn dem Bürgen eine persönliche Einwendung zusteht oder Gläubiger und Hauptschuldner kollusiv zusammenwirken.478 In Teilen der Literatur wird demgegenüber eine Beschränkung der Rechtskrafterstreckung auf Urteile zugunsten des Bürgen erwogen. Generell wird die Bindung des Bürgen mit dem akzessorischen Charakter seiner Schuld begründet. Die Rechtskrafterstreckung bei dem Hauptschuldner günstigen (bei Leistungsklage des Gläubigers klageabweisenden) Urteilen sei zusätzlich wegen des Regressanspruchs des Bürgen erforderlich. Wäre eine Verurteilung des Bürgen zur Zahlung nach einem Erfolg des 471

Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 57. Karila de Van Répertoire de droit civil Dalloz (1996), Stichwort „chose jugée“ nº 114; Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 141. 473 Cass. civ. v. 21.2.1968 Bull. Civ. 1968 I nº 77. 474 Terré/Simler/Lequette Droit civil Les obligations (2002) Rdnr. 1256. 475 Vgl. Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 58 ff. 476 Cass. civ. v. 14.2.1990 (nº de pourvoi 88-17815) Bull. civ. 1990 I nº 42; Terré/ Simler/Lequette Droit civil Les obligations (2002) Rdnr. 1256. 477 Terré/Simler/Lequette Droit civil Les obligations (2002) Rdnr. 1263 a. E.; Cass. civ. v. 7.6.1977 (nº de pourvoi 76-10143) Bull. civ. 1977 I nº 266 erwägt die Rechtskrafterstreckung nicht. 478 Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 71. 472

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Hauptschuldners noch möglich, dann liefe der Hauptschuldner Gefahr, über die Geltendmachung des Rückgriffs seitens des Bürgen am Ende doch zu zahlen; seine erfolgreichen Prozessanstrengungen wären dann vergeblich. Einem Urteil zwischen Gläubiger und Bürgen wird dagegen nach herrschender Meinung die bindende Wirkung für den Hauptschuldner abgesprochen. Im Einzelnen ist vieles umstritten.479 Eine gesamtschuldnerische Bürgschaft („cautionnement solidaire“) wird bezüglich der Rechtskraftfrage von der Rechtsprechung wie eine Gesamtschuld behandelt.480 Das bedeutet, ein Urteil zwischen Gläubiger und Hauptschuldner wirkt für den Bürgen, ebenso wie ein Urteil zwischen Gläubiger und gesamtschuldnerischem Bürgen für den Hauptschuldner. In der Literatur ist diese Sicht umstritten.481 Streit besteht auch bei der Frage, ob Miteigentümer bzw. Mitberechtigte zu den „cointéressés“ gehören. Einige Stimmen nehmen Vertretung der übrigen Mitberechtigten durch den prozessbeteiligten Mitberechtigten an und plädieren für eine Bindung an das Urteil, andere lehnen dies ab.482 Die „ayants cause“ sind die Rechtsnachfolger einer Partei, und zwar sowohl die Gesamt- als auch die Einzelrechtsnachfolger. Zu den Gesamtrechtsnachfolgern zählen vor allem die Erben einer Partei, die an ein Urteil für oder gegen den Rechtsnachfolger gebunden sind.483 Bei den Einzelrechtsnachfolgern („les ayants cause à titre particulier“) wird nach dem Zeitpunkt des Rechtserwerbs unterschieden: Nach einer Ansicht ist der Eintritt der Rechtshängigkeit der maßgebliche Zeitpunkt. Wird der Rechtsübergang vorher vollendet, sei der Erwerber an das Urteil nicht gebunden; bei Erwerb nach Rechtshängigkeit komme es dagegen zur Rechtskrafterstreckung auf den Erwerber.484 Nach anderer Ansicht ist der Zeitpunkt des Urteilserlasses von entscheidender Bedeutung.485 Ergeht das Urteil, bevor der Nachfolger das Recht erwirbt, dann sei der Nachfolger umfassend an das Urteil gebunden. Denn der Nachfolger erwerbe die Rechte quasi mit dem Urteil belastet. Andere meinen, der Grund für die Rechtskrafterstreckung liege in einer Vertretung des Nachfolgers durch den späteren Veräußern-

479 Zum Ganzen Delebecque Répertoire de droit civil Dalloz (2001), Stichwort „cautionnement“ nº 177; Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S.68 ff. 480 Héron/Le Bars Droit judiciare privé (2002) Rdnr. 340; Delebecque Répertoire de droit civil Dalloz (2001), Stichwort „cautionnement“ nº 216 m.w. N. aus der Rechtsprechung. 481 Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 71 ff. 482 Baumgarten Der richtige Kläger (2001) S. 134; Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 75. 483 Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 89 ff. 484 Karila de Van Répertoire de droit civil Dalloz (1996), Stichwort „chose jugée“ nº 119; Perrot/Fricéro Juris Classeur Procédure civile (1998) Fasc. 554 nº 143 m.w. N. 485 So anscheinend Héron/Le Bars Droit judiciare privé (2002) Rdnr. 339.

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den im Prozess.486 Wird das Recht dagegen nach Beginn des Prozesses (d.h. nach Rechtshängigkeit), aber vor Urteilserlass übertragen, bleibe der Erwerber von der materiellen Rechtskraft des Urteils unberührt. Der Erwerber könne nach dem Urteil „tierce opposition“ erheben. Nur wenn er mittels „intervention volontaire“ am Prozess teilnimmt, werde er auch gebunden. Wenn der Erwerber Einfluss auf die Prozessführung des Veräußernden nimmt, wird der Veräußernde allerdings als Strohmann und Vertreter des Erwerbers angesehen. Dann müsse die Rechtskraft auf den Erwerber erstreckt werden.487 Eine Prozessstandschaft nach deutschem Verständnis kennt das französische Prozessrecht nicht. Als mit der Prozessstandschaft verwandt wird die „action oblique“ gem. Art. 1166 Code civil angesehen.488 Nach dieser Vorschrift dürfen die Gläubiger Forderungen ihres Schuldners gegen Drittschuldner einklagen, wenn der Schuldner zahlungsunfähig ist, seine Forderungen gegen die Dritten aber nicht selbst durchsetzt.489 Ein klagender Gläubiger wird nicht zum Inhaber der Forderung, sondern klagt ein fremdes Recht ein.490 Nicht eindeutig geklärt ist, ob der klagende Gläubiger in eigenem Namen491 oder im Namen des Schuldners klagt.492 Der Schuldner ist nach herrschender Meinung an das Prozessergebnis nicht gebunden; ihm sollte daher vom klagenden Gläubiger der Streit verkündet werden (mise en cause, vgl. Artt. 331 ff. NCPC).493 Das Urteil nach einer „action oblique“ bindet den Schuldner also nur dann, wenn er am Verfahren beteiligt war.494 In Versicherungsfällen können grob zwei Fallgruppen gebildet werden: Erstens kann ein Schädiger, der auf Schadensersatz haftet, für diese Haftung versichert sein. Und zweitens kann ein Geschädigter, der einen Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger hat, zugleich selbst bezüglich des entstandenen Schadens versichert sein. Im ersten Fall sind zwei aufeinanderfolgende Prozesse des Geschädigten möglich, wenn er einen eigenen Anspruch gegen den Ver486

Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 92 f. Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 96 f. 488 Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 107, 109; dazu auch Schack IZVR (2002) Rdnr. 555. 489 Terré/Simler/Lequette Droit civil Les obligations (2002) Rdnr. 1141 ff.; Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 111. 490 Terré/Simler/Lequette Droit civil Les obligations (2002) Rdnr. 1141; zweifelnd anscheinend Cadiet Droit judiciaire privé (2000) Rdnr. 870. 491 Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 109. 492 So Terré/Simler/Lequette Droit civil Les obligations (2002) Rdnr. 1141; vgl. auch das Zitat bei Cadiet Droit judiciaire privé (2000) Rdnr. 870; für eine Klage sowohl im Namen des Schuldners als auch im eigenen Namen des Gläubigers Dalloz Code civil (2004) Art. 1166 nº 15. 493 Terré/Simler/Lequette Droit civil Les obligations (2002) Rdnr. 1149, 1152; Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 112. 494 Baumgarten Der richtige Kläger (2001) S. 134. 487

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sicherer hat. Es stellt sich dann die Frage, ob der Versicherer immer noch das Bestehen einer Haftung seines Versicherungsnehmers bestreiten kann, wenn der Schädiger bereits verurteilt wurde. Im französischen Recht nimmt man eine umfassende Bindung des Versicherers an das Urteil zugunsten oder zu Lasten des Schädigers an.495 Es gibt zwei Begründungswege: Nach einer Meinung stelle die Verurteilung des Schädigers einen unbestreitbaren Entstehungsgrund für die Zahlungspflicht des Versicherers dar. Nach anderer Meinung fußt die Rechtskrafterstreckung auf der tatsächlichen Prozessführung durch den Versicherer. Zwar sei der Schädiger formell Partei, werde aber in aller Regel bei der Prozessführung vom Versicherer gesteuert, der sich diese Befugnis im Versicherungsvertrag einräumen lässt.496 Im zweiten Fall erwirbt der Versicherer durch Zahlung an den Geschädigten den Anspruch oder zumindest die Befugnis zur Durchsetzung und zum Erhalt der Leistung. Als „subrogé“, vergleichbar einem Rechtsnachfolger, ist er an Entscheidungen gebunden, die zwischen dem Versicherten und dem Schädiger wegen des Schadensersatzanspruchs ergangen sind.497 Der Begriff „représenté“ hat im französischen Prozessrecht keine fest umrissenen Konturen bekommen.498 Er bleibt eher ein Sammelbegriff für die Rechtskrafterstreckung aus unterschiedlichen Gründen. Mit dem deutschen Begriff der „Stellvertretung“ hat er nicht viel gemein.499 Zur Bildung einer abstrakten Regel, wann die Rechtskraft auf formell nicht beteiligte Personen erstreckt wird, taugt er nicht.500 Immerhin bleibt aber festzuhalten, dass in Frankreich Gesamtschuldner und Bürgen unter gewissen Bedingungen – und sicherlich nicht unbestritten – als „cointéressés“ gelten. Sie vertreten sich nach dieser Meinung gegenseitig, weil sie gemeinsame Interessen am Verfahrensgegenstand haben. Außerdem gibt es im Versicherungsrecht Rechtskrafterstreckung. Diese Erkenntnis mag für die Deutung der Drouot-Entscheidung, in der die Begriffe der „Interessenübereinstimmung“ und der „Vertretung“ vom EuGH verwendet wurden, noch von Wert sein.

495 Im deutschen Recht wurde diese Frage für den praktisch bedeutenden Fall der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung in § 3 Pflichtversicherungsgesetz (PflVG) geregelt. Versicherer und Schädiger haften dem Geschädigten nach dieser Vorschrift gesamtschuldnerisch; der Geschädigte kann auch gegen den Versicherer direkt vorgehen (§ 3 Nr. 1, 2 PflVG). Wurde die Schadensersatzpflicht des angeblichen Schädigers durch Gerichtsurteil verneint, kann sich gem. § 3 Nr. 8 PflVG auch der Versicherer auf dieses Urteil berufen. Umgekehrt kann der Versicherer die Ersatzpflicht seines Versicherungsnehmers auch dann bestreiten, wenn dieser in einem vorangegangen Urteil zum Ersatz verurteilt wurde [vgl. oben B.III.1.g)]. 496 Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 81. 497 Dalloz Code civil (2004) Art. 1351 nº 51. 498 Spellenberg ZZP 106 (1993), 283 (297). 499 Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 141 f. 500 Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 142.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

(5) Zwischenergebnis Die Rechtskrafterstreckung wegen „privity of interest“ nach englischem Recht gibt wenig her für die Interpretation des Merkmals der „Interessenidentität“. Die englischen Gerichte sind sich selbst nicht völlig im Klaren über die Bedeutung der „privity of interest“ und heben bei Beurteilungen der Rechtskraftwirkungen ohnehin die Bedeutung der Umstände des Einzelfalls hervor. Ebenso bietet das französische Verständnis des Begriffs „représentation“ bei der Rechtskrafterstreckung nur wenig Hilfestellung für die Auslegung der „Interessenidentität“ im Sinn der Drouot-Entscheidung. In beiden Rechtsordnungen wird der Rechtsnachfolger durch ein Urteil gebunden, das gegen seinen Vorgänger ergangen ist, bevor der Rechtsübergang stattgefunden hat. In allen anderen Fällen, vor allem bei Rechtsübergang nach Rechtshängigkeitseintritt, aber vor Urteilserlass, ist die Rechtskrafterstreckung zweifelhaft und umstritten [vgl. oben Fn. 368 und 484 f.]. Außerdem zeigen sich in beiden Rechtsordnungen wenig klare Strukturen der Rechtskrafterstreckung. Insbesondere im englischen Recht mit seiner Neigung zur Einzelfallbetrachtung wird es einem ausländischen Gericht schwer fallen, eine Einschätzung zur Rechtskrafterstreckung eines englischen Urteils auf Dritte zu treffen. Die Rechtskrafterstreckung ist daher ein schwer zu handhabendes und wenig taugliches Kriterium für die Anwendung der Rechtshängigkeitssperre gem. Art. 27 EuGVO, wie kritische Stimmen zur Drouot-Entscheidung zutreffend bemerkt haben [vgl. oben Fn. 236]. Im Übrigen kamen wir bereits bei der Untersuchung zum deutschen Recht zu dem Ergebnis, dass sich die Rechtshängigkeitssperre von der Reichweite der Rechtskraft lösen kann und sollte, und zwar auch in subjektiver Hinsicht [vgl. oben B.III.3.]. Der maßgebliche Grund dafür waren die unterschiedlichen Wirkungsweisen von Rechtshängigkeitssperre und Rechtskraft. Bei der Erstreckung der Rechtskraft müssen wegen der endgültigen Wirkung sorgfältig die Verfahrensgrundrechte des Dritten beachtet werden. Das gilt auch im englischen und französischen Recht. Dieser Gedanke ist auf das europäische Zivilprozessrecht übertragbar. Deshalb muss man sich bei der Anwendung von Art. 27 EuGVO nicht strikt nach einer möglichen Rechtskrafterstreckung richten. Die gesammelten Erkenntnisse zur Rechtskrafterstreckung nach englischem und französischem Recht werden möglicherweise noch bei der Prüfung der Unvereinbarkeit von Urteilen in gewissen Konstellationen mit Drittbeteiligung nützlich sein.

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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b) Die Bedeutung der Rechtsnachfolge Ob die mögliche Rechtskrafterstreckung, die in Rdnr. 19 der Drouot-Entscheidung erwähnt wird, das zentrale Kriterium für die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre auf Dritte ist, darf nach alledem also bezweifelt werden. Damit rückt ein anderer Begriff, den der EuGH in Rdnr. 19 verwendet, in den Mittelpunkt: die Rechtsnachfolge. Wenn man die Erwähnung der Rechtskrafterstreckung vernachlässigt, dann liest sich der Satz des EuGH folgendermaßen: Interessengleichheit besteht, wenn der Versicherer aus abgetretenem Recht, also als Rechtsnachfolger, klagt oder verklagt wird. In einigen Analysen der DrouotEntscheidung wird diese Passage des Urteils hervorgehoben [vgl. schon oben bei Fn. 225]. Der EuGH will nach diesem Verständnis der Drouot-Entscheidung dem Rechtsnachfolger nicht ermöglichen, in einem Staat des EuGVÜ bzw. der EuGVO jenes Recht einzuklagen, um das sein Vorgänger in einem anderen Staat streitet. Ob es im Prozess des Rechtsvorgängers zu einer Rechtskrafterstreckung kommen kann, ist nicht einmal entscheidend. Es geht schlicht darum, die Rechte und Pflichten der beteiligten Personen einheitlich zu beurteilen.501 Damit einher geht eine Konzentration auf die materielle Rechtslage: Weil in beiden Verfahren dieselbe Rechtsfolge begehrt wird, die es nach materiellem Recht nur einmal geben kann, soll das zweite Verfahren zurückstehen. Wenn man die Rechtsfolge mit Hilfe des Interesses individualisiert, wie dies Frauke Wernecke tut [vgl. oben C.II.4.b)(4)], bekommt der Begriff des Interesses eine Doppelfunktion: Er klärt die subjektiven und die objektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre. Wird in zwei Verfahren um dasselbe Interesse gestritten, greift die Rechtshängigkeitssperre ein. Das ist auch der Fall, wenn formell verschiedene Parteien in den beiden Verfahren um dasselbe Interesse streiten. Bei dieser Interpretation wäre erklärlich, weshalb der EuGH nicht mit größerer Sorgfalt zunächst die Identität der Streitgegenstände bestimmt hat; denn bei dieser Methode wären zugleich der objektive Streitgegenstand und die Parteienidentität beurteilt und somit das Verfahren individualisiert. Im Übrigen wird die Rechtsnachfolge nur als Beispiel für Identität der Interessen genannt. Es sind also weitere Fälle möglich, in denen verschiedene Parteien dasselbe materielle Interesse verfolgen. An dieser Stelle sei nochmals daran erinnert, dass der EuGH große Zweifel an der Verfahrensidentität hegte. Für ihn schien die Versicherung als unmittelbar an der Bergung Beteiligter gehandelt zu haben.502 Das Abstellen auf eine unmittelbare Beteiligung lässt vermuten, dass der EuGH eigene Rechte der Versicherung annimmt, die im französischen Verfahren durchgesetzt werden sollen, und nicht vom Versicherungsnehmer übernommene Rechte. In der Tat hat die 501 In diese Richtung auch die Interpretation von Seatzu ELR 1999, 540 (543); vgl. auch GA Leger Schlussantrag C-281/02 (Owusu/Jackson) dort Rdnr. 274. 502 EuGH v. 19.5.1998 (Drouot/CMI) ZZPInt 1998, 246 dort Rdnr. 22.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Cour de cassation die Frage abschließend in diesem Sinn entschieden [vgl. oben C.III.3.]: Die Versicherung müsse nur für den Anteil des Schiffs an der Haverei aufkommen und decke nicht die Haftpflicht des Schiffseigners ab. Indem die Cour de cassation auf diese Weise die Annahme einer Klage der Versicherung aus übergegangenem Recht umgeht, hält sie offenbar die Frage der Rechtsnachfolge für ein entscheidendes Kriterium der Interessenidentität. Wenn wir uns die Ergebnisse der Untersuchung zur Rechtshängigkeitssperre nach deutschem Recht in Erinnerung rufen, entstehen Zweifel, ob allein die Tatsache der Rechtsnachfolge eine Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre auf den Rechtnachfolger bzw. Rechtsvorgänger rechtfertigen kann. Im deutschen Recht begründet die Rechtsnachfolge für sich genommen keine Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre [vgl. oben B.III.5.]. Es bedarf einer Verfahrensvorschrift, die den Veräußernden trotz des Rechtsübergangs weiterhin als richtige Partei anerkennt. Dann kann man ihn als Vertreter des Erwerbers im Prozess bezeichnen; ein weiteres in der Drouot-Entscheidung genanntes Kriterium ist in diesem Fall erfüllt. Andernfalls führt der Veräußernde den Prozess ohne die erforderliche Befugnis; er wird dies insbesondere nur dann tun, wenn er den Rechtsübergang für unwirksam hält oder an eine ausnahmsweise bestehende Prozessführungsbefugnis glaubt. „Vertreter“ ist er dann nicht. Im deutschem Recht hielten wir in solchem Fall eine Rechtshängigkeitssperre, die eine Klage des Rechtsnachfolgers verbietet, für dem Rechtsnachfolger unzumutbar [vgl. oben B.III.14.]. Die alleinige Tatsache der Rechtsnachfolge genügt in solchen Fällen nicht, um die Rechtshängigkeitssperre erstrecken zu können. Es stellt sich daher die Frage, ob das französische Gericht die Rechtsnachfolge zur Vermeidung der Rechtshängigkeitssperre wirklich so bemüht umgehen musste. Selbst wenn man von einem Rechtsübergang des Havereibeitragsanspruchs vom Schiffseigner auf die Versicherung ausgeht, mag es ausreichend Gründe gegen die Anwendung der Rechtshängigkeitssperre im Fall Drouot geben. Denn die Versicherung Drouot war aller Wahrscheinlichkeit nach bereits zum Zeitpunkt des Rechtshängigkeitseintritts der Klage in den Niederlanden Inhaberin des Anspruchs bzw. bei angenommener Geltung englischen Rechts infolge der „subrogation“ zur Klage befugt. In den Sachverhaltsberichten ist nicht ausdrücklich geschildert, wann die Versicherung Drouot die Bergung auf eigene Kosten veranlasst hat; die Darstellungen des Generalanwalts Fennelly503 und des EuGH504 zum Sachverhalt legen aber nahe, dass dies vor der Erhebung der ersten Klage in den Niederlanden durch CMI geschehen ist. Auch nach französischem Recht, das gem. Art. 172-29 Code des assurances nicht von einem Direkterwerb mit Anspruchsentstehung, sondern von einem Übergang nach Zah503 GA Fennelly Schlussantrag C-351/96 (Drouot/CMI) Slg. 1998 I-3078 dort Rdnr. 6. 504 EuGH v. 19.5.1998 (Drouot/CMI) ZZPInt 1998, 246 dort Rdnr. 6, 7.

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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lung ausgeht, ist Drouot daher schon vor Erhebung der ersten Klage Rechtsträgerin gewesen. Also hat CMI seine Klage in den Niederlanden gegen den, so muss man nach den Erläuterungen der materiellen Rechtslage konstatieren, falschen Beklagten gerichtet. Ihre Klage auf Feststellung, dass keine Forderung des Schiffseigners bestehe, mag zwar Erfolg haben, ist aber nutzlos; der Anspruch liegt längst in den Händen der Versicherung. Die Klage hätte also sogleich gegen die Versicherung gerichtet werden müssen. Anders läge es nur, wenn das niederländische Recht tatsächlich eine Klage gegen den Versicherungsnehmer vorschreibt, auch wenn die Forderung, um deren Feststellung es geht, bereits der Versicherung zusteht. Es wäre nach deutscher Zivilprozessrechtsdogmatik eine Regel, die die Prozessführungsbefugnis vom Recht löst und dem Rechtsvorgänger zuschreibt. Sie wäre den deutschen Vorschriften in § 265 ZPO und § 407 Abs. 2 BGB vergleichbar. Wird der Rechtsvorgänger nach nationalem Verfahrensrecht als Prozessführungsbefugter behandelt, so kann man ihn als Vertreter des Rechtsträgers im Rechtsstreit ansehen [vgl. oben Fn. 291]. Weshalb dann, wie der EuGH in Rdnr. 24 der Drouot-Entscheidung schreibt, eine solche nationale Verfahrensvorschrift unbeachtlich sein soll, ist nicht ganz einzusehen. Wenn die Mitgliedstaaten aus der EuGVO untereinander verpflichtet sind, die ausländischen Verfahren zu respektieren, sollte darin auch die Verteilung der Prozessführungsbefugnis an andere Personen als den Rechtsträger einbezogen sein. Immerhin sind nach dem nationalen Verfahrensrecht die richtigen Personen beteiligt, auch wenn andere Mitgliedstaaten nach ihrem Verfahrensrecht den Rechtsträger beteiligen wollen. Ob es tatsächlich eine niederländische Vorschrift gibt, die auch bei Rechtsübergang vor Rechtshängigkeitseintritt den Versicherungsnehmer als alleinigen Prozessführungsbefugten behandelt, kann in dieser Untersuchung leider nicht mit Sicherheit beantwortet werden. In der Entscheidung und den Materialien wird die angebliche Vorschrift niemals benannt. Ihre Existenz oder aber ihr fehlerfreies Verständnis darf indessen bezweifelt werden. Gründe, weshalb man dem Versicherungsnehmer, der von seiner Versicherung schadlos gehalten wurde, trotz Rechtsübergangs vor Klageerhebung die Rechtsverteidigung aufbürden und der Versicherung, die ein eigenes Interesse an der Durchsetzung des Anspruchs hat, aus dem Prozess heraushalten sollte, sind nur schwer vorstellbar. Selbst wenn es eine dem § 407 Abs. 2 BGB vergleichbare Vorschrift gäbe, die auch bei Forderungsübergang vor Eintritt der Rechtshängigkeit dem Zedenten die Prozessführungsbefugnis erteilt, wäre sie nach dem Zweck der Vorschrift nicht anwendbar; § 407 Abs. 2 BGB soll den Schuldner schützen505 und die ihm günstigen Prozessergebnisse bewahren, die er in der Verteidigung gegen eine Klage des Zedenten errungen hat. Sie kann aber nicht dazu führen, dass der Schuldner durch die Erhebung einer negativen Feststellungsklage in Un505

Staudinger/Busche BGB (2005) § 407 Rdnr. 1 f., 17.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

kenntnis der Abtretung den Zedenten zum Prozessführungsbefugten macht. Damit § 407 Abs. 2 BGB anwendbar ist, muss folglich die Klage vom Zedenten ausgehen; auf negative Feststellungsklagen seitens des Schuldners ist sie nicht anwendbar.506 Es ist also davon auszugehen, dass es keine solche Regel zur Prozessführungsbefugnis gibt und die im Drouot-Urteil erwähnte unbekannte Vorschrift falsch verstanden worden ist. Gehen wir also davon aus, dass CMI seine Klage in den Niederlanden wegen des Rechtsübergangs vor Eintritt der Rechtshängigkeit gegen den falschen Beklagten erhoben hat. Kann nun diese „falsche“ Klage die Leistungsklage des wahren Berechtigten sperren? Es handelt sich um einen Unterfall der Konstellation „alternative Berechtigung“, für die bei der Untersuchung zum deutschen Recht die Rechtshängigkeitssperre abgelehnt wurde [vgl. oben bei B.III.14.]. Auf den ersten Blick ist es auch im Fall Drouot schwer nachzuvollziehen, weshalb der wahre Anspruchsinhaber Drouot eine Klage seines Schuldners gegen seinen Rechtsvorgänger auf negative Feststellung abwarten sollte. An dieser Stelle ist an die Mahnung des EuGH zu erinnern, die in Rdnr. 20 des DrouotUrteils anklingt: Der Justizgewährungsanspruch der Versicherung darf nicht unverhältnismäßig eingeschränkt werden. Zu dieser Frage erfolgt eine abschließende Antwort unten C.III.12. c) Die Bedeutung der Verfahrensgrundrechte Der EuGH lenkt in Rdnr. 20 der Drouot-Entscheidung das Augenmerk auf die Bedeutung der Verfahrensgrundrechte. Die Anwendung des Art. 21 EuGVÜ dürfe auf keinen Fall dazu führen, dass im Fall der Abweichung der Interessen jemand gehindert wird, seine eigenen Interessen gerichtlich geltend zu machen. Der Satz scheint lediglich eine Bestätigung des in Rdnr. 19 Gesagten zu sein. Wenn die Interessen voneinander abweichen, soll laut EuGH die Rechtshängigkeitssperre ausgeschlossen sein; dann wird auch die Geltendmachung dieser Interessen nicht verwehrt. Der Wert dieser Passage des Urteils ist daher auch bezweifelt worden.507 Man kann sie allerdings als Hinweis auf eine generelle Problemstellung verstehen, die es bei einer formell nicht beteiligten Partei gibt: Wenn die Rechtshängigkeitssperre gegenüber einem Dritten eingreifen soll, muss er sich in adäquater Weise am ersten Verfahren beteiligen können, um seinen Justizgewährungsanspruch und sein Recht auf Gehör zu gewährleisten. Kann der Dritte seine Rechte dagegen nicht in ausreichendem Maß im ersten Prozess verteidigen, muss es ausreichend gewichtige Gründe für eine Erweiterung der Rechtshängigkeitssperre auf ihn geben; andernfalls darf die Rechtshän506 Die Frage wird – soweit ersichtlich – in der deutschen Kommentarliteratur nicht explizit angesprochen. 507 Droz Rev. crit. dr. int. privé 2000, 63 (65).

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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gigkeitssperre nicht greifen. Der EuGH will also mit seinen Ausführungen in Rdnr. 20 der Drouot-Entscheidung in Erinnerung rufen, dass die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre auf Dritte wegen des Eingriffs in prozessuale Grundrechte einer ausreichenden Rechtfertigung bedarf. Hierzu ist auf Teilergebnisse zu verweisen, die in dieser Untersuchung bereits erzielt worden sind: Die Rechtshängigkeitssperre greift in den Justizgewährungsanspruch des zweiten Klägers ein; dies gilt aber nur zeitlich begrenzt, weshalb die Rechtfertigung leichter fällt als bei der definitiv wirkenden Rechtskraft [vgl. oben B.II.6.c)]. Die Rechtshängigkeitssperre kann großzügiger eingreifen, wenn dem zweiten Kläger statt des verwehrten eigenen Verfahrens ein Weg offen steht, sein Rechtsschutzbegehren im ersten Verfahren einzubringen. Diese Wertung kann bereits Art. 28 Abs. 2 EuGVO entnommen werden [vgl. oben C.II.6.]. Bevor man der Rechtshängigkeitssperre gem. Art. 27 EuGVO die vermeintlich weniger einschneidende Aussetzung gem. Art. 28 EuGVO vorzieht, sollte man bedenken, dass die Rechtshängigkeitssperre einen Verfahrenskonzentrationseffekt aufweist und daher für mehr Prozesswirtschaftlichkeit sorgt als die Aussetzung [vgl. oben C.II.5.b)].

d) Die Verhinderung miteinander unvereinbarer Entscheidungen In Rdnr. 17 der Drouot-Entscheidung zitiert der EuGH aus seiner bisherigen Rechtsprechung zu Art. 21 EuGVÜ und weist auf den Zweck der Rechtshängigkeitssperre hin, der darin liege, so weit wie möglich zu verhindern, dass Entscheidungen in zwei Verfahren ergehen, die miteinander unvereinbar und deshalb gem. Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ (Art. 34 Nr. 3 EuGVO) nicht anerkennungsfähig wären. Eine hypothetische Überlegung, ob auch im Fall Drouot unvereinbare Entscheidung drohten, stellt der EuGH – anders als etwa in der Gubisch-Entscheidung [vgl. oben C.II.1.a)] – nicht an. Art. 34 Nr. 3 EuGVO erfordert ebenso wie Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ als Voraussetzung für ein Anerkennungshindernis, dass die ausländische Entscheidung mit einer inländischen Entscheidung unvereinbar ist, die zwischen denselben Parteien ergangen ist. Zur Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals hat sich der EuGH, soweit ersichtlich, noch nicht geäußert. Auch in der Literatur sind Anmerkungen dazu eher spärlich. Für die Bestimmung der Grenzen der Rechtshängigkeitssperre ist wegen des Zweckzusammenhangs die subjektive Reichweite dieses Anerkennungshindernisses freilich von Interesse. Einige wollen die Parteienidentität in Art. 34 Nr. 3 EuGVO formal verstehen und fordern dementsprechend, dass die unvereinbaren Entscheidungen zwischen denselben formellen Parteien ergangen sind, deren Rollen selbstverständlich vertauscht sein kön-

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

nen.508 Nach anderer Ansicht sollen auch Dritte mit in den Kreis „derselben Parteien“ im Sinn von Art. 34 Nr. 3 EuGVO einbezogen sein, die zwar keine formelle Parteistellung innehatten, aber die von der Rechtskraft des Urteils erfasst werden und daher auch an die Entscheidung gebunden sind.509 Als Beispiel wird häufig der Fall der Rechtsnachfolge nach Eintritt der Rechtshängigkeit genannt. Ergeht eine deutsche Entscheidung noch unter Beteiligung des Rechtsvorgängers (vgl. § 265 ZPO), wird der Rechtsnachfolger an diese Entscheidung gebunden. Prozessiert der Rechtsnachfolger eigenständig im Ausland und ist die dort ergehende Entscheidung mit der deutschen Entscheidung unvereinbar (etwa weil der eingeklagte Anspruch dort aberkannt, in Deutschland aber zugesprochen wurde), dann steht der Anerkennung der ausländischen Entscheidung Art. 34 Nr. 3 EuGVO entgegen, obwohl beide Entscheidungen nicht zwischen formal identischen Parteien ergangen sind.

Ob die Bezugnahme auf die Rechtskrafterstreckung der richtige Weg ist, darf angesichts der bisherigen Ergebnisse zur „Unvereinbarkeit“ gem. Art. 34 Nr. 3 EuGVO bezweifelt werden. Schließlich spielte für den EuGH bisher keine Rolle, ob ein echter Konflikt zwischen den Rechtskraftwirkungen der Entscheidungen besteht, um sie als unvereinbar zu beurteilen [vgl. oben C.II.2.b)]. Da der EuGH vielmehr den Widerspruch gegen bestehende präjudizielle Rechtskraftwirkungen oder Gestaltungswirkungen von Urteilen des Anerkennungsstaats für die Unvereinbarkeit gem. Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ (Art. 34 Nr. 3 EuGVO) genügen ließ und auf diese Weise die Kohärenz der materiellen Rechtsordnung im Anerkennungsstaat schützt [vgl. oben C.II.2.c)], könnten auch bei zwei Urteilen, deren Parteien sich nicht vollständig decken, bestehende materiell-rechtliche Verbindungen zwischen den für die Entscheidungen relevanten Rechtverhältnissen eine Unvereinbarkeit begründen. So wäre es denkbar, ein Urteil, das A gegen B im Ausland erreicht und das den Kläger A als Eigentümer einer bestimmten Sache feststellt, als unvereinbar mit einem nachfolgenden inländischen Urteil zu behandeln, das zwischen C und B ergeht und zugunsten des C das Alleineigentum an derselben Sache feststellt. Da nach materiellem Recht nur A oder C alternativ das Alleineigentum haben können, beurteilt das ausländische Urteil die materielle Rechtslage (eventuell wegen einer nach seinem IPR anderen anwendbaren Rechtsordnung) in einer mit dem inländischen Urteil unvereinbaren Weise. Die Unvereinbarkeit würde damit weiter reichen als die Rechtskraft, die den unbeteiligten Rechtsprätendenten C nicht ohne weiteres erfassen muss. Die materiell-rechtliche Verbindung zwischen A und C, die in nur jeweils einem Verfahren beteiligt sind, liegt in der Exklusivität des Alleineigentumsrechts, das nur einer Person zustehen kann.510

508

So anscheinend M. Koch Unvereinbare Entscheidungen (1993) S. 50. Lenenbach Unvereinbarkeiten (1997) S. 173 ff.; Kropholler EuZPR (2005) Art. 34 Rdnr. 52; Schlosser EU-ZPR (2003) Art. 34–36 EuGVVO Rdnr. 23 a. E. 510 Beispiel nach M. Koch Unvereinbare Entscheidungen (1993) S. 50, der aufgrund seines formellen Verständnisses der Parteienidentität im Ergebnis anderer Meinung ist. 509

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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Wer der Meinung ist, dass das Merkmal „zwischen denselben Parteien“ in Art. 34 Nr. 3 EuGVO ebenso auszulegen sei wie in Art. 27 EuGVO,511 der muss auch die Ergebnisse der Drouot-Entscheidung auf Art. 34 Nr. 3 EuGVO beziehen. Bezüglich der Unvereinbarkeit zweier Entscheidungen gälte dann ein unbeteiligter Dritter als Partei, wenn seine Interessen am Gegenstand des Verfahrens mit denjenigen einer Partei identisch und voneinander untrennbar sind. Als Interpretationshilfe für die Anwendung der Rechtshängigkeitssperre auf Dritte fiele dann aber die Kontrollüberlegung, ob unvereinbare Entscheidungen drohen, praktisch aus. Das spricht allerdings nicht gegen ein solches einheitliches Verständnis des Tatbestandsmerkmals in beiden Vorschriften. Als Prämisse für die kommenden Untersuchungen soll aber mit der wohl herrschenden Meinung davon ausgegangen werden, dass sich das Anerkennungshindernis aus Art. 34 Nr. 3 EuGVO auch auf Dritte erstreckt, die von der Rechtskraft der inländischen Entscheidung erfasst werden. e) Zwischenergebnisse und Hypothesen In zwei Verfahren sind „dieselben Parteien“ im Sinn von Art. 27 EuGVO beteiligt, wenn die formellen Parteien übereinstimmende Interessen am Gegenstand der beiden Verfahren haben. Dann müssen die formellen Parteien nicht unbedingt identische Personen sein. Um dem Begriff der „Identität der Interessen“ griffigere Konturen zu geben, nennt der EuGH beispielhaft Fallgruppen, in denen die Interessen identisch sind. Die Bedeutung der Rechtskrafterstreckung (genannt in Rdnr. 19 der DrouotEntscheidung) darf bezweifelt werden; sie ist zu schwierig zu ermitteln und je nach Rechtsordnung und den Umständen des Einzelfalls nicht ausreichend sicher einzuschätzen, um dem vagen Begriff der „Interessenidentität“ mehr Profil zu geben. Der EuGH selbst hat in seiner Entscheidung Owusu/Jackson die Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsverteilung im EuGVÜ für den Rechtsschutzsuchenden gefordert;512 das muss auch für die Rechtshängigkeitssperre gelten [vgl. oben A.II.5.b)]. Stattdessen könnte die Rechtsnachfolge, ebenfalls in Rdnr. 19 der DrouotEntscheidung genannt, relevant sein: Zwei Verfahren wären danach identisch, wenn in einem Verfahren der Kläger aus einem Recht klagt, das er von einer Partei des anderen Verfahrens übernommen hat und das auch in jenem Verfahren umstritten ist. Ob die Rechtsnachfolge allein zur Begründung für die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre ausreicht, erscheint zweifelhaft. Im Fall 511 Lenenbach Unvereinbarkeiten (1997) S. 177; anscheinend auch Hk-ZPO/Dörner (2006) Art. 34 EuGVVO Rdnr. 22. 512 EuGH v. 1.3.2005 (Owusu/Jackson) RIW 2005, 292 (295 dort Rdnr. 40).

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Drouot spricht nach der Untersuchung des Rechts der Haverei vieles dafür, dass die Versicherung Drouot aus übergegangenem Recht geklagt hat. Die Cour de cassation vermeidet diese Feststellung indessen mit der Annahme einer Versicherung des Schiffs, nicht des Schiffseigners. Ob es nicht doch Gründe gibt, derenwegen man trotz der Klage aus übergegangenem Recht die Rechtshängigkeitssperre nicht auf die zweite Klage erstrecken sollte, wird noch zu untersuchen sein [vgl. unten C.III.12.]. Eine weitere Fallgruppe nennt der EuGH in Rdnr. 22 der Drouot-Entscheidung: Klagen von Vertretern im einen Verfahren und der vertretenen Partei im anderen Verfahren. Beide Verfahren müssen objektiv identisch sein, also denselben Klagegrund und Klagegegenstand aufweisen. Welche Personen zu den Vertretern gehören, ist unklar. Ein weites Verständnis wie bei der „représentation“ im französischen Recht ist zu weitgehend und unscharf; die Handhabung der Rechtshängigkeitssperre würde zu sehr erschwert. Denkbar wäre, die Untergruppe der „mandats“ aus dem französischen Recht zum Vorbild zu nehmen, Fälle also, die dem klassischen Verständnis der Stellvertretung entsprechen. Dazu zählen kann man auch die Prozessstandschaft oder die der Prozessstandschaft ähnliche „action oblique“ gem. Art. 1166 Code civil, in denen der Kläger ein fremdes Recht einklagt; der „Vertreter“ und der Rechtsträger wären dann identisch im Sinn von Art. 27 EuGVO. Bei der Anwendung der Rechtshängigkeitssperre ist darauf zu achten, dass die Verfahrensgrundrechte der Beteiligten nicht übermäßig eingeschränkt werden. Im diesem Sinn ist der Rekurs des EuGH auf die Justizgewährungsrechte des zweiten Klägers in Rdnr. 20 der Drouot-Entscheidung zu deuten. Es ist denkbar, dass dem „Interesse“ nicht nur Bedeutung für die Beurteilung der Parteienidentität zukommt, sondern dass sich dahinter auch der objektive Gegenstand des Verfahrens verbirgt. Der Begriff hätte dann eine Doppelfunktion für die Bestimmung der objektiven und subjektiven Verfahrensidentität. Danach wären zwei Verfahren identisch, wenn in ihnen dieselben Interessen durchgesetzt werden sollen. 5. Die Umsetzung der Vorgaben aus Drouot durch nationale Gerichte Die Vorgaben des EuGH zur Interpretation des Begriffs „zwischen denselben Parteien“ aus der Drouot-Entscheidung sind bereits in mehreren Entscheidungen nationaler Gerichte angewendet worden. a) Die Entscheidung des OLG Köln vom 8. 9. 2003 Die Klägerin des deutschen Verfahrens machte gegen die (offensichtlich in Griechenland ansässige) Beklagte Kaufpreisansprüche aus abgetretenem Recht

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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geltend. Zuvor hatte die Beklagte vor einem Gericht in Athen Klage gegen die Zedentin erhoben und in dieser Klage behauptet, dass sich aus einem Vertrag mit der Zedentin Schadensersatzansprüche ergäben, die die Kaufpreisansprüche überstiegen. Die Abtretung der Ansprüche an die Klägerin erfolgte erst nach Rechtshängigkeit des griechischen Verfahrens. Es stellte sich die Frage, ob das deutsche Verfahren durch das griechische Verfahren gem. Art. 21 EuGVÜ gesperrt ist. Anders als der EuGH in der Drouot-Entscheidung trennt das OLG Köln513 zwischen dem objektiven Streitgegenstand und dem subjektiven Element der Rechtshängigkeit. Zunächst prüft es ausführlich, ob im Lichte der Tatry- und Gubisch-Rechtsprechung „derselbe Anspruch“ in beiden Verfahren betroffen ist. Davon geht das OLG aus, indem es die Klage in Griechenland als negative Feststellungsklage ansieht, mit der die hiesige Beklagte eine erfolgreiche Aufrechnung gegen die nunmehr in Deutschland eingeklagten Kaufpreisansprüche geltend machen will. Dann erst wendet es sich dem Merkmal „zwischen denselben Parteien“ zu. Dort greift es überraschenderweise sofort auf das deutsche Recht zurück, anstatt die Vorgaben der Drouot-Entscheidung auf den Fall anzuwenden. Gemäß § 325 ZPO erstrecke sich bei Rechtsübergang nach Rechtshängigkeit die Rechtskraft des Urteils auch auf den Zessionar, weshalb nach deutschem Verfahrensrecht auch die Rechtshängigkeitssperre eingreife. Nichts anderes könne für die EuGVÜ und die EuGVO gelten. Ob eine § 325 ZPO entsprechende Vorschrift auch im griechischen Zivilverfahrensrecht existiere, sei nicht erheblich. Denn es müsse ausreichen, dass eine unvereinbare Entscheidung aufgrund der Rechtskrafterstreckung in nur einem Mitgliedsstaat auftreten kann. Und diese Gefahr erkennt das OLG offenbar wegen § 325 ZPO als gegeben. In dieser Sicht sieht sich das OLG bestätigt durch die Drouot-Entscheidung, derzufolge nicht die formelle Identität der Parteien notwendig sei. Sodann zitiert das Gericht aus Rdnr. 19 des EuGHUrteils, in der auch die Rechtskrafterstreckung erwähnt wird. Die Begründung des OLG Köln, insbesondere die Berufung auf § 325 ZPO, ist in mehrfacher Hinsicht zu hinterfragen. Zum einen sollte nach der hier vertretenen Ansicht die Rechtskrafterstreckung, auf die sich das OLG in seiner Begründung konzentriert, nicht das allein entscheidende Kriterium für die Beurteilung einer Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre sein. Im besonderen Maß fragwürdig wird der Lösungsweg des OLG aber dadurch, dass der § 325 ZPO einfach auf das griechische Verfahren übertragen wird. Für das deutsche Verfahren gibt er nichts her; eine Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsvorgänger wird durch ihn nicht angeordnet, sie ist auch gar nicht notwendig. Wenn man also schon die Rechtshängigkeitssperre über den Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ bzw. Art. 34 Nr. 3 EuGVO mit möglicherweise unvereinbaren Entscheidungen be-

513

OLG Köln v. 8.9.2003 IPRax 2004, 521.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

gründen will, dann muss man das griechische Verfahrensrecht bemühen.514 Hilfserwägungen nach der Art, dass man sich das griechische Verfahren als deutsches vorstellt, sind bei der Frage der Unvereinbarkeit nicht zulässig. Dort kommt es darauf an, welche Rechtsfolgen beide Verfahren haben,515 und nicht auf die Frage, welche sie hätten, wenn sie solche des Anerkennungsstaats wären. § 325 ZPO hätte also (an dieser Stelle) nicht in die Erwägungen des Gerichts miteinbezogen werden dürfen. Zu dieser Entscheidung folgen noch einige Anmerkungen unten bei C.III.9. b) Die Entscheidung Turner/Grovit des Court of Appeal Der Kläger vor dem englischen Gericht, Mr Turner, war als Solicitor bei einer Firma namens Harada angestellt. Ort seiner Tätigkeit sollte London oder jeder andere Ort sein, zu dem ihn sein Arbeitgeber sendet. Im Laufe seiner Tätigkeit wurde er nach Madrid versetzt und arbeitete dort für eine die spanische Firma CSA. Sowohl Harada als auch CSA gehörten zur internationalen Chequepoint Group. Hinter dieser Gruppe stand der erste Beklagte Mr Grovit, der Lenker und Eigentümer aller beteiligten Firmen sein soll. Zwischen den Beteiligten ist umstritten, welche Firma nach der Versetzung nach Madrid Arbeitgeber von Mr Turner war. In Madrid hält sich CSA für den Arbeitgeber, Mr Turner dagegen sieht sich immer noch als Angestellter der Firma Harada. Im Rahmen der Tätigkeit in Madrid kam es zu Streitigkeiten über die Aufgaben des Klägers Mr Turner. Er behauptete, dass von ihm die Unterschlagung von Kundengeldern gefordert werde, und blieb seinem Arbeitsplatz fern. Daraufhin wurde ihm gekündigt. Mr Turner erhob Klage vor einem englischen Gericht (dem Employment Tribunal) gegen Harada auf Schadensersatz (compensation) wegen fehlerhafter Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Kurz darauf klagte CSA gegen Mr Turner vor einem spanischen Gericht auf Schadensersatz wegen Vertragsbruches. Auf diese Klage reagierte Mr Turner nicht, sondern strengte in England eine anti-suit injunction gegen Mr Grovit, Harada und CSA an. Die Beklagten sollten dafür sorgen, dass die Klage in Spanien nicht fortgesetzt werde. Diese Klage entbehre jeder Grundlage und solle den Kläger nur unter finanziellen Druck setzen, weshalb sie missbräuchliche Prozessführung (abuse of process) sei. Der Court of Appeal516 hatte nun in zweiter Instanz über die anti-suit injunction zu entscheiden. Hatte der erstinstanzliche Richter noch eine injunction mit der prinzipiellen Überlegung abgelehnt, im Bereich der EuGVÜ sei es Sache des spanischen Gerichts, seine Zuständigkeit und seine eventuelle Pflicht zur Abweisung der Klage wegen an514 515 516

Ebenso Geimer IPRax 2004, 505 (506). Vgl. EuGH v. 4.2.1988 (Hoffmann/Krieg) NJW 1989, 663. Turner v Grovit [1999] ILPr 656 (CA).

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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derweitiger Rechtshängigkeit selbst festzustellen,517 so schiebt der Court of Appeal diese Ansicht mit knappen Worten beiseite: Wenn es keine Zweifel geben könne, dass die Prozessführung in Spanien rechtsmissbräuchlich und nur das zuerst angerufene englische Gericht zuständig ist, dann könne in England dem Rechtsschutzsuchenden nicht eine anti-suit injunction verwehrt werden.518 In seiner Entscheidung äußert sich der Court of Appeal auch zur Frage der Rechtshängigkeitssperre für das zweite Verfahren in Spanien durch die erste Klage in England. Die Sperre gem. Art. 21 EuGVÜ dient als Begründungselement für das Prozessführungsverbot: Wenn die spanische Klage wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig ist, sei auch eine anti-suit injunction begründet. Das englische Gericht schlüpft gleichermaßen in die Rolle des spanischen Gerichts. Bei dieser Prüfung klärt der Court of Appeal an erster Stelle die Übereinstimmung im objektiven Streitgegenstand. Es beruft sich dazu ausschließlich auf die Rechtsprechung des EuGH in der Sache Gubisch und nimmt identische Streitgegenstände mit der Begründung an, die spanische Klage hätte auch im Wege der Widerklage vor dem bereits angerufenen englischen Gericht anhängig gemacht werden können.519 Sodann wendet sich der Court of Appeal der Frage der Parteienidentität zu: Sicherlich seien der Beklagte im englischen Verfahren, Harada, und der Kläger im spanischen Verfahren, CSA, unterschiedliche Rechtspersönlichkeiten. Jedoch sei in diesem Zusammenhang zu beachten, dass die Klage von CSA als rechtsmissbräuchlich zu betrachten sei (wie der Court zuvor ausführlich begründet hat). Die Klage stelle nur den Versuch dar, CSA als Mittel zu benutzen, eine vermeintliche Zuständigkeit der spanischen Gerichte in der Sache zu begründen, für die eigentlich das englische Gericht berufen sei. Dies widerspreche nicht nur englischen Rechtsprinzipien, sondern auch dem Ziel der EuGVÜ, Konflikte zwischen den mitgliedstaatlichen Gerichten zu verhindern. Zur Unterstützung dieser Meinung zieht der Court of Appeal die Ausführungen des EuGH in der Drouot-Entscheidung heran. Zwar zitiert er die Rdnr. 19 und 20 dieser Entscheidung, ohne jedoch auf das dort genannte Kriterium der Interessenidentität oder die Merkmale der Rechtsnachfolge oder der Vertretung einzugehen. Stattdessen entnimmt er den Worten des EuGH, dass 517

Turner v Grovit [1999] ILPr 656 (663 f. Laws L.J.). Turner v Grovit [1999] ILPr 656 (666 Laws L.J.) dort in Rdnr. 22. – Mittlerweile hat sich im weiteren Verlauf des Verfahrens auf Vorlage des House of Lords (Turner v Grovit [2002] 1 WLR 107 (HL)) der EuGH mit der Zulässigkeit von gerichtlichen Prozessführungsverboten beschäftigt. Der EuGH erkennt in anti-suit injunctions eine Beeinträchtigung der Zuständigkeitsverteilung durch das EuGVÜ bzw. das EuGVO und hält sie außerdem für unvereinbar mit dem gegenseitigen Vertrauen in die ausländischen Justizgewährungssysteme, das diesen Regelwerken zugrunde liege (EuGH v. 27.4.2004 (Turner/Grovit) IPRax 2004, 425 (426) (= Slg. 2004 I, 3565 = EuZW 2004, 468)). Zur hier interessierenden Frage der Parteienidentität äußerte sich der EuGH nicht. 519 Turner v Grovit [1999] ILPr 656 (673 Laws L.J.) dort Rdnr. 29 a. E.; vgl. bereits oben Fn. 150. 518

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

man bei der Beurteilung der Parteienidentität pragmatisch vorgehen könne. Daher sei sein pragmatisches Abstellen auf die Rechtsmissbräuchlichkeit der ausländischen Klage vom EuGH gedeckt.520 Wie schon bei der Frage der Streitgegenstandsidentität wägt der Court auch bei der Parteienidentität eher die Interessen der Parteien ab, anstatt handliche Kriterien zu suchen. Im Fall Turner/ Grovit scheint den Ausschlag zu geben, dass hinter den beiden unterschiedlichen Parteien in den zwei Verfahren ein und dieselbe fädenziehende Person steht, die beide Unternehmen in die Auseinandersetzung vorschickt. Außerdem betont der Court of Appeal die Identität der Streitgegenstände.521 Die Turner-Entscheidung zeigt deutlich, wie sehr nationale Gerichte die offenen und unklaren Formulierungen der Drouot-Entscheidung des EuGH nutzen können, um die Umstände des Einzelfalls und Billigkeitserwägungen für die Beurteilung der Parteienidentität ins Feld zu führen. Der Begriff der Interessenidentität bedarf also dringend der Präzisierung. Werfen wir einen genaueren Blick auf die materielle Rechtslage. Turner ebenso wie CSA machen in ihren Klagen Schadensersatzansprüche wegen Verletzung eines Arbeitsvertrags geltend. Es handelt sich also um verschiedene Ansprüche, die aber möglicherweise dasselbe präjudizielle Rechtsverhältnis haben, nämlich den Arbeitsvertrag. Es ist mithin zu klären, ob die behaupteten Arbeitsverträge (Turner glaubt an den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit Harada, CSA dagegen hält sich für den Vertragspartner) identisch sind. Wenn Turner zu Beginn seiner Tätigkeit einen neuen Vertrag mit CSA geschlossen hat, dann kommt Identität nicht in Betracht. Hat aber CSA den Vertrag von Harada übernommen, dann ist das präjudizielle Rechtsverhältnis für beide Verfahren identisch. Es gäbe eine Rechtsnachfolge hinsichtlich des gesamten Vertrags. Leider sind im Sachverhalt der Entscheidung dazu kaum Angaben zu finden, so dass man nur spekulieren kann. Die Tatsache, dass wohl unstreitig Mr Turner von Harada nach Madrid geschickt worden ist, spricht für die letztere Variante, dass nämlich CSA, wenn überhaupt (Mr Tuner behauptet den Fortbestand mit Harada), den Arbeitsvertrag mit Mr Turner übernommen und keinen neuen Vertrag geschlossen hat. Somit streiten in beiden Verfahren die jeweils Beteiligten über Ansprüche aus demselben Vertrag. Weil sie sich gegenseitig Vertragsbruch vorwerfen, aber nur eine Seite verantwortlich sein kann (oder beide zugleich in einem bestimmten Verhältnis), handelt es sich allerdings um eine Konstellation, wie sie bereits oben unter C.II.3.c) besprochen wurde. Es geht wie in dem dort genannten Fall des OLG München522 um wechselseitig erhobene Ansprüche wegen schuldhafter Vertragsverletzung, wobei sich die Vertragsparteien gegenseitig Vertragsbruch vorwerfen. Ob solche Klagen, die lediglich gemeinsame 520 521 522

Turner v Grovit [1999] ILPr 656 (673) dort Rdnr. 30, 31. Turner v Grovit [1999] ILPr 656 (673) dort Rdnr. 31 am Anfang. OLG München v. 3.12.1999 RIW 2000, 712.

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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Vorfragen aufweisen und nicht in einem Präjudizialitätsverhältnis stehen, in objektiver Hinsicht identisch sind, ist umstritten und noch nicht abschließend geklärt. Der Court of Appeal sieht objektive Identität als gegeben, weil im ersten Verfahren Widerklage erhoben werden konnte, anstatt ein eigenes Verfahren anzustrengen. Wenn man das gemeinsame präjudizielle Rechtsverhältnis des Arbeitsvertrags als identitätsbegründendes Element beider Klagen ausreichen lässt, ist es von gewisser Konsequenz, auch aufgrund der Übernahme dieses Vertrags die Rechtsnachfolge im Sinn der Drouot-Entscheidung zu bejahen. Unter dieser Prämisse liegt die Turner-Entscheidung also auf der Linie des EuGH. Ob allein die Übernahme des Vertrags die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre auf CSA rechtfertigen kann, ist zu bezweifeln. CSA behauptet vor dem spanischen Gericht, Arbeitgeber von Mr Turner zu sein, was Mr Turner freilich vor dem englischen Gericht bestreitet. Sofern es keine englische Regelung gibt, die Harada auch bei erfolgter Vertragsübernahme als richtigen Beklagten behandelt, liegt ein Fall alternativer Berechtigung bzw. Verpflichtung vor, für den bei der Untersuchung des deutschen Rechts die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre abgelehnt wurde [vgl. oben B.III.14.]. Es wird noch zu untersuchen sein, was im europäischen Zivilprozessrecht gilt [vgl. unten C.III.12.]. c) Die Entscheidung des OLG München vom 19.1.2000 Das OLG München523 hatte sich in diesem Verfahren mit einer Klage eines deutschen Bauunternehmens gegen eine italienische Bank aus Bürgschaft auf erstes Anfordern zu befassen. Die Klägerin hatte eine italienische Firma I mit der Errichtung eines Bürogebäudes beauftragt, die diesen Auftrag wiederum an ihre Tochtergesellschaft S übertragen hatte. Die beklagte Bank hatte eine Vertragserfüllungsbürgschaft für S übernommen. Die Firma I hatte vor einem Gericht in Ravenna zunächst im Weg der einstweiligen Verfügung ein an die Klägerin sowie die Beklagte gerichtetes Verbot angestrebt, Leistungen aus der Bürgschaft zu verlangen bzw. zu erfüllen. Mittlerweile wurde auch ein entsprechendes Hauptsacheverfahren gegen das Bauunternehmen und die Bank in Ravenna anhängig gemacht. Nun fordert das deutsche Bauunternehmen mit seiner Klage vor dem Gericht in München von der italienischen Bank die Erfüllung der Bürgschaftsverpflichtung. In der ersten Instanz war der Klage stattgegeben worden. Die Berufungsklägerin (die Bank) machte die entgegenstehende Rechtshängigkeit vor dem italienischen Gericht geltend. Vor dem OLG München waren im Rahmen der Anwendung des Art. 21 EuGVÜ sowohl die zeitliche Reihenfolge der Rechtshängigkeit beider Verfahren als auch die Identität des Streitgegenstands umstritten. Beide Fragen ließ 523

OLG München v. 19.1.2000 NZBau 2000, 468.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

das OLG offen und stützte seine Entscheidung, in der es das erstinstanzliche Urteil aufrechterhielt, auf mangelnde Identität der Parteien in beiden Verfahren. Zwar seien Klägerin und Beklagte des deutschen Verfahrens auch Parteien im italienischen Prozess. Jedoch werde jener Prozess vor dem LG Ravenna nicht „zwischen“ ihnen geführt. Es komme jedoch darauf an, dass die Parteien sich in beiden Verfahren kontradiktorisch gegenüberstehen.524 Das OLG München argumentiert also in erster Linie mit dem Wortlaut des Art. 21 EuGVÜ, wonach nur Verfahren „zwischen denselben Parteien“525 erfasst werden. Daran ist zunächst richtig, dass die zwei Klagen der Firma I in Italien zu trennen sind, obwohl sie in einem Prozess zusammengefasst sind. Das OLG weist folglich völlig zu Recht darauf hin, dass die formale Parteistellung des Bauunternehmens und der Bank im italienischen Verfahren für sich genommen noch nicht ausreichen, um die Rechtshängigkeitssperre für die Klage in Deutschland auslösen zu können. Auf der anderen Seite ist das Verständnis des Worts „zwischen“ sehr formal, was vor dem Hintergrund der Drouot-Entscheidung erstaunlich ist, verstand doch der EuGH schon den Begriff „Partei“ eher materiell und nahm unter der Voraussetzung der Interessenidentität auch für einen Dritten die Parteistellung im Sinn von Art. 21 EuGVÜ an. Wenn nun die Parteien des Zweitverfahrens im ersten Prozess ebenfalls Parteien sind, leuchtet nicht gerade ein, weshalb man das Kriterium „zwischen“ wieder in formaler Betrachtungsweise auslegen soll. Nur weil sich die Parteien der zweiten Klage im ersten Prozess nicht gegenüberstanden, ist deshalb die Rechtshängigkeitssperre nicht ausgeschlossen. Die Auseinandersetzung des OLG mit der Drouot-Entscheidung liest sich wie folgt: „Ob eine andere Beurteilung in Betracht käme, wenn die Interessen der Parteien des vorliegenden Rechtsstreits in dem beim LG Ravenna [anhängigen Verfahren] identisch und gleichgerichtet wären (vgl. EuGH EuZW 1998, 443) bedarf keiner näheren Erörterung. Denn die Interessen der Kl. und der Bekl. sind in dem beim LG Ravenna geführten Rechtstreit keineswegs identisch; ein wirtschaftliches Interesse an der Bekämpfung des von der Firma I beim LG Ravenna verfolgten Anspruchs hat ersichtlich allein die Kl., nicht dagegen die Bekl. als Bürgin.“

Dieses Zitat offenbart einen oberflächlichen Umgang mit den Vorgaben des EuGH. Schon der erste Satz irritiert: Wenn die Interessen identisch und gleichgerichtet (nach der Terminologie des EuGH: voneinander untrennbar) sein sollten, käme nur eine andere Beurteilung in Frage; dann nämlich ist nach der EuGH-Rechtsprechung eindeutig Identität der Parteien gegeben. Wenn man schon dem EuGH folgen will, dann muss man auch untersuchen, ob die Interessen identisch und voneinander untrennbar sind. An dieser Stelle argumentiert das OLG nicht, sondern formuliert von vornherein ablehnend. Beachtenswert ist 524

OLG München v. 19.1.2000 NZBau 2000, 468 (469) dort unter 3. b) (3). Entsprechende Fassungen in englischer („between the same parties“) und französischer Sprache („entre les mêmes parties“). 525

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dabei die knappe Begründung, in der das OLG auf das wirtschaftliche Interesse der Beteiligten abstellt. Bezüglich der wirtschaftlichen Interessen der beklagten Bank und des Klägers sieht das OLG keine Identität, denn ein wirtschaftliches Interesse an der Verteidigung im italienischen Prozess habe allein die Klägerin, nicht die Beklagte als Bürgin. Das mag stimmen, wenn man die Interessen der beiden Parteien als Beklagte im italienischen Prozess vergleicht. Darauf kann es aber nicht ankommen, wenn man die Vorgehensweise des EuGH als Muster nimmt. Streitet A in Prozess 1 gegen B und in Prozess 2 mit C, dann vergleicht der EuGH das jeweilige verfolgte Interesse von B und C im Verfahren miteinander. Entscheidend ist die Frage, ob B im ersten Prozess nicht auch für C streitet. Ob A in beiden Prozessen dasselbe Interesse verfolgt, ist dagegen allein Frage des Streitgegenstands. In diesem Fall bestand die Besonderheit, dass beide Parteien des Zweitverfahrens auch im ersten Prozess eine formelle Parteistellung innehatten. Die Klagen der Firma I gegen den Gläubiger der Bürgschaftsforderung und gegen die bürgende Bank müssen getrennt betrachtet werden. Wirtschaftlich betrachtet geht es in der Klage zwischen I und dem Gläubiger darum, die Inanspruchnahme der bürgenden Bank zu verhindern. Ebenso versucht die Bank selbst im deutschen Prozess, Ansprüche aus der Bürgschaft abzuwehren. Aus der Sicht wirtschaftlicher Interessen scheint es daher nicht ausgeschlossen, die durch die Klage von I gegen den Gläubiger ausgelöste Rechtshängigkeitssperre auf die deutsche Klage des Gläubigers gegen die bürgende Bank zu erstrecken. Es ist aber in Frage zu stellen, ob wirklich die Analyse allein der wirtschaftlichen Interessen zum Ziel führt. Denn als Leser der Entscheidung teilt man das Unbehagen des OLG, dass sich die beklagte bürgende Bank im italienischen Verfahren nur äußerst nachlässig gegen die Klage wehren wird, eine Niederlage wäre ihr gleichgültig oder käme ihr gar entgegen. Gegen diese Bedenken kann man freilich einwenden, dass die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre, die von der Klage der Firma I gegen die Bank ausgeht, nicht erwogen zu werden braucht. Nach der oben vorgenommenen Interessenanalyse erscheint dagegen eine Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre der Klage von I gegen den Gläubiger auf die Klage des Gläubigers gegen die Bank nicht ausgeschlossen. Deutlicher werden aber die Unterschiede in beiden Verfahren, wenn man die materiell-rechtliche Dimension hinzunimmt: Rechtlich geht es in den italienischen Klagen gegen Gläubiger und Bank jeweils um einen Unterlassungsanspruch, im deutschen Verfahren um die Durchsetzung eines Zahlungsanspruchs. Die Bürgschaftsforderung ist auch nicht präjudiziell für den Unterlassungsanspruch. Beide Verfahren haben lediglich die gemeinsame Vorfrage, ob die Berufung auf die Bürgschaftsforderung rechtsmissbräuchlich wäre; davon geht auch das OLG München aus.526 526

OLG München v. 19.1.2000 NZBau 2000, 468 (469) dort unter 3. b) (1).

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Daher erscheint es lohnend, vorrangig das objektive Verhältnis beider Verfahren zueinander zu klären. Das OLG hat trotz einiger Erwägungen im Ergebnis offen gelassen, ob auch wirklich die Streitgegenstände der beiden Verfahren identisch sind.527 Dafür spricht in der Tat, dass sich bei bildlicher Betrachtung beide Klagen um die Zahlung aus der Bürgschaft drehen. „Kernpunkt“ beider Prozesse ist, wie auch das OLG erkennt, die Frage, ob die Inanspruchnahme der Bürgschaft auf erstes Anfordern rechtsmissbräuchlich ist.528 Dagegen führt das OLG an, die Klagen hätten unterschiedliche Grundlagen: Im italienischen Prozess sei für die Klage gegen das Bauunternehmen das Vertragsverhältnis zwischen dem deutschen und dem italienischen Bauunternehmen die Grundlage, für die Klage gegen die Bank dagegen das Auftragsverhältnis zwischen der Bank und dem italienischen Unternehmen. Im deutschen Prozess schließlich sei die Grundlage das Bürgschaftsverhältnis zwischen den Parteien. Diese Ausführungen erscheinen für die Dreieckskonstellation der Bürgschaft aber fragwürdig, denn sie beachten zu wenig, dass die Bürgschaft eine akzessorische Verpflichtung ist, die in ihrem Bestehen mit der Hauptforderung existentiell verknüpft ist.529 Allerdings handelte es sich um eine Bürgschaft auf erstes Anfordern, bei der dieses Akzessorietätsverhältnis materiell-rechtlich gelockert ist.530 Diese Sonderform der Bürgschaft verpflichtet den Bürgen, allein wegen einer streng formalisierten Leistungsaufforderung seitens des Gläubigers zu zahlen. Zweifel am Bestehen der Bürgschaftsforderung oder der zu sichernden Hauptforderung kann der Bürge erst einmal nicht einwenden. Er muss zunächst zahlen und kann nach der Zahlung Einwendungen und Einreden gegen die Bürgschaftsforderung und die Hauptforderung erheben. Notfalls muss ein Rückforderungsprozess gegen den Gläubiger geführt werden. Es gilt der Grundsatz „Erst zahlen, dann prozessieren“.531 Somit trifft den Bürgen eine „vorläufig verselbständigte Zahlungspflicht“.532 Die Pflicht zur sofortigen Zahlung findet allerdings ihre Grenze dort, wo der Gläubiger die Bürgschaft rechtsmissbräuchlich in Anspruch nimmt. Missbrauch der formalen Stellung durch den Gläubiger liegt zum Beispiel vor, wenn er die Bürgschaft einfordert, obwohl die Hauptforderung eindeutig nicht

527

OLG München v. 19.1.2000 NZBau 2000, 468 (469) dort unter 3. b) (1). OLG München v. 19.1.2000 NZBau 2000, 468 (469) dort unter 3. b) (1). 529 Jauernig/Stadler BGB (2004) § 767 Rdnr. 3 ff.; Palandt/Sprau BGB (2006) vor § 765 Rdnr. 1. 530 BGH v. 11.12.1986 NJW-RR 1987, 683 (685); Staudinger/Horn BGB (1997) Vorbem. § 765 Rdnr. 25. 531 Zur Bürgschaft auf erstes Anfordern BGH v. 28.10.1993 NJW 1994, 380; Bamberger/Roth/Rohe BGB Band 2 (2003) § 765 Rdnr. 108 ff.; Palandt/Sprau BGB (2006) Einf v § 765 Rdnr. 14 ff.; Staudinger/Horn BGB (1997) Vorbem. § 765 Rdnr. 24 ff. 532 BGH v. 11.12.1986 NJW-RR 1987, 683 (685). 528

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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entstanden oder bereits erfüllt ist.533 Der BGH stellt aber hohe Anforderungen: Der Missbrauch muss offensichtlich oder „liquide beweisbar“ sein; alle Streitigkeiten über die Berechtigung zur Geltendmachung der Bürgschaftsforderung sollen dem Rückforderungsprozess vorbehalten bleiben.534 Der Einwand des Rechtsmissbrauchs ist also in einer Klage des Gläubigers gegen den Bürgen zulässig; alle übrigen Einwendungen und Einreden sind unzulässig und erst im Rückforderungsprozess zu behandeln. Eine Verurteilung des Bürgen zur Zahlung auf erstes Anfordern hat daher stets nur vorläufigen Charakter; die Rechtskraft eines solches Urteils steht der Rückforderungsklage nicht entgegen.535 Die Bürgschaft auf erstes Anfordern ist für den Hauptschuldner nicht ohne Risiko. Der Bürge kann von ihm nach Zahlung Aufwendungsersatz gem. § 670 BGB verlangen.536 Hat der Gläubiger den Bürgen zu Unrecht zur Zahlung aufgefordert und musste deshalb der Hauptschuldner Aufwendungsersatz leisten, kann letzterer den Betrag, den der Gläubiger vom Bürgen erhalten hat, gem. § 812 BGB (nach anderer Ansicht aufgrund von Ansprüchen aus dem Sicherungsvertrag zwischen Gläubiger und Hauptschuldner) vom Gläubiger herausverlangen.537 Dieser Anspruch gegen den Gläubiger kann im Einzelfall aus Mangel an Gläubigervermögen nicht durchsetzbar sein; der Hauptschuldner trägt infolgedessen das Risiko der Insolvenz des Gläubigers und hat ein Interesse daran, dass der Bürge gar nicht erst zahlt.538 Nach deutschem Recht gestattet man dem Hauptschuldner daher, mittels einstweiliger Verfügung gem. § 935 ZPO dem Gläubiger die Inanspruchnahme der Bürgschaft zu untersagen.539 Umstritten ist allerdings, ob man den Antrag auf einstweilige Verfügung auch gegen den Bürgen richten kann,540 wie dies im vorliegenden Fall im italienischen Verfahren geschehen ist. Der Antrag auf einstweilige Anordnung kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn der Rechtsmissbrauch des Gläubigers klar erkennbar bzw. liquide beweisbar ist.541 Ein Antrag auf einstweilige 533

Staudinger/Horn BGB (1997) Vorbem. § 765 Rdnr. 32. BGH v. 28.10.1993 NJW 1994, 380 (381); ebenso OLG Düsseldorf v. 9.8.2001 NZBau 2002, 223. 535 Staudinger/Horn BGB (1997) Vorbem. § 765 Rdnr. 24, 33. 536 Pasker NZBau 2000, 279 (280); Staudinger/Horn BGB (1997) Vorbem. § 765 Rdnr. 34. 537 Bamberger/Roth/Rohe BGB Band 2 (2003) § 765 Rdnr. 119; Pasker NZBau 2000, 279 (280). 538 J. Schmidt BauR 1998, 1159 (1160). 539 OLG Düsseldorf v. 9.8.2001 NZBau 2002, 223; Werner/Pastor Der Bauprozess (2005) Rdnr. 367 ff. m.w. N. 540 J. Schmidt BauR 1998, 1159 (1161); Werner/Pastor Der Bauprozess (2005) Rdnr. 371. 541 OLG Düsseldorf v. 9.8.2001 NZBau 2002, 223; Werner/Pastor Der Bauprozess (2005) Rdnr. 372; ob nicht die Glaubhaftmachung (wie generell bei einstweiligen Verfügungen gem. §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO) ausreicht, ist umstritten, vgl. J. Schmidt BauR 1998, 1159 (1162). 534

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Verfügung kann eine nachfolgende Klage nicht sperren; Art. 27 EuGVO ist nicht anwendbar.542 Hier war in Italien allerdings schon ein Hauptsacheverfahren anhängig geworden;543 die zeitliche Reihenfolge der Rechtshängigkeit war umstritten und ist vom OLG offen gelassen worden. Nehmen wir im Folgenden an, das italienische Verfahren sei früher rechtshängig geworden. Betrachtet man die geltend gemachten materiellen Ansprüche, muss man feststellen, dass sie sich gleichsam spiegelbildlich gegenüberstehen. Mit seiner Unterlassungsklage gegen Gläubiger und Bürgen will der Hauptschuldner genau die Zahlung verhindern, die der Gläubiger vom Bürgen im zweiten Verfahren verlangt. Die Situation ist dem Verhältnis von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage vergleichbar; allerdings besteht hier eine Dreieckskonstellation, bei der die Beteiligten aber durch mögliche Aufwendungsersatz- und Rückforderungsansprüche miteinander verbunden sind. Und wie geschildert hat der Hauptschuldner ein vitales Interesse daran, die Zahlung zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger zu verhindern. Und in beiden Verfahren hängt die Entscheidung von derselben Vorfrage eines evidenten Rechtsmissbrauchs ab. Aus materiell-rechtlichen Erwägungen und Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit sollte also die Rechtshängigkeitssperre eingreifen. Auch die hypothetische Kontrollüberlegung, ob unvereinbare Entscheidungen drohen, spricht für die Annahme der Rechtshängigkeitssperre. Wenn im italienischen Prozess die Beklagten verurteilt werden, keine Zahlungen aus der Bürgschaft zu fordern bzw. zu tätigen, dann kollidiert diese Rechtsfolge mit derjenigen eines deutschen Urteils, das zur Zahlung verurteilt. Verlangte die deutsche Titelgläubigerin nun Vollstreckung in Italien, so täte sie genau das, was ihr das italienische Urteil verbietet; und die italienischen Vollstreckungsorgane müssten von der Schuldnerin genau das verlangen, was ihr durch italienisches Urteil verboten wurde. Der Anwendung von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVO könnte nur im Wege stehen, dass beide Entscheidungen nicht „zwischen denselben Parteien“ ergangen sind. Das wäre aber nur bei einem formalen Verständnis dieses Merkmals im Rahmen der Anerkennungsvorschriften möglich. Eine solche formale Interpretation des Art. 34 Nr. 3 EuGVO wäre aber nicht sachgerecht; sie führte dazu, in Italien eine materielle Rechtslage durchzusetzen, die dort anders beurteilt wurde, und zwar gegenüber beiden Parteien des deutschen Urteils. 542 Kropholler EuZPR (2005) Art. 27 Rdnr. 14; Rauscher/Leible EuZPR (2004) Art. 27 Brüssel I-VO Rdnr. 13; Schlosser EU-ZPR (2003) Art. 27 EuGVVO Rdnr. 5. 543 Die Notwendigkeit eines Hauptsacheverfahrens nach deutschem Recht wird kaum thematisiert. Grundsätzlich ist es unter den Voraussetzungen von §§ 936, 926 ZPO anzuordnen. Wegen der hohen Anforderungen an den Beweis des Rechtsmissbrauchs bereits im einstweiligen Verfügungsverfahren kann man am Sinn eines nachfolgenden Hauptverfahrens zweifeln. Ein Beispiel für ein Hauptsacheverfahren findet man bei BGH v. 11.12.1986 NJW-RR 1987, 683.

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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Entscheidend gegen die Annahme einer Rechtshängigkeitssperre spricht allerdings die besondere materiell-rechtliche Funktion der Bürgschaft auf erstes Anfordern.544 Die Bürgschaft auf erstes Anfordern ist ein besonders „schneidiges“ Sicherungsmittel und soll dem Gläubiger möglichst rasch Geldmittel zur Verfügung stellen, ohne dass lang über die Berechtigung gestritten werden darf.545 Das OLG München erkennt zutreffend (allerdings im Zusammenhang mit Art. 22 EuGVÜ), dass ein Abwarten des italienischen Verfahrens diesen Zweck der Bürgschaft auf erstes Anforderung unterlaufen würde.546 Der Kläger des deutschen Verfahrens erhält im italienischen Verfahren auch im Fall des Obsiegens keinen Vollstreckungstitel. Eine Rechtshängigkeitssperre durch das italienische Verfahren darf aber nicht den Justizgewährungsanspruch der Parteien des Zweitverfahrens übermäßig einschränken. Durch den Zweck der Bürgschaft auf erstes Anfordern bekommt das Interesse des Gläubigers an einer zügigen Behandlung einer Leistungsklage zur Durchsetzung des Bürgschaftsanspruchs besonderes Gewicht. Hauptschuldner und Bürge dürfen es nicht in der Hand haben, diese rasche Anspruchsdurchsetzung zu behindern. Die Rechtshängigkeitssperre ließe sich jedoch leichter rechtfertigen, wenn der deutsche Kläger in der Lage ist, im italienischen Verfahren seinen Bürgschaftsanspruch geltend zu machen [vgl. oben C.III.4.c)]. Eine Klage gegen die Bank im italienischen Verfahren erscheint nicht möglich. Eine klassische Widerklage käme nicht in Betracht, sondern höchstens eine isolierte Drittwiderklage gegen den Mitbeklagten, für die aber Art. 6 Nr. 3 EuGVO keinen Gerichtsstand bereithält.547 Wenn das italienische Prozessrecht eine solche Klage überhaupt zulässt, dann nur unter der zufälligen Bedingung, dass ein sonstiger Gerichtsstand gegeben ist. Letztlich dominiert der Justizgewährungsanspruch des Klägers des Zweitverfahrens in der Abwägung mit den öffentlichen und privaten Interessen an Entscheidungsharmonie und Prozesswirtschaftlichkeit, und zwar aus materiellrechtlichen Zweckerwägungen: Der Gläubiger darf nicht an der raschen Durchsetzung der Bürgschaft auf erstes Anfordern gehindert werden. Das wäre nicht gewährleistet, wenn der Hauptschuldner durch eine Unterlassungsklage eine ei544 Zur Bedeutung des materiellen Rechts für die Koordination paralleler Prozesse vgl. bereits oben A.III.3. Zur Beachtung des materiellen Hintergrunds bei der Bürgschaft auf erstes Anfordern vgl. die Darstellung einer Entscheidung des BGH oben B.II.2.a). Dort ging es allerdings nicht um das Verhältnis des Bürgschaftsanspruchs zum Unterlassungsanspruch, sondern um das Verhältnis zweier Klagen des Hauptschuldners, mit denen er den Bürgschaftsanspruch abwehren wollte. 545 BGH v. 28.10.1993 NJW 1994, 380 (381); OLG Düsseldorf v. 9.8.2001 NZBau 2002, 223. 546 OLG München v. 19.1.2000 NZBau 2000, 468 (470). 547 Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) Art. 6 EuGVVO Rdnr. 5; Geimer/Schütze/ Auer Internationaler Rechtsverkehr (2005) B Vor I 10 b Art. 6 Rdnr. 61; Geimer/ Schütze EuZVR (2004) A.1 Art. 6 Rdnr. 65 m.w. N.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

gene Leistungsklage des Gläubigers verhindern könnte. Auch das Interesse des Hauptschuldners, eine in seinen Augen ungerechtfertigte Inanspruchnahme des Bürgen zu verhindern, tritt dahinter zurück. Die Antwort auf die Frage der Verfahrensidentität liegt also im objektiven Gehalt beider Verfahren und nicht in der Parteienidentität. d) Zwischenergebnis In den drei vorgestellten Entscheidungen lässt sich eine gewisse Ratlosigkeit der Gerichte im Umgang mit den Vorgaben aus der Drouot-Entscheidung erkennen. Die beiden deutschen Gerichte kontrollieren lediglich ihr zuvor nach selbständig entwickelten Maßstäben gefundenes Ergebnis anhand der Leitlinie, die der EuGH vorgibt, und gehen dabei eher halbherzig vor. Das englische Gericht entnimmt der Drouot-Entscheidung die Erlaubnis zu einer pragmatischen Beurteilung des Einzelfalls und nutzt diese Freiheit ausgiebig. Es scheinen sich also die Befürchtungen einzelner Kommentatoren der Drouot-Entscheidung verwirklicht zu haben, dass durch die vagen Vorgaben Rechtsunsicherheit in der Anwendung von Art. 27 EuGVO erzeugt worden ist [vgl. oben C.III.2.b)]. 6. Das „Interesse“ in materiell-rechtlichem Sinn Sowohl für das deutsche als auch das europäische Zivilprozessrecht wird vereinzelt erwogen, den Begriff des Streitgegenstands mit dem Begriff des Interesses zu verknüpfen [vgl. oben B.II.3.a) und C.II.4.b)(4)]. Werden nach dieser Ansicht in zwei Prozessen materielle Ansprüche eingeklagt, die auf dasselbe Interesse gerichtet sind und daher auch durch dieselbe Handlung erfüllt werden, dann bestehe Streitgegenstandsidentität. Es stellt sich die Frage [vgl. oben C.III.4.b)], ob man dieses Verständnis nicht auch für die Umsetzung der Vorgaben aus der Drouot-Entscheidung fruchtbar machen kann. Zumindest hinsichtlich Leistungsklagen und Anspruchsfeststellungsklagen könnte man der DrouotEntscheidung die Aussage beimessen, dass die Rechtshängigkeitssperre dann eingreift, wenn formell unterschiedliche Parteien mit ihren Klagen Ansprüche verfolgen, die auf dasselbe Interesse gerichtet sind. Die Streitgegenstandsbestimmung unter Rückgriff auf das mit der Klage verfolgte Interesse zeigt Parallelen zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs zweier Anspruchgrundlagen, bei der nach herrschendem deutschen Verständnis ebenfalls das von den Anspruchsgrundlagen geschützte Interesse eine zentrale Rolle spielt. Es erscheint daher lohnend, einen Blick auf diese Diskussion im materiellen Recht zu werfen.

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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a) Zum Verhältnis verschiedener Anspruchsgrundlagen Erfüllt ein Sachverhalt die Voraussetzungen mehrerer Anspruchsgrundlagen, so stellt sich die Frage des Verhältnisses der Vorschriften zueinander. Wenn die Ansprüche nebeneinander bestehen, weil sie auf unterschiedliche Ziele gerichtet sind, ergeben sich in der Regel keine Probleme. Der oder die Gläubiger können beide Ansprüche unabhängig voneinander geltend machen. Man kann diesen Fall „Anspruchshäufung“ nennen; die Terminologie ist in diesem Bereich nicht einheitlich. Sind beide Ansprüche auf dasselbe Ziel548 gerichtet, ergeben sich notwendigerweise Abgrenzungsprobleme. Dann muss bestimmt werden, ob beide Vorschriften uneingeschränkt nebeneinander anwendbar sein sollen, ob eine Vorschrift die andere verdrängen soll oder ob gewisse Regeln einer Anspruchsgrundlage auch für die andere gelten sollen (vor allem Verjährungsregeln,549 Haftungserleichterungen550 oder Beweisregeln). In prozessualer Beziehung ergeben sich die in der vorliegenden Untersuchung zentralen Fragen, ob beide Anspruchsgrundlagen in getrennten Prozessen beurteilt werden können [vgl. oben B.II.3.a)]. Ob beide Anspruchgrundlagen auf dasselbe Ziel gerichtet sind, muss nach herrschender Meinung durch eine Analyse von Sinn und Zweck der einschlägigen Rechtsvorschriften551 und der betroffenen wirtschaftlichen Interessen bestimmt werden.552 Ist es Zweck der Anspruchsgrundlagen, ein identisches Interesse zu schützen beziehungsweise durchzusetzen, dann können die Folgen beider Anspruchsgrundlagen insgesamt nur einmal geltend gemacht werden. Entweder muss also eine Vorschrift nicht anwendbar sein, oder beide Anspruchsgrundlagen gelten nebeneinander, werden aber durch eine Handlung erfüllt. Sie nennt man dann „erfüllungskonnex“;553 nach anderer Bezeichnung stehen sie in Erfüllungsgemeinschaft.554 548 Auch hier ist die Terminologie uneinheitlich; teilweise wird auch von „derselben Rechtsfolge“ gesprochen, die von zwei Anspruchsgrundlagen ausgelöst werde. Hier wird die Terminologie „dasselbe Ziel“ von Arens AcP 170 (1970), 392 (393) benutzt. 549 Arens AcP 170 (1970), 392 (401). 550 Arens AcP 170 (1970), 392 (396). 551 Jahr FS Lüke (1997), 297 (307). 552 Georgiades Die Anspruchskonkurrenz (1968) S. 164; nach anderer Sprechweise sind zwei Ansprüche erfüllungskonnex, wenn sie auf den gleichen wirtschaftlichen Erfolg gerichtet sind, vgl. Bork Allgemeiner Teil des BGB (2001) Rdnr. 293; ähnlich BGH v. 9.12.1998 BGHZ 140, 175 (179) (= NJW 1999, 715). 553 Jahr FS Lüke (1997), 297 (307). 554 Larenz/Wolf Allgemeiner Teil des BGB (2004) § 18 Rdnr. 31. Habscheid FS Schwab (1990), 181 (184) spricht von „Anspruchseinheit“ trotz zweierlei „Anspruchspositionen“.

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Im deutschen Recht werden Anspruchsgrundlagen, die auf dasselbe Ziel gerichtet sind, zum größten Teil parallel angewendet.555 Das gilt zum Beispiel für Schadensersatzansprüche aus Delikt gem. § 823 BGB und Surrogationsansprüche gem. §§ 816, 687 Abs. 2 BGB556 gegen einen Dieb, der das Diebesgut veräußert hat, für Herausgabeansprüche aus Eigentum gem. § 985 BGB und Vertrag557 (z. B. § 546 BGB bei Miete oder § 604 BGB bei Leihe) und auch Herausgabeansprüche aus Eigentum (§ 985 BGB) und Besitz558 (§§ 861, 1007 BGB559).560 Weil sie aber auf dasselbe Interesse gerichtet sind, werden sie durch dieselbe Handlung erfüllt. Die Ansprüche sind daher „erfüllungskonnex“. Trotz dieser Erfüllungskonnexität erkennt die herrschende Meinung verschiedene Ansprüche, die sich aus den einschlägigen Anspruchsgrundlagen ergeben.561 Diese Ansprüche folgen grundsätzlich ihren eigenen Regeln.562 Man spricht von „Anspruchskonkurrenz“. Die Ansprüche sind eigenständig abtretbar, wenngleich eine wirksame Abtretung die Zustimmung des Schuldners erfordert und im Einzelfall die Auslegung der Abtretungseinigung einen gemeinschaftlichen Übergang aller Ansprüche ergeben kann.563 Ein Teil der Literatur wendet sich gegen die prinzipielle Annahme einzelner selbständiger Ansprüche aus jeder Anspruchsgrundlage. Nach dieser Meinung soll unter bestimmten Umständen aus verschiedenen Anspruchsgrundlagen ein einziger materieller Anspruch entstehen. Vertreter dieser Meinung nennen

555 Die Verdrängung einer Anspruchsgrundlage im Wege der Gesetzeskonkurrenz (dazu Larenz/Wolf Allgemeiner Teil des BGB (2004) § 18 Rdnr. 19 ff.) ist im Einzelfall umstritten, das gilt insbesondere für die Ansprüche aus dem Eigentümer-BesitzerVerhältnis gem. §§ 987 ff. BGB, vgl. nur die kurze Darstellung bei Palandt/Bassenge BGB (2006) Vorb. § 987 Rdnr. 15 ff. Zum umstrittenen Verhältnis von § 548a BGB (§ 557 BGB a. F.) zu den §§ 987 ff. BGB BGH v. 9.12.1998 BGHZ 140, 175 (179); der BGH lässt offen, ob § 548a BGB lex specialis zu den §§ 987 ff. BGB ist, nimmt aber auf jeden Fall Erfüllungskonnexität an, weil „die Ansprüche auf den gleichen wirtschaftlichen Erfolg gerichtet sind“. 556 Vgl. Bamberger/Roth/Wendehorst BGB Band 2 (2003) § 816 Rdnr. 3; Jauernig/ Mansel BGB (2004) § 687 Rdnr. 3 f. 557 Bamberger/Roth/Fritsche BGB § 985 Band 2 (2003) Rdnr. 55 f.; Jauernig/Jauernig BGB (2004) § 985 Rdnr. 12; Jahr FS Lüke (1997), 297 (303). 558 MünchKommBGB/Joost BGB Band 5 (2004) § 861 Rdnr. 13. 559 Auch Besitzansprüche untereinander können in Anspruchskonkurrenz stehen, vgl. Jauernig/Jauernig BGB (2004) § 1007 Rdnr. 1. 560 Insgesamt Georgiades Die Anspruchskonkurrenz (1968) S. 165 f. 561 BGH v. 10.12.2002 NJW 2003, 828 (829); Arens AcP 170 (1970), 392 (393); Jauernig/Mansel BGB (2004) § 241 Rdnr. 14, 16 m.w. N. aus der Rechtsprechung. 562 Jauernig/Mansel BGB (2004) § 241 Rdnr. 14, 16; Medicus Schuldrecht AT (2005) Rdnr. 357 f. 563 BGH v. 9.12.1998 BGHZ 140, 175 (179 f.); Palandt/Grüneberg BGB (2006) § 398 Rdnr. 10; nach Arens AcP 170 (1970), 392 (411) wird eine Abtretung in der Regel auf alle konkurrierenden Ansprüche bezogen sein.

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diesen Fall Anspruchsgrundlagenkonkurrenz (oder Anspruchsnormenkonkurrenz),564 in Abgrenzung zur gewöhnlichen Anspruchskonkurrenz, die sie ebenfalls für möglich halten. Dieser Anspruch sei ein einheitliches Verfügungsobjekt und daher auch nur einheitlich abtretbar565 und bilde stets einen einheitlichen Streitgegenstand.566 Anspruchsgrundlagenkonkurrenz liege vor, wenn zwei oder mehrere Vorschriften die Verpflichtung zu derselben Leistung567 beziehungsweise dieselbe Rechtsfolge568 vorsehen. Die Individualisierung der Leistung sei nach Leistungsgegenstand und Leistungsinhalt vorzunehmen.569 Dieselbe Leistung liege danach bei parallelen Ansprüchen aus Vertrag und Delikt vor, die zum Ersatz desselben Schadens führten. Nach anderer Ansicht soll entscheidend sein, ob nach dem Zweck der Anspruchsnormen die Rechtsfolge notwendig nur bei ein und derselben Person eintreten soll; dann liege ein einheitlicher Anspruch vor, der nicht aufgespaltet werden dürfe, weder durch Abtretung noch durch getrennte Prozesse. Verschiedene Leistungen bestünden dagegen bei parallelen Ansprüchen auf Schadensersatz und Surrogation wegen Veräußerung von Diebesgut, weil der Leistungsinhalt verschieden sei. Weil sie aber auf dasselbe wirtschaftliche Interesse gerichtet seien, stünden sie in Anspruchskonkurrenz und seien erfüllungskonnex.570 Bei parallelen Herausgabeansprüchen aus Eigentum, Besitz oder Vertrag erkennen sie zwar einen identischen Leistungsinhalt, jedoch ergebe die teleologische Analyse der Anspruchsgrundlagen, dass ihnen verschiedene Funktionen zuzuordnen seien.571 Die Lehre von der Anspruchsnormenkonkurrenz hat sich bisher nicht durchsetzen können. Der BGH geht weiterhin davon aus, dass auch vertragliche und deliktische Ansprüche selbständig sind und grundsätzlich ihren eigenen Regeln folgen.572 Der mangelnde Erfolg der Lehre mag darauf zurückzuführen sein, dass sie das Ziel verfolgt, den materiellen und den prozessualen Anspruchsbegriff wieder zu vereinheitlichen, und dass das materielle Recht auf der einen

564 Bork Allgemeiner Teil des BGB (2001) Rdnr. 293; Jahr FS Lüke (1997), 297 (300); Jauernig/Teichmann BGB (2004) Vor § 823 Rdnr. 3; Larenz/Wolf Allgemeiner Teil des BGB (2004) § 18 Rdnr. 33. 565 MünchKommBGB/Roth Band 2a (2003) § 398 Rdnr. 90. 566 Jahr FS Lüke (1997), 297 (300). 567 Jahr FS Lüke (1997), 297 (300). 568 Zöller/Vollkommer ZPO (2005) Einleitung Rdnr. 70 f. 569 Georgiades Die Anspruchskonkurrenz (1968) S. 164. 570 Georgiades Die Anspruchskonkurrenz (1968) S. 165; a. A. Larenz/Wolf Allgemeiner Teil des BGB (2004) § 18 Rdnr. 34, der auch hier Anspruchsgrundlagenkonkurrenz annimmt. 571 Georgiades Die Anspruchskonkurrenz (1968) S. 166. 572 BGH v. 27.1.2005 JZ 2005, 1167 (1169); Gsell Substanzverletzung und Herstellung (2003) S. 324 m.w. N.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Seite und das Prozessrecht auf der anderen Seite unterschiedliche Belange verfolgen, die kaum einheitliche Grundsätze zulassen.573 Frauke Wernecke umgeht für die Streitgegenstandsbestimmung den Theorienstreit, ob es auch Anspruchsgrundlagenkonkurrenz geben kann, und knüpft an deren gemeinsamen Nenner an: die Erfüllungskonnexität bei Anspruchskonkurrenz. Wie bereits erwähnt [vgl. oben B.II.3.a)] fußt diese Lösung auf Ansichten, die bereits von Karl-Heinz Schwab und Bruno Rimmelspacher entwickelt wurden. Nach dieser Lösung ist bei der Frage der Streitgegenstandsidentität nicht entscheidend, ob materiell-rechtlich besehen ein oder mehrere Ansprüche vorliegen, sondern ob die geltend gemachten Rechtsfolgen aus verschiedenen Anspruchgrundlagen durch dieselbe Handlung erfüllt werden. Dazu stützt man sich auf das von den Anspruchsgrundlagen geschützte Interesse und fragt danach, welche wirtschaftliche Position bzw. welche Handlung dem Anspruchsinhaber zukommen soll. Auf diese Weise wird die Streitgegenstandsbestimmung auf das Interesse zurückgeführt, um das die Parteien im Verfahren streiten. Die Aussagekraft dieser Lösung beschränkt sich freilich auf Leistungsklagen und Anspruchsfeststellungsklagen. b) Die Bedeutung der Rechtssubjekte Frauke Wernecke will aber eine strikte Trennlinie zwischen zwei Verfahrensgegenständen ziehen, wenn die Berechtigten (und wohl dementsprechend auch die Verpflichteten) ausgetauscht werden. So sollen bei einer Abtretung eines von mehreren Ansprüchen, die auf die Befriedigung desselben Interesses gerichtet sind (bei solcher Abtretung entsteht eine Gesamtgläubigerschaft574), allein wegen der entstehenden Mehrheit der Gläubiger auch mehrere Streitgegenstände anzunehmen sein. Die Festlegung des Streitgegenstands sei prinzipiell mit der Identität der Parteien verknüpft.575 Wernecke liegt mit dieser Ansicht auf einer Linie mit der wohl herrschenden Meinung [vgl. oben B.III.1.b) bei Fn. 316 und B.III.14. bei Fn. 504]. Diese Meinung erscheint nicht zwingend begründet. Das gemeinsame, zu befriedigende Interesse von Ansprüchen zugunsten oder gegen unterschiedliche Personen mag im Einzelfall zur Begründung dafür beitragen, auch im Fall mehrerer Klagen mit abweichender Parteibeteiligung die Rechtshängigkeitssperre zu bejahen. Werfen wir also einen Blick darauf, wann Ansprüche mit unterschiedlichen Rechtssubjekten auf dasselbe Interesse gerichtet sind.

573 Arens AcP 170 (1970), 392 (423 f.); Klein Konkurrenz und Auslegung (1997) S. 46; Musielak/Musielak ZPO (2005) Einleitung Rdnr. 73. 574 Palandt/Grüneberg BGB (2006) § 398 Rdnr. 10. 575 Wernecke Streitgegenstand (2003) S. 58 (dort auch Fn. 201).

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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(1) Die Gesamtschuld So liegt es zum Beispiel bei der Gesamtschuld gem. § 421 BGB, bei der der Gläubiger eine Leistung gegenüber zwei oder mehreren Schuldnern, insgesamt aber nur einmal fordern kann. § 422 BGB ordnet nochmals ausdrücklich an, dass die Erfüllung für beide Ansprüche gelten soll. Diese Erfüllungskonnexität gilt als Charakteristikum der Gesamtschuld.576 Dennoch geht die herrschende Meinung von zwei selbständigen materiellen Ansprüchen aus, was sich vor allem daran zeigt, dass ihre getrennte Abtretung für möglich gehalten wird.577 Haften mehrere Schuldner, so besteht Gesamtschuld zunächst in den gesetzlich angeordneten Fällen; dazu gehören zum Beispiel die Haftung mehrerer Schädiger nebeneinander aus unerlaubter Handlung für denselben Schaden gem. § 840 BGB und die Haftung von Schädiger und Versicherung nach dem Pflichtversicherungsgesetz gem. § 3 Nr. 2 PflVG. Nach herrschender Meinung sind die Regeln der Gesamtschuld über diese gesetzliche Anordnung hinaus in weiteren Fällen anwendbar, in denen jeder zur ganzen Leistung verpflichtet ist, der Gläubiger aber nur einmal zu fordern berechtigt ist, wie es der Tatbestand des § 421 BGB besagt.578 Das scheint vorauszusetzen, dass die Leistungspflichten der beiden Schuldner identisch sind. Nach herrschender Meinung reicht es aber aus, wenn dasselbe Leistungsinteresse trotz verschiedener Leistungsinhalte betroffen ist.579 So kann Gesamtschuld auch bestehen, wenn ein Architekt wegen Fehlern in der Bauaufsicht Schadensersatz schuldet, während der Bauunternehmer zunächst Nacherfüllung erbringen muss.580 Dagegen besteht keine Gesamtschuld zwischen Bauunternehmer und Architekt, wenn der vom Architekten zu ersetzende Schaden darauf beruht, dass er es entgegen seiner vertraglichen Pflichten versäumt hat, für die Durchsetzung von Gewährleistungsansprüchen des Bauherrn gegen den Bauunternehmer zu sorgen (vergleichbar mit einem Rechtsanwalt, der die Durchsetzung an sich bestehender Ansprüche vereitelt, insbesondere indem er den Eintritt der Verjährung nicht verhindert).581 Anstatt einer Gesamtschuld liegt in solchen Fällen eine „ersetzende Schuld“ vor [vgl. oben A.III.2.b) bei Fn. 135]. Sind zwei Ansprüche gegen verschiedene Personen nicht auf dasselbe Interesse 576

Bamberger/Roth/Gehrlein BGB Band 1 (2003) § 421 Rdnr. 1. Palandt/Grüneberg BGB (2006) § 425 Rdnr. 9; Derleder FS Heinrichs (1998), 155 ff. (163). 578 § 421 BGB enthält damit nach herrschender Meinung einen allgemeinen Begründungstatbestand für ein Gesamtschuldverhältnis, Staudinger/Noack BGB (2005) § 421 Rdnr. 10 m.w. N. 579 Jauernig/Stürner BGB (2004) § 421 Rdnr. 1; Bamberger/Roth/Gehrlein BGB Band 1 (2003) § 421 Rdnr. 5; Staudinger/Noack BGB (2005) § 421 Rdnr. 32. 580 BGH v. 1.2.1965 BGHZ 43, 227 (232). 581 OLG Zweibrücken v. 30.3.1993 NJW-RR 1993, 1237 (1238). 577

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

gerichtet, besteht sog. Schuldenhäufung. Als Beispiel wird häufig der Käufer genannt, der vorsorglich bei verschiedenen Verkäufern denselben Leistungsgegenstand bestellt.582 Weiterhin wird Gleichstufigkeit der Verpflichtungen verlangt, um die Norm gegen andere Ausgleichsmechanismen abzugrenzen.583 Diese zusätzliche, ungeschriebene Voraussetzung für eine Gesamtschuld ist erforderlich, weil die relativ weite Umschreibung der Gesamtschuld in § 421 BGB auch Fälle der gestuften Haftung einschließt, für die aber andere Ausgleichsmechanismen gelten sollen.584 Sie ist in unserem Zusammenhang nicht mehr interessant, denn auch die anderen Ausgleichsmechanismen reagieren darauf, dass der Gläubiger von mehreren Schuldnern die Leistung nur einmal fordern darf. (2) Vorrangige Haftung eines Schuldners Ein weiterer Ausgleichsmechanismus zwischen Schuldnern ist in § 255 BGB geregelt, der bei Erfüllung durch einen Schuldner den Gläubiger zur Abtretung von weiteren Ansprüchen gegen andere Personen verpflichtet. Ebenso wie die Gesamtschuld hat auch § 255 BGB die Situation im Blick, dass ein Gläubiger zwei oder mehrere Ansprüche hat, die er insgesamt nur einmal soll fordern können.585 Anders als bei der Gesamtschuld wird kein differenziertes Ausgleichssystem zwischen mehreren Schuldnern ermöglicht, sondern der Leistende soll den Anspruch gegen den zweiten Schuldner in voller Höhe geltend machen können. Die Regelung gilt also, wenn der zweite Schuldner vorrangig586 den Schaden tragen soll. Als Beispiel wird stets der Mieter genannt, der fahrlässig den Diebstahl der Mietsache ermöglicht und deshalb Schadensersatz zu leisten hat, während der Dieb als der eigentlich Verantwortliche angesehen wird und deshalb vorrangig Ersatz schuldet.587 Dem § 255 BGB ähnlich sind die gesetzlich angeordneten Forderungsübergänge, beispielsweise in § 67 VVG, § 116 SGB X oder § 6 EFZG.588 Auch diese Normen reagieren darauf, dass ein Geschädigter Ansprüche sowohl gegen den Schädiger als auch gegen sonstige Institutionen (Versicherungen, Arbeitge582

Staudinger/Noack BGB (2005) § 421 Rdnr. 42. Palandt/Grüneberg BGB (2006) § 421 Rdnr. 6; im Einzelnen umstritten, vgl. Staudinger/Noack BGB (2005) § 421 Rdnr. 11 ff. 584 Selb Mehrheiten von Schuldnern und Gläubigern (1984) S. 137. 585 BGH v. 26.1.1989 NJW 1989, 2127 (2128); MünchKommBGB/Oetker Band 2a (2003) § 255 Rdnr. 1. 586 Im Gegensatz zur gleichstufigen Haftung bei der Gesamtschuld gem. §§ 421 ff. BGB, vgl. MünchKommBGB/Oetker Band 2a (2003) § 255 Rdnr. 2 ff.; Bamberger/ Roth/Grüneberg BGB Band 1 (2003) § 255 Rdnr. 2. 587 Jauernig/Stadler BGB (2004) § 255 Rdnr. 1. 588 Dazu Selb Mehrheiten von Schuldnern und Gläubigern (1984) S. 140 ff. 583

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ber) hat, diese Ansprüche aber nicht kumulativ geltend machen kann.589 Anders als § 255 BGB geben sie keinen Anspruch auf Abtretung, sondern ordnen die Legalzession des Anspruchs gegen den Dritten zugunsten der Versicherung bzw. des Arbeitgebers an. Damit sind sie gegenüber § 255 BGB speziell und verdrängen diese Vorschrift im Wege der Gesetzeskonkurrenz.590 Zugleich schließen sie auch eine Gesamtschuldnerstellung aus; der gesetzliche Forderungsübergang ist ein anderer Ausgleichsmechanismus und verdeutlicht, dass die Schuldner nicht gleichstufig haften.591 Legalzessionen gibt es auch bei akzessorischen Haftungsverhältnissen. So erwirbt der Bürge, soweit er den Gläubiger befriedigt, gem. § 774 BGB die durch die Bürgschaft gesicherte Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner. Entsprechendes gilt gem. § 1225 BGB für den Verpfänder und gem. § 1143 BGB für den Grundstückeigentümer, der zur Sicherung einer Forderung eine Hypothek bestellt hat. Außerdem ist die Existenz des akzessorischen Sicherungsrechts mit dem Bestehen der gesicherten Forderung verknüpft; wenn die Hauptforderung erlischt, erlischt auch die Bürgschaftsschuld gem. § 767 Abs. 1 BGB bzw. das Pfandrecht gem. § 1252 BGB (zur Hypothek vgl. §§ 1163, 1164 BGB). Der Gläubiger hat hier stets mehrere Ansprüche, einerseits wegen der gesicherten Forderung, anderseits aus dem akzessorischen Sicherungsrecht. Die Legalzession und die Verknüpfung in der Existenz bringen zu Ausdruck, dass dem Gläubiger insgesamt nur einmal Befriedigung gebührt.592 Die Erfüllung eines Anspruchs bleibt deshalb nicht ohne Einwirkung auf den anderen Anspruch. Auch bei akzessorischer Haftung geht es deshalb um Ansprüche gegen verschiedene Personen wegen desselben Interesses. Der Hauptschuldner haftet vorrangig. Wird der Ausgleich zwischen mehreren Schuldnern durch Legalzession oder Anspruch auf Abtretung (§ 255 BGB) geregelt, nennt man das Verhältnis der Schuldner untereinander zum Teil auch „unechte Gesamtschuld“.593 Das ist etwas verwirrend, denn die Regeln der Gesamtschuld gem. §§ 421 ff. BGB finden – von wenigen umstrittenen Ausnahmen abgesehen – gerade keine Anwendung. Es drückt aber die Gemeinsamkeit der Gesamtschuldregeln und der Zessionsregeln aus, die in der Funktion eines Ausgleichs unter mehreren Schuldnern besteht.594 Sie sollen eine ungerechtfertigte Bereicherung des Gläubigers oder eines Schuldners verhindern.595 589 Vgl. zu § 6 EFZG und § 116 SGB X Löwisch Arbeitsrecht (2002) Rdnr. 1084 ff. 590 Bamberger/Roth/Grüneberg BGB Band 1 (2003) § 255 Rdnr. 2. 591 Jauernig/Stürner BGB § 421 Rdnr. 6; Selb Mehrheiten von Schuldnern und Gläubigern (1984) S. 42. 592 Lettl JA 2004, 238 (246). 593 Bamberger/Roth/Gehrlein BGB Band 1 (2003) § 421 Rdnr. 14 f.; MünchKommBGB/Bydlinski Band 2a (2003) § 421 Rdnr. 60 ff.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

(3) Zwischenergebnis Die beschriebenen materiell-rechtlichen Konstellationen zeigen die Gemeinsamkeit, dass die Erfüllung durch einen Schuldner den Anspruch gegen den anderen Schuldner nicht unbeeinflusst lässt. Der Gläubiger soll die Leistung nur einmal erhalten, die Schuldner müssen insgesamt nur einmal leisten. Insofern ist das materielle Interesse in zwei parallelen Klagen identisch. Das gilt auch für die Schuldner, denn die tatsächliche Durchsetzung des Anspruchs, um den die Beteiligten eines Verfahrens streiten, betrifft auch die Rechtsstellung des unbeteiligten Schuldners: Die Leistung des einen Schuldners sorgt für den Untergang bzw. den Übergang des Anspruchs gegen den anderen Schuldner. Nach der Diktion der Drouot-Entscheidung müssen die Interessen zwischen den Schuldnern auch „untrennbar verbunden sein“. Verbindendes Element zwischen den Ansprüchen gegen die Schuldner ist der Ausgleichs- oder Rückgriffsanspruch, der prinzipiell zwischen ihnen bestehen kann. c) Parallelen im englischen und französischen Recht Art. 21 EuGVÜ und Art. 27 EuGVO setzen parallele Verfahren in verschiedenen Mitgliedstaaten voraus, in denen unterschiedliche Rechtsordnungen zur Anwendung kommen können. Unsere Überlegung ging dahin, dass die Rechtshängigkeitssperre bei Klagen unter Beteiligung verschiedener Personen auf Durchsetzung von Ansprüchen, die der Befriedigung desselben Interesses dienen, eingreifen kann. Von diesem Ansatz aus erscheint eine Untersuchung erforderlich, ob es in anderen Rechtsordnungen vergleichbare Strukturen gemeinsamer Haftung mehrerer Personen für dasselbe Interesse gibt. Wegen ihrer Bedeutung sollen exemplarisch das englische und das französische Recht untersucht werden. (1) Gesamtschuld nach englischem Recht Wenn zwei oder mehrere Personen einem Vertragspartner versprechen, dieselbe Leistung zu erbringen, so kann es sich um „joint liability“ oder „joint and several liability“ handeln. Bei „joint liability“ geben die Schuldner ein gemeinschaftliches Leistungsversprechen ab, so dass nach englischer Doktrin nur eine Verbindlichkeit entsteht. Wenn sie dagegen auch eigenständige Versprechen zur Leistung abgeben, dann handelt es sich um „joint and several liability“ mit der Folge, dass mehrere Verpflichtungen entstehen. In beiden Fällen aber hat die Erfüllung durch einen Schuldner Gesamtwirkung.596 Jeder Schuld594 Rechtsvergleichend Friedmann/Cohen International Encyclopedia Vol. X Chapter 11 (1991) S. 21. 595 von Caemmerer FS Rabel (1954), 333 (362 f.).

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ner ist zur gesamten Leistung verpflichtet, der Gläubiger darf sie aber nur einmal verlangen. Wenn im Deliktsrecht zwei oder mehrere Personen für denselben Schaden verantwortlich sind, so gibt es wiederum verschiedene Arten der Gesamtschuld: Es gibt „joint tortfeasors“, die für dieselbe Handlung haften; dazu gehören gemeinschaftlich handelnde Personen oder Personen, die eine gemeinschaftliche Pflicht haben und diese verletzen, sowie die „vicarious liability“597, also die Haftung des Verrichtungsgehilfen und die Haftung des Geschäftsherrn für den Verrichtungsgehilfen.598 Handeln mehrere Schädiger dagegen unabhängig voneinander, so ist ihre Haftung „several“.599 Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten der Gesamtschuld waren früher beträchtlich, haben sich aber verringert.600 Bei allen Ausgestaltungen gilt, dass die Erfüllung durch einen Schuldner auch die anderen befreit, gleich ob es sich um joint oder several liability handelt.601 Unter gewissen Umständen kann der erfüllende Schuldner von den übrigen Schuldnern einen Ausgleich (contribution) verlangen. Bei vertraglich begründeter Gesamtschuld haben sowohl „joint debtors“ als auch „joint and several debtors“, die hinsichtlich derselben Schuld haften, untereinander einen Ausgleichsanspruch, sofern nicht anderes vereinbart wurde.602 Nach common law gilt dies auch bei vergleichbaren bzw. ähnlichen Verpflichtungen wie beispielsweise bei mehreren Bürgen, Versicherungen oder Sicherungsgebern.603 Hat sich ein Geschädigter bei mehreren Versicherungen versichert, hat die ausgleichende Versicherung gegenüber den übrigen einen Ausgleichsanspruch, wenn „dasselbe Interesse“ versichert worden ist.604 Haften mehrere Personen hinsichtlich desselben Schadens, gleich ob es sich um Haftung aus Delikt oder wegen Vertragsbruchs handelt, so gibt section 1 des Civil Liability (Contribution) Act 1978 (kurz: CLA 1978) einen Anspruch auf Ausgleich.605 Diese gesetzliche Regelung än596

Chitty on Contracts/Burrows Vol. 1 (1999) Rdnr. 18-002 f. Betrifft vor allem die Haftung von Arbeitgebern für deliktisches Handeln ihrer Arbeitnehmer, vgl. Weir Tort Law (2002), der einen Vergleich zum deutschen § 831 BGB zieht. 598 Mullis/Oliphant Torts (2003) S. 353; Friedmann/Cohen International Encyclopedia Vol X Chapter 11 S. 14. 599 Mullis/Oliphant Torts (2003) S. 353. 600 Butterworths The Law of Tort (2002) Rdnr. 4.8 für Tort Law. 601 Friedmann/Cohen International Encyclopedia Vol X Chapter 11 S. 14; Chitty on Contracts/Burrows Vol. 1 (1999) Rdnr. 18-014. 602 Chitty on Contracts/Burrows Vol. 1 (1999) Rdnr. 18-027 f. 603 Andrews English civil procedure (2003) Rdnr. 11.72. 604 Hodgin Insurance Law (2002) S. 652. 605 Zur geschichtlichen Entwicklung der Rechtslage bis zum CLA 1978 vgl. Royal Brompton Hospital NHS Trust v Hammond [2002] 1 WLR 1397 (1400 ff. Lord Bingham of Cornhill) (HL). 597

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

derte die alte Rechtslage im common law, nach der kein Ausgleich verlangt werden konnte.606 Die Vorschrift gewährt auch bei vertraglicher Schadensersatzhaftung einen Ausgleichsanspruch, wenn beide Schuldner aufgrund verschiedener Verträge haften und daher keine „joint debtors“ sind.607 Hintergrund des Ausgleichs zwischen mehreren Schuldnern ist der Gedanke des Bereicherungsverbots: Kein Schuldner soll davon profitieren, dass ein anderer auch ihn entlastet. Es sei ein Gebot der Gerechtigkeit, die Lasten untereinander aufzuteilen.608 Der beklagte Schuldner kann weitere Schuldner in die laufende Klage mit hineinziehen, indem er sie auf Ausgleich verklagt („claim for contribution“).609 Eine solche Klage gem. CPR 20.2 (2) ist gem. CPR 20.6 (2) (b) grundsätzlich nur mit Zustimmung des Gerichts möglich; ausnahmsweise bedarf es der gerichtlichen Erlaubnis nicht, wenn die Klage gem. CPR 20.6 (2) (a) in gewissem zeitlichen Zusammenhang mit der Klageerwiderung erhoben wird. Dritte, die auf diesem Weg in den Prozess einbezogen werden, erlangen Parteistatus.610 Eine Erstreckung der Rechtskraft auf solche neuen Parteien ist unproblematisch.611 Wie bereits im deutschen Recht gezeigt, wirft die rechtliche Verknüpfung beider Gesamtschuldner durch den Ausgleichsanspruch auch im englischen Recht prozessrechtliche Probleme auf. Wenn sich ein angeblicher Gesamtschuldner erfolgreich gegen den klagenden Gläubiger verteidigt hat, soll er dann noch Ausgleich an einen anderen Gesamtschuldner leisten müssen, der in seiner Klage gegen ihn behauptet, dass er doch Gesamtschuldner ist und dem Gläubiger für denselben Schaden haftete? Section 1 (5) des CLA 1978 gibt darauf eine Antwort: „A judgment given in any action brought in any part of the United Kingdom by or on behalf of the person who suffered the damage in question against any person from whom contribution is sought under this section shall be conclusive in the proceedings for contribution as to any issue determined by that judgment in favour of the person from whom the contribution is sought.“ 606

Mullis/Oliphant Torts (2003) S. 354. Chitty on Contracts/Burrows Vol. 1 (1999) Rdnr. 18-029, der das Beispiel der Ersatzhaftung von Architekt und Bauunternehmer für denselben Schaden des Bauherrn nennt; vgl. die gesamtschuldnerische Haftung in solchen Fällen nach deutschem Recht: BGH v. 1.2.1965 BGHZ 43, 227. 608 Royal Brompton Hospital NHS Trust v Hammond [2002] 1 WLR 1397 (1400 dort Rdnr. 2 Lord Bingham of Cornhill) (HL); Butterworths The Law of Restitution (2002) Rdnr. 7.2. 609 Blackstone’s Civil Practice (2004) Rdnr. 29.2. 610 Dies folgt aus der Regel, dass „Part 20 claims“ gem. CPR 20.3 (1) grundsätzlich wie jede andere Klage zu behandeln sind, vgl. auch Kraft Grenzüberschreitende Streitverkündung und Third Party Notice (1997) S. 199 zur Vorgängerregelung der RSC. 611 Ein Beispiel in Gregson v Evangelou [2003] EWHC 332 (Drittwiderklage nach CPR 20.2 (1) (a)). 607

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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Konnte also ein angeblicher Gesamtschuldner die gegen ihn gerichtete Klage erfolgreich abwehren, dann kann ein anderer Schuldner nicht mehr in einer Klage auf Ausgleich behaupten, er müsse dennoch in Gesamtschuldnerstellung für den Schaden haften.612 Die Vorschrift hat den Sinn, dem angeblichen Schuldner einen zweiten Prozess über das Bestehen seiner Haftung zu ersparen. Daher soll sie nicht eingreifen, wenn es sich ohnehin um einen Prozess handelt, in dem der Gläubiger beide angeblichen Gesamtschuldner verklagt und zugleich Gesamtschuldner Nr. 1 seinen Mitbeklagten Gesamtschuldner Nr. 2 nach CPR 20.6 auf Ausgleich verklagt. Setzt sich der Kläger nur gegen Gesamtschuldner Nr. 1 durch und unterliegt gegen Gesamtschuldner Nr. 2, so kann sich letzterer in der Klage auf Ausgleich nicht auf Section 1 (5) CLA 1978 berufen.613 (2) Gesamtschuld nach französischem Recht Das französische Schuldrecht kennt zwei Arten der Gesamtschuld: Die „obligation solidaire“ und die „obligation in solidum“.614 Die „obligation solidaire“ ist in den Artt. 1200 ff. Code civil gesetzlich geregelt. Sie ist gem. Art. 1202 Code civil nur gegeben, wenn sie ausdrücklich vereinbart wurde oder gesetzlich angeordnet ist. Darunter fallen nicht mehrere Schädiger, die einen gemeinsamen Schaden verursachen. Hier waren Rechtsprechung und Wissenschaft gezwungen, eine eigene Rechtsfigur zu entwickeln; sie wird „obligation in solidum“ genannt.615 Beiden Formen der Gesamtschuld ist gemein, dass mehrere Schuldner eine Leistung schulden, und zwar jeder in der vollen Höhe; die Erfüllung durch einen Schuldner befreit auch die anderen. Für die „obligation solidaire“ ergibt sich das aus Art. 1200 Code civil. Ausdrücklich gesetzlich angeordnet ist die „obligation solidaire“ nur vereinzelt, beispielsweise bei Eltern, die für ihre Kinder haften, wenn sie gemeinsam sorgeberechtigt sind und die Kinder in ihrem Haushalt leben (vgl. Art. 1384 Abs. 4 Code civil).616 Die „obligation solidaire“ ist verbreiteter im Handelsrecht; dort gibt es eine Vermutung für „obligation solidaire“, die strikte Regel des Art. 1202 Code civil gilt dort nicht.617 612 Moy v Petterman Smith [2002] EWCAciv 875 dort Rdnr. 10 f.; Gregson v Evangelou [2003] EWHC 332 dort Rdnr. 15, 29. 613 Moy v Petterman Smith [2002] EWCAciv 875 dort Rdnr. 10 f.; obwohl die Situation in Gregson v Evangelou [2003] EWHC 332 ähnlich war, wurde dort diese teleologische Reduktion der Vorschrift nicht erwogen. 614 Friedmann/Cohen International Encyclopedia Vol X Chapter 11 S. 8. 615 Friedmann/Cohen International Encyclopedia Vol X Chapter 11 S. 8; zur Entwicklung auch Terré/Simler/Lequette Droit civil Les obligations (2002) Rdnr. 1261 m.w. N. aus der älteren Rechtsprechung. 616 Weitere Beispiele bei Terré/Simler/Lequette Droit civil Les obligations (2002) Rdnr. 1250. 617 Cass. comm. v. 28.4.1987 (nº de pourvoi 85-17093) Bull. civ. 1987 IV nº 103; Bénabent Droit civil Les obligations (2001) Rdnr. 791.

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Für die „obligation in solidum“ hat die Rechtsprechung eine ähnliche Regel aufgestellt: Wenn mehrere Personen für denselben Schaden verantwortlich sind, muss jeder von ihnen den vollen Ersatz leisten; die Tatsache, dass noch andere Personen haften, beeinflusst die Höhe der Schadensersatzpflicht des Einzelnen nicht.618 „Obligation in solidum“ gibt es daher vor allem im Deliktsrecht, wenn mehrere Personen gemeinschaftlich einen Schaden oder mehrere Personen unabhängig voneinander denselben Schaden verursacht haben, ebenso auch im Vertragsrecht, wenn mehrere Vertragspartner wegen Pflichtverletzung für denselben Schaden haften. Schließlich erfasst sie auch die parallele Haftung aufgrund Vertrags und Delikts für denselben Schaden.619 Es liegen aber mehrere Ansprüche vor.620 Die Leistung eines Schuldners wirkt auch für die anderen. Eine weitere Klage gegen andere Schuldner nach Zahlung durch einen von ihnen ist nicht möglich.621 Nach einer Meinung fehle dem Gläubiger zu solchem Vorgehen das Interesse, denn er habe nun keinen Nachteil mehr.622 Für den Ausgleich unter den Gesamtschuldnern bei der „obligation solidaire“ stehen zwei Wege zur Verfügung: ein eigener Anspruch des zahlenden Schuldners gem. Artt. 1213, 1214 Code civil623 und zusätzlich die Ansprüche des Gläubigers gegen die übrigen Gesamtschuldner, die im Wege der „subrogation“ gem. Art. 1251 nº 3 Code civil geltend gemacht werden können. Wegen des Ausgleichsanspruchs kann der verklagte Gesamtschuldner gegen die übrigen Schuldner im Prozess „appel en garantie“ einlegen.624 „Appel en garantie“ ist eine Form der „intervention forcée“, die von einer Partei eines Prozesses gegenüber Dritten zur Durchsetzung von Ausgleichs- und Regressansprüchen betrieben werden kann. Gem. Art. 331 NCPC kann der Streitverkündende wählen zwischen einer Streitverkündung, die zur Titulierung eines Anspruch führen kann (Art. 331 Abs. 1 NCPC), und einer solchen, die lediglich den Dritten an das Urteil bindet (Art. 331 Abs. 2 NCPC). Die erste Form ist eine echte Drittklage, für die gem. Art. 333 NCPC das Gericht des Hauptprozesses zuständig ist, ungeachtet der eigentlich gegebenen Gerichtsstände und sogar entgegen anderslautender Gerichtsstandsvereinbarungen. Die zweite Form ähnelt in ihren 618 Cass. civ. v. 26.3.1996 (nº de pourvoi 94-12228) Bull. civ. 1996 I nº 154; Cass. civ. v. 31.10.2001 (nº de pourvoi 00-13763) Bull. civ. 2001 III nº 115. 619 Terré/Simler/Lequette Droit civil Les obligations (2002) Rdnr. 1262. 620 Terré/Simler/Lequette Droit civil Les obligations (2002) Rdnr. 1262. 621 Cass. civ. v. 31.10.2001 (nº de pourvoi 00-13763) Bull. civ. 2001 III nº 115; Terré/Simler/Lequette Droit civil Les obligations (2002) Rdnr. 1262. 622 Friedmann/Cohen International Encyclopedia Vol X Chapter 11 S. 9. 623 Terré/Simler/Lequette Droit civil Les obligations (2002) Rdnr. 1259 stützt den eigenen Anspruch auf „mandat“ oder „gestion d’affaires“; für sie haben die Artt. 1213, 1214 Code civil anscheinend nur Bedeutung für die Aufteilung pro Kopf. 624 Bénabent Droit civil Les obligations (2001) Rdnr. 793; Terré/Simler/Lequette Droit civil Les obligations (2002) Rdnr. 1253 für „obligation solidaire“: „Le débiteur (. . .) peut seulement appeler ses codébiteurs en garantie (. . .)“.

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Wirkungen der deutschen Streitverkündung.625 Durch „intervention forcée“ wird der Dritte am Prozess als Partei beteiligt; eine „tierce opposition“ dieses Dritten gegen das Urteil ist dann nicht mehr möglich, denn dieses Mittel steht nur am Prozess nicht Beteiligten zur Verfügung. Durch „intervention forcée“ wird also die Rechtskrafterstreckung auf die Ausgleichsschuldner abgesichert.626 Bei einer „obligation in solidum“ gilt ebenfalls Art. 1251 nº 3 Code civil.627 Folglich kann der zahlende Schuldner hier im Weg der „subrogation“ einen Ausgleich erlangen. Das gilt bei mehreren deliktischen Schädigern und für Vertragspartner des geschädigten Gläubigers, die denselben Schaden durch Bruch verschiedener Verträge verursachen.628 Die Cour de cassation hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1978 darüber hinaus auch einen direkten Ausgleichsanspruch zwischen den Gesamtschuldnern anerkannt und ihn auf Art. 1214 Code civil gestützt.629 Diese Vorschrift gilt eigentlich nur für die „obligation solidaire“. Beide Formen der Gesamtschuld nähern sich damit einander an.630 (3) Zwischenergebnis zur Gesamtschuld Wichtiges Wesensmerkmal der Gesamtschuld ist nach den untersuchten Rechtsordnungen die Gesamtwirkung der Erfüllung durch einen Schuldner auch zugunsten der anderen Schuldner. Ob Gesamtschuld auch jenseits einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung im Einzelfall vorliegt, beurteilen das englische und französische Recht nicht einheitlich nach „demselben Leistungsinteresse“. Zentraler Begriff ist eher „derselbe Schaden“, für den die Schuldner haften müssen, damit Gesamtschuld vorliegt. Konkretere Anweisungen, wie die Frage der Schadensidentität zu beurteilen ist, fehlen. Es wird sich mangels Alternative um eine wertende Betrachtung anhand des Zwecks der Anspruchsgrundlagen und damit um eine vergleichbare Bestimmung wie beim „Interesse“ handeln. Damit ist der Schaden nur eine spezielle Bezeichnung des Interesses im für die Gesamtschuld wichtigen Bereich des Schadensersatzrechts. Die Erfüllungskonnexität von Ansprüchen gegen verschiedene Personen wird also übereinstimmend beurteilt.

625 626

Stürner FS Geimer (2002), 1307 (1311). Couchez Procédure civile (1998) Rdnr. 1042; Spellenberg ZZP 106 (1993), 283

(307). 627 Dalloz Code civil (2004) Art. 1251 nº 4; Terré/Simler/Lequette Droit civil Les obligations (2002) Rdnr. 1263 dort S. 1173 Fn. 2 m.w. N. 628 Friedmann/Cohen International Encyclopedia Vol X Chapter 11 S. 9. 629 Cass. civ. v. 7.6.1977 (nº de pourvoi 76-10143) Bull. civ. 1977 I nº 266; Terré/ Simler/Lequette Droit civil Les obligations (2002) Rdnr. 1263 dort S. 1173 Fn. 2 erkennt „gestion d’affaires“ als Grundlage für den Regressanspruch. 630 Friedmann/Cohen International Encyclopedia Vol X Chapter 11 S. 10; Bénabent Droit civil Les obligations (2001) Rdnr. 794 sieht ebenfalls nur geringe Unterschiede.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Ebenso wie im deutschen Recht halten auch die englische und französische Rechtsordnung Ausgleichsansprüche unter den Gesamtschuldnern bereit. Während im deutschen Recht ein beklagter Schuldner diese Ansprüche prozessual nur durch die Streitverkündung sichern kann [vgl. oben B.III.11. bei Fn. 467], erlauben das englische und französische Recht im laufenden Prozess eine Drittklage zur Durchsetzung dieser Ansprüche. (4) Bürgschaft nach englischem Recht Die Bürgschaft wird im englischen Recht „suretyship“ oder „guarantee“ genannt. Sie ist ebenso wie im deutschen Recht ein persönliches Sicherungsmittel631 und wird durch Vertrag zwischen dem Gläubiger (creditor) und dem Bürgen (surety, guarantor) begründet. Die Bürgschaft ist abzugrenzen von einer vertraglich übernommenen Garantie für den Zustand eines Vertragsgegenstands (warranty) und einem selbständigen Garantievertrag, in dem der Garantiegeber für den Ersatz bestimmter Schäden einsteht (contract of indemnity).632 Die Unterscheidung ist nicht immer eindeutig, die Übergänge können fließend sein.633 Der Bestand der Bürgschaftsforderung ist ähnlich wie im deutschen Recht von der Hauptschuld abhängig. Ist die zu sichernde Forderung zwischen Gläubiger und Hauptschuldner (principal debtor) nichtig, so ist auch der Bürge nicht gebunden.634 Wird die Hauptschuld erfüllt, erlischt auch die Bürgschaftsforderung.635 Der Bürgschaft wird infolgedessen das Attribut „akzessorisch“ verliehen, auch wenn dieser Begriff in englischer Literatur nicht auftaucht.636 Wenn der Bürge zahlt, erhält er einen Rückgriffsanspruch gegen den Hauptschuldner. Dieser Rückgriffsanspruch beruht auf dem Vertrag oder er ergibt sich aus einem Bereicherungsanspruch; er ist ausnahmsweise nur dann ausgeschlossen, wenn die Initiative, eine Bürgschaft einzugehen, nicht vom Hauptschuldner, sondern vom Gläubiger ausgeht.637 Daneben greift die „subrogation“ ein, derzufolge der Bürge die Forderung und Rechte des Gläubigers gegen den Hauptschuldner übernimmt und vor Gericht geltend machen kann. Die „subro-

631 Vgl. generell Bradgate Commercial Law (2000) Chapter 23; Triebel/Hodgson/ Kellenter/Müller Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht (1995) Rdnr. 364 ff. 632 Triebel/Hodgson/Kellenter/Müller Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht (1995) Rdnr. 364. 633 Bradgate Commercial Law (2000) Rdnr. 23.0.2. 634 Charlesworth’s Mercantile Law (1984) S. 484. 635 Bradgate Commercial Law (2000) Rdnr. 23.1.4. 636 Triebel/Hodgson/Kellenter/Müller Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht (1995) Rdnr. 366. 637 Bradgate Commercial Law (2000) Rdnr. 23.2.1.1; Charlesworth’s Mercantile Law (1984) S. 489.

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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gation“ ist unabhängig von der Initiative zur Bürgschaftsbestellung und gilt folglich auch dann, wenn sich nicht der Hauptschuldner um die Bürgschaft bemüht hat. Die Rechtsübernahme erfolgt nur dann, wenn die Hauptschuld vollständig getilgt wurde oder aber bei einer Bürgschaft nur über einen Forderungsteil dieser verbürgte Teil vollständig beglichen wurde.638 Der Bürge kann seinen Rückgriffsanspruch noch im laufenden Prozess per „Part 20 claim“ geltend machen.639 Der Hauptschuldner wird dann ebenfalls Partei des Verfahrens [vgl. oben bei Fn. 610]. (5) Bürgschaft nach französischem Recht Die gesetzlichen Vorschriften zur Bürgschaft („cautionnement“) finden sich in den Artt. 2011 bis 2043 Code civil. Sie ist als Vertrag zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger der zu sichernden Hauptschuld ohne notwendige Beteiligung des Hauptschuldners konzipiert.640 Ihre Funktion ist auch in Frankreich die einer Sicherheit für eine andere Schuld.641 Die Bürgschaft hat akzessorischen Charakter.642 Das äußert sich zum einen in der existentiellen Verknüpfung zwischen Hauptschuld und Bürgschaftsforderung: Besteht die Hauptschuld nicht (etwa weil sie nichtig ist), dann entsteht gem. Art. 2012 Code civil auch keine Bürgschaftsverpflichtung. Wird die Hauptschuld durch den Hauptschuldner getilgt, erlischt auch die Bürgschaftsforderung.643 Zum anderen kann der Bürge wegen der Akzessorietät gem. Art. 2036 Code civil alle dem Hauptschuldner zustehenden Einreden auch gegen die Bürgschaftsforderung erheben, sofern sie nicht höchstpersönlich sind.644 Grundsätzlich steht dem Bürgen gem. Art. 2021 Code civil die Einrede der Vorausklage zu, so dass der Gläubiger zunächst Befriedigung beim Hauptschuldner suchen muss. Die Bürgschaft nennt sich „cautionnement simple“. Auf die Vorausklage kann gem. Art. 2021 Code civil verzichtet werden; sie gilt nach dieser Vorschrift ebenfalls nicht, wenn sich der Bürge „solidairement“, d.h. gesamtschuldnerisch verpflichtet hat. Wegen der im Einzelnen recht komplizierten

638 639 640 641

Bradgate Commercial Law (2000) Rdnr. 23.2.1.2. Blackstone’s Civil Practice (2004) Rdnr. 29.3 m.w. N. aus der Rechtsprechung. Ferid/Sonnenberger Das französische Zivilrecht Band 2 (1986) Rdnr. 2 M 6. Delebecque Répertoire de droit civil Dalloz (2001), Stichwort „cautionnement“

nº 8. 642 Cass. comm. v. 18.6.2000 (nº de pourvoi 96-20798) Bull. civ. 2000 IV nº 11; Delebecque Répertoire de droit civil Dalloz (2001), Stichwort „cautionnement“ nº 25; Ferid/Sonnenberger Das französische Zivilrecht Band 2 (1986) Rdnr. 2 M 5. 643 Delebecque Répertoire de droit civil Dalloz (2001), Stichwort „cautionnement“ nº 249; Ferid/Sonnenberger Das französische Zivilrecht Band 2 (1986) Rdnr. 3 M 40. 644 Dazu Ferid/Sonnenberger Das französische Zivilrecht Band 2 (1986) Rdnr. 2 M 28.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

und unhandlichen Einrede der Vorausklage wird tatsächlich in den meisten Fällen eine gesamtschuldnerische Bürgschaft vereinbart.645 Hat der Bürge an den Gläubiger gezahlt, kann er beim Hauptschuldner Regress nehmen. Dazu stehen zwei Wege zur Verfügung: ein eigenständiger Anspruch gem. Art. 2028 Code civil und der per „subrogation“ gem. Artt. 1251 nº 3, 2029 Code civil übergegangene Anspruch des Gläubigers gegen den Hauptschuldner.646 Der zweite Weg des Rückgriffs aufgrund ehemaliger Rechte des Gläubigers hat den Vorteil, dass auch Sicherheiten dieser Forderung nun dem Bürgen zustehen.647 Zur Durchsetzung des Rückgriffsanspruchs im selben Prozess steht dem Bürgen der „appel en garantie“ gem. Art. 331 NCPC zur Verfügung.648 (6) Zwischenergebnis zur Bürgschaft In den untersuchten Rechtsordnungen ist die Bürgschaft im Ergebnis akzessorisch; d.h. die Erfüllung der Hauptschuld bringt auch die Bürgschaftsforderung zum Erlöschen. Umgekehrt bleibt auch die Erfüllung der Bürgschaft nicht ohne Folgen für die Hauptschuld, sie geht auf den zahlenden Bürgen zur Absicherung seines Rückgriffs über. Diesen Rückgriffsanspruch kann der Bürge nach französischem und englischem Recht sofort gegenüber dem Hauptschuldner bei Klage des Gläubigers im Wege einer Drittklage geltend machen. Nach deutschem Recht bleibt ihm die Streitverkündung gem. § 72 ZPO, um seinen Regressanspruch zu sichern.649 d) Teilergebnisse für den Fortgang der Untersuchung Sowohl bei der Gesamtschuld als auch bei der Bürgschaft bleibt nach den untersuchten Rechtsordnungen die Erfüllung der einen Schuld nicht ohne Einfluss auf die andere Schuld: Entweder sie erlischt ebenfalls, oder sie geht auf den Leistenden über. Materiell-rechtlich haben die parallel bestehenden Forderungen gegen die Gesamtschuldner bzw. gegen Hauptschuldner und Bürgen für den Gläubiger dieselbe Funktion; sie sind folglich auf dasselbe Interesse gerichtet. Alle Rechtsordnungen sehen einen Ausgleichs- oder Rückgriffsanspruch zwischen den Schuldnern vor, der eine Verbindung zwischen den Ansprüchen schafft. 645

Ferid/Sonnenberger Das französische Zivilrecht Band 2 (1986) Rdnr. 2 M 32. Delebecque Répertoire de droit civil Dalloz (2001), Stichwort „cautionnement“ nº 225. 647 Ferid/Sonnenberger Das französische Zivilrecht Band 2 (1986) Rdnr. 2 M 34. 648 Couchez Procédure civile (1998) Rdnr. 1041; Spellenberg ZZP 106 (1993), 283 (306). 649 Musielak/Weth ZPO (2005) § 72 Rdnr. 6; Wieczorek/Schütze/Mansel ZPO Band I/2 (1994) § 72 Rdnr. 52. 646

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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Versteht man den Begriff des „Interesses“ aus der Drouot-Entscheidung in diesem materiell-rechtlichen Sinne, erhält man also die Vorgabe, dass auch nicht beteiligte Gesamtschuldner und im Falle der Bürgschaft der nicht beteiligte Bürge bzw. Hauptschuldner von der Rechtshängigkeitssperre gem. Art. 27 EuGVO erfasst werden sollen. Im Folgenden soll untersucht werden, ob die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre auf diese Personengruppen gerechtfertigt ist. 7. Rechtshängigkeitssperre bei der Gesamtschuld Ausgehend von der Tatsache, dass die Ansprüche gegen die Gesamtschuldner der Befriedigung desselben Interesses dienen, kann man die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre auf nicht beteiligte Gesamtschuldner bereits mit dem Zweck der Rechtshängigkeitssperre, für Prozesswirtschaftlichkeit zu sorgen, begründen: Wird bereits in einem Verfahren um das betreffende Interesse gestritten, so bedarf es nicht unbedingt eines zweiten Verfahrens; das erste kann bereits Erfolg bringen, so dass sich jedes weitere Verfahren als überflüssig erweisen würde. Außerdem bietet Art. 6 Nr. 1 EuGVO einen gemeinsamen Gerichtsstand für eine Klage gegen mehrere Gesamtschuldner.650 Durch die Rechtshängigkeitssperre kann der Gläubiger dazu angehalten werden, diesen gemeinsamen Gerichtsstand zu einer konzentrierten Klage zu nutzen. Darin liegt auch der Vorteil gegenüber der Aussetzung des zweiten Verfahrens gem. Art. 28 EuGVO, die diese Konzentration sogar verhindert, weil die zweite Klage parallel rechtshängig bleibt. Schließlich spricht auch die mögliche Existenz von Ausgleichsansprüchen unter den Gesamtschuldnern für eine Erstreckung. Alle Rechtsordnungen erlauben den Prozessparteien, diese Ansprüche gegen dritte Gesamtschuldner per Regressklage in das Verfahren einzuführen oder zumindest per Streitverkündung zu sichern [vgl. oben C.III.6.c)(3)]. Erlaubte man parallele Klagen gegen diese Personen, so müssten sie sich in zwei Prozessen gleichzeitig verteidigen. Die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre auf nicht beteiligte Gesamtschuldner verhindert dies und erlaubt ihnen, sich auf eine zu erwartende Prozessbeteiligung im ersten Verfahren zu konzentrieren. Fände eine parallele Klage gegen einen Gesamtschuldner in England statt, so drohte wegen der speziellen Rechtskrafterstreckung gem. section 1 (5) CLA 1978 [vgl. oben C.III.6.c)(1)] eine unvereinbare Entscheidung: Könnte ein Gesamtschuldner die gegen ihn gerichtete Klage in England abwehren und hätte in einer gleichzeitig ablaufenden Klage im Ausland der dortige beklagte Gesamtschuldner Regressklage gegen den ers650 Geimer/Schütze EuZVR (2004) A.1 Art. 6 Rdnr. 20; Rauscher/Leible EuZPR (2004) Art. 6 Brüssel I-VO Rdnr. 8; Schack IZVR (2002) Rdnr. 359; Schlosser EUZPR (2003) Art. 6 EuGVVO Rdnr. 4.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

ten Gesamtschuldner erhoben, so wäre die stattgebende Entscheidung über die Regressklage in England mit der englischen Entscheidung nicht vereinbar; gem. section 1 (5) CLA 1978 hätte das Regressurteil in England so nicht ergehen können. All diese Argumente sind bereits aus den Untersuchungen zum deutschen Recht [vgl. oben B.III.11.] bekannt. Sie gelten auch im europäischen Zivilprozessrecht. Darüber hinaus können im Einzelfall unvereinbare Entscheidungen drohen. Ausgehend von unserer Prämisse, dass sich die Reichweite der Unvereinbarkeit gem. Art. 34 Nr. 3 EuGVO in subjektiver Hinsicht an den subjektiven Grenzen der Rechtskraft orientiert [vgl. oben C.III.4.d)], ist dabei auf die mögliche Rechtskrafterstreckung bei Gesamtschuldnern nach anwendbarem nationalem Recht zu achten. In Frankreich wird Rechtskrafterstreckung bei der „obligation solidaire“ angenommen [vgl. oben C.III.4.a)(4)], in England zumindest im Einzelfall erwogen [vgl. oben C.III.4.a)(2)]. Selbst im deutschen Recht mit seiner grundsätzlichen Verneinung der Rechtskrafterstreckung gem. § 425 Abs. 2 BGB gibt es Ausnahmen, so zum Beispiel in § 3 Nr. 8 PflVG [vgl. oben B.III.1.g)]. Da aber für das zweite Gericht eine Einschätzung der Rechtskrafterstreckung schwierig sein kann, sollte generell die Rechtshängigkeitssperre eingreifen, um sicher unvereinbare Entscheidungen zu verhindern. Es ist besser, einmal zu Unrecht von drohender Unvereinbarkeit auszugehen und daher die zweite Klage abzuweisen, als einmal eine drohende Unvereinbarkeit zu übersehen und damit zuzulassen. Bedenklich wird die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre allerdings, wenn einer der Gesamtschuldner auf negative Feststellung seiner Verpflichtung gegen den Gläubiger klagt. Erstreckt man auch dann die Rechtshängigkeitssperre auf die übrigen Gesamtschuldner, so kann der Gläubiger in seiner Rechtsverfolgung gegenüber den Schuldnern seiner Wahl behindert werden. Mit dem klagenden Schuldner will er sich möglicherweise gar nicht lange auseinandersetzen. Im deutschen Recht [vgl. oben B.III.11.] konnten diese Bedenken nicht durchgreifen, weil dort der Vorrang der Leistungsklage gilt, die sich gegenüber einer zuvor erhobenen Feststellungsklage durchsetzt. Im europäischen Recht behandelt der EuGH beide Klagearten gleichwertig [vgl. oben C.II.3.b)(2)]. Übernimmt man diesen Grundsatz auch für die Gesamtschuld, ergibt sich zwangsläufig das Ergebnis, dass der beklagte Gläubiger zunächst die Feststellungsklage abwarten muss, bevor er gegen die Schuldner seiner Wahl vorgehen kann. Eine Drittwiderklage gegen diese Schuldner im ersten Verfahren ist nicht möglich; zumindest gewährt nach herrschender Meinung Art. 6 Nr. 3 EuGVO keinen Gerichtsstand für Drittwiderklagen [vgl. oben Fn. 547]. Erstreckt man trotz dieser Beeinträchtigung des Gläubigers bei der Rechtsdurchsetzung die Rechtshängigkeitssperre auf die übrigen Gesamtschuldner, wird die oben [C.II.3.b)(2)] geforderte Korrektur im Verhältnis von Feststellungs- und Leistungsklage um so dringlicher. Der Korrekturbedarf wird allerdings ent-

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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schärft, wenn man entgegen der herrschenden Meinung den Art. 6 Nr. 3 EuGVO prinzipiell auch auf Drittwiderklagen gegen weitere Gesamtschuldner anwendet. Die Aussetzung des zweiten Verfahrens gem. Art. 28 EuGVO an Stelle der Rechtshängigkeitssperre bietet sich – anders als im deutschen Recht, wo § 148 ZPO nicht das Prioritätsprinzip enthält, sondern auf das besondere inhaltliche Verhältnis der Vorgreiflichkeit abstellt – durchaus an. Der Vorteil gegenüber der Rechtshängigkeitssperre erschöpft sich allerdings in einem Abwarten des anderen Prozesses anstatt des völligen Abbruchs des Verfahrens. Auf der anderen Seite gibt man den Konzentrationseffekt der Rechtshängigkeitssperre preis [vgl. oben C.II.5.b)]. Die Rechtshängigkeitssperre ist daher vorzuziehen. 8. Rechtshängigkeitssperre bei der Bürgschaft Da es bei den Ansprüchen gegen Hauptschuldner und Bürgen ebenfalls um die Befriedigung desselben Interesses geht, streitet auch hier der Zweck der Prozessökonomie für die Durchführung nur eines Verfahrens zur gleichen Zeit. Der Gläubiger kann sich aussuchen, ob er gegen den Hauptschuldner oder den Bürgen vorgeht. An einem parallelen Verfahren gegen den jeweils anderen hat er ein kaum schutzwürdiges Interesse. Auch bei der Bürgschaft ist eine gemeinsame Klage gegen Hauptschuldner und Bürgen in aller Regel gem. Art. 6 Nr. 1 EuGVO zulässig.651 Ebenso wie bei der Gesamtschuld können unvereinbare Entscheidungen drohen. Im französischen Recht diskutiert man eine Rechtskrafterstreckung vor allem bei der praktisch wichtigen gesamtschuldnerischen Bürgschaft („cautionnement solidaire“) [vgl. oben C.III.4.a)(4)]. Im deutschen Recht ist eine Rechtskrafterstreckung zugunsten des Bürgen möglich [vgl. oben B.III.1.i)]. Infolgedessen können unvereinbare Entscheidungen ergehen. Die bloße Möglichkeit sollte zur generellen Anwendung der Rechtshängigkeitssperre führen, um unvereinbare Entscheidungen sicher zu verhindern und dem zweiten Gericht die Prüfung der Rechtskrafterstreckung zu ersparen. Für die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre spricht auch das enge materiell-rechtliche Verhältnis zwischen Hauptschuld und Bürgschaft. Die Hauptschuld ist für die Bürgschaft nach allen untersuchten Rechtsordnungen präjudiziell ([vgl. oben C.III.6.c)(6)]. Der EuGH hat in der Gubisch-Entscheidung Verfahren, die zueinander im Präjudizialitätsverhältnis stehen, als identisch behandelt und die Rechtshängigkeitssperre angewendet [vgl. oben C.II.1.a)].

651 Geimer/Schütze EuZVR (2004) A.1 Art. 6 Rdnr. 20; Rauscher/Leible EuZPR (2004) Art. 6 Brüssel I-VO Rdnr. 8; Schack IZVR (2002) Rdnr. 359; die erforderliche Konnexität wird in aller Regel gegeben sein.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Auch bei der Bürgschaft kann man ebenso wie bei der Gesamtschuld Bedenken gegen eine Sperre einer Klage des Gläubigers gegen den Hauptschuldner oder Bürgen durch die negative Feststellungsklage des jeweils anderen erheben. Die Probleme ergeben sich aber bereits durch die prinzipielle Gleichwertigkeit von Feststellungs- und Leistungsklage und sollten bereits auf dieser Ebene abgestellt werden [vgl. oben C.II.3.b)(2)]. Handelt es sich um eine „Bürgschaft auf erstes Anfordern“, kann eine negative Feststellungsklage des Hauptschuldners keine Sperrwirkung für eine Klage des Gläubigers gegen den Bürgen entfalten. Grund ist die besondere materiellrechtliche Funktion der Bürgschaft auf erstes Anfordern als Sicherungsmittel zur raschen Barmittelbeschaffung [vgl. oben C.III.5.c)]. 9. Rechtshängigkeitssperre bei der Prozessstandschaft Bei der Prozessstandschaft macht der Kläger ein fremdes Recht geltend [vgl. oben B.III.1.b)]. Wenn parallel der Rechtsinhaber (oder ein anderer Prozessführungsbefugter, etwa ein Mitberechtigter) klagt, so geht es in beiden Verfahren um die Befriedigung desselben materiellen Interesses. Da eine Rechtskrafterstreckung je nach Einzelfall möglich ist [vgl. oben B.III.1.b) und B.III.1.c)], drohen unvereinbare Entscheidungen. Beispiel: In Deutschland erhebt der Kläger aufgrund einer gewillkürten Prozessstandschaft Klage wegen eines Zahlungsanspruchs. Daraufhin erhebt der beklagte Schuldner seinerseits in Österreich Klage gegen den Rechtsinhaber auf Feststellung, dass der fragliche Anspruch nicht bestehe.

Abgesehen von der Frage, ob nach österreichischem Zivilprozessrecht die Feststellungsklage schon mangels Feststellungsinteresses nicht zulässig wäre,652 sollte die Rechtshängigkeitssperre gem. Art. 27 EuGVO eingreifen, um einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern. Die Rechtskraft des Urteils, das der deutsche Kläger in Prozessstandschaft erstreitet, wird auf den Rechtsinhaber erstreckt [vgl. oben B.III.1.b)]. Ausgehend von der Prämisse, dass Dritte, die durch die Rechtskraft eines Urteils gebunden werden, als „dieselben Parteien“ im Sinn von Art. 34 Nr. 3 EuGVO gelten [vgl. oben C.III.4.d)], wären unvereinbare Entscheidungen möglich. Eine präzise Vorhersage zur Rechtskrafterstreckung kann im Einzelfall sehr schwierig sein und sollte dem zweiten Gericht daher nicht zugemutet werden. Daher genügt die abstrakte Möglichkeit einer Rechtskrafterstreckung als Argument für eine Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre. Das OLG Düsseldorf hatte sich in einer Entscheidung vom 30.9.1999653 mit der Frage der Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre bei Prozessstandschaft 652 653

Vgl. Fasching ZPR (1990) Rdnr. 1101. OLG Düsseldorf v. 30.9.1999 GRURInt 2000, 776 (Impfstoff III).

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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zu befassen. Es hat dem EuGH vier Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die in einem Beschwerdeverfahren aufgeworfen wurden, das sich gegen die Entscheidung des LG Düsseldorf zur Aussetzung des Verfahrens gem. Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ richtet. Der zugrundeliegende Sachverhalt war folgender: Vor dem LG Düsseldorf klagte die US-amerikanische Connaught Laboratories Incorporated gegen zwei Tochtergesellschaften des SmithKline Beecham-Konzerns, die deutsche SmithKline Beecham Pharma GmbH (Bekl. 1) und die belgische SmithKline Beecham Biologicals Manufacturing S.A. (Bekl. 2) wegen Verletzung des deutschen Teils eines europäischen Patents für ein Keuchhustenmittel auf Unterlassung, Vernichtung, Entschädigung und Schadensersatz. Die Klage richtete sich gegen den Vertrieb einer Arznei namens „Infanrix“, das von der Bekl. 2 in Belgien hergestellt und von der Bekl. 1 in Deutschland vertrieben wurde. Die deutsche Klage wurde am 22.5.1997 an die Bekl. 1 und am 21.1.1998 an die Bekl. 2 zugestellt. Im Mai 1997 war Patentinhaberin allerdings das kanadische Schwesterunterunternehmen Connaught Laboratories Limited. Die Klägerin stützte ihre Klage auf eine Prozessführungsermächtigung (gewillkürte Prozessstandschaft). Im Laufe des Verfahrens übertrug die Connaught Lab. Ltd. das Klagepatent auf die Klägerin Connaught Lab. Inc. Mit am 18.12.1997 zugestellten Schriftsatz machte die Klägerin eigene Rechte geltend. Bereits am 14.1.1997 hatte jedoch die Bekl. 1 vor dem Tribunal de Premiere Instance in Brüssel eine Klage gegen die Connaught Lab. Ltd., also die Rechtsinhaberin, erhoben, mit der sie die Nichtigerklärung des belgischen Teils des europäischen Patents für das Hoheitsgebiet Belgiens anstrebte sowie hilfsweise die Feststellung begehrte, in keinem der Benennungsstaaten, also auch nicht in Belgien und Deutschland, das Klagepatent verletzt zu haben. Ab dem 30.9.1997 wurde dieser Hilfsantrag als Hauptantrag weiterverfolgt. Diesem Prozess trat die Bekl. 2 am 28.11.1997 bei. Zugleich wurde an diesem Tag die Klage auf den jetzigen Patentinhaber, die Connaught Lab. Inc., erstreckt.

Das LG Düsseldorf hatte bis zur Entscheidung über die Zuständigkeit durch das TPI Brüssel das Verfahren gem. Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ ausgesetzt. Dagegen richtete sich die vom OLG Düsseldorf zu entscheidende Beschwerde. Zur Entscheidung über diese Beschwerde hielt das OLG eine Vorabentscheidung des EuGH in vier Fragepunkten für erforderlich. Da sich aber die Parteien verglichen haben, wird es zu einer Antwort des EuGH nicht mehr kommen.654 Frage Nr. 2 des OLG hatte die Parteienidentität im deutschen und im belgischen Verfahren zum Gegenstand. Die Frage Nr. 3 beschäftigte sich mit dem speziellen Problem, dass der Prozessstandschafter im Laufe der Klage das Patent erwarb. Bei Klageerhebung in Deutschland gegen die Bekl. 1 war der belgische Prozess zwischen der Bekl. 1 als Klägerin und der Connaught Lab. Ltd. (CL Ltd.) als Rechtsinhaberin rechtshängig. Klägerin des deutschen Verfahrens war aber die Connaught Lab. Inc., die in Prozessstandschaft die Rechte der CL Ltd. einklagte. Es treten also in beiden Verfahren formell verschiedene Parteien auf. 654

Pitz GRURInt 2001, 32.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Das OLG fragte nun, ob diese formelle Betrachtungsweise maßgeblich ist oder ob nicht vielmehr der materielle Rechtsinhaber, um dessen Recht gestritten werde, bei der Anwendung von Art. 21 EuGVÜ als Partei im deutschen Verfahren behandelt werden müsse. Es fällt auf, dass das OLG an dieser Stelle nicht die ihm bereits bekannte Entscheidung Drouot zitiert, sondern eigene Erwägungen anstellt. Der Prozessstandschafter sei lediglich formal, gleichsam als Repräsentant an dem Rechtsstreit beteiligt, bei dem über die Ansprüche des materiellen Rechtsinhabers gestritten werde.655 Damit greift das OLG einen Gedanken auf, der bereits in der Drouot-Entscheidung enthalten ist: Der Prozessstandschafter klagt als Vertreter des Rechtsinhabers. Schon deshalb kann man ihre Interessen als identisch und voneinander untrennbar bewerten [vgl. oben C.III.4.a) bei Fn. 291]. Die Europäische Kommission, die zu dieser Frage im Vorlageverfahren vor dem EuGH noch Stellung genommen hat, bezog sich auf die Drouot-Entscheidung. Demnach sei eine rein formale Betrachtungsweise bei der Beurteilung der Parteienidentität abzulehnen, es komme vielmehr auf einen Vergleich der Interessen der jeweils beteiligten Personen an. Diese seien insbesondere bei einer Rechtskrafterstreckung identisch und voneinander untrennbar. Die Rechtskrafterstreckung bestimme sich nach nationalem Recht. Im deutschen Prozessrecht werde bei einer hier vorliegenden gewillkürten Prozessstandschaft eine Rechtskrafterstreckung auf den Patentinhaber angenommen. Daher seien auch die Parteien in beiden Verfahren identisch.656 Ob der direkte Rekurs auf die Rechtskrafterstreckung allein entscheidend ist, darf bezweifelt werden [vgl. oben C.III.4.a)]. Die Rechtskrafterstreckung spielt vielmehr bei der Kontrollüberlegung eine Rolle, ob unvereinbare Entscheidungen drohen. Da bei gewillkürter Prozessstandschaft das Urteil auch gegenüber dem Rechtsinhaber gilt [vgl. oben B.III.1.b)], drohen in der Tat unvereinbare Entscheidungen gem. Art. 34 Nr. 3 EuGVO. Das ist ein weiteres gewichtiges Argument für die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre bei gewillkürter Prozessstandschaft. Aber auch in allen anderen Fällen der Prozessstandschaft gibt es hinreichende Gründe, dass bei der Anwendung des Art. 27 EuGVO Prozessstandschafter und Rechtsinhaber als dieselben Parteien gelten. Beide klagen denselben Anspruch ein, der durch dieselbe Erfüllungshandlung erlischt. Der Prozessstandschafter ist lediglich Vertreter des Rechtsinhabers. Eine Rechtskrafterstreckung ist im Einzelfall möglich, weshalb unvereinbare Entscheidungen drohen. Deshalb ist, sofern es sich um eine wirksame Prozesstandschaft handelt, eine gegenseitige Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre geboten.657

655 656

OLG Düsseldorf v. 30.9.1999 GRURInt 2000, 776 (778). Vgl. den Bericht von Pitz GRURInt 2001, 32 (34).

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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Dazu gehören auch die Prozessstandschaft im Fall der Rechtsnachfolge nach Eintritt der Rechtshängigkeit gem. § 265 ZPO sowie die Prozessstandschaft bei Abtretung vor Rechtshängigkeit gem. § 407 Abs. 2 BGB, wenn der Schuldner bei Eintritt der Rechtshängigkeit von der Abtretung keine Kenntnis hatte [vgl. oben B.III.1.a) bei Fn. 294]. § 407 Abs. 2 BGB ist freilich nicht auf eine negative Feststellungsklage des Schuldners anwendbar [vgl. oben C.III.4.b) bei Fn. 506]. Im Fall des OLG Köln [vgl. oben C.III.5.a)] klagte der Kläger im deutschen Prozess aus abgetretenem Anspruch. Die griechische Klage zielte auf die Feststellung ab, dass dieser abgetretene Anspruch nicht existiere, und war gegen den Zedenten gerichtet. Beide Verfahren waren folglich durch Rechtsnachfolge verbunden; die Rechtsnachfolge fand nach Eintritt der Rechtshängigkeit des griechischen Verfahrens statt. Es ist aber zweifelhaft, ob die Rechtsnachfolge für sich genommen die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre rechtfertigen kann [zu diesen Zweifeln vgl. bereits oben C.III.4.b); dazu auch unten C.III.12.]. Es ist auch danach zu fragen, welche Person vom anzuwendenden Verfahrensrecht als klagebefugt behandelt wird. Neben der Feststellung der Rechtsnachfolge wäre es demnach weiterführend gewesen, die Regelung des griechischen Verfahrensrechts zum Rechtsübergang während des Prozesses zu ermitteln. Gibt es eine dem § 265 ZPO entsprechende Vorschrift, dann ist der Zedent weiterhin prozessführungsbefugt und kann als Vertreter des Zessionars angesehen werden. Dann wird nach unseren Ergebnissen die Rechtshängigkeitssperre auch auf den Zessionar erstreckt. Das OLG hätte zur griechischen Rechtslage Ermittlungen anstellen müssen. 10. Rechtshängigkeitssperre bei verschiedenen Sachrechtsnormen Das vom Kläger angerufene Gericht ermittelt anhand des nationalen Kollisionsrechts die Rechtsordnung, deren Sachrecht zur Entscheidung des Klagebegehrens zugrunde zu legen ist. Werden zwei parallele Klagen vor Gerichten in verschiedenen Staaten erhoben, kann es dazu kommen, dass die Gerichte die Klagen nach unterschiedlichem Sachrecht beurteilen; denn jedes Gericht ermittelt die anwendbare Rechtsordnung nach seinen Regeln des internationalen Privatrechts, die trotz Vereinheitlichungstendenzen in der Europäischen Gemeinschaft nicht übereinstimmen müssen.658 Da auch die nationalen Rechtsordnungen inhaltlich voneinander abweichen können, ist es möglich, dass die Gerichte identische Klagebegehren auf Grundlage eines zumindest teilweise übereinstimmenden Sachverhalts unterschiedlich lösen. Dies führt bereits zu Problemen bei der Beurteilung der objektiven Verfahrensidentität. Die Frage ist, ob allein we657 Im Ergebnis ebenso Nieroba Die europäische Rechtshängigkeit (2006) S. 280; Geimer/Schütze/Försterling Internationaler Rechtsverkehr (2005) B Vor I 10 b Art. 27 Rdnr. 16. 658 Schack IZVR (2002) Rdnr. 215.

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

gen Abweichungen in den Sachrechtsnormen, die den Klagebegehren jeweils zugrunde liegen, unterschiedliche Streitgegenstände vorliegen. Beispiel: Der Kläger klagt in Staat X gegen einen Hersteller wegen Produktfehlern auf Schadensersatz. Kurz danach erhebt er auch in Staat Y Klage wegen derselben Fehler auf Ersatz des gleichen Schadensbetrags. In beiden Staaten wenden die Gerichte nach ihren IPR-Vorschriften das nationale Produkthaftungsrecht an. Wegen eines Unterschieds in den Anspruchsvoraussetzungen ist die Klage in Staat X begründet, in Staat Y jedoch nicht.659

Bestimmt man den Tatbestand zweigliedrig wie im deutschen Recht nach herrschender Meinung durch den Antrag und den zur Begründung vorgetragenen Sachverhalt, so bieten sich zwei Lösungswege660 an: Entweder man bestimmt den Sachverhalt nach natürlicher Betrachtungsweise, oder aber man stellt auf die rechtserzeugenden Tatsachen ab [vgl. bereits oben B.II.2.b)]. Bei der zweiten Methode kommt man sehr leicht zu verschiedenen Streitgegenständen, wenn nämlich die Anspruchsvoraussetzungen andere sind.661 Die erste Methode kann trotz unterschiedlicher Anspruchsvoraussetzungen zu einem identischen Streitgegenstand führen, wenn man die jeweils zur Begründung vorgetragenen Tatsachen nach wertender Betrachtung einem einzigen Lebenssachverhalt zuordnet.662 Bei der Streitgegenstandsbestimmung im europäischen Recht sind die maßgeblichen Elemente Klagegrund und Klagegegenstand. Nach der vom EuGH vorgegebenen Definition sind die Rechtsvorschriften, die dem Klagebegehren zugrunde liegen, Teil des Klagegrundes. Es ist noch nicht eindeutig geklärt, ob die Rechtsvorschriften in beiden Verfahren formal übereinstimmen müssen, was zu unterschiedlichen Streitgegenständen bei verschiedenen Sachrechtsnormen führen würde, oder ob man die Funktion der Rechtsvorschriften vergleichen muss und damit trotz formaler Unterschiede einen einheitlichen Streitgegenstand erhalten kann [vgl. oben C.II.4.a)]. Einen solchen Weg wählt, wer darauf abstellen will, ob die durch unterschiedliche Rechtsvorschriften gewährten Ansprüche der Befriedigung desselben Interesses dienen und somit erfüllungskonnex sind [vgl. oben C.II.4.b)(4)]. Begreift man den Begriff des „Interesses“ aus 659 Die sich möglicherweise ergebenden Probleme bei der Rechtskraftwirkung sollen hier nicht ausführlich besprochen werden. Bei nacheinander erhobenen Klagen stellt sich die Frage, ob das Gericht in X an die Klageabweisung in Y gebunden ist. Zwei Meinungen sind denkbar: Staat X darf den nach seiner Rechtsordnung existierenden Anspruch gerichtlich feststellen und ist daran auch nicht gehindert, wenn Staat Y nach anderer Rechtsordnung keinen Anspruch gewährt. Oder aber Staat X ist an die Beurteilung desselben Lebensvorgang durch einen anderen Staat gehalten und darf seiner eigenen Rechtsordnung folglich nicht mehr zur Durchsetzung verhelfen. 660 Koneczny ZfRV 1984, 146 (149). 661 So auch im Ergebnis OGH v. 23.2.1982 ZfRV 1984, 145; zustimmend Koneczny ZfRV 1984, 146 (150). 662 So anscheinend Geimer IZPR (2005) Rdnr. 2644. Im Ergebnis auch Mankowski RIW 2005, 561 (566).

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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der Drouot-Entscheidung in materiell-rechtlichem Sinn, wie es in dieser Untersuchung erwogen wird, wäre das ein Hinweis darauf, dass die Anspruchsgrundlagen nicht formal, sondern nur materiell übereinstimmen müssen. Abweichungen beim anwendbaren Sachrecht können aber auch hinsichtlich eines identischen Begehrens unterschiedliche Personen als Berechtigte behandeln, was unmittelbare Auswirkungen auf die Parteien zweier Klagen hat. Dieses Problem war Kern einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1985:663 Ein deutsch-italienisches Ehepaar hatte sich getrennt, die minderjährige Tochter der beiden blieb bei der Mutter in Deutschland, während der Vater mittlerweile wieder in Italien lebte. Dort hatte der Vater vor einem italienischen Gericht das Trennungsverfahren eingeleitet. In diesem Verfahren war auf Antrag der Ehefrau eine einstweilige Verfügung ergangen, an die Ehefrau zu ihrem und der Tochter Unterhalt eine gewisse Summe zu zahlen. Sodann haben die Ehefrau und ihre Tochter (vertreten durch die Ehefrau) vor einem deutschen Gericht den Mann auf Zahlung von Unterhalt verklagt.

Der BGH hatte sich in seiner Entscheidung mit der Frage der entgegenstehenden Rechtshängigkeit gem. Art. 21 EuGVÜ zu befassen. Für diese Untersuchung ist nur der Unterhalt für die minderjährige Tochter, im Verfahren des BGH die Klägerin Nr. 2, interessant. In italienischen Verfahren war nach italienischem IPR auch italienisches Familienrecht anwendbar, das der Mutter als Gläubigerin einen Unterhaltsanspruch für sie selbst und die Tochter gewährte. Das deutsche Gericht hatte nach deutschem IPR deutsches Familienrecht der Entscheidung zugrunde zu legen, wonach die Tochter einen eigenen Unterhaltsanspruch hatte und selbst Gläubigerin war. Die minderjährige Tochter musste als Klägerin selbst auftreten, da nach damaliger Rechtslage eine gesetzliche Prozessstandschaft der Mutter nicht möglich war. Der § 1629 Abs. 3 BGB gab der Mutter eine Prozessführungsbefugnis nur im Fall eines anhängigen Scheidungsverfahrens.664 Das italienische Trennungsverfahren erfüllte diese Eigenschaft nicht, denn das italienische Trennungsurteil lässt (bzw. ließ nach damaligem Recht) die Ehe bestehen.665 Eine Besonderheit des Falls, dass nämlich der Unterhalt im italienischen Verfahren durch einstweilige Anordnung zugesprochen wurde, soll hier vernachlässigt werden.666 Nehmen wir an, es handelte sich ebenfalls um eine Klage. Bei der Klage der minderjährigen Tochter in Deutschland auf Unterhaltszahlung gehe es, so der BGH, im Verhältnis zum italienischen Verfahren nicht um „denselben Anspruch zwischen denselben Parteien“. Der BGH entscheidet sich 663

BGH v. 9.10.1985 NJW 1986, 662 (= IPRax 1987, 314). Das Tatbestandsmerkmal des Getrenntlebens wurde erst 1986 in das Gesetz aufgenommen. 665 Vgl. Grunsky Italienisches Familienrecht (1978) S. 57, 65. 666 Dazu BGH v. 9.10.1985 NJW 1986, 662 f., der dennoch prinzipiell Art. 21 EuGVÜ für anwendbar hält. 664

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

nicht ausdrücklich, ob es nun an der Identität des Streitgegenstands oder der Identität der Parteien oder gar an beiden fehle. Für ihn ist ausschlaggebend, dass im deutschen Verfahren die minderjährige Tochter selbst auftrete und ihren eigenen Anspruch einfordere. Dagegen sei im italienischen Verfahren nur die Mutter beteiligt und klage auf Unterhaltszahlung für das Kind aus eigenem Anspruch.667 Das kann nun in der Tat beides bedeuten:668 Wegen der unterschiedlichen Gläubiger der beiden Ansprüche nach deutschem bzw. italienischen Familienrecht kann man schon verschiedene Streitgegenstände annehmen. Zum anderen kann man schlicht darauf abstellen, dass die Tochter im italienischen Verfahren formell nicht Partei ist und deshalb mangels Identität der Parteien eine Rechtshängigkeitssperre nicht in Betracht kommt. In letzterem Sinn werden die Ausführungen des BGH überwiegend gedeutet und erhalten Zustimmung.669 Es gibt aber auch Kritik, und zwar vor dem Hintergrund des weiten europäischen Streitgegenstandsbegriffs, wie ihn der EuGH entwickelt hat. Da es im Kern um dieselbe Sache gehe, nämlich um Unterhaltsleistungen des Vaters für sein Kind, seien nach europäischem Verständnis die Streitgegenstände in beiden Prozessen dieselben.670 Unter dieser Prämisse führe es zu unbilligen Ergebnissen, wenn man hier auf den formalen Parteibegriff abstelle; schließlich seien nur formell unterschiedliche Parteien beteiligt, weil das materielle Recht mit seiner unterschiedlichen Gläubigerbestimmung zu einer Verschiebung der Parteien führe.671 Diese Analyse geht in die richtige Richtung: Wenn beide Anspruchsgrundlagen der Befriedigung desselben materiellen Interesses dienen, dann sind auch die Klagen, mit denen die Ansprüche geltend gemacht werden, identisch, und zwar unabhängig von den beteiligten Personen. Dass die Erfüllung des italienischen Unterhaltsanspruchs nicht ohne Wirkung für den deutschen Unterhaltsanspruch ist, erkennt auch der BGH, will aber den Parteien aufgeben, im Wege der Vollstreckungsabwehrklage Doppelzahlungen oder -vollstreckungen zu verhindern.672 Dieser Weg erscheint umständlich;673 besser ist es, durch eine Rechtshängigkeitssperre widersprechende Entscheidungen zu verhindern. Ob man eine 667 So die italienische Rechtslage, vgl. Grunsky Italienisches Familienrecht (1978) S. 119 unten. 668 Widersprüchlich auch Schlosser EU-ZPR (2003) Art. 27 EuGVVO Rdnr. 3, der die BGH-Entscheidung unter der Überschrift „Identität der Parteien“ anführt, aber dann von fehlender „Anspruchsidentität“ spricht. 669 Jayme IPRax 1987, 295 (297); HK-ZPO/Dörner (2006) Art. 27 EuGVVO Rdnr. 3; Kropholler EuZPR (2005) Art. 27 Rdnr. 4. 670 So die Aussage von Bäumer Ausländische Rechtshängigkeit (1999) S. 163, die leider nicht präzisiert, warum genau es hier im Kern um dieselbe Sache geht. 671 Bäumer Ausländische Rechtshängigkeit (1999) S. 163; ähnlich Dohm Die Einrede der ausländischen Rechtshängigkeit (1996) S. 148 f. 672 BGH v. 9.10.1985 NJW 1986, 662 (664). 673 Dohm Die Einrede der ausländischen Rechtshängigkeit (1996) S. 149.

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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nachfolgende Klage zulässt oder durch den Einwand entgegenstehender Rechtskraft untersagt [vgl. oben Fn. 659], soll hier nicht untersucht werden. Für nicht identisch hält Erik Jayme den italienischen und den deutschen Unterhaltsanspruch. Zwar hätten beide Ansprüche dieselbe Zweckrichtung, zeigten aber Unterschiede in Höhe und Bemessung. Im italienischen Recht werde der schwächere Ehegatte durch dingliche Beteiligung am Erwerb des anderen geschützt.674 Ob diese Unterschiede ausreichen, um eigenständige Streitgegenstände anzunehmen, ist zweifelhaft. Zur Erfüllungskonnexität äußert sich Jayme nicht ausdrücklich. 11. Rechtshängigkeitssperre und Streitverkündung Im deutschen Recht löst die Streitverkündung nicht eine Rechtshängigkeitssperre aus, weil mit der Streitverkündung ein Anspruch (im materiellen wie prozessualen Sinn) noch nicht geltend gemacht wird, sondern nur seine spätere Durchsetzung gesichert werden soll [vgl. oben B.III.4.]. Wegen der Interventionswirkung zwischen Streitverkündendem und Streitverkündungsempfänger gem. §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO können zwei Verfahren durch eine Aussetzung gem. § 148 ZPO koordiniert werden [vgl. oben B.II.6.f) und B.III.4.]. Das OLG Karlsruhe hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2002675 beurteilen müssen, ob bei Anwendung des Art. 21 EuGVÜ etwas anderes gilt. Der Fall soll zugleich als Beispiel für unsere Untersuchung dienen. Ihm lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin im deutschen Verfahren ist eine Versicherung, die vom Beklagten Ersatz für einen Transportschaden verlangte, den sie für ihren Versicherungsnehmer (den Geschädigten) reguliert hatte. Der Geschädigte hatte die Beklagte mit einem Transport beauftragt, zu dessen Durchführung sich die Beklagte eines Subunternehmens bediente und in dessen Verlauf es zur Beschädigung der Güter kam. Die Beklagte verkündete dem Subunternehmen im deutschen Verfahren den Streit zur Sicherung von Regressansprüchen. Zuvor hatte das Subunternehmen bereits in den Niederlanden sowohl gegen die Beklagte als auch die Klägerin auf Feststellung geklagt, dass sie wegen des fraglichen Transports keinen Schadensersatz schulde.

Das Landgericht hatte in erster Instanz den deutschen Prozess gem. Art. 22 EuGVÜ ausgesetzt. Dagegen wendete sich der Kläger mit sofortiger Beschwerde. Das OLG gab dem Kläger Recht. Die Aussetzung könne nicht auf Rechtshängigkeit gem. Art. 21 EuGVÜ oder Art. 31 Abs. 2 CMR gestützt werden, denn das niederländische und das deutsche Verfahren seien keine Klagen „zwischen denselben Parteien“. Das Subunternehmen, das in den Niederlanden klagt, sei im deutschen Verfahren als Streitverkündungsempfänger keine Partei. 674

Jayme IPRax 1987, 295 (297). OLG Karlsruhe v. 18.10.2002 TranspR 2003, 110 = IPRspr. 2002 Nr. 181 (S. 472). 675

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Das OLG versteht also den Parteienbegriff in Art. 21 EuGVÜ strikt formal. Auf die Drouot-Entscheidung bezieht es sich nicht, das Urteil findet nicht einmal Erwähnung. Auf möglicherweise unvereinbare Entscheidungen, die in beiden Prozesse entstehen können, geht das OLG im Zusammenhang mit der Rechtshängigkeit ebenfalls nicht ein. Dazu äußert es sich erst bei der Begründung, warum auch eine Aussetzung gem. Art. 22 EuGVÜ nicht in Betracht komme: Beide Verfahren könnten einander ausschließende Rechtsfolgen anordnen, weil die Parteien unterschiedlich seien. Auch die Rechtskraft des niederländischen Verfahrens habe keine Auswirkungen auf das deutsche Verfahren. Lediglich umgekehrt komme eine Wirkung des deutschen auf das niederländische Verfahren in Betracht, nämlich durch die Streitverkündung. Wenn überhaupt die Aussetzung eines Verfahrens in Erwägung zu ziehen sei, dann die des niederländischen Verfahrens. Schon das formale Argument der fehlenden Parteistellung des Streitverkündungsempfängers ist zweifelhaft. In der Sache hat das OLG Recht, in der Tat wird nach deutschem Recht der Streitverkündungsempfänger nicht Partei, auch nicht im Fall seines Beitritts zum Prozess.676 Auf der anderen Seite wird durch die Streitverkündung die spätere Klage wegen des zu sichernden Anspruchs vorbereitet. Eine direkte Regressklage gegen das Subunternehmen ist dem Beklagten im deutschen Verfahren nach deutschem Recht nicht möglich. Das ist in ausländischen Rechtsordnungen anders: Das französische Recht würde ihm eine „intervention forcée“ gem. Artt. 331 NCPC gestatten. Die Partei, die die „intervention forcée“ betreibt, kann wählen, ob die „intervention“ zu einer Verurteilung des Dritten führen soll (Art. 331 Abs. 1 NCPC; Hauptform ist der „appel en garantie simple“ gem. Artt. 334 f. NCPC677) oder ob sie lediglich eine Bindung des Dritten an das Urteil bewirken soll (gem. Art. 331 Abs. 2 NCPC), damit dieser später nicht eine „tierce opposition“ gegen das Urteil erheben kann.678 In beiden Fällen wird der Dritte Partei des Prozesses,679 hat aber im Fall des Art. 331 Abs. 2 NCPC nur eingeschränkte Beteiligungsrechte.680 Im englischen Recht wäre eine „claim for indemnity“ gem. CPR 20.2 (1) (b) mög676 MünchKommZPO/Schilken Band 1 (2000) § 67 Rdnr. 2 und § 74 Rdnr. 3 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 50 Rdnr. 33 und § 51 Rdnr. 25 ff. 677 Mansel in: Hommelhoff (Hrsg.) Europäischer Binnenmarkt (1995), 161 (178). 678 Mansel in: Hommelhoff (Hrsg.) Europäischer Binnenmarkt (1995), 161 (179); Wiederkehr Répertoire de procédure civile Dalloz (1979) Stichwort „intervention“ nº 90. 679 Couchez Procédure civile (1998) Rdnr. 1029; Mansel in: Hommelhoff (Hrsg.) Europäischer Binnenmarkt (1995), 161 (179); Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 38 f.; Wiederkehr Répertoire de procédure civile Dalloz (1979) Stichwort „intervention“ nº 8. 680 Spellenberg ZZP 106 (1993), 283 (311); a. A. Mansel in: Hommelhoff (Hrsg.) Europäischer Binnenmarkt (1995), 161 (179 f.), der umfangreiche Beteiligungsrechte betont und exemplarisch aufzählt.

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

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lich. Das Subunternehmen wäre dann Partei des Verfahrens [vgl. oben Fn. 610]. Die genannten Drittklagen nach englischem und französischem Recht lösen die Rechtshängigkeitssperre aus.681 Diesen französischen und englischen Drittklagemöglichkeiten entspricht in der Funktion die deutsche Streitverkündung.682 Gerade die französische „intervention“ gem. Art. 331 Abs. 2 NCPC mit dem Ziel der Bindung des Dritten an das Urteil zeigt auch in ihrer Wirkung deutliche Parallelen zur deutschen Streitverkündung.683 Bei einer Beteiligung Dritter wegen Regressansprüchen nach französischem oder englischem Recht wäre das formale Argument fehlender Parteistellung ausgeschaltet. Man sollte also auch im deutschen Recht sich nicht auf formale Betrachtungen zurückziehen, wie es das OLG Karlsruhe getan hat, sondern beachten, worum es in der Sache bei der Streitverkündung geht: Mit der Streitverkündung soll die gerichtliche Geltendmachung des Rückgriffsanspruchs vorbereitet werden. Nicht selten wird über maßgebliche tatsächliche und rechtliche Fragen des Rückgriffsanspruchs bereits in der Klage gegen den Rückgriffsgläubiger entschieden. An die Beurteilung dieser Fragen wird der Dritte durch die Interventionswirkung gebunden. Über das materielle Interesse, das der Rückgriffsanspruch dem Beklagten gewährt, wird im Wesentlichen bereits im Verfahren entschieden, in dem der Streit verkündet wurde. Im nachfolgenden Verfahren zwischen Streitverkündendem und Streitverkündungsempfänger werden zu einem guten Teil die Beurteilungen im ersten Verfahren nur noch nachvollzogen. Mancher Beklagter, der die Klage gegen ihn selbst für begründet hält, würde es sicherlich vorziehen, nach englischem oder französischem Muster sogleich auf Verurteilung zu klagen, um sich das nachfolgende Verfahren zu ersparen. Die Streitverkündung zur Sicherung eines Rückgriffsanspruchs und die Klage wegen desselben Anspruchs dienen also der Durchsetzung desselben materiellen Interesses. Das spricht für die Anwendung der Rechtshängigkeitssperre infolge der Streitverkündung. Dieses Argument bedarf der Verstärkung. Hinzutreten könnte die Tatsache, dass bei sich kreuzender Klage und Streitverkündung wegen desselben Anspruchs widersprechende Entscheidungen drohen. Das OLG hat dies verneint, aber nicht sorgfältig begründet. Sein Befund ist fragwürdig. Dass die spezielle Interventionswirkung gem. §§ 68, 74 Abs. 3 ZPO in anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden muss, folgt aus Art. 65 Abs. 2 S. 2 EuGVO.684 Würde also in unserem Beispiel des OLG Karlsruhe in Deutschland eine rechtskräftige Ent681

Nieroba Die europäische Rechtshängigkeit (2006) S. 79 f. Stürner FS Geimer (2002), 1307 (1314). 683 Spellenberg ZZP 106 (1993), 283 (304); Mansel in: Hommelhoff (Hrsg.) Europäischer Binnenmarkt (1995), 161 (179), der a. a. O. auf S. 183 f. auch die Unterschiede herausarbeitet. 684 Geimer/Schütze EuZVR (2004) A.1 Art. 6 Rdnr. 37; Kropholler EuZPR (2005) Art. 6 Rdnr. 23; Schlosser EU-ZPR (2003) Art. 6 EuGVVO Rdnr. 7. 682

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

scheidung ergehen, bevor das niederländische Verfahren in Gang gesetzt wird, hätte das niederländische Gericht die Interventionswirkung der deutschen Entscheidung zu beachten und daraus unter Umständen maßgebliche Vorgaben für das eigene Verfahrensergebnis zu entnehmen. Missachtet das niederländische Gericht aber die Vorgaben und beurteilt die Tatsachen und Rechtsfragen entgegengesetzt, stellt sich die Frage, ob das niederländische Urteil dann in Deutschland anerkannt werden muss. Bliebe die Missachtung ohne Folgen, führte das zu einer Entwertung der Streitverkündung auf europäischer Ebene. Das brächte einen in Deutschland verklagten Regressgläubiger in eine missliche Lage; er hat zur Streitverkündung keine Alternative, um seinen Regressanspruch abzusichern. Müsste das niederländische Urteil in Deutschland trotz der Missachtung der Interventionswirkung anerkannt werden, bliebe ihm nicht einmal die Möglichkeit, noch in Deutschland den Regressanspruch einzuklagen. Die Rechtskraft des niederländischen Urteils stünde entgegen. Der Schutz der Streitverkündungswirkung verlangt, den Art. 34 Nr. 3 EuGVO auch auf die Interventionswirkung nach Streitverkündung anzuwenden.685 Um die Unvereinbarkeit des niederländischen Urteils über den Schadensersatzanspruch mit der deutschen Interventionswirkung bejahen zu können, könnte man nun einen direkten Konflikt der Urteilswirkungen voraussetzen.686 Das niederländische Urteil müsste dann eine der Interventionswirkung vergleichbare Urteilswirkung erzeugen, also eine bindende Feststellung zu den von der Interventionswirkung erfassten Tatsachenund Rechtsfragen, die mit der Interventionswirkung kollidierte. Nach niederländischem Recht erwächst nur der Urteilsausspruch in Rechtskraft, nicht dagegen die Begründungselemente.687 Die Feststellungen zum Bestehen oder Nichtbestehen des Regressanspruchs der niederländischen Entscheidung und die Feststellungen zu vorgreiflichen Tatsachen und Rechtsfragen der deutschen Entscheidungen widersprechen sich also nicht direkt. Es wurde aber bereits oben [C.II.2.b)] festgestellt, dass die Unvereinbarkeit gem. Art. 34 Nr. 3 EuGVO nach der EuGH-Rechtsprechung keinen direkten Wirkungswiderspruch voraussetzt, sondern dann besteht, wenn die anzuerkennende Entscheidung mit ihrem Inhalt so nicht mehr im Inland ergehen könnte [vgl. oben C.II.2.c)]. Das wäre bei einem Widerspruch zur Interventionswirkung der Fall; das niederländische Urteil wäre mit der Streitverkündungswirkung des deutschen Urteils unvereinbar und müsste daher nicht anerkannt werden. Damit wäre zumindest vor deutschen Gerichten der Weg frei für eine Regressklage gegen den Streitverkündungsempfänger.

685 Mansel in: Hommelhoff (Hrsg.) Europäischer Binnenmarkt (1995), 161 (220) zu Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ; zustimmend Nieroba Die europäische Rechtshängigkeit (2006) S. 83 f. 686 So Lenenbach Unvereinbarkeiten (1997) S. 151, 156. 687 M. Koch Unvereinbare Entscheidungen (1993) S. 139.

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

303

Folglich drohen durch eine gleichzeitige Klage und Streitverkündung wegen desselben Anspruchs unvereinbare Entscheidungen. Daher sollte auch die Rechtshängigkeitssperre auf die Streitverkündung angewendet werden.688 Würde im Fall des OLG Karlsruhe die Streitverkündung im deutschen Verfahren zuerst erklärt und danach die eigenständige Klage des Subunternehmens in den Niederlanden erhoben werden, wäre diese Klage gem. Art. 27 EuGVO unzulässig. Die Streitverkündung löst die Rechtshängigkeitssperre bezüglich der von ihr zu sichernden Ansprüche aus. Zwar werden die zu sichernden Ansprüche in der Streitverkündung nicht ausdrücklich benannt; der Streitverkündende hat aber gem. § 73 ZPO den Grund seiner Streitverkündung anzugeben. Der Streitverkündungsgrund gem. § 72 ZPO ist aber stets ein Anspruch, den er seitens eines Dritten befürchtet oder selbst zu haben glaubt. Der Streitverkündende muss also Angaben zu seinen angeblichen Ansprüchen machen,689 wodurch die Gerichte sie individualisieren und mit einer parallelen Klage abgleichen können. Im Fall des OLG Karlsruhe hatte indessen der Streitverkündungsempfänger zuerst auf negative Feststellung in den Niederlanden geklagt, bevor die Streitverkündung im deutschen Verfahren erklärt wurde. Nun wäre es aber unnötig, den gesamten Prozess in Deutschland auf der Stelle treten zu lassen, nur weil eine Streitverkündung erfolgte. Immerhin hat der in Deutschland eingeklagte Anspruch mit der niederländischen Klage nur insofern etwas zu tun, als es mögliche gemeinsame Vorfragen in Form von Tatsachen gibt. Die von der niederländischen Klage ausgelöste Rechtshängigkeitssperre betrifft daher nur die Streitverkündung. Nur sie wird unzulässig und kann daher keine Interventionswirkung auslösen. Wenn der Streitverkündungsempfänger dem Verfahren nicht gem. § 74 Abs. 1 ZPO beitritt, läuft der Prozess ohne Beeinträchtigung weiter. Über die Zulässigkeit der Streitverkündung ist in solchem Fall erst im Folgeverfahren zu entscheiden.690 Im Folgeverfahren müsste das Gericht die Streitverkündung wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit als unzulässig behandeln und infolgedessen auch die (möglicherweise unvereinbare) Interventionswirkungen verneinen. Auf diese Weise würde die deutsche Streitverkündung als Verwandte der Garantieklage691 ebenfalls als Klage im Sinn von Art. 27 Abs. 1 EuGVO behandelt werden. Der Fall des OLG Karlsruhe enthielt die Besonderheit, dass der Streitverkündungsempfänger dem Verfahren als Streithelfer des Beklagten beitrat. Der Bei688

Ebenso Nieroba Die europäische Rechtshängigkeit (2006) S. 84 ff. MünchKommZPO/Schilken Band 1 (2000) § 73 Rdnr. 2; Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO (2005) § 73 Rdnr. 3. 690 Zur Beurteilung der Zulässigkeit einer Streitverkündung im Folgeverfahren Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 51 Rdnr. 28. 691 Stürner FS Geimer (2002), 1307 (1314) hält Streitverkündung und Drittklagen für funktionell austauschbar. Es gebe ohnehin fließende Übergänge zwischen beiden Institutionen. 689

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

tritt als Streithelfer richtet sich allein nach den Regeln der Nebenintervention gem. §§ 66 ff. ZPO.692 Nach erfolgreichem Beitritt beruht die Interventionswirkung entsprechend der herrschenden Meinung allein auf dem Beitritt; die Streitverkündung und ihre Zulässigkeit spielen keine Rolle.693 Dann scheint es allein wegen des Beitritts zur Interventionswirkung und damit zu möglicherweise unvereinbaren Entscheidungen zu kommen. Die Lösung dieses Problems ist im deutschen Recht der Streitverkündung zu suchen. Trotz Beitritts wird für möglich gehalten, dass der Streithelfer den Streitverkündungsgrund und damit die Zulässigkeit der Streitverkündung im Folgeverfahren bestreiten kann.694 Folge dieses Bestreitens wäre, dass auch die Interventionswirkung nicht allein wegen des Beitritts erfolgte. Damit hätte der Streitverkündungsempfänger die Möglichkeit, sich gleichsam „sicherheitshalber“ am Prozess zu beteiligen, ohne dass er unausweichlich auch die Interventionswirkung in Kauf nehmen müsste. Schließt man sich dieser Sichtweise zum Beitritt nach Streitverkündung an, dann wird auch der Ausschluss der Interventionswirkung begründbar: Die Interventionswirkung kann nicht allein auf dem Beitritt, sondern nur auf der Streitverkündung beruhen. Dazu muss die Streitverkündung zulässig sein; das ist sie wegen anderweitiger Rechtshängigkeit nicht. Wegen der Verwandtschaft zur Garantieklage nach englischem oder französischem Vorbild und wegen drohender unvereinbarer Entscheidungen sollte die Streitverkündung eine Rechtshängigkeitssperre für Klagen wegen desselben Anspruchs auslösen und umgekehrt wegen einer anderweitigen Klage unzulässig sein. Dass der Streitverkündungsempfänger nicht den Parteistatus erlangt, steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Alternativ könnte man die Entstehung unvereinbarer Entscheidungen durch Aussetzung verhindern wollen; immerhin ist im deutschen Zivilprozessrecht die Aussetzung gem. § 148 ZPO das Mittel zur Koordination zweier Verfahren bei Streitverkündung [vgl. oben B.III.4.]. Der Tatbestand des Art. 28 EuGVO ist allerdings nach dem Prioritätsprinzip gestaltet und lässt nur die Aussetzung des später rechtshängig gewordenen Verfahrens zu, im Fall des OLG Karlsruhe also des deutschen Verfahrens. Ein Abwarten des niederländischen Prozessausgangs ist für das deutsche Verfahren jedoch sinnlos, da das niederländische Urteil für die deutsche Entscheidung irrelevant ist.695 Eine Aussetzung des ersten Verfahrens wie im deutschen Recht gem. § 148 ZPO wäre demgegenüber zwar zu er-

692

Stein/Jonas/Bork ZPO Band 2 (2004) § 74 Rdnr. 2. OLG Hamm v. 10.6.1987 NJW-RR 1988, 155; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 51 Rdnr. 26; Stein/Jonas/Bork ZPO Band 2 (2004) § 74 Rdnr. 4 a. E. 694 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPR (2004) § 51 Rdnr. 26 m.w. N.; Musielak/ Weth ZPO (2005) § 74 Rdnr. 2; a. A. Stein/Jonas/Bork ZPO Band 2 (2004) § 74 Rdnr. 4. 695 OLG Karlsruhe v. 18.10.2002 TranspR 2003, 110. 693

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

305

wägen, ist aber nicht möglich. Die Rechtshängigkeitssperre ist also die besser geeignete Maßnahme zur Koordination. Es bleibt noch zu untersuchen, ob im Fall des OLG Karlsruhe die Sperre einfach durch Streitverkündung erst nach Beendigung des niederländischen Verfahrens umgangen werden kann. Wenn das niederländische Verfahren rechtskräftig beendet wird, während das deutsche Verfahren noch läuft, könnte der deutsche Beklagte auf die Idee kommen, nunmehr den Streit zu verkünden. Da ein paralleles Verfahren fehlt, ist der Art. 27 EuGVO nicht anwendbar. Eine nachfolgende Streitverkündung ist aber ebenfalls unzulässig. Man kann die Unzulässigkeit mit entgegenstehender Rechtskraft des niederländischen Urteils begründen; man kann sie aber auch aus § 72 ZPO entnehmen: Wenn bereits eine rechtskräftige Entscheidung über den Rückgriffsanspruch vorliegt, die auch im Inland anzuerkennen ist, kann der Beklagte diesen Anspruch nicht mehr „erheben zu können glauben“. Die Anwendung der Rechtshängigkeitssperre auf die Streitverkündung schafft also eine frühzeitige Weichenstellung, ob über einen Rückgriffsanspruch, der möglicherweise gegenüber einem Dritten besteht, zumindest in seinem Kern aufgrund einer Streitverkündung in einem für den Dritten fremden Verfahren oder in einer eigenen Klage verhandelt und entschieden wird. Zugleich werden dadurch Streitverkündung und echte Garantieklage im Rahmen des Art. 27 EuGVO gleichbehandelt.

12. Rechtshängigkeitssperre bei alternativer Berechtigung (zugleich Lösung zum Fall Drouot) Wenden wir uns abschließend nochmals der Drouot-Entscheidung zu: Dort war der Anspruch, um den es in beiden Klagen ging, vom Schiffseigner auf seine Versicherung übergegangen [vgl. oben C.III.2.d)(2); anderer Ansicht war freilich die Cour de cassation, vgl. oben C.III.3.]. Es liegt also ein Fall alternativer Berechtigung vor. Er wird durch eine unklare oder übersehene Zession hervorgerufen [vgl. oben B.III.14. bei Fn. 503]. Für das deutsche Recht wurde in diesem Fall die Rechtshängigkeitssperre abgelehnt [vgl. oben B.III.14.]. Ob sich der Schiffseigner überhaupt noch für den Berechtigten hielt oder die Rechtsnachfolge nicht im Verfahren eingeräumt hat, ist nicht eindeutig zu beantworten. Das ist auch nicht erforderlich, denn allein die Rechtsnachfolge vermag die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre nicht zu begründen [dazu oben C.III.4.b)]. Die Besonderheit am Fall Drouot ist sicherlich, dass nicht zwei angebliche Gläubiger als Forderungsprätendenten gegenüber dem Schuldner auftraten, sondern dass sich der Schuldner aus eigener Initiative einen möglichen Gläubiger als Feststellungsbeklagten ausgesucht hat. Behandelte man die Feststellungs-

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

klage nicht als gleichwertig mit der Leistungsklage, wofür es gute Gründe gibt [vgl. oben C.II.3.b)(2)], könnte man die Frage der Parteienidentität sogar offen lassen. Selbst wenn die Versicherung und der Versicherungsnehmer als identisch behandelt würden, setzte sich die Leistungsklage gegenüber der Feststellungsklage durch. Der EuGH behandelt indessen beide Klagearten als gleichwertig. Daher ist auch für die Lösung des Falls Drouot zu klären, ob die Klage durch oder gegen einen möglichen Berechtigten eine eigenständige Klage des anderen Forderungsprätendenten sperren kann. Ausgehend von der These, dass das in den parallelen Klagen verfolgte materiell-rechtliche Interesse übereinstimmen muss, scheinen die Verfahren identisch zu sein; denn es geht um einen Anspruch, den es nur einmal geben kann, bei dem lediglich der Inhaber zweifelhaft ist. Auf der anderen Seite sind die von verschiedenen Forderungsprätendenten in den Klagen geltend gemachten Ansprüche nicht erfüllungskonnex; die Zahlung an den letztlich falschen Inhaber befreit in aller Regel nicht gegenüber dem wahren Gläubiger (von wenigen Ausnahmen aufgrund besonderer Umstände wie in § 407 Abs. 1 BGB oder § 409 Abs. 1 BGB einmal abgesehen). Die Interessen der Forderungsprätendenten sind also nicht „identisch und voneinander untrennbar“ (so die Formulierung in Rdnr. 25 der Drouot-Entscheidung). Bleibt zu untersuchen, ob unvereinbare Entscheidungen drohen. Das wäre der Fall, wenn die Rechtskraft eines Urteils auch für den nicht beteiligten Forderungsprätendenten wirkte [vgl. oben C.III.4.d)]. Bei alternativer Berechtigung kommt es nach deutschem Recht nicht zu einer Rechtskrafterstreckung [vgl. oben B.III.1.j)]. Nach englischem und französischem Recht gibt es ebenfalls keine Rechtskrafterstreckung, die Situation wird diesbezüglich – soweit ersichtlich – an keiner Stelle erwähnt. Es gibt allerdings Ausnahmen, wenn sich die alternative Berechtigung aus einem umstrittenen Rechtsübergang ergibt. Unter bestimmten Voraussetzungen bindet ein Urteil beide Prätendenten, wenn der Rechtsübergang tatsächlich stattgefunden hat.696 Beispiel: K klagt in Deutschland gegen B auf Zahlung wegen einer Geldforderung. Der Rechtsstreit ist nach deutschem Zivilrecht zu lösen. Tatsächlich hat K diesen Anspruch aber bereits vor Erhebung der Klage im Wege der Legalzession an D verloren, was K allerdings bestreitet und was B zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit nicht wusste. In diesem Fall kann der Prozess zwischen K und B gem. § 407 Abs. 2 BGB fortgeführt werden. D muss das Urteil gegen sich gelten lassen.

Dann befinden wir uns aber in einer Situation, in der der Rechtsvorgänger als Vertreter oder Prozessstandschafter des Rechtsinhabers klagt und bereits aus diesem Grund die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre geboten ist [vgl. 696 Vgl. oben B.III.1.a) für das deutsche Recht, C.III.4.a)(2) für das englische Recht und C.III.4.a)(4) für das französische Recht.

III. Die subjektive Grenze der Rechtshängigkeit

307

oben C.III.9.]. Wir hatten uns aber bereits gegen die Anwendung von § 407 Abs. 2 BGB oder vergleichbarer Vorschriften auf negative Feststellungsklagen des Schuldners entschieden [vgl. oben bei Fn. 505]. Außerhalb dieser Ausnahmefälle drohen mangels Rechtskrafterstreckung auch keine unvereinbaren Entscheidungen. Wenn selbst im Inland ein Schuldner zweimal wegen desselben Anspruchs zugunsten verschiedener Kläger verurteilt werden kann, steht diese Tatsache auch auf europäischer Ebene einer Anerkennung nicht entgegen. Man muss das obige Beispiel nur etwas abwandeln: Bei Klageerhebung seitens des K kannte B die Umstände, aus denen sich vernünftigerweise der sichere Schluss ziehen lässt, dass ein Rechtsübergang auf D stattgefunden hat. Deshalb kann B sich nicht mehr gem. § 407 Abs. 2 BGB gegenüber D auf das Urteil des Prozesses zwischen ihm und K berufen.697 Wenn es ihm nicht gelingt, das Gericht von der mangelnden Sachlegitimation des K zu überzeugen, wird er möglicherweise zweimal zur Zahlung wegen derselben Forderung verurteilt. Solche Urteile sind aber nicht unvereinbar gem. Art. 34 Nr. 3 EuGVO. Ein weiteres Beispiel findet sich oben bei B.III.14.

Auch die Möglichkeit der Beteiligung eines Forderungsprätendenten im Prozess eines anderen Prätendenten kann die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre nicht rechtfertigen. Für das deutsche Recht wurde die Möglichkeit der Hauptintervention bereits als nicht ausreichend für die Rechtfertigung verworfen [vgl. oben B.III.14.]. Aber selbst wenn es eine echte Einmischungsklage gibt (wie die „intervention volontaire principale“ nach französischen Recht gem. Art. 329 NCPC, die dem Intervenienten erlaubt, den Streitgegenstand für sich zu reklamieren und diesbezüglich eigene Anträge zu stellen),698 stellt sich die Frage, ob man dem nicht beteiligten Prätendenten diesen Weg der Drittbeteiligung vorschreiben und ihm eine eigene Klage verbieten darf. Das ist letztlich eine Wertungsfrage. Dagegen spricht, dass die beiden Prätendenten materiell-rechtlich nichts verbindet. Daher erscheint es auch nicht angebracht, den wahren Rechtsinhaber durch gerichtliche Maßnahmen des oder – wie im Fall Drouot – gegen den falschen Prätendenten in seiner eigenen Rechtsverfolgung zu behindern. Er muss sich sein eigenes Forum aussuchen können. Daher durfte auch im Fall Drouot die Versicherung als Rechtsinhaberin ungehindert klagen; ihre Klage in Frankreich wurde nicht durch die niederländische Klage gesperrt. Der fragwürdigen Konstruktion einer „Versicherung des Schiffs, nicht des Schiffseigners“ bedurfte es zumindest zur Vermeidung einer Rechtshängigkeitssperre nicht. Anders läge es nur, wenn das niederländische Recht den Versicherungsnehmer trotz des Rechtsübergangs vor Rechtshängigkeit der 697

Staudinger/Busche BGB (2005) § 407 Rdnr. 31. Spellenberg ZZP 106 (1993), 283 (308). Die „intervention principale“ wird mit der deutschen Hauptintervention gem. § 64 ZPO verglichen, vgl. Schweickert Die subjektiven Grenzen (1967) S. 41; es wird dabei auch auf den Unterschied hingewiesen, dass die deutsche Hauptintervention einen eigenständigen Prozess in Gang setzt, der allerdings mit dem Hauptverfahren gem. § 147 ZPO verbunden werden kann. 698

308

C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

niederländischen Klage als richtige Partei behandelt hätte (aus welchen Erwägungen auch immer). In der Sache wäre dies eine Prozessstandschaft des Rechtsvorgängers, die in anderen Mitgliedstaaten zu respektieren wäre.

IV. Ergebnis Nach der Drouot-Entscheidung sind verschiedene Parteien in parallelen Verfahren als identisch im Sinn von Art. 27 EuGVO zu behandeln, wenn ihre Interessen hinsichtlich des Gegenstands beider Verfahren identisch und voneinander untrennbar sind. Der Vorschlag, den Streitgegenstand im europäischen Zivilprozess auf das materielle Interesse, das durch die Klage befriedigt werden soll, zurückzuführen, hatte uns zur These geführt, man könne auch den vom EuGH eingeführten Begriff des „Interesses“ in diesem materiellen Sinn verstehen. Klagen sind danach identisch, wenn die mit ihnen verfolgten Ansprüche erfüllungskonnex sind, wenn also das Verhalten, das jeweils vom Beklagten verlangt wird, insgesamt nur einmal verlangt werden kann. Erfüllungskonnexität ist nicht nur bei verschiedenen Ansprüchen gegenüber derselben Person zu beobachten, sondern auch bei Ansprüchen gegenüber verschiedenen Personen. Das gilt vor allem für die Gesamtschuld, aber auch für die Bürgschaft, bei der die Erfüllung eines Anspruchs nicht ohne Auswirkung auf den Bestand des anderen hat. Auch wenn ein Vertreter eines Rechtsinhabers klagt, etwa ein Prozessstandschafter, geht es um die Erfüllung desselben materiellen Interesses. In allen drei Fallgruppen (Gesamtschuld, Bürgschaft, Prozessstandschaft) gibt es hinreichende weitere Gründe, um die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre auf den nicht beteiligten Schuldner, Bürgen oder Rechtsinhaber zu rechtfertigen. Zum einen gewährt Art. 6 Nr. 1 EuGVO einen gemeinsamen Gerichtsstand für eine gebündelte Klage. Dieser Gedanke, den zweiten Kläger auf das erste, bereits laufende Verfahren zu verweisen, ist bereits in Art. 28 Abs. 2 EuGVO niedergelegt. Er ist der EuGVO nicht fremd und kann demnach auch als Argument bei der Auslegung des Art. 27 EuGVO herangezogen werden. Zum anderen kann die Rechtshängigkeitssperre in den genannten Fallgruppen unvereinbare Entscheidungen verhindern, die im Einzelfall möglich wären. Nur im Rahmen der Kontrollüberlegung, ob unvereinbare Entscheidungen drohen, spielt die Rechtskrafterstreckung eine Rolle. Diese Aussage gilt freilich nur unter der Prämisse, dass zu denselben Parteien im Sinn von Art. 34 Nr. 3 EuGVO auch diejenigen Personen gehören, die als Dritte an das Urteil gebunden werden [vgl. oben C.III.4.d)]. Zudem ist die Frage drohender Unvereinbarkeit nur eine Kontrollüberlegung und keinesfalls das maßgebliche Kriterium für die Grenzziehung der Rechtshängigkeitssperre [vgl. oben C.II.2.d)]. Die mögliche Rechtskrafterstreckung hat für die subjektiven Grenzen der Rechtshängig-

IV. Ergebnis

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keitssperre also nur untergeordnete Bedeutung und ist nicht die zentrale Frage. Der EuGH verwendet den Begriff in der Drouot-Entscheidung in einer Weise, die an der Bedeutung seiner Erwähnung zweifeln lässt [vgl. oben C.III.4.a)]. Damit wird die Rechtshängigkeitssperre von der zu erwartenden Reichweite der Rechtskraft gelöst und kann im Einzelfall auch auf Personen erstreckt werden, die nicht von der Rechtskraft des Urteils betroffen sind. Das entspricht dem Ergebnis der Untersuchung zur deutschen Rechtshängigkeit. Der tiefere Grund liegt in den unterschiedlichen Wirkungsweisen von Rechtshängigkeitssperre und Rechtskraft. Es macht einen Unterschied, ob jemandem eine eigenständige Klage nur vorübergehend oder endgültig untersagt wird. Auch die Rechtsnachfolge, ein Begriff, den der EuGH ebenfalls in der Drouot-Entscheidung verwendet, kann nicht in jedem Fall die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre begründen. Insofern sind die Ausführungen des EuGH irreführend. Lediglich wenn das nationale Recht den Rechtsvorgänger weiterhin als richtige Partei und damit als Vertreter des Erwerbers im Prozess behandelt (wie beispielsweise gem. § 265 ZPO) oder aber zumindest den Erwerber an das Ergebnis bindet, das der Rechtsvorgänger erstreitet, gibt es ausreichend Anlass, die Rechtshängigkeitssperre zu erstrecken. In allen anderen Fällen stehen der angebliche Vorgänger und der angebliche Erwerber als alternative Berechtigte ohne materiell-rechtliche Verbindung nebeneinander. Die Rechtsdurchsetzungsversuche des einen müssen den anderen grundsätzlich nicht interessieren. Die Erstreckung der Rechtshängigkeitssperre ist nicht geboten. Damit entstehen scheinbar Zweifel an unserer These, derzufolge es darauf ankommt, ob dasselbe materielle Interesse in beiden Klagen verfolgt wird. Man könnte bei alternativer Berechtigung denselben Anspruch für gegeben halten, dessen sich verschiedene Parteien berühmen. Bei genauerem Hinsehen erkennt man aber, dass verschiedene Prätendenten in parallelen Klagen nicht um dasselbe materiell-rechtliche Interesse streiten. Beide behaupteten Ansprüche sind nämlich nicht erfüllungskonnex; die Zahlung an den Nichtgläubiger befreit grundsätzlich nicht gegenüber dem wahren Gläubiger. Das materielle Interesse, das mit der Klage durchgesetzt werden soll, bekommt auf diese Weise eine Doppelfunktion. Es bestimmt den objektiven Streitgegenstand und beantwortet zugleich die Frage der Parteienidentität. Verfolgen verschiedene Personen in parallelen Verfahren dasselbe materielle Interesse, sind die Verfahren identisch, und die Rechtshängigkeitssperre muss eingreifen. Das materielle Interesse ist dabei durch eine wirtschaftliche und rechtliche Analyse des Einzelfalls zu bestimmen. Dabei ist auch zu ermitteln, welches Interesse die auf den Sachverhalt anwendbaren Rechtsvorschriften schützen sollen. Insgesamt betrachtet führt also die materiell-rechtliche Interpretation des „Interesses“ aus der Drouot-Entscheidung zu brauchbaren Ergebnissen. Dieses

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C. Die Rechtshängigkeitssperre in der EuGVO

Ergebnis kann nur eine Faustformel sein. Die Besonderheiten des Einzelfalls sind stets in Betracht zu ziehen. So geht es beispielsweise bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern in parallelen Klagen gegen den Hauptschuldner und den Bürgen um dasselbe materielle Interesse, jedoch ist die besondere Sicherungsfunktion der Bürgschaft auf erstes Anfordern zu beachten und ihretwegen die Sperre der Klage gegen den Bürgen wegen anderweitiger Rechtshängigkeit (etwa wegen einer Klage des oder gegen den Hauptschuldner) zu verneinen [vgl. oben C.III.5.c)]. Nicht untersucht wurde die Tauglichkeit der Faustformel in anderen Fällen, in denen verschiedene Personen die Befriedigung desselben materiellen Interesses schulden. So zum Beispiel bei gestufter Haftung von Versicherung und einem Schädiger [vgl. oben C.III.6.b)(2)]. Hier wäre zu klären, ob parallele Prozesse des Geschädigten gegen die Versicherung und gegen den Schädiger möglich sind. Hat die Versicherung bereits gezahlt, geht in aller Regel die Forderung gegen den Schädiger auf sie über, womit wieder eine Konstellation wie im Fall Drouot entsteht. Dasselbe Interesse wird auch bei der sog. ersetzenden Haftung geschuldet [vgl. oben A.III.2.b)], die keine Gesamtschuld ist [vgl. oben C.III.6.b)(1)]. Parallele Verfahren mögen hier selten sein, weil die mit der Durchsetzung des ersten Anspruchs betraute Person gerade haftet, weil sie die Durchsetzung in von ihr zu vertretender Weise vereitelt. Das stellt sich aber in aller Regel erst nach Abschluss eines erfolglosen Erstverfahrens heraus, oder aber das Verfahren gegen den „eigentlich“ Haftenden wird gar nicht mehr in Gang gesetzt. In Ausnahmefällen mag der Gläubiger aber Anlass haben, bereits zeitgleich mit der Klage gegen den „eigentlich“ Haftenden gegen den „ersetzend“ Haftenden vorzugehen. Nicht berücksichtigt wurden auch die schwierigen Fälle der Mitberechtigung und der Gesamtgläubigerschaft.

Ebenfalls unberücksichtigt blieb die Koordination bei Massen- und Musterverfahren. Diese Untersuchung konzentrierte sich maßgeblich auf Klagen wegen Forderungen, insbesondere wegen Geldforderungen. Grenzüberschreitende Klagen zur Gestaltung von Rechtsbeziehungen in Gesellschaften oder Klagen, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, mögen anhand der hier entwickelten Grundsätze nicht sachgerecht zu lösen sein. Hier stehen noch spezielle Untersuchungen aus. Nicht untersucht wurde auch Art. 19 EheVO. Nicht weiter eingegangen wurde auf mögliche Ausnahmen von der Rechtshängigkeitssperre aus besonderen Gründen [vgl. oben A.V.].

D. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick I. Ergebnisse 1. Die subjektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre stimmen nicht notwendig mit den subjektiven Grenzen der Rechtskraft überein. Die Rechtskraft darf wegen der Endgültigkeit, mit der sie in die prozessualen Grundrechte der Beteiligten, insbesondere den Justizgewährungsanspruch und den Anspruch auf rechtliches Gehör, eingreift, nur vorsichtig auf Dritte erstreckt werden. Die Rechtshängigkeitssperre zeigt diese Endgültigkeit nicht. Als Maßnahme der Verfahrenskoordination kann man sie daher großzügiger einsetzen, um ihre Ziele, die in der Prozesswirtschaftlichkeit und der Abstimmung von Verfahrensergebnissen liegen, zu verwirklichen. Dabei hat die Rechtshängigkeitssperre anders als die alternative Koordinationsmaßnahme der Aussetzung eine Konzentrationswirkung, indem sie Druck auf die Beteiligten ausübt, die Streitigkeiten in einem bereits laufenden Verfahren beizulegen. 2. Dass die Grenzen von Rechtshängigkeitssperre und Rechtskraft nicht notwendig gleich gezogen werden müssen, zeigt sich im deutschen Zivilprozessrecht bereits beim objektiven Verfahrensgehalt. Richtigerweise unterscheidet man zwischen dem Streitgegenstand, der die objektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre bestimmt, und dem Urteilsgegenstand für die objektive Reichweite der Rechtskraft. Auszugehen ist bei der Bildung des Streitgegenstands mit der herrschenden Meinung von einem zweigliedrigen Begriff, der aus Antrag und begründendem Sachverhalt besteht. Der Sachverhalt des Streitgegenstands kann nach den Umständen des Einzelfalls weiter gefasst sein als beim Urteilsgegenstand. Nicht ausgeschlossen ist auch, die Rechtshängigkeitssperre vorsichtig über den Streitgegenstand hinaus anzuwenden, etwa bei Teilklagen. Nicht außer Acht gelassen werden dürfen dabei das auf den Sachverhalt anzuwendende materielle Recht und seine Besonderheiten und Zielsetzungen. Das praktiziert der BGH anschaulich bei der Streitgegenstandsbildung bei aktienrechtlichen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gem. §§ 246, 249 AktG. Ein weiteres Beispiel dafür ist die Bürgschaft auf erstes Anfordern, deren rasche gerichtliche Durchsetzung nicht behindert werden darf. Daher sollten Verfahrenskoordinationsmaßnahmen, die ihre gerichtliche Durchsetzung verzögern können, unterlassen oder nur vorsichtig eingesetzt werden.

312

D. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick

3. Neben den formellen Parteien werden von der Rechtshängigkeitssperre auch Dritte erfasst, auf die die Rechtskraft der Entscheidung erstreckt wird. Die Einbeziehung dieser Personen in die Rechtshängigkeitssperre ist zur Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen geboten. Dementsprechend gilt die Rechtshängigkeitssperre im Fall der §§ 265, 325 ZPO auch gegenüber dem Rechtsnachfolger, weiterhin bei Prozessstandschaft, die zur Rechtskrafterstreckung führt (z. B. gewillkürte Prozessstandschaft), auch gegenüber dem Rechtsinhaber und schließlich bei aktienrechtlichen Beschlussanfechtungsklagen auch gegenüber nicht beteiligten Klageberechtigten. Lediglich dort, wo die Verfahren in einem Präjudizialitätsverhältnis stehen, ist trotz der Rechtskrafterstreckung im deutschen Zivilverfahrensrecht keine Rechtshängigkeitssperre angezeigt, sondern die Aussetzung gem. § 148 ZPO die geeignetere Maßnahme; das betrifft vor allem die Fälle akzessorischer Haftung und der Präjudizialität infolge einer Streitverkündung. 4. Die Rechtshängigkeitssperre gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO kann aber auch über diesen durch die Rechtskrafterstreckung bestimmten Bereich hinaus auf Dritte Anwendung finden. Mit Blick auf die prozessualen Grundrechte der Beteiligten und betroffenen Dritten ist diese Verwehrung einer eigenständigen Klage leichter zu rechtfertigen, wenn es ausreichende Möglichkeit gibt, das Rechtsschutzbegehren auch im bereits laufenden Verfahren einzubringen. Dahinter steht der Zweck der Rechtshängigkeitssperre, für Wirtschaftlichkeit in der Prozessführung und der Streiterledigung zu sorgen: Ein eigenes Verfahren ist eine unnötige Belastung der Gegner und der Justiz, wenn der verlangte Rechtsschutz auch in einem bereits laufenden Verfahren verfolgt werden kann. Dementsprechend sind im deutschen Zivilprozessrecht parallele Klagen mehrerer Pfändungsgläubiger nach mehrfacher Pfändung gem. § 856 ZPO oder mehrerer Mitberechtigter gem. §§ 2039, 432 BGB auf Hinterlegung bzw. auf Leistung an alle wegen anderweitiger Rechtshängigkeit gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO unzulässig. Die übrigen Klageberechtigten können sich einer bereits erhobenen Klage gem. § 856 Abs. 2 ZPO (für Mitberechtigte in analoger Anwendung) anschließen. Um den Gegner und die Justiz vor unnötiger Belastung zu bewahren, ist die Rechtshängigkeitssperre gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO auch auf nicht beteiligte Gesamtschuldner und Gesamtgläubiger zu erstrecken. Im Fall der Gesamtschuld kann der Gläubiger gegen die Gesamtschuldner in einer Klage vorgehen und die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstands gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO beantragen. Erhebt zunächst ein Gesamtschuldner negative Feststellungsklage, wird seine Klage unzulässig, sobald der Gläubiger gegen einen Gesamtschuldner Leistungsklage erhebt, weil das erforderliche Feststellungsinteresse entfällt. 5. Auch im europäischen Zivilprozessrecht richtet sich die subjektive Reichweite der Rechtshängigkeitssperre gem. Art. 27 EuGVO nicht nach den subjektiven Grenzen der Rechtskraft. Die EuGVO bestimmt die Rechtskraftreichweite

I. Ergebnisse

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ohnehin nicht selbst, sondern überlässt sie den nationalen Verfahrensrechten. Die regeln die Frage bei Weitem nicht einheitlich, so dass sich eine Ausrichtung an der Rechtskraft schwierig gestalten würde. 6. Bereits bei der objektiven Reichweite der Rechtshängigkeitssperre hat sich der EuGH in einer Reihe von Entscheidungen von der Rechtskraft gelöst und ein eigenes Konzept zur Bestimmung des Streitgegenstands entworfen. Er orientiert sich dabei an der Aufgabe der Rechtshängigkeitssperre nach Art. 27 EuGVO, die die Entstehung unvereinbarer und daher nicht anzuerkennender Entscheidungen gem. Art. 34 Nr. 3 EuGVO verhindern soll. Unvereinbarkeit im Sinn von Art. 34 Nr. 3 EuGVO setzt nach dem Verständnis des EuGH keinen echten Rechtskraftkonflikt voraus. Es scheint vielmehr so zu sein, dass eine ausländische Entscheidung mit einer inländischen unvereinbar ist, wenn sie mit ihrem Inhalt im Inland nicht mehr ergehen könnte. Daraus ergibt sich, dass die Rechtshängigkeitssperre auch Situationen erfasst, in denen kein Rechtskraftkonflikt droht. Im Übrigen ist die Rechtshängigkeitssperre nicht zwingend an die Möglichkeit miteinander unvereinbarer Entscheidungen gekoppelt; es handelt sich um keine maßgebliche Vorgabe, sondern eine Kontrollüberlegung. Die Rechtshängigkeitssperre soll so weit wie möglich die Entstehung unvereinbarer Entscheidungen verhindern. Alternativ zur Rechtshängigkeitssperre steht die Aussetzung gem. Art. 28 EuGVO bereits, um Unvereinbarkeiten vorzubeugen. 7. Der Streitgegenstand nach europäischem Recht setzt sich aus Klagegrund und Klagegegenstand zusammen. Der Klagegrund wird durch den zur Begründung vorgetragenen Lebenssachverhalt und die anwendbaren Rechtsnormen gebildet. Der Wortlaut des Antrags hat für die Bestimmung des Klagegegenstands keine entscheidende Bedeutung. Es genügt, wenn beide Verfahren im Kern dasselbe bezwecken. Was sich hinter dieser Umschreibung verbirgt, ist in der bisherigen Rechtsprechung des EuGH nicht ganz deutlich geworden. Ein bedenkenswerter Vorschlag führt (zumindest für Leistungs- und Feststellungsklagen in Bezug auf Ansprüche) den Gegenstand auf das zu befriedigende Interesse zurück, auf das die Klage abzielt. 8. Bemerkenswerterweise benutzt der EuGH in seiner bisher einzigen Entscheidung zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals „zwischen denselben Parteien“ ebenfalls den Begriff des Interesses. Die Rechtshängigkeitssperre sei neben den formellen Parteien auch auf solche Personen anzuwenden, deren Interessen am Gegenstand der Klage identisch und voneinander untrennbar sind. In diesem Zusammenhang fiel auch der Begriff der „Rechtskrafterstreckung“, die Folge einer solchen Interessenübereinstimmung sein könne. Die „Rechtskrafterstreckung“ erhält dabei keine klare Bedeutung. Es kommt auf sie nicht an. Die Rechtshängigkeitssperre kann zur Erreichung ihrer Ziele losgelöst von nationalen Rechtskraftkonzepten angewendet werden.

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D. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick

9. Zu brauchbaren Ergebnissen kommt man, wenn man den Begriff des „Interesses“ entsprechend dem Vorschlag zum Streitgegenstand materiell-rechtlich interpretiert. Das macht auch in typischen Mehrpersonenverhältnissen Sinn. Bei der Gesamtschuld zielen parallele Klagen gegen verschiedene Gesamtschuldner auf die Befriedigung desselben Interesses ab. Gleiches gilt bei parallelen Klagen von Rechtsinhaber und Prozessstandschafter. Auch die Hauptschuld und die sichernde Bürgschaft dienen demselben materiellen Interesse. Die Erfüllung der einen Schuld bleibt nicht ohne Wirkung auf den Bestand der anderen Schuld. Schon aus diesem Grund sollten Klagen zur Durchsetzung dieses Interesses nicht parallel laufen. Eventuell genügt bereits ein Verfahren. Zudem gewährt Art. 6 Nr. 1 EuGVO im Fall von Bürgschaft und Gesamtschuld einen gemeinsamen Gerichtsstand zur gebündelten Durchsetzung aller Ansprüche. Dieser Konzentrationsgedanke ist der EuGVO nicht fremd; er ist dem Art. 28 Abs. 2 EuGVO zu entnehmen, wonach ein später angerufenes Gericht einen an sich gegebenen Gerichtsstand verweigern und sich für unzuständig erklären kann, wenn das zuerst angerufene Gericht beide Klagen verbinden könnte [vgl. oben C.II.6.]. Das materiell-rechtliche Interesse bekommt dadurch eine Doppelfunktion, indem es zugleich die objektiven und subjektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre bestimmt: Zwei Klagen sind identisch, wenn sie auf die Befriedigung desselben Interesses abzielen. Die Formel passt allerdings nur bei Leistungs- und Feststellungsklagen wegen Ansprüchen und ist nur eine Faustformel. Bei der Bürgschaft auf erstes Anfordern gilt sie wegen des besonderen Zwecks dieser Bürgschaftsform nicht [vgl. oben C.III.5.c)]. Problematisch erscheint allerdings diese Erstreckung auf nicht beteiligte Personen vor dem Hintergrund der Gleichwertigkeit von Leistungsklage und negativer Feststellungsklage nach europäischem Recht. Dadurch kann der Gläubiger an einer Klage gegen den von ihm ausgewählten Schuldner gehindert sein, wenn ein anderer Schuldner, den er nicht belangen will, negative Feststellungsklage erhebt. Das mag als weiteres Argument dafür dienen, die fragwürdige Gleichwertigkeit zu überdenken. 10. An dieser Stelle werden Unterschiede zwischen dem deutschen und dem europäischen Zivilprozessrecht deutlich: Nach deutschem Recht kann eine parallele Klage gegen den Bürgen gem. § 148 ZPO ausgesetzt werden, während nach europäischem Recht die Rechtshängigkeitssperre eingreift. Die Abweichung erklärt sich durch die unterschiedlichen Tatbestandsstrukturen der beiden Aussetzungsvorschriften: § 148 ZPO erlaubt auch die Aussetzung des zuerst rechtshängig gewordenen Verfahrens und setzt ein Vorgreiflichkeitsverhältnis voraus; Art. 28 Abs. 1 EuGVO weist strikt dem zuerst rechtshängigen Verfahren den Vorrang zu (Prioritätsprinzip). Sie bietet sich daher bei der Bürgschaft, die zur Hauptschuld im Präjudizialitätsverhältnis steht, nicht an und hat gegenüber der Rechtshängigkeitssperre den bereits beschriebenen Nachteil, dass sie die Beteiligten nicht zur Verfahrenskonzentration anhält.

II. Ausblick

315

11. Aus ähnlichem Grund ist die Rechtshängigkeitssperre im europäischen Recht auch auf die Streitverkündung gem. § 72 ZPO anzuwenden. Das bedeutet, dass diese selbst eine Sperre für nachfolgende Klagen zur Durchsetzung des von der Streitverkündung betroffenen Anspruchs auslöst und umgekehrt durch solche Klagen, die zuvor rechtshängig geworden sind, unzulässig wird. Anders ist es nach deutschem Recht: Durch die Streitverkündung werden parallele Verfahren in ein Präjudizialitätsverhältnis gesetzt und können durch die Aussetzung gem. § 148 ZPO koordiniert werden. Die Aussetzung gem. Art. 28 Abs. 1 EuGVO ist für diese Situation zu unflexibel. Außerdem werden durch die Anwendung der Rechtshängigkeitssperre die Streitverkündung und die Garantieklagen nach ausländischem Recht gleichbehandelt. 12. Keine Rechtshängigkeitssperre ist dagegen bei alternativer Berechtigung und Verpflichtung geboten, weder nach deutschem noch nach europäischem Verfahrensrecht. Die behaupteten materiellen Ansprüche stehen unabhängig nebeneinander. Die Erfüllung eines (in Wahrheit nicht bestehenden) Anspruchs bleibt – abgesehen von wenigen Ausnahmen – ohne Auswirkungen auf die anderen (in Wahrheit bestehenden) Ansprüche. Aus dieser materiell-rechtlichen Sicht ist eine Koordination der Verfahren nicht geboten. Zudem erscheint es schwerlich zu rechtfertigen, weshalb der Berechtigte durch Rechtsverfolgungsmaßnahmen der oder gegen die falsche Person in seiner beabsichtigten Klage behindert werden sollte. Das Interesse an widerspruchsfreien Entscheidungen hat allein der Gläubiger (bei alternativer Verpflichtung) bzw. der Schuldner (bei alternativer Berechtigung); ihm obliegt es daher auch, aus eigener Initiative geeignete Koordinationsmaßnahmen zu treffen oder Grundlagen für solche Maßnahmen (beispielsweise die Streitverkündung) zu schaffen. Daher ist auch die Rechtsnachfolge für sich genommen kein hinreichender Grund für die Anwendung der Rechtshängigkeitssperre auf den nicht beteiligten Rechtsnachfolger. Eine ungeklärte oder von den Beteiligten bestrittene oder ignorierte Rechtsnachfolge ist ein Fall alternativer Berechtigung. Sofern das nationale Verfahrensrecht den Rechtsvorgänger nicht als die richtige Partei behandelt (etwa gem. § 265 ZPO oder § 407 Abs. 2 BGB), ist der Rechtsnachfolger nicht an einer eigenständigen Klage gehindert. II. Ausblick Eine griffige und abstrakt-generelle Formel für die Bestimmung der subjektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre liefert diese Untersuchung nicht. Stets sind die Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere die Zielsetzung des zu verwirklichenden materiellen Rechts zu berücksichtigen. Für einzelne Fallgruppen ist in dieser Untersuchung ein recht weitreichender Anwendungsbereich des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO bzw. des Art. 27 EuGVO vorgeschlagen worden, der im europäischen Recht insbesondere vor dem Hintergrund der Gleich-

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D. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick

wertigkeit von Leistungs- und Feststellungsklage bedenklich erscheinen mag. Eine Korrektur der Gleichwertigkeit, eventuell durch eine Ergänzung des Tatbestands von Art. 27 EuGVO, wie sie bereits in der Literatur vorgeschlagen wurde, würde sicherlich zu einer Abmilderung der Bedenken beitragen. Die vorgeschlagene Reichweite der Rechtshängigkeitssperre hat stark den wirtschaftlichen Umgang mit Zivilverfahren im Auge, um die Justiz und einzelne Betroffene vor doppelten Belastungen zu schützen. Im Einzelfall wird der Justizgewährungsanspruch einzelner Personen spürbar eingeschränkt. Diese Beschränkung wird wegen ihres vorübergehenden Charakters als gerechtfertigt angesehen. Einzelne Ergebnisse mögen zudem Makulatur werden, wenn in die ZPO oder die EuGVO Normen eingefügt werden, die die verbindende Verweisung nach Muster des Art. 101 NCPC an ein zuerst angerufenes Gericht bei hinreichendem Zusammenhang zwischen den Klagen gestatten. Solche Maßnahmen sind wegen des höheren Konzentrations- und Koordinationseffekts speziell zur Rechtshängigkeitssperre und wären daher vorrangig anzuwenden. Im Sinn einer effektiven Rechtsprechung in Zivilsachen ist ihre Einführung sowohl im deutschen als auch im europäischen Verfahrensrecht wünschenswert.

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Sachverzeichnis Abstammungsfeststellung 72, 135 – im englischen Recht 230 – im französischen Recht 246 – Rechtskrafterstreckung 113 abuse of process 224, 228, 236, 262 action oblique 250, 260 Aktiengesellschaft, Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage 69, 138 Akzessorietät 38, 40, 268, 279, 287, 288 – Rechtshängigkeitssperre 150 – Rechtskrafterstreckung 123 Alternative Berechtigung 37, 39, 128, 131, 141, 149, 153, 256, 265, 305 Alternative Haftung 38, 151 Anfechtungsklage – aktienrechtliche 69, 137 – Vaterschaft 73, 136 Anschlussrecht 113, 133 Anspruch auf rechtliches Gehör 85, 91, 99, 102, 109, 123, 125 Anspruchsgrundlage 58, 88, 188, 193, 272, 297, 298 Anspruchskonkurrenz 59, 274 anti-suit injunction 262 appel en garantie 284, 288, 300 Auflösungsklage 67, 118 Ausschlussklage 67, 119 Aussetzung 23, 44, 82 – forum non conveniens 32 – gemäß Art. 28 EuGVO 175, 177, 195, 198, 289, 299, 304 – gemäß § 148 ZPO 26, 79, 93, 133, 139, 142, 149, 153, 299 Beiladung 113, 119, 134 Bürgschaft 38, 122, 279, 291 – auf erstes Anfordern 56, 265, 292

– im englischen Recht 286 – im französischen Recht 287 – Rechtskrafterstreckung 150, 232, 248 cause of action 165, 187 cause of action estoppel 224 CMR 163, 182, 299 cointéressés 247 décisions implicites 244 deemed parties 230 Dispache 213 dispositif 242 Dispositionsgrundsatz 101 Drittschadensliquidation 146 Drittwiderklage 137, 271, 290 Ehescheidung 35, 94, 168, 230, 297 Einziehungsermächtigung 111, 130 Einziehungsrecht 37, 106, 112 Erfüllungskonnexität 62, 122, 273, 285, 296, 299, 306 Eventualantrag 84, 92 Feststellungsklage 29, 35, 48, 53, 63 – Kontradiktorisches Gegenteil 75 – Negative Feststellungsklage 91, 144, 181, 255, 290 – Streitgegenstand 65 – Vaterschaftsfeststellung 73 – Vaterschaftsfeststellungsklage 98, 114, 136 – Zwischenfeststellungsklage 80 Forderungspfändung 37, 112, 134 forum non conveniens 31, 182 forum shopping 22, 182

332

Sachverzeichnis

Gesamtgläubiger 122, 146, 154, 276, 310 Gesamtschuld 124, 141, 152, 277, 288, 289 – im englischen Recht 281 – im französischen Recht 283 – Rechtskrafterstreckung 120, 236, 248 Gestaltungsklage 66, 73, 87, 116, 119, 176 Haftpflichtversicherung 38, 121, 215 Hauptintervention 147, 154, 307 Haverei 205, 212 Hinterlegung 109, 113, 131, 148 Insolvenzverwalter 108, 156, 221, 232, 247 Interesse 60, 62, 193, 206, 208, 210, 220, 260, 272, 289, 298, 301 Intervention – im französischen Recht 246, 284, 300 – siehe auch Hauptintervention und Nebenintervention issue estoppel 224, 227, 233 Justizgewährungsanspruch 27, 41, 82, 99, 101, 126, 137, 147, 159, 178, 187, 195, 203, 256, 271 Kernpunkttheorie 182, 189, 191, 194 Kindschaftssache 51, 73, 92, 98, 113, 135 Klageänderung 18, 51, 57, 72, 90, 95, 106, 110, 148, 202 Klageerweiterung 92, 96, 137, 198, 201 Klagegrund 57, 59, 63, 68, 137, 150, 186, 187, 226, 241, 260, 296 – bei Feststellungsklagen 65 – bei Gestaltungsklagen 66 – bei Leistungsklagen 58 – bei Vaterschaftsfeststellung 73 – und Präklusion 86

Klagehäufung 51 Konnexität 175, 195

lex fori 21, 178 lis alibi pendens 32

Missbrauch der Rechtshängigkeitssperre 48 Mitberechtigte 37, 109, 129, 131, 249, 292 Miteigentümer 37, 249 Miterben 37, 110 Mitgläubiger 37

Nachlassverwalter 108, 156, 231, 232 Naturalrestitution 55, 242 ne bis in idem 25, 82, 99 Nebenintervention 35, 81, 94, 119, 127, 132, 136, 148, 304 Nichtigkeitsklage 70, 90, 116, 137, 241

obligation – in solidum 248, 283 – solidaire 283, 290

Parteibegriff 100, 203, 246, 298 Parteienidentität 100, 126, 140, 207, 223, 248, 253, 260, 263, 272, 293, 306 – im Sinn von Art. 34 Nr. 3 EuGVO 257 perpetuatio fori 17 Präjudizialität 34, 38, 77, 99, 145, 172 Präklusion 42, 78, 87, 99 Prätendent 37, 73, 97, 115, 125, 131, 137, 154, 258, 305 Prioritätsgrundsatz 20, 114, 160, 163, 180, 198, 291, 304 privy 231 Prozessbeschleunigung 42, 45, 88 Prozessbetrug 229, 234

Sachverzeichnis Prozessführungsbefugnis 37, 105, 108, 120, 127, 129, 155, 204, 254, 297 Prozessökonomie 27, 43, 80, 89, 92, 96, 101, 126, 159, 181, 195 Prozessstandschaft 18, 37, 108, 118, 126, 129, 140, 155, 221, 232, 250, 260, 292, 297, 306 Prozessverbindung 24, 45, 82, 94, 137, 145, 200 Rechtskraft – formelle 25 – im englischen Recht 223 – im französischen Recht 239 – materielle 25, 80, 93 – und Unvereinbarkeit von Urteilen 169 – und Urteilsgegenstand 53, 99 – Zweck 27, 42, 101 Rechtskrafterstreckung 101, 261, 291, 292, 306 – im englischen Recht 230, 289 – im französischen Recht 245, 290 – und Unvereinbarkeit von Urteilen 258 Rechtsmissbrauch 50, 269 Rechtsnachfolge 125, 127, 208, 217, 230, 249, 258, 295, 305 – und Rechtskrafterstreckung 105 Rechtsschutzbedürfnis 28, 54, 69, 93, 134, 184, 190 Rechtsschutzform 53, 58, 185 Rechtssicherheit 27, 42, 57, 67, 71, 86, 101, 109, 115, 176, 235, 240 Regressanspruch 142, 248, 288, 302 Regressklage 143, 289, 300 Relevanztheorie 106, 111, 129 représentation 222, 247, 260 res judicata 223

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Restitutionsklage 27, 170, 173 revision au fond 169 Sachlegitimation 107, 127, 204, 307 Sicherungszession 111 Streitgenossenschaft 36, 113, 119, 141, 151 Streitverkündung 35, 81, 94, 121, 126, 142, 146, 153, 284, 288, 299 Teilklage 36, 91, 96, 225, 244 tierce opposition 246, 250, 285, 300 Torpedo 48, 184 trust 231 Untersuchungsgrundsatz 98, 104 Unvereinbarkeit von Entscheidungen 77, 164, 167, 191, 252, 258, 290, 302 Urteilsanerkennung 47, 167, 196 Urteilsgegenstand 53, 64, 68, 79, 83, 90, 125 Vaterschaftsfeststellung 73, 114 Verhandlungsgrundsatz 101 Verjährung 18, 39, 160, 273, 277 Verweisung 23, 24, 82, 94, 139, 161, 200 Vollstreckungsabwehrklage 149, 298 Widerklage 18, 54, 56, 74, 78, 91, 95, 136, 179, 181, 198, 201, 226, 263, 271 Zession 105, 111, 127, 153, 219, 261, 279, 295, 305 Zuständigkeit des Gerichts 22, 31, 43, 49, 138, 141, 162, 191, 197, 262