Die Strafgesetzgebung des Deutschen Reichs [3. Aufl. Reprint 2021] 9783112404140, 9783112404133

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Die Strafgesetzgebung des Deutschen Reichs [3. Aufl. Reprint 2021]
 9783112404140, 9783112404133

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PH. Allfeld

Ztrasgesetzgebung.

Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie., Freising-München

Die Strafgesetzgebung des Deutschen Reichs Sammlung aller Reichsgesetze strafrechtlichen un­ strafprozessualen Inhalts mit einem Gesamtregister

Für den akademischen Gebrauch und die Praxis herausgegeben von

Dr. Philipp Allfeld orb. Professor an der Universität (£rlan$en

r. Auslage

1926

München, Berlin und Leipzig 3. Schweitzer Verlag (Arthur Seiltet).

Vorwort Zweck der Herausgabe dieser Sammlung, die nun nach langer Pause völlig umgearbeitet erscheint, ist vor allem, dem Studierenden in einem einzigen Bande den Text der Reichsgesetze zu bieten, auf die in den Vorlesungen über Strafrecht und Strafprozeßrecht Bezug zu nehmen ist. Besonders bei den praktischen Übungen hat sich das Bedürfnis nach einer solchen Sammlung gezeigt, da hier ein übergreifen von einer Materie in die andere häufig stattfindet. Aber das Buch soll nicht minder der Praxis dienen. Richter, Staatsanwälte, Verteidiger haben mit diesem einzigen Band, wenigstens für die Regel, den Text aller Reichsgesetze zur Hand, deren Anwendung im Gebiete der Strafrechtspflege in Frage kommen kann. Um jedoch den Umfang des Werkes nicht allzusehr anwachsen zu lassen, wurden von den Gesetzen, die nicht ausschließlich Strafbestim­ mungen enthalten, alle diejenigen Paragraphen weggelassen, deren Auf­ nahme zum Verständnis der Strafvorschriften nicht erforderlich erschien. Von den Gesetzen betr. das Finanzwesen wurde lediglich die Reichsab­ gabenordnung ausgenommen, da im übrigen auf diesem Gebiete die Gesetzgebung zur Zeit einem fortwährenden Wechsel unterworfen ist. Nur die Gesetzgebung, soweit sie das Straftecht in e. S. und das Strafprozeßrecht betrifft, wurde berücksichtigt; internationale Verträge, die sich auf diese Gebiete beziehen, und Disziplinarstrafbestimmungen wurden von der Aufnahme ausgeschlossen. Die Noten sind in der Hauptsache lediglich redaktioneller Natur. Im Interesse der Raumersparnis mußte, von einzelnen Ausnahmen ab­ gesehen, auf Anmerkungen anderer Art, auch auf Verweisungen, auf sonstige Bestimmungen, insbesondere Ausführungsvorschriften, verzichtet werden. Da sich die allgemeine Geltung der Verordnung über Ver­ mögensstrafen und Bußen v. 6. Februar 1924 (s. Nr. 11 der Sammlung) von selbst versteht, wurde es auch unterlassen, bei den einzelnen Gesetzen, soweit diese Geldstrafen androhen, auf diese Verordnung zu verweisen. Das Sachregister wurde von Herrn vr. Winkler hergestellt, der mich auch bei der Sichtung des Stoffes vielfach unterstützt hat und dem ich für diese Mitwirkung den wärmsten Dank ausspreche. Erlangen am 3. Mai 1926.

Ph. Allfeld.

Inhaltsverzeichnis. Erster Teil:

Strafgesetze. Erster Abschnitt.

Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich nebst den Einführung» und Abänderungsgesetzen. Sette

1. 2. 3. 4. 5.

6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

I. Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.................................... 1—53 II. Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch...........................................54—55 III. Gesetz, betreffend die Redaktion des Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund als Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich 55 IV. Verordnung, betreffend die Einführung von Reichsgesetzen in Helgoland........................................................................................55 V. Gesetz, betreffend die Abänderung von Bestimmungen des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich und die Ergänzung desselben.............................................................................................. 55—56 VI. Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.....................56 VH. Bekanntmachung über die Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften über wirtschaftliche Maßnahmen .... 56—57 VIII. Bekanntmachung, betreffend einige die Kriegsverordnungen ergänzende Vorschriften über Einziehung und Veräußerung beschlagnahmter Gegenstände.................................................... 57 IX. Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit.......................... 58 X. Gesetz über Straffreiheit für politische Straftaten .... 58—59 XI. Verordnung über Vermögensstrafen und Bußen..................... 59—63 XU. Jugendgerichtsgesetz......................................................................... 63—70

Zweiter Abschnitt.

Das Mllitürstrafgesetzbuch samt Einführungsgesetz. 13. 14.

I. Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich................................. 71—91 II. Einführungsgesetz zum Militärstrafgesetzbuche für das Deutsche Reich..............................................................................................91 Dritter Abschnitt.

Die übrigen strafrechtliche« Reichsgesetze. A. Gesetze, betr. das persönliche nnd räumliche Geltungsgedirt der Strafgesetze. 15. 16.

1. Verfassung des Deutschen Reichs*).......................................... 92 2. Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit..................................... 92 •) Nur Autzzug der einschlägige» Bestimmungen.

VII

Inhaltsverzeichnis.

B. Gesetze zum Schutze von Gütern der Gesamtheit. I. Gesetze, betr. das Militärwesen und den Schutz der StaatSficherheit. Sette

27. 28.

1. Preußisches Gesetz über den Belagerungszustand 93 2. Gesetz, betr. die Beschränkungen des Grundeigentums in der Umgebung von Festungen*) 94—101 3. Gesetz über die Kriegsleistungen*) 101—102 4. Gesetz, betr die Reichs-Kriegshäsen und die Feststellung eines Nachtrages zum Reichshaushalts-Etat für das Etatsjahr 1883/84 102—104 5. Gesetz, betr. den Schutz der Brieftauben und den Brieftauben­ verkehr im Kriege ............................104 6. Gesetz zum Schutze des Genfer Neutralitätszeichens .... 104—105 7. Gesetz gegen den Verrat militärischer Geheimnisse .... 105—108 8. Verordnung über die Zurückführung von Waffen und Heeres­ gut in den Besitz des Reichs 108 9. Auskunstspflichtgesetz 108—109 10. Gesetz zur Abänderung des Gesetzes betr. die Ein- und Ausfuhr von Kriegsgeräten 109—111 11. Gesetz über die Verwertung von Militärgut 111—112 12. Gesetz, betr. die unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindenden

29.

Gerichtsverhandlungen*)........................................................................ 113 13. Gesetz zum Schutze der Republik 113—118

17. 18.

19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26.

II. Gesetze, betr. das Preß-, Vereins- und Bersammlungswesen. 30. 31. 32. 33.

34.

Gesetz über die Presse Gesetz, betr. die Stimmzettel für öffentliche Wahlen.... Bereinsgesetz Gesetz über die Befriedung der Gebäude des Reichstags und der Landtage 5. Gesetz zur Durchführung der Artikel 177, 178 des Friedens­

1. 2. 3. 4.

vertrags

35.

118—122 123 123-126

126—127

.................................................................................................... 127

III. Reichsabgabenordnung.*) Reichsabgabenordnung

128

IV. Gesetz, betr. daS AuSwanderuugs- und das Paßwesen.

39.

1. Gesetz über das Auswanderungswesen 143—149 2. Notgesetz.................................................................................................... 149 3. Verordnung über die Bestrafung von Zuwiderhandlungen gegen die Paßvorschristen 150—151 4. Verordnung gegen Mißstände im Auswanderungswesen . . 151—154

40. 41. 42.

1. Strandungsordnung *) 2. Gesetz, betr. die Küstenfrachtfahrt 3. Gesetz, betr. die Ausführung des internationalen Vertrag­

154—157 157

handels unter den Nordseefischern auf hoher See .... 4. Gesetz, betr. das Flaggenrecht der Kauffahrteischiffe .... 5. Seemannsordnung 6. Gesetz, betr. die Verpflichtung der Kauffahrteischiffe zur Mit­ nahme heimzuschaffender Seeleute 7. Gesetz, betr. die Schiffsmeldungen bei den Konsulaten des Deutschen Reichs 8. Gesetz über die Wiederherstellung der Deutschen Handelsflotte

157—158 158—162 162—186

36. 37. 38.

V. Gesetze, betr. daS Seewesen.

43. 44. 45.

46.

47

*) Nur Auszug der einschlägigen Bestimmungen.

186—188

188—189 189—191

VIII

Inhaltsverzeichnis.

Sette

VI. Gesetze, betreffend das Verkehrswesen.

48. 49. 50.

51. 52. 53. 54. 55. 56.

1. Gesetz über das Postwesen des Deutschen Reichs*) .... 2. Gesetz, betr. einige Änderungen von Bestimmungen über das Postwesen*) 3. Gesetz zur Ausführung des internationalen Vertrages zum Schutze der unterseeischen Telegraphenkabel vom 14. März 1884 4. Gesetz über das Telegraphenwesen des Deutschen Reichs . . 5. Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung*) 6. Gesetz über die Beschränkung des Lustfahrzeugbaues . . . 7. Verordnung über Luftfahrzeugbau 8. Luftverkehrsgesetz 9. Verordnung zum Schutze des Funkverkehrs

191—196 196 197 197—199 199—202 202—203 203—204 204—210 210—211

VII. Gesetze, betreffend den Geldverkehr.

65. 66.

1. Gesetz, betr. die Jnhaberpapiere mit Prämien 212 2. Gesetz, betr. den Schutz des zur Anfertigung von Reichskassen­ scheinen verwendeten Papiers gegen unbefugte Nachahmung . 213 3. Gesetz, betr. den Schutz des zur Anfertigung von Reichsbank­ noten verwendeten Papiers gegen unbefugte Nachahmung . 213—214 4. Hypothekenbankgesetz*)............................................................................. 214-219 5. Börsengesetz 220—234 6. Bekanntmachung über ausländische Wertpapiere 234—236 7. Gesetz, betr. Verbot deS Agiohandels mit deutschen Banknotenund Darlehenskassenscheinen 235 8. Gesetz über die Einsiegelung von Schriften, Drucksachen, Wert­ papieren und Zahlungsmitteln beim Grenzübertritt nach dem Auslande . 236 9. Wechselstubenverordnung 236-239 10. Gesetz über die Ausgabe wertbeständiger Schuldverschreibungen

67. 68. 69. 70. 71.

11. 12. 13. 14. 15.

57. 58.

59. 60. 61. 62. 63. 64.

auf den Inhaber..............................................................................239 Devisenmaklerverordnung 239—241 Bankgesetz 242-254 Privatnotenbankgesetz . 255—261 Münzgesetz 261—264 Devisenordnuug 265—267 VIII. Gesetze, betreffend daS Berficherungswesen.

72. 73. 74. 75.

894—989

1. Reichsversicherungsordnung 2. Angestelltenversicherungsgesetz 3. Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen 4. Reichsknappschastsgesetz

.

.

268—316 317—342 342—368

IX. Gesetze, betreffend das Gewerbe- und Handelswesen. 76. 77. 78. 79. 80. 81.

1. 2. 3. 4. 5. 6.

82. 7. 83. 8. 84. 9. 85. 10. 86. 11. 87. * 12.

Gewerbeordnung für das Deutsche Reich*) Gesetz, betr. die Bezeichnung des Raumgehaltes der Schankgefäße Gesetz über den Feingehalt der Gold- und Silberwaren . . Gesetz, betr die Erwerbs- und Wirtschastsgenossenschasten*) . Gesetz, betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung*) . . Gesetz, betr. die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiff­ fahrt*) Gesetz, betr. die privatrechtlichen Verhältnisse der Flößerei*) . Handelsgesetzbuch*) Gesetz, betr. die elektrischen Maßeinheiten Gesetz, betr. Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben . . Maß- und Gewichtsordnung Gesetz, betr.diePreisfeststellung beim Markthandel m. Schlachtvieh

*) Nur Auszug der einschlägigen Bestimmungen.

369—423 423—424 424—425 425—436 437—444

444—445 445 445—453 453—454 454 —460 461—465 465

IX

Inhaltsverzeichnis

Sette

88. 89. 90.

91. 92. 93. 94. 95.

96. 97. 98. 99. 100. 101. 102. 103. 104.

13. Stellenvermittlergesetz 466—468 14. Hausarbeit-gesetz 468—479 15. Anordnung über die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter 479—480 16. Bestimmungen über Kaliwirtschaft 480—488 17. Verordnung über die Regelung dsr Arbeitszeit der Ange­ stellten während der Zeit der wirtschaftlichen Demobilmachung 489—191 18. Verordnung über die Arbeitszeit 491—494 19. Gesetz, betr. die Sozialisierung der Elektrizitätswirtschaft . . 494—499

20. Gesetz über weibliche Angestellte in Gast- und Schankwirt­ schaften ........................................................................................ 499 21. Betriebsrätegesetz 499—516 22. Lichtspielgesetz 516—519 23. Verordnung über die Regelung der Teerwirtschaft . . . 519—524 24. Gesetz über die Prüfung und Beglaubigung der Fieber­ thermometer 25. Gesetz, betr. Lohnstatistik 526 26. Gesetz über den Verkehr mit unedlen Metallen 526—530 27. Gesetz über den Verkehr mit Edelmetallen, Edelsteinen und Perlen... 28. Gesetz über die Temperaturskala und die Wärmeeinheit . . 534—535 29. Gesetz über Depot- und Depositengeschäfte 535—538 X. Gesetze, betr. Jagd und Fischerei.

106. 106. 107.

1. Gesetz, betr. die Schonzeit für den Fang von Robben . . 2. Gesetz zur Ausführung der internationalen Konvention vom 6. Mai 1882, betr. die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee ..................... 3. Bogelschutzgesetz ..........................................

538 538—539 539—541

XI. Gesetze zum Schutze von Leben, Gesundheit und Eigentum gegen Gemeingefahr.

108. 109. 110.

111. 112.

113. 114. 115. 116. 118. 119. 120. 121. 122.

123. 124.

1. Jmpfgesetz 541—543 2. Gesetz, betr. den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen 543—545 3. Gesetz, betr. den Verkehr mit blei- und zinkhaltigen Gegen­ ständen 545—546 4. Gesetz, betr. die Verwendung gesundheitsschädlicher Farben bei der Herstellung von Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen 547—549 5. Gesetz, betr. den Verkehr mit Butter, Käse, Schmalz und deren Ersatzmitteln 549—554 6. Verordnung über das Gesetz von Kunstsahnen 552 7. Verordnung über die Abhaltung öffentlicher Versteigerungen von Butter und sonstigen Milcherzeugnissen 553 8. Gesetz, betr. PhoSphorzündwaren 553 9. Bekanntmachung über den Verkehr mit Zündwaren . . . 554 11. Ergänzung hiezu 556—557 12. Gesetz, betr. die Schlachtvieh- und Fleischbeschau ... 557—562 13. Weingesetz 662—569 14. Verordnung über Wein ................................569 15. Verordnung über die Schädlingsbekämpfung mit Hochgistigen Stoffen 569—570 16. Opiumgesetz .......................................... 570—572 17. Süßstoffgesetz . . 572—575

X

Inhaltsverzeichnis Sette

125. 126.

127.

128. 129. 130. 131. 132. 133. 134.

135. 136. 137. 138.

18. Gesetz über den Verkehr mit Absinth 575 19. Gesetz gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Ge­ brauch von Sprengstoffen 576—577 20. Gesetz, betr. die Prüfung der Läufe und Verschlüsse der Handfeuerwaffen 578—579 21. Verordnung über Waffenbesitz . ................................. 579 22. Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen 580—584 23. Gesetz über Kraftfahrlinien 584—585 24. Gesetz, betr. die Bekämpfungen gemeingefährlicher Krankheiten 586—593 25. Verordnung zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten . . 593 26. Gesetz, Maßregeln gegen die Rinderpest betr 594 27. Gesetz, betr. Zuwiderhandlungen gegen die zur Abwehr der Rinderpest erlassenen Vieheinfuhrverbote 594 -595 28. Gesetz, betr. die Beseitigung von Ansteckungsstojfen bei Viehbeförderungen auf Eisenbahnen 595—596 29. Biehseuchengesetz 596—608 30. Gesetz, betr. die Beseitigung von Tierkadavern 608—609 31. Gesetz, betr. die Bekämpfung der Reblaus 609—612

XII. Gesetze zum Schutze der Bolkswohlfahrt. 139. 140. 141. 142. 143. 144.

1. 2. 3. 4. 5. 6.

145. 146. 147. 148. 149. 150 151. 152. 153. 154.

7. 8. 9. 10. 11. 13. 14. 15. 16.

Reichmietengesetz*) Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt*) Arbeitsnachweisgesetz Notgesetz Preistreibereiverordnung Verordnung gegen verbotene Ausfuhr lebenswichtiger Gegen­ stände Verordnung über Handelsbeschränkungen Verordnung über den Verkehr mit Vieh und Fleisch . . Verordnung über Notstandsversorgung Verordnung über Preisprüsungsstellen Verordnung über Auskunftspflicht 12. Wohnungsmangelgesetz Verordnung über Zuäer . . Verordnung zur Sicherstellung des Warenumlaufs . . . Verordnung gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken ....

612—614 614—624 624—638 638—640 640—647 647—648 649—661 661—664 665—668 668—671 672—673

677—679 679—680 680— 684 684

C. Gesetze zum Schutze von Gütern der Einzelnen. I. Gesetz zum Schutze des Persouenstandes und der persönlichen Freiheit. 155. 156.

1. Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung*) 2. Gesetz, betr. die Bestrafung des Sklavenraubes und des Sklaven­ handels

685—687 687-688

II. Gesetz, betr. Urheber-, Erfinder-, Zeichenrecht und unlauteren Wettbewerb. 157. 158.

159.

160. 161. 162. 163.

1. Gesetz, betr. Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst 688-697 2. Gesetz, betr. das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie 697—703 3. Gesetz zur Ausführung der revidierten Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken und Literatur der Kunst v. 13. Nov. 1908 704 4. Gesetz, betr. das Urheberrecht an Mustern und Modellen . 704—710 5. Patentgesetz .... 6. Gesetz, betr die Patentanwälte ...................................... 718—721 7. Gesetz, betr. den Schutz von Gebrauchmustern 721—723 *) Nur Auszug der einschlägigen Bestimmungen.

Inhaltsverzeichnis

164. 165.

8. Gesetz zum Schutze der Warenbezeichnungen 9. Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb...............................

166. 167. 168. 169.

1. 2. 3. 4.

170.

5.

171. 172. 173. 174.

6. 7. 8. 9.

XI Sette 723-729 729-734

III. Gesetze zum Schutze des Vermögens. Konkursordnung*) Gesetz, betr. Ergänzung der Bestimmungen über den Wucher*) Gesetz, betr. die Abzahlungsgeschäfte*).................................... Gesetz, betr. die Pflichten der Kaufleute bei Aufbewahrung fremder Wertpapiere.................................................................... Gesetz, bett, die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuld­ verschreibungen ............................................................... . . Gesetz, bett, die Besttafung der Entziehung elettrischer Arbeit Gesetz über die Sicherung der Bausorderungen Rennwett- und Lotteriegesetz.................................................... Reichsausgleichsgesetz

734—735 736 736 737—740

740—742 742 742—743 744-745 746—759

Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze. 175. 176. 177. 178. 179. 180. 181.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

182.

8.

183.

9.

184. 185. 186. 187.

10. 11. 12. 13.

188.

14.

189.

15.

190.

16.

191. 192.

17. 18.

193. 194.

19 20.

195.

21.

760-785 Gerichtsverfassungsgesetz 785—787 Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Strafprozeßordnun g............................................................... 788—844 Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung 844- 845 Verordnung über Gerichtsverfassung und Sttaftechtspflege*) 845— 847 Verordnung zur Überleitung anhängiger Strafverfahren 847 Gesetz, betr. die Entschädigung der im Wiederaufnahmever­ fahren freigesprochenen Personen 847- 848 Gesetz, bett, die Entschädigung für unschuldig erlittene Unter­ suchungshaft 848- 850 Gesetz über den Beistand bei Einziehung von Abgaben und Vollstreckung von Vermögenssttafen.......................................... 850—852 Verfassung des Deutschen Reichs*) ..................................... 852 Reichsabgabenordnung*) .......................................................... 852—862 Gesetz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen und Kriegsvergehen 862 Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes zur Verfolgung von Kriegs­ 863—864 verbrechen und Kriegsvergehen Gesetz zur weiteren Ergänzung des Gesetzes zur Verfolgung von Kriegsverbrechen und Kriegsvergehen .... 864 Gesetz über das Wiederaufnahmeverfahren gegenüber Urteilen 864 der außerordentlichen Kriegsgerichte Verordnung über den Staatsgerichtshos zum Schutze der 865-866 Republik Jugendgerichtsgesetz 866 Gesetz über die beschränkte Auskunft aus dem Strafregister 867-869 und die Tilgung von Strafvermerken Reichskriminalpolizeigesetz.......................................................... 869-871 Gesetz über die Wiederaufnahme des Verfahrens gegenüber Urteilen der bayerischen Bolksgerichte ................................ 871 Gesetz über die Konsulargerichtsbarkett*) 872—879

Anhang. Nachträge und Änderungen. I. Reichsabgabenordnung.

1. Gesetz zur Änderung von Gebrauchssteuern

♦) Nur Auszug der einschlägigen Bestimmungen.

....

XII

Inhaltsverzeichnis Sette

2.

Verordnung zur Anpassung des Steuerstrafrechts an die Vorschriften des Mgemeinen Strafrechts 880

1L Gesetze, betr. den Geldverkehr. 1. Gesetz über den Schutz des zur Anfertigung von Schuldurkunden des Reich- und der Länder verwendeten Papiers gegen unbefugte Nach­ ahmung 881 2. Gesetz über die Ablösung öffentlicher Anleihen 881—892 3. Zweites Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Hypothekenbank­ gesetzes ....................................................................893—894 4. Zweite Verordnung zur Änderung der Wechselstubenverordnung . . 894 III. Gesetze, betr. das Berficherungsweseu. 894—989 989—992

1. Reichsversicherungsordnung*) 2. Angestelltenversicherungsgesetz (Änderungen) IV.

Gesetze, betr. das Gewerbe- und Haudelswesen.

Gesetz zur Änderung des Gesetzes betr. die Erwerbs- und Wirtschafts­ genossenschaften 992

V. Gesetz zur Abänderung des Gesetzes zum Schutze der Republik VI. Gesetz zur Vereinfachung des Militärstrafrechts VII. Gesetz über die Bestrafung des Zweikampfes .

Sachregister *) Nur Auszug der einschlägigen Bestimmungen.

993

.

994

.

998

998

Erster Teil.

Strafgesetze. Erster Abschnitt.

Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich nebst de» Glnführungs- «nd AbSnderungsgesetzen?)

I. Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

1.

Vom 15. Mai 18712).

Einleitende Bestimmungen. 8 1.

Eine mit dem Tode, mit Zuchthaus, oder mit Festungshaft von mehr als fünf Jahren bedrohte Handlung ist ein Verbrechen. Eine mit Festungshaft bis zu fünf Jahren, mit Gefängnis oder mit Geld­ strafe von mehr als einhundertfünszig Goldmark oder mit Geldstrafe schlechthin bedrohte Handlung ist ein Vergehen3). Eine mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Goldmark be­ drohte Handlung ist eine Übertretung3). 8 2. Eine Handlung kann nur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn diese Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde. Bei Verschiedenheit der Gesetze von der Zeit der begangenen Handlung bis zu deren Aburteilung ist das mildeste Gesetz anzuwenden. 8 3. Die Strafgesetze des Deutschen Reichs finden Anwendung auf alle im Gebiete desselben begangenen strafbaren Handlungen, auch wenn der Täter ein Ausländer ist. 8 44). Wegen der im Auslande begangenen Verbrechen und Vergehen findet in der Regel keine Verfolgung statt. Jedoch kann nach den Strafgesetzen des Deutschen Reichs verfolgt werden: 1. ein Deutscher oder ein Ausländer, welcher im Auslande eine hochverräterische Handlung gegen das Deutsche Reich oder einen Bundesstaat, oder ein Münz­ verbrechen, oder als Beamter des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaats eine Handlung begangen hat, die nach den Gesetzen des Deutschen Reichs als Verbrechen oder Vergehen im Amte anzusehen ist; 2. ein Deutscher, welcher im Auslande eine landesverräterische Handlung gegen das Deutsche Reich oder einen Bundesstaat, oder eine Beleidigung gegen einen Bundesfürsten begangen hat; x) Von den Gesetzen, durch welche das StGB, abgeändert wurde, sind das Ges. v. 26. Febr. 1876 und Art. 34 des Einführungsgesetzes zum BGB. unter Ziff. VI u. VII dieses Abschnittes ab gedruckt, die übrigen bei den einschlägigen Paragraphen des StGB, erwähnt. 2) In dem Texte des StGB, sind alle später erfolgten Änderungen unter Hinweis auf die betr. Abänderungsgesetze berücksichtigt. Das StGB, ist zum letzten Male im RGBl. 1876 S. 40 ff. im ganzen bekannt gemacht und zwar in der Fassung, wie sie sich aus dem Ges. v. 26. Febr. 1876 (s. u. Ziff. VI) ergibt. 3) Fassung gem. Verordnung v. 6. Febr. 1924. 4) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876. Allfeld, Strafgesetzgebung. 3. Aufl. 1

2

Erster Teil.

Strafgesetze.

3. ein Deutscher, welcher im Auslande eine Handlung begangen hat, die nach den Gesetzen des Deutschen Reichs als Verbrechen oder Vergehen anzu­ sehen und durch die Gesetze des Orts, an welchem sie begangen wurde, mit Strafe bedroht ist. Die Verfolgung ist auch zulässig, wenn der Täter bei Begehung der Handlung noch nicht Deutscher war. In diesem Falle bedarf es jedoch eines Antrages der zuständigen Behörde des Landes, in welchem die straf­ bare Handlung begangen wurde, und das ausländische Strafgesetz ist an­ zuwenden, soweit dieses milder ist. 8 ö. Im Falle des § 4 Nr. 3 bleibt die Verfolgung ausgeschlossen, wenn 1. von den Gerichten des Auslandes über die Handlung rechtskräftig erkannt und entweder eine Freisprechung erfolgt oder die ausgesprochene Strafe vollzogen, 2. die Strafverfolgung oder die Strafvollstreckung nach den Gesetzen des Aus­ landes verjährt oder die Strafe erlassen, oder 3. der nach den Gesetzen des Auslandes zur Verfolgbarkeit der Handlung erforderliche Antrag des Verletzten nicht gestellt worden ist. 8 6. Im Auslande begangene Übertretungen sind nur dann zu bestrafen, wenn dies durch besondere Gesetze oder durch Verträge angeordnet ist. 8 7. Eine im Auslande vollzogene Strafe ist, wenn wegen derselben Hand­ lung im Gebiete des Deutschen Reichs abermals eine Verurteilung erfolgt, auf die zu erkennende Strafe in Anrechnung zu bringen. 8 8. Ausland im Sinne dieses Strafgesetzes ist jedes nicht zum Deutschen Reich gehörige Gebiet. 8 9. Ein Deutscher darf einer ausländischen Regierung zur Verfolgung oder Bestrafung nicht überliefert werden. 8 10. Auf deutsche Militärpersonen finden die allgemeinen Strafgesetze des Reichs insoweit Anwenoung, als nicht die Militärgesetze ein anderes bestimmen. 8 11. Kein Mitglied eines Landtags oder einer Kammer eines zum Reich gehörigen Staats darf außerhalb der Versammlung, zu welcher das Mitglied gehört, wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufes getanen Äußerung zur Verantwortung gezogen werden. 8 12. Wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen eines Landtags oder einer Kammer eines zum Reich gehörigen Staats bleiben von jeder Verant­ wortlichkeit frei. Erster Teil.

Son 6er Bestrafung 6er verbrechen, vergehen «n6 Übertretungen im allgemeinen. Erster Abschnitt.

Strafen. 8 13. Die Todesstrafe ist durch Enthauptung zu vollstrecken. 8 14. Die Zuchthausstrafe ist eine lebenslängliche oder eine zeitige. Der Höchstbetrag der zeitigen Zuchthausstrafe ist fünfzehn Jahre, ihr Min­ destbetrag ein Jahr. Wo das Gesetz die Zuchthausstrafe nicht ausdrücklich als eine lebensläng­ liche androht, ist dieselbe eine zeitige. 8 15. Die zur Zuchthausstrafe Verurteilten sind in der Strafanstalt zu den eingeführten Arbeiten anzuhalten. Sie können auch zu Arbeiten außerhalb der Anstalt, insbesondere zu öffent­ lichen oder von einer Staatsbehörde beaufsichtigten Arbeiten verwendet werden. Diese Art der Beschäftigung ist nur dann zulässig, wenn die Gefangenen dabei von anderen freien Arbeitern getrennt gehalten werden. 8 16. Der Höchstbetrag der Gefängnisstrafe ist fünf Jahre, ihr Mindest­ betrag ein Tag.

1. Strafgesetzbuch.

I. Teil. §§ 13-27.

3

Die zur Gefängnisstrafe Verurteilten können in einer Gefangenenanstalt auf eine ihren Fähigkeiten und Verhältnissen angemessene Weise beschäftigt werden; auf ihr Verlangen sind sie in dieser Weise zu beschäftigen. Eine Beschäftigung außerhalb der Anstalt (§ 15) ist nur mit ihrer Zu­ stimmung zulässig. 8 17. Die Festungshaft ist eine lebenslängliche oder eine zeitige. Der Höchstbetrag der zeitigen Festungshaft ist fünfzehn Jahre, ihr Mindest­ betrag ein Tag. Wo das Gesetz die Festungshaft nicht ausdrücklich als eine lebenslängliche androht, ist dieselbe eine zeitige. Die Strafe der Festungshaft besteht in Freiheitsentziehung mit Beauf­ sichtigung der Beschäftigung und Lebensweise der Gefangenen; sie wird in Festungen oder in anderen dazu bestimmten Räumen vollzogen. 8 18. Der Höchstbetrag der Haft ist sechs Wochen, ihr Mindestbetrag ein Tag. Die Strafe der Haft besteht in einfacher Freiheitsentziehung. 8 19. Bei Freiheitsstrafen wird der Tag zu vierundzwanzig Stunden, die Woche zu sieben Tagen, der Monat und das Jahr nach der Kalenderzeit gerechnet. Die Dauer einer Zuchthausstrafe darf nur nach vollen Monaten, die Dauer einer anderen Freiheitsstrafe nur nach vollen Tagen bemessen werden. 8 20. Wo das Gesetz die Wahl zwischen Zuchthaus und Festungshaft ge­ stattet, darf auf Zuchthaus nur dann erkannt werden, wenn festgestellt wird, daß die strafbar befundene Handlung aus einer ehrlosen Gesinnung entsprungen ist. 8 21. Achtmonatliche Zuchthausstrafe ist einer einjährigen Gefängnisstrafe, achtnronatliche Gefängnisstrafe einer einjährigen Festungshaft gleich zu achten. 8 22. Die Zuchthaus- und Gefängnisstrafe können sowohl für die ganze Dauer, wie für einen Teil der erkannten Strafzeit in der Weise in Einzelhaft voll­ zogen werden, daß der Gefangene unausgesetzt von anderen Gefangenen gesondert gehalten wird. Die Einzelhaft darf ohne Zustimmung des Gefangenen die Dauer von drei Jahren nicht übersteigen. 8 23. Die zu einer längeren Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe Verurteilten können, wenn sie drei Vierteile, mindestens aber ein Jahr der ihnen auferlegten Strafe verbüßt, sich auch während dieser Zeit gut geführt haben, mit ihrer Zustimmung vorläufig entlassen werden. 8 24. Die vorläufige Entlassung kann bei schlechter Führung des Ent­ lassenen oder, wenn derselbe den ihm bei der Entlassung auferlegten Verpflich­ tungen zuwiderhandelt, jederzeit widerrufen werden. Der Widerruf hat die Wirkung, daß die seit der vorläufigen Entlassung bis zur Wiedereinlieferung verflossene Zeit auf die festgesetzte Strafdauer nicht aw* gerechnet wird. 8 25. Der Beschluß über die vorläufige Entlassung, sowie über einen Widerruf ergeht von der obersten Justiz-Aufsichtsbehörde. Vor dem Beschluß über die Entlassung ist die Gefängnisverwaltung zu hören. Die einstweilige Festnahme vorläufig Entlassener kann aus dringenden Gründen des öffentlichen Wohls von der Polizeibehörde des Orts, an welchem der Entlassene sich aushält, verfügt werden. Der Beschluß über den endgültigen Widerruf ist sofort nachzusuchen. Führt die einstweilige Festnahme zu einem Widerrufe, so gilt dieser als am Tage der Festnahme erfolgt. 8 26. Ist die festgesetzte Strafzeit abgelaufen, ohne daß ein Widerruf der vorläufigen Entlassung erfolgt ist, so gilt die Freiheitsstrafe als verbüßt. 8 27x). Die Geldstrafe ist in Goldmark festzusetzen. Sie beträgt 1. bei Verbrechen und Vergehen, soweit nicht höhere Beträge oder Geldstrafe in unbeschränkter Höhe angedroht sind oder werden, mindestens drei Gold­ mark und höchstens zehntausend Goldmark; *) Fassung gern. Verordnung vom 6. Februar 1924.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

2. bei Übertretungen mindestens eine Goldmark, soweit nicht ein höherer Mmdestbetrag angedroht ist oder wird, und höchstens einhundertfünfzig Gold­ mark. Die Vorschriften des Abs. 2 über Höchstbeträge gelten nicht, soweit die an­ gedrohte Strafe in dem Mehrfachen, dem Einfachen oder dem Bruchteil eines be­ stimmten Betrages besteht. Ist dieser nicht auf Goldmark gestellt, so ist er für die Festsetzung der Geldstrafe in Goldmark umzurechnen. 8 27a1)» Bei einem Verbrechen oder Vergehen, bas auf Gewinnsucht beruht, kann die Geldstrafe auf einhunderttausend Goldmark erhöht und auf eine solche Geldstrafe neben Freiheitsstrafe auch in denjenigen Fällen erkannt werden, in denen das Gesetz eine Geldstrafe nicht androht. 8 27b1)» Ist für ein Vergehen oder eine Übertretung, für die an sich eine Geldstrafe überhaupt nicht oder nur neben Freiheitsstrafe zulässig ist, Freiheits­ strafe von weniger als drei Monaten verwirkt, so ist an Stelle der Freiheitsstrafe auf Geldstrafe (§§ 27, 27 a) zu erkennen, wenn der Strafzweck durch eine Geld­ strafe erreicht werden kann. Die Vorschriften des Militärstrafgesetzbuchs bleiben unberührt. 8 27c1)» Bei der Bemessung einer Geldstrafe sind die wirtschaftlichen Ver­ hältnisse des Täters zu berücksichtigen. Die Geldstrafe soll das Entgelt, das der Täter für die Tat empfangen, und den Gewinn, den er aus der Tat gezogen hat, übersteigen. Reicht das gesetzliche Höchstmaß hierzu nicht aus, so darf es überschritten werden. 8 282)» Ist dem Verurteilten nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten, daß er die Geldstrafe sofort zahlt, so hat ihm das Gericht eine Frist zu bewilligen oder ihm zu gestatten, die Strafe in bestimmten Teilbeträgen zu zahlen. Das Gericht kann diese Vergünstigung auch nach dem Urteil bewilligen. Es kann seine Entschließungen nachträglich ändern. Leistet der Verurteilte die Teilzahlungen nicht rechtzeitig, oder bessern sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich, so kann das Gericht die Vergünstigung widerrufen. Aul die nach Abs. 2 zu treffenden Entscheidungen findet § 4943) der Strafprozeßordnung Anwendung. 8 28a1)» Soweit die Geldstrafe nicht gezahlt wird, ist sie beizutreiben. Der Versuch, die Geldstrafe beizutreiben, kann unterbleiben, wenn mit Sicherheit vorauszusehen ist, daß sie aus dem beweglichen Vermögen des Ver­ urteilten nicht beigetrieben werden kann. 8 28b1)» Die Vollstreckungsbehörde kann dem Verurteilten gestatten, eine uneinbringliche Geldstrafe durch freie Arbeit zu tilgen. Das Nähere regelt die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats. Soweit dies nicht geschieht, sind die obersten Landesbehörden ermächtigt, das Nähere zu regeln. 8 292)» An die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe tritt bei Ver­ brechen und Vergehen Gefängnis oder, wenn neben der Geldstrafe auf Zuchthaus erkannt wird, Zuchthaus, bei Übertretungen Haft. Auch bei Vergehen kann die Geldstrafe in Haft umgewandelt werden, wenn Geldstrafe allein oder an erster Stelle oder wahlweise neben Haft angedroht ist. Die Dauer der Ersatzstrafe ist mindestens ein Tag und bei Gefängnis und Zuchthaus höchstens ein Jahr, bei Haft höchstens sechs Wochen. Ist neben der Geldstrafe wahlweise Freiheitsstrafe von geringerer Höhe angedroht, so darf die Ersatzstrafe deren Höchstmaß nicht übersteigen. Die Ersatzstrafe darf nur nach vollen Tagen bemessen werden. Im übrigen richtet sich das Maß der Ersatzstrafe nach freiem Ermessen des Gerichts. In den Fällen des §27 b ist Ersatzstrafe die verwirkte Freiheitsstrafe. Der Verurteilte kann die Vollstreckung der Ersahstrafe jederzeit dadurch abwenden, daß er den noch zu zahlenden Betrag der Geldstrafe entrichtet. !) Neu eingefügt durch Verordnung vom 6. Februar 1924. 2) Fassung gern. Verordnung vom 6. Februar 1924. 3) Nunmehr § 462 StPO, in der Fassung vom 22. März 1924 (RGBl. I S. 299 ff.).

1. Strafgesetzbuch. I. Teil. §§ 27 a—38.

5

Kann die Geldstrafe ohne Verschulden des Verurteilter: nicht eingebracht werden, so kann das Gericht anordnen, daß die Vollstreckung der Ersatzstrafe unterbleibt. § 494T) der Strafprozeßordnung findet Anwendung. 8 30» In den Nachlaß kann eine Geldstrafe nur dann vollstreckt werden, wenn das Urteil bei Lebzeiten des Verurteilten rechtskräftig geworden war. 8 31. Die Verurteilung zur Zuchthausstrafe hat die dauernde Unfähigkeit zum Dienste in dem Deutschen Heere und der Kaiserlichen Marine, sowie die dauernde Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter von Rechts wegen zur Folge. Unter öffentlichen Ämtern rm Sinne dieses Strafgesetzes sind die Advokatur, die Anwaltschaft und das Notariat, sowie der Geschworenen- und Schöffendienst mitbegrisfen. 8 32. Neben der Todesstrafe und der Zuchthausstrafe kann auf den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden, neben der Gefängnisstrafe nur, wenn die Dauer der erkannten Strafe drei Monate erreicht und entweder das Gesetz den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte ausdrücklich zuläßt oder die Ge­ fängnisstrafe wegen Annahme mildernder Umstände an Stelle von Zuchthaus­ strafe ausgesprochen wird. Die Dauer dieses Verlustes beträgt bei zeitiger Zuchthausstrafe mindestens zwei und höchstens zehn Jahre, bei Gefängnisstrafe mindestens ein Jahr und höchstens fünf Jahre. 8 33. Die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte bewirkt den dauernden Verlust der aus öffentlichen Wahlen für den Verurteilten hervorgegangenen Rechte, ingleichen den dauernden Verlust der öffentlichen Ämter, Würden, Titel, Orden und Ehrenzeichen. 8 34. Die Aberkennung der bürgerlicher: Ehrenrechte bewirkt ferner die Unfähigkeit, während der im Urteile bestimmten Zeit 1. die Landeskokarde zu tragen; 2. in das Deutsche Heer oder in die Kaiserliche Marine einzutreten; 3. öffentliche Ämter, Würden, Titel, Orden und Ehrenzeichen zu erlangen; 4. in öffentlichen Angelegenheiten zu stimmen, zu wählen oder gewählt zu werden oder andere politische Rechte auszuüben; 5. Zeuge bei Aufnahmen von Urkunden zu sein; 6.1) Vormund, Gegenvormund, Pfleger, Beistand der Mutter, Mitglied eines Familienrats oder Kurator zu sein, es sei dein:, daß es sich um Verwandte absteigender Linie handele und die obervormundschaftliche Behörde oder der Familienrat die Genehmigung erteile. 8 35. Neben einer Gefängnisstrafe, mit welcher die Aberkennung der bürger­ lichen Ehrenrechte überhaupt hätte verbunden werden können, kann auf die Un­ fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren erkannt werden. Die Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter hat den dauernden Verlust der bekleideten Ämter von Rechts wegen zur Folge. 8 36. Die Wirkung der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte über­ haupt, sowie der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter insbesondere, tritt mit der Rechtskraft des Urteils ein; die Zeitdauer wird von dem Tage an be­ rechnet, an dem die Freiheitsstrafe, neben welcher jene Aberkennung ausge­ sprochen wurde, verbüßt, verjährt oder erlassen ist. 8 37. Ist ein Deutscher im Auslande wegen eines Verbrechens oder Ver­ gehens bestraft worden, welches nach den Gesetzen des Deutschen Reiches den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte überhaupt oder einzelner bürgerlichen Ehren­ rechte zur Folge hat oder zur Folge haben kann, so ist ein neues Strafverfahren­ zulässig, um gegen den in diesem Verfahren für schuldig Erklärten auf jene Folge zu erkennen. 8 38. Neben einer Freiheitsstrafe kann in den durch das Gesetz vorgesehenen Fällen auf die Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. jetzt § 462 StPO. 2) Fassung gem. Art. 34 Zifs. I des BGB.

Einführungs-Gesetzes zum

6

Erster Teil.

Strafgesetze.

Die höhere Landespolizeibehörde erhält durch ein solches Erkenntnis die Befugnis, nach Anhörung der Gefängnisverwaltung den Verurteilten auf die Zeit von höchstens fünf Jahren unter Polizeiaufsicht zu stellen. Diese Zeit wird von dem Tage berechnet, an welchem die Freiheitsstrafe verbüßt, verjährt oder erlassen ist. 8 39. Die Polizeiaufsicht hat folgende Wirkungen: 1. dem Verurteilten kann der Aufenthalt an einzelnen bestimmten Orten von der höheren Landespolizeibehörde untersagt werden; 2. die höhere Landespolizeibehörde ist befugt, den Ausländer aus dem Bundes­ gebiete zu verweisen; 3. Haussuchungen unterliegen keiner Beschränkung hinsichtlich der Zeit, zu welcher sie stattfrnden dürfen. 8 40. Gegenstände, welche durch ein vorsätzliches Verbrechen oder Ver­ gehen hervorgebracht oder welche zur Begehung eines vorsätzlichen Verbrechens oder Vergehens gebraucht oder bestimmt sind, können, sofern sie dem Täter oder einem Teilnehmer gehören, eingezogen werden. Die Einziehung ist im Urteile auszusprechen. 8 41. Wenn der Inhalt einer Schrift, Abbildung oder Darstellung straf­ bar ist, so ist im Urteile auszusprechen, daß alle Exemplare, sowie die zu ihrer Herstellung bestimmten Platten und Formen unbrauchbar zu machen sind. Diese Vorschrift bezieht sich jedoch nur auf die im Besitze des Verfassers, Druckers, Herausgebers, Verlegers oder Buchhändlers befindlichen und auf die öffentlich ausgelegten oder öffentlich angebotenen Exemplare. Ist nur ein Teil der Schrift, Abbildung oder Darstellung strafbar, so ist, insoferne eine Ausscheidung möglich ist, auszusprechen, daß nur die strafbaren Stellen und derjenige Teil der Platten und Formen, auf welchen sich diese Stellen befinden, unbrauchbar zu machen sind. 8 42. Ist in den Fällen der §§ 40 und 41 die Verfolgung oder die Ver­ urteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar, so können die daselbst vor­ geschriebenen Maßnahmen selbständig erkannt werden.

Zweiter Abschnitt. Versuch.

8 43. Wer den Entschluß, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, durch Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung dieses Verbrechens oder Ver­ gehens enthalten, betätigt hat, ist, wenn das beabsichtigte Verbrechen oder Ver­ gehen nicht zur Vollendung gekommen ist, wegen Versuches zu bestrafen. Der Versuch eines Vergehens wird jedoch nur in den Fällen bestraft, in welchen das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt. 8 44. Das versuchte Verbrechen oder Vergehen ist milder zu bestrafen als das vollendete. Ist das vollendete Verbrechen mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bedroht, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter drei Jahren ein, neben welcher auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden kann. Ist das vollendete Verbrechen mit lebenslänglicher Festungshaft bedroht, so tritt Festungshaft nicht unter drei Jahren ein. In den übrigen Fällen kann die Strafe bis auf ein Vierteil des Mindest­ betrages der auf das vollendete Verbrechen vper Vergehen angedrohten Freiheits­ und Geldstrafe ermäßigt werden. Ist hiernach Zuchthausstrafe unter einem Jahre verwirkt, so ist dieselbe nach Maßgabe des § 21 in Gefängnis zu verwandeln. 8 45. Wenn neben der Strafe des vollendeten Verbrechens oder Vergehens die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte zulässig oder geboten ist, oder auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden kann, so gilt Gleiches bei der Ver­ suchsstrafe. 8 46. Der Versuch als solcher bleibt straflos, wenn der Täter 1. die Ausführung der beabsichtigten Handlung aufgegeben hat, ohne daß er an dieser Ausführung durch Umstände gehindert worden ist, welche von seinem Willen unabhängig waren, oder

1. Strafgesetzbuch.

I. Teil.

§§ 39—51.

7

2. zu einer Zeit, zu welcher die Handlung noch nicht entdeckt war, den Eintritt des zur Vollendung des Verbrechens oder Vergehens gehörigen Erfolges durch eigene Tätigkeit abgewenvet hat. Dritter Abschnitt.

Teilnahme.

§ 47. Wenn mehrere eine strafbare Handlung gemeinschaftlich ausführen, so wird jeder als Täter bestraft. g 48. Als Anstifter wird bestraft, wer einen anderen zu der von demselben begangenen strafbaren Handlung durch Geschenke oder Versprechen, durch Drohung, durch Mißbrauch des Ansehens oder der Gewalt, durch absichtliche Herbeiführung oder Beförderung eines Irrtums oder durch andere Mittel vor­ sätzlich bestimmt hat. Die Strafe des Anstifters ist nach demjenigen Gesetze festzusetzen, welches auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er wissentlich angestiftet hat. g 49. Als Gehilfe wird bestraft, wer dem Täter zur Begehung des Ver­ brechens oder Vergehens durch Rat oder Tat wissentlich Hilfe geleistet hat. Die Strafe des Gehilfen ist nach Demjenigen Gesetze festzusetzen, welches auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er wissentlich Hilfe geleistet hat, jedoch nach den über die Bestrafung des Versuches aufgestellten Grundsätzen zu ermäßigen. g 49 a1). Wer einen anderen zur Begehung eines Verbrechens oder zur Teilnahme an einem Verbrechen auffordert, oder wer eine solche Aufforderung annimmt, wird, soweit nicht das Gesetz eine andere Strafe androht, wenn das Verbrechen mit dem Tode oder mit lebenslänglicher Zuchthausstrafe bedroht ist, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten, wenn das Verbrechen mit einer ge­ ringeren Strafe bedroht ist, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Festungs­ haft von gleicher Dauer bestraft. Die gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher sich zur Begehung eines Ver­ brechens oder zur Teilnahme an einem Verbrechen erbietet, sowie denjenigen, welcher ein solches Erbieten annimmt. Es wird jedoch das lediglich mündlich ausgedrückte Auffordern oder Er­ bieten, sowie die Annahme eines solchen nur dann bestraft, wenn die Aufforderung oder das Erbieten an die Gewährung von Vorteilen irgend welcher Art geknüpft worden ist. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. g 49 b2). Wer mit einem anderen ein Verbrechen des Mordes verabredet, wird schon wegen dieser Verabredung mit Gefängnis nicht unter einem Jahre bestraft- die Strafe ist Zuchthaus, wenn eine Person aus Gründen ermordet werden soll, die in ihrer Stellung im öffentlichen Leben liegen. Neben der Frei­ heitsstrafe kann auf Geldstrafe bis zu fünf Millionen Mark erkannt werden. Straffrei bleibt, wer der bedrohten Person oder der Behörde von der Ver­ abredung Kenntnis gibt, bevor der Mord begangen oder versucht worden ist. g 50. Wenn das Gesetz die Strafbarkeit einer Handlung nach den persön­ lichen Eigenschaften oder Verhältnissen desjenigen, welcher dieselbe begangen hat, erhöht oder vermindert, so sind diese besonderen Tatumstände dem Täter oder demjenigen Teilnehmer (Mittäter, Anstifter, Gehilfe) zuzurechnen, bei welchem sie vorliegen. Vierter Abschnitt. Gründe, welche die Strafe ausschlietzen oder mildern.

g 51. Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit befand, durch welchen seine freie Willens­ bestimmung ausgeschlossen war. M Eingefügt durch Ges. v. 26. Febr. 1876 Art. II. 2) Eingefügt durch Gesetz zum Schutze der Republik v. 21. Juli 1922 § 25.

8

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 52. Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter durch unwiderstehliche Gewalt oder durch eine Drohung, welche mit einer gegenwärtigen, auf andere Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines Angehörigen verbunden war, zu der Handlung genötigt worden ist. Als Angehörige im Sinne dieses Strafgesetzes sind anzusehen Verwandte und Verschwägerte auf- und absteigender Linie, Adoptiv- und Pflege-Eltern und -Kinder, Ehegatten, Geschwister und deren Ehegatten und Verlobte. 8 53. Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn die Handlung durch Notwehr geboten war. Notwehr ist diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegen­ wärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. Die Überschreitung der Notwehr ist nicht strafbar, wenn der Täter in Be­ stürzung, Furcht oder Schrecken über die Grenzen der Verteidigung hinaus­ gegangen ist. 8 54. Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn die Handlung außer dem Falle der Notwehr in einem unverschuldeten, aus andere Weise nicht zu beseitigenden Notstände zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Täters oder eines Angehörigen begangen worden ist 8 8 8 8

551). 56i). 5?i). 58. Ein Taubstummer, welcher die zur Erkenntnis der Strafbarkeit einer

von ihm begangenen Handlung erforderliche Einsicht nicht besaß, ist freizusprechen. 8 59. Wenn jemand bei Begehung einer strafbaren Handlung das Vor­ handensein von Tatumständen nicht kannte, welche zum gesetzlichen Tatbestände gehören oder die Strafbarkeit erhöhen, so sind ihm diese Umstände nicht zuzu­ rechnen. Bei der Bestrafung fahrlässig begangener Handlungen gilt diese Bestimmung nur insoweit, als die Unkenntnis selbst nicht durch Fahrlässigkeit verschuldet ist. 8 60. Eine erlittene Untersuchungshaft kann bei Fällung des Urteils auf die erkannte Strafe ganz oder teilweise angerechnet werden. 8 61. Eine Handlung, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, ist nicht zu verfolgen, wenn der zum Anträge Berechtigte es unterläßt, den Antrag binnen drei Monaten zu stellen. Diese Frist beginnt mit dem Tage, seit welchem der zum Anträge Berechtigte von der Handlung und von der Person des Täters Kenntnis gehabt hat. 8 62. Wenn von mehreren zum Anträge Berechtigten einer die dreimonat­ liche Frist versäumt, so wird hierdurch das Recht der übrigen nicht ausgeschlossen. 8 63. Der Antrag kann nicht geteilt werden. Das gerichtliche Verfahren findet gegen sämtliche an der Handlung Beteiligte (Täter und Teilnehmer), sowie gegen den Begünstiger statt, auch wenn nur gegen eine dieser Personen auf Be­ strafung angetragen worden ist. 8 642). Die Zurücknahme des Antrags ist nur in den gesetzlich besonders vorgesehenen Fällen und nur bis zur Verkündung eines auf Strafe lautenden Urteils zulässig. Die rechtzeitige Zurücknahme des Antrags gegen eine der vorbezeichneten Personen hat die Einstellung des Verfahrens auch gegen die anderen zur Folge. 8 653). Der Verletzte, welcher das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, ist selbständig zu dem Anträge auf Bestrafung berechtigt. Solange er minderjährig ist, hat unabhängig von seiner eigenen Befugnis auch sein gesetzlicher Vertreter das Recht, den Antrag zu stellen. 1) Aufgehoben durch § 47 des Jugendgerichtsgesetzes v. 16. Februar 1923, s. u. Gesetz Nr. 12. 2) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876. ®) Fassung gem.Art.34Ziff.III des Einführungsgesetzes zum BGB.

1. Strafgesetzbuch. I. Teil. §§ 52—71.

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Ist der Verletzte geschäftsunfähig oder hat er das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet, so ist sein gesetzlicher Vertreter der zur Stellung des An­ trages Berechtigte. 8 66. Durch Verjährung wird die Strafverfolgung und die Strafvoll­ streckung ausgeschlossen. 8 67. Die Strafverfolgung von Verbrechen verjährt, wenn sie mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bedroht sind, in zwanzig Jahren; wenn sie im Höchstbetrage mit einer Freiheitsstrafe von einer längeren als zehnjährigen Dauer bedroht sind, in fünfzehn Jahren; wenn sie mit einer geringeren Freiheitsstrafe bedroht sind, in zehn Jahren. Die Strafverfolgung von Vergehen, die im Höchstbetrage mit einer längeren als dreimonatlichen Gefängnisstrafe bedroht sind, verjährt in fünf Jahren, von anderen Vergehen in drei Jahren. Die Strafverfolgung von Übertretungen verjährt in drei Monaten. Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem die Handlung begangen ist, ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des eingetretenen Erfolges. 8 68. Jede Handlung des Richters, welche wegen der begangenen Tat gegen den Täter gerichtet ist, unterbricht die Verjährung. Die Unterbrechung findet nur rücksichtlich desjenigen statt, auf welchen die Handlung sich bezieht. Nach der Unterbrechung beginnt eine neue Verjährung. 8 69 *). Die Verjährung ruht während der Zeit, in welcher auf Grund gesetzlicher Vorschrift die Strafverfolgung nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden kann. Ist der Beginn oder die Fortsetzung eines Strafverfahrens von einer Vorfrage abhängig, deren Entscheidung in einem anderen Verfahren er­ folgen muß, so ruht die Verjährung bis zu dessen Beendigung. Ist zur Strafverfolgung ein Antrag oder eine Ermächtigung nach dem Strafgesetz erforderlich, so wird der Lauf der Verjährung durch den Mangel des Antrages oder der Ermächtigung nicht gehindert. 8 70. Die Vollstreckung rechtskräftig erkannter Strafen verjährt, wenn 1. auf Tod oder auf lebenslängliches Zuchthaus oder auf lebenslängliche Festungshaft erkannt ist, in dreißig Jahren; 2. *) auf Zuchthaus oder Festungshaft von mehr als zehn Jahren erkannt ist, in zwanzig Jahren; 3?) auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder auf Festungshaft von fünf bis zu zehn Jahren oder Gefängnis von mehr als fünf Jahren erkannt ist, in fünf­ zehn Jahren; 4. auf Festungshaft oder Gefängnis von zwei bis zu fünf Jahren erkannt ist, in zehn Jahren; 5.3* )2auf Festungshaft oder Gefängnis bis zu zwei Jahren oder auf Geldstrafe von mehr als einhundertfünfzig Goldmark erkannt ist, in fünf Jahren; 6.3) auf Haft oder auf Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Goldmark erkannt ist, in zwei Jahren. Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem das Urteil rechtskräftig geworden ist. 8 71. Die Vollstreckung einer wegen derselben Handlung neben einer Frei­ heitsstrafe erkannten Geldstrafe verjährt nicht früher, als die Vollstreckung der Freiheitsstrafe.

*) Fassung gern. Ges. v. 26. März 1893 betr. die Abänderung des § 69 des StGB. f. d. D. R. (RGBl. S. 133): Einziger Paragraph. Der § 69 des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich wird durch nachstehende Be­ stimmung ersetzt: usw. usw. 2) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876. 3) Fassung gem. Verordnung v. 6. Febr. 1924.

10

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 72. Jede auf Vollstreckung der Strafe gerichtete Handlung derjenigen Behörde, welcher die Vollstreckung obliegt, sowie die zum Zwecke der Vollstreckung erfolgende Festnahme des Verurteilten unterbricht die Verjährung.

Nach der Unterbrechung der Vollstreckung der Strafe beginnt eine neue Verjährung. Fünfter Abschnitt. Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen.

8 73» Wenn eine und dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze verletzt, so kommt nur dasjenige Gesetz, welches die schwerste Strafe, und bei ungleichen Straf­ arten dasjenige Gesetz, welches die schwerste Strafart androht, zur Anwendung. 8 74. Gegen denjenigen, welcher durch mehrere selbständige Handlungen mehrere Verbrechen oder Vergehen, oder dasselbe Verbrechen oder Vergehen mehr­ mals begangen und dadurch mehrere zeitige Freiheitsstrafen verwirkt hat, ist auf eine Gesamtstrafe zu erkennen, welche in einer Erhöhung der verwirkten schwersten Strafe besteht. Bei dem Zusammentreffen ungleichartiger Freiheitsstrafen tritt diese Er­ höhung bei der ihrer Art nach schwersten Strafe ein. Das Maß der Gesamtstrafe darf den Betrag der verwirkten Einzelstrafen nicht erreichen und fünfzehnjähriges Zuchthaus, zehnjähriges Gefängnis oder fünfzehnjährige Festungshaft nicht übersteigen. 8 75. Trifft Festungshaft nur mit Gefängnis zusammen, so ist auf jede dieser Strafarten gesondert zu erkennen. Ist Festungshaft oder Gefängnis mehrfach verwirkt, so ist hinsichtlich der mehreren Strafen gleicher Art so zu verfahren, als wenn dieselben allein ver­ wirkt wären. Die Gesamtdauer der Strafen darf in diesen Fällen fünfzehn Jahre nicht übersteigen.

8 76. Die Verurteilung zu einer Gesamtstrafe schließt die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte nicht aus, wenn diese auch nur neben einer der ver­ wirkten Einzelstrafen zulässig oder geboten ist. Jngleichen kann neben der Gesamtstrafe auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden, wenn dieses auch nur wegen einer der mehreren strafbaren Hand­ lungen statthaft ist.

8 77. Trifft Haft mit einer anderen Freiheitsstrafe zusammen, so ist auf die erstere gesondert zu erkennen. Auf eine mehrfach verwirkte Haft ist ihrem Gesamtbeträge nach, jedoch nicht über die Dauer von drei Monaten zu erkennen. 8 781). Sind mehrere Geldstrafen verwirkt, so ist auf jede gesondert zu erkennen. Das gleiche gilt von den Freiheitsstrafen, die an die Stelle uneinbringlicher Geldstrafen treten. Ihre Gesamtdauer darf zwei Jahre nicht übersteigen; die Gesamtdauer mehrerer zusammentreffender Haftstrafen darf drei Monate nicht übersteigen. 8 79. Die Vorschriften der §§ 74 bis 78 finden auch Anwendung, wenn, bevor eine erkannte Strafe verbüßt, verjährt oder erlassen ist, die Verurteilung wegen einer strafbaren Handlung erfolgt, welche vor der früheren Verurteilung begangen war. i) Fassung gem. Verordnung v. 6. Febr. 1924.

1. Strafgesetzbuch.

II. Teil. §§ 80—87.

11

Zweiter Teil.

Bon -en einzelne« verbrechen. Vergehe« und Uebertretungea und deren Bestrafung. Erster Abschnitt.

Hochverrat und Landesverrat.

8 801).

Der Mord unb der Versuch des Mordes, welche an dem Kaiser, an dem eigenen Landesherrn oder während des Aufenthalts in einem Bundesstaate an dem Landes­ herrn dieses Staates verübt worden sind, werden als Hochverrat mit dem Tode bestraft.

8 81. Wer außer den Fällen des § 80 es unternimmt, l.1) einen Bundesfürsten zu töten, gefangen zu nehmen, in Feindes Gewalt zu liefern oder zur Regierung unfähig zu mache >.

2. die Verfassung des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaats oder die in demselben bestehende Thronfolge gewaltsam zu ändern, 3. das Bundesgebiet ganz oder teilweise einem fremden Staate gewaltsam ein­ zuverleiben oder einen Teil desselben vom Ganzen loszureißen, oder 4. das Gebiet eines Bundesstaats ganz oder teilweise einem anderen Bundes­ staate gewaltsam einzuverleiben oder einen Teil desselben vom Ganzen los­ zureißen, wird wegen Hochverrats mit lebenslänglichem Zuchthaus oder lebenslänglicher Festungshaft bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht unter fünf Jahren ein. Neben der Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden. 8 82. Als ein Unternehmen, durch welches das Verbrechen des Hochverrats vollendet wird, ist jede Handlung anzusehen, durch welche das Vorhaben unmittelbar zur Ausführung gebracht werden soll. 8 83. Haben mehrere die Ausführung eines hochverräterischen Unter­ nehmens verabredet, ohne daß es zum Beginn einer nach § 82 strafbaren Hand­ lung gekommen ist, so werden dieselben mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht unter zwei Jahren ein. Neben der Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden. 8 84. Die Strafvorschriften des § 83 finden auch gegen denjenigen An­ wendung, welcher zur Vorbereitung eines Hochverrats entweder sich mit einer auswärtigen Regierung einläßt oder die ihm von dem Reich oder einem Bundes­ staate anvertraute Macht mißbraucht oder Mannschaften anwirbt oder in den Waffen einübt. 8 85. Wer öffentlich vor einer Menschenmenge oder wer durch Verbreitung oder öffentlichen Anschlag oder öffentliche Ausstellung von Schriften oder anderen Darstellungen zur Ausführung einer nach § 82 strafbaren Handlung auffordert, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft von einem bis zu fünf Jahren ein. 8 86. Jede andere, ein hochverräterisches Unternehmen vorbereitende Hand­ lung wird mit Zuchthaus bis zu drei Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft von sechs Monaten bis zu drei Jahren ein. 8 87. Ein Deutscher, welcher sich mit einer ausländischen Regierung ein­ läßt, um dieselbe zu einem Kriege gegen das Deutsche Reich zu veranlassen, wird

!) § 80 und § 811 sind nicht formell aufgehoben, aber z. Z. gegenstandslos.

12

Erster Teil.

Strafgesetze.

wegen Landesverrats mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren und, wenn der Krieg ausgebrochen ist, mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft' von sechs Monaten bis zu fünf Jahren und, wenn der Krieg ausgebrochen ist, Festungshaft nicht unter fünf Jahren ein. Neben der Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden. 8 88 *). Ein Deutscher, welcher während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges in der feindlichen Kriegsmacht Dienste nimmt oder die Waffen gegen das Deutsche Reich oder dessen Bundesgenossen trägt, wird wegen Landesverrats mit lebenslänglichem Zuchthaus oder lebenslänglicher Festungs­ haft bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht unter fünf Jahren ein. Ein Deutscher, welcher schon früher in fremden Kriegsdiensten stand, wird, wenn er nach Ausbruch des Krieges in der feindlichen Kriegsmacht verbleibt oder die Waffen gegen das Deutsche Reich oder dessen Bundesgenossen trägt, wegen Landesverrats mit Zuchthaus von zwei bis zu zehn Jahren oder mit Festungs­ haft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft bis zu zehn Jahren ein. Neben der Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Sinter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden. 8 89 2). Ein Deutscher, welcher vorsätzlich während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges einer feindlichen Macht Vorschub leistet oder der Kriegsmacht des Deutschen Reichs oder der Bundesgenossen desselben Nachteil zusügt, wird wegen Landesverrats mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft bis zu zehn Jahren ein. Neben der Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden. 8 99 b). Lebenslängliche Zuchthausstrafe tritt im Falle des § 89 ein, wenn der Täter 1. Festungen, Pässe, besetzte Plätze oder andere Verteidigungsposten, ingleichen Teile oder Angehörige der deutschen oder einer verbündeten Kriegsmacht in feindliche Gewalt bringt; 2. Festungswerke, Schiffe oder Fahrzeuge der Kriegsmarine, öffentliche Gelder, Vorräte von Waffen, Schießbedarf oder anderen Kriegsbedürfnissen, sowie Brücken, Eisenbahnen, Telegraphen und Transportmittel in feindliche Ge­ walt bringt oder zum Vorteile des Feindes zerstört oder unbrauchbar macht; 3. dem Feinde Mannschaften zuführt oder Angehörige der deutschen oder einer verbündeten Kriegsmacht verleitet, zum Feinde überzugehen; 4. Operationspläne oder Pläne von Festungen oder festen Stellungen dem Feinde mitteilt; 5. dem Feinde als Spion dient oder feindliche Spione aufnimmt, verbirgt oder ihnen Beistand leistet oder 6. einen Aufstand unter Angehörigen der deutschen oder einer verbündeten Kriegsmacht erregt. In minder schweren Fällen kann auf Zuchthaus nicht unter zehn Jahren erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht unter fünf Jahren ein. Neben der Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden. 8 91. Gegen Ausländer ist wegen der in den §§ 87, 89, 90 bezeichneten Handlungen nach dem Kriegsgebrauche zu verfahren.

*) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876. 2) Fassung gem. § 11 des Ges. v. 3. Juli 1893 gegen den Verrat militärischer Geheimnisse (RGBl. S.205). ') Fassung gem. § 11 des Ges. v. 3. Juli 1893 (s. die Note zu § 89).

1. Strafgesetzbuch. H. Teil. §§ 88-99.

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Begehen sie aber solche Handlungen, während sie unter dem Schutze des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaates sich innerhalb des Bundesgebietes aufhalten, so kommen die in den §§ 87, 89 und 90 bestimmten Strafen zur Anwendung. 8 92. Wer vorsätzlich 1. Staatsgeheimnisse oder Festungspläne oder solche Urkunden, Aktenstücke oder Nachrichten, von denen er weiß, daß ihre Geheimhaltung einer anderen Regierung gegenüber für das Wohl des Deutschen Reichs oder eines Bundes­ staats erforderlich ist, dieser Regierung mitteilt oder öffentlich bekanntmacht2. zur Gefährdung der Rechte des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaats im Verhältnis zu einer anderen Regierung die über solche Rechte sprechenden Urkunden oder Beweismittel vernichtet, verfälscht oder unterdrückt oder 3. ein ihm von feiten des Deutschen Reichs oder von einem Bundesstaate aufgetragenes Staatsgeschäft mit einer anderen Regierung zum Nachteil dessen führt, der ihm den Auftrag erteilt hat, wird mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht unter sechs Monaten ein. 8 93. Wenn in den Fällen der §§ 80, 81, 83, 84, 87 bis 92 die Unter­ suchung eröffnet wird, so kann bis zu deren rechtskräftigen Beendigung das Ver­ mögen, welches der Angeschuldigte besitzt oder welches ihm später anfällt, mit Beschlag belegt werden.

Zweiter Abschnitt.

Beleidigung des Landesherrni). 8 94. Wer einer Tätlichkeit gegen den Kaiser, gegen seinen Landesherrn oder während seines Aufenthalts in einem Bundesstaate einer Tätlichkeit gegen den Landesherrn dieses Staats sich schuldig macht, wird mit lebenslänglichem Zuchthaus oder lebenslänglicher Festungshaft, in minder schweren Fällen mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Neben der Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht unter fünf Jahren ein. 8 952). Wer den Kaiser, seinen Landesherrn oder während seines Aufenthalts in einem Bundesstaate dessen Laudesherrn beleidigt, wird mit Gefängnis nicht unter zwei Monaten oder mit Festungshaft von zwei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden. 8 96. Wer einer Tärliwkeir gegen ein Mitglied des landesherrlichen Hauses seines Staats oder gegen den Regenten seines Staats oder während seines Aufenthalts in einem Bundesstaate einer Tätlichkeit gegen ein Mitglied des landesherrlichen Hauses dieses Staats oder gegen den Regenten dieses Staats sich schuldig macht, wird mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer, in minder schweren Fällen mit "Zucht­ haus bis zu fünf Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft von einem bis zu fünf Jahren ein. 8 97. Wer ein Mitglied des landesherrlichen Hauses seines Staats oder den Regenten seines Staats oder während seines Aufenthalts in einem Bundesstaate ein Mitglied des landes­ herrlichen Hauses dieses Staats oder den Regenten dieses Staats beleidigt, wird mit Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Dritter Abschnitt.

Beleidigung von Bundesfürsten. *) 8 98.

Wer außer dem Falle des 3 94 sich einer gegen einen Bundesfürsten schuldig macht, wird mit Zuchthaus von zwei bis zu zehn Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. M Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft von sechs Monaten bis zu zehn Jahren ein.

8 99. Wer außer dem Falle des § 95 einen Bundesfürsten beleidigt, wird mit Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Die Verfolgung tritt nur mit Ermächtigung des Beleidigten ein. !) Dieser Abschnitt ist nicht formell aufgehoben, aber z. Z. gegenstandslos. 2) Fassung gem. Art. 1 des Ges. vom 26. Febr. 1876.

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Erster Teil. Strafgesetze.

8 100. Wer außer dem Falle des § 96 sich einer Tätlichkeit gegen ein Mitglied eines bundesfürstlichen Hauses oder den Regenten eines Bundesstaats schuldig macht, wird mit Zuchthaus 'bis au fünf Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft von einem Monat bis zu drei Jahren ein. g 101- Wer außer dem Falle des § 97 den Regenten eines Bundesstaats beleidigt, wird mit Gefängnis von einer Woche bis zu zwei Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Die Verfolgung tritt nur mit Ermächtigung des Beleidigten ein. Vierter Abschnitt. Feindliche Handlungen gegen befreundete Staaten.

8 102x). Ein Deutscher, welcher im Jnlande oder Auslande oder ein Aus­ länder, welcher während seines Aufenthalts im Jnlande gegen einen nicht zum Deutschen Reich gehörenden Staat oder dessen Landesherrn eine Handlung vor­ nimmt, die, wenn er sie gegen einen Bundesstaat oder einen Bundesfürsten be­ gangen hätte, nach Vorschrift der §§ 81 bis 86 zu bestrafen sein würde, wird in den Fällen der §§ 81 bis 84 mit Festungshaft von einem bis zu zehn Jahren oder, wenn mildernde Umstände vorhanden sind, mit Festungshaft von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen der §§ 85 und 86 mit Festungshaft von einem Monat bis zu drei Jahren bestraft, sofern in dem anderen Staate dem Deutschen Reich die Gegenseitigkeit verbürgt ist. Die Verfolgung tritt nur aus Antrag der auswärtigen Regierung ein Die Zurücknahme des Antrages ist zulässig. 8 103 *). Wer sich gegen den Landesherrn oder den Regenten eines nicht zum Deutschen Reich gehörenden Staats einer Beleidigung schuldig macht, wird mit Gefängnis von einer Woche bis zu zwei Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft, sofern in diesem Staate dem Deutschen Reich die Gegen­ seitigkeit verbürgt ist. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der auswärtigen Regierung ein. Die Zurücknahme des Antrages ist zulässig.. 8 103 a*2)» Wer ein öffentliches Zeichen der Autorität eines nicht zum Deutschen Reich gehörenden Staats oder ein Hoheitszeichen eines solchen Staats böswillig wegnimmt, zerstört oder beschädigt oder beschimpfenden Unfug daran verübt, wird mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. 8 1041). Wer sich gegen einen bei dem Reich, einem bundesfürstlichen Hofe oder bei dem Senate einer der freien Hansestädte beglaubigten Gesandten oder Geschäftsträger einer Beleidigung schuldig macht, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des Beleidigten ein. Die Zurück­ nahme des Antrages ist zulässig. Fünfter Abschnitt. Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte.

8 105. Wer es unternimmt, den Senat oder die Bürgerschaft einer der freien Hansestädte, eine gesetzgebende Versammlung des Reichs oder eines Bundes­ staats auseinander zu sprengen, zur Fassung oder Unterlassung von Beschlüssen zu nötigen oder Mitglieder aus ihnen gewaltsam zu entfernen, wird mit Zucht­ haus nicht unter fünf Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht unter einem Jahre ein. 8 106. Wer ein Mitglied einer der vorbezeichneten Versammlungen durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einer strafbaren Handlung verhindert, sich an !) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876. 2) Eingefügt durch Art. II des Ges. v. 26. Febr. 1876.

1. Strafgesetzbuch. H. Teil. §§ 100-113.

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den Ort der Versammlung zu begeben oder zu stimmen, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft bis zu zwei Jahren ein. 8 107. Wer einen Deutschen durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einer strafbaren Handlung verhindert, in Ausübung seiner staatsbürgerlichen Rechte zu wählen oder zu stimmen, wird mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten oder mit Festungshaft bis zu fünf Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar. 8 107 a1). Wer nichtverbotene Versammlungen, Aufzüge oder Kundgebungen mit Gewalt oder durch Bedrohung mit einem Verbrechen verhindert oder sprengt, wird mit Gefängnis, neben dem auf Geldstrafe erkannt werden kann, bestraft. Wer in nichtverbotenen Versammlungen oder bei nichtverbotenen Aufzügen oder Kundgebungen Gewalttätigkeiten in der Absicht begeht, die Versammlung, den Aufzug oder die Kundgebung zu sprengen, wird mit Gefängnis und mit Geld­ strafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. 8 108. Wer in einer öffentlichen Angelegenheit mit der Sammlung von Wahl- oder Stimm-Zetteln oder -Zeichen oder mit der Führung der Beur­ kundungsverhandlung beauftragt, ein unrichtiges Ergebnis der Wahlhandlung vorsätzlich herbeiführt oder das Ergebnis verfälscht, wird mit Gefängnis von einer Woche bis zu drei Jahren bestraft. Wird die Handlung von jemand begangen, welcher nicht mit der Sammlung der Zettel oder Zeichen oder einer anderen Verrichtung bei dem Wahlgeschäfte beauftragt ist, so tritt Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren ein. Auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. 8 109. Wer in einer öffentlichen Angelegenheit eine Wahlstimme kauft oder verkauft, wird mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft: auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Sechster Abschnitt.

Widerstand gegen die Staatsgewalt.

8 110. Wer öffentlich vor einer Menschenmenge oder wer durch Verbreitung oder öffentlichen Anschlag oder öffentliche Ausstellung von Schriften oder anderen Darstellungen zum Ungehorsam gegen Gesetze oder rechtsgültige Verordnungen oder gegen die von der Obrigkeit innerhalb ihrer Zuständigkeit getroffenen An­ ordnungen auffordert, wird mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. 8 1112). Wer auf die vorbezeichnete Weise zur Begehung einer strafbaren Handlung auffordert, ist gleich dem Anstifter zu bestrafen, wenn die Aufforde­ rung die strafbare Handlung oder einen strafbaren Versuch derselben zur Folge gehabt hat. Ist die Aufforderung ohne Erfolg geblieben, so tritt Geldstrafe bis zu sechs­ hundert Mark oder Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre ein; war die Aufforderung auf eine Tötung gerichtet, so ist die Strafe Gefängnis nicht unter drei Monaten, neben dem auf Geldstrafe bis zu einer Million Mark erkannt werden kann. Die Strafe darf jedoch, der Art oder dem Maße nach, keine schwerere sein, als die auf die Handlung selbst angedrohte. 8 112. Wer eine Person des Soldatenstandes, es sei des Deutschen Heeres oder der Kaiserlichen Marine, auffordert oder anreizt, dem Befehle des Oberen nicht Gehorsam zu leisten, wer insbesondere eine Person, welche zum Beurlaubten­ stande gehört, auffordert oder anreizt, der Einberufung zum Dienste nicht zu folgen, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. 8 1133). Wer einem Beamten, welcher zur Vollstreckung von Gesetzen, von Befehlen und Anordnungen der Verwaltungsbehörden oder von Urteilen und

1) Eingefügt durch Gesetz vom 23. Mai 1923 (RGBl. I S. 296). 2) Fassung gemäß Gesetz zum Schutze der Republik vom 21. Juli 1922 § 25. 8) Fassung gem. Art. I des Ges. vom 26. Febr. 1876.

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Erster Teil. Strafgesetze.

Verfügungen der Gerichte berufen ist, in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt Widerstand leistet oder wer einen solchen Beamten während der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes tätlich an­ greift, wird mit Gefängnis von vierzehn Tagen bis zu zwei Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu eintausend Mark ein. Dieselben Strasvorschriften treten ein, wenn die Handlung gegen Personen, welche zur Unterstützung des Beamten zugezogen waren, oder gegen Mannschaften der bewaffneten Macht, oder gegen Mannschaften einer Gemeinde-, Schutz- oder Bürgerwehr in Ausübung des Dienstes begangen wird. § 114 ). Wer es unternimmt, durch Gewalt oder Drohung eine Behörde oder einen Beamten zur Vornahme oder Unterlassung einer Amtshandlung zu nötigen, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bis zu zweitausend Mark ein.

8 115. Wer an einer öffentlichen Zusammenrottung, bei welcher eine der in den §§ 113 und 114 bezeichneten Handlungen mit vereinten Kräften begangen wird, teilnimmt, wird wegen Aufruhrs mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft. Die Rädelsführer, sowie diejenigen Aufrührer, welche eine der in den §§ 113 und 114 bezeichneten Handlungen begehen, werden mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft; auch kann auf Zulässiakeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. 8 116. Wird eine auf öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen versam­ melte Menschenmenge von dem zuständigen Beamten oder Befehlshaber der be­ waffneten Macht aufgefordert, sich zu entfernen, so wird jeder der Versammelten, welcher nach der dritten Aufforderung sich nicht entfernt, wegen Auslaufs mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu eintausendfünshundert Mark bestraft. Ist bei einem Auslaufe gegen die Beamten oder die bewaffnete Macht mit vereinten Kräften tätlicher Widerstand geleistet oder Gewalt verübt worden, so treten gegen diejenigen, welche an diesen Handlungen teilgenommen haben, die Strafen des Aufruhrs ein. 8 117x). Wer einem Forst- oder Jagdbeamten, einem Waldeigentümer, Forst- oder Jagdberechtigten oder einem von diesen bestellten Aufseher in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes oder Rechtes durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt Widerstand leistet oder wer eine dieser Personen während der Ausübung ihres Amtes oder Rechtes tätlich angreift, wird mit Gefängnis von vierzehn Tagen bis zu drei Jahren bestraft. Ist der Widerstand oder der Angriff unter Drohung mit Schießgewehr, Äxten oder anderen gefährlichen Werkzeugen erfolgt oder mit Gewalt an der Person begangen worden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt in den Fällen des Absatz 1 Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre, in den Fällen des Absatz 2 Gefängnisstrafe nicht unter einem Monat ein. 8 118. Ist durch den Widerstand oder den Angriff eine Körperverletzung dessen, gegen welchen die Handlung begangen ist, verursacht worden, so ist auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren zu erkennen. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein. 8 119. Wenn eine der in den §§ 117 und 118 bezeichneten Handlungen von mehreren gemeinschaftlich begangen worden ist, so kann die Strafe bis um die Hälfte des angedrohten Höchstbetrages, die Gefängnisstrafe jedoch nicht über fünf Jahre erhöht werden. *) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876 und Nr. 2 des Ges. tx 19. Juni 1912 (RGBl. S. 395).

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1. Strafgesetzbuch. II. Teil. §§ 114—127.

§ 120. Wer einen Gefangenen ans der Gefangenanstalt oder aus der Ge­ walt der bewaffneten Macht, des Beamten oder desjenigen, unter dessen Beauf­ sichtigung, Begleitung oder Bewachung er sich befindet, vorsätzlich befreit oder ihm zur Selbstbefreiung vorsätzlich behilflich ist, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. T>er Versuch ist strafbar. § 121. Wer vorsätzlich einen Gefangenen, mit dessen Beaufsichtigung oder Begleitung er beauftragt ist, entweichen läßt oder dessen Befreiung befördert, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. Ist die Entweichung durch Fahrlässigkeit befördert worden, so tritt Ge­ fängnisstrafe bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis zu dreihundert Mark ein.

8 122. Gefangene, welche sich zusammenrotten und mit vereinten Kräften die Anstaltsbeamten oder die mit der Beaufsichtigung Beauftragten angreifen, denselben Widerstand leisten oder es unternehmen, sie zu Handlungen oder Unter­ lassungen zu nötigen, werden wegen Meuterei mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft. Gleiche Strafe tritt ein, wenn Gefangene sich zusammenrotten und mit vereinten Kräften einen gewaltsamen Ausbruch unternehmen. Diejenigen Meuterer, welche Gewalttätigkeiten gegen die Anstaltsbeamten oder die mit der Beaufsichtigung Beauftragten verüben, werden mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft; auch kann auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. Siebenter Abschnitt.

Berbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung. 8 123 *)♦ Wer in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das be­ friedete Besitztum eines anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffent­ lichen Dienste oder Verkehre bestimmt sind, widerrechtlich eindringt oder wer, wenn er ohne Befugnis darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt, wird wegen Hausfriedensbruchs mit Geldstrafe bis zu drei­ hundert Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft. Ist die Handlung von einer mit Waffen versehenen Person oder von meh­ reren gemeinschaftlich begangen worden, so tritt Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre ein. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. Die Zurücknahme des Antrages ist zulässig.

8 124. Wenn sich eine Menschenmenge öffentlich zusammenrottet und in der Absicht, Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen mit vereinten Kräften zu begehen, in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitz­ tum eines anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienste bestimmt sind, widerrechtlich eindringt, so wird jeder, welcher an diesen Hand­ lungen Leilnimmt, mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft. 8 125. Wenn sich eine Menschenmenge öffentlich zusammenrottet und mit vereinten Kräften gegen Personen oder Sachen Gewalttätigkeiten begeht, so wird jeder, welcher an dieser Zusammenrottung teilnimmt, wegen Landfriedensbruches mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Die Rädelsführer, sowie diejenigen, welche Gewalttätigkeiten gegen Personen begangen oder Sachen geplündert, vernichtet oder zerstört haben, werden mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft; auch kann auf Zulässigkeit von Polizei­ aufsicht erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnis­ strafe nicht unter sechs Monaten ein.

8 126. Wer durch Androhung eines gemeingefährlichen Verbrechens den öffentlichen Frieden stört, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. 8 12.7. Wer unbefugterweise einen bewaffneten Haufen bildet oder be­ fehligt oder eine Mannschaft, von der er weiß, daß sie ohne gesetzliche Befugnis *) Fassung gern. Ges. v. 19. Juni 1912. AlNeld, Strafgesetzgebung.

3. Aufk.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

gesammelt ist, mit Waffen oder Kriegsbedürfnissen versieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Wer sich einem solchen bewaffneten Haufen anschließt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. 8 128. Die Teilnahme an einer Verbindung, deren Dasein, Verfassung oder Zweck vor der Staatsregierung geheim gehalten werden soll oder in welcher gegen unbekannte Obere Gehorsam oder gegen bekannte Obere unbedingter Ge­ horsam versprochen wird, ist an den Mitgliedern mit Gefängnis bis zu sechs Monaten, an den Stiftern und Vorstehern der Verbindung mit Gefängnis von einem Monat bis zu einem Jahre zu bestrafen. Gegen Beamte kann auf Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter aus die Dauer von einem bis zu fünf Jahren erkannt werden. 8 129. Die Teilnahme an einer Verbindung, zu deren Zwecken oder Be­ schäftigungen gehört, Maßregeln der Verwaltung oder die Vollziehung von Ge­ setzen durch ungesetzliche Mittel zu verhindern oder zu entkräften, ist an den Mit­ gliedern mit Gefängnis bis zu einem Jahre, an den Stiftern und Vorstehern der Verbindung mit Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren zu bestrafen. Gegen Beamte kann auf Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren erkannt werden. 8 130. Wer in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise verschie­ dene Klassen der Bevölkerung zu Gewalttätigkeiten gegen einander öffentlich an­ reizt, wird mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. 8 130 a1). Ein Geistlicher oder anderer Religionsdiener, welcher in Aus­ übung oder in Veranlassung der Ausübung seines Berufes öffentlich vor einer Menschenmenge oder welcher in einer Kirche oder an einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte vor mehreren Angelegenheiten des Staats in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstände einer Ver­ kündigung oder Erörterung macht, wird mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft. Gleiche Strafe trifft denjenigen Geistlichen oder anderen Religionsdiener, welcher in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Berufes Schrift­ stücke ausgibt oder verbreitet, in welchen Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstand einer Verkündigung oder Erörterung gemacht sind. 8 131. Wer erdichtete oder entstellte Tatsachen, wissend, daß sie erdichtet oder entstellt sind, öffentlich behauptet oder verbreitet, um dadurch Staatsein­ richtungen oder Anordnungen der Obrigkeit verächtlich zu machen, wird mit Geld­ strafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. 8 132. Wer unbefugt sich mit Ausübung eines öffentlichen Amtes befaßt oder eine Handlung vornimmt, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vor­ genommen werden darf, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Geld­ strafe bis zu dreihundert Mark bestraft. 8 133. Wer eine Urkunde, ein Register, Akten oder einen sonstigen Gegen­ stand, welche sich zur amtlichen Aufbewahrung an einem dazu bestimmten Orte befinden oder welche einem Beamten oder einem Dritten amtlich Übergebell worden sind, vorsätzlich vernichtet, beiseite schafft oder beschädigt, wird mit Ge­ fängnis bestraft. Ist die Handlung in gewinnsüchtiger Absicht begangen, so tritt Gefängnis­ strafe nicht unter drei Monaten ein; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehren­ rechte erkannt werden. 8 134. Wer öffentlich angeschlagene Bekanntmachungen, Verordnungen, Befehle oder Anzeigen von Behörden oder Beamten böswillig abreißt, beschädigt

1) Dieser Paragraph verdankt seine Entstehung dem Ges. v. 10. Dez. 1871 betr. d ie Ergänzung des StGB. f. d. D. R. (RGBl. S. 442), dessen ein­ ziger Artikel lautet: „Hinter § 130 des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich wird folgender neue Paragraph 130a eingestellt": usw. Die gegenwärtige Fassung erhielt der Paragraph durch Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876.

1. Strafgesetzbuch.

II. Teil. §§ 128—141.

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oder verunstaltet, wird mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Ge­ fängnis bis zu sechs Monaten bestraft. 8 13512). Wer ein öffentliches Zeichen der Autorität des Reiches oder eines Bundesfürsten oder ein Hoheitszeichen eines Bundesstaats böswillig wegnimmt, zerstört oder beschädigt oder beschimpfenden Unfug daran verübt, wird mit Geld­ strafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. 8 136T). Wer unbefugt ein amtliches Siegel, welches von einer Behörde oder einem Beamten angelegt ist, um Sachen zu verschließen, zu bezeichnen oder in Beschlag zu nehmen, vorsätzlich erbricht, ablöst oder beschädigt oder den durch ein solches Siegel bewirkten amtlichen Verschluß aufhebt, wird mit Gefängnis his zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark bestraft. 8 1371). Wer Sachen, welche durch die zuständigen Behörden oder Beamten gepfändet oder in Beschlag genommen worden sind, vorsätzlich beiseite schafft, zerstört oder in anderer Weise der Verstrickung ganz oder teilweise entzieht, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark bestraft. 8 138. Wer als Zeuge, Geschworener oder Schösse berufen, eine unwahre Tatsache als Entschuldigung vorschützt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Monaten bestraft. Dasselbe gilt von einem Sachverständigen, welcher zum Erscheinen gesetzlich verpflichtet ist. Die auf das Nichterscheinen gesetzten Ordnungsstrafen werden durch vor­ stehende Strafbestimmung nicht ausgeschlossen. 8 139. Wer von dem Vorhaben eines Hochverrats, Landesverrats, Münz­ verbrechens, Mordes, Raubes, Menschenraubes oder eines gemeingefährlichen Verbrechens zu einer Zeit, in welcher die Verhütung des Verbrechens möglich ist, glaubhafte Kenntnis erhält und es unterläßt, hiervon der Behörde oder der durch das Verbrechen bedrohten Person zur rechten Zeit Anzeige zu machen, ist, iveitrt das Verbrechen oder ein strafbarer Versuch desselben begangen worden ist, mir Gefängnis zu bestrafen. 8 1402). Wegen Verletzung der Wehrpflicht wird bestraft: 1. ein Wehrpflichtiger, welcher in der Absicht, sich dem Eintritte in den Dienst des stehenden Heeres oder der Flotte zu entziehen, ohne Erlaubnis entweder das Bundesgebiet verläßt oder nach erreichtem militärpflichtigen Alter sich außerhalb des Bundesgebiets aufhält: mit Geldstrafe von einhundertfünfzig bis zu dreitausend Mark oder mit Gefängnis von einem Monat bis zu einem Jahre: 2. ein Offizier oder im Offizierrange stehender Arzt des Beurlaubtenstandeswelcher ohne Erlaubnis auswandert: mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten; 3. ein jeder Wehrpflichtige, welcher nach öffentlicher Bekanntmachung einer vom Kaiser für die Zeit eines Krieges oder einer Kriegsgefahr erlassenen besonderen Anordnung in Widerspruch mit derselben auswandert: mit Ge­ fängnis bis zu zwei Jahren, neben welchem auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark erkannt werden kann. Der Versuch ist strafbar. Das Vermögen des Angeschuldigten kann, insoweit als es nach dem Ermessen des Richters zur Deckung der den Angeschuldigten möglicherweise treffenden höch­ sten Geldstrafe und der Kosten des Verfahrens erforderlich ist, mit Beschlag belegt werden. 8 141. Wer einen Deutschen zum Militärdienst einer ausländischen Macht anwirbt oder den Werbern der letzteren zuführt, ingleichen wer einen deutschen Soldaten vorsätzlich zum Desertieren verleitet oder die Desertion desselben vor­ sätzlich befördert, wird mit Gefängnis von drei Monaten bis zu drei Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar. 1) Fassung gem. Nr. 2 des Ges. v. 19. Juni 1912. 2) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

8 142. Wer sich vorsätzlich durch Selbstverstümmelung oder auf andere Welse zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglich macht oder durch einen anderen untauglich machen läßt, wird mit Gefängnis nicht unter einem Jahre bestraft, auch kann aus Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Dieselbe Strafe trifft denjenigen, welcher einen anderen auf dessen Ver­ langen zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglich macht. 8 143. Wer in der Absicht, sich der Erfüllung der Wehrpflicht ganz oder teilweise zu entziehen, auf Täuschung berechnete Mittel anwendet, wird mit Ge­ fängnis bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Dieselbe Strasvorschrift findet auf den Teilnehmer Anwendung. 8 144x). Wer es sich zum Geschäfte macht, Teutsche unter Vorspiegelung falscher Tatsachen oder wissentlich mit unbegründeten Angaben oder durch andere auf Täuschung berechnete Mittel zur Auswanderung zu verleiten, wird mit Ge­ fängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft. 8 145x). Wer die vom Kaiser zur Verhütung des Zujammenstoßeiis der Schiffe auf See, über das Verhalten der Schiffer nach einem Zusammenstöße von Schiffen auf See oder in betreff der Not- und Lotjensignale für Schiffe auf See und auf den Küstengewässern erlassenen Verordnungen Übertritt, wird mit Geldstrafe bis zu eintausendfünf­ hundert Mark bestraft. 8 145 a*2). Wer im Jnlande Schuldverschreibungen aus den Inhaber, in denen die Zahlung einer bestimmten Geldsumme versprochen wird, ohne die er­ forderliche staatliche Genehmigung ausstellt und in den Verkehr bringt, wird mit einer Geldstrafe bestraft, die dem fünften Teile des Nennwerts der ausgegebenen Schuldverschreibungen gleichkommen kann, mindestens aber dreihundert Mark beträgt. Achter Abschnitt. Münzverbrechen und Münzvergehen.

8 146. Wer inländisches oder ausländisches Metallgeld oder Papiergeld nachmacht, um das nachgemachte Geld als echtes zu gebrauchen oder sonst in den Verkehr zu bringen oder wer in gleicher Absicht echtem Gelde durch Veränderung an demselben den Schein eines höheren Werts oder verrufenem Gelde durch Veränderung an demselben das Ansehen eines noch geltenden gibt, wird mit Zucht­ haus nicht unter zwei Jahren bestraft; auch ist Polizeiaufsicht zulässig. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe ein. 8 147. Dieselben Strafbestimmungen finden auf denjenigen Anwendung, welcher das von ihm auch ohne die vorbezeichnete Absicht nachgemachte oder ver­ fälschte Geld als echtes in Verkehr bringt, sowie auf denjenigen, welcher nach­ gemachtes oder verfälschtes Geld sich verschafft oder solches entweder in Verkehr bringt oder zum Zwecke der Verbreitung aus dem Auslande einsührt. 8 148. Wer nachgemachtes oder verfälschtes Geld als echtes empfängt und nach erkannter Unechtheit als echtes in Verkehr bringt, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark bestraft. Der Versuch ist strafbar. 8 149. Dem Papiergelde werden gleichgeachtet die auf den Inhaber lau­ tenden Schuldverschreibungen, Banknoten, Aktien oder deren Stelle vertretende Jnterimsscheine oder Quittungen, sowie die zu diesen Papieren gehörenden Zins-, Gewinnanteils- oder Erneuerungsscheine, welche von dem Reich, dem Nord­ deutschen Bunde, einem Bundesstaate oder fremden Staate oder von einer zur Ausgabe solcher Papiere berechtigten Gemeinde, Korporation, Gesellschaft oder Privatperson ausgestellt sind. x) Fassung gern. Art I des Ges. v 26. Febr. 1876. 2) Eingefügt durch Art.34 Ziff IV des Einführun gs gesetzes z. BGB.

1. Strafgesetzbuch. II. Teil. §§ 142-158.

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§ 150. Wer echte, zum Umlauf bestimmte Metallgeldstücke durch Beschnei­ den, Abfeilen oder auf andere Art verringert und als vollgültig in Verkehr bringt, oder wer solche verringerte Münzen gewohnheitsmäßig oder im Einverständnisse mit dem, welcher sie verringert hat, als vollgültig in Verkehr bringt, wird mit Gefängnis bestraft, neben welchem auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark sowie auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann. Der Versuch ist strafbar. § 151. Wer Stempel, Siegel, Stiche, Platten oder andere zur Anfertigung von Metallgeld, Papiergeld oder dem letzteren gleich geachteten Papieren dienliche Formen zum Zwecke eines Münzverbrechens angeschasft oder angefertigt hat, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. 8 182. Auf die Einziehung des nachgemachten oder verfälschten Geldes, sowie der im § 151 bezeichneten Gegenstände ist zu erkennen, auch wenn die Ver­ folgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht stattsindet. Neunter Abschnitt. Meineid.

8 153. Wer einen ihm zugeschobenen, zurückgeschobenen oder auferlegten Eld wissentlich falsch schwört, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. 8 154. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher vor einer zur Abnahme von Eiden zuständigen Behörde wissentlich ein falsches Zeugnis oder ein falsches Gutachten mit einem Eide bekräftigt oder den vor seiner Vernehmung geleisteten Eid wissentlich durch ein falsches Zeugnis oder ein falsches Gutachten verletzt. Ist das falsche Zeugnis oder Gutachten in einer Strafsache zum Nachteile eines Angeschuldigten abgegeben und dieser zum Tode, zu Zuchthaus oder zu einer anderen mehr als fünf Jahre betragenden Freiheitsstrafe verurteilt wor­ den, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter drei Jahren ein. 8 155. Der Ableistung eines Eides wird gleich geachtet, wenn 1 ein Mitglied einer Religionsgesellschaft, welcher das Gesetz den Gebrauch gewisser Beteuerungsformeln an Stelle des Eides gestattet, eine Erklärung unter der Beteuerungsformel seiner Religionsgesellscbaft abgibt; 2 derjenige, welcher als Partei, Zeuge oder Sachverständiger einen Eid geleistet hat, in gleicher Eigenschaft eine Versicherung unter Berufung auf den bereits früher in derselben Angelegenheit geleisteten Eid abgibt, oder ein Sachver­ ständiger, welcher als solcher ein- für allemal vereidet ist, eine Versicherung auf den von ihm geleisteten Eid ab gibt; 3. ein Beamter eine amtliche Versicherung unter Berufung auf seinen Diensteid abgibt. 8 156. Wer vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde eine solche Versicherung wissentlich falsch abgibt oder unter Berufung eine solche Versicherung wissentlich falsch aussagt, wird mit Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren bestraft. 8 157. Hat ein Zeuge oder Sachverständiger sich eines Meineides (§§ 154, 155) oder einer falschen Versicherung an Eides Statt schuldig gemacht, so ist die an sich verwirkte Strafe auf die Hälfte bis ein Vierteil zu ermäßigen, wenn 1. die Angabe der Wahrheit gegen ihn selbst eine Verfolgung wegen eines Verbrechens oder Vergehens nach sich ziehen konnte, oder 2. der Aussagende die falsche Aussage zugunsten einer Person, rücksichtlich welcher er die Aussage ablehnen durfte, erstattet hat, ohne über sein Recht, die Aussage ablehnen zu dürfen, belehrt worden zu sein. Ist hiernach Zuchthausstrafe unter einem Jahr verwirkt, so ist dieselbe nach Maßgabe des §21 in Gefängnisstrafe zu verwandeln. 8 158. Gleiche Strafermäßigung tritt ein, wenn derjenige, welcher sich eines Meineides oder einer falschen Versicherung an Eides Statt schuldig gemacht hat, bevor eine Anzeige gegen ihn erfolgt oder eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet und bevor ein Rechtsnachteil für einen Anderen aus der falschen Aussage ent­ standen ist, diese bei derjenigen Behörde, bei welcher er sie abgegeben hat, widerruft.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

8 159. Wer es unternimmt, einen anderen zur Begehung eines Meineides zu verleiten, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren und wer es unternimmt, einen anderen zur wissentlichen Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt zu verleiten, mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. 8 160. Wer einen Anderen zur Ableistung eines falschen Eides verleitet, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann, und wer einen Anderen zur Ableistung einer falschen Versicherung an Eides Statt verleitet, wird mit Ge­ fängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Der Versuch ist strafbar. 8 161 Bei jeder Verurteilung wegen Meineides, mit Ausnahme der Fälle in den §§ 157 und 158, ist auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und außer­ dem auf die dauernde Unfähigkeit des Verurteilten, als Zeuge oder Sachver­ ständiger eidlich vernommen zu werden, zu erkennen. In den Fällen der §§ 156 bis 159 kann neben der Gefängnisstrafe auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. 8 162. Wer vorsätzlich einer durch eidliches Angelöbnis vor Gericht be­ stellten Sicherheit oder dem in einem Osfenbarungseide gegebenen Versprechen zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. 8 163. Wenn eine der in den §§ 153 bis 156 bezeichneten Handlungen aus Fahrlässigkeit begangen worden ist, so tritt Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre ein. Straflosigkeit tritt ein, wenn der Täter, bevor eine Anzeige gegen ihn erfolgt oder eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet und bevor ein Rechtsnachteil für einen Anderen aus der falschen Aussage entstanden ist, diese bei derjenigen Behörde, bei welcher er sie abgegeben hat, widerruft. Lehnter Abschnitt.

Falsche Anschuldigung.

8 164. Wer bei einer Behörde eine Anzeige macht, durch welche er jemand wider besseres Wissen der Begehung einer strafbaren Handlung oder der Verletzung einer Amtspflicht beschuldigt, wird mit Gefängnis nicht unter einem Monat be­ straft; auch kann gegen denselben auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Solange ein infolge der gemachten Anzeige eingeleitetes Verfahren an­ hängig ist, soll mit dem Verfahren und mit der Entscheidung über die falsche Anschuldigung innegehalten werden. 8 165. Wird wegen falscher Anschuldigung auf Strafe erkannt, so ist zugleich dem Verletzten die Befugnis zuzusprechen, die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekannt zu machen. Die Art der Bekanntmachung, sowie die Frist zu derselben, ist in dem Urteile zu bestimmen. Dem Verletzten ist auf Kosten des Schuldigen eine Ausfertigung des Urteils zu erteilen. Elfter Abschnitt. Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen.

8 166. Wer dadurch, daß er öffentlich in beschimpfenden Äußerungen Gott lästert, ein Ärgernis gibt, oder wer öffentlich eine der christlichen Kirchen oder eine andere mit Korporationsrechten innerhalb des Bundesgebietes bestehende Religionsgesellschaft oder ihre Einrichtungen oder Gebräuche beschimpft, ingleichen wer in einer Kirche oder in einem anderen zu religiösen Versammlungen be­ stimmten Orte beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. 8 167. Wer durch eine Tätlichkeit oder Drohung jemand hindert, den Gottesdienst einer im Staat bestehenden Religionsgesellschaft auszuüben, in­ gleichen wer in einer Kirche oder in einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte durch Erregung von Lärm oder Unordnung den Gottesdienst

1. Strafgesetzbuch. H Teil. §§ 159-174.

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oder einzelne gottesdienstliche Verrichtungen einer im Staate bestehenden Reli­ gionsgesellschaft vorsätzlich verhindert oder stört, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. 8 168. Wer unbefugt eine Leiche aus dem Gewahrsam der dazu berech­ tigten Person wegnimmt, ingleichen wer unbefugt ein Grab zerstört oder be­ schädigt, oder wer an einem Grabe beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.

Zwölfter Abschnitt. Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf den Personenstand.

8 169. Wer ein Kind unterschiebt oder vorsätzlich verwechselt, oder wer auf andere Weise den Personenstand eines Anderen vorsätzlich verändert oder unterdrückt, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren und, wenn die Handlung in gewinnsüchtiger Absicht begangen wurde, mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar. 8 170. Wer bei Eingehung einer Ehe dem anderen Teile ein gesetzliches Ehehindernis arglistig verschweigt, oder wer den anderen Teil zur Eheschließung arglistig mittels einer solchen Täuschung verleitet, welche den Getäuschten be­ rechtigt, die Gültigkeit der Ehe anzufechten, wird, wenn aus einem dieser Gründe die Ehe aufgelöst worden ist, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des getäuschten Teils ein. Dreizehnter Abschnitt. Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit.

8 1711). Ein Ehegatte, welcher eine neue Ehe eingeht, bevor seine Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt worden ist, ingleichen eine unverheiratete Person, welche mit einem Ehegatten, wissend, daß er verheiratet ist, eine Ehe eingeht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. Die Verjährung der Strafverfolgung beginnt mit dem Tage, an welchem eine der beiden Ehen aufgelöst oder für nichtig erklärt worden ist. 8 172. Der Ehebruch wird, wenn wegen desselben die Ehe geschieden ist, an dem schuldigen Ehegatten, sowie dessen Mitschuldigen mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 8 173. Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Ge­ fängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie, sowie zwischen Geschwistern wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben. 8 174. Mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren werden bestraft: 1 Vormünder, welche mit ihren Pflegebefohlenen, Adoptiv- und Pflegeeltern, welche mit ihren Kindern, Geistliche, Lehrer und Erzieher, welche mit ihren minderjährigen Schülern oder Zöglingen unzüchtige Handlungen vor­ nehmen; 2 Beamte, die mit Personen, gegen welche sie eine Untersuchung zu führen haben oder welche ihrer Obhut anvertraut sind, unzüchtige Handlungen vor­ nehmen; x) Fassung gern Art 34 Ziff V des Einführungsgesetzes z. BGB.

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Erster Teil. Strafgesetze.

3. Beamte, Ärzte oder andere Medizinalpersonen, welche in Gefängnissen oder in öffentlichen, zur Pflege von Kranken, Armen oder anderen Hilflosen be­ stimmten Anstalten beschäftigt oder angestellt sind, wenn sie mit den in das Gefängnis oder in die Anstalt aufgenommenen Personen unzüchtige Handlungen vornehmen. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. 8 175. Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Tieren begangen wird, ist mit Gefängnis zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. 8 1761). Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer 1. mit Gewalt unzüchtige Handlungen an einer Frauensperson vornimmt oder dieselbe durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Duldung unzüchtiger Handlungen nötigt; 2. eine in einem willenlosen oder bewußtlosen Zustande befindliche oder eine geisteskranke Frauensperson zum außerehelichen Beischlafe mißbraucht, oder 3. mit Personen unter vierzehn Jahren unzüchtige Handlungen vornimmt oder dieselben zur Verübung oder Duldung unzüchtiger Handlungen verleitet. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter

sechs Monaten ein. 8 177*). Mit Zuchthaus wird bestraft, wer durch Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine Frauensperson zur Duldung des außerehelichen Beischlafs nötigt, oder wer eine Frauensperson zum außerehelichen Beischlafe mißbraucht, nachdem er sie zu diesem Zwecke in einen willenlosen oder bewußtlosen Zustand versetzt hat. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter einem Jahre ein. 8 178i). Ist durch eine der in den §§ 176 und 177 bezeichneten Hand­ lungen der Tod der verletzten Person verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Zuchthausstrafe ein. 8 179. Wer eine Frauensperson zur Gestattung des Beischlafs dadurch verleitet, daß er eine Trauung vorspiegelt, oder einen anderen Irrtum in ihr erregt oder benutzt, in welchem sie den Beischlaf für einen ehelichen hielt, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 8 18012). Wer gewohnheitsgemäß oder aus Eigennutz durch seine Ver­ mittelung oder durch Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit der Unzucht Vorschub leistet, wird wegen Kuppelei mit Gefängnis nicht unter einem Monate bestraft; auch kann zugleich auf Geldstrafe von einhundertfünfzig bis zu sechs­ tausend Mark, auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann die Gefängnisstrafe bis auf einen Tag ermäßigt werden. 8 1812). Die Kuppelei ist, selbst wenn sie weder gewohnheitsmäßig noch aus Eigennutz betrieben wird, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren zu bestrafen, wenn 1. um der Unzucht Vorschub zu leisten, hinterlistige Kunstgriffe angewendet werden, oder 2. der Schuldige zu der verkuppelten Person in dem Verhältnisse des Ehe­ manns zur Ehefrau, von Eltern zu Kindern, von Vormündern zu Pflege­ befohlenen, von Geistlichen, Lehrern oder Erziehern zu den von ihnen zu unterrichtenden oder zu erziehenden Personen steht. Neben der Zuchthausstrafe ist der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte aus­ zusprechen; auch kann zugleich auf Geldstrafe von einhundertfünfzig bis zu sechs­ tausend Mark sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. 1) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876. 2) Fassung gem. Ges. v. 25. Juni 1900 (RGBl. S. 301).

1. Strafgesetzbuch.^ II. Teil. §§ 175—184b.

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Sind im Falle des Abs. 1 Nr. 2 mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gesängnisstrase ein, neben welcher auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark er­ kannt werden kann.

§ 181a1). Eine männliche Person, welche von einer Frauensperson, die gewerbsmäßig Unzucht treibt, unter Ausbeutung ihres unsittlichen Erwerbes ganz oder teilweise den Lebensunterhalt bezieht, oder welche einer solchen Frauens­ person gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz in Bezug auf die Ausübung des unzüchtigen Gewerbes Schutz gewährt oder sonst förderlich ist (Zuhälter), wird mit Gefängnis nicht unter einem Monate bestraft. Ist der Zuhälter der Ehemann der Frauensperson, oder hat der Zuhälter die Frauensperson unter Anwendung von Gewalt oder Drohungen zur Aus­ übung des unzüchtigen Gewerbes angehalten, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter einem Jahre ein. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht sowie auf Überweisung an die Landespolizei­ behörde mit den im § 362 Abs. 3 und 4 vorgesehenen Folgen erkannt werden. § 182. Wer ein unbescholtenes Mädchen, welches das sechzehnte Lebensjahr nicht vollendet hat, zum Beischlafe verführt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern oder des Vormundes der Verführten ein. § 1832). Wer durch eine unzüchtige Handlung öffentlich ein Ärgernis gibt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark bestraft. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. 8 1843). Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer 1. unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen feilhält, verkauft, verteilt, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder anschlägt oder sonst verbreitet, sie zum Zwecke der Verbreitung herstellt oder zu demselben Zwecke vorrätig hält, ankündigt oder anpreist; 2. unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen einer Person unter sechzehn Jahren gegen Entgelt überläßt oder anbietet; 3. Gegenstände, die zu unzüchtigem Gebrauche bestimmt sind, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder solche Gegenstände dem Publikum ankündigt oder anpreist; 4. öffentliche Ankündigungen erläßt, welche dazu bestimmt sind, unzüchtigen Verkehr herbeizusühren. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. 8 184 a1). Wer Schriften, Abbildungen oder Darstellungen, welche, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen, einer Person unter sechzehn Jahren gegen Entgelt überläßt oder anbietet, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark bestraft.

8 184 b4). Mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten wird bestraft, wer aus Gerichtsverhandlungen, für welche wegen Gefährdung der Sittlichkeit die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, oder aus den diesen Verhandlungen zugrunde liegenden amtlichen Schriftstücken öffentlich Mitteilungen macht, welche geeignet sind, Ärgernis zu erregen. 4) Eingefügt durch Ges. v. 25. Juni 1900. 2) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876. 3) Fassung gem. Ges. v. 25. Juni 1900. 4) Fassung gem. Ges. v. 25. Juni 1900 (früher § 184 Abs. 2, angefügt durch Ges. v. 5. April 1888 Art. IV).

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Erster Teil.

Strafgesetze.

Vierzehnter Abschnitt. Beleidigung.

8 18S. Die Beleidigung wird mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Geldstrafe bis zu eintaujendfünfhundert Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. 8 186. Wer in Beziehung auf einen Anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, wegen Beleidigung mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre und, wenn die Beleidigung öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, Abbildungen oder Darstellungen begangen ist, mit Geldstrafe bis zu eintausendfünshundert Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. 8 187. Wer wider besseres Wissen in Beziehung auf einen Anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit zu ge­ fährden geeignet ist, wird wegen verleumderischer Beleidigung mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und, wenn die Verleumdung öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, Abbildungen oder Darstellungen begangen ist, mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann die Strafe bis auf einen Tag Gefängnis ermäßigt, oder auf Geldstrafe bis zu neunhundert Mark erkannt werden. 8 188. In den Fällen der §§ 186 und 187 kann auf Verlangen des Be­ leidigten, wenn die Beleidigung nachteilige Folgen für die Verrnögensverhältnisje, den Erwerb oder das Fortkommen des Beleidigten mit sich bringt, neben der Strafe auf eine an den Beleidigten zu erlegende Buße bis zum Betrage von sechstausend Mark erkannt werden. Eine erkannte Buße schließt die Geltendmachung eines weiteren Entschä­ digungsanspruches aus. 8 189. Wer das Andenken eines Verstorbenen dadurch beschimpft, daß er wider besseres Wissen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben bei seinen Lebzeiten verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet gewesen wäre, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann auf Geldstrafe bis zu neun­ hundert Mark erkannt werden. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern, der Kinder oder des Ehe­ gatten des Verstorbenen ein. 8 190. Ist die behauptete oder verbreitete Tatsache eine strafbare Handlung, so ist der Beweis der Wahrheit als erbracht anzusehen, wenn der Beleidigte wegen dieser Handlung rechtskräftig verurteilt worden ist. Der Beweis der Wahrheit ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Beleidigte wegen dieser Handlung vor der Behauptung oder Verbreitung rechtskräftig freigesprochen worden ist. 8 191. Ist wegen der strafbaren Handlung zum Zwecke der Herbeiführung eines Strafverfahrens bei der Behörde Anzeige gemacht, so ist bis zu dem Be­ schlusse, daß die Eröffnung der Untersuchung nicht stattfinde, oder bis zur Be­ endigung der eingeleiteten Untersuchung mit dem Verfahren und der Entscheidung über die Beleidigung inne zu halten. 8 192. Der Beweis der Wahrheit der behaupteten oder verbreiteten Tat­ sache schließt die Bestrafung nach Vorschrift des § 185 nicht aus, wenn das Vor­ handensein einer Beleidigung aus der Form der Behauptung oder Verbreitung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht. 8 193. Tgdelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, ingleichen Äußerungen, welche zur Ausführung oder Verteidigung

1. Strafgesetzbuch. II. Teil. §§ 185-204.

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von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, dienst­ liche Anzeigen oder Urteile von feiten eines Beamten und ähnliche Fälle sind nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht. § 1941), Die Verfolgung einer Beleidigung tritt nur auf Antrag ein. Die Zurücknahme des Antrages (§§ 185 bis 193) ist zulässig. 8 195 2). Ist eine Ehefrau beleidigt worden, so hat sowohl sie als ihr Ehemann das Recht, auf Bestrafung anzutragen. 8 199. Wenn die Beleidigung gegen eine Behörde, einen Beamten, einen Religionsdiener oder ein Mitglied der bewaffneten Macht, während sie in der Ausübung ihres Berufes begriffen sind, oder in Beziehung auf ihren Beruf be­ gangen ist, so haben außer den unmittelbar Beteiligten auch deren amtliche Vor­ gesetzte das Recht, den Strafantrag zu stellen. 8 197. Eines Antrages bedarf es nicht, wenn die Beleidigung gegen eine gesetzgebende Versammlung des Reichs oder eines Bundesstaats, oder gegen eine andere politische Körperschaft begangen worden ist. Dieselbe darf jedoch nur mit Ermächtigung der beleidigten Körperschaft verfolgt werden. 8 198. Ist bei wechselseitigen Beleidigungen von einem Teile auf Be­ strafung angetragen worden, so ist der andere Teil bei Verlust seines Rechts verpflichtet, den Antrag auf Bestrafung spätestens vor Schluß der Verhandlung in erster Instanz zu stellen, hierzu aber auch dann berechtigt, wenn zu jenem Zeitpunkte die dreimonatliche Frist bereits abgelaufen ist. 8 199. Wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwidert wird, so kann der Richter beide Beleidiger oder einen derselben für straffrei erklären.

8 2001). Wird wegen einer öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, Darstellungen oder Abbildungen begangenen Beleidigung auf Strafe erkannt, so ist zugleich dem Beleidigten die Befugnis zuzusprechen, die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekannt zu machen. Die Art der Bekanntmachung, sowie die Frist zu derselben ist in dem Urteile zu bestimmen. Erfolgte die Beleidigung in einer Zeitung oder Zeitschrift, so ist der ver­ fügende Teil des Urteils auf Antrag des Beleidigten durch die öffentlichen Blätter bekannt zu machen, und zwar wenn möglich durch dieselbe Zeitung oder Zeit­ schrift und in demselben Teile und mit derselben Schrift, wie der Abdruck der Beleidigung geschehen. Dem Beleidigten ist auf Kosten des Schuldigen eine Ausfertigung des Urteils zu erteilen. Fünfzehnter Abschnitt.

Zweikampf. 8 201. Die Herausforderung zum Zweikampf mit tödlichen Waffen, sowie die Annahme einer solchen Herausforderung wird mit Festungshaft bis zu sechs Monaten bestraft. 8 202. Festungshaft von zwei Monaten bis zu zwei Jahren tritt ein, wenn bei der Herausforderung die Absicht, daß einer von beiden Teilen das Leben verlieren soll, entweder ausgesprochen ist oder aus der gewählten Art des Zweikampfs erhellt. 8 203. Diejenigen, welche den Auftrag zu einer Herausforderung über­ nehmen und ausrichten (Kartellträger), werden mit Festungshaft bis zu sechs Monaten bestraft. 8 204. Die Strafe. der Herausforderung und der Annahme derselben, sowie die Strafe der Kartellträger fällt weg, wenn die Parteien den Zweikampf vor dessen Beginn freiwillig aufgegeben haben. x) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876. 2) Fassung gem. Art.34 Ziff. VI des Einführungsgesetzes zum BGB.

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Erster Teil. Strafgesetze.

8 205. Der Zweikampf wird mit Festungshaft von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. 8 206. Wer seinen Gegner im Zweikampf tötet, wird mit Festungshaft nicht unter zwei Jahren, und, wenn der Zweikampf ein solcher war, welcher den Tod des einen von beiden herbeiführen sollte, mit Festungshaft nicht unter drei Jahren bestraft. 8 207. Ist eine Tötung oder Körperverletzung mittels vorsätzlicher Über­ tretung der vereinbarten oder hergebrachten Regeln des Zweikampfs bewirkt worden, so ist der Übertreter, sofern nicht nach den vorhergehenden Bestimmungen eine härtere Strafe verwirkt ist, nach den allgemeinen Vorschriften über das Verbrechen der Tötung oder der Körperverletzung zu bestrafen. 8 208x). Hat der Zweikampf ohne Sekundanten stattgefunden, so kann die verwirkte Strafe bis um die Hälfte, jedoch nicht über fünfzehn Jahre erhöht werden. 8 209. Kartellträger, welche ernstlich bemüht gewesen sind, den Zweikampf zu verhindern, Sekundanten, sowie zum Zweikampf zugezogene Zeugen, Ärzte und Wundärzte sind straflos. 8 210. Wer einen Anderen zum Zweikampf mit einem Dritten absichtlich, insonderheit durch Bezeigung oder Androhung von Verachtung anreizt, wird, falls der Zweikampf stattgefunden hat, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Sechzehnter Abschnitt. Verbrechen und Vergehen wider das Leben.

8 211. Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird, wenn er die Tötung mit Überlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode bestraft. 8 212. Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird, wenn er die Tötung nicht mit Überlegung ausgeführt hat, wegen Totschlages mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft. 8 213. War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem Getöteten zum Zorne gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden, oder sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. 8 214. Wer bei Unternehmung einer strafbaren Handlung, um ein der Ausführung derselben entgegentretendes Hindernis zu beseitigen oder um sich der Ergreifung auf frischer Tat zu entziehen, vorsätzlich einen Menschen tötet, wird mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft. 8 215. Der Totschlag an einem Verwandten aufsteigender Linie wird mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft. 8 216. Ist jemand durch das ausdrückliche uno ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Gefängnis nicht unter drei Jahren zu erkennen. 8 217. Eine Mutter, welche ihr uneheliches Kind in oder gleich nach der Geburt vorsätzlich tötet, wird mit Zuchthaus nicht unter drei Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter zwei Jahren ein. 8 218. Eine Schwangere, welche ihre Frucht vorsätzlich abtreibt oder im Mutterleibe tötet, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. Dieselben Strafvorschriften finden auf denjenigen Anwendung, welcher mit Einwilligung der Schwangeren die Mittel zu der Abtreibung oder Tötung bei ihr angewendet oder ihr beigebracht hat. *) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876.

1. Strafgesetzbuch. II. Teil.

§§ 205—226.

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§ 219. Mit Zuchthaus brs zu zehn Jahren wird bestraft, wer einer Schwangeren, welche ihre Frucht abgetrieben oder getötet hat, gegen Entgelt die Mittel hierzu verschafft, bei ihr angewendet oder ihr beigebracht hat. 8 220. Wer die Leibesfrucht einer Schwangeren ohne deren Wissen oder Willen vorsätzlich abtreibt oder tötet, wird mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft. Ist durch die Handlung der Tod der Schwangeren verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Zuchthaus­ strafe ein. 8 221. Wer eine wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hilflose Person aussetzt, oder wer eine solche Person, wenn dieselbe unter seiner Obhut steht oder wenn er für die Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme derselben zu sorgen hat, in hilfloser Lage vorsätzlich verläßt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Wird die Handlung von leiblichen Eltern gegen ihr Kind begangen, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. Ist durch die Handlung eine schwere Körperverletzung der ausgesetzten oder verlassenen Person verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe bis zu zehn Jahren und, wenn durch die Handlung der Tod verursacht worden ist, Zuchthausstrafe nicht unter drei Jahren ein. 8 222. Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. Wenn der Täter zu der Aufmerksamkeit, welche er aus den Augen setzte, ver­ möge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders verpflichtet war, so kann die Strafe bis auf fünf Jahre Gefängnis erhöht werden. Siebzehnter Abschnitt. Körperverletzung.

8 2231). Wer vorsätzlich einen Anderen körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit beschädigt, wird wegen Körperverletzung mit Gefängnis bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark bestraft. Ist die Handlung gegen Verwandte aufsteigender Linie begangen, so ist auf Gefängnis nicht unter einem Monat zu erkennen. 8 223 a2). Ist die Körperverletzung mittels einer Waffe, insbesondere eines Messers oder eines anderen gefährlichen Werkzeuges, oder mittels eines hintenlistigen Überfalls, oder von mehreren gemeinschaftlich, oder mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begangen, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter zwei Monaten ein. Gleiche Strafe tritt ein, wenn gegen eine noch nicht achtzehn Jahre alte oder wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die der Fürsorge oder Obhut des Täters untersteht oder seinem Hausstand angehört, oder die der Fürsorgepflichtige der Gewalt des Täters überlassen hat, eine Körperverletzung mittels grausamer oder boshafter Behandlung begangen wird. 8 224. Hat die Körperverletzung zur Folge, daß der Verletzte ein wich­ tiges Glied des Körpers, das Sehvermögen auf einem oder beiden Augen, das Gehör, die Sprache oder die Zeugungsfähigkeit verliert, oder in erheblicher Weise dauernd entstellt wird, oder in Siechtum, Lähmung oder Geisteskrankheit ver­ fällt, so ist auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis nicht unter einem Jahre zu erkennen. 8 225. War eine der vorbezeichneten Folgen beabsichtigt und eingetreten, so ist auf Zuchthaus von zwei bis zu zehn Jahren zu erkennen. 8 226. Ist durch die Körperverletzung der Tod des Verletzten verursacht worden, so ist auf Zuchthaus nicht unter drei Jahren oder Gefängnis nicht unter drei Jahren zu erkennen. *) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876. 2) Eingefügt Abs. 1 durch Art. II des Ges. v. 26. Febr. 1876, Abs. 2 durch Nr. 4 des Ges. v. 19. Juni 1912.

30

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 227. Ist durch eine Schlägerei oder durch einen von mehreren ge­ machten Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 224- verursacht worden, so ist jeder, welcher sich an der Schlägerei oder dem Angriffe beteiligt hat, schon wegen dieser Beteiligung mit Gefängnis bis zu drei Jahren zu bestrafen, falls er nicht ohne sein Verschulden hineingezogen worden ist. Ist eine der vorbezeichneten Folgen mehreren Verletzungen zuzuschreiben, welche dieselbe nicht einzeln, sondern nur durch ihr Zusammentreffen verursach: haben, so ist jeder, welchem eine dieser Verletzungen zur Last fällt, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren zu bestrafen. 8 228x). Sind mildernde Umstände vorhanden, so ist in den Fällen des § 223 Absatz 2 und des § 223 a auf Gefängnis bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bis zu eintausend Mark, in den Fällen der §§ 224 und 227 Absatz 2 auf Gefäng­ nis nicht unter einem Monat, und im Falle des § 226 auf Gefängnis nicht unter drei Monaten zu erkennen.

8 229. Wer vorsätzlich einem Anderen, um dessen Gesundheit zu beschädigen, Gift oder andere Stoffe beibringt, welche die Gesundheit zu zerstören geeignet sind, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. Ist durch die Handlung eine schwere Körperverletzung verursacht worden, so ist auf Zuchthaus nicht unter fünf Jahren und, wenn durch die Handlung der Tod verursacht worden, auf Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder auf lebens­ längliches Zuchthaus zu erkennen. 8 230. Wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung eines Anderen ver­ ursacht, wird mit Geldstrafe bis zu neunhundert Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. War der Täter zu der Aufmerksamkeit, welche er aus den Augen setzte, ver­ möge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders verpflichtet, so kann die Strafe auf drei Jahre Gefängnis erhöht werden. 8 231. In allen Fällen der Körperverletzung kann auf Verlangen des Ver­ letzten neben der Strafe auf eine an denselben zu erlegende Buße bis zum Betrage von sechstausend Mark erkannt werden. Eine erkannte Buße schließt die Geltendmachung eines weiteren Entschädi­ gungsanspruches auS. Für diese Buße haften die zu derselben Verurteilten als Gesamtschuldner

8 2321). Die Verfolgung leichter vorsätzlicher, sowie aller durch Fahr­ lässigkeit verursachter Körperverletzungen (§§ 223, 230) tritt nur auf Antrag ein, insofern nicht die Körperverletzung mit Übertretung einer Amts-, Berufs­ oder Gewerbspflicht begangen worden ist. Ist das Vergehen gegen einen Angehörigen verübt, so ist die Zurücknahme des Antrages zulässig. Die in den §§ 195, 196 und 198 enthaltenen Vorschriften finden auch hier Anwendung. 8 233. Wenn leichte Körperverletzungen mit solchen, Beleidigungen mit leichten Körperverletzungen oder letztere mit ersteren auf der Stelle erwidert werden, so kann der Richter für beide Angeschuldigte, oder für einen derselben eine der Art oder dem Maße nach mildere oder überhaupt keine Strafe eintreten lassen. Achtzehnter Abschnitt. Verbrechen und Vergehen wider die persönliche Freiheit.

8 234. Wer sich eines Menschen durch List, Drohung oder G-ewalt be­ mächtigt, um ihn in hilfloser Lage auszusetzen oder in Sklaverei, Leibeigenschaft oder in auswärtige Kriegs- oder Schifssdienste zu bringen, wird wegen Menschen-» raubes mit Zuchthaus bestraft. x) Fassung gern. Art. I des Ges v. 26. Febr. 1876.

1. Strafgesetzbuch. H. Teil. §§ 227-243.

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8 235T). Wer eine minderjährige Person durch List, Drohung oder Gewalt ihren Eltern, ihrem Vormund oder ihrem Pfleger entzieht, wird mit Gefängnis bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann auf Geldstrafe bis zu drei­ tausend Mark erkannt werden. Geschieht die Handlung in der Absicht, die Person zum Betteln oder zu gewinnsüchtigen oder unsittlichen Zwecken oder Beschäftigungen zu gebrauchen, so tritt Zuchthaus bis zu zehn Jahren ein. 8 236. Wer eine Frauensperson wider ihren Willen durch List, Drohung oder Gewalt entführt, um sie zur Unzucht zu bringen, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren und, wenn die Entführung begangen wurde, um die Entführte zur Ehe zu bringen, mit Gefängnis bestraft. Die Verfolgung tritt nur aus Antrag ein. 8 237*2). Wer eine minderjährige, unverehelichte Frauensperson mit ihrem Willen, jedoch ohne Einwilligung ihrer Eltern, ihres Vormundes oder ihres Pflegers entführt, um sie zur Unzucht oder zur Ehe zu bringen, wird mit Ge­ fängnis bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 8 238 3). Hat der Entführer die Entführte geheiratet, so findet die Ver­ folgung nur statt, nachdem die Ehe für nichtig erklärt worden ist. 8 2394). Wer vorsätzlich und widerrechtlich einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise des Gebrauches der persönlichen Freiheit beraubt, wird mit Gefängnis oder mit Geldstrafe bis zu zweitausend Mark bestraft. Wenn die Freiheitsentziehung über eine Woche gedauert hat, oder wenn eine schwere Körperverletzung des der Freiheit Beraubten durch die Freiheits­ entziehung oder die ihm während derselben widerfahrene Behandlung verursacht worden ist, so ist auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren zu erkennen. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter einem Monat ein. Ist der Tod des der Freiheit Beraubten durch die Freiheitsentziehung oder die ihm während derselben widerfahrene Behandlung verursacht worden, so ist auf Zuchthaus nicht unter drei Jahren zu erkennen. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein. 8 240 b). Wer einen Anderen widerrechtlich durch Gewalt oder durch Be­ drohung mit einem Verbrechen oder Vergehen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark bestraft. Der Versuch ist strafbar. 8 241 b). Wer einen Anderen mit der Begehung eines Verbrechens bedroht, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark bestraft. Neunzehnter Abschnitt. Diebstahl und Unterschlagung.

§ 242. Wer eine fremde bewegliche Sache einem Anderen in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen, wird wegen Diebstahls mit Ge­ fängnis bestraft. Der Versuch ist strafbar. § 243. Auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn 1. aus einem zum Gottesdienste bestimmten Gebäude Gegenstände gestohlen werden, welche dem Gottesdienste gewidmet sind; 2. aus einem Gebäude oder umschlossenen Raume mittels Einbruchs, Ein­ steigens oder Erbrechens von Behältnissen gestohlen wird; *) Fassung gern. Art. 34 Ziff. VII des Einführungsgesetzes z. BGB. und Nr. 3 des Ges. v. 19. Juni 1912. 2) Fassung, gern. Art. 34 Ziff. VIII desEinführungsgesetzesz. BGB. 3) Fassung gern. Art. 34 Ziff. IX des Einführungsgesetzes z. BGB. Fassung gem. Nr. 2 des Ges. v. 19. Juni 1912. 6) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

3. der Diebstahl dadurch bewirkt wird, daß zur Eröffnung eines Gebäudes oder der Zugänge eines umschlossenen Raumes, oder zur Eröffnung der im Innern befindlichen Türen oder Behältnisse falsche Schlüssel oder andere zur ordnungsmäßigen Eröffnung nicht bestimmte Werkzeuge augeweudet werden; 4. auf einem öffentlichen Wege, einer Straße, einem öffentlichen Platze, einer Wasserstraße oder einer Eisenbahn, oder in einem Postgebäude oder dem dazu gehörigen Hofraume, oder auf einem Eisenbahnhofe eine zum Reise­ gepäck oder zu anderen Gegenständen der Beförderung gehörende Sache mittels Abschneidens oder Ablösens der Befestigungs- oder Verwahrun'gsmittel, oder durch Anwendung falscher Schlüssel oder anderer zur ord­ nungsmäßigen Eröffnung nicht bestimmter Werkzeuge gestohlen wird; 5. der Dieb oder einer der Teilnehmer am Diebstahle bei Begehung der Tat Waffen bei sich führt; 6. zu dem Diebstahle mehrere mitwirken, welche sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden haben, oder 7. der Diebstahl zur Nachtzeit in einem bewohnten Gebäude, in welches sich der Täter in diebischer Absicht eingeschlichen, oder in welchem er sich in gleicher Absicht verborgen hatte, begangen wird, auch wenn zur Zeft des Diebstahls Bewohner in dem Gebäude nicht anwesend sind. Einem be­ wohnten Gebäude werden der zu einem bewohnten Gebäude gehörige um­ schlossene Raum und die in einem solchen befindlichen Gebäude jeder Art, sowie Schiffe, welche bewohnt werden, gleich geachtet. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein. § 244. Wer im Jnlande als Dieb, Räuber oder gleich einem Räuber oder als Hehler bestraft worden ist, darauf abermals eine dieser Handlungen begangen hat, und wegen derselben bestraft worden ist, wird, wenn er einen einfachen Dieb­ stahl (§ 242) begeht, mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, wenn er einen schweren Diebstahl (§ 243) begeht, mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt beim einfachen Diebstahl Ge­ fängnisstrafe nicht unter drei Monaten, beim schweren Diebstahl Gefängnisstrafe nicht unter einem Jahre ein.

8 245. Die Bestimmungen des § 244 finden Anwendung, auch toeiut die früheren Strafen nur teilweise verbüßt oder ganz oder teilweise erlassen sind, bleiben jedoch ausgeschlossen, wenn seit der Verbüßung oder dem Erlasse der letzten Strafe bis zur Begehung des neuen Diebstahls zehn Jahre verflossen sind. 8 246. Wer eine fremde bewegliche Sache, die er in Besitz oder Gewahrsam hat, sich rechtswidrig zueignet, wird wegen Unterschlagung mit Gefängnis bis zu drei Jahren und, wenn die Sache ihm anvertraut ist, mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann auf Geldstrafe bis zu neun­ hundert Mark erkannt werden. Der Versuch ist strafbar. 8 2471). Wer einen Diebstahl oder eine Unterschlagung gegen Angehörige, Vormünder oder Erzieher begeht, oder wer einer Person, zu der er im Lehrlings­ verhältnisse steht, oder in deren häuslicher Gemeinschaft er als Gesinde sich befindet, Sachen von unbedeutendem Werte stiehlt oder unterschlägt, ist nur auf Antrag zu verfolgen. Die Zurücknahme des Antrages ist zulässig. Ein Diebstahl oder eine Unterschlagung, welche von Verwandten aufstei­ gender Linie gegen Verwandte absteigender Linie oder von einem Ehegatten gegen den anderen begangen worden ist, bleibt straflos. Diese Bestimmungen finden auf Teilnehmer oder Begünstiger, welche nicht in einem der vorbezeichneten persönlichen Verhältnisse stehen, keine Anwendung.

8 248. Neben der wegen Diebstahls oder Unterschlagung erkannten Ge­ fängnisstrafe kann aus Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, und neben der wegen !) Fassung gern. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876.

1. Strafgesetzbuch. II. Teil. §§ 244—255.

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Diebstahls erkannten Zuchthausstrafe auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. 8 248 a1). Wer aus Not geringwertige Gegenstände entwendet oder unter­ schlägt, wird mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. Die Zurücknahme des Antrags ist zulässig. Wer die Tat gegen einen Verwandten absteigender Linie oder gegen seinen Ehegatten begeht, bleibt straflos.

Zwanzigster Abschnitt.

Raub und Erpressung.

8 249. Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem Anderen in der Absicht wegnimmt, sich dieselbe rechtswidrig zu­ zueignen, wird wegen Raubes mit Zuchthaus bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. 8 259. Auf Zuchthaus nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, töeim 1 der Räuber oder einer der Teilnehmer am Raube bei Begehung der Tat Waffen bei sich führt; 2 zu dem Raube mehrere Mitwirken, welche sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden haben; 3. der Raub auf einem öffentlichen Wege, einer Straße, einer Eisenbahn, einem öffentlichen Platze, auf offener See oder einer Wasserstraße begangen wird; 4. der Raub zur Nachtzeit in einem bewohnten Gebäude (§ 243 Nr. 7) begangen wird, in welches sich der Täter zur Begehung eines Raubes oder Diebstahls eingeschlichen oder sich gewaltsam Eingang verschafft oder in welchem er sich in gleicher Absicht verborgen hatte, oder 5. der Räuber bereits einmal als Räuber oder gleich einem Räuber im Jnlande bestraft worden ist. Die im § 245 enthaltenen Vorschriften finden auch hier Anwendung. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter einem Jahre ein.

8 281. Mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslänglichem Zuchthaus wird der Räuber bestraft, wenn bei dem Raube ein Mensch gemartert, oder durch die gegen ihn verübte Gewalt eine schwere Körperverletzung oder der Tod desselben verursacht worden ist. 8 282. Wer, bei einem Diebstahle auf frischer Tat betroffen, gegen eine Person Gewalt verübt oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben anwendet, um sich im Besitze des gestohlenen Gutes zu erhalten, ist gleich einem Räuber zu bestrafen.

8 283. Wer, um sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögens­ vorteil zu verschaffen, einen Anderen durch Gewalt oder Drohung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, ist wegen Erpressung mit Gefäng­ nis nicht unter einem Monat zu bestrafen. Der Versuch ist strafbar. 8 284. Wird die Erpressung durch Bedrohung mit Mord, mit Brandstiftung oder mit Verursachung einer Überschwemmung begangen, so ist auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren zu erkennen. 8 288. Wird die Erpressung durch Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben be­ gangen, so ist der Täter gleich einem Räuber zu bestrafen. 1) Eingefügt durch Ges. v. 19. Juni 1912. Allfeld, Strafgesetzgebung.

3. Auft.

34

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 256. Neben der wegen Erpressung erkannten Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und neben der wegen Raubes oder Er­ pressung erkannten Zuchthausstrafe auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. Einundzwanzigster Abschnitt. Begünstigung und Hehlerei.

8 257. Wer nach Begehung eines Verbrechens oder Vergehens dem Täteroder Teilnehmer wissentlich Beistand leistet, um denselben der Bestrafung zu entziehen oder um ihm die Vorteile des Verbrechens oder Vergehens zu sichern, ist wegen Begünstigung mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Ge­ fängnis bis zu einem Jahre und, wenn er diesen Beistand seines Vorteils wegen leistet, mit Gefängnis zu bestrafen. Die Strafe darf jedoch, der Art oder dem Maße nach, feine schwerere sein, als die auf die Handlung selbst angedrohte. Die Begünstigung ist straflos, wenn dieselbe dem Täter oder Teilnehmer von einem Angehörigen gewährt worden ist, um ihn der Bestrafung zu entziehen. Die Begünstigung ist als Beihilfe zu bestrafen, wenn sie vor Begehung der Tat zugesagt worden ist. Diese Bestimmung leidet auch auf Angehörige An­ wendung. 8 258. Wer seines Vorteils wegen sich einer Begünstigung schuldig macht, wird als Hehler bestraft, wenn der Begünstigte 1. einen einfachen Diebstahl oder eine Unterschlagung begangen hat, mit Ge­ fängnis, 2. einen schweren Diebstahl, einen Raub oder ein dem Raube gleich zu be­ strafendes Verbrechen begangen hat, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein. Diese Strasvorschriften finden auch dann Anwendung, wenn der Hehler ein Angehöriger ist. 8 259. Wer seines Vorteils wegen Sachen, von denen er weiß oder den Umständen nach annehmen muß, daß sie mittels einer strafbaren Handlung er­ langt sind, verheimlicht, ankauft, zum Pfande nimmt oder sonst an sich bringt oder zu deren Absätze bei Anderen mitwirkt, wird als Hehler mit Gefängnis bestraft. 8 260. Wer die Hehlerei gewerbs- oder gewohnheitsmäßig betreibt, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. 8 261. Wer im Jnlande wegen Hehlerei einmal und wegen darauf began­ gener Hehlerei zum zweiten Male bestraft worden ist, wird, wenn sich die aber­ mals begangene Hehlerei auf einen schweren Diebstahl, einen Raub oder ein dem Raube gleich zu bestrafendes Verbrechen bezieht, mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter einem Jahre ein. Bezieht sich die Hehlerei auf eine andere strafbare Handlung, so ist auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren zu erkennen Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein. Die in dem § 245 enthaltenen Vorschriften finden auch hier Anwendung. 8 262. Neben der wegen Hehlerei erkannten Gefängnisstrafe kann auf Ver­ lust der bürgerlichen Ehrenrechte und neben jeder Verurteilung wegen Hehlerei auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. Zweiundzwanzig st er Abschnitt. Betrug und Untreue.

8 263x). Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines Anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird wegen Betruges mit Gefängnis bestraft, neben welchem auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark sowie auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann.

*) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876.

1. Strafgesetzbuch.

II. Teil.

§§ 256-268.

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Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann ausschließlich auf die Geld­ strafe erkannt werden. Der Versuch ist strafbar. Wer einen Betrug gegen Angehörige, Vormünder oder Erzieher begeht, ist nur auf Antrag zu verfolgen. Die Zurücknahme des Antrages ist zulässig, g 264. Wer im Jnlande wegen Betruges einmal und wegen darauf be­ gangenen Betruges zum zweiten Male bestraft worden ist, wird wegen abermals begangenen Betruges mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren und zugleich mit Geld­ strafe von einhundertfünfzig bis zu sechstausend Mark bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein, neben welcher zugleich auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark erkannt werden kann.. Die im §245 enthaltenen Vorschriften finden auch hier Anwendung, g 264 a1). Wer aus Not sich oder einem Dritten geringwertige Gegen­ stände zum Schaden eines anderen durch Täuschung (§ 263 Abs. 1) verschafft, wird mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft. Der Versuch ist strafbar. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. Die Zurücknahme des Antrags ist zulässig. Wer die Tat gegen einen Verwandten absteigender Linie oder gegen feinen Ehegatten begeht, bleibt straflos. § 265. Wer in betrügerischer Absicht eine gegen Feuersgefahr versicherte Sache in Brand setzt, oder ein Schiff, welches als solches oder in seiner Ladung oder in seinem Frachtlohn versichert ist, sinken oder stranden macht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren und zugleich mit Geldstrafe von einhundertfünfzig bis zu sechstausend Mark bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein, neben welcher auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark erkannt werden kann. g 266. Wegen Untreue werden mit Gefängnis, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann, bestraft: 1. Vormünder, Kuratoren, Güterpfleger, Sequester, Massenverwalter, Voll­ strecker letztwilliger Verfügungen und Verwalter von Stiftungen, wenn sie absichtlich zum Nachteile der ihrer Aufsicht anvertrauten Personen oder Sachen handeln; 2. Bevollmächtigte, welche über Forderungen und andere Vermögensstücke des Auftraggebers absichtlich zum Nachteile desselben verfügen; 3. Feldmesser, Versteigerer, Mäkler, Güterbestätiger, Schaffner, Wäger, Messer, Bracker, Schauer, Stauer und andere zur Betreibung ihres Gewerbes von der Obrigkeit verpflichtete Personen, wenn sie bei den ihnen übertragenen Geschäften absichtlich diejenigen benachteiligen, deren Geschäfte sie besorgen. Wird die Untreue begangen, um sich oder einem Anderen einen Vermögens­ vorteil zu verschaffen, so kann neben der Gefängnisstrafe aus Geldstrafe bis zu dreitausend Mark erkannt werden. Dreiundzwanzigster Abschnitt. Urkundenfälschung.

g 267. Wer in rechtswidriger Absicht eine inländische oder ausländische öffentliche Urkunde oder eine solche Privaturkunde, welche zum Beweise von Rechten oder Rechtsverhältnissen von Erheblichkeit ist, verfälscht oder fälschlich anfertigt und von derselben zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch macht, wird wegen Urkundenfälschung mit Gefängnis bestraft. g 268. Eine Urkundenfälschung, welche in der Absicht begangen wird, sich oder einem Anderen einen Bermögensvorteil zu verschaffen oder einem Anderen Schaden zuzufügen, wird bestraft, wenn 1) Eingefügt durch Ges. v. 19. Juni 1912.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

1. die Urkunde eine Privaturkunde ist, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, neben welchem auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark erkannt werden kann; 2. die Urkunde eine öffentliche ist, mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, neben welchem auf Geldstrafe von einhundertfünfzig bis zu sechstausend Mark erkannt werden kann. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe ein, welche bei der Fälschung einet Privaturkunde nicht unter einer Woche, bei der Fälschung einer öffentlichen Urkunde nicht unter drei Monaten betragen soll. Neben der Gefängnisstrafe kann zugleich auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark erkannt werden. 8 26V. Der fälschlichen Anfertigung einer Urkunde wird es gleich geachtet, wenn jemand einem mit der Unterschrift eines Anderen versehenen Papiere ohne dessen Willen oder dessen Anordungen zuwider durch Ausfüllung einen urkund­ lichen Inhalt gibt. 8 276. Der Urkundenfälschung wird es gleich geachtet, wenn jemand von einer falschen oder verfälschten Urkunde, wissend, daß sie falsch oder verfälscht ist, zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch macht. 8 271. Wer vorsätzlich bewirkt, daß Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen, welche für Rechte oder Rechtsverhältnisse von Erheblichkeit sind, in öffentlichen Hrtuiiben, Büchern oder Registern als abgegeben oder geschehen be­ urkundet werden, während sie überhaupt nicht oder in anderer Weise oder von einer Person in einer ihr nicht zustehenden Eigenschaft oder von einer anderen Person abgegeben oder geschehen ist, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark bestraft. 8 272. Wer die vorbezeichnete Handlung in der Absicht begeht, sich oder einem Anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen oder einem Anderen Schaden zuzufügen, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft, neben welchem aus Geldstrafe von einhundertfünfzig bis zu sechstausend Mark erkannt werden kann. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe ein, neben welcher auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark erkannt werden kann. 8 273. Wer wissentlich von einer falschen Beurkundung der im § 271 bezeich­ neten Art zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch macht, wird nach Vorschrift jenes Paragraphen und, wenn die Absicht dahin gerichtet war, sich oder einem Anderen einen Bermögensvorteil zu verschaffen oder einem Anderen Schaden zuzufügen, nach Vorschrift des § 272 bestraft. 8 274. Mit Gefängnis, neben welchem auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark erkannt werden kann, wird bestraft, wer 1. eine Urkunde, welche ihm entweder überhaupt nicht oder nicht ausschließlich gehört, in der Absicht, einem Anderen Nachteile zuzufügen, vernichtet, be­ schädigt oder unterdrückt, oder 2. einen Grenzstein oder ein anderes zur Bezeichnung einer Grenze oder eines Wasserstandes bestimmtes Merkmal in der Absicht, einem Anderen Nachteil zuzufügen, wegnimmt, vernichtet, unkenntlich macht, verrückt oderfälschlich setzt. 8 2751). Mit Gefängnis nicht unter drei Monaten wird bestraft, wer, 1. wissentlich von falschem oder gefälschtem Stempelpapier, von falschen oder gefälschten Stempelmarken, Stempelblanketten, Stempelabdrücken, Post­ oder Telegraphen-Freimarken oder gestempelten Briefkuverts Gebrauch macht, 2. unechtes Stempelpapier, unechte Stempelmarken, Stempelblastkette oder Stempelabdrücke für Spielkarten, Pässe oder sonstige Drucksachen oder Schriftstücke, ingleichen wer unechte Post- oder Telegraphen-Freimarken oder gestempelte Briefkuverts in der Absicht anfertigt, sie als echt zu ver­ wenden, oder 3. echtes Stempelpapier, echte Stempelmarken, Stempelblankette, Stempelab­ drücke, Post- oder Telegraphen-Freimarken oder gestempelte Briefkuverts in der Absicht verfälscht, sie zu einem höheren Werte zu verwenden.

*) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876.

1. Strafgesetzbuch. II. Teil. §§ 269—284 b.

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8 2761). Wer wissentlich schon einmal zu stempelpflichtigen Urkunden, Schriftstücken oder Formularen verwendetes Stempelpapier oder schon einmal verwendete Stempelmarken oder Stempelblankette, ingleichen Stempelabdrücke, welche zum Zeichen stattgehabter Versteuerung gedient haben, zu stempelpflichtigen Schriftstücken verwendet, wird, außer der Strafe, welche durch die Entziehung der Stempelsteuer begründet ist, mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark bestraft. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher wissentlich schon einmal verwendete Post- oder Telegraphenwertzeichen nach gänzlicher oder teilweiser Entfernung des Entwertungszeichens zur Frankierung benutzt. Neben dieser Strafe ist die etwa wegen Entziehung der Post- oder Telegraphengebühren begründete Strafe verwirkt. 8 277. Wer unter der ihm nicht zustehenden Bezeichnung als Arzt oder als eille andere approbierte Medizinalperson oder unberechtigt unter dem Namen solcher Personen ein Zeugnis über seinen oder eines Anderen Gesundheitszustand ausstellt oder ein derartiges echtes Zeugnis verfälscht, und davon zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften Gebrauch macht, wird mir Ge­ fängnis bis zu einem Jahre bestraft. 8 278. Ärzte und andere approbierte Medizinalpersonen, welche ein un­ richtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen zum Gebrauche bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft wider besseres Wissen ausstellen, werden mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft. 8 '276. Wer, um eine Behörde oder eine Versicherungsgesellschaft über seinen oder eines Anderen Gesundheitszustand zu täuschen, von einem Zeugnisse der in den §§ 277 und 278 bezeichneten Art Gebrauch macht, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. 8 280. Neben einer nach Vorschrift der §§ 267, 274, 275, 277 bis 279 er­ kannten Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Vierundzwanzigster Abschnitt. Bankerutt.

88 281-283* 2).* Fünfundzwanzigster AbschnrLt. Strafbarer Eigennutz und Verletzung fremder Geheimnisse.

8 284 b). Wer ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel veran­ staltet oder hält oder die Einrichtungen hierzu bereitstellt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und mit Geldstrafe bis zu einhunderttausend Mark oder mit Geldstrafe bis zu dem gleichen Betrage bestraft. Als öffentlich veranstaltet gelten auch Glücksspiele in Vereinen oder ge­ schlossenen Gesellschaften, in denen Glücksspiele gewohnheitsmäßig veranstaltet werden. 8 284 a4). Wer sich an einem öffentlichen Glücksspiel (§ 284) beteiligt, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe bis zu einhunderttausend Mark oder mit Geldstrafe bis zu dem gleichen Betrage bestraft. 8 284 b4). In den Fällen der §§ 284, 284 a sind die Spieleinrichtungen und das auf dem Spieltisch oder in der Bank befindliche Geld einzuziehen, sofern sie dem Täter oder einem Teilnehmer gehören. Andernfalls können die Gegen­ stände eingezogen werden. *) Abs. 2 ist hinzugefügt durch Ges. v. 13. Mai 1891 betr. die Abän­ derung von Bestimmungen des StGB. (RGBl. S. 107) Art. I. „Der §276 des Strafgesetzbuchs erhält folgenden zweiten Absatz": usw. usw. 2) Aufgehoben durch § 3 Nr.3 des Ges. v. 10. Febr. 1877 betr. die Ein­ führung der Konkursordnung (RGBl. S. 390). Siehe dafür die §§ 239 bis 244 der Konkursordnung, unten Gesetz Nr. 165. •) Fassung gemäß Gesetz gegen das Glückspiel vom 23. Dez. 1919 (RGBl. S. 2145). 4) Eingefügt durch das Gesetz gegen das Glückspiel vom 23. Dez. 1919

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Erster Teil. Strafgesetze.

8 285 x). Wer aus dem Glücksspiel ein Gewerbe macht, wird mit Gefängnis und mit Geldstrafe bis zu zweihunderttausend Mark, bei mildernden Umständen mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu einhunderttausend Mark oder mit Geldstrafe bis zu dem gleichen Betrage bestraft. 8 285a2). In den Fällen der §§ 284, 284 a und 285 kann neben Gefängnis auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, auf die Zulässigkeit von Polizeiaufsicht und auf Überweisung an die Landespolizeibehörde mit den im § 362 Ms. 3, 4 vorgesehenen Fällen erkannt werden. Einen Ausländer kann die Landespolizeibehörde nach Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Reichsgebiete verweisen. Neben der Strafe kann angeordnet werden, daß die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekanntzumachen ist. 8 286. Wer ohne obrigkeitliche Erlaubnis öffentliche Lotterien veranstaltet, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark bestraft. Den Lotterien sind öffentlich veranstaltete Ausspielungen beweglicher oder unbeweglicher Sachen gleich zu achten. 8 287 3). 8 288 *). Wer bei einer ihm drohenden Zwangsvollstreckung in der Absicht, die Befriedigung des Gläubigers zu vereiteln, Bestandteile seines Vermögens ver­ äußert oder beiseite schafft, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu zweitausend Mark bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des Gläubigers ein. 8 289. Wer seine eigene bewegliche Sache oder eine fremde bewegliche Sache zugunsten des Eigentümers derselben dem Nutznießer, Pfandgläubiger oder demjenigen, welchem an der Sache ein Gebrauchs- oder Zurückbehaltungsrecht zusteht, in rechtswidriger Absicht wegnimmt, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu neunhundert Mark bestraft. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Der Versuch ist strafbar. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. Die Bestimmungen des § 247 Absatz 2 und 3 finden auch hier Anwendung. 8 290. Öffentliche Pfandleiher, welche die von ihnen in Pfand genommenen Gegenstände unbefugt in Gebrauch nehmen, werden mit Gefängnis bis zu einem Jahre, neben welchem auf Geldstrafe bis zu neunhundert Mark erkannt werden kann, bestraft. 8 291. Wer die bei den Übungen der Artillerie verschossene Munition, oder wer Bleikugeln aus den Kugelfängen der Schießstände der Truppen sich widerrechtlich zueignet, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Geld­ strafe bis zu neunhundert Mark bestraft. 8 292 6). Wer an Orten, an denen zu jagen er nicht berechtigt ist, Die Jagd ausübt, wird mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft. Ist der Täter ein Angehöriger des Jagdberechtigten, so tritt die Verfolgung nur auf Antrag ein. Die Zurücknahme des Antrages ist zulässig. 8 293. Die Strafe kann auf Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder auf Gefängnis bis zu sechs Monaten erhöht werden, wenn dem Wilde nicht mit Schiesi-

x) Fassung gern. Ges. gegen das Glücksspiel v. 23. Dez. 1919 (RGBl. S. 2145) 2) Eingefügt durch das Gesetz gegen das Glücksspiel v. 23. Dez. 1919. 3) § 287 ist ursprünglich ersetzt durch § 14 des Gesetzes über den Markenschutz v. 30. Nov. 1874, nunmehr durch § 14 des Gesetzes zum Schutz der Waren­ bezeichnungen v. 12. Mai 1894 (RGBl S. 441) und wurde durch Art. V des Ges. v. 26. Febr. 1876 gestrichen (S. das Ges. v 12 Mai 1894 unten Nr 163. 4) Fassung gern. Nr. 2 des Ges v. 19. Juni 1912. 8) Fassung gern. Art I des Ges v 26. Febr 1876.

1. Strafgesetzbuch. II. Teil.

§§ 285-302.

39

gewehr ober Hunden, sondern mit Schlingen, Netzen, Fallen oder anderen Vor­ richtungen nachgestellt oder, wenn das Vergehen während der gesetzlichen Schon­ zeit, in Wäldern, zur Nachtzeit oder gemeinschaftlich von mehreren begangen wird.

8 294. Wer unberechtigtes Jagen gewerbsmäßig betreibt, wird mit Ge­ fängnis nicht unter drei Monaten bestraft,- auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. 8 295. Neben der durch das Jagdvergehen verwirkten Strafe ist auf Ein­ ziehung des Gewehrs, des Jagdgeräts und der Hunde, welche der Täter bei dem unberechtigten Jagen bei sich geführt hat, ingleichen der Schlingen, Netze, Fallen und anderen Vorrichtungen zu erkennen, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht. 8 296 *). Wer zur Nachtzeit, bei Fackellicht oder unter Anwendung schäd­ licher oder explodierender Stoffe unberechtigt fischt oder krebst, wird mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. 8 296a* 2). Ausländer, welche in Deutschen Küstengewässern unbefugt fischen, werden mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Neben der Geld- oder Gefängnisstrafe ist auf Einziehung der Fanggeräte, welche der Täter bei dem unbefugten Fischen bei sich geführt hat, ingleichen der in dem Fahrzeuge enthaltenen Fische zu erkennen, ohne Unterschied, ob die Fanggeräte und Fische dem Verurteilten gehören oder nicht. 8 297. Ein Reisender oder Schiffsmann, welcher ohne Vorwissen des Schiffers, ingleichen ein Schiffer, welcher ohne Vorwissen des Reeders Gegen­ stände an Bord nimmt, welche das Schiff oder die Ladung gefährden, indem sie die Beschlagnahme oder Einziehung des Schiffes oder der Ladung veranlassen können, wird mit Geldstrafe bis zu eintausendfünshundert Mark oder mit Ge­ fängnis bis zu zwei Jahren bestraft. 8 298. Ein Schiffsmann, welche mit der Heuer entläuft oder sich verborgen hält, um sich dem übernommenen Dienste zu entziehen, wird, ohne Unterschied, ob das Vergehen im Jnlande oder im Auslande begangen worden ist, mit Ge­ fängnis bis zu einem Jahre bestraft. 8 299. Wer einen verschlossenen Brief oder eine andere verschlossene Ur­ kunde, die nicht zu seiner Kenntnisnahme bestimmt ist, vorsätzlich und unbefugter­ weise eröffnet, wird mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft. Die Verfolgung tritt nur aus Antrag ein. 8 300. Rechtsanwälte, Advokaten, Notare, Verteidiger in Strafsachen, Ärzte, Wundärzte, Hebammen, Apotheker, sowie die Gehilfen dieser Personen werden, wenn sie unbefugt Privatgeheimnisse offenbaren, die ihnen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes anvertraut sind, mit Geldstrafe bis zu eintausend­ fünfhundert Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein.

8 301. Wer in gewinnsüchtiger Absicht und unter Benutzung des Leicht­ sinns oder der Unerfahrenheit eines Minderjährigen sich von demselben Schuld­ scheine, Wechsel, Empfangsbekenntnisse, Bürgschaftsinstrumente oder eine andere, eine Verpflichtung enthaltende Urkunde ausstellen oder auch nur mündlich ein Zahlungsversprechen erteilen läßt, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 8 302. Wer in gewinnsüchtiger Absicht und unter Benutzung des Leicht­ sinns oder der Unerfahrenheit eines Minderjährigen sich von demselben unter Verpfändung der Ehre, auf Ehrenwort, eidlich oder unter ähnlichen Versicherungen oder Beteuerungen die Zahlung einer Geldsumme oder die Erfüllung einer anderen, auf Gewährung geldwerter Sachen gerichteten Verpflichtung aus einem ') Fassung gern. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876. 2) Eingefügt durch Art. II des Ges. v. 26. Febr. 1876.

40

Erster Teil.

Strafgesetze.

Rechtsgeschäfte versprechen läßt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark bestraft. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Dieselbe Strafe trifft denjenigen, welcher sich eine Forderung, von der er weiß, daß deren Berichtigung ein Minderjähriger in der vorbezeichneten Weise versprochen hat, abtreten läßt. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 8 302 a1).2 Wer unter Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns oder der Unersahrenheit eines Anderen mit Bezug auf ein Darlehn oder auf die Stundung einer Geldforderung oder auf ein anderes zweiseitiges Rechtsgeschäft, welches denselben wirtschaftlichen Zwecken dienen soll, sich oder einem Dritten Vermögens­ vorteile versprechen oder gewähren läßt, welche den üblichen Zinsfuß dergestalt überschreiten, daß nach den Umständen des Falles die Vermögensvorteile in auf­ fälligem Mißverhältnis zu der Leistung stehen, wird wegen Wuchers mit Ge­ fängnis bis zu sechs Monaten und zugleich mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark bestraft. Auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. 8 302 b1). Wer sich oder einem Dritten die wucherlichen Vermögensvor­ teile (§ 302 a) verschleiert oder wechselmäßig oder unter Verpfändung der Ehre, auf Ehrenwort, eidlich oder unter ähnlichen Versicherungen oder Beteuerungen versprechen läßt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und zugleich mit Geld­ strafe bis zu sechstausend Mark bestraft. Auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. 8 302 c1). Dieselben Strafen (§ 302 a, § 302 b) treffen denjenigen, welcher mit Kenntnis des Sachverhalts eine Forderung der vorbezeichneten Art erwirbt und entweder dieselbe weiter veräußert oder die wucherlichen Bermögensvorteile geltend macht. 8 302 d1). Wer den Wucher (§§ 302 a bis 302 c) gewerbs- oder gewohnheits­ mäßig betreibt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten und zugleich mit Geldstrafe von einhundertfünfzig bis zu sünfzehntausend Mark bestraft Auch ist auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte zu erkennen. 8 302c1). Dieselbe Strafe (§ 302 d) trifft denjenigen, welcher mit Bezug aus ein Rechtsgeschäft anderer als der im § 302 a bezeichneten Art gewerbs- oder gewohnheitsmäßig unter Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns oder der Un­ erfahrenheit eines Anderen sich oder einem Dritten Vermögensvorteile ver­ sprechen oder gewähren läßt, welche den Wert der Leistung dergestalt über­ schreiten, daß nach den Umständen des Falles die Vermögensvorteile in auf­ fälligem Mißverhältnis zu der Leistung stehen.

Sechsundzwanzigster Abschnitt.

Sachbeschädigung.

8 303 2). Wer vorsätzlich und rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 1) Die Bestimmungen über Wucher ergingen 1. durch Gesetz v 24. Mai 1880 betreffend den Wucher (RGBl. S. 109) Art. I. „Hinter den §8 302 des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich werden die folgenden neuen §§ 302 a, 302b, 302c, 302d eingestellt." usw., 2. durch Gesetz v. 19. Juni 1893 be­ treffend Ergänzung der Bestimmungen über den Wucher (RGBl. S. 197) Art. I. „In dem Strafgesetzbuch werden die §§ 302 a und 302 d folgender­ maßen abgeändert, und werden hinter dem § 302 d folgender § 302 e und in dem § 367 hinter Nr. 15 folgende Nr. 16 eingestellt." usw. 2) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876.

1. Strafgesetzbuch. II. Teil. 88 302a-310.

41

Ist das Vergehen gegen einen Angehörigen verübt, so ist die Zurücknahme des Antrages zulässig. 8 304. Wer vorsätzlich und rechtswidrig Gegenstände der Verehrung einer im Staate bestehenden Religionsgesellschaft oder Sachen, die dem Gottesdienste gewidmet sind, oder Grabmäler, öffentliche Denkmäler, Gegenstände der Kunst, der Wissenschaft oder des Gewerbes, welche in öffentlichen Sammlungen auf­ bewahrt werden oder öffentlich aufgestellt sind, oder Gegenstände, welche zum öffentlichen Nutzen oder zur Verschönerung öffentlicher Wege, Plätze oder An­ lagen dienen, beschädigt oder zerstört, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu eintausendfünshundert Mark bestraft. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Der Versuch ist strafbar. 8 305. Wer vorsätzlich und rechtswidrig ein Gebäude, ein Schiff, eine Brücke, einen Damm, eine gebaute Straße, eine Eisenbahn oder ein anderes Bau­ werk, welche fremdes Eigentum sind, ganz oder teilweise zerstört, wird mit Ge­ fängnis nicht unter einem Monat bestraft. Der Versuch ist strafbar.

Siebenundzwanzigster Abschnitt. Gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen^

8 306. Wegen Brandstiftung wird mit Zuchthaus bestraft, wer vorsätzlich in Brand setzt: 1. ein zu gottesdienstlichen Versammlungen bestimmtes Gebäude, 2. ein Gebäude, ein Schiff oder eine Hütte, welche zur Wohnung von Menschen dienen, oder 3. eine Räumlichkeit, welche zeitweise zum Aufenthalt von Menschen dient, und zwar zu einer Zeit, während welcher Menschen in derselben sich auf­ zuhalten pflegen. 8 307. Die Brandstiftung (§ 306) wird mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft, wenn 1. der Brand den Tod eines Menschen dadurch verursacht hat, daß dieser zur Zeit der Tat in einer der in Brand gesetzten Räumlichkeiten sich befand, 2. die Brandstiftung in der Absicht begangen worden ist, um unter Be­ günstigung derselben Mord oder Raub zu begehen oder einen Aufruhr zu erregen, oder 3. der Brandstifter, um das Löschen des Feuers zu verhindern oder zu er­ schweren, Löschgerätschasten entfernt oder unbrauchbar gemacht hat. 8 308. Wegen Brandstiftung wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren be­ straft, wer vorsätzlich Gebäude, Schiffe, Hütten, Bergwerke, Magazine, Waren­ vorräte, welche auf dazu bestimmten öffentlichen Plätzen lagern, Vorräte von landwirtschaftlichen Erzeugnissen oder von Bau- oder Brennmaterialien, Früchte auf dem Felde, Waldungen oder Torfmoore in Brand setzt, wenn diese Gegen­ stände entweder fremdes Eigentum sind oder zwar dem Brandstfiter eigentümlich gehören, jedoch ihrer Beschaffenheit und Lage nach geeignet sind, das Feuer einer der im § 306 Nr. 1 bis 3 bezeichneten Räumlichkeiten oder einem der vorstehend bezeichneten fremden Gegenstände mitzuteilen. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. 8 309. Wer durch Fahrlässigkeit einen Brand der in den §§ 306 und 308 bezeichneten Art herbeisührt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bis zu neunhundert Mark und, wenn durch den Brand der Tod eines Menschen verursacht worden ist, mit Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren bestraft. 8 310. Hat der Täter den Brand, bevor derselbe entdeckt und ein weiterer als der durch die bloße Inbrandsetzung bewirkte Schaden entstanden war, wieder gelöscht, so tritt Straflosigkeit ein.

42

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 311. Die gänzliche oder teilweise Zerstörung einer Sache durch Gebrauch von Pulver oder anderen explodierenden Stoffen ist der Inbrandsetzung der Sache gleichzuachten. 8 312. Wer mit gemeiner Gefahr für Menschenleben vorsätzlich eine Über­ schwemmung herbeiführt, wird mit Zuchthaus nicht unter drei Jahren und, wenn durch die Überschwemmung der Tod eines Menschen verursacht worden ist, mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft. 8 313. Wer mit gemeiner Gefahr für das Eigentum vorsätzlich eine Über­ schwemmung herbeiführt, wird mit Zuchthaus bestraft. Ist jedoch die Absicht des Täters nur auf Schutz seines Eigentums gerichtet gewesen, so ist auf Gefängnis nicht unter einem Jahre zu erkennen. 8 314. Wer eine Überschwemmung mit gemeiner Gefahr für Leben oder Eigentum durch Fahrlässigkeit herbeisührt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und, wenn durch die Überschwemmung der Tod eines Menschen verursacht worden ist, mit Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren bestraft. 8 315. Wer vorsätzlich Eisenbahnanlagen, Beförderungsmittel oder son­ stiges Zubehör derselben dergestalt beschädigt oder aus der Fahrbahn durch falsche Zeichen oder Signale oder auf andere Weise solche Hindernisse bereitet, daß dadurch der Transport in Gefahr gesetzt wird, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. Ist durch die Handlung eine schwere Körperverletzung verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter fünf Jahren und, wenn der Tod eines Menschen verursacht worden ist, Zuchthausstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Zuchthausstrafe ein. 8 3161). Wer fahrlässigerweise durch eine der vorbezeichneten Handlungen den Transport auf einer Eisenbahn in Gefahr setzt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bis zu neunhundert Mark und, wenn durch die Handlung der Tod eines Menschen verursacht worden ist, mit Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren bestraft. Gleiche Strafe trifft die zur Leitung der Eisenbahnfahrten und zur Auf­ sicht über die Bahn und den Beförderungsbetrieb angestellten Personen, wenn sie durch Vernachlässigung der ihnen obliegenden Pflichten einen Transport in Gefahr setzen. 8 317 2). Wer vorsätzlich und rechtswidrig den Betrieb einer zu öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphenanlage dadurch verhindert oder gefährdet, daß er Teile oder Zubehörungen derselben beschädigt oder Veränderungen daran vor­ nimmt, wird mit Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren bestraft. 8 3182). Wer fahrlässigerweise durch eine der vorbezeichneten Handlungen den Betrieb einer zu öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphenanlage ver­ hindert oder gefährdet, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Geld­ strafe bis zu neunhundert Mark bestraft. Gleiche Strafe trifft die zur Beaufsichtigung und Bedienung der Tele­ graphenanlagen und ihrer Zubehörungen angestellten Personen, wenn sie durch Vernachlässigung der ihnen obliegenden Pflichten den Betrieb verhindern oder gefährden. 8 318 a3). Die Vorschriften in den §§ 317 und 318 finden gleichmäßig Anwendung auf die Verhinderung oder Gefährdung des Betriebes der zu öffent­ lichen Zwecken dienenden Rohrpostanlagen. Unter Telegraphenanlagen im Sinne der §§ 317 und 318 sind Fernsprech­ anlagen mitbegriffen. i) Fassung gern. Ges. v. 27. Dez. 1899 (RGBl. S. 729). *) Fassung gern. Ges. v. 13. Mai 1891 betreffend die Abänderung von Bestimmungen des Strafgesetzbuchs (RGBl. S. 107) Art. II, welcher lautet: „Die §§ 317 und 318 des Strafgesetzbuchs werden durch nach­ stehende den bisherigen Zifferzahlen entsprechende Bestimmungen ersetzt": usw. 8) Eingeschaltet durch Art. III des zu §§ 317, 318 zit. Gesetzes.

1. Strafgesetzbuch. II. Teil. 88 311—326.

43

8 SIS Wird einer der in den §§ 316 und 318 erwähnten Angestellten wegen einer der in den §§ 315 bis 318 bezeichneten Handlungen verurteilt, so kann derselbe zugleich für unfähig zu einer Beschäftigung im Eisenbahn- oder Telegraphendienste oder in bestimmten Zweigen dieser Dienste erklärt werden.

8 S2S. Die Vorsteher einer Eisenbahngesellschaft, sowie die Vorsteher einer zu öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphenanstalt, welche nicht sofort nach Mitteilung des rechtskräftigen Erkenntnisses die Entfernung des Verurteilten bewirken, werden mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher für unfähig zum Eisenbahn- oder Telegraphendienste erklärt worden ist, wenn er sich nachher bei einer Eisenbahn oder Telegraphenanstalt wieder anstellen läßt, sowie diejenigen, welche ihn wieder angestellt haben, obgleich ihnen die erfolgte Unfähigkeitserklärung bekannt war. 8 3211). Wer vorsätzlich Wasserleitungen, Schleusen, Wehre, Deiche, Dämme oder andere Wasserbauten oder Brücken, Fähren, Wege oder Schutzwehre oder dem Bergwerksbetriebe dienende Vorrichtungen zur Wasserhaltung, zur Wetter­ führung oder zum Ein- und Ausfahren der Arbeiter zerstört oder beschädigt oder in schiffbaren Strömen, Flüssen oder Kanälen das Fahrwasser stört und durch eine dieser Handlungen Gefahr für das Leben oder die Gesundheit Anderer herbeiführt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Ist durch eine dieser Handlungen eine schwere Körperverletzung verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe bis zu fünf Jahren und, wenn der Tod eines Menschen verursacht worden ist, Zuchthausstrafe nicht unter fünf Jahren ein.

8 322. Wer vorsätzlich ein zur Sicherung der Schiffahrt bestimmtes Feuer­ zeichen oder ein anderes zu diesem Zwecke aufgestelltes Zeichen zerstört, weg­ schafft oder unbrauchbar macht, oder ein solches Feuerzeichen auslöscht oder seiner Dienstpflicht zuwider nicht aufstellt, oder ein falsches Zeichen, welches geeignet ist, die Schiffahrt unsicher zu machen, aufstellt, insbesondere zur Nachtzeit aus der Strandhöhe Feuer anzündet, welches die Schiffahrt zu gefährden geeignet ist, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. Ist durch die Handlung die Strandung eines Schiffes verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter fünf Jahren und, wenn der Tod eines Menschen verursacht worden ist, Zuchthausstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebens­ längliche Zuchthausstrafe ein. 8 323. Wer vorsätzlich die Strandung oder das Sinken eines Schiffes be­ wirkt und dadurch Gefahr für das Leben eines Anderen herbeiführt, wird mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren und, wenn durch die Handlung der Tod eines Menschen verursacht worden ist, mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft. 8 324. Wer vorsätzlich Brunnen- oder Wasserbehälter, welche zum Ge­ brauche Anderer dienen, oder Gegenstände, welche zum öffentlichen Verkaufe oder Verbrauche bestimmt sind, vergiftet oder denselben Stoffe beimischt, von denen ihm bekannt ist, daß sie die menschliche Gesundheit zu zerstören geeignet sind/ ingleichen wer solche vergiftete oder mit gefährlichen Stoffen vermischte Sachen wissentlich und mit Verschweigung dieser Eigenschaft verkauft, feilhält oder sonst in Verkehr bringt, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren und, wenn durch die Handlung der Tod eines Menschen verursacht worden ist, mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft. 8 325. Neben der nach den Vorschriften der §§ 306 bis 308, 311 bis 313, 315, 321 bis 324 erkannten Zuchthausstrafe kann auf Zulässigkeit von Polizei­ aufsicht erkannt werden. 8 326. Ist eine der in den §§ 321 bis 324 bezeichneten Handlungen aus Fahrlässigkeit begangen worden, so ist, wenn durch die Handlung ein Schaden verursacht worden ist, auf Gefängnis bis zu einem Jahre und, wenn der Tod eines Menschen verursacht worden ist, auf Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren zu erkennen. x) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876.

44

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 327 *)♦ Wer die Absperrungs- oder Aufsichts-Maßregeln oder Einfuhr­ verbote, welche von der zuständigen Behörde zur Verhütung des Einführens oder Verbreitens einer ansteckenden Krankheit angeordnet worden sind, wissentlich verletzt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu zweitausend Mark bestraft. Ist infolge dieser Verletzung ein Mensch von der ansteckenden Krankheit er­ griffen worden, so tritt Gefängnisstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren ein. 8 328x). Wer die Absperrungs- oder Aussichts-Maßregeln oder Einfuhr­ verbote, welche von der zuständigen Behörde zur Verhütung des Einführens oder Verbreitens von Viehseuchen angeordnet worden sind, wissentlich verletzt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark bestraft. Ist infolge dieser Verletzung Vieh von der Seuche ergriffen worden, so tritt Gefängnisstrafe von einem Monat bis zu zwei Jahren ein. 8 329. Wer die mit einer Behörde geschlossenen Lieferungsverträge über Bedürfnisse des Heeres oder der Marine zur Zeit eines Krieges oder über Lebens­ mittel zur Abwendung oder Beseitigung eines Notstandes vorsätzlich entweder nicht zur bestimmten Zeit oder nicht in der vorbedungenen Weise erfüllt, wird mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft- auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Liegt der Nichterfüllung des Vertrages Fahrlässigkeit zum Grunde, so ist, wenn durch die Handlung ein Schaden verursacht worden ist, auf Gefängnis bis zu zwei Jahren zu erkennen. Dieselben Strafen finden auch gegen die Unterlieferanten, Vermittler und Bevollmächtigten des Lieferanten Anwendung, welche mit Kenntnis des Zweckes der Lieferung die Nichterfüllung derselben vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit ver­ ursachen. 8 330. Wer bei der Leitung oder Ausführung eines Baues wider die allge­ mein anerkannten Regeln der Baukunst dergestalt handelt, daß hieraus für Andere Gefahr entsteht, wird mit Geldstrafe bis zu neunhundert Mark oder mit Ge­ fängnis bis zu einem Jahre bestraft. Achtundzwanzig st er Abschnitt.

Verbrechen und Vergehen im Amte.

8 331. Ein Beamter, welcher für eine in sein Amt einschlagende, an sich nicht pflichtwidrige Handlung Geschenke oder andere Vorteile annimmt, fordert oder sich versprechen läßt, wird mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. 8 332. Ein Beamter, welcher für eine Handlung, die eine Verletzung einer Amts- oder Dienstpflicht enthält, Geschenke oder andere Vorteile annimmt, fordert oder sich versprechen läßt, wird wegen Bestechung mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe ein. 8 333. Wer einem Beamten oder einem Mitgliede der bewaffneten Macht Geschenke oder andere Vorteile anbietet, verspricht oder gewährt, um ihn zu einer Handlung, die eine Verletzung einer Amts- oder Dienstpflicht enthält, zu bestimmen, wird wegen Bestechung mit Gefängnis bestraft; auch kann auf Ver­ lust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann auf Geldstrafe bis zu eintausendfünshundert Mark erkannt werden. 8 334. Ein Richter, Schiedsrichter, Geschworener oder Schöffe, welcher Ge­ schenke oder andere Vorteile fordert, annimmt oder sich versprechen läßt, um eine Rechtssache, deren Leitung oder Entscheidung ihm obliegt, zugunsten oder zum Nachteile eines Beteiligten zu leiten oder zu entscheiden, wird mit Zuchthaus bestraft. J) Fassung gem. Nr. 2 des Ges. v. 19. Juni 1912.

1. Strafgesetzbuch. II. Teil. §§ 327—346.

45

Derjenige, welcher einem Richter, Schiedsrichter, Geschworenen oder Schöffen zu dem vorbezeichneten Zwecke Geschenke oder andere Vorteile anbietet, verspricht oder gewährt, wird mit Zuchthaus bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe ein. 8 335. In den Fällen der §§ 331 bis 334 ist im Urteile das Empfangene oder der Wert desselben für dem Staate verfallen zu erklären. 8 336. Ein Beamter oder Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache vorsätzlich zugunsten oder zum Nachteile einer Partei einer Beugung des Rechtes schuldig macht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft.

8 3371). 8 338. Ein Religionsdiener oder Personenstandsbeamter, welcher, wissend, daß eine Person verheiratet ist, eine neue Ehe derselben schließt, wird mit Zucht­ haus bis zu fünf Jahren bestraft. 8 339. Ein Beamter, welcher durch Mißbrauch seiner Amtsgewalt oder durch Androhung eines bestimmten Mißbrauchs derselben jemand zu einer Hand­ lung, Duldung oder Unterlassung widerrechtlich nötigt, wird mit Gefängnis bestraft. Der Versuch ist strafbar. In den Fällen der §§ 106, 107, 167 und 253 tritt die daselbst angedrohte Strafe ein, wenn die Handlung von einem Beamten, wenn auch ohne Gewalt oder Drohung, aber durch Mißbrauch seiner Amtsgewalt oder Androhung eines be­ stimmten Mißbrauchs derselben begangen ist. 8 340. Ein Beamter, welcher in Ausübung oder in Veranlassung der Aus­ übung seines Amtes vorsätzlich eine Körperverletzung begeht oder begehen läßt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Sind mildernde Um­ stände vorhanden, so kann die Strafe bis auf einen Tag Gefängnis ermäßigt oder aus Geldstrafe bis zu neunhundert Mark erkannt werden. Ist die Körperverletzung eine schwere, so ist auf Zuchthaus nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnis­ strafe nicht unter drei Monaten ein. 8 341. Ein Beamter, welcher vorsätzlich, ohne hierzu berechtigt zu sein, eine Verhaftung oder vorläufige Ergreifung und Festnahme oder Zwangsgestellung vornimmt oder vornehmen läßt, oder die Dauer einer Freiheitsentziehung ver­ längert, wird nach Vorschrift des § 239, jedoch mindestens mit Gefängnis von drei Monaten bestraft. 8 342. Ein Beamter, der in Ausübung oder in Veranlassung der Aus­ übung seines Amtes einen Hausfriedensbruch (§ 123) begeht, wird mit Ge­ fängnis bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bis zu neunhundert Mark bestraft. 8 343. Ein Beamter, welcher in einer Untersuchung Zwangsmittel an­ wendet oder anwenden läßt, um Geständnisse oder Aussagen zu erpressen, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. 8 344. Ein Beamter, welcher vorsätzlich zum Nachteile einer Person, deren Unschuld ihm bekannt ist, die Eröffnung oder Fortsetzung einer Untersuchung be­ antragt oder beschließt, wird mit Zuchthaus bestraft. 8 345. Gleiche Strafe trifft den Beamten, welcher vorsätzlich eine Strafe vollstrecken läßt, von der er weiß, daß sie überhaupt nicht oder nicht der Art oder dem Maße nach vollstreckt werden darf. Ist die Handlung aus Fahrlässigkeit begangen, so tritt Gefängnisstrafe oder Festungshaft bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu neunhundert Mark ein. 8 346. Ein Beamter, welcher vermöge seines Amtes bei Ausübung der Strasgewalt oder bei Vollstreckung der Strafe mitzuwirken hat, wird mit Zucht-

i) § 337 ist ersetzt durch den § 67 des Gesetzes über die Beur­ kundung des Personenstandes und die Eheschließung v. 6.Febr. 1875 (RGBl. S. 23) und durch Art. V des Ges. v. 26. Febr. 1876 gestrichen- s. das Ges. v. 6. Febr. 1875 unten Nr. 155.

46

Erster Teil.

Strafgesetze.

Haus bis zu fünf Jahren bestraft, wenn er in der Absicht, jemand der gesetz­ lichen Strafe rechtswidrig zu entziehen, die Verfolgung einer strafbaren Handlung unterläßt, oder eine Handlung begeht, welche geeignet ist, eine Freisprechung oder eine dem Gesetze nicht entsprechende Bestrafung zu bewirken, oder die Voll­ streckung der ausgesprochenen Strafe nicht betreibt, oder eine gelindere als die erkannte Strafe zur Vollstreckung bringt. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter einem Monat ein. 8 347. Ein Beamter, welcher einen Gefangenen, dessen Beaufsichtigung, Begleitung oder Bewachung ihm anvertraut ist, vorsätzlich entweichen läßt oder dessen Befreiung vorsätzlich bewirkt oder befördert, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnis­ strafe nicht unter einem Monat ein. Ist die Entweichung durch Fahrlässigkeit befördert oder erleichtert worden, so tritt Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu sechs­ hundert Mark ein.

8 348. Ein Beamter, welcher, zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugt, innerhalb seiner Zuständigkeit vorsätzlich eine rechtlich erhebliche Tatsache falsch beurkundet oder in öffentliche Register oder Bücher falsch einträgt, wird mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft. Dieselbe Strafe trifft einen Beamten, welcher eine ihm amtlich anvertraure oder zugängliche Urkunde vorsätzlich vernichtet, beiseite schafft, beschädigt oder verfälscht. 8 349. Wird eine der im § 348 bezeichneten Handlungen in der Absicht begangen, sich oder einem Anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen oder einem Anderen Schaden zuzusügen, so ist auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren unb zugleich auf Geldstrafe von einhundertfünfzig bis zu dreitausend Mark zu erkennen.

8 350. Ein Beamter, welcher Gelder oder andere Sachen, die er in amt­ licher Eigenschaft empfangen oder in Gewahrsam hat, unterschlägt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft; auch kann aus Verlust der bürger­ lichen Ehrenrechte erkannt werden. Der Versuch ist strafbar. 8 351. Hat der Beamte in Beziehung auf die Unterschlagung die zur Ein­ tragung oder Kontrolle der Einnahmen oder Ausgaben bestimmten Rechnungen, Register oder Bücher unrichtig geführt, verfälscht oder unterdrückt oder un­ richtige Abschlüsse oder Auszüge aus diesen Rechnungen, Registern oder Büchern, oder unrichtige Belege zu denselben vorgelegt, oder ist in Beziehung auf die Unterschlagung auf Fässern, Beuteln oder Paketen der Geldinhalt fälschlich be­ zeichnet, so ist auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren zu erkennen. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein.

8 352. Ein Beamter, Advokat, Anwalt oder sonstiger Rechtsbeistand, wel­ cher Gebühren oder andere Vergütungen für amtliche Verrichtungen zu seinem Vorteile zu erheben hat, wird, wenn er Gebühren oder Vergütungen erhebt, von denen er weiß, daß der Zahlende sie überhaupt nicht oder nur in geringerem Betrage verschuldet, mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. Der Versuch ist strafbar.

8 353. Ein Beamter, welcher Steuern, Gebühren oder andere Abgaben für eine öffentliche Kasse zu erheben hat, wird, wenn er Abgaben, von denen er weiß, daß der Zahlende sie überhaupt nicht oder nur in geringerem Betrage ver­ schuldet, erhebt und das rechtswidrig Erhobene ganz oder zum Teil nicht zur Kasse bringt, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Gleiche Strafe trifft den Beamten, welcher bei amtlichen Ausgaben an Geld oder Naturalien dem Empfänger vorsätzlich und rechtswidrig Abzüge macht und die Ausgaben als vollständig geleistet in Rechnung stellt.

1. Strafgesetzbuch. II. Teil. §§ 347—360.

47

8 353 a1). Ein Beamter im Dienste des Auswärtigen Amtes des Deutschen Reichs, welcher die Amtsverschwiegenheit dadurch verletzt, daß er ihm amtlich anvertraute oder zugängliche Schriftstücke oder eine ihm von seinem Vorgesetzten erteilte Anweisung oder deren Inhalt Anderen widerrechtlich mitteilt, wird, sofern nicht nach anderen Bestimmungen eine schwerere Strafe verwirkt ist, mit Gefängnis oder mit Geldstrafe bis zu fünftausend Mark bestraft. Gleiche Strafe trifft einen mit einer auswärtigen Mission betrauten oder bei einer solchen beschäftigten Beamten, welcher den ihm durch seinen Vor­ gesetzten amtlich erteilten Anweisungen vorsätzlich zuwiderhandelt oder welcher in der Absicht, seinen Vorgesetzten in dessen amtlichen Handlungen irre zu leiten, demselben erdichtete oder entstellte Tatsachen berichtet. 8 354. Ein Postbeamter, welcher die der Post anvertrauten Briefe oder Pakete in anderen als den im Gesetze vorgesehenen Fällen eröffnet oder unter­ drückt, oder einem Anderen wissentlich eine solche Handlung gestattet, oder ihm dabei wissentlich Hilfe leistet, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. 8 3552;. Telegraphenbeamte oder andere mit der Beaufsichtigung und Bedienung einer zu öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphenanstalt betraute Personen, welche die einer Telegraphenanstalt anvertrauten Depeschen verfälschen oder in anderen als den im Gesetze vorgesehenen Fällen eröffnen oder unter­ drücken, oder von ihrem Inhalte Dritte rechtswidrig benachrichtigen, oder einem Anderen wissentlich eine solche Handlung gestatten oder ihm dabei wissentlich Hilfe leisten, werden mit Gefängnis bestraft. Den einer Telegraphenanstalt anvertrauten Depeschen werden Nachrichten gleichgeachtet, die durch eine zu öffentlichen Zwecken dienende Fernjprechaiilage vermittelt werden.

8 356. Ein Advokat, Anwalt oder ein anderer Rechtsbeistand, welcher bei den ihm vermöge seiner amtlichen Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Handelt derselbe im Einverständnisse mit der Gegenpartei zum Nachteile seiner Partei, so tritt Zuchthausstrafe bis zu fünf Jahren ein. 8 357. Ein Amtsvorgesetzter, welcher seine Untergebenen zu einer strafbaren Handlung im Amte vorsätzlich verleitet oder zu verleiten unternimmt, oder eine solche strafbare Handlung seiner Untergebenen wissentlich geschehen läßt, hat die auf diese strafbare Handlung angedrohte Strafe verwirkt. Dieselbe Bestimmung findet auf einen Beamten Anwendung, welchem eine Aufsicht oder Kontrolle über die Amtsgeschäfte eines anderen Beamten übertragen ist, sofern die von diesem letzteren Beamten begangene strafbare Handlung die zur Aufsicht oder Kontrolle gehörenden Geschäfte betrifft.

8 358. Neben der nach Vorschrift der §§ 331, 339 bis 341, 352 bis 355 und 357 erkannten Gefängnisstrafe kann auf Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren erkannt werden. 8 359. Unter Beamten im Sinne dieses Strafgesetzes sind zu verstehen alle im Dienste des Reichs oder in unmittelbarem oder mittelbarem Dienste eines Bundesstaats auf Lebenszeit, auf Zeit oder nur vorläufig angestellte Personen, ohne Unterschied, ob sie einen Diensteid geleistet haben oder nicht, ingleichen Notare, nicht aber Advokaten und Anwälte. Neunundzwanzigster Abschnitt.

Übertretungen.

8 360. Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft wird bestraft: i) Eingestellt durch Art. II des Ges. v. 26. Febr. 1876. ■) Fassung gem. Ges. v 19. Juni 1912.

48

Erster Teil.

Strafgesetze.

1.1) 2. wer außerhalb seines Gewerbebetriebes heimlich oder wider das Verbot der Behörde Vorräte von Waffen oder Schießbedarf aufsammelt; 3.2) wer als beurlaubter Reservist oder Wehrmann der Land- oder Seewehr ohne Erlaubnis auswandert, ebenso wer als Ersatzreservist erster Klasse auswandert, ohne von seiner bevorstehenden Auswanderung der Militär­ behörde Anzeige erstattet zu haben; 4.3)4wer ohne schriftlichen Auftrag einer Behörde Stempel, Siegel, Stiche, Platten oder andere Formen, welche zur Anfertigung von Metall- oder Papiergeld, oder von solchen Papieren, welche nach § 149 dem Papiergelde gleichgeachtet werden, oder von Stempelpapier, Stempelmarken, Stempelblanketten, Stempelabdrücken, Post- oder Telegraphenwertzeichen, öffent­ lichen Bescheinigungen oder Beglaubigungen dienen können, anfertigt oder an einen Anderen als die Behörde verabfolgt; 5. wer ohne schriftlichen Auftrag einer Behörde den Abdruck der in Nr. 4 genannten Stempel, Siegel, Stiche, Platten oder Formen, oder einen Druck von Formularen zu den daselbst bezeichneten öffentlichen Papieren, Beglau­ bigungen oder Bescheinigungen unternimmt, oder Abdrücke an einen An­ deren als die Behörde verabfolgt; 6 wer Waren-Empfehlungskarten, Ankündigungen oder andere Drucksachen oder Abbildungen, welche in der Form oder Verzierung dem Papiergelde oder den dem Papiergelde nach § 149 gleichgeachteten Papieren ähnlich sind, anfertigt oder verbreitet oder wer Stempel, Stiche, Platten oder andere Formen, welche zur Anfertigung von solchen Drucksachen oder Ab­ bildungen dienen können, anfertigt; 7?) wer unbefugt die Abbildung des Kaiserlichen Wappens oder von Wappen eines Bundesfürsten oder von Landeswappen gebraucht; 8. wer unbefugt eine Uniform, eine Amtskleidung, ein Amtszeichen, einen Orden oder ein Ehrenzeichen trägt oder Titel, Würden oder Adelsprädikate annimmt, ingleichen wer sich eines ihm nicht zukommenden Namens einem zuständigen Beamten gegenüber bedient; 9>) wer gesetzlichen Bestimmungen zuwider ohne Genehmigung der Staats­ behörde Aussteuer-, Sterbe- oder Witwenkassen, Versicherungsanstalten oder andere dergleichen Gesellschaften oder Anstalten errichtet, welche bestimmt sind, gegen Zahlung eines Einkaussgeldes oder gegen Leistung von Geld­ beiträgen beim Eintritte gewisser Bedingungen oder Fristen, Zahlungen an Kapital oder Rente zu leisten; 10. wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not von der Polizei­ behörde oder deren Stellvertreter zur Hilfe aufgefordert, keine Folge leistet, obgleich er der Aufforderung ohne erhebliche eigene Gefahr genügen könnte; 11. wer ungebührlicherweise ruhestörenden Lärm erregt oder wer groben Unfug verübt; 12?) wer als Pfandleiher oder Rückkaufshändler bei Ausübung seines Gewerbes den darüber erlassenen Anordnungen zuwiderhandelt, insbesondere den x) Außer Kraft gesetzt durch § 19 des Gesetzes gegen den Verrat militärischer Geheimnisse vom 3. Juni 1914 (RGBl. S. 195). 2) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876. 3) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876 und Art. IV des Ges. v. 13. Mai 1891, bett, die Abänderung von Bestimmungen des StGB. (RGBl. S. 107). Letzterer lautet: Die Nr. 4 des § 360 des Strafgesetzbuchs erhält folgende veränderte Fassung: usw. usw. 4) Die Vorschrift der Nr. 9 ist, soweit sie sich auf Versicherungsunterneh­ mungen im Sinne des Gesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901 bezieht, aufgehoben durch § 108 Abs. 3 dieses Gesetzes. ®) Fassung gem. Art. II des Ges. v. 24. Mai 1880 betr. den Wucher (RGBl. S. 109), welcher lautet: „Der § 360 Nr. 12 des StGB, in der durch das Gesetz v. 26. Febr. 1876 festgestellten Fassung wird durch nachstehende Bestimmung ersetzt:" usw. usw.

1. Strafgesetzbuch. II. Teil. §§ 360, 361.

49

durch Landesgesetz oder Anordnung der zuständigen Behörde vorgeschrivdenen Zinsfuß überschreitet; 13. wer öffentlich oder in Ärgernis erregender Weise Tiere boshaft quält oder roh mißhandelt; 14.i) 3) In den Fällen der Nummern 2, 4, 5 und 6 sann neben der Geldstrafe oder der Haft auf Einziehung der Vorräte von Waffen oder Schießbedarf, der Stempel, Siegel, Stiche, Platten oder anderen Formen, der Abdrücke oder Abbil­ dungen erkannt werden, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilter: gehören ooer nicht. g 361. Mit Haft wird bestraft: 1 wer, nachdem er unter Polizeiaufsicht gestellt worden ist, den infolge der­ selben ihm auferlegten Beschränkungen zuwiderhandelt; 2 wer, nachdem er des Bundesgebietes oder des Gebietes eines Bundesstaats verwiesen ist, ohne Erlaubnis zurückkehrt; 3. wer als Landstreicher umherzieht; 4 wer bettelt oder Kinder zum Betteln anleitet oder ausschickt oder Personen, welche seiner Gewalt und Aussicht untergeben sind und zu seiner Haus­ genossenschaft gehören, vom Betteln abzuhalten unterläßt; 5. wer sich dem Spiel, Trunk oder Müßiggang dergestalt hingibt, daß er in einen Zustand gerät, in welchem zu seinem Unterhalte oder zum Unterhalte derjenigen, zu deren Ernährung er verpflichtet ist, durch Vermittelung der Behörde fremde Hilfe in Anspruch genommen werden muß; 6.3*)*4 eine Weibsperson, welche wegen gewerbsmäßiger Unzucht einer polizei­ lichen Aufsicht unterstellt ist, wenn sie den in dieser Hinsicht zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes er­ lassenen polizeilichen Vorschriften zuwiderhandelt oder welche, ohne einer solchen Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht treibt; 7 wer, wenn er aus öffentlichen Armenmitteln eine Unterstützung empfängt, sich aus Arbeitsscheu weigert, die ihm von der Behörde angewiesene, seinen Kräften angemessene Arbeit zu verrichten; 8. wer nach Verlust seines bisherigen Unterkommens binnen der ihm von der zuständigen Behörde bestimmten Frist sich kein anderweitiges Unter­ kommen verschafft hat und auch nicht nachweisen kann, daß er solches der von ihm angewandten Bemühungen ungeachtet nicht vermocht habe; 9. *) wer Kinder oder andere unter seiner Gewalt stehende Personen, welche seiner Aufsicht untergeben sind und zu seiner Hausgenossenschaft gehören, von der Begehung von Diebstählen, sowie von der Begehung strafbarer Ver­ letzungen der Zoll- oder Steuergesetze oder der Gesetze zum Schutze der Forsten, der Feldfrüchte, der Jagd oder der Fischerei abzuhalten unterläßt. Die Vorschriften dieser Gesetze über die Haftbarkeit für die den Täter treffen­ den Geldstrafen oder anderen Geldleistungen werden hierdurch nicht berührt; IO.5) wer, obschon er in der Lage ist, diejenigen, zu deren Ernährung er ver­ pflichtet ist, zu unterhalten, sich der Unterhaltspflicht trotz der Aufforderung der zuständigen Behörde derart entzieht, daß durch Vermittelung der Be­ hörde fremde Hilfe in Anspruch genommen werden muß. In den Fällen der Nr. 9 und 10 kann statt der Haft auf Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark erkannt werden 5).

*) Gestrichen durch das Gesetz gegen das Glückspiel vom 23. Dez. 1919. *) Fassung gemäß dem vorbezeichneten Gesetz und dem Gesetz gegen den Verrat militärischer Geheimnisse vom 3. Juni 1914 § 19. •) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876. 4) Eingestellt durch Art. II des Ges v 26. Febr. 1876. 5) Art.2 des Gesetzes v. 12. März 1894 betr. die Änderung des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz und die Ergänzung des Strafgesetzbuchs (RGBl. S. 259) bestimmt: „In den § 361 des Straf­ gesetzbuchs wird hinter Nr. 9 folgende Nummer 10 eingestellt. (Folgt obige hkr. 10.) Ferner ist in dem letzten Absatz des § 361 des Strafgesetzbuchs (RGBl. 1876 S. 112) Zeile 2 von unten hinter „9" zu setzen: „und 10". (Daher obige Fassung des letzten Absatzes.) 4 Allfeld, Strafgesetzgebung. 3. Auft.

50

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 3621). Die nach Vorschrift des § 361 Nr. 3 bis 8 Verurteilten können zu Arbeiten, welche ihren Fähigkeiten und Verhältnissen angemessen sind, innerhalb und, sofern sie von anderen freien Arbeitern getrennt gehalten werden, auch außerhalb der Strafanstalt angehalten werden. Bei der Verurteilung zur Haft kann zugleich erkannt werden, daß die ver­ urteilte Person nach verbüßter Strafe der Landespolizeibehörde zu überweisen sei. Im Falle des § 361 Nr. 4 ist dieses jedoch nur dann zulässig, wenn der Ver­ urteilte in den letzten drei Jahren wegen dieser Übertretung mehrmals rechts­ kräftig verurteilt worden ist oder wenn derselbe unter Drohungen oder mit Waffen gebettelt hat. Durch die Überweisung erhält die Landespolizeibehörde die Befugnis, die verurteilte Person bis zu zwei Jahren entweder in ein Arbeitshaus unterzu­ bringen oder zu gemeinnützigen Arbeiten zu verwenden. Im Falle des § 361 Nr. 6 kann die Landespolizeibehörde die verurteilte Person statt in ein Arbeits­ haus in eine Besserungs- oder Erziehungsanstalt oder in ein Asyl unterbringen; die Unterbringung in ein Arbeitshaus ist unzulässig, falls die verurteilte Person zur Zeit der Verurteilung das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Ist gegen einen Ausländer auf Überweisung an die Landespolizeibehörde erkannt, so kann neben oder an Stelle der Unterbringung Verweisung aus dem Bundesgebiet eintreten. 8 3632). Wer, um Behörden oder Privatpersonen zum Zwecke seines besseren Fortkommens oder des besseren Fortkommens eines Anderen zu täuschen, Pässe, Militärabschiede, Wanderbücher oder sonstige Legitimationspapiere, Dienst­ oder Arbeitsbücher oder sonstige auf Grund besonderer Vorschriften auszustellende Zeugnisse, sowie Führungs- oder Fähigkeitszeugnisse falsch ansertigt oder ver­ fälscht oder wissentlich von einer solchen falschen oder verfälschten Urkunde Ge­ brauch macht, wird mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu einhundertfünszig Mark bestraft. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher zu demselben Zwecke von solchen für einen Anderen ausgestellten echten Urkunden, als ob sie für ihn ausgestellt seien, Gebrauch macht oder welcher solche für ihn ausgestellte Urkunden einem Anderen zu dem gedachten Zwecke überläßt. 8 364-3). Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark wird bestraft, wer wissentlich schon einmal verwendetes Stempelpapier nach gänzlicher oder teilweiser Entfernung der darauf gesetzten Schriftzeichen oder schon einmal ver­ wendete Stempelmarken, Stempelblankette oder ausgeschnittene oder sonst ab­ getrennte Stempelabdrücke der im § 276 bezeichneten Art veräußert oder feilhält. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher wissentlich schon einmal verwen­ dete Post- oder Telegraphenwertzeichen nach gänzlicher oder teilweiser Entfer­ nung des Entwertungszeichens veräußert oder feilhält. 8 368. Wer in einer Schankstube oder an einem öffentlichen Vergnügungs­ orte über die gebotene Polizeistunde hinaus verweilt, ungeachtet der Wirt, sein Vertreter oder ein Polizeibeamter ihn zum Fortgehen aufgefordert hat, wird mit Geldstrafe bis zu fünfzehn Mark bestraft. Der Wirt, welcher das Verweilen seiner Gäste über die gebotene Polizei­ stunde hinaus duldet, wird mit Geldstrafe bis zu sechzig Mark oder mit Haft bis zu vierzehn Tagen bestraft. 8 366. Mit Geldstrafe bis zu sechzig Mark oder mit Haft bis zu vierzehn Tagen wird bestraft: 1. wer den gegen die Störung der Feier der Sonn- und Festtage erlassenen Anordnungen zuwiderhandelt; 2. wer in Städten oder Dörfern übermäßig schnell fährt oder reitet oder auf

x) Fassung gem. Ges. v. 25. Juni 1900. 2) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876. ’) Der zweite Absatz ist durch G e s. v. 13. M a i 1891, bett, die Abänderung von Bestimmungen des Strafgesetzbuchs (RGBl. S. 107) Art. V hinzugefügt; dieser Art. V lautet: „Der §364 des Strafgesetzbuchs erhält fol­ genden zweiten Absatz": usw.

1. Strafgesetzbuch. II Teil. §§ 362-367.

51

öffentlichen Straßen ober Plätzen der Städte oder Dörfer mit gemeiner Gefahr Pferde einfährt oder zureitet; 3?) wer auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder Wasserstraßen daS Borbeifahren Anderer mutwillig verhindert; L wer in Städten mit Schlitten ohne feste Deichsel oder ohne Geläute oder Schelle fährt; 5. wer Tiere in Städten oder Dörfern, auf öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen oder an anderen Orten, wo sie durch Ausreißen, Schlagen oder auf andere Weise Schaden anrichten können, mit Vernachlässigung der erforderlichen Sicherheitsmaßregeln stehen läßt oder führt; 6. wer Hunde aus Menschen hetzt; 7. wer Steine oder andere harte Körper oder Unrat auf Menschen, auf Pferde oder andere Zug- oder Lasttiere, gegen fremde Häuser, Gebäude oder Ein­ schließungen oder in Gärten oder eingeschlossene Räume wirft; 8.1) wer nach einer öffentlichen Straße oder Wasserstraße oder nach Orten hinaus, wo Menschen zu verkehren pflegen, Sachen, durch deren Umstürzen oder Herabfallen jemand beschädigt werden kann, ohne gehörige Befesti­ gung aufstellt oder aufhängt oder Sachen auf eine Weise ausgießt oder auswirft, daß dadurch jemand beschädigt oder verunreinigt werden kann; 9.1) wer auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder Wasserstraßen Gegen­ stände, durch welche der freie Verkehr gehindert wird, ausstellt, hinlegt oder liegen läßt; 10.i) wer die zur Erhaltung der Sicherheit, Bequemlichkeit, Reinlichkeit und Ruhe auf den öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder Wasserstraßen erlassenen Polizei-Verordnungen übertritt. 8 366 a2). Wer die zum Schutze der Dünen und der Fluß- und Meeres­ ufer, sowie der auf denselben vorhandenen Anpflanzungen und Anlagen erlassenen Polizeiverordnungen übertritt, wird mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bestraft. 8 367. Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Hast wird bestraft: 1. wer ohne Vorwissen der Behörde einen Leichnam beerdigt oder beiseite schafft oder wer unbefugt einen Teil der Leiche aus dem Gewahrsam der dazu berechtigten Personen wegnimmt; 2. wer den polizeilichen Anordnungen über vorzeitige Beerdigungen entgegen­ handelt; 3. wer ohne polizeiliche Erlaubnis Gift oder Arzneien, soweit der Handel mit denselben nicht freigegeben ist, zubereitet, feilhält, verkauft oder sonst an Andere überläßt; 4. wer ohne die vorgeschriebene Erlaubnis Schießpulver oder andere explo­ dierende Stoffe oder Feuerwerke zubereitet; 5.8) wer bei der Aufbewahrung oder bei der Beförderung von Giftwaren, Schießpulver oder Feuerwerken oder bei der Aufbewahrung, Beförderung, Verausgabung oder Verwendung von Sprengstoffen oder anderen explo­ dierenden Stoffen oder bei Ausübung der Befugnis zur Zubereitung oder Feilhaltung dieser Gegenstände, sowie der Arzneien die deshalb ergan­ genen Verordnungen nicht befolgt; 5as) wer bei Versendung oder Beförderung von leicht entzündlichen oder ätzenden Gegenständen durch die Post die deshalb ergangenen Verord­ nungen nicht befolgt; 6. wer Waren, Materialien oder andere Vorräte, welche sich leicht von selbst entzünden oder leicht Feuer fangen, an Orten oder in Behältnissen auf­ bewahrt, wo ihre Entzündung gefährlich werden kann oder wer Stoffe, die

1) Fassung gern. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876. *) Eingestellt durch Art. II des Ges. v. 26. Febr. 1876. *) Eingeschaltet durch Art. VI des Ges. v. 13. Mai 1891 betr. die Ab­ änderung von Bestimmungen des Strafgesetzbuchs (RGBl.S. 107), welcher lautet: „Hinter §367 Nr. 5 des Strafgesetzbuchs wird folgende Nr. 5« eingeschaltet: usw.

62

Erster Teil.

Strafgesetze.

nicht ohne Gefahr einer Entzündung bei einander liegen können, ohne Absonderung aufbewahrt; 7. wer verfälschte oder verdorbene Getränke oder Eßwaren, insbesondere tri­ chinenhaltiges Fleisch feilhält oder verkaufte­ st) wer ohne polizeiliche Erlaubnis an bewohnten oder von Menschen besuchten Orten Selbstgeschoße, Schlageisen oder Fußangeln legt oder an solchen Orten mit Feuergewehr oder anderem Schießwerkzeuge schießt oder Feuer­ werkskörper abbrennt; 9. wer einem gesetzlichen Verbot zuwider Stoß-, Hieb- oder Schußwaffen, welche in Stöcken oder Röhren oder in ähnlicher Weise verborgen sind, seil­ hält oder mit sich führt; 10x) wer bei einer Schlägerei, in welche er nicht ohne sein Verschulden hinein­ gezogen worden ist oder bei einem Angriff sich einer Waffe, insbesondere eines Messers oder eines anderen gefährlichen Werkzeuges bedient; 11 wer ohne polizeiliche Erlaubnis gefährliche wilde Tiere hält oder wilde oder­ bösartige Tiere frei umherlaufen läßt oder in Ansehung ihrer die erforder­ lichen Vorsichtsmaßregeln zur Verhütung von Beschädigungen unterläßt; 12 wer auf öffentlichen Straßen, Wegen oder Plätzen, auf Höfen, in Häusern und überhaupt an Orten, an welchen Menschen verkehren, Brunnen, Keller, Gruben, Öffnungen oder Abhänge dergestalt unverdeckt oder unverwahrt läßt, daß daraus Gefahr für Andere entstehen kann; 13 wer trotz der polizeilichen Aufforderung es unterläßt, Gebäude, welche dem Einsturz drohen, auszubessern oder niederzureißen: 14. wer Bauten oder Ausbesserungen von Gebäuden, Brunnen, Brücken, Schleu­ sen oder anderen Bauwerken vornimmt, ohne die von der Polizei angeord­ neten oder sonst erforderlichen Sicherungsmaßregeln zu treffen: 15. wer als Bauherr, Baumeister oder Bauhandwerker einen Ban oder eine Ausbesserung, wozu die polizeiliche Genehmigung erforderlich ist, ohne diese Genehmigung oder mit eigenmächtiger Abweichung von dem durch die Be­ hörde genehmigten Bauplane ausgeführt oder ausführen läßt; 16.2) wer den über das Abhalten von öffentlichen Versteigerungen und über das Verabfolgen geistiger Getränke vor und bei öffentlichen Versteigerungen erlassenen polizeilichen Anordnungen zuwiderhandelt. In den Fällen der Nr. 7 bis 9 kann neben der Geldstrafe oder der! Haft auf die Einziehung der verfälschten oder verdorbenen Getränke oder Eßwaren, ingleichen der Selbstgeschosse, Schlageisen oder Fußangeln, sowie der verbotenen Waffen erkannt werden, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht. 8 368. Mit Geldstrafe bis zu sechzig Mark oder mit Haft bis zu vierzehn Tagen wird bestraft: 1. wer den polizeilichen Anordnungen über die Schließung der Weinberge zuwiderhandelt; 2. wer das durch gesetzliche oder polizeiliche Anordnungen gebotene Raupen unterläßt; 3. wer ohne polizeiliche Erlaubnis eine neue Feuerstätte errichtet oder eine bereits vorhandene an einen anderen Ort verlegt; 4 wer es unterläßt, dafür zu sorgen, daß die Feuerstätten in seinem Hause in baulichem oder brandsicherem Zustande unterhalten oder daß die Schorn­ steine zur rechten Zeit gereinigt werden; 5. wer Scheunen, Ställe, Böden oder andere Räume, welche zur Aufbewah­ rung feuerfangender Sachen dienen, mit unverwahrtem Feuer oder Licht betritt oder sich denselben mit unverwahrtem Feuer oder Licht nähert; 6. wer an gefährlichen Stellen in Wäldern oder Heiden oder in gefährlicher Nähe von Gebäuden oder feuerfangenden Sachen Feuer anzündet; 7 wer in gefährlicher Nähe von Gebäuden oder feuerfangenden Sachen mit Feuergewehr schießt oder Feuerwerke abbrennt: *) Fassung gem. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876. 8) Eingestellt durch Art. I des Ges. v. 19. Juni 1893 betr. Ergänzung der Bestimmungen über den Wucher (S. die Note zu §§ 302aff.)

1. Strafgesetzbuch. II. Teil. §§ 368—370.

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8. wer die polizeilich vorgeschriebenen Feuerlöschgerätschaften überhaupt nicht oder nicht in brauchbarem Zustande hält oder andere feuerpolizeiliche An­ ordnungen nicht befolgt; 9. wer unbefugt über Gärten oder Weinberge oder vor beendeter Ernte über Wiesen oder bestellte Äcker oder über solche Äcker, Wiesen, Weiden oder Schonungen, welche mit einer Einfriedigung versehen sind oder deren Be­ treten durch Warnungszeichen untersagt ist oder auf einem durch Warnungs­ zeichen geschlossenen Privatwege geht, fährt, reitet oder Vieh treibt; 10. wer ohne Genehmigung des Jagdberechtigten oder ohne sonstige Befugnis auf einem fremden Jagdgebiete außerhalb des öffentlichen, zum gemeinen Gebrauche bestimmten Weges, wenn auch nicht jagend, doch zur Jagd aus­ gerüstet, betroffen wird; 11. wer unbefugt Eier oder Junge von jagdbarem Federwild oder von Sing­ vögeln ausnimmt. 8 369. Mit Geldstrafe bis zu einhundert Mark oder mit Haft bis zu vier Wochen werden bestraft: l.1) Personen, welche ohne obrigkeitliche Anweisung oder ohne Genehmigung des Inhabers einer Wohnung Schlüssel zu Zimmern oder Behältnissen in der letzteren anfertigen oder Schlösser an denselben öffnen, ohne Genehmi­ gung des Hausbesitzers oder seines Stellvertreters einen Hausschlüssel an­ fertigen oder ohne Erlaubnis der Polizeibehörde Nachschlüssel oder Dietriche verabfolgen; -) 2. 3. Gewerbetreibende, welche in Feuer arbeiten, wenn sie die Vorschriften nicht befolgen, welche von der Polizeibehörde wegen Anlegung und Verwahrung ihrer Feuerstätten, sowie wegen der Art und der Zeit, sich des Feuers zu bedienen, erlassen sind. 8 3763). Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft wird bestraft: 1. wer unbefugt ein fremdes Grundstück, einen öffentlichen oder Privatweg oder einen Grenzrain durch Abgraben oder Abpflügen verringert; 2. wer unbefugt von öffentlichen oder Privatwegen Erde, Steine oder Rasen oder aus Grundstücken, welche einem Anderen gehören, Erde, Lehm, Sand, Grand oder Mergel gräbt, Plaggen oder Bülten haut, Rasen, Steine, Mine­ ralien, zu deren Gewinnung es einer Verleihung, einer Konzession oder einer Erlaubnis der Behörde nicht bedarf, oder ähnliche Gegenstände weg­ nimmt; 3. wer von einem zum Dienststande gehörenden Unteroffizier oder Gemeinen des Heeres oder der Marine ohne die schriftliche Erlaubnis des vorgesetzten Kommandeurs Montierungs- oder Armaturstücke kauft oder zum Pfande nimmt; 4. wer unberechtigt fischt oder krebst; 5>) wer Nahrungs- oder Genußmittel oder andere Gegenstände des hauswirt­ schaftlichen Verbrauchs in geringer Menge oder von unbedeutendem Werte zum alsbaldigen Verbrauch entwendet oder unterschlägt. Wer die Tat gegen einen Verwandten absteigender Linie oder gegen seinen Ehegatten begeht, bleibt straflos; 6. wer Getreide oder andere zur Fütterung des Viehes bestimmte oder ge­ eignete Gegenstände wider Willen des Eigentümers wegnimmt, um dessen Vieh damit zu füttern. In den Fällen der Nr. 5 und 6 tritt die Verfolgung nur auf Antrag ein. Die Zurücknahme des Antrages ist zulässig. Fassung gern. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876 und Ges. v. 19. Juni 1912. *) Aufgehoben durch die Maß- und Gewichtsordnung vom 30. Mai 1908; ebenso Absatz 2 des § 369. Die Maß- und Gewichtsordnung s. unten Nr. 85. •) Fassung gern. Art. I des Ges. v. 26. Febr. 1876. 4) Fassung gern. Gesetz v. 19. Juni 1912.

54

2.

Erster Teil.

Strafgesetze.

II. Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch. Vom 31. Mai 1870!). (BGBl. S. 195.)

8 1. Das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund (das Deutsche Reich) tritt im ganzen Umfange des Bundesgebietes mit dem 1. Januar 1871 in Kraft. 8 2. Mit diesem Tage tritt das Bundes- und Landesstrafrecht, insoweit dasselbe Materien betrifft, welche Gegenstand des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund (das Deutsche Reich) sind, außer Kraft. In Kraft bleiben die besonderen Vorschriften des Bundes- (Reichs-) und Landesstrafrechts, namentlich über strafbare Verletzungen der PreßpolizeÜ«, Post-, Steuer-, Zoll-, Fischerei-, Jagd-, Forst- und Feldpolizeigesetze 2) und über den Holz- (Forst-) Diebstahl. Bis zum Erlasse eines Bundesgesetzes (Reichsgesetzes) über den Konkurs bleiben ferner diejenigen Strafvorschriften in Kraft, welche rücksichtlich des Konkurses in Landesgesetzen enthalten sind, insoweit dieselben sich auf Hand­ lungen beziehen, über welche das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund (das Deutsche Reich) nichts bestimmt. 8 3* Wenn in Landesgesetzen auf strafrechtliche Vorschriften, welche durch das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund (das Deutsche Reichl außer Kraft gesetzt sind, verwiesen wird, so treten die entsprechenden Vorschriften des letzteren an die Stelle der ersteren. 8 43)» Bis zum Erlasse der in den Artikeln 61 und 68 der Verfassung des Norddeutschen Bundesdeutschen Reichs) vorbehaltenen Bundes- (Reichs-) gosetze sind die in den §§ 81, 88, 90, 307, 311, 312, 315, 322, 323 und 324 des Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund (das Deutsche Reich) mit lebensläng­ lichem Zuchthaus bedrohten Verbrechen mit dem Tode zu bestrafen, wenn sie in einem Teile des Bundesgebietes, welchen der Bundesfeldherr (Kaiser) in Kriegs­ zustand (Art. 68 der Verfassung) erklärt hat oder während eines gegen den Norddeutschen Bund (das Deutsche Reich) ausgebrochenen Kiüeges auf dem Kriegs­ schauplätze begangen werden. 8 6. In landesgesetzlichen Vorschriften über Materien, welche nicht Gegen­ stand des Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund (das Deutsche Reich) sind, darf nur Gefängnis bis zu zwei Jahren, Haft, Geldstrafe, Einziehung einzelner Gegenstände und die Entziehung öffentlicher Ämter angedroht werden. 8 6. Vom 1. Januar 1871 ab darf Tiur auf die im Strafgesetzbuche für den Norddeutschen Bund (das Deutsche Reich) enthaltenen Strafarten erkannt werden. Wenn in Landesgesetzen anstatt der Gefängnis- oder Geldstrafe Forst­ oder Gemeindearbeit angedroht oder nachgelassen ist, so behält es hierbei sein Bewenden. x) Das Einführungsgesetz wurde nicht wie das StGB, für das Reich neu redigiert. Es ist aber § 2 des Gesetzes betr. die Verfassung des Deut­ schen Reichsvom 16. April 1871 (RGBl. 1871 S. 63 ff.) zu beachten, wo es mit Bezug auf die in Art. 80 der Verfassung des Deutschen Bundes aufgeführten Gesetze, darunter das Einführungsgesetz zum StGB., heißt: „Die dort bezeichneten Gesetze sind Reichsgesetze. Wo in denselben von dem Norddeutschen Bunde, dessen Verfassung, Gebiet, Mitgliedern oder Staaten, Jndigenat, verfassungsmäßigen Organen, Angehörigen, Beamten, Flagge usw. die Rede ist, sind das Deutsche Reich und dessen entsprechende Beziehungen zu verstehen." 2) Die hier folgenden Worte „über Mißbrauch des Vereins- und Bersammlungsrechts" sind gestrichen durch das Vereinsgesetz vom 19. April 1908 § 23. (S. unten Nr. 32.) 9) §4 gilt in Bayern nicht. (RG. vom 22. April 1871, RGBl. S. 89, § 7 Abs. 2.) Die fortdauernde Geltung des § 4 überhaupt ist im Hinblick auf Art. 48 der Reichsverfassung vom 11. August 1919 bestritten und sehr zweifelhaft.

3. Gesetz, betr. die Redaktion des Strafgesetzbuchs.

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§ 7. Vom 1. Januar 1871 ab verjähren Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Entrichtung der Branntweinsteuer, der Biersteuer und der Postgefälle in drei Jahren. 8 8* Der Landesgesetzgebung bleibt Vorbehalten, Übergangsbestimmungen zu treffen, um die in Kraft bleibenden Landesstrafgesetze mit den Vorschriften des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund (das Deutsche Reich) in Über­ einstimmung zu bringen.

3, lll. Gesetz, betreffend die Redaktion des Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund als Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Bom 15. Mai 1871. (RGBl. S. 127.) Einziger Paragraph. Das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund vom 31. Mai 1870 erhält unter der Bezeichnung als „Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich" vom 1. Januar 1872 an die beiliegende Fassung.

4.

IV. Verordnung, betreffend die Einführung von Reichsgesetzen in Helgoland. Bom 22. März 1891. (RGBl. S. 21.)

Art. I. Die nachstehenden Reichsgesetze nebst ben zu ihrer Ergänzung, Abünderung und Ausführung erlassenen gesetzlichen und sonstigen Bestimmungen treten auf der Insel Helgoland in Kraft: IX Das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund vom 31. Mai 1870 und das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich in der durch Bekanntmachung vom 26. Februar 1876 festgestellten Fassung; X. 4. das Gesetz, betr. den Wucher, vom 24. Mai 1880. Art. m. Diese Verordnung tritt am 1. April 1891 in Kraft

5. V. Gesetz, betreffend die Abänderung von Bestimmungen des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871 und die Ergänzung desselben. Bom 26. Februar 1876. (RGBl. S. 25 )

Art. I. Die §§ 4, 55, 64, 70 Nr. 2 und 3, 88, 95, 102, 103, 104, 113, 114, 117, 130 a, 135, 140, 144, 145, 176, 177, 178, 183, 194, 200, 208, 223, 228, 232, 240, 241, 247, 263, 275 Nr. 2, 292, 296, 303, 319, 321, 360 Nr. 3, 4, 7 und 12, 361 Nr. 6, 363, 366 Nr. 3, 8, 9 und 10, 367 Nr. 5, 8 und 10, 369 und 370 des Strafgesetzbuchs in der durch die Gesetze vom 15. Mai 1871 uno 10. De­ zember 1871 festgestellten Fassung werden durch nachstehende, den bisherigen Zifferzahlen entsprechende Bestimmungen ersetzt x): Art. H. Hinter die §§ 49, 103, 223, 296, 353 und 366 des Strafgesetzbuchs werden die folgenden neuen §§ 49 a, 103 a, 223 a, 296 a, 353 a und 366 a, hinter die Nr. 8 des § 361 wird die neue Nr. 9 eingestellt *2): — — — — — Die nun in neuer Fassung folgenden Paragraphen s. o. unter Ziffer I dieses Abschnittes. 2) Die nun folgenden Paragraphen s. o unter Ziffer I dieses Abschnittes.

56

Erster Teil. Strafgesetze.

Art. UI. Bei den Handlungen, welche vor dem Inkrafttreten diese- Ge­ setzes begangen sind, wird das Erfordernis des Antrages auf Verfolgung, sowie die Zulässigkeit der Zurücknahme nach den bisherigen Gesetzen beurteilt. Art. IV. Wo in dem Strafgesetzbuche der Betrag einer Geldstrafe oder einer Buße in der Talerwährung ausgedrückt ist, tritt der entsprechende Betrag in Reichswährung an die Stelle. Art. V. Der Reichskanzler wird ermächtigt, den Text des Strafgesetzbuchs, wie er sich aus den in den Artikeln I, II und IV festgestellten Änderungen der Fassung ergibt, unter Weglassung der §§ 287 uno 337 durch das Reichsgesetzblatt bekannt zu machen.

6.

VI. Einführungsgesetz zum Bürger!. Gesetzbuchs. Vom 18. August 1896. (RGBl. S. 604.)

Art. 34. Tas Strafgesetzbuch wird dahin Qeäiibert1): I. Im §34 Nr. 6 werden die Worte: „Vormund, Nebenvormund, Kurator, gerichtlicher Beistand oder Mitglied eines Familienrats" ersetzt durch die Worte: „Vormund, Gegenvormund, Pfleger, Beistand der Mutter, Mit­ glied eines Familienrats oder Kurator". II. An die Stelle des § 55 treten folgende Vorschriften: — — — — — III. An die Stelle des § 65 treten folgende Vorschriften: — — — — — IV. Als § 145 a wird folgende Vorschrift eingestellt: — — — — — — — V. Im § 171 Abs. 1 und Abs. 3 werden die Worte: „aufgelöst, für ungültig oder nichtig erklärt worden ist" ersetzt durch die Worte: „ausgelöst oder für nichtig erklärt worden ist". VI. An die Stelle des § 195 tritt folgende Vorschrift: — — — — — — VII. Im § 235 werden die Worte: „ihren Eltern oder ihrem Vormunde" ersetzt durch die Worte: „ihren Eltern, ihrem Vormunde oder ihrem Pfleger". VIII. Im § 237 werden die Worte: „ihrer Eltern oder ihres Vormundes" ersetzt durch die Worte: „ihrer Eltern, ihres Vormundes oder ihres Pflegers". IX. Im § 238 werden die Worte: „für ungültig erklärt worden ist" ersetzt durch die Worte: „für nichtig erklärt worden ist".

7. VII. Bekanntmachung über die Verfolgung von Znwiderhandlungen gegen Vorschriften über wirtschaftliche Maßnahmen. Vom

18. Januar

1917.

(RGBl. S. 58.) *)

§ 1. Bei Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften, die auf Grund des § 3 des Gesetzes über die Ermächtigung des Bundesrats zu wirtschaftlichen Maß­ nahmen usw. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327) ergangen sind oder noch er­ gehen, kann die Staatsanwaltschaft, solange die öffentliche Klage nicht erhoben ist, bei dem Gerichte die Einstellung des Verfahrens beantragen, wenn der Be­ schuldigte in unverschuldetem Irrtum über das Bestehen oder die Anwendbarkeit der übertretenen Vorschrift die Tat für erlaubt gehalten hat. *) Im Texte des StGB., Ziff. I dieses Abschnittes, sind diese Änderungen berücksichtigt. *) Die Fassung dieser Bekanntmachung ist zwar eine prozessuale- doch ist sie inyaltlich materiellrechtlicher Natur, weshalb sie an dieser Stelle aufzu­ nehmen war. Von Bedeutung ist sie zur Zeit noch für das Anwendungsgebiet der Notverordnung v. 13. Juli 1923 (s. Art. III dieser BO., unter Nr. 141 N. 1).

8. Bek., betr. die Kriegsverordn. ergänz. Vorschr. über Einziehung usw.

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Über den Antrag entscheidet der Amtsrichter; der Beschluß ist unanfechtbar. Der Beschluß, durch den das Verfahren eingestellt wird, ist dem Beschuldigten bekanntzumachen. Ist das Verfahren eingestellt, so kann es nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel ausgenommen werden. 8 2. Ist die öffentliche Klage erhoben und erachtet das Gericht die Voraus­ setzungen des § 1 für gegeben, so hat es die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen oder, wenn Voruntersuchung geführt ist, den Angeschuldigten außer Verfolgung zu setzen; ist Strafbefehl beantragt, so hat das Gericht den Antrag abzulehnen. Ergibt die Hauptverhandlung, daß die Voraussetzungen des § 1 vorliegen, so ist der Angeklagte freizusprechen. 8 3. Diese Verordnung tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft. Der Reichskanzler bestimmt den Zeitpunkt des Außerkrafttretens.

8. VIII. Bekanntmachung betr. einige die Kriegsverord­ nungen ergänzende Dorschriften über Einziehung und über Veräußerung beschlagnahmter Gegenstände. Vom 22. März 1917.

(RGBl. S. 255; i)

Art. I.

Ist in Strafvorschriften, die auf Grund des § 3 des Gesetzes über die Ermächtigung des Bundesrats zu wirtschaftlichen Maßnahmen usw. vom 4. Aug. 1914 (RGBl. S. 327) ergangen sind oder ergehen werden, die Einziehung oder die Verfallerklärung von Gegenständen zugelassen, so kann in Fällen, in denen die Verfolgung oder die Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar ist, auf die Einziehung oder die Verfallerklärung selbständig erkannt werden. Art. n. 1 Gegenstände, die auf Grund der im Artikel I bezeichneten Straf­ vorschriften zur Sicherung einer Einziehung sichergestellt oder beschlagnahmt werden, können vor der Entscheidung über die Einziehung veräußert werden, wenn sie dem Verderben ausgesetzt sind oder wenn die Veräußerung aus Gründen der Volksversorgung notwendig erscheint. Der Erlös tritt an die Stelle der Gegenstände. 2. Die Anordnung der Veräußerung steht dem Richter zu. Im Ermittlungsverfahren können die Staatsanwaltschaft und die HilfSbeamten der Staatsanwaltschaft die Veräußerung anordnen, soweit sie die Sicher­ stellung oder die Beschlagnahme angeordnet haben. Hat der Betroffene gegen die Beschlagnahme die richterliche Entscheidung nachgesucht, so kann der Richter anordnen, daß die Veräußerung auszusetzen sei. Die Anordnung der Veräußerung ist dem Betroffenen bekanntzumachen. Die Bekanntmachung darf unterbleiben, wenn sie untunlich ist. 3. Soweit die Gegenstände nicht nach bestehenden Vorschriften einer be­ stimmten Stelle anzubieten oder zu überlassen sind, können sie nach Anhörung eines Sachverständigen freihändig zu angemessenem Preise verkauft werden. Der Verkauf zum Höchstpreis ist ohne Anhörung eines Sachverständigen zulässig. Art. m. Diese Verordnung tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft.

x) Die Vorschriften dieser Bekanntmachung finden bei Verbrechen und Ver­ gehen gegen die im Art. I der Verordnung zur Ausführung des Art. VI Abs. 3 des Notgesetzes v. 13. Juli 1923 genannten Verordnungen Anwendung (s. Art. III das., unten Nr 141 N. 1).

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$)♦

Erster Teil. Strafgesetze.

IX. Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit. Vom 4. August 1920. (RGBl. S. 1487.)

8 1 Für Straftaten, die zur Abwehr eines hochverräterischen Unternehmens gegen das Reich begangen worden sind, wird Straffreiheit gewährt. Ferner wird Straffreiheit Personen gewährt, die an einem hochverräterischen Unternehmen gegen das Reich mitgewirkt haben, sofern sie nicht Urheber oder Führer des Unternehmens gewesen sind. Straffrei sind auch Handlungen, die int Zusammenhänge mit den hoch­ verräterischen Unternehmungen oder seiner Abwehr begangen worden sind, sofern sie nicht lediglich auf Roheit, Eigennutz oder sonstigen nichtpolitischen Beweg­ gründen beruhen. Von der Straffreiheit sind ausgeschlossen die Verbrechen gegen das Leben (§§ 211, 212, 214 des Strafgesetzbuchs) und die Verbrechen der schweren Körper­ verletzung (§§ 224 bis 226 des Strafgesetzbuchs), die Verbrechen des schweren Raubes (§ 251 des Strafgesetzbuchs) und der Brandstiftung (§§ 306 bis 308, 311 des Strafgesetzbuchs). 8 2. Soweit Straffreiheit gewährt wird, werden die verhängten Strafen nicht vollstreckt, die anhängigen Verfahren eingestellt und neue nicht eingeleitet. Gegen Beschlüsse des Gerichts, durch welche die Einstellung des Verfahrens ab­ gelehnt wird, findet sofortige Beschwerde statt. Ist auf Einziehung erkannt, so behält es dabei sein Bewenden. Ist aus mehreren Strafen, von denen ein Teil unter dieses Gesetz fällt, eine Gesamtstrafe gebildet worden, so sind die unter dieses Gesetz fallenden Einzelstrafen in voller Höhe von der Gesamtstrafe in Abzug zu bringen. 8 3. Vermerke über Strafen, die nach diesem Gesetz erlassen werden, sind im Strafregister zu tilgen. 8 4. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft.

10.

X. Gesetz über Straffreiheit für politische Straftaten. Vom 21. Juli 1922. (RGBl. I S. 595 )

8 1 Personen, die im Jahre 1920 nach dem 4. August und int Jahre 1921 an einem hochverräterischen Unternehmen gegen das Reich als Täter oder Teil­ nehmer mitgewirkt haben, wird Straffreiheit gewährt. Dies gilt nicht für Straf­ taten, die sich in das Jahr 1922 fortgesetzt haben. Ferner wird Straffreiheit gewährt Personen, die von den auf Anordnung des Reichsministers der Justiz int Jahre 1921 errichteten außerordentlichen Ge­ richten wegen Handlungen verurteilt worden sind, die mit einem gegen das Reich gerichteten hochverräterischen Unternehmen im Zusammenhänge stehen, sofern die Handlungen nicht lediglich auf Roheit, Eigennutz oder sonstigen nicht politischen Beweggründen beruhen. Von der Straffreiheit ausgeschlossen sind die Personen, die zur Durch­ führung des hochverräterischen Unternehmens oder int Zusammenhänge mit dem hochverräterischen Unternehmen ein Verbrechen gegen das Leben (§§ 211, 212, 214 des Strafgesetzbuchs), ein Verbrechen der schweren Körperverletzung (§§ 224 bis 226 des Strafgesetzbuchs), ein Verbrechen des schweren Raubes (§ 251 des Strafgesetzbuchs), ein Verbrechen der Brandstiftung (§§ 306 bis 308, 311 des Strafgesetzbuchs), ein Verbrechen der vorsätzlichen Gefährdung eines Eisenbahn­ transports (§ 315 des Strafgesetzbuchs), ein Verbrechen gegen § 321 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs oder ein Verbrechen gegen die §§ 5, 6 des Gesetzes über den ver-

11. Verordnung über Bermögensstrafen und Bußen.

59

brecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen vom 9. Juni 1884 (RGBl. S. 61) begangen haben. Im übrigen finden die Vorschriften der §§ 2, 3 des Gesetzes vom 4. August 1920 (RGBl. S. 1487) mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, daß auch die rückständigen Geldbußen und Kosten erlassen werden und daß auf Antrag des Verurteilten auch Vermerke über bereits verbüßte Strafen, die unter die Straf­ freiheit fallen würden, im Strafregister zu tilgen sind. 8 2. Wird die von dem Beschuldigten oder Verurteilten auf Grund dieses Gesetzes in Anspruch genommene Straffreiheit durch eine gerichtliche Entscheidung verneint, so sind die Akten auf Antrag einem Ausschuß vorzulegen, den der Reichsminister der Justiz beruft. Erachtet der Ausschuß die Voraussetzungen der Straffreiheit für gegeben, so legt er die Akten dem Reichsminister der Justiz zur weiteren Entschließung vor. Bei einer Straftat, die nach § 1 Abs. 3 von der Straffreiheit ausgenommen ist, kann der Ausschuß sich für Gewährung der Straffreiheit aussprechen, wenn die Straftat aus politischen Gründen begangen ist. Soweit der Ausschuß sich für Straffreiheit ausspricht, kann der Reichs­ präsident anhängige Strafsachen niederschlagen. 8 3 Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft.

11.

XI. Verordnung über Vermögensstrafen «nd Bußen. Vom 6. Februar 1924. (RGBl. I S. 44.)

Die Vorschriften des Gesetzes zur Erweiterung des Anwendungsgebiets der Geldstrafe und zur Einschränkung der kurzen Freiheitsstrafen vom 21. Dezember 1921, des Geldstrafengesetzes vom 27. April 1923, des Gesetzes über Vermögens­ strafen und Bußen vom 13. Oktober 1923 und der Verordnung auf Grund des Gesetzes über Vermögensstrafen und Bußen vom 23. November 1923 (RGBl. 1921 S. 1604; 1923 I S. 254, 943, 1117) werden durch folgende Vorschriften ersetzt: Art. I. § 1 Abs. 2, 3, §§ 27 bis 29, § 70 Abs. 1 und § 78 des Strafgesetz­ buchs lauten: § 1 Abs. 2 und 3. Eine mit Festungshaft bis zu fünf Jahren, mit Ge­ fängnis oder mit Geldstrafe von mehr als einhundertfünfzig Goldmark oder mit Geldstrafe schlechthin bedrohte Handlung ist ein Vergehen. Eine mit Haft oder Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Goldmark be­ drohte Handlung ist eine Übertretung. § 27. Die Geldstrafe ist in Goldmark festzusetzen. Sie beträgt 1. bei Verbrechen und Vergehen, soweit nicht höhere Beträge oder Geld­ strafe in unbeschränkter Höhe angedroht sind oder werden, mindestens drei Goldmark und höchstens zehntausend Goldmark; 2. bei Übertretungen mindestens eine Goldmark, soweit nicht ein höherer Mindestbetrag angedroht ist oder wird, und höchstens einhundertfünfzig Goldmark. Die Vorschriften des Abs. 2 über Höchstbeträge gelten nicht, soweit die angedrohte Strafe in dem Mehrfachen, dem Einfachen oder dem Bruchteil eines bestimmten Betrags besteht. Ist dieser nicht auf Goldmark gestellt, so ist er für die Festsetzung der Geldstrafe in Goldmark umzurechnen. § 27 a. Bei einem Verbrechen oder Vergehen, das auf Gewinnsuch­ beruht, kann die Geldstrafe auf einhunderttausend Goldmark erhöht und auf eine solche Geldstrafe neben Freiheitsstrafe auch in denjenigen Fällen erkannt werden, in denen das Gesetz eine Geldstrafe nicht androht. L 27 b. Ist für ein Vergehen oder eine Übertretung, für die an sich eine Geldstrafe überhaupt nicht oder nur neben Freiheitsstrafe zulässig ist, Frei­ heitsstrafe von weniger als drei Monaten verwirkt, so ist an Stelle der Frei-

60

Erster Teil.

Strafgesetze.

heitsstrafe auf Geldstrafe (§§ 27, 27 a) zu erkennen, wenn der Strafzweck durch eine Geldstrafe erreicht werden kann. Die Vorschriften des Militärstrafgesetzbuchs bleiben unberührt. § 27 c. Bei der Bemessung einer Geldstrafe sind die wirtschaftlichen Ver­ hältnisse des Täters zu berücksichtigen. Die Geldstrafe soll das Entgelt, das der Täter für die Tat empfangen, und den Gewinn, den er aus der Tat gezogen hat, übersteigen. Reicht das gesetzliche Höchstmaß hierzu nicht aus, so darf es überschritten werden. § 28. Ist dem Verurteilten nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten, daß er die Geldstrafe sofort zahlt, so hat ihm das Gericht eine Frist zu bewilligen oder ihm zu gestatten, die Strafe in bestimmten Teil­ beträgen zu zahlen. Das Gericht kann diese Vergünstigung auch nach dem Urteil bewilligen. Es kann seine Entschließungen nachträglich ändern. Leistet der Verurteilte die Teilzahlungen nicht rechtzeitig, oder bessern sich seine wirtschaftlichen Verhält­ nisse wesentlich, so kann das Gericht die Vergünstigung widerrufen. Auf die nach Abs. 2 zu treffenden Entscheidungen findet § 494 der Straf­ prozeßordnung Anwendung. § 28 a. Soweit die Geldstrafe nicht gezahlt wird, ist sie beizutreiben Der Versuch, die Geldstrafe beizutreiben, kann unterbleiben, wenn mit Sicherheit vorauszusehen ist, daß sie aus dem beweglichen Vermögen des Ver­ urteilten nicht beigetrieben werden kann. § 28 b. Die Vollstreckungsbehörde kann dem Verurteilten gestatten, eine uneinbringliche Geldstrafe durch freie Arbeit zu tilgen. Das Nähere regelt die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats. Soweit dies nicht geschieht, sind die obersten Landesbehörden ermächtigt, das Nähere zu regeln. § 29. An die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe tritt bei Verbrechen und Vergehen Gefängnis oder, wenn neben der Geldstrafe auf Zuchthaus er­ kannt wird, Zuchthaus, bei Übertretungen Haft. Auch bei Vergehen kann die Geldstrafe in Haft umgewandelt werden, wenn Geldstrafe allein oder an erster Stelle oder wahlweise neben Haft angedroht ist. Die Dauer der Ersatzstrafe ist mindestens ein Tag und bei Gefängnis und Zuchthaus höchstens ein Jahr, bei Haft höchstens sechs Wochen. Ist neben der Geldstrafe wahlweise Freiheitsstrafe von geringerer Höhe angedroht, so darf die Ersatzstrafe deren Höchstmaß nicht übersteigen. Die Ersatzstrafe darf nur nach vollen Tagen bemessen werden. Im übrigen richtet sich das Maß der Ersatzstrafe nach freiem Ermessen des Gerichts. In oen Fällen des § 27 b ist Ersatzstrafe die verwirkte Freiheitsstrafe. Der Verurteilte kann die Vollstreckung der Ersatzstrafe jederzeit dadurch abwenden, daß er den noch zu zahlenden Betrag der Geldstrafe entrichtet. Kann die Geldstrafe ohne Verschulden des Verurteilten nicht eingebracht werden, so kann das Gericht anordnen, daß die Vollstreckung der Ersatzstrafe unterbleibt. § 494 der Strafprozeßordnung findet Anwendung. § 70 Abs. 1 Die Vollstreckung rechtskräftig erkannter Strafen ver­ jährt, wenn 1. auf Tod oder auf lebenslängliches Zuchthaus oder auf lebenslängliche Festungshaft erkannt ist, in dreißig Jahren; 2. auf Zuchthaus oder Festungshaft von mehr als zehn Jahren erkannt ist, in zwanzig Jahren; 3. auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder auf Festungshaft von fünf bizu zehn Jahren oder Gefängnis von mehr als fünf Jahren erkannt ist, in fünfzehn Jahren; 4. auf Festungshaft oder Gefängnis von zwei bis zu fünf Jahren erkannt ist, in zehn Jahren; 5. auf Festungshaft oder Gefängnis bis zu zwei Jahren oder auf Geldstrafe von mehr als einhundertfünfzig Goldmark erkannt ist, in fünf Jahren;

11. Verordnung über Bermögensstrafen und Bußen.

61

6. auf Haft oder auf Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Goldmark erkannt ist, in zwei Jahren. § 78. Sind mehrere Geldstrafen verwirkt, so ist auf jede gesondert zu erkennen. Tas gleiche gilt von den Freiheitsstrafen, die an die Stelle unein­ bringlicher Geldstrafen treten. Ihre Gesamtdauer darf zwei Jahre nicht über­ steigen; die Gesamtdauer mehrerer zusammentreffender Haststrafen darf drei Monate nicht übersteigen. Art. n. Geldstrafen, die nicht bei Verbrechen, Vergehen oder Übertretungen angedroht sind oder werden, insbesondere Zwangsstrafen und Ordnungsstrafen, sind in Goldmart sestzusetzen. Die Geldstrafe beträgt, soweit nicht höhere Beträge oder Geldstrafe in un­ beschränkter Höhe angedroht sind oder werden, mindestens eine Goldmark und höchstens eintausend Goldmark. Die Vorschrift des Abs. 2 über Höchstbeträge gilt nicht, soweit die ange­ drohte Strafe in dem Mehrfachen, dem Einfachen oder dem Bruchteil eines bestimmten Betrags besteht. Ist dieser nicht auf Goldmark gestellt, so ist er für die Festsetzung der Geldstrafe in Goldmark umzurechnen. Soweit an die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe eine Ersatzfreiheitsstrase zu treten hat, darf die Geldstrafe nur in Haft von höchstens sechs Wochen umgewandelt werden; ist neben der Geldstrafe wahlweise Freiheitsstrafe von weniger als sechs Wochen angedroht, so darf die Ersatzstrafe deren Höchstmaß nicht übersteigen. Die Ersatzstrafe darf nur nach vollen Tagen bemessen werden. Im übrigen richtet sich ihr Maß nach freiem Ermessen der Behörde, die sie sestsetzt. Art. Hl. Ist oder wird eine Behörde, ein Beamter, eine Körperschaft oder deren Vorstand ermächtigt, Geldstrafen (§ 27 des Strafgesetzbuchs, Artikel II dieser Verordnung) anzudrohen oder festzusetzen, so beträgt die zulässige Geld­ strafe, soweit nicht eine Ermächtigung zur Androhung oder Festsetzung höherer Beträge oder von Geldstrafe in unbeschränkter Höhe besteht oder erteilt wird, 1 bei Geldstrafen der im § 27 des Strafgesetzbuchs bezeichneten Art für Ver­ gehen mindestens drei Goldmark und höchstens zehntausend Goldmark, für Übertretungen mindestens eine Goldmark und höchstens einhundertfünfzig Goldmark; 2. bei Geldstrafen der im Artikel II bezeichneten Art mindestens eine Gold­ mark und höchstens eintausend Goldmark. Die Vorschriften des Abs. 1 über Höchstbeträge gelten nicht, wenn die anzu­ drohende oder festzusetzende Strafe in dem Mehrfachen, dem Einfachen oder dem Bruchteil eines bestimmten Betrags besteht Artikel II Abs. 3 Satz 2 gilt ent­ sprechend. Art. IV. Bei einer an den Verletzten zu zahlenden Buße beträgt der Mindestbetrag drei Goldmark, der Höchstbetrag zehntausend Goldmark. Art. V. Der in Goldmark festgesetzte Betrag einer Bermögensstrafe oder Buße ist in Reichswährung nach dem für den Tag der Zahlung oder Beitreibung maßgebenden Goldumrechnungssatz umzurechnen, den der Reichsminister der Finanzen auf Grund des § 2 Abs. 3 der Aufwertungsverordnung vom 11./18. Ok­ tober 1923 (RGBl. I S. 939, 979) festsetzt und fortlaufend veröffentlicht. Die Zahlung kann auch in anderen als den gesetzlichen Zahlungsmitteln geleistet werden, soweit sie an den öffentlichen Kassen anzunehmen sind; den Umrechnungssatz bestimmt der Reichsminister der Finanzen. Maßgebend ist der für den Tag der Zahlung oder Beitreibung geltende Umrechnungssatz. Bermögensstrafen im Sinne dieser Verordnung sind alle Geldstrafen (§ 27 des Strafgesetzbuchs, Artikel II, III dieser Verordnung) und solche Geldbeträge, die mit Rücksicht auf eine begangene strafbare Handlung eingezogen, für ver­ fallen erklärt oder sonst auferlegt werden. Art. VI. Bei Vermögensstrafen und Bußen gilt als Tag der Zahlung: 1. bei Zahlung durch Postscheck oder Postüberweisung der Tag, der sich aus dem Tagesstempel des Postscheckamts auf dem dem Zahlungsempfänger ausgehändigten Abschnitt ergibt; 2. bei sonstiger Übermittlung der Zahlung durch die Post der aus dem Tages­ stempel der Aufgabepostanstalt ersichtliche Tag der Einzahlung oder Ein­ lieferung.

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Erster Teil. Strafgesetze.

Im übrigen gilt als Tag der Zahlung der Tag des Zahlungseingangs.

Art. VII. Vermögensstrafen (Artikel V Abs. 3) und Bußen, die vor dem 8. Dezember 1923 in Reichswährung festgesetzt worden und noch nicht gezahlt sind, werden von der Vollstreckungsbehörde in Goldmark umgerechnet. Die Umrechnung erfolgt in der Weise, daß zunächst der erkannte Betrag nach Maßgabe des Artikel IV des Gesetzes über Vermögensstrafen und Bußen vom 13. Oktober 1923 (RGBl. I S. 943) unter Zugrundelegung einer abgerundeten Reichsindexzahl von 1000 Milliarden umgewertet und sodann der umgewertete Betrag auf der Grundlage eine Billion Reichsmark gleich eine Goldmark in Goldmark umgerechnet wird. Soweit eine Umwertung des erkannten Betrags nach Artikel IV des genannten Gesetzes nicht zu erfolgen hat, wird der erkannte Betrag auf dieser Grundlage unmittelbar in Goldmark umgerechnet. Der Betrag wird auf volle Goldmark nach unten abgerundet. Vermögens­ strafen und Bußen, die auch nach der Umrechnung weniger als eine Goldmark betragen, werden niedergeschlagen. Die Vorschriften der Abs. 1, 2 gelten entsprechend für Gerichtsgebühren bei Verurteilung zu einer Geldstrafe (§ 49 des Gerichtskostengesetzes vom 21. Dezember 1922, RGBl. 1923 I S 12). Der Betrag wird auf volle fünfzig Goldpfennig nach unten abgerundet. Gebühren, die auch nach der Umrechnung weniger als fünfzig Goldpfennig betragen, werden niedergeschlagen. Art. VIII. Die Vorschriften der Artikel I bis VII gelten für das gesamte Reichs- und Landesrecht. Hinsichtlich der landesrechtlichen Geldstrafen, Ermächtigungen und Bußen kann durch das Landesrecht Abweichendes bestimmt werden. Art. IX. Im § 27 Nr. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes sind die Worte: „von höchstens sechshundert Mark" gestrichen. Art. X. In dem Gesetz über beschränkte Auskunft aus dem Strafregister und die Tilgung von Strafvermerken vom 9. April 1920 (RGBl. ©.507; sind gestrichen: 1. int § 2 Abs. 2 die Worte: „von höchstens fünfhundert Mark", 2. im 8 6 Abs. 1 Nr 1 die Worte: „bis zu fünftausend Mark", 3. int § 7 Abs. 1 Nr 1 die Worte: „bis zu fünfhundert Mark". Bei Geldstrafen, die schon vor dem 1. Mai 1923 in das Strafregister aus­ genommen worden sind, berechnen sich die Fristen so, wie wenn das Gesetz vom 9. April 1920 in der Fassung des Abs. 1 schon zur Zeit der Aufnahme des Ver­ merks in das Register in Kraft gewesen wäre. Art. XI. Die Zivilprozeßordnung ist geändert wie folgt: 1. Im § 888 Abs. 1 sind die Worte: „bis zum Gesamtbeträge von fünfzehn­ hundert Mark" gestrichen. Als Satz 2 ist folgende Vorschrift hinzugefügt: Das Höchstmaß der Geldstrafe ist unbeschränkt. 2. Im § 890 Abs. 1 sind die Worte: „bis zu fünfzehnhundert Mark" gestrichen. Als Satz 3 ist folgende Vorschrift hinzugefügt: Das Höchstmaß der Geldstrafe ist unbeschränkt. Art. XU. Die Rechtsanwaltsordnung ist dahin geändert, daß int § 6 Nr. 3, 8 15 Nr. 1 und § 43 Abs. 3 Nr. 3 die Worte: „einhundertfünfzig Mark" jeweils durch die Worte: „fünfzig Goldmark" ersetzt sind. Die Vorschrift des Abs. 1 findet jedoch keine Anwendung auf eine ehren­ gerichtliche Bestrafung, die vor dem 8. Dezember 1923 ausgesprochen worden ist. Art. Xin. Im § 26 Abs. 2 der Preistreibereiverordnung, § 6 Abs. 2 der Verordnung gegen verbotene Ausfuhr lebenswichtiger Gegenstände und § 30 Abs. 2 der Verordnung über Handelsbeschränkungen vom 13. Juli 1923 (RGBl. I S. 700, 705, 706) sind die Worte: „eine Million Mark" jeweils durch die Worte: „fünfhundert Goldmark" ersetzt. Art. XIV. Diese Verordnung tritt eine Woche nach der Verkündung in Kraft. Außer den im Eingang der Verordnung genannten Gesetzen und Der Ver­ ordnung vom 23. November 1923 sind aufgehoben: 1. die Vorschriften des Reichs- und Landesrechts, durch die für die Um­ wandlung einer uneinbringlichen Geldstrafe ein bestimmter Geldbetrag einem Tage Freiheitsstrafe gleuhgesetzt wird;

12. Jugendgerichtsgesetz.

68

2. die Festsetzungen von Mindestbeträgen und Höchstbeträgen der Geldstrafe bei Verbrechen und Vergehen sowie von Mindestbeträgen bei Übertretungen, Ioweit sie nicht im § 27 des Strafgesetzbuchs aufrechterhalten sind; ne Festsetzungen von Mindest- und Höchstbeträgen der Geldstrafen, die nicht bei Verbrechen, Vergehen und Übertretungen angedroht sind, insbe­ sondere der Zwangsstrasen und Ordnungsstrafen, soweit sie nicht im Artikel II Abs. 3 dieser Verordnung aufrechterhalten sind; 4. die Festsetzungen von Mindestbeträgen und Höchstbeträgen der Geldstrafen, die eine Behörde, ein Beamter, eine Körperschaft oder deren Vorstand anzu­ drohen oder sestzusetzen ermächtigt ist, soweit sie nicht im Artikel III Abs. 2 dieser Verordnung aufrechterhalten sind; 5. die Festsetzungen von Mindest- und Höchstbeträgen der an den Verletzten zu zahlenden Bußen. Bei Übertretungen in reichs- und landesrechtlichen Vorschriften ist der bis­ herige Höchstbetrag der Geldstrafe durch den Betrag von einhundertfünfzig Gold­ mark ersetzt. Die durch Artikel I bis IV, VIII, XIII und Abs. 3 dieses Artikels bestimmten Strafrahmen gelten auch bei Taten, die vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung begangen sind. 12.

XII. Iugendgerichtsgesetz. Vom 16. Februar 1923. (RGBl. I S. 135 )!) Erster Abschnitt.

8 1. Ein Jugendlicher im Sinne dieses Gesetzes ist, wer über vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alt ist. g 2. Wer eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht, ehe er vierzehn Jahre alt geworden ist, ist nicht strafbar. 8 3 Ein Jugendlicher, der eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht, ist nicht strafbar, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner geistigen oder sittlichen Entwicklung unfähig war, das Ungesetzliche der Tat einzujehen oder seinen Willen dieser Einsicht gemäß zu bestimmen. 8 4. Die Strafbarkeit des Anstifters und Gehilfen, des Begünstigers und Hehlers wird durch die Vorschriften der §§ 2, 3 nicht berührt. 8 ö. Hat ein Jugendlicher eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen, so hat das Gericht zu prüfen, ob Erziehungsmaßregeln erforderlich sind. Hält das Gericht Erziehungsmaßregeln für erforderlich, so hat es entweder selbst die Erziehungsmaßregel anzuordnen oder auszusprechen, daß Erziehungs­ maßregeln erforderlich sind, ihre Auswahl und Anordnung aber dem Vormund­ schaftsgericht überlassen bleibt. Das Vormundschaftsgericht muß alsdann eine Erziehungsmaßregel anordnen. Die Fürsorgeerziehung soll das Gericht nur dann selbst anordnen, wenn in erster Instanz die Zuständigkeit dafür auch außerhalb des Strafverfahrens begründet ist. Die vorstehenden Bestimmungen finden auch Anwendung, wenn das Gericht den Täter nach § 3 sreispricht. 8 6* Hält das Gericht Erziehungsmaßregeln für ausreichend, so ist von Strafe abzusehen. 8 7. Als Erziehungsmaßregeln sind zulässig: 1. Verwarnung, 2. Überweisung in die Zucht der Erziehungsberechtigten oder der Schule, 3. Auferlegung besonderer Verpflichtungen, *) Der zweite Abschnitt dieses Gesetzes gehörte, da er rein prozessualer Natur ist, genau genommen in den zweiten Teil dieser Sammlung. Eine Trennung er­ scheint aber als unzweckmäßig, da sich der dritte Abschnitt des Gesetzes aus die beiden ersten Abschnitte bezieht. Daher mußte des Zusammenhanges wegen das ganze Gesetz an dieser Stelle abgedruckt werden.

64

Erster Teil.

Strafgesetze.

4. Unterbringung, 5. Schutzaufsicht, 6. Fürsorgeerziehung. Die Reichsregierung kann mit Zustimmung des Reichsrats auch andere krziehungsmaßregeln für zulässig erklären. Die Voraussetzungen, die Ausführung und Aufhebung sowie das Erlöschen der Schutzaufsicht und der Fürsorgeerziehung bestimmen sich nach dem Reichsgefetze für Jugendwohlfahrt. Für die anderen Erziehungsmaßregeln bestimmt das Er­ forderliche die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats; sie dürfen auch nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahrs bis zum Eintritt der Volljährigkeit ausgeführt werden. § 8. Vor dem Urteil kann das Gericht vorläufige Anordnungen über die Erziehung und Unterbringung treffen. Vor der Entscheidung ist das Jugendamt zu hören. Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn sie wegen Gefahr im Verzug untunlich ist; in diesem Falle ist das Jugendamt nachträglich zu hören. Im Urteil hat sich das Gericht darüber auszusprechen, ob die vorläufige Anordnung wegfallen oder bis zur endgültigen Entscheidung über die Anordnung einer Erziehungsmaßregel bestehen bleiben soll. 8 9. Hat ein Jugendlicher eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen, so gelten für die Strafbemessung folgende Vorschriften: Statt auf Todesstrafe oder auf lebenslanges Zuchthaus ist auf Gefängnis von einem bis zu zehn Jahren, statt auf lebenslange Festungshaft ist auf Festungshaft von einem bis zu zehn Jahren zu erkennen. Sind andere Strafen angedroht, so ist die Strafe zwischen dem gesetzlichen Mindestbetrage der anzuwendenden Strafart und der Hälfte des Höchstbetrags der angedrohten Strafe zu bestimmen. Ist Zuchthausstrafe angedroht, so tritt an ihre Stelle Gefängnisstrafe. Ist die Tat ein Vergehen oder eine Übertretung, so kann in besonders leichten Fällen von Strafe abgesehen werden. Auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte überhaupt oder einzelner bürger­ licher Ehrenrechte, auf Überweisung an die Landespolizeibehörde sowie aus Zu­ lässigkeit von Polizeiaufsicht darf nicht erkannt werden. 8 1v. Das Gericht kann die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe im Urteil aussetzen, damit der Verurteilte sich durch gute Führung während einer Probezeit Straferlaß verdienen kann. Dies soll insbesondere dann geschehen, wenn der so­ fortige Strafvollzug eine Erziehungsmaßregel gefährden würde. Wird die Vollstreckung der Strafe nicht ausgesetzt, so müssen die Urteils­ gründe sich darüber aussprechen, ob die Strafe vollstreckt oder die Entscheidung über die Aussetzung Vorbehalten werden soll. 8 11. Werden nach Erlaß des Urteils Umstände bekannt, die eine Aus­ setzung der Vollstreckung der erkannten Freiheitsstrafe angezeigt erscheinen lassen, so kann die Vollstreckung nachträglich ausgesetzt werden. Die Strafaussetzung wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß im Urteil die Aussetzung abgelehnt oder mit der Vollstreckung der Strafe bereits begonnen worden ist. 8 12. Die Probezeit ist mindestens auf zwei und höchstens auf fünf Jahre zu bemessen. Ist sie auf weniger als fünf Jahre bemessen, so kann sie nach­ träglich bis auf fünf Jahre verlängert werden. Dem Verurteilten können für die Dauer der Probezeit, und zwar auch über den Eintritt der Volljährigkeit hinaus, besondere Pflichten auferlegt, auch kann er unter Schutzaufsicht gestellt werden. Die Anordnungen können auch nachträglich getroffen oder geändert werden. Für die Ausführung der Schutzaufsicht gelten die Vorschriften des Reichsgesetzes für Jugendwohlfahrt,- für die Zeit nach er­ reichter Volljährigkeit gelten sie entsprechend. Während der Probezeit ruht die Verjährung der Strafvollstreckung. Führt sich der Verurteilte während der Probezeit schlecht, so kann die Voll­ streckung der Strafe angeordnet werden. Das gleiche gilt, wenn nachträglich Um­ stände bekannt werden, die, wenn sie bereits zur Zeit der Aussetzung der Straft bekannt gewesen wären, bei Würdigung des Wesens der Aussetzung zur Ver­ sagung dieser Vergünstigung geführt haben würden.

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12. Jugendgerichtsgesetz.

Zu den Ermittlungen über die Führung des Verurteilten während der Probezeit ist das Jugendamt nach Möglichkeit zuzuziehen. 8 13. Wird der Verurteilte, bevor über seine Bewährung entschieden ist, von neuem zu Strafe verurteilt, so bestimmt das Gericht in dem neuen Urteil, ob die frühere Strafe vollstreckt werden oder ausgesetzt bleiben soll. Die neue Strafe kann auch dann ausgesetzt werden, wenn der Verurteilte, als er die neue Tat beging, nicht mehr jugendlich war. Lautet das neue Urteil auf Freiheitsstrafe, so darf der Wegfall oder die Fortdauer der früheren Strafaussetzung nur bestimmt werden, wenn die gleiche Entscheidung auch für die neue Strafe ergeht. Ordner das Gericht an, daß die frühere Strafe ausgesetzt bleibt, so taiui es bestimmen, daß die alte Probezeit nicht vor der neuen abläuft. Es kann auch eine der im § 12 Abs. 2 vorgesehenen Anordnungen treffen oder eine nach dieser Vorschrift getroffene Anordnung ändern. Hat das Gericht tu dem neuen Urteil nicht bestimmt, ob die frühere Strafe vollstreckt werden oder ausgesetzt bleiben soll, so wird darüber nachträglich ent­ schieden; dabei kann die Entscheidung über die Aussetzung der neuen Strafe ge­ ändert werden. Das Gericht kann sich, falls es nicht auf Freiheitsstrafe erkennt, der Ent­ scheidung darüber enthalten, ob die frühere Strafe vollstreckt werden oder aus­ gesetzt bleiben soll, in diesem Falle gilt § 12 Abs. 4. Ist die frühere Strafe nicht ausgesetzt worden, so taun die Aussetzung in dein neuen Urteil nachträglich bewilligt (§ 11) werden. Die Abs 2, 4 gelten ent­ sprechend. Als Urteil im Sinne vorstehender Bestimmungen gilt auch der Strafbefehl 8 14. Ist auf Geldstrafe erkannt worden, so ist, sobald die Ersatzfreiheits­ strafe vollstreckt werden kann, darüber zu entscheiden, ob die Vollstreckung der Ersatzsreiheitsstrafe ausgesetzt werden soll. § 11 Satz 2 und die §§ 12 und 13 gelten entsprechend. 8 15. Nach Ablauf der Probezeit wird die Strafe erlassen, wenn sich der Verurteilte bewährt hat. Hat der Verurteilte sich nicht bewährt, so wird die Vollstreckung der Strafe angeordnet. 8 16. Der Strafvollzug gegen einen Jugendlichen ist so zu bewirken, daß seine Erziehung gefördert wird. Beim Vollzüge der Freiheitsstrafen werden Jugendliche von erwachsenen Gefangenen vollständig getrennt gehalten. Freiheitsstrafen von einem Monat oder mehr sollen in besonderen, aus­ schließlich für Jugendliche bestimmten Anstalten oder Abteilungen von Anstalten vollstreckt werden. Verbüßt ein Jugendlicher in einer besonderen Anstalt oder in einer beson­ deren Abteilung einer Anstalt eine Freiheitsstrafe, so kann er mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde bis zur Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahrs in der Anstalt oder in der Abteilung verbleiben. Das Weitere über den Strafvollzug bestimmt die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats; dabei ist auf eine Mitwirkung des Jugendamts bei dem Strafvollzüge Bedacht zu nehmen. Zweiter Abschnitt.

8 17. Straftaten von Personen, die zur Zeit der Erhebung der Anklage jugendlich sind, gehören zur Zuständigkeit der Jugendgerichte. Jugendgerichte sind die Schöffengerichte. Würde die Straftat nach den allgemeinen Vorschriften zur Zuständigkeit des Reichsgerichts oder der Schwurgerichte gehören, so besteht das Jugendgericht aus zwei Richtern und drei Schöffen. Für Personen, die zur Zeit der Tat jugendlich waren, zur Zeit der Er­ hebung der Anklage aber nicht mehr jugendlich, jedoch noch jünger als einund­ zwanzig Jahre sind, kann die Staatsanwaltschaft die Zuständigkeit des Jugend­ gerichts dadurch begründen, daß sie bei ihm Anklage erhebt. A l l f e l d, Strafgesetzgebung.

3. Aufl.

5

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 18. Soweit nicht in diesem Gesetz Abweichendes bestimmt ist, gelten für die Sachen, die zur Zuständigkeit der Jugendgerichte gehören (Jugendsachen), die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung. Vollendet der Angeschuldigte während der Dauer des Verfahrens das ein­ undzwanzigste Lebensjahr, so kann das Gericht die Sache zum ordentlichen Ver­ fahren verweisen. Ist das Gericht im ordentlichen Verfahren nicht zuständig, so ist die Sache nach § 207 Abs. 2 *) der Strafprozeßordnung dem Landgerichte zur Entscheidung vorzulegen oder nach den §§270, 369 tos. 31 2) der Strafprozeßord« nung an das zuständige Gericht zu verweisen. 8 19. Der Vorsitzende des Jugendgerichts (Jugendrichter) hat auch die Amtshandlungen vorzunehmen, die nach der Strafprozeßordnung der Amtsrichter zu erledigen hat. Ist ein Amtsgericht mit mehreren Richtern besetzt, so sollen die Geschäfte des Jugendrichters und des Vormundschaftsrichters demselben Richter übertragen werden. Das Nähere bestimmt die oberste Landesbehörde. Jugendsachen sollen besonderen Strafkammern zugewiesen werden. 8 29. Die Schöffen (Jugendschöffen) werden auf Vorschlag des Jugend­ amts für die Dauer eines Geschäftsjahrs von dem im § 40 des Gerichtsver­ fassungsgesetzes vorgesehenen Ausschuß gewählt und in eine besondere Jahres­ liste ausgenommen. Es sind soviel Schöffen zu wählen, daß jeder Hauptschöfse zu höchstens zehn ordentlichen Sitzungstagen herangezogen wird. Die oberste Landesbehörde kann bestimmen, daß von der Wahl besonderer Jugendschöffen abzusehen ist, wenn anzunehmen ist, daß ein Jugendgericht weniger als zehn Sitzungen jährlich abhalten wird. 8 21. Die Bearbeitung der Jugendsachen ist bei jeder Staatsanwaltschaft tunlichst in den Händen bestimmter Beamter zu vereinigen. 8 22. In allen Abschnitten des Verfahrens in Jugendsachen sollen die Organe der Jugendgerichtshilfe zur Mitarbeit herangezogen werden. 8 23. Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Entscheidungen ist nicht öffentlich. Dem gesetzlichen Vertreter des Angeklagten, dem Verletzten und seinem ge­ setzlichen Vertreter sowie dem Jugendamt ist der Zutritt zu gestatten. Erwachsenen Angehörigen (§ 52 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs) des Angeklagten und, falls der Jugendliche unter Schutzaufsicht steht, der bestellten Aufsichtsperson, ferner den Vertretern von Bereinigungen, die sich mit der Jugendfürsorge beschäftigen, soll in der Regel, anderen Personen kann der Zutritt gestattet werden. Beamte der Justizverwaltung, welche die Dienstaufsicht führen, sind zur Anwesenheit berechtigt. 8 24. Für das große Jugendgericht (§ 17 Abs. 1 Satz 3- gelten folgende besondere Vorschriften. Die Schöffen stimmen vor den Richtern, über die Ausschließung oder Ab­ lehnung eines richterlichen Mitglieds entscheidet die Strafkammer, über die Aus­ schließung oder Ablehnung eines Schöffen der Vorsitzende. Das Protokoll über die Hauptverhandlung unterschreibt im Falle der Behinderung des Vorsitzenden für ihn das andere richterliche Mitglied. 8 25. Für Jugendsachen ist auch das Jugendgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die vormundschaftsgerichtliche Zuständigkeit für den Beschuldigten begründet ist oder sich der Angeschuldigte tzur Zeit der Erhebung der Anklage aufhält. Sind mehrere Jugendgerichte örtlich zuständig, so soll die Anklage bei einem der nach Abs. 1 zuständigen erhoben werden, wenn nicht besondere Gründe die Erhebung der Anklage bei einem anderen Jugendgerichte rechtfertigen. 8 26. Mehrere Sachen gegen denselben Beschuldigten sollen verbunden werden. Jugendsachen sollen mit Strafsachen gegen Erwachsene nicht verbunden werden' dies gilt insbesondere, wenn diese Strafsachen zur Zuständigkeit des Reichsgerichts oder der Schwurgerichte gehören. 1) § 209 Abs. 2 der StPO, neuer Fassung (Bek. v. 22. 3. 24). 2) §§ 270, 328 Abs. 3 der StPO, neuer Fassung (Bek. v. 22. 3. 24).

12. Jugendgerichtsgesetz.

67

Nach Erhebung der Anklage können bis zum Erlasse des Urteils erster In­ stanz Jugendsachen von Strafsachen gegen Erwachsene durch Gerichtsbeschluß getrennt und an das Jugendgericht verwiesen werden. 8 27. Die Staatsanwaltschaft hat dem Vormundschaftsgericht und dem Jugendamte Mitteilung zu machen, wenn gegen einen Jugendlichen die Vor­ untersuchung beantragt oder Anklage wegen eines Verbrechens, eines Vergehens oder einer Übertretung gegen § 361 Nr. 3 bis 8 des Strafgesetzbuchs erhoben wird, oder wenn die Staatsanwaltschaft es sonst für geboten erachtet. Über den weiteren Gang des Verfahrens sind Vormundschaftsgericht und Jugendamt zu unterrichten. Die oberste Landesbehörde kann weitergehende Vorschriften erlassen. Das Vormundschaftsgericht und das Jugendamt haben der Staatsanwalt­ schaft Nachricht zu geben, wenn ihnen bekannt ist oder bekannt wird, daß gegen den Beschuldigten noch ein anderes Strafverfahren anhängig ist. § 28. Untersuchungshaft ist nur zu vollziehen, wenn ihr Zweck nicht durch andere Maßregeln, insbesondere durch eine Anordnung nach § 8 erreicht werden kann. Darüber, ob die Untersuchungshaft zu vollziehen ist, sowie darüber, welche Maßregel an ihre Stelle tritt, entscheidet das Gericht, das den Haftbefehl erlassen hat; in dringenden Fällen kann der Jugendrichter, in dessen Bezirk die Unter­ suchungshaft vollzogen werden soll, die Entscheidung treffen. Muß ein Jugendlicher in der Untersuchungshaft mit anderen Gefangenen in einem Raume untergebracht werden, so ist Vorsorge zu treffen, daß er nicht sittlich gefährdet wird. Mit Erwachsenen darf ein Jugendlicher in einem Raume nur untergebracht werden, wenn dies durch seinen körperlichen oder geistigen Zustand geboten ist. Dem Jugendamt und, falls der Verhaftete unter Schutzaufsicht steht, der bestellten Aufsichtsperson, ist der Verkehr mit dem Verhafteten in dem gleicher: Umfang gestattet wie einem Verteidiger (§ 148 der Strafprozeßordnung). Ist vor Erhebung der öffentlichen Klage die Untersuchungshaft wegen eines Verbrechens angeordnet worden, das nicht schon nach dem § 27 Nr 7 a und 8l) des Gerichtsverfassungsgesetzes zur Zuständigkeit der Schöffengerichte gehört, so kann der Jugendrichter auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Haftfrist über die int § 126 der Strafprozeßordnung vorgesehene Dauer verlängern. Hat der Beschul­ digte keinen Verteidiger, so ist ihm für das Verfahren über die Fortdauer der Haft ein Verteidiger zu bestellen. Verlängert der Jugendrichter die Haftfrist, so bestimmt er zugleich, wann seine Entscheidung von neuem einzuholen ist. 8 29. In den vor dem großen Jugendgerichte (§ 17 Abs. 1 Satz 3) zu ver­ handelnden Sachen hat der Jugendrichter dem Angeschuldigten, der keinen Ver­ teidiger hat, einen Verteidiger zu bestellen, sobald die im K199 2) der Strafprozeß­ ordnung vorgeschriebene Aufforderung stattgefunden hat. Auch in anderen Fällen soll dem Beschuldigten, der keinen Verteidiger hat, ein Verteidiger bestellt werden, wenn dies aus besonderen Gründen, namentlich bei verwickelter Sach- oder Rechtslage, angemessen erscheint. Das Gericht kann dem Beschuldigten in allen Fällen und in jeder Lage des Verfahrens einen Beistand bestellen; im Falle des Abs. 2 kann an Stelle des Ver­ teidigers ein Beistand bestellt werden. Den Beistand bestellt der Vorsitzende, im vorbereitenden Verfahren der Jugendrichter. Das Jugendamt ist auf sein Ver­ langen zum Beistand zu bestellen; der gesetzliche Vertreter soll nur ausnahms­ weise zum Beistand bestellt werden. Der Beistand hat die Rechte eines Ver­ teidigers. 8 30. Die Rechte des Beschuldigten zur Anwesenheit bei Amtshandlungen, auf Gehör und zur Vorlegung von Fragen stehen auch dem gesetzlichen Vertreter zu. Entscheidungen, die dem Beschuldigten bekanntzumachen sind, insbesondere Urteile, sollen auch dem gesetzlichen Vertreter bekanntgemacht werden; das gleiche gilt von Strafverfügungen und Strafbescheiden. In den Fällen, in denen dem *) Diese Bestimmungen sind und Strafrechtspflege vom 4. 1. Sachlich sind sie ersetzt durch § v. 22. 3. 24 (RGBl. I S. 299). 2) § 201 der StPO, neuer

durch die Verordnung über Gerichtsverfassung 24 (RGBl. I S. 15) in Wegfall gekommen. 24 Nr. 3 des GVG. i. d. Fassung der Bek.

Fassung (Bek. v. 22. 3. 24).

68

Erster Teil.

Strafgesetze.

Angeschuldigten die Anklageschrift mitzuteilen ist, soll sie auch dem gesetzlichen Vertreter mitgeteilt werden. Ort und Zeit der HauPLverhandlung sollen dem gesetzlichen Vertreter rechtzeitig bekanntgemacht werden. 8 31. Bei den Ermittlungen sind möglichst frühzeitig die Lebensverhältnisse des Beschuldigten sowie alle Umstünde zu erforschen, welche zur Beurteilung seiner körperlichen und geistigen Eigenart dienen können. In geeigneten Fällen soll eine ärztliche Untersuchung des Beschuldigten herbeigeführt werden. Die Eltern des Beschuldigten sind, wenn es ohne erhebliche Schwierigkeiten geschehen kann, zu hören. In der Hauptverhandlung wird ihnen auf ihr Ver­ langen das Wort erteilt; ein Fragerecht steht ihnen nicht zu. Zur Erforschung der im Abs. 1 bezeichneten Umstünde ist das Jugendamt nach Möglichkeit zuzuziehen. Ort und Zeit der Hauptverhandlung sind ihm bekanntzumachen. In der Hauptverhandlung wird ihm auf Verlangen das Wort erteilt; ein Fragerecht steht ihm nicht zu. Bei Fürsorgezöglingen ist der Fürsorgeerziehungsbehörde Gelegenheit zur Äußerung zu geben. 8 32. Die Staatsanwaltschaft kann auf Grund des § 3 das Verfahren nur mit Zustimmung des Jugendrichters einstellen; vorher soll tunlichst das Jugend­ amt gehört werden. Mit Zustimmung des Jugendrichters kann die Staatsanwaltschaft von der Erhebung der Klage absehen, wenn bereits eine Erziehungsmaßregel angeordnet worden ist und weitere Maßnahmen nicht erforderlich sind, oder wenn anzu­ nehmen ist, daß das Gericht nach § 9 Abs. 4 von Strafe absehen wird. Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwalt­ schaft die Einstellung des Verfahrens beschließen. Die Verfügung der Staatsanwaltschaft (Abs. 1, Abs. 2 Satz 1) und der Beschluß des Gerichts (Abs. 2 Satz 2) sind auch dem Bormundschaftsgericht und dem Jugendamte sowie dem bekanntzumachen, der den Antrag auf Erhebung der öffentlichen Klage gestellt hat. Gegen den Beschluß des Gerichts steht der Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel, dem Beschuldigten und dem Antragsteller, wenn er zugleich der Verletzte ist, die sofortige Beschwerde zu. Ist das Verfahren durch einen nicht mehr anfechtbaren Beschluß des Gerichts eingestellt worden, so kann die Klage nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweis­ mittel wieder erworben werden. 8 33. Hauptverhandlungen in Jugendsachen sollen von anderen Haupt­ verhandlungen derart gesondert werden, daß eine Berührung des Angeklagten mit erwachsenen Angeklagten vermieden wird. Ist von einzelnen Erörterungen ein nachteiliger Einfluß auf den Ange­ klagten zu befürchten, so kann das Gericht anorden, daß der Angeklagte für die Dauer der Erörterungen das Sitzungszimmer verläßt. Sobald der Angeklagte wieder vorgelassen ist, soll ihn der Vorsitzende über den wesentlichen Inhalt des inzwischen Verhandelten unterrichten. 8 34. Der Jugendrichter entscheidet über die Aussetzung der Ersatzfreiheits­ strafe, die nachträgliche Aussetzung und die Fortdauer der Aussetzung sowie über die Bewährung und trifft die Entscheidungen, die während einer Probezeit ergehen. Vor der Entscheidung ist, wenn dies ohne Verzögerung geschehen kann, auch das Jugendamt zu hören. 8 35. En Urteil, in dem eine Erziehungsmaßregel angeordnet worden ist, kann nicht deshalb angefochten werden, weil eine andere oder eine weitere Er­ ziehungsmaßregel hätte angeordnet werden sollen, oder weil die Auswahl und Anordnung der Erziehungsmaßregel dem Vormundschaftsgericht überlassen wor­ den ist. Die Vorschrift gilt nicht, wenn die Fürsorgeerziehung angeordnet worden ist. Gegen Entscheidungen, die eine Strafaussetzung betreffen (§§ 10 bis 15), findet, wenn sie für sich allein angefochten werden, die sofortige Beschwerde statt: das gleiche gilt, wenn ein Urteil nur deshalb angefochten wird, weil die Voll­ streckung der Strafe nicht ausgesetzt worden ist. Die Entscheidungen über die Dauer der Probezeit, die für ihre Dauer getroffenen besonderen Anordnungen (§ 12 Abs. 2) sowie die Entscheidung, daß sich das Gericht einer Entscheidung über die Fortdauer der Strafaussetzung enthalte (§ 13 Abs. 5), sind nicht anfechtbar.

12. Jugendgerichtsgesetz.

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g 36. Die Strafvollstreckung steht dem Jugendrichter zu. Das gleiche gilt von der Ausführung einer Erziehungsmaßregel, die das Gericht angeordnet hat, sofern es sich nicht um Fürsorgeerziehung oder um Schutzaufsicht über einen Minderjährigen handelt. Gegen die Entscheidungen des Jugendrichters findet sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung statt. g 37. Gegen Fürsorgezöglinge sollen Freiheitsstrafen nur nach Anhörung der Fürsorgeerziehungsbehörde vollstreckt werden. g 38. Privatklage gegen einen Jugendlichen ist unzulässig. Dies steht dec Erhebung einer Widerklage nicht entgegen. Wegen einer strafbaren Handlung, die nach den allgemeinen Vorschriften im Wege der Privatklage verfolgt werden könnte, wird gegen einen Jugendlichen die öffentliche Klage auch dann erhoben, wenn ein berechtigtes Interesse des Verletzten dies rechtfertigt. § 211i) der Strafprozeßordnung findet gegenüber Jugendlichen keine AnWendung. g 39. In einem Strafbefehle darf gegen einen Jugendlichen nur Geldstrafe, die an Stelle der Geldstrafe tretende Freiheitsstrafe sowie Einziehung aus­ gesprochen werden. g 40. In einer Strafverfügung darf gegen einen Jugendlichen nur Geld­ strafe und Einziehung festgesetzt werden. Darüber, wie die Geldstrafe in Haft umgewandelt werden soll, entscheidet auf Antrag der Polizeibehörde, welche die Strafe festgesetzt hat, der Jugendrichter, in dessen Bezirk ein Gerichtsstand für die Übertretung begründet gewesen wäre. Die §§ 14 und 15 finden Anwendung. Bor der Entscheidung sind dec Jugendliche und, wenn dies ohne Verzögerung geschehen kann, das Jugendamt zu hören. Gegen den Beschluß steht der Polizeibehörde und dem Jugendlichen die sofortige Beschwerde zu. Ist eine durch Strafbescheid festgesetzte Geldstrafe in Freiheitsstrafe um­ zuwandeln, so finden die §§ 14 und 15 Anwendung. g 41. Ein Angeklagter, gegen den gemäß § 6 und § 9 Abs. 4 von Strafe abgesehen worden ist, steht für die Pflicht zur Tragung der Auslagen einem Angeklagten gleich, der zu Strafe verurteilt worden ist. g 42. Die Jugendämter haben die Tätigkeit, die ihnen dieses Gesetz zu­ weist (Jugendgerichtshilfe), im Benehmen mit den Bereinigungen auszuüben, die sich mit der Jugendfürsorge beschäftigen, über das Zusammenwirken der Jugendämter mit diesen Vereinigungen können die Landesregierungen nähere Vorschriften erlassen. Dritter Abschnitt.

g 43. Die §§ 2 und 45 Abs. 1 treten mit der Verkündung in Kraft; im übrigen tritt das Gesetz mit dem 1. Juli 1923 in Kraft. Die Anordnungen, welche erforderlich sind, um die Besetzung der Gerichte bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes nach dessen Vorschriften herbeizuführen, trifft die oberste Landes­ behörde. g 44. Die am Tage des Inkrafttretens dieses Gesetzes anhängigen Vor­ untersuchungen sind zu schließen, wenn sämtliche Angeschuldigten am Tage des Inkrafttretens dieses Gesetzes noch jugendlich sind; die Akten sind an die nach diesem Gesetze zuständige Staatsanwaltschaft abzugeben. Befanden sich die jugend­ lichen Angeschuldigten in Untersuchungshaft, so kann die Haftfrist nach Maßgabe des § 28 Abs. 4 verlängert werden. Die am Tage des Inkrafttretens dieses Gesetzes in erster Instanz an­ hängigen Strafsachen gehen in der Lage, in der sie sich befinden, auf das Jugend­ gericht über, wenn sämtliche Beschuldigte am Tage des Inkrafttretens dieses Gesetzes noch jugendlich sind; eine bereits begonnene Hauptverhandlung ist jedoch nach den bisherigen Vorschriften zu Ende zu führen. Die zur Überleitung des Verfahrens erforderlichen Bestimmungen trifft die oberste Landesbehörde. Wem eine Entscheidung bekanntzumachen ist, auf welche Weise die Entscheidung durch ein Rechtsmittel angefochten werden kann und welches Gericht über das Rechtsi) § 212 der StPO, neuer Fassung (Bek. v. 22. III. 24).

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Erster Teil.

Strafgesetze.

mittel entscheidet, bestimmt sich nach den bisherigen Vorschriften, wenn die Ent­ scheidung vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes oder auf Grund einer nach den bisherigen Vorschriften zu Ende geführten Hauptverhandlung erlassen worden ist. 8 45. Gegen Personen, die zur Zeit der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt waren, dürfen Strafen nicht vollstreckt werden. Vermerke über Verurteilungen solcher Personen sind im Strafregister zu tilgen,- soweit der Vermerk zu tilgen ist, findet § 5 des Gesetzes über beschränkte Auskunft aus dem Strafregister und die Tilgung von Strafvermerken vom 9. April 1920 (RGBl. S. 507) Anwendung. Gegen Personen, die zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alt waren, darf die Landespolizeibehörde die Befugnisse aus der Über­ weisung an die Landespolizeibehörde nicht mehr ausüben. Ein gegen solche Per­ sonen vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes durch eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung festgesetzter Verweis wird nach den bisherigen Vorschriften vollstreckt. 8 46. Soweit im Strafregister die Strafe des Verweises vermerkt ist, ist der Strafvermerk zu tilgen. § 45 Abj 1 Satz 2 Halbs. 2 findet Anwendung. 8 47. Die §§ 55 bis 57 des Strafgesetzbuchs, der § 73 Nr. 3 des Gerichts­ verfassungsgesetzes x) und die §§ 268, 447 Abs. 4 der Strafprozeßordnung r) werden ausgehoben. Im § 140 Abs. 2 Nr. 1 der Strafprozeßordnungx) werden die Worte „oder das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat" gestrichen. Der § 266 Abs. 4 2) der Strafprozeßordnung findet in Jugendsachen keine Antveudung. Der § 298 der Strafprozeßordnung erhält die Fassung x): „Hatte ein Angeklagter zur Zeit der Tat noch nicht das achtzehnte Lebens­ jahr vollendet, so muß die Nebenfrage gestellt werden, ob er zur Zeit der Tat nach seiner geistigen und sittlichen Entwicklung fähig war, das Ungesetzliche der Tat einzusehen und seinen Willen dieser Einsicht gemäß zu bestimmen. Ist ein Angeklagter taubstumm, so muß die Nebenfrage gestellt werden, ob er bei Begehung der Tat die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht besessen hat." 8 48. Im § 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes in der Fassung der Bekannt­ machung vom 21. Dezember 1922 (NGBl. 1923 I S. 12) fallen die Worte „Ist auf Verweis erkannt oder" weg. 8 49. Der § 46 Abs. 1 des Gesetzes über die Angelegenheiten der frei­ willigen Gerichtsbarkeit in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Mai 1898 (RGBl. S. 771) erhält folgenden zweiten Satz: „Als ein wichtiger Grund ist es in der Regel anzusehen, wenn ein unter Vormundschaft stehender Minderjähriger wegen einer strafbaren Handlung vor einem anderen Gericht angeklagt ist." 8 50. Die Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919 (RGBl. S. 1993) wird dahin geändert: 1. der §412 Abs. 3 fällt weg; 2. der § 424 Abs. 3 fällt weg; in dem letzten Absatz wird die Anführung „§ 412 Abs. 4" geändert in „§ 412 Abs. 3". 8 51. Bis zum Inkrafttreten des Reichsgesetzes für Jugendwohlfahrt gelten folgende Bestimmungen: I. Die in diesem Gesetze den Jugendämtern zugewiesenen Rechte und Pflichten ruhen. Die Landesregierungen können jedoch bestimmen, daß sie von anderen Behörden oder von Vereinigungen, die sich mit der Jugendfürsorge beschäftigen, wahrgenommen werden. II. Die Fürsorgeerziehung wird nach Maßgabe der Gesetze des Landes ausgeführt, dem das Jugendgericht angehört. III. Das Gericht kann den Täter neben oder an Stelle anderer Erziehungs­ maßregeln unter Schutzaufsicht stellen. Über die Voraussetzungen, die Ausführung und die Beendigung der Schutzaufsicht bestimmt die Reichsregierung mit Zu­ stimmung des Reichsrats.

Gegenstandslos geworden infolge Neufassung des Gerichtsverfassungs­ gesetzes und der Strafprozeßordnung durch Bek. v. 22. 3. 24. " 2) § 267 Abs. 4 der StPO, neuer Fassung (Bek. v. 22. 3. 24.)

13. Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich.

71

Zweiter Abschnitt.

Das Mllitär-Strasgefetzbuch samt Einführungsgefetz.

13. I. Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich/) Vom 20. Juni 1872. (RGBl. S. 174 ff )

Einleitende Bestimmungen.

8 1.

Eine Handlung, welches dieses Gesetz mit dem Tode, mit Zuchthaus oder mit Gefängnis oder Festungshaft von mehr als fünf Jahren bedroht, ist ein militärisches Verbrechen. Eine Handlung, welche dieses Gesetz mit Freiheitsstrafe (§ 16) bis zu fünf Jahren bedroht, ist ein militärisches Vergehen. 8 2. Diejenigen Bestimmungen, welche nach den Vorschriften des Deutschen Strafgesetzbuchs in Beziehung auf Verbrechen und Vergehen allgemein gelten, finden auf militärische Verbrechen und Vergehen entsprechende Anwendung. 8 3. Strafbare Handlungen der Militärpersonen, welche nicht militärische Verbrechen oder Vergehen sind, werden nach den allgemeinen Strafgesetzen be­ urteilt. 8 4. Unter Militärpersonen sind die Personen des Soldatenstandes und die Militärbeamten zu verstehen, welche zum Heer oder zur Marine gehören. Unter Heer ist das Deutsche Heer, unter Marine die Kaiserliche Marine zu verstehen. 8 5. Die Klasseneinteilung der Militärpersonen ergibt das diesem Gesetze beigefügte Verzeichnis. Die Mitglieder des Sanitätskorps und des Maschinen-Jngenieurkorps unter­ liegen den für andere Personen des Soldatenstandes gegebenen Vorschriften nach Maßgabe ihres Militärranges. 8 H. Personen des Beurlaubtenstandes unterliegen den Strafvorschriften dieses Gesetzes in der Zeit, in welcher sie sich im Dienste befinden- außerhalb dieser Zeit finden auf sie nur diejenigen Vorschriften Anwendung, welche in diesem Gesetze ausdrücklich auf Personen des Beurlaubtenstandes für anwendbar erklärt sind. 8 7. Strafbare Handlungen, welche von Militärpersonen im Auslande, während sie dort bei den Truppen oder sonst in dienstlicher Stellung sich be­ finden, begangen werden, sind ebenso zu bestrafen, als wenn diese Handlungen von ihnen im Bundesgebiete begangen wären. 8 8. Militärische Verbrechen und Vergehen, welche gegen Militärpersonen verbündeter Staaten in gemeinschaftlichen Dienstverhältnissen begangen werden, sind, wenn Gegenseitigkeit verbürgt ist, ebenso zu bestrafen, als wenn diese Hand­ lungen gegen Militärpersonen des Heeres oder der Marine begangen wären.

x) Das Müitärstrafgesetzbuch hat durch das Gesetz betr. Änderung des MStGB. vom 8. August 1913 (RGBl S. 621), das Gesetz betr. Änderung der 88 66, 70 usw. des MStGB. vom 14. Juli 1914 (RGBl. S 247), das Gesetz betr Herabsetzung von Mmdeststrafen des MStGB. vom 25. April 1917 (RGBl S.381) und das Gesetz betr. Milderungen im MStGB vom 25. Juli 1918 (RGBl. S. 777) mehrfach Abänderungen erfahren, die im folgenden berücksichtigt sind

72

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 9. Die in diesem Gesetze für strafbare Handlungen im Felde gegebenen Vorschriften (Kriegsgesetze) gelten: 1. für die Dauer des mobilen Zustandes des Heeres, der Marine oder ein­ zelner Teile derselben; 2. für die Dauer des nach' Vorschrift der Gesetze erklärten Kriegszustandes in den davon betroffenen Gebieten, soweit der Kaiser, in Bayern der König von Bayern oder die von ihnen ermächtigten Militärbefehlshaber die Gel­ tung anordnen; 3. in Ansehung derjenigen Truppen, denen bei einem Aufruhr, einer Meuterei oder einem kriegerischen Unternehmen der befehligende Offizier dienstlich bekannt gemacht hat, daß die Kriegsgesetze für sie in Kraft treten, für die Dauer dieser Zustände; 4. in Ansehung derjenigen Kriegsgefangenen, welchen der höchste an ihrem Aufenthaltsorte befehligende Offizier dienstlich bekannt gemacht hat, daß die Kriegsgesetze für sie in Kraft treten. 8 10* Die Militärpersonen sind im Falle des § 9 Nr. 1 vom Tage ihrer Mobilmachung bis zu ihrer Demobilmachung den Kriegsgesetzen unterworfen. 8 11 Im Sinne dieses Gesetzes ist als vor dem Feinde befindlich jede Truppe zu betrachten, bei welcher in Gewärtigung eines Zusammentreffens mit dem Feinde der Sicherheitsdienst gegen denselben begonnen hat. 8 12. Diejenigen Vorschriften dieses Gesetzes, welche die Strafe mit Rücksicht darauf bestimmen, daß eine Handlung vor versammelter Mannschaft begangen worden ist, finden Anwendung, wenn außer dem Vorgesetzten und dem einzelnen Beteiligten noch mindestens drei andere zu militärischem Dienste versammelte Per­ sonen des Soldatenstandes gegenwärtig gewesen sind. 8 13. Wo das Gesetz die Strafe mit Rücksicht auf den Rückfall bestimmt, tritt dieselbe ein, wenn der Täter, nachdem er wegen eines militärischen Ver­ brechens oder Vergehens durch ein Deutsches Gericht verurteilt und bestraft worden ist, dasselbe militärische Verbrechen oder Vergehen abermals begeht. Diese Bestimmung findet Anwendung, auch wenn die frühere Strafe nur teilweise verbüßt oder ganz oder teilweise erlassen ist. Sie bleibt jedoch ausge­ schlossen, wenn seit der Verbüßung oder dem Erlasse der Strafe bis zur Begehung der neuen strafbaren Handlung fünf Jahre verflossen sind. Dasselbe gilt bei wiederholtem Rückfalle. Erster Teil.

Don -er Bestrafung im Allgemeinen. Erster Abschnitt.

Strafen gegen Personen des Soldatenstanoes.

8 14. Die Todesstrafe ist durch Erschießen zu vollstrecken, wenn sie wegen eines militärischen Verbrechens, im Felde auch dann, wenn sie wegen eines nicht militärischen Verbrechens erkannt worden ist.

8 151). 8 16. Freiheitsstrafe im Sinne dieses Gesetzes ist Gefängnis, Festungs­ haft oder Arrest. Die Freiheitsstrafe ist eine lebenslängliche oder eine zeitige. Der Höchst­ betrag der zeitigen Freiheitsstrafe ist fünfzehn Jahre, der Mindestbetrag ein Tag. Wo dieses Gesetz die Freiheitsstrafe nicht ausdrücklich als eine lebenslängliche androht, ist dieselbe eine zeitige.

x) Aufgehoben durch § 13 des Gesetzes betr. Aufhebung der Militärgerichts­ barkeit vom 17. Aug. 1920 (RGBl. S. 1579). Es heißt dort: „Arreststrasen sind auf Ersuchen der bürgerlichen Strafvollstreckungsbehörden von den Militär­ behörden zu vollstrecken, ebenso sonstige Freiheitsstrafen bis zu sechs Wochen, solange die Verurteilten Militärpersonen sind."

13. Militär-Strafgesetzbuch.

I. Teil.

§§ 14-30.

73

§ 17. Die Freiheitsstrafe ist, wenn ihre Dauer mehr als sechs Wochen beträgt, Gefängnis oder Festungshaft, bei kürzerer Dauer Arrest. Ist eine angedrohte Zuchthausstrafe auf eine kürzere als einjährige Dauer zu ermäßigen, so tritt an deren Stelle Gefängnis von gleicher Dauer. 8 18. Die Zeit einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Wochen wird auf die gesetzliche Dienstzeit im stehenden Heer oder in der Flotte nicht angerechnet. 8 19. Der Arrest zerfällt in Stubenarrest, gelinden Arrest, mittleren Arrest, strengen Arrests). 8 20. Der Stubenarrest findet gegen Offiziere statt, der gelinde Arrest gegen Unteroffiziere und Gemeine, der mittlere Arrest gegen Unteroffiziere ohne Portepee und gegen Gemeine, der strenge Arrestx) nur gegen Gemeine. 8 21. Ist in diesem Gesetze Freiheitsstrafe angedroht, so sind darunter, je nach der Zeitdauer des Strafmaßes, Gefängnis, Festungshaft und Arrest als wahlweise angedroht zu erachten. 8 22. Ist in diesem Gesetze Arrest angedroht, so kann auf jede der nach dem Militärrange des Täters statthaften Arten des Arrestes erkannt werden. Ist in diesem Gesetze eine bestimmte Arrestart angedroht und dieselbe gegen den Täter nach seinem Militärrange nicht statthaft, so ist auf die nächstfolgende nach seinem Range statthafte Arrestart zu erkennen. Strenger Arrest ist, wo das Gesetz ihn nicht in einzelnen Fällen ausdrücklich androht, nur gegen denjenigen zulässig, welcher wegen militärischer Verbrechen oder Vergehen bereits mit einer Freiheitsstrafe bestraft worden ist1). 8 23. Der Stubenarrest wird von dem Verurteilten in seiner Wohnung verbüßt. Der Verurteilte darf während der Dauer des Stubenarrestes seine Wohnung nicht verlassen, auch Besuche nicht annehmen. Gegen Hauptleute, Ritt­ meister und Subaltern-Offiziere kann durch Richterspruch die Strafvollstreckung in einem besonderen Offizier-Arrestzimmer angeordnet werden (geschärfter Stubenarrest). 8 24. Der gelinde, der mittlere und der strenge Arrest werden in Einzel­ haft verbüßt. Der Höchstbetrag des strengen Arrestes ist vier Wochen1). 8 25. Der mittlere Arrrest wird in der Art vollstreckt, daß der Verurteilte eine harte Lagerstätte und als Nahrung Wasser und Brot erhält. Diese Schärfungen kommen am vierten, achten, zwölften und demnächst an jedem dritten Tage in Fortfall. 8 26. Der strenge Arrest1) wird in einer dunkelen Arrestzelle, im übrigen wie der mittlere Arrest vollstreckt. Die Schärfungen kommen am vierten, ächten und demnächst an jedem dritten Tage in Fortfall. 8 27. Läßt der körperliche Zustand des Verurteilten die Verbüßung des strengen oder mittleren Arrestes nicht zu, so tritt eine gelindere Arrestart ein. 8 28. Die Abweichungen, welche bei Vollstreckung von Arreststrafen dadurch bedingt werden, daß sie während eines Krieges oder auf den in Dienst gestellten Schiffen oder anderen Fahrzeugen der Marine zu vollziehen sind, werden durch Kaiserliche Anordnung bestimmt. 8 29. Wo die allgemeinen Strafgesetze Geldstrafe und Freiheitsstrafe wahl­ weise androhen, darf, wenn durch die strafbare Handlung zugleich eine militärische Dienstpflicht verletzt worden ist, auf Geldstrafe nicht erkannt werden. 8 30. Die besonderen Ehrenstrafen gegen Personen des Soldatenstandes sind: 1. Entfernung aus dem Heer oder der Marine2. gegen Offiziere: Dienstentlassung; 3. gegen Unteroffiziere und Gemeine: Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes2); 4. gegen Unteroffiziere: Degradation. *) Der strenge Arrest ist durch § 1 des Ges. bett. Aufhebung der Militär­ gerichtsbarkeit vom 17. August 1920 beseitigt. An seine Stelle tritt durch­ wegs mittlerer Arrest. 2) Diese Strafe ist durch Dienstentlassung ersetzt (§ 44 des Wehr­ gesetzes vom 23. März 1921, RGBl. S. 329).

74

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 31. Auf Entfernung aus dem Heer oder der Marine muß gegen Unter­ offiziere und Gemeine neben Zuchthaus stets, neben dem Verluste der bürgerlichen Ehrenrechte dann erkannt werden, wenn die Dauer dieses Verlustes drei Jahre übersteigt. Gegen Offiziere muß auf diese Entfernung erkannt werden: 1. neben Zuchthaus oder dem Verluste der bürgerlichen Ehrenrechte ohne Rück­ sicht auf die Dauer desselben; 2. wo gegen Unteroffiziere und Gemeine die Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes geboten ist. Auf Entfernung aus dem Heer oder der Marine kann erkannt werden neben Gefängnis von längerer als fünfjähriger Dauer, außerdem gegen Offiziere, in allen Fällen, in denen gegen Unteroffiziere oder Gemeine die Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes zulässig ist. 8 32. Die Entfernung aus dem Heer oder der Marine hat 1. den Verlust der Dienststelle und der damit verbundenen Auszeichnungen, sowie aller durch den Militärdienst erworbenen Ansprüche, soweit dieselben durch Richterspruch aberkannt werden können, 2. den dauernden Verlust der Orden und Ehrenzeichen, 3. die Unfähigkeit zum Wiedereintritte in das Heer und die Marine von Rechts wegen zur Folge. 8 33. Gegen pensionierte Offiziere ist statt aus Entfernung aus dem Heer oder der Marine auf Verlust des Ofsiziertitels zu erkennen. Mit diesem Verlust treten zugleich die im § 32 Nr. 2 und 3 bezeichneten Folgen, sowie die Ver­ wirkung des Rechts, die Offizieruniform zu tragen, von Rechts wegen ein. 8 34. Auf Dienstentlassung muß erkannt werden: 1. neben Erkennung auf Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter; 2. wo gegen Unteroffiziere Degradation geboten ist. Auf Dienstentlassung kann erkannt werden: 1. neben Freiheitsstrafe von längerer als einjähriger Dauer; 2. wo gegen Unteroffiziere Degradation zulässig ist. 8 35. Die Dienstentlassung hat den Verlust der Dienststelle und aller durch den Dienst als Offizier erworbenen Ansprüche, soweit dieselben durch Richterspruch aberkannt werden können, ingleichen die Verwirkung des Rechts, die Offizier­ uniform zu tragen, von Rechts wegen zur Folge. Der Verlust des Diensttitels ist mit dieser Strafe nicht verbunden. 8 36. Gegen pensionierte Offiziere, welche das Recht zum Tragen der Offizieruniform haben, ist statt auf Dienstentlassung auf Verlust dieses Rechtes zu erkennen. 8 37. Auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes muß erkannt werden neben dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, wenn die Dauer dieses Verlustes nicht drei Jahre übersteigt. Auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes x) kann erkannt werden: 1. in wiederholtem Rückfalle, 2. wenn die Verurteilung wegen Diebstahls, Unterschlagung, Raubes, Er­ pressung, Hehlerei, Betruges oder Urkundenfälschung erfolgt, auch wenn der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte nicht eintritt. 8 38. Wer wegen militärischer Vergehen bereits zweimal gerichtlich ver­ urteilt und bestraft worden ist, kann, wenn er zum dritten Male wegen eines militärischen Vergehens verurteilt wird, neben der Freiheitsstrafe in die zweite Klasse des Soldatenstandes versetzt werden i). Dasselbe kann geschehen, wenn außer einer gerichtlichen Strafe mehrmalige Disziplinarstrafen des höchsten Grades vollstreckt worden sind und zum zweiten Male wegen eines militärischen Vergehens eine Verurteilung erfolgt. Die Strafschärfung bleibt jedoch ausgeschlossen, wenn seit der zuletzt be­ straften Handlung bis zur Begehung des Vergehens sechs Monate verflossen sind. x) S. die Note zu § 30.

13. Militär-Strafgesetzbuch.

I. Teil.

§§ 31—47.

75

8 39 **). Gerichtlich erkannte Dienstentlassung an Stelle der Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes hat außer dem Verluste der Dienststelle den dauernden Verlust der Orden und Ehrenzeichen zur Folge. 8 40. Auf Degradation muß erkannt werden: 1. neben Gefängnis von längerer als einjähriger Dauer; 2. neben Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes; 3. neben Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter. Auf Degradation kann erkannt werden: 1. neben Gefängnis von einjähriger oder kürzerer Dauer; 2. wegen wiederholten Rückfalls: 3. wegen einer strafbaren Handlung der im § 37 Abs. 2 Nr. 2 bezeichneten Art. 8 41. Die Degradation hat den Rücktritt in den Stand der Gemeinen und den Verlust der durch den Dienst als Unteroffizier erworbenen Ansprüche, soweit dieselben durch Richterspruch aberkannt werden können, von Rechts wegen zur Folge. 8 42. Wird gegen eine Person des Beurlaubtenstandes während der Be­ urlaubung auf Zuchthaus, auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte oder auf Un­ fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter erkannt, so treten diejenigen mili­ tärischen Ehrenstrafen, auf welche bei einer solchen Verurteilung nach den Be­ stimmungen der §§ 30 bis 40 erkannt werden muß, von Rechts wegen ein. Erfolgt die Verurteilung einer Person des Beurlaubtenstandes während der Beurlaubung wegen einer strafbaren Handlung der im § 37 Abs. 2 Nr. 2 be­ zeichneten Art, so kann ein besonderes Verfahren des Militärgerichts zur Ent­ scheidung darüber angeordnet werden, ob auf Dienstentlassung oder auf Degra­ dation zu erkennen ist. Zweiter Abschn itt. Strafen gegen Militärbeamte.

8 43. Auf Amtsverlust kann gegen Militärbeamte erkannt werden: 1. neben Freiheitsstrafe von mehr als einjähriger Dauer; 2. wenn die Verurteilung wegen einer strafbaren Handlung der in § 37 Abs. 2 Nr. 2 bezeichneten Art erfolgt. 8 44. Der Arrest findet gegen obere Militärbeamte als Stubenarrest, gegen untere Militärbeamte als gelinder Arrest statt. 8 45 *)♦ Die Vorschrift des § 14 findet auch auf Militärbeamte Anwendung. Dritter Abschnitt. Versuch.

8 46. Wenn neben der Strafe des vollendeten Verbrechens oder Vergehens militärische Ehrenstrafen (§ 30) zulässig oder geboten sind, so sind dieselben neben der Versuchsstrafe zulässig. Vierter Abschnitt.

Teilnahme.

8 47. Wird durch die Ausführung eines Befehls in Dienstsachen ein Straf­ gesetz trifft 1. 2.

verletzt, so ist dafür der befehlende Vorgesetzte allein verantwortlich. Es jedoch den gehorchenden Untergebenen die Strafe des Teilnehmers: wenn er den ihm erteilten Befehl überschritten hat oder wenn ihm bekannt gewesen, daß der Befehl des Vorgesetzten eine Handlung betraf, welche ein bürgerliches oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte.

l) Fassung gemäß §44 des Wehrgesetzes; s. die Note zu § 30. *) Abgeändert durch § 13 des Gesetzes betr. Aufhebung der Militärgerichts­ barkeit (s. die Note zu § 15).

76

Erster Teil.

Strafgesetze.

Fünfter Abschnitt.

Gründe, welche die Strafe ausschlietzen, mildern oder erhöhen.

8 48. Die Strafbarkeit einer Handlung oder Unterlassung ist dadurch nicht ausgeschlossen, daß der Täter nach seinem Gewissen oder den Vorschriften seiner Religion sein Verhalten für geboten erachtet hat. 8 49. Die Verletzung einer Dienstpflicht aus Furcht vor persönlicher Gefahr ist ebenso zu bestrafen, wie die Verletzung der Dienstpflicht aus Vorsatz. Bei strafbaren Handlungen gegen die Pflichten der militärischen Unter­ ordnung, sowie bei allen in Ausübung des Dienstes begangenen strafbaren Hand­ lungen bildet die selbstverschuldete Trunkenheit des Täters keinen Strafmilderrungsgrund. 8 50. Bei Bestrafung militärischer Verbrechen oder Vergehen ist die Er­ kennung der angedrohten Strafe unabhängig von dem Alter des Täters. 8 51. Die Verfolgung eines militärischen Verbrechens oder Vergehens ist unabhängig von dem Anträge des Verletzten oder einer anderen zum Anträge berechtigten Person. 8 52. Bei Berechnung der Verjährungsfrist einer Strafverfolgung oder Strafvollstreckung ist der Arrest der Haft gleichzuachten. 8 53. Wo dieses Gesetz eine erhöhte Freiheitsstrafe androht, kann dieselbe das Doppelte der für das betreffende Verbrechen oder Vergehen angedrohten. Freiheitsstrafe erreichen; sie darf jedoch den gesetzlich zulässigen Höchstbetrag der zu verhängenden Strafart nicht übersteigen (§§ 16, 17, 24). 8 54. Wenn mehrere zeitige Freiheitsstrafen Zusammentreffen, so ist auf eine Gesamtstrafe nach den Vorschriften des Deutschen Strafgesetzbuches zu er­ kennen. Dieselbe darf in keinem Falle den gesetzlich zulässigen Höchstbetrag der zu verhängenden Strafart übersteigen. Ist die Gesamtstrafe wegen Zusammen­ treffens militärischer Verbrechen und Vergehen zu erkennen, so ist der Höchst­ betrag der Strafe wegen letzterer durch die Vorschriften des Deutschen Straf­ gesetzbuches bestimmt. Bestehen die zusammentreffenden Freiheitsstrafen nur in Arreststrafen, so darf auch die Gesamtstrafe nur in Arrest bestehen. Sind die Arreststrafnr un­ gleichartige, so gilt ein Tag strengen Arrestes *) gleich zwei Tagen mittleren Arrestes, ein Tag mittleren Arrestes gleich zwei Tagen gelinden Arrestes. Die Verurteilung zu einer Gesamtstrafe schließt die Verurteilung zu einer Ehrenstrafe nicht aus, wenn diese auch nur neben einer der verwirkten Einzel­ strafen zulässig oder geboten ist. 8 55. Auf erhöhte Strafe (§ 53) ist, sofern in diesem Gesetze nicht besondere Bestimmungen getroffen find, zu erkennen: 1. gegen Vorgesetzte, welche gemeinschaftlich mit Untergebenen eine strafbare Handlung ausführen oder sich sonst an einer strafbaren Handlung Unteogebener beteiligen; 2. wenn strafbare Handlungen unter Mißbrauch der Waffen oder der dienst­ lichen Befugnisse oder während der Ausübung des Dienstes ausgeführt werden; 3. wenn mehrere unter Zusammenrottung oder vor einer Menschenmenge straf­ bare Handlungen gemeinschaftlich ausführen. Zweiter Teil.

Bo« Len einzelnen Berbrechen und Vergehen und Leren Bestrafung. Erster Titel.

MilitLrische verbreche« und vergebe« der Perseueu deS S-lda1e«sti«be-. Erster Abschnitt. Hochverrat, Landesverrat, Kriegsverrat. 8 56. Auf eine Person des Soldatenstandes, welche sich eines Hochverrats oder eines Landesverrats schuldig macht, finden die Vorschriften des Deutschen Strafgesetzbuches (§§ 80 bis 93) Anwendung.

x) S. die Note zu § 19.

13. Militär-Strafgesetzbuch. I. Teil. §§ 48-55. II. Teil. §§ 56—63.

77

8 57. Wer im Felde einen Landesverrat begeht, wird wegen Kriegsverrats mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft. 8 58. Wegen Kriegsverrats (§ 57) wird mit dem Tode bestraft, wer mit dem Vorsatze, einer feindlichen Macht Vorschub zu leisten oder den deutschen oder­ verbündeten Truppen Nachteil zuzufügen, 1. eine der im § 90 des Deutschen Strafgesetzbuches bezeichneten strafbaren Handlungen begeht, 2. Wege oder Telegraphenanstalten zerstört oder unbrauchbar macht, 3. das Geheimnis des Postens, das Feldgeschrei oder die Losung verrät, 4. vor dem Feinde Meldungen oder dienstliche Mitteilung falsch macht, oder richtige zu machen unterläßt, 5. dem Feinde als Wegweiser zu einer militärischen Unternehmung gegen deutsche oder verbündete Truppen dient, oder als Wegweiser kriegführende deutsche oder verbündete Truppen irreleitet, 6. vor dem Feinde, in einer Weise, welche geeignet ist, die Truppen zu beun­ ruhigen oder irrezuleiten, militärische Signale oder andere Zeichen gibt, zur Flucht auffordert oder das Sammeln zerstreuter Mannschaften ver­ hindert, 7. einen Dienstbefehl ganz oder teilweise unausgeführt läßt oder eigenmächtig abändert, 3. es unternimmt, mit Personen im feindlichen Heer, in der feindlichen Marine oder im feindlichen Lande über Dinge, welche die Kriegführung betreffen, mündlich oder schriftlich Verkehr zu pflegen oder einen solchen Verkehr zu vermitteln, 9. feindliche Aufrufe oder Bekanntmachungen im Heer verbreitet, 10. die pflichtmäßige Fürsorge für die Verpflegung der Truppen unterläßt, 11. feindliche Kriegsgefangene freiläßt, oder 12. dem Feinde ein Signalbuch oder einen Auszug aus einem solchen mitteilt. In minder schweren Fällen tritt Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus ein. 8 59. Haben mehrere einen Kriegsverrat verabredet, ohne daß es zur Aus­ führung oder zu einem strafbaren Versuche desselben gekommen ist, so tritt Zucht­ haus nicht unter fünf Jahren ein. 8 60. Wer von dem Vorhaben eines Kriegsverrats (§§ 57 bis 59) zu einer Zeit, in welcher die Verhütung des Verbrechens möglich ist, glaubhafte Kenntnis erhält und es unterläßt, hiervon rechtzeitig Anzeige zu machen, ist, wenn das Verbrechen oder ein strafbarer Versuch desselben begangen worden, mit der Strafe des Mittäters zu belegen. 8 61. Straflosigkeit tritt für den an dem Vorhaben eines Kriegsverrats Beteiligten ein, wenn er von demselben zu einer Zeit, wo die Dienstbehörde nicht schon anderweit davon unterrichtet ist, in einer Weise Anzeige macht, daß die Verhütung des Verbrechens möglich ist. Zweiter Abschnitt. Gefährdung der Kriegsmacht im Felde.

8 62. Wer im Felde eine Dienstpflicht vorsätzlich verletzt und dadurch be­ wirkt, daß die Unternehmungen des Feindes befördert werden oder den krieg­ führenden deutschen oder verbündeten Truppen Gefahr oder Nachteil bereitet wird, ist mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder mit Gefängnis oder Festungs­ haft bis zu zehn Jahren zu bestrafen. In minder schweren Fällen, ingleichen» wenn die Verletzung der Dienstpflicht nicht vorsätzlich geschehen ist, tritt Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren ein. Auch kann neben Gefängnis auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldaten­ standes erkannt werden. 8 63. Mit dem Tode wird bestraft 1. der Kommandant eines festen Platzes, welcher denselben dem Feinde über­ gibt, ohne zuvor alle Mittel zur Verteidigung des Platzes erschöpft zu haben;

78

Erster Teil.

Strafgesetze.

2. der Befehlshaber, welcher int Felde mit Vernachlässigung der ihm zu Ge­ bote stehenden Verteidigungsmittel den ihm anvertrauten Posten verläßt oder dem Feinde übergibt; 3. der Befehlshaber, welcher auf freiem Felde kapituliert, wenn dies das Strecken der Waffen für die ihm untergebenen Truppen zur Folge gehabt und er nicht zuvor alles getan hat, was die Pflicht von ihm erfordert; 4. der Befehlshaber eines Schiffes der Marine, welcher dasselbe oder dessen Bemannung dem Feinde übergibt, ohne zuvor zur Vermeidung dieser Über­ gabe alles getan zu haben, was die Pflicht von ihm erfordert. In minder schweren Fällen der Nummern 2 und 3 tritt Festungshaft nicht unter fünf Jahren oder lebenslängliche Festungshaft ein.

Dritter Abschnitt. Unerlaubte Entfernung und Fahnenflucht.

8 64. Wer von seiner Truppe oder von seiner Dienststellung sich eigen­ mächtig entfernt oder vorsätzlich fern bleibt, oder wer den ihm erteilten Urlaub eigenmächtig überschreitet, wird wegen unerlaubter Entfernung mit Freiheits­ strafe bis zu sechs Monaten bestraft. 8 65. Der unerlaubten Entfernung wird es gleichgeachtet, wenn eine Person des Soldatenstandes im Felde es unterläßt, 1. der Truppe, von welcher sie abgekommen ist, oder der nächsten Truppe sich wieder anzuschließen, oder 2. nach beendigter Kriegsgefangenschaft sich unverzüglich bei einem Truppen­ teile zu melden. Dasselbe gilt, wenn eine Person der Marine, welche außerhalb der heimischen Gewässer von einem Schiffe abgekommen ist, es unterläßt, sich bei demselben oder einem anderen deutschen Kriegsschiffe oder dem nächsten deutschen Konsulate un­ verzüglich zu melden. 8 66. Dauert durch Verschulden des Abwesenden die Abwesenheit länger als sieben Tage, im Felde länger als drei Tage, so tritt Gefängnis oder Festungs­ haft bis zu zwei Jahren ein. In minder schweren Fällen kann die Strafe bis auf vierzehn Tage mittleren oder strengen Arrests) ermäßigt werden. 8 67. Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren tritt ein, wenn die Abwesenheit im Felde länger als sieben Tage dauert. In minder schweren Fällen kann die Strafe bis auf drei Monate ermäßigt werden. 8 68. Gleiche Strafe (§ 67) trifft eine Person des Beurlaubtenstandes, welche nach bekannt gemachter Kriegsbereitschaft oder nach angeordneter Mobil­ machung ihrer Einberufung zum Dienste oder einer öffentlichen Aufforderung zur Stellung nicht binnen drei Tagen nach Ablauf der bestimmten Frist Folge leistet. 8 69. Wer sich einer unerlaubten Entfernung (§§ 64, 65, 68) in der Ab­ sicht, sich seiner gesetzlichen oder von ihm übernommenen Verpflichtung zum Dienste dauernd zu entziehen, schuldig macht, ist wegen Fahnenflucht (Desertion) zu bestrafen. 8 70. Die Fahnenflucht wird mit Gefängnis von sechs Monaten bis zu zwei Jahren, im ersten Rückfalle mit Gefängnis von einem Jahre bis zu fünf Jahren, in wiederholtem Rückfalle mit Zuchthaus von fünf bis zu zehn Jahren bestraft. In minder schweren Fällen kann die Gefängnisstrafe bis auf drei Monate, im Rückfall bis auf sechs Monate ermäßigt werden. Der Versuch ist strafbar. 8 71. Die Fahnenflucht im Felde wird mit Gefängnis von fünf bis zu zehn Jahren bestraft; in minder schweren Fällen kann die Gefängnisstrafe bis auf ein Jahr ermäßigt werden. Im Rückfall tritt, wenn die frühere Fahnenflucht nicht im Felde begangen ist, Zuchthaus nicht unter fünf Jahren und, wenn die frühere Fahnenflucht im Felde begangen ist, Todesstrafe oder lebenslängliches Zuchthaus oder Zuchthaus nicht unter zehn Jahren ein." *) S. die Note zu § 19.

13. Militär-Strafgesetzbuch

Q. Teil. §§ 64—81.

79

g 72. Haben mehrere eine Fahnenflucht verabredet und gemeinschaftlich ausgeführt, so wird die an sich verwirkte Zuchthausstrafe oder Gefängnisstrafe um die Dauer von einem Jahre bis zu fünf Jahren erhöht. In minder schweren Fällen (§ 70 Abs. 1 Satz 2) beträgt die Erhöhung mindestens sechs Monate. Ist die Handlung im Felde begangen, so tritt statt des Gefängnisses Zucht­ haus von gleicher Dauer, gegen den Rädelsführer und gegen den Anstifter Todes­ strafe oder lebenslängliches Zuchthaus oder Zuchthaus nicht unter fünf Jahren, im Rückfalle nicht unter zehn Jahren ein. g 73. Die Fahnenflucht vom Posten vor dem Feinde oder aus einer be­ lagerten Festung wird mit dem Tode bestraft. Dieselbe Strafe trifft den Fahnenflüchtigen, welcher zum Feinde übergeht. § 74. Neben *dem wegen Fahnenflucht verwirkten Gefängnis ist auf Ver­ setzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes zu erkennen?) § 75. Stellt sich ein Fahnenflüchtiger innerhalb sechs Wochen, im Felde innerhalb einer Woche nach erfolgter Fahnenflucht, so kann die an sich verwirkte Zuchthausstrafe oder Gefängnisstrafe bis auf die Hälfte ermäßigt, an Stelle der Todesstrafe auf lebenslängliches Zuchthaus oder Zuchthaus nicht unter fünf Jahren erkannt werden. Auch kann, wenn kein Rückfall vorliegt und die Straftat nicht im Felde begangen ist, von der Versetzung in die zweite Klasse des Soldaten­ standes x) abgesehen werden Gegen Unteroffiziere muß jedoch auf Degradation erkannt werden. g 76. Die Verjährung der Strafverfolgung wegen Fahnenflucht beginnt mit dem Tage, an welchem der Fahnenflüchtige, wenn er die Handlung nicht be­ gangen hätte, seine gesetzliche oder von ihm übernommene Verpflichtung zum Dienste erfüllt haben würde. § 77. Wer von dem Vorhaben einer Fahnenflucht zu einer Zeit, in welcher deren Verhütung möglich ist, glaubhafte Kenntnis erhält und es unter­ läßt, hiervon seinem Vorgesetzten rechtzeitig Anzeige zu machen, ist, wenn die Fahnenflucht begangen worden, mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten und, wenn die Fahnenflucht im Felde begangen worden, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen. g 78. Wer einen anderen zur Fahnenflucht vorsätzlich verleitet oder die Fahnenflucht desselben vorsätzlich befördert, wird, wenn die Fahnenflucht erfolgt ist, mit Gefängnis von sechs Monaten bis zu zwei Jahren, im Felde mit Ge­ fängnis von fünf bis zu zehn Jahren bestraft- zugleich kann auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes erkannt werden 1). In minder schweren Fällen kann die Gefängnisstrafe bis auf drei Monate, irrt Felde bis auf ein Jahr er­ mäßigt werden. Der Versuch ist strafbar. g 79. Ein Gefangener, welcher sich selbst befreit, wird, wenn nicht die härtere Strafe der Fahnenflucht verwirkt ist, mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten bestraft. g 80. Ein Offizier, welcher während der Verbüßung des Stubenarrestes eigenmächtig seine Wohnung verläßt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten bestraft; zugleich ist auf Dienstentlassung zu erkennen. Ein Offizier, welcher während der Verbüßung des Stubenarrestes dem Ver­ bot des § 23 zuwider Besuche annimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten bestraft; in schweren Fällen ist zugleich auf Dienstentlassung zu erkennen. Vierter Abschnitt.

Selbstbeschädigung und Vorschützung von Gebrechen. g 81. Wer sich vorsätzlich durch Selbstverstümmelung oder auf andere Weise zur Erfüllung seiner gesetzlichen oder von ihm übernommenen Verpflichtung zum Dienste untauglich macht oder durch einen Anderen untauglich machen läßt, wird mit Gefängnis von einem Jahre bis zu fünf Jahren bestraft; zugleich ist auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes zu ettenncn!).

*) S. die Note zu § 30.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

Wird durch die Handlung die Unfähigkeit zu Arbeiten für militärische Zwecke verursacht, so ist die an sich verwirkte Gefängnisstrafe um die Dauer von drei Monaten bis zu einem Jahre zu erhöhen- zugleich ist aus Entfernung aus dem Heer oder der Marine zu erkennen. Der Versuch ist strafbar.

8 82. Dieselben Freiheitsstrafen (§ 81) treffen denjenigen, welcher einen Anderen auf dessen Verlangen zur Erfüllung seiner gesetzlichen oder von ihm über­ nommenen Verpflichtung zum Dienste untauglich macht; zugleich kann auf Ver­ setzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes erkannt werden *). 8 83. Wer in der Absicht, sich der Erfüllung seiner gesetzlichen oder von ihm übernommenen Verpflichtung zum Dienste ganz oder teilweise zu entziehen, ein auf Täuschung berechnetes Mittel anwendet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft; zugleich kann auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes erkannt werden *). Dieselbe Strafvorschrift findet auf den Teilnehmer Anwendung. Fünfter Abschnitt. Feigheit.

8 84. Wer während des Gefechts aus Feigheit die Flucht ergreift und die Kameraden durch Worte oder Zeichen zur Flucht verleitet, wird mit dem Tode bestraft. 8 85. Mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer aus Feigheit 1. bei dem Vormärsche zum Gefecht, während des Gefechts oder auf dem Rückzüge von seinem Truppenteile heimlich zurückbleibt, von demselben sich wegschleicht oder sich versteckt hält, die Flucht ergreift, seine Waffen oder Munition wegwirft oder im Stiche läßt, oder sein Pferd oder seine Waffen unbrauchbar macht, oder 2. durch Vorschützung einer Verwundung oder eines Leidens, oder durch ab­ sichtlich veranlaßte Trunkenheit sich dem Gefechte oder vor dem Feinde einer sonstigen, mit Gefahr für seine Person verbundenen Dienstleistung zu ent­ ziehen sucht. In minder schweren Fällen tritt Gefängnis von einem Jahre bis zu fünf Jahren und Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes *) ein. 8 86. Ist in den Fällen des § 85 durch die Feigheit ein erheblicher Nachteil verursacht worden, so tritt Zuchthaus nicht unter fünf Jahren, und wenn der Tod eines Menschen verursacht worden, Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus ein. 8 87. Wer in anderen, als den in den §§ 84 und 85 benannten Fällen aus Besorgnis vor persönlicher Gefahr eine militärische Dienstpflicht verletzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft; zugleich kann auf Versetzung üi die zweite Klasse des Soldatenstandes erkannt werden x). 8 88. Hat der Täter in den Fällen der §§ 85 und 86 nach der Tat hervor­ ragende Beweise von Mut abgelegt, so kann die Strafe unter den Mindestbetrag der angedrohten Freiheitsstrafe ermäßigt und in den Fällen der §§ 85 und 87 von der Bestrafung gänzlich abgesehen werden. Sechster Abschnitt.

Strafbare Handlungen gegen die Pflichten der militärischen Unterordnung.

8 89. Wer im Dienste oder in Beziehung auf eine Diensthandlung die dem Vorgesetzten schuldige Achtung verletzt, insbesondere laut Beschwerde oder gegen einen Verweis Widerrede führt, wird mit Arrest bestraft. Wird die Achtungsverletzung unter dem Gewehr oder vor versammelter Mannschaft begangen, oder stellt sich dieselbe als eine Drohung dar, so ist auf ’) Siehe die Note 31t § 30.

13. Militär-Strafgesetzbuch.

81

H. Teil. §§ 82—97.

mittleren ober strengen Arrest *) nicht unter vierzehn Tagen, ober auf Gefängnis ober Festungshaft bis zu brei Jahren zu erkennen. § SO. Wer auf Befragen in bienstlichen Angelegenheiten bem Vorgesetzten wissentlich bie Unwahrheit sagt, wirb mit Arrest bestraft. § 91. Wer einen Vorgesetzten ober im Dienstrange Höheren beleibigt, wirb mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren nnb, wenn bie Beleibigung im Dienste ober in Beziehung auf eine Diensthanblung begangen, mit Freiheitsstrafe bis zu brei Jahren bestraft. Ist bie Beleibigung burch Verbreitung von Schriften, Darstellungen ober Abbilbungen begangen, so ist auf Gefängnis ober Festungshaft bis zu fünf Jahren zu erfennen. Ist bie Beleibigung eine verleumberische, so tritt Gefängnis bis zu fünf Jahren ein. § 92. Ungehorsam gegen einen Befehl in Dienstsachen burch Nichtbefolgung ober burch eigenmächtige Abänberung ober Überschreitung besselben wirb mit Arrest bestraft. § 93. Wirb burch ben Ungehorsam ein erheblicher Nachteil verursacht, so tritt mittlerer ober strenger Arrest *) nicht unter vierzehn Tagen ober Gefängnis ober Festungshaft bis zu zehn Jahren, im Felbe bis zu fünfzehn Jahren ober lebenslängliche Freiheitsstrafe ein. Wirb burch ben Ungehorsam bie Gefahr eines erheblichen Nachteils herbei­ geführt, so tritt Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, im Felbe Freiheitsstrafe bis zu brei Jahren ein. § 94. Wer ben Gehorsam ausbrücklich verweigert ober seinen Ungehorsam sonst burch Worte, Gebärben ober anbere Hanblungen zu erkennen gibt, ingleichen wer ben Vorgesetzten über einen von ihm erhaltenen Dienstbefehl ober Verweis zur Nebe stellt, ober auf wieberholt erhaltenen Befehl in Dienstsachen im Unge­ horsam beharrt, wirb mit mittlerem ober strengem Arrest *) nicht unter vierzehn Tagen ober mit Gefängnis ober Festungshaft bis zu brei Jahren bestraft. 8 95. Wirb eine ber in bem § 94 bezeichneten Hanblungen vor versam­ melter Mannschaft ober gegen ben Befehl, unter bas Gewehr zu treten, ober unter bem Gewehr begangen, so tritt Gefängnis ober Festungshaft bis zu fünf Jahren, im Felbe Gefängnis ober Festungshaft nicht unter einem Jahre ein. In minber schweren Fällen kann, wenn bie Tat nicht gegen ben Befehl, unter bas Gewehr zu treten, unb nicht unter bem Gewehre begangen ist, bie Strafe bis auf vierzehn Tage mittleren ober strengen Arrest *) ermäßigt werben. Ist eine ber im Abs. 1 bezeichneten Hanblungen vor bem Feinbe begangen, so tritt Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, in minber schweren Fällen Freiheits­ strafe nicht unter einem Jahre ein. Besteht bie Hanblung barin, baß ber Gehorsam gegen einen vor bem Feinbe erteilten Befehl ausbrücklich verweigert ober ber Ungehorsam bagegen sonst burch Worte, Gebärben ober anbere Hanblungen zu erkennen gegeben wirb, so tritt Tobesstrafe ober lebenslängliche Freiheitsstrafe ober Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, in minber schweren Fällen Freiheits­ strafe nicht unter einem Jahre ein. § 96. Wer es unternimmt, einen Vorgesetzten mittels Gewalt ober Drohung an ber Ausführung eines Dienstbefehls zu hinbern ober zur Vornahme ober Unterlassung einer Diensthanblung zu nötigen, wirb wegen Wibersetzung mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minber schweren Fällen mit Freiheitsstrafe nicht unter brei Monaten, im Felbe mit Gefängnis nicht unter zwei Jahren, in minber schweren Fällen nicht unter sechs Monaten bestraft. Dieselbe Strafe tritt ein, wenn bie Hanblung gegen bie zur Unterstützung bes Vorgesetzten befehligten ober zugezogenen Mannschaften begangen wirb. 8 97. Wer sich an einem Vorgesetzten tätlich vergreift ober einen tätlichen Angriff gegen benselben unternimmt, wirb mit Freiheitsstrafe nicht unter brei Jahren, in minber schweren Fällen mit Freiheitsstrafe nicht unter sechs Monaten bestraft. Wirb bie Hanblung unter bem Gewehr ober sonst im Dienste,

S. bie Note zu § 19. Al.lfeld, Strafgesetzgebung.

3. Aufl.

6

82

Erster Teil.

Strafgesetze.

oder vor versammelter Mannschaft, oder mit einer Waffe oder einem anderen gefährlichen Werkzeuge ausgeführt, so tritt Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahre ein. Ist die Handlung im Felde begangen, so tritt Todesstrafe, in minder schweren Fällen oder wenn die Handlung außer dem Dienste begangen ist, lebens­ längliche Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahre ein. Hat die Handlung eine schwere Körperverletzung oder den Tod des Vor­ gesetzten verursacht, so ist in den Fällen des Abs. 1 statt auf Gefängnis oder Festungshaft auf Zuchthaus von gleicher Dauer, in minder schweren Fällen auf Zuchthaus oder Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahre zu erkennen- in den Fällen des Abs. 2 tritt Todesstrafe, in minder schweren Fällen lebenslängliche Zuchthaus- oder Freiheitsstrafe oder Zuchthaus- oder Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren ein. Neben Gefängnis und neben Festungshaft ist auf Dienstentlassung zu er­ kennen. 8 98. Ist ein Untergebener dadurch, daß der Vorgesetzte ihn vorschrifts­ widrig behandelt oder die Grenzen seiner Dienstgewalt überschritten hat, gereizt und auf der Stelle zu einer der in den §§ 89 bis 97 bezeichneten strafbaren Hand­ lungen hingerissen worden, so ist, wenn die Handlung mit dem Tode oder mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe bedroht ist, aus Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren zu erkennen; ist zeitige Freiheitsstrafe angedroht, so kann die Strafe bis zur Hälfte des Mindestbetrages der angedrohten Freiheitsstrafe, und wenn diese Hälfte mehr als ein Jahr beträgt, bis auf die Dauer eines Jahres ermäßigt, gegen Offiziere auch von der Dienstentlassung abgesehen werden. Stellt sich die Handlungsweise des Vorgesetzten als eine Mißhandlung oder sonst als herabwürdigende Behandlung des Untergebenen dar, so kann die Strafe, wo die Hälfte des Mindestbetrages der angedrohten Strafe mehr als sechs Monate beträgt, auf die Dauer von sechs Monaten ermäßigt werden; die Strafe darf nicht den dritten Teil des Höchstbetrages der angedrohten Strafe übersteigen. § 99. Wer eine Person des Soldatenstandes zur Verweigerung des Ge­ horsams, zur Widersetzung oder zu einer Tätlichkeit gegen den Vorgesetzten aus­ fordert oder anreizt, ist gleich Dein Anstifter zu bestrasen, wenn die Aufforderung oder Anreizung die strafbare Handlung oder einen strafbaren Versuch derselben zur Folge gehabt hat. Ist die Aufforderung oder Anreizung ohne Erfolg geblieben, so ist auf Frei­ heitsstrafe bis zu zwei Jahren, im Felde auf mittleren oder strengen Arrest oder auf Gefängnis oder Festungshaft bis zu fünf Jahren zu erkennen. Die Strafe darf jedoch, der Art oder dem Maße nach, keine schwerere fein, als die auf die Handlung selbst angedrohte. 8 100. Wer mehrere Personen des Soldatenstandes auffordert oder an­ reizt, gemeinschaftlich entweder dem Vorgesetzten den Gehorsam zu verweigern oder sich ihm zu widersetzen oder eine Tätlichkeit gegen denselben zu begehen, wird ohne Rücksicht darauf, ob ein Erfolg eingetreten ist, wegen Aufwiegelung mit Gefängnis nicht unter fünf Jahren bestraft. Ist durch die Handlung ein erheblicher Nachteil für den Dienst verursacht worden, so tritt Gefängnis nicht unter zehn Jahren ein; im Felde kann auf lebenslängliches Gefängnis erkannt werden. 8 101. Wer unbefugt eine Versammlung von Personen des Soldatenstandes behufs Beratung über militärische Angelegenheiten oder Einrichtungen veran­ staltet, oder zu einer gemeinsamen Vorstellung oder Beschwerde über solche An­ gelegenheiten oder Einrichtungen Unterschriften sammelt, wird mit Freiheits­ strafe bis zu drei Jahren bestraft; zugleich kann auf Dienstentlassung erkannt werden. Die an einer solchen Versammlung, Vorstellung oder Beschwerde Beteiligten werden mit einer Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten bestraft. 8 102. Wer es unternimmt, Mißvergnügen in Beziehung auf den Dienst unter seinen Kameraden zu erregen, wird, wenn dies durch mündliche Äußerungen geschieht, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft.

13. Militär-Strafgesetzbuch. II. Teil. §§ 98—110 a.

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Ist die Handlung durch Verbreitung von Schriften, Darstellungen oder Abbildungen oder ist sie im Felde begangen, so ist aus mittleren oder strengen Arrests) nicht unter vierzehn Tagen oder auf Gefängnis oder Festungshaft bis zu fünf Jahren zu erkennen. 8 103. Verabreden mehrere eine gemeinschaftliche Verweigerung des Ge­ horsams oder eine gemeinschaftliche Widersetzung oder Tätlichkeit gegen den Vor­ gesetzten^ so werden dieselben wegen Meuterei bestraft. Die Strafe ist nach dem­ jenigen Gesetze festzusetzen., welches auf die Handlung Anwendung findet, deren Begehung verabredet worden ist, und zugleich um die Dauer von drei Monaten bis zu zwei Jahren zu erhöhen. Ist infolge der Verabredung die strafbare Handlung begangen worden, so ist die Strafe, mit welcher die Handlung bedroht ist, nach § 53 zu erhöhen, wenn die hiernach zulässige Strafe höher ist, als die nach den Bestimmungen des ersten Absatzes verwirkte Strafe. 8 104. Wer von einer Meuterei zu einer Zeit, in welcher die Verhütung der verabredeten strafbaren Handlung möglich ist, glaubhafte Kenntnis erhält und es unterläßt, hiervon rechtzeitig Anzeige zu machen, wird, wenn die verab­ redete strafbare Handlung begangen worden ist, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. 8 105. Straflosigkeit tritt für den an der Meuterei Beteiligten ein, welcher von der Meuterei zu einer Zeit, wo die Dienstbehörde nicht schon anderweit davon unterrichtet ist, in einer Weise Anzeige macht, daß die Verhütung der verab­ redeten Handlung möglich ist. 8 106. Wenn mehrere sich zusammenrotten und mit vereinten Kräften es unternehmen, dem Vorgesetzten den Gehorsam zu verweigern, sich ihm zu wider­ setzen oder eine Tätlichkeit gegen denselben zu begehen, so wird jeder, welcher an der Zusammenrottung teilnimmt, wegen militärischen Aufruhrs mit Gefängnis nicht unter fünf Jahren, im Felde mit Gefängnis nicht unter zehn Jahren bestraft; zugleich ist auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes *) zu erkennen. 8 107. Die Rädelsführer und Anstifter eines militärischen Aufruhrs, sowie diejenigen Ausrührer, welche eine Gewalttätigkeit gegen den Vorgesetzten begehen, werden mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder mit lebenslänglichem Zucht­ haus, und wenn der Aufruhr im Felde begangen wird, mit dem Tode bestraft. 8 108. Wird der militärische Aufruhr vor dem Feinde begangen, so tritt gegen sämtliche Beteiligte die Todesstrafe, in minder schweren Fällen lebens­ längliche Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe nicht unter fünf Jahren ein. 8 109. Die an einem militärischen Aufruhr Beteiligten, welche zur Ord­ nung zurückkehren, bevor es zu einer Gewalttätigkeit gegen den Vorgesetzten ge­ kommen, werden mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft, wenn sie nicht Anstifter oder Rädelsführer sind. Ist in einem solchen Falle die Rückkehr zur Ordnung von allen an dem Aufruhr Beteiligten erfolgt, so ist gegen Anstifter und Rädelsführer auf Ge­ fängnis oder Festungshaft von einem bis zu fünf Jahren zu erkennen. 8 110. Dem Anstifter eines militärischen Aufruhrs gleich zu bestrafen ist derjenige an dem Aufruhr Beteiligte, welcher 1. persönlich von dem Vorgesetzten zum Gehorsam aufgefordert, diesen durch Wort oder Tat ausdrücklich verweigert, 2. durch Mißbrauch militärischer Signale oder durch Aufruhrzeichen den Auf­ ruhr befördert, oder 3. unter den Auftührern den höchsten Dienstrang einnimmt. 8 110 a. Liegt in den Fällen der §§ 100, 106,107, 110 ein minder schwerer Fall vor, so kann die Strafe in den Fällen des § 100 Abs. 1 und des § 106 bis auf sechs Monate, im Felde bis auf ein Jahr Gefängnis, in den Fällen des § 100 Abs. 2, der §§ 107 und 110 bis auf ein Jahr, im Felde bis auf zwei Jahre S. die Note zu § 19. *) S. die Note zu § 30.

84

Erster Teil.

Strafgesetze.

Gefängnis herabgesetzt werden. Im Felde kann in den Fällen der §§ 107 und 110 statt auf Gefängnis auf Zuchthaus von gleicher Dauer oder auf lebensläng­ liches Zuchthaus oder Gefängnis erkannt werden. In den Fällen der §§ 106, 107, 108 und 110 ist neben einer erkannten. Gefängnisstrafe die Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes *) zulässig, g 111. Wer gegen eine militärische Wache die ihr schuldige Achtung verletzt oder sich einer Beleidigung, eines Ungehorsams, einer Widersetzung oder einer Tätlichkeit schuldig macht, wird ebenso bestraft, als wenn er die Handlung gegen einen Vorgesetzten begangen hätte. Als militärische Wache, im Sinne dieses Gesetzes, sind anzusehen alle zum Wacht- oder militärischen Sicherheitsdienste befehligten Personen des Soldaten­ standes, mit Einschluß der Feldgendarmen und des Personals der Stabswache der Marine, welche in Ausübung dieses Dienstes begriffen und als solche äußer­ lich erkennbar sind. g 112. Wer einen Vorgesetzten oder einen im Dienstrange Höheren aus dienstlicher Veranlassung zum Zweikampfe herausfordert, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahre, und, wenn der Zweikampf vollzogen wird, mit Frei­ heitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft; zugleich ist auf Dienstentlassung zu erkennen. Gleiche Strafen treffen den Vorgesetzten, welcher die Herausforderung an­ nimmt oder den Zweikampf vollzieht. g 113. Eine Person des Beurlaubtenstandes wird, auch während sie sich nicht im Dienste befindet, nach den Vorschriften dieses Abschnitts bestraft, wenn sie dem § 101 zuwiderhandelt, oder eine andere der in diesem Abschnitte vor­ gesehenen strafbaren Handlungen im dienstlichen Verkehr mit dem Vorgesetzten oder in der Militäruniform begeht, oder wenn sie sich des Ungehorsams oder der Widersetzung gegen einen rechtmäßigen Befehl in dienstlichen Angelegen­ heiten schuldig macht.

Siebenter Abschnitt.

Mißbrauch der Dicnstgewalt.

g 114. Wer seine Dienstgewalt über einen Untergebenen zu Befehlen oder Forderungen, die in keiner Beziehung zum Dienste stehen, oder zu Privatzwecken mißbraucht, ingleichen wer von dem Untergebenen Geschenke fordert, von ihm, ohne Vorwissen des gemeinschaftlichen Vorgesetzten, Geld borgt oder Geschenke annimmt, oder den Untergebenen sonst durch seine dienstliche Stellung veranlaßt, gegen ihn Verbindlichkeiten einzugehen, die demselben nachteilig sind oder auf das gegenseitige Dienstverhältnis von nachteiligem Einflüsse sein können, wird mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren, in minder schweren Fällen mit Arrest bestraft. In schwereren Fällen, insbesondere im Rückfalle, kann zugleich auf Dienst­ entlassung oder Degradation erkannt werden. g 115. Wer durch Mißbrauch seiner Dienstgewalt oder seiner dienstlichen Stellung einen Untergebenen zu einer von demselben begangenen, mit Strafe be­ drohten Handlung vorsätzlich bestimmt hat, wird als Täter oder als Anstifter mit erhöhter Strafe belegt. g 116. Wer es unternimmt, durch Mißbrauch seiner Dienstgewalt oder seiner dienstlichen Stellung einen Untergebenen zur Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung zu bestimmen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahre bestraft. g 117. Ein Vorgesetzter, welcher einen oder mehrere Untergebene mit An­ drohung nachteiliger Folgen oder durch andere widerrechtliche Mittel von dem Führen oder Verfolgen von Beschwerden abzuhalten sucht, oder eine an ihn vorschriftsmäßig gelangte Beschwerde, zu deren Weiterbeförderung oder Unter­ suchung er verpflichtet ist, unterdrückt oder zu unterdrücken versucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft; zugleich kann auf Dienstentlassung oder Degradation erkannt werden. x) S. die Note zu § 30.

13. Militär-Strafgesetzbuch. II. Teil. §§ 111-127.

85

§ 118. Wer vorsätzlich seine Strafbefugnisse überschreitet, insbesondere wer wissentlich unverdiente oder unerlaubte Strafen verhängt, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft,- zugleich kann auf Dienstentlassung erkannt werden. § 119. Wer vorsätzlich einen gesetzwidrigen Einfluß auf die Rechtspflege ausübt, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft- zugleich kann auf Dienstentlassung oder Degradation erkannt werden. In minder schweren Fällen ist auf Festungshaft bis zu fünf Jahren zu erkennen. § 120. Wer unbefugt eine Handlung vornimmt, die nur kraft einer Be­ fehlsbefugnis oder Strafgewalt vorgenommen werden darf, wird mit Freiheits­ strafe bis zu einem Jahre bestraft. 8 121. Wer einen Untergebenen beleidigt oder einer vorschriftswidrigen Behandlung desselben sich schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. Ist die Beleidigung eine verleumderische, so tritt Gefängnis bis zu fünf Jahren ein. § 122. Wer vorsätzlich einen Untergebenen stößt oder schlägt, oder auf andere Weise körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit beschädigt, wird mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu drei Jahren bestraft,- in minder schweren Fällen kann die Strafe bis auf eine Woche Arrest ermäßigt werden. Auch kann, im wiederholten Falle muß neben Gefängnis oder Festungs­ haft auf Dienstentlassung oder Degradation erkannt werden. 8 123. Ist durch die Handlung eine schwere Körperverletzung des Unter­ gebenen verursacht worden, so tritt Zuchthaus bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen Gefängnis oder Festungshaft von sechs Monaten bis zu fünf Jahren ein. War die schwere Körperverletzung beabsichtigt und eingetreten, so ist auf Zuchthaus von zwei bis zu zehn Jahren zu erkennen. Ist durch die Körperverletzung (§ 122) der Tod des Untergebenen verursacht worden, so tritt Zuchthaus nicht unter drei Jahren, in minder schweren Fällen Gefängnis oder Festungshaft nicht unter einem Jahre ein. 8 124. Diejenigen Handlungen, welche der Vorgesetzte begeht, um einen tätlichen Angriff des Untergebenen abzuwehren, oder um seinen Befehlen im Fall der äußersten Not und dringendsten Gefahr Gehorsam zu verschaffen, sind nicht als Mißbrauch der Dienstgewalt anzusehen. Dies gilt namentlich auch für den Fall, wenn ein Offizier in Ermangelung anderer Mittel, den durchaus notwendigen Gehorsam zu erhalten, sich in der Lage befunden hat, gegen den tätlich sich ihm widersetzenden Untergebenen von der Waffe Gebrauch zu machen. 8 125. Eine militärische Wache, welche eine der in den §§ 114 bis 116, 118 bis 123 bezeichneten Handlungen begeht, wird ebenso bestraft, als wenn ein Vorgesetzter diese Handlung begangen hätte. Ist die Handlung gegen eine solche Person begangen, die außer dem Dienstverhältnisse der Wache deren Vorge­ setzter ist, so tritt erhöhte Strafe ein. Die in dem § 124 enthaltene Vorschrift findet auch hier Anwendung. 8 126. Eine Person des Beurlaubtenstandes wird, auch während sie sich nicht im Dienste befindet, nach den Vorschriften dieses Abschnitts bestraft, wenn sie eine der in demselben vorgesehenen strafbaren Handlungen im dienstlichen Verkehre mit dem Untergebenen oder in der Militäruniform begeht. Achter Abschnitt.

Widerrechtliche Handlungen im Felde gegen Personen oder Eigentum.

8 127. Begeht eine Person des Soldatenstandes im Felde einen Diebstahl, eine Unterschlagung, eine Körperverletzung oder ein Verbrechen oder Vergehen wider die Sittlichkeit, so ist die Verfolgung der strafbaren Handlung unabhängig von dem Anträge des Verletzten oder einer anderen zum Anträge berechtigten Person.

86

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 128. Wer im Felde, um Beute zu machen, sich von der Truppe eigen­ mächtig entfernt, oder Sachen, welche an sich dem Beuterecht unterworfen sind, eigenmächtig zur Beute macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren be­ straft; zugleich kann auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes1) erkannt werden. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher rechtmäßig von ihm erbeutetes Gut, das er abzuliefern verpflichtet ist, sich rechtswidrig zueignet. 8 129. Der Plünderung macht sich schuldig, wer im Felde unter Benutzung des Kriegsschreckens oder unter Mißbrauch seiner militärischen Überlegenheit 1 in der Absicht rechtswidriger Zueignung eine Sache der Landeseinwohner offen wegnimmt oder denselben abnötigt, oder 2 unbefugt Kriegsschatzungen oder Zwangslieferungen erhebt oder das Maß der von ihm vorzunehmenden Requisitionen überschreitet, wenn dies des eigenen Vorteils wegen geschieht. 8 130. Als eine Plünderung ist es nicht anzusehen, wenn die Aneignung nur aus Lebensrnittel, Heilmittel, Bekleidungsgegenstände, Feuerungsmittel, Fourage oder Transportmittel sich erstreckt und nicht außer Verhältnis %u dem vorhandenen Bedürfnisse steht. 8 131. Die Plünderung wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren und mit Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes *) bestraft. 8 132. Boshafte oder mutwillige Verheerung oder Verwüstung fremder Sachen im Felde wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, in schweren Fällen der Plünderung gleich bestraft. 8 133. Wird die Plünderung oder eine ihr gleich zu bestrafende Handlung unter Gewalttätigkeit gegen eine Person begangen, so ist auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren zu erkennen. Ist durch die Gewalttätigkeit eine schwere Körperver­ letzung verursacht worden, so tritt Zuchthaus nicht unter zehn Jahren und, wenn der Tod eines Menschen verursacht worden ist, Todesstrafe, in minder schweren Fällen lebenslängliches Zuchthaus ein. In gleicher Weise werden die Rädelsführer bestraft, wenn die Tat von mehreren begangen wird. Diejenigen, welche sich an einer solchen Tat beteiligen, ohne selbst eine Gewalttätigkeit gegen eine Person zu begehen, trifft Gefängnis bis zu zehn Jahren; zugleich ist auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldaten­ standes i) zu erkennen. 8 134. Wer im Felde in der Absicht rechtswidriger Zueignung einem aus dem Kampfplatze gebliebenen Angehörigen der deutschen oder verbündeten Trup­ pen eine Sache abnimmt, oder einem Kranken oder Verwundeten auf dem Kampf­ plätze, auf dem Marsche, auf dem Transporte oder im Lazarett, oder einem seinem Schutze anvertrauten Kriegsgefangenen eine Sache wegnimmt oder ab­ nötigt, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Gefängnis bis zu fünf Jahren und Versetzung in die zweite Klasse des Soldaten­ standes i) bestraft; zugleich kann apf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. 8 135. Wer im Felde als Nachzügler Bedrückungen gegen die Landes­ einwohner begeht, wird wegen Marodierens mit Gefängnis von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft; zugleich kann auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandesx) erkannt werden. Wird die Handlung von mehreren begangen, die sich zur fortgesetzten Be­ drückung der Landeseinwohner verbunden haben, oder artet dieselbe in eine Plünderung oder in eine derselben gleich zu bestrafende Handlung aus, so tritt gegen jeden Beteiligten Zuchthaus bis zu zehn Jahren ein. 8 136. Wird eine nach den §§ 129 bis 133 und 135 strafbare Handlung gegen einen Deutschen oder einen Angehörigen eines verbündeten Staats be­ gangen, so ist auf erhöhte Strafe und, wenn in den allgemeinen Strafgesetzen eine härtere Strafe angedroht ist, auf diese letztere zu erkennen. S. die Note zu § 30.

13. Militär-Strafgesetzbuch.

II. Teil. §§ 128-142.

87

Neunter Abschnitt. Andere widerrechtliche Handlungen gegen das Eigentum. 8 137. Wer vorsätzlich und rechtswidrig einen Dienstgegenstand be­ schädigt, zerstört oder preisgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft- in besonders schweren Fällen kann zugleich auf Versetzung in die zweite Klasse des (5olbatenstanbe§T) erkannt werden. 8 138* Wer bei Ausübung des Dienstes oder unter Verletzung eines militärischen Dienstverhältnisses sich eines Diebstahls oder einer Unterschlagung an Sachen schuldig macht, welche ihm vermöge des Dienstes oder jenes Verhältnisses zugänglich oder anvertraut sind, wird mit mittlerem oder stren­ gem Arrests) oder mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft- zugleich kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Gleiche Strape trifft denjenigen, welcher einen Diebstahl oder eine Unterschlagung gegen einen Vorgesetzten oder einen Kameraden, gegen feinen Quartierwirt oder eine zu dessen Hausstand gehörige Person begeht. Ist die Handlung ein Verbrechen im Sinne der allgemeinen Strafge­ setze, so ist auf die in diesen Gesetzen angedrohte Strafe zu erkennen.

Zehnter Abschnitt. Verletzung von Dienstpflichten bei Ausführung besonderer Dienstverrichtungen, 8 139* Wer vorsätzlich unrichtige Dienstatteste ausstellt oder Rapporte, dienstliche Meldungen oder dienstliche Berichte unrichtig abstattet, oder solche wis­ sentlich weiter befördert, wird mit Gefängnis von sechs Monaten bis zu drei Jahren und mit Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes *) bestraft. 3n minder schweren Fällen tritt mittlerer oder strenger Arrests) oder Ge­ fängnis oder Festungshaft bis zu sechs Monaten ein. 8 140. Wer für eine Handlung, die eine Verletzung einer Dienstpflicht enthält, Geschenke oder andere Vorteile annimmt, fordert oder sich versprechen läßt, wird wegen Bestechung mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. In minder schweren Fällen tritt Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren ein; auch kann neben bem Gefängnis auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes*) erkannt werden. 8 141. Wer als Befehlshaber einer militärischen Wache, eines Kom­ mandos oder einer Abteilung, oder wer als Schildwache oder als Posten in schuldhafter Weise sich außerstand setzt, den ihm obliegenden Dienst zu ver­ sehen, oder eigenmächtig seinen Posten verläßt oder sonst den ihm in Bezug auf jenen Dienst erteilten Vorschriften entgegenhandelt, wird mit mittlerem oder strengem Arrests) nicht unter vierzehn Tagen, im Felde mit mittlerem oder strengem Arrest*2) nicht unter drei Wochen oder mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft. Wird durch die Pflichtverletzung ein Nachteil verursacht, so tritt Ge­ fängnis oder Festungshaft bis zu drei Jahren, im Felde Gefängnis oder Festungshaft nicht unter sechs Monaten, und wenn dieselbe vor dem Feinde begangen ist, Todesstrafe, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahre oder lebenslängliche Freiheitsstrafe ein. Wird durch die Pflichtverletzung im Felde die Gefahr eines erheblichen Nachteils herbeiführt, so tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Monaten, und wenn die Pflichtverletzung vor dem Feinde begangen ist, Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahre ein. 8 142. Wer durch Fahrlässigkeit in der Wahrnehmung seines Dienstes eine erhebliche Beschädigung eines Schiffes oder dessen Zubehörs herbei­ führt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft; in schwereren Fällen kann zugleich auf Dienstentlassung erkannt werden.

!) S. die Note zu § 30. 2) S. die Note zu § 19.

88

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 143. Wer als Befehlshaber einer militärischen Wache, eines Kom­ mandos oder einer Abteilung, oder wer als Schildwache oder als Posten eine strafbare Handlung wissentlich begehen läßt, welche er verhindern konnte und zu verhindern dienstlich verpflichtet war, wird ebenso bestraft, als ob die Handlung von ihm selbst begangen wäre. § 144. Wer einen Gefangenen, dessen Beaufsichtigung, Begleitung oder Bewachung ihm anvertraut ist, vorsätzlich entweichen läßt, oder dessen Be­ freiung vorsätzlich bewirkt oder befördert, ingleichen wer eine von seinem Vorgesetzten ihm befohlene oder eine ihm dienstlich obliegende Verhaftung vorsätz­ lich nicht zur Ausführung bringt, wird mit mittlerem oder strengem Arrest x) nicht unter vierzehn Tagen oder mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu fünf Jahren bestraft; auch kann neben Gefängnis auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes*2) erkannt werden. Ist die Entweichung des Gefangenen nur durch Fahrlässigkeit befördert oder erleichtert worden, oder ist die Verhaftung nur aus Fahrlässigkeit unter­ blieben, so tritt Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten ein. 8 145. Eine Person des Soldateustaudes, welche bei einem ihr über­ tragenen Geschäfte der Heeres- oder Marineverwaltung eine Handlung begeht, welche im Sinne der allgemeinen Strafgesetze ein Verbrechen oder Vergehen im Amte darstellt, ist nach den in jenen Gesetzen für Beamte gegebenen. Bestimmungen zu bestrafen. Elfter Abschnitt.

Sonstige Handlungen gegen die militärische Ordnung.

8 146. Wer ohne Erlaubnis die Wache oder bei einem Kommando oder auf dem Marsche feinen Platz verläßt, wird mit Arrest bestraft; int Felde tritt mittlerer oder strenger Arrests) oder Gefängnis oder Festungs­ haft bis zu sechs Monaten ein. 8 147. Wer die ihm obliegende Beanfsichtigung seiner Untergebenen in schuldhafter Weise verabsäumt, oder wer die ihm obliegende Meldung oder Verfolgung strafbarer Handlungen seiner Untergebenen vorsätzlich unterläßt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten bestraft; gegen Offiziere kann zugleich auf Dienstentlassung erkannt werden. 8 148. Wer durch unvorsichtige Behandlung von Waffen oder Munition einen Menschen körperlich verletzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren und, wenn der Tod eines Menschen verursacht worden ist, mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu fünf Jahren bestraft. 8 149. Wer rechtswidrig von seiner Waffe Gebrauch macht, oder einen Untergebenen zum rechtswidrigen Waffengebrauche anffordert, wird vorbe­ haltlich der verwirkten höheren Strafe mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu einem Jahre bestraft. 8 150. Wer ohne die erforderliche dienstliche Genehmigung sich ver­ heiratet, wird mit Festungshaft bis zu drei Monaten bestraft; zugleich kann auf Dienstentlassung erkannt werden. Ans die Nechtsgültigkeit der geschlossenen Ehe ist der Mangel der dienst­ lichen Genehmigung ohne Einfluß. 8 151. Wer im Dienste oder, nachdem er zum Dienste befehligt worden, sich durch Trunkenheit zur Ausführung seiner Dienstverrichtung untauglich macht, wird mit mittlerem oder strengem Arrest *) oder mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu einem Jahre bestraft; zugleich kann auf Dienstent­ lassung erkannt werden. 8 152. Wer wider besseres Wissen eine auf unwahre Behauptungen gestützte Beschwerde anbringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahre bestraft. S. die Note zu § 19. 2) S. die Note zu § 30.

13. Militär-Strafgesetzbuch.

II. Teil. §§ 143—161.

89

Wer wiederholt und leichtfertig auf unwahre Behauptungen gestützte Be­ schwerden oder wer eine Beschwerde unter Abweichung von dem vorgefschriebenen Dienstwege einbringt, wird mit Arrest bestraft.

Zweiter Titel.

Militärische Berbrechen und Bergehen der Militärbeamten. § 183. Ein Militärbeamter, welcher sich im Felde einer der in dem' ersten bis dritten, dem sechsten und achten Abschnitt des ersten Titels bezeich­ neten strafbaren Handlungen schuldig macht, wird nach den daselbst für Per­ sonen des Soldatenstandes gegebenen Bestimmungen bestraft- statt auf Ver­ setzung in die zweite Klasse des Soldatenstandesist auf Amtsverlust zu erkennen. 8 154. Andere Pflichtverletzungen der Militärbeamten sind nach den allgemeinen, für Beamte geltenden Vorschriften zu beurteilen. Dritter Titel.

Strafbestimmungen für Personen, welche den Militärgesetzen nur in Kriegs­ zeiten unterworfen find. 8 155. Während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges sind alle Personell, welche sich in irgend einem Dienst- oder Vertragsverthältnisse bei dem kriegführenden Heere befinden, oder sonst sich bei demselben aushalten oder ihm folgen, den Strafvorschriften dieses Gesetzes, insbesondere den Kriegsgesetzen unterworfen. 8 156. Neben einer jeden Freiheitsstrafe, welche gegen eine Person verhängt wird, die sich zu den Truppen in einem Dienst- oder Vertrags­ verhältnisse befindet, kann zugleich auf Aufhebung dieses Verhältnisses er­ kannt werden. 8 157. Ausländische Offiziere, welche zu dem kriegführenden Heere zugelassen sind, werden, wenn der Kaiser nicht etwa besondere Bestimmungen getroffen hat, nach den für deutsche Offiziere geltenden Vorschriften beurteilt. Auf das Gefolge solcher Offiziere findet die Vorschrift des § 155 Auf­ wendung. 8 158. Auf strafbare Handlungen eines Kriegsgefangenen finden nach Maßgabe seines Militärranges die Vorschriften dieses Gesetzes entsprechende Anwendung. 8 159. Ein Kriegsgefangener, welcher unter Bruch des gegebenen Ehrenwortes entweicht, oder, auf Ehrenwort entlassen, die gegebene Zusage bricht, wird mit dem Tode bestraft. Dieselbe Strafe trifft denjenigen, welcher den Bedingungen, unter denen er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, vor Beendigung des Krieges ent­ gegenhandelt. 8 160. Ein Ausländer oder Deutscher, welcher während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges auf dem Kriegsschauplätze sich einer der in den §§ 57 bis 59 und 134 vorgesehenen Handlungen schuldig macht, ist nach den in diesen Paragraphen gegebenen Bestimmungen zu bestrafen. 8 161. Ein Ausländer pder Deutscher, welcher in einem von deutschen Truppen besetzten ausländischen Gebiete gegen deutsche Truppen oder Ange­ hörige derselben oder gegen eine auf Anordnung des Kaisers eingesetzte Behörde eine nach den Gesetzen des Deutschen Reichs strafbare Handlung begeht, ist ebenso zu bestrafen, als wenn diese Handlung von ihm im Bundesgebiete begangen wäre. S. die Note zu § 30.

90

Erster

Teil.

Strafgesetze.

Vierter Titel. 8»satzbesti«m«ngen fit die Marine.

8 162* Von den in diesem Gesetze den Verhältnissen des Heeres ent­ lehnten Ausdrücken sind für die Marine gleichbedeutend zu betrachten: Heer als gleichbedeutend mit Marine oder Flotte: Truppe als gleichbedeutend mit Schiff: Befehlshaber einer militärischen Wache als gleichbedeutend mit Offizier der WachenMilitärische Kokarde als gleichbedeutend mit dem entsprechenden Ab­ zeichen in der Marine: Stubenarrest als gleichbedeutend mit Kammerarrest: Wohnung als gleichbedeutend mit Kammer. 8 163. Unter Schiff im Sinne dieses Gesetzes ist jedes Fahrzeug der Marine zu verstehen, auf welchem ein militärischer Befehlshaber nebst Be­ satzung eingeschifft ist. 8 164. Als mobiler Zustand gilt in der Marine der Kriegszustand eines Schiffes. Für die am Lande befindlichen Militärpersonen der Marine tritt int Sinne dieses Gesetzes die Mobilmachung unter denselben Voraussetzungen ein, wie für die Militärpersonen des Heeres. 8 165. Als vor dem Feinde befindlich zu betrachten ist ein Schiff, solange in Gewärtigung eines Zusammentreffens mit dem Feinde ein oder mehrere Geschütze des Schiffes scharf geladen sind. 8 166. Außer den Militärpersonen sind die Angestellten des Schiffes den Militärstrafgesetzen unterworfen. Andere am Borde des Schiffes dienstlich eingeschiffte Personen unterliegen den Kriegsgesetzen, solange das Schiff sich im Kriegszustände befindet.

Anlage.

Verzeichnis der znm Deutschen Heer und zur Kaiserlichen Marine gehörende« Militärpersonen. Die zum deutschen Heer und zur kaiserlichen Marine gehörenden Militär­ personen bestehen aus Personen des Soldatenstandes und aus Militärbeamten.

A. Personen des Soldatenstandes sind: I. Die Offiziere. Die Offiziere zerfallen in vier Hauptklassen:

1. 2. 3. 4.

im Heer: Generalität, Stabsoffiziere, Hauptleute und Rittmeister, Subalternoffiziere (Premier- und Sekond-Leutenants),

1. 2. 3. 4.

in der Marine: Flaggoffiziere oder Admirale, Stabsoffiziere, Kapitänleutenants, Subalternoffiziere (Leutenants u. Unterleutenants z. See).

II. Die Unteroffiziere

sind eingeteilt im Heer und in der Marine: in 1. solche, welche das Offizier-Portepee tragen (Portepee-Unteroffiziere), 2. solche, welche das Offizier-Portepee nicht tragen (Unteroffiziere ohne Portepee).

14. Einführung sgesetz zum Militär-Strafgesetzbuch.

91

III. Die Gemeinen mit Einschluß der Obergefreiten und Gefreiten. IV. Die Mitglieder des Sanitäts-Korps, sowie V. Die Mitglieder des M aschinen-I n genieur-K o r p s ge­ hören nach Maßgabe ihres Militärranges zu den unter Nr. I., II. und III. aufgeführten Kategorien.

B. Mililärbeamte sind alle im Heer und in der Marine für das Bedürfnis des Heeres odvr der Marine dauernd oder auf Zeit angestellten, nicht zum Soldatenstander gehörenden und unter dem Kriegsminister oder Chef der Admiralität als Verwaltungschef stehenden Beamten, welche einen Militärrang haben. ES macht dabei keinen Unterschied, ob sie einen Diensteid geleistet haben oder nicht. Militärbeamte, die im Offizierrange stehen, sind obere Militärbeamte, alle anderen Militärbeamten sind untere Militärbeamte.

14. II. Einführungsgesetz zum Militär-Strafgesetzbuche für das Deutsche Reich. Vom 20. Juni 1872. (RGBl. S. 173/174.) Das Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich tritt im ganzen Umfange des Bundesgebietes mit dem 1. Oktober 1872 in Kraft. § 2. Mit diesem Tage treten im ganzen Bundesgebiete alle Militävstrafgesetze, insoweit sie materielles Strafrecht zum Gegenstände haben, außer Kraft. Ja Kraft bleiben die Vorschriften über die Bestrafung der von Land­ gendarmen begangenen strafbaren Handlungen, sowie die Vorschriften über die Bestrafung der Fahnenflüchtigen im Wege des Ungehorsams- (Kontumazial-) Verfahrens. Dagegen finden die Bestimmungen des Militär-Strafgesetzbuches auch auf die Offiziere ä la suite Anwendung, welche nicht zum Soldatenstande gehören, wenn und insolange sie zu vorübergehender Dienstleistung zuge­ lassen sind, sowie in Bezug auf Handlungen gegen die militärische Unter­ ordnung, welche sie begehen, während sie die Militüruniform tragen. 8 3*1) Eine Bestrafung in Gemäßheit des Militär-Strafgesetzbuches kann nur auf Grund eines gerichtlichen Erkenntnisses erfolgen. In leichteren Fällen können im Disziplinarwege geahndet werden: 1. Vergehen wider die §§ 64, 66 Satz 2, 79, 89, 90, 91 Absatz 1, 92, 93„ 94, 120, 121 Absatz 1, 137, 141 Absatz.!, 146, 148 Fall 1, 151. 2. Vergehen wider § 114, wenn die strafbare Handlung nur in dem Borgen von Geld oder in der Annahme von Geschenken ohne Vorwissen des gemeinschaftlichen Vorgesetzten besteht. Jedoch darf im Disziplinarwege keine andere Freiheitsstrafe als Arrest festgesetzt werden und die Dauer desselben vier Wochen gelinden Arrestes oder Stubenarrestes, drei Wochen mittleren Arrestes oder vierzehn Tage strengen Arrestes2) nicht übersteigen.

8 1.

x) In der Fassung des Gesetzes v. 25. April 1917 (s. o. S. 71 N. 1). 2) S. die Note Zu § 19 des Militärstrafgesetzbuchs (o. S. 73).

92

Erster Teil. Strafgesetze.

Dritter Abschnitt.

Die übrigen strafrechtlichen Reichsgesetze. A. Gesetze bete, bas persönliche und räumliche Geltungsgebiet der Strafgesetze?)

15.

1. Verfassung des Deutschen Reichs. Vom

11. August 1919.

(RGBl.

S. 1383.)

Zweiter Abschnitt

Der Reichstag. Art. 30. Wahrheitsgetreue Berichte über die Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Reichstags, eines Landtags oder ihrer Ausschüsse bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei. Art. 36. Kein Mitglied des Reichstags oder eines Landtags darf zu irgendeiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung, seines Berufes getanenen Äußerungen gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden.

16.

2. Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit. Vom 7. April 1900.

(RGBl. S. 213 ff.) Das Gesetz im ganzen einschließlich der strafrechtlichen Bestimmungen ist im II. Teil dieser Sammlung abgedruckt.

!) Von Wiedergabe der hieher gehörigen Verordnungen betr. die Ein­ führung von Reichsgesetzen in Helgoland wurde abgesehen- dafür aber findet sich bei den einzelnen Gesetzen ein Hinweis auf die betr. Einführungs­ verordnung.

17. Preußisches Gesetz über den Belagerungszustand v. 4. Juni 1851.

93

B. Gesetze zum Schuhe von Gütern der Gefamthekt.

I. Gesetze, betr. das Militärwesen und den Schutz der Staatssicherheit. 17. 1. Preußisches Gesetz über den Belagerungszustand. Vom 4. Juni 1851. (Gesetzsammlung für die preuß.

Staaten 1851 S. 451.)x).

§ 1. Für den Fall eines Krieges ist in den von dem Feinde bedrohten oder teilweise schon besetzten Provinzen jeder Festungskommandant befugt, die ihm anvertraute Festung mit ihrem Rahonbezirke, der kommandierende General ober den Bezirk des Armeekorps oder einzelne Teile desselben zum Zweck der Verteidigung in Belagerungszustand zu erklären. 8 2. Auch für den Fall eines Aufruhrs kann, bei dringender Gefahr für die öffentliche Sicherheit, der Belagerungszustand sowohl in Kriegs- als in Friedenszeiten ^erklärt werden. 8 6. Die Militärpersonen stehen während des Belagerungszustandes unter den Gesetzen, welche für den Kriegszustand erteilt sind. — Auch finden auf dieselben die §§ 8 und 9 dieser Verordnung Anwendung.

8 8*a) Wer in einem in Belagerungszustand erklärten Orte oder Distrikte der vorsätzlichen Brandstiftung, der vorsätzlichen Verursachung einer Über­ schwemmung oder des Angriffs oder des Widerstandes gegen die bewaffnete Macht oder Abgeordnete der Zivil- oder Militärbehörde in offener Gewalt und mit Waffen oder gefährlichen Werkzeugen versehen sich schuldig macht, wird mit dem Tode bestraft. *) Art. 68 der Verfassung des Teutschen Reiches vom 11. April 1871 bestimmt: Der Kaiser kann, wenn die öffentliche Sicherheit in dem Bundes­ gebiete bedroht ist, einen jeden Teil desselben in Kriegszustand erklären. Bis zum Erlaß eines die Voraussetzungen, die Form der Verkündigung und die Wirkungen einer solchen Erklärung regelnden Reichsgesetzes gelten dafür die Vorschriften des Preußischen Gesetzes vom 4. Juni 1851 (Gesetzsamml. für 1851, S. 451 ff.). Obiges Gesetz hat also die Bedeutung eines Reichsgesetzes, gilt jedoch nicht in Bayern. (Vertrag betr. den Beitritt Bayerns zur Verfassung des Deutschen Bundes vom 23. Nov. 1870 Z. III § 5.) Das Gesetz ist vollständig abgedruckt in Stier-Somlo, Verwaltungsgesetze für Preußen Gr. V Nr. 4. — Die fortdauernde Geltung des Gesetzes vom 4. Juni 1851 ist im Hinblick auf Art. 48 Abs. 2 der Reichsverfassung vom 11. Aug. 1919 höchst zweifel­ haft und bestritten. Art. 48 Abs. 2 lautet: Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicher­ heit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wieder­ herstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einfckreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen. 2) Die fortdauernde Geltung dieses Paragraphen ist mit Rücksicht auf §§ 2, 4 des Einf.-Ges. z. StGB, bestritten.

94

Erster Teil. Strafgesetze.

Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann statt der Todesstrafe auf zehn- bis zwanzigjährige Zuchthausstrafe erkannt werden. 8 9 Wer in einem in Belagerungszustand erklärten Orte oder Distrikte a) in Beziehung auf die Zahl, die Marschrichtung oder angeblichen Siege der Feinde oder Aufrührer wissentlich falsche Gerüchte ausstreut oder verbereitet, welche geeignet sind, die Zivil- oder Militärbehörden hinsichtlich ihrer Maßregeln irre zu führen, oder b) ein bei Erklärung des Belagerungszustandes oder während desselben vom Militärbefehlshaber im Interesse der öffentlichen Sicherheit erlas­ senes Verbot übertritt, oder zu solcher Übertretung auffordert oder an­ reizt, oder c) zu dem Verbrechen des Aufruhrs, der tätlichen Widersetzlichkeit, der Be­ freiung eines Gefangenen oder zu anderen (§ 8) vorgesehenen Verbrechen, wenn auch ohne Erfolg, auffordert oder anreizt, oder d) Personen des Soldatenstandes zu Verbrechen gegen die Subordination oder Vergehungen gegen die militärische Zucht und Ordnung zu ver­ leiten sucht, soll, wenn die bestehenden Gesetze keine höhere Freiheitsstrafe bestimmen, mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft werden.

18.

2. Gesetz, betr. die Beschränkungen des Grund­ eigentums in der Umgebung von Festungen. Vom 21. Dezember 1871.

(RGBl. S. 459.)

§ 1. Die Benutzung des Grundeigentums in der nächsten Umgebung der bereits vorhandenen, sowie der in Zukunft anzulegenden permanenten Befestigungen unterliegt nach Maßgabe dieses Gesetzes dauernden Beschrän­ kungen. 8 2. Behufs Feststellung dieser Beschränkungen wird die nächste Um­ gebung der Festungen in Rayons geteilt, und je nach der Entfernung von der äußersten Verteidigungslinie ab als erster, zweiter, dritter Rayon be­ zeichnet. Wenn bei Festungen mehrere zusammenhängende Befestigungslinien vor­ einander liegen, so bildet der Raum zwischen denselben die Zwischen-Rayons. Bei Festungen mit einer Zitadelle heißt der Rayonbezirk vor den stadtwärts gewendeten Werken derselben Esplanade. 8 3. Die Abmessung der Rayons erfolgt von den ausspringenden Win­ keln des bedeckten Weges und zwar von dem oberen Rande des Glacis oder in Ermangelung eines Glacis von dem äußeren Grabenrande oder, wenn auch ein Graben nicht vorhanden ist, von der Feuerlinie der Wallbrustwehren bzw. der äußeren Mauerflucht der krenelierten Mauern. 8 4. Der erste Rayon umfaßt bei allen Festungen und neu zu er­ bauenden detachierten Forts das jm Umkreise derselben von 600 Metern belegene Terrain, außerdem bei Festungen, welche an Gewässern belegen sind und besondere Kehlbefestigungen haben, das Terrain zwischen diesen und dem Ufer. 8 5. Der zweite Rayon begreift das Terrain zwischen der äußeren Grenze des ersten Rayons und einer von dieser im Abstande von 375 Metern ge­ zogenen Linie. Detachierte Forts haben keinen zweiten Rayon; bei diesen unterliegt jedoch das Terrain von der Grenze des ersten Rayons bis zu einer Enbfernung von 1650 Metern den für den dritten Rayon gegebenen Be­ schränkungen.

18. Gesetz, vom 21. Dez. 1871 (Rayongesetz).

§§ 1—12.

95

g 6. Der dritte Rayon umfaßt bei allen Festungen das Terrain von der äußeren Grenze des zweiten Rayons bis zu einer Entfernung von 1275 Metern. g 7. Die Zwtschenrayons zerfallen in strenge und einfache. Die ersteren enthalten das Terrain in einem Abstande von 75 Metern von der zurückliegenden oder inneren Befestigungslinie; darüber hinaus liegt der einfache Zwischenrayon. g 8. Bei Neuanlagen von Befestigungen werden die denselben zunächst gelegenen beiden Rayons, sowie etwaige Esplanaden und Zwischenrayons durch die Kommandanturen unter Mitwirkung der Polizeibehörden und Zuziehung der Ortsvorstünde, sowie der Besitzer selbständiger Gutsbezirke abgesteckt und durch feste Marken (Rayonsteine) bezeichnet. Von diesem Zeitpunkte an treten die gesetzlichen Beschränkungen in der Benutzung des Grundeigentums in Wirksamkeit. g S. Unmittelbar nach der Absteckung der Rayonlinie hat die Komman­ dantur einen Rayonplan und einen Rayonkataster aufzustellen. Der Rayonplan muß den allgemeinen Erfordernissen eines Situations­ planes entsprechen, insbesondere die Richtung und Entfernung der Rayonlinie von den Festungswerken, Lage und Nummer der Grenzmarken enthalten und die Lage und Benutzungsweise, sowie Beschaffenheit der einzelnen in den Rayons belegenen Grundstücke erkennen lassen. Das Rayonkataster enthält unter Bezugnahme auf den Rayonplan: 1. die Namen der Besitzer der einzelnen Grundstücke, 2. die Beschreibung des Zustandes und Umfanges, sowie der Zeit der Ent­ stehung aller innerhalb der ersten beiden und der Zwischenrayons vor­ handenen Baulichkeiten und Anlagen, 3. Vermerke über Entschädigungsberechtigung bei etwa stattfindender Demo­ lierung. g 10. Behufs Aufnahme des Rayonplans und Rayonkatasters sind alle Behörden verpflichtet, den Kommandanturen die in ihrem Besitze befindlichen Flurkarten, Risse, Pläne, Zeichnungen, Vermessungs- und Bonitierungsregister, Taxen, Kataster und dergleichen unentgeltlich zur Benutzung offen zu legen oder gegen Empfangsbescheinigung zuzustellen. g 11. Rayonplan und Rayonkataster sind in derjenigen Gemeinde, in deren Bezirk die aufgenommenen Grundstücke liegen, während 6 Wochen öffent­ lich auszulegen. Der Beginn der Auslegung ist durch den Gemeindevorstand ortsüblich öffentlich bekannt zu machen. Die öffentliche Bekanntmachung muß die Aufforderung zur Erhebung etwaiger Einwendungen unter Angabe der Frist zu deren Anbringung bei dem Gemeindevorstande und die Verwarnung enthalten, daß nach Ablauf dieser Frist mit Feststellung des Katasters verfahren wird. Alle während dieser Frist eingehenden Beschwerden oder Anträge werden mit dem Vermerk des Eingangstages versehen, gesammelt und nach Ablauf der Anmeldefrist mit der Bescheinigung über die stattgefundene öffentliche Aus­ legung und die vorschriftsmäßige öffentliche Bekanntmachung der Komman­ dantur zugestellt. Letztere prüft die Einwendungen und erteilt den Bescheid. Gegen diesen steht innerhalb einer Präklusivfrist von vier Wochen nach dem Empfange den Beteiligten der bei der Kommandantur einzulegende Rekurs an die Reichs Rayonkommißion zu. Nach Verlauf der obigen Frist, bzw. nach Eingang der Rekursbescheide, erfolgt die Feststellung des Katasters und des Planes durch die Kommandantur. Hiervon erhalten die betreffenden Gemeindevorstände Kenntnis und haben diese die Feststellung öffentlich bekannt zu machen. g 12. Die Kommandantur hat dafür Sorge zu tragen, daß im Rayon­ plan und Rayonkataster alle Veränderungen in baulicher Beziehung, sowie im Besitz, in der Benutzung oder der Bestimmung der Grundstücke nach­ getragen werden.

96

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 13. Innerhalb sämtlicher Nayons sind nicht ohne Genehmigung der Kommandantur zulässig, vorbehaltlich der Bestimmung in § 30: 1. jede dauernde Veränderung der Höhe der Terrainoberfläche, insbe­ sondere die Anlage und der Betrieb von Lehm- und Sandgruben, Stein^und Kalkbrüchen, die Anlage von Plätzen zur Ablagerung von Ballast, sowie eine jede solche Ablagerung an nicht dazu bestimmten Plätzen; 2. alle Neuanlagen oder Veränderungen von Dämmen, Deichen, Gräben, sowie in den Vorflutverhältnissen, Ent- und Bewässerungsanlagen und sonstige Wasserbauten; desgleichen alle Neuanlagen oder Veränderungen von Chausseen, Wegen und Eisenbahnen; 3. die Anlage von größeren Parkanlagen, Baumschulen und Waldungen; 4. die Errichtung und Veränderung von Kirch- und Glockentürmen, sowie alle turmartigen Konstruktionen. Die Genehmigung darf nicht versagt werden, wenn durch die bezeichneten Neuanlagen, bzw. Veränderungen keine nachteilige Deckung gegen die rasante Bestreichung der Werke, kein nachteiliger Einfluß auf das Wasserspiel der Festungsgräben, auf Jnundation des Vorterrams und auf die Tiefe der mit den Festungsanlagen in Beziehung stehenden Flußläufe entsteht und keine vermehrte Einsicht in die Werke des Platzes gewonnen wird. 8 14. Jin dritten Rayon ist bei etwaiger Feststellung von Bebauungs­ plänen rücksichtlich der Breite und Richtung der Straßen die Genehmigung der Reichs-Rayonkommission (§ 31) erforderlich.

8 15. Innerhalb des zweiten Rayons sind: A. unzulässig: 1. alle Massivkonstruktionen von Gebäuden und Gebäudeteilen mit Aus­ nahme massiver Feuerungsanlagen und solcher massiver Fundamente, die das umliegende Terrain nicht über 30 Zentimeter überragen; 2. jede Art von Gewölbebauten, sowie Eindeckungen von Kelleranlagen mit steinerner und eiserner Konstruktion; 3. die Anlage von bleibenden Ziegel- und Kalköfen, sowie überhaupt mas­ siver zu Fabrik- und sonstigen gewerblichen Zwecken bestimmter Öfen von größeren Abmessungen; B. nicht ohne Genehmigung der Kommandantur zulässig: 1. die Anlage von Beerdigungsplätzen; 2. die Errichtung von Grabhügeln von mehr als 50 Zentimetern Höhe, sowie von Denkmälern aus Stein oder Eisen, welche in den mehr als 50 Zentimeter über der Erdoberfläche liegenden Teilen eine größere Stärke haben, als 15 Zentimeter für Stein, bezüglich 2 Zentimeter für Eisen; 3. die Errichtung von Gebäuden, welche nicht schon nach den Bestimmungen von A. zulässig sind; die Genehmigung darf bei Einhaltung nachstehender Bestimmungen nicht versagt werden: a) die Gebäude dürfen nur von Holz oder einer nach dem 'Urteil der Militärbehörde leicht zerstörbaren Eisenkonstruktion oder in ousgemauertem Fachwerk von nicht mehr als 15 Zentimetern Stärke erbaut sein; doch dürfen sie eine Ziegelbedachung, massive Feuerungsanlagen, soweit solche nicht nach A. Nr. 3 unzulässig sind und massive Funda­ mente haben, welche das umliegende Terrain nicht über 30 Zentimeter überragen; b) bic Höhe des Gebäudes bis zur Dachfirst darf 13 Meter nicht über­ steigen; . c) Keller dürfen nur hölzerne oder leichte eiserne Balken, mit gmohn^ lichem Balkenzwischenraum und hölzernem Fußboden darüber, haben; 4. die Anlage massiver Dampfschornsteine; die Genehmigung darf nicht versagt werden, wenn die Höhe 20 Neter nicht übersteigt.

18. Gesetz vom 21. Dez. 1871 (Rayongesetz).

§§ 13-20.

97

8 16. Für den einfachen Zwischenrayon gelten die in § 15 für den zweiten Rayon gegebenen Vorschriften, jedoch mit folgenden Abweichungen: Zn A. Unter besonderen Verhältnissen kann die Herstellung massiver Bauten und gewölbter Anlagen gestattet werden. Zu B 3 b. Die Höhe des Gebäudes bis zur Dachfirst darf 8 Meter nicht 'übersteigen. 8 17. Im ersten Rayon ist A. unzulässig: 1 alles, was im zweiten Rayon unzulässig ist: massive Fundamente dürfen jedoch das umliegende Terrain nicht über 15 Zentimeter überragen; 2 Wohngebäude jeder Art; 3. Baulichkeiten von anderen Materialien, als von Holz oder einer nach dem Urteil der Militärbehörde leicht zerstörbaren Eisenkonstruktion; Keller- oder mit dem Grund und Boden fest zusammenhängende Feue­ rungsanlagen; Baulichkeiten von größerer Höhe als 7 Meter bis zur Dachfirst; andere Bedachungsmaterialien, als Holz, Stroh, Rohr, Dach­ pappe, Dachfalz, Zink oder Schiefer; 4. die Aufstellung von Lokomobilen in fester Verbindung mit Baulichkeiten oder auf Terrain, aus welchem dieselben nicht sofort entfernt werden können: 5. Denkmäler von Stein oder Eisen, welche in den mehr als 50 Zentimeter über der Erdoberfläche liegenden Teilen eine größere Breite haben als 30 Zentimeter; 6. Einhegungen durch Neuanlage von lebendigen Hecken; B. nicht ohne Genehmigung der Kommandantur zulässig: 1. die Anlage von Beerdigungsplätzen; 2. die Errichtung von Grabhügeln von mehr als 50 Zentimetern Höhe, sowie von Denkmälern aus Stein oder Eisen, welche in den mehr als 50 Zentimeter über der Erdoberfläche liegenden Teilen eine größere Stärke haben, 15 Zentimeter für Stein, bezüglich 2 Zentimeter für Eisen; 3. die Anlage hölzerner Windmühlen; die Genehmigung darf nicht versagt werden, wenn die Entfernung von den Festungswerken 300 Meter oder mehr beträgt; 4. alle vorstehend nicht als unzulässig bezeichneten Baulichkeiten: bewegliche Feuerungsanlagen; hölzerne und eiserne Einfriedigungen, letztere, wenn sie ohne Schwierigkeit beseitigt werden können; Brunnen. Die Genehmigung darf nur versagt werden, wenn es sich um wohn­ liche Einrichtungen irgend einer Art handelt. Jedoch darf bei nach­ gewiesener Notwendigkeit bei Anwesenheit eines Wächters die Aufstellung einer mit einem transportabeln eisernen Ofen versehenen Wächterhütte auf je einem Grundstück nicht verweigert werden, sofern dieselbe im Grundflächenmaß 20 Quadratmeter nicht überschreitet, mit anderen Bau­ lichkeiten nicht in Verbindung gesetzt ist und der Ofen mit blecherner Rauchröhre versehen ist. 8 18. Das Alignement der im ersten und zweiten Rayon und einfachen Zwischenrayon zu errichtenden Gebäude in Beziehung auf die Festungswerke, insofern dasselbe nicht von der Richtung vorhandener öffentlicher Wege oder Straßen abhängig ist, unterliegt der Genehmigung der Kommandantur. 8 19. Innerhalb des strengen Zwischenrayons sind alle baulichen An­ lagen unzulässig. Aus Esplanaden sind nur solche Anlagen gestattet, welche nach dem Urteil der Militärbehörde zur Verteidigung dienen können. Die Anlage von Hecken ist im strengen Zwischenrayon wie auf Espla­ naden unzulässig. 8 20. Im ersten und zweiten Rayon und im einfachen Zwischenrayon ist die Einrichtung von Niederlagen und Plätzen, auf welchen V irräte zu gewerblichen Zwecken im Freien oder in Schuppen aufgestapelt werden, nicht ohne Genehmigung der Kommandantur zulässig. Allfeld, Ltrafgesetzgebnna. 3. SIitfL 7

98

Erster Teil.

Strafgesetze.

Die Genehmigung darf nicht versagt werden, wenn die Entfernung von den Festungswerken 225 Meter beträgt. Die Höhe der zulässigen Aufstapelung beträgt: a) für unverbrennliche Materialien, für Stein- und Braunkohlen, Koks und dergleichen: im ersten Rayon iy2 Meter, im zweiten und einfachen Zwischenrayon 2 Meter, b) für Torf- und Lohkuchen: 3 Meter, c) für Bau- und Brennholz: im erstell Rayon 4 Meter, im zweiten und einfachen Zwischenrayon 5 Meter. Eine höhere Aufstapelung bedarf der Genehmigung der Kommandantur. Auf dem Terrain, welches bei Festungen, die an schiff- oder flößbaren Gewässerll liegen und besondere Kehlbefestigungen haben, zwischen diesen und dem Ufer befindlich ist (§ 4), ist “bie Lagerung derartiger Vorräte, sowie die Alilage der zum Ein- und Ausladen nötigen Anstalten ohne Genehmigung der Kommandantur zulässig. Jedoch steht es der Kommandantur zu, die einzu­ haltende Entfernung von der Kehle itnb die Zeit für die Wiederbeseitignng zu bestimmell.

8 21. Bei vorübergehenden Veränderungen der Höhe der Terraiuoberfläche, wie der Auflagerung von Baumaterialien während der Ausführung eines genehmigten Baues, der Benutzung der Grabenränder zur Auflagerung der bei der Grabenräumung ausgeworfenen Erde und dergleichen ähnlichen Benutzungell bedarf es im ersten und zweiten Rayon und einfachen Zwischeivrayoll nur einet* vorgängigen Anzeige an die Kommandantur. Jedoch steht es derselbeil zu, die Zeit der Wiederbeseitigllllg der vorübergehendell Erhohnng des Terrains zn bestimmen. Zur Anlage von Komposthaufell ist die Genehmigung der Kommandantiir erforderlich.

8 22. Die einmal vorhandenen Baulichkeiten unb Anlagen, ans denen nicht die besondere Bedingung des Eingehens durch Verfall oder der Einstigen Reduktion auf eine leichtere Bauart schon haftet, sollen, unbeschadet der Bestimmung des § 43, erhalten bleiben, auch wenn sie den Vorschriftell dieses Gesetzes nicht entsprechen. Dieselben tonnen, wenn sie ganz oder teilweise zerstört oder baufällig geworden sind, nach vorgängiger Anzeige bei der Komlilandantur in den alten Abmessungen nnb der bisherigen Bauart wieder hergcstellt. werden. Überschreiten Wiederherstellungsbauten das vorbestimmte Maß, so be­ darf es der Genehmigung der Kommandantilr. 8 23. Ob und inwieweit aus örtlichen Rücksichten Einschräukllllg der räumlichen Ausdehnung des Rayons oder Ermäßigungen der gesetzlichen Beschrälikungell zulässig seien, bestimmt die Reichs-Rayonkommission. 8 24. Die bisherigen von diesen Bestimmungen abweichenden Rayons bestehender Befestigungen, insbesondere die der vorhandenen detachierten Forts, verbleiben bis zur Ausführung eines Neu- oder Verstärkungsbaues unver­ ändert. Die vorhandenen Esplanaden bleiben in ihrer bisherigen Ausdehnung unverändert* bei Neubau einer Zitadelle wird über den Umfang der Esplatmben in jedem Falle besondere Bestimmung durch die Reichs-Rayonkommission getroffen. Ebenso verbleiben alle übrigen zurzeit vorhandenen besonderen Rayons, wie die ooit verschanzten Lägern, Städtebefestigungen, inneren Abschnitten in nnb bei Festungen unverändert. 8 28. Bei den bestehenden Festungen bleibt die Anlegung eines RayonPlanes und Rayonkatasters der Kommandantur überlassen. Dieselbe muß nach Maßgabe der §§ 8—12 erfolgen, wenn infolge eines Neu- oder Verstärkungs­ baues die bisherigen Rayons verändert werden sollen. Bis zur endgültigen Feststellung der Rayonkataster sind die bisher erforderlichen Reverse für die beabsichtigten Bauausführungen beizuhalten.

18. Gesetz vom 21. Dez. 1871 (Rayongesetz). §§ 21—33.

99

§ 26. Zu jeder Anlage, jeder Veränderung und Benutzung, die nach den §§ 13 ff. nicht ohne Genehmigung der Kommandantur zulässig ist, muß vor dem Beginn der Ausführung diese Genehmigung nachgesucht werden. 8 27. Das Gesuch ist nebst zwei Exemplaren der etwa nötigen Bau­ zeichnungen an die Ortspolizeibehörde zu richten. Findet diese gegen die Zu­ lässigkeit nichts zu erinnern, so übersendet sie das Gesuch der Kommandantur, welche ihre Entscheidung nebst einem Exemplar der Zeichnung, in welchem die im Festungsinteresse notwendigen Abänderungen einzutragen sind, an die Ortspolizeibehörde behufs Mitteilung an den Antragsteller zurückgelangen läßt. 8 28. Die von der Kommandantur auszufertigende Genehmigung muß alle für den betreffenden Fall nach Maßgabe dieses Gesetzes festzustellenden speziellen Beschränkungen genau bestimmen, denen der Grundbesitzer, sowie alle Besitznachfolger bezüglich des Baues, der Niederlage von Materialen, der Anlage oder des Gewerbetriebes sich zu unterwerfen haben. Insoweit nach Maßgabe dieses Gesetzes die Genehmigung nicht zu versagen ist, darf dieselbe auch nicht an Bedingungen geknüpft werden. Sind seit der Aushändigung der Genehmigung zwei Jahre verflossen, ohne daß davon Gebrauch gemacht worden ist^ so wird sie als erloschen betrachtet. Wird die Genehmigung ganz oder teilweise versagt, so sind die Gründe der Ablehnung anzugeben. 8 29. Gegen die Entscheidung der Kommandantur, wie gegen alte An­ ordnungen derselben, ist in Rayon-Angelegenheiten binnen einer vierwöchent­ lichen Präklusivfrist von der Zustellung ab der Rekurs zulässig. Die Ent­ scheidung auf den Rekurs erfolgt endgültig durch die Reichs-Rayonkommission. Nach Ablauf der Frist, eintretenden Falls nach der höheren Entscheidung, sind die Anordnungen vollstreckbar. Ist durch eine Anordnung der Kommandantur eine Anlage untersagt, so darf diese erst dann begonnen oder fortgesetzt werden, wenn die Anordnung in der höheren Instanz aufgehoben ist. 8 30. Die Projekte größerer Anlagen (Chausseen, Deiche, Eisenbahnen usw.) in den Rayons der Festungen und festen Plätzen werden durch eine gemischte Kommission erörtert, deren Mitglieder von dem zuständigen Kriegs­ ministerium im Verein mit den betreffenden höheren Verwaltungsbehörden berufen werden und in welcher auch die von der Anlage betroffenen Gemeinden durch Deputierte vertreten werden. Das hierüber aufzunehmende Protokoll wird der Reichs-Rayonkommission übersandt, welche in Gemeinschaft mit der betreffenden Zentralverwaltungs­ behörde die Entscheidung trifft oder erforderlichenfalls herbeiführt. 8 31. Die Reichs-Rayonkommission ist eine durch den Kaiser zu be­ rufende ständige Militärkommission, in welcher die Staaten, in deren Gebieten Festungen liegen, vertreten sind. 8 32. Grundbesitzer, welche ohne die gesetzlich erforderliche Genehmigung oder mit eigenmächtiger Abweichung von dem genehmigten Plane eine An­ lage, einen Neu- oder Wiederherstellungsbau ausführen oder ausführen lassen, werden mit einer Geldstrafe bis zu fünfzig Talern bestraft. Eine gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher als Baumeister oder Bauhandwerker die Ausführung geleitet hat. Soweit nach dem Urteil der Kommandantur die Anlagen unzulässig befunden werden, ist der Besitzer innerhalb der vom Kommandanten zu bestimmenden Frist zu deren Beseitigung verbunden: nötigenfalls erfolgt letztere auf Antrag der Kommandantur durch die Polizei­ behörde auf Kosten des Besitzers. Die Einlegung des Rekurses hemmt die Vollstreckung, vorbehaltlich der Bestimmung in § 29. Wer die in den §§ 21, 22 vorgeschriebene Anzeige unterläßt, wird mit einer Geldstrafe bis zu fünf Talern bestraft. 8 33. Behufs der Kontrolle über alle Bauten, Anlagen und die Bet­ nutzung von Grundstücken in den Rayons sind die Kommandanturen und Ortspolizeibehörden und deren Organe befugt, in den Stunden von 8 Uhr 7*

100

Erster Teil.

Strafgesetze.

morgens bis 4 Uhr nachmittags den Zutritt zu allen Privat- und öffendlichen Grundstücken in den Rayons zu verlangen. Die Organe der Kommandantur sind die Ingenieur-Offiziere vom Platz, Posten-Offiziere und Wattmeister. Alljährlich einmal erfolgt eine allgemeine Revision der Bauten und Anlagen in allen Rayons durch die Kommandantur oder ihre Organe unter Zuziehung der Ortspolizeibehörde und des Gemeindevorstandes.

88 34-42J) § 43. Wird die Armierung permanenter Befestigungen angeordnet, so sind die Besitzer der innerhalb der Rayons gelegenen Grundstücke verpflichtet, der schriftlichen oder öffentlich bekannt gemachten Aufforderung der Komman­ dantur zur Niederlegung von baulichen und sonstigen Anlagen, Wegschaffung von Materialien-Vorräten, Beseitigung von Pflanzungen und Einstellung des Gewerbetriebes nachzukommen. Wird dieser Aufforderung nicht in der gestellten Frist genügt, so können die Besitzer der betreffenden Grundstücke durch administrative Zwangsmaßregeln hierzu angehalten werden.

8 44. Wird im Falle einer Armierung die Freilegung der Festungs­ Rayons von der Kommandantur angeordnet, so veranlaßt die letztere vor der Beseitigung der baulichen und sonstigen Anlagen, Pflanzungen und der­ gleichen eine Beschreibung und nähere Feststellung des Zustandes durch die Ortsobrigkeit unter Zuziehung des Besitzers, eines Vertreters der Kommawdantur und zweier Sachverständigen und erteilt über die stattgefundene Zer­ störung oder Entziehung ein Anerkenntnis. Die hierüber aufgenommene Verhandlung wird von der Ortsobrigkeit der höheren Zivil-Verwaltungsbehörde überreicht, auch der Kommandantur und den Beteiligten in Abschrift mitgeteilt. Die Entschädigungsermittelung erfolgt sobald als möglich, spätestens sofort nach Aufhebung des Armierungszustandes der Festung nach Vorschrift frei -§§ 39 ff. Das Reich stellt Anerkenntnisse über die zu gewährende Entschädigung aus, welche bis zur Zahlung vom ersten Tage des auf die stattgefundene Zerstörung oder Entziehung folgenden Monates mit fünf Prozent jährlich verzinst wird. Entschädigung wird nicht gewährt: 1. hinsichtlich derjenigen vor Eintritt der Geltung dieses Gesetzes vor­ handenen Gebäude und Anlagen, welche nach der bisherigen Gesetzgebung oder infolge besonderer Rechtstitel die Besitzer auf Befehl der Komman­ dantur unentgeltlich zu beseitigen verpflichtet waren; 2. hinsichtlich derjenigen Gebäude und Anlagen, welche nach Eintritt der Geltung dieses Gesetzes a) entweder im ersten oder zweiten Ravon oder in einem Zwischenrayon einer neu angelegten Befestigung, b) oder auf einem Terrain, welches infolge des Neu- oder Verstärkungs­ baues einer schon bestehenden Festung in einen strengeren Rayon fällt, nach erfolgter Absteckung der Rayonlinien errichtet worden sind. Die Kosten der Beseitigung der vorstehend unter 1. und 2. erwähnten Gebäude und Anlagen trägt der Besitzer, die Kosten der Beseitigung anderer Gebäude und Anlagen fallen dem Reich zur Last. 8 45. Alle Zustellungen in Rayon-Angelegenheiten sind gültig, wenn sie nach den für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten bestehenden Vorschriften ge­ schehen. Die vereideten Berwaltungsbeamten haben dabei den Glauben der Ge­ richtsbeamten. 8 46. Alle administrativen Verhandlungen und Gesuche in Rayon-Ange­ le genheiten sind kosten- und stempelfrei. 0 Betreffen die Entschädigung der Grundbesitzer.

19. Gesetz über die Kriegsleistungen.

§§ 1—-32.

101

8 47. Alle den Vorschriften dieses Gesetzes zuwiderlaufenden Bestim­ mungen werden aufgehoben. Die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Anordnungen er­ folgen durch besondere Verordnungen.

IS.

3. Gesetz über die Kriegsleistungen. Vom

13. Juni 1873.

(RGBl. S. 129.)

8 1. Bon dem Tage ab, an welchem die bewaffnete Macht mobil gemacht wird, tritt die Verpflichtung des Bundesgebiets zu allen Leistungen für Kriegszwecke nach den Bestimmungen dieses Gesetzes ein. Beschränkt sich die Mobilmachung auf einzelne Abteilungen der bewaff­ neten Macht, so tritt diese Verpflichtung nur bezüglich der mobil gemachten, augmentiertell oder in Bewegung gesetzten Teile derselben, sowie zur Her­ stellung der notwendigen Verteidigungsanstalten ein. 8 2. Diese Leistungen sollen nur insoweit in Anspruch genommen werden, als für die Beschaffung der Bedürfnisse nicht anderweitig, insbesondere nicht durch freien Ankauf bzw. Barzahlung oder durch Entnahme aus den Magcvzinen gesorgt werden kann. Für diese Leistungen ist nach den Bestimmungen dieses Gesetzes Ver­ gütung aus Reichsmitteln zu gewähren.

88 8-24.1) 8 25. Zur Beschaffung und Erhaltung des kriegsmäßigen Pferdebedarfs der Armee sind alle Pferdebesitzer verpflichtet, ihre zum Kriegsdienst für tauglich erklärten Pferde gegen Ersatz des vollen von Sachverständigen unter Zugrundelegung der Friedenspreise endgültig festzustellenden Wertes cni die Militärbehörde zu überlassen. Befreit hiervon sind nur: 1. Mitglieder der regierenden deutschen Familien; 2. die Gesandten fremder Mächte und das Gesandtschaftspersonal 3. Beamte im Reichs- oder Staatsdienste hinsichtlich der zum Dienstge­ brauch, sowie Ärzte und Tierärzte hinsichtlich der zur Ausübung ihres Berufes notwendigen Pferde; 4. die Posthalter hinsichtlich derjenigen Pferdezahl, welche von ihnen zur Beförderung der Posten kontraktmäßig gehalten werden muß. 8 26. Die Sachverständigen (§ 25) sind für jeden Lieferungsverband durch dessen Vertretung periodisch zu wählen. Tas Schätzungsverfahren findet unter Leitung eines von der Landes­ regierung bestellten Kommissars statt. Die Kosten trägt das Reich. Der festgestellte Wert wir dem Eigentümer aus den bereitesten Beständen der Kriegskasse bar vergütet. 8 27. Das Verfahren bezüglich der Stellung und Aushebung der Pferde wird unter Zugrundelegung der §§ 25 und 26 von den einzelnen Bundesstaaten geregelt. Übertretungen der dabei hinsichtlich der Anmeldung und Stellung der Pferde zur Bormusteruna, Musterung oder Aushebung getroffenen Anordnungen werden mit einer Geldstrafe bis zu fünfzig Talern geahndet.

88 28-31.1) 8 32. Der Zeitpunkt, mit welchem der Friedenszustand für die gesamte bewafsirete Macht oder einzelne Abteilungen derselben wieder eintreten und die Verpflichtung zu Leistungen nach Maßgabe dieses Gesetzes aufhören soll, wird jedesmal durch Kaiserliche Verordnung festgestellt und im Reichs-Gesetz^ blatte bekannt gemacht. i) Stehen mit der Strafbestimmung (§ 27) in keinem Zusammenhang.

102

Erster Teil. Strafgesetze. 88 33-35?) 8 36. Alle gegenwärtigem Gesetze entgegenstehenden Bestimmungen sind

ausgehoben.

20. 4. Gesetz, betreffend die Reichs-Kriegshüfen und die Feststellung eines Nachtrages zum Reichshaushalts-Etat für das Etatsjahr 1883/84. Vom

19. Juni 1883.

(RGBl.

S. 105.)

8 1 Die Reichs-Kriegshäfen werden seewärts im Sinne dieses Ge­ setzes begrenzt: a) bei Kiel durch eine gebrochene Linie, welche auf 10° 20' Ostlänge von Greenwich von der Küste ab nach Norden bis 54° 28' NordbreWe gezogen ist und demnächst dieser Breite nach Westen bis zur Küste nördlich von Alt-Bülk folgt; b) bei Wilhelmshafen durch eine Linie zwischen der Minfener Kirche, dem Wangerooger Leuchtturm, dem Weser-Leuchtturm und der Langwardener Kirche. Innerhalb dieser Grenzen wird die Fläche des Kieler Hafens durch eine die Nullpunkte der Hafenpegel zu Ellerbeck und Friedrichsort schneidende Horizontalebene, die Fläche des Jadehafens durch den gewöhnlichen Hoch­ wasserstand von 3,76 Meter über dem Nullpunkt des Daunsfelder Pegels an der Südmole bestimmt. 8 2. Der zuständige Marinestationschef ist befugt, in den durch § 1 bestimmten Reichs-Kriegshafengebieten, jedoch mit Ausschluß der oldenburgischen Häfen, soweit die Sicherheit des Kriegshafens, seiner Werke und Ank­ lagen dies erfordert, 1 Anordnungen wegen Erhaltung des Fahrwassers und dessen Kenn­ zeichnung zu treffen, 2. hierüber, sowie über das Ein- und Auslaufen, Ankern, Laden, Löschen und über das Verhalten der Schiffe und Fahrzeuge und ihrer Beman­ nung in seepolizeilicher Beziehung Verordnungen zu erlassen. Die letzteren sind in den zu den amtlichen Publikationen der höheren Zivil-Verwaltungsbehörden des betreffenden Hafenbezirks bestimmten Blättern öffentlich bekannt zu machen. Die verbindliche Kraft einer solchen Verordnung beginnt, sofern nicht in derselben eine kürzere Frist bestimmt ist, mit dem vierzehnten Tage nach dem Ablauf desjenigen Tages, an welchem das betreffende Blatt ausge»geben worden ist. Zuwiderhandlungen gegen polizeiliche Verordnungen des Marinestationschess werden mit Geldstrafe bis zu einhunderfünfzig Mark oder mit Haft bestraft, unbeschadet der Befugnis des Marinestationschefs zur zwangsweisen Durchführung der erlassenen Verfügungen auf Kosten des Zuwiderhandelnden.

8 3. In den im § 1 bestimmten Kriegshafengebieten sind Bauten, An­ lagen und Unternehmungen, welche die Sand- oder Schlickablagerung oder die Verlandung befördern, nicht ohne Genehmigung des Marinestations­ chefs zulässig. Dies gilt insbesondere von Eindeichungen, Ausschüttung von Baggergut, Ballast oder anderen festen Sinkstoffen, von der Anlage von Gräben, Bollwerken und Buhnen. Der Marinestationschef darf die Genehmigung nicht versagen, wenn die betreffende Vornahme für die Erhaltung des Fahrwassers bzw. der Wassertiefe unschädlich ist. x) Stehen mit der Strafbestimmung (§ 27) in keinem Zusammenhang.

20. Gesetz, betr. die Reichs-Kriegshäfen v. 19. Juni 1883. §§ 1—7.

103

Wird die Genehmigung ganz oder teilweise versagt, so sind die Gründe der Ablehnung anzugeben. Gegen die Versagung der Genehmigung ist binnen einer vierwöchent­ lichen Präklusivfrist, vom Tage der Zustellung ab, der Rekurs zulässig. Tie Einlegung desselben erfolgt bei dem Marinestationschef. Tie Entscheidung auf den Rekurs erfolgt, nach Anhörung der Admiralität, endgültig durch den Bundesrat. Sind seit der Zustellung der Genehmigung zwei Jahre verflossen, ohne daß davon Gebrauch gemacht worden ist, so wird sie als erloschen betrachtet. § 4. Wer ohne Genehmigung des Marinestationschefs oder mit eigen­ mächtiger Abweichung von der erteilten Genehmigung Bauten, Anlagen oder Unternehmungen der im § 3 bezeichneten Art ausführt oder ausführen läßt, wird mit Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark bestraft; eine gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher als Bauverständiger die Ausführung ge­ leitet hat. Soweit nach dem Urteile des Marinestationschefs der Bau, die Anlage oder die Unternehmung unzulässig befunden wird, ist der Unternehmer inner­ halb der von dem Marinestationschef zu bestimmenden Frist zu deren ,Beseitigung verbunden. Erfolgt die Beseitigung innerhalb dieser Frist nicht, io ist die Marinebehörde befugt, dieselbe auf Kosten des Schuldigen Vorzug nehmen. § 5. Im Großherzoglich oldenburgischen Gebiete können von der dortigen Staatsbauverwaltung ohne die im § 3 vorgesehene Genehmigung des Marine­ stationschefs ausgeführt werden: 1. alle Arbeiten und Anlagen zur Erhaltung der Deiche und des zuge­ hörigen Vorlandes, sofern dieselben innerhalb des Jadebusens 500 Meter und außerhalb desselben 1000 Meter, von der Mitte der Krone der jetzigen Winterdeiche ab gerechnet, nicht überschreiten; Abweichungen von den hiernach sich ergebenden Grenzlinien können je nach den örtlichen Verhältnissen vom Bundesrat zugelassen werden; 2. wenn Gefahr im Verzüge ist, alle zum Schutz der Deiche und des zuge­ hörigen Vorlandes erforderlichen Arbeiten; soweit solche außerhalb der unter Nr. 1 festgesetzten Grenzen vorgenommen werden, ist dem Marine­ stationschef von denselben unverzüglich Kenntnis zu geben; 3. alle Arbeiten und Anlagen an den Hafenanstalten; 4. alle lediglich der Abwässerung dienenden Arbeiten und Anstalten, namentlich auch solche Arbeiten, welche zur Gradläufigkeit und Offen­ haltung derselben vorgenommen werden. Wenn im Falle einer Meinungsverschiedenheit über die Zulässigkeit von Arbeiten und Anlagen nach Maßgabe der vorstehenden Bestimmungen eine Einigung zwischen der Admiralität und dem Großherzoglich oldenburgischen Staatsministerium nicht erzielt ist, so ist die Angelegenheit dem Bundesrat zur Entscheidung vorzulegen. Bis zu derselben kann die Großherzoglich oldenburgische Regierung die nötig erachteten Arbeiten und Anlagen ausführen lassen; sie ist jedoch verpflichtet, dieselben auf ihre Kosten wieder zu beseitigen, wenn und insoweit der Bundesrat den Widerspruch der Admiralität für Zbegründet erachtet. 8 H. Der im Jadebusen belegene Durchschlag nach den Oberahnschen Feldern wird auf Kosten des Reichs beseitigt. Als Ersatz für die auf die Herstellung und Erhaltung des Durchschlags verwendeten Kosten zahlt das Reich der Großherzoglich oldenburgischen .Re­ gierung die Summe von 830552 Mark. Die Mittel zur Bestreitung dieser Summe sind, soweit dieselben nicht durch Mehrerträge bei den außer den Matrikularbeiträgen zur Reichskasse fließenden regelmäßigen Einnahmen ihre Deckung finden, durch Beiträge der einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung aufzubringen. § 7. Zustellungen in Angelegenheiten dieses Gesetzes sind gültig, wenn sie nach den für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten bestehenden Vorschriften

Erster Teil.

104

Strafgesetze.

geschehen. Die vereideten Verwaltungsbeamten haben dabei den Glauben her Gerichtsbeamten. 8 8. Alle administrativen Verhandlungen und Gesuche in Angelegen­ heiten dieses Gesetzes sind kosten- und stempelfrei.

2t. 5. Gesetz, betr. den Schutz der Brieftauben und den Briestanbenverkehr im Kriege. Vom 28. Mai 1894.

(RGBl.. S. 463.)

8 1

Die Vorschriften der Landesgesetze, nach welchen das Recht, Tauben zu halten, beschränkt ist, und nach welchen im Freien betroffene Tauben der freien Zueignung oder der Tötung unterliegen, finden auf Militärbrief­ tauben keine Anwendung. Dasselbe gilt von landesgesetzlichen Vorschriften, nach welchen Tauben, die in ein fremdes Taubenhaus übergehen, dem Ngentümer des letzteren gehören. 8 2. Insoweit auf Grund landesgesetzlicher Bestimmungen 3pcrr^eitcii für den Taubenslug bestehen, finden dieselben auf die Reiseflüge der Militär­ brieftauben keine Anwendung. Die Sperrzeiten dürfen für Militärbrieftauben nur einen zusammenhängenden Zeitraum von höchstens je zehn Tagen im Frühjahr und Herbst umfassen. Sind längere als zehntägige Sperrzeiten eingeführt, so gelten für Militärbrieftauben immer nur die ersten zehn Tage. 8 3. Als Militärbrieftauben im Sinne dieses Gesetzes gelten Brief­ tauben, welche der Militär- 2. Note 1 S. 149.

152

Erster Teil.

Strafgesetze.

II. Auslandssiedlung.

§ 3. Wer die Ansiedlung von Auswanderungswilligen im Ausland oder sonst die Unterbringung von Auswanderungswilligen im Wirtschaftsleben des Auslandes betreiben und zu diesem Zwecke öffentlich oder durch Ver­ breitung von Schriften die Unternehmung bekanntgeben, oder Mitunternehmer oder Teilhaber werben oder an Auswanderungswillige herantreten will, hat dies der Landesbehörde anzuzeigen. Tie Landesbehörde hat gegenüber Unternehmungen im Sinne des Abs. 1. mögen sie von Gesellschaften, Genossenschaften, Vereinen oder von Einzel­ personen ausgehen, die Anordnungen zu treffen, die erforderlich sind, um Schädigungen des Gemeinwohls, insbesondere eine gemeinschüdliche Beein­ flussung der deutschen Auswanderungsbewegung, die Irreleitung und Aus­ beutung Auswanderungswilliger zu verhüten. Sie ist zu diesem Zwecke insbesondere befugt, 1. von den Unternehmern, Teilhabern, Vorstehern, Geschäftsführern, sonstigen Angestellten oder Beauftragten der Unternehmung Auskunft über alle Einzelheiten der Unternehmung zu fordern, 2. Vertreter in Versammlungen und Sitzungen zu entsenden, 3. Bücher, Schriften, Kassen- und Vermögensbestände zu prüfen, 4. die Leistung einer Sicherheit zu fordern. Tie Sicherheit haftet für alle anläßlich des Betriebs gegenüber den Behörden und den Auswanderungs­ willigen entstandenen Verbindlichkeiten sowie für Geldstrafen und Kosten. Nähere Bestimmungen über die Bestellung und die Haftung der Sicherheit können die Reichsminister des Innern und des Auswärtigen erlassen. 8 4. Die Landesbehörde kann verbieten, daß zum Zwecke des Betriebs öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften die Unternehmung bekanntgegeben, Mitunternehmer oder Teilhaber geworben werden oder an Auswanderungswillige herangetreten wird. Das Verbot kann zurückgenommen werden. Das Verbot kann öffentlich bekanntgemacht werden; das gleiche gilt von seiner Zurücknahme. 8 5. Lassen sich Schädigungen des Gemeinwohls nicht anders verhüten, so ist die Landesbehörde befugt, die Fortsetzung der Unternehmung zu verbieten. Die Vorschriften imi § 4 Nr. 5 in das Schiffsregister ein^ zutragen sind, bei juristischen Personen, eingetragenen Genossenschaften und solchen Handelsgesellschaften, welche keine persönlich Haftenden Gesellschaf­ ter haben, die gesetzlichen Vertreter, in dem Falle des § 6 Abs. 2 Satz 2 statt des Reeders dessen Vertreter, in dem Falle eines Eigentumswechsels, durch den das Recht des Schif­ fes zur Führung der Reichsflagge nicht berührt wird, auch der neue Erwerber des Schiffes oder der Schisfspart. Die Anzeige ist von dem Verpflichteten binnen sechs Wochen nach dem Ablaufe des Tages zu bewirken, an welchem er von der einzutragenden Tad* fache Kenntnis erlangt hat. Sind mehrere Verpflichtete vorhanden, so genügt die Anzeige durch einen von ihnen.

43. Gesetz, bett, das Flaggenrecht der Kauffahrteischiffe. §§ 11—25.

161

§ 15. Ist eine Eintragung oder die Löschung im Schiffsregister erforder­ lich, so ist das Schisfs-Hertifikat, und wenn der Inhalt eines von dem Re>gistergericht erteilten Auszugs aus dem Schiffs-Zertifikate berührt wird, auch dieser dem Gericht einzureichen. Zur Einreichung verpflichtet ist außer den im § 14 bezeichneten Personen auch der Schiffer, sobald sich das Schiff in dem Hafen befindet, in dessen Register es eingetragen ist. Das Gericht hat die Beteiligten zur Einreichung der Urkunden durch Ord­ nungsstrafen anzuhalten. Auf das Verfahren finden die Vorschriften der g§ 132 bis 139 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichts­ barkeit Reicks-Gesetzbl. 1898 S. 771) entsprechende Anwendung. , Befindet sich das Schiff im Auslande, so hat auf Antrag das Registers­ gericht ein neues Schiffs-Zertiftkat auszustellen und es dem Schiffer gegen Rückgabe der nach Abs. 1 einzureichenden Urkunden durch Vermittelung einer deutschen Behörde aushändigen zu lassen. 8 16. Schiffe von nicht mehr als 50 Kubikmeter Brutto-Raumgehalt sind auch ohne Eintragung in das Schiffsregister und Erteilung des Schüfs-Zertisikats befugt, das Recht zur Führung der Neichsflagge auszuüben. 8 J.7. Ein in das Schiffsregister eingetragenes Schiff muß seinen Namen an jeder Seite des Bugs und seinen Namen sowie den Namen des Heimat-, Hafens am Heck in gut sichtbaren und fest angebrachten Schriftzeichen führen. 8 18. Führt ein Schiff die Reichsflagge, ohne hierzu nach den Vorschriften der §§ 2, 3 berechtigt zu sein, so wird der Schiffer mit Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark*) oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Auch kann auf Einziehung des Schiffes erkannt werden, ohne Unterschied, ob es dem Verurteilten gehört oder nicht; der § 42 des Strafgesetzbuchs findet entsprechende Anwendung. 8 19. Führt ein Schiff den Vorschriften der §§ 11, 12 zuwider die Neicksflagge, so wird der Schiffer mit Geldstrafe bis zu dreibundert Mark*) oder mit Haft bestraft. 8 20. Wer die ihm nach § 14 obliegende Verpflichtung nicht erfüllt, wird mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark*- oder mit Haft bestraft. Wer gemäß Abs. 1 verurteil! ist und seiner Verpflichtung nickt binnen sechs Wochen nach dem Eintritte der Rechtskraft des Urteils genügt, wird mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark* oder mit Gefängnis bis zu zwei Monaten bestraft. Tie gleiche Strafe tritt ein, wenn im Falle einer weiteren Verurtei­ lung die Verpflichtung nicht binnen der bezeichneten Frist erfüllt wird. 8 21. Befindet sich der Vorschrift des § 11 Abs. 3 zuwider weder das Schiffs-Zertifikat noch ein beglaubigter Auszug aus dem Zertifikat an Bord des Schiffes oder ist das Schiff nicht gemäß § 17 bezeichnet, so wird der Schif­ fer mit Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder mit Haft bestraft. 8 22. Werden die von dem Kaiser erlassenen Bestimmungen über die Ver­ pflichtung der Kauffahrteischiffe, die Flagge vor Kriegsschiffen und Küsten­ befestigungen oder bei dem Einlaufen in deutsche Häfen zu zeigen, nicht be­ obachtet, so wird der Schiffer mit Geldstrafe bis zu einhundertundfümzig Mark oder mit Haft bestraft. 8 23. Straflos bleibt in den Füllen der §§ 18 bis 22 derjenige, bezüglich dessen festgestellt wird, daß die Handlung oder Unterlassung ohne sein Verschulden. erfolgt ist. 8 24. Tie in den §§ 18, 19, 21 bezeichneten Handlungen sind auch dann strafbar wenn sie im Ausland oder auf offener See begangen werden. Das Gleiche gilt von Zuwiderhandlungen gegen die im' § 22 vorgesehenen Bestimmungen, sofern die Zuwiderhandlung auf einem deutschen Kauffahrtei­ schiff erfolgt. 8 25. Der Bundesrat bestimmt: 1. die Grenzen der Seefahrt im Sinne dieses Gesetzes (§ 1), 2. den Umfang, in welchem die Ergebnisse der amtlichen Vermessung in das Schiffsregister einzutragen sind (§ 7 Nr. 2), x) Wegen der Höhe der Geldstrafen vgl. nunmehr die BO über Ver­ mögensstrafen u. Bußen v. 6. Febr. 1924 (Nr. 11 dieser Sammlung). Allfeld, Strafgesetzgebung.

3. Aufl.

11

162

Erster Teil.

Strafgesetze.

3. die Einrichtung des Schiffs-Zertifikats (§ 10), des beglaubigten Aus­ zugs aus dem Schiffs-Zertifikat (§ 11) und der Flaggenzeugnisse (§ 12), 4. die Art, wie die Anbringung der Namen am Schiffe auszuführen ist (§ 17). 8 26?) Die Vorschriften dieses Gesetzes finden auch Anwendung auf seegehende Lustjachten, auf ausschließlich zur Ausbildung von Seeleuten be­ stimmte Seefahrzeuge (Schulschiffe) sowie auf solche Seefahrzeuge, welche für Rechnung von auswärtigen Staaten oder deren Angehörigen im Inland erbaut sind. Machen solche Fahrzeuge von dem Rechte zur Führung der Reichsflagge Gebrauch, so unterliegen sie den für Kauffahrteischiffe geltenden Vorschriften. Durch Kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats kann die Geltung der im Abs. 1 bezeichneten Vorschriften auch auf andere nicht zum Erwerbe durck die Seefahrt bestimmte Seefahrzeuge erstreckt werdend) 8 26a?) Durch Kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des BundeSrats kann bestimmt werden, daß die Vorschriften dieses Gesetzes auch auf Binnen­ schiffe, die ausschließlich auf ausländischen Gewässern verkehren, Anwendung fin­ den. Die Schiffsregister für solche Schiffe werden bei den durch den Reichskanz­ ler bestimmten deutschen Konsulaten geführt?) 8 27. Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, nach welchen die Schiffsregister von anderen Behörden als den Gerichten geführt werden;. 8 28. Unberührt bleiben die Vorschriften des § 10 des Schutzgebiets­ gesetzes in der Fassung vom 25. Juli 1900 (Reichs-Gesetzbl. 1900 S. 813);. 8 29. Soweit in anderen Gesetzen auf Vorschriften des Gesetzes, betreffend die Nationalität der Kauffahrteischiffe und ihre Befugnis zur Führung der Bundesflagge, vom 25. Oktober 1867 verwiesen ist, treten die entsprechenden Vorschriften dieses Gesetzes an deren Stelle. Der § 74 Nr. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (Reichs-Gesetzbl. 1898 S. 371) wird aufgehoben. 8 30. Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 1900 in Kraft.

44.

5. Seemannsordnung. Vom 2. Juni 1902. (RGBl. S. 175). Erster Abschnitt.

Einleitende Vorschriften. 8 1. Die Vorschriften dieses Gesetzes finden auf alle Kauffahrteischiffe (Gesetz vom 22. Juni 1899 § 1, Reichs-Gesetzbl. 1899 S. 319, Reichs-Ge­ setzbl. 1901 S. 184) Anwendung, welche das Recht, die Neichsflagge zu führen, ansüben dürfen. x) Fassung gern. Gesetz vom 29. Mai 1901. 2) Die Verordnung vom 5. Juli 1903, betreffend die Erstreckung der für Kauffahrteischiffe geltenden Vorschriften auf die Gouvernementssahrzeuge der Schutzgebiete, RGBl. S. 257, bestimmt: Ter Reichskanzler kann verfügen, daß die für Kauffahrteischiffe geltenden Vorschriften auf Gouvernementsfahrzeuge der deutschen Schutzgebiete Anwen­ dung finden. 3) Die Verordnung vom 1. März 1900, betreffend das Flaggenrecht deut­ scher Binnenschiffe, die ausschließlich auf ausländischen Gewässern verkehren, RGBl. S. 41, bestimmt: § 1. Die Vorschriften des Gesetzes, betreffend das Flaggenrecht der Kauf­ fahrteischiffe, vom 22. Juni 1899 (RGBl. S. 319) finden auf Binnenschiffe,, welche -ausschließlich auf der unteren Donau oder in Ostasien auf dem West­ flusse (Si-kiang), dem Dangtzekiang und dem Pai ho sowie auf deren Zu- und Nebenflüssen verkehren, Anwendung. § 2. über die Einrichtung der Schiffsregister und deren Führung bei den von ihm bezeichneten Konsulaten hat der Reichskanzler nähere Bestimmungen zu treffen.

44. Seemannsordnung vom 2. Juni 1902.

§§ 1—5.

163

Sie sind der Abänderung durch Vertrag entzogen, soweit nicht eine ander­ weitige Vereinbarung ausdrücklich zugelassen ist. Durch Kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats*) kann bestimmt werden, inwieweit die Vorschriften dieses Gesetzes auf Binnenschiffe Anwendung finden, welche das Recht, die Reichsflagge zu führen, ausüben dürfen (Gesetz vom 22. Juni 1899 § 26 a). 8 2. Kapitän int Sinne dieses Gesetzes ist der Führer des Schiffes (Schif­ fer), (in dessen Ermangelung oder Verhinderung sein Stellvertreter. Schiffsosfiziere im Sinne dieses Gesetzes sind diejenigen zur Unterstützung des Kapitäns in der Führung des Schiffes bestimmten Angestellten, welche zur Ausübung ihres Dienstes eines staatlichen Befähigungsnachweises bedürfen. Außerdem gelten als Schiffsosfiziere die Arzte, Proviant- und Zahlmeister. Schiffsmann int Sinne dieses Gesetzes ist jede sonstige zum Dienste auf dem Schiffe während der Fahrt für Rechnung des Reeders angestellte Person, ohne Unterschied, ob die Anmusterung (§ 13) erfolgt ist, oder nicht. Auch die weibliche Angestellte hat die Rechte und Pflichten des Schiffsmanns. Der Lotse gilt nicht als Schiffsmann. Die Gesamtheit der Schisfsleute bildet die Schiffsmannschaft. 8 3. Der Kapitän ist der Dienstvorgesetzte der Schiffsosfiziere und Schiffs­ leute. Seine Stellvertretung liegt, soweit nicht vom Reeder oder vom Kapitän hinsichtlich der Vertretung in einzelnen Dienstzweigen anderweitige Anordnung getroffen ist, dem Steuermann, in Ermangelung eines solchen dem Bestmann ob. Die Schiffsosfiziere sind Vorgesetzte sämtlicher Schiffsleute. Aus die Schiffsoffiziere finden die für die Schiffsmannschaft oder den Schiffsmanu geltenden Vorschriften, soweit nicht ausdrücklich ein Anderes festgesetzt ist, An­ wendung. Das dienstliche Verhältnis der Schiffsosfiziere untereinander, insbesondere das Verhältnis zwischen Offizieren verschiedener Dienstzweige, bestimmt sieb nach den vom Reeder oder vom Kapitän getroffenen besonderen Festsetzungen. Auf Dampfschiffen ist jedoch während der Ausübung des Wachtdienstes der wachthabende Maschinist dem wachthabenden Steuermann insofern untergeord­ net, als er die von diesem nach der Maschine gegebenen Befehle auszu­ führen hat. Die außer den Schiffsoffizieren in den einzelnen Dienstzweigen als Vor­ gesetzte geltenden Schiffsleute werden vom Kapitän bestimmt und sind der Schiffsmannschaft durch Aushang bekannt zu geben. 8 4. Der Bundesrats erläßt Bestimmungen über Zahl und Art der Schiffs­ osfiziere, mit welchen die Schiffe zu besetzen sind, sowie über den Grund des Mefähigungszeugnisses, das der Kapitän und die Schiffsoffiziere besitzen müssen. Die Bestimmungen sind dem Reichstage bei seinem nächsten Zusammentritte zur Kenntnisnahme vorzulegen. 8 5. Seemannsämter mit den durch dieses Gesetz ihnen zugewiesenen Befugnissen und Obliegenheiten sind int Reichsgebiete die landesrechtlich, in den Schutzgebieten die vom Reichskanzler bestellten Behörden, im Auslande die Konsulate des Reichs für Hafenplätze. Die Einrichtung der Seemannsämter int Reichsgebiete steht den Landes­ regierungen nach Maßgabe der Landesgesetze zu. Ihre Geschäftsführung unter­ liegt der Oberaufsicht des Reichs. Bei der Entscheidung in den int § 122 bezeichneten Fällen müssen die Seemannsämter innerhalb des Reichsgebiets mit einem Vorsitzenden und zwei schiffahrtskundigen Beisitzern besetzt sein. Ist ein Konsul Mitinhaber oder Agent der Reederei des Schiffes, so ist er von der Wahrnehmung der int § 58 bezeichneten Geschäfte eines Seemanns*) Jetzt durch Verordnung Reichsrats (Übergangsgesetz v. 4. 11. Aug. 19 Art. 179). 2) Jetzt die Reichsregierung gesetz vom 4. März 1919 § 3 Slrt. 179 Abs. 2).

des Reichspräsidenten mit Zustimmung des März 1919 §§ 3, 4 mit Reichsverfassung v.

mit Zustimmung des Reichsrats (Übergangs­ mit Reichsverfassung vom 11 Aug. 1919

164

Erster Teil.

Strafgesetze.

amts in Bezug auf dieses Schiss ausgeschlossen, wenn von dem beschwerde­ führenden Schisfsoffizier oder der Mehrzahl der beschwerdesührenden Schiffs­ leute gegen seine Mitwirkung Widerspruch erhoben wird. § H. Die Schutzgebiete gelten im Sinne dieses Gesetzes als Inland. Deutsche Häfen im Sinne dieses Gesetzes sind nur die Häfen des Reichs­ gebiets. Zweiter Abschnitt.

Seesahrtsbücher «nd Musterung. § 7. Niemand darf im Reichsgebiet als Schiffsmann in Dienst treten, bevor er sich über Namen, Geburtsort und Alter von einem Seemannsamt ausgewiesen und von demselben ein Seesahrtsbuch ausgefertigt erhalten hat. Ist der Schiffsmann ein Deutscher, so darf er vor vollendetem vierzehnten Lebensjahre zur Übernahme von Schisfsdiensten nicht zugelassen werden; auch hat er sich über seine Militärverhältnisse, sowie, wenn er noch minderjährig ist, darüber auszuweisen, daß er von seinem gesetzlichen Vertreter zur Über­ nahme von Schisfsdiensten ermächtigt worden ist. Der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bedarf es nicht. Mit dem Seefahrtsbuch ist dem Schiffsmanne zugleich ein Abdruck der Seemannsordnung, des Gesetzes, betreffend die Verpflichtung dec Kauffahrtei­ schiffe zur Mitnahme heimzuschassender Seeleute, des Gesetzes, betreffend die Stellenvermittelung für Schisfsleute, und einer amtlichen Zusammenstellung der Bestimmungen über die Militärverhältnisse der seemännischen und halb­ seemännischen Bevölkerung auszuhändigen. Der .Bundesrat) bestimmt, inwieweit als Schiffsleute nur solche Personen crngemustert werden dürfen, welche nach Untersuchung ihres körperlichen Zu­ standes für den zu übernehmenden Dienst geeignet sind. § 8. Die für einen einzelnen Fall erteilte Ermächtigung des gesetzlichen Vertreters (§ 7j gilt im Zweifel als ein für allemal erteilt. Kraft derselben ist der Minderjährige für solche Rechtsgeschäfte unbe­ schränkt geschäftsfähig, welche die Eingehung oder Aushebung von Heuerverträ­ gen oder die Erfüllung der sich aus einem solchen Vertrag ergebenden Ver-i vflichtungen betreffen. § 9. Wer bereits ein Seefahrtsbuch äusgefertigt erhalten hat, muß be­ hufs Erlangung eines neuen Seefahrtbuchs das ältere vorlegen oder dessen Ver­ lust glaubhaft machen. Daß dies geschehen, wird von dem Seemannsamt in dem neuen Seefahrtsbuche vermerkt Wird der Verlust glaubhaft gemacht, so ist diesem Vermerke zugleich eine Bescheinigung des Seemannsamts über die früheren Rang- und Dienstverhält­ nisse, sowie, über die Dauer der Dienstzeit und über die dem Schiffsmann anzurechnenden Beitragswochen für die Invalidenversicherung, soweit derselbe sich hierüber genügend ausweist, beizufügen. § 10. Wer nach Inhalt seines Seefahrtsbuchs angemustert ist, darf nicht von neuem angemustert werden, bevor er sich über die Beendigung des frühe­ ren Dienstverhältnisses durch den in das Seefahrtsbuch einzutragenden Vermerk (§§ 22, 25) ausgewiesen hat. Kann nach dem Ermessen des Seemannsamts ein solcher Vermerk nicht beigebracht werden, so dient statt desselben, sobald die Be­ endigung des Dienstverhältnisses auf andere Art glaubhaft gemacht ist, ein vom Seemannsamte hierüber einzutragender Vermerk im Seefahrtsbuche. 8 11. Einrichtung und Preis des Seefahrtsbuchs bestimmt der Bundesrats) Die Ausfertigung erfolgt kosten- und stempelsrei. Das Seefahrtsbuch muß über die Militärverhältnisse und die Invaliden­ versicherung des Inhabers Auskunft geben. 8 12. Der Kapitän hat die Musterung (Anmusterung, Abmusterung) der Schiffsmannschaft nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen (§§ 13 bis 26) zu veranlassen. x) Vgl. die Note zu § 4.

44. Seemannsordnung vom 2. Juni 1902.

§§ 6—19.

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Ter Kapitän ober ein zum Abschlüsse von Heuerverträgen bevollmächtigter Vertreter der .Reederei und der Schifssmann müssen bei der Musterung zugegen sein; gewerbsmäßige Stellenvermittler für Schiffsleute dürfen als Vertreter nicht bestellt werden. § 13. Die Anmusterung besteht in der Verlautbarung des mit dem Schiffsmanne geschlossenen Heuervertrags vor einem Seemannsamte. Sie muß vor Antritt oder Fortsetzung der Reise, wenn dies aber ohne Verzögerung der Reise «unausführbar ist, sobald ein Seemannsamt angegangen werden kann, er­ folgen; die Gründe für die Verzögerung oder Unterlassung der Anmusterung sind in das Schiffstagebuch einzutragen. Geschieht die Anmusterung innerhalb des Reichsgebiets, so ist dabei das Seesahrtsbuch vorzulegen. § 14. Die Unmusterungsverhandlung wird vom Seemannsamt als Musterrolle ^ausgefertigt. Wenn die gesamte Schiffsmannschaft nicht gleichzeitig mittelst einer Verhandlung angemustert wird, so erfolgt die Ausfertigung auf Grund der ersten Verhandlung. Die Musterrolle muß enthalten: Namen und Nationalität des Schisses, Namen und Wohnort des Kapitäns, Namen, Wohnort und dienstliche Stellung jedes Schiffsmanns, den Hasen der Ausreise, die Bestimmungen des Heuervertrags, namentlich auch den Überstundenlohnsatz (§ 35 Abs. 3, § 37 Abs 3 und etwaige besondere Verabredungen. Insbesondere muß aus der Musterrolle erhellen, was dem Schiffsmanne für den Tag an Speise und Trank gebührt Bei besonderen Verabredungen mit Schiffsoffizieren kann die Eintragung aus die Wiedergabe des wesentlichen Inhalts beschränkt werden. Abreden, welche nach § 1 Abs. 2 unzulässig sind, dürfen nicht ausgenommen werden Im Übrigen wird die Einrichtung der Musterrolle vom Bundesrates be­ stimmt. Tie Musterrolle muß sich während der Reise an Bord befinden; auf Er­ fordern ist sie dem Seemannsamte vorzulegen. 8 15. Wird ein Schiffsmann erst nach Ausfertigung der Musterrolle an­ gemustert, so hat das Seemannsamt eine solche Musterung in die Musterrolle einzutragen. 8 16. Bei jeder innerhalb des Reichsgebiets erfolgenden Anmusterung wird vom Seemannsamte hierüber und über die Zeit des Dienstantritts in das Ssefahrtsbuch jedes Schifssmanns ein Vermerk eingetragen, welcher zugleich als Ausgangs- oder Seepaß dient Außerhalb des Reichsgebiets erfolgt eine solche Eintragung nur, wenn das Seefahrtsbuch zu diesem Zwecke vorgelegt wirb. Das Seefahrtsbuch ist demnächst vom Kapitän für die Dauer des Dienst­ verhältnisses in Verwahrung zu nehmen. tz 17. Wird ein angemusterter Schiffsmann durch ein unabwendbares Hindernis außer Stand gesetzt, den Dienst anzutreten, so hat er sich hierüber sobald wie möglich gegen den Kapitän und das Seemannsamt, vor welchem die Anmusterung erfolgt ist, auszuweisen. Der Kapitän hat das Seefahrts­ buch dem Schifssmann oder dem Seemannsamte, vor welchem die Anmusterung erfolgt ist, sobald als tunlich zu übersenden. 8 18. Die Abmusterung besteht in der Verlautbarung der Beendigung des Dienstverhältnisses seitens des Kapitäns und der aus diesem Verhältnis ausscheidenden Mannschaft vor einem Seemannsamte. Sie muß, sobald das Dienstverhältnis beendigt ist, erfolgen, und zwar, wenn nicht ein anderes vereinbart wird, vor dem Seemannsamte desjenigen Hafens, wo das Schiff liegt, und nach dem Verlust des Schiffes vor demjenigen Seemannsamte, welches zuerst angegangen werden kann. 8 19. Vor der Abmusterung hat der Kapitän dem abzumusternden Schiffs­ mann im Seefahrtsbuche die bisherigen Rang- und Dienstverhältnisse und die Tauer der Dienstzeit zu bescheinigen, auf Verlangen auch ein Führungszeugnis zu erteilen. Das Zeugnis darf in das Seefahrtsbuch nicht eingetragen wer­ den. Dasselbe ist kosten- und stempelfrei.

Vgl. die Note zu § 4.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

8 20. Die Unterschriften des Kapitäns unter der Bescheinigung und dem Zeugnisse (§ 19) werden von dem Seemannsamte, vor welchem die Abmusterung stattsindet, kosten- .und stempelsrei beglaubigt. 8 21. Verweigert der Kapitän die Ausstellung des Zeugnisses (§ 19), oder enthält dieses oder die Bescheinigung im Seefahrtsbuche (§ 19) Angaben, deren Richtigkeit der Schiffsmann bestreitet, so hat auf dessen Antrag das Seemannsamt den Sachverhalt zu untersuchen und das Ergebnis der Unter­ suchung dem Schifssmanne zu bescheinigen. 8 22. Die erfolgte Abmusterung wird vom Seemannsamt in dem See-, fahrtsbuche des abgemusterten Schiffsmanns und in der Musterrolle vermerkt. 8 23. Sind feit der Ausfertigung der Musterrolle mindestens zwei Jahre verflossen, so ist auf Antrag des Kapitäns diesem vom Seemannsamt ein dem gegenwärtigen Bestände der Schiffsmannschaft entsprechender beglaubigten Auszug aus der Musterrolle zu erteilen, welcher fernerhin als Musterrolle zu benutzen ist. 8 24. Die Musterrolle, sowie der etwa nach § 23 erteilte Auszug sind nach Beendigung derjenigen Reise oder derjenigen Zeit, auf welche die als Musterrolle ausgefertigte Anmusterungsverhandlung (§ 14) sich bezieht, dem Seemannsamte, vor welchem abgemustert wird, zu überliefern. Letzteres übersendet die Schriftstücke dem Seemannsamte des Heimat­ hafens und in Ermangelung eines solchen dem Seemannsamte des Register­ hafens. 8 25. Erfährt der Bestand der Mannschaft Änderungen, bei welchen eine Musterung (§ 12) nach Maßgabe vorstehender Bestimmungen ohne Ver­ zögerung der Reise unausführbar ist, so hat der Kapitän, sobald ein Seemanns­ amt angegangen werden kann, bei demselben unter Darlegung der Hinderungs­ gründe die Musterung nachzuholen, oder, sofern auch diese nachträgliche Musterung nicht mehr möglich ist, den Sachverhalt anzuzeigen. Ein Vermerk über die Anzeige ist vom Seemannsamt in die Musterrolle und in die Seefahrtsbücher der beteiligten Schiffsleute einzutragen. 8 26. Die Kosten der Musterungsverhandlungen, einschließlich der Aus-« fertigung der Musterrolle, fallen dem Reeder zur Last. Tie Bestimmungen über die in gleicher Höhe für alle Seemannsämter innerhalb des Reichsgebiets festzustellenden Kosten erfolgen durch den Bun­ desrat.^ Dritter Abschnitt. Bertragsverhättuis.

8 27. Die Gültigkeit des Heuervertrages ist durch schriftliche Abfassung und durch den nachfolgenden Vollzug der Anmusterung nicht bedingt. Jedoch ist dem Schifssmanne bei der Anheuerung ein von dem Kapitän oder dem Ver­ treter der Reederei (§ 12 Abs. 2) unterschriebener Ausweis (Heuerschein) zu geben, welcher enthält: Namen des Schiffes, Angabe der Dienststellung, Angabe der Reise oder Dauer des Vertrags, Höhe der Heuer, Zeit und Ort der Anmusterung. Auskündigungsfristen und sonstige die Lösung des Heuervertrags be­ treffende Zeitbestimmungen sollen für beide vertragschließende Teile gleich sein. Bei entgegenstehender Vereinbarung kann der Schiffsmann die dem ande­ ren Teile zugestandene Frist oder Zeitbestimmung für sich in Anspruch «nehmen. 8 28. Der Heuervertrag kann für eine Reise oder auf Zeit abgeschlossen werden.

*) Vgl. die Note zu § 4.

44. Seemannsordnung vom 2. Juni 1902.

§§ 20—35.

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Ist bei der Anheuerung für eine Reise deren Endziel nicht angegeben, so läuft in Ermangelung anderweitiger Vereinbarung, unbeschadet der Vor­ schrift des § 69, der Heuervertrag bis zur Rückkehr in den Hafen der Aus­ reise (tz 141. Bei Anheuerung auf unbestimmte Zeit soll im Heuervertrag eine Kündi­ gungsfrist angegeben oder in anderer Weise über die Beendigung des Dienst­ verhältnisses Bestimmung getroffen werden. Ist dies nicht geschehen, so kann jeder Teil in jedem Hafen, welchen das Schiff zum Löschen oder Laden an­ läuft, vom Vertrag unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von vierund­ zwanzig Stunden zurücktreten. g 29. Ist bei dem Abschlüsse des Heuervertrags die Vereinbarung über den Betrag der Heuer nicht durch ausdrückliche Erklärung getroffen worden, so wird im Zweifel die Heuer als vereinbart angesehen, die das Seemannsamt des Hafens, in welchem der Schiffsmann angemustert wird, für die daselbst zur Zeit der Anmusterung übliche erklärt. g 30. Hat ein Schiffsmann sich durch mehrere Verträge für ein und die­ selbe Zeit verheuert, so geht, falls auf Grund eines der Verträge eine An­ musterung stattgefunden hat, dieser, sonst der zuerst abgeschlossene Vertrag vor. g 31. Wird ein Schiffsmann erst nach Anfertigung der Musterrolle aeheuert, so gelten für ihn in Ermangelung anderer Vertragsbestimmungen die nach Inhalt der Musterrolle mit der übrigen Schiffsmannschaft getroffenen Abreden. g 32. Die Verpflichtung des Schiffsmanns, sich mit seinen Sachen an Bord einzufinden und Schiffsdienste zu leisten, beginnt, wenn nicht ein anderes bedungen ist, mit der Anmusterung. Der Zeitpunkt, zu welchem der Dienst­ antritt erfolgen soll, ist dem Schiffsmanne bei der Anheuerung, der Liegeplatz oder ein Meldeort ist ihm bei der Anmusterung anzugeben. Wenn der Schisfsmann den Dienstantritt länger als vierundzwanzig Stunden verzögert, ist der Kapitän oder der Reeder zum Rücktritte von dem Heuervertrage befugt. Die Ansprüche wegen etwaiger Mehrausgaben für einen Ersatzmann und wegen sonstiger aus der Verzögerung erwachsener Schäden werden hierdurch nicht berührt. g 33. Der Schiffsmann, welcher nach der Anmusterung ohne einen ge­ nügenden Entschuldigungsgrund dem Antritt oder der Fortsetzung des Dienstes sich entzieht, kann aus Antrag des Kapitäns vom Seemannsamte, wo aber ein solches nicht vorhanden ist, von der Ortspolizeibehörde zwangsweise zur Er­ füllung seiner Pflicht angehalten werden. Die daraus erwachsenden Kosten hat der Schiffsmann zu ersetzen.

g 34. Der Schiffsmann ist verpflichtet, in Ansehung des Schiffsdienstes den Anordnungen des Kapitäns, der Schiffsoffiziere und seiner sonstigen Dienst»vorgesetzten unweigerlich Gehorsam zu leisten und zu jeder Zeit alle für Schiff und Ladung ihm übertragenen Arbeiten zu verrichten. Er hat diese Verpflichtung zu erfüllen sowohl an Bord des Schiffes und in dessen Booten, als auch in den Leichterfahrzeugen und auf dem Lande, sowohl unter gewöhnlichen Umständen, als auch unter Havarie. Ohne Erlaubnis des Kapitäns oder eines Schiffsoffiziers darf er das Schiff bis zur Abmusterung nicht verlassen, doch darf ihm in einem Hafen des Reichsgebietes in seiner dienstfreien Zeit, wenn nicht triftige Gründe vorliegen, die Erlaubnis nicht verweigert werden. Ist ihm eine solche Erlaubnis erteilt, so must er zur festgesetzten Zeit zurückkehren. g 35. Liegt das Schiff im Hafen oder auf der Reede, so ist der Schiffs" mann nur in dringenden Fällen schuldig, länger als zehn Stunden täglich zu arbeiten. In den Tropen wird diese Zeit, soweit es sich nicht ausschließlich um Aufsichtsdienst oder Arbeiten zur Verpflegung und Bedienung der an Bord befindlichen Personen handelt, auf acht Stunden beschränkt. Bei Berechnung dieser Arbeitsdauer ist der Wachtdienst in Rechnung zu bringen. Die Vorschriften des Abs. 1 finden auf Schiffsoffiziere keine Anwendung.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

Ten Schisfsoffizieren ist im Hafen oder auf der Reede eine Ruhezeit von min­ destens acht Stunden innerhalb jeder vierundzwanzig Stunden zu gewähren. Arbeit, welche die im Abs. 1 bestimmte Tauer von zehn oder acht Stun­ den geleistet wird, ist als Überstundenarbeit zu vergüten, soweit sie nicht zur Verpflegung und Bedienung der an Bord befindlichen Personen oder zur Sicherung des Schiffes in dringender Gefahr erforderlich ist. 8 36. Auf See geht die Mannschaft des Decks- und Maschinendienstes Wache um Wache. Die abgelöste Wache darf nur in dringenden Fällen zu Schiffsdiensten verwendet werden. Auf Dampfschiffen ist die ablösende Ma­ schinenwache verpflichtet, das vor der Ablösung erforderliche Aschehieven zu be­ sorgen. Diese Vorschriften gelten nicht für Fahrten von nicht mehr als zehnstündiger Dauer. Auf Dampfschiffen in transatlantischer Fahrt wird für das Maschinen personal der Dienst in drei Wachen eingeteilt. Unter welchen Umständen im Übrigen eine Mannschaft in mehr als zwei Wachen zu geben hat, bestimmt der Bundesrats) 8 37. An Sonn- und Festtagen dürfen, solange das Schiff im Hafen oder auf der Reede liegt, Arbeiten, einschließlich des Wachtdienstes, nur gefordert werden, soweit sie unumgänglich oder unaufschieblich oder durch den Personen­ verkehr bedingt sind. Mit Löschen und Laden dürfen, solange das Schiff innerhalb des Reichs­ gebiets im Hafen oder auf der Reede liegt, die zur Schiffsmannschaft ge­ hörigen Personen an Sonn- und Festtagen nicht beschäftigt werden. Diese .Vorschrift gilt nicht für die Ladung derjenigen Dampfschiffe, welche in regel­ mäßigem Fahrplane die Kaiserlich deutsche Post befördern, und für die zunr Löschen und Laden dieser Dampfschiffe dienenden Fahrzeuge, sowie für das Gepäck der Reisenden und für leicht verderbende Güter. Außerdem können von einer durch die Zentralbehörde des Bundesstaats zu bestimmenden Behörde in Notfällen Ausnahmen von dieser Vorschrift auf jedesmaligen Antrag ge­ stattet werden. Sonn- und Festtagsarbeit (Abs. 1, 2) ist als Überstundenarbeit zu ver­ güten, soweit sie nicht zur Verpflegung und Bedienung der an Bord befind­ lichen Personen oder zur Sicherung des Schiffes in dringender Gefahr erfor­ derlich ist. Soweit nicht dringende Gründe entgegenstehen, ist an Sonn- und Festtagen im Hafen und auf der Reede der Schiffsmannschaft Gelegenheit zur Teilnahme am Gottesdienst ihrer Konfession zu geben und der hierzu erforder­ liche Urlaub zu erteilen. 8 38. Auf See darf an Sonn- und Festtagen über das hinaus, was zur Sicherheit und zur Fahrt des Schiffes, zur Bedienung der Maschine, zum Segeltrocknen, Bootsdienst und zur Verpflegung und Bedienung der an Bord befindlichen Personen unbedingt erforderlich ist, der Schiffsmannschaft Arbeit nur in dringenden Fällen auferlegt werden. Tie Vorschrift des § 37 Abs. 4 findet auf See entsprechende Anwendung. Auch ist dem Schifssmanne, der es verlangt, die Teilnahme an gemeinschaft­ lichen Andachten seiner Konfession zu gestatten. 8 39. Als Festtage im Sinne der §§ 37, 38 gelten im Jnlande die von der Landesregierung des Liegeorts bestimmten Tage, im Ausland und auf See die Festtage des inländischen Heimathafens; in Ermangelung eines sol­ chen werden die Festtage durch Anordnung des Reichskanzlers?) bestimmt. Im Sinne des § 37 Abs. 4 gelten als Festtage im Ausland auch die kirchlich ge­ botenen Festtage des Liegeorts. 8 40. Tie Vorschriften des § 35 Abs. 3 und des § 37 Abs. 3 finden auf Schiffsoffiziere keine Anwendung, sofern nicht ein anderes vereinbart ist. *) Vgl. die Note zu § 4. 2) Jetzt des Reichsarbeitsministers (Übergangsgesetz v. 4. März 1919 § 5 mit Reichsverfassung v. 11. Aug. 1919 Art. 179).

44. Seemannsordnung vom 2. Juni 1902.

§§ 36—46.

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§ 41. Bei Seegefahr, besonders bei drohendem Schiffbruche, sowie bei Gewalt und Angriff gegen Schiff oder Ladung hat der Schiffsmann alle be­ fohlene Hilfe zur Erhaltung von Schiff und Ladung unweigerlich zu leisten und darf ohne Einwilligung des Kapitäns, solange dieser selbst an Bord bleibt, das Schiff nicht verlassen. Er bleibt verbunden, bei Schiffbruch für Rettung der Personen und ihrer Sachen, sowie für Sicherstellung der Schifssteile, der Gerätschaften und der Ladung, den Anordnungen des Kapitäns gemäß, nach besten Kräften zu sorgen und bei der Bergung gegen Fortbezug der Heuer und der Verpflegung Hilfe zu leisten. 8 42. Der Schiffsmann ist, auch wenn der Heuervertrag in Folge eines Verlustes des Schiffes beendigt ist (§ 69), verpflichtet, auf Verlangen bei der Verklarung mitzuwirken und seine Aussage eidlich zu bestärken. Dieser Verpflichtung hat er gegen Zahlung der etwa erwachsenden Ver­ säumnis-, Reise- und Verpslegungskosten, deren Höhe im Streitfälle die Berklarungsbehörde, im Auslande der Konsul, sestzusetzen hat, nachzukommen. Auf Verlangen des Schisfsmanns ist ihm für die Versäumnis-, Reise- und Ver­ pflegungskosten ein angemessener Vorschuß zu zahlen. 8 43. Stellt sich nach Antritt der Reise heraus, daß der Schiffsmann zu dem Dienste, zu welchem er sich verheuert hat, untauglich ist, so ist der Kapitän befugt, ihn im Range herabzusetzen und seine Heuer verhältnismäßig zu ver­ ringern. Diese Befugnis besteht nicht gegenüber Schiffsoffizieren. Wird von dieser Besugnis Gebrauch gemacht, so hat der Kapitän die ge­ troffene Anordnung und die die Anordnung begründenden Tatsachen, sobald tunlich, in das Schiffstagebuch einzutragen, die Eintragung dem Schiffs­ manne vorzulesen und in dem Tagebuche zu vermerken, daß und wann dies geschehen ist. Vor der Eröffnung und Eintragung tritt die Verringerung der Heuer nicht in Wirksamkeit. Dem Schisfsmann ist auf Verlangen eine vom Kapitän unterzeichnete Ab­ schrift der Eintragung auszuhändigen. Gegen die getroffene Anordnung kann der Schiffsmann die Entscheidung des Seemannsamts anrufen, welches zuerst angegangen werden kann. Erst nach Entscheidung des Seemannsamts, falls aber ein solches nicht angerufen ist, bei der Abmusterung, dürfen Eintragungen über den Sachverhalt in das Seefahrtsbuch, und zwar nur durch das Seemannsamt, vorgenommen werden. 8 44. Tie Heuer ist vom Tage der Anmusterung, falls diese dem Dienst­ antritte vorangeht, sonst vom Tage des Dienstantritts an zu zahlen. Als Dienstzeit gilt auch die zur Erreichung des Meldeorts (§ 32) erforder­ liche Reisezeit. 8 45. Tie Heuer hat der Schiffsmann, sofern keine andere Vereinbarung getroffen ist, erst nach- Beendigung der Reise oder des Dienstverhältnisses zu.beanspruchen. Der Schiffsmann kann jedoch in einem Hafen, in welchem das Schiff ganz vder zum größeren Teil entlöscht wird, die Auszahlung der Hälfte der bis dahin verdienten Heuer (§ 80) verlangen, sofern bereits drei Monate seit der Anmusterung verflossen sind. In gleicher Weise ist der Schiffsmann bei Ablauf je weiterer drei Monate nach der früheren Auszahlung wiederum die Auszahlung der Hälfte der seit der letzten Auszahlung verdienten Heuer zu for­ dern berechtigt. Ist die Anheuerung auf Zeit erfolgt (§ 28), so kann der Schiffsmann bei Rückkehr in den Hafen der Ausreise die bis dahin verdiente Heuer beanspruchen. 8 46. Die Auszahlung des dem Schiffsmanne bei der Beendigung des Dienstverhältnisses zustehenden Heuerguthabens muß an ihn persönlich und, soweit nicht im Auslande die dortigen Gesetze eine andere Behörde bestimmen, vor dem abmusternden Seemannsamt oder durch dessen Vermittelung geschehen und von diesem in der Abmusterungsverhandlung bescheinigt werden. Bei Ver­ hinderung des Schiffsmanns ist mit dessen Zustimmung die Auszahlung an

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Erster Teil.

Strafgesetze.

ein Familienglied zulässig. In einer Gast- oder Schankwirtschaft darf die Auszahlung nicht vorgenommen werden. Bon der Mitwirkung des Seemannsamts darf abgesehen werden, wenn sie ohne Verzögerung der Reise nicht herbeigeführt werden kann. Das Seemannsamt ist verpflichtet, bei der Abmusterung die dem Schiffs­ mann auszuzahlende Heuer aus dessen Antrag ganz oder teilweise in Empfang zu nehmen und nach Angabe des Schiffsmanns an auswärts wohnende An­ gehörige desselben oder an Sparkassen oder sonstige Berwahrungsstellen ge­ bührenfrei zu übermitteln. Die durch die Übermittelung entstehenden baren Auslagen werden, sofern der Schisfsmann ein Deutscher ist, von dem Reeder getragen. 8 47. Inwieweit vor dem Antritte der Reise Vorschußzahlungen auf die Heuer zu leisten oder Handgelder zu zahlen sind, bestimmt in Ermangelung einer Vereinbarung der Ortsgebrauch des Hafens, in welchem der Schiffs­ mann angemustert wird. 8 48. Alle Zahlungen an Schisfsleute müssen nach Wahl derselben, Vorschußzahlungen jedoch nach Wahl des Kapitäns, entweder in bar oder mittelst einer aus den Reeder ausgestellten Anweisung geleistet werden. Die Zahlbar­ keit der Anweisungen darf bei Vorschußzahlungen an die Bedingung geknüpft werden, daß der Schisfsmann sich bei der Abfahrt des Schiffes an Bord be-, findet. Im übrigen muß die Anweisung unbedingt und aus Sicht gestellt sein. 8 49. Bor Antritt der Reise ist ein Abrechnungsbuch anzulegen, in welchem die verdiente Heuer und der verdiente überstundenlohn in regelmäßigen Zeitabschnitten zu berechnen, sowie alle auf die Heuer geleisteten Vorschuß? und Abschlagszahlungen und die etwa gegebenen Handgelder, bei Zahlung in fremder Währung auch der zu Grunde gelegte Kurs, einzutragen sind. In dem lAbrechnungsbuch ist von dem Schiffsmann über den Empfang jeder Zah­ lung zu quittieren. Die Zahl der geleisteten Überstunden, sowie der danach ver­ diente Überstundenlohn ist wöchentlich und spätestens am Tage nach dem jedes­ maligen Verlassen eines Hafens in dem Abrechnungsbuche zu vermerken; sodann ist dieser Vermerk dem Schiffsmanne zur unterschriftlichen Aner^ kennung vorzulegen. Verweigert er die Anerkennung, so ist auch dies und der hierfür angegebene Grund im Abrechnungsbuche zu vermerken. Ferner ist jedem Schiffsmanne, der es verlangt, noch ein besonderes Heuer­ buch zu übergeben und darin ebenfalls die verdiente Heuer, der verdiente Überstundenlohn, sowie jede auf die Heuer des.Inhabers geleistete Zahlung, bei Zahlung in fremder Währung auch der zugrunde gelegte Kurs, einzu-« tragen. Vor der Abmusterung ist dem Schisfsmann in diesem Heuerbuch sein Gesamtguthaben zu berechnen. 8 50. Wenn die Zahl der Mannschaft des Decks- oder Maschinendienstes sich während der Reise vermindert und der weitere Verlauf der Reise eine Verminderung der Arbeitsanforderungen nicht in Aussicht stellt, so muß dev Kapitän die Mannschaft ergänzen, soweit die Umstände es gestatten. Solange eine Ergänzung nicht erfolgt, sind die während der Fahrt ersparten Heuer­ gelder unter diejenigen Schifssleute desselben Dienstzweigs, welchen dadurch eine Mehrarbeit erwachsen ist, nach Verhältnis dieser und der Heuer zu ver­ teilen. Ein Anspruch auf die Verteilung findet jedoch nicht statt, wenn die Verminderung der Mannschaft durch Entweichung herbeigeführt ist und die Sachen des entwichenen Schiffsmanns nicht an Bord zurückgeblieben sind. 8 51. Wird ein Schisfsmann bei Abfahrt des Schiffes vermißt, so hat der Kapitän demjenigen Seemannsamt, in dessen Bezirke zuerst diese Wahr­ nehmung gemacht wird, behufs Ermittelung sobald als tunlich Anzeige zu erstatten und das Seesahrtsbuch des Vermißten zu übermitteln. 8 52. In allen Fällen, in welchen ein Schiff mehr als zwei Jahre auswärts verweilt, tritt für den seit zwei Jahren im Dienste befindlichen Schiffsmann eine Erhöhung der Heuer ein, wenn diese nach Zeit bedungen ist. Diese Erhöhung wird, wie folgt, bestimmt: 1. der Schiffsjunge tritt mit Beginn des dritten Jahres in die in der Musterrolle bestimmte oder aus derselben als Durchschnittsbetrag sich er-

44. SeemannSordnnng vom 2. Juni 1902.

§§ 47—57.

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gebende Heuer der Leichtmatrosen und mit Beginn des vierten Jahres in die in der Musterrolle bestimmte Heuer der Vollmatrosen ent; 2. der (Leichtmatrose erhält mit Beginn des drittens Jahres die in der Musterrolle bestimmte Heuer der Vollmatrosen und mit Beginn des vier­ ten Jahres ein Fünftel derselben mehr an Heuer; 3. für die übrige Schiffsmannschaft steigt die in der Musterrolle ange­ gebene Heuer mit Beginn des dritten Jahres um ein Fünftel und mir Beginn des vierten Jahres um ein ferneres Fünftel ihres ursprünglichen Betrags. In den Fällen des Abs. 2 Nr 1, 2 tritt der Schiffsmann mit der Er­ höhung der Heuer zugleich in die entsprechende Rangklasse ein.

8 53. Die aus den Dienst- und Heuerverträgen herrührenden Forderungen des Kapitäns und der zur Schiffsmannschaft gehörigen Personen, welche auf einem nach den §S 862, 863 des Handelsgesetzbuchs als verschollen anzusehenden Schiffe sich befunden haben, werden fällig mit Ablauf der Verschollenheitsfrist Das Dienstverhältnis gilt sodann einen halben Monat nach dem Tage für beendet, bis zu welchem die letzte Nachricht über das Schiff reicht. Der Betrag der Forderungen ist dem Seemannsamte des Heimathafens und jn Ermangelung eines solchen dem Seemannsamte des Registerhafens zu übergeben. Das Seemannsamt hat die Aushändigung an die Änpfangsberechtigten zu vermitteln. 8 54. Dem Schiffsmanne gebührt Beköstigung für Rechnung des Schiffes von dem Zeitpunkte des Dienstantritts an bis zur Abmusterung, jedoch wenn diese ohne Verzögerung der Reise unausführbar ist, bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses. Er darf die verabreichten Speisen und Getränke nur zu seinem eigenen Bedarfe verwenden und nichts davon veräußern, vergeuden oder sonst bei Seite bringen. Anstatt der Beköstigung kann auf Grund be­ sonderer Abrede eine entsprechende Geldentschädigung gewährt werden. 8 55. Die Schiffsmannschaft hat an Bord des Schiffes vom Zeitpunkte des Dienstantritts an bis zur Abmusterung, jedoch wenn diese ohne Verzöge­ rung der Reise unausführbar ist, bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses Anspruch auf einen, ihrer Zahl und der Größe des Schiffes entsprechenden, nur für sie und ihre Sachen bestimmten wohlverwahrten und genügend zu lüftenden Logisraum. Kann dem Schiffsmann in Folge eines Unfalls oder aus anderen Grün­ den zeitweilig ein Unterkommen auf dem Schiffe nicht gewährt werden, so ist ihm ein anderweitiges angemessenes Unterkommen zu verschaffen. § 56. Die dem Schisfsmanne für den Tag mindestens zu verabreichenden Speisen und Getränke (§ 54) bestimmen sich, soweit nicht ein anderes verein­ bart ist, nach dem örtlichen Rechte des Heimathafens und in Ermangelung eines solchen nach dem örtlichen Rechte des Registerhafens. Der Erlaß näherer Bestimmungen steht den Landesregierungen int Verordnungswege und, sofern es an einem inländischen Heimathafen oder Registerhafen fehlt, dem Reichs­ kanzler') zu. über Größe und Einrichtung des Logisraums (§ 55), über die Einrich­ tung üoit Wasch- und Baderäumen und Aborten an Bord der Schiffe und die mindestens mitzunehmenden Heilmittel beschließ! der Bundesrat.') Die Be­ schlüsse des Bundesrats sind dem Reichstage bei seinem nächsten Zusammen­ tritte zur Kenntnisnahme vorzulegen. 8 57. Der Kapitän ist berechtigt, bei ungewöhnlich langer Dauer der Reise oder wegen eingetretener Unfälle, eine Kürzung der Rationen oder eine Ände­ rung hinsichtlich der Wahl der Speisen und Getränke eintreten zu lassen. 1903

Fassung gern. Ges. zur Abänderung der Seemannsordnung v. 23. März Art. 1 (statt „zweiten" Jahres nach der ursprünglichen Fassung). *) Vgl. die Note zu § 39. *) Vgl. die Note zu § 4.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

Er hat im Schiffstagebuchs zu vermerken, wann, aus welchem Grunde und in welcher Weise eine Kürzung oder Änderung eingetreten ist. Dem Schifssmanne gebührt eine den erlittenen Entbehrungen ent-, sprechende Vergütung. Über diesen Anspruch entscheidet unter Vorbehalt des Rechtswegs das Seemannsamt, vor welchem abgemustert wird. § 58. Wenn ein Schiffsofsizier oder nicht weniger als drei Schifssleute bei einem Seemannsamte Beschwerde darüber erheben, daß das Schiff, für wel­ ches sie angemustert sind, nicht seetüchtig ist, oder daß die Vorräte, welche das Schiss für den Bedarf der Mannschaft an Speisen und Getränken mit sich führt, ungenügend oder verdorben sind, so hat das Seemannsamt mit möglichster Beschleunigung unter Hinzuziehung von erreichbaren Sachverständigen und der vrtsanwesenden Beschwerdeführer eine Untersuchung des Schiffes oder der Vorräte zu veranlassen und das Ergebnis in das Schiffstagebuch einzutragen. Auch hat das Seemannsamt, falls die Beschwerde sich als begründet erweist, für die geeignete Abhilfe Sorge zu tragen. Kommt der Kapitän den zu diesem Behufe getroffenen Anordnungen nicht nach, so kann jeder Schiffsoffizier und jeder Schifssmann seine Entlassung mit der für den Fall des § 74 Nr 1 vorgesehenen Wirkung (§ 76) fordern 8 59. Falls der Schiffsmann nach Antritt des Dienstes oder nach der Anmusterung erkrankt oder eine Verletzung erleidet, trägt der Reeder die Kosten der Verpflegung und Heilbehandlung. Vorbehaltlich der Vorschrift im Abs 2 erstreckt sich diese Verpflichtung: 1. wenn der Schiffsmann wegen der Krankheit oder Verletzung die Reise nicht antritt, bis zum Ablaufe von sechsundzwanzig Wochen seit der Erkrankung «oder Verletzung; 2 wenn er die Reise angetreten hat, bis zum Ablaufe von sechsundzwanzig Wochen nach dem Verlassen des Schiffes. Bei Verletzung infolge eines Betriebsunfalls werden die Fristen im Abs. 1 auf dreizehn Wochen beschränkt, im Falle der Nr 2 jedoch nur, wenn der Schifssmann das Schiff in einem deutschen Hafen verläßt, oder wenn er aus einem außerdeütschen Hafen in die Krankenanstalt eines deutschen Hafens -überführt wird. Die Verpflichtung des Reeders hört dem Verletzten ge­ genüber auf, sobald und soweit die Berufsgenossenschast die Fürsorge über­ nimmt. Der Reeder ist berechtigt, die Verpflegung und Heilbehandlung dem Schiffsmann in einer Krankenanstalt zu gewähren. Ein Schiffsmann, der wegen Krankheit oder Verletzung außerhalb "des Reichsgebiets zurückgeblieben ist, kann mit seiner Einwilligung und der des be­ handelnden Arztes oder des Seemannsamts nach einem deutschen Hasen in eine Krankenanstalt überführt werden. Ist der Schiffsmann außerstande, die Zu­ stimmung zu erteilen, oder verweigert er sie ohne berechtigten Grund, so kann sie nach Anhörung eines Arztes durch dasjenige Seemannsamt ersetzt werden, in dessen Bezirke der Schifssmann sich zur Zeit befindet. Ter Schifssmann, welcher sich der Heilbehandlung ohne berechtigten Grund entzieht und hierdurch nach ärztlichem Gutachten die Heilung vereitelt oder wesentlich erschwert hat, verliert den Anspruch auf kostenfreie Verpflegung und Heilbehandlung, über die Berechtigung des Grundes, sowie über Beginn und Dauer des Verlustes entscheidet vorläufig das Seemannsamt. Dem Schifssmanne gebührt, falls er nicht mit dem Schiffe nach dem Hafen der Ausreise (§ 14) zurückkehrt, freie Zurückbeförderung (§§ 78, 79) nach diesem Hafen oder nach Wahl des Kapitäns eine entsprechende, int Streitfälle vom .Seemannsamte vorläufig festzusetzende Vergütung. 8 60. Liegt der Hafen der Ausreise außerhalb des Reichsgebiets, so kann der in einem deutschen Hasen geheuerte Schifssmann in den Fällen des § 59 Abs. 6, des § 66 Abs. 3 und der §§ 69, 71, 72, 79 die Rückbeförderung auch nach dem Hasen, an welchem er geheuert ist, verlangen. Im übrigen kann ver­ einbart werden, daß für die dem Schiffsmann in den vorbezeichneten Fällen zustehenden Rückbeförderungsansprüche an Stelle des Hafens der Ausreise ein

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§§ 58—64.

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anderer Hafen, insbesondere derjenige, an welchem die Heuerung oder die Anmusterung stattgefunden hat, treten soll. Unterläßt es der Reeder oder sein Vertreter, dem Ansprüche des Schiffs­ manns auf freie Zurückbeförderung innerhalb einer vom Seemannsamte ge­ stellten .Frist zu genügen, oder befindet sich der Reeder oder sein Vertreter wegen Abwesenheit nicht in der Lage, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, so kann das Seemannsamt, sofern dadurch dem Reeder keine höheren Kosten erwachsen, auf Antrag des Schiffsmanns anordnen, daß an die Stelle des gesetzlich oder vertragsmäßig bestimmten Rückbeförderungshafens ein anderer, vom Seemannsamte zu bezeichnender Hafen tritt. § 61. Tie Heuer bezieht der erkrankte oder verletzte Schiffsmann: 1. wenn er die Reise nicht antritt, bis zur Einstellung des Dienstes2. wenn er die Reise angetreten hat, bis zu dem Tage, an welchem er das Schiff perläßt. Für die Dauer des Aufenthalts in einer Krankenanstalt gebührt dem Schifssmanne keine Heuer. Hat er aber Angehörige, deren Unterhalt er bis­ her ganz oder überwiegend aus seinem Arbeitsverdienst als Schifssmann be­ stritten hat, so ist ein Viertel der Heuer zu zahlen. Die Zahlung kann uw mittelbar an die Angehörigen erfolgen. Für Schiffsleute, die zur Verpfle­ gung und Bedienung der an Bord befindlichen Personen angenommen sind, tritt in diesem Falle, sofern es für den Schifssmann günstiger ist, an Stelle Der vertragsmäßigen Monatsheuer der gemäß § 10 des See-Unfallversrcherungsgesetzes^) vom Reichskanzlers festgesetzte Durchschnittsbetrag des Mo­ natslohns ohne Hinzurechnung des Wertes der gewährten Beköstigung. Ist der Schifssmann bei der Verteidigung des Schiffes zu Schaden ge­ kommen, so hat er auf angemessene, im Streitfälle vom Seemannsamte vor­ läufig sestzusetzende Belohnung Anspruch. § 62. Auf den Schiffsmann, welcher die Krankheit oder Verletzung durch eine strafbare Handlung sich zugezogen oder den Dienst ohne einen ihn nach § 74 dazu berechtigenden Grund verlassen hat, finden die §§ 59 bis 61 keine Anwendung. Ob die Voraussetzung des Abs. 1 vorliegen, entscheidet vorläufig das Seemannsamt. § 63. Muß der Schifssmann wegen Erkrankung oder Verletzung am Lande zurückgelassen werden, so hat, soweit der Schiffsmann nicht ein anderes bestimmt, der Kapitän die Sachen und das Heuerguthaben des Schiffsmanns behufs Fürsorge für deren Aufbewahrung dem am Orte der Zurücklassung be­ findlichen Seemannsamte zu überliefern. Mit Genehmigung dieses Seemanns­ amts kann,die Überlieferung an eine andere geeignete Stelle, insbesondere an die Verwaltung der Krankenanstalt, in welche der Schiffsmann ausgenommen ist, .erfolgen. Das Gleiche gilt, wenn sich am Orte der Zurücklassung kein See­ mannsamt befindet. In diesem Falle hat der Kapitän dem Seemannsamt, in dessen Bezirke die Zurücklassung erfolgt, von dem Sachverhalt Anzeige zu machen. Ter jKapitän hat bei Überlieferung der Sachen eine von ihm und einem Schifssoffizier, in Ermangelung eines solchen von einem Schiffsmanne, zu unterschreibende Aufzeichnung der Sachen und des Betrags des Heuerguthabens beizufügen und ein zweites Exemplar der Aufzeichnung unter Ber-i merk der Aufbewahrungsstelle dem Schifssmanne zu übergeben. Bei Erkrankung oder Verletzung des Kapitäns hat der Stellvertreter mit den Sachen des Kapitäns nach den Vorschriften der Abs. 1, 2 zu verfahren^ § 64. Stirbt der Schiffsmann nach Antritt des Dienstes, so hat der Reeder die bis zum Todestage verdiente Heuer (§ 80) zu zahlen und, sofern der Tod innerhalb der Zeit der Fürsorgepflicht des Reeders (§ 59) erfolgt, die Bestattungskosten zu tragen. Ist anzunehmen, daß das Schiff innerhalb vierundzwanzig Stunden einen Jetzt ß 1068 der Reichsversicherungsordnung. 2) Vgl. die Note zu § 39.

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Erster Teil.

Stragesetze.

Hafen erreicht, sp ist, falls nicht gesundheitliche Bedenken entgegensteher^ die Leiche mitzunehmen und für deren Bestattung am Lande Sorge zu tragen. Tie Art der Bestattung auf See muß den Seegebräuchen entsprechen. Wird der Schiffsmann bei Verteidigung des Schiffes getötet, so hat der Reeder eine angemessene, erforderlichen Falles von dem Richter zu bestim­ mende ^Belohnung zu entrichten. 8 65. Der auf dem Schiffe während der Reise eintretende Tod des Ka­ pitäns tober eines Schiffsmannes ist gemäß §g 61 bis 64 des Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Februar 1875 (Reichs-Gesetzbl. S. 23) bei Vermeidung der im § 68 daselbst angedrohten Strafe Zu beurkunden. Soweit der Nachlaß eines verstorbenen Schiffsmanns sich an Bord be­ findet, hat der Kapitän für die Aufzeichnung und sorgfältige Aufbewahrung sowie Erforderlichen Falles für den Verkauf des Nachlasses im Wege der Ver­ steigerung Sorge zu tragen. Die Aufzeichnung ist unter Zuziehung von zwei Schiffsoffizieren oder anderen glaubhaften Personen vorzunehmen. Die Nachlaßgegenstände selbst, der etwaige Erlös aus denselben sowie das etwaige Heuerguthaben sind nebst der erwähnten Aufzeichnung und dem Nach­ weis über den Todesfall demjenigen Seemannsamte, bei dem es zuerst ge^schehen kann, oder mit dessen Genehmigung dem Seemannsamte des Aus­ reise- oder des Heimathafens zu übergeben. Für den Nachlaß des während der Reise verstorbenen Kapitäns hat der Stellvertreter nach Maßgabe der Vorschriften der Abs. 2, 3 Sorge zu tragen, ß 66. Der für eine Reise geheuerte Schiffsmann ist verpflichtet, wäh-, rend der ganzen Reise, einschließlich etwaiger Zwischenreisen, bis zur Be­ endigung der Rückreise im Dienst zu verbleiben, wenn in dem Heuervertrage nicht ein anderes bestimmt ist. Unter Rückreise im Sinne des Abs. 1 ist die Reise nach dem Hafen zu verstehen, von welchem das Schiff seine Ausreise angetreten hat. Wenn jedoch das Schiff von einem nicht europäischen Hafen (§ 82) kommt und seine Ausreise von einem deutschen Hafen angetreten hat, so gilt auch jede Reise nach einem Hafen Großbritanniens, des Kanals, der Nordsee, des Kattegats, des Sundes oder der Ostsee als Rückreise, falls die Reise tatsächlich in dem betreffenden, Hafen endet, und dies der Schiffsmannschaft spätestens alsbald nach der An­ kunft vom Kapitän erklärt wird. Endet die Rückreise nicht in dem Hafen der Ausreise, so hat der Schiffs­ mann Anspruch auf freie Zurückbeförderung (§§ 78, 79) nach diesem Hafen oder nach Wahl des Kapitäns auf eine entsprechende, im Streitfälle vom Steemannsamte vorläufig festzusetzende Vergütung; außerdem gebührt ihm neben der verdienten Heuer die Heuer für die Dauer der Zurückbeförderung (§ 73). 8 67. Der für eine bestimmte Zeit geheuerte Schiffsmann ist, sofern keine andere Vereinbarung getroffen ist, verpflichtet, bis zum Ablaufe dieser Zeit im Dienste zu verbleiben. Läuft die Dienstzeit während einer Reise ab, so kann in Ermangelung einer anderen Vereinbarung ber Schiffsmann seine Entlassung erst im nächsten Hafen, welchen das Schiff zum Löschen oder Laden anläuft, verlangen. Ist es naw Bescheinigung des Seemannsamts oder in Ermangelung eines solchen der örtlichen Behörde dem Kapitän nicht möglich, in dem Hafen einen Ersatz­ mann anzuheuern, so ist der Schiffsmann verpflichtet, gegen eine Erhöhung der Heuer um ein Viertel, den Dienst bis zu einem Hafen, in welchem der' Ersatz möglich ist, längstens aber noch drei Monate hindurch fortzusetzen. Ist der Schifssmann in einem deutschen Hafen geheuert, so muß auf sein Vev-, langen das Dienstverhältnis unter den bisherigen Bedingungen bis zur Rück­ kehr nach einem deutschen Hasen, längstens aber noch drei Monate hindurch fortgesetzt werden. 8 68. Nach beendigter Reise kann der Schiffsmann seine Entlassung nicht früher verlangen, als bis die Ladung gelöscht, das Schiff gereinigt und im Hafen oder an einem anderen Orte festgemacht, auch die etwa erforderliche Verklarung abgelegt ist.

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§§ 65—72.

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8 69. Der Heuervertrag endet, wenn das Schiff durch einen Zufall dem Reeder verloren geht, insbesondere 1. wenn es verunglückt: 2. wenn es als reparaturunfähig oder reparaturunwürdig kondemniert (§ 479 des Handelsgesetzbuchs) und in dem letzteren Falle ohne Verzug öffentlich verkauft wird; 3. wenn es geraubt wird; 4. wenn es aufgebracht oder angehalten und für gute Prise erklärt wird. Der Schiffsmann hat alsdann Anspruch auf freie Zurückbeförderung (88 78, 79) nach dem Hafen der Ausreise oder nach Wahl des Kapitäns auf eine entsprechende, im Streitfälle vom Seemannsamte vorläufig festzusetzende Vergütung: außerdem ist ihm neben der verdienten Heuer noch der Betrag der halben ,Heuer für die Dauer der Zurückbeförderung (§ 73) zu gewähren. 8 70. Der Kapitän kann den Schiffsmann vor Ablauf der Dienstzeit entlassen: 1. solange die Reise noch nicht angetreten ist, wenn der Schiffsmann zu dem Dienste, zu welchem er sich verheuert hat, untauglich ist; 2. wenn der Schiffsmann eines groben Dienstvergehens, insbesondere wieder­ holten Ungehorsams, fortgesetzter Widerspenstigkeit, wiederholter Trunken­ heit im Dienste oder der Schmuggelei sich schuldig macht; 3. wenn der Schifssmann des Vergehens des Diebstahls, Betrugs, der Un­ treue, Unterschlagung, Hehlerei oder Urkundenfälschung oder einer mit Todesstrafe oder mit Zuchthaus bedrohten Handlung sich schuldig macht; 4. wenn der Schiffsmann durch eine strafbare Handlung eine Krankheit oder Verletzung sich zuzieht, welche ihn arbeitsunfähig macht; 5. wenn der Schiffsmann mit einer geschlechtlichen Krankheit behaftet ist, die den übrigen an Bord befindlichen Personen Gefahr bringen kann. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich, sofern ein Arzt zu erlangen ist, nach dessen Gutachten; 6. wenn die Reise, für welche der Schifssmann geheuert war, wegen Krieg, Embargo oder Blockade, wegen eines Ausfuhr- oder Einfuhrverbots oder wegen eines anderen, Schiff oder Ladung betreffenden Zufalls nicht an­ getreten oder fortgesetzt werden kann. Der Kapitän muß die Entlassung sowie deren Grund, sobald es ge­ schehen kann, dem Schisfsmanne mitteilen und in den Fällen des Abs. I Nr. 2 bis 5 spätestens, bevor dieser das Schiff verläßt, in das Schiffstagebuch ein­ tragen. Dem Schiffsmann ist aus Verlangen eine vom Kapitän unterzeichnete Abschrift der Eintragung auszuhändigen. 8 71. Dem Schiffsmanne gebührt in den Fällen des § 70 Ntv. 1 bis 4 nicht mehr als die verdiente Heuer (§ 80). Jnr Falle der Nr. 5 bestimmen sich die Ansprüche des Schiffsmanns nach den Vorschriften der §§ 59 bis 61. Dies gilt für Angehörige eines aus-» wärtigen Staates nur insoweit, als nach einer im Reichs-Gesetzblatt enthalte­ nen Bekanntmachung Deutschen, die zum Dienste auf einem Schiffe dieses Staates angestellt sind, durch die dortige Gesetzgebung oder durch Staats­ vertrag eine entsprechende Fürsorge gewährleistet ist. In den Füllen der Nr. 6 stehen dem Schiffsmanne, wenn die Ent­ lassung nach Antritt der Reise erfolgt, die im § 69 Abs. 2 bezeichneten An­ sprache zu. 8 72. Der für eine Reise geheuerte Schiffsmann, welcher aus anderen als aus den im § 70 erwähnten Gründen vor Ablauf des Heuervertrags ent­ lassen wird, erhält als Entschädigung die Heuer für einen Monat unter An­ rechnung der etwa empfangenen Hand- und Borschußgelder. Ist die Entlassung erst nach Antritt der Reise erfolgt, so hat er außer­ dem Anspruch auf freie Zurückbeförderung (§§ 78, 79) nach dem Hafen der Ausreise oder nach Wahl des Kapitäns auf eine entsprechende, im Streitfälle von dem Seemannsamte vorläufig festzusetzende Vergütung. Auch erhält er außer der im Abs. 1 vorgesehenen und der verdienten Heuer (§ 80) die Heuer

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Erster Teil.

Strafgesetze.

für die nach § 73 zu berechnende voraussichtliche Dauer seiner Reise nach dem Rückbeförderungshafen. 8 73. Ist der Rückbeförderungshafen ein deutscher, so wird in Fällen vor­ zeitiger Entlassung nach Antritt der Reise (§ 72 Abs. 2) behufs Ermittelung der dem Schifssmanne für die Rückreise gebührenden Heuer die Dauer der Reise unter Zugrundelegung von Dampfschiffsbeförderung, wie folgt, gerechnet: bei Entlassung: zu: a) in einem Hasen der Nordsee oder des Englischen Kanals, der 1Z2 Monat, Ostsee oder der an diese angrenzenden Gewässer . 1 b^ in einem sonstigen europäischen Hafen (8 82) c) in einem außereuropäischen Hafen, mit Ausnahme der unter d) genannten . 1^2 „ d) in einem Hafen des Großen Ozeans oder Australiens 2 Muß die Rückbeförderung ganz oder teilweise mittelst Segelschiffs statt­ finden, so ist für die mittelst Segelschiffs zurückzulegende Strecke das Doppelte der Dauer der Dampfschifssbeförderung zu rechnen. Erfolgt in den Fällen a und b des Abs. 1 die Rückbeförderung unter aus­ schließlicher Benutzung der Eisenbahn, so wird die Dauer der Reise nicht in Ansatz gebracht. Die Dauer der Rückreise wird nach Maßgabe des Borstehendett, bei Rück­ beförderung nach einem außerdeutschen Hafen unter angemessener Berück­ sichtigung der Sätze a bis d, im Streitfälle vom Seemannsamte vorläufig fest­ gesetzt. 8 74. Der Schiffsmann kann seine Entlassung fordern: 1. wenn sich der Kapitän einer schweren Verletzung seiner Pflichten gegen den Schiffsmann, insbesondere durch Mißhandlung oder durch Duldung solcher seitens anderer Personen der Schiffsbesatzung, durch grundlose Borenthaltung von Speise und Trank oder durch Verabreichung verdor­ benen Proviants schuldig macht; 2. wenn das Schiff die Flagge wechselt; 3. wenn nach Beendigung der Ausreise eine Zwischenreise beschlossen, oder wenn eine Zwischenreise beendigt ist, sofern seit dem Dienstantritt ein oder ein und ein halbes Jahr, je nachdem das Schiff in einem euro--? päischen (§ 82) oder in einem nicht europäischen Hafen sich befindet, verflossen ist; 4. wenn das Schiff nach einem Hafen bestimmt ist, oder einen Hafen an­ laufen soll, der schon zur Zeit der Anmusterung durch Pest, Cholera oder Gelbfieber verseucht war, sofern nicht dem Schifssmanne bei der An­ musterung dieser Hafen und die Verseuchung mitgeteilt worden ist. Als verseucht im Sinne dieser Vorschrift gilt ein Hafen, in dem ein Pest-, Cholera- oder Gelbfieberherd vorhanden ist. Der Anspruch auf Ent­ lassung fällt fort, sobald die Verseuchung aufgehört hat; 5. wenn der Schiffsmann beabsichtigt, sich für die Maschinisten-, Steuer­ manns- oder Schifferprüfung vorzubereiten oder eine ihm nachweislich angebotene Stellung als Kapitän anzunehmen, sofern er einen geeigneten Ersatzmann stellt und durch den Wechsel dem Schiffe kein Aufenthalt entsteht. £)6 der vorgeschlagene Ersatzmann geeignet ist, entscheidet im Streitfälle das nächste Seemannsamt. Der Wechsel des Reeders oder Kapitäns gibt dem Schifssmanne kein Recht die Entlassung zu fordern. 8 75. Im Falle des § 74 Nr. 3 kann die Entlassung nicht gefordert werden: 1. wenn der Schiffsmann für eine längere als die daselbst angegebene Zeit sich verheuert hat. Die Verheuerung auf unbestimmte Zeit oder mit der allgemeinen Bestimmung, daß nach Beendigung der Ausreise der Dienst für alle Reisen, welche noch beschlossen werden möchten, fortzusetzen sei, wird als Verheuerung auf solche Zeit nicht angesehen; 2. sobald die Rückreise ungeordnet ist.

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§§ 73—83.

g 76. Der Schiffsmann hat in den Fällen des § 74 Nr. 1, 2 dieselben Ansprüche, welche für den Fall des § 72 bestimmt sind. In den Füllen des § 74 Nr. 3 bis 5 gebührt ihm nicht mehr als die verdiente Heuer. Jedoch hat er im Falle der Nr. 4 die im § 72 bestimmten Ansprüche, sofern bei der Anmusterung im Heimathafen der Reeder, sein Vertreter (§ 12 Abs. 2) oder der Kapitän, bei der Anmusterung in einem anderen Hafen der Kapitän von der Verseuchung Kenntnis hatte. § 77. Im Auslande darf der Schifssmann, welcher seine Entlassung fordert, außer in dem Falle eines Flaggenwechsels gegen den Willen des Kapi­ täns erst auf Grund einer vorläufigen Entscheidung des Seemannsamts (§ 129) den Dienst verlassen. g 78. Ist nach den Bestimmungen dieses Gesetzes ein Anspruch auf freie Zurückbeförderung begründet, so umfaßt er auch den Unterhalt während der Reise, sowie die Beförderung der Sachen des Schiffsmanns. Den Schiffs­ offizieren ist die Zurückbeförderung und der Unterhalt in der Kajüte zu ge­ währen. Im Streitfall entscheidet über die Art der Zurückbeförderung vorläufig das abmusternde Seemannsamt. g 79. Dem Anspruch auf freie Zurückbeförderung und auf Fortbezug von Heuer für die Dauer der Zurückbeförderung wird genügt, wenn dem Schiffsmanne, welcher arbeitsfähig ist, mit Genehmigung des Seemannsamts ein seiner früheren Stellung entsprechender und durch angemessene Heuer zu vergütender Dienst auf einem deutschen Kauffahrteischiffe nachgewiesen wird, welches nach dem Rückbeförderungshafen oder einem demselben nahe belegenen Hafen geht; im letzteren Falle gebührt dem Schiffsmann eine entsprechende Vergütung für die weitere freie Zurückbeförderung (§ 78) bis zu dem zuerst bezeichneten Hafen. Ist der Schiffsmann kein Deutscher, so wird ein Schiff seiner Natio­ nalität einem deutschen Schiffe gleichgeachtet. g 80. In den Fällen der §§ 45, 53, 61, 64, 69, 71, 72, 76 .wird die verdiente Heuer, sofern die Heuer nicht zeitweise, sondern in Bausch und Bo­ gen für die ganze Reise bedungen ist, mit Rücksicht auf den vollen Heuern betrag nach Verhältnis der geleisteten Dienste sowie des etwa zurückgelegten Teiles der Reise bestimmt. Zur Ermittelung der in den §§ 72, 73 erwähnten Heuer für einzelne Monate wird die durchschnittliche Dauer der Reise, ein­ schließlich der Ladungs- und Löschungszeit, unter Berücksichtigung der Be­ schaffenheit des Schiffes in Ansatz gebracht und danach die Heuer für die einzelnen Monate berechnet. Bei Berechnung der Heuer für einzelne Tage wird der Monat zu dreißig Tagen berechnet. g 81. Der dem Schiffsmann als Lohn zugestandene Anteil an der Fracht oder an: Gewinne wird als Heuer im Sinne dieses Gesetzes nicht angesehen, g 82. In den Fällen der §§ 66,73, 74 sind die nicht europäischen Häfen des Mittelländischen und des Schwarzen Meeres den europäischen Häfen gleichzustellen. g 83. Der Kapitän darf einen Schiffsmann außerhalb des Reichsgebiets nicht ohne Genehmigung des Seemannsamts zurücklassen. Wenn für den Fall der Zurücklassung eine Hilfsbedürftigkeit des Schiffsmanns zu besorgen ist, so kann die Erteilung der Genehmigung davon abhängig gemacht werden, daß der Kapitän gegen den Eintritt der Hilfsbedürftigkeit für einen Zeitraum bis zu drei Monaten Sicherstellung leistet. Ist der Schiffsmann mit der Zurücklassung einverstanden und befindet sich kein Seemannsamt am Platze und läßt sich auch die Genehmigung eines anderen Seemannsamts ohne Verzögerung der Reise nicht einholen, so ist der Kapitän befugt, den Schifssmann ohne Genehmigung zurückzulassen. Der Reeder bleibt in diesem Falle für die aus einer etwaigen Hilfsbedürftigkeit! des Schiffsmanns während der nächsten drei Monate erwachsenden Kosten 'haftbar. Die Bestimmungen des § 127 werden hierdurch nicht berührt. Allfeld, Strafgesetzgebung.

3. Aufl.

12

178

Erster Teil.

Strafgesetze.

Vierter Abschnitt.

Disziplinarvorschriften.

8 84. Der Schiffsmann ist der Disziplinargewalt des Kapitäns unter­ worfen. Die Ausübung der Disziplinargewalt des Kapitäns kann nur auf den ersten Offizier des Deckdienstes und den ersten Offizier des Maschinendienstes innerhalb ihres Dienstbereichs übertragen werden. Dieselben haben jeden Fall der Ausübung der Disziplinargewalt binnen vierundzwanzig Stunden dem Kapitän anzuzeigen. 8 85. Der Schiffsmann ist verpflichtet, sich stets nüchtern zu halten und gegen jedermann ein angemessenes und friedfertiges Betragen zu beobachten. Dem Kapitän, den Schiffsoffizieren und seinen sonstigen Vorgesetzten hat er mit Achtung zu begegnen und ihren dienstlichen Befehlen unweigerlich Folge zu leisten. 8 86. Der Schiffsmann hat dem Kapitän auf Verlangen wahrheitsgemäß und vollständig mitzuteilen, was ihm über die den Schiffsdienst betreffende^ Angelegenheiten bekannt ist. 8 87. Der Schiffsmann darf ohne Erlaubnis des Kapitäns keine Güter an Bord bringen oder bringen lassen. Für die gegen dieses Verbot beförderten eigenen oder fremden Güter muß er die höchste am Abladungsorte zur Ab­ ladungszeit für solche Reisen und Güter bedungene Fracht erstatten, unbe­ schadet der Verpflichtung zum Ersatz eines erweislich höheren Schadens.

Der Kapitän ist auch befugt, solche Güter über Bord zu werfen, wenn ihr Verbleib an Bord Schiff oder Ladung oder die Gesundheit der an Bord be­ findlichen Personen gefährden oder das Einschreiten einer Behörde zur Folge haben kann. 8 88. Die Vorschriften des § 87 finden auch Anwendung, wenn der Schiffsmann ohne Erlaubnis des Kapitäns Waffen oder Munition, Branntwein oder andere geistige Getränke oder mehr an Tabak und Tabakswaren, als er zu seinem Gebrauch auf der beabsichtigten Reise bedarf, an Bord bringt oder bringen läßt. Tie gegen dieses Verbot mitgenommenen Gegenstände verfallen dem Schiffe. 8 89. Der Kapitän hat die auf Grund der Vorschriften der §§ 87, tz8 getroffenen Anordnungen, sobald es geschehen kann, in das Schiffstagebuch einzutragen. 8 90. Liegt das Schiff im Hafen oder auf der Reede, so ist der Kapitän befugt, wenn nach den Umständen eine Entweichung zu befürchten ist, die Sachen der Schiffsleute bis zur Abreise des Schiffes in Verwahrung zu nehmen.

8 91. Zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Sicherung der Regel­ mäßigkeit des Dienstes ist der Kapitän befugt, die geeigneten Maßregeln zu ergreifen. Geldbußen, Kostschmälerung von mehr als dreitägiger Dauer, Ein­ sperrung und körperliche Züchtigung darf er jedoch zu diesem Zwecke weder als Strafe verhängen noch als Zwangsmittel anwenden. Bei einer Widersetzlichkeit oder bei beharrlichem Ungehorsam ist der Kapitän zur Anwendung aller Mittel befugt, welche erforderlich sind, um seinen Befehlen Gehorsam zu verschaffen. Zu diesem Zwecke ist ihm auch die An­ wendung von körperlicher Gewalt in dem durch die Umstände gebotenen Maße gestattet. Er darf ferner gegen die Beteiligten die geeigneten Sicherungsmaßkregeln ergreifen und sie nötigenfalls während der Reise fesseln. Jeder Schiffsmann muß dem Kapitän auf Erfordern Beistand zur Auf­ rechterhaltung der Ordnung, sowie zur Abwendung oder Unterdrückung einer Widersetzlichkeit leisten. Im Auslande kann der Kapitän in dringenden Fällen die Kommandanten der ihm zugänglichen Schiffe der Kriegsmarine des Reichs um Beistand zur Aufrechterhaltung der Disziplin angehen.

44. Seemannsordnung vom 2. Juni 1902. §§ 84—96.

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§ -2. Der Kapitän hat jede in Gemäßigkeit der Vorschriften des § 91 getroffene Maßregel mit Angabe der Veranlassung, sobald es geschehen kann, in das Schiffstagebuch einzutragen. Fünfter Abschnitt.

Strasvorschristen.

g 93. Ein Schiffsmann, welcher nach Abschluß des Heuervertrags sich ver­ borgen hält, um sich dem Antritte des Dienstes zu entziehen, wird mit Geld­ strafe bis zu sechzig Mark bestraft. Wenn ein Schiffsmann, um sich der Fortsetzung des Dienstes zu ent­ ziehen, entweicht oder sich verborgen hält, so tritt Geldstrafe bis zu drei­ hundert Mark oder Gefängnisstrafe bis zu drei Monaten ein. Ein Schiffsmann, welcher mit der Heuer entweicht oder sich verborgen hält, um sich dem übernommenen Dienste zu entziehen, wird mit der im § 298 des Strafgesetzbuches angedrohten Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre belegt. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann auf Geldstrafe bis zu dreihundert Mark erkannt werden. In den Fällen der Abs. 1, 2 tritt die Verfolgung nur auf Antrag des Kapitäns auf. Die Zurücknahme des Antrags ist zulässig.

g 94. In den Fällen des § 93 Abs. 2, 3 verliert der Schiffsmann, wenn er vor Abgang des Schiffes weder zur Fortsetzung des Dienstes freiwillig zurückkehrt, noch zwangsweise zurückgebracht wird, den Anspruch auf die bis dahin verdiente Heuer. Die Heuer und, sofern diese nicht ausreicht, auch die am Bord zurückgelassenen Sachen des Schiffsmanns können von dem Reeder zur Deckung seiner Schadensansprüche aus dem Heuer- oder Dienstvertrag in Anspruch genommen werden; soweit die Heuer hierzu nicht erforderlich ist, wird mit ihr nach Maßgabe des § 132 verfahren. Dem Seemannsamte, bei welchem die Meldung von der Entweichung erfolgt (§ 25), ist, sobald es geschehen kann, eine Aufstellung über den Betrag der Schadensansprüche und des Heuer­ guthabens einzureichen, widrigenfalls die vorgedachte Befugnis erlischt.

g 95. Hat der Schiffsmann sich im Auslande dem Dienste in einem der Fälle des § 74 Nr. 1, 3, 4, 5 der Vorschrift des § 77 entgegen entzogen, so tritt Geldstrafe bis zum Betrag einer Monatsheuer ein.

g 96. Mit Geldstrafe bis zum Betrag einer Monatsheuer wird ein Schiffsmann bestraft, welcher sich einer gröblichen Verletzung seiner Dienstpflich­ ten schuldig macht. Als Verletzung der Dienstpflicht, die, wenn sie in gröblicher Weise erfolgt, nach Abs. 1 strafbar ist, wird insbesondere angesehen: 1. Nachlässigkeit im Wachtdienste; 2. Ungehorsam gegen den Dienstbefehl eines Vorgesetzten; 3. Ungebührliches Betragen gegen Vorgesetzte, gegen andere Mitglieder der Schiffsmannschaft oder gegen Reisende; ' 4. Verlassen des Schiffes ohne Erlaubnis oder Ausbleiben über die fest­ gesetzte Zeit;

5. Wegbringen eigener oder fremder Sachen von Bord des Schiffes und an Bord bringen oder an Bord bringen lassen von Gütern oder sonstigen Gegenständen ohne Erlaubnis; 6. Eigenmächtige Zulassung fremder Personen an Bord und Gestattung des Anlegens von Fahrzeugen an das Schiff;

7. Trunkenheit im Schiffsdienste;

180

Erster Teil.

Strafgesetze.

8. Vergeudung, unbefugte Veräußerung oder bei Seite bringen von Pro­ viant. Gegen Schisssofsiziere kann die Strafe bis auf den Betrag einer zweimonatlicher: Heuer erhöht werden. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des Kapitäns oder eines verletzten Schiffsmanns ein. Der Antrag kann bis zur Abmusterung gestellt werden Die Zurücknahme ist bis zur rechtskräftigen Entscheidung zulässig.

§ 97. In den Fällen der §§ 95, 96 wird, wenn die Heuer nicht monats­ weise bedungen ist, bei der Festsetzung der Geldstrafe der einer Monatsheuer entsprechende Geldbetrag nach dem Ermessen des Seemannsamts berechnet. 8 98. Der Kapitän hat, sobald es geschehen kann, jede gröbliche Ver­ letzung der Dienstpflicht (§ 96) mit genauer Angabe des Sachverhalts in das Schiffstagebuch einzutragen und dem Schisfsmanne von dem Inhalte der Ein­ tragung unter ausdrücklicher Hinweisung auf die Strafandrohung des § 96 Mit­ teilung zu machen, auch demselben auf Verlangen eine Abschrift der Ein­ tragung auszuhändigen. Unterbleibt die Mitteilung, so sind die Gründe der Unterlassung im Tage­ buch anzugeben Ist die Eintragung versäumt, so tritt keine Verfolgung ein, soweit nicht im Falle des § 96 Abs. 2 Nr 3 der verletzte Schifssmann darauf anträgt. § 99. Beschwert sich ein Schiffsmann über ungebührliches Betragen der Vorgesetzten oder anderer Mitglieder der Schiffsmannschaft oder darüber, daß das Schiff, für welches er angemustert ist, nicht seetüchtig ist, oder daß die Vor­ räte, welche das Schiff für den Bedarf der Mannschaft an Speisen und Ge­ tränken mit sich führt, ungenügend oder verdorben sind, so hat der Kapitän die Beschwerde mit genauer Angabe des Sachverhalts in das Schiffstagebuch einzutragen und dem Beschwerdeführer auf Verlangen eine Abschrift der Ein­ tragung auszuhändigen. 8 100. Ein Schiffsmann, welcher den wiederholten Befehlen des Kapi­ täns, eines Schiffsoffiziers oder eines anderen Vorgesetzten den schuldigen Ge­ horsam verweigert, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Geld­ strafe bis zu dreihundert Mark bestraft. 8 101. Wenn zwei oder mehrere zur Schiffsmannschaft gehörige Per­ sonen dem Kapitän, einem Schiffsosfizier oder einem anderen Vorgesetzten den schuldigen Gehorsam auf Verabredung gemeinschaftlich verweigern, so tritt gegen jeden Beteiligten Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre ein. Der Rädels­ führer wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann auf Geldstrafe bis zu sechshundert Mark erkannt werden. Der Rädelsführer wird in diesem Falle mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. 8 102. Ein Schiffsmann, welcher zwei oder mehrere zur Schiffsmann­ schaft gehörige Personen zur Begehung einer nach den §§ 101, 105 strafbaren Handlung auffordert, ist gleich dem Anstifter zu bestrafen, wenn die Auf­ forderung der strafbaren Handlung oder einen strafbaren Versuch derselben zur Folge gehabt hat. Ist die Aufforderung ohne Erfolg geblieben, so tritt im Falle des § 101 Geldstrafe bis zu dreihundert Mark, im Falle des § 105 Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre ein.

8 103. Ein Schiffsmann, welcher den Kapitän, einen Schiffsoffizier oder einen anderen Vorgesetzten durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt oder durch Verweigerung der Dienste zur Vornahme oder zur Unterlassung einer dienstlichen Verrichtung nötigt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren be­ straft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann auf Geldstrafe bis zu sechs­ hundert Mark erkannt werden. Der Versuch ist strafbar. 8 104. Dieselben Strafvorschriften (§ 103) finden auf den Schifssmann Anwendung, welcher dem Kapitän, einem Schiffsoffizier oder einem anderen

44. Seemannsordnung vom 2. Juni 1902. §§ 97—111.

181

Vorgesetzten in Ausübung seiner Dienstbefugnisse durch Gewalt oder durch Be­ drohung mit Gewalt Widerstand leistet, oder den Kapitän, einen Schiffsoffizier oder einen anderen Vorgesetzten tätlich angreift.

§ 105. Wird eine der in den §§ 103, 104 bezeichneten Handlungen von mehreren Schisfsleuten auf Verabredung gemeinschaftlich begangen, so kann die Strafe bis auf das Doppelte des angedrohten Höchstbetrags erhöht werden. Der Rädelsführer, sowie diejenigen, welche gegen den Kapitän, einen Schiffsoffizier oder einen anderen Vorgesetzten Gewalttätigkeiten verüben, wer­ den mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis von gleicher Dauer bestraft; auch kann neben der Zuchthausstrafe auf Zulässigkeit von Polizei­ aufsicht erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Ge­ fängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein.

8 106* Ein Schiffsmann, welcher solchen Befehlen des Kapitäns, eines Schiffsoffiziers oder eines anderen Vorgesetzten den Gehorsam verweigert, welche sich aus die Abwehr oder auf die Unterdrückung der in den §§ 103, 104 bezeichneten Handlungen beziehen, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark bestraft. 8 107. Mit Geldstrafe bis zu sechzig Mark oder mit Haft bis zu vierzehn Tagen wird bestraft ein Schifssmann, welcher 1. bei Verhandlungen, die sich auf die Erteilung eines Seefahrtsbuches, auf eine Eintragung in dasselbe oder auf eine Musterung beziehen, wahre Tatsachen entstellt oder unterdrückt oder falsche vorspiegelt, um ein Secmannsamt zu täuschen; 2. es unterläßt, sich gemäß § 12 zur Musterung zu stellen; 3. im Falle eines dem Dienstantritt entgegenstehenden Hindernisses es unter­ läßt, sich hierüber gemäß § 17 gegen das Seemannsamt auszuweisen; 4. wider besseres Wissen eine auf unwahre Behauptungen gestützte Be­ schwerde gemäß § 99 bei dem Kapitän vorbringt; 5. der »vorläufigen Entscheidung des Seemannsamts (§ 129 Abs. 3) zuwider­ handelt. Durch die Bestimmung des Abs. 1 Nr. 1 wird die Vorschrift des § 271 des Strafgesetzbuchs nicht berührt.

8 108. Wer wider besseres Wissen eine auf unwahre Behauptungen ge­ stützte Beschwerde über Seeuntüchtigkeit des Schiffes oder Mangelhaftigkeit des Proviants bei einem Seemannsamte vorbringt (§ 58) und hierdurch eine Unter­ suchung veranlaßt, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Geld­ strafe bis zu dreihundert Mark bestraft. Wer leichtfertig eine aus unwahre Behauptungen gestützte Beschtoerde über Seeuntüchtigkeit des Schiffes oder Mangelhaftigkeit des Proviants bei einem Seemannsamte vorbringt und hierdurch eine Untersuchung veranlaßt, wird mit Geldstrafe bis zu einhundert Mark bestraft.

8 109. Ein Schiffsmann, welcher vorsätzlich und rechtswidrig Teile des Schiffskörpers, der Maschine, der Takelung oder Ausrüstungsgegenstände oder Vorrichtungen, welche zur Rettung von Menschenleben dienen, zerstört oder beschäftigt, wird mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ter Versuch ist strafbar. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 8 110. Die Verhängung einer in diesem Abschnitt oder durch sonstige strafgesetzliche Vorschriften angedrohten Strafe wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß der Schuldige aus Anlaß der ihm zur Last gelegten Tat bereits diszipli­ narisch bestraft worden ist. Jedoch muß eine Disziplinarstrafe, sowohl in dem Strafbescheide des Seemannsamts (§ 123), wie in dem gerichtlichen Strafurteile bei Abmessung der Strafe berücksichtigt werden. 8 111. Der Kapitän, Schiffsoffizier oder sonstige Vorgesetzte, welcher einem Schifssmanne gegenüber seine Disziplinargewalt mißbraucht, wird mit

182

Erster Teil.

Strafgesetze.

Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. 8 112. Der Kapitän, welcher die gehörige Verproviantierung des Schif­ fes vor Antritt oder während der Reise vorsätzlich unterläßt, wird mit Ge­ fängnis bestraft, neben welchem aus Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark, sowie auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann. Ist die Unterlassung aus Fahrlässigkeit geschehen, so tritt, wenn in Folge dessen der Schiffsmannschaft die gebührende Kost nicht gewährt werden kann, Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahr ein. 8 113. Mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark, mit Haft oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten wird bestraft ein Kapitän, welcher 1. den Verpflichtungen zuwiderhandelt, welche ihm durch die gemäß § 56 Abs. 2 vom Bundesrat *) erlassenen Vorschriften auferlegt werden; 2. den iBerpflich ungen zuwiderhandelt, welche ihm durch die gemäß § 4 vom Bundesrat*) erlassenen Vorschriften über die Besetzung der Schiffe mit Schisfsosfizieren auferlegt werden; 3. einem Schifssmanne grundlos Speise und Trank vorenthält oder ohne Not verdorbenen Proviant verabreicht; 4. einen Schiffsmann, abgesehen von dem Falle des § 83 Abs. 2, im Aus­ land ohne Genehmigung des Seemannsämts zurückläßt. 8 114. Mit Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder mit Haft wird bestraft ein Kapitän, rvelcher 1. es unterläßt, für die Bekanntgabe der Vorgesetzten durch Aushang (§ 3 Abs. 4) Sorge zu tragen; 2. es unterläßt, bei der Anheuerung dem Schiffsmanne den vorgeschriebenen Heuerschein (§ 27) einzuhändigen; 3. den ihm in Ansehung der Musterung obliegenden Verpflichtungen nicht genügt, oder unterläßt, dafür zu sorgen, daß die Musterrolle sich während der Reise an Bord befindet; 4. bei Verhandlungen, welche sich auf eine Musterung oder eine Ein­ tragung in ein Seefahrtsbuch beziehen, wahre Tatsachen entstellt oder unterdrückt oder falsche vorspiegelt, um ein Seemannsamt zu täuschen; 5. der Vorschrift des § 34 Abs. 3 zuwider dem Schiffsmann ohne triftigen Grund die Erlaubnis zum Verlassen des Schiffes verweigert; die Be­ strafung tritt nur ein, wenn der Schiffsmann sie binnen drei Tagen nach der Verweigerung des Urlaubs beim Seemannsamte beantragt; 6. den Vorschriften des § 37 Abs. 2, 4 und des § 38 zuwiderhandelt; 7. den Vorschriften der §§ 46, 48, betreffend die Auszahlung der Heuer und der Vorschüsse, zuwiderhandelt; 8. es unterläßt, für die Erfüllung der im § 49 vorgesehenen Obliegenheiten Sorge zu tragen; 9. den Vorschriften des § 50 zuwider die Mannschaft nicht ergänzt; 10. die ihm obliegende Fürsorge für das Seefahrtsbuch (§ 17), für die Sachen und für das Heuerguthaben des erkrankten oder für den Nachlaß des ver­ storbenen Schiffsmanns verabsäumt (§§ 63, 65); 11. den .Vorschriften des § 64 Abs. 2, 3 zuwiderhandelt; 12. eine der in den §§ 70, 89, 92, 99 vorgeschriebenen Eintragungen in das Schiffstagebuch unterläßt; 13. den ihm bei Vergehen und Verbrechen nach den §§ 126, 127 obliegenden Verpflichtungen nicht genügt; 14. dem Schiffsmann ohne dringenden Grund die Gelegenheit versagt, die Entscheidung des Seemannsamts nachzusuchen (§§ 129, 130); 15. der Anordnung eines Seemannsamts wegen Vollstreckung eines Straf­ bescheids (§ 125 Abs. 2) nicht Folge leistet oder der vorläufigen Ent­ scheidung eines Seemannsamts (§ 129 Abs. 3) zuwiderhandelt; 16. es unterläßt, dafür Sorge zu tragen, daß die im § 133 vorgeschriebenen Abdrücke und Schriftstücke im Bolkslogis zugänglich sind.

*) Vgl. die Note zu § 4.

44. Seemannsordnung vom 2. Juni 1902. §§ 112—123.

183

Durch die Vorschrift des Abs. 1 Nr 4 wird die Vorschrift des § 271 des Strafgesetzbuchs nicht berührt. 8 115. Mit Geldstrafe bis zu zehn Mark oder mit einem Tage Haft wird bestraft ein Kapitän oder ein Schiffsmann, der sich vor dem Seemanns­ amt ungebührlich benimmt.

8 116. Ein Schiffsoffizier, welcher es unterläßt, gemäß § 84 von der Ausübung der Disziplinargewalt binnen vierundzwanzig Stunden dem Kapi­ tän .Mitteilung zu machen, wird mit Geldstrafe bis zu elnhundertundfünfzig Mark oder mit Haft bestraft. 8 117. Wer als Reeder oder als Vertreter eines Reeders vorsätzlich den gemäß § 56 Abs. 2 vom Bundesrat*) erlassenen Vorschriften zuwiderhandelt oder den Kapitän außer Stand setzt, für die genügende Verproviantierung des Schiffes oder die Mitnahme der vorschriftsmäßigen Heilmittel zu sorgen, wird, sofern nicht in den letzteren Fällen nach anderen Vorschriften eine schwerere Strafe venoirkt ist, mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit Gefängnis bis Wendung. > Die Schuldverschreibungen, welche die Hypothekenbank gemäß Abs. 1 aus­ gibt, dürfen unter Hinzurechnung der im Umlaufe befindlichen Hypotheken­ pfandbriefe den für die letzteren im § 7 bestimmten Höchstbetrag nicht um mehr als zwei Fünfteile übersteigen. 8 42. Werden von einer Hypothekenbank auf Grund von Darlehen, die an Kleinbahnunternehmungen gegen Verpfändung der Bahn gewährt sind, Schuldverschreibungen ausgegeben, so finden auf diese Schuldverschreibungen und die ihnen zugrunde liegenden Darlehensforderungen die im § 41 Abs. 1 angeführten .Vorschriften entsprechende Anwendung. Die von der Hypotheken­ bank in der bezeichneten Weise ausgegebenen Schuldverschreibungen stehen im Sinne der Vorschriften des § 7 und des § 41 Abs. 2 den Hypothekenpfand­ briefen gleich.

218

Erster Teil.

Strafgesetze.

Die Satzung der Bank kann bestimmen, daß auf Grund der Forderungen aus den gemäß Abs. 1 gewährten Darlehen und auf Grund der Forderungen aus Darlehen, die an Kleinbahnunternehmungen gegen Übernahme der Ge­ währleistung durch eine inländische Körperschaft des öffentlichen Rechtes ge­ währt sind, Schuldverschreibungen einer und derselben Art ausgegeben werden, denen beide Arten von Forderungen zur Deckung dienen. In dem Geschäfts­ bericht oder in der Bilanz ist der Gesamtbetrag der Forderungen der einen und der .anderen Art ersichtlich zu machen. Im übrigen sind die für die Gewährung von Darlehen an Kleinbahn­ unternehmungen maßgebenden Grundsätze von der Hypothekenbank festzu­ stellen; die Grundsätze bedürfen der Genehmigung der Aufsichtsbehörde. Die Vorschriften des § 13 Abs. 2 finden entsprechende Anwendung 8 43. ------------- § 44. Dieses Gesetz tritt, soweit sich nicht aus dem § 53 ein anderes ergibt, gleichzeitig mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch in Kraft. 8 45. Auf die bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehenden Hypo­ thekenbanken finden die Vorschriften des § 1 Abs. 1, 2 keine Anwendung Auf die bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes in das Genossenschafts­ register eingetragenen Genossenschaften findet, sofern sie vor dem 1 Mai 1898 gemäß den Bestimmungen ihrer Satzung die int § 1 Abs 1 bezeichneten Ge­ schäfte betrieben haben, die Vorschrift des § 2 keine Anwendung. 8 46. Die bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehenden Hypo­ thekenbanken unterliegen den Vorschriften des § 5 insoweit nicht, als sie bis zum 1. Mai 1898 gemäß den Bestimmungen ihrer Satzung Geschäfte in wei­ terem als dem im § 5 bezeichneten Umfange betrieben haben. Eine Hypothekenbank, die von dem Rechte des erweiterten Geschäfts­ betriebs nach Maßgabe des Abs. 1 Gebrauch macht, darf Hypothekenpfand­ briefe nur bis zum sünfzehnfachen Betrage des eingezahlten Grundkapitals und des im § 7 bezeichneten Reservefonds ausgeben. Die Befugnis zur Aus­ gabe von Hypothekenpfandbriefen ist auf den doppelten Betrag des eingezahlten Grundkapitals und des im § 7 bezeichneten Reservefonds beschränkt, wenn bei dem Inkrafttreten des Gesetzes die von der Bank ausgegebenen Hypotheken­ pfandbriefe den doppelten Betrag des eingezahlten Grundkapitals nicht über­ steigen. Der Betrag, bis zu welchem hiernach eine Bank Hypothekenpfandbriefe ausgeben darf, tritt auch im Sinne des § 41 Ms. 2 an die Stelle b^es im § 7 bestimmten Höchstbetrags. 8 47. Beschließt eine Hypothekenbank, die nach § 46 nicht an die Vor­ schriften des § 5 gebunden ist, sich diesen Vorschriften zu unterwerfen und ihre Satzung demgemäß zu ändern, so ist, wenn im Zusammenhänge damit zugleich eine Herabsetzung des Grundkapitals stattfindet, die im § 289 Abs. 3, 4 des Handelsgesetzbuchs vorgesehene Sicherstellung der Gläubiger in Ansehung der iPsandbriefgläubiger nicht erforderlich, sofern die im Umläufe befindlichen Hypothekenpfandbriefe durch die in das Hypothekenregister eingetragenen Hypotheken vollständig gedeckt sind. 8 48. Eine Hypothekenbank, die bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes das Recht besitzt, über den in den §§ 7, 41, 42 oder im § 46 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 bestimmten Betrag hinaus Hypothekenpfandbriefe oder Schuldverschrei­ bungen auszugeben, behält dieses Recht mit der Maßgabe, daß die Hypo­ thekenpfandbriefe und die auf Grund von Darlehen an Kleinbahnunternehmungen nusgegebenen Schuldverschreibungen den zwanzigfachen Betrag des ein­ gezahlten Grundkapitals nicht übersteigen dürfen und daß hierbei das ein­ gezahlte Kapital nur insoweit berücksichtigt wird, als es innerhalb des Be­ trags verbleibt, auf welchen am 1. Mai 1898 das Grundkapital der Bank durch die Satzung festgesetzt war; die Schuldverschreibungen, welche die Bank auf Grund nichthypothekarischer Darlehen an Körperschaften des öffentlichen Rechts oder gegen Übernahme der Gewährleistung durch eine solche Körperschaft ausgibt, dürfen unter Hinzurechnung der im Umläufe befindlichen Hypotheken­ pfandbriefe «und auf Grund von Darlehen an Kleinbahnunternehmungen aus-

60. Hypothekenbankgesetz v. 13. Juli 1899. §§ 43—53.

219

gegebenen Schuldverschreibungen den Betrag, bis zu welchem die Bank Hypo­ thekenpfandbriefe Qusgeben darf, nicht um mehr als zwei Fünfteile übersteigen. Auf Grund einer nach dem 1. Mai 1898 in das Handelsregister ein­ getragenen Kapitalserhöhung dürfen Hypothekenpfandbriefe und Schuldver­ schreibungen nur nach den Vorschriften der §§ 7, 41, 42, 46 ausgegeben werden. Hierbei bleibt der Reservefonds, der bei Erreichung des nach Äbs. 1 zulässigen Höchstbetrags vorhanden war, außer Betracht. Diese Vorschriften finden in dem Falle des § 46 Abs. 2 Satz 2 keine Anwendung.

§ 49. Auf die Deckung der Hypothekenpfandbriefe durch Hypotheken, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes von einer Hypothekenbank gemäß den Bestimmungen ihrer Satzung erworben sind, finden die Vorschriften des! § ß Abs. 2 und der §§ 10 bis 12 keine Anwendung. Die Vorschriften des § 17 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, 3 und der §§ 18 bis 21 sind nur für Verträge maßkgebend, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes abgeschlossen werden.

8 50. ----- --------8 51. Ist bei einer Hypothekenbank zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes ein Staatskommissar mit der Überwachung der- Pfandbriefausgabe betraut, so können die Obliegenheiten, welche nach § 22 Abs. 2 und den §§ 30 bis 32, 41, 42 von dem Treuhänder wahrzunehmen sind, dem nach § 4 Abs. 3 bestellten Kommissar übertragen werden.

8 52. Hat eine Hypothekenbank auf Grund von Rentenfordecungen, die vor dem 1. Januar 1899 als Reallasten in das Grundbuch eingetragen worden sind, besondere Schuldverschreibungen ausgegeben, so finden auf diese Schuld­ verschreibungen und auf die ihnen zugrunde liegenden Rentenforderungen die Vorschriften der §§ 6, 22, 29 bis 35, des § 37 Abs. 2, 3, des § 41 Ms. 1 und des § 51 entsprechende Anwendung. 8 52 a. Hat eine Kreditanstalt vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes wert­ beständige Schuldverschreibungen ausgegeben, für deren Deckung Reallasten verwendet werden, so kann im Falle der Umwandlung der Kreditanstalt in eine Hypothekenbank 'die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats bestimmen, 1. daß die Vorschriften des Hypothekenbankgesetzes und des Gesetzes über wertbeständige Hypotheken ganz oder teilweise auf diese Schuldverschrei­ bungen und Reallasten Anwendung finden; 2. daß und unter welchen Voraussetzungen die Kreditanstalt zur Deckung von Schuldverschreibungen neben Hypotheken auch Reallasten verwewden darf. 8 52 d. — — — — — — — — — —— — — 8 53. Die bestehenden Hypothekenbanken haben mit der Anlegung der in den §§ 22, 41, 42, 52 vorgeschriebenen Register so zeitig zu beginnen, daß die Register am 1. Januar 1900 angelegt sind. Unverzüglich nach diesem Zeit­ punkte haben sie der Aufsichtsbehörde anzuzeigen, daß die Anlegung der Re­ gister erfolgt ist. Eine von dem Treuhänder oder dem Kommissar der Auf­ sichtsbehörde beglaubigte Abschrift des Registers ist der Behörde mit tun­ lichster Beschleunigung einzureichen. Mit der Erstattung der im Ms. 1 Satz 2 vorgeschriebenen Anzeige er­ löschen die Pfandrechte, welche für die Psandbriefgläubiger nach den Landes­ gesetzen bestellt sind. Soweit einer Bank in der Satzung oder den Pfandbrief­ bedingungen die Verpflichtung zur Bestellung eines Pfandrechts für die Pfandbriefgläubiger auferlegt ist, verlieren die hierauf bezüglichen Bestim­ mungen mit dem gedachten Zeitpunkt ihre Wirksamkeit.

220

Erster Teil.

61.

5. Börsengesetz.

Strafgesetze.

Born 27. Mai 1908. (RGBl. S. 215.)1) I. Allgemeine Bestimmungen über die Börsen und deren Organe. 8 1. Die Errichtung einer Börse bedarf der Genehmigung der Landes­ regierung. Diese ist befugt, die Aufhebung bestehender Börsen anzuordnen Tie Landesregierungen üben die Aufsicht über die Börsen aus. Sie können die unmittelbare Aufsicht den Handelsorganen (Handelskammern, kaufmännischen Korporationen) übertragen. Dec Aufsicht der Landesregierungen und der mit der unmittelbaren Auf­ sicht .betrauten Handelsorgane unterliegen auch die auf den Börsenverkehr be­ züglichen Einrichtungen der Kündigungsbureaus, Liquidationskassen, Liquidationsvereine und ähnlicher Anstalten. § 2. Bei den Börsen sind als Organe der Landesregierung Staats­ kommissare zu bestellen. Ihnen liegt es ob, den Geschäftsverkehr an der Börse sowie die Befolgung der in Bezug auf die Börse erlassenen Gesetze und Ver­ waltungsbestimmungen nach näherer Anweisung der Landesregierung zu über­ wachen. Sie sind berechtigt, den Beratungen der Börsenorgane beizuwohnen und die Börsenorgane auf hervorgetretene Mißbräuche aufmerksam zu machen. Sie haben über Mängel und über die Mittel zu ihrer Abstellung Bericht zu erstatten. Mit Zustimmung des Bundesrats2) kann für einzelne Börsen die Tätigkeit des Staatskommissars auf die Mitwirkung beim ehrengerichtlichen Verfahren beschränkt oder, sofern es sich um kleine Börsen handelt, von der Bestellung eines Staatskommissars abgesehen werden. § 3. Zur Begutachtung über die durch dieses Gesetz der Beschlußfassung des Bundesrats2) überwiesenen Angelegenheiten ist als Sachverständigenorgan ein Börsenausschuß zu bilden. Derselbe ist befugt, Anträge an den Reichskanz­ ler zu stellen und Sachverständige zu vernehmen.

!) Bekannt gemacht auf Grund des Art. VI des Gesetzes vom 8. Mai 1908 betr. Änderung des Börsengesetzes (vom 22. Juni 1896, RGBl. S. 157), RGBl. 1908 S 183. Die Art. I—IV der Novelle vom 8. Mai 1908 enthalten die im Texte berücksichtigten Änderungen; die übrigen Vorschriften lauten: Art. V. Die Vorschriften dieses Gesetzes über den Ausschluß, des Rück­ forderungsrechts und über die Zulässigkeit der Aufrechnung finden auch auf Geschäfte lAnwendung, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes geschlossen sind. Das Gleiche gilt von den Vorschriften über die Wirkungen einer Sicherheits­ leistung, wenn die Sicherheit nach dem Inkrafttreten des Gesetzes bestellt ist, sowie von den Vorschriften über die Folgen der Bewirkung der vereinbarten Leistung, wenn die im § 55 bezeichnete Erklärung nach dem Inkrafttreten ab­ gegeben ist. Ist ein Anspruch aus einem vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ge­ schlossenen ^Geschäfte zur Zeit des Inkrafttretens rechtshängig, so bleibt für ihn das bisherige Recht maßgebend. Art. VI. Der Reichskanzler wird ermächtigt, den Text des Börsengesetzes, wie er sich aus den in den Artikeln I bis IV dieses Gesetzes sowie dem Artikel 14 des Einführungsgesetzes zum Handelsgesetzbuche vom 10. Mai 1897 (ReichsGesetzbl. S. 437) vorgesehenen Änderungen ergibt, unter Weglassung der §§ 81, 82 unter fortlaufender Nummernfolge der Paragraphen und Abschnitte durch das Meichs-Gesetzblatt bekannt zu machen. Soweit in Reichsgesetzen oder in Landesgesetzen auf Vorschriften des Bör­ sengesetzes verwiesen ist, treten die entsprechenden Bestimmungen des durch den >Reichskanzler bekanntgemachten Textes an ihre Stelle. 2) Nunmehr des Reichsrats. Vgl. oben S. 214 Note 1.

61. Börsengesetz v. 27. Mai 1908. §§ 1—7.

221

Der Börsenausschuß besteht aus mindestens dreißig Mitgliedern, welche vom Bundesrat in der Regel auf je fünf Jahre zu wühlen sind. Eine er­ neute Wahl ist zulässig. Die Wahl der Hälfte der Mitglieder erfolgt auf Vor­ schlag der Börsenorgane. Darüber, in welcher Anzahl dieselben von den ein­ zelnen Börsenorganen vorzuschlagen sind, bestimmt der Bundesrat. Die andere Hälfte wird unter angemessener Berücksichtigung von Landwirtschaft und »Industrie gewählt. Die Geschäftsordnung für den Ausschuß wird nach Anhörung desselben von dem Bundesrat erlassen; der letztere setzt auch die den Ausschußmitgliedern zu gewährenden Tagegelder und Reisekosten fest. 8 4. Für jede Börse ist eine Börsenordnung zu erlassen. Die Genehmigung derselben erfolgt durch die Landesregierung. Die­ selbe kann die Aufnahme bestimmter Vorschriften in die Börsenordnung anord­ nen, insbesondere der Vorschrift, daß in den Vorständen der Produktenbörsen die /Landwirtschaft, die landwirtschaftlichen Nebengewerbe und die Müllerei eine entsprechende Vertretung finden. 8 5* Die Börsenordnung muß Bestimmungen treffen: 1. über die Börsenleitung und ihre Organe; 2. über die Geschäftszweige, für welche die Börseneinrichtungen bestimmt sind; 3. über die Voraussetzungen der Zulassung zum Besuche der Börse; 4. darüber, in welcher Weise die Preise und Kurse zu notieren sind. 8 6. Die Börsenordnung kann für andere als die nach § 5 Ziffer 2 zu bezeichnenden Geschäftszweige, sofern dies nicht mit besonderen Bestimmungen dieses Gesetzes (§§ 42, 43, 51) im Widerspruche steht, die Benutzung von Börseneinrichtungen zulassen. Ein Anspruch auf die Benutzung erwächst in diesem Falle für die Beteiligten nicht. Der Bundesrat ist befugt, für be­ stimmte Geschäftszweige die Benutzung der Börseneinrichtungen zu untersagen oder von Bedingungen abhängig zu machen. 8 7. Vom Börsenbesuche sind ausgeschlossen: 1. Personen weiblichen Geschlechts;^ 2. Personen, welche sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte be­ finden; , 3. Personen, welche infolge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt sind; 4. Personen, welche wegen betrüglichen Bankrotts rechtskräftig verurteilt sind; 5. Personen, welche wegen einfachen Bankrotts rechtskräftig verurteilt sind; 6. Personen, welche sich im Zustande der Zahlungsunfähigkeit befinden; 7. Personen, gegen welche durch rechtskräftige oder für sofort wirksam erklärte ehrengerichtliche Entscheidung auf Ausschließung von dem Besuch einer Börse erkannt ist. Die Zulassung oder Wiederzulassung zum Börsenbesuche kann in den Fäl­ len unter 2 und 3 nicht vor der Beseitigung des Ausschließungsgrundes, in dem Falle unter 5 nicht vor Ablauf von sechs Monaten, nachdem die Strafe verbüßt, verjährt oder erlassen ist, erfolgen; sie darf in dem letzteren Falle und ebenso in dem Falle unter 6 nur stattfinden, wenn der Börsenvorstand den Nachweis für geführt erachtet, daß die Schuldverhältnisse sämtlichen Gläu­ bigern gegenüber durch Zahlung, Erlaß oder Stundung geregelt sind. Einer Person, welche im Wiederholungsfall in Zahlungsunfähigkeit oder in Konkurs geraten ist, muß die Zulassung oder Wiederzulassung mindestens für die Dauer eines Jahres verweigert werden. In dem Falle unter 4 ist der Ausschluß ein dauernder. Tie Börsenordnungen können weitere Ausschließungsgründe festsetzen. Auf Antrag der Börsenorgane kann die Landesregierung in besonderen Fällen Ausnahmen von den Vorschriften über die Ausschließung vom Börsen­ besuche «zulassen. Gestrichen durch Gesetz vom 28. Dezember 1921, RGBl. S. 25.

222

Erster Teil.

Strafgesetze.

§ 8. Tie Börsenaufsichtsbehörde ist befugt, zur Aufrechterhaltung der Ordnung und für den Geschäftsverkehr an der Börse Anordnungen zu erlassen. Die Handhabung der Ordnung in den Börsenräumen liegt dem BörsenVorstand ob. Er ist befugt, Personen, welche die Ordnung oder den Geschäfts­ verkehr an der Börse stören, sofort aus den Börsenräumen zu entfernen und mit zeitweiliger Ausschließung von der Börse oder mit Geldstrafe zu bestrafen. Tas Höchstmaß beider Strafen wird durch die Börsenordnung festgesetzt. Die Ausschließung von der Börse kann mit Genehmigung der Börsenaufsichts­ behörde durch Anschlag in der Börse bekannt gemacht werden. Gegen die Verhängung der Strafen findet innerhalb einer durch die Börsenordnung festzusetzenden Frist die Beschwerde an die Börsenaufsichts­ behörde statt. Finden sich an der Börse Personen zu Zwecken ein, welche mit der Ord­ nung oder dem Geschäftsverkehr an derselben unvereinbar sind, so ist ihnen der Zutritt zu untersagen. 8 9. An jeder Börse wird ein Ehrengericht gebildet. Es besteht, wenn die unmittelbare Aufsicht über die Börse einem Handelsorgane (§ 1 Abs 2) übertragen ist, aus der Gesamtheit oder einem Ausschüsse dieses Aufsichts­ organs, andernfalls aus Mitgliedern, welche von den Börsenorganen ge­ wählt werden. Die näheren Bestimmungen über die Zusammensetzung des Ehrengerichts werden von der Landesregierung erlassen. 8 1V. Das Ehrengericht zieht zur Verantwortung Börsenbesucher, welche im Zusammenhänge mit ihrer Tätigkeit an der Börse sich eine mit der Ehre oder dem Anspruch auf kaufmännisches Vertrauen nicht zu vereinbarende Hand­ lung haben zu Schulden kommen lassen. 8 11. Von der Einleitung oder Ablehnung eines ehrengerichtlichen Ver­ fahrens ist der Staatskommissar (§ 2) zu unterrichten. Er kann die Einleitung eines ehrengerichtlichen Verfahrens verlangen. Diesem Verlangen sowie allen von dem Kommissare gestellten Beweisanträgen muß stattgegeben werden. Der -Kommissar hat das Recht, allen Verhandlungen beizuwohnen und die ihm geeignet erscheinenden Anträge sowie Fragen an den Beschuldigten, die Zeugen und Sachverständigen zu stellen. 8 12. Zur Vorbereitung der Hauptverhandlung kann das Ehrengericht einem Mitgliede die Führung einer Voruntersuchung übertragen. In der Vor­ untersuchung wird der Beschuldigte unter Mitteilung der Beschuldigungspunkte vorgeladen und, wenn er erscheint, mit seinen Erklärungen und Anträgen gehört. Zeugen und Sachverständige dürfen nur unbeeidigt vernommen werden. 8 13. Mit Zustimmung des Staatskommissars kann das Ehrengericht das Verfahren einstellen, andernfalls ist die Hauptverhandlung anzuberaumen. 8 14. Die Hauptverhandlung vor dem Ehrengerichte findet statt, auch wenn per Beschuldigte nicht erschienen ist. Sie ist nicht öffentlich. Das Ehren­ gericht kann die Öffentlichkeit der Verhandlung anordnen. Die Anordnung muß erfolgen, falls der Staatskommissar oder der Beschuldigte es beantragt, sofern nicht die Voraussetzungen des § 173 des Gerichtsverfassungsgesetzes vor liegen. Der Beschuldigte ist befugt, sich des Beistandes eines Verteidigers zu bedienen. Das Ehrengericht ist berechtigt, Zeugen und Sachverständige vorzuladen und eidlich zu vernehmen. g 15. Die Strafen bestehen in Verweis sowie in zeitweiliger oder dau­ ernder Ausschließung von der Börse. Ergibt sich, daß keine unehrenhafte Handlung, sondern nur eine Störung der Ordnung oder des Geschäftsverkehrs an der Börse vorliegt, so kann die Bestrafung gemäß § 8 Abs. 2 durch das Ehrengericht stattfinden. 8 19. Die Entscheidung wird in der Sitzung, in welcher die mündliche Verhandlung geschlossen wird, unter Angabe der Gründe verkündet oder spätestens innerhalb zwei Wochen nach dem Schlüsse der Verhandlung dem Staatskommissar und dem Beschuldigten in einer mit Gründen versehenen Ausfertigung zugestellt.

61. Börsengesetz v. 27. Mai 1908. §§ 8-26.

223

Dem nicht erschienenen Beschuldigten ist auch die verkündete Entscheidung zuzustellen. Sowohl der Staatskommissar wie der Beschuldigte können auch bei in ihrer Gegenwart erfolgter Verkündung der Entscheidung eine mit Gründen versehene Ausfertigung derselben beanspruchen. Das Ehrengericht kann in der Entscheidung anordnen, daß. und auf welche Weise sie öffentlich bekannt zu machen ist. Das Ehrengericht kann, wenn auf zeitweilige oder dauernde Ausschlie­ ßung von der Börse erkannt ist, anordnen, daß die Wirkung der Entscheidung sofort eintrete. Aus Antrag des freigesprochenen Beschuldigten hat das Gericht die öffent­ liche Bekanntmachung der Freisprechung anzuordnen. ß 17. Gegen die Entscheidung des Ehrengerichts steht sowohl dem Staats­ kommissar als dem Beschuldigten die Berufung an die periodisch zu bildende Berufungskammer offen. Tie Berufungskammer besteht aus einem Vorsitzenden und sechs Beisitzern. Ter Vorsitzende wird von hem Bundesrat) bestimmt. Die Beisitzer werden von dem Börsenausschuß aus seinen auf Vorschlag der Börsenorgane berufenen Mit­ gliedern gewählt- von den Beisitzern dürfen nicht mehr als zwei derselben Börse angehören. Für den Vorsitzenden und die Beisitzer werben in gleicher Weise Stell­ vertreter bestellt. In einer Spruchsitzung dürfen nicht mehr als zwei Beisitzer mitwirken, welche derselben Börse angehören. 8 18. Tie Einlegung der Berufung geschieht zu Protokoll oder schriftlich bei dem Ehrengerichte, welches die anzugreifende Entscheidung erlassen hat. Die Frist zur Einlegung der Berufung beträgt eine Woche. Sie beginnt, falls die Entscheidung verkündet worden ist, für den Staats­ kommissar und den erschienenen Beschuldigten mit der Verkündung, im übrigen mit der Zustellung der Entscheidung. 8 19. Nach Einlegung der Berufung ist dem Staatskommissare sowie dem Beschuldigten, sofern es nicht bereits geschehen, die angefochtene Entschei­ dung, mit Gründen versehen, zuzustellen. 8 20. Zur schriftlichen Rechtfertigung der Berufung steht demjenigen, der sie rechtzeitig eingelegt hat, eine Frist von einer Woche offen. Sie be­ ginnt mit dem Ablaufe der Einlegungsfrist oder, wenn zu dieser Zeit die Ent­ scheidung noch nicht zugestellt war, mit deren Zustellung. 8 21. Die Berufungsschrift des Beschuldigten und die etwa eingehende Rechtfertigung wird dem Staatskommissare, die Berufungsfrist und die Rechtfertigung des Staatskommissars dem Beschuldigten mitgeteilt. Inner­ halb einer Woche nach der Mitteilung kann eine Beantwortungsschrift ein­ gereicht werden. 8 22. Die Fristen zur Rechtfertigung und zur Beantwortung dec Be­ rufung können -auf Antrag von dem Ehrengerichte verlängert werden 8 23. Nach Ablauf der in den §§ 18, 20, 21 und 22 bestimmten Fristen werden die Akten an die Berufungskammer eingesandt. Zu der Verhandlung ist der Beschuldigte vorzuladen und der Staatskommissar zuzuziehen. Die Berufungskammer kann zur Aufklärung des Sachverhalts vorherige Beweiserhebungen veranlassen. Auf das Verfahren vor der Berufungskammer finden die Vorschriften der KZ 11, 14, 15 und 16 Anwendung. 8 24. über jede Vernehmung in der Voruntersuchung und über die Hauptverhandlung ist durch einen vereideten Protokollführer ein Protokoll «auszunehmen. 8 25. Neben der Strafe kann auf vollständigen oder teilweisen Ersatz der durch das Verfahren entstandenen baren Auslagen erkannt werden. 8 26. Die Gerichte sind verpflichtet, dem Ersuchen des Ehrengerichts sowie per Berufungskammer um Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen zu entsprechen. *) Vgl. die Note zu tz 2.

224

Erster Teil.

Strafgesetze.

g 27. Die mit der Aufsicht über die Börsen betrauten Organe sind ververpflichtet, Handlungen der Börsenbesucher, welche zu einem ehrengericht­ lichen Verfahren Anlaß geben, zur Kenntnis des Staatskommissars oder, wenn ein solcher nicht bestellt ist, zur Kenntnis des Ehrengerichts zu bringen. g 28. Eine Vereinbarung, durch welche die Beteiligten sich der Entschei­ dung eines Börsenschiedsgerichts unterwerfen, ist nur verbindlich, wenn beide Teile zu den Personen gehören, die nach § 53 Börsentermingeschäfte ab­ schließen können, oder wenn die Unterwerfung unter das Schiedsgericht nach Entstehung des Streitfalls erfolgt. II

Fest stellung des Börsenpreises und Maklerwesen.

g 29. Bei Waren oder Wertpapieren, deren Börsenpreis amtlich fest­ gestellt wird, erfolgt diese Feststellung sowohl für Kassa- wie für Zeitgeschäfte durch den Börsenvorstand, soweit die Börsenordnung nicht die Mitwirkung von Vertretern anderer Berufszweige vorschreibt. Bei der Feststellung darf außer dem Staatskommissare, dem Börsen­ vorstande, den Börsensekretären, den Kursmaklern und den Vertretern der be­ teiligten Berufszweige, deren Mitwirkung die Börsenordnung vorschreibt, nie­ mand zugegen sein. Als Börsenpreis ist derjenige Preis festzusetzen, welcher der lvirklichen Ge­ schäftslage des Verkehrs an der Börse entspricht g 30. Zur Mitwirkung bei der amtlichen Festsetzung des Börsenpreises von Waren und Wertpapieren sind Hilfspersonen (Kursmakler) zu ernennen. Sie müssen, solange sie die Tätigkeit als Kursmakler ausüben, die Vermittelung von Börsengeschäften in den betreffenden Waren oder Wertpapieren betreiben. Sie werden von der Landesregierung bestellt und entlassen und leisten vor An­ tritt ihrer Stellung den Eid, daß sie die ihnen obliegenden Pflichten getreu erfüllen werden. Eine Vertretung der Kursmakler (Maklerkammer) ist bei der Bestellung neuer Kursmakler und bei Verteilung der Geschäfte unter die einzelnen Makler gutachtlich zu hören. Die näheren Bestimmungen über die Bestellung und Ent­ lassung der Kursmakler und die Organisation ihrer Vertretung sowie über ihr Verhältnis zu den Staatskommissaren und den Börsenorganen werden von der Landesregierung erlassen. g 31. Bei Geschäften in Waren oder Wertpapieren kann ein Anspruch auf Berücksichtigung bei der amtlichen Feststellung des Börsenpreises nur erhoben werden, wenn sie durch Vermittelung eines Kursmaklers abgeschlossen sind. Die Berechtigung des Börsenvorstandes, auch andere Geschäfte zu berücksichtigen, bleibt hierdurch unberührt. g 32. Die Kursmakler dürfen in den Geschäftszweigen, für welche sie bei der amtlichen Feststellung des Börsenpreises mitwirken, nur insoweit für eigene Rechnung oder in eigenem Namen Handelsgeschäfte schließen oder eine Bürg­ schaft für die von ihnen vermittelten Geschäfte übernehmen, als dies zur Aus­ führung der ihnen erteilten Aufträge nötig ist; die Landesregierung bestimmt, in welcher Weise die Beobachtung dieser Vorschrift zu überwachen ist. Die Gültigkeit der abgeschlossenen Geschäfte wird hierdurch nicht berührt. Die Kursmakler dürfen, soweit nicht die Landesregierung Ausnahmen zu­ läßt, kein sonstiges Handelsgewerbe betreiben, auch nicht an einem solchen als Kommanditist oder stiller Gesellschafter beteiligt sein; ebensowenig dürfen sie zu einem Kaufmann in dem Verhältnis eines Prokuristen, Handlungsbevoll? mächtigten pder Handlungsgehilfen stehen. g 33. Das von dem Kursmakler zu führende Tagebuch ist vor dem Gebrauche dem Börsenvorstande zur Beglaubigung der Zahl der Blätter oder Seiten vorzulegen. Wenn ein Kursmakler stirbt oder aus dem Amte scheidet, ist sein Tage­ buch bei dem Börsenvorstande niederzulegen. g 34. Die Kursmakler sind zur Vornahme von Verkäufen und Käufen be­ fugt, die durch einen dazu öffentlich ermächtigten Handelsmakler zu be­ wirken sind.

61. Börsengesetz v. 27. Mai 1908. §§ 27-38.

225

8 35, Der Bundesrat ist befugt: 1. eine von den Vorschriften im § 29 Abs, 1 und 2 und in den §§ 30 und 31 abweichende amtliche Feststellung des Börsenpreises von Waren oder Wertpapieren für einzelne Börsen zuzulassen; 2. eine amtliche Feststellung des Börsenpreises bestimmter Waren allgemein oder für einzelne Börsen vorzuschreiben; 3. Bestimmungen zu erlassen, um eine Einheitlichkeit der Grundsätze über die den Feststellungen von Warenpreisen zu Grunde zu legenden Mengen und über die für die Feststellung der Preise von Wertpapieren maß­ gebenden Gebräuche herbeizuführen. Die Befugnis der Landesregierung zu Anordnungen der im Abs. 1 Ziffer 2 und 3 bezeichneten Art wird hierdurch nicht berührt, soweit der Bundesrat von seiner Befugnis keinen Gebrauch gemacht hat. Diese Anord­ nungen sind dem Reichskanzler zur Kenntnisnahme mitzuteilen.

III. Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel. 8 36. Die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel erfolgt an jeder Börse durch eine Kommission (Zulassungsstelle), von deren Mitgliedern mindestens die Hälfte aus Personen bestehen muß, die sich nicht berufsmäßig am Börsenhandel mit Wertpapieren beteiligen. Bon der Beratung und Beschlußfassung über die Zulassung eines WertpapierS zum Börsenhandel sind diejenigen Mitglieder ausgeschlossen, welche an der Einführung dieses Wertpapiers in den Börsenhandel beteiligt sind; für die ausscheidenden Mitglieder sind Stellvertreter nach näherer Bestimmung der Börsenordnung zu berufen. Die Zulassungsstelle hat die Aufgabe und die Pflicht: a) die Vorlegung der Urkunden, welche die Grundlage für die zu emittieren­ den Wertpapiere bilden, zu verlangen und diese Urkunden zu prüfen; b) dafür zu sorgen, daß das Publikum über alle zur Beurteilung der zu emittierenden Wertpapiere notwendigen tatsächlichen und rechtlichen Ver­ hältnisse soweit als möglich informiert wird, und bei Unvollständigkeit der Angaben die Emission nicht zuzulassen; c) Emissionen nicht zuzulassen, durch welche erhebliche allgemeine Inter­ essen geschädigt werden oder welche offenbar zu einer Übervorteilung des Publikums führen. Die Zulassungsstelle darf die Emission ohne Angabe von Gründen ableh­ nen. .Im übrigen werden die Bestimmungen über die Zusammensetzung der Zulassungsstelle sowie über die Zulässigkeit einer Beschwerde gegen deren Ent­ scheidungen durch die Börsenordnungen getroffen. Die Zulassungsstelle ist be­ fugt -um Börsenhandel zugelassene Wertpapiere von demselben auszuschließen. 8 37. Wird von der Zulassungsstelle einer Börse der Antrag aus Zu­ lassung von Wertpapieren zum Börsenhandel abgelehnt, so hat die Zulassungs­ stelle den Vorständen der übrigen deutschen Börsen für Wertpapiere Mit­ teilung zu machen. Dabei ist anzugeben, ob die Ablehnung mit Rücksicht auf örtliche Verhältnisse oder aus anderen Gründen erfolgt ist. In letzterem Falle darf die Zulassung von einer anderen Börse nur mit Zustimmung derjenigen Stelle erteilt werden, welche die Zulassung abgelehnt hat. Der Antragsteller hat anzugeben, ob das Gesuch um Zulassung bereits bei einer anderen Börse eingereicht ist oder gleichzeitig eingereicht wird. Ist dies der Fall, so sollen die Wertpapiere nur mit Zustimmung der anderen Zulassungsstelle tzugelassen werden. 8 38. Der Antrag auf Zulassung von Wertpapieren ist von der Zulassungsstelle unter Bezeichnung des Antragstellers, des Betrags sowie der Art der einzusührenden Wertpapiere zu veröffentlichen. Zwischen dieser Ver­ öffentlichung und der Einführung an der Börse muß eine Frist von min­ destens sechs Tagen liegen. Bor der Einführung an der Börse ist ein Prospekt zu veröffentlichen, der die für die Beurteilung der einzuführenden Wertpapiere wesentlichen Angaben enthält. Das Gleiche gilt für Konvertierungen und Kapitalserhöhungen. Wird der Antrag gestellt, ein an einer deutschen Börse eingeführtes WertAllfeld, Strafgesetzgebung. 3. Aufl. 15

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Erster Teil.

Strafgesetze.

Papier an einer anderen Börse zuzulassen, so kann die Landesregierung auf Antrag der Zulassungsstelle genehmigen, daß von der Veröffentlichung eines Pvospekts abgesehen wird. 8 39. Deutsche Reichs- und Staatsanleihen sind an jeder Börse zum Börsenhandel jzugelassen. Zum Zwecke der Einführung an der Börse sind dem Börsenvorstande die Merkmale der einzuführenden Wertpapiere mitzuteilen; die Veröffentlichung eines Prospekts ist nicht erforderlich. 8 40. Für Schuldverschreibungen, deren Verzinsung und Rückzahlung von dem Reiche oder einem Bundesstaate gewährleistet ist, und für Schuld­ verschreibungen einer kommunalen Körperschaft, der Kreditanstalt einer solchen Körperschaft, einer kommunalständischen Kreditanstalt oder einer unter staat­ licher Aussicht stehenden Pfandbriefanstalt kann die Landesregierung (8 1) an­ ordnen, daß es der Einreichung eines Prospekts nicht bedarf. Mit dieser An­ ordnung gilt die Zulassung zum Börsenhandel als erfolgt. Zum Zwecke der Einführung an der Börse sind dem Börsenvorstande der Betrag und die Merkmale der einzuführenden Wertpapiere mitzuteilen; bei den Pfandbriefen und gleichartigen Schuldverschreibungen einer kommunal­ ständischen öffentlichen Grundkreditanstalt oder einer unter staatlicher Aufsicht stehenden öffentlichen Pfandbriefanstalt bedarf es der Angabe des Betvags nicht. 8 41. Die Zulassung von Aktien eines zur Aktiengesellschaft oder zur Kommanditgesellschaft auf Aktien umgewandelten Unternehmens zum Börsen­ handel darf vor Ablauf eines Jahres nach Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister und vor der Veröffentlichung der ersten Jahresbilanz nebst Ge­ winn- und Verlustrechnung nicht erfolgen. In besonderen Fällen kann diese Frist von der Landesregierung (§ 1) ganz oder teilweise erlassen werden. Die Zulassung von Anteilscheinen oder staatlich nicht garantierten Ob­ ligationen ausländischer Erwerbsgesellschasten ist davon abhängig, daß die Emittenten sich auf die Dauer von fünf Jahren verpflichten, die Bilanz so­ wie die Gewinn- und Verlustrechnung jährlich nach Feststellung derselben in einer oder mehreren von der Zulassungsstelle zu bestimmenden deutschen Zei­ tungen zu veröffentlichen. 8 42. Für Wertpapiere, welche zur öffentlichen Zeichnung aufgelegt wer­ den, darf vor beendeter Zuteilung an die Zeichner eine amtliche Feststellung des Preises nicht erfolgen. Vor diesem Zeitpunkte sind Geschäfte von der Benutzung der Börseneinrichtungen ausgeschlossen und dürfen von den Kurs­ maklern nicht notiert werden. Auch dürfen für solche Geschäfte Preislisten (Kurszettel) nicht veröffentlicht oder in mechanisch hergestellter Vervielfälti­ gung verbreitet werden. 8 43. Für Wertpapiere, deren Zulassung zum Börsenhandel verweigert oder uicht nachgesucht ist, darf eine amtliche Feststellung des Preises nicht er­ folgen. Geschäfte in solchen Wertpapieren sind von der Benutzung der Börsen­ einrichtungen ausgeschlossen unb dürfen von den Kursmaklern nicht vermittelt werden. Auch dürfen für solche an der Börse abgeschlossenen Geschäfte Preis­ listen (Kurszettel) nicht veröffentlicht oder in mechanisch hergestellter Vervtelfältigung verbreitet werden, soweit nicht die Börsenordnung für be­ sondere »Fälle Ausnahmen gestattet. 8 44. Der Bundesrat bestimmt den Mindestbetrag des Grundkapitals, welcher für die Zulassung von Aktien an den einzelnen Börsen maßgebend sein soll, sowie den Mindestbetrag her einzelnen Stücke der zum Handel an der Börse zuzulassenden Wertpapiere. Weitere Bestimmungen über die Aufgaben der Zulassungsstelle und die Voraussetzungen der Zulassung trifft der Bundesrat. Die Befugnis der Landesregierung, ergänzende Bestimmungen zu treffen, wird hierdurch nicht berührt; diese Bestimmungen sind dem Reichskanzler mitzuteilen. 8 48. Sind in einem Prospekt, auf Grund dessen Wertpapiere zum Börsenhandel zugelassen sind, Angaben, welche für die Beurteilung des Wertes

61. Börsengesetz v. 27. Mai 1908. §§ 39-50.

227

erheblich sind, unrichtig, so haften diejenigen, welche den Prospekt erlassen haben, sowie diejenigen, von denen der Erlaß, des Prospekts ausgeht, wenn sie die Unrichtigkeit gekannt haben oder ohne grobes Verschulden hätten kennen müssen, als Gesamtschuldner jedem Besitzer eines solchen Wertpapiers für den Schaden, welcher demselben aus der von den gemachten Angaben abweichenden Sachlage erwächst Das Gleiche gilt, wenn der Prospekt infolge der Fortlassung wesentlicher Tatsachen unvollständig ist und diese Unvollständigkeit auf böslichem Verschweigen oder auf der böslichen Unterlassung einer ausreichen­ den Prüfung seitens derjenigen, welche den Prospekt erlassen haben, oder der­ jenigen, von denen der Erlaß des Prospekts ausgeht, beruht. Die Ersatzpslicht wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß der Prospekt die Angaben als von einem Dritten herrührend bezeichnet.

g 46. Die Ersatzpflicht erstreckt sich nur auf diejenigen Stücke, welche auf Grund des Prospekts zugelassen und von dem Besitzer auf Grund eines im Inland.abgeschlossenen Geschäfts erworben sind. Ter Ersatzpflichtige kann der Ersatzpslicht dadurch genügen, daß er das Wertpapier gegen Erstattung des von dem Besitzer nachgewiesenen Erwerbs­ preises oder desjenigen Kurswerts übernimmt, den die Wertpapiere zur Zeit der Einführung hatten. Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Besitzer des Papiers die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben des Prospekts bei dem Er­ werbe kannte. Gleiches gilt, wenn der Besitzer des Papiers bei dem Erwerbe die Unrichtigkeit der Angaben des Prospekts bei Anwerrdung derjenigen Sorg­ falt, welche er in eigenen Angelegenheiten beobachtet, kennen mußte, es sei denn, daß -die Ersatzpflicht durch bösliches Verhalten begründet ist. g 47. Der Ersatzanspruch verjährt in fünf Jahren seit der Zulassung der Wertpapiere. g 48. Eine Vereinbarung, durch welche die nach den §§ 45 bis 47 be­ gründete Haftung ermäßigt oder erlassen wird, ist unwirksam. Weitergehende Ansprüche, welche nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes auf Grund von Verträgen erhoben werden können, bleiben unberührt, g 49. Für die Entscheidung der Ansprüche aus den §§ 45 bis 48 ist ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes ausschließlich das Landgericht des Ortes zuständig, an dessen Börse die Einführung des Wertpapiers er­ folgte. «Besteht an diesem Landgericht eine Kammer für Handelssachen, so gehört der Rechtsstreit vor diese. Die Revision sowie die Beschwerde*) gegen Ent­ scheidungen des Oberlandesgerichts geht an das Reichsgericht.

IV. Börs enterminhandel. 50. Die Zulassung von Waren oder Wertpapieren zum Börsentermin­ erfolgt durch den Börsenvorstand nach näherer Bestimmung der Börsenordnung. Der Börsenvorstand ist befugt, die Zulassung zurückzunehmen. Bor der Zulassung sind die Geschäftsbedingungen für den Börsentermin­ handel in den .zuzulassenden Waren oder Wertpapieren festzusetzen. Der Pörsenvorstand hat vor der Zulassung von Waren zum Börsentermiw­ handel in jedem einzelnen Falle Vertreter der beteiligten Erwerbskreise gut­ achtlich zu hören und das Ergebnis dem Reichskanzler mitzuteilen. Die Zu­ lassung darf erst erfolgen, nachdem der Reichskanzler erklärt hat, daß er zu weiteren Ermittlungen keinen Anlaß finde. Die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenterminhandel darf nur erfol­ gen, wenn die Gesamtsumme der Stücke, in denen der Börsenterminhandel statt­ finden soll, sich nach ihrem Nennwerte mindestens auf zwanzig Millionen Mark beläuft. Anteile einer inländischen Erwerbsgesellschaft dürfen nur mit Zustimmung der Gesellschaft zum Börsenterminhandel zugelassen werden. Eine erfolgte Zu­ lassung ist auf Verlangen der Gesellschaft spätestens nach Ablauf eines Jahres

?

Vgl. nunmehr § 567 ZPO. i. d. F. der Bck. v. 13. Mai 1924 (RGBl I

228

Erster $cü.

Strafgesetze

von dem Tage an gerechnet, an welchem das Verlangen dem Börsenvorstande gegenüber erklärt worden ist, zurückzunehmen. Ter Bundesrat kann weitere Bestimmungen über die Voraussetzungen der Zulassung treffen. 8 51. Soweit Börsentermingeschäfte in bestimmten Waren oder Wert­ papieren verboten sind oder die Zulassung zum Börsenterminhandel endgültig verweigert oder zurückgenommen worden ist, ist der Börsenterminhandel von der Benutzung der Börseneinrichtungen und der Bermittelung durch die Kurs­ makler ausgeschlossen Findet an einer Börse ein Börsenterminhandel nach Geschäsisbedingungen statt, die von den festgesetzten Geschäftsbedingungen (§ 50 Abs. 2) abweichen, oder findet ein Börsenterminhandel in solchen Waren oder Wertpapieren statt, die zum Börsenterminhandel nicht zugelassen sind, so ist er durch Anordnung des Börsenvorstandes von der Benutzung der Börseneinrich­ tungen und der Vermittelung durch die Kursmakler auszuschließen. Der Börsen­ vorstand kann den Erlaß der Anordnung aussetzen, wenn Verhandlungen wegen Zulassung der Waren oder Wertpapiere zum Börsenterminhandol schweben. Die Aussetzung darf höchstens aus ein Jahr erfolgen Soweit der Börsenterminhandel auf Grund des Abs. 1 von der Be­ nutzung der Börseneinrichtungen und der Vermittelung durch die Kursmakler ausgeschlossen ist, dürfen für Börsentermingeschäfte, sofern sie im Inland ab­ geschlossen sind, Preislisten (Kurszettel) nicht veröffentlicht oder in mecha­ nisch 'hergestellter Vervielfältigung verbreitet werden.

8 52. Ein Börsentermingeschäft, das nicht gegen ein durch dieses Gesetz oder den Bundesrat erlassenes Verbot verstößt, ist nur nach Maßgabe der §§ 53 bis 56 wirksam. 8 53. Das Geschäft ist verbindlich, wenn auf beiden Seiten als Vertrag­ schließende Kaufleute, die in das Handelsregister eingetragen sind oder deren Eintragung nach § 36 des Handelsgesetzbuchs nicht erforderlich ist, oder ein­ getragene Genossenschaften beteiligt sind. Personen, deren Gewerbebetrieb über den Umfang des Kleingewerbes nicht hinausgeht, gehören, auch wenn sie in das Handelsregister eingetragen sind, nicht zu den Kaufleuten im Sinne dieser Vorschrift. Den im Abs. 1 bezeichneten Kaufleuten stehen gleich: 1. Personen, die zur Zeit des Geschäftsabschlusses oder früher berufsmäßig Börsentermingeschäfte oder Bankiergeschäfte betrieben haben oder zum Besuch einer dem Handel mit Waren der bei dem Geschäft in Frage kom­ menden Art oder einer dem Handel mit Wertpapieren dienenden Börse mit der Befugnis zur Teilnahme am Börsenhandel dauernd zugelassen waren; 2. Personen, die im Jnlande zur Zeit des Geschäftsabschlusses weder einen Wohnsitz noch eine gewerbliche Niederlassung haben. 8 54. Betrifft das Geschäft Wertpapiere und gehört der eine Teil nicht zu den .Personen, die nach § 53 Börsentermingeschäfte ab schließen können, ist aber der gndere Teil ein Kaufmann oder eine Genossenschaft der im § 53 Abs. 1 beizeichneten Art und hat sich dieser Teil für die Erfüllung des Geschäfts eine Sicherheit bestellen lassen, so ist er befugt, aus der Sicherheit Befriedigung zu suchen ; auch ist das Geschäft für ihn verbindlich. Die Sicherheitsleistung hat die im Abs. 1 bezeichneten Wirkungen nur, wenn die Sicherheit aus Geld oder aus Wertpapieren, die einen Kurswert haben, besteht und der Besteller dem anderen Teile gegenüber schriftlich und ausdrücklich erklärt, daß die Sicherheit zur Deckung von Verlusten aus Börsen­ termingeschäften dienen soll. Das Schriftstück, in dem die Erklärung abgegeben wird, darf andere Er­ klärungen des Bestellers der Sicherheit nicht enthalten. Besteht die Sicherheit aus Wertpapieren, so müssen sie in der Erklärung nach Gattung und nach Zahl oder Nennwert bezeichnet sein. Eine Erklärung, die diesen Vorschriften nicht entspricht, ist nichtig.

61. Börsengesetz v. 27. Mai 1908. §§ 51-66.

229

Zur Wahrung der schriftlichen Form genügt die telegraphische Über­ mittelung. Wird diese Form gewählt, so kann nachträglich die Abgabe einer schriftlichen Erklärung verlangt werden. Eine Erklärung, durch die eine Änderung der bestellten Sicherheit be­ wirkt wird, ist insoweit nicht sternpelpflichtig, als der bisherige Gesamtnenn­ wert der Sicherheit nicht überschritten wird. 8 55. Das auf Grund des Geschäfts Geleistete kann nicht deshalb zurück­ gefordert werden, weil für den Leistenden nach den §§ 52 bis 54 eine Ver­ bindlichkeit nicht bestanden hat. 8 56. Gegen Forderungen aus Börsentermingeschäften ist eine Aufrech­ nung auf Grund anderer Börsentermingeschäfte auch dann zulässig, toenit diese Geschäfte nach den §§ 52 bis 54 für den Aufrechnenden eine Forderung nicht begründen. 8 57. Ein nicht 'verbotenes Börsentermingeschäft gilt als von Anfang an ^verbindlich, wenn der eine Teil bei oder nach dem Eintritte der Fälligkeit sich denr anderen Teile gegenüber mit der Bewirkung der vereinbarten Leistung einverstanden erklärt und der andere Teil diese Leistung an ihn be­ wirkt hat. § 58. Gegen Ansprüche aus Börsentermingeschäften in Waren oder Wert­ papieren, die Hum Börsenterminhandel zugelassen sind (§ 50), kann von dem­ jenigen, für welchen das Geschäft nach den Vorschriften der §§ 53, 54, 57 ver­ bindlich ist, ein Einwand aus den §§ 762 und 764 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht erhoben werden. Soweit gegen die bezeichneten Ansprüche ein solcher Einwand zulässig bleibt, finden die Vorschriften der §§ 54 und 56 über die Befriedigung aus der Sicherheit und die Zulässigkeit der Aufrechnung ent­ sprechende Anwendung. 8 59. Die Vorschriften der §§ 52 bis 58 gelten auch für eine Vereiwbarung, durch die der eine Teil zum Zwecke der Erfüllung einer Schuld aus einem nicht verbotenen Börsentermingeschäfte dem anderen Teile gegenüber ehte Verbindlichkeit eingeht, insbesondere für ein Schuldanerkenntnis. 8 60. Die Vorschriften der §§ 52 bis 59 finden auch Anwendung auf die Erteilung und Übernahme von Aufträgen sowie auf die Bereinigung zum Zwecke des Abschlusses von nicht verbotenen Börsentermingeschäften. 8 61. Die Vorschriften der §§ 52 bis 60 finden auch Anwendung, wenn das Geschäft im Auslande geschlossen oderzu erfüllen ist. 8 62. Bei einem Börsentermingeschäft in Waren kommt der Verkäufer, der nach erfolgter Kündigung eine nicht vertragsmäßige Ware liefert, in Verzug, auch wenn die Lieferungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Eine entgegenstehende Vereinbarung ist nichtig. 8 63. Börsentermingeschäfte in Anteilen von Bergwerks- und Fabrik­ unternehmungen sind nur mit Genehmigung des Bundesrats zulässig. Der Bundesrat kann Börsentermingeschäfte in bestimmten Waren und Wertpapieren verbieten oder die Zulässigkeit von Bedingungen abhängig machen. 8 64. Durch ein verbotenes Börsentermingeschäft in Anteilen von Berg­ werks- oder Fabrikunternehmungen (§ 63 Abs. 1) sowie durch ein Börsen­ termingeschäft, das gegen ein von dem Bundesrat erlassenes Verbot verstößt (§ ,63 Abs. 2), wird eine Verbindlichkeit nicht begründet. Die Unwirksamkeit er­ streckt sich auch auf die Bestellung einer Sicherheit. Das auf Grund des Geschäfts Geleistete kann nicht deshalb zurückgefordert werden, weil nach Abs. 1 Satz 1 eine Verbindlichkeit nicht bestanden hat.

8 65. Börsentermingeschäfte in Getreide und Erzeugnissen der Getreide­ müllerei sind verboten. 8 66. Durch ein verbotenes Börsentermingeschäst in Setreibe oder Er­ zeugnissen der Getreidemüllerei wird eine Verbindlichkeit nicht begründet. Die Unwirksamkeit erstreckt sich auch auf die Bestellung einer Sicherheit.

230

Erster Teil.

Strafgesetze

Das Recht, das auf Grund des Geschäfts Geleistete deshalb zurückzu­ fordern, weil nach Abs. 1 Satz 1 eine Verbindlichkeit nicht bestanden hat, erlischt mit dem Ablaufe von Mei Jahren seit der Bewirkung der Leistung, es sei denn, daß der zur Rückforderung Berechtigte vor dem Ablaufe der Frist dem Verpflichteten gegenüber schriftlich erklärt hat, daß er die Herausgabe verlange. g 67. Die Vorschriften der §§ 50 bis 66 finden keine Anwendung auf den Kauf oder die sonstige Anschaffung von Getreide oder Erzeugnissen der Ge­ treidemüllerei, wenn der Abschluß nach Geschäftsbedingungen erfolgt, die der Bundesrat ^genehmigt hat, und als Vertragschließende nur beteiligt sind: 1. Erzeuger oder Verarbeiter von Waren derselben Art, wie die, welche den Gegenstand des Geschäfts bilden, oder 2. solche Kaufleute oder eingetragene Genossenschaften, zu deren Geschäfts­ betriebe der Ankauf, der Verkauf oder die Beleihung von Getreide oder Erzeugnissen der Getreidemüllerei gehört. In den Geschäftsbedingungen muß festgesetzt sein: 1. daß im Falle des Verzugs der nicht säumige Teil die Annahme der Leistung nicht ablehnen kann, ohne dem säumigen Teile eine angemessene Frist zur Bewirkung der Leistung zu bestimmen; 2 daß nur eine Ware geliefert werden darf, die vor der Erklärung der Lieserungsbereitschaft (Andienung) von beeidigten Sachverständigen untersucht und lieferbar befunden worden ist; 3. daß auch eine nicht vertragsmäßig beschaffene Ware geliefert werden darf, wenn der Minderwert nach der Feststellung der Sachverständigen eine be­ stimmte Höhe nicht überschreitet und dem Käufer der Minderwert ver­ gütet wird, sowie daß ein von den Sachverständigen festgestellter Mehr­ wert bis zu einer bestimmten Höhe dem Verkäufer zu vergüten ist. § 68. Wird ein auf Lieferung von Getreide oder Erzeugnissen der Ge­ treidemüllerei lautender Vertrag in der Absicht geschlossen, daß der Unterschied zwischen dem vereinbarten Preise und dem Börsen- oder Marktpreise der Lieferungszeit von dem verlierenden Teile an den gewinnenden gezahlt wer­ den soll, so finden die Vorschriften des § 66 auch dann Anwendung, wenn es sich nicht um ein verbotenes Börsentermingeschäft handelt. Dies gilt auch dann, wenn nur die Absicht des einen Teiles auf die Zahlung des Unter­ schieds 'gerichtet ist, der andere Teil aber diese Absicht kennt oder kennen muß. Die Vorschriften der §§ 762, 764 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bleiben bei einem auf die -Lieferung von Getreide oder Erzeugnissen der Getreidemüllerei lautenden Wertrag außer Anwendung. g 69. Die Vorschriften der §§ 64, 66, 68 gelten auch für eine Ver^ einbarung, durch die der eine Teil zum Zwecke der Erfüllung einer Schuld aus einem verbotenen Börsentermingeschäft oder einem Geschäfte der im § 68 bezeichneten Art dem anderen Teile gegenüber eine Verbindlichkeit eingeht, ins­ besondere für ein Schuldanerkenntnis. g 70. Die Vorschriften der §§ 64, 66, 68, 69 finden auch Anwendung auf die Erteilung und Übernahme von Aufträgen sowie auf die Bereinigung zum Zwecke des Abschlusses von verbotenen Börsentermingeschäften oder von Geschäften der im § 68 bezeichneten Art. V. Ordnungsstrafverfahren g 71. Wer ein verbotenes Börsentermingeschäft in Getreide oder Er­ zeugnissen der Getreidemüllerei schließt, hat, wenn die Zuwiderhandlung vor­ sätzlich begangen ist, eine Ordnungsstrafe bis zu zehntausend Mark verwirkt, g 72. Die Verfolgung der nach § 71 strafbaren Handlungen verjährt in drei Jahren von dem Tage an gerechnet, an welchem sie begangen sind. Die Vorschriften der §§ 68, 69 des Strafgesetzbuchs finden entsprechende Anwendung, g 73. Für die Verhandlung und Entscheidung über die Festsetzung von Ordnungsstrafen werden durch die Landesregierungen bei den Börsen, welche dem Handel mit Getreide oder Erzeugnissen der Getreidemüllerei dienen, Kommissionen gebildet.

61. Börsengesetz v. 27. Mai 1908. §§ 67-80.

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Tie Landesregierungen können für mehrere Börsen eine gemeinschaftliche Kommission bei einer Vieser Börsen bilden. 8 74. Tie Entscheidungen der Kommissionen über die Festsetzung von Ordnungsstrafen können von dem Staatskommissar sowie von dem Beschul­ digten mit der Berufung angefochten werden. Für die Verhandlung und Ent­ scheidung über die Berufung wird durch den Bundesrat eine Berufskommission gebildet. 8 75. Die Kommissionen entscheiden in der Besetzung von fünf Mit­ gliedern, die Berufungskommission entscheidet in der Besetzung von sieben Mit­ gliedern, einschließlich der Vorsitzenden. Die Hälfte der Beisitzer muß aus Vertretern des Handels, die andere Hälfte muß aus Vertretern der Landwirt­ schaft bestehen. 8 76. Die Vorsitzenden der Kommissionen und der Berufungskommission müssen Reichs- oder Staatsbeamte sein Die Bestimmungen über die Berufung der erforderlichen Zahl von Bei­ sitzern für die Kommissionen erläßt die Landesregierung. Die Bestimmungen über die Berufung der erforderlichen Zahl von Bei­ sitzern für die Berufungskommission erläßt der Bundesrat. Das Amt der Beisitzer ist ein Ehrenamt. Die Beisitzer erhalten Ver­ gütung der Reisekosten. Die Vorschriften des § 56 des Gerichtsverfassungs­ gesetzes finden mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, daß über die Be­ schwerde der Vorsitzende der Berufungskommission entscheidet.

8 77. Zuständig ist die Kommission, die für diejenige Börse gebildet ist, welche für das Geschäft in Betracht kommt. Ist ungewiß, welche Kommission zuständig ist, so erfolgt die Bestimmung der zuständigen Kommission durch den Vorsitzenden dec Berufungskommission. 8 78. Anzeigen von Zuwiderhandlungen können bei dem Vorsitzenden Kommission mündlich oder schriftlich angebracht werden. Die mit der Aufsicht über die Börsen oder mit der Börsenleitung be­ trauten Organe sind verpflichtet, Handlungen, die zur Festsetzung einer Ord­ nungsstrafe Anlaß geben können, zur Kenntnis des Vorsitzenden der Kommis­ sion zu bringen. Personen, die der Begehung einer durch dieses Gesetz mit Ordnungs­ strafe bedrohten Handlung verdächtig sind, ist aus Antrag des Staatskonrmissars oder von Amts wegen durch Anordnung des Vorsitzenden die Vorlegung eines Verzeichnisses aufzugeben, in welchem die von ihnen über Getreide oder Erzeugnisse der Getreidemüllerei .abgeschlossenen Geschäfte, insoweit sie Der unter Tarifnummer 4b des Reichsstempelgesetzes vom 3. Juni 1906 (ReichsGesetzbl. S 695)1) angeordneten Abgabe unterliegen, aufzuführen sind. Die Zeit, aus welche das Verzeichnis sich zu erstrecken hat, bestimmt der Vorsitzende. Dem Verzeichnisse sind die aus Anlaß der Geschäfte abgesandten und empfangenen 'Handelsbriefe in Abschrift oder Urschrift sowie die Schlußnoten (§ 12 des Reichsstempelgesetzes)?) beizufügen der

8 79. Auf das Verfahren finden die Vorschriften des § 11, des § 12 Abs. 1, des § 14, des § 16 Abs. 1 bis 3, 5 sowie der §§ 18 bis 25 ent­ sprechende Anwendung, soweit sich nicht aus den nachfolgenden Vorschriften Abweichungen ergeben. 8 80. Tie Entscheidungen der Kommissionen erfolgen nach Stimmenmehr­ heit. Tie außerhalb der Hauptverhandlung erforderlich werdenden Entschei­ dungen werden von dem Vorsitzenden erlassen. Die Einstellung des Verfahrens darf nur mit Zustimmung des Staatskommissars erfolgen. Der Vorsitzende kann voll allen öffentlichen Behörden Auskunft verlangen und Ermittelungen vornehmen. x) Vgl nunmehr Kapitalverkehrssteuergesetz v. 8. April 1922 (RGBl. I S. 354) § 35 Abs. Id; § 52 (§ 90b). 2) Vgl nunmehr §§ 155, 156 der Ausführungsbestimmungen zum Kapi­ talverkehrssteuergesetze v 27. Nov. 1922.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

8 81. Auf die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen finden die Vorschriften der §§ 48 bis 64, 66 bis 80, 82 bis 86 der Strafprozeßordnung entsprechende Anwendung. Tie Beeidigung von Zeugen und Sachverständigen darf unterbleiben, wenn der Staatskommissar zustimmt. Sie kann bereits im Vorverfahren erfolgen. Tie Verhängung von Zwungsmaßregeln sowie die Festsetzung von Strafen gegen Zeugen und Sachverständige, welche der Ladung keine Folge leisten oder ihre Aussage oder deren Beeidigung verweigern, erfolgt auf Ersuchen durch das Amtsgericht, in dessen Bezirke die Zeugen oder Sachverständigen ihren Wohnsitz und in Ermangelung eines solchen ihren Aufenthalt haben 8 82. Im Laufe des Verfahrens kann die Vorlegung der Handelsbücher eines Beschuldigten angeordnet werden. Ter Beschuldigte kann zur Befolgung der Anordnung durch Ordnungs­ strafen angehalten werden; die einzelne Strafe darf den Betrag von eintausend Mark nicht übersteigen. Gegen Entscheidungen über die Festsetzung von Ord­ nungsstrafen findet die Beschwerde statt. Über die Beschwerde entscheidet der Vorsitzende der Berufungskommission. Tie Vorschrift des Abs. 2 findet auch Anwendung, wenn der im § 78 Abs. 3 bezeichneten Anordnung nicht entsprochen wird. 8 83. Anträgen der Kommission, der Berufungskommission sowie der Vorsitzenden sind die Gerichte innerhalb der Grenzen ihrer Zuständigkeit zu entsprechen verpflichtet. Gegen die Entscheidungen der Gerichte findet die Beschwerde unter ent­ sprechender Anwendung der Vorschriften der Strafprozeßordnung statt. 8 84. Tie Landesregierungen sind befugt, ergänzende Bestimmungen über das Verfahren in erster Instanz zu erlassen; sie können insbesondere auch über die Beitreibung der in die Staatskasse fließenden Ordnungsstrafen und Kosten Bestimmungen treffen. Für das Verfahren in zweiter Instanz kann der Bundesrat ergänzende Bestimmungen treffen. Auf die Beitreibung von Ordnungsstrafen und Kosten finden die Vor­ schriften des Gesetzes über den Beistand bei Einziehung von Abgaben und Vollstreckung von Vermögensstrafen vom 9. Juni 1895 (Reichs-Gesetzbl S. 256) Anwendung. 8 85. Eine auf Grund des § 71 festgesetzte Ordnungsstrafe fällt dem Staate zu, dessen Kommission die Entscheidung in erster Instanz erlassen hat. Kosten, die nicht von einem Beschuldigten zu erstatten, sind oder die von dem Erstattungspflichtigen nicht beigetrieben werden können, fallen der Staats­ kasse zur Last.

8 86. Tie Beitreibung der auf Grund des § 71 festgesetzten Ordnungs­ strafen verjährt in zwei Jahren von dem Tage an gerechnet, an welchem die Entscheidung rechtskräftig geworden ist. Jede auf Beitreibung der Strafe ge­ richtete Handlung derjenigen Behörde, welcher die Vollstreckung obliegt, unterbricht die Verjährung. 8 87. Unbeschadet einer erwirkten Ordnungsstrafe kann das Ehrengericht (§ 10) Börsenbesucher wegen der in dem § 71 bezeichneten Handlungen mit Verweis sowie zeitweiliger oder dauernder Ausschließung von der Börse bestrafen. VI. Straf- und Schlußbestimmungen.

8 88. Wer in betrügerischer Absicht auf Täuschung berechnete Mittel anwendet, um auf den Börsen- oder Marktpreis von Waren oder Wert­ papieren einzuwirken, wird mit Gefängnis und zugleich mit Geldstrafe bis zu fünfzehntausend Mark bestraft. Auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehren­ rechte erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann ausschließlich auf die Geld­ strafe erkannt werden.

61. Börsengesetz v. 27. Mai 1908. §§ 81-96.

233

Tie gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher in betrügerischer Msicht wissentlich !unrichtige Angaben in Prospekten (§ 38) oder in öffentlichen Kund­ gebungen macht, durch welche die Zeichnung oder der Ankauf oder Berkaus von Wertpapieren herbeigeführt werden soll.

§ 89. Wer für Mitteilungen in der Presse, durch welche auf den Börsen­ preis eingewirkt werden soll, Vorteile gewährt oder verspricht oder sich gewähren oder versprechen läßt, welche in auffälligem Mißverhältnisse zu der Leistung stehen, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und zugleich mit Geld­ strafe bis zu fünftausend Mark bestraft. Tie gleiche Strafe trifft denjenigen, der sich für die Unterlassung von Mitteilungen der bezeichneten Art Vorteile gewähren oder versprechen läßt. Der Versuch ist strafbar. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann ausschließlich auf die Geldstrafe erkannt werden. 8 90. Wer wissentlich den Vorschriften der §§ 42, 43 oder des § 51 Abs 2 zuwider Preislisten (Kurszettel) veröffentlicht oder in mechanisch herge­ stellter Vervielfältigung verbreitet, wird mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. 8 91. Mit Gefängnis und mit Geldstrafe bis zu zehntausend Mark wird bestraft, wer aus dem Abschlüsse von verbotenen Börsentermingeschäften in Getreide oder Erzeugnissen der Getreidemüllerei ein Gewerbe macht, nach­ dem er auf Grund des § 71 rechtskräftig zur Zahlung einer Ordnungsstrafe verurteilt worden ist, darauf abermals ein verbotenes Börsentermingeschäft in Getreide oder Erzeugnissen der Getreidemüllerei abgeschlossen hat und des­ halb rechtskräftig verurteilt worden ist. 8 92. Mit Gefängnis und mit Geldstrafe bis zu zehntausend Mark wird bestraft, wer in gewinnsüchtiger Absicht, um den Preis von Getreide oder Erzeugnissen der Getreidemüllerei im Widerspruche mit der durch die all­ gemeine Marktlage gegebenen Entwickelung zu beeinflussen, verbotene Börsen­ termingeschäfte oder Geschäfte schließt, die unter die Begriffsbestimmung des § 68 fallen. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann allein auf die Geldstrafe erkannt werden. 8 93. Auf Personen, die der Begehung der im § 92 bezeichneten straf­ baren Handlung verdächtigt sind, finden die Vorschriften des § 78 Abs. 3 und des § 82 Abs. 3 Anwendung. 8 94. Wer gewohnheitsmäßig in gewinnsüchtiger Absicht andere unter Ausbeutung ihrer Unerfahrenheit oder ihres Leichtsinns zu Börsenspekulations­ geschäften verleitet, welche nicht zu ihrem Gewerbebetriebe gehören, wird mit Gefängnis und zugleich mit Geldstrafe bis zu sünfzehntausend Mark bestraft. Auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. 8 95. Ein Kommissionär, welcher, um sich oder einem Dritten einen Bermögensvorteil zu verschaffen, 1. das Vermögen des Kommittenten dadurch beschädigt, daß er hinsichtlich eines abzuschließenden Geschäfts wider besseres Wissen unrichtigen Rat der unrichtigen Auskunft erteilt, oder 2. bei der Ausführung eines Auftrags oder bei der Abwickelung eines Ge­ schäfts absichtlich zum Nachteile des Kommittenten handelt, wird mit Gefängnis bestraft. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark sowie auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte er­ kannt werden Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann ausschließlich auf die Geld­ strafe erkannt werden. Ter Versuch ist strafbar in den Fällen der Ziffer 1. 8 96. ) Die in dem II. und IV. Abschnitt sowie im § 88 bezüglich der Wertpapiere getroffenen Bestimmungen gelten auch für Wechsel und aus­ ländische Zahlungsmittel. x) Fassung gemäß Gesetz v. 23. Dezember 1920 (RGBl. S. 2317).

234

Erster Teil.

Strafgesetze.

Als Zahlungsmittel im Sinne -es ersten Absatzes gelten außer Geldsorten, Papiergeld, Banknoten und dergleichen auch Auszahlungen, Anweisungen und Schecks. Die Reichsregierung kann mit Zustimmung -es Reichsrats bestimmen, daß, unter welchen Voraussetzungen und für welche Zeitdauer die Vorschriften des § 58 auch auf Börsentermingeschäfte in Wechseln und ausländischen Zah­ lungsmitteln, die zum Börsenterminhandel nicht zugelassen sind, Anwendung finden.

62. 6. Bekanntmachung über ausländische Wertpapiere. Vom 22. März 1917.1) (RGBl. S 260j

, § 1. Der Reichskanzler kann anordnen, daß Wertpapiere, aus denen ein im Ausland ansässiger Schuldner haftet, oder durch die eine Beteiligung an einem im Ausland ansässigen Unternehmen verbrieft ist, einschließlich der Zeugnisse über die Beteiligung an ausländischen Aktiengesellschaften, dem Reiche gegen angemessene Vergütung überlassen werden müssen. Der Reichskanzler setzt die Vergütung und die sonstigen Bedingungen fest, unter denen die Überlassung zu erfolgen hat. Er kann weitere Aus­ führungsbestimmungen treffen, insbesondere bestimmen, wie die Überlassung durchzuführen ist, wenn sie nicht freiwillig vorgenommen wird. Er kann ferner bestimmen, daß Zuwiderhandlungen mit Geldstrafe bis zu zehntausend Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft werden. 8 2. Wertpapiere der im § 1 bezeichneten Art dürfen nur durch die Ver­ mittlung der Reichsbank oder einer im Inland ansässigen Person oder Firma, die gewerbsmäßig Bankiergeschäfte betreibt, nach dem Ausland versandt oder überbracht werden. Personen vder Firmen, die im Inland ansässig sind, dürfen Wert­ papiere der int § 1 bezeichneten Art, auch wenn diese sich schon im Aus­ land befinden, nur durch Vermittlung der im Abs. 1 bezeichneten Stellet! an eine im Ausland ansässige Person oder Firma veräußern oder verpfänden. Jedermann ist verpflichtet, der vom Reichskanzler zu bestimmenden Stelle auf Verlangen binnen einer von ihr festzusetzenden Frist über die Wertpapiere der im § 1 bezeichneten Art, die ihm gehören oder sich in seinem Besitze finden, genaue Auskunft zu erteilen. Der Reichsminister der Finanzen ist ermächtigt, zu verbieten, daß Wert­ papiere -er im § 1 bezeichneten Art nach dem Ausland ausgeführt oder an eine im Ausland ansässige Person veräußert oder verpfändet werden, g 3. Als Wertpapiere im Sinne dieser Verordnung gelten nicht: Wech­ sel, Schecks und sonstige Zahlungsmittel (§ 2 der Bekanntmachung über den Zahlungsverkehr mit dem Ausland vom 8. Februar 1917, Reichs-Gesetzbl. S. 105). g 4 Kauf- und Anschaffungsgeschäfte, durch welche Wertpapiere der im § 1 bezeichneten Art dem Reiche überlassen oder derartig überlassene Wert­ papiere dem überlassenden zurückgegeben werden, sind von der Abgabe aus Tarifnummer 4a des Reichsstempelgesetzes befreit. Desgleichen sind die mit der Überlassung der Wertpapiere verbundenen Geschäfte sowie Schriftstücke über solche Geschäfte auch in den einzelnen Bundesstaaten von jeder Stempel­ abgabe (Taxe, Sportel usw.) befreit. 8 ö. Durch die Überlassung von Wertpapieren der imj § 1 bezeichneten Art an das Reich wird die nach der Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 14. Dezember 1916 Werchs-Gesetzbl. S. 1387) an sich eintretende Ver­ pflichtung zur Errichtung des Reichsstempels gemäß Tarifnummer 1C und 2 b, c des Reichsstempelgesetzes noch nicht begründet. i) In der Fassung der Gesetze v. 1. März 1919 (RGBl. S. 264) und 1. Dezember 1921 (RGBl. S. 1577).

63. Gesetz, betreffend Verbot des Agiohandels v. 1 März 1919. §§ 1—3.

235

8 6 Zum Zwecke der Beschaffung von ausländischen Zahlungsmitteln oder voll Forderungen oder Krediten im Ausland (Bekanntmachung vom 8. Fe­ bruar 1917, Reichs-Gesetzbl. S. 105) sind die Verwalter von Vermögens­ massen aller Art auch dann befugt, die von ihnen verwalteten Wertpapiere der im 8 1 bezeichneten Art zu veräußern oder in anderer Weise darüber zu verfügen, wenn diese Befugnis durch die für die Verwaltung des Vermögens maßgebenden Bestimmungen beschränkt oder ausgeschlossen war. Ten Verwaltern von Vermögensmassen stehen gleich Inhaber eines standesherrlichen Hausguts, Familienfideikommisses, Lehen oder ^»tammguts oder die sonst zur Verwaltung eines der vorgenannten Vermögen berufenen Personen oder Stellen. 8 7. Der Reichskanzler kann Ausnahmen von den Vorschriften dieser Verordnung zulassen. 8 8. Wer es unternimmt, dem» § 2 oder einem gemäß § 2 Abs. 4 er­ lassenen Verbote zuwider Wertpapiere nach dem Ausland zu übersenden oder zu überbringen oder an eine im Ausland ansässige Person oder Firma zu veräußern oder zu verpfänden, wird, sofern nicht nach anderen Strafgesetzen eine höhere Strafe angedroht ist, mit Geldstrafe bis zu zehntausend Mark be­ straft. Neben der Geldstrafe kann auf Gefängnis bis zu sechs Monaten erkannt werden. Auch können die Wertpapiere, auf die sich die strafbare Handlung bezieht, im Urteil für dem Staate verfallen erklärt werden. Wegen der Zuwiderhandlung kann ein Deutscher auch dann bestraft werden, wenn er die Tat im Ausland begangen hat.

8 9* Wer vorsätzlich einer gemäß § 2 Ms. 3 an ihn ergehenden Auf­ forderung nicht oder nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist nachkommt oder bei der Auskunft wissentlich unrichtige oder unvollständige Angaben macht, wird mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark oder mit Ge­ fängnis bis zu drei Monaten bestraft. 8 19. Diese Verordnung tritt am 24. März 1917 in Kraft. Der Reichskanzler bestimmt, wann sie außer Kraft tritt.

63. 7. Gesetz, betreffend Verbot des Agiohandels mit

deutschen Banknoten und Darlehnskaffenscheinen. Vom 1. März 1919. (RGBl. S. 263.)

8 1.

Wer es unternimmt, deutsche Darlehnskassenscheine, die über 20 Mark und darüber lauten, oder deutsche Banknoten zu einem ihren Nenn­ wert übersteigenden Preise zu erwerben, zu veräußern oder solche Geschäfte zu vermitteln, oder wer dazu ausfordert oder sich erbietet, wird, sofern nicht andere .Vorschriften schwerere Strafen androhen, mit Gefängnis bis zu einem Jahre und zugleich mit Geldstrafe bis zu fünfzigtausend Mark bestraft. Sind mildernde .Umstände vorhanden, so kann ausschließlich auf Geldstrafe erkannt werden. 8 2. Tie Banknoten und Darlehnskassenscheine, auf die sich die strafbare Handlung bezieht, können im Urteil für dem Reiche verfallen erklärt werden. Ist die Einziehung nicht ausführbar, so kann aus Wertersatz erkannt werden. § 42 des Strafgesetzbuchs findet Anwendung.

8 3. Das Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft. Den Zeit­ punkt des Außerkrafttretens bestimmt der Reichsminister der Finanzen.

236

Erster Teil.

Strafgesetze.

64. 8. Gesetz über die Einsiegelung von Schriften, Drucksachen, Wertpapieren und Zahlungsmitteln beim Grenzübertritt nach dem Auslande. Vom 1. März 1919 (RGBl. S. 265.)

§ 1. Schriften, Drucksachen, Wertpapiere und Zahlungsmittel dürfen bis aus weiteres, unbeschadet der für Wertpapiere und Zahlungsmittel geltenden besonderen Vorschriften, nur dann über die Reichsgrenze mitgenommen werden, wenn sie vor dem Grenzübertritte von einer dazu zuständigen Stelle ge­ prüft und eingesiegelt worden sind. § 2 Zuständig zur Einsiegelung sind die Postüberwachungs- und die Postprüfungsstellen sowie die sonstigen von den Landeszentralbehörden be­ zeichneten Stellen.

8 3 Die Grenzüberwachungsstellen sind Befugt, die Mitnahme nicht ein­ gesiegelter Schriften und Drucksachen, die ihnen vor dem Beginne der Grenz­ abfertigung von ben Reisenden vorgelegt werden, zu gestatten, wenn es ihnen ohne wesentliche Verzögerung der Abfertigung anderer Reisender möglich ist, zu prüfen, ob darin keine Verfügungen über Vermögenswerte enthalten sind, die den Verdacht einer Steuer- oder Kapitalflucht begründen. Die Mitnahme nicht eingesiegelter Wertpapiere und Zahlungsmittel ist zu gestatten, sofern die hierfür nach den bestehenden Vorschriften erforderlichen Bescheinigungen worgelegt werden oder ihre Verbringung in das Ausland ohne solche Bescheinigungen zulässig ist. 8 4. Wer der Vorschrift des K 1 zuwider Gegenstände der dort bezeich­ neten Art über die Reichsgrenze mitnimmt, wird mit Geldstrafe bis zu zehn­ tausend 'Mark bestraft. Daneben kann aus Gefängnis bis zu einem Jahre er­ kannt werden. Der Versuch ist strafbar. Die Vermögenswerte, auf die sich die strafbare Handlung bezieht, können im Urteil für dem Reiche verfallen erklärt werden. Ist bei Wertpapieren oder Zahlungsmitteln die Einziehung nicht ausführbar, so kann aus Wert­ ersatz erkannt werden. § 42 des Strafgesetzbuchs findet Anwendung.

§ 5. Unberührt hierdurch bleiben die Bestimmungen über die Reisen der­ jenigen Personen, denen nach völkerrechtlichen Grundsätzen eine vorzugsweise Behandlung beim Grenzübertritte zulommt. 8 6. Dieses Gesetz tritt am Tage seiner Verkündung in Kraft.

65.

9. Verordnung auf Grund des Notgesetzes. (Wechselfiubenverordnung). Vom 8. Mai 1923. (RGBl. I S. 282.)

8 1 Geschäftsbetriebe, die sich ausschließlich oder in der Hauptsache mit dem Handel mit ausländischen Geldsorten, Papiergeld, Banknoten besassen und derön geschäftliche Einrichtungen überwiegend aus diesen Geschäftszweig zugeschnitten sind (Wechselstuben), sind nicht Devisenbanken im Sinne des § 1 Ms. 1 der Verordnung aus Grund des Notgesetzes (Maßnahmen gegen die Valutaspekulation vom 8. Mai 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 275), auch wenn sie als Zweigstellen solcher Banken eingerichtet sind. Ob die Voraussetzungen des Abs. 1 vorliegen, entscheidet die zuständige Behörde endgültig. Vor der Entscheidung sind die Handelskammer und die Reichsbankanstalt zu hören.

65. Wechselstubenverordnung v. 8. Mai 1923. §§ 1—8.

237

Für Wechselstuben treten an die Stelle des § 2 der Devisenordnung (Artikel I dieser Verordnung?) die nachstehenden Bestimmungen

§ 2. Wechselstuben dürfen nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde betrieben werden. Der Geschäftsbetrieb muß in das Handelsregister ein­ getragen sein. Die Erlaubnis wird erst wirksam, wenn die Eintragung erfolgt ist Soll der Gewerbebetrieb durch einen Stellvertreter ausgeübt werden, so bedarf dieser einer besonderen Erlaubnis. 8 3. Die Erlaubnis darf nur erteilt werden, wenn ein Bedürfnis für den Betrieb der Wechselstube nachgewiesen ist. Sie ist örtlich zu begrenzen und kann aus Zeit, auf Widerruf und unter Auflagen sowie unter Vorbehalt weiterer Auflagen erteilt werden. Vor Erteilung der Erlaubnis ist die Handelskammer und die Reichs­ bankanstalt zu hören. 8 4. Die Erlaubnis ist insbesondere zu versagen 1. wenn der Antragsteller nicht nachweist, daß ihm die zum ordentlichen Be­ trieb erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, 2. wenn die Annahme gerechtfertigt erscheint, daß der Antragsteller oder der Stellvertreter die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, 3. wenn der Antragsteller oder der Stellvertreter für den Gewerbebetrieb nicht genügend 'vorgebildet ist, 4. wenn in demselben Raume oder in mit ihm in unmittelbarer Verbindung stehenden Räumen ein anderer Gewerbebetrieb nichtbankmäßiger Art be­ trieben werden soll. Für Wechselstuben an Grenzübergangsplätzen, für Reisebüros und für Lotterieeinnehmer kann die zuständige Behörde Aus­ nahmen zulassen. Bei einer juristischen Person oder bei einer Personenvereinigung ohne Rechtspersönlichkeit gelten als Antragsteller im Sinne des Abs. 1, Ziffer 2 und 3 die vertretungsberechtigten Personen.

8 5.*2) In dem Geschäftsbetriebe müssen Bücher geführt werden, in denen sämtliche Erwerbungen im einzelnen unter Angabe der erworbenen aus­ ländischen Geldsorten, Papiergeld, Banknoten und des Gegenwerts fortlaufend numeriert, nach Abschluß des Geschäfts unverzüglich einzutragen sind. 8 6. Die Erlaubnis zum Betrieb einer Wechselstube oder zur Ausübung des Betriebs durch einen Stellvertreter muß zurückgenommen werden, 1. wenn sie auf Grund unwahrer Angaben oder sonstiger täuschender Hand­ lungen erwirkt war, 2. wenn Tatsachen eintreten, die die Versagung der Erlaubnis nach "§ 4 Nr. 2 oder 4 rechtfertigen würden, 3. wenn der Inhaber der Erlaubnis wegen vorsätzlicher Zuwiderhandlung ge­ gen die Bestimmungen der Verordnung auf Grund des Notgesetzes (Maß­ nahmen gegen die Valutaspekulation) oder gegen die Bestimmungen über die Steuerpflicht von Geschäften mit ausländischen Zahlungsmitteln rechtskräftig bestraft wird.

8 7. Die Erteilung, die Versagung und die Zurücknahme der Erlaubnis sind von der Behörde dem zuständigen Finanzamt unverzüglich mitzuteilen. 8 8. Die Bestellung von Personen, die keine Stellvertreter sind, zur Lei­ tung oder Beaufsichtigung einer Wechselstube, ist der zuständigen Behörde un­ verzüglich anzuzeigen. Ihnen ist die weitere Ausübung der Tätigkeit zu unter­ sagen, wenn die Annahme gerechtfertigt erscheint, *daß sie die erforderliche Zuverlässigkeit für den Gewerbebetrieb nicht besitzen. r) Bezieht sich auf Art. I der Verordnung zur Änderung der Devisengesetz­ gebung v. 8. Nov. 1924 (RGBl. I S. 729) (Fassung des § 1 Abs. 3 nach Art II dieser BO.). — Die Devifenordnung ist unter Nr. 71 abgedruckt. 2) Fassung nach Art. II der in voriger Note angeführten Verordnung.

238

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 9. Ist der Betrieb einer Wechselstube ohne Erlaubnis begonnen oder jbie Erlaubnis zurückgenommen, widerrufen oder erloschen, so kann die zuständige Behörde die Fortsetzung des Betriebs verhindern. In den Fällen des § 6, oder wenn dringender Verdacht einer gemäß §§ 12 und 13 Ziffer 3 strafbaren Handlung vorliegt, kann die zuständige Be­ behörde den Betrieb vorläufig schließen. Sie hat in diesem Falle unverzüglich bei der zuständigen Behörde die Zurücknahme der Erlaubnis zu beantragen. Diese Behörde hat über die vorläufige Schließung vorab zu entscheiden. In den Fällen des Ws. 1 und 2 ist die zuständige Behörde berechtigt, für die Dauer von 6 Monaten den Betrieb des Wechselgeschäfts in den Räumen der geschlossenen Wechselstube auch dann zu verbieten, wenn der Betrieb des Wechselgeschäfts nach den Bestimmungen dieser Verordnung einer besonderen Genehmigung nicht bedürfen würde. 8 10. Gegen die Entscheidungen der zuständigen Behörde ist, sofern nicht die oberste Landesbehörde selbst entschieden hat, binnen zwei Wochen die Be­ schwerde an die höhere Behörde zulässig, die endgültig entscheidet. Tie Be­ schwerde hat keine aufschiebende Wirkung. Tie obersten Landesbehörden bestimmen die zuständigen Behörden und re­ geln das Verfahren, für Wechselstuben auf Bahnhöfen int Einvernehmen mit dem Reichsverkehrsminister. 8 10a. Wechselstuben dürfen ausländische Geldsorten, Papiergeld, Bank­ noten und in Form von Reiseschecks oder durch Reisekreditbriefe ausländische Zahlungsmittel gegen inländische Zahlungsmittel erwerben und ausländische Geldsorten, Papiergeld, Banknoten, gegen inländische Zahlungsmittel ab­ geben. 8 11. Das öffentliche Auslegen oder sonstige Zurschaustellen von aus­ ländischen Geldsorten, Papiergeld, Banknoten, insbesondere das Auslegen in Schaufenstern und an sonstigen der allgemeinen Wahrnehmung zugänglichen Stellen, ist verboten. 8 12. Mit Gefängnis bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bis zu fünf­ zig Millionen Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer vor­ sätzlich 1. ohne Erlaubnis oder einem Verbote nach § 9 Ws. 3 zuwider eine Wech­ selstube betreibt oder durch einen Stellvertreter betreiben läßt, 2. zur Erlangung der Erlaubnis für sich oder einen anderen der zuständigen Behörde gegenüber wissentlich unrichtige Angaben macht oder sonstige täuschende Handlungen vornimmt, 3. von den bei Erteilung der Erlaubnis gemachten Auflagen abweicht, 4. den Vorschriften des § 5, 5. den Vorschriften des § 11 zuwiderhandelt. Neben der Strafe kann in den Fällen des Ws. 1 Nr. 1 auf Einziehung der in dem Geschäftsbetriebe vorhandenen, in den Fällen des Ws. 1 Nr 5 auf Einziehung der ausgelegten oder zur Schau gestellten ausländischen Geld­ sorten, Papiergeld, Banknoten erkannt werden, auch wenn sie dem Täter oder einem Teilnehmer nicht gehören. 8 13. Mit Geldstrafe bis zu zwanzig Millionen Mark wird bestraft 1. wer in einer Wechselstube als Stellvertreter tätig ist, obwohl er weiß, oder den Umständen nach annehmen muß, daß die Erlaubnis für den Betrieb der Wechselstube oder für die Tätigkeit des Stellvertreters nicht erteilt, zurückgenommen, widerrufen oder erloschen ist, 2. wer, phne Stellvertreter zu sein, die Leitung oder Beaufsichtigung einer Wechselstube trotz erfolgter Untersagung wissentlich fortsetzt, 3. wer als Betriebsinhaber oder als dessen Stellvertreter zur Leitung oder Beaufsichtigung einer Wechselstube eine Person bestellt, von der er weiß oder den Umständen nach annehmen muß, daß ihr die Fortsetzung dieser Leitung oder Beaufsichtigung untersagt ist. 8 14. Personen, die beim Inkrafttreten dieser Verordnung eine Wechsel­ stube als Inhaber oder Stellvertreter rechtmäßig betreiben oder einen noch

67. Devisenmaklerverordnung v. 17. September 1923.

239

dem 13. Dezember 1922 fortzusetzen, gestellt haben, bedürfen, wenn binnen einem Monat nach Inkrafttreten dieser Verordnung die Erlaubnis beantragt wird, zur Fortsetzung des Betriebs bis zur Entscheidung über den Antrag, längstens jedoch bis zum 1. Juli 1923, keine Erlaubnis. § 15. Der Reichswirtschaftsminister kann Ausnahmen von den Be­ stimmungen dieser Verordnung zulassen. g 16. Auf den Betrieb der Wechselstuben finden die Vorschriften der Ge­ werbeordnung insoweit Anwendung, als nicht in dieser Verordnung besondere Bestimmungen getroffen sind. g 17. Diese Verordnung tritt mit dem Tage nach der Verkündung, im besetzten und Einbruchsgebiet am 15. Mai 1923 in Kraft. Ter Reichswirtschaftsminister bestimmt den Zeitpunkt des Außerkraft­ tretens.

66. 10. Gesetz über die Ausgabe wertbeständiger Schuld­ verschreibungen auf den Inhaber. Vom 23. Juni 1923. (RGBl. I S. 407.)

g 1. Die Vorschriften des § 795 des Bürgerlichen Gesetzbuchs finden An­ wendung, wenn in Schuldverschreibungen auf den Inhaber, die im Inland ausgestellt sind, die Zahlung einer Geldsumme versprochen wird, deren Höhe nicht durch Angabe eines festen Betrags, sondern durch Bezeichnung des Maß­ stabs bestimmt ist, nach dem der geschuldete Geldbetrag zu errechnen ist. Tas gleiche gilt, wenn in der Schuldverschreibung eine andere Leistung versprochen wird, der Schuldner aber sich durch Zahlung eines Geldbetrags be­ freien kann, dessen Höhe im Sinne des Abs. 1 durch Bezeichnung des Be­ rechnungsmaßstabs bestimmt ist. g 2. Wer im Inland Schuldverschreibungen auf den Inhaber der im § 1 bezeichneten Art ohne die erforderliche staatliche Genehmigung ausstellt und in den Verkehr bringt, wird mit einer Geldstrafe bis zu hundert Millionen Mark bestraft. g 3. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft.

67.

11. Devisenmaklerverordnung. Vom 17. September 1923. (RGBl. I S. 902.)

g l.i) Die Vermittlung von Geschäften über ausländische Zahlungsmittel ist außer Devisenbanken und den vereideten Kursmaklern nur den aus Grund dieser Verordnung zugelassenen Devisenmaklern gestattet. Die Devisenmakler dürfen solche Geschäfte nur zwischen Devisenbanken vermitteln. Devisen-, matter sollen nur im Ortsbereiche staatlich anerkannter Fondsbörsen zugelassen werden. Die oberste Landesbehörde bestimmt im Einvernehmen mit dem Reichswirtschaftsminister die Höchstzahl der Devisenmakler jedes Börsenplatzes, g 2. Devisenmakler bedürfen der Erlaubnis der zuständigen Behörde. Der Geschäftsbetrieb muß in das Handelsregister eingetragen sein. Tie Er­ laubnis wird erst wirksam, wenn die Eintragung erfolgt ist. Soll der Gewerbebetrieb durch einen Stellvertreter ausgeübt werden, so bedarf dieser einer besonderen Erlaubnis. Das gleiche gilt, wenn Ange­ ll Fassung gemäß Artikel III der Verordnung v. 8. Nov. 1924 (RGBl. I S. 732).

240

Erster Teil.

Strafgesetze.

stellte, die nicht Stellvertreter sind, mit der Vornahme solcher Geschäfte über ausländische Zahlungsmittel beauftragt werden sollen. § 3. Die Erlaubnis darf nur erteilt werden, wenn ein Bedürfnis nachgewiesen ist, Devisenmaklern außerdem nur im Rahmen der Höchstzahl Die Erlaubnis ist örtlich zu begrenzen und kann auf Zeit, Widerruf und unter Auflagen sowie unter Vorbehalt weiterer Auflagen erteilt werden. Vor Erteilung der Erlaubnis sind die Handelskammer, die Reichsbank­ anstalt und der Börsenvorstand zu hören. § 4. Die Erlaubnis ist insbesondere zu versagen 1. wenn der Antragsteller nicht nachweist, daß ihm die zum ordnungs­ mäßigen Geschäftstrieb erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, 2. wenn die Annahme gerechtfertigt erscheint, daß der Antragsteller, der Stellvertreter oder der Angestellte die für den Gewerbebetrieb erforder­ liche Zuverlässigkeit nicht besitzt, 3. wenn der Antragsteller oder der Stellvertreter nicht bereits zwei Jahre Geschäfte jüber ausländische Zahlungsmittel an einer Börse vermittelt hat, pder der Angestellte für den Gewerbebetrieb nicht genügend vor­ gebildet ist, 4 wenn in demselben Raume oder in mit ihm in unmtttelbare Verbindung stehenden Räumen ein anderer Gewerbebetrieb betrieben werden soll; die .Vermittlung von Geschäften über Wertpapiere gilt nicht alS anderer Gewerbebetrieb. Bei einer Person oder bei einer Personenvereinigung ohne Rechtsper­ sönlichkeit gelten als Antragsteller im Sinne des Abs 1 Nr 2 und 3 die vertretungsberechtigten Personen. 8 5»1) Der Devisenmakler muß Bücher führen, in denen sämtliche Vermittlungen im einzelnen unter Angabe der Parteien, des Gegenstandes des Geschäfts und des Gegenwerts fortlaufend numeriert, nach Abschluß des Ge­ schäfts unverzüglich einzutragen sind. 8 6. Die Erlaubnis zur Devisenvermittlung oder zur Ausübung des Be­ triebs durch einen Stellvertreter muß zurückgenommen werden, 1. wenn sie auf Grund unwahrer Angaben oder sonstiger täuschender Hand­ lungen erwirkt war, 2. wenn Tatsachen eintreten, die die Versagung der Erlaubnis nach § 4 Nr. 2 oder 4 rechtfertigen würden, 3. wenn der Inhaber der Erlaubnis wegen Zuwiderhandlung gegen die Devisengesetzgebung oder gegen die Bestimmungen über die Steuerpflicht von Geschäften mit ausländischen Zahlungsmitteln rechtskräftig be­ straft wird. 8 7. Die Erteilung, die Versagung und die Zurücknahme der Erlaubnis ist von der Behörde dem zuständigen Finanzamt unverzüglich mitzuteilen. 8 8. Ist die Devisenvermittlung ohne Erlaubnis begonnen oder die Er­ laubnis zurückgenommen, widerrufen oder erloschen, so hat die zuständige Behörde die Fortsetzung des Betriebes zu verhindern. In den Fällen des § 6 oder wenn dringender Verdacht einer nach § 10 oder § 11 Nr. 2 strafbaren Handlung vorliegt, kann die zuständige Behörde die Ausübung des Gewerbes vorläufig untersagen. Sie hat in diesem Falle unverzüglich bei der zuständigen Behörde die Zurücknahme der Erlaubnis zu beantragen. Diese Behörde hat über die vorläufige Untersagung vorab zu entscheiden 8 9. Gegen die Entscheidungen der zuständigen Behörde ist, sofern nicht die oberste Landesbehörde selbst entschieden hat, binnen zwei Wochen die Beschwerde an die höhere Behörde zulässig, die endgültig entscheidet. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. Die obersten Landesbehörden bestimmen die zuständigen Behörden und regeln das Verfahren.

r) Der frühere Abs. 2 ist aufgehoben durch die in der vor. N. angeführte Verordnung.

241

67. Devisenmaklerverordnung v. 17. September 1923.

8 10. .Mit Gefängnis bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bis zu 10000 Mark Gold oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer vorsätzlich 1. ohne Erlaubnis Geschäfte über ausländische Zahlungsmittel vermittelt oder durch einen Stellvertreter oder Angestellten vermitteln läßt, 2. zur Erlangung der Erlaubnis für sich oder einen anderen der zuständigen Behörde gegenüber wissentlich unrichtige Angaben macht oder sonstige täuschende Handlungen vornimmt, 3. von den bei Erteilung der Erlaubnis gemachten Auflagen abweicht, 4. den Vorschriften des § 5 Abs. 1 zuwiderhandelt. Zur Sicherung der Geldstrafe kann das Vermögen des Angeschuldigten ganz jvder teilweise beschlagnahmt werden. Neben der Strafe kann angeordnet werden, daß die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekanntgemacht wird. Die Bekanntmachung kann auch durch öffentlichen Anschlag erfolgen. Die Vorschriften des § 26 Abs. 3, 4 der Preistreibereiverordnung vom 13. Juli 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 700) gelten entsprechend 8 11. Mit Geldstrafe bis zu 10000 Goldmark wird bestraft 1. wer als Stellvertreter oder Angestellter eines Devisenmaklers tätig ist, obwohl er weiß, oder den Umständen nach annehmen muß, daß die Erlaubnis für die Vermittlung von Geschäften über ausländische Zah­ lungsmittel pder für die Tätigkeit als Stellvertreter oder als Ange­ stellter nicht erteilt, zurückgenommen, widerrufen oder erloschen ist, 2. wer als Betriebsinhaber oder dessen Stellvertreter einen Angestellten mit der Vermittlung von Geschäften über ausländische Zahlungsmittel beauftragt, obwohl er weiß oder den Umständen nach annehmen muß, daß die Erlaubnis für den Angestellten nicht erteilt, zurückgenommen oder er­ loschen ist.

8 12?) Wer die int §5 vorgeschriebenen Bücher nicht oder nicht ordnungs­ mäßig führt, kann zur Erfüllung dieser Pflicht von der obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle durch Ordnungsstrafen angehalten werden. Die Ordnungsstrafe wird durch Bescheid der obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle endgültig festgesetzt. Die Ordnungsstrafe ist so­ fort fällig. Die Stelle, an die die Ordnungsstrafe zu entrichten ist, soll in dem Bescheid angegeben werden. Der Bescheid ist sofort vollstreckbar. Die Voll­ streckung erfolgt nach den landesgesetzlichen Vorschriften über die Beitreibung öffentlicher Abgaben. Die Ordnungsstrafe kann wiederholt werden und darf im Einzelfalle nicht mehr als 10000 Reichsmark betragen. Die Ordnungsstrafe ist in Gold­ mark festzusetzen, solange nach den allgemeinen Vorschriften Ordnungsstrafen in Goldmark sestzusetzen sind. Hierbei ist eine Goldmark einer Reichsmark gleichzusetzen. 8 13. Wer beim Inkrafttreten dieser Verordnung Geschäfte an Börsen­ plätzen vermittelt, kann die Vermittlung bis zur Erledigung seines Antrags auf Zulassung fortsetzen, wenn sein Antrag bis zum 30. September 1923 beim Börsenvorstand ein gegangen ist.

8 14. Der Reichswirtschaftsmiuister stimmungen dieser Verordnung zulassen.

kann

Ausnahmen von den

Be­

8 15. Auf die Devisenvermittlung finden die Vorschriften der Ge­ werbeordnung Anwendung, soweit nicht in dieser Verordnung besonderes be­ stimmt ist. 8 16?) Diese Verordnung tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft. Ter Reichswirtschaftsminisier kaun diese Verordnung ändern und ganz oder teilweise außer Kraft setzen. *) Fassung gem. Art. III der in der Note zu § 1 angeführten Verordnung.

Allfeld, Strafgesetzgebung. 3. Aufl.

16

242

Erster Teil.

68.

12. Bankgesetz.

Strafgesetze.

Born 30. August 1924.

(RGBl. II S. 235.)

I Rotenprivileg der Reich-bank. 8 1. Die Reichsbank ist eine von der Reichsregierung unabhängige Bank, welche die Eigenschaft einer juristischen Person besitzt und die Ausgabe hat, den Geldumlauf im gesamten Reichsgebiete zu regeln, die Zahlungsausglei­ chungen zu erleichtern und für die Nutzbarmachung verfügbaren Kapitals zu sorgen. Die Reichsbank hat ihren Sitz in Berlin. Sie ist berechtigt, allerorten im Reichsgebiet Zweiganstalten (Reichsbankhauptstellen, Reichsbankstellen und Reichsbanknebenstellen) zu unterhalten. Tie Bestimmung hierüber und über die Organisation der Zweiganstalten trifft das Reichsbankdirektorium.

8 2. Tie Reichsbank hat auf die Dauer von 50 Jahren das ausschließliche Recht, Banknoten in Deutschland auszugeben. Die bestehenden Notenausgaberechte der Bayerischen Notenbank, der Württembergischen Notenbank, der Sächsischen Bank und der Badischen Bank bleiben unberührt. Die Höchstgrenze, bis zu welcher die Privatnotenbanken Banknoten auszugeben befugt sind, darf den Betrag von 194 Millionen Reichsmark insgesamt nicht übersteigen. Die Höhe, bis zu der die einzelnen Privatnotenbanken Banknoten aus­ geben dürfen, wird durch ein besonderes Gesetz festgesetzt, das auch die sonstigen Rechtsverhältnisse dieser Banken regelt. Tie Rentenbank darf den Betrag der ausgegebenen Rentenbankscheine nicht erhöhen. Das der Deutschen Golddiskontbank verliehene Recht der Notenaus-i gäbe wird aufgehoben. Tie beim Inkrafttreten dieses Gesetzes ausgegebenen Noten sind aufzurufen und einzuziehen. Die näheren Bestimmungen hierüber trifft der Borstand der Deutschen Golddiskontbank. 8 3. Die Banknoten lauten auf Reichsmark. Banknoten über kleinere Be­ träge als zehn Reichsmark dürfen nur mit Zustimmung der Reichsregierung zur Befriedigung eines vorübergehenden Berkehrsbedürfnisses ausgegeben werden Die Reichsbanknoten sind außer Reichsgoldmünzen das einzige unbe­ schränkte gesetzliche Zahlungsmittel in Deutschland. Tie Reichsbank ist verpflichtet, ihren gesamten bisherigen Notenumlauf aufzurufen und gegen Reichsmarknoten umzutauschen. Eine Billion Mark bisheriger Ausgabe ist durch eine Reichsmark zu ersetzen. Die eingezogenen Noten sind zu vernichten. Die näheren Bestimmungen über den Aufruf, die Fristen für die Einlieferung und Kraftloserklärung der alten Noten setzt das Reichsbankdirektorium fest. 8 4. Ausländische Banknoten oder sonstige auf den Inhaber lautende unverzinsliche Schuldverschreibungen ausländischer Korporationen, Gesellschaften oder Privaten dürfen, wenn sie ausschließlich oder neben anderen Wert­ bestimmungen in Reichswährung ausgestellt sind, innerhalb des Reichsgebietes zu Zahlungen nicht gebraucht werden.

II. Kapital der Reichsbank. 8 5. Die Reichsbank hat das Recht, ihr Grundkapital bis auf 400 Mil­ lionen Reichsmark zu erhöhen. Das Reichsbankdirektorium hat die für die Erhöhung erforderlichen Maßnahmen zu treffen, insbesondere die Höhe des Grundkapitals im Rahmen des im Satz 1 bezeichneten Betrages festzustellen, wobei das so festzustellende Grundkapital mindestens 300 Millionen Reichsmark betragen soll. Tie neu auszugebenden Anteilscheine sind ausschließlich in Gold oder Devisen, zum jeweiligen Goldwert umgerechnet, einzuzahlen, mit Ausnahme

68. Bankgesetz v. 30. August 1924. § 1—6.

243

der Anteilscheine, welche gegen die bisherigen Reichsbankanteilscheine oder Aktien der Deutschen Golddiskontbank ausgegeben werden. Für das gesamte Grundkapital werden neue Anteilscheine ausgegeben. Die Inhaber der bisherigen Anteilscheine erhalten im Umtausch gegen dieselben neue Anteilscheine in einem vom Reichsbankdirektorium festzusetzenden Ver­ hältnis; dabei darf das bisherige Grundkapital höchstens mit 100 Millionen Reichsmark in Ansatz gebracht werden. Jeder Reichsbankanteil lautet über 100 Reichsmark. Die Anteile werden auf den Namen gestellt. Tie nähere Form der Anteile wird durch die Satzung festgesetzt. Die Anteilseigner haften nicht persönlich für die Verbindlichkeiten der Reichsbank

111. Organisation der Reichsbank. A. Verwaltung. § 6. Die Bank wird verwaltet durch das Neichsbankdirektorium, das aus einem Präsidenten als Vorsitzenden und der erforderlichen Anzahl von Mit­ gliedern besteht. Das Reichsbankdirektorium bestimmt insbesondere die Währungs-, Diskont- und Kreditpolitik der Bank. Präsident und Mitglieder müssen deutsche Reichsangehörige sein. Tas Reichsbankdirektorium faßt seine Beschlüsse mit einfacher Stimmen­ mehrheit; bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Präsidenten. Ter Präsident wird vom Generalrat in der Weise gewählt, daß, eine Mehrheit von 9 Stimmen vorhanden sein muß, der mindestens 6 deutsche Stimmen angehören. Der Präsident erhält eine Ernennungsurkunde, die der Unterschrift der an der Wahl beteiligten Mitglieder des Generalrats sowie der Unterschrift des Reichspräsidenten bedarf. Mit der Aushändigung der Ur­ kunde an den gewählten Präsidenten ist dieser rechtmäßig bestellt. Lehnt der Reichspräsident seine Unterschrift bei einem Gewählten ab, so hat eine Neuwahl stattzufinden Lehnt der Reichspräsident auch die Unter­ schrift bei dem Neugewählten ab, so findet eine dritte Wahl statt, die end­ gültig ist, ohne daß es für die rechtmäßige Bestellung der Unterschrift des Reichspräsidenten unter der Ernennungsurkunde bedarf. Die Ernennung der Mitglieder des Direktoriums erfolgt nach Zu­ stimmung des Generalrats durch den Präsidenten. Die Zustimmung des Ge­ neralrats muß mit dem Stimmenverhältnis zustande kommen, das für die Präsidentenwahl vorgeschrieben ist. Die Ernennung erfolgt auf einen Zeit­ raum von 12 Jahren, jedoch mit der Maßgabe, daß jedes Mitglied des Direktoriums bei Erreichung eines Lebensalters von 65 Jahren ausscheidet. Für die erstmalige Ernennung des Tirektoriums gilt folgende Besonder­ heit: Die Zahl der Mitglieder des Direktoriums mit Ausnahme des Präsi­ denten wird in drei Gruppen geteilt, von denen die ersten beiden gleich groß sein müssen und die dritte entweder ebenfalls die gleiche Größe haben muß wie die beiden ersten oder, wenn das rechnerisch nicht geht, kleiner sein kann, aber so nahe als möglich an die Größe jeder der ersten beiden Gruppen heran­ kommen muß. In die erste Gruppe werden die an Lebensalter jüngsten, in die dritte Gruppe die an Lebensalter ältesten, in die zweite Gruppe die übrigen zu Ernennenden eingereiht. Die Mitglieder der ersten Gruppe werden auf 12 Jahre, die der zweiten- Gruppe auf 8 Jahre und die der dritten Gruppe auf 4 Jahre ernannt. Die Altersgrenze von 65 Jahren gilt auch bei der erst­ maligen Wahl. Die Amtsdauer des Präsidenten beträgt 4 Jahre. Der Präsident und die Mitglieder sind wieder wählbar. Wenn eine Zuwahl oder Ergänzung des Reichsbankdirektoriums durch Wahl Zeines neuen Kandidaten stattfindet, so bedarf der zu Wählende der Zu­ stimmung des Reichsbankdirektoriums. Aus wichtigem Grunde kann der Präsident oder ein Mitglied des Direk­ toriums jederzeit abberufen werden, unter Wahrung der ihnen vertraglich zustehenden Ansprüche. Diese Abberufung aus wichtigem Grunde erfolgt gegen16*

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Erster Teil.

Strafgesetze.

über dem Präsidenten durch den Generalrat mit der im Abs. 4 vorgesehenen Stimmenmehrheit, gegenüber einem Mitglied des Direktoriums gleichfalls durch den Generalrat mit der gleichen Stimmenmehrheit, jedoch nur mit Zu­ stimmung des Präsidenten. g 7. Die Bank wird durch das Reichsbankdirektorium gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Seine Legitimation im Rechtsverkehr wird durch eine amtliche Bescheinigung des beim Reichsbankdirektorium bestellten lUrkundsbeamten (§ 8) nachgewiesen. Erklärungen des Reichsbankdirektoriums sind für die Reichsbank verbind­ lich, wenn sie von zwei Mitgliedern abgegeben werden. Die Erklärung von Mitgliedern kann durch die von Stellvertretern ersetzt werden. Erklärungen der Vorstände der Reichsbankhauptstellen und Reichsbankstellen sind für die Reichsbank verbindlich, wenn sie innerhalb des Geschäftskreises der betreffenden Zweiganstalt von beiden Vorstandsmitgliedern oder ihren Stellvertretern ab­ gegeben werden. Tie Vorschriften des § 232 Ws. 1 Satz 2 und 3 des Handelsgesetzbuchs finden entsprechende Anwendung. Gegen die Reichsbankhauptstellen und Reichsbankstellen können alle Kla­ gen, die auf ihren Geschäftsbetrieb Bezug haben, bei dem Gericht des Ortes erhoben werden, an dem die Zweiganstalt errichtet ist. g 8. Bei den Reichsbankhauptstellen werden Bankkommissare, bei den Reichsbankstellen Bankjustitiare vom Präsidenten bestellt, deren Geschäftskreis vom Präsidenten des Reichsbankdirektoriums festgesetzt wird. Bei der Reichsbank und ihren Zweiganstalten können vom Präsidenten des Reichsbankdirektoriums Urkundsbeamte bestellt werden, welche die Fähig­ keit zur Bekleidung des Richteramtes besitzen müssen; sie führen ein amt­ liches Siegel. Zu Urkundsbeamten bei den Zweiganstalten sollen in der Regel die Bankkommissare und Justitiare bestellt werden. Tie von den Urkundsbeamten in Angelegenheiten der Reichsbank aufge­ nommenen Urkunden haben dieselbe Wirkung, als ob sie von einem Gericht oder Notar ausgenommen wären. Die Urkundsbeamten sind berechtigt, in An­ gelegenheiten der Reichsbank Unterschriften zu beglaubigen sowie für das Reichsbankdirektorium und die zur gesetzlichen Vertretung der Reichsbank be­ rechtigten Borstandsbeamten der Zweiganstalten Zeugnisse zur Legitimation int Rechtsverkehr auszustellen. g 9. Der Präsident ernennt die Beamten auf Vorschlag des Direktoriums, er ordnet die Verteilung ihrer Arbeiten und Pflichten in der Bank. Tie Rechtsverhältnisse der Beamten der Bank werden durch ein vom Direktorium zu erlassendes besonderes Beamtenstatut geregelt. Tas Beamtenstatut hat den Beamten der Reichsbank die Rechte der Reichsbeamten zu wahren und die Pflichten der Reichsbeamten aufzuerlegen. Abweichungen vom Reichsbeamtenrecht sind nur insoweit zulässig, als es zur Aufrechterhaltung eines geordneten und leistungsfähigen Bankbetriebs not­ wendig ist . Verstöße gegen die vom Beamtenstatut festgesetzten Pflichten werden in dem für Reichsbeamte vorgesehenen Disziplinarverfahren nach Maßgabe der für Reichsbeamte geltenden dienststrafrechtlichen Vorschriften verfolgt. Hier­ bei Abt der Präsident des Reichsbankdirektoriums die Befugnisse der obersten Reichsbehörde aus. Die Bank kann Angestellte und Arbeiter im Vertragswege annehmen; für deren Rechte und Pflichten sind die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen und die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Tarifverträge maßgebend. Nach einer Kündigung der Tarifverträge sind besondere Haustarifverträge ab­ zuschließen. g 10. Für den Präsidenten und die Mitglieder des Direktoriums werden die Vorschriften über die Gehälter, Wartegelder, Ruhegehälter und Hinter­ bliebenenbezüge vom Generalrat erlassen. Für die Beamten der Bank erläßt das Reichsbankdirektorium die Vovschriften über die Gehälter, Wartegelder, Ruhegehälter und Hinterbliebenen­ bezüge; hierbei sind die reichsrechtlichen Vorschriften zugrunde zu legen.

68. Bankgesetz v. 30. August 1924. §§ 7—13.

245

Eine günstigere Regelung der Dienstbezüge der Beamten der Bank im Vergleich $u den Dienstbezügen gleich zu bewertender Reichsbeamten ist nur dann zulässig, wenn diese günstigere Regelung zur Aufrechterhaltung eines geordneten und leistungsfähigen Bankbetriebs notwendig ist. Die.Vorschriften über die Dienstbezüge der Beamten der Bank sowie deren Änderungen und Ergänzungen hat das Reichsbankdirektorium vor Erlaß der Reichsregierung mitzuteilen. Bestehen über die Zulässigkeit (Abs. 3) der Regelung zwischen dem Reichsbankdirektorium und der Reichsregierung Meinungsverschiedenheiten, so kann diese binnen vier Wochen nach Mit­ teilung die Entscheidung eines Schiedsgerichts anrufen. Tas Schiedsgericht besteht aus drei Mitgliedern. Jede Partei ernennt ein Mitglied; das dritte ständige Mitglied, welches der Vorsitzende des Schiedsgerichts sein soll, wird vom Präsidenten des Reichsgerichts aus ge­ eigneten Persönlichkeiten ernannt, die bekanntermaßen in solchen Ange^ legenheiten Erfahrung haben. Der Antrag auf schiedsgerichtliche Entscheidung ist beim Vorsitzenden des Schiedsgerichts zu stellen. Tie Entscheidung des Schiedsgerichts ist für die Reichsregierung und das Reichsbankdirektorium bindend. Bis zur Entscheidung bleiben die bisherigen Vorschriften in Kraft. Tie Bestimmungen in Abs. 3 bis 6 berühren nicht die Befugnis der Reichsbank, im Einzelfalle bei besonderen Leistungen und Maßgabe der Bedürf­ nisse der Reichsbank besondere Vergütungen zu gewähren, solange die Ver­ gütungen in ihrem Gesamtbetrag 10 °/o des gesamten Besoldungsauswandes für die Reichsbankbeamten nicht übersteigen. Ten in Ms. 1 und 2 genannten Personen stehen gegen das Reich An­ sprüche aus dem Dienstverhältnis nicht zu.

B. Vertretung der Anteilseigner.

8 11. Die Generalversammlung ist die Vertretung der Anteilseigner. Zur Teilnahme ist mit den in der Satzung enthaltenen Maßgaben jeder verßügungsberechtigte Anteilseigner berechtigt, der in den Stammbüchern der Reichsbank als Eigner eingetragen ist. Tie Stimmenzahl, die jeder Erschienene hat, bestimmt sich nach dem Nennbetrag der bitrd) ihn vertretenen Bankanteile. Jeder Anteil hat das Recht aus eine Stimme, jedoch dürfen nicht mehr als 300 Stimmen in einer Hand bereinigt sein. Die einfache Stimmenmehrheit entscheidet, bei Stimmengleichheit ent­ scheidet der Nennbetrag der Anteile.

8 12. Die Generalversammlung empfängt jährlich den Verwaltungs­ bericht. Sie beschließt über die Bilanz und Gewinnverteilung nach Maß­ gabe dieses Gesetzes. Sie beschließt ferner über Abänderungen der Satzung nach Vorschlag des Reichsbankdirektoriums mit Zustimmung des Generalrats. 8 13. Bei der Reichsbank wird ein ständiger Ausschuß der Anteilseigner (Zentvalausschuß) gebildet werden, dessen gutachtliche Äußerung sie in ge­ eigneten Fällen einholen kann. Die Mitglieder des Zentralausschusses sollen auf Vorschlag des Reichsbankdirektoriums von der Generalversammlung aus den Kreisen von Bankgewerbe, Industrie, Handel, Landwirtschaft, Handwerk und Arbeitnehmerschaft, und zwar aus den deutschen Anteilseignern, ge­ wählt werden. Rechte und Pflichten des Zentralausschusses bestimmt die Satzung. Deputierte des Zentralausschusses sollen zum Zwecke der Beratung des Reichsbankdirektoriums in besonderen Angelegenheiten gewählt werden; sie können vom Reichsbankdirektorium zu seinen Sitzungen bei solchen Beratungen zugezogen werden. Ihre Rechte und Pflichten bestimmt die Satzung. In entsprechender Weise sollen bei den größeren selbständigen Zweig­ anstalten Bezirksausschüsse und aus deren Mitte Beigeordnete gewählt werden.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

Rechte und Pflichten der Bezirksausschüsse und Beigeordneten bestimmt die Satzung C. Gerreralrat.

L 14. Bei der Reichsbank wird ein Generalrat gebildet, bestehend aus 14 Mitgliedern, von denen sieben die deutsche Reichsangehörigkeit und je eines die britische, französische, italienische, belgische, amerikanische (Bereinigte Staaten), holländische und schweizerische Staatsangehörigkeit besitzen müs­ sen. Durch einstimmigen Beschluß kann der Generalrat die Zahl seiner deut­ schen Mitglieder vermehren. 8 15. Der Präsident des Reichsbankdirektoriums ist eines der deutschen Mitglieder und zugleich Vorsitzender des Generalrats. Die Amtsdauer der Mitglieder des Generalrats mit Ausnahme des Präsidenten und des Kommissars beträgt drei Jahre. In der ersten Amts­ periode sollen drei deutsche Mitglieder und drei ausländische Mitglieder für die Dauer von einem Jahr, zwei deutsche Mitglieder und zwei ausländische Mit­ glieder für die Dauer von zwei Jahren und zwei deutsche Mitglieder und zwei ausländische Mitglieder für die Dauer von drei Jahren ihre Ämter bekleiden. In der ersten Sitzung des Generalrats soll durch das Los entschieden werden, welche Mitglieder — mit Ausnahme des Präsidenten und des Kommissars — hiernach eine verkürzte Amtsdauer von einem oder zwei Jahren haben. Wird zum Präsidenten eine Person gewählt, die dem Generalrat bisher nicht ange­ hörte, so scheidet dasjenige der deutschen Mitglieder des Generalrats aus, das die längste Amtsdauer vor sich hat. Im Zweifel entscheidet das Los 8 16. Die deutschen Mitglieder — mit Ausnahme des Präsidenten — werden von den die deutsche Reichsangehörigkeit besitzenden Anteilseignern der Reichsbank gewählt oder, soweit die Satzung ein Kooptationsrecht vorsieht, bestätigt Die näheren Bestimmungen über die Wahl trifft die Satzung. Für die Wahl der ersten deutschen Mitglieder erläßt das Organisations­ komitee mit Zustimmung des Präsidenten die erforderlichen Bestimmungen. Die ausländischen Mitglieder werden erstmalig vom Organisations­ komitee ernannt. Im weiteren Verlauf soll, wenn ein ausländisches Mitglied ausscheidet, eine Neuwahl einer Person derselben Staatsangehörigkeit stattfinden, und zwar durch die zur Zeit der Wahl im Amt befindlichen ausländischen Mit­ glieder. Einstimmigkeit bis auf eine Stimme ist hierfür erforderlich. Bevor ein ausländisches Mitglied gewählt wird, soll der Generalrat die Zentralnotenbank des Landes, dessen Staatsangehörigkeit gewählt werden soll, um eine gutachtliche Äußerung ersuchen. 8 17. Zu Mitgliedern des Generalrats dürfen nicht bestellt werden: a) unmittelbare Staatsbeamte des Deutschen Reichs oder eines deutschen Landes, b) Personen, die vom Deutschen Reiche oder einem deutschen Lande eine Bezahlung erhalten. Abs. 1 gilt sinngemäß für Beamte eines ausländischen Staates sowie für Personen, die von einem solchen Staate oder dessen Regierung eine Be­ zahlung erhalten. 8 18. Der Generalrat faßt seine Beschlüsse mit einer Mehrheit von mindestens zehn Stimmen oder mit einfacher Stimmenmehrheit, wenn der Präsident und der Kommissar in der Mehrheit inbegriffen sind. Falls ein Mitglied einer Sitzung nicht beiwohnen kann, steht es ihm frei, ein anderes Mitglied durch eingeschriebenen Brief oder Telegramm zu ermächtigen, an seiner Statt seine Stimme abzugeben. In jeder seiner Sitzungen und wenigstens einmal im Monat soll der Generalrat die Berichte prüfen, die ihm von dem Präsidenten und dem Kom­ missar vorgelegt worden sind. Er faßt Beschluß über alle Vorschläge, die ihm vorr dem Präsidenten und dem Kommissar gemacht worden sind, jedoch

68. Bankgesetz v. 30. August 1924. §§ 14—21.

247

ohne daß die dem Reichsbankdirektorium vorbehaltenen Rechte der Verwal­ tung der Bank dadurch beeinträchtigt werden dürfen. 8 19. Ter Generalrat bestellt eines seiner ausländischen Mitglieder oder einen anderen Ausländer, der eine nach § 14 im Generalrat vertretene Staatsangehörigkeit besitzt, zum Kommissar für die Notenausgabe. Der Beschluß muß mit mindestens neun Stimmen, worunter mindestens sechs ausländische Stimmen sein müssen, gefaßt werden. Die Wahl eines Nicht­ mitgliedes bewirkt das Ausscheiden des bisherigen Mitgliedes gleicher Staats­ angehörigkeit Der gewählte Kommissar wird durch die Wahl Mitglied des Generalrats. Seine Amtsdauer beträgt 4 Jahre. 8 20. Sämtliche bei der Bank als Leiter, Beamte oder Angestellte tätigen Personen sowie die Mitglieder des Generalrats, des Zentralausschusses und der Bezirksausschüsse sind verpflichtet, über alle zu ihrer Kenntnis gelangenden Angelegenheiten und Einrichtungen der Bank, insbesondere über alle einzel­ nen Geschäfte der Bank und über den Umfang gewährter Kredite Schweigen zu beobachten, auch nachdem das Dienstverhältnis oder die Zugehörigkeit zum Generalrat, Zentralausschuß oder einem Bezirksausschuß fortgefallen ist. Tie Sitzungen des Reichsbankdirektoriums, des Generalrats, des Zentral­ ausschusses und der Generalversammlung finden in Berlin statt. Zur Aufrechterhaltung einer ständigen Fühlung in den währungs- und finanzpolitischen Angelegenheiten ist das Reichsbankdirektorium verpflichtet, in regelmäßigen Zeitabständen der Reichsregierung sowie jederzeit auf Ersuchen über Angelegenheiten dieser Art Bericht zu erstatten.

IV. Der Geschäftskreis der Ba«k. 8 21. Tie Bank ist befugt, folgende Geschäfte zu betreiben: 1. Gold und Silber in Barren und Münzen sowie Devisen zu kaufen und zu verkaufen; 2 Wechsel, welche eine Verfallzeit von höchstens drei Monaten haben, und aus welchen drei als zahlungsfähig bekannte Verpflichtete haften, ebenso Scbecks, aus welchen drei als zahlungsfähig bekannte Verpflichtete haften, zu diskontieren, zu kaufen und zu verkaufen. Bon dem Erfordernis der dritten Unterschrift kann in den Fällen abgesehen werden, wo durch eine Nebensicherheit oder in sonstiger Weise die Sicherheit des Wechsels oder Schecks gewährleistet ist; der Betrag der so "diskontierten Wechsel darf 33 vom Hundert des jeweiligen Gesamtbestandes der dis­ kontierten Wechsel nicht übersteigen. Die von der Bank diskontierten Wech!sel sollen nur gute Handelswechsel sein; 3. zinsbare Darlehen auf nicht länger als drei Monate gegen bewegliche Pfänder zu erteilen (Lombardverkehr), und zwar: a) gegen Gold und Silber, gemünzt und ungemünzt, d) gegen volleingezahlte Stamm- und Stamm-Prioritätsaktien und Pri­ oritätsobligationen deutscher Eisenbahngesellschaften, deren Bahnen in Betrieb befindlich sind, sowie gegen Pfandbriefe landschaftlicher, kommunaler oder anderer unter staatlicher Aufsicht stehender Boden­ kreditinstitute Deutschlands und deutscher Hypothekenbanken auf Aktien, zu höchstens drei Viertel des Kurswertes; diesen Pfandbriefen stehen gleich die auf den Inhaber lautenden Schuldverschreibungen öffentlichrechtlicher Bodenkreditinstitute des Inlandes sowie diejenigen auf den Inhaber lautenden Schuldverschreibungen der übrigen vor­ bezeichneten Institute und Banken, welche auf Grund von Darlehen ausgestellt werden, die an inländische kommunale Korporationen oder gegen Übernahme der Garantie durch eine solche Korporation gewährt sind, c) gegen spätestens nach einem Jahre fällige und auf den Inhaber lautende Schuldverschreibungen des Reichs, eines deutschen Landes oder inländischer kommunaler Korporationen oder gegen zinstragende, auf den Inhaber lautende Schuldverschreibungen, deren Zinsen vom Reiche oder von einem Lande garantiert sind, zu höchstens drei Viertel des

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Erster Teil.

Strafgesetze.

Kurswertes; solche Darlehen können nur an als zahlungsfähig be­ kannte Banken gegeben werden, d) gegen zinstragende, auf den Inhaber lautende Schuldverschreibungen nichtdeutscher Staaten sowie gegen staatlich garantierte ausländische Eisenbahn-Prioritätsobligationen zu höchstens 50 Privatnotenbanken im Sinne dieses Gesetzes sind: dre Bayerische Notenbank in München, die Sächsische Bank zu Dresden in Dresden, die Württembergische Notenbank in Stuttgart, die Badische Bank in Karlsruhe. Den Privatnotenbanken steht die Befugnis der Notenausgabe in dem durch dieses Gesetz bezeichneten Umfang zu. Die Reichsregierung hat das Recht, erstmals zum 1 Januar 1935, alsdann von 10 zu 10 Jahren unter Einhaltung einer einjährigen Kündigungsfrist, mit Zustimmung des Reichs­ rats die Befugnis zur Notenausgabe ganz oder zum Teil aufzuheben, ohne daß daraus ein Anspruch auf Entschädigung entsteht 1 2 3. 4

8 2. Abänderungen der landesrechtlichen Vorschriften über die Privat­ notenbanken sowie Abänderungen der Satzungen bedürfen der Genehmigung der Reichsregierung und des Reichsrats, sowie sie das Grundkapital, die Rück­ lagen, den Geschäftskreis sowie die Deckung oder die Einlösung der auszugeben­ den Noten oder die Dauer der Befugnis zur Notenausgabe zum Gegen­ stände haben 8 3. Die von den Privatnotenbanken auszugebenden Noten lauten auf Reichsmark. Die Höchstgrenze des Rechtes der Notenausgabe beträgt: für die Bayerische Notenbank und die Sächsische Bank je 70 Millionen Reichsmark, für die Württembergische Notenbank und die Badische Bank je 27 Milli­ onen Reichsmark Bis zur Beendigung der Liquidation der Rentenbank wird innerhalb dieser Höchstgrenze das jeweilige Recht der Notenausgabe für die Gesamt­ heit der vier Privatnotenbanken für jedes Kalendervierteljahr auf 8,5 vom Hundert des in den Reichsbankausweisen des vorangegangenen Kalender­ vierteljahrs ausgewiesenen durchschnittlichen Umlaufs an Reichsbanknoten be­ messen. Dieser Gesamtanteil wird auf die einzelnen Privatnotenbanken im Verhältnis von 70 : 70 :27 :27 aufgeteilt. Die im Satz 1 festgesetzte Frist für die Beschränkung des Notenumlaufs kann von der Reichsregierung mit Zu­ stimmung des Reichsrats und im Einvernehmen mit dem Reichsbankdirektorium verkürzt werden. Die für die einzelnen Notenbanken sich so ergebenden jeweiligen Noten­ ausgaberechte werden für jedes Kalendervierteljahr aus Grund der Reichs­ bankausweise des vorhergehenden Kalendervierteljahrs vom Reichswirtschaftsminister int Reichsanzeiger bekanntgegeben. Tritt in einem Monat eine Ände­ rung des durchschnittlichen Umlaufs an Reichsbanknoten um mehr als 10 vom Hundert gegenüber demjenigen durchschnittlichen Reichsbanknotenumlauf ein, nach welchem sich der Umlauf an Privatbanknoten bemißt, so wird auf An-, trag der Reichsbank oder einer Privatnotenbank dieser Monatsumlauf vom Reichswirtschaftsminister als Bemessungsgrundlage für den Rest des Viertel­ jahrs erklärt, und die sich daraus ergebenden jeweiligen Notenausgoberechte der Privatnotenbanken werden bekanntgemacht. Ist das jeweilige Notenausgaberecht für eine Privatnotenbank niedriger als dasjenige des vorhergegangenen Vierteljahrs oder Monats, so hat die Privatnotenbank innerhalb des auf dieses Kalendervierteljahr oder diesen Monat folgenden Monats ihren Notenumlauf dem neuen Notenausgaberecht anzupassen.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

Die Privatnotenbanken haben das Recht, im Rahmen des Abs. 2 jeder­ zeit bis zur Höhe ihres jeweiligen Bestandes an Gold Noten auszugeben.

II. Privatbankuoten. 8 4. Die Noten der Privatnotenbanken (Privatbanknoten) lauten auf Beträge von 50 Reichsmark, 100 Reichsmark oder auf ein Mehrfaches von 100 Reichsmark. Die Privatnotenbanken sind verpflichtet, ihren gesamten bisherigen Noten­ umlauf aufzurufen und gegen auf Reichsmark lautende Noten umzutaüschen, wobei eine Reichsmark einer Billion Mark bisheriger Ausgabe gleichzusetzen ist. Die eingezogenen Noten sind zu vernichten Die näheren Bestimmungen über den Aufruf, die Fristen für die Einlieferung und Kraftloserklärung dec alten Noten setzt der Reichswirtschastsminister fest, sie werden im Reichs­ anzeiger öffentlich bekanntgemacht. 8 5. Privatbanknoten sind nicht gesetzliche Zahlungsmittel und können auch nicht durch Landesgesetz zu solchen erklärt werden, auch kann ein An­ nahmezwang für öffentliche Kassen nicht begründet werden Die Noten sind von den ausgebenden Privatnotenbanken an ihrem Sitze und bei allen Zweig­ anstalten jederzeit zum vollen Nennwert in Zahlung zu nehmen 8 H. Die Privatnotenbanken sind verpflichtet, Noten cuiberer Privat­ notenbanken an ihrem Sitze und bei Zweiganstalten in Städten von mehr als 100 000 Einwohnern zu ihrem vollen Nennwert in Zahlung zu nehmen, so­ lange die Bank, die solche Noten ausgegeben hat, ihrer Noteneinlösungspflicht pünktlich nachkommt. Alle bei einer Bank eingelieferten Noten einer anderen Privatnotenbank dürfen nur entweder zur Einlösung vorgelegt oder zu Zah­ lungen an diejenige Bank, die sie ausgegeben hat, oder zu Zahlungen in dem Lande, in dem diese Bank ihren Sitz hat, verwendet werden 8 7. Die Bank ist verpflichtet, für den Betrag ihrer im Umlauf be­ findlichen Noten jederzeit zu halten: a) eine Deckung von mindestens 40 vom Hundert in Gold oder Devisen (Golddeckung); diese Deckung muß zu mindestens 3/4 aus Gold bestehen. Gold im Sinne dieser Vorschrift ist Barrengold sowie in- und aus­ ländische Goldmünzen, das Pfund fein zu 1392 Reichsmark berech­ net, soweit sie sich entweder in den Kassen der Bank oder zu ihrer jederzeitigen freien Verfügung bei einer Zentralnotenbank befinden. Devisen sind Banknoten, Wechsel mit einer Laufzeit von höchstens 14 Tagen, Schecks und täglich fällige Forderungen, die bei einer als zahlungsfähig bekannten Bank an einem ausländischen zentralen Finanz­ platz in ausländischer Währung zahlbar sind; sie sind mit ihrem je­ weiligen Goldwert einzusetzen; b) für den Restbetrag diskontierte Wechsel oder Schecks, welche den im § 14 aufgestellten Erfordernissen genügen. Die Bank hat, solange ihre bisherigen Noten noch nicht zurückgezogen sind, für diese die gleichen Deckungsvorschriften einzuhalten, wie sie für die neu auszugebenden Noten vorgesehen sind, wobei eine Billion Mark bisheriger Ausgabe gleich eine Reichsmark gilt. 8 8. Neben der int) § 7 vorgesehenen Deckung der im Umlauf befind­ lichen Noten hat die Bank jederzeit für ihre täglich fälligen Verbindlich­ keiten eine besondere Deckung von mindestens 40 vom Hundert zu halten; diese Deckung muß bestehen aus sofort verfügbaren Depositen (täglichem Gelde) in Deutschland oder im Ausland, Schecks auf andere Banken, Wechsel von einer Laufzeit von höchstens 30 Tagen oder täglich fällige Forderungen auf Grund von Lombarddarlehen. 8 9. Die Bank ist verpflichtet, ihre Noten a) an ihrem Sitze sofort auf Vorlage, b) bei ihren Zweiganstalten, soweit es deren Barbestände und Geld­ bedürfnisse gestatten, dem Inhaber einzulösen. Die Einlösung erfolgt nach Wahl der Bank in

257

69. Privatnotenbankgesetz v. 30. August 1924. §§ 4—14.

1. deutschen Goldmünzen zum jeweiligen gesetzlichen Gewicht und Fein­ gehalte zu pari; 2. Goldbarren in Stücken von nicht weniger als tausend Reichsmark und nicht mehr als fünfunddreißigtausend Reichsmark zu ihrem Reingold­ wert in deutschen Goldstücken zum jeweiligen gesetzlichen Gewicht und Feingehalte; 3. Schecks oder Auszahlung in ausländischer Währung in Höhe des in Gold umgerechneten jeweiligen Marktwerts der betreffenden Wäh­ rung. Der Borstand und Aufsichtsrat mit Zustimmung der Landes­ regierung bezeichnen diejenigen ausländischen Banken, auf die die Schecks oder Auszahlungen lauten können. Die Bank kann hierbei eine Vergütung in Rechnung stellen. Diese darf jedoch den Betrag nicht übersteigen, der sich aus dem dem Einlösungsbetrag entsprechenden An­ teil an den Versendungsspesen nebst Zinsen für größere Goldtransporte nach dem betreffenden ausländischen Bankplatz ergibt. Solange die Reichsbank ihre Noten nicht in Gold oder Devisen einlöst, hat die Einlösung der Privatbanknoten in Reichsbanknoten zu erfolgen. Die Einlösung der Noten unterliegt nicht der Börsenumsatzsteuer, g 10. Die Bank hat für beschädigte Noten Ersatz zu leisten, sofern der Inhaber entweder einen Teil der Note vorlegt, der größer ist als die Hälfte, oder den Nachweis führt, daß der Rest der Note, von der er nur die Hälfte oder einen geringeren Teil als die Hälfte vorlegr, vernichtet sei. Für vernichtete oder verlorene Noten Ersatz zu leisten, ist die Bank nicht verpflichtet. g 11. Banknoten, die bei der Kasse der Bank oder einer ihrer Zweig­ anstalten oder bei einer von ihr bestellten Einlösungskasse in beschädigtem oder beschmutztem Zustand eingehen, dürfen nicht wieder ausgegeben werden. § 12. Der Aufruf und die Einziehung der Noten erfolgt durch den Vor­ stand der Bank. Die näheren Bestimmungen hierüber sowie über die Ver­ nichtung der eingezogenen Noten erläßt der Reichswirtschaftsminister; sie werden im Reichsanzeiger öffentlich bekanntgemacht. g 13. Die Privatnotenbanken haben von dem sich jährlich über das Maß von 6 vom Hundert des Grundkapitals hinaus ergebenden Reingewinne jähr­ lich mindestens 20 vom Hundert so lange zur Ansammlung einer Rücklage zuzuführen, als diese nicht mindestens 12 vom Hundert des Notenumlaufs, gerechnet nach dem Durchschnitt der letzten sechs Monate des letzten Ge­ schäftsjahrs, beträgt.

III. Geschäfte der Privatnotenbanken. Die Privatnotenbanken sind befugt,

folgende Geschäfte zu be­ treiben : 1. Gold und Silber in Barren und Münzen sowie Devisen zu kaufen und zu verkaufen; 2. Wechsel, welche eine Berfallzeit von höchstens drei Monaten haben, und aus denen regelmäßig drei, mindestens aber zwei als zahlungsfähig be­ kannte Verpflichtete haften, ebenso Schecks, aus denen regelmäßig drei, mindestens aber zwei als zahlungsfähig bekannte Verpflichtete haften, zu diskontieren, zu kaufen und zu verkaufen. Die von den Banken dis­ kontierten Wechsel sollen nur gute Handelswechsel sein; 3. zinsbare Darlehen auf nicht länger als drei Monate gegen bewegliche Pfänder zu gewähren (Lombardverkehr), und zwar a) gegen Gold und Silber, gemünzt und ungemünzt; b) gegen Zinstragende oder spätestens nach einem Jahre fällige und auf den Inhaber lautende Schuldverschreibungen des Reichs, eines deut­ schen Landes oder inländischer gemeindlicher Körperschaften, oder gegen zinstragende auf den Inhaber lautende Schuldverschreibungen, deren Zinsen vom Reiche oder von einem Lande gewährleistet sind, gegen voll eingezahlte Stamm- und Stammprioritätsaktien und Prioritätsobligationen deutscher Eisenbahngesellschaften, deren Bahnen im Betriebe be-

§ 14.

A l l f e 1 b, Strafgesetzgebung.

3. Aufi.

17

258

4 5.

6. 7. 8. 9.

1.

2.

Erster Teil.

Strafgesetze.

findlich sind, gegen Anteilscheine der Reichsbank sowie gegen Pfand­ briefe landschaftlicher, gemeindlicher oder anderer unter staatlicher Auf­ sicht stehender Bodenkreditanstalten Deutschlands und deutscher Hypo­ thekenbanken auf Aktien, zu höchstens drei Viertel des Kurswerts; die­ sen Pfandbriefen stehen gleich die auf den Inhaber lautenden Schuld­ verschreibungen öffentlich-rechtlicher Bodenkreditanstalten des Inlandes sowie diejenigen auf den Inhaber lautenden Schuldverschreibungen der übrigen vorbezeichneten Anstalten und Banken, die auf Grund von Dar­ lehen ausgestellt werden, die an inländische gemeindliche Körperschaften oder gegen Übernahme der Gewährleistung durch eine solche Körper­ schaft gewährt sind; c) gegen zinstragende, auf den Inhaber lautende Schuldverschreibungen nichtdeutscher Staaten sowie gegen staatlich gewährleistete ausländische Eisenbahn-Prioritätsobligationen zu höchstens fünfzig vom Hundert des Kurswerts; d) gegen Wechsel, die anerkannt zahlungsfähig Verpflichtete aufweisen, mit einem Abschlag von mindestens fünf vom Hundert ihres Kurswerts; e) gegen Verpfändung im Inland lagernder Kaufmannswaren höchstens bis zu zwei Dritteilen ihres Wertes, Schuldverschreibungen der vorstehend unter 3b bezeichneten Art sowie Anteile der Reichsbank zu kaufen und zu verkaufen, jedoch höchstens bis zur Höhe des Grundkapitals und der Rücklagen der Bank; für Rechnung von Privatpersonen, Anstalten und Behörden Einkassierun­ gen zu besorgen und nach vorheriger Deckung Zahlungen zu leisten und Anweisungen oder Überweisungen auf ihre Zweiganstalten oder Korre­ spondenten auszustellen; für fremde Rechnung Wertpapiere aller Art sowie Edelmetalle nach vor­ heriger Deckung zu kaufen und nach vorheriger Lieferung zu verkaufen; verzinsliche und unverzinsliche Gelder im Depositengeschäft und im Giroverkehr anzunehmen; Wertgegenstände in Verwahrung und in Verwaltung zu nehmen; zinsbare Darlehen auf nicht länger als drei Monat im Lombardverkehr auch gegen Verpfändung von Forderungen, die in dem Reichsschuldbuch oder in dem Staatsschuldbuch eines deutschen Landes eingetragen sind-, zu höchstens drei Viertel des Kurswerts der umgewandelten Schuldver­ schreibungen zu erteilen. § 15. Die Privatnotenbanken dürfen Wechsel und Schecks nicht unter den öffentlich bekanntgemachten Hundert­ sätzen der Reichsbank diskontieren; beträgt jedoch der Diskontsatz der Reichsbank vier vom Hundert oder weniger, so sind die Privatnotenbanken befugt, ein Viertel vom Hundert unter dem Reichsbanksatze zu diskon­ tieren ; Wechsel, Wertpapiere und Waren nicht unter dem Hundertsatze lom­ bardieren, zu dem sie Wechsel zu diskontieren befugt sind.

8 16. Die Privatnotenbanken dürfen weder als Gesellschafter an Bank­ häusern sich beteiligen, noch außerhalb desjenigen Landes, das ihnen die Be­ fugnis zur Notenausgabe erteilt hat, Bankgeschäfte durch Zweiganstalten betreiben oder durch Agenten für ihre Rechnung betreiben lassen.

IV. Notensteuer. 8 17. Privatnotenbanken, deren Notenumlauf ihren Barvorrat zuzüglich ihres bisherigen steuerfreien Notenausgaberechts (§ 9 Abs. 1 des Bank­ gesetzes vom 14. März 1875), mindestens aber zuzüglich von 2/ö des ihnen im h 3 ßlbs. 2 zugewiesenen Höchstumlaufsbetrags übersteigt, haben von dem Überschuß eine Steuer in Höhe von 1/2 des jeweiligen Reichsbankdiskontsatzes, mindestens aber fünf vom Hundert, auf das Jahr berechnet, zu entrichten. Als Barvorrat gilt für die Steuerberechnung der Bestand an Gold und Devisen gemäß § 7 zuzüglich des Bestandes an Noten anderer deutscher Banken.

69. Privatnotenbankgesetz v. 30. August 1924. §§ 15—21.

259

8 18. Der Vorstand der Privatnotenbank hat für den 7., 15., 23 und letzten jedes Monats den steuerpflichtigen Überschuß des Notenumlaufs gemäß § 17 festzustellen. Die Berechnungen sind bis zum 10. jedes Monats für die im vorhergehenden Monat abgelaufenen Wochen dem Reichsminister dev Finanzen und dem Reichswirtschaftsminister einzureichen. Der als Notensteuer errechnete Betrag ist bis Ende des Monats an die Reichskasse abzuführen.

V. Veröffentlichung -er Banksatzuug, Bilanz.

8 19. Die Privatnotenbank hat den Stand ihrer Aktiven und Passiven nach folgenden Bestimmungen regelmäßig zu veröffentlichen Die wöchentliche Veröffentlichung muß angeben: 1 auf feiten der Passiven: das Grundkapital, die Rücklagen, den Betrag der umlaufenden Noten, die sonstigen täglich fälligen Verbindlichkeiten, die an eine Kündigungsfrist gebundenen Verbindlichkeiten, die sonstigen Passiven; 2 auf feiten der Aktiven: den Goldbestand (Barrengold sowie in- und ausländische Goldmünzen, das Pfund fein zu 1 392 Reichsmark berechnet), den Bestand: an deckungssähigen Devisen, an sonstigen Wechseln und Schecks, an deutschen Scheidemünzen, an Noten anderer Banken, an Lombardforderungen, an Wertpapieren, an sonstigen Aktiven. Außerdem sind die aus weiterbegebencn, im Inland zahlbaren Wechseln möglicherweise entstehenden Verbindlichkeiten ersichtlich zu machen. Die Bank hat ferner spätestens sechs Monate nach dem Schlüsse jedes Geschäftsjahrs eine genaue Bilanz ihrer Aktiven und Passiven sowie den Jahresabschluß der Gewinn- und Berlustrechnung im Reichsanzeiger auf ihre Kosten zu veröffentlichen Aus die Bilanzen der Privatnotenbanken finden die für Aktiengesellschaften geltenden Vorschriften Anwendung, soweit nicht durch dieses Gesetz oder Ausführungsbestimmungen etwas anderes bestimmt wird.

VI. Auffichtsrecht. 8 20. Der Reichswirtschaftsminister ist jederzeit befugt, durch Einsicht in die Bücher, Kassenbestände und Geschäftsräume der Privatnotenbanken zu prüfen, ob diese die durch Gesetz oder Satzung festgestellten Bedingungen und Beschränkungen der Notenausgabe innehalten und ob die von ihnen veröffent­ lichten Wochen- und Jahresübersichten sowie die zur Steuerberechnung abge­ gebenen Nachweise der wirklichen Sachlage entsprechen. Der Vorstand der Bank gibt dem Reichswirtschaftsminister nach Ablauf jedes Kalendervierteljahrs einen schriftlichen Bericht über die Entwicklung der Bank. Die Privatnotenbanken sind nur mit Zustimmung des Reichswirtschastsministers berechtigt, über das beim Inkrafttreten dieses Gesetzes bei ihnen vor­ handene Gold zu verfügen. Dies gilt auch im Falle der Liquidation einer Bank oder der Aufgabe oder des Verlustes des Notenausgaberechts.

8 21. Die Regierung des Landes, in dem eine Privatnotenbank ihren Sitz hat, ist befugt, die Aufsicht über die Privatnotenbank auszuüben und auf die Privatnotenbank bezügliche Bestimmungen zu erlassen, soweit nicht reichs­ gesetzliche Vorschriften entgegenstehen.

260

Erster Teil.

Strafgesetze.

VII. Reichsbank und Privatnotenbanken 8 22 Die Noten der Privatnotenbanken werden von der Reichsban' sowohl in Berlin als auch bei ihren Zweiganstalten in Städten von mehr als 100 000 Einwohnern oder am Sitze der Bank, die die Noten ausgegeben hat, zum vollen Nennwert in Zahlung genommen, solange die ausgebende Bank ihrer Noten­ einlösungspflicht pünktlich nachkommt. Unter der gleichen Voraussetzung wird die Reichsbank die Noten der Privatnotenbanken innerhalb des Landes, das ihnen die Befugnis zur Noten­ ausgabe erteilt hat, bei ihren Zweiganstalten, soweit es deren Notenbestände und Zahlungsbedürfnisse gestatten, dem Inhaber gegen Reichsbankncten um­ tauschen. Die nach Abs. 1 und 2 angenommenen oder eingetauschten Noten werden von der Reichsbank nur entweder zur Einlösung vorgelegt oder zu Zahlungen an diejenige Bank, die sie ausgegeben hat, oder zu Zahlungen in dem Ge­ biete des Landes, in dem diese Bank ihren Sitz hat, verwendet. VIII. Verlust der Befugnis zur Notenausgabe. 8 23. Die Befugnis der Privatnotenbanken zur Ausgabe von Banknoten geht verloren

1 durch Ablauf der Zeitdauer, für die sie erteilt ist, 2 3 4 5

durch Verzicht, im Falle des Konkurses durch Eröffnung des Verfahrens gegen die Bank, durch Entziehung kraft richterlichen Urteils, durch Verfügung der Landesregierung nach Maßgabe der Satzungen oder Privilegien 8 24. Die Entziehung der Befugnis zur Notenausgabe wird auf Klage des Neichswirtschaftsministers oder der Negierung des Landes, in dem die Privatnotenbank ihren Sitz hat, durch gerichtliches Urteil ausgesprochen: 1 wenn die Vorschriften der Satzungen, der Privilegien oder des gegen­ wärtigen Gesetzes über die Deckung für die umlaufenden Noten verletzt norden sind oder der Notenumlauf die durch Satzung, Privileg oder Gesetz bestimmte Grenze überschritten hat; 2 wenn die Bank die ihr im § 16 untersagten Geschäfte betreibt; 3 wenn die Bank die Vorschriften über die Einlösung ihrer Noten verletzt: 4 sobald das auf Goldmark umgestellte Grundkapital sich durch Verlust um ein Dritteil vermindert hat Auf die Klage ist in ordentlichem Verfahren zu entscheiden Der Rechts­ streit gilt im Sinne des § 95 des Gerichtsverfassungsgesetzes als Handelssache Jil dem Urteil ist zugleich die Verpflichtung zur Einziehung der Noten auszusprechen 8 25. Das Urteil ist erst nach Eintritt der Rechtskraft vollstreckbar Das Prozeßgericht erster Instanz bestimmt auf Antrag eine Frist, innerhalb welcher von der Bankverwaltung die Bekanntmachung über die Einziehung der Noten zu erfolgen hat. Sofern nicht der Konkurs über die Bank eröffnet ist, setzt das Gericht eine Aufsichtsperson ein, die die Einziehung der Noten zu überwachen hat und, toenit die Bank den für diesen Fall vorgesehenen Verpflichtungen nicht nach­ kommt, die Liquidation der Bank beim Gericht zu beantragen verpflichtet ist. Eingehende Noten sind von der Privatnoteubank an eine vom Reichs­ wirtschaftsminister zu bezeichnende, am Sitze der Bank gelegene öffentliche Kasse abzuliefern 8 26. Sechs Monate, nachdem das Urteil die Rechtskraft erlangt hat, zahlt die Bank an die vom Reichswirtschaftsminister bezeichnete Kasse einen Betrag in barem Gelde ein, der dem bis dahin nicht abgelieftrten Betrag ihrer Noten gleichkommt. Dieser Barbetrag wird ihr nach Maßgabe der weiter von ihr abgelieferten Noten und der verbleibende Rest nach Ablauf der letzten vom Reichsrat für die Einlösung festgesetzten Frist zurückgezahlt. 8 27. Die an die Kasse abgelieferten Noten (§§ 25, 26) werden in Gegen­ wart des Kassenvorstandes und der für die Einziehung der Noten bestellten

70. Münzgesetz v. 30. August 1924. §§ 1-3.

261

Aufsichts-Person vernichtet. Über die Vernichtung wird ein gerichtliches oder notarielles Protokoll ausgenommen. Die Verwaltung der Bank ist befugt, an der Vernichtung durch zwei Abgeordnete teilzunehmen. Der für die Vernichtung bestimmte Zeitpunkt ist ihr jedesmal spätestens acht Tage vorher von der der Kasse Vorgesetzten Behörde anzuzeigen. Die Vernichtung kann auch in mehreren Terminem erfolgen.

IX. Strafbestimmungen.

§ 28.

Die Mitglieder des Vorstandes der Privatnotenbanken werden: 1. wemn sie in den durch § 19 vorgeschriebenen Veröffentlichungen wis­ sentlich den Stand der Verhältnisse der Bank unwahr darstellen oder ver­ schleiern, mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft; 2. wenm die Bank mehr Noten ausgibt, als sie auszugeben befugt ist, mit eine-r Geldstrafe bestraft, die dem Zehnfachen des zuviel ausgegebenen Betrrags gleichkommt, mindestens aber 5 000 Reichsmark beträgt; straflos bleilbt derjenige, bezüglich dessen festgestellt wird, daß die Mehrausgabe ohnce sein Verschulden erfolgt ist; 3. wenm sie in den durch §§ 17 und 18 vorgeschriebenen Nachweisungen den steuerpflichtigen Notenumlauf zu gering angeben, mit einer Geldstrafe bestraft, die dem Zehnfachen der hinterzogenen Steuer gleichsteht, minde­ stens' aber 500 Reichsmark beträgt.

§ 291. Soweit in diesem Gesetze Geldstrafen angedroht sind, ist die Geld­ strafe in (Goldmark festzusetzen, solange nach den Vorschriften des Strafgesetz­ buchs die Geldstrafe in Goldmark festzusetzen ist. Hierbei ist eine Goldmark einer Reicchsmark gleichzusetzen.

X. Übergangs- und Ausführung-bestimmungen. § 3(N. Der Reichswirtschaftsminister kann mit Zustimmung des Reichs­ rats Ausfiührungsbestimmungen erlassen.

8 311. Die zu dem Bankgesetze vom 14. März 1875 für die Privalnotenbankem ergangenen Änderungsgesetze, Ausführungsbestimmungen und Bekanntmachmngen treten außer Kraft. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage in Kraft, an dem das Bankgesetz vom 14. März 1875 außer Kraft tritt (§ 53 des neuen Bankgesetzes).

70.

Münzgesetz. Vom 30. August 1924. (RGBl. II S. 254.)

8 1. .Im Deutschen Reiche gilt die Goldwährung. Ihre Rechnungseinheit bildet die Meichsmark, welche in 100 Reichspfennige eingeteilt wird.

8 2. Als Reichsmünzen sollen ausgeprägt werden: 1. als Gwldmünzen Stücke über 20 Reichsmark und 10 Reichsmark, 2. als Snlbermünzen Stücke über Beträge von 1 bis 5 Reichsmark, 3. Stücke über 1, 2, 5, 10 und 50 Reichspfennige. 8 3. Bei der Ausprägung der Goldmünzen werden aus 1 kg feinen Goldes 139 i/2 Stücke über 20 Reichsmark oder 279 Sltücke über 10 Reichsmark ausgeprägt. Das Mischungsverhältnis beträgt 900 Teile Gold und 100 Teile Kupfer. Die Gestalt der Münzen wird vom Reichsminister der Finanzen be­ stimmt; die darüber ergehende Anordnung ist im Reichsgesetzblatt bekanntzumachen.

262

Erster Teil.

Strafgesetze.

Für die Silbermünzen ist das Mischungsverhältnis, für die auf Reichs­ pfennige lautenden Münzen sind das Material und das Mischungsverhältnis vom Reichsminister der Finanzen mit Zustimmung des Reichsrats festzusetzen; Gewicht und Gestalt dieser Münzen werden vom Reichsminister der Finanzen bestimmt. Die darüber ergehenden Anordnungen sind im Reichsgesetzblatte bekanntzumachen. 8 4. Als Reichsgoldmünzen gelten bis auf weiteres auch die auf Grund des Gesetzes, betreffend die Ausprägung von Reichsgoldmünzen, vom 4 De­ zember 1871 (Reichsgesetzbl S. 404), des Münzgesetzes vom 9. Juli 1873 (Reichsgesetzbl. S. 233) und des Münzgesetzes vom 1. Juni 1909 (Reichs­ gesetzbl. S 507) ausgeprägten Goldmünzen. Als Reichssilbermünzen gelten bis auf weiteres auch die auf Grund des Gesetzes über die Ausprägung neuer Reichssilbermünzen vom 20 März 1924 (Reichsgesetzbl. I S. 291) ausgeprägten Silbermünzen. Als Reichsmünzen über Reichspfennige gelten bis auf weiteres auch die auf Grund der Verordnung des Reichspräsidenten vom 8. November 1923 (Reichsgesetzbl I S. 1086) ausgeprägten Rentenpfennigmünzen und die auf Grund der Münzgesetze vom 9. Juli 1873 und 1 Juni 1909 ausgeprägten 'Kupfermünzen 8 5. Alleinige gesetzliche Zahlungsmittel sind fortan: a) die in den §§ 2 bis 4 bezeichneten Goldmünzen und die von der Reichs­ bank ausgestellten auf Reichsmark lautenden Noten unbeschränkt, b) die übrigen in den §§ 2 bis 4 bezeichneten Münzen nach Maßgabe des §9, und zwar die int § 4 bezeichneten Goldmünzen und Silbermünzen mit der Maßgabe, daß eine Mark Nennwert gleich einer Reichsmark gilt, die Renten-' Pfennigmünzen und die Kupfermünzen mit der Maßgabe, daß ein Renten­ pfennig und ein Pfennig Nennwert gleich einem Reichspfennig gilt Sofern eine Schuld in Mark bisheriger Währung gezahlt werden kann, ist der Schuldner berechtigt, die Zahlung in gesetzlichen Zahlungsmitteln in der Weise zu leisten, daß eine Billion Mark einer Reichsmark gleichgesetzt werden 8 6. Das Verfahren bei den Ausprägungen wird vom Reichsminister der Finanzen mit Zustimmung des Reichsrats geregelt. Es soll die voll­ ständige Genauigkeit der Münzen nach Gehalt und Gewicht sicherstellen. So­ weit diese Genauigkeit bei den einzelnen Stücken nicht innegehalten werden kann, soll die Abweichung in Mehr oder Weniger bei den Goldmünzen im Gewichte nicht mehr als zweiundeinhalb Tausendteile, im Feingehalte nicht mehr als zwei Tausendteile betragen; in der Masse aber müssen Gewicht und Feingehalt der Goldmünzen den Vorschriften des § 3 entsprechen. Inwieweit bei den Silbermünzen Abweichungen im Gewichte und im Feingehalte zulässig sein sollen, bestimmt der Reichsminister der Finanzen mit Zustimmung des Reichsrats. 8 7. Die Münzen werden für Rechnung des Reichs in den Münzstätten derjenigen Länder, welche sich dazu bereit erklären, ausgeprägt. Das Ver­ fahren bei der Ausprägung unterliegt der Aufsicht des Reichs. Privatpersonen haben das Recht, auf diesen Münzstätten Stücke über 20 Reichsmark für ihre Rechnung ausprägen zu lassen, soweit die Münz­ stätten nicht für das Reich beschäftigt sind. Die für solche Ausprägungen zu er­ hebende Gebühr wird vom Reichsminister der Finanzen mit Zustimmung des Reichsrats sestgestellt, darf aber den Betrag von 14 Reichsmark auf das Kilogramm feinen Goldes nicht übersteigen. Der Unterschied zwischen dieser Gebühr und der Vergütung, welche die Münzstätte für die Ausprägung in Anspruch nimmt, fließt in die Reichskasse; er muß für alle deutschen Münzstätten derselbe sein. Die Münzstätten dürfen für die Ausprägung keine höhere Vergütung in Anspruch nehmen, als die Reichskasse für die Ausprägung von Stücken über 20 Reichsmark gewährt. Im übrigen bestimmt der Reichsminister der Finanzen unter Zustimmung des Reichsrats die auszuprägenden Beträge, die Verteilung dieser Beträge auf

70. Münzgesetz v. 30. August 1924. §§ 4-14.

263

die einzelnen Münzstätten und die den letzteren für die Prägung jeder einzelnen Münzgattung gleichmäßig zu gewährende Vergütung. Die Beschaffung der Münzmetalle fmr die Münzstätten erfolgt auf Anordnung des Reichsministers der.Finanzen.

8 8» Der Gesamtbetrag der Münzen zu 5 Reichsmark und darunter »einschließlich bet im § 4 Ubs. 2 und 3 bezeichneten Münzen darf 20 Reichs­ mark für den Kopf der Bevölkerung des Reichs nicht übersteigen. Die zur Ausgabe gelangenden Münzen des Reichs mit Ausnahme der Goldmünzen werden durch die Reichsbank nach Maßgabe des Bedürfnisses in den Verkehr gebracht. Der Reichsminister der Finanzen ist ermächtigt, die näheren Vereinbarungen mit der Reichsbank über die Ausgabe zu treffen.

8 9. Niemand ist verpflichtet, Silbermünzen im Betrage von mehr als 20 Reichsmark, auf Neichspsennige, Rentenpfennige oder Pfennige lautende Münzen, soweitt sie nicht Silbermünzen sind, im Betrage von mehr als 5 Reichsmark irr Zahlung zu nehmen. Bon den Reichs- und Landeskassen werden die im Abs 1 bezeichneten Münzen in jedem Betrage in Zahlung genommen. Als Reichskassen im Sinne dieses Gesetzes gelten auch die Kassen der Reichspostverwaltung. Der ReichSminister der Finanzen bezeichnet mit Zustimmung des Reichs­ rats diejenigen öffentlichen Kassen, welche unbeschränkt gesetzliche Zahlungs­ mittel (§ 5 Abssatz 1 Buchstabe a) gegen Einzahlung von Silbermünzen im Werte von mindestens 200 Reichsmark oder von auf Reichspfennige, Renten­ pfennige oder Pfennige lautenden Münzen in Beträgen von mindestens 50 Reichsmark auf Verlangen verabfolgen. Er setzt zugleich die näheren Be­ dingungen des Umtauschs fest.

8 10. Die Verpflichtung zur Annahme und zum Umtausch (§ 9) findet auf durchlöcherte und anders als durch den gewöhnlichen Umlauf im Gewichte verringerte sowie auf verfälschte Münzstücke keine Anwendung. 8 11 Goldmünzen, deren Gewicht um nicht mehr als fünf Tausendteile hinter dem Sollgewichte (§ 3) zurückliegt (Passiergewicht) und die nicht durch gewaltsame Beschädigung im Gewichte verringert sind, sollen bei allen Zah­ lungen als vollwichtig gelten. Goldmünzen, die das Pässiergewicht nicht erreichen und an Zahlungs Statt von den Reichs-, Staats-, Provinzial- oder Kommunalkassen sowie von Geld- und Kreditanstalten und Banken angenommen worden sind, dürfen von diesen Kassen und Anstalten nicht wieder ausgegeben werden. Die Goldmünzen werden, wenn sie infolge längeren Umlaufs und Ab­ nutzung am Gewichte so viel eingebüßt haben, daß sie das Pässiergewicht nicht mehr erreichen, für Rechnung des Reichs eingezogen. Auch werden der­ gleichen abgenutzte Goldmünzen bei allen Kassen des Reichs und der Länder stets voll zu demjenigen Werte, zu welchem sie ausgegeben sind, angenommen. 8 12. Silbermünzen und auf Reichspfennige, Rentenpfennige oder Pfennige lautende Münzen, die infolge längeren Umlaufs und Abnutzung an Gewicht oder Erkennbarkeit erheblich eingebüßt haben, werden zwar noch von allen Reichs- und Landeskassen angenommen, sind aber auf Rechnung des Reichs einzuziehen. 8 13. Zur Eichung und Stempelung sollen Gewichtsstücke zugelassen werden, die das Sollgewicht und das Pässiergewicht der nach Maßgabe dieses Gesetzes auszuprägenden Goldmünzen sowie ein Vielfaches dieser Gewichte an­ geben. Auf die (Eichung und Stempelung dieser Gewichtsstücke finden die Vorschriften der Maß- und Gewichtsordnung entsprechende Anwendung.

8 14. Der Reichsminister der Finanzen ist befugt, mit Zustimmung des Reichsrats: 1. einzuziehende Münzen außer Kurs zu setzen, 2. die zur Aufrechterhaltung eines geregelten Geldumlaufs erforderlichen polizeilichen Vorschriften zu erlassen.

264

Erster Teil.

Strafgesetze.

3. den Wert zu bestimmen, über welchen hinaus fremde Gold- und Silber­ münzen nicht in Zahlung angeboten und gegeben werden dürfen, sowie den Umlauf fremder Münzen gänzlich zu untersagen. 4. zu bestimmen, ob ausländische Münzen von Reichs- oder Landeskassen zu einem öffentlich bekanntzumachenden Kurse im inländischen Verkehr in Zahlung genommen werden dürfen, in solchem Falle auch den Kurs festzusetzen. Bei der Anordnung der Außerkurssetzung (Nr. 1) erläßt der Reichs­ minister der Finanzen mit Zustimmung des Reichsrats die für sie erforder­ lichen Vorschriften; die Einlösungsfrist muß zwei Jahre betragen. Die Be­ kanntmachung über die Außerkurssetzung ist durch das Reichsgesetzblatt sowie durch die zu den amtlichen Bekanntmachungen der unteren Verwaltungs­ behörden dienenden Tageszeitungen zu veröffentlichen. Gewohnheitsmäßige oder gewerbsmäßige Zuwiderhandlungen gegen die vom Reichsminister der Finanzen in Gemäßheit der Bestimmungen unter Nr. 2 und 3 getroffenen Anordnungen werden mit Geldstrafe bis zu 150 Goldmark oder mit Hast bestraft. 8 15. Die §§ 1 bis 14 des Münzgesetzes vom 1. Juni 1909 werden aufgehoben; soweit in bestehenden Vorschriften auf dessen Vorschriften verwie­ sen ist, treten die entsprechenden Vorschriften dieses Gesetzes an ihre Stelle. Die auf Grund der früheren Gesetze ausgeprägten Neichsinünzen aus Nickel, Aluminium, Eisen und Zink werden außer Kurs gesetzt und gelten nicht mehr als gesetzliche Zahlungsmittel. Wegen der Außerkurssetzung der auf Grund der Münzgesetze vom 9. Juli 1873 und 1. Juni 1909 ausgeprägten Silbermünzen bewendet es bei der Bekanntmachung des Bundesrats vom 12. Juli 1917 (Reichsgesetzbl. S. 625) und der Verordnung der Reichsregierung vom 13. April 1920 (Reichsgesetzbl. S. 521). 8 16. Die Verordnung des Reichspräsidenten über die Ausprägung von Münzen im Nennbeträge von 1, 2, 5, 10 und 50 Rentenpfennigen vom 8. November 1923 wird, wie folgt, geändert: 1. Im § 1 werden die Worte „im Einvernehmen mit der Deutschen Renten­ bank" gestrichen. 2. Im § 2 Satz 2 Werden die Worte „mit Zustimmung der Deutschen Ren­ tenbank" ersetzt durch die Worte „mit Zustimmung des Reichsrats". 3. Die §§ 3 bis 6 werden aufgehoben. 8 17. Die §§ 1 und 2 der Verordnung über die Gleichstellung der Reichskupfermünzen mit den Rentenpfennigen und die Abänderung der Verord­ nung des Reichspräsidenten vom 8. November 1923, vom 11. Februar 1924 (Reichsgesetzbl. I S. 60) werden ausgehoben. 8 18. Die §§ 3 und 4 des Gesetzes über die Ausprägung neuer Reichs­ silbermünzen vom 20. März 1924 werden aufgehoben. 8 19. Die Reichsregierung wird ermächtigt, die zur Durchführung dieses Gesetzes, insbesondere für die Überleitung der bisherigen in die neuen Wäh­ rungsverhältnisse notwendigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu er­ lassen. 8 20. Die Reichsregierung bestimmt den Zeitpunkt, an welchem dieses Gesetz in Kraft tritt.1)

!) Nach § 1 der BO. v. 10. Oktober 1924 (RGBl. II S. 383) trat das Münzgesetz v. 30. Aizg. 1924 mit dem 11. Okt. 1924 in Kraft.

71. Devisenordnung v. 8. November 1924. § 1.

265

15. Devisenordnung.

71.

Ja der Fassung der Verordnung zur Änderung der Devifengrsrtzgebung vom 8. November 1924. (RGBl. I S. 729.)1) (Berichtigung RGBl. 1925 I S. 2.)

Devisenordnung.

8 1.

Devisenbanken im Sinne dieser Verordnung sind 1. die Reichsbank, 2. die Deutsche Rentenbank, 3. die Deutsche Golddiskontbank, 4. die Devisenbeschaffungsstelle, G. m. b. H., 5. die Reichskredit A. G-, 6. die Staatsbanken, 7. die Banken und Bankiers oder deren Zweiganstalten, die a) Mitglieder der an ihrem Sitze befindlichen Abrechnungsstelle der Reichsbank sind, nach den jeweils geltenden Vorschriften Depot- und Depositengeschäfte geschäftsmäßig betreiben dürfen, im Handels- oder Genossenschaftsregister eingetragen sind und, soweit ihr Geschäftsbetrieb im Ortsbereich einer inländischen staatlich anerkannten Fondsbörse liegt, diese Börse regelmäßig besuchen oder besuchen lassen, oder b) von der obersten Landesbehörde im Einvernehmen mit dem Kom­ missar für Devisenerfassnng als Devisenbanken zugelassen worden sind, oder c) von der obersten Landesbehörde nach Benehmen mit der Reichsbank als Devisenbanken zugelassen werden. Der Reichswirtschaftsminister kann Richtlinien über die Zulassung er­ lassen. Zahlungsmittel im Sinne dieser Verordnung sind Geldsorten (Münzgeld, Papiergeld, Banknoten und dergleichen), Auszahlungen, Anweisungen, Schecks und Wechsel. Forderungen in ausländischer Währung im Sinne dieser Verordnung sind Forderungen, bei denen der Gläubiger Anspruch auf Zahlung in effektiver ausländischer Währung hat. Als Forderungen in ausländischer Währung gel­ ten nicht ausländische Wertpapiere. *) Der Eingang und Artikel I dieser Verordnung lauten: Auf Grund der Verordnung des Reichspräsidenten über das Außerkraft­ treten von Devisenvorschriften vom 31. Oktober 1924 (Reichsgesetzbl. I S. 729), der zweiten Verordnung über Änderung der Tevisengesetzgebung vom 13. Fe­ bruar 1924 (Reichsgesetzbl. I S. 70), des § 17 Abs. 2 der Valutaspekulations­ verordnung vom 8. Mai 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 275), des § 17 Abs. 2 der Wechselstubenverordnung vom 8. Mai 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 282), des § 3 Satz 2 der Verordnung, betreffend zeitweise Verweigerung von Leistungen auf Grund eines außerdeutschen Kurses der Reichsmark, vom 5. November 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 1082), des § 9 Abs. 2 der Verordnung über die Ver­ pflichtung zur Annahme von Reichsmark bei Jnlandsgeschäften, vom 7. No­ vember 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 1081), des Artikel III Abs. 2 der Verordnung über Ausdehnung der Devisengesetzgebung auf Rentenmark, Goldanleihe und wertbeständiges Notgeld vom 16. November 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 1099) wird verordnet: Artikel I. Die Valutaspekulationsverordnung vom 8. Mai, 29. Juni, 2. November 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 275, 507, 1072), die Ausführungs­ bestimmungen zur Valutaspekulationsverordnung vom 8. Mai, 29. Juni, 24. Juli, 24. August, 2. November 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 279, 509, 748, 835, 1072), die Verordnung über Termingeschäfte vom 3. Juli 1923 (Reichs­ gesetzbl. I S. 511) und die Einheitskursverordnung vom 22. Oktober 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 991) erhalten folgende Fassung: fDevisenordnungj.

266

Erster Teil.

Strafgesetze.

Inländische Zahlungsmittel im Sinne dieser Verordnung sind Zahlungs­ mittel, die auf Mark, Reichsmark, Rentenmark oder Goldmark lauten. Edelmetalle im Sinne dieser Verordnung sind Gold, Silber, Platin und Platinmetalle in den im Handel mit solchen Metallen üblichen Formen. § 2. Ausländische Zahlungsmittel und Forderungen in ausländischer Währung dürfen gegen inländische Zahlungsmittel nur von oder durch Ver­ mittlung einer Devisenbank erworben werden. 8 3. Termingeschäfte in ausländischen Zahlungsmitteln oder Forderun­ gen in ausländischer Währung oder in Edelmetallen gegen inländische Zah­ lungsmittel sind verboten. 8 4. Ausländische Zahlungsmittel und Forderungen in ausländischer Währung, für die eine amtliche Notierung in Berlin erfolgt, dürfen gegen inländische Zahlungsmittel zu keinem höheren als dem letztbekannten amt­ lich in Berlin notierten Briefkurs erworben oder abgegeben werden. Ter Kurs für Auszahlung ist auch für Geschäfte in Geldsorten maßge­ bend, wenn für die Geldsorten kein besonderer amtlicher Kurs notiert wird. Wird ein besonderer Kurs notiert, so gilt er nur für Geschäfte in Geld­ sorten. 8 5. Ausländische Zahlungsmittel und Forderungen in ausländischer Währung, für die eine amtliche Notierung in Berlin nicht erfolgt, dürfen gegen inländische Zahlungsmittel zu keinem höheren als dem letztbekannten, von einem Ausschuß der Berliner Bedingungsgemeinschaft für den Wert­ papierverkehr als Briefkurs ermittelten und in der Presse veröffentlichten Preise erworben oder abgegeben werden. Ausländische Zahlungsmittel und Forderungen in ausländischer Wäh­ rung, für die weder eine amtliche Notierung in Berlin erfolgt, noch gemäß Abs. 1 Preise ermittelt und veröffentlicht werden, dürfen gegen inländische Zahlungsmittel zu keinem höheren als einem Preise erworben oder abgegeben werden, der aus der Grundlage einerseits eines letztbekannten ausländischen Briefkurses dieses Zahlungsmittels und anderseits des letztbekannten amtlich in Berlin notierten Briefkurses der Währung des ausländischen Börsenplatzes errechnet ist. 8 6. Geschäfte, die gegen eine Vorschrift der §,§ 3 bis 5 verstoßen, sind nichtig. Tie Nichtigkeit kann nicht zum Nachteil von Personen geltend gemacht werden, die den die Nichtigkeit begründenden Sachverhalt beim Abschluß des Geschäfts nicht kannten. 8 7. §§ 2 bis 6 finden keine Anwendung auf den Postanweisungs-, Postüberweisungs-, Postnachnahme- und Postauftragsverkehr. §§ 3 bis 6 finden keine Anwendung auf Geschäfte, die mit der Reichs­ bank oder mit der Devisenbeschaffungsstelle abgeschlossen werden. 8 8. Als inländische Kurse ausländischer Zahlungsmittel dürfen nur die amtlichen Notierungen der Berliner Börse oder ihnen gleichgestellte Preise veröffentlicht werden. 8 9. Der Reichswirtschaftsminister, die oberste Landesbehörde und die vom Reichswirtschaftsminister oder von der obersten Landesbehörde bestimmte Stelle »kann von jedermann Auskunft über im eigenen oder fremden Namen und für eigene oder fremde Rechnung abgeschlossene oder vermittelte Geschäfte mit ausländischen Zahlungsmitteln und Forderungen in ausländischer Währung und mit Edelmetallen fordern, insbesondere Vorlage der Bücher und sonstigen Belege verlangen. 8 19. Mit Geldstrafe bis zum Zehnfachen des Wertes der ausländischen Zahlungsmittel und Forderungen in ausländischer Währung und der Edel­ metalle, an deren Stelle im Falle der Nichtbeitreibbarkeit Gefängnis tritt, wird bestraft, wer vorsätzlich oder fahrlässig l.ohne Devisenbank zu sein, ausländische Zahlungsmittel oder Forderungen in ausländischer Währung gegen inländische Zahlungsmittel an Er­ werber abgibt, die nicht Devisenbank sind;

71. Devisenordnung v. 8. November 1924. §§ 2—14.

267

2. ohne Devisenbank zu sein, die Abgabe oder den Erwerb von ausländischen Zahlungsmitteln oder Forderungen in ausländischer Währung gegen in­ ländische Zahlungsmittel vermittelt; 3. ausländische Zahlungsmittel oder Forderungen in ausländischer Währung gegen inländische Zahlungsmittel in anderer Weise als von oder durch Vermittlung einer Devisenbank erwirbt; 4. Termingeschäfte in ausländischen Zahlungsmitteln oder Forderungen in ausländischer Währung oder in Edelmetallen gegen inländische Zahlungs­ mittel abschließt oder vermittelt; 5. ausländische Zahlungsmittel oder Forderungen in ausländischer Währung gegen inländische Zahlungsmittel zu einem höheren als dem nach den §§ 4, 5 zugelassenen Preise abgibt oder erwirbt oder eine solche Abgabe oder einen solchen Erwerb vermittelt. Ebenso wird bestraft, wer vorsätzlich zu einer solchen Zuwiderhandlung auffordert, anreizt, oder sich erbietet. Neben der Strafe können die ausländischen Zahlungsmittel und Forde­ rungen in ausländischer Währung, auf die sich die strafbare Handlung be­ zieht, zugunsten des Reichs eingezogen werden, auch wenn sie dem Täter oder einem Teilnehmer nicht gehören. Die Einziehung unterbleibt, wenn der von der Einziehung Betroffene nachweist, daß er von der Straftat weder Kenntnis hatte noch haben mußte, er von der Straftat auch keinen Vorteil gehabt hat. Erweist sich die Einziehung als nicht durchführbar, so kann das Gericht nach­ träglich durch Beschluß die Einziehung des Wertes anordnen. Ter Feststellung des Wertes der Zahlungsmittel und der Forderungen ist der nach den Vorschriften dieser Verordnung errechnete mittlere Kurswert im Zeitpunkt der verbotenen Handlung zugrunde zu legen. Zur Sicherung der Geldstrafe oder der Einziehung kann das Vermögen des Angeschuldigten ganz oder teilweise beschlagnahmt werden. 8 11. Mit Geldstrafe bis zu 10000 Reichsmark wird bestraft, wer vorsätzlich oder fahrlässig 1. Kurse ausländischer Zahlungsmittel veröffentlicht, die nach § 8 nicht veröffentlicht werden dürfen; 2. die vom Reichswirtschaftsminister, von der obersten Landesbehörde oder der vom Reichswirtschaftsminister oder von der obersten Landesbehörde bestimmten Stelle erforderten Auskünfte nicht, nicht in der gesetzten Frist, unvollständig oder unrichtig abgibt; 3. die Bücher oder sonstigen Belege nicht, nicht in der gesetzlichen Frist oder unvollständig vorlegt. Tie Geldstrafe ist in Goldmark festzusetzen, solange nach den Vorschriften des Strafgesetzbuchs die Geldstrafe in Goldmark festzusetzen ist. Hierbei ist eine Goldmark einer Reichsmark gleichzusetzen. 8 12. In den Fällen der §§ 10, 11 finden die Vorschriften des § 381 der Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919 (Reichsgesetzbl. S. 1993) entsprechende Anwendung. 8 13. Devisenbanken kann die oberste Landesbehörde nach Benehmen mit der Reichsbank die Befugnis entziehen, Geschäfte über ausländische Zahlungs­ mittel oder Forderungen in ausländischer Währung abzuschließen oder zu ver­ mitteln, wenn sie keine Gewähr für die Einhaltung der Vorschriften dieser Ver­ ordnung bieten. Die Entscheidung ist endgültig. 8 14. Der Reichswirtschaftsminister erläßt die erforderlichen Durch­ führungsbestimmungen. Er kann anordnen, daß und in welchem Umfang bei Zuwiderhandlungen gegen die Durchführungsbestimmungen die Strafbestim­ mungen der §§ 10 bis 12 Anwendung finden. Der Reichswirtschaftsminister kann Ausnahmen von den Bestimmungen dieser Verordnung zulassen.

268

Erster Teil.

Strafgesetze.

VIII. Gesetze, betr. das Versicherungswesen. 72.

1. Reichsversicherungsordnung.

Vom 19. Juli 1911. (Während des Drucks wurde die Neufassung der Reichsversicherungsord­ nung angekündigt. Das Gesetz wurde deshalb an den Schluß des Buchs gestellt.)

73.

2. Angestelltenversicherungsgesetz. Bom 28. Mai 1924.1) (RGBl. I S. 563.) Erster Abschnitt.

Umfang der Versicherung I. VersicherungsPflicht.

8 1. Für den Fall der Berufsunfähigkeit (§ 30) und des Alters sowie zugunsten der Hinterbliebenen werden Angestellte nach den Vorschriften dieses Gesetzes versichert, insbesondere 1. Angestellte in leitender Stellung, 2. Betriebsbeamte, Werkmeister und andere Angestellte in einer ähnlich ge­ hobenen oder höheren Stellung, 3. Büroangestellte, soweit sie nicht ausschließlich mit Botengängen, Reini­ gung, Ausräumung und ähnlichen Arbeiten beschäftigt werden, einschließ­ lich der Bürolehrlinge und Werkstattschreiber, 4. Handlungsgehilfen und Handlungslehrlinge, andere Angestellte für kauf­ männische Dienste, auch wenn der Gegenstand des .Unternehmens kein Handelsgewerbe ist, Gehilfen und Lehrlinge in Apotheken. 5. Bühnenmitglieder und Musiker ohne Rücksicht auf den Kunstwert ihrer Leistungen, 6. Angestellte in Berufen der Erziehung, des Unterrichts, der Fürsorge, der Kranken- und Wohlfahrtspflege, 7. aus der Schiffsbesatzung deutscher Seefahrzeuge und aus der Besatzung von Fahrzeugen der Binnenschiffahrt Schiffsführer, Offiziere des Decks­ und Maschinendienstes, Verwalter und Verwaltungsassistenten sowie die in einer ähnlich gehobenen oder höheren Stellung befindlichen Ange­ stellten ohne Rücksicht auf ihre Vorbildung. Als deutsches Seefahrzeug gilt jedes Fahrzeug, das unter deutscher Flagge fahrt und ausschließlich oder vorzugsweise zur Seefahrt benutzt wird. Unter Abs. 1 Nr. 5, 6 fallen guch Lehrlinge, die sich in einer geregelten Ausbildung zu einem dieser Berufe befinden. Voraussetzung der Versicherung ist für alle diese Personen, daß sie gegen Entgelt in einem Dienstverhältnis beschäftigt werden, daß ihr Jahresarbeits­ verdienst die nach § 3 festgesetzte Grenze nicht übersteigt, und daß sie beim Ein*) Das Versicherungsgesetz für Angestellte vom 20. Dezember 1911 (RGBl. S. 989) wurde nach mehrfacher Abänderung unter der Bezeichnung „Angestelltenversicherungsgesetz" in der vom 1. Juli 19Z4 an gültigen Fassung unter dem 28. Mai 1924 bekannt gegeben und. durch Gesetz über Zusatz­ steigerung der Renten in der Angestelltenversicherung vom 23. März 1925 (RGBl. I S. 28) sowie durch Gesetz über Ausbau der Angestelltem- und In­ validenversicherung und über Gesundheitsfürsorge in der Reichsversicherung vom 28. Juli 1925 (RGBl. I S. 157) neuerdings geändert.

73. Angestelltenversicherungsgesetz v. 28. Mai 1924.

§§ 1—11.

269

tritt in die versicherungspflichtige Beschäftigung das Alter von sechzig Jahren noch nicht vollendet haben. Die Altersgrenze gilt nicht, wenn ein nach dem Vierten Buche der Reichsversicherung Versicherter in eine nach diesem Ge-setze versicherungspslichtige Beschäftigung übertritt. Der Reichsarbeitsminister ist ermächtigt, durch Ausführungsbestimmungen nach Anhören der Reichsversicherungsanstalt und des Reichsversicherungsamts die Berussgruppen, die in den Kreis des Abs. 1 fallen, näher zu bezeichnen. 8 2. Zum Entgelt im Sinne dieses Gesetzes gehören neben Gehalt oder Lohn auch Gewinnanteile, Sach- und andere Bezüge, die der Versicherte, wenn auch nur gewohnheitsmäßig, statt des Gehalts oder Lohnes oder neben ihm von dem Arbeitgeber oder einem Dritten erhält. Als Wert der Sachbezüge, gelten die Sätze, die auf Grund des § 160 der Reichsversicherungsordnung fest­ gesetzt sind. 8 3. Der Reichsarbeitsminister setzt die Jahresarbeitsverdienstgrenze im Sinne des § 1 Abs 3 dieses Gesetzes fest- die Festsetzung ist dem Reichsrat und beut Ausschuß des Reichstags für soziale Angelegenheiten alsbald mit­ zuteilen und auf ihr gemeinsames Verlangen zu ändern Für die Jahresarbeitsverdienstgrenze werden Zuschläge, die mit Rücksicht auf den Familien­ stand gezahlt werden, nicht angerechnet. Wer die für diese Versicherungspflicht ntaßgebende Verdienpgrenze über­ schreitet, scheidet erst mit dem ersten Tage des vierten Monats" nach über­ schreiten der Verdienstgrenze aus der Versicherungspflicht aus. 8 4. Den im § 1 Abs. 1 bezeichneten Personen stehen gleich 1. Angehörige der Schutzpolizei int Sinne des § 1 des Reichsgesetzes über die Schutzpolizei der Länder vom 17 Juli 1922 (Reichsgesetzbl. I S 597) und Soldaten, wenn sie bei ihrer vorgesetzten Dienststelle die Versicherung beantragen, 2. selbständige Lehrer und Erzieher, die in ihrem Betriebe keine Angestellten beschäftigen. 8 5. Versichert sind auch Deutsche, die bei einer amtlichen Vertretung des Reichs oder eines deutschen Landes im Ausland oder bei deren Leitern oder Mitgliedern beschäftigt sind. 8 6 Die Reichsregierung kann mit Zustimmung des Reichsrats die Ver­ sicherungspflicht auch auf andere Personen erstrecken, die eine ähnliche Tätig­ keit wie die int § 1 bezeichneten auf eigene Rechnung ausüben, ohne in ihrem Betrieb Angestellte zu beschäftigen. 8 7. Der Reichsarbeitsminister kann mit Zustimmung des Reichsrats be­ stimmen, wieweit die deutschen Bediensteten ausländischer Staaten und solcher Personen, welche nicht der inländischen Gerichtsbarkeit unterstehen, die Pflichten der Arbeitgeber zu erfüllen haben. 8 8. Die Beschäftigung eines Ehegatten durch den anderen begründet keine Versicherungspflicht. 8 9 Eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wird, ist versicherungsfrei. 8 IO Der Reichsarbeitsminister bestimmt mit Zustimmung des Reichs­ rats, wieweit vorübergehende Dienstleistungen versicherungsfrei bleiben. 8 1L Versicherungsfrei sind die in Betrieben oder int Dienste des Reichs, eines Landes, eines Gemeindeverbandes, einer Gemeinde oder eines Trägers der Reichsversicherung Beschäftigten, wenn ihnen Anwartschaft auf Ruhegeld und Hinterbliebenenrenten im Mindestbetrage der ihrem Diensteinkommen entsprechende Höhe gewährleistet ist. Das gleiche gilt für die Geistlichen der als öffentlich-rechtliche Korporatio­ nen anerkannten Religionsgesellschaften sowie für Lehrer und Erzieher an öffentlichen Schulen oder Anstalten. Ob eine Anwartschaft als gewährleistet anzusehen ist, entscheidet für die Beschäftigten in Betrieben oder int Dienste des Reichs oder eines vom Reiche beaufsichtigten Trägers der Reichsversicherung der zuständige Reichsminister;

270

Erster Teil.

Strafgesetze.

im übrigen entscheidet die oberste Verwaltungsbehörde desjenigen Landes, in dessen Betrieben oder Dienste die Beschäftigung stattfindet, oder in dessen Gebiete der Gemeindeverband oder die Gemeinde liegt oder der Träger der reichsgesetzlichen Arbeiterversicherung seinen Sitz hat. In den Fällen des Abs. 2 entscheidet die oberste Verwaltungsbehörde desjenigen Landes, in dessen Gebiet die Korporation oder die öffentliche Schule oder Anstalt ihren Sitz hat. Die Gewährleistung der Anwartschaften bewirkt Befreiung von der Ver­ sicherungspflicht von dem Zeitpunkt ab, an dem sie tatsächlich verliehen werden. Sie hat keine rückwirkende Kraft.

8 12. Versicherungsfrei sind 1. Beamte des Reichs, der Länder, der Gemeindeverbände und der Gemein­ den, Geistliche der als öffentlich-rechtliche Korporationen anerkannten Re­ ligionsgesellschaften, Lehrer und Erzieher an öffentlichen Schulen oder Anstalten, solange sie lediglich für ihren Beruf ausgebildet werden, sowie die im Reichs- oder Landesdienste vorläufig beschäftigten Beamten und vorläufig beschäftigten Geistlichen der als öffentlich-rechtliche Korporatio­ nen anerkannten Relegionsgesellschaften, 2. Angestellte in Eisenbahn-, Post- und Telegraphenbetrieben des Reichs oder der Länder, die Aussicht auf Übernahme in das Beamtenverhältnis und Anwartschaft auf eine ausreichende Invaliden- und Hinterbliebenen­ fürsorge haben, 3. Soldaten, die eine der im § 1 bezeichneten Tätigkeiten während der Vorbereitung zu einer bürgerlichen Beschäftigung ausüben, auf die § 11 anzuwenden ist, 4. Personen, die zu ihrer wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf gegen Entgelt tätig sind. Ob die Voraussetzungen der Nrn. 1, 2 vorliegen, entscheiden die nach § 11 Abs. 2 zuständigen Stellen. § 13. Versicherungsfrei ist, wer berufsunfähig ist, oder iuer Ruhegeld oder Witwerrente nach den Vorschriften dieses ^Gesetzes oder eine Jnvalidenpension nach den Vorschriften des Reichsknappschaftsgesetzes oder eine Invaliden-, Witwer- oder Witwenrente aus der Invalidenversicherung bezieht.

8 14. Auf seinen Antrag wird von der Versicherungspflicht befreit, wem von dem Reiche, einem Lande, einem Gemeindeverbande, einer Ge­ meinde oder einem Träger der Reichsversicherung, oder wem auf Grund früherer Beschäftigung als Lehrer oder Erzieher an öffentlichen Schulen oder Anstalten Ruhegeld, Wartegeld oder ähnliche Bezüge im Mindestbetrage der seinem Dienst­ einkommen entsprechenden Höhe bewilligt sind und daneben Anwartschaft auf Hinterbliebenenfürsorge (§ 11) gewährleistet ist.

8 15. Über den Antrag entscheidet die Reichsversicherungsanstalt. Auf Beschwerde entscheidet das Oberversicherungsamt, in dessen Bezirk der Antrag­ steller wohnt. Die Befreiung wirkt vom Eingang des Antrags bei der Reichsversiche, rungsanstalt an. Der Reichsarbeitsminister kann Näheres über die Voraussetzungen der Befreiung bestimmen.

8 16. Die Reichsversicherungsanstalt widerruft die Befreiung, sobald ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Auf Beschwerde entscheidet das Ober­ versicherungsamt (§ 15 Abs. 1 Satz 2). Bei Verzicht auf die Befreiung und bei ihrem endgültigen Widerrufe tritt die Versicherungspflicht wieder in Kraft.

8 17. Das Neichsversicherungsamt kann auf Antrag des Arbeitgebers be­ stimmen, wieweit § 11, § 12 Nr. 1, 2, §§ 14 bis 16 gelten für 1. die in Betrieben oder im Dienste anderer öffentlicher Verbände oder von Körperschaften oder von Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs oder

73. Angestelltenversicherungsgesetz v. 28. Mai 1924.

§§ 12—20.

271

als Lehrer und Erzieher an nichtöffentlichen Schulen oder Anstalten Be­ schäftigten, wenn ihnen mindestens die im § 11 bezeichneten Anwart­ schaften gewährleistet sind oder sie lediglich für ihren Beruf ausgebildet werden, 2. Personen, denen auf Grund früherer Beschäftigung bei solchen Ver­ bänden oder Körperschaften oder Eisenbahnen, Schulen oder Anstalten Ruhegeld, Wartegeld oder ähnliche Bezüge im Mindestbetrage der ihrem Diensteinkommen entsprechenden Höhe bewilligt sind und daneben eine Anwartschaft auf Hinterbliebenenfürsorge (§ 11) gewährleistet ist, 3. Beamte und Bedienstete der landesherrlichen Hof-, Dominial-, Kameral-, Forst- und ähnlichen Verwaltungen, der Herzoglich Braunschweigischen Landschaft, der Fürstlich Hohenzollernschen Fideikommißverwaltung und der standesherrlichen Verwaltungell sowie Angestellte in Betrieben, für die eine besondere Invaliden- und Hinterbliebenenversorgung bereits durch reichs- oder landesrechtliche Vorschriften geregelt ist. § 18. Scheiden Personen, die gemäß § 11/ § 12 Nr. 1 bis 3, § 17 ver­ sicherungsfrei sind, aus der versicherungsfreien Beschäftigung aus, ohne daß gegen dell Arbeitgeber ein Anspruch auf Ruhegeld oder Hinterbliebenenrente (§ 11 Abs. 1) entsteht oder im Falle des Vorhandenseins von Hinterbliebenen ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente entstehen würde, so sind für die Zeit dieser Beschäftigung, frühestens jedoch von dem Zeitpunkt der Einführung der Versicherungspflicht für die in Frage kommende Berufsgruppe, Beitragsmarken der GehaltsNasse zu verwenden, der die versicherungsfreien Personen im Falle ihrer Versicherungspflicht angehören würden. Für jeden Monat bis zum Schlüsse des Jahres 1923 sind Beiträge der Gehaltsklasse C zu entrichten. Für Ersatzzeiten im Sinne des § 170 unterbleibt die Beitragsentrichtung. Die Beiträge gelten als Pflichtbeiträge. Der Eintritt des Versicherungsfalls steht der Nachentrichtung von Beiträgen bis zu diesem Zeitpunkt nicht entgegen. Solange die Personen Anspruch üuf Wartegeld haben oder ihnen Ruhe­ gehalt nach Artikel 4 der Verordnung zur Herabminderung der Personalausgaben des Reichs (Personal-Abbau-Verordnung) vom 27. Oktober 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 999) oder Ruhegehalt nach einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung oder nach einer vom Reichsarbeitsminister bezeichneten anderen Vorschrift zugesichert ist, unterbleibt die Beitragsentrichtung nach Ms. 1. Ob ein Anspruch auf Ruhegeld, Ruhegehalt, Wartegeld oder Hinter­ bliebenenrente entsteht oder entstehen würde (Abs. 1, 2), entscheiden die nach § 11 Abs. 3 bestimmten Stellen. Die Zeiten, in denen der Beschäftigte gemäß § 11, § 12 Nr. 1 bis 3 § 17 oder auch ohne diese Vorschriften schon wegen der Höhe seines ^Jahresarbeitsverdienstes nicht versicherungspflichtig gewesen ist, werden als Ersatz­ zeiten nach § 170 angerechnet, sofern nicht die im § 20 bezeichnete Erklärung abgegeben wird. Beiträge, aus denen die Anwartschaft erloschen wäre, sind nicht nachzuentrichten. § 19. Treten Personen, die bisher versicherungspflichtig waren, in ein nach § 11, § 12 Nr. 1 bis 3, § 17 versicherungsfreies Beschäftigungsverhältnis, so sind, wenn sie in den Ruhestand versetzt werden oder mit Hinterlassung von anspruchsberechtigten Hinterbliebenen sterben, von dem Versicherungsträger achtzig vom Hundert der seit dem 1. Januar 1924 entrichteten Versicherungs­ beiträge dem Versicherten oder seiner Witwe oder, falls eine solche nicht vor­ handen ist, den hinterlassenen Kindern unter achtzehn Jahren auszuzahlen. Ein weitergehender Anspruch gegen den Versicherungsträger ist ausge­ schlossen. g 20. Die im § 19 Abs. 1 Satz 1 bezeichneten Personen können binnen zwei Monaten nach ihrem Eintritt in eine gemäß § 11, § 12 Nr. 1 bis 3, 8 17 versicherungsfreie Beschäftigung dem Arbeitgeber gegenüber erklären, daß sie auf das ihnen nach § 19 Abs. 1 züstehende Recht verzichten. Der Arbeit­ geber hat unverzüglich eine Abschrift der Erklärung dem zuständigen Nersicherungsträger zu übersenden. Ist der Verzicht erklärt, so gelten die allgemeinen Vorschriften.

272

Erster Teil.

Strafgesetze.

II. Freiwillige Versicherung. Wer aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ausscheidet und mindestens vier Beitragsmonate auf Grund der Versicherungspflicht zu­ rückgelegt hat, kann die Versicherung freiwillig fortsetzen (Weiterversicherung). Unter der gleichen Voraussetzung kann die Versicherung auch während des Aufenthalts des Versicherten im Ausland freiwillig fortgesetzt werden.

8 21.

8 22. Zum freiwilligen Eintritt in die Versicherung (Selbstversicherung) sind bis zum vollendeten vierzigsten Lebensjahre berechtigt 1. die im H 1 Abs. 1 genannten Angestellten, wenn ihr Jahresarbeitsver­ dienst die für die Versicherungspflicht festgesetzte Grenze übersteigt, 2. Personen, die für eigene Rechnung eine ähnliche Tätigkeit wie die im § 1 Genannten ausüben 3 Personen, die nach §§ 9, 10, § 12 Nr. 4 versicherungsfrei sind Sie können, wenn die Voraussetzungen für ihre Selbstversicherung weg­ gefallen und mindestens vier Beitragsmonate auf Grund der Selbstversicherung zurückgelegt sind, die ^elbstversicherung fortsetzen. Zweiter Abschnitt.

Gegenstand -er Berstcherung. I. Allgemeines. 8 23. Gegenstand der Versicherung sind Ruhegeld und Hinterbliebenen­ renten.

8 24. Ruhegeld erhält, wer die Berufsunfähigkeit (§ 30) oder das gesetz­ liche Alter nachweist soweit die Wartezeit erfüllt und die Anwartschaft auf­ recht erhalten hat. 8 25. Hinterbliebenenrenten werden gewährt, wenn der Verstorbene zur Zeit seines Todes die Wartezeit erfüllt und die Anwartschaft aufrechterhalten hat. 8 26. Wer sich vorsätzlich berufsunfühig macht, verliert den Anspruch auf das Ruhegeld. Hat sich der Versicherte die Berufsunfähigkeit beim Begehen einer Hand­ lung, die nach strafgerichtlichem Urteil ein Verbrechen oder vorsätzliches Ver­ gehen ist, zugezogen, so kann das Ruhegeld ganz oder teilweise versagt werden. Die Verletzung bergpolizeilicher Verordnungen oder des § 93 Abs. 2, 3 und der §§ 95 bis 97 der Seemannsordnung gilt nicht als Vergehen int Sinne des vorstehenden Satzes. Das Ruhegeld kann den im 'Inland wohnenden An­ gehörigen ganz oder teilweise zugewiesen werden, wenn der Versicherte sie bisher ganz oder überwiegend aus seinem Arbeitsverdienst unterhalten hat. Deutsche Schutzgebiete gelten im Sinne dieser Vorschrift als Inland Das Ruhegeld kann auch versagt werden, wenn wegen des Todes, der Abwesenheit oder eines anderen in der Person des Antragstellers liegenden Grundes kein strafgerichtliches Urteil ergeht. 8 27. Hat ein Versicherter Beiträge zur Angestelltenversicherung und zur Invalidenversicherung entrichtet (Wanderversicherter), und ist die Wartezeit für das Ruhegeld der Angestelltenversicherung erfüllt und die Anwartschaft nicht erloschen, so werden ihm nur die Leistungen der Angestelltenversicherung zuzüglich des Steigerungsbetrags der Invalidenversicherung (§. 57) gewährt, auch wenn er die Voraussetzungen für die Gewährung der Invalidenrente er­ füllt hat. Den Hinterbliebenen des Wanderversicherten werden, wenn die Warte­ zeit für die Hinterbliebenenrenten der Angestelltenversicherung erfüllt und die Anwartschaft nicht erloschen ist, nur die Leistungen der Angestellten­ versicherung zuzüglich des Steigerungsbetrags der Invalidenversicherung (§§ 57, 59) gewährt, auch wenn die Voraussetzungen für die Gewährung der Hinter­ bliebenenrenten der Invalidenversicherung erfüllt sind. Im Falle des § 40

73. Angestelltenversicherungsgesetz v. 28. Mai 1924.

§§ 21—35.

273

Satz 1 steht den Hinterbliebenen der Anspruch auf die Hinterbliebenenrenten der Invalidenversicherung zu, wenn deren Voraussetzungen erfüllt sind. Näheres über die Durchführung dieser Vorschriften -kann der Reichs­ arbeitsminister bestimmen. § 28. Länger als auf ein Jahr rückwärts vom ersten Tage des Monats an gerechnet, in der der Antrag eingegangen ist (§ 214), werden Ruhegeld und sonstige Renten nicht gezahlt, sofern nicht der Berechtigte durch Verhält­ nisse, die außerhalb seines Willens liegen, verhindert worden ist, den Antrag rechtzeitig zu stellen. Der Antrag ist binnen drei Monaten nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. 8 29. Der Anspruch auf Leistungen der Reichsversicherungsanstalt ver­ jährt in vier Jahren nach der Fälligkeit.

II. Ruhegeld.

8 30. Ruhegeld erhält der Versicherte, der das Alter von fünfundsechzig Jahren vollendet hat oder durch körperliche Gebrechen oder wegen Schwäche seiner körperlichen und geistigen Kräfte zur Ausübung seines Berufs dauernd unfähig ist. Berufsunfähigkeit ist dann anzunehmen, wenn seine Arbeits­ fähigkeit auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig ge­ sunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Ruhegeld erhält auch der Versicherte, der nicht dauernd berufsunfähig ist, aber während sechsundzwanzig Wochen ununterbrochen berufsunfähig ge­ wesen ist, für die weitere Dauer der Berufsunfähigkeit. 8 31. Das Ruhegeld beginnt, unbeschadet des § 28, mit dem ersten Tage des Monats, in dem die Voraussetzungen des § 30 vorliegen. Läßt sich der Beginn der Berufsunfähigkeit nicht feststellen, so gilt als solcher der Tag, an dem der Antrag auf Ruhegeld eingegangen ist (§ 214).

III. Hinterbliebenenrenten. § 32. Witwenrente erhält die Witwe nach dem Tode ihres versicherten Mannes.

8 33. Waisenrente erhalten nach dem Tode des versicherten Vaters seine ehelichen Kinder unter achtzehn Jahren und nach dem Tode einer Versicherten ihre vaterlosen Kinder unter achtzehn Jahren. Als vaterlos gelten auch un­ eheliche Kinder. Den ehelichen Kindern werden gleichgestellt 1. die für ehelich erklärten Kinder, 2. die an Kindes Statt angenommenen Kinder, 3. die Stiefkinder und die Enkel, die der Verstorbene unmittelbar vor seinem Tode mindestens ein Jahr lang unentgeltlich unterhalten oder für die er Kinderzuschuß bezogen hat, 4. die unehelichen Kinder, wenn die Vaterschaft des Verstorbenen festge­ stellt ist. Treffen die Voraussetzungen für mehrere Waisenrenten zusammen, so wird die Waisenrente nur einmal gewährt, und zwar zum höheren Betrage. 8 34. Nach dem Tode der versicherten Ehefrau eines ^erwerbsunfähigen Ehemanns, die den Lebensunterhalt ihrer Familie ganz öder überwiegend aus ihrem Arbeitsverdienste bestritten hat, steht den ehelichen Kindern unter achtzehn Jahren Waisenrente zu, ebenso dem Manne Witwerrente, solange er bedürftig ist. § 33 Abs. 2 gilt entsprechend. Für die Waisenrente gilt dies auch, wenn zur Zeit des Todes der Ver­ sicherten die Ehe nicht mehr bestand. 8 33. Nach dem Tode einer versicherten Ehefrau, deren Ehemann sich ohne gesetzlichen Grund von der häuslichen Gemeinschaft ferngehalten und seiner väterlichen Unterhaltungspflicht entzogen hat, steht den ehelichen Kin­ dern unter achtzehn Jahren Waisenrente zu. § 33 Abs. 2 gilt entsprechend. Dies gilt auch, wenn zur Zeit des Todes der Versicherten die Ehe nicht Allfeld, Strafgesetzgebung. 8. Aufl. 18

274

Erster Teil.

Strafgesetze.

mehr bestand und der Ehemann sich seiner väterlichen Unterhaltungspflicht entzogen hat. § 36. Tie Renten der Hinterbliebenen beginnen, unbeschadet des § 28, mit dem ersten Tage des Monats, in den der Todestag des Ernährers fällt, sofern dieser ein Ruhegeld nicht bezog, andernfalls mit dem ersten Tage des Monats, der auf den Todestag folgt. Bei nachgeborenen Waisen beginnt die Rente mit dem ersten Tage des Geburtsmonats. § 37. Tie gesetzlichen Leistungen werden auch dann gewährt, wenn der Versickerte verschollen ist. Er gilt als Verschollen, wenn während eines Jahres keine glaubhaften Nachrichten von ihm eingegangen sind und die Umstände seinen Tod wahrscheinlich machen. Von den Hinterbliebenen kann die eidesstattliche Erklärung.verlangt wer­ den, das; sie von dem Leben des Vermißten keine anderen als die anzezeigten Nachrichten erhalten haben. 8 38. Den Todestag Verschollener stellt die Reichsversicherungsanstalt nach billigem Ermessen fest. Für die auf See Verschollenen gilt als Todestag der Tag des Unterganges des Schiffes. Ist das Schiff als verschollen anzu­ sehen, so gilt als Todestag der Tag der Beendigung des Dienstverhältnisses nach § 53 Abs 1 der Seemannsordnung. § 39. Hinterbliebene haben keinen Anspruch auf die Versicherungs­ leistungen, falls sie den Tod des Versicherten vorfätzlich herbeigeführt haben. § 40 ist weggefallen.

IV. Heilverfahren.

§ 41.

Um die infolge einer Erkrankung drohende Berufsunfähigkeit eines Versicherten abzuwenden, kann die Reichsversicherungsanstalt ein Heil­ verfahren einleiten, soweit nicht bereits durch einen Träger der reichsgesetz­ lichen Arbeiterversicherung ein Heilverfahren eingeleitet ist. Dasselbe gilt, wenn zu erwarten ist, daß ein Heilverfahren dem Empfän­ ger eines Ruhegeldes wieder berufsfähig macht. Anträge auf Heilverfahren sind an die Reichsversicherungsanstalt zu richten. 8 42. Versicherten Soldaten wird während ihrer Zugehörigkeit zur Wehr­ macht ein Heilverfahren von der Reichsversicherungsanstalt nicht gewährt. Dafür hat diese der Wehrmacht nach Abschluß des Kalenderjahres für jeden entrichteten Beitrag einen Betrag zu vergüten, die der Reichsarbeitsminister festsetzt. Diese Mittel sind zur Hälfte aufzuwenden, um allgemeine Maßnahmen zu treffen, die den Eintritt vorzeitiger Invalidität unter den versicherten Sol­ daten verhüten und ihre und ihrer Angehörigen gesundheitlichen Verhältnisse fördern können; zur anderen Hälfte werden sie den Einnahmen des Reichs wieder zugeführt. Entsprechendes gilt bei versicherten Angehörigen der Schutzpolizei. 8 13. Die Reichsversicherungsanstalt kann den Erkrankten m einem Krankenhaus oder in einer Anstalt für Genesende unterbringen. Ist er verheiratet und lebt er mit seiner Familie zusammen, oder hat er einen eigenen Haushalt, oder ist er Mitglied des Haushalts seiner Familie, so bedarf es seiner Zustimmung. Bei einem Minderjährigen genügt seine Zustimmung. 8 44. Angehörige des Erkrankten, deren Unterhalt er ganz oder über­ wiegend aus seinem Arbeitsverdienste bestritten hat, erhalten während des Heilverfahrens (§ 43) ein Hausgeld. Es beträgt täglich mindestens drei Zwan­ zigstel des zuletzt entrichteten Monatsbeitrags. Das Hausgeld fällt weg, solange und soweit Gehalt oder Lohn auf Grund eines Rechtsanspruchs gezahlt wird. Die Zahlung des Ruhegeldes kann für die Dauer des Heilverfahrens ganz oder teilweise eingestellt werden. 8 45. Entzieht sich ein Erkrankter ohne gesetzlichen oder sonst triftigen Grund dem Heilverfahren '§ 41), und wäre die Berufsunfähigkeit durch das

73. Angestelltenversicherungsgesetz v. 23. Mai 1924.

§§ 36—53.

27')

Heilverfahren voraussichtlich verhütet oder beseitigt worden, so kann das Ruhe­ geld aus Zeit ganz oder teilweise versagt werden, wenn der Erkrankte auf diese Folge ihingewiesen worden ist. 8 46. Läßt die Reichsversicherungsanstalt ein Heilverfahren bei einem Erkrankten eintreten, welcher der reichsgesetzlichen Arbeiterversicherung unter­ liegt, so kann sie die Zahlung des Hausgeldes oder des Ruhegeldes während der Dauer von Barbezügen aus der reichsgesetzlichen Arbeiterversicherung bis zur Höhe dieser Barbezüge einstellen. 8 47. Streitigkeiten, die zwischen der Reichsversicherungsanstalt nnd dein Versicherten aus den Vorschriften der §§ 43 bis 46 entstehen und nicht bei der Rentenfeststellung erledigt werden, entscheidet auf Beschwerde das Oberversiche­ rungsamt. 8 48. Gegen die Träger der reichsgesetzlichen Arbeiterversicherung steht der Reichsversicherungsanstalt ein Ersatzanspruch wegen Einleitung des Heil­ verfahrens nicht zu. 8 49. Als reichsgesetzliche Arbeiterversicherung gilt auch die Versicherung beim Reichsknappschaftsverein als Träger der Krankenversicherung und bei Ersatzkassen (§§ 4, 11 ff. des Reichsknappschaftsgesetzes, §§ 503 ff der Reichsversicherungsordnung. 8 49 a. Die Reichsversicherungsanstalt kann mit Genehmigung des Reichs-* arbeitsministers Mittel aufwenden, um allgemeine Maßnahmen zur Ver­ hütung des Eintritts vorzeitiger Berufsunsähigkeit oder zur Hebung der ge­ sundheitlichen Verhältnisse der versicherten Bevölkerung zu fördern oder durch­ zuführen. Die Genehmigung kann auch für Pauschbeträge erteilt werden.

V. Sachleistungen.

8 50. Empfänger von Ruhegeld oder sonstiger Rente können auf ihren Antrag in einem Invaliden- oder Waisenhaus oder einer ähnlichen Anstalt untergebracht werden. Dazu können die Barbezüge ganz oder teilweise ver­ wendet werden. Die Aufnahme verpflichtet den Bezugsberechtigten auf ein Vierteljahr und, wenn er nicht einen Monat vor Ablauf dieser Zeit widerspricht, jedesmal auf ein weiteres Vierteljahr zum Verzicht auf die Barbezüge, soweit sie zu verwenden sind. 8 51. Trunksüchtigen, die nicht entmündigt sind, können ganz oder teil­ weise Sachleistungen gewährt werden. Auf Antrag eines beteiligten Für­ sorgeverbandes oder der Gemeindebehörde des Wohnorts des Trunksüchtigen muß dies geschehen. Bei Trunksüchtigen, die entmündigt sind, ist die Ge­ währung der Sachleistungen nur mit Zustimmung des Vormundes zulässig. Auf seinen Antrag muß sie geschehen. Die Sachleistungen gewährt die Gemeinde des Wohnorts. Der Anspruch auf Barleistungen geht im Werte der Sachbezüge aus die Gemeinde über. Die Sachleistung kann auch durch Aufnahme in eine Trinkerheilanstalt oder mit Zustimmung der Gemeinde durch Vermittlung einer Trinkerfürsorgestelle gewährt werden. Ein Rest der Barleistungen ist dem Ehegatten des Bezugsberechtigten, seinen Kindern oder seinen Eltern und, falls solche nicht vorhanden sind, der Gemeinde zur Verwendung für ihn zu überweisen. 8 52. Das Versicherungsamt (Beschlußausschuß) erläßt die Anordnung nach Anhören der Gemeindebehörde und des Bezugsberechtigten und teilt sie ihnen und der Reichsversicherungsanstalt schriftlich mit. Es ent­ scheidet bei Streit zwischen der Gemeinde und dem Bezugsberechtigten.

VI. Wartezeit.

8 53. Die Wartezeit dauert 1. beim Ruhegeld für männliche Versicherte einhundertundzwanzig Bei­ tragsmonate, für weibliche Versicherte sechzig Beitragsmonate, 2. bei den Hinterbliebenenrenten einhundertundzwanzig Beitragsmonate.

276

Strafgesetze.

Erster Teil.

Sind weniger als sechzig Beitragsmonate.auf Grund der Versicherungs­ pflicht nachgewiesen, so beträgt die Wartezeit beim Ruhegeld für weibliche Ver­ sicherte neunzig Beitragsmonate, im übrigen einhundertundfünfzig Beitrags­ monate. Die Wartezeit für Selbstversicherer beträgt in allen Fällen einhundertund­ achtzig Beitragsmonate. VII. Erlöschen der Anwartschaft. 8 54. Die Anwartschaft erlischt, wenn nach dem Kalenderjahr, in dem der erste Beitragsmonat zurückgelegt worden ist, innerhalb der zunächst fol­ genden zehn Kalenderjahre weniger als acht und nach dieser Zeit weniger als vier Beitragsmonate während eines Kalenderjahrs zurückgelegt worden sind. Die erworbenen Anwartschaften gelten als bis zum 31;. Dezember 1923 ausrechterhalten. 8 55. Die Anwartschaft lebt, unbeschadet der Nachzahlungsmöglichkeit nach § 187, wieder auf, wenn der Versicherte die zur Aufrechterhaltung der Anwartschaft noch erforderlichen Beiträge innerhalb der zwei Kalenderjahre nachentrichtet, die dem Kalenderjahre der Fälligkeit der Beträge folgen. Die Anwartschaft lebt auch dann wieder auf, wenn der Versicherte von neuem aus Grund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder eines Selbst­ versicherungsverhältnisses Beiträge entrichtet hat, und zwar, falls vor dem Erlöschen der Anwartschaft die Wartezeit erfüllt war, für mindestens vierundzwanzig Beitragsmonate, andernfalls für mindestens achtundvierzig Beitragsmonate. Die Anwartschaft gilt als yicht erloschen, wenn die Zeit, die zwischen dem erstmaligen Eintritt in die Versicherung und dem Versicherungsfalle liegt mindestens zu drei Vierteln mit Beiträgen oder Ersatzzeiten im Sinne des § 382 Abs. 1 belegt ist. VIII. Berechnung der Leistungen. 8 56. Das jährliche Ruhegeld besteht aus Grundbetrag und Steigerungs­ betrag. Der Grundbetrag ist für alle Gehaltsklassen 480 Goldmark. Als Steigerungsbetrag werden fünfzehn vom Hundert der Beiträge gewährt, die für die Zeit seit dem 1. Januar 1924 gültig entrichtet worden sind.^ Ferner wird für Beiträge der Gehaltsklassen F bis I aus der Zeit vom 1. Januar 1913 bis 31. Juli 1921 ein Steigerungsbetrag gewährt; er beträgt für jeden Beitrag in der Gehaltsklasse F . . . 1 Reichsmark,

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8 57. Bei Wanderversicherten (§ 27) tritt zu den Leistungen der Angestelltenversicherung als Ergänzung der Steigerungsbetrag der Invalidenver­ sicherung für anrechnungsfähige Beitragswochen dieser Versicherung. Hat der Versicherte nach Festsetzung des Ruhegeldes Beiträge zur In­ validenversicherung entrichtet, so ist, wenn er invalide im Sinne des § 1255 der Reichsversicherungsordnung wird, sein Ruhegeld durch Bescheid der Reichs­ versicherungsanstalt nach Abs. 1 zu ergänzen. Die Träger der Invalidenversicherung erstatten der Reichsversicherungs­ anstalt den Steigerungsbetrag nach näherer Bestimmung des Reichsarbeitstnimfterg.' 8 58. Hat der Ruhegeldempfänger Kinder unter achtzehn Jahren, iso erhöht sich für jedes von ihnen das Ruhegeld um jährlich 90 Goldmark (Kinderzuschuß). Bei Gewährung des Kinderzuschusses werden ehelichen Kindern gleich­ gestellt 1. die für ehelich erklärten Kinder, 2. die an Kindes Statt angenommenen Kinder, wenn sie vor Eintritt der Berufsunfähigkeit angenommen sind,

73. Angestelltenversicherungsgesetz v. 28. Mai 1924.

§§ 54—66.

277

3. die Stiefkinder und die Enkel, wenn sie vor Eintritt der Berufsunfähigfeit von dem Ruhegeldempsänger unentgeltlich unterhalten worden sind, 4. die unehelichen Kinder, wenn die Vaterschaft des Ruhegeldempfängers festgestellt ist. Für uneheliche Kinder, die das sechzehnte Lebensjahr vollendet haben, sowie für Stiefkinder und Enkel wird der Kinderzuschuß nur gewährt, solange sie von dem Ruhegeldempfänger unterhalten werden. 8 5V. Die Witwenrente und die Witwerrente betragen sechs Zehntel, Waisenrenten für jede Waise fünf Zehntel des nach §§ 56, 57 zu berechnenden! Ruhegeldes. 8 60. Ruhegeld und sonstige Renten werden, auf volle Goldpfennig auf­ gerundet, in Teilbeträgen monatlich im voraus mit den im Postverkehr üblichen Zahlungsmitteln gezahlt. IX. Erstattung von Beiträgen.

8 61. Stirbt eine Versicherte nach Ablauf der Wartezeit für das Ruhe­ geld vor Eintritt in den Genuß eines Ruhegeldes, und besteht kein Anspruch auf Hinterbliebenenrente, so ist auf Verlangen die Hälfte der für die Zeit vom 1. Januar 1924 bis zum Tode der Versicherten entrichteten Beiträge zu erstatten. Anspruchsberechtigt sind nacheinander der Ehegatte, die Kinder, der Vater, die Mutter, die Geschwister, wenn sie mit der Versicherten zur Zeit ihres Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben oder von der Versicherten wesentlich aus ihrem Arbeitsverdienst unterhalten worden sind. Der An­ spruch verfällt, wenn er nicht innerhalb eines Jahres nach dein Tode der Ver­ sicherten geltend gemacht wird. 8 62. Heiratet eine Versicherte nach Ablauf der Wartezeit für das Ruhe­ geld und scheidet sie binnen drei Jahren nach der Verheiratung aus der ver­ sicherungspflichtigen Beschäftigung aus, so steht ihr ein Anspruch auf Erstat­ tung der Hälfte der für die Zeit vom 1. Januar 1924 bis zu dem Ausscheiden geleisteten Beiträge zu. Der Anspruch verfällt, wenn er nicht binnen drei Jahren nach der Verheiratung geltend gemacht wird. Die Erstattung schließt weitere Ansprüche an die Reichsversicherungsanstalt aus den erstatteten Bei­ trägen aus. Die Vorschriften des Abs. 1 gelten auch für Versicherte, die durch Eintritt in eine Schwesternschaft oder religiöse Gemeinschaft aus der Bersicherungspflicht ausscheiden und sich nicht freiwillig weiterversichern X. Wegfall der Leistungen.

8 63. Die Witwen- und Witwerrenten fallen mit dem Ablauf des Monats weg, in dem der Berechtigte wieder heiratet. Die Witwe wird mit dem dreifachen Betrag ihrer Jahresrente abgefunden. Der Anspruch verfällt, wenn er nicht innerhalb eines Jahres nach der Wiederverheiratung geltend gemacht wird. Die Waisenrente fällt mit dem Ablauf des Monats weg, in dem die Waise das achtzehnte Lebensjahr vollendet oder heiratet.

8 64. Für den Sterbemonat und den Monat, der das Ruhen der Rente bringt, werden die Beträge voll bezahlt. 8 65. Ist beim Tode des Empfängers die fällige Rente noch nicht abge­ hoben, so sind nacheinander bezugsberechtigt der Ehegatte, die Kinder, der Vater, die Mutter, die Geschwister, wenn sie mit dem Empfänger zur Zeit seines Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben oder von ihm wesentlich aus seinem Arbeitsverdienst unterhalten worden sind. 8 66. Stirbt ein Versicherter oder ein zum Bezug einer Witwen- oder Witwerrente Berechtigter, nachdem er seinen Anspruch erhoben hatte, so sind zur Fortsetzung des Verfahrens und zum Bezüge der bis zum Todestage fälligen Beträge nacheinander berechtigt der Ehegatte, die Kinder, der Vater, die Mutter, die Geschwister, wenn sie mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes

278

Erster Teil.

Strafgesetze.

in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben oder von ihm wesentlich aus seinen! Arbeitsverdienst unterhalten worden sind.

XI. Entziehung der Leistungen.

§ 67. Ist der Empfänger eines Ruhegeldes nicht mehr berufsunfähig im Sinne des § 30, so entzieht ihm die Reichsversicherungsanstalt das Ruhegeld. § 68. Witwerrenten, die nach § 34 gewährt sind, entzieht die Reichsver­ sicherungsanstalt, sobald die Bedürftigkeit des Empfängers wegfällt. 8 69. Ein Bescheid, d?r das Ruhegeld oder die sonstige Rente entzieht, wird mit Ablauf des Monats wirksam, in dem er zugestellt worden ist. 8 70. Wird Ruhegeld von neuem bewilligt, so wird die frühere Bei­ tragsleistung dem Versicherten angerechnet. 8 71. Wird nachgewiesen, daß ein Versicherter, der als verschollen galt, noch lebt, so wird die weitere Zahlung von Hinterbliebenenrente eingestellt Die Reichsversicherungsanstalt braucht die zu Unrecht gezahlten Betrags' nicht zurück­ fordern. XII. Ruhen der Rente.

8 72. Die Rente ruht, solange der Berechtigte eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Monat verbüßt oder in einem Arbeitshaus oder in einer Besserungsanstalt untergebracht ist. Hat er im Inland Angehörige, die er ganz oder überwiegend aus seinen: Arbeitsverdienst unterhalten hat, so wird ihnen das Ruhegeld überwiesen. 8 73. Die Rente ruht, solange sich der berechtigte Inländer im Ausland aufhält und es unterläßt, der Reichsversicherungsanstalt seinen Aufenthalts­ ort mitzuteilen. Weist der Berechtigte nach, daß er ohne sein Verschulden die Mitteilung unterlassen hat, so lebt insoweit das Recht auf die Rente wieder aus 8 74. Die Rente ruht, 1. solange sich der berechtigte Ausländer freiwillig gewöhnlich im Aus­ land aufhält. 2. solange der berechtigte Ausländer wegen Verurteilung in einen: Straf­ verfahren aus dem Reichsgebiet ausgewiesen ist. Das gleiche gilt für einen berechtigten Ausländer, der aus Anlaß der Verurteilung in einem Strafverfahren aus dem Gebiet eines deutschen Landes ausgewieseu ist, solange er sich nicht in einem anderen deutschen Lande aufhält. 8 75. Die Reichsregierung kann mit Zustimmung des Reichsrats das Ruhen der Rente für ausländische Grenzgebiete oder für auswärtige Staaten ausschließen, deren Gesetzgebung Deutschen und ihren Hinterbliebenen eine entsprechende Fürsorge gewährleistet. 8 76. Die Reichsversicherungsanstalt kann einen berechtigten Ausländer der sich gewöhnlich im Ausland aufhält, mit dem Kapitalwert seiner Bezüge absinden. Der Reichsarbeitsminister bestimmt das Nähere. 8 77. Deutsche Schutzgebiete gelten im Sinne der §§ 72 bis 76 als Inland. 8 78. Treffen außer den Fällen des § 27 und des § 33 Ws. 3 die Voraussetzungen für mehrere Renten aus der Angestelltenversicherung zu­ sammen, oder tritt neben den Anspruch auf eine Rente aus her Angestellten­ versicherung der Anspruch auf eine Rente aus der Invalidenversicherung, so erhält der Berechtigte die höchste Rente und von den anderen Renten ohne Kinderzuschuß die Hälfte als Zusatzrente. XIII. Verhältnis zu anderen Ansprüchen.

8 79. Unberührt von diesem Gesetze bleiben die gesetzlichen Pflichten der Gemeinde:: und Fürsorgeverbände zur Unterstützung Hilfsbedürftiger und an­ dere auf Gesetz, Satzung, Vertrag oder letztwilliger Verfügung beruhende Pflich­ ten zur Fürsorge für die nach diesem Gesetze Versicherten und ihre Hinter­ bliebenen.

73. Angestelltenversicherungsgesetz v. 28. Mai 1924.

§§ 67— 91.

279

§ 80t Unterstützt eine Gemeinde oder ein Fürsorgeverband als Träger her Armenfürsorge nach gesetzlicher Pflicht einen Hilfsbedürftigen für eine Zeit, für die er einen Anspruch nach diesem Gesetz hatte oder noch hat, so kann die Gemeinde oder der Fürsorgeverband, jedoch nur bis zur Höhe dieses Anspruchs, Ersatz beanspruchen. § 81. Der Ersatz von Bestattungskosten, die beim Tode der Versicherten gewährt worden sind, kann, soweit nicht der Träger der reichsgesetzlichen Un­ fallversicherung oder Krankenversicherung Ersatz zu leisten hat, aus den gemäß § 61 zu erstattenden Beiträgen beansprucht werden; im übrigen darf nur auf Ruhegeld oder sonstige Renten zugegriffen werden. § 82. Zur Befriedigung des Ersatzanspruchs darf auf rückständige Renten­ beträge bis zu ihrer vollen Höhe, auf andere Rentenbeträge nur bis zu ihrer halben Höhe zugegrifsen werden. § 83. Der Ersatzanspruch ist bei der Reichsversicherungsanstalt anzumelden. § 84. Eine Gemeinde oder ein Fürsorgeverband als Träger der Armen­ fürsorge kann auch dann Ersatz beanspruchen, wenn der Hilfsbedürftige, der einen Anspruch auf Ruhegeld oder sonstige Rente hat, stirbt, ohne den Anspruch angemeldet zu haben. 8 85. Auch die Ersatzberechtigten können die Feststellung der Leistungen nach diesem Gesetze betreiben und Rechtsmittel einlegen. Der Ablauf der Fristen, die ohne ihr Verschulden verstrichen sind, wirkt nicht gegen sie; dies gilt nicht für Verfahrensfristen, soweit die Ersatzberechtigten das Verfahren selbst betreiben. 8 86. Der Anspruch auf Ersatz ist ausgeschlossen, wenn er nicht späte­ stens sechs Monate nach Ablauf der Unterstützung geltend gemacht wird. 8 87. Streit über Ersatzansprüche aus den §§ 80 bis 86 wird im Verwaltungsstreitverfahren oder, wo ein solches nicht besteht, durch die dem Er­ satzberechtigten vorgesetzte Aufsichtsbehörde entschieden. Die Entscheidung der letzterer: kann binnen einem Monat nach Zustellung im Wege des Rekurses nach den §§ 20, 21 der Gewerbeordnung angefochten werden. 8 88. Was in diesem Abschnitt für Gemeinden und Fürsorgeverbände vorgeschrieben ist, gilt auch für Betriebsunternehmer und Kassen, die statt sol­ cher Verpflichteten nach gesetzlicher Pflicht Hilfsbedürftige unterstützen. 8 89. Soweit die nach diesem Gesetze Versicherten oder ihre Hinter­ bliebenen gesetzlich von Dritten Ersatz eines Schadens beanspruchen können, der ihnen durch die Berufsunfähigkeit oder durch den Tod des Ernährers er­ wachsen ist, geht der Anspruch auf die Reichsversicherungsanstalt bis zum Be­ trage derjenigen Leitungen über, die sie infolge des Schadens zu tragen hat. Hat ein ordentliches Gericht über solche Ansprüche zu erkennen, so ist es an die Entscheidung gebunden, die in einem Verfahren nach diesem Gesetze darüber ergeht, ob und in welchem Umfang die Reichsversicherungsanstalt verpflichtet ist.

XIV. Besondere Vorschriften.

8 90. Leistungen, die nach diesem Gesetze gewährt werden, und die durch den Übergang des Anspruchs darauf ersetzten Unterstützungen sind keine öffent­ lichen Armenunterstützungen. 8 91. Die Ansprüche des Berechtigten können mit rechtlicher Wirkung, übertragen, verpfändet und gepfändet werden nur wegen 1. eines Vorschusses, den der Berechtigte auf seine Ansprüche vor An­ weisung der Leistungen vom Arbeitgeber oder von der Reichsversiche­ rungsanstalt erhalten hat, 2. der im § 850 Abs. 4 der Zivilprozeßordnung bezeichneten Forderungen, 3. der Forderungen der nach § 80 ersatzberechtigten Gemeinden und Für­ sorgeverbände sowie der an ihre Stelle tretenden ersatzberechtigten Ar­ beitgeber, Ersatzkassen (§ 363) und Versicherungsträger der reichsgesetz?

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Erster Teil.

Strafgesetze.

lichen Arbeiterversicherung einschließlich des ReichsknappschaftsvereinS; die Übertragung, Verpfändung und Pfändung ist n.ur in Höhe der gesetzt lichen Ersatzansprüche zulässig, 4. rückständiger Beiträge, die nicht seit länger als drei Monaten fällig sind. Ausnahmsweise darf der Berechtigte auch in anderen Fällen den An­ spruch mit Genehmigung des Versicherungsamts ganz oder zum Teil auf andere übertragen. g 92. Ansprüche auf Ruhegeld oder sonstige Renten dürfen nur auf­ gerechnet werden auf Ersatzforderungen für bezogene Unfallrenten und Entschädigungen, soweit der Reichsversicherungsanstalt ein Anspruch daraus nach § 89 zusteht, geschuldete Beiträge, gezahlte Vorschüsse, zu Unrecht gezahlte Rentenbeträge, die zu erstattenden Kosten des Verfahrens (§ 310), die von der Reichsversicherungsanstalt verhängten Geldstrafen.

Dritter Abschnitt.

Träger -er Versicherung. I. Bezeichnung.

g 93. Träger der Versicherung ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, die Reichsversichernngsanstalt für Angestellte.

Sie hat ihren Sitz in Berlin.

II. Rechtsfähigkeit und Aufficht. g 94. Tie Reichsversicherungsanstalt ist rechtsfähig. Sie ist eine öffent­ liche Behörde. Der Reichsarbeitsminister übt die Aufsicht über die Neichsversicherungsanstalt aus. g 95. Die Bücher der Reichsversicherungsanstalt sind jährlich abzuschlie­ ßen; auf Grund der Bücher ist für das abgelaufene Geschäftsjahr ein Rech­ nungsabschluß und ein die Verhältnisse sowie die Entwicklung der Anstalt dar­ stellender Bericht anzufertigen und dem Reichsarbeitsminister mitzuteilen Der Rechnungsabschluß und der Bericht sind dem Reichstag vorzulegen. Als Geschäftsjahr gilt das Kalenderjahr. g 96. Die Rechnungen der Reichsversicherungsanstalt über ihre persön­ lichen und sachlichen Verwaltungskosten werden durch den Rechnungshof des Deutschen Reichs geprüft.

III. Organe. g 97. Die Organe der Reichsversicherungsanstalt sind 1. das Direktorium, 2. der Verwaltungsrat, 3. die Vertrauensmänner.

1. Direktorium.

g 98. Das Direktorium vertritt die Reichsversicherungsanstalt gerichtlich und außergerichtlich. Es hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters, g 99. Das Direktorium besteht aus einem Präsidenten, seinem Stell­ vertreter und weiteren beamteten Mitgliedern sowie aus je drei Vertretern der Versicherten und ihrer Arbeitgeber (ehrenamtliche Mitglieder). Die Zahl der ehrenamtlichen Mitglieder muß größer sein als die der beamteten. Sind zu einer Sitzung des Direktoriums nicht sämtliche ehrenamtlichen Mitglieder er­ schienen, so scheiden bei der Abstimmung die beamteten Mitglieder in ent­ sprechender Anzahl aus. Das Direktorium saßt seine Beschlüsse nach Stimmenmehrheit. Bei Stim­ mengleichheit gibt die Stimme des Präsidenten den Ausschlag. Im übrigen wird die Geschäftsführung durch eine Geschäftsordnung geregelt, die der Ber-

73. Angestelttenversicherungsgesetz v. 28. Mai 1924.

§§ 92—105.

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waltungsrat im Einvernehmen mit dem Direktorium erläßt; sie bedarf der Zustimmung des Reichsarbeitsministers. § 100. Die beamteten Direktoriumsmitglieder und die übrigen plan­ mäßigen Beamten des höheren Dienstes ernennt der Reichspräsident nach Vor­ schlag des Reichsrats auf Lebenszeit. Der Verwaltungsrat ist vorher zu hören. Bei der Ernennung der beamteten Direktoriumsmitglieder kann für die ersten drei Jahre der Dienstzeit der Widerruf vorbehalten werden. 8 101. Die im § 100 bezeichneten Beamten haben die Rechte und Pflich­ ten der Reichsbeamten. Ihre Besoldungen, Pensionen und sonstigen Dienstbezüge sowie die Pen­ sionen und Unterstützungen für ihre Hinterbliebenen trägt die Reichsversiche­ rungsanstalt. Der Besoldungs- und Pensionshaushalt wird für das Direktoriunl durch den Reichshaushalt, für die übrigen im § 100 bezeichneten Beamten vom Reichsrat oqf den Antrag des Reichsarbeitsministers jährlich festgesetzt. 8 102. Die ehrenamtlichen Mitglieder des Direktoriums wählt der Ver­ waltungsrat auf sechs Jahre. Für jedes Mitglied werden mindestens zwei Ersatzmänner gewählt; sie vertreten es, wenn es verhindert ist, und treten, wenn es ausscheidet, für den Rest der Wahlzeit in der Reihenfolge ihrer Wahl ein. Die Vertreter der Arbeitgeber werden von den Arbeitgebervertretern, die übrigen von den Bersichertenvertretern. unter den Mitgliedern des Verwal­ tungsrats gewählt. Die §§ 109 bis 111, 117 gelten entsprechend. Ein Mitglied des Verwaltungsrats, das Mitglied des Direktoriums wird, scheidet aus dem Verwaltungsrat aus. 8 103. Die übrigen Beamten und Angestellten werden vom Direktorium angestellt. Das Direktorium erläßt im Einverständnis mit dem Verwaltungsrat eine Dienstordnung, in der die Zahl, die Gehaltsbezüge, die Grundsätze für Anstellung, Dienstentlassung, Ruhcstandsversorgung und Hinterbliebenenfürsorge zu regeln sind. 2. Verwaltungsrat. 8 104. Der Verwaltungsrat hat folgende Aufgaben: 1. Er vertritt die Reichsversicherungsanstalt gegenüber dem Direktorium. 2. Er beschließt über die Festsetzung des Voranschlags, unbeschadet des § 101 Abs. 2 Satz 2. Für Ausgaben, die im Laufe des Geschäftsjahrs notwendig werden, ohne daß sie im Voranschläge vorgesehen sind, ist die Zustimmung des Ver­ waltungsrats erforderlich; war sie vorher nicht möglich, so ist die Geneh­ migung des Verwaltungsrats unverzüglich einzuholen. 3. Er nimmt den Rechnungsabschluß (§ 95) und die Bilanz (§ 173) ab. Dies schließt das Recht zur Prüfung der Einnahmen, Ausgaben und Be­ lege ejn. 4. Er ist befugt, durch Beauftragte aus seiner Mitte jederzeit Einblick in die Geschäftsführung zu nehmen. Der Beauftragte kann Sachverständige und Hilfskräfte zuziehen. 5. Er bestimmt gemeinsam mit dem Direktorium die Grundsätze für die Anlegung des Vermögens. Die Geschäftsordnung kann für ben Erwerb von Grundstücken und für Verfügungen über Grundstücke die Zustimmung des Verwaltungsrats oder eines Ausschusses vorschreiben. 6. Er hat bei der Vorbereitung wichtiger Beschlüsse des Direktoriums gut­ achtlich mitzuwirken. 8 105. Der Verwaltungsrat besteht aus dem Präsidenten des Direktori­ ums oder seinem Stellvertreter als Vorsitzendem und mindestens je zwölf Ver­ tretern der Versicherten und ihrer Arbeitgeber. Der Reichsarbeitsminister kann die Zahl der Mitglieder nach Bedarf erhöhen. Die Vertreter der Arbeitgeber werden von den Arbeitgebervertretern unter den Vertrauensmännern, die übrigen von den Versichertenvertretern un­ ter den Vertrauensmännern gewählt.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

§ 106» Der VerwaltungsraL ist befugt, aus seinen Mitgliedern für einzelne Arbeitsgebiete Ausschüsse zu bilden und einzelne Obliegenheiten mit Ausnahme der Festsetzung des Voran­ schlags, der Abnahme des Rechnungsabschlusses und der Bilanz einem solchen Ausschuß zu übertragen. 8 107. Der Verwaltungsrat faßt seine Beschlüsse nach Stimmenmehrheit. Im übrigen wird die Geschäftsführung durch eine Geschäftsordnung geregelt, die der Verwaltungsrat erläßt; sie bedarf der Zustimmung des Reichsarbeits­ ministers. Der Präsident beruft den Verwaltungsrat. Auf Verlangen der Mehrheit des Verwaltungsrats ist dieser zu berufen. 8 108. Die Wahl findet nach den Grundsätzen der Verhältniswahl statt. Der Reichsarbeitsminister erläßt eine Wahlordnung und leitet die Wahl durch seine Beauftragten. Für jeden Vertreter werden mindestens zwei Ersatzmänner gewählt; sie ersetzen ihn, wenn er verhindert ist, und treten, wenn er ausscheidet, für den Rest der Wahlzeit in der Reihenfolge ihrer Wahl ein. Bei Streit über die Wahl entscheidet der Reichsarbeitsminister. 8 100. Wählbar zum Berwaltungsrate sind nur volljährige Deutsche. Nicht wählbar ist, 1. wer infolge strafgerichtlicher Verurteilung die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter verloren hat oder wegen eines Verbrechens oder Ver­ gehens, das den Verlust dieser Fähigkeit zur Folge haben kann, verfolgt wird, falls gegen ihn das Hauptverfahren eröffnet ist, 2. wer infolge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über sein Ver­ mögen beschränkt ist. 8 HO. Wählbar als Vertreter der Arbeitgeber ist, wer regelmäßig min­ destens einen versicherten Allgestellten beschäftigt. 8 111. Wählbar als Vertreter der Versicherten sind nur Versicherte, die nicht als Vertreter der Arbeitgeber wählbar sind. 8 112. Die Wahlzeit dauert sechs Jahre. Die Gewählten bleiben nach Ablauf dieser Zeit im Amte, bis ihre Nach­ folger eintreten. Wer ausscheidet, kann wiedergewählt werden. 8 113. Ein Arbeitgeber kann die Wahl nur aus einem wichtigen Grunde ablehnen, insbesondere wenn er 1. das sechzigste Lebensjahr vollendet hat, 2. mehr als vier minderjährige eheliche Kinder hat; Kinder, die ein an­ derer an Kindes Statt angenommen hat, werden dabei nicht gerechnet, 3. durch Krankheit oder Gebrechen verhindert ist, 'das Amt ordnungsmäßig zu führen, 4. mehr als eine Vormundschaft oder Pflegschaft führt. Die Vormund­ schaft oder Pflegschaft über mehrere Geschwister gilt Nur als eine; zwei Gegenvormundschaften stehen einer Vormundschaft, ein Ehrenamt der Reichsversicherung einer Gegenvormundschaft gleich. Nach mindestens zweijähriger Amtsführung kann eine Widerwahl für die nächste Wahlzeit abgelehnt werden. 8 114. über die Zulässigkeit der Ablehnung entscheidet das Direktorium. Wer die Wahl ohne zulässigen Grund ablehnt, kann vom Präsidenten des Direktoriums mit Ordnungsstrafe in Geld bestraft werden. Das Direktorium kann einen Vertreter von seinem Amte entbinden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Auf Beschwerde entscheidet der Reichsarbeitsminister endgültig. 8 115. Die Mitglieder des Verwaltungsrats und die ehrenamtlichen Di­ rektoriumsmitglieder verwalten ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt. Für ihre

73. Angestelltenversicherungsgesetz v. 28. Mai 1924.

§§ 106—126.

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Teilnahme an Sitzungen erhalten sie Tagegelder und Vergütung der Reisekosten nach festen, von dem Reichsarbeitsminister bestimmten Sätzen. 8 116» Die Vertreter der Versicherten haben ihrem Arbeitgeber jede Ein­ berufung zu den Sitzungen anzuzeigen. Tun sie es rechtzeitig, so gibt das Fernbleiben von der Arbeit dem Arbeitgeber keinen wichtigen Grund, das Ärbeitsverhältnis ohne Einhalten einer Kündigungsfrist zu lösen.

§ 117. Werden von einem Gewählten Tatsachen bekannt, die seine Wähl­ barkeit ausschließen, so hat ihn der Berwaltungsrat seines Amtes durch Be­ schluß zu entheben. Vor der Beschlußfassung ist ihm Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Gegen den Beschluß ist die Beschwerde bei dem Reichsarbeitsminister zu­ lässig. 3. Vertrauensmänner.

§ 118. Die Vertrauensmänner wählen die Mitglieder des Verwaltungs­ rats sowie die Beisitzer der Angestelltenversicherung für die Versicherungs­ ämter, die Oberversicherungsämter und das Reichsversicherungsamt. 8 119. Den Vertrauensmännern kann das Bersicherungsamt zu seiner Unterstützung Aufträge erteilen. Sie sollen auch ohne Auftrag alle ihnen bekanntgewordenen Tatsachen mitteilen, die nach ihrer Ansicht für das Ber­ sicherungsamt oder die Reichsversicherungsanstalt wichtig sind. 8 120. Die Vertrauensmänner werden je zur Hälfte aus den Versicherten, die nicht Arbeitgeber sind, und aus den Arbeitgebern der versicherten Ange­ stellten gewählt Die Zahl beträgt für den Bezirk einer unteren Verwaltungsbehörde sechs, wohnen im Bezirke der unteren Verwaltungsbehörde mehr als zehn« tausend Versicherte, so kann die oberste Verwaltungsbehörde für je angefangene weitere zehntausend die Zahl der Vertrauensmänner utrt zwei erhöhen. Der obersten Verwaltungsbehörde bleibt vorbehalten, für kleinere Bezirke die Zahl der Vertrauensmänner bis auf zwei herabzusetzen oder die Bezirke mehrerer unteren Verwaltungsbehörden zu einem Bezirke zusammenzufassen und zu bestimmen, welche untere Verwaltungsbehörde die im § 124 Ms. 3, § 127 Abs. 2, § 128, § 129 Ms. 1 dieser Behörde zugewiesenen Geschäfte wahrHunehmen hat. 8 121. Die Vertrauensmänner aus den Arbeitgebern werden von den Arbeitgebern der versicherten Angestellten, die übrigen von den versicherten Angestellten gewählt 8 122. Wahlberechtigt sind volljährige Deutsche, sofern sie zu den ver­ sicherten Angestellten oder ihren Arbeitgebern gehören und im Bezirke der unteren Verwaltungsbehörde wohnen. Nicht wahlberechtigt sind die im § 109 Abs 2 bezeichneten Personen. 8 123. Für die Wahlen der Arbeitgeber kann der Reichsarbeitsminister das Stimmrecht nach der Zahl der von ihnen beschäftigten Versicherten ver­ schieden festsetzen. 8 124. Gewählt wird schriftlich nach den Grundsätzen der Verhältniswahl. Für die versicherten Angestellten dient die Bersicherungskarte (§ 176) als Ausweis, für die Arbeitgeber eine von der Gemeindebehörde ausgestellte Be­ scheinigung. In der Versicherungskarte muß wenigstens ein Beitrag innerhalb der letzten zwölf Monate vor der Wahl nachgewiesen sein. Der Reichsarbeitsminister erläßt eine Wahlordnung und bestellt den Leiter der Wahl. Bei Streit über die Wahl entscheidet die untere Verwaltungsbehörde. 8 125. Für jeden Vertrauensmann werden in gleicher Weise je zwei Ersatzmänner gewählt; sie ersetzen ihn, wenn er verhindert ist, und treten, wenn er ausscheidet, für den Rest der Wahlzeit in der Reihenfolge ihrer Wahl ein. 8 126. Wählbar sind nur Versicherte, die nicht Arbeitgeber sind, und Arbeitgeber der versicherten Angestellten, die im Bezirke der unteren Berwal-

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Erster Teil.

Strafgesetze

tungsbehörde wohnen oder beschäftigt werden oder ihren Betriebssitz haben, und die nicht nach § 109 ausgeschlossen sind. § 127. Die §§ 112, 113, 116 gelten entsprechend. Solange und soweit keine Wahl zustande kommt oder die Gewählten die Dienstleistung verweigern, beruft die untere Verwaltungsbehörde Ver­ trauensmänner aus der Zahl der Wählbaren. 8 128. über die Zulässigkeit der Ablehnung beschließt die untere Ver­ waltungsbehörde. Wer die Wahl oder die Berufung ohne zulässigen Grund ablehnt, kann von der unteren Verwaltungsbehörde mit Ordnungsstrafe in Geld bestraft werden. Die untere Verwaltungsbehörde kann einen Vertrauensmann von seinem Amte entbinden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Auf Beschwerde entscheidet die höhere Verwaltungsbehörde. 8 129. Werden von einem Vertrauensmanne Tatsachen bekannt, die seine Wählbarkeit ausschließen oder eine grobe Verletzung seiner Amtspflicht dar­ stellen, so enthebt ihn die untere Verwaltungsbehörde seines Amtes. Auf Beschwerde entscheidet die höhere Verwaltungsbehörde. 8 130. Die Vertrauensmänner verwalten ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt. Die Reichsversicherungsanstalt erstattet ihnen ihre baren Auslagen. In besonderen Fälle kann ihnen eine Entschädigung für Zeitverlust oder für ent­ gangenen Arbeitsverdienst gewährt werden. Die Reichsversicherungsanstalt kann hierüber Bestimmungen erlassen.

Vierter Abschnitt.

verstcheruugsbehörden. I. Allgemeines. 8 131. Die Spruchbehörden der Angestelltenversicherung sind 1. Versicherungsämter, 2. Oberversicherungsämter, 3. das Reichsversicherungsamt. II. BerficherungSämter. § 132. Die Versicherungsämter, die in der Angestelltenversicherung zu­ ständig sind, bestimmt der Reichsarbeitsminister nach Anhören der Reichs­ versicherungsanstalt mit Zustimmung des Reichsrats. Bei diesen Versicherungsämtern werden ein oder mehrere Ausschüsse für Angestelltenversicherung gebildet. Sie bestehen, unbeschadet des § 232, aus dem Vorsitzenden und aus Versicherungsvertretern der Angestelltenversicherung, und zwar je einem Vertreter der Versicherten (Bersichertenvertreter) der An­ gestelltenversicherung und ihrer Arbeitgeber. 8 133. Der Leiter des Bersicherungsamts ist zugleich der Vorsitzende des Ausschusses für Angestelltenversicherung, soweit nicht ein besonderer Vorsitzen­ der für den Ausschuß bestellt wird. Ein oder mehrere ständige Stellvertreter des Vorsitzenden werden bestellt. Der bestellte Vorsitzende und die Stellver­ treter sollen durch Vorbildung und Erfahrung auf dem Gebiete der Reichs­ versicherung geeignet sein. Sie sollen besondere Kenntnisse und praktische Er­ fahrung in der Angestelltenversicherung besitzen. Der besondere Vorsitzende und die ständigen Stellvertreter werden von der obersten Verwaltungsbehörde bestellt, in deren Bezirk das Versicherungsamt seinen Sitz hat. 8 134. Die Zahl der Beisitzer der Angestelltenversicherung, die insgesamt bei dem Versicherungsamte zur Verfügung stehen, muß mindestens zwanzig betragen. Sie kann vom Versicherungsamte mit Genehmigung des Ober­ versicherungsamts sowie von diesem nach Anhören des Versicherungsamts er­ höht werden.

73. Angestelltenversicherungsgesetz v 28. Mai 1924.

§§ 127—144.

285

Ein Versicherungsvertreter der Angestelltenversicherung darf nicht zu­ gleich besoldeter Beamter des Versicherungsamts, Versicherungsvertreter bei einem anderen Versicherungsamte, Beisitzer bei einem Oberversicherungsamt oder nichtständiges Mitglied des Reichsversicherungsamts sein. 8 135. Die Arbeitgeberbeisitzer der Angestelltenversicherung werden von den Arbeitgebervertretern unter den Vertrauensmännern, die Versicherten­ beisitzer der Angestelltenversicherung von den Versichertenvertretern unter den Vertrauensmännern in schriftlicher Abstimmung gewählt. Wahlberechtigt sind die Vertrauensmänner des Bezirkes, für den der Ausschuß beim Versicherungsamte zuständig ist. 8 136. Die §§ 108 bis 111 gelten entsprechend. Bet Streit über die Wahl entscheidet die oberste Verwaltungsbehörde, in deren Bezirk das Versicherungsamt seinen Sitz hat. 8 137. Die Versicherungsvertreter sollen mindestens je zur Hälfte am Sitze des Versicherungsamts selbst oder nicht über zehn Kilometer entfernt wohnen oder beschäftigt sein. Bei der Wahl sollen die hauptsächlichen Berufszweige und die ver­ schiedenen Teile des Bezirkes berücksichtigt werden Der Reichsarbeitsminister kann mit Zustimmung des Reichsrats darüber Besonderes und Abweichendes bestimmen. 8 138. Die §§ 112, 113, 116 gelten entsprechend

8 139. Über die Zulässigkeit der Ablehnung beschließt das für den Wohnort des Gewählten zuständige Versicherungsamt. Wer die Wahl ohne zulässigen Grund ablehnt, kann vom Versicherungs­ amt mit Ordnungsstrafe in Geld bestraft werden. Das Versicherungsamt kann einen Vertreter von seinem Amte entbinden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt Auf Beschwerde beschließt das Oberversicherungsamt (Beschlußkammer) endgültig. 8 140. Werden von einem Versicherungsvertreter Tatsachen bekannt, die seine Wählbarkeit ausschließen oder eine grobe Verletzung seiner Amtspflicht darstellen, so enthebt das Bersicherungsamt ihn seines Amtes. Auf Beschwerde beschließt das Oberversicherungsamt (Beschlußkammer) endgültig.

8 141. Der Vorsitzende des Versicherungsamts verpflichtet die Ver­ sicherungsvertreter vor ihrer ersten Dienstleistung auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Pflichten. Das Versicherungsamt kann gegen einen Vertreter, der sich der Erfüllung seiner Pflichten entzieht, Ordnungsstrafe in Geld verhängen. Es hat die Strafe zurückzunehmen, wenn nachträglich eine genügende Entschuldigung nachgewiesen wird. Aus Beschwerde beschließt das Oberversicherungsamt (Beschlußkammer) endgültig. 8 142. Solange und soweit keine Wahl zustande Ikommt oder die Ge­ wählten die Dienstleistung verweigern, beruft das Versicherungsamt Vertreter aus der Zahl der Wählbaren. 8 143. Die Versicherungsvertreter der Angestelltenversicherung verwalten ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt. Das Versicherungsamt erstattet ihnen ihre baren Auslagen. Daneben gewährt es den Versichertenvertretern Ersatz für entgangenen. Arbeitsverdienst oder statt dessen einen Pauschbetrag für Zeitverlust. Einen solchen Pauschbetrag kann es auch den Vertretern der Arbeitgeber zubilligen. Die Pauschbeträge bedürfen der Genehmigung des Oberversicherungsamts (Bsfchlußkammer). 8 144. Die oberste Verwaltungsbehörde kann bestimmen, wieweit das Versicherungsamt technische, staatliche und gemeindliche Beamte seines Bo-

286

Erster Teil.

Strafgesetze.

zirkes als Beiräte mit beratender Stimme zum Beschlußverfahren zuziehen darf. 8 145. Die Kosten des Ausschusses für Angestelltenversicherung schießt das Land und, wenn das Versicherungsamt bei einer gemeindlichen Behörde er­ richtet ist, der Gemeindeverband vor, dessen Bezirk von dem des Versicherungs­ amts umfaßt wird; ist das Versicherungsamt für die Bezirke mehrerer unteren Verwaltungsbehörden gemeinsam errichtet, so bestimmt die oberste Verwal­ tungsbehörde, wie der Vorschuß zu leisten ist. Die Kosten werden von der Reichsversicherungsanstalt nach Grundsätzen erstattet, die der Reichsarbeitsminister nach Anhören des Reichsrats und der Reichsversicherungsanstalt einheitlich für das Reich sestsetzen. Je am Ende des Kalendervierteljahrs hat die Reichsversicherungsanstalt angemessene Abschlags­ zahlungen zu leisten. 8 146. Das Versicher^ngsamt erteilt auch Auskunft in Angelegenheiten der Angestelltenversicherung.

III. OberversicherungSämter.

8 147. Die Oberversicherungsämter, die in der Angestelltenversicherung zuständig sind, bestimmt der Reichsarbeitsminister nach Anhören der Reichs­ versicherungsanstalt mit Zustimmung des Reichsrats. Bei diesen Oberversicherungsämtern werden Kammern für Angestellten­ versicherung gebildet. 8 148. Die Kammern für Angestelltenversicherung bestehen aus Mit­ gliedern des Oberversicherungsamts und aus Beisitzern. 8 149. Ist das Oberversicherungsamt an eine höhere Reichs- oder Lan­ desbehörde angegliedert, so ist ihr Leiter zugleich der Vorsitzende der Kammer für Angestelltenversicherung. Als sein ständiger Stellvertreter wird ein Di­ rektor des Oberversicherungsamts bestellt. Mindestens ein weiteres Mitglied des Oberversicherungsamts inuß zu­ gleich als Stellvertreter des Direktors für die Kammern für Angestelltenversiche­ rung bestellt werden; für jedes solche Mitglied muß mindestens ein Stelle­ vertreter für die Kammern für Angestelltenversicherung bestellt werden. Der bestellte Vorsitzende und die Stellvertreter sollen durch Vorbildung und Er­ fahrung aus dem Gebiete der Reichsversicherung geeignet sein. Sie sollen be­ sondere Kenntnisse und praktische Erfahrung in der Angestellte-rversicherung besitzen 8 150. Die oberste Verwaltungsbehörde kann bestimmen, daß dem Di­ rektor noch andere Dienstgeschäfte übertragen werden, und daß die übrigen Mitglieder der Kammer für Angestelltenversicherung dns Amt im Neben­ beruf ausüben. 8 151. Die Beisitzer der Kammern für Angestelltenversicherung werden je zur Hälfte aus Vertretern der Versicherten der Angestelltenversicherung und ihrer Arbeitgeber gewählt. Ihre Gesamtzahl muß mindestens Zwölf betragen. Sie kann von der obersten Verwaltungsbehörde des Landes, in dem das Oberversicherungsamt seinen Sitz hat, erhöht werden. Ein Beisitzer darf nicht zugleich nichtständiges Mitglied des Reichsver­ sicherungsamts sein. 8 152. Für Wahl, Rechte und Pflichten der Beisitzer und ihrer Stell­ vertreter gelten die §§ 135 bis 143 entsprechend. Jedoch gehen Beschwerden an die oberste Verwaltungsbehörde. 8 153. Das Oberversicherungsamt bildet einen oder mehrere Spruchkam­ mern für Angestelltenversicherung für diejenigen Angelegenheiten aus der An­ gestelltenversicherung, die dieses Gesetz dem Spruchverfahren überweist. Die Spruchkammer besteht aus einem Mitglied des Oberversicherungs­ amts (§ 149 Abs. 2) als Vorsitzendem und je einem Beisitzer der Arbeitgeber und der Versicherten.

73, Angestelltenversicherungsgesetz v. 28. Mai 1924.

§§ 145—165.

287

§ 154. Das Oberversicherungsamt bildet eine oder mehrere Beschlußkammern für Angestelltenversicherung für diejenigen Angelegenheiten aus der Angestelltenversicherung, die dieses Gesetz dem Beschlußverfahren überweist. Die Beschlußkammer besteht aus dem Vorsitzenden, einem zweiten Mitglied (§ 149 Abs. 2) und zwei Beisitzern. Bei Stimmengleichheit gibt der Vorsitzende den Ausschlag. 8 155. Die oberste Verwaltungsbehörde führt die Aufsicht über die Kam­ mern für Angestelltenversicherung bei dem Oberversicherungsamte. Sie gibt ihnen die erforderlichen Hilfskräfte bei und beschafft ihre Ge­ schäftsräume. Die Beamten des mittleren und unteren Dienstes haben die Rechte und Pflichten der Reichs- oder Landesbeamten, wenn sie im Hauptamt und nicht nur vorübergehend oder zur Vorbereitung beschäftigt werden: das Nähere be­ stimmt die Landesregierung. Der Vorsitzende des Oberversicherungsamts verpflichtet sie auf die ge­ wissenhafte Erfüllung der Amtspflichten, soweit sie nicht bereits durch einen Diensteid verpflichtet sind. 8 156. Für die Kosten der Kammern für Angestelltenversicherung gelten die Vorschriften des § 145. IV. Reichsverficherungsamt. 8 157. Für die Aufgaben der Angestelltenversicherung, die dem Reichs­ versicherungsamt übertragen sind, werden bei dem Reichsvecsicherungsamte Senate für Angestelltenversicherung gebildet. 8 158. Ihre Entscheidungen sind endgültig. 8 159. Die Senate für Angestelltenversicherung be/tehen aus ständigen und nichtständigen Mitgliedern des Reichsversicherungsamts nach den besonde­ ren Vorschriften dieses Gesetzes. 8 160. Die ständigen Mitglieder des Reichsversicherungsamts, die in den Senaten für Angestelltenversicherung tätig sind, werden vom Reichsarbeits­ minister bestellt; sie sollen besondere Kenntnisse und praktische Erfahrung in der Angestelltenversicherung besitzen. 8 161. Die Zahl der nichtständigen Mitglieder des Reichsversicherungs­ amts aus den Arbeitgebern und den Versicherten wird um zwölf vermehrt, die je zur Hälfte aus Vertretern der Versicherten der Angestelltenversicherung und ihrer Arbeitgeber gewählt werden. Für Wahl, Rechte und Pflichten dieser Beisitzer und ihrer Stellvertreter­ gelten die §§ 135 bis 143 entsprechend. Für die Bestrafung und die Amts­ enthebung ist jedoch das Reichsversicherungsamt (Beschlußsenat) zuständig. 8 162. Der Reichsrat bezeichnet aus der Zahl der von ihm gewählten nichtständigen Mitglieder diejenigen, die in die Senate für Angestelltenver­ sicherung eintreten. Erforderlichenfalls kann er zu diesem Zwecke höchstens zwei nichtständige Mitglieder hinzuwählen; entsprechend ist die Zahl der Mit­ glieder erhöht, die der Reichsrat zu entsenden hat. 8 163. Der Reichsarbeitsminister verpflichtet die vom Reichsrat für die Senate für Angestelltenversicherung gewählten nichtständigen Mitglieder, der Präsident des Reichsversicherungsamts die übrigen und ihre Stellvertreter vor ihrer ersten Dienstleistung auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Pflichten. 8 164. Das Reichsversicherungsamt bildet Spruchsenate für Angestellten­ versicherung für diejenigen Angelegenheiten aus der Angestelltenversicherung, die dieses Gesetz dem Spruchverfahren überweist. Der Spruchsenat besteht aus einem Vorsitzenden, einem ständigen Mit­ glied (§ 160), einem hinzugezogenen richterlichen Beamten und je einem Ver­ treter der Versicherten der Angestelltenversicherung und ihrer Arbeitgeber. 8 165. Den Vorsitz im Spruchsenat führt der Präsident oder ein Direktor (§ 160) oder ein Senatspräsident (§ 160). Der Reichsarbeitsminister kann ein anderes ständiges Mitglied (§ 160) vorübergehend mit dem Vorsitz betrauen.

288

Erster Teil.

Strafgesetze.

Die Reichsregierung beruft die richterlichen Beamten zu den Spruch­ senaten 8 16V. Das Reichsversicherungsamt bildet Beschlußsenate für Angestellten­ versicherung für diejenigen Angelegenheiten aus der Angestelltenversicherung, die dieses Gesetz dem Beschlußverfahren überweist. Der Beschlußsenat besteht aus dem Präsidenten, einem Direktor (§ 160) oder einem Senatspräsidenten (§ 160) als Vorsitzendem, einem vom Neichsrat gewählten nichtständigen (§ 162), einem ständigen Mitglied (§ 160) und je einem Vertreter der Versicherten der Angestelltenversicherung und ihrer Arbeitgeber. An Stelle des vom Reichsrat gewählten kann ein ständiges Mitglied f§ 160) treten. 8 167. Für die Kosten der Senate für Angestelltenversicherung beim Reichsversicherungsamte gelten die Vorschriften des § 145 entsprechend. Fünfter Abschnitt.

Deckung -er Leistungen. I. Aufbringung der Mittel.

1. Allgemeines.

8 168. Die Arbeitgeber und Versicherten bringen die Mittel für die Ver­ sicherung auf. Sie entrichten für Zeiten versicherungspflichtiger Beschäftigung und für Krankheitszeiten, in denen die Versicherten das Gehalt fortbezogen haben, Bei­ träge zu gleichen Teilen. Für Versicherte, deren monatliches Entgelt fünfzig Reichsmark nicht übersteigt, sowie für Lehrlinge entrichtet der Arbeitgeber die vollen Beiträge.

8 169. Beitragsmonate sind nur Kalendermonate, für die Beiträge ent­ richtet sind, soweit nicht im § 170 oder im § 382 Abs. 1 etwas anderes be­ stimmt ist. 8 176. Als Beitragsmonate für die Erhaltung der Anwartschaft (§ 54) und als Vormonate für die freiwillige Versicherung (§ 21) (Ersatzzeiten) rechnen nach Entrichtung mindestens eines Beitrags auch ohne weitere Beitragsleistung die Kalendermonate, in denen der Versicherte 1. durch Krankheit zeitweise arbeitsunfähig und nachweislich in seiner Berufstätigkeit verhindert ist und kein Entgelt erhält, 2. zur beruflichen Fortbildung eine staatlich anerkannte Lehranstalt besucht; die oberste Verwaltungsbehörde bestimmt die staatlich anerkannten Lehr­ anstalten im Sinne dieser Vorschrift, 3. in Mobilmachungs- oder Kriegszeiten militärische Dienstleistungen oder freiwillige Kriegskrankenpflege bei der deutschen Wehrmacht verrichtet hat. Wie Krankheitszeit rechnet Genesungszeit und bis zu zwei Monaten eine Arbeitsunfähigkeit, die durch Schwangerschaft oder ein regelmäßig verlaufenes Wochenbett veranlaßt ist. Nicht angerechnet wird eine Krankheit, die sich der Versicherte vorsätzlich oder bei Begehung eines durch Strafurteil festgestellten Verbrechens oder durch schuldhafte Beteiligung bei Schlägereien oder Naufhändeln zugezogen hat. Als Beitragszeit in bezug auf das Erlöschen und das Wiederaufleben der Anwartschaft (§.§ 54, 55) gelten auch die Wochen, für die Beiträge in der In­ validenversicherung entrichtet sind. Dabei werden je vier Beitragswochen der Invalidenversicherung als ein Beitragsmonat der Angestelltenversicherung ge­ rechnet. Dies gilt, abgesehen von § 55 Abs. 3, nicht für solche Beitragswochen der Invalidenversicherung, die mit den in der Angestelltenversicherung zurück­ gelegten Beitragsmonaten voll zusammenfallen. Der Reichsarbeitsminister kann bestimmen, in welchen weiteren Fällen eine Anrechnung von Beitragsmonaten stattfindet, ohne daß Beiträge entrichtet

73. Angestelltenversicherungsgesetz v. 28. Mai 1924.

§§ 166—177.

289

zu werden brauchen. Er kann auch bestimmen, daß die BeitragsmonaLe für die Erfüllung der Wartezeit und bei der Rentenberechnung (§ 56) berücksichtigt werden.

2. Gehalts- und Beitragsklassen.

8 171. Nach der Höhe des monatlichen Arbeitsverdienstes werden für die Versicherungspflichtigen folgende Gehaltsklassen gebildet: Klasse A 'bis ’ ‘ zu 50 -------- ‘ Reichsmark, : als 50 „ 100 „ B 100 „ 200 „ c „ I) 200 „ 300 300 „ 400 „ E 400 Reichsmark „ V Dec Neichsarbeitsministec bestimmt das i Nähere. Ec kann insbesondere Gehaltsklassen an die bestehenden anfügen § 171a. Für freiwillige Beitragsentrichtung (§ 184 Abs 2 Satz 2, § 185) werden die Beitragsklassen G und H gebildet.

8 172. Der Monatsbeitrag beträgt

in Gehaltsklasse A 2 Reichsmark, ,, 4 B . . 8 C . ,, ,, 12 D . . fr E . 16 F . 20 Dec Reichsarbeitsminister kann anordnen, daß Beiträge unter oder über einer bestimmten Gehaltsklasse nrcht entrichtet werden dürfen. Er setzt im Falle des § 171 Abs. 2 Satz 2 die Beiträge für die neuen Gehaltsktassen fest. 8 172 a. Der freiwillige Monatsbeitrag beträgt in der Beitragsklasse G .... 25 Reichsmark, tr rr ft H......................... 30 „ 8 173. Zur Nachprüfung der Beiträge stellt die Reichsversicherungsanstalt in fünfjährigen Zeitabschnitten, erstmalig für den 31. Dezember 1926, eine ver­ sicherungstechnische Bilanz auf. Der Reichsarbeitsnlinister kann nähere Vor­ schriften hierüber erlassen. Das Ergebnis der Prüfung ist dem Reichstag mitzuteilen.

4. Beitragsverfahren.

8 174. Das Beitragsverfahren regelt der Reichsarbeitsminister nach An­ hören der Reichsversicherungsanstalt, soweit nicht im folgenden etwas anderes bestimmt ist. a) Marken.

8 175. Zur Beitcagsleistung gibt die Reichsvecsicherungsanstalt Macken aus.

Ungültig gewordene Marken können binnen drei Monaten nach Ablauf der Gültigkeitsdauer bei den Verkaufsstellen umgetauscht werden. b) Versicherungskarte.

8 176. Die Beiträge werden durch Einkleben der Marken in die Vepsicherungskarte entrichtet; Ausnahmen kann der Reichsarbeitsminister nach An­ hören der Reichsversicherungsanstalt regeln. 8 177. Der Versicherte läßt sich die Versicherungskarte ausstellen und legt sie dem Arbeitgeber zum Einkleben der Marken rechtzeitig vor. Die Polizeibehörde kann ihn dazu durch Zwangsstrafen in Geld anhalten. Hat er keine Versicherungskarte oder verweigert ec ihre Vorlage, so kann sie der Arbeitgeber beschaffen und die Kosten, nachdem sie ihm bekannt ge* worden sind, bei der nächsten Gehaltszahlung abziehen. All selb, Strafgesetzgebung. 3. Aufl.

19

290

Erster Teil.

Strafgesetze

8 178. Der Reichsarbeitsminister bestimmt nach Anhören der Neichsversicherungsanstalt mit Zustimmung des Reichsrats, wer die Versicherungskarten ausstellt, umtauscht, ersetzt und aufrechnet (Ausgabestellen). Die Länder können andere Stellen bestimmen. 8 179. Die Versicherungskarte soll binnen drei Jahren nach dem Aus­ stellungstage zum Umtausch eingereicht werden. Der Versicherte, der dies ver­ säumt, muß im Streitfall beweisen, daß die Anwartschaft erhalten ist 8 180. Die Versicherungskarte darf nur die gesetzlich vorgeschriebenen An­ gaben enthalten und sonst keine Merkmale tragen; vor allem darf sich aus ihr nichts über Führung oder Leistungen des Inhabers ergeben Zulässig ist ein Vermerk des Wahlvorstandes, daß die Wahl ausgeübt ist. 8 181. Niemand darf eine Versicherungskarte gegen den Willen des In­ habers zurückbehalten. Wer dagegen verstößt, ist dem Berechtigten schadens­ ersatzpflichtig. Die Ortspolizeibehörde nimmt ihm die Karte ab und händigt sie dem Berechtigten aus. Dies gilt nicht, wenn eine zuständige Stelle die Karte zum Umtausch oder zu anderen Amtshandlungen zurückbehält. c) Beitragsentrichtung durch Arbeitgeber.

8 182. Der Arbeitgeber, der den Versicherten den Kalendermonat hin­ durch beschäftigt, hat für sich und ihn den Beitrag zu entrichten.

8 183. Unbeschadet des § 168 Abs. 2 muß sich der Versicherungspslichtige bei der Gehaltszahlung die Hälfte des Beitrags, und wer sich über die gesetz­ liche Gehaltsklasse hinaus versichert (§ 184 Abs. 2), ohne die höhere Gehalts­ klasse mit dem Arbeitgeber vereinbart zu haben, auch den Mehrbetrag vom Ge­ halt abziehen lassen. Der Arbeitgeber darf nur auf diesem Wege den Beitrags­ teil des Versicherten wieder einziehen. Die Abzüge sind auf die Gehaltszeiten gleichmäßig zu verteilen. Teilbeträge sind auf volle Goldpfennig für den Arbeit­ geber aufzurunden, für den Angestellten abzurunden. Unterbliebene Abzüge dürfen bei der nächsten Gehaltszahlung nachgeholt werden, weiter zurück nur, wenn der Arbeitgeber die Beiträge schuldlos nach­ entrichtet Arbeitgeber, gegen die eine Anordnung des Versicherungsamts nach § 398 der Reichsversicherungsordnung ergangen Ist, dürfen Gehaltsabzüge nur für die Zeit machen, für die sie die Beiträge nachweislich bereits entrichtet haben. Abschlagszahlungen gelten nicht als Gehaltszahlungen im Sinne dieser Vorschriften. d) Beitragsentrichtung durch Versicherte.

8 184. Versicherungspflichtige, die nur einen Teil des Kalendermonats bei einem Arbeitgeber oder die bei mehreren Arbeitgebern im Kalendermonate beschäftigt sind (Teilbeschäftigte), haben selbst die Pflichten der Arbeitgeber zu erfüllen. Sie können bei der Gehaltszahlung von jedem Arbeitgeber einen ver­ hältnismäßigen Anteil der Arbeitgeberhälfte des Beitrags als dessen Beitrags­ anteil verlangen. Satz 1 gilt auch für Versicherungspflichtige im Sinne des § 4 «Nr. 2 und § 6, der Satz 2 sinngemäß auch für Versicherungspflichtige im Sinne des § 4 Nr. 2. Auch sonst kann der versicherungspflichtige Angestellte die vollen Bei­ träge selbst entrichten. Die Wahl einerhöheren als der gesetzlichen Gehaltsklasse steht ihm frei; der Arbeitgeber hat ihm aber nur die Hälfte der gesetzlichen Beiträge zu erstatten, die Hälfte höherer Beiträge nur, wenn die Versicherung in einer höheren Gehaltsklasse vereinbart ist. Der Erstattungsanspruch besteht nur, wenn die Marke vorschriftsmäßig entwertet ist, und bis zur zweitfolgenden Gehaltszahlung, später nur, wenn der Versicherte schuldlos Beiträge nachentrichtet. 8 185. Die freiwillige Weiterversicherung ist nicht unter derjenigen Ge­ haltsklasse zulässig, die dem Durchschnitt der letzten vier Pflichtbeiträge ent­ spricht oder am nächsten kommt. Sie ist in einer niedrigeren Gehaltsklasse zu-

73. Angestelltenversicherungsgesetz v. 28. Mai 1924.

§§ 178—191.

291

lässig, wenn der Versicherte nachweist, daß diese Gehaltsklasse seinem Einkom­ men entspricht. Im Falle der Selbstversicherung (§ 22) sind die Beiträge nicht unter der dem jeweiligen Einkommen entsprechenden Gehaltsklasse zu entrichten. § 186. Wer sich während einer nur mit Sachbezügen bezahlten oder-nur vorübergehenden Beschäftigung (§§ 9, 10) freiwillig versichert, 'hat Anspruch auf den Beitragsteil des Arbeitgebers. Dieser braucht nicht mehr zu erstatten, als er für eine versicherungspflichtige Beschäftigung erstatten müßte. e) Unwirksame Beiträge.

§ 187. Unwirksam sind Pflichtbeiträge, die nach zwei Jahren, falls aber die Beitragsleistung ohne Verschulden des Versicherten unterblieben, ist, nach vier Jahren seit der Fälligkeit entrichtet werden. Den Versicherten trifft kein Verschulden, wenn der Arbeitgeber die Versicherungskarte aufbewahrt und sie nicht zur richtigen Zeit ordnungsmäßig um­ getauscht hat. 8 188. Freiwillige Verträge und Beiträge über die gesetzliche Gehaltsklasse hinaus dürfen, vorbehaltlich des § 55 Abs 1, für mehr als ein Jahr zurück nicht entrichtet werden, ebensowenig nach Eintritt der Berufsunsähigkeit. 8 189. Der Entrichtung der Beiträge im Sinne der §§ 187, 188 steht gleich 1 die von einer zuständigen Stelle an den Arbeitgeber gerichtete Mahnung, 2. die Bereiterklärung des Arbeitgebers oder des Versicherten zur Nach­ entrichtung gegenüber einer solchen Stelle, wenn die Beiträge in einer angemessenen Frist nachentrichtet werden. Zeiträume, in denen eine Beitragsstreitigkeit (§,§ 194, 195) oder ein Rentenverfahren schwebt, werden in die Fristen der §§ 187, 188 nicht ein­ gerechnet. Diese Tatsachen unterbrechen auch die Verjährung rückständiger Beiträge. 8 190. Sind die Marken einer richtig ausgestellten und rechtzeitig zum Umtausch eingereichten Versicherungskarte ordnungsmäßig verwendet, so wird vermutet, daß während der belegten Beitragszeit ein Bersicherungsverhältnis bestanden hat. Dies gilt nicht, wenn die Marken über einen Monat nach Fälligkeit der Beiträge oder für das Kalenderjahr in größerer Zahl eingeklebt sind, als es Beitragsmonate hat. Hat die Reichsversicherungsanstalt die Versicherungspslicht oder die Versicherungsberechtigung anerkannt, so kann der Rentenanspruch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, daß die Marken nicht zu Unrecht verwendet sind. Der Versicherte kann von der Reichs­ versicherungsanstalt die Feststellung der Gültigkeit der verwendeten Marken ver­ langen. Nach Ablauf von zehn Jahren seit Aufrechnung der Versicherungskarte kann die rechtsgültige Verwendung der in der Aufrechnung bescheinigten Marken nicht mehr beanstandet werden, es sei denn, daß der Versicherte oder sein Ver­ treter oder ein zur Fürsorge für ihn Verpflichteter die Verwendung der Mar­ ken in betrügerischer Absicht herbeigeführt hat. Sind für einen Versicherten Beiträge zur Angestelltenversicherung entrichtet, obwohl er invalidenversiche-i rungspflichtig ist, so dürfen die zur Angestelltenversicherung entrichteten Bei­ träge nur insoweit beanstandet werden, als die Nachentrichtung von Beiträgen zur Invalidenversicherung (§ 1442 der Reichsversicherungsordnung) statthaft ist.

f) Irrtümlich geleistete Beiträge.

8 191. Beiträge, die in der irrtümlichen Annahme der BeosicherungsPflicht entrichtet sind und nicht zurückgefordert werden, gelten als Beiträge der Weiterversicherung oder Selbstversicherung, wenn das Recht dazu in der Zeit der Entrichtung bestanden hat. Der Versicherte kann die Beiträge binnen zehn Jahren nach der Ent­ richtung zurückfordern, wenn ihm nicht schon Ruhegeld oder sonstige Rente rechtskräftig bewilligt ist und die Marken nicht in betrügerischer Absicht ver­ wendet sind.

292

Erster Teil.

Strafgesetze.

Der Arbeitgeber kann die Beiträge nicht mehr zurückfordern, wenn der Versicherte ihm den Wert seines Anteils erstattet hat oder seit der Entrichtung zwei Jahre verflossen sind.

g) Einzugsverfahren. Der Neichsarbeitsminister kann nach Anhören der Reichsversicherungsanstalt mit Zustimmung des Reichsrats das Einzugsverfahren (§§ 1447 ff. der Reichsversicherungsordnung) anordnen, wo es für die In­ validenversicherung besteht, oder aufheben. Die Reichsversicherungsanstalt hat den Einzugsstellen eine Vergütung zu gewähren. Sie wird bei Streit vom Reichsarbeitsminister festgesetzt.

8 192.

h) Beitragsstreit Entsteht zwischen den Versicherungsträgern der Angestelltenver­ sicherung und der Invalidenversicherung außerhalb eines Leistungsfeststellungs­ verfahrens Streit darüber, ob der Versicherungspflichtige der Angestellten­ oder Invalidenversicherung zu unterstellen ist, so ist die schriftlich einzuholende gemeinsame Erklärung des Arbeitgebers und Arbeitnehmers maßgeblich. Wird eine Erklärung auf Anfordern der beiden Versicherungsträger binnen einer zu bestimmenden Frist nicht abgegeben, oder können Arbeitgeber und Arbeit­ nehmer über die Unterstellung sich nicht einigen, so wird im Beitragsstreitverfahren entschieden. 8 194. Bei Streit über die Beitragsleistung entscheidet, wenn er nicht bei der Festsetzung der Leistungen hervortritt, das für den Beschäftigungsort zu­ ständige Versicherungsamt und auf Beschwerde das Oberversicherungsamt. Handelt es sich um eine noch nicht feststehende Auslegung gesetzlicher Vor­ schriften von grundsätzlicher Bedeutung, so gibt das Oberversicherungsamt die Sache unter Begründung seiner eigenen Ansicht an das Reichsversicherungsamt ab, wenn es der Beschwerdeführer innerhalb der Beschwerdesrist beantragt hat. Auch andere Beteiligte können diesen Antrag binnen einer Woche stellen, nachdem sie die Gelegenheit, sich zu äußern, erhalten haben. Das OberversicheruNgsamt kann die Sache auch ohne Antrag abgeben; es hat sie abzu­ geben, wenn es von einer amtlich veröffentlichten grundsätzlichen Entscheidung des Reichsversicherungsamts abweichen will. Das Reichsversicherungsamt ent­ scheidet in diesen Fällen statt des Oberversicherungsamts. Handelt es sich um die Zugehörigkeit zur Angestellten- oder Invaliden­ versicherung, so ist im Verfahren der Angestelltenversicherung zu entscheiden, und zwar auch über die Zugehörigkeit zur Invalidenversicherung. Die Ent­ scheidung ist für beide Versicherungszweige bindend. Den beteiligten Bersicherungsträgern ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben; sie können Rechts­ mittel einlegen und den Abgabeantrag nach Abs. 2 stellen. 8 195. Allen anderen Streit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern über Berechnung und Anrechnung, Erstattung und Ersatz von Beiträgen ent­ scheidet das Versicherungsamt endgültig. 8 196. Ist der Streit endgültig entschieden, so sorgt das Versicherungsamt dafür, daß zuwenig erhobene Beiträge nachträglich durch Marken gedeckt werden. Zuviel erhobene, die noch zurückgefordert werden können (§ 191), zieht es von der Reichsversicherungsanstalt auf Antrag wieder ein und zahlt sie den Beteiligten zurück. Die Marken werden vernichtet und die Aufrechnungen berichtigt. Der Reichsarbeitsminister kann Abweichendes bestimmen. 8 197. Statt die Marken zu vernichten, kann das Bersicherungsamt die Bersicherungskarte einziehen und das Gültige auf eine neuausgestellte über­ tragen lassen. Der Reichsarbeitsminister kann Abweichendes bestimmen. 8 198. Wenn die Pflicht oder das Recht zur Versicherung endgültig ver­ neint ist, erhalten die Beteiligten die noch nicht verfallenen Beiträge auf Antrag zurück. § 191 wird hierdurch nicht berührt.

8 193.

73. Angestelltenversicherungsgesetz v 28. Mai 1924.

§§ 192—205.

293

i) Überwachung. Die Reichsversicherungsanstalt überwacht die rechtzeitige und pollständige Entrichtung der Beiträge. 8 200. Die Arbeitgeber haben der Neichsversicherungsanstalt und dem Versicherungsamte sowie den Beauftragten beider über alle die Versicherung be­ treffenden Tatsachen Auskunft zu geben, insbesondere über Zahl und Per­ sonalien der Beschäftigten, über Ort, Art und Dauer der Beschäftigung und den Arbeitsverdienst. Geschäftsbücher und Listen, aus denen die für die Über­ wachung erforderlichen Tatsachen hervorgehen, haben sie den Überwachungs­ beamten der Reichsversicherungsanstalt auf Anfordern möglichst während der Geschäftszeit an Ort und Stelle vorzulegen. Auch die Versicherten haben über alle die Versicherung betreffenden Tat­ sachen Auskunft zu geben, insbesondere über ihre Personalien, Oct, Art und Dauer ihrer Beschäftigung sowie den Arbeitsverdienst. Arbeitgeber und Versicherte sind verpflichtet, diesen Behörden und Be­ auftragten auf Erfordern die Versicherungskarten zur Prüfung und Berichtigung vorzulegen und gegen Empfangsschein auszuhändigen. Die Reichsversicherungsanstalt kann die Arbeitgeber und die Versicherten durch Zwangsstrafen in Geld zur Erfüllung dieser Pflichten anhalten. Auf Beschwerde entscheidet das Oberversicherungsamt (Beschlußkammer).

§ ISS.

8 201. Die Reichsversicherungsanstalt kann mit Genehmigung des Reichs­ arbeitsministers Überwachungsvorschriften erlassen. Der Reichsarbeitsminister kann den Erlaß solcher Vorschriften anordnen oder sie selbst erlassen. Die Reichsversicherungsanstalt kann Arbeitgeber und Versicherte zur Befolgung sol­ cher Vorschriften durch Zwangsstrafen in Geld anhalten. Auf Beschwerde ent­ scheidet das Oberverficherungsamt (Beschlußkammer) 8 202< Entstehen durch die Überwachung bare Auslagen, so können sie dem Arbeitgeber auferlegt werden, wenn er sie durch Pflichtversäumnis ver­ ursacht hat. Auf Beschwerde entscheidet das Oberversicherungsamt. Die Kosten werden wie Gemeindeabgaben beigetrieben. k) Besondere Vorschriften.

8 203. Der Reichsarbeitsminister kann für die Besatzung ausländischer Binnenschiffe die Vorschriften dieses Abschnitts mit Zustimmung des Reichsrats durch andere Bestimmungen ersetzen.

II. Vermögen. 8 204. Die Mittel der Neichsversicherungsanstalt dürfen nur für die ge­ setzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Zwecke verwendet werden. Die Einnahmen und Ausgaben sind gesondert zu verrechnen, die Be­ stände gesondert zu verwahren. Die Reichsversicherung darf nur die ihr gesetzlich übertragenen Geschäfte übernehmen.

8 205. Das Vermögen der Reichsversicherungsanstalt muß verzinslich und, soweit Anlagemöglichkeit vorhanden ist, auch wertbeständig angelegt wer­ den. Die Anlegung kann erfolgen 1. in verbrieften Forderungen gegen das Reich oder ein Land oder gegen eine Kreditanstalt des Reichs oder eines Landes sowie in Forderungen, die in das Schuldbuch des Reichs oder eines Landes eingetragen sind, 2. in verbrieften Forderungen, deren Verzinsung vom Reiche oder von einem Lande oder einer Kreditanstalt des Reichs oder eines Landes ge­ währleistet ist, 3. in Forderungen, für die eine sichere Hypothek an einem inländischen Grundstück besteht, oder in sicheren Grundschulden oder Rentenschulden an inländischen Grundstücken, 4. in Wertpapieren, insbesondere Pfandbriefen sowie in verbrieften Forde­ rungen jeder Art gegen eine inländische Körperschaft des öffentlichen

294

Erster Teil.

Strafgesetze.

Rechtes oder die Kreditanstalt einer solchen Körperschaft, sofern die Wert­ papiere oder die Forderungen vom Reichsrat zur Anlegung von Mündel­ geld für geeignet erklärt sind, 5. in Wertpapieren, die landesgesetzlich zur Anlegung von Mündelgeld zu­ gelassen sind, 6. in solchen auf den Inhaber lautenden Pfandbriefen deutscher HypothekenAktienbanken, welche die Reichsbank in Klasse I beleiht, 7. in verbrieften Forderungen unter Verpfändung solcher Wertpapiere oder Hypotheken, in denen eine Anlegung nach Nr. 1 bis 5 zulässig ist, nach den Grundsätzen der Darlehnskassen des Reichs oder der Reichsbank, 8. bei einer inländischen öffentlichen Sparkasse, wenn sie von der zuständigen Behörde des Landes, in dem sie ihren Sitz hat, zur Anlegung von Mün­ delgeld für geeignet erklärt ist, 9. bei der Reichsbank, einer Staatsbank oder einer anderen, durch Gesev dazu für geeignet erklärten inländischen Bank, soweit die Anlegung nicht bereits nach Nr. 1 und 4 zulässig ist, 10. in verbrieften Forderungen gegen inländische Körperschaften des öffent­ lichen Rechtes, soweit sie nicht unter Nr. 4 fallen, sowie gegen Schul- und Kirchengemeinden, sofern diese Forderungen entweder von feiten des Gläubigers kündbar sind oder einer regelmäßigen Tilgung unterliegen, 11. in verbrieften Forderungen, für die eine nach Nr. 4 in Frage kommende Körperschaft des öffentlichen Rechtes oder die Kreditanstalt einer solchen Körperschaft oder eine öffentliche Sparkasse der in Nr. 8 bezeichneten Art oder eine der in Nr. 9 genannten Banken die selbstschuldnerische Bürg­ schaft übernimmt, 12. in verbrieften kurzfristigen Forderungen, für die eine ausreichende Sicherheit besteht. Außerdem kann das Vermögen angelegt werden in inländischen Grund­ stücken, in Darlehen für gemeinnützige Zwecke oder in Beteiligung an Unter­ nehmen für solche Zwecke. Als gemeinnützige Unternehmen sind auch Genossen­ schaften und ihre Zentralen anzusehen, deren Tätigkeit satzungsmäßig aus­ schließlich oder vorwiegend den Versicherten der Angestellten- und Invaliden­ versicherung zugute kommt. Der Reichsarbeitsminister kann widerruflich gestatten, daß zeitweilig ver­ fügbare Bestände in anderer Weise angelegt werden. 8 206. Die Sicherheit einer Hypothek, einer Grundschuld oder Renten­ schuld darf angenommen werden, wenn die Beleihung die ersten zwei Drittel des Wertes des Grundstücks nicht übersteigt. Die Beleihung ist in der Regel nur zur ersten Stelle zulässig. 8 267. Beleihungen von Bauplätzen und solchen Neubauten, die noch nicht vollendet und ertragsfähig sind, sowie von Grundstücken, die einen dauernden. Ertrag nicht gewähren, insbesondere von Gruben, Brüchen und Bergwerken^ sind unzulässig. Der Reichsarbeitsminister kann für besondere Fälle Aus­ nahmen zulassen. 8 208. Der bei der Beleihung angenommene Wert des Grundstücks darf den durch sorgfältige Ermittlung sestgestellten gemeinen Wert nicht übersteigen. Bei der Feststellung dieses Wertes sind nur die dauernden Eigenschaften des Grundstücks und der Ertrag zu berücksichtigen, den das Grundstück bei ordnungs­ mäßiger Wirtschaft jedem Besitzer nachhaltig gewähren kann. 8 209. Der Reichsarbeitsminister kann allgemeine Anordnungen für die Vermögensanlagen der im § 205 Abs. 1 Nr. 11, 12 und Abs. 2 genanntem Art treffen, insbesondere Höchstbeträge für die Gesamtanlagen festsetzen. 8 210. Die Errichtung von Gebäuden bedarf der Genehmigung des Reichs­ arbeitsministers. Er kann bestimmen, bis zu welchen Beträgen es einer Geneh­ migung nicht bedarf.

73. Angestelltenverstcherungsgesetz v. 28. Mai 1924.

§§ 206—217.

295

§ 211. Die Reichsregierung bestimmt den Betrag, bis zu dem das Ver­ mögen in den im § 205 Nr. 1 genannten Forderungen anzulegen ist; dieser Betrag darf jedoch fünfundzwanzig vom Hundert des Vermögens nicht über­ steigen. g 212. Rückstände werden wie Gemeindeabgaben beigetrieben. Nach deu landesgesetzlichen Vorschriften regelt sich auch die aufschiebende Wirkung der Einwendungen gegen die Zahlungspflicht. Dem Beitreibungsverfahren hat ein Mahnverfahren vorauszugehen, so­ weit es nicht bereits landesgesetzlich vorgeschrieben ist. Hierfür darf eine Mahn­ gebühr erhoben werden. Sie wird wie Rückstände beigetrieben. Die Festsetzung ihres Betrags bedarf der Genehmigung des Reichsarbeitsministers. Rückstände haben das Vorzugsrecht des § 61 Nr 1 der Konkursordnung. § 213. Der Anspruch auf Rückstände verjährt, soweit sie nicht absichtlich hinterzogen worden sind, in zwei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs der Fälligkeit Der Anspruch auf Rückerstattung von Beiträgen verjährt in sechs Mo­ naten nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie entrichtet worden sind, vorbehaltlich dos & 1 handeln vor Gericht gestattet ist (§ 157 der Zivilprozeßordnung), auch nicht für solche Personen, die zur geschäftsmäßigen Rechtsvertretung vor den Ver­ sicherungsämtern und Oberversicherungsämtern zugelassen sind, sowie für Ver­ treter wirtschaftlicher Vereinigungen der Arbeitgeber ober Arbeitnehmer, über die Zulassung entscheidet das Oberversicherungsamt, auf Beschwerde die oberste Verwaltungsbehörde. Die Zulassung darf nur versagt werden, wenn ein wichtiger Grund vor­ liegt; sie darf nicht versagt werden aus Gründen, die sich auf die religiöse oder politische Betätigung des Antragstellers stützen. 8 240. Die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes über dle Aufrecht­ erhaltung der Ordnung in der Sitzung (§§ 175 bis 180, 182) gelten ent-sprechend. Über Beschwerden gegen Ordnungsstrafen entscheidet das Oberversiche­ rungsamt. 8 241. Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 218 bis 228 entsprechend. 8 242. Ist der Antragsteller auf Anordnung des Versicherungsamts in der mündlichen Verhandlung erschienen, so werden ihm auf Verlangen bare* Auslagen und Zeitverlust vergütet; sie können vergütet werden, wenn er ohne Anordnung erscheint und das Versicherungsamt das Erscheinen für erforderlich hält. Auf Beschwerde gegen die Verfügung, welche die Vergütung festsetzt oder ablehnt, entscheidet das Oberversicherungsamt. War der Antragsteller ohne Anordnung erschienen, so gilt die Vergütung als abgelehnt, wenn das Versicherungsamt nicht ausdrücklich feststellt, daß das Erscheinen erforderlich war. In diesem Falle findet Beschwerde nicht statt. 8 243. Über die mündliche Verhandlung wird eine Niederschrift aus­ genommen. 8 244. Eine mündliche Verhandlung findet nicht statt, wenn es sich handelt um

73. Angestelltenversicherungsgesetz v. 28. Mai 1924.

§§ 234—251.

299

Altersruhegeld, Witwen- und Waisenrente, Abfindung oder Erstattung, Fälle, in denen der Versicherungsträger und der Berechtigte einig sind. Die Verordnung über Geschäftsgang und Verfahren (§ 312 Abs. 1) kann weitere Fälle bestimmen, in denen eine mündliche Verhandlung nicht statt­ findet. 8 245. Nach der mündlichen Verhandlung erstattet das Versicherungsamt das Gutachten und übersendet es der Reichsversicherungsanstalt mit den Ver­ handlungen. 8 246. Soll Ruhegeld oder eine sonstige Rente entzogen oder eingestellt werden, so hat die Reichsversicherungsanstalt die Sache an das Versicherungs­ amt zur Begutachtung abzugeben, wenn der Berechtigte es beantragt. Auch ohne Antrag ist die Abgabe zulässig. Die §§ 218 bi$ 245 gelten alsdann ent­ sprechend. Für die Zuständigkeit des Versicherungsamts gelten die §§ 215 bis 217 entsprechend. Eine mündliche Verhandlung findet nicht statt, wenn es sich um das Ruhen des Ruhegeldes oder einer sonstigen Rente handelt. 8 247. Das Versicherungsamt benachrichtigt die Reichsversicherungsan-stalt, wenn es erfährt, daß ein Versicherter durch ein Heilverfahren vor der Berufsunfähigkeit be­ wahrt werden kann, der Empfänger eines Ruhegeldes durch ein Heilverfahren wieder berufs­ fähig werden kann, das Ruhegeld oder eine sonstige Rente zu entziehen ist oder zu ruhen hat

2 Bescheiderteilung. 8 248. Das Direktorium der Reichsversicherungsanstalt stellt die Leistun­ gen der Angestelltenversicherung fest. 8 249. Wird der angemcldete Anspruch anerkannt oder abgelehnt, so ist ein schriftlicher Bescheid zu erteilen. Er ist zu begründen und zu unterschreiben. Die Unterschrift des Präsidenten des Direktoriums oder eines Direktoriums­ mitglieds genügt. Das Direktorium kann zur Unterzeichnung auch andere Be­ amte des höheren Dienstes bei der Rerchsversicherungsanstalt bestellen. Der Reichsarbeitsminister kann nach Anhören der Reichsversicherungsanstalt über die Beurkundung der Feststellungsbeschlüsse sowie über die Unterzeichnung und Ausfertigung des Bescheids Näheres bestimmen. Wird der Anspruch abgelehnt, so erhält der Berechtigte auf Antrag kosten­ los eine Abschrift des etwa vom Versicherungsamt erstatteten Gutachtens. Ferner erhält er auf Antrag Abschriften der Niederschriften über Zeugenund Sachverständigenvernehmungen sowie der ärztlichen Gutachten; die Kosten hat er vorher zu zahlen. Sämtliche Abschriften sind nur zu erteilen, soweit dies mit Rücksicht auf den Berechtigten zulässig erscheint. Auf Beschwerde ent­ scheidet das Oberversicherungsamt. Wird eine Rente gewährt, so ist in dem Bescheid ihre Hohe, ihr Beginn und die Art ihrer Berechnung anzugeben. Der Bescheid muß den Vermerk enthalten, daß. er rechtskräftig wird, wenn der Berechtigte nicht binnen einem Monat (§ 324) nach Zustellung des Bescheids Berufung bei dem Oberversicherungsamt einlegt.

8 250. Die §§ 248, 249 gelten entsprechend, wenn eine Rente entzogen oder eingestellt oder ihr Ruhen festgestellt werden soll. 8 251. Ist ein Antrag auf Ruhegeld endgültig abgelehnt worden, weil dauernde Berufsunsähigkeit nicht nachweisbar war, oder ist Ruhegeld rechts­ kräftig entzogen, weil Berufsunsähigkeit nicht mehr vorlag, so kann der Antrag erst ein Jahr, nachdem die Entscheidung zugestellt worden ist, vorher nur dann wiederholt werden, wenn glaubhaft bescheinigt wird, daß inzwischen Umstände eingetreten sind, die den Nachweis der Berufsunfähigkeit liefern.

300

Erster Teil. Strafgesetze.

Wird die Bescheinigung nicht beigebracht, so wird der vorzeitig wiederholte Antrag zurückgewiesen. Der Bescheid ist nicht anfechtbar. 3. Verfahren vor dem Oberversicherungsanrte.

8 252. Gegen Bescheide der Reichsversicherungsanstalt ist das Rechtsmittel der Berufung an das Oberversicherungsamt (Spruchkammer) zulässig.

8 253. Hat ein Versicherungsamt bei der Vorbereitung der Sache mitge­ wirkt so entscheidet über die Berufung das übergeordnete Oberversicherungsamt. Andernfalls gelten die §§. 215 bis 217 für die Zuständigkeit des Oberver­ sicherungsamts entsprechend. 8 254. Die Entscheidung ergeht auf Grund mündlicher Verhandlung por der Spruchkammer. 8 255. Der Vorsitzende kann in allen Sachen ohne mündliche Verhand­ lung eine Vorentscheidung treffen. Dies gilt auch für den Fall, das; eine Beaveiserhebung stattgefunden hat. 8 256. Gegen die Vorentscheidung kann entweder dasjenige Rechtsmittel, welches gegen das Urteil zulässig wäre, eingelegt oder binnen der gleichen Frist der Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt werden. Die Vorentscheidung muß hierauf unter Angabe der Frist Hinweisen. Ist der Antrag auf nründliche Verhandlung verspätet gestellt, so wird er als unzulässig verworfen 8 257. Ist von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, so findet münd­ liche Verhandlung statt. Die Vorentscheidung steht für das Rechtsmittel und die Wiederaufnahme d-es Verfahrens einem Urteil gleich, wenn mündliche Ver­ shandlung nicht beantragt worden ist. 8 258. Für das Verfahren über die Berufung gelten die Vorschriften über das Verfahren vor dem Versicherungsamt entsprechend, soweit nicht die §§ 259 ff. etwas anderes vorschreiben. 8 259. Wenn der Versicherte oder seine Hinterbliebenen beantragen, daß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werde, kann das Oberversicherungsamt, falls es diesem Antrag stattgeben will, die Anhörung von der Bedingung ab­ hängig machen, daß der Antragsteller die Kostet: vorschießt und, falls das Ober­ versicherungsamt nicht anders entscheidet, sie endgültig trägt. 8 266. Die Beisitzer werden zu den Verhandlungen der Spruchkammer nach einer im voraus aufgestellten Reihenfolge zugezogen. Das Nähere be­ stimmt die oberste Verwaltungsbehörde. Beisitzer, die in die Beschlußkammer gewählt sind, sind entsprechend seltener zu den Verhandlungen der Spruchkam­ mer zuzuziehen. Will der Vorsitzende von der Reihenfolge aus besonderer: Gründen ab­ weichen, so hat er sie in den Akten zu vermerken. 8 261. Für den Ausschluß und die Ablehnung der Beisitzer gelten die §§ 233 bis 237 entsprechend. Jedoch entscheidet über die Ablehnung stets der Vorsitzende. Erklärt er den Antrag für begründet, so ist die Entscheidung end­ gültig. Lehnt er den Antrag ab, so kann die Entscheidung nur mit der Ent­ scheidung in der Hauptsache angefochten werden. 8 262. Hängt der Anspruch von einem familienrechtlichen oder erbrecht­ lichen Verhältnis ab, so kann der Vorsitzende den Beteiligten aufgeben, das Verhältnis im ordentlichen Rechtsweg feststellen zu lassen. Er bestimmt zugleich, bis wann die Klage zu erheben ist; die Frist kann auf Antrag verlängert werden. 8 263. Das Urteil der Spruchkammer wird öffentlich verkündet, auch wenn die Öffentlichkeit der Verhandlung ausgeschlossen war. Es wird mit Gründen versehen, von dem Vorsitzenden unterschrieben, ausgefertigt und den Parteien zugestellt. 8 264. Die mündliche Verhandlung ist öffentlich. Die Öffentlichkeit kann aus Gründen des öffentlichen Wohles oder der Sittlichkeit ausgeschlossen werden; der Beschluß ist öffentlich zu verkünden.

73. Angestelltenversicherungsgesetz v. 8. Mai 1924.

§§ 252 —275.

301

8 265. Schreib- und Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die im Urteil vorkommen, sind jederzeit auf Antrag oder von Amts wegen zu berichtigen. Der Vorsitzende entscheidet ohne mündliche Verhandlung, ob zu berich­ tigen ist. Berichtigt er, so wird die Verfügung auf der Urschrift des Urteils und den Ausfertigungen vermerkt. Über die Verfügung kann sich der Beteiligte beim Reichsversicherungsamte beschweren. Die Verfügung, die eine Berichtigung ablehnt, ist unanfechtbar. 8 266. Hat das Urteil einen von einer Partei erhobenen Haupt- oder Nebenanspruch ganz oder teilweise übergangen, so wird es auf Antrag nach­ träglich ergänzt. Über den Antrag kann, auch wenn der Fall des §| 244 nicht vorliegt, ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, wenn es sich um einen Nebenanspruch handelt. Die ergänzende Entscheidung wird auf der Urschrift des Urteils und den Ausfertigungen vermerkt. 8 267. Hebt die Spruchkammer den angefochtenen Bescheid auf, weil das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet, so kann sie die Sache an die Reichsversicherungsanstalt zurückverweisen. Dabei kann sie die Gewährung einer vorläufigen Leistung anordnen. 8 268. Steht es fest, daß das Urteil mit der Revision nicht angegriffen werden kann (§ 271), so vermerkt der Vorsitzende unter Hinweis auf die ge­ setzlichen Vorschriften am Schlüsse des ,Urteils, daß hiergegen kein Rechtsmittel mehr zulässig ist. 8 269. Will ein Oberversicherungsamt in einem Falle, in dem die Re­ vision ausgeschlossen ist (§ 271), von einer amtlich veröffentlichten grundsätzflichen Entscheidung des Reichsversicherungsamts abweichen, oder handelt es sich in einem solchen Falle um eine noch nicht festgestellte Auslegung gesetzt licher Vorschriften von grundsätzlicher Bedeutung, so hat es die Kache unter Begründung seiner Rechtsauffassung an das Reichsversicherungsamt abgegeben. Das Reichsversicherungsamt entscheidet in diesen Fällen an Stelle des Ober­ versicherungsamts. Von der Abgabe der Sache sind die Beteiligten zu benach­ richtigen. 4.

Verfahren

vor

dem

Reichsversicherungsamte.

8 270. Gegen das Urteil des Oberversicherungsamts ist Revision zu­ lässig.

8 271. Die Revision ist ausgeschlossen, wenn es sich handelt um Höhe, Beginn und Ende von Ruhegeld, Hinterbliebenenrente, Abfindung oder Erstattung, Kosten des Verfahrens. 8 272. Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß 1. das angefochtene Urteil auf der Nichtanwendung oder auf der unrichtigen Anwendung des bestehenden Rechtes oder auf einem Vorstoße wider den klaren Inhalt der Akten beruhe, 2. das Verfahren an wesentlichen Mängeln leide. 8 273. Für das Verfahren über die Revision gelten die Vorschriften über das Verfahren vor dem Oberversicherungsamt entsprechend, soweit nicht die §§ 274 ff. etwas anderes vorschreiben. Die §§ 255 bis 257 gelten nicht. 8 274. Bezieht sich eine im übrigen zulässige Revision einer Partei auch auf Ansprüche, für die das Rechtsmittel ausgeschlossen ist, so darf über sie nur dann entschieden werden, wenn den zulässigen Revisionsanträgen ganz oder zum Teil entsprochen wird. 8 275. Über die Revision entscheidet das Reichsversicherungsamt (Spruch­ senat). 1. 2. 3. 4.

302

Erster Teil. Strafgesetze.

8 276. Die Revision ist schriftlich einzulegen; sie soll die Revisions­ gründe angeben. Das angefochtene Urteil kann auch aus anderen Gründen ge­ ändert werden, als in der Revision angegeben ist. 8 277. Die Revision bewirkt Aufschub, wenn sie von der Reichsversicherungsanstalt eingelegt wird, soweit es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor ErlaZ des angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen. 8 278. Ist das angefochtene Urteil mit Unrecht als endgültig bezeichnet (§ 268), so ist die Revision zulässig; sie ist binnen einem Jahre nach der Zu­ stellung einzulegen. 8 279. Wird ein Mitglied des Spruchsenats aus einem Grunde, der seinen Ausschluß rechtfertigt, oder wegen Besorgnis der Befangenheit abge­ lehnt, so entscheidet über das Ablehnungsgesuch der Spruchsenat. Bei der Entscheidung darf der Abgelehnte nicht mitwirken. Bei Stimmengleichheit gilt das Gesuch als abgelehnt. 8 280. Ist der Vorsitzende des Senats mit dem Berichterstatter darüber einig, daß die Revision unzulässig, verspätet oder offenbar ungerechtfertigt ist, so kann er sie ohne mündliche Verhandlung verwerfen Ist die Revision als verspätet verworfen, so kann der Antragsteller binnen einer Woche nach Zwstellung der Verfügung die Entscheidung des Spruchsenats anrufen; die Ver­ fügung muß darauf Hinweisen Sonst wird nach mündlicher Verhandlung in öffentlicher Satzung entschie­ den. Der Vorsitzende kann auch in anderen Fällen anordnen, daß eine Be­ nachrichtigung der Parteien vom Termin unterbleibt. °Jn diesen Fällen wird ohne mündliche Verhandlung entschieden. Der Senat kann jedoch Vertagung zum Zwecke mündlicher Verhandlung beschließen. 8 281. Wird das angefochtene Urteil aufgehoben, so kann der Senat ent­ weder selbst in der Sache entscheiden oder sie an das Oberversicherungsamt oder die Reichsversicherungsanstalt zurückverweisen. Dabei kann er die Ge­ währung einer vorläufigen Leistung anordnen. Die Stelle, an welche die Sache überwiesen wird, ist an rechtliche Beurteilung gebunden, die der Aufhebung des angefochtenen Urteils zugrunde liegt. 8 282. Die Senate für Angestelltenversicherung veröffentlichen ihre Ent­ scheidungen, die grundsätzliche Bedeutung haben. Die Art der Veröffentlichung bestimmt der Reichsarbeitsminister 8 283. Soll in einer grundsätzlichen Rechtsfrage von der Entscheidung eines Senats für Angestelltenversicherung abgewichen werden, oder will ein Se­ nat für Angestelltenversicherung in einem solchen Falle von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so haben die Beisitzer des Senats für An­ gestelltenversicherung in den Großen Senat (§§ 101, 1717 der Reichsversiche­ rungsordnung) an Stelle anderer Mitglieder der gleichen Gruppe einzutreten. Das gleiche gilt, wenn ein Senat von einer solchen Entscheidung des Großen Senats aoweichen will. 8 284. Die Urteile der Senate werden von dem Vorsitzenden, dem Be­ richterstatter und einem anderen Mitglied des Senats unterschrieben. Ist der Vorsitzende oder der Berichterstatter verhindert, so hat für ihn ein anderes Mitglied des Senats zu unterschreiben. 8 285. Die Verfügung, die ein Urteil berichtigt, wird von dem Vorsitzen'-, den und den Mitgliedern des Senats erlassen, die das Urteil unterschrieben haben; die Verfügung ist unanfechtbar.

II. Beschlußverfahren. 8 286. Soweit es sich nicht um die Feststellung von Leistungen handelt, ergehen die Entscheidungen der Versicherungsbehörden im Beschlußverfahren. 8 287. Für das Beschlußverfahren gelten die Vorschriften über das Feststellungsverfahren, soweit nicht die §§ 288 ff. etwas anderes vorschreiben. 8 288. Die Verhandlungen im Beschlußverfahren sind nicht öffentlich. Eine mündliche Verhandlung findet nur statt, wenn der Vorsitzende es für erforderlich hält oder eine der Parteien es beantragt. Soweit keine münd-

73. Angestelltenversicherungsgesetz v. 8. Mai 1924.

§§ 276—296.

303

-liche Verhandlung stattfindet, kann der Vorsitzende allein entscheiden, es sei denn, daß in der Vorinstanz der Beschlußausschuß oder die Beschlußkammer entschieden hat. Dies gilt auch in Fällen, in denen das Gesetz die Entscheidung durch den Beschlußausschuß oder die Beschlußkammer vorschreibt. Gegen die Entscheidung des Vorsitzenden ist nur das Rechtsmittel zulässig, das gegen die Entscheidung des Beschlußausschusses (der Beschlußkammer) zulässig wäre. 8 289. Für den Ausschluß und die Ablehnung der Beisitzer des Ver­ sicherungsamts gelten die §§ 233 bis 237 entsprechend. Jedoch entscheidet über die Ablehnung stets der Vorsitzende. Erklärt er den Antrag für begründet, so ist die Entscheidung endgültig. Lehnt er den Antrag ab, so kann die Entschei­ dung nur mit der Entscheidung üt der Hauptsache angefochten werden. 8 299. Gegen die Entscheidung des Versicherungsamts ist Beschwerde an das Oberver^icherungsamt zulässig, soweit das Gesetz nichts anderes vorschreibt. 8 291. Die Behörde, die über die Beschwerde zu entscheiden hat, kann den Vollzug der angefochtenen Entscheidung aussetzen. 8 292. Ist die Beschwerde zulässig und rechtzeitig eingelegt, so werden die Beteiligten gehört. 8 293. Ist die Beschwerde begründet, so kann die zur Entscheidung ge­ rufene Stelle entweder selbst in der Sache entscheiden oder sie an die Vorinstanz oder an die Reichsversicherungsanstalt zurückverweisen. Die Stelle, an welche die Sache überwiesen wird, ist an die rechtliche Be­ urteilung gebunden, die der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt. 8 294. Die auf Beschwerde erlassenen Entscheidungen des Oberversiche^ rungsamts sind endgültig.

III. Wiederaufnahme des Verfahrens. 1. Anfechtungsgründe.

8 295. Ein durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenes Verfahren kann, wiederaufgenommen werden, wenn 1. die entscheidende Stelle nicht vorschriftsmäßig besetzt war, 2. eine Person bei der Entscheidung mitgewirkt hat, die von der Mitwirkung aus einem gesetzlichen Grunde ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis durch Ablehnung oder Rechtsmittel ohne Erfolg geltend gemacht worden ist, 3. bei der Entscheidung eine Person mitgewirkt hat, obgleich sie als be/angen der Anfechtungsgrund durch ein Rechtsmittel geltend gemacht werden konnte, abgelehnt und die Ablehnung für begründet erklärt worden war, 4. eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Führung des Streites ausdrücklich öder still-, schweigend genehmigt hat. In den Fällen der Nrn. 1, 3 ist die Wiederaufnahme unstatthaft, wenn der Anfechtungsgrund durch ein Rechtsmittel geltend gemacht werden konnte. 8 296. Die Wiederaufnahme ist ferner zulässig, wenn 1. eine Urkunde, auf die sich die Entscheidung stützt, fälschlich angefertigt oder verfälscht war, 2. durch Beeidigung eines Zeugnisses oder eines Gutachtens, auf die sich die Entscheidung stützt, der Zeuge oder Sachverständige vorsätzlich ober fahr­ lässig die Eidespflicht verletzt hat, 3. der Vertreter der Partei oder der Gegner oder sein Vertreter die Ent­ scheidung durch eine mit öffentlicher Strafe bedrohte Handlung erwirkt hat, 4. eine Person bei der Entscheidung niitgewirkt hat, die bei der Verhandlung ihre Amtspflichten gegen die Partei verletzt, sofern diese Verletzung mit öffentlicher Strafe bedroht ist, 5. ein strafgerichtliches Urteil, auf das sich die Entscheidung stützt, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil aufgehoben worden ist,

304

Erster Teil.

Strafgesetze.

6. eine Partei nachträglich eine Urkunde, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde, auffindet oder zu benutzen instand ge­ setzt wird. 8 297. Die Wiederaufnahme ist in den Fällen des § 296 Nr. 1 bis 4 nur Aulässig, wenn 1. wegen der strafbaren Handlung eine rechtskräftige strafgerichtliche Ver­ urteilung ergangen ist, 2. ein gerichtliches Strafverfahren aus anderen Gründen als wegen Man­ gels an Beweis nicht eingeleitet oder nicht durchgeführt werden konnte. 8 298. Die Wiederaufnahme ist in allen Fällen des § 296 nur zulässig, wenn nicht die Partei ohne ihr Verschulden den Anfechtungsgrund in dein früheren Verfahren, insbesondere durch Einlegung eines Rechtsmittels, geltend machen konnte. 8 299. Mit dem Antrag auf Wiederaufnahme können Anfechtungsgründe, durch die eine ältere Entscheidung derselben oder einer unteren Instanz be­ troffen wird, geltend gemacht werden, wenn die angefochtene Entscheidung auf der älteren beruht. 2 Zuständigkeit. 8 300. über den Antrag entscheidet die Stelle, deren Entscheidung an­ gefochten wird. Sind mehrere Entscheidungen angefochten, die von Stellen verschiedener Ordnung erlassen sind, so entscheidet die Stelle höherer Ordnung. An Stelle des Reichsversicherungsamts entscheidet das Oberversicherungsamt, wenn eine vom Neichsversicherungsamt erlassene Entscheidung auf Grund des § 296 Nr. 1, 2, 5 oder 6 angefochten wird.

3. Gang des Verfahrens. 8 301. Der Antrag ist binnen einem Monat zu stellen. Die Frjst beginnt mit dem Tage, an dem die Partei den Anfechtungsgrund erfährt, jedoch nicht bevor die Entscheidung rechtskräftig geworden ist. Nach Ab­ lauf von fünf Jahren vom Tage der Rechtskraft an ist der Antrag unstatthaft. Die Vorschriften des Abs. 2 gelten nicht, wenn die Wiederaufnahme we­ gen mangelnder Vertretung beantragt wird Die Frist läuft dann von dem Tage, an dem die Entscheidung der Partei oder, wenn sie nicht fähig war, den Streit selbst zu betreiben, ihrem gesetzlichen Vertreter zugestellt worden ist. 8 302. Die Wiederaufnahme kann auch von Amts wegen eingeleitet werden 8 303. Die Vorschrift des § 325 Abs. 2, 3 über Wahrung der Frist gilt auch für die Ausschlußfristen des § 301 entsprechend. 8 304. Ist der Antrag verspätet oder unzulässig, so kann ihn der Vor­ sitzende der für die Entscheidung zuständigen Stelle ohne mündliche Verhandlung durch eine mit Gründen versehene Verfügung verwerfen. Der Vorsitzende des Senats für Angestelltenversicherung darf es nur dann, wenn er mit dem Be­ richterstatter darüber einig ist. Der Antragsteller kann binnen einer Woche nach der Zustellung der Verfügung die Entscheidung der zuständigen Stelle anrufen. Die Verfügung muß darauf Hinweisen 8 305. Ist der Antrag rechtzeitig gestellt worden und zulässig, so wird die Hauptsache, soweit der Anfechtungsgrund sie betrifft, neu verhandelt. Für das neue Verfahren gelten die Vorschriften, die für diejenige In-, stanz maßgebend sind, bei der das neue Verfahren anhängig geworden ist. 8 306. Rechtsmittel sind zulässig, soweit sie gegen die Entscheidungen der mit der Wiederaufnahme befaßten Instanzen überhaupt gegeben sind. IV. Anfechtung endgültiger Bescheide. 8 307. Gegenüber einem rechtskräftigen Bescheide kann eine neue Prü­ fung beauftragt werden, wenn eine der Voraussetzungen der §§ 295, 296 vor­ liegt.

73. Angestelltenversicherungsgesetz v 28. Mai 1924.

§§ 301—318.

305

Die §§ 297 ff. gelten entsprechend.

V. Besondere Befugnisse der Reichsversicherungsanstalt.

8 308. überzeugt sich die Reichsversicherungsanstalt bei erneuter Prü­ fung, daß die Leistung mit Unrecht abgelehnt, entzogen, wegen Ruhens oder aus sonstigen Gründen eingestellt oder zu niedrig festgestellt worden ist, so kann sie eine neue Feststellung treffen.

8 309. Die Reichsversicherungsanstalt braucht Ruhegeld und sonstige Renten nicht zurückzusordern, die sie vor rechtskräftiger Entscheidung nach dem Gesetze zahlen mußte. VI. Kosten des Verfahrens.

8 310. Hat ein Beteiligter durch Mutwillen, Verschleppung oder Irre­ führung Kosten des Verfahrens veranlaßt, so können sie ihm ganz oder teil­ weise auferlegt werden. Sie fließen in die Kasse der Reichsversicherungs­ anstalt. 8 311. Im übrigen werden den Beteiligten keine Kosten des Verfahrens auferlegt.

VII. Schlnßvorschriften.

8 312. Der Reichsarbeitsminister bestimmt das Nähere über den Ge­ schäftsgang und das Verfahren nach Anhören der Reichsversicherungsanstalt. Er kann das Verfahren auch abweichend von den bestehenden Vorschrif­ ten regeln. Siebenter Abschnitt.

Auszahlung der Leistungen. 8 313. Die Reichsversicherungsanstalt zahlt auf Anweisung des Direk­ toriums durch die Post. Falls die Reichsversicherungsanstalt durch die Postanstalten als Zahl­ stellen auszahlen will, wird das nähere Verfahren durch den Reichsarbeits­ minister geregelt. 8 314. Jede Person, die berechtigt ist, ein öffentliches Siegel zu ren, ist befugt, die bei den Zahlungen erforderlichen Bescheinigungen zu evteilen und zu beglaubigen. 8 315. Der Reichsarbeitsminister kann bestimmen, wie an Empfänger zu zahlen ist, die sich gewöhnlich im Ausland aufhalten. Achter Abschnitt.

Sonstige Vorschriften. I. Behörden.

8 316. Die oberste Verwaltungsbehörde kann einzelne der Aufgaben und Rechte, die ihr dieses Gesetz zuweist, auf andere Behörden übertragen. 8 317. Sie bestimmt, , 1. welchen Behörden die Aufgaben zukommen, die dieses Gesetz den höheren und den unteren Verwaltungsbehörden sowie den Ortspolizeibehörden zuweist, 2. welche Verbände als Gemeindeverbände zu gelten haben; eine einzelne Gemeinde gilt als Gemeindeverband im Sinne dieses Gesetzes nur dann, wenn es die oberste Verwaltungsbehörde bestimmt. Die Bestimmungen werden im Reichsanzeiger veröffentlicht.

II. Rechtshilfe. Die öffentlichen Behörden sind verpflichtet, den im Vollzüge dieses Gesetzes an sie ergehenden Ersuchen der Versicherungs- und anderen öffentlichen Behörden sowie der Organe der Reichsversicherungsanstalt zu entsprechen, insbesondere vollstreckbare Entscheidungen zu vollstrecken und den Organen der Reichsversicherungsanstalt auch unaufgefordert alle MitteilunAtlfeld, Strafgesetzgebung. 8. ÄufL 20

8 318.

306

Erster Teil.

Strafgesetze.

gen zukommen zu lassen, die für deren Geschäftsbetrieb von Wichtigkeit sind. Die gleiche Verpflichtung liegt den Organen der anderen Träger der Reichs­ versicherung ob. Wenn ein Gericht das Ersuchen um eine Beweisaufnahme ablehnt, so ent­ scheidet das Oberlandesgericht endgültig. 8 319» Tagegelder, Reisekosten, Gebühren für Zeugen und Sachverständige und alle anderen baren Auslagen, die aus der Rechtshilfe erwachsen, werdär von der Reichsversicherungsanstalt als eigene Verwaltungskosten erstattet.

III. Kristen.

8 320. Richtet sich der Anfang einer Frist nach einem Ereignis oder Zeit­ punkt, so beginnt die Frist mit dem Tage, der auf das Ereignis oder den Zeit­ punkt folgt. Wird eine Frist verlängert, so beginnt die neue mit Ablauf der alten Frist.' 8 321. Eine nach Tagen bestimmte Frist endigt mit dem Ablauf ihres letzten Tages, eine nach Wochen oder Monaten bestimmte Frist mit dem Ab­ lauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Fehlt dem letzten Monat der entsprechende Tag, so endigt die Frist mit dem Monat. 8 322. Braucht ein Zeitraum von Monaten oder Jahren nicht zusammen­ hängend zu verlaufen, so wird der Monat zu dreißig, das Jahr zu dreihunoertfünfundsechzig Tagen gerechnet. 8 323. Fällt der für eine Willenserklärung oder Leistung oder den Ab­ lauf einer Frist gesetzte Tag auf einen Sonntag oder einen allgemeinen Feier­ tag, der am Erklärungs- oder Leistungsorte staatlich anerkannt ist, so gilt dafür der nächstfolgende Werktag. Für die Dauer von Leistungen, zu denen die Reichsversicherungsanstalt verpflichtet ist, gilt diese Vorschrift nicht. 8 324. Rechtsmittel sind, soweit dieses Gesetz nichts anderes vor­ schreibt binnen einem Monat nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung rinzulegen. Für Seeleute, die sich außerhalb Europas aufhalten, wird diese Frist von der Stelle bestimmt, welche die angefochtene Entscheidung erlassen hat; sie muß mindestens drei Monate von der Zustellung an betragen. 8 325. Die Rechtsmittel werden bei der Stelle eingelegt, die zu ent­ scheiden hat. Die Frist gilt auch dann als gewahrt, wenn das Rechtsmittel rechtzeitig bei einer anderen inländischen Behörde oder bei einem Organe der Reichs­ versicherungsanstalt eingegangen ist. Die Rechtsmittelschrift ist unverzüglich an die zuständige Stelle abzugeben. 8 326. Die Rechtsmittel bewirken Aufschub nur da, wo das Gesetz es vorschreibt. 8 327. Ist ein Beteiligter durch Naturereignisse oder andere unabwend­ bare Zufälle vorhindert worden, eine gesetzliche Verfassungsfrist einzuhalten, so wird ihm auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erteilt. Die Wiedereinsetzung wird auf Antrag auch dann erteilt, wenn das ver­ spätet eingelaufene Schriftstück der Post mindestens drei Tage vor Ablauf der Frist zur Bestellung übergeben worden ist. 8 328. Die Wiedereinsetzung ist im Falle des § 327 Abs. 1 binnen einer Frist zu beantragen, deren Dauer durch die Dauer der versäumten Frist be­ stimmt wird. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem das Hindernis be­ hoben ist. In den Fällen des § 327 Abs. 2 ist die Wiedereinsetzung binnen einem Monat zu beantragen. Die Frist beginnt mit dem Tage, an welchem den Be­ teiligten bekannt wird, daß sie die Frist versäumt haben.

73. Angestelltenversicherungsgesetz v. 28. Mai 1924. §§ 319—336.

307

Nach Ablauf von zwei Jahren, vom Ende der versäumten Frist an, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. 8 329. Der Antrag auf Wiedereinsetzung soll 1. die Tatsachen angeben, welche die Wiedereinsetzung begründen, 2. die Mittel bezeichnen, diese Tatsachen glaubhaft zu machen, und 3. die versäumte Handlung nachholen, wenn es nicht bereits geschehen ist. Er wird bei der Stelle angebracht, bei der die Frist versäumt ist; § 325 Abs. 2, 3 gilt entsprechend. Die Stelle entscheidet, die über die nachgeholte Handlung zu entscheiden hat. 8 330. Das Verfahren über den Antrag wird mit dem über die nach^ geholte Handlung verbunden, doch kann auch zunächst über den Antrag allein verhandelt und entschieden werden. Für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und ihre An­ fechtung gelten dieselben Vorschriften wie für die nachgeholte Handlung.

IV. Zustellungen. § 331. Zustellungen, die eine Frist in Lauf setzen, können durch einge­ schriebenen Brief geschehen. Der Postschein begründet nach zwei Jahren seit seiner Ausstellung die Vermutung dafür, daß in der ordnungsmäßigen Frist nach der Einlieferung zugestellt worden ist. 8 332. Wer nicht im Inland wohnt, hat auf Verlangen einen Zustel­ lungsbevollmächtigten zu benennen. Ist der Aufenthalt unbekannt, oder wird der Zustellungsbevollmächtigte nicht in der gesetzten Frist benannt, so kann die Zustellung durch einwöchigen Aushang in den Geschäftsräumen der Behörde oder Stelle ersetzt werden; die Frist darf nicht kürzer als ein Monat sein. V. Gebühren und Stempel. 8 333. Gebühren- und stempelfrei sind, soweit dieses Gesetz nichts an­ deres vorschreibt, alle Verhandlungen und Urkunden, die bei den nach diesem Gesetze für die Feststellung der Leistungen zuständigen Behörden erforderlich werden, um die Rechtsverhältnisse zwischen der Reichsversicherungsanstalt einerseits und den Arbeitgebern oder Versicherten oder ihren Hinterbliebenen andererseits zu begründen oder abzuwickeln.

8 334. Das gleiche gilt für die außergerichtlichen Verhandlungen und Urkunden dieser Art sowie für solche privatschriftlichen Vollmachten und amt­ lichen Bescheinigungen, welche nach diesem Gesetze zum 'Ausweis und zu Nach­ weisungen erforderlich werden.

VI. Verbote und Strafen. 8 335. Nehmen Arbeitgeber in die Nachweise oder Anzeigen, die sie nach dell Vorschriften des Gesetzes oder den Bestimmungen der Reichsvevsicherungsanstalt aufzustellen haben, Eintragungen auf, deren Unrichtigkeit sie kannten oder den Umständen nach kennen mußten, oder unterlassen sie die vorgeschriebenen Eintragungen ganz oder teilweise, so kann die Reichs­ versicherungsanstalt Ordnungsstrafe in Geld gegen sie verhängen. 8 330. Unterlassen es Arbeitgeber, rechtzeitig für ihre versicherunaS* pflichtig Beschäftigten die richtigen Marken zu verwenden, so kann sie die Reichsversicherungsanstalt mit Ordnungsstrafe in Geld belegen. Die Be­ strafung ist auch zulässig, wenn verspätet die richtigen Marken verwendet worden sind. Unabhängig von der Strafe und der Nachholung der Rückstände kann die Reichsversicherungsanstalt dem Bestraften die Zahlung des Ein- bis Zweifachen dieser Rückstände auferlegen. Der Betrag wird wie Gemeinde­ abgaben beigetrieben. Der Reichsarbeitsminister kann Zuwiderhandlungen gegen die Entwertungsvorschriften mit Strafe bedrohen. Bestreitet der Arbeitgeber seine Beitragspflicht, so ist sie nach g 194 festzustellen.

308

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 337. Mit Geldstrafe oder mit Haft werden bestraft, wenn nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften härtere Strafe verwirkt ist, 1. Arbeitgeber oder deren Vertreter, die vorsätzlich den Beschäftigten höhere Beiträge vom Gehalt abziehen, als dieses Gesetz zuläßt, 2. Personen, die den: Berechtigten eine Versicherungskarte widerrechtlich vorenthalten. § 338. Arbeitgeber werden mit Gefängnis bestraft, wenn sie vorsätzlich Beitragsteile, die sie den Beschäftigten vom Gehalt abgezogen oder von ihnen erhalten haben, nicht für die Versicherung verwenden. Daneben kann auf Geldstrafe und auf Verlust der bürgerlichen Ehren­ rechte erkannt werden. Bei mildernden Umständen kann ausschließlich auf Geldstrafe erkannt «werden. 8 339. Soweit nach diesem Gesetz Arbeitgeber mit Strafen bedroht sind, stehen ihnen gleich, 1. wenn eine Aktiengesellschaft, ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, eine eingetragene Genossenschaft, eine Innung oder andere juristische Person Arbeitgeber ist, die Mitglieder des Vorstandes, 2 wenn eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung Arbeitgeber ist, die Ge­ schäftsführer, 3. wenn eine andere Handelsgesellschaft Arbeitgeber ist, alle persönlich has­ tenden Gesellschafter, soweit sie von der Vertretung nicht ausgeschlossen sind, 4. die gesetzlichen Vertreter geschäftsunfähiger und beschränkt geschäfts­ fähiger Arbeitgeber sowie die Liquidatoren einer Handelsgesellschaft, eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit, einer eingetragenen Genossen*schaft, einer Innung oder einer anderen juristischen Person. 8 340. Der Arbeitgeber darf die Pflichten, die ihm dieses Gesetz auf­ erlegt, Betriebsleitern, Aufsichtspersonen oder anderen Angestellten seines Be­ triebs übertragen Handeln solche Stellvertreter den Vorschriften zuwider, die oen Arbeit­ geber mit Strafe bedrohen, so trifft sie die Strafe. Neben ihnen ist der Ar­ beitgeber strafbar, wenn 1. die Zuwiderhandlung mit seinem Wissen geschehen ist, oder 2. er bei Auswahl und Beaufsichtigung der Stellvertreter nicht die im Ver­ kehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat; in diesem Falle darf gegen den Arbeitgeber auf keine andere Strafe als auf Geldstrafe erkannt werden. Die Zahlung des Ein- bis Zweifachen der rückständigen Beiträge (§ 336) kann auch dem Stellvertreter auserlegt werden. Neben ihm haftet für diesen Betrag der Arbeitgeber, falls er nach Abs. 2 bestraft ist. 8 341. Den Arbeitgebern und ihren Angestellten sowie der Reichsversicherungsanstalt ist untersagt, die Versicherten in der Übernahme oder Aus­ übung eines Ehrenamts der Angestelltenversicherung zu beschränken oder sie wegen der Übernahme oder der Art der Ausübung eines solchen Ehrenamts zu benachteiligen. Den Bezeichneten ist ferner untersagt, durch Übereinkunft oder Arbeitsordnung zum Nachteil der Versicherten die Anwendung der Bovschriften dieses Gesetzes ganz oder teilweise auszuschließen. Vertragsbestimmungen, die dem zuwiderlaufen, sind nichtig. 8 342. Arbeitgeber oder ihre Angestellten, die gegen § 341 Abs. 1 ver­ stoßen, werden mit Geldstrafe oder mit Haft bestraft, wenn nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften härtere Strafe eintritt. 8 343. Mit Ordnungsstrafe in Geld kann vom Versicherungsamt bestraft werden, wer in Versicherungskarten b$n Vordruck fälschlich aussüllt oder die zur Ausfüllung des Vordrucks eingetragenen Worte oder Zahlen verfälscht oder wissentlich eine solche Karte gebraucht. 8 344. Wer in Versicherungskarten Eintragungen, Merkmale oder Fäl­ schungen in der Absicht macht, den Inhaber Arbeitgebern gegenüber kenntlich

73. Angestelltenversicherungsgesetz v. 28. Mai 1924.

§§ 337—353.

309

zu machen, wird mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten be­ straft. Bet mildernden Umständen kann statt der Gefängnisstrafe auf Haft erkannt werden. Eine Verfolgung wegen Urkundenfälschung (§§ 267, 268 des Reichsstrafgesetzbuchs) tritt nur gegen Personen ein, welche die Fälschung in der Absicht begangen haben, sich oder anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen oder anderen einen Schaden zuzufügen. § 345. Wer unbefugt offenbart, was ihm in ayrtlicher Eigenschaft als Mitglied eines Organs oder Angestelltem der Reichsversicherungsanstalt, Mitglied oder Angestelltem einer nach diesem Gesetze zur Feststellung der Leistungen zuständigen Behörde, Vertreter oder Beisitzer bei einer solchen Behörde über Krankheiten oder andere Gebrechen Versicherter oder ihre Ursachen be­ kannt geworden ist, wird mit Geldstrafe oder mit Gefängnis his zu drei Mo­ naten bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des Versicherten oder der Aufsichtsbehörde ein. Den Versicherten stehen andere Personen gleich, für die dieses Gesetz eine Leistung der Reichsversicherungsanstalt vorsieht. 8 346. Mit Geldstrafe oder mit Gefängnis werden die im § 345 Abf 1 Bezeichneten bestraft, wenn sie unbefugt Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse offenbaren, die ihnen in amtlicher Eigenschaft bekannt geworden sind. Tun sie dies, um den Unternehmer zu schädigen oder sich oder anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen, so werden sie mit Gefängnis bestraft. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und auf Geldstrafe erkannt werden. Die Verfolgung tritt im Falle des Abs. 1 nur auf Antrag des Unter­ nehmers ein 8 347. Die im § 345 Abs. 1 Bezeichneten werden mit Gefängnis bestraft, wenn sie Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse unbefugt verwerten, um den Unternehmer zu schädigen oder sich oder anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und auf Geldstrafe erkannt werden. 8 348. Sind in den Fällen des § 346 Abs. 2 oder des § 347 mildernde Umstände vorhanden, so ist auf Geldstrafe zu erkennen. 8 349. Für Beamte, die der Dienstgewalt einer staatlichen oder ge­ meindlichen Behörde unterstehen, bewendet es an Stelle der §§ 345 bis 348 bei den für sie geltenden Vorschriften. 8 350. Mit Gefängnis nicht unter drei Monaten, neben dem auf Ver­ lust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann, wird bestraft, wer Marken fälschlich anfertigt oder verfälscht, um sie als echte zu verwenden, oder wer zu demselben Zwecke falsche Marken sich verschafft, verwendet, feil­ hält oder in Verkehr bringt. 8 351. Mit der gleichen Strafe (§ 350) wird bestraft, wer wissentlich bereits verwendete Marken wieder verwendet oder zur Wiederverwendung sich verschafft, feilhält oder in Verkehr bringt. Bei mildernden Umständen darf auf Geldstrafe oder Haft erkannt werden. 8 352. In den Fällen der §§ 350, 351 ist zugleich auf Einziehung der Marken zu erkennen, auch wenn sie dem Verurteilten nicht gehören. Das muß auch geschehen, wenn keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden kann. 8 353. Wer ohne schriftlichen Auftrag der Reichsversicherungsanstalt oder einer sonstigen Behörde Stempel, Siegel, Stiche, Platten oder andere Formen, die zur Herstellung von Marken dienen sönnen, oder Abdrücke solcher Formen anfertigt, sich verschafft oder einem anderen als der Reichsversiche-» rungsanstalt oder der Behörde überläßt, wird mit Geldstrafe bis zu 150 Reichsmark oder mit Haft bestraft. Neben der Geldstrafe oder Haft kann ans Einziehung der Stempel, Sie­ gel, Stiche, Platten oder Formen erkannt werden, auch wenn sie dem Veriurteilten nicht gehören.

310

Erster Teil. Strafgesetze.

8 354. Mf Beschwerden gegen Strafverfügungen der Reichsversicherungs­ anstalt und der Versicherungsämter entscheidet oas Oberversicherungsamt (Be­ schlußkammer). 8 355. Die Geldstrafen, mit Ausnahme der gerichtlich erkannten, fließen in die Kasse der Reichsversicherungsanstalt. Die Strafen, außer den gerichtlich erkannten, werden wie Gemeinde­ abgaben beigetrieben. 8 356. Zuwiderhandlungen gegen die Strafvorschriften dieses Gesetze-, für welche die Gerichte nicht zuständig sind, verjähren in fünf Jahren. Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an dem die Handlung begangen ist. Sie wird unterbrochen durch jede gegen den Täter gerichtete Handlung dessen, der zur Verhängung der Strafe zuständig ist. Mit der Unterbrechung beginnt eine neue Verjährung; sie endet spätestens mit Ablauf von zehn Jahren seit dem Tage, an dem die Zuwiderhandlung begangen ist. 8 357. Endgültig verhängte Strafen, die nicht von den Gerichten erkannt sind, verjähren in zwei Jahren. Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an dem die Entscheidung endgültig geworden ist. Sie wird unterbrochen durch jede auf Vollstreckung der Strafe gerichtete Handlung dessen, dem die Voll­ streckung obliegt. Mit der Unterbrechung beginnt eine neue Verjährung; sie endet spätestens mit Ablauf von vier Jahren seit dem Tage, an dem die Ent­ scheidung endgültig geworden ist.

VII. Ausländische Gesetzgebung. Soweit andere Staaten eine der Angestelltenversicherung ent­ sprechende Fürsorge durchgeführt haben, kann die Reichsregierung mit Zustim­ mung des Reichsrats unter Wahrung der Gegenseitigkeit vereinbaren, in wel­ chem Umfang für Betriebe, die aus dem Gebiete des einen Staates in das des anderen übergreisen, sowie für Versicherte, die zeitweise int Gebiete des anderen Staates beschäftigt werden, die Fürsorge nach diesem Gesetz oder nach den .Fürsorgevorschriften des anderen Staates geregelt werden soll. Auf gleichem Wege kann bei entsprechender Gegenleistung die Versiche­ rung von Angehörigen eines ausländischen Staates abweichend von den Vor­ schriften dieses Gesetzes geregelt und die Durchführung der Fürsorge des einen Staates in dem Gebiete des anderen erleichtert werden. In diesen Ver­ einbarungen darf die nach diesem Gesetze bestehende Beitragspflicht des Arbeit­ gebers nicht ermäßigt oder beseitigt werden; sie sind dem Reichstag mitzu­ teilen. 8 359. Die Reichsregierung kann mit Zustimmung des Reichsrats anord­ nen, daß gegen Angehörige eines ausländischen Staates und ihre Rechts­ nachfolger ein Vergeltungsrecht angewendet wird. 8 358.

Neunter Abschnitt.

Private

Penstonseinrichtungen. Verträge mit LebenSverstcherungSunternehmungen. I. Private Pensionsemrichtungen. '1. Zuschußkassen.

8 360. Fabrik-, Betriebs-, Haus-, Seemanns- und ähnliche Kassen für eine oder mehrere Unternehmungen können auf ihre satzungsmäßigen Lei­ stungen aus Invaliden-, Alters- oder Hinterbliebenenunterstützungen, die sie ihren nach diesem Gesetze versicherten Mitgliedern geben, die Ruhegeld- oder Hinterbliebenenbezüge dieses Gesetzes anrechnen. Voraussetzung ist dabei, daß die Kassen nur für die im § 1 Abs. 1 bezeichneten Personen errichtet sind oder der Teil des Vermögens der Kassen für die Angestelltenversicherung aus­ geschieden und besonders verwaltet wird, sowie daß die Kassen die Beiträge aurhren Mitteln entrichten und die Arbeitgeber Zuschüsse zu der Kasse zahlen, die mindestens der Hälfte der nach diesem Gesetze zu entrichtenden Beiträge gleichkommen.

73. Angestelttenversicherungsgesetz v. 28. Mai 1924.

§§ 354—369.

3(1

Kommen mehrere Kassen in Frage, die für den Berechtigten Beiträge zur Reichsversicherungsanstalt entrichtet haben, so teilt diese jeder einzelnen Kasse den für sie in Anrechnung kommenden, den entrichteten Beiträgen ent­ sprechenden Betrag der Leistungen dieses Gesetzes mit. Das gleiche gilt für andere öffentlich-rechtliche Pensionseinrichtungen und für solche zur Invaliden-, Alters- und Hinterbliebenenfürsorge bestimmte Kassen, für die nach Ortsstatut eine Beitragspflicht besteht. § 361. Zur Durchführung der Vorschriften im § 360 sind die Satzungen der Kassen zu ändern; die Änderung bedarf der Genehmigung der zuständigen Behörde. Die Behörde kann auf Antrag die Änderung rechtsgültig selbst vor­ nehmen, wenn ein Beschluß über die Satzungsänderung nicht zustande kommt. Den Antrag kann die Mehrheit der Arbeitgeber oder der nach § 1 Abs. 1 ver­ sicherten Mitglieder stellen. 8 362. Die §§ 360, 361 sind entsprechend anzuwenden auf Wohlfahrts­ einrichtungen und auf solche Versicherungseinrichtungen, die für die im § 1 Abs. 1 bezeichneten Personen errichtet sind. Einrichtungen, die von Gemeindeverbänden verwaltet werden, können sich auch auf andere Personen erstrecken.

2. Ersatz ka sse n.

8 363. Die Beteiligung bei einer nach dem Bersicherungsgesetze für An­ gestellte vom 20. Dezember 1911 (Reichsgesetzbl. S. 989) zugelassenen Ersatz­ kasse gilt, unbeschadet des § 393 für die Angestellten derjenigen Unternshtmungen, für die die Zulassung erfolgt ist, der Versicherung bei der Reichs­ versicherungsanstalt gleich. Scheidet ein Angestellter aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung bei einer solchen Unternehmung aus, so kann er sich bei der Ersatzkasse weiterversichern (§ 21). 8 364. Der Ersatzkasse müssen sämtliche Versicherungspflichtigen der Unternehmungen, für die sie errichtet ist, angehören, soweit sie nicht von dev eigenen Beitragsleistung befreit sind. 8 365. Die Kassenleistungen müssen den reichsgesetzlichen Leistungen min­ destens gleichwertig und in dieser Höhe gewährleistet sein. Die Leistungen für die Zwecke des Heilverfahrens gelten als gleichwertig, wenn die Ersatz-« kasse den gleichen Betrag aufwendet, den die Reichsversicherungsanstalt nach dem zuletzt veröffentlichten Rechnungsabschluß aus ihren Beitragseinnahmen für das Heilverfahren aufgewendet hat. Die für die Ersatzkasse zuständige Aufsichtsbehörde überwacht die Ausführung dieser Vorschrift. § 49 a gilt sinngemäß auch für die Ersatzkassen. 8 366. Wird die Zulassung als Ersatzkasse zurückgezogen oder die Ersatzkasse aufgelöst, so geht die Verpflichtung zur Befriedigung der reiche­ gesetzlichen Ansprüche aus die Reichsversicherungsanstalt über. Aus dem Bevmögen der Ersatzkasse sind der Reichsversicherungsanstalt die erforderlichen Deckungsmittel für die übernommenen reichsgesetzlichen Leistungen zu über­ weisen. Der Reichsarbeitsminister bestimmt das Nähere. Bei Streit entscheidet das Reichsversicherungsamt. 8 367. Die Beiträge der Arbeitgeber zu den Kassen müssen mindestens den reichsgesetzlichen Arbeitgeberbeiträgen und, sofern die Beiträge der Veysicherten höher sind, diesen gleichkommen. Die von den Arbeitgebern ge­ machten besonderen Aufwendungen sind auf die Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber gleichmäßig anzurechnen. 8 368. Den Versicherten muß bei der Verwaltung der Kasse und bei der Feststellung von Kassenleistungen eine den Vorschriften dieses Gesetzes ent­ sprechende Mitwirkung eingeräumt sein. Die Wahl muß geheim fein. 8 369. Die Vorschriften der §§ 91, 92 wegen Übertragung, Verpfändung, Pfändung und Aufrechnung der Versicherungsansprüche gelten entsprechend für Ansprüche an Ersatzkassen. Sie gelten nicht, soweit die Leistungen der Ersatz­ kasse die reichsgesetzlichen Leistungen übersteigen.

312

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 370. Für die Berechnung der Wartezeit, des Ruhegeldes und der sonstigen Renten gelten in bezug auf den reichsgesetzlichen Anspruch die Vor­ schriften dieses Gesetzes. Die Zeit der Versicherung bei Ersatzkassen steht der bei der Reichsversicherungsanstalt gleich. 8 371. Die reichsgesetzlichen Leistungen der Ersatzkassen stellt die Reichs­ versicherungsanstalt fest. Die beteiligten Ersatzkassen können vorher gehört werden. Der Bescheid ist ihnen zuzustellen. Jede von ihnen ist berechtigt, Rechtsmittel einzulegen. Die zur Entscheidung berufene Stelle kann die Ersatz­ kasse beiladen. Zu den Kosten des Feststellungsverfahrens bei der Reichsversicherungs­ anstalt sowie zu den Kosten der Versicherungsbehörden haben die Ersatzkassen einen Beitrag zu entrichten. Der Reichsarbeitsminister bestimmt das Nähere. Bei Streit über die Kosten des Feststellungsverfahrens bei der Reichsversiche­ rungsanstalt entscheidet das Neichsversicherungsamt. 8 372. Dem Berechtigten gegenüber ist die Reichsversicherungsanstalt zur Leistung verpflichtet. Die Ersatzkassen haben die Deckungsmittel für Die ihnen zur Last fallenden reichsgesetzlichen Leistungen spätestens binnen zwei Wochen nach der ihnen zugegangenen Aufforderung der Reichsversiche­ rungsanstalt zu überweisen. Die Reichsversicherungsanstalt kann die Frist unter Berechnung von Verzugszinsen verlängern Streit über die Höhe der Deckungsmittel entscheidet das Reichsver­ sicherungsamt. Die Deckungsmittel werden wie Gemeindeabgaben beigetrieben. Der Reichsarbeitsminister bestimmt die Grundsätze für die Berechnung der Deckungsmittel nach Anhören der Reichsversicherungsanstalt. 8 373. Jede Ersatzkasse hat beim Austritt eines der Versicherungspflicht unterliegenden Kassenmitglieds innerhalb eines Monats nach dem Austritt der Neichsversicherungsanstalt eine Bescheinigung zu übersenden, die über die Zahl und Höhe der nach diesem Gesetz entrichteten Beiträge Auskunft gibt. Eine gleiche Bescheinigung ist zu übersenden, wenn das Kassenmitglied berufs­ unfähig geworden oder gestorben ist. Der Reichsarbeitsminister bestimmt Form und Inhalt der Bescheinigung nach Anhören des Reichsversicherungsanstalt. Wird die Bescheinigung nicht rechtzeitig übersandt, so kann die Reichs« versicherunasanstalt Die säumigen Ocgane der Kasse mit Ordnungsstrafe in Geld bestrafen. 8 374. Die Reichsregierung bestimmt den Betrag, bis zu dem das Ver­ mögen in den im § 205 Abs. 1 Nr. 1 genannten Forderungen anzulegen ist; dieser Betrag darf jedoch fünfundzwanzig vom Hundert des für die reichsgesetz-« gesetzliche Versicherung zurückgestellten Vermögens nicht übersteigen. II. Verträge mit Lebensversicherungsunternehmungen. 8 375. Angestellte, die beim Eintritt in die versicherungspflichtige Beschäftigung das dreißigste Lebensjahr überschritten haben, und für die seit mindestens drei Jahren ein Versicherungsvertrag bei einer öffentlichen oder» Privaten Lebensversicherungsunternehmung (§ 1 des Gesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901 — RGBl. S. 139 —) ge^ schlossen ist, können auf ihren Antrag von der eigenen Beitragsleistung be-i freit werden, wenn der Jahresbetrag der Beiträge für diese Versicherungen beim Eintritt in die versicherungspflichtige Beschäftigung mindestens den ihren Gehaltsverhältnissen entsprechenden Beiträgen gleichkommt, die sie nach diesem Gesetze zu tragen hätten (Halbversicherte). Streit über die Befreiung wird nach § 194 entschieden. 8 376. Für Halbversicherte entrichtet der Arbeitgeber die Beiträge, die dem halben Jahresarbeitsverdienst entsprechen. Entspricht die Hälfte des Bei­ trags nicht einem der im § 172 genannten Beträge, so ist der nächsthöhere Monatsbeitrag zu entrichten; der Arbeitgeber kann die Erstattung des Mehr­ betrags von dem Halbversicherten verlangen.

73. Angestelltenversicherungsgesetz v. 28. Mai 1924.

§§ 370—378.

313

Halbversicherte erhalten Ruhegeld und sonstige Renten nach den Vor­ schriften dieses Gesetzes. Erstattungsansprüche aus den §§ 61, 62, 385 sind ausgeschlossen. Die Reichsversicherungsanstalt kann die Gewährung eines Heilverfahrens für einen halbversicherten Erkrankten davon abhängig machen, daß, er die Kosten bis zur Hälfte vorher einzahlt. Hat der Arbeitgeber zur Lebensversicherung eines Halbversicherten Zu­ schüsse gezahlt, so kann er diese Zuschüsse um den Beitrag kürzen, den er zur gesetzlichen Angestelltenversicherung zu leisten hat.

§ 377. Werden die Versicherungen (§ 375) vor Eintritt des ^odes des Angestellten durch Ablauf, Verfall oder aus anderen Gründen aufgehoben, so fällt die Befreiung von der Beitragsleistung weg. Die Lebensversicherungs­ unternehmungen haben die Aufhebung von Versicherungsverträgen der Reichs­ versicherungsanstalt mitzuteilen, wenn ihnen die Befreiung des Angestellten von der Beitragsleistung angezeigt worden ist. Zuwiderhandlungen werden von der Aufsichtsbehörde mit Ordnungsstrafen in Geld bestraft. Zehnter Abschnitt.

Übergangs, und Schlutzbestimmungen.

8 378. Als Jahresarbeitsverdienstgrenzen gelten 5 000 Mark, 1. vom 1. Januar 1913 bis zum 31. August 1918 2. vom 1 September 1918 bis zum 30 April 1920 für 7 000 bereits Versicherte ... 5 000 ,, für erstmalig Versicherte . . 3. vom 1. Mai 1920 bis zum 31 Juli 1921 . 15000 4. vom 1. August 1921 bis zum 30 Juni 1922 30000 100000 5. vom 1. Juli bis zum 31. August 1922 6. vom 1. September bis zum 31. Oktober 1922 . 300000 840 000 7. vom 1. November bis zum 31. Dezember 1922 1200000 8. vom 1. bis zum 31 Januar 1923 . . . 4 200000 9. vom 1. bis zum 28 Februar 1923 . 10. vom 1. März bis zum 31 Mai 1923 7 200000 11. vom 1. bis zum 30 Juni 1923 im unbesetzten 27 000000 Gebiet im besetzten Gebiet, im Einbruchsgebiet und in dem Gebiet, in dem besondere Vorschriften für die Er­ 34 000000 werbslosenfürsorge galten, ................................ 12. vom 1. bis zum 31 Juli 1923 im unbesetzten Gebiet 78 000 000 im besetzten Gebiet, im Einbruchsgebiet und in dem Gebiet, in dem besondere Vorschriften für die Er­ 96000000 werbslosenfürsorge galten, 13. bom 1. bis zum 31 August 1923 im unbesetzten 2,4 Milliarden Gebiet . . im besetzten Gebiet, im Einbruchsgebiet und in dem Gebiet, in dem besondere Vorschriften für die Er­ werbslosenfürsorge galten, 3 14. vonl 1. bis zum 30. September 1923 im unbesetzten Gebiet 48 im besetzten Gebiet, im Einbruchsgebiet und in dem Gebiet, in dem besondere Vorschriften für die Er­ 60 werbslosenfürsorge galten, vom 1. bis zum 31. Oktober 1923 im unbesetzten Gebiet 6,6 Billionen im besetzten Gebiet, im Einbruchsgebiet und in dem Gebiet, in dem besondere Vorschriften für die Er­ werbslosenfürsorge galten, 8,2 „ vom 1. bis zum 30. November 1923 im unbesetzten „ Gebiet . ..................................................................... 1200

314

Erster Teil.

Strafgesetze.

im besetzten Gebiet, im Einbruchsgebiet und in dem Gebiet, in dem besondere Vorschriften für die Er­ werbslosenfürsorge galten, 1600 Bill. Mark 17. vom 1. Dezember 1923 an 4 000 Reichsmark. 8 379, Angestellte, die durch Erhöhung der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungspflichtig werden und entweder niemals versicherungspflichtig ge­ wesen sind, oder zwar schon versicherungspflichtig gewesen sind, aber die Anwartschaft verloren haben oder sie ohne die Entrichtung freiwilliger Bei­ träge und ohne die Vorschrift des § 54 Abs. 2 verloren hätten (Neuvev* sicherte), werden auf Grund des § 14 von der Versicherungspflicht rück­ wirkend auf den Tag ihres Beginns befreit. Der Befreiungsantrag muß binnen sechs Monaten nach der Erhöhung der Jahresarbeitsverdienstgrenze beim Versicherungsamt oder der Reichsversicherungsanstalt eingegangen sein Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Befreiung müssen bereits zu dem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben.

8 380. Angestellte, die beim Eintritt in die versicherungspflichtige Be­ schäftigung das fünfundsünfzigste Lebensjahr vollendet haben, werden aus ihren Antrag von der Versicherungspflicht befreit, wenn ihnen die Abkürzung der Wartezeit nicht gestattet wird oder nicht ^«gemutet werden kann. Der Befreiungsantrag ist innerhalb der ersten drei Jahre nach Beginn der Ver­ sicherungspflicht zu stellen. Diese Vorschriften gelten entsprechend für Angestellte, die zwar schon versicherungspflichtig gewesen sind, aber die Anwartschaft verloren haben oder sie ohne die Vorschrift des § 54 Abs. 2 verloren hätten. 8 381. Angestellten, die versicherungspflichtig gewesen, infolge Erhöhung ihres Jahresarbeitsverdienstes aus der Versicherungspflicht ausgeschieden sind und bis zum 30. Juni 1923 infolge Heraufsetzung der Jahresarbeits-Verdienstgrenze wieder versicherungspflichtig geworden sind (Wiederversicher­ ten), sind die Kalendermonate der Zwischenzeit als Vormonate für die Weiterversicherung (§ 21) anzurechnen. Wenn ein solcher Angestellter von dem Rechte der Weiterversicherung nach § 21 für die zurückliegende Zeit, während der er nicht versicherungspslichtig war, Gebrauch macht oder gemacht hat, so gelten die freiwilligen Bei­ träge, die er für diese Zeit entrichtet hat oder gültig nachentrichtet, für dis Zurücklegung der Wartezeit als Pflichtbeiträbe. Die freiwillige Versicherung hat die Wirkung der Pflichtversicherung nur insoweit, als ihre Beiträge min­ destens in der Gehaltsklasse des letzten Pflichtbeitrags vor jenem Ausscheiden aus der Versicherunaspslicht oder in der diesem Pflichtbeitrag am nächsten liegenden Gehaltsklasse entrichtet sind oder gültig nachentrichtet werden.

8 382. Auf die Wartezeiten werden die vollen Kalendermonate angerech­ net, in denen Versicherte wahrend des letzten Krieges dem Deutschen Reiche oder einem mit ihm verbündeten oder befreundeten Staate Kriegs-, Sanitäts- oder ähnliche Dienste geleistet haben. Dies gilt auch für Versicherte, die sich in der Zeit vom 1. Januar 1913 bis zum Beginn ihres Kriegs­ dienstes noch in der Ausbildung für einen Angestelltenberuf befanden oder nach vorheriger Beschäftigung als Angestellter ihrer aktiven Dienstpflicht genügten und daher von der Versicherungspflicht nicht erfaßt wurden. Diese Vorschrift gilt nicht für Versicherte, die in dem letzten Beitrags­ monate vor den bezeichneten Diensten bei einer Ersatzkasse versichert gewesen sind. 8 383. In der Zeit vom 1. Januar 1913 bis zum Schlüsse des Jahres 1928 genügt zur Erfüllung der Wartezeit bei den Hinterbliebenenrenten die Zurücklegung von sechzig Beitragsmonaten auf Grund der Bersicherungspflicht. Für Neuversicherte gilt in den ersten fünfzehn Jahren seit der Herauf­ setzung der Jahresarbeitsverdienstgrenze Abs. 1 entsprechend. 8 384. Die Reichsversicherungsanstalt kann dem Versicherten nach vor­ hergehender ärztlicher Untersuchung gestatten, die Wartezeit (§ 53) durch

73. Angestelltenversicherungsgesetz v. 28. Mai 1924.

§§ 379—391.

315

Einzahlung der entsprechenden Deckunßsmittel abzukürzen. Auch nach Er­ füllung der Wartezeit ist unter den gleichen Voraussetzungen der Einkauf von Beitragsmonaten zulässig. Der Reichsarbeitsminister bestimmt das Nähere nach Anhören der Reichs­ versicherungsanstalt. 8 385. Tritt der Versicherungsfall innerhalb der ersten fünfzehn Jahre nach dem 1. Januar 1913 ein, ohne daß ein Anspruch auf Leistun­ gen nach diesem Gesetz oder aus der Invalidenversicherung geltend gemacht werden kann, so steht beim Tode des Versicherten der hinterlassenen Witwe oder dem Witwer oder, falls solche nicht vorhanden sind, den hinterlassenen Kindern unter achtzehn Jahren ein Anspruch auf vier Zehntel der für die Zeit seit dem 1. Januar 1924 entrichteten Beiträge zu. Der Anspruch ver­ fällt, wenn er nicht innerhalb eines Jahres nach dem Tode des Versicherten geltend gemacht wird. 8 386. Der Abschluß der bis zum 31. Dezember 1922 geführten Veri sicherungskonten ist den Beteiligten auf Antrag mitzuteilen. Er wird bin­ dend, wenn nicht binnen zwei Monaten Widerspruch erhoben wird; der Ver­ sicherte ist bei Mitteilung des Abschlusses darauf hinzuweisen. Gegen den Bescheid der Reichsversicherungsanstalt ist das Streitverfahren nach § 194 zu­ lässig. 8 387. Versicherte, die eine vor dem 1. Januar 1923 ausgestellte Verstcherungskarte besitzen, legen sie der Ausgabestelle vor und lassen sich eine neue Versicherungskarte ausstellen. Sie erhält die Nummer 1. Halbversicherte erhalten die neue Versicherungskarte mit dem Vermerke, daß die Befreiung noch besteht. 8 388. Beiträge für die Zeit vor dem 1. September 1925 sind vom 10. September 1925 an nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu entrichten. Sind Beiträge für die Zeit vor dem 1. Januar 1923 nach den frühe­ ren Vorschriften eingezahlt worden, und hat die Reichsversicherungsanstalt nicht innerhalb eines Jahres nach der Einzahlung dieser Beiträge die Vevsicherungspflicht oder das Recht zu freiwilliger Versicherung beanstandet, so kann der Rentenanspruch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, daß die Beiträge zu Unrecht entrichtet sind. Die bis zum 31. Dezember 1923 verwendeten Beitragsmarken dürfen nur insoweit beanstandet werden, als die Versicherungspflicht oder die Ver* sicherungsberechtigung in Frage steht. 8 389. In den Fällen des § 18 ist der Arbeitgeber berechtigt, sich die für die Zeit bis zum 1. Januar 1924 zu verwendenden Marken auf seine Kosten von der Reichsversicherungsanstalt zu beschaffen. Soweit der Gesamtwert den Betrag von 1000 Reichsmark übersteigt, kann der Arbeitgeber verlangen, daß ihm die Zahlung bis zum Schlüsse des Jahres 1928 gestundet wird. In diesen Fällen sind für den gestundeten Betrag jährlich sechs vom Hundert Zinsen und Zinseszinsen zu berechnen. 8 390. Bei Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse kann der Reichsarbeitsminister mit Zustimmung des Reichsrats und des Ausschusses des Reichstags für soziale Angelegenheiten Teuerungszulagen festsetzen und die Beiträge ändern. 8 391. Zur Abgeltung der Aufwendungen für Rentenerhöhungen an Angestellte, die Leistungen aus der Invalidenversicherung beziehen, über­ weist die Reichsversicherunasanstalt am 31. Dezember jedes der Jahre 1923 bis 1920 den Trägern der Invalidenversicherung einen Betrag, den der Reichsarbeitsminister festsetzt. Die Ersatzkassen haben für jedes versicherungspflichtige Mitglied und jeden angefangenen oder vollen Beitragsmonat bis spätestens fünfzehn Tage nach Ablauf des Beitragsmonats an die Reichsversicherunasanstalt einen Be­ trag zu zahlen, den der Reichsarbeitsminister festsetzt; die Reichsversicherungs­ anstalt kann andere Zahlungsfristen zulassen. Der Reichsarbeitsminister bestimmt das Nähere.

316

Erster Teil

Strafgesetze.

8 392, Den Entscheidungen des Reichsversicherungsamts stehen für die Anwendung her §5 N4, 26 t, 283 die Entscheidungen des früheren Oberschieds­ gerichts für Angestelltenversicherung gleich. 8 393. Die zugelassenen Ersatzkassen haben bis zum 30. Juni 1924 die erforderliche Weiterzulassung aus Grund ihrer abgeänderten Satzungen bei dem Reichsarbeitsminister zu beantragen. Sie gelten als neu zugelassen, bis der Reichsarbeitsminister hierüber beschlossen hat. Auf Antrag der Reichsversicherungsanstalt kann der Reichsarbeits­ minister bestimmen, daß sie zur Sicherstellung der reichsgesetzlichen Beitrags­ leistung für den Fall der Nichtzulassung eine Sicherheit bei der Reichs­ versicherungsanstalt zu hinterlegen haben. Wird der Antrag auf Weiterzulassung abgelehnt, so sind die rückständigen Beiträge unter Anrechnung von dreieinhalb vom Hundert Zinsen und Zinses­ zinsen nachzuzahlen. Bei Streit über die Höhe des nachzuzahlenden Betrags entscheidet das Reichsversicherungsamt. 8 394. Ansprüche auf Leistungen, über die das Feststellungsverfahren am 1 Juni 1924 schwebt, unterliegen den Vorschriften dieses Gesetzes. Ist Invaliden- oder Altersrente aus der Invalidenversicherung vor dem 1 Juni 1924 bereits rechtskräftig festgesetzt, und schwebt zu diesem Zeit­ punkt ein Verfahren über einen Anspruch auf Ruhegeld der Angestellten stelltenversicherungsgesetzes erhoben. § 98 Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend. (Abs. 2.) Tritt ein bisher bei der Reichsversicherungsanstalt für Ange­ stellte oder bei einer Ersatzkasse versicherter AngesteO^er zum Reichskna^pschaftsverein über, so ist der Beitrag zum ReichsknappschafNveretn vom ersten Tage des folgenden Monats ab zu entrichten. Für die in den Übergangsmonul fallende Zeit knappschaftlicher Beschäftigung sind Beiträge an die Reichsver­ sicherungsanstalt nach § 185 des Versicherungsgesetzes für Angestellte in der Fassung des Gesetzes vom 10. November 1922 (Reichsgesetzbl. I S. 849)1) oder an die Ersatzkasse zu richten.

VI. Rechnungsführung. Vermögen. 8 108. (Abs. 1.) Die Bezirksknappschaftsvereine besorgen die Rechnungs­ führung getrennt für die verschiedenen Zweige der Versicherung. (Abs. 2.) Gewähren die Bezirksknappschaftsvereine nach § 39 Abs. 2, § 44 die dort bezeichneten Leistungen, so haben sie die Kosten dafür durch Zuschläge zu den sonstigen Beiträgen (§ 97 ff.) zu decken. Die RechnungKT) Vgl. die Note zu § 20.

75. Reichsknappschastsgesetz v. 23. Juni 1923. §§ 101—116.

357

sührung für diese Leistungen und Beiträge geht ebenfalls getrennt. Die Satzung und Sondervorschriften bestimmen Näheres. (Abs. 3.) Die Satzung kann bestimmen, daß die Bezirksknappschaftsvereine und besonderen Krankenkassen ihre Verwaltungskosten selbst tragen und nach Abs. 2 decken. § 109* (Abs. 1.) Für die Anlegung des Vermögens gelten die Bor-l schriften der Reichsversicherungsordnung. Die Satzung bestimmt Näheres. (Abs. 2.) Die Bezirksknappschaftsvereine und besonderen Krankenkassen verwalten das Vermögen der Krankenkasse sowie den Vermögensanteil, der für die Leistungen nach § 39 Ms. 2, § 44 bestimmt ist, im Auftrage des Reichsknappschaftsvereins selbständig. § 110» (Abs. 1.) Rückstände werden wie Gemeindeabgaben beigetrieben Nach den landesgesetzlichen Vorschriften regelt sich auch, ob Einwendungen die Zahlungspflicht aufheben. (Abs. 2.) Soweit es nicht schon landesgesetzlich vorgeschrieben ist, kann die Satzung bestimmen, daß dem Beitreibungsverfahren ein Mahnverfahren voran­ geht und dafür eine Mahngebühr erhoben wird. Diese wird wie die Rück­ stände beigetrieben. Die Festsetzung des Betrages bedarf der Genehmigung des Reichsarbeitsministers. (Abs 3.) Rückstände haben das Vorzugsrecht des § 61 Nr 1 der Konkurs­ ordnung. g 111. (Abs. 1.) Der Anspruch auf Rückstände verjährt, soweit sie nicht absichtlich hinterzogen worden sind, in zwei Jahren nach Mlauf des Kalender­ jahrs der Fälligkeit. (Abs. 2.) Der Anspruch auf Rückerstattung von Beiträgen verjährt in sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie entrichtet worden sind. (Abs. 3). Der Anspruch auf Leistungen nach diesem Gesetze verjährt für die Krankenversicherung in zwei Jahren nach dem Tage der Entstehung, im übrigen in vier Jahren nach der Fälligkeit.

Zehnter Abschnitt.

Verfassung. I. Reichsknappschaftsverein.

g 112. Organe des Reichsknappschaftsvereins sind der Vorstand und die Hauptversammlung. Die Mitglieder des Vorstandes und der Hauptversammlung werden nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. g 113. (Abs. 1.) Vorstand und Hauptversammlung bestehen je zur Hälfte aus Vertretern der Arbeitgeber und der Versicherten. Die Zahl der Vertrete« sowie die Verteilung der Versichertenvertreter aus Arbeiter und Angestellte bestimmt die Satzung. Die Zahl der Angestelltenvertreter in der Hauptver­ sammlung muß mindestens drei betragen. (Abs. 2.) Für die Vetreter werden Ersatzmänner in gleicher Zahl gewählt, g 114. Die Mitglieder des Vorstandes und ihre Ersatzmänner werden in getrennter Wahl von den Vertretern der Arbeitgeber und von den Versicherten in der Hauptversammlung gewählt. Mindestens zwei Drittel der Vertreter der Versicherten müssen Knappschaftsälteste oder Angestelltenälteste sein. Ein Drittel kann aus ehemaligen Mitgliedern des Reichsknappschaftsvereins oder der früheren Knappschaftsvereine entnommen werden, die freiwillige Beiträge zur Krankenversicherung oder Anerkennungsgebühren zur Erhaltung der An­ sprüche auf Pensionskassenleistungen zahlen. g 115. Der Vorstand hat das Ergebnis jeder Wahl und jede Änderung in seiner Zusammensetzung binnen einer Woche dem Reichsarbeitsminister axv* zuzeigen. g 116. (Ms. 1.) Der Vorstand besorgt sämtliche Geschäfte des Reichs­ knappschaftsvereins, die nicht durch Gesetz oder Satzung der Hauptversammlung Vorbehalten oder den Bezirksknappschastsvereinen übertragen sind.

358

Erster Teil.

Strafgesetze.

(Abs. 2.) Der Vorstand vertritt den Reichsknappschaftsverein gerichtlich und außergerichtlich. Er hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters. (Abs. 3.) Zum Nachweis seiner Vertretungsmacht erhält der Vorstand eine Bescheinigung des Reichsarbeitsministers über die den Vorstand bildenden Personen. (Abs 4.) Die Satzung kann bestimmen, daß auch einzelne BorstandsMitglieder den Reichsknappschaftsverein vertreten können g 117. Die Vorstandsmitglieder haften für getreue Geschäftsführung wie Vormünder ihren Mündeln. g 118. (Abs. 1.) Der Vorstand beschließt, soweit nichts anderes bestimmt ist, .mit einfacher Stimmenmehrheit. (Abs. 2.) Eine Mehrheit von zwei Dritteln der dem Vorstand ange^hörenden Stimmen ist erforderlich bei der Auslegung von Satzungsbestimmungen. (Abs. 3.) Eine getrennte Abstimmung in den Gruppen der Arbeitgeber und Versicherten und eine Mehrheit in beiden Gruppen ist erforderlich 1. bei der Abstimmung Yttier die Errichtung besonderer Krankenkassen (§ 13 Abs. 3), 2 bei der Anstellung leitender Angestellten. (Abs 4.) über einen abgelehnten Antrag ist auf Verlangen der Antrag­ steller innerhalb eines Monats nochmals abzustimmen. Wird der Antrag wiederholt abgelehnt, so kann, wenn die Entscheidung von erheblicher Wichtig­ keit für den Reichsknappschaftsverein ist, die Entscheidung des Reichsarbeits­ ministers angerufen werden. Die Entscheidung kann nur mindestens ein Drittel der Vertreter der Arbeitgeber oder der Versicherten im Vorstand und nur innerhalb eines Monats vom Tage der wiederholten Abstimmung ab beantragen. 8 119. Bei der Beschlußfassung über Angelegenheiten, die ausschließlich die Arbeiterabteilung der Pensionskasse berühren, enthalten sich die Ange­ stelltenvertreter der Abstimmung und umgekehrt. Dabei stimmten von der Arbeitgeberseite nur so viele Vetreter wie von der Versichertenseite; wer hier­ nach nicht mitzustimmen hat, entscheidet das Los 8 120. Der Vorstand kann die Erledigung bestimmter Ausgaben be­ sonderen Ausschüssen übertragen. Solche Ausschüsse werden nach § 113 zu­ sammengesetzt; ihre Mitglieder werden in getrennter Wahl von den Vertretern der Arbeitgeber und der Versicherten im Vorstand nach den Grundsätzen der Verhältniswahl aus deren Mitte gewählt 8 121. Die Satzung kann bestimmen, daß die Besorgung laufender Ge­ schäfte des Vorstandes einem oder mehreren Vorstandsmitgliedern oder leitenden Angestellten „der Verwaltung" übertragen wird. In die Geschäftsführung des Reichsknappschaftsvereins ist ein Vertrauensmann der Versicherten zu über­ nehmen. Er wird vom Vorstande des Vereins auf Grund einer Vorschlagsliste der beteiligten Versicherungsverbände gewählt, die mindestens drei Namen enthalten muß. 8 122. (Abs. 1.) Nach außen sind Erklärungen für den Reichsknappschastsverein verbindlich, wenn sie von einer oder mehreren den Vorstand vertretenden Personen nach näherer Bestimmung der Satzung gezeichnet sind. (Abs. 2.) In welcher Form Erklärungen mit verbindlicher Wirkung für Arbeitgeber und Versicherte abzugeben und bekanntzumachen sind, bestimmt die Satzung. 8 123. (Abs. 1.) Die Mitglieder der Hauptversammlung und ihre Ersatz­ männer werden in getrennter Wahl aus den Vertretern der Arbeitgeber und der Versicherten in den Bezirksversammlungen der Bezirksknappschaftsvereine gewählt. (Abs. 2.) Jeder Bezirksknappschaftsverein entsendet mindestens einen Vertreter von jeder Seite. Im übrigen bestimmt die Satzung eine Mindestzahil von versicherten Arbeitern und versicherten Angestellten, für die ein Ver­ treter von jeder Seite zu entsenden ist. Kein Bezirksknappschaftsverein darf mehr als die Hälfte der Gesamtzahl der Vertreter haben.

75. Reichsknappschaftgesetz v. 23. Juni 1923.

§§ 117—131.

359

§ 124. Eine Wahlordnung des Reichsknappschaftsvereins regelt die Wahlen zur Hauptversammlung. § 125. (Abs. 1.) Der Hauptversammlung bleibt Vorbehalten: 1. Erlaß und Änderung der Satzung, 2. die Wahl des Vorstandes, 3. die Wahl je eines Ausschusses a) zur Prüfung und Abnahme der Jahresrechnung, b) zur Ausübung der Befugnis, Ansprüche des Reichsknappschaftsvereins, gegen Vorstandsnlitglieder oder Angestellte aus deren Geschäftsführung durch besondere Beauftragte zu verfolgen, c) zur Begutachtung allgemeiner knappschaftlicher Fragen, 4. die Festsetzung der Teuerungszulagen (§§ 31. 33, 34). (Abs. 2.) Für die Zusammensetzung der Ausschüsse (Abs 1 Nr 3) und die Wahl ihrer Mitglieder gilt § 120 entsprechend § 126. Beschlußfassungen und Wahlen erfolgen in der Hauptversammlung für jeden der beiden Teile besonders. Beschlüsse werden mit einfacher Stimmen­ mehrheit auf beiden Seiten gefaßt. Anträge, denen nicht von beiden Seiten» zugestimmt wird, gelten als abgelehnt § 127. Der Vorstand des Neichstnappschaftsvereins wählt den Borsrtzendeu und zwei stellvertretende Vorsitzende aus den Vorstandsmitgliedern der Arbeitgeber, Arbeiter und Angestellten. Diese sind zugleich Vorsitzende der Hauptversammlung. H 128. (Abs. 1.) Die Wahlzeit dauert vier Jahre (Abs. 2.) Die Gewählten bleiben nach Ablauf dieser Zeit im Amte, bis ihre Nachfolger eintreten. Abs 3 ) Wer ausscheidct, kann wieder gewählt werden

21. Bezirksknappschaftsvereine. § 129. (Abs 1.) Die Verwaltung eines jeden Bezirksknappschastsvereins führen unter Mitwirkung pon Knappschaftsültesten und Angestelltenältesten der Bezirksvorstand und die Bezirksversammlung. '^Abs. 2.) Besondere Krankenkassen müssen einen besonderen Vorstand und eine besondere Hauptversammlung haben (Abs. 3.) Die Mitglieder der Organe der Bezirksknappschaftsvereine und der besonderen Krankenkassen werden nach den Grundsätzen der Verhältnis­ wahl gewählt § 130. (Abs. 1.) Wählbar als Älteste, als Vertreter der Versicherten rund als Vertreter der Arbeitgeber im Bezirksvorstand und in der Bezirksversamm­ lung sind nur volljährige Deutsche, die den in der Satzung bestimmten be­ sonderen Voraussetzungen genügen (Abs. 2.) Nicht wählbar ist: 1. wer infolge strafgerichtlicher Verurteilung die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter verloren hat oder wegen eines Perbrechens oder Ver­ gehens, das den Verlust dieser Fähigkeit zur Folge haben kann, verfolgt wird, wenn gegen ihn das Hauptverfahren eröffnet ist, 2. wer infolge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über sein Vermögen beschränkt ist (Abs. 3.) Wählbar als Vertreter der Arbeitgeber sind auch Personen, die mit der Leitung knappschaftlicher Betriebe betraut oder in der Verwaltung dieser Betriebe angestellt sind sowie die Mitglieder des Lluffichtsrats einer Aktiengesellschaft oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die knappschaftliche Unternehmungen betreibt. § 131. (Abs 1.) Die Knappschaftsältesten werden innerhalb von Sprengel­ wahlgruppen von den volljährigen versicherten Arbeitern, welche die bürger­ lichen Ehrenrechte haben, in geheimer und unmittelbarer Abstimmung nach den Grundsätzen der Verhältniswahl aus ihrer Mitte gewählt. Zum Knapp­ schaftsältesten kann jedoch nur gewählt werden, wer mindestens ein Fünftel der nt dem Sprengel abgegebenen Stimmen erhalten hat, bei geringerer

360

Erster Teil.

Strafgesetze.

Stimmenzahl nur dann, wenn andere vorgeschlagei^ Bewerber des Sprengels nicht mehr Stimmen erhalten haben. Ist ein solcher Bewerber auf der Vorschlagsliste der Wählergruppe nicht vorhanden, welcher der Sitz in dem Sprengel bei der Verteilung zugefallen ist, so wird der Sitz der Wählergruppe zugeteilt, die in dem Sprengel die größte Stimmenzahl aufweist. Sprengelwahlgruppen und Wahlverfahren bestimmt die Satzung. Die Knappschaftsältesten müssen vor­ behaltlich des Abs. 2 Mitglieder der Arbeiterabteilung der Pensionskasse, der deutschen Sprache in Wort und Schrift mächtig sein und innerhalb des Sprengels wohnen. Für besondere Krankenkassen können die Sondervor­ schriften bestimmen, daß die Kmappschaftsältesten bei ihnen gewählt werden. (Abs. 2.) Knappschaftsinvaliden können gewählt werden, wenn sie Pflicht­ beiträge oder freiwillige Beiträge zur Krankenversicherung zahlen. (Abs. 3.) Die Knappschaftsältesten haben im allgemeinen das Recht und die Pflicht, die Befolgung der Satzung und der Sondervorschriften durch die versicherten Arbeiter zu überwachen und die Rechte der Arbeiter gegenüber dem Reichsknappschaftsvereine wahrzunehmen. (Abs. 4.) Die Satzung, die Sondervorschriften oder eine besondere Dienst­ anweisung regeln ihre Dienstobliegenheiten (Abs. 5.) Die Wahlzeit dauert vier Jahre § 128 Abs 2, 3 gilt ent­ sprechend 8 132. ^Abs. 1.) Für die Wahl der Angestclltcnältcstcn gilt § 131 Abs. 1 entsprechend; die Mitglieder der Angestclltenabteilung der Pensionskasse sind zur Teilnahme an der Wahl berechtigt und wählbar. Angestellteninvaliden oder Empfänger von Ruhegeld der Angestelltenversicherung können als Ange­ stelltenälteste gewählt werden, wenn sie die Voraussetzung des § 131 Abs. 2 erfüllen (Abs 2.) Die Angestelltenältesten haben gegenüber den versicherten An­ gestellten die im § 131 Abs. 3 bezeichneten Aufgaben. § 131 Abs 4, 5 gilt entsprechend. § 133. (Abs. 1.) Bezirksvorstand und Bezirksversammlung bestehen je zur Hälfte aus Vertretern der Arbeitgeber und der Versicherten. Die Zahl der Vertreter sowie die Verteilung der Versichertenvertreter auf Arbeiter und Angestellte bestimmen die Sondervorschriften. Die Zahl der Angestelltenvertreter in der Bezirksversammlung muß mindestens drei betragen. (Abs. 2.) Für die Vertreter werden Ersatzmänner in gleicher Zahl gewählt § 134. (Abs. 1.) Die Vertreter der Arbeitgeber im Bezirksvorstand und ihre Ersatzmänner werden von der Arbeitgebern aus deren Mitte, die Ver­ treter der Versicherten und ihre Ersatzmänner von den Ältesten in der Bezirks­ versammlung nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Mindestens zwei Drittel der Vertreter der Versicherten müssen Knappschaftsälteste sein. § 114 Satz 3 gilt entsprechend. (Ms. 2.) Eine Wahlordnung des Bezirksknappschaftsvereins regelt die Wahl. § 135. Innerhalb des Bezirksvorstandes werden getrennte Abteilungen für Arbeiter und für Angestellte gebildet. Dabei werden Arbeitgebervertreter aus deren Mitte gewählt, die beiden Mteilungen angehören. 8 136. (Abs. 1.) Über Angelegenheiten, die ausschließlich die Arbeiter­ abteilung und die Angestelltenabteilung der Pensionskasse berühren, beschließt der zuständige Abteilungsvorstand. (Ms. 2.) über alle anderen Angelegenheiten beraten und beschließen die Abteilungsvorstände gemeinsam. Dabei werden die Stimmen derjenigen Arbeit­ gebervertreter, die beiden Abteilungen angehören, doppelt gezählt. 8 137. Die Aufgaben des Bezirksvorstandes bestimmen die Satzung und die Sondervorschriften. 8 138. (Abs. 1.) Für die Beschlußfassung des Bezirksvorstandes gilt § 118 Ms. 1 entsprechend. (Ms. 2.) Eine Mehrheit von zwei Dritteln der dem Vorstand angehören­ den Stimmen ist erforderlich.

75. Reichsknappschaftsgesetz v. 23. Juni 1923.

§§ 132-145.

361

1. bei der Auslegung der Sondervorschriften, 2. bei dem Erlasse der Wahlordnung für die Wahl der Knappschaftsältesten. (Abs. 3.) Eine getrennte Abstimmung in den Gruppen der Arbeitgeber und Versicherten und eine Mehrheit in beiden Gruppen ist erforderlich 1. bei der Abstimmung über die Befreiung von der Krankenversicherungs­ pflicht (§ 11 Abs. 2) und der Jnvalidenversicherungspflicht (§ 68 Abs. 2), 2 bei der Anstellung leitender Angestellten. (Abs. 4.) Wird ein Antrag abgelehnt, so gilt § 118 Abs 4 Satz. 1 ent­ sprechend. Im Falle wiederholter Ablehnung eines Antrags ist zunächst der Borstand des Reichsknappschaftsvereins anzurufen. ' Lehnt auch dieser den Antrag ab, so kann, wenn die Entscheidung für den Bezirksknappschaftsverein von erheblicher Wichtigkeit ist, die Entscheidung des Reichsarbeitsministersi angerufen werden. Die Entscheidung kann nur mindestens ein Drittel der Vertreter der Arbeitgeber oder der Versicherten im Vorstand und nur innerhalb eines Monats vom Tage der wiederholten Abstimmung ab beantragen. § 139* Der Bezirksvorstand erhält eine Bescheinigung des Reichsarbeits­ ministers über seine Zusammensetzung und die ihm übertragenen Aufgaben. 8 149. (Abs. 1.) Die Vertreter der Arbeitgeber in der Bezirksversamm­ lung und ihre Ersatzmänner werden von den Arbeitgebern aus deren Mitte, die Vertreter der Versicherten und ihre Ersatz-männer von den Knappschafts­ ältesten und Angestelltenältesten nach den Grundsätzen der Verhältniswahl aus deren Mitte gewählt. § 134 Abs. 2 gilt entsprechend (Abs. 2.) Sowohl die Arbeitgeber als auch die Versichertenvertreter können sich in der Bezirksversammlung durch besonders hierzu bevollmäch­ tigte Personen vertreten lassen. 8 141. Die Bezirksversammlung hat folgende Aufgaben: 1. Wahl der Vertreter zur Hauptversammlung des Reichsknappschaftsvereins, 2. Erlaß und Änderung der Sondervorschriften, 3. Wahl eines Ausschusses zur Prüfung und Abnahme der Krankenkassenjahresrechnung 8 142. Für die Beschlußfassung der Bezirksversammlung gilt § 126 ent­ sprechend. Das Stimmverhältnis wird durch die Sondervorschriften geregelt. 8 143. (Abs. 1.) Die Satzung kann bestimmen, daß die Besorgung laufen­ der Geschäfte des Bezirksvorstandes einem oder mehreren Mitgliedern des Bezirksvorstandes oder leitenden Angestellten „der Bezirksverwaltung" über­ tragen wird. Zu den laufenden Geschäften gehört die Entscheidung über An­ sprüche der Versicherten, soweit nicht die Entscheidung über Leistungen der Pensionskasse einem Ausschuß vorbehalten ist, über den Satzung und Sonder­ vorschriften Näheres bestimmen. (Abs. 2.) Die Ausschüsse werden nach § 133 zusammengesetzt; sie sind getrennt für Arbeiter und für Angestellte zu bilden. Die Mitglieder der Ausschüsse werden in getrennter Wahl von den Vertretern der Arbeitgeber und der Versicherten im Bezirksvorstand aus deren Mitte oder aus den in den Bezirksvorstand wählbaren Personen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. . 3.) In die Geschäftsführung der Bezirksknappschaftsvereine ist ' je ein Vertrauensmann der Versicherten zu übernehmen. Die Wahl der Vertrauensmänner erfolgt für jeden Bezirksknappschaftsverein durch dessen Vorstand auf Grund von Vorschlagliften, die gemeinsam durch Pie beteiligten Arbeitnehmerverbände eingereicht werden und mindestens je drrei Namen enthalten müssen. 8 144. Für die Wahl der Vorsitzenden des Bezirksvorstandes, der Be­ zirksversammlung und der Ausschüsse gilt § 127 Satz 1, für die Amtsdauev gilt z 128 entsprechend. 8 145. (Abs. 1.) Alle Erklärungen des Bezirksvorstandes ergehen im Auftrag des Reichsknappschaftsvereins. Sie sind für diesen verbindlich, wenn sie von den im Ms. 2 vorgesehenen Personen und in der im Ahs. 3 vorge^ schriebenen Form vollzogen werden.

C

362

Erster Teil.

Strafgesetze.

(Abs. 2.) Nach außen sind Erklärungen, die vom Bezirksknappschafts­ vereine für Den Reichsknappschaftsverein abgegeben werden, verbindlich, wenn sie von einer oder mehreren zur Zeichnung befugten Personen nach näherer Bestimmung der Sondervorschriften gezeichnet sind. (Abs. 3.) In welcher Form Anordnungen des Bezirksvorstandes oder der Bezirksverwaltung mit verbindlicher Wirkung für Arbeitgeber und Versicherte zu erlassen und bekanntzumachen sind, bestimmen die Sondervorschriften.

III. Besondere Krankenkaffen. § 146.

Für besondere Krankenkassen gelten die §§ 129 bis 145 mit folgender Maßgabe: 1 sind die Wahlen der Knappschaftsältesten und Angestelltenältesten nicht durch die Satzung den besonderen Krankenkassen übertragen, so finden keine besonderen Wahlen der Ältesten statt, vielmehr gilt die Wahl jm Bezirksknappschastsverein auch für die Krankenkasse; 2 durch die Satzung kann bestimmt werden, daß, an Stelle von Ältesten, sämtliche Versicherten, die großjährig und im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte sind, an der Hauptversammlung der Krankenkasse teil­ nehmen

IV. Angestellte und Arbeiter.

§ 147. (Abs. 1.) Die Anstellungs- und Dienstverhältnisse der Angestellten des Reichsknappschastsvereins, der Bezirksknappschaftsvereine und der besonderen Krankenkassen werden vorbehaltlich der Vorschrift im §. 148 durch eine Dienst­ ordnung geregelt. Wer der Dienstordnung unterstehen soll, wird durch schriftlichen Vertrag angestellt. Läuft eine Bestimmung des Anstellungsvertrags der Dienstordnung zuwider, so ist sie nichtig (Abs. 2.) Für Angestellte, die nur auf Probe, zu vorübergehender Dienst­ leistung oder zur Vorbereitung beschäftigt werden, gilt die Dienstordnung nur, soweit sie es ausdrücklich vorsieht

8 148. Die Dienstordnung stellt der Neichsknappschaftsverein auf, sie hat vorbehaltlich eines etwa abgeschlossenen Tarifvertrags die Gehaltsbezüge, die Grundsätze für Anstellung, Dienstentlassung, Nuhestandsversorgung und Hinter­ bliebenenfürsorge zu regeln.

8 149. (Abs 1.) Die Angestellten werden nach den Vorschriften dieses Gesetzes versichert Aus der Pensionsversicherung scheiden sie, soweit nicht die Dienstordnung etwas anderes bestimmt, aus, sobald ihnen durch die Dienstordnung Anspruch auf Ruhestandsversorgung und Hinterbliebenenfürsorge eingeräumt wird; die bis zum Ausscheiden erworbenen Ansprüche können durch Zahlung von Anerkennungsgebühren erhalten werden. (Abs. 2.) Angestellte dürfen nicht ehrenamtliche Mitglieder der Vorstände des Reichsknappschaftsvereins, der Bezirksknappschastsvereine oder der be­ sonderen Krankenkassen seht 8 150. Die in Diensten des Reichsknappschaftsvereins, der Bezirksknapp­ schaftsvereine oder der besonderen Krankenkassen beschäftigten Arbeiter werden nach den Vorschriften dieses Gesetzes versichert. § 149 Abs. 2 gilt entsprechend. Elfter Abschnitt

Aufsicht.

8 151. (Abs 1.) Die Aufsicht über den Reichsknappschaftsverein, die Bezirksknappschaftsvereine und die besondern Krankenkassen führt der Reichs­ arbeitsminister. Für ihre Handhabung gelten die §§ 30 bis 34 der Reichs­ versicherungsordnung. (Abs. 2.) Bei Beschwerden über die Geschäftsführung des Reichsknapp­ schaftsvereins entscheidet der Reichsarbeitsminister endgültig. (Abs. 3.) Der Reichsarbeitsminister soll mit der Aufsicht über die Be­ zirksknappschaftsvereine und besonderen Krankenkassen die zuständigen Landes-

75. Reichsknappschastsgesetz v. 23. Juni 1923. §§ 146—159.

behörden betrauen. Erstreckt sich ein Bezirksknappschaftsverein oder eine sondere Krankenkasse über Gebiete mehrerer Länder, so ist die Behörde Landes zuständig, in dessen Gebiet der Bezirksknappschaftsverein seinen hat. Wegen der Aufsicht über die besondern Krankenkassen bestimmt Reichsarbeitsminister Näheres.

363 be­ des Sitz der

8 152. Beschwerden über die Geschäftsführung der Bezirksknappschafts­ vereine sind beim Borstand des Reichsknappschaftsvereins und in weiterer Instanz beim Reichsarbeitsminister anzubringen. Der Reichsarbeitsminister entscheidet in Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung nach Anhörung der im § 151 Abs. 3 bezeichneten Landesbehörde.

Zwölfter Abschnitt.

Feststellung der Leistungen. 8 153. (Abs. 1.) Die Leistungen des Reichsknappschaftsvereins werden vorbehaltlich des Abs. 3 auf Antrag festgestellt. Die Feststellung geschieht durch die Bezirksknappschaftsvereine oder die besonderen Krankenkassen im Auftrag des Reichsknappschaftsvereins. (Abs. 2.) Minderjährige, die das sechzehnte Lebensjahr vollendet haben, können selbständig den Antrag für sich stellen und ihn selbständig verfolgen. (Abs. 3.) über die Berechtigung zum Bezüge von Leistungen der Pensions­ kasse kann auch ohne Antrag entschieden werden. 8 154. Bei Streit über Leistungen der Krankenkasse entscheidet auf Antrag in erster Instanz ein nach § 143 bestellter Ausschuß. 8 155. (Abs. 1.) Über die Leistungell der Pensionskasse entscheidet vor­ behaltlich der §§ 80, 156 die Verwaltung des Bezirksknappschaftsvereins oder der besonderen Krankenkasse. (Abs. 2.) § 1551 Ms. 2 bis 4 der Reichsversicherungsordnung gilt ent­ sprechend. (Abs. 3.) Gegen den Bescheid der Berloaltung kann die Entscheidung eines nach § 143 bestellten Ausschusses angerufen werden. Der Ausschuß entscheidet nach Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit gilt ein Antrag als abgelehnt. (Abs. 4.) Der Antrag auf Entscheidung des Ausschusses ist binnen einem Monat nach Bekanntgabe des Bescheids der Verwaltung schriftlich bei dieser anzubringen. 8 156. Vorbehaltlich des § 80 entscheidet über Ansprüche auf Invaliden­ pensionen sowie über deren Wegfall ein nach § 143 bestellter Ausschuß, wenn nicht die Verwaltung des Bezirksknappschaftsvereins mit dem Berechtigten über die Bewilligung oder den Wegfall einig ist. 8 157. Bei Streit über das Bersicherungsverhältnis oder die Beiträge zur Krankenkasse oder zur Pensionskasse entscheidet die Verwaltung des Bezirksknappschaftsvereins oder der besonderen Krankenkasse. § 155 Ws. 2, 3 gilt entsprechend. 8 158. (Abs. 1.) Gegen den Bescheid des Ausschusses (§§ 154 bis 157) ist binnen einem Monat nach seiner Zustellung Berufung Veim Knappschaft^oberversicherungsamt und gegen dessen Urteil' mit den Beschränkungen nach Abs. 2 in derselben Frist die Revision beim Reichsversicherungsamte zulässig. (Abs. 2.) Für das Verfahren vor dem Knappschaftsoberversicherungsamt und vor dem Reichsversicherungsamte gelten die Vorschriften des Sechster: Buches der Reichsversicherungsordnung und deren sonstige Vorschriften über das Verfahren, soweit sie die Feststellung der Leistungen betreffen oder mitbetreffen. Ebenso gelten die Vorschriftn über Wiederaufnahme des Verfahrens. 8 159. (Abs. 1.) Für Personen, die einen gesetzlichen Vertreter -haben, wird der Bescheid vorbehaltlich des Ws. 2 dem Vertreter zugestellt. (Abs. 2.) Betreibt ein Minderjähriger, der das sechzehnte Lebensjahr vollendet hat, das Verfahren selbständig, so wird ihm der Bescheid zugestellt; der gesetzliche Vertreter erhält eine Abschrift des Bescheids. Betreibt dieser

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Erster Teil.

Strafgesetze.

das Verfahren, so erhält er den Bescheid zugestellt; der Minderjährige erhalt eine Abschrift des Bescheids. (Abs. 3.) Für Personen, die durch einen Bevollmächtigten vertreten werden, wird diesem der Bescheid zugestellt. (Abs. 4.) Sind mehrere Vertreter derselben Person vorhanden, so genügt die Zustellung oder Mitteilung einer Abschrift des zuzustellenden Schriftstücks (Abs. 2) an einen von diesen. § 160. (Abs. 1.) Für die Feststellung der Leistungen der Invaliden- zmd Hinterbliebenenversicherung einschließlich der Rechtsmittel und der Wiederauf­ nahme des Verfahrens gelten die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung entsprechend. Die Vorbereitung und Begutachtung der Anträge nach §§ 1617 ff. der Reichsversicherungsordnung besorgt ein nach § 143 bestellter Ausschuß, die Feststellung der Leistungen nach § 1630 der Reichsversicherungsordnung die Verwaltung des Bezirksknappschaftsvereins. Abs. 2.) Für die Entscheidung von Streit über das Versicherungsverhält­ nis oder die Beiträge zur Invalidenversicherung gelten die §§ 1459 bis 1464 der Reichsversicherungsordnung entsprechend. An Stelle des Versicherungsamts tritt ein nach § 143 bestellter Ausschuß, an Stelle des Oberversicherungsamts das Knappschastsoberversicherungsamt. 8 161. (Abs. 1.) Für die Feststellung der Leistungen der Angestelltewversicherung gelten die Vorschriften des ÄngestelltenversicherungSgesetzes ent­ sprechend. Die Vorbereitung und Begutachtung der Anträge nach §§ 233 ff. des Versicherungsgesetzes für Angestellte in der Fassung des Gesetzes vom 10. November 1922 (Reichsgesetzbl. I S. 849)1) besorgt ein nach § 143 bestellter Ausschuß, die Feststellung der Leistungen nach §§ 265 ff. des genannten Gesetzes die Verwaltung des Bezirksknappschaftsvereins. (Abs. 2.) Für die Entscheidung von Streit über das Versicherungsverhältnis oder die Beiträge zur Angestelltenversicherung gelten die §§ 193 bis 194 c des genannten Gesetzes entsprechend. An Stelle des Versicherungsamts tritt ein nach § 143 bestellter Ausschuß, an Stelle des Oberversicherungsamts das Knappschastsoberversicherungsamt. In den Fällen des § 210 Ms. 2 des genannten Gesetzes entscheidet das Reichsversicherungsamt durch den Senat für Angestelltenversicherung.

8 162. (Abs. 1.) Über den Anspruch auf laufende Leistungen ist ein schriftlicher Bescheid zu erteilen, der im Falle der Anerkennung die Hohe und Art der Berechnung ersehen läßt, im Falle der Ablehnung zu begründen ist. (Abs. 2.) Jeder Bescheid muß einen Vermerk darüber enthalten, wie er angefochten werden kann. 8 163. (Abs. 1.) Für den Bereich eines Bezirksknappschaftsvereins oder mehrerer Bezirksknappschaftsvereine werden Knappschaftsoberversicherungsämter nach dell Vorschriften der Reichsversicherungsordnung über besondere pberversicherungsämter gebildet. Die Arbeitgeberbeisitzer werden von den Arbeitaebervertretern, die Versichertenbeisitzer von den Versichertenvertretern in den Vorständen der Bezirksknappschaftsvereine nach den Grundsätzen der Ver­ hältniswahl gewählt. (Abs. 2.) Der Reichsarbeitsminister bestimmt Zahl, Sitz und Bezirk der Knappschaftsoberversicherungsämter sowie Näheres über die Wahl der Beisitzer.

8 164. Die Knappschaftsoberversicherungsämter nehmen nach diesem Ge­ setze, der Neichsversicherungsordnung und dem Angestelltenversicherungsgesetzo die Geschäfte der höheren Spruch- und Beschlußbehörde für die Versicherungs­ leistungen nach diesem Gesetze wahr, Näheres bestimmt der Reichsarbeits­ minister. 8 165. Die Kosten der Knappschaftsoberversicherungsämter trägt das Land, worin der Sitz ist. Dieses erhält die Kosten von dem Reichsknappschafts^ verein und sonst beteiligten Versicherungsträgern erstattet. Der Reichsknappx) Vgl. die Note zu § 20.

75. Reichsknappschaftsgesetz v. 23. Juni 1923.

§§ 160—175.

365

schastsverein verteilt seinen Anteil an den Kosten auf die Bezirksknappschafts-' vereine und besondere Krankenkassen. Näheres bestimmt der Reichsarbeitsminister. § 166. (Abs. 1.) Das Neichsversicherungsamt nimmt nach diesem Gesetze, der Reichsversicherungsordnung und dem Angestelltenversicherungsgesetze die Geschäfte der obersten Spruch- und Beschlußbehörde für die Versicherung^ leistungen nach diesem Gesetze wahr. (Abs. 2.) Beim Reichsversicherungsamte wird ein besonderer Senat für die Versicherung nach diesem Gesetze (Knappschaftssenat) gebildet. Der Senats­ präsident soll in der Regel besondere Kenntnisse und Erfahrung auf dem Gebiete des Bergwesens und der knappschaftlichen Versicherung besitzen. Ms Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten nehmen an den Sitzungen des Knappschaftssenates Angehörige knappschaftlicher Betriebe teil. (Abs. 3.) Die Kosten des Knappschaftssenats werden dem Reiche vom Reichsknappschaftsvererne nach Grundsätzen erstattet, welche die Reichsregierung nach Anhören des Reichsrats und des Reichsknappschaftsvereins festsetzt. Je am Ende des Kalendervierteljahrs hat der Reichsknappschaftsverein ange­ messene Abschlagszahlungen zu leisten. § 165 Satz 3 gilt entsprechend. § 167. Die Angehörigen knappschaftlicher Betriebe (§ 166) werden in getrennter Wahl von den Vertretern der Arbeitgeber und der Versicherten im Vorstand des Reichsknappschaftsvereins nach den Grundsätzen des Verhältnis­ wahl gewählt Der Reichsarbeitsminister bestimmt Näheres.

Dreizehnter Abschnitt.

Auszahlung der Leistungen.

I. Auszahlung durch die Post. 8 168. (Abs. 1.) Alle laufenden Leistungen, mit Ausnahme der Kranken­ kassenleistungen können auf Anweisung des Bezirksvorstandes oder der Ver­ waltung des Bezirksknappschaftsvereins durch die Post gezahlt werden, und zwar in der Regel durch die Postanstalt, in deren Bezirk der Empfänger zur Zeit des Antrags wohnte. Die Zahlstelle wird ihm von der Verwaltung des Bezirksknappschaftsvereins mitgeteilt. (Abs. 2.) Verzieht der Empfänger, so kann er beim Bezirksknappschafts­ verein oder bei der Postanstalt des alten Wohnorts beantragen, daß die Zahlung an die Postanstalt des neuen Wohnorts überwiesen wird. 8 169. Jede Person, die berechtigt ist, ein öffentliches Siegel zu führen, ist befugt, die bei den Zahlungen erforderlichen Bescheinigungen zu erteilen und zu beglaubigen. 8 170. Die obersten Postbehörden können vom Reichsknappschaftsverein einen Vorschuß einziehen. Er wird nach der Wahl des Reichsknappschaftsvereins vierteljährlich oder monatlich an die von der Post bezeichneten Kassen abgeführt und darf nicht den Betrag übersteigen, der an Leistungen auf Grund dieses Gesetzes im laufenden Geschäftsjahr voraussichtlich zu zahlen ist. 8 171. Die der Post zu gewährende Vergütung wird vom Reichsrctt nach Anhörung des Reichsknappschaftsvereins festgesetzt. .8 172. Der Reichskanzler kann bestimmen, wie an Empfänger zu zahlen ist, die sich gewöhnlich im Ausland aufhalten.

II. Abrechnung mit der Post. 8 173. Die obersten Postbehörden teilen dem Reichsknappschaftsvereine mit, was die Post im verflossenen Geschäftsjahr auf Anweisung der BezirkAknappschaftsvereine bezahlt hat. 8 174. Binnen zwei Wochen nach Empfang der Mitteilung muß der Reichsknappschaftsverein den Betrag aus den bereiten Mitteln zahlen. III. Auszablnng durch die Bezirksknappschaftsvereine. Krankenkassenleistungen und alle einmaligen Leistungen werden durch den Bezirksknappschaftsverein oder die besondere Krankenkasse ausgezahlt.

8 175.

366

Erster Teil.

Strafgesetze.

Dies gilt auch für bie laufenden Leistungen nach § 168 Ws. 1, wenn deren Auszahlung nicht der Post übertragen ist Die Sondervorschriften bestimmen Näheres.

Vierzehnter Abschnitt.

Sonstige Vorschriften. I. Rechtshilfe. 8 176. Die öffentlichen Behöroen sind verpflichtet, den Ersuchen zu ent* sprechen, die im Vollzüge dieses Gesetzes von Bersicherungs- und anderen öffentlichen Behörden sowie vom Reichsknappschastsvereine, von den Bezirksknapp­ schaftsvereinen und den besonderen Krankenkassen an sie ergehen, namentlich vollstreckbare Entscheidungen zu vollstrecken 8 177. Diese Rechtshilfe haben auch der Reichsknappschaftsverein, dis Bezirksknappschaftsvereine und die besonderen Krankenkassen einander und anderen Trägern der Arbeiter- und Angestelltenversicherung sowie den Be­ hörden und Armenverbänden zu leisten. 8 178. Tagegelder, Reisekosten, Gebühren für Zeugen und Sachverständige und alle anderen baren Auslagen, die aus der Rechtshilfe erwachsen, werden vom Reichsknappschaftsvereine, von den Bezirksknappschaftsvereinen und be­ sonderen Krankenkassen als Verwaltungskosten erstattet.

II. Leistungen. 8 179. Leistungen, die nach diesem Gesetze gewährt werden, und die durch den Übergang des Anspruchs darauf ersetzten Unterstützungen sind keine öffent­ lichen Armenunterstützungen. 8 180. (Abs. 1.) Die Ansprüche auf die Leistungen der Versicherung nach diesem Gesetze können mit rechtlicher Wirkung übertragen, verpfändet und gepfändet werden nur wegen: 1. eines Vorschusses, den der Berechtigte auf seine Ansprüche vor Anweisung der Leistungen vom Arbeitgeber oder vom Reichsknappschaftsvereine, Be­ zirksknappschaftsverein oder von der besonderen Krankenkasse erhalten hat; 2. der im § 850 Abs. 4 der Zivilprozeßordnung bezeichneten Forderungen; 3. der Forderungen der nach § 1531 der Reichsversicherungsordnung ersatz­ berechtigten Gemeinden und Armenverbände sowie Arbeitgeber und Kassen, die an ihre Stelle getreten sind; die Übertragung, Verpfändung und Pfändung ist nur in Höhe der gesetzlichen Ersatzansprüche zulässig; 4. rückständige Beiträge, die nicht seit länger als drei Monate fällig sind. (Abs. 2.) Ausnahmsweise darf der Berechtigte auch in anderen Fällen den Anspruch mit Genehmigung seiner Gemeindebehörde ganz oder zum Teil auf andere übertragen. 8 181. (Abs. 1.) Für die Gewährung von Sachleistungen an Trunksüchtige, die nicht entmündigt sind, gelten die §.§ 120, 121 der Reichsversicherungs­ ordnung mit der Maßgabe, daß an Stelle des Versicherungsamts ein nach § 143 bestellter Ausschuß die Anordnung von Sachleistungen erläßt und daß die Mitteilung an den Versicherungsträger unterbleibt. Der Ausschuß ent­ scheidet auch bei Streit zwischen der Gemeinde und dem Bezugsberechtigten. (Abs. 2.) Auf Beschwerde entscheidet das Knappschaftsoberversicherungs­ amt endgültig. 8 182. (Abs. 1.) Die Ansprüche auf Leistungen der Krankenkasse und der Pensionskasse dürfen nur aufgerechnet -werden auf Ersatzforderungen für Beträge, die der Berechtigte in den Fällen des § 1542 der Reichsversicherungsordnung, § 91 des Versicherungsgesetzes für Angestellte in der Fassung des Gesetzes vom 10. November 1922 (Reichsgesetzbl. I S. 849)*), § 76 Ws. 2, 4 dieses Gesetzes oder aus der reichsgesetzlichen Unfallversicherung bezog, aber an die Kasse zu erstatten hat,

J) Vgl die Note zu § 20.

75. Reichsknappschaftsgesetz v. 23. Juni 1923.

§§ 176—189.

367

geschuldete Beiträge, gezahlte Vorschüsse, zu Unrecht gezahlte Leistungen, Kosten des Verfahrens, die der Berechtigte zu erstatten hat, Geldstrafen, die der Reichsknappschaftsverein, die Bezirksknappschaftsvereine oder besonderen Krankenkassen verhängt haben. (Abs. 2.) Ansprüche auf Krankengeld dürfen nur bis zur Hälfte txufge* Rechnet werden.

g 183.

III. Fristen. Für Fristen gelten die §§ 124 bis 134 der Reichsversicherungs-

ordnung. IV. Zustellungen.

g 184. (Abs. 1.) Zustellungen, die eine Frist in Lauf setzen, können durch eingeschriebenen Brief geschehen. (Abs. 2.) Der Postschein begründet nach zwei Jahren seit seiner Aus­ stellung die Vermutung dafür, daß in der ordnungsmäßigen Frist nach der Einlieferung zugestellt worden ist. g 185/ (Abs. 1.) Wer nicht im Inland wohnt, hat auf Verlangen einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. (Abs. 2.) Ist der Aufenthalt unbekannt oder wird der Zustellungsbevoll* mächtigte nicht in der gesetzten Frist benannt, so kann die Zustellung durch einwöchigen Aushang in den Geschäftsräumen des Bezirksknappschastsvereins oder der besonderen Krankenkasse ersetzt werden; die Frist darf nicht kürzer als ein Monat sein. V. Gebühren und Stempel. Gebühren- und stempelfrei sind, soweit dieses Gesetz und die Reichsversicherungsordnung nichts anderes vorschreiben, alle Verhandlungen und Urkunden, die beim Reichsknappschaftsvereine, bei den Bezirksknapp« schaftsvereinen oder besonderen Krankenkassen und Versicherungsbehörden er­ forderlich werden, um die Rechtsverhältnisse zwischen dem Reichsknappschafts­ vereine, den Bezirksknappschaftsvereinen oder besonderen Krankenkassen einer­ seits und den Arbeitgebern oder Versicherten oder ihren Hinterbliebenen anderseits zu begründen oder abzuwickeln. g 187. Dasselbe gilt für die außergerichtlichen Verhandlungen und Urkunden dieser Art sowie für solche privatschriftlichen Vollmachten und amtlichen Bescheinigungen, die nach diesem Gesetze zum Ausweis und zu Nach­ weisungen erforderlich werden.

g 186.

VI. Steuerfreiheit. Das Vermögen des Neichsknappschaftsvereins ist von Reichs-. Landes- und Kommunalsteuern und Abgaben in dem gleichen Umfang befreit wie das Vermögen anderer reichsgesetzlicher Versicherungsträger.

8 188.

VII. Verbote und Strafen.

8 189. (Abs. 1.) Die §§ 139 bis 145, 147, 148 der Reichsversicherungsordnung gelten entsprechend. (Abs. 2.) Außerdem gelten entsprechend: § 529 bis 536 der Reichsversicherungsordnung vorbehaltlich der §§ 180, 181 für die Krankenversicherung, §§ 1487 bis 1490, 1492 bis 1494 der Reichsversicherungsordnung für die Pensionsversicherung der Arbeiter und die Invaliden- und Hinter­ bliebenenversicherung, §§ 339 bis 344 des Versicherungsgesetzes für Angestellte in der Fassung des Gesetzes vom 10. November 1922 (Reichsgesetzbl. I S 849)1) für die Pensionsversicherung der Angestellten.

*) Vgl. die Note zu § 20.

368

Erster Teil.

Strafgesetze.

§ 19V. (Abs. 1.) Für die Festsetzung von Strafen nach § 529 der Reichsversicherungsordnung ist die Verwaltung des Bezirksknappschaftsvereins oder der besonderen Krankenkasse zuständig. (Abs. 2.) Gegen die Entscheidung der Verwaltung kann binnen einem Monat nach der Bekanntgabe die Entscheidung eines nach § 143 gestellten Ausschusses angerufen werden. (Abs. 3.) Aus Beschwerde gegen den Bescheid des Ausschusses entscheidet das Knappschaftsoberversicherungsamt endgültig 8 191. (Abs. 1.) Im übrigen setzt die Strafen, soweit nicht die Gerichte zuständig sind, der Vorstand des Reichsknappschaftsvereins, Bezirksknappschaftsvereins oder der besonderen Krankenkasse fest. (Abs. 2) Auf Beschwerde gegen die Straffestsetzung entscheidet das Knappschastsoberversicherungsamt, soweit Strafen vom Reichsknappschaftsvereine festgesetzt sind, der Knappschaftssenat beim Reichsversicherungsamt (Beschlup­ fen at) endgültig. 8 192. Die gerichtlich erkannten Geldstrafen fliesten zur Landeskasse, die anderen Geldstrafen zur Kasse des Bezirksknappschaftsvereins oder der beson­ deren Krankenkasse VIII. Ausländische Gesetzgebung.

8 193.

(Abs. 1.) Soweit andere Länder eine der Versicherung nach diesem Gesetz entsprechende Fürsorge durchgeführt haben, kann der Reichs­ kanzler mit Zustimmung des Reichsrats unter Wahrung der Gegenseitigkeit vereinbaren, in welchem Umfang für Betriebe, die aus dem Gebiete des einen. Landes in das des anderen übergreifen, sowie für Versicherte, die zeitweise in Gebieten des anderen Landes beschäftigt werden, die Fürsorge nach diesem Gesetz oder nach den Fürsorgevorschriften des anderen Landes geregelt werden soll. (Abs. 2.) Auf demselben Wege kann bei entsprechender Gegenleistung die Versicherung von Angehörigen eines anderen Landes abweichend von den Vorschriften dieses Gesetzes geregelt und die Durchführung der Fürsorge des einen Landes im Gebiete des anderen erleichtert werden. In diesen Vereinharungeu darf die nach diesem Gesetze bestehende Beitragspflicht des Arbeitgebers nicht ermäßigt oder beseitigt werden. Solche Vereinbarungen sind dem Reichstag mittzuteilen. (Abs. 3.) Diese Vorschriften gelten entsprechend für eine Fürsorge, die an Stelle der Versicherung nach diesem Gesetze tritt

8 194. Der Reichskanzler kann mit Zustimmung des Reichsrats an­ ordnen, daß gegen Angehörige eines andern Landes und ihre Rechtsnachfolger ein Vergeltungsrecht angewendet wird

76. Gewerbeordnung f. d. Deutsche Reich v. 26. Juli 1900.

§§ 1—7.

369

IX. Gesetze, betr. das Gewerbe- und Handelswesen. 76. 1. Gewerbeordnung für das Deutsche Reich. Vom 26. Juli 1900.1)

(RGBl

S. 871 )

Titel I Allgemeine Bestimmungen. § 1. Der Betrieb eines Gewerbes ist Jedermann gestattet, soweit nicht durch dieses Gesetz Ausnahmen oder Beschränkungen vorgeschrieben oder zu­ gelassen sind. Wer gegenwärtig zum Betrieb eines Gewerbes berechtigt ist, kann von demselben nicht deshalb ausgeschlossen werden, weil er den Erfordernissen dieses Gesetzes nicht genügt. g 2. Die Unterscheidung zwischen Stadt und Land in Bezug auf den Gewerbebetrieb und die Ausdehnung desselben hört auf. g 3. Der gleichzeitige Betrieb verschiedener Gewerbe sowie desselben Ge­ werbes in mehreren Betriebs- oder Verkaufsstätten ist gestattet. Sine Be­ schränkung der Handwerker auf den Verkauf der selbstverfertigten Waren findet nicht statt g 4. Den Zünften und kaufmännischen Korporationen steht cm Recht, andere von dem Betrieb eines Gewerbes auszuschließen, nichl zu. g 5. In den Beschränkungen des Betriebs einzelner Gewerbe, welche auf den Zoll-, Steuer- und Postgesetzen beruhen, wird durch das gegenwärtige Gesetz nichts geändert. g H. Das gegenwärtige Gesetz findet keine Anwendung auf die Fischerei, die Errichtung und Verlegung von Apotheken, die Erziehung von Kindern gegen Entgelt, das Unterrichtswesen, die advokatorische und Notariats-Praxis, den Gewerbebetrieb der Auswanderungsunternehmer und Auswanderungsagenten, der Versicherungsunternehmer und der Eisenbahnunternehmungen, die Be­ fugnis zum Halten öffentlicher Fähren und die Rechtsverhältnisse der Schiffs­ mannschaften aus den Seeschiffen. — Auf das Bergwesen, die Ausübung der Heilkunde, den Verkauf von Arzneimitteln, den Vertrieb von Lotterielosen und die Viehzucht findet das gegenwärtige Gesetz nur insoweit Anwendung, als das­ selbe ausdrückliche Bestimmungen darüber enthält. Durch Kaiserliche Verordnung wird bestimmt, welche Apothekerwaren dem freien Verkehr zu überlassen sind g 7. Vom 1. Januar 1873 ab sind, soweit die Landesgesetze solches nicht früher verfügen, aufgehoben:

i) Die Gewerbeordnung trägt als Gesetz des norddeutschen Bundes das Datum 21. Juni 1869, wurde in der Folge durch viele Gesetze abgeändert, unterm 26. Juli 1900 in neuer Fassung publiziert und seitdem wieder ab­ geändert durch Gesetze vom 14. Oktober 1905 (RGBl. S. 759), 7. Januar 1907 (RGBl. S. 3), 30. Mai, 29. Juni und 28. Dezember 1908 (RGBl. S. 356, 473, 667), das Stellenvermittlergesetz vom 2. Juni 1910 (RGBl. S. 860), das Einführungsgesetz zur Reichsversicherungsordnung vom 19. Juni 1911 (RGBl. S. 839), das Gesetz vom 27. Dezember 1911 (RGBl. 1912 S. 139); das Gesetz v. 22. Mai 1918 (RGBl. S. 423), die Verordnung v. 5. Februar 1919 (RGBl S. 176), das Betriebsrätegesetz v. 4. Februar 1920 (RGBl. S. 147) § 104, die Gesetze v. 21. Juli 1922 (RGBl I S. 652 und 657), das Gesetz v. 9. De­ zember 1922 (RGBl. S. 929, das Gesetz v 16. Dezember 1922 (RGBl. I S. 927), das Gesetz vom 24. Februar 1923 (RGBl. I S. 147), das Gesetz vom 11. Juni 1923 (RGBl. I S. 372), das Gesetz v. 27. März 1923 (RGBl. I S. 247). Allfeld, Strafgesetzgebung. 3. Aufl. 24

370

Erster Teil.

Strafgesetze.

1. die noch bestehenden ausschließlichen Gewerbeberechtigungen, das heißt die mit dem Gewerbetriebe verbundenen Berechtigungen, anderen den Be­ trieb eines Gewerbes, sei es im Allgemeinen oder hinsichtlich der Be­ nutzung eines gewissen Betriebsmaterials, zu untersagen oder sie darin zu beschränken; 2 die mit den ausschließlichen Gewerbeberechtigungen verbundenen Zwangs­ und Bannrechte, mit Ausnahme der Abdeckereiberechtigungen; 3 alle Zwangs- und Bannrechte, deren Aufhebung nach dem Inhalte der Verleihungsurkunde ohne Entschädigung zulässig ist; 4 sofern die Aufhebung nicht schon in Folge dieser Bestimmungen eintritt, oder sofern sie nicht auf einem Vertrage zwischen Berechtigten und Ver­ pflichteten beruhen: a) das mit dem Besitz einer Mühle, einer Brennerei oder Brenngerechtig­ keit, einer Brauerei oder Braugerechtigkeit, oder einer Schankstätte ver­ bundene Recht, die Konsumenten zu zwingen, daß sie bei den Berech­ tigten ihren Bedarf mahlen oder schroten lassen, oder das Getränk aus­ schließlich von denselben beziehen (der Mahlzwang, der Branntwein­ zwang oder der Brauzwang); b) das städtischen Bäckern oder Fleischern zustehende Recht, die Einwohner der Stadt, der Vorstädte oder der sogenannten Bannmeile zu zwingen, daß sie ihren Bedarf an Gebäck oder Fleisch ganz oder teilweise von jenen ausschließlich entnehmen; 5. die Berechtigungen, Konzessionen zu gewerblichen Anlagen oder zum Be­ triebe von Gewerben zu erteilen, die dem Fiskus, Korporationen, Insti­ tuten oder einzelnen Berechtigten zustehen; 6. vorbehaltlich der an den Staat und die Gemeinde zu entrichtenden Ge­ werbesteuern, alle Abgaben, welche für den Betrieb eines Gewerbes ent­ richtet werden, sowie die Berechtigung, dergleichen Abgaben auszuerlegen. Ob und in welcher Weise den Berechtigten für die vorstehend auf­ gehobenen ausschließlichen Gewerbeberechtigungen, Zwangs- und Hanncechre usw. Entschädigung zu leisten ist, bestimmen die Landesgesetze § 8. Von dem gleichen Zeitpunkt (§ 7) ab unterliegen, soweit solches nicht von der Landesgesetzgebung schon früher verfügt ist, der Ablösung: 1. diejenigen Zwangs- und Bannrechte, welche durch die Bestimmungen des § 7 nicht aufgehoben sind, sofern die Verpflichtung auf Grundbesitz haf­ tet, die Mitglieder einer Korporation als solche betrifft, oder Bewohnern eines Ortes oder Distrikts vermöge ihres Wohnsitzes obliegt; 2. das Recht, den Inhaber einer Schankstätte zu zwingen, daß er für seinen Wirtschaftsbedarf das Getränk aus einer bestimmten Fabrikationsstätte entnehme. Das Nähere über die Ablösung dieser Rechte bestimmen die Landes­ gesetze. § 9. Streitigkeiten darüber, ob eine Berechtigung zu Öen durch die §§ 7 und 8 aufgehobenen oder für ablösbar erklärten gehört, sind im Rechts­ wege zu entscheiden. Jedoch bleibt den Landesgesetzen Vorbehalten, zu bestimmen, von welchen Behörden und in welchem Verfahren die Frage zu entscheiden ist, ob oder wio weit eine auf einem Grundstücke haftende Abgabe eine Grundabgabe ist, oder für den Betrieb eines Gewerbes entrichtet werden muß. § IO* Ausschließliche Gewerbeberechtigungen oder Zwangs- und Bann­ rechte, welche durch Gesetz aufgehoben oder für ablösbar erklärt worden sind, können fortan nicht mehr erworben werden. Realgewerbeberechtigungen dürfen fortan nicht mehr begründet werden. 8 11. Das Geschlecht begründet in Beziehung auf die Befugnis zum selbständigen Betrieb eines Gewerbes keinen Unterschied. 8 11a. Betreibt eine Ehefrau, für deren güterrechtliche Verhältnisse ausländische Gesetze maßgebend sind, im Jnlande selbständig ein Gewerbe, so ist es auf ihre Geschäftsfähigkeit in Angelegenheiten des Gewerbes ohne Einiluß, daß sie Ehefrau ist.

76. Gewerbeordnung f. d. Deutsche Reich v. 26. Juli 1900. §§ 8—15 a.

371

Soweit die Frau in Folge des Güterständes in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt ist, finden die Vorschriften des § 1405 des Bürgerlichen Gesetzbuchs Anwendung. Hat die Frau ihren Wohnsitz nicht im Jnlande, so ist der Einspruch des Mannes gegen den Betrieb des Gewerbes und der Wider­ ruf der erteilten Einwilligung in das Güterrechtsregister des Bezirkes ein­ zutragen, in welchem das Gewerbe betrieben wird. Betreibt die Frau das Gewerbe mit Einwilligung des Mannes oder gilt die Einwilligung nach § 1405 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs als erteilt, so haftet für die Verbindlichkeiten der Frau aus dem Gewerbebetrieb ihr Ver­ mögen ohne Rücksicht auf die dem Manne kraft des Güterstandes zustehenden Rechte; im Falle des Bestehens einer ehelichen Gütergemeinschaft haftet auch das gemeinschaftliche Vermögen. 8 12. Hinsichtlich des Gewerbebetriebs der juristischen Personen des Aus­ landes bewendet es bei den Landesgesetzen. Diejenigen Beschränkungen, welche in Betreff des Gewerbebetriebs für Personen des Soldaten- und Beamtenstandes sowie deren Angehörige be­ stehen, werden durch das gegenwärtige Gesetz nicht berührt.

8 13. Von dem Besitze des Bürgerrechts soll die Zulassung zum Ge­ werbebetrieb in keiner Gemeinde und bei keinem Gewerbe abhängig sein. Nach dem begonnenen Gewerbebetrieb ist, soweit dies in der bestehenden Gemeindeverfassung begründet ist, der Gewerbetreibende auf Verlangen der Gemeindebehörde nach Llblauf von drei Jahren verpflichtet, das Bürgerrecht zu erwerben. Es darf jedoch in diesem Falle von ihm das sonst vorgeschrie­ bene oder übliche Bürgerrechtsgeld nicht gefordert und ebenso nicht verlangt werden, daß er sein anderweit erworbenes Bürgerrecht aufgebe. Titel II.

Stehender Gewerbebetrieb. I. Allgemeine Erfordernisse. 8 14. Wer den selbständigen Betrieb eines stehenden Gewerbes anfängt, muß her für den Ort, wo solches geschieht, nach den Landesgesetzen zuständigen Behörde gleichzeitig Anzeige davon machen. Diese Anzeige liegt auch dem­ jenigen ob, welcher zum Betrieb eines Gewerbes im Umherziehen (Titel III) be­ fugt ist. Außerdem hat, wer Versicherungen für eine Mobiliar- oder JmmobiliarAeuerversicherungsanstalt als Agent oder Unteragent vermitteln will, bei Übernahme der Agentur, und derjenige, welcher dieses Geschäft wieder aus­ gibt, oder welchem die Versicherungsanstalt den Auftrag wieder entzieht, inner­ halb der nächsten acht Tage der zuständigen Behörde seines Wohnorts davon Anzeige zu machen. Buch- und Steindrucker, Buch- und Kunsthändler, Anti­ quare, Leihbibliothekare, Inhaber von Lesekabinetten, Verkäufer von Druck­ schriften, Zeitungen und Bildern haben bei der Eröffnung ihres Gewerbe­ betriebs das Lokal desselben sowie jeden späteren Wechsel des letzteren späte­ stens am Tage seines Eintritts der zuständigen Behörde ihres Wohnorts anzu­ geben.

8 15. Die Behörde bescheinigt innerhalb dreier Tage den Empfang der Anzeige. Die Fortsetzung des Betriebs kann polizeilich verhindert werden, wenn ein Gewerbe, zu dessen Beginn eine besondere Genehmigung erforderlich ist, ohne diese Genehmigung begonnen wird. 8 15a. Gewerbetreibende, die einen offenen Laden haben oder Gast­ oder Schankwirtschaft betreiben, sind verpflichtet, ihren Familiennamen mit mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen an der Außenseite oder am Eingänge des Ladens oder der Wirtschaft in deutlich lesbarer Schrift anzu­ bringen. Kaufleute, die eine Handelsfirma führen, haben zugleich die Firma in der bezeichneten Weise an dem Laden oder der Wirtschaft anzubringen; ist aus

24*

372

Erster Teil.

Strafgesetze.

der Firma der Familienname des Geschäftsinhabers mit dem ausgeschriebenen Vornamen zu ersehen, so genügt die Anbringung der Firma. Auf offene Handelsgesellschaften, Kommanditgesellschaften und Komman­ ditgesellschaften auf Aktien finden diese Vorschriften mit der Maßgabe An­ wendung, daß für die Namen der persönlich haftenden Gesellschafter gilt, was in Betreff der Namen der Gewerbetreibenden bestimmt ist. Sind mehr als zwei Beteiligte vorhanden, deren Namen hiernach in der Aufschrift anzugeben wären, so genügt es, wenn die Namen von zweien mit einem das Vorhandensein weiterer Beteiligter andeutenden Zusatz ausgenommen werden. Die Polizeibehörde kann im einzelnen Falle die Angabe der Namen aller Beteiligter anordnen II. Erfordernis besonderer Genehmigung.

1. Anlagen, welche

einer besonderen bedürfen.

Genehmigung

8 16. Zur Errichtung von Anlagen, welche durch die örtliche Lage oder die Beschaffenheit der Betriebsstätte für die Besitzer oder Bewohner der be­ nachbarten Grundstücke oder für das Publikum überhaupt erhebliche Nachteile, Gefahren oder Belästigungen herbeiführen können, ist die Genehmigung der nach den Landesgesetzen zuständigen Behörde erforderlich. Es gehören dahin: Schießpulverfabriken, Anlagen zur Feuerwerkerei und zur Bereitung von Zündstoffen aller Art, Gasbereitungs- und Gasbewahrungsanstal­ ten, Anstalten zur Destillation von Erdöl, Anlagen zur Bereitung von Braunkohlenteer, Steinkohlenteer und Koks, sofern sie außerhalb der Gewinnungsorte des Materials errichtet werden, Glas- und Ruß­ hütten, Kalk-, Ziegel- und Gipsöfen, Anlagen zur Gewinnung roher Metalle, Röstöfen, Metallgießereien, sofern sie nicht bloße Tiegel­ gießereien sind, Hammerwerke, chemische Fabriken aller Art, Schnell­ bleichen, Firnissiedereien, Stärkefabriken, mit Ausnahme der Fabriken zur Bereitung von Kartoffelstärke, Stärkesyrupsfabriken, Wachstuch-, Darmsaiten-, Dachpappen- und Dachfilzfabriken, Leim-, Tran- und Seifensiedereien, Knochenbrennereien, Knochendarren, Knochenkochereien und Knochenbleichen, Zubereitungsanstalten für Tierhaare, Talgschmel­ zen, Schlächtereien, Gerbereien, Abdeckereien, Poudretten- und Düng­ pulverfabriken, Stauanlagen für Wassertriebwerke (§ 23), HopfenSchwefeldörren, Asphaltkochereien und Pechsiedereien, soweit sie außer­ halb der Gewinnungsorte des Materials errichtet werden, Strohpapierstoffabriken, Darmzubereitungsanstalten, Fabriken, in welchen Dampfkessel oder andere Blechgefäße durch Vernieten hergestellt wer­ den, Kalifabriken und Anstalten zum Imprägnieren von Holz mit er­ hitzten Teerölen, Kunstwollefabriken, Anlagen zur Herstellung von Zelluloid und Dagrasfabriken, die Fabriken, in welchen Röhren aus Blech durch Vernieten hergestellt werden, sowie die Anlagen zur Er­ bauung eiserner Schiffe, zur Herstellung eiserner Brücken oder son­ stiger eiserner Baukonstruktionen, die Anlagen zur Destillation oder zur Verarbeitung von Teer und von Teerwasser, die Anlagen, in welchen aus Holz oder ähnlichem Fasermaterial auf chemischem Wege Papier­ stoff hergestellt wird (Zellulosefabriken), die Anlagen, in welchen Al­ buminpapier hergestellt wird, die Anstalten zum Trocknen und Ein­ salzen ungegerbter Tierfelle sowie die Verbleiungs-, Verzinnungs- und Verzinkungsanstalten, die Anlagen zur Herstellung von Güßstahlkugeln mittelst Kugelschrotmühlen (Kugelfräsmaschinen), die Anlagen zur Her­ stellung von Zündschnüren und von elektrischen Zündern. Das vorstehende Verzeichnis kann, je nach Eintritt oder Wegfall der im Eingänge gedachten Voraussetzung, durch Beschluß des Bundesrats, vorbehalt­ lich der Genehmigung des nächstfolgenden Reichstags, abgeändert werden.

76. Gewerbeordnung f. d. Deutsche Reich v. 26. Juli 1900. §§ 16—21.

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§ 17. Dem Antrag auf die Genehmigung einer solchen Anlage müssen die zur Erläuterung erforderlichen Zeichnungen und Beschreibungen bei­ gefügt werden. Ist gegen die Vollständigkeit dieser Vorlagen nichts zu erinnern, so wird das Unternehmer: mittelst einmaliger Einrückung in das zu den amtlichen Be­ kanntmachungen der Behörde (§ 16) bestimmte Blatt zur öffentlichen Kenntnis gebracht mit der Aufforderung, etwaige Einwendungen gegen die neue Aw­ lage binnen vierzehn Tagen anzubringen. Die Frist nimmt ihren Anfang mit Ablauf des Tages, an welchem das die Bekanntmachung enthaltende Blatt ausgegeben worden, und ist für alle Einwendungen, welche nicht auf privat­ rechtlichen Titeln beruhen, präklusivisch. § 18. Werden keine Einwendungen angebracht, so hat die Behörde zu prü­ fen, ob die Anlage erhebliche Gefahren, Nachteile oder Belästigungen für das Publikum herbeiführen könne. Auf Grund dieser Prüfung, welche sich zugleich auf die Beachtung der bestehenden bau-, feuer- und gesundheitspolizeilichen Vorschriften erstreckt, ist die Genehmigung zu versagen, oder, unter Festsetzung der sich als nötig ergebenden Bedingungen, zu erteilen. Zu den Letzteren ge­ hören auch diejenigen Anordnungen, welche zum Schlitze der Arbeiter gegen Gefahr für Gesundheit und Leben notwendig sind. Der Bescheid ist schriftlich auszufertigen und muß die festgesetzten Bedingungen enthalten,- er muß mit Gründen versehen sein, , wenn die Genehmigung versagt oder nur unter Be­ dingungen erteilt wird. § 19. Einwendungen, welche auf besonderen privatrechtlichen Titeln be­ ruhen, sind zur richterlichen Entscheidung zu verweisen, ohne daß von der Er­ ledigung derselben die Genehmigung der Anlage abhängig gemacht wird. Andere Einwendungen dagegen sind mit den Parteien vollständig zu er­ örtern. Nach Abschluß dieser Erörterung erfolgt die Prüfung und Entscheidung nach den im § 18 enthaltenen Vorschriften. Der Bescheid ist sowohl dem Unternehmer als dein Widersprechenden zu eröffnen. § 19 a. In dem Bescheide kann dem Unternehmer auf seine Gefahr, unbeschadet des Rekursverfahrens (§ 20), die unverzügliche Ausführung der baulicher: Anlagen gestattet werden, wenn er dies vor Schluß der Erörterung be­ antragt. Die Gestattung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig ge­ macht werden. 8 20. Gegen den Bescheid ist Rekurs an die nächstvorgesetzte Behörde Zulässig, welche bei Verlust desselben binnen vierzehn Tagen, vom Tage der Eröffnung des Bescheids an gerechnet, gerechtfertigt werden muß. Der Rekursbescheid ist den Parteien schriftlich zu eröffnen und muß mit Gründen versehen sein. 8 21. Die näheren Bestimmungen über die Behörde:: und das Verfahren, sowohl in der ersten als in der Rekurs-Instanz, bleiben den Landesgesetzen Vorbehalten. Es sind jedoch folgende Grundsätze einzuhalten: 1. In erster oder in zweiter Instanz muß die 'Entscheidung durch eine kolle­ giale Behörde erfolgen. Diese Behörde ist befugt, Untersuchungen an Ort und Stelle zu veranlassen, Zeugen und Sachverständige zu laden und eidlich zu vernehmen, überhaupt den angetretenen Beweis in vollem Um­ fange zu erheben. 2. Bildet die kollegiale Behörde die erste Instanz, so erteilt sie ihre Ent­ scheidung in öffentlicher Sitzung, nach erfolgter Ladung und Anhörung der Parteien, auch in dem Falle, wenn zwar Einwendungen nicht aw­ gebracht sind, die Behörde aber nicht ohne Weiteres die Genehmigung er­ teilen^ will, und der Antragsteller innerhalb vierzehn Tagen nach Empfang des die Genehmigung versagenden oder nur unter Bedingungen erteilenden Bescheids der Behörde auf mündliche Verhandlung anträgt. 3. Bildet die kollegiale Behörde die zweite Instanz, so erteilt sie stets ihre Entscheidung in öffentlicher Sitzung, nach erfolgter Ladung und Anhörung der Parteien. 4. Als- Parteien sind der Unternehmer (Antragsteller), sowie diejenigen Personen zu betrachten, welche Einwendungen erhoben haben.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

5. Die Öffentlichkeit der Sitzungen kann unter entsprechender Anwendung der §§ 173 bis 176 des Gerichtsverfassungsgesetzes ausgeschlossen oder be­ schränkt werden. § 21 a. Die Sachverständigen (§ 21 Ziffer 1) haben über die Tatsachen, welche durch das Verfahren zu ihrer Kenntnis kommen, Verschwiegenheit zu beobachten und sich der Nachahmung der von dem Unternehmer geheim gehal­ tenen, zu ihrer Kenntnis gelangten Betriebseinrichtungen und Betriebs-» weisen, solange als diese Betriebsgeheimnisse sind, zu enthalten 8 22. Die durch unbegründete Einwendungen erwachsenden Kosten fallen dem Widersprechenden, alle übrigen Kosten, welche durch das Verfahren ent­ stehen, dem Unternehmer zur Last. In den Bescheiden über die Zulässigkeit der neuen Anlage wird zugleich die Verteilung der Kosten festgesetzt. 8 23. Bei den Stauanlagen für Wassertriebwerke sind außer den Be­ stimmungen der §§ 17 bis 22 die dafür bestehenden. landesgesetzlichen Vor­ schriften anzuwenden. Der Landesgesetzgebung bleibt vorbehalten, die fernere Benutzung be­ stehender und die Anlage neuer Privatschlächtereien in solchen Orten, für welche öffentliche Schlachthäuser in genügendem Umfange vorhanden sind oder errichtet werden, zu untersagen Soweit durch landesrechtliche Vorschriften Bestimmungen getroffen wer­ den, wonach gewisse Anlagen oder gewisse Arten von Anlagen in einzelnen Ortsteilen gar nicht oder nur unter besonderen Beschränkungen zugelassen sind, finden diese Bestimmungen auch auf Anlagen der im § 16 erwähnten Art Anwendung. 8 24. Zur Anlegung von Dampfkesseln, dieselben mögen zum Ma­ schinenbetriebe bestimmt sein oder nicht, ist "die Genehmigung der nach den Landesgesetzen zuständigen Behörde erforderlich. Dem Gesuche sind die zur Erläuterung erforderlichen Zeichnungen und Beschreibungen beizufügen. Die Behörde hat die Zulässigkeit der Anlage nach den bestehenden bau-, feuer- und gesundheitspolizeilichen Vorschriften, sowie nach denjenigen all­ gemeinen polizeilichen Bestimmungen zu prüfen, welche von dem Bundesrat über die Anlegung von Dampfkesseln erlassen werden. Sie hat nach dem "Be­ funde die Genehmigung entweder zu versagen.oder unbedingt zu erteilen, oder endlich bei Erteilung derselben die erforderlichen Vorkehrungen und Einrichtungen vorzuschreiben. Bevor der Kessel in Betrieb genommen wird, ist zu untersuchen, ob die Ausführung den Bestimmungen der erteilten Genehmigung entspricht. Wer vor dem Empfange der hierüber auszufertigenden Bescheinigung den Betrieb beginnt, hat die im § 147 angedrohte Strafe verwirkt. Die vorstehenden Bestimmungen gelten auch für bewegliche Dampfkessel. Für den Rekurs und das Verfahren über denselben gelten die Vorschriften der g§ 20 und 21

8 25. Die Genehmigung zu einer der in den §§ 16 und 24 bezeich­ neten Anlagen bleibt solange in Kraft, als keine Änderung in der Lage oder Beschaffenheit der Betriebsstätte vorgenommen wird, und bedarf unter die­ ser Voraussetzung auch dann, wenn die Anlage an einen neuen Erwerber über­ geht, einer Erneuerung nicht. Sobald aber eine Veränderung der Betriebs­ stätte vorgenommen wird, ist dazu die Genehmigung der zuständigen Behörde nach Maßgabe der §§ 17 bis 23 einschließlich, beziehungsweise des § 24 not­ wendig. Eine gleiche Genehmigung ist erforderlich bei wesentlichen Ver­ änderungen in dem Betriebe einer der im § 16 genannten Anlagen. Die zuständige Behörde kann jedoch auf Antrag des Unternehmers von der Be­ kanntmachung (§ 17) Abstand nehmen, wenn sie die Überzeugung gewinnt, daß die beabsichtigte Veränderung für die Besitzer oder Bewohner benach­ barter Grundstücke oder das Publikum überhaupt neue oder größere Nachteile, Gefahren oder Belästigungen, als mit der vorhandenen Anlage verbunden sind, nicht herbeigeführt werde

76. Gewerbeordnung f. d. Deutsche Reich v. 26. Juli 1900. §§ 21a—30.

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Diese Bestimmungen finden auch auf gewerbliche Anlagen (§§ 16 und 24) 'Anwendung, welche bereits vor Erlaß dieses Gesetzes bestanden haben. § 26. Soweit die bestehenden Rechte zur Abwehr benachteiligender Ein-Wirkungen, welche von einem Grundstück aus auf ein benachbartes Grundstück geübt werden, dem Eigentümer oder Besitzer des letzteren eine Privatklage gewähren, kann diese Klage einer mit obrigkeitlicher Genehmigung errichteten gewerblichen Anlage gegenüber niemals auf Einstellung des Gewerbebetriebs, sondern nur auf Herstellung von Einrichtungen, welche die benachteiligende Einwirkung ausschließen, oder, wo solche Einrichtungen untunlich oder mit einem gehörigen Betriebe des Gewerbes unvereinbar sind, auf Schadloslhaltung gerichtet werden

§ 27. Die Errichtung oder Verlegung solcher Anlagen, deren Betrieb mit ungewöhnlichem Geräusche verbunden ist, muß, sofern sie nicht schon nach den Vorschriften der §§ 16 bis 25 der Genehmigung bedarf, der Ortspolizei­ behörde angezeigt werden. Letztere hat, wenn in der Nähe der gewählten Betriebsstätte Kirchen, Schulen oder andere öffentliche Gebäude, Kranken­ häuser oder Heilanstalten vorhanden sind, deren bestimmungsmäßige Be­ nutzung durch den Gewerbebetrieb auf dieser Stelle eine erhebliche Störung er­ leiden würde, die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde darüber einzu­ holen, ob die Ausübung des Gewerbes an der gewählten Betriebsstätte zu untersagen oder nur unter Bedingungen zu gestatten sei § 28. Die höheren Verwaltungsbehörden sind befugt, über die Ent­ fernung, welche bei Errichtung von durch Wind bewegten Triebwerken von benachbarten fremden Grundstücken und von öffentlichen Wegen inne zu halten ist, durch Polizeiverordnungen Bestimmungen zu treffen 2. Gewerbetreibende, welche einer besonderen G e u e h m i g u u g bedürfen.

§ 29. Einer Approbation, welche auf Grund eines Nachweises der Be­ fähigung erteilt wird, bedürfen Apotheker und diejenigen Personen, welche sich als Ärzte, (Wundärzte, Augenärzte, Geburtshelfer, Zahnärzte und Tierärzte) oder mit gleichbedeutenden Titeln bezeichnen oder seitens des Staates oder einer Gemeinde als solche anerkannt oder mit amtlichen Funktionen betraut werden sollen. Es darf die Approbation jedoch von der vorherigen akademischen Doktorpromotion nicht abhängig gemacht werden. Der Bundesrat bezeichnet mit Rücksicht auf das vorhandene Bedürfnis in verschiedenen Teilen des Reichs die Behörden, welche für das ganze Reich gültige Approbationen zu erteilen befugt sind, und erläßt die Vorschriften über ben Nachweis der Befähigung. Die Namen der Approbierten werden von der Behörde, welche die Approbation erteilt, in den vom Bundesrate zu be­ stimmenden amtlichen Blättern veröffentlicht. Personen, welche eine solche Approbation erlangt haben, sind innerhalb des Reichs in der Wahl des Ortes, wo sie ihre Gewerbe betreiben wollen, vor­ behaltlich der Bestimmungen über die Errichtung und Verlegung von Apo­ theken (§ 6), nicht beschränkt. Dem Bundesrate bleibt vorbehalten, zu bestimmen, unter welchen Vor­ aussetzungen Personen wegen wissenschaftlich erprobter Leistungen von der vor­ geschriebenen Prüfung ausnahmsweise zu entbinden sind. Personen, welche vor Verkündigung dieses Gesetzes in einem Bundesstaate die Berechtigung zum Gewerbebetriebe als Ärzte, Wundärzte, Zahnärzte, Ge­ burtshelfer, Apotheker oder Tierärzte bereits erlangt haben, gelten als für das ganze Reich approbiert. 8 30. Unternehmer von Privat-Kranken-, Privat-Entbindungs- und Privat-Jrrenanstalten bedürfen einer Konzession der höheren Verwaltungs­ behörde. Die Konzession ist nur dann zu versagen: a) wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Unternehmers in Beziehung auf die Leitung oder Verwaltung der Anstalt dartun,

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Erster Teil.

Strafgesetze.

b) wenn nach den von dem Unternehmer einzureichenden Beschreibungen und Plänen die baulichen und die sonstigen technischen Einrichtungen der Anstalt den gesundheitspolizeilichen Anforderungen nicht entsprechen, c) wenn die Anstalt nur in einem Teile eines auch von anderen Personen bewohnten Gebäudes untergebracht werden soll und durch ihren Betrieb für die Mitbewohner dieses Gebäudes erhebliche Nachteile oder Gefahren Hervorrufen kann, d) wenn die Anstalt zur Aufnahme von Personen mit ansteckenden Krank­ heiten oder von Geisteskranken bestimmt ist und durch ihre örtliche Lage für die Besitzer oder Bewohner der benachbarten Grundstücke erhebliche Nachteile oder Gefahren Hervorrufen kann. Vor Erteilung der Konzession sind über die Fragen zu c und d die Ortspolizei- und die Gemeindebehörden zu hören. Hebammen bedürfen eines Prüfungszeugnisses der nach den Landes­ gesetzen zuständigen Behörde.

8 30 a. Der Betrieb des Hufbeschlaggewerbes kann durch die Landes­ gesetzgebung von der Beibringung eines Prüfungszeugnisses abhängig ge­ macht werden. Das erteilte Prüfungszeugnis gilt für beit ganzen Umfang des 'Reichs. 8 31. Seeschiffer, Seesteuerleute, Maschinisten der Seedampfschiffe Lotsen müssen sich über den Besitz der erforderlichen Kenntnisse durch Befähigungszeugnis der zuständigen Verwaltungsbehörde ausweisen. Der Bundesrat erläßt die Vorschriften über den Nachweis der fähigung. Die auf Grund dieses Nachweises erteilten Zeugnisse gelten für ganze Reich, bei Lotsen für das im Zeugnis angeführte Fahrwasser. Soweit in Betreff der Schiffer und Lotsen auf Strömen in Folge Staatsverträgen besondere Anordnungen getroffen sind, behält es dabei Bewenden.

und ein Be­ das von sein

8 32?) Schauspielunternehmer bedürfen zum Betrieb ihres Gewerbes der Erlaubnis. Dieselbe gilt «nur für das bei.Erteilung der Erlaubnis be­ zeichnete Unternehmen. Zum Betrieb eines anderen oder eines wesentlich veränderten Unternehmens bedarf es einer neuen Erlaubnis. Die Erlaubnis ist zu versagen, toeitii der Nachsuchende den Besitz der zu dem Unternehmen nötigen Mittel nicht nachzuweisen vermag oder wenn die Behörde auf Grund von Tatsachen die Überzeugung gewinnt, daß derselbe die zu dem beabsichtigten Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit ins­ besondere in sittlicher, artistischer und finanzieller Hinsicht nicht besitzt.

8 33. Wer Gastwirtschaft, Schankwirtschaft oder Kleinhandel mit Branntwein oder Spiritus betreiben will, bedarf dazu der Erlaubnis. Die Erlaubnis darf nur erteilt werden, wenn ein Bedürfnis nach­ gewiesen ist. Im übrigen ist die Erlaubnis nur dann zu versagen, 1. wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß 'der Antragsteller die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, ins­ besondere dem Trünke ergeben ist oder das Gewerbe zur Förderung der Schlemmerei, der Völlerei, des verbotenen Spieles, der Hehlerei, unlauterer Handelsgeschäfte oder der Unsittlichkeit oder zur Ausbeutung Unerfahrener, Leichtsinniger oder Willensschwacher, zur sittlichen oder gesundheitlichen Schädigung Jugendlicher oder zum Vertriebe gesundheitsschädlicher, ver­ fälschter oder verdorbener Nahrungs- oder Genußmittel mißbrauchen werde; *) Vergleiche hierzu den Artikel 22 des Gesetzes, betreffend die Abände­ rung der Gewerbeordnung, vom 6. August 1896 (Reichs-Gesetzbl. S. 685): Die Schaulspielunternehmern zum Betrieb ihres Gewerbes bisher erteilte Erlaubnis gilt nur für das beim Inkrafttreten dieses Gesetzes betriebene Unter­ nehmen.

76. Gewerbeordnung f d. Deutsche Reich v. 26. Juli 1900. §§ 30a—34.

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2. wenn die zum Betriebe des Gewerbes bestimmten Räumlichkeiten wegen ihrer Beschaffenheit oder Lage den polizeilichen Anforderungen nicht ge­ nügen : 3. wenn die Verwendung der Räume für den Betrieb dem öffentlichen Interesse widerspricht. Vor Erteilung der Erlaubnis ist die Ortspolizei- und die Gemeindebehörde gutachtlich zu hören Die vorstehenden Bestimmungen finden auf Vereine, welche den ge­ meinschaftlichen Einkauf von Lebens- und Wirtschaftsbedürfnissen im Großen und bereu Absatz im Kleinen zum ausschließlichen oder hauptsächlichen Zwecke haben, einschließlich der bereits bestehenden, auch dann Anwendung, wenn der Betrieb auf den Kreis der Mitglieder beschränkt ist Die vorstehenden Bestimmungen finden auch auf gescvlossene Gesell­ schaften (Klubs usw ) und andere Vereine einschließlich der bereits bestehenden selbst dann Anwendung, wenn der Betrieb auf den Kreis der Mitglieder be­ schränkt ist. Die Erlaubnis an die zur Zeit des Inkrafttretens dieses Ge­ setzes bestehenden Vereine und Gesellschaften darf nur versagt werden, wenn, die Voraussetzungen des Abs. 3 Ziffer 1 bis 3 gegeben sind: diese Ausnahme findet nicht statt, wenn es sich um Vereine und Gesellschaften handelt, in denen dem Glücksspiel, wenn auch in verschleierter ,Torin, obgelegen wird. 8 33 a» Wer gewerbsmäßig Singspiele, Gesangs- und deklamatorische Vorträge, Schaustellungen von Personen oder theatralische Vorstellungen, ohne daß ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft daber obwaltet, in seinen Wirtschasts- oder sonstigen Räumen öffentlich veranstalten oder zu deren öfient^ kicher Veranstaltung seine Räume benutzen lassen will, bedarf zum Betriebe dieses Gewerbes der Erlaubnis ohne Rücksicht auf die etwa bereits erwirkte Erlaubnis zum Betriebe des Gewerbes als Schauspielunternehmer Die Erlaubnis ist nur dann du versagen: 1 wenn gegen den Rachsuchenden Tatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, daß die beabsichtigten Veranstaltungen den Gesetzen oder den guten Sitten zuwiderlaufen werden; 2. wenn das zum Betriebe des Gewerbes bestimmte Lokal wegen seiner Be­ schaffenheit oder Lage den polizeilichen Anforderungen nicht genügt: 3 wenn der den Verhältnissen des Gemeindebezirkes entsprechenden Anzahl von Personen die Erlaubnis bereits erteilt ist Aus den unter Ziffer 1 angeführten Gründen kann die Erlaubnis zurück­ genommen und Personen, welche vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes den Gewerbebetrieb begonnen haben, derselbe untersagt werden. 8 33 d. Wer gewerbsmäßig Musikaufführungen, Schaustellungen, theatra­ lische Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten, ohne daß ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft dabei obwaltet, von Haus zu Haus oder auf öffent­ lichen Wegen, Straßen, Plätzen darbieten will, bedarf der vorgängigen Er­ laubnis der Ortspolizeibehörde. § 33 c. Die Abhaltung von Tanzlustbarkeiten richtet sich nach den landes­ rechtlichen Bestimmungen. 8 34?) Wer das Geschäft eines Pfandleihers, Pfandvermittlers, Gesinde­ vermieters oder Stellenvermieters betreiben will, bedarf dazu der Erlaubnis. Diese ist zu versagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Nachsuchenden in Bezug auf den beabsichtigten Gewerbebetrieb dartun. Die Landesregierungen sind befugt, außerdem zu bestimmen, daß in Ortschaften^ für welche dies durch Ortsstatut (§ 142) festgesetzt wird, die Erlaubnis zum Betriebe des Pfandleihgewerbes von dem Nachweis eines vorhandenen Bedürf­ nisse abhängig sein solle. Als Pfandleihgewerbe gilt auch der gewerbsmäßige Ankauf beweglicher Sachen mit Gewährung des Rückkaufsrechts. Die Landesgesetze können vorschreiben, daß zum Handel mit Giften und zum Betriebe des Lotsengewerbes besondere Genehmigung erforderlich ist, inl) Bezüglich der Gesindevermieter und Stellenvermittler außer Kraft ge­ setzt durch § 19 des Stellenvermittlergesetzes, s. unten Gesetz Nr. 88.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

gleichen, daß das Gewerbe der Markscheider nur von Personen betrieben werden darf, welche als solche geprüft und konzessioniert sind.

8 35. Die Erteilung von Tanz-, Turn- und Schwimmunterricht als Ge­ werbe, sowie der Betrieb von Badeanstalten ist zu untersagen, wenn Tatsachen Dorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf diesen Gewerbebetrieb dartun. Unter derselben Voraussetzung sind zu untersagen: der Handel mit leben­ den Vögeln, der Trödelhandel (Handel mit gebrauchten Kleidern, gebrauchten Betten oder gebrauchter Wäsche, Kleinhandel mit altem Metallgeräte, mit Metallbruch oder dergleichen) sowie der Kleinhandel mit Garnabfällen oder Dräumen voll Seide, Wolle, Baumwolle oder Leinen, der Handel mit Dynamit oder anderen Sprengstoffen und der Handel mit Losen von Lotterien und Ausspielungen, oder mit Bezugs- und Anteilsscheinen auf solche Lose Dasselbe gilt von der gewerbsmäßigen Besorgung fremder Nechtsangelegenheiten und bei Behörden wahrzunehmender Geschäfte, insbesondere der Abfassung der daraus bezüglichen schriftlichen Aussätze, von der gewerbsmäßigen Auskunfterteilung über Vermögensverhältnisse oder persönliche Angelegenheiten, von dem gewerbsmäßigen Betriebe der Viehverstellung (Viehpacht), des Vieh­ handels und des Handels mit ländlichen Grundstücken, von dem Geschäfte der gewerbsmäßigen Vermittlungsagenten für Jmmobrttarvertrage, Darlehen und Heiraten sowie vom Geschäfte eines Auktionators Denjenigen, welche gewerbs­ mäßig das Geschäft eines Auktionators betreiben, ist es verboten, Immobilien zu versteigern, wenn sie nicht von den dazu befugten Staats- oder Kommunal­ behörden oder Korporationen als solche angestellt sind (§. 36). Der Handel mit Drogen und chemischen Präparaten, welche zu Heilzwecken dienen, ist zu untersagen, wenn die Handhabung des Gewerbebetriebs Leben und Gesundheit von Menschen gefährdet. Der Kleinhandel mit Bier kann unter­ sagt werden, wenn der Gewerbetreibende wiederholt wegen Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften des § 33 bestraft ist. Der Betrieb des Gewerbes als Bauunternehmer und Bauleiter sowie der Betrieb einzelner Zweige des Baugewerbes ist zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf diesen Gewerbebetrieb dartun. Der Untersagung muß nach näherer Bestimmung der Landes-Zentralbehörde die Anhörung von Sachverständigen vorangehen, welche zur Abgabe von Gutachten dieser Art nach Bedarf im voraus von der höheren Verwaltungsbehörde ernannt sind. Soweit es sich um die Begutachtung für handwerksmäßige Gewerbebetriebe handelt, erfolgt die Ernennung nach An­ hörung der Handwerkskammer (§ 103) des Bezirkes. Ist die Untersagung erfolgt, so kann die Landes-Zentralbehörde oder eine andere von ihr zu bestimmende Behörde die Wiederaufnahme des Gewerbe­ betriebs gestatten, sofern seit der Untersagung mindestens ein Jahr verflossen ist. Personen, welche die in diesem Paragraphen bezeichneten Gewerbe be­ ginnen, haben bei Eröffnung ihres Gewerbebetriebs der zuständigen Behörde hiervon Anzeige zu machen.

8 35 a. Mangel an theoretischer Vorbildung kann als eine Tatsache im Sinne des § 35 Abs. 5 gegenüber Bauunternehmern, Bauleitern oder Personen, die einzelne Zweige des Baugewerbes betreiben, nicht geltend gemacht werden, wenn sie das Zeugnis über die Ablegung einer Prüfung für den höheren oder mittleren bautechnischen Staatsdienst oder das Prüfungs- oder Reife­ zeugnis einer staatlichen oder von der zuständigen Landesbehörde gleichge­ stellten baugewerklichen Fachschule besitzen oder wenn sie Diplomingenieure sind. Mangel an theoretischer oder praktischer Vorbildung kann als eine Tat­ sache im Sinne des § 35 Abs. 5 nicht geltend gemacht werden gegenüber Bau­ unternehmern und Bauleitern, wenn sie gemäß § 133 die Meisterprüfung im Maurer-, Zimmerer- oder Steinmetzgewerbe bestanden haben, sowie gegenüber Personen, die einzelne Zweige des Baugewerbes betreiben, wenn sie gemäß § 133 die Meisterprüfung in dem von ihnen ausgeüblen Gewerbe bestanden haben.

76. Gewerbeordnung f. d. Deutsche Reich v. 26. Juli 1900. §§ 35—40.

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Die Landeszentralbehörden sind befugt, zu bestimmen, welche Prüfungen und Zeugnisse den im Abs. 1 bezeichneten gleichzustellen sind. 8 36?) Das Gewerbe der Feldmesser, Auktionatoren, Bücherrevisoren, derjenigen, welche den Feingehalt edler Metalle, oder die Beschaffenheit, Menge oder richtige Verpackung von Waren irgend einer Art feststellen, der Güter­ bestätiger, Schaffer, Wäger, Messer, Bracker, Schauer, Stauer usw. darf zwar frei betrieben werden, es bleiben jedoch die verfassungsmäßig dazu befugten Staats- oder Kommunalbehörden oder Korporationen auch ferner berechtigt, Personen, welche diese Gewerbe betreiben wollen, auf die Beobachtung der bestehenden Vorschriften zu beeidigen: und öffentlich anzustellen. Die Bestimmungen der Gesetze, welche den Handlungen der genannten Gewerbetreibenden eine besondere Glaubwürdigkeit beilegen oder an diese Hand­ lungen besondere rechtliche Wirkungen knüpfen, sind nur auf die von den ver­ fassungsmäßig dazu befugten Staats- oder Kommunalbehörden oder Korpora­ tionen angestellten Personen zu beziehen. 8 37. Der Regelung durch die Ortspolizeibehörde unterliegt die Unter­ haltung des öffentlichen Verkehrs innerhalb der Orte durch Wagen aller Art, Gondeln, Sänften, Pferde und andere Transportmittel sowie das Gewerbe derjenigen Personen, welche auf öffentlichen Straßen oder Plätzen ihre Dienste anbieten. 8 38?) Die Zentralbehörden sind befugt, über den Umfang der Befug­ nisse und Verpflichtungen sowie über den 'Geschäftsbetrieb der Pfandleiher, Pfandvermittler, Gesindevermieter, Stellenvermittler und Auktionatoren, soweit darüber die Landesgesetze nicht Bestimmungen treffen, Vorschriften zu erlassen. Die in dieser Beziehung hinsichtlich der Pfandleiher bestehenden landes­ gesetzlichen Bestimmungen finden auf den int § 34 Abs. 2 bezeichneten Ge­ schäftsbetrieb Anwendung. Soweit es sich um diesen Geschäftsbetrieb handelt, gilt die Zahlung des Kaufpreises als Hingabe des Darlehens, der Unterschied zwischen dem Kaufpreis und dem verabredeten Rückkaufspreis als bedungene Vergütung für das Darlehen und die Übergabe der Sache als Verpfändung derselben für das Darlehen. Hinsichtlich der Gesindevermieter und Stellenvermittler sind die Zentral­ behörden insbesondere befugt, die Ausübung des Gewerbes im Umherziehen sowie die gleichzeitige Ausübung des Gast- und Schankwirtschaftsgewerbes zu beschränken oder zu untersagen. Die Zentralbehörden sind ferner befugt, Vorschriften darüber zu erlassen, in welcher Weise die im § 35 Abs. 2, 3 verzeichneten Gewerbetreibenden ihre Bücher zu führen und welcher polizeilichen Kontrolle über den Umfang und die Art ihres Geschäftsbetriebs sie sich zu unterwerfen haben. 8 39. Die Landesgesetze können die Einrichtung von Kehrbezirken für Schornsteinfeger gestatten. Jedoch ist, wo Kehrbezirke bestehen oder eingerichtet werden, die höhere Verwaltungsbehörde, soweit nicht Privatrechte entgegenstehen, befugt, die Kehrbezirke aufzuheben oder zu verändern, ohne daß deshalb den Bezirksschornsteinfegern ein Widerspruchsrecht oder ein Anspruch auf Ent­ schädigung zusteht. 8 40. Die in den §§ 29 bis 33 a und im § 34 erwähnten Approbationen und Genehmigungen dürfen weder auf Zeit erteilt, noch vorbehaltlich der Bestimmungen in den §§ 33 a, 53 und 143 widerrufen werden. Gegen Versagung der Genehmigung zum Betrieb eines der in den §§ 30, 30 a, 32 bis 33 a und 34, sowie gegen Untersagung des Betriebs der in den §§ 33 a, 35 und 37 erwähnten Gewerbe ist der Rekurs zulässig. Wegen des Verfahrens und der Behörden gelten die Vorschriften der 20 und 21.

1) § 19 des Gesetzes vom 11. Juni 1923 bestimmt: Die Vorschrift des § 36 der Gewerbeordnung tritt, soweit sie den Betrieb von Probieranstalten betrifft, für die Dauer der Geltung dieses Gesetzes außer Kraft. 2) S. die Note zu § 34.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

III. Umfang, Ausübung und Verlust -er Gewerbebefuguiffe. 8 41. Die Befugnis zum selbständigen Betrieb eines stehenden Gewerbes begreift das Recht in sich, in beliebiger Zahl Gesellen, Gehilfen, Arbeiter jeder Art und, soweit die Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes nicht entgegen­ stehen, Lehrlinge anzunehmen. In der Wahl des Arbeits- und Hilfspersonals finden keine andere Beschränkungen statt, als die durch das gegenwärtige Ge­ setz festgestellten. In Betreff der Berechtigung der Apotheker, Gehilfen und Lehrlinge anzu­ nehmen, bewendet es bei den Bestimmungen der Landesgesetze. 8 41 a. Soweit nach den Bestimmungen der §§ 105 b bis 105 h Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter im Handelsgewerbe an Sonn- und Festtagen nicht be­ schäftigt werden dürfen, darf in offenen Verkaufsstellen ein Gewerbebetrieb an diesen Tagen nicht stattfinden. Diese Bestimmung findet auf den Geschäfts­ betrieb von Konsum- und anderen Vereinen entsprechende Anwendung. Weitergehenden landesgesetzlichen Beschränkungen des Gewerbebetriebs au Sonn- und Festtagen steht diese Bestimmung nicht entgegen. 8 41 b. Auf Antrag von mindestens zwei Dritteln der beteiligten Ge­ werbetreibenden kann für eine Gemeinde oder mehrere örtlich zusammen­ hängende Gemeinden dutch die höhere Verwaltungsbehörde vorgeschrieben werden, daß an Sonn- und Festtagen in bestimmten Gewerben, deren voll­ ständige oder teilweise Ausübung zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist, ein Betrieb nur insoweit stattfinden darf, als Ausnahmen von den im § 1.05 b Abs. 1 getroffenen Bestimmungen zugelassen sind. Der Bundesrat ist befugt, Bestimmungen darüber zu erlassen, welche Gewerbetreibende als beteiligt anzusehen sind und in welchem Verfahren die erforderliche Zahl von Gewerbetreibenden festzustellen ist. 8 42. Wer zum selbständigen Betriebe eines stehenden Gewerbes befugt ist, darf dasselbe innerhalb und unbeschadet der Bestimmungen des dritten Titels auch.außerhalb des Gemeindebezirkes seiner gewerblichen Niederlassung dusüben. Eine gewerbliche Niederlassung gilt nicht als vorhanden, wenn der Ge­ werbetreibende im Inland ein zu dauerndem Gebrauch eingerichtetes, beständig oder hoch in regelmäßiger Wiederkehr von ihm benutztes Lokal für den Betrieb seines Gewerbes nicht besitzt. 8 42 a. Gegenstände, welche von dem Ankauf oder Feilbieten im Umher­ ziehen ausgeschlossen sind, dürfen auch innerhalb des Gemeindebezirkes des Wohnorts oder der gewerblichen Niederlassung von Haus zu Haus oder auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten nicht feilgeboten oder zum Wiederverkauf angekauft werden, mit Ausnahme von Bier und Wein in Fässern und Flaschen und vorbehaltlich des nach § 33 erlaubten Gewerbebetriebs. Die zuständige Landesregierung ist befugt, soweit ein Bedürfnis dazu obwaltet, anzuordnen, daß und inwiefern weitere Ausnahmen von diesem Ver­ bote stattfinden sollen. Das Feilbieten geistiger Getränke kann von der Ortspolizeibehörde im Falle besonderen Bedürfnisses vorübergehend gestattet werden. 8 42 b. Durch die höhere Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Ge­ meindebehörde oder durch Beschluß der Gemeindebehörde mit Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde kann für einzelne Gemeinden bestimmt werden, daß Personen, welche in dem Gemeindebezirk einen Wohnsitz, oder eine gewerb­ liche Niederlassung besitzen und welche innerhalb des Gemeindebezirkes auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten, oder ohne vorgängige Bestellung von Haus zu Haus 1. Waren feilbieten, oder 2. Waren bei anderen Personen als bei Kaufleuten oder solchen Personen, welche die Waren produzieren, oder an anderen Orten als in offenen Verkaufsstellen zum Wiederverkauf ankaufen, oder Warenbestellungen bei

76. Gewerbeordnung f. d. Deutsche Reich v. 26 Juli 1900. §§ 41—43.

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Personen, in deren Gewerbebetriebe Waren der angebotenen Art keine Verwendung finden, aufsuchen, oder 3. gewerbliche Leistungen, hinsichtlich deren dies nicht Landesgebrauch ist, anbietem wollen, der Erlaubnis bedürfen. Diese Bestimmung kann aus einzelne Teile des Ge­ meindebezirkes sowie auf gewisse Gattungen von Waren und Leistungen beschränkt werden. Auf die Erteilung, Versagung und Zurücknahme der Erlaubnis finden bte Vorschriften der §§ 57 bis 58 und des § 63 Abs. 1, und auf die Aus­ übung des Gewerbebetriebs die Vorschriften der §.§ 60 b, 60 c, des § 60 d Abs. 1, 2 und des §, 63 Abs. 2 entsprechende Anwendung In Betreff der im § 59 Ziffer 1 und 2 bezeichneten Erzeugnisse und Waren, auch wenn dieselben nicht zu den selbstgewonnenen oder selbstversertigten gehören, ferner in Betreff der Druckschriften, anderen Schriften und Bild­ werke, insoweit der Gewerbebetrieb hiermit von Haus zu Haus stattfindet, sowie in Betreff der vom Bundesrat in Gemäßheit des §, 44 Abs. 2 gestatteten Ausnahmen darf der betreffende Gewerbebetrieb in dem Gemeindebezirke des Wohnsitzes oder der gewerblichen Niederlassung von einer Erlaubnis nicht abhängig gemacht werden. In Betreff der im § 59 Ziffer 1 und 2 bezeichneten Erzeugnisse und Waren kann jedoch der Gewerbebetrieb unter den im § 57 Ziffer 1 bis 4 erwähnten Voraussetzungen untersagt sowie nach Maßgabe des § 60b Abs 2 und des § 60c Abs. 2 beschränkt und gemäß § 60b Abs 3 ver­ boten werden Aus die Untersagung dieses Gewerbebetriebs finden die Vor­ schriften des § 63 Abs 1, auf die Beschränkung desselben die Vorschriften des ss 63 Abs 2 entsprechende Anwendung. Die höhere Verwaltungsbehörde ist befugt, die vom Bundesrate gemäß $ 56 d getroffenen Bestimmungen auf diejenigen Ausländer entsprechend anzu­ wenden, welche innerhalb des Gemeindebezirkes ihres Wohnorts oder ihrer gewerblichen Niederlassung auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten oder ohne vorgängige Bestellung von Haus zu Haus eins der unter Ziffer 1 bis 3 bezeichneten Gewerbe betreiben wollen. Kinder unter vierzehn Jahren dürfen, auch wenn eine Bestimmung nach Abs. 1 nicht getroffen ist, auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an öffentlichen Orten oder ohne vorgängige Bestellung von Haus zu Haus Gegen­ stände nicht feilbieten In Orten, wo ein derartiges Feilbieten durch Kinder herkömmlich ist, darf die OrtspoUzeibehörde ein solches für bestimmte Zeittabschnitte, welche in einem Kalenderjahre zusammen vier Wochen nicht über­ schreiten dürfen, gestatten 8 43. Wer gewerbsmäßig Druckschriften oder andere Schriften oder Bild­ werke auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten ausrufen, verkaufen, verteilen, anheften oder anschlagen will, bedarf dazu einer Erlaubnis der Ortspolizeibehörde und hat den über diese Erlaubnis auszustellenden, auf seinen Namen lautenden Legitimationsschein bei sich zu führen. Auf die Erteilung und Versagung der Erlaubnis finden die Vorschriften des § 57, Ziffer 1, 2, 4, der §§ 57 a, 57 b Ziffer 1 und 2 und des § 63 Ab­ satz 1 entsprechende Anwendung. Auf das bloße Anheften und Anschlägen findet der Versagungsgrund der abschreckenden Entstellung keine Anwendung. Zur Verteilung von Stimmzetteln und Druckschriften zu Wahlzwecken bei der Wahl zu gesetzgebenden Körperschaften ist eine polizeiliche Erlaubnis in der Zeit von der amtlichen Bekanntmachung des Wahltags bis zur Beendi­ gung des Wahlakts nicht erforderlich. ~ Dasselbe gilt auch bezüglich der nichtgewerbsmäßigen Verteilung von Stimmzetteln und Druckschriften zu Wahlzwecken. In geschlossenen Räumen ist zur nichtgewerbsmäßigen Verteilung von Druckschriften oder anderen Schriften oder Bildwerken eine Erlaubnis nicht erforderlich. An die Stelle des im §, 5 Abs. 1 des Preßgesetzes vom 7. Mai 1874 ange­ zogenen § 57 der Gewerbeordnung treten die Bestimmungen des § 57 Ziffer 1, 2, 4, der §§ 57 a, 57 b Ziffer 1 und 2 des gegenwärtigen Gesetzes.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

8 44. Wer ein stehendes Gewerbe betreibt, ist befugt, auch außerhalb des Gemeindebezirkes seiner gewerblichen Niederlassung persönlich oder durch in seinem Dienste stehende Reisende für die Zwecke seines Gewerbebetriebs Waren aufzukaufen und Bestellungen auf Waren zu suchen. Diese Vorschrift gilt auch für Handlungsagenten, die ein stehendes Gewerbe betreiben, in An für Gewerbezweige, in denen die Verrichtung der Nachtarbeit zur Ver­ hütung des Verderbens von Rohstoffen oder des Mißlingens von jArbeitserzeugnissen dringend erforderlich erscheint, Ausnahmen von den Bestimmungen des § 137 Abs. 1 bis 4 mit der Maßgabe zuzulassen, daß die ununterbrochene Ruhezeit an höchstens sechzig Tagen im Kalenderjahre bis auf achteinhalb Stunden täglich herabgesetzt werden darf

414

Erster Teil.

Strafgesetze.

In den Fällen zu 2 darf die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit für Kinder sechsunddreißig Stunden, für junge Leute sechzig, für Arbeiterinnen achtundfünfzig Stunden nicht überschreiten. Dre Nachtarbeit darf in vierund­ zwanzig Stunden die Dauer von zehn Stunden nicht überschreiten und mutz in jeder Schicht durch eine oder mehrere Pausen in der Gesamtdauer von min­ destens einer Stunde unterbrochen sein. Die Tagschichten und Nachtschichten müssen wöchentlich wechseln. In den Fällen zu 3 dürfen die jugendlichen Arbeiter nicht länger als sechs Stunden beschäftigt werden, wenn zwischen den Arbeitsstunden nicht eine oder mehrere Pausen von zusammen mindestens einstündiger Dauer ge­ währt werden. In den Fällen zu 4 darf die Erlaubnis zur überarbeit für mehr als vierzig Tage, jedoch nicht für mehr als fünfzig Tage dann erteilt werden., wenn die Arbeitszeit in der Weise geregelt wird, daß. ihre tägliche Dauer im Durchschnitte der Betriebstage des Jahres die regelmäßige gesetzliche Arbeits­ zeit nicht überschreitet. Tie durch Beschluß des Bundesrats getroffenen Bestimmungen sind zeit­ lich zu begrenzen und können auch für bestimmte Bezirke erlassen werden. Sie sind durch das Reichsgesetzblatt zu veröffentlichen und dem Reichstage bei seinem nächsten Zusammentritte zur Kenntnismahme vorzulegen. 8 139 aa* Auf die Arbeiter in den unter Abschnitt IV fallenden Be­ trieben finden im übrigen die Bestimmungen der §§ 121 bis 125 oder, wenn sie als Lehrlinge anzusehen sind, die Bestimmungen der D 126 bis 128 An­ wendung

V Aufsicht.

8 139 d.

Die Aussicht über die Ausführung der Bestimmungen der 88 105 a, 105 b Abs. 1, der 88 105 e bis 105 h, 120 a bis 120 f, 133 g bis 139 aa ist ausschließlich oder neben den ordentlichen Polizeibehörden beson­ deren von den Landesregierungen zu ernennenden Beamten zu übertragen. Denselben stehen bei Ausübung dieser Ansicht alle amtlichen Befugnisse der Ortspolizeibehörden, insbesondere das Recht zur jederzeitigen Revision der Anlagen zu. Sie sind, vorbehaltlich der Anzeige von Gesetzwidrigkeiten, zur Geheimhaltung der amtlich zu ihrer Kenntnis gelangenden Geschäfts- und Betriebsverhältnisse der ihrer Revision unterliegenden Anlagen zu verpflichten. Die Ordnung der Zuständigkeitsverhältnisse zwischen diesen Beamten und den ordentlichen Polizeibehörden bleibt der verfassungsmäßigen Regelung in den einzelnen Bundesstaaten Vorbehalten. Die erwähnten Beamten haben Jahresberichte über ihre amtliche Tätig­ keit zu erstatten. Diese Jahresberichte oder Auszüge aus denselben sind dem Bundesrat und dem Reichstage vorzulegen. Die auf Grund der Bestimmungen der 88 105 a bis 105 h, 120 a bis 120 f, 133 g bis 139 aa auszuführenden amtlichen Revisionen müssen die Arbeitgeber zu jeder Zeit, namentlich auch in der Nacht, während des Be­ triebs gestatten. Die Arbeitgeber sind ferner verpflichtet, den genannten Beamten oder der Polizeibehörde diejenigen statistischen Mitteilungen über die Verhältnisse ihrer Arbeiter zu machen, welche vom Bundesrat oder von der Landes-Zentral­ behörde unter Festsetzung der dabei zu beobachtenden Fristen und Formen vor­ geschrieben werden.

VI. Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter in offenen Berkanfsstellen. 8 139 o. In offenen Verkaufsstellen und den dazu gehörenden Schreib­ stuben (Kontore) und Lagerräumen ist den Gehilfen, Lehrlingen und Ar­ beitern nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhe­ zeit von mindestens zehn Stunden zu gewähren. In Gemeinden, welche nach der jeweilig letzten Volkszählung mehr als zwanzigtausend Einwohner haben, muß die Ruhezeit in offenen Verkaufs­ stellen, in denen zwei oder mehr Gehilfen und Lehrlinge beschäftigt werden^

76. Gewerbeordnung f. d. Deutsche Reich v. 26. Juli 1900. §§ 139 aa—139 s.

415

für diese mindestens elf Stunden betragen; für kleinere Ortschaften kann diese Ruhezeit durch Ortsstatut vorgeschrieben werden. Innerhalb der Arbeitszeit muß den Gehilfen, Lehrlinaen und Ar­ beitern eine angemessene Mittagspause gewährt werden. Für Äehilfen, Lehr-linge und Arbeiter, die ihre Hauptmahlzeit außerhalb des die Verkaufsstelle enthaltenden Gebäudes einnehmen, muß die Pause mindestens ein und eine halbe Stunde betragen. § 189 d. Die Bestimmungen des § 139 c finden keine Anwendung 1. auf Arbeiten, die zur Verhütung des Verderbens von Waren unverzüg­ lich vorgenommen werden müssen, 2. für die Ausnahme der gesetzlich vorgeschriebenen Inventur sowie bei Neu­ einrichtungen und Umzügen, 3. außerdem an jährlich höchstens dreißig von der Ortspolizeibehörde all­ gemein oder für einzelne Geschäftszweige zu bestimmenden Tagen. 8 139 e. Bon neun Uhr abends bis fünf Uhr morgens müssen offene Verkaufsstellen für den geschäftlichen Verkehr geschlossen sein. Die beim Ladenschluß im Laden schon anwesenden Kunden dürfen noch bedient werden. Über neun Uhr abends dürfen Verkaufsstellen für den geschäftlichen Ver­ kehr geöffnet sein. 1. für unvorhergesehene Notfälle, 2. an höchstens vierzig von der Ortspolizeibehörde zu bestimmenden Tagen, jedoch bis spätestens zehn Uhr abends, 3. nach näherer Bestimmung der höheren Verwaltungsbehörde in Städten, welche nach der jeweilig letzten Volkszählung weniger als zweitausend Einwohner haben, sowie in ländlichen Gemeinden, sofern in denselben der Geschäftsverkehr sich vornehmlich auf einzelne Tage der Woche oder auf einzelne Stunden des Tages beschränkt. Die Bestimmungen der §.§ 139 c und 139 d werden durch die vorstehenden Bestimmungen nicht berührt. Während der Zeit, wo die Verkaufsstellen geschlossen sein müssen, ist das Feilbieten von Waren auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten oder ohne vorherige Bestellung von Haus zu Haus im stehenden Gewerbebetriebe (§ 42 b Abs. 1 Ziffer 1) sowie im Gewerbe­ betrieb im Umherziehen f§ 55 Abs. 1 Ziffer 1) verboten. Ausnahmen können von der Ortspolizeibehöroe zugelassen werden. Die Bestimmungen des §55a Abs. 2 Satz 2 findet Anwendung. 8 139 f. Auf Antrag von mindestens zwei Dritteln der beteiligten Ge­ schäftsinhaber kann für eine Gemeinde oder mehrere örtlich unmittelbar zu­ sammenhängende Gemeinden durch Anordnung der höheren Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Gemeindebehörden für alle oder einzelne Geschäft^weige angeordnet werden, daß die offenen Verkaufsstellen während bestimmter Zeit­ räume oder während des ganzen Jahres auch in der Zeit zwischen acht und neun Uhr abends und zwischen fünf und sieben Uhr morgens für den geschäft­ lichen Verkehr geschlossen sein müssen. Die Bestimmungen der §§ 139 c und 139 d werden hierdurch nicht berührt. Auf Antrag von mindestens einem Drittel der beteiligten Geschäftsinhaber hat die höhere Verwaltungsbehörde die beteiligten Geschäftsinhaber durch ortsübliche Bekanntmachung oder besondere Mitteilung zu einer Äußerung für oder gegen die Einführung des Ladenschlusses im Sinne des vorstehenden Absatzes aufzufordern. Erklären sich zwei Drittel der Abstimmenden für die Einführung, so kayn die höhere Verwaltungsbehörde die entsprechende An­ ordnung treffen. Der Bundesrat ist befugt, Bestimmungen darüber zu erlassen, in welchem Verfahren die erfordexliche Zahl von Geschäftsinhabern festzustellen ist. Während der Zeit, wo Verkaufsstellen auf Grund des Abs. 1 geschlossen sein müssen, ist der Verkauf von Waren der in diesen Verkaufsstellen geführten Art sowie das Feilbieten von solchen Waren auf öffentlichen Wegen, Straßen^, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten oder ohne vorherige Bestellung von Haus zu Haus im stehenden Gewerbebetriebe (§ 42 b Abs. 1 Ziffer 1)

416

Erster Teil.

Strafgesetze.

sowie im Gewerbebetrieb im Umherziehen (§ 55 Abs. 1 Ziffer 1) verboten. Ausnahmen können von der Ortspolizeibehörde zugelassen werden. Die Be­ stimmung des § 55 a Ms. 2 Satz 2 findet Anwendung.

§ 139g. Die Polizeibehörden sind befugt, im Wege der Verfügung für einzelne offene Verkaufsstellen diejenigen Maßnahmen anzuordnen, welche zur Durchführung der im § 62 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs enthaltenen Grundsätze in Ansehung der Einrichtung und Unterhaltung der Geschäfts­ räume und der für den Geschäftsbetrieb bestimmten Vorrichtungen und Gerät­ schaften sowie in Ansehung der Regelung des Geschäftsbetriebs erforderlich und nach der Beschaffenheit der Anlage ausführbar erscheinen. Die Bestimmungen in § 120 d Abs. 2 bis 4 finden entsprechende An­ wendung. § 139 h. Durch Beschluß des Bundesrats können Vorschriften darüber erlassen werden, welchen Anforderungen die Laden-, Arbeits- und Lagerräume und deren Einrichtung sowie die Maschinen und Gerätschaften zum Zwecke der Durchführung der im § 62 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs enthaltenen Die Bestimmung im § 120g findet An­ Grundsätze zu genügen haben. wendung. Soweit solche Vorschriften durch Beschluß des Bundesrats nicht erlassen sind, können sie durch Anordnung der im H 120o Abs 2 bezeichneten Behörden erlassen werden. § 139 i. Die durch § 76 Abs. 4 des Handelsgesetzbuchs sowie durch § 120 Abs. 1 begründete Verpflichtung des Geschäftsinhabers findet an Orten, wo eine vom Staate oder der Gemeindebehörde anerkannte Fachschule be­ steht, hinsichtlich des Besuchs dieser Schule entsprechende Anwendung. Der Geschäftsinhaber hat die Gehilfen und Lehrlinge unter achtzehn Jahren zum Besuche der Fortbildnngs- und Fachschule anzuhalten mit) den Schulbesuch zu überwachen.

§ 139 k. Für jede offene Verkaufsstelle, in welcher in der Regel min­ destens zwanzig Gehilfen und Lehrlinge beschäftigt werden, ist innerhalb vier Wochen nach Inkrafttreten dieses Gesetzes oder nach der Eröffnung des Be­ triebs eine Arbeitsordnung zu erlassen. Aus die Arbeitsordnung finden die Vorschriften der 134 a, 134 b Abs. 1 Ziffer 1 bis 4, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, des g 134 c Abs. 1, Abs. 2 Satz J2 und 3, des § 134 d Abs. 1 und der §§ 134 e, 134 f entsprechende An­ wendung. Andere als die in der Arbeitsordnung oder in den §§ 71 und 72 des Handelsgesetzbuchs vorgesehenen Gründe der Entlassung und des Austritts aus der Arbeit dürfen int Arbcitsvertrage nicht vereinbart werden. Tie verhängten Geldstrafen sind in ein Verzeichnis einzutragen, welches den Namen des Bestraften, den Tag der Bestrafung sonne den Grund und die Höhe der Strafe ergeben und aus Erfordern der Ortspolizeibehörde jederzeit zur Einsicht vorgelegt werden muß. Aus Arbeitsordnungen, welche vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes er­ lassen worden sind, finden die Bestimmungen der §§ 134 a, 134 b Ws. 1 Ziffer 1 bis 4, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, des § 134 c Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 und 3, des § 134 e Abs. 2 und des § 134 f entsprechende Anwendung. Die­ selben sino binnen vier Wochen der unteren Verwaltungsbehörde in zwei Ausfertigungen einzureichen. Auf spätere Abänderungen dieser Arbeitsordnun­ gen und auf die seit dem 1. Oktober 1899 erstmalig erlassenen Arbeits­ ordnungen finden der § 134 d Abs. 1 und der § 134e Ws. 1 entsprechende Anwendung. § 1391. Aus das Halten von Lehrlingen in offenen Verkaufsstellen so­ wie in anderen Betrieben des Handelsgewerbes findet die Bestimmung des § 128 Anwendung. § 139 m. Die Bestimmungen der §§ 139 c bis 139 i finden auf den Ge­ schäftsbetrieb

der Konsum- und

anderer Vereine

entsprechende

Anwendung.

76. Gewerbeordnung f. d. Deutsche Reich v. 26, Juli 1900. §§ 139 g—144 a.

417

Titel VIII.

Gewerbliche Hilfskaffen. Z 140. Die durch Ortsstatut oder Anordnung der Verwaltungsbehörde begründete Verpflichtung der selbständigen Gewerbetreibenden, einer mit einer Innung verbundenen oder außerhalb derselben bestehenden Kranken-, Hilfs­ oder Sterbekasse für selbständige Gewerbetreibende beizutreten, wird auf­ gehoben. Im Übrigen wird in den Verhältnissen dieser Kassen durch gegenwärtiges Gesetz nichts geändert. Neue Kassen der selbständigen Gewerbetreibenden für die erwähnten Zwecke erhalten durch die Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde die Rechte juristischer Personen, soweit es zur Erlangung dieser Rechte einer besonderen staatlichen Genehmigung bedarf. Titel IX.

Statutarische Bestimmungen. § 142.i) Statutarische Bestimmungen einer Gemeinde oder eines wei­ teren Kommunalverbandes können die ihnen durch das Gesetz überwiesenen gewerblichen Gegenstände mit verbindlicher Kraft ordnen. Dieselben werden nach Anhörung beteiligter Gewerbetreibender und Arbeiter abgefaßt, bedürfen der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde und sind in der für Be­ kanntmachungen der Gemeinde oder des weiteren Kommunalverbandes vor­ geschriebenen oder üblichen Form zu veröffentlichen. K Die Zentralbehörde ist befugt, statutarische Bestimmungen, welche mit den Gesetzen oder den statutarischen Bestimmungen des weiteren Kommunale Verbandes in Widerspruch stehen, außer Kraft zu setzen. Titel X.

Strafbestimmungen.

8 143.

Die Berechtigung zum Gewerbebetriebe kann, abgesehen Pon den in den Reichsgesetzen vorgesehenen Fällen ihrer Entziehung, weder durch richterliche, noch administrative Entscheidung entzogen werden. Ausnahmen von diesem Grundsätze, welche durch die Steuergesetze be­ gründet sind, bleiben solange aufrecht erhalten, als diese Steuergesetze [in Kraft bleiben. Die Bestimmungen der Landesgesetze, nach welchem die Befugnis zur Herausgabe von Druckschriften und zum Vertriebe derselben innerhalb des Reichsgebiets im Verwaltungsweg entzogen werden darf, werden hierdurch aufgehoben. 8 144. Inwiefern, abgesehen von den Vorschriften über die Entziehung des Gewerbebetriebs (§ 143), Zuwiderhandlungen der Gewerbetreibenden gegen ihre Berufspflichten außer den in diesem Gesetz erwähnten Mllen einer Strafe unterliegen, ist nach den darüber bestehenden Gesetzen zu be­ urteilen. Jedoch werden aufgehoben die für Medizinalpersonen bestehenden be­ sonderen Bestimmungen, welche ihnen unter Androhung von Strafen einen Zwang zu ärztlicher Hilfe auferlegen. 8 144 a. Personen, welche den Bestimmungen der §§ 126, 126 a und 129 entgegen Lehrlinge halten, anleiten oder anleiten lassen, können von der Ortspolizeibehörde durch Zwangsstrafen zur Entlassung der Lehrlinge ange­ halten werden. In gleicher Weise kann die Entlassung derjenigen Lehrlinge, welche den auf Gruno des § 81a Ziffer 3, des §128 Abs. 2 und des § 130 erlassenen Vorschriften entgegen angenommen sind, verfügt werden.

*) Die §§ 141 bis 141k sind aufgehoben durch § 87 des Gesetzes vom 15. Juni 1883 RGBl. S. 73. A l l f e l d, Strafge,etzgebu»g. 3. Aufl.

27

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Erster Teil.

Strafgesetze.

8 145. Für das Mindestmaß, der Strafen, das Verhältnis von Geld­ strafe zur Freiheitsstrafe sonne für die Verjährung der in den § 145 a, 146 und 153 verzeichneten Vergehen sind die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich maßgebend. Die übrigen in diesem Titel mit Strafe bedrohten Handlungen der-, jähren binnen drei Monaten, fcoii dem Tage an gerechnet, an welchem sie begangen sind. 8 145 a. Die in den Fällen der §§ 16, 24 und 25 gemäß § 21 Ziffer 1 Augezogenen Sachverständigen werden bestraft, 1. wenn sie unbefugt Betriebsgeheimnisse offenbaren, welche durch das Ver­ fahren zu ihrer Kenntnis gelangt sind, mit Geldstrafe bis zu eintausend­ fünfhundert Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten; 2. wenn sie absichtlich zum Nachteile der Betriebsunternehmer Betriebs­ geheimnisse, welche durch das Verfahren zu ihrer Kenntnis gelangt sind, offenbaren oder geheim gehaltene Betriebseinrichtungen oder Betriebs­ weisen, welche durch das Verfahren zu ihrer Kenntnis gelangt sind, so­ lange als diese Betriebsgeheimnisse sind, nachahmen, mit Gefängnis, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann. Tun sie dies, um sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen, so kann neben der Gefängnisstrafe auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark erkannt werden. Im Falte der Ziffer 1 tritt die Verfolgung nur auf Antrag des Betriebs­ unternehmers ein. 8 146. Mit Geldstrafe bis zu zweitausend Mark und im Unvermögens­ falle mit Gefängnis bis zu sechs Monaten werden bestraft: 1. Gewerbetreibende, welche dem § 115 zuwiderhandeln; 2. Gewerbetreibende, die den §§ 135 b.is 137, § 137 a Abs. 1, § 139 c oder den auf Grund der §§ 120 e, 120 f, 139, 139 a erlassenen Bestimmungen insoweit zuwiderhandeln, als danach die Verwendung der Arbeiter zu be­ stimmten Beschäftigungen untersagt oder Arbeitszeit, Nachtruhe oder Pausen geregelt sind; 3. Gewerbetreibende, welche dem § 111 Abs. 3, § 113 Abs. 3 oder dem § 114 a Abs. 4, soweit daselbst die Bestimmungen des § 111 Abs. 3 und des § 113 Abs. 3 für anwendbar erklärt worden sind, zuwiderhandeln; 4. wer dem § 56 Ziffer 6 zuwiderhandelt. War in den Fällen des Abs. 1 Nr. 2 der Täter zur Zeit der Begehung, der Straftat bereits zweimal wegen einer der dort bezeichneten Zuwider^ handlungen rechtskräftig verurteilt, so tritt, falls die Straftat vorsätzlich be­ gangen wurde, Geldstrafe von einhundert bis dreitausend Mark oder Gefängnis­ strafe bis zu sechs Monaten ein. Die Anwendung dieser Vorschrift bleibt aus­ geschlossen, wenn seit der Rechtskraft der letzten Verurteilung bis zur Begehung der neuen Straftat drei Jahre verflossen sind. Die Geldstrafen fließen der im § 116 bezeichneten Kasse zu. Der § 75 des Gerichtsverfassungsgesetzes findet Anwendung. 8 146 a. Mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark, im Unvermögens falle mit Haft wird bestraft, wer den §§ 105 b bis 105 g oder den auf Grund der­ selben erlassenen Anordnungen zuwider Arbeitern an Sonn- und Festtagen Beschäftigung gibt oder den §§ 41a, 55 a, 139 e, 139 k Abs. 4 oder den auf Grund des § 105 b Abs. 2 erlassenen statutarischen Bestimmungen oder den auf Grund des § 41 b oder des § 139 k Abs. 1 getroffenen Anordnungen zuwidertzandelt. Wer den §§ 105 b bis 105 g oder den auf Grund dieser Vorschriften er­ lassenen Anordnungen zuwider Arbeitern an Sonn- und Festtagen Beschäftigung gibt oder den auf Grund des § 105 b Abs. 2 erlassenen statutarischen Be­ stimmungen zuwiderhandelt, nachdem er bereits zweimal wegen einer Zuwider­ handlung gegen die bezeichneten Vorschriften rechtskräftig verurteilt worden ist, wird, falls die Straftat vorsätzlich begangen wurde, mit Geldstrafe von fünfzig bis eintausend Mark oder'mit Haft bestraft. § 146 Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend.

76. Gewerbeordnung f. d. Deutsche Reich v 26. Juli 1900. §§ 145—148.

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§ 147. Mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark und im Unvermögens­ falle mit Haft wird bestraft: 1. wer den selbständigen Betrieb eines stehenden Gewerbes, zu dessen Beginn eine besondere polizeiliche Genehmigung (Konzession, Approbation, Be­ stallung) erforderlich ist, ohne die vorschriftsmäßige Genehmigung unter­ nimmt oder fortsetzt, oder von den in der Genehmigung festgesetzten Be­ dingungen abweicht; 2. wer eine gewerbliche Anlage, zu der mit Rücksicht auf die Lage oder Be­ schaffenheit der Betriebsstätte oder des Lokals eine besondere Genehmigung erforderlich ist (§§ 16 und 24), ohne diese Genehmigung errichtet, oder die wesentlichen Bedingungen, unter welchen die Genehmigung erteilt worden, nicht innehält, oder ohne neue Genehmigung eine wesentliche Veränderung der Betriebsstätte oder eine Verlegung des Lokals oder eine wesentliche Veränderung in dem Betriebe der Anlage vornimmt; 3 wer, ohne hierzu approbiert zu sein, sich als Arzt (Wundarzt, Augenarzt, Geburtshelfer, Zahnarzt, Tierarzt, bezeichnet oder sich einen ähnlichen Ti­ tel beilegt, durch den der Glauben erweckt wird, der Inhaber desselben sei eine geprüfte Medizinalperson; 4. wer den auf Grund der §§ 120 d, 137 a Abs. 3, § 139 g endgültig er­ lassenen Verfügungen oder abgesehen von den Fällen des § 146 Abs 1 Nr. 2, § 150 a den auf Grund der §§ 120 e, 120 f, 139, 139 a, 139 h er­ lassenen Bestimmungen zuwiderhandelt; 5 wer eine gewerbliche Anlage betreibt oder eine offene Verkaufsstelle hält, für welche eine Arbeitsordnung (§§ 134 a, 139 k) nicht besteht, oder Wer­ der endgültigen Anordnung der Behörde wegen Ersetzung oder Abänderung der Arbeitsordnung nicht nachkommt. Enthält die Handlung zugleich eine Zuwiderhandlung gegen die Steuer­ gesetze, so soll nicht außerdem noch auf eine Steuerstrafe erkannt werden, es ist aber darauf bei Zumessung der Strafe Rücksicht zu nehmen. In dem Falle zu 2 kann die Polizeibehörde die Wegschaffung der Mnlage oder die Herstellung des den Bedingungen entsprechenden Zustandes der­ selben anordnen. In dem Falle zu 4 kann die Polizeibehörde bis zur Herstellung des der Verfügung oder der Vorschrift entsprechenden Zustandes die Einstellung des Betriebs, soweit derselbe durch die Verfügung oder die Vorschrift getroffen wird, anordnen, falls dessen Fortsetzung erhebliche Nachteile oder Gefahren herbei­ zuführen geeignet sein würde. § 148. Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark und im Un­ vermögensfalle mit Haft bis zu vier Wochen wird bestraft: 1. wer außer den im § 147 vorgesehenen Fällen ein stehendes Gewerbe be­ ginnt, ohne dasselbe vorschriftsmäßig anzuzeigen; 2. wer die im § 14 erforderte An- oder Abmeldung einer übernommenen Feuerversicherungsagentur unterlägt; 3. wer die im § 14 erforderten Anzeigen über das Betriebslokal unterläßt; 4. wer der nach § 35 gegen ihn ergangenen Untersagung eines Gewerbe­ betriebs zuwiderhandelt, oder die im § 35 vorgeschriebene Anzeige unterläßt 4 a. wer außer den Fällen des § 360 Nr. 12, § 367 Nr 16 des Strafgesetz­ buchs den auf Grund des § 38 erlassenen Vorschriften zuwiderhandelt; 5. wer dem § 133 b oder außer den im § 149 Ziffer 1 vorgesehenen Fällen den §§ 42 a bis 44 a zuwiderhandelt, oder seine Legitimationskarte (§ 44 a) oder seinen Wandergewerbeschein (§ 55) einem anderen zur Benutzung überläßt: 6. wer zum Zwecke der Erlangung einer Legitimationskarte, eines Wandergewerbescheins oder der im § 62 vorgesehenen Erlaubnis in bezug auf feine Person, oder die Personen, die er mit sich zu führen beabsichtigt, nnssentlich unrichtige Angaben macht; 7. wer ein Gewerbe im Umherziehen ohne den gesetzlich erforderlichen Wandergewerbeschein, imgleichen wer eines der im § 59 Ziffer 1 bis 3 27*

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Erster Teil.

Strafgesetze.

bezeichneten Gewerbe der nach § 59 a ergangenen Untersagung zuwider betreibt; 7a. wer dem § 56 Abs 1, Abs. 2 Ziffer 1 bis 5, 7 bis 11, Abs. 3, den H56a oder 56 b zuwiderhandelt; 7 b. wer den Vorschriften der §§ 56 c, 60 a, 60 b Abs. 2, 3 oder des § 60 c Abs. 2, 3 zuwiderhandelt; 7 c wer einer ihm in Gemäßheit des § 60 Abs. 1, § 60 b Abs. 1 oder des § 60 d Ms. 3 in dem Wandergewerbeschein auferlegten Beschränkung zu­ widerhandelt; 7 d. wer bei dem Gewerbebetrieb im Umherziehen Kinder unter vierzehn Jahren zu gewerblichen Zwecken mit sich führt, oder zu dem nach § 42 b Abs 5 verbotenen Gewerbebetriebe Kinder unter vierzehn Jahren anleitet oder ausschickt; 7 e. ein Ausländer, welcher bei dem Gewerbebetrieb im Umherziehen den in Gemäßheit des § 56 d vom Bundesrate getroffenen Bestimmungen guwiderhandelt; 8. wer bei dem Betriebe seines Gewerbes die durch die Obrigkeit oder durch Anzeige bei derselben festgelegten Taxen überschreitet oder es unterläßt, das gemäß § 75 oder 75 a vorgeschriebene Verzeichnis einzureichen^) 9. wer die gesetzlichen Pflichten gegen die ihm anvertrauten Lehrlinge verletzt; 9 a. wer den §§ 126 und 126 a zuwider Lehrlinge hält, anleitet oder axv leiten läßt; 9 b. wer dem § 129 oder den auf Grund der §,§ 128 und 130 erlassenen Vor­ schriften zuwider Lehrlinge hält, anleitet oder anleiten läßt; 9 c. wer unbefugt den Meistertitel führt; 10. wer wissentlich der Bestimmung im § 127 e Abs. 2 zuwider einen Lehrling beschäftigt; 11. wer der Bestimmung des § 134 c Ws. 2 zuwider gegen Arbeiter Strafen verhängt, welche in der Arbeitsordnung nicht vorgesehen sind oder den gesetzlich zulässigen Betrag übersteigen, oder wer Strafgelder oder die im § 134 b Ziffer 5 bezeichneten Beträge in einer in der Arbeitsordnung nicht vorgesehenen Weise verwendet; 12. wer es unterläßt, der durch § 134 e Abs. 1, §§ 134 g, 139 k Ms. 5 für ihn begründeten Verpflichtung zur Einreichung der Arbeitsordnung, ihrer Abänderungen und Nachträge nachzukommen; 13. wer dem § 115 a oder den auf Grund des § 119 a erlassenen statutarischen Bestimmungen zuwiderhandelt; 14. wer den Vorschriften des § 151a zuwiderhandelt. In allen diesen Fällen bleibt die Strafe ausgeschlossen, wenn die straf­ bare Handlung zugleich eine Zuwiderhandlung gegen die Steuergesetze enthält. 8 149» Mit Geldstrafe bis zu dreißig Mark und im Unvermögenssalle mit Haft bis zu acht Tagen wird bestraft: 1. wer den im § 42 b vorgesehenen Erlaubnisschein oder den im § 43 vor«, gesehenen Legitimationsschein während der Ausübung des Gewerbebetriebs nicht bei sich führt, oder den Bestimmungen des § 44 a Ms. 2 zuwider­ handelt; 2. wer bei dem Gewerbebetrieb iry Umherziehen dem letzten Wsatze des § 56 oder dem 8 60c Abs. 1 zuwiderhandelt; 3. wer ein Gewerbe im Umherziehen, für welches ihm ein auf einen be­ stimmten Bezirk lautender Wandergewerbeschein erteilt ist, unbefugt in einem anderen Bezirke betreibt; 4. wer ein Gewerbe im Umherziehen mit anderen Würengattungen oder unter Darbietung anderer Leistungen betreibt als sein Wandergewerbe­ schein angibt; 5. wer bei dem Gewerbebetrieb im Umherziehen unbefugt Personen, mit sich führt, oder einen Gewerbetreibenden, zu welchem er nicht in dem Ver­ hältnis eines Ehegatten, Kindes oder Enkels steht, unbefugt begleitet; x) Außer Kraft, soweit sich die Vorschrift auf § 75 a bezieht, s. die Note daselbst.'

76. Gewerbeordnung f. d. Deutsche Reich v. 26. Juli 1900. §§ 149—152.

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6. wer den polizeilichen Anordnungen wegen des Marktverkehrs zuwider­ handelt ; 7. wer es unterläßt, den durch § 105 c Abs. 2, § 134 e Abs. 2, §§ 138, 138 a Abs. 5, § 139 b für ihn begründeten Verpflichtungen nachzukommen; 7 a. wer es unterläßt, gemäß §§ 75, 75 a das Verzeichnis anzuschlagen oder dem Stellesuchenden vor Abschluß des Vermittelungsgeschäftes die für ihn zur Anwendung kommende Taxe mitzuteilen.*) In allen diesen Fällen bleibt die Strafe ausgeschlossen, wenn die straf­ bare Handlung zugleich eine Zuwiderhandlung gegen die Steuergesetze enthält.

8 150. Mit Geldstrafe bis zu zwanzig Mark und im Unvermögensfalle mit Haft bis zu drei Tagen für jeden Fall der Verletzung des Gesetzes wird bestraft: 1. wer den Bestimmungen der §§ 106 bis 112 zuwider einen Arbeiter in Beschäftigung nimmt oder behält; 2. wer außer dem in § 146 Nr. 3 vorgesehenen Falle den Vorschriften dieses Gesetzes in Ansehung der Arbeitsbücher, Lohnbücher oder Arbeitszettel oder den auf Grund dieser Vorschriften erlassenen Bestimmungen oder der: Vorschriften des § 134 Abs. 2 zuwiderhandelt; 3 wer vorsätzlich ein auf seinen Namen ausgestelltes Arbeitsbuch unbrauch­ bar macht oder vernichtet; 4. wer den Bestimmungen des § 120 Abs. 1, des § 139 i oder einer auf Grund des § 120 Abs. 3 erlassenen statutarischen Bestimmungen zu­ widerhandelt; 4 a. der Lehrherr, welcher den Lehrvertrag nicht ordnungsmäßig abschließt (§ 103 e Abs. 1 Ziffer 1 und § 126 b); 5. wer es unterläßt, den durch § 134 c Abs. 3, § 139 k Abs. 4 für ihn be­ gründeten Verpflichtungen nachzukommen. Landesgesetzliche Vorschriften gegen die Verletzung der Schulpflicht, nach welchen eine höhere Strafe eintritt, werden durch die Bestimmung unter Ziffer 4 nicht berührt. 8 150 a. Mit Geldstrafe bis zu sechs Mark und im Unvermögensfalle mit Haft von einem Tage für jeden Fall der Verletzung des Gesetzes wird bestraft, wer den auf Grund des § 120 d Abs. 1 Satz 2 erlassenen Bestimmungen zuwiderhandelt. 8 151. Sind bei der Ausübung des Gewerbes polizeiliche Vorschriften von Personen übertreten worden, welche der Gewerbetreibende zur Leitung des Betriebs oder eines Teiles desselben oder zur Beaufsichtigung bestellt hatte, so trifft die Strafe diese letzteren. Der Gewerbetreibende ist neben denselben strafbar, wenn die Übertretung mit seinem Vorwissen begangen ist oder wenn er bei der nach den Verhältnissen möglichen eigenen Beaufsichtigung des Be­ triebs, oder bei der Auswahl oder der Beaufsichtigung der Betriebsleiter oder Aufsichtspersonen es an der erforderlichen Sorgfalt hat fehlen lassen. Ist an eine solche Übertretung der Verlust der Konzession, Approbation oder Bestallung geknüpft, so findet derselbe auch als Folge der von dem Stellvertreter begangenen Übertretung statt, wenn diese mit Vorwissen des verfügungsfähigen Vertretenen begangen worden. Ist dies nicht der Fall, so ist der Vertretene bei Verlust der Konzession, Approbation usw. verpflichtet, den Stellvertreter zu entlassen. 8 152. Alle Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbetreibende, gewerbliche Gehilfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeits­ bedingungen, insbesondere mittelst Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, werden aufgehoben. Jedem Teilnehmer steht der Rücktritt von solchen Vereinigungen und Verabredungen frei, und es findet aus letzteren weder Klage noch Einrede statt. *) S

die Note zu § 148 Nr. 8

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Erster Teil.

Strafgesetze.

8 153 (aufgehoben).*)

Schlutzbestimmurrgen. 8 154. Von den Bestimmungen im Titel VII finden keine Anwendung: 1. die Bestimmungen der §§ 105 bis 139 m auf Gehilfen und Lehrlinge in Apotheken; 2. die Bestimmungen der §§ 105, 106 bis 119 b sowie, vorbehaltlich des § 139 g Abs. 1 und der §§ 139 h, 1391 139 m, die Bestimmungen der §§ 120 a bis 139 aa auf Handlungsgehilfen und Handlungslehrlinge; 3. die Bestimmungen der §§ 133 g bis 139 a auf Arbeiter in Apotheken pnd auf diejenigen Arbeiter in Handelsgeschäften, welche nicht in einem zu dem Handelsgeschäfte gehörigen Betriebe mit der Herstellung oder Be­ arbeitung von Waren beschäftigt sind, auf Heilanstalten und Genesungs­ heime, auf Musikaufführungen, Schaustellungen, theatralische Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten; 4. die Bestimmungen der §§ 135 bis 139 a auf Gärtnereien, auf das Gastund Schankwirtsgewerbe sowie auf das Verkehrsgewerbe; 5. die Bestimmungen des § 135 Abs. 2, 3, §§ 136, 138 auf männliche jugendliche Arbeiter, die in Bäckereien und solchen Konditoreien, in wel­ chen neben den Konditorwaren auch Bäckerwaren hergestellt werden, un­ mittelbar bei der Herstellung von Waren beschäftigt sind. Ausgenommen bleiben Betriebe, die in regelmäßigen Tag- und Nachtschichten arbeiten; 6. das Verbot der Beschäftigung von Arbeiterinnen am Sonnabend sowie an Vorabenden der Festtage nach fünf Uhr nachmittags auf Arbeiterinnen in Badeanstalten. Die Bestimmungen der §§ 133 g, 135 bis 139 b finden auf Arbeitgeber und Arbeiter in Hüttenwerken, in Zimmerplätzen und anderen Bauhöfen, in Werf­ ten sowie in Werkstätten der Tabakintmstrie auch dann entsprechende An­ wendung, wenn in ihnen in der Regel weniger als zehn Arbeiter beschäftigt werden; auf Arbeitgeber uno Arbeiter in Ziegeleien und über Tage betriebenen Brüchen und Gruben finden die Bestimmungen auch dann entsprechende An­ wendung, wenn in diesen Betrieben in der Regel mindestens fünf Arbeiter beschäftigt werden. Die Bestimmungen der §§ 135 bis 139 b finden auf Arbeitgeber ^rnd Arbeiter in Werkstätten, in welchen durch elementare Kraft (Dampf, Wind, Wasser, Gas, J&ift, Elektrizität usw.) bewegte Triebwerke nicht bloß, vorüber­ gehend zur Verwendung kommen, auch wenn in ihnen in der Regel weniger als zehn Arbeiter beschäftigt werden, mit der Maßgabe entsprechende An­ wendung, daß der Bundesrat für gewisse Arten von Betrieben Ausnahmen von den im § 135, Abs. 2, 3, § 136, § 137 Abs. 1 bis 4, § 138 vorgesehenen Bestimmungen nachlassen kann. Auf andere Werkstätten, in denen in "der Regel weniger als zehn Arbeiter beschäftigt werden, und auf Bauten, bei denen in der Regel weniger als zehn Arbeiter beschäftigt werden, können die Bestimmungen der §§ 135 bis 139 b durch Beschluß des Bundesrats ganz oder teilweise ausgedehnt werden. Die Bestimmungen des Bundesrats können auch für bestimmte Bezirke erlassen werden. Sie sind durch das Reichs-Gesetzblatt zu veröffentlichen und dem Reichstage bei seinem nächsten Zusammentritte zur Kenntnisnahme vor­ zulegen. 8 154 a.') Die Bestimmungen des § 114 a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4, § 114 b Abs. 1, der §§ 114 c bis 119 a, des § 134 Abs. 2, der §§ 135 bis 139 b, 152 und 153 finden auf die Besitzer und Arbeiter von Bergwerken, Sax) S. Ges. v. 22. Mai 1918. i) Von § 154 a ist Abs. 2 Satz 2 am 1. April 1912 mit der Maßgabe in Kraft getreten, daß die an diesem Tage beschäftigten Arbeiterinnen Pis spätestens zum 1. April 1915 weiter beschäftigt werden dürfen. Der «übrige Teil ist, soweit er durch das Gesetz vom 28. Dezember 1908 avgeändert worben ist, am 1. Januar 1910 in Kraft getreten (Art. 5 des alleg. Gesetzes).

77. Gesetz bett, die Bezeichnung des RaumgehatteS v. 20. Juli 1881.

423

linen, Aufbereitungsanstalten und unterirdisch betriebenen Brüchen oder Gru­ ben entsprechende Anwendung, und zwar auch für den Fall, daß, in ihnen in der Regel weniger als zehn Arbeiter beschäftigt werden. Arbeiterinnen dürfen in Anlagen der vorbezeichneten Art nicht unter Tage beschäftigt werden. Die Beschäftigung von Arbeiterinnen bei der För­ derung, mit Ausnahme der Aufbereitung (Separation, Wäsche), bei dem Trans­ port und der Verladung ist auch über Tage verboten. Zuwiderhandlungen unterliegen der Strafbestimmung des § 146. § 158. Wo in diesem Gesetz auf die Landesgesetze verwiesen ist, sind unter den letzteren auch die verfassungs- oder gesetzmäßig erlassenen Verord­ nungen verstanden. Welche Behörden in jedem Bundesstaat unter der Bezeichnung: höhere Verwaltungsbehörde, untere Verwaltungsbehörde, Gemeindebehörde, Orts­ behörde, Unterbehörde, Polizeibehörde, Ortspolizeibehörde und welche Ver­ bände unter der Bezeichnung weitere Kommunalverbände zu verstehen sind, wird von der Zentralbehörde des Bundesstaats bekannt gemacht. Für die unter Reichs- und Staatsverwaltung stehenden Betriebe können die den Polizeibehörden, unteren und höheren Verwaltungsbehörden durch § 105b tos 2, § 105c tos. 2, §§ 105e, 105f, 115a, 120134e bis 134g, 138 tos 1, §§ 138 a, 139, 139 b übertragenen Befugnisse und Obliegenheiten auf die der Verwaltung dieser Betriebe vorgesetzten Dienstbehörden übertragen werden.

77. 2. Gesetz, betr. die Bezeichnung des Raumgehaltes der Schankgefäße. Vom 20. Juli 1881, terlw. abgeändert durch Ges. vom 24. Juli 19093) (RGBl. 1881 S. 249, 1909 S. 891.)

§ 1. Schankgefäße (Gläser, Krüge, Flaschen usw.), welche zur Verab­ reichung von Wein, Obstwein, Most oder Mer in Gast- und Schankwirtfchaften dienen, müssen mit einem bei der Aufstellung des Gefäßes auf einer horizon­ talen Ebene den Sollinhalt begrenzenden Strich (Füllstrich) und in der Nähe des Strichs mit der Bezeichnung des Sollinhalts nach Litermaß ver­ sehen sein. Der Bezeichnung des Sollnrhalts bedarf es nicht, wenn derselbe ein Liter oder ein halbes Liter beträgt. Ter Strich und die Bezeichnung müssen durch Schnitt, Schliff, Brand oder Ätzung äußerlich und in leicht erkennbarer Weise angebracht sein. Zugelassen sind nur Schankgefäße, deren Sollinhalt einem Liter oder einer Maßgröße entspricht, welche vom Liter aufwärts durch Stufen von V2 Liter, vom Liter abwärts durch Stufen von Zehnteilen und vom halben Liter abwärts durch Stufen von Zwanzigteilen des Liters gebildet wird. 8 2. Der Abstand des Füllstrichs von dem oberen Rande der Schank­ gefäße muß a) bei Gefäßen mit verengtem Halse, auf dem letzteren angebracht, zwischen 2 und 6 Zentimeter, b) bei Schankgefäßen für Bier zwischen 2 und 4 Zentimeter, c) bei anderen Gefäßen zwischen 1 und 3 Zentimeter betragen. Ter Maximalbetrag dieses Abstands kann durch die zuständige höhere Verwaltungsbehörde hinsichtlich solcher Schankgefäße, in welchen eine ihrer Natur nach stark schäumende Flüssigkeit verabreicht wird, über die vorstehend bezeichneten Grenzen hinaus festgestellt werden. Die höhere Verwaltungsbehörde ist ferner befugt, den in tos. 1 zu b beäei^^netell Mindestbetrag des Abstandes für Gefäße von einem halben Liter Inhalt und darüber bis auf 3 Zentimeter zu erhöhen.

In Kraft seit 1

August 1909

424

Erster Teil.

Strafgesetze.

Bis zum 1. Oktober 1923 ist der Gebrauch von Schankgefäßen für Mer mit einem Mindestabstande von 1 Zentimeter gestattet. 8 3. Der durch den Füllstrich begrenzte Raumgehalt eines Schank-gefäßes darf a) bei Gefäßen mit verengtem Halse höchstens b) bei anderen Gefäßen höchstens V30 geringer sein als der Sollinhalt. 8 4. Gast- und Schankwirte haben gehörig gestempelte Flüssigkeitsmaße von einem zur Prüfung ihrer Schankgefäße geeigneten Mnzel- oder Gesamt-, inhalt bereit zu halten. 8 5. Gast- und Schankwirte, welche den vorstehenden Vorschriften widerhandeln, werden mit Geldstrafe bis zu einhundert Mark oder mit Haft bis zu vier Wochen bestraft. Gleichzeitig ist auf Einziehung der vorschrifts­ widrig befundenen Schankgefäße zu erkennen, auch kann die Vernichtung der­ selben ausgesprochen werden. 8 6» Die vorstehenden Bestimmungen finden auf festverschlossene (ver­ siegelte, verkapselte, festverkorkte usw.) Flaschen und Krüge, sowie auf Schank­ gefäße von V20 Liter oder weniger nicht Anwendung. 8 7. Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 1884 in Kraft.

78.

3. Gesetz über den Feingehalt der Gold- und Sllberwaren. Vom 16. Juli 1884. (RGBl. S. 120)

8 1 Gold- und Silberwaren dürfen zu jedem Feingehalte angefertigt und feilgehalten werden. Die Angabe des Feingehalts auf denselben ist nur nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen gestattet. 8 2. Auf goldenen Geräten darf der Feingehalt nur in 585 oder mehr Tausendteilen, auf silbernen Geräten nur in 800 oder mehr Tausend-teilen angegeben werden. Der wirkliche Feingehalt darf weder im ganzen der Ware noch auch in deren einzelnen Bestandteilen bei goldenen Geräten mehr als fünf, bei sil­ bernen Geräten mehr als acht Tausendteile unter dem angegebenen Fein­ gehalte bleiben. Vorbehaltlich dieser Abweichung muß der Gegenstand im ganzen und mit der Lötung eingeschmolzen den angegebenen Feingehalt haben. 8 3. Die Angabe des Feingehalts auf goldenen und silbernen Geräten geschieht durch ein Stempelzeichen, welches die Lahl der Tausendteile und die Firma des Geschäfts, für welches die Stempelung bewirkt ist, kenntlich macht. Die Form des Stempelzeichens wird durch den Bundesrat bestimmt. 8 4. Goldene und silberne Uhrgehäuse unterliegen den Bestimmungen der §§ 2 und 3. 8 '5. Schmucksachen von Gold und Silber dürfen in jedem Feingehalte gestempelt werden und ist in diesem Falle der letztere in Tausendteilen anzugeben. Die Fehlergrenze darf zehn Tausendteile nicht überschreiten, wenn der Gegenstand im ganzen eingeschmolzen wird. Das vom Bundesrat gemäß § 3 bestimmte Stempelzeichen darf auf Schmucksachen von Gold und Silber nicht angebracht werden. 8 6. Aus dem Auslande eingeführte Gold- und Silberwaren, deren Fein­ gehalt durch eine diesem Gesetze nicht entsprechende Bezeichnung angegeben ist, dürfen nur dann feilgehalten werden, wenn sie außerdem mit einem Stempel­ zeichen nach Maßgabe dieses Gesetzes versehen sind. 8 7. Für die Richtigkeit des angegebenen Feingehalts haftet der Ver­ käufer der Ware. Ist deren Stempelung im Jnlande erfolgt, so haftet gleich dem Verkäufer der Inhaber des Geschäfts, für welches die Stempelung er­ folgt ist.

79. Gesetz betr. die Erwerbs- u. Wirtschastsgenossenschaften. § 1.

425

§ 8. Auf Gold- und Silberwaren, welche mit anderen metallischen Stof­ fen ausgefüllt sind, darf der Feingehalt nicht angegeben werden. Dasselbe gilt von Gold- und Silberwaren, mit welchen aus anderen Me­ tallen bestehende Berstärkungsvorrichtungen metallisch verbunden sind. Bei Ermittelung des Feingehalts bleiben alle von dem zu stempelnden Metalle verschiedenen, äußerlich als solche erkennbaren Metalle außer Betracht welche: 1. zur Verzierung der Ware dienen; 2. zur Herstellung mechanischer Vorrichtungen erforderlich sind; 3. als Verstärkungsvorrichtungen ohne metallische Verbindung sich dar­ stellen. § 9* Mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten wird bestraft: 1. wer Gold- oder Silberwaren, welche nach diesem Gesetze mit einer Mu­ gabe des Feingehalts nicht versehen sein dürfen, mit einer solchen Aw­ gabe versieht; 2. wer Gold- oder Silberwaren, welche nach diesem Gesetze mit einer An­ gabe des Feingehalts versehen sein dürfen, mit einer anderen, als der nach diesem Gesetze zulässigen Feingehaltsangabe versieht; 3. wer gold- oder silberähnliche Waren mit einem durch dieses Gesetz vor­ gesehenen Stempelzeichen oder mit einem Stempelzeichen versieht, wel­ ches nach diesem Gesetze als Feingehaltsbezeichnung für Gold- und Älberwaren nicht zulässig ist; 4. wer Waren feilhält, welche mit einer gegen Die Bestimmungen dieses Ge­ setzes verstoßenden Bezeichnung versehen sind. Mit der Verurteilung ist zugleich auf Vernichtung der gesetzwidrigen Bezeichnung oder, wenn diese in anderer Weise nicht möglich ist, auf Zerstörung der Waren zu erkennen. 8 19. Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 1888 in Kraft. An demselben Tage treten alle landesrechtlichen Bestimmungen über den Feingehalt der Goldund Silberwaren außer Geltung.

79. 4. Gesetz, betr. die Erwerbs- und Wirtschastsgenosienschaften. Vom 1. Mai 1889. In der

Fassung des Einführungsgesetzes zum Handelsgesetzbuche vom 10. Mai 1897.

(In neuer Redaktion abgedruckt RGBl. 1898 S. 810 ff.) Abgeändert durch Gesetze v. 1. Juli 1922 (RGBl. I S. 567) und 12. Mai 1923 (RGBl. I S. 288).

Erster Abschnitt. Errichtung der Genossenschaft. 8 1. Gesellschaften von nicht geschlossener Mitgliederzahl, welche die Förderung des Erwerbes oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder mittelst ge­ meinschaftlichen Geschäftsbetriebes bezwecken (Genossenschaften), namentlich: 1. Vorschuß- und Kreditvereine, 2. Rohstoffvereine, 3. Vereine zum gemeinschaftlichen Verkaufe landwirtschaftlicher oder ge­ werblicher Erzeugnisse (Absatzgenossenschaften, Magazinvereine), 4. Vereine zur Herstellung von Gegenständen und zum Verkaufe derselben auf gemeinschaftliche Rechnung (Produktivgenossenschaften), 5. Vereine zum gemeinschaftlichen Ankäufe von Lebens- oder Wirtschafts­ bedürfnissen im großen und Ablaß im kleinen (Konsumvereine),

426

Erster Teil.

Strafgesetze.

6. Vereine zur Beschaffung von Gegenständen des landwirtschaftlichen oder gewerblichen Betriebs und zur Benutzung derselben auf gemeinschaftliche Rechnung, 7. Vereine zur Herstellung von Wohnungen, erwerben die Rechte einer „eingetragenen Genossenschaft" nach Maßgabe dieses Gesetzes. Eine Beteiligung an Gesellschaften und sonstigen Personenvereinigungen einschließlich der Körperschaften des öffentlichen Rechtes ist zulässig, wenn sie 1. der Förderung des Erwerbes oder der Wirtschaft der Mitglieder der Genossenschaft oder, 2. ohne den alleinigen oder überwiegenden Zweck der Genossenschaft zu bilden, gemeinnützigen Bestrebungen der Genossenschaft zu dienen bestimmt ist. 8 2. Die Genossenschaften können errichtet werden: 1. dergestalt, daß die einzelnen Mitglieder (Genossen) für die Verbindlich­ keiten der Genossenschaft dieser sowie unmittelbar den Gläubigern der­ selben mit ihrem ganzen Vermögen haften (eingetragene Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht); 2 dergestalt, daß die Genossen zwar mit ihrem ganzen Vermögen, aber nicht unmittelbar den Gläubigern der Genossenschaft verhaftet, vielmehr nur verpflichtet sind, der letzteren die zur Befriedigung der Gläubiger erforderlichen Nachschüsse zu leisten (eingetragene Genossenschaft mit un­ beschränkter Nachschußpflicht); 3. dergestalt, daß die Haftpflicht der Genossen für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft sowohl dieser wie unmittelbar den Gläubigern gegen­ über im Voraus auf eine bestimmte Summe beschränkt ist (eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht).

8 3. Die Firma der Genossenschaft muß vom Gegenstände des Unter­ nehmers entlehnt sein und entsprechend der im § 2 vorgesehenen Art 'der Genossenschaft die daselbst bestimmte zusätzliche Bezeichnung enthalten. Der Name von Genossen oder anderen Personen darf in die Firma nicht ausgenommen werden. Jede neue Firma muß sich von allen an demselben Orte oder in derselben Gemeinde bereits bestehenden Firmen eingetragener Genossenschaften deutlich unterscheiden.

8 4. Die Zahl der Genossen muß mindestens sieben betragen. 8 5. Das Statut der Genossenschaft bedarf der schriftlichen Form.

8 6. Das Statut muß enthalten: 1. die Firma und den Sitz der Genossenschaft; 2. den Gegenstand des Unternehmens; 3. Bestimmungen über die Form für die Berufung der Generalversammlung der Genossen, sowie für die Beurkundung ihrer Beschlüsse und über den Vorsitz in der Versammlung; 4. Bestimmungen über die Form, in welcher die von der Genossenschaft ausgehenden Bekanntmachungen erfolgen, sowie über die öffentlichen Blätter, in welche dieselben aufzunehmen sind. 8 7. Das Statut muß ferner bestimmen: 1. ob die Genossen der unbeschränkten Haftpflicht oder nur der unbeschränk­ ten Nachschußpflicht oder der beschränkten Haftpflicht unterliegen sollen; 2. den Betrag, bis zu welchem sich die einzelnen Genossen mit Einlagen beteiligen können (Geschäftsanteil), sowie die Einzahlungen auf den Geschäftsanteil, zu welchen jeder Genosse verpflichtet ist; dieselben müssen bis zu einem Gesamtbeträge von mindestens einem Zehnteile des Geschäftsanteils nach Betrag und Zeit bestimmt sein; 3. die Grundsätze für die Aufstellung und die Prüfung der Mlanz; 4. die Bildung eines Reservefonds, welcher zur Deckung eines aus der Bilanz sich ergebenden Verlustes zu dienen hat, sowie die Art dieser Bildung,

79. Gesetz, bett, bie Erwerbs- u. Wirtschaft-genossenschaften. §§ 2—23.

427

insbesondere den Teil des jährlichen Reingewinns, welcher in den Re­ servefonds einzustellen ist, und den Mindestbetrag des letzteren, bis zu dessen Erreichung die Einstellung zu erfolgen hat. 8 8. Der Aufnahme in das Statut bedürfen Bestimmungen, nach.Iwelchen: 1. die Genossenschaft auf eine bestimmte Zeit beschränkt wird; 2. Erwerb und Fortdauer der Mitgliedschaft an den Wohnsitz innerhalb eines bestimmten Bezirks geknüpft wird; 3. das Geschäftsjahr, insbesondere das erste, auf ein mit dem Kalenderjahre nicht zusammenfallendes Jahr oder auf eine kürzere Dauer, als ein Jahr bemessen wird; 4. über gewisse Gegenstände die Generalversammlung nicht schon durch ein­ fache Stimmenmehrheit, sondern nur durch eine größere Stimmenmehr­ heit oder nach anderen Erfordernissen Beschluß fassen kann; 5. die Ausdehnung des Geschäftsbetriebes auf Personen, welche nicht Mit­ glieder der Genossenschaft sind, zugelassen wird. Genossenschaften, bei welchen die Gewährung von Darlehen Zweck des Unternehmens ist, dürfen ihren Geschäftsbetrieb, soweit er in einer diesen Zweck verfolgenden Darlehnsgewährung besteht, nicht auf andere Personen außer den Mitgliedern ausdehnen. Darlehnsgewährungen, welche nur die An­ legung von Geldbeständen bezwecken, fallen nicht unter dieses Verbot. Als Ausdehnung des Geschäftsbetriebes gilt nicht der Abschluß von Ge­ schäften mit Personen, welche bereits die Erklärung des Beitritts zur Genossen­ schaft unterzeichnet haben und von derselben zugelassen sind. Konsumvereine (§ 1 Nr. 5) dürfen im regelmäßigen Geschäftsverkehr Warnt nur an ihre Mitglieder oder deren Vertreter verkaufen. Diese Beschrän­ kung findet auf landwirtschaftliche Konsumvereine, welche ohne Haltung eines offenen Ladens die Vermittelung des Bezugs von ihrer Natur nach aus­ schließlich für den landwirtschaftlichen Betrieb bestimmten Waren besorgen, hin­ sichtlich dieser Waren keine Anwendung. 8 9. Die Genossenschaft muß einen Vorstand und einen Aufsichtsrat habeit. Die Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrats müssen Genossen sein. Gehören der Genossenschaft einzelne eingetragene Genossenschaften als Mitglieder an, oder besteht die Genossenschaft ausschließlich aus solchen, so können Mitglieder der letzteren in den Vorstand und den AufsichtSrat be­ rufen werden. 8 19* Das Statut, sowie die Mitglieder des Vorstandes sind in das Ge­ nossenschaftsregister bei dem Gerichte einzutragen, in dessen Bezirke die Ge­ nossenschaft ihren Sitz hat. Das Genossenschaftsregister wird bei dem zur Führung des Handels­ registers zuständigen Gerichte geführt. 8 11. Die Anmeldung behufs der Eintragung liegt dem Vorstande bb. Der Anmeldung sind beizufügen: 1. das Statut, welches von den Genossen unterzeichnet sein muß, uyd eine Abschrift desselben; 2. eine Liste der Genossen; 3. eine Abschrift der Urkunden über die Bestellung des.Vorstandes und des Aufsichtsrats. Die Mitglieder des Vorstandes haben zugleich ihre Unterschrift vor dem Gerichte zu zeichnen oder die Zeichnung in beglaubigter Form einzureichen. Die Abschrift des Statuts wird von dem Gerichte beglaubigt und, *mit der Bescheinigung der erfolgten Eintragung versehen, zurückgegeben. Die übrigen Schriftstücke werden bei dem Gerichte aufbewahrt.

85 12-16.

-----------Zweiter Abschnitt.

Rechtsverhältnisse der Geuoffeuschast und der Genossen. 88 17-23. ----------

428

Erster Teil.

Strafgesetze.

Dritter Abschnitt.

Vertretung und Geschäftsführung. 8 24. Die Genossenschaft wird durch den Borstand gerichtlich und außer­ gerichtlich vertreten. Der Vorstand besteht aus zwei Mitgliedern und wird von der General­ versammlung gewählt. Durch oas Statut kann eine höhere Mitgliederzahl sowie eine andere Art der Bestellung festgesetzt werden. Die Mitglieder des Vorstandes können besoldet oder unbesoldet sein. Ihre Bestellung ist zu jeder Zeit widerruflich, unbeschadet der Entschädigungs­ ansprüche aus bestehenden Verträgen.

88

25,

26.

------------

8 27. Der Vorstand ist der Genossenschaft gegenüber verpflichtet, die Beschränkungen einzuhalten, welche für den Umfang seiner Befugnis, die Ge­ nossenschaft zu vertreten, durch das Statut oder durch Beschlüsse der General­ versammlung festgesetzt sind. Gegen dritte Personen hat eine Beschränkung der Befugnis des Vor­ standes, die Genossenschaft zu vertreten, keine rechtliche Wirkung. Dies gilt insbesondere für den Fall, daß die Vertretung sich nur auf gewisse Geschäfte oder Arten von Geschäften erstrecken oder nur unter gewissen Umständen oder für eine gewisse Zeit oder an einzelnen Orten stattfinden soll oder daß die Zustimmung der Generalversammlung, des Aufsichtsrats oder eines anderen Organs der Genossenschaft für einzelne Geschäfte erfordert ist 88 28-31. - -- -- -- -- 8 32. Von Konsumvereinen oder von Gewerbetreibenden, welche mit solchen wegen Warenabgabe an die Mitglieder in Verbindung stehen, dürfen Marken oder sonstige nicht auf den Namen lautende Anweisungen oder Wertzeichen, welche anstatt baren Geldes die Mitglieder zum Warenbezug be­ rechtigen sollen, nicht ausgegeben werden.

8 33. Der Vorstand ist verpflichtet, Sorge zu tragen, daß die erforder­ lichen Bücher der Genossenschaft geführt werden. Es muß binnen sechs Monaten nach Ablauf jedes Geschäftsjahres die Bilanz desselben, die Zahl der im Laufe des Jahres eingetretenen oder aus­ geschiedenen, sowie die Zahl der am Jahresschlüsse der Genossenschaft an­ gehörigen Genossen veröffentlichen. Die Bekanntmachung ist zu dem Genossen­ schaftsregister einzureichen. Bei kleineren Genossenschaften findet eine Veröf­ fentlichung nicht statt Im übrigen kann das Gericht, falls nicht nach den be­ sonderen Umständen des Falles die Veröffentlichung geboten erscheint, den Vorstand auf seinen Antrag von der Verpflichtung zur Veröffentlichung be­ freien, sofern glaubhaft gemacht wird, daß die Kosten der Veröffentlichung in offenbarem Mißverhältnisse zu der Vermögenslage der Genossenschaft stehen würden. Findet eine Veröffentlichung gemäß Satz 3, 4 nicht statt, so sind an Stelle der Bekanntmachung eine Abschrift der Bilanz sowie eine Er­ klärung über die Zahl der Genossen nach Maßgabe des Satzes 1 zu dem Ge­ nossenschaftsregister einzureichen. 8 34. Die Mitglieder des Vorstandes haben die Sorgfalt eines ordent­ lichen Geschäftsmannes anzuwenden. Mitglieder, welche ihre Obliegenheiten verletzen, haften der Genossenschaft persönlich und solidarisch für den dadurch entstandenen Schaden. Insbesondere sind sie zum Ersätze der Zahlung verpflichtet, wenn ent­ gegen den Vorschriften in §§ 19, 22 der Gewinn oder das Geschäftsguthaben ausgezahlt wird. Die Ansprüche auf Grund der vorstehenden Bestimmungen verjähren in fünf Jahren.

8 35. Die für Mitglieder des Vorstandes gegebenen Vorschriften gelten auch für Stellvertreter von Mitgliedern.

79. Gesetz betr. die Erwerbs- u. Wirtschaftsgenossenschasten. §§ 24—43.

429

8 36. Der Aufsichtsrat besteht, sofern nicht das Statut eine höhere Zahl festsetzt, aus drei von der Generalversammlung zu wählenden Mitglie­ dern. Die zu einer Beschlußfassung erforderliche Zahl ist durch das Statut zu bestimmen. Die Mitglieder dürfen keine nach dem Geschäftsergebnis bemessene Ver­ gütung (Tantieme) beziehen. Die Bestellung zum Mitgliede des Aufsichtsrats kann auch vor Ablauf des Zeitraums, für welchen dasselbe gewählt ist, durch die Generalverfa-nmlung widerrufen werden. Der Beschluß bedarf einer Mehrheit von drei Vier­ teilen der erschienenen Genossen. 8 37. Die Mitglieder des Aufsichtsrats dürfen nicht zugleich Mitglieder des Vorstandes oder dauernd Stellvertreter derselben sein, auch nicht als Be­ amte die Geschäfte der Genossenschaft führen. Nur für einen im voraus be­ grenzten Zeitraum kann der Aufsichtsrat einzelne seiner Mitglieder zu Stell­ vertretern von behinderten Mitgliedern des Vorstandes bestellen; während dieses Zeitraums und bis zur erteilten Entlastung des Vertreters darf der letztere eine Tätigkeit als Mitglied des Aufsichtsrats nicht ausüben. Scheiden aus dem Vorstände Mitglieder aus, so dürfen dieselben nicht vor erteilter Entlastung in den Aufsichtsrat gewählt werden. 8 38. Der Aufsichtsrat hat den Vorstand bei seiner Geschäftsführung jn allen Zweigen der Verwaltung zu überwachen und zu dem Zweck sich von dem Gange der Angelegenheiten der Genossenschaft zu unterrichten. Er kann jeder­ zeit über diese!beit Berichterstattung von dem Vorstande verlangen und selbst oder durch einzelne von ihm zu bestimmende Mitglieder die Bücher und Schrif­ ten der Genossenschaft einsehen, sowie den Bestand der Genossenschaftskasse und die Bestände an Effekten, Handelspapieren und Waren untersuchen. Er hat die Jahresrechnung, die Bilanzen und die Vorschläge zur Verteilung pon Gewinn und Verlust zu prüfen und darüber der Generalversammlung vor Genehmigung der Bilanz Bericht zu erstatten. Er hat eine Generalversammlung zu berufen, wenn dies ijtt Interesse der Genossenschaft erforderlich ist. Weitere Obliegenheiten des Auftichtsrats werden durch das Statut be­ stimmt. Die Mitglieder des Aussichtsrats können die Ausübung ihrer Obliegen­ heiten nicht anderen Personen übertragen.

88 39, 40. -----------8 41. Die Mitglieder des Aufsichtsrats haben die Sorgfalt eines ordent­ lichen Geschäftsmannes anzuwenden. Mitglieder, welche ihre Obliegenheiten verletzen, haften der Genossen­ schaft persönlich und solidarisch für den dadurch entstandenen Schaden. Insbesondere sind sie in den Fällen des § 34 Abs. 3 zum Ersätze der Zahlung verpflichtet, wenn diese mit ihrem Wissen und ohne ihr Einschreiten erfolgt ist. Die Ansprüche auf Grund der vorstehenden Bestimmungen verjähren in fünf Jahren.

8 42. - -- -- -- -- -- - 8 43. Die Rechte, welche den Genossen in den Angelegenheiten der Ge­ nossenschaft, insbesondere in bezug auf die Führung der Geschäfte, die Prü­ fung der Bilanz und die Verteilung von Gewinn.und Verlust zustehen, werden in der Generalversammlung durch Beschlußfassung der erschienenen Genossen ausgeübt. Jeder Genosse hat eine Stimme. Ein Genosse, welcher durch die Beschlußfassung entlastet oder von einer Verpflichtung befreit werden soll, hat hierbei kein Stimmrecht. Dasselbe gilt von einer Beschlußfassung, welche den Abschluß eines Rechtsgeschäfts mit einyn Genossen betrifft. Dre Genossen können das Stimmrecht nicht durch Bevollmächtigte auSüben. Diese Bestimmung findet auf handlungsunfähige Personen, Korpo­ rationen, Handelsgesellschaften, Genossenschaften oder andere Personenvereine

430

Erster Teil.

Strafgesetze.

und, wenn das Statut die Teilnahme von Frauen an der Generalversammlung ausschließt, auf Frauen keine Anwendung. Ein Bevollmächtigter kann nicht mehr als einen Genossen vertreten. 8 43 a. Bei Genossenschaften mit mehr als zehntausend Mitgliedern -be­ steht die Generalversammlung aus Vertretern der Genossen (Vertreterversarnrnlung). Für den Fall, daß die Mitgliederzahl mehr als dreitausend beträgt, kann das Statut bestimmen, daß die Generalversammlung aus Vertretern der Genossen bestehen soll. Die Vertreter müssen Genossen sein. Das Statut trifft die näheren Bestimmungen über die Zahl der Vertreter, die Voraussetzungen der Wählbarkeit, die Durchführung der Wahl sowie den Nachweis und die Dauer der Vertretungsbefugnis. 8 44. Die Generalversammlung wird durch den Vorstand berufen, soweit nicht nach dem Statut oder diesem Gesetze auch andere Personen dazu befugt sind. Eine Generalversammlung ist außer den im Statut oder in diesem Gesetze ausdrücklich bestimmten Fällen zu berufen, wenn dies im Interesse der Ge­ nossenschaft erforderlich erscheint. 8 45. Die Generalversammlung muß ohne Verzug berufen werden, wenn der zehnte Teil oder der im Statut hierfür bezeichnete geringere Teil der Genossen in einer von ihnen unterschriebenen Eingabe unter Anführung des Zweckes und der Gründe die Berufung verlangt In gleicher Weise sind die Genossen berechtigt, zu verlangen, daß (Gegen­ stände zur Beschlußfassung einer Generalversammlung angekündigt werden. Wird dem Verlangen nicht entsprochen, so kann das Gericht (§ 10) die Genossen, welche das Verlangen gestellt haben, zur Berufung der Generalver­ sammlung oder zur Ankündigung des Gegenstandes ermächtigen. Mit der Be­ rufung oder Ankündigung ist die gerichtliche Ermächtigung bekannt zu machen. 88 46-52. ----------

Vierter Abschnitt. Revision.

8 53. Die Einrichtungen der Genossenschaft und die Geschäftsführung derselben in allen Zweigen der Verwaltung sind mindestens in jedem zweiten Jahre der Prüfung durch einen der Genossenschaft nicht angehörigen, sach­ verständigen Revisor zu unterwerfen. 8 54. Für Genossenschaften, welche einem den nachfolgenden Anforde­ rungen genügenden Verbände angehören, ist diesem das Recht zu verleihen, den Revisor zu bestellen. 8 55. Der Verband muß die Revision der ihm angehörigen Genossen­ schaften und kann auch sonst die gemeinsame Wahrnehmung ihrer im § 1* be­ zeichneten Interessen, insbesondere die Unterhaltung gegenseitiger Geschäfts­ beziehungen zum Zweck haben. Andere Zwecke darf er nicht verfolgen. 8 56. Die Zwecke des Verbandes müssen in dem Statut desselben an­ gegeben sein. Der Inhalt des Statuts muß erkennen lassen, daß der Verband imstande ist, der Revisionspflicht zu genügen. Das Statut hat insbesondere den Verbandsbezirk sowie die höchste und die geringste Zahl von Genossen­ schaften, welche der Verband umfassen kann, festzusetzen und die Bestimmungen über Auswahl und Bestellung der Revisoren, Art und Umfang der Revisionen, sowie über Bildung, Sitz und Befugnisse des Vorstandes und über die sonstigen Organe des Verbandes zu enthalten. 8 57. Die Verleihung des Rechts zur Bestellung des Revisors erfolgt, wenn der Bezirk des Verbandes sich über mehrere Bundesstaaten erstreckt, durch den Bundesrat, anderenfalls durch die Zentralbehörde des Bundesstaates. Änderungen des Verbandsstatuts sind der nach Absatz 1 zuständigen Stelle einzureichen. 8 58. Der Verbandsvorstand hat das Statut mit einer beglaubigten Abschrift der Verleihungsurkunde, sowie alljährlich im Monat Januar ein Ver-

79. Gesetz, 'bett, bie Erwerbs- u. Wirtschastsgenossenschasten. §§ 43 a—78 a.

431

zeichnis der bem Verbände angehörigen Genossenschaften den Gerichten (§ 10), in deren Bezirke diese ihren Sitz haben, sowie der höheren Verwaltungsbehörde^ in deren Bezirke der Vorstand seinen Sitz hat, einzureichen. 8 59«. Generalversammlungen des Verbandes dürfen nur innerhalb des Berbandsbezirks abgehalten werden. Sie sind der höheren Verwaltungsbehörde, in deren Bezirke der Vor­ stand seinen Sitz hat, sowie der höheren Verwaltungsbehörde, in deren Bezirke die Versammlung abgehalten werden soll, unter Einreichung der Tagesordnung mindestens eine Woche vorher anzuzeigen. Der letzteren Behörde steht das Recht zu, in die Versammlung einen Ver­ treter zu entsenden. 8 69. Das Recht zur Bestellung des Revisors kann dem Verbände ent­ zogen werden, 1. wenn er sich gesetzwidriger Handlungen schuldig macht, durch welche das Gemeinwohl gefährdet wird, oder wenn er andere als die im § 55 be­ zeichneten Zwecke verfolgt; 2. wenn der Verband der ihm obliegenden Pflicht der Revision nicht genügt. Die Entziehung wird nach Anhörung des Verbandsvorstandes durch die für die Verleihung zuständige Stelle ausgesprochen Von der Entziehung ist den im § 58 bezeichneten Gerichten Mitteilung zu machen. 8 61. Für Genossenschaften, welche einem Revisionsverbande (§§ 55 bis 57) nicht angehören, wird der Revisor durch das Gericht (§ 10) bestellt. Der Vorstand der Genossenschaft hat die Bestellung zu beantragen. Die Bestellung erfolgt, nachdem die höhere Verwaltungsbehörde über die Person des Revisors gehört ist. Erklärt die Behörde sich mit einer von der Genossenschaft vorgeschlagenen Person einverstanden, so ist diese zum Revisor zu bestellen.

8 62. ------------8 63. Der Vorstand der Genossenschaft hat dem Revisor die Einsicht der Bücher und Schriften der Genossenschaft und die Untersuchung des Bestandes der Genossenschaftskasse, sowie der Bestände an Effekten, Handelspapieren und Waren zu gestatten Zu der Revision ist der Aufsichtsrat zuzuziehen. Der Vorstand hat eine Bescheinigung des Revisors, daß die Revision statt­ gefunden hat, zum Genossenschaftsregister einzureichen und den Bericht über die Revision bei der Berufung der nächsten Generalversammlung als Gegen­ stand der Beschlußfassung anzukündigen. In der Generalversammlung hat der Aufsichtsrat sich über das Ergebnis der Revision zu erklären. Der von einem Verbände bestellte Revisor hat eine Abschrift des Revisionsberichts dem Berbandsvorstande einzureichen.

8 64.

Fünfter Abschnitt.

88

65-77.

Ausscheiden einzelner Genoffen. - -- -- -- --

--

-

Sechster Abschnitt.

Auflösung und Nichtigkeit der Genossenschaft.

8 78. Die Genossenschaft kann durch Beschluß, der Generalversammlung jederzeit aufgelöst werden; der Beschluß bedarf einer Mehrheit von drei Vier­ teilen der erschienenen Genossen. Das Statut kann außer dieser Mehrheit noch andere Erfordernisse aufstellen. Die Auflösung ist durch den Vorstand ohne Verzug zur Eintragung in das Genossenschaftsregister anzumelden. 8 78 a. über die Auflösung eines als eingetragene Genossenschaft be­ stehenden Vorschuß- und Kreditvereins kann nur von einer ausschließlich zu diesem Zwecke berufenen Generalversammlung beschlossen werden.

432

Erster Teil.

Strafgesetze.

Vor der Beschlußfassung ist der Revisionsverband, dem die Genossen­ schaft angeschlossen ist, oder, falls sie gegenwärtig einem Revisionsverbande nicht angehört, innerhalb der letzten drei Jahre angeschlossen war, darüber zu hören, ob die Auflösung mit dem Interesse des Mittelstandes vereinbar ist. In Ermangelung eines nach Abs. 2 zuständigen Revisionsverbandes ist der überwiegend Vorschuß- und Kreditvereine umfassende Revisionsverband zu hören, in dessen Bezirk die Genossenschaft ihren Sitz hat. Kommen hiernach für die Anhörung mehrere Revisionsverbände in Betracht, so steht die Aus­ wahl dem Vorstand, sofern der Aufsichtsrat die Generalversammlung berufen hat, dem Aufsichtsrate, falls die Berufung von gerichtlich hierzu ermächtigten Genossen ausgeht, diesen zu. Das Gutachten des Revisionsverbandes ist in jeder über die Auflösung beratenden Generalversammlung zu verlesen. Dem Revisionsverband ist Ge­ legenheit zu geben, das Gutachten in der Generalversammlung zu vertreten

8 78 d. Widerspricht die Auflösung der Genossenschaft nach dem Gut­ achten des Revisionsverbandes dem Interesse des Mittelstandes, so bedarf der Beschluß, die Genossenschaft aufzulösen, unbeschadet weiterer Erschwerungen durch das Statut einer Mehrheit von drei Vierteilen der Genossen in zwer nrit einem Abstand von mindestens einem Monat aufeinanderfolgenden Generalversammlungen. 8 79. In dem Falle, daß durch das Statut die Zeitdauer der Genossen­ schaft beschränkt ist, tritt die Auflösung derselben durch Ablauf der bestimmten Zeit ein. Die Vorschrift im § 78 Absatz 2 findet Anwendung.

8 80. Beträgt die Zahl der Genossen weniger als sieben, so hat das Ge­ richt (§ 10) auf Antrag des Vorstandes und, wenn der Antrag nicht binnen sechs Monaten erfolgt, von Amts wegen nach Anhörung des Vorstandes die Auflösung der Genossenschaft auszusprechen. Der Beschluß ist der Genossenschaft zuzustellen. Gegen denselben steht ihr die sofortige Beschwerde nach Maßgabe der Zivilprozeßordnung zu. Die Auflösung tritt mit der Rechtskraft des Beschlusses in Wirksamkeit. 8 81. Wenn eine Genossenschaft sich gesetzwidriger Handlungen pder Unterlassungen schuldig macht, durch welche das Gemeinwohl gefährdet wird, oder wenn sie andere als die in diesem Gesetze (§ 1) bezeichneten geschäft­ lichen Zwecke verfolgt, so kann sie aufgelöst werden, ohne daß deshalb ein Anspruch auf Entschädigung stattfindet. Das Verfahren und die Zuständigkeit der Behörden richtet sich nach den für streitige Verwaltungssachen landesgesetzlich geltenden Vorschriften. Wo ein Verwaltungsstreitversahren nicht besteht, finden die Vorschriften in §§ 20, 21 der Gewerbeordnung mit der Maßgabe Anwendung, daß die Entscheidung in erster Instanz durch die höhere Verwaltungsbehörde erfolgt, in deren Be­ zirke die Genossenschaft ihren Sitz hat. Von der Auflösung hat die in erster Instanz entscheidende Behörde dem Gerichte (§ 10) Mitteilung zu machen. 8 82. Die Auflösung der Genossenschaft ist von dem Gerichte ohne Ver­ zug in das Genossenschaftsregister einzutragen. Sie muß von den Liquidatoren zu drei verschiedenen Malen durch die für die Bekanntmachungen der Genossenschaft bestimmten Blätter bekannt ge­ macht werden. Durch die Bekanntmachung sind zugleich die Gläubiger aufzu­ fordern, sich bei der Genossenschaft zu melden.

8 83. Die Liquidation erfolgt durch den Vorstand, wenn nicht dieselbe, durch das Statut oder durch Beschluß der Generalversammlung anderen Per­ sonen übertragen wird. Es sind wenigstens zwei Liquidatoren zu bestellen. Auf Antrag des Aufsichtsrats oder mindestens des zehnten Teils der Genossen kann die Ernennung von Liquidatoren durch das Gericht (§ 10) erfolgen.

79. Gesetz, betr. d. Erwerbs- u. Wirtschastsgenossenschasten. §§ 78b—99.

433

Die Abberufung der Liquidatoren kann durch das Gericht unter den­ selben Voraussetzungen wie die Bestellung erfolgen. Liquidatoren, welche nicht vom Gerichte ernannt sind, können auch durch die Generalversammlung vor Ablauf des Zeitraums, für welchen sie bestellt sind, abberufen werden. 8 84. Die ersten Liquidatoren sind durch den Vorstand, jede Änderung in den Personen der Liquidatoren, sowie eine Beendigung ihrer Vertretungs­ befugnis ist durch die Liquidatoren zur Eintragung in das Genossenschafts­ register anzumelden. Eine Abschrift der Urkunden über die Bestellung der Liquidatoren oder über die Änderung in den Personen derselben ist der An­ meldung beizufügen und wird bei dem Gericht aufbewahrt. Tie (Antragung der gerichtlichen Ernennung oder Abberufung von Liquidatoren geschieht von Amts wegen. Die Liquidatoren haben ihre Unterschrift persönlich vor dem Gerichte zu zeichnen oder die Zeichnung in beglaubigter Form einzureichen 8 85. Die Liquidatoren haben in der bei ihrer Bestellung bestimmten Form ihre Willenserklärungen kundzugeben und für die Genossenschaft zu zeichnen. Ist nichts darüber bestimmt, so muß die Erklärung und Zeichnung durch sämtliche Liquidatoren erfolgen. Weniger als zwei dürfen hierfür nicht bestimmt werden. Tie Bestimmung ist mit der Bestellung der Liquidatoren zur Eintragung in das Genossenschaftsregister anzumelden. Die Zeichnungen geschehen derartig, daß die Liquidatoren der bisherigen, nunmehr als Liquidationsfirma zu bezeichnenden Firma ihre Namensunter­ schrift beifügen. 8 86. Die Vorschriften im § 29 über das Verhältnis zu dritten Per­ sonen finden bezüglich der Liquidatoren Anwendung. 8 87. Bis zur Beendigung der Liquidation kommen ungeachtet der Auflösung der Genossenschaft in bezug auf die Rechtsverhältnisse derselben und der Genossen die Vorschriften des zweiten und dritten Abschnitts dieses Ge­ setzes zur Anwendung, soweit sich aus den Bestimmungen des gegenwärtigen Abschnitts und aus benr Wesen der Liquidation nicht ein Anderes ergibt. Der Gerichtsstand, welchen die Genossenschaft zur Zeit ihrer Auflösung hatte, bleibt bis zur vollzogenen Verteilung des Vermögens bestehen. 8 88. Die Liquidatoren haben die laufenden Geschäfte zu beendigen, die Verpflichtungen der aufgelösten Genossenschaft zu erfüllen, die Forderungen derselben einzuziehen und das Vermögen der Genossenschaft in Geld umzusetzen; sie haben die Genossenschaft gerichtlich uno außergerichtlich zu vertreten. Zur Beendigung schwebender Geschäfte können die Liquidatoren auch neue Geschäfte erngehen. 8 89. Die Liquidatoren haben die aus "den §§ 26, 27, § 33 Absatz 1, § 34, §§ 44 bis 47, § 48 Absatz 2, § 51 sich ergebenden Rechte undPflichten des Vorstandes und unterliegen gleich diesem der Überwachung des Aussichtsrats. Sie haben sofort bei Beginn der Liquidation und demnächst in jedem Jahre eine Bilanz aufzustellen. Die erste Bilanz ist zu veröffentlichen; die Bekannt­ machung ist zu dem Genossenschaftsregister einzureichen. 88 90-97. - -- -- --- -- Siebenter Ab schnitt. Konkursverfahren und Haftpflicht der Genoffen. 8 98. Das Konkursverfahren findet im Falle der Zahlungsunfähigkeit, nach Auflösung der Genossenschaft auch im Falle der Überschuldung statt. Nach Auflösung der Genossenschaft ist die Eröffnung der Verfahrens so lange zulässig, als die Verteilung des Vermögens nicht vollzogen ist. 8 99. Sobald die Zahlungsunfähigkeit der Genossenschaft eintritt, hat der Vorstand die Eröffnung des Konkursverfahrens zu beantragen; dasselbe gilt, wenn bei oder nach Auflösung der Genossenschaft aus der Jahresbilanz oder aus einer im Lause des Jahres aufgestellten Bilanz Überschuldung sich ergibt. Allfeld, Strafgesetzgebung. 3. Aufl. 28

434

Erster Teil.

Strafgesetze.

Die Mitglieder des Vorstandes sind der Genossenschaft zum Ersatz einer nach diesem Zeitpunkte geleisteten Zahlung nach Maßgabe des § 34 verpflichtet. Die Ansprüche auf Grund der vorstehenden Bestimmungen verjähren in fünf Jahren.

8 100. Zu dem Anträge auf Eröffnung des Verfahrens ist außer den Konkursgläubigern jedes Mitglied des Vorstandes berechtigt. Wird der Antrag nicht von allen Mitgliedern gestellt, so ist derselbe zuzulassen, wenn die ihn begründenden Tatsachen (§ 98) glaubhaft gemacht werden. Das Gericht hat die übrigen Mitglieder nach Maßgabe der Konkurs­ ordnung § 105 Absatz 2, 3 zu hören. Der Eröffnungsantrag kann nicht aus dem Grunde abgewiesen werden, daß eine den Kosten des Verfahrens entsprechende Konkursmasse nicht vor­ handen sei. 8 101. Durch die Eröffnung des Konkursverfahrens wird die Genossen­ schaft aufgelöst 88 102-117. - -- -- -- -- -- 8 118. Die in diesem Abschnitte hinsichtlich des Vorstandes getroffenen Bestimmungen gelten auch hinsichtlich der Liquidatoren Achter

Abschnitt

Besondere Bestimmungen. I. Für Genossenschaften mit unbeschränkter Haftpflicht. Bei Genossenschaften mit unbeschränkter Haftpflicht darf ein Genosse nicht auf mehr als einen Geschäftsanteil beteiligt sein 8 120. Die Beitrittserklärungen (§ 15) müssen die ausführliche Be­ merkung enthalten, daß die einzelnen Genossen für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft dieser sowie unmittelbar den Gläubigern derselben nach Maßgabe des Gesetzes mit ihrem ganzen Vermögen haften 8 121. Sobald sich bei der Geschäftsführung ergibt, daß das Vermögen der Genossenschaft einschließlich des Reservefonds und der Geschäftsguthaben zur Deckung der Schulden nicht ausreicht, hat der Vorstand die Generalversamm­ lung zur Beschlußfassung, ob die Genossenschaft aufgelöst werden soll, zu berufen. Für den Fall, daß die Auflösung beschlossen wird, ist zugleich die im § 104 vorgesehene Beschlußfassung herbeizuführen

8 HO.

88 122-125. ----------H. Für Genossenschaften mit unbeschränkter Nachschußpfiicht.

8 126. Die Bestimmungen des § 119 über die Beschränkung der Be­ teiligung auf einen Geschäftsanteil und des § 121 über die Berufung der Generalversammlung im Falle der Überschuldung finden auf die Genossenschaften mit unbeschränkter Nachschußpflicht Anwendung. 8 127. Die Beitrittserklärungen (§ 15) müssen die ausdrückliche Be­ merkung enthalten, daß die einzelnen Genossen mit ihrem ganzen Vermögen verpflichtet sind, der Genossenschaft die zur Befriedigung der Gläubiger derselben erforderlichen Nachschüsse nach Maßgabe des Gesetzes zu leisten.

88 128-130. -----------111. Für Genossenschaften mit beschränkter Haftpflicht.

8 131. Bei Genossenschaften mit beschränkter Haftpflicht darf die Haft­ summe der einzelnen Genossen (§ 2) nicht niedriger als der Geschäftsanteil sein. Die Haftsumme muß bei Errichtung der Genossenschaft durch das Statut bestimmt werden. 8 132. Zu einer Erhöhung der Haftsumme bedarf es einer Mehrheit von drei Vierteilen der in der Generalversammlung erschienenen Genossen. Das Statut kann noch andere Erfordernisse aufstellen.

79. Gesetz betr. d. Erwerbs- u. Wirtschastsgenossenschaften. §§ 100—148.

435

§ 133. Eine Herabsetzung der Haftsumme kann nur unter Beobachtung der Bestimmungen erfolgen, welche für die Verteilung des Genossenschafts­ vermögens im Falle der Auflösung maßgebend sind (§ 82 Absatz 2, § 90 Ab­ satz 1 Dis 3). Bekannte Gläubiger sind durch besondere Mitteilung zur Anmel­ dung auszusordern. Die Anmeldung des Herabsetzungsbeschlusses zum Genossenschaftsregister erfolgt nicht vor Ablauf des im § 90 Absatz 1 bezeichneten Jahres. Mit der Anmeldung sind die Bekanntmachungen des Beschlusses einzureichen. Zugleich hat der Vorstand die schriftliche Versicherung abzugeben, daß die Gläubiger, welche sich bei der Genossenschaft gemeldet und der Herabsetzung nicht zugestimmt haben, befriedigt oder sichergestellt sind. 8 134. Durch das Statut kann die Beteiligung des Genossen auf mehrere Geschäftsanteile, unter Festsetzung der höchsten Zahl derselben, ge­ stattet werden. 8 135. Die Haftung eines Genossen, welcher auf mehr als einen Geschäftsanteil beteiligt ist, erhöht sich auf das der Zahl der Geschäftsanteile ent* sprechende Vielfache der Haftsumme 8 136. Bevor der erste Geschäftsanteil erreicht ist, darf die Beteiligung des Genossen aus einen zweiten Geschäftsanteil seitens der Genossenschaft nicht zugelassen werden Das gleiche gilt von der Zulassung zu jedem weiteren Ge­ schäftsanteile.

88 137-139. - -- -- -- -8 140. Das Konkursverfahren findet bei bestehender

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88 141-142. - --

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Genossenschaft außer dem Falle der Zahlungsunfähigkeit in dem Falle der Überschuldung statt, sofern diese ein Viertel des Betrages der Haftsummen aller Genossen über­ steigt. Der Vorstand hat, wenn eine solche Überschuldung sich aus der Jahres­ bilanz oder aus einer im Laufe des Jahres aufgestellten Bilanz ergibt, die Eröffnung des Konkursverfahrens zu beantragen Die Vorschriften des § 99 Absatz 2, 3 § 100 finden entsprechende Anwendung.

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VL Für die Umwandlung von Geuoffenschaften.

88 143-145. - --

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Neunter

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Abschnitt.

Strafbestimmungen. 8 146. Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrats und Liqui­ datoren werden, wenn sie absichtlich zum Nachteile der Genossenschaft han­ deln, mit Gefängnis und zugleich mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark bestraft. Zugleich kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden 8 147. Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrats und Liquid datoren werden mit Gefängnis bis zu einem Jahre und zugleich mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark bestraft, wenn sie in den von ihnen dem Gerichte (§ 10) zu machenden Anmeldungen, Anzeigen und Versicherungen wissentlich falsche Angaben machen, oder in ihren Darstellungen, ihren Übersichten über den Vermögensstand der Genossenschaft, über die Mitglieder und die Haft­ summen, oder den in der Generalversammlung gehaltenen Vorträgen den Stand der Verhältnisse der Genossenschaft wissentlich unwahr darstellen. Zugleich kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt ausschließlich die Geld­ strafe ein. 8 148. Mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit beiden Strafen zugleich werden bestraft: 1. die Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrats und die Liqui­ datoren, wenn länger als drei Monate die Genossenschaft ohne Aufstchtsrat geblieben ist, oder in dem letzten die zur Beschlußfähigkeit er­ forderliche Zahl von Mitgliedern gefehlt hat;

436

Erster Teil.

Strafgesetze.

2. bie Mitglieder des Vorstandes oder die Liquidatoren, wenn entgegen den Vorschriften in §§ 99, 118, 140 ein Antrag auf Eröffnung des Kon­ kursverfahrens unterlassen ist. Die Strafe tritt nicht gegen denjenigen ein, welcher nachweist, daß die Unterlassung ohne sein Verschulden geschehen ist. 8 149. Mitglieder des Vorstandes werden mit Geldstrafe bis zu sechs­ hundert Mark bestraft, wenn ihre Handlungen auf andere als die im L 1 ererwähnten geschäftlichen Zwecke gerichtet sind, oder wenn sie in der General­ versammlung die Erörterung von Anträgen gestatten oder nicht verhindern, welche auf öffentliche Angelegenheiten gerichtet sind, deren Erörterung unter die Gesetze über das Versammlungs- oder Vereinsrecht fällt. 8 150. Die Mitglieder des Vorstandes eines Revisionsverbandes werden, wenn unterlassen ist, die Versammlung in Gemäßheit des § 59 Absatz 2 an­ zuzeigen, mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark bestraft. Die Strafe tritt nicht gegen denjenigen ein, welcher nachweist, daß die Unterlassung ohne sein Verschulden geschehen ist. 8 151. Wer sich besondere Vorteile dafür hat gewähren oder versprechen lassen, daß er bei einer Abstimmung in der Generalversammlung in einem ge­ wissen Sinne stimme, wird mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark, oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft 8 152. Personen, welche für einen Konsumverein den Warenverkauf bewirken, werden, wenn sie der Vorschrift des § 8 Absatz 4 zuwider wissentlich oder ohne Beobachtung der nach § 31 von dem Vorstande erlassenen Anweisung Waren an andere Personen als an Mitglieder oder deren Vertreter verkaufen, mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark bestraft. Gleiche Strafe trifft das Mitglied, welches seine Legitimation, durch die es zum Warenkauf in einem Konsumverein oder bei einem mit diesem wegen Warenabgabe an die Mitglieder in Verbindung stehenden Gewerbetreibenden berechtigt wird, einem Dritten zum Zweck unbefugter Warenentnahme überläßt. Dritte, welche von solcher Legitimation zu demselben Zweck Gebrauch machen, oder auf andere Weise zu unbefugter Warenabgabe zu verleiten unter­ nehmen, werden in gleicher Weise bestraft. 8 153. Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark wird bestraft, wer Waren, die er aus dem Konsumverein oder von einem mit diesem wegen. Warenabgabe in Verbindung stehenden Gewerbetreibenden auf Grund seiner Mitgliedschaft bezogen hat, gegen Entgelt gewohnheitsmäßig oder gewerbsmäßig an Nichtmitglieder veräußert. Diese Bestimmung findet keine Anweisung: 1. wenn ein Mitglied eines Konsumvereins die von ihm bezogenen Waren in seiner Speiseanstalt oder an seine Kostgänger zum alsbaldigen persön­ lichen Verbrauch ab gibt; 2. wenn ein Konsumverein, welcher Mitglied eines anderen Konsumvereins ist, die aus letzterem bezogenen Waren an seine Mitglieder abgibt. 8 154. Zuwiderhandlungen gegen die Vorschrift des § 32 werden Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark bestraft.

88 155, 156. - -- -- -- -- -- 8 157. Die Anmeldungen zum Genossenschaftsregister sind durch sämt­ liche Mitglieder des Vorstandes oder sämtliche Liquidatoren persönlich zu be­ wirken oder in beglaubigter Form einzureichen. Die in AK 16, 28, g 33 Absatz 2, § 51 Absatz 5, § 63 Absatz 2, § 84, § 85 Absatz 2 vorgeschriebenen Anmeldungen und Einreichungen müssen auch zu dem Genossenschaftsregister einer jeden Zweigniederlassung erfolgen.

88 158-161. -

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80. Gesetz, betr. die Gesellschaften mit beschr. Haftung. §§ 1—6.

437

80. 5. Gesetz, betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Vom 20. April 1892. In der Fassung des Einführungsgesetzes zum Handelsgesetzbuche v. 10. Mai 1897. (In neuer Redaktion abgedruckt RGBl. 1898 S 846 ff)

Erster Abschnitt.

Errichtung der Gesellschaft.

§ 1. Gesellschaften mit beschränkter Haftung können nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes zu jedem gesetzlich zulässigen Zloeck errichtet werden. g 2. Der Gesellschaftsvertrag bedarf des Abschlusses in gerichtlicher oder notarieller Form. Er ist von sämtlichen Gesellschaftern zu unterzeichnen. Die Unterzeichnung durch Bevollmächtigte ist nur auf Grund einer gericht­ lich oder notariell errichteten oder beglaubigten Vollmacht zulässig. § 3. Der Gesellschaftsvertrag muß enthalten: die Firma und den Sitz der Gesellschaft, den Gegenstand des Unternehmens, den Betrag des Stammkapitals, den Betrag der von jedem Gesellschafter auf das Stammkapital zu leistenden Einlage (Stammeinlage). Soll das Unternehmen auf eine gewisse Zeit beschränkt sein oder sollen den Gesellschaftern außer der Leistung von Kapitaleinlagen noch andere Ver­ pflichtungen gegenüber der Gesellschaft auferlegt werden, so bedürfen auch diese Bestimmungen der Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag. g 4. Die Firma der Gesellschaft muß entweder von dem Gegenstände des Unternehmens entlehnt sein, oder die Namen der Gesellschafter oder bett Namen wenigstens eines derselben mit einem das Vorhandensein eines Gesell­ schaftsverhältnisses andeutenden Zusatze enthalten. Die Namen anderer Personen als der Gesellschafter dürfen in die Firma nicht ausgenommen werden. Die Beibehaltung der Firma eines auf die Gesellschaft übergegangenen Geschäfts (Handelsgesetzbuch § 22) wird hierdurch nicht ausgeschlossen Die Firma der Gesellschaft muß in allen Fällen die zusätzliche Bezeichnung „mit beschränkter Haftung" enthalten. g 8. Das Stammkapital der Gesellschaft muß mindestens fünftausend Reichsmark,*) die Stammeinlage jedes Gesellschafters muß mindestens fünfzig Reichsmark*) betragen. Kein Gesellschafter kann bei Errichtung der Gesellschaft mehrere Stamm­ einlagen übernehmen Der Betrag der Stammeinlage kann für die einzelnen Gesellschafter ver­ schieden bestimmt werden Derselbe muß in Mark durch hundert teilbar sein. Der Gesammtbetrag der Stammeinlagen muß mit dem Stammkapital über­ einstimmen. Sollen von Gesellschaftern Einlagen, welche nicht in Geld zu leisten sind, auf das Stammkapital gemacht oder soll die Vergütung für Vermögens­ gegenstände, welche die Gesellschaft übernimmt, auf Stammeinlagen ange­ rechnet werden, so muß die Person des Gesellschafters, der Gegenstand der Einlage oder Übernahme sowie der Geldwert, für welchen die Einlage ange­ nommen wird, oder die für die übernommenen Gegenstände zu gewährende Vergütung im Gesellschaftsvertrage festgesetzt werden.

1. 2. 3. 4.

g v. Die Gesellschaft muß einen oder mehrere Geschäftsführer haben. *) Nach § 17 Abs. III der Verordnung über Goldbilanzen v. 28. Dez. 1923 (RGBl. I S. 1255) und § 3 der zweiten Durchführungsverordnung zum Münzgesetz v. 12. Dez. 1924 (RGBl. I 775).

438

Erster Teil.

Strafgesetze.

Zu Geschäftsführern können Gesellschafter oder andere Personen bestellt werden. Die Bestellung erfolgt entweder im Gesellschaftsvertrage oder nach Maßgabe der Bestimmungen des dritten Abschnitts. Ist im Gesellschaftsvertrage bestimmt, daß, sämtliche Gesellschafter zur Ge­ schäftsführung berechtigt sein sollen, so gelten nur die der Gesellschaft bei Festsetzung dieser Bestimmung angehörenden Personen als die bestellten Ge­ schäftsführer. § 7. Die Gesellschaft ist bei dem Gericht, in dessen Bezirke sie ihren Sitz hat, zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Die Anmeldung darf nur erfolgen, nachdem von jeder Stammeinlage, soweit nicht andere als in Geld zu leistende Einlagen auf das Stammkapital gemacht sind, ein Vierteil, mindestens aber der Betrag von fünfundzwanzig Reichsmark) eingezahlt ist § 8. Der Anmeldung müssen beigefügt sein: 1. der Gesellschastsvertrag und im Falle des § 2 Absatz 2 die Vollmachten der Vertreter, welche den Gesellschaftsvertrag unterzeichnet haben, oder eine beglaubigte Abschrift dieser Urkunden, 2. die Legitimation der Geschäftsführer, sofern dieselben nicht im Gesellschastsvertrage bestellt sind, 3. eine von den Anmeldenden unterschriebene Liste der Gesellschafter, aus welcher Name, Vorname, Stand und Wohnort der letzteren, sowie der Betrag der von einem jeden derselben übernommenen Stammeinlage ersichtlich ist, 4 in dem Falle, daß der Gegenstand des Unternehmens der staatlichen Ge­ nehmigung bedarf, die Genehmigungsurkunde. In der Anmeldung ist die Versicherung abzugeben, daß die im § 7 Ab­ satz 2 bezeichneten Leistungen auf die Stammeinlagen bewirkt sind, und daß der Gegenstand der Leistungen sich in der freien Verfügung der Geschäfts­ führer befindet Die Geschäftsführer haben ihre Unterschrift zur Aufbewahrung bei dem Gerichte zu zeichnen '

8 9. ------------8 10. Bei der Eintragung in das Handelsregister sind die Firma und «der Sitz der Gesellschaft, der Gegenstand des Unternehmens, die Höhe des Stamm­ kapitals, der Tag des Abschlusses des Gesellschaftsvertrages und die Personen der Geschäftsführer anzugeben. Enthält der Gesellschaftsvertrag besondere Bestimmungen über die Zeit­ dauer der Gesellschaft oder über die Befugnis der Geschäftsführer oder der Li­ quidatoren zur Vertretung der Gesellschaft, so sind auch diese Bestimmungen einzutragen. In die Veröffentlichung, durch welche die Eintragung bekannt gemacht wird, sind außer dem Inhalte der Eintragung die nach § 5 Absatz 4 getroffenen Festsetzungen und, sofern der Gesellschafts der trag besondere Bestimmungen über die Form enthält, in welcher öffentliche Bekanntmachungen der Gesellschaft erlassen werden, auch diese Bestimmungen aufzunehmen. 8 11. Bor der Eintragung in das Handelsregister des Sitzies der Ge­ sellschaft besteht die Gesellschaft mit beschränkter Haftung als solche nicht. Ist vor der Eintragung im Namen der Gesellschaft gehandelt worden, so hasten die Handelnden persönlich und solidarisch. 8 12. Auf die Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Han­ delsregister eines Gerichts, in dessen Bezirke sie eine Zweigniederlassung besitzt;, finden die Bestimmungen im K 8 Absatz 1 und 2 keine Anwendung. Der An­ meldung ist eine von dem Gerichte der Hauptniederlassung beglaubigte Ab­ schrift des Gesellschaftsvertrages und der Liste der Gesellschafter beizufügen. Die Eintragung hat die im § 10 Absatz 1 und 2 bezeichneten Angaben zu enthalten. In die Veröffentlichung, durch welche die Eintragung bekannt ge­ macht wird, sind auch die im § 10 Absatz 3 bezeichneten Bestimmungen aufx) Vgl. die Fußnote auf Seite 437.

80. Gesetz, betr. die Gesellschaften mit beschr. Haftung.

§§ 7—40

439

zunehmen, die nach § 5 Absatz 4 getroffenen Festsetzungen jedoch nur dann, wenn die Eintragung innerhalb der ersten zwei Jahre nach der Eintragung in das Handelsregister des Sitzes der Gesellschaft erfolgt.

Zweiter Abschnitt.

Rechtsverhältnisse -er Gesellschaft und der Gesellschafter. 8 13. Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung als solche hat selbständig ihre Rechte und Pflichten; sie kann Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben, vor Gericht klagen und verklagt werden Für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet den Gläubigern derselben nur das Gesellschaftsvermögen. Die Gesellschaft gilt als Handelsgesellschaft im Sinne des Handels­ gesetzbuchs. 8 14. Der Geschäftsanteil jedes Gesellschafters bestimmt sich nach dem Betrage der von ihm übernommenen Stammeinlage.

88 15-29. 8 30. Das

------------

zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschafr darf an die Gesellschafter nicht ausgezahlt werden Eingezahlte Nachschüsse können, soweit sie nicht zur Deckung eines Verlustes am Stammkapital erforderlich sind, an die Gesellschafter zurückgezahlt werden Die Zurückzahlung darf nicht vor Ablauf von drei Monaten erfolgen, nachdem der Nückzaylungsbeschluß durch die im Gesellschastsvertrage für die Bekannt­ machungen der Gesellschaft bestimmten öffentlichen Blätter und in Ermange­ lung solcher durch Beglaubigung der Fieberthermometer erfolgt durch die Physikalisch-technische Reichsanstalt und die mit Zustimmung Les Reichsministers des Innern eingerichteten Prüfämter der Lälider. Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn nach Maßgabe des Umfanges der Fieberthermometerherstellung in einem Lande ein Bedürfnis vorliegt. Fieberthermometer, die in den Ländern hergestellt sind, in denen Prüfümter bestehen, dürfen nur durch diese oder die Physikalisch-Technische Reichs­ anstalt geprüft und beglaubigt werden. Die Prüfung in einem anderen Lande kann nur im Einverständnisse mit dem Prüfamt des Herstellerorts erfolgen. 8 3. Die Physikalisch-Technische Neichsanstalt führt die Aufsicht über das technische Prüfungswesen. Sie beglaubigt insbesondere die für die amt­ liche Prüfung benutzten Normale, entscheidet über die Zulässigkeit neuer Formen von Fieberthermometern und erläßt nach Anhören der Prüfämter die technischen Prüfvorschriften Die von den Ländern eingerichteten Prüfämter führen fünf vom Hundert ihrer Prüfungsausträge an die Physikalisch-Technische Reichsanstalt ab. 8 4. Für die bei der Prüfung zerbrochenen Fieberthermometer wird dem Hersteller vom Prüfamt eine Entschädigung gewährt, deren Höhe von der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt im Benehmen mit den Prüfämtern festgesetzt wird. i 8 5* Der Reichsminister des Innern erläßt nach Anhören der Länder, in denen sich Prüfämter befinden, die zur Ausführung dieses Gesetzes erfor­ derlichen Bestimmungen Die Prüf-, Aufbewahrungs- und Versendungsgebühren setzt er mit Zu­ stimmung dieser Länder fest. Ist ein Einvernehmen mit den Ländern nicht zu erzielen, so entscheidet der Reichsrat. Ebenso sind die Gebühren auf Ver­ langen des Reichsrats abzuändern. 8 6. Wer gegen die Vorschriften des 8 1 verstößt, wird, sofern nach an­ anderen Gesetzen keine höheren Strafen verwirkt sind, mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. Die Fieberthermometer können eingezogen werden ohne Rücksicht darauf, ob sie dem Täter gehören oder nicht. Ist die Verfolgung oder die Verurteilung einer be­ stimmten Person nicht ausführbar, so kann qjif die Unbrauchbarmachung, Ver­ nichtung oder Einziehung selbständig erkannt werden. 8 7. Der Reichsminister des Innern kann mit Zustimmung des Reichs­ rats die Vorschriften dieses Gesetzes auf andere für Zwecke der" Gesundheiitspflege uno Krankheitsbekämpfung bestimmte Thermometer ausdehnen.

526 100.

Erster Teil.

Strafgesetze.

25. Gesetz betreffend Lohnstattsttk. Vom 27. Juli 1922. (RGBl. I S. 656).

8 1. Die Reichsregierung kann mit Zustimmung des Reichsrats und des Volkswirtschaftlichen Ausschusses des Reichstags Erhebungen über die Lohnund Gehaltsverhältnisse der Arbeiter und Angestellten anordnen; vor dem Er­ lasse der Anordnung ist der zuständige Ausschuß des Reichswirtschaftsrats zu hören. 8 2. Die Reichsregierung beruft auf Vorschlag des Reichswirtschafts­ rats einen lohnstatistischen Beirat; der Beirat ist insbesondere bei der Aus­ stellung der Erhebungsmuster hinzuzuziehen. 8 3. Die Kosten, die den Ländern durch die auf Grund dieses Gesetzes angeordneten Erhebungen erwachsen, trägt das Mich. 8 4. Die Reichsregierung kann anordnen, daß Zuwiderhandlungen gegen die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Bestimmungen mit Geldstrafe bis zu einhunderttausend Mark bestraft werden. 8 5. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft.

101. 26. Gesetz über den Verkehr mit unedlen Metallen. Vom 11. Juni 1923. (RGBl. I S. 366 )

8 L Wer im Inland Altmetall, Metallbruch oder altes Metallgerät ohne besonderen Kunst- oder Altertumswert aus unedlen Metallen oder unedle Metalle in rohem oder umgeschmolzenen Zustand zur gewerblichen Weiter­ veräußerung auch nach Be- oder Verarbeitung erwerben will, bedarf der Er­ laubnis. Wenn der Gewerbebetrieb durch einen Stellvertreter ausgeübt wer­ den soll, so bedarf auch der Stellvertreter der Erlaubnis. Die oberste Landesbehörde kann bestimmen, ob und inwieweit der Be­ trieb von Schmelzereien und Gießereien, in denen unedle Metalle verarbeitet werden, der Erlaubnis bedarf oder sonstigen Beschränkungen im Rahmen dieses Gesetzes unterworfen werden soll. Für den Betrieb von Äsen-, Stahl- und Tempergießereien, Hochöfen-, Stahl- und Puddelwerken, die ihre Rohstoffe nur im großen beziehen, bedarf es der Erlaubnis nicht. Händler, die die Gegenstände im kleinen erwerben, um sie als Metall weiterzuveräußern, dürfen das Einschmelzen nicht betreiben, noch Einrich­ tungen unterhalten, die ein Einschmelzen der erworbenen Gegenstände er­ möglichen. Unedle Metalle im Sinne dieses Gesetzes sind alle Metalle und Metalb­ legierungen einschließlich Eisen und Stahl und deren Legierungen, mit Aus­ nahme von Gold, Silber, Platin, der Platinmetalle und der Legierungen der genannten Metalle. 8 2. Die Erlaubnis für den Großhandel wirkt für das Reichsgebiet. Die Erlaubnis für den Kleinhandel kann versagt werden, wenn ein Be­ dürfnis nicht nachgewiesen ist. Sie wirkt nur für den Bezirk der die Erlaubnis erteilenden Behörde und kann auf Teile dieses Bezirkes beschränkt werden; die oberste Landesbehörde kann bestimmen, daß die Behörde die Erlaubnis auch für andere Teile ihres Landes erteilen kann.

101. Gesetz über den Verkehr mit unedlen Metallen v. 11. Juni 1923.

527

Die Erlaubnis für den Groß?- und für den Kleinhandel kann zeitlich und sachlich beschränkt und unter Auflagen sonne unter Vorbehalt weiterer Auflagen erteilt werden. Die Erlaubnis ist zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß der Antragsteller die für den Gewerbebetrieb erforderliche Sachkenntnis oder Zuverlässigkeit nicht besitzt. Bei einer juristischen Person oder einer Per­ sonenvereinigung ohne Rechtspersönlichkeit gelten als Antragsteller im Sinne dieser Vorschriften die vertretungsberechtigten Personen. Die Erlaubnis must erteilt werden an solche Gewerbetreibende, die ein Gewerbe im Sinne des § 1 bereits vor dem 1. Januar 1915 in dem be­ treffenden Gemeindebezirke betrieben haben, sofern nicht die Versagungsgründe des Abs. 4 vorliegeu.

8 3. Die Erlaubnis wird durch die von der obersten Landesbehörde be­ stimmte Verwaltungsbehörde erteilt. Gegen deren ablehnenden Bescheid oder die Auflagen ist binnen zwei Wochen die Beschwerde an die von der obersten Landesbehörde bestimmte Stelle zulässig, die endgültig entscheidet. Bor der Entscheidung ist die örtlich zuständige Handelskammer (Klein­ handelskammer) oder Handwerkskammer (Gewerbekammer) gutachtlich zu hören. Die oberste Landesbehörde kann das Verfahren regeln. Die Erteilung oder Versagung des Erlaubnis ist dem Finanzamt unver­ züglich mitzuteilen. 8 4. Die Erlaubnis kann zurückgenommen werden, wenn die Führung des Gewerbebetriebs gegen die nach § 2 Abs. 2 und 3 gemachten Beschränkun­ gen oder Auslagen verstößt oder der Vorschrift des § 6 Abs. 1 oder den auf Grund des § 6 Abs. 2 erlassenen Bestimmungen nicht entspricht. Die Zurücknahme der Erlaubnis muß erfolgen, 1. wenn die Erlaubnis auf Grund unwahrer Angaben oder sonstiger täu­ schender Handlungen erwirkt war, 2. wenn festgestellt wird, daß bei Erteilung der Erlaubnis die Voraus­ setzungen für ihre Versagung vorgelegen haben, oder wenn sicb nach Ertei­ lung der Erlaubnis Tatsachen ergeben, welche die mangelnde Sachkenntnis oder Zuverlässigkeit des Erlaubnisinhabers dartun, 3. wenn eine rechtskräftige Verurteilung wegen vorsätzlicher Zuwiderhand­ lung gegen die Vorschriften des § 5 oder des § 7 erfolgt ist. Die Vorschriften dos § 3 Abs. 1 und 3 finden entsprechende Anwendung. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. Ist die Zurücknahme auf mangelnde Sachkenntnis oder Zuverlässigkeit gegründet, so entscheidet die Be­ schwerdeinstanz vorab darüber, ob der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu­ kommt. Die Zurücknahme der Erlaubnis ist dem Finanzamt unverzüglich mit­ zuteilen.

8 5. Es ist verboten, Gegenstände der im § 1 bezeichneten Art von Minderjährigen zu erwerben.

8 6. In dem Gewerbebetriebe müssen Bücher geführt werden, in denen sämtliche Erwerbungen im einzelnen fortlaufend numeriert, sofort nach Ab­ schluß des Geschäfts mit Tinte oder Tintenstift einzutragen und .rach L)rt^ Zeit- Art, Gewicht, Preis oder Gegenleistung sowie nach der Person des Veräußerers (Name, Familienstand, Wohnung, Alter, Beruf oder Gewerbe) nachzuweisen sind. Von allen Veräußerern, die ihm nicht zweifelsfrei bekannt sind, muß sich der Erwerber einen amtlichen Ausweis über ihre Person vor­ legen lassen. Die näheren Bestimmungen über die Buchführung erläßt die oberste Landesbehörde. Sie kann weitere Bestimmungen für die Führung des Ge­ werbebetriebs erlassen, insbesondere auch über die an die persönlichen Eigeivschäften der Inhaber, Stellvertreter und Angestellten zu stellenden Anforderun­ gen, über die Zulässigkeit von Anpreisungen, über die Art der Firmenbezeich­ nung und über die polizeiliche Kontrolle des Gewerbebetriebs.

528

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 7. Es ist verboten, vor Ablauf von drei Tagen nach dem Erwerib. und dec Eintragung die erworbenen Gegenstände weiterzuveräußern oder irgendwelche Veränderung an ihnen vorzunehmen. 8 8. Die oberste Landesbehörde kann im Wege von Ausführungsbestim­ mungen Ausnahmen von den Vorschriften des § 6 sowie des Z 7 zulassen, wenn ein wirtschaftliches Bedürfnis vorliegt. Die von der obersten Landesbehörde bestimmten Stellen können im Einzelfall Ausnahmen von den gleichen Vorschriften zulassen. 8 0. Die von der obersten Landesbehörde bestimmte Behörde kann den Gewerbebetrieb schließen und seine Fortsetzung verhindern, wenn der Betrieb ohne Erlaubnis geführt oder die Erlaubnis erloschen oder gemäß § 4 zurückgenommen ist. Sie kann ferner in den Fällen des § 4 Abs. 2 den Ge­ werbebetrieb vorläufig schließen. In diesem Falle hat sie, soweit sie nicht selbst über die Zurücknahme der Erlaubnis zu befinden hat, unverzüglich bei der gemäßs § 3 zuständigen Behörde die Zurücknahme der Erlaubnis zu beantragen. Diese Behörde hat über die vorläufige Schließung vorab zu entscheiden. Die oberste Landesbehörde kann Bestimmungen erlassen, wonach im Falle einer nach § 17 erfolgten rechtskräftigen Verurteilung die für die Ausübung des Gewerbebetriebs benutzten Räume für den Handel mit Metallen jeder Art innerhalb einer bestimmten Frist nicht verwendet werden dürfen. 8 10. Durch Maßnahmen gemäß §.§ 4 oder 9 werden Entschädigungs­ ansprüche nicht begründet. 8 10 a.1) Die Vorschriften dieses Gesetzes gelten nicht für den börsen­ mäßigen Terminhandel in unedlen Metallen (§§ 50, 51 Abs. I Satz 3, 4 des Börsengesetzes). 8 10 b.2) Die Vorschriften der §§ 1, 6 und 7 finden keine Anwendung, auf selbständige Handwerker, die Gegenstände der im § 1 bezeichneten Art im Rahmen ihres Betriebs zur gewerblichen Weiterveräußerung auch nach Be- oder Verarbeitung erwerben, sofern der Erwerb bei einem Kunden im Zusammenhänge mit einer dort von dem Handwerker ausgeführten Arbeit erfolgt. 8 11 Die Vorschriften der §§ 1§ 6 und 7 finden keine Anwendung auf Gewerbetreibende, die Gegenstände der im § 1 bezeichneten Art im großen zu gewerblicher Weiterveräußerung oder Verarbeitung erwerben, sofern die von der obersten Landesbehörde bestimmte Verwaltungsbehörde auf Grund eines Gutachtens der zuständigen Handelskammer bescheinigt, daß der Gewerbe­ treibende nur im großen erwirbt und daß gegen seine Sachkenntnis und Zu­ verlässigkeit Bedenken nicht bestehen. Weicht die Entscheidung der Verwal­ tungsbehörde von dem Gutachten der Handelskammer ab, so ist binnen zwei Wochen nach Zustellung die Beschwerde an das Reichswirtschaftsgericht zulässig. Beschwerdeberechtigt ist auch die Handelskammer. Das Reichswirtschafts­ gericht kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Der Gewerbebetrieb der im Abs. 1 bezeichneten Art ist zu untersagen, wenn die sachlichen Voraussetzungen für die erteilte Bescheinigung nicht mehr vorliegen: die Untersagung wirkt für das Reichsgebiet. Aus das Verfahren finden die Bestimmungen des Abs. 1 sinngemäß Anwendung. Die Verwal­ tungsbehörde bestimmt vorab, ob der Beschwerde an das Reichs Wirtschafts­ gericht aufschiebende Wirkung zukommt. Gegen diese Bestimmung ist binnen zwei Wochen die Beschwerde an die von der obersten Landesbehörde bestimmte Stelle zulässig, die endgültig entscheidet. Die Behörde, welche die Untersagung ausgesprochen hat, kann die Wieder­ aufnahme des Gewerbebetriebs gestatten, sofern seit der Untersagung min­ destens ein Jahr verflossen ist. Die Verfahrensvorschriften des Abs. 2 finden auf die nach § 9 erfolgte Schließung eines Gewerbebetriebs der im Abs. 1 bezeichneten Art entsprechende Anwendung. 1) Eingefügt durch G. v. 23. März 1925 (RGBl. I S. 28). 2) Eingefügt durch G. v. 26. Aug. 1925 (RGBl. I S. 320).

101. Gesetz über den Verkehr mit unedlen Metallen v. 11. Juni 1923.

529

8 12. Die Vorschriften dieses Gesetzes finden auch auf Personen An­ wendung, die ein Gewerbe im Sinne des | 1 beim Inkrafttreten des Gesetzes betreiben. Personen, die ein Gewerbe im Sinne des § 1 ant 1. Januar 1923 betrieben haben, bedürfen, sofern sie binnen eines Monats nach Inkraft­ treten des Gesetzes die Erteilung der Erlaubnis beantragt haben, zur Fort-, führung des Betriebs bis zur Entscheidung über ihren Antrag keiner Er­ laubnis 8 13. Aus den im § 1 Abs 1 bezeichneten Gewerbebetrieb finden die Vorschriften der Gewerbeordnung insoweit Anwendung, als nicht in diesem Gesetze besondere Bestimmungen getroffen sind. 8 14. Die Vorschriften der §§ 35 und 38 der Gewerbeordnung, soweit sie beit Erwerb der im H 1 bezeichneten Gegenstände im Kleinhandel betreffen, treten für die Dauer der Geltung dieses Gesetzes außer Kraft. 8 15. Wird die Erlaubnis versagt (§ 2), so dürfen Legitimationskiarten (§ 44 a der Gewerbeordnung) nicht ausgestellt werden. Bei der Versagung, der Zurücknahme oder beim Erlöschen der Erlaunis sowie bei der Untersagung des Gewerbebetriebs (§ 11) müssen die Legitimationskarten für Inhaber, Stellvertreter und Angestellte des Gewerbebetriebs zurückgenommen werden. Dasselbe gilt, wenn in den Fällen des § 12 die erforderliche Erlaubnis nicht nachgesucht wird. Gegen die Zurücknahme aus diesem Grunde findet die Be­ schwerde an die von der obersten Landesbehörde bezeichnete Behörde binnen zwei Wochen statt; diese entscheidet endgültig. 8 16. Die Vorschriften dieses Gesetzes finden auch auf den Gewerbe­ betrieb im Umherziehen (§ 55 der Gewerbeordnung) Anwendung. Wander­ gewerbescheine für den Auskauf der im § 1 Ms. 1 bezeichneten Waren dür­ fen, unbeschadet der §§ 57 bis 57 b der Gewerbeordnung, nur ausgestellt wer­ den, wenn eine Erlaubnis erteilt ist, und mir für den örtlichen Geltungsbereich der Erlaubnis; sie müssen — unbeschadet des § 58 der Gewerbeordnung — zurückgenommen werden, wenn die Erlaubnis versagt worden oder erloschen ist oder zurückgenommen wird oder wenn der Gewerbebetrieb untersagt wird. Dasselbe gilt, wenn in den Fällen des § 12 die erforderliche Erlaubnis nicht nachgesucht wird. Gegen die Zurücknahme aus diesem Grunde findet binnen zwei Wochen die Beschwerde an die von der obersten Landesbehörde bezeich­ nete Behörde statt; diese entscheidet endgültig. Die erteilte Erlaubnis ist im Wandergewerbescheine zu vermerken. Die oberste Landesbehörde kann in Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern und in Borortgemeinden von Großstädten den auf den Erwerb von Gegenständen der im z 1 genannten Art gerichteten Gewerbebetrieb int Umherziehen von Haus zu Haus, an iritD auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen sowie an anderen öffentlichen Orten allgemein verbieten. 8 17. Mit Gefängnis und mit Geldstrafe wird bestraft, wer vorsätzlich 1. ohne die vorgeschriebene Erlaubnis oder nach dem Erlöschen oder der Zurücknahme einer erteilten Erlaubnis oder nach Untersagung (§ 11) ein Gewerbe int Sinne des § 1 betreibt, 2. dem Verbote des § 1 Abs 4 oder den auf Grund des § 1 Abs. 2 er­ lassenen Bestimmungen zuwiderhandelt, 3. in Geschäftsräumen, die gemäß § 9 Ms. 1 geschlossen sind oder in denen gemäß § 9 Ws. 2 die Ausübung des Gewerbebetriebs untersagt ist, ein Gewerbe int Sinne das § 1 betreibst, 4. den Vorschriften der Aß 5, 6 Abs. 1, § 7 oder den auf Grund des § 6 Abs. 2 oder des § 9 Abs. 2 oder des § 16 Abs 2 erlassenen Be­ stimmungen zuwiderhandelt. Bei Fahrlässigkeit oder Nichterfüllung der nach § 2 gemachten Auf­ lagen tritt Gefängnis bis zu einem Jahre oder Hast und Geldstrafe oder eine dieser Strafen ein. Neben der Strafe kann in den Fällen der Ziffern 1 bis 3 auf Einziehung der sämtlichen Warenvorräte und der gesamten Geschäftseinrichtung, int Falle der Ziffer 4 auf Einziehung der Gegenstände, auf die sich die strafbare A l l! e I b, Strafgesetzgebung.

3. Auflage.

34

530

Erster Teil.

Strafgesetze.

Handlung bezieht, erkannt werden, ohne Unterschied, ob die Warenvorräte, die Geschäftseinrichtung oder die Gegenstände dem Täter oder einem Teil­ nehmer gehören oder nicht. 8 18. Wer einen Diebstahl an einem Gegenstand aus unedlem Metalle begeht, der zum öffentlichen Nutzen dient oder öffentlich aufgestellt ist, oder der einen Teil eines Gebäudes bildet oder in einem Gebäude zu dessen Aus­ stattung angebracht ist, wird wegen schweren Diebstahls (§ 243 des Straf­ gesetzbuchs) bestraft. Tas gleiche gilt für den Diebstahl von Maschinenbestandteilen und sonstigen Betriebsmitteln aus unedlem Metalle, deren Wegnahme die gesicherte Fortführung des Betriebs erheblich gefährdet. 8 19. Wer beim Betrieb eines Gewerbes der int § 1 bezeichneten Art einen Gegenstand aus unedlem Metalle, von dem er aus Fahrlässigkeit nicht er­ kannt hat, daß er mittels einer strafbaren Handlung erlangt ist, verheimlicht, ankauft, zum Pfande nimmt oder sonst an sich bringt oder zu seinem Absatz bei anderen mitwirkt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geld­ strafe oder mit einer dieser Strafen bestraft.

8 20. Der Reichswirtschaftsminister kann mit Zustimmung des Reichsrats und des zuständigen Reichstagsausschusses Ausführungsbestimmungen zu die­ sem Gesetz erlassen. 8 21. Die Vorschrift des K 6 Abs. 1 tritt am 1. Juli 1923, im übrigen tritt das Gesetz mit dem Tage der Verkündung in Kraft. Es tritt am 1. Juli 1926 außer Kraft.

102. 27. Gesetz über den Verkehr mit Edelmetallen, Edelsteinen «nd Perlen. Vom 11. Juni 1923.

(RGBl. I S. 369.)

8 1.

Wer gewerbsmäßig mit Edelmetallen, edelmetallhaltigen Legie­ rungen und Rückständen hiervon, Edelsteinen, Halbedelsteinen, Perlen sowie Gegenständen aus den genannten Stoffen, auch in Verbindung mit anderen Stoffen, Handel treiben oder gewerbsmäßig Edelmetalle und edelmetallhaltige Legierungen und Rückstände hiervon schmelzen, probieren oder scheiden oder aus den Mengen und Verbindungen von Edelmetallabfällen mit Stoffen an­ derer Art Edelmetalle wiedergewinnen will, bedarf der Erlaubnis. Wenn der Gewerbebetrieb durch einen Stellvertreter ausgeübt werden soll, bedarf auch der Stellvertreter der Erlaubnis. Nicht erlaubnispflichtig ist der Handel, der sich darauf beschränkt, neue Fertigwaren aus den im Abs. 1 genannten Stoffen, auch in Verbindung mit anderen Stoffen, nur von Gewerbetreibenden, die im Besitze der Erlaub­ nis sind oder nach dieser Vorschrift keiner Erlaubnis bedürfen, zu erwerben und im Groß-- oder Kleinhandel oder im Wege der Ein- oder Ausfuhr zu er­ werben oder zu vertreiben. Edelmetalle im Sinne dieses Gesetzes sind Gold, Silber, Platin und die Platinmetalle. Edelsteine und Halbedelsteine im Sinne dieses Gesetzes sind die im Juwelenhandel als Edelsteine oder Halbedelsteine handelsüblich be­ zeichneten, natürlichen oder synthetischen Schmucksteine. Perlen im Sinne dieses Gesetzes sind die echten, einschließlich der gezüchteten Perlen, und die sogenannten Japanperlen. Scheideanstalten im Sinne dieses Gesetzes sind auch Anstalten zur Ver­ wertung des bei der Edelmetallfabrikation sich ergebenden Abfalls und der solche Abfälle enthaltenden Gemenge.

102. Gesetz über den Verkehr mit Edelmetallen usw. v. 11. Juni 1923.

531

8 2. Die Erlaubnis für den Großhandel wirkt für das Reichsgebiet.. Tie Erlaubnis für den Kleinhandel sowie für den Betrieb einer Edel­ metallschmelze, Probier- oder Scheideanstalt kann versagt werden, wenn ein Bedürfnis nicht nachgewiesen ist. Sie wirkt nur für den Bezirk der die Er­ laubnis erteilenden Behörde; die oberste Landesbehörde kann bestimmen, daß die Behörde die Erlaubnis auch für andere Teile ihres Landes erteilen kann. Tie Erlaubnis für den Groß- und für den Kleinhandel kann zeitlich und sachlich beschränkt und unter Auflagen sowie unter Vorbehalt weiterer Auf­ lagen erteilt werden. Die Erlaubnis ist zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme recht­ fertigen, daß der Antragsteller die für beit Gewerbebetrieb erforderliche Sach­ kenntnis oder Zuverlässigkeit nicht besitzt. Bei einer juristischen Person oder einer Personenvereinigung ohne Rechtspersönlichkeit gelten als Antragsteller im Sinne dieser Vorschriften die vertretungsberechtigten Personen. Die Erlaubnis muß erteilt werden an solche Gewerbetreibende, die den Handel im Sinne des § 1, eine Edelmetallschmelze, Probier- oder Scheideanstalt bereits vor dem 1. Januar 1915 in dem betreffenden Gemeindebezirke betrieben haben, sofern nicht die Versagungsgründe des Absatzes 4 vorliegen. 8 3. Die Erlaubnis wird durch die von der obersten Landesbehörde be­ stimmte Verwaltungsbehörde erteilt. Gegen deren ablehnenden Bescheid oder die Auflagen ist binnen zwei Wochen die Beschwerde an die von der obersten Landesbehörde bestimmte Stelle zulässig, die endgültig entscheidet. Bor der Entscheidung ist die örtlich zuständige Handelskammer (Klein­ handelskammer) oder Handwerkskammer (Gewerbekammer) gutachtlich zu hören. Die oberste Landesbehörde kann das Verfahren regeln. Tie Erteilung oder Versagung der Erlaubnis ist dem Finanzamt unver­ züglich mitzuteilen. 8 4. Die Erlaubnis kann zurückgenommen werden, wenn die Führung des Gewerbebetriebs gegen die nach § 2 Abs. 2 und 3 gemachten Beschrän­ kungen oder Auflagen verstößt oder den Vorschriften des § 6 Abs. 1 und 2 oder den auf Grund des § 6 Abs. 3 erlassenen Bestimmungen nicht entspricht Die Zurücknahme der Erlaubnis muß erfolgen, 1. wenn die Erlaubnis auf Grund unwahrer Angaben oder sonstiger täu­ schender Handlungen erwirkt war, 2. wenn festgestellt wird, daß bei Erteilung der Erlaubnis die Voraus­ setzungen für ihre Versagung vorgelegen haben, oder wenn sich nach Erteilung der Erlaubnis Tatsachen ergeben, welche die mangelnde Sach­ kenntnis oder Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden bartun, 3. wenn eine rechtskräftige Verurteilung wegen vorsätzlicher Zuwiderhand­ lung gegen die Vorschriften der §§ 5, 7 erfolgt ist. Die Vorschriften des § 3 Ubs^ 1 und 3 finden entsprechende Anwendung. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. Ist die Zurücknahme der Er­ laubnis auf mangelnde Sachkenntnis oder Zuverlässigkeit gegründet, so ent­ scheidet die Beschwerdeinstanz vorab darüber, ob der Beschwerde aufschiebende Wirkung zukommt. Wird die Erlaubnis versagt, so dürfen Legitimationskarten (§ 44 a der Gewerbeordnung) nicht ausgestellt werden. Bei der Versagung, der Zurücknahme oder beim Erlöschen der Erlaubnis müssen Legitimationskarten für Inhaber, Stellvertreter und Angestellte des Gewerbebetriebs zurückgenommen werden. Gegen die Zurücknahme aus diesem Grunde findet binnen zwei Wochen die Beschwerde an die von der obersten Landesbehörde bezeichnete Behörde statt; diese entscheidet endgültig. Die Zurücknahme der Erlaubnis ist dem Finanzamt unverzüglich mit­ zuteilen. 8 5. Es ist verboten, Gegenstände der im § 1 bezeichneten Art von Minderjährigen zu erwerben. 8 6. In dem Gewerbebetriebe müssen Bücher geführt werden, in denen sämtliche Erwerbungen im einzelnen fortlaufend numeriert, sofort nach Ab34*

532

Erster Teil.

Strafgesetze.

schluß des Geschäfts mit Tinte oder Tintenstift einzutragen und nach £)rt, Zeit, Art (einschließlich besonderer Merkmale, wie Gravierungen und Stem­ pel), Gewicht, Preis oder Gegenleistung sowie nach der Person des Ver­ äußerers (Name, Familienstand, Wohnung, Beruf oder Gewerbe) nachzu­ weisen sind. Von allen Veräußerern, die ihm nicht zweifelsfrei bekannt sind, hat sich der Erwerber einen amtlichen Ausweis über ihre Person vorlegen zu lassen. Dem Veräußerer ist eine Durchschrift der vollständigen, seine Ver­ äußerung betreffenden Bucheintragung mit der namentlichen Unterschrift des Erwerbers auszuhändigen. Die Quittung des Veräußerers über den Empfang der Zahlung, des Gegenwerts oder der Gegenleistung ist mit den Handels­ papieren aufzubewahren. Die näheren Bestimmungen über die Buchführung erläßt die oberste Landesbehörde. Sie kann weiter besondere Bestimmungen für die Führung des Gewerbebetriebs erlassen, insbesondere auch über die an die persönlichen Eigenschaften der Inhaber, Stellvertreter und Angestellten zu stellenden An­ forderungen, über die Zulässigkeit von Anpreisungen, die Art der Firmen­ bezeichnung und über die polizeiliche Kontrolle des Gewerbebetriebs 8 7. Es ist verboten, vor Ablauf von fünf Tagen nach dem Erwerb und der Eintragung den Gewahrsam an den erworbenen Gegenständen weiter zu übertragen, die Gegenstände einzuschmelzen, zu scheiden, 'zu zerlegen, zu zer­ schlagen, so zu vermischen, daß ihre Ausscheidung nicht möglich ist, oder weiter zu be- oder verarbeiten. Ein Ausschneiden oder Durchschneiden ist nur zur Prüfung des Feingehalts, der Einlage und des Gewichts erlaubt. Die Wieder­ erkennbarkeit des Gegenstandes muß in jedem Falle bestehen bleiben. 8 8. Die Vorschriften des § 6 und des § 7 finden keine Anwendung auf Geschäfte zwischen Personen oder Firmen, wenn beide Vertragschließenden im Besitze der Erlaubnis gemäß § 1 sind oder der Erlaubnis nicht bedürfen. Die oberste Landesbehörde kann im Wege von Ausführungsbestimmungen Ausnahmen von den Vorschriften des K 6 sowie des § 7 zulassen, wenn ein wirtschaftliches Bedürfnis vorliegt. Tie von der obersten Landesbehörde bestimmten Stellen können im Ein­ zelfall Ausnahmen von den gleichen Vorschriften zulassen 8 9* Die von der obersten Landesbehörde bestimmte Behörde kann den Gewerbebetrieb schließen und seine Fortsetzung verhindern, wenn der Be­ trieb ohne Erlaubnis geführt oder die Erlaubnis erloschen oder gemäß § 4 zurückgenommen ist. Sie kann ferner in den Fällen des § 4 Abs 2 den Ge­ werbebetrieb vorläufig schließen. In diesem Falle hat sie, soweit sie nicht selbst über die Zurücknahme der Erlaubnis zu befinden hat, unverzüglich bei der gemäß § 3 zuständigen Behörde die Zurücknahme der Erlaubnis zu be­ antragen. Diese Behörde hat über die vorläufige Schließung vorab zu entscheiden Die oberste Landesbehörde kann Bestimmungen erlassen, wonach im Falle einer nach § 15 erfolgten rechtskräftigen Verurteilung die für die Aus­ übung des Gewerbebetriebs benutzten Räume für den Handel mit den im § 1 genannten Gegenständen sowie für den Betrieb einer Edelmetallschmelze, Pro­ bier- oder Scheideanstalt innerhalb einer bestimmten Frist nicht verwendet werden dürfen. 8 10» Durch Maßnahmen gemäß §.§ 4 oder 9 werden Entschädigungs­ ansprüche nicht begründet. 8 11. Die Vorschriften dieses Gesetzes finden auch auf Personen An­ wendung, die den Handel im Sinne des § 1, eine Edelmetallschmelze, Pro­ bier- oder Scheideanstalt beim Inkrafttreten des Gesetzes betreiben. Personen, die den Handel im Sinne des § 1, eine Edelmetallschmelze, Probier- oder Scheideanstalt am 1. Januar 1923 betrieben haben, bedürfen, sofern sie bin­ nen eines Monats nach Inkrafttreten des Gesetzes die Erteilung der Erlaubnis beantragt haben, zur Fortführung des Betriebs bis zur Entscheidung über ihren Antrag keiner Erlaubnis.

102. Gesetz über den Verkehr mit Edelmetallen usw v. 11. Juni 1923.

583

8 12. Aus den im § 1 Abs. 1 bezeichneten Gewerbebetrieb finden die Vorschriften der Gewerbeordnung insoweit Anwendung, als nicht in diesem Gesetze besondere Bestimmungen getroffen sind.

8 13. Der Erwerb und das Feilbieten der im § 1 genannten Gegen­ stände im Umherziehen (§ 55 der Gewerbeordnung), ferner im Gemeinde­ bezirke des Wohnsitzes oder der gewerblichen Niederlassung von Haus zu Haus, an und auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen sowie an anderen öffentlichen Orten, insbesondere in Wirtschaften, Gaststätten, in sämtlichen Räumen von Beherbergungsunternehmungen, Bahnhöfen, auf Eisenbahnen und sonstigen öffentlichen Beförderungsmitteln, in öffentlichen Versammlungen, in öffent­ lichen Anstalten und an Arbeitsstätten, sind verboten. Unberührt bleiben die Vorschriften über den Geschäftsbetrieb der Hand­ lungsreisenden im Abschnitt 1 Nr. 1 der Ausführungsbestimmungen zur Ge­ werbeordnung vom 27. November 1896 (Reichsgesetzbl S 745). Soweit Wandergewerbescheine für im K 1 genannte Gegenstände bei In­ krafttreten dieses Gesetzes ausgestellt sind, müssen sie zurückgenommen werden. Die Vorschrift des Abs. 1 gilt nicht für den Erwerb und das Feilbieten der im § 1 genannten Gegenstände auf Börsen, die unter staatlicher Aufsicht stehen. 8 14. Die Vorschriften dieses Gesetzes finden auf die Reichsbank und auf die von ihr mit dem Erwerbe der iml § 1 genannten Gegenstände Beauftragten für beit Umfang ihres Auftrags keine Anwendung. 8 15. Mit Gefängnis und mit Geldstrafe bis zu hundert Millionen Mark wird bestraft, wer vorsätzlich 1. ohne die vorgeschriebene Erlaubnis oder nach dem Erlöschen oder der Zurücknahme einer erteilten Erlaubnis ein Gewerbe im Sinne des § 1 betreibt, 2 in Geschäftsräumen, die gemäß § 9 Ms 1 geschlossen sind oder in denen gemäß K 9 Abs. 2 die Ausübung des Gewerbebetriebs untersagt ist, ein Gewerbe im Sinne des § 1 betreibt, 3 den Vorschriften der §§ 5, 6 Ms 1 und 2, §§ 7, 13 Abs. 1 oder den auf Grund des § 6 Mf7 3 öder deA § 9 MI 2 erlassenen Bestimmungen zuwiderhandelt. Bei Fahrlässigkeit oder Nichterfüllung der nach § 2 gemachten Auf­ lagen tritt Gefängnis bis zu einem Jahre oder Haft und Geldstrafe bis zu zwanzig Millionen Mark oder einer dieser Strafen ein. Neben der Strafe kann in den Fällen der Ziffer 1 und 2 auf Einziehung der sämtlichen Warenvorräte und der gesamten Geschäftseinrichtung, insbe­ sondere der beim Schmelzen, Probieren oder Scheiden verwendeten Gerät­ schaften, im Falle der Ziffer 3 auf Einziehung der Gegenstände, auf die sich die strafbare Handlung bezieht, erkannt werden, ohne Unterschied, ob die Waren­ vorräte, die Geschäftseinrichtungen oder die Gegenstände dem Täter oder einem Teilnehmer gehören oder nicht' 8 16. Wer einen Diebstahl an einem Gegenstand aus Edelmetall begeht, der zum öffentlichen Nutzen dient oder öffentlich ausgestellt ist, unrd wegen schweren Diebstahls (§ 243 des Strafgesetzbuchs) bestraft.

8 17. Wer beim Betrieb eines Gewerbes der imi ,§ 1 bezeichneten Art einen der dort bezeichneten Gegenstände, von dem er aus Fahrlässigkeit nicht erkannt hat, daß er mittels einer strafbaren Handlung erlangt ist, verheimlicht, ankauft, zum Pfande nimmt oder sonst an sich bringt oder zu seinem Absatz bei anderen mitwirkt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geld­ strafe bis zu zwanzig Millionen Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft. 8 18. Die Verordnung über den Handel mit Gold, Silber und Platin vom 7. Februar 1920 (Reichsgesetzbl. S. 199) wird aufgehoben. 8 19. Die Vorschrift des § 36 der Gewerbeordnung tritt, soweit sie den Betrieb von Probieranstalten betrifft, für die Dauer der Geltung dieses Ge­ setzes außer Kraft.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

8 20. Der Reichswirtschaftsminister kann mit Zustimmung des Reichs­ rats und des zuständigen Reichstagsausschusses Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz erlassen. 8 21. Die Vorschriften des §, 6 Ws. 1 und 2 treten am 1. Juli 1923, im übrigen tritt das Gesetz mit dem Tage der Verkündung in Kraft. Es tritt am 1 Juli 1926 außer Kraft

103. 28. Gesetz über die Temperaturskale und die Wärmeeinheit. Vom 7. August 1924

(RGBl. I S. 679.)

8 1

Die gesetzliche Temperaturskale ist die thermodynamische Skale mit der Maßgabe, daß die normale Schmelztemperatur des Eises mit 0° und die normale Siedetemperatur des Wassers mit 100° bezeichnet wird Die Physikalisch-Technische Reichsanstalt hat diese Temperaturskale fesbzulegen und bekanntzumachen.

8 2. Die gesetzlichen Einheiten für die Messung von Wärmemengen sind die .Kilokalorie (kcal) und die Kilowattstunde (kWh). Die Kilokalorie ist diejenige Wärmemenge, durch welche ein Kilogramm Wasser bei Atmosphärendruck von 14,5° auf 15,5° erwärmt wird. Die Kilowattstunde ist gleichwertig dem Tausendfachen der Wärmemenge, die ein Gleichstrom von 1 gesetzlichen Ampere in einem Widerstände von 1 gesetzlichen Ohm während einer Stunde entwickelt, und ist 860 Kilokalorien gleich zu erachten. 8 3. Die Physikalisch-Technische Reichsanstalt setzt fest, um wieviel die Angaben der Meßgeräte, die auf den gesetzlichen Einheiten nach § 1 und § 2 beruhen, von den Sollwerten abweichen dürfen. 8 4. Im geschäftlichen Verkehr, insbesondere bei Ausübung eines Be­ rufs oder Gewerbes, sind für die Bestimmung und Messung von Temperaturen und Wärmemengen die gesetzlichen Einheiten (§§ 1, 2) maßgebend. Die Ver­ wendung von Meßgeräten, die größere als die zulässigen Abweichungen (§ 3) aufweisen, ist verboten. Gleiches gilt, soweit Behörden oder der Öffentlichkeit dienende Einrich­ tungen in Erfüllung ihrer Aufgaben Temperaturen oder Wärmemengen zu be­ stimmen oder zu messen haben. Ter Reichsminister des Innern ist ermächtigt, gemeinsam mit dem Reichswirtschaftsminister unter Zustimmung des Reichsrats Vorschriften darüber zu erlassen, wieweit die im Ws. 1 bezeichneten Meßgeräte amtlich beglaubigt oder einer wiederkehrenden amtlichen Überwachung unterworfen sein sollen. 8 8. Für die Prüfung und Beglaubigung der Meßgeräte ist die Physi­ kalisch-Technische Reichsanstalt zuständig. Der Reichsminister des Innern kann die Befugnis zur Prüfung und Be­ glaubigung anderen Stellen übertragen. Alle für die amtliche Prüfung die­ nenden Normalgeräte müssen durch die Physikalisch-Technische Reichsanstalt beglaubigt sein. 8 6. Die Physikalisch-Technische Reichsanstalt führt die technische Auf­ sicht über das Prüfungswesen und wacht darüber, daß bei der amtlichen Prü­ fung und Beglaubigung der Meßgeräte im ganzen Reichsgebiet nach überein­ stimmenden Grundsätzen verfahren wird. Diese Behörde erläßt alle darauf be­ züglichen technischen Vorschriften und bestimmt insbesondere die Art, die Be­ schaffenheit und die Bezeichnung der Meßgeräte, die zur amtlichen Beglaubi­ gung zugelassen werden sollen, sowie die bei der Prüfung und Beglaubigung zu beobachtenden Verfahren.

104. Gesetz über Depot- und Depositengeschäste v. 26. Juni 1925.

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Ferner setzt die Physikalisch-Technische Reichsanstalt im Einvernehmen mit den Prüfämtern der Länder die zu erhebenden Gebühren und das bei den Beglaubigungen anzuwendende Stempelzeichen fest. 8 7. Wer den Bestimmungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 oder den aus Grund des § 4 Ws. 3 erlassenen Vorschriften zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu 150 Goldmark oder mit Haft bestraft. Neben der Festsetzung der Strafe kann auf Unbrauchbarmachung, Vernichtung oder Einziehung der vorschrifts­ widrigen Meßgeräte erkannt werden, ohne Rücksicht darauf, ob sie dem Täter gehören oder nicht. Ist die Verfolgung oder die Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar, so kann auf die Unbrauchbarmachung, Vernichtung oder Einziehung selbständig erkannt werden. 8 8. Die Bestimmungen der §§ 1 bis 3, 5 und 6 dieses Gesetzes treten mit dem auf die Verkündung folgenden Tage, die übrigen Bestimmungen des Gesetzes ein Jahr später in Kraft.

104. 29. Gesetz über Depot- und Depositengeschäste. Vom 26. Juni 1925. (RGBl. I S. 89.) 8 1. Tepotgeschäfte im Sinne dieses Gesetzes sind die Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren, die nach Auffassung des Verkehrs als Effekten angesehen werden, für andere, die Überlassung von Schrankfächern an andere und die Verwahrung von verschlossenen Depots für andere. .. Dem Depotgeschäfte wird gleichgestellt die Einräumung eines Anspruchs auf Lieferung von Wertpapieren, die der Gattung und Zahl nach bestimmt sind (Gutschrift auf Stückekonto), wenn der Anspruch nicht binnen zwei Wochen nach Fälligkeit erfüllt wiro. Tie Annahme von Wertpapieren gilt nicht als Dcpotgeschäft, wenn sie nur zum Zwecke der Abwicklung von Wertpapierverkaufs- oder -ankaufs­ aufträgen erfolgt und die Wertpapiere nicht länger als zehn Tage im Besitze, des Auftragnehmers bleiben. tz 2. Depositengeschäfte im Sinne dieses Gesetzes sind die Verwahrung und Verwaltung von Geldbeträgen für andere, insbesondere die Annahme von Geldbeträgen zur Verzinsung. Tie Annahme von Geldbeträgen gilt nicht als Depositengeschüft, wenn die Geldbeträge bei der Ausführung von Wertpapierankaufs- oder verkaufs­ aufträgen oder zum Zwecke der Abwicklung von Wechselgeschäften oder sonstigen Bankgeschäften außer Tepot- und Depositengeschäften angenommen und nicht länger als zehn Tage gutgeschrieben werden. 8 3. Ms Depot- und Depositengeschüft gilt nicht die vorübergehende Verwahrung von Wertpapieren oder Geldbeträgen der Gäste in Gastwirtschaften. Ter Reichswirtschaftsminister kann den Depot- und Depositengeschäften Geschäfte gleichstellen, die wirtschaftlich dieselben Zwecke verfolgen. Die Ge­ schäfte sind im einzelnen zu bezeichnen. tz 4. Depot- und Depositengeschäste dürfen geschäftsmäßig nur von De­ positenbanken betrieben werden. Depositenbanken im Sinne dieses Gesetzes sind: 1. Bankunternehmungen, soweit sie beim Inkrafttreten dieses Gesetzes Tepot- und Depositengeschäfte geschäftsmäßig zu betreiben berechtigt waren und betrieben haben, sowie deren Zweigniederlassungen (§ 10 des Gesetzes gegen die Kapitalflucht in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Januar 1923 — Reichsgesetzbl. I S. 91 —, der Verordnung des Reichspräsidenten auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung über die Aufrechterhaltung von Vorschriften des Kapitalfluchtgesetzes und des Weinsteuergesetzes vom 29. Dezember 1924 — Reichsgesetzbl. I S. 967 — und des Gesetzes über die Aufrechterhaltung von Vorschriften des Kapitalfluchtgesetzes vom 16. April 1925 — Reichsgesetzbl. I S. 43 —);

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Erster Teil.

Strafgesetze.

2. als Einzelsirma, offene Handelsgesellschaft oder Kommanditgesellschaft betriebene Bankunternehmungen, zu deren Inhabern oder persönlich "haftenden Gesellschaftern ausschließlich Personen gehören, von denen jeder insgesamt mindestens fünf Jahre als Inhaber, Mitinhaber, Vor­ standsmitglied oder kaufmännischer Angestellter tätig gewesen ist a) vor dem 16. Januar 1920, dem Tage des Inkrafttretens der zweiten Verordnung über Maßnahmen gegen die Kapitalflucht vom 14. Januar 1920 (Reichsgesetzbl. S. 50) in Bankunternehmungen, die während der Tauer der Tätigkeit der Person im Inland einen auf die Anschaffung und Darleihung von Geld gerichteten Gewerbebetrieb unterhalten haben, oder b) nach dem 15. Januar 1920 in Bankunteruehmungen, die während der Tauer der Tätigkeit der Person nach den jeweils geltenden Vorschriften der Kapitalfluchtgesetzgebung oder den Vorschriften dieses Gesetzes Tepot- und Depositengeschäfte geschäftsmäßig betreiben durften und betrieben haben. Ten in Nr. 2 bezeichneten Personen kann die oberste Landesbehörde im Einvernehmen mit dem Reichswirtschaftsminister Personen gleichstellen, die durch langjährige kaufmännische Tätigkeit die für die Leitung einer Depositenbank erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sich angeeignet haben und die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen. Tie Gleichstellung darf nur erfolgen, wenn der Betrieb des Unternehmens als Depositen­ bank volkswirtschaftlich gerechtfertigt erscheint, und wenn die Versagung eine unbillige Härte sein würde; 3. Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder deren Zweigniederlassungen, die von der obersten Landesbehörde nach Benehmen mit der Reichsbank und im Einvernehmen mit dem Neichswirtschaftsminister zum geschäftsmäßigen Betriebe von Depot- und Depositengeschäften zugelassen werden; 4. eingetragene Genossenschaften, die einem Revisionsverbande gemäß §§ 54 ff. des Gesetzes, betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossen­ schaften in der Fassung vonl 20. Mai 1898 (Reichsgesetzbl. S. 810), an­ geschlossen sind, wenn der Geschäftsbetrieb über den Kreis ihrer Mit­ glieder nicht hinausgeht; 5. öffentliche Sparkassen, Unternehmungen von Gemeinden und Gemeinde­ verbänden, Unternehmungen öffentlich-rechtlicher Verbände oder von Kreditanstalten öffentlich-rechtlicher Verbände und öffentliche Kassen, welche "bte oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle zum geschäftsmäßigen Betriebe von Depot- und Depositengeschäften zuläßt, h 5. Die Zulassung gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 darf nur erfolgen, wenn 1. bem Unternehmen die zum ordnungsmäßigen Betrieb erforderlichen Mittel im Inland zur Verfügung stehen; 2. die Vorstandsmitglieder der Bankunternehmung die erforderliche Zuver­ lässigkeit besitzen und für den Betrieb fachlich genügend vorgebildet sind; 3. die Zulassung volkswirtschaftlich gerechtfertigt erscheint. 8 6. Wer einen Geschäftsbetrieb beginnt, in dem Depot- und Depositen­ geschäfte geschäftsmäßig betrieben werden, hat der von der obersten Landes­ behörde bestimmten Stelle gleichzeitig hiervon Anzeige zu machen, und dabei a) in den Fällen des § 4 Abs. 2 Nr. 2, 4 nachzuweisen, daß die Voraus­ setzungen für die Berechtigung vorliegen; b) in den Fällen des § 4 Abs. 2 Nr. 3, 5 die Zulassungsurkunde in Ur­ schrift oder öffentlich beglaubigter Abschrift vorzulegen. Ob in den Fällen des § *4 Abs. 2 Nr. 1, 2, 4 die Voraussetzungen für die Berechtigung vorliegen, wird nach näherer Anordnung der obersten Landes­ behörde endgültig entschieden. Dies gilt nicht, soweit in den Fällen des 8 4 Abs. 2 Nr. 1 auf Grund der jeweils in Geltung gewesenen Vorschriften der Kapitalfluchtgesetzgebung die zuständige Stelle das Borliegen der Voraussetzun­ gen für die Berechtigung festgestellt hat.

104. Gesetz über Depot- und DepositengeschSfte v. 26. Juni 1925.

537

Depositenbanken haben Änderungen in der Person der Inhaber, persön­ lich haftenden Gesellschafter oder Vorstandsmitglieder sowie die Anstellung des geschäftsmäßigen Betriebs von Depot- uno Depositengeschäften der von der obersten Landesbehörde bestimmten Stelle unverzüglich anzuzeigen. 8 7. Die Berechtigung zum geschäftsmäßigen Betriebe von Depot- und Depositengeschäften erlischt 1 bei Bankunternehmungen der im § 4 Abs 2 Nr 3 bis 5 bezeichneten Art, mit der Einstellung des geschäftsmäßigen Betriebs von Depot- und Depo­ sitengeschäften; 2 mit der rechtskräftigen Eröffnung des Konkursverfahrens unbeschadet der Befugnis des Konkursverwalters, die laufenden Geschäfte abzuwickeln, oder wenn der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens rechtskräftig ab­ gewiesen ist, weil eine den Kosten des Verfahrens entsprechende Konkurs­ masse nicht vorhanden ist (§ 107 der Kon^ursordnung). Tie Berechtigung zum geschäftsmäßigen Betriebe von Depot- und Depo­ sitengeschäften kann auf Antrag der obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle entzogen werden 1 wenn Tatsachen vorliegen, aus denen sich ergibt, daß Inhaber, persön­ lich haftende Gesellschafter oder Vorstandsmitglieder nicht die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen; 2 wenn das Unternehmen keine Gewähr für die ordnungsmäßige Führung des Depot- und Depositengeschäfts bietet; mit der ordnungsmäßigen Führung des Depot- und Depositengeschäfts ist insbesondere die Veran­ staltung von Prämienverlosungen für Anleger und Sparer nicht ver­ einbar ; 3 wenn die Zulassung auf Grund unrichtiger Angaben oder sonstiger täu­ schender Handlungen erwirkt war über den Antrag auf Entziehung entscheidet das Reichswirtschafts­ gericht, Bei Bankanstalten der im § 4 Abs 2 Nr 5 bezeichneten Art nach näherer Anordnung der obersten LandesbehörDe eine im Verwaltungsstreitverfahren (Verwaltungsrechtsverfahren) des Landes vorgesehene Instanz. Tie Entziehung ist von der entscheidenden Stelle im Reichsanzeiger öffentlich bekanntzumachen Tie oberste Landesbehörde oder die von ihr be­ stimmte Stelle trifft die für die Abwicklung der laufenden Geschäfte erforder­ lichen Anordnungen Die Kosten des Entziehungsverfahrens hat die Person oder das Unter­ nehmen zu tragen, denen die Berechtigung zum geschäftsmäßigen Betriebe von Depot- und Depositengeschäften rechtskräftig entzogen ist. Ist die Berechtigung zum geschäftsmäßigen Betriebe von Depot- und Depositengeschäften erloschen oder entzogen, so entscheidet die oberste Landes­ behörde oder die von ihr bestimmte Stelle, ob und wann die Person oder das Unternehmen Depot- und Depositengeschäfte von neuem geschäftsmäßig be­ treiben darf: soweit die Berechtigung nach den Vorschriften des § 4 Abs 2, Nr 2 Abs 2, Nr 3, 5 erworben wird, bewendet es bei den Vorschriften der §§ 4, 5. 8 8. Wer Depot- oder Depositengeschäfte geschäftsmäßig ohne Berechti­ gung betreibt, wird, wenn die Tat vorsätzlich begangen ist, mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre, bei Fahrlässigkeit mit Geldstrafe bestraft. § 381 der Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919 (Reichsgesetzbl. S. 1993) gilt entsprechend. 8 9. Wer eine im § 6 Abs. 1, 3 vorgeschriebene Anzeige unterläßt, kann von der von der obersten Landesbehörde bestimmten Stelle Durch Ord­ nungsstrafen zur Erfüllung dieser Pflicht angehalten werden. Die Ordnungs­ strafe kann wiederholt werden und darf im Einzelfalle nicht inehr als 300 Reichsmark betragen Die Festsetzung der Ordnungsstrafe ist endgültig Tie Vollstreckung erfolgt nach den landesrechtlichen Vorschriften über die Beitreibung öffentlicher Abgaben

538

Erster Teil.

Strafgesetze.

h 1V. Auf den Betrieb von Depot- und Depositengeschäften im Sinne dieses Gesetzes finden die Vorschriften der Gewerbeordnung insoweit Anwen­ dung, als nicht in diesem Gesetze besondere Bestimmungen getroffen sind, tz 11.. Der Reichswirtschäftsminister kann mit Zustimmung des Reichs­ rats zur Durchführung dieses Gesetzes Rechtsverordnungen und allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen Soweit der Reichswirtschaftsminister solche Durchführungsvorschriften nicht erläßt, kann die oberste Landesbehörde sie erlassen. 8 12. 'Tas Gesetz tritt mit dem 1. Juli 1925 in Kraft. Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes tritt Artikel I der Verordnung des Reichspräsidenten auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung Mer die Aufrechterhaltung von Vorschriften des Kapitalfluchtgesetzes und des Weinsteuergesetzes vom 29 Dezember 1924 (Reichsgesetzbl. I S. 967) in der Fassung des Gesetzes über die Aufrechterhaltung von Vorschriften des Kapital­ fluchtgesetzes vom 16 April 1925 (Reichsgesetzbl. I S. 43) außer Kraft. Dieses Gesetz tritt mit Ablauf des 31 Dezember 1926 außer Kraft

X. Gesetze, betreffend Jagd und Fischerei. 105.

1. Gesetz, betr. die Schonzeit für den Fang von Robben. Vom 4 Dezember 1876 (RGBl S

233.)

Mit Geldstrafe bis zu fünftausend Mark werden Deutsche und zur Be­ satzung eines deutschen Schiffes gehörige Ausländer bestraft, wenn sie den vom Kaiser mit Zustimmung des Bundesrats erlassenen Verordnungen zu­ widerhandeln, durch welche der Fang von Robben in den Gegenden zwischen dem siebenundsechzigsten und fünfundsiebenzigsten Grade nördlicher Breite und dem fünften Grade östlicher und siebenzehnten Grade westlicher Länge, vom Meridian von Greenwich aus gerechnet, für bestimmte Zeiten des Jahres beschränkt oder verboten wird

106. 2. Gesetz zur Ausführung der internationalen Kon­ vention vom 6. Mai 1882, betr. die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee außerhalb der Küstengewässer. Bom 30. April 1884. (RGBl. S. 48.)

§ 1. Die Bestimmungen der Artikel 6 bis 23 der internationalen Kon« vention vom 6. Mai 1882, betreffend die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee außerhalb der Küstengewässer, finden aus *bie zur Seefischerei bestimmten Fahrzeuge auch während ihres Aufenthalts in den zur Nordsee ge­ hörigen deutschen Küstengewässern Anwendung. § 2. Zuwiderhandlungen gegen die in den Artikeln 6 bis 23 der inter­ nationalen Konvention vom 6. Mai 1882 und im § 1 dieses Gesetzes ent­ haltenen Bestimmungen, sowie gegen die vom Kaiser zur Ausführung dieser Bestimmungen erlassenen Verordnungen werden, sofern nicht nach allgemeinen Strafgesetzen eine höhere Strafe verwirkt ist, mit Geldstrafe bis zu sechshun­ dert Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft

107. Vogelschutzgesetz vom 30. Mai 1908.

539

Im Falle des Führens oder Gebrauchs verbotener Werkzeuge oder Geräte ist neben der Geld- oder Gefängnisstrafe auf Einziehung der Werkzeuge oder Geräte zu erkennen, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht. Ist die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar, so kany auf die Einziehung selbständig erkannt werden.

h 3. Dieses Gesetz tritt gleichzeitig mit der internationalen Konvention vom 6

1V7.

Mai 1882 in Kraft

3. Vogelschutzgesetz.

Vom 30 Mai 1908 (RGBl S. 317.) 8 1. Tas Zerstören und das Ausheben von Nestern oder Brutstätten der Vögel, das Zerstören und Ausnehmen von Eiern, das Ausnehmen und Töten von Jungen ist verboten Desgleichen ist der Ankauf, der Verkauf, die An- und Verkaufsvermittelung, das Feilbieten, die Ein-, Aus- und Durchfuhr und der Transport der Nester, Eier und Brut der in Europa einheimischen Vogelarten untersagt. Dem Eigentümer und dem Nutzungsberechtigten und deren Beauftragten steht jedoch frei, Nester, welche Vögel in oder an Wohnhäusern oder anderen Gebäuden und im Innern von Hosräumen gebaut haben, zu zerstören Auch findet das Verbot keine Anwendung auf das Einsammeln, den Ankauf, Verkauf, die An- und Verkaufsvermittelung, das Feilbieten, fne Ein-, Aus- und Durchfuhr und den Transport der Eier von Möven und Mebitzen, soweit es nicht durch Landesgesetz oder durch landespolizeiliche Anord­ nung aus die Eier dieser Vögel für bestimmte Orte oder für bestimmte Zeiten ausgedehnt wird § 2. Verboten ist ferner: a) jede Art des Fangens von Vögeln, solange der Boden mit Schnee be­ deckt ist; b) das Fangen von Vögeln mittels Leimes und Schlingen; c) das Fangen und die Erlegung von Vögeln zur Nachtzeit mit Netzen oder Waffen; als Nachtzeit gilt der Zeitraum, welcher eine Stunde nach Sonnenuntergang beginnt und eine Stunde vor Sonnenaufgang endet; d) das Fangen von Vögeln mit Anwendung von Körnern oder anderen Futterstoffen, denen betäubende oder giftige Bestandteile beigemischt sind, oder unter Anwendung geblendeter Lockvögel; e) das Fangen von Vögeln mittels Fallkäfigen und Fallküsten, Reusen, großer Schlag- und Zugnetze, sowie mittels beweglicher und tragbarer, aus dem Boden oder quer über das Feld, das Niederholz, das Rohr oder den Weg gespannter Netze Der Bundesrat ist ermächtigt, auch bestimmte andere Arten des Fan­ gens sowie das Fangen mit Vorkehrungen, welche eine Massenvertilgung von Vögeln ermöglichen, zu verbieten

8 3. In der Zeit vom 1. Mürz bis zum 1. Oktober ist das Fangen und die Erlegung von Vögeln sowie der Ankauf, der Verkauf und das Feilbieten« die Vermittlung eines hiernach verbotenen An- und Verkaufs, die Ein-, Ausund Durchfuhr von lebenden sowie toten Vögeln der in Europa einheimischen Arten überhaupt, ebenso der Transport solcher Vögel zu 'Handelszwecken untersagt. Dieses Verbot erstreckt sich für Meisen, Kleiber und Baumläufer auf das ganze Jahr. Ter Bundesrat ist ermächtigt, das Fangen und die Erlegung bestimm­ ter Vogelarten sowie das Feilbieten und den Verkauf derselben auch außer­ halb des im Abs. 1 bestimmten Zeitraums allgemein oder für gewisse Zeilen oder Bezirke zu untersagen

540

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 4. Dem Fangen im Sinne dieses Gesetzes wird jedes Nachstellen zum Zwecke des Fangens oder Tötens von Vögeln, insbesondere das Aufstellen, von Netzen, Schlingen, Leimruten oder anderen Fangvorrichtungen gleich­ geachtet. § 5. Vögel, welche dem jagdbaren Feder- und Haarwild und dessen Brut ürtb Jungen sowie Fischen und deren Brut nachstellen, dürfen nach Maß­ gabe der landesgesetzlichen Bestimmungen über Jagd und Fischerei von den Jagd- und Fischereiberechtigten und deren Beauftragten getötet werden. Wenn Vögel in Weinbergen, Gärten, bestellten Feldern, Baumpftan­ zungen, Saatkämpen und Schonungen Schaden anrichten, können die von den Landesregierungen bezeichneten Behörden den Eigentümern und Nutzungs­ berechtigten der Grundstücke und deren Beauftragten oder öffentlichen Schutz­ beamten (Forst- und Feldhütern, Flurschützen usw), soweit dies zur Ab­ wendung dieses Schadens notwendig ist, das Töten solcher Vögel mit Feuer­ waffen innerhalb der betroffenen Örtlichkeiten auch während der im § 3 Abs. 1 bezeichneten Frist gestatten Das Feilbieten und der Verkauf der auf Grund solcher Erlaubnis erlegten Vögel sind unzulässig Ebenso können die im Abs 2 bezeichneten Behörden einzelne Ausnah­ men von den Bestimmungen in §§ 1 bis 3 dieses Gesetzes zu wissenschaftlichen oder Lchrzwecken; zur Wiederbevölkerung mit einzelnen Vogelarten, sowie für Stubenvögcl für eine bestimmte Zeit und für bestimmte Örtlichkeiten bewilligen Der Bundesrat bestimmt die näheren Voraussetzungen, unter welchen die im Abs. 2 und 3 bezeichneten Ausnahmen statthaft sein sollen Von der Vorschrift unter § 2a kann der Bundesrat für bestimmte Be­ zirke eine allgemeine Ausnahme gestatten 8 6. Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen dieses Gesetzes oder gegen die von dem Bundesrat auf Grund derselben erlassenen Anordnungen werden mit Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder mit Haft bestraft Der gleichen Strafe unterliegt, wer es unterläßt, Kinder oder andere unter seiner Gewalt stehende Personen, welche seiner Aufsicht untergeben sind und zu seiner Hausgenossenschaft gehören, von der Übertretung dieser Vor­ schriften abzuhalten 8 7. Neben der Geldstrafe oder der Haft kann auf die Einziehung der verbotswidrig in Besitz genommenen, feilgebotenen oder verkauften Vögel, Nester, Eier, sowie auf Einziehung der Werkzeuge erkannt werden, welche zum Fangen oder Töten der Vögel, zum Zerstören oder Ausheben der Nester, Brutstätten oder Eier gebraucht oder bestimmt waren, ohne Unterschied, ob die einzuziehenden Gegenstände dem Verurteilten gehören oder nicht Ist die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar, so können die im vorstehenden Absätze bezeichneten Maßnahmen selbständig erkannt werden 8 8. Tie Bestimmungen dieses Gesetzes finden keine Anwendung a) auf das im Privateigentume befindliche Federvieh; b) auf die nach Maßgabe der Landesgesetze jagdbaren Vögel; c) auf die in nachstehendem Verzeichnis aufgeführten Vogelarten: Tagraubvögel mit Ausnahme der Turmfalken, Schreiadler, Seeadler, Bussarde und Gabelweihen (rote Milane), Uhus, Würger (Neuntöter), Sperlinge (Haus- und Feldsperlinge), Rabenartige Vögel (Rabenkrähen, Nebelkrähen, Saatkrähen, Elstern, Eichelhäher), Wildtauben (Ringeltauben, Hohltauben, Turteltauben), Wasserhühner (Rohr- und Bleßhühner), Reiher (eigentliche Reiher, Nachtreiher oder Rohrdommeln), Säger (Sägetaucher, Tauchergänse), alle nicht im Binnenlande brütenden Möwen, Kormorane, Taucher (Eistaucher und Haubentaucher),

108. Jmpfgesetz vom 8. April 1874.

541

jedoch gilt auch für die vorstehend unter a, d, c bezeichneten Bögel das Ver­ bot des Fangens mittels Schlingen. 8 9* Die landesrechtlichen Bestimmungen, welche zum Schutze der Bögel weitergehende Verbote enthalten, bleiben unberührt. Die auf Grund derselben zu erkennenden Strafen dürfen jedoch den Höchstbetrag der in diesem Gesetz angedrohten Strafen nicht übersteigen.

Gesetze zum Schutze von Leben, Gesundheit und Eigentum gegen Gemeingefahr.

XI.

108.

1. Impfgesetz. Bom 8 April 18741) (RGBl S 31)

8 1 Der Impfung mit Schutzpocken soll unterzogen werden: 1 jedes Kind vor dem Ablaufe des auf sein Geburtsjahr folgenden Ka­ lenderjahres, sofern es nicht nach ärztlichem Zeugnis (§ 10) die natür­ lichen Blattern überstanden hat; 2 jeder Zögling einer öffentlichen Lehranstalt oder einer Privatschule, mit Ausnahme der Sonntags- und Abendschulen, innerhalb des Jahres, in welchem der Zögling das zwölfte Lebensjahr zurücklegt, sofern er nicht nach ärztlichem Zeugnis in den letzten fünf Jahren die natürlichen Blat­ tern überstanden hat oder mit Erfolg geimpft worden ist 8 2. Ein Jmpfpflichtiger (§ 1), welcher nach ärztlichem Zeugnis ohne Gefahr für fein Leben oder für seine Gesundheit nicht geimpft werden kann, ist binnen Jahresfrist nach Aufhören des diese Gefahr begründenden Zustan­ des der Impfung zu unterziehen Ob diese Gefahr noch fortbesteht, hat in zweifelhaften Fällen der zu­ ständige Jmpfarzt (§ 6) endgültig zu entscheiden 8 3, Ist eine Impfung nach dem Urteil des Arztes (§ 5) erfolglos ge­ blieben, so muß sie spätestens im nächsten Jahre und, falls sie auch dann er­ folglos bleibt, im dritten Jahre wiederholt werden Die zuständige Behörde kann anordnen, daß die letzte Wiederholung der Impfung durch den Jmpfarzt (§ 6) vorgenommen werde 8 4. Ist die Impfung ohne gesetzlichen Grund (§§ 1, 2) unterblieben, so ist sie binnen einer von der zuständigen Behörde zu setzenden Frist nach­ zuholen. 8 5. Jeder Impfling muß frühestens am sechstens, spätestens am achten Tage nach der Impfung dem impfenden Arzte vorgestellt werden. 8 6. In jedem Bundesstaate werden Jmpfbezirke gebildet, deren jeder einem Jmpfarzte unterstellt wird. Ter Jmpfarzt nimmt in der Zeit vom Anfang Mai bis Ende Septem­ ber jeden Jahres an den vorher bekannt zu machenden Orten und Tagen für die Bewohner des Jmpsbezirks Impfungen unentgeltlich vor Die Orte für die Vornahme der Impfungen, sowie für die Vorstellung der Impflinge (§5) werden so gewählt, daß kein Ort des Bezirks von dem nächst belegenen Impf­ orte mehr als 5 Kilometer entfernt ist 8 7. Für jeden Jmpfbezirk wird vor Beginn der Jmpfzeit eine Liste der nach § 1 Ziff 1 der Impfung unterliegenden Kinder von der zuständigen Behörde aufgestellt über die auf Grund des § 1 Ziff. 2 zur Impfung ge­ langenden Mnder haben die Vorsteher der betreffenden Lehranstalten eine Liste anzufertigen. Die Jmpfärzte vermerken in den Listen, ob die Impfung mit oder ohne Erfolg vollzogen oder ob und weshalb sie ganz oder vorläufig unterblieben ist Nach dem Schlüsse des Kalenderjahres sind die Listen der Behörde ein­ zureichen x) In Helgoland eingeführt durch B. v. 24. Juli 1893 (RGBl. S. 236.)

108. Jmpfgesetz vom 8. April 1874.

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jedoch gilt auch für die vorstehend unter a, d, c bezeichneten Bögel das Ver­ bot des Fangens mittels Schlingen. 8 9* Die landesrechtlichen Bestimmungen, welche zum Schutze der Bögel weitergehende Verbote enthalten, bleiben unberührt. Die auf Grund derselben zu erkennenden Strafen dürfen jedoch den Höchstbetrag der in diesem Gesetz angedrohten Strafen nicht übersteigen.

Gesetze zum Schutze von Leben, Gesundheit und Eigentum gegen Gemeingefahr.

XI.

108.

1. Impfgesetz. Bom 8 April 18741) (RGBl S 31)

8 1 Der Impfung mit Schutzpocken soll unterzogen werden: 1 jedes Kind vor dem Ablaufe des auf sein Geburtsjahr folgenden Ka­ lenderjahres, sofern es nicht nach ärztlichem Zeugnis (§ 10) die natür­ lichen Blattern überstanden hat; 2 jeder Zögling einer öffentlichen Lehranstalt oder einer Privatschule, mit Ausnahme der Sonntags- und Abendschulen, innerhalb des Jahres, in welchem der Zögling das zwölfte Lebensjahr zurücklegt, sofern er nicht nach ärztlichem Zeugnis in den letzten fünf Jahren die natürlichen Blat­ tern überstanden hat oder mit Erfolg geimpft worden ist 8 2. Ein Jmpfpflichtiger (§ 1), welcher nach ärztlichem Zeugnis ohne Gefahr für fein Leben oder für seine Gesundheit nicht geimpft werden kann, ist binnen Jahresfrist nach Aufhören des diese Gefahr begründenden Zustan­ des der Impfung zu unterziehen Ob diese Gefahr noch fortbesteht, hat in zweifelhaften Fällen der zu­ ständige Jmpfarzt (§ 6) endgültig zu entscheiden 8 3, Ist eine Impfung nach dem Urteil des Arztes (§ 5) erfolglos ge­ blieben, so muß sie spätestens im nächsten Jahre und, falls sie auch dann er­ folglos bleibt, im dritten Jahre wiederholt werden Die zuständige Behörde kann anordnen, daß die letzte Wiederholung der Impfung durch den Jmpfarzt (§ 6) vorgenommen werde 8 4. Ist die Impfung ohne gesetzlichen Grund (§§ 1, 2) unterblieben, so ist sie binnen einer von der zuständigen Behörde zu setzenden Frist nach­ zuholen. 8 5. Jeder Impfling muß frühestens am sechstens, spätestens am achten Tage nach der Impfung dem impfenden Arzte vorgestellt werden. 8 6. In jedem Bundesstaate werden Jmpfbezirke gebildet, deren jeder einem Jmpfarzte unterstellt wird. Ter Jmpfarzt nimmt in der Zeit vom Anfang Mai bis Ende Septem­ ber jeden Jahres an den vorher bekannt zu machenden Orten und Tagen für die Bewohner des Jmpsbezirks Impfungen unentgeltlich vor Die Orte für die Vornahme der Impfungen, sowie für die Vorstellung der Impflinge (§5) werden so gewählt, daß kein Ort des Bezirks von dem nächst belegenen Impf­ orte mehr als 5 Kilometer entfernt ist 8 7. Für jeden Jmpfbezirk wird vor Beginn der Jmpfzeit eine Liste der nach § 1 Ziff 1 der Impfung unterliegenden Kinder von der zuständigen Behörde aufgestellt über die auf Grund des § 1 Ziff. 2 zur Impfung ge­ langenden Mnder haben die Vorsteher der betreffenden Lehranstalten eine Liste anzufertigen. Die Jmpfärzte vermerken in den Listen, ob die Impfung mit oder ohne Erfolg vollzogen oder ob und weshalb sie ganz oder vorläufig unterblieben ist Nach dem Schlüsse des Kalenderjahres sind die Listen der Behörde ein­ zureichen x) In Helgoland eingeführt durch B. v. 24. Juli 1893 (RGBl. S. 236.)

542

Erster Teil.

Strafgesetze.

Tie Einrichtung der Listen wird durch den Bundesrat festgestellt,

g 8. Außer den Jmpfärzten sind ausschließlich Ärzte befugt, Impfungen vorzunehmen. Sie haben über die ausgeführten Impfungen in der int § 7 vor­ geschriebenen Form Listen zu führen und dieselben am Jahresschluß der zu­ ständigen Behörde vorzulegen g 9. Die Landesregierungen haben nach näherer Anordnung des Bundes­ rats dafür zu sorgen, daß eine angemessene Anzahl von Jmpfinstituten zur Beschaffung und Erzeugung von Schutzpockenlymphe eingerichtet werde Tie Jmpfinstitute geben die Schutzpockenlymphe an die öffentlichen Impf­ ärzte unentgeltlich ab und haben über Herkunft und Abgabe derselben Listen zu führen Die öffentlichen Jmpfärzte sino verpflichtet, auf Verlangen Schutzpockenlymphe, soweit ihr entbehrlicher Vorrat reicht, an andere Ärzte un­ entgeltlich abzugeben g 10. über jede Impfung wird nach Feststellung ihrer Wirkung (§ 5) von dem Arzte ein Impfschein ausgestellt. In dem Impfschein wird, unter Angabe des Vor- und Zunamens des Impflings, sowie des Jahres und Ta­ ges seiner Geburt, bescheinigt, entweder, daß durch die Impfung der gesetzlichen Pflicht genügt ist, oder daß die Impfung im nächsten Jahre wiederholt werden muß. In den ärztlichen Zeugnissen, durch welche die gänzliche oder vorläufige Befreiung von der Impfung (§§ 1, 2) nachgewiesen werden soll, wird, unter der für den Impfschein vorgeschriebenen Bezeichnung der Person, bescheinigt, aus welchem Grunde und auf wie lange die Impfung unterbleiben darf,

g 11. Der Bundesrat bestimmt das für die vorgedachten Bescheinigungen (§ 10) anzuwendende Formular. Tie erste Ausstellung der Bescheinigungen erfolgt stempel- und ge­ bührenfrei. g 12. Eltern, Pflegeeltern und Vormünder sind gehalten, auf amt­ liches Erfordern mittels der vorgeschriebenen Bescheinigungen (§ 10) den Nachweis zu führen, daß die Impfung ihrer Kinder und Pflegebefohlenen er­ folgt oder aus einem gesetzlichen Grunde unterblieben ist

g 13. Tie Vorsteher derjenigen Schulanstalten, deren Zöglinge dem Jmpszwange unterliegen (§ 1 Ziff 2), haben bei der Aufnahme von Schülern durch Einfordern der vorgeschriebenen Bescheinigungen festzustellen, ob die gesetzliche Impfung erfolgt ist Sie haben dafür zu sorgen, daß Zöglinge, welche während des Besuches der Anstalt nach § 1 Ziff 2 impfpflichtig werden, dieser Verpflichtung genügen. Ist eine Impfung ohne gesetzlichen Grund unterblieben, so ha.ben sie Q„uf deren Nachholung zu dringen. Sie sind verpflichtet, vier Wochen vor Schluß des Schuljahres der zu­ ständigen Behörde ein Verzeichnis derjenigen Schüler vorzulegen, für welche der Nachweis der Impfung nicht erbracht ist. g 14. Eltern, Pflegeeltern und Vormünder, welche den nach § 12 ihnen obliegenden Nachweis zu führen unterlassen, werden mit einer Geldstrafe bis zu zwanzia Mark bestraft. Eltern, Pflegeeltern ugd Vormünder, deren Kinder und Pflegebefohlene ohne gesetzlichen Grund und trotz erfolgter amtlicher Aufforderung der Impfung oder der ihr folgenden Gestellung (§ 5) entzogen geblieben sind, werden mit Geldstrafe bis zu fünfzig Mark oder mit Haft bis zu drei Tagen bestraft, g 15. Ärzte und Schulvorsteher, welche den durch H 8 Abs. 2, § 7 und durch § 13 ihnen auferlegten Verpflichtungen nicht nachkommen, werden mit Geldstrafe bis zu einhundert Mark bestraft.

109. Nahrungsmittelgesetz v. 14. Mai 1879.

543

g 16* Wer unbesugterweise (§ 8) Impfungen vornimmt, wird mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bis zu vierzehn Tagen bestraft g 17. Wer bei der Ausführung einer Impfung fahrlässig handelt, wird mit Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark oder mit Gefängnisstrafe bis zu drei Monaten bestraft, sofern nicht nach dem Strafgesetzbuch eine härtere Strafe eintritt. g 18. Die Vorschriften dieses Gesetzes treten mit dem 1 April 1875 in Kraft. Die einzelnen Bundesstaaten werden die zur Ausführung erforderlichen Bestimmungen treffen. Tie in den einzelnen Bundesstaaten bestehenden Bestimmungen über Zwangsimpfungen bei dem Ausbruch einer Pocken-Epidemie werden durch dieses Gesetz nicht berührt

109. 2. Gesetz, betr. den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln und GebrauchsgegenstSnden. Vom 14 Mai 1879.1) (RGBl S. 145.) g 1. Ter Verkehr mit Nahrungs- und Genußmitteln, sowie mit Spiel­ waren, Tapeten, Farben, Eß-, Trink- und Kochgeschirr und mit Petroleum unterliegt der Beaufsichtigung nach Maßgabe dieses Gesetzes. g 2. Die Beamten der Polizei sind befugt, in die Räumlichkeiten, in welchen Gegenstände der in § 1 bezeichneten Art feitgehalten werden, wäh­ rend der üblichen Geschäftsstunden oder während die Räumlichkeiten dem Ver­ kehr geöffnet sind, einzutreten Sie sind befugt, von den Gegenständen der in § 1 bezeichneten Art, welche in den angegebenen Räumlichkeiten sich befinden oder welche an öffent­ lichen Orten, auf Märkten, Plätzen, Straßen oder im Umherziehen verkauft oder feilgehalten werden, nach ihrer Wahl Proben zum Zwecke der Unter­ suchung gegen Empfangsbescheinigung zu entnehmen. Auf Verlangen ist dem Besitzer ein Teil der Probe amtlich verschlossen oder versiegelt zurück­ zulassen. Für die entnommene Probe ist Entschädigung in Höhe des üb­ lichen Kaufpreises zu leisten. g 3. Die Beamten der Polizei sind befugt, bei Personen, welche auf Grund der §§ 10, 12, 13 'dieses Gesetzes zu einer Freiheitsstrafe verurteilt sind, in den Räumlichkeiten, in welchen Gegenstände der in § 1 bezeichneten Art feilgehalten werden, oder welche zur Aufbewahrung oder Herstellung solcher zum Verkaufe bestimmter Gegenstände dienen, während der in § 2 angegebenen Zeit Revisionen vorzunehmen. Diese Befugnis beginnt mit der Rechtskraft des Urteils und 'erlischt mit dem Ablaufe von drei Jahren von dem Tage an gerechnet, an welchem die Freiheitsstrafe verbüßt, verjährt oder erlassen ist. g 4. Die Zuständigkeit der Behörden und Beamten zu den in §§ 2 und 3 bezeichneten Maßnahmen richtet sich nach den einschlägigen landes­ rechtlichen Bestimmungen Landesrechtliche Bestimmungen, welche der Polizei weitergehende Be­ fugnisse als die in ZZ 2 und 3 bezeichneten geben, bleiben unberührt, g 5. Für das Reich können durch Kaiserliche Verordnung mit Zu­ stimmung des Bundesrats*2) zum Schutze der Gesundheit Vorschriften erlassen werden, welche verbieten:

1) In Helgoland eingeführt durch V. v. 24. Juli 1893 (RGBl. S. 236). 2) Nunmehr durch Verordnung des Reichspräsidenten mit Zustimmung des Reichsrats (Art 179 Reichsverf mit Art. 3 übergangsG v. 4. März 1919 RGBl 285).

544

Erster Teil.

Strafgesetze.

1 bestimmte Arten der Herstellung, Aufbewahrung und Verpackung von Nahrungs- und Genußmitteln, die zum Verkaufe bestimmt sind, 2 das gewerbsmäßige Verkaufen und Feilhalten von Nahrungs- und Genußmitteln von einer bestimmten Beschaffenheit oder unter einer der wirklichen Beschaffenheit nicht entsprechenden Bezeichnung; 3. das Verkaufen und Feilhalten von Tieren, welche an bestimmten Krank­ heiten leiden, zum Zwecke des Schlachtens, sowie das Verkaufen und Feilhalten des Fleisches von Tieren, welche mit bestimmten Krank­ heiten behaftet waren; 4 die Verwendung bestimmter Stoffe und Farben zur Herstellung von Bekleidungsgegenständen, Spielwaren, Tapeten, Eß-, Trink und Koch­ geschirr, sowie das gewerbsmäßige Verkaufen und Feilhalten von Gegegenständen, welche diesem Verbote zuwider hergestellt sind; 5 das gewerbsmäßige Verkaufen und Feilhalten von Petroleum von einer bestimmten Beschaffenheit 8 6. Für das Reich kann durch Kaiserliche Verordnung mit Zustim­ mung des S8unbe3rat31) das gewerbsmäßige Herstellen, Verkaufen und Feil­ halten von Gegenständen, welche zur Fälschung von Nahrungs- oder Genuß­ mitteln bestimmt sind, verboten oder beschränkt werden. 8 7. Die auf Grund der §§ 5, 6 erlassenen Kaiserlichen Verordnungen sind dem Reichstag, sofern er versammelt ist, sofort, anderenfalls bei dessen nächstem Zusammentreten vorzulegen Dieselben sind außer Kraft zu setzen, soweit der Reichstag dies verlangt 8 8. Wer den auf Grund der §§ 5, 6 erlassenen Verordnungen zu­ widerhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bestraft. Landesrechtliche Vorschriften dürfen eine höhere Strafe nicht androhen 8 9. Wer den Vorschriften der ZK 2 bis 4 zuwider den Eintritt in die Räumlichkeiten, die Entnahme einer "Probe oder die Revision verweigert, wird mit Geldstrafe von fünfzig bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bestraft. 8 10» Mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft: 1 wer zum Zwecke der Täuschung im Handel und Verkehr Nahrungs- oder Genußmittel nachmacht oder verfälscht; 2 wer wissentlich Nahrungs- oder Genußmittel, welche verdorben oder nachgemacht oder verfälscht sind, unter Verschweigung dieses Umstandes verkauft oder unter einer zur Täuschung geeigneten Bezeichnung feithält. 8 11. Ist die im § 10 Nr 2 bezeichnete Handlung aus Fahrlässig-, feit begangen worden, so tritt Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder Haft ein. 8 12. Mit Gefängnis, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen ßhrenrechte erkannt werden kann, wird bestraft: 1 wer vorsätzlich Gegenstände, tpelche bestimmt sind. Anderen als Nahrungs­ oder Genußmittel zu dienen, derart herstellt, daß der Genuß derselben die menschliche Gesundheit zu beschädigen geeignet ist, ingleichen wer wissentlich Gegenstände, deren Genuß die menschliche Gesundheit zu beschädigen geeignet ist, als Nahrungs- oder Genußmittel verkauft, feilhält oder sonst in Verkehr bringt; 2 wer vorsätzlich Bekleidungsgegenstände, Spielwaren, Tapeten, Eß-, Trink­ oder Kochgeschirr oder Petroleum derart herstellt, daß der bestimmungs­ gemäße oder vorauszusehende Gebrauch dieser Gegenstände die mensch­ liche Gesundheit zu beschädigen geeignet ist, ingleichen wer wissentlich solche Gegenstände verkauft, feilhält oder sonst in Verkehr bringt. Der Versuch ist strafbar Ist durch die Handlung eine schwere Körperverletzung oder der Tod eines Menschen verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe bis zu fünf Jahren ein

Vgl vorige Note

110. Ges., betr. blei- u. zinkhaltige Gegenstände v. 25. Juni 1887.

545

§ 13. War in den Fällen des § 12 der Genuß oder Gebrauch des Gegen-» standes die menschliche Gesundheit zu zerstören geeignet und war diese Eigen­ schaft dem Täter bekannt, so tritt Zuchthausstrafe bis zu zehn Jahren und, wenn durch die Handlung der Tod eines Menschen verursacht worden ist, Zucht­ hausstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Zuchthausstrafe ein. Neben der Strafe kann auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. 8 14. Ist eine der in den §§ 12, 13 bezeichneten Handlungen aus Fahr­ lässigkeit begangen worden, so ist auf Geldstrafe bis zu eintausend Mart oder Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten und, wenn durch die Handlung ein Schaden an der Gesundheit eines Menschen verursacht worden ist, auf Ge­ fängnisstrafe bis zu einem Jahre, wenn aber der Tod eines Menschen ver­ ursacht worden ist, auf Gefängnisstrafe von einem Monat bis zu drei Jahren zu erkennen 8 15. In den Fällen der §§ 12 bis 14 ist neben der Strafe auf Einziehung der Gegenstände zu erkennen, welche den bezeichneten Vorschriften zuwider hergestellt, verkauft, feilgehalten oder sonst in Verkehr gebracht sind, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht; in den Fällen der §§ 8, 10, 11 kann auf die Einziehung erkannt werden Ist in den Fällen der §§ 12 bis 14 die Verfolgung oder die Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar, so kann auf die Einziehung selbstän­ dig erkannt werden. 8 16. In dem Urteil oder dem Strafbefehl kann angeordnet werden, daß die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekannt zu. machen sei. Aus Antrag des freigesprochenen Angeschuldigten hat das Gericht die öffentliche Bekanntmachung der Freisprechung anzuordnen; die Staatskasse trägt die Kosten, insofern dieselben nicht dem Anzeigenden auferlegt worden sind In der Anordnung ist die Art der Bekanntmachung zu bestimmen Sofern infolge polizeilicher Untersuchung von Gegenständen der im § 1 bezeichneten Art eine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung eintritt, fallen dem Verurteilten die durch die polizeiliche Untersuchung erwachsenen Kosten zur Last. Dieselben sind zugleich mit den Kosten des gerichtlichen Verfahrens festzusetzen und einzuziehen 8 17. Besteht für den Ort der Tat eine öffentliche Anstalt zur tech­ nischen Untersuchung von Nahrungs- und Genußmitteln, so fallen die auf Grund dieses Gesetzes auferlegten Geldstrafen, soweit dieselben dem Staate zustehen, der Kasse zu, welche die Kosten der' Unterhaltung der Anstalt trägt.

110. 3. Gesetz, betr. den Verkehr mit blei- und zink­ haltigen Gegenständen. Born 25 Juni 1887 i) (RGBl S 273.)

§ 1. Eß-, Trink- und Kochgeschirr sowie Flüssigkeitsmaße dürfen nicht ganz oder teilweise aus Blei oder einer in 100 Gewichtsteilen mehr als 10 Gewichtsteile Blei enthaltenden Metallegierung hergestellt, 2 an der Innenseite mit einer in 100' Gewichtsteilen mehr als einen Ge­ wichtsteil Blei enthaltenden Metallegierung verzinnt ooer mit einer in 100 Gewichtsteilen mehr als 10 Gewichtsteile Blei enthaltenden Metall­ legierung gelötet, 3 mit Email oder Glasur versehen sein, welche bei halbstündigem Kochen mrt einem in 100 Gewichtsteilen 4 Gewichtsteile Essigsäure enthaltenden Essig an den letzteren Blei abgeben

1

l) In Helgoland eingeführt durch V. v. 24 Juli 1893 (RGBl. S. 236). 3. Aust. 35

Allfeld, Strafgesetzgebung.

546

Erster Teil.

Strafgesetze.

Auf Geschirre und Flüsngkeitswaße aus bleifreiem Britanniametall findet die Vorschrift in Ziff. 2 betreffs des Lotes nicht Anwendung. Zur Herstellung von Druckvorrichtungen zum Ausschank von Bier, sowie von Siphons für kohlensäurehaltige Getränke und von Metallteilen für Kinder­ saugflaschen dürfen nur Metallegierungen verwendet werden, welche in 100 Gewichtsteilen nicht mehr als einen Gewichtsteil Blei enthalten

8 2. Zur Herstellung von Mundstücken für Saugflaschen, Saugringen und Warzenhütchen darf blei- oder zinkhaltiger Kautschuck nicht verwendet sein. Zur Herstellung von Trinkbechern und von Spielwaren, mit Ausnahme der massiven Bälle, darf bleihaltiger Kautschuck nicht verwendet sein Zu Leitungen für Bier, Wein oder Essig dürfen bleihaltige Kautschuk­ schläuche nicht verwendet werden § 3. Geschirre und Gefäße zur Verfertigung von Getränken und Frucht­ säften dürfen in denjenigen Teilen, welche bei dem bestimmungsgemäßeu oder vorauszusehenden Gebrauche mit dem Inhalt in unmittelbare Berührung kommen, nicht den Vorschriften des § 1 zuwider hergestellt sein. Konservenbüchsen müssen auf der Innenseite den Bedingungen des § 1 entsprechend hergestellt sein Zur Aufbewahrung von Getränken dürfen Gefäße nicht verwendet sein, in welchen sich Rückstände von bleihaltigem Schrote befinden Zur Packung von Schnupf- und Kautabak, sowie Käse dürfen Metallfolien nicht verwendet sein, welche in 100 Gewichtsteilen mehr als einen Gewichtsteil Blei enthalten. 8 4. Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft wird bestraft: 1 wer Gegenstände, die ütt § 1, § 2 Abs 1 und 2, § 3 Abs. 1 und 2 bezeichneten Art den daselbst getroffenen Bestimmungen zuwider gewerbs­ mäßig herstellt; 2 wer Gegenstände, welche den Bestimmungen im § 1, § 2 Abs 1 und 2 uno § 3 zuwider hergestellt, aufbewahrt oder verpackt sind, gewerbs­ mäßig verkauft oder feilhält; 3. wer Druckvorrichtungen, welche den Vorschriften im § 1 Abs 3 nicht entsprechen, zum Ausschank von Bier oder bleihaltige Schläuche zur Leitung von Bier, Wein oder Essig gewerbsmäßig verwendet. 8 5. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher zur Verfertigung von Nahrungs- oder Genußmitteln bestimmte Mühlsteine unter Verwendung von Blei oder bleihaltigen Stoffen an der Mahlfläche herstellt oder derartig her­ gestellte Mühlsteine zur Verfertigung von Nahrungs- oder Genußmitteln verwendet. 8 6. Neben der in den §§ 4 und 5 vorgesehenen Strafe kann auf Einziehung der Gegenstände, welche den betreffenden Vorschriften zuwider her­ gestellt, verkauft, feilgehalten oder verwendet sind, sowie der vorschrifts­ widrig hergestellten Mühlsteine erkannt werden. Ist bie Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar, so kann auf die Einziehung selbständig erkannt werden. 8 7. Die Vorschriften des Gesetzes, betreffend den Verkehr mit Nahrungs­ mitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen,, vom 14. Mai 1879 (ReichsGesetzbl. S. 145) bleiben unberührt. Tie Vorschriften in den §§ 16, 17 desselben finden auch bei Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes Anwendung. 8 8. Dieses Gesetz tritt am 1 Oktober 1888 in Kraft.

111. Gesetz, bett, gesundheitsschädliche Farben vom 5. Juli 1887.

547

111. 4. Gesetz, betr. die Verwendung gesundheitsschäd­ licher Farben bei der Herstellung von Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen. Vom

5

Juli

1887.

(RGBl S 277.) Farben dürfen zur Herstellung von Nahrungsund Genußmitteln, welche zum Verkauf bestimmt sind, nicht verwendet werden Gesundheitsschädliche Farben im Sinne dieser Bestimmung sind die­ jenigen Farbstoffe und Farbzubereitungen, welche: Antimon, Arsen, Baryum, Blei, Cadmium, Chrom, Kupfer, Quecksilber, Uran, Zink, Zinn, Gummigutti, Korallin, Pikrinsäure enthalten Der Reichskanzler ist ermächtigt, nähere Vorschriften über das bei der Feststellung des Vorhandenseins von Arsen und Zinn anzuwendende Ver­ fahren zu erlassen 8 2. Zur Aufbewahrung oder Verpackung von Nahrungs- und Genuß­ mitteln, welche zum Verkauf bestimmt sind, dürfen Gefäße, Umhüllungen oder Schutzbedeckungen, zu deren Herstellung Farben der im § 1 Abs. 2 bezeichneten Art verwendet sind, nicht benutzt werden. Auf die Verwendung von schwefelsaurem Baryum (Schwerspath, blanc fixe), Barytfarblacken, welche von kohlensaurem Baryum frei sind, Chromoxyd, Kupfer, Zinn, Zink und deren Legierungen als Metallfarben, Zinnober, Zinnoxyd, Schwefelzinn als Musivgold, sowie auf alle in Glasmassen, Glasuren oder Emails eingebrannte Farben und aus den äußeren Anstrich von Gefäßen aus wasser­ dichten Stoffen findet diese Bestimmung nicht Anwendung 8 3. Zur Herstellung von kosmetischen Mitteln (Mitteln zur Reinigung, Pflege oder Färbung der Haut, des Haares oder der Mundhöhle), Üvelche zum Verkauf bestimmt sind, dürfen die im § 1 Abs. 2 bezeichneten Stoffe nicht verwendet werden Auf schwefelsaures Baryum (Schwerspath, blanc fixe), Schwefelcadmium, Chromoxyd, Zinnober, Zinkoxyd, Schwefelzink, sowie auf Kupfer, Zinn, Zink und deren Legierungen in Form von Puder findet diese Bestimmung nicht Anwendung. 8 4. Zur Herstellung von zum Verkauf bestimmten Spielwaren (ein­ schließlich der Bilderbogen, Bilderbücher und Tuschfarben für Kinder), Blumentopfgittern und künstlichen Christbäumen dürfen die im § 1 Abs. 2 bezeichneten Farben nicht verwendet werden. Auf die inx § 2 Ms. 2 bezeichneten Stoffe, sowie auf Schwefelantimon und Schwefelcadmium als Färbemittel der Gummi­ masse, Bleioxyd in Firniß, Bleiweiß als Bestandteil des sogenannten Wachsgusses, jedoch .nur, sofern dasselbe nicht ein Gewichtsteil in 100 Gewichtsteilen der Masse übersteigt, chromsaures Blei (für sich oder in Verbindung mit schwefelsaurem Blei) als Ol- oder Lackfarbe oder mit Lack- oder mit Firnißüberzug, die in Wasser unlöslichen Zinkverbindungen, bei Gummispielwaren je­ doch nur, soweit sie als Färbemittel der Gummimasse, als Ol- oder Lackfarben oder mit Lack- oder Firnißüberzug verwendet werden, alle in Glasuren oder Emails eingebrannten Farben findet diese Bestimmung nicht Anwendung

8 1 Gesundheitsschädliche

548

Erster Teil.

Strafgesetze.

Soweit zur Herstellung von Spielwaren die in den §§ 7 und 8 bezeichne­ ten Gegenstände verwendet werden, finden auf letztere lediglich die Vorschriften der §§ 7 und 8 Anwendung. 8 5. Zur Herstellung von Buch- und Steindruck auf den in den §§ 2, 3 uno 4 bezeichneten Gegenständen dürfen nur solche Farben nicht verwendet werden, welche Arsen enthalten. 8 6. Tuschfarben jeder Art dürfen als frei von gesundheitsschädlichen Stoffen beziehungsweise giftfrei nicht verkauft oder feilgehalten werden, wenn sie den Vorschriften inr § 4 Abs. 1 und 2 nicht entsprechen. 8 7. Zur Herstellung von zum Verkauf bestimmten Tapeten, Möbel­ stoffen, Teppichen, Stoffen zu Vorhängen oder Bekleidungsgegenständen, Mas­ ken, Kerzen, sowie künstlichen Blättern, Blumen und Früchten dürfen Farben, welche Arsen enthalten, nicht verwendet werden. Auf die Verwendung arsenhaltiger Beizen oder Fixierungsmittel zum Zweck des Färbens oder Bedruckens von Gespinnsten oder Geweben findet diese Bestimmung nicht Anwendung. Doch dürfen derartig bearbeitete Gespinnste oder Gewebe zur Herstellung der im Absatz 1 bezeichneten Gegenstände nicht verwendet werden, wenn sie das Arsen in wasserlöslicher Form oder in solcher Menge enthalten, daß sich in 100 Quadratzentimeter des fertigen Gegen­ standes mehr als 2 Milligramm Arsen vorfinden Der Reichskanzler ist er­ mächtigt, nähere Vorschriften über das ber der Feststellung des Arsengehalts anzuwendende Verfahren zu erlassen. 8 8. Tie Vorschriften des § 7 finden auch aus die Herstellung von zum Verkauf bestimmten Schreibmaterialien, Lampen- und Lichtschirmen sowie Lichtmanschetten Anwendung Tie Herstellung der Oblaten unterliegt den Bestimmungen im § 1, jedoch sofern sie nicht zum Genusse bestimmt sind, mit der Maßgabe, daß die Ver­ wendung von schwefelsaurem Baryum (Schwerspath, bl ane fixe), Chrom­ oxyd und Zinnober gestattet ist 8 9* Arsenhaltige Wasser- oder Leimfarben dürfen zur Herstellung des Anstrichs von Fußböden, Decken, Wänden, Türen, Fenstern der Wohn- oder Geschäftsräume, von Roll-, Zug- oder Klapplüden oder Vorhängen, von Möbeln und sonstigen häuslichen Gebrauchsgegenständen nicht verwendet werden 8 19. Auf die Verwendung von Farben, welche die im § 1 Abs 2 be­ zeichneten Stoffe nicht als konstituierende Bestandteile, sondern nur als Ver­ unreinigungen, und zwar höchstens in einer Menge enthalten, welche sich bei den in der Technik gebräuchlichen Darstellungsverfahren nicht vermeiden läßt, finden die Bestimmungen der §§ 2 bis 9 nicht Anwendung. 8 11. Auf die Färbung von Pelzwaren finden die Vorschriften dieses Gesetzes nicht Anwendung 8 12. Mit Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder mit Haft wird bestraft: 1. wer den Vorschriften der §§ 1 bis 5, 7, 8 und 10 zuwider Nahrungs­ mittel, Genußmittel oder Gebrauchsgegenstände herstellt, aufbewahrt oder verpackte Gegenstände gewerbsmäßig verkauft oder feilhält; 2. wer der Vorschrift des § 6 zuwiderhandelt; 3. wer der Vorschrift des § 9 zuwiderhandelt, imgleichen wer Gegenstände, welche dem § 9 zuwider hergestellt sind, gewerbsmäßig verkauft oder feilhält. 8 13. Neben der im § 12 vorgesehenen Strafe kann auf Einziehung der verbotswidrig hergestellten, aufbewahrten, verpackten, verkauften oder feilgehaltenen Gegenstände erkannt werden, ohne Unterschied, ob sie dem Ver­ urteilten gehören oder nicht. Ist die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht aus­ führbar, so kann auf die Einziehung selbständig erkannt werden. 8 14. Die Vorschriften des Gesetzes, betreffend den Verkehr mit Nah­ rungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen, vom 14. Mai 1879 (Reichs-Gesetzbl S. 145) bleiben unberührt. Tie Vorschriften in den §§ 16, 17 desselben finden auch bei Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes Anwendung

112. Gesetz, betr. den Verkehr mit Butter usw. vom 15. Juni 1897.

549

tz 18. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. Mai 1888 in Kraft; mit demselben Tage tritt die Kaiserliche Verordnung, betreffend die Verwendung giftiger Farben, vom 1. Mai 1882 (Reichs-Gesetzbl. S. 55) außer Kraft.

112. 5. Gesetz, betr. den Verkehr mit Butter, Käse, Schmalz und deren Ersatzmitteln. Bom 15. Juni 1897. (RGBl S. 475.) Die Geschäftsräume und sonstigen Verkaufsstellen, einschließlich der Marktstände, in denen Margarine, Margarinekäse oder Kunstspeisefett ge­ werbsmäßig verkauft oder feilgehalten wird, müssen an in die Augen fallender Stelle die deutliche, nicht verwischbare Inschrift „Verkauf von Margarine", „Berkaus von Margarinekäse", „Verkauf von Kunstspeisefett" tragen Margarine im Sinne dieses Gesetzes sind diejenigen, der Milchbutter oder dem Butterschmalz ähnlichen Zubereitungen, deren Fettgehalt nicht ausschließ­ lich der Milch entstammt Margarinekäse int Sinne dieses Gesetzes find diejenigen käseartigen Zu­ bereitungen, deren Fettgehalt nicht ausschließlich der Milch entstammt. Kunstspeisefett im Sinne dieses Gesetzes sind diejenigen, dem Schweine­ schmalz ähnlichen Zubereitungen, deren Fettgehalt nicht ausschließlich aus Schweinefett besteht Ausgenommen sind unverfälschte Fette bestimmter Tier­ oder Pflanzenarten, welche unter den ihrem Ursprung entsprechenden Bezeich­ nungen in den Verkehr gebracht werden. 8 2. Die Gefäße und äußeren Umhüllungen, in welchen Margarine, Märgarinekäse oder Kunstspeisefett gewerbsmäßig verkauft oder seilgehatten wird, müssen an in die Augen fallenden Stellen die deutliche, nicht verwisch­ bare Inschrift „Margarine", „Margarinekäse", ..Kunstspeisefett" tragen. Die Gefäße müssen außerdem mit einem stets sichtbaren, bandförmigen Streifen von roter Farbe versehen sein, welcher bei Gefäßen bis zu 35 Zentimeter Höhe mindestens 2 Zentimeter, bei höheren Gefäßen mindestens 5 Zentimeter breit sein muß. Wird Margarine, Margarinekäse oder Kunstspeisefett in ganzen Gebinden oder Kisten gewerbsmäßig verkauft oder feilgehalten, so hat die Inschrift außerdem den Namen oder die Firma des Fabrikanten, sowie die von dem Fa­ brikanten zur Kennzeichnung der Beschaffenheit seiner Erzeugnisse angewendeten Zeichen (Fabrikmarke) zu enthalten Im gewerbsmäßigen Einzelverkaufe müssen Margarine, Margarinekrse und Kunstspeisefett an den Käufer in einer Umhüllung abgegeben werden, auf welcher die Inschrift „Margarine", Margarinekäse", „Kunstspeisefett" mit dem Namen oder der Firma des Verkäufers angebracht ist. Wird Margarine oder Margarinekäse in regelmäßig geformten Stücken gewerbsmäßig verkauft oder feilgehalten, so müssen dieselben von Würfelform sein, auch muß denselben die Inschrift „Margarine", Margarinekäse" ein­ gepreßt sein. 8 3 Die Vermischung von Butter oder Butterschmalz mit Margarine oder anderen Speisefetten zum Zwecke des Handels mit diesen Mischungen ist verboten. Unter diese Bestimmung fällt auch die Verwendung von Milch oder Rahm bei der gewerbsmäßigen Herstellung von Margarine, sofern mehr als 100 Ge­ wichtsteile Milch oder eine dementsprechende Menge Rahm aus 100 Gewichts­ teile der nicht der Milch entstammenden Fette in Anwendung kommen. 8 4. In Räumen, woselbst Butter oder Butterschmalz gewerbsmäßig hergestellt, aufbewahrt, verpackt oder feilgehalten wird, ist die Herstellung, Aufbewahrung, Verpackung oder das Feilhalten von Margarine oder Kunst­ speisefett verboten. Ebenso ist in Räumen, woselbst Käse gewerbsmäßig her-

8 1.

550

Erster Teil.

Strafgesetze.

gestellt, aufbewahrt, verpackt oder feilgehalten wird, die Herstellung, Auf­ bewahrung, Verpackung oder das Feilhalten von Margarinekäse untersagt. In Orten, welche nach dem endgültigen Ergebnisse der letztmaligen Volks­ zählung weniger als 5000 Einwohner hatten, findet die Bestimmung des vor­ stehenden Absatzes auf den Kleinhandel und das Aufbewahren der für den Kleinhandel erforderlichen Bedarfsmengen in öffentlichen Verkaufsstätten, so­ wie auf das Verpacken der daselbst im Kleinhandel zum Verkaufe gelangenden Waren keine Anwendung. Jedoch müssen Margarine, Margarinekäse und Kunst­ speisefett innerhalb der Verkaufsräume in besonderen Borratsgefäßen und an besonderen Lagerstellen, welche von den zur Aufbewahrung von Butter, Butter­ schmalz und Käse dienenden Lagerstellen getrennt sind, aufbewahrt werden. Für Orte, deren Einwohnerzahl erst nach dem endgültigen Ergebnis einer späteren Volkszählung die angegebene Grenze überschreitet, wird der Zeitpunkt, von welchem ab die Vorschrift des zweiten Absatzes nicht mehr Anwendung fin­ det, durch die nach Anordnung der Landes-Zentralbehörde zuständigen Ver­ waltungsstellen bestimmt Mit Genehmigung der Landes-Zentralbehörde kön­ nen diese Verwaltungsstellen bestimmen, daß die Vorschrift des zweiten Ab­ satzes von einem bestimmten Zeitpunkt ab ausnahmsweise in einzelnen Orten mit weniger als 5000 Einwohnern nicht Anwendung findet, sofern der un­ mittelbare räumliche Zusammenhang mit einer Ortschaft von mehr als 5000 Einwohnern ein Bedürfnis hierfür begründet Tie auf Grund des dritten Absatzes ergehenden Bestimmungen sind minde­ stens sechs Monate vor dem Eintritte des darin bezeichneten Zeitpunktes öffent­ lich bekannt zu machen

8 5. In öffentlichen Angeboten, sowie in Schlußscheinen, Rechnungen, Frachtbriefen, Konnossementen, Lagerscheinen, Ladescheinen und sonstigen im Handelsverkehr üblichen Schriftstücken, welche sich auf die Lieferung von Mar­ garine, Margarinekäse oder Kunstspeisefett beziehen, müssen die diesem Gesetz entsprechenden Warenbezeichnungen angewendet werden. 8 v. Margarine und Margarinekäse, welche zu Handelszwecken bestimmt sind, müssen einen die allgemeine Erkennbarkeit der Ware mittelst chemischer Untersuchung erleichternden, Beschaffenheit und Farbe derselben nicht schädi­ genden Zusatz enthalten Tie näheren Bestimmungen hierüber werden vom Bundesrat erlassen und im Reichs-Gesetzblatt veröffentlicht. . 8 7. Wer Margarine, Margarinekäse oder Kunstspeisefett gewerbsmäßig herstellen will, hat davon der nach den landesrechtlichen Bestimmungen zu­ ständigen Behörde Anzeige zu erstatten, hierbei auch die für die Herstellung, Aufbewahrung, Verpackung und Feilhaltung der Waren dauernd bestimmten Räume zu bezeichnen und die etwa bestellten Betriebsleiter und Aufsichts­ personen namhaft zu machen. Für bereits bestehende Betriebe ist eine entsprechende Anzeige binnen zwei Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes zu erstatten. Veränderungen bezüglich der der Anzeigepflicht unterliegenden Räume und Personen sind nach Maßgabe der Bestimmungen des Absatzes 1 der zu­ ständigen Behörde binnen drei Tagen anzuzeigen. 8 8. Tie Beamten der Polizei und die von der Polizeibehörde beauf­ tragten Sachverständigen sind befugt, in die Räume, in denen Butter, Mar­ garine, Margarinekäse oder Kunstspeisefett gewerbsmäßig hergestellt wird, jeder­ zeit, in die Räume, in denen Butter, Margarine, Margarinekäse oder Kunst­ speisefett ausbewahrt, feilgehalten oder verpackt wird, während der Geschäfts­ zeit einzutreten und daselbst Revisionen vorzunehmen, auch nach ihrer Aus­ wahl Proben zum Zwecke der Untersuchung gegen Empfangsbescheinigung zu entnehmen. Auf Verlangen ist ein Teil der Probe amtlich verschlossen oder versiegelt zurückzulassen und für die entnommene Probe eine angemessene Ent­ schädigung zu leisten. 8 9. Tie Unternehmer von Betrieben, in denen Margarine, Margarine­ käse oder Kunstspeisefett gewerbsmäßig hergestellt wird, sowie die von ihnen be-

112. Gesetz, betr. den Verkehr mit Butter usw. vom 15. Juni 1897.

551

stellten Betriebsleiter und Aufsichtspersonen sind verpflichtet, der Polizei­ behörde oder deren Beauftragten auf Erfordern Auskunft über das Verfahren bei Herstellung oder Erzeugnisse, über "den Umfang des Betriebs und über die zur Verarbeitung gelangenden Rohstoffe, insbesondere auch über deren Menge und Herkunft zu erteilen

§ IO. Die Beauftragten der Polizeibehörde sind, vorbehaltlich der dienst­ lichen Berichterstattung und der Anzeige von Gesetzwidrigkeiten, verpflichtet, über die Tatsachen und Einrichtungen, welche durch die Überwachung und Kontrolle der Betriebe zu ihrer Kenntnis kommen, Verschwiegenheit zu be­ obachten und sich der Mitteilung und Nachahmung der von den Betriebsunternehmern geheim gehaltenen, zu ihrer Kenntnis gelangten Betriebsein­ richtungen und Betriebsweisen, solange als diese Betriebsgeheimnisse sind, zu enthalten. Die Beauftragten der Polizeibehörde sind hierauf zu beeidigen 8 11. Ter Bundesrat ist ermächtigt, das gewerbsmäßige Verkaufen und Feilhalten von Butter, deren Fettgehalt nicht eine bestimmte Grenze er­ reicht oder deren Wasser- oder Salzgehalt eine bestimmte Grenze überschreitet, zu verbieten 8 12. Der Bundesrat ist ermächtigt, 1 nähere, im Reichs-Gesetzblatte zu veröffentlichende Bestimmungen zur Ausführung der Vorschriften des § 2 zu erlassen, 2 Grundsätze aufzustellen, nach welchen die zur Durchführung dieses Ge­ setzes, sowie des Gesetzes vom 14 Mai 1879, betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen (Reichs-Gesetzbl. S 145), erforderlichen Untersuchungen von Fetten und Käsen vor­ zunehmen sind. 8 13. Die Vorschriften dieses Gesetzes finden auf solche Erzeugnisse der um § 1 bezeichneten Art, welche zum Genusse für Menschen nicht bestimmt sind, keine Anwendung 8 14. Mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft: l wer zum Zwecke der Täuschung im Handel und Verkehr eine der nach § 3 unzulässigen Mischungen herstellt; 2. wer in Ausübung eines Gewerbes wissentlich solche Mischungen verkauft, feilhält oder sonst in Verkehr bringt; 3 wer Margarine oder Margarinekäse ohne den nach § 6 erforderlichen Zusatz vorsätzlich herstellt oder wissentlich verkauft, feilhält oder sonst in Verkehr bringt Im Wiederholungsfälle tritt Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten ein, neben welcher auf Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark erkannt werden kann; diese Bestimmung findet nicht Anwendung, wenn seit dem Zeitpunkt, in welchem die für die frühere Zuwiderhandlung erkannte Strafe verbüßt oder erlassen ist, drei Jahre verflossen sind 8 15. Mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark oder mit Ge­ fängnis bis zu drei Monaten wird bestraft, wer als Beauftragter der Polizei­ behörde unbefugt Betriebsgeheimnisse, welche kraft seines Auftrags zu seiner Kenntnis gekommen sind, offenbart, oder geheimhaltene Betriebseinrichtun­ gen oder Betriebsweisen, von denen er kraft seines Auftrags Kenntnis erlangt hat, nachahmt, solange dieselben noch Betriebsgeheimnisse sind Tie Verfolgung tritt nur auf Antrag des Betriebsunternehmers ein. 8 16. Mit Geldstrafe von fünfzig bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft wird bestraft: 1 wer den Vorschriften des § ’8 zuwider den Eintritt in die Räume, die Entnahme einer Probe oder die Revision verweigert; 2 wer die in Gemäßheit des § 9 von ihm erforderte Auskunft nicht erteilt oder bei Der Auskunfterteilung wissentlich unwahre Angaben macht. 8 17. Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bis zu vier Wochen wird bestraft:

552

Erster Teil.

Strafgesetze.

1. wer den Vorschriften des § 7 zuwiderhandelt; 2. wer bei der nach § 9 von ihm erforderten Auskunfterteilung aus Fahr­ lässigkeit unwahre Angaben macht. 8 18. Außer den Fällen der §§ 14 bis 17 werden Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften dieses Gesetzes sowie gegen die in Gemäßheit der §§ 11 und 12 Ziffer 1 ergehenden Bestimmungen des Bundesrats mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzrg Mark oder mit Haft bestraft. Im Wiederholungsfall ist auf Geldstrafe bis zu sechshundert Marl, oder auf Haft, oder auf Gefängnis bis zu drei Monaten zu erkennen. Diese Bestim­ mung findet keine Anwendung, wenn seit dem Zeitpunkt, in welchem die für die frühere Zuwiderhandlung erkannte Strafe verbüßt oder erlassen ist, drei Jahre verflossen sind. 8 19. In den Fällen der §§ 14 und 18 kann neben der Strafe auf EiwZiehung der verbotswidrig hergestellten, verkauften, feilgehaltenen oder sonst in Verkehr gebrachten Gegenstände erkannt werden, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht. Ist die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht aus­ führbar, so kann aus die Einziehung selbständig erkannt werden 8 20. Tie Vorschriften des Gesetzes, betreffend den Verkehr mit Nah­ rungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen, vom 14. Mai 1879 (Reichs-Gesetzbl S 145) bleiben unberührt. Tie Vorschriften in den §.§ 16, 17 desselben finden auch bei Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes mit der Maßgabe Anwendung, daß in den Fällen des § 14 die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung angeordnet werden muß. 8 21. Die Bestimmungen des § 4 treten mit dem 1. April 1898 in Kraft. Im übrigen tritt dieses Gesetz am 1. Oktober 1897 in Kraft Mit diesem Zeitpunkte tritt das Gesetz, betreffend den Verkehr mit Ersatzmitteln für Butter, vom 12. Juli 1887 (Reichs-Gesetzbl S. 375) außer Kraft.

113. 6. Verordnung über das Verbot von Kunstsahne. Vom 14. Oktober 1921.

(RGBl. S. 1307.) Auf Grund der Verordnung über Kriegsmaßnahmen zur Sicherung der

Bolksernährung vom

des § 41 der Bekannt-

machung über Speisefette vom 20. Juli 1916 (Reichs-Gesetzbl. S. 755) wird verordnet: \ . 1 ■ ' [ 8 1. Es ist verboten, sahneähnliche Erzeugnisse, die aus Magermilch oder aus fettarmer Sahne oder aus eingedickter oder eingetrockneter Voll­ oder Magermilch unter Zusatz von Butter oder Butterfett gewonnen werden, herzustellen, zu verkaufen, feilzuhalten oder sonst in den Verkehr zu bringen. 8 2. Zuwiderhandlungen gemäß § 1 werden mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu zehntausend Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft. Neben der Strafe kann auf Einziehung der Erzeugnisse erkannt werden, auf die sich die strafbare Handlung bezieht, ohne Unterschied, ob sie dem Täter gehören oder nicht. 8 3. Diese Verordnung tritt mit dem 1. November 1921 in Kraft.

115. Geseh, betr. Phosphorzündwaren v. 10. Mai 1903.

663

114. 7. Verordnung über die Abhaltung öffentlicher Bersteigerungen von Butter und sonstigen Milcherzeugniffen. Vom 26. September 1922. (RGBl I S. 757) Au,f Grund der Verordnung über Kriegsmaßnahmen zur Sickerung der Bolksernährung »»«

verordnet-

8 1 Tie Mhaltung öffentlicher Versteigerungen von Butter und sonstigen Milcherzeugnissen bedarf der Genehnrigung des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft. Die Genehmigung kann von der Einhaltung von Bedingungen abhängig gemacht werden Der Reichsminister für Ernäh­ rung und Landwirtschaft kann diese Befugnisse auf die obersten Landesbehörden oder auf die von diesen zu bestimmenden Stellen übertragen. Tie Vorschrift im Abs 1 findet keine Anwendung auf öffentliche Ver­ steigerungen, die zur Durchführung gesetzlicher Vorschriften erfolgen. 8 2. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis Zu hunderttausend Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer ohne die nach § 1 erforderliche Genehmigung eine Versteigerung abhält oder ab­ halten läßt oder wer den ihm für die Abhaltung der Versteigerung aus­ erlegten Bedingungen zuwiderhandelt. Neben der Strafe kann auf Einziehung der Erzeugnisse erkannt werden, auf die sich die strafbare Handlung bezieht, ohne Unterschied, ob sie dem Täter gehören oder nicht 8 3. Diese Verordnung tritt mit dem 1 Oktober 1922 in Kraft.

115.

8. Gesetz, betr. Phosphorzündwaren. Vom 10. Mai 1903. (RGBl. S. 217.)

8 1 Weißer oder gelber Phosphor darf zur Herstellung von Zündhöl­ zern utto anderen Zündwaren nicht verwendet werden. Zündwaren, die unter Verwendung von weißem oder gelbem Phosphor hergestellt sind, dürfen nicht gewerbsmäßig feisgehalten, verkauft oder sonst in Verkehr gebracht werden Zündwaren der bezeichneten Art dürfen zum Zwecke gewerblicher Ver­ wendung nicht in das Zollinland eingeführt werden. Tie vorstehenden Bestimmungen finden auf Zündbänder, die zur Ent­ zündung von Grubensicherheitslampen dienen, keine Anwendung. 8 .2. Wer den Vorschriften dieses Gesetzes vorsätzlich zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu zweitausend Mark bestraft. Ist die Handlung aus Fahrlässigkeit begangen worden, so tritt Geld­ strafe bis zu einhundertfünfzig Mark ein. Neben der Strafe ist auf Einziehung der verbotswidrig hergestellten, eingeführten oder in Verkehr gebrachten Gegenstände sowie bei verbots­ widriger Herstellung auf die Einziehung der dazu dienenden Gerätschaften zu erkennen, ohne Unterschied, ob sie den Verurteilten gehören oder nicht. Ist die Verfolgung oder die Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar, so ist auf die Einziehung selbständig zu erkennen. 8 3. Die Vorschriften des § 1 Abs. 2 treten am 1. Januar 1908, im übrigen tritt das Gesetz am 1. Januar 1907 in Kraft.

554

Erster Teil.

Strafgesetze.

116. 9. Bekanntmachung über den Verkehr mit Zündwarem Bom 16 Dezember 1916 (RGBl S 1393 )

Ter Bundesrat hat auf Grund des §, 3 des Gesetzes über die Ermäch­ tigung des Bundesrats zu wirtschaftlichen Maßnahmen usw vom 4 August 1914 (Reichs-Gesetzbl S 327) folgende Verordnung erlassen: 8 1. Ter Reichskanzler ist ermächtigt, den Verkehr mit Zündwaren aller Art zu regeln Er kann Borratserhebungen über Zündwaren und die zu ihrer Herstellung oder Verpackung erforderlichen Stoffe anordnen Er kann bestimmen, daß Zuwiderhandlungen gegen die auf Grund vor­ stehender Ermächtigung erlassenen Bestimmungen mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu zehntausend Mark bestraft werden, sowie daß neben der Strafe auf Einziehung der Gegenstände erkannt werden kann, auf die sich die strafbare Handlung bezieht, ohne Unterschied, ob sie dem Täter gehören oder nicht Preise, die der Reichskanzler auf Grund dieser Vorschrift festsetzt, sind Höchstpreise im Sinne des Gesetzes, betreffend Höchstpreise, vom 4 August 1914 in der Fassung der Bekanntmachung vom 17 Dezember 1914 (ReichsGesetzbl S 516) in Verbindung mit der Bekanntmachung vom 21. Januar [1915 (Reichs-Gesetzbl. S 25) und vom 23. März 1916 (Reichs-Gesetzbl. S. 183). 8 2. Tie Verordnung tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft Der Reichskanzler bestimmt den Zeitpunkt des Außerkrafttretens

117.10. Bekanntmachung, betreffend Ausführungsbestim­ mungen über den Verkehr mit Zündwaren. Bom 30 September 1919

(RGBl

S. 1779.)

Auf Grund des § 1 der Verordnung über den Verkehr mit Zündwaren vom 16. Dezember 1916 (Reichsgesetzbl. S. 1393) wird bestimmt: 8 1 Für den Verkehr mit Zündhölzern, die im Inland hergestellt sind, gelten die nachfolgend in den §.§ 2—5 enthaltenen Vorschriften 8 2. A Bei Abgabe durch den Hersteller an den Großhändler darf der Preis folgende Sätze nicht übersteigen (Fabrikpreis): I. 1. Für Sicherheitszündhölzer und überall entzündbare Zündhölzer in einer Länge bis zu 70 Millimeter in Schachteln zu je 60 Stück: für 1000 Pack zu je 10 Schachteln 1080,00 Mark 1/1 Kiste zu 1085,00 500 „ 2/2 „ „ je 1087,50 4/4 „ „ „ 250 „ 1090,00 „ 10/10 „ „ „„ 100 ,, , 2 für imprägnierte bunte Zündhölzer, die unter All genannten Satze mit einem Zuschlag von je 40,00 Mark; 3. für weiße oder bunte flache Zündhölzer in Schachteln zu mindestens je 50 Stück die unter All genannten Sätze mit einem Zuschlag von je 50,00 Mark; für Sicherheitszündhölzer und überall entzündbare weiße Zündhölzer in einer Länge bis zu 70 Millimeter 1. in Schachteln oder Koffern zu je 600 Stück für 1/1 Kiste zu 1000 Schachteln ioder Koffern 1070,00 Mark 2/2 1075,00 je 500 4/4 1077,50 „ 250 10/10 1080,00 „ 100

117. Bekanntm , bett. Verkehr mit Zündwaren v. 30. Sept. 1919.

555

2 in Schachteln oder Koffern zu je 480 Stück 1000 Schachteln oder Koffern 880,00 Mark für 1/1 Kiste zu ,, 2/2 885,00 je 500 4/4 250 887,50 890,00 10/10 100 ,, in Schachteln oder Koffern zu je 300 Stück für 1/1 Kiste zu 1000 Schachteln oder Koffern 550,00 Mark ,, ,, 555,00 2/2 je 500 ,, ,, 557,50 4/4 250 560,00 10/10 100 B. Beim Verkauf im Großhandel gelten die unter A genannten Fabrik­ preise, jedoch mit einem Zuschlag von je 70,00 Mark zu den unter A I und II 1 von je 56,00 Mark zu den unter II 2 und je 40,00 Mark zu den unter II 3 genannten Preisen. C. Beim Verkauf im Kleinhandel darf der Preis nicht übersteigen: für die unter All genannten Zündhölzer für das Pack zu 10 Schachteln ..... 130 Pfennig „ 2 Schachteln ........ 26 „ für die unter A I 2, 3 genannten Zündhölzer für das Pack zu 10 Schachteln 135 „ 2 Schachteln ....................... 27 „ für die unter A II 1 genannten Zündhölzer für die Schachtel oder den Koffer 130 „ für die unter A II 2 genannten Zündhölzer für die Schachtel oder den Koffer 110 für die unter A II 3 genannten Zündhölzer für die Schachtel oder den Koffer 70 Kleinhandel ist jeder Verkauf an den Verbraucher Jeder Hersteller ist verpflichtet, aus seiner Erzeugung mindestens 25 vom Hundert dem Großhandel zum Vertriebe zu überlassen. Bleiben seine Liefe­ rungen hinter diesem Satze zurück, so hat er für die Fehlmengen den Groß­ handelszuschlag an die unter § 5 letzter Absatz genannte Ausgleichskasse ab­ zuführen.

8 3. Die im.§ 2 bezeichneten Preise schließen beim Berkaus durch den Hersteller die Kosten d?r Beförderung bis zur Bahn- oder Wasserstation des Herstellers ein. Beim Verkauf durch den Großhandel schließen die Preise die Kosten der Beförderung bis zur Bahn- oder Wasserstation des Ortes der gewerblichen Niederlassung des Großhändlers oder, falls die Beförderung nicht auf dem Bahn- oder Wasserwege erfolgt, die Kosten der Beförderung in das Haus des Abnehmers ein Für die Verpackung dürfen Preiszuschläge nicht berechnet werden. Tie Preise gelten für versteuerte Ware 8 4. Soweit Hersteller unter Ausschaltung des Großhandels an den Kleinhandel liefern, finden die im § 2 unter B genannten Preise Anwendung. Der Verkauf von Mengen unter 1/10 Kiste durch den Hersteller ist verboten.

8 5. Die Hersteller inländischer Zündhölzer haben von den nach § 2 unter A festgesetzten Preisen sowie von den Preisen für Zündhölzer in Westen­ taschen- und Buchpackung eine Umlage zum Zwecke der Herbeiführung eines Preisausgleichs zwischen inländischen und ausländischen Zündhölzern zu ent­ richten. Ihre Höhe, Einziehung und Verwaltung regelt der Reichswirtschafts­ minister.

8 6. Andere Arten Zündhölzer als die imj § 2 genannten herzustellen, ist verboten, mit Ausnahme von Westentaschenhölzern, Buchhölzern (Platten­ hölzer) uno Sturmhölzern

556

Erster Teil.

Strafgesetze.

g .7. Der Preis für Zündhölzer, die im Ausland hergestellt und ins Inland eingeführt sind, darf folgende Sätze nicht übersteigen: a) Verkaufspreis an den Großhandel für 2/2 Kiste zu je 500 Pack zu 10 Schachteln . . . 1080,00 Mark, b) Verkaufspreis an den Kleinhändler für 2/2 Kiste zu je 500 Pack zu 10 Schachteln . . 1150,00 „ c) Verkaufspreis im Kleinhandel für das Paket zu 10 Schachteln ..... . 1,30 „ für 2 Schachteln ............................... 0,26 „ Kleinhandel ist jeder Verkauf an den Verbraucher g 8. Wer den Bestimmungen des § 4, des § 5 Abs. 1 und des § 6 zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu 6 Monaten oder mit Geldstrafe bis zu zehntausend Mark bestraft. Neben der Strafe kann auf Einziehung der Gegenstände, auf die sich die strafbare Handlung bezieht, erkannt werden, ohne Unterschied, ob sie dem Täter gehören oder nicht. g 9» Diese Bestimmungen treten an Stelle der Ausführungsbestimmungen über beit Verkehr mit inländischen Zündhölzern vom 16. Dezember 1916 (Reichs-Gesetzbl S. 1394) und der Bekanntmachungen vom 26. Februar 1917 (Reichs-Gesetzbl. S 182), 8. Oktober 1917 (Reichs-Gesetzbl S 894), 29. De­ zember 1917 (Reichs-Gesetzbl 1918 S. 2), 16. März 1919 (Reichs-Gesetzbl. S. 313) und vom 14 Juni 1919 (Reichs-Gesetzbl. S. 563), sowie der Verord­ nung über ausländische Zündhölzer vom 23. Januar 1919 (Reichs-Gesetzbl. S. 97) und vom 26. April 1919 (Reichs-Gesetzbl. S. 436). g 19. Die Bekanntmachung tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft.

118. 11. Bekanntmachung, betreffend Ausführungsbesttmmungen über den Verkehr mit Zündwaren und Ergänzung der Ausführungsbestimmungen vom 30. September 1919. Vom 22 Dezember 1919.

(RGBl. S. 2151.) Aus Grund des § 1 der Verordnung über den Verkehr mit Zündwaren vom 16. Dezember 1916 (Reichs-Gesetzbl. S. 1393) und des § 5 Abs. 2 der Bekanntmachung, betreffend Ausführungsbestimmungen über den Verkehr mit Zündwaren vom 30. September 1919 (Reichs-Gesetzbl. S. 1779) wird fol­ gendes bestimmt:

g 1. Die Zündholzindustrie-Gesellschaft m. b. H. in Berlin wird beauf­ tragt, für die gleichmäßige und ausreichende Versorgung des Inlandes mit inländischen und ausländischen Zündhölzern Sorge zu tragen.

g 2. Der Zündholzindustrie-Gesellschaft m b. H. wird ein Verwaltungs­ rat angegliedert. Dieser setzt sich zusammen aus 1. zwei Vertretern des Reichswirtschaftsministers, 2. einem Vertreter des Reichsministers der Finanzen, 3. einem Vertreter der Zündholzindustrie-Gesellschaft m. b. H., 4. einem Vertreter der Zündholzindustrie, 5. einem Vertreter des Zündholzimporthandels, 6. einem Vertreter der Verbraucher. Die Ernennung der zu Ziffer 1, 3 bis 6 bezeichneten Vertreter erfolgt durch den Reichswirtschaftsminister. Tie Vertreter zu 3 und 4 werden von dem Aufsichtsrate der Zündholzindustrie-Gesellschaft m. b. H., der Vertreter zu 5 von der Firma Trümmer

119. Gesetz, bete, die Schlachtvieh- u. Fleischbeschau v. 3. Juni 1900. § 1.

557

£ Successors, Hamburg, der Vertreter zu 6 aus dem Kreise der Arbeitnehmer von der Reichsarbeitsgemeinschaft, Fachgruppe Chemie-Berlin, vorgeschlagen. Ter Verwaltungsrat tritt unter Vorsitz eines Vertreters des Reichs­ wirtschaftsministers mindestens monatlich einmal zu einer Sitzung zusammen. Die Zündholzindustrie-Gesellschaft m b. H. hat ihm über Erzeugung, Ver­ teilung und Versorgung unter Berücksichtigung der Einfuhr Bericht zu er­ statten. Ten Sitzungen des Verwaltungsrats kann ein Mitglied des Vorstandes der Zündholzindustrie-Gesellschaft m b. H. als beratendes Mitglied beiwohnen. Der Verwaltungsrat gibt sich eine Geschäftsordnung, die der Geneh­ migung des Reichswirtschaftsministers unterliegt.

8 3. Ter Berwaltungsrat hat folgende Aufgaben: 1. der Zündholzindustrie-Gesellschaft m. b. H. für die Versorgung des In­ landes mit inländischen und ausländischen Zündhölzern Richtlinien zu erteilen, 2. die Höhe der einzuführenden Menge ausländischer Zündhölzer zu be­ stimmen, 3 Anordnungen über die Verwaltung und Verwertung der Ausgleichs­ kasse (§ 4 Abs. 1) zu treffen.

8 4. Mit den im 8 5 der Bekanntmachung, betreffend Ausführungs­ bestimmungen über den Verkehr mit Zündwaren, vom 30 September 1919 (Reichs-Gesetzbl. S. 1779) bezeichneten Umlagen wird eine Ausgleichskasse ge­ bildet. Tie Umlage wird mit Wirkung vom 1. Oktober 1919 auf 390 Mark für die Kiste zu 1000 Paketen zu 10 Schachteln zu 60 Hölzern festgesetzt 8 5. Tie Zündholzindustrie-Gesellschaft m b H. berechnet die Umlage und teilt sie dem Zahlungspflichtigen mit. Der Zahlungspflichtige hat den ihm zur Zahlung aufgegebenen Betrag binnen «zwei Wochen nach Empfang der Zahlungsaufforderung bei der Preußischen Staatsbank (Seehandlung) in Ber­ lin für Rechnung der Zündholzindustrie-Gesellschaft m. b. H. einzuzahlen. Rückständige Zahlungen werden auf Ersuchen des Reichswirtschafts­ ministers nach den für die Einziehung von Gemeindeabgaben geltenden Vor­ schriften beigetrieben Tie Zündholzindustrie-Gesellschaft mbH. 'darf über die Bestände der Ausgleichskasse (§ 4 Abs. 1) nur mit Genehmigung und nach den Weisungen des Verwaltungsrats verfügen 8 6. In jeder Verkaufsstelle, in der Zündhölzer verkauft werden, sind die festgesetzten Höchstpreise an einer sichtbaren Stelle zum Aushang zu bringen. 8 7. Zuwiderhandlungen gegen § 6 werden mit Geldstrafe bis zu dreitauseno Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft. § 8. Diese Bekanntmachung tritt mit dem Tage ihrer Verkündung in Kraft.

119. 12. Gesetz, betr. die Schlachtvieh- und Fleischbeschau. Vom 3. Juni

1900.

(RGBl. S 547.) 8 1. Rindvieh, Schweine, Schafe, Ziegen, Pferde und Hunde, deren Fleisch zum Genusse für Menschen verwendet werden soll, unterliegen vor und nach der Schlachtung einer amtlichen Untersuchung. Durch Beschluß des Bundesrats kann die Untersuchungspflicht auf anderes Schlachtvieh ausge­ dehnt werden Bei Notschlachtungen darf die Untersuchung vor der Schlachtung unter­ bleiben. Ter Fall der Notschlachtung liegt dann vor, wenn zu befürchten steht, daß das Tier bis zur Ankunft des zuständigen Beschauers verenden oder das

658

Erster Teil.

Strafgesetze.

Fleisch durch Verschlimmerung des krankhaften Zustandes wesentlich an Wert verlieren werde oder wenn das Tier in Folge eines Unglücksfalls sofort getötet werden muß. 8 2. Bei Schlachttieren, deren Fleisch ausschließlich im eigenen Haus­ halte des Besitzers verwendet werden soll, darf, sofern sie keine Merkmale einer die Genußtauglichkeit des Fleisches ausschließenden Erkrankung zeigen, die Untersuchung vor der Schlachtung und, sofern sich solche Merkmale auch bei der Schlachtung nicht ergeben, auch die Untersuchung nach der Schlachtung unter­ bleiben. Eine gewerbsmäßige Verwendung von Fleisch, bei welchem auf Grund des Abs. 1 die Untersuchung unterbleibt, ist verboten. Als eigener Haushalt im Sinne des Abs. 1 ist der Haushalt der Ka­ sernen, Krankenhäuser, Erziehungsanstalten, Speiseanstalten, Gefangenenanstal­ ten, Armenhäuser und ähnlicher Anstalten sowie der Haushalt der Schlächter, Fleischhändler, Gast-, Schank- und Speisewirtschaften nicht anzusehen. 8 3. Die Landesregierungen sind befugt, für Gegenden und Zeiten, in denen eine übertragbare Tierkrankheit herrscht, die Untersuchung aller der Seuche ausgesetzten Schlachttiere anzuordnen. 8 4. Fleisch im Sinne dieses Gesetzes sind Teile von warmblütigen Tieren, frisch oder zubereitct, sofern sie sich zum Genusse für Menschen eig­ nen. Als Teile gelten auch die aus warmblütigen Tieren hergestellten Fette und Würste, andere Erzeugnisse nur insoweit, als der Bundesrat dies anordnet. 8 5. Zur Vornahme der Untersuchungen sind Beschaubezirke zu bilden; für jeden derselben ist mindestens ein Beschauer sowie ein SteUvertreter zu bestellen. Die Bildung der Beschaubezirke und die Bestellung der Beschauer erfolgt durch die Landesbehörden. Für die in den Armeekonservenfabriken vorzuneh­ menden Untersuchungen können seitens der Militärverwaltung besondere Be­ schauer bestellt werden. Zu Beschauern sind approbierte Tierärzte oder andere Personen, welche genügende Kenntnisse nachgewiesen haben, zu bestellen. 8 6 Ergibt sich bei den Untersuchungen das Vorhandensein oder der Verdacht einer Krankheit, für welche die Anzeigepflicht besteht, so ist nach Maßgabe der hierüber geltenden Vorschriften zu verfahren. 8 7. Ergibt die Untersuchung des lebenden Tieres keinen Grund zur Be­ anstandung der Schlachtung, so hat der Beschauer sie unter Anordnung der etwa zu beobachtenden besonderen Vorsichtsmaßregeln zu genehmigen. Die Schlachtung des zur Untersuchung gesteUten Tieres darf nicht vor der Erteilung der Genehmigung und nur unter Einhaltung der angeordneten be­ sonderen Vorsichtsmaßregeln stattfinden. Erfolgt die Schlachtung nicht spätestens zwei Tage nach Erteilung der Genehmigung, so ist sie nur nach erneuter Untersuchung und Genehmigung zulässig. 8 8. Ergibt die Untersuchung nach der Schlachtung, daß kein Grund zur Beanstandung des Fleisches vorliegt, so hat der Beschauer es als taug­ lich zunl Genusse für Menschen zu erklären. Vor der Untersuchung dürfen Teile eines geschlachteten Tieres nicht be­ seitigt werden. 8 9. Ergibt die Untersuchung, daß das Fleisch zum Genusse für Men­ scher: untauglich ist, so hat der Beschauer es vorläufig zu beschlagnahmen, den Besitzer hiervon zu benachrichtigen und der Polizeibehörde sofort Anzeige zu erstatten. Fleisch, dessen Untauglichkeit sich bei der Untersuchung ergeben hat, darf als Nahrungs- oder Genußmittel für Menschen nicht in Verkehr gebracht werden. Die Verwendung des Fleisches zu anderen Zwecken kann von der Polizei­ behörde zugelassen werden, soweit gesundheitliche Bedenken nicht entgegen­ stehen. Die Polizeibehörde bestimmt, welche Sicherungsmaßregeln gegen eine Verwendung des Fleisches zum Genusse für Menschen zu treffen sind.

119. Ges., bett. d. Schlachtvieh-». Fleischbeschau v. 3. Juni 1900. §§ 2-12.

559

Das Fleisch darf nicht vor der polizeilichen Zulassung und nur unter Eiwhaltung der von der Polizeibehörde angeordneten Sicherungsmaßregeln in Verkehr gebracht werden Das Fleisch ist von der Polizeibehörde in unschädlicher Weise zu be­ seitigen, soweit seine Verwendung zu anderen Zwecken (Abs. 3) nicht zu­ gelassen wird. 8 10. Ergibt die Untersuchung, daß das Fleisch zum Genusse für Men­ schen nur bedingt tauglich ist, so hat der Beschauer es vorläufig zu beschlag­ nahmen, den Besitzer hiervon zu benachrichtigen und der Polizeibehörde sofort Anzeige zu erstatten. Die Polizeibehörde bestimmt, unter welchen Sicherungs­ maßregeln das Fleisch zum Genusse für Menschen brauchbar gemacht wer­ den kann. Fleisch, das bei der Untersuchung als nur bedingt tauglich erkannt wor­ den ist, darf als Nahrungs- und Genußmittel für Menschen nicht in Verkehr gebracht werden, bevor es unter den von der Polizeibehörde angeordneten Sicherungsmaßregeln zum Genusse für Menschen brauchbar gemacht worden ist Insoweit eine solche Brauchbarmachung unterbleibt, finden die Vorschrif­ ten deß § 9 Abs 3 bis 5 entsprechende Anwendung. 8 11. Der Vertrieb des zum Genusse für Menschen brauchbar ge­ machten Fleisches (§ 10 Abs 1) darf nur unter einer diese Beschaffenheit erkenn^ bar machenden Bezeichnung erfolgen. Fleischhändlern, Gast-, Schank- und Speisewirten ist der Vertrieb und die Verwendung solchen Fleisches nur mit Genehmigung der Polizeibehörde gestattet; die Genehmigung ist jederzeit widerruflich An die vorbezeichneten Gewerbebetreibenden darf derartiges Fleisch nur abgegeben werden, soweit ihnen eine solche Genehmigung erteilt worden ist In den Geschäftsräumen dieser Personen muß an einer in die Augen faltenden Stelle durch deutlichen Anschlag besonders erkennbar gemacht werden, daß Fleisch der im Abs 1 bezeichneten Beschaffenheit zum Vertrieb oder zur Verwendung kommt. Fleischhändler dürfen das Fleisch nicht in Räumen feilhalten oder ver­ kaufen, in welchen taugliches Fleisch (§ 8) feilgehalten oder verkauft wird 8 12. Die Einfuhr von Fleisch in luftdicht verschlossenen Büchsen oder ähnlichen Gefäßen, von Würsten und sonstigen Gemengen aus zerkleinertem Fleische in das Zollinland ist verboten Im übrigen gelten für die Einfuhr von Fleisch in das Zollinland bis zum 31 Dezember 1903 folgende Bedingungen: 1 Frisches Fleisch darf in das Zollinland nur in ganzen Tierkörpern, die bet Rindvieh, ausschließlich der Kälber, und bei Schweinen in Hälften zerlegt sein können, eingeführt werden Mit den Tierkörpern müssen Brust- und Bauchfell, Lunge, Herz, Nieren, bei Kühen auch das Euter in natürlichem Zusammenhänge ver­ bunden sein; der Bundesrat ist ermächtigt, diese Vorschrift auf weitere Organe auszudehnen. 2 Zubereitetes Fleisch darf nur eingeführt werden, wenn nach der Art seiner Gewinnung und Zubereitung Gefahren für die menschliche Ge­ sundheit erfahrungsgemäß ausgeschlossen sind oder die Unschädlichkeit für die menschliche Gesundheit in zuverlässiger Weise bei her Einfuhr sich feststellen läßt. Diese Feststellung gilt als unausführbar insbesondere bei Sendungen von Pökelfleisch, sofern das Gewicht einzelner Stücke we­ niger als vier Kilogramm beträgt; auf Schinken, Speck und Därme findet diese Vorschrift keine Anwendung. Fleisch, welches zwar einer Behandlung zum Zwecke seiner Haltbar­ machung unterzogen worden ist, aber die Eigenschaften frischen Fleischeim Wesentlichen behalten hat oder durch entsprechende Behandlung wie­ der gewinnen kann, ist als zubereitetes Fleisch nicht anzusehen, Fleisch solcher Art unterliegt den Bestimmungen in Ziffer 1. Für die Zeit nach dem 31 Dezember 1903 sind die Bedingungen für die Einfuhr von Fleisch gesetzlich von neuem zu regeln. Sollte eine Neu­ regelung bis zu dem bezeichneten Zeitpunkte nicht zu Stande kommen, so blei-

560

Erster Teil.

Strafgesetze.

ben die im Abs. 2 festgesetzten Einfuhrbedingungen bis auf Weiteres maß­ gebend. 8 13. Das in das Zollinland eingehende Fleisch unterliegt bei der Einfuhr einer amtlichen Untersuchung unter Mitwirkung der Zollbehörden. Ausgenommen hiervon ist das nachweislich im Jnlande bereits vorschrifts­ mäßig untersuchte und das zur unmittelbaren Durchfuhr bestimmte Fleisch. Die Einfuhr von Fleisch darf nur über bestimmte Zollämter erfolgen. Ter Bundesrat bezeichnet diese Ämter sowie diejenigen Zoll- und Steuer­ stellen, bei welchen die Untersuchung des Fleisches stattfinden kann. § 14. Auf Wildpret und Federvieh, ferner auf das zum Reiseverbrauche mitgeführte Fleisch finden die Bestimmungen der §§ 12 und 13 nur insoweit Anwendung, als der Bundesrat dies anordnet. Für das im kleinen Grenzverkehre sowie im Meß- und Marktverkehrs des Grenzbezirkes eingehende Fleisch können durch Anordnung der Landes­ regierungen Ausnahmen von den Bestimmungen der §§ 12 und 13 zuge­ lassen werden. 8 15 Der Bundesrat ist ermächtigt, weitergehende Einfuhrverbote und Einfuhrbeschränkungen, als in den §§ 12 und 13 vorgesehen sind, zu be­ schließen. 8 16 Die Vorschriften des § 8 9lbs 1 und der §§ 9 bis 11 gelten auch für das in das Zollinland eingehende Fleisch. An Stelle der unschädlichen Beseitigung des Fleisches oder an Stelle der polizeilicherseits anzuordnenden Sicherungsmaßregeln kann jedoch, insoweit gesundheitliche Bedenken nicht entgegenstehen, die Wiederausfuhr des Fleisches unter entsprechenden Vor­ sichtsmaßnahmen zugelassen werden 8 17 Fleisch, welches zwar nicht für den menschlichen Genuß bestimmt ist, aber dazu verwendet werden kann, darf zur Einfuhr ohne Untersuchung zugelassen werden, nachdem es zum Genusse für Menschen unbrauchbar gemacht ist. 8 18. Bei Pferden muß die Untersuchung (§ 1) durch approbierte Tier­ ärzte vorgenommen werden Der Vertrieb von Pferdefleisch sowie die Einfuhr solchen Fleisches in das Zollinland darf nur unter einer Bezeichnung erfolgen, welche in deutscher Sprache das Fleisch als Pferdefleisch erkennbar macht Fleischhändlern, Gast-, Schank- und Speisewirten ist der Vertrieb ünd die Verwendung von Pferdefleisch nur mit Genehmigung der Polizeibehörde gestattet; die Genehmigung ist jederzeit widerruflich An die vorbezeichneten Gewerbetreibenden darf Pferdefleisch nur abgegeben werden, soweit ihnen eine solche Genehmigung erteilt worden ist. In den Geschäftsräumen dieser Per­ sonen muß an einer in die Augen fallenden Stelle durch deutlichen Anschlag besonders erkennbar gemacht werden, daß Pferdefleisch zum Vertrieb oder zur Verwendung kommt Fleischhändler dürfen Pferdefleisch nicht in Räumen feilhalten oder ver­ kaufen, in welchen Fleisch von anderen Tieren feilgehalten oder verkauft wird Ter Bundesrat ist ermächtigt, anzuordnen, daß die vorstehenden Vor­ schriften auf Esel, Maulesel, Hunde und sonstige, seltener zur Schlachtung gelangende Tiere entsprechende Anwendung finden 8 19. Der Beschauer hat das Ergebnis der Untersuchung an dem Fleische kenntlich zu machen Das aus dem Ausland eingeführte Fleich ist außerdem als solches kenntlich zu machen Der Bundesrat bestimmt die Art der Kennzeichnung. 8 20. Fleisch, welches innerhalb des Reichs der amtlichen Untersuchung nach Maßgabe der §.§ 8 bis 16 unterlegen hat, darf einer abermaligen amt­ lichen Untersuchung nur zu dem Zwecke unterworfen werden, um festzustellen, ob das Fleisch inzwischen verdorben ist oder sonst eine gesundheitsschädliche Veränderung seiner Beschaffenheit erlitten hat. Landesrechtliche Vorschriften, nach denen für Gemeinden mit öffent­ lichen Schlachthäusern der Vertrieb frischen Fleisches Beschränkungen, ins­ besondere dem Beschauzwang innerhalb der Gemeinde unterworfen werden

119. Ges., betr. d. Schlachtvieh- u. Fleischbeschau v. 3. Juni 1900. §§ 13—27.

561

kann, bleiben mit der Maßgabe unberührt, daß ihre Anwendbarkeit nicht von der Herkunft des Fleisches abhängig gemacht werden darf. § 21. Bei der gewerbsmäßigen Zubereitung von Fleisch dürfen Stoffe oder Arten des Verfahrens, welche der Ware eine gesundheitsschädliche Be­ schaffenheit zu verleihen vermögen, nicht angewendet werden. Es ist verboten, derartig zubereitetes Fleisch aus dem Ausland einzuführen, feilzuhalten, zu verkaufen oder sonst in Verkehr zu bringen. Der Bundesrat bestimmt die Stoffe und die Arten des Verfahrens, auf welche diese Vorschriften Anwendung finden. Der Bundesrat ordnet an, inwieweit die Vorschriften des Abs. 1 auch auf bestimmte Stoffe und Arten des Verfahrens Anwendung finden, welche eine gesundheitsschädliche oder minderwertige Beschaffenheit der Ware zu verdecken geeignet sind. 8 22. Ter Bundesrat ist ermächtigt, 1. Vorschriften über den Nachweis genügender Kenntnisse der Fleisch­ beschauer zu erlassen, 2. Grundsätze aufzustellen, nach welchen die Schlachtvieh- und Fleisch­ beschau auszuführen und die weitere Behandlung des Schlachtviehs und Fleisches im Falle dec Beanstandung stattzufinden hat. 3. die zur Ausführung der Bestimmungen in dem § 12 erforderlichen An­ ordnungen zu treffen und die Gebühren für die Untersuchung des in das Zollinland eingehenden Fleisches festzusetzen. § 23. Wem die Kosten der amtlichen Untersuchung 1) zur Last fal­ len, regelt sich nach Landesrecht. Im Übrigen werden die zur Ausführung des Gesetzes erforderlichen Bestimmungen, insoweit nicht der Bundesrat für zuständig erklärt ist oder insoweit er von einer durch § 22 erteilten Er­ mächtigung keinen Gebrauch macht, von Den Landesregierungen erlassen. § 24. Landesrechtliche Vorschriften über die Trichinenschau und über Vertrieb und die Verwendung von Fleisch, welches zwar zum Genusse für Menschen tauglich, jedoch in seinem Nahrungs- und Genußwert erheblich herabgesetzt ist, ferner lanoesrechtliche Vorschriften, welche mit Bezug auf 1. die der Untersuchung zu unterwerfenden Tiere, 2. die Ausführung der Untersuchungen durch approbierte Tierärzte, 3. den Vertrieb beanstandeten Fleisches oder des Fleisches von Tieren der im § 18 bezeichneten Arten. weitergehende Verpflichtungen als dieses Gesetz begründen, sind mit der Maß­ gabe zulässia, daß ihre Anwendbarkeit nicht von der Herkunft des Schlacht­ viehs oder des Fleisches abhängig gemacht werden darf. 8 28. Inwieweit die Vorschriften dieses Gesetzes auf. das in die Zoll­ ausschlüsse eingeführte Fleisch Anwendung zu finden haben, bestimmt der Bundesrat. 8 26. Mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft: 1. wer wissentlich den Vorschriften des § 9 Abs. 2, 4, des § 10 Ws. 2, 3, des § 12 Abs. 1 oder des § 21 Ws. 1, 2 oder einem auf Grund des § 21 Ws. 3 ergangenen Verbote zuwiderhandelt; 2. wer wissentlich Fleisch, das den Vorschriften des § 12 Ws. 1 zuwider eingeführt oder auf Grund des § 17 zum Genusse für Menschen Un­ brauchbar gemacht worden ist, als Nahrungs- oder Genußmittel für Menschen in Verkehr bringt; 3. wer Kennzeichen der im § 19 vorgesehenen Art fälschlich anbringt oder verfälscht, oder wer wissentlich Fleisch, an welchem die Kennzeichen fälschlich angebracht, verfälscht oder beseitigt worden sind, feilhält oder verkauft. 8 27. Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzlg Mark oder mit Haft wird bestraft: 1. wer eine der int § 26 Nr. 1 und 2 bezeichneten Handlungen aus Fahr­ lässigkeit begeht; Ullfelb, Strafgesetzgebung. 3. Aufl.

562

Erster Teil.

Strafgesetze.

2 wer eine Schlachtung vornimmt, bevor das Tier der in diesem Ge­ setze vorgeschriebenen oder einer auf Grund 'des § 1 Abs 1 Satz 2, des § 3, des § 18 Abs 5 oder des § 24 ungeordneten Untersuchung unter­ worfen worden ist; 3 wer Fleisch in Verkehr bringt, bevor es der in diesem Gesetze porgeschriebenen oder einer auf Grund des § 1 Abs 1 Satz 2, des § 3, des § 14 Abs. 1, des § 18 Abs. 5 oder des § 24 angeordneten Unter­ suchung unterworfen worden ist; 4 wer den Vorschriften des § 2 Abs 2, des § 7 Abs 2, 3, des § 8 Abs. 2, des § 11, des § 12 Abs 2, des § 13 Abs. 2 oder des § 18 Abs. 2 bis 4, ingleichen wer den auf Grund des § 15 oder des § 18 Abs. 5 erlassenen Anordnungen oder den auf Grund des § 24 er­ gehenden landesrechtlichen Vorschriften über den Vertrieb und die Ver­ wendung von Fleisch zuwiderhandelt 8 28. In den Fällen der ß 26 Nr 1 und 2 und des § 27 Nr 1 ist neben der Strafe auf die Einziehung des Fleisches zu erkennen In den Fällen des Z 26 Nr 3 und des § 27 Nr 2 bis 4 kann neben der Strafe auf die Einziehung des Fleisches oder des Tieres erkannt werden. Für die Einziehung ist es ohne Bedeutung, ob der Gegenstand dem Verurteilten gehört oder nicht Ist die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar, so kann auf die Einziehung selbständig erkannt werden. 8 29. Die Vorschriften des Gesetzes, betreffend den Verkehr mit Nah­ rungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen, vom 11 Mai 1879 (Reichs-Gesetzbl S. 145) bleiben unberührt. Die Vorschriften des § 16 des bezeichneten Gesetzes finden auch auf Zuwiderhandlungen gegen die Vor­ schriften des gegenwärtigen Gesetzes Anwendung. 8 39. Diejenigen Vorschriften dieses Gesetzes, welche sich auf die Her­ stellung der zur Durchführung der Schlachtvieh- und Fleischbeschau erforder­ lichen Einrichtungen beziehen, treten mit dem Tage der Verkündigung dieses Gesetzes in Kraft. Im Übrigen wird der Zeitpunkt, mit welchem das Gesetz ganz oder teilweise in Kraft tritt, durch Kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats bestimmt).

13. Weingesetz.

120.

Vom 7

April 1909

(RGBl S. 393.) In

der

Fassung

des Gesetzes v. (RGBl. S 107.)

1

Febr

1923.

8 1.

Wein ist das durch alkoholische Gärung aus dem Safte der Weintraube hergestellte Getränke 8 2. Es ist gestattet, Wein aus Erzeugnissen verschiedener Herkunft oder Jahre herzustellen (Verschnitt) Dessertwein (Süd-, Süßwein) darf jedoch zum Verschneiden von weißem Weine anderer Art nicht verwendet werden. 8 3. Dem aus inländischen Trauben gewonnenen Traubenmost oder Weine, bei Herstellung von Rotwein auch der vollen Traubenmaische, darf Zucker, auch in reinem Wasser gelöst, zugesetzt werden, um einem natürlichen Mangel an Zucker beziehungsweise Alkohol oder einem Übermaß an Säure insoweit abzuhelfen, als es der Beschaffenheit des aus Trauben gleicher Art und Herkunft in guten Jahrgängen ohne Zusatz gewonnenen Erzeugnisses frischen

x) Als dieser Zeitpunkt wurde durch Kais. BO S 241) der 1 April 1903 bestimmt

v. 7. Juli 1902 (RGBl.

120. Weingesetz vom 7. April 1909.

§§ 1—8.

563

entspricht. Ter Zusatz an Zuckerwasser darf jedoch in keinem Falle mehr als ein Fünftel der gesamten Flüssigkeit betragen Tie Zuckerung darf nur in der Zeit vom Beginne der Weinlese bis zum 31 Tez. des Jahres vorgenommen werden; sie darf in der Zeit vom 1. Okt. bis 31. Dez. bei ungezuckerten Weinen früherer Jahrgänge nach­ geholt werden Tie Zuckerung darf nur innerhalb der am Weinbaue beteiligten Ge­ biete des Teutschen Reiches vorgenommen werden Tie Absicht, Traubenmaische, Most oder Wein zu zuckern, ist der zu­ ständigen Behörde anzuzeigen Aus die Herstellung von Wein zur Schaumweinbereitung in den Schaum­ weinfabriken finden die Vorschriften der Abs 2, 3 keine Anwendung. In allen Fällen darf zur Weinbereitung nur technisch reiner nicht färbender Rüben-, Rohr-, Jnvert- oder Stärkezucker verwendet werden. 8 4. Unbeschadet der Vorschriften des § 3 dürfen Stoffe irgendwelcher Art dem Weine bei der Kellerbehandlung nur insoweit zugesetzt werden, als diese es erfordert Ter Bundesrat ist ermächtigt, zu bestimmen, welche Stoffe verwendet werden dürfen, und Vorschriften über die Verwendung zu erlassen Tie Kellerbehandlung umfaßt die nach Gewinnung der Trauben auf die Herstellung, Erhaltung und Zurichtung des Weines bis zur Abgabe an den Verbraucher gerichtete Tätigkeit. Versuche, die mit Genehmigung der zuständigen Behörde angestellt werden, unterliegen diesen Beschränkungen nicht. 8 5. Es ist verboten, gezuckerten Wein unter einer Bezeichnung feil­ zuhalten oder zu verkaufen, die auf Reinheit des Weines oder aus besondere Sorgfalt bei der Gewinnung der Trauben deutet; auch ist es verboten, in der Benennung anzugeben oder anzudeuten, daß der Wein Wachstum eines bestimmten Weinbergsbesitzers sei. Wer Wein gewerbsmäßig in Verkehr bringt, ist verpflichtet, dem Ab­ nehmer auf Verlangen vor der Übergabe mitzuteilen, ob der Wein gezuckert ist, uno sich beim Erwerbe von Wein die zur Erteilung dieser Auskunft erforderliche Kenntnis zu sichern 8 6. Im gewerbsmäßigen Verkehre mit Wein dürfen geographische Bezeichnungen nur zur Kennzeichnung der Herkunft verwendet werden Tie Vorschriften des § 16 Abs. 2 des Gesetzes zum Schutze der Waren­ bezeichnungen vom 12. Mai 1894 (Reichs-Gesetzbl. S. 441) und des § 1 Abs. 3 des Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes vom 27. Mar 1896 (Reichs-Gesetzbl. S. 145) finden auf die Benennung von Wein keine Anwendung. Gestattet bleibt jedoch, die Namen einzelner Gemarkungen oder Weinbergslagen, die mehr als einer Gemarkung angehören, zu be­ nutzen, um gleichartige und gleichwertige Erzeugnisse benachbarter oder nahe­ gelegener Gemarkungen oder Lagen zu bezeichnen 8 7. Ein Verschnitt aus Erzeugnissen verschiedener Herkunft darf nur dann nach einem der Anteile allein benannt werden, wenn dieser in der Gesamtmenge überwiegt und die Art bestimmt; dabei findet die Vorschrift des tz 6 Abs. 2 Satz 2 Anwendung. Die Angabe einer Weinbergslage ist jedoch, von dem Falle des § 6 Abs. 2 Satz 2 abgesehen, nur dann zu­ lässig, wenn der aus der betretenden Lage stammende Anteil nicht gezuckert ist Es ist verboten, in der Benennung anzugeben oder anzudeuten, daß der Wein Wachstum eines bestimmten Weinbergsbesitzers sei Die Beschränkungen der Bezeichnung treffen nicht den Verschnitt durch Bermischunq von Trauben oder Traubenmost mit Trauben oder Trauben­ most gleichen Wertes derselben oder einer benachbarten Gemarkung und den Ersatz Der Abgänge, die sich aus der Pflege des im Fasse lagernden Weines ergeben § 7 a* § 6 Abs. 2 Satz 2 und § 7 gelten nicht für die Verwendung von französischen und portugiesischen geographischen Bezeichnungen 8 8. Ein Gemisch von Weißwein und Rotwein darf, wenn es als Rot­ wein in den Verkehr gebracht wird, nur unter einer die Mischung kenn­ zeichnenden Bezeichnung feilgehalten oder verkauft werden.

564

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 V. Es ist verboten, Wein nachzumachen 8 IO. Unter bas Verbot des § 9 füllt nicht die Herstellung von dem Weine ähnlichen Getränken aus Fruchtsäften, Pflanzensäften oder Malz­ auszügen. Ter Bundesrat ist ermächtigt, die Verwendung bestimmter Stoffe bei der Herstellung solcher Getränke zu beschränken oder zu untersagen. Tie im Abs. 1 bezeichneten Getränke dürfen im Verkehr als Wein nur in solchen Wortverbindungen bezeichnet werden, welche die Stoffe kenn­ zeichnen, aus denen sie hergestellt sind 8 11. Auf die Herstellung von Haustrunk aus Traubenmaische, Trauben­ most, Rückständen der Weinbereitung oder aus getrockneten Weinbeeren finden die Vorschriften des § 2 Satz 2 und der §§ 3, 9 keine Anwendung. Tie Vorschriften des § 4 finden aus die Herstellung von Haustrunk entsprechende Anwendung. Wer Wein gewerbsmäßig in Verkehr bringt, ist verpflichtet, der zu­ ständigen Behörde die Herstellung von Haustrunk unter Angabe der her­ zustellenden Menge und der zur Verarbeitung bestimmten Stoffe anzuzeigen; die Herstellung kann durch Anordnung der zuständigen Behörde beschränkt oder unter besondere Aufsicht gestellt werden Tie als Haustrunk hergestellten Getränke dürfen nur im eigenen Haus­ halte des Herstellers verwendet oder ohne besonderen Entgelt an die in seinem Betriebe beschäftigten Personen zum eigenen Verbrauch abgegeben werden. Bei Auflösung des Haushalts oder Aufgabe des Betriebs kann die zuständige Behörde die Veräußerung des etwa vorhandenen Vorrats von Haustrunk gestatten § 12. Die Vorschriften der §.§ 2, 4 bis 9 finden aus Traubenmost, die Vorschriften der §§ 4 bis 9 auf Traubenmaische Anwendung 8 13. Getränke, die den Vorschriften der §§ 2, 3, 4, 9, 10 zuwider hergestellt oder behandelt worden sind, ferner Traubenmaische, die einen nach den Bestimmungen des § 3 Abs. 1 oder des § 4 nicht zulässigen Zusatz erhalten hat, dürfen, vorbehaltlich der Bestimmungen des § 15, nicht in den Verkehr gebracht werden. Ties gilt auch für ausländische Erzeugnisse, die den Vorschriften des § 3 Abs. 1 und der §§ 4, 9, 10 nicht entsprechen; der Bundesrat ist ermächtigt, hinsichtlich der Vorschriften des § 4 uno des § 10 Abs. 2 Ausnahmen für Getränke und Traubenmaische zu bewilligen, die den im Ursprungslande geltenden Vorschriften entsprechend hergestellt sind. 8 14. Die Einfuhr von Getränken, die nach § 13 vom Verkehr aus­ geschlossen sind, ferner von Traubenmaische, die einen yach den Bestim­ mungen des § 3 Abs. 1 oder des § 4 nicht zulässigen Zusatz erhalten hat^ ist verboten. Ter Bundesrat erläßt die Vorschriften zur Sicherung der Einhaltung des Verbots; er ist ermächtigt, die Einfuhr von Traubenmaische, Trauben­ most oder Wein zu verbieten, die den am Orte der Herstellung geltenden Vorschriften zuwider hergestellt oder behandelt worden sind. 8 15. Getränke, die nach § 13 vom Verkehr ausgeschlossen sind, dürfen zur Herstellung von weinhaltigen Getränken, Schaumwein oder Weinbrand nicht verwendet werden. Zu anderen Zwecken "darf die Verwendung -rur mit Genehmigung der zuständigen Behörde erfolgen. 8 16. Die Reichsregierung kann mit Zustimmung des Reichsrats die Verwendung bestimmter Stoffe bei der Herstellung von weinhaltigen Ge­ tränken, Schaumwein, dem Schaumwein ähnlichen Getränken, Weinbrand und Weinbrandverschnitt beschränken oder untersagen sowie bestimmen, welche Stoffe bei der Herstellung solcher Getränke Verwendung finden dürfen, und Vorschriften über die Verwendung erlassen. 8 17. Schaumwein, der gewerbsmäßig verkauft oder feilgehalten wird, muß eine Bezeichnung tragen, die das Land erkennbar macht, wo er auf Flaschen gefüllt worden ist; bei Schaumwein, dessen 'Kohlensäuregehalt ganz oder teilweise auf einem Zusatz fertiger Kohlensäure beruht, muß die Be-

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§§ 9—19.

565

Zeichnung die Herstellungsart ersehen lassen. Dem Schaumwein ähnliche Getränke müssen eine Bezeichnung tragen, welche erkennen läßt, welche dem Weine ähnlichen Getränke zu ihrer Herstellung verwendet worden sind. Die näheren Vorschriften trifft der Bundesrat. Die vom Bundesrate vorgeschriebenen Bezeichnungen sind auch in die Preislisten und Weinkarten sowie in die sonstigen im geschäftlichen Verkehr üblichen Angebote mit aufzunehmen 8 18. Trinkbranntwein, dessen Mohol ausschließlich aus Wein ge­ wonnen und der nach Art des Kognaks hergestellt ist, darf im geschäftlichen Verkehr als Weinbrand bezeichnet werden Trinkbranntwein, der neben Weinbrand Alkohol anderer Art enthält, darf als Weinbrandverschnitt be­ zeichnet werden, wenn mindestens ein Zehntel des Alkohols aus Weinbrand stammt. Andere Getränke und Grundstoffe zu solchen dürfen nicht als Weinbrano oder mit einer das Wort Weinbrand enthaltenden Wortverbindung oder Wortzusammensetzung bezeichnet werden, auch darf das Wort Wein­ brand kein Bestandteil anderer Angaben der Flaschenaufschrift sein. Weinbrand und Weinbrandverschnitt dürfen nur mit den für den Verkehr innerhalb des Ursprungslandes vorgeschriebenen Begleitscheinen in das Teutsche Reich eingeführt werden Weinbrand, der nach französischem Rechte die Bezeichnung Cognac tragen darf und in trinkfertigem Zustand, entweder in Frankreich oder unter deutscher Zollaufsicht auf Flaschen gefüllt, mit den für den Ver­ kehr innerhalb des Ursprungslandes vorgeschriebenen Begleitscheinen zur Ein­ fuhr gelangt und unverändert geblieben ist, darf als Kognak (Cognac) bezeichnet werden Andere Getränke und Grundstoffe zu solchen dürfen nicht als Kognak (Cognac) oder mit einer das Wort Kognak (Cognac) enthaltenden Wortverbindung oder Wortzusammensetzung bezeichnet werden, auch darf das Wort Kognak (Cognac) kein Bestandteil anderer Angaben der Flaschen­ aufschrift sein Tie Anwendung der im Abs. 1, 3 enthaltenen Vorschriften wird auch durch Abweichungen nicht ausgeschlossen, wenn trotz dieser Abweichungen die Gefahr einer Verwechslung besteht. Weinbrand und Weinbrandverschnitt müssen in 100 Raumteilen min­ destens 38 Raumteile Alkohol enthalten Trinkbranntwein, der in Flaschen oder ähnlichen Gefäßen unter der Bezeichnung Kognak, Weinbrand oder Weinbrandverschnitt gewerbsmäßig ver­ kauft oder feilgehalten wird, muß zugleich eine Bezeichnung tragen, welche das Land erkennbar macht, in dem er für den Verbrauch fertiggestellt wor­ den ist. Tie näheren Vorschriften erläßt die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats Tie von der Reichsregierung vorgeschriebenen Bezeichnungen sind auch in die Preislisten und Weinkarten sowie in die sonstigen im geschäftlichen Ver­ kehr üblichen Angebote mitaufzunehmen. 8 19. Wer Trauben zur Weinbereitung, Traubenmaische, Traubenmost oder Wein gewerbsmäßig in Verkehr bringt oder gewerbsmäßig Wein zu Ge­ tränken weiter verbreitet, ist verpflichtet, Bücher zu führen, aus denen zu ersehen ist: 1. welche Weinbergsflächen er abgeerntet hat, welche Mengen von Trauben­ maische, Traubenmost oder Wein er aus eigenem Gewächse gewonnen oder von anderen bezogen und welche Mengen er an andere abgegeben oder welche Geschäfte über solche Stoffe er vermittelt hat; 2 welche Mengen von Zucker oder von anderen für die Kellerbehandlung des Weines (§ 4) oder zur Herstellung von Haustrunk (§ 11) bestimmten Stoffen er bezogen und welchen Gebrauch er von diesen Stoffen zum Zuckern (Z 3) oder zur Herstellung von Haustrunk gemacht hat; 3. welche Mengen der im § 10 bezeichneten dem Weine ähnlichen Getränke er aus eigenem Gewächse gewonnen oder von anderen bezogen und welche Mengen er an andere abgegeben oder welche Geschäfte über solche Stoffe er vermittelt hat.

566

Erster Teil.

Strafgesetze.

Tic Zeit des Geschäftsabschlusses, die Namen der Lieferanten und, soweit es sich um Abgabe im Fasse oder in Mengen von mehr als einem Hektoliter im einzelnen Falle handelt, auch dec Abnehmer, sind in den Büchern einzu­ tragen. Tie Bücher sind nebst den auf die einzutragenden Geschäfte bezüglichen Geschäftspapieren bis zum Ablaufe von fünf Jahren nach der letzten Mntragung aufzubewahren Tic näheren Bestimmungen über die Einrichtung und die Führung der Bücher trifft der Bundesrat; er bestimmt, in welcher Weise und innerhalb wel­ cher Frist die bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes vorhandenen Bestände in den Büchern vorzutragen sind 8 20. Werden in einem Raume, in dem Wein zum Zwecke des Ver­ kaufs hergestellt oder gelagert wird, in Gefäßen, wie sie zur Herstellung oder Lagerung von Wein verwendet werden, Haustrunk (§ 11) oder andere Getränke als Wein oder Traubenmost verwahrt, so müssen diese Gefäße mit einer deut­ lichen Bezeichnung des Inhalts an einer in die Augen fallenden Stelle Per­ sehen sein Bei Flaschenlagerung genügt die Bezeichnung der Stapel. Personen, die wegen Verfehlungen gegen dieses Gesetz wiederholt oder zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden sind, kann die Verwahrung anderer Stoffe als Wein oder Traubenmost in solchen Räumen durch die zuständige Polizeibehörde untersagt werden 8 21. Tie Beobachtung der Vorschriften dieses Gesetzes ist durch die mit der Handhabung der Nahrungsmittelpolizei betrauten Behörden und Sach­ verständigen zu überwachen Zur Unterstützung dieser Behörden sind für alle Teile des Reiche Sach­ verständige im Hauptberufe zu bestellen 8 22. Tie zuständigen Beamten und Sachverständigen (§ 21) sind be­ fugt, außerhalb der Nachtzeit und, falls Tatsachen vorliegen, welche annehmen lassen, daß zur Nachtzeit gearbeitet wird, auch während dieser Zeit, in Räume, in denen Traubenmost, Wein oder dem Weine ähnliche Getränke hergestellt, verarbeitet, feilgehalten oder verpackt werden, und bei gewerbsmäßigem Be­ trieb auch in die zugehörigen Lager- und Geschäftsräume, ebenso in die Ge­ schäftsräume von Personen, die gewerbsmäßig Geschäfte über Traubenmaische, Traubenmost, Wein, Schaumwein, weinhaltige, dem Weine ähnliche Ge­ tränke oder Weinbrand vermitteln, einzutreten, daselbst Besichtigungen vorzu­ nehmen, geschäftliche Aufzeichnungen, Frachtbriefe und Bücher einzusehen, auch nach ihrer Auswahl Proben zum Zwecke der Untersuchung zu fordern oder selbst zu entnehmen Über die Probenahme ist eine Empfangsbescheinigung zu er­ teilen. Ein Teil der Probe ist amtlich verschlossen oder versiegelt zurück­ zulassen Auf Verlangen ist für die entnommene Probe eine angemessene Ent­ schädigung zu leisten. Tie Nachtzeit umfaßt in dem Zeitraume vom 1. April bis 30 September die Stunden von 9 Uhr abends bis 4 Uhr morgens und in dem Zeitraume vom 1 Oktober bis 31 März die Stunden von 9 Uhr abend-s bis 6 Uhr morgens 8 23. Tie Inhaber der im § 22 bezeichneten Räume sowie Sie von ihnen bestellten Betriebsleiter und Aufsichtspersonen sind verpflichtet, den zu­ ständigen Beamten und Sachverständigen auf Erfordern diese Räume zu be­ zeichnen, sie bei deren Besichtigung zu begleiten oder durch mit dem Betriebe vertraute Personen begleiten zu lassen und ihnen Auskunft über das Ver­ fahren bei Herstellung der Erzeugnisse, über den Umfang des Betriebs, über die zur Verwendung gelangenden Stoffe, insbesondere auch über deren Menge und Herkunft, zu erteilen sowie die geschäftlichen Aufzeichnungen, Frachtbriefe und Bücher vorzulegen Personen, die gewerbsmäßig Geschäfte über Traubenmaische, Traubenmost, Wein, Schaumwein, weinhaltige oder dem Weine ähnliche Getränke vermitteln, sind verpflichtet, Auskunft über die von ihnen vermittelten Geschäfte zu erteilen sowie die geschäftlichen Aufzeichnungen und Bücher vorzulegen Die Erteilung von Auskunft kann jedoch verweigert

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§§ 20—27.

567

werden, soweit derjenige, von welchem sie verlangt wird, sich selbst oder einem der int § 51 Nr 1 bis 3 her Strafprozeßordnung bezeichneten Angehörigen die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung zuziehen würde 8 24. Die Sachverständigen sind, vorbehaltlich der Anzeige von Gesetz­ widrigkeiten, verpflichtet, über die Einrichtungen und Geschäftsverhättnisse, welche durch die Aufsicht zu ihrer Kenntnis kommen, Verschwiegenheit zu beobachten und sich der Mitteilung und Verwertung der Geschäfts- oder Be­ triebsgeheimnisse zu enthalten Sie sind hierauf zu beeidigen. 8 25. Der Vollzug des Gesetzes liegt den Landesregierungen ob. Der Bundesrat stellt die zur Sicherung der Einheitlichkeit des Vollzugs erforderlichen Grundsätze, insbesondere für die Bestellung von geeigneten Sach­ verständigen und die Gewährleistung ihrer Unabhängigkeit fest Er ist ermäch­ tigt, Vorschriften für die jährliche Feststellung der Traubenernte sowie über Zeitpunkt, Form und Inhalt der nach § 3 Abs 4 vorgeschriebenen Anzeige zu erlassen. Die weiter erforderlichen Vorschriften zur Sicherung des Vollzugs wer­ den durch die Landeszentralbehörden oder die von diesen ermächtigten Landes­ behörden erlassen Die Landeszentralbehörden sind außerdem ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Reichskanzler die Grenzen der am Weinbaue beteiligten Gebiete zu bestimmen (§ 3 Abs 3) Der Reichskanzler hat die Ausführung des Gesetzes zu überwachen und insbesondere auf Gleichmäßigkeit der Handhabung hinzuwirken 8 26. Mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft: 1 wer vorsätzlich den Vorschriften des § 2 Satz 2, des § 3 Abs. 1—3, 5, 6, der §§ 4, 9, des § 11 Abs 4, der §§ 13, 15 oder den gemäß § 12 für die Herstellung und Behandlung von Traubenmost oder Trauben­ maische geltenden Vorschriften oder den auf Grund des § 4 (916f. 1 Satz 2, des § 10 Abs. 2, des § 11 Abs 2 oder des § 16 vom Bundesrat er­ lassenen Vorschriften zuwiderhandelt; 2. wer wissentlich unrichtige Eintragungen in die nach § 19 zu führenden Bücher macht oder die nach Maßgabe des § 23 von ihm geforderte Aus­ kunft wissentlich unrichtig erteilt, desgleichen wer vorsätzlich Bücher oder Geschäftspapiere, welche nach § 19 Abs 3 aufzubewahren sind, vor Ab­ lauf der dort bestimmten Frist vernichtet oder beiseite schafft; 3 Wer Stoffe, deren Verwendung bei der Herstellung, Behandlung oder Verarbeitung von Wein, Schaumwein, Weinbrano, Weinbrandverschnitt, weinhaltigen, weinähnlichen oder schaumweinähnlichen Getränken un­ zulässig ist, zu diesen Zwecken ankündigt, feilhält, verkauft oder an sich bringt, desgleichen wer einen diesen Zwecken dienenden Berkaus solcher Stoffe vermittelt Stellt sich nach den Umständen, insbesondere nach dem Umfange der Ver­ fehlungen oder nach der Beschaffenheit der in Betracht kommenden Stoffe, der Fall als ein schwerer dar, so tritt Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren ein, neben der auf Geldstrafe bis zu zwanzigtausend Mark erkannt wer­ den kann Auf die im Abs 2 vorgesehene Strafe ist auch dann zu erkennen, wenn der Täter zur Zeit der Strafe bereits wegen einer der im Abs. 1 mit Strafe bedrohten Handlungen bestraft ist Diese Bestimmung findet Anwendung, auch wenn die frühere Strafe nur teilweise verbüßt oder ganz oder teilweise erlassen ist, bleibt jedoch ausgeschlossen, wenn seit der Verbüßung oder dem Erlasse des letzten Strafe bis zur Begehung der neuen Straftat drei Jahre ver­ flossen sind. In den Fällen des Abs 1 Nr 1 wird auch der Versuch bestraft. 8 27. Mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten wird bestraft, wer den Vorschriften des § 24 zuwider Verschwiegenheit nicht beobachtet, oder der Mitteilung oder Verwer­ tung von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen sich nicht enthält Tie Verfolgung tritt nur auf Antrag des Unternehmers ein.

568

Erster Teil.

Strafgesetze.

§ 28. Mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Haft bis zu sechs Wochen wird bestraft, wer vorsätzlich oder fahrlässig 1 den Vorschriften des § 5 Abs 1, des § 7 Abs. 2, des § 8, des § 10 Abs 3, des § 17 oder des § 18 zuwiderhandelt; 2 den Vorschriften des § 6 oder des §, 7 Abs. 1 zuwider bei der Be­ nennung von Wein eine der Herkunft nicht entsprechende geographische Bezeichnung verwendet; 3 (aufgehoben ) 4 außer den Fällen des § 26 Nr. 2 den Vorschriften über die nach § 19 zu führenden Bücher zuwiderhandelt 8 29. Der im § 28 bestimmten Strafe unterliegt ferner: 1 wer vorsätzlich die nach Maßgabe des § 5 Abs 2 zu erteilende Aus­ kunft nicht oder unrichtig erteilt; 2 wer vorsätzlich die nach § 3 Abs 4 und nach § 11 Abs 3 vorgeschriebe­ nen Anzeigen nicht erstattet oder den auf Grund des § 11 Abs 3 erlasse­ nen Anordnungen zuwiderhandelt; 3 wer vorsätzlich es unterläßt, an Gefäßen oder Flaschenstapeln die nach § 20 Abs 1, 2 vorgeschriebenen Bezeichnungen anzubringen, oder einem auf Grund des § 20 Abs. 3 ergangenen Verbote zuwiderhandelt; 4 wer vorsätzlich den von den Landeszentralbehörden oder den von diesen ermächtigten Landesbehörden auf Grund des § 25 Abs 3 erlassenen Vor­ schriften zuwiderhandelt; 5 wer den Vorschriften der §§ 22, 23 zuwider das Betreten oder die Be­ sichtigung von Räumen, die Begleitung der Beamten oder Sachverstän­ digen bei der Besichtigung der Räume, die Vorlegung oder die Durch­ sicht von Geschäftsbüchern oder -papieren, die Abgabe oder die Ent­ nahme von Proben verweigert, desgleichen wer die von ihm geforderte Auskunft nicht oder aus Fahrlässigkeit unrichtig erteilt; 6. wer eine der im § 26 Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Handlungen aus Fahr­ lässigkeit begeht 8 30. Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft wird bestraft, wer eine der im K 29 Nr 1 bis 4 bezeichneten Handlungen aus Fahrlässigkeit begeht. 8 31. In den Fällen des § 26 Abs. 1 Nr. 1 ist neben der Strafe auf Einziehung der Getränke oder Stoffe zu erkennen, welche den dort bezeich­ neten Vorschriften zuwider hergestellt, eingeführt oder in den Verkehr gebracht worden sind, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht; auch kann die Vernichtung ausgesprochen werden. In den Fällen des § 28 Nr. 1, 2 und des § 29 Nr. 6 kann auf Einziehung oder Vernichtung erkannt werden. In den Fällen des § 26 Abs. 1 Nr. 3 ist neben der Strafe auf Ein­ ziehung oder Vernichtung der Stoffe zu erkennen, die zum Zwecke der Begehung einer nach den Vorschriften dieses Gesetzes strafbaren Handlung bereit ge­ halten werden. Tie Vorschriften des Abs. 1, 2 finden auch dann Anwendung, wenn die Strafe gemäß 8 73 des Strafgesetzbuchs aus Grund eines anderen Ge­ setzes zu bestimmen ist. Ist die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht aus­ führbar, so kann auf die Einziehung selbständig erkannt werden. 8 32. Die Vorschriften anderer die Herstellung und den Vertrieb von Wein treffender Gesetze, insbesondere des Gesetzes, betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln uno Gebrauchsgegenständen, vom 14. Mai 1879 (Reichs-Gesetzbl S. 145), des Gesetzes zum Schutze der Warenbezeich­ nungen vom 12. Mai 1894 (Reichs-Gesetzbl. S. 441) und des Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes vom 27. Mai 1896 (Reichs-Ge­ setzbl. S. 145) bleiben unberührt, soweit nicht die Vorschriften dieses Ge­ setzes entgegenstehen. Die Vorschriften der §§ 16, 17 des Gesetzes vom 14. Mai 1879 finden auch bei Strafverfolgungen auf Grund der Vorschriften dieses Ge­ setzes Anwendung. Durch die Landesregierungen kann jedoch bestimmt werden, daß die auf Grund dieses Gesetzes auferlegten Geldstrafen in erster Linie zur

122. BO. über die Schädlingsbekämpfung

usw.

v. 29. Januar 1919.

569

Deckung der Kosten zu verwenden sind, die durch Bestellung von Sachver­ ständigen auf Grund des § 21 dieses Gesetzes entstehen. Die Verwendung erfolgt in diesem Falle durch die mit dem Vollzüge des Gesetzes betrauten Landeszentralbehörden, durch welche die etwa verbleibenden Überschüsse auf die nach § 17 des Gesetzes vom 14. Mai 1879 in Betracht kommenden Kassen zu verteilen sind. 8 33. Der Bundesrat ist ermächtigt, im Großherzogtume Luxemburg gewonnene Erzeugnisse des Weinbaues den inländischen gleichzustellen, falls dort ein diesem Gesetz entsprechendes Weingesetz erlassen wird. 8 34. Dieses Gesetz tritt am 1. Sept. 1909 in Kraft. Mit diesem Zeitpunkte tritt das Gesetz, betreffend den Verkehr mit Wein, weinhaltigen und weinähnlichen Getränken, vom 24. Mai 1901 (Reichs-Gesetzbl. S. 175) außer Kraft. Ter Verkehr mit Getränken, die bei der Verkündung dieses Gesetzes nachweislich bereits hergestellt waren, ist jedoch nach den bisherigen Bestim­ mungen zu beurteilen.

121.

14. Verordnung über Wein. Vom 31. August 1917.

(RGBl. S. 751.) Aus Grund der Bekanntmachung über Kriegsmaßnahmen zur Sicherung der Volksernährung vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 401) wird verordnet: 8 1 Als Wein im Sinne dieser Verordnung gelten die durch alkoholische Gärung aus dem Safte der frischen Weintraube hergestellten Getränke ein­ schließlich der Dessertweine (§§ 1, 2 des Weingesetzes vom 7. April 1909, Reichs-Gesetzbl. S. 393). 8 2. Die Versteigerung von Wein ist verboten, soweit es sich nicht um eigenes Gewächs handelt. Die Landeszentralbehörden können Bestimmungen über die Versteigerung von eigenem Gewächs erlassen. 88 3-6. (Aufgehoben) i). 8 7.*2) Die Landeszentralbehörden oder die von ihnen bestimmten Be­ hörden können Ausnahmen von der Vorschrift des § 2 Abs. 1 zulassen. 8 8.2) Mit Gefängnis bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe bis zu einhunderttausend Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer der Vorschrift im § 2 Albs. 1 oder den auf Grund des § 2 Abs. 2 erlassenen Be­ stimmungen zuwiderhandelt. Neben der Strafe kann auf Einziehung der Gegenstände erkannt werden, auf die sich die strafbare Handlung bezieht, ohne Unterschied, ob sie dem Täter gehören oder nicht. 8 9. (Aufgehoben.)i)

122. 15. Verordnung über die Schädlingsbekämpfung mit hochgifttgen Stoffen. Vom 29. Januar 1919. (RGBl. S. 165.) Die Reichsregierung verordnet mit Gesetzeskraft für das Reich, was folgt: 8 1 Das Reichswirtschaftsamt wird ermächtigt, die Verwendung von bochgiftigen Stoffen zur Bekämpfung tierischer und pflanzlicher Schädlinge zu regeln.

x) Die Aufhebung erfolgte durch Verordnung vom 13. April 1922 (RGBl. IS. 454). 2) Fassung gemäß Verordnung vom 13. April 1922 (RGBl. I S. 454).

570

Erster Teil.

Strafgesetze.

g 2. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu zehntausend Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer den zur Durchführung dieser Ermächtigung von dem Reichswirtschaftsamt erlas­ senen Anordnungen zuwiderhandelt. 8 8* Diese Verordnung tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft.

123. 16. Gesetz zur Ausführung des internationalen Opiumabkommens vom 23. Januar 1912. Vom 30. Dezember 1920.

(RGBl.

1921 S. 2.J

In der Fassung des Gesetzes vom 21. März 1924. (RGBl. I S. 290.) 8 1. Rohopium, Opium für medizinische Zwecke, Morphin, Diacetyl­ morphin (Heroin), Rohkokain und Kokain, desgleichen alle Salze des Mor­ phins, des Diacetylmorphins (Heroins) und des Kokains sowie alle Zu­ bereitungen, die mehr als 0,2 vom Hundert Morphin oder mehr als 0,1 vom Hundert Tiacetylmorphin (Heroin) oder mehr als 0,1 vom Hundert Kokain enthalten, unterliegen hinsichtlich der Einfuhr und Ausfuhr, der Herstellung und Verarbeitung sowie des Verkehrs einer behördlichen Aufsicht, die durch das Reichsgesundheitsamt ausgeübt wird. Das Reichsgesundheitsamt ist berechtigt, die Örtlichkeiten, in denen die im Abs. 1 genannten Stoffe und Zubereitungen hergestellt, verarbeitet, aufbewahrt, feilgehalten oder abgegeben werden, zu besichtigen. Auf Ver­ langen ist ihm über Ort, Zeit und Menge der Ein- und Ausfuhr, über die Person des Lieferers oder Empfängers sowie über alle den Verkehr mit diesen Stoffen und Zubereitungen betreffenden Aragen Auskunft zu er­ teilen und Einsicht in die geschäftlichen Aufzeichnungen und Bücher zu gewähren. Zur Durchführung der dem Reichsgesundheitsamt obliegenden Aufsicht über Ein- und Ausfuhr können auch die Zollabfertigungspapiere sowie die Ausfuhranmeldescheine benutzt werden. Die den Landesregierungen zustehenden gesundheitspolizeilichen Befug­ nisse bleiben unberührt. 8 2. Die Einfuhr und Ausfuhr der im § 1 genannten Stoffe und Zubereitungen, ihre gewerbsmäßige Herstellung und Verarbeitung, der Handel mit ihnen sowie ihr Erwerb und ihre Veräußerung ist nur den Personen ge­ stattet, denen hierzu die Erlaubnis erteilt worden ist. Die Erteilung der Erlaubnis erfolgt, gegebenenfalls nach Anhörung der für den Ort der Niederlassung zuständigen Handelskammer, durch die Landeszentralbehörden im Einvernehmen mit dem Reichsministerium des Innern. In der Erlaub­ nis sino die Örtlichkeiten, für die sie erteilt wird, zu bezeichnen. Die Erlaubnis kann auf bestimmte Mengen oder auf bestimmte Zeit beschränkt werden. Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn Bedenken des Gesundheits­ schutzes oder persönliche Gründe ihrer Erteilung entgegenstehen. Tie erteilte Erlaubnis kann aus den gleichen Gründen wiederrufen werden. In den Apotheken dürfen diese Stoffe und Zubereitungen ohne die im Abs. 1 bezeichnete Erlaubnis, jedoch nur als Heilmittel erworben^ her­ gestellt, verarbeitet oder abgegeben werden. Turch eine mit Zustimmung des Reichsrats ergehende Verordnung der Reichsregierung können über die Abgabe der genannten Stoffe und Zuberei­ tungen in den Apotheken einschränkende Bestimmungen erlassen werden, die eine Überwachung der schriftlichen Anweisungen, die in den Apotheken zum Bezüge der genannten Stoffe und Zubereitungen vorgelegt werden, sowie des Verkehrs zwischen Apotheke und Verbraucher ermöglichen.

123. Opiumgesetz vom 30. Dezember 1920.

571

8 3 Tie Abgabe der im § 1 bezeichneten Stoffe und Zubereitungen an Personen, die eine Erlaubnis gemäß 8 2 besitzen, sowie an Apotheken ist nur zulässig auf Grund eines auf den Namen des Erwerbers lautenden Bezug­ scheins, in dem Art und Menge der abzugebenden Stoffe oder Zubereitungen genau zu bezeichnen sind Der Bezugschein wird von der der Aufsicht des Reichsgesundheitsamts unterstehenden Opiumstelle auf Antrag ausgestellt In dem Antrag sind auch der noch vorhandene Bestand und der Lieferer, bei dem die Gegenstände bezogen werden sollen, anzugeben Durch eine mit Zustimmung des Neichsrats ergehende Verordnung der Reichsregierung kann bestimmt werden, welche der unter den § 1 fallenden Zu­ bereitungen, die infolge ihrer sonstigen Zusammensetzung keinen Anlaß zu einem Mißbrauch geben können, ohne den im Abs 1 vorgesehenen Bezug­ schein und ohne die im § 2 Abs 1 vorgeschriebene Erlaubnis abgegeben wer­ den dürfen Tie beabsichtigte Ein- und Ausfuhr ist dem Reichsgesundheitsamt anzu­ melden, die erfolgte Ein- und Ausfuhr ist ihm nachzuweisen

8 4 Wer eine Erlaubnis gemäß § 2 erhalten hat, ist verpflichtet, ein Lagerbuch zu führen, in dem der Bestand, der Ein- und Ausgang Jotoie die Verarbeitung im eigenen Betriebe für jeden der int § 1 genannten Stoffe und Zubereitungen einzeln und nach Tag und Menge gesondert ztr vermerken sind. Aus den Eintragungen über Ein- und Ausgang müssen auch Name und Wohnort der Lieferer oder Empfänger ersichtlich sein Turch eine mit Zustimmung des Reichsrats ergehende Verordnung kann bestimmt werden, inwieweit die Vorschriften des Abs 1 auch auf Apotheken Anwendung finden sollen 8 8. Die Ein- und Ausfuhr der im § 1 bezeichneten Stoffe und Zu­ bereitungen ist nur über bestimmte Orte zulässig. Der Reichsminister des Innern bestimmt diese Orte sowie die Bedingungen, unter denen die Ein- und Ausfuhr erfolgen darf Die Ausfuhr nach den Ländern, Besitzungen, Kolonien und Pachtgebieten der Mächte, die dem internationalen Opiumabkommen beigetreten sind, ist nur unter Beachtung der Bestimmungen zulässig, die von dem Einfuhrtande für die Einfuhr dieser Stoffe erlassen sind 8 6« Die Bestimmungen dieses Gesetzes können durch eine mit Zustim­ mung des Reichsrats ergehende Verordnung ausgedehnt werden auf jeden neuen Abkömmling des Morphins, des Kokains oder ihrer Salze oder auf jedes andere Alkaloid des Opiums, die nach wissenschaftlicher Feststellung die gleichen schädigenden Wirkungen ausüben können. 8 7. Tie Einfuhr und Ausfuhr, die Herstellung sowie jegliches Inver­ kehrbringen von zubereitetem Opium (Rauchopium) ist verboten Unter das Verbot des Abs 1 fallen auch der sogenannte Troß und alle anderen Rückstände von Rauchopium 8 8. Mit Gefängnis bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen wird, sofern nicht nach anderen Strafgesetzen eine schwerere Strafe verwirkt ist, bestraft, 1 wer die in\ § 1 Abs. 1 aufgeführten Stoffe und Zubereitungen ohne die im § 2 vorgesehene Erlaubnis einführt, ausführt, herstellt, verarbeitet, erwirbt, veräußert oder sonst in den Verkehr bringt oder sie in nicht ge­ nehmigten Örtlichkeiten herstellt, verarbeitet, aufbewahrt, feilhält oder abgibt; 2 wer diese Stoffe gnd Zubereitungen ohne den im § 3 vorgesehenen Be­ zugsschein erwirbt oder veräußert oder von den in diesem Scheine fest­ gesetzten Mengen oder sonstigen Bedingungen abweicht; 3. wer den auf Grund der §§ 5 oder 9 erlassenen Bestimmungen zuwider­ handelt ; 4. wer die im H 1 Abs. 1 genannten Stoffe oder Zubereitungen entgegen den Bestimmungen der Weltpostvereinsverträge mit der Post nach dem Ausland versendet;

572

Erster Teil.

Strafgesetze.

5 wer Rauchopium oder dessen Rückstände einführt, ausführt, herstetlt oder in Verkehr bringt; 6 wer die Führung des Lagerbuchs unterläßt oder unrichtige oder unvoll­ ständige Eintragungen vornimmt oder der ihm obliegenden Auskunfts­ pflicht nicht nachkommt. In den Fällen von Ziffer 1, 2, 3, 4, und 5 ist der Versuch strafbar^ Tie Vorschriften der Abs 1 und 2 gelten auch dann, wenn Gegenstände als Stoffe der im § 1 bezeichneten Art in den Verkehr gebracht werden, ohne solche Stoffe zu sein Neben der Strafe kann auf Einziehung der Gegenstände, auf die sich die strafbare Handlung bezieht, erkannt werden, ohne Unterschied, ob sie dem Täter gehören oder nicht Ist der zu Freiheitsstrafe Verurteilte ein Ausländer, so ist die Landes­ polizeibehörde befugt, denselben aus dem Reichsgebiete zu verweisen

8 8 a. Zur Deckung der Kosten, setzes sich ergeben, wird nach näherer Innern eine Umlage auf die int § 1 erhoben. Die Umlage gilt nicht als Steuer

die aus der Durchführung dieses Ge­ Bestimmung des Reichsministers oes genannten Stoffe und Zubereitungen

im Sinne der Reichsabgabenordnung

8 9.

Die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Bestimmungen erläßt die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats, soweit es sich um den Verkehr in den Zollausschlüssen und Freibezirken handelt, mit Zustim­ mung der zuständigen Landesregierung. 8 10. Das Gesetz tritt am 1 Januar 1921 in Kraft. Gleichzeitig tritt die Verordnung über den Verkehr mit Opium und anderen Betäubungsmitteln vom 20 Juli 1920 (Reichs-Gesetzbl. S. 1464) außer Kraft. Eine auf (^runo dieser Verordnung erteilte Erlaubnis behält jedoch Geltung bis zum 31 März 1921, es sei denn, daß sie vorher zurückgenommen wird Wer sich bisher bereits mit der Herstellung der im § 1 Abs. 1 bezeich­ neten Stoffe und Zubereitungen befaßt hat, darf nach dem 31. März 1921 diesen Betrieb nur fortsetzen, wenn er hierzu die durch dieses Gesetz vorgesehene Erlaubnis besitzt

124.

17. Süßstoffgesetz. Vom 8. April 1922

(RGBl

8 1.

I S. 390.)

Süßstoff im Sinne dieses Gesetzes sind alle auf künstlichem Wege gewonnenen Stoffe, die als Süßmittel dienen können und eine höhere Süßkraft als Saccharose (reiner Rüben- oder Rohrzucker), aber nicht ent­ sprechenden Nährwert besitzen. Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft und der Reichs­ minister der Finanzen können mit Zustimmung des Beirats (§; 11) nach Anhörung von Sachverständigen bestimmen, ob und inwieweit die Vor­ schriften dieses Gesetzes auf Stoffe, die in einfacher Weise in Süßstoff um­ gewandelt werden können, Anwendung finden sollen. 8 2. Soweit nicht auf Grund der §§ 3 bis 5 Ausnahmen zugelassen sind, ist es verboten, a) Süßstoff herzustellen oder Nahrungs- oder Genußmitteln bei ihrer gewerblichen Herstellung zuzusetzen; b) Süßstoff oder süßstoffhaltige Nahrungs- oder Genußmittet aus dem Ausland einzuführen; c) Süßstoff oder süßstoffhaltige Nahrungs- oder Genußmittel seilzuhalten oder zu verkaufen.

124. Süßstoffgesetz vom 8. April 1922.

573

8 3. Für die Herstellung und den Absatz ober die Einfuhr von Süß­ stoffen ist von der Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats einem oder mehreren Gewerbetreibenden die Ermächtigung zu geben. Soll nach dem Inkrafttreten des Gesetzes die Herstellungsbefugnis erweitert oder eingeschränkt werden, so hat die Reichsregierung vor der Ent­ schlußfassung den Beirat zu hören. Tie Ermächtigung ist unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs und nur unter der ausdrücklichen Bedingung zu erteilen, daß der auf die Her­ stellung und den Absatz des Süßstoffs gerichtete Teil der Geschäftsbetriebe des oder der Berechtigten unter dauernde amtliche Überwachung gestellt wird 8 4. Die Abgabe des gemäß § 3 hergestellten oder eingeführten Süß­ stoffs im Inland ist nur an Apotheken und an solche Personen gestattet, die die amtliche Erlaubnis zum Bezüge von Süßstoff besitzen Diese Erlaubnis ist nur zu erteilen a) an Personen, die den Süßstoff zu wissenschaftlichen Zwecken verwenden wollen; b) an Gewerbetreibende zur Herstellung bestimmter Waren, für die die Zusetzung von Süßstoff aus einem die Verwendung von Zucker aus­ schließenden Grunde erforderlich ist; e) an Leiter von Kranken-, Kur-, Pflege- und ähnlichen Anstalten zur Verwendung für die in der Anstalt befindlichen Personen; d) an die Inhaber von Gast- und Speisewirtschaften in Kurorten, deren Besuchern der Genuß mit Zucker versüßter Lebensmittel ärztlicherseits untersagt zu werden pflegt, zur Verwendung für die im Orte befind­ lichen Personen Die Erlaubnis ist nur unter Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs und nur dann zu erteilen, wenn die Verwendung des Süßstoffs zu den angegebenen Zwecken ausreichend überwacht werden kann. Ter Reichsminister der Finanzen und der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft können nach Anhörung des Beirats die Verwendung und den Absatz unter Festsetzung einer bestimmten Höchstmenge von Süßstoff auch für andere als die im Abs. 2 bezeichneten Zwecke unter besonderen Bedingungen und Überwachungsmaßnahmen gestatten 8 5. Die Apotheken dürfen Süßstoff außer an Personen, die eine amt­ liche Erlaubnis (§ 4) besitzen, nur unter den vom Reichsminister der Finanzen und dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft festzustetlenden Bedingungen abgeben. Tie im § 4 Abs 2 zu b benannten Bezugsberechtigten dürfen den Süßstoff nur zur Herstellung der in der amtlichen Erlaubnis bezeichneten Waren verwenden und letztere nur an solche Abnehmer abgeben, die derart zubereitete Waren ausdrücklich verlangen Die vorgenannten beiden Reichs­ minister können bestimmen, daß diese Waren unter bestimmten Bezeichnungen und in bestimmten Verpackungen feilgehalten und abgegeben werden müssen. Tie im § 4 Abs. 2 zu e und d genannten Bezugsberechtigten dürfen Süßstoff oder unter Verwendung von Süßstoff hergestellte Nahrungs- oder Genußmittel nur innerhalb der Anstalt (zu c) oder des Ortes (zu d) abgeben. 8 H. Der Reichsminister der Finanzen und der Reichsminister für Er­ nährung und Landwirtschaft bestimmen halbjährlich, nach Bedarf auch in kürzeren Zeitabschnitten, nach Anhörung des Beirats den Verkaufspreis, den der zur Herstellung oder Einfuhr von Süßstoff ermächtigte Gewerbe­ treibende für den inländischen Absatz zu fordern hat, sowie den Anteil, den der Gewerbetreibende von dem Erlöse nach Deckung seiner Gestehungs­ kosten und nach Zubilligung eines angemessenen Gewinns an das Reich abzuführen hat. Ter für den Jnlandsabsatz festzusetzende Verkaufspreis ist so zu be­ messen, daß er zu dem Preise des inländischen Zuckers in einem angemessenen Verhältnis steht. 8 7. Der Reichsminister der Finanzen und der Reichsminister für Er­ nährung und Landwirtschaft haben zu bestimmen, unter welchen Bedingungen

574

Erster Teil.

Strafgesetze.

unter Berücksichtigung des Inlandsbedarfs die Ausfuhr von Süßstoff in das Ausland zu gestatten ist. 8 8. Der Reichsminister der Finanzen und der Reichsminister für Er­ nährung und Landwirtschaft bestimmen nach Anhörung der Gewerbetreiben­ den, ob aus dem Erlöse für den nach dem Ausland abgesetzten Süßstoff ein Anteil an das Reich abzuführen und wie hoch dieser zu bemessen ist 8 9* Den Reichsanteil (§ 6 Abs 1 und § 8) hat der Gewerbetreibende an die Reichskasse abzuführen. Ter Anspruch auf den Reichsanteil entsteht mit der Abgabe des Süß­ stoffs aus den Herstellungsbetrieben Tie näheren Vorschriften über tue Entrichtung des dem Reiche zu­ stehenden Anteils erläßt der Reichsminister der Finanzen. Wenn die Einziehung des Reichsanteils nach Lage der Sache unbillig wäre, kann der Reichsminister der Finanzen im Einvernehmen mit dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft die Einziehung ganz oder zum Teil erlassen oder die Erstattung oder Anrechnung des bereits ent­ richteten Reichsanteils verfügen 8 10. Ter Anspruchs des Reichs auf die Einnahmen aus dem Süß­ stoffabsatze (§ 9) verjährt in 5 Jahren, der auf hinterzogene Einnahmen (§§ 13 ff) in 10 Jahren Tie §§ 122 bis 125 der Reichsabgabenordnung finden entsprechende Anwendung. 8 11. Der erwähnte Beirat wird gebildet aus 2 Vertretern der zur Herstellung ermächtigten Gewerbetreibenden, 2 Vertretern des Vereins der Teutschen Zuckerindustrie in Berlin, 2 Vertretern der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände beim Teutschen Städtetag und je 5 Mitgliedern des Reichsrats und des Reichstags 8 12. Die Zuwiderhandlungen gegen dieses Gesetz gelten als Steuer­ zuwiderhandlungen im Sinne der Reichsabgabenordnung. Die Vorschriften des III. Teiles der Reichsabgabenordnung finden Anwendung. Im Sinne dieser Vorschriften steht die dem Reiche zustehende Einnahme (Z 9) der Steuer, der zur Zahlung dieses Betrags Verpflichtete dem Steuerpflichtigen gleich. Sachlich zuständig zur Untersuchung und Entscheidung sind die Finanz­ ämter, denen die Verwaltung der Zölle und Verbrauchsabgaben übertragen ist. 8 13. Die Hinterziehung der dem Reiche zustehenden Einnahmen (§, 9) wird mit Gefängnis bis zu 2 Jahren und mit Geldstrafe von eintausend bis zu zehn Millionen Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft. 8 14. Bestrafung wegen Hinterziehung der Einnahme tritt ein, ohne daß der Vorsatz der Hinterziehung festgestellt zu werden braucht, wenn ent­ gegen den Ausführungsvorschriften / a) Süßstoff, der sich in den Betriebsräumen befindet, im Herstellungs­ oder Lagerbuche nicht eingetragen ist; b) Süßstoff, der verkauft und versandt ist, nicht spätestens am Tage der Entfernung aus den Betriebsräumen in den Geschäftsbüchern nach­ gewiesen ist. Wird festgestellt, daß der Täter ohne den Vorsatz der Hinterziehung gehandelt hat, so tritt keine Bestrafung wegen Steuerhinterziehung ein Die §§ 367, 377 der Reichsabgabenordnung bleiben unberührt. 8 15. Wer der Vorschrift des § 2 vorsätzlich zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu einer Million Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft. Ist die Handlung aus Fahrlässigkeit begangen worden, so tritt Geld­ strafe bis zu einhunoerttausend Mark ein. 8 16. In den Fällen des § 15 ist neben der Strafe auf Einziehung der Gegenstände zu erkennen, mit Bezug auf welche die Zuwiderhandlung begangen worden ist. 8 17. Für die Beitreibung der dem Reiche zustehenden Einnahmen (§ 9) gelten die Vorschriften des 5 Abschnitts des II. Teils der Reichs­ abgabenordnung sinngemäß.

125. Gesetz über den Verkehr mit Absinth v. 27. April 1923.

575

§ 18. Die Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz erläßt die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats. g 19. Die Vorschriften des § 11 treten mit der Verkündung jdieses Gesetzes in Kraft. Den Zeitpunkt des Inkrafttretens der übrigen Vorschriften dieses Gesetzes bestimmt der Reichsminister der Finanzen. Mit diesem Zeit­ punkt tritt das Süßstoffgesetz vom 7. Juli 1902 (Reichs-Gesetzbl. S. 253) außer Kraft.

125.

18. Gesetz über den Verkehr mit Absinth. Boni 27. April 1923. (RGBl. I S. 257.)

g 1.

Es ist verboten: 1. den unter dem Namen Absinth bekannten Triukbranntwein, ihm ähn­ liche Erzeugnisse oder die zur Herstellung solcher Getränke dienenden Grundstoffe (Essenzen, Extrakte) einzuführen, herzustellen, zum Ver­ kaufe vorrätig yi halten, anzukündigen, zu verkaufen oder sonst in den Verkehr zu bringen; Trinkbranntwein, bei dessen Herstellung nur kleine Mengen Wermutkraut zur Geschmacksverbesserung verwendet wer­ den, fällt nicht unter dieses Verbot; 2. Wermutöl oder Thujon (Tanaceton) bei der Herstellung von Trink­ branntwein oder anderen alkoholischen Getränken (Wermutwein oder dergleichen) zu verwenden, zu diesem Zwecke vorrätig zu halten, an­ zukündigen, zu verkaufen oder sonst in den Verkehr zu bringen; 3. Anweisungen zur Herstellung der nach Nr. 1 oder 2 verbotenen (Ne­ tränke oder Grundstoffe anzukündigen oder zu verkaufen. g 2. Die Reichsregierung kann mit Zustimmung des Reichsrats 1. die Verbote im H 1 Nr. 1 auch auf Trinkbranntwein, bei dessen Herstellung nur kleine Mengen Wermutkraut zur Geschmacksverbesserung ~ verwendet werden, sowie auf andere als die dort genannten Getränke und Grundstoffe, die Bestandteile des Wermutkrauts enthalten, aus­ dehnen ; 2. verbieten, daß berauschende oder betäubende, im allgemeinen nicht als Genußmittel dienende Flüssigkeiten, deren gewohnheitsmäßiger Genuß die Gesundheit schädigt, in Gast- oder Schankwirtschaften zum Verkaufe vorrätig gehalten, angekündigt, verkauft oder sonst an andere über­ lassen werden. g 8. Wer der Vorschrift des § 1 oder einem nach § 2 erlassenen Ver­ bote zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geld­ strafe bis zu fünfhunderttausend Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft. Neben der Strafe ist auf Einziehung der Getränke, Flüssigkeiten oder Stoffe zu erkennen, die dem Verbote zuwider eingeführt, hergestetlt, vor­ rätig gehalten, angekündigt, verkauft, sonst in den Verkehr gebracht oder an andere überlassen worden sind, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht, und zwar auch dann, wenn die Strafe nach § 73 des Strafgesetzbuchs nach einem anderen Gesetze zu bestimmen ist. Ist die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar, so kann auf die Einziehung selbständig erkannt werden.

576

Erster Teil.

Strafgesetze.

126. 19. Gesetz gegen den verbrecherischen und gemein­ gefährlichen Gebranch von Sprengstoffen. Vom 9. Juni

1884.

(RGBl. S. 61.)

8 1* Die Herstellung, der Vertrieb und der Besitz von Sprengstoffen sowie die Einführung derselben aus dem Auslande ist unbeschadet der be­ stehenden sonstigen Beschränkungen nur mit Polizeilicher Genehmigung zulässig. Wer sich mit der Herstellung oder dem Vertriebe von Sprengstoffen befaßt, hat ein Register zu führen, aus welchem die Mengen der hergestellten, aus dem Auslande eingeführten oder sonst zum Zweck des Vertriebes angeschafften Sprengstoffe, sowie die Bezugsquellen und der Verbleib derfelben ersichtlich sein müssen. Dieses Register ist der zuständigen Behörde auf Erfordern jederzeit vorzulegen. Auf Sprengstoffe, welche vorzugsweise als Schießmittel gebraucht weroen, finoen vorbehaltlich abweichender landesrechtlicher Vorschriften die Bestim­ mungen des ersten und des zweiten Absatzes keine Anwendung. Die Be­ zeichnung dieser Sprengstoffe erfolgt durch Beschluß des Bundesrats. Insoweit Sprengstoffe zum eigenen Gebrauch durch Reichs- oder Landes­ behörden von der zuständigen Verwaltung hergestellt, besessen, eingeführt oder vertrieben werden, bleiben die Vorschriften des ersten und zweiten Absatzes ebenfalls ausgeschlossen. g 2. Tie Zentralbehörden der Bundesstaaten erlassen die zur Ausfüh­ rung der Vorschriften in dem; § 1 Abs. 1 und 2, sowie in dem § 15 erforder­ lichen näheren Anordnungen und bestimmen die Behörden, welche über die Gesuche um Gestattung der Herstellung, des Vertriebes, des Besitzes und der Einführung von Sprengstoffen Entscheidung zu treffen haben. g 3. Gegen die versagende Verfügung ist nur die Beschwerde an die Aufsichtsbehörde innerhalb 14 Tagen zulässig. Dieselbe hat keine aufschiebende Wirkung.

g 4. Die Erteilung der nach § 1 Abs. 1 erforderlichen Erlaubnis erfolgt in widerruflicher Weise. Wegen der Beschwerde gegen die Zurück­ nahme gilt die Vorschrift des § 3 des gegenwärtigen Gesetzes. g 5. Wer vorsätzlich durch Anwendung von Sprengstoffen Gefahr für das Eigentum, die Gesundheit oder das Leben eines Anderen herbei­ führt, wird mit Zuchthaus bestraft. Ist durch die Handlung eine schwere Körperverletzung verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter fünf Jahren und, wenn der Tod eines Menschen verursacht worden ist, Zuchthausstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Zuchthausstrafe ein. Ist durch die Handlung der Tod eines Menschen herbeigeführt worden und hat der Täter einen solchen Erfolg voraussehen können, so ist auf Todesstrafe zu erkennen. g H. Haben Mehrere die Ausführung einer oder mehrerer nach § 5 zu ahndender strafbarer Handlungen verabredet oder sich zur fortgesetzten Begehung derartiger, wenn auch im einzelnen noch nicht bestimmter Hand­ lungen verbunden, so werden dieselben, auch ohne daß der Entschluß der Verübung des Verbrechens durch Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung enthalten, betätigt worden ist, mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft.

g 7. Wer Sprengstoffe herstellt, anschafft, bestellt oder in |einem Besitze hat, in der Absicht, durch Anwendung .derselben Gefahr für das Eigentum, die Gesundheit oder das Leben eines Anderen entweder selbst herbeizusühren oder andere Personen zur Begehung dieses Verbrechens in den Stand zu setzen, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft.

126. Sprengstoffgeseh vom 9. Juni 1884.

577

Ter gleichen Strafe verfällt, wer Sprengstoffe, wissend, daß dieselben zur Begehung eines in dem § 5 vorgesehenen Verbrechens bestimmt sind, an andere Personen überläßt. 8 8. Wer Sprengstoffe herstellt, anschafft, bestellt, wissentlich in seinem Besitze hat oder an andere Personen überläßt unter Umständen, welche nicht erweisen, daß dies zu einem erlaubten Zweck geschieht, wird mit Zuchthausstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis nicht unter einem Jahre bestraft. Diese Bestimmung findet aus die gemäß § 1 Ms. 3 vom Bundesrat bezeichneten Stoffe nicht Anwendung. 8 9. Wer der Vorschrift in dem ersten Absatz des § 1 zuwider es unternimmt, ohne polizeiliche Ermächtigung Sprengstoffe herzustellen, vom Auslande einzuführen, feilzuhalten, zu verkaufen oder sonst an Andere zu überlassen, oder wer im Besitze derartiger Stoffe betroffen wird, ohne polizeiliche Erlaubnis hierzu nachweisen zu können, ist mit Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren zu bestrafen. Gleicher Strafe verfäUt, wer die Vorschriften des § 1 Abs. 2, die von den Zentralbehörden in Gemäßheit des § 2 getroffenen Anordnungen oder die bereits bestehenden oder noch zu erlassenden sonstigen polizeilichen Bestimmungen über den Verkehr mit Sprengstoffen, auf welche § 1 Abs. 1 Anwendung findet, übertritt. 8 10. Wer öffentlich vor einer Menschenmenge oder wer durch Ver­ breitung oder öffentlichen Anschlag oder öffentliche Ausstellung von Schriften oder anderen Darstellungen, oder wer in Schriften oder anderen Darstel­ lungen zur Begehung einer der in den §§ 5 und 6 bezeichneten 'straf­ baren Handlungen oder zur Teilnahme an denselben auffordert, wird mit Zuchthaus bestraft. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher auf die vorbezeichnete Weise zur Begehung der im Abs. 1 gedachten strafbaren Handlungen insbesondere dadurch anreizt oder verleitet, daß er dieselben anpreist oder als etwas Rühmliches darstellt. 8 11. In den Fällen der §§ 5, 6, 7, 8 und 10 kann auf Zulässig­ keit von Polizeiaufsicht erkannt werden. In den Fällen der §§ 5, 6, 7, 8 und in dem Falle einer Anwendung der Strafvorschriften des § 9 ist auf Einziehung der zur Zubereitung der Sprengstoffe gebrauchten oder bestimm­ ten Gegenstände, sowie der im Besitze des Verurteilten vorgefundenen Vor­ räte von Sprengstoffen zu erkennen, ohne Unterschied, ob dieselben dem Verurteilten gehören oder nicht. 8 12. Tie Bestimmungen im § 4 Ms. 2 Nr. 1 des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich finden auch auf die in den §§ 5, 6, 7, 8 und;10 dieses Gesetzes vorgesehenen Verbrechen Anwendung. 8 13. Der in dem § 139 des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich angedrohten Strafe verfällt, wer von dem Vorhaben eines tm § 5 vorgesehenen Verbrechens oder einer im § 6 vorgesehenen Verabredung oder von dem Tatbestände eines im § 7 des gegenwärtigen Gesetzes «unter Strafe gestellten Verbrechens in glaubhafter Weise Kenntnis erhält und es unterläßt, der durch das Verbrechen bedrohten Person oder der Be­ hörde rechtzeitig Anzeige zu machen. 8 14. Die §§ 1, 2, 3, 4, 9 dieses Gesetzes treten drei Monate nach dessen Verkündung, die übrigen Bestimmungen desselben mit dem Tage der Verkündung in Kraft. 8 15. Auf Personen, welche bei dem Inkrafttreten der §§ 1, 2, 3, 4, 9 dieses Gesetzes sich bereits im Besitze von Sprengstoffen befinden oder sich bis zu diesem Tage gewerbsmäßig mit der Herstellung oder mit dem Vertriebe von Sprengstoffen beschäftigt haben, finden die Vorschriften des § 9 Abs. 1 erst zwei Wochen nach dem Inkrafttreten der gedachten Para­ graphen, und wenn seitens dieser Personen innerhalb dieser Frist' ein Gesuch um Erteilung der nach § 1 Abs. 1 erforderlichen polizeilichen Genehmigung bei der zuständigen Behörde eingereicht worden ist, erst eine Woche nach Behändigung des ablehnenden Bescheides letzter Instanz (§ 3) Anwendung. Allfeld, Strafgesetzgebung. 3. Aufl. 37

578

Erster Teil.

Strafgesetze.

127. 20. Gesetz, betr. die Prüfung der Läufe und Berschlüffe der Handfeuerwaffen. Vom 19. Mai 1891. (RGBl. S. 109.)

8 1

Handfeuerwaffen jeder Art dürfen nur dann feilgehatten pder in den Verkehr gebracht werden, wenn ihre Läufe und Verschlüsse nach den Vorschriften dieses Gesetzes in amtlichen Prüfungsanstatten geprüft und mit Prüfungszeichen versehen sind. 8 2. Die Prüfung besteht in einer Beschußprobe mit verstärkter Ladung. Die Prüfung findet bei Terzerolen und Revolvern einmal statt. Auch bei anderen Handfeuerwaffen kann, wenn dieselben Würgebohrung nicht erhalten haben, die Prüfung auf Antrag des Einsenders auf eine einmalige Beschußprobe beschränkt werden. Im übrigen findet eine zweimalige Be­ schußprobe statt, die erste mit vorgerichteten Läufen, die zweite (Endprobe) nach Fertigstellung der Läufe eiuschließlich der Vereinigung bei Mehr­ läufen und der Anbringung der Verschlußstücke. Findet aus Antrag des Einsenders eine einmalige Prüfung statt, so ist dieselbe an den Waffen in dem sonst für die zweite Probe vorgeschriebenen Zustande vorzunehmen. 8 3. Läufe oder Berschlußteile, welche nach einer Beschußprobe zu­ ganz oder aufgebaucht befunden werden, sind durch Einsägen oder Zerschlagen unbrauchbar zu machen. Für Waffen, an deren Läufen oder Verschlüssen nach einer Beschußprobe andere Mängel vorgefunden werden, ist nach Beseitigung der letz­ teren eine einmalige Wiederholung der Beschlußprobe zulässig. Läufe oder Verschlußteile, welche nach der wiederholten Beschußprobe mangelhaft be­ funden werden, sind durch Einsägen oder Zerschlagen unbrauchbar zu machen. 8 4. Wird an einer bereits geprüften Waffe während oder nach der Herstellung in dem Kaliber oder an dem Verschlüsse eine Veränderung vor­ genommen, so ist eine erneute Prüfung erforderlich. Dieselbe richtet sich bei Waffen, welche der Regel nach einer zweimaligen Prüfung unterliegen, nach dem Stande der Herstellung, in welchem die Waffe sich befindet. 8 5« Bis zu dem Zeitpunkte, mit welchem dieses Gesetz seinem ganzen Umfange nach in Kraft tritt, sind Handfeuerwaffen auf Antrag der Ein­ sender durch bie Ortspolizeibehörde oder eine andere von der LandesZentralbehörde zu bezeichnenden Behörde .mit einem Borratszeichen, welches durch den Bundesrat bestimmt werden wird, zu versehen. 8 6. Auf Handfeuerwaffen, 1. welche mit dem Borratszeichen versehen sind, 2. welche aus dem Auslande eingeführt und mit den vollständigen, den inländischen gleichwertigen Prüfungszeichen eines auswärtigen Staa­ tes versehen sind, 3. welche durch eine Militärverwaltung oder im Auftrage einer solchen hergestellt und geprüft worden sind, finden die Vorschriften dieses Gesetzes so lange keine Anwendung, als an den Waffen keine Veränderung des Kalibers oder des Verschlusses vor­ genommen wird. Wird eine solche Veränderung vorgenommen, so bedürfen Waffen dieser Art der im § 4 vorgeschriebenen Prüfung, die unter 3 bezeichneten jedoch nur dann, wenn die Veränderung nicht durch eine Militärverwaltung ausgeführt oder geprüft worden ist. Ter Bundesrat bestimmt, welche Prüfungszeichen eines auswärtigen Staates als den inländischen gleichwertig anzuerkennen sind. 8 7. Die näheren Bestimmungen über das Verfahren bei der Prnfung, über das Gewicht und die Beschaffenheit des bei der Beschußprobe zu verwendenden Pulvers und Bleies, sowie über die Form und das Schlagen der Prüfungszeichen werden durch den Bundesrat erlassen.

128. Verordnung über Waffenbesitz v. 13. Januar 1919.

579

§ 8. Die Errichtung der Prüfungsanstalten erfolgt durch die Landes­ regierungen. Für die Prüfung können Gebühren., erhoben werden. Die­ selben dürfen die Kosten der Prüfung nicht übersteigen. 8 9. Mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten wird bestraft: wer Handfeuerwaffen feilhält oder in den Verkehr bringt, deren Läufe oder Verschlüsse nicht mit den vorgeschriebenen oder zugelassenen (§ 6) Prüfungszeichen versehen sind. Neben der verwirkten Strafe ist auf die Einziehung- der vorschrifts­ widrig feilgehaltenen oder in den Verkehr gebrachten Waffen zu erkennen, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht. Ist die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar, so kann die im vorstehenden Absatz bezeichnete Maßnahme selbständig erkannt werden. 8 10. Der § 8 tritt mit dem Tage der Verkündigung dieses Gesetzes in Kraft. Im übrigen wird der Zeitpunkt, mit welchem das Gesetz in Kraft tritt, mit Zustimmung des Bundesrats durch Kaiserliche Verordnung bestimmt.

128.

21. Verordnung über Waffenbesitz. Vom 13. Januar 1919.

(RGBl. S. 31.)

8 1. Alle Schußwaffen sowie Munition aller Art zu Schußwaffen sind sofort abzuliefern. Als Schußwaffen gelten: Gewehre, Karabiner, Pistolen, Maschinen­ pistolen, Revolver, Geschütze aller Art, Maschinengewehre, Handgranaten, Gewehrgranaten, Minenwerfer und Flammenwerfer. 8 2. Die Landeszentralbehörden erlassen die erforderlichen Ausfüh­ rungsbestimmungen. Sie bestimmen, wo und bis wann spätestens die Ab­ lieferung zu geschehen hat. Die Landeszentralbehörden setzen fest, welche Ausnahmen von der Ab­ lieferungspflicht gelten sollen. 8 3. Wer nach Ablauf der Ablieferungsfrist im unbefugten Besitze von Waffen oder Munitoin der im § 1 bezeichneten Art betroffen wird, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren und mit Geldstrafe bis zu hundert­ tausend Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft. Sollten die Waffen oder die Munition zu Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen verwendet werden, so ist die Strafe Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter drei Monaten. 8 4. Diese Verordnung tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft.

580

Erster Teil.

Strafgesetze.

129. 22. Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen. Vom 3

Mai 1909

(RGBl. S

437.)

In der Fassung des Gesetzes v

21 Juli 1923.

(RGBl I S. 743.)

I. Berkehrsvorschriften. 8 1. Kraftfahrzeuge, die auf öffentlichen Wegen oder Plätzen in Betrieb gesetzt werden sollen, müssen von der zuständigen Behörde zum Verkehre zugelassen sein; Ausnahmen bestimmt der Reichsverkehrsminister mit Zustimmung des Reichsrats Als Kraftfahrzeuge im Sinne dieses Gesetzes gelten Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden, ohne an Bahngleise gebunden zu sein 8 2. Wer auf öffentlichen Wegen oder Plätzen ein Kraftfahrzeug führen will, bedarf der Erlaubnis der zuständigen Behörde. Ausnahmen bestimmt der Reichsverkehrsminister mit Zustimmung des Reichsrats Die Erlaubnis gilt für das ganze Reich; sie ist zu erteilen, wenn der Nach­ suchende seine Befähigung durch eine Prüfung dargetan hat und nicht Tat­ sachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, daß er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist Ten Nachweis der Erlaubnis hat der Führer durch eine Bescheinigung (Führerschein) zu erbringen Die Befugnis der Ortspolizeibehörde, auf Grund des § 37 der ReichsGewerbeordnung weitergehende Anordnungen zu treffen, bleibt unberührt 8 3. Wer zum Zwecke der Ablegung der Prüfung (§ 2 Abs 1 Satz. 2) sich in der Führung von Kraftfahrzeugen übt, muß dabei auf öffentlichen Wegen oder Plätzen von einer mit dem Führerschein versehenen, durch die zuständige Behörde zur Ausbildung von Führern ermächtigten Person be­ gleitet und beaufsichtigt sein Das Gleiche gilt für die Fahrten, die ber Ablegung der Prüfung vorgenommen werden. Ausnahmen bestimmt der Reichsverkehrsminister mit Zustimmung des Reichsrats Bei den Übungs- und Prüfungsfahrten, die gemäß der Vorschrift des Abs. 1 stattfinden, gilt im Sinne dieses Gesetzes der Begleiter als Führer des Kraftfahrzeugs 8 4. Werden Tatsachen festgestellt, welche die Annahme rechtfertigen, daß eine Person zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist, so kann ihr die Fahrerlaubnis dauernd oder für bestimmte Zeit durch die zuständige Verwaltungsbehörde entzogen werden; nach der Entziehung ist der Führer­ schein der Behörde abzuliefern. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist für das ganze Reich wirksam. 8 5. Gegen die Versagung der Fahrerlaubnis ist, wenn sie aus anderen Gründen als wegen ungenügenden Ergebnisses der Befähigungsprüfung er­ folgt, der Rekurs zulässig. Das Gleiche gilt von der Entziehung der Fahr­ erlaubnis; der Rekurs hat aufschiebende Wirkung, soforn dies nicht aus­ drücklich bei der ersten Entscheidung ausgeschlossen wird. Die Zuständigkeit der Behörden und das Verfahren bestimmen sich nach den Landesgesetzen und, soweit landesgesetzliche Vorschriften nicht vor­ handen sind, nach den §§ 20, 21 der Reichs-Gewerbeordnung. 8 5 a, Gefährliche Stellen an Wegestrecken, die dem Durchgangs­ verkehre dienen, sind von den Landesbehörden durch Warnungstafeln zu kennzeichnen. 8 . Die Reichsregierung erläßt mit Zustimmung des Reichsrats: 1. die zur Ausführung der §§ 1 bis 5a erforderlichen Anordnungen sowie die Bestimmungen für die Zulassung der Führer ausländischer Kraft­ fahrzeuge;

129. Ges. über d. Berk. m. Kraftfahrzeugen v. 3. Mai 1909. §§ l—10.

581

2. die sonstigen zur Erhaltung der Ordnung und Sicherheit auf den öffentlichen Wegen oder Plätzen erforderlichen Anordnungen über den Berkehr mit Kraftfahrzeugen, insbesondere über die Prüfung und Kenn­ zeichnung der Fahrzeuge und über das Verhalten der Führer sowie über den allgemeinen Fährverkehr, soweit dies in Rücksicht auf den Kraftfahrzeugverkehr erforderlich ist; 3 Vorschriften über Gebühren für behördliche Maßnahmen im Kraft­ fahrzeugverkehre bei Durchführung der auf Grund dieses Gesetzes er­ lassenen Verordnungen. Die Gebühren sind nach den tatsächlichen Auf­ wendungen zu bemessen; 4 ferner mit Zustimmung eines Ausschusses des Reichstags Vorschriften über die Bildung ssines zur Mitwirkung in Angelegenheiten des Kraft­ fahrwesens berufenen Beirats. Die Landesregierungen können sich durch Vermittlung der Reichs­ regierung des Beirats bedienen x) Soweit auf Grund der Anordnungen nach Abs. 1 die Militär- und Postverwaltung, sowie eine staatliche Polizei 'Personen, die sie als Führer von Kraftfahrzeugen verwenden, die Fahrerlaubnis versagt oder entzogen haben, finden die Vorschriften des § 5 keine Anwendung. Soweit Anordnungen gemäß Abs 1 Nr 1 bis o nicht erlassen sind, können solche durch die Landeszentrawehörde erlassen werden

II. Haftpflicht. 8 7. Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter des Fahrzeugs verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein un­ abwendbares Ereignis verursacht wird, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeugs noch auf einem Versagen seiner Vor­ richtungen beruht Als unabwendbar gilt ein Ereignis insbesondere dann, wenn es auf das Verhalten des Verletzten oder eines nicht bei dem Be­ triebe beschäftigten Dritten oder eines Tieres zurückzuführen ist und sowohl der Halter als der Führer des Fahrzeugs jede yach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat Benutzt jemand das Fahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahr­ zeughalters, so ist er an Stelle des Halters zum Ersätze des Schadens verpflichtet. Daneben bleibt der Halter zum Ersätze des Schadens ver­ pflichtet, wenn die Benutzung des Fahrzeugs durch sein Verschulden er­ möglicht worden ist 8 8. Die Vorschriften des § 7 finden keine Anwendung: 1. wenn zur Zeit des Unfalls der Verletzte oder die beschädigte Sache durch das Fahrzeug befördert wurde oder der Verletzte bei dem Be­ triebe des Fahrzeugs tätig war; 2. wenn der Unfall durch ein Fahrzeug verursacht wurde, das aus ebener Bahn eine auf 20 Kilometer begrenzte Geschwindigkeit in der Stunde nicht übersteigen kann. 8 9. Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Ker* letzten mitgewirkt, so finden die Bprschriften des § 254 des Bürgerlichen Ge­ setzbuchs mit der Maßgabe Anwendung, daß im Falle der Beschädigung einer Sache das Verschulden desjenigen, welcher die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, dem Verschulden des Verletzten gleichsteht. 8 19. Im Falle der Tötung ist der Schadensersatz durch Ersatz der Kosten einer versuchten Heilung sowie des Bermögensnachteils zu leisten, den der Getötete dadurch erlitten hat, daß während der Krankheit seine Er­ werbsfähigkeit aufgehoben oder gemindert oder eine Vermehrung seiner Be­ dürfnisse eingetreten war. Der Ersatzpflichtige hat außerdem die Kosten der *) Fassung gem. Art. I des Gesetzes vom 5. Februar 1924 (RGBl. I S. 43).

582

Erster Teil.

Strafgesetze.

Beerdigung demjenigen zu ersetzen, dem die Verpflichtung obliegt, diese Kosten zu tragen. Stand der Getötete zur Zeit der Verletzung zu einem Dritten in einem Verhältnisse, vermöge dessen er diesem gegenüber kraft Gesetzes unterhalts­ pflichtig war oder unterhaltspflichtig werden konnte, und ist dem Dritten in­ folge der Tötung das Recht auf Unterhalt entzogen, so hat der Ersatzpflichtige dem Dritten insoweit Schadensersatz zu leisten, als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet gewesen sein würde Die Ersatzpflicht tritt auch dann ein, wenn der Dritte zur Zeit der Verletzung erzeugt, aber noch nicht geboren war § 11. Im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit ist der Schadensersatz durch Ersatz der Kosten der Heilung sowie des Vermö­ gensnachteils zu leisten, den der Verletzte dadurch erleidet, daß infolge der Verletzung zeitweise oder dauernd seine Erwerbsfähigkeit aufgehoben oder ge­ mindert oder eine Vermehrung seiner Bedürfnisse eingetreten ist § 12. Der Ersatzpflichtige haftet: 1 im Falle der Tötung oder Verletzung eines Menschen nur bis zu einem Kapitalbetrage von fünfzigtausend Mark oder bis zu einem Renten­ beträge von jährlich dreitausend Mark, 2 im Falle der Tötung oder Verletzung mehrerer Menschen durch das­ selbe Ereignis, unbeschadet der in Nr 1 bestimmten Grenze, nur bis zu einem Kapitalbetrage von insgesamt einhundertfünfzigtausend Mark oder bis zu einem Rentenbetrage von insgesamt neuntausend Mark, 3 im Falle der Sachbeschädigung, auch wenn durch dasselbe Ereigms mehrere Sachen beschädigt werden, nur bis zum Betrage von zehntausend Mark Übersteigen die Entschädigungen, die mehreren auf Grund desselben Er­ eignisses nach Abs. 1 Nr. 1, 3 zw leisten sind, insgesamt die in Nr. 2, 3 be­ zeichneten Höchstbeträge, so verringern sich die einzelnen Entschädigungen in dem Verhältnis, in "welchem ihr Gesamtbetrag zu dem Höchstbetrage steht 8 13. Der Schadensersatz wegen Aufhebung oder Minderung der Er­ werbsfähigkeit und wegen Vermehrung der Bedürfnisse des Verletzten sowie der nach § 10 Abs 2 einem Dritten zu gewährende Schadensersatz ist für die Zukunft durch Entrichtung einer Geldrente zu leisten Die Vorschriften des § 843 Abs 2 bis 4 des Bürgerlichen Gesetz­ buchs und des § 708 Nr 6 der Zivilprozeßordnung finden entsprechende An­ wendung. Das Gleiche gilt für die dem Verletzten zu entrichtende Geldrente von der Vorschrift des § 850 Abs 3 und für die dem Dritten zu entrichtende Geldrente von der Vorschrift des § 850 Abs 1 Nr 2 der Zivilprozeßordnung. Ist bei der Verurteilung des Verpflichteten zur Entrichtung einer Geld­ rente nicht auf Sicherheitsleistung erkannt worden, so kann der Berechtigte gleichwohl Sicherheitsleistung verlangen, wenn die Vermögensverhältnisse des Verpflichteten sich erheblich verschlechtert haben; unter der gleichen Voraus­ setzung kann er eine Erhöhung der in dem Urteile bestimmten Sicherheit verlangen. 8 14. Die in den §§ 7 bis 13 bestimmten Ansprüche auf Schadensersatz verjähren in zwei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Ersatz­ berechtigte von dem Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt, ohne Rücksicht auf diese Kenntnis in dreißig Jahren von dem Unfall an Schweben zwischen dem Ersatzpflichtigen und dem Ersatzberechtigten Verhandlungen über den zu leistenden Schadensersatz, so ist die Verjährung gehemmt, bis der eine oder der andere Teil die Fortsetzung der Verhand­ lungen verweigert. Im übrigen finden die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Verjährung Anwendung. 8 15. Der Ersatzberechtigte verliert die ihm auf Grund der Vorschrif­ ten dieses Gesetzes zustehenden Rechte, wenn er nicht spätestens innerhalb zweier Monate, nachdem er von dem Schaden und der Person des Ersatz-

129. Ges. über b. Berk. m. Kraftfahrzeugen v. 3. Mai 1909. §§ 11-23.

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Pflichtigen Kenntnis erhalten hat, dem Ersatzpflichtigen den Unfall anzeigt Der Rechtsverlust tritt nicht ein, wenn die Anzeige infolge eines von dem Ersatzberechtigten nicht zu vertretenden Umstandes unterblieben ist oder der Ersatzpflichtige innerhalb der bezeichneten Frist auf andere Weise von dem Unfall Kenntnis erhalten hat g 19. Unberührt bleiben die reichsgesetzlichen Vorschriften, nach wel­ chen der Fahrzeughalter für den durch das Fahrzeug verursachten Schaden in weiterem Umfang als nach den Vorschriften dieses Gesetzes hastet oder nach welchen ein anderer für den Schaden verantwortlich ist § 17. Wird ein Schaden durch mehrere Kraftfahrzeuge verursacht und sind die beteiligten Fahrzeughalter einem Dritten kraft Gesetzes zum Er satze des Schadens verpflichtet, so hängt im Verhältnisse der Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Ersätze sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teile verursacht worden ist Ta Gleiche gilt, wenn der Schaden einem der beteiligten Fahrzeughalter entstanden ist, von der Haftpflicht, die für einen anderen von ihnen eintritt Die Vorschriften des Abs 1 finden entsprechende Anwendung, wenn der Schaden durch ein Kraftfahrzeug und ein Tier oder durch ein Kraftfahrzeug und eine Eisenbahn verursacht wird

g 18. In den Fällen des § 7 Abs 1 ist auch der Führer des Kraft­ fahrzeugs zum Ersätze des Schadens nach den Vorschriften der §§ 8 bis L> verpflichtet. Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Schaden nicht durch ein Verschulden des Führers verursacht ist Die Vorschrift des § 16 findet entsprechende Anwendung Ist in den Fällen des § 17 auch der Führer eines Fahrzeugs zum Er­ sätze des Schadens verpflichtet, so finden auf diese Verpflichtung in seinen: Verhältnisse zu den Haltern und Führern der anderen beteiligten Fahrzeuge, zu dem Tierhalter oder Eisenbahnunternehmer die Vorschriften des § 17 enb sprechende Anwendung g 19. In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in welchen durch Klage oder Widerklage ein Einspruch auf Grund der Vorschriften dieses Gesetzes geltend gemacht ist, wird die Verhandlung und Entscheidung letzter Instanz im Sinne des § 8 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetze dem Reichs­ gerichte zugewiesen g 29. Für Klagen, die auf Grund dieses Gesetzes erhoben werben, ist auch das Gericht zuständig, in dessen Bezirke das schädigende Ereignis statt­ gefunden hat

III. Straf- und Schlußvorschriften. 8 21. Wer den zur Erhaltung der Ordnung und Sicherheit auf den öffentlichen Wegen oder Plätzen erlassenen polizeilichen Anordnungen über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bis zn einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bestraft. 8 22. Der Führer eines Kraftfahrzeugs, der nach einem Unfälle (§ 7) es unternimmt, sich der Feststellung des Fahrzeugs und seiner Person durch die Flucht zu entziehen, wird mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Monaten bestraft. Er bleibt jedoch straflos, wenn er spätestens am nächstfolgenden Tage nach dem Unfall Anzeige bei einer in­ ländischen Polizeibehörde erstattet und die Feststellung des Fahrzeugs und seiner Person bewirkt. Verläßt der Führer des Kraftfahrzeugs eine bei dem Unfälle verletzte Person vorsätzlich in hilfloser Lage, so wird er mit Gefängnis bis zu 6 Mo­ naten bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann auf Geldstrafe bis zu dreihundert Mark erkannt werden. 8 23. Mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Monaten wird bestraft, wer auf öffentlichen Wegen oder Plätzen

584

Erster Teil.

Strafgesetze.

ein Kraftfahrzeug führt, das nicht von der zuständigen Behörde zum Verkehre zugelassen ist Tie gleiche Strafe trifft den Halter eines nicht zum Verkehre zugelassenen Kraftfahrzeugs, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig dessen Gebrauch auf öffent­ lichen Wegen oder Plätzen gestattet. 8 24. Mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Monaten wird bestraft: 1. wer ein Kraftfahrzeug führt, ohne einen Führerschein zu besitzen; 2 wer ein Kraftfahrzeug führt, obwohl ihm die Fahrerlaubnis ent­ zogen ist; 3. wer nicht seinen Führerschein der Behörde, die ihm die Fahrerlaubnis ent­ zogen hat, auf ihr Verlangen abliefert. Tie gleiche Strafe trifft den Halter des Kraftfahrzeugs, wenn er vor­ sätzlich oder fahrlässig eine Person zur Führung des Fahrzeugs bestellt oder ermächtigt, die sich nicht durch einen Führerschein ausweisen kann oder der die Fahrerlaubnis entzogen ist 8 25. Wer in rechtswidriger Absicht 1. ein Kraftfahrzeug, für welches von der Polizeibehörde ein Kennzeichen nicht ausgegeben oder zugelassen worden ist, mit einem Zeichen versieht, welches geeignet ist, den Anschein der polizeilich angeordneten oder zuge­ lassenen Kennzeichnung hervorzurufen, 2 ein Kraftfahrzeug mit einer anderen als der polizeilich für das Fahr­ zeug ausgegebenen oder zugelassenen Kennzeichnung versieht, 3. das an einem Kraftfahrzeuge gemäß polizeilicher Anordnung ange­ brachte Kennzeichen verändert, beseitigt, verdeckt oder sonst in seiner Er­ kennbarkeit beeinträchtigt, wird, sofern nicht nach den Vorschriften des Strafgesetzbuchs eine höhere Strafe verwirkt ist, mit Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft. Tie gleiche Strafe trifft Personen, welche auf öffentlichen Wegen oder Plätzen von einem Kraftfahrzeuge Gebrauch machen, von dem sie wissen, daß die Kennzeichnung in der im Abs. 1 unter Nr. 1 bis 3 bezeichneten Art gefälscht, verfälscht oder unterdrückt worden ist. 8 26. Tiefes Gesetz tritt hinsichtlich der Vorschriften über die Haft­ pflicht — Teil II — mit dem 1. Juni 1909, im übrigen mit dem 1 April 1910 in Kraft. IV. Kleinkrafträder.

8 27. Die Vorschriften im Teil I, II und III gelten nicht für Kleinkraft­ räder. Tie Reichsregierung erläßt mit Zustimmung des Reichsrats Anordnungen über den Verkehr mit Kleinkrafträdern.

130.23. Gesetz über Krastfahrlinien (Krastfahrliniengesetz). Vom 26. August 1925. (RGBl. I S. 319.)1) 8 1. Wer über die Grenzen eines Gemeindebezirks hinaus die Beförde­ rung von Personen oder Sachen mit Kraftfahrzeugen auf bestimmten Strecken

Tiefes Gesetz ist erst ergangen, nachdem der Druck des Abschn VI „Gesetze betr das Verkehrswesen", wohin es eigentlich gehört, bereits abge­ schlossen war Die Einreihung in den XI Abschnitt rechtfertigt sich im Hinblick darauf, daß das Gesetz, wie § 2 ersehen läßt, auch zum Schutze der öffent­ lichen Sicherheit, also von Leben und Gesundheit gegen Gemeingefahr dienen soll.

130. Krastfahrliniengesetz vom 26. August 1925.

585

gegen Entgelt betreiben will (Unternehmer von Kraftfahrlinien), bedarf der Genehmigung der von der obersten Landesbehörde bestimmten Behörde. Soll sich das Unternehmen auf das Gebiet mehrerer Länder erstrecken, so stnd zur Genehmigung die obersten Landesbehörden gemeinsam zuständig. Je­ doch ist jedes Land verpflichtet, die Fortsetzung einer in einem benachbarten Lande zugelassenen Kraftfahrlinie in oder durch sein Gebiet zu gestatten, wenn der Reichsrat auf den durch den Reichsverkehrsminister geprüften und zu ver­ mittelnden Antrag anerkennt, daß diese im Interesse des allgemeinen Ver­ kehrs liegt 8 2. Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn Gewähr für die Sicherheit und Leistungsfähigkeit des Betriebs geboten ist und das Unter­ nehmen den öffentlichen Interessen nicht zuwiderläuft 8 3. Die Genehmigung kann zurückgenommen werden, wenn gegen die bei der Genehmigung festgesetzten Bedingungen oder gegen die auf Orund des § 5 erlassenen Vorschriften und Anordnungen oder gegen die auf Grund des § 6 des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3 Mai 1909 in der Fassung des Gesetzes vom 21 Juli 1923 erlassenen Vorschriften in wesentlicher Beziehung verstoßen wird Die Zurücknahme der Genehmigung bedarf der Zustimmung der obersten Landesbehörde Im Falle des § 1 Abs 2 kann die Zurücknahme nur gemeinsam er­ folgen; die nicht erfolgte Zustimmung einer beteiligten obersten Landesbehöröe kann in diesem Falle durch die Zustimmung des Reichsverkehrsministers er­ setzt werden. 8 4. Die obersten Landesbehörden können die Vorschriften der §§ 1 bis 4 auf gegenwärtig "vorhandene Kraftfahrlinien für anwendbar erklären. 8 5. Die Reichsregierung erläßt mit Zustimmung des Reichsrats die zur Durchführung der §§ 1 bis 5 erforderlichen Vorschriften Für die Ausrüstung und den Betrieb der Kraftfahrlinien können die obersten Landesbehörden allgemeine Anordnungen erlassen 8 ♦ Dienen Linien der Reichspost der Personenbeförderung, so ist die Reichspost zur Einholung der Genehmigung nach § 1 nicht verpflichtet, son­ dern nur zu einer mit vierwöchiger Frist vorher zu erstattenden Anzeige an die oberste Landesbehörde des betreffenden Landes Erhebt die oberste Landes­ behörde innerhalb zwei Wochen nach Eingang der Anzeige gegen die beabsichtigte Einrichtung einer solchen Krastsahrlmie der Reichspost Einspruch, weil nach ihrer Auffassung den öffentlichen Interessen durch Einrichtung der Linie nicht ge­ nügend Rechnung getragen sei, und kommt eine Einigung nicht zustande, so entscheidet über die Berechtigung des Einspruchs ein Schiedsgericht, zu dem das Reichsgericht aus seiner Mitte den Vorsitzenden, die Reichspost und die oberste Landesbehörde je einen Beisitzer stellen Die Bestimmungen des Abs 1 gelten auch für Linien, die sowohl der Postsachen- wie der Personenbeförderung dienen, es "sei denn, daß die Reichs­ post der obersten Landesbehörde gegenüber unter Anführung der tatsächlichen Verhältnisse dargelegt hat, daß die einzurichtende Kraftfahrlinie für die Postsachenbeförderung erforderlich ist 8 7. Wer als Unternehmer oder als Angestellter einer Kraftfährlinie den in der Genehmigung festgesetzten Bedingungen oder den auf Grund des § 5 erlassenen Vorschriften ' und Anordnungen zuwiderhandelt, wird mit Geld­ strafe bis zu 150 Reichsmark oder mit Hast bestraft. 8 8. Mer den Betrieb einer Kraftfahrlinie ohne die erforderliche Ge­ nehmigung unternimmt oder ihn fortsetzt, nachdem die Genehmigung zurück­ genommen oder der Weiterbetrieb untersagt worden ist, wird mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft. 8 9» Die Verordnung, betreffend Kraftfahrzeuglinien vom 24. Jnnuar 1919 (Reichsgesetzbl. S. 97) tritt außer Kimft.

586

Erster Teil.

Strafgesetze.

131. 24. Gesetz, betr. die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten. Vom 30

Juni 1900

(RGBl S. 306)

Anzeigepflicht. § 1. Jede Erkrankung und jeder Todesfall an Aussatz (Lepra), Cholera (asiatischer), Flecksieber ^Flecktyphus), Gelb­ fieber, Pest (orientalischer Beulenpest), Pocken (Blattern),*) sowie jeder Fall, welcher den Verdacht einer dieser Krankheiten erweckt, ist der für den Aufenthaltsort des Erkrankten oder den Sterbeort zuständigen Polizeibehörde unverzüglich anzuzeigen Wechselt der Erkrankte den Aufenthaltsort, so ist dies unverzüglich bei der Polizeibehörde des bisherigen und des neuen Aufenthaltsorts zur An­ zeige zu bringen 8 2. Zur Anzeige sind verpflichtet: 1. der zugezogene Arzt, 2 der Haushaltungsvorstand, 3 jede sonst mit der Behandlung oder Pflege des Erkrankten beschäftigte Person, 4 derjenige, in dessen Wohnung oder Behausung der Erkrankungs- oder Todesfall sich ereignet hat, 5 der Leichenschauer Tie Verpflichtung der unter Nr 2 bis 5 genannten Personen tritt nur dann ein, wenn ein früher genannter Verpflichteter nicht vorhanden ist 8 3. Für Krankheits- und Todesfälle, welche sich in öffentlichen Kranken-, Entbindungs-, Pflege-, Gefangenen- und ähnlichen Anstalten er­ eignen, ist der Vorsteher der Anstalt oder die von der zuständigen Stelle da­ mit beauftragte Person ausschließlich zur Erstattung der Anzeige verpflichtet Auf Schiffen oder Flößen gilt als der zur Erstattung der Anzeige ver­ pflichtete Haushaltungsvorstand der Schiffer oder Floßführer oder deren Stell­ vertreter. Ter Bundesrat ist ermächtigt, Bestimmungen darüber zu erlassen, an wen bei Krankheits- und Todesfällen, welche auf Schiffen oder Flößen vorkommen, die Anzeige zu erstatten ist Jg 4. Die Anzeige kann mündlich oder schriftlich erstattet werden Die Polizeibehörden haben auf Verlangen Meldekarten für schriftliche Anzeigei', unentgeltlich zu verabfolgen 8 5. Landesrechtliche Bestimmungen, welche eine weitergehende 'An­ zeigepflicht begründen, werden durch dieses Gesetz nicht berührt Durch Beschluß des Bundesrats können die Vorschriften über die An­ zeigepflicht (§§ 1 bis 4) auf andere als die im § 1 Abs 1 genannten über­ tragbaren Krankheiten ausgedehnt werden. Ermittlung der Krankheit. 8 6. Die Polizeibehöroe muß, sobald sie von dem Ausbruch oder dem Verdachte des Auftretens einer der tnt § 1 Abs. 1 genannten Krank­ heiten (gemeingefährliche Krankheiten) Kenntnis erhält, den zuständigen be­ amteten Arzt benachrichtigen. Dieser hat alsdann unverzüglich an Ort und Stelle Ermittelungen über die Art, den Stand und die Ursache der Krank­ heit vorzunehmen und der Polizeibehörde eine Erklärung darüber abzugeben, ob der Ausbruch der Krankheit festgestellt oder der Verdacht des Ausbruchs begründet ist. In Notfällen kann der beamtete Arzt die Ermittlung auch vornehmen, ohne oaß ihm eine Nachricht der Polizeibehörde zuge­ gangen ist. In Ortschaften mit mehr als 10000 Einwohnern ist nach den Be­ stimmungen des Abs. 1 auch dann zu verfahren, wenn Erkrankungs- oder i) Gem § 5 Ms 2 auf Milzbrand ausgedehnt (RGBl. 1909 S. 933).

131. Ges., bett, gemeingefährl. Krankh. v. 30. Juni 1900.

§§ 1—14.

587

Todesfälle in einem räumlich abgegrenzten Teile der Ortschaft, welcher von der Krankheit bis dahin verschont geblieben war, vorkommen. Tie höhere Verwaltungsbehörde kann Ermittelungen über jeden ein­ zelnen Krankheits- oder Todesfall anordnen. Solange eine solche An­ ordnung nicht getroffen ist, sind nach der ersten Feststellung der Krankheit von dem beamteten Arzte Ermittelungen nur im Einverständnisse smit der unteren Verwaltungsbehörde und nur insoweit vorzunehmen, als dies erforderlich ist, um die Ausbreitung der Krankheit örtlich und zeitlich zu verfolgen. § 7. Dem beamteten Arzt ist, soweit er es zur Feststellung der Krankheit für erforderlich und ohne Schädigung des Kranken für zulässig hält, der Zutritt zu dem Kranken oder zur Leiche und die Vornahme der zu den Ermittelungen über die Krankheit erforderlichen Untersuchungen zu gestatten. Auch kann bei Cholera-, Gelbfieber- und Pestverdacht eine Öffnung der Leiche polizeilich angeordnet werden, insoweit der beamtete Arzt dies zur Feststellung der Krankheit für erforderlich hält. Ter behandelnde Arzt ist berechtigt, den Untersuchungen, insbesondere auch der Leichenöffnung beizuwohnen. Tie in §.§ 2 und 3 angeführten Personen sind verpflichtet, über alle für die Entstehung und den Verlauf der Krankheit wichtigen Umstände dem beamteten Arzt und der zuständigen Behörde auf Befragen Aus­ kunft zu erteilen. 8 8. Ist nach dem Gutachten des beamteten Arztes der Ausbruch der Krankheit festgestellt oder der Verdacht des Ausbruchs begründet, so hat die Polizeibehörde unverzüglich die erforderlichen Schutzmaßregeln zu treffen. 8 9. Bei Gefahr int Verzüge kann der beamtete Arzt schon vor dem Einschreiten der Polizeibehörde die zur Verhütung der Verbreitung der Krankheit zunächst erforderlichen Maßregeln anordnen. Der Vor­ steher der Ortschaft hat den von dem beamteten Arzte getroffenen An­ ordnungen Folge zu' leisten. Bon den Anordnungen hat der beamtete Arzt der Polizeibehörde sofort /christliche Mitteilung zu machen; sie bleiben solange in Kraft, bis von der zuständigen Behörde anderweite Verfügung getroffen wird. 8 10. Für Ortschaften und Bezirke, welche von einer gemeingefähr­ lichen Krankheit befallen oder bedroht sind, kann durch die zuständige Behörde angeordnet werden, daß jede Leiche vor der Bestattung einer amtlichen Besichtigung (Leichenschau) zu unterwerfen ist.

Schutzmaßregeln. 8 11. Zur Verhütung der Verbreitung der gemeingefährlichen Krank­ heiten können für die Dauer der Krankheitsgefahr Absperrungs- und Aufsichtsmaßregeln nach Maßgabe der §§ 12 bis 21 polizeilich angeordnet werden. Die Anfechtung der Anordnungen hat keine aufschiebende Wirkung. 8 12. Kranke und krankheits- oder ansteckungsverdächtige Personen können einer Beobachtung unterworfen werden. Eine Beschränkung in der Wahl des Aufenthalts oder der Arbeitsstätte ist zu diesem Zwecke nur bei Personen zulässig, welche obdachlos oder ohne festen Wohnsitz sind oder beruss- oder gewohnheitsmäßig umherziehen. 8 13. Tie höhere Verwaltungsbehörde kann für den Umfang ihres Bezirkes oder für Teile desselben anordnen, daß zureisende Personen, sofern sie sich innerhalb einer zu bestimmenden Frist vor ihrer Ankunft in Ortschaften oder Bezirken aufgehalten haben, in welchen eine gemein­ gefährliche Krankheit ausgebrochen ist, nach ihrer Ankunft der Ortspolizeibehörde zu melden sind. 8 14. Für kranke und krankheits- oder ansteckungsverdächtige Per­ sonen kann eine Absonderung angeordnet werden.

588

Erster Teil.

Strafgesetze.

Tie Absonderung kranker Personen hat derart zu erfolgen, daß der Kranke mit anderen als den zu seiner Pflege bestimmten Personen, dem Arzte oder dem Seelsorger nicht in Berührung kommt und eine Ver­ breitung der Krankheit tunlichst ausgeschlossen ist Angehörigen und Ur­ kundspersonen ist, insoweit es zur Erledigung wichtiger und- dringender Angelegenheiten geboten ist, der Zutritt zu dem Kranken unter Beobachtung der erforderlichenMaßregeln gegen eine Weiterverbreitung der Krankheit gestattet. Werden auf Erfordern der Polizeibehörde in der Behausung des Kranken die Aach dem Gutachten desbeamteten Arztes zum Zwecke der Absonderung notwendigen Einrichtungen nicht getroffen, so kann, falls der beamtete Arzt es für unerläßlich und der behandelnde Arzt es ohne Schädigung des Kranken für zulässig erklärt, die Überführung des Kranken in ein geeignetes Krankenhaus oder in einen anderen geeigneten Unter» kunftsraum angeordnet werden Auf die Absonderung krankheits- oder ansteckungsverdächtiger Personen finden die Bestimmungen des Abs. 2 sinngemäße Anwendung Jedoch dürfen krankheits- oder ansteckungsverdächtige Personen nicht in demselben Raume mir kranken Personen untergebracht werden Ansteckungsverdächtige Personen dürfen in demselben Raume mit krank.heitsverdächtigen Personen nur untergebracht werden, soweit der beamtete Arzt es für zulässig hält Wohnungen oder Häuser, in welchen erkrankte Personen sich befinden, können kenntlich gemacht werden Für das berufsmäßige Pflegepersonal können Berkehrsbeschränkungen angeordnet werden § 15» Tie Landesbehörden sind befugt, für Orkschaften und Bezirke, welche von einer gemeingefährlichen Krankheit befallen oder bedroht sind, 1 hinsichtlich der gewerbsmäßigen Herstellung, Behandlung und Auf­ bewahrung sowie hinsichtlich des Vertriebs von Gegenständen, welche geeignet sind, die Krankheit zu verbreiten, eine gesundheitspolizeiliche Überwachung und die zur Verhütung der Verbreitung der Krankheit erforderlichen Maßregeln anzuordnen; die Ausfuhr von Gegenständen der bezeichneten Art darf aber nur für Ortschaften verboten werden, in denen Cholera, Fleckfieber, Pest oder Pocken ausgebrochen sind, 2. Gegenstände der in Nr. 1 bezeichneten Art vom Gewerbebetrieb im Umherziehen auszuschließen, 3 die Abhaltung von Märkten, Messen und anderen Veranstaltungen, welche eine Ansammlung größerer Menschenmengen mit sich bringen, zu verbieten oder zu beschränken, 4 die in der Schiffahrt, der Flößerei oder sonstigen Transportbetrieben beschäftigten Personen einer gesundheitspolizeilichen Überwachung zu unterwerfen und kranke, krankheits- oder ansteckungsverdächtige Per­ sonen sowie Gegenstände, von denen anzunehmen ist, daß sie mit dem Krankheitsstoffe behaftet sind, von der Beförderung auszuschließen, 5 den Schiffahrts- und Flößereiverkehr auf bestimmte Tageszeiten zu beschränken. 8 16. Jugendliche Personen aus Behausungen, in denen Erkrankungen vorgekommen sind, können zeitweilig vom Schul- und Unterrichtsbesuche fern gehalten werden. Hinsichtlich der sonstigen für die Schulen anzu­ ordnenden Schutzmaßregeln bewendet es bei den landesrechtlichen Bestim­ mungen. 8 17. In Ortschaften, welche von Cholera, Fleckfieber, Pest oder Pocken befallen oder bedroht sind, sowie in deren Umgegend kann die Benutzung von Brunnen, Teichen, Seen, Wasserläufen, Wasserleitungen, so­ wie der dem öffentlichen Gebrauche dienenden Bade-, Schwimm-, Waschund Bedürfnisanstalten verboten oder beschränkt werden.

8 18. Die gänzliche oder teilweise Räumung von Wohnungen und Gebäuden, in denen Erkrankungen vorgekommen sind, kann, insoweit der beamtete Arzt es zur wirksamen Bekämpfung der Krankheit für unerläß-

131. Ges., bett, gemeingefährl. Krankh. v. 30. Juni 1900. §§ 15—28.

589

lief) erklärt, angeordnet werden. Den betroffenen Bewohnern ist ander­ weit geeignete Unterkunft unentgeltlich zu bieten. 8 IS. Für Gegenstände und Räume, von denen anzunehmen ist, daß sie mit dem Krankheitsstoffe behaftet sind, kann eine Desinfektion angeordnet werden. Für Reisegepäck und Handelswaren ist bei Aussatz, Cholera und Gelb­ fieber die Anordnung der Desinfektion nur dann zulässig, wenn die An­ nahme, daß die Gegenstände mit dem Krankheitsstoffe behaftet sind, durch besondere Umstände begründet ist. Ist die Desinfektion nicht ausführbar oder im Verhältnisse zum Werte der Gegenstände zu kostspielig, so kann die Vernichtung angeordnet werden. 8 20. Zum Schutze gegen Pest können Maßregeln zur Vertilgung und Fernhaltung von Ratten, Mäusen und anderem Ungeziefer angeordnet werden. 8 21. Für die Aufbewahrung, Einsargung, Beförderung und Be­ stattung der Leichen von Personen, welche an einer gemeingefährlichen Krankheit gestorben sind, können besondere Vorsichtsmaßregeln angeordnet werden. 8 22. Die Bestimmungen über die Ausführung der in den §§ 12 bis 21 vorgesehenen Schutzmaßregeln, insbesondere der Desinfektion, werden vom Bundesrat erlassen. 8 23. Die zuständige Landesbehörde kann die Gemeinden oder die weiteren Kommuualverbände dazu anhalten, diejenigen Einrichtungen, welche zur Bekämpfung der gemeingefährlichen Krankheiten notwendig sind, zu treffen. Wegen Aufbringung der erforderlichen Kosten findet die Bestimmung des § 37 Abs. 2 Anwendung. 8 24. Zur Verhütung Der Einschleppung der gemeingefährlichen Krank­ heiten aus dem Auslande kann der Einlaß der Seeschiffe von der Er­ füllung gesundheitspolizeilicher Vorschriften abhängig gemacht sowie 1. der Einlaß anderer, dem Personen- oder Frachtverkehre dienenden Fahrzeuge, 2. die Ein- und Durchfuhr von Waren und Gebrauchsgegenständen, 3. der Eintritt und die Beförderung von Personen, welche aus dem von der Krankheit befallenen Lande kommen, verboten oder beschränkt werden. Ter Bundesrat ist ermächtigt, Vorschriften über die hiernach zu treffen­ den Maßregeln zu beschließen. Soweit sich diese Vorschriften auf die gesund­ heitspolizeiliche Überwachung der Seeschiffe beziehen, können sie auf den Schiffsverkehr zwischen deutschen Häfen erstreckt werden. 8 25. Wenn eine gemeingefährliche Krankheit im Ausland oder im Küstengebiete des Reichs ausgebrochen ist, so bestimmt der Reichskanzler oder für das Gebiet des zunächst bedrohten Bundesstaats im Einvernehmen mit dem Reichskanzler die Landesregierung, wann und in welchem Umfange die gemäß § 24 Abs. 2 erlassenen Vorschriften in Vollzug zu setzen sind. 8 26. Der Bundesrat ist ermächtigt, Vorschriften über die Ausstellung von Gesundheitspässen für die aus deutschen Häfen ausgehenden Seeschiffe zu beschließen. 8 27. Der Bundesrat ist ermächtigt, über die bei der Ausführung wissenschaftlicher Arbeiten mit Krankheitserregern zu beobachtenden Vor­ sichtsmaßregeln sowie über den Verkehr mit Krankheitserregern und deren Aufbewahrung Vorschriften zu erlassen.

Entschädigungen.

8 28.

Personen, welche der Invalidenversicherung unterliegen, haben für die Zeit, während der sie auf Grund des § 12 in der Wahl des Aufent­ halts oder der Arbeitsstätte beschränkt oder auf Grund des § 14 abgesondert sind, Anspruch auf eine Entschädigung wegen des ihnen dadurch entgangenen

590

Erster Teil.

Strafgesetze.

Arbeitsverdienstes, bei deren Berechnung als Tagesarbeitsverdienst der drei­ hunderste Teil des für die Invalidenversicherung maßgebenden Jahres­ arbeitsverdienstes zugrunde zu legen ist. Dieser Anspruch fällt weg, insoweit auf Grund einer auf gesetzlicher Ver­ pflichtung beruhenden Versicherung wegen einer mit Erwerbsunfähigkeit ver­ bundenen Krankheit Unterstützung gewährt wird oder wenn eine Verpflegung auf öffentliche Kosten stattfindet

§ 29. Für Gegenstände, welche in Folge einer nach Maßgabe dieses Gesetzes polizeilich angeordneten und überwachten Desinfektion derart beschä­ digt worden sind, daß sie zu ihrem bestimmungsmäßigen Gebrauche nicht weiter verwendet werden können, oder welche auf polizeiliche Anordnung vernichtet worden sind, ist, vorbehaltlich der in §§ 32 und 33 angegebenen Ausnahmen, auf Antrag Entschädigung zu gewähren 8 30. Als Entschädigung soll der gemeine Wert des Gegenstandes währt werden ohne Rücksicht auf die Minderung des Wertes, welche sich der Annahme ergibt, daß der Gegenstand mit Krankheitsstoff behaftet Wird der Gegenstand nur beschädigt oder teilweise vernichtet, so ist der bleibende Wert auf die Entschädigung anzurechnen

ge­ aus fei ver­

8 31. Die Entschädigung wird, sofern ein anderer Berechtigter nicht bekannt ist, demjenigen gezahlt, in dessen Gewahrsam sich der beschädigte oder vernichtete Gegenstand zur Zeit der Desinfektion befand. Mit dieser Zahlung erlischt jede Entschädigungsverpflichtung aus § 29

8 32. Eine Entschädigung auf Grund dieses Gesetzes wird nicht gewährt: 1 für Gegenstände, welche im Eigentums des Reichs, eines Bundesstaats oder einer kommunalen Körperschaft sich befinden; 2 für Gegenstände, welche entgegen einem auf Grund des § 15 Nr 1 oder des § 24 erlassenen Verbot aus- oder eingeführt worden sind

8 33. Der Anspruch aus Entschädigung fällt weg: 1 wenn derjenige, welchem die Entschädigung zustehen würde, die "be­ schädigten oder vernichteten Gegenstände oder einzelne derselben an sich gebracht hat, obwohl er wußte oder den Umständen nach annehmen mußte, daß dieselben bereits mit dem Krankheitsstoffe behaftet oder auf polizeiliche Anordnung zu desinfizieren waren; 2 wenn derjenige, welchem die Entschädigung zustehen würde oder in des­ sen Gewahrsam die beschädigten oder vernichteten Gegenstände sich be­ fanden, zu der Desinfektion durch eine Zuwiderhandlung gegen dieses Gesetz oder eine auf Grund desselben getroffene Anordnung Veranlassung gegeben hat 8 34. Tie Kosten der Entschädigungen sind aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten Im übrigen bleibt der landesrechtlichen Regelung vorbehalten, Bestimmungen darüber zu treffen: 1 von wem die Entschädigung zu gewähren und wie dieselbe aufzu­ bringen ist, 2. binnen welcher Frist der Entschädigungsanspruch geltend zu machen ist, 3 wie die Entschädigung zu ermitteln und festzustellen ist

Allgemeine Vorschriften. 8 35. Die dem allgemeinen Gebrauche dienenden Einrichtungen für Versorgung mit Trink- oder Wirtschaftswasser und für Fortschaffung der Abfallstoffe sind fortlaufend durch staatliche Beamte zu überwachen. Tie Gemeinden sind verpflichtet, für die Beseitigung der Vorgefundenen gesundheitsgefährlichen Mißstände Sorge zu tragen Sie können nach Maß­ gabe ihrer Leistungsfähigkeit zur Herstellung von Einrichtungen der im Abs 1 bezeichneten Art, sofern dieselben zum Schutze gegen übertragbare Krank­ heiten erforderlich sind, jederzeit angehalten werden. Tas Verfahren, in welchem über die hiernach gegen die Gemeinden zu­ lässigen Anordnungen zu entscheiden ist, richtet sich nach Landesrecht.

131. Ges., best, gemeingefährl. Krankh. v. 30. Juni 1900.

§§ 29—41.

591

g 36. Beamtete Arzte im Sinne dieses Gesetzes sind Ärzte, welche vom Staate angestellt sind oder deren Anstellung mit Zustimmung des Staa­ tes erfolgt ist. An Stelle der beamteten Ärzte können im Falle ihrer Behinderung oder aus sonstigen dringenden Gründen andere Ärzte zugezogen werden. Innerhalb des von ihnen übernommenen Auftrags gelten die Letzteren als beamtete Ärzte und sind befugt und verpflichtet, diejenigen Amtsverrichtungen wahrzuneh­ men, welche in diesem Gesetz oder in den hierzu ergangenen Ausführungs­ bestimmungen den beamteten Ärzten übertragen sind. g 37. Tie Anordnung und Leitung der Abwehr- und Unterdrückungs­ maßregeln liegt den Landesregierungen und deren Organen ob. Tie Zuständigkeit der Behörden und die Aufbringung der entstehenden Kosten regelt sich nach Landesrecht. Tie Kosten der auf Grund des § 6 angestellten behördlichen Ermitte­ lungen, der Beobachtung in den Fällen des § 12, ferner auf Antrag die Kosten der auf Grund des § 19 polizeilich angeordneten und überwachten Tesinfekttoii und der auf Grund des § 21 angeordneten besonderen Vorsichtsmaß­ regeln für die Aufbewahrung, Einsargung, Beförderung und Bestattung der Leichen sind aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten. Tie Landesregierungen bestimmen, welche Körperschaften unter der Be­ zeichnung Gemeinde, weiterer Kommunalverband und kommunale Körperschaft zu verstehen sind. g 38 Tie Behörden der Bundesstaaten sind verpflichtet, sich bei der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten gegenseitig zu unterstützen. g 39. Tie Ausführung der nach Maßgabe dieses Gesetzes zu ergreif senden Schutzmaßregeln liegt, insoweit davon 1. dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehörende Militär­ personen, 2. Personen, welche in militärischen Tienstgebäuden oder auf den zur Kaiserlichen Marine gehörigen oder von ihr gemieteten Schiffen und Fahrzeugen untergebracht sind, 3. marschierende oder auf dem Transporte befindliche Militärpersonen und Truppenteile des Heeres und der Marine sowie die Ausrüstungs- und Gebrauchsgegenstände derselben, 4. ausschließlich von der Militär- oder Marineverwaltung benutzte Grund­ stücke und Einrichtungen betroffen werden, den Militär- und Marinebehörden ob. Auf Truppenübungen finden die nach diesem Gesetze zulässigen Verkehrs­ beschränkungen keine Anwendung. Ter Bundesrat hat darüber Bestimmung zu treffen, inwieweit pon dem Auftreten des Verdachts und von dem Ausbruch einer übertragbaren Krankheit sowie von dem Verlauf und dem Erlöschen der Krankheit sich die Militär- und Polizeibehörden gegenseitig in Kenntnis zu setzen haben. Jg 46. Für den Eisenbahn-, Post- und Telegraphenverkehr sowie für Schiffahrtsbetriebe, welche im Anschluß an den Eisenbahnverkehr geführt werden und der staatlichen Eisenbahnaufsichtsbehörde unterstellt sind, liegt die Ausführung der nach Maßgabe dieses Gesetzes zu ergreifenden Schutz­ maßregeln ausschließlich den zuständigen Reichs- und Landesbehörden ob. Inwieweit die auf Grund dieses Gesetzes polizeilich angeordneten Ver­ kehrsbeschränkungen und Tesinfektionsmaßnahmen 1. aus Personen, welche während der Beförderung als krank, krankheits­ öder ansteckungsverdächtig befunden werden, 2. auf die im Dienste befindlichen oder aus dienstlicher Veranlassung vorübergehend außerhalb ihres Wohnsitzes sich aufhaltenden Beamten und Arbeiter der Eisenbahn-, Post- und Telegraphenverwaltungen sowie der genannten Schiffahrtsbetriebe Anwendung finden, bestimmt der Bundesrat. g 41. Dem Reichskanzler liegt ob, die Ausführung dieses Gesetzes und der auf Grund desselben erlassenen Anordnungen zu überwachen.

592

Erster Teil.

Strafgesetze.

Wenn zur Bekämpfung der gemeingefährlichen Krankheiten Maßregeln erforderlich sind, von welchen die Gebiete mehrerer Bundesstaaten betroffen werden, so hat der Reichskanzler oder ein von ihm bestellter Kommissar für Herstellung und Erhaltung der Einheit in den Anordnungen der Landesbehör­ den zu sorgen und zu diesem Behufe das Erforderliche zu bestimmen, in drin­ genden Fällen auch die Landesbehörden unmittelbar mit Anweisungen zu ver­ sehen. 8 42. Ist in einer Ortschaft der Ausbruch einer gemeingefährlichen Krankheit festgestellt, so ist das Kaiserliche Gesundheitsamt hiervon sofort auf kürzestem Wege zu benachrichtigen Ter Bundesrat ist ermächtigt, zu be­ stimmen, inwieweit im späteren Verlaufe dem Kaiserlichen Gesundheitsamte Mitteilungen über Erkrankungs- und Todesfälle zu machen sind

8 43. In Verbindung mit dem Kaiserlichen Gesundheitsamte wird ein Reichs-Gesundheitsrat gebildet. Tie Geschäftsordnung wird vom Reichskanzler mit Zustimmung des Bundesrats festgestellt. Die Mitglieder werden vom Bundesrat gewählt Ter Reichs-Gesundheitsrat hat das Gesundheitsamt bei der Erfüllung der diesem Amte zugewiesenen Aufgaben zu unterstützen. Er ist befugt, den Landesbehördcn auf Ansuchen Rat zu erteilen. Er kanrl sich, um Auskunft zu erhalten, mit den ihm zu diesem Zwecke zu bezeichnenden Landesbehörden unmittelbar in Verbindung setzen, sowie Vertreter absenden, welche unter Mitwirkung der zuständigen Landesbehörden Aufklärungen an Ort und Stelle einziehen Strafvorschriften.

8 44. Mit Gefängnis bis zu drei Jahren wird bestraft: wer wissentlich bewegliche Gegenstände, für welche eine Desinfektion polizeilich angeordnet war, vor Ausführung der angeordneten Desinfek­ tion in Gebrauch nimmt, an andere überläßt oder sonst in Verkehr bringt; 2 wer wissentlich Kleidungsstücke, Leibwäsche, Bettzeug oder sonstige be­ wegliche Gegenstände, welche von Personen, die an einer gemeingefähr­ lichen Krankheit litten, während der Erkrankung gebraucht oder bei deren Behandlung oder Pflege benutzt worden sind, in Gebrauch nimmt, an andere überläßt oder sonst in Verkehr bringt, bevor sie den aus Grund des § 22 vom Bundesrate beschlossenen Bestimmungen entsprechend Zs­ infiziert worden sind; 3 foer wissentlich Fahrzeuge oder sonstige Gerätschaften, welche zur Be­ förderung von Kranken oder Verstorbenen der in Mr 2 bezeichneten Art gedient haben, vor Ausführung der polizeilich angeordneten Desinfek­ tion benutzt oder anderen zur Benutzung überläßt. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann auf Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark erkannt werden. 1

8 45. Mit Geldstrafe von zehn bis einhundertfünfzig Mark oder mit Haft nicht unter einer Woche wird bestraft: 1. wer die ihm nach den §,§ 2, 3 oder nach den auf Grund des § 5 vom Bundesrate beschlossenen Vorschriften obliegende Anzeige unterläßt oder länger als vierundzwanzig Stunden, nachdem er von der anzuzeigenden Tatsache Kenntnis erhalten hat, verzögert. Die Strafverfolgung tritt nicht ein, wenn die Anzeige, obwohl nicht von dem zunächst Verpflich­ teten, doch rechtzeitig gemacht worden ist; 2. wer im Falle des § 7 dem beamteten Arzte den Zutritt zu dem Kranken oder zur Leiche oder die Vornahme der erforderlichen Untersuchungen verweigert; 3 wer den Bestimmungen im § 7 Abs. 3 zuwider über die daselbst be­ zeichneten Umstände dem beamteten Arzte oder der zuständigen Behörde die Auskunft verweigert oder wissentlich unrichtige Angaben macht; 4 wer den auf Grund des § 13 erlassenen Anordnungen zuwiderhandelt.

593

132. VO. zur Bekämpf, der Geschlechtskrankheiten v. 11. Dez. 1918.

§ 46. Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzkg Mark oder mit Haft wird, sofern nicht nach den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen eine höhere Strafe verwirkt ist, bestraft: 1. wer den im Falle des § 9 von dem beamteten Arzte oder dem Vor­ steher der Ortschaft getroffenen vorläufigen Anordnungen oder den auf Grund des § 10 von der zuständigen Behörde erlassenen Anordnungen zuwiderhandelt; 2. wer den auf Grund des § 12, des § 14 Abs. 5, der §§ 15, 17, 19 big 22 getroffenen polizeilichen Anordnungen zuwiderhandelt; 3. wer den auf Grund der §§ 24, 26, 27 erlassenen Vorschriften zuwider­ handelt. Schtußbestimmungen.

8 47. Die vom Bundesrate zur Ausführung dieses Gesetzes erlassenen allgemeinen Bestimmungen sind dem Reichstage zur Kenntnis mitzuteilen. 8 48. Landesrechtliche Vorschriften über die Bekämpfung anderer als der im § 1 Mbs. 1 genannten übertragbaren Krankheiten werden durch dieses Gesetz nicht berührt. 8 49. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündigung in Kraft.

132. 25. Verordnung zur Bekämpfung der Geschlechts­ krankheiten. Vom 11. Dezember 1918.

(RGBl. S. 1431.) Zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten wird verordnet, was folgt: 8 !♦ Geschlechtskrankheiten im Sinne dieser Verordnung sind Syphilis, Tripper und Schanker, ohne Rücksicht darauf, an welchen Körperteilen die Krankheitserscheinungen auftreten. 8 2. Personen, die geschlechtskrank sind und bei denen die Gefahr be­ steht, daß sie ihre Krankheit weiter verbreiten, können zwangsweise einem Heilverfahren unterworfen, insbesondere in ein Krankenhaus überführt wer­ den, wenn dies zur wirksamen Verhütung der Ausbreitung der Krankheit er­ forderlich erscheint. Ärztliche Eingriffe, die mit einer ernsteren Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind, dürfen nur mit Einwilligung des Kranken vorgenommen werden. Die Aufbringung der entstehenden Kosten regelt sich nach Landesrecht. 8 3. Wer den Beischlaf ausübt, obwohl er weiß oder den Umständen nach annehmen muß, daß er an einer mit Ansteckungsgefahr verbundenen Geschlechtskrankheit leidet, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft, sofern nicht nach dem allgemeinen Strafgesetz eine härtere Strafe eintritt. Die Verfolgung tritt, soweit es sich um Ehegatten und Verlobte handelt, nur auf Antrag ein. Tie Strafverfolgung verjährt in sechs Monaten. 8 4. Wer eine Person, die an einer mit Ansteckungsgefahr verbundenen Geschlechtskrankheit leidet, ärztlich untersucht oder behandelt, soll sie über Art und Ansteckungsfähigkeit der Krankheit sowie über die Strafbarkeit der im § 3 bezeichneten Handlung belehren.

Allfeld, Strafgesetzüebuvg.

3. Auff.

38

594

Erster Teil.

Strafgesetze.

133. 26. Gesetz, Maßregeln gegen die Rinderpest betr. Bom 7. April 1869

(BGBl S. 105.)

§ 1.

Wenn die Rinderpest (Löserdürre) in einem Bundesstaate oder in einem an das Gebiet des Norddeutschen Bundes angrenzenden oder mit dem­ selben im direkten Verkehre stehenden Lande ausbricht, so sind die zuständigen Verwaltungsbehörden der betreffenden Bundesstaaten verpflichtet und er­ mächtigt, alle Maßregeln zu ergreifen, welche geeignet sind, die Einschlep­ pung uno beziehentlich die Weiterverbreitung der Seuche zu verhüten und die im Lande selbst ausgebrochene Seuche zu unterdrücken. § 2. Tie Maßregeln, auf welche sich die im § 1 ausgesprochene Ver­ pflichtung und Ermächtigung je nach den Umständen zu erstrecken hat, sind folgende: 1. Beschränkungen und Verbote der Einfuhr, des Transports und des Han­ dels in Bezug auf lebendes oder totes Rindvieh, Schafe und Ziegen, Häute, Haare und sonstige tierische Rohstoffe in frischem oder trockenem Zustande, Rauchfutter, Streumaterialien, Lumpen, gebrauchte Kleider, Ge­ schirre und Stallgeräte; endlich Einführung einer Rindviehkontrolle zim Grenzbezirke; 2. Absperrung einzelner Gehöfte, Ortsteile, Orte, Bezirke, gegen den Ver­ kehr mit der Umgebung; 3. Tötung selbst gesunder Tiere und Vernichtung von giftfangenden Sachen, ingleichen, wenn die Desinfektion nicht als ausreichend befunden wird, von Transportmitteln, Gerätschaften und dgl. im erforderlichen Um­ fange; 4. Desinfizieren der Gebäude, Transportmittel und sonstigen Gegenstände, sowie der Personen, welche mit seuchekranken oder verdächtigen Tieren in Berührung gekommen sind; 5. Enteignung des Grund und Bodens für die zum Verscharren getöteter Tiere und giftfangender Dinge nötigen Gruben.

88 3-6. 8 7. Tie

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88 9-14.

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näheren Bestimmungen über die Ausführung der vorstehen­ den Vorschriften und deren Überwachung durch die geeigneten Organe, über die Bestreitung der entstehenden Kosten und die Bestrafung der Zuwiderhand­ lungen sind von hen Mnzelstaaten zu treffen. Es ist jedoch von den deshalb erlassenen Verfügungen dem Bundespräsidium Mitteilung zu machen. 8 8. Bom Bundespräsidium wird eine allgemeine Instruktion erlassen, welche über die Anwendung der im § 2 unter Nr. 1 bis 4 aufgeführten Maßregeln nähere Anweisung gibt und den nach § 7 von den Einzelstaaten zu treffenden Bestimmungen zur Grundlage dient.

134. 27. Gesetz, betr. Zuwiderhandlungen gegen die zur Abwehr der Rinderpest erlassenen Vieh-Einfuhrverbote. Bom 21. Mai 1878.

(RGBl. S. 95.)

8 1

Wer den Gesetzbl. S. 105) zur Beschränkungen oder zuwiderhandelt, wird bestraft. Ter Versuch ist

auf Grund des Gesetzes vom 7. April 1869 (BundesVerhütung der Einschleppung der Rinderpest erlassenen Verboten der Einfuhr lebender Wiederkäuer vorsätzlich mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren strafbar.

135. Gesetz, bett, d Beseit, v. Ansteckungsstoffen usw. v. 25. Febr. 1876.

595

8 2. Wird die Zuwiderhandlung in der Msicht begangen, sich oder einem anderen einen Bermögensvorteil zu verschaffen oder einem anderen Schaden zuzufügen, so tritt Zuchthausstrafe bis zu fünf Jahren oder Ge­ fängnis nicht unter sechs Monaten ein. 8 3. Wer den im 8 1 bezeichneten Beschränkungen oder Verboten aus Fahrlässigkeit zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft. Bei Personen, welche nicht weiter als fünfzehn Kilometer von der Grenze entfernt ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, ingleichen bei Personen, welche mit den durch die Beschränkungen oder Verbote betroffenen Tieren gewerbsmäßigen Handel treiben, insbesondere Fleischern und Vieh­ händlern, sowie den Gehilfen dieser Personen, ist die Unkenntnis dieser Beschränkungen oder Verbote als durch Fahrlässigkeit verschuldet anzuneh­ men, wenn sie nicht den Nachweis führen, daß sie ohne ihr Verschulden durch besondere Umstände verhindert waren, von denselben Kenntnis zu erlangen. 8 4. Ist infolge der Zuwiderhandlung Vieh von der Seuche ergriffen worden, so ist in dem Falle des § 1 auf Gefängnis nicht unter drei Monaten, in dem Falle des 8 2 auf Zuchthaus bis zu zehn Iah renn oder Ge­ fängnis nicht unter einem Jahre, in dem Falle des § 3 auf Geldstrafe bis zu zweitausend Mark oder aus Gefängnis bis zu einem Jahre zu erkennen

135. 28. Gesetz, bete, die Beseitigung von Ansteckungs­ stoffen bei Biehbeförderungen auf Eisenbahnen. Vom 25. Februar 1876. (RGBl. S. 163.)

8 1

Die Eisenbahnverwaltungen sind verpflichtet, Eisenbahnwagen, in welchen Pferde, Maultiere, Esel, Rindvieh, Schafe, Ziegen oder Schweine befördert worden sind, nach jedesmaligem Gebrauche einem Reinigungsver­ fahren (Desinfektion) zu unterwerfen, welches geeignet ist, die den Wagen etwa anhaftenden Ansteckungsstoffe vollständig zu tilgen. Gleicherweise sind die bei Beförderung der Tiere zum Futtern, Trän­ ken, Befestigen oder zu sonstigen Zwecken benutzten Gerätschaften zu des­ infizieren. Auch kann angeordnet werden, daß die Rampen, welche die Tiere beim Ein- und Ausladen betreten haben, sowie die Vieh-Ein- und Ausladeplätze und die Biehhöfe der Eisenbahnverwaltungen nach jeder Benutzung zu des­ infizieren sind. 8 2 Die Verpflichtung zur Desinfektion liegt in Bezug auf die Eisen­ bahnwagen und die zu denselben gehörigen Gerätschaften (8 1 Abs. 1 und 2) derjenigen Eisenbahnverwaltung ob, in deren Bereich die Entladung der Wagen stattfindet. Erfolgt die letztere im Auslande, so ist zur Desinfektion diejenige deutsche Eisenbahnverwaltung verpflichtet, deren Bahn von den Wagen bei der Rückkehr in das Reichsgebiet Zuerst berührt wird. Tie Eisenbahnverwaltungen sind berechtigt, für die Desinfektion eine Gebühr zu erheben. 8 3, Der Bundesrat ist ermächtigt, Ausnahmen von der durch die 88 1 und 2 festgesetzten Verpflichtung für den Verkehr mit dem Auslande insoweit zuzulassen, als die ordnungsmäßige Desinfektion der zur Vieh­ beförderung benutzten, im Auslande entladenen Wagen vor deren Wieder­ eingang genügend sichergestellt ist. Auch ist der Bundesrat ermächtigt, Ausnahmen von der gedachten Verpflichtung für den Verkehr im Jnlande zuzulassen, jedoch für die Beförde38*

596

Erster Teil.

Strafgesetze.

rung von Rindvieh, Schafen und Schweinen nur innerhalb solcher Teile des Reichsgebietes, in welchen seit länger als drei Monaten Fälle von Lungenseuche und von Maul- und Klauenseuche nicht vorgekommen sind. 8 4, Die näheren Bestimmungen über das anzuordnende Verfahren, über Ort und Zeit der zu bewirkenden Desinfektion, sowie über die Höhe der zu erhebenden Gebühren werden auf Grund der von dem Bundesrat aufzustellenden Normen von den Landesregierungen getroffen. 8 5, Im Eisenbahndienste beschäftigte Personen, welche die ihnen nach den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Bestimmungen vermöge ihrer dienstlichen Stellung oder eines ihnen erteilten Auftrages obliegende Pflicht der Anordnung, Ausführung oder Überwachung einer Desinfektion vernachlässigen, werden mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark, und wenn infolge dieser Vernachlässigung Vieh von einer Seuche ergriffen worden, mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft, sofern nicht durch die Vorschriften des Strafgesetzbuches eine der Art oder dem Maße nach schwerere Strafe angedroht ist. 8 6, Der § 6 des Gesetzes vonr 7. April 1869, Maßregeln gegen die Rinderpest betreffend (Bundes-Gesetzbl. S. 105) ist aufgehoben.

136.

29. Biehseuchengesetz. Vom 26 Juni 1909. (RGBl. S. 519.)

8 1

Das nachstehende Gesetz regelt das Verfahren zur Bekämpfung übertragbarer Viehseuchen, mit Ausnahme der Rinderpest Vieh im Sinne dieses Gesetzes sind alle nutzbaren Haustiere einschließ­ lich der Hunde, der Katzen und des Geflügels. Schlachtvieh im Sinne dieses Gesetzes ist Vieh, von dem anzunehmen ist, daß es behufs Verwendung des Fleisches zum Genusse für Menschen alsbald geschlachtet werden soll. Als verdächtige Tiere gelten im Sinne dieses Gesetzes: Tiere, an denen sich Erscheinungen zeigen, die den Ausbruch einer übertragbaren Seuche befürchten lassen (der Seuche verdächtige Tiere); Tiere, an denen sich solche Erscheinungen zwar nicht zeigen, rücksichtlich deren jedoch die Vermutung vorliegt, daß sie den Ansteckungsstoff aus­ genommen haben (der Ansteckung verdächtige Tiere) 8 2, Die Anordnung und die Durchführung der Bekämpfungsmaßregeln liegen den Landesregierungen und deren Organen ob. Tie Mitwirkung der Tierärzte, die vom Staate angestellt sind oder deren Anstellung vom Staate bestätigt ist (beamtete Tierärzte), richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes. An Stelle der beamteten Tier­ ärzte können im Falle ihrer Behinderung oder aus sonstigen Gründen andere approbierte Tierärzte zugezogen werden. Diese sind innerhalb des ihnen erteilten Auftrags befugt und verpflichtet, alle Amtsverrichtungen wahrzunehmen, die in diesem Gesetze den beamteten Tierärzten übertragen sind. Die näheren Bestimmungen über das Verfahren, über die Form, von deren Beobachtung die Gültigkeit der auf Grund dieses Gesetzes zu erlassenden Anordnungen abhängt, über die Zuständigkeit der Behörden und Beamten und über die Bestreitung der durch das Verfahren entstehenden Kosten sind von den Einzelstaaten mit der Maßgabe zu treffen, daß gegen die Anordnungen der Polizeibehörden zur Bekämpfung der Viehseuchen im Jnlande (§§ 9 ff) ein Beschwerdeverfahren zuzulassen ist. 8 3, Rücksichtlich der eigenen Viehbestände der Militärverwaltung, in den Remontedepots nur rücksichtlich der eigenen Pferdebestände, bleiben die Maßregeln zur Ermittlung und Unterdrückung von Seuchen, soweit

136. Biehseuchengesetz vom 26. Juni 1909.

§§ 1—7.

597

davon nur das Eigentum dieser Verwaltung betroffen wird, den Militär­ behörden überlassen. Tie gleichen Befugnisse haben das Kaiserliche Gesundheitsamt und diejenigen zur wissenschaftlichen Erforschung übertragbarer Krankheiten be­ stimmten staatlichen Anstalten, bei denen ein Tierarzt angestellt ist, rück­ sichtlich aller eigenen Viehbestände. Ferner können 1. den Vorständen der landesherrlichen und Staatsgestüte, 2. den Vorständen der tierärztlichen Lehranstalten und der zu diesen gehörigen Institute, 3. mit Zustimmung des Reichskanzlers den Vorständen anderer Anstalten von ähnlicher Art wie die im Abs. 2 und im Abs. 3 Nr. 2 bezeichneten von den Landesregierungen die gleichen Befugnisse rücksichtlich aller dort aufgestellten Viehbestände übertragen werden. In den Fällen der Abs. 1 bis 3 finden die ferneren Bestimmungen dieses Gesetzes sinngemäße Anwendung, in den Fällen des Abs. 2 und des Abs. 3 Nr. 2, 3 jedoch nur mit den Einschränkungen, die sich aus dem Zwecke der wissenschaftlichen Arbeiten ergeben. Tie Militärbehörden haben die Polizeibehörden der Stand-, Unter­ kunsts- und Marschorte von dem Auftreten eines Seuchenverdachts und von dem Ausbruch einer Seuche, sowie bei Seuchenausbrüchen in nicht kasernenmäßig untergebrachten Viehbeständen auch von den getroffenen Schutz­ maßregeln, sofort zu benachrichtigen und von dem Verlaufe sowie dem Erlöschen der Seuche in Kenntnis zu setzen. Die Pflicht der Benachrichtigung der Polizeibehörden vom Verdacht, Ausbruch, Verlauf und Erlöschen einer Seuche liegt auch den im Abs. 2 genannten Anstalten und den nach Abs. 3 mit selbständigen Befugnissen versehenen Vorständen ob, falls die Seuche oder der Seuchenverdacht nicht das Ergebnis wissenschaftlicher Versuche ist, die zu den Aufgaben der Anstalten und Institute gehören. 8 4 Dem Reichskanzler liegt ob, die Ausführung dieses Gesetzes und der auf Grund desselben erlassenen Anordnungen zu überwachen. Tritt die Seuche in einem für den inländischen Viehbestand bedroh­ lichen Umfang im Ausland auf, so hat der Reichskanzler die Regierungen her beteiligten Bundesstaaten zur Anordnung und einheitlichen Durchführung der nach Maßgabe dieses Gesetzes erforderlichen Abwehrmaßregeln zu veran­ lassen. Tritt die Seuche in einer solchen Gegend des Reichsgebiets oder in einer solchen Ausdehnung auf, daß von den zu ergreifenden Maßregeln nottvendig die Gebiete mehrerer Bundesstaaten betroffen werden müssen, so hat der Reichs­ kanzler oder ein von ihm bestellter Reichskommissar für Herstellung und Er­ haltung der Einheit in den seitens der Landesbehörden zu treffenden oder­ getroffenen Maßregeln zu sorgen und zu diesem Behufe das Erforderliche an­ zuordnen, nötigenfalls auch die Behörden der beteiligten der beteiligten Bun­ desstaaten unmittelbar mit Weisungen zu versehen. 8 5, Die Behörden der Bundesstaaten sind verpflichtet, sich bei der Be­ kämpfung der Viehseuchen gegenseitig zu unterstützen.

I. Abwehr der Einschleppung aus dem AuSlande. 8 6. Die Einfuhr von Tieren, die an einer übertragbaren Seuche leiden, und von verdächtigen Tieren (§ 1 Abs. 4) sowie von Erzeugnissen solcher Tiere ist verboten. Dasselbe gilt für die Kadaver und Teile von Tieren, die an einer übertragbaren Seuche gefallen sind oder zur Zeit des Todes an einer solchen gelitten haben oder seuchenverdächtig gewesen sind, endlich für Gegen­ stände jeder Art, von denen nach den Umständen des Falles anzunehmen ist, daß sie Träger des Ansteckungsstoffes sind. 8 7, Zum Schutze gegen die Gefahr der Einschleppung von übertrag­ baren Seuchen der Haustiere aus dem Auslande kann die Einfuhr lebender oder toter Tiere, tierischer Erzeugnisse oder Rohstoffe sowie von Gegenständen, die

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Erster Teil.

Strafgesetze.

Träger des Ansteckungsstoffs sein können, allgemein oder für bestimmte Grenz­ strecken verboten oder beschränkt werden. Zu demselben Zwecke kann der Verkehr mit Tieren im Grenzbezirke solchen Bestimmungen unterworfen werden, die geeignet sind, im Falle der Ein­ schleppung einer Weiterverbreitung der Seuche vorzubeugen. Die Bestimmungen sind, soweit erforderlich, auch auf tierische Erzeugnisse und Rohstoffe sowie auf solche Gegenstände auszudehnen, die Träger von Ansteckungsstoffen sein können: Auch kann für die Grenzbezirke eine Revision des vorhandenen Viehbestandes und eine regelmäßige Kontrolle über den Ab- und Zugang von Vieh angeordnet werden. Tie nach Abs 2 zulässigen Bestimmungen können nur getroffen werden, wenn und solange gegenüber dem allgrenzenden Ausland Einfuhrverbote oder Beschränkungen gemäß Abs. 1 angeordnet sind

8 8, Bon dem Erlasse, der Aufhebung oder Veränderung einer der im 8 7 bezeichneten Anordnungen ist unverzüglich dem Reichskanzler Mitteilung zu machen. Tie verfügten Verbote und Beschränkungen sind ohne Verzug öffentlich bekannt zu machen.

II. Bekämpfung von Viehseuchen im Jnlaude. 1. Allgemeine Vorschriften. a) Anzeigepflicht 8 9, Bericht einer Seuche aus, auf die sich die Anzeigepflicht erstreckt (§ 10), oder zeigen sich Erscheinungen, die den Ausbruch einer solchen Seuche befürchten lassen, so hat der Besitzer des betroffenen Viehes unverzüglich der Polizeibehörde oder einer anderen von der Landesregierung zu bezeichnenden Stelle Anzeige zu machen, auch die kranken und verdächtigen Tiere von Orten, an denen die Gefahr der Ansteckung fremder Tiere besteht, fernzu­ halten. Tie gleichen Pflichten hat, wer in Vertretung des Besitzers der Wirt­ schaft vorsteht, wer mit der Aufsicht über Vieh an Stelle des Besitzers beauf­ tragt ist, wer als Hirt, Schäfer, Schweizer, Senne entweder Vieh von mehreren Besitzern oder solches Vieh eines Besitzers, das sich seit mehr als vierund­ zwanzig Stunden außerhalb der Feldmark des Wirtschaftsbetriebs des Be­ sitzers befindet, in Obhut hat, ferner für die auf dem Transporte befindlichen Tiere deren Begleiter und für die in fremdem Gewahrsam befindlichen Tiere ber Besitzer der betreffenden Gehöfte, Stallungen, Koppeln oder Weideflächen. Zur unverzüglichen Anzeige sind auch die Tierärzte und alle Personen verpflichtet, die sich mit der Ausübung der Tierheilkunde oder gewerbsmäßig mit der Kastration von Tieren beschäftigen, ingleichen die Fleischbeschauer einschließlich der Trichinenschauer, ferner die Personen, die das Schlächter­ gewerbe betreiben sowie solche, die sich gewerbsmäßig mit der Bearbeitung, Verwertung oder Beseitigung geschlachteter, getöteter oder verendeter Tiere oder tierischer Bestandteile beschäftigen, wenn sie, bevor ein polizeiliches Ein­ schreiten stattgefunden hat, von dem Ausbruch einer der Anzeigepflicht unter­ liegenden Seuche (§ 10) oder von Erscheinungen, die den Ausbruch einer sol­ chen Seuche befürchten lassen, Kenntnis erhalten.

8 19. Seuchen, auf die sich die Anzeigepflicht erstreckt, sind: 1. Milzbrand, Rauschbrand, Wild- und Rinderseuche; 2. Tollwut; 3. Rotz; 4 Maul- und Klauenseuche; 5. Lungenseuche des Rindviehs; 6. Pockenseuche der Schafe; 7. Beschälseuche der Pferde, Bläschenausschlag der Pferde und des Rind­ viehs ; 8. Räude der Einhufer und der Schafe;

136. Viehseuchengesetz vom 26. Juni 1909.

§§ 8—15.

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9. Schweineseuche, sofern sie mit erheblichen Störungen des Allgemein­ befindens der erkrankten Tiere verbunden ist, und Schweinepest; 10. Rotlauf der Schweine einschließlich des Nesselfiebers (Backsteinblattern); 11. Geflügelcholera und Hühnerpest; 12. äußerlich erkennbare Tuberkulose des Rindviehs, sofern sie sich in der Lunge in vorgeschrittenem Zustande befindet oder Euter, Gebärmutter oder Darm ergriffen hat. Ter Reichskanzler ist befugt, die Anzeigepflicht auch für andere Seuchen einzuführen und für einzelne Seuchen widerruflich aufzuheben. b) Ermittlung der Seuchenausbrüche.

8 11. Ist eine Anzeige erfolgt (§§ 9, 10) oder der Ausbruch einer Seuche oder der Verdacht eines Seuchenausbruchs sonst zur Kenntnis der Polizei­ behörde gelangt, so hat diese sofort den beamteten Tierarzt zuzuziehen (vgl. jedoch § 14) und inzwischen dafür zu sorgen, daß die kranken und, abgesehen von der Tuberkulose (§ 10 Abs. 1 Nr. 12), auch die verdächtigen Tiere mit Tieren aus anderen Ställen nicht in Berührung kommen. Ter beamtete Tierarzt hat die Art, den Stand und die Ursachen der Krankheit zu ermitteln und sein Gut­ achten darüber abzugeben, ob durch den Befund der Ausbruch der Seuche fest­ gestellt oder der Verdacht eines Seuchenausbruchs begründet ist und welche besonderen Maßregeln zur Bekämpfung der Seuche erforderlich erscheinen. In eiligen Fällen kann der beamtete Tierarzt schon vor polizeilichem Einschreiten die sofortige vorläufige Einsperrung und Absonderung der er­ krankten und verdächtigen Tiere, nötigenfalls auch deren Bewachung sowie nach Vorschrift der Landesregierungen sonstige dringliche Maßnahmen zur Verhütung der Weiterverbreitung der Seuche anordneu. Die getroffenen vor­ läufigen Anordnungen sind dem Besitzer der Tiere oder dessen Vertreter ent­ weder zu Protokoll oder durch schriftliche Verfügung zu eröffnen, auch ist davon der Polizeibehörde unverzüglich Anzeige zu machen. Auf Ersuchen des beamteten Tierarztes hat der Vorsteher des Seuchen­ orts für die vorläufige Bewachung der erkrankten und verdächtigen Tiere so­ wie für die Durchführung der dringlichen Maßregeln zu sorgen. 8 12, Wenn über den Ausbruch einer Seuche nach dem Gutachten des beamteten Tierarztes nur mittels Tötung und Zerlegung eines verdächtigen Tieres oder nur mittels Impf- oder Blutprobe Gewißheit zu erlangen ist, so können diese Maßregeln von der Polizeibehörde angeordnet werden. 8 13. Auf die gutachtliche Erklärung des beamteten Tierarztes, daß der Ausbruch der Seuche festgestellt sei, oder daß der begründete Verdacht eines Seuchenausbruchs vorliege, hat öte Polizeibehörde die erforderlichen Schutz­ maßregeln nach diesem Gesetz und den zu dessen Ausführung erlassenen Vor­ schriften (§ 79) zu treffen und wirksam durchzuführen. 8 14, Ist der Ausbruch der Maul- und Klauenseuche, des Bläschenaus­ schlags der Pferde oder des Rindviehs, des Rotlaufs der Schweine, der Ge­ flügelcholera oder der Hühnerpest (§ 10 Abs. 1 Nr. 4, 7, 10, 11) durch das Gutachten des beamteten Tierarztes festgestellt, so kann die Polizeibehörde auf die Anzeige neuer Seuchenausbrüche in dem Seuchenorte selbst oder in unmittel­ bar angrenzenden Ortschaften sofort die erforderlichen Schutzmaßregeln anord­ nen, ohne daß es einer nochmaligen Zuziehung des beamteten Tierarztes bedarf. Dieser ist jedoch durch die Polizeibehörde von jedem weiteren Seuchen­ falle zu benachrichtigen. Tas Gleiche kann für die Schweineseuche (§ 10 Abs. 1 Nr. 9) und für die­ jenigen Seuchen, auf die gemäß § 10 Abs. 2 die Anzeigepflicht ausgedehnt svorden ist, von den Landesregierungen bestimmt werden. 8 15, In allen Fällen, in denen dem beamteten Tierarzte die Fest­ stellung des Krankheitszustandes eines verdächtigen Tieres obliegt, ist es dem Besitzer unbenommen, das Gutachten eines anderen approbierten Tierarztes einzuholen. Tie Anordnung und die Ausführung der Schutzmaßregeln werden hierdurch nicht aufgehalten. Bei Ermittlung einer Seuche durch Zerlegung eines Tieres sind aber die für die Feststellung der Seuche erforderlichen Teile auf-

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Erster Teil.

Strafgesetze.

zubewahren, falls der Besitzer oder dessen Vertreter bei Mitteilung des amts­ tierärztlichen Befundes sofort erklärt, daß er das Gutachten eines anderen approbierten Tierarztes einzuholen beabsichtigt. Die Aufbewahrung hat unter sicherem Verschluß oder unter Überwachung auf Kosten des Besitzers so zu geschehen, daß eine Verschleppung von Krankheitskeimen nach Möglichkeit ver­ mieden wird. Tie vorgesetzte Behörde hat im Falle erheblicher Meinungsverschieden­ heiten zwischen dem beamteten Tierarzt und dem von dem Besitzer zugezogenen approbierten Tierarzt über den Ausbruch oder Verdacht einer Seuche, oder wenn aus sonstigen Grünoen erhebliche Zweifel über die Richtigkeit der An­ gaben des beamteten Tierarztes obwalten, sofort ein tierärztliches Obergut­ achten einzuziehen und dementsprechend das Verfahren zu regeln. 8 16, Alle Viehmärkte sowie oie Viehhöfe und Schlachthöfe einschließlich der öffentlichen Schlachthäuser sind durch beamtete Tierärzte zu beaufsichtigen. Jahr- und Wochenmärkte, auf denen Vieh nur in geringem Umfange ge­ handelt wird, können von den Landesregierungen ausnahmsweise von der Beaufsichtigung befreit werden Die Beaufsichtigung kann auf die zu Handelszwecken oder zum öffent­ lichen Verkaufe zusammengebrachten Viehbestände, auf die zu Zuchtzwecken öffentlich aufgestellten männlichen Zuchttiere, auf öffentliche Tierschauen, auf die durch obrigkeitliche Anordnung veranlaßten Zusammenziehungen pon Vieh, auf private Schlachthäuser und Gastställe, auf Ställe und Betriebe von Viehhändlern und Abdeckern sowie auf gewerbliche Viehmästereien ausgedehnt werden. c) Schutzmaßregeln gegen Seuchengefahr 8 17, Zum Schutze gegen die ständige Gefährdung der Viehbestände durch Viehseuchen können folgende Maßnahmen angeordnet werden: 1. Amtstierärztliche oder tierärztliche Untersuchung von Vieh vor dem Ver­ laden und vor oder nach dem Entladen im Eisenbahn- und Schiffs­ verkehre; 2 Verbot oder Beschränkung des Treibens von Vieh, das sich im Besitze von Viehhändlern befindet, auf öffentlichen Wegen und des Treibens Don Vieh auf dem Wege zum oder vom Markte sowie Beschränkung des Treibens von Wanderherden; 3. Beibringung von Ursprungs- und Gesundheitszeugnissen für da.s im Besitze von Viehhändlern befindliche und für das auf Märkte oder öffent­ liche Tierschauen gebrachte Vieh; 4. Führung von Kontrollbüchern durch die Viehhändler und Kennzeichnung von Vieh; 5. Regelung der Einrichtung und des Betriebs von Molkereien, insbesondere für Sammelmolkereien das Verbot der Abgabe oder der sonstigen Ver­ wertung von Magermilch und anderen Milchrückständen, sofern nicht vorher eine Erhitzung bis zu einem bestimmten Wärmegrad und für eine bestimmte Zeitdauer stattgefunden hat: 6. Verbot des Umherziehens mit Zuchthengsten zum Decken von Stuten und Beschränkung des Handels mit Vieh, der ohne vorgängige Bestellung entweder außerhalb des Gemeindebezirkes der gewerblichen Niederlassung des Händlers oder ohne Begründung einer solchen stattfindet; 7. Überwachung der beim Bergwerks- oder Schiffahrtsbetrieb und der beim Gewerbebetrieb im Umherziehen benutzten Zugtiere; 8. Bezeichnung der Hunde durch Halsbänder mit Namen und Wohn­ ort oder Wohnung des Besitzers; 9. Einführung von Deckregistern für Pferde und Rindvieh; 10. Herstellung von undurchlässigem Boden auf Viehladestellen für den öffentlichen Verkehr; 11. Reinigung und Desinfektion der zur Beförderung von Vieh, tierischen Erzeugnissen oder tierischen Rohstoffen dienenden Fahrzeuge mit Ein­ schluß von Schiffen sowie der bei einer solchen Beförderung benutzten Behältnisse und Gerätschaften und der Ladeplätze;

136. Viehseuchengesetz vom 26. Juni 1909.

§§ 16—21.

601

12. Regelung der Einrichtung und des Betriebs von Viehausstellungen, Viehmärkten, Viehhöfen, Schlachthöfen uno gewerblichen Schlachtstätten, insbesondere auch räumliche Trennung der Viehhöfe von den Schlacht­ höfen, Anlegung getrennter Zu- und Abfuhrwege für Viehmärkte, Vieh­ höfe und Schlachthöfe sowie Verbot des Abtriebs von Vieh von Schlachtviehmärkten zu anderen Zwecken als zur Schlachtung pder zum Auftrieb auf andere Schlachtviehmärkte; 13. Regelung der Einrichtung und des Betriebs von Gastställen ünd Ställen von Viehhändlern; 14. Regelung der Einrichtung und des Betriebs von Abdeckereien einschließlich der Anlagen zur gewerbsmäßigen Beseitigung oder Verarbeitung von Kadavern und tierischen Teilen; 15. Regelung der Beseitigung oder der Reinigung von Abwässern und Abfällen in Gerbereien, Fell- und Häutehandlungen; 16. Regelung des Verkehrs mit Viehseuchenerregern und ihrer Aufbewah­ rung sowie Bestimmung der Vorsichtsmaßregeln, die bei der Aus­ führung wissenschaftlicher Arbeiten mit solchen Erregern zu beobachten sind; 17. Regelung der Herstellung und Verwendung von Impfstoffen, die zum Schutze gegen Viehseuchen oder zu deren Heilung bestimmt sind; 18. Regelung des Gewerbebetriebs der Viehkastrierer 8 18, Zum Schutze gegen eine besondere Seuchengefahr und für deren Dauer können unter Berücksichtigung der beteiligten Wirtschafts- und Verkehrsinteressen die nachstehenden Maßregeln (§§ 19 bis 30) angeordnet werden. § 19. 1. Absonderung, Bewachung oder polizeiliche Beobachtung der an der Seuche erkrankten, der verdächtigen und der für die Seuche empfäng­ lichen Tiere. Beschränkungen des Personenverkehrs innerhalb der Räumlichkeiten (Gehöft, Stall, Standort, Hofraum, Weidesläche, Viehausstellung, Marktplatz usw.), in denen sich derartige Tiere befinden, und auf öffentlichen Wegen. Für Räumlichkeiten, in denen sich nicht kranke oder verdächtige, sondern nur Mr die Seuche empfängliche Tiere befinden, und auf öffentlichen Wegen darf die Beschränkung des Personenverkehrs nur angeordnet werden, soweit sie in diesem Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist Ter Besitzer eines der Absonderung oder polizeilichen Beobachtung unterworfenen Tieres ist verpflichtet, solche Einrichtungen zu treffen, daß das Tier für die Dauer der Absonderung oder Beobachtung die ihm bestimmte Räumlichkeit nicht verlassen kann und außer aller Berührung und Gemein­ schaft mit anderen Tieren bleibt. Auch dürfen die Kadaver abgesonderter, bewachter oder polizeilich beobachteter Tiere nicht ohne polizeiliche Genehmi­ gung geöffnet oder beseitigt werden 8 20, 2. Beschränkungen der Benutzung, der Verwertung oder des Transports kranker oder verdächtiger Tiere, ihrer Kadaver, der von ihnen stammenden Erzeugnisse oder solcher Gegenstände, die mit kranken oder verdächtigen Tieren oder ihren Kadavern in Berührung gekommen oder sonst geeignet sind, die Seuche zu verschleppen. Beschränkungen des Transports und der Benutzung der für die Seuche empfänglichen und solcher Tiere, die geeignet sind, die Seuche zu verschleppen. Verbot oder Beschränkung des Handels mit Tieren, die ohne vorgängige Bestellung entweder außerhalb des Gemeindebezirkes der gewerblichen Nieder­ lassung des Händlers oder ohne Begründung einer solchen stattfindet. 8 21. 3. Verbot des gemeinschaftlichen Weidegangs von Tieren aus den Viehbeständen verschiedener Besitzer und der Benutzung bestimmter Weide­ flächen, ferner der gemeinschaftlichen Benutzung von Brunnen, Tränken und Schwemmen und des Verkehrs mit seuchenkranken oder verdächtigen Tieren auf öffentlichen oder gemeinschaftlichen Straßen und Triften. Verbot des freien Umherlaufens der Haustiere mit Ausnahme der Katzen und des Geflügels.

602

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 22 4. Sperre des Stalles oder sonstigen Standorts seuchenkranker oder verdächtiger Tiere, des Gehöfts, des Ortes, der Weidefläche, der Feldmark oder eines ohne Rücksicht auf Feldmarkgrenzen bestimmten, tun­ lichst eng zu bemessenden Gebiets gegen den Verkehr mit Tieren und mit solchen Gegenständen, die Träger des Ansteckungsstoffs sein können. Tie Sperre der Feldmark oder eines über die Feldmark hinaus­ gehenden Gebiets darf erst dann verfügt werden, wenn der Ausbruch der Seuche durch das Gutachten des beamteten Tierarztes festgestellt ist und wenn die Seuche ihrer Beschaffenheit nach eine größere und allgemeinere Gefahr einschließt. Die Sperre kann auf einzelne Straßen oder Teile des Ortes oder der Feldmark beschränkt werden. Die Sperre eines Stalles oder sonstigen Standorts, eines Gehöfts oder einer Weidefläche verpflichtet den Besitzer, die zur wirksamen Durch­ führung der Sperre vorgeschriebenen Einrichtungen zu treffen. 8 23. 5. Impfung der für die Seuche empfänglichen Tiere, tierärztliche Behandlung der erkrankten und der verdächtigen Tiere sowie Beschränkungen in der Befugnis zur Vornahme von Heilversuchen. 8 24. 6. Tötung der an der Seuche erkrankten oder verdächtigen Tiere. Die Tötung darf nur in den Fällen angeordnet werden, die in diesem Gesetz ausdrücklich vorgesehen sind. Die Vorschrift unverzüglicher Tötung der an einer Seuche erkrankten oder, verdächtigen Tiere findet, wo sie in diesem Gesetz enthalten ist, keine Anwendung auf Tiere, die einer der Staatsaufsicht unterworfenen höheren Lehranstalt übergeben sind, um dort für deren Zwecke verwendet zu werden, ferner auf Ti?re, die unter staatlicher Aufsicht für die Erforschung oder Bekämpfung von Seuchen benutzt werden. 8 25. 7. Tötung von Tieren, die bestimmten Verkehrs- oder Nutzungs­ beschränkungen oder der Absperrung unterworfen sind und in verbots­ widriger Benutzung oder außerhalb der ihnen angewiesenen Räumlichkeit oder an Orten betroffen werden, zu denen der Zutritt verboten ist. 8 26. 8. Unschädliche Beseitigung der Kadaver oder Kadaverteile (Fleisch, Häute, Blut, Eingeweide, Hörner, Klauen usw.), der Streu, des Düngers oder anderer Abfälle von kranken oder verdächtigen Tieren. 8 27, 9. Reinigung und Desinfektion der Ställe, Standorte, Ladestellen, Marktplätze und Wege, die von kranken oder verdächtigen oder von zusammen­ gebrachten und für die Seuche empfänglichen Tieren benutzt sind. Reinigung und Desinfektion oder, falls diese Maßnahmen sich nicht wirksam durchführen lassen, unschädliche Beseitigung des Düngers, der Streu­ end Futtervorräte, der Gerätschaften, Kleidungsstücke und sonstigen Gegen­ stände, die mit kranken oder verdächtigen Tieren in Berührung gekommen sind oder von denen sonst anzunehmen ist, daß sie Ansteckungsstoffe enthalten. Erforderlichenfalls auch Reinigung und Desinfektion von Tieren, die Träger des Ansteckungsstoffs sein können, und von Personen, die mit kranken oder verdächtigen Tieren in Berührung gekommen sind. Die Durchführung dieser Maßregeln erfolgt unter Beobachtung etwaiger Anordnungen des beamteten Tierarztes und unter polizeilicher Überwachung. 8 28. 10. Einstellung oder Beschränkung der Viehmärkte, der Jahrund Wochenmärkte, der Körungen, Viehversteigerungen und öffentlichen Tier­ schauen. Viehversteigerungen auf dem eigenen nicht gesperrten Gehöfte des Besitzers können nur dann verboten werden, wenn Tiere zum Verkaufe kommen, die sich weniger als drei Monate im Besitze des Versteigerers befinden. 8 29. 11. Amtstierärztliche oder tierärztliche Untersuchung der am Seuchenort oder in dessen Umgegend vorhandenen, für die Seuche empfäng­ lichen Tiere. 8 30. 12. Öffentliche Bekanntmachung des Ausbruchs der Seuche. Ist diese Bekanntmachung erfolgt, so muß auch das Erlöschen der Seuche unverzüglich öffentlich bekannt gemacht werden.

136. Viehseuchengesetz vom 26. Juni 1909.

§§ 22—40.

603

2. Besondere Vorschriften für einzelne Seuchen.

8 3L Bei den nachbenannten Seuchen greifen folgende besonderen Vorschriften mit der Maßgabe Platz, daß außerdem alle nach den sonstigen Vorschriften dieses Gesetzes zulässigen Maßregeln angeordnet werden können, Milzbrand, Raus chbrand, Wild- und Rinderseuche. 8 32, Tiere, die an Milzbrand oder Rauschbrand erkrankt oder einer dieser Seuchen verdächtig sind, dürfen nicht geschlachtet werden. 8 33. Die Vornahme blutiger Operationen an Tieren, die an Milz­ brand oder Rauschbrand erkrankt oder einer dieser Seuchen verdächtig sind, ist nur approbierten Tierärzten gestattet. Eine Öffnung des Kadavers darf ohne polizeiliche Erlaubnis nur von approbierten Tierärzten vorgenommen werden. 8 34. Tie Kadaver gefallener oder getöteter Tiere, die mit Milz­ brand oder Rauschbrand behaftet waren oder bei denen der Verdacht einer dieser Seuchen vorliegt, müssen sofort nach Anweisung des beamteten Tier­ arztes unschädlich beseitigt werden. Bis dahin ist für eine Aufbewahrung Sorge zu tragen, durch die eine Verschleppung von Krankheitskeimen nach Möglichkeit vermieden wird. Das Abhäuten der Kadaver ist verboten. Jedoch kann das Abhäuten von Rauschbrandkadavern unter ausreichenden Vorsichtsmaßregeln gestattet werden. Die gleichen Vorschriften finden beim Ausbruche des Milzbrandes oder Rauschbrandes unter Wildständen auf das gefallene oder getötete Mld Anwendung. 8 35. Die Vorschriften der §§ 32 bis 34 können auf die Wildund Rinderseuche ausgedehnt werden.

a)

b) Tollwut. 8 36, Hunde oder sonstige Haustiere, die der Seuche verdächtig sind, müssen von dem Besitzer oder demjenigen, unter dessen Aufsicht sie stehen, sofort getötet oder bis zu polizeilichem Einschreiten in einem sicheren Behältnis eingesperrt werden. 8 37. Vor polizeilichem Einschreiten dürfen bei wutkranken pder der Seuche verdächtige Tiere keinerlei Heilversuche angestellt werden. 8 38, Das Schlachten wutkranker oder der Seuche verdächtiger Tiere und jeder Verkauf oder Verbrauch einzelner Teile, der Milch oder sonstiger Erzeugnisse solcher Tiere sind verboten. 8 39. Für Tiere, bei denen die Tollwut festgestellt ist, ist die sofortige Tötung polizeilich anzuordnen, für Hunde und Katzen auch dann, wenn das tierärztliche Gutachten nur auf Verdacht der Seuche lautet. Wenn ein der Seuche verdächtiger Hund oder eine der Seuche verdächtige Katze einen Men­ schen gebissen hat, so kann das Tier eingesperrt und bis zur Bestätigung oder Beseitigung des Verdachts polizeilich beobachtet werden. Für Hunde und Katzen, von denen anzunehmen ist, daß sie mit wut­ kranken Tieren oder der Seuche verdächtigen Hunden oder Katzen (Abs. 1) in Berührung gekommen sind, ist gleichfalls die sofortige Tötung polizeilich an­ zuordnen. Andere Tiere sind unter der gleichen Voraussetzung sofort der poli­ zeilichen Beobachtung zu unterstellen. Auch kann für Hunde statt der Tötung ausnahmsweise eine mindestens dreimonatige Einsperrung gestattet werden, falls sie nach dem Ermessen der Polizeibehörde mit genügender Sicherheit durchzuführen ist, und der Besitzer des Hundes die daraus und aus der polizei­ lichen Überwachung erwachsenden Lasten trägt. 8 49. Ist ein wutkranker oder der Seuche verdächtiger Hund frei umher­ gelaufen, so muß für die Dauer der Gefahr die Festlegung aller in dem ge­ fährdeten Bezirke vorhandenen Hunde polizeilich angeordnet werden. Der Festlegung ist das Führen der mit einem sicheren Maulkorbe versehenen Hunde an der Leine gleich zu erachten. Auch kann für mindergefährdere Bezirksteile

604

Erster Teil.

Strafgesetze.

zugelassen werden, daß die Hunde entweder ohne Maulkorb an der Leine geK werden oder mit Maulkorb unter gewissenhafter Überwachung frei laufen , n. Es kann angeordnet werden, daß Hunde, die diesen Vorschriften zu­ wider umherlaufend betroffen werden, sofort zu töten sind. 8 41. Die Kadaver der gefallenen oder getöteten wutkranken oder der Seuche verdächtigen Tiere müssen sofort unschädlich beseitigt werden. Tas Abhäuten solcher Kadaver ist verboten. c) Rotz. 8 42. Sobald der Rotz bei Tieren festgestellt ist, muß deren unverzügliche Tötung angeordnet werden. 8 43. Verdächtige Tiere unterliegen der Absonderung und polizeilichen Beobachtung mit den nach Lage des Falles erforderlichen Verkehrs- und Nutzungsbeschränkungen oder der Sperre (§§ 19 bis 22). Tas Schlachten rotzkranker oder der Seuche verdächtiger Tiere ist ver­ boten. 8 44. Die Tötung verdächtiger Tiere muß von fter Polizeibehörde an­ geordnet werden, wenn von dem beamteten Tierarzte der Ausbruch der Rotzkrankheit auf Grund der vorliegenden Anzeichen für wahrscheinlich erklärt wird oder wenn durch anderweite, den Vorschriften dieses Gesetzes entsprechende Maßregeln ein wirksamer Schutz gegen die Verbreitung der Seuche nach Lage des Falles nicht erzielt werden kann; sie darf außerdem angeordnet werden, wenn die beschleunigte Unterdrückung der Seuche im öffentlichen Inter­ esse erforderlich ist. 8 45. Die Kadaver gefallener oder getöteter rotzkranker oder der Seuche verdächtiger Tiere müssen sofort nach Anweisung des beamteten Tierarztes unschädlich beseitigt werden. Bis dahin ist für eine Aufbewahrung Sorge zu tragen, durch die eine Verschleppung von Krankheitskeimen nach Möglich­ keit vermieden wird. Tas Abhäuten solcher Kadaver ist verboten. 8 46. Die Polizeibehörde hat von jedem ersten Seuchenverdacht und von jedem ersten Seuchenausbruch in einer Ortschaft sowie von dem Ver­ lauf und von dem Erlöschen der Seuche dem Generalkommando desjenigen Armeekorps sowie dem Vorstande desjenigen landesherrlichen oder Staats­ gestüts, in dessen Bezirk der Seuchenort liegt, sofort schriftlich Mitteilung zu machen. Ist der Seuchenort ein Truppenstandort, so ist die Mitteilung auch dem Gouverneur, Kommandanten oder Garnisonsältesten Zu machen d) Maul- und Klauenseuche. 8 47. Für einen verseuchten Ort oder einen bestimmten gefährdeten Bezirk kann der Verkehr von Personen auch in Räumlichkeiten (Gehöft, Stall, Standort, Hofraum, Weidefläche, Viehausstellung, Marktplatz usw.), in denen sich für die Seuche empfängliche Tiere befinden, beschränkt oder in­ soweit ausgeschlossen werden, als er nicht zur Wartung und Pflege des Viehes sowie zur Einbringung der Ernte erforderlich ist. Innerhalb eines gefährdeten Bezirkes dürfen, unbeschadet der nach den allgemeinen Vorschriften zulässigen Beschränkungen des Verkehrs mit Tieren, öffentliche Wege vorübergehend gegen den Verkehr auch von Personen gesperrt werden, wenn dadurch die Benutzung von Tieren, die einer Sperre (Z 22) unterliegen, zur Feldarbeit oder der Auftrieb solcher Tiere auf die Weide er­ möglicht oder erleichtert wird. 8 48. Tas Weggeben roher Milch aus Sammelmolkereien und die son­ stige Verwertung solcher Milch können in Zeiten der Seuchengefahr und für deren Dauer verboten werden Ist der Ausbruch der Maul- und Klauenseuche festgestellt, so muß das Weggeben von Milch aus dem Seuchengehöft an die Bedingung der vorherigen Erhitzung bis zu einem bestimmten Wärmegrad und für eine bestimmte Zeit-

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§§ 41—58.

dauer geknüpft werden. Kann eine wirksame Erhitzung nicht gewährleistet werden, so ist das Weggeben von Milch aus dem Seuchengehöfte zu ver­ bieten. Für die Abgabe von Milch an Sammelmolkereien, in denen eine wirk­ same Erhitzung der gesamten Milch gewährleistet ist, können Ausnahmen zugelassen werden. Für Gehöfte, in denen die Seuche nicht herrscht, die jedoch in einem Sperrgebiete (§ 22) liegen, können die nach Abs. 2 zulässigen Anordnungen getroffen werden.

8 49. Wenn die Maul- und Klauenseuche in einer sonst seuchen­ freien Gegend nur vereinzelt herrscht, so kann die Tötung der seuchen­ kranken und der verdächtigen Tiere angeordnet werden, sofern anzunehmen ist, daß die Seuche dadurch getilgt werden kann. e) Lungenseuche des Rindviehs.

8 50. Die Vorschrift des § 47 Abs. 2 findet sinngemäße Anwendung. 8 51. Die Polizeibehörde hat die Tötung der nach dem Gutachten des beamteten Tierarztes an der Lungenseuche erkrankten Tiere anzuordnen und kann auch die Tötung verdächtiger Tiere anordnen. Außer in dem Falle polizeilicher Anordnung darf eine LungenseucheJmpfung nicht vorgenommen werden.

f)

Pockenseuche

der

Schafe.

8 52. Die Vorschrift des § 47 Abs. 2 findet sinngemäße Anwendung. 8 53. Ist die Pockenseuche in einer Schafherde festgestellt, so muß die Impfung aller zur Zeit noch seuchenfreien Stücke der Herde angeordnet werden. Auf den Antrag des Besitzers der Herde oder seines Vertreters kann für die Vornahme der Impfung eine Frist gewährt werden, wenn nach dem Gutachten des beamteten Tierarztes die sofortige Impfung nicht zweckmäßig ist. Auch kann auf den Antrag des Besitzers oder seines Vertreters von der Anwendung der Impfung ganz Abstand genommen werden, sofern die Abschlachtung der noch seuchenfreien Stücke der Herde innerhalb 10 Tagen nach Feststellung des Seuchenausbruchs gesichert ist.

8 54. Gewinnt die Seuche eine größere Ausdehnung oder ist nach den örtlichen Verhältnissen die Gefahr einer Verschleppung der Seuche in die benachbarten Schafherden nicht auszuschließen, so kann die Impfung der von der Seuche bedrohten Herden und aller in demselben Orte befind­ lichen Schafe polizeilich angeordnet werden. 8 55. Die geimpften Schafe sind rücksichtlich der polizeilichen Schutz­ maßregeln den pockenkranken gleich zu behandeln. 8 56. Außer in dem Falle polizeilicher Anordnung (§§ darf eine Pockenimpfung der Schafe nicht vorgenommen werden.

53, 54)

g) Beschälseuche der Pferde und Bl ä s ch en a us sch lag Pferde und des Rindviehs.

der

8 57. Pferde, die an der Beschälseuche, und Pferde oder Rindvieh­ stücke, die an dem Bläschenausschlage der Geschlechtsteile leiden, sowie Tiere der genannten Arten, die einer dieser Seuchen oder der Ansteckung verdächtig sind, dürfen so lange nicht zur Begattung zugelassen werden, als nicht durch den beamteten Tierarzt die vollständige Heilung und Un­ verdächtigkeit der Tiere festgestellt ist. 8 58. Tritt die Beschälseuche in einem Bezirk in größerer 'Aus­ dehnung auf, so kann die Zulassung der Pferde zur Begattung für die Tauer der Gefahr allgemein von einer vorgängigen Untersuchung durch den beamteten Tierarzt abhängig gemacht werden.

606

Erster Teil.

Strafgesetze.

h) Räude der Einhufer und der Schafe. 8 69. Wird die Räude bei Einhufern (sarcoptes oder dermatocoptes* Räude) oder Schafen (dermatoeoptes-Räude) festgestellt, so kann der Besitzer angehalten werden, die räudekranken und verdächtigen Tiere und die Schaf­ herden, in denen die Räude herrscht, sofort dem Heilverfahren eines appro-i vierten Tierarztes zu unterwerfen, sofern er nicht die Tötung der Tiere vorzieht. Bei Schafherden, in denen die Räude herrscht, soll 'die Auswahl des Heilverfahrens dem Besitzer auf dessen Verlangen zunächst überlassen werden. Wird durch das vom Besitzer gewählte Heilverfahren die Räude nicht binnen drei Monaten nach ihrer Feststellung getilgt, so kann die Polizeibehörde die Anwendung eines bestimmten Heilverfahrens vorschreiben,

i)

der Schweine einschließlich des Nesselfiebers (Back st ein blättern). 8 60. Gewinnt der Rotlauf der Schweine eine größere Ausdehnung, so kann die Impfung der gefährdeten Schweinebestände eines Gehöfts, einer Ortschaft oder eines größeren Bezirkes angeordnet werden. Den Landesregierungen bleibt die Bestimmung überlassen, ob und unter welchen Bedingungen eine Schutzimpfung in anderen Fällen poli­ zeilich angeordnet werden darf. Rotlauf

k) Tuberkulose des Rindviehs (§ 10 Abs. 1 Nr. 12). 8 61. Die Tötung von Tieren, bei denen das Vorhandensein der Tuberkulose im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 12 festgestellt oder in hohem Grade wahrscheinlich ist, kann polizeilich angeordnet werden. Wird die Tötung nicht angeordnet oder wird sie aufgeschoben, so find gegen die Weiterverbreitung der Krankheit Schutzmaßregeln zu erlassen (§§ 19, 20, 27); insbesondere ist die Kennzeichnung der Tiere anzuordnen. Die Milch von Kühen, bei denen das Vorhandensein der Tuber­ kulose im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 12 festgestellt oder in hohem Grade wahrscheinlich ist, darf nicht weggegeben oder verwertet werden, bevor sie bis zu einem bestimmten Wärmegrad und für eine bestimmte Zeit-, dauer erhitzt worden ist. Die Milch der mit Eutertuberkulose behafteten Kühe darf auch nach dem Erhitzen weder als Nahrungsmittel für Menschen weggegeben noch zur Herstellung von Molkereierzeugnissen verwendet werden.

3e Besondere Vorschriften für Biehhöfe nnd Schlachthöfe einschließlich öffentlicher Schlachthäuser. 8 62. Auf die Viehhöfe und Schlachthöfe einschließlich der öffent­ lichen Schlachthäuser und auf das daselbst aufgestellte Vieh finden die vorstehenden Bestimmungen dieses Gesetzes mit den Änderungen Anwendung, die sich aus den nachfolgenden besonderen Vorschriften ergeben. 8 63. Wird unter dem daselbst aufgestellten Vieh der Ausbruch einer übertragbaren Seuche ermittelt oder zeigen sich bei solchem Vieh Erscheinungen, die nach dem Gutachten des beamteten Tierarztes den Aus­ bruch einer solchen Seuche befürchten lassen, so sind die erkrankten und alle verdächtigen Tiere sofort in polizeiliche Verwahrung zu nehmen und von jeder Berührung mit den übrigen auszuschließen. 8 64. Nach Feststellung des Seuchenausbruchs können Viehhöfe und Schlachthöfe einschließlich der öffentlichen Schlachthäuser ganz oder teil­ weise für die Dauer der Seuchengefahr gegen den Abtrieb der für die Seuche empfänglichen Tiere gesperrt werden. 8 65. Soweit Schlachtvieh in Frage kommt und die Art der Krank­ heit es gestattet (vgl. §§ 32, 35, 38, 43 Abs. 2), kann der Besitzer der erkrankten oder verdächtigen Tiere oder sein Vertreter angehalten werden, die sofortige Schlachtung unter Aufsicht des beamteten Tierarztes in den dazu bestimmten Räumen vorzunehmen.

136. Viehseuchengesetz vom 26. Juni 1909.

§§ 59—77.

607

Die Schlachtung kann in dringenden Fällen auch ohne vorherige Benachrichtigung des Besitzers oder seines Vertreters vorgenommen und auf alles andere in der betreffenden Räumlichkeit vorhandene, für die Seuche empfängliche Schlachtvieh ausgedehnt werden. Den Besitzern der so geschlachteten Tiere ist unverzüglich von der Schlachtung Mitteilung zu machen

4. Entschädigung für Biehverluste.

88 66-73.----------------------------------- -------------------III. Strafvorfchriften.

8 74.

Mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe von fünfzehn bis zu dreitausend Mark wird bestraft: 1. wer vorsätzlich den Vorschriften der §§ 6, 32 bis 34, 36 bis 38, 41, des § 43 Abs 2, des § 45, des § 51 Abs. 2, der §§ 56, 57, des § 61 Äbs 3, 4 zuwiderhandelt; 2 wer vorsätzlich den Vorschriften der §§ 9, 10 zuwider die ihm ob­ liegende Anzeige unterläßt oder länger als vierundzwanzig Stunden, nachdem er von der anzuzeigenden Tatsache Kenntnis erhalten hat, verzögert oder es unterläßt, die kranken und die verdächtigen Tiere von Orten, an denen die Gefahr der Ansteckung fremder Tiere besteht, fernzuhalten; die Strafverfolgung wegen unterlassener oder verzögerter Anzeige tritt nicht ein, wenn die Anzeige von einem anderen Ver­ pflichteten rechtzeitig gemacht worden ist; 3. wer vorsätzlich den auf Grund des § 7 Abs 1, des § 11 Abs. 1, 2, der §§ 19 bis 23, 26 bis 28, 35, 39, 40, des § 43 Abs 1, der §§ 47, 48, 58, 59, des § 61 Abs 2, der §§ 63, 64, 78 von der zuständigen Behörde oder dem beamreten Tierarzte getroffenen Anordnungen zuwiderhandelt; 4. wer vorsätzlich die gemäß § 17 Nr 4, § 61 Abs. 2 angebrachten Kennzeichen unbefugterweise beseitigt oder verändert; 5. wer vorsätzlich Kadaver, die auf polizeiliche Anordnung vergraben sind, oder Teile von solchen unbefugterweise ausgräbt oder wer vor­ sätzlich Kadaver, die auf polizeiliche Anordnung vergraben waren, oder Teile von solchen unbefugterweise an andere überläßt oder an sich bringt. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Geldstrafe bis zu eintausend­ fünfhundert Mark erkannt werden

8 75. Mit Geldstrafe von zehn bis einhundertfünfzig Mark oder mit Haft nicht unter einer Woche wird bestraft, wer den im § 74 Abs. 1 Nr. 1, 2 bezeichneten Vorschriften aus Fahrlässigkeit zuwiderhandelt. Eine Bestrafung wegen fahrlässiger Verzögerung der in den §§ 9, 10 vorgeschriebenen Anzeige findet nur statt, wenn die Anzeige länger als vierundzwanzig Stunden nach erhaltener Kenntnis von der anzuzeigewden Tatsache verzögert worden ist. Tie Strafverfolgung wegen fahrlässiger Unterlassung oder Verzögerung der Anzeige tritt nicht ein, wenn die Anzeige von einem anderen Verpflichteten rechtzeitig gemacht worden ist. 8 76. Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft wird bestraft: 1. wer außer den Fällen des § 74 Abs. 1 Nr. 3 den auf Grund dieses Gesetzes getroffenen Anordnungen zuwiderhandelt; 2. wer eine der im § 74 Abs 1 Nr. 4, 5 bezeichneten Handlungen aus Fahrlässigkeit begeht.

8 77. Im Falle der Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften deS § 6 oder gegen die auf Grund des § 7 Abs. 1 getroffenen Anordnungen ist neben der Strafe auf die Einziehung der verbotswidrig eingeführten Tiere, Kadaver und Teile von Tieren, tierischen Erzeugnisse und Roh­ stoffe sowie der Gegenstände, die Träger des Ansteckungsstoffs sein könne«, zu erkennen, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht.

608

Erster Teil.

Strafgesetze.

Ist die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar, so kann auf die Einziehung selbständig erkannt werden.

IV. Schlutzbeftimmun-en.

8 78.

Zur wirksamen Ausführung der in den §§ 7, 16, 17, 19 bis 29 bezeichneten Maßregeln kann eine Anzeige über das Vorhandensein, den Ab- und Zugang oder über Ortsveränderungen von Tieren oder über die in §§ 16 und 17 aufgeführten Betriebe, Unternehmungen und Veran­ staltungen vorgeschrieben werden. 8 79. Die näheren Vorschriften über die Anwendung und Ausführung der nach den §§ 16 bis 30 zulässigen Maßregeln erläßt der Bundesrat unter Berücksichtigung der in den §§ 32 bis 65 gegebenen besonderen Bestimmungen Das Gleiche gilt für die nach § 78 zulässigen Maßregeln, soweit sie sich auf die vorstehend bezeichneten Paragraphen beziehen. Weitergehende Vorschriften über die Anwendung und Ausführung der im Abs 1 bezeichneten Bestimmungen können die obersten Landesbehörden oder mit deren Ermächtigung die höheren Polizeibehörden innerhalb der Schranken dieses Gesetzes anordnen. Vor dem Erlasse der im Abs 1 bezeichneten Vorschriften und vor der Entscheidung der obersten Landesbehörden über solche nach Abs. 2 zulässige weitergehende Vorschriften, die auf Grund der §§ 16, 17 ergehen, sind Vertretungen der beteiligten Berufsstände zu hören Bei Gefahr im Verzüge kann die vorherige Anhörung unterbleiben; die Anhörung muß alsdann aber sobald als möglich nachgeholt werden Welche Vertretungen zu hören sind, wird im Falle des Abs 1 vom Bundesrat, im Falle des Abs. 2 von den obersten Landesbehörden bestimmt. Die Gültigkeit der Vorschriften hängt von der vorgeschriebenen Anhörung nicht ab. 8 80. Beschwerden des Besitzers gegen Anordnungen, die auf Grund der §§ 7, 11 bis 15, 18 bis 65, des § 78, soweit dieser sich auf bie vorstehend bezeichneten Paragraphen bezieht, oder der dazu erlassenen Aus­ führungsbestimmungen getroffen sind, haben keine aufschiebende Wirkung. Beschwerden gegen Anordnungen auf Grund anderer Bestimmungen haben nur dann aufschiebende Wirkung, wenn die Ausführung ohne Nach­ teil für das Gemeinwohl ausgesetzt bleiben kann. 8 81. Das Gesetz, betreffend die Beseitigung von Anfteckungsstoffen bei Viehbeförderungen auf Eisenbahnen, vom 25. Febr. 1876 (Reichs-Gesetzl. S. 163) wird durch das gegenwärtige Gesetz nicht berührt. 8 82.*1) Ter Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes wird durch Kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats bestimmt.

Mit

demselben Zeitpunkt tritt

das Gesetz vom

treffend die Abwehr und Unterdrückung 1894 S. 409), außer ftraft

von

Viehseuchen

be­

(Reichs-Gesetzbl.

137. 30. Gesetz, betr. die Beseitigung von Tierkadavern. Vom 17. Juni 1911

(RGBl S. 248.) Die Kadaver oder Kadaverteile aller gefallenen oder getöteten Pferde, Esel, Maultiere, Maulesel, Tiere des Rindergeschlechts, Schweine, Schafe und Ziegen sind, soweit nicht ihre Verwertung zugelassen wird, unschädlich zu beseitigen. Inwieweit und in welcher Weise eine Verwertung von Kadavern und Kadaverteilen zulässig ist, bestimmt der Bundesrat.

8 1.

*)Gem. Verordnung vom 29. März 1912 (RGBl. S. 229) ist das Gesetz am 1. Mai 1912 in Kraft getreten.

609

138. Gesetz, betr. die Bekämpfung der Reblaus v. 6 Juli 1904.

8 2. Die unschädliche Beseitigung hat durch Bergraben an geeigneten Stellen zu erfolgen, soweit sie nicht durch hohe Hitzegrade (Kochen oder Dämpfen bis zum Zerfalle der Weichteile, trockene Destillation, Verbrennen) oder auf chemischem Wege bis zur Auflösung der Weichteile geschieht In letzteren Fällen können die gewonnenen Erzeugnisse als Futtermittel für Tiere, Düngemittel oder in anderer Weise, jedoch nicht zum Genusse für Menschen, verwendet werden. g 3. Dem Landesrechte bleibt Vorbehalten, für die unschädliche Beseiti­ gung weitergehende Vorschriften als int § 1 Abs. 1 Und int § 2 enthalten sind, zu erlassen, sowie das Abdeckereiwesen einschließlich des Betriebs der Anlagen zur gewerbsmäßigen Beseitigung oder Verarbeitung von Ka­ davern und tierischen Teilen in Abweichung von der Gewerbeordnung zu regeln. 8 4. Die Landesregierungen sind befugt, Vorschriften zur Ausführung der §§ 1, 2 zu erlassen Dabei können sie bestimmen, daß die Vorschriften dieses Gesetzes nicht auf die Kadaver totgeborener Tiere und anderer Tier­ arten als der im § 1 genannten Anwendung finden 8 5» Zuwiderhandlungen gegen dieses Gesetz sowie gegen die auf Grund der §§ 1, 3, 4 dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften werden mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bestraft. 8 6. Die Vorschriften über die Beseitigung von Tierkadavern, die in den Reichsgesetzen über die Bekämpfung der Rinderpest und anderer Viehseuchen sowie über die Schlachtvieh- und Fleischbeschau und in den dazu erlassenen oder noch zu erlassenden Aussührungsbestimmungen ent­ halten sind, bleiben unberührt 8 7. Dieses Gesetz tritt gleichzeitig mit dem Biehseuchengesetze vom 26. Juni 1909 (Reichs-Gesetzbl. S. 519) in K?aft.

138. 31. Gesetz, betr. die Bekämpfung der Reblaus. Vom 6

(RGBl

Juli

1904.

S. 261.)

8 1 Alle Rebpflanzen unterliegen der amtlichen Beaufsichtigung zum Zwecke der Bekämpfung der Reblaus. Die zur Ermittelung von Verseuchungen erforderlichen Untersuchungen, bei denen eine entsprechende Anzahl von Rebstöcken entwurzelt werden darf, sind in angemessenen Zwischenräumen zu wiederholen. Rebschulen, in welchen Reben zum Verkaufe gezogen werden, sowie Rebpflanzungen in Handelsgärtnereien sind mindestens einmal jährlich zu untersuchen. Zugunsten kleiner Rebschulen können Ausnahmen durch die höheren Verwaltungsbehörden bewilligt werden. 8 2. Ten zuständigen Behörden liegt ob, durch geeignete Maßregeln der Verbreitung der Reblaus vorzubeugen und festgestellte Verseuchungen schleunig und gründlich auszurotten und zu unterdrücken. Zu diesem Zwecke können sie 1. Reben, Rebteile und Erzeugnisse des Weinstocks, gebrauchte Rebpfähle und Rehbänder vernichten und verseuchte oder der Verseuchung perdächtige Flächen und auf solchen verwendete Weinbaugerätschaften jdesinfizieren lassen; 2. das Entfernen von Reben, Rebteilen und Erzeugnissen des Wein­ stocks, ferner von anderen Pflanzen oder Pflanzenteilen, Rebpfählen, Rebbändern, Weinbaugerätschaften, Dünger, Kompost, Erde oder ein­ zelnen Bodenbestandteilen von verseuchten oder der Verseuchung ver­ dächtigen Flächen sowie das Betreten solcher Flächen verbieten und deren weitere Benutzung Beschränkungen unterwerfen; Allfeld, Strafgesetzgebung, 3. Aufil.

39

610

Erster Teil.

Strafgesetze.

3. den Anbau von Reben oder bestimmten Arten von Reben oder die Anlage von Rebschulen auf bestimmten Flächen oder innerhalb be­ stimmter Grenzen verbieten oder beschränken; insbesondere die An­ meldung aller Neuanlagen bei der Polizeibehörde anordnen; 4. den Verkehr mit Reben, Rebteilen und Erzeugnissen des Weinstocks, mit gebrauchten Rebpfählen, Rebbändern oder Weinbaugerätschaften, mit Dünger, Kompost oder aus Rebpflanzungen entnommener Erda oder -einzelnen Bodenbestandteilen sowie mit Pflanzen, welche im Ge­ menge mit Reben oder in der Nähe von Reben gewachsen sind oder mit Teilen solcher Pflanzen — ausgenommen jedoch oberirdisch ab­ zuerntende Früchte und Samen — verbieten oder beschränken. Erforderlichenfalls können auch andere Maßregeln angeordnet werden. Jedoch bedürfen Verkehrsbeschränkungen, die über das Maß von Abs 2 Nr. 4 hinausgehen, der Genehmigung des Bundesrats. Versuche zur Anzucht reblausfester Reben dürfen nur mit Genehmigung und unter Aufsicht der zuständigen Behörden veranstaltet werden; die Ge­ nehmigung ist widerruflich. 8 3. Tie am Weinbaue beteiligten Gebiete des Reichs werden in Weinbaubezirke eingeteilt, deren Abgrenzung durch den Reichskanzler im Reichs-Gesetzblatte bekannt zu machen ist Als Weinbau gilt der Anbau von Reben zum Zwecke der Gewinnung von Wein Es ist verboten, bewurzelte Reben oder Blindreben über die Grenzen eines Weinbaubezirkes zu versenden, einzuführen oder auszuführen. Ausnahmen können für Blindreben und im Verkehre zwischen benachbarten Weinbaubezirken zugunsten einer Person, welche in beiden Bezirken Reb­ pflanzungen besitzt, auch für Wurzelreben durch die höheren Verwaltungs­ behörden zugelassen werden; die Bewilligung sonstiger Ausnahmen bedarf der Zustimmung des Reichskanzlers Die Durchfuhr von bewurzelten Reben, welche weder aus einem Weinbaubezirke stammen, noch zur Einfuhr in einen solchen bestimmt sind, unterliegt dem Verbote des Abs 3 nicht, kann jedoch Beschränkungen unter­ worfen werden.

8 4. Der zur Nutzung eines mit Reben bestandenen Grundstücks Berechtigte ist verpflichtet, der Ortspolizeibehörde unverzüglich alle ver­ dächtigen Erscheinungen anzuzeigen, welche auf das Auftreten der Reb­ laus auf seinem oder einem benachbarten Grundstück oder innerhalb des Gemeindebezirkes oder selbständigen Gutsbezirkes, welchem sein Grundstück angehört, schließen lassen. Zu der Anzeige sind auch Weinbergsaufseher sowie die mit dem Vollzüge dieses Gesetzes betrauten Personen hinsichtlich der Bezirke verpflichtet, auf welche sich ihre Tätigkeit erstreckt. Die Anzeigepflicht entsteht nicht, wenn von anderer Seite bereits Anzeige erstattet worden ist. 8 5. Wer mit Reben oder Rebteilen Handel treibt, ist verpflichtet, Bücher zu führen, aus welchen die Herkunft^ die Abgabe und der Ver­ sand der Reben oder Rebteilen zu ersehen ist, und der höheren Beri waltungsbehörde auf Verlangen unter Vorlage dieser Bücher über die bezeichneten Punkte Auskunft zu geben. Die Bücher sind bis zum Ab­ laufe von zehn Jahren, von dem Tage der darin vorgenommenen letzten Eintragung an gerechnet, aufzubewahren

8 6. Derjenige, dessen Rebpflanzungen von den in den §§ 1 und 2 bezeichneten Maßregeln betroffen werden, ist befugt, aus der Kasse des Bundesstaates, zu dessen Gebiete das betreffende Grundstück gehört, den Ersatz des Wertes der vernichteten und des Minderwertes der bei der Untersuchung beschädigten gesunden Reben zu verlangen Wird eine Rebpflanzung vernichtet, welche weder verseucht noch der Verseuchung verdächtig ist, so erstreckt sich der Ersatzanspruch auf den vollen Betrag des Schadens.

138. Gesetz, bett, die Bekämpfung der Reblaus v. 6. Juli 1904.

611

Die Bestimmungen darüber, nach welchen Grundsätzen die Entschä­ digung zu ermitteln und festzustellen ist, sind von den Bundesstaaten zu treffen. 8 7. Eine Entschädigung wird nicht gewährt: 1. wenn die Vernichtung dadurch veranlaßt wird, daß bei Anlage odev Erneuerung der Rebpflanzung eine zum Schutze gegen die Reblaus erlassene gesetzliche Vorschrift oder polizeiliche Anordnung verletzt wor­ den ist; 2 wenn außer dem Falle der Nr 1 der Beschädigte oder sein Erb­ lasser in bezug auf die von der Vernichtung betroffene Fläche oder in bezug auf eine andere Fläche, von welcher die Reblaus auf die erstere Fläche verschleppt worden ist, eine zum Schutze gegen dis Reblaus erlassene gesetzliche Vorschrift oder polizeiliche Anordnung vor­ sätzlich oder fahrlässig verletzt hat, oder wenn ein anderer Vorgänger im Besitze der Fläche sich einer solchen Verletzung schuldig gemacht hat und dies dem Beschädigten oder seinem Erblasser bei dem Erwerbe bekannt war 8 8. Wer unter vorsätzlicher Verletzung der zum Schutze gegen die Reblaus erlassenen gesetzlichen Vorschriften oder polizeilichen Anordnungen eine Rebpflanzung anlegt oder erneuert oder Rebmaterial für eine Reb­ pflanzung liefert, ingleichen wer vorsätzlich oder aus grober Fahrlässigkeit die Reblaus auf einem Grundstücke verbreitet, haftet für die Kosten der durch sein Verhalten veranlaßten behördlichen Maßregeln. Zu diesen Kosten sind auch an die an Dritte zu zahlenden Entschädigungen zu rechnen. Die Bestimmungen über Festsetzung und Beitreibung der Kosten werden von den Bundesstaaten erlassen 8 0. Mit Gefängnis nicht unter einem Monat und mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark wird bestraft, wer vorsätzlich die Reblaus auf einem Grundstücke verbreitet Der Versuch ist strafbar 8 10. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft: 1. wer vorsätzlich dem Verbote des § 3 zuwider Reben über die Grenzen eines Weinbaubezirkes versendet, einführt oder ausführt; 2 wer vorsätzlich den nach Maßgabe des § 2 oder des § 3 Abs. 4 erlassenen Anordnungen oder den zum Schutze gegen die Reblaus kür die Ein- und Ausfuhr über die Grenzen des Reichs erlassenen Vorschriften zuwiderhandelt; 3. wer wissentlich unrichtige Eintragungen in die nach 8 5 zu führenden Bücher macht oder die nach Maßgabe des 8 5 von ihm geforderte Auskunft wissentlich unrichtig erteilt. 8 11. Mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Hast wird bestraft: 1. wer eine der im 8 9 oder im § 10 Nr. 1, 2 bezeichneten Hand­ lungen fahrlässig begeht; 2. wer außer dem Falle des 8 10 Nr 3 den Vorschriften über die nach 8 5 zu führenden Bücher zuwiderhandelt; 8. wer die nach Maßgabe des § 5 von ihm geforderte Auskunft ver­ weigert oder aus Fahrlässigkeit unrichtig erteilt. 8 12. Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft wird bestraft, wer der ihm nach § 4 obliegenden Anzeigepflicht nicht genügt. 8 13. Ter Bundesrat ist ermächtigt, Grundsätze für die Ausführung der tzß 1 bis 3 und des § 5 aufzustellen. Erweist sich die Unterdrückung der Reblaus in einer Gegend als nicht mehr durchführbar, so kann durch Beschluß des Bundesrats an­ geordnet werden, daß für die Gegend einzelne Vorschriften dieses Gesetzes außer Anwendung treten. In diesem Falle hat der Bundesrat über die zum Schutze des übrigen Weinbaues erforderlichen besonderen Anordnungen zu beschließen.

612

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 14. Der Vollzug dieses Gesetzes liegt den Landesregierungen ob. Die mit dem Vollzüge betrauten Personen sind befugt, in Erfüllung ihrer Aufgabe jederzeit mit ihren Gehilfen die in Betracht kommenden Grundstücke zu betreten und dort die erforderlichen Arbeiten vorzunehmen Tie Kosten der auf Anordnung der Behörden ausgeführten Vernichtung von Rebpflanzungen und Desinfektion des Bodens fallen der Kasse des Bundesstaats zur Last, zu dessen Gebiete die Rebpflanzung gehört. 8 15. Der Reichskanzler hat die Ausführung zu überwachen, ins­ besondere auf die gleichmäßige Handhabung des Gesetzes hinzuwirken; die zu diesem Zwecke abgeordneten Beamten und Sachverständigen sind befugt, den Bekämpfungsarbeiten beizuwohnen und hierbei die Erweiterung oder Wiederholung der Untersuchungen zu verlangen Tritt die Reblaus in einer solchen Gegend auf oder erlangt sie eine solche Verbreitung, daß sich die zu ergreifenden Maßregeln auf dis Gebiete verschiedener Bundesstaaten erstrecken müssen, oder daß die Gefahr der Verbreitung aus das Gebiet eines Nachbarstaats entsteht, so hat der Reichskanzler oder ein von ihm bestellter Reichskommissar für Herstellung und Erhaltung der Einheit in den seitens der Landesbehörden zu treffen­ den oder getroffenen Maßregeln zu sorgen und das zu diesem Zwecke Erforderliche anzuordnen, nötigenfalls auch die Behörden der beteiligten Bundesstaaten unmittelbar mit Anweisung zu versehen 8 16. Dieses Gesetz tritt am 1 April 1905 an die Stelle des Gesetzes betr. die Abwehr und Unterdrückung der Reblaus vom 3 Juli 1883, insoweit nicht durch Kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats für einzelne Bestimmungen ein früherer Zeitraum bestimmt wird

XL Gesetze zum Schutze der Volkswohlfahrtspstege. 139. 1. Reichsmietengesetz. Vom 24

(RGBl

März 1922

I S. 273.)

Gesetzliche Miete. 8 1. Der Vermieter wie der Mieter eines Gebäudes oder Gebäudeteils kann jederzeit dem anderen Vertragsteil gegenüber erklären, daß die Höhe des Mietzinses nach den Vorschriften dieses Gesetzes berechnet werden soll (gesetzliche Miete). Die Erklärung bedarf der schriftlichen Form. Sie hat die Wirkung, daß die gesetzliche Miete von dem ersten Termin ab, für den die Kündigung nach § 565 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zulässig sein würde, an die Stelle des vereinbarten Mietzinses tritt. Kommt ein Einverständnis über die Höhe der gesetzlichen Miete nicht zustande, so entscheidet auf Antrag eines Vertragsteils das Mieteinigungsamt. Auf Verlangen der Gemeindebehörde hat das Mieteinigungsamt Miet­ zinsvereinbarungen über Gebäude oder Gebäudeteile nachzuprüfen und, wenn der vereinbarte Mietzins im Vergleiche zu der gesetzlichen Miete für einen Vertragsteil eine schwere Unbilligkeit darstellt, an Stelle des vereinbarten Mietzinses die gesetzliche Miete festzusetzen. Tie oberste Landesbehörde kann für das ganze Land oder für bestimmte Gemeinden oder Gemeindeteile anordnen, daß das Mieteinigungsamt die Nachprüfung und Festsetzung auch von Amts wegen vornehmen kann; sie kann weiter anordnen, daß Vereinbarungen über die Höhe des Mietzinses der Gemeindebehörde oder dem Mieteinigungsamt anzuzeigen sind. Diese Vorschriften finden auch Anwendung, wenn der bisherige Miet­ zins durch das Mieteinigungsamt festgesetzt oder auf Grund landesrechtlicher Vorschriften zu berechnen war

613

139. Reichsmietengesetz v. 24. März 1922.

Berechnung der gesetzlichen Miete. Bei Berechnung der gesetzlichen Miete ist von dem MietzinS auszugehen, der für die mit dem 1. Juli 1914 beginnende Mietzeit verein* bart war (Friedensmiete). Der in der Friedensmiete für Betriebs- und Instandsetzungskosten enthaltene Betrag ist abzurechnen. Das gleiche gilt für Vergütungen, die in der Friedensmiete für die Heizstoffe für Sammel­ heizung oder Warmwasserversorgung oder für andere von der obersten Landesbehörde bestimmte Nebenleistungen (z. B. Glasversicherung) enthalten sind. Die oberste Landesbehörde hat für die abzurechnenden Beträge Hundert­ sätze der Friedensmiete festzusetzen. Der sich nach Abzug dieser Hundertsätze ergebende Betrag bildet die Grundmiete. Der Vermieter hat dem Mieter auf Verlangen Auskunft über die Höhe der Friedensmiete zu geben. Insbesondere hat der Vermieter einen in seinem Besitze befindlichen Mietvertrag über die Räume, aus dem die Höhe der Friedens­ miete hervorgeht, dem Mieter auf Verlangen vorzulegen. Besteht über die Höhe der Friedensmiete Streit, so ist sie auf Antrag eines Vertragsteils von dem Mieteinigungsamte festzustellen. War eine Friedensmiete nicht vereinbart oder läßt sie sich nicht mehr feststellen, oder weicht sie aus besonderen, in der damaligen Beschaffenheit des Raumes oder den damaligen Verhältnissen der Dertragsteile liegenden Gründen in außergewöhnlichem Umfang von dem damaligen ortsüblichen Mietzins ab, so hat das Mieteinigungsamt auf Antrag eines Bertragsteils als Friedensmiete den ortsüblichen Mietzins sestzusetzen. Das gleiche gilt für Gebäude und Gebäudeteile, die nach dem 1. Juli 1914 bezugsfertig ge­ worden oder in erheblicher Weise baulich verändert sind oder zu wesentlich anderen Zwecken verwendet werden, sofern diese Umstände einen abweichenden Mietzins rechtfertigen. Als ortsüblich ist der Mietzins anzusehen, der für die mit dem 1. Juli 1914 beginnende Zeit in der Gemeinde für Räume gleicher Art und Lage regelmäßig vereinbart war. Bei Bauten, deren FertigsteNung in der Zeit vom 1. Juli 1914 bis zum 30. Juni 1918 erfolgte, hat das Mieteinigungsamt die Friedensmiete in der Höhe festzusetzen, welche den gegen die Friedenszeit erhöhten Baukosten entspricht. Stehen in einem Gebäude die Friedensmieten der einzelnen Wohnungen oder Räume in einem offenbaren Mißverhältnisse zueinander, so hat das Mieteinigungsamt auf Antrag eines Vertragsteils die Friedensmiete innerhalb ihres Gesamtbetrags gegeneinander auszugleichen. Für das Wertverhältnis ist die Ortsüblichkeit am 1. Juli 1914 maßgebend. Der ortsübliche Mietzins ist nach Abs. 4 auch dann festzusetzen, wenn eine Festsetzung des ortsüblichen Mietzinses auf Grund landesrechtlicher Vor­ schriften erfolgt war.

g 2.

88 3-17.

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Mietenverzeichnis. g 18. Die oberste Landesbehörde kann allgemein oder für bestimmte Gemeinden anordnen, daß der Vermieter dec Gemeindebehörde binnen einer bestimmten Frist anzuzeigen hat, was ihm über die Höhe der das Haus betreffenden Friedensmieten (§ 2 Abs. 1 Satz 1) bekannt ist. In den Fällen des § 2 Abs. 3, 4 und 5 hat das Mieteinigungsamt die von ihm festgestellte oder festgesetzte Friedensmiete der Gemeindebehörde mitzuteilen. Die Gemeindebehörden haben die Anzeigen zu sammeln und nach näherer Bestimmung der obersten Landesbehörde aufzubewahren. Die oberste Landes­ behörde bestimmt auch die Form und den Inhalt der von dem Vermieter KU erstattenden Anzeige. Schlußbestimmungeu.

gg 19-22. ---------8 23. Ein Vermieter, der eine ihm nach § 1 Abs. 4 oder § 18

obliegende Anzeige vorsätzlich nicht oder nicht rechtzeitig erstattet oder wissentlich unrichtige oder unvollständige Angaben macht, wird mit Geldstrafe bis zu hunderttausend Mark oder mit Haft bestraft.

614

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 24. Dieses Gesetz- tritt zu dem von der obersten Landesbehörde be­ stimmten Tage, spätestens am 1. Juli 1922 in Kraft; gleichzeitig tritt die Verordnung über Sammelheizung und Warmwasserversorgungsanlagen in außet

Mteträumen vom

Grund der bisherigen Vorschriften festgesetzter Mietzins gilt als vereinbart. Das Gesetz tritt mit dem 1. Juli 1926 außer Kraft.

140.

2. Reichsgesetz für Zugendwohlfahrt. Vom 9. Juli 1922. (RGBl. I S. 633.)-)

Abschnitt I. Allgemeines. 8 1 Jedes deutsche Kind hat ein Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit. Tas Recht und die Pflicht der Eltern zur Erziehung werden durch dieses Gesetz nicht berührt. Gegen den Willen des Erziehungsberechtigten ist ein Eingreifen nur zulässig, wenn ein Gesetz es erlaubt. Insoweit -der Anspruch des Kindes auf Erziehung von der Familie nicht erfüllt wird, tritt, unbeschadet der Mitarbeit freiwilliger Tätigkeit, öffent­ liche Jugendhilfe ein. 8 2. Organe der öffentlichen Jugendhilfe sind die Jugendwohlfahrtsbehörden (Jugendämter, Landesjugendämter, Reichsjugendamt), soweit nicht gesetzlich die Zuständigkeit anderer öffentlicher Körperschaften oder Ein­ richtungen, insbesondere der Schule, gegeben ist. Tie öffentliche Jugendhilfe umfaßt alle behördliche Maßnahmen zur Förderung der Jugendwohlfahrt (Jugendpflege und Jugendfürsorge) und regelt sich, unbeschadet der bestehenden Gesetze, nach den folgenden Vorschriften.

Abschnitt II. JugendwohlfahrlSbehörden. 1. Jugendamt. a) Zuständigkeit. 8 3. Aufgaben des Jugendamts sind: 1. der Schutz der Pflegekinder gemäß §§ 19 bis 31; 2. die Mitwirkung im Vormundschaftswesen, insbesondere des Gemeindewaisenrats, gemäß §§, 32 bis 48;

die

Tätigkeit

*) Dazu erging das Einführungsgesetz vom 9. Juli 1922 (RGBl. I S. 647), dessen Art. 8 durch Verordnung vom 14. Februar 1924 (RGBl. I S. 110) ab­ geändert wurde. Das Gesetz lautet in dieser Fassung: Artikel 1. Tas Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt tritt am 1. April 1924 in Kraft. Die Reichsregierung kann mit Zustimmung des Reichsrats bestimmen, daß es ganz oder teilweise für einzelne Länder oder Jugendamtsbezirke zu einem früheren Zeitpunkt in Kraft tritt. In diesem Falle gilt § 78 ent­ sprechend. Artikel 2. Vorschriften der Landesgesetze, die die Jugendwohlfahrt be­ treffen, bleiben insoweit unberührt, als sie mit den Bestimmungen des Reichs­ gesetzes für Jugendwohlfahrt vereinbar sind. Artikel 3. Bis zum Erlasse des in § 3 Nr. 5 vorgesehenen Reichs­ gesetzes ist die Landesgesetzgebung befugt, die Jugendgerichtshilfe zu regeln. Artikel 4. Tie auf Grund der Artikel 135 und 136 des Einführungs-

140. Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt v. 9. Juli 1922.

§§ 1—3.

615

3. i). 4. die Mitwirkung bei der Schutzaufsicht und der Fürsorgeerziehung gemäß §§ 56 bis 76; 5. die Jugendgerichtshilfe gemäß reichsgesetzlicher Regelung; 6. die Mitwirkung bei der Beaufsichtigung der Arbeit von Kindern und jugendlichen Arbeitern nach näherer landesrechtlicher Vorschrift; 7 die Mitwirkung bei der Fürsorge für Kriegerwaisen und Kinder von Kriegsbeschädigten; 8. die Mitwirkung in der Jugendhilfe bei den Polizeibehörden, insbesondere bei der Unterbringung zur vorbeugenden Verwahrung, gemäß näherer landesrechtlicher Vorschrift. gesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch erlassenen Landesgesetze gelten als mit dem Inkrafttreten des Reichsgesetzes für Jugendwohlfahrt aufgehoben. Artikel 5. Die Bestimmung des § 69 Abs. 2 tritt spätestens am 1. Januar 1926 in Kraft; sie kann landesgesetzlich zu einem früheren Zeitpunkt in Awwendung gebracht werden. Artikel 6. In oen Fällen des § 47 gelten die Anstalten als geeignet, solange nicht die Landesjugendämter auf Grund vorliegender Tatsachen gegen­ teilig entscheiden Artikel 7. Die Landesgesetzgebung erläßt die zur Durchführung des Ge­ setzes erforderlichen Übergangsvorschriften, soweit sie nicht von der Reichsrogierung unter Zustimmung des Reichsrats getroffen werden. Artikel 8. Bis auf weiteres sind Reich und Länder nicht verpflichtet, Bestimmungen des Reichsgesetzes für Jugendwohlfahrt durchzuführen, die neue Aufgaben oder eine wesentliche Erweiterung bereits bestehender Aufgaben für die Träger der Jugendwohlfahrt enthalten. Es wird daher — unter Aufrecht)erhaltung des Gesetzes im übrigen — folgendes bestimmt: 1. Die oberste Landesbehörde kann den Gemeinden oder Gemeindeverbänden (§ 8) die Befugnis erteilen, statt der Einrichtung von Jugendämtern nach den aa 9 und 10 die dem Jugendamt obliegenden Aufgaben einer anderen nach Maßgabe des Gemeindeverfassungsrechts gebildeten Amts­ stelle der Selbstverwaltung oder einer anderen geeigneten Amtsstelle zu übertragen, die erforderlichenfalls eine auf die Jugendwohlfahrt hinwei­ sende Zusatzbezeichnung zu führen haben. Hierbei ist den im Bezirke der Amtsstelle wirkenden freien Vereinigungen für Jugendwohlfahrt und Jugendbewegung eine den Bestimmungen des § 9 Abs. 2 entsprechende Mitwirkung innerhalb der Amtsstelle zu gewährleisten. 2. Die Durchführung der §§ 12 bis 14 über das Landesjugendamt wird dem Ermessen der Länder überlassen. Die §§ 16 und 17 über das Reichs­ jugendamt treten nicht in Kraft. Im § 77 wird hinter „Landesbehörde" eingeschoben „oder dem Landesjugendamte". 3. Die oberste Landesbehörde kann von der Durchführung der Aufgaben des § 3 Nr. 5 bis 8 befreien. 4. Eine Verpflichtung zur Durchführung der im § 4 bezeichneten Aufgaben besteht nicht. 5. Die oberste Landesbehörde kann auf Antrag die Mersgrenze des § 19 herabsetzen. Die Herabsetzung ist nur zulässig, wenn die Durchführung des § 19 eine wesentliche Erweiterung bestehender Aufgaben bedeuten würde. 6. Die oberste Landesbehörde kann auf Antrag Gemeinden und Gemeinden­ verbände von der Durchführung der Bestimmungen über die gesetzliche Amtsvormundschaft (§§ 35 bis 40) befreien. 7. Die Ausübung der Schutzaufsicht (§ 60) darf auf ein Jugendamt nur mit seinem Einverständnis übertragen werden. 8. Die Bestimmung des § 70 Abs. 2 Satz 5 wird aufgehoben. Artikel 9. Solange ein Reichsverwaltungsgericht noch nicht errichtet ist, tritt an die Stelle dieses Gerichts in den Fällen des § 7 das Bundesamt für das Heimatwesen und in Fällen des § 18 das Reichsgericht. *) Aufgehoben durch Art. 2 der in vor. N. angeführten Verordnung.

616

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 4. Aufgabe des Jugendamts ist ferner, Einrichtungen und Veranstal­ tungen anzuregen, zu föroern und gegebenenfalls zu schaffen für: 1. Beratung in Angelegenheiten der Jugendlichen; 2. Mutterschutz vor und nach der Geburt; 3. Wohlfahrt der Säuglinge; 4. Wohlfahrt der Kleinkinder: 5. Wohlfahrt der im schulpflichtigen Alter stehenden Jugend außerhalb des Unterrichts; 6. Wohlfahrt der schulentlassenen Jugend. Tas Nähere kann durch die oberste Landesbehörde bestimmt weroen. 8 5. Tie Behörden des Reichs, der Länder, der Selbstverwaltungs­ körper und die Jugendämter haben sich gegenseitig und die Jugendämter ein­ ander zur Erfüllung der Aufgaben der Jugendwohlfahrt Beistand zu leisten. 8 6. Das Jugendamt hat die freiwillige Tätigkeit zur Förderung der Jugendwohlsahrt unter Wahrung ihrer Selbständigkeit und ihres satzungs­ mäßigen Charakters zu unterstützen, anzuregen und zur Mitarbeit heranzu­ ziehen, um mit ihr zum Zwecke eines planvollen Jneinandergreifens aller Organe und Einrichtungen der öffentlichen und privaten Jugendhilse und der Jugendbewegung zusammenzuwirken. 8 7 Tas Jugendamt ist zuständig für alte Minderjährigen, die in seinem Bezirk ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort haben. Für vorläufige Maß­ nahmen ist das Jugendamt zuständig, in dessen Bezirk das Bedürfnis der öffentlichen Jugendhilse hervortritt. Streitigkeiten, über die Zuständigkeit werden durch die oberste Landes­ behörde und, wenn die Jugendämter verschiedenen Ländern angehören, durch das Reichsverwaltungsgericht entschieden. b) Aufbau und Verfahren. Jugendämter sind als Einrichtungen von Gemeinden oder Ge­ meindeverbänden für das Gebiet des Teutschen Reichs zu errichten. Die oberste Landesbehörde bestimmt die Abgrenzung der Bezirke, für welche die Jugendämter zuständig sind.

8 8.

8 9. Zusammensetzung, Verfassung und Verfahren des Jugendamts wird auf Grund landesrechtlicher Vorschriften durch eine Satzung des zuständigen Selbstverwaltungskörpers geregelt. Als stimmberechtigte Mitglieder des Jugendamts sind neben den leiten­ den Beamten in der Jugendwohlfahrt erfahrene und bewährte Männer und Frauen aller Bevölkerungskreise, insbesondere aus den im Bezirke des Jugend­ amts wirkenden freien Bereinigungen für Jugendwohlfahrt und Jugend­ bewegung auf deren Vorschlag, zu berufen. Diese Bereinigungen haben An­ spruch auf zwei Fünftel der Zahl der nichtbeamteten Mitglieder. In das Jugendamt sollen hauptsächlich in der Regel nur Personen be­ rufen werden, die eine für die Betätigung in der Jugendwohlfahrt hinreichende Ausbildung besitzen, die insbesondere durch eine mindestens einjährige prak­ tische Arbeit in der Jugendwohlfahrt erworben ist. Das Vormundschaftsgericht ist zur Teilnahme an den Sitzungen des Jugendamts berechtigt und hat in ihnen beratende Stimme. 8 19. Sofern für den Bezirk einer Gemeinde oder eines Gemeinde­ verbandes ein Wohlfahrtsamt oder eine andere der Wohlfahrtspflege dienende geeignete Einrichtung der staatlichen oder der Selbstverwaltung besteht, können ihr nach näherer Maßgabe der Landesgesetzgebung durch die oberste Landes­ behörde oder eine Satzung des zuständigen Selbstverwaltungskörpers die Auf­ gaben des Jugendamts übertragen werden unter der Voraussetzung, daß die Einrichtung den Vorschriften des § 9 entspricht. Besteht für einen Bezirk ein Gesundheitsamt oder eine entsprechende Be­ hörde, so können dieser die gesundheitlichen Aufgaben übertragen werden. In diesem Falle müssen diese Behörden im Einvernehmen mit dem Jugendamte vorgehen.

140. Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt v. 9. Juli 1922.

§§ 4—16.

617

§ 11. Das Jugendamt kann die Erledigung einzelner Geschäfte oder Gruppen von Geschäften besonderen Ausschüssen, in welche auch andere Per­ sonen als seine Mitglieoer berufen werden, sowie Vereinigungen für Jugend­ hilfe und für Jugendbewegung oder einzelnen in der Jugendwohlfahrt er­ fahrenen und bewährten Männern und Frauen widerruflich übertragen. Das Nähere regelt die Reichsregierung entsprechend dem § 15 oder die oberste Lan­ desbehörde. Die Verpflichtung des Jugendamts, für die sachgemäße Erledi­ gung der ihm obliegenden Aufgaben Sorge zu tragen, wird hierdurch nicht berührt

2. Landesjugendamt. § 12. Zur Sicherung einer gleichmäßigen Erfüllung der den Jugend­ ämtern obliegenden Aufgaben und zur Unterstützung ihrer Arbeit sind Landes­ jugendämter zu errichten Größere Länder können mehrere Landesjugendämter errichten Kleinere Länder können ein gemeinsames Landesjugendamt errichten Die Jugendämter eines Landes oder eines Landesteils können dem Landes­ jugendamt eines anderen Landes angeschlossen werden Auch kann für Jugend­ ämter verschiedener Länder oder Landesteile ein Landesjugendamt errichtet werden. § 13. Dem Landesjugendamte liegen ob: 1 die Aufstellung gemeinsamer Richtlinien und die sonstigen geeigneten Maßnahmen für die zweckentsprechende und einheitliche Tätigkeit der Jugendämter seines Bezirkes; 2 die Beratung der Jugendämter und die Vermittlung der Erfahrungen auf dem Gebiete der Jugendwohlfahrt; 3 die Schaffung gemeinsamer Veranstaltungen und Einrichtungen für die beteiligten Jugendämter: 4. die Mitwirkung bei der Unterbringung Minderjähriger; 5. die Zusammenfassung aller Veranstaltungen und Einrichtungen, die sich auf die Fürsorge für gefährdete und verwahrloste Minderjährige be­ ziehen; 6. die Mitwirkung bei der Fürsorgeerziehung gemäß § 71; 7. die Vermittlung von Anregungen für die freiwillige Tätigkeit sowie die Förderung der freien Vereinigungen auf allen Gebieten der Jugend­ wohlfahrt und ihres planmäßigen Zusammenarbeitens untereinander und mit den Jugendämtern im Bereiche des Landesjugendamts; 8. die Erteilung der Erlaubnis zur Annahme von Pflegekindern durch Anstalten sowie die Aufsicht über Anstalten gemäß § 29 Weitere Aufgaben können dem Landesjugendamte durch die oberste Landesbehörde übertragen werden § 14. Zusammensetzung, Verfassung und Verfahren des Landesjugend­ amts sowie seine Stellung zu den Jugendämtern werden landesrechtlich, ge­ regelt. Im übrigen gelten § 9 Abs. 1 und 2 und § 10 Abs. 1 ent­ sprechend mit der Maßgabe, daß in das Landesjugendamt insbesondere Ver­ treter von Jugendämtern und Justizbehörden zu berufen sind. 8. Reichsjugendamt.

8 18. Zur Sicherung einer tunlichst gleichmäßigen Erfüllung der Auf­ gaben der Jugendämter kann die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichs­ rats Ausführungsvorschriften erlassen. 8 16. Bei dem Reichsministerium des Innern ist ein Reichsbeirat für Jugendwohlfahrt zu errichten In Verbindung mit ihm bildet die Reichs­ regierung das Reichsjugendamt. Ihm gehören Vertreter von Landesjugendämtern an. Tie Bestimmungen des § 9 Abs 2 gelten entsprechend. Dem Reichsjugendamte liegt ob, die Bestrebungen auf dem Gebiete der Jugendhilfe zu unterstützen, die Erfahrungen auf dem Gebiete der Jugend­ wohlfahrt zu sammeln, sie den Landesjugendämtern zu übermitteln sowie auch sonst für die Verwertung der gesammelten Erfahrungen Sorge zu tragen.

618

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 17. Die näheren Bestimmungen über den Aufgabenkreis und über Zu­ sammensetzung, Verfassung unc> Verfahren des Reichsjugendamts werden von der Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats erlassen. 4. Beschwerde.

8 18. Das Beschwerderecht gegen Entscheidungen des Jugendamts und des Landesjugendamts regelt sich nach Landesrecht. Bei Rechtsbeschwerden aus diesem Gesetz entscheidet im letzten Rechtszug das Reichsverwaltungsgericht. Das Nähere regelt die Reichsregierung mit Zu­ stimmung des Reichsrats

Abschnitt HI. Schutz der Pflegekinder.

1. Erlaubnis zur Annahme. 8 19. Pflegekinder sind Kinder unter 14 Jahren, die sich dauernd oder nur für einen Teil des Tages, jedoch regelmäßig, in fremder Pflege befinden, sss sei denn, daß von vornherein feststeht, daß sie unentgeltlich in vorübergehende Bewahrung genommen werden 8 29. Wer ein Pflegekind aufnimmt, bedarf dazu der vorherigen Er­ laubnis des Jugendamts. In dringenden Fällen ist die nachträgliche Erlaub­ nis unverzüglich zu bewirken. Wer mit einem solchen Kinde in den Bezirk eines Jugendamts zuzieht, hat die Erlaubnis zur Fortsetzung der Pflege un­ verzüglich einzuholen. Steht von vornherein fest, daß ein Kind unentgeltlich oder nicht ge­ werbsmäßig in vorübergehende Bewahrung genommen wird, so genügt die Anmeldung bei dem Jugendamte. 8 21. Die Bestimmungen dieses Abschnitts finden keine Anwendung, wenn eheliche Kinder bei Verwandten oder Verschwägerten bis zum dritten Grade verpflegt werden, es sei denn, daß diese Personen Kinder entgeltlich, gewerbsmäßig oder gewohnheitsmäßig in Pflege nehmen. Tie Bestimmungen dieses Abschnitts finden ferner keine Anwendung auf Kinder, die aus Anlaß auswärtigen Schulbesuchs für einen Teil des Tages in Pflege genommen werden, sowie auf solche Kinder, die zum Zwecke des Schulbesuchs in auswärtigen Schulorten in Familien untergebracht sind, wenn diese von der Leitung der Schule für geeignet erklärt und überwacht sind. 8 22. Tie Voraussetzungen für die Erlaubnis, ihr Erlöschen und ihren Widerruf können nach § 15 oder durch die Landesjugendämter näher bestimmt werden. Die Erlaubnis kann widerrufen werden, wenn das körperliche, geistige oder sittliche Wohl des Kindes es erfordert. 8 23. Zuständig für die Erteilung und den Widerruf der Erlaubnis ist das Jugendamt, in dessen Bezirk die Pflegeperson ihren gewöhnlichen Auf­ enthalt hat.

2. Aufsicht. 8 24.

Pflegekinder unterstehen der Aufsicht des Jugendamts. Das gleiche gilt für uneheliche Kinder, die sich bei der Mutter befinden. Die Aufsichtsbefugnisse, insbesondere soweit sie für das gesundheitliche und sittliche Gedeihen des Kindes erforderlich sind, werden nach § 15 oder durch die Landesjugendämter geregelt. 8 25. Auf Grund von Vorschriften nach § 15 oder von Richtlinien der Landesjugendämter können Pflegekinder durch Anordnung der Jugendämter von der Beaufsichtigung widerruflich befreit werden. Uneheliche Kinder sotten, solange sie sich bei der Mrtter befinden, von der Beaufsichtigung widerruflich befreit werden, wenn das Wohl des Kindes ge­ sichert ist.

140. Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt v. 9. Juli 1922. §§ 17-31.

619

Uneheliche Kinder, die gemäß § 1706 Ws. 2 des Bürgerlichen Gesetzt buchs den Namen des Ehemanns der Mutter führen, können, solange sie sich bei der Mutter und deren Ehemann in Pflege befinden, widerruflich von der Beaufsichtigung befreit werden. Das gleiche gilt von Kindern, die bei ihren Großeltern oder ihrem Vormund verpflegt werden. 8 26. Wer ein gemäß § 24 Ws. 1 der Aufsicht unterstehendes Kind in Pflege hat, ist verpflichtet, dessen Aufnahme, Wgabe, Wohnungswechsel und Tod dem Jugendamt unverzüglich anzuzeigen. Die näheren Bestimmungen werden nach § 15 oder durch die Landesjugendämter getroffen.

3. Vorläufige Unterbringung. 8 27. Bei Gefahr im Verzüge kann das Jugendamt das Pflegekind so­ fort aus der Pflege entfernen und vorläufig anderweit unterbringen. Das Jugendamt ist verpflichtet, das zuständige Vormundschaftsgericht von der erfolgten Wegnahme unverzüglich zu benachrichtigen.

4. Behördlich angeordnete Familienpflege, AufialtS- und BereiuSpflege. 8 28. Bei Kindern, die von anderen reichs- oder landesgesetzlich zustän­ digen Behörden in Familienpflege untergebracht werden, steht die Erteilung der Erlaubnis und die Aufsicht diesen Behörden zu. Doch kann die Übertragung dieser Befugnisse von diesen Behörden auf das örtlich zuständige Jugendamt durch die zuständige Reichs- oder Landesbehörde angeordnet werden.

8 29. Die Landesjugendämter können Anstalten, die Kinder in Pflege nehmen, von der Anwendung der Bestimmungen der §§ 20 bis 23 widerruf­ lich befreien. Die Befreiung kann nur versagt werden, wenn das Landes­ jugendamt Tatsachen feststellt, die die Eignung einer Anstalt zur Aufnahme von Pflegekindern ausschließen. Die Bestimmungen der §§ 24 bis 26 finden mit der Maßgabe Anwendung, daß an die Stelle der Jugendämter die Landesjugendämter treten und die Rege­ lung der Aufsichtsbefugnisse der Landesgesetzgebung Vorbehalten bleibt. Das Landesjugendamt kann bestimmen, inwieweit die Vorschriften dieses Abschnitts auf Pflegekinder, die unter der Aufsicht einer der Jugendwohlfahrt dienenden, von ihm für geeignet erklärten Vereinigung stehen, Anwendung finden. Landesrechtlich kann an Stelle der Landesjugendämter die oberste Landesbehörde für zuständig erklärt werden.

5. Strafbestimmungen. 8 30. Wer ein Pflegekind ohne die vorgeschriebene Erlaubnis oder An­ meldung in Pflege nimmt oder nach Erlöschen oder Widerruf der Erlaubnis in Pflege behält oder wer den gemäß K 22 Ws. 1 erlassenen Vorschriften entgogenhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu einhunderttausend Mark oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft. Tie gleiche Strafe trifft denjenigen, der in den nach § 26 vorgeschriebenen Anzeigen wissentlich unrichtige Angaben macht oder die Leiche eines Pflege­ kindes oder unehelichen Kindes ohne die vorgeschriebene Anzeige beerdigt. Wer der in § 26 vorgeschriebenen Anzeigepflicht nicht nachkommt, wird mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark oder mit Haft bestraft. Tie Bestrafung tritt nur auf Antrag des Jugendamts ein. Die Zurück­ nahme des Antrags ist zulässig.

6. Ermächtigung für die Landesgesetzgebung. 8 31. Tie Befugnis der Landesgesetzgebung, weitere Vorschriften tzum Schutze der Kinder zu erlassen sowie Ausnahmen von den Vorschriften der §§ 20 und 24 für die Unterbringung von Kindern in ländlichen Bezirken zuzulassen, bleibt unberührt.

620

Erster Teil.

Strafgesetze.

Abschnitt IV. Stell»»- des Jugendamts im Barmundschaftswefen; Anstalts- »uv vereinSvBrmuudschast. 88

82-48.



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Abschnitt V. öffentliche Unterstützung hilfsbedürftiger Minderjähriger.

88 49-54.1)

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g 55. Sofern zur Verhütung der Verwahrlosung eines hilfsbedürftigen Minderjährigen besondere Aufwendungen durch Entfernung des Minderjährigen aus seiner bisherigen Umgebung erforderlich sind, bewendet es bei den Vor­ schriften über die Fürsorgeerziehung Minderjähriger.

Abschnitt VI. Die Schutzaufsicht «ud die Fürsorgeerziehung. 1. Die Schutzaufsicht. Ein Minoerjährlger ist unter Schutzaufsicht zu stellen, wenn sie zur Verhütung seiner körperlichen, geistigen oder sittlichen Verwahrlosung ge­ boten und ausreichend erscheint. g 57. Das Vormundschaftsgericht ordnet die Schutzaufsicht von Amts wogen oder auf Antrag an. Antragsberechtigt sind die Eltern, der gesetzliche Vertreter und das Jugendamt. Tas Bormundschaftsgericht muß das Jugend­ amt vor der Entscheidung über die Schutzaufsicht hören. Tie Entscheidung des Vormundschaftsgerichts ist den im Abs. 1 Genann­ ten und dem Minderjährigen, wenn er das 14. Lebensjahr vollendet hat, be­ kanntzugeben, soweit ihr Inhalt nach dem Ermessen des Bormundschafts­ gerichts ihm ohne erziehlichen Nachteil mitgeteilt werden kann. Ist das Vormundschaftsgericht nicht das des gewöhnlichen Aufenthalts­ orts des Minderjährigen, so soll auf Antrag des Jugendamts die Abgabe an dieses Gericht gemäß § 46 des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit stattfinden, sofern nicht besondere Gründe dagegen sprechen. g 58. Die Schutzaufsicht besteht in dem Schutze und der Überwachung des Minderjährigen. Derjenige, der die Schutzhaft ausübt (Helfer), hat den Erziehungsberechtigten bei der Sorge für die Person des Minderjährigen zu unterstützen und zu überwachen. Die Schutzaufsicht umfaßt die Sorge über das Vermögen nur, insoweit der Arbeitsverdienst des Minderjährigen in Be­ tracht kommt. Der Helfer kann für alle Angelegenheiten, für gewisse Arten von An­ gelegenheiten oder für einzelne Angelegenheiten bestellt werden. Über den Umfang seines Wirkungskreises entscheidet die Bestellung. Der Helfer hat bei der Ausübung seines Amtes das Recht auf Zutritt zu dem Minderjährigen. Die Eltern, der gesetzliche Vertreter und die Per­ sonen, denen der Minderjährige zur Verpflegung und Erziehung übergeben ist, sind verpflichtet, dem Helfer Auskunft zu geben. Der Helfer hat dem Vormundschaftsgerichte jeden Fall, in dem es zum Einschreiten berufen ist, unverzüglich anzuzeigen. g 59. Die Schutzaufsicht erlischt mit der Volljährigkeit des Minder­ jährigen oder durch die rechtskräftige Anordnung der Fürsorgeerziehung. Sie ist aufzuheben, wenn ihr Zweck erreicht oder die Erreichung anderweit sicher­ gestellt ist. g 60. Die Ausübung der Schutzaufsicht wird vom Bormundschaftsgerichte dem Jugendamt oder nach Anhörung des Jugendamts einer Bereinigung für Jugendhilfe oder einer einzelnen Person, soweit die beiden letzteren zur Aufgehoben durch Verordnung vom 14. Februar 1924 (RGBl. I S. 110) Art. 2.

8 56.

140. Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt v. 9. Juli 1922.

§§ 32—65.

621

Übernahme der Schutzaufsicht bereit sind, übertragen. Bei der Übertragung ist auf das religiöse Bekenntnis oder die Weltanschauung des Minderjährigen tun­ lichst Rücksicht zu nehmen Das Vormundschaftsgericht hat den Helfer zu ent­ lassen, wenn dies dem Wohle des Minderjährigen forderlich erscheint. Die näheren Bestimmungen über die Ausübung werden von der Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats oder von der obersten Landesbehörde ge­ troffen. Über die Führung des unter Schutzaufsicht gestellten Minderjährigen ist dem Vormundschaftsgericht auf Verlangen Bericht zu erstatten. Das Jugendamt kann die Schutzaufsicht ohne gerichtliche Anordnung aus­ üben, solange der Erziehungsberechtigte damit einverstanden ist; es hat in diesem Falle das Vormundschaftsgericht von dem Eintritt der Schutzaufsicht zu benachrichtigen g Hl. Eine zur Zeit der Anordnung der Schutzaufsicht bestehende Beistandschast (§§ 1687 ff des Bürgerlichen Gesetzbuchs) soll insoweit aufgehoben werden, als sich ihr Wirkungskreis mit dem der Schutzaufsicht deckt 2. Fürsorgeerziehung. g 62. Die Fürsorgeerziehung dient der Verhütung oder Beseitigung der Verwahrlosung und wird in einer geeigneten Familie oder Erziehungsanstalt unter öffentlicher Aufsicht und auf öffentliche Kosten durchgeführt. g 63. Ein Minderjähriger, der das 18 Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist durch Beschluß des Vormundschaftsgerichts der Fürsorgeerziehung zu überweisen, 1. wenn die Voraussetzungen des § 1666 oder des § 1838 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorliegen und die Entfernung des Minderjährigen aus seiner bisherigen Umgebung zur Verhütung der Verwahrlosung erforderlich ist, eine nach dem Ermessen des Vormundschaftsgerichts geeignete Unter­ bringung aber anderweit nicht erfolgen kaun; 2. wenn die Fürsorgeerziehung zur Beseitigung der Verwahrlosung wegen Unzulänglichkeit der Erziehung erforderlich ist. Für den Fall, daß Aussicht auf Erfolg der Fürsorgeerziehung besteht, kann diese auch noch angeordnet werden, wenn der Minderjährige das 18., aber noch nicht das 20 Lebensjahr vollendet hat. Maßgebend für die Altersgrenze ist der Zeitpunkt, in dem der Antrag bei Gericht eingeht oder das Verfahren gemäß § 65 oder § 67 eingeleitet wird; der Zeitpunkt ist aktenkundig zu machen. g 64. Artikel 135 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetz­ buch wird aufgehoben g 65. Das Vormundschaftsgericht beschließt von Amts wegen oder auf Antrag. Antragsberechtigt ist das nach § 7 zuständige Jugendamt. Das Awtragsrechr kann landesgesetzlich ausgedehnt werden. Tas Vormundschaftsgericht muß vor der Beschlußfassung das Jugend­ amt, es soll, soweit dies ohne erhebliche Schwierigkeiten geschehen kann, den Minderjährigen, seine Eltern und seinen gesetzlichen Vertreter hören; weitere Anhörungen kann die Landesgesetzgebung vorschreiben. Der Beschluß ist mit Gründen zu versehen und muß, wenn er auf Anord­ nung der Fürsorgeerziehung lautet, den Eintritt der gesetzlichen Voraus­ setzungen unter Bezeichnung der für erwiesen erachteten Tatsachen feststellen. Das Vormundschaftsgericht kann die ärztliche Untersuchung des Minder­ jährigen anordnen und auf die Dauer von höchstens sechs Wochen ihn in einer zur Aufnahme von jugendlichen Psychopathen geeigneten Anstalt oder in einer öffentlichen Heil- und 'Pflegeanstalt zur Beobachtung unterbringen lassen. Der die Fürsorgeerziehung anordnende Beschluß ist den Antragsberech­ tigten, dem gesetzlichen Vertreter, den Eltern, der Fürsorgeerziehungsbehörde und ferner dem Minderjährigen selbst, wenn er das 14. Lebensjahr vollendet hat und insoweit sein Inhalt nach dem Ermessen des Bormundschaftsgerichts ihm ohne erziehlichen Nachteil mitgeteilt werden kann, zuzustellen. Der die Fürsorgeerziehung ablehnende Beschluß ist dem Antragsteller, der Fürsorgeerziehungsoedörde und, wenn eine vorläufige Fürioigeerziehung (§ i>7) angeordnet ist, ferner allen Personen zuzustellen, denen diese Anordnung zugestellt ist.

622

Erster Teil.

Strafgesetze.

Gegen den Beschluß steht die sofortige Beschwerde mit aufschiebender Wirkung den Antragsberechtigten, der Fürsorgeerziehungsbehörde und, wenn der Beschluß auf Fürsorgeerziehung lautet, ferner dem gesetzlichen Vertreter, den Eltern und dem Minderjährigen zu, wenn er das 14. Lebensjahr voll­ endet hat. Ist das Vormundschaftsgericht nicht das des gewöhnlichen Aufenthalts­ orts des Minderjährigen, so soll auf Antrag des Jugendamts die Abgabe an dieses Gericht gemäß § 46 des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit stattfinden, sofern nicht besondere Gründe dagegen sprechen. 8 66. Das Fürsorgeerziehungsverfahren kann durch Beschluß des Vor­ mundschaftsgericht auf längstens ein Jahr ausgesetzt werden. Die Aus­ setzung kann aus besonderen Gründen durch Beschluß des Vormundschafts­ gerichts aus höchstens ein weiteres Jahr verlängert werden. Über das vollendete 20. Lebensjahr hinaus kann das Verfahren nicht ausgesetzt werden. Gegen die Aussetzung steht dem Jugendamt und der Fürsorgeerziehungs­ behörde das Recht der sofortigen Beschwerde zu. Für die Dauer der Aussetzung muß eine Schutzaufsicht gemäß §§ 56 ff. angeordnet werden. 8 67. Bei Gefahr im Verzüge kann das Bormundschaftsgericht die vorläufige Fürsorgeerziehung des Minderjährigen beschließen; gegen den Be­ schluß steht den im § 65 Abs. 6 Genannten die sofortige Beschwerde zu. § 18 Abs. 2 des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit findet keine Anwendung. 8 68. Für schleunige, auf Grund dieses Abschnitts zu treffende Maß­ regeln ist neben dem im § 43 des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit bezeichneten Gericht einstweilen auch das­ jenige Gericht zuständig, in dessen Bezirk das Bedürfnis der Fürsorge hervor­ tritt. Das Gericht hat von der angeordneten Maßregel dem endgültig und nunmehr ausschließlich zuständigen Gerichte Mitteilung zu machen. § 43 Abs. 2 des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit findet auch Anwendung, wenn über die Person, in Ansehung deren eine Verrichtung des Bormundschaftsgerichts erforderlich wird, eine Schutzaufsicht oder ein Fürsorgeerziehungsverfahren anhängig ist. 8 69. Im Falle der Familienerziehung ist der Minderjährige mindestens bis zum Aufhören der Schulpflicht in einer Familie seines Bekenntnisses, im Falle der Anstaltserziehung soweit möglich in einer Anstalt seines Bekenntnisses unterzubringen. Minderjährige ohne Bekenntnis sollen nur mit ihrem Einverständnis, sofern sie ihr Bekenntnis selbst bestimmen können, andernfalls mit dem­ jenigen des Erziehungsberechtigten in einer Familie oder in einer Anstalt eines bestimmten Bekenntnisses untergebracht werden. Ten Erziehungsberechtigten muß von dem Orte der Unterbringung des Kindes sofort Mitteilung gemacht werden, sofern dadurch der Erziehungszweck nicht ernstlich gefährdet wird. Gegen eine Verweigerung dieser Mitteilung steht den Erziehungsberechtigten das Recht der Beschwerde an das Vormund­ schaftsgericht zu. In Ausführung einer angeordneten Fürsorgeerziehung kann die Er­ ziehung in der eigenen Familie der Minderjährigen unter öffentlicher Auf­ sicht widerruflich angeordnet werden, wenn dadurch die Erreichung des Zweckes der Fürsorgeerziehung nicht gefährdet wird. Innerhalb der ersten drei Monate nach Ausführbarkeit des Fürsorgeerziehungsbeschlusses bedarf die Anordnung der Zustimmung des Vormundschaftsgerichts. Gegen die Ver­ weigerung der Zustimmung steht der Fürsorgeerziehungsbehörde die sofortige Beschwerde zu. 8 70. Die Landesgesetzgebung regelt die Ausführung der Fürsorge­ erziehung und bestimmt die Fürsorgeerziehungsbehörde sowie die Träger ihrer Kosten. Nach Möglichkeit ist die Fürsorgeerziehungsbehörde mit dem Landesjugendamte zu vereinigen. Tie durch die vorläufige Fürsorgeerziehung

140. Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt v. 9. Juli 1922.

§§ 66—74.

623

entstehenden Kosten fallen dem für die endgültige Anordnung der Fürsorge­ erziehung zuständigen Kostenträger auch dann zur Last, wenn die Fürsorge­ erziehung endgültig nicht angeordnet wird. Besteht über den Ersatz der Kosten zwischen den Fürsorgeerziehungsbehörden für den gewöhnlichen und vorübergehenden Aufenthaltsort Streit, so gilt § 7 Abs. 2 entsprechend. Eine von dem zuständigen Vormundschaftsgericht angeordnete Fürsorge­ erziehung eines Minderjährigen muß von der Fürsorgeerziehungsbehörde des Ortes, der die Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts begründet hat, ausgeführt werden. Sie soll regelmäßig sich bei der Ausführung der Für­ sorgeerziehung der Jugendämter bedienen. Die Ausführbarkeit der Für­ sorgeerziehung tritt mit der Rechtskraft, bei der vorläufigen Fürsorge­ erziehung mit dem Erlasse des Beschlusses ein Die Unterbringung soll unter ärztlicher Mitwirkung erfolgen.1) Tie Fürsorgeerziehungsbehörde gilt für den Abschluß von Dienst- und Lehrverträgen als gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen. Tie Fürsorgeerziehungsbehörde ist befugt, die Entmündigung eines Für­ sorgezöglings wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche zu beantragen. 8 71* Das Landesjugendamt ist, soweit es nicht selbst Fürsorge­ erziehungsbehörde ist, nach näherer Bestimmung der Landesgesetzgebung bei der Ausführung der Fürsorgeerziehung zu beteiligen; es soll insbesondere bei dem Erlaß allgemeiner, grundsätzlicher Anordnungen über die Art ihrer Ausführung gutachtlich gehört werden und ist zu Vorschlägen über die Ausführung befugt; ihm kann ferner die Mitwirkung bei wichtigen Maß­ nahmen der Fürsorgeerziehungsbehörde und bei der Aufsicht über die in Anstalten seines Bezirkes untergebrachten Zöglinge sowie die Zuständigkeit zur Entscheidung von Beschwerden über Anordnungen der Fürsorgeerziehungs­ behörde, die die Ausführung betreffen, übertragen werden, sofern dafür nicht die Gerichte für zuständig erklärt werden 8 72. Die Fürsorgeerziehung endigt mit dem Eintritt der Volljährigkeit. Die Fürsorgeerziehung ist früher aufzuheben, wenn ihr Zweck erreicht oder anderweitig sichergestellt ist, und zwar von Amts wegen oder auf Antrag der im § 65 Abs 6 Genannten mit Ausnahme des Minderjährigen. Tie Aufhebung kann auch unter Vorbehalt des Widerrufs erfolgen, dessen Aus­ übung landesgesetzlich zu regeln ist. Landesgesetzlich kann bestimmt werden, daß für die Entscheidung über die Aufhebung gemäß Abs. 2 das Bormundschaftsgericht oder die Fürsorge­ erziehungsbehörde zuständig ist mit der Maßgabe, daß der Antragsteller, wenn die Fürsorgeerziehungsbehörde zuständig ist und die Aufhebung ablehnt, binnen zwei Wochen seit Zustellung des ablehnenden Beschlusses die Ent­ scheidung des Bormundschaftsgerichts anrufen kann, gegen dessen Beschluß die sofortige Beschwerde stattsindet Sofern das Vormundschaftsgericht für die Aufhebung der Fürsorgeerziehung zuständig ist, muß es vor seiner Ent­ scheidung die Fürsorgeerziehungsbehörde gutachtlich hören; dieser steht gegen den die Fürsorgeerziehung aufhebenden Beschluß die sofortige Beschwerde mit aufschiebender Wirkung zu Ter Antrag auf Aufhebung kann außer vom Jugendamt nicht vor Ablauf eines Jahres seit der Rechtskraft des die Fürsorgeerziehung anordnen­ den Beschlusses gestellt, ein abgewiesener Antrag kann vor dem Ablauf von sechs Monaten nicht erneuert werden. 8 73. Die vorzeitige Entlassung eines Minderjährigen wegen UnauSführbarkeit der Fürsorgeerziehung aus Gründen, die in der Person deS Minderjährigen liegen, ist unter der Voraussetzung zulässig, daß eine ander­ weitige gesetzlich geregelte Bewahrung des Minderjährigen sichergestellt ist. 8 74. Die gerichtlichen Verhandlungen sind gebühren- und stempel­ frei; die baren Auslagen fallen der Staatskasse zur Last. Tie nach § 65 Abs 2

x) Der folgende Satz 5 ist aufgehoben durch Art. 8 Ziff. 8 des EinfG. (vgl. R 1 Seite 614).

624

Erster Teil.

Strafgesetze.

zu hörenden Personen können im Falle ihrer Vernehmung vor Gericht Ersatz ihrer Auslagen nach den für Zeugen geltenden Vorschriften verlangen. Ties gilt jedoch nicht für den Minderjährigen und seine Eltern. Verträge über die Unterbringung von Minderjährigen zur Ausführung der Fürsorge­ erziehung sind stempelfrei. 8 75. Die Kosten der Fürsorgeerziehung sind dem Kostenträger auf sein Verlangen aus dem pfändbaren Vermögen des Minderjährigen oder des auf Grund des Bürgerlichen Rechts zu seinem Unterhalt Verpflichteten zu erstatten. Tie näheren Bestimmungen trifft die Landesgesetzgebung. All­ gemeine Verwaltungskosten werden nicht ersetzt. 8 76. Wer, abgesehen von den Fällen der §§ 120, 235 des Straf­ gesetzbuchs, einen Minderjährigen, bezüglich dessen das gerichtliche Verfahren auf Unterbringung zur Fürsorgeerziehung eingeleitet oder die Unterbringung zur Fürsorgeerziehung angeordnet ist, dem Verfahren oder der angeordneten Fürsorgeerziehung entzieht, oder ihn verleitet, sich dem Verfahren oder der Fürsorgeerziehung zu entziehen, oder wer ihm hierzu vorsätzlich behilflich ist, wird auf Antrag der Fürsorgeerziehungsbehörde mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und mit Geldstrafe bis zu hunderttausend Mark oder put einer dieser Strafen bestraft. Tie Zurücknahme des Antrags ist zulässig. Der Versuch ist strafbar.

Schlußbestimmungen. 8 77. Welche Behörden die in diesem Gesetze der obersten Landes­ behörde oder dem Landesjugendamte übertragenen einzelnen Aufgaben wahr­ zunehmen haben, bestimmt die Landesregierung. 8 7S.1)

141.

3. Arbeitsnachrveisgesetz. Vom 22. Juli 1922. (RGBl. I S. 657.)2*)1

I. ArbeitSrraidweiSämter. 8 1. Arbeitsnachweisämter sind die öffentlichen Arbeitsnachweise (§§ 2 biS 14), die Landesämter für Arbeitsvermittlung (§§ 15 bis 25), das Reichs­ amt für Arbeitsvermittlung (§§ 26 bis 31).

1. Öffentliche Arbeitsnachweise. 8 2. Den öffentlichen Arbeitsnachweisen liegt unbeschadet der Vor­ schriften der §§ 44 bis 47 die Arbeitsvermittlung von Arbeitern und An­ gestellten sowie die Mitwirkung bei der Durchführung von gesetzlichen Unter» 1) Aufgehoben durch Verordnung vom 14. Februar 1924 (RGBl. IS. 110) Art. 2. 2) Dazu erging die Verordnung über Abänderung -es Arbeitsnachweis­ gesetzes vom 30. Oktober 1923 (RGBl. I S. 1065), die lautet: Artikel I. Das Arbeitsnachweisgesetz vom 22. Juli 1922 (Reichsgesetzbl. I S. 657) wird geändert wie folgt: 1. Die Bestimmungen der §§ 12, 22, 29 werden aufgehoben, soweit sie vorschreiben, daß der Berwaltungsausschuß und Berwaltungsrat mindestens vierteljährlich einzuberufen sind. Dies gilt auch von den entsprechenden Be­ stimmungen, der Satzungen, Verfassungen und Geschäftsordnungen von Ar­ beitsnachweisämtern. 2. Der Berwaltungsausschuß oder Berwaltungsrat kann die ihm ob­ liegenden Rechte und Pflichten einzeln oder insgesamt einem oder mehreren

141. Arbeitsnachweisgesetz v. 22. Juli 1922.

§§ 1—3.

625

stützungsmaßnahmen für Arbeitslose ob; sie sind ermächtigt und können durch das Reichsamt für Arbeitsvermittlung oder die obersten Landesbehörden verpflichtet werden, ihre Tätigkeit auch auf die Berufsberatung und Lehr­ stellenvermittlung nach den vom Reichsamt im Einvernehmen mit seinem Berwaltungsrat erlassenen allgemeinen Bestimmungen zu erstrecken. Der Reichsarbeitsminister kann weitere Aufgaben zur Regelung des Arbeitsmarkts, insbesondere die Mitarbeit auf dem Gebiete der Arbeits­ beschaffung, der Erwerbsbeschränkten- und Wandererfürsorge, den öffent­ lichen Arbeitsnachweisen übertragen. Auch die obersten Landesbehörden und mit ihrer Zustimmung die Errichtungsgemeinden können diese Aufgaben den öffentlichen Arbeitsnachweisen übertragen. Bor der Übertragung hat die Gemeinde die Zustimmung des Verwaltungs­ ausschusses des öffentlichen Arbeitsnachweises, die oberste Landesbehörde diejenige der Verwaltungsausschüsse der beteiligten Landesämter, der Reichs­ arbeitsminister diejenige des Berwaltungsrats beim Reichsamt einholen. 8 3. Die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes von Gemeinden oder Gemeinde­ verbänden unterhaltenen Arbeitsnachweise sind in öffentliche Arbeitsnachweise nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu überführen. Die oberste Landes­ behörde setzt nach Anhörung des Landesamts für Arbeitsvermittlung und seines Verwaltungsausschusses den Bezirk für jeden öffentlichen Arbeits­ nachweis fest. Dabei muß jede Gemeinde von einem öffentlichen Arbeits­ nachweis erfaßt werden. Die oberste Landesbehörde kann nach Anhörung des Landesamts und seines Berwaltungsausschusses anordnen, daß für beUnterausschüssen übertragen. In diesem müssen die verschiedenen Gruppen ves Berwaltungsausschusses oder Verwaltungsrates (Arbeitgeber, Arbeitneh­ mer, Errichtungsgemeinden, öffentliche Körperschaften) gleich stark vertreten sein. Tie verschiedenen Gruppen des Berwaltungsausschusses oder Perwaltungsrats wählen besonders die entsprechenden Vertreter in den Unter­ ausschüssen. Minderheiten innerhalb der einzelnen Gruppen sind angemessen zu berücksichtigen. Bei Wahl der Mitglieder dieser Unterausschüsse und der Stellenvertreter ist auf die Möglichkeit eines schnellen Zusammentretens und auf Erspar­ nis an Tagegeldern und Reisekosten Bedacht zu nehmen. Tie Absätze 1 und 2 gelten auch für die Fachausschüsse (§§ 33 ff.). 3. Soweit öffentliche Arbeitsnachweise gemäß den §§ 3 und 4 noch nicht errichtet sind oder ihre Einrichtung noch nicht die Erfüllung ihrer gesetz­ lichen Ausgaben gestattet, insbesondere soweit bei ihnen Berwaltungsausschüsse oder vorläufige Berwaltungsausschüsse (§§ 7 ff., 63) noch nicht be­ stehen, trifft die oberste Landesbehörde oder die von ihr bezeichnete Stelle binnen zwei Wochen die Maßnahmen, die erforderlich sind, um die unver­ zügliche Errichtung der Arbeitsnachweise und die unverzügliche Einrichtung ihrer Geschäftsführung herbeizuführen. 4. Von der Befugnis, gemäß § 2 Abs. 2 und 3, '§ 15 Abs. 2 bis 4 den Arbeitsnachweisämtern weitere Aufgaben zu übertragen, kann fortan nur mit Zustimmung des Reichsarbeitsministers Gebrauch gemacht werden. Soweit bereits Übertragungen ohne seine Zustimmung erfolgt sind, kann der Reichsarbeitsminister die Reichsznschüsse zu den besonderen Kosten, die aus diesen Übertragungen erwachsen, einstellen. Er kann die Reichszuschüsse fortfallen lassen, die infolge dieser Übertragungen nach §§ 1 unb 6 der Ver­ ordnung über die Aufbringung der Mittel für die Erwerbslosenfürsorge vom 15. Oktober 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 984) zu gewähren wären. 5. Vom Inkrafttreten der Verordnung über die Aufbringung her Mittel für die Erwerbslosenfürsorge vom 15. Oktober 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 984) ab entfällt die Leistung von Beihilfen des Reichs zu den Kosten der öffentlichen Arbeitsnachweise gemäß § 67 Abs. 4 des Arbeitsnachweis­ gesetzes. Artikel II. Diese Verordnung tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft. ALlfeld, Strafgesetzgebung. 3. Auflage. 40

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Erster Teil.

Strafgesetze.

stimmte Bezirke neue öffentliche Arbeitsnachweise zu errichten, bestehende zusammenzulegen oder aufzulösen sind. Dabei ist in der Regel für den Bezirk jeder unteren Verwaltungsbehörde ein öffentlicher Arbeitsnachweis zu errichten. Hat eine solche Anordnung die Auflösung eines bereits bestehenden öffentlichen Arbeitsnachweises oder eine Änderung seines Wirkungskreises zur Folge, so ist der Träger des betreffenden Arbeitsnachweises zu hören. Für mehrere Gemeinden, die zu verschiedenen Ländern gehören, können die beteiligten obersten Landesbehörden anordnen, daß ein gemeinsamer öffentlicher Arbeitsnachweis errichtet wird. Auf Antrag einer obersten Landes­ behörde kann der Reichsarbeitsminister nach Anhörung der anderen betei­ ligten obersten Landesbehörden die Entscheidung über die Errichtung treffen. 8 4. Den öffentlichen Arbeitsnachweis errichtet die Gemeinde oder der weitere Gemeindeverband, für deren Bezirk der öffentliche Arbeitsnachweis bestimmt ist (Errichtungsgemeinde). Öffentliche Arbeitsnachweise, deren Bezirk über die Grenze einer Gemeinde oder eines weiteren Gemeindeverbandes hinausreicht, werden durch die beteiligten Gemeinden oder Gemeinde­ verbände errichtet. Einigen sie sich nicht, so ordnet die oberste Landesbehörde die Errichtung nach Anhörung des Landesamts an. § 3 "Abs. 3 gilt ent­ sprechend. Die Überführung eines bestehenden Arbeitsnachweises gemäß § 3 gilt als Errichtung. 8 5. Die Verfassung der öffentlichen Arbeitsnachweise wird durch die Satzung geregelt. Tie Satzung erläßt die Errichtungsgemeinde im Einvernehmen mit dem Verwaltungsausschusse. Einigen sie sich nicht, so entscheidet die Gemeindeaufsichtsbehörde nach Anhörung des Verwaltungsausschusses des Landesamts. Das Reichsamt kann mit Zustimmung seines Verwaltungsrats allge­ meine Bestimmungen über den Inhalt der Satzungen treffen. Soweit es von dieser Befugnis keinen Gebrauch macht, können die Landesämter mit Zu­ stimmung ihrer Verwaltungsausschüsse und mit Genehmigung der beteiligten obersten Landesbehörden derartige Bestimmungen erlassen. Die Satzung kann bestimmen, daß für weibliche Arbeitnehmer besondere Abteilungen unter sachgemäßer weiblicher Leitung zu errichten sind. 8 6. Der öffentliche Arbeitsnachweis wird von der Errichtungsgemeinde verwaltet. Für gemeinsame öffentliche Arbeitsnachweise bestimmt die oberste Landesbehörde nach Anhörung des Landesamts sowie der beteiligten Ge­ meinden, im Falle des § 3 Abs. 3 Satz 2 der Reichsarbeitsminister, welche Errichtungsgemeinde die Verwaltung übernimmt (Verwaltungsgemeinde). 8 7. Für jeden öffentlichen Arbeitsnachweis ist ein Verwaltungsans* schuß zu bilden. Der Verwaltungsausschuß besteht aus dem Vorsitzenden des öffentlichen Arbeitsnachweises oder einem seiner Stellvertreter und min­ destens je drei Arbeitgebern und Arbeitnehmern als Beisitzern. Die Zahl der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer muß gleich sein. Unter den Beisitzern sol­ len sich Frauen befinden. Tie Errichtungsgemeinoe ist berechtigt, in den Verwaltungsausschuß Vertreter mit beratender Stimme zu entsenden. Ihre Zahl darf nicht größer sein als die Zahl der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer. Vertreter wirtschaftlicher Vereinigungen der Arbeitgeber gelten als Ar­ beitgeber, Vertreter wirtschaftlicher Vereinigungen der Arbeitnehmer gelten als Arbeitnehmer im Sinne dieser Vorschrift. Wer ausschließlich Hausgehilfen beschäftigt, gilt nur hinsichtlich einer Fachabteilung für Hausgehilfen (§ 32) als Arbeitgeber im Sinne dieser Vor­ schrift; das Landesamt kann Ausnahmen in solchen Fällen zulassen, in denen der Arbeitsnachweis sich wesentlich mit der Vermittlung von Hausgehilfen be­ faßt. Als Arbeitgeber gilt hierbei auch eine Frau, deren Mann als Haushaltungsvorstand Hausgehilfen beschäftigt. Auf jeden Beisitzer entfällt ein Stellvertreter, der ihn im Behinderungs­ falle vertritt und im Falle des Ausscheidens für den Rest der Amtsdauer er-

141. Arbeitsnachweisgesetz v. 22. Juli 1922.

§§ 4—11.

627

setzt.

Die Stellvertreter der Beisitzer sind ebenso wie die Stellvertreter des Vorsitzenden berechtigt, an den Sitzungen des Berwaltungsausschusses teilzunehmen, aber ohne beratende und beschließende Stimme.

8 8. Ter Vorsitzende des öffentlichen Arbeitsnachweises und seine Stell­ vertreter werden von der Errichtungsgemeinde, bei gemeinsamen Arbeitsnach­ weisen von der Verwaltungsgemeinde nach Benehmen mit den anderen Er­ richtungsgemeinden bestellt. Vor der Bestellung ist der Verwaltungsausschuß zu hören. Erhebt mehr a.ls die Hälfte der Beisitzer Einspruch, so ist die Bestellung nur mit Zustim­ mung des Verwaltungsausschusses des Landesamts zulässig. Der Einspruch muß mit Gründen versehen sein. Wird darauf die Zustimmung versagt und kommt 'binnen vier Wochen keine andere Regelung zustande, so lümnit die Gemeindeaufsichtsbehörde die erforderlichen Bestellungen nach Anhörung des Landesamts vor. Der Vorsitzende und seine Stellvertreter dürfen ohne Zustimmung des Berwaltungsausschusses weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer sein. Sie wer­ den jedoch durch Beschäftigung von Hausgehilfen nicht behindert, den Vorsitz in einer Fachabteilung für Hausgehilfen zu führen. § 7 Abs. 3 findet An­ wendung. Ter Vorsitzende führt die Verwaltung des Arbeitsnachweises im Auftrag der Gemeinde (§ 6). Er hat dem Verwaltungsausschuß auf dessen Wunsch jederzeit Auskunft über die Verwaltungsmaßnahmen zu geben. 8 9. Die Beisitzer und ihre Stellvertreter bestellt die Errichtungs­ gemeinde, bei gemeinsamen öffentlichen Arbeitsnachweisen die Verwaltungs­ gemeinde nach Benehmen mit den anderen Errichtungsgemeinden. Sie ist dabei an Vorschlagslisten der wirtschaftlichen Bereinigungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gebunden. Die Errichtungsgemeinde hat die Vorschläge durch öffentliche Bekanntmachung in ortsüblicher Weise einzufordern. Für die Bestellung ist die Reihenfolge in jeder Vorschlagsliste maßgebend. Liegen mehrere solcher Vorschlagslisten vor, so sind auf sie die Arbeit­ geberbeisitzer nach der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer, die Arbeitnehmer­ beisitzer nach der Zahl der Mitglieder, die den vorschlagenden wirtschaftlichen Vereinigungen im Bezirke des öffentlichen Arbeitsnachweises angehören, zu verteilen, in beiden Fällen unter billiger Berücksichtigung des Schutzes der Minderheiten. Werden keine Vorschlagslisten eingereicht oder sind keine als Borschlags­ körper geeigneten wirtschaftlichen Bereinigungen vorhanden, so bestellt die Er­ richtungsgemeinde (Verwaltungsgemeinde) die Beisitzer aus den Reihen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Gegen die Nichtzulassung einer Vorschlagsliste oder gegen die Berteilung der Beisitzer auf die Vorschlagslisten kann jede vorschlagende Bereinigung Be­ schwerde bei der Gemeindeaufsichtsbehörde einlegen. Diese entscheidet nach Anhörung des Verwaltungsausschusses des Landesamts. Wenn es sich dabei um die Nichtzulassung einer Vorschlagsliste handelt, ist weitere Beschwerde bei der obersten Landesbehörde zulässig. Sie entscheidet dann endgültig. 8 10. Ms Beisitzer bestellt können nur Reichsangehörige werden, die mindestens 24 Jahre alt und im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte sind. Sie müssen mindestens sechs Monat im Bezirk einer der Errichtungsgemeinden wohnen oder beschäftigt sein. Die Beisitzer werden auf drei Jahre bestellt. Sie verwalten ihr Amt als Unentgeltliches Ehrenamt; doch können ihnen für die Teilnahme an den Sitzungen angemessene Tagegelder und Ersatz der Reisekosten gewährt werden.

8 11 Ter Verwaltungsausschuß stellt, soweit nicht Gesetz oder Satzung entgegenstehen, die Grundsätze für die Geschäftsführung auf und regelt diese im Rahmen des Gesetzes und der Satzung durch eine Geschäftsordnung. Er entscheidet auf Beschwerden über die Geschäftsführung. Jedem Mitglied des Verwaltungsausschusses ist die Anwesenheit in den Diensträumen des Ar­ beitsnachweises während der Geschäfts stunden gestattet. Es kann mit Zu40*

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Erster Teil.

Strafgesetze.

stimmung des Vorsitzenden oder auf Beschluß des Berwaltungsausschusses die Vorlegung von Büchern, Akten oder sonstigen Urkunden und Belegen ver­ langen. 8 12.1) Ter Verwaltungsausschuß wird vom Vorsitzenden berufen, so oft ein Bedürfnis vorliegt, jedoch mindestens vierteljährlich. Er muß berufen werden, wenn ein Drittel der Mitglieder oder der Vorstand der Errichtungsgemeinöe (Verwaltungsgemeinde) es verlangt. 8 13. Der Geschäftsführer und die Arbeitsvermittler werden von der Errichtungsgemeinde (Verwaltungsgemeinde) auf Vorschlag des Berwaltungs­ ausschusses bestellt. Der Geschäftsführer muß die erforderliche Sachkenntnis auf dem Gebiete der Arbeitsvermittlung besitzen. Das Reichsamt im Benehmen mit seinem Verwaltungsrat unl>, sofern es von dieser Befugnis keinen Gebrauch macht, die Landesämter im Benehmen mit ihren Verwaltungsausschüssen können Grundsätze aufstellen über die Voraussetzungen, unter denen die er­ forderliche Sachkenntnis als gegeben anzusehen ist. Der Geschäftsführer soll in der Regel hauptamtlich angestellt werden. Die Vorschlagsliste darf ohne Sustimmung der Errichtungsgemeinde (Verwaltungsgemeinde) für jede offene teile nicht weniger als zwei Bewerber enthalten. Tie Errichtungsgemeinde (Berwaltungsgemeinde) kann verlangen, daß weitere Vorschläge eingereicht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen sich die mangelnde Eignung eines vorgeschlagenen Bewerbers ergibt. Lehnt der Verwaltungsausschuß den Vorschlag anderer geeigneter Bewerber ab, so entscheidet die Gemeindeaufsichtsbehörde nach Anhörung des Landesamts; sie kann die Gemeinde zur selbständigen Anstellung ermächtigen. Tie Angestellten des Arbeitsnachweises sind durch privatrechtlichen Dienst­ vertrag auf Grund einer Dienstordnung anzustellen. Die Dienstverhältnisse regelt der Vorstand der Errichtungsgemeinde im Einvernehmen mit dem Ser* waltungsausschusse durch die Dienstordnung. Von der Anstellung auf Privat­ dienstvertrag kann in Hinsicht des Geschäftsführers mit Zustimmung des Ber­ waltungsausschusses abgewichen werden. 8 14. Den Haushalt des öffentlichen Arbeitsnachweises setzt die Er­ richtungsgemeinde auf Vorschlag des Berwaltungsausschusses fest. Erhebt der Verwaltungsausschuß gegen den festgesetzten Haushaltsplan Einspruch, so entscheidet die Gemeindeaufsichtsbehörde nach Anhörung des Verwaltungs­ ausschusses des Landesamts. Bei gemeinsamen Arbeitsnachweisen sind übereinstimmende Beschlüsse der beteiligten Errichtungsgemeinden erforderlich. Kommen sie nicht zustande oder erhebt der Verwaltungsausschuß gegen den festgesetzten Haushaltsplan Ein­ spruch, so entscheidet nach Anhörung des Berwaltungsausschusses des Landes­ amts die gemeinsame Gemeindeaufsichtsbehörde. Fehlt diese, so entscheidet der Reichsarbeitsminister i-m Benehmen mit den beteiligten obersten Landes­ behörden.

2. Landesämter für Arbeitsvermittlung. 8 15. Tie Landesämter sind die fachlichen Aufsichts- und Beschwerde­ stellen gegenüber den öffentlichen Arbeitsnachweisen. Sie haben den Arbeitsmarkt zu beobachten und den Ausgleich von An­ gebot und Nachfrage zwischen den einzelnen Arbeitsnachweisen zu fördern. Sie sind ermächtigt und können durch das Reichsamt für Arbeitsvermittlung oder die obersten Landesbehörden verpflichtet werden, ihre Tätigkeit auch auf die Berufsratung und Lehrstellenvermittlung nach den vom Reichsamt im Einvernehmen mit seinem Berwaltungsrat erlassenen allgemeinen Bestimmun­ gen zu erstrecken. Soweit Fachabteilungen bei den Landesämtern bestehen (§ 32), liegt ihnen auch die Arbeitsvermittlung ob. Ter Reichsarbeitsminister kann mit Zustimmung des Reichsrats den Landesämtern weitere Aufgaben zur Regelung des Arbeitsmarktes übertragen. Auch die obersten Landesbehörden können derartige Aufgaben den Landes­ ämtern übertragen.

1) S. die auf S. 624 N. 2 angeführte VO.

141. Arbeitsnachweisgesetz v. 22. Juli 1922.

§§ 12—22.

629

Bor der Übertragung hat die oberste Landesbehörde die Zustimmung der Verwaltungsausschüsse der beteiligten Landesämter, der Reichsarbeitsminister diejenige des Berwaltungsrats des Reichsamts einzuholen. § 16. Tie Landesämter werden für Länder, Provinzen oder andere grö­ ßere Bezirke errichtet. Für die Gebiete mehrerer Länder oder für Bezirke, die zu mehreren Län­ dern gehören, können die beteiligten obersten Landesbehörden anordnen, daß ein gemeinsames Lanoesamt errichtet wird. Auf Antrag einer obersten Landesbehörde kann der Reichsarbeitsminister im Einvernehmen mit dem Verwaltungsrate des Reichsamts nach Anhörung der anderen beteiligten obersten Landesbehörden die Entscheidung über die Errichtung eines gemeinsamen Landesamts treffen. Soweit ein dringendes wirtschaftliches Bedürfnis es erfordert, ,kann der Reichsarbeitsminister mit Zustimmung des Reichsrats den Bezirk für ein Landesamt bestimmen; vorher ist der Reichswirtschaftsrat zu hören. In diesen Fällen bestimmt der Reichs­ arbeitsminister nach Anhörung ber &etei^i0ten obersten Landesbehörden, in welcher Weise die Verwaltung zu führen ist. Die Landesämter sind mit Ermächtigung der obersten Landesbehörden berechtigt, innerhalb ihres Bezirkes Zweigstellen zu errichten oder einzelne Aufgaben auf bestimmte Arbeitsnachweise zu übertragen. Tie Aufgaben, die in den § 17 Abs. 1, §§ 18, 20 und 23 der obersten Landesbehörde übertragen sind, liegen in den Fällen des vorstehenden Ab­ satzes 2 den beteiligten obersten Landesbehörden, in den Fällen des vorstehend den Absatzes 3 der von dem Reichsarbeitsminister bezeichneten obersten Landes­ behörde ob. Tie Bestimmungen des § 67 werden hierdurch nicht, berührt. 8 17. Das Landesamt wird durch die oberste Landesbehörde errichtet. Die obersten Landesbehörden, in den Fällen des § 16 Abs. 3 der Reichsarbeitsminister, bestimmen, ob die Landesämter als selbständige Behörden errichtet oder welcher Staats- oder kommunalen Verwaltungsbehörde ihres Bezirkes sie angeschlossen werden. 8 18. Die Verfassung des Landesamts wird durch die oberste Landes­ behörde geregelt. Vor Abänderungen der Verfassung ist der Verwaltungs­ ausschuß zu hören. Ter Reichsarbeitsminister stellt mit Zustimmung des Reichsrats nach Anhörung des Verwaltungsrats des Reichsamts Grundsätze für die Verfassung der Landesämter auf. 8 19. Für jedes Landesamt ist ein Verwaltungsausschuß zu bilden. Der Verwaltungsausschuß besteht aus dem Vorsitzenden des Landesamts oder einem seiner Stellvertreter und mindestens je vier Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Vertretern der Errichtungsgemeinden im Bezirke des Landesamts als Bei­ sitzern. Die Zahl der Arbeitgeber, Arbeitnehmer und der Vertreter der Er­ richtungsgemeinden muß gleich sein. § 7 2lbs. 3 bis 5 finden sinngemäß An­ wendung. Unter den Beisitzern sollen sich Frauen befinden. Die oberste Landesbehörde ist berechtigt, in den Berwaltungsausschuß Beauftragte zu entsenden. Sie haben keine beschließende Stimme. 8 20. Die oberste Landesbehörde bestellt nach Anhörung des Berwaltungsausschusses des Landesamts den Vorsitzenden des Landesamts und seinen Stellvertreter, ferner die Vertreter der Errichtungsgemeinden auf Grund von Vorschlagslisten der beteiligten Gemeinden. Hierbei ist die Bedeutung der ver­ schiedenen Gemeindegruppen zu berücksichtigen. 8 21. Die Arbeitgeberbeisitzer im Berwaltungsausschusse werden durch die Arbeitgeberabteilung, die Arbeitnehmerbeisitzer durch die Arbeitnehmer­ abteilung des Bezirkswirtschaftsrats gewählt. Die näheren Bestimmungen über die Wahl erläßt der Reichsarbeitsminister nach Anhörung des Ver­ waltungsrats des Reichsamts. 8 22.1) Für die Beisitzer findet § 10, für die Zuständigkeit des Verwal­ tungsausschusses § 11, für seine Berufung § 12, für die Aufstellung des Haus-

i) S. die aus S. 624 N. 2 angeführte VO.

630

Erster Teil.

Strafgesetze.

Halts § 14 sinngemäß Anwendung. Bei gemeinsamen Landesämtern tritt int Falle des § 14 an die Stelle der gemeinsamen Gemeindeaufsichtsbehörde die gemeinsame oberste Landesbehörde. Soweit das Landesamt auf Beschwerde entscheidet, scheiden bei der Be­ schlußfassung solche Mitglieder aus, die bei der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt haben. Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Vertreter der Errichtungs­ gemeinden dürfen hierbei nur in gleicher Zahl mitwirken; erforderlichenfalls scheiden bei der Abstimmung zur Herstellung der gleichen Zahl die an Lebens­ alter Jüngsten aus. 8 23. Ter Geschäftsführer des Landesamts wird von der obersten Landesbehörde auf Vorschlag des Berwaltungsausschusses bestellt. § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 5 und Abs. 2 Satz 1 finden sinngemäß Anwendung. Lehnt der Verwaltungsausschuß es ab, andere geeignete Bewerber vorzuschlagen, so ist die oberste Landesbehörde an die Vorschlagsliste nicht mehr gebunden. Die sonst noch erforderlichen Arbeitskräfte werden von der obersten Son* behörde oder der von ihr bestimmten Stelle bestellt. 8 24. Der Verwaltungsausschuß stellt mit Genehmigung der obersten Landesbehörde Grundsätze für die Geschäftsführung der öffentlichen Arbeits­ nachweises seines Bezirkes auf. 8 25. Die Landesämter sind berechtigt, von Gemeinden und Gemeinde­ verbänden, Handels-, Handwerks- und Landwirtschaftskammern, von Kran­ kenkassen und Krankenkassenverbänden sowie von den wirtschaftlichen Ver­ einigungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer und von anderen mit der Arbeitssürsorge befaßten Stellen Auskunft über die Lage des Arbeitsmarkts nach Maßgabe der vom Reichsamt erlassenen Vorschriften zu fordern.

8. ReichSamt für Arbeitsvermittlung. 8 26. Das Reichsamt für Arbeitsvermittlung führt im Einvernehmen mit den obersten Landesbehörden die fachliche Aufsicht über die Durchführung des Gesetzes. Das Reichsamt hat den Arbeitsmarkt zu beobachten und den Ausgleich von Angebot und Nachfrage zwischen den verschiedenen Gebieten zu regeln. Ihm steht im Einvernehmen mit seinem Verwaltungsrat und nach Anhörung der öffentlichen Berufsvertretungen und wirtschaftlichen Vereinigungen die Aufstellung allgemeiner Grundsätze für die Berufsberatung und Lehrstellen­ vermittlung und im Einvernehmen mit den obersten Landesbehörden die fachliche Aufsicht über die der Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung dienenden lÄnrichtungen zu. Nur falls durch beharrliches Zuwiderhandeln gegen diese allgemeinen Grundsätze der Zweck der Berufsberatung oder Lehr­ stellenvermittlung gefährdet wird, kann das Reichsamt mit Zustimmung seines Verwaltungsrats die Schließung solcher Einrichtungen verlangen; diese ist dann von den obersten Landesbehörden durchzuführen. Ferner liegt es ihm ob, im Einvernehmen mit den obersten Landesbehörden die Anwerbung, Vermittlung und Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer zu regeln und zu überwachend) Soweit bei dem Reichsamt Fachabteilungen bestehen (§ 32), übt es auch die Arbeitsvermittlung aus. Weitere Aufgaben auf dem Gebiete der Regelung des Arbeitsmarkts können dem Reichsamt mit Zustimmung seines Verwaltungsrats nach Ge­ nehmigung der Reichsregierung und des Reichsrats durch den Reichsarbeitsminister übertragen werden. 8 27. Das Reichsamt ist für das Gebiet des Deutschen Reichs errichtet. Es hat seinen Sitz in Berlin. Die Aufsicht über das Reichsamt führt der Reichsarbeitsminister.. Der Reichsarbeitsminister und das Reichsamt sind berechtigt, mit den Landesämtern und den Arbeitsnachweisen in fachlichen Angelegenheiten un­ mittelbar zu verkehren. 8 28. Das Reichsamt besteht aus dem Präsidenten und der erforder­ lichen Zahl von Beamten. Unter ihnen sollen sich im Arbeitsnachweiswesen sachverständige Frauen befinden. ^S?die VO. v. 2. Januar 1926 (RGBl. I S. 5).

141. Arbeitsnachweisgesetz v. 22. Juli 1922.

§§ 23-32.

631

§ 29.') Für das Reichsamt wird ein Berwaltungsrat gebildet. Er besteht rrus dem Präsidenten des Reichsamts oder seinem Stellvertreter als Vor­ sitzenden sowie aus Vertretern der öffentlichen Körperschaften, Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Unter ihnen muß sich mindestens eine Frau befinden. Die Zahl der Vertreter der öffentlichen Körperschaften, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer muß gleich und mindestens je vier sein. Weitere auf dem Gebiete des Arbeitsnachweises Sachverständige, darunter auch Frauen, können als ständige Gutachter mit beratender Stimme in den Berwaltungsrat berufen werden. Für die Vertreter der öffentlichen Körperschaften, für die Arbeit­ geber und Arbeitnehmer sind Stellvertreter zu bestellen. Tie Vertreter der öffentlichen Körperschaften (Gemeinden, Gemeinde­ verbände, Länder) und die Sachverständigen werden vom Reichsarbeitsminister berufen, die ersteren nach Anhörung des Reichsrats. Tie Arbeitgeber werden von der Arbeitgeberabteilung, die Arbeitnehmer von der Arbeitnehmerabteilung des Reichswirtschaftsrats gewählt. Die Vorschriften der § 7 Abs. 3 bis 5. §§ 10, 12, 21 Satz 2 und § 22 Abs. 2 finden hierauf sinngemäß Anwendung. Ter Reichsarbeitsminister ist berechtigt, in den Berwaltungsrat Beauf­ tragte zu entsenden. Sie haben keine beschließende Stimme. Der Verwaltungsrat gibt sich seine Geschäftsordnung. Sie bedarf der Zustimmung des Reichsarbeitsministers. 8 30. Das Reichsamt erläßt mit Zustimmung des Verwattungsrats allgemeine Anordnungen für die Geschäftsführung der öffentlichen Arbeits­ nachweise und der Landesämter. 8 31. Zur Durchführung der im § 26 genannten Aufgaben ist das Reichsamt berechtigt, Erhebungen über die Lage des Arbeitsmarktes, über Arbeitsbedingungen, Ausstände und Aussperrungen sowie über die Mitglieder­ bewegung der Vereinigungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern vor­ zunehmen und die hierzu erforderlichen Auskünfte zu verlangen. Das Reichsamt hat regelmäßig Berichte über die Lage des Arbeitsmarktes, den Umfang der Arbeitslosigkeit, den Erfolg der Arbeitsvermittlung und Arbeitsbeschaffung, die Arbeitsstreitigkeiten und die Entwicklung des Tarif­ wesens sowie der Bereinigungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu veröffentlichen. Tie Veröffentlichungen erfolgen im Reichsarbeitsblatt. n. Fachabteilungen.

8 32. Nach Bedarf sind bei den öffentlichen Arbeitsnachweisen Fach­ abteilungen und Abteilungen für Angestellte zu bilden. Eine Fachabteilung kann mit Zustimmung des Landesamts auch für den Bezirk mehrerer öffent­ licher Arbeitsnachweise gebildet werden (Gemeinsame Fachabteilung). Sie gilt hinsichtlich der Kosten (§ 67) als Abteilung der beteiligten öffentlichen Arbeitsnachweise. Verwandte Berufsgruppen können in eine Fachabteitung zusammengefaßt werden. Ob ein Bedürfnis zur Bildung einer Fachabteitung vorliegt, im Falle des Abs. 1 Satz 2 auch, bei welchem öffentlichen Arbeitsnachweis sie zu bilden ist, bestimmen die für das Fach innerhalb des Bezirkes bestehenden öffentlichen Berufsvertretungen und wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Sind solche öffentliche Berufsvertretungen oder wirtschaftliche Vereinigungen nicht vorhanden, oder ist eine Einigung zwischen ihnen nicht zu erzielen, so entscheidet auf Antrag der Fachausschuß beim Landesamt und, falls ein solcher nicht besteht, der Verwaltungsschuß des Landesamts nach An­ hörung der beteiligten öffentlichen Arbeitsnachweise. Tie Errichtungsgemeinde sowie nach Anhörung des Verwaltungsaus­ schusses der Vorsitzende des öffentlichen Arbeitsnachweises sind berechtigt, den Beschluß der öffentlichen Berussvertretungen oder wirtschaftlichen Vereini­ gungen innerhalb von zwei Wochen, nachdem er amtlich bekannt geworden ist, bei dem Verwaltungsausschuß (Fachausschuß) des Landesamts anzufechten.

*) S. die VO. S. 624 N. 2 angeführte VO.

632

Erster Teil.

Strafgesetze.

Das gleiche gilt im Falle des Ms. 1 Satz 2 für jede beteiligte Gemeinde oder für den Vorsitzenden jedes beteiligten öffentlichen Arbeitsnachweises, soweit der eigene Bezirk betroffen ist. § 83?) Für jede Fachabteilung und jede Mteilung für Angestellte ist ein Fachausschuß zu bilden. Der Fachausschuß tritt, soweit nicht allgemeine Grundsätze für die Geschäftsführung entgegenstehen (§ 11 Satz 1), in allen aus­ schließlich das Fach betreffenden Angelegenheiten an die Stelle des Ver­ waltungsausschusses. Ten Vorsitz im Fachausschuß führt der Vorsitzende des Arbeitsnachweises oder sein Stellvertreter. Die Beisitzer sind auf Vorschlag der für das Fach zuständigere wirtschaftlichen Vereinigungen aus dem Fach zu entnehmen, für das der Fachausschuß gebildet ist. Sie werden vom Verwaltungsausschusse des Arbeitsnachweises bestellt. Im übrigen finden §7 Abs. 1 Satz 2 bis 4, Ms. 3 und 5, § 9 Abs. 2 und 3, §§ 10 bis 13 sinngemäß Anwendung. 8 34. Die Arbeiten in einer Fachabteilung werden möglichst durch Angehörige oder Sachverständige des Faches ausgeführt. Die Bestimmungen des § 13 mit Ausnahme von Abs. 1 Satz 4 gelten auch für die Abteilungs­ vorsteher. {3 35. Eine Fachabteilung kann von der Errichtungsgemeinde innerhalb des Bezirkes des Arbeitsnachweises auch an einem anderen Orte als dem des Arbeitsnachweises errichtet werden, falls die für das Fach innerhalb des Bezirkes bestehenden öffentlichen Berufsvertretungen und wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein Bedürfnis dafür nach­ weisen. Lehnt die Errichtungsgemeinde die von den öffentlichen Berufs­ vertretungen oder wirtschaftlichen Vereinigungen beantragte Errichtung ab, so entscheidet das Landesamt. 8 36. Für die Landesämter und das Reichsamt finden die §§ 32 bis 35 sinngemäß Anwendung. Das Nähere bestimmt für die Landesämter das Reichsamt im Einvernehmen mit der obersten Landesbehörde, für das Reichs­ amt der Reichsarbeitsminister. Bei dem Reichsamt ist für die öffentliche Arbeitsvermittlung »eine Abteilung für Angestellte zu errichten. 8 37. Das Landesamt kann mit Zustimmung des Verwaltungsaus­ schusses (Fachausschusses) anordnen, daß bei einzelnen öffentlichen Arbeits­ nachweisen seines Bezirkes Fachabteilungen errichtet werden. Es kann ferner unter derselben Voraussetzung anordnen, daß in seinem Bezirke Fachabtei­ lungen gemäß §§ 32 ff. für das gleiche Fach nur bei bestimmten öffentlichen Arbeitsnachweisen unterhalten werden dürfen. Der Errichtungsgemeinde steht gegen die Anordnung des Lanöesamts Beschwerde an die oberste Landesbehörde zu. Abs. 1 findet auf das Reichsamt in Ansehung der öffentlichen Arbeits­ nachweise und der Landesämter sinngemäß Anwendung. 8 38. Eine Fachabteilung beim Landesamt darf für Bezirke, deren Arbeitsnachweis eine Abteilung für das gleiche Fach hat, nur im Ausgleichs­ verfahren eine unmittelbare Vermittlungstätigkeit ausüben. Das Entsprechende gilt für eine Fachabteilung beim Reichsamt. Das Reichsamt kann für einzelne Berufszweige und Bezirke, soweit Fachabteilungen der Landesämter in Be­ tracht kommen, im Einvernehmen mit der obersten Landesbehörde Ausnahmen zulassen.

IM. vermittlungstLtigkeit. 8 39. Die Vermittlung ist für Arbeitgeber und Arbeitnehmer un­ entgeltlich. 8 40. Die Vermittlung hat unparteiisch und ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit zu einer Bereinigung zu erfolgen. Sie hat dahin zu wirken, daß freie Stellen durch möglichst geeignete Arbeitskräfte besetzt werden. *) S. die auf S. 624 N. 2 angeführte VO.

141. Arbeitsnachweisgesetz v. 22. Juli 1922.

§§ 33—44.

633

Dabei sind einerseits die besonderen Verhältnisse der freien Arbeitsplätze, andererseits die berufliche und körperliche Eignung sowie die persönlichen and Familienverhältnisse und die Dauer der Arbeitslosigkeit des Bewerbers zu berücksichtigen, soweit die Lage des Arbeitsmarktes es gestattet. Weibliche Arbeitnehmer sind tunlichst durch sachgemäß vorgebildete weib­ liche Angestellte zu vermitteln. Tie Frage nach der Zugehörigkeit zu einer Vereinigung ist, soweit es sich nicht um Betriebe im Sinne des § 67 des Betriebsrätegesetzes handelt, untersagt. Ebenso ist es dem Arbeitsnachweis untersagt, einen Arbeit­ nehmer zum Zwecke der Nichteinstellung ungünstig zu kennzeichnen oder sonst an einer Maßregelung von Arbeitnehmern oder an einer entsprechenden Maß­ nahme gegen Arbeitgeber mitzuwirken. Die Bestimmungen des § 42 werden hierdurch nicht berührt. 8 41. Soweit ein Tarifvertrag besteht, hat der öffentliche Arbeits­ nachweis die Vermittlung beteiligter Arbeitnehmer an beteiligte Arbeitgeber, sofern ihm die Beteiligung bekannt ist, nur zu tariflich zulässigen Be­ dingungen vorzunehmen. Soweit der Abschluß eines Arbeitsvertrags gegen die im Beruf orts­ üblichen Mindestlohnsätze verstoßen würde, hat der öffentliche Arbeitsnachweis eine Vermittlung abzulehnen. Im übrigen hat sich der Arbeitsnachweis einer Einwirkung auf die Lohnhöhe zu enthalten; Auskunfterteilung über die ortsüblichen Lohnverhältnisse gilt nicht als Einwirkung. 8 42. Die Arbeitgeber sind verpflichtet und die wirtschaftlichen Ver­ einigungen der Arbeitnehmer sind berechtigt, bei Ausbruch und Beendigung eines Ausstandes oder bei Vornahme und Beendigung einer Aussperrung den zuständigen Arbeitsnachweisämtern schriftliche Anzeige zu machen. Das Reichsamt erläßt im Einvernehmen mit seinem Verwaltungsrat nähere Be­ stimmungen über die dabei einzuhaltenden Fristen und Formen sowie darüber, in welchen Fällen die Anzeige statt von den einzelnen Arbeitgebern von einer öffentlichen Berufsvertretung oder wirtschaftlichen Vereinigung zu er­ statten ist. Ist die schriftliche Anzeige erstattet, so hat der Arbeitsvermittler den Arbeitsuchenden von der Tatsache des Ausstandes oder der Aussperrung Kenntnis zu geben und die Vermittlung nur dann vorzunehmen, wenn sie trotzdem verlangt wird. Ebenso dürfen ausständige oder ausgesperrte Arbeitnehmer nur ver­ mittelt werden, wenn die Tatsache des Ausstandes oder der Aussperrung dem Arbeitgeber vorher bekanntgegeben war. 8 43. Der Geschäftsführer und die Arbeitsvermittler sind berechtigt und auf Verlangen verpflichtet, Auskunft über Besonderheiten einer offenen Stelle, die für den Arbeitsuchenden von Bedeutung sein können, oder über besondere Eigenschaften eines Arbeitsuchenden, die für seine Eignung für die Stelle wichtig sein können, zu geben, wenn ihnen diese Besonderheiten oder besonderen Eigenschaften amtlich bekannt geworden sind und wenn es besondere Umstände — namentlich die Aufnahme in die Hausgemeinschaft — rechtfertigen.

IV.

Andere

nichtaewerbsmatzige Arbeitsnachweise, Stellenvermittlung, Meldepflicht.

gewerbsmäßige

8 44. Die nichtgewerbsmäßigen Arbeitsnachweise, die nicht Arbeits­ nachweisämter im Sinne dieses Gesetzes sind, unterstehen der Aufsicht des Landesamts, in dessen Bezirk sie ihre Tätigkeit ausüben; sofern ihre Tätig­ keit über den Bereich eines Landesamts hinaus reicht, übt die Aufsicht das Reichsamt oder das von ihm bestimmte Landesamt aus. Für nichtgewerbsmäßige Arbeitsnachweise gelten die §§ 40 bis 43 des Gesetzes. Ausgenommen von der Bestimmung, daß die Frage nach der Zugehörigkeit zu einer Vereinigung untersagt ist (§ 40), bleiben solche Arbeits­ nachweise, die von wirtschaftlichen Bereinigungen der Arbeitnehmer errichtet sind und satzungsgemäß nur an deren Mitglieder Arbeit vermitteln.

634

Erster Teil.

Strafgesetze.

Tas Reichsamt und mit Zustimmung die Landesämter können über Ein­ richtung und Betrieb dieser Nachmeise weitere Vorschriften erlassen. Vorher hat das Reichsamt seinen Verwaltungsrat und haben die Landesämter ihre Verwaltungsausschüsse zu hören. 8 45. Ein nicht gewerbsmäßiger Arbeitsnachweis kann in ein Arbeits­ nachweisamt überführt werden, wenn der Träger des nichtgewerbsmäßigen Arbeitsnachweises die Überführung beim Landesamt oder, wenn seine Tätig­ keit über den Bezirk eines Landesamts hinausreicht, beim Reichsamt beantragt. Tas Landesamt für Arbeitsvermittlung kann mit Zustimmung seines Verwaltungsausschusses die Überführung eines nicht gewerbsmäßigen Arbeits­ nachweises, über den es die Aufsicht führt, beantragen, wenn er den An­ forderungen dieses Gesetzes (§§ 44 Abs. 2) trotz wiederholter, angemessen befristeter Aufforderung nachweislich nicht entspricht oder seine Tätigkeit für feilten Geltungsbereich dauernd ohne nennenswerte Bedeutung ist. Statt der Überführung kann das Landesamt die Schließung beantragen, wenn mindestens zwei Drittel der Mitglieder seines Verwaltungsausschusses zu­ stimmen. Tie Entscheidung über den Antrag trifft das Reichsamt nach Anhörung seines Verwaltungsrats. Unter den Voraussetzungen des vorhergehenden Absatzes kann das Reichsamt mit Zustimmung seines Verwaltungsrats die Überführung oder Schließung eines nichtgewerbsmäßigen Arbeitsnachweises anordnen, über den es selbst die Aufsicht ausübt. Tie Schließung kann es nur anordnen, wenn mindestens zwei Drittel der Mitglieder seines Verwaltungsrats zustimmen. Gegen den Beschluß der Überführung oder Schließung ist Beschweroe an den Reichsarbeitsminister zulässig; er entscheidet endgültig. 8 46. Der Verwaltungsausschuß des Landesamts kann zulassen, daß nichtgewerbsmäßige Arbeitsnachweise neu errichtet oder in ihrer Selbständig­ keit wiederhergestellt werden. Die Zulassung hat zu erfolgen, wenn sich ergibt, daß nach der Eigenart des Berufs oder den Ansprüchen der Be­ teiligten an die Arbeitsvermittlung diese — zumindest für einen nennens­ werten Teil der Beteiligten — auf absehbare Zeit besser durch eigene Ein­ richtungen wirtschaftlicher Vereinigungen oder öffentlicher Berufsvertretungen als durch einen öffentlichen Arbeitsnachweis ausgeübt wird An die Stelle des Verwaltungsausschusses des Landesamts tritt der Berwaltungsrat des Reichsamts, wenn die Tätigkeit des nichtgewerbsmäßigen Arbeitsnachweises über den Bezirk eines Landesamts hinausreichen soll. Gegen die Ablehnung ist Beschwerde an den Reichsarbeitsminister zu­ lässig, der endgültig entscheidet Sofern es sich um eine Beschwerde gegen den Verwaltungsausschuß eines Landesamts handelt, ergeht die Entschei­ dung des Reichsarbeitsministers nach Anhörung des Verwaltungsrats des Reichsamts. 8 47. Tie Einrichtung der seemännischen Heuerstellen ist entsprechend dem in Genua am 15 Juni 1920 getroffenen Abkommen zu regeln. Tie Aufsicht über die seemännischen Heuerstellen wird unmittelbar durch das Reicbsamt für Arbeitsvermittlung ausgeübt. 8 48. Tie gewerbsmäßige Stellenvermittlung ist vom 1. Januar 1931 ab verboten Mit diesem Zeitpunkt erlischt die erteilte Erlaubnis zum Ge­ werbebetrieb eines Stellenvermittlers Denjenigen Stellenvermittlern, die zu dieser Zeit das Gewerbe mindestens seit dem 2 Juni 1910 auf Grund behördlicher Erlaubnis ausüben, ist eine angemessene Entschädigung zu gewähren, deren Höhe durch besonderes Gesetz bestimmt wird. Von dem Inkrafttreten dieses Gesetzes an darf eine neue Erlaubnis zum Gewerbebetrieb eines Stellenvermittlers nicht erteilt und eine bestehende Erlaubnis nicht verlängert oder übertragen werden Der Gewerbebetrieb der bestehenden Stellenvermittler wird der Aussicht der für den Betriebsort zuständigen Arbeitsnachweisämter unterstellt. Ter Reichsarbeitsminister kann Ausnahmen von den Bestimmungen der Abs. 1 und 2 zulassen Er kann auch vor dem 31. Dezember 1930 für einzelne Berufe die gewerbsmäßige Stellenvermittlung untersagen

141. Arbeitsnachweisgesetz v 22. Juli 1922.

§§ 45—54.

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Als gewerbsmäßige Stellenvermittlung gilt auch die gewerbsmäßige Herausgabe von Stellenlisten einschließlich ihnen gleichzuachtender Sonder­ drucke und Auszüge aus periodischen Druckschriften. Dagegen werden Zei­ tungen, Zeitschriften, Fachblätter oder ähnliche periodisch erscheinende Druckschriften von den Bestimmungen dieses Paragraphen nicht betroffen. Als gewerbsmäßige Stellenvermittlung gilt ferner die Zuweisung von Arbeitnehmern, deren Arbeitskraft der Zuweisende gewerbsmäßig dritten Personen für vorübergehende Beschäftigung zur Verfügung stellt, ohne selbst die Ausrüstung mit den erforderlichen Werkzeugen und die sozialen Ver­ sicherungslasten des Arbeitgebers für die vermittelten Personen zu übernehmen. 8 49. Der Reichsarbeitsminister kann nach Anhörung des Verwaltungs­ rats beim Reichsamt für Arbeitsvermittlung anordnen, daß Arbeitgeber die bei ihnen vorhandenen offenen Arbeitsplätze bei dem zuständigen öffentlichen Arbeitsnachweis anzumelden haben. Die Anmeldepflicht darf sich nur auf Arbeitsplätze für Arbeitnehmer erstrecken, die der Kranken- oder Angestellten­ versicherung unterliegen; sie darf sich nicht erstrecken auf Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und Hauswirtschaft und in solchen Betrieben, die weniger als fünf Arbeitnehmer beschäftigen. Die Anmeldepflicht kann auf bestimmte Bezirke und Berufe beschränkt werden. Tie Besttmmung des Abs. 1 findet keine Anwendung auf Arbeitsplätze, die durch Ausstand oder Aussperrung frei geworden sind.

V. Beschwerdeverfahren. § 50. Gegen die Entscheidungen des Vorsitzenden des Arbeitsnachweises oder seiner Stellvertreter ist schriftlicher Einspruch beim Berwaltungsausschuß oder, soweit es sich um die Tätigkeit einer Fachabteilung handelt, beim Fachausschuß zulässig. Zum Einspruch berechtigt ist jeder, der an der Abänderung der Ent­ scheidung ein Interesse hat. Bei Behandlung solcher Einsprüche, die von einer Vereinigung von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern ausgehen, ist auf Antrag ein von ihr zu bestimmender Vertreter in mündlicher Verhandlung zu hören. Wird in der gleichen Angelegenheit wiederholt Einspruch erhoben, so entscheidet der Verwaltungsausschuß über die Anhörung der beschwerde­ führenden Vereinigung. Der Einspruch hat keine aufschiebende Wirkung. Der Berwaltungsausschuß (Fachausschuß) entscheidet endgültig, soweit das Gesetz nicht anders bestimmt. Wird die Entscheidung des Vorsitzenden durch den Berwaltungsausschuß (Fachausschuß) abgeändert, so ist der Vorsitzende berechtigt, innerhalb zweier Wochen die Entscheidung des Verwaltungsausschusses (Fachausschusses) des Landesamts anzurufen. 8 51. Gegen Entscheidungen des Verwaltungsausschusses, die nicht auf Einspruch ergangen sind, ist Beschwerde an den Verwaltungsausschuß des Landesamts zulässig. Ist die Entscheidung von einem Fachausschuß erlassen, so geht die Beschwerde, falls beim Landesamt ein entsprechender Fachausschuß besteht, an diesen. § 50 Abs. 2 gilt entsprechend. 8 52. Für die Landesämter gelten die §§ 50 und 51 entsprechend. In grundsätzlichen Fragen ist vor der Entscheidung des Verwaltungsrats der obersten Landesbehörde Gelegenheit zur Äußerung zu geben. 8 53. Gegen Entscheidungen der Fachausschüsse beim Reichsamt, die nicht auf Beschwerde ergangen sind, ist Einspruch beim Verwaltungsrat Zulässig.

VI. Strafbestimmungen. 8 54. Mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark, im Unver­ mögensfalle mit Haft, wird bestraft, wer 1. sich weigert oder trotz wiederholter Aufforderung es unterläßt, die gemäß §§ 25, 31 erforderten Auskünfte zu erteilen oder wissentlich un­ richtige Auskunft erteilt,

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Erster Teil.

Strafgesetze.

2. der nach § 42 Abs. 1 begründeten Pflicht zur Anzeige bei Ausbruch oder Beendigung eines Ausstandes oder Vornahme und Beendigung einer Aussperrung nicht nachkommt oder darüber wissentlich unrichtige Angaben macht. Tie Verfolgung tritt nur auf Antrag des Arbeitsnachweisamts ein, dem gegenüber die Verpflichtung besteht. 8 85. Mit Geldstrafe bis zu einhunderttausend Mark oder mit Ge­ fängnis bis zu sechs Monaten wird bestraft, wer den gemäß § 26 Abs. 2 erlassenen Anordnungen über ausländische Arbeitnehmer zuwiderhandelt. 8 56. Mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark, im Unver­ mögensfalle mit Haft, wird bestraft, wer einen nichtgewerbsmäßigen Arbeits­ nachweis widerrechtlich unterhält, leitet oder darin tätig ist. Tie Verfolgung tritt nur auf Antrag desjenigen Arbeitsnachweisamts ein, in dessen Bezirk die im Abs. 1 bezeichneten nichtgewerbsmäßigen Arbeits­ nachweise betrieben werden. 8 57. Wer widerrechtlich das Gewerbe eines Stellenvermittlers betreibt oder für einen gewerbsmäßigen Stellenvermittler in dessen Betrieb tätig ist, wird mit Geldstrafe bis zu einhunderttausend Mark bestraft. War in den Fällen des Abs. 1 der Täter zur Zeit der Begehung der Tat bereits zweimal wegen einer der dort bezeichneten Zuwiderhandlungen rechtskräftig verurteilt, so tritt Geldstrafe von dreitausend bis einhundert­ tausend Mark oder Gefängnisstrafe bis zu drei Monaten ein Tie An­ wendung dieser Vorschrift bleibt ausgeschlossen, wenn seit der Rechtskraft der letzten Verurteilung bis zur Begehung der neuen Straftat bereits drei Jahre verflossen sind. 8 58. Tie Vorschriften der §§ 54 bis 56 finden auf Handlungen keine Anwendung, die im Betrieb einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes begangen werden Tie Durchführung des Gesetzes gegenüber Körperschaften des öffent­ lichen Rechtes liegt den Dienstaufsichtsbehörden ob.

VII. Schluß- und Übergangsbestimmungen. 8 59. Ter Reichsarbeitsminister kann nach Anhörung des Verwaltungs­ rats des Reichsamts und mit Zustimmung des Reichsrats Bestimmungen zur Ausführung dieses Gesetzes erlassen, insbesondere Vorschriften über die Zu­ sammenarbeit der Arbeitsnachweisämter mit den Stellen, die für die Durch­ führung der Arbeitsbeschaffung, Arbeitsverteilung, der Erwerbslosen-, Er­ werbsbeschränkten-, Kriegsbeschädigten- und Wanderfürsorge, Jugendpflege und dergleichen zuständig sind. Diese Bestimmungen und Vorschriften sind dem Reichstag vorzulegen. 8 60. Die Anwerbung und Vermittlung von Arbeitnehmern nach dem Ausland wird, soweit sie nicht nach anderen Bestimmungen verboten ist, vom Reichsarbeitsministerium und Reichsministerium des Innern gemeinschaftlich und nach Anhörung des Verwaltungsrats des Reichsamts geregelt Durch diese Regelung kann insbesondere die gewerbsmäßige Stellenvermittlung ver­ boten und die nichtgewerbsmäßige Stellenvermittlung von einer besonderen Erlaubnis abhängig gemacht werden. Wer den nach Abs. 1 erlassenen Anordnungen zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu einhunderttausend Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. 8 61. Die Behörden sind innerhalb ihrer Zuständigkeit verpflichtet, den im Vollzüge dieses Gesetzes an sie gerichteten Ansuchen der Arbeitsnach­ weisämter zu entsprechen. Die gleiche Verpflichtung liegt den Arbeitsnachweis­ ämtern untereinander ob. Die oberste Landesbehörde, bei gemeinsamen Ämtern mehrerer Länder und beim Reichsamt der Reichsarbeitsminister, kann bestimmen, inwieweit die durch Erfüllung dieser Verpflichtung entstehen­ den Kosten von den ersuchenden Ämtern zu erstatten, sind. 8 62. Die oberste Landesbehörde kann in den Fällen der § 3 Abs 1, § 4 Abs. 1 Satz 3, § 18 Abs. 1, § 19 Abs. 2, §§ 20, 23 Satz 1 ihre Befug­ nisse auf andere Stellen übertragen.

141. ArbeitsnachweiSgesetz v. 22. Juli 1922.

§§ 56—69.

637

8 63. Die Satzung des öffentlichen Arbeitsnachweises wird erstmalig von der Errichtungsgemeinde im Einvernehmen mit einem vorläufigen Berwaltungsausschuß erlassen. Der^ vorläufige Berwaltungsausschuß besteht aus dem Vorsitzenden des Arbeitsnachweises oder einem seiner Stellvertreter und mindestens je drei Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemäß § 7. Die Er­ richtungsgemeinde kann zum Schutze der Minderheiten bestimmen, daß eine größere Zahl von Arbeitgebern und Arbeitnehmern dem vorläufigen Verwal­ tungsausschuß angehört. Die Zahl der Arbeitgeber und Arbeitnehmer muß gleich sein. Bestehende Satzungen sind innerhalb dreier Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes seinen Bestimmungen anzupassen. Für die Bestellung des Vorsitzenden, seiner Stellvertreter und der Bei­ sitzer finden die §§ 7 bis 10 entsprechende Anwendung mit der Maßgabe, daß die Bestellung der Beisitzer nur bis zur Bildung eines Verwaltungsausschusses auf Grund der Satzung erfolgt. Diese Bildung hat spätestens sechs Monate nach der Bildung des vorläufigen Verwaltungsausschusses zu erfolgen. 8 64. Bestand bereits in einer Gemeinde (einem Gemeindeverbande) beim Inkrafttreten des Gesetzes ein öffentlicher Arbeitsnachweis, so sind auf Verlangen der Gemeinde (des Gemeindeverbandes) die in ihm beschäftigten Beamten und ständig Angestellten von dem neu zu bildenden Arbeitsnachweise zu übernehmen. Der Verwaltungsausschuß des Arbeitsnachweises kann aus wichtigen Gründen der Übernahme widersprechen. Im Streitfall entscheidet die oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle. 8 65. Solange Bezirkswirtfchaftsräte nicht gebildet sind, werden die Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer für den Berwaltungsausschuß der Landesämter (§. 21) von den obersten Landesbehörden auf Vorschlag der wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer des Bezirkes des Landesamts bestellt. § 62 findet entsprechende Anwendung. 8 66. Solange der Reichswirtschaftsrat noch nicht gebildet ist, tritt an seine Stelle für den Fall des § 16 Abs. 3 Satz 2 und des § 29 Abs. 2 Satz 2 der vorläufige Reichswirtschaftsrat. 8 67. Die Kosten der Arbeitsnachweisämter werden durch besonderes Gesetz geregelt. Bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes werden die Kosten für die öffentlichen Arbeitsnachweise durch die Errichtungsgemeinden, für die Landesämter durch die Länder oder die von den obersten Landes­ behörden bestimmten Verwaltungsbezirke oder Gemeindeverbände, für das Reichsamt durch das Reich aufgebracht. Soweit für mehrere Länder gemeinsame Arbeitsnachweisämter errichtet sind, bestimmt der Reichsarbeitsminister im Benehmen mit den beteiligten obersten Landesbehörden die Kostenverteilung. Das Reich leistet zu den notwendigen Kosten der Landesämter Zuschüsse. Diese sind so zu bemessen, daß die Länder oder die von den obersten Landes­ behörden bestimmten Verwaltungsbezirke oder Gemeindeverbände nach Abzug aller sonstigen Einnahmen der Landesämter nicht mehr als ein Drittel der Kosten zu tragen haben. Das Reich leistet ferner angemessene Beihilfen zu den Kosten der öffentlichen Arbeitsnachweise. Das Nähere über ihre Verteilung bestimmt die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats. 8 68. Die oberste Landesbehörde bestimmt, wer die Gemeinde oder den weiteren Gemeindeverband im Sinne dieses Gesetzes zu vertreten hat. Ebenso bestimmt sie, wer als untere Verwaltungsbehörde im Sinne des Gesetzes zu gelten hat. 8 69. Das Reichsamt kann int Benehmen mit seinem Verwaltungsrat allgemeine Bestimmungen über die Durchführung der den Arbeitsnachweis­ ämtern übertragenen Aufsicht über die gewerbsmäßigen Stellenvermittler und die Pflicht der gewerbsmäßigen Stellenvermittler zur Anmeldung ihres Be­ triebs bei den Arbeitsnachweisämtern sowie zur Berichterstattung erlassen.

638

Erster Teil.

Strafgesetze.

Gewerbsmäßige Stellenvermittler, welche den nach Abs. 1 erlassenen Vor­ schriften zuwiderhandeln, werden für jeden Fall der Zuwiderhandlung mit Geld­ strafe bis zu eintausendfünfhundert Mark oder mit Haft bestraft § 57 Abs. 2 findet entsprechende Anwendung mit der Maßgabe, daß auf Geldstrafe von fünfhundert bis eintausendfünfhundert Mark oder auf Haft zu erkennen ist. § 70, § 12 Ziff. 1, §§ 15, 16, 17, 18 des Stellenvermittlergesetzes vom 2. Juni 1910 (Reichsgesetzbl. S. 860), die Anordnung über Arbeitsnachweise vom 9. Dezember 1918 (Reichsgesetzbl. S. 1421) und die Verordnung über die Errichtung eines Reichsamts für Arbeitsvermittlung vom 5. Mai 1920 (Reichs­ gesetzbl. S. 876) werden aufgehoben. Den Zeitpunkt, zu dem die übrigen Bestimmungen des Stellenvermittler­ gesetzes außer Kraft treten, setzt die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats fest. g 71. Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes wird die Gewerbeordnung für das Deutsche Reich geändert, wie folgt: 1. In 8 8ln werden unter Nr 2 die Worte „und den Arbeitsnachweis" gestrichen. II In 8 88 Abs. 3 wird das Wort „Arbeitsnachweis" gestrichen, g 72. Dieses Gesetz tritt am 1. Oktober 1922 in Kraft.

142.

4. Notgesetz. Vom 24

Februar 1923

(RGM. I S. 147.)

Artikel I

8 i.')

-------------

g 2. Die oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Behörde hat Bestimmungen über die Festsetzung und Handhabung der Polizeistunde in Gastund Schankwirtschaften zu erlassen. Dabei ist vorzuschreiben, wann die Polizei­ stunde beginnt und wann sie endet, unter welchen Voraussetzungen sie verlän­ gert oder verkürzt werden darf und wie ihre Einhaltung zu überwachen ist. Tie Bestimmungen gelten gleichmäßig für alle Gast- und Schankwirtschaften eines bestimmten Gemeindebezirkes. Die Bestimmungen finden auch Anwendung aus geschlossene Gesellschaften (Klubs usw.) in einer Gast- oder Schankwirtschaft oder mit einer solchen in Ver­ bindung stehenden Räumen, soweit ein gast- oder schankwirtschaftlicher Be­ trieb verbunden ist Die Anordnung kann arH auf Räume ausgedehnt werden, die im Eigentume geschlossener Gesellschaften stehen oder von ihnen ermietet sind. g 3. Die zuständige Behörde kann die Fortsetzung des Betriebs einer Gast- oder Schankwirtschaft und des Kleinhandels mit Branntwein oder Spiri­ tus durch unmittelbaren oder mittelbaren Zwang verhindern, wenn der Be­ trieb ohne Erlaubnis begonnen oder die Erlaubnis erloschen oder endgültig zurückgenommen ist. Erhellt aus Handlungen oder Unterlassungen des Inhabers einer Gast­ oder Schankwirtschaft oder eines Kleinhändlers mit Branntwein oder Spiritus klar, daß er die zum Betriebe seines Gewerbes erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt (§ 1), so kann die zuständige Behörde den Betrieb vorläufig schlie­ ßen. Sie hat in diesem Falle unverzüglich bei der hierfür zuständigen Behörde die Zurücknahme der Erlaubnis zu beantragen. Diese Behörde hat über die Schließung vorab zu entscheiden. Die Erlaubnis kann durch die zuständige Behörde zurückgenommen wer­ den, wenn Tatsachen eintreten, welche die Versagung der Erlaubnis nach § 1 Abs. 3 Nr 1 rechtfertigen würden. x) Durch diese Bestimmung hat § 33 der Reichsgewerbeordnung die nun­ mehrige Fassung erhalten; s. v. .S. 376.

142. Notgesetz v. 24. Febr. 1923.

639

8 4. Wer vorsätzlich entgegen den Bestimmungen der Reichsgewerbeordnung den selbständigen Betrieb einer Gast- oder Schankwirtschaft oder den Kleinhandel mit Branntwein oder Spiritus ohne Erlaubnis ausübt oder von den in der Erlaubnis festgesetzten Bedingungen abweicht, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe bis zu einer Million Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft. Ebenso wird bestraft, wer den auf Grund des § 2 erlassenen Vorschriften zuwiderhandelt. Bei Fahrlässigkeit tritt Geldstrafe bis zu einhunderttausend Mark ein 8 6. Verboten ist 1. das Verabfolgen oder Ausschänken von Branntwein und das Verabfolgen branntweinhaltiger Genußmittel im Betrieb einer Gast- oder Schankwirt­ schaft oder im Kleinhandel an Personen, die das 18 Lebensjahr noch nicht vollendet haben; 2 das Verabfolgen oder Ausschänken anderer geistiger Getränke und das Verabfolgen nikotinhaltiger Tabakwaren im Betrieb einer Gast- oder Schankwirtschaft oder im Kleinhandel an Personen, die das 16. Lebens­ jahr noch nicht vollendet haben, zu eigenem Genuß in Abwesenheit des zu ihrer Erziehung Berechtigten oder seines Vertreters; 3. das Verabfolgen oder Ausschänken geistiger Getränke im Betrieb einer Gast- oder Schankwirtschaft oder im Kleinhandel an Betrunkene Wer einer Vorschrift des Abs 1 vorsätzlich zuwiderhandelt, wird mit Ge­ fängnis bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe bis zu einer Million Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft Bei Fahrlässigkeit tritt Geldstrafe bis zu einhunderttausend Mark ein Artikel II

8 1. Die oberste Landesbehörde kann in Zeiten einer außerordentlichen politischen oder wirtschaftlichen Not oder Gefahr Vorschriften über Einschrän­ kungen von Vergnügungen erlassen 8 2. Wer einer nach § 1 erlassenen Vorschrift zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten und mit Geldstrafe bis zu einer Million Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft.

Artikel III. (Aufgehoben durch Art II Nr 18 der Verordnung v. 13. Juli 1923, RGBl. I S. 699) Artikel IV, V---- — - -- -- - —

1. 2

3 4.

Artikel VI Die Neichsregierung wird ermächtigt, Bestimmungen zu erlassen, die erforderlich sind, um fremder Einwirkung auf die deutsche Gerichtsbarkeit entgegenzuwirken; auf dem Gebiete der Finanzgesetzgebung und der Steuergesetzgebung von dem geltenden Rechte abweichende Bestimmungen zu treffen, soweit dies erforderlich ist, um fremde Einwirkung auf die deutschen Finanzen aus­ zuschließen oder die Folgen einer solchen (Änwirkung auszugleichen; dies gilt nicht für die Änderung von Steuersätzen; zum Schutze der Währung gegen fremde Einwirkung und ihre Folgen dort dem geltenden Rechte abweichende Bestimmungen über den Verkehr mit Zahlungsmitteln und mit Waren zu erlassen; abweichend von dem geltenden Rechte, die Fürsorge für Kriegsbeschädigte, Kriegshinterbliebene, Sozialrentner, Kleinrentner, Erwerbsbeschränkte, Ar­ beitslose und andere notleidende Personen sowie notleidende Anstalten und Einrichtungen durchzuführen, ferner den Zeitpunkt der Wahlen zu sozialen Ämtern und zu Betriebsvertretungen zu bestimmen, soweit dies zur Ausschließung fremder Einwirkungen oder zum Ausgleich ihrer Folgen erforderlich ist;

*) In der Fassung des Gesetzes vom 14 Juli 1923 (RGBl. I S. 635).

640

Erster Teil.

Strafgesetze.

5. Bestimmungen zu erlassen, die erforderlich sind, um die Folgen fremder Einwirkung auf das deutsche Privatvermögen im Wege der Entschädigung auszugleichen. Die Vergütungen werden auf Beschwerde vom Reichs­ wirtschaftsgericht nach Maßgabe der von der Reichsregierung erlassenen Richtlinien endgültig festgesetzt. Die Richtlinien sind dem Reichstag un­ verzüglich zur Kenntnis vorzulegen und auf sein Verlangen außer Kraft zu setzen. Allgemeine Bestimmungen auf Grund des Abs. 1 bedürfen der Zustim­ mung des Reichsrats. Die Reichsregierung wird ferner ermächtigt, mit Zustimmung des Reichs­ rats zum Zwecke einer wirksameren Bekämpfung die geltenden Vorschriften zur Bekämpfung der Preistreiberei, des Schleichhandels, der verbotenen Ausfuhr und Einfuhr und des unzulässigen Handels sowie über Höchstpreise, das Prü­ fungswesen, die Auskunftspflicht über wirtschaftliche Verhältnisse, den Preis­ aushang und andere Beschränkungen des Handels und Gewerbes in neuen Verordnungen zusammenzusassen. Dabei kann sie die geltenden Vorschriften ändern, soweit dies zur Vereinheitlichung oder Klarstellung der Vorschriften oder zur Anpassung an die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse oder zur wirksameren Bekämpfung der Preistreiberei und andere Auswüchse des Wirt­ schaftslebens, insbesondere zur Haftbarmachung Dritter für den einzuziehenden übermäßigen Gewinn, erforderlich ist. Sie kann auch die Vorschriften über Ein­ ziehung von Gegenständen im selbständigen Verfahren, über Verwertung sicher­ gestellter oder beschlagnahmter Gegenstände, über die Berücksichtigung des Irr­ tums im Strafverfahren, über Enteignung von Gegenständen des täglichen Be­ darfs sowie über die Schließung von Geschäften und die Beschlagnahme von Waren neu regeln und Vorschriften zur Überwachung und Regelung von Ver­ steigerungen lebenswichtiger Gegenstände erlassen sowie solche Versteigerungen verbieten. Tie Verordnungen der Reichsregierung sind dem Reichstag unverzüglich zur Kenntnis zu bringen und auf sein Verlangen ganz oder teilweise außer Kraft zu setzen. Artikel VII.*1)2 3 Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft. Artikel VI tritt mit dem 31 Oktober 1923 außer Kraft.

143.

5. Preistreibereiverordnung. Vom 13. Juli 1923. (RGBl. I S. 700.)2)

Höchstpreise. 8 1 Tie Reichsregierung oder die von ihr bestimmten Behörden sind be­ fugt, Höchstpreise für Gegenstände des täglichen Bedarfs festzusetzen. Tie Reichs­ regierung kann mit Zustimmung des Reichsrats bestimmen, daß auch für andere Gegenstände Höchstpreise festgesetzt werden ober werden können.

') Fassung gemäß Gesetz v. 25. Mai 1923 (RGBl. I S. 299). *) Diese und die unter 6—11 abgedruckten Verordnungen sind auf Grund Art. VI Abs. 3 des Notgesetzes (s. o. Nr. 142) ergangen und vom 15. August 1923 an in Kraft gesetzt durch die Verordnung zur Ausführung des Art. VI Abs. 3 des Notgesetzes v. 13. Juli 1923 (RGBl. I S. 699), die lautet: Artikel I. Am 15. August 1923 treten die folgenden, nachstehend bekanntgemachten Verordnungen in Kraft: 1. Preistreibereiverordnung. 2. Verordnung gegen verbotene Ausfuhr lebenswichtiger Gegenstände. 3. Verordnung über Handelsbeschränkungen.

143. Preistreibereiverordnung v. 13. Juli 1923.

§§ 1, 2.

641

Soweit Höchstpreise der im Abs. 1 bezeichneten Art nicht bestehen, können die obersten Landesbehörden oder die von ihnen bestimmten Behörden die Höchstpreise festsetzen. Höchstpreisüberschreitung.

8 2. Wegen Höchstpreisüberschreitung wird bestraft, wer vorsätzlich einen

höheren Preis als den Höchstpreis fordert oder sich oder einem anderen gewäh­ ren oder versprechen läßt. 4. 5. 6. 7. 8.

1. 2.

3.

4. 5.

6. 7.

8. 9. 10.

11. 12. 13.

14. 15.

16. 17.

18.

Verordnung über den Verkehr mit Vieh und Fleisch. Verordnung über Notstandsversorgung. Verordnung über Preisprüfungsstellen. Verordnung über Auskunftspflicht. Wuchergerichtsverordnung. Artikel II. Gleichzeitig werden aufgehoben: das Gesetz, betreffend Höchstpreise, vom 4. August/I7. Dezember 1914 (Reichsgesetzbl. S. 339, 516); die Verordnung, betreffend den Wochenmarktverkehr, vom 2. März 1915 (Reichsgesetzbl. S. 125); die Verordnung über den Aushang von Preisen in Verkaufsräumen des Kleinhandels vom 24. Juni 1915 (Reichsgesetzbl. S. 353); die Verordnung über die Enteignung von Gegenständen des täglichen Bedarfs vom 23. Juli 1915/8. Mai 1918 (Reichsgesetzbl. 1915 S. 467; 1918 S. 395); die Verordnung zur Fernhaltung unzuverlässiger Personen vom Han­ del vom 23. September 1915 (Reichsgesetzbl. S. 603); die Verordnung über die Errichtung von Preisprüfungsstellen und die Versorgungsregeln vom 25. September 1915 (Reichsgesetzbl. S. 607); die Verordnung über Zeitungsanzeigen vom 16. Dezember 1915 (Reichsgesetzbl. S. 827); die Verordnungen über die äußere Kennzeichnung von Waren vom 18. Mai 1916 und 19. Mai 1922 (Reichsgesetzbl. 1916 S. 380; 1922 I S. 483); die Verordnung über den Handel mit Lebens- und Futtermitteln vom 24. Juni 1916/10. Februar 1923 (Reichsgesetzbl. 1923 I S. 111); die Verordnung über Auskunftspflicht vom 12. Juli 1917 (Reichs­ gesetzbl. S. 604); die Verordnung gegen den Schleichhandel vom 7. März 1918 (Reichs­ gesetzbl. S. 112); die Verordnung gegen Preistreiberei vom 8. Mai 1918 (Reichsgesetzbl. S. 395); die Verordnung über Sondergerichte gegen Schleichhandel und Preis­ treiberei (Wuchergerichte) vom 27. November 1919 und die hierzu er­ lassenen Ausführungsverordnungen vom gleichen Tage (Reichsgesetzbl. S. 1909, 1916, 1919); die §§ 1 bis 6 des Gesetzes über Verschärfung der Strafen gegen Schleichhandel, Preistreiberei und verbotene Ausfuhr lebenswichtiger Gegenstände vom 18. Dezember 1920 (Reichsgesetzbl. S. 2107); die Verordnung über die Bersorgungsregelung vom 16. April 1921 (Reichsgesetzbl. S. 486); das Gesetz über die Fleischversorgung vom 18. April 1922 (Reichs­ gesetzbl. I S. 460); Nr. 1 und 2 der Verordnung zur Abänderung der Verordnung über den Verkehr mit Milch vom 9. Dezember 1922 (Reichsgesetzbl. I S. 922) und Nr. 6 der Verordnung zur Abänderung der Verordnung über den beit Verkehr mit Milch vom 9. Mai 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 292); Artikel III des Notgesetzes vom 24. Februar 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 147);

Allfeld, Strafgesetzgebung.

3. Auflage.

41

642

Erster Teil.

Strafgesetze.

Wegen Höchstpreisüberschreitung wird ferner bestraft, wer vorsätzlich beim Erwerbe zum Zwecke der Weiterveräußerung mit Gewinn einen höheren Preis als den Höchstpreis gewährt oder verspricht Preiswucher.

8 3. Wegen Preiswuchers wird bestraft, wer vorsätzlich für einen Gegen­ stand des täglichen Bedarfs einen Preis fordert, der unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse einen übermäßigen Gewinn enthält, oder einen solchen Preis sich oder einem anderen gewähren oder versprechen läßt Zu den Ver­ hältnissen, die nach Satz 1 zu berücksichtigen sind, gehört insbesondere die Verschlechterung oder Besserung der Kaufkraft des Geldes in der Zeit zwischen dem Einkauf oder der Herstellung der Ware und ihrer Veräußerung. Für gleichartige Gegenstände, deren Gestehungskosten verschieden hoch sind, darf ein Durchschnittspreis gefordert werden, wenn er nachweislich auf den verschiedenen Gestehungskosten und den verschiedenen Mengen der in ihn einbezogenen Gegenstände beruht und unter Berücksichtigung der durchschnitt­ lichen Gestehungskosten keinen übermäßigen Gewinn enthält. Ein Vergehen gegen die Vorschrift des Abs. 1 liegt nicht vor, wenn der Höchstpreis oder der von einer zuständigen Behörde festgesetzte oder genehmigte Preis eingehalten wird Tas gleiche gilt, wenn der Preis, der für die Berteilungsstufe des Veräußerers geltenden Marktlage, insbesondere dem unter amtlicher Mitwirkung bekanntgemachten Börsen- oder Marktpreis entspricht, sofern nicht durch Warenmangel oder durch erhebliche Schwierigkeiten, Ware an den Markt zu bringen, oder durch unlautere Machenschaften eine Notmarkt­ lage geschaffen ist Leistungswucher.

8 4. Wegen Leistungswucher wird bestraft, loer vorsätzlich für eine Leistung zur Befriedigung des täglichen Bedarfs eine Vergütung fordert, die unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse einen übermäßigen Verdienst enthält, oder eine solche Vergütung sich oder einem anderen gewähren oder versprechen läßt § 3 Ws. 1 Satz 2 gilt entsprechend. Ein Vergehen gegen die Vorschrift des Abs 1 liegt nicht vor, wenn die Vergütung in einem Arbeitsvertrage zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer festgesetzt ist oder werden soll Das gleiche gilt, wenn die von der zuständigen Behörde festgesetzte oder genehmigte Vergütung eingehalten wird 19 alle besonderen Strafvorschriften gegen Überschreitung von Höchst­ preisen; 20 alle Vorschriften, nach denen bestimmte Preise Höchstpreise int Sinne des Gesetzes, betreffend Höchstpreise, sind oder als solche gelten; 21 alle Vorschriften zur Abänderung der in den Nummern 1, 6, 10 be­ zeichneten Gesetze und Verordnungen; 22 alle auf Grund von Gesetzen oder Verordnungen der Kriegs- oder Übergangswirtschaft erlassenen Bestimmungen über Preisverzeichnisse und Preisschilder

Artikel III Bei Verbrechen und Vergehen gegen die im Artikel I genannten Verord­ nungen finden die Vorschriften der Verordnung über die Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften über wirtschaftliche Maßnahmen vom 18. Januar 1917 (Reichsgesetzbl. S. 58) und der Verordnung, betreffend einige die Kriegsverordnungen ergänzende Vorschriften über Einziehung und über Veräußerung beschlagnahmter Gegenstände, vom 22. März 1917 (Reichs­ gesetzbl. S. 255) Anwendung.

Artikel IV

143. Preistreibereiverordnung v. 13. Juli 1923.

§§ 3—10.

643

Provifionswucher. § 5. Wegen Provisionswuchers wird bestraft, wer vorsätzlich für die Vermittlung eines Geschäfts über Gegenstände des täglichen Bedarfs oder über Leistungen zur Befriedigung des täglichen Bedarfs eine Vergütung for­ dert, die unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse einen übermäßigen Verdienst * enthält, oder eine solche Vergütung sich oder einem anderen ge­ währen oder versprechen läßt. § 3 Ws. 1 Satz 2 gilt entsprechen. Ein Vergehen gegen die Vorschrift des Abs 1 liegt nicht vor, wenn die von der zuständigen Behörde festgesetzte oder genehmigte Vergütung eingehal­ ten wird Kettenhandel. 8 6. Wegen Kettenhandels wird bestraft, wer vorsätzlich den Preis für Gegenstände des täglichen Bedarfs dadurch steigert, daß er sich in eigennütziger unwirtschaftlicher Weise als Zwischenglied in die Kette des Warenumlaufs einschiebt

Warenznrückhattung. 8 7. Wegen Warenzurückhaltung wird bestraft, wer Gegenstände des täglichen Bedarfs, die zur Veräußerung bestimmt sind, in der Absicht zurück­ hält, durch die spätere Veräußerung einen höheren Gewinn zu erzielen oder den Preis hochzuhalten. Preistreibende Machenschaften. 8 8. Wegen preistreibender Machenschaften wird bestraft, wer vorsätz­ lich Warenvorräte unbrauchbar macht, verderben läßt, beschädigt oder vernichtet, in unlauterer Weise die Erzeugung von Waren oder den Handel mit Waren einschränkt oder andere unlautere Machenschaften vornimmt, obwohl er weiß oder den Umständen nach annehmen muß, daß dadurch der Preis für Gegen­ stände des täglichen Bedarfs gesteigert oder hochgehalten werden kann Schleichhandel. 8 9. Wegen Schleichhandels wird bestraft, wer vorsätzlich einen Gegen­ stand, für den ein Höchstpreis festgesetzt ist, oder der sonst einer Verkehrs­ regelung unterliegt, unter vorsätzlicher Verletzung einer zur Regelung ergange­ nen Vorschrift oder unter Verleitung eines anderen zur Verletzung einer solchen Vorschrift oder unter Ausnutzung der von einem anderen begangenen Verletzung einer solchen Vorschrift zum Zwecke der Wiederveräußerung mit Gewinn erwirbt. Wegen Schleichhandels wird ferner bestraft, wer gewerbsmäßig Geschäfte der im Abs. 1 bezeichneten Art vermittelt.

Verabredung der Preistreiberei. 8 10. Wegen Verabredung der Preistreiberei wird bestraft, wer vor­ sätzlich an einer Verabredung oder Verbindung teilnimmt, die eine HöchstpreisArtikel V. Bestimmungen, die auf Grund einer durch Artikel II dieser Verordnung aufgehobenen Vorschrift erlassen sind, bleiben in Kraft, soweit nichts anderes bestimmt wird. Soweit in anderen Bestimmungen auf eine durch Artikel II dieser Ver­ ordnung aufgehobene Vorschrift verwiesen ist, tritt an deren Melle die entsprechende neue Vorschrift Artikel VI. Die Reichsregierung bestimmt mit Zustimmung des Reichsrats, wann und in welchem Umfang die im Artikel I bezeichneten Verordnungen außer Kraft treten. Die Verordnung über den Verkehr mit Vieh und Fleisch kann nur im Wege der Reichsgesetzgebung außer Kraft gesetzt werden.

644

Erster Teil.

Strafgesetze.

Überschreitung, einen Preiswucher, einen Leistungswucher, einen Provisions­ wucher, einen Kettenhandel, eine Warenzurückhaltung, preistreibende Machen­ schaften oder einen Schleichhandel zum Gegenstände hat Verleitung oder Erbieten zur Preistreiberei. 8 11. Wegen Verleitung oder Erbietens znr Preistreiberei wird bestraft, wer vorsätzlich zu einer Höchstpreisüberschreitung, einem Preiswucher, einem Leistungswucher, einem Provisionswucher, einem Kettenhandel, einer Waren­ zurückhaltung, preistreibenden Machenschaften oder einem Schleichhandel auf­ fordert, anreizt oder sich erbietet

Strafe der Preistreiberei. 8 12. Wer Preistreiberei (§§ 2 bis 11) vorsätzlich begeht, wird mit Ge­ fängnis und mit Geldstrafe von zehntausend Mark bis zu zwanzig Millionen Mark bestraft In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus und Geldstrafe von mindestens einer Million Mark; das Höchstmaß der Geldstrafe ist un­ beschränkt Als besonders schwerer Fall ist es insbesondere anzusehen, 1 wenn der Täter aus Habsucht die wirtschaftliche Notlage der Bevölke­ rung in besonders verwerflicher Weise ausbeutet; 2 wenn der Täter aus Habsucht mit erheblichen Mengen von Gegend ständen des täglichen Bedarfs Schleichhandel treibt 8 13. Wer Preistreiberei fahrlässig begeht, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft 8 14. Wer wegen vorsätzlicher Preistreiberei oder wegen vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen die entsprechenden früheren Strafvorschriften mit Freiheitsstrafe bestraft worden ist, darauf abermals eine solche Handlung begangen hat und wegen derselben mit Freiheitsstrafe bestraft worden ist, wird, wenn er wieder vorsätzlich Preistreiberei begeht, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Umständen mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft Daneben ist auf Geldstrafe von mindestens einhundert­ tausend Mark zu erkennen; das Höchstmaß der Geldstrafe ist unbeschränkt Die Vorschriften des Abs 1 finden Anwendung, auch wenn die früheren Strafen nur teilweise verbüßt oder ganz oder teiüveise erlassen sind

Nichta-halten von Preistreiberei. 8 15. Der Inhaber eines Betriebs, in dem ein Angestellter oder eine sonst in dem Betriebe beschäftigte Person eine Preistreiberei begangen hat, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft, wenn er es unter Vernachlässigung seiner Aufsichts­ pflicht unterlassen hat, den Täter von der Begehung der Preistreiberei ab­ zuhalten Dem Inhaber des Betriebs steht der gleich, dem die Leitung oder Be­ aufsichtigung des Betriebs oder eines Teiles desselben übertragen ist

Einziehung des wucherischen Gewinns oder Verdienstes. 8 16. Neben der Strafe ist bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Begehung von Höchstpreisüberschreitung des Veräußerers (§ 2 Abs 1), Preiswucher (§ 3), Leistungswucher (§ 4) und Provisionswucher (§ 5) ein Betrag einzuzieheu, der bei der Höchstpreisüberschreitung des Veräußerers dem über den Höchst­ preis erzielten Erlöse, beim Preiswucher dem erzielten übermäßigen Gewinne, beim Leistungswucher und beim Provisionswucher dem erzielten übermäßigen Verdienste gleichkommt Bei der Festsetzung des einzuziehenden Betrags ist die Verschlechterung oder Besserung der Kaufkraft des Geldes, die zwischen der Erzielung des Erlöses, Gewinns oder Verdienstes und der Festsetzung des einzuziehenden Betrags eingetreten ist, angemessen zu berücksichtigen Täter und Teilnehmer haften für den einzuziehenden Betrag als Gesamt­ schuldner Auf die Einziehung kann auch durch Strafbefehl erkannt werden

143. Preistreibereiverordnung v. 13. Juli 1923.

§§ 11—20.

645

Soweit der übermäßige Gewinn oder Verdienst oder der über den Höchst­ preis erzielte Erlös einer anderen Person als dem Täter oder dem Teilnehmer durch die Tat zugeflossen ist, haftet auch diese Person für den einzuziehen­ den Betrag als Gesamtschuldner Ebenso haftet, wer nach der Tat aus dem Vermögen einer der im Abs 1, 2, 4 bezeichneten Personen eine Zuwendung erhalten hat, wenn ihm die Zuwendung in der Absicht, die Einziehung zu vereiteln, gemacht wurde und er dies zur Zeit des Erwerbes wußte oder den Umständen nach annehmen mußte, oder wenn ihm die Zuwendung unentgeltlich gemacht wurde Unter den gleichen Voraussetzungen haftet als Gesamtschuldner jeder weitere Em­ pfänger der Zuwendung oder ihres Wertes Die Haftung ist auf den Wert der Zuwendung beschränkt Der gutgläubige Empfänger einer unentgeltlichen Zuwendung haftet nur insoweit, als er durch sie noch bereichert ist Die Haftung für den einzuziehenden Betrag geht aus den Erben über Bon der Einziehung kann wegen Geringfügigkeit des einzuziehenden Betrags abgesehen werden

8 17* Soll für den einzuzieyenden Betrag neben dem Täter oder dem Teilnehmer eine andere Person haftbar gemacht werden (§ 16 Abs. 4 bis 6), so ist 'sie, soweit dies ausführbar erscheint, unter Mitteilung des Beschlusses über die Eröffnung des Hauptverfahrens zur Hauptverhandlung zu laden Sie kann alle Befugnisse ausüben, die einem Angeklagten zustehen, sich auch durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lassen Durch ihr Nichterscheinen wird das Verfahren und die Urteilsfällung nicht aufgehalten Die Rechtsmittel gegen das Urteil, sotoeit es die Einziehung betrifft, stehen auch ihr zu 8 18. Auf die im § 16 vorgesehene Einziehung kann selbständig erkannt werden, wenn die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar ist Auf das Verfahren finden die Vorschriften des § 477 9lbs 1 und des 8 478 Abs 1 der Strafprozeßordnung Anwendung *) Die Personen, gegen welche die Einziehung sich richtet, sind, soweit dies ausführbar erscheint, zu dem Termine zu laden; die Vorschriften des 8 487 Abs 3 und des § 479 der Strafprozeßordnung finden Anwendung J) 8 19. Kann in den Fällen der §,§ 16, 18 über die Höhe des einzuziehenden Betrags oder darüber, öb eine andere Person als der Täter oder .der Teilnehmer für den einzuziehenden Betrag haftet, nicht ohne Verzögerung des Verfahrens entschieden werden, so kann die Entscheidung hierüber im Urteil einem besonderen Verfahren vorbehalten werden Auch ohne solchen Vorbehalt kann die Haftung einer anderen Person als des Täters oder des Teilnehmers für den nach dem Urteil einzuziehen­ den Betrag in dem besonderen Verfahren ausgesprochen werden Die Festsetzung des einzuziehenden Betrags kann auch im Strafbefehle dem besonderen Verfahren vorbehalten werden. In dem besonderen Ver­ fahren ist auch dann zu entscheiden, wenn gegen den Täter oder den Teil­ nehmer ein Strafbefehl erlassen wird und eine andere Person für den ein­ zuziehenden Betrag haftet (§ 16 Abs 4 bis 6) 8 20. In dem besonderen Verfahren (§ 19) trifft der Staatsanwalt die erforderlichen Ermittlungen Nach Eintritt der Rechtskraft der Entschei­ dung, welche die Einziehung anordnet, setzt er den einzuziehenden Betrag fest und gibt den Bescheid denjenigen Personen durch Zustellung bekannt, gegen welche die Einziehung sich richtet. Der Bescheid muß mit Gründen versehen sein und die Eröffnung ent­ halten, daß er vollstreckbar wird, wenn der Betroffene nicht binnen zwei Wochen nach der Zustellung die gerichtliche Entscheidung beantragt Der Antrag ist bei dem Staatsanwalt oder bei dem Gerichte, das in erster Instanz entschieden hat, schriftlich oder zu Protokoll zu stellen. Nunmehr §§ 430-432 StPO, (i

d. F. der Bek. v. 22. März 1924).

646

Erster Teil.

Strafgesetze.

Beantragt der von dem Bescheide Betroffene die gerichtliche Ent­ scheidung, so entscheidet das Gericht durch Beschluß. Gegen den Beschluß findet sofortige Beschwerde statt. Wird ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung innerhalb der im Abs. 2 Satz 1 bestimmten Frist nicht gestellt oder der gestellte Antrag als unzulässig verworfen, so erlangt der Bescheid des Staatsanwalts die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils. Die Vollstreckung erfolgt auf Grund einer mit der Bescheinigung der Vollstreckbarkeit versehenen beglaubigten Abschrift des Be­ scheids des Staatsanwalts; die Bescheinigung erteilt der Gerichtsschreibev des Gerichts, das in erster Instanz entschieden hat. 8 21. Zur Sicherung der im § 16 vorgeschriebenen .Einziehung können Vermögensstücke des Beschuldigten oder der neben ihm haftenden an­ deren Personen beschlagnahmt werden. Die Anordnung der Beschlagnahme steht dem Richter, bei Gefahr im Verzüge dem Staatsanwalte zu. Hat der Staatsanwalt die Beschlagnahme angeordnet, so soll er binnen drei Tagen die richterliche Bestätigung nach­ suchen. Auf die Durchführung der Beschlagnahme finden die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung über die Vollziehung und die Wirkungen des ding­ lichen Arrestes entsprechende Anwendung. 8 22. Die Vorschriften der §§ 16 bis 21 finden bei Aburteilung von Preistreibereien auch dann Anwendung, wenn die Tat vor dem Inkraft­ treten dieser Verordnung begangen ist.

Einziehung von Gegenständen. 8 23. Neben der Strafe kann bei Preistreiberei auf Einziehung der Gegenstände, auf die sich die strafbare Handlung bezieht, sowie der bei der Tat verwendeten Verpackungs- und Beförderungsmittel erkannt werden, auch wenn sie weder dem Täter noch einem Teilnehmer gehören. Soweit die Gegenstände nicht mehr vorhanden oder nicht mehr zu er­ mitteln sind, tritt ihr Erlös oder ihr Wert an ihre Stelle. Bei vorsätzlichen Vergehen gegen § 7 oder § 9 Abs. 1 sowie in den Fällen des § 12 Abs. 2 und des § 14 ist die Einziehung anzuordnen, wenn die Gegenstände dem Täter oder einem Teilnehmer gehören oder in den Fällen des Abs. 2 gehört haben. Die Einziehung der Gegenstände ist durch ihre Beschlagnahme zu sichern. Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. 8 24. Neben Gefängnis kann bei vorsätzlicher Preistreiberei auf Ver­ lust ber bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Neben Zuchthaus ist hierauf zu erkennen. Zuläsfigkeit von Polizeiaufsicht. 8 25. Neben Zuchthaus ist bei Preistreiberei auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht zu erkennen. Neben Gefängnis kann in den Fällen des § 14 hierauf erkannt werden.

Lffentliche Bekanntmachung der Verurteilung. 8 26. *) Neben der Strafe kann bei Preistreiberei in dem Urteil oder dem Strafbefehl angeordnet werden, daß die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekanntzumachen ist. Die Bekanntmachung kann auch durch öffentlichen Anschlag erfolgen. Wird auf Freiheitsstrafe von drei Monaten oder mehr oder auf Geld­ strafe von fünfhundert Goldmark oder mehr erkannt, so ist die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung anzuordnen. Die Bekanntmachung muß in diesem Falle auch durch eine Tageszeitung und durch öffentlichen Anschlag erfolgen.

Fassung gemäß Art. XIII der Verordnung und Bußen v. 6. Febr. 1924 (RGBl. S. 44).

über Bermögensstrafen

144. Verordnung gegen verbotene Ausfuhr usw. v. 13. Juli 1923.

647

Ter öffentliche Anschlag erfolgt an und in dem Geschäftsraum des Täters oder an und in dem Geschäftsraum, in dem die strafbare Handlung begangen ist, an deutlich sichtbarer Stelle und in deutlich lesbarer Schrift. Außerdem kann der Anschlag an öffentlichen Anschlagsäulen, Gemeinde tafeln ober ähnlichen Anschlagsorten angeordnet werden. Tie Art der Bekanntmachung, insbesondere die Art und Dauer des An­ schlags, bestimmt das Gericht im Urteil oder Strafbefehl. Ist die Anordnung der Bekanntmachung ober die Bestimmung ihrer Art oder Tauer im Urteil pder Strafbefehl unterlassen worden, so beschließt das Gericht darüber nachträglich§ 494 b er Strafprozeßordnung') gilt entsprechend. Das Gericht kann seine An­ ordnungen über die Art der Bekanntmachung nachträglich ändern oder ergän­ zen, wenn der Verurteilte innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft der Berurteilung seinen Wohnsitz oder seine geschäftliche Niederlassung wechselt. 8 27. Die Vorschriften der §§ 16, 23 bis 26 sind auch dann anzuwenden, toeiin die Strafe gemäß § 73 des Strafgesetzbuchs auf Grund eines anderen Gesetzes zu bestimmen ist.

Reichsverweisung von Ausländern. 8 28. Wird ein Ausländer wegen Preistreiberei verurteilt, so kann ihn die Landespolizeibehörde aus dem Reichsgebiete verweisen. Die Verweisung miii3 geschehen, wenn der Ausländer zu Zuchthaus verurteilt worden ist. Ausfuhrgeschäfte. 8 29. Auf Geschäfte über Gegettstände, die nachweislich zur Ausfuhr nach öeut Ausland bestimmt sind, finden die Vorschriften der §§ 2, 3, 5, 6 und die festgesetzten Höchstpreise keine Anwendung. Tie Vorschrift des Abs. 1 gilt entsprechend für die Fälle des § 1.

Eürgeführie Gegenstände. § 30. Die Reichsregierung oder die von ihr bestimmte Stelle kann für Gegenstände des täglichen Bedarfs, die aus dem Ausland eingeführt werden, Ausnahmen von den Höchstpreisen und von den Vorschriften der 88 3, 5 über die Bemessung von Preisen und Vergütungen zulassen. Ansführnngsbestimmnng. 31. Die obersten Landesbehörden können bestimmen, welche Behörden als zuständige Behörden im Sinne der §§ 3 bis 5 anzusehen sind.

8

144. 6. Verordnung gegen verbotene Ausfuhr lebenswichtiger Gegenstände. Vom 13. Juli 1923. (RGBl. I S. 705).-) Verbotene Ausfuhr lebenswichtiger Gegenstände. 8 1. Wer es unternimmt, Lebensmittel, Futtermittel, Vieh, Pferde Düngemittel, Holz, Kohle, Torf oder andere Gegenstände, welche die Reichsregierung als lebenswichtig im Sinne dieser Verordnung bezeichnet, ohne die erforderliche Ausfuhrbewilligung auszuführen, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Umständen mit Gefängnis nicht unter einem Mo­ nat bestraft. Ebenso wird bestraft, wer es unternimmt, andere als die im Abs. 1 bezeichneten Gegenstände des täglichen Bedarfs ohne die erforderliche Ausfuhrbetvilligung auszuführen, obwohl er weiß oder den Umständen nach annehmen muß, daß durch die Ausfuhr der Gegenstände die Versorgung der inländischen Bevölkerung oder einzelner Bevölkerungsteile gefährdet wird. m Nunmehr § 462 StPO. (i. d. F. der Bek. v. 22. März 1924). -’ ) S. die Note 2 S. 640.

648

Erster Teil.

Strafgesetze.

In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus bis zu fünfzehn Jahren. Neben der Freiheitsstrafe ist auf Geldstrafe von mindestens fünfziglausend Mark, in den Fällen des Abs 3 von mindestens einer Million Mark zu er­ kennen Das Höchstmaß der Geldstrafe ist unbeschränkt. Ist der Wert der Ware, auf die sich die strafbare Handlung bezieht, zu ermitteln, so muß die Geldstrafe mindestens das Dreifache des Wertes betragen Tie Vorschriften der Abs. 1 bis 4 finden keine Anwendung, wenn sich die Tat auf Gegenstände in geringer Menge oder von unbedeutendem Werte be­ zieht, die zum eigenen Bedarf des Täters oder seiner Angehörigen bestimmt sind. Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Znlässigkeit von Polizeiaufficht. g 2. Neben Gefängnis kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden Neben Zuchthaus ist hierauf zu erkennen Fahrlässige Begehung. g 3. Wer die im § 1 Abs 1 bezeichnete Handlung fahrlässig begeht, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu zwanzig Millio­ nen Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft

Einziehung von Gegenständen. In den Fällen der §§ 1, 3 kann neben der Strafe auf Einziehung der Gegenstände, auf die sich die strafbare Handlung bezieht, sowie der bei der Tat verwendeten Verpackungs- und Beförderungsmittel erkannt werden, auch wenn sie weder dem Täter noch einem Teilnehmer gehören Soweit die Gegenstände nicht mehr vorhanden oder nicht mehr zu erinitteln sind, tritt ihr Erlös oder ihr Wert an ihre Stelle In den Fällen des § 1 Abs 3 ist die Einziehung anzuordnen, wenn bie Gegenstände dem Täter oder einem Teilnehmer gehören oder im Falle des Abs 2 gehört haben Die Einziehung der Gegenstände ist durch ihre Beschlag­ nahme zu sichern Tie Vorschriften der Abs 1 bis 3 gelten nicht, soweit die Gegenstände für verfallen erklärt worden sind

g 4.

Einziehung des Gewinns. In den Fällen des § 1 ist neben der Strafe ein Betrag einzu­ ziehen, der dem durch die strafbare Handlung erzielten Gewinne gleichkommt In beit Fällen des § 3 kann dies angeordnet werden Auf die Einziehung finden die Vorschriften der §§ 16 bis 22 der Preis­ treibereiverordnung entsprechende Anwendung

g 5.

Öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung. In den Fällen des § 1 ist neben der Strafe auzuordnen, daß die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekanntzumachen ist In den Fällen des § 3 kann dies angeordnet werden; die Anordnung kann auch in einem Strafbefehl getroffen werden Die Bekanntmachung kann auch durch öffentlichen Anschlag erfolgen Wird in den Fällen des § 1 auf Freiheitsstrafe von drei Monaten oder mehr oder auf Geldstrafe von fünfhundert Goldmark oder mehr erkannt, so muß die öffentliche Bekanntmachung auch durch eine Tageszeitung itnb durch öffentlichen Anschlag erfolgen. Die Vorschriften des § 26 Abs 3, 4 der Preistreibereiverordnung finden Anwendung. Reichsverweisung von AnSländern. g 7. Wird ein Ausländer wegen verbotener Ausfuhr lebenswichtiger Gegenstände zu Freiheitsstrafe verurteilt, so kann ihn die Landespotizeibehörde aus dem Reichsgebiete verweisen. Die Verweisung muß geschehen, wenn der Ausländer zu Zuchthaus verurteilt worden ist.

g 6?)

!) Vgl Note S 646.

145. Verordnung über Handelsbeschränkungen v. 13. Juli 1923. §§ 1,2.

145.

649

7. Verordnung über Handelsbeschränkungen. Vom 13. Juli 1923. (RGBl. I S. 706p)

1. Abschnitt.

Handetterlaubvi» rmd Unterfeßnwg des Handels. 1. Han-el-erlau-niS. Lebens- nnd Futtermittel. 8 1. Wer mit Lebens- oder Futtermitteln Handel treiben will, bedarf der Erlaubnis. Dies gilt nicht: 1. für Kleinhandelsbetriebe, in denen Lebens- oder Futtermittel nur un­ mittelbar an Verbraucher abgesetzt werden, es sei denn, daß der Handel im Umherziehen betrieben wird; 2. für Behörden und andere Stellen, solveit ihnen amtlich die Beschaffung oder Verteilung von Lebens- oder Futtermitteln übertragen ist.

8 2. Als Lebens- oder Futtermittel im Sinne dieser Verordnung gelten auch Erzeugnisse, aus denen Lebens- oder Futtermittel hergestellt werden. Als Handel im Sinne dieser Verordnung gilt nicht die Veräußerung selbst­ gewonnener Erzeugnisse der Land- oder Forstwirtschaft, des Garten- oder Obst­ baues, der Vieh-, Geflügel- oder Bienenzucht, der Jagd oder Fischerei, es sei denn, daß die Veräußerung durch eine Vereinigung von Erzeugern erfolgt.

Hierzu erging die Verordnung über die Aufhebung von Vorschriften der Verordnung über Handelsbeschränkungen, vom 26. Juni 1924 (RGBl. I S. 661) Artikel I, welcher lautet: Von der Verordnung über Handelsbeschränkungen vom 13. Juli 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 706) kommen in Fortfall: 1 in der Überschrift des I. Abschnitts die Worte „Handelserlaubnis und"; 2. die Unterabschnitte 1, 2 und 5 des I. Abschnitts (Handelserlaubnis, Ankaufserlaubnis, Schlußvorschriften) mit Ausnahme des § 2 Abs. 2; 3. aus dem Unterabschnitte 3 des I. Abschnitts (Untersagung des Han­ dels und Schließung von Geschäftsräumen) und dem Unterabschnitte 4 des I. Abschnitts (Strafvorschriften) die Vorschriften der §§ 21, 26 bis 29, soweit sie sich auf die nach Nr. 2 aufgehobenen Vorschriften be­ ziehen; 4. aus dem Unterabschnitte 4 des I. Abschnitts (Strafvorschriften) der § 34; 5. aus dem Abschnitt V (Zeitungsanzeigen) a) § 57 (Ankündigungen ohne Namensangabe) und §§ 59 bis 61 (Preis­ angebote auf Arzneimittel und Erwerb von Arzneimitteln, sonstige erlaubnispflichtige Ankündigungen, keine Prüfungspflicht der Ver­ leger), b) die Vorschriften des § 62 (Strafvorschriften), soweit sie sich auf die nach Buchstabe a aufgehobenen Vorschriften beziehen. Tie nach Nr. 2, 3 und 5 aufgehobenen Vorschriften bleiben jedoch inso­ weit in Kraft, als sie in anderen Vorschriften für entsprechend anwendbar erklärt sind. Mit den durch Abs. 1 Nr. 2 aufgehobenen Vorschriften treten auch die Bestimmungen außer Kraft, die auf Grund dieser Vorschriften erlassen sind. Das gleiche gilt für Bestimmungen, die auf Grund einer im Artikel II Nr. 5, 9 und 17 der Verordnung zur Ausführung des Artikel VI Abs. 3 des Motgesetzes vom 13. Juli 1923 genannten Vorschrift erlassen nnd nach Artikel V Abs. 1 dieser Verordnung bisher in Kraft geblieben sind.

650

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 3. Wer mit Kartoffeln Handel treiben will, bedarf einer besonderen Er­ laubnis. Die Inhaber der besonderen Erlaubnis nach Ms 1 bedürfen zum Han­ del mit Kartoffeln einer weiteren Erlaubnis nach § 1 nicht. Die Vorschrift des Ws. 1 gilt nicht für Kleinhandelsbetriebe, in denen Kartoffeln nur unmittelbar an Verbraucher abgegeben werden, es fei denn daß der Handel im Umherziehen betrieben wird

Arzneimittel.

8 4. Wer mit Arzneimitteln Handel treiben will, bedarf der Erlaubnis Dies gilt nicht: 1 für Personen, die bereits vor dem 1 August 1914 mit Arzneimitteln Handel getrieben haben, der sich nicht auf die unmittelbare Abgabe an die Verbraucher beschränkt; 2 für Apotheken, in denen Arzneimittel nur unmittelbar an Verbraucher abgegeben werden; 3 für sonstige Kleinhandelsbetriebe, in denen Arzneimittel nur unmittelbar an Verbraucher abgegeben werden; 4 für Tierärzte, soweit sie in Ausübung ihrer tierärztlichen Tätigkeit Arzneimittel unmittelbar an Verbraucher abgeben dürfen Arzneimittel im Sinne dieser Verordnung sind solche chemischen Stoffe, Drogen und Zubereitungen, die zur Beseitigung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten bei Menschen oder Tieren in den Verkehr gebracht werden Vorschriften, nach denen die Ausübung des Handels mit Arzneimitteln anderweitigen Beschränkungen unterliegen, bleiben unberührt Erteilung der Erlaubnis.

8 5. Die Erlaubnis (§§ 1, 3, 4) wird auf Antrag erteilt Sie kann auf Zeit oder auf Widerruf erteilt, auch sachlich beschränkt werden Die Erlaubnis gilt für das Reichsgebiet Sie kann im Falle der §§ 1, 4 örtlich begrenzt werden Versagung der Erlaubnis.

8 6. Die Erlaubnis (§§ 1, 3, 4) ist zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß der Antragsteller die für den Handelsbetrieb er­ forderliche Sachkenntnis oder Zuverlässigkeit nicht besitzt. In den Fällen der §§ 1, 3 ist sie ferner zu versagen, wenn kein volkswirtschaftliches Bedürfnis besteht; im Falle des § 4 kann sie aus diesem Grunde versagt werden Zuständigkeit.

8 7. Zur Erteilung der Erlaubnis (§§ 1, 3, 4) sind besondere Handels­ erlaubnisstellen zuständig Die Handelserlaubnisstellen werden von den obersten Landesbehörden eingerichtet Den Vorsitz hat ein Beamter Als Beisitzer sind Vertreter des Handels und der Verbraucher zu berufen. Bor der Bestellung der Vertreter des Handels sollen die amtlichen Handelsvertretungen, vor der Bestellung der Vertreter der Verbraucher deren Bereinigungen gehört werden. Die obersten Landesbehörden können bestimmen, daß für die Erteilung der Erlaubnis nach §§ 3, 4 andere als die im Ms 1 bezeichneten Stellen zu­ ständig sind Geschieht dies, so sind vor der Entscheidung Sachverständige zu hören, wenn solche nicht bei der Entscheidung mitwirken. Örtlich zuständig ist die Stelle oder Behörde des Bezirkes, in dem der An­ tragsteller seine gewerbliche Mederlassung hat oder nehmen will oder bei Fehlen einer solchen Mederlassung seinen Wohnsitz hat. Fehlt es an einem inländischen Wohnsitz, so wird die zuständige Stelle von der obersten Landes­ behörde des Landes bestimmt, in dem das Gewerbe betrieben wird oder wer­ den soll

145. Verordnung über Handelsbeschränkungen v. 13. Juli 1923. §§ 3—13.

651

Beschwerde.

§ 8. Gegen die Versagung der Erlaubnis (§§ 1, 3, 4) steht dem Be­ troffenen binnen einer Ausschlußfrist von zwei Wochen die Beschwerde zu. Tie obersten Landesbehörden bestimmen, welche Behörden oder Stellen über die Beschwerde entscheiden. Eine weitere Beschwerde findet nicht statt 8 9. Der Vorsitzende der Handelserlaubnisstelle (§ 7 Abs. 1, 2, 3) kann, wenn er mit der Erteilung oder Versagung der Erlaubnis durch die Stelle nicht einverstanden ist, die Entscheidung der Behörde oder Stelle herbeisühren, die über Beschwerden zu entscheiden hat

Verfahren. 8 19. Die nach ZZ 7 bis 9 zuständigen Behörden oder Stellen können von dem Antragsteller die Vorlegung der Handelsbücher, Geschäftspapiere sowie weiterer Beweismittel über seine geschäftliche Tätigkeit verlangen. Bei der Erteilung und Versagung der Erlaubnis kann eine Gebühr er­ hoben werden Im übrigen wird das Verfahren von den obersten Landesbehörden «ge­ regelt § 21 Satz 2 der Gewerbeordnung findet Anwendung

Verwertung der Vorräte. 8 11 Wird die Erlaubnis versagt, so hat der Kommunalverband, (m dessen Bezirk sich die Hauptniederlassung und in Ermangelung einer inländi­ schen Hauptniederlassung eine Zweigniederlassung befindet, die Verwertung der Vorräte auf Rechnung und Kosten des Händlers zu veranlassen Über Streitigkeiten, die sich aus der Verwertung zwischen den Beteiligten ergeben, entscheidet endgültig die oon den obersten Landesbehörden bestimmte Behörde. Die obersten Landesbehörden können die dem Kommunalverbande nach Abs 1 obliegende Verpflichtung auf andere Stellen übertragen Erlaubnisschein. 8 12. Über die Erlaubnis ist dem Berechtigten eln Erlaubnisschein aus­ zustellen Dieser ist mit dem behördlich abgestempelten Lichtbild und der Unter­ schrift des Berechtigten zu versehen Soweit der Berechtigte außerhalb des Ortes seiner gewerblichen Nieder­ lassung oder beim Fehlen einer solchen außerhalb seines Wohnsitzes den Handel in eigener Person ausübt, hat er den Erlaubnisschein mitzuführen und auf Verlangen vorzuzeigen; Beauftragte des Berechtigten haben eine Wschrist des Erlaubnisscheins ohne Lichtbild und Unterschrift mitzuführen und auf Ver­ langen vorzuzeigen

Zurücknahme der Erlaubnis. 8 13. Die Erlaubnis (§§ 1, 3, 4) kann zurückgenommen werden, wenn dem Inhaber die erforderliche Sachkenntnis fehlt oder wenn kein volkswirt­ schaftliches Bedürfnis besteht. Sie ist zurückzunehmen, wenn die Erlaubnis auf Grund unwahrer Angaben oder sonstiger täuschender Handlungen erwirkt war oder wenn sich nach Erteilung der Erlaubnis Tatsachen ergeben, welche hie Unzuverlässigkeit des Erlaubnisinhabers dartun Die Vorschriften der §§ 7 bis 11 gelten entsprechend. Die Beschwerde gegen die Zurücknahme hat aufschiebende Wirkung. Es kaun verfügt werden, daß sie alsbald in Kraft tritt. Wird die Erlaubnis zurückgenommen, so ist der Erlaubnisschein einzu­ ziehen. Ist dem Erlaubnisinhaber oder seinen Beauftragten für den Handel auf Grund der Gewerbeordnung ein sonstiger Erlaubnisschein (Wandergewerbeschein, Legitimationskarte oder ein ähnliches Ausweispapier) erteilt, so hat die Zurücknahme der Handelserlaubnis den Verlust oder die Einschränkung des Scher-

652

Erster Teil

Strafgesetze.

nes ohne weiteres zur Folge Tie zuständige Behörde oder Stelle (§§ 7, 8) hat die Einziehung oder Berichtigung des Scheines zu veranlassen. Angaben auf geschäftlichen Mitteilungen.

8 14. Personen, denen nach §§ 1, 3, 4 eine Erlaubnis zum Handel erteilt ist, haben auf schriftlichen oder gedruckten Mitteilungen, die sie im geschäft­ lichen Verkehre verwenden, die Gegenstände, auf die sich die Erlaubnis erstreckt, den örtlichen Geltungsbereich der Erlaubnis, die Stelle, die die Erlaubnis er­ teilt hat, und den Tag der Erteilung der Erlaubnis zu vermerken Ausdehnung der Erlaubnispflicht.

8 15. Die Reichsregierung kann mit Zustimmung des Reichsrats bestim­ men, daß einer Erlaubnis auch der bedarf, der mit Lebens- oder Futtermitteln oder mit Arzneimitteln Kleinhandel K 1 Abs 2 Nr. 1, § 3 Abs. 3, § 4 Abs 2 Nr. 3) oder mit bestimmten anderen als den in §§ 1 bis bezeichneten Gegen­ ständen des täglichen Bedarfs Handel treibt oder treiben will Tie obersten Landesbehörden können bestimmen, daß einer Erlaubnis bedarf, wer den Kleinhandel mit Lebens- oder Futtermitteln oder mit Arznei­ mitteln oder den Handel mit bestimmten anderen als den in §§ 1 bis 4 bezeich­ neten Gegenständen des täglichen Bedarfs beginnen will 8 16. In den Fällen des § 15 gelten die Vorschriften der §§ 5 bis 14 entsprechend Tie nach § 15 zuständigen Behörden können jedoch eine von den Vorschriften des § 5 Abs 3, der §§ 7 bis 12, § 13 Abs 2 bis 4 abweichende Regelung treffen

2. Ankaufserlaubnis. Kartoffeln.

8 17. Wer in eigener Person beim Erzeuger Kartoffeln zur Wieder­ veräußerung oder zur gewerbsmäßigen Verarbeitung oder für Gemeinden, Ge­ meindeverbände, Betriebe oder als Beauftragter einer Mehrheit von Ver­ brauchern ankaufen will, bedarf einer Erlaubnis der höheren Verwaltungs­ behörde des Bezirkes, in dem der Ankauf erfolgt Ties gilt auch für Ange­ stellte oder Beauftragte von Personen, die nach § 3 zum Handel mit Kartoffeln befugt sind Die Inhaber einer Erlaubnis nach § 3 selbst bedürfen zum An­ kauf beim Erzeuger der besonderen Erlaubnis nach Satz 1 nicht. Die Erlaubnis gilt für den Bezirk der Behörde, die sie erteilt Tie Vorschriften des § 5 Abs. 1, 2, der §§ 6, 8 bis 13 gelten ent­ sprechend Bei ständigen Angestellten von Inhabern einer Erlaubnis nach § 3 darf die Erlaubnis nach Abs 1 nicht wegen mangelnden volkswirtschaftlichen Bedürfnisses versagt oder zurückgenommen iverton 8 18 Erzeuger von Kartoffeln dürfen an Händler oder Aufkäufer, bie in eigener Person bei ihnen Kartoffeln ankaufen wollen (§ 3 Abs 1, § 17 Abs. 1), Kartoffeln nur absetzen, wenn sich der Erwerber als Inhaber einer Er­ laubnis nach § 3 iotor § 17 aus weist Getreide, Milcherzeugniffe.

8 19. Die obersten Landesbehörden können mit Zustimmung des Reichs­ ministers für Ernährung und Landwirtschaft für ihr Gebiet oder Teile ihres Gebiets bestimmen, daß die Vorschriften der §§ 17, 18 sinngemäß auch gelten für den Ankauf 1 von Getreide beim Erzeuger, foiveit nicht der Verkehr mit Getreide anderweit geregelt ist; 2. von Butter, Butterschmalz oder Käse (auch Quark) beim Erzeuger, bei Molkereien, Sennereien, Käsereien oder anderen Milchverarbeitungs­ betrieben ; 3 von Eiern beim Erzeuger Sie können hierbei bestimmen, daß auch die Inhaber einer Erlaubnis nach § 1 einer besonderen Erlaubnis zum Ankauf bedürfen

145. Verordnung über Handelsbeschränkungen v. 13. Juli 1923. §§ 14—25. 653

8. Untersagung deS Handels und Schließung von GeschSstsräumeu. Untersagung des Handels.

8 20. Ter Handel mit Gegenständen des täglichen Bedarfs ist von der zuständigen Behörde zu untersagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß der Handeltreibende die für den Handelsbetrieb erforderliche Zuverlässig­ keit nicht besitzt Tie Untersagung kann auf den Handel mit bestimmten Gegenständen be­ schränkt werden Tie endgültige Untersagung ist in geeigneter Weise öffentlich bekannt­ zumachen

8 21. Tie Untersagung wirkt für das Reichsgebiet Ist dem Handeltreibenden oder seinen Beauftragten für den untersagten Handel nach dieser Verordnung oder den auf Grund dieser Verordnung gr» lassenen Bestimmungen oder nach einer anderen Vorschrift eine Erlaubnis zum Handel oder auf Grund der Gewerbeordnung ein sonstiger Erlaubnisschein (Wandergewerbeschein, Legitimationskarte oder ein ähnliches Ausweispäpier) erteilt, so hat die Untersagung den Verlust oder die Einschränkung der Er­ laubnis und des Scheines ohne weiteres zur Folge Die nach § 20 zuständige Behörde hat die Einziehung oder Berichtigung des Scheines zu veranlassen Tie Vorschrift des § 11 gilt entsprechend Schließung von Geschäftsräumen.

8 22. Neben der Untersagung des Handels kann die zuständige Behörde die Schließung der Geschäftsräume anordnen, in denen der Betroffene den Handel betrieben hat, wenn begründeter Verdacht besteht, daß in den Geschäfts­ räumen »veiterhin in unzuverlässiger Weise (§ 20 Abs 1) Handel betrieben werden würde Beschwerde. Gegen die Untersagung des Handels und die Schließung von Geschäftsräumen steht dem Betroffenen binnen einer Ausschlußfrist von zwei Wochen die Beschwerde zu Gegen die Schließung von Geschäftsräumen kann auch der Vermieter der Geschäftsräume Beschwerde einlegen Tic Beschwerde hat aufschiebende Wirkung Es kann verfügt werden, daß die Untersagung des Handels oder die Schließung von Geschäftsräumen alsbald in Kraft tritt. Tie obersten Landesbehörden bestimmen, welche Behörden oder Stellen über die Beschwerde entscheiden. Eine weitere Beschwerde findet nicht statt Im übrigen wird das Verfahren von den obersten Landesbehörden ge­ regelt § 21 Satz 2 der Gewerbeordnung findet Anwendung

8 23.

Wiederaufnahme des Handelsbetriebs.

8 24. Die Behörde, welche den Handel untersagt oder die Schließung von Geschäftsräumen angeordnet hat, kann die Wiederaufnahme des Handels­ betriebs gestatten oder die Schließung der Geschäftsräume aufheben, wenn seit der Anordnung mindestens drei Monate verflossen sind.

Untersagung des Handels durch das Gericht.

8 25. Wird ein Handeltreibender wegen Preistreiberei, unzulässigen Han­ dels, verbotener Ausfuhr lebenswichtiger Gegenstände oder einer anderen Tat verurteilt, die seine Unzuverlässigkeit in bezug auf den Handelsbetrieb dartut, so kann ihm das Gericht im Urteil den Handel mit Gegenständen des täglichen Bedarfs untersagen Die Untersagung kann auf den Handel mit bestimmten Gegenständen beschränkt werden Die Vorschriften des § 21 gelten entsprechend. Neben der Untersagung des Handels kann das Gericht die Schließung der Geschäftsräume anordnen, in denen die strafbare Handlung begangen ist.

654

Erster Teil.

Strafgesetze.

wenn begründeter Verdacht besteht, daß in den Geschäftsräumen weitere Straf­ taten gleicher Art begangen werden würden Wird ein Handeltreibender wegen Preistreiberei, unzulässigen Handels oder verbotener Ausfuhr lebenswichtiger Gegenstände zu Zuchthaus verurteilt, so ist ihm der Handel mit Gegenständen des täglichen Bedarfs zu untersagen Tie Untersagung des Handels sowie die Schließung von Geschäftsräumen kann das Gericht vorläufig durch Beschluß anordnen Ist die Untersagung des Handels oder die Schließung von Geschäftsräumen in einem Urteil angeordnet, das durch Rechtsmittel anfechtbar ist, so kann im Urteil verfügt iverden, daß die Untersagung des Handels oder die Schließung der Geschäftsräume mit der Verkündung des Urteils in Kraft tritt; in den Fällen des Abs 3 ist dies ^u verfügen. Tie zuständige Verwaltungsbehörde kann die Wiederaufnahme des Han­ delsbetriebs gestatten oder die Schließung von Geschäftsräumen aufheben, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils, durch das die Maßnahme endgültig angeordnet ist, mindestens drei Monate und in den Fällen des Abs 3 mindestens zwei Jahre verflossen sind Nichtigkeit unzulässiger Geschäfte. 8 26. Ist jemandem nach dieser Verordnung oder den auf Grund dieser Verordnung erlassenen Bestimmungen der Handel untersagt oder die erfordere liche Erlaubnis zum Handel oder zum Ankauf nicht erteilt oder ist die Erlaub­ nis zurückgenommen worden, so ist jedes hiernach unzulässige Geschäft nichtig, gleichviel, ob die Person, welcher der Handel untersagt ist oder die Erlaub­ nis zum Handel oder zum Ankauf fehlt, das Geschäft selbst odek durch eine vor­ geschobene Person abschließt Die Nichtigkeit wirkt jedoch nicht zum Nachteil dessen, der den Mangel der Erlaubnis weder kannte noch kennen mußte

Mitteilung von Verurteilungen. 8 27. Von jeder rechtskräftigen Verurteilung wegen Preistreiberei, un­ zulässigen Handels oder verbotener Ausfuhr lebenswichtiger Gegenstände hat die Strafvollstreckungsbehörde der Behörde oder Stelle, die für die Zurück­ nahme der Erlaubnis zum Handel oder zum Ankauf oder für die Untersagung des Handels mit Gegenständen des täglichen Bedarfs zuständig ist, unverzüg­ lich Mitteilung zu machen, sofern nicht das Gericht diese Maßnahmen selbst verhängt hat. Die Behörde oder Stelle hat zu prüfen, ob die Erlaubnis zurückzunehmen oder der Handel mit Gegenständen des täglichen Bedarfs zu untersagen ist

4. Strafvorschritten. 8 28. Wegen unzulässigen Handels wird mit Gefängnis und mit Geld­ strafe von zehntausend Mark bis zu zwanzig Millionen Mark bestraft: 1 wer selbst oder durch eine vorgeschobene Person oder als vorgeschobene Person einen Handel betreibt, obwohl die nach dieser Verordnung oder den auf Grund dieser Verordnung erlassenen Bestimmungen zum Handels­ betrieb erforderliche Erlaubnis nicht erteilt oder zurückgenommen oder der Handel untersagt worden ist; 2 wer es unternimmt, der Vorschrift im § 17 Abs. 1 oder den auf Grund des § 19 erlassenen Bestimmungen zuwider Gegenstände des täglichen Be­ darfs anzukaufen; 3 wer zu Handelszwecken mit einer der in Nr 1, 2 genannten Personen «ein Geschäft abschließt, obwohl er weiß oder den Umständen nach annehmen muß, daß das Geschäft aus den in Nr 1, 2 bezeichneten Gründen unzu­ lässig ist; 4. wer in einem Geschäftsraum, dessen Schließung angeordnet worden ist, Handel treibt. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus und Geldstrafe von mindestens einer Million Mark; das Höchstmaß der Geldstrafe ist unbe­ schränkt.

146. Verordnung über Handelsbeschränkungen v. 13. Juli 1923. §§26—35. 665

g 2-. In den Fällen des § 28 Nr. 1 bis 3 ist neben der Strafe auf Einziehung der Gegenstände, auf die sich der unzulässige Handelsbetrieb, der unzulässige Ankauf oder das unzulässige Geschäft bezieht, sowie der bei der Tat verwendeten Berpackungs- und Beförderungsmittel zu erkennen, wenn die Gegenstände dem Täter oder Linern Teilnehmer gehören. Die Einziehung der Gegenstände ist durch ihre Beschlagnahme zu sichern. Gehören die Gegenstände weder dem Täter noch einem Teilnehmer, so können sie eingezogen werden. Soweit die Gegenstände nicht mehr vorhanden oder nicht mehr zu er­ mitteln sind, tritt ihr Erlös oder ihr Wert an ihre Stelle. In den Fällen des § 28 Nr. 4 können die Waren, die in dem verbots­ widrig verwendeten Geschäftsraum vorhanden sind, sowie die Geschäftseinrich­ tung eingezogen werden. In den Fällen des § 28 kann ferner neben der Strafe ein Betrag ein­ gezogen werden, der dem aus dem unzulässigen Handelsbetriebe, dem unzu­ lässigen Ankauf, dem unzulässigen Geschäft oder in dem verbotswidrig verwen­ deten Geschäftsraum erzielten Gewinne gleichkommt. Auf die Einziehung fin­ den die Vorschriften der §§ 16 bis 22 der Preistreibereiverordnung Anwendung, g 30» In den Fällen des § 28 kann in dem Urteil oder dem Strafbefehl angeordnet werden, daß die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekanntzumachen ist. Die Bekanntmachung kann auch durch öffentlichen An­ schlag erfolgen. Wird aus Freiheitsstrafe von drei Monaten oder mehr oder auf Geldstrafe von fünfhundert Goldmark oder mehr erkannt, so ist die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung anzuordnen. Die Bekanntmachung muß in diesem Halle auch durch eine Tageszeitung und durch öffentlichen Anschlag erfolgen.') Die Vorschriften des § 26 Abs. 3, 4 der Preistreibereiverordnung finden Anwendung. g 31. Wer wegen unzulässigen Handels (§ 28) mit Freiheitsstrafe bestraft worden ist, darauf abermals unzulässigen Handel betrieben hat und deswegen mit Freiheitsstrafe bestraft worden ist, wird, wenn er wieder unzulässigen Handel betreibt, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Umständen mit Ge­ fängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Daneben ist auf Geldstrafe von min­ destens einer Million Mark zu erkennen; das Höchstmaß der Geldstrafe ist unbeschränkt. Tie Vorschriften der §§ 29, 30 finden Anwendung. Tie Vorschriften der Abs. 1, 2 finden Anwendung, auch wenn die früheren Strafen nur teilweise verbüßt oder ganz oder teiltveise erlassen sind, g 32. Neben Gefängnis kann, neben Zuchthaus muß in den Fällen des § 28 Abs. 2, § 31 auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden, g 33. Wird ein Ausländer wegen unzulässigen Handels verurteilt, so kann die Landespolizeibehörde ihn aus dem Reichsgebiete verweisen. In den Fällen des § 28 Abs. 2 und des § 31 muß dies geschehen. g 34. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, soweit nicht nach den Vorschriften der §§ 28 bis 33 eine schwerere Strafe verwirkt ist, wer den Vorschriften der §§ 12, 14, 18 oder den auf Grund des § 16 Satz 2 erlassenen Bestimmungen zuwider­ handelt. Neben der Strafe kann auf Einziehung der Gegenstände erkannt wer­ den, auf die sich die strafbare Handlung bezieht, auch wenn sie weder dem Täter noch einem Teilnehmer gehören.

5. Schlutzvorschristeu. Ausstellung von Wandergewerbescheinen und dergleichen,

g 35. Soweit nach dieser Verordnung oder den auf Grund dieser Verord­ nung erlassenen Bestimmungen eine Erlaubnis zum Handel mit bestimmten *) Fassung gemäß Artikel XIII der Verordnung über Bermögensstrafen und Bußen vom 6. Februar 1924 (RGBl. I S. 44).

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Erster Teil.

Strafgesetze.

Gegenständen oder zum Ankauf bestimmter Gegenstände erforderlich ist, darf ein Wandergewerbeschein, eine Legitimationskarte oder ein ähnliches Ausweis­ papier zur Ausübung solchen Handels oder Ankaufs nicht ausgestellt werden, wenn die Erlaubnis nicht erteilt oder wenn sie zurückgenommen ist. In die Wandergewerbescheine, Legitimationskarten und ähnliche Aus­ weispapiere ist ein Vermerk aufzunehmen, daß sie zum Handel mit Gegenstän­ den oder zum Ankauf von Gegenständen, für die es nach dieser Verordnung oder den auf Grund dieser Verordnung erlassenen Bestimmungen einer Erlaub­ nis bedarf, nur insoweit berechtigen, als diese Erlaubnis erteilt ist.

Fortbestand bereits erteilter Erlaubnisse. § 36. Soweit auf Grund von Vorschriften, die gemäß Artikel II der Verordnung zur Ausführung des Artikels VI Abs. 3 des Notgesetzes mit dem 15. August 1923 außer Kraft treten, der Handel mit Gegenständen des täg­ lichen Bedarfs oder der Ankauf solcher Gegenstände von einer Erlaubnis ab­ hängig ist, bleiben die bereits erteilten Erlaubnisse bestehen- die Vorschriften dieser Verordnung über die Zurücknahme solcher Erlaubnisse und über die Untersagung des Handels bleiben unberührt. II. Abschnitt.

Preisschilder m»d Preisverzeichnisse. Preisschilder. § 37. Wer Gegenstände des täglichen Bedarfs, die von der Reichs­ regierung zu bestimmen sind, in Läden, Schaufenstern, Schaukästen, auf dem Wochenmarkt, in der Markthalle oder im Straßenhandel sichtbar ausstellt oder anpreist, ist verpflichtet, die Ware mit Preisschildern zu versehen, aus denen der genaue Verkaufspreis der einzelnen Ware ersichtlich ist. Der Preis ist für die übliche Einheit (ein ganzes Pfund, Liter, Meter, Stück usw.) in deutlich les­ baren Zahlen in deutscher Währung an gut sichtbarer Stelle anzugeben. Soweit mehrere zusammengehörende Gegenstände üblicherweise zu einem Gesamtpreis verkauft werden, ist das Preisschild, das in diesem Falle eine Aufzählung der zusammenhängenden Stücke sowie den Gesamtpreis zu ent­ halten hat, in der Weise anzubringen, daß es mit einem der Stücke ver­ bunden wird. Preisverzeichnis. § 38. Die Anbringung eines Preisschildes an einer Ware ist nicht er­ forderlich, wenn die Ware nach Maßgabe des § 37 Abs. 1 Satz 2 zweifelsfrei bezeichnet in ein Preisverzeichnis ausgenommen ist, das an gut sichtbarer Stelle und überall da angebracht ist, wo die im Preisverzeichnis aufgeführten Waren ausgestellt oder angepriesen sind. Wer Lebensmittel, die von der Reichsregierung zu bestimmen sind, im Kleinhandel absetzt, ohne sie sichtbar auszustellen, hat für die nichtausgestellten Lebensmittel ein den Vorschriften des Abs. 1 genügendes Preisverzeichnis gut sichtbar in seinen Schaufenstern und Schaukästen und an seinem Verkaufsstand anzubringen. Für Frischfleisch und Fische muß stets ein Preisverzeichnis im Verkaufs­ raum oder am Betriebsstand nach näherer Anordnung oer obersten Landes­ behörden angebracht werden, aus dem die Verkaufspreise der zum Verkauf ge­ langenden Fleisch- und Fischarten und -sorten ersichtlich sind.

Ausstellen verkaufter Ware. 8 39. Es ist verboten, in Schaufenstern und Schaukästen die auf Grund von § 37 bestimmten Gegenstände auszustellen, sofern sie bereits verkauft sind.

Preisbemeffung. 8 49. Die Preisankündigung auf einem Preisschild oder in einem Preis­ verzeichnis gilt als Preisforderung im Sinne der Preistreibereiverordnung.

146. Verordnung über Handelsbeschränkungen v. 13. Juli 1923. §§ 36—47.

657

8 41. $er auf einem Preisschild oder in einem Preisverzeichnis an­ gegebene Preis darf nicht überschritten werden. Die Abgabe der im Kleinhandel üblichen Mengen an die Verbraucher zu dem auf einem Preisschild oder in einem Preisverzeichnis angegebenen Preise gegen Barzahlung darf nicht verweigert, insbesondere auch nicht von der Ab­ nahme anderer Waren abhängig gemacht werden. Strafvorschrift.

8 42. Wer den Vorschriften der §§ 37, 38 Abs 2, 3, §§ 39, 41 zuwider­ handelt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. Neben der Strafe kann auf Einziehung der Waren erkannt werden, auf die sich die strafbare Handlung bezieht. III. Abschnitt.

Äußere Kennzeichnung von Ware«. Inhalt der Kennzeichnung.

8 43. Bei Gegenständen des täglichen Bedarfs, die von der Reichsregie.? rung zu bestimmen sind, müssen Packungen oder Behältnisse, in denen sie an den Verbraucher abgegeben werden, in einer für den Käufer leicht erkennbaren Weise und in deutscher Sprache folgende Angaben enthalten: 1. den Namen oder die Firma und den Ort der gewerblichen Hauptnieder­ lassung desjenigen, der die Ware hergestellt hat; bringt ein anderer als der Hersteller die Ware in der Verpackung unter seinem Namen oder seiner Firma in den Verkehr, so ist an Stelle des Herstellers der andere anzugeben; 2. den Inhalt nach handelsüblicher Bezeichnung und nach deutschem Maße oder Gewicht oder nach Anzahl. Weitere Angaben.

§ 44. Tie Reichsregierung kann nähere Bestimmungen über die nach § 43 Nr. 2 vorgeschriebenen Angaben treffen. Dabei kann sie anordnen, daß ausnahmsweise an Stelle des Maßes, Gewichts, oder der Anzahl ein anderer Maßstab für den Gebrauchswert des Inhalts anzugeben ist. Sie kann auch anordnen, daß auf der Packung oder dem Behältnis noch weitere als die im § 43 bezeichneten Angaben enthalten sein müssen oder daß die im Z 43 bezeichneten Angaben auf dem Gegenstände selbst anzubringen sind. Pflicht zur Kennzeichnung.

8 45. Tie im § 43 und auf Grund von § 44 vorgeschriebenen Angaben sind vom Hersteller oder, falls ein anderer die Ware in der Verpackung unter seinem Namen oder seiner Firma in den Verkehr bringt, von diesem anzu­ bringen. Tie Angaben sind anzubringen, bevor der Verpflichtete die Ware weiter­ gibt

Auslaudswareu.

8 46. Waren, die aus dem Allsland in Originalpackungen eingeführt sind oder werden, unterliegen nicht den Vorschriften der §§ 43 bis 45. Sie sind vor der Abgabe an den Verbraucher auf der Packung als Auslandsware zu kenn­ zeichnen, sofern die ausländische Herkunft nicht aus der Art der Ware oder ihrer Verpackung ersichtlich ist.

Aufsicht.

8 47. Die Beamten der Polizei und die von der Polizeibehörde beauf­ tragten Sachverständigen sind befugt, in Betriebsräume, in denen Waren der unter die Vorschriften der §§ 43 bis 46 fallenden Art hergestellt, verpackt, Allfeld, Strafgeieygebung. 3. Auflage. 42

658

Erster Teil.

Strafgesetze.

aufbewahrt, feilgehalten ober verkauft werden, jederzeit einzutreten, dort Be­ sichtigungen vorzunehmen, Geschäftsauszeichnungen einzusehen und nach ihrer Auswahl Proben zur Untersuchung gegen Empfangsbestätigung zu entnehmen. Die Unternehmer sowie die von ihnen bestellten Betriebsleiter und Auf­ sichtspersonen sind verpflichtet, den Beamten der Polizei und den Sachverstän­ digen Auskunft über das Verfahren bei Herstellung der Erzeugnisse und über die zur Verarbeitung gelangenden Stoffe, insbesondere auch über deren Menge und Herkunft, zu erteilen. Schweigepflicht.

8 48. Die Sachverständigen sind, vorbehaltlich der dienstlichen Bericht­ erstattung und der Anzeige von Gesetzwidrigkeiten, verpflichtet, über die Einrich­ tungen und Geschäftsverhältnisse, die durch die Aufsicht zu ihrer Kenntnis kom­ men, Verschwiegenheit zu beobachten und sich der Mitteilung- und Verwertung der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse zu enthalten. Sie sind auf die gewissen­ hafte Erfüllung ihrer Obliegenheiten nach § -1 der Verordnung gegen Be­ stechung und Geheimnisverrat nichtbeamteter Personen vom 3. Mai 1917/ 12. Februar 1920 (Reichsgesetzbl. 1917 S. 393, 1920 S. 230) durch Handschlag zu verpflichten. Strafvorschrift.

8 49. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer vorsätzlich 1. Waren ohne die vorgeschriebenen Angaben (§§ 43, 44) feilhält, ver­ kauft oder sonst in den Verkehr bringt: 2. Waren mit Angaben der vorgeschriebenen Art versieht, die der Wahr­ heit nicht entsprechen, oder Waren, die mit solchen unrichtigen Angaben versehen sind, seilhält, verkauft oder sonst in den Verkehr bringt 3. den Beamten der Polizei oder den von der Polizeibehörde beauftragten Sachverständigen die Vornahme der im § 47 Abs. 1 zugelassenen Maß­ nahmen verweigert oder der Vorschrift des § 47 Abs. 2 zuwiderhandelt. Bei fahrlässiger Begehung tritt Geldstrafe ein. Neben der Strafe kann auf Einziehung der Waren erkannt werden, die nicht mit den vorgeschriebenen Angaben oder mit unrichtigen Angaben ver­ sehen sind, auch wenn sie weder dem Täter noch einem Teilnehmer gehören. Neben der Strafe kann ferner angeordnet werden, daß die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekanntzumachen ist. Die Bekanntmachung kann auch durch öffentlichen Anschlag erfolgen. Die Vorschriften des § 26 Abs. 3, 4 der Preistreibereiverordnung finden Anwendung. Übergangszeit.

8 50. Waren, die den geltenden Vorschriften über die äußere Kenn­ zeichnung entsprochen haben, als sie hergestellt wurden, dürfen bei Änderung der Vorschriften, auch wenn sie den neuen Vorschriften nicht entsprechen, noch sechs Monate lang nach Inkrafttreten der neuen Vorschriften in den Verkehr gebracht werden. Die Reichsregierung kann die Frist des Abs. 1 abkürzen oder verlängern.

IV. Abschnitt.

Marktverkehr «nd Versteigerungen. Wochenmarktverkehr. 8 51.Durch die Marktordnung (§ 69 der Gewerbeordnung) kann der Han­ del mit Gegenständen des Wochenmarktverkehrs auf dem Marktplatz beschränkt und der Handel mit Gegenständen des Wochenmarktverkehrs, die von außer­ halb zum Marktort gebracht werden, außerhalb des Marktplatzes während des ganzen Markttags oder für bestimmte Tagesstunden verboten werden.

145. Verordnung über Handelsbeschränkungen v. 13. Juli 1923. §§ 48—57. 659

Versteigerungen. 8 52. Die Reichsregierung kann mit Zustimmung des Reichsrats die Versteigerungen bestimmter Gegenstände des täglichen Bedarfs verbieten oder anordnen, daß die Veräußerung bestimmter Gegenstände des täglichen Bedarfs nur im Wege der Versteigerung erfolgen darf. Sie kann ferner mit Zustimmung des Reichsrats Vorschriften über die Abhaltung von Versteigerungen bestimmter Gegenstände des täglichen Bedarfs treffen. Sie kann insbesondere 1. anordnen, daß Versteigerungen bestimmter Gegenstände des täglichen Bedarfs oder die Bedingungen für solche Versteigerungen der Genehmi­ gung einer Behörde bedürfen; 2 den mit der Versteigerung beauftragten Personen Pflichten bezüglich der Ausführung ihres Auftrags auferlegen und anordnen, daß sie auf die Erfüllung ihrer Pflichten vereidigt oder dazu auf sonstige Weise angehal­ ten werden; 3 die Zulassung zu den Versteigerungen regeln, die Bedingungen für die Verweigerung des Zuschlags sowie für die Vertagung und den Abbruch von Versteigerungen aufstellen oder andere Vorschriften über das Ver­ fahren bei Versteigerungen treffen; 4 Vorschriften über die Übertoachung von Versteigerungen treffen, insbe­ sondere die Befugnisse der Überwachungsorgane festsetzen; 5. Vorschriften über Preisnotierungen für Versteigerungen erlassen; 6 Vorschriften über die Zulässigkeit der Weiterveräußerung ersteigerter Waren erlassen; 7 den Erwerb von Gegenständen auf Versteigerungen zum Zwecke der Ausfuhr verbieten oder einschränken. 8 53. Soweit die Reichsregierung Vorschriften der im § 52 bezeichneten Art nicht erlassen hat, können die obersten Landesbehörden solche Vorschriften mit Zustimmung der Reichsregierung erlassen. 8 54. Werden für Versteigerungen Überwachungsorgane eingesetzt, fo können sie ermächtigt werden, Personen, die den auf Grund der §§ 52, 53 er­ lassenen Bestimmungen oder den Versteigerungsbedingungen zuwiderhandetn, von einer Versteigerung oder von alten gleichartigen Versteigerungen auf die Dauer von höchstens drei Monaten auszuschließen Gegen die Ausschließung steht dem Betroffenen binnen einer Ausschluß­ frist von zwei Wochen die Beschwerde zu Die obersten Landesbehörden regeln das Verfahren Eine weitere Beschwerde findet nicht statt. Strafvorschriften. 8 55. Wer den auf Grund der §§ 51 bis 53 erlassenen Bestimmungen zu­ widerhandelt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. 8 56. Die Vorschriften der §§ 52 bis 55 gelten nicht für öffentliche Ver­ steigerungen, die anderweit gesetzlich geregelt sind, sowie nicht für öffentliche Versteigerungen des Reichs und der Länder.

V. Abschnitt. ZektunMuzeigen.

Ankündigungen ohne Namenangabe. 8 57. Ankündigungen, in denen Gegenstände des täglichen Bedarfs zum Erwerb oder zur Veräußerung im geschäftlichen Verkehr angeboten werden, oder in denen zur Abgabe von Kauf- oder Verkaufsangeboten über solche Gegen­ stände aufgefordert wird, dürfen in periodischen Druckschriften sowie in sonstigen Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind, nur mit Angabe des Namens oder der Firma sowie der Wohnung oder der Ge­ schäftsstelle des Anzeigenden erlassen werden. Die oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Behörde kann Ausnahmen zulassen.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

Irreführende Ankündigungen.

8 88. In periodischen Druckschriften oder in sonstigen Mitteilungen, hie für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind, dürfen bei Ankündi­ gungen über Erwerb oder Veräußerung von Gegenständen des täglichen Be­ darfs oder über die Vermittlung solcher Geschäfte keine Angaben gemacht werden, die geeignet sind, einen Irrtum über die geschäftlichen Verhältnisse des Anzeigenden oder die Menge der ihm zur Verfügung stehenden Vorräte und über den Anlaß oder Zweck des Erwerbs der Veräußerung oder der Ver­ mittlung zu erwecken

Preisangebote auf Arzneimittel und Erwerb von Arzneimitteln.

8 59. In periodischen Druckschriften oder in sonstigen Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind, darf zur Abgabe von Preisangeboten auf Arzneimittel nicht aufgefordert werden Wer sich in periodischen Druckschriften oder in sonstigen Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind, zum Erwerbe von Arzneimitteln erbieten will, bedarf der Erlaubnis der zuständigen Behörde. Sonstige erlaubnispfiichtige Ankündigungen.

8 60. Die Reichsregierung kann mit Zustimmung des Reichsrats an­ ordnen, daß Ankündigungen über Erwerb oder Veräußerung von anderen Gegenständen des täglichen Bedarfs als von Arzneimitteln oder über die Ber­ mittelung solcher Geschäfte sowie Aufforderungen zur Abgabe von Kauf- oder Verkaufsangeboten über solche Gegenstände in periodischen Druckschriften oder in sonstigen Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen be­ stimmt sind, der Erlaubnis der zuständigen Behörde bedürfen. Die Befugnis zum Erlasse der im Abs. 1 vorgesehenen Bestimmungen kann den obersten Landesbehörden übertragen werden. Keine Prüfungspflicht der Verleger.

8 61. Die Verleger periodisch erscheinender Druckschriften und die bei der Herstellung und Verbreitung solcher Druckschriften tätigen Personen sind nicht verpflichtet zu prüfen, ob für eine ihnen zum Abdruck in der Druckschrift über­ gebene Ankündigung die nach § 59 Abs. 2, § 60 erforderliche Erlaubnis er­ teilt ist.

Strafvorschriften.

8 62. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer vorsätzlich 1. eine nach §§ 57, 59 Abs. 1 verbotene Ankündigung erläßt oder zum Ab­ druck bringt; 2. in einer Ankündigung irreführende Angaben der im § 58 bezeichneten Art macht; 3. dem § 59 Abs. 2 oder einer auf Grund des § 60 erlassenen Anordnung zuwider eine Ankündigung ohne die erforderliche Erlaubnis erläßt; 4. eine Ankündigung zum Abdruck bringt, für welche die nach § 59 Ms 2, § 60 erforderliche Erlaubnis nicht erteilt ist Wer eine der im Abs 1 N;r. 1 bis 3 bezeichneten Handlungen fahrlässig begeht, wird mit Geldstrafe bestraft

VI. Abschnitt.

Ausführunpsbestimmungen und Ausnahme«. 8 63. Die Reichsregierung kann Bestimmungen zur Ausführung dieser Verordnung erlassen

146. Verordnung über Viehverkehr usw. v. 13. Juli 1923. §§ 1—4.

Qßl

Soweit sie keine Ausführungsbestimmungen erläßt, werden diese von der obersten Landesbehörde erlassen. Die obersten Landesbehörden bestimmen ins­ besondere, wer als höhere Verwaltungsbehörde oder als zuständige Behörde im Sinne dieser Verordnung anzusehen ist. Tie Reichsregierung kann Ausnahmen von den Vorschriften dieser Ver­ ordnung zulassen.

146.

8. Verordnung über den Verkehr mit Vieh und Fleisch. Vom 13. Juli 1923. (RGBl. I S. 715).»)

Vieh und Fleisch. 8 1. Als Vieh im Sinne dieser Verordnung gelten Rindvieh einschließ­ lich Kälber, ferner Schweine und Schafe- als Fleisch gilt das Fleisch dieser Tiere. Handelserlaubnis. 8 2. Wer mit Vieh, Frischfleisch oder Gefrierfleisch Handel treiben oder gewerbsmäßig Gelegenheit zum Abschluß von Geschäften über Vieh nachweisen will, bedarf einer besonderen Erlaubnis. Tas gleiche gilt für Schlächter (Flei­ scher, Metzger) und für Hersteller von Fleischwaren, soweit sie für ihren Ge­ werbebetrieb Vieh oder Frischfleisch unmittelbar vom Biehhalter erwerben wollen. Schlächter, die Frischfleisch oder Gefrierfleisch nur im Kleinhandel feil­ halten wollen, bedürfen einer Erlaubnis nach Abs. 1 Satz 1 nicht, wenn sie die Befugnis zur Führung des Meistertitels besitzen. Als Handel im Sinne dieser Verordnung gilt nicht die Veräußerung von Vieh, das der Veräußerer im eigenen landwirtschaftlichen Betriebe gezogen oder gehalten hat, sowie voll Fleisch von solchem Vieh Tie Inhaber einer Erlaubnis nach Abs. 1 bedürfen zum Handel mit Vieh, Frischfleisch oder Gefrierfleisch einer weiteren Erlaubnis nach § 1 der Verord­ nung über Handelsbeschränkungen nicht. Erteilung der Erlaubnis. 8 3. Tie Erlaubnis wird auf Antrag erteilt Sie kann auf Zeit oder Widerruf erteilt, auch sachlich beschränkt werden Sie gilt für den Bezirk der Behörde oder Stelle, die die Erlaubnis er­ teilt; außerhalb dieses Bezirkes gilt sie nur für Viehmärkte und für den An­ kauf vom Viehhändler. Sie kann örtlich begrenzt werden. Personen, denen von der örtlich zuständigen Behörde oder Stelle die Erlaubnis erteilt ist, kann die Erlaubnis auch für andere Bezirke von den für diese Bezirke zuständigen Behörden oder Stellen erteilt werden. Bei nach­ gewiesenem Bedürfnis kann die Erlaubnis in den Fällen des § 2 Abs. 1 Satz 1 für den Handel mit Frischfleisch oder Gefrierfleisch auch für das Reichs­ gebiet erteilt werden.

Zuständigkeit. 8 4. Die zur Erteilung der Erlaubnis sachlich zuständigen Behörden oder Stellen bestimmt die oberste Landesbehörde. Örtlich zuständig ist die Bebörde oder Stelle des Bezirkes, in dem der Antragsteller seine gewerbliche Niederlassung hat oder nehmen will oder bei Fehlen einer solchen Niederlassung seinen Wohnsitz hat. Fehlt es an einem inländischen Wohnsitz, so wird die zuständige Behörde oder Stelle von der *) S. die Note zu Ges

Nr. 143 (S. 640).

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Erster Teil.

Strafgesetze.

obersten Landesbehörde des Landes bestimmt, in dem das Gewerbe betrieben wird oder werden soll. Vor der Entscheidung sollen Sachverständige oder Berufsvertretungen gehört werden, wenn solche nicht bei der Entscheidung mitwirken.

Versagung der Erlaubnis. 8 5. Die Erlaubnis ist zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß der Antragsteller die für den Handelsbetrieb erforderliche Sachkenntnis oder Zuverlässigkeit nicht besitzt oder wenn kein volkswirtschaft­ liches Bedürfnis besteht.

Beschwerde. 8 6. Gegen die Versagung der Erlaubnis steht dem Betroffenen binnen einer Ausschlußfrist von zwei Wochen die Beschwerde zu. Die oberste Landesbehörde bestimmt, welche Behörden oder Stellen über die Beschwerde entscheiden. Eine weitere Beschwerde findet nicht statt. Verfahren. 8 7. Die nach §§ 4, si zuständigen Behörden oder Stellen können von dem Antragsteller die Vorlegung der Handelsbücher, Geschäftspapiere sowie weiterer Beweismittel über seine geschäftliche Tätigkeit verlangen. Bei der Erteilung und Versagung der Erlaubnis kann eine Gebühr er­ hoben werden. Im übrigen wird das Verfahren von der obersten Landesbehörde geregelt. § 21 Satz 2 der Gewerbeordnung findet Anwendung. Verwertung der Vorräte. 8 8. Wird die Erlaubnis versagt, so hat der Kommunalverband, in dessen Bezirk sich die Hauptniederlassung und in Ermangelung einer inländischen Hauptniederlassung eine Zweigniederlassung befindet, die Ver­ wertung der Vorräte auf Rechnung und Kosten des Händlers zu veranlassen, über Streitigkeiten, die sich aus der Verwertung zwischen den Betei­ ligten ergeben, entscheidet endgültig die von der obersten Landesbehörde be­ stimmte Behörde. Die oberste Landesbehörde kann die dem Kommunalverbande nach Abs. 1 obliegende Verpflichtung auf andere Stellen übertragen. Erlaubnisschein.

8 9. Über die Erlaubnis ist dem Berechtigten ein Erlaubnisschein aus­ zustellen. Dieser ist mit dem behördlich abgestempelten Lichtbild und der Unterschrift des Berechtigten zu versehen. Soweit der Berechtigte außerhalb des Ortes seiner gewerblichen Nieder­ lassung oder beim Fehlen einer solchen außerhalb seines Wohnsitzes t>en Handel in eigener Person ausübt oder sofern er gewerbsmäßig Gelegenheit zum Abschluß von Geschäften über Vieh nachweist, hat er den Erlaubnisschein mitzuführen und auf Verlangen vorzuzeigen; Beauftragte des Berechtigten haben eine Abschrift des Erlaubnisscheins ohne Lichtbild und Unterschrift mitzuführen und auf Verlangen vorzuzeigen.

Zurücknahme der Erlaubnis. 8 10. Die Erlaubnis kann zurückgenommen werden, wenn dem Inhaber die erforderliche Sachkenntnis fehlt oder wenn kein volkswirtschaftliches Be­ dürfnis besteht. Sie ist zurückzunehmen, wenn die Erlaubnis auf Grund un­ wahrer Angaben oder sonstiger täuschender Handlungen erwirkt war oder wenn sich nach Erteilung der Erlaubnis Tatsachen ergeben, welche die Un­ zuverlässigkeit des Erlaubnisinhabers dartun. Die Vorschriften der §§ 4, 6 bis 8 gelten entsprechend. Die Be­ schwerde gegen die Zurücknahme hat aufschiebende Wirkung. Es kann ver­ fügt werden, daß sie alsbald in Kraft tritt.

146. Verordnung über Viehverkehr usw. v. 13. Juli 1923. §§ 5—16.

663

Wird die Erlaubnis zurückgenommen, so ist der Erlaubnisschein ein­ zuziehen. Ist dem Erlaubnisinhaber oder seinen Beauftragten für den Handel auf Grund der Gewerbeordnung ein sonstiger Erlaubnisschein (Wandergewerbe­ schein, Legitimationskarte oder ein ähnliches Ausweispapier) erteilt, so hat die Zurücknahme der Handelserlaubnis den Verlust oder die (Änschränkung des Scheines ohne weiteres zur Folge Die zuständige Behörde oder Stelle (§§ 4, 6) hat die Einziehung oder Berichtigung des Scheines zu veranlassen Ausstellung von Wandergewerbescheinen und dergleichen.

8 11. Auf die Ausstellung von Wandergewerbescheinen, Legitimations­ karten und ähnlichen Ausweispapieren findet die Vorschrift im § 35 der Ver­ ordnung über Handelsbeschränkungen entsprechende Anwendung. Nichtigkeit unzulässiger Geschäfte.

§ 12. Ist jemandem die nach § 2 erforderliche Erlaubnis nicht erteilt oder ist die Erlaubnis zurückgenommen worden, so ist jedes hiernach un­ zulässige Geschäft nichtig, gleichviel ob die Person, welcher die Erlaubnis fehlt, das Geschäft selbst oder durch eine vorgeschobene Person abschließt Tie Nichtigkeit wirkt jedoch nicht zum Nachteil dessen, der den Mangel der Erlaubnis weder kannte noch kennen mußte Mitteilung von Verurteilungen.

8 13. Von jeder rechtskräftigen Verurteilung wegen Preistreiberei, unzulässigen Handels oder verbotener Ausfuhr lebenswichtiger Gegenstände hat die Strafvollstreckungsbehörde der Behörde oder Stelle, die für die Zurück­ nahme der Erlaubnis zuständig ist, unverzüglich Mitteilung zu machen, sofern nicht das Gericht diese Maßnahme selbst verhängt hat. Tie Behörde oder Stelle hat zu prüfen, ob die Erlaubnis zurück­ zunehmen ist Buchführung im Biehhandel.

8 14. Tie im § 2 Abs 1 bezeichneten Personen sind verpflichtet, ein Verzeichnis in Buchform zu führen, in das unter fortlaufender Nummer jedes Stück Vieh, das sie erwerben, veräußern oder zur Veräußerung anbieten, einzutragen ist Das Verzeichnis muß Namen und Wohnort des Veräußerers und des Erwerbers, den Tag des Geschäftsabschlusses sowie Angaben über Art, Gewicht und Preis des Viehes enthalten. Die oberste Landesbehörde kann weitere Angaben vorschreiben Soweit Schweine oder Schafe postenweise von demselben Besitzer ge­ kauft werden, ist ihre Eintragung nach Stückzahl und Gesamtgewicht und ohne nähere Kennzeichnung zulässig. Prüfungspsticht des Biehhalters.

8 15. Viehhalter dürfen an die im § 2 Abs 1 bezeichneten Personen Vieh oder Frischfleisch nur absetzen, wenn sich der Erwerber als Inhaber einer Erlaubnis nach § 2 ausweist. Biehmärkte.

8 16. Die Abhaltung von Viehmärkten und marktähnlichen Veranstal­ tungen ist nur mit Genehmigung der von der obersten Landesbehörde bestimm­ ten Behörden zulässig. Die Zulässigkeit öffentlicher Versteigerungen auf Grund anderweitiger gesetzlicher Vorschriften wird hierdurch nicht berührt Tie obersten Landesbehörden oder die von ihnen bestimmten Behörden setzen die Zahl, Zeit und Dauer der Viehmärkte fest. Die Viehmärkte sind zu überwachen Das Nähere bestimmt die Reichs­ regierung mit Zustimmung des Reichsrats; soweit die Reichsregierung solche Bestimmungen nicht erläßt, können sie von der obersten Landesbehörde

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Erster Teil.

Strafgesetze.

erlassen werden. Die durch die Überwachung entstehenden Kosten fallen den Unternehmern des Marktes zur Last. Der § 68 der Gewerbeordnung findet Anwendung. Tie oberste Landesbehörde kann für Schlachtviehmärkte zum Zwecke der Feststellung von Preis und Gewicht der Tiere Vorschriften erlassen und Einrichtungen anordnen, insbesondere den Schlußscheinzwang und den Handel nach Lebendgewicht vorschreiben. Schriftstücke, deren Ausstellung auf Grund des Abs. 4 angeordnet ist, sind stempelfrei. 8 17. Der Handel mit Vieh außerhalb des Marktplatzes am Marktort ist am Markttag und an dem vorausgehenden und nachfolgenden Tage verboten. 8 18. Wer gewerbsmäßig für andere Vieh veräußert oder erwirbt oder den Abschluß solcher Geschäfte vermittelt (Biehkommissionär, Biehagent), darf auf Viehmärkten Geschäfte für eigene Rechnung nicht abschließen Das gleiche gilt für den, der gewerbsmäßig Gelegenheit zum Abschluß von Ge­ schäften über Vieh nachweist.

Strafvorschriften. 8 19. Soweit nach § 2 eine Erlaubnis erforderlich ist, finden die Vorschriften der §§ 28 bis 33 der Verordnung über Handelsbeschränkungen entsprechende Anwendung. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer den Vorschriften des § 9 Abs. 2, der §§ 14, 15, 16 Abs. 1, der §§ 17, 18 oder den auf Grund des § 14 Abs. 1 Satz 3, § 16 Abs. 3 Satz 2 oder Abs. 4 erlassenen Bestimmungen zuwiderhand-elt. Ausführungsbestimmungen und Ausnahmen. 8 20. Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft kann Be­ stimmungen zur Ausführung dieser Verordnung erlassen. Soweit er keine Aussührungsbestimmungen erläßt, werden diese von der obersten Landes­ behörde erlassen; sie kann bei Zuwiderhandlungen gegen ihre Bestimmungen Gefängnis bis zu einem Jahre und Geldstrafe oder eine dieser Strafen an­ drohen. Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft kann Ausnahmen von den Vorschriften dieser Verordnung zulassen.

Schluß- und Übergangsvorschriften. 8 21. Die Vorschriften über Untersagung des Handels und Schließung von Geschäftsräumen in den §§ 20 bis 25 der Verordnung über Handels­ beschränkungen sowie die Vorschriften der Abschnitte II bis IV (§§ 37 bis 63) der Verordnung über Handelsbeschränkungen bleiben unberührt. 8 22. Personen, die nach den Vorschriften des Gesetzes über die Fleisch­ versorgung vom 18. April 1922 (Reichsgesetzbl. I S. 460) für den Handel mit Vieh oder Fleisch einer Erlaubnis bisher nicht bedurften, dürfen bis zur Entscheidung über ihren Antrag auf Erteilung der Erlaubnis, spätestens jedoch bis zum 1. Oktober 1923, den Handel ohne die im § 2 vorgefchriebens Erlaubnis weiter betreiben. Die auf Grund des Gesetzes über die Fleischversorgung erteilten Er­ laubnisse bleiben bestehen; die Vorschriften dieser Verordnung über die Zurück­ nahme solcher Erlaubnisse und die Vorschriften über die Untersagung des Handels bleiben unberührt.

147. Verordnung über Notstandsversorgung v. 13. Juli 1923.

147.

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9. Verordnung über Notstandsversorgung. Vom 13. Juli 1923.

(RGBl. I S. 718)1) I Abschnitt.

Maßnahmen gegen Notstände in der Versorgung der Bevölkerung. Versorgung mit bestimmten Gegenständen des täglichen Bedarfs.

§ 1. Zur Verhinderung oder Beseitigung eines Notstandes in der Versorgung der Bevölkerung mit bestimmten Gegenständen des täglichen Bedarfs mit Ausnahme der Lebens- und Futtermittel können die obersten Landesbehörden oder die von ihnen bestimmten Behörden sowie nach vor­ heriger Zustimmung der obersten Landesbehörde oder der von dieser be­ stimmten Behörde die Gemeinden, Kommunalverbände und Vereinigungen von Kommunalverbänden, Gemeinden und Gutsbezirken 1. für die Erzeuger sowie für die Handel- und Gewerbetreibenden ihres Bezirkes Vorschriften über die Führung des Betriebs, insbesondere die Erzeugung, die Herstellung, den Erwerb, den Absatz von Waren, die Preise und die Buchführung erlassen; 2. die Versorgung der Bevölkerung ihres Bezirkes mit bestimmten Gegen­ ständen unter Ausschluß des Handels und Gewerbes selbst übernehmen und in Verträge über Lieferung bestimmter Gegenstände eintreten; 3 die ausschließliche Versorgung der Bevölkerung ihres Bezirkes prit bestimmten Gegenständen gemeinnützigen Einrichtungen oder einzelnen Handel- oder Gewerbetreibenden übertragen und dabei Bestimmungen über den Betrieb, insbesondere den Weiterverkauf und die Preise, treffen; 4 Vorschriften zur Regelung des Verbrauchs bestimmter Gegenstände für ihren Bezirk erlassen; 5. anordnen, daß, wer in ihrem Bezirk bestimmte Gegenstände in Ge­ wahrsam hat, die vorhandenen Mengen, bezeichnet nach Arten und Eigen­ tümern, binnen einer festzusetzenden Frist anzuzeigen hat; 6. anordnen, daß Handel- und Gewerbetreibende ihres Bezirkes verpflich­ tet sind, binnen einer festzusetzenden Frist Auskunft über die Verträge zu geben, kraft deren sie Lieferung bestimmter Gegenstände verlangen können; 7. Handel- und Gewerbetreibenden ihres Bezirkes die Verpflichtung auf­ erlegen, die Benutzung ihrer Betriebsmittel ihnen oder der von ihnen bestimmten Stelle gegen Entgelt zu gestalten; 8. anordnen, daß Handel- und Gewerbetreibende ihres Bezirkes ihre Vor­ räte an bestimmten Gegenständen ihnen oder der von ihnen bestimmten Stelle auf Verlangen gegen Entgelt überlassen. Tie obersten Landesbehörden oder die von ihnen bestimmten Behörden können die im Abs. 1 bezeichneten Maßnahmen auch für Teile ihres Be­ zirkes treffen. Soweit Maßnahmen für einen größeren Bezirk getroffen werden, ruhen die Befugnisse der zu dem Bezirke gehörenden Gemeinden und Kommunal­ verbände. § 2. Die obersten Landesbehörden können Gemeinden, Kommunalverbände und Gutsbezirke zu den im § 1 bezeichneten Maßnahmen anhalten, für die Zwecke der Notstandsversorgung zu besonderen Verbänden zusammenschließen und diesen Verbänden die im § 1 vorgesehenen Befugnisse ganz oder teil­ weise übertragen. Tie obersten Landesbehörden können anordnen, daß die den Gemeinden und Kommunalverbänden zustehenden Befugnisse anstatt durch Gemeinden und Kommunalverbände durch deren Vorstand wahrgenommen werden. !) S. die Note zu Ges. Nr. 143 (S. 640).

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Erster Teil.

Strafgesetze.

§ 3. Die obersten Landesbehörden oder die von ihnen bestimmten Be­ hörden können zu dem im § 1 bezeichneten Zwecke die Erzeuger von Gegen­ ständen des täglichen Bedarfs sowie Verbände und Bereinigungen solcher Er­ zeuger zur Regelung des Absatzes und der Preise, ferner Personen, die mit solchen Gegenständen Handel treiben, sowie Verbände und Bereinigungen sol­ cher Personen zur Regelung der Beschaffung, des Absatzes und der Preise zu Verbänden zusammenschließen. Tie Rechtsverhältnisse der Verbände werden durch die Satzung bestimmt. Tie Satzung wird von der obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimm­ ten Behörde erlassen Tie Verbände entstehen mit dem Erlasse dec Satzung; sie sind rechtsfähig 8 4. Anordnungen der im § 1 Nr. 1 bis 4, 7, 8 und § 3 bezeichneten Art bedürfen der vorherigen Zustimmung der Reichsregierung Aus den Anordnungen muß ersichtlich sein, daß die Reichsregierung zugestimmt hat 8 5. Anordnungen nach §§ 1, 3 sind wieder aufzuheben, wenn der Notstand nicht mehr besteht oder die Reichsregierung die Aufhebung verlangt Versorgung mit Lebensmitteln. 8 6. Tic Vorschriften der §§ 1 bis 5 gelten nicht für Lebens- zmd Futtermittel. Zur Verhinderung oder Beseitigung eines Notstandes in der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln können die obersten Landesbehörden mit Zustimmung des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft für ihr Gebiet oder Teile ihres Gebiets Anordnungen über den Absatz und den Ver­ brauch von Lebensmitteln treffen. Aus den Anordnungen muß ersichtlich sein, daß der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft zugestimmt hat. Die Anordnungen sind wieder aufzuheben, wenn der Notstand nicht mehr besteht oder der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft die Aufhebung verlangt Maßnahmen gegen öffentlich-rechtliche Körperschaften. 8 7. Die in den §§ 1, 3, 6 bezeichneten Befugnisse greisen gegenüber dem Reiche, den Ländern, den Kommunatverbänden und den Gemeinden sowie den der Reichsregierung oder einer Landesregierung unterstellten Gesellschaften, Verbänden und Stellen nicht Platz Hinsichtlich des Waldbesitzes der Ge­ meinden bleiben die Befugnisse der §§ 1, 3, 6 unberührt. Die Überlassung der Vorräte (§ 1 Nr 8) kann nicht verlangt werden, soweit die Vorräte zur Erfüllung von Verträgen mit den vorgenannten Stellen bestimmt sind II Abschnitt

Enteignung von Gegenständen des tägliche« Bedarfs. Voraussetzungen der Enteignung. 8 8. Das Eigentum an Gegenständen des täglichen Bedarfs kann durch Anordnung der zuständigen Behörde auf eine von ihr bezeichnete Behörde, Stelle oder Person übertragen werden, 1. wenn für die Gegenstände ein Höchstpreis festgesetzt ist, 2 wenn die Gegenstände zur Veräußerung bestimmt sind und zurück­ gehalten werden; 3 wenn sich der Eigentümer weigert, einer nach Z 1 Nr. 1 oder 8 getroffe­ nen Anordnung Folge zu leisten. 8 9. Der Anordnung hat eine Aufforderung der zuständigen Behörde zur freiwilligen Überlassung der Gegenstände vorauszugehen. Tie Aufforderung hat die Wirkung, daß Verfügungen über die von ihr betroffenen Gegenstände nichtig sind; den rechtsgeschäftlichen Verfügungen stehen Verfügungen gleich, die im Wege der Zwangsvollstreckung oder Arrest­ vollziehung erfolgen.

147. Verordnung über Notstandsversorgung v. 13. Juli 1923.

667

Die oberste Landesbehörde, in deren Bezirk sich die Gegenstände befinden, kann bestimmte Personen oder Stellen ermächtigen, eine solche Aufforderung zu erlassen. Die von einer hiernach ermächtigten Person erlassene Auf­ forderung wird unwirksam, wenn sie nicht binnen einer Woche, nachdem sie dem von ihr Betroffenen zugegangen ist, durch Erlaß der Behörde bestätigt wird. Der Betroffene ist von der Aufforderung an verpflichtet, die Gegen­ stände bis zum Ablauf einer von der Behörde in der Aufforderung zu be­ stimmenden Frist zu verwahren. Die Behörde kann eine Vergütung für die Ver­ wahrung festsetzen Bei Gefahr im Verzüge kann die Aufforderung unterbleiben

Durchführung der Enteignung. § 10. Die Aufforderung und die Anordnung sind an den Besitzer der Gegenstände zu richten Tas Eigentum geht über, sobald die Anordnung dem Besitzer zugeht Bezieht sich die Anordnung auf Erzeugnisse eines Grundstücks, so wer­ den diese von der Haftung für Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden frei, soweit sie nicht vor der Aufforderung zugunsten des Gläubigers in Be­ schlag genommen worden sind.

Übernahmepreis. 8 11. Der Übernahmepreis wird unter Berücksichtigung des Höchstpreffes, der Marktlage, der Gestehungskosten sowie der Güte und Verwert­ barkeit der Gegenstände von der Behörde, welche die Anordnung getroffen hat, nach Anhörung eines oder mehrerer Sachverständigen festgesetzt über Beschwerden entscheidet die höhere Verwaltungsbehörde endgültig Der Übernahmepreis ist unverzüglich nach der Anordnung festzusetzen Er ist bei oder unverzüglich nach der Übernahme der Gegenstände zu zahlen, auch wenn der Betroffene Beschwerde erhebt. Die Vorschriften der Abs 1 bis 3 gelten entsprechend für das Ent­ gelt nach § 1 Nr 7

Aufforderung zum Verkaufe zum Höchstpreis. 8 12. Die zuständige Behörde kann den Besitzer von Gegenständen, für die Höchstpreise festgesetzt sind, auffordern, die Gegenstände zu den fest­ gesetzten Höchstpreisen zu verkaufen. Weigert sich ein * Besitzer, der Aufforderung nachzukommen, so kann die zuständige Behörde die Gegenstände übernehmen und auf Rechnung und Kosten des Besitzers zu den festgesetzten Höchstpreisen verkaufen, soweit sie nicht für dessen eigenen Bedarf nötig sind.

III. Abschnitt

Strafvnschriften und AuSführungsbestimmuugen. Strafvorschriften. 8 13. Wer den auf Grund der §§ 1, 3, 6, 12 erlassenen Anordnungen vorsätzlich zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. Ebenso wird bestraft, wer einen Gegenstand, der von einer nach § 9 erlassenen Aufforderung betroffen ist, vorsätzlich beiseiteschafft, beschädigt oder­ zerstört. Bei fahrlässiger Begehung tritt Geldstrafe ein Neben der Strafe kann auf Einziehung der Gegenstände erkannt pverden, auf die sich die strafbare Handlung bezieht, auch wenn die Gegenstände weder dem Täter noch einem Teilnehmer gehören

668

Erster Teil.

Strafgesetze.

AusfühnmgSbestimmungen 8 14. Die obersten Landesbehörden erlassen die Bestimmungen zur Aus­ jung dieser Verordnung. Sie bestimmen insbesondere, wer als Gemeinde, Kommunalverband, Vorstand der Gemeinde oder des Kommunalverbandes, zuständige Behörde und höhere Verwaltungsbehörde im Sinne dieser Verord­ nung anzusehen ist.

148.

10. Verordnung Wer Preisprüfungsstellen. Vom 13. Juli 1923

(RGBl. I S.

720.)1)

Zweck der Preisprüfungsstellen. 8 1. Zur Überwachung der Preise für Gegenstände des täglichen Bedarfs und der Vergütungen für Leistungen zur Befriedigung des täglichen Bedarfs sowie für die Vermittlung von Geschäften über solche Gegenstände oder Leistungen werden im ganzen Reichsgebiete Preis Prüfungsstellen errichtet. Örtliche Preisprüfungsstellen.

8 2. Örtliche Preisprüfungsstellen sind von allen Gemeinden mit mehr als zehntausend Einwohnern und von den Kommunalverbänden zu errichten. Gemeinden mit weniger als zehntausend Einwohnern können eine eigene Preisprüfungsstelle errichten; sie können hierzu von der obersten Landes­ behörde oder der von dieser bestimmten Behörde angehalten werden Kommunalverbände und Gemeinden können sich zur Errichtung einer gemeinsamen Prüfungsstelle vereinigen oder einer benachbarten Preisprüfungs­ stelle anschließen; geschieht dies, so brauchen sie keine eigene Preisprüfungsstelle zu errichten. Tie oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Behörde kann Gemeinden, Kommunalverbände und Gutsbezirke zur Errichtung einer ge­ meinsamen Preisprüfungsstelle zusammenschließen oder in eine benachbarte Preisprüfungsstelle einbeziehen. Der Zusammenschluß oder die Einbeziehung kann auf bestimmte Aufgabenkreise beschränkt werden 8 3. Die örtlichen Preisprüfungsstellen bestehen aus einem Vorsitzenden und einer angemessenen Zahl von Mitgliedern. Für den Vorsitzenden kön­ nen ein oder mehrere Stellvertreter berufen werden. Ter Vorsitzende und seine Stellvertreter werden von dem Vorstand der Gemeinde oder des Kommunalverbandes ernannt, welche die Preisprü­ fungsstelle errichten. Bei einer gemeinsamen Preisprüfungsstelle werden der Vorsitzende mü> seine Stellvertreter von den Vorständen der beteiligten Ge­ meinden und Kommunalverbände gewählt; kommt eine Mehrheit nicht zu­ stande, so werden sie von der obersten Landesbehörde oder der von ihr be­ stimmten Behörde ernannt. Sind mehrere Gemeinden, Kommunalverbände oder Gutsverbände von der obersten Landesbehörde zur Errichtung einer ge­ meinsamen Preisprüfungsstelle zusammengeschlossen, so werden der Vorstand und seine Stellvertreter von der obersten Landesbehörde oder der von ihr be­ stimmten Behörde ernannt. Ter Vorsitzende und seine Stellvertreter bedürfen der Bestätigung der obersten Landesbehörde, soweit sie nicht von einer solchen Behörde ernannt oder Inhaber eines Staats- oder Gemeindeamts sind. Tie Mitglieder sind zur einen Hälfte aus dem Kreise der Erzeuger, Händ­ ler und sonstigen Unternehmer, zur anderen Hälfte aus dem Kreise der Ver­ braucher zu berufen. Tie näheren Bestimmungen über die Zusammensetzung, die Berufung der Mitglieder und das Verfahren erlassen die obersten Landesbehörden. !) S. die Rote zu Ges. Nr. 143 (S. 640).

148. Verordnung über Preisprüfungsstellen v. 13. Juli 1923.

669

Mittlere Preisprüfuugsstellen.

§ 4. Mittlere Preisprüfungsstellen sind von der obersten Landesbehörde für das Gebiet des Landes oder für die einzelnen Teile des Landes zu er­ richten. Tie oberste Landesbehörde kann die mittleren Preisprüfungsstellen anderen Behörden oder Stellen angliedern. Durch Vereinbarung der Landesregierungen kann für die Gebiete meh­ rerer Länder oder für Teile mehrerer Länder eine gemeinsame mittlere Preisprüfungsstelle errichtet werden. Der Vorsitzende der mittleren Preisprüfungsstelle und seine Stellver­ treter werden von der obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle ernannt. Im übrigen bleiben die näheren Bestimmungen den obersten Landesbehörden überlassen. LandeSpreiSprüfuugsstellen. § 5. Bestehen in einem Lande mehrere mittlere Preisprüfungsstellen, so kann die Landesregierung eine den mittleren Preisprüfungsstellen über­ geordnete Landespreisprüfungsstelle errichten. Sie kann diese Stelle einer an­ deren Behörde oder Stelle angliedern, oder eine mittlere Preisprüfungsstelle als Landespreisprüfungsstelle bestimmen Ist nur eine mittlere Preisprüfungsstelle für das Gebiet des Landes errichtet, so kann auch diese als Landespreisprüfungsstelle bestimmt werden.

Preisprüfungsstelle für das Reichsgebiet.

§ 6. Preisprüfungsstelle für das Reichsgebiet ist das Reichswirtschafts­ ministerium Aufgaben der Preisprüfungsstellen.

1.

2

3 4

5.

§ 7. Tie Preisprüfungsstellen haben die Aufgabe: die in ihrem Bezirke für Gegenstände des täglichen Bedarfs, für Leistungen zur Befriedigung des täglichen Bedarfs oder für die Vermitt­ lung von Geschäften über solche Gegenstände oder Leistungen geforderten oder gewährten Preise und Vergütungen auf ihre Angemessenheit nach­ zuprüfen, insbesondere aus ihrer Kenntnis der Marktverhältnisse und der sonstigen wirtschaftlichen Lage und unter Berücksichtigung der Gestebungskosten die angemessenen Preise und Vergütungen zu ermitteln; die zuständigen Stellen bei Überwachung des Warenverkehrs und der Forderungen für Leistungen sowie bei der Verfolgung von Zuwider­ handlungen gegen die Vorschriften der notwirtschaftlichen Gesetzgebung zu unterstützen; Gutachten über die Angemessenheit von Preisen und Vergütungen für Gerichte, Strafverfolgungsbehörden und Verwaltungsbehörden zu er­ statten ; die bei ihrer Tätigkeit ermittelten Tatsachen und gemachten Erfah­ rungen von allgemeiner Bedeutung zu sammeln und zu verwerten; die Bevölkerung über die Preisentwicklung und deren Ursachen aufzu­ klären und andere Stellen in dieser Aufklärung zu unterstützen. Sachliche Zuständigkeit.

§ 8. Die im § 7 'bezeichneten Aufgaben obliegen in erster Linie der örtlichen Preisprüfungsstelle. Für Angelegenheiten von größerer Bedeutung ist die mittlere Preis­ prüfungsstelle zuständig. Ist eine Landespreisprüfungsstelle errichtet, so bestimmt die oberste Landesbehörde, welche Aufgaben der mittleren Preisprüfungsstelle auf die Landespreisprüfungsstelle übergehen. Für Angelegenheiten, die von allgemeiner Bedeutung für das ganze Reichsgebiet sind, ist die Preisprüfungsstelle für das Reichsgebiet zuständig. § 9. Tie örtliche Preisprüfungsstelle hat die mittlere Preisprüfungs­ stelle, in deren Bezirk sie liegt, fortlaufend über die von ihr entfaltete

670

Erster Teil.

Strafgesetze.

Tätigkeit, insbesondere über die ermittelten Tatsachen und die gemachten Er­ fahrungen von größerer Bedeutung zu benachrichtigen Tie mittlere Preisprüfungsstelle hat die örtlichen Preisprüfungsstellen ihres Bezirkes über die wirtschaftlichen Zusammenhänge zu unterrichten und ihr allgemeine Richtlinien für ihre Tätigkeit zu geben Sie kann den ört­ lichen Preisprüfungsstellen ihres Bezirkes sachliche Anweisungen und Aufträge erteilen. Tie mittlere Preisprüfungsstelle hat ferner die von ihr und von den örtlichen Preisprüfungsstellen ihres Bezirkes ermittelten Tatsachen und gemachten Erfahrungen von allgemeiner Bedeutung zu sammeln und zu ver­ werten, insbesondere der Preisprüsungsstelle für das Reichsgebiet fortlaufend mitzuteilen Besteht eine Landespreisprüfungsstelle, so sind diese Mitteilungen an die Landespreisprüfungsstelle zu machen und von dieser an die Preis­ prüfungsstelle für das Reichsgebiet weiterzuleiten Die Preisprüfungsstelle für das Reichsgebiet hat die mitgeteilten Tat­ sachen und Erfahrungen zu sammeln und zu verwerten Sie kann den mitt­ leren Preisprüfungsstellen und, soweit Landespreisprüsungsstellen errichtet sind, auch diesen allgemeine Richtlinien erteilen Bei der Erfüllung ihrer Aufgaben kann sie sich der Hilfe aller Preisprüfungsstellen des Reichsgebiets bedienen; Ersuchen sind an die Landespreisprüfungsstelle und, wo eine solche nicht besteht, an die zuständige mittlere Preisprüfungsstelle zu richten Örtliche Zuständigkeit.

8 1V. Tie örtlichen und mittleren Preisprüfungsstellen sind zuständig für die in ihrem Bezirke zu erledigenden Aufgaben. Erstreckt sich eine von der örtlichen Preisprüfungsstelle zu erledigende Aufgabe über den Bezirk mehrerer örtlicher Preisprüfungsstellen, so ist sie von den beteiligten örtlichen Preisprüfungsstellen im gegenseitigen Einver­ nehmen zu erledigen, sofern nicht die mittlere Preisprüfungsstelle oder, wenn die beteiligten örtlichen Preisprüfungsstellen im Bezirke verschiedener mitt­ lerer Preisprüfungsstellen liegen, die beteiligten mittleren Preisprüfungsstellen im gegenseitigen Einvernehmen die Erledigung übernehmen Aufgaben der mittleren Preisprüfungsstellen, die sich über den Bezirk mehrerer mittlerer Preisprüfungsstellen erstrecken, sind von den beteiligten mittleren Preisprüfungsstellen im gegenseitigen Einvernehmen zu erledigen. Solche Aufgaben können, wenn die beteiligten mittleren Preisprüfungsstellen einer Landespreisprüfungsstelle untergeordnet sind, von dieser und, wenn sie verschiedenen Ländern angehören, von der Preisprüfungsstelle für das Reichs­ gebiet übernommen werden Befugnisse der Preisprüfungsstellen.

8 11. Die Preisprüfungsstellen sind befugt, selbst oder durch Beauftragte 1. von jedermann Auskunft über alle Tatsachen zu verlangen, die für die Bemessung von Warenpreisen und von Vergütungen für Leistungen von Wichtigkeit sind; 2 Betriebseinrichtungen und Räume, in denen Waren hergestellt, gelagert oder feilgehalten oder Leistungen vorgenommen werden, zu besichtigen und zu untersuchen; 3. Unterlagen für die Bemessung von Preisen und Vergütungen einzusehen. Die Vorschriften des Abs 1 gelten auch insoweit, als es sich nicht um Gegenstände des täglichen Bedarfs, um Leistungen zur Befriedigung des täg­ lichen Bedarfs oder um die Vermittlung von Geschäften über solche Gegenstände oder Leistungen handelt Tie örtlichen Preisprüfungsstellen bedürfen zur Ausübung der im Abs 1 Nr. 3 bezeichneten Befugnis der Ermächtigung der zuständigen Behörde. Die Ermächtigung kann allgemein erteilt werden. Tie Befugnisse nach Abs. 1, 3 greifen gegenüber dem Reiche, den Ländern, den Kommunalverbänden und den Gemeinden sowie den der Reichsregierung oder einer Landesregierung unterstellten Gesellschaften, Verbänden und Stellen nicht Platz.

148. Verordnung über Preisprüfungsstellen v. 13. Juli 1923.

671

8 12. Der Vorsitzende einer Preisprüfungsstelle und dessen Stellvertreter sind befugt, Zeugen und Sachverständige, die im Bezirke der Preisprüfungs­ stelle wohnen oder sich aushalten, eidlich zu vernehmen. Tie Vorschriften der Zivilprozeßordnung über den Zeugenbeweis und über den Beweis durch Sachverständige finden entsprechende Anwendung. Tie Zeugen und Sachverständigen erhalten Gebühren nach Maßgabe der Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige Über Beschwerden gegen die Entscheidungen des Vorsitzenden einer ört­ lichen oder mittleren Preisprüfungsstelle oder seines Stellvertreters ent­ scheidet die höhere Verwaltungsbehörde endgültig. 8 13. Tie Preisprüfungsstelten sind befugt, andere Preisprüfungsstellen, Gerichte und sonstige Behörden innerhalb ihrer Zuständigkeit um die Ver­ nehmung von Zeugen und Sachverständigen zu ersuchen. Auf die von den Gerichten zu leistende Rechtshilfe finden die Vorschrif­ ten des 13 Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechende Anwendung Verkehr der Preisprüfungsstellen untereinander.

8 14. Tie Preisprüfungsstellen sind befugt, mit anderen Preisprüfungsstellen in unmittelbaren Verkehr zu treten Tie Preisprüfungsstelle für das Reichsgebiet hat allgemeine Mitteilun­ gen, die sie an die örtlichen oder mittleren Preisprüfungsstellen richtet, auch der Landespreisprüfungsstelle und, wo eine solche nicht besteht, der obersten Landesbehörde zur Kenntnis zu bringen

Schweigepflicht.

8 15. Die Vorsitzenden, Stellvertreter, Mitglieder und Beauftragten der Preisprüfungsstellen sind, vorbehaltlich der dienstlichen Berichterstattung und der Anzeige von Gesetzwidrigkeiten, verpflichtet, über die Einrichtungen und Geschäftsverhältnisse, die durch die Ausübung ihrer Befugnis zu ihrer Kennt­ nis kommen, Verschwiegenheit zu beobachten und sich der Mitteilung und der Verwertung der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse zu enthalten. Sie sind, soweit sie nicht Beamte sind, auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Obliegen­ heiten nach § 1 der Verordnung gegen Bestechung und Geheimnisverrat nicht­ beamteter Personen vom 3 Mai 1917/12. Februar 1920 (ReichsgeseAbl. 1917 S. 393; 1920 S 230) durch Handschlag zu verpflichten.

Strasvorschriften.

8 16. Wer vorsätzlich die Auskunft, zu der er nach § 11 Abs 1 Nr 1, Abs. 2 verpflichtet ist, ganz oder teilweise verweigert oder nicht in der gesetzten Frist erteilt oder unrichtige oder unvollständige Angaben macht, wird mit Ge­ fängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. Ebenso wird bestraft, wer vorsätzlich den Vorschriften in § 11 Abs 1 Nr. 2 oder 3, Abs. 2 zuwider die Besichtigung oder Untersuchung von Be­ triebseinrichtungen oder Räumen nicht gestattet oder Unterlagen für die Be­ messung von Preisen und Vergütungen nicht vorlegt oder herausgibt oder die Einsicht in solche Unterlagen nicht gewährt. Wer eine der im Abs. 1, 2 bezeichneten Handlungen fahrlässig begeht, wird mit Geldstrafe bestraft. Ausführungsbestimmungen.

8 17. Tie obersten Landesbehörden erlassen die Bestimmungen zur AuSEng dieser Verordnung. Sie bestimmen insbesondere, wer als höhere altungsbehörde, zuständige Behörde, Kommunalverbände, Gemeinde, Vor­ stand des Kommunalverbandes und der Gemeinde im Sinne dieser Verordnung anzusehen ist

672

Erster Teil.

149.

Strafgesetze.

11. Verordnung über Auskunftspflicht. Vom 13. Juli 1923. (RGBl. I S. 723.)i)

Ausku-fts-erechtigte Stellen. 8 1» Die Reichsregierung, die obersten Landesbehörden und die von der Reichsregierung oder der obersten Landesbehörde bestimmten Stellen sind be­ rechtigt, jederzeit Auskunft über wirtschaftliche Verhältnisse, insbesondere über Preise und Vorräte sowie über Leistungen und Leistungsfähigkeit von Unter­ nehmungen oder Betrieben zu verlangen. Auskunftspflichtige. 8 2. Zur Auskunft verpflichtet sind: 1 gewerbliche und landwirtschaftliche Unternehmer sowie Verbände und Vereinigungen solcher Unternehmer; 2. öffentlich-rechtliche Körperschaften; 3. Personen, die Gegenstände, über die Auskunft verlangt wird, in Ge­ wahrsam haben oder gehabt haben oder auf Lieferung solcher Gegenstände Anspruch haben. Wird von einem Verband oder einer Bereinigung Auskunft verlangt, so trifft die Verpflichtung die Personen, die zur Vertretung oder Geschäftsführung befugt sind, oder deren Stellvertreter Anforderung und Erteilung der Auskunft.

8 3. Tie Auskunft kann durch öffentliche Bekanntmachung oder frage bei den zur Auskunft Verpflichteten erfordert werden Es kann mündliche und schriftliche Auskunft verlangt werden; schriften, Auszüge und Zusammenstellungen aus Geschäftsbüchern, papieren oder aus den Unterlagen für die Bemessung von Preisen gütungen können erfordert werden. Die Auskunft ist kostenfrei zu erteilen.

durch An­ auch Ab­ Geschäfts­ und Ver­

Besichtigung von Betrieben. 8 4. Tie zuständigen Stellen (§ 1) und die von ihnen Beauftragten sind, auch wenn sie Auskunft vorher nicht verlangt haben, befugt, zur Ermittelung richtiger Angaben Geschäftsbriefe und Geschäftsbücher, insbesondere auch Unter­ lagen für die Bemessung von Preisen und Vergütungen, einzusehen sowie Be-triebseinrichtungen und Räume zu besichtigen und zu untersuchen, in denen Waren hergestellt, gelagert oder feilgehalten werden oder in .denen Gegen­ stände zu vermuten sind, über die Auskunft verlangt wird. Die zuständigen Stellen sind ferner befugt, die Einrichtung und Führung besonderer Lagerbücher vorzuschreiben. Will die Reichsregierung oder eine von ihr bezeichnete Stelle von der Be­ fugnis des Abs. 1 gegenüber staatlichen Betrieben oder Einrichtungen Ge­ brauch machen, so ist die zuständige oberste Landesbehörde von den beabsich­ tigten Maßnahmen in Kenntnis zu setzen. Schweigepflicht.

8 5. Die von den zuständigen Stellen Beauftragten sind, vorbehaltlich der dienstlichen Berichterstattung und der Anzeige von Gesetzwidrigkeiten, ver­ pflichtet, über die Einrichtungen und Geschäftsverhältnisse, die durch die Aus­ übung ihrer Befugnisse zu ihrer Kenntnis kommen, Verschwiegenheit zu be­ obachten und sich der Mitteilung und der Verwertung der Geschäfts- und Be­ triebsgeheimnisse zu enthalten Sie sind, soweit sie nicht Beamte sind, auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Obliegenheiten nach § 1 der Verordnung gegen Bestechung und Geheimnisverrat nichtbeamteter Personen vom 3 Mai 1917/ *) S. die Rote zu Ges. Nr. 143 (S. 640).

150. Wohnungsmangelgesetz vom 26. Juli 1923.

§§ 1—3.

673

12. Februar 1920 (Reichsgesetzbl. 1917 S. 393; 1920 S. 230) durch Handschlag zu verpflichten. Strafvorschriften.

8 6. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer vorsätzlich 1. die Auskunft, zu der er nach den KZ 1 bis 6 verpflichtet ist, ganz oder teilweise verweigert oder nicht in der gesetzten Frist erteilt oder unrichtige oder unvollständige Angaben macht; 2. der Vorschrift im Z 4 Abs. 1 zuwider die Einsicht in Geschäftsbriefe, Geschäftsbücher oder Unterlagen für die Bemessung von Preisen oder Ver­ gütungen nicht gewährt oder die Besichtigung oder Untersuchung von Betriebseinrichtungen oder Räumen nicht gestattet; 3. die nach § 4 Abs. 2 vorgeschriebenen Lagerbücher einzurichten oder zu führen unterläßt. Wer eine der im Abs. 1 bezeichneten Handlungen fahrlässig begeht, wird mit Geldstrafe bestraft. Neben der Strafe kann auf Einziehung der Waren, die verschwiegen worden sind, erkannt werden, auch wenn sie dem Auskunttspflichtigen nicht gehören. Dies gilt auch dann, wenn die Strafe gemäß § 73 des Strafgesetz­ buchs auf Grund eines anderen Gesetzes zu bestimmen ist Ausführungsbestimmungen.

8 7. Die Reichsregierung erläßt die Bestimmungen zur Ausführung dieser Verordnung. Soweit die Reichsregierung solche Bestimmungen nicht er­ läßt, können sie von der obersten Landesbehörde erlassen werden.

150.

12. Wohnungsmangelgesetz. Vom 26

Juli 1923

(RGBl. I S. 754.)

8 1* Die oberste für das Wohnungswesen zuständige Landesbehörde kann Gemeindebehörden zu den nach diesem Gesetze zulässigen Anordnungen und Maßnahmen ermächtigen oder verpflichten. Sie kann die Anordnungen und Maßnahmen auch unmittelbar treffen oder die Berechtigung hierzu einer ihr unterstellten Behörde übertragen. Sie führt die Aufsicht über die Durchfüh­ rung der Anordnungen oder Maßnahmen und erteilt die erforderlichen An­ weisungen. 8 2. Ohne vorherige Zustimmung der Gemeindebehörde dürfen a) Gebäude oder Teile von Gebäuden nicht abgebrochen, b) mehrere Wohnungen zu einer nicht vereinigt werden. Räume, die bis zum 1. Oktober 1918 zu Wohnzwecken bestimmt oder be­ nutzt waren, dürfen zu anderen Zwecken, insbesondere als Fabrik-, Lager-, Werkstätten-, Dienst- oder Geschäftsräume nicht verwendet werden. In beson­ deren Fällen kann die Gemeindebehörde Ausnahmen zulassen, wenn für den beanspruchten Raum neuer Wohnraum erstellt wird. 8 3. Der Verfügungsberechtigte hat der Gemeindebehörde a) unverzüglich Anzeige zu erstatten, sobald eine Wohnung oder Fabrik-, Lager-, Werkstätten-, Dienst-, Geschäftsräume oder sonstige Räume un­ benutzt sind, b) ihrem Beauftragten über die unbenutzten Wohnungen und Räume sowie über deren Vermietung Auskunft zu erteilen und ihm die Besichtigung zu gestatten. Als unbenutzt gelten Wohnungen und Räume der bezeichneten Art, wenn sie völlig leerstehen oder nur zur Aufbewahrung von Sachen dienen, sofern den Verfügungsberechtigten eine andere Aufbewahrung ohne Härte zugemutet werAllfelb, Strafgesetzgebung. 3. Ausl. 43

674

Erster Teil.

Strafgesetze.

den kann, oder wenn der Verfügungsberechtigte seinen Wohnsitz dauernd ober zeitweilig in das Ausland verlegt hat. 8 4. Die Gemeindebehörde kann für eine unbenutzte Wohnung oder an­ dere unbenutzte Räume, die zu Wohnzwecken geeignet sind, von dem Ver­ fügungsberechtigten verlangen, daß er mit einem der ihm bezeichneten Wohnungsuchenden innerhalb einer angemessenen Frist einen Mietvertrag abschließt. Kommt ein Mietvertrag nicht zustande, so setzt auf Anrufen der Gemeinde­ behörde das Mieteinigungsamt, falls für den Verfügungsberechtigten kein un­ verhältnismäßiger Nachteil aus der Vermietung an sich oder aus der Art des Mieters zu besorgen ist, einen Mietvertrag fest. Der Vertrag gilt als geschlos-, fett, wenn der Wohnungsuchende*) nicht innerhalb einer vom Mieteinigungsamte zu bestimmenden Frist bei diesem Widerspruch erhebt. Der Inhalt des Ver­ trags gilt den Parteien gegenüber als vereinbart. Tas Mieteinigungsamt kann dabei anordnen, daß die Gemeinde an Stelle des Wohnungsuchenden als Mieter gilt und berechtigt ist, die Mieträume dem Wohnungsuchenden weiterzuvermieten. Stellt der Verfügungsberechtigte der Gemeinde Wohnräume, die eine ab­ geschlossene Wohnung nicht darstellen, oder abgeschlossene Wohnungen, die durch Teilung oder Ausbau einer Wohnung gewonnen werden, bevor eine Beschlagnahme erfolgt ist, freiwillig zur Verfügung, so genügt der Nutzungs­ berechtigte den Vorschriften des Abs. 1, wenn er mit einem der auf der Woh­ nungsliste der Gemeindebehörde eingezeichneten Wohnungsuchenden, die vor­ dem 1. Januar 1914 in Deutschland ihren Wohnsitz, hatten oder zu den im § 14 dieses Gesetzes bezeichneten Personen gehören, einen Mietvertrag inner­ halb der Frist abschließt. Die Gemeindebehörde ist verpflichtet, dem Ver­ fügungsberechtigten Einblick in die Wohnungsliste zu gewähren. Die Vorschriften des Abs. 3 gelten auch für den Falt, daß zur Verfügung gestellter Wohnraum durch Aufhebung des Mietvertrags wieder frei wird. 8 5. Auf Anfordern der Gemeindebehörde hat der Verfügungsberechtigte der Gemeinde unbenutzte Fabrik-, Lager-, Werkstätten-, Dienst-, Geschäfts­ räume oder sonstige Räume (auch Dachgeschosse) zur Errichtung als Wohn­ räume gegen Vergütung zu überlassen. Das Mieteinigungsamt bestimmt die Höhe der Vergütung und die Zahlungsbedingungen, wenn eine Einigung hierüber nicht zustande kommt. Die Gemeindebehörde ist berechtigt, den Ge­ brauch der hergerichteten Räume einem Tritten zu überlassen, insbesondere sie zu vermieten. Die Anordnung baulicher Veränderungen soll nur nach Anhörung des Verfügungsberechtigten erfolgen und nach Möglichkeit die Schaffung eines dauernd verwertbaren Zustandes anstreben. Nach Fortfall der der Gemeindebehörde erteilten Ermächtigung sind dem Verfügungsberechtigten die Räume in angemessener Frist zurückzugewähren. Die Frist bestimmt, wenn eine Einigung nicht zustande kommt, das Miet­ einigungsamt. Aus Verlangen des Berechtigten hat die Gemeinde den der früheren Zweckbestimmung und Ausstattung entsprechenden Zustand der Räume wieder herzustellen, es sei denn, daß ein schriftliches Einvernehmen über die vorgenommenen Änderungen erzielt war. 8 6. Machen sich nach dem Ermessen der obersten Landesbehörde infolge besonders starken Mangels an Wohnungen außergewöhnliche Mißstände geltend, so kann die oberste Landesbehörde mit Zustimmung des Reichsarbeitsministers Gemeindebehörden auch zu anderen als den in den §§ 2 bis 5 bezeichneten Anordnungen und Maßnahmen, insbesondere zu Eingriffen in die Frei­ zügigkeit sowie die Unverletzlichkeit der Wohnung und des Eigentums, des­ gleichen zu Beschränkungen der ZwangsvoNstreckung, soweit solche Eingriffe und Beschränkungen zur Behebung oder Milderung der Wohnungsnot dringend erforderlich sind, ermächtigen oder verpflichten oder mit Zustimmung des Reichsarbeitsministers solche Anordnungen und Maßnahmen unmittelbar treffen oder die Berechtigung hierzu einer ihr unterstellten Behörde übertragen. Ein-

*) Hier wurden die Worte „oder der Verfügungsberechtigte" gestrichen durch VO. v. 24. Dez. 1923 (RGBl. I S. 1247).

150. Wohnungsmangelgesetz vom 26. Juli 1923.

§§ 4—12.

675

griffe sollen nur erfolgen, nachdem der Versuch einer gütlichen Einigung erfolg­ los geblieben ist. Soweit für Eingriffe in Privatrechte Entschädigung zu ge­ währen ist, haftet für die Zahlung der Entschädigung die Stelle, welche die Verfügung trifft. Für den Fall, daß Umbauten zur Durchführung des Ms. 1 vorgenommen sind, gelten § 5 Ws. 2 und 3 entsprechend. 8 7. Die Inanspruchnahme von Gebäuden oder Räumen, die im Eigen­ tum oder in der Verwaltung des Reichs oder eines Landes oder im Eigentum oder in der Verwaltung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts stehen und öffentlichen Zwecken oder zur Unterbringung von Angehörigen der Verwaltung des Reichs, des Landes oder der Körperschaft zu dienen bestimmt sind, ist nur zulässig, wenn von der zuständigen Reichs- oder Landesbehörde kein Ein­ spruch erhoben wird. Diese Behörden entscheiden auch, ob die im Satz 1 erwähnten Voraussetzungen im Einzelfalle vorliegen. Ist Einspruch erhoben, so entscheidet bei Gebäuden oder Räumen, die zur Verfügung des Reichs stehen, die Reichsregierung, im übrigen die Landesregierung. Die Bestimmungen des Abs. 1 finden auf Gebäude und Räume, die im Eigentum oder in der Verwaltung gemeinnütziger Anstalten und Stiftungen, sowie gemeinnütziger, nicht auf Erwerb gerichteter Organisationen stehen, oder die religiösen oder anerkannt gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken dienen, entsprechend Anwendung. Tie Bestimmungen der Ms. 1 und 2 gelten auch für andere Anordnungen und Maßnahmen, die auf Grund dieses Gesetzes getroffen sind. Das Recht der Gemeindebehörden aus §§ 2 und 3 bleibt jedoch unberührt. Tie Ver­ sagung nach § 2 ist unzulässig, wenn gleichwertiger neuer Wohnraum her­ gestellt wird. Verträge der im Abs. 1 und 2 genannten Stellen über die Ermietung von Gebäuden oder Gebäudeteilen zu öffentlichen Zwecken dürfen nicht der Geneh­ migung der Gemeindebehörden unterstellt werden. 8 8. Wollen Personen, die vor dem 1. Januar 1914 in Deutschland ihren Wohnsitz hatten, oder Personen, bei denen die im § 14 genannten Voraussetzungen vorliegen, ihre selbständigen benutzten Wohnungen innerhalb des Reichsgebiets miteinander tauschen, so sind sie verpflichtet, die Genehmigung der beteiligten Gemeindebehörden unter Beifügung der schriftlich gegebenen Zustimmung der Vermieter vor Durchführung des Tausches einzuholen. Wird die Zustimmung versagt, so entscheidet das Mieteinigungsamt. Unter diesen Voraussetzungen ist die Genehmigung innerhalb einer Frist von 14 Tagen zu erteilen; bei Überschreitung dieser Frist gilt die Genehmigung als erteilt. Tie Vorschriften über die zulässige Belegung und Benutzung behalten Gültigkeit. 8 9* Die obersten Landesbehörden können Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz erlassen. 8 19. Die obersten Landesbehörden können die von ihnen erteilten Ermächtigungen zurücknehmen und die Gemeindebehörden zur Aufhebung der von ihnen auf Grund der Ermächtigung getroffenen Anordnungen und Maß­ nahmen anhalten. 8 11. Die zur Bekämpfung des Wohnungsmangels getroffenen Ver­ fügungen sind mit schriftlicher, tatsächlicher und rechtlicher Begründung dem Betroffenen zuzustellen. Sie können im Wege unmittelbaren polizeilichen Zwanges durchgeführt werden. Gegen Reich und Land ist die Anwendung derartiger Zwangsmaßnahmen unzulässig; das gleiche gilt für die Reichsbank. 8 12. Die Vorschriften dieses Gesetzes finden auf Neubauten oder durch Um- oder Einbauten neugeschaffene Räume keine Anwendung, wenn sie nach dem 1. Juli 1918 bezugsfertig geworden sind oder künftig bezugsfertig werden. Auf Neubauten, die mit Zuschüssen aus den für die Wiederherstellung der während des Krieges zerstörten Gebiete bereitgestellten Mitteln errichtet sind, finden die Vorschriften dieses Gesetzes dagegen Anwendung. Tie mit Unterstützung des Hilfswerkes Oppau errichteten Räume unter­ liegen den Vorschriften dieses Gesetzes sowie des Reichsmietengesetzes vom 43*

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Erster Teil.

Strafgesetze.

24. März 1922 (RGBl. I S. 273) und des Gesetzes über Mieterschutz und Miet­ einigungsämter vom 1. Juni 1923 (RGBl I S. 353).1)2 8 13. Werden vor dem 1 Juli 1918 bezugsfertig gewordene Räume, die im Eigentume von Gesellschaften oder Genossenschaften der im § 16 Abs. 1 Satz 3 des Reichsmietengesetzes bezeichneten Art stehen, von der Ge­ meindebehörde zur Unterbringung von Wohnungsuchenden in Anspruch ge­ nommen, so ist die Gemeindebehörde zur Bezeichnung der aufzunehmenden Wohnungsuchenden erst dann berechtigt, wenn die Gesellschaft oder Genossen­ schaft die Räume nicht innerhalb der ihr gestellten Frist an einen Wohnung­ suchenden vergibt, der bereits seit mindestens einem Jahre der Gesellschaft oder der Genossenschaft als Mitglied angehört 8 14.2) Deutsche, die aus dem Ausland oder aus einem besetzten -oder infolge des Friedensschlusses aus dem Reichsgebiet ausgeschiedenen oder einem einer anderen Verwaltung unterstehenden Landesteile vertrieben worden sind, sind von den Gemeinden bei der Unterbringung der Wohnungsuchenden vor­ zugsweise zu berücksichtigen Als vertrieben im Sinne des Abs 1 gelten nur 1. diejenigen, welche infolge Ausweisungsbefehls der fremden Macht das Gebiet verlassen mußten, 2 diejenigen, denen der Aufenthalt in den Gebieten durch sonstige Maß­ nahmen der Behörde oder andere gleichzwingende Grunde unmöglich gemacht worden ist, 3 diejenigen, welche bei Ausbruch oder während des Krieges in den Ge­ bieten gewohnt, sie alsdann verlassen haben und infolge von Maß­ nahmen der dortigen Behörden nicht zurückkehren konnten. Als ein gleichzwingender Grund im Sinne des Abs 2 Nr 2 ist der allgemeine Verfall des Wirtschaftslebens in diesen Gebieten nicht anzusehen. Die Eigenschaft als Vertriebener ist durch eine amtliche Bescheinigung festzustellen. Die obersten Landesbehörden bestimmen die Stellen, welche zur Ausstellung der Bescheinigung berechtigt sind Bon der Beibringung der amt­ lichen Bescheinigung sind befreit alle Deutschen, die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes im Besitze von amtlichen Flüchtlingspapieren waren. Der Anspruch nach Abs 1 erlischt, sobald der Vertriebene eine Wohnung bezogen hat, sofern es sich nicht lediglich um eine Notwohnung handelt. Familien mit drei oder mehr in der häuslichen Gemeinschaft lebenden Kindern sind ebenfalls als „vorzugsweise zu berücksichtigende" anzusehen. 8 15. Auf Räume, die zur Unterbringung von Angehörigen eines Be­ triebs von dem Inhaber des Betriebs errichtet oder vor dem 1. Juli 1918 zu Eigentum erworben oder gemietet sind, finden die Vorschriften der §§ 3 bis 5 nur dann Anwendung, wenn solche Räume länger als vier Wochen nicht benutzt sind und keine sichere Aussicht auf die Benutzung innerhalb der nächsten vier Wochen besteht. Soweit es sich um die Unterbringung von Personen handelt, die vor dem 1. Januar 1914 ihren Wohnsitz in Deutschland nicht hatten oder zu den im § 14 genannten Personen nicht gehören, bedarf der Inhaber des Betriebes, der Zustimmung der Gemeindebehörde, es sei denn, daß es sich um die Belegung von Räumen handelt, die für die besonderen Zwecke der Unterbringung von Wanderarbeitern oder ähnlichen Personen errichtet sind. 1) Abs. 3 eingefügt durch VO. v. 24. Dez. 1923 (RGBl I S. 1247). 2) Die frühere, nach Maßgabe des § 18 weiterhin geltende Fassung dieser Vorschrift (§ 9 c der Wohnungsmangelverordnung v. 23. Sept. 1918, RGBl. S. 1143, i. d. F. des Ges. v. 11. Mai 1920, RGBl. S. 949) lautet: „Teutsche, die unter den Einwirkungen des Krieges aus dem Auslande oder aus einem vom Feinde besetzten oder infolge des Friedensschlusses aus dem Reichsgebiet ausscheidenden oder einer anderen Verwaltung unterstehenden Landesteile geflüchtet oder vertrieben worden sind, sowie Deutsche, die zur Erfüllung einer Wehrpflicht aus dem Ausland nach Deutschland zurückgekehrt sind und denen jetzt von der ausländischen Regierung die Rückkehr nach ihrem Wohnort verboten oder erschwert wird, sind von den Gemeinden bei der Unter­ bringung der Wohnungsuchenden vorzugsweise zu berücksichtigen."

151. Verordnung über Zucker vom 9. Oktober 1923.

677

8 16. Gegen eine auf Grund dieser Verordnung im Einzelfalle ge­ troffene Verfügung steht dem unmittelbar Betroffenen die Beschwerde zu. Das Nähere regelt die oberste Landesbehörde. 8 17. Mit Geldstrafe von mindestens 20000 Mark und mit Gefängnis oder mit einer dieser Strafen wird bestraft: 1. wer einem gemäß § 3 erlassenen Verbote zuwiderhandelt, 2. wer einer gemäß § 3 erlassenen Anordnung zuwider vorsätzlich eine Anzeige oder Auskunft nicht oder nicht rechtzeitig erstattet oder wissent­ lich unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder eine Besichtigung nicht gestattet, 3. wer einer Anordnung zuwiderhandelt, die auf Grund des § 6 erlassen worden ist. 8 18. In Gesetzen, Verordnungen oder Anordnungen, in denen auf Vorschriften der Bekanntmachung über Maßnahmen gegen Wohnungsmangel verwiesen ist, treten die entsprechenden Vorschriften dieses Gesetzes an ihre Stelle Soweit jedoch im § 35 des Gesetzes über Mieterschutz und Met­ einigungsämter vom 1. Juni 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 353) sowie in den §§ 8 und 15 dieses Gesetzes auf § 14 Bezug genommen ist, bleibt die bis­ herige Fassung maßgebend.*) Dieses gilt auch weiterhin für Personen, die zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes auf Grund der bisherigen Fassung des § 14 bei einer Gemeindebehörde als Wohnungsuchende zur vorzugsweisen Berücksichtigung eingetragen waren

13. Verordnung über Zucker.

151.

Vom 9. Oktober 1923 (RGBl I S. 936.)

Auf Grund der Verordnung über Kriegsmaßnahmen zur Sicherung der

*?6 "Xe.

Bolksernährung vom utlb der §§ 15, 16 der Verordnung, über Handelsbeschränkungen vom 13. Juli 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 706) wird nach Zustimmung des Reichsrats zu §§ 7, 8, 12, verordnet:

I. Rücklage. 8 1

Von den rübenverarbeitenden Zuckerfabriken sind 2500000 Doppel­ zentner Verbrauchszuckerwert der Erzeugung aus der Zuckerrübenernte 1923 im Herstellungsbetrieb oder in einem dem Herstellungsbetriebe bewilligten Steuerlager unversteuert als Rücklage zu halten Die Rücklage ist auf die Fabriken nach Verhältnis ihrer Erzeugung zu verteilen. Bis zur endgültigen Festsetzung des auf die einzelne Fabrik entfallenden Anteils ist die Rücklage der einzelnen Fabrik vorläufig auf 25 vom Hundert ihrer Erzeugung fest­ zusetzen. Die Rücklage kann als Rohzucker oder als Berbrauchszucker gehalten wer­ den; Rohzucker wird im Verhältnis von 10 zu 9 auf Berbrauchszucker um­ gerechnet. Soweit Rohzucker zur Verarbeitung auf Berbrauchszucker in einen anderen unter Steueraufsicht stehenden Herstellungsbetrieb gebracht wird, kann die Rücklage auch in diesem Betrieb oder in einem diesem Betriebe bewilligten Steuerlager gehalten werden. Tie Festsetzung der von den einzelnen Fabriken zu haltenden Rücklagen erfolgt durch die Zollbehörden. 8 2. Die Fabriken haben den Zollbehörden zum 1. Mai 1924 die als Rücklage zu haltenden Mengen und auf Erfordern auch nach diesem Zeitpunkt die dem jeweiligen Stande der Rücklage entsprechenden Mengen nachzuweisen. 8 3. Die Rücklage darf nur mit Genehmigung des Reichs Ministers für Ernährung und Landwirtschaft in den freien Verkehr nbergeführt werden. *) Vgl. die Note zu § 14.

678

Erster Teil.

Strafgesetze.

Tie Genehmigung ist spätestens zum 1. Juli, 1. August und 1. September 1924 für je ein Drittel der Rücklage zu erteilen Verträge über Lieferung von Zucker aus der Rücklage dürfen vor dem Zeitpunkt, zu dem der Zucker in den freien Verkehr übergeführt werden darf, nicht abgeschlossen werden. Verträge, die vor Inkrafttreten dieser Verordnung abgeschlossen sind, sind insoweit nichtig, als sie sich auf die Rücklage erstrecken. Die Vorschrift im Abs. 2 gilt nicht für Verträge über Lieferung von Roh­ zucker an eine andere Zuckerfabrik.

8 4. Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft kann auf Antrag eine rübenverarbeitende Zuckerfabrik aus der Verpflichtung nach J 1 entlassen, sofern eine andere Zuckerfabrik an ihrer Stelle die aus dieser Ver­ ordnung sich ergebenden Verpflichtungen übernimmt.

8 5. Soweit eine Zuckerfabrik zum 1 Mai 1924 oder einem späteren Zeitpunkt die dem jeweiligen Stande der Rücklage entsprechenden Mengen nicht gemäß § 1 unversteuert im Herstellungsbetrieb oder in einem Steuerlager nach­ weisen kann, hat sie für jeden fehlenden Zentner Verbrauchszuckerwert eine Buße in Höhe des dreifachen Wertes des Zuckers an das Reich zu zahlen, es sei denn, daß sie kein Verschulden trifft Maßgebend für die Bemessung des Wertes ist der Preis, der an dem Tage, bis zu dem die fehlende Menge als Rücklage zu halten war, in Magdeburg für Melis gezahlt wird; kann für diesen Tag ein Preis in Magdeburg nicht festgestellt werden, so ist der Preis der nächsten Abschlüsse zugrunde zu legen Erhöht sich der Preis des Zuckers vor Zahlung der Buße, so erhöht sich die Buße in dem Verhältnis, in dem sich der Magdeburger Durchschnittspreis für Melis in der der Zahlung vorher­ gehenden Woche gegenüber dem nach Satz 2 maßgebenden Preise erhöht. Streitigkeiten über die Verpflichtung zur Zahlung der Buße ent­ scheidet das Reichswirtschaftsgericht in der im § 10 Abs. 2 Satz 1 der Verord­ nung über das Reichswirtschaftsgericht vom 21. Mai 1920 (Reichsgesetzbl S 1167) in der Fassung des § 65 Nr. 6 der Entschädigungsverordnung vom 30. Juli 1921 (Reichsgesetzbl. S. 1046) vorgesehenen Besetzung. Die Beitreibung der Buße erfolgt nach den Vorschriften der Reichs­ abgabenordnung. 8 v. Die näheren Bestimmungen zur Durchführung der Vorschriften in den M 1 bis 5 treffen der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft und der Reichsminister der Finanzen. II. Erlaubnis für den Zuckerhandel. 88 7, 8 (Aufgehoben).i) HI. Gewerbliche Verarbeitung von Zucker. 8 9. Wer Zucker zur gewerblichen Herstellung von 1. 2. 3 4.

Marmelade und Obstkonserven, künstlichem Honig (Kunsthonig), Schokolade und Süßigkeiten, Branntwein und branntweinhaltigen Getränken aller Art, insbesondere Likör, sowie Schaumwein und schaumweinähnlichen Getränken. beziehen und verwenden will, bedarf der Erlaubnis des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft oder der von ihm bestimmten Stelle. Betriebe, denen eine Erlaubnis nach Abs. 1 erteilt ist, dürfen Zucker für die im Abs 1 bezeichneten Zwecke nur in dem Umfang und unter den Bedin­ gungen beziehen und verwenden, die vom Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft oder der von ihm bestimmten Stelle festgesetzt sind. Als Schokolade und Süßigkeiten im Sinne des Abs. 1 gelten, vorbehaltlich anderweiter Bestimmung nach Abs 4 die im § 1 Abs. 2 der Verordnung über Lebensmittel vom 8. September 1922 (Reichsgesetzbl. I S. 725) genannten Er­ zeugnisse.

S.

!) Die Aufhebung erfolgte durch Verordnung vom 26. Juni 1924 (RGBl. 1 661) Artikel II.

152. Verordnung z. Sicherstellung d. Warenumlaufs v. 22. Ott. 1923.

679

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erläßt die näheren Bestimmungen zur Durchführung der Vorschriften im Ws. 1, 2 Er kann die Vorschriften im Abs. 1, 2 auf andere zuckerhaltige Erzeugnisse ausdehnen. 8 10» Zucker, der im Wirtschaftsjahre 1922/23 mit Genehmigung des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft durch die zuständige Ber­ teilungsstelle geliefert oder zugewiesen ist, darf bis auf weiteres ohne die nach § 9 erforderliche Erlaubnis bezogen und verwendet werden.

IV» Straf- und Schlutzbeftimmurrgen. 8 11. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer vorsätzlich 1 die auf Grund dieser Verordnung erforderten Angaben über den Um­ sang und das Ergebnis der Rübenverarbeitung ganz oder teilweise ver­ weigert oder nicht in der gesetzlichen Frist erteilt oder unrichtige oder unvollständige Angaben macht; 2 der Vorschrift imj H 3 Abs. 2 Satz 1 zuwiderhandelt. Wird eine der im Abs 1 bezeichneten Handlungen fahrlässig begangen, so tritt Geldstrafe ein 8 12 (Ausgehoben) *) 8 13» Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer vorsätzlich oder fahrlässig oHne eine nach § 9 erforderliche Erlaubnis Zucker bezieht oder verwendet oder der Vor­ schrift im. 8 9 Ms. 2 zuwiderhandelt. Neben der Strafe kann auf Einziehung des verbotswidrig bezogenen Zuckers oder der daraus hergestellten Erzeugnisse erkannt werden, oHne Unter­ schied, ob die Gegenstände dem Täter gehören oder nicht. 8 14. Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft kann Aus­ nahmen von den Vorschriften dieser Verordnung zulassen.

152.

14. Verordnung zur Sicherstellung des Warenumlaufs. Bom 22. Oktober 1923.

(RGBl. I S. 992.) Auf Grund des Ermächtigungsgesetzes vom 13. Oktober 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 943) verordnet die Reichsregierung: 8 1 Wer Gegenstände des täglichen Bedarfs im Kleinhandel feilhält, ist verpflichtet, seine für die Abgabe dieser Waren bestimmten Geschäftsräume während der für Geschäfte dieser Art üblichen Verkaufszeit zur Abgabe von Ware geöffnet zu halten. 8 2. Verkäufer von Gegenständen des täglichen Bedarfs im Kleinhandel sind verpflichtet, ihre Waren gegen Entrichtung des Preises in Reichsmark ab­ zugeben. 8 3. Wer den Vorschriften der §§ 1 und 2 zuwiderhandelt, wird mit Ge­ fängnis und Geldstrafe bestraft. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus und Geldstrafe. 8 4. Bon der zuständigen Behörde kann bei Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften der §§ 1 und 2 der Handel mit Gegenständen des täglichen Be­ darfs untersagt werden. 8 5. Wer den Vorschriften der §§ 1 und 2 fahrlässig zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. 8 6. Wer es unternimmt, Geschäfte, Verkaufsstände oder sonstige WarenVertriebsstellen zu plündern, gewaltsam Waren wegzunehmen oder durch An­ drohung von Gewalt die Abgabe von Waren zu erzwingen, wird, sofern nicht

*) Siehe Anm. auf S. 678.

680

Erster Teil.

Strafgesetze.

nach anderen Vorschriften eine härtere Strafe verwirkt ist, mit Gefängnis nicht unter einem Jahre bestraft. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus. Mir gleicher Strafe wird bestraft, wer zu Handlungen der im Abs. 1 genannten Art aufreizt. 8 7. Die zuständigen Behörden sind verpflichtet, für ausreichenden Schutz, der Geschäfte, Berkaufsstände und sonstigen Bertriebsstellen für Gegenstände des täglichen Bedarfs Sorge zu tragen. 8 8. Die obersten Landesbehörden sind befugt, Ausführungsbestimmun­ gen zu dieser Verordnung zu erlassen. Bestimmungen der obersten Landesbehörde auf Grund weitergehender Er­ mächtigungen bleiben unberührt. 8 9* Die Verordnung tritt mit der Verkündung in Kraft. Als Ver­ kündung gilt die Verbreitung durch das Wolff'sche Telegraphenbüro in Ber­ lin und die Veröffentlichung in der Presse.

153. 15. Verordnung gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen. Vom 2. November 1923.

(RGBl. I S. 1067/1090). Auf Grund des Ermächtigungsgesetzes vom 13. Oktober 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 943) verordnet die Reichsregierung: 8 !♦ Verträge und Beschlüsse, welche Verpflichtungen über die.Hand­ habung der Erzeugung oder des Absatzes, die Anwendung von Geschäfts­ bedingungen, die Art der Preisfestsetzung oder die Forderung von Preisen enthalten (Syndikate, Kartelle, Konventionen und ähnliche Abmachungen) bedürfen der schriftlichen Form. 8 2. Verträge und Beschlüsse der int § 1 bezeichneten Art, zu deren Be­ kräftigung das Ehrenwort oder eine ähnliche feierliche Versicherung verlangt und gegeben worden ist, sind nichtig. 8 3. Verträge und Beschlüsse der intx § 1 bezeichneten Art sind nichtig, wenn sie die Anrufung des Kartellgerichts (§ 11) ausschließen, erheblich er­ schweren oder die Wirksamkeit dieser Verordnung in anderer Weise vereiteln oder beeinträchtigen sollen. 8 4. Gefährdet ein Vertrag oder Beschluß der im § 1 bezeichneten Art oder eine bestimmte Art seiner Durchführung die Gesamtwirtschaft oder das Gemeinwohl, so kann der Reichswirtschaftsminister 1. beim Kartellgerichte beantragen, daß der Vertrag oder Beschluß für nichtig erklärt oder die bestimmte Art seiner Durchführung untersagt wird (§ 7); 2. anordnen, daß jeder an dem Vertrage oder Beschlusse Beteiligte jeder­ zeit fristlos den Vertrag kündigen oder von dem Beschlusse zurücktreten kann; 3. anordnen, daß ihm Abschrift aller zur Durchführung des Vertrages oder Beschlusses getroffenen Vereinbarungen und Verfügungen einzu­ reichen ist und daß diese Maßnahmen erst nach Zugang der Abschrift in Kraft treten. Tie Gesamtwirtschaft oder das Gemeinwohl ist insbesondere dann als gefährdet anzusehen, wenn in volkswirtschaftlich nicht gerechtfertigter Weise die Erzeugung oder der Absatz eingeschränkt, die Preise gesteigert oder hoch­ gehalten oder im Falle wertbeständiger Preisstellung Zuschläge für Wagnisse (Risiken) eingerechnet werden oder wenn die wirtschaftliche Freiheit durch Sperren im Einkauf oder Verkauf oder durch Festsetzung unterschiedlicher Preise oder Bedingungen unbillig beeinträchtigt wird.

153. Kartellverordnung vom 2. November 1923.

§§ 1—9.

681

8 5 Ist eine Nichtigkeitserklärung gemäß § 4 Abs. 1 Ziffer 1 und § 7 oder eine Anordnung gemäß § 4 Ziffer 2 oder 3 ergangen, so kann der Reichswirtschaftsminister anordnen, daß die Einreichungspflicht gemäß § 4 Ziffer 3 auch für künftige Verträge und Beschlüsse der im § 1 bezeichneten Art gilt, bei denen 1. die gleichen Personen sämtlich oder in größerer Anzahl beteiligt sind, oder 2. Personen in leitender oder beratender Stellung Verwendung finden oder finden sollen, die sich bereits bei den gemäß § 4 beanstandeten Verträgen oder Beschlüssen in einer dieser Eigenschaften betätigt haben, oder 3. es sich um die gleiche Art von Waren oder Leistungen handelt. 8 6. Der Reichswirtschaftsminister kann eine Maßnahme, die er nach § 4 Abs. 1 Ziffer 2 oder 3 oder § 5 angeordnet hat, aufheben, wenn die Voraussetzungen nachträglich weggefallen sind. Tie Anordnung wirkt vom Zeitpunkt ihrer Zustellung ab. 8 7. Im Falle des § 4 Abs. 1 Ziffer 1 hat das Kartellgericht, wenn es die Gefährdung der Gesamtwirtschaft oder des Gemeinwohls für gegeben er­ achtet, den Vertrag oder Beschluß ganz oder zum Teil für nichtig zu erklären oder die bestimmte Art seiner Durchführung zu untersagen. Erachtet es die im § 4 Abs. 1 Ziffer 2 vorgesehene Anordnung als ausreichend, so kann es an Stelle der Nichtigkeitserklärung oder der Untersagung diese Anordnung treffen. Erllärt das Kartellgericht einen Teil des Vertrags oder Beschlusses für nichtig, so hat es darüber zu entscheiden, ob und inwieweit die Nichtigkeit dieses Teiles die Nichtigkeit anderer Teile des Vertrags oder Beschlusses nach sich zieht. Tas Kartellgericht kann eine Anordnung nach Abs. 1 Satz 2 aufheben, wenn die Voraussetzungen nachträglich weggefallen sind. 8 8. Verträge oder Beschlüsse der im § 1 bezeichneten Art kann jeder Beteiligte fristlos kündigen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Als wichtiger Grund ist es immer anzusehen, wenn die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Kündigenden, insbesondere bei der Erzeugung, dem Absatz oder der Preisgestaltung, unbillig eingeschränkt wird. Darüber, ob die Kündigung zulässig war, entscheidet im Streitfall das Kartellgericht auf Antrag eines Beteiligten. Ter Antrag ist binnen zwei Wochen nach Zugang der Kündigung zu stellen. Wird der Antrag nicht inner­ halb dieser Frist gestellt, so gilt die Kündigung als wirksam erfolgt. 8 9* Auf Grund von Verträgen oder Beschlüssen der int § 1 bezeichneten Art dürfen ohne Einwilligung des Vorsitzenden des Kartellgerichts Sicher­ heiten nicht verwertet und Sperren oder Nachteile von ähnlicher Bedeutung nicht verhängt werden. Tie Einwilligung ist zu versagen, wenn die Maßnahme eine Gefährdung der Gesamtwirtschaft oder des Gemeinwohls enthalten oder die wirtschaft­ liche Bewegungsfreiheit des Betroffenen unbillig einschränken würde. Tie Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Vorsitzende binnen drei Wochen seit Eingang des Ersuchens um Einwilligung eine Entscheidung nicht getroffen hat. Bei Verträgen oder Beschlüssen, die nur für einzelne Länder oder Teile von Ländern von Bedeutung sind, kann der Reichswirtschaftsminister int Ein­ vernehmen mit der Regierung des beteiligten Landes bestimmen, daß für die Einwilligung an Stelle des Vorsitzenden des Kartellgerichts eine andere Stelle zuständig ist. Gegen die Entscheidung des Vorsitzenden des Kartellgerichts oder der auf Grund des Abs. 4 bestimmten Stelle können die Beteiligten innerhalb einer Woche nach Zustellung die Entscheidung des Kartellgerichts anrufen. Im Falle des § 4 Abs. 1 Ziffer 2 sind Sicherheiten unverzüglich nach der Kündigung, im Falle des § 8 unverzüglich nach dem Ablauf der Frist des A 8 -Abs. 3 oder nach Zustellung der die Kündigung für zulässig erklärenden Entscheidung des Kartellgerichts zurückzugewähren.

682

Erster Teil.

Strafgesetze.

Vereinbarungen, die an die Nichtbeteitigung an dem Vertrag oder Be­ schluß oder an die Kündigung Nachteile knüpfen, sind in den Fällen des § 4 Abs. 1 Ziffer 2 und des § 8 dem Kündigenden gegenüber unwirksam.

g 10* Sind Geschäftsbedingungen oder Arten der Preisfestsetzung von Unternehmungen oder von Zusammenschlüssen solcher (Trusts, Interessen­ gemeinschaften, Syndikaten, Kartellen, Konventionen und ähnlichen Verbin­ dungen) geeignet, unter Ausnützung einer wirtschaftlichen Machtstellung die Gesamtwirtschast oder das Gemeinwohl zu gefährden (§ 4 Abs 2), so kann das Kartellgericht auf Antrag des Reichswirtschaftsministers allgemein aussprechen, daß die benachteiligten Vertragsteile von allen Verträgen, die unter den beanstandeten Voraussetzungen abgeschlossen sind, zurücktreten können. Ist an­ zunehmen, daß der Vertrag auch ohne die beanstandete Voraussetzung abge­ schlossen worden wäre, so berechtigt die Entscheidung des Kartellgerichts nur zum Rücktritt von der beanstandeten Geschäftsbedingung oder von der auf Grund der beanstandeten Art der Preisfestsetzung getroffenen Preisverein­ barung. Bei Verträgen, die die Verpflichtung zu mehreren selbständigen Teil­ leistungen enthalten (Sukzessivlieferungsverträgen), ist der Rücktritt insoweit ausgeschlossen, als die Teilleistungen von beiden Vertragsteilen vollständig erfüllt sind. Die Entscheidung des Kartellgerichts ist nach seiner näheren Anordnung öffentlich bekanntzumachen Das Rücktrittsrecht erlischt, wenn nicht der Rücktritt binnen zwei Wochen seit Bekanntmachung der Entscheidung erklärt wird. Verträge, die nach Bekanntmachung der Entscheidung unter den beanstan­ deten Voraussetzungen abgeschlossen werden, sind insoweit nichtig. § 139 des Bürgerlichen Gesetzbuchs findet entsprechende Anwendung. Streitigkeiten darüber, ob und inwieweit der Rücktritt nach Abs. 1 und 2 zulässig war oder ob Verträge ganz oder zum Teil gemäß Abs 5 nichtig sind, entscheiden die ordentlichen Gerichte. Auf Antrag des Reichswirtschaftsministers oder von Amts wegen kann das Kartellgericht eine Entscheidung nach Abs 1 aufheben oder abändern, wenn die Voraussetzungen nachträglich weggefallen sind. Die Entscheidung ist öffent­ lich bekanntzumachen und wirkt vom Zeitpunkt der Bekanntmachung ab. g 11. Das Kartellgericht wird beim Reichswirtschaftsgerichte gebildet Es entscheidet in der Besetzung von einem Vorsitzenden und vier Beisitzern. Den Vorsitzenden und seine Stellvertreter bestellt der Reichspräsident Sie müssen die Fähigkeit zum Richteramte haben Tie Beisitzer bestimmt der Präsident des Reichswirtschaftsgerichts. Ein Beisitzer ist ein Reichstvirtschaftsgerichtsrat; auf seine Ernennung durch den Reichspräsidenten findet die Vorschrift des § 5 der Verordnung über das Reichswirtschaftsgericht vom 21 Mai 1920 in der Fassung des § 65 der Ent­ schädigungsordnung vom 30 Juli 1921 (Reichsgesetzbl. S. 1046) keine An­ wendung. Zwei Beisitzer sind unter Berücksichtigung der widerstreitenden wirtschaftlichen Belange einzuberufen Als weiterer Beisitzer ist eine sach­ kundige Persönlichkeit einzuberufen, von der erwartet werden darf, daß sie die Belange des Gemeinwohls unabhängig von den 'widerstreitenden wirt­ schaftlichen Belangen vertreten werde Die Beisitzer nach Satz 3 und 4 sind Listen zu entnehmen, die der Reichswirtschaftsminister aufstellt. g 12. Die Zuständigkeit des Kartellgerichts ist ausschließlich. Tie Entscheidung des Kartellgerichts ist endgültig und für Gerichte und Schiedsgerichte bindend, auch soweit sie tue Frage der Zuständigkeit des Kartellgerichts betrifft. Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder zum Teil von einer Feststellung ab, für welche das Kartellgericht zuständig ist, so hat das Gericht die Verhandlung bis zur Entscheidung des Kartellgerichts äuszusetzen. Die an einem solchen Rechtsstreit Beteiligten haben das Recht des selbständigen Antrags an das Kartellgericht, wenn es der Reichswirtschaftsminister ab-

153. Kartellverordnung vom 2. November 1923.

§§ 10—21.

683

gelehnt hat, einen solchen Antrag zu stellen oder binnen zwei Wochen nach Eingang eines entsprechenden Gesuchs den Antrag nicht gestellt hat.

8 13» Der Vorsitzende des Kartellgerichts kann in geeigneten Fällen ohne Hinzuziehung von Beisitzern entscheiden. Gegen die Entscheidung des Vorsitzenden kann binnen drei Tagen nach Zustellung die Entscheidung des Kartellgerichts angerufen werden. 8 14. Der Reichswirtschaftsminister kann in ihm geeignet erscheinenden Fällen zunächst ein Verfahren vor bestimmten, bei den wirtschaftlichen Ver­ bänden bestehenden Einigungsstellen einleiten. 8 15. Auf Ersuchen einer Landesregierung hat der Reichswirtschafts­ minister zu prüfen, ob und loelche der ihm nach dieser Verordnung zustehenden Maßnahmen er zu ergreifen hat. Wird um eine Maßnahme auf Grund des § 4 Abs 1 Ziffer 1 oder des § 10 ersucht, so hat der Reichswirtschafts»minister, wenn er dem Ersuchen nicht binnen zwei Wochen stattgibt, auf Ver­ langen der Landesregierung das Ersuchen dem Kartellgerichte zur Ent­ scheidung vorzulegen 8 16. Die in den §§ 4 bis 6, 9 Abs. 4, 10, 12 Abs. 3, §§ 14, 15, 17 und 20 bezeichneten Aufgaben liegen dem Reichsminister für Ernährung und Land­ wirtschaft innerhalb seiner Zuständigkeit ob 8 17. Wer sich über die auf dieser Verordnung beruhende Nichtigkeit eines Vertrags oder Beschlusses (§§ 1 bis 3, 7, 9 Abs 7 § 10 Abs. 5, § 21) oder über die Bestimmungen des § 4 Abs 1 Ziffer 3 oder der §§ 5, 9 Abs 1 oder 6 bewußt hinwegsetzt, kann auf Antrag des Reichswirtschafts­ ministers vom Kartellgerichte mit einer Ordnungsstrafe bestraft tverden Die Ordnungsstrafe besteht in Geldstrafe, deren Höchstmaß unbeschränkt ist 8 18. Wer es unternimmt, einen anderen in seinem geschäftlichen oder wirtschaftlichen Fortkommen zu schädigen, weil dieser von seinem Rechte nach 8 4 Abs 1 Ziffer 2, §§ 8, 10 Abs. 1 und 2 oder § 12 Abs. 3 Satz 2 Gebrauch gemacht oder eine Anordnung oder die Einleitung eines Verfahrens nach 88 4, 5, 7 bis 10, 15, 16 angeregt hat, oder in der Absicht, ihn von der Ausübung dieser Befugnisse abzuhalten, wird mit Gefängnis und mit Geldstrafe bestraft 8 19. Die Bestimmungen dieser Verordnung gelten nicht für Verbände, deren Bildung in Gesetzen oder Verordnungen angeordnet ist, auch nicht für Geschäftsbedingungen und Arten der Preisfestsetzung (8 10), die von einer obersten Reichs- oder Landesbehörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit an­ geordnet oder genehmigt sind oder deren Beanstandung unterliegen. 8 20. Tas Kartellgericht oder sein Vorsitzender haben sich über bestimmte, ihnen vom Reichswirtschaftsminister vorgelegte Fragen aus dem Anwendungs­ gebiete dieser Verordnung gutachtlich zu äußern und auf Ersuchen des Reichswirtschastsministers Spitzenverbände vorher zu hören. 8 21. Entbehrt ein Vertrag oder Beschluß der im 8 1 bezeichneten Art, der vor Inkrafttreten der Verordnung zustande gekommen ist, der schrift­ lichen Form, so wird er nichtig, wenn und insoweit er nicht binnen drei Wochen nach Inkrafttreten der Verordnung schriftlich bestätigt wird. Erfolgt die Bestätigung seitens eines Beteiligten nicht binnen zwei Wochen nach In­ krafttreten der Verordnung, so kann der Vorsitzende des Karteltgerichts sie auf Antrag eines anderen Beteiligten ersetzen Der Antrag ist binnen einer Woche nach Ablauf der im Satze 2 bestimmten Frist zu stellen. Die Bestätigung durch den Vorsitzenden des Karteltgerichts gilt hinsichtlich der Wahrung der im Satze 1 bestimmten Frist als im Zeitpunkt des an ihn gestellten Antrags erfolgt. Verträge und Beschlüsse der im § 1 bezeichneten Art, zu deren Be­ kräftigung das Ehrenwort oder eine ähnliche feierliche Versicherung vor Inkrafttreten der Verordnung verlangt und gegeben worden ist, werden nichtig, wenn und insoweit sie nicht binnen zwei Wochen nach Inkrafttreten der Verordnung ohne eine solche Bekräftigung von den Beteiligten bestätigt werden

684

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 22. Die Bestimmungen über das Verfahren vor dem Kartellgerichte sowie die sonstigen Ausführungsvorschriften erläßt der Reichswirtschasts-' minister. 8 23. Diese Verordnung tritt am 20. November 1923 in Kraft.

154.16. Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken. Vom 11. Dezember 1919. (RGBl. S. 1961.) Auf Grund des Gesetzes über eine vereinfachte Form der Gesetzgebung für die Zwecke der Übergangswirtschaft vom 17. April 1919 (Reichs-Gesetzbl. S. 394) wird unter Zustimmung des Reichsrats und der Kommission der Nationalversammlung folgendes angeordnet: 8 1. Die Ausfuhr eines Kunstwerkes bedarf der Genehmigung, sobald es in das Verzeichnis der Werke eingetragen ist, deren Berbringung in das Ausland einen wesentlichen Verlust für den nationalen Kunstbesitz bedeuten würde 8 2. Das Verzeichnis wird vom Reichsminister des Innern geführt und die Eintragung den Beteiligten bekanntgegeben. Die Eintragung muß erfolgen, wenn eine Landeszentralbehörde sie verlangt. 8 3. Über die Genehmigung zur Ausfuhr entscheidet der Reichs­ kommissar für Aus- und Einfuhrbewilligung. Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn ein vom Reichsminister des Innern zu ernennender Ausschuß ihr zustimmt. Der Ausschuß besteht aus drei Mitgliedern, von denen eins auf Vorschlag des Reichsbankdirek­ toriums, ein weiteres aus den Kreisen der Kunstsachverständigen auf Vorschlag der Landeszentralbehörde, in deren Gebiet sich das Kunstwerk bei Inkrafttreten dieser Verordnung befindet, ernannt wird. Der Ausschuß darf seine Zustimmung nur erteilen, wenn der materielle Gewinn des Reichs den Verlust des Kunstwerkes rechtfertigt. 8 4 Die Genehmigung kann an Bedingungen geknüpft werden Auf Antrag der Reichsbank ist sie an die Bedingung zu knüpfen, daß der Kauf­ preis in ausländischer Valuta berichtigt und der Reichsbank das durch den Verkauf entstandene ausländische Guthaben zwecks Verwertung zur Verfügung gestellt wird. 8 5. Der Reichsminister des Innern ist ermächtigt, zur Ausstellung des Verzeichnisses und zur sonstigen Durchführung dieser Verordnung Be­ stimmungen über die Besichtigung von Kunstwerken sowie über Besitz- und Ortsveränderungen eingetragener Werke zu erlassen. 8 6. Wer es unternimmt, ein eingetragenes Kunstwerk ohne Genehmi­ gung auszuführen oder den auf Grund des § 4 gestellten Bedingungen ent­ gegenzuhandeln, wird mit Gefängnis und mit Geldstrafe bis zur dreifachen Höhe des Wertes des Kunstwerkes, auf das sich die strafbare Handlung be­ zieht, oder mit einer dieser Strafen bestraft. Neben der Strafe kann auf Einziehung des Kunstwerkes erkannt werden, ohne Unterschied, ob es dem Täter gehört oder nicht. Ist die Verfolgung oder die Verurteilung einer be­ stimmten Person nicht ausführbar, so kann auf die Anziehung selbständig erkannt werden. Zuwiderhandlungen gegen die auf Grund des § 5 erlassenen Bestim­ mungen werden mit Geldstrafe bis zu fünfzigtausend Mark oder mit Haft bestraft. 8 7. Die Verordnung tritt mit dem Tage ihrer Verkündigung in Kraft und gilt bis zum Inkrafttreten eines Reichsgesetzes auf Grund des Artikels 150 Abs. 2 der Reichsverfassung, längstens bis zum 31. Dezember 1925.

155. Personenstandsgesetz vom 6. Februar 1875.

685

§§ 1—22.

€. Gesetze ;um Schuhe von Gütem der Einzelne«.

I. Gesetze zum Schutze des Personenstandes und der persönlichen Freiheit. 155. 1. Gesetz über die Beurkundung des Personen­ standes und die Eheschließung. Vom 6. Februar 1875. (RGBl. S. 23.)

Erster Abschnitt.

8& 1-16.

----------Zweiter



Abschnitt.

Beurkundung der Gebürten. 8 17.

Jede Geburt eines Kindes ist innerhalb einer Woche dem Standesbeamten des Bezirks, in welchem die Niederkunft stattgefunden hat, anzuzeigen. 8 18. Zur Anzeige sind verpflichtet: 1. der eheliche Vater; 2. die bei der Niederkunft zugegen gewesene Hebamme; 3. der dabei zugegen gewesene Arzt; 4. jede andere dabei zugegen gewesene Person; 5. die Mutter, sobald sie dazu imstande ist. Jedoch tritt die Verpflichtung der in der vorstehenden Reihenfolge später genannten Personen nur dann ein, wenn ein früher genannter Verpflichteter nicht vorhanden oder derselbe an der Erstattung der Anzeige verhindert ist. 8 19. Die Anzeige ist mündlich von dem Verpflichteten selbst oder durch eine andere aus eigener Wissenschaft unterrichtete Person zu machen. 8 20. Bei Geburten, welche sich in öffentlichen Entbindungs-, Heb­ ammen-, Kranken-, Gefangenen- und ähnlichen Anstalten, sowie in Kasernen ereignen, trifft die Verpflichtung zur Anzeige ausschließlich den Vorsteher der Anstalt oder den von der zuständigen Behörde ermächtigten Beamten. Es genügt eine schriftliche Anzeige in amtlicher Form.

8 21. - -- -- -- -- -8 22. Die Eintragung des Geburtsfalles soll enthalten:

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1. Vor- und Familiennamen, Stand oder Gewerbe und Wohnort des An­ zeigenden; 2. Ort, Tag und Stunde der Geburt; 3. Geschlecht des Kindes; 4. Vornamen des Kindes; 5.1) Vor- und Familiennamen, Stand oder Gewerbe und Wohnort der Eltern. Bei Zwillings- oder Mehrgeburten ist die Eintragung für jedes Kind besonders und so genau zu bewirken, daß die Zeitfolge der verschiedenen Geburten ersichtlich ist. Standen die Vornamen des Kindes zur Zeit der Anzeige noch nicht fest, so sind dieselben nachträglich und längstens binnen zwei Monaten nach der Geburt anzuzeigen. Ihre Eintragung erfolgt am Rande der ersten Eintragung.

x) In dieser Nummer wurde das Wort „Religion" durch Gesetz vom II. Juni 1920 (RGBl. S. 1209) gestrichen.

686

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 23. Wenn ein Kind totgeboren oder in der Geburt verstorben ist, so muß die Anzeige spätestens am nächstfolgenden Wochentage geschehen. Die Eintragung ist alsdann mit dem im § 22 unter Nr 1 bis 3 und 5 angegebenen Inhalte nur im Sterberegister zu machend) 8 24. Wer ein neugeborenes Kind findet, ist verpflichtet, hiervon spä­ testens am nächstfolgenden Tage Anzeige bei der Ortspolizeibehörde zu machen. Die letztere hat die erforderlichen Ermittelungen vorzunehmen und dem Standesbeamten des Bezirks von deren Ergebnis behufs Eintragung in das Geburtsregister Anzeige zu machen Die Eintragung soll enthalten die Zeit, den Ort und die Umstände des Auffindens, die Beschaffenheit und die Kennzeichen der bei dem Kinde Vor­ gefundenen Kleider und sonstigen Gegenstände, die körperlichen Merkmale des Kindes, sein vermutliches Mer, sein Geschlecht, die Behörde, Anstalt oder Person, bei welcher das Kind untergebracht worden, und die Namen, welche ihm beigelegt werden 88 25-55. -----------Fünfter

Abschnitt.

Beurkundung der Sterdefälle. 8 56. Jeder Sterbefall ist spätestens am nächstfolgenden Wochentage dem Standesbeamten des Bezirks, in welchem der Tod erfolgt ist, anzuzeigen. 8 57. Zu der Anzeige verpflichtet ist das Familienhaupt, und wenn ein solches nicht vorhanden oder an der Anzeige behindert ist, derjenige, in dessen Wohnung oder Behausung der Sterbefall sich ereignet hat 8 58. Die §§ 19 bis 21 kommen auch in Beziehung auf die Anzeige der Sterbefälle zur Anwendung. Findet eine amtliche Ermittelung über den Todesfall statt, so erfolgt die Eintragung auf Grund der schriftlichen Mitteilung der zuständigen Behörde. §§ 59, 60. ----------Sechster

Abschnitt

Beurkundung des Personenstandes der auf See befindlichen Personen.

8 61. Geburten und Sterbefälle, welche sich auf Seeschiffen während der Reise ereignen, sind nach den Vorschriften dieses Gesetzes spätestens am nächstfolgenden Tage nach der Geburt oder dem Todesfall von dem Schiffer, unter Zuziehung von zwei Schiffsoffizieren oder anderen glaubhaften Personen, in dem Tagebuch zu beurkunden. Bei Sterbefällen ist zugleich die mutmaßliche Ursache des Todes zu vermerken 8 62. Der Schiffer hat zwei von ihm beglaubtigte Abschriften der Urkunden demjenigen Seemannsamte, bei dem es zuerst geschehen kann, zu übergeben. Eine dieser Abschriften ist bei dem Seemannsamte aufzube­ wahren, die andere ist demjenigen Standesbeamten, in dessen Bezirk die Eltern des Kindes, beziehungsweise der Verstorbene ihren Wohnsitz haben oder zuletzt gehabt haben, behufs der Eintragung in das Register zuzufertigen. 8 63. Ist der Schiffer verstorben oder verhindert, so hat der Steuer­ mann die in den §§ 61 und 62 dem Schiffer auferlegten Verpflichtungen zu erfüllen. 8 64. Sobald das Schiff in den inländischen Hafen eingelaufen ist, in welchem es seine Fahrt beendet, ist das Tagebuch der für den Standesbeamten des Hafenorts zuständigen Aufsichtsbehörde vorzulegen. Diese hat beglaubigte Abschrift der in das Tagebuch eingetragenen Standesurkunde dem Standesbeamten, in dessen Register der Fall gehört (§ 62), behufs Kontrollierung der Eintragungen zuzustellen.

88 65,

66.

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i) Fassung gern Ges vom 14. April 1905 (RGBl. S. 251).

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156. Gesetz, bett, die Bestrafung des Sklavenraubs usw. v. 28. Juli 1895. Achter

687

Abschnitt.

Schlußbestimmnnqen.

8 67. Ein Geistlicher ober anderer Religionsdiener, loelcher zu den religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung schreitet, bevor ihm nachgewiesen worden ist, daß die Ehe vor dem Standesbeamten geschlossen sei, wird mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Geistliche oder der Religionsdiener im Falle einer lebensgefährlichen, einen Aufschub nicht gestattenden Erkrankung eines der Verlobten zu den religiösen Feierlichkeiten der Eheschließung schreitet*) 8 68. Wer den in den §§ 17 bis 20, 22 bis 24, 56 bis 58 vorgeschrie­ benen Anzeigepflichten nicht nachkommt, wird mit Geldstrafe bis zu einhundert­ fünfzig Mark oder mit Haft bestraft Die Strafverfolgung tritt nicht ein, wenn die Anzeige, obwohl nicht von den zunächst Verpflichteten, doch recht­ zeitig gemacht worden ist Die bezeichnete Strafe trifft auch den Schiffer oder Steuermann, welcher den Vorschriften der §§ 61 bis 64 zmoiderhandelt Tie Standesbeamten sind außerdem befugt, die zu Anzeigen oder zu sonstigen Handlungen auf Grund dieses Gesetzes Verpflichteten hierzu durch Geldstrafen anzuhalten, welche für jeden einzelnen Fall den Betrag von fünfzehn Mark nicht übersteigen dürfen 8 69.*2) Ein Standesbeamter, welcher unter Außerachtlassung der in diesem Gesetze und in dem Bürgerlichen Gesetzbuche gegebenen Vorschriften eine Eheschließung vollzieht, wird mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark bestraft. 8 70. Gebühren und Geldstrafen, welche in Gemäßheit dieses Gesetzes zur Erhebung gelangen, fließen, insoweit die Landesgesetze nicht ein Anderes bestimmen, den Gemeinden zu, welche die sächlichen Kosten der Standesämter (§§ 8, 9) zu tragen haben

88 71-85.

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156. 2. Gesetz, betr. die Bestrafung des Sklavenraubes und des Sklavenhandels. Vom 28 Juli 1895 (RGBl. S. 425.)

8 1

Die vorsätzliche Mitwirkung an einem auf Sklavenraub gerichteten Unternehmen wird mit Zuchthaus bestraft. Die Veranstalter und Anführer des Unternehmens trifft Zuchthaus nicht unter drei Jahren. Ist durch einen zum Zweck des Sklavenraubes unternommenen Streiszug der Tod einer der Personen, gegen-welche der Streifzug gerichtet war, verursacht worden, so ist gegen den Veranstalter und Anführer auf Todesstrafe, gegen die übrigen Teilnehmer auf Zuchthaus nicht unter drei Jahren zu erkennen. 8 2. Wer Sklavenhandel betreibt oder bei der diesem Handel dienenden Beförderung von Sklaven vorsätzlich mitwirkt, wird mit Zuchthaus bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein. 8 3. In den Fällen der §§ 1 und 2 dieses Gesetzes ist neben der Frei­ heitsstrafe auf eine Geldstrafe bis einhunderttausend Mark zu erkennen Neben

1) Abs. 2 ist durch Art. 46 Ziff. III des Einf.-Ges. z. BGB. hinzugefügt worden. 2) Fassung gem Art. 46 Ziff. IV des Einf.-Ges. z. BGB.

688

Erster Teil.

Strafgesetze.

der Freiheitsstrafe kann in diesen Fällen zugleich auf Zulässigkeit von Polizei­ aufsicht erkannt werden. Auch kann auf die Einziehung aller zur Begehung hes Verbrechens gebrauchten oder bestimmten Gegenstände erkannt werden, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht. Ist die Verfolgung einer bestimmten Person nicht ausführbar, so kann auf die Einziehung selb­ ständig erkannt werden. 8 4. Wer den vom Kaiser mit Zustimmung des Bundesrats zur Verhü­ tung des Sklavenraubes und des Sklavenhandels erlassenen Verordnungen zu­ widerhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu sechstausend Mark oder mit Gefängnis bestraft. 8 5. Die Bestimmung im' § 4 Ws. 2 Nr. 1 des Strafgesetzbuchs findet auch auf die in diesem Gesetze vorgesehenen strafbaren Handlungen Anwendung.

II. Gesetze, betr. Urheber-, Erfinder-, Zeichenrecht und unlauteren Wettbewerb. 157.1. Gesetz, betr. Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst. Vom 19

Juni 1901 in der Fassung des Gesetzes vom 22. Mai 1910.1) (RGBl 1901 G 227, 1910 S. 793.)

Erster Abschnitt.

Voraussetzungen des Schutzes. 8 1. Nach Maßgabe dieses Gesetzes werden geschützt: 1 die Urheber von Schriftwerken und solchen Vorträ-gen oder Reden, welche dem Zwecke der Erbauung, der Belehrung oder der Unterhaltung dienen; 2. die Urheber von Werken der Tonkunst; 3. die Urheber von solchen Abbildungen wissenschaftlicher oder technischer Art, welche nicht ihrem Hauptzwecke nach als Kunstwerke zu betrachten sind. Zu den Abbildungen gehören auch plastische Darstellungen Choreographische und pantomimische Werke werden auch dann wie Schriftstücke geschützt, wenn der Bühnenvorgang auf andere Weise als schriftlich festgelegt ist. 8 2. Urheber eines Werkes ist dessen Verfasser. Bei einer Übersetzung gilt der Übersetzer, bei einer sonstigen Bearbeitung der Bearbeiter als Urheber. Wird ein Werk der Literatur oder der Tonkunst durch einen persönlichen Vortrag auf Vorrichtungen für Instrumente übertragen, die der mechanischen Wiedergabe für das Gehör dienen, so steht die auf diese Weise hergestellbe Vorrichtung einer Bearbeitung des Werkes gleich. Das gleiche gilt, wenn die Übertragung durch Lochen, Stanzen, Anordnung von Stiften oder eine ähnliche Tätigkeit geschieht und die Tätigkeit als eine künstlerische Leistung anzusehen ist. Im Falle des Satzes 1 gilt der Vortragende, im Falle des Satzes 2 der­ jenige, welcher die Übertragung bewirkt, als Bearbeiter. 8 3. Juristische Personen des öffentlichen Rechtes, die als Herausgeber ein Werk veröffentlichen, dessen Verfasser nicht auf dem Titelblatt, in der Zu­ eignung, in der Vorrede oder am Schlüsse genannt wird, werden, wenn nicht ein anderes vereinbart ist, als Urheber des Werkes angesehen. T) Tas Gesetz vom 22 Mai 1910 erging zur Ausführung der revidierten Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst vom 13. November 1908.

167. Gesetz, betr. literar. Urheberrecht v. 19. Juni 1901.

§§ 1—12.

689

§ 4. Besteht ein Werk aus den getrennten Beiträgen mehrerer (Sammelt werk), so wird für das Werk als Ganzes der Herausgeber als Urheber axv» gesehen. Ist ein solcher nicht genannt, so gilt der Verleger als Herausgeber, 8 6. Wird ein Schriftwerk mit einem Werke der Tonkunst oder mit Ab­ bildungen verbunden, so gilt für jedes dieser Werke dessen Verfasser auch nach der Verbindung als Urheber. 8 6. Haben mehrere ein Werk gemeinsam in der Weise verfaßt, daß ihre Arbeiten sich nicht trennen lassen, so besteht unter ihnen als Urhebern eine Gemeinschaft nach Bruchteilen im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs. 8 7. Enthält ein erschienenes Werk auf dem Titelblatt, in der Zueignung, in der Vorrede oder am Schlüsse den Namen eines Verfassers, so wird vermutet, daß dieser der Urheber des Werkes sei. Ist das Werk durch Beiträge mehrerer gebildet, so genügt es, wenn der Name an der Spitze oder am Schlüsse des Beitrags angegeben ist. Bei Werken, die unter einem anderen als dem wahren Namen des Ver­ fassers erschienen sind, ist der Herausgeber, falls aber ein solcher nicht an­ gegeben ist, der Verleger berechtigt, die Rechte des Urhebers wahrzunehmen Bei Werken, die vor oder nach dem Erscheinen öffentlich aufgeführt oder vorgetragen sind, wird vermutet, daß derjenige der Urheber sei, welcher bei der Ankündigung der Aufführung oder des Vortrags als Verfasser bezeichnet worden ist. 8 8. Das Recht des Urhebers geht auf die Erben über Ist der Fiskus oder eine andere juristische Person gesetzlicher Erbe, so erlischt das Recht, soweit es dem Erblasser zusteht, mit dessen Tode Das Recht kann beschränkt oder unbeschränkt auf andere übertragen wer­ den; die Übertragung kann auch mit der Begrenzung auf ein bestimmtes Gebiet geschehen. 8 9* Im Falle der Übertragung des Urheberrechts hat der Erwerber, soweit nicht ein anderes vereinbart ist, nicht das Recht, an dem Werke selbst, an dessen Titel und an der Bezeichnung des Urhebers Zusätze, Kürzungen oder sonstige Änderungen vorzunehmen. Zulässig sind Änderungen, für die der Berechtigte seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht versagen kann. 8 19. Tie Zwangsvollstreckung in das Recht des Urhebers oder in sein Werk findet gegen den Urheber selbst ohne dessen Einwilligung nicht statt; die Einwilligung kann nicht durch den gesetzlichen Vertreter erteilt werden. Gegen den Erben des Urhebers ist ohne seine Einwilligung die Zwangsvollstreckung nur zulässig, wenn das Werk erschienen ist Zweiter Abschnitt. Befugnisse des Urhebers.

8 11 Der Urheber hat die ausschließliche Befugnis, das Werk zu ver­ vielfältigen und gewerbsmäßig zu verbreiten; die ausschließliche Befugnis er­ streckt sich nicht auf das Verleihen. Der Urheber ist ferner, solange nicht der wesentliche Inhalt des Werkes öffentlich mitgeteilt ist, ausschließlich zu einer solchen Mitteilung befugt. Das Urheberrecht an einem Bühnenwerk oder an einem Werke der Towkunst enthält auch die ausschließliche Befugnis, das Werk öffentlich aufzuführen. Ter Urheber eines Schriftwerkes oder eines Vortrags hat, solange nicht das Werk erschienen ist, die ausschließliche Befugnis, das Werk öffentlich vor­ zutragen. 8 12. Die ausschließlichen Befugnisse, die dem Urheber nach § 11 in An­ sehung des Werkes selbst zustehen, erstrecken sich auch auf die Bearbeitungen des Werkes. Die Befugnisse des Urhebers erstrecken sich insbesondere auf: 1. die Übersetzung in eine andere Sprache oder in eine andere Mundart der­ selben Sprache, auch wenn die Übersetzung in gebundener Form abgefaßt ist: SUifelb, Strafgesetzgebung. 3. Anst. 44

690

Erster Teil.

Strafgesetze.

2. die Rückübersetzung in die Sprache des Originalwerkes; 3. die Wiedergabe einer Erzählung in dramatischer Form oder eines Bühnen­ werkes in der Form einer Erzählung; 4 die Herstellung von Auszügen aus Werken der Tonkunst sowie von Ein­ richtungen solcher Werke für einzelne oder mehrere Instrumente oder Stimmen; 5 die Übertragung des Werkes auf Vorrichtungen für Instrumente, die der mechanischen Wiedergabe für das Gehör dienen, insbesondere auf aus­ wechselbare Scheiben, Platten, Walzen, Bänder und sonstige Znbehörstücke solcher Instrumente; 6 die Benutzung eines Schriftwerkes zu einer bildlichen Darstellung, welche das Originalwerk seinem Inhalt nach im Wege der Kinematographie oder eines ihr ähnlichen Verfahrens wiedergibt § 13. Unbeschadet der ausschließlichen Befugnisse, die dem Urheber nach § 12 Abs 2 zustehen, ist die freie Benutzung seines Werkes zulässig, wenn da­ durch eine eigentümliche Schöpfung hervorgebracht wird Bei einem Werke der Tonkunst ist jede Benutzung unzulässig, durch welche eine Melodie erkennbar dem Werke entnommen und einer neuen Arbeit zu­ grunde gelegt wird 8 14. Im Falle der Übertragung des Urheberrechts verbleiben, soweit nicht ein anderes vereinbart ist, dem Urheber seine ausschließlichen Befugnisse: 1 für die Übersetzung eines Werkes in eine andere Sprache oder in eine andere Mundart; 2. für die Wiedergabe einer Erzählung in dramatischer Fo^rm oder eines Bühnenwerkes in der Form einer Erzählung; 3 für die Bearbeitung eines Werkes der Tonkunst, soweit sie nicht bloß ein Auszug oder eine Übertragung in eine andere Tonart oder Stimmlage ist; 4. für die Benutzung des Werkes zum Zwecke der mechanischen Wiedergabe für das Gehör (§ 12 Abs 2 Nr 5); 5. für die Benutzung eines Schriftwerkes zum Zwecke der kinematographischen Wiedergabe (§ 12 Abs 2 Nr. 6). § 15. Eine Vervielfältigung ohne Einwilligung des Berechtigten ist un­ zulässig, gleichviel durch welches Verfahren sie bewirkt wird; auch begründet es keinen Unterschied, ob das Werk in einem oder oder in mehreren Exemplaren vervielfältigt wird Eine Vervielfältigung zum Persönlichen Gebrauch ist zulässig, wenn sie nicht den Zweck hat, aus dem Werke eine Einnahme zu erzielen. h 16. Zulässig ist der Abdruck von Gesetzbüchern, Gesetzen, Verordnungen, amtlichen Erlassen und Entscheidungen sowie von anderen zum amtlichen Ge­ brauche hergestellten amtlichen Schriften 8 17. Zulässig ist: 1 die Wiedergabe eines Vortrags oder einer Rede in Zeitungen oder Zeit­ schriften, sofern der Vortrag oder die Rede Bestandteil einer öffentlichen Verhandlung ist; 2 die Vervielfältigung von Borträgen oder Reden, die bei den Verhand­ lungen der Gerichte, der politischen, kommunalen und kirchlichen Ver­ tretungen gehalten werden Die Vervielfältigung ist jedoch unzulässig, wenn sie in einer Samm­ lung erfolgt, die der Hauptsache nach Reden desselben Verfassers enthält 8 18. Zulässig ist der Abdruck einzelner Artikel aus Zeitungen in anderen Zeitungen, soweit die Artikel nicht mit einem Vorbehalte der Rechte ver­ sehen sind; jedoch ist nur ein Abdruck gestattet, durch den der Sinn nicht ent­ stellt wird Bei dem Abdruck ist die Quelle deutlich anzugeben Der Abdruck von Ausarbeitungen wissenschaftlichen, technischen oder unterhaltenden Inhalts ist, auch wenn ein Vorbehalt der Rechte fehlt, un­ zulässig. Vermischte Nachrichten tatsächlichen Inhalts und Tagesneuigkeiten dürfen aus Zeitungen oder Zeitschriften stets abgedruckt werden

157. Gesetz, betr. literar. Urheberrecht v. 19. Juni 1901.

§§ 13—22.

691

§ 19. Zulässig ist die Vervielfältigung: wenn einzelne Stellen oder kleinere Teile eines Schriftwerkes, eines Vor­ trags oder einer Rede nach der Veröffentlichung in einer selbständigen literarischen Arbeit angeführt werden; 2 wenn einzelne Aufsätze von geringem Umfang oder einzelne Gedichte nach dem Erscheinen in eine selbständige wissenschaftliche Arbeit aus­ genommen werden; 3 wenn einzelne Gedichte nach dem Erscheinen in eine Sammlung aus­ genommen werden, die Werke einer größeren Zahl von Schriftstellern vereinigt und ihrer Beschaffenheit nach zur Benutzung bei Gesangs­ vorträgen bestimmt ist; 4 wenn einzelne Aufsätze von geringem Umfang, einzelne Gedichte oder kleinere Teile eines Schriftwerkes nach dem Erscheinen in eine Sammlung ausgenommen werden, die Werke einer größeren Zahl von SchriftsteUern vereinigt und ihrer Beschaffenheit nach für den Kirchen-, Schul- oder Unterrichtsgebrauch oder zu einem eigentümlichen literarischen Zwecke be­ stimmt ist Bei einer Sammlung zu einem eigentümlichen literarischen Zwecke bedarf es, solange der Urheber lebt, seiner persönlichen Ein­ willigung Tie Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Urheber nicht inner­ halb eines Monats, nachdem ihm von der Absicht des Verfassers Mit­ teilung gemacht ist, Widerspruch erhebt

1

8 20. Zulässig ist die Vervielfältigung, wenn kleinere Teile einer Dich­ tung oder Gedichte von geringem Umfange nach ihrem Erscheinen als Text zu einem neuen Werke der Tonkunst in Verbindung mit diesem wiedergegeben werden Für eine Ausführung des Werkes darf die Dichtung auch allein wieder­ gegeben werden, sofern der Abdruck ausschließlich zum Gebrauche der .Hörer bestimmt ist Unzulässig ist die Vervielfältigung von Dichtungen, die ihrer Gattung nach zur Komposition bestimmt sind Die Vorschriften des Abs 1 finden keine Anwendung, soweit der Text in Verbindung mit der mechanischen Wiedergabe eines Werkes der Tonkunst (§ 12 Abs 2 Nr 5) vervielfältigt werden soll 8 21. Zulässig ist die Vervielfältigung: wenn einzelne Stellen eines bereits erschienenen Werkes der Tonkunst in einer selbständigen literarischen Arbeit angeführt werden; 2 wenn kleinere Kompositionen nach dem Erscheinen in eine selbständige wissenschaftliche Arbeit ausgenommen werden; 3 wenn kleinere Kompositionen nach dem Erscheinen in eine Sammlung ausgenommen werden, die Werke einer größeren Zahl von Komponisten vereinigt und ihrer Beschaffenheit nach für den Unterricht in Schulen mit Ausschluß der Musikschulen bestimmt ist 1

8 22. Gestattet der Urheber eines Werkes der Tonkunst einem anderen, das Werk zum Zwecke der mechanischen Wiedergabe (§ 12 Abs. 2 Nr 5) gewerbsmäßig zu vervielfältigen, so kann, nachdem das Werk erschienen ist, jeder Tritte, der im Inland eine gewerbliche Hauptniederlassung oder den Wohnsitz hat, verlangen, daß ihm der Urheber gegen eine angemessene Ver­ gütung gleichfalls eine solche Erlaubnis erteile; für die Entstehung des An­ spruchs begründet es keinen Unterschied, ob der Urheber dem anderen die Ver­ vielfältigung mit oder ohne Übertragung der ausschließlichen Befugnis gestattet Die Erlaubnis wirkt nur in bezug auf die Verbreitung im Inland und die Ausfuhr nach solchen Staaten, in denen der Urheber keinen Schutz gegen die mechanische Wiedergabe des Werkes genießt Der Reichskanzler kann durch Bekanntmachung im Reichsgesetzblatt für das Verhältnis zu einem Staate, in dem er die Gegenseitigkeit für verbürgt erachtet, bestimmen, inwieweit ein Dritter, auch wenn er im Inland weder eine gewerbliche Niederlassung noch den Wohnsitz hat, die Erlaubnis verlangen darf und daß die Erlaubnis auch für die Ausfuhr nach jenem Staate wirkt.

692

Erster Teil.

Strafgesetze.

Gehört als Text zu dem Werke der Tonkunst ein geschütztes Schriftwerk, dessen Urheber einem anderen gestattet hat, es zum Zwecke der mechanischen Wiedergabe gewerbsmäßig zu vervielfältigen, so finden die Vorschriften des Abs. 1 auch auf den Text Anwendung. An Stelle des Urhebers des Textes ist jedoch der Urheber des Werkes der Tonkunst berechtigt und verpflichtet, die Erlaubnis zu erteilen; er hat, wenn er die Erlaubnis erteilt, dem Urheber des Textes einen angemessenen Teil der Vergütung auszuzahten.

8 22 a. Vorrichtungen, die auf Grund einer gemäß § 22 erteilten Er­ laubnis hergestellt sind, dürfen mit der im § 22 Abs. 1 Satz 2 festgesetzten Beschränkung ohne eine weitere Erlaubnis zu öffentlichen Aufführungen benutzt werden. Hat der Urheber vor oder nach dem Inkrafttreten dieser Vorschrift die ausschließliche Befugnis zur Aufführung einem anderen über­ tragen, so hat er dem anderen einen angemessenen Teil der Vergütung auszuzahlen. Tie Vorschriften des Abs. 1 finden auch dann Anwendung, wenn der Urheber freiwillig einem anderen die Erlaubnis erteilt, das Werk zum Zwecke der mechanischen Wiedergabe zu vervielfältigen. 8 22 b. Hat der Urheber die ausschließliche Befugnis zur mechanischen Wiedergabe einem anderen in beschränktem Umfang übertragen, so ist die int § 22 bestimmte Erlaubnis gleichwohl nur von ihm zu erteilen. Im Falle einer unbeschränkten Übertragung ist die Erlaubnis von dem Rechtsnachfolger zu erteilen. 8 22c. Für Klagen, durch die ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis geltend gemacht wird, sind, sofern der Urheber im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand hat, die Gerichte der Stadt Leipzig zuständig. Einstweilige Verfügungen können erlassen werden, auch toenn die in den §§ 935, 940 der Zivilprozeßordnung bezeichneten Voraussetzungen nicht zutreffen. 8 23. Zulässig ist die Vervielfältigung, wenn einem Schriftwerk aus­ schließlich zur Erläuterung des Inhalts einzelne Abbildungen aus einem erschienenen Werke beigesügt werden. 8 24. Auf Grund der §§ 19 bis 23 ist die Vervielfältigung eines fremden Werkes nur zulässig, wenn an den wiedergegebenen Teilen keine Änderung vorgenommen wird. Jedoch sind, soweit der Zweck der Wiedergabe es erfordert, Übersetzungen eines Schriftwerkes und solche Bearbeitungen eines Werkes der Tonkunst gestattet, die nur Auszüge oder Übertragungen in eine andere Tonart oder Stimmlage oder Einrichtungen für die im § 12 bezeich­ neten Instrumente darstellen. Werden einzelne Aufsätze, einzelne Gedichte oder kleinere Teile eines Schriftwerkes in eine Sammlung zum Schul­ gebrauch ausgenommen, so sind die für diesen Gebrauch erforderlichen Ände­ rungen gestattet, jedoch bedarf es, solange der Urheber lebt, seiner persönlichen Einwilligung. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Urheber nicht innerhalb eines Monats, nachdem ihm von der beabsichtigten Änderung Mit­ teilung gemacht ist, Widerspruch erhebt. 8 28. Wer ein fremdes Werk nach Maßgabe der §§ 19 bis 23 benutzt, hat die Quelle deutlich anzugeben. 8 26. Soweit ein Werk nach den §§ 16 bis 21, 23, 24 ohne Einwilli­ gung des Berechtigten vervielfältigt werden darf, ist auch die Verbreitung, die öffentliche Aufführung sowie der öffentliche Vortrag zulässig.

8 27. Für öffentliche Aufführungen eines erschienenen Werkes der Tonkunst bedarf es der Einwilligung des Berechtigten nicht, wenn sie keinem gewerblichen Zwecke dienen und die Hörer ohne Entgelt zugelassen werden. Im übrigen sind solche Aufführungen ohne Einwilligung des Berechtigten zulässig: 1. wenn sie bei Volksfesten, mit Ausnahme der Musikfeste, stattfinden; 2. wenn der Ertrag ausschließlich für wohltätige Zwecke bestimmt ist und die Mitwirkenden keine Vergütung für ihre Tätigkeit erhalten;

157. Gesetz, betr. literar. Urheberrecht v. 19. Juni 1901.

§§ 22 a—37.

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3. wenn sie von Vereinen veranstaltet werden und nur die Mitglieder sowie die zu ihrem Hausstande gehörigen Personen als Hörer zugelassen werden. Auf die bühnenmäßige Aufführung einer Oper oder eines sonstigen Werkes der Tonkunst, zu welchem ein Text gehört, finden diese Vorschriften keine Anwendung. 8 28. Zur Veranstaltung einer öffentlichen Aufführung ist, wenn meh­ rere Berechtigte vorhanden sind, die Einwilligung eines jeden erforderlich. Bei einer Oper oder einem sonstigen Werke der Tonkunst, zu welchem rein Text gehört, bedarf der Veranstalter der Aufführung nur der Einwillitgung desjenigen, welchem das Urheberrecht an dem musikalischen Teile zusteht Dritter Abschnitt

Dauer deS Schutzes.

8 29. Der Schutz des Urheberrechts endigt, wenn seit dem Tode des Ur­ hebers dreißig Jahre und außerdem seit der ersten Veröffentlichung des Werkes zehn Jahre abgelaufen sind. Ist die Veröffentlichung bis zum Ablaufe lvon dreißig Jahren seit dem Tode des Urhebers nicht erfolgt, so wird ver­ mutet, daß das Urheberrecht dem Eigentümer des Werkes zustehe 8 39. Steht das Urheberrecht an einem Werke mehreren gemeinschastlnch zu, so bestimmt sich, soweit der Zeitpunkt des Todes für die Schutzfrist maßgebend ist, deren Ablauf nach dem Tode des Letztlebenden. 8 31. Ist der wahre Name des Urhebers nicht bei der ersten Veröffent­ lichung gemäß § 7 Abs 1, 3 angegeben worden, so endigt der Schutz mit dem Ablaufe von dreißig Jahren seit der Veröffentlichung. Wird der wahre Name des Urhebers binnen der dreißigjährigen Frist gemäß § 7 Abs 1, 3 angegeben oder von dem Berechtigten zur Eintragung in die Eintragsrolle (§ 56) angemeldet, so finden die Vorschriften des § 29 Anwendung Das gleiche gilt, wenn das Werk erst nach dem Tode des Urhebers veröffentlicht wird 8 32. Steht einer juristischen Person nach den §§ 3, 4 das Urheberrecht zu, so endigt der Schutz mit dem Ablaufe von dreißig Jahren seit der Ver­ öffentlichung Jedoch endigt der Schutz mit dem Ablaufe der im 8 29 bestimm­ ten Fristen, wenn das Werk erst nach dem Tode des Verfassers veröffentlicht wird. 8 33. Bei Werken, die aus mehreren in Zwischenräumen veröffent­ lichten Bänden bestehen, sowie bei fortlaufenden Berichten oder Heften wird jeder Band, jeder Bericht oder jedes Heft für die Berechnung der Schutzfristen als ein besonderes Werk angesehen Bei den in Lieferungen veröffentlichten Werken wird die Schutzfrist erst von der Veröffentlichung der letzten Lieferung an berechnet 8 34. Die Schutzfristen beginnen mit dem Ablaufe des Kalenderjahrs, in welchem der Urheber gestorben oder das Werk veröffentlicht worden ist. 8 35. Soweit der in diesem Gesetze gewährte Schutz davon abhängt, ob ein Werk erschienen oder anderweit veröffentlicht oder ob der wesentliche In­ halt eines Werkes öffentlich mitgeteilt worden ist, kommt nur eine Veröffent­ lichung oder Mitteilung in Betracht, die der Berechtigte bewirkt hat

Vierter Abschnitt. Rechtsverletzungen.

8 36. Wer vorsätzlich oder fahrlässig unter Verletzung der ausschließ­ lichen Befugnis des Urhebers ein Werk vervielfältigt, gewerbsmäßig verbreitet oder den wesentlichen Inhalt eines Werkes öffentlich mitteilt, ist dem Berech­ tigten zum Ersätze des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. 8 37. Wer vorsätzlich oder fahrlässig unter Verletzung der ausschließ­ lichen Befugnis des Urhebers ein Werk öffentlich aufführt oder öffentlich vor­ trägt, ist dem Berechtigten zum Ersätze des daraus entstehenden Schadens der-

694

Erster Teil.

Strafgesetze.

Pflichtet Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher vorsätzlich oder fahrlässig eine dramatische Bearbeitung, die nach § 12 unzulässig ist, öffent­ lich aufführt oder eine bildliche Darstellung, die nach § 12 unzulässig ist, öffent­ lich vorführt 8 38. Mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark wird bestraft: 1 wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen vorsätzlich ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk vervielfältigt oder gewerbsmäßig verbreitet; 2 wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen vorsätzlich ohne Einwilligung des Berechtigten ein Bühnenwerk, ein Werk der Tonkunst oder eine dramatische Bearbeitung, die nach § 12 unzulässig ist, öffentlich aufführt oder eine bildliche Darstellung, die nach § 12 unzulässig ist, öf­ fentlich vorführt oder ein Werk, bevor es erschienen ist, öffentlich vorträgt War die Nnwilligung des Berechtigten Nur deshalb erforderlich, weil an dem Werke selbst, an dessen Titel oder an der Bezeichnung des Urhebers Änderungen vorgenommen sind, so tritt Geldstrafe bis zu dreihundert Mark ein Soll eine nicht beizutreibende Geldstrafe in Gefängnis umgewandelt werden, so darf deren Dauer in den Fällen des Abs 1 sechs Monate, in den Fällen des Abs 2 einen Monat nicht übersteigen. 8 39. Wer den wesentlichen Inhalt eines Werkes, bevor der Inhalt öffentlich mitgeteilt ist, vorsätzlich ohne Einwilligung des Berechtigten öffent­ lich mitteilt, wird mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark bestraft Soll eine nicht beizutreibende Geldstrafe in Gefängnisstrafe umgewandelt wer­ den, so darf deren Dauer drei Monate nicht übersteigen § 4v. Auf Verlangen des Berechtigten kann neben der Strafe auf eine an ihn zu erlegende Buße bis zum Betrage von sechstausend Mark erkannt werden Die zu dieser Buße Verurteilten haften als Gesamtschuldner Eine erkannte Buße schließt die Geltendmachung eines weiteren Anspruchs auf Schadensersatz aus 8 41. Die in den §§. 36 bis 39 bezeichneten Handlungen sind auch dann rechtswidrig, wenn das Werk nur zu einem Teile vervielfältigt, verbreitet, öffentlich mitgeteilt, aufgeführt, vorgeführt oder vorgetragen wird 8 42. Die widerrechtlich hergestellten oder verbreiteten Exemplare und die zur widerrechtlichen Vervielfältigung ausschließlich bestimmten Vorrich­ tungen wie Formen, Platten, Steine, Stereotypen, unterliegen der Vernich­ tung. Ist nur ein Teil des Werkes widerrechtlich hergestellt oder verbreitet, so ist auf Vernichtung dieses Teiles und der entsprechenden Vorrichtungen zu erkennen Gegenstand der Vernichtung sind alle Exemplare und Vorrichtungen, welche sich im Eigentume der an der Herstellung oder der Verbreitung Betei­ ligten sowie der Erben dieser Personen befinden. Auf die Vernichtung ist auch dann zu erkennen, wenn die Herstellung oder die Verbreitung weder vorsätzlich noch fahrlässig erfolgt Das gleiche gilt, wenn die Herstellung noch nicht vollendet ist Die Vernichtung hat zu erfolgen, nachdem dem Eigentümer gegenüber rechtskräftig darauf erkannt ist Soweit die Exemplare oder die Vorrichtungen in anderer Weise als durch Vernichtung unschädlich gemacht werden können, hat dies zu geschehen, falls der Eigentümer die Kosten übernimmt. 8 43. Der Berechtigte kann statt der Vernichtung verlangen, daß ihm das Recht zuerkannt wird, die Exemplare und Vorrichtungen ganz oder teil­ weise gegen eine angemessene, höchstens dem Betrage der Herstellungskosten gleichkommende Vergütung zu übernehmen 8 44. Wer den Vorschriften des § 18 Abs 1 ober des § 25 zuwider unterläßt, die benutzte Quelle anzugeben, wird mit Geldstrafe bis zu einhundert­ fünfzig Mark bestraft. 8 45. Die Strafverfolgung in den Fällen der §§ 38, 39, 44 tritt nur auf Antrag ein Die Zurücknahme des Antrags ist zulässig.

157. Gesetz, betr. literar. Urheberrecht v. 19. Juni 1901.

§§ 38—56.

695

§ 46* Die Vernichtung der widerrechtlich hergestellten oder verbreiteten Exemplare und der zur widerrechtlichen Vervielfältigung ausschließlich pestimmten Vorrichtungen kann im Wege des bürgerlichen Rechtsstreits oder im Strasverfahren verfolgt werden § 47 Aus die Vernichtung von Exemplaren oder Vorrichtungen kann auch im Strafverfahren nur auf besonderen Antrag des Berechtigten erkannt wer­ den Die Zurücknahme des Antrags ist bis zur erfolgten Vernichtung zulässig Der Berechtigte kann die Vernichtung von Exemplaren oder Vorrichtungen selbständig verfolgen. In diesem Falle finden die §§ 477 bis 479 der Straf­ prozeßordnung i) mit der Maßgabe Anwendung, daß der Berechtigte als Privat­ kläger auftreten kann § 48. Tie §§ 46, 47 finden auf tnc Verfolgung des im § 43 bezeichneten Rechtes entsprechende Anwendung § 49. Für sämtliche Bundesstaaten sollen Sachverständigen->Iammern bestehen, die verpflichtet sind, auf Erfordern der Gerichte und der Staats­ anwaltschaften Gutachten über die an sie gerichteten Fragen abzugeben. Tie Sachverständsgen^Kammern sind befugt, auf Anrufen der Beteiligten über Schadensersatzansprüche, über die Vernichtung von Exemplaren oder Vorrichtungen sowie über die Zuerkennung des im § 43 bezeichneten Rechtes, ferner in den Fällen des § 22 über den Anspruch auf die Erteilung der Er­ laubnis als Schiedsrichter zu verhandeln und zu entscheiden Ter Reichskanzler erläßt die Bestimmungen über die Zusammensetzung und der Geschäftsbetrieb der Sachverständtgen-Kammern Tie einzelnen Mitglieder der Sachverständigen-Kammern sollen nicht ohne ihre Zustimmung und nicht ohne Genehmigung des Vorsitzenden von den Gerichten als Sachverständige vernommen werden. 8 50. Der Anspruch auf Schadensersatz und die Strafverfolgung wegen Nachdrucks verjähren in drei Jahren. Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem die Verbreitung der Nachdruckexemplare zuerst stattgefunden hat 8 51. Der Anspruch auf Schadensersatz und die Strafverfolgung wegen widerrechtlicher Verbreitung oder Aufführung sowie wegen widerrechtlichen Vortrags verjähren in drei Jahren Das gleiche gilt in den Fällen der 88 36, 39 Tie Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem die widerrechtliche Handlung zuletzt stattgefunden hat. 8 52. Der Antrag auf Vernichtung der widerrechtlich hergestellten oder verbreiteten Exemplare sowie der zur widerrechtlichen Vervielfältigung aus­ schließlich bestimmten Vorrichtungen ist solange zulässig, als solche Exemplare oder Vorrichtungen vorhanden sind 8 53. Tie Verjährung der nach dem § 44 strafbaren Handlung beginnt mit dem Tage, an welchem die erste Veröffentlichung stattgefunden hat Fünfter Abschnitt

Schlußbestimmungen.

8 54. Ten Schutz genießen die Reichsangehörigen für alle ihre Werke, gleichviel, ob diese erschienen sind oder nicht 8 55. Wer nicht Reichsangehöriger ist, genießt den Schutz für jedes seiner Werke, das im Inland erscheint, sofern er nicht das Werk selbst oder eine Übersetzung an einem früheren Tage im Auslande hat erscheinen lassen Für den ints § 2 Abs 2 bestimmten Schutz, ist an Stelle des Erscheinens die Vervielfältigung der Vorrichtung maßgebend Unter der gleichen Voraussetzung genießt er den Schutz für jedes seiner Werke, das er im Inland in einer Übersetzung erscheinen läßt; die Übersetzung gilt in diesem Falle als das Originalwerk. 8 56. Die Rolle für die im § 31 Abs. 2 vorgesehenen Eintragungen wird bei dem Stadtrate zu Leipzig geführt. Der Stadtrat bewirkt die Mn!) Nunmehr §§ 430—432 StPO, (i d. F. der Bek vom 22 März 1924).

696

Erster Teil.

Strafgesetze.

tragungen, ohne die Berechtigung des Antragstellers oder die Richtigkeit der zur Eintragung angemeldeten Tatsachen zu prüfen. Wird die Eintragung abgelehnt, so steht den Beteiligten die Beschwerde an den Reichskanzler zu. 8 57. Der Reichskanzler erläßt die Bestimmungen über die Führung der Eintragsrolle. Die Einsicht der Eintragsrolle ist jedem gestattet. Aus der Rolle können Auszüge gefordert werden; die Auszüge sind auf Verlangen zu beglaubigen Die Eintragungen werden im Börsenblatte für den deutschen Buchhandel und, falls dieses Blatt zu erscheinen aufhören sollte, in einer anderen vom Reichskanzler zu bestimmenden Zeitung öffentlich bekannt gemacht.*) 8 58. Eingaben, Verhandlungen, Bescheinigungen und sonstige Schrift­ stücke, welche die Eintragung in die Eintragsrolle betreffen, sind stempelfrei. Für jede Eintragung, für jeden Eintragsschein sowie für jeden sonstigen Auszug aus der Eintragsrolte wird eine Gebühr von 1,50 Mark erhoben; außerdem hat der Antragsteller die Kosten für die öffentliche Bekanntmachung der Eintragung zu entrichten 8 59. In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in welchen durch Klage oder Widerklage ein Anspruch auf Grund der Vorschriften dieses Gesetzes geltend gemacht ist, wird die Verhandlung und Entscheidung letzter Instanz im Sinne des § 8 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetze dem Reichs­ gerichte zugewiesen 8 60. Einem nachgelassenen Werke, das bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes noch nicht veröffentlicht ist, wird die im § 29 vorgesehene Schutzfrist auch dann zuteil, wenn die bisherige Schutzfrist bereits abgelaufen ist. 8 61. Der durch dieses Gesetz gewährte Schutz gegen Aufführung kann nach dessen Inkrafttreten einem Werke der Tonkunst, für welches das Auf­ führungsrecht bis dahin nicht Vorbehalten war, dadurch gesichert werden, daß das Werk nachträglich mit dem Vorbehalte versehen wird. Jedoch ist die Auf­ führung eines solchen Werkes auch ferner ohne Einwilligung des Urhebers Sig, sofern nicht bei der Aufführung Noten benutzt werden, die mit dem chalte versehen sind Tie ausschließliche Befugnis zur öffentlichen Aufführung eines nach diesen Vorschriften geschützten Werkes steht dem Urheber zu. 8 62. Die ausschließlichen Befugnisse des Urhebers eines geschützten Werkes bestimmen sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes, auch wenn das Wert vor dessen Inkrafttreten entstanden ist. War jedoch eine Übersetzung oder sonstige Bearbeitung oder eine Sammlung, welche aus den Werken mehrerer Schriftsteller zum Schulgebrauche veranstaltet ist, vor dem Inkraft­ treten dieses Gesetzes erlaubterweise ganz oder zum Teil erschienen, so bleibt die Befugnis des Bearbeiters zur Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlichen Aufführung unberührt. 8 63. Soweit eine Vervielfältigung, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes unzulässig ist, bisher erlaubt war, darf der bereits begonnene Druck von Exemplaren vollendet werden. Die vorhandenen Vorrichtungen, wie Formen, Platten, Steine, Stereotypen, dürfen noch bis zum Ablaufe von sechs Monaten benutzt werden. Die Verbreitung der gemäß dieser Vorschriften hergestellten sowie der bereits vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes voll­ endeten Exemplare ist zulässig. 8 63 a. Die Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 5 findet keine Anwendung auf Werke der Tonkunst, die bereits vor dem 1 Mai 1909 im Inland er­ laubterweise für Vorrichtungen zur mechanischen Wiedergabe benützt worden sind. Im übrigen finden die Vorschriften des § 63 entsprechende Anwendung; Exemplare, deren Verbreitung hiernach zulässig ist, dürfen auch zu öffent­ lichen Aufführungen benutzt werden. Auf Werke der Literatur und der Tonkunst, die vor dem Inkrafttreten der Vorschriften des § 22 entstanden sind, finden diese auch insoweit AnVgl.' Bek. vom 28. April 1903 (RGBl. S. 211), welche lautet: „Eintragungen in die vom Stadtrate zu Leipzig geführte Eintragsrolle werden fortan im Deutschen Reichsanzeiger öffentlich bekannt gemacht."

158. Gesetz, betr. künstler. Urheberrecht v. 9. Jan. 1907. §§ 1—8.

697

Wendung, als die Werke schon bisher einen Schutz gegen mechanische Wieder­ gabe genossen. Soweit jedoch dem Urheber bisher eine ausschließliche Befug­ nis zustand, das Werk zur mechanischen Wiedergabe zu benutzen, bleibt, wenn er die Befugnis einem anderen übertragen hat, dieser sowohl dem Urhebew als Dritten gegenüber gemäß den bisherigen Vorschriften zu der Benutzung befugt. Auch wird in solchen Fällen, wenn der Urheber auf Grund des bis­ herigen Rechtes einem anderen ohne Übertragung der ausschließlichen Befugnis gestattet hat, das geschützte Werk zur mechanischen Wiedergabe zu benutzen, hierdurch für Dritte nicht der Anspruch begründet, daß ihnen gleichfalls eine solche Erlaubnis erteilt werde. § 64. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. Januar 1902 in Kraft. Die §§ 1 bis 56, 61, 62 des Gesetzes, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken usw., vom 11. Juni 1870 (Bundes-Gesetzbl. S. 339) treten mit demselben Tage außer Kraft. Jedoch bleiben diese Vorschriften insoweit unberührt, als sie in den Reichsgesetzen über den Schutz von Werken der bildenden Künste, von Photographien sowie von Mustern und Modellen für anwendbar erklärt werden.

158. 2. Gesetz, betr. das Urheberrecht an Werken der blldenden Künste und der Photographie. Vom 9. Januar 1907.

In der Fassung des Gesetzes vom 22. Mai 1910.1)

(RGBl. 1907, S. 7, 1910 S. 797.) Erster Abschnitt. Voraussetzungen des Schutzes.

8 1. Die Urheber von Werken der bildenden Künste und der Photographie werden nach Maßgabe dieses Gesetzes geschützt. 8 2. Die Erzeugnisse des Kunstgewerbes gehören zu den Werken der bildenden Künste. Das Gleiche gilt von Bauwerken, soweit sie künstlerische Zwecke verfolgen. Als Werke der bildenden Künste gelten auch Entwürfe für Erzeugnisse des Kunstgewerbes sowie für Bauwerke der im Abs. 1 bezeichneten Art. 8 3. Als Werke der Photographie gelten auch solche Werke, welche durch ein der Photographie ähnliches Verfahren hergestellt werden. 8 4. Soweit Entwürfe als Werke der bildenden Künste anzusehen sind, ftndet das Gesetz, betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst, vom 19. Juni 1901 (Reichs-Gesetzbt. S. 227) auf sie keine An­ wendung. 8 5. Juristische Personen des öffentlichen Rechtes, die als Herausgeber ein Werk erscheinen lassen, das den Namen des Urhebers nicht angibt, werden, wenn nicht ein anderes vereinbart ist, als Urheber des Werkes angesehen. 8 6. Besteht ein Werk aus den getrennten Beiträgen mehrerer (Sammel­ werk), so wird für das Werk als Ganzes der Herausgeber als Urheber aw­ gesehen. Ist ein solcher nicht genannt, so gilt der Verleger als Herausgeber. 8 7. Wird ein Werk der bildenden Künste mit einem Werke der Photo­ graphie verbunden, so gilt für jedes dieser Werke dessen Urheber auch nach der Verbindung als Urheber. Das Gleiche gilt, wenn ein Werk der bildenden Künste oder ein Werk der Photographie mit einem Werke der Literatur oder der Tonkunst oder mit einem geschützten Muster verbunden wird. § 8. Haben bei einem Werke mehrere in der Weise zusammengermrkt, daß ihre Arbeiten sich nicht trennen lassen, so besteht unter ihnen als Urhebern eine Gemeinschaft nach Bruchteilen im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

!) S. N. 1 zu Nr. 157.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

§ 9. Ist auf einem Werke der Name eines Urhebers angegeben oder durch kenntliche Zeichen ausgedrückt, so wird vermutet, daß dieser der Urheber des Werkes sei. Bei Werken, die unter einem anderen als dem wahren Namen des Urhebers oder ohne den Namen eines Urhebers erschienen sind, ist der Heraus­ geber, falls aber ein solcher nicht angegeben ist, der Verleger berechtigt, die Rechte des Urhebers wahrzunehmen § 10. Das Recht des Urhebers geht auf die Erben über Ist der Fiskus oder eine andere juristische Person gesetzlicher Erbe, so erlischt das Recht, soweit es dem Erblasser zusteht, mit dessen Tode. Das Recht kann beschränkt oder unbeschränkt auf andere übertragen werden; die Übertragung kann auch mit der Begrenzung auf ein bestimmtes Gebiet geschehen Die Überlassung des Eigentums an einem Werke schließt, soweit nicht ein anderes vereinbart ist, die Übertragung des Rechtes des Urhebers nicht in sich § 11. Über einen Beitrag, der für eine Zeitung, eine Zeitschrift oder eni sonstiges periodisches Sammelwerk zur Veröffentlichung angenommen wird, darf der Urheber anderweit verfügen, sofern nicht aus den Umständen zu entnehmen ist, daß der Verleger das ausschließliche Recht zur Vervielfälti­ gung und Verbreitung erhalten soll Über einen Beitrag, für welchen der Verleger das ausschließliche Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung erhalten hat, darf, soweit nicht ein anderes vereinbart ist, der Urheber anderweit verfügen, wenn seit dem Ablaufe des Kalenderjahrs, in welchem der Beitrag erschienen ist, ein Jahr ver­ strichen ist Auf Beiträge zu einem nicht periodischen Sammelwerke finden diese Vorschnjten insoweit Anwendung, als dem Urheber ein Anspruch auf Vergütung für den Beitrag nicht zusteht. § 12. Im Falle der Übertragung des Urheberrechts hat der Erwerber, soweit nicht ein anderes vereinbart ist, nicht das Recht, bei der Ausübung seiner Befugnisse an dem Werke selbst, an dessen Bezeichnung oder an der Bezeichnung des Urhebers Änderungen vorzunehmen Zulässig sind Änderungen, für die der Berechtigte seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht versagen kann § 13. Der Name oder der Namenszug des Urhebers darf auf dem Werke von einem anderen als dem Urheber selbst nur mit dessen Einwilligung angebracht werden § 14. Die Zwangsvollstreckung in das Recht des Urhebers findet gegen den Urheber selbst ohne dessen Einwilligung nicht statt; die Einwilligung kann nicht durch den gesetzlichen Vertreter erteilt werden. Gegen den Erben des Urhebers ist ohne seine Einwilligung die Zwangs­ vollstreckung nur zulässig, wenn das Werk oder eine Vervielfältigung davon erschienen ist Die gleichen Vorschriften gelten für die Zwangsvollstreckung in solche Formen, Platten, Steine oder sonstige Vorrichtungen, welche ausschließlich zur Vervielfältigung des Werkes bestimmt sind. Zweiter Abschnitt. Befugnisse der Urhebers.

§ 15. Der Urheber hat die ausschließliche Befugnis, das Werk zu ver­ vielfältigen, gewerbsmäßig zu verbreiten und gewerbsmäßig mittels mecha­ nischer oder optischer Einrichtungen vorzuführen; die ausschließliche Befugnis erstreckt sich nicht auf das Verleihen. Als Vervielfältigung gilt auch die Nachbildung, bei Bauwerken und Entwürfen für Bauwerke auch das Nachbauen Auch wer durch Nachbildung eines bereits vorhandenen Werkes ein anderes Werk der bildenden Künste oder der Photographie hervorbringt, hat die im Abs 1 bezeichneten Befugnisse; jedoch darf er diese Befugnisse, sofern

158. Gesetz, betr. künstler. Urheberrecht v. 9. Jan. 1907. §§ 9—23.

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der Urheber des Originalwerkes gleichfalls Schutz genießt, nur mit dessen Einwilligung ausüben. § 15 a. Ist ein im Wege der Kinematographie oder eines ihr ähnlichen Verfahrens hergestelltes Werk wegen der Anordnung des Bühnenvorganges oder der Verbindung der dargestellten Begebenheiten als eine eigentümliche Schöpfung anzusehen, so erstreckt sich das Urheberrecht auch auf die bildliche Wiedergabe der dargestellten Handlung in geänderter Gestaltung. Der Urheber hat die ausschließliche Befugnis, das Werk öffentlich vorzuführen.

§ 16. Die freie Benutzung eines Werkes ist zulässig, wenn dadurch eine eigentümliche Schöpfung hervorgebracht wird. 8 17. Eine Vervielfältigung ohne Einwilligung des Berechtigten ist unzulässig, gleichviel durch welches Verfahren sie bewirkt wird; auch begründet es keinen Unterschied, ob das Werk in einem oder in mehreren Exemplaren, vervielfältigt wird. 8 18. Eine Vervielfältigung zum eigenen Gebrauch ist mit Ausnahme des Nachbauens zulässig, wenn jie unentgeltlich bewirkt wird. Bei Bildnissen einer Person ist dem Besteller und seinem Rechtsnachfolger gestattet, soweit nicht ein anderes vereinbart ist, das Werk zu vervielfältigen. Ist das Bildnis ein Werk der bildenden Künste, so darf, solange der Urheber lebt, unbeschadet der Vorschrift des Abs. 1 die Vervielfältigung nur im Wege der Photographie erfolgen. Verboten ist es, den Namen oder eine sonstige Bezeichnung des Urhebers des Werkes in einer Weise auf der Vervielfältigung anzubringen, die zu Verwechflungen Anlaß geben kann. 8 19. Zulässig ist die Vervielfältigung und Verbreitung, wenn einzelne Werke in eine selbständige wissenschaftliche Arbeit oder in ein für den Schul­ oder Unterrichtsgebrauch bestimmtes Schriftwerk ausschließlich zur Erläute­ rung des Inhalts ausgenommen werden. Auf Werke, die weder erschienen noch bleibend öffentlich ausgestellt sind, erstreckt sich diese Befugnis nicht. Wer ein fremdes Werk in dieser Weise benutzt, hat die Quelle, sofern sie auf dem Werke genannt ist, deutlich anzugeben. 8 20. Zulässig ist die Vervielfältigung von Werken, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden, durch malende oder zeich­ nende Kunst oder durch Photographie. Tie Vervielfältigung darf nicht an einem Bauwerk erfolgen. Bei Bauwerken erstreckt sich die Befugnis zur Vervielfältigung nur auf die äußere Ansicht. Soweit ein Werk hiernach vervielfältigt werden darf, ist auch die Ver­ breitung und Vorführung zulässig. 8 21. (Sine Vervielfältigung auf Grund der §§ 19, 20 ist nur zulässig, wenn an dem wiedergegebenen Werke keine Änderung vorgenommen wird. Jedoch sind Übertragungen des Werkes in eine andere Größe und solche Ändederungen gestattet, welche das für die Vervielfältigung angewendete Verfahren mit sich bringt. 8 22. Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbrei­ tet oder öffentlich zur Schau gestellt inerden. Die Einwilligung gilt im Zweifel als erteilt, wenn der Abgebildete dafür, daß er sich abbilden ließ, eine Entlohnung erhielt. Nach dem Tode des Abgebildeten bedarf es bis zum Ab­ laufe von 10 Jahren der Einwilligung der Angehörigen des Abgebildeten. An­ gehörige im Sinne dieses Gesetzes sind der überlebende Ehegatte und die Kin­ der des Abgebildeten, und wenn weder ein Ehegatte noch Kinder vorhanden sind, die Eltern des Abgebildeten. 8 23. Ohne die nach § 22 erforderliche Einwilligung dürfen verbreitet und zur Schau gestellt werden: 1. Bildnisse aus dem Bereiche der Zeitgeschichte; 2. Bilder, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen;

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Erster Teil.

Strafgesetze.

3. Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben: 4. Mldnisse, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, sofern die Verbreitung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient. Die Befugnis erstreckt sich jedoch nicht auf eine Verbreitung und Schau­ stellung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten oder, falls dieser verstorben ist, seiner Angehörigen verletzt wird. 8 24. Für Zwecke der Rechtspflege und der öffentlichen Sicherheit dürfen von den Behörden Bildnisse ohne Einwilligung des Berechtigten sowie des Abgebildeten oder seiner Angehörigen vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zur Schau gestellt werden.

Dritter Abschnitt. Dauer des Schutzes. § 25. Der Schutz des Urheberrechts an einem Werke der bildenden Künste endigt, wenn seit dem Tode des Urhebers dreißig Jahre abgelaufen sind. Steht einer juristischen Person nach KZ 5, 6 das Urheberrecht zu, so endigt der Schutz mit dem Ablaufe von dreißig Jahren seit dem Erscheinen des Wer­ kes. Jedoch endigt der Schutz mit dem Ablaufe der im Abs. 1 bestimmten Frist, wenn das Werk erst nach dem Tode desjenigen erscheint, welcher es hervor­ gebracht hat. 8 26. Ter Schutz des Urheberrechts an einem Werke der Photographie endigt mit dem Ablaufe von zehn Jahren seit dem Erscheinen des Werkes. Jedoch endigt der Schutz mit dem Ablaufe von zehn Jahren seit dem Tode des Urhebers, wenn bis zu dessen Tode das Werk noch nicht erschienen war. 8 27. Steht das Urheberrecht an einem Werke mehreren gemeinschaft­ lich zu, so bestimmt sich, soweit der Zeitpunkt des Todes für die Schutzfrist maßgebend ist, deren Ablauf nach dem Tode des Letztlebenden. 8 28. Bei Werken, die aus mehreren in Zwischenräumen veröffentlichten Abteilungen bestehen, sowie bei fortlaufenden Blättern oder Heften wird jede Abteilung, jedes Blatt oder Heft für die Berechnung der Schutzfristen als ein besonderes Werk angesehen. Bei den in Lieferungen veröffentlichten Werken wird die Schutzfrist erst von der Veröffentlichung der letzten Lieferung an berechnet. 8 29. Die Schutzfristen beginnen mit dem Ablaufe des Kalenderjahrs, in welchem der Urheber gestorben oder das Werk erschienen ist. 8 30. Soweit der in diesem Gesetze gewährte Schutz davon abhängt, ob ein Werk erschienen ist, kommt nur ein Erscheinen in Betracht, das der Be­ rechtigte bewirkt hat.

Vierter Abschnitt. Rechtsverletzungen. 8 31. Wer vorsätzlich oder fahrlässig unter Verletzung der ausschließlichen Befugnis des Urhebers ein Werk vervielfältigt, gewerbsmäßig verbrei­ tet oder gewerbsmäßig mittels mechanischer oder optischer Einrichtungen vor­ führt, ist dem Berechtigten zum Ersätze des daraus entstehenden Schadens ver­ pflichtet. Der gewerbsmäßigen Vorführung steht, soweit die Kinematographie oder ein ihr ähnliches Verfahren angewandt wird, die öffentliche Vorführung gleich. 8 32. Wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen vorsätz­ lich ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk vervielfältigt, gewerbsmäßig verbreitet oder gewerbsmäßig mittels mechanischer oder optischer Einrichtun­ gen vorführt, wird mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark bestraft. Ter ge­ werbsmäßigen Vorführung steht, soweit die Kinematographie oder ein ihr ähnliches Verfahren angewendet wird, die öffdntliche Vorführung gleich. War die Einwilligung des Berechtigten nur deshalb erforderlich, weil an dem Werke selbst, an dessen Bezeichnung oder an der Bezeichnung des Urhebers

158. Gesetz, bett, künstler. Urheberrecht v. 9. Jan. 1907.

§§ 24—39.

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Änderungen vorgenommen sind, so tritt Geldstrafe bis zu dreihundert Mark ein. Soll eine nicht beizutreibende Geldstrafe in Gefängnisstrafe umgewandelt werden, so darf deren Tauer in den Fällen des Abs. 1 sechs Monate, in den Fällen des Abs. 2 einen Monat nicht übersteigen. 8 33. Mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark wird bestraft: 1. wer der Vorschrift des § 18 Abs. 3 zuwider vorsätzlich den Namen oder eine sonstige Bezeichnung des Urhebers des Werkes auf der Vervielfälti­ gung anbringt; 2. wer den Vorschriften der §§ 22, 23 zuwider vorsätzlich ein Bildnis ver­ breitet oder öffentlich zur Schau stellt. Soll eine nicht beizutreibende Geldstrafe in Gefängnisstrafe umgewandelt werden, so darf deren Tauer zwei Monate nicht übersteigen. 8 34. Wer der Vorschrift des § 13 zuwider vorsätzlich auf dem Werke den Namen oder den Namenszug des Urhebers anbringt, wird mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark bestraft Soll eine nicht beizutreibende Geldstrafe in Gefängnis umgewandelt wer­ den, so darf deren Dauer einen Monat nicht übersteigen 8 35. Auf Verlangen des Verletzten kann neben der Strafe auf eine an ihn zu erlegende Buße bis zum Betrage von sechstausend Mark erkannt wer­ den. Die zu dieser Buße Verurteilten hasten als Gesamtschuldner. Eine erkannte Buße schließt die Geltendmachung eines weiteren An­ spruchs auf Schadensersatz aus. 8 36. Die in den §§ 31, 32 bezeichneten Handlungen sind auch dann rechtswidrig, wenn das Werk nur zu einem Teile vervielfältigt, verbreitet oder vorgeführt wird. 8 37. Die widerrechtlich hergestellten, verbreiteten oder vorgeführten Exemplare und die zur widerrechtlichen Vervielfältigung oder Vorführung ausschließlich bestimmten Vorrichtungen, wie Formen, Platten, Steine, unter­ liegen der Vernichtung. Das Gleiche gilt von den widerrechtlich verbreiteten oder öffentlich zur Schau gestellten Bildnissen und den zu Heren Verviel­ fältigung ausschließlich bestimmten Vorrichtungen. Ist nur ein Teil des Werkes widerrechtlich hergestellt, verbreitet oder vorgeführt, so ist auf Ver­ nichtung dieses Teiles und der entsprechenden Vorrichtungen zu erkennen. Gegenstand der Vernichtung sind alle Exemplare und Vorrichtungen, welche sich im Eigentume der an der Herstellung, der Verbreitung, der Vor­ führung oder der Schaustellung Beteiligten sowie der Erben dieser Personen befinden. Auf die Vernichtung ist auch dann zu erkennen, wenn die Herstellung, die Verbreitung, die Vorführung oder die Schaustellung weder vorsätzlich noch fahrlässig erfolgt Das Gleiche gilt, wenn die Herstellung noch nicht voll­ endet ist Die Vernichtung hat zu erfolgen, nachdem dem Eigentümer gegenüber rechtskräftig darauf erkannt ist Soweit die Exemplare oder die Vorrichtungen in anderer Weise als durch Vernichtung unschädlich gemacht werden können, hat dies zu geschehen, falls der Eigentümer die Kosten übernimmt. Vorstehende Bestimmungen finden auf Bauwerke keine Anwendung. 8 38. Der Verletzte kann statt der Vernichtung verlangen, daß ihm das Recht zuerkannt wird, die Exemplare und Vorrichtungen ganz oder teil­ weise gegen eine angemessene, höchstens dem Betrag der Herstellungskosten gleichkommende Vergütung zu übernehmen. 8 39. Unterliegt auf Grund des § 37 Abs. 1 ein Sammelwerk oder eine sonstige, aus mehreren verbundenen Werken bestehende Sammlung nur zum Teil der Vernichtung, so kann der Eigentümer von Exemplaren, nie Gegenstand der Vernichtung sein würden, beantragen, daß ihm die Befugnis zugesprochen werde, die Vernichtung durch Zahlung einer Vergütung an den Verletzten abzuwenden und die Exemplare gewerbsmäßig zu verbreiten. Der Antrag ist unzulässig, wenn der Eigentümer die ausschließliche Befugnis des Urhebers vorsätzlich oder fahrlässig verletzt hat.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

Das Gericht kann dem Antrag entsprechen, sofern durch die Vernichtung dem Eigentümer ein unverhältnismäßiger Schaden entstehen würde. Ten Betrag der Vergütung bestimmt das Gericht nach billigem Ermessen. Auf die Vernichtung eines den Vorschriften der §§. 22, 23 Zuwider ver­ breiteten oder zur Schau gestellten Bildnisses finden diese Vorschriften keine Anwendung. § 40, Wer der Vorschrift des § 19 Abs 2 zuwider unterläßt, die benutzte Quelle anzugeben, wird mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark 'bestraft § 41. Die Strafverfolgung in den Fällen der §§ 32, 33, 40 tritt nur auf Antrag ein Die Zurücknahme des Antrags ist zulässig. 8 42. Die Vernichtung der Exemplare und der Vorrichtungen kann un Wege des bürgerlichen Rechtsstreits oder im Strafverfahren verfolgt werden 8 43. Auf die Vernichtung von Exemplaren oder Vorrichtungen kann auch im Strafverfahren nur auf besonderen Antrag des Verletzten erkannt werden Die Zurücknahme des Antrags ist bis zur erfolgten Vernichtung zulässig. Der Verletzte kann die Vernichtung von Exemplaren oder Vorrichtungen, selbständig ücrfolgen In diesem Falle finden die §§ 477 bis 479 der Straf­ prozeßordnung mit der Maßgabe Anwendung, daß der Verletzte als Privat klüger auftreten kann 8 44. Die §§ 42, 43 finden auf die Verfolgung des im § 38 bezeich­ neten Rechtes entsprechende Anwendung 8 45. Der im § 39 bezeichnete Antrag ist, falls ein auf die Ver­ nichtung gerichtetes Verfahren bereits anhängig ist, in diesem Verfahren zu stellen Ist em Verfahren noch nicht anhängig, so kann der Antrag nur im Wege des bürgerlichen Rechtsstreits bei dem Gericht angebracht werden, das für den Antrag auf Vernichtung der Exemplare zuständig ist Dem Eigentümer kann im Wege einer einstweiligen Anordnung gestattet werden, die Vernichtung durch Sicherheitsleistung abzuwenden und die Exem­ plare gewerbsmäßig zu verbreiten; soll die Anordnung im Wege des bürger­ lichen Rechtsstreits getroffen werden, so finden die Vorschriften über die einstweiligen Verfügungen Anwendung < Wird dem Eigentümer nicht die Befugnis zugesprochen, die Vernichtung durch Zahlung einer Vergütung an den Verletzten abzuwenden und die Exemplare gewerbsmäßig zu verbreiten, so hat er, soweit auf Grund der einstweiligen Anordnung Exemplare von ihm verbreitet worden sind, dem Verletzten eine Vergütung zu gewähren Den Betrag der Vergütung bestimmt das Gericht nach billigem Ermessen 8 46. Für sämtliche Bundesstaaten sollen Sachverständigenkammern bestehen, die verpflichtet sind, auf Erfordern der Gerichte und der Staats­ anwaltschaften Gutachten über die an sie gerichteten Fragen abzugeben Die Sachverständigenkammern sind befugt, auf Anrufen der Beteiligten über Schadensersatzansprüche, über die Vernichtung von Exemplaren oder Vorrichtungen sowie über die Zuerkennung des im § 38 bezeichneten Rechtes als Schiedsrichter zu verhandeln und zu entscheiden Ter Reichskanzler erläßt die Bestimmungen über die Zusammensetzung und den Geschäftsbetrieb der Sachverständigenkammern Die einzelnen Mitglieder der Sachverständigenkammern sollen nicht ohne ihre Zustimmung und nicht ohne Genehmigung des Vorsitzenden von den Ge­ richten als Sachverständige vernommen werden 8 47. Der Anspruch auf Schadensersatz und die Strafverfolgung wegen widerrechtlicher Vervielfältigung verjähren in drei Jahren Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem die Vervielfältigung vollendet ist Ist die Vervielfältigung zum Zwecke der Verbreitung bewirkt, so beginnt die Verjährung erst mit dem Tage, an welchem eine Verbreitung, stattgesunden hat i) Nunmehr §§ 430—432 StPO. (i. d. F. der Bek vom 22 März 1924).

158. Gesetz, bett, künstler. Urheberrecht v. 9. Jan. 1907.

§§ 40—55.

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8 48. Der Anspruch auf Schadensersatz und die Strafverfolgung wegen widerrechtlicher Verbreitung oder Vorführung eines Werkes sowie die Straf­ verfolgung wegen widerrechtlicher Verbreitung oder Schaustellung eines Bildnisses verjähren in drei Jahren. Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem die widerrechtliche Handlung zuletzt stattgefunden hat. § 49. Die Verjährung der nach § 40 strafbaren Handlung beginnt mit dem Tage, an welchem die erste Verbreitung stattgefunden hat. 8 50. Der Antrag auf Vernichtung der Exemplare und der Borrichrungen ist so lange zulässig, als solche Exemplare oder Vorrichtungen vor­ handen sind. Fünfter Abschnitt.

Schlußbestimmungen.

8 51.

Den Schutz des Urhebers genießen die Reichsangehörigen für alle ihre Werke, gleichviel ob diese erschienen sind oder nicht. Wer nicht Reichsangehöriger ist, genießt den Schutz für jedes seiner Werke, das im Inland erscheint, sofern er nicht das Werk an einem früheren Tage im Auslande hat erscheinen lassen. § 52. In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in welchen burcf) Klage oder Widerklage ein Anspruch auf Grund der Vorschriften dieses Gesetzes geltend gemacht ist, wird die Verhandlung und Entscheidung letzter Instanz im Sinne des § 8 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgeseye dem Reichsgerichte zugewiesen. § 53. Die ausschließlichen Befugnisse des Urhebers eines Werkes, das zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes geschützt ist, bestimmen sich nach dessen Vorschriften. Auf ein Werk der Photographie, das bei dem Jnkrast-treten des Gesetzes noch nicht erschienen war, finden dessen Vorschriften auch dann Anwendung, wenn die bisherige Schutzfrist abgetaufen ist. Wer in seinem Geschäftsbetriebe vor dem Jnkraftreten des Gesetzes erlaubterweise ein Werk zur Bezeichnung, Ausstattung oder Ankündigung von Waren benutzt hat, darf das Werk auch ferner zu diesem Zwecke benutzen. Ist ein erschienenes Werk bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes gewerbsmäßig mittels mechanischer oder optischer Einrichtungen vorgeführt worden, so genießt es den Schutz gegen unerlaubte Vorführung nicht. 8 54. Soweit eine Vervielfältigung, die nach *bem Inkrafttreten dieses Gesetzes unzulässig ist, bisher erlaubt war, dürfen die vorhandenen Vor­ richtungen, wie Formen, Platten, Steine, noch bis zum Ablaufe von drei Jahren benutzt werden. Vorrichtungen, deren Herstellung begonnen nmr, dürfen fertiggestellt und bis zu demselben Zeitpunkte benutzt werden. Die Verbreitung der gemäß dieser Vorschriften hergestellten sowie der bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vollendeten Exemplare ist zulässig. 8 55. Das Gesetz tritt mit dem 1. Juli 1907 in Kraft. Mit demselben Tage treten außer Kraft die §§ 1 bis 16, 20, 21 des Gesetzes, betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste, vom 9. Januar 1876 (Reichs-Gesetzbl. S. 4) sowie das Gesetz, betreffend den Schutz der Photographien gegen unbefugte Nachbildung, vom 10. Januar 1876 (Reichs-Gesetzbl. S. 8).

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Erster Teil.

Strafgesetze.

159. 3. Gesetz zur Ausführung der revidierten Berner Uebereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst vom 13. November 1908. Vom 22. Mai 1910. (RGBl. S. 793.)

Art. IV.1) In Ausführung des Art. 9 Abs. 2, des Art. 13 Abs. 2 und des Art. 18 Abs. 3 der revidierten Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst vom 13. November 1908 wird bestimmt: § 1. Wer der Bestimmung des Art. 9 Abs. 2 Satz 1 der Über­ einkunft zuwider es unterläßt, die benutzte Quelle anzugeben, wird' nach § 44 des Gesetzes, betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst, vom 19. Juli 1901 (Reichs-Gesetzbl. S. 277) bestraft. § 2. Auf die nach Art. 13 Abs. 1 der Übereinkunft den Urhebern von Werken der Tonkunst zustehenden Befugnisse finden die Vorschriften, der §§ 22 bis 22 c und des § 63 a Abs. 2 in der Fassung des gegen­ wärtigen Gesetzes Anwendung. Die Bestimmung des Art. 13 Abs. 3 der Übereinkunft bleibt unberührt. § 3. Die im Art. 18 Abs. 3 der Übereinkunft vorbehaltene Rege­ lung der Anwendung des im Art. 18 Abs. 1 enthaltenen Grundsatzes erfolgt durch Kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats.

160. 4. Gesetz, betr. das Urheberrecht an Mustern und Modellen. Vom 11. Januar 1876. (RGBl. S. 11.)

§ 1. Das Recht, ein gewerbliches Muster oder Modell ganz oder teil­ weise nachzubilden, steht dem Urheber desselben ausschließlich zu. Als Muster oder Modelle im Sinne dieses Gesetzes werden nur neue und eigentümliche Erzeugnisse angesehen. 8 2. Bei solchen Mustern und Modellen, welche von den in einer inländischen gewerblichen Anstalt beschäftigten Zeichnern, Malern, Bildhauern usw. im Auftrage oder für Rechnung des Eigentümers der gewerblichen An­ stalt angefertigt werden, gilt der letztere, wenn durch Vertrag nichts anderes bestimmt ist, als der Urheber der Muster und Modelle. 8 3. Das Recht des Urhebers geht auf dessen Erben über. Dieses Recht kann beschränkt oder unbeschränkt durch Vertrag oder durch Verfügung von Todes wegen auf andere übertragen werden. 8 4. Die freie Benutzung einzelner Motive eines Musters oder Modells zur Herstellung eines neuen Musters oder Modells ist als Nachbildung nicht anzusehen. 8 5. Jede Nachbildung eines Musters oder Modells, welche in der Absicht, dieselbe zu verbreiten, ohne Genehmigung des Berechtigten (§§ 1—3) hergestellt wird, ist verboten. Als verbotene Nachbildung ist es auch an­ zusehen; 1. wenn bei Hervorbringung derselben ein anderes Verfahren angewendet worden ist, als bei dem Originalwerke, oder wenn die Nachbildung für­ einen anderen Gewerbszweig bestimmt ist, als das Original;

*) Die §§ I—III enthalten Änderungen der unter Nr. 157, 158 ab­ gedruckten Gesetze, die dort bereits berücksichtigt sind.

160. Musterschutzgesetz v. 11. Jan. 1876.

§§ 1—11.

705

2. wenn ine Nachbildung in anderen räumlichen Abmessungen oder Farben hergestellt wird, als das Original, oder wenn sie sich vom Original nur durch solche Abänderungen unterscheidet, welche nur bei Anwendung besonderer Aufmerksamkeit wahrgenommen werden können; 3. wenn die Nachbildung nicht unmittelbar nach dem Originalwerke, fow dern mittelbar nach einer Nachbildung desselben geschaffen ist. § 6. Als verbotene Nachbildung ist nicht anzusehen: 1. die Einzelkopie eines Musters oder Modells, sofern dieselbe ohne die Absicht der gewerbsmäßigen Verbreitung und Verwertung angefertigt wird; 2. die Nachbildung von Mustern, welche für Flächenerzeugnisse bestimmt sind, durch plastische Erzeugnisse, und umgekehrt; 3. die Aufnahme von Nachbildungen einzelner Muster oder Modelle in ein Schriftwerk. g 7. Der Urheber eines Musters oder Modells genießt den Schutz gegen Nachbildung nur dann, wenn er dasselbe zur Eintragung in das Musterregister angemeldet und ein Exemplar oder eine Abbildung des Musters usw. bei der mit Führung des Musterregisters beauftragten Behörde nieder­ gelegt hat. Die Anmeldung und Niederlegung muß erfolgen, bevor ein nach dem Muster oder Modelle gefertigtes Erzeugnis verbreitet wird. g 8. Der Schutz des gegenwärtigen Gesetzes gegen Nachbildung wird dem Urheber des Musters oder Modells nach seiner Wahl ein bis drei Jahro lang, vom Tage der Anmeldung (§ 7) ab, gewährt. Der Urheber ist berechtigt, gegen Zahlung der im § 12 Abs. 3 bestimmten Gebühr, eine Ausdehnung der Schutzfrist bis auf höchstens fünfzehn Jahre zu verlangen. Tie Verlängerung der Schutzfrist wird in dem Musterregister eingetragen. Der Urheber kann das ihm nach Abs. 2 zustehende Recht außer bei der Anmeldung auch bei Ablauf der dreijährigen und der zehnjährigen Schutzfrist ausüben. g 9. Das Musterregister wird von den mit der Führung der Handels­ register beauftragten Gerichtsbehörden geführt. Der Urheber hat die Anmeldung oder Niederlegung des Musters oder Modells bei der Gerichtsbehörde seiner Hauptniederlassung, und falls er eine eingetragene Firma nicht besitzt, bei der betreffenden Gerichtsbehörde seines Wohnortes zu bewirken. Urheber, welche im Jnlande weder eine Niederlassung noch einen Wohn­ sitz haben, müssen die Anmeldung und Niederlegung bei dem Handelsgericht in Leipzig bewirken. Tie Muster oder Modelle können offen oder versiegelt, einzeln oder in Paketen niedergelegt werden. Die Pakete dürfen jedoch nicht mehr als 50 Muster oder Modelle enthalten und nicht mehr als 10 Kilogramm wiegen. Die näheren Vorschriften über die Führung des Musterregisters erläßt das Neichskanzler-Amt. Die Eröffnung der versiegelt niedergelegten Muster erfolgt drei Jahre nach der Anmeldung (§ 7) beziehentlich, wenn die Schutzfrist eine kürzere ist, nach dem Ablaufe derselben. Die Eintragung und die Verlängerung der Schutzfrist (§ 8 Alinea 2) wird monatlich im Deutschen Reichsanzeiger bekannt gemacht. Die Kosten der Be­ kanntmachung hat der Anmeldende zu tragen. g 1v. Die Eintragungen in das Musterregister werden bewirkt, ohne daß eine zuvorige Prüfung über die Berechtigung des Antragstellers oder über die Richtigkeit der zur Eintragung angemeldeten Tatsachen stattfindet, g 11. Es ist jedermann gestattet, von dem Musterregister und den nicht versiegelten Mustern und Modellen Einsicht zu nehmen und sich beglaubigte Auszüge aus dem Musterregister erteilen zu lassen. In Streitfällen darüber, ob ein Muster oder Modell gegen Nachbildung geschützt ist, können zur HerAllfetd, Sllafgejetz^ebun^. 45

706

Erster Teil.

Strafgesetze.

beiführung der Entscheidung auch die versiegelten Pakete von der mit der Führung des Musterregisters beauftragten Behörde geöffnet werden 8 12. Alle Eingaben, Verhandlungen, Atteste, Beglaubigungen, Zeug­ nisse, Auszüge usw., welche die Eintragung in das Musterregister betreffen, sind stempelfrei. Für jede Eintragung und Niederlegung eines einzelnen Musters oder eines Pakets mit Mustern usw. (§ 9) wird, insofern die Schutzfrist auf nicht länger als drei Jahre beansprucht wird (§ 8 Abs. 1), eine Gebühr von I Mark kür jedes Jahr erhoben. Nimmt der Urheber in Gemäßheit des § 8 Abs. 2 eine längere Schutze frist in Anspruch, so hat er für jedes weitere Fahr bis zum zehnten Jahre einschließlich eine Gebühr von 2 Mark, von elf bis fünfzehn Jahren eine Gebühr von 3 Mark für jedes einzelne Muster oder Modell zu entrichten Für jeden Eintragungsschein, sowie für jeden sonstigen Auszug aus dem Muster­ register wird eine Gebühr von je 1 Mark erhoben 8 13. Derjenige, welcher nach Maßgabe des K 7 das Muster oder Modell zur Eintragung in das Musterregister angemeldet und niedergelegt hat, gilt bis zum Gegenbeweise als Urheber 8 14. Die Bestimmungen in den §§ 18—36, 381) des Gesetzes vom II Juni 1870, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken usw (BundesGesetzbl. 1870 S. 339) finden auch auf das Urheberrecht an Mustern und Mo­ dellen mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, daß die vorrätigen Nach­ bildungen und die zur widerrechtlichen Vervielfältigung bestimmten Vorrich­ tungen nicht vernichtet, sondern auf Kosten des Eigentümers und nach Wahl desselben entweder ihrer gefährdenden Form entkleidet, oder bis zum Ablauf der Schutzfrist amtlich aufbewahrt werden

x) Diese Paragraphen lauten:

e)

Entschädigung

und

Strafen

8 18. Wer vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit einen Nachdruck (§§ 4ff) in der Absicht, denselben innerhalb oder außerhalb des Norddeutschen Bundes zu verbreiten, veranstaltet, ist den Urheber oder dessen Rechtsnachfolger zu ent­ schädigen verpflichtet und wird außerdem zu einer Geldstrafe bis zu eintausend Talern bestraft Die Bestrafung des Nachdrucks bleibt jedoch ausgeschlossen, wenn der Veranstalter desselben auf Grund entschuldbaren, tatsächlichen oder rechtlichen Irrtums in gutem Glauben gehandelt hat. Kann die verwirkte Geldstrafe nicht beigetrieben werden, so wird dieselbe nach Maßgabe der allgemeinen Strafgesetze in eine entsprechende Freiheits­ strafe bis zu sechs Monaten umgewandelt Statt jeder aus diesem Gesetze entspringenden Entschädigung kann aus Verlangen des Beschädigten neben der Strafe auf eine an den Beschädigten zu erlegende Geldbuße bis zum Betrage von zweitausend Talern erkannt werden. Für diese Buße haften die zu derselben Verurteilten als Gesamtschuldner Eine erkannte Butze schließt die Geltendmachung eines weiteren Ent­ schädigungsanspruchs aus. Wenn den Veranstaltern des Nachdrucks kein Verschulden trifft, so haftet er dem Urheber oder dessen Rechtsnachfolger für den entstandenen Schaden nur bis zur Höhe seiner Bereicherung. 8 19. Darüber, ob ein Schaden entstanden ist, und wie hoch sich der­ selbe beläuft, desgleichen über den Bestand und die Höhe einer Bereicherung, entscheidet das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeu­ gung. 8 20. Wer vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit einen andern zur Veran­ staltung eines Nachdrucks veranlaßt, hat die im § 18 festgesetzte Strafe ver­ wirkt, und ist den Urheber oder dessen Rechtsnachfolger nach Maßgabe der §§ 18 und 19 zu entschädigen verpflichtet, und zwar selbst dann, wenn der

160. Musterschutzgesetz v. 11. Jan. 1876.

§§ 12-14.

707

Die Sachverständigen-Bereine, welche nach § 31 des genannten Gesetzes Gutachten über die Nachbildung von Mustern oder Modellen abzugeben haben, sollen aus Künstlern, aus Gewerbetreibenden verschiedener Gewerbezweige und aus sonstigen Personen, welche mit dem Muster- und Modellwesen ver­ traut sind, zusammengesetzt werden

Veranstalter des Nachdrucks nach § 18 nicht strafbar oder ersatzverbindlich sein sollte. Wenn der Veranstalter des Nachdrucks ebenfalls vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit gehandelt hat, so haften beide dem Berechtigten solidarisch Die Strafbarkeit und die Ersatzverbindlichkeit der übrigen Teilnehmer am Nachdruck richtet sich nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften 8 21. Die vorrätigen Nachdrucks-Exemplare und die zur widerrechtlichen Vervielfältigung ausschließlich bestimmten Vorrichtungen, wie Formen, Plat­ ten, Steine, Stereotypabgüsse usw., unterliegen der Einziehung. Dieselben sind, nachdem die Einziehung dem Eigentümer gegenüber rechtskräftig erkannt ist, entweder zu vernichten oder ihrer gefährdenden Form zu entkleiden und alsdann dem Eigentümer zurückzugeben Wenn nur ein Teil des Werkes als Nachdruck anzusehen ist, so erstreckt sich die Einziehung nur auf den als Nachdruck erkannten Teil des Werkes und die Vorrichtungen zu diesem Teile. Die Einziehung erstreckt sich auf alle diejenigen Nachdrucks-Exemplare und Vorrichtungen, welche sich im Eigentum des Veranstalters des Nachdrucks, des Druckers, .der Sortimentsbuchhändler, der gewerbsmäßigen Verbreiter und des­ jenigen, welcher den Nachdruck veranlaßt hat (§ 20), befinden Tie Einziehung tritt auch dann ein, wenn der Veranstalter oder Veran­ lasser des Nachdrucks weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt hat (§ 18) Sie erfolgt auch gegen die Erben desselben Es steht dem Beschäftigten frei, die Nachdrucks-Exemplare und Vorrich­ tungen ganz oder teilweise gegen die Herstellungskosten zu übernehmen, inso­ fern nicht die Rechte eines Tritten dadurch verletzt oder gefährdet werden 8 22. Das Vergehen des Nachdrucks ist vollendet, sobald ein NachdrucksExemplar eines Werkes den Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes zuwider, sei es im Gebiete des Norddeutschen Bundes, sei es außerhalb desselben, her­ gestellt worden ist. Im Falle des bloßen Versuchs des Nachdrucks tritt weder eine Bestrafung noch eine Entschädigungsverbindlichkeit des Nachdruckers ein. Die Einziehung der Nachdrucksvorrichtungen (§ 21) erfolgt auch in diesem Falle. 8 23. Wegen Rückfalls findet eine Erhöhung der Strafe über das höchste gesetzliche Maß (§ 18) nicht statt. 8 24. Wenn in den Fällen des § 7 Lit. a die Angabe der Quelle oder des Namens des Urhebers vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit unterlassen wird, so haben der Veranstalter und der Veranlasser des Abdrucks eine Geldstrafe bis zu zwanzig Talern verwirkt. Eine Umwandlung der Geldstrafe in Freiheitsstrafe findet nicht statt Eine Entschädigungspflicht tritt nicht ein 8 25. Wer vorsätzlich Exemplare eines Werkes, welche den Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes zuwider angefertigt worden sind, innerhalb oder außerhalb des Norddeutschen Bundes gewerbemäßig feilhält, verkauft oder in sonstiger Weise verbreitet, ist nach Maßgabe des von ihm verursachten Schadens den Urheber oder dessen Rechtsnachfolger zu entschädigen verpflichtet und wird außerdem mit Geldstrafe nach § 18 bestraft Die Einziehung der zur gewerbemäßigen Verbreitung bestimmten Nach­ drucks-Exemplare nach Maßgabe des § 21 findet auch dann statt, wenn der Verbreiter nicht vorsätzlich gehandelt hat. Ter Entschädigungspflicht, sowie der Bestrafung wegen Verbreitung unter­ liegen auch der Veranstalter und Veranlasser des Nachdrucks, wenn sie nicht schon als solche entschädigungspflichtig und strafbar sind

708

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 18. Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, in welchen auf Grund der Be­ stimmungen dieses Gesetzes eine Klage wegen Entschädigung, Bereicherung oder Einziehung angestellt wird, gelten im Sinne der Reichs- und Landes­ gesetze als Handelssachen. f)

Verfahren

8 26. Sowohl die Entscheidung über den Entschädigungsanspruch, als auch die Verhängung die Einziehung der ordentlichen Gerichte Tie Einziehung rechtswege beantragt

der im gegenwärtigen Gesetze angedrohten Strafen und Nachdrucks-Exemplare usw gehört zur Kompetenz bet

der Nachdrucks-Exemplare usw kann sowohl im Straf­ als im Zivilrechtswege verfolgt werden.

8 27. Tas gerichtliche Strafverfahren ist nicht von Amts wegen, sondern nur auf den Antrag des Verletzten einzuleiten Der Antrag auf Bestrafung kann bis zur Verkündung eines auf Strafe lautenden Erkenntnisses zurück­ genommen werden 8 28. Die Verfolgung des Nachdrucks steht jedem zu, dessen Urheber­ oder Verlagsrechte durch die widerrechtliche Vervielfältigung beeinträchtigt oder gefährdet sind Bei Werken, welche bereits veröffentlicht sind, gilt bis zum Gegenbeweise, derjenige als Urheber, welcher nach Maßgabe des § 11 Ms 1, 2 auf dem Werke als Urheber angegeben ist Bei anonymen und pseudonymen Werken ist der Herausgeber, und wenn ein solcher nicht angegeben ist, der Verleger berechtigt, die dem Urheber zustehenden Rechte wahrzunehmen Der auf dem Werke angegebene Verleger gilt ohne weiteren Nachweis als der Rechtsnachfolger des anonymen oder pseudonymen Urhebers 8 29. In den Rcchtsstreitigkeiten wegen Nachdrucks, einschließlich der Klagen wegen Bereicherung aus dem Nachdruck, hat der Richter, ohne an positive Regeln über die Wirkung der Beweismittel gebunden zu sein, den Tatbestand nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlungen ge­ schöpften Überzeugung festzustellen Ebenso ist der Richter bei Entscheidung der Frage: ob der Nachdrucker oder der Veranlasser des Nachdrucks (§§ 18, 20) fahrlässig gehandelt hat, an die in den Landesgesetzen vorgeschriebenen verschiedenen Grade der Fahr­ lässigkeit nicht gebunden 8 30. Sind technische Fragen, von welchen der Tatbestand des Nach­ drucks oder der Betrag des Schadens oder der Bereicherung abhängt, zweifel­ haft oder streitig, so ist der Richter befugt, das Gutachten Sachverständiger einzuholen. 8 31. In allen Staaten des Norddeutschen Bundes sollen aus Gelehrten, Schriftstellern, Buchhändlern und anderen geeigneten Personen Sachverständigen-Vereine gebildet werden, welche, aus Erfordern des Richters, Gut­ achten über die an sie gerichteten Fragen abzugeben verpflichtet sind. Es bleibt den einzelnen Staaten überlassen, sich zu diesem Behufe an andere Staaten des Norddeutschen Bundes anzuschließen, oder auch mit denselben sich zur Bildung gemeinschaftlicher Sachverständigen-Vereine zu verbinden. Tie Sachverständigen-Vereine sind befugt, auf Anrufen der Beteiligten über streitige Entschädigungsansprüche und die Einziehung nach Maßgabe der §§ 18 bis 21 als Schiedsrichter zu verhandeln und zu entscheiden. Tas Bundeskanzler-Amt erläßt die Instruktion über die Zusammen­ setzung und den Geschäftsbetrieb der Sachverständigen-Vereine 8 32. Tie in den §§ 12 und 13 des Gesetzes, betreffend die Errichtung eines obersten Gerichtshofes für Handelssachen vom 12 Juni 1869 (Bundesgesetzbl. S. 201), geregelte Zuständigkeit des Bundes-Oberhandelsgerichts zu Leipzig wird auf diejenigen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ausgedehnt, in welchen auf Grund der Bestimmungen dieses Gesetzes durch die Klage ein

160. Musterschuhgesetz v. 11. Jan. 1876. §§ 15, 16.

709

§ 16. Das gegenwärtige Gesetz findet Anwendung auf alle Muster und Modelle inländischer Urheber, sofern die nach den Mustern oder Modellen her­ gestellten Erzeugnisse im Inlands verfertigt sind, gleichviel ob dieselben im Jnlande oder Auslande verbreitet werden. Wenn ausländische Urheber im Gebiete des Teutschen Reichs ihre ge­ werbliche Niederlassung haben, so genießen sie für die im Jnlande gefertigten Erzeugnisse den Schutz des gegenwärtigen Gesetzes. Entschädigungsanspruch oder ein Anspruch auf Einziehung geltend gemacht wird. Tas Bundes-Oberhandelsgericht tritt auch in den nach den Bestimmun­ gen dieses Gesetzes zu beurteilenden Strafsachen an die Stelle des für das Gebiet, in welchem die Sache in erster Instanz anhängig geworden ist, nach den Landesgesetzen bestehenden obersten Gerichtshofes, und zwar mit derjenigen Zuständigkeit, welche nach diesen Landesgesetzen dem obersten Gerichtshöfe ge­ bührt. In den zufolge der vorstehenden Bestimmung zur Zuständigkeit des Bundes-Oberhandelsgerichts gehörenden Strafsachen bestimmt sich das Ver­ fahren auch bei diesem Gerichtshöfe nach den für das Gebiet, aus welchem die Sache an das Bundes-Oberhandelsgericht gelangt, geltenden Strafprozeß­ gesetzen. Tie Verrichtungen der Staatsanwaltschaft in diesen Strafsachen wer­ den bei dem Bundes-Oberhandelsgericht von dem Staatsanwalt wahrgenom­ men, welcher dieselben bei dem betreffenden obersten Landesgerichtshofe wahrzunehmen hat. Ter bezeichnete Staatsanwalt kann sich jedoch bei der mündlichen Verhandlung durch einen in Leipzig angestellten Staatsanwalt oder durch einen in Leipzig wohnenden Advokaten vertreten lassen. Strafsachen, für welche in letzter Instanz das Bundes-Oberhandels­ gericht zuständig ist, und Strafsachen, für welche in letzter Instanz der oberste Landesgerichtshof zuständig ist, können in Einem Strafverfahren nicht ver­ bunden werden. Tie Bestimmungen der §8 10, 12 Abs. 2, § 16 Abs. 2, §§ 17, 18, 21 und 22 des Gesetzes vom 12. Juni 1869 finden auch auf die zur Zuständig­ keit des Bundes-Oberhandelsgerichts gehörenden Strafsachen entsprechende Anwendung. g) Verjährung.

8 33. Tie Strafverfolgung des Nachdrucks und die Klage auf Entschädidung wegen Nachdrucks, einschließlich der Klage wegen Bereicherung (§ 18), verjähren in drei Jahren. Der Lauf der Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem die Ver­ breitung der Nachdrucks-Exemplare zuerst stattgefunden hat. 8 34. Die Strafverfolgung der Verbreitung von Nachdrucks-Exemplaren und die Klage auf Entschädigung wegen dieser Verbreitung (§ '25) verjähren ebenfalls in drei Jahren. Der Lauf der Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem die Ver­ breitung zuletzt stattgefunden hat. 8 35. Ter Nachdruck und die Verbreitung von Nachdrucks-Exemplaren sollen straflos bleiben, wenn der zum Strafantrage Berechtigte den Antrag binnen drei Monaten nach erlangter Kenntnis von dem begangenen Ver­ gehen und von der Person des Täters zu machen unterläßt. 8 36. Der Antrag auf Einziehung und Vernichtung der NachdrucksExemplare, sowie der zur widerrechtlichen Vervielfältigung ausschließlich be­ stimmten Vorrichtungen (§ 21), ist so lange zulässig, als solche Exemplare und Vorrichtungen vorhanden sind. 8 38. Die allgemeinen gesetzlichen Vorschriften bestimmen, durch welche Handlungen die Verjährung unterbrochen wird. Die Einleitung des Strafverfahrens unterbricht die Verjährung der Entschädigungsklage nicht, und ebensowenig unterbricht die Anstellung der Entschädigungsklage die Verjährung des Strafverfahrens.

710

Erster Teil.

Strafgesetze.

Im übrigen richtet sich der Schutz der ausländischen Urheber nach den bestehenden Staatsverträgen. 8 17. Das gegenwärtige besetz tritt mit dem 1. April 1876 in Kraft. Es findet Anwendung auf alle Muster und Modelle, welche nach dem Inkraft­ treten desselben angefertigt worden sind. Muster und Modelle, welche vor diesem Tage angefertigt worden sind, genießen den Schutz des Gesetzes nur dann, wenn das erste nach dem Muster usw. gefertigte Erzeugnis erst nach dem Inkrafttreten des Gesetzes verbreitet worden ist. Muster und Modelle, welche schon bisher landesgesetzlich gegen Nachbildung geschützt waren, behalten diesen Schutz- jedoch kann derselbe nur für denjenigen räumlichen Umfang geltend gemacht werden, für welchen er durch die Landesgesetzgebung erteilt war.

161.

5. Patentgesetz. Vom 7. April 1891.

In der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Dezember 1923. (RGBl. Teil II S. 437 ff.)

E r st e r Abschnitt. Patentrecht. 8 1. Patente werden erteilt für neue Erfindungen, welche eine gewerb­ liche Verwertung gestatten. Ausgenommen sind: 1. Erfindungen, deren Verwertung den Gesetzen oder guten Sitten zu­ widerlaufen würde; 2. Erfindungen von Nahrungs-, Genuß- und Arzneimitteln sowie von Stoffen, welche auf chemischem Wege hergesteUt werden, soweit die Er­ findungen nicht ein bestimmtes Verfahren zur Herstellung der Gegenstände betreffen. 8 2. Eine Erfindung gilt nicht als neu, wenn sie zur Zeit der auf Grund dieses Gesetzes erfolgten Anmeldung in öffentlichen Druckschriften aus den letzten hundert Jahren bereits derart beschrieben oder im Inland bereits so offenkundig benutzt ist, daß danach die Benutzung durch andere Sachverstän­ dige möglich erscheint. Die im Ausland amtlich herausgegebenen Patentbeschreibungen stehen den öffentlichen Druckschriften erst nach Ablauf von drei Monaten seit dem Tage der Herausgabe gleich, sofern das Patent von demjenigen, welcher die Erfindung im Ausland angemeldet hat, oder von seinem Rechtsnachfolger nach­ gesucht wird. Diese Begünstigung erstreckt sich jedoch nur auf die amt­ lichen Patentbeschreibungen derjenigen Staaten, in welchen nach einer im Reichsgesetzblatt enthaltenen Bekanntmachung die Gegenseitigkeit verbürgt ist. 8 3. Auf die Erteilung des Patents hat derjenige Anspruch, welcher die Erfindung zuerst nach Maßgabe dieses Gesetzes angemeldet hat. Eine spätere Anmeldung kann den Anspruch auf ein Patent nicht begründen, wenn die Erfindung Gegenstand des Patents des früheren Anmelders ist. Trifft diese Voraussetzung teilweise zu, so hat der spätere Anmelder nur Anspruch auf Erteilung eines Patentes in entsprechender Beschränkung. Ein Anspruch des Patentsuchers auf Erteilung des Patents findet nicht statt, wenn der wesentliche Inhalt seiner Anmeldung den Beschreibungen, Zeichnungen, Modellen, Gerätschaften oder Einrichtungen eines anderen oder einem von diesem angewendeten Verfahren ohne Einwilligung desselben ent­ nommen und von dem letzteren aus diesem Grunde Einspruch erhoben ist. Hat der Einspruch die Zurücknahme oder Zurückweisung der Anmeldung zur Folge, so kann der Einsprechende, falls er innerhalb eines Monats seit

161. Patentgesetz vom 7. April 1891.

§§ 1—8.

711

Mitteilung des hierauf bezüglichen Bescheids des Patentamts die Erfindung seinerseits anmeldet, verlangen, daß als Tag seiner Anmeldung der Tag vor Bekanntmachung der früheren Anmeldung festgesetzt werde 8 4. Das Patent hat die Wirkung, daß der Patentinhaber ausschließlich befugt ist, gewerbsmäßig den Gegenstand der Erfindung herzustellen, in Verkehr zu bringen, feilzuhalten oder zu gebrauchen Ist das Patent für ein Verfahren erteilt, so erstreckt sich die Wirkung auch auf die durch das Berfahren unmittelbar hergestellten Erzeugnisse 8 5. Die Wirkung des Patents tritt gegen denjenigen nicht ein, wel­ cher zur Zeit der Anmeldung bereits im Inland die Erfindung in Be­ nutzung genommen oder die zur Benutzung erforderlichen Veranstaltungen getroffen hatte Derselbe ist befugt, die Erfindung für die Bedürfnisse seines eigenen Betriebs in eigenen oder fremden Werkstätten auszunutzen Diese Befugnis kann nur zusammen mit dem Betriebe vererbt oder veräußert werden. Die Wirkung des Patents tritt ferner insoweit nicht ein, als die Er­ findung nach Bestimmung der Reichsregierung für das Heer oder für die Flotte oder sonst im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt benutzt werden soll. Doch hat der Patentinhaber in diesem Falle gegenüber dem Reiche oder dem Staate, welcher in seinem besonderen Interesse die Beschränkung des Patents beantragt hat, Anspruch auf angemessene Vergütung, welche in Ermangelung einer Verständigung im Rechtswege festgesetzt wird. Auf Einrichtungen an Fahrzeugen, welche nur vorübergehend in das Inland gelangen, erstreckt sich die Wirkung des Patents nicht. 8 6. Der Anspruch auf Erteilung des Patents und das Recht aus dem Patente gehen auf die Erben über Der Anspruch und das Recht können be­ schränkt oder unbeschränkt durch Vertrag oder durch Verfügung von Todes wegen auf andere übertragen werden 8 7. Die Dauer des Patents ist achtzehn Jahre; der Lauf dieser Zeit beginnt mit dem auf die Anmeldung der Erfindung folgenden Tage. Be­ zweckt eine Erfindung die Verbesserung oder sonstige weitere Ausbildung einer anderen, zugunsten des Patentsuchers durch ein Patent geschützten Er­ findung, so kann dieser die Erteilung eines Zusatzpatents nachsuchen, webches mit dem Patente für die ältere Erfindung sein Ende erreicht. Fällt das Hauptpatent durch Erklärung der Nichtigkeit, durch Zurück­ nahme oder durch Verzicht fort, so wird das Zusatzpatent zu einem selbstän­ digen Patente; seine Dauer bestimmt sich nach dem Anfangstage des Haupt­ patents 8 8. Für jedes Patent ist vor der Erteilung die erste Iah res gebühr (§ 24 Abs 1), mit Beginn des zweiten und jedes folgenden Jahres der Dauer des Patents eine weitere Jahresgebühr nach Maßgabe des Tarifs zu ent­ richten Bei Zusatzpatenten (§. 7) beträgt die Gebühr die Hälfte der im Tarife vorgeschriebenen Sätze, wobei sich die Fälligkeit nach dem Anfangstage des Hauptpatents bestimmt; als erstes Patentjahr gilt die Zeit vom Tage der Anmeldung des Zusatzpatents bis zu dem nächstfolgenden Jahrestage jdes Anfangs des Hauptpatents. In den Fällen des § 7 Abs. 2 ist, sobald die Gebührenzahlung für das Hauptpatent fortfällt, für das selbständig gewor­ dene Zusatzpatent der volle Tarifsatz zu zahlen, wobei sich der Jahresbetrag nach dem Anfangslage des bsherigen Hauptpatents bestimmt Die für das zweite und die folgenden Jahre zu zahlende Gebühr ist innerhalb zweier Monate nach der Fälligkeit zu entrichten. Nach dem Ablauf der Frist kann die Gebühr nur unter Zahlung des tarifmäßigen Zuschlags entrichtet werden. Das Patentamt gibt dem Patentinhaber Nachricht, daß das Patent erlischt, sofern nicht bis zum Ablauf eines Monats nach Zu­ stellung die Gebühr nebst Zuschlag gezahlt wird (§ 9). Einem Patentinhaber, welcher seine Bedürftigkeit nachweist, können die Gebühren für das erste und zweite Jahr der Tauer des Patents bis zum dritten Jahre gestundet und, wenn das Patent im dritten Jahre erlischt, erlassen werden.

712

Erster Teil.

Strafgesetze.

Die Zahlung der Gebühren kann vor Eintritt der Fälligkeit erfolgen. Wird aus das Patent verzichtet oder dasselbe für nichtig erklärt oder zurück­ genommen, so erfolgt die Rückzahlung der nicht fällig gewordenen Gebühren. § 9. Das Patent erlischt, wenn der Patentinhaber auf dasselbe ver­ zichtet oder wenn die Gebühren nicht rechtzeitig nach Zustellung der amt­ lichen Nachricht (§, 8 Abs. 3) bei der Kasse des Patentamts oder zur Über­ weisung an dieselbe bei einer Postanstalt im Gebiete des Deutschen Reiches eingezahlt sind. 8 10. Das Patent wird für nichtig erklärt, wenn sich ergibt: 1. daß der Gegenstand nach §§ 1 und 2 nicht patentfähig war, 2. daß die Erfindung Gegenstand des Patents eines früheren Anmelders ist, 3. daß der wesentliche Inhalt der Anmeldung den Beschreibungen, Zeich­ nungen, Modellen, Gerätschaften oder Einrichtungen eines anderen oder einem von diesem angewendeten Verfahren ohne Einwilligung des­ selben entnommen war. Trifft eine dieser Voraussetzungen (1 bis 3) nur teilweise zu, so erfolgt die Erklärung der Nichtigkeit durch entsprechende Beschränkung des Patents. 8 11 Verweigert der Patentinhaber einem andern die Erlaubnis zur Benutzung der Erfindung auch bei Angebot einer angemessenen Vergütung und Sicherheitsleistung, so kann, wenn die Erteilung der Erlaubnis im öffentlichen Interesse geboten ist, dem andern die Berechtigung zur Benutzung der Erfindung zugesprochen werden (Zwangslizenz). Die Berechtigung kann eingeschränkt erteilt und von Bedingungen abhängig gemacht werden. Das Patent kann, soweit nicht Staatsverträge entgegenstehen, zurück­ genommen werden, wenn die Erfindung ausschließlich oder hauptsächlich außerhalb des Deutschen Reichs oder der Schutzgebiete ausgeführt wird. Tie Übertragung des Patents auf einen andern ist insofern wirkungslos, als sie nur den Zweck hat, der Zurücknahme zu entgehen. Vor Verlauf von drei Jahren seit der Bekanntmachung der Erteilung des Patents kann eine Entscheidung nach Abs. 1, 2 gegen den Patentinhaber­ nicht getroffen werden. 8 12. Wer nicht im Inland wohnt, kann den Anspruch auf die Er­ teilung eines Patents und die Rechte aus dem Patente nur geltend machen, wenn er im Inland einen Vertreter bestellt hat. Der letztere ist zur Ver­ tretung in dem nach Maßgabe dieses Gesetzes stattfindenden Verfahren sowie in den das Patent betreffenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und zur Stel­ lung von Strafanträgen befugt. Der Ort, wo der Vertreter seinen Wohnsitz hat, und in Ermangelung eines solchen der Ort, wo das Patentamt seinen Sitz hat, gilt im Sinne des § 23 der Zivilprozeßordnung als der Ort, wo sich der Vermögensgegenstand befindet. Unter Zustimmung des Reichsrats kann durch Anordnung der Reichs­ regierung bestimmt werden, daß gegen die Angehörigen eines ausländischen Staates ein Vergeltungsrecht zur Anwendung gebracht werde. Zw eijer Ab schnitt.

Patentamt.

8 13. Die Erteilung, die Erklärung der Nichtigkeit und die Zurücknahme der Patente erfolgt durch das Patentamt. Das Patentamt hat seinen Sitz in Berlin. Es besteht aus einem Präsidenten, aus Mitgliedern, welche die Befähigung zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienste besitzen (rechtskundige Mitglieder) und aus Mitgliedern, welche in einem Zweige der Technik sachverständig sind (tech­ nische Mitglieder). Die Mitglieder werden, und zwar der Präsident auf Vorschlag des Reichsrats, vom Reichspräsidenten ernannt. Die Berufung der rechtskundigen Mitglieder erfolgt, wenn sie im Reichs- oder Staats­ dienst ein Amt bekleiden, auf die Dauer dieses Amtes, andernfalls auf Lebenszeit. Die Berufung der technischen Mitglieder erfolgt entweder auf

161. Patentgesetz vom 7. April 1891.

§§ 9—19.

713

Lebenszeit oder auf fünf Jahre. Im letzteren Falle finden aus sie die Bestimmungen im § 16 des Gesetzes, betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten, vom 31. März 1873 keine Anwendung. 8 14. In dem Patentamt werden 1. Abteilungen für die Patentanmeldungen (Anmeldeabteilungen), 2. eine Abteilung für die Anträge auf Erklärung der Nichtigkeit oder auf Zurücknahme von Patenten (Nichtigkeitsabteilung), 3. Abteilungen für die Beschwerden (Beschwerdeabteilungen) gebildet. In den Anmeldeabteilungen dürfen nur solche technische Mitglieder mit­ wirken, welche auf Lebenszeit berufen sind. Die technischen Mitglieder der Anmeldeabteilungen dürfen nicht in den übrigen Abteilungen, die technischen Mitglieder der letzteren nicht in den Anmeldeabteilungen mitwirken. Tie Beschlußfähigkeit der Anmeldeabteilungen ist durch die Anwesen­ heit von mindestens drei Mitgliedern bedingt, unter welchen sich zwei technische Mitglieder befinden müssen. Die Entscheidungen der Nichtigkeitsabteilung und der Beschwerdeabteihmgeii erfolgen in der Besetzung von zwei rechtskundigen und drei tech­ nischen Mitgliedern. Zu anderen Beschlußfassungen genügt die Anwesenheit von drei Mitgliedern. Die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung über Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen finden entsprechende Anwendung. Zu den Beratungen können Sachverständige, welche nicht Mitglieder sind, zugezogen werden; dieselbe dürfen an den Abstimmungen nicht teil­ nehmen. 8 15. Die Beschlüsse und die Entscheidungen der Abteilungen erfolgen im Namen des Patentamts; sie sind mit Gründen zu versehen, schriftlich auszu­ fertigen und allen Beteiligten von Amts wegen zuzustellen. 8 16. Gegen die Beschlüsse der Anmeldeabteilungen und der Nichtigkeits­ abteilung findet die Beschwerde statt. An der Beschlußfassung über die Beschwerde darf kein Mitglied teilnehmen, welches bei dem angefochtenen Beschlusse mitgewirkt hat. 8 17. Die Bildung der Abteilungen, die Bestimmung ihres Geschäfts­ kreises, die Formen des Verfahrens, einschließlich des Zustellungswesens, und der Geschäftsgang des Patentamts werden, insoweit dieses Gesetz nicht Bestimmungen darüber trifft, durch Verordnung des Reichspräsidenten unter Zustimmung des Reichsrats geregelt. 8 18. Das Patentamt ist verpflichtet, auf Ersuchen der Gerichte über Fragen, welche Patente betreffen, Gutachten abzugeben, sofern in dem gericht­ lichen Verfahren voneinander abweichende Gutachten mehrerer Sachverstän­ diger vorliegen. Im übrigen ist das Patentamt nicht befugt, ohne Genehmigung der Reichsregierung außerhalb seines gesetzlichen Geschäftskreises Beschlüsse zu fassen oder Gutachten abzugeben. 8 19. Bei dem Patentamt wird eine Rolle geführt, welche den Gegen­ stand und die Dauer der erteilten Patente, sowie den Namen und Wohnort der Patentinhaber und ihrer bei Anmeldung der Erfindung etwa bestellten Vertreter angibt. Der Anfang, der Ablauf, das Erlöschen, die Erklärung der Nichtigkeit und die Zurücknahme der Patente sind in der Rolle zu vermerken. Tritt in der Person des Patentinhabers oder seines Vertreters eine Änderung ein, so wird dieselbe, wenn sie in beweisender Form zur Kenntnis des Patentamts gebracht ist, ebenfalls in der Rolle vermerkt. Solange dieses nicht geschehen ist, bleiben der frühere Patentinhaber und sein früherer Ver­ treter nach Maßgabe dieses Gesetzes berechtigt und verpflichtet. Die Einsicht der Rolle, der Beschreibungen, Zeichnungen, Modelle und Probestücke, auf Grund deren die Erteilung der Patente erfolgt ist, steht, soweit es sich nicht um ein im Namen der Reichsverwaltung für die Zwecke des Heeres oder der Flotte genommenes Patent hanoelt, jedermann frei.

714

Erster Teil.

Strafgesetze.

Tas Patentamt veröffentlicht die Beschreibungen und Zeichnungen, soweit deren Einsicht jedermann freisteht (Patentschriften), und regelmäßig erschei­ nende Übersichten über die Eintragungen in der Rolle, soweit sie nicht nur den regelmäßigen Ablauf der Patente oder Änderungen in der Person, im Namen oder im Wohnort des Patentinhabers oder seines Vertreters betreffen (Patentblatt). Dritter Abschnitt.

Verfahren in Patentsachen.

8 20. Die Anmeldung einer Erfindung behufs Erteilung eines Patents geschieht schriftlich bei dem Patentamt. Für jede Erfindung ist eine besondere Anmeldung erforderlich. Die Anmeldung muß den Antrag auf Erteilung des Patents enthalten und in dem Antrag den Gegenstand, welcher durch das Patent geschützt werden soll, genau bezeichnen. In einer Anlage ist die Erfindung dergestalt zu beschreiben, daß danach die Benutzung derselben durch andere Sachverständige möglich erscheint. Am Schlüsse der Beschreibung ist dasjenige anzugeben, was als patentfähig unter Schutz gestellt werden soll (Patentanspruch). Auch sind die erforderlichen Zeichnungen, bildlichen Dar­ stellungen, Modelle und Probestücke beizufügen. Das Patentamt erläßt Bestimmungen über die sonstigen Erfordernisse der Anmeldung. Bis zu dem Beschluß über die Bekanntmachung der Anmel­ dung sind Abänderungen der darin enthaltenen Angaben zulässig. Gleich­ zeitig mit der Anmeldung ist für die Kosten des Verfahrens eine Gebühr nach Maßgabe des Tarifs zu entrichten. 8 21. Die Anmeldung unterliegt einer Vorprüfung durch ein Mitglied der Anmeldeabteilung. Erscheint hierbei die Anmeldung als den vorgeschriebenen Anforderungen (§ 20) nicht genügend, so wird durch Vorbescheid der Patentsucher aus­ gefordert, die Mängel innerhalb einer bestimmten Frist zu beseitigen. Insoweit die Vorprüfung ergibt, daß eine nach §§ 1, 2, 3 Abs. 1 patentfähige Erfindung nicht vorliegt, wird der Patentsucher hiervon unter Angabe der Gründe mit der Aufforderung benachrichtigt, sich binnen einer bestimmten Frist zu äußern. Erklärt sich der Patentsucher auf den Vorbescheid (Abs. 2 und 3) nicht rechtzeitig, so gilt die Anmeldung als zurückgenommen; erklärt er sich innerhalb der Frist, so faßt die Anmeldeabteilung Beschluß.

8 22. Ist durch die Anmeldung den vorgeschriebenen Anforderungen (§ 20) nicht genügt oder ergibt sich, daß eine nach §§ 1, 2, 3 Abs. 1 patent­ fähige Erfindung nicht vorliegt, so wird die Anmeldung von der Abteilung zurückgewiesen. An der Beschlußfassung darf das Mitglied, welches den Vor­ bescheid erlassen hat, nicht teilnehmen. Soll die Zurückweisung auf Grund von Umständen erfolgen, rvelche nicht bereits durch den Vorbescheid dem Patentsucher mitgeteilt waren, so ist dem­ selben vorher Gelegenheit zu geben, sich über diese Umstände binnen einer be­ stimmten Frist zu äußern. 8 23. Erachtet das Patentamt die Anmeldung für gehörig erfolgt und die Erteilung eines Patents nicht für ausgeschlossen, so beschließt es die Be­ kanntmachung der Anmeldung. Mit der Bekanntmachung treten für den Gegenstand der Anmeldung zugunsten des Patentsuchers einstweilen die ge­ setzlichen Wirkungen des Patents ein (§§ 4 und 5). Die Bekanntmachung geschieht in der Weise, daß der Name des Patent­ suchers und der wesentliche Inhalt des in seiner Anmeldung enthaltenen Antrags durch das Patentblatt einmal veröffentlicht wird. Mit der Veröffent­ lichung ist die Anzeige zu verbinden, daß der Gegenstand der Anmeldung einst­ weilen gegen unbefugte Benutzung geschützt sei. Gleichzeitig ist die Anmeldung mit sämtlichen Beilagen bei dem Patent­ amt zur Emsicht für jedermann auszulegen. Auf dem durch § 17 des Ge-

161. Patentgesetz vom 7. April 1891.

§§ 20—26.

715

setzes bestimmten Wege kann angeorbnet werden, daß die Auslegung auch außerhalb Berlins zu erfolgen habe. Die Bekanntmachung kann auf Antrag des Patentsuchers auf die Dauer von höchstens sechs Monaten, vom Tage des Beschlusses über die Bekannt­ machung an gerechnet, ausgesetzt werden. Ms zur Dauer von drei Monaten darf die Aussetzung nicht versagt werden. Handelt es sich um ein im Namen der Reichsverwaltung für die Zwecke des Heeres oder der Flotte nachgesuchtes Patent, so erfolgt auf An­ trag die Patenterteilung ohne jede Bekanntmachung. In diesem Falle un­ terbleibt auch die Eintragung in die Patentrolle.

g 24. Innerhalb der Frist von zwei Monaten nach der Veröffent­ lichung (§ 23) ist die erste Jahresgebühr (§ 8 Abs. 1) einzuzahlen. Nach dem Ablauf der Frist kann die Gebühr nur unter Zahlung des tarifmäßigen Zu­ schlags entrichtet werden. Das Patentamt gibt dem Patentsucher Nachricht, daß die Anmeldung als zurückgenommen gelten wird, sofern nicht bis zum Ablauf eines Monats nach der Zustellung die Gebühr nebst Zuschlag bezahlt wird. Erfolgt die Einzahlung nicht binnen dieser Frist, so gilt die Anmeldung als zurückgenommen. Innerhalb der Frist von zwei Monaten nach der Veröffentlichung kann gegen die Erteilung des Patents Einspruch erhoben werden. Der Einspruch muß schriftlich erfolgen und mit Gründen versehen sein. Er kann nur auf die Behauptung gestützt werden, daß der Gegenstand nach §§ 1 und 2 nicht patentfähig sei oder daß dem Patentsucher ein Anspruch auf das Patent nach § 3 nicht zustehe. Im Falle des § 3 Abs. 2 ist nur der Verletzte zum Ein­ spruch berechtigt. Nach Ablauf der Frist hat das Patentamt über die Erteilung des Pa­ tents Beschluß zu fassen. An der Beschlußfassung darf das Mitglied, welches den Vorbescheid (§ 21) erlassen hat, nicht teilnehmen. g 25. Bei der Vorprüfung und in dem Verfahren vor der Anmetdeabteilung kann jederzeit die Ladung und Anhörung der Beteiligten, die Ver­ nehmung von Zeugen und Sachverständigen sowie die Vornahme sonstiger zur Aufklärung der Sache erforderlicher Ermittlungen angeordnet werden. In dem Beschlusse, der über die Erteilung l>es Patents gefaßt wird, sind auf Antrag die durch eine Anhörung oder eine Beweisaufnahme ver­ ursachten Kosten dem unterliegenden Beteiligten aufzuerlegen- die §§ 92, 95, 96 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend, über diese Kosten ist auf An­ trag auch dann Bestimmung zu treffen, wenn die Anmeldung oder der Ein­ spruch ganz oder teilweise zurückgenommen wird; in solchen Fällen ist der Zurücknehmende als Unterliegender anzusehen. Eine Bestimmung nach Satz 1, 2 kann auch dann getroffen werden, wenn ein Antrag nicht gestellt ist. Die Anfechtung eines Beschlusses nur hinsichtlich des Kostenpunkts ist unzulässig; das gleiche gilt von der Anfechtung eines nur über den Kostenpunkt er­ gehenden Beschlusses.

g 26. Gegen den Beschluß, durch welchen die Anmeldung zurückgewie­ sen wird, kann der Patentsucher, und gegen den Beschluß, durch welchen über die Erteilung des Patents entschieden wird, der Patentsucher oder der Ein­ sprechende innerhalb eines Monats nach der Zustellung Beschwerde einlegen. Mit der Einlegung der Beschwerde ist für die Kosten des Beschwerdeverfahrens eine Gebühr nach Maßgabe des Tarifs zu zahlen; erfolgt die Zahlung nicht, so gilt die Beschwerde als nicht erhoben. Ist die Beschwerde an sich nicht statthaft oder ist dieselbe verspätet ein­ gelegt, so wird sie als unzulässig verworfen. Wird die Beschwerde für zulässig befunden, so richtet sich das weitere Verfahren nach § 25. Die Ladung und Anhörung der Beteiligten muß auf Antrag eines derselben erfolgen. Dieser Antrag kann nur abgelehnt wer­ den, wenn die Ladung des Antragstellers in dem Verfahren vor der An­ meldeabteilung bereits erfolgt war.

716

Erster Teil.

Strafgesetze.

Soll die Entscheidung über die Beschwerde auf Grund anderer als der in dem angegriffenen Beschlusse berücksichtigten Umstände erfolgen, so ist den Beteiligten zuvor Gelegenheit zu geben, sich hierüber zu äußern. Das Patentamt kann nach freiem Ermessen bestimmen, inwieweit einem Beteiligten im Falle des Unterliegens die Kosten des Beschwerdeverfahrens zur Last fallen, sowie anordnen, daß dem Beteiligten, dessen Beschwerde für gerechtfertigt befunden ist, die Gebühr (Abs. 1) zurückgezahlt wird. Das gleiche gilt, wenn die Beschwerde, die Anmeldung oder der Einspruch ganz oder teilweise zurückgenommen wird. § 27. Ist die Erteilung des Patents endgültig beschlossen, so erläßt das Patentamt darüber durch das Patentblatt eine Bekanntmachung und fertigt demnächst für den Patentinhaber eine Urkunde aus. Wird die Anmeldung nach der Veröffentlichung (§ 23) zurückgenommen oder wird das Patent versagt, so ist dies ebenfalls bekanntzumachen. Die eingezahlte Jahresgebühr wird in diesen Fällen zur Hälfte erstattet. Mit der Versagung des Patents gelten die Wirkungen des einstweiligen Schutzes als nicht eingetreten. Wird die Anmeldung nach der Veröffentlichung (§ 23) zurückgenommen oder wird das Patent versagt, so ist dies ebenfalls bekanntzumachen. Die eingezahlte Jahresgebühr wird in diesen Fällen zur Hälfte erstattet. Mit der Versagung des Patents gelten die Wirkungen des einstweiligen Schutzes als nicht eingetreten. 8 28. Die Einleitung des Verfahrens wegen Erklärung der Nichtigkeit oder wegen Zurücknahme des Patents erfolgt nur auf Antrag. Im Falle des § 10 Nr. 3 ist nur der Verletzte zu dem Antrag berechtigt Im Falle des § 10 Nr. 1 ist nach Ablauf von fünf Jahren, von dem Tage der über die Erteilung des Patents erfolgten Bekanntmachung ('§ 27 Abs. 1) gerechnet, der Antrag unstatthaft. Der Antrag ist schriftlich an das Patentamt zu richten und hat die Tat­ sachen anzugeben, auf welche er gestützt wird. Mit dem Antrag ist eine Ge­ bühr nach Maßgabe des Tarifs zu zahlen. Erfolgt die Zahlung nicht, so gilt der Antrag als nicht gestellt. , Wohnt der Antragsteller im Ausland, so hat er dem Gegner auf dessen Verlangen Sicherheit wegen der Kosten des Verfahrens zu leisten. Die Höhe der Sicherheit wird von dem Patentamt nach freiem Ermessen festgesetzt. Dem Antragsteller wird bei Anordnung der Sicherheitsleistung eine Frist bestimmt, binnen welcher die Sicherheit zu leisten ist. Erfolgt die Sicherheitsleistung nicht vor Ablauf der Frist, so gilt der Antrag als zurückgenommen. 8 29. Nachdem die (Anleitung des Verfahrens verfügt ist, fordert das Patentamt den Patentinhaber unter Mitteilung des Antrags auf, sich über denselben innerhalb eines Monats zu erklären. Erklärt der Patentinhaber binnen der Frist sich nicht, so kann ohne La­ dung und Anhörung der Beteiligten sofort nach dem Antrag entschieden und bei dieser Entscheidung jede von dem Antragsteller behauptete Tatsache für erwiesen angenommen werden. 8 30. Widerspricht der Patentinhaber rechtzeitig, oder wird im Falle des § 29 Abs. 2 nicht sofort nach dem Antrag entschieden, so trifft das Patent­ amt, und zwar im ersteren Falle unter Mitteilung des Widerspruchs an den Antragsteller, die zur Aufklärung der Sache erforderlichen Verfügungen. Es kann die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen anordnen. Auf die­ selben finden die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechende Anwen­ dung. Die Beweisverhandlungen sind unter Zuziehung eines beeidigten Pro­ tokollführers aufzunehmen. Die Entscheidung erfolgt nach Ladung und Anhörung der Beteiligten. 8 31. In der Entscheidung (§§ 29, 30) hat das Patentamt nach freiem Ermessen zu bestimmen, zu welchem Anteil die Kosten des Verfahrens den Beteiligten zur Last fallen. 8 32. Tie Gerichte sind verpflichtet, dem Patentamt Rechtshilfe zu leisten. Die Festsetzung einer Strafe gegen Zeugen und Sachverständige, welche

161. Patentgesetz vom 7. April 1891.

§§ 27-39.

717

nicht erscheinen ober ihre Aussage oder deren Beeidigung verweigern, sowie die Vorführung eines nicht erschienenen Zeugen erfolgt auf Ersuchen durch die Gerichte

g 33. Gegen die Entscheidung des Patentamts (§§ 29, 30) ist die Be­ rufung zulässig. Die Berufung geht an das Reichsgericht. Sie ist binnen sechs Wochen nach der Zustellung bei dem Patentamt schriftlich anzumelden und zu begründen. Mit der Anmeldung der Berufung ist eine Gebühr nach Maßgabe des Tarifs zu zahlen; erfolgt die Zahlung nicht, so gilt die Berufung als nicht angemeldet. In dem Verfahren vor dem Reichsgerichte werden Gebühren und Aus­ lagen nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes erhoben. Die Gebühren werden nach den für das Verfahren in der Revisionsinstanz geltenden Sätzen berechnet. Ein Gebührenvorschuß ist nicht zu zahlen. Die für die Anmeldung der Berufung gezahlte Gebühr wird auf die reichsgerichtlichen Gebühren an­ gerechnet; sie wird nicht zurückgezahlt. Durch das Urteil des Gerichtshofs ist nach Maßgabe des § 31 auch über die Kosten des Verfahrens zu bestimmen Im übrigen wird das Verfahren vor dem Gerichtshof durch ein Regula­ tiv bestimmt, welches von dem Gerichtshof zu entwerfen ist und durch Verord­ nung des Reichspräsidenten unter Zustimmung des Reichsrats festgestellt wird g 34. In betreff der Geschäftssprache vor dem Patentamt finden die Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Gerichtssprache ent­ sprechende Anwendung. Angaben, welche nicht in deutscher Sprache abgefaßt sind, werden nicht berücksichtigt

Vierter Abschnitt.

Strafen und Entschädigung,

g 35. Wer wissentlich oder aus grober Fahrlässigkeit den Bestimmungen der §§ 4 und 5 zuwider eine Erfindung in Benutzung nimmt, ist dem Ver­ letzten zur Entschädigung verpflichtet. Handelt es sich um eine Erfindung, welche ein Verfahren zur Her­ stellung eines neuen Stoffes zum Gegenstände hat, so gilt bis zum Beweise des Gegenteils jeder Stoff von gleicher Beschaffenheit als nach dem Paten-» tierten Verfahren hergestellt. g 36. Wer wissentlich den Bestimmungen der §§ 4 und 5 zuwider eine Erfindung in Benutzung nimmt, wird mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. Tie Strafverfolgung tritt nur auf Antrag ein. Die Zurücknahme des Antrags ist zulässig. Wird auf Strafe erkannt, so ist zugleich dem Verletzten die Befugnis zuzusprechen, die Verurteilung auf Kosten des Verurteilten öffentlich bekannt­ zumachen Tie Art der Bekanntmachung sowie die Frist zu derselben ist im Urteil zu bestimmen.

g 37. Statt jeder aus diesem Gesetz entspringenden Entschädigung kann auf Verlangen des Beschädigten neben der Strafe auf eine an ihn zu er­ legende Buße erkannt werden. Für diese Buße haften die zu derselben Ver­ urteilten als Gesamtschuldner. Eine erkannte Buße schließt die Geltendmachung eines weiteren Ent­ schädigungsanspruchs aus.

g 38. In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in welchen durch Klage oder Widerklage ein Anspruch auf Grund der Bestimmungen dieses Gesetzes gel­ tend gemacht ist, wird die Verhandlung und Entscheidung letzter Instanz im Sinne des § 8 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetze jbent Reichsgerichte zugewiesen. g 39. Die Klagen wegen Verletzung des Patentrechts verjähren rück­ sichtlich jeder einzelnen dieselbe begründenden Handlung in drei Jahren.

718

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 4V. Mit Geldstrafe wird bestraft: 1. wer Gegenstände oder deren Verpackung mit einer Bezeichnung versieht, welche geeignet ist, den Irrtum zu erregen, daß die Gegenstände durch ein Patent nach Maßgabe dieses Gesetzes geschützt seien; 2. wer in öffentlichen Anzeigen, auf Aushängeschildern auf Empfeh­ lungskarten oder in ähnlichen Kundgebungen eine Bezeichnung anwen­ det, welche geeignet ist, den Irrtum zu erregen, daß die darin erwähnten Gegenstände durch ein Patent nach Maßgabe dieses Gesetzes geschützt seien.

162.

6. Gesetz, betr. die Patentanwälte. Vom 21. Mai 1900. (RGBl. S. 233.)

§ 1. Bei dem Kaiserlichen Patentamte wird eine Liste der Patentanwälte geführt. In die Liste werden Personen, welche Andere in Angelegenheiten die zum Geschäftskreise des Patentamts gehören, vor demselben für eigene Rechnung berufsmäßig vertreten wollen, auf ihren Antrag eingetragen. 8 2. Die Eintragung ist nur zulässig, wenn der Antragsteller gemäß den §§ 3, 4 seine technische Befähigung und den Besitz der erforderlichen Rechts­ kenntnisse nachweist. Im übrigeil ist die Eintragung zu versagen: 1. wenn der Antragsteller nicht im Jnlande wohnt; 2. wenn er das sünsundzwanzigste Lebensjahr nicht vollendet hat; 3. wenn er in der Verfügung über sein Vermögen durch gerichtliche An­ ordnung beschränkt ist; 4. wenn er sich eines unwürdigen Verhaltens schuldig gemacht hat. Als ein unwürdiges Verhalten sind politische, wissenschaftliche und religiöse Ansichten oder Handlungen als solche nicht anzusehen. Wird die Eintragung gemäß Abs. 2 Nr. 4 versagt, so ist ausschließlich eine Beschwerde nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen zulässig. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach der Zustellung der Entscheidung schriftlich bei dem Patentamt anzumelden, über die Beschwerde entscheidet das Ehrengericht. Auf das Verfahren finden die Vorschriften des § 9 Abs. 2, 3 und der §§ 10, 11, 12 und 13 entsprechende Anwendung. § 3. Als technisch befähigt gilt, wer im Inland als ordentlicher Hörer einer Universität, einer technischen Hochschule ober einer Bergakademie sich dem Studium naturwissenschaftlicher und technischer Fächer gewidmet, als­ dann eine staatliche oder akademische Nachprüfung bestanden, außerdem minde­ stens ein Jahr in praktischer gewerblicher Tätigkeit gearbeitet und hierauf mindestens zwei Jahre hindurch eine praktische Tätigkeit auf dem Gebiete des gewerblichen Rechtsschutzes ausgeübt hat. Der Besuch ausländischer Universitäten oder Akademien und die Aus­ übung dec praktischen Tätigkeit im Auslande kann durch Beschluß der Prü­ fungskommission (§ 4) als ausreichend anerkannt werden. Die Fachprüfung (Abs. 1) muß auch in diesem Falle im Inland abgelegt werden. 8 4. Der Besitz der erforderlichen Rechtskenntnisse ist durch Ablegung einer Prüfung nachzuweisen. Zu derselben darf nur zugelassen werden, wer die technische Befähigung (§ 3) dargetan hat. Die Prüfung ist eine schriftliche und eine mündliche; sie ist insbesondere auch darauf zu richten, ob der Bewerber die Fähigkeit zur praktischen Anwendung der auf dem Gebiete des gewerb­ lichen Rechtsschutzes geltenden Vorschriften besitzt. Die Prüfung wird vor einer Kommission abgelegt, in welche Mitglieder des Patentamts und Patentanwälte durch den Reichskanzler zu berufen sind, Im Falle des Nichtbestehens kann die Prüfung nach Ablauf einer von

162. Gesetz, betr. die Patentanwälte vom 21. Mai 1900.

§§ 1—12.

719

der Prüfungskommission festzusetzenden Frist von mindestens sechs Monaten einmal wiederholt werden. Die näheren Bestimmungen über die Zusammensetzung und den Geschäfts­ gang der Prüfungskommission und über das Prüfungsverfahren und die Prüfungsgebühr werden durch eine vom Bundesrate zu erlassende Prüfungs­ ordnung getroffen. 8 5. Der Patentanwalt ist verpflichtet, seine Berufstätigkeit gewissenhaft auszuüben und durch sein Verhalten in Ausübung des Berufs sowie außer­ halb desselben sich der Achtung würdig zu zeigen, welche sein Beruf erfordert. Er wird auf die Erfüllung dieser Obliegenheiten durch Handschlag verpflichtet. Die Bestimmung des § 2 Abs. 2 Ziffer 4 findet Anwendung. 8 H Die Eintragung wird vom Patentamte gelöscht: 1. wenn der Eingetragene es beantragt; 2. wenn er gestorben ist; 3. wenn er keinen Wohnsitz im Jnlande hat; 4. wenn er in Folge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über sein Vermögen beschränkt ist. 8 7. Die Eintragung ist ferner zu löschen, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden, welche nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 die Versagung der Eintragung begründen, oder wenn der Eingetragene die ihm nach § 5 obliegenden Pflichten verletzt. In leichteren Fällen der Pflichtverletzung kann statt der Löschung in der Liste als Ordnungsstrafe ein Verweis oder eine Geldstrafe bis zu dreitausend Mark verhängt werden. Geldstrafe kann mit Verweis verbunden werden. 8 8. Die Entscheidung in den Fällen des § 7 erfolgt in einem ehren­ gerichtlichen Verfahren. 8 9» Die Einleitung des Bersahrens wird vom Reichskanzler verfügt. Derselbe ernennt, falls er eine besondere Voruntersuchung für erforderlich hält, den untersuchungsführenden Beamten. Der Angeschuldigte ist über die Anschuldigungspunkte zu hören. In dem Verfahren kann jederzeit die Vernehmung von Zeugen und Sach­ verständigen angeordnet werden. Die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Beweisaufnahme und die Verteidigung finden entsprechende Anwen­ dung. Als Verteidiger können Patentanwälte nicht zurückgewiesen werden. 8 10. Zuständig zur Verhandlung und Entscheidung ist das Ehrengericht. Es besteht aus zwei Mitgliedern des Patentamts, einem rechtskundigen und einem technischen, sowie drei Patentanwälten. Den Vorsitz führt das rechts­ kundige Mitglied des Patentamts. Zu der mündlichen Verhandlung der Sache ist der Angeschuldigte unter schriftlicher Mitteilung der Anschuldigungspunkte zu laden. Die Vorschriften der Strafprozeßordnung über Ausschließung und Ab­ lehnung der Gerichtspersonen finden entsprechende Anwendung. Die mündliche Verhandlung ist nicht öffentlich. Das Ehrengericht kann die Öffentlichkeit der Verhandlung anordnen. Die Anordnung muß erfolgen, falls der Angeschuldigte es beantragt, sofern nicht die Voraussetzungen des § 173 des Gerichtsverfassungsgesetzes*) vorliegen. 8 11. Die Entscheidung ist mit Gründen zu versehen, schriftlich auszu­ fertigen und dem Angeschuldigten von Amts wegen zuzustellen. Dem Angeschuldigten sind im Falle einer zu seinen Ungunsten ergehenden Entscheidung die baren Auslagen des Verfahrens zur Last zu legen. 8 12. Gegen die Entscheidung steht dem Angeschuldigten die Berufung zu. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach der Zustellung der Ent­ scheidung schriftlich bei dem Patentamt einzulegen. Über die Berufung entscheidet der Ehrengerichtshof. Er besteht aus drei Mitgliedern des Patentamts, von denen der Vorsitzende und ein Mitglied rechtskundig sein müssen, und vier Patentanwätten. Auf das Verfahren finden die Vorschriften des § 9 Abs. 2, 3 und der §§ 10, 11 entsprechende Anwendung. Nun § 172 GVG. (i. d. F. der Bek. vom 22. März 1924).

720

Erster Teil.

Strafgesetze.

8 13. Stellt her Angeschuldigte vor rechtskräftiger Entscheidung den Antrag, seinen Namen in der Liste zu löschen, so ist das Verfahren einzustellen. Dem Angeschuldigten fallen die baren Auslagen des Verfahrens zur Last. § 14. Für jedes Jahr im voraus werden vom Reichskanzler diejenigen Mitglieder des Patentamts bestimmt, welche nach den §§ 10, 12 an dem Ver­ fahren mitzuwirken haben, und zwanzig Patentanwälte bezeichnet, von welchen in einer öffentlichen Sitzung der Beschwerdeabteilung I des Patentamts für jede Spruchsitzung die erforderliche Anzahl von Beisitzern ausgelost wird. 8 15. Die Eintragungen und Löschungen in der Liste der Patentanwälte sind zu veröffentlichen. 8 16. Die Patentanwälte können für Personen, welche sie mit ihrer ständigen Vertretung im Verkehre mit dem Patentamte beauftragt haben, die Eintragung in eine besondere Spalte der Liste nachsuchen. Aus die Eintragung finden die Vorschriften der §§ 2 und 3 entsprechende Anwendung. Jedoch ge­ nügt es, wenn der Einzutragende das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet und nach Ablegung der staatlichen oder akademischen Nachprüfung mindestens ein Jahr hindurch eine praktische Tätigkeit auf dem Gebiete des gewerblichen Rechtsschutzes ausgeübt hat. Im Übrigen finden die Vorschriften der §§ 5 bis 13 aus diese Personen entsprechende Anwendung. 8 17. Der Präsident des Patentamts ist befugt, Personen, welche, ohne in die Liste eingetragen zu sein, die Vertretung vor dem Patentamte berufs­ mäßig betreiben, von dem Bertretungsgeschäft auszuschließen. Auf Rechtsan­ wälte findet diese Vorschrift keine Anwendung. 8 18. Die berufsmäßige Vertretung anderer Personen vor dem Patent­ amte darf Patentanwälten auf Grund der Vorschrift im § 35 Abs. 3 der Ge­ werbeordnung nicht untersagt werden. 8 19. Mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark und im Unvermögens­ falle mit Haft wird bestraft, wer, ohne als Patentanwalt eingeiragen zu fein, sich als Patentanwalt bezeichnet oder sich einen ähnlichen Titel beilegt, durch den der Glaube erweckt wird, der Inhaber sei als Patentanwalt eingetragen. 8 29. Auf diejenigen, welche zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes das Bertretungsgeschäft für eigene Rechnung berufsmäßig betreiben, findet § 17 erst vom 1. April 1901 ab Anwendung. Wer von ihnen bis dahin die Erfüllung der im § 3 bezeichneten Voraussetzungen nachweist und die Zu­ lassung zur Prüfung (§ 4) beantragt, kann, sofern nicht einer der im § 2 Abs. 2 bezeichneten Fälle vorliegt, bis zur endgültigen Entscheidung über seine Eintragung in die Liste vom Vertretungsgeschäfte nicht ausgeschlossen werden. Wer zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes das Vertretungsgeschaft für eigene Rechnung seit 1. Januar 1899 berufsmäßig betreibt, ist, sofern seine Geschäftsführung und sein Verhalten in Ausübung des Berufs sowie außerhalb desselben zu erheblichen Anständen keinen Anlaß gegeben hat, auf Antrag in die Liste der Patentanwälte einzutragen, auch wenn er die in den §§ 3 und 4 bezeichneten Voraussetzungen nicht erfüllt. Der Antrag, über welchen die Prüfungskommission beschließt, ist späte­ stens bis zum 1. April 1901 zu stellen. Gegen eine den Antraa ablehnende Entscheidung steht dem Antragsteller die Beschwerde zu. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach der Zustellung der Entscheidung sa-r^uch bei dem Patentamt anzumelden. Über die Beschwerde entscheidet endgültig der Ehrengerichtshof (§ 12 Abs. 3). Aus das Verfahren finden die Vorschriften des § 9 Abs. 2, 3 und der §§ 10, 11 entsprechende Anwendung. Bis zur end­ gültigen Entscheidung kann der Antragsteller vom Bertretungsgeschäfte nicht ausgeschlossen werden. 8 21. Wer seit dem 1. Januar 1899 das Vertretungsgeschäft berufsmäßig, wenn auch nicht auf eigene Rechnung, betreibt oder wer als technischer Be­ amter im Patentamte mindestens zwei Jahre hindurch tätig gewesen ist, kann, sofern er durch seine Tätigkeit und durch sein Verhalten zu erheblichen An­ ständen keinen Anlaß gegeben hat, aus seinen Antrag das Zeugnis über die Befähigung als ständiger Vertreter eines Patentanwalts (§ 16) erhalten, auch

163.

Gesetz, betr. den Schutz von Gebrauchsmustern v. 1. Juni 1891.

721

wenn er tue Voraussetzungen des § 3 nicht erfüllt. Auf den Antrag und das weitere Verfahren finden die Vorschriften des § 20 Abs. 3 Anwendung. Wer das Zeugnis erhalten hat, ist auf Antrag eines Patentanwalts, der ihn mit seiner ständigen Vertretung beauftragt hat, in die besondere Spalte der Liste (§ 16) einzutragen. Auf seinen eigenen Antrag ist er zur Prüfung (§ 4) zuzulassen und im Falle des Bestehens der Prüfung, sofern nicht einer der im 8 2 Abs. 2 vorgesehenen Hinderungsgründe vorliegt, als Patentanwalt einzutragen. Eine Entbindung von der Prüfung kann durch einstimmigen Beschluß der Prüfungskommission erfolgen, wenn der Besitz der erforderlichen Kenntnisse durch die bisherige Tätigkeit dargetan ist. Ein hierauf bezüglicher Antrag ist spätestens bis zurw 1. Oktober 1901 zu stellen. § 22. Dieses Gesetz tritt am 1. Oktober 1900 in Kraft. Solange die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderliche Anzahl von Patentanwälten in die Liste noch nicht eingetragen ist, werden an deren Stelle durch den Reichskanzler Personen bestellt, welche bisher andere in Angelegen­ heiten des gewerblichen Rechtsschutzes für eigene Rechnung berufsmäßig ver­ treten haben.

163.

7. Gesetz, betr. den Schutz von Gebrauchsmustern. Vom

1. Juni

1891.

In der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Dezember 1923.

(RGBl. Teil II S. 444 ff.) 8 1. Modelle von Arbeitsgerätschaften oder Gebrauchsgegenständen oder von Teilen derselben werden, insoweit sie dem Arbeits- oder Gebrauchsztveck durch eine neue Gestaltung, Anordnung oder Vorrichtung dienen sollen, als Gebrauchsmuster nach Maßgabe dieses Gesetzes geschützt. Modelle gelten insoweit nicht als neu, als sie zur Zeit der auf Grund dieses Gesetzes erfolgten Anmeldung bereits in öffentlichen Druckschriften be­ schrieben oder im Inland offenkundig benutzt sind. § 2. Modelle, für welche der Schutz als Gebrauchsmuster verlangt wird, sind bei dem Patentamt schriftlich anzumelden. Tie Anmeldung muß angeben, unter welcher Bezeichnung das Modell eingetragen werden und welche neue Gestaltung oder Vorrichtung dem Arbeits­ oder Gebrauchszweck dienen soll. Jeder Anmeldung ist eine Nach- oder Abbildung des Modells beizufügen. Über die sonstigen Erfordernisse der Anmeldung trifft das Patentamt Bestimmung. Gleichzeitig mit der Anmeldung ist für jedes angemeldete Modell eine Ge­ bühr nach Maßgabe des Tarifs einzuzahlen. Führt die Anmeldung nicht zur Eintragung, so wird die Hälfte der Gebühr erstattet. Wenn der Anmelder für das Modell ein Patent nachgesucht hat oder nachsuchen will, so kann er beantragen, daß das Modell in die Gebrauchs-musterrolle nicht eingetragen wird, bevor die Patentanmeldung erledigt ist (Eventual-Anmeldung). In diesem Falle ist bei der Anmeldung nur die Hälfte der Anmeldegebühr zu zahlen; die andere Hälfte ist vor der Eintragung zu entrichten. 8 3. Entspricht die Anmeldung den Anforderungen des § 2, so ver­ fügt das Patentamt die Eintragung in die Rolle für Gebrauchsmuster. Tie Eintragung muß den Namen und Wohnsitz des Anmelders sowie die Zeit der Anmeldung angeben. Die Eintragungen sind durch das Patentblatt in bestimmten Fristen bekanntzumachen. »Ilfeld, Strafgesetzgebung.

3. Auflage.

46

722

Erster Teil.

Strafgesetze.

Änderungen in der Person des Eingetragenen werden auf Antrag in der Rolle vermerkt. Tie Einsicht der Nolle sowie der Anmeldungen, auf Grund deren hie Eintragungen erfolgt sind, steht jedermann frei. 8 4. Tie Eintragung eines Gebrauchsmusters im Sinne des § 1 hat die Wirkung, daß dem Eingetragenen ausschließlich das Recht zusteht, gewerbs­ mäßig das Muster nachzubilden, die durch Nachbildung hervorgebrachten Ge­ rätschaften und Gegenstände in Verkehr zu bringen, feitzuhalten oder zu ge­ brauchen. Das durch eine spätere Anmeldung begründete Recht darf, soweit es in das Recht des auf Grund früherer Anmeldung Eingetragenen eingreift, ohne Erlaubnis des letzteren nicht ausgeübt werden. Wenn der wesentliche Inhalt der Eintragung den Beschreibungen, Zeich­ nungen, Modellen, Gerätschaften oder Einrichtungen eines anderen ohne Einwilligung desselben entnommen ist, so tritt dem Verletzten gegenüber der Schutz des Gesetzes nicht ein.

8 5. Soweit ein nach § 4 begründetes Recht in ein Patent eingreifjt, dessen Anmeldung vor der Anmeldung des Modells erfolgt ist, darf der Ein­ getragene das Recht ohne Erlaubnis des Patentinhabers nicht ausüben. Jmgleichen darf, soweit in ein nach § 4 begründetes Recht durch ein später angemeldetes Patent eingegriffen wird, das Recht aus diesem Patent ohne Erlaubnis des Eingetragenen nicht ausgeübt werden. 8 6. Liegen die Erfordernisse des § 1 nicht vor, so hat jedermann gegen den Eingetragenen Anspruch aus Löschung des Gebrauchsmusters. Im Falle des § 4 Abs. 3 steht dem Verletzten ein Anspruch auf Löschung zu.

8 7. Das durch die Eintragung begründete Recht geht auf die Erben über und kann beschränkt oder unbeschränkt durch Vertrag oder Verfügung von Todes wegen auf andere übertragen werden. 8 8. Die Dauer des Schutzes ist drei Jahre- der Lauf dieser Zeit be­ ginnt mit dem auf die Anmeldung folgenden Tage. Bei Zahlung einer weiteren Gebühr nach Maßgabe des Tarifs tritt eine Verlängerung der Schutzfrist um drei Jahre ein. Die Verlängerung wird in der Rolle vermerkt. Nach Ablauf der ursprünglichen Schutzfrist kann die Verlängerungsgebühr nur unter Zah­ lung des tarifmäßigen Zuschlags entrichtet werden. Das Patentamt gibt dem Eingetragenen Nachricht, daß eine Verlängerung der Schutzfrist nur ein­ tritt, sofern bis zum Ablauf eines Monats nach der Zustellung die Verlänge­ rungsgebühr nebst Zuschlag gezahlt wird. Wenn der Eingetragene während der Dauer der Frist auf den Schutz Verzicht leistet, so wird die Eintragung gelöscht. Die nicht infolge von Ablauf der Frist stattfindenden Löschungen von Eintragungen sind durch das Patentblatt in bestimmten Fristen bekannt-zumachen. 8 9. Wer wissentlich oder aus grober Fahrlässigkeit den Bestimmungen der §§ 4 und 5 zuwider ein Gebrauchsmuster in Benutzung nimmt, ist dem Verletzten zur Entschädigung verpflichtet. Tie Klagen wegen Verletzung des Schutzrechts verjähren rücksichtlich jeder einzelnen dieselbe begründenden Handlung in drei Jahren.

8 19. Wer wissentlich den Bestimmungen der §§ 4 ünd 5 zuwider ein Gebrauchsmuster in Benutzung nimmt, wird mit Geldstrafe oder mit Gefäng­ nis bis zu einem Jahre bestraft. Die Strafverfolgung tritt nur auf Antrag ein. Die Zurücknahme des An­ trags ist zulässig. Wird auf Strafe erkannt, so ist zugleich dem Verletzten die Befugnis zuzusprechen, die Verurteilung auf Kosten des Verurteilten öffentlich bekannt­ zumachen. Die Art der Bekanntmachung sowie die Frist zu derselben ist im Urteil zu bestimmen.

164. Gesetz z. Schutze d. Warenbezeichnungen v. 12. Mai 1894. §§ 1,2.

723

§ 11. Statt jeder aus diesem Gesetz entspringenden Entschädigung kann auf Verlangen des Beschädigten neben der Strafe auf eine an ihn zu er­ legende Buße erkannt werden. Für diese Buße haften die zu derselben Ver­ urteilten als Gesamtschuldner. Eine erkannte Buße schließt die Geltendmachung eines weiteren Ent­ schädigungsanspruchs aus.

§ 12. In bürgerlichen Nechtsstreitigkeiten, in welchen durch Klage oder Widerklage ein Anspruch auf Grund der Bestimmungen dieses Gesetzes geltend gemacht ist, wird die Verhandlung und Entscheidung letzter Instanz im Sinne des § 8 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetze dem Reichs­ gerichte zugewiesen. § 13.1) Wer im Inland einen Wohnsitz oder eine Niederlassung nicht hat, kann nur dann den Anspruch auf den Schutz dieses Gesetzes geltend machen, wenn in dem Staate, in welchem sein Wohnsitz oder seine Niederlassung sich befindet, nach einer im Reichsgesetzblatt enthaltenen Bekanntmachung deutsche Gebrauchsmuster einen Schutz genießen. Wer auf Grund dieser Bestimmung eine Anmeldung bewirkt, muß gleich-, zeitig einen im Inland wohnhaften Vertreter bestellen. Name und Wohnsitz» des Vertreters werden in die Rolle eingetragen. Ter eingetragene Vertreter ist zur Vertretung des Schutzberechtigten in den das Gebrauchsmuster betref­ fenden Rechtsstreitigkeiten und zur Stellung von Strafanträgen befugt. Der Ort, wo der Vertreter seinen Wohnsitz hat, und in Ermangelung eines! solchen der Ort, wo das Patentamt seinen Sitz hat, gilt im Sinne des § 23 der Zivilprozeßordnung als der Ort, wo der Vermögensgegenstand sich be­ findet. 8 14. Tie zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Bestimmungen über die Einrichtung und den Geschäftsgang des Patentamts werden durch Veto­ ordnung des Reichspräsidenten unter Zustimmung des Reichsrats getroffen.

164. 8. Gesetz zum Schutze der Warenbezeichnungen. Vom 12. Mai 1894.

In der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Dezember 1923.

(RGBl. Teil II S. 445.)

8 1. Wer in seinem Geschäftsbetriebe zur Unterscheidung seiner Waren von den Waren anderer eines Warenzeichens sich bedienen will, kann dieses Zeichen zur Eintragung in die Zeichenrolle anmelden.

8 2. Die Zeichenrolle wird bei dem Patentamt geführt. Die Anmeldung eines Warenzeichens hat schriftlich bei dem Patentamt zu erfolgen. Jeder Anmeldung muß die Bezeichnung des Geschäftsbetriebs, in welchem das Zeichen verwendet werden soll, ein Verzeichnis der Waren, für welche es bestimmt ist, sowie eine deutliche Darstellung und, soweit erforderlich, eine Beschreibung des Zeichens beigefügt sein. Das Patentamt erläßt Bestimmungen über die 'sonstigen Erfordernisse der Anmeldung. *) Hiezu s. Art. I des Gesetzes vom 31. März 1913 (RGBl. S. 236), der lautet: Die Vorschriften im § 13 Abs. 1 des Gesetzes, betreffend den Schutz von Gebrauchsmustern, vom 1. Juni 1891, (Reichsgesetzbl. S. 290), im § 23 Abs. 1 des Gesetzes zum Schutze der Warenbezeichnungen vom 12. Mai 1894 (Reichsgesetzbl. S. 441) und im § 28 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 7. Juni 1909 (Reichsgesetzbl. S. 499) finden auf Reichs­ angehörige keine Anwendung.

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Erster Teü.

Strafgesetze.

Bei der Anmeldung jedes Zeichens ist eine Anmeldegebühr und für jede Klasse oder Unterklasse der in der Anlage beigefügten Warenklasseneinteilung, für die der Schutz begehrt wird, eine Klassengebühr nach Maßgabe des Ta­ rifs zu entrichten Werden in einer Anmeldung mehr als zwanzig Klassen oder Unterklassen in Anspruch genommen, so ist für die über zwanzig hinaus­ gehende Zahl von Klassen oder Unterklassen eine Gebühr nicht zu zahlen Führt die Anmeldung aus einem Grunde nicht zur Eintragung, der für alle angemeldeten Waren ohne Unterschied der in Anspruch genommenen Klas­ sen oder Unterklassen zutrifft, so wird die für mehr als eine Klasse oder Un­ terklasse gezahlte Gebühr erstattet. Diese 'Vorschrift findet keine Anwendung, wenn die Eintragung wegen Übereinstimmung des angemeldeten Zeichens mit einem für dieselben oder gleichartige Waren früher angemeldeten Zeichen versagt wird. Bei jeder Erneuerung der Anmeldung ist eine Erneuerungsgebühr und für jede Klasse oder Unterklasse, für welche die Erneuerung begehrt wird, eine Klassengebühr nach Maßgabe des Tarifs zu entrichten Satz 2 des Abs. 3 gilt entsprechend. Tie amtliche Festsetzung der Anzahl der durch eine Anmeldung betroffe­ nen Klassen und Unterklassen ist unanfechtbar Tie Reichsregierung kann mit Zustimmung des Reichsrats die Waren­ klasseneinteilung ändern.

g 3. Tie Zeichenrolle soll enthalten: 1 den Zeitpunkt des Einganges der Anmeldung; 2 die nach § 2 Ilbs. 1 der Anmeldung beizufügenden Angaben; 3. Namen und Wohnort des Zeicheninhabers und seines etwaigen Ver­ treters sowie Änderungen in der Person, im Namen oder im Wohnort des Inhabers oder des Vertreters; 4. den Zeitpunkt einer Erneuerung der Anmeldung; 5 den Zeitpunkt der Löschung des Zeichens. Die Einsicht der Zeichenrolle steht jedermann frei Jede Eintragung, soweit sie nicht nur die im Abs. 1 Nr. 3 bezeichneten Änderungen betrifft, und jede Löschung wird vom Patentamt in regelmäßig erscheinenden Übersichten veröffentlicht (Warenzeichenblatt).

§ 4. Die Eintragung in die Rolle ist zu versagen für Freizeichen sowie für Warenzeichen, 1 welche ausschließlich in Zahlen, Buchstaben oder solchen Wörtern be­ stehen, die Angaben über Art, Zeit und Ort der Herstellung, über die Beschaffenheit, über die Bestimmung, über Preis-, Mengen- oder Ge­ wichtsverhältnisse der Ware enthalten; 2 welche Staatswappen oder sonstige staatliche Hoheitszeichen oder Wappen eines inländischen Ortes, eines inländischen Gemeinde- oder weiteren Kommunalverbandes enthalten; 3 welche Ärgernis erregende Darstellungen oder solche Angaben ent­ halten, die ersichtlich den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechen und die Gefahr einer Täuschung begründen Tie Vorschrift der Nr. 2 findet keine Anwendung, wenn der Anmelder befugt ist, das Wappen oder Hoheitszeichen in dem Warenzeichen zu führen Zeichen, welche gelöscht sind, dürfen für die Waren, für welche sie ein­ getragen waren, oder für gleichartige Waren zugunsten eines anderen als des letzten Inhabers erst nach Ablauf von zwei Jahren seit dem Tage der Löschung von neuem eingetragen werden g 5. Erachtet das Patentamt, daß ein zur Anmeldung gebrachtes Waren­ zeichen mit einem anderen, für dieselben oder für gleichartige Waren auf Grund des Gesetzes über Markenschutz vom 30 November 1874 (Reichsgesetzbt. S 143) oder auf Grund des gegenwärtigen Gesetzes früher angemeldeten Zeichen übereinstimmt, so macht es dem Inhaber dieses Zeichens hiervon Mit­ teilung Erhebt derselbe nicht innerhalb eines Monats nach der Zustellung Widerspruch gegen die Eintragung des neu angemeldeten Zeichens, so ist dus

164. Gesetz z. Schutze d. Warenbezeichnungen v. 12. Mai 1894. §§ 3—8.

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Zeichen einzutragen Im anderen Falle entscheidet das Patentamt durch Beschluß, ob die Zeichen übereinstimmen Hinsichtlich der durch eine An­ hörung oder eine Beweisaufnahme verursachten Kosten gilt § 25 Abs 2 des Patentgesetzes entsprechend Aus dem Unterbleiben der im ersten Absatz vorgesehenen Mitteilung erwächst ein Ersatzanspruch nicht § 6. Wird durch den Beschluß (§ 5 Abs. 1) die Übereinstimmung der Zeichen verneint, so ist das neuangemeldete Zeichen einzutragen. Wird durch den Beschluß die Übereinstimmung der Zeichen festgestellt, so ist die Eintragung zu versagen Sofern der Anmelder geltend machen will, daß ihm, ungeachtet der durch die Entscheidung des Patentamts fest­ gestellten Übereinstimmung, ein Anspruch auf die Eintragung zustehe, hat er diesen Anspruch im Wege der Klage gegenüber dem Widersprechenden zur Anerkennung zu bringen Die Eintragung auf Grund einer zu seinen Gunsten ergehenden Entscheidung wird unter dem Zeitpunkt der ursprünglichen An­ meldung bewirkt 8 6a* Für jedes Zeichen ist vor der Eintragung eine Eintragungsgebühr nach Maßgabe des Tarifs und zur Deckung der durch die vorgeschriebenenj Veröffentlichungen (§ 3 Abs 3) entstehenden Kosten ein Druckkostenbeitrag zu entrichten Die Höhe des Beitrags wird nach Stufen berechnet, die das Patent­ amt nach dem Umfang der Veröffentlichungen allgemein festsetzt Die Berech­ nung ist unanfechtbar 8 7* Das durch die Anmeldung oder Eintragung eines Warenzeichens begründete Recht geht auf die Erben über und kann durch Vertrag oder durch Verfügung von Todes wegen auf andere übertragen werden Das Recht kantt jedoch nur mit dem Geschäftsbetriebe, zu welchem das Warenzeichen gehört, auf einen anderen übergehen Der Übergang wird auf Antrag des Rechtsnachfolgers in der Zeichenrolle vermerkt, sofern die Einwilligung des Berechtigten in beweisender Form beigebracht wird Ist der Berechtigte ver­ storben, so ist der Nachweis der Rechtsnachfolge zu führen Solange der Übergang in der Zeichenrolle nicht vermerkt ist, kann der Rechtsnachfolger sein Recht aus der (Eintragung des Warenzeichens nicht geltend machen Verfügungen und Beschlüsse des Patentamts, welche einer Zustellung an den Inhaber des Zeichens bedürfen, sind stets an den eingetragenen In­ haber zu richten Ergibt sich, daß derselbe verstorben ist, so kann das Patent­ amt nach seinem Ermessen die Zustellung als bewirkt ansehen oder zum Zwecke der Zustellung an die Erben deren Ermittlung veranlassen. 8 8. Auf Antrag des Inhabers wird das Zeichen jederzeit in der Rolle gelöscht Von Amts wegen erfolgt die Löschung 1 toemi seit der Anmeldung des Zeichens oder seit ihrer Erneuerung zehn Jahre verflossen sind; 2 wenn die Eintragung des Zeichens hätte versagt werden müssen Wird von einem Dritten aus diesem Grunde die Löschung beantragt, so ist gleichzeitig eine Gebühr nach Maßgabe des Tarifs zu entrichten; sie kann, falls der Antrag für berechtigt befunden wird, erstattet werden Soll die Löschung ohne Antrag des Inhabers erfolgen, so gibt das Patentamt diesem zuvor Nachricht. Widerspricht er innerhalb eines Monats nach der Zustellung nicht, so erfolgt die Löschung Widerspricht er, so faßt das Patentamt Beschluß. Ist die Löschung von einem Dritten beantragt, so gilt hinsichtlich der durch eine Anhörung oder eine Beweisaufnahme ver­ ursachten Kokten § 25 Abs. 2 des Patentgesetzes entsprechend. Soll infolge Ablaufs der zehnjährigen Frist die Löschung erfolgen, so ist von ihr abzusehen, wenn der Inhaber des Zeichens bis zum Ablauf eines Monats nach der Zustellung unter Zahlung der tarifmäßigen Nach-holungsgebühr neben der Erneuerungs- und Klassengebühr (§ 2 Abs 5) die Erneuerung der Anmeldung nachholt; die Erneuerung gilt dann als an dem Tage des Ablaufs der früheren Frist geschehen

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Erster Teil.

Strafgesetze

8 9. Ein Dritter kann die Löschung eines Warenzeichens beantragen: wenn das Zeichen für ihn auf Grund einer früheren Anmeldung sür dieselben oder für gleichartige Waren, in der Zeichenrolle oder in den nach Maßgabe des Gesetzes über den Markenschutz vom 30 November 1874 geführten Zeichenregistern eingetragen steht: 2 wenn der Geschäftsbetrieb, zu welchem das Warenzeichen gehört, von dem eingetragenen Inhaber nicht mehr fortgesetzt wird. 3 wenn Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, daß der Inhalt des Warenzeichens den tatsächlichen Verhältnissen nicht entspricht und die Gefahr einer Täuschung begründet Hat ein nach dem Gesetz über Markenschutz vom 30 November 1874 von der Eintragung ausgeschlossenes Warenzeichen bis zum Erlasse des gegenwärtigen Gesetzes innerhalb beteiligter Verkehrskreist als Kennzeichen der Waren eines bestimmten Geschäftsbetriebs gegolten, so kann der Inhaber des letzteren, falls das Zeichen nach Maßgabe des gegenwärtigen Gesetzes sür einen anderen in die Zeichenrolle eingetragen wird, bis zum 1 Oktober-1895) die Löschung beantragen Wird dem Antrag stattgegeben, so darf das Zeichen für den Antragsteller schon vor Ablauf der im § 4 Abs 2 bestimmten Frist in die Zeichenrolle eingetrageii werden Ter Antrag auf Löschung ist im Wege der Klage geltend zu machen und gegen den eingetragenen Inhaber oder, wenn dieser gestorben, gegen dessen Erben zu richten Hat vor oder nach Erhebung der Klage ein Übergang des Warenzeichens auf einen anderen stattgefunden, so ist die Entscheidung in Ansehung der Sache auch gegen den Rechtsnachfolger wirksam und vollstreckbar Auf die Befugnis des Rechtsnachfolgers, in den Rechtsstreit einzutreten, finden die Bestimmungen der §§ 66 bis 69 und 76 der Zivilprozeßordnung entsprechende Anwendung In ben Fällen des Abs 1 Nr 2 kann der Antrag aus Löschung zunächst bei dem Patentamt angebracht werden Tas Patentamt gibt dem als Inhaber des Warenzeichens Eingetragenen davon Nachricht Widerspricht derselbe innerhalb eines Monats nach der Zustellung nicht, so erfolgt die Löschung. Widerspricht er, so wird dem Antragsteller anheimgegeben, den Anspruch auf Löschung im Wege der Klage zu verfolgen § 10. Anmeldungen von Warenzeichen, Anträge auf Übertragung und Widersprüche gegen die Löschung derselben werden in dem für Patentangelegewheiten maßgebenden Verfahren durch Vorbescheid und Beschluß erledigt In den Fällen des § 5 Abs 1 wird ein Vorbescheid nicht erlassen. Gegen den Beschluß, durch welchen ein Antrag zurückgewiesen wird, kann der Antragsteller, und gegen den Beschluß, durch welchen Widerspruchs ungeachtet die Löschung angeordnet wird, der Inhaber des Zeichens innerhalb eines Monats nach der Zustellung bei dem Patentamt Beschwerde einlegen Zustellungen, welche die Eintragung, die Übertragung oder die Löschung eines Warenzeichens betreffen, erfolgen mittels eingeschriebenen Briefes Kann eine Zustellung im Inland nicht erfolgen, so wird sie durch Aufgabe zur Post nach Maßgabe der §§ 175, 213 der Zivilprozeßordnung bewirkt § 11. Das Patentamt ist verpflichtet, auf Ersuchen der Gerichte über Fragen, welche eingetragene Warenzeichen betreffen, Gutachten abzugeben, sofern in dem gerichtlichen Verfahren voneinander abweichende Gutachten mehrerer Sachverständiger vorliegen § 12. Die Eintragung eines Warenzeichens hat die Wirkung, daß dem Eingetragenen ausschließlich das Recht zusteht, Waren der angemeldeten Art oder deren Verpackung oder Umhüllung mit dem Warenzeichen zu versehen, die so bezeichneten Waren in Verkehr zu setzen sowie auf Ankündigungen, Preislisten, Geschäftsbriefen, Empfehlungen, Rechnungen oder dergleichen das Zeichen anzubringen Im Falle der Löschung können für “bie Zeit, in welcher ein Rechtsgrund für die Löschung früher bereits vorgelegen hat. Rechte aus der Eintragung nicht mehr geltend gemacht werden 1

164 Gesetz z. Schutze d. Warenbezeichnungen v. 12. Mai 1894. §§ 9—19.

727

g 13. Durch bte Eintragung eines Warenzeichens wird niemand ge­ hindert, seinen Namen, seine Firma, seine Wohnung sowie Angaben über Art, Zeit und Ort der Herstellung, über die Beschaffenheit, über die Bestim­ mung, über Preis-, Mengen- oder Gewichtsverhältnisse von Waren, sei es auch in abgekürzter Gestalt, auf Waren, auf deren Verpackung oder Umhüllung anzubringen und derartige Angaben im Geschäftsverkehr zu gebrauchen g 14. Wer wissentlich ober aus grober Fahrlässigkeit Waren oder deren Verpackung oder Umhüllung, oder Ankündigungen, Preislisten, Geschäfts­ briefe, Empfehlungen Rechnungen oder dergleichen mit dem Namen oder der Firma eines andern oder mit einem nach Maßgabe dieses Gesetzes geschützten Warenzeichen widerrechtlich versieht oder dergleichen widerrechtlich gekennzeichnete Waren in Verkehr bringt oder feilhält, ist dem Verletzten zur Entschädigung verpflichtet Hat er die Handlung wissentlich begangen, so wird er außerdem mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft Tie Straf­ verfolgung tritt nur auf Antrag ein Tie Zurücknahme des Antrags ist zulässig g 15. Wer zum Zwecke der Täuschung in Handel und Verkehr Waren oder deren Verpackung oder Umhüllung, oder Ankündigungen, Preislisten, Geschäftsbriefe, Empfehlungen, Rechnungen oder dergleichen mit einer Aus­ stattung, welche innerhalb beteiligter Verkehrskreise als Kennzeichen gleich­ artiger Waren eines andern gilt, ohne dessen Genehmigung versieht, oder wer zu dem gleichen Zwecke derartig gekennzeichnete Waren in Verkehr bringt oder feilhält, ist dem Verletzten zur Entschädigung verpflichtet und wird mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft Die Straf­ verfolgung tritt nur auf Antrag ein Die Zurücknahme des Antrags ist zulässig g 16. Wer Waren oder deren Verpackung oder Umhüllung oder Ankündi­ gungen, Preislisten, Geschäftsbriefe, Empfehlungen, Rechnungen oder der­ gleichen fälschlich mit einem Staatswappen oder mit dem Namen oder Wappen eines Ortes, eines Gemeinde- oder weiteren Kommunalverbandes zu dem Zwecke versieht, über Beschaffenheit und Wert der Waren einen Irrtum zu erregen, oder wer zu dem gleichen Zwecke derartig bezeichnete Waren in Verkehr bringt oder feilhält, wird mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft Die Verwendung von Namen, welche nach Handelsgebrauch zur Be­ nennung gewisser Waren dienen, ohne deren Herkunft bezeichnen zu sollen, fällt unter diese Bestimmung nicht g 17. Ausländische Waren, welche mit einer deutschen Firma und Orts­ bezeichnung oder mit einem in die Zeichencode eingetragenen Warenzeichen widerrechtlich versehen sind, unterliegen bei ihrem Eingang nach Deutsch­ land zur Einfuhr oder Durchfuhr auf Antrag des Verletzten und gegen Sicher­ heitsleistung der Beschlagnahme und Einziehung Die Beschlagnahme erfolgt durch die Zoll- und Steuerbehörden, die Festsetzung der Einziehung durch Strafbescheid der Verwaltungsbehörden (§ 4591) der Strafprozeßordnung)

g 18. Statt jeder aus diesem Gesetze entspringenden Entschädigung kaun auf Verlangen des Beschädigten neben der Strafe auf eine an ihn zu erlegende Buße erkannt werden Für diese Buße haften die zu derselben Verurteilten als Gesamtschuldner Eine erkannte Buße schließt die Geltendmachung eines weiteren Ent­ schädigungsanspruchs aus g 19. Erfolgt eine Verurteilung auf Grund der §,§ 14 bis 16, 18, so ist bezüglich der im Besitze des Verurteilten befindlichen Gegenstände auf Beseiti­ gung der widerrechtlichen Kennzeichnung, oder, wenn die Beseitigung in anderer Weise nicht möglich ist, auf Vernichtung der damit versehenen Gegen­ stände zu erkennen x) Jetzt § 419 StPO

d

F

der Bek. v

22

März 1924-

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Erster Teil.

Strafgesetze.

Erfolgt die Verurteilung im Strafverfahren, so ist in den Fällen dec §§ 14 und 15 dem Verletzten die Befugnis zuzusprechen, die Verurteilung; auf Kosten des Verurteilten öffentlich bekanntzumachen. Die Art der Be­ kanntmachung sowie die Frist zu derselben ist in dem Urteil zu bestimmen. 8 20. Die Anwendung der Bestimmungen dieses Gesetzes wird durch Abweichungen nicht ausgeschlossen, mit denen fremde Namen, Firmen, Zeichen, Wappen und sonstige Kennzeichnungen von Waren wiedergegeben werden, sofern ungeachtet dieser Abweichungen die Gefahr einer Verwechslung im Verkehr vorliegt. 8 21. In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in welchen durch Klage oder Widerklage ein Anspruch auf Grund dieses Gesetzes geltend gemacht ist, wird die Verhandlung und Entscheidung letzter Instanz im Sinne des § 8 des Einsührungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetze dem Reichsgericht zu­ gewiesen. 8 22. Wenn deutsche Waren im Ausland bei der Einfuhr oder Durchfuhr der Verpflichtung unterliegen, eine Bezeichnung zu tragen, welche ihre deutsche Herkunft erkennen läßt, oder wenn dieselben bei der Zollabfertigung in Beziehung auf die Warenbezeichnungen ungünstiger als die Waren anderer Länder behandelt werden, so ist der Reichsrat ermächtigt, den fremden Waren bei ihrem Eingang nach Deutschland zur Einfuhr oder Durchfuhr eine ent­ sprechende Auflage zu machen, und anzuordnen, daß für den Fall der Zu­ widerhandlung die Beschlganahme und Einziehung der Waren erfolge. Die Beschlagnahme erfolgt durch die Zoll- und Steuerbehörden, die Festsetzung der Einziehung durch Strafbescheid der Verwaltungsbehörden (§ 4591) der Straf­ prozeßordnung). 8 23.2) Wer im Inland eine Niederlassung nicht besitzt, hat auf Pen Schutz dieses Gesetzes nur Anspruch, wenn in dem Staate, in welchem seine Niederlassung sich befindet, nach einer im Reichsgesetzblatt enthaltenen Bekannt­ machung deutsche Warenbezeichnungen in gleichem Umfang wie inländische Warenbezeichnungen zum gesetzlichen Schutze zugelassen werden. Ter Anspruch auf Schutz eines Warenzeichens und das durch die Ein­ tragung begründete Recht können nur durch einen im Inland bestellten Ver­ treter geltend gemacht werden. Ter letztere ist zur Vertretung in dem nach Maßgabe dieses Gesetzes vor dem Patentamt stattfindenden Verfahren sowie in den das Zeichen betreffenden bürgerlichen Nechtsstreitigkeiten und zur Stellung von Strafanträgen befugt. Für die das Zeichen betreffenden Klagen gegen den eingetragenen Inhaber ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Vertreter seinen Wohnsitz hat, in dessen Ermangelung das Gericht, in dessen Bezirk das Patentamt seinen Sitz hat. Wer ein ausländisches Warenzeichen zur Anmeldung bringt, hat damit den Nachweis zu verbinden, daß er in dem Staate, in welchem seine Nieder­ lassung sich befindet, für dieses Zeichen den Markenschutz nachgesucht und erhalten hat. Tie Eintragung ist, soweit nicht Staatsverträge ein anderes bestimmen, nur dann zulässig, wenn das Zeichen den Anforderungen dieses Gesetzes entspricht. 8 24. Auf die in Gemäßheit des Gesetzes über Markenschutz vom 30. November 1874 in die Zeichenregister eingetragenen Warenzeichen finden bis zum 1. Oktober 1898 die Bestimmungen jenes Gesetzes noch ferner Anwendung. Die Zeichen können bis zum 1. Oktober 1898 jederzeit zur Eintragung in die Zeichenrolle nach Maßgabe des gegenwärtigen Gesetzes angemeldet werden und unterliegen alsdann dessen Bestimmungen. Die Eintragung darf nicht versagt werden hinsichtlich derjenigen Zeichen, welche auf Grund eines älteren landesgesetzlichen Schutzes in die Zeichenregister eingetragen worden sind. Die Eintragung geschieht unentgeltlich und unter dem Zeitpunkt der ersten Anmeldung, über den Inhalt der ersten Eintragung ist ein Zeugnis der bisherigen Registerbehörde beizubringen. ^Vgl?die Note zu § 17.

2) Hiezu s. Art. I des Gesetzes vom 31. März 1913, abgedruckt oben S. 719 in der Note zu § 13 des Gebrauchsmusterschutzgesetzes (Ges. Nr. 163).

165. Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb v. 7. Juni 1909.

§ 1.

729

Mit der Eintragung in die Zeichenrolle oder, sofern eine solche nicht erfolgt ist, mit dem 1 Oktober 1898 erlischt der den Warenzeichen bis dahin geivährte Schutz. § 24 a. Rechtsfähige Verbände, die gewerbliche Zwecke verfolgen, können, auch wenn sie einen auf Herstellung oder Vertrieb von Waren gerichteten Geschäftsbetrieb nicht besitzen, Warenzeichen anmelden, die in den Geschäftsbetrleben ihrer Mitglieder zur Kennzeichnung der Waren dienen sollen Verbandszeichen) Tie juristischen Personen des öffentlichen Rechtes stehen den bezeichneten Verbänden gleich Auf die Berbandszeichen finden die Vorschriften über Warenzeichen An­ wendung, soweit nicht in §§ 24 a bis 24 h ein anderes bestimmt ist § 24b. Ter Anmeldung des Berbandszeichens muß eine Zeichensatzung beigefügt werden, die über Namen, Sitz, Zweck und Vertretung des Verbandes, über den Kreis der zur Benutzung des Zeichens Berechtigten, die Bedingungen der Benutzung und die Rechte und Pflichten der Beteiligten im Falle der Verletzung des Zeichens Auskunft gibt Spätere Änderungen sind dem Patent­ amt mitzuteilen Die Einsicht der Satzung steht jedermann frei. 8 24 o. Über die Einrichtung der Rolle für die Verbandszeichen trifft das Patentamt Bestimmung 8 24 d. Das durch die Anmeldung oder Eintragung des Berbandszeichens begründete Recht kann als solches nicht auf einen anderen übertragen werden. 8 24 e. Ein Dritter kann unbeschadet der Vorschriften im § 9 Nr. 1, 3 die Löschung des Verbandszeichens beantragen, 1 wenn der Verband, für den das Zeichen eingetragen ist, nicht mehr besteht: 2 wenn der Verband duldet, daß das Zeichen in einer den allgemeinen Verbandszwecken oder der Zeichensatzung widersprechenden Weise benutzt wird. Als eine solche mißbräuchliche Benutzung ist es anzusehen, wenn die Überlassung der Benutzung des Zeichens an andere zu einer Irre­ führung des Verkehrs Anlaß gibt In den Fällen der Nr 1 findet § 9 Abs. 5 Anwendung. 8 24 f. Der Anspruch des Verbandes auf Entschädigung wegen unbe­ fugter Benutzung des Verbandszeichens (§ 14) umfaßt auch den einem Mitglied erwachsenen Schaden 8 24 g. Wird dem Patentamt nachgewiesen, daß ein eingetragenes Waren­ zeichen bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes von einem Verband als Ber­ bandszeichen geführt wurde, so ist das Zeichen auf Antrag des Verbandes in der Rolle umzuschreiben Der Antrag muß innerhalb eines Jahres seit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes gestellt werden und den für die Anmeldung eines Verbandszeichens bestehenden Vorschriften entsprechen. Mit dem Ein­ gang des Antrags beginnt die Frist für die Erneuerung des Zeichens 8 24 h. Die Vorschriften über Berbandszeichen finden auf ausländische Verbandszeichen nur dann Anwendung, wenn nach einer im Reichsgesetzblatt enthaltenen Bekanntmachung die Gegenseitigkeit verbürgt ist. 8 25. Die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Bestimmungen über die Einrichtung und den Geschäftsgang des Patentamts sowie über das Verfahren vor demselben werden durch Verordnung des Reichspräsidenten unter Zustimmung des Reichsrats getroffen

165. 9. Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Vom 7. Juni 1909 (RGBl. S. 499.) 8 1. Wer im geschäftlichen Verkehre zu Zwecken des Wettbewerbes Handlungen vornimmt, die gegen die guten Sitten verstoßen, kann auf Unter­ lassung und Schadensersatz in Anspruch genommen werden.

730

Erster Teil.

Strafgesetze.

§ 2. Unter Waren im Sinne dieses Gesetzes sind auch landwirtschaftliche Erzeugnisse, unter gewerblichen Leistungen und Interessen auch landwirt­ schaftliche zu verstehen. § 3. Wer in öffentlichen Bekanntmachungen oder in Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind, über geschäftliche Ver­ hältnisse, insbesondere über die Beschaffenheit, b-eii Ursprung, die Her­ stellungsart oder die Preisbemessung von Waren oder gewerblichen Leistungen, über die Art des Bezugs oder die Bezugsquelle von Waren, über den Besitz von Auszeichnungen, über den Anlaß oder den Zweck des Verkaufs oder über die Menge der Vorräte unrichtige Angaben macht, die geeignet sind, den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen, kann auf Unter­ lassung der unrichtigen Angaben in Anspruch genommen werden. g 4. Wer in der Absicht, den Anschein eines besonders günstigen An­ gebots hervorzurufen, in öffentlichen Bekanntmachungen oder in Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind, über geschäftliche Verhältnisse, insbesondere über die Beschaffenheit, den Ursprung, die Her­ stellungsart oder die Preisbemessung von Waren oder gewerblichen Leistungen, über die Art des Bezugs oder die Bezugsquelle von Waren, über den Besitz von Auszeichnungen, über den Anlaß oder den Zweck des Verkaufs oder über die Menge der Vorräte wissentlich unwahre und zur Jrreführunq qeeignete Angaben macht, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu fünftausend Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft. Werden die im Abs. 1 bezeichneten unrichtigen Angaben in einem ge­ schäftlichen Betriebe von einem Angestellten oder Beauftragten gemacht, so ist der Inhaber oder Leiter des Betriebs neben dem Angestellten oder Beauf­ tragten strafbar, wenn die Handlung mit seinem Wissen geschah. g 5. Die Verwendung von Namen, die im geschäftlichen Verkehre zur Benennung gewisser Waren oder gewerblicher Leistungen dienen, ohne deren Herkunft bezeichnen zu sollen, fällt nicht unter die Vorschriften der §.§ 3, 4. Im Sinne der Vorschriften der §§ 3, 4 sind den dort bezeichneten An­ gaben bildliche Darstellungen und sonstige Veranstaltungen gleich zu achten, die darauf berechnet und geeignet sind, solche Angaben zu ersetzen. g 6. Wird in öffentlichen Bekanntmachungen oder in Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind, der Verkauf von Waren angekündigt, die aus einer Konkursmasse stammen, aber nicht mehr zum Bestände der Konkursmasse gehören, so ist dabei jede Bezugnahme auf die Herkunft der Waren aus einer Konkursmasse verboten. Zuwiderhandlungen gegen diese Vorschrift werden mit Geldstrafe bis zu einhundertsünfzig Mark oder mit Haft bestraft. g 7. Wer in öffentlichen Bekanntmachungen oder in Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind, den Verkauf von Waren unter der Bezeichnung eines Ausverkaufs ankündigt, ist gehalten, in der An­ kündigung den Grund anzugeben, der zu dem Ausverkauf Anlaß gegeben hat. Durch die höhere Verwaltungsbehörde kann nach Anhörung der zustän­ digen gesetzlichen Gewerbe- und Handelsvertretungen für die Ankündigung bestimmter Arten von Ausverkäufen angeordnet werden, und zuvor bei der von ihr zu bezeichenden Stelle Anzeige über den Grund des Ausverkaufs und den Zeitpunkt seines Beginns zu erstatten sowie ein Verzeichnis der aus­ zuverkaufenden Waren einzureichen ist. Die Einsicht der Verzeichnisse ist jedem gestattet. g 8. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu fünf­ tausend Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer im Falle der Ankündigung eines Ausverkaufs Waren §um Verkaufe stellt, die nur für den Zweck des Ausverkaufs herbeigeschafft worden sind (sogenanntes Bor­ schieben oder Nachschieben von Waren). g 9* Der Ankündigung eines Ausverkaufs im Sinne des § 7 Abs. 2 und des § 8 steht jede sonstige Ankündigung gleich, welche den Verkauf von Waren wegen Beendigung des Geschäftsbetriebs, Aufgabe einer einzelnen Warengattung oder Räumung eines bestimmten Warenvorrats aus dem vorhandenen Bestände betrifft.

165. Gesetz gegen d. unlauteren Wettbewerb v. 7. Juni 1909. §§ 2—13.

731

Auf Saison- und Inventurausverkäufe, die in der Ankündigung als solche bezeichnet werden und im ordentlichen Geschäftsverkehr üblich sind, finden die Vorschriften der §§ 7 und 8 keine Anwendung. Über Zahl, Zeit und Tauer der üblichen Saison- und Inventurausverkäufe kann die höhere Verwaltungs­ behörde nack Anhörung der zuständigeu gesetzlichen Gewerbe- und Handels­ vertretungen Bestimmungen treffen. § 10. Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft wird bestraft: 1. wer der Vorschrift des § 7 «Abs. 1 zuwider es unterläßt, in der Ankündi­ gung eines Ausverkaufs den Grund anzugeben, der zu dem Ausverkauf Anlaß gegeben hat; 2. wer den auf Grund des § 7 Abs. 2 erlassenen Anordnungen zuwider­ handelt oder bei Befolgung dieser Anordnungen unrichtige Angaben macht: 3. wer den von der höheren Verwaltungsbehörde auf Gruud des $ 9 Abs. 2 Satz 2 getroffenen Bestimmungen zuwiderhandelt.

8 11. Durch Beschluß des Bundesrats kann festgesetzt werden, daß bestimmte Waren im Einzelverkehre nur in vorgeschriebenen Einheiten der Zahl, des Maßes oder des Gewichts oder mit einer auf der Ware oder ihrer Ausmachung anzubringenden Angabe über Zahl, Maß, Gewicht, über den Ort der Erzeugung oder den Ort der Herkunft der Ware gewerbsmäßig verkauft oder seilgehalten werden dürfen. Für den Einzelverkehr mit Bier in Flaschen oder Krügen kann die Angove des Inhalts unter Festsetzung angemessener Fehlergrenzen vorgeschrieben werden. Tie durch Beschluß des Bundesrats getroffenen Bestimmungen sind durch das Reichs-Gesetzblatt zu veröffentlichen und dem Reichstage sogleich oder bei seinem nächsten Zusammentritte vorzulegen. Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen des Bundesrats werden mit Geldstrafe bis zu einhundertfüufzig Mark oder mit Haft bestraft. 8 12. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu fünftausend Mark oder mit einer dieser Strafen wird, soweit nicht nach anderen Bestimmungen eine schwerere Strafe verwirkt wird, bestraft, wer im geschäftlichen Verkehre zu Zwecken des Wettbewerbes dem Angestellten oder Beauftragten eines geschäftlichen Betriebs Geschenke oder andere Vorteile anbietet, verspricht oder gewährt, um durch unlauteres Verhalten des An­ gestellten oder Beauftragten bei dem Bezüge von Waren oder gewerblichen Leistungen eine Bevorzugung für sich oder einen Tritten zu erlangen. Tie gleiche Strafe trifft den Angestellten oder Beauftragten eines ge­ schäftlichen Betriebs, der im geschäftlichen Verkehre Geschenke oder andere Vor­ teile fordert, sich versprechen läßt oder annimmt, damit er durch unlauteres Verhalten einem anderen bei dem Bezüge von Waren oder gewerblichen Leistungen im Wettbewerb eine Bevorzugung verschaffe. Im Urteil ist zu erklären, daß das Empfangene oder sein Wert dem Staate verfallen sei.

8 13. In den Fällen der §,§ 1, 3 kann der Anspruch auf Unterlassung von jedem Gewerbetreibenden, der Waren oder Leistungen gleicher oder ver­ wandter Art herstellt oder in den geschäftlichen Verkehr bringt, oder von Verbänden zur Förderung gewerblicher Interessen geltend gemacht werden, soweit die Verbände als solche in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten klagen können. Auch können diese Gewerbetreibenden und Verbände denjenigen, welcher den §§ 6, 8, 10, 11, 12 zuwiderhandelt, auf Unterlassung in An­ spruch nehmen. Zunl Ersätze des durch die Zuwiderhandlung entstehenden Schadens ist verpflichtet: 1. wer im Falle des § 3 die Unrichtigkeit der von ihm gemachten An­ gaben kannte oder kennen mußte. Gegen Redakteure, Verleger, Drucker­ oder Verbreiter von periodischen Druckschriften kann der Anspruch auf

732

Erster Teil.

Strafgesetze.

Schadensersatz nur geltend gemacht werden, wenn sie die Unrichtigkeit dec Angaben kannten; 2. wer gegen die §§ 6, 8, 10, 11, 12 vorsätzlich oder fahrlässig verstößt. Werden in einem geschäftlichen Betriebe Handlungen, die nach §§ 1, 3, 6, 8, 10, 11, 12 unzulässig sind, von einem Angestellten oder Beauftragten vorgenommen, so ist der Unterlassungsanspruch auch gegen den Inhaber des Betriebs begründet. 8 14. Wer zu Zwecken des Wettbewerbes über das Erwerbsgeschäft eines anderen, über die Person des Inhabers oder Leiters des Geschäfts, über die Waren oder gewerblichen Leistungen eines andern Tatsachen be­ hauptet oder verbreitet, die geeignet sind, den Betrieb des Geschäfts oder den Kredit des Inhabers zu schädigen, ist, sofern die Tatsachen nicht erweis­ lich wahr sind, dem Verletzten zum Ersätze des entstandenen Schadens ver­ pflichtet. Der Verletzte kann auch den Anspruch geltend machen, daß die Be­ hauptung oder Verbreitung der Tatsachen unterbleibe. Handelt es sich um vertrauliche Mitteilungen und hat der Mitteilende oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse, so ist der Anspruch auf Unterlassung nur zulässig, wenn die Tatsachen der Wahrheit zuwider behauptet oder verbreitet sind. Der Anspruch auf Schadens­ ersatz kann nur geltend gemacht werden, wenn der Mitteilende die Unrich­ tigkeit der Tatsachen kannte oder kennen mußte. Die Vorschrift des § 13 Abs. 3 findet entsprechende Anwendung. 8 15. Wer wider besseres Wissen über das Erwerbsgeschäft eines an­ deren, über die Person des Inhabers oder Leiters des Geschäfts, über die Waren oder gewerblichen Leistungen eines anderen Tatsachen der Wahrheit zuwider behauptet oder verbreitet, die geeignet sind, den Betrieb des Geschäfts zu schädigen, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu fünftausend Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft. Werden die im Abs. 1 bezeichneten Tatsachen in einem geschäftlichen Be­ triebe von einem Angestellten oder Beauftragten behauptet oder verbreitet, so ist der Inhaber des Betriebs neben dem Angestellten oder Beauftragten strafbar, wenn die Handlung mit seinem Wissen geschah. 8 16. Wer im geschäftlichen Verkehr einen Namen, eine Firma oder die besondere Bezeichnung eines Erwerbsgeschäfts, eines gewerblichen Unter­ nehmens oder einer Druckschrift in einer Weise benutzt, welche geeignet jist, Verwechslungen mit dem Namen, der Firma oder der besonderen Bezeichnung hervorzurufen, deren sich ein anderer befugterweise bedient, kann von diesem auf Unterlassung der Benutzung in Anspruch genommen werden. Ter Benutzende ist dem Verletzten zum Ersätze des Schadens verpflichtet, wenn er wußte oder wissen mußte, daß die mißbräuchliche Art der Benutzung geeignet war, Verwechslungen hervorzurufen. Ter besonderen Bezeichung eines Erwerbsgeschäfts stehen solche Ge­ schäftsabzeichen und sonstigen zur Unterscheidung des Geschäfts von anderen Geschäften bestimmten Einrichtungen gleich, welche innerhalb beteiligter Ver­ kehrskreise als Kennzeichen des Erwerbsgeschäfts gelten. Auf den Schutz von Warenzeichen und Ausstattungen (§§ 1, 15 des Gesetzes zum Schutze der Warenbezeichnungen vom 12. Mai 1894, Reichs-Gesehbl. S. 441) finden diese Vorschriften keine Anwendung. Tie Vorschrift des § 13 Abs. 3 findet entsprechende Anwendung. 8 17. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu fünftausend Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer als Angestellter, Arbeiter oder Lehrling eines Geschäftsbetriebs Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse, die ihm vermöge des Dienstverhältnisses anvertraut oder sonst zugänglich gemacht worden sind, während der Geltungsdauer des Tienstverhältnisses unbefugt an andere zu Zwecken des Wettbewerbes oder in der Absicht, dem Inhaber des Geschäftsbetriebs Schaden zuzufügen, mitteilt. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher Geschäfts- oder Betriebsgeheim­ nisse, deren Kenntnis er durch eine der im Abs. 1 bezeichneten Mitteilungen oder durch eine gegen das Gesetz oder die guten Sitten verstoßende eigene

165. Gesetz geg. d. unlauteren Wettbewerb v. 7. Juni 1909. §§ 14—25.

733

Handlung erlangt hat, zu Zwecken des Wettbewerbes unbefugt verwertet oder an andere mitteilt. 8 18. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu fünftausend Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer die ihm im geschäftlichen Verkehr anvertrauten Vorlagen oder Vorschriften technischer Art, insbesondere Zeichnungen, Modelle, Schablonen, Schnitte, Rezepte, zu Zwecken des Wettbewerbes unbefugt verwertet oder an andere mitteilt. 8 19. Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften der §§ 17, 18 ver­ pflichten außerdem zum Ersätze des entstandenen Schadens. Mehrere Ver­ pflichtete hasten als Gesamtschuldner. 8 20. Wer zu Zwecken des Wettbewerbes es unternimmt, einen anderen zu einer Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften des § 17 Abs. 1, § 18 zu bestrmmen, wird mit Gefängnis bis zu neun Monaten und mit Geldstrafe bis zu zweitausend Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft. 8 21. Tie in diesem Gesetze bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung oder Schadensersatz verjähren in sechs Monaten von dem Zeitpunkt an, in welchem der Anspruchsberechtigte von der Handlung und von der Person des Verpflichteten Kenntnis erlangt, ohne Rücksicht auf diese Kenntnis in drei Jahren von der Begehung der Handlung an. Für die Ansprüche auf Schadensersatz beginnt der Lauf der Verjährung nicht vor dem Zeitpunkt, in welchem ein Schaden entstanden ist. 8 22. Die Strafverfolgung tritt mit Ausnahme der in den §§ 6, 10, 11 bezeichneten Fälle nur auf Antrag ein. In den Fällen der §§ 4, 8, 12 hat das Recht, den Strafantrag zu stellen, jeder der im § 13 Abs. 1 bezeichneten Gewerbetreibenden und Verbände. Die Zurücknahme des Antrags ist zulässig. Strafbare Handlungen, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, sönnen von den zum Strafantrag Berechtigten im Wege der Privatktage verfolgt werden, ohne daß es einer vorgängigen Anrufung der Staatsanwalt­ schaft bedarf. Tie öffentliche Klage wird von der Staatsanwaltschaft nur dann erhoben, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt. Geschieht die Verfolgung im Wege der Privatklage, so sind die Schöffen­ gerichte zuständig. 8 23. Wird in den Fällen der §§ 4, 6, 8, 12 auf Strafe erkannt^ so kann angeordnet werden, daß die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekannt xu machen sei. Wird in den Fällen des § 15 auf Strafe erkannt, so ist zugleich dem Verletzten die Befugnis zuzusprechen, die Verurteilung innerhalb bestimmter Frist auf Kosten des Verurteilten öffentlich bekannt zu machen. Auf Antrag des freigesprochenen Angeschuldigten kann das Gericht die öffentliche Bekanntmachung der Freisprechung anordnen; die Staats­ kasse trägt die Kosten, insofern sie nicht dem Anzeigenden oder dem Privat­ kläger auferlegt worden sind. Ist auf Grund einer der Vorschriften dieses Gesetzes auf Unterlassung Klage erhoben, so kann in dem Urteile der obsiegenden Partei die Befugnis zugesprochen werden, den verfügenden Teil des Urteils innerhalb bestimmter Frist auf Kosten der unterliegenden Partei öffentlich bekannt zu machen. Tie Art der Bekanntmachung ist im Urteil zu bestimmen. 8 24. Für Klagen auf Grund dieses Gesetzes ist ausschließlich zuständig das Gericht, in dessen Bezirke der Beklagte seine gewerbliche Niederlassung oder in Ermangelung einer solchen seinen Wohnsitz hat. Für Personen, die im Jnlande weder eine gewerbliche Niederlassung noch einen Wohnsitz haben, ist ausschließlich zuständig das Gericht des inländischen Aufenthaltsorts, oder wenn ein solcher nicht bekannt ist, das Gericht, in dessen Bezirke die Handlung begangen ist. 8 25. Zur Sicherung der in diesem Gesetze bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung können einstweilige Verfügungen erlassen werden, auch wenn die in den §§ 935, 940 der Zivilprozeßordnung bezeichneten Voraussetzungen stricht zutresfen. Inständig ist auch das Amtsgericht, in dessen Bezirke die den An-

734

Erster Teil.

Strafgesetze.

sprach begründende Handlung begangen ist; im übrigen finden die Vorschriften des § 942 der Zivilprozeßordnung Anwendung. § 26. Neben einer nach Maßgabe dieses Gesetzes verhängten Strafe kann auf Verlangen des Verletzten auf eine an ihn zu erlegende Buße bis zum Betrage von zehntausend Mark erkannt werden. Für diese Buße haften die dazu Verurteilten als Gesamtschuldner. Eine erkannte Buße schließt die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruchs aus. § 27. Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, in welchen durch die Klage ein Anspruch aus Grund dieses Gesetzes geltend gemacht wird, gehören, sofern in erster Instanz die Landgerichte zuständig sind, vor die Kammern für Handels­ sachen. In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in welcher: durch Klage oder Wider­ klage ein Anspruch auf Grund dieses Gesetzes geltend gemacht ist, wird die Verhandlung und Entscheidung letzter Instanz im Sinne des § 8 des Ein­ führungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetze dem Reichsgerichte zugewiesen. 8 28.1) Wer im Inland eine Hauptniederlassung nicht besitzt, hat auf den Schutz dieses Gesetzes mir insoweit Anspruch, als in dem Staate, in welchem seine Hauptniederlassung sich befindet, nach einer im Reichsgesetzblatt ent­ haltenen Bekanntmachung deutsche Gewerbetreibende einen entsprechenden Schutz genießen. § 29. Welche Behörden in jedem Bundesstaat unter der Bezeichnung höhere Verwaltungsbehörde im Sinne dieses Gesetzes zu verstehen sind, wird von der Zentralbehörde des Bundesstaats bestimmt. 8 30. Dieses Gesetz tritt am 1. Oktober 1909 in Kraft. Mit diesem Zeitpunkte tritt das Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes vom 27. Mai 1896 ^Neichsgesetzbl. S. 145) außer Kraft.

III. Gesetze zum Schutze des Vermögens. 166.

1. Konkursordnung. Vom

10. Februar 1877?)

In der Fassung des Gesetzes vom 17. Mai 1898. (RGBl. 1898 S. 612 ff.)

Drittes Buch.

Strafbestimmungen. 8 239. Schuldner, welche ihre Zahlungen eingestellt haben, oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, werden wegen betrüglichen Bankerutts mit Zuchthaus bestraft, wenn sie in der Absicht ihre Gläubiger zu benachteiligen, 1. Vermögensstücke verheimlicht oder bei Seite geschafft haben, 2. Schulden oder Rechtsgeschäfte anerkannt oder aufgestellt haben, welche ganz oder teilweise erdichtet sind, 3. Handelsbücher zu führen unterlassen haben, deren Führung ihnen ge­ setzlich oblag, oder 4. ihre Handelsbücher vernichtet oder verheimlicht oder so geführt oder verändert haben, daß dieselben keine Übersicht des Vermögenszustandes gewähren. *) S. hiezu Art. I des Ges. v. 31. März 1913, abgedruckt ober S. 719 in der Note zu § 13 des Gebrauchsmustergesetzes (Ges. Nr. 163). -) In Helgoland eingeführt durch V. v. 22. März 1891 ^RGBl. S. 21).

166. Konkursordnung vom 10. Februar 1877.

735

Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht un­ ter drei Monaten ein. § 240. Schuldner, welche ihre Zahlungen eingestellt haben, oder über bereu Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, werden wegen einfachen Bankerutts mit Gefängnis bestraft, wenn sie 1. durch Aufwand, Spiet oder Wette oder durch Differenzhandel mit Waren oder Börsenpapieren übermäßige Summen verbraucht haben oder schuldig geworden sind; 2. in der Absicht, die Eröffnung des Konkursverfahrens hinauszuschieben, Waren oder Wertpapiere auf Kredit entnommen und diese Gegenstände erheblich unter dem Werte in einer den Anforderungen einer ordnungs­ mäßigen Wirtschaft widersprechenden Weise veräußert oder sonst weg­ gegeben haben; 3. Handelsbücher zu führen unterlassen haben, deren Führung ihnen ge­ setzlich oblag, oder dieselben verheimlicht, vernichtet oder so unordentlich geführt haben, daß sie keine Übersicht ihres Vermögenszustandes gewähren, oder 4. es gegen die Bestimmung des Handelsgesetzbuchs unterlassen haben, die Bilanz ihres Vermögens in der vorgeschriebenen Zeit zu ziehen. Neben der Gefängnisstrafe kann in den Fällen der Nr. 1, 2 auf Ver­ lust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann auf Geldstrafe bis zu sechstausend Mark erkannt werden. 8 241. Schuldner, welche ihre Zahlungen eingestellt haben oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, werden mit Ge­ fängnis bis zu zwei Jahren bestraft, wenn sie, obwohl sie ihre Zahlungsunsähigkeit kannten, einem Gläubiger in der Absicht, ihn vor den übrigen Gläubigern zu begünstigen, eine Sicherung oder Befriedigung gewährt haben, welche derselbe nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu bean­ spruchen hatte. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann auf Geldstrafe bis zu sechstausend Mark erkannt werden. 8 242. Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer 1. im Interesse eines Schuldners, welcher seine Zahlungen eingestellt hat, oder über dessen Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, Vermögensstücke desselben verheimlicht oder beiseite geschafft hat, oder 2. im Interesse eines solchen Schuldners, oder, um sich oder einem anderen Vermögensvorteil zu verschaffen, in dem Verfahren erdichtete Forderun­ gen im eigenen Namen oder durch vorgeschobene Personen geltend ge­ macht hat. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe oder Geld­ strafe bis zu sechstausend Mark ein. 8 243. Ein Gläubiger, welcher sich von dem Gemeinschuldner oder anderen Personen besondere Vorteile dafür hat gewähren oder versprechen lassen, daß er bei den Abstimmungen der Konkursgläubiger in einem gewissen Sinne stimme, wird mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark oder mit Ge­ fängnis bis zu einem Jahre bestraft. 8 244. Die Strafvorschriften der §§ 239—241 finden gegen die Mit­ glieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft oder eingetragenen Genossen­ schaft und gegen die Liquidatoren einer Handelsgesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft, welche ihre Zahlungen eingestellt hat, oder über deren Ver­ mögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, Anwendung, wenn sie in dieser Eigenschaft die mit Strafe bedrohten Handlungen begangen haben.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

167. 2. Gesetz, betr. Ergänzung der Bestimmungen über den Wucher. Vom 19. Juni 1893.

(RGBl. S. 197.) Art. 4. Wer aus dem Betriebe von Geld- oder Kreditgeschäften ein Ge­ werbe macht, hat die Rechnung des Geschäftsjahres für jeden, welcher ein Geschäft der bezeichneten Art mit ihm abgeschlossen hat und daraus fein Schuldner geworden ist, abzuschließen und dem Schuldner binnen drei Monaten nach Schluß des Jahres einen schriftlichen Auszug dieser Rechnung mitzu­ teilen, der außer dem Ergebnis derselben auch erkennen läßt, wie solches erwachsen ist. Wer sich dieser Verpflichtung vorsätzlich entzieht, wird mit Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark oder mit Haft bestraft und verliert den Anspruch auf die Zinsen für das verflossene Jahr hinsichtlich der Geschäfte, welche in den Rechnungsauszug aufzunehmen waren. Die vorstehenden Bestimmungen finden keine Anwendung: 1. tvenn das Schuldvcrhältnis auf nur einem während des abgelaufenen Geschäftsjahres abgeschlossenen Rechtsgeschäfte beruht, über dessen Ent­ stehung und Ergebnis dem Schuldner eine schriftliche Mitteilung be­ händigt ist; 2. auf öffentliche Banken, Notenbanken, Bodenkreditinstitute und Hypo­ thekenbanken auf Aktien, auf öffentliche Leihanstalten, auf Spar-" und Darleihinstitute öffentlicher Korporationen und auf eingetragene Genossen­ schaften, soweit es sich bei den eingetragenen Genossenschaften um den Geschäftsverkehr mit den Mitgliedern handelt; 3. auf den Geschäftsverkehr zwischen Kaufleuten, deren Firma in das Handelsregister eingetragen ist.

168.

3. Gesetz, betr. die Abzahlungsgeschäfte. Vom 16. Mai 1894. (RGBl. S. 450.)

88 1-6.

- -- -- -- -- -- -8 7. Wer Lotterielose, Jnhaberpapiere mit Prämien (Gesetz vom 8. Juni 1871, Reichsgesetzbl. S. 210) oder Bezugs- oder Anteilscheine auf solche Lose oder Jnhaberpapiere gegen Teilzahlungen verkauft oder durch sonstige auf die gleichen Zwecke abzielende Verträge veräußert, wird mit Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark bestraft. Es begründet keinen Unterschied, ob die Übergabe des Papiers vor oder nach der Zahlung des Preises erfolgt. § 8. Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden keine Anwendung, wenn der Empfänger der Ware als Kaufmann in das Handelsregister eingetragen ist. § 9. Verträge, welche vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes abge­ schlossen sind, unterliegen den Vorschriften desselben nicht.

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169. Depotgesetz v. 5. Juli 1896.

169. 4. Gesetz, betr. die Pflichten der Kaufleute bei Aufbewahrung fremder Wertpapiere. Vom 5. Juli 1896. (RGBl. S. 183 u. 194.)i)

§ 1. Ein Kaufmann, welchem im Betriebe seines Handelsgewerbes Ak­ tien, Kuxe, Jnterimsscheine, Erneuerungsscheine (Talons), auf den Inhaber lautende oder durch Indossament übertragbare Schuldverschreibungen, oder vertretbare andere Wertpapiere, mit Ausnahme von Banknoten und Papier­ geld sowie von Schatzanweisungen der wertbeständigen Anleihe' des Teutschen Reichs ohne Zinsscheine und von Rentenbankscheinen, unverschlossen zur Verwahrung oder als Pfand übergeben sind, ist verpflichtet: 1. diese Wertpapiere unter äußerlich erkennbarer Bezeichnung jedes Hinter­ legers oder Verpfänders gesondert von seinen eigenen Beständen und von denen Dritter aufzubewahren, 2. ein Handelsbuch zu führen, in welches die Wertpapiere jedes Hinter­ legers oder Verpfänders nach Gattung und Nennwert der Stücke einzu­ tragen sind; der Eintragung steht die Bezugnahme auf Verzeichnisse gleich, welche neben dem Handelsbuche geführt werden. Die Eintragung kann unterbleiben, insoweit die Wertpapiere zurückgegeben sind, bevor die Eintragung bei ordnungsmäßigem Geschäftsgänge erfolgen konnte. Etwaige Rechte und Pflichten des Verwahrers oder Pfandgläubigers, im Interesse des Hinterlegers oder Verpfänders Verfügungen 'oder Verwattungshandlungen vorzunehmen, werden durch die Bestimmung unter Ziffer 1 nicht berührt. 8 2. Eine Erklärung des Hinterlegers oder Verpfänders, durch welche der Verwahrer oder Pfandgläubiger ermächtigt wird, an Stelle hinterlegter oder verpfändeter Wertpapiere der im § 1 bezeichneten Art gleichartige Wert­ papiere zurückzugewähren oder über die Papiere zu seinem Nutzen zu ver­ fügen, ist, falls der Hinterleger oder Verpfänder nicht gewerbsmäßig Bank­ oder Geldwechslergeschäfte betreibt, nur gültig, soweit sie für das einzelne Geschäft ausdrücklich und schriftlich abgegeben wird. Wird der Verwahrer oder Pfandgläubiger ermächtigt, an Stelle hinter­ legter oder verpfändeter Wertpapiere der im § 1 bezeichneten Art gleichartige Wertpapiere zurückzugewähren, so finden die Bestimmungen des § 1 keine An­ wendung. 8 3. Der Kommissionär (§§ 383, 406 des Handelsgesetzbuchs), welcher einen Auftrag zum Einkauf von Wertpapieren der im § 1 bezeichneten Art ausführt, hat dem Kommittenten auf dessen Verlangen binnen einer Woche ein Verzeichnis der Stücke mit Angabe der Gattung, des Nennwerts, der Nummern oder sonstigen Bezeichnungsmerkmale zu übersenden. Die Frist beginnt, falls der Kommissionär bei der Anzeige über die Ausführung des Auftrags einen Dritten als Verkäufer namhaft gemacht hat, mit dem Erwerbe der Stücke, andernfalls mit dem Zeitpunkt, in welchem dem Kommissionär die Erklärung des Kommittenten, daß er die Übersendung eines Stückeverzeich­ nisses verlange, zugeht, frühestens jedoch mit dem Ablauf des Zeitraums, innerhalb dessen der Kommissionär nach der Erstattung der Ausführungs­ anzeige die Stücke bei ordnungsmäßigem Geschäftsgang ohne schuldhafte Ver­ zögerung beziehen konnte. Der Kommissionär kann sich das Recht ausbedingen, dem Kommittenten an Stelle der Übersendung des Stückeverzeichnisses die Stücke selbst herauszu­ geben oder ihm den Herausgabeanspruch an eine zur Verwahrung der Stücke bestimmte dritte Stelle abzutreten. Im übrigen kann das Recht des Kommitten­ ten, die Übersendung des Stückeverzeichnisses zu verlangen, nicht durch Rechtsx) In der Fassung der Verordnung v. 21. November 1923 (RGBl. I S. 1119). Allfeld, Strafgesetzgebung.

3. Aufl.

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Erster Teil.

Strafgesetze.

geschäst ausgeschlossen ober beschränkt werden, es sei denn daß der Kommittent gewerbsmäßig Bank- oder Geldwechslergeschäfte betreibt. Soweit, die Auslieferung der eingekauften Stücke an den Kommittenten erfolgt oder ein Auftrag des Kommittenten zur Wiederveräußerung ausge­ führt ist, kann die Übersendung des Stückeverzeichnisses unterbleiben. 8 4. Ist der Kommissionär mit Erfüllung der ihm nach den Bestim­ mungen des § 3 obliegenden Verpflichtungen im Verzüge und holt er das Versäumte auf eine danach an ihn ergangene Aufforderung des Kommittenten nicht binnen drei Tagen nach, so ist der Kommittent berechtigt, das Geschäst als nicht für seine Rechnung abgeschlossen zurückzuweisen und Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu beanspruchen. Tie Aufforderung des Kommittenten verliert ihre Wirkung, wenn er dem Kommissionär nicht binnen drei Tagen nach dem Ablaufe der Nachholungs­ frist erklärt, daß er von dem im Abs. 1 bezeichneten Rechte Gebrauch machen wolle. 8 5. Ter Kommissionär, welcher einen Auftrag zum Umtausche von Wertpapieren der im § 1 bezeichneten Art oder zur Geltendmachung eines Bezugsrechts auf solche Wertpapiere ausführt, hat binnen zwei Wochen nach dem Empfange der neuen Stücke dem Kommittenten ein Verzeichnis der Stücke mit den im 8 3 (Absatz 1 vorgeschriebenen Angaben zu übersenden, soweit er ihm die Stücke nicht innerhalb dieser Frist aushändigt. 8 K. Der Kommissionär, welcher den im § 5 ihm auferlegten Pflichten nicht genügt, verliert das Recht, für die Ausführung des Auftrages Provision zu fordern (Artikel 371 Absatz 21) des Handelsgesetzbuchs). 8 7. Mit der Absendung des Stückeverzeichnisses geht das Eigentum an den darin verzeichneten Wertpapieren auf den Kommittenten über, soweit der Kommissionär über die Papiere zu verfügen berechtigt ist. Tie Be­ stimmungen des bürgerlichen Rechts, nach welchen der Übergang des Eigentums schon in einem früheren Zeitpunkte eintritt, bleiben unberührt. Ter Kommissionär hat bezüglich der in seinem Gewahrsam befindlichen, in das Eigentum des Kommittenten übergegangenen Wertpapiere die im § 1 bezeichneten Pflichten eines Verwahrers. 8 7 a. Hat bei einem Kommissionsgeschäft über den Einkauf von Wert­ papieren der im ß 1 bezeichneten Art zur Zeit der Eröffnung des Konkurs­ verfahrens über das Vermögen des Kommissionärs der Kommittent die ihm dem Kommissionär gegenüber obliegenden Pflichten vollständig erfüllt, ohne daß die einzukaufenden Wertpapiere bis zu diesem Zeitpunkt 'durch Über­ sendung eines Stückeverzeichnlsses oder auf andere Weise in das Eigentum des Kommittenten übergegangen sind, so geht in Ansehung der Befriedigung aus den in der Masse vorhandenen Wertpapieren gleicher Gattung und aus den Ansprüchen auf Lieferung solcher Wertpapiere die Forderung des Kommit­ tenten den Forderungen aller anderen Konkursgläubiger vor. Mehrere Kommittenten haben untereinander gleichen Rang. Aus dem sonstigen Ver­ mögen des Kommissionärs können die Kommittenten unter entsprechender Anwendung der für die Absonderungsberechtigten geltenden Vorschriften der 8§ 64, 153, 155, 156 und des § 168 Nr. 3 der Konkursordnung Befriedigung verlangen. Das Konkursgericht hat, wenn es nach Lage des Falles erforderlich erscheint, den Kommittenten zur Wahrung der ihnen nach Abs. 1 zustehenden Rechte einen Pfleger zu bestellen. Für die Pflegschaft tritt an die Stelle des Vormundschaftsgerichts das Konkursgericht. Die Vorschriften des § 62 Abs. 2 bis 5 des Gesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901 (Reichsgesetzbl. S. 139) finden entsprechende Anwendung.

8 8. Ein Kaufmann, welcher im Betriebe seines Handelsgewerbes fremde Wertpapiere der int § 1 bezeichneten Art einem Dritten zum Zweck der Auf­ bewahrung, der Veräußerung, des Umtausches oder des Bezuges von anderen *) Jetzt § 396 Abs. 1.

169. Depotgesetz v. 5. Juli 1896.

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Wertpapieren, Zins- ober Gewinnanteilscheinen ausantwortet, hat hierbei dem Dritten mitzuteilen, daß die Papiere fremde seien. Ebenso hat er in dem Falle, daß er einen ihm erteilten Auftrag zur Anschaffung solcher Wert­ papiere an einen Dritten weitergibt, diesem hierbei mitzuteilen, daß die Anschaffung für fremde Rechnung geschehe. Der Dritte, welcher eine solche Mitteilung empfangen hat, kann an den übergebenen oder an den neu beschafften Papieren ein Pfandrecht oder ein Zurückbehaltungsrecht nur wegen solcher Forderungen an seinen Auftraggeber geltend machen, welche mit Bezug auf diese Papiere ent­ standen sind. § 9. Wenn ein Kaufmann über Wertpapiere der im § 1 bezeichneten Art, welche ihm zur Verwahrung oder als Pfand übergeben sind, oder welche er als Kommissionär für den Kommittenten in Besitz genommen hat, außer dem Falle des § 246 des Strafgesetzbuchs zum eigenen Nutzen oder zum Nutzen eines Tritten rechtswidrig verfügt, wird er mit Gefängnis bis zu einem Jahre und Geldstrafe bis zu dreitausend Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft. Ter gleichen Strafe unterliegt, wer der Vorschrift des § 8 zum eigenen Nutzen oder zum Nutzen eines Tritten vorsätzlich zuwiderhandelt. Ist der Täter ein Angehöriger (§ 52 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs) des Verletzten, so tritt die Verfolgung nur auf Antrag ein. Tie Zurücknahme des Antrages ist zulässig. Der § 247 Absatz 2 und 3 des Strafgesetzbuchs findet entsprechende Anwendung. § 10. Ein Kaufmann, welcher seine Zahlungen eingestellt hat oder über dessen Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, wird mit Ge­ fängnis bis zu zwei Jahren bestraft, wenn er den Vorschriften des L 1 Ziffer 1 oder 2 zuwidergehandelt hat und dadurch der Berechtigte bezüglich des An­ spruches auf Aussonderung der von jenem zu verwahrenden Wertpapiere benachteiligt wird, desgleichen wenn er als Kommissionär den Vorschriften der §§ 3 oder 5 vorsätzlich zuwidergehandelt hat und dadurch der Berechtigte bezüglich des Anspruches auf Aussonderung der von jenem eingekauften, eingetauschten oder bezogenen Wertpapiere benachteiligt wird.

8 11. Ein Kaufmann, welcher seine Zahlungen eingestellt hat oder über dessen Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, wird mit Zuchthaus bestraft, wenn er im Bewußtsein seiner Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung fremde Wertpapiere, welche er im Betriebe seines Handels­ gewerbes als Verwahrer, Pfandgläubiger oder Kommissionär in Gewahr­ sam genommen, sich rechtswidrig zugeeignet hat. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein.

8 12. Tie Strafvorschrift des § 9 findet gegen die Mitglieder des Vorstands einer Aktiengesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft, die Ge­ schäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, sowie gegen die Liquidatoren einer Handelsgesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft An­ wendung, wenn sie in Ansehung von Wertpapieren, die sich im Besitze der Gesellschaft oder Genossenschaft befinden oder von dieser einem Dritten aus­ geantwortet sind, die mit Strafe bedrohte Handlung begangen haben. Die vorbezeichneten Personen werden, wenn die Gesellschaft oder Ge­ nossenschaft ihre Zahlungen eingestellt hat, oder wenn über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, bestraft 1. gemäß § 10, wenn sie den Vorschriften des § 1 Ziffer 1 oder 2 oder den Vorschriften der §§ 3 oder 5 vorsätzlich zuwidergehandelt haben und dadurch der Berechtigte bezüglich des Anspruches auf Aussonderung der von der Gesellschaft oder Genossenschaft zu verwahrenden oder von ihr eingekauften, eingetauschten oder bezogenen Wertpapiere be­ nachteiligt wird, 2. gemäß § 11, wenn sie im Bewußtsein der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft oder Genossenschaft fremde Wertpapiere,

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Erster Teil.

Strafgesetze.

welche von dieser als Verwahrer, Pfandgläubiger oder Kommissionär in Gewahrsam genommen sind, sich rechtswidrig zugeeignet haben, g 13. Dieses Gesetz findet auf diejenigen Klassen von Kaufleuten keine Anwendung, für welche gemäß Artikel 101) des Handelsgesetzbuchs die Vor­ schriften über die Handelsbücher keine Geltung haben.

170. 5. Gesetz, betr. die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schnldverschreibungen. Vom 4. Dezember 1899. (RGBl. S. 691.)

g 1. Sind von jemand, der im Jnlande seinen Wohnsitz oder seine gewerbliche Niederlassung hat, im Jnlande Schuldverschreibungen mit im voraus bestimmten Nennwerten ausgestellt, die nach dem Verhältnisse dieser Werte den Gläubigern gleiche Rechte gewähren, und betragen die Nennwerte der ausgegebenen Schuldverschreibungen zusammen mindestens dreihundert­ tausend Mark und die Zahl der ausgegebenen Stücke mindestens dreihundert, so haben die Beschlüsse, welche von einer Versammlung der Gläubiger aus diesen Schuldverschreibungen zur Wahrung ihrer gemeinsamen Interessen gefaßt werden, nach Maßgabe dieses Gesetzes verbindliche Kraft für alle Gläubiger der bezeichneten Art. Tie Versammlung kann insbesondere zur Wahrnehmung der Rechte der Gläubiger einen gemeinsamen Vertreter für diese bestellen. Eine Verpflichtung zu Leistungen kann für die Gläubiger durch Beschluß der Gläubigerversammlung nicht begründet werden. g 2. Sinkt der Gesamtbetrag der im Umlaufe befindlichen Schuld­ verschreibungen unter einhunderttausend Mark oder sinkt die Zahl der im Umlaufe befindlichen Stücke unter einhundert, so ist dies von dem Schuldner unverzüglich im Teutschen Reichsanzeiger bekannt zu machen. Bon dem auf die Bekanntmachung folgenden Tage an können Gläubigerversammlungen auf Grund dieses Gesetzes nicht mehr abgehalten werden; mit dem bezeichneten Zeitpunkt erlischt das Amt eines von der Gtäubigerversammlung bestellten Vertreters der Gläubiger.

88 3-9. ------------g 10. Die Beschlüsse bedürfen, soweit nicht in diesem Gesetz ein An­ deres vorgeschrieben ist, der Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Tie Mehr­ heit wird nach den Beträgen der Schuldverschreibungen berechnet. Bei Gleich­ heit der Stimmen entscheidet die Zahl der Gläubiger. Gezählt werden nur die Stimmen derjenigen Gläubiger, welche ihre Schuldverschreibungen spätestens am zweiten Tage vor der Versammlung bei der Reichsbank, bei einem Notar oder bei einer anderen durch die Landes-, regierung dazu für geeignet erklärten Stelle hinterlegt haben. Das Stimmrecht kann durch einen Bevollmächtigten ausgeübt werden. Für die Vollmacht ist die schriftliche Form erforderlich und genügend. Der Schuldner ist für die in seinem Besitze befindlichen Schuldver­ schreibungen nicht stimmberechtigt. Soweit ihm an den Schuldverschreibungen ein Pfandrecht oder ein Zurückbehaltungsrecht zusteht, ist er auf Verlangen des Ägentümers verpflichtet, die Schuldverschreibungen bei einer der im Abs. 2 bezeichneten Stellen in der Weise zu hinterlegen, daß, unbeschadet der Fortdauer des Pfandrechts oder Zurückbehaltungsrechts, dem Eigentümer die Ausübung des Stimmrechts ermöglicht wird; die Kosten der Hinterlegung hat der Eigentümer zu tragen und vorzuschießen. g 11. Die Aufgabe oder Beschränkung von Rechten der Gläubiger, insbesondere die Ermäßigung des Zinsfußes oder die Bewilligung einer *) J-tzt § 4.

170. Schuldverschreibungsgesetz v. 4. Dezember 1899.

741

Stundung, kann von der Gläubigerversammtung nur zur Abwendung einer Zahlungseinstellung oder des Konkurses des Schuldners beschlossen werden. Der Beschluß, durch welchen Rechte der Gläubiger aufgegeben oder beschränkt werden, bedarf einer Mehrheit von mindestens drei Vierteilen der abgegebenen Stimmen. Die Mehrheit muß mindestens die Hälfte des Nenn­ werts der im Umlaufe befindlichen Schuldverschreibungen und, wenn dieser nicht mehr als zwölf Millionen Mark beträgt, mindestens zwei Drittelte des Nennwerts erreichen; beträgt der Nennwert der im Umlaufe befindlichen Schuldverschreibungen weniger als sechzehn Millionen, aber mehr als zwölf Millionen Mark, so muß die Mehrheit acht Millionen erreichen. In diesen Fällen bleiben bei der Berechnung des Nennwerts der um­ laufenden Schuldverschreibungen die im Besitze des Schuldners befindlichen Schuldverschreibungen, für welche das Stimmrecht nach § 10 Abs. 4 aus­ geschlossen ist, außer Ansatz. Ter Schuldner ist verpflichtet, in der Gläubigeroersammlung Auskunft über den Betrag der im Umlauf befindlichen, zum Stimmen berechtigenden Schuldverschreibungen zu erteilen.

88 12-20. -------------8 21. Wer Schuldverschreibungen, die sich im Besitze des Schuldners befinden, einem Anderen zu dem Zwecke überläßt, das Stimmrecht der Vorschrifr des § 10 Abs. 4 zuwider an Stelle des Schuldners auszuüben, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu fünf­ tausend Mark bestraft. Die gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher die Schuldverschreibungen zu dem bezeichneten Zwecke verwendet. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt ausschließlich die Geld­ strafe ein. 8 22. Wer in der Bekanntmachung, die gemäß § 2 erlassen wird, oder in der Auskunft, die gemäß § 11 Abs. 4 in der Gläubigerversammlung erteilt wird, wissentlich unwahre Angaben über Tatsachen macht, deren Mitteilung ihm nach den bezeichneten Vorschriften obliegt, wird mit Ge­ fängnis bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark bestraft. Wer es unterläßt, die nach! § 2 ihm obliegende Bekanntmachung zu be­ wirken, wird mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark bestraft. 8 23. Wer sich besondere Vorteile dafür gewähren oder versprechen läßt, daß er bei einer Abstimmung in der Gläubigerversammlung in einem gewissen Sinne stimme oder an der Abstimmung in der Gläubigerversammtung nicht teilnehme, wird mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark oder mit Ge­ fängnis bis zu einem Jahre bestraft. Die gleiche Strafe denjenigen, welcher besondere Vorteile dafür ge­ währt oder verspricht, daß jemand bei einer Abstimmung in der Gläubiger-, Versammlung in einem gewissen Sinne stimme oder an der Abstimmunug in der Gläubigerversammlung nicht teilnehme. 8 24. Auf Schuldverschreibungen des Reichs, eines Bundesstaats oder einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes finden die Vorschriften dieses Gesetzes keine Anwendung. Die Landesgesetze können jedoch bestimmen, daß die bezeichneten Vorschriften auch auf Schuldverschreibungen von Körper­ schaften des öffentlichen Rechtes Anwendung finden.

8 25. - -- -- -- -- -- -- 8 26. Dieses Gesetz tritt gleichzeitig mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch in Kraft. Es findet Anwendung.

auch

auf

die

vorher

ausgegebenen

Schuldverschreibungen

742

Erster Teil.

Strafgesetze.

171. 6. Gesetz, betr. die Bestrafung der Entziehung elektrischer Arbeit. Vom 9. April 1900. (RGBl. 1900 S. 228.)

8 1.

Wer einer elektrischen Anlage ober Einrichtung fremde elektrische Arbeit mittelst eines Leiters entzieht, der zur ordnungsmäßigen Entnahme von Arbeit aus der Anlage oder Einrichtung llicht bestimmt ist, wird, wenn er die Handlung in der Absicht begeht, die elektrische Arbeit sich rechtswidrig zuzueignen, mit Gefängnis und mit Geldstrafe bis zu fünf­ zehnhundert Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft. Neben der Gefängnisstrafe sonn auf Vertust der bürgerlichen Ehren­ rechte erkannt werden. Der Versuch ist strafbar. 8 2. Wird die im § 1 bezeichnete Handlung in der Absicht begangen, einem Anderen rechtswidrig Schaden zuzufügen, so ist auf Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder auf Gefängnis bis zu zwei Jahren zu erkennen. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein.

172. 7. Gesetz über die Sicherung der Bauforderungen. Vom 1. Juni 1909. (RGBl. S. 449.)

Erster Abschnitt.

Allgemeine Sicherungsmaßregeln. 8 1. Der Empfänger von Baugeld ist verpflichtet, das Baugeld zur Befriedigung solcher Personen, die an der Herstellung des Baues auf Grund eines Werk-, Dienst- oder Lieferungsvertrags beteiligt sind, zu verwenden. Eine anderweitige Verwendung des Baugeldes ist bis zu dem Betrage statt­ haft, in welchem der Empfänger aus anderen Mitteln Gläubiger der bezeich­ neten Art bereits befriedigt hat. Ist der Empfänger selbst an der Herstellung beteiligt, so darf er das Baugeld in Höhe der Hälfte des angemessenen Wertes der von ihm in den Bau verwendeten Leistung, oder, wenn die Leistung von ihm noch nicht in den Bau verwendet worden ist, der von ihm geleisteten Arbeit und der von ihm gemachten Auslagen für sich behalten. Baugeld sind Geldbeträge, die zum Zwecke der Bestreitung der Kosten eines Baues in der Weise gewährt werden, daß zur Sicherung der Ansprüche des Geldgebers eine Hypothek oder Grundschuld an dem zu bebauenden Grundstücke dient oder die Übertragung des Ngentums an dem Grundstück erst nach gänzlicher oder teilweiser Herstellung des Baues erfolgen soll. Als Geldbeträge, die zum Zwecke der Bestreitung der Kosten eines Baues gewährt werden, gelten insbesondere: 1. solche, deren Auszahlung ohne nähere Bestimmung des Zweckes der Verwendung nach Maßgabe des Fortschreitens des Baues erfolgen soll, 2. solche, die gegen eine als Baugeldhypothek bezeichnete Hypothek (§ 33) gewährt werden. 8 2 Zur Führung eines Baubuchs ist verpflichtet, wer die Herstellung eines Neubaues unternimmt und entweder Baugewerbetreibender ist oder sich für den Neubau Baugeld gewähren läßt. Über jeden Neubau ist gesondert Buch zu führen. Neubau int Sinne dieses Gesetzes ist die Errichtung eines Gebäudes auf einer Baustelle, die zur Zeit der Erteilung der Bauerlaubnis unbebaut

172. Gesetz über die Sicherung der Bauforderungen v. 1. Juni 1909.

743

oder nur mit Bauwerken untergeordneter Art oder mit solchen Bauwerken besetzt ist, welche zum Zwecke der Errichtung des Gebäudes abgebrochen werden sollen Aus dem Baubuche müssen sich ergeben: 1 die Personen, mit denen ein Werk-, Dienst- oder Lieferungsvertrag abgeschlossen ist, die Art der diesen Personen übertragenen Arbeiten und die vereinbarte Vergütung; 2 die auf jede Forderung geleisteten Zahlungen und die Zeit dieser Zah­ lungen ; 3 die Höhe der zur Bestreitung der Baukosten zugesicherten Mittel und die Person des Geldgebers sowie Zweckbestimmung und Höhe der^ jenigen Beträge, die gegen Sicherstellung durch das zu bebauende Grund­ stück (§ 1 Abs. 3), jedoch nicht zur Bestreitung ,der Baukosten gewährt werden; 4 die einzelnen in Anrechnung auf die unter Ziffer 3 genannten Mittel an den Buchführungspflichtigen oder für seine Rechnung geleisteten Zah­ lungen und die Zeit dieser Zahlungen; 5 Abtretungen, Pfändungen oder sonstige Verfügungen über diese Mittel; 6 die Beträge, die der Buchführungspflichtige für eigene Leistungen in den Bau ans diesen Mitteln entnommen hat. Das Buch ist bis zum Ablaufe von fünf Jahren, von der Beendigung des letzteingetragenen Baues an gerechnet, aufzubewahren. § 3. Tie Vorschriften des H 2 finden auch auf Umbauten Anwendung, wenn für den Umbau Baugeld gewährt wird. § 4. Bei Neubauten ist der Bauleiter verpflichtet, an leicht sichtbarer Stelle einen Anschlag anzubringen, welcher den Stand, den Familiennamen und weurgstens einen ausgeschriebenen Vornamen sowie den Wohnort des Eigen­ tümers, und, falls dieser die Herstellung des Gebäudes oder eines einzelnen Teiles des Gebäudes einem Unternehmer übertragen hat, des Unternehmers in deutlich lesbarer und unverwischbarer Schrift enthalten muß. Wird der Bau von einer Firma als Eigentümer oder Unternehmer ausgeführt, so ist diese und deren Niederlassungsort anzugeben 8 5. Baugeldempfänger, welche ihre Zahlungen eingestellt haben oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist und deren im § 1 Abs. 1 bezeichnete Gläubiger zur Zeit der Zahlungseinstellung oder der Konkurseröffnung benachteiligt sind, werden mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft, wenn sie vorsätzlich zum Nachteile der bezeichneten Gläubiger den Vorschriften des 8 1 zuwidergehandelt haben. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann die Strafe bis auf einen Tag Gefängnis ermäßigt oder auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark erkannt werden. 8 6. Zur Führung eines Baubuchs verpflichtete Personen, welche ihre Zahlungen eingestellt haben oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist und deren im §, 2 Abs. 3 Ziffer 1 bezeichnete Gläubiger zur Zeit der Zahlungseinstellung oder der Konkurseröffnung benachteiligt sind, werden mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark bestraft, wenn sie das vorgeschriebene Baubuch zu führen unterlassen, oder es verheimlicht, vernichtet oder so unordentlich geführt haben, daß es keine genügende Übersicht, insbesondere über die Verwendung der zur Bestreitung der Baukosten zugesicherten Mittel, gewährt 8 7. Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark und im Unvermö­ gensfalle mit Haft bis zu vier Wochen wird bestraft, wer den Vorschriften des ß 4 zuwiderhandelt. 8 8. Die Vorschriften dieses Abschnitts finden auf Bauten, die bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes begonnen sind, keine Anwendung.

88

9-67.

Zweiter Abschnitt. Dingliche Sicherung der Bauforderung. - -- -- -- --

--

-

744

173.

Erster Teil.

Strafgesetze.

8. Rennwett- und Lotteriegesetz. Vom 8. April 1922.

(RGBl. I S. 393.)

I. Rennwetten. 1. Allgemeine Vorschriften.

8 1. Das Unternehmen eines Totalisators kann aus Anlaß öffentlicher Pferderennen und anderer öffentlicher Leistungsprüfungen für Pferde durch die Landeszentralbehörde zugelassen werden. Die Erlaubnis ist alljährlich einzuholen; sie kann von Bedingungen ab­ hängig gemacht, für bestimmte Renntage erteilt und jederzeit beschränkt oder widerrufen werden. Die Erlaubnis darf nur solchen Vereinen erteilt werden, welche die Sicherheit bieten, daß sie die Einnahmen ausschließlich zum Besten der Landes­ pferdezucht verwenden. 8 2. Wer gewerbsmäßig Wetten bei öffentlichen Leistungsprüfungen für Pferde abschließen oder vermitteln will (Buchmacher), bedarf der Erlaubnis der Landeszentralbehörde oder der von ihr bezeichneten Behörde. Die Er­ laubnis darf nur an deutsche Reichsangehörige erteilt werden. Die Erlaubnis kann jederzeit beschränkt oder widerrufen werden. Der Buchmacher bedarf der Erlaubnis für die Örtlichkeit, wo die Wetten entgegengenommen oder vermittelt werden, und auch für die Personen, deren er sich zum Abschluß und zur Vermittlung von Wetten bedienen will. Diese Personen wie der Buchmacher selbst haben bei Ausübung der Wettätigkeit ein Abzeichen zu tragen, dessen Form die Landeszentralbehörde bestimmt. Die Landeszentralbehörde oder die von ihr bezeichnete Behörde darf die Erlaubnis nur für die Örtlichkeiten ihres Landesgebiets erteilen. Die Erteilung der Erlaubnis ist zu veröffentlichen. 8 3. Der Reichsminister der Finanzen bestimmt, unter welchen Boraussetzungen und Bedingungen Totalisatorunternehmen zugelassen werden dürfen. Er bedarf der Zustimmung des Reichsrats. 8 4. Der Unternehmer des Totalisators und der Buchmacher haben über die Wette eine Urkunde (Wettschein) auszustellen. Bei Buchmachern ist statt dessen auch die Eintragung der Wette in ein amtlich geliefertes Wettbuch zu­ lässig. In welchen Fällen die Eintragung in das Wettbuch genügt sowie welche Angaben der Wettschein und die Eintragung im Wettbuch enthalten muß, be­ stimmt der Reichsminister der Finanzen. Ist der Wettschein ausgehändigt oder die Wette in das Wettbuch einge­ tragen, so ist die Wette für den Unternehmer des Totalisators und den Buch­ macher verbindlich. Ein von dem Wettenden gezahlter Einsatz kann nicht unter Berufung auf § 762 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zurückverlangt werden. So­ weit der Einsatz nicht gezahlt ist, kann er von dem Gewinn abgezogen werderv. Im übrigen bleiben die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs unberührt. Auf den Rennplätzen ist den Buchmachern nur das Legen von Wetten zu festen Odds gestattet. Auf den Rennplätzen dürfen von den Buchmachern nur Wetteinsätze im Betrage von mindestens dreihundert Mark angenommen werden. 8 5. Wer ohne Erlaubnis ein Totalisatorunternehmen betreibt oder ge­ werbsmäßig Wetten abschließt oder vermittelt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft; daneben ist auf Geldstrafe von eintausend Mark bis zu ein­ hunderttausend Mark zu erkennen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Ist der Verurteilte ein Ausländer, so ist die Landespolizeibehörde befugt, ihn aus dem Reichsgebiet auszuweisen. Die empfangenen Einsätze oder deren Wert sind in dem Urteil für ver­ fallen zu erklären. 8 6. Wer gewerbsmäßig zum Abschluß oder zur Vermittlung von Wetten aufsordert oder sich erbietet oder Angebote zum Abschluß oder zur Vermittlung

745

173. Rennwett- und Lotteriegesetz v. 8. April 1922.

solcher Wetten entgegennimmt, wird mit Geldstrafe von fünfhundert Mark bi£ einhunderttausend Mark und mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit einer dieser Strafen bestraft. Unter dieses Verbot fallen nicht Aufforderungen^ Erbieten und Angebote der zugelassenen Wettunternehmer sowie der Personen, deren sich die Wettunternehmer mit Genehmigung der Landeszentralbehörde zum Abschluß und zur Vermittlung von Wetten bedienen, soweit diese Per­ sonen bei der Abwickelung von Wettgeschäften im Auftrag des Wettunternehmers handeln. Die empfangenen Einsätze oder deren Wert sind in dem Urteil für ver­ fallen zu erklären. 8 7. Der Buchmacher und die Personen, deren er sich zum Abschluß und zur Vermittlung von Wetten bedient, werden, wenn sie außerhalb der gemäß § 2 genehmigten Örtlichkeiten Wetten vermitteln oder abschließen oder Angebote dazu entgegennehmen, mit Geldstrafe bis zu einhunderttausend Mark und mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit einer dieser Strafen bestraft. 8 8. Wer an einem Totalisatorunternehmen, das im Inland nicht er­ laubt ist, oder bei einem Buchmacher, der im Inland nicht zugelassen ist, wettet oder einen Antrag zum Abschluß einer Wette stellt, oder wer zum Abschluß oder zur Vermittlung einer solchen Wette einen Auftrag erteilt, wird mit Geldstrafe bis zu einhunderttausend Mark bestraft. Die empfangenen Gewinne oder deren Wert sind in dem Urteil für ver­ fallen zu erklären. 8 9. Mit Geldstrafe bis zu einhunderttausend Mark, im Unvermögens­ falle mit Gefängnis bis zu sechs Monaten wird bestraft: 1. wer öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften oder anderen Dar­ stellungen, ohne zugelassener Unternehmer eines Totalisators oder zuge­ lassener Buchmacher zu sein, zum Abschluß von Wetten außerhalb der Örtlichkeiten des Totalisatorunternehmens oder außerhalb der im § 2 Abs. 2 bezeichneten Ortlicheiten des Buchmachers anreizt, 2. wer gewerbsmäßig Voraussagen über den Ausgang von Rennen ver­ breitet, 3. wer in seinen Räumen den Abschluß oder die Vermittlung von Wetten duldet, ohne daß die Räume für das Unternehmen eines Totalisators oder eines Buchmachers zugelafsen sind. Straffrei sind redaktionelle Veröffentlichungen in einer periodisch erschei­ nenden Druckschrift, sofern diese nicht ausschließlich oder überwiegend der Verbreitung von Voraussagen dient.

88 10-23?)

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III. Schlußvorschriften. 8 24. Das Reichsgesetz, betreffend die Wetten bei öffentlich veranstalteten Pferderennen, vom 4. Juli 1905 (Reichsgesetzbl. S. 595) sowie §§ 34 bis 42 und die Tarifnummer 5 des Reichsstempelgesetzes vom 3. Juli 1913 (Reichs­ gesetzbl. S. 639) treten außer Kraft. Im Umsatzsteuergesetze vom 24. Dezember 1919 (Reichsgesetzbl. S. 2175} sind im Z 2 Ziffer 6 vor den Worten „genannten Gegenstände" einzufügen die Worte „und der im Rennwett- und Lotteriegesetze vom 8. April 1922 (Reichsgesetzbl. S. 393)". 8 25. Die Bestimmungen zur Ausführung dieses Gesetzes erläßt der Reichsminister der Finanzen mit Zustimmung des Reichsrats. 8 26. Der Reichsminister der Finanzen bestimmt den Zeitpunkt, zu dem das Gesetz in Kraft tritt.*2) T) Diese §§ enthalten Steuervorschriften. 2) Das Gesetz ist am 1. Juli 1922 in Kraft getreten. (Verordnung desReichsfinanzministers vom 25. April 1922, RGBl. I S. 472).

746

Erster Teil.

Strafgesetze.

9. Reichsausgleichsgesetz.

174.

in der Fassung der Verordnung vom 28. Oktober 1923. (RGBl. I S. 1135.)

I. Das Reichsausgleichsamt.

§ 1 Unter der Bezeichnung „Reichsausgleichsamt" wird ein Prüfungs­ und Ausgleichsamt mit dem Sitze in Berlin errichtet. Der Reichsminister für Wiederaufbau kann im Benehmen mit den Regierungen der beteiligten Länder an anderen Orten Zweigstellen errichten. § 2. An der Spitze des Reichsausgleichsamts steht ein Präsident, der vom Reichspräsidenten ernannt wird. Der Reichsminister für Wiederaufbau erläßt im Rahmen der Vorschriften des Friedensvertrags und dieses Gesetzes Bestimmungen über die Verfassung und das Verfahren des Reichsausgleichsamts. § 3 Die Beamten und Angestellten des Reichsausgleichsamts sind, vor­ behaltlich der dienstlichen Berichterstattung und der Anzeige von Gesetzwidrig­ keiten, verpflichtet, über die durch ihre Tätigkeit zu ihrer Kenntnis gelangenden Verhältnisse Verschwiegenheit zu beobachten. § 4 Die an dem Verfahren vor dem Reichsausgleichsamte Beteiligten sind verpflichtet, dem Amte jede von ihm erforderte Auskunft zu erteilen und die von ihm bezeichneten Urkunden vorzulegen. Das Reichsausgleichsamt kann sie zur Erfüllung dieser Verpflichtung durch Androhung und Festsetzung von Ordnungsstrafen, deren Höhe nicht beschränkt ist, anhalten. Die Strafan­ drohung und Festsetzung kann mehrfach erfolgen. Urkunden über die während des Krieges vorgenommenen Anmeldungen deutscher Auslandsforderungen und des im Inland befindlichen Vermögens von Angehörigen feindlicher Staaten sind dem Ausgleichsamt auf Verlangen zum Zwecke der Einsichtnahme auszuhändigen. Das Reichsausgleichsamt kann von den mit der Entgegennahme oder Bearbeitung dieser Anmeldungen befaßten Personen oder Stellen Auskunft verlangen. § 5. Das Reichsausgleichsamt kann von Amts wegen Beweis erheben, insbesondere Zeugen und Sachverständige eidlich vernehmen, sowie Versiche­ rungen an Eides Statt entgegennehmen. Mit der Wahrnehmung dieser Be­ fugnisse kann ein Mitglied des Amtes beauftragt werden, das die Befähigung zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienste besitzt. Bei der Beweis­ aufnahme ist ein Schriftführer heranzuziehen, der durch Handschlag an Eides Statt zu treuer und gewissenhafter Führung seines Amtes verpflichtet wird. Auf die Beweisaufnahme, insbesondere auf die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen, finden die Vorschriften der Zivilprozeßordnung ent­ sprechende Anwendung. Die Gerichte und Verwaltungsbehörden haben innerhalb ihrer Zuständig­ keit dem Ersuchen des Reichsausgleichsamts um Amtshilfe zu entsprechen. Auf die von den Gerichten zu leistende Rechtshilfe finden die §§ 158 bis 162, § 165 Abs. 2, § 166 des Gerichtsverfassungsgesetzes*) entsprechende Anwendung. § 6. Bei dem Reichsausgleichsamte wird ein Fonds im Werte von fünf Millionen Goldmark errichtet, der zum Ausgleich von Härten bestimmt ist, welche sich im Zusammenhänge mit der Regelung der von diesem Gesetz in seiner gegenwärtigen oder früheren Fassung betroffenen Forderungen und Verbindlichkeiten oder solcher anderweitigen, vor Beginn des Kriegszustandes entstandenen Verbindlichkeiten Deutscher ergeben sollten, deren Regelung wäh­ rend des Krieges unterblieben ist, weil der Gläubiger einem feindlichen Staate ungehörte oder weil die Parteien im Gebiet einander feindlicher Staaten an­ sässig waren. Bei Zahlungen aus diesem Fonds sind insbesondere auch solche Gläubiger einer unter § 25 dieses Gesetzes fallenden Forderung zu berück­ sichtigen, die mangels anderen Einkommens oder Vermögens zur Bestreitung rs Nunmehr §§ 157 bis 161, 164 Abs. II v. 22. März 1924).

165 GBG. (i. d. F. der Bek.

174. NeichSausgleichsgesetz vom 28. Ottober 1923.

§§ 1—11.

747

des für sie und ihre Familie notwendigen Unterhalts auf die Forderungen angewiesen sind. Die Verfügung über diesen Fonds steht dem Reichsminister für Wieder­ aufbau oder den von ihm bezeichneten Stellen zu. II. Abwicklung von Geldverbindlichkeiten im Prüfungs- und Ausgleichsverfahren.

1.

Allgemeine

Vorschriften.

§ 7

Tie Vorschriften des Abschnittes II dieses Gesetzes finden Anwendung auf die im Artikel 296 Nr. 1 bis 4 und im Artikel 72 des Friedensvertrags bezeichneten Forderungen und Schulden Deutscher, soweit sie nach den Bestim­ mungen des Artikel 296 e und f durch Vermittlung von Prüfungs- und Aus­ gleichsämtern zu regeln find. Die Reichsregierung kann unter Zustimmung des Reichsrats und eines von der Nationalversammlung gewählten Ausschusses von fünfzehn Mitgliedern Bestimmungen darüber treffen, welche Rechtsverhältnisse unter Artikel 296 Nr. 1 bis 4 des Friedensvertrags fallen.

8 8. Ter Reichsminister für Wiederaufbau hat im Reichsgesetzblatt be­ kanntzumachen, welche alliierten und assozierten Staaten der Regelung des Ar­ tikel 296 des Friedensvertrags und seiner Anlage nach Maßgabe der Bestim­ mungen des Artikel 296 e beigetreten sind. Mit dem Ablauf des Tages der Bekanntmachung treten die Vorschriften des Abschnitts II dieses Gesetzes insoweit an die Stelle des § 1 des Ausführungsgesetzes zum Friedensvertrage vom 31. August 1919 (Reichsgesetzbl. S. 1530). In der gleichen Weise ist bekanntzumachen, welche alliierten und asso­ zierten Staaten nach Maßgabe der Bestimmungen des Artikel 296 f vereinbart haben, daß die Regelung des Artikel 296 und seiner Anlage auf die im Gebiet eines Staates ansässigen Angehörigen des anderen Staates Anwendung finden sollen. Auf die Forderungen und Schulden Deutscher gegenüber den durch die^e Vereinbarung betroffenen Personen finden mit dem Ablauf des Tages der Bekanntmachung die Vorschriften des Abschnitts II dieses Gesetzes mit der Maßgabe Anwendung, daß diese Personen den Angehörigen des Staates, in dessen Gebiete sie ansässig sind, gleichstehen.

§ 9. In Ansehung der im § 7 Abs. 1 bezeichneten Forderungen und Schulden Deutscher ist die Zahlung, die Zahlungsannahme, die Aufrechnung, das Schuldanerkenntnis, der Erlaß sowie jeder andere auf die Schuldenregelung bezügliche Verkehr zwischen den Beteiligten verboten, es sei deyn, daß der Ver­ kehr durch Vermittlung oder mit Zustimmung des Reichsausgleichsamts erfolgt. Die Forderungen und Schulden dürfen gerichtlich nicht geltend gemacht werden. Ein schwebendes gerichtliches Verfahren wird unterbrochen. Ist ein nach Abs. 2 unterbrochener Rechtsstreit im Ausgleichsverfahren durch eine von einem Prüfungs- und Ausgleichsamte bescheinigte Einigung oder Entscheidung in der Hauptsache erledigt, so kann jede Partei zur Herbeiführung einer Entscheidung über die im Ausgleichsverfahren noch nicht abgegoltenen Kosten den Rechtsstreit fortsetzen. Die im Abs. 1, 2 bezeichneten Beschränkungen treten, unbeschadet der im § 16 Abs. 2 und im § 23 der Anlage zu Artikel 296 des Friedensvertrags ent»# haltenen Vorschriften, außer Kraft, sobald dem Gläubiger die im § 25 der Anlage zu Art. 296 des Friedensvertrags vorgesehene Bescheinigung erteilt wird. § 10. Die Zwangsvollstreckung wegen der im § 7 Abs. 1 bezeichneten Forderungen und Schulden ist unzulässig. Eine bereits begonnene Zwangs­ vollstreckung ist einzustellen. Bollstreckungsmaßregeln, die nach dem 11. Sep­ tember 1919 erfolgt sind, sind aufzuheben. 8 11. Die Eröffnung des Konkursverfahrens wegen einer der im § 7 Abs. 1 bezeichneten Forderungen oder Schulden ist unzulässig. Wird oder ist eine solche Forderung oder Schuld in einem Konkursverfahren angemeldet, so findet ihre Prüfung und Feststellung nicht statt. Bei einer Verteilung ist

748

Erster Teil.

Strafgesetze.

ein bet angemeldeten Höhe der Forderung oder Schuld entsprechender Anteil an der Teilungsmasse zurückzubehalten oder zu hinterlegen. Die Vorschrift des Abs. 1 Satz 3 findet auf Verteilungsverfahren anderer Art entsprechende Anwendung. 8 12. Die im § 10 Satz 1, 2 und im § 11 angeordneten Beschränkungen treten mit dem Zeitpunkt außer Kraft, mit dem auf Grund des § 9 Abs. 4 dieses Gesetzes das Verbot der gerichtlichen Geltendmachung der Forde­ rung endet. Im Falle der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen beginnt mit diesem Zeitpunkt der Lauf der im § 31 Abs. 2 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung bestimmten Frist. 8 13. Forderungen, in Ansehung derer der Berechtigte oder eine andere Person in Ausführung einer ihr vom Berechtigten übertragenen Verrichtung einem der Verbote des § 9 vorsätzlich und mit dem Bewußtsein der Rechts­ widrigkeit zuwidergehandelt hat, sind durch eine an den Berechtigten ge­ richtete Anordnung des Reichsausgleichsamts auf das Reich zu übertragen. Bor der Anordnung soll der Berechtigte gehört werden. Ein Anspruch auf Entschädigung für die enteignete Forderung steht dem Berechtigten nicht zu. Hat lediglich eine vom Berechtigten bestellte Person einem der Verbote des § 9 wissentlich zuwidergehandelt, so finden die Vorschriften der Abs. 1, 2 keine Anwendung, wenn der Berechtigte bei der Auswahl der Person und, so­ fern er die Ausführung der Verrichtung zu leiten hat, bei der Leitung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat. 8 14. Soweit das Deutsche Reich im Ausgleichsverfahren eine ange­ meldete Forderung gegen einen deutschen Schuldner befriedigt, geht die Forderung auf das Deutsche Reich über. Die Übertragung kann nicht zum Nachteil des Gläubigers geltend gemacht werden. Hat der deutsche Schuldner auf Grund eines vor dem Beginne des Kriegs­ zustandes entstandenen Rechtsverhältnisses wegen der Befriedigung der Forde­ rung einen Anspruch gegen einen Dritten, so geht dieser Anspruch auf das Deutsche Reich in dem Verhältnis über, in dem es auf Grund der Vorschriften dieses Gesetzes oder aus anderen Gründen den Betrag der befriedigten For­ derung vom Schuldner nicht wieder einziehen kann. 2. Anmeldung und Feststellung der auszugleichenden Forde­ rungen und Schulden. § 15. Deutsche haben ihre sämtlichen unter § 7 Abs. 1 fallenden Forde­ rungen bei dem Reichsausgleichsamt anzumelden. Der Reichsminister für Wiederaufbau kann die Verpflichtung zur An­ meldung auch auf die unter § 7 Abs. 1 fallenden Schulden Deutscher ausdehnen. Die näheren Bestimmungen über Form, Inhalt und Zeitpunkt der An­ meldung werden vom Reichsminister für Wiederaufbau erlassen und im Reichsgesetzblatt bekanntgemacht. § 16. Auf Forderungen, deren Anmeldung bei dem Reichsausgleichsamte nicht innerhalb der vom Reichsminister für Wiederaufbau bestimmten Frist erfolgt, finden die Vorschriften des § 13 Abs. 1 und 2 entsprechende Anwen­ dung, es sei denn, daß weder der Gläubiger noch eine andere Person in Aus­ führung einer ihr vom Gläubiger übertragenen Verrichtung der Vorschrift des § 15 wissentlich zuwidergehandelt hat oder daß die Anmeldung nach Ablauf der Frist nachgeholt worden ist, bevor die Forderung zur Kenntnis des ReichAausgleichsamts gelangt war. Die Vorschriften des § 13 Abs. 3 finden entsprechende Anwendung. 8 17 Erachtet das Reichsausgleichsamt in Ansehung einer angemeldeten Forderung die Vorschriften des Abschnitts II dieses Gesetzes nicht für an­ wendbar oder die Rechtsverfolgung ohne weiteres für aussichtslos, so hat es von der Mitteilung der Forderung an ein ausländisches Ausgleichsamt Ab­ stand zu nehmen und ihre Bearbeitung abzulehnen. Der ablehnende Bescheid ist dem Anmeldenden zuzustellen. Er hat die

174. Reichsausgleichsgesetz vom 28. Oktober 1923.

§§ 12—23.

749

angemeldete Forderung nach Grund, Betrag und Schuldner zu bezeichnen und einen Hinweis auf die durch § 9 Abs. 4 bestimmte Rechtsfolge zu enthalten. § 18. Das Reichsausgleichsamt hat die ihm von den ausländischen Prüfungs- und Ausgleichsämtern mitgeteilten Forderungen den als Schuldner be­ zeichneten Deutschen bekanntzugeben und ihnen eine angemessene Frist zur Äußerung zu bestimmen. Erkennt ein als Schuldner bezeichneter Deutscher die Schuld nicht an, so hat er zugleich seinen Standpunkt zu begründen sowie die erforderlichen Be­ weismittel zu bezeichnen oder beizufügen. 8 19. Erachtet das Reichsausgleichsamt eine bei ihm angemeldete Forde­ rung als nicht glaubhaft gemacht oder die von einem Deutschen für die Ver­ weigerung der Anerkennung einer Schuld geltend gemachten Gründe nicht für ausreichend, so kann es der deutschen Partei die Leistung einer Sicherheit für die Zahlung der im § 10 der Anlage zu Artikel 296 des Friedensvertrags vorgesehenen Strafen auferlegen. Diese Vorschrift findet keine Anwendung, wenn der Betroffene glaubhaft macht, daß er zur Sicherheitsleistung ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie notwendigen Unterhalts außerstande sei. 8 20. Ist ein Rechtsstreit über eine deutsche am Ausgleichsverfahren teil­ nehmende Forderung oder Schuld bei einem gemischten Schiedsgerichtshof an­ hängig oder dem deutschen Staatsvertreter angekündigt, so stehen die im § 4 bezeichneten Rechte auch dem deutschen Staatsvertreter zu. 8 21. Eine beim Reichsausgleichsamt angemeldete deutsche Forderung, deren Anerkennung oder Gutschrift vom Schuldner oder einem ausländischen Prüfungs- und Ausgleichsamte verweigert worden ist, kann durch eine an den Gläubiger gerichtete Anordnung des Reichsausgleichsamts auf das Reich übertragen werden, wenn der Gläubiger oder ein anderer in Ausführung einer ihm vom Gläubiger übertragenen Verrichtung 1. entweder innerhalb einer vom Reichsausgleichsamte gesetzten Frist nicht die erforderlichen Maßnahmen zur Herbeiführung einer schiedsgerichtlichen oder gerichtlichen Entscheidung ergriffen hat *2. oder während eines schiedsgerichtlichen oder gerichtlichen Verfahrens über die Forderung die erforderliche Sorgfalt außer acht läßt, insbesondere dem Reichsausgleichsamt oder dem deutschen Staatsvertreter, bei dem zu­ ständigen gemischten Schiedsgerichtshofe nicht die zur Prozeßsührung er­ forderlichen Tatsachen oder Unterlagen mitteilt. Vor der im Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Fristsetzung ist der Gläubiger zu hören. Ein Anspruch auf Entschädigung für die enteignete Forderung steht dem Gläubiger nicht zu. Durch die Enteignung werden die auf Grund der §§ 4 und 20 bestehenden Verpflichtungen des früheren Gläubigers nicht berührt. 8 22. Die Entscheidungen des Gemischten Schiedsgerichtshofs (§§ 16 bis 20 der Anlage zu Artikel 296 des Friedensvertrags) sind endgültig. Sie haben zwischen den Parteien sowie zwischen dem Reichsausgleichsamt und der deutschen Partei die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils. Das Reichsausgleichsamt kann der deutschen Partei die Zahlung eines Vorschusses zur Deckung der im § 20 der Anlage zu Artikel 296 des Friedens­ vertrags vorgesehenen Gebühr für das Verfahren vor dem Gemischten Schieds­ gerichtshof auferlegen. Die Vorschrift des § 19 Abs. 2 findet entsprechende Anwendung. 8 23. Wird durch eine übereinstimmende Entscheidung der beteiligten Aus­ gleichsämter oder durch eine Entscheidung des Gemischten Schiedsgerichtshofs festgestellt, daß eine deutsche Forderung nicht vom Artikel 296 des Friedens­ vertrags betroffen wird, so hat das Reichsausgleichsamt dem Gläubiger auf Verlangen eine Bescheinigung darüber zu erteilen, daß der in den §§ 9 bis 11 diefts Gesetzes sowie int § 1 des Ausführungsgesetzes zum Friedensvertrage vom 31. August 1919 (Reichsgesetzbl. S. 1530) bezeichneten Beschränkungen auf die Forderung keine Anwendung finden.

750

Erster Teil.

Strafgesetze.

3. Abrechnung des Reichsausgleichsamts gegenüber dellt scheu Gläubigern und Schuldnern.

8 24. Sobald die im § 7 Abst 1 bezeichneten Forderungen und Schulden Deutscher im Verkehre zwischen den beteiligten Ausgleichsämtern festgestellt und dem Prüfungs- und Ausgleichsamte des Gläubigerstaats gutgeschrieben sind, hat das Reichsausgleichsamt der deutschen Partei unverzüglich eine auf Goldmark lautende Abrechnung über den ihr zustehenden oder von ihr zu zahlenden Betrag zu erteilen. Im Falle des § 14 Abs. 3 der Anlage zu Artikel 296 des Friedensver­ trags ist die Abrechnung dem Gläubiger unverzüglich zu erteilen, nachdem seine Forderung durch Anerkennung, gütliche Einigung, übereinstimmende Entschei­ dungen der Prüfungs- und Ausgleichsämter oder eine gemäß § 16 der Anlage zu Artikel 296 ergangene schiedsgerichtliche oder gerichtliche Entscheidung end­ gültig festgestellt ist. Das Reichsausgleichsamt kann einem deutschen Schuldner die Abrechnung bereits erteilen, sobald seine Schuld durch Anerkennung, gütliche Einigung, über­ einstimmende Entscheidungen der Prüfungs-und Ausgleichsämter oder eine ge­ mäß § 16 der Anlage zu Artikel 296 des Friedens Vertrags ergangene schieds­ gerichtliche oder gerichtliche Entscheidung endgültig festgestellt ist. Die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 2 des Liquidatwnsschädengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. November 1523 (Reichsgesetzbl. I S. 1148) bleibt unberührt. Als Deutsche im Sinne des Abschnitts II 3 dieses Gesetzes gelten juristische Personen und Handelsgesellschaften anderer Art nur dann, wenn ihr Sitz sich im Reichsgebiete befindet, ihre Rechtsbeständigkeit auf Reichsrecht oder dem Rechte eines deutschen Landes beruht und ihr Kapital seit dem 1. Januar 1920 bis zum 1. Januar 1922 überwiegend Neichsangehörigen zustand. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Forderung oderSchuld einer Handelsgesellschaft, die nach Satz 1 nicht als deutsche anzusehen ist, nur in Höhe desjenigen Bruchteils am Ausgleichsverfahren teilnimmt, welcher der Kapitalbeteiligung von Reichsangehörigen an der Handelsgesellschaft entspricht oder daß für die Schuld einer solchen Handelsgesellschaft ein persönlich haftender Gesellschafter in Anspruch genommen wird.

8 25. Die Abrechnung über die ins § 7 Abs. 1 bezeichneten Forderungen und Schulden Deutscher erfolgt unter Umrechnung des Betrags der Gutschrift zum zweihundertsten Teile des Vorkriegskurses. Als Betrag der Gutschrift gilt der dem beteiligten Gläubigeramte für die Forderung oder Schuld gutgeschriebene Betrag, in den Fällen des § 24 Abs. 2, 3 derjenige Betrag, der für die festgestellte Forderung oder Schuld nach Artikel 296 d des Vertrags von Versailles voraussichtlich gutzuschreiben sein wird. 8 26. Ist einem Schuldner einer nach § 25 abzurechnenden Verbindlichkeit Vermögen in einem ehemals feindlichen Staate freigegeben worden oder ist mit einer Freigabe solchen Vermögens zu rechnen, so erhöht sich der vom Schuldner auf Grund der Abrechnung zu zahlende Betrag bis zum Goldwert dieses- Vermögens; er darf jedoch den Tageskurswert des Betrags der Gut­ schrift nicht übersteigen. Die Erhöhung hat insoweit zu unterbleiben, als sie, insbesondere mit Rücksicht aus Einbußen, die der Schuldner bei der Abrechnung über eine ihm etwa zustehende, unter § 25 fallende Forderung oder bei der Liquidationsentschädigung für ihm entzogene Gegenstände erleidet, der Billig­ keit widersprechen würde. Als freigegebenes Vermögen im Sinne des Abs. 1 gelten 1. dem Schuldner gehörige, vor Inkrafttreten des Vertrags von Versailles im Gebiete eines ehemals feindlichen Staates besindliche Vermögensgegen­ stände, die einer Liquidatton oder Einbehaltung durch den ehemals feind­ lichen Staat nicht unterworfen werden; 2. Erlöse aus der Liquidatton von in einem ehemals feindlichen Staate be­ findlichen Vermögensgegenständen, die dem Schuldner gehört haben, sofern

174. Reichsausgleichsgesetz vom 28. Oktober 1923.

§§ 24—28.

75t

diese Erlöse ihm von einem alliierten oder assozierten Staate zur Ver­ fügung gestellt werden. Vermögensgegenstände der im Abs. 2 bezeichneten Art, die nach dem 31. Dezember 1919 von dem Schuldner auf eine andere Person übergegangen sind, gelten im Sinne dieser Vorschriften als Vermögensgegenstände des Schuldners. Das Deutsche Reich hat für seine Forderung gegen den Schuldner (§ 14 Abs. 1) ein Pfandrecht an den sreigegebenen Vermögensgegenständen; im Falle des Abs. 2 Nr 2 erstreckt sich das Pfandrecht auch auf einen dem Schuldner zustehenden Anspruch auf Auszahlung des Liquidationserlöses § 27. Die Abrechnung über eine unher § 7 Abs. 1 fallende Schuld erfolgt, sofern nicht dem Schuldner hieraus ein Vorteil entstehen würde, unter Um­ rechnung des Betrags der Gutschrift zum Tageskurse, 1. wenn der Schuldner oder eine andere Person in Ausführung einer ihr vom Schuldner übertragenen Verrichtung in Ansehung der Schuld einem der Verbote des, § 9 vorsätzlich und mit dem Bewußtsein der Rechtswidrig­ keit zuwidergehandelt hat; die Vorschrift des § 13 Abs. 3 findet ent­ sprechende Anwendung; 2. wenn die Verbindlichkeit auf einem groben Verschulden des Schuldners gegenüber dem Gläuluger beruht oder sonst zur Entstehung der Verbind­ lichkeit ein grobes Verschulden des Schuldners mitgewirkt hat; einem groben Verschulden des Schuldners steht ein grobes Verschulden einer anderen Person in Ausführung einer ihr vom Schuldner übertragenen Verrichtung gleich; 3. wenn die Verbindlichkeit unmittelbar oder mittelbar zur Beschaffung von Luxusgegenständen oder zur Befriedigung sonstiger Luxusbedürfnisse eingegangen ist, es sei denn, daß es sich um eine von einem Kaufmann oder einem anderen Gewerbetreibenden im Betriebe seines Gewerbes ein­ gegangene Verbindlichkeit handelt; 4. wenn die Verbindlichkeit auf Vereinbarungen der in den §§ 762 bis 764 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Art beruht oder mittelbar zur Begleichung der auf Grund solcher Vereinbarungen erhobenen Ansprüche eingegangen ist: im Falle des § 764 des Bürgerlichen Gesetzbuchs jedoch nur dann, wenn es sich nicht um eine von einem Kaufmann oder einem anderen Gewerbetreibenden im Betriebe seines Gewerbes eingegangene Verbindlichkeit handelt Steht in den im Abs. 1 unter Nr 3 und 4 bezeichneten Fällen dem Schuldner eine unter § 25 dieses Gesetzes fallende Forderung zu oder ist er durch eine Liquidation oder Einbehaltung von Bermögensgegenständen im ehemals feindlichen Ausland geschädigt, so ist die Einbuße, die er bei der Ab­ rechnung über die Forderung auf Grund dieses Gesetzes oder bei der Liqui­ dationsentschädigung erleidet, bei der Abrechnung über die Verbindlichkeit zu seinen Gunsten in angemessener Weise zu berücksichtigen. In den im Abs. 1 unter Nr. 3 und 4 bezeichneten Fällen ist dem Schuldner bei der Abrechnung auf seinen Antrag der Betrag, der ihm auf Grund der Abs. 1, 2 über die Vorschriften des § 25 hinaus obliegen würde, insoweit zu erlassen, als dies zur Vermeidung grober Unbilligkeiten oder wirt­ schaftlich nicht erträglicher Härten erforderlich erscheint. Bor der Erteilung der Abrechnung ist dem Schuldner Gelegenheit zur Äußerung zu geben. 8 28. Hat derjenige, gegen den von einem ausländischen Gläubiger eine unter § 7 Abs. 1 fallende Schuld geltend gemacht worden ist, schuldhast durch ungerechtfertigte Anerkennung oder durch einen groben Verstoß gegen die erforderliche Sorgfalt bei der Auskunstserteilung gegenüber den zustän­ digen Behörden oder bei der Führung eines Rechtsstreits über die Schuld be­ wirkt, daß der Betrag der Schuld ganz oder teilweise zu Unrecht einem gegne­ rischen Prüfungs- und Ausgleichsamte gutgeschrieben worden ist, so erfolgt insoweit die Abrechnung über die Schuld, sofern die Gutschrift nicht mehr rück­ gängig gemacht werden kann, unter Umrechnung des Betrags der Gutschrift.

752

Erster Teil.

Strafgesetze.

zum Tageskurs, es sei denn, daß dem Schuldner hieraus ein Vorteil ent­ stehen würde. Das gleiche gilt, wenn die Gutschrift in der im Abs. 1 bezeichneten Weise durch eine andere Person in Ausführung reiner ^Verrichtung bewirkt worden ist, die ihr von dem als Schuldner in Anspruch Genommenen übertragen worden war. 8 29. Die Abrechnung der über die in den §§ 10 und 20 der Anlajge zu Artikel 296 des Friedensvertrages vorgesehenen Strafen und Gebühren des Gemischten Schiedsgerichtshofs sowie über die sonstigen Kostenbeträge, die in einem Rechtsstreit von dem Gemischten Schiedsgckrichtshof über eine deutsche Schuld oder Forderung der deutschen Partei oder dem Reichsausgleichs­ amt auferlegt und einem gegnerischen Prüsungs- und Ausgleichsamte gutge­ schrieben worden sind, erfolgt unter entsprechender Anwendung der für die Ab­ rechnung über die streitige Schuld oder Forderung maßgebenden Vorschriften (88 25 bis 28). Die im Abs. 1 bezeichneten Strafen bleiben außer Ansatz, sofern sie nach­ weislich von der Partei nicht verschuldet sind. Das gleiche gilt von den im Abs. 1 bezeichneten Gebühren und sonstigen Kostenbeträgen, sofern sie nach­ weislich von der Partei nicht verschuldet und in einem Rechtsstreit entstanden sind, der gegen den Willen der Partei herbeigeführt oder ausgenommen! worden ist. Ist in einem Rechtsstreit vor dem Gemischten Schiedsgerichtshos über eine deutsche Forderung oder Schuld einer gegnerischen Partei oder einem gegnerischen Prüfungs- und Ausgleichsamt ein Kostenbetrag auferlegt und dem Reichsansgleichsamte gutgeschrieben worden, so sind der deutschen Partei im Wege der Ab­ rechnung die ihr durch die Führung des Rechtsstreits erwachsenen Kosten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren, bis zur Höhe des Tageskurswerts (8 32 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3) der gut­ geschriebenen Kostenbeträge in Goldmark zu ersetzen. Hierbei sind in auslän­ discher Währung erwachsene Kostenverbindlichkeiten der Partei, deren Bezahlung zur Zeit der Abrechnung noch nicht erfolgt ist, zu dem letzten an der Berliner Börse notierten Durchschnittstageskurse, der vor der Abrechnung des Reichs­ ausgleichsamts ohne Verzögerung des Verfahrens sestgestellt werden kann, in Reichswährung und alsdann zu dem Dollarkurse (8 34) des gleichen Tages in Goldmark umzurechnen. 8 30. Sind in einem Rechtsstreit, der über eine unter 8 7 fallende For­ derung oder Schuld vor dem Gemischten Schiedsgerichtshofe geführt worden ist, einer deutschen Partei Kosten erwachsen, die zur zweckentsprechenden Rechts­ verfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren, ohne daß die Voraus­ setzungen des 8 29 Abs. 1 oder 3 vorliegen, so hat das Reichsausgleichsamt, so­ weit nicht eine anderweitige Vereinbarung erfolgt ist, der Partei auf Antrag den Teil der Kosten zu erstatten, der dem Verhältnis entspricht, in dem das Interesse des Reichs zu dem Interesse der Partei an dem Obsiegen im Rechts­ streit stand. Die Vorschrift des § 29 Abs. 3 Satz 2 findet entsprechende An­ wendung. Der Antrag ist spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Beendigung des Verfahrens vor dem Gemischten Schiedsgerichtshofe zu stellen. War das Verfahren bereits vor dem Tage der Verkündung des Reichsentlastungsgesetzes beendet, so beginnt die Frist erst mit diesem Tage. 8 31. Als Vorkriegskurs im Sinne der Bestimmungen dieses Gesetzes gilt der durchschnittliche Umrechnungskurs, der an der Berliner Börse während des Monats Juli 1914 maßgebend war. Soweit sich ein solcher Kurs nicht ermitteln läßt, wird der Vorkriegskurs vom Reichsminister für Wiederaufbau im Ein­ vernehmen mit dem Reichsminister der Finanzen nach Anhörung von Sach­ verständigen, unter Berücksichtigung der Weltmarttlage während dieses Monats festgesetzt. 8 32. Für die Berechnung des Tageskurses im Sinne der Bestimmungen dieses Abschnittes ist der an der Berliner Börse notierte Durchschnittsumrech­ nungskurs folgender Tage maßgebend:

174. Reichsausgleichsgeseh vom 28. Oktober 1923.

§§ 29—39,

753

1. bei Beträgen, die bas Reichsausgleichsamt einem gegnerischen Prüfungs­ und Ausgleichsamte gutgeschrieben hat: der Umrechnungskurs des Tages der Gutschrift; 2. bei Beträgen, die dem Reichsausgleichsamte von einem gegnerischen Prüfungs- und Ausgleichsamte gutgeschrieben sind: der Umrechnungskurs des Tages, an welchem dem Reichsausgleichsamte die Nachricht von der Gut­ schrift zugegangen ist; 3. bei Beträgen, über die nach Maßgabe der Vorschriften des § 24 Abs. 2 oder 3 abgerechnet wird: der Umrechnungskurs des Tages, an dem die Forderung oder Schuld in der im § 24 Abs. 2 oder 3 bezeichneten Weise festgestellt worden ist. Soweit sich für die im Abs. 1 bezeichneten Tage ein an der Berliner Börse maßgebender Umrechnungskurs nicht ermitteln läßt, ist der Umrechnungskurs im Einzelfall auf Ersuchen des Reichsausgleichsamts von der Reichsbank unter Berücksichtigung der Weltmarktlage an dem nach Abs. 1 maßgebenden Tage fest­ zusetzen. Die Festsetzung ist für das Reichsausgleichsamt und die Beteiligten bindend. Der sich auf Grund der Abs. 1 und 2 ergebende auf Reichswährung lautende Betrag ist nach dem Dollarkurse (§ 34) des nach Abs. 1 maßgebenden Tages in Goldmark umzurechnen. 8 33* Eine Vereinbarung, auf Grund deren eine unter § 7 Abs. 1 fallende Forderung oder Schuld in Gold oder einer bestimmten Münzsorte zu bezahlen war, bleibt bei der Abrechnung des Reichsausgleichsamts gegenüber dem deutschen Gläubiger oder Schuldner außer Betracht. 8 34. Soweit nach den Vorschriften dieses Gesetzes Umrechnungen im Ver­ hältnis zwischen Goldmark und Reichswährung nach dem Dollarkurse vorzuneh­ men sind, ist der an der Berliner Börse notierte Durchschnittsumrechnungskurs des amerikanischen Dollars mit der Maßgabe zugrunde zu legen, daß für einen Dollar 4,20 Goldmark einzusetzen sind. 8 35. Der Betrag einer Abrechnung ist auf volle Hundertstel einer Gold­ mark abzurunden. Ergibt sich ein Bruchteil von mehr als fünf Tausendsteln einer Goldmark, so hat die Abrundung nach vben, andernfalls nach unten zu erfolgen. 8 36. Die Beträge, die das Reichsausgleichsamt auf Grund der Bestim­ mungen des Abschnitts II 3 beansprucht oder schuldet, sind mit fünf vom Hundert zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt bei Ansprüchen des Reichsausgleichsamts an dem Tage, an dem es den Betrag dem gegnerischen Prüfungs- oder Ausgleichsamte gutgeschrieben hat, bei Schulden des Reichsausgleichsamts an dem Tage, an dem ihm die Nachricht von der Gutschrift des Betrags durch das gegnerische Amt zugegangen ist. 8 37. Sofern die Endabrechnung über eine Forderung oder Schuld sich voraussichtlich erheblich verzögern wiü, kann das Reichsausgleichsamt der Partei eine vorläufige Abrechnung erteilen. 8 38. Ein nach § 14 Abs. 1 auf das Deutsche Reich übergegangener An­ spruch gegenüber einem Bürgen ist vom Reichsausgleichsamte durch Erteilung einer Abrechnung gegenüber dem Bürgen geltend zu machen. Bor Erteilung der Abrechnung ist der als Bürge in Anspruch Genommene zu hören. 8 39. Der auf Grund einer Abrechnung dem Reichsausgleichsamte zu­ stehende oder von ihm geschuldete Goldmarkbetrag ist in deutschen gesetzlichen Zahlungsmitteln zu zahlen. Die Umrechnung des Goldmarkbetrags in Reichs­ währung hat nach dem Dollarkurse (§ 34) des zweiten dem Tage der Zahlung vorausgehenden Tages zu erfolgen; ist an diesem Tage ein Dollarkurs amtlich nicht notiert worden, so ist der nächstvorhergehende Tag, an dem eine amtliche Notierung stattgefunden hat, maßgebend. Als Tag der Zahlung im Sinne des Abs. 1 gilt, 1. wenn der Zahlungspflichtige die Zahlung durch Vermittlung der Post (durch Geldbrief, Postanweisung oder im Postscheckverkehre) vornimmt: der Tag des Aufgabestempels der Post; A l l f e l d, Strafgesetzgebung.

3. Anfl.

48

754

Erster Teil.

Strafgesetze.

2. wenn der Zahlungspflichtige sich des Reichsbankgiroverkehrs bedient: der Tag, an dem der Überweisungsscheck der Reichsbank zugeht; 3. in sonstigen Fällen: der Tag, an dem der Berechtigte oder die für ihn empfangsberechtigte Stelle die Verfügung über den Betrag erlangt. § 4H. Der auf Grund einer Abrechnung dem Reichsausgleichsamte zu­ stehende Betrag ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Abrechnung zu zahlen. Das Reichsausgleichsamt hat dem Zahlungspflichtigen auf Antrag Ver­ längerungen der Frist zu bewilligen, wenn dies mit Rücksicht auf die Billigkeit geboten erscheint; es kann die Bewilligung der Zahlungsfrist von der Leistung einer Sicherheit abhängig machen. Macht der Zahlungspflichtige glaubhaft, daß ihm gegen das Reich noch nicht abgerechnete Ansprüche aus diesem Gesetze, dem Liquidationsschädengesetz oder der Gewaltschädenverordnung zustehen, so muß insoweit auf Antrag des Zahlungpflichtigen Stundung ohne Sicherheits­ leistung erfolgen. Die Beträge, die das Reichsausgleichsamt auf Grund einer Abrechnung schuldet, sind dem Berechtigten unverzüglich auszuzahlen, sobald die Abrechnung für ihn unanfechtbar geworden ist. Ist die Entstehung von Gegenansprüchen des Reichsausgleichsamts zu erwarten, so kann es die Beträge zurückbehalten oder ihre Entrichtung von der Leistung einer Sicherheit abhängig machen. Bestehen Zweifel über die Person des Berechtigten, so ist der Betrag nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu hinterlegen. 8 41. Einem Gläubiger ist auf Antrag bereits nach der im § 15 vorge­ schriebenen Anmeldung ein Vorschuß zu gewähren, soweit die Forderung dem Reichsausgleichsamte nach Grund und Betrag glaubhaft gemacht ist. Der Vor­ schuß soll die Hälfte des Betrags, der dem Gläubiger voraussichtlich auf Grund der Endabrechnung zustehen wird, nicht übersteigen; soweit er nachweislich zur Wiederaufnahme wirtschaftlicher Tätigkeit verwendet werden soll, ist er bis auf drei Viertel dieses Betrags zu erhöhen. Die Gewährung des Vorschusses kann von der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht werden. Ein Vorschuß, der vor dem Inkrafttreten der Verordnung zur zweiten Ab­ änderung des Reichsausgleichsgesetzes gewährt worden war, ist bei der End­ abrechnung über die Forderung zu dem Goldmarkbetrag anzurechnen, der sich bei Umrechnung des Vorschußbetrags nach dem Dollarkurse (§ 34) des Tages seiner Auszahlung ergibt, übersteigt der anzurechnende Goldmarkbetrag infolge der seit der Auszahlung des Vorschusses eingetretenen Geldentwertung den bei der Endabrechnung auf die Forderung entfallenden Goldmarkbetrag, so findet eine Rückforderung des Überschusses nicht statt. Soweit Vorschüsse zurückzuzahlen sind, ist der zurückzuzahlende Betrag nach dem sich aus Abs. 3 ergebenden Goldmarkwerte des Vorschusses zu be­ messen. Der Betrag ist zu ermäßigen, sofern dies nach den besonderen Um­ ständen des Einzelfalls zur Vermeidung einer groben Unbilligkeit oder einer wirtschaftlich nicht erträglichen Härte erforderlich ist. § 42. Auf die Beitreibung der auf Anordnung des Reichsausgleichsamts zu leistenden Zahlungen finden die Vorschriften des fünften Abschnitts des zweiten Teils der Reichsabgabenordnung entsprechende Anwendung mit der Maßgabe, daß an Stelle der Finanzämter das Reichsausgleichsamt tritt. 8 43. Die Abrechnung über die im Ausgleichsverfahren geregelten For­ derungen und Schulden von Personen und Handelsgesellschaften, die nicht als Deutsche im Sinne des Abschnitts TI 3 gelten, erfolgt in Goldmark unter Umrechnung des Betrags der Gutschrift zum Tageskurse. Das gleiche gilt von den in den §§ 10 und 20 der Anlage zu Artikel 296 des Vertrags von Ver­ sailles vorgesehenen Strafen und Gebühren des Gemischten Schiedsgerichtshofs sowie von den sonstigen auf Grund einer Entscheidung des Gemischten Schieds­ gerichtshofs vom Reichsausgleichsamt einem gegnerischen Prüfungs- und Aus­ gleichsamte gutzuschreibenden Kostenbeträgen, die in Ansehung dieser Forde­ rungen und Schulden entstanden sind. Zur Abgeltung der Kosten des Verfahrens vor dem Reichsausgleichsamte werden bei der Abrechnung über eine Forderung zweieinhalb vom Hundert in Abzug gebracht.

174. Reichsausgleichsgesetz vom 28. Oktober 1923.

§§ 40—49.

755

Die Vorschriften des § 24 Abs. 1 und 3, des § 25 Abs. 2, des § 29 Abs. 2 und 3 sowie der §§ 32 bis 42 finden entsprechende Anwendung.

III. Haft««- deutscher Schuldner, deren Gläubiger von der Regierung eines alliierten oder assoziierten Staates aus deutschem, nicht den Schuldnern gehörigen Vermögen befriedigt worden sind.

8 44. Soweit die Regierung eines alliierten oder assoziierten Staates eine nicht im Ausgleichsverfahren zu regelnde, gegen einen deutschen. Schuldner gerichtete Forderung aus deutschen, in ihrer Verfügung befindlichen Bermögensgegenstärrden, die nicht dem Schuldner gehören, oder aus dem Liquidations­ erlöse solcher Vermögensgegenstände befriedigt hat, geht die Forderung auf das Deutsche Reich über. Der Übergang kann nicht zum Nachteil des Gläubigers geltend gemacht werden. Die Einziehung der im Abs. 1 bezeichneten Forderung gegenüber dem deutschen Schuldner erfolgt durch das Reichsausgleichsamt. Die Vorschrift des § 14 Abs. 2 findet entsprechende Anwendung. § 45. Sobald der zuständigen deutschen ^Behörde eine Mitteilung über eine gemäß § 44 erfolgte Befriedigung zugegangen ist, hat das Reichsaus­ gleichsamt dem deutschen Schuldner eine auf Goldmark lautende Abrechnung über den von ihm zu zahlenden Betrag zu erteilen. Die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 2 des Liquidationsschädcngesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. November 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 1148) bleibt unberührt. Auf das Verfahren bei der Abrechnung finden die Vorschriften her §§ 34,35 37, 38, 39, § 40 Abs. 1 und § 42 dieses Gesetzes entsprechende Anwendung. Vor der Erteilung der Abrechnung ist der Schuldner zu hören.

§ 46. Erfüllt die gemäß § 44 befriedigte Verbindlichkeit die im Artikel 296 Nr. 1, 2, 3 oder 4 oder im Artikel 72 des Vertrags von Versailles bezeichneten Voraussetzungen oder würde sie diese Voraussetzungen erfüllen, wenn der Gläu­ biger zur Zeit des Inkrafttretens des Vertrages von Versailles gegenüber dem Staate, in dessen Gebiet er damals ansässig war, Staatsangehöriger dieses Staates gewesen wäre, so finden auf die Abrechnung ferner die Vorschriften des § 24 Abs. 5 sowie der §§ 25, 26, 27, 28, 30, 31, 33 und 43 entsprechende Anwendung. Für die Berechnung des Tageskurses bei der entsprechenden Anwendung der im Abs. 1 bezeichneten Vorschriften ist der an der Berliner Börse notierte Durchschnittsumrechnungskurs des Tages maßgebend, an dem der zuständigen deutschen Behörde eine Mitteilung über die gemäß § 44 erfolgte Befriedigung zugegangen ist. Die Vorschrift des § 32 Abs. 2, 3 gilt entsprechend.

§ 47 Erfüllt die gemäß § 44 befriedigte Verbindlichkeit nicht die im § 46 bezeichneten Voraussetzungen, so hat das Reichsausgleichsamt dem Schuldner eine Abrechnung über den Nennbetrag der Verbindlichkeit unter Umrechnung zum Tageskurse (§ 46 Abs. 2) zu erteilen. Der Betrag der Abrech­ nung darf jedoch nicht geringer sein als im Falle der entsprechenden Anwendung der im § 46 Abs. 1 bezeichneten Vorschriften. 8 48. Die auf Grund der Abrechnung an das Reichsausgleichsamt zu ent­ richtenden Beträge sind mit fünf vom Hundert von dem Tage an zu verzinsen, an dem der zuständigen deutschen Behörde eine Mitteilung über die gemäß § 44 erfolgte Befriedigung zugegangen ist. § 49. War die von der alliierten oder assoziierten Regierung befriedigte Verbindlichkeit gegenüber dem Gläubiger in einem vor dem gemischten Schieds­ gerichtshof oder einem Lanhesgericht anhängigen Verfahren sestgestellt worden, an dem der deutsche Schuldner sich zu beteiligen berechtigt war, so haben die in diesem Verfahren über die Feststellung der Verbindlichkeit ergangenen Ent­ scheidungen im Verhältnis zwischen dem Reichsausgleichsamt und der deutschen Partei die Wirkung rechtskräftiger Urteile. Das gleiche gilt, wenn die im Abs. 1 bezeichnete Feststellung durch eine Verwaltungsbehörde getroffen worden ist und der Schuldner von einem ihm 48*

756

Erster Teil. Strafgesetze.

zustehenden Rechte, eine gerichtliche Nachprüfung zuführen, keinen Gebrauch gemacht hat.

dieser Feststellung

herbei­

IV. Rechtsmittel gegen die Anordnungen und Entscheidungen deS Reichsaus­ gleichsamts.

§ 50. Gegen die Abrechnungen des Reichsausgleichsamts sowie gegen seine auf Grund der §§ 4, 13, 16, 19, 20, 21, § 22 Abs. 2, § 30, § 39, § 40 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2, § 41 und im Beitreibungsverfahren ergangenen Anordnungen und Entscheidungen steht den Betroffenen die Beschwerde an das Reichswirtschastsgericht zu. Das gleiche gilt gegenüber den im Beweisver-« fahren vor dem Reichsausgleichsamt (§ 5 Abs. 2) ergangenen Entscheidungen. Die Entscheidung des Reichswirtschaftsgerichts ist endgültig. 8 51. Die Beschwerde ist binnen einem Monat nach Zustellung der ange­ fochtenen Anordnung oder Entscheidung durch Einreichung einer Beschwerdeschrift bei der zuständigen Stelle des Reichsaüsgleichsamts oder dem Reichswirtschasts­ gericht einzulegen. Wird die Beschwerdeschrift bei dem Reichswirtschastsgericht eingereicht, so hat der Vorsitzende sie dem Reichsausgleichsamt unverzüglich mitzuteilen. Erachtet das Reichsausgleichsamt die Beschwerde für begründet, so hat cs ihr abzuhelfen; andernfalls ist sie binnen einer Woche dem ReichswirtschaftSgerichte vorzulegen. 8 52. Durch die Einlegung der Beschwerde wird die Vollziehung der an­ gefochtenen Anordnung oder Entscheidung, insbesondere die Verpflichtung zur Leistung von Zahlungen nicht gehemmt. Das Reichsausgleichsamt kann jedoch anordnen, daß die Vollziehung auszusetzen sei. Das Reichswirtschaftsgericht, vor seinem Zusammentreten der Vorsitzende, kann vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen; insbesondere kann angeordnet werden, daß die Vollziehung der angefochtenen Anordnung oder Entscheidung auszusetzen sei. 8 53. Das Reichswirtschaftsgericht, vor seinem Zusammentreten der Vor­ sitzende, kann von dem Reichsausgleichsamte die zur Aufklärung des SachvepHalts erforderliche Auskunft verlangen. Die hierzu nötigen Ermittlungen sind von dem Reichsausgleichsamt anzustellen. V. Aufhebung oder Abänderung von Verbindlichkeiten zwischen Deutschen über Zahlung in ausländischer Währung oder Lieferung ausländischer Zahlungsmittel.

8 54. Ist ein Deutscher, der während der Zeit vom Kriegsbeginne bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes im Deutschen Reiche ansässig' war oder infolge Entwurzelung im Sinne des § 4 Abs. 1 oder Abs. 4 Satz 1 des Liquidationsschädengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. November 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 1148) im Teutschen Reiche ansässig ist, auf Grund eines vor Eintritt des Kriegszustandes oder während seiner Dauer begründeten Rechtsverhältnisses einem anderen Teutschen gegenüber zu einer Zahlung in ausländischer Währung oder zur Lieferung ausländischer Zahlungsmittel ver­ pflichtet, so kann diese Verbindlichkeit auf Antrag des Schuldners durch eine endgültige Entscheidung des Neichswirtschaftsgerichts aufgehoben oder abgeän­ dert werden, 1. wenn sie auf feiten eines Vertragsteils in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhänge mit einer Forderung oder Schuld steht oder gestanden hat, die in diesem Gesetze geregelt ist oder im Falle ihres Fortbestehens geregelt worden wäre, und wenn ferner ihre Aufrechterhaltung dem Schuldner einen unverhältnismäßigen Nachteil bringen würde oder die Voraussetzungen, die eine Partei zur Begründung des Rechtsverhältnisses bestimmt haben, durch die Vorschriften des Friedensvertrags oder dieses Gesetzes ganz oder teilweise beseitigt worden sind; 2. wenn die Verbindlichkeit auf feiten eines Vertragsteils in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhänge mit einem Gegenstand oder einer Ver­ mögensmasse steht oder gestanden hat, die auf Grund von Kriegsmaßnahmeu gegen das deutsche Vermögen oder von Bestimmungen eines für

174. Reichsausgleichsgesetz vom 28. Ottober 1923.

§§ 50—58.

767

Deutschland verbindlichen Vertrags liquidiert, einbehalten oder sonst der Berfügungsbesugnis des Berechtigten entzogen worden sind, und wenn ferner die Aufrechterhaltung der Verbindlichkeit dem Schuldner einen un­ verhältnismäßigen Nachteil bringen würde oder die Voraussetzungen, welche eine Partei zur Begründung des Rechtsverhältnisses bestimmt haben, durch die Liquidation, Einbehaltung oder sonstige Entziehung oder durch die Vorschriften des Liquidationsschädengesetzes ganz oder teilweise beseitigt worden sind; 3. wenn der Gläubiger im Gebiet eines alliierten oder assoziierten Staates während des Kriegszustandes zwischen diesem Staate und dem Deutschen Reiche ansässig gewesen ist, ferner das Rechtsverhältnis, auf dem die Ver­ bindlichkeit beruht, vor Beginn des Kriegszustandes entstanden, die Fällig­ keit der Verbindlichkeit vor Beendigung des Kriegszustandes eingetreten war und ihre Erfüllung nach Beginn des Kriegszustandes aus einem gerechtfertigten Grunde ausgeschoben worden ist; 4. wenn der Gläubiger während der Zeit von Beginn des Kriegszustandes mit Frankreich bis zum 10. November 1918 in Elsaß-Lothringen ansässig gewesen ist, ferner das Rechtsverhältnis, auf dem die Verbindlichkeit be­ ruht, vor dem 11. November 1918 entstanden, die Fälligkeit der Verbind­ lichkeit vor dem 10. Januar 1923 eingetreten ist und ihre Erfüllung nach dem 10. November 1918 aus einem gerechtfertigten Grunde aufgeschoben worden ist. Bei der Entscheidung sind die Interessen beider Vertragsteile zu berück­ sichtigen und gegeneinander abzuwägen. 8 55» Als in einem Gebiet ansässig im Sinne des Abschnitts V dieses Gesetzes gelten diejenigen natürlichen Personen, die dort ihren Wohnsitz oder, sofern es sich um in ihrem Gewerbebetrieb entstandene Forderungen oder Ver­ bindlichkeiten handelt, ihre gewerbliche Hauptniederlassung haben sowie die­ jenigen juristischen Personen oder Handelsgesellschaften anderer Art, die in dem Gebiet ihren Sitz haben. Der Inhaber eines gewerblichen Unternehmens, das in einem Gebiete nur eine Zweigniederlassung, nicht aber seine Hauptniederlassung unterhält, gilt insoweit als auch in diesem Gebiet ansässig, als es sich um Forderungen oder Verbindlichkeiten handelt, die im Betriebe der Zweigniederlassung-entstanden sind. 8 56. Das Reichswirtschaftsgericht, vor seinem Zusammentreten der Vor-' sitzende, kann vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen. Insbesondere kann angeordnet werden, daß die Erfüllung des Vertrags bis zur endgültigen Entscheidung auszusetzen sei. Kommt das Reichswirtschaftsgericht zu dem Ergebnis, daß die Aufrecht­ erhaltung des Vertrags zu einer schweren wirtschaftlichen Schädigung des Schuldners führen würde, daß aber eine Beseitigung dieser Schädigung im Wege der Aufhebung oder Abänderung des Vertrages nicht ohne eine schwere wirtschaftliche Schädigung des Gläubigers möglich sein würde, so kann es vor seiner Entscheidung oder zugleich mit ihr dem Reichsminister für Wiederaufbau einen Vorschlag zur Unterstützung eines Vertragsteils aus dem im § 6 dieses Gesetzes oder im § 45 des Liquidationsschädengesetzes in der Fassung der Be­ kanntmachung vom 20. November 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 1148) bezeichneten Fonds machen. ' 8 57. Ist eine Verbindlichkeit auf Grund des § 54 ausgehoben oder ab­ geändert worden, so findet diese Vorschrift auf weitere, daran anschließende Ver­ bindlichkeiten, auf Grund deren ein während der Zeit vom Kriegsbeginne bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes tut Reichsgebiet ansässiger Deutscher einem anderen Deutschen gegenüber zur Zahlung in gleicher Währung oder zur Liefe­ rung von Zahlungsmitteln in gleicher Währung verpflichtet ist, entsprechende Anwendung.

VI. Beteiligung Dritter am Verfahren vor dem Reichsausgleichsamte, dem Reichswirtschaftsgericht und den Schiedsgerichten. 8 58. Wer ein rechtliches Interesse daran hat, daß dem Antrag der deutschen Partei im Verfahren über die Feststellung einer Forderung

oder

758

Erster Teil.

Strafgesetze.

Schuld oder im Verfahren zur Durchführung der in den Abschnitten H 3, III und V dieses Gesetzes enthaltenen Vorschriften stattgegeben werde, kann auf jeinen Antrag zur Unterstützung der Partei im Verfahren vor dem Reichsausgleichs­ amt oder dem Reichswirtschaftsgericht als Beteiligter zugelassen werden. Auf die Rechtsstellung des Beteiligten in dem Verfahren und auf die Wirksamkeit der Entscheidung des Reichsausgleichsamts und des Reichswirt­ schaftsgerichts ihm gegenüber finden die §§ 67 bis 69 der Zivilprozeßordnung entsprechende Anwendung. 8 59. Eine deutsche Partei, welche für den Fall des ihr ungünstigen Aus­ gangs eines der im § 58 bezeichneten Verfahren einen Anspruch auf Gewähr­ leistung oder Schadloshaltung gegen einen Dritten erheben zu können glaubt oder den Anspruch eines Dritten besorgt, kann bis zur endgültigen Erledi­ gung des Verfahrens dem Dritten den Streit verkünden. Der Dritte ist zu einer weiteren Streitverkündung berechtigt. Wenn der Dritte dem Streitverkünder beitritt, so hat er die Rechtsstellung eines Beteiligten. Erklärt er seinen Beitritt nicht, so wird das Verfahren ohne Rücksicht auf ihn fortgesetzt. In beiden Fällen findet ihm gegenüber der § 68 der Zivilprozeßordnung entsprechende Anwendung mit der Maß­ gabe, daß statt der Zeit des Beitritts diejenige Zeit entscheidet, zu welcher der Beitritt infolge der Streitverkündung möglich war. Die Streitverkündung und der Beittitt erfolgen durch Zustellung eines Schriftsatzes, dessen Abschrift der Behörde, bei der das Verfahren anhängig ist, mitgeteilt werden soll. In dem »Schriftsatz, durch den die Streitverkündung er­ folgt, ist ihr Grund und die Lage des Verfahrens anzugeben. 8 60. Wird ein Streit über.das Bestehen oder die Höhe einer deutschen Forderung oder Schuld einem Schiedsgericht oder dem Gemischten Schieds­ gerichtshof unterbreitet, so ist die deutsche Partei verpflichtet, den Beteiligten (88 58, 59 Abs. 2) sämtliche für den Gang des Verfahrens erheblichen Tat­ sachen, insbesondere die Erklärungen der Gegenpartei und der Prüfungs- und Ausgleichsämter, die Anordnungen und Entscheidungen des Schiedsgerichts oder des Gemischten Schiedsgerichts Hofs und die Ergebnisse einer Beweisaufnahme, mitzuteilen, sowie auf ihr Verlangen ihre Zuziehung zu Verhandlungen und Be­ weisaufnahmen, soweit sie zulässig ist, zu erwirken. Der Beteiligte wird im Verhältnis zu der Partei mit der Behauptung nicht gehört, daß der Rechtsstreit, wie er dem Schiedsgericht oder dem Gemischten Schiedsgerichte vorgelegen habe, unrichtig entschieden sei. Er wird mit der Behauptung, daß die Gegenpartei den Rechtsstreit vor dem Schiedsgericht oder dem Gemischten Schiedsgerichtshofe mangelhaft geführt habe, nur insowett gehört, als der gerügte Mangel zur Zeit seiner Zulassung als Beteiligter be­ reits eingetreten war oder als er sich vergeblich bemüht hatte, den Mangel zu verhindern oder zu einer solchen Bemühung infolge Nichterfüllung der nach Abs. 1 der Partei obliegenden Verpflichtung außerstande war. Die Vorschriften des Abs. 2 finden auf das Verhältnis zwischen dem Streitverkünder und dem Dritten auch dann Anwendung, wenn der Dritte dem Streitverkünder nicht beitritt. 8 61. Haftet für eine deutsche Schuld ein Bürge oder ein nicht zum Ver­ mögen des Schuldners gehöriges Grundstück oder Pfand, so kann das Reichsaus­ gleichsamt im Verfahren über die Feststellung der Schuld oder im Verfahren zur Durchführung der in den Abschnitten II 3 und III dieses Gesetzes ent­ haltenen Vorschriften gegenüber dem Schuldner den Bürgen oder den Eigen­ tümer des Grundstücks oder denjenigen, dem der Pfandgegenstand zusteht, zur Beteiligung auffordern. Die Aufforderung hat im Verhältnis zwischen dem Deutschen Reiche und dem Empfänger die Wirkung einer Streitverkündung. Die Vorschriften des § 59 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, 3 und des § 60 finden entsprechende Anwendung.

VII. Strafbestimmungen. 8 62. Mit Gefängnis bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bis zu fünfzigtaujend Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft.

171. Reichsausgleichsgesetz vom 28. Ottober 1923.

§§ 59—67.

759

1. wer einem -er Verbote des § 9 vorsätzlich und mit dem Bewußtsein der Rechtswidrigkeit zuwiderhandelt; 2. wer Maßnahmen trifft, um in Ansehung der in diesem Gesetze geregelten Angelegenheiten das Reichsausgleichsamt zu umgehen oder zu täuschen. Der Versuch der unter Nr. 1 bezeichneten Zuwiderhandlung ist strafbar. Neben der Strafe ist auf Einziehung der durch die strafbare Handlung er­ langten Vermögenswerte zugunsten der Reichskasse zu erkennen. 8 63. Ist die im § 62 unter Nr. 1 bezeichnete Zuwiderhandlung aus Fahrlässigkeit begangen worden, so tritt Gefängnis bis zu sechs Monaten und Geldstrafe bis zu zwanzigtausend Mark oder eine dieser Strafen ein. Neben der Strafe kann auf Einziehung der durch die strafbare Handlung erlangten Vermögenswerte zugunsten der Reichskasse erkannt werden. 8 64. Mit Geldstrafe bis zu fünfzigtauseno Mark und mit Gefängnis Lis zu einem Jahre oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer die ihm nach § 15 obliegende Anmeldung einer Forderung innerhalb der vom Reichs­ minister für Wiederaufbau bestimmten Frist vorsätzlich unterläßt. Ist die Unterlassung aus Fahrlässigkeit begangen worden, so tritt Geld­ strafe bis zu fünftausend Mark und Gefängnis bis zu drei Monaten oder eine dieser Strafen ein. In den in Abs. 1 und 2 bezeichneten Fällen tritt Straflosigkeit ein, wenn die Anmeldung nachgeholt wird, bevor die Unterlassung zur Kenntnis des Reichsausgleichsamts gelangt ist. 8 65. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu fünf­ zehntausend Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer den Vor­ schriften des § 3 zuwider vorsätzlich die Verschwiegenheit nicht beobachtet. Die Strafverfolgung tritt nur auf Antrag ein. VIII. Schlußvorschriften.

8

66. Der Reichsminister für Wiederaufbau kann das Reichsausgleichs­ amt ermächtigen, mit den Parteien über die von ihnen auf Grund dieses Ge­ setzes gegen das Reichsausgleichsamt erhobenen Ansprüche oder an das Reichs­ ausgleichsamt zu leistenden Zahlungen Vereinbarungen hinsichtlich der Höhe oder Art und Weise der Zahlung zu treffen. 8 67 Die Reichsregierung wird ermächtigt, unter Zustimmung des Reichsrats und eines von der Nationalversammlung zu wählenden Ausschusses von 15 Mitgliedern ergänzende Bestimmungen zu diesem Gesetze zu erlassen. Der Reichsminister für Wiederaufbau kann bestimmen, welcher Zeitpunkt als Beginn des Kriegszustandes zwischen dem Deutschen Reiche und einem alliierten oder assoziierten Staate im Sinne dieses Gesetzes anzusehen ist. Die näheren Bestimmungen über die Zusammensetzung und das Verfahren des Reichswirtschaftsgerichts bei der ihm durch dieses Gesetz zugewiesenen Tätig-keit werden von dem Reichsminister der Justiz erlassen.

760

Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

Zweiter Teil.

KtrafproMgesetze. 175.

1. Gerichtsverfaffungsgesetz. Bom 27. Januar 1877. In der Fassung der Bekanntmachung vom 22. März 1924?) (RGBl. I S. 299.) Erster Titel.

Richteramt. 8 1. Die richterliche Gewalt wird durch unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Gerichte ausgeübt. 8 2.2) Die Fähigkeit zum Richteramte wird durch die Ablegung zweier Prüfungen erlangt. Der ersten Prüfung muß ein dreijähriges Studium der Rechtswissen­ schaft auf einer Universität vorangehen. Bon dem dreijährigen Zeitraum sind mindestens drei Halbjahre dem Studium auf einer deutschen Universität zu widmen. Zwischen der ersten und zweiten Prüfung muß ein Zeitraum von drei Jahren liegen, welcher im Dienste bei den Gerichten und bei den Rechtsanwälten zu verwenden ist, auch zum Teil Lei der Staatsanwaltschaft verwendet werden kann. In den einzelnen deutschen Ländern kann bestimmt werden, daß der für das Universitätsstudium oder für den Vorbereitungsdienst bezeichnete Zeit­ raum verlängert wird, oder daß ein Teil des letzteren Zeitraums, jedoch -höchstens ein Jahr, im Dienste bei Verwaltungsbehörden zu verwenden ist oder verwendet weü»en darf.

8 3 Wer in einem deutschen Lande die erste Prüfung bestanden hat, kann in jedem anderen Lande zur Vorbereitung für den Justizdienst und zur zweiten Prüfung zugelassen werden. Die in einem deutschen Lande auf die Vorbereitung verwendete Zeit kann in jedem anderen Lande angerechnet werden. 8 4. Zum Richteramte befähigt ist ferner jeder ordentliche öffentliche Lehrer des Rechtes an einer deutschen Universität. 8 5. Wer in einem deutschen Lande die Fähigkeit zum Richteramt erlangt hat, ist, soweit dieses Gesetz keine Ausnahme bestimmt, zu jedem Richt-eramt innerhalb des Deutschen Reichs befähigt. 8 6. Die Ernennung der Richter erfolgt auf Lebenszeit.

1) Diese Bekanntmachung erging auf Grund des § 43 der Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4. Januar 1924 (RGBl. I S. 15; s. diese unten Nr. 178), durch die das Gesetz eine namhafte Umgestaltung erfahren hat, nachdem es durch frühere Gesetze bereits mehrfach abgeändert worden war. 2) Die Fähigkeit zum Richteramte kann auch von Frauen erworben werden. Ebenso können Frauen zu Handelsrichtern, Amtsanwälten, Gerichts­ schreibern und Gerichtsvollziehern ernannt werden. (Gesetz vom 11. Juli 1922, RGBl. I S. 573.)

176. Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877.

§§ 1—16.

761

8 7. Die Richter beziehen in ihrer richterlichen Eigenschaft ein festes Ge­ halt mit Ausschluß von Gebühren. 8 8. Richter können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entschei­ dung und nur aus den Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Die Gesetzgebung kann Alters­ grenzen festsetzen, bei deren Erreichung Richter in den Ruhestand treten. Die vorläufige Amtsenthebung, welche kraft Gesetzes eintritt, wird hier­ durch nicht berührt. Bei einer Veränderung in der Einrichtung der Gerichte oder ihrer Bezirke können unfreiwillige Versetzungen an ein anderes Gericht oder Entfernungen vom Amte unter Belassung des vollen Gehalts durch die Landesjustizverwaltung verfügt werden.

8 9* Wegen vermögensrechtlicher Ansprüche der Richter aus ihrem Dienst­ verhältnis, insbesondere auf Gehalt, Wartegeld oder Ruhegehalt, darf der Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.

8 10. Die landesgesetzlichen Bestimmungen über die Befähigung zur zeit­ weiligen Wahrnehmung richterlicher Geschäfte bleiben unberührt. 8 11. Auf Handelsrichter, Schöffen und Geschworene finden die Bestim­ mungen der §§ 2 bis 9 keine Anwendung. Zweiter Titel. Gerichtsbarkeit.

8

12. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit wird durch Amtsgerichte und Landgerichte, durch Oberlandesgerichte und durch das Reichsgericht aus­ geübt.

8 13 Vor die ordentlichen Gerichte gehören alle bürgerlichen Rechts­ streitigkeiten und Strafsachen, für welche nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist oder reichsgesetz­ lich besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind.

8 14. Als besondere Gerichte werden zugelassen: 1. Rhein- und Elbschiffahrtsgerichte für die in Staatsverträgen bezeichneten Angelegenheiten der Schiffahrt auf dem Rhein und auf der Elbe; 2. Gerichte, welchen die Entscheidung von bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten bei der Ablösung von Gerechtigkeiten oder Reallasten, bei Separationen, Konsolidationen, Verkoppelungen, gutsherrlich-bäuerlichen Auseinander­ setzungen mrd dergleichen obliegt; 3. Gemeindegerichte, insoweit ihnen die Entscheidung über vermögensrecht!liche Ansprüche obliegt, deren Gegenstand in Geld oder Geldeswert die Summe von sechzig Goldmark nicht übersteigt, jedoch mit der Maßgabe, daß gegen die Entscheidung der Gemeindegerichte innerhalb einer gesetzlich zu bestimmenden Frist sowohl dem Kläger wie dem Beklagten die Be­ rufung auf den ordentlichen Rechtsweg zusteht, und daß der Gerichtsbar­ keit des Gemeindegerichts, als Kläger oder Beklagter, nur Personen unter­ worfen werden dürfen, welche in der Gemeinde den Wohnsitz, eine Nieder­ lassung oder im Sinne der §§ 16, 20 der Zivilprozeßordnung den Auf­ enthalt haben; 4. Gewerbegerichte. 8

15. Die Gerichte sind Staatsgerichte. Die Privatgerichtsbarkeit ist aufgehoben; an ihre Stelle tritt die Ge­ richtsbarkeit des deutschen Landes, in welchem sie ausgeübt wurde. Präsen­ tationen für Anstellungen bei den Gerichten finden nicht statt. Die Ausübung einer geistlichen Gerichtsbarkeit in weltlichen Angelegen­ heiten ist ohne bürgerliche Wirkung. Dies gilt insbesondere bei Ehe- und Verlöbnissachen.

762

Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

§ 16. Ausnahmegerichte sind unstatthaft. Niemand darf seinem gesetz­ lichen Richter entzogen werden. Die gesetzlichen Bestimmungen über Kriegs­ gerichte und Standgerichte werden hiervon nicht berührt. § 17 Die Gerichte entscheiden über die Zulässigkeit des Rechtswegs. Die Landesgesetzgebung kann jedoch die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Gerichten und den Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten über die Zulässigkeit des Rechtswegs besonderen Behörden nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen' übertragen: 1. Die Mitglieder werden für die Dauer des zur Zeit ihrer Ernennung von ihnen bekleideten Amts oder, falls sie zu dieser Zeit ein Amt nicht be­ kleiden, auf Lebenszeit ernannt. Eine Enthebung vom Amte kann nur unter denselben Voraussetzungen wie bei den Mitgliedern des Reichs-» gerichts stattfinden. 2. Mindestens die Hälfte der Mitglieder muß dem Reichsgericht oder dem obersten Landesgericht oder einem Oberlandesgericht angehören. Bei Ent­ scheidungen dürfen Mitglieder nur in der gesetzlich bestimmten Anzahl mit­ wirken. Diese Anzahl muß eine ungerade sein und mindestens fünf betragen. 3. Das Verfahren ist gesetzlich zu regeln. Die Entscheidung erfolgt in öffent­ licher Sitzung nach Ladung der Parteien. 4. Sofern die Zulässigkeit des Rechtswegs durch rechtskräftiges Urteil des Gerichts feststeht, ohne daß zuvor auf die Entscheidung der besonderen Behörde angetragen war, bleibt die Entscheidung des Gerichts maßgebend. § 18. Die inländische Gerichtsbarkeit erstreckt sich nicht auf die Chefs und Mitglieder der bei dem Deutschen Reiche beglaubigten Missionen. Sind diese Personen Staatsangehörige eines der deutschen Länder, so sind sie nur insofern von der inländischen Gerichtsbarkeit befreit, als das Land, dem sie angehören, sich der Gerichtsbarkeit über sie begeben hat. Die Chefs und Mitglieder der bei einem deutschen Lande beglaubigten Missionen sind der Gerichtsbarkeit dieses Landes nicht unterworfen. Dasselbe gilt von den Mitgliedern des Reichsrats, welche nicht von dem Lande abgeordnet sind, in dessen Gebiete der Reichsrat seinen Sitz hat. 8 19. Auf die Familienglieder, das Geschäftspersonal der im § 18 erwähnten Personen und auf solche Bedienstete derselben, welche nicht Deutsche sind, finden die vorstehenden Bestimmungen Anwendung. 8 20. Durch die Bestimmungen der §§ 18, 19 werden die Vorschriften über den ausschließlichen dinglichen Gerichtsstand in bürgerlichen Rechts­ streitigkeiten nicht berührt 8 21. Die im Deutschen Reiche angestellten Konsuln sind der inländischen Gerichtsbarkeit unterworfen, sofern nicht in Verträgen des Deutschen Reichs mit anderen Mächten Vereinbarungen über die Befreiung der Konsuln von der inländischen Gerichtsbarkeit getroffen sind. Dritter Titel.

Amtsgerichte. 8 22. Den Amtsgerichten stehen Einzelrichter vor. Ein Amtsrichter kann zugleich Mitglied oder Direktor bei dem über­ geordneten Landgericht sein. Die allgemeine Dienstaufsicht kann von der Landesjustizverwaltung dem Präsidenten des übergeordneten Landgerichts übertragen werden Geschieht dies nicht, so ist, wenn das Amtsgericht mit mehreren Richtern besetzt ist, einem von ihnen von der Landesjustizverwaltung die .allgemeine Dienstaufsicht zu übertragen; ist die Zahl der Richter höher als fünfzehn, so kann die Dienst­ aufsicht zwischen mehreren von ihnen geteilt werden Jeder Amtsrichter erledigt die ihm obliegenden Geschäfte, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, als Einzelrichter. 8 23. Die Zuständigkeit der Amtsgerichte umfaßt in bürgerlichen Rechts­ streitigkeiten, soweit sie nicht ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes den Landgerichten zugewiesen find:

175. Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877.

§§ 16—25.

763

1. Streitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche, deren Gegenstand an Geld oder Geldeswert die Summe von fünfhundert Goldmark nicht über­ steigt; 2. ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes: Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Unter­ mieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mietsräume eingebrachten Sachen; Streitigkeiten zwischen Dienstherrschaft und Gesinde, zwischen Arbeit­ gebern und Arbeitern hinsichtlich des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses, sowie die im § 4 des Gewerbegerichtsgesetzes in der Fassung der Bekannt­ machung vom 29. September 1901 (Reichsgesetzbl. S. 353) und des Ge­ setzes vom 14. Januar 1922 (Reichsgesetzbl. I S. 155) bezeichneten Streitig­ keiten, sofern sie während der Dauer des Dienst-, Arbeits- oder Lehr­ verhältnisses entstehen; Streitigkeiten zwischen Reisenden und Wirten, Fuhrleuten, Schiffern, Flößern oder Auswanderungsexpedienten in den Einschiffungshäfen, welche über Wirtszechen, Fuhrlohn, Überfahrtsgelder, Beförderung der Reisenden und ihrer Habe und über Verlust und Beschädigung der letzteren, sowie Streitigkeiten zwischen Reisenden und Handwerkern, welche aus Anlaß der Reise entstanden sind; Streitigkeiten wegen Viehmängel; Streitigkeiten wegen Wildschadens; alle Ansprüche aus Erfüllung einer durch Ehe oder Verwandtschaft begründeten gesetzlichen Unterhaltspflicht; Ansprüche aus einem außerehelichen Beischlaf; Ansprüche aus einem mit der Überlassung eines Grundstücks in Ver­ bindung stehenden Leibgedings-, Leibzuchts-, Altenteils- oder Auszugvertrag; das Aufgebotsversahren. § 24. In Strafsachen sind die Amtsgerichte zuständig für: 1. Übertretungen; 2. Vergehen; 3. folgende Verbrechen: a) die Verbrechen, die mit Gefängnis oder Festungshaft oder mit Zucht­ haus von höchstens zehn Jahren allein oder in Verbindung mit anderen Strafen oder mit Nebenfolgen bedroht sind, soweit für sie nicht das Reichsgericht zuständig ist; ausgenommen sind die Verbrechen des Meineids in den Fällen der §§ 153 bis 155 des Strafgesetzbuchs. Für die Bestimmung der angedrohten Strafe bleibt der § 53 des Militär­ strafgesetzbuchs außer Betracht; b) die Verbrechen des Widerstandes im Falle des § 119, der Falsch­ münzerei in den Fällen der §§ 146, 147, 149, der Notzucht im Falle des § 177, des Rückfalldiebstahls im Falle des § 244, des Raubes in den Fällen der §§ 249, 250, des räuberischen Diebstahls und der räuberischen Erpressung in den Fällen der §§ 252 und 255, wenn die Strafe aus den §§ 249, 250 zu entnehmen ist, der Rückfallhehlerei im Falle des § 261 Abs. 1 und der schweren Körperverletzung im Amte im Falle des § 340 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs; c) die Verbrechen des militärischen Mebstahls im Falle des § 138 Abs. 2 des Militärstrafgesetzbuchs, des betrügerischen Bankrotts in den Fällen der §§ 239, 244 der Konkursordnung und der Unterschlagung fremder Wertpapiere in den Fällen der §§ 11, 12 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes, betreffend die Pflichten der Kaufleute bei Aufbewahrung fremder Wert­ papiere, vom 5. Juli 1896 (Reichsgesetzbl. S. 183, 194). 8 25. Der Amtsrichter entscheidet allein: 1. bei Übertretungen; 2. bei Vergehen, a) wenn sie im Wege der Privatklage verfolgt werden;

764

Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

b) wenn die Tat mit keiner höheren Strafe als Gefängnis von höchstens sechs Monaten, allein oder in Verbindung mit anderen Strafen oder mit Nebenfolgen, bedroht ist; c) wenn die Staatsanwaltschaft es bei Einreichung der Anklageschrift oder, falls es einer Anklageschrift nicht bedarf, bei der mündlichen Erhebung der Anklage beantragt. Die Staatsanwaltschaft soll den im Abs. 1 Nr. 2e bezeichneten Antrag nur stellen, wenn zu erwarten ist, daß auf keine schwerere '^Strafe als Ge­ fängnis von höchstens einem Jahre, allein oder in Verbindung mit anderen Strafen oder mit Nebenfolgen, erkannt werden wird. Erhebt bei Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Erhebung öffentlicher Abgaben und Gefälle die Verwaltungsbehörde die öffentliche Klage, so kann sie den Antrag in gleicher Weise stellen wie die Staatsanwaltschaft. § 26. Der Amtsrichter allein entscheidet ferner bei den Verbrechen des schweren Diebstahls und der Hehlerei sowie bei solchen strafbaren Handlungen, die nur wegen Rückfalls Verbrechen sind, wenn die Staatsanwaltschaft es bei Einreichung der Anklageschrift oder, falls es einer Anklageschrift nicht bedarf, bei der mündlichen Erhebung der Anklage beantragt. Der Beschuldigte kann während der für die Erklärung auf die Anklage­ schrift gesetzten Frist oder, falls ohne schriftlich erhobene Anklage zur Haupt­ verhandlung geschritten wird, bis zum Beginne seiner Vernehmung zur Sache widersprechen. Er ist bei der Mitteilung der Anklageschrift oder, falls ohne schriftlich erhobene Anklage zur Hauptverhandlung geschritten wird, vor dem Beginne seiner Vernehmung zur Sache über sein Recht zum Widerspruche zu belehren. § 27 Im übrigen wird die Zuständigkeit und der Geschäftskreis der Amtsgerichte durch die Vorschriften dieses Gesetzes und der Prozeßordnungen bestimmt.

Vierter Titel.

Schöffengerichte. § 28. Für die Verhandlung und Entscheidung der zur Zuständigkeit der Amtsgerichte gehörenden Strafsachen werden, soweit nicht der Amtsrichter allein entscheidet (§§ 25, 26), bei den Amtsgerichten Schöffengerichte gebildet. § 29. Die Schöffengerichte bestehen aus dem Amtsrichter als Vor­ sitzenden und zwei Schöffen. Mindestens ein Schöffe muß ein Mann sein. Ein zweiter Amtsrichter ist zuzuziehen, falls die Staatsanwaltschaft es bei Einreichung der Anklageschrift beantragt. Die Staatsanwaltschaft soll den Antrag nur stellen, wenn die Zuziehung eines zweiten Amtsrichters nach Um­ fang und Bedeutung der Sache notwendig erscheint. § 25 Abs. 3 findet entsprechende Anwendung. 8 30. Insoweit das Gesetz nicht Ausnahmen bestimmt, üben die Schöffen während der Hauptverhandlung das Richteramt im vollen Umfang und mit gleichem Stimmrechte wie die Amtsrichter aus und nehmen auch an den im Laufe einer Hauptverhandlung zu erlassenden Entscheidungen teil, welche in keiner Beziehung zu der UrteUsfällung stehen, urld welche auch ohne vorgängige mündliche Verhandlung erlassen werden können. Die außerhalb der Hauptverhandlung erforderlichen Entscheidungen werden von dem Amtsrichter erlassen. 8 31. Das Amt eines Schöffen ist ein Ehrenamt. Es kann nur von Deutschen versehen werden. 8 32. Unfähig zu dem Amte eines Schöffen sind: 1. Personen, welche die Befähigung infolge strafgerichtlicher Verurteilung verloren haben; 2. Personen, gegen welche das Hauptverfahren wegen eines Verbrechens oder Vergehens eröffnet ist, das die Aberkennung der bürgerlichen Ehren­ rechte oder der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter zur Folge haben kann;

175.

Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877.

§§ 26—36.

765

3. Personen, welche infolge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt sind.

8 33» Zu dem Amte eines Schöffen sollen nicht berufen werden: 1. Personen, welche zur Zeit der Aufstellung der Urliste das dreißigste Lebensjahr noch nicht vollendet haben; 2. Personen, welche zur Zeit der Aufstellung der Urliste den Wohnsitz in der Gemeinde noch nicht zwei volle Jahre haben; 3. .i) 4. Personen, welche wegen geistiger oder körperlicher Gebrechen zu dem Amte nicht geeignet sind. 8 34. Zu dem Amte eines Schöffen sollen ferner nicht berufen werden: 1. der Reichspräsident und der Präsident eines deutschen Landes; 2. die Mitglieder der Reichsregierung oder einer Landesregierung (Staats­ ministerium, Senat); 3. Reichsbeamte, welche jederzeit einstweilig in den Ruhestand versetzt werden können; 4. Staatsbeamte, welche auf Grund der Landesgesetze jederzeit einstweilig in den Ruhestand versetzt werden können; 5. richterliche Beamte und Beamte der Staatsanwaltschaft; 6. gerichtliche und polizeiliche Bollstreckungsbeamte; 7. Religionsdiener und Mitglieder solcher religiösen Bereinigungen, die satzungsgemäß zu gemeinsamem Leben verpflichtet sind. Die Landesgesetze können außer den vorbezeichneten Beamten höhere Berwaltungsbeamte bezeichnen, welche zu dem Amte eines Schöffen nicht be­ rufen werden sollen. 8 35. Die Berufung zum Amte eines Schöffen dürfen ablehnen: 1. Mitglieder des Reichstags, des Reichsrats, des Reichswirtschaftsrats, eines Landtags oder eines Staatsrats; 2. Personen, welche im letzten Geschäftsjahr die Verpflichtung eines Ge­ schworenen oder an wenigstens fünf Sitzungstagen die Verpflichtung eines Schöffen /erfüllt haben; 3. Ärzte, Krankenpfleger und Hebammen; 4. Apotheker, welche keine Gehilfen haben; 5. Personen, welche das sünfundsechzigste Lebensjahr zur Zeit der Aufstellung der Urliste vollendet haben oder es bis zum Ablauf des Geschäftsjahrs vollenden würden; 6. Frauen, welche glaubhaft machen, daß ihnen die Fürsorge für ihre Familie die Ausübung des Amtes in besonderem Maße erschwert. 8 36. Der Vorsteher einer jeden Gemeinde oder eines landesgesetzlich der Gemeinde gleich st eh end en Verbandes hat alljährlich ein Verzeichnis der in der Gemeinde wohnhaften Personen, welche zu dem Schöffenamte berufen werden können, .aufzustellen (Urliste). Die Urliste ist in der Gemeinde eine Woche lang zu jedermanns Einsicht auszulegen. Der Zeitpunkt der Auslegung ist vorher öffentlich bekanntzumachen. Die Landesjustizverwaltung kann für eine Gemeinde anordnen: a) daß in einer von der Landesjustizverwaltung im voraus bestimmten Reihenfolge in die Urliste für das einzelne Jahr ein nach den Anfangs­ buchstaben der Namen oder der Straßen oder nach beiden Gesichtspunkten beschränkter Teil der Personen aufzunehmen ist, die zum Schöffenamte berufen werden können. Die Anordnung soll so getroffen werden, daß die aufzustellende Urliste mindestens die sechsfache Zahl der aus ihr aus­ zuwählenden Personen umfaßt. Die Reihenfolge darf erst geändert werden, wenn sämtliche Anfangsbuchstaben durchlaufen worden sind. Ist eine Ge­ meinde in mehrere Amtsgerichtsbezirke geteilt, so kann die Anordnung auf die zu den einzelnen Bezirken gehörenden Teile der Gemeinde be­ schränkt werden; i) Aufgehoben durch G. v. 13. Febr. 1926 (RGBl. I S. 99).

766

Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

b) daß der Auswahl der Schöffen ein für die Gemeinde anderweit aufge­ stelltes amtliches Verzeichnis der Einwohner zugrunde gelegt wird. Im Falle des Abs. 3 Buchstabe a gilt die beschränkte Urliste, im Falle des Abs. 3 Buchstabe b das amtliche Verzeichnis als Urliste im Sinne dieses Gesetzes.

8 37 Gegen die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Urliste kann inner­ halb der einwöchigen Frist schriftlich oder zu Protokoll Einsprache erhoben werden. 8 38. Der Gemeindevorsteher sendet die Urliste nebst den erhobenen Einsprüchen und den ihm erforderlich erscheinenden Bemerkungen an den Amts­ richter des Bezirkes. Wird nach Absendung der Urliste ihre Berichtigung erforderlich, so hat der Gemeindevorsteher hiervon dem Amtsrichter Anzeige zu machen. 8 39. Der Amtsrichter stellt die Urlisten des Bezirkes zusammen und bereitet den Beschluß über die Einsprachen vor. Er hat die Beachtung der Vorschriften des § 36 Abs. 2 zu prüfen und die Abstellung etwaiger Mängel zu veranlassen. 8 49. Bei dem Amtsgerichte tritt alljährlich ein Ausschuß zusammen. Der Ausschuß besteht aus dem Amtsrichter als Vorsitzenden und einem von der Landesregierung zu bestimmenden Staatsverwaltungsbeamten, sowie sieben Vertrauenspersonen als Beisitzern. Die Vertrauenspersonen werden aus den Einwohnern des Amtsgerichts­ bezirkes «gewählt. Die Wahl erfolgt nach näherer Bestimmung der Landesgesetze durch die Vertretungen der Kreise, Ämter, Gemeinden oder dergleichen Verbände; wenn solche Vertretungen nicht vorhanden sind, durch den Amtsrichter. Letzterer hat die Bertrauenspersonen vornehmlich aus den Vorstehern der vorbezeichneten Verbände zu wählen. Zur Beschlußfähigkeit des Ausschusses genügt die Anwesenheit des Vor­ sitzenden, des Staatsverwaltungsbeamten und dreier Bertrauenspersonen. Der Ausschuß faßt seine Beschlüsse nach der absoluten Mehrheit der Stimmen. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. 8 41. Der Ausschuß entscheidet über die gegen die Urliste erhobenen Einsprachen. Die Entscheidungen sind zu Protokoll zu vermerken. Beschwerde findet nicht statt. 8 42. Aus der berichtigten Urliste wählt der Ausschuß für das nächste Geschäftsjahr: 1. die erforderliche Zahl von Schöffen; 2. die erforderliche Zahl der Personen, welche in der von dem Ausschuß festzusetzenden Reihenfolge an die Stelle wegfallender Schöffen treten (Hilfsschöffen). Die Wahl ist auf Personen zu richten, welche am Sitze des Amtsgerichts oder in dessen nächster Umgebung wohnen. 8 43. Die für jedes Amtsgericht erforderliche Zahl von Hauptschöffen und Hilfsschöffen wird durch die Landesjustizverwaltung bestimmt. Die Bestimmung der Zahl der Hauptschöffen erfolgt in der Art, daß voraussichtlich jeder höchstens zu fünf ordentlichen Sitzungstagen im Jahre herangezogen wird. 8 44. Die Namen der erwählten Hauptschöffen und Hilfsschöffen werden bei jedem Amtsgericht in gesonderte Verzeichnisse ausgenommen (Jahreslisten). 8 45. Die Tage der ordentlichen Sitzungen des Schöffengerichts werden für das ganze Jahr im voraus festgestellt. Die Reihenfolge, in welcher die Hauptschöffen an den einzelnen ordentlichen Sitzungen des Jahres teilnehmen, totri) durch Auslosung in öffentlicher Sitzung des Amtsgerichts bestimmt. Das Los zieht der Amtsrichter. Ist für eine Sitzung eine Frau ausgelost worden, so sind weitere auf eine Frau lautende Auslosungen für diese Sitzung unwirksam. über die Auslosung wird von dem Gerichtsschreiber ein Protokoll aus­ genommen.

175. Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877.

§§ 37—53.

767

§ 46. Der Amtsrichter seht die Schöffen von ihrer Auslosung nnd von den Ätzungstagen, an welchen sie in Tätigkeit zu treten haben, unter Hinweis auf die gesetzlichen Folgen des Ausbleibens in Kenntnis. In gleicher Weise werden die im Laufe des Geschäftsjahrs einzuberufenden Schöffen benachrichtigt. 8 47. Eine Änderung in der bestimmten Reihenfolge kann auf überein­ stimmenden Antrag der beteiligten Schöffen von dem Amtsrichter bewilligt werden, sofern die in den betreffenden Sitzungen zu verhandelnden Sachen noch nicht bestimmt sind. Der Antrag mrd die Bewilligungen sind aktenkundig zu machen. § 48. Wenn die Geschäfte die Anberaumung außerordentlicher Sitzungen erforderlich machen, so werden die einzuberufenden Schöffen vor dem Sitzungs­ tage in Gemäßheit des § 45 ausgelost. Erscheint dies wegen Dringlichkeit untunlich, so erfolgt die Auslosung durch den Amtsrichter lediglich aus der Zahl der am Sitze des Gerichts wohnenden Hilfsschöffen. Die Umstände, welche den Amtsrichter hierzu veranlaßt haben sind aktenkundig zu machen. 8 49. Wird zu einzelnen Sitzungen die Zuziehung anderer als der zu­ nächst berufenen Schöffen erforderlich, so erfolgt sie aus der Zahl der Hilfs­ schöffen nach der Reihenfolge der Jahresliste mit der Maßgabe, daß tunlichst an Stelle eines zunächst berufenen Mannes ein Mann, an Stelle einer zunächst berufenen Frau eine Frau tritt. Würde durch die Berufung der Hilfsschöffen nach der Reihenfolge der Fahresliste eine Vertagung der Verhandlung oder eine erhebliche Verzögerung ihres Beginnes notwendig, so sind die nicht am Sitze des Gerichts wohnenden Hilfsschöffen zu übergehen. 8 50. Erstreckt sich die Dauer einer Sitzung über die Zeit hinaus, für welche der Schöffe zunächst einberufen ist, so hat er bis zur Beendigung der Sitzung seine Amtstätigkeit fortzusetzen. 8 51. Die Beeidigung der Schöffen erfolgt bei ihrer ersten Dienstleistung in öffentlicher Sitzung. Sie gilt für die Dauer des Geschäftsjahres. Der Vorsitzende richtet an die zu Beeidigenden die Worte: „Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, die Pflichten eines Schöffen getreulich zu erfüllen und Ihre Stimme nach bestem Wissen und Gewissen abzugeben/' Die Schöffen leisten den Eid, indem jeder einzeln die Worte spricht: „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe."" Der Schwörende soll bei der Eidesleistung die rechte Hand erheben. Ist ein Schöffe Mitglied einer Religionsgesellschaft, welcher das Gesetz den Gebrauch gewisser Beteuerungsformeln an Stelle des Eides gestattet, so wird die Abgabe einer Erklärung unter der Beteuerungsformel dieser Reli­ gionsgesellschaft der Eidesleistung gleichgeachtet. Über die Beeidigung wird von dem Gerichtsschreiber ein Protokoll ausge­ nommen. 8 52. Wenn die Unfähigkeit einer als Schöffe in die Jahresliste aufge>nommenen Person eintritt oder bekannt wird, so ist ihr Name von der Liste zu streichen. Ein Schöffe, bei dem nach seiner Aufnahme in die Jahresliste andere Um­ stände eintreten oder bekannt werden, bei deren Vorhandensein eine Berufung zum Schöffenamte nicht erfolgen soll, ist zur Dienstleistung ferner nicht heran­ zuziehen. Die Entscheidung erfolgt durch den Amtsrichter nach Anhörung der Staatsanwaltschaft und des beteiligten Schöffen. Beschwerde findet nicht statt. 8 53. .Ablehnungsgründe sind nur zu berücksichtigen, wenn sie innerhalb einer Woche, nachdem der beteiligte Schöffe von seiner Änberufung in Kenntnis gesetzt worden ist, von ihm geltend gemacht werden. Sind sie später entstanden oder bekannt geworden, so ist die Frist erst von diesem Zeitpunkt zu berechnen.

768

Zweiter

Teil. Strafprozeßgesetze.

Der Amtsrichter entscheidet über bas Gesuch nach Anhörung der Staats­ anwaltschaft. Beschwerde findet nicht statt. 8 54. Der Amtsrichter kann einen Schöffen auf dessen Antrag wegen ein­ getretener Hinderungsgründe von der Dienstleistung an bestimmten Sitzungs­ tagen entbinden. Die Entbindung des Schöffen von der Dienstleistung kann davon abhängig gemacht werden, daß ein anderer für das Dienstjahr bestimmter Schöffe für ihn eintritt. Der Antrag und die Bewilligung sind aktenkundig zu machen. 8 55. Die Schöffen und die Vertrauenspersonen des Ausschusses erhalten eine angemessene Entschädigung für den ihnen durch ihre Dienstleistung ent­ stehenden Verdienstausfall und den mit der Dienstleistung verbundenen Auf­ wand sowie Ersatz der Fahrkosten. Ist durch die Dienstleistung eine Vertretung des zum Schöffen oder zur Bertrauensperson Berufenen notwendig geworden, so können die Kosten der Vertretung nach billigem Ermessen erstattet werden. Die Höhe der Aufwandsentschädigung und der Fahrkosten sowie die Höchstund Mindestgrenzen der Entschädigung für den Verdienstausfall bestimmt die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats durch allgemeine An­ ordnung. Entschädigung und Fahrkosten werden nur auf Verlangen gewährt. Der Anspruch erlischt, wenn das Verlangen nicht binnen drei Monaten nach Beendi­ gung der Dienstleistung bei dem Gerichte, bei dem die Dienstleistung statt­ gefunden hat, gestellt worden ist. Beschwerden über die Höhe der Entschädigung und der Fahrkosten werden im Aufsichtsweg entschieden. 8 56. Schöffen und Bertrauenspersonen des Ausschusses, welche ohne ge­ nügende Entschuldigung zu den Sitzungen nicht rechtzeitig sich einfinden oder ihren Obliegenheiten in anderer Weise sich entziehen, sind zu einer Ordnungs­ strafe in Geld sowie in die verursachten Kosten zu verurteilen. Die Verurteilung wird durch den Amtsrichter nach Anhörung der Staats­ anwaltschaft ausgesprochen. Erfolgt nachträglich genügende Entschuldigung, so kann die Verurteilung ganz oder teilweise zurückgenommen werden. Gegen die Entscheidungen findet Beschwerde von feiten des Verurteilten nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung statt. 8 57. Bis zu welchem Tage die Urlisten aufzustellen und dem Amtsrichter einzureichen sind, der Ausschuß zu berufen und die Auslosung der Schöffen zu bewirken ist, wird durch die Landesjustizverwaltung bestimmt. 8 58. Durch Anordnung der Landesjustizverwaltung kann für den Bezirk mehrerer Amtsgerichte einem von ihnen die Entscheidung der Strafsachen ganz oder zum Teil zugewiesen werden. Die Landesjustizverwaltung bestimmt die für dieses Gericht erforderliche Zahl von Haupt- und Hilfsschöffen und die Verteilung der Zahl der Haupt­ schöffen auf die einzelnen Amtsgerichtsbezirke. Die übrigen Vorschriften dieses Titels finden entsprechende Anwendung. Fünfter Titel.

Landgerichte. 8 59. Die Landgerichte werden mit einem Präsidenten und der erforder­ lichen Anzahl von Direktoren und Mitgliedern besetzt. Bon der Ernennung eines Direktors kann abgesehen werden, wenn der Präsident den Vorsitz in den Kammern allein führen kann. Die Direktoren und die Mitglieder können gleichzeitig Amtsrichter im Be­ zirke des Landgerichts sein. 8 60. Bei den Landgerichten werden Zivil- und Strafkammern gebildet. 8 61. Bei den Landgerichten sind Untersuchungsrichter nach Bedürfnis zu bestellen. Die Bestellung erfolgt durch die Landesjustizverwaltung auf die Dauer eines Geschäftsjahrs.

175. Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877.

§§ 54—70.

769

8 62. Den Vorsitz im Plenum führt der Präsident, den Vorsitz in den Kammern führen der Präsident und die Direktoren. Den Vorsitz in der kleinen Strafkammer (§ 76 Abs. 2) kann auch ein Mitglied des Landgerichts führen, das vom Präsidium für die Dauer eines Geschäftsjahrs bestimmt wird. Bor Beginn des Geschäftsjahrs bestimmt der Präsident die Kammer, welcher er sich anschließt, über die Verteilung des Vorsitzes in den übrigen Kammern entscheiden der Präsident und die Direktoren nach Stimmenmehrheit; im Falle der Stimmengleichheit gibt die Stimme des Präsidenten den Ausschlag. 8 63. Bor Beginn des Geschäftsjahrs werden auf seine Dauer die Ge­ schäfte unter die Kammern derselben Art verteilt und die ständigen Mitglieder der einzelnen Kammern sowie für den Fall ihrer Verhinderung die regel­ mäßigen Vertreter bestimmt. Jeder Richter kann zum Mitglied mehrerer Kam­ mern bestimmt werden. Die getroffene Anordnung kann im Laufe des Geschäftsjahrs nur ge­ ändert werden, wenn dies wegen eingetretener Überlastung einer Kammer oder infolge Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Mitglieder des Gerichts erforderlich wird. 8 64. Die im vorstehenden Paragraphen bezeichneten Anordnungen er­ folgen durch das Präsidium. Das Präsidium wird durch den Präsidenten als Vorsitzenden, die Direktoren und das dem Dienstalter nach, bei gleichem Dienstalter das der Ge­ burt nach älteste Mitglied gebildet; ist kein Direktor ernannt, so besteht das Präsidium aus dem Präsidenten und den beiden ältesten Mitgliedern. Das Prä­ sidium entscheidet nach Stimmenmehrheit; im Falle der Stimmengleichheit gibt die Stimme des Präsidenten den Ausschlag. 8 65. Der Präsident kann bestimmen, daß einzelne Untersuchungen von dem Untersuchungsrichter, dessen Bestellung mit dem Ablauf des Geschäftsjahrs erlischt, zu Ende geführt werden, sowie daß in einzelnen Sachen, in welchen während des Geschäftsjahrs eine Verhandlung bereits stattgefunden hat, die Kammer in ihrer früheren Zusammensetzung auch nach Ablauf des Geschäfts­ jahrs verhandle und entscheide. 8 66. Im Falle der Verhinderung des ordentlichen Vorsitzenden führt den Vorsitz in der Kammer das Mitglied der Kammer, welches dem Dienst­ alter nach und bei gleichem Dienstalter der Geburt nach das älteste ist. Für den Borschenden der Keinen Strafkammer bestimmt das Präsidium den regel­ mäßigen Vertreter vor Beginn des Geschäftsjahrs. Der Präsident wird in seinen übrigen, durch dieses Gesetz bestimmten Geschäften, wenn ein Direktor zu seinem ständigen Vertreter ernannt ist, durch diesen, sonst durch den Direktor vertreten, welcher dem Dienstaller nach und bei gleichem Dienstalter der Geburt nach der älteste ist. Ist kein Direllor ernannt, so wird der Präsident, wenn nicht ein Mllglied des Landgerichts zu seinem ständigen Vertreter ernannt ist, durch das Mitglied vertreten, welches dem Dienstalter nach und bei gleichem Dienstalter der Geburt nach das älteste ist. 8 67. Im Falle der Verhinderung des regelmäßigen Vertreters eines Mitglieds wird ein zeitweiliger Vertreter durch den Präsidenten bestimmt. 8 68. Die Bestimmungen der §§ 62 bis 67 finden auf die Kammern für Handelssachen keine Anwendung. 8 69. Innerhalb der Kammer verteilt der Vorsitzende die Geschäfte auf die Mitglieder. 8 70. Soweit die Vertretung eines Mitglieds nicht durch ein Mitglied desselben Gerichts möglich ist, wird sie auf den Antrag des Präsidiums durch die Landesjustizverwaltung geordnet. Die Beiordnung eines nichtständigen Richters darf, wenn sie auf eine bestimmte Zeit erfolgte, vor Ablauf dieser Zell, wenn sie auf unbestimmte Zeit erfolgte, solange das Bedürfnis, durch welches sie veranlaßt wurde, fortdauert, nicht widerrufen werden. Ist mit der Vertretung eine Entschädigung ver­ bunden, so ist diese für die ganze Dauer festzustellen. Allfeld, Strafgesetzgebung.

Äufl.

770

Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Bestimmungen, nach welchen richterliche Geschäfte nur von ständig angestellten Richtern wahrgenommen werden können, sowie die, welche die Vertretung durch ständig angestellte Richter regeln. 8 71. Vor die Zivilkammern, einschließlich der Kammern für Handels­ sachen, gehören alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, welche nicht den Amts­ gerichten zugewiesen sind. Die Landgerichte sind ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes ausschließlich zuständig: 1. für die Ansprüche, welche auf Grund des Reichsbeamtengesetzes gegen den Reichsfiskus erhoben werden; 2. für die Ansprüche gegen Reichsbeamte wegen Überschreitung ihrer amtlichen Befugnisse oder wegen pflichtwidriger Unterlassung von Amtshandlungen. Der Landesgesetzgebung bleibt überlassen, Ansprüche der Staatsbeamten gegen den Staat aus ihrem Dienstverhältnisse, Ansprüche gegen den Staat wegen Verfügungen der Verwaltungsbehörden, wegen Verschuldung von Staats­ beamten und wegen Aufhebung von Privilegien, Ansprüche gegen Beamte wegen Überschreitung ihrer amtlichen Befugnisse oder wegen pflichtwidriger Unter­ lassung von Amtshandlungen sowie Ansprüche in betreff öffentlicher Abgaben ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes den Landgerichten aus­ schließlich zuzuweisen. 8 72. Die Zivilkammern, einschließlich der Kammern für Handelssachen, sind die Berufungs- und Beschwerdegerichte in den vor den Amtsgerichten verhandelten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. 8 73. Die Strafkammern sind zuständig für die die Voruntersuchung und deren Ergebnisse betreffenden Entscheidungen, welche nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung bou dem Gerichte zu erlassen sind; sie entscheiden über Beschwerden gegen Verfügungen des Untersuchungsrichters und des Amts­ richters sowie gegen Entscheidungen des Amtsrichters und der Schöffengerichte. Die Bestimmungen über die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte und des Reichsgerichts werden hierdurch nicht berührt. Die Strafkammern erledigen außerdem die in der Strafprozeßordnung den Landgerichten zugewiesenen Geschäfte. 8 74. Die Strafkammern sind als erkennende Gerichte zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufung gegen die Urteile des Amtsrichters und des Schöffengerichts. 8 75. Die Zivilkammern sind, soweit nicht nach den Vorschriften der Pro­ zeßgesetze an Stelle der Kammer der Einzelrichter zu entscheiden hat, mit drei Mit gliedern einschließlich des Vorsitzenden besetzt. 8 76. Die Strafkammern entscheiden außerhalb der Hauptverhandlung |n der Besetzung von drei Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden. In der Hauptverhandlung ist die Strafkammer besetzt: mit dem Vorsitzenden und zwei Schöffen (kleine Strafkammer), wenn sich die Berufung gegen ein Urteil des Amtsrichters richtet; mit drei Richtern mit Einschluß des Vorsitzenden und zwei Schöffen (große .Strafkammer), wenn sich die Berufung gegen ein Urteil des Schöffen­ gerichts richtet. 8 77. Für die Schöffen der Strafkammer gelten entsprechend die Vor­ schriften über die Schöffen des Schöffengerichts mit folgender Maßgabe: Die Landesjustizverwaltung verteilt die Zahl der erforderlichen Haupt­ schöffen auf die zum Bezirke des Landgerichts gehörenden Amtsgerichtsbezirke. Die Hilfsschösfen wählt der Ausschuß bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk das Landgericht seinen Sitz hat. Hat das Landgericht seinen Sitz außerhalb seines Bezirkes, so bestimmt die Landesjustizverwaltung, welcher Ausschuß der zum Bezirke des Landgerichts gehörigen Amtsgerichte die Hilfsschöffen wählt. Die Namen der gewählten Hauptschöffen und der Hilfsschöffen werden von dem Amtsrichter dem Landgerichtspräsidenten mitgeteilt. Der Landgerichtspräsident stellt die Namen der Hauptschöffen zur Jahresliste der Hauptschöfsen zusammen.

175. Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877.

§§ 71—83.

771

An die Stelle des Amtsrichters tritt für die Auslosung der Reihenfolge, in der die Hauptschösfen an den einzelnen ordentlichen Sitzungen der Straf­ kammer teilnehmen, und für die Streichung eines Schöffen von der Jahresliste des Landgerichts der Landgerichtspräsident; im übrigen tritt an die Stelle des Amtsrichters der Vorsitzende der Strafkammer. Niemand soll für dasselbe Geschäftsjahr zugleich als Schöffe für das Schöffengericht und für die Strafkammer bestimmt werden. Ist dies dennoch geschehen, oder ist jemand für dasselbe Geschäftsjahr in mehreren Bezirken zu diesen Ämtern bestimmt worden, so hat der Einberufene das Amt zu über­ nehmen, zu welchem er zuerst einberufen wird. 8 78. Durch Anordnung der Landesjustizverwaltung kann wegen großer Entfernung des Landgerichtssttzes bei einem Amtsgerichte für den Bezirk eines oder mehrerer Amtsgerichte eine Strafkammer gebildet und ihr für diesen Bezirk die gesamte Tätigkeit der Strafkammer des Landgerichts oder ein Teil dieser Tätigkeit zugewiesen werden. Die Besetzung einer solchen Strafkammer erfolgt aus Mitgliedern des Landgerichts oder Amtsrichtern des Bezirkes, für welchen die Kammer gebildet wird. Der Vorsitzende wird ständig, die Amtsrichter werden auf die Dauer des Geschäftsjahrs durch die Landesjustizverwaltung berufen, die übrigen Mitglieder werden nach Maßgabe des § 63 durch das Präsidium des Land­ gerichts bezeichnet. Die Landesjustizverwaltung verteilt die Zahl der erforderlichen Haupt­ schöffen auf die zum Bezirke der Strafkammer gehörenden Amtsgerichtsbezirke. Die Hilfsschöffen wählt der Ausschuß bei dem Amtsgerichte, bei dem die aus­ wärtige Strafkammer gebildet worden ist. Die im § 77 dem Landgericht'spräftdenten zugewiesenen Geschäfte nimmt der Vorsitzende der Strafkammer wahr.

Sechster Tltel.

Schwurgerichte.

8

79. Für die Verhandlung und Entscheidung von Strafsachen treten bei den Landgerichten nach Bedarf Schwurgerichte zusammen. 8 80. Die Schwurgerichte sind zuständig für die Verbrechen, welche nicht vor das Reichsgericht oder vor das Amtsgericht gehören. 8 81. Das «Schwurgericht besteht aus drei Richtern mit Einschluß des Vorsitzenden und sechs Geschworenen. 8 82. Die Richter und die Geschworenen entscheiden über die Schuld- und Straffrage gemeinschaftlich; während der Hauptverhandlung üben die Ge­ schworenen das Richteramt im gleichen Umfang wie die Schöffen aus. Außerhalb der Hauptverhandlung entscheiden während der Tagung die richterlichen Mitglieder des Schwurgerichts; außerhalb der Tagung entscheidet die Strafkammer des Landgerichts. 8 83. Bor Beginn des Geschäftsjahrs ernennt der Präsident des Oberlandesgerichts für jede Tagung des Schwurgerichts aus der Zahl der Mit­ glieder des Oberlandesgerichts oder der in seinem Bezirk angestellten Richter einen Vorsitzenden des Schwurgerichts. In gleicher Weise ernennt der Präsident des Landgerichts für jede Tagung des Schwurgerichts aus der Zahl der Mitglieder des Landgerichts und der in seinem Bezirk angestellten Amtsrichter einen Stiellvertreter des Vorsitzenden, die übrigen richterlichen Mitglieder und ihre Stellvertreter. Wird im Laufe des Geschäftsjahrs eine Schwurgerichtstagung erforder­ lich, für die richterliche Mitglieder nicht ernannt worden sind, so können sie nach­ träglich ernannt werden. Ebenso können nachträglich Stellvertreter ernannt toetbett, wenn eine Vertretung erforderlich wird und die regelmäßigen Ver­ treter verhindert sind. Solange noch nicht bestimmt ist, wann das Schwurgericht Zusammentritt, erledigt der Vorsitzende der Strafkammer des Landgerichts die in diesem Gesetze und in der Strafprozeßordnung dem Vorsitzenden zugewiesenen Geschäfte. Das gleiche gilt, nachdem die Tagung geschlossen ist.

772

Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

§ 84. Für die Geschworenen gelten die auf die Schöffen bezüglichen Vor­ schriften der §§ 31 bis 57, 77 entsprechend mit den sich aus dem Abs. 2 und den §§ 85 bis 90 ergebenden Maßgaben. Mindestens die Hälfte der zu einer Tagung heranzuziehenden Geschworenen müssen Männer sein. § 88. Die Zahl der Hauptgeschworenen ist so zu bestimmen, daß voraus­ sichtlich jeder Hauptgeschworene nur zu einer Tagung des Schwurgerichts im Geschäftsjahr herangezogen wird. 8 86. Die Reihenfolge, in der die Hauptgeschworenen an den Tagungen des Schwurgerichts teilnehmen, wird für das ganze Geschäftsjahr im voraus durch Auslosung bestimmt; der Präsident des Landgerichts setzt die Geschworenen von der Auslosung mit dem Hinzufügen in Kenntnis, daß ihnen darüber, ob und zu welchem Tage sie einberufen werden, eine weitere Nachricht zugehen werde. 8 87. Der Präsident des Landgerichts bestimmt, wann das Schwurgericht zusammentritt, und ordnet die Einberufung der Hanptgeschworenen für die einzelne Tagung nach der Reihenfolge ihrer Auslosung an; zwischen der Zu­ stellung der Ladung und dem Beginne der Tagung soll eine Frist von zwei Wochen liegen. 8 88. Der Präsident des Landgerichts entscheidet über die von den Geschworenen vorgebrachten Ablehnungs gründe sowie darüber, ob ein Ge­ schworener ferner zur Dienstleistung heranzuziehen -ist. 8 89. Erstreckt sich eine Tagung des Schwurgerichts über den Endtermin des Geschäftsjahrs hinaus, so bleiben die Geschworenen, welche dazu einbe­ rufen sind, bis zum Schlüsse der Tagung zur Mitwirkung verpflichtet. 8 90. Niemand soll für dasselbe Geschäftsjahr als Geschworener und als Schöffe bestimmt werden. Ist dies dennoch geschehen, oder ist jemand für dasselbe Geschäftsjahr in mehreren Bezirken zu diesen Ämtern bestimmt worden, so hat der Ein­ berufene das Amt zu übernehmen, zu welchem er zuerst einberufen wird. 8 91. Die Strafkammer des Landgerichts kann bestimmen, daß einzelne Sitzungen des Schwurgerichts nicht am Sitze des Landgerichts, sondern an einem anderen Orte innerhalb des Schwurgerichtsbezirkes abzuhalten seien. Wird in einem solchen Falle die Zuziehung anderer als der zunächst berufenen Geschworenen erforderlich, so werden die Hilssschöffen des für den Sitzungsort zuständigen Schöffengerichts nach Maßgabe des § 49 herangezogen. 8 92. Die Landesjustizverwaltung kann bestimmen, daß die Bezirke mehrerer Landgerichte zu einem Schwurgerichtsbezirke zusammengelegt und die Sitzungen des Schwurgerichts bei einem der Landgerichte abgehalten werden. In diesem Falle hat das Landgericht, bei welchem die Sitzungen des Schwurgerichts abgehalten werden, und dessen Präsident die ihnen in den §§ 82 bis 91 zugewiesenen Geschäfte für den Umfang des Schwurgerichts­ bezirkes wahrzunehmen. Die Mitglieder des Schwurgerichts mit Einschluß des Stellvertreters des Vorsitzenden können aus der Zahl der im Bezirke des Schwurgerichts ange­ stellten Richter bestimmt werden. Die Zahl der erforderlichen Hauptgeschworenen wird auf sämtliche Amts­ gerichte des Schwurgerichtsbezirkes verteilt. Siebenter Titel.

Kammern für Handelssachen.

8 93. Soweit die Landesjustizverwaltung ein Bedürfnis als vorhanden annimmt, können bei den Landgerichten für deren Bezirke oder für örtlich abgegrenzte Teile davon Kammern für Handelssachen gebildet werden. Solche Kammern können ihren Sitz innerhalb des Landgerichtsbezirkes auch an Orten haben, an welchen das Landgericht seinen Sitz nicht hat.

175. Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877. §§ 84—98.

773

8 94. Ist bei einem Landgericht eine Kammer für Handelssachen ge­ bildet, so tritt für Handelssachen diese Kammer an die Stelle der Zivilkammern nach Maßgabe der folgenden Vorschriften. 8 95. Handelssachen im Sinne dieses Gesetzes sind die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in welchen durch die Klage ein Anspruch geltend gemacht wird: 1. gegen einen Kaufmann im Sinne des Handelsgesetzbuchs aus Geschäften, welche für beide Teile Handelsgeschäfte sind; 2. aus einem Wechsel im Sinne der Wechselordnung oder aus einer der im 8 363 des Handelsgesetzbuchs bezeichneten Urkunden; 3. auf Grund des Scheckgesetzes: 4. aus einem der nachstehend bezeichneten Rechtsverhältnisse: a) aus dem Rechtsverhältnisse zwischen den Mitgliedern einer Handels­ gesellschaft oder zwischen dieser und ihren Mitgliedern oder zwischen dem stillen Gesellschafter und dem Inhaber des Handelsgeschäfts, sowohl während des Bestehens als auch nach Auflösung des Gesell­ schaftsverhältnisses, ingleichen aus dem Rechtsverhältnisse zwischen den Vorstehern oder den Liquidatoren einer Handelsgesellschaft und der Gesellschaft oder deren Mitgliedern; b) aus dem Rechtsverhältnisse, welche das Recht zum Gebrauche der Handelsfirma betrifft; c) aus den Rechtsverhältnissen, welche sich auf den Schutz der Waren­ bezeichnungen, Muster und Modelle beziehen; d) aus dem Rechtsverhältnisse, welches durch den Erwerb eines bestehenden Handelsgeschäfts unter Lebenden zwischen dem bisherigen Inhaber und dem Erwerber entsteht; e) aus dem Rechtsverhältnisse zwischen einem Tritten und dem, welcher wegen mangelnden Nachweises der Prokura oder Handlungsvoll­ macht haftet; f) aus den Rechtsverhältnissen des Seerechts oder des Rechtes der Binnen­ schiffahrt, insbesondere aus denen, welche sich auf die Reederei, auf die Rechte und Pflichten des Reeders oder Schiffseigners, des Korre­ spondentreeders und der Schifssbesatzung, auf die Bodmerei und die Haverei, auf den Schadensersatz im Falle des Zusammenstoßes von Schiffen, auf die Bergung und Hilfeleistung und auf die Ansprüche der Schiffsgläubiger beziehen; 5. auf Grund des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 7. Juni 1909 (Reichsgesetzbl. S. 499); 6. aus den §§ 45 bis 48 des Börsengesetzes (Reichsgesetzbl. 1908 S. 215 . § 96. Die Verhandlung des Rechtsstreits erfolgt vor der Kammer für Handelssachen, wenn der Kläger dies in der Klageschrift beantragt hat. Ist ein Rechtsstreit nach den Vorschriften der 88 276, 506 der Zivil­ prozeßordnung vom Amtsgericht an das Landgericht zu verweisen, so hat der Kläger den Antrag auf Verhandlung vor der Kammer für Handelssachen in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgerichte zu stellen. 8 97. Wird vor der Kammer für Handelssachen eine nicht vor sie ge­ hörige Klage zur Verhandlung gebracht, so ist der Rechtsstreit auf Antrag des Beklagten an die Zivilkammer zu verweisen. Gehört die Klage oder die im Falle des 8 506 der Zivilprozeßordnung­ erhobene Widerklage als Klage nicht vor die Kammer für Handelssachen, so ist diese auch von Amts wegen befugt, den Rechtsstreit an die Zivilkammer zu ver­ weisen, solange nicht eine Verhandlung zur Hauptsache erfolgt und darauf ein Beschluß verkündet ist. Die Verweisung von Amts wegen kann nicht aus dem Grunde erfolgen, daß der Beklagte nicht Kaufmann ist. 8 98. Wird vor der Zivilkammer eine vor die Kammer für Handels­ sachen gehörige Klage zur Verhandlung gebracht, so ist der Rechtsstreit auf Antrag des Beklagten an die Kammer für Handelssachen zu verweisen. Ein Beklagter, welcher nicht in das Handelsregister eingetragen ist, kann den Antrag nicht darauf stützen, daß er Kaufmann ist.

774

Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

Der Antrag ist zurückzuweisen, wenn die im Falle des § 506 der Zivil­ prozeßordnung erhobene Widerklage als Klage vor die Kammer für Handels­ sachen nicht gehören würde. Zu einer Berweisung von Amts wegen ist die Zivilkammer nicht befugt. Die Zivilkammer ist zur Verwerfung des Antrags auch dann befugt, wenn der Kläger ihm zugestimmt hat. 8 99* Wird in einem bei der Kammer für Handelssachen anhängigen Rechtsstreit die Klage in Gemäßheit des § 280 der Zivilprozeßordnung durch den Antrag auf Feststellung eines Rechtsverhältnisses erweitert oder eine Wider­ klage erhoben und gehört die erweiterte Klage oder die Widerklage als Klage nicht vor die Kammer für Handelssachen, so ist der Rechtsstreit auf Antrag des Gegners an die Zivilkammer zu verweisen. Unter der Beschränkung des § 97 Abs. 2 ist die Kammer zu der Ver­ weisung auch von Amts wegen befugt. Diese Befugnis tritt auch dann ein, wenn durch eine Klageänderung ein Anspruch geltend gemacht wird, welcher nicht vor die Kammer für Handelssachen gehört. 8 199. Die 88 96 bis 99 finden auf das Verfahren in der Berufungs­ instanz vor den Kammern für Handelssachen entsprechende Anwendung. 8 191. Der Antrag auf Verweisung des Rechtsstreits an eine andere Kammer ist nur vor der Verhandlung des Antragstellers zur Sache zulässig, über den Antrag ist vorab zu verhandeln und zu entscheiden. 8 192. Gegen die Entscheidung über Verweisung eines Rechtsstreits an die Zivilkammer oder an die Kammer für Handelssachen findet kein Rechts­ mittel statt. Erfolgt die Verweisung an eine andere Kammer, so ist diese Ent­ scheidung für die Kammer, an welche der Rechtsstreit verwiesen wird, bindend. Der Termin zur weiteren mündlichen Verhandlung wird von Amts wegen bestimmt und den Parteien bekanntgemacht. 8 193. Bei der Kammer für Handelssachen kann ein Anspruch in Gemäß­ heit des 8 64 der Zivilprozeßordnung nur dann geltend gemacht werden, wenn der Rechtsstreit nach den Bestimmungen der 88 94, 95 vor die Kammer für Handelssachen gehört. 8 194. Wird die Kammer für Handelssachen als Beschwerdegericht mit einer vor sie nicht gehörigen Beschwerde befaßt, so ist die Beschwerde von Amts wegen an die Zivilkammer zu verweisen. Ebenso hat die Zivilkammer, wenn sie als Beschwerdegericht in einer Handelssache mit einer Beschwerde be­ saßt wird, diese von Amts wegen an die Kammer für Handelssachen zu ver­ weisen. Die Vorschriften des 8 102 Satz 1, 2 finden entsprechende Anwendung. Eine Verweisung der Beschwerde an eine andere Kammer findet nicht statt, wenn bei der Kammer, welche mit der Beschwerde befaßt wird, die .Hauptsache anhängig ist, oder diese Kammer bereits eine Entscheidung in der Hauptsache erlassen hat. 8 195. Die Kammern für Handelssachen entscheiden in der Besetzung mit einem Mitglied des Landgerichts als Vorsitzenden und zwei Handels­ richtern, soweit nicht nach den Vorschriften der Prozeßgesetze an Stelle der Kammer der Einzelrichter zu entscheiden hat. Sämtliche Mitglieder der Kammer für Handelssachen haben gleiches Stimmrecht. In Streitigkeiten, welche sich auf das Rechtsverhältnis zwischen Reeder oder Schiffer und Schiffsmannschaft beziehen, kann die Entscheidung in erster Instanz durch den Vorsitzenden allein erfolgen. 8 196. Im Falle des 8 93 Abs. 2 kann ein Amtsrichter Vorsitzende der Kammer für Handelssachen sein. 8 197. Das Amt der Handelsrichter ist ein Ehrenamt. Die Handelsrichter, die weder ihren Wohnsitz noch ihre gewerbliche Niederlassung am Sitze der Kammer für Handelssachen haben, erhalten Tageund Übernachtungsgelder sowie Ersatz der verauslagten Fahrkosten nach den für die Reichsbeamten der Stufe III (8 2 Abs. 2 der Reisekostenverordnung

175. Gerichtsverfaffungsgesetz vom 27. Januar 1877. §§ 99—120.

775

für Vie Reichsbeamten, Reichsgesetzbl. 1921 S. 1345, 1923 I S. 981) geltenden Vorschriften. Handelsrichtern, die ihren Wohnsitz oder ihre gewerbliche Niederlassung am Sitze der Kammer für Handelssachen haben, werden die notwendigen Fahr­ kosten erstattet, wenn ihr Weg zum Gerichte mehr als zwei Kilometer beträgt. § 108» Die Handelsrichter werden auf gutachtlichen Vorschlag des zur Vertretung des Handelsstandes berufenen Organs für die Dauer von drei Jahren ernannt; eine wiederholte Ernennung ist nicht ausgeschlossen. 8 109» Zum Handelsrichter kann jeder Deutsche ernannt werden, welcher das dreißigste Lebensjahr vollendet hat und als Kaufmann, als Vor­ stand einer Aktiengesellschaft, als Geschäftsführer einer Gesellschaft.mit be­ schränkter Haftung oder als Vorstand einer sonstigen juristischen Person in das Handelsregister eingetragen ist oder eingetragen war. Zum Handelsrichter soll nur ernannt werden, wer in dem Bezirke der Kammer für Handelssachen wohnt oder, wenn er als Kaufmann in das Handels­ register eingetragen ist, dort eine Handelsniederlassung hat; bei Personen, die als Vorstand einer Aktiengesellschaft, als Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder als Vorstand einer sonstigen juristischen Person in das Handelsregister eingetragen sind, genügt es, wenn die Gesellschaft oder juristische Person eine Niederlassung in dem Bezirke hat. Personen, welche infolge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt sind, können nicht zu Handelsrichtern ernannt werden. 8 110. An Seeplätzen können Handelsrichter auch aus dem Kreise der Schiffahrtskundigen ernannt werden. 8 111. Die Handelsrichter smd vor ihrem Amtsantritt auf die Er­ füllung der Obliegenheiten des ihnen übertragenen Amtes eidlich zu ver­ pflichten. 8 112. Die Handelsrichter haben während der Dauer ihres Amtes in Beziehung auf dasselbe alle Rechte und Pflichten richterlicher Beamten. 8 113. Ein Handelsrichter ist seines Amtes zu entheben, wenn er eine der für die Ernennung erforderlichen Eigenschaften nachträglich verliert. Die Enthebung erfolgt durch den ersten Zivilsenat des Oberlandesgerichtrs nach Anhörung des Beteiligten. 8 114. Über Gegenstände, zu deren Beurteilung eine kaufmännische Begutachtung genügt, sowie über das Bestehen von Handelsgebräuchen kann die Kammer für Handelssachen auf Grund eigener Sachkunde und Wissenschaft entscheiden. Achter Titel. OberlandeSgerichte.

8 115. Die Oberlandesgerichte werden mit einem Präsidenten und der erforderlichen Anzahl von Senatspräsidenten und Räten besetzt. 8 116. Bei den Oberlandesgerichten werden Zivil- und Strafsenate gebildet. 8 117. Die Bestimmungen der §§ 62 bis 69 finden mit der Maßgabe» Anwendung, daß zu dem Präsidium stets die beiden ältesten Mitglieder des Gerichts zuzuziehen sind. 8 118. Zu Hilfsrichtern dürfen nur ständig angestellte Richter berufen werden. 8 119. Die Oberlandesgerichte sind in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel: 1. der Berufung gegen die Endurteile der Landgerichte, 2. der Beschwerde gegen Entscheidungen der Landgerichte. 8 120. Die Oberlandesgerichte sind zur Verhandlung und Entscheidung in erster und letzter Instanz in den Strafsachen zuständig, die gemäß § 134 Abs. 2 von dem Oberreichsanwalt an die Landesstaatsanwaltschaft abgegeben werden, oder in denen das Reichsgericht gemäß § 134 Abs. 3 bei Eröffnung des Hanptberfahrens die Verhandlung und Entscheidung dem Oberlandesgericht überweist.

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Zweiter Teil.

Strasprozeßgesetze.

In den von dem Oberreichsanwalt an die Landesstaatsanwaltschaft abgegebenen Sachen trifft das Oberlartt>esgericht auch die im § 73 Abs. 1 bezeichneten Ent­ scheidungen. Für den Gerichtsstand gelten in diesen Fällen die allgemeinen Vorschriften. Sind jedoch in einem Lande mehrere Oberlandesgerichte errichtet, so können die im Abs. 1 den Oberlandesgerichten zugewiesenen Aufgaben durch die Landes­ justizverwaltung einem oder einigen der Oberlandesgerichte oder dem Obersten Landesgericht übertragen werden. Durch Vereinbarung der beteiligten Landes­ justizverwaltungen können diese Aufgaben dem hiernach zuständigen Gericht eines Landes auch für das Gebiet eines anderen Landes übertragen werden. § 121. Die Oberlandesgerichte find in Strafsachen ferner zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel: 1. der Revision gegen a) bie mit der Berufung nicht anfechtbaren Urteile des Amtsrichters; b) die Urteile der kleinen Strafkammer; c) die Urteile der großen Strafkammer, wenn in erster Instanz das mit einem Richter und zwei Schöffen besetzte Schöffengericht entschieden hat; d) die Urteile der großen Strafkammer und der Schwurgerichte, wenn die Revision ausschließlich auf die Verletzung einer in den Landesgesetzen enthaltenen Rechtsnorm gestützt wird; 2. der Beschwerde gegen strafrichterliche Entscheidungen, soweit nicht die Zu­ ständigkeit der Strafkammer oder des Reichsgerichts begründet ist. 8 122. Die Senate der Oberlandesgerichte entscheiden, soweit nicht nach den Vorschriften der Prozeßgesetze an Stelle des Senats der Einzelrichter zu entscheiden hat, in der Besetzung von drei Mitgliedern mit Einschluß des Vor­ sitzenden. Die Strafsenate sind in der Hauptverhandlung erster Instanz mit fünf Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden zu besetzen. Neunter Titel. Reichsgericht. 8 123. Der Sitz des Reichsgerichts wird durch Gesetz bestimmt. 8 124. Das Reichsgericht wird mit einem Präsidenten und der erforder­ lichen Anzahl von Senatspräsidenten und Räten besetzt. 8 125. Der Präsident, die Senatspräsidenten und Räte werden auf Vor­ schlag des Reichsrats von dem Reichspräsidenten ernannt. Zum Mitglied des Reichsgerichts kann nur ernannt werden, wer die Fähigkeit zum Richteramt in einem deutschen Lande erlangt und das fünfund­ dreißigste Lebensjahr vollendet hat. Das Dienstalter der Mitglieder des Reichsgerichts richtet sich nach der Er­ nennung. Auf das Dienstalter ist die Zeit anzurechnen, die das Mitglied als Reichsanwalt, als Rechtsanwalt beim Reichsgericht oder als ordentlicher öffent­ licher Lehrer des Rechtes an einer deutschen Universität tätig gewesen ist. 8 126. Ist ein Mitglied zu einer Strafe wegen einer entehrenden Hand­ lung oder zu einer Freiheitsstrafe von länger als einjähriger Dauer rechts­ kräftig verurteilt, so kann es durch Plenarbeschluß des Reichsgerichts seines Amtes und seines Gehalts für verlustig erklärt werden. Vor der Beschlußfassung sind das Mitglied und der Oberreichsanwalt zu hören. 8 127. Ist wegen eines Verbrechens oder Vergehens das Hauptverfahren gegen ein Mitglied eröffnet, so kann seine vorläufige Enthebung vom Amte nach Anhörung des Oberreichsanwalts durch Plenarbeschluß des Reichsgerichts aus­ gesprochen werden. Wird gegen ein Mitglied die Untersuchungshaft verhängt, so tritt für ihre Dauer die vorläufige Enthebung von Rechts wegen ein. Durch die vorläufige Enthebung wird das Recht auf den Genuß des Ge­ halts nicht berührt.

175. Gerichtsoerfassungsgesetz vom 27. Januar 1877. §§ 121—136.

777

§ 128. Wenn ein Mitglied durch ein körperliches Gebrechen oder durch Schwäche feiner körperlichen oder geistigen Kräfte zur Erfüllung seiner Amts­ pflichten dauernd unfähig wird, so tritt seine Versetzung in den Ruhestand gegen Gewährung eines Ruhegehalts ein. Dienstunfähigkeit ist nicht Vorbedingung des Anspruchs auf Ruhegehalt, wenn das aus dem Dienste scheidende Mitglied das fünfundsechzigste Lebensjahr vollendet hat. Das Ruhegehalt beträgt bei vollendeter zehnjähriger oder kürzerer Dienst­ zeit 35/ioo und steigt nach vollendetem zehnten Dienstjahr mit jedem weiter zurückgelegten Dienstjahr bis zum vollendeten fünfunddreißigsten Dienstjahr um 2/ioo und von da ab bis zum vollendeten fünfzigsten Dienstjahr um Vioo «des Diensteinkommens. Bei Berechnung der Dienstzeit wird die Zeit mitgerechnet, während welcher das Mitglied sich im Dienste des Reiches oder im Staats- oder Gemeindedienst eines deutschen Landes befunden oder in einem deutschen Lande als Anwalt, Advokat, Notar, Patrimonialrichter oder als öffentlicher Lehrer des Rechtes an einer deutschen Universität fungiert hat. § 129. Wird die Versetzung eines Mitglieds in den Ruhestand nicht bean­ tragt, obgleich ihre Voraussetzungen vorliegen, so hat der Präsident die Auf­ forderung zu erlassen, binnen einer bestimmten Frist den Antrag zu stellen. Wird dieser Aufforderung nicht Folge geleistet, so ist die Versetzung in den Ruhestand durch Plenarbeschluß des Reichsgerichts auszusprechen. Vor der Beschlußfassung sind das Mitglied und der Oberreichsanwalt zu hören. 8 130. Bei dem Reichsgerichte werden Zivil- und Strafsenate gebildet!. Ihre Zahl bestimmt der Reichsminister der Justiz. 8 131. Die Bestimmungen der §§ 62 bis 69 finden mit der Maßgabe Anwendung, daß zu dem Präsidium die vier ältesten Mitglieder des Gerichts zuzuziehen sind. 8 132. Die Zuziehung von Hilfsrichtern ist unzulässig. 8 133. In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ist das Reichsgericht zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel. 1. der Revision gegen die Endurteile der Oberlandesgerichte sowie gegen die Endurteile der Landgerichte im Falle des § 566 a der Zivilprozeßordnung, 2. der Beschwerde der Entscheidungen der Oberlandesgerichte in dem Falle des § 519 b Abs. 2 der Zivilprozeßordnung. 8 134. In Strafsachen ist das Reichsgericht zuständig für die Unter­ suchung und Entscheidung in erster und letzter Instanz in den Fällen des Hoch­ verrats, des Landesverrats und des Kriegsverrats gegen das Reich sowie der Verbrechen gegen die §§ 1, 3 des Gesetzes gegen den Verrat militärischer Ge­ heimnisse vom 3. Juni 1914 (Reichsgesetzbl. S. 195). In Landesverratssachen sowie bei Verbrechen gegen die §§ 1, 3 des Ge­ setzes gegen den Verrat mllitärischer Geheimnisse kann der Oberreichsanwalt die Strafverfolgung an die Landesstaatsanwaltschast abgeben. Es sollen nur Strafsachen von minderer Bedeutung abgegeben werden. Das Reichsgericht kann in den im Abs. 2 bezeichneten Sachen bei der Er­ öffnung des Hauptverfahrens die Verhandlung und Entscheidung dem Ober­ landesgericht überweisen, wenn der Oberreichsanwalt es bei der Einreichung der Anklageschrift beantragt; auf den Antrag findet Abs. 2 Satz 2 entsprechende Anwendung. 8 135. In Strafsachen ist das Reichsgericht ferner zuständig zur Ver­ handlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der Revision gegen die Ur­ teile der Schwurgerichte und der großen Strafkammer, soweit nicht die Zustän­ digkeit der Oberlandesgerichte begründet ist. 8 136. Will in einer Rechtsfrage ein Zivilsenat von der Entscheidung eines anderen Zivilsenats oder der vereinigten Zivilsenate oder ein Strafsenat von der Entscheidung eines anderen Strafsenats oder der vereinigten Straf­ senate abweichen, so ist über die streitige Rechtsfrage im ersteren Falle eine Ent­ scheidung der vereinigten Zivilsenate, im letzteren Falle eine solche der ver­ einigten Strafsenate einzuholen.

778

Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

Einer Entscheidung der Rechtsfrage durch das Plenum bedarf es, wenn ein Zivilsenat von der Entscheidung eines Strafsenats oder der vereinigten Strafsenate oder ein Strafsenat von der Entscheidung eines Zivilsenats oder der vereinigten Zivilsenate oder ein Senat von der früher eingeholten Entscheidung des Plenums abweichen will. Die Entscheidung der Rechtsfrage durch die vereinigten Senate oder das Plenum ist in der zu entscheidenden Sache bindend. Sie erfolgt in allen Fällen ohne vorgängige mündliche Verhandlung. Vor der Entscheidung der vereinigten Strafsenate oder der des Plenums sowie in Ehe- und Entmündigungssachen und in Rechtsstreitigkeiten, welche die Feststellung des Rechtsverhältnisses zwischen Eltern und Kindern oder die Anfechtung einer Todeserklärung zum Gegenstände haben, ist der Oberreichs­ anwalt mit seinen schriftlichen Anträgen zu hören. Soweit die Entscheidung der Sache eine vorgängige mündliche Verhand­ lung erfordert, erfolgt sie durch den erkennenden Senat auf Grund einer er­ neuten mündlichen Verhandlung, zu welcher die Prozeßbeteiligten von Amts wegen unter Mitteilung der ergangenen Entscheidung der Rechtsfrage zu laden sind. 8 137. Einer der Strafsenate, der durch den Geschäftsverteilungsplan bestimmt wird, erledigt alle richterlichen Geschäfte in den Strafsachen, die zur Zuständigkeit des Reichsgerichts in erster und letzter Instanz gehören, mit Ein­ schluß der Geschäfte, die im § 73 Abs. 1 der Strafkammer des Landgerichts zugewiesen sind. 8 138. Zur Fassung von Plenarentscheidungen und von Entscheidungen der vereinigten Zivil- oder Strafsenate ist die Teilnahme von mindestens zwei Dritteilen aller Mitglieder mit Einschluß des Vorsitzenden erforderlich. Die Zahl der Mitglieder, welche eine entscheidende Stimme führen, muß eine ungerade sein. Ist die Zahl der anwesenden Mitglieder eine gerade, so hat der Rat, welcher dem Dienstalter nach, und bei gleichem Dienstalter der, welcher der Geburt nach der jüngere ist, oder, wenn dieser Berichterstatter ist, der nächst­ ältere kein Stimmrecht. 8 139. Die Senate des Reichsgerichts entscheiden in der Besetzung von fünf Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden. Der Strafsenat, dem die erstinstanziellen Sachen zugewiesen sind, entscheidet außerhalb der Hauptverhand­ lung in einer Besetzung von drei Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden. 8 140. Der Geschäftsgang wird durch eine Geschäftsordnung geregelt, welche das Plenum auszuarbeiten und dem Reichsrat zur Bestätigung vor­ zulegen hat. Zehnter Titel. Staatsanwaltschaft.

8 141. Bei jedem Gerichte soll eine Staatsanwattschaft bestehen. 8 142. Das Amt der Staatsanwallschaft wird ausgeübt: 1. bei dem Reichsgerichte durch einen Oberreichsanwalt und durch einen oder mehrere Reichsanwälte; 2. bei den Oberlandesgerichten, den Landgerichten und den Schwurgerichten durch einen oder mehrere Staatsanwälte; 3. bei den Amtsgerichten und den Schöffengerichten durch einen oder mehrere Staatsanwälte oder Amtsanwälte. Die Zuständigkeit der Amtsanwälte erstreckt sich nicht auf das amts­ richterliche Verfahren zur Vorbereitung der öffentlichen Klage in den Straf­ sachen, welche zur Zuständigkeit anderer Gerichte als der Amtsgerichte gehören. 8 143. Die örtliche Zuständigkeit der Beamten der Staatsanwaltschaft wird durch die örtliche Zuständigkeit des Gerichts bestimmt, für welches sie bestellt sind. Ein unzuständiger Beamter der Staatsanwallschaft hat sich den inner­ halb seines Bezirkes vorzunehmenden Amtshandlungen zu unterziehen, bei denen Gefahr im Verzug obwaltet.

175. Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877. §§ 137—153,

779

Können die Beamten der Staatsanwaltschaft verschiedener Länder sich nicht darüber einigen, wer von ihnen die Verfolgung zu übernehmen hat, so ent­ scheidet der ihnen gemeinsam vorgesetzte Beamte der Staatsanwaltschaft und in Ermangelung eines solchen der Oberreichsanwalt. 8 144. Besteht die Staatsanwaltschaft eines Gerichts aus mehreren Be­ amten, so handeln die dem ersten Beamten beigeordneten Personen als dessen Vertreter; sie sind, wenn sie für ihn auftreten, zu allen Amtsverrichtungen des­ selben ohne den Nachweis eines besonderen Auftrages berechtigt. § 145. Die ersten Beamten der Staatsanwaltschaft bei den Oberlandes­ gerichten und den Landgerichten sind befugt, bei allen Gerichten ihres Bezirkes die Amtsverrichtungen der Staatsanwaltschaft selbst zu übernehmen oder mit ihrer Wahrnehmung einen anderen als den zunächst zuständigen Beamten zu beauftragen. Amtsanwälte können das Amt der Staatsanwaltschaft nur bei den Amtsgerichten und Schöffengerichten versehen. § 146. Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen An­ weisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen. In den Sachen, für welche das Reichsgericht in erster und letzter Instanz zuständig ist, haben alle Beamte der Staatsanwaltschaft den Anweisungen des Oberreichsanwalts Folge zu leisten. tz 147. Das Recht der Aufsicht und Leitung steht zu: 1. dem Reichsminister der Justiz hinsichtlich des Oberreichsanwalts und der Reichsanwälte; 2. der Landesjustizverwaltung hinsichtlich aller staatsanwaltschastlichen Be­ amten des betreffenden Landes; 3. den ersten Beamten der Staatsanwaltschaft bei den Oberlandesgerichten und den Landgerichten hinsichtlich aller Beamten der Staatsanwaltschaft ihres Bezirkes. 8 148. Der Oberreichsanwalt und die Reichsanwälte sind nichtrichter­ liche Beamte. Zu diesen Ämtern sowie zu dem Amte eines Staatsanwalts können nur zum Richteramte befähigte Beamte ernannt werden. 8 149. Der Oberreichsanwalt und die Reichsanwälte werden auf Vor­ schlag des Reichsrats vom Reichspräsidenten ernannt. Für die Versetzung in den Ruhestand und das zu gewährende Ruhegehalt finden die Vorschriften des § 128 entsprechende Anwendung. Der Oberreichsanwalt und die Reichsanwälte können durch Verfügung des Reichspräsidenten jederzeit mit Gewährung des gesetzlichen Wartegeldes einstweilig in den Ruhestand versetzt werden. 8 150. Die Staatsanwaltschaft ist in ihren Amtsverrichtungen von den Gerichten unabhängig. 8 151. Die Staatsanwälte dürfen richterliche Geschäfte nicht wahr­ nehmen. Auch darf ihnen eine Dienstaufsicht über die Richter nicht übertragen werden. 8 152. Die Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes sind Hilfs­ beamte der Staatsanwaltschaft und sind in dieser Eigenschaft verpflichtet, den Anordnungen der Staatsanwälte ihres Bezirkes und der diesen vorgesetzten Beamten Folge zu leisten. Die nähere Bezeichnung der Beamtenklassen, auf welche diese Bestimmung Anwendung findet, erfolgt durch die Landesregierungen.

Elfter Titel.

Gerichtsschreiver.

8 153. Bei jedem Gerichte wird eine Gerichtsschreiberei eingerichtet,. Die Geschäftseinrichtung bei dem Reichsgerichte wird durch den Reichsminister der Justiz, bei den Landesgerichten durch die Landesjustizverwaltung bestimmt.

780

Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

Zwölfter Titel.

Zustellungs- und Bollstreckungsbeamte.

8 154. Die Dienst- und Geschäftsverhältnisse der mit den Zustellungen, Ladungen und Vollstreckungen zu betrauenden Beamten (Gerichtsvollzieher) werden bei dem Reichsgerichte durch den Reichsminister der Justiz, bei den Landesgerichten durch die Landesjustizverwaltung bestimmt. 8 155. Der Gerichtsvollzieher ist von der Ausübung seines Amts kraft Gesetzes ausgeschlossen: I. in bürgerlichen Rechtsstreiligkeiten: 1. wenn er selbst Partei oder gesetzlicher Vertreter einer Partei ist, oder zu einer Partei in dem Verhältnis eines Mitberechtigten, Mitverpflich­ teten oder Schadensersatzpflichtigen steht; 2. wenn sein Ehegatte Partei ist, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht; 3. wenn eine Person Partei ist, mit welcher er in gerader Linie verwandt, verschwägert oder durch Annahme an Kindes Statt verbunden, in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwägert ist, auch wenn die Ehe, durch welche die Schwägerschaft be­ gründet ist, nicht mehr besteht; II. in Strafsachen: 1. wenn er selbst durch die strafbare Handlung verletzt ist; 2. wenn er der Ehegatte des Beschuldigten oder Verletzten ist oder ge­ wesen ist; 3. wenn er mit dem Beschuldigten oder Verletzten in dem vorstehend unter Nr. I 3 bezeichneten Verwandtschafts- oder Schwägerschaftsverhältnisse steht. Dreizehnter Titel. Rechtshilfe.

8

156. Die Gerichte haben sich in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und in Strafsachen Rechtshilfe zu leisten. 8 157. Das Ersuchen um Rechtshilfe ist an das Amtsgericht zu richten, in dessen Bezirk die Amtshandlung vorgenommen werden soll. 8 158. Das Ersuchen darf nicht abgelehnt werden. Das Ersuchen eines nicht im Jnstanzenzuge vorgesetzten Gerichts ist jedoch abzulehnen, wenn dem ersuchten Gerichte die örtliche Zuständigkeit mangelt oder die vorzunehmende Handlung nach dem Rechte des ersuchten Gerichts ver­ boten ist. 8 159. Wird das Ersuchen abgelehnt oder wird der Vorschrift des § 158 Abs. 2 zuwider dem Ersuchen stattgegeben, so entscheidet das Oberlandesgericht, zu dessen Bezirk das ersuchte Gericht gehört. Eine Anfechtung dieser Entschei­ dung findet nur statt, wenn sie die Rechtshilfe für unzulässig erklärt und das ersuchende und das ersuchte Gericht den Bezirken verschiedener Oberlandes­ gerichte angehören, über die Beschwerde entscheidet das Reichsgericht. Die Entscheidungen erfolgen auf Antrag der Beteiligten oder des er­ suchenden Gerichts ohne vorgängige mündliche Verhandlung. 8 160. Die Herbeiführung der zum Zwecke von Vollstreckungen, Ladungen und Zustellungen erforderlichen Handlungen erfolgt nach Vorschrift der Pro­ zeßordnungen ohne Rücksicht darauf, ob die Handlungen in dem Lande, welchem das Prozeßgericht angehört, oder in einem anderen deutschen Lande vorzu­ nehmen sirü). 8 161. Gerichte, Staatsanwaltschaften und Gerichtsschreiber können wegen Erteilung eines Auftrags an einen Gerichtsvollzieher die Mitwirkung des Ge­ richtsschreibers des Amtsgerichts in Anspruch nehmen, in dessen Bezirk der Auftrag ausgeführt werden soll. Der von dem Gerichtsschreiber beauftragte Gerichtsvollzieher gilt als unmittelbar beauftragt. 8 162. Eine Freiheitsstrafe, welche die Dauer von sechs Wochen nrcht übersteigt, ist in dem Lande zu vollsttecken, in welchem der Verurteilte sich befindet.

175. Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877. §§ 154—172.

781

8 163. Soll eine Freiheitsstrafe in dem Bezirk eines anderen Gerichts vollstreckt oder ein in dem Bezirk eines anderen Gerichts befindlicher Verur­ teilter zum Zwecke der Strafverbüßung ergriffen und abgeliefert werden, so ist die Staatsanwaltschaft bei dem Landgerichte des Bezirkes um die Ausführung zu ersuchen. 8 164. Im Falle der Rechtshilfe unter den Behörden verschiedener deutscher Länder sind die baren Auslagen, welche durch eine Ablieferung oder Strafvollstreckung entstehen, der ersuchten Behörde von der ersuchenden zu erstatten. ! Im übrigen werden Kosten der Rechtshilfe von der ersuchenden Behörde nicht erstattet. i Ist eine zahlungspflichtige Partei vorhanden, so sind die Kosten von ihr durch die ersuchende Behörde einzuziehen und der eingezogene Betrag der er­ suchten Behörde zu übersenden. Stempel-, Einregistrierungsgebühren oder andere öffentliche Abgaben, welchen die von der ersuchenden Behörde übersendeten Schriftstücke (Urkunden, Protokolle) nach dem Rechte der ersuchten Behörde unterliegen, bleiben außer Ansatz. 8 165. Für die Höhe der den geladenen Zeugen und Sachverständigen ge­ bührenden Beträge sind die Bestimmungen maßgebend, welche bei dem Ge­ richte gellen, vor welches die Ladung erfolgt. Sind die Beträge nach dem Rechte des Aufenthaltsorts der geladenen Per­ sonen höher, so können die höheren Beträge gefordert werden. Bei weiterer Entfernung des Aufenthaltsorts der geladenen Personen ist ihnen auf Antrag ein Vorschuß zu bewilligen. 8 166. Ein Gericht darf Amtshandlungen außerhalb seines Bezirkes ohne Zustimmung des Amtsgerichts des Ortes nur vornehmen, wenn Gefahr im Verzug obwaltet. In diesem Falle ist dem Amtsgerichte des Ortes Anzeige zu machen. 8 167. Die Sicherheitsbeamten eines deutschen Landes sind ermächtigt, die Verfolgung eines Flüchtigen auf das Gebiet eines anderen deutschen Landes fortzusetzen und den Flüchtigen daselbst zu ergreifen. Der Ergriffene ist unverzüglich an das nächste Gericht oder die nächste Polizeibehörde des Landes, in welchem er ergriffen wurde, abzuführen. 8 168. Die in einem deutschen Lande bestehenden Vorschriften über die Mitteilung von Akten einer öffentlichen Behörde an ein Gericht dieses Landes kommen auch dann zur Anwendung, wenn das ersuchende Gericht einem an­ deren deutschen Lande angehört. Vierzehnter Titel. Öffentlichkeit und Sitzungspolizei.

8 169. Die Verhandlung vor dem erkennenden Gerichte, einschließlich der Verkündung der Urtelle und Beschlüsse, ist öffentlich. 8 170. In Ehesachen ist die Öffentlichkeit auszuschließen, wenn eine der Parteien es beantragt. 8 171. In dem auf die Klage wegen 'Anfechtung oder Wiederaufhebung der Entmündigung einer Person wegen Geisteskrankheit oder wegen Geistes­ schwäche eingeleiteten Verfahren (§§ 664, 679 der Zivllprozeßordnung) ist die Öffentlichkeit während der' Vernehmung des Entmündigten auszuschließen, auch kann auf Antrag einer der Parteien die Öffentlichkeit der Verhandlung über­ haupt ausgeschlossen werden. Das Verfahren wegen Entmündigung oder Wiederaufhebung der Ent­ mündigung (§§ 645 bis 663, 675 bis 678 der Zivilprozeßordnung) ist nicht öffentlich. 8 172. In allen Sachen kann durch das Gericht für die Verhandlung oder für einen Teil davon die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, wenn sie eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung, insbesondere der Staatssicherhell, oder eme Gefährdung der Sittlichkeit besorgen läßt.

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Zweiter Teil. Strafprozeßgesetze.

8 173. Die Verkündung des Urteils erfolgt in jedem Falle öffentlich. Durch einen besonderen Beschluß des Gerichts kann für die Verkündung der Urteilsgründe oder eines Teiles davon die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, wenn sie eine Gefährdung der Staatssicherheit oder eine Gefährdung der Sittlichkeit besorgen läßt. 8 174. Die Verhandlung über die Ausschließung der Öffentlichkeit findet in nicht öffentlicher Sitzung statt, wenn ein Beteiligter es beantragt oder das Gericht es für angemessen erachtet. Der Beschluß, welcher die Öffentlichkeit ausschließt, muß öffentlich verkündet werden. Bei der Verkündung ist anzu­ geben, ob die Ausschließung wegen Gefährdung der öffentlichen Eignung, insbesondere wegen Gefährdung der Staatssicherheit, oder ob sie wegen (Ge­ fährdung der Sittlichkeit erfolgt. Ist die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatssicherheit ausge­ schlossen, so kann das Gericht den anwesenden Personen die Geheimhaltung von Tatsachen, welche durch die Verhandlung, durch die Anklageschrift oder durch andere amtliche Schriftstücks des Prozesses zu ihrer Kenntnis gelangen, zur Pflicht machen. Der Beschluß ist in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen. Gegen ihn findet Beschwerde statt. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. 8 175. Der Zutritt zu öffentlichen Verharzungen kann unerwachsenen und solchen Personen versagt werden, welche sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden, oder welche in einer der Würde des Gerichts nicht ent­ sprechenden Weise erscheinen. Zu nicht öffentlichen Verhandlungen kann der Zutritt einzelnen Personen vom Gerichte gestattet werden. Einer Anhörung der Beteiligten bedarf es nicht. Die Ausschließung der Öffentlichkeit steht der Anwesenheit der die Dienst­ aufsicht führenden Beamten der Justizverwaltung bei den Verhandlungen vor dem erkennenden Gerichte nicht entgegen. 8 176. Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung liegt dem Vor­ sitzenden ob. 8 177. Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige oder bei der Ver­ handlung nicht beteiligte Personen, welche den zur Aufrechterhaltung der Ord­ nung erlassenen Befehlen nicht gehorchen, können auf Beschluß des Gerichts aus dem Sitzungszimmer entfernt, auch zur Haft ab geführt und während einer in dem Beschlusse zu bestimmenden Zeit, welche vierundzwanzig Stunden nicht übersteigen darf, festgehalten werden.

8 178. Das Gericht kann gegen Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sach­ verständige oder bei der Verhandlung nicht beteiligte Personen, welche sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen, vorbehaltlich der strafgericht­ lichen Verfolgung, eine Ordnungsstrafe in Geld oder bis zu drei Tagen .haft festsetzen und sofort vollstrecken lassen.

8 179. Die Vollstreckung der vorstehend bezeichneten Ordnungsstrafen hat der Vorsitzende unmittelbar zu veranlassen.

8 180. Die in -en §§ 176 bis 179 bezeichneten Befugnisse stehen auch einem einzelnen Richter bei der Vornahme von Amtshandlungen außerhalb der Sitzung zu. 8 181. Ist in den Fällen der §§ 178 und 180 eine Ordnungsstrafe fest­ gesetzt, so findet binnen der Frist von einer Woche,nach der Bekanntmachung der Entscheidung Beschwerde statt, sofern die Entscheidung nicht von dem Reichsgericht oder einem Oberlandesgerichte getroffen ist. Die Beschwerde hat in dem Falle des § 178 keine ausschiebende Wirkung, in dem Falle des § 180 aufschiebende Wirkung. über die Beschwerde entscheidet das Oberlandesgericht. 8 182. Ist eine Ordnungsstrafe wegen Ungebühr festgesetzt, oder eine Person zur Haft abgeführt, oder eine bei der Verhandlung beteiligte Person entfernt worden, so ist der Beschluß des Gerichts und dessen Veranlassung in daS Protokoll aufzunehmen.

175. Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877.

§§ 173—194.

783

8 183. Wird eine strafbare Handlung in der Sitzung begangen, so hat das Gericht den Tatbestand festzustellen und der zuständigen Behörde das darüber aufgenommene Protokoll mitzuteilen. In geeigneten Fällen ist die vorläufige Festnahme des Täters zu verfügen.

Fünfzehnter Titel. Gerichtssprache. 8 184. Die Gerichtssprache ist deutsch. 8 185. Wird unter Beteiligung von Personen verhandelt, welche der deutschen Sprache nicht mächtig sind, so ist ein Dolmetscher zuzuziehen. Die Führung eines Nebenprotokolls in der fremden Sprache findet nicht statt; jedoch sollen Aussagen und Erklärungen in fremder Sprache, wenn und soweit der Richter dies mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Sache für erforderlich er­ achtet, auch in der fremden Sprache in das Protokoll oder in eine Anlage niedergeschrieben werden. In den dazu geeigneten Fällen soll dem Protokoll eine durch den Dolmetscher zu beglaubigende Übersetzung beigefügt werden. Die Zuziehung eines Dolmetschers kann unterbleiben, wenn die beteiligten Personen sämtlich der fremden Sprache mächtig sind. 8 186. Zur Verhandlung mit tauben oder stummen Personen ist, sofern nicht eine schriftliche Verständigung erfolgt, eine Person als Dolmetscher zuzuziehen, mit deren Hilfe die Verständigung in anderer Weise erfolgen kann. 8 187. Ob einer Partei, welche taub ist, bei der mündlichen Verhand­ lung der Vortrag zu gestatten sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Dasselbe gilt in Anwaltsprozessen von einer Partei, die der deutschen Sprache nicht mächtig ist. 8 188. Personen, welche der deutschen Sprache nicht mächtig sind, leisten Eide in der ihnen geläufigen Sprache. 8 189. Der Dolmetscher hat einen Eid dahin zu leisten: daß er treu und gewissenhaft übertragen werde. Ist der Dolmetscher für Übertragungen der betreffenden Art im allge­ meinen beeidigt, so genügt die Berufung auf den geleisteten Eid. 8 190. Der Dienst des Dolmetschers kann von dem Gerichtsschreiber wahrgenommen werden. Einer besonderen Beeidigung bedarf es nicht. 8 191. Auf den Dolmetscher finden die Bestimmungen über Aus­ schließung und Ablehnung der Sachverständigen entsprechende Anwendung. Die Entscheidung erfolgt durch das Gericht oder den Richter, von welchem der Dolmetscher zugezogen ist. Sechzehnter Titel. Beratung und Abstimmung. 8 192. Bei Entscheidungen dürfen Richter nur in der gesetzlich bestimm­ ten Anzahl mitwirken. Bei Verhandlungen von längerer Dauer kann der Vorsitzende die Zu­ ziehung von Ergänzungsrichtern anordnen, welche der Verhandlung beizuwohnen und im Falle der Verhinderung eines Richters für ihn einzutreten haben. Die vorstehenden Bestimmungen finden auch auf Schöffen und Geschworene Anwendung. 8 193. Bei der Beratung und Abstimmung dürfen außer den zur Ent­ scheidung berufenen Richtern nur die bei demselben Gerichte zu ihrer juristischen Ausbildung beschäftigten Personen zugegen sein, soweit der Vorsitzende deren Anwesenheit gestattet. 8 194. Der Vorsitzende leitet die Beratung, stellt die Fragen und sammelt die Stimmen. Meinungsverschiedenheiten über den Gegenstand, die Fassung und die Reihenfolge der Fragen oder über das Ergebnis der Abstimmung entscheidet das Gericht.

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

8 195. Kein Richter, Schöffe oder Geschworener darf die Abstimmung über eine Frage verweigern, weil er bei der Abstimmung über eine vorher­ gegangene Frage in der Minderheit geblieben ist. 8 196. Die Entscheidungen erfolgen, soweit das Gesetz nicht ein anderes bestimmt, nach der absoluten Mehrheit der Stimmen. Bilden sich in Beziehung auf Summen, über welche zu entscheiden ist, mehr als zwei Meinungen, deren keine die Mehrheit für sich hat, so werden die für die größte Summe abgegebenen Stimmen den für die zunächst geringere abgegebenen so lange hinzugerechnet, bis sich eine Mehrheit ergibt. Bilden sich in einer Strafsache, von der Schuldfrage abgesehen, mehr als zwei Meinungen, deren keine die erforderliche Mehrheit für sich hat, so werden die dem Beschuldigten nachteiligsten Stimmen den.zunächst minder nachteiligen so lange hinzugerechnet, bis sich die erforderliche Mehrheit ergibt. BiLen sich in der Straffrage zwei Meinungen, ohne daß eine die erforderliche Mehrheit für sich hat, so gilt die mildere Meinung. Ergibt sich in dem mit zwei Rich­ tern und zwei Schöffen besetzten Schöffengerichte, von der Schuld- und Straf­ frage abgesehen, Stimmengleichheit, so gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. 8 197. Die Richter stimmen nach dem Dienstalter, bei gleichem Dienst­ alter nach dem Lebensalter, Handelsrichter Schöffen und Geschworene nach dem Lebensalter; der jüngere vor dem älteren. Die Schöffen und Geschworen nett stimmen vor den Richtern Wenn ein Berichterstatter ernannt ist, so stimmt er zuerst. Zuletzt stimmt der Vorsitzende 8 198. Schöffen und Geschworene sind verpflichtet, über den Hergang bei der Beratung und Abstimmung Stillschweigen zu beobachten

Siebzehnter Titel. Gerichtsferieu. Gerichtsferien beginnen am 15

8 199. Die Juli und endigen am 15. September 8 200. Während der Ferien werden nur in Feriensachen Termine ab­ gehalten und Entscheidungen erlassen. Feriensachen sind: 1. Strafsachen; 2. Arrestsachen und die eine einstweilige Verfügung betreffenden Sachen; 3. Meß- und Marktsachen; 4. Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räu­ mung sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Unter­ mieter in die Mietsräume eingebrachten Sachen; 5. Streitigkeiten zwischen Dienstherrschaft und Gesinde, zwischen Arbeit­ gebern und Arbeitern hinsichtlich des Dienst- oder Arbeitsverhältnrfses sowie die int § 4 Nr. 1 bis 4 des Gewerbegerichtsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. September 1901 (Reichsgesetzbl S. 353) und des Gesetzes vom 14. Januar 1922 (Reichsgesetzbl I S. 155) und im § 5 Nr. 1 bis 4 des Gesetzes, betreffend Kaufmannsgerichte vom 6. Juli 1904 (Reichsgesetzbl. S. 266) in der Fassung des Gesetzes vom 14. Ja­ nuar 1922 (Reichsgesetzbl. I S. 155) bezeichneten Streitigkeiten; 6. Ansprüche aus dem außerehelichen Beischlaf; 7. Wechselsachen; 8. Regreßansprüche aus einem Scheck; 9 Bausachen, wenn über Fortsetzung eines angefangenen Baues gestritten wird. Jtl dem Verfahren vor den Amtsgerichten hat das Gericht auf Antrag auch andere Sachen als Feriensachen zu bezeichnen. Werden in einer Sache, die durch Beschluß des Gerichts als Feriensache bezeichnet ist, in einem Termine zur mündlichen Verhandlung einander widersprechende Anträge gestellt, so

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176. Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz. §§ 1—6.

ist der Beschluß aufzuheben, sofern die Sache nicht besonderer Beschleunigung bedarf. In dem Verfahren vor den Landgerichten sowie in dem Verfahren in den höherer Instanzen soll das Gericht auf Antrag auch solche Sachen, welche nicht unter die Vorschrift des Abs 1 fallen, soweit sie besonderer Beschleuni­ gung bedürfen, als Feriensachen bezeichnen. Die Bezeichnung kann vorbehalt­ lich der Entscheidung des Gerichts durch den Vorsitzenden erfolgen, g 201. Zur Erledigung der Feriensachen können bei den Landgerichten Ferienkammern, bei den Oberlandesgerichten und dem Reichsgerichte Ferien­ senate gebildet werden g 202. Auf das Kostenfestsetzungsverfahren, das Mahnverfahren, das Zwangsvollstreckungsverfahren und das Konkursverfahren sind die Ferien ohne Einfluß.

176. 2. Einführungsgesetz zum Gerichtsverfaffungsgesetz. Vom 27

Januar 1877

(RGBl 1877 S. 77).

§ L Das Gerichtsverfassungsgesetz tritt im ganzen Umfange des Reichs an einem durch Kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats fest­ zusetzenden Tage, spätestens am 1 Oktober 1879 gleichzeitig mit der int § 2 des Einführungsgesetzes der Zivilprozeßordnung vorgesehenen Gebührenord­ nung in Kraft g 2. Die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes finden nur auf dte ordentliche streitige Gerichtsbarkeit und deren Ausübung Anwendung, g 3. Die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Straf­ sachen, für welche besondere Gertchte zugelassen sind, kann den ordentlichen Landesgerichten durch die Lanoesgesetzgebung übertragen werden Die Über­ tragung darf nach anderen als den durch das Gerichtsverfassungsgesetz vorge­ schriebenen Zuständigkeitsnormen erfolgen Auch kann die Gerichtsbarkeit letzter Instanz in den vorerwähnten Sachen auf Antrag des betreffenden Bundesstaates mit Zustimmung des Bundesrats durch Kaiserliche Verordnung dem Reichsgerichte übertragen werden Insoweit für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten ein von den Vorschriften der Zivilprozeßordnung abweichendes Verfahren gestattet ist, kann die Zuständig­ keit der ordentlichen Landesgerichte durch die Landesgesetzgebung nach anderen als den durch das Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Normen bestimmt werden g 4. Durch die Vorschriften des Gerichtsverfassunggesetzes über die Zu­ ständigkeit der Behörden wird die Landesgesetzgebung nicht gehindert, den betreffenden Landesbehörden jede andere Art der Gerichtsbarkeit, sowie Ge­ schäfte der Justizverwaltung zu übertragen Andere Gegenstände der Verwal­ tung dürfen den ordentlichen Gerichten nicht übertragen werden g 5.1) In Ansehung der Landesherren und der Mitglieder der landes­ herrlichen Familien, sowie der Mitglieder der Fürstlichen Familie Hohenzollern finden die Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes nur insoweit Anwendung, als nicht besondere Vorschriften der Hausverfassungen oder der Landesgesetze abweichende Bestimmungen enthalten. Das gleiche gilt in An­ sehung der Mitglieder des vormaligen Hannoverschen Königshauses, des vor­ maligen Kurhessischen und des vormaligen Herzoglich Nassauischen Fürsten­ hauses. g 6. Unberührt bleiben die bestehenden landesgesetzlichen Vorschriften über die Zuständigkeit der Schwurgerichte für die durch die Presse begangenen strafbaren Handlungen x) In der Fassung des Gesetzes vom 17. Mai 1898 «llfelb, Strafgesetzgebung. 3. Aufl.

50

786

Zweiter Teil. Strafprozeßgesetze.

8 7. Die Militärgerichtsbarkeit, sowie das landesgesetzlich den Standes­ herren gewährte Recht auf Austräge werden durch das Gerichtsverfassungs­ gesetz nicht berührt. 8 8.1) Durch die Gesetzgebung eines Bundesstaates, in welchem mehrere Oberlandesgerichte errichtet werden, kann die Verhandlung und Entscheidung der zur Zuständigkeit des Reichsgerichts gehörenden Revisionen in bürger­ lichen Rechtsstreitigkeiten einem obersten Landesgerichte zugewiesen werden. Diese Vorschrift findet jedoch auf bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, welche zur Zuständigkeit des Reichs-Oberhandelsgerichts gehören oder durch besondere Reichsgesetze dem Reichsgerichte zugewiesen werden, keine Anwendung es sei denn, daß für die Entscheidung im wesentlichen Rechtsnormen in Betracht kommen, die in Landesgesetzen enthalten sind. 8 9* Durch die Gesetzgebung eines Bundesstaates, in welchem mehrere Obeilandesgerichte errichtet werden, kann die Verhandlung und Entscheidung der zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte gehörenden Revisionen und Be­ schwerden in Strafsachen ausschließlich einem der mehreren Oberlandesgerichte oder an Stelle eines solchen Oberlandesgerichts dem obersten Landesgerichte zugewiesen werden. 8 10. Die allgemeinen, sowie die in den §§ 126, 132, 133, 134, 183 Abs. I2; enthaltenen besonderen Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes finden auf die obersten Landesgerichte als Behörden der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit entsprechende Anwendung. Das gleiche gilt, sofern ein Zivil­ senat des obersten Landesgerichts von der Entscheidung eines anderen Zivil­ senats oder der vereinigten Zivilsenate abweichen will, in Ansehung der Vor­ schriften der §§ 137, 1393) des Gerichtsverfassungsgesetzes. Die Besetzung der Senate bestimmt sich in Strafsachen nach § 124,4) in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach §. 1405) des Gerichtsverfassungsgesetzes. Auf die Besetzung der Zivilsenate des obersten Landesgerichts findet in Grundbuchsachen, sowie in den nach § 199 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit dem obersten Landesgerichte zugewiesenen An­ gelegenheiten der § 1243) des Gerichtsverfassungsgesetzes Anwendung. 8 11. Die landesgesetzlichen Bestimmungen, durch welche die strafrecht­ liche oder zivilrechtliche Verfolgung öffentlicher Beamten wegen der in Aus­ übung oder in Veranlassung der Ausübung, ihres Amts vorgenommenen Hand­ lungen an besondere Voraussetzungen gebunden ist, treten außer Kraft. Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, durch welche die Verfolgung der Beamten entweder im Falle des Verlangens einer vorgesetzten Behörde oder unbedingt an die Vorentscheidung einer besonderen Behörde ge­ bunden ist, mit der Maßgabe: 1. daß die Vorentscheidung auf die Feststellung beschränkt ist, ob der Be­ amte sich einer Überschreitung seiner Amtsbefugnisse oder der Unter­ lassung einer ihm obliegenden Amtshandlung schuldig gemacht habe; 2. daß in den Bundesstaaten, in welchen ein oberster Berwaltungsgerichtshof besteht, die Vorentscheidung diesem, in den anderen Bundesstaaten /dem Reichsgerichte zusteht. 8 12. (Aufgehoben durch- § 1 des Ges. vom 12. Juni 1889.) 8 13. Die Bestimmungen über das Richteramt im § 8 beä tÄerichtsversassungsgesetzes treten in denjenigen Staaten, in welchen Vorschriften für die richterliche Entscheidung über die Enthebung eines Richters vom Amte oder über die Versetzung eines Richters an eine andere Stelle oder in Ruhe­ stand nicht bestehen, nur gleichzeitig mit der landesgesetzlichen Regelung der Disziplinarverhältnisse der Richter in Wirksamkeit. x) 2) 3) 4) 5) 6)

In der Fassung der Gesetze vom 22. Mai 1910 und 20. Februar 1911. Nunmehr §§ 124, 130 131, 132, 181 Abs. 1. Nunmehr §§ 136, 138. Nunmehr § 122. Nunmehr § 139. Nunmehr § 122.

176. Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz. §§ 7—22.

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§ 14. Die am Tage des Inkrafttretens des Gerichtsverfassungsgesetzes bei dem Aieichs-Oberhandelsgerichte anhängigen Sachen gehen in der pro­ zessualischen Lage, in welcher sie sich befinden auf das Reichsgericht über, g 15» Durch Kaiserliche Verordnung kann au< Antrag eines Bundes­ staates und mit Zustimmung des Bundesrats die Verhandlung und Entschei­ dung derjenigen Sachen, welche nach den bisherigen Prozeßgesetzen von dem obersten Landesgerichte zu erledigen gewesen wären, dem Reichsgerichte zuge­ wiesen werden. § 16. Behufs Erledigung der nach Vorschrift des vorstehenden Para­ graphen dcm Reichsgerichte zugewiesenen Sachen können mit Zustimmung des Bundesrats durch Kaiserliche Verordnung bei dem Reichsgerichte Hilfs­ senate eingerichtet werden. Der Reichskanzler bestimmt die Zusammensetzung der Hilfssenate und die Verteilung der Geschäfte derselben. Mit der Wahrnehmung der richterlichen Geschäfte in den Hilfssenaten können nur Mitglieder des Reichsgerichts und Mitglieder der früheren obersten Gerichte oder der Oberlandesgerichte beauftragt werden. Die Anordnung ist für ein nicht zum Reichsgerichte gehörendes Mitglied bis zu dem Zeitpunkte unwiderruflich, in welchem die Wahrnehmung seiner Tätigkeit in dem Hilsssenate nicht mehr erforderlich ist. g 17. Auf Antrag eines Bundesstaates und mit Zustimmung des Bundes­ rats kann durch Kaiserliche Verordnung die Verhandlung und Entscheidung der im § 17 des Gerichtsverfassungsgesetzes bezeichneten Streitigkeiten dem Reichsgerichte zugewiesen werden. Für diejenigen Bundesstaaten, in denen die im § 17 des Gerichtsver­ fassungsgesetzes bezeichneten Behörden bestehen und nach Maßgabe der Vor­ schriften im § 17 Nr. 1—4 einer Veränderung ihrer Einrichtung und des Ver­ fahrens bedürfen, kann die Veränderung, sofern sie nicht bis zum Inkraft­ treten dieses Gesetzes landesgesetzlich getroffen ist, durch landesherrliche Verord­ nung eingesührt werden. g 18. Die am Tage des Inkrafttretens des Gerichtsverfassungsgesetzes bei den Landesgerichten anhängigen Sachen können den ordentlichen Landes­ gerichten ohne Rücksicht auf die im Gerichtsverfassungsgesetze bestimmten Grenzen der Zuständigkeit durch die Landesgesetzgebung zugewiesen werden. g 19. Die Mitglieder des Reichs-Oberhandelsgerichts werden durch Kaiserliche Verfügung mit Beibehaltung ihrer Besoldung entweder bei dem Reichsgerichte angestellt oder in den Ruhestand versetzt. g 20. Bei der ersten Einrichtung der Landgerichte, der Oberlandes­ gerichte und der bei einem Amtsgerichte gebildeten Strafkammern und wäh­ rend der Dauer des ersten Geschäftsjahres erfolgen die Geschrftsverteilung und die Bestimmung der Mitglieoer der Kammern und Senate sowie der regel­ mäßigen Vertreter der Mitglieder durch die Landesjustizverwaltung. Bei der ersten Einrichtung des Reichsgerichts und während der Dauer des ersten Geschäftsjahres erfolgen die Geschäftsverteilung und die Bestimmung der Mitglieder der Senate sowie der regelmäßigen Vertreter derselben durch den Reichskanzler. g 21. Innerhalb zwei Jahren nach dem Inkrafttreten des Gerichtsver­ fassungsgesetzes kann die Landesjustizverwaltung bei notwendiger Einziehung von Richterstellen die unfreiwillige Versetzung eines Richters an ein anderes Gericht von gleicher Ordnung unter Belassung des vollen Gehalts und Erstat­ tung der Umzugskosten verfügen. g 22. Die Bestimmungen des § 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Fähigkeit zum Richteramte finden auf diejenigen, welche vor dem Inkraft­ treten des Gesetzes die erste Prüfung in einem Bundesstaate zurückgelogt haben, nur insoweit Anwendung als nicht in dem Bundesstaate, abweichende Vorschriften bestehen. Der für den Vorbereitungsdienst vorgeschriebene Zeitraum kann für die ersten vier Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes in den einzelnen Bun­ desstaaten bis auf zwei Jahre abgekürzt werden.

788

177.

Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

3. Strafprozeßordnung. Vom 1. Februar 1877.

In der Fassung der Bekanntmachung vom 22. März 1924.1) (RGBl. I S. 322.) Erstes Buch.

Allgemeine Bestimmungen. Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte. 8 1. Die sachliche Zuständigkeit der Gerichte wird durch das Gesetz die Gerichtsverfassung bestimmt § 2. Zusammenhängende Strafsachen, welche einzeln zur Zuständigkeit von Gerichten verschiedener Ordnung gehören würden, können verbunden bei dem Gericht anhängig gemacht werden, welchem die höhere Zuständigkeit bei­ wohnt Aus Gründen der Zweckmäßigkeit sann durch Beschluß dieses Gerichts die Trennung der verbundenen Strafsachen angeordnet werden 8 3. Ein Zusammenhang ist vorhanden, wenn eine Person mehrerer strafbarer Handlungen beschuldigt wird, oder wenn bei einer strafbaren Hand­ lung mehrere Personen als Täter, Teilnehmer Begünstiger oder Hehler be­ schuldigt werden 8 4. Eine Verbindung zusammenhängender oder eine Trennung verbun­ dener Strafsachen kann auch nach Eröffnung der Untersuchung auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeschuldigten oder von Amts wegen durch ge­ richtlichen Beschluß angeordnet werden Zuständig für den Beschluß ist das Gericht, zu dessen Bezirk die übri­ gen Gerichte gehören. In Ermangelung eines hiernach zuständigen Gerichts erfolgt die Beschlußfassung durch das gemeinschaftliche obere Gericht 8 5. Für die Dauer der Verbindung ist der Straffall, welcher zur Zu­ ständigkeit des Gerichts höherer Ordnung gehört, für das Verfahren maß­ gebend. 8 6. Das Gericht hat seine sachliche Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen

über

Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand. 8 7. Der Gerichtsstand ist bei dem Gerichte begründet, in dessen Be­ zirk die strafbare Handlung begangen ist Wird der Tatbestand der strafbaren Handlung durch den Inhalt einer im Inland erschienenen Druckschrift begründet, so ist als das nach Abs. 1 zuständige Gericht nur das Gericht anzusehen, in dessen Bezirk die Druckschrift erschienen ist Jedoch ist in den Fällen der Beleidigung, sofern die Verfolgung im Wege der Privatklage stattfindet, auch das Gericht in dessen Bezirk die Druckschrift verbreitet worden ist, zuständig, wenn in diesem Bezirk die beleidigte Person ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat 8 8. Der Gerichtsstand ist auch bei dem Gerichte begründet, m dessen Bezirk der Angeschuldigte zur Zeit der Erhebung der Klage seinen Wohnsitz hat. Hat der Angefchuldigte einen Wohnsitz im Deutschen Reich nicht, so wird der Gerichtsstand auch durch den gewöhnlichen Aufenthaltsort und, wenn ein solcher nicht bekannt ist, durch den letzten Wohnsitz bestimmt

i) S bezüglich dieser Bekanntmachung die Note zum Gerichtsverfassungs­ gesetz, o. S 760 Auch die Strafprozeßordnung ist nun wesentlich umgestaltet. Auch sie war schon durch frühere Gesetze vielfach geändert

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877.

§§ 1—18.

789

§ 9. Wenn die strafbare Handlung im Auslande begangen und ein Ge­ richtsstand in Gemäßheit des § 8 nicht begründet ist, so ist das Gericht zustän­ dig, in dessen Bezirk die Ergreifung erfolgt. Hat eine Ergreifung nicht statt­ gefunden, so wird das zuständige Gericht vom Reichsgericht bestimmt. Gleiches gilt, wenn eine strafbare Handlung im Julande begangen ist jedoch weder der Gerichtsstand der begangenen Tat noch der Gerichtsstand des Wohnsitzes ermittelt ist. g 10. Ist die strafbare Handlung auf einem deutschen Schiffe im Aus­ land oder in offener See begangen, so ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Heimatshafen oder der deutsche Hafen liegt, welchen das Schiff nach der Tat zuerst erreicht. § 11. Deutsche, welche das Recht der Exterritorialität genießen sowie die im Ausland angestellten Beamten des Reichs oder eines deutschen Landes behalten in Ansehung des Gerichtsstandes den Wohnsitz, welchen sie in dem Heimatstaare hatten. In Ermangelung eines solchen Wohnsitzes gilt die Hauptstadt des Heimatstaats als ihr Wohnsitz; ist die Hauptstadt in mehrere Gerichtsbezirke geteilt, so wird der als Wohnsitz geltende Bezirk von der Lan­ desjustizverwaltung durch allgemeine Anordung bestimmt. Gehört ein Deut­ scher keinem deutschen Lande an, so gilt als fein Wohnsitz die Stadt Berlin; ist die Stadt Berlin in mehrere Gerichtsbezirke geteilt, so wird der als Wohn­ sitz geltende Bezirk von dem Reichsminister der Justiz durch allgemeine An­ ordnung bestimmt. Auf Wahlkonsuln finden diese Bestimmungen keine Anwendung. § 12. Unter mehreren nach den Vorschriften der §§ 7 bis 11 zuständigen Gerichten gebührt dem der Vorzug, welches die Untersuchung zuerst eröffnet hat. Jedoch kann die Untersuchung und Entscheidung einem anderen der zu­ ständigen Gerichte durch das gemeinschaftliche obere Gericht übertragen werden, g 13. Für zusammenhängende Strafsachen, welche einzeln nach den Vorschriften der §§ 7 bis 11 zur Zuständigkeit verschiedener Gerichte ge­ hören würden, ist ein Gerichtsstand bei jedem Gerichte begründet welches für eine der Strafsachen zuständig ist. Sind mehrere zusammenhängende Strafsachen bei verschiedeneil Ge­ richten anhängig gemacht worden, so können sie sämtlich oder zum Teil durch sine den Anträgen der Staatsanwaltschaft entsprechende Vereinbarung dieser Gerichte bei einem unter ihnen verbunden werden. Kommt eine solche Ver­ einbarung nicht zustande, so entscheidet, wenn die Staatsanwaltschaft oder ein Angeschuldigter hierauf anträgt, das gemeinschaftliche obere Gericht dar­ über, ob und bei welchem Gerichte die Verbindung einzutreten habe. Zn gleicher Weise kann die Verbindung wiederaufgehoben werden. 8 14. Besteht zwischen mehreren Gerichten Streit über die Zuständigkeit so bestimmt das gemeinschaftliche obere Gericht das Gericht, welches sich der Untersuchung und Entscheidung zu unterziehen hat. 8 15. Ist das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Falle an der Ausübung des Richteramts rechtlich oder tatsächlich verhindert, oder ist von der Verhandlung vor diesem Gericht eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu besorgen, so hat das zunächst obere Gericht die Untersuchung und Entscheidung dem gleichstehenden Gericht eines anderen Bezirkes zu über­ tragen. 8 16. Der Angeschuldigte muß den Einwand der Unzuständigkeit bis zum Schlüsse der Voruntersuchung, falls aber eine solche nicht stattgefunden hat, in der Hauptverhandlung bis zur Verlesung des Beschlusses über die Eröff­ nung des Hauptverfahrens geltend machen. 8 17. Durch eine Entscheidung, welche die Zuständigkeit für die Vorunter­ suchung seststellt, wird die Zuständigkeit auch für das Hauptverfahren festgestellt. 8 18. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens darf das Gericht seine Un­ zuständigkeit nur auf Nnwand des Angeklagten aussprechen.

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Zweiter Teil. Strafprozeßgesetze.

8 19. Haben mehrere Gerichte, von tonen eins das zuständige ist, durch Entscheidungen, welche nicht mehr anfechtbar sind ihre Unzuständigkert aus­ gesprochen, so bezeichnet das gemeinschaftliche obere Gericht das zuständige Gericht. 8 29. Die einzelnen Untersuchungshandlungen eines unzuständigen Ge­ richts sind nicht schon dieser Unzuständigkeit wegen ungültig. 8 21. Ein unzuständiges Gericht hat sich den innerhalb seines Bezirkes vorzunehmenton Untersuchungshandlungen zu unterziehen, bei denen Gefahr im Verzug obwaltet. Dritter Abschnitt.

Ausschließung und Ablehnung der GerichtSpersoneu. 8 22. Ein Richter ist von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen: 1. wenn er selbst durch die strafbare Handlung verletzt ist; 2. wenn er Ehegatte oder Vormund der beschuldigten oder der verletzten Person ist oder gewesen ist; 3. wenn er mit dem Beschuldigten oder mit dem Verletzten in gerader Linie verwandt, verschwägert oder durch Annahme an Kindes Statt verbunden in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwägert ist, auch wenn die Ehe, durch welche die Schwäger­ schaft begründet ist, nicht mehr besteht; 4. wenn er in der Sache als Beamter der Staatsanwaltschaft, als Polizei­ beamter, als Anwalt des Verletzten oder als Verteidiger tätig gewesen ist; 5. wenn er in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger vernommen ist. 8 23. Ein Richter, welcher bei einer durch ein Rechtsmittel angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, ist von der Mitwirkung bei der Entscheidung in höherer Instanz kraft Gesetzes ausgeschlossen. Der Untersuchungsrichter darf in den Sachen, in welchen er die Vor­ untersuchung geführt hat, nicht Mitglied des erkennenden Gerichts sein, auch nicht bei einer außerhalb der Hauptverhandlung erfolgenden Entscheidung der Strafkammer mitwirken. § 24. Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Aus­ übung tos Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Be­ sorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, welcher geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu. Den zur Ablehnung Berechtigten sind auf Ver­ langen die zur Mitwirkung bei der Entscheidung berufenen Gerichtspersonen namhaft zu machen. 8 25. Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ist in der Hauptverhandlung erster Instanz nur bis zur Verlesung des Be­ schlusses über die Eröffnung des Hauptverfahrens, in der Hauptverhandlung über die Beruftmg und die Revision nur bis zum Beginne der Berichterstattung zulässig. 8 26. Das Ablehnungsgesuch ist bei dem Gerichte, welchem der Mchter angehört, anzubringen; es kann vor dem Gerichtsschreiber zu Protokoll erklärt werden. Der Ablehnungsgründ ist glaubhaft zu machen; der Eid ist als Mittel der Glaubhaftmachung ausgeschlossen. Zur Glaubhaftmachung kann auf das Zeugnis tos abgelehnten Richters Bezug genommen werden. Der abgelehnte Mchter hat sich über ton Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern. 8 27. über tos Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht, welchem der 7lb gelehnte angehört.

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 19—36.

791

Wird ein richterliches Mitglied der erkennenden Strafkammer abgelehnt, so entscheidet die Strafkammer in der für Entscheidungen außerhalb der Haupt­ verhandlung vorgeschriebenen Besetzung. Wird ein richterliches Mitglied des Schwurgerichts abgelehnt, so entscheiden während der Tagung die richterlichen Mitglieder des Schwurgerichts; außerhalb der Tagung entscheidet die Straf­ kammer Mrd ein Untersuchungsrichter oder ein Amtsrichter abgelehnt, so ent­ scheidet das Landgericht. Einer Entscheidung bedarf es nicht, wenn der Ab­ gelehnte das Ablehnungsgesuch für begründet hält. Mrd das zur Entscheidung berufene Gericht durch Ausscheiden des ab­ gelehnten Mitglieds beschlußunfähig, so entscheidet das zunächst obere Gericht § 28. Gegen den Beschluß, durch welchen das Ablehnungsgesuch für be­ gründet erklärt wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluß, durch welchen das Gesuch für unbegründet erklärt wird, findet sofortige Beschwerde statt. Der Beschluß, durch welchen ein gegen einen erkennenden Richter ange­ brachtes Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt wird, kann nicht für sich allein, sondern nur mit dem Urteil angefochten werden. 8 29. Ein abgelehnter Richter hat vor Erledigung des Ablehnungs--gesuchs nur solche Handlungen vorzunehmen, welche keinen Aufschub gestatten 8 30. Das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuchs zuständige Ge­ richt hat auch dann zu entscheiden, wenn ein solches Gesuch nicht angebracht ist, eilt Richter aber von einem Verhältnis Anzeige macht, welches seine Ab­ lehnung rechtfertigen könnte, oder wenn aus anderer Veranlassung Zweifel darüber entstehen, ob ein Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen sei. 8 31. Die Bestimmungen dieses Abschnitts finden auf Schöffen und Ge­ richtsschreiber entsprechende Anwendung. Über die Ausschließung oder Ablehnung eines Schöffen entscheidet der Vorsitzende; in der großen Strafkammer entscheiden die richterlichen Mit­ glieder. Über die Ausschließung oder Ablehnung eines Gerichtsschreibers entschei­ det das Gericht oder der Richter, welchem er beigegeben ist. 8 32. Die Bestimmungen über die Ausschließung und Ablehnung der Schöffen finden auf Geschworene entsprechende Anwendung. Die Entscheidun­ gen treffen die richterlichen Mitglieder des Schwurgerichts

Vierter Abschnitt.

Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung.

8 33. Die Entscheidungen des Gerichts werden, wenn sie im Laufe einer Hauptverhandlung ergehen, nach Anhörung der Beteiligten, wenn sie außer­ halb einer Hauptverhandlung ergehen, nach schriftlicher oder mündlicher Er­ klärung der Staatsanwaltschaft erlassen 8 34. Die durch ein Rechtsmittel anfechtbaren Entscheidungen sowie die, durch welche ein Antrag abgelehnt wird, sind mit Gründen zu versehen 8 35. Entscheidungen, welche in Anwesenheit der davon betroffenen Per­ sonen ergehen, werden ihr durch Verkündung bekanntgemacht. Auf Verlangen ist ihr eine Abschrift zu erteilen Andere Entscheidungen werden durch Zustellung bekanntgemacht Dem nicht auf freiem Fuße Befindlichen ist das zugestellte Schriftstück auf Verlangen vorzulesen. 8 36. Entscheidungen, die einer Zustellung oder Vollstreckung bedürfen, sind der Staatsanwaltschaft zu übergeben, welche das Erforderliche zu verankassen hat Auf Entscheidungen, die lediglich den inneren Dienst der Gerichte oder die Ordnung in den Sitzungen betreffen, findet diese Bestimmung keine Anwendung. Der Untersuchungsrichter und der Amtsrichter können Zustellungen aller Art sowie die Vollstreckung von Beschlüssen und Verfügungen unmittelbar ver­ anlassen.

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

8 37. Auf das Verfahren bei Zustellungen finden die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über Zustellungen entsprechende Anwendung. 8 38. Die bei dem Strafverfahren beteiligten Personen, denen die Befugnis beigelegt ist, Zeugen und Sachverständige unmittelbar zu laden, haben mit der Zustellung der Ladung oen Gerichtsvollzieher zu beauftragen. 8 39. Für das die öffentliche Klage vorbereitende Verfahren, für die Voruntersuchung und für das Verfahren bei der Strafvollstreckung können durch Anordnung der Landesjustizverwaltung einfachere Formen für den Nachweis der Zustellung zugelassen werden 8 40. Kann eine Zustellung an einen Beschuldigten, welchem eine La­ dung zur Hauptverhandlung noch nicht zugestellt war, nicht in der voraeschriebenen Weise im Deutschen Reiche bewirkt werden, und erscheint die Be­ folgung der für Zustellungen im Ausland bestehenden Vorschriften unaus­ führbar oder voraussichtlich erfolglos, so gilt die Zustellung als erfolgt, wenn der Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks durch ein deutsches oder aus­ ländisches Blatt bekanntgemacht worden ist und seit dem Erscheinen dieses Blattes zwei Wochen verflossen sind oder wenn das zuzustellende Schriftstück zwei Wochen an der Gerichtstafel des Gerichts erster Instanz angeheftet ge­ wesen ist Die Auswahl des Blattes steht dem die Zustellung veranlassenden Beamten zu War die Ladung zur Hauptverhandlung dem Angeklagten schon vorher zu­ gestellt, so gilt eine weitere Zustellung an ihn, wenn sie nicht in der vvrgeschriebenen Weise im Deutschen Reiche bewirkt werden kann, als erfolgt, so­ bald das zuzustellende Schriftstück zwei Wochen an der Gerichtstafel des Ge­ richts erster Instanz angeheftet gewesen ist. Von Urteilen und Beschlnssen wird nur der entscheidende Teil angeheftet. 8 41. Zustellungen an die Staatsanwaltschaft erfolgen durch Vorlegung der Urschrift des zuzustellenden Schriftstücks Wenn mit der Zustellung der Lauf einer Frist beginnt, so ist der Tag der Vorlegung von der Staatsanwalt­ schaft auf der Urschrift zu vermerken. Fünfter Abschnitt. Fristen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. 8 42. Bei der Berechnung einer Frist, welche nach Tagen bestimmt ist, wird der Tag nicht mitgerechnet, auf welchen der Zeitpunkt oder das Ereig­ nis fällt, nach welchem der Anfang der Frist sich richten soll. 8 43. Eine Frist, welche nach Wochen oder Monaten bestimmt ist, endigt mit Ablauf des Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher durch seine Benennung oder Zahl dem Tage entspricht, an welchem die Frist begonnen hat; fehlt dieser Tag in dem letzten Monat, so endigt die Frist mit Ablauf des letzten Tages dieses Monats. Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag oder allgemeinen Feier­ tag, so endigt die Frist mit Ablauf des nächstfolgenden Werktags 8 44. Gegen die Versäumung einer Frist lann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beansprucht werden, wenn der Antragsteller durch Natur­ ereignisse oder andere unabwendbare Zufälle an der Einhaltung der Frist ver­ hindert worden ist Als unabwendbarer Zufall ist es anzusehen, wenn der Antragsteller von einer Zustellung ohne sein Verschulden keine Kenntnis er­ langt hat. 8 45. Das Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand muß bin­ nen einer Woche nach Beseitigung des Hindernisses bei dem Gerichte, bei welchem die Frist wahrzunehmen gewesen wäre, unter Angabe und Glaubhaft­ machung der Versäumungsgründe angebracht werden Mit dem Gesuch ist zugleich die versäumte Handlung selbst nachzuholen. 8 46. über das Gesuch entscheidet das Gericht, welches bei rechtzeitig erfolgter Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst berufen gewesen wäre. Die dem Gesuche stattgebende Entscheidung unterliegt keiner Anfechtung.

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 37—52.

793

Gegen die das Gesuch verwerfende Entscheidung findet sofortige Be­ schwerde statt. § 47. Durch das Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird die Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung nicht gehemmt. Tas Gericht kann jedoch einen Aufschub der Vollstreckung anordnen.

Sech st er Abschnitt. Zeugen. 8 48. Die Ladung der Zeugen geschieht unter Hinweis auf die gesetz­ lichen Folgen des Ausbleibens. Die Ladung eines Soldaten als Zeugen erfolgt durch Ersuchen oer Mili­ tärbehörde. 8 49. Der Reichspräsident und der Präsident eines deutschen Landes sind in ihrer Wohnung zu vernehmen. Zur Hauptverhandlung werden sie nicht geladen. Das Protokoll über ihre gerichtliche Vernehmung ist in der Hauptverhandlung zu verlesen. 8 50. Die Mitglieder der Reichsregierung oder einer Landesregierung sind an ihrem Amtssitz oder, wenn sie sich außerhalb ihres Amtssitzes auf­ halten, an ihrem Aufenthaltsorte zu vernehmen. Die Mitglieder des Reichsrats oder des Staatsrats eines deutschen Lan­ des sind während ihres Aufenthalts am Sitze des Reichsrats oder des Staats­ rats an diesem Sitze, und die Mitglieder des Reichstags, des Reichswirt­ schaftsrats oder eines Landtags während der Tagung und ihres Aufenthalts am Orte der Versammlung an diesem Orte zu vernehmen. Zu einer Abweichung von den vorstehenden Bestimmungen bedarf es: für die Mitglieder der Reichsregierung der Genehmigung der Neichsregierung, für die Mitglieder einer Landesregierung der Genehmigung der Landes­ regierung, für die Mitglieder des Reichstags, des Reichsrats des Reichswirtschafts­ rats, eines Landtags oder eines Staatsrats der Genehmigung dieser Versammlungen. 8 51. Ein ordnungsmäßig geladener Zeuge, welcher nicht erscheint, ist in die durch das Ausbleiben verursachten Kosten sowie zu einer Ordnungs­ strafe in Geld und für den Fall, daß diese nicht beigetrieben werden kann, zur Strafe der Haft bis zu sechs Wochen zu verurteilen. Auch ist die zwangs­ weise Vorführung des Zeugen zulässig. Im Falle wiederholten Ausblei­ bens kann die Strafe noch einmal erkannt werden. Die Verurteilung in Strafe und Kosten unterbleibt, wenn das Ausblei­ ben des Zeugen genügend entschuldigt ist. Erfolgt nachträglich genügende Entschuldigung, so werden die gegen den Zeugen getroffenen Anordnungen wiederaufgehoben. Die Befugnis zu diesen Maßregeln steht auch dem Untersuchungsrichter, dem Amtsrichter im Vorverfahren sowie dem beauftragten und ersuchten Richter zu. Angehörige der Reichswehr werden durch die Militärbehörde vorgeführt. 8 52. Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt: 1. der Verlobte des Beschuldigten; 2. der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht; 3. wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt, verschwägert oder durch Annahme an Kindes Statt verbunden oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwä­ gert ist, auch wenn die Ehe, durch welche die Schwägerschaft begründet ist, nicht mehr besteht. Die bezeichneten Personen sind vor jeder Vernehmung über ihr Recht zur Verweigerung des Zeugnisses zu belehren. Sie können den Verzicht auf öieses Recht auch während der Vernehmung widerrufen.

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

8 53. Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt: 1. Geistliche über das, was ihnen bei Ausübung der Seelsorge anvertraut ist; 2 Verteidiger des Beschuldigten über das, was ihnen in dieser ihrer Eigen­ schaft anvertraut ist; 3. Rechtsanwälte und Ärzte über das, was ihnen bei Ausübung ihres Be­ rufs anvertraut ist . Die unter Nr 2, 3 bezeichneten Personen dürfen das Zeugnis nicht ver­ weigern, wenn sie von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sind 8 54. Öffentliche Beamte, auch wenn sie nicht mehr im Dienst sind, dürfen über Umstände, auf welche sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht, als Zeugen nur mit Genehmigung ihrer vorgesetzten Dienstbehörde oder der ihnen zuletzt vorgesetzt gewesenen Dienstbehörde vernommen werden Für die Mitglieder der Reichsregierung bedarf es der Genehmigung her Reichsregierung, für die Mitglieder einer Landesregierung der Genehmigung der Landesregierung Die Genehmigung darf nur versagt werden, wenn die Ablegung des Zeug­ nisses dem Wohle des Reichs oder eines deutschen Landes Nachteil bereiten würde Der Reichspräsident und der Präsident eines deutschen Landes können unter der Voraussetzung des Abs 2 das Zeugnis verweigern Dies gilt anch für einen früheren Präsidenten, soweit es sich um Tatsachen handelt, die sich während seiner Amtsführung ereignet haben, oder die ihm infolge seiner Amtsführung bekanntgeworden sind 8 55. Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der im K 52 Nr 1 bis 3 bezeich­ neten Angehörigen die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung zuziehen würde 8 56. Die Tatsache, auf welche der Zeuge die Verweigerung des Zeug­ nisses in den Fällen der §§ 52, 53, 55 stützt, ist auf Verlangen glaubhaft zu machen. Es genügt die eidliche Versicherung des Zeugen 8 57. Unbeeidigt sind zu vernehmen: 1 Personen, welche zur Zeit der Vernehmung das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet oder wegen mangelnder Berstandesreife oder wegen Verstandesschwäche von dem Wesen und der Bedeutung des Eides keine genügende Vorstellung haben; 2. Personen, welche nach den Bestimmungen der Strafgesetze unfähig sind als Zeugen eidlich vernommen zu werden; 3. Personen, welche wegen der den Gegenstand der Untersuchung bildenden Tat als Teilnehmer, Begünstiger oder Hehler verdächtigt oder bereits verurteilt sind. 8 58. Stehen Personen zu dem Beschuldigten in einem Verhältnis, wel­ ches sie nach § 52 zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt, so hängt es von dem richterlichen Ermessen ab, ob sie unbeeidigt zu vernehmen oder zu beeidigen sind. Sie können auch nach der Vernehmung die Beeidigung des Zeugnisses verweigern und sind über dieses Recht zu belehren. 8 59. Jeder Zeuge ist einzeln und in Abwesenheit der später pbzuhörenden Zeugen zu vernehmen. Eine Gegenüberstellung mit anderen Zeugen oder mit dem Beschuldigten findet im Vorverfahren nur dann statt, wenn sie ohne Nachteil für die Sache nicht bis zur Hauptverhandlung ausgesetzt bleiben kann. 8 60. Vor der Leistung des Eides hat der Richter den Zeugen in an­ gemessener Weise auf die Bedeutung des Eides hinzuweisen. 8 61. Jeder Zeuge ist einzeln und vor seiner Vernehmung zu beeidigen. Die Beeidigung kann jedoch aus besonderen Gründen, namentlich wenn Be­ denken gegen ihre Zulässigkeit obwalten, bis nach Abschluß der Vernehmung ausgesetzt werden.

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 53—70.

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§ 62. Der vor der Vernehmung zu leistende Eid lautet: daß Zeuge nach bestem Wissen die reine Wahrheit sagen, nichts ver­ schweigen und nichts hinzusetzen werdeder nach der Vernehmung zu leistende Eid lautet: daß Zeuge nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt, nichts ver­ schwiegen und nichts hinzugesetzt habe. § 63. Der Eid beginnt mit den Worten: „Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden" und schließt mit den Worten: „So wahr mir Gott helfe". 8 64. Der Eid wird mittels Nachsprechens oder Ablesens der die Eides­ norm enthaltenen Eidesformel geleistet. Der Schwörende soll bei der Eides­ leistung die rechte Hand erheben Stumme, welche schreiben können, leisten den Eid mittels Abschreibens und Unterschreibens der die Eidesnorm enthaltenden Eidesformel Stumme, welche nicht schreiben können, leisten den Eid mit Hilfe eines Dolmetschers durch Zeichen 8 65. Der Eidesleistung wird gleichgeachtet, wenn ein Mitglied einer Religionsgesellschaft, welcher das Gesetz den Gebrauch gewisser Beteuerungs­ formeln an Stelle des Eides gestattet, eine Erklärung unter der Beteuerungs­ formel dieser Religionsgesellschaft abgibt 8 66. Die Beeidigung der Zeugen erfolgt, vorbehaltlich der Bestimmun­ gen des § 223, in der Hauptverhandlung Sie kann schon in der Voruntersuchung erfolgen, wenn voraussichtlich der Zeuge am Erscheinen in der Hauptverhandlung verhindert oder sein Er­ scheinen wegen großer Entfernung besonders erschwert sein wird, oder wenn die Beeidigung als Mittel zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aus­ sage erforderlich erscheint In dem vorbereitenden Verfahren ist die Beeidigung nur zulässig, wenn Gefahr im Verzug obwaltet, oder wenn die Beeidigung als Mittel zur Herbei­ führung einer wahrheitsgemäßen Aussage über eine Tatsache, von der die Er­ hebung der öffentlichen Klage abhängig ist, erforderlich erscheint Erfolgt die Beeidigung im Vorverfahren, so ist der Grund in dem Proto­ koll anzugeben 8 67. Wird der Zeuge, nachdem er eidlich vernommen worden ist, in demselben Vorverfahren oder in demselben Hauptverfahren nochmals vernom­ men, so kann der Richter statt der nochmaligen Beeidigung den Zeugen pie Richtigkeit seiner Aussage unter Berufung auf den früher geleisteten Eid ver­ sichern lassen 8 68. Die Vernehmung beginnt damit, daß der Zeuge über Bornamen und Zunamen, Alter, Stand oder Gewerbe und Wohnort befragt wird. Er­ forderlichenfalls sind dem Zeugen Fragen über solche Umstände, welche seine Glaubwürdigkeit in der vorliegenden Sache betreffen, insbesondere über seine Beziehungen zu dem Beschuldigten oder dem Verletzten, vorzulegen 8 69. Der Zeuge ist zu veranlassen, das, was ihm von dem Gegenstände seiner Vernehmung bekannt ist, im Zusammenhang anzugeben Bor seiner Vernehmung ist dem Zeugen der Gegenstand der Untersuchung und die Person des Beschuldigten, sofern ein solcher vorhanden ist, zu bezeichnen Zur Aufklärung und zur Vervollständigung der Aussage sowie zur Er­ forschung des Grundes, auf welchem die Wissenschaft des Zeugen beruht, sind nötigenfalls weitere Fragen zu steUen. 8 70. Wird das Zeugnis oder die Eidesleistung ohne gesetzlichen Grund verweigert, so ist der Zeuge in die durch die Weigerung verursachten Kosten sowie zu einer Ordnungsstrafe in Geld und für den Fall, daß diese nicht bei­ getrieben werden kann, zur Strafe der Haft bis zu sechs Wochen zu ver­ urteilen Auch kann zur Erzwingung des Zeugnisses die Haft angeordnet werden, jedoch nicht über die Zeit der Beendigung des Verfahrens in der Instanz,

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

auch nicht über die Zeit von sechs Monaten, und bei Übertretungen nicht über die Zeit von sechs Wochen hinaus. Die Befugnis zu diesen Maßregeln steht auch dem Untersuchungsrichter, dem Amtsrichter im Vorverfahren, sowie dem beauftragten und ersuchten Rich­ ter zu. Sind die Maßregeln erschöpft, so können sie in demselben oder in einem anderen Verfahren, welches dieselbe Tat zum Gegenstände hat, nicht wieder­ holt werden. § 71. Jeder von dem Richter oder der Staatsanwaltschaft geladene Zeuge hat nach Maßgabe der Gebührenordnung Anspruch auf Entschädigung aus der Staatskasse für Zeitversäumnis und, wenn sein Erscheinen eine Reise erforder­ lich macht, auf Erstattung der Kosten, welche durch die Reise und den Aufent­ halt am Ort der Vernehmung verursacht werden

Siebenter Abschnitt. Sachverständige und Augenschein.

8 72. Auf Sachverständige finden die Vorschriften des sechsten Ab­ schnitts über Zeugen entsprechende Anwendung, soweit nicht in den nachfolgen­ den Paragraphen abweichende Bestimmungen getroffen sind. 8 73. Die Auswahl der zuzuziehenden Sachverständigen und die Be­ stimmung ihrer Anzahl erfolgt durch den Richter. Sind für gewisse Arten von Gutachten Sachverständige öffentlich be­ stellt, so soften andere Personen nur dann gewählt werden, wenn besondere Umstände es erfordern. 8 74. Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, welche zur Ab­ lehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ablehnungsgrund kann jedoch nicht daraus entnommen werden, daß der Sachverständige als Zeuge vernommen worden ist. Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu. Die ernannten Sachverständigen sind den zur Mlehnung Berechtigten namhaft zu machen, wenn nicht besondere Umstände ent­ gegenstehen. Der Ablehnungsgründ ist glaubhaft zu machen, der Eid ist als Mittel der Glaubhaftmachung ausgeschlossen. 8 75. Der zum Sachverständigen Ernannte hat der Ernennung Folge zu leisten, wenn er zur Erstattung von Gutachten der erforderten Art öffent­ lich bestellt ist, oder wenn er die Wissenschaft, die Kunst oder das Gewerbe, deren Kenntnis Voraussetzung der Begutachtung ist, öffentlich zum Erwerb aus­ übt, oder wenn er zu ihrer Ausübung öffentlich bestellt oder ermächtigt ist Zur Erstattung des Gutachtens ist auch der verpflichtet, welcher sich hier­ zu vor Gericht bereu erklärt hat. 8 76. Dieselben Gründe, welche einen Zeugen berechtigen, das Zeugnis zu verweigern, berechtigen einen Sachverständigen zur Verweigerung des Gut­ achtens. Auch aus anderen Gründen kann ein Sachverständiger von der Ver­ pflichtung zur Erstattung des Gutachtens entbunden werden. Die Vernehmung eines öffentlichen Beamten als Sachverständigen fin­ det nicht statt, wenn die vorgesetzte Behörde des Beamten erklärt, daß die Vernehmung den dienstlichen Interessen Nachteil bereiten würde 8 77. Im Falle des Nichterscheinens oder der Weigerung eines zur Er­ stattung des Gutachtens verpflichteten Sachverständigen wird dieser zum Er­ sätze der Kosten und zu einer Ordnungsstrafe in Geld verurteilt Im Falle wiederholten Ungehorsams kann noch einmal auf eine Ordnungsstrafe erkannt werden. 8 78. Der Richter hat, soweit ihm dies erforderlich erscheint die Tätig­ keit der Sachverständigen zu leiten. 8 79. Der Sachverständige hat vor Erstattung des Gutachtens einen Eid dahin zu leisten:

177. Strafprozeßordnung vom 1 Febr 1877. §§ 71—89.

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daß er das von ihm erforderte Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen erstatten werde. Ist der Sachverständige für die Erstattung von Gutachten der betreffenden Art im allgemeinen beeidigt, so genügt die Berufung auf den geleisteten Eid. § 80* Dem Sachverständigen kann auf sein Verlangen zur Vorbereitung des Gutachtens durch Vernehmung von Zeugen oder des Beschuldigten weitere Aufklärung verschafft werden. Zu demselben Zwecke kann ihm gestattet werden, die Akten einzusehen, der Vernehmung von Zeugen oder des Beschuldigten beizuwohnen und an sie unmittelhar Fragen zu stellen 8 81. Zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Geisteszustand des Angeschuldigten kann das Gericht auf Antrag eines Sachverständigen nach An­ hörung des Verteidigers anordnen, daß der Angeschuldigte in eine öffentliche Irrenanstalt gebracht und dort beobachtet werde. Dem Angeschuldigten, welcher einen Verteidiger nicht hat, ist ein solcher zu bestellen Gegen den Beschluß findet sofortige Beschwerde statt Sie hat auf­ schiebende Wirkung Die Verwahrung in der Anstalt darf die Dauer von sechs Wochen nicht überschreiten 8 82. Im Vorverfahren hängt es von der Anordnung des Richters ab, ob die Sachverständigen ihr Gutachten schriftlich oder mündlich zu erstatten haben. § 83. Der Richter kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn er das Gutachten für ungenü­ gend erachtet. Der Richter kann die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Er­ folg ab gelehnt ist In wichtigeren Fällen kann das Gutachten einer Fachbehörde eingeholt werden § 84. Der Sachverständige hat nach Maßgabe der Gebührenordnung An­ spruch auf Entschädigung für Zeitversäumnis, auf Erstattung der ihm verur­ sachten Kosten und außerdem auf angemessene Vergütung für seine Mühe­ waltung 8 85. Soweit zum Beweise vergangener Tatsachen oder Zustände, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde erforderlich war, sachkundige Personen zu vernehmen sind, kommen die Vorschriften über den Zeugenbeweis zur Anwendung. 8 86. Findet die Einnahme eines richterlichen Augenscheins statt, so ist im Protokoll der vorgefundene Sachbestand festzustellen und darüber Auskunft zu geben, welche Spuren oder Merkmale, deren Vorhandensein nach der be­ sonderen Beschaffenheit des Falles vermutet werden konnte, gefehlt haben 8 87. Die richterliche Leichenschau wird unter Zuziehung eines Arztes, die Leichenöffnung im Beisein des Richters von zwei Ärzten, unter welchen sich ein Gerichtsarzt befinden muß, vorgenommen. Dem Arzte, welcher den Verstorbenen in der dem Tode unmittelbar vorausgegangenen Krankheit be­ handelt hat, ist die Leichenöffnung nicht zu übertragen. Er kann jedoch auf­ gefordert werden, der Leichenöffnung beizuwohnen, um aus der Krankheits­ geschichte Aufschlüsse zu geben. Die Zuziehung eines Arztes kann bei der Leichenschau unterbleiben, wenn sie nach dem Ermessen des Richters entbehrlich ist. Behufs der Besichtigung oder Öffnung einer schon beerdigten Leiche ist ihre Ausgrabung statthaft. 8 88. Vor der Leichenöffnung ist, wenn nicht besondere Hindernisse ent* gegenstehen, die Persönlichkeit des Verstorbenen, insbesondere durch Befragung von Personen, welche den Verstorbenen gekannt haben, festzustellen. Ist ein Beschuldigter vorhanden, so ist ihm die Leiche zur Anerkennung vorzuzeigen. 8 89. Die Leichenöffnung muß sich, soweit der Zustand der Leiche dies gestattet, stets auf die Öffnung der Kopf-, Brust- und Bauchhöhle erstrecken

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8 90* Bei Öffnung der Leiche eines neugeborenen K-indes ist die Unter­ suchung insbesondere auch darauf zu richten, ob es nach oder während der Ge­ burt gelebt habe, und ob es reif oder wenigstens fähig gewesen sei das Leben außerhalb des Mutterleibes fortzusetzen. 8 91. Liegt der Verdacht einer Vergiftung vor, so ist die Untersuchung der in der Leiche oder sonst gefundenen verdächtigen Stoffe durch einen Che­ miker oder durch eine für solche Untersuchungen bestehende Fachbehörde vor­ zunehmen. Der Richter kann anordnen, daß diese Untersuchung unter Mitwirkung oder Leitung eines Arztes stattzufinden habe. 8 92. Bei Münzverbrechen und Münzvergehen sind die Münzen oder Papiere erforderlichenfalls der Behörde vorzulegen, von welcher echte Mün­ zen oder Papiere dieser Art in Umlauf gesetzt werden. Das Gutachten dieser Behörde ist über die Unechtheit oder Verfälschung sowie darüber einzuholen, in welcher Art die Fälschung mutmaßlich begangen worden sei. Handelt es sich um ausländische Münzen oder Papiere, so kann an Stelle des Gutachtens der ausländischen Behörde das einer deutschen erfordert werden. 8 93. Zur Ermittlung der Echtheit oder Unechtheit eines Schriftstücks sowie zur Ermittlung seines Urhebers kann eine Schriftvergleichung unter Zuziehung von Sachverständigen vorgenommen werden. Achter Abschnitt.

Beschlagnahme und Durchsuchung.

8 94. Gegenstände, welche als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können oder der Einziehung unterliegen, sind in Verwahrung zu nehmen, oder in anderer Weise sicherzustellen. Befinden sich die Gegenstände in dem Gewahrsam einer Person und werden sie nicht freiwillig herausgegeben, so bedarf es der Beschlagnahme. 8 95. Wer einen Gegenstand der vorbezeichneten Art in seinem Gewahr­ sam hat, ist verpflichtet, ihn auf Erfordern vorzulegen und auszuliefern. Er kann im Falle der Weigerung durch die im; § 70 bestimmten Zwangs­ mittel hierzu ungehalten werden. Gegen Personen, welche zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind, finden diese Zwangsmittel keine Anwendung. 8 96. Die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderen in amt­ licher Verwahrung befindlichen Schriftstücken durch Behörden und öffentliche Beamte darf nicht gefordert werden, wenn deren oberste Dienstbehörde erklärt, daß das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohle des Reichs oder eines deutschen Landes Nachteil bereiten würde.

8 97. Schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und den Personen, die wegen ihres Verhältnisses zu ihm nach §§ 52, 53 zur Verweige­ rung des Zeugnisses berechtigt sind, unterliegen der Beschlagnahme nicht, falls sie sich in den Händen der letzteren Personen befinden und diese nicht einer Teilnahme, Begünstigung oder Hehlerei verdächtig sind. 8 98. Die Anordnung von Beschlagnahmen steht dem Richter, bei Ge­ fahr im Verzug auch der Staatsanwaltschaft und den Polizei- und Sicherheits­ beamten zu, welche als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft ihren Anord­ nungen Folge zu leisten haben. Ist die Beschlagnahme ohne richterliche Anordnung erfolgt, so soll der Beamte, welcher die Beschlagnahme angeordnet hat binnen drei Tagen die richterliche Bestätigung nachsuchen, wenn bei der Beschlagnahme weder der davon Betroffene noch ein erwachsener Angehöriger anwesend war, oder wenn der Betroffene und im Falle seiner Abwesenheit ein erwachsener Angehöriger des Betroffenen gegen die Beschlagnahme ausdrücklichen Widerspruch erhoben hat. Der Betroffene kann jederzeit die richterliche Entscheidung nachsuchen. So­ lange die öffentliche Klage noch nicht erhoben ist, erfolgt die Entscheidung durch den Amtsrichter, in dessen Bezirk die Beschlagnahme stattgefunden hat.

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr 1877. §§ 90 - 104.

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Ist nach erhobener öffentlicher Klage die Beschlagnahme durch die Staats­ anwaltschaft oder einen Polizei- oder Sicherheitsbeamten erfolgt, so ist binnen drei Tagen dem Richter von der Beschlagnahme Anzeige zu machen und sind ihm die in Beschlag genommenen Gegenstände zur Verfügung zu stellen Beschlagnahmen in militärischen Dienstgebäuden, zu welchen auch Kriegs­ fahrzeuge gehören, erfolgen durch Ersuchen der Militärbehörde und auf Ver­ langen der Zivilbehörde (Richter, Staatsanwaltschaft) unter deren Mitwirkung. Des Ersuchens der Militärbehörde bedarf es jedoch nicht, wenn die Beschlag­ nahme in Räumen vorzunehmen ist, welche in militärischen Dienstgebäuden ausschließlich von Zivilpersonen bewohnt werden. 8 99* Zulässig ist die Beschlagnahme der an den Beschuldigten gerich­ teten Briefe und Sendungen auf der Post sowie der an ihn gerichteten Tele­ gramme auf den Telegraphenanstalten; desgleichen ist zulässig an den bezeich­ neten Orten die Beschlagnahme solcher Briefe, Sendungen und Telegramme, in betreff derer Tatsachen vorliegen, aus welchen zu schließen ist, daß sie von dem Beschuldigten herrühren oder für ihn bestimmt sind, und daß ihr Inhalt für die Untersuchung Bedeutung habe. 8 109. Zu der Beschlagnahme (§ 99) ist nur der Richter, bei Gefahr im Verzug und, wenn die Untersuchung nicht bloß eine Übertretung betrifft, auch die Staatsanwaltschaft befugt. Die letztere muß jedoch den ihr ausge­ lieferten Gegenstand sofort, und zwar Briefe und andere Postsendungen un­ eröffnet, dem Richter vorlegen. Die von der Staatsanwaltschaft verfügte Beschlagnahme tritt, auch wenn sie eine Auslieferung noch nicht zur Folge gehabt hat, außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Tagen von dem Richter bestätigt wird. Die Entscheidung über eine von der Staatsanwaltschaft verfügte Be­ schlagnahme sowie über die Eröffnung eines ausgelieferten Briefes oder einer anderen Postsendung erfolgt durch den zuständigen Richter (§ 98). 8 101. Von den getroffenen Maßregeln (§§ 99, 100) sind die Beteilig­ ten zu benachrichtigen, sobald dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks geschehen kann. Sendungen, deren Eröffnung nicht angeordnet worden, sind dem Be­ teiligten sofort auszuantworten. Dasselbe gilt, soweit nach der Eröffnung die Zurückbehaltung nicht erforderlich ist. Der Teil eines zurückbehaltenen Briefes, dessen Vorenthaltung nicht durch die Rücksicht auf die Untersuchung geboten erscheint, ist dem Empfangs­ berechtigten abschriftlich mitzuteilen. 8 102. Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer strafbaren Handlung oder als Begünstiger oder Hehler verdächtig ist, kann eine Durch­ suchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person und der ihm ge­ hörigen Sachen sowohl zum Zwecke seiner Ergreifung als auch dann vorge­ nommen werden, wenn zu vermuten ist, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde. 8 103. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur behufs der Er­ greifung des Beschuldigten oder behufs der Verfolgung von Spuren einer strafbaren Handlung oder behufs der Beschlagnahme bestimmter Gegenstände und nur dann zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß die gesuchte Person, Spur oder Sache sich in den zu durchsuchenden Räumen befinde Diese Beschränkung findet keine Anwendung auf die Räume, in welchen der Beschuldigte ergriffen worden ist, oder welche er während der Verfolgung betreten hat, oder in welchen eine unter Polizeiaufsicht stehende Person wohnt oder sich aufhält. 8 104. Zur Nachtzeit dürfen die Wohnung, die Geschäftsräume und das befriedete Besitztum bei Verfolgung auf frischer Tat oder bei Gefahr im Ver­ zug oder dann durchsucht werden, wenn es sich um die Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen handelt. Diese Beschränkung findet keine Anwendung auf Wohnungen von Per­ sonen, welche unter Polizeiaufsicht stehen, sowie auf Räume, welche zur Nacht-

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zeit jedermann zugänglich oder welche der Polizei als Herbergen oder Ver­ sammlungsorte bestrafter Personen, als Niederlagen von Sachen, welche mittels strafbarer Handlungen erlangt sind, ober als Schlupfwinkel des Glücksspiels oder gewerbsmäßiger Unzucht bekannt sind. Die Nachtzeit umfaßt in dem Zeitraum vom ersten April bis dreißigsten September die Stunden von neun Uhr abends bis vier Uhr morgens und- in dem Zeitraum vom ersten Oktober bis einunddreißigsten März die Stunden von neun Uhr abends bis sechs Uhr morgens. § 105* Die Anordnung von Durchsuchungen steht dem Richter, bei Gefahr im Verzug auch der Staatsanwaltschaft und den Polizei- und Sicherheits­ beamten zu, welche als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft ihren Anordnungen Folge zu leisten haben Wenn eine Durchsuchung der Wohnung, der Geschäftsräume oder des befriedeten Besitztums ohne Beisein des Richters oder des Staatsanwalts stattfindet, so sind, wenn dies möglich, ein Gemeindebeamter oder zwei Mit­ glieder der Gemeinde, in deren Bezirk die Durchsuchung erfolgt, zuzuziehen. Die als Gemeindemitglieder zugezogenen Personen dürfen nicht Polizei- oder Sicherheitsbeamte sein. Die in den vorstehenden Absätzen angeordneten Beschränkungen der Durchsuchung finden keine Anwendung auf die im § 104 Abs. 2 bezeichneten Wohnungen und Räume. Durchsuchungen in militärischen Dienstgebäuden folgen durch Ersuchen der Militärbehörde und auf Verlangen der Zivilbehörde (Richter, Staatsanwalt­ schaft) unter deren Mitwirkung. Des Ersuchens der Militärbehörde bedarf es jedoch nicht, wenn die Durchsuchung von Räumen vorzunehmen ist, welche in militärischen Dienstgebäuden ausschließlich von Zivilpersonen bewohnt werden. 8 106. Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume oder Gegenstände darf der Durchsuchung beiwohnen Ist er abwesend, so ist, wenn dies möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar zuzuziehen. Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit zugezogenen Person ist in den Fällen des § 103 Abs. 1 der Zweck der Durchführung vor deren Beginn bekanntzumachen Diese Vorschrift findet keine Anwendung auf die Inhaber der im § 104 Abs 2 bezeichneten Räume. 8 107. Dem von der Durchsuchung Betroffenen ist nach deren Beendi­ gung auf Verlangen eine schriftliche Mitteilung zu machen, welche den Grund der Durchsuchung (§§ 102, 103) sowie im Fall des § 102 die strafbare Hand­ lung bezeichnen muß. Auch ist ihm auf Verlangen ein Verzeichnis der in Verwahrung oder in Beschlag genommenen Gegenstände, falls aber nichts Verdächtiges gefunden wird, eine Bescheinigung herüber zu geben.

8 108. Werden bei Gelegenheit einer Durchsuchung Gegenstände gefunden, welche zwar in keiner Beziehung zu der Untersuchung stehen, aber auf die erfolgte Verübung einer anderen strafbaren Handlung hindeuten, so sind sie einstweilen in Beschlag zu nehmen. Der Staatsanwaltschaft ist hiervon Kennt­ nis zu geben 8 109. Die in Verwahrung oder in Beschlag genommenen Gegenstände sind genau zu verzeichnen und zur Verhütung von Verwechselungen durch amt­ liche Siegel oder in sonst geeigneter Weise kenntlich zu machen. 8 110. Eine Durchsicht der Papiere des von der Durchsuchung Betroffe­ nen steht nur dem Richter zu. Andere Beamte sind zur Durchsicht der aufgefundenen Papiere nur dann befugt, wenn der Inhaber die Durchsicht genehmigt. Anderenfalls haben sie die Papiere, deren Durchsicht sie für geboten erachten, in einem Umschläge, welcher in Gegenwart des Inhabers mit dem Amtssiegel zu verschließen ist, an den Richter abzuliefern Dem Inhaber der Papiere oder dessen Vertreter ist die Verdrückung sei­ nes Siegels gestattet; auch ist er, falls demnächst die Entsiegelung und Durch-

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 105—116.

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sicht der Pariere angeordnet wird, wenn dies möglich, aufzufordern, ihr beizuwohnen. Der Richter hat die zu einer strafbaren Handlung in Beziehung stehenden Papiere der Staatsanwaltschaft mitzuteilen. 8 11L Gegenstände, welche durch die strafbare Handlung dem Verletzten entzogen werden, sind, falls nicht Ansprüche Dritter entgegenstehen, nach Be­ endigung der Untersuchung und geeignetenfalls schon vorher von Amts wegen oem Verletzten zurückzugeben, ohne daß es eines Urteils hierüber bedarf Dem Beteiligten bleibt die Geltendmachung seiner Rechte im Zivilverfah­ ren Vorbehalten Neunter Abschnitt. Verhaftung und vorläufige Festnahme.

8 112. Der Angeschuldigte darf nur dann in Untersuchungshaft genom­ men werden, wenn dringende Verdachtsgründe gegen ihn vorhanden sind und entweder er der Flucht verdächtig ist oder Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß er Spuren der Tat vernichten oder daß er Zeugen oder Mit­ schuldige zu einer falschen Aussage oder Zeugen dazu verleiten werde, sich der Zeugnispflicht zu entziehen Diese Tatsachen sind aktenkundig zu macheil Der Verdacht der Flucht bedarf keiner weiteren Begründung: 1 wenn ein Verbrechen den Gegenstand der Untersuchung bildet; 2 wenn der Angeschuldigte ein Heimatloser oder Landstreicher oder nicht imstande ist, sich über seine Person auszuweisen: 3 wenn der Angeschuldigte ein Ausländer ist und begründeter Zweifel be­ steht, daß er sich auf Ladung vor Gericht stellen und dem Urteile Folge leisten werde. § 113. Ist die Tat nur mit Haft oder mit Geldstrafe bedroht, so darf die Untersuchungshaft nur wegen Verdachts der Flucht und nur dann ver­ hängt werden, wenn der Angeschuldigte zu den im § 112 Nr 2 oder 3 bezeich­ neten Personen gehört, oder wenn er unter Polizeiaufsicht steht, oder wenn es sich um eine Übertretung handelt, wegen deren die Überweisung an die Landespolizeibehörde erkannt werden kann 8 114. Die Verhaftung erfolgt auf Grund eines schriftlichen Haftbefehls des Richters. In dem Haftbefehl ist der Angeschuldigte genau zu bezeichnen und die ihm zur Last gelegte strafbare Handlung sowie der Grund der Verhaftung anzugeben Dem Angeschuldigten ist der Haftbefehl bei der Verhaftung und, wenn dies nicht tunlich ist, spätestens am Tage nach seiner Einlieferung in das Gefängnis, nach Vorschrift des § 35 bekanntzumachen und zu eröffnen, daß ihm das Rechtsmittel der Beschwerde zustehe 8 118« Der Verhaftete muß spätestens am Tage nach seiner Einlieferung in das Gefängnis durch einen Richter über den Gegenstand der Beschuldigung gehört werden. 8 116. Der Verhaftete soll, soweit möglich, von anderen gesondert und nicht in demselben Raume mit Strafgefangenen verwahrt werden. Mit seiner Zustimmung kann von dieser Vorschrift abgesehen werden. Dem Verhafteten dürfen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, welche zur Sicherung des Zweckes der Haft oder zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Gefängnis notwendig sind. Bequemlichkeiten und Beschäftigungen, die dem Stande und den Vermö­ gensverhältnissen des Verhafteten entsprechen, darf er sich auf seine Kosten verschaffen, soweit sie mit dem Zwecke der Haft vereinbar sind und weder die Ordnung im Gefängnis stören noch die Sicherheit gefährden. Fesseln dürfen im Gefängnis dem Verhafteten nur dann angelegt wer­ den, wenn es wegen besonderer Gefährlichkeit seiner Person, namentlich zur Sicherung anderer erforderlich erscheint, oder wenn er einen Selbstentleibungs- oder Entweichungsversuch gemacht oder vorbereitet hat. Bei der Haupt­ verhandlung soll er ungefesselt sein. ailf elb, Strafgesetzgebung.

S. Auflage.

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Die nach Maßgabe vorstehender Bestimmungen erforderlichen Verfügun­ gen hat der Richter zu treffen. Die in dringenden Fällen von anderen Beamten getroffenen Anordnungen unterliegen der Genehmigung des Richters. § 117. Ein Angeschuldigter, dessen Verhaftung lediglich wegen des Verdachts der Flucht angeordnet ist, kann gegen Sicherh-eitsleistung mit der Untersuchungshaft verschont werden. g 118. Die Sicherheitsleistung ist durch Hinterlegung in barem Gelde oder in Wertpapieren oder durch Pfandbestellung oder mittels Bürgschaft ge­ eigneter Personen zu bewirken. Die .Höhe und die Art der zu leistenden Sicherheit wird von dein Richter nach freiem Ermessen festgesetzt. § 119. Der Angeschuldigte, welcher seine Freilassung wegen Sicherheits­ leistung beantragt, ist, wenn er nicht im Deutschen Reiche wohnt, verpflichtet, eine im Bezirke des zuständigen Gerichts wohnhafte Person zur Empfang­ nahme von Zustellungen zu bevollmächtigen. § 120. Der Sicherheitsleistung ungeachtet ist der Angeschuldigte zur Haft zu bringen, wenn er Anstalten zur Flucht trifft, wenn er auf ergangene Ladung ohne genügende Entschuldigung ausbleibt, oder wenn neu hervor­ getretene Umstände seine Verhaftung erforderlich machen. § 121. Eine noch nicht verfallene Sicherheit wird frei, wenn der Aw­ geschuldigte zur Haft gebracht, oder wenn der Haftbefehl aufgehoben worden ist, oder wenn der Antritt der erkannten Freiheitsstrafe erfolgt. Diejenigen, welche für den Angeschuldigten Sicherheit geleistet haben, können ihre Befreiung dadurch herbeiführen, daß sie entweder binnen einer vom Gerichte zu bestimmenden Frist die Gestellung des Angeschuldigten.bewir­ ken oder von den Tatsachen, welche den Verdacht einer vom Angeschuldigten beabsichtigten Flucht begründen, rechtzeitig dergestalt Anzeige machen, daß die Verhaftung bewirkt werden kann. g 122. Eine noch nicht frei gewordene Sicherheit verfällt der Staats-kasse, wenn der Angeschuldigte sich der Untersuchung oder dem Antritt der er­ kannten Freiheitsstrafe entzieht. Vor der Entscheidung sind der Angeschuldigte sowie die, welche für den Angeschuldigten Sicherheit geleistet haben, zu einer Erklärung aufzufordern. Gegen die Entscheidung steht ihnen nur die sofortige Beschwerde zu. Vor der Entscheidung über die Beschwerde ist den Beteiligten und der Staatsanwalt­ schaft Gelegenheit zur mündlichen Begründung ihrer Anträge sowie zur Er­ örterung über stattgehabte Ermittlungen zu geben. Die den Verfall aussprechende Entscheidung hat gegen die, welche für den Angeschuldigten Sicherheit geleistet haben, die Wirkung eines von dem Zi­ vilrichter erlassenen, für vorläufig vollstreckbar erklärten Endurteils und nach Ablauf der Beschwerdefrist die Wirkungen eines rechtskräftigen Zivilendurteils, g 123. Der Haftbefehl ist aufzuheben, wenn der in ihm angegebene Grund der Verhaftung weggefallen ist, oder wenn der Angeschuldigte freigesprochen oder außer Verfolgung gesetzt wird. Durch Einlegung eines Rechtsmittels darf die Freilassung des Ange­ schuldigten nicht verzögert werden. g 124. Die aus die Untersuchungshaft, einschließlich der Sicherheits­ leistung, bezüglichen Entscheidungen werden von dem zuständigen Gericht erlassen. In der Voruntersuchung ist der Untersuchungsrichter zur Erlassung des Haftbefehls und mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auch zur Aufhebung eines solchen sowie zur Freilassung des Angeschuldigten gegen Sicherheits­ leistung befugt. Versagt die Staatsanwaltschaft diese Zustimmung, so hat der Untersuchungsrichter, wenn er die beanstandete Maßregel anordnen will, un­ verzüglich, spätestens binnen vierundzwanzig Stunden, die Entscheidung des Gerichts nachzusuchen. Die gleiche Befugnis hat nach Eröffnung des Hauptverfahrens in drin­ genden Fällen der Vorsitzende des erkennenden Gerichts.

177. Strafprozeßordnung vom 1. gcfc 1877. §§ 117—131.

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g 123. Auch vor Erhebung der öffentlichen Klage kann, wenn ein zur Erlassung eines Haftbefehls berechtigender Grund vorhanden ist, vom Amtsrich­ ter auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder, bei Gefahr im Verzüge, von Amts­ wegen ein Haftbefehl erlassen werden Zur Erlassung dieses Haftbefehls und der auf die Untersuchungshaft, ein­ schließlich -er Sicherheitsleistung, bezüglichen Entscheidungen ist jeder Amts­ richter befugt, in dessen Bezirk ein Gerichtsstand für die Sache begründet ist oder der zu Verhaftende betroffen wird. Die Bestimmungen der §§ 114 bis 123 finden entsprechende Anwendung § 126 Der vor Erhebung der öffentlichen Klage erlassene Haftbefehl ist aufzuheden, wenn die Staatsanwaltschaft es beantragt, oder wenn nicht binnen einer Woche nach Vollstreckung des Haftbefehls die öffentliche Klage erhoben und die Fortdauer der Haft von dem zuständigen Richter angeordner, auch diese Anordnung zur Kenntnis des Amtsrichters gelangt ist Wenn zur Vorbereitung und Erhebung der öffentlichen Klage die Frist von einer Woche nicht genügt, so kann sie auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom Amtsrichter um eine Woche und, wenn es sich um ein Verbrechen oder Vergehen handelt, auf erneuten Antrag der Staatsanwaltschaft um fernere zwei Wochen verlängert werden g 127. Wird jemand auf frischer Tat betroffen, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Persönlichkeit nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterlichen Befehl vorläufig fest­ zunehmen Die Staatsanwaltschaft und die Polizei- und Sicherheitsbeamten sind auch dann zur vorläufigen Festnahme befugt, wenn die Voraussetzungen eines Haft­ befehls vorliegen und Gefahr im Verzug obwaltet Ber strafbaren Handlungen, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, ist die vorläufige Festnahme von der Stellung eines solchen Antrags nicht ab­ hängig. g 128. Der Festgenommene ist unverzüglich, sofern er nicht wieder in Freiheit gesetzt wird, dem Amtsrichter des Bezirkes, in welchem die Fest­ nahme erfolgt ist, vorzuführen. Der Amtsrichter hat ihn spätestens am Tage nach der Vorführung zu vernehmen. Hält der Amtsrichter die Festnahme nicht für gerechtfertigt oder ihre Gründe für beseitigt, so verordnet er die Freilassung. Anderenfalls erläßt er einen Haftbefehl, auf welchen die Bestimmungen des § 126 Anwendung finden g 129. Ist gegen den Festgenommenen bereits die öffentliche Klage erhoben, so ist er entweder sofort oder auf Verfügung des Amtsrichters, wel­ chem er zunächst vorgeführt worden, dem zuständigen Gericht oder Unter­ suchungsrichter vorzuführen, und haben diese spätestens am Tage nach der Vorführung über Freilassung oder Verhaftung des Festgenommenen zu ent­ scheiden. g 130. Wird wegen Verdachts einer strafbaren Handlung, deren Ver­ folgung nur auf Antrag eintritt, ein Haftbefehl erlassen, bevor der Antrag ge­ stellt ist, so ist der Antragsberechtigte, von mehreren wenigstens einer, sofort von dem Erlaß des Haftbefehls in Kenntnis zu setzen. Auf den Haftbefehl fmden die Bestimmungen des § 126 gleichfalls Anwendung. g 131. Auf Grund eines Haftbefehls können von dem Richter sowie von der Staatsanwaltschaft Steckbriefe erlassen werden, wenn der zu Verhaf­ tende flüchtig ist oder sich verborgen hält. Ohne vorgängigen Haftbefehl ist eine steckbriefliche Verfolgung nur dann statthaft, wenn ein Festgenommener aus dem Gefängnis entweicht oder sonst sich der Bewachung entzieht. In diesem Falle sind auch die Polizeibehörden zur Erlassung des Steckbriefs befugt. Der Steckbrief soll, soweit dies möglich, eine Beschreibung des zu Ver­ haftenden enthalten und die ihm zur Last gelegte strafbare Handlung sowie das Gefängnis bezeichnen, in welches die Ablieferung zu erfolgen hat.

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8 132. Ist jemand auf Grund eines Haftbefehls oder eines Steckbriefs ergriffen worden, und kann er nicht spätestens am Tage nach der Ergreifung vor den zuständigen Richrer gestellt werden, so ist er auf sein Verlangen sofort dem nächsten Amtsrichter vorzusühren. Seine Vernehmung ist spätestens am Tage nach der Ergreifung zu be­ wirken. Weist er bei der Vernehmung nach, daß er nicht die verfolgte Person oder daß die Verfolgung durch die zuständige Behörde wiederaufgehoben sei, so hat der Amtsrichter seine Freilassung zu verfügen.

Zehnter Abschnitt. Vernehmung des Beschuldigten.

8 133. Der Beschuldigte ist zur Vernehmung schriftlich zu laden. Die Ladung kann unter der Androhung geschehen, daß im Falle des Allsbleibens seine Vorführung erfolgen werde. 8 134. Die sofortige Vorführung des Beschuldigten kann verfügt wer­ den, wenn Gründe vorliegen, welche die Erlassung eines Haftbefehls recht­ fertigen würden. In dem Vorführungsbefehle ist der Beschuldigte genau zu bezeichnen und die ihm zur Last gelegte strafbare Handlung sowie der Grund der Vorführung anzugeben. 8 135. Der Vorgeführte ist sofort von dem Richter zu vernehmen. Ist dies nicht ausführbar, so kann er bis zu seiner Vernehmung, jedoch nicht über den nächstfolgenden Tag hinaus, festgehalten werden. 8 136. Bei Beginn der ersten Vernehmung ist dem Beschuldigten zu er­ öffnen, welche strafbare Handlung ihm zur Last gelegt wird. Der Beschul­ digte ist zu befragen, ob er etwas auf die Beschuldigung erwidern wolle. Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit zur Beseitigung der gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe und zur Geltendmachung der zu sei­ nen Gunsten sprechenden Tatsachen geben. Bei der ersten Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf oie Er­ mittelung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

Elfter Abschnitt. Verteidigung.

8 137. Der Beschuldigte kann sich in jeder Lage des Verfahrens des .Bei­ standes eines Verteidigers bedienen. Hat der Beschuldigte einen gesetzlichen Vertreter, so kann auch dieser selb­ ständig einen Verteidiger wählen. 8 138. Zu Verteidigern können die bei einem deutschen Gerichte zu­ gelassenen Rechtsanwälte sowie die Rechtslehrer an deutschen Hochschulen ge­ wählt werden. Andere Personen können nur mit Genehmigung des Gerichts und, wenn der Fall einer notwendigen Verteidigung vorliegt und der Gewählte nicht zu den Personen gehört, welche zu Verteidigern bestellt werden dürfen, nur in Gemeinschaft mit einer solchen als Wahlverteidiger zugelassen werden. 8 139. Der als Verteidiger gewählte Rechtsanwalt kann mit Zustimmung des Angeklagten die Verteidigung einem Rechtskundigen, welcher die erste Prüfung für den Justizdienst bestanden hat und darin seit mindestens einem Jahre und drei Monaten beschäftigt ist, übertragen. 8 140. Die Verteidigung ist notwendig in den Sachen, welche vor dem Reichsgericht oder dem Oberlandesgericht in erster Instanz oder vor dem Schwurgerichte zu verhandeln sind. In anderen Sachen ist die Verteidigung notwendig, wenn der Angeschul­ digte taub oder stumm ist. In den vor dem Amtsrichter oder dem Schöffengerichte zu verhandeln­ den Sachen ist die Verteidigung notwendig, wenn eine Tat den Gegenstand der

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 132—148.

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Untersuchung bildet, die nicht nur wegen Rückfalls ein Verbrechen ist, und der Beschuldigte oder sein gesetzlicher Vertreter die Bestellung eines Berteidigers beantragt. In den Fällen der Abs. 1 und 2 ist dem Angeschuldigten, der yoch keinen Verteidiger gewählt hat, ein Verteidiger von Amts wegen zu bestellen, sobald der Angeschuldigte gemäß § 201 zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert worden ist, oder, wenn eine solche Aufforderung nicht vorge­ schrieben ist, sobald dem Angeklagten der Eröffnungsbeschluß zugestellt wor­ den ist. Ter Antrag nach Abs. 3 ist binnen einer Frist von drei Tagen zn stellen, nachdem der Angeschuldigte gemäß § 201 zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert worden ist. g 141. In anderen als in den im § 140 bezeichneten Fällen kann das Gericht und bei vorhandener Dringlichkeit der Vorsitzende auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger bestellen. § 142. Die Bestellung des Verteidigers kann schon während des Vor­ verfahrens erfolgen. g 143. Die Bestellung ist zurückzunehmen, wenn demnächst ein anderer Verteidiger gewählt wird und dieser die Wahl annimmt. g 144. Die Auswahl des zu bestellenden Verteidigers erfolgt durch den Vorsitzenden des Gerichts aus der Zahl der am Sitze dieses Gerichts wohn­ haften Rechtsanwälte. Für das vorbereitende Verfahren erfolgt die Bestel­ lung durch den Amtsrichter. Auch Justizbeamte, welche nicht als Richter angestellt sind, sowie solche Rechtskundige, welche die vorgeschriebene erste Prüfung für beit Justizdienst bestanden Haben, können als Verteidiger bestellt werden. g 145. Wenn in einem Falle, in welchem die Verteidigung notwendig oder die Bestellung eines Verteidigers in Gemäßheit des § 141 erfolgt ist, der Verteidiger in "der Hauptverhandlung ausbleibt, sich unzeitig entfernt oder sich weigert, die Verteidigung zu führen, so hat der Vorsitzende dem Angeklag­ ten sogleich einen anderen Verteidiger zu bestellen. Das Gericht kann jedoch auch eine Aussetzung der Verhandlung beschließen. Erklärt der neu bestellte Verteidiger, daß ihm die zur Vorbereitung der Verteidigung erforderliche Zeit nicht verbleiben würde, so ist die Verhandlung zu unterbrechen oder auszusetzen. Wird durch die Schuld des Verteidigers eine Aussetzung erforderlich, so sind ihm, vorbehaltlich dienstlicher Ahndung, die hierdurch verursachten Kosten aufzuerlegen. g 146. Die Verteidigung mehrerer Beschuldigter kann, insofern dies der Aufgabe der Verteidigung nicht widerstreitet, durch einen gemeinschaftlichen Verteidiger geführt werden. g 147. Der Verteidiger ist nach dem Schlüsse der Voruntersuchung und, wenn eine solche nicht stattgefunden hat, nach Einreichung der AnUageschrift bei dem Gerichte zur Einsicht der dem Gerichte vorliegenden Akten befugt. Schon vor diesem Zeitpunkt ist ihm die Einsicht der gerichtlichen Unter­ suchungsakten insoweit zu gestatten, als dies ohne Gefährdung des Unter­ suchungszwecks geschehen kann. Die Einsicht der Protokolle über die Vernehmung des Beschuldigten, der Gutachten der Sachverständigen und der Protokolle über die gerichtlichen Handlungen, denen der Verteidiger beizuwohnen befugt ist, darf ihm keines­ falls verweigert werden. Nach dem Ermessen des Vorsitzenden können die Akten, mit Ausnahme der Überführungsstücke, dem Verteidiger in seine Wohnung verabfolgt werden, g 148. Dem verhafteten Beschuldigten ist schriftlicher und mündlicher Verkehr mit dem Verteidiger gestattet. Solange das Hauptverfahren nicht eröffnet ist, kann der Richter schrift­ liche Mitteilungen zurückweisen, falls deren Einsicht ihm nicht gestattet wird. Bis zu demselben Zeitpunkt kann der Mchter, sofern die Verhaftung nicht lediglich wegen Verdachts der Flucht gerechtfertigt ist, anordnen, daß den Unterredungen mit dem Verteidiger eine Gerichtsperson beiwohne.

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

§ 149. Der Ehemann einer Angeklagten ist in der Hanptverhandlung als Beistand zuzulassen und auf sein Verlangen zu h-ören. Dasselbe gilt von dem gesetzlichen Vertreter eines Angeklagten. In dem Vorverfahren unterliegt die Zulassung solcher Beistände dem richterlichen Ermessen. 8 150. Dem zum Verteidiger bestellten Rechtsanwalt sind für die ge­ führte Verteidigung die Gebühren nach Maßgabe der Gebührenordnung aus der Staatskasse zu bezahlen. Der Rückgriff an den in die Kosten verurteilten Angeklagten bleibt vorbehalten.

Zweites Buch. Verfahren in erster Instanz. Erster Abschnitt. Öffentliche Klage.

8 151. Die Eröffnung einer gerichtlichen Untersuchung ist durch die Erhebung der Klage bedingt. 8 152. Zur Erhebung der öffentlichen Klage ist die Staatsanwaltschaft berufen. Sic ist, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller gerichtlich strafbaren und verfolgbaren Handlungen einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. 8 153. Übertretungen werden nicht verfolgt, wenn die Schuld des Ta* ters gering ist und die Folgen der Tat unbedeutend sind, es sei denn, daß etrt öffentliches Interesse an der Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung besteht. Ist bei einem Vergehen die Schuld des Täters gering und sind die Fol­ gen der Tat unbedeutend, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Amtsrichters von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen. Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft das «Verfahren einstellen; der Beschluß kann nicht an­ gefochten werden. 8 154. Bon Erhebung der öffentlichen Klage kann abgesehen werden, wenn die Strafe, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer .Strafe, zu der der Beschuldigte wegen einer anderen Tat rechtskräftig verurteilt worden ist, oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht ins Gewicht fällt. Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf An­ trag der Staatsanwaltschaft das Verfahren vorläufig einstellen. Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannte Strafe vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nichL inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder ausgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe nachträglich in Wegfall kommt. Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht in­ zwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wiederaufgenommen werden. Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme einer Gerichtsbeschlusses. 8 155. Die Untersuchung und Entscheidung erstreckt sich nur auf die in der Klage bezeichnete Tat und auf die durch die Klage beschuldigten Personen. Innerhalb dieser Grenzen sind die Gerichte zu einer selbständigen Tätig­ keit berechtigt und verpflichtet; insbesondere sind sie bei Anwendung des Strafgesetzes an die gestellten Anträge nicht gebunden. 8 150. Die öffentliche Klage kann nach Eröffnung der Untersuchung nicht zurückgenommen werden.

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 149—166.

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§ 157. Im Sinne dieses Gesetzes ist: Angeschuldigter der Beschuldigte, gegen welchen die öffentliche Klage erhoben ist, Angeklagter der Beschuldigte oder Angeschuldigte, gegen welchen die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen ist. Zweiter Abschnitt. Vorbereitung der öffentlichen Klage. g 158. Anzeigen strafbarer Handlungen oder Anträge auf Strafverfol­ gung können bei der Staatsanwaltschaft, den Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes und den Amtsgerichten mündlich oder schrift­ lich angebracht werden. Die mündliche Anzeige ist zu beurkunden. Bei strafbaren Handlungen, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, muß der Antrag bei einem Gericht oder der Staatsanwaltschaft schriftlich oder zu Protokoll, bei einer anderen Behörde schriftlich angebracht werden. 8 159. Sind Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß jemand eines nicht natürlichen Todes gestorben ist, oder wird der Leichnam eines Unbekannten gefunden, so sind die Polizei- und Gemeindebehörden zur sofortigen Anzeige an die Staatsanwaltschaft oder an den Amtsrichter verpflichtet. Die Beerdigung darf nur auf Grund einer schriftlichen Genehmigung der Staatsanwaltschaft oder des Amtsrichters erfolgen. 8 160. Sobald die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer strafbaren Handlung Kenntnis erhält, hat sie behufs ihrer Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben sei, den Sachverhalt zu erforschen. Die Staatsanwaltschaft hat nicht bloß die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln und für die Erhebung der Be­ weise Sorge zu tragen, deren Verlust zu besorgen steht. 8 161. Zu dem im vorstehenden Paragraphen bezeichneten Zwecke kann die Staatsanwaltschaft von allen öffentlichen Behörden Auskunft verlangen und Ermittelungen jeder Art, mit Ausschluß eidlicher Vernehmungen, entweder selbst vornehmen oder durch die Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes vornehmen lassen. Die Behörden und Beamten des Poli­ zei- und Sicherheitsdienstes sind verpflichtet, dem Ersuchen oder Auftrage der Staatsanwaltschaft zu genügen. 8 162. Erachtet die Staatsanwaltschaft die Vornahme einer richterlichen Untersuchungshandlung für erforderlich, so stellt sie ihre Anträge bei dem Amtsrichter des Bezirkes, in welchem diese Handlung vorzunehmen ist. Der Amtsrichter hat zu prüfen, ob die beantragte Handlung nach den Um­ ständen des Falles gesetzlich zulässig ist. 8 163. Die Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes haben strafbare Handlungen zu erforschen und alle keinen Aufschub gestatten­ den Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten. Sie übersenden ihre Verhandlungen ohne Verzug der Staatsanwaltschaft. Erscheint die schleunige Vornahme richterlicher Untersuchungshandlungen er­ forderlich, so kann die Übersendung unmittelbar an den Amtsrichter erfolgen. 8 164. Bei Amtshandlungen an Ort und Stelle ist der Beamte, welcher sie leitet, befugt, Personen, welche seine amtliche Tätigkeit vorsätzlich stören oder sich den von ihm innerhalb seiner Zuständigkeit getroffenen Anordnun­ gen widersetzen, festnehmen und bis zur Beendigung seiner Amtsverrichtungen, jedoch nicht über den nächstfolgenden Tag hinaus, festhalten zu lassen. 8 165. Wenn Gefahr im Verzug obwaltet, hat der Amtsrichter die er­ forderlichen Untersuchungshandlungen von Amts wegen vorzunehmen. 8 166. Wird die Beschuldigte von dem Amtsrichtervernommen, und beantragt er bei dieser Vernehmung zu seiner Entlastung einzelne Beweis­ erhebungen, so hat der Amtsrichter sie, soweit er sie für erheblich erachtet, vorzunehmen, wenn der Verlust derBeweise zu besorgen steht oder die Be­ weiserhebung die Freilassung des Beschuldigten begründen kann.

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Zweiter Teil. Strafprozeßgesetze.

Der Richter kann, wenn die Beweiserhebung in einem anderen Amts­ bezirke vorzunehmen ist, den Amtsrichtern des letzteren um ihre Vornahme ersuchen. 8 167. In den Fällen der §§ 165, 166 gebührt der Staatsanwalt­ schaft die weitere Verfügung. 8 168. Die Beurkundung der von dem Amtsrichter vorzunehmendeic Untersuchungshandlungen und die Zuziehung eines Gerichtsschreibers erfolgt nach den für die Voruntersuchung geltenden Vorschriften. 8 169. Für die Teilnahme der Staatsanwaltschaft an den richterlichen Verhandlungen kommen die für die Voruntersuchung geltenden Vorschriften zur Anwendung. Das gleiche gilt für den Beschuloigten, seinen Verteidiger und die von ihm benannten Sachverständigen, wenn der Beschuldigte als solcher vom Richter vernommen ist oder sich in Untersuchungshaft befindet. 8 170. Bieten die angestellten Ermittelungen genügenden Anlaß zur Er­ hebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie entweder durch einen Antrag auf gerichtliche Voruntersuchung oder durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem Gerichte. Anderenfalls verfügt die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Ver­ fahrens und setzt hiervon den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vom Richter vernommen oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war. 8 171. Gibt die Staatsanwaltschaft einem bei ihr angebrachten Antrag auf Erhebung der öffentlichen Klage keine Folge, oder verfügt sie nach dem Abschluß der Ermittelungen die Einstellung des Verfahrens, so hat sie den An­ tragsteller unter Angabe der Gründe zu bescheiden. 8 172 Ist der Antragsteller zugleich der Verletzte, so steht ihm gcijen diesen Bescheid binnen zwei Wochen nach der Bekanntmachung die Beschwerde an den vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft und gegen dessen ab­ lehnenden Bescheid binnen einem Monat nach der Bekanntmachung der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu. Der Antrag muß die Tatsachen, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, uno die Beweismittel angeben, auch von einem Rechts­ anwalt unterzeichnet sein. Der Antrag ist bei dem für die Entscheidung zu­ ständigen Gericht einzureichen. Zur Entscheidung ist in den vor das Reichsgericht gehörigen Sachen das Reichsgericht, in anderen Sachen das Oberlandesgericht zuständig. 8 173. Auf Verlangen des Gerichts hat ihm die Staatsanwaltschaft die bisher von ihr geführten Verhandlungen vorzulegen. Das Gericht kann den Antrag unter Bestimmung einer Frist dem Be­ schuldigten zur Erklärung mitteilen. Das Gericht kann zur Vorbereitung seiner Entscheidung Ermittelungen anordnen und mit ihrer Vornahme eines seiner Mitglieder, den Untersuchungs­ richter oder den Amtsrichter beauftragen. 8 174. Ergibt sich kein genügender Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so verwirft das Gericht den Antrag und setzt den Antragsteller, die Staatsanwaltschaft und den Beschuldigten von der Verwerfung in KenntnisIst der Antrag verworfen, so kann die öffentliche Klage nur aus Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel erhoben werden. 8 175. Erachtet dagegen das Gericht den Antrag für begründet, so be­ schließt es die Erhebung der öffentlichen Klage. Die Durchführung dieses Be­ schlusses liegt der Staatsanwaltschaft ob. 8 176. Dem Antragsteller kann vor der Entscheidung über den Antrag die Leistung einer Sicherheit für die durch das Verfahren über den Antrag und durch die Untersuchung der Staatskasse und dem Beschuldigten voraussichtlich erwachsenden Kosten durch Beschluß des Gerichts auferlegt werden. Die Sicherheitsleistung ist durch Hinterlegung in barem Gelde oder in Wertpapieren zu bewirken. Die Höhe der zu leistenden Sicherheit wird von dem Gerichte nach

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 167—186.

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freiem Ermessen festgesetzt. Es hat zugleich eine Frist zu bestimmen, binnen welcher die Sicherheit zu leisten ist. Wird die Sicherheit binnen der bestimmten Frist nicht geleistet, so hat das Gericht den Antrag für zurückgenommen zu erklären. § 177 Die durch das Verfahren über den Antrag veranlaßten Kosten sind in dem Falle des § 174 und des § 176 Abs. 2 dem Antragsteller aufzu­ erlegen. Dritter Abschnitt. Gerichtliche Voruntersuchung. § 178. Die Voruntersuchung findet in den Strafsachen statt, welche zur Zuständigkeit des Reichsgerichts, der Oberlandesgerichte oder der Schwurgerichte gehören. In den zur Zuständigkeit der Amtsgerichte gehörender: Sachen findet, abgesehen von Übertretungen, eine Voruntersuchung statt: 1. wenn die Staatsanwaltschaft es beantragt: 2. wenn der Angeschuldigte in der Erklärung über die Anklageschrift (§ 201) es beantragt und erhebliche Gründe geltend macht, aus denen eine Vor­ untersuchung zur Vorbereitung seiner Verteidigung erforderlich erscheint. 8 179. Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Eröffnung der Voruntersuchung muß den Beschuldigten und die ihm zur Last gelegte Tat bezeichnen. 8 180. Der Antrag kann nur wegen Unzuständigkeit des Gerichts oder wegen Unzulässigkeit der Strafverfolgung oder der Voruntersuchung (§ 178), oder weil die in dem Antrag bezeichnete Tat unter kein Strafgesetz fällt, abge­ lehnt werden. Hierzu bedarf es eines Beschlusses des Gerichts. Der Angeschuldigte kann vor der Beschlußfassung gehört werden. 8 181. Gegen die Verfügung, durch welche auf Antrag der Staatsanwalt­ schaft die Voruntersuchung eröffnet worden ist, kann der Angeschuldigte aus einem der im § 180 Abs. 1 bezeichneten Gründe Einwand erheben. Über den Einwand entscheidet das Gericht. Diese Bestimmung findet nicht Anwendung, wenn die Voruntersuchung infolge des Beschlusses des Gerichts eröffnet und der Angeschuldigte vorher­ gehört worden ist. 8 182. Gegen den Beschluß des Gerichts, durch welchen der von dem Angeschuldigten in dem Falle des § 180 Abs. 2 und in dem Falle des § 181 Abf. 1 erhobene Einwand der Unzuständigkeit (§ 16) verworfen wird, steht dem Angeschuldigten die sofortige Beschwerde zu. Im übrigen kann der Beschluß des Gerichts, durch welchen der Einwaud des Angeschuldigten verworfen oder die Eröffnung der Voruntersuchung ange­ ordnet ist, nicht angefochten werden. 8 183. Gegen den Beschluß des Gerichts, durch welchen der Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeschuldigten auf Eröffnung der Voruntersuchung abgelehnt worden ist, findet sofortige Beschwerde statt. 8 184. Die Voruntersuchung wird von dem Untersuchungsrichter eröffnet und geführt. 8 185. Durch Beschluß des Landgerichts kann auf Antrag der Staats­ anwaltschaft die Führung der Voruntersuchung einem Amtsrichter übertragen werden. Um die Vornahme einzelner Untersuchungshandlungen kann der Untersuchungsrichter die Amtsrichter ersuchen. Auf Amtsrichter, welche mit dem Untersuchungsrichter denselben Amtssitz haben, finden diese Bestimmungen keine Anwendung. 8 186. Bei dem Reichsgerichte wird der Untersuchungsrichter für jede Strafsache aus der Zahl der Mitglieder durch den Präsidenten bestellt. Der Präsident kann auch jedes Mitglied eines anderen deutschen Gerichts und jeden Amtsrichter zum Untersuchungsrichter, oder für einen Teil der Ge­ schäfte des Untersuchungsrichters zu seinem Vertreter bestellen. Der Untersuchungsrichter und dessen Vertreter können um die Vornahme einzelner Untersuchungshandlungen die Amtsrichter ersuchen.

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

Auf die zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte gehörigen Strafsachen finden die Vorschriften mit der Maßgabe Anwendung, daß der Präsident des Oberlandesgerichts jeden Richter, der in dem dem Oberlandesgerichte zuge­ wiesenen Bezirke (§ 120 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes) angestellt ist, zum Untersuchungsrichter bestellen kann. 8 187. Bei der Vernehmung des Angeschuldigten, der Zeugen und Sachverständigen sowie bei der Einnahme des Augenscheins hat der Unter­ suchungsrichter einen Gerichtsschreiber zuzuziehen. In dringenden Fällen kann der Untersuchungsrichter eine von ihm zu beeidigende Person als Gerichts­ schreiber zuziehen. 8 188. Über jede Unterjuchungshandlung ist ein Protokoll aufzunehmen. Das Protokoll ist von dem Untersuchungsrichter und dem zugezogenen Gerichts­ schreiber zu unterschreiben. Das Protokoll muß Ort und Tag der Verhandlung sowie die Namen der mitwirkenden oder beteiligten Personen angeben und ersehen lassen, ob die wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens beobachtet sind. Das Protokoll ist den bei der Verhandlung beteiligten Personen, soweit es sie betrifft, behufs der Genehmigung vorzulesen oder zur eigenen Durch­ lesung vorzulegen. Tie erfolgte Genehmigung ist zu vermerken und das Pro­ tokoll von den Beteiligten entweder zu unterschreiben oder darin anzugeben, weshalb die Unterschrift unterblieben ist. 8 189. Die Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes sind verpflichtet, Ersuchen oder Aufträgen des Untersuchungsrichters um Aus­ führung einzelner Maßregeln oder um Vornahme von Ermittelungen zu ge­ nügen. 8 190. Die Voruntersuchung ist nicht weiter auszudehnen, als erforder­ lich ist, um eine Entscheidung darüber zu begründen, ob das Hauptverfahren zu eröffnen oder der Angeschuldigte außer Verfolgung zu setzen sei. Auch sind Beweise, deren Verlust für die Hauptverhandlung zu besorgen steht, oder deren Aufnahme zur Vorbereitung der Verteidigung des Angeschul­ digten erforderlich erscheint, in der Voruntersuchung zu erheben. 8 191. Ergibt sich im Laufe der Voruntersuchung Anlaß zu ihrer Aus­ dehnung auf eine in dem Antrag der Staatsanwaltschaft nicht bezeichnete Per­ son oder Tat, so hat der Untersuchungsrichter in dringenden Fällen die in dieser Beziehung erforderlichen Untersuchungshandlungen von Amts wegen vorzunehmen. Die weitere Verfügung gebührt auch in solchen Fällen der Staats­ anwaltschaft. 8 192. Der Angeschuldigte ist in der Voruntersuchung zu vernehmen, auch wenn er schon vor ihrer Eröffnung vernommen worden ist. Ihm ist hierbei die Verfügung, durch welche die Voruntersuchung eröffnet worden, bekanntzu­ machen. Die Vernehmung erfolgt in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers. 8 193. Findet die Einnahme eines Augenscheins statt, so ist der Staats­ anwaltschaft, dem Angeschuldigten und dem Verteidiger die Anwesenheit bei der Verhandlung zu gestatten. Dasselbe gilt, wenn ein Zeuge oder Sachverständiger vernommen werden soll, welcher voraussichtlich am Erftheinen in der Hauptverhandlung verhindert, oder dessen Erscheinen wegen großer Entfernung besonders erschwert sein wird. Bon den Terminen sind die zur Anwesenheit Berechtigten vorher zu be­ nachrichtigen, soweit dies ohne Aufenthalt für die Sache geschehen kann. Einen Anspruch auf Anwesenheit hat der nicht auf freiem Fuße befind­ liche Angeschuldigte nur bei solchen Terminen, welche an der Gerichtsstelle des Ortes abgehalten werden, wo er sich in Haft befindet. Auf die Verlegung eines Termins wegen Verhinderung haben die zur Anwesenheit Berechtigten keinen Anspruch.

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 187—201.

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§ 1-4. Der Richter kann einen Angeschuldigten von der Anwesenheit bei der Verhandlung ausschließen, wenn zu befürchten ist, daß ein Zeuge in seiner Gegenwart die Wahrheit nicht sagen werde. § 195. Findet die Einnahme eines Augenscheins unter Zuziehung von Sachverständigen statt, so kann der Angeschuldigte beantragen, daß die von ihm für die Hauptverhandlung in Vorschlag zu bringenden Sachverständigen zu dem Termine geladen werden und, wenn der Richter den Antrag ablehnt, sie selbst laden lassen. Den von de m An geschuldigten benannten Sachverständigen ist die Teil­ nahme am Augenschein und an den erforderlichen Untersuchungen insoweit zu gestatten, als dadurch die Tätigkeit der vom Richter bestellten Sachverständigen nicht behindert wird. 8 196. Die Staatsanwaltschaft kann stets, ohne daß jedoch das Ver­ fahren dadurch aufgehalten werden darf, von dem Stande der Vorunter­ suchung durch Einsicht der Akten Kenntnis nehmen und die ihr geeignet schei­ nenden Anträge stellen. § 197. Erachtet der Untersuchungsrichter den Zweck der Voruntersuchung für erreicht, so übersendet er die Akten der Staatsanwaltschaft zur Stellung ihrer Anträge. Beantragt die Staatsanwaltschaft eine Ergänzung der Voruntersuchung, so hat der Untersuchungsrichter, wenn er dem Anträge nicht stattgeben will, die Entscheidung des Gerichts einzuholen. Von dem Schlüsse der Voruntersuchung ist der Angeschuldigte in Kenntnis zu setzen. Vierter Abschnitt.

Entscheidung über die Eröffnung des HanptverfahreuS. 8 198. Hat eine Voruntersuchung stattgefunden, so entscheiden in den zur Zuständigkeit des Reichsgerichts oder der Oberlandesgerichte gehörigen Sachen diese Gerichte, sonst das Landgericht darüber, ob das Hauptverfahren zu eröffnen oder der Angeschuldigte außer Verfolgung zu setzen oder das Verfahren vor­ läufig einzustellen sei. Die Staatsanwaltschaft legt zu diesem Zwecke die Akten mit ihrem An­ trag dem Gerichte vor. Der Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahrens er­ folgt durch Einreichung einer Anklageschrift. 8 199. Erhebt die Staatsanwaltschaft, ohne daß eine Voruntersuchung stattgefunden, die Anklage, so ist die Anklageschrift mit den Akten bei dem Amtsrichter einzureichen. 8 200. Die Anklageschrift hat die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Tat unter Hervorhebung ihrer gesetzlichen Merkmale und des anzuwendenden Strafgesetzes zu bezeichnen sowie die Beweismittel und das Gericht, vor welchem die Hauptverhandlung stattfinden soll, anzugeben. In den vor dem Reichsgerichte, den Oberlandesgerichten oder den Schwur­ gerichten zu verhandelnden Strafsachen sind außerdem die wesentlichen Er­ gebnisse der stattgehabten Ermittelungen in die Anklageschrift aufzunehmen. Das gleiche gilt in den vor dem Schöffengericht oder dem Amtsrichter zu ver­ handelnden Strafsachen, wenn ein Verbrechen den Gegenstand der Anklage bildet. § 201. Der Vorsitzende des Gerichts hat die Anklageschrift dem Angeschuldigten mitzuteilen und ihn zugleich aufzufordern, sich innerhalb einer zu bestimmenden Frist zu erklären, ob er die Vornahme einzelner Beweiserhe­ bungen vor der Hauptverhandlung beantragen oder Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbringen wolle. Diese Vorschrift findet in den vor dem Schöffengericht oder dem Amtsrichter zu verhandelnden Smhen nur Anwendung, wenn ein Verbrechen den Gegenstand der Anklage bildet; hat in diesem Falle keine Boruntersmhung statt gefunden, so ist der Angeschul­ digte zugleich zur Erklärung darüber aufzufordern, ob er eine Voruntersuchung beantragen wolle.

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Zweiter Teil. Strafprozeßgesetze.

Über die Anträge und Einwendungen beschließt das Gericht. Beantragt der Angeschuldigte eine Voruntersuchung, so hat der Amtsrichter die Akten mit dem Antrag des Angeschuldigten durch Vermittelung der Staatsanwaltschaft dem Landgerichte zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob eine Vornntersuchung zu eröffnen sei. Eine Anfechtung der Beschlüsse findet nur nach Maß­ gabe der Bestimmungen im § 182 Abs. 1 und § 183 statt. 8 202* Zur besseren Aufklärung der Sache kann das Gericht eine Er­ gänzung der Voruntersuchung anordnen. Hält der Amtsrichter zur besseren Aufklärung der Sache eine Vorunter­ suchung für nötig, so hat er die Akten mit einer Begründung seiner Auffassung durch Vermittelung der Staatsanwaltschaft dem Landgerichte zur Entschei­ dung darüber vorzulegen, ob eine Voruntersuchung zu eröffnen sei. Einzelne Beweiserhebungen kann auch der Amtsrichter anordnen. Eine Anfechtung der Beschlüsse findet nicht statt. 8 203. Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen der Voruntersuchung oder, falls eine solche nicht statt­ gefunden hat, nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der An­ geschuldigte einer sttafbaren Handlung hinreichend verdächtig erscheint. 8 204. Beschließt das Gericht, das Hauptversahren nicht zu eröffnen, so muß aus dem Beschlusse heroorgehen, ob er auf tatsächlichen oder ans Rechts­ gründen beruht. Hat eine Voruntersuchung stattgefunden, so ist äuszusprechen, daß der Angeschuldigte außer Verfolgung zu setzen sei. Der Beschluß ist dem An geschuldigten bekanntzumachen. 8 205. Vorläufige Einstellung des Verfahrens kann beschlossen werden, wenn dem weiteren Verfahren Abwesenheit des Angeschuldigten oder der Um­ stand entgegensteht, daß er nach der Tat in Geisteskrankheit verfallen ist. 8 206. Das Gericht ist bei der Beschlußfassung an die Anträge der Staatsanwaltschaft nicht gebunden. 8 207. In dem Beschlusse, durch welchen das Hauptverfahren eröffnet wird, ist die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter Hervorhebung ihrer gesetzlichen Merkmale und des anzuwendenden Strafgesetzes sowie das Gericht zu bezeichnen, vor welchem die Hauptverhandlung stattfinden soll. Das Gericht hat zugleich von Amts wegen über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft zu beschließen. 8 208. Wenn von der Staatsanwaltschaft beantragt ist, den Ange­ schuldigten außer Verfolgung zu setzen, von dem Gerichte aber die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen wird, so Hut die Staatsanwaltschaft eine dem Beschluß entsprechende Anklageschrift einzureichen. Die Besttmmungen des § 201 finden hier gleichfalls Anwendung: cs ist jedoch die Aufforderung auf die Erklärung zu beschränken, ob der Angeklagte die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Hauptverhandlung bean­ tragen «wolle. 8 209. Das Landgericht kann das Hauptverfahren vor den erleimeuhcn, Gerichten jeder Ordnung, nicht aber vor dem Reichsgericht eröffnen. Erachtet das Landgericht die Zuständigkeit des Reichsgerichts für begründet, so legt es die Akten durch Vermittelung der Staatsanwaltschaft diesem Gerichte zur Ent­ scheidung vor. Ebenso hat der Amtsrichter, wenn er findet, daß eine bei ihm einge­ reichte Sache die Zuständigkeit des Amtsgerichts übersteige, die Men durch Vermittelung der Staatsanwaltschaft dem Landgerichte zur Entscheidung vorzulegen. 8 210. Der Beschluß, durch welchen das Hauptverfahren eröffnet worden ist, kann von dem Angeklagten nicht angefochten werden. Gegen den Beschluß, durch welchen die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Ver­ weisung an ein Gericht niederer Ordnung ausgesprochen worden ist, steht der Staatsanwaltschaft die sofortige Beschwerde zu.

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 202—220.

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§ 211. Ist die Eröffnung des Hauptverfahrens durch einen nicht mehr anfechtbaren Beschluß abgelehnt, so kann die Klage nur auf Grund neuer Tat­ sachen oder Beweismittel wiederaufgenommen werden. 8 212. Vor dem Amtsrichter oder dem Schöffengerichte kann ohne schriftlich erhobene Anklage und ohne eine Entscheidung über die Eröffnung des dauptverfahrens zur Hauptverhandlung geschritten werden, wenn der Be­ schuldigte entweder sich freiwillig stellt oder infolge einer vorläufigen Festuahme dem Gerichte vorgeführt oder nur wegen Übertretung verfolgt wird. Der wesentliche Inhalt der Anklage ist in den Fällen der freiwilligen Stellung oder der Vorführung in das Sitzungsprotokoll, anderenfalls in die Ladung des Beschuldigten aufzunehmen.

Fünfter Abschnitt. Borbereitung der Hauptverhandlung. § 213. Der Termin zur Hauptverhandlung wird von dem Vorsitzenden des Gerichts anberaumt. 8 214. Die zur Hauptverhandlung erforderlichen Ladungen und die .Herbeischaffung der als Beweismittel dienenden Gegenstände bewirkt die Staatsanwaltschaft. Ist anzunehmen, daß die Hauptverhandlung sich auf längere Zeit er­ streckt, so kann der Vorsitzende bestimmen, daß sämtliche oder einzelne Zeugen und Sachverständige zu einem späteren Zeitpunkt als dem Beginne der Haupt­ verhandlung geladen werden. 8 215. Der Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens ist dem Angeklagten spätestens mit der Ladung zuzustellen. 8 216. Die Ladung eines auf freiem Fuße befindlichen Angeklagten geschieht schriftlich unter der Warnung, daß im Falle seines unentschuldigten Ausbleibens seine Verhaftung oder Vorführung erfolgen werde. Tie Warnung kann in den Fällen des § 232 unterbleiben. Die Ladung des nicht auf freiem Fuße befindlichen Angeklagten erfolgt durch Bekanntmachung des Termins zur Hauptverhandlung in Gemäßheit des § 35. Dabei ist der Angeklagte zu befragen, ob und welche Anträge er in bezug auf seine Verteidigung für die Hauptverhandlung zu stellen habe. § 217. Zwischen der Zustellung der Ladung (§ 216) und dem Tage der Hauptverhandlung muß eine Frist von mindestens einer Woche liegen. Ist diese Frist nicht eingehalten worden, so kann der Angeklagte die Aus­ setzung der Verhandlung verlangen, solange mit der Verlesung des Beschlusses über die Eröffnung des Hauptverfahrens nicht begonnen ist. § 218. Neben dem Angeklagten ist der bestellte Verteidiger stets, der ge­ wählte Verteidiger dann zu laden, wenn die Wahl dem Gerichre angezeigt worden ist. 8 219. Verlangt der Angeklagte die Ladung von Zeugen oder Sachver­ ständigen oder die Herbeischasfung anderer Beweismittel zur Hauptverhandlung, so hat er unter Angabe der Tatsachen, über welche der Beweis erhoben werden soll, seine Anträge bei dem Vorsitzenden des Gerichts zu stellen. Die hierauf ergehende Verfügung ist ihm bekanntzumachen. Beweisanträge des AngeÄagten sind, soweit ihnen stattgegeben ist, der Staatsanwaltschaft mitzuteilen. § 220. Lehnt der Vorsitzende den Antrag auf Ladung einer Person ab, so kann der Angeklagte sie unmittelbar laden lassen. Hierzu ist er auch ohne vorgängigen Antrag befugt. Eine unmittelbar geladene Person ist nur dann zum Erscheinen verpflichtet, wenn ihr bei der Ladung die gesetzliche Entschädigung für Reisekosten und Ver­ säumnis bar dargeboten oder deren Hinterlegung bei dem Gerichtsschreiber nachgewiesen wird. Ergibt sich in der Hauptverhandlung, daß die Vernehmung einer unmittel­ bar geladenen Person zur Aufklärung der Sache dienlich war, so hat das Ge-

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesehe.

richt auf Antrag anzuordnen, daß ihr die gesetzliche Entschädigung aus der Staatskasse zu gewähren sei. 8 221. Der Vorsitzende des Gerichts kann auch von Amts wegen die Ladung von Zeugen und Sachverständigen sowie die Herbeischaffung anderer Beweismittel anordnen. 8 222. Der Angeklagte hat die von ihm unmittelbar geladenen oder zur Hauptverhandlung zu stellenden Zeugen und Sachverständigen rechtzeitig der Staatsanwaltschaft namhaft zu machen und ihren Wohn- oder Aufenthalts­ ort anzugeben. Dieselbe Verpflichtung hat die Staatsanwaltschaft gegenüber dem Ange­ klagten, wenn sie außer den in der Anklageschrift benannten oder auf Antrag des Angeklagten geladenen Zeugen oder Sachverständigen die Ladung noch anderer Personen, sei es auf Anordnung des Vorsitzenden (§ 221) oder aus eigener Entschließung, bewirkt. 8 223. Wenn dein Erscheinen eines Zeugen oder Sachverständigen in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit oder Ge­ brechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen, so kann das Gericht seine Vernehmung durch einen beauftragten oder ersuchten Richter anordnen. Die Vernehmung erfolgt, soweit die Beeidigung zulässig ist, eidlich. Dasselbe gilt, wenn ein Zeuge oder Sachverständige vernommen werden soll, dessen Erscheinen wegen großer Entfernung besonders erschwert sein wird. 8 224. Von den zum Zwecke dieser Vernehmung anberaumten Terminen sind die Staatsanwaltschaft, der Angeklagte und der Verteidiger vorher zu benachrichtigen, insoweit dies nicht wegen Gefahr im Verzug untunlich ist; ihrer Anwesenheit bei der Vernehmung bedarf es nicht. Das aufgenommene Protokoll ist der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger vorzulegen. Der nicht auf freiem Fuße befindliche Angeklagte hat einen Anspruch auf Anwesenheit nur bei solchen Terminen, welche an der Gerichtsstelle des Ortes abgehalten werden, wo er sich in Haft befindet. 8 225. Ist zur Vorbereitung der Hauptverhandlung noch ein richterlicher Augenschein einzunehmen, so finden die Bestimmungen des vorhergehenden Paragraphen gleichfalls Anwendung.

Sechster Abschnitt. Hauptverhandlung. 8 226. Die Hauptverhandlung erfolgt in ununterbrochener Gegenwart der zur Urteilsfindung berufenen Personen sowie der Staatsanwaltschaft und eines Gerichtsschreibers. 8 227. Es können mehrere Beamte der Staatsanwaltschaft und mehrere Verteidiger in der Hauptverhandlung mitwirken und ihre Verrichtungen unter sich teilen. 8 228. Über Anträge auf Aussetzung einer Hauptverhandlung entscheidet das Gericht. Kürzere Unterbrechungen ordnet der Vorsitzende an. Eine Verhinderung des VerteiÜgers gibt, unbeschadet der Bestimmung des § 145, dem Angeklagten kein Recht, die Aussetzung der Verhandlung zu ver­ langen. Ist die Frist des § 217 Abs. 1 nicht eingehalten worden, so soll der Vor­ sitzende den Angeklagten mit der Befugnis, Aussetzung der Verhandlung zu verlangen, bekannt machen. 8 226. Eine unterbrochene Hauptverhandlung muß spätestens am vierten Tage nach der Unterbrechung fortgesetzt werden, widrigenfalls mit dem Verfahren von neuem zu beginnen ist. 8 230. Gegen einen ausgebliebenen Angeklagten findet eine Hauptver­ handlung nicht statt. Ist das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entschuldigt, so ist die Vorführung anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen.

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 221—239.

815

§ 231. Der erschienene Angeklagte darf sich aus der Verhandlung nicht entfernen. Der Vorsitzende kann die geeigneten Maßregeln treffen, um die Entfernung zu verhindern- auch kann er den Angeklagten während einer Unter­ brechung der Verhandlung in Gewahrsam halten lassen. Entfernt der Angeklagte sich dennoch oder bleibt er bei der Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung aus, so kann diese in seiner Abwesenheit zu Ende geführt werden, wenn seine Vernehmung über die Anklage schon erfolgt war und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet.

8 232. Beim Ausbleiben des Angeklagten kann zur Hauptverhandlung geschritten werden, wenn die den Gegenstand der Untersuchung bildende Tat nur mit Geldstrafe, Haft oder Einziehung, allein oder in Verbindung mit­ einander, bedroht ist. In solchen Fällen muß der Angeklagte in der Ladung auf die Zulässig­ keit dieses Verfahrens ausdrücklich hingewiesen werden. § 233. Der Angeklagte kann im Verfahren vor dem Amtsrichter und dem Schöffengericht auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden werden. Dies gilt nicht bei Verbrechen, die nicht nur wegen Rückfalls Verbrechen sind. Wird der Angeklagte von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Haupt­ verhandlung entbunden, so muß er, wenn seine richterliche Vernehmung nicht schon im Vorverfahren erfolgt ist, durch einen beauftragten oder ersuchten Richter über die Anklage vernommen werden. Von dem zum Zwecke der Vernehmung anberaumten Termine sind die Staatsanwaltschaft und der Verteidiger vorher zu benachrichtigen- ihrer An­ wesenheit bei der Vernehmung bedarf es nicht. Das Protokoll über die Ver­ nehmung ist in der Hauptverhandlung zu verlesen. 8 234. Insoweit die Hauptverhandlung ohne Anwesenheit des Ange­ klagten stattfinden kann, ist er befugt, sich durch einen mit schriftlicher Voll­ macht versehenen Verteidiger vertreten zu lassen.

8 235. Hat die Hauptverhandlung ohne Anwesenheit des Angeklagten stattgefunden, so kann er gegen das Urteil binnen einer Woche nach der Zu­ stellung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter gleichen Voraus­ setzungen wie gegen die Versäumung einer Frist nachsuchen. War jedoch der Angeklagte auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden worden, oder hatte er von der Befugnis, sich vertreten zu lassen, Gebrauch gemacht, so findet eine Wieder­ einsetzung in den vorigen Stand nicht statt. 8 236. Das Gericht ist stets befugt, das persönliche Erscheinen des Ange­ klagten anzuordnen und durch einen Borführungsbefehl oder Haftbefehl zu erzwingen.

8 237. Das Gericht kann im Falle eines Zusammenhanges zwischen mehreren bei ihm anhängigen Strafsachen ihre Verbindung zum Zwecke gleich­ zeitiger Verhandlung anordnen, auch wenn dieser Zusammenhang nicht der int § 3 bezeichnete ist.

8 238. Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden. Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet^ so entscheidet das Gericht. 8 239. Die Vernehmung der von der Staatsanwaltschaft und dem Ange­ klagten benannten Zeugen und Sachverständigen ist der Staatsanwaltschaft uni> dem Verteidiger auf deren übereinstimmenden Antrag von dem Vorsitzenden zu überlassen. Bei den von der Staatsanwaltschaft benannten Zeugen und Sachverständigen hat diese, bei den von dem Angeklagten benannten der Ver­ teidiger in erster Reihe das Recht zur Vernehmung.

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

Der Vorsitzende hat auch nach dieser Vernehmung die ihm zur weiteren Aufklärung der Sache erforderlich scheinenden Fragen an die Zeugen und Sach­ verständigen zu richten. § 240. Der Vorsitzende hat den beisitzenden Richtern auf Verlangen zu gestatten, Fragen an die Zeugen und Sachverständigen zu stellen. Dasselbe hat der Vorsitzende der Staatsanwaltschaft, dem Angeklagten und dem Verteidiger sowie den Geschworenen und den Schöffen zu gestatten. § 241. Dem, welcher im Falle des § 239 Abs. 1 die Befugnis der Ver­ nehmung mißbraucht, kann sie von dem Vorsitzenden entzogen werden. In den Fällen des § 239 Abs. 1 und des § 240 Abs. 2 kann der Vor­ sitzende ungeeignete oder nicht zur Sache gehörige Fragen zurückweisen. § 242. Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet in allen Fällen, das Gericht. 8 243. Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Zeugen und Sachverständigen. Hieran schließt sich die Vernehmung des Angeklagten über seine persön­ lichen Verhältnisse und die Verlesung des Beschlusses über die Eröffnung des Hauptverfahrens. Sodann erfolgt die weitere Vernehmung des Angeklagten nach Maßgabe des § 136. Die Verlesung des Beschlusses und die Vernehmung des Angeklagten ge­ schieht in Abwesenheit der zu vernehmenden Zeugen. 8 244. Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. Es bedarf eines Gerichtsbeschlusses, wenn ein Beweisantrag abgelehnt werden soll, oder wenn die Vornahme einer Beweishandlung eine Aussetzung der Hauptverhandlung erforderlich macht. Das Gericht kann auf Antrag und von Amts wegen die Ladung von Zeugen und Sachverständigen sowie die Herbeischaffung anderer Beweismittel anordnen. 8 245.1) Die Beweisaufnahme ist auf die sämtlichen vorgeladenen Zeugen und Sachverständigen sowie auf die anderen herbeigeschafften Beweismittel zu erstrecken. Vor: der Erhebung einzelner Beweise kann jedoch abgesehen werden, wenn die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte hiermit 'einver­ standen sind. In Verhandlungen vor dem Amtsrichter, den Schöffengerichten und den Landgerichten, die eine Übertretung betreffen oder auf erhobene Privatklage erfolgen, bestimmt das Gericht den Umfang der Beweisaufnahme, ohne hierbei durch Anträge, Verzichte oder frühere Beschlüsse gebunden zu sein. 8 246. Eine Beweiserhebung darf nicht deshalb abgelehnt werden, weil das Beweismittel oder die zu beweisende Tatsache zu spät vorgebracht worden sei. Ist jedoch ein zu vernehmender Zeuge oder Sachverständiger dem Gegner des Antragstellers so spät namhaft gemacht oder eine zu beweisende Tatsache so spät vorgebracht worden, daß es dem Gegner an der zur Einziehung von Erkundigungen erforderlichen Zeit gefehlt hat, so kann er bis zum Schlüsse der Beweisaufnahme die Aussetzung der Hauptverhandlung zum Zwecke der Erkundigung beantragen. Dieselbe Befugnis haben die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte in betreff der auf Anordnung des Vorsitzenden oder des Gerichts geladenen Zeugen oder Sachverständigen. Über die Anträge entscheidet das Gericht nach freiem Ermessen. 8 247 Das Gericht kann den Angeklagten, wenn zu befürchten ist, daß ein Mitangeklagter oder ein Zeuge bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen werde, während dieser Vernehmung aus dem Sitzungszimmer abtreten lassen. Der Vorsitzende hat jedoch den Ange­ klagten, sobald dieser wieder vorgelassen worden, von dem wesentlichen Inhalt !) In der Fassung des Gesetzes v. 22. Dez. 1925 (RGBl. I S. 475).

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 240—256.

817

dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist. In gleicher Weise ist zu verfahren, wenn das Gericht wegen ordnungs­ widrigen Benehmens des Angeklagten zeitweise dessen Entfernung aus dem Sitzungszimmer angeordnet hat. § 248. Die vernommenen Zeugen und Sachverständigen dürfen sich nur mit Genehmigung oder auf Anweisung des Vorsitzenden von der Gerichtsstelle entfernen. Die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte sind vorher zu hören.

8 249. Urkunden und andere als Beweismittel dienende Schriftstücke werden in der Hauptverhandlung verlesen. Dies gilt insbesondere von früher ergangenen Strafurteilen, von Straflisten und von Auszügen aus Kirchen­ büchern und Personenstandsregistern und findet auch Anwendung auf Protokolle über die Einnahme des richterlichen Augenscheines. 8 250. Beruht der Beweis einer Tatsache aus der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer schriftlichen Erklärung ersetzt werden. 8 251. Ist ein Zeuge, Sachverständiger oder Mitbeschuldigter verstorben oder in Geisteskrankheit verfallen, oder ist sein Aufenthalt nicht zu ermitteln gewesen, so kann das Protokoll über seine frühere richterliche Vernehmung verlesen werden. Dasselbe gilt von dem bereits verurteilten Mitschuldigen. In den im § 223 bezeichneten Fällen ist die Verlesung des Protokolls über die frühere Vernehmung statthaft, wenn sie nach Eröffnung des Hauptverfahrens oder wenn sie in dem Vorverfahren unter Beobachtung der Vor schriften des § 193 erfolgt ist. Die Verlesung kann nur durch Gerichtsbeschluß angeordnet, auch muß ihr Grund verkündet und bemerkt werden, ob die Beeidigung der vernommenen Personen stattgefunden hat. An den Bestimmungen über die Notwendigkeit der Beeidigung wird hierdurch für die Fälle, in denen die nochmalige Ver nehmung ausführbar ist, nichts geändert. 8 252. Die Aussage eines vor der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen, welcher erst in der Hauptverhandlung von seinem Rechte, das Zeugnis zu verweigern, Gebrauch gemacht, darf nicht verlesen werden. 8 253. Erklärt ein Zeuge oder Sachverständiger, daß er sich einer Tat­ sache nicht mehr erinnert, so kann der hierauf bezügliche Teil des Protokolls über seine frühere Vernehmung zur Unterstützung seines Gedächtnisses ver­ lesen werden. Dasselbe kann geschehen, wenn ein in der Vernehmung hervortretender Widerspruch mit der früheren Aussage nicht auf andere Weise ohne Unter­ brechung der Hauptverhandlung festgestellt oder gehoben werden kann. 8 254. Erklärungen des Angeklagten, welche in einem richterlichen Protokolle enthalten sind, können zum Zwecke der Beweisaufnahme über ein Geständnis verlesen werden. Dasselbe kann geschehen, wenn ein in der Vernehmung hervortretender Widerspruch mit der früheren Aussage nicht auf andere Weise ohne Unter­ brechung der Hauptverhandlung festgestellt oder gehoben werden kann. 8 255. In den Fällen der §§ 253, 254 ist die Verlesung und ihr Grund aus Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten im Protokolle zu erwähnen. 8 256. Die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen öffentlicher Behörden, mit Ausschluß von Leumundszeugnissen, desgleichen ärzt­ liche Atteste über Körperverletzungen, welche nicht zu den schweren gehören, können verlesen werden. Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gerichte zu bezeichnen. «llfeld, Strafgesetzgebung. 3. Anfl. 52

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Zweiter Teil.

Strasprozeßgesetze.

8 257. Nach der Vernehmung eines jeden Zeugen, Sachverständigen oder Mitangeklagten sowie nach der Verlesung eines jeden Schriftstücks soll der Angeklagte befragt werden, ob er etwas zu erklären habe.

8 258. Nach dem Schluffe der Beweisaufnahme erhalten die Staats­ anwaltschaft und sodann der Angeklagte zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort. Der Staatsanwaltschaft steht das Recht der Erwiderung zu,- dem Ange­ klagten gebührt das letzte Wort. Der Angeklagte ist, auch wenn ein Verteidiger für ihn gesprochen hat, zu befragen, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe. 8 25,9. Einem der Gerichtssprache nicht mächtigen Angeklagten müssen aus den Schlußvorträgen mindestens die Antrüge der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers durch den Dolmetscher bekanntgemacht werden. Dasselbe gilt von einem tauben Angeklagten, sofern nicht eine schriftliche Verständigung erfolgt. 8 260. Die Hauptverhandlung schließt mit der Erlassung des Urteils. Das Urteil kann nur auf Freisprechung, Verurteilung oder Einstellung des Verfahrens lauten. Die Einstellung des Verfahrens ist auszusprechen, wenn bei einer auf An­ trag zu verfolgenden strafbaren Handlung sich ergibt, daß der erforderliche Antrag nicht vorliegt, oder wenn der Antrag rechtzeitig zurückgenommen ist. 8 261. Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriffe der Verhandlung geschöpften Über­ zeugung. 8 262. Hängt die Strafbarkeit einer Handlung von der Beurteilung eines bürgerlichen Rechtsverhältnisses ab, so entscheidet das Strafgericht auch über dieses nach den für das Verfahren und den Beweis in Strafsachen geltenden Vorschriften. Das Gericht ist jedoch befugt, die Untersuchung auszusetzen und einem der Beteiligten zur Erhebung der Zivilklage eine Frist zu bestimmen oder das Urteil des Zivilgerichts Äzuwarten. 8 263. Zu einer jeden dem Angeklagten nachteiligen Entscheidung, welche die Schuldfrage oder die Bemessung der Strafe betrifft, ist eine Mehrheit von zwei Dritteilen der Stimmen erforderlich. Die Schuldfrage begreift auch solche von dem Strafgesetze besonders vor­ gesehene Umstände, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder er­ höhen. Die Schuldfrage begreift nicht die Voraussetzungen des Rückfalls und der Verjährung. 8 264. Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnisse der Verhandlung darstellt. Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, welche dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde liegt, nicht gebunden. 8 265. Eine Verurteilung des Angeklagten auf Grund eines anderen als des in dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens angeführten Strafgesetzes darf nicht erfolgen, ohne daß der Angeklagte zuvor aus die Ver­ änderung des rechtlichen Gesichtspunkts besonders hingewiesen und ihm Gelegen­ heit zur Verteidigung gegeben worden ist. In gleicher Weise ist zu verfahren, wenn erst in der Verhandlung solche vom Strafgesetze besonders vorgesehene Umstände behauptet werden, welche die Strafbarkeit erhöhen. Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens angeführten, oder welche zu den im zweiten Absatz bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 257—270.

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Aucb sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Haupt­ verhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur ge­ nügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint. Auf die in § 245 Abs. 2 bezeichneten Verhandlungen findet die Vorschrift des dritten Absatzes nicht Anwendung. § 266 Wird der Angeklagte im Laufe der Hauptverhandlung noch einer anderen Tat beschuldigt, als wegen welcher das Hauptversahren wider ihn eröffnet worden, so kann sie auf Antrag der Staatsanwaltschaft und mit Zu­ stimmung des Angeklagten zum Gegenstände derselben Aburteilung gemacht werden. Diese Bestimmung findet nicht Anwendung, wenn die Tat als ein Ver­ brechen sich darstellt oder ihre Aburteilung die Zuständigkeit des Gerichts über­ schreitet. 8 267. Wird der Angeklagte verurteilt, )o müffer > die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in welchen die gesetzlichen Merk­ male der strafbaren Handlung gefunden werden. Insoweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Waren in der Verhandlung solche vom Strafgesetze besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht sestgestellt erachtet werden. Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und sollen die Umstände anführen, welche für die Zuwei­ sung der Strafe bestimmend gewesen fiitb. Macht das Strafgesetz die Anwen­ dung einer geringeren Strafe von dem Vorhandensein mildernder Umstände im allgemeinen abhängig, so müssen die Urteilsgründe die hierüber getroffene Entscheidung ergeben, sofern das Vorhandensein solcher Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint wird. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel, so genügt die Angabe der für erwiesen erachteten Tatsachen, in welchen die gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung gefunden werden, und des zur Anwendung gebrachten Strafgesetzes: hierbei kann auf den Eröffnungsbeschluß Bezug ge­ nommen werden. Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt, oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. 8 268. Die Verkündung des Urteils erfolgt durch Verlesung der Urteils­ formel und Eröffnung der Urteilsgründe am Schlüsse der Verhandlung oder spätestens mit Ablauf einer Woche nach dem Schlüsse der Verhandlung. Die Eröffnung der Urteilsgründe geschieht durch Verlesung oder durch mündliche Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts. War die Verkündung des Urteils ausgesetzt, so sind die Urteilsgründe vor ihr schriftlich festzustellen. 8 269. Das Gericht darf sich nicht für unzuständig erllären, weil die Sache vor ein Gericht niederer Ordnung gehöre. 8 270. Stellt sich nach dem Ergebnis der Verhandlung die dem AngeNagten zur Last gelegte Tat als eine solche dar, welche die Zuständigkeit des Gerichts überschreitet, so spricht es durch Beschluß seine Unzuständigkeit aus und verweist die Sache an das zuständige Gericht. Dieser Beschluß hat die Wirkung eines das Hauptverfahren eröffnenden Beschlusses und muß den Erfordernissen eines solchen entsprechen. Die Anfechtbarkeit des Beschlusses bestimmt sich nach den Vorschriften des § 210. Ist der Beschluß von einem Amtsrichter oder einem Schöffengericht er­ gangen, so kann der Angeklagte, falls nicht eine Voruntersuchung stattgefunden hat, innerhalb einer bei der Bekanntmachung des Beschlusses zu bestimmenden Frist die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Hauptverhandlung beantragen. Über den Antrag entscheidet der Vorsitzende des Gerichts, an welches die Sache verwiesen ist.

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

8 271. Über die Hauptverhandlung ist ein Protokoll aufzunehmen und von dem Vorsitzenden und dem Gerichtsschreiber zu unterschreiben. Ist der Vorsitzende verhindert, so unterschreibt für ihn der älteste bei­ sitzende Richter. Ist der Vorsitzende das einzige richterliche Mitglied des Ge­ richts, so genügt bei seiner Verhinderung die Unterschrift des Gerichtsschreibers. 8 272. Das Protokoll über die Hauptverhandlung enthält: 1. den Ort und den Tag der Verhandlung: 2. die Namen der Richter, Geschworenen und Schöffen, des Beamten der Staatsanwaltschaft, des Gerichtsschreibers und des zugezogenen Dol­ metschers,3. die Bezeichnung der strafbaren Handlung nach der Anklage; 4. die Namen der Angeklagten, ihrer Verteidiger, der Privatkläger, Neben­ kläger, gesetzlichen Vertreter, Bevollmächtigten und Beistände; die Angabe, daß öffentlich verhandelt oder die -Öffentlichkeit ausge­ schlossen ist. 8 273. Tas Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der .hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beobachtung aller rvefentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Schrift­ stücke sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urteilsformel enthalten. Aus der Hauptverhandlung vor dem Amtsrichter und dem Schöffengerichte sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen. Kommt es auf die Feststellung eines Vorganges in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung an, so hat der Vor­ sitzende die vollständige Niederschreibung und Verlesung anzuordnen. In dem Protokoll ist zu bemerken, daß die Verlesung geschehen und die Genehmigung erfolgt ist, oder welche Einwendungen erhoben sind. 8 274. Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig. 8 275. Das Urteil mit den Gründen ist binnen einer Woche nach der Verkündung zu den Akten zu bringen, falls es nicht bereits vollständig in das Protokoll ausgenommen worden ist. Es ist von den Richtern, welche bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterschreiben. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies unter Angabe des Verhinderungsgrundes von dem Vorsitzenden und bei dessen Verhinderung von dem ältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil bemerkt. Der Unterschrift der Schöffen und der Geschworenen bedarf es nicht. Die Bezeichnung des Tages der Sitzung sowie die Namen der Richter, der Geschworenen, der Schöffen, des Beamten der Staatsanwaltschaft und des Ge­ richtsschreibers, welche an der Sitzung teilgenommen haben, sind in das Urteil aufzunehmen. Die Ausfertigungen und Auszüge der Urteile sind von dem Gerichtsschreiber zu unterschreiben und mit dem Gerichtssiegel zu versehen. Siebenter Abschnitt. Verfahren gegen Abwesende. 8 276. Ein Beschuldigter gilt als abwesend, wenn sein Aufenthalt unbe­ kannt ist oder, wenn er sich im Ausland aufhält und seine Gestellung vor das zuständige Gericht* nicht ausführbar oder nicht angemessen erscheint. 8 277. Gegen einen Abwesenden kann eine Hauptverhandlung nur dann stattfinden, wenn die den Gegenstand der Untersuchung bildende Tat nur mit Geldstrafe oder Einziehung, allein oder in Verbindung miteinander, bedroht ist. Für das Verfahren kommen die Vorschriften der §§ 278 bis 284 zur An­ wendung.

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 271—288.

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§ 278. Ist der Aufenthalt des Angeklagten unbekannt oder die Befolgung der für Zustellungen im Ausland bestehenden Vorschriften unausführbar oder voraussichtlich erfolglos, so wird der Angeklagte in der Weise zur Hauptver­ handlung geladen, daß eine beglaubigte Abschrift der Ladung ztvei Wochen an die Gerichtstafel des Gerichts erster Instanz angehestet wird. 8 279. Die Ladung muß enthalten: die Angabe des Namens und, soweit dies bekannt, des Vornamens, Alters, Standes, Gewerbes und Wohnorts oder Aufenthaltsorts des Angeklagten, die Bezeichnung der dem Angeklagten zur Last gelegten strafbaren Handlung sowie die Angabe des Tages und der Stunde der Hauptverhandlung. Zugleich ist die Warnung hinzuzusügen, daß bei unentschuldigtem Aus­ bleiben des Angeklagten zur Hauptverhandlung werde geschritten werden. 8 280. In der Hauptverhandlung kann für den Angeklagten ein Vertei­ diger auftreten. Auch Angehörige des Angeklagten sind, ohne daß sie einer Vollmacht bedürfen, als Vertreter zuzulassen. 8 281. Die Zustellung des Urteils erfolgt nach Maßgabe der Bestim­ mungen des § 40 Abs. 2. 8 282. Die im § 280 bezeichneten Personen können von den dein Be­ schuldigten zustehenden Rechtsmitteln Gebrauch machen. 8 283. Insoweit es nach dem Ermessen des Richters zur Deckung der den Angeschuldigten möglicherweise treffenden höchsten Geldstrafe und der Kosten des Verfahrens erforderlich ist, können einzelne zum Vermögen des Angeschuldigten gehörige Gegenstände mit Beschlag belegt werdet!. Auf diese Beschlag­ nahme finden die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung über die Vollziehung und die Wirkungen des dinglichen Arrestes entsprechende Anwendung. Tie Beschlagnahme ist auszuhebett, wenn ihr Grund weggefallen ist. 8 284. Insoweit eine Deckung in Gemäßheit der vorstehenden Bestim­ mung nicht ausführbar erscheint, kann durch Beschluß des Gerichts das inr Deutschen Reiche befindliche Vermögen des Angeschuldigten mit Beschlag belegt werden. Der Beschluß ist durch den Deutschen Reichsanzeiger und nach Er­ messen des Gerichts auch durch andere Blätter zu veröffentlichen. Verfügungen, welche der Angeschuldigte über sein mit Beschlag belegtes Vermögen nach der ersten durch den Deutschen Reichsanzeiger bewirkten Ver­ öffentlichung des Beschlusses vornimmt, sind der Staatskasse gegenüber nichtig. Die Beschlagnahme des Vermögens ist aufzuheben, sobald ihr Grund weg­ gefallen oder die Deckung der Staatskasse durch eine Beschlagnahme in Gemäß­ heit des § 283 bewirkt ist. Die Aufhebung der Beschlagnahme ist durch dieselben Blätter bekanntzumachen, durch welche die Beschlagnahme veröffentlicht worden ist. 8 288. In anderen als den im § 277 bezeichneten Fällen findet gegen einen Abwesenden eine Hauptverhandlung nicht statt. Das gegen den Abwesen­ den eingeleitete Verfahren hat die Aufgabe, für den Fall seiner künftigen Gestellung die Beweise zu sichern. Für dieses Verfahren gelten die Bestimmungen der §§ 286 bis 294. 8 286. Die Zulassung eines Verteidigers wird durch die Abwesenheit des Beschuldigten nicht ausgeschlossen. Zur Wahl eines Verteidigers sind auch Angehörige des Beschuldigten befugt. Zeugen und Sachverständige sind eidlich zu vernehmen. 8 287. Dem abwesenden Beschuldigten steht ein Anspruch auf Benach­ richtigung über den Fortgang des Verfahrens nicht zu. Der Richter ist jedoch befugt, einem Abwesenden, dessen Ausenthalr be­ kannt ist, Benachrichtigungen zugehen zu lassen.

8 288. Der Abwesende, dessen Aufenthalt unbekannt ist, kann in öffent­ lichen Blättern zum Erscheinen vor Gericht oder zur Anzeige seines Aufenthalts­ orts aufgefordert werden.

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

8 289. Stellt sich erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens die Ab­ wesenheit des Angeklagten heraus, so erfolgen die noch erforderlichen Beweis­ aufnahmen durch einen beauftragten oder ersuchten Richter. 8 290. Liegen gegen den Abwesenden, gegen welchen die öffentliche Silage erhoben ist, Verdachts gründe vor, welche die Erlassung eines Haft­ befehls rechtfertigen würden, so kann sein im Deutschen Reiche befindliches Vermögen durch Beschluß des Gerichts mit Beschlag belegt werden. 8 291. Der die Beschlagnahme verhängende Beschluß ist durch den Deutschen Reichsanzeiger bekanntzumachen und kann nach dem Ermessen des Gerichts auch durch andere Blätter veröffentlicht werden 8 292. Mit dem Zeitpunkt der ersten Bekanntmachung in dem Deutschen Reichsanzeiger verliert der Angeschuldigte das Recht, über das in Beschlag ge­ nommene Vermögen unter Lebenden zu verfügen. Der die Beschlagnahme verhängende Beschluß ist der Behörde mitzuteilen, toeldje für die Einleitung einer Pflegschaft über Abwesende zuständig ist. Diese Behörde hat eine Pflegschaft einzuleiten 8 293. Die Beschlagnahme ist aufzuheben, wenn ihre Gründe weggefallen sind Die Aufhebung der Beschlagnahme ist durch dieselben Blätter bekannt­ zumachen, durch welche die Beschlagnahme selbst veröffentlicht worden war.

8 294. Auf das nach Erhebung der öffentlichen Klage eintretende Ver­ fahren finden im übrigen die Vorschriften über die Voruntersuchung ent­ sprechende Anwendung. In dem nach Beendigung dieses Verfahrens ergehenden Beschlusse v.§ 198) ist zugleich über die Fortdauer oder Aufhebung der Beschlagnahme zu entscheiden 8 295. Das Gericht kann einem abwesenden Beschuldigten sicheres Geleit erteilen- es kann diese Erteilung an Bedingungen knüpfen. Das sichere Geleit gewährt Befreiung von der Untersuchungshaft, jedoch nur wegen der strafbaren Handlung, für welche es erteilt ist. Es erlischt, wenn ein auf Freiheitsstrafe lautendes Urteil ergeht, wenn der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft, oder wenn er die Bedingungen nicht erfüllt, unter welchen ihm das sichere Geleit erteilt worden ist.

Drittes Buch.

Rechtsmittel. Erster Abschnitt Allgemeine Bestimmungen.

8 296. Die zulässigen Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen stehen sowohl der StaatsanwalHchaft als dem Beschuldigten zu. Die Staatsanwaltschaft kann von ihnen auch zugunsten des Beschuldigten Gebrauch machen. 8 297. Für den Beschuldigten kann der Verteidiger, jedoch nicht gegen dessen ausdrücklichen Willen, Rechtsmittel einlegen 8 298. Der gesetzliche Vertreter eines Beschuldigten, desgleichen der Ehe­ mann einer beschuldigten Frau können binnen der für den Beschuldigten laufenden Frist selbständig von den zulässigen Rechtsmitteln Gebrauch machen. Auf ein solches Rechtsmittel und auf das Verfahren finden die über die Rechtsmittel des Beschuldigten geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung. 8 299. Der nicht auf freiem Fuße befindliche Beschuldigte kann die Er­ klärungen, welche sich auf Rechtsmittel beziehen, zu Protokoll des Gerichts­ schreibers des Gerichts geben, in dessen Gefängnis er sich befindet, und, falls das Gefängnis kein gerichtliches ist, des Amtsgerichts, in dessen Bezirk das Gefängnis liegt

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 289—309.

823

Zur Wahrung einer Frist genügt es, wenn innerhalb der Frist das Pro­ tokoll ausgenommen wird. § 300» Ein Irrtum in der Bezeichnung des zulässigen Rechtsmittels ist unschädlich. 8 301» Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann. 8 802» Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels kann auch vor Ablauf der Frist zu seiner Ein­ legung wirksam erfolgen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann jedoch ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden. Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermäch­ tigung. 8 303» Wenn die Entscheidung über das Rechtsmittel auf Grund mündlicher Verhandlung stattzufinden hat, so kann die Zurücknahme nach Be­ ginn der Hauptverhandlung nur mit Zustimmung des Gegners erfolgen Zweiter Abschnitt.

Beschwerde. 8 304» Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten in erster Instanz oder in der Berufungsinstanz erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Untersuchungsrichters, des Amtsrichters und eines beauf­ tragten oder ersuchten Richters zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht. Auch Zeugen, Sachverständige und andere Personen können gegen Be­ schlüsse und Verfügungen, durch welche sie betroffen werden, Beschwerde erheben. Gegen Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte und des Reichs­ gerichts findet eine Beschwerde nicht statt. 8 305» Entscheidungen der erkennenden Gerichte, welche der Urteils­ fällung vorausgehen, unterliegen nicht der Beschwerde Ausgenommen sind Entscheidungen über Verhaftungen, Beschlagnahmen oder Straffestsetzungen, sowie alle Entscheidungen, durch welche dritte Personen betroffen werden. 8 306. Die Beschwerde wird bei dem Gerichte, von welchem oder von dessen Vorsitzenden die angefochtene Entscheidung erlassen ist, zu Protokoll des Gerichtsschreibers oder schriftlich eingelegt Sie kann in dringenden Fällen auch bei dem Beschwerdegericht eingelegt werden. Erachtet das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, die Beschwerde für begründet, so haben sie ihr abzuhelfen- anderenfalls ist die Beschwerde sofort, spätestens vor Ablauf von drei Tagen, dem Be­ schwerdegerichte vorzulegen. Die vorstehenden Bestimmungen finden auch auf die Entscheidungen des Amtsrichters im Vorverfahren, des beauftragten oder ersuchten Richters und des Untersuchungsrichters Anwendung. 8 307. Durch Einlegung der Beschwerde wird der Vollzug der ange­ fochtenen Entscheidung nicht gehemmt. Jedoch kann das Gericht, der Vorsitzende oder der Richter, dessen Entschei­ dung angefochten wird, sowie auch das Beschwerdegericht anordnen, daß die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung auszusetzen sei. 8 308. Das Beschwerdegericht kann dem Gegner des Beschwerdeführers die Beschwerde zur schriftlichen Gegenerklärung mitteilen, es kann etwa er­ forderliche Ermittelungen anordnen oder selbst vornehmen. 8 309. Die Entscheidung über die Beschwerde erfolgt ohne vorgängige mündliche Verhandlung, in geeigneten Fällen nach Anhörung der Staatsan­ waltschaft. Wird die Beschwerde für begründet erachtet, so erläßt das Beschwerde­ gericht zugleich die in der Sache erforderliche Entscheidung

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Zweiter Teil. Strafprozeßgesetze.

8 316« Beschlüsse, welche von dem Landgericht in der Beschwerdeinstanz erlassen sind, können, insofern sie Verhaftungen betreffen, durch weitere Be­ schwerde angefochten werden. Im übrigen findet eine weitere Anfechtung der in der Beschwerdeinstanz ergangenen Entscheidungen nicht statt. 8 311. Für die Fälle der sofortigen Beschwerde gelten die nachfolgenden besonderen Bestimmungen. Die Beschwerde ist binnen der Frist von einer Woche, welche mit der Be­ kanntmachung (§ 35) der Entscheidung beginnt, einzulegen. Die Einlegung bei dem Beschwerdegerichte genügt zur Wahrung der Frist, auch wenn der Fall für dringlich nicht erachtet wird. Das Gericht ist zu einer Abänderung seiner durch Beschwerde angefoch­ tenen Entscheidung nicht befugt. Dritter Abschnitt

Berufung. 8 312. Die Berufung findet statt gegen die Urteile des Amtsrichters und des Schöffengerichts 8 313?) Ein Urteil des Amtsrichters kann nicht mit der Berufung ange­ fochten werden, wenn es ausschließlich Übertretungen zum Gegenstände hat und der Angeklagte entweder sreigesprochen oder ausschließlich zu Geldstrafe verurteilt worden ist. 8 314. Die Berufung muß bei dem Gericht erster Instanz binnen enter Woche nach Verkündung des Urteils zu Protokoll des Gerichtsschreibers ober schriftlich eingelegt werden Hat die Verkündung des Urteils nicht in Anwesenheit des Angeklagten stattgefunden, so beginnt für diesen die Frist mit der Zustellung 8 315. Der Beginn der Frist zur Einlegung der Berufung wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß gegen ein auf Ausbleiben des AngeÜagten ergangenes Urteil eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachgesucht lverden kann. Stellt der Angeklagte ein Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, so wird die Berufung dadurch gewahrt, daß sie sofort für den Fall der Verwerfung jenes Gesuchs rechtzeitig eingelegt wird. Die weitere Verfügung "in bezug auf die Berufung bleibt dann bis zur Erledigung des Gesuchs um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgesetzt. Die Einlegung der Berufung ohne Verbindung mit dem Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gilt als Verzicht auf die letztere 8 316. Durch rechtzeitige Einlegung der Berufung wird Die Rechtskraft des Urteils, soweit es angefochten ist, gehemmt. Dem Beschwerdeführer, welchem das Urteil mit den Gründen noch nicht zugestellt war, ist es nach Einlegung der Berufung sofort zuzustellen 8 317. Die Berufung kann binnen einer weiteren Woche nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels oder, wenn zu dieser Zeit das Urteil noch nicht zugestellt war, nach dessen Zustellung bei dem Gericht erster Instanz zu Protokoll des Gerichtsschreibers oder in einer Beschwerdesrist gerecht­ fertigt werden. 8 318. Die Berufung kann auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden. Ist dies nicht geschehen oder eine Rechtfertigung überhaupt nicht er­ folgt, so gilt der ganze Inhalt des Urteils angefochten. 8 319. Ist die Berufung verspätet eingelegt, so hat das Gericht erster Instanz das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen. Der Beschwerdeführer kann binnen einer Woche nach Zustellung des Be­ schlusses auf die Entscheidung des Berufungsgerichts antragen. In diesem Falle sind die Akten an das Berufungsgericht einzusenden- die Vollstreckung des Urteils wird jedoch hierdurch nicht gehemmt.

2) In der Fassung des Gesetzes v 22 Dez

1925 (RGBl. I S. 475).

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 310—329.

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§ 320. Ist die Berufung rechtzeitig eingelegt, so hat nach Ablauf der Frist zur Rechtfertigung der Gerichtsschreiber ohne Rücksicht darauf, ob eine Rechtfertigung stattgefunden hat oder nicht, die Akten der Staatsanwaltschaft vorzulegen. Diese stellt, wenn die Berufung von ihr eingelegt ist, dem Ange­ klagten die Schriftstücke über Einlegung und Rechtfertigung der Berufung zu. 8 321. Die Staatsanwaltschaft übersendet die Akten an die Staatsanwalt­ schaft bei dem Berufungsgerichte. Diese übergibt die Akten binnen einer Woche dem Vorsitzenden des Gerichts. 8 322. Erachtet das Berufungsgericht die Bestimmungen über die Ein­ legung der Berufung nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. Anderenfalls entscheidet es darüber durch Urteil. Der Beschluß kann durch sofortige Beschwerde angefochten werden. 8 323. Auf die Vorbereitung der Hauptverhandlung finden die Vor­ schriften der §§ 214, 216 bis 225 Anwendung. In der Ladung ist der Ange­ klagte auf die Folgen des Ausbleibens ausdrücklich hinzuweisen. Die Ladung der in erster Instanz vernommenen Zeugen und Sachverständigen kann nur dann unterbleiben, wenn deren wiederholte Vernehmung zur Aufklärung der Sache nicht erforderlich erscheint. Neue Beweismittel sind zulässig. Bei der Auswahl der zu tabeiiben. Zeugen und Sachverständigen ist auf die von dem Angeklagten zur Rechtfertigung der Berufung benannten Per­ sonen Rücksicht zu nehmen. 8 324. Nachdem die Hauptverhandlung nach Vorschrift des § 243 Abs. 1 begonnen hat, hält ein Berichterstatter in Abwesenheit der Zeugen einen Vortrag über die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens. Das Urteil erster Instanz ist stets zu verlesen. Sodann erfolgt die Vernehmung des Angeklagten und die Beweisaufnahme. 8 325. Bei der Berichterstattung und der Beweisaufnahme können Schriftstücke verlesen werden; Protokolle über Aussagen der in der Hauptver­ handlung erster Instanz vernommenen Zeugen und Sachverständigen dürfen, abgesehen von den Fällen der §§, 251, 253 ohne die Zustimmung der Staats­ anwaltschaft und des Angeklagten nicht verlesen werden, wenn die wiederholte Vorladung der Zeugen oder Sachverständigen erfolgt ist oder von dem Ange­ klagten rechtzeitig vor der Hauptverhandlung beantragt worden war. 8 326. Nach dem Schlüsse der Beweisaufnahme werden die Staats­ anwaltschaft sowie der Angeklagte und sein Verteidiger mit ihren Ausführungen und Anträgen, und zwar der Beschwerdeführer zuerst, gehört. Dem Ange­ klagten gebührt das letzte Wort. 8 327. Der Prüfung des Gerichts unterliegt das Urteil nur, soweit es angefochten ist. 8 328. Insoweit die Berufung für begründet befunden wird, hat das Berufungsgericht unter Aufhebung des Urteils in der Sache selbst zu erkennen. Leidet das Urteil an einem Mangel, welcher die Revision wegen Ver­ letzung einer Rechtsnorm über das Verfahren begründen würde, so kann das Berufungsgericht unter Aufhebung des Urteils die Sache, wenn die Umstände des Falles es erfordern, zur Entscheidung an die erste Instanz zurückverweisen. Hat das Gericht erster Instanz mit Unrecht seine Zuständigkeit ange­ nommen, so hat das Berufungsgericht unter Aufhebung des Urteils die Sache an das zuständige Gericht zu verweisen. 8 329. Ist bei dem Beginne der Hauptverhandlung weder der Ange­ klagte noch in den Fällen, wo solches zulässig, ein Vertreter des Angeklagten erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt, so ist, insoweit der Angeklagte die Berufung eingelegt hat, diese sofort zu verwerfen, insoweit die Staatsanwaltschaft die Berufung eingelegt hat, über diese zu verhandeln oder die Vorführung oder Verhaftung des Angeklagten anzuordnen.

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

Der Angeklagte kann binnen einer Woche nach der Zustellung des Urteils die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den in den §§ 44, 45 bezeich­ neten Voraussetzungen beanspruchen. 8 330. Ist von einer der im § 298 bezeichneten Personen die Berufung eingelegt worden, so hat das Gericht auch den Angeklagten zu der Hauptver­ handlung vorzuladen und kann ihn bei seinem Ausbleiben zwangsweise vor­ führen lasten. 8 331. War das Urteil nur von dem Angeklagten oder zu seinen Gunsten von der Staatsanwaltschaft oder von einer der im | 298 bezeichneten Personen angefochten worden, so darf das Urteil nicht zum Nachteil des Angeklagten abgeändert werden 8 332. Im Übrigen finden die im sechsten Abschnitt des zweiten Buches über die Hauptverhandlung gegebenen Vorschriften Anwendung.

Vierter Abschnitt.

Revision.

8 333.

Die Revision findet statt gegen die Urteile der Landgerichte und der Schwurgerichte 8 334. Gegen die Urteile des Amtsrichters ist die Revision insoweit zulässig, als nach § 313 die Berufung ausgeschlossen ist 8 335. Ein Urteil, gegen das die Berufung zulässig ist, kann statt mit der Berufung mit der Revision angefochten werden Über die Revision entscheidet das Gericht, das zur Entscheidung berufen wäre, wenn die Revision nach durchgeführter Berufung eingelegt worden wäre. Legt gegen das Urteil ein Beteiligter Revision und ein anderer Be­ teiligter Berufung ein, so wird, solange die Berufung nicht zurückgenommen oder als unzulässig verworfen ist, die Revision als Berufung behandelt Die Revisionsanträge und deren Begründung sind gleichwohl in der vorgeschriebonen Form und Frist anzubringen und dem Gegner zuzustellen (§§ 344 bis 347). Gegen das Berufungsurteil findet Revision nach den allgemein gel­ tenden Vorschriften statt 8 336. Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegen auch die Ent­ scheidungen, welche dem Urteil vorausgegangen sind, sofern es auf ihnen beruht 8 337. Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig an­ gewendet worden ist 8 338. Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes be­ ruhend anzusehen: 1 wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; 2 wenn bei dem Urteil ein Richter, Geschworener oder Schöffe mitgewirkt hat, welcher von der Ausübung des Richteramts kraft des Gesetzes aus­ geschlossen war; 3 wenn bei dem Urteil ein Richter, Geschworener oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist; 4 wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat; 5 wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat; 6 wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei welcher die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind; 7 wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält; 8 wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkte durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 330—348.

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g 339. Die Verletzung von Rechtsnormen, welche lediglich zugunsten des Angeklagten gegeben sind, kann von der Staatsanwaltschaft nicht zu dem Zwecke geltend gemacht werden, um eine Aufhebung des Urteils zum Nachteile des Angeklagten herbeizuführen. g 340. In den Fällen, in denen die Revision an Stelle der Berufung stattfindet i334) oder statt der Berufung eingelegt wird (§ 335), kann die Revision wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren nur auf Ver­ letzung der Vorschrift des § 358 gestützt werden. g 341. Die Revision muß bei denr Gerichte, dessen Urteil angefochten wird, binnen einer Woche nach Verkündung des Urteils zu Protokoll des Gertchtsschreibers oder schriftlich eingelegt werden. Hat die Verkündung des Urteils nicht in Anwesenheit des Angeklagtem stattgefunden, so beginnt für diesen die Frist mit der Zustellung. g 342. Der Beginn der Frist zur Einlegung der Revision wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß gegen ein auf Ausbleiben des Angeklagten ergange­ nes Urteil eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachgesucht werden kann. Stellt der Angeklagte ein Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, so wird die Revision dadurch gewahrt, daß sie sofort für den Fall der Verwerfung jenes Gesuchs rechtzeitig eingelegt und begründet wird. Die weitere Verfügung in bezug auf die Revision bleibt dann bis zur Erledigung des Ge­ suchs um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgesetzt. Die Einlegung der Revision ohne Verbindung mit dem Gesuch um Wieoereinsetzung in den vorigen Stand gilt als Verzicht auf die letztere. § 343. Durch rechtzeitige Einlegung der Revision wird die Rechtskraft des Urteils, soweit es angefochten ist, gehemmt. Dem Beschwerdeführer, welchem das Urteil mit den Gründen noch nicht zugestellt war, ist es nach Anlegung der Revision zuzustellen. § 344. Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden. $ 345. Die Revisionsanträge und deren Begründung sind spätestens binnen einer weiteren Woche nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechts­ mittels oder, wenn zu dieser Zeit das Urteil noch 'nicht zugestellt war, nach dessen Zustellung bei dem Gerichte, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Seitens des Angeklagten kann dies nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll des Ge­ richtsschreibers geschehen. § 346. Ist die Revision verspätet eingelegt, oder sind die Revisions­ anträge nicht rechtzeitig oder nicht an der im § 345 Abs. 2 vorgeschriebenen Form angebracht worden, so hat das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen. Der Beschwerdeführer kann binnen einer Woche nach Zustellung des Be­ schlusses auf die Entscheidung des Revisionsgerichts antragen. In diesem Falle sind die Akten an das Revisionsgericht einzusenden; die Vollstreckung des Ur­ teils wird jedoch hierdurch nicht gehemmt. 8 347. Ist die Revision rechtzeitig eingelegt und sind die Revisions­ anträge rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form angebracht, so ist die Re­ visionsschrift dem Gegner des Beschwerdeführers zuzustellen. Diesem steht frei, binnen einer Woche eine schriftliche Gegenerklärung einzureichen. Der Angeklagte kann letztere auch zu Protokoll des Gerichtsschreibers abgeben. Nach Eingang der Gegenerklärung oder nach Ablauf der Frist erfolgt durch die Staatsanwaltschaft die Einsendung der Akten an das Revisionsgericht. 8 348. Findet das Gericht, an welches die Einsendung der Akten erfolgt ist, daß die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel zur Zustän-

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Zweiter Teil. Strafprozeßgesetze.

digkeit eines anderen Gerichts gehöre, so hat es durch Beschluß seine Unzustän­ digkeit «auszusprechen. Dieser Beschluß, in welchem das zuständige Revisionsgericht zu bezeichnen ist, unterliegt einer Anfechtung nicht und ist für das in ihm bezeichnete Gericht bindend. Die Abgabe der Akten erfolgt durch die Staatsanwaltschaft. 8 349* Erachtet das Revisionsgericht die Bestimmungen über Die Ein­ legung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig ver­ werfen. Das gleiche ist der Fall, wenn das Reichsgericht über bie Revision zu entscheiden hat und die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet er­ klärt wird. Andernfalls wird über das Rechtsmittel durch Urteil entschieden 8 350. Der Angeklagte oder auf dessen Verlangen der Verteidiger ist von dem Tage der Hauptverhandlung zu benachrichtigen Der Angeklagte kann in dieser erscheinen oder sich durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lassen. Der nicht auf freiem Fuße befindliche Angeklagte hat keinen Anspruch auf Anwesenheit. 8 351. Die Hauptverhandluug beginnt mit dem Vortrag eulkS Bericht­ erstatters. Hierauf werden die Staatsanwaltschaft sowie der Angeklagte und sein Ver­ teidiger mit ihren Ausführungen und Anträgen, und zwar der Beschwerde­ führer zuerst, gehört. Dem Angeklagten gebührt das letzte Wort. 8 352. Der Prüfung des Revisionsgerichts unterliegen nur die gestellten Revisionsanträge und, insoweit die Revision auf Mängel des Verfahrens gestiitzt wird, nur die Tatsachen, welche bei Anbringung der Revisionsanträge bezeichnet worden sind. Eine weitere Begründung der Revisionsanträge, als die im § 344 Abs 2 vorgeschriebene, ist nicht erforderlich und, wenn sie unrichtig ist, unschädlich 8 353. Insoweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das ange­ fochtene Urteil aufzuheben. Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzu­ heben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren die Aufhebung des Urteils erfolgt. 8 354. Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Festttellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder aus Ein­ stellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist, oder das Revifionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe für angemessen erachtet In anderen Fällen ist die Sache zur anderweiten Verhandlung und Ent­ scheidung an das Gericht, dessen Urteil ausgehoben ist, oder an ein demselben deutschen Lande angehöriges, benachbartes Gericht gleicher Ordnuiig zurückzuverwersen. Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört. 8 355. Wird ein Urteil aufgehoben, weil ein Gericht der vorigen Instanz sich mit Unrecht für zuständig erachtet hat, so verweist das Revisionsgericht gleichzeitig die Sache an das zuständige Gericht 8 356. Die Verkündung des Urteils erfolgt nach Maßgabe des § 268. 8 357 Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aushebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes, und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, welche die Revision nicht eingelegt haben, so ist zu erkennen, §ls ob sie gleichfalls die Revision eingelegt hätten

177. Strafprozeßordnung vom 1. gebt. 1877. §§ 349—362.

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§ 358. Das Gericht, an welches die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, welche der Auf­ hebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen War das Urteil nur von dem Angeklagten oder zu seinen Gunsten von der Staatsanwaltschaft oder von einer der im § 298 bezeichneten Personen an­ gefochten worden, so darf das neue Urteil eine härtere Strafe als die in dem ersteren erkannte nicht verhängen. Biertes Buch.

Wiederaufnahme eines dnrch rechtskräftiges Urteil geschloffene« Berfahrens. 8 359. Die Wiederauf »lahme eines durch rechtskräftiges Urteil ge­ schlossenen Berfahrens zugunsten 'des Verurteilten findet statt: 1. wenn eine in der Hauptverhandlung zu seinen Ungunsten als echt vorge­ brachte Urkunde fälschlich angefertigt oder verfälscht war: 2 wenn durch Beeidigung eines zu seinen Ungunsten abgelegten Zeug­ nisses oder abgegebenen Gutachtens der Zeuge oder Sachverständige sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat; 3. wenn bei dem Urteil ein Richter, Geschworener oder Schöffe mitgewirkt Hat, welcher sich in Beziehung auf die Sache einer Verletzung seiner Amts­ pflichten schuldig gemacht hat, sofern diese Verletzung mit einer im Wege des gerichtlichen Strafverfahrens zu verhängenden öffentlichen Strafe bedroht und nicht vom Verurteilten selbst veranlaßt ist; 4. wenn ein zivilgerichtliches Urteil, auf welches das Strafurteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil aufgehoben ist; a wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, welche allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung des Angeklagten oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes eine ge< rrngere Bestrafung zu begründen geeignet sind. In den vor dem Amts­ richter oder dem Schöffengerichte verhandelten Sachen können nur solche Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, welche der Verurteilte in dem früheren Verfahren einschließlich der Berufungsinstanz nicht ge­ kannt chatte oder ohne Verschulden nicht geltend machen konnte 8 360. Durch den Antrag aus Wiederaufnahme des Berfahrens wird die Vollstreckung des Urteils nicht gehemmt. Das Gericht kann jedoch einen Aufschub sowie eine Unterbrechung der Vollstreckung anordilen. 8 361. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Berfahrens wird weder durch die erfolgte Strafvollstreckung noch durch den Tod des Verurteilten aus­ geschlossen Im Falle des Todes sind der Ehegatte, die Verwandten auf- und ab­ steigender Linie sowie die Geschwister des Verstorbenen zu dem Antrag befugt. 8 362. Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil ge­ schlossenen Berfahrens zuungunsten des Angeklagten sindet statt: 1. wenn eine in der Hauptverhandlung zu seinen Gunsten als echt vorge­ brachte Urkunde fälschlich angefertigt oder verfälscht war; 2. wenn durch Beeidigung eines zu seinen Gunsten abgegebenen Zeugnisses oder abgegebenen Gutachtens der.Zeuge oder Sachverständige sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig ge­ macht hat; 3. wenn bei dem Urteil ein Richter, Geschworener oder Schöffe mitgewirkt hat, welcher sich in Beziehung auf die Sache einer Verletzung seiner Amts­ pflichten schuldig gemacht hat, sofern diese Verletzung mit einer im Wege

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

des gerichtlichen Strafverfahrens zu verhängenden öffentlichen Strafe bedroht ist; 4. wenn von dem Freigesprochenen vor Gericht oder außergerichtlich ein glaubwürdiges Geständnis der strafbaren Handlung abgelegt wird 8 363» Eine Wiederaufnahme des Verfahrens zum Zwecke der Änderung der Strafe innerhalb des durch dasselbe Gesetz bestimmten Strafmaßes rindet nicht statt. 8 364. Ern Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens, welcher auf die Behauptung einer strafbaren Handlung gegründet werden soll, ist nur dann zu­ lässig, wenn wegen dieser Handlung eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist, oder wenn die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweis nicht erfolgen kann 8 365. Die allgemeinen Bestimmungen über Rechtsmittel finden auch bei dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens Anwendung 8 366. In dem Antrag müssen der gesetzliche Grund der Wiederauf­ nahme des Verfahrens sowie die Beweismittel angegeben werden. Bon dem Angeklagten und den im § 361 Abs. 2 bezeichneten Personen kann der Antrag nur mittels einer von dem Verteidiger oder einem Rechts­ anwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll des Gerichtsschreibers ange­ bracht werden 8 367. Über die Zulassung des Antrags aus Wiederaufnahme oes Ver­ fahrens entscheidet das Gericht, dessen Urteil mit dem Antrag angefochten wird. Wird ein in der Revisionsinstanz erlassenes Urteil aus anderen Gründen als auf Grund des § 359 Nr. 3 oder des § 362 Nr. 3 angefochten, so ent­ scheidet das Gericht, gegen dessen Urteil die Revision eingelegt war Die Entscheidung erfolgt ohne mündliche Verhandlung. 8 368 Ist der Antrag nicht in der vorgeschriebenen Form angebracht, oder ist darin kein gesetzlicher Grund der Wieoeraufnahme geltend gemacht oder kein geeignetes Beweismittel angeführt, so ist der Antrag als unzulässig zu verwerfen. Anderenfalls ist er dem Gegner des Antragstellers unter Bestimmung einer Frist zur Erklärung zuzustellen. 8 369. Wird der Antrag an sich für zulässig befunden, so beauftragt das Gericht mit Ausnahme der angetretenen Beweise, soweit dies erforderlich ist, einen Richter. Dem Ermessen des Gerichts bleibt es überlassen, ob die Zeugen und Sachverständigen eidlich vernommen werden sollen. Hinsichtlich der Berechtigung der Beteiligten zur Anwesenheit bei der Beweisaufnahme kommen die für die Voruntersuchung gegebenen Vorschriften zur Anwendung. Nach Schluß der Beweisaufnahme sind die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte unter Bestimmung einer Frist zur ferneren Erklärung aufzu­ fordern. 8 370. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wrrd ohne mündliche Verhandlung als unbegründet verworfen, wenn die darin ausge­ stellten Behauptungen keine genügende Bestätigung gefunden haben, oder wenn in den Fällen des § 359 Nr. 1, 2 oder des § 362 Nr. 1, 2 nach Lage der Sache die Annahme ausgeschlossen ist, daß die in diesen Bestimmungen be­ zeichnete Handlung auf die Entscheidung Einfluß gehabt hat. Anderenfalls verordnet das Gericht die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Erneuerung der Haupwerhandlung. 8 371. Ist der Verurteilte bereits verstorben, so hat ohne Erneuerung die Hauptverhandlung das Gericht nach Aufnahme des etwa noch erforder­ lichen Beweises entweder die Freisprechung zu erkennen oder den Antrag auf Wiederaufnahme abzulehnen. Auch in anderen Fällen kann das Gericht, bei öffentlichen Klagen jedoch nur mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft, den Verurteilten sofort frei­ sprechen, wenn dazu genügende Beweise bereits vorliegen.

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877.

§§ 363—375.

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Mit der Freisprechung ist die Aufhebung des früheren Urteils zu ver­ binden. Die Aufhebung ist auf Verlangen des Antragstellers durch den Deutschen Reichsanzeiger bekanntzumachen und kann nach dem Ermessen des Gerichts auch durch andere Blätter veröffentlicht werden. § 372. Alle Entscheidungen, welche aus Anlaß eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens von dem Gericht in exster Instanz erlassen werden, können mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden.

§ 373. In der erneuten Hauptverhandlung ist entweder das frühere Urteil aufrechtzuerhalten oder unter seiner Aufhebung anderweit in der Sache zu erkennen. Ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nur von dem Verurteilten oder zu seinen Gunsten von der Staatsanwaltschaft oder von einer der im § 298 bezeichneten Personen beantragt worden, so darf das neue Urteil eine härtere Strafe als die in dem früheren erkannte nicht verhängen.

Fünftes Buch. Beteiligung des Verletzte» bei dem Verfahren. Erster Abschnitt. Privatklage.

8 374. Im Wege der Privatklage können vom Verletzten verfolgt werden, ohne daß es einer vorgängigen Anrufung der Staatsanwaltschaft bedarf, 1. das Vergehen des Hausfriedensbruchs im Falle des § 123 des Straf­ gesetzbuchs; 2. die Vergehen der Beleidigung in den Fällen der §§ 185 bis 187, 189 des Strafgesetzbuchs, wenn nicht eine der im § 197 bezeichneten politischen Körperschaften beleidigt ist; 3. die Vergehen der Körperverletzung in den Fällen der §§ 223, 223 a Abs. 1 und des § 230 des Strafgesetzbuchs, sofern nicht die Körperverletzung mit Übertretung einer Amts-, Berufs- oder Gewerbspflicht begangen worden ist; 4. das Vergehen der Bedrohung im Falle des § 241 des Strafgesetzbuchs; 5. das Vergehen der Verletzung fremder Geheimnisse im Falle des § 299 des Strafgesetzbuchs; 6. das Vergehen der Sachbeschädigung im Falle des § 303 des Strafgesetz­ buchs; 7. alle nach dem Gesetze gegen den unlauteren Wettbewerb strafbaren Vergehen; 8. alle Verletzungen des literarischen, künstlerischen und gewerblichen Ur­ heberrechts, soweit sie als Vergehen strafbar sind. $ie gleiche Befugnis steht denen zu, welchen in den Strafgesetzen das Recht, selbständig auf Bestrafung anzutragen, beigelegt ist. Hat der Verletzte einen gesetzlichen Vertreter, so wird die Befugnis zur Erhebung der Privatklage durch diesen und, wenn Korporationen, Gesell­ schaften und andere Personenvereine, welche als solche in bürgerlichen Rechts­ streitigkeiten klagen können, die Verletzten sind, durch dieselben Personen wahr­ genommen, durch welche sie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vertreten werden. 8 375. Sind wegen derselben strafbaren Handlung mehrere Personen zur Privatklage berechtigt, so ist bei Ausübung dieses Rechtes ein jeder von dem anderen unabhängig. Hat jedoch einer der Berechtigten die Privatklage erhoben, so steht den übrigen nur der Beitritt zu dem eingeleiteten Verfahren, und zwar in der Lage zu, in welcher es sich zur Zeit der Beitrittserklärung befindet.

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

Jede in der Sache selbst ergangene Entscheidung äußert zugunsten des Beschuldigten ihre Wirkung auch gegenüber solchen Berechtigten, welche die Privatklage nicht erhoben haben. 8 376» Die öffentliche Klage wird wegen der im § 374 bezeichneten straf­ baren Handlungen von der Staatsanwaltschaft nur dann erhoben, wenn dies int öffentlichen Interesse liegt. 8 377. In dem Verfahren auf erhobene Privatklage ist bic Staats­ anwaltschaft zu einer Mitwirkung nicht verpflichtet- es ist ihr jedoch der zur Hauptverhandlung bestimmte Termin bekanntzumachen. Auch kann die Staatsanwaltschaft in jeder Lage der Sache bis zum Ein­ tritt der Rechtskraft des Urteils durch eine ausdrückliche Erklärung bte Ver­ folgung übernehmen. In der Einlegung eines Rechtsmittels ist die Übernahme der Verfolgung enthalten. Übernimmt die Staatsanwaltschaft die Verfolgung, so richtet stch das weitere Verfahren nach den Bestimmungen, welche im zweiten Abschnitt dieses Buches für den Anschluß des Verlebten als Nebenkläger gegeben sind 8 378. Der Privatkläger kann im Beistand eines Rechtsanwalts er­ scheinen oder sich durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Rechtsanwalt vertreten lassen. Im letzteren Falle können die Zustellungen gn den Privat­ kläger mit rechtlicher Wirkung an den Anwalt erfolgen. § 379. Der Privatkläger hat für die der Staatskasse und dem Beschul­ digten voraussichtlich erwachsenden Kosten unter denselben Voraussetzungen Sicherheit zu leisten, unter welchen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten der Kläger auf Verlangen des Beklagten Sicherheit wegen der Prozeßkosten zu leisten hat. Die Sicherheitsleistung ist durch Hinterlegung in barem Gelde oder in Wertpapieren zu bewirken. Für die Höhe der Sicherheit und die Frist zu ihrer Leistung sowie für die Bewilligung des Armenrechts gelten dieselben Bestimmungen wie in bürger­ lichen Rechtsstreitigkeiten. 8 389. Wegen Hausfriedensbruchs, Beleidigung, leichter vorsätzlicher oder fahrlässiger Körperverletzung, Bedrohung, Sachbeschädigung und Verletzung fremder Geheimnisse (§ 299 des Strafgesetzbuchs) ist die Erhebung der Klage erst zulässig, nachdem von einer durch die Landesjustizverwaltung zu bezeich­ nenden Vergleichsbehörde die Sühne erfolglos versucht worden ist Der Kläger hat die Bescheinigung hierüber mit der Klage einzureichen. Die Landesjustizverwaltung kann bestimmen, daß die Vergleichsbehörde ihre Tätigkeit von der vorherigen Einzahlung eines angemessenen Kostenvor­ schusses abhängig machen darf. Die Vorschriften des Abs. 1, 2 finden keine Anwendung, wenn der amt­ liche Vorgesetzte gemäß den §§ 196, 232 Abs. 3 des Strafgesetzbuchs befugt ist.. Strafantrag zu stellen. Wohnen die Parteien nicht in demselben Gemeindebezirke, so kann nach näherer Anordnung der Landesjustizverwaltung von einem Sühneversuch ab­ gesehen werden. 8 381. Die Erhebung der Klage geschieht zu Protokoll des Gerichts­ schreibers oder durch Einreichung einer Anklageschrift. Die Klage muß den im § 200 Abs. 1 bezeichnete^ Erfordernissen entsprechen. Mit der Anklageschrift sind zwei Abschriften einzureichen. 8 382. Ist die Klage vorschriftsmäßig erhoben, so teilt das Gericht sie dem Beschuldigten unter Bestimmung einer Frist zur Erklärung und der Staats­ anwaltschaft zur Kenntnisnahme mit. 8 383. Nach Eingang der Erklärung des Beschuldigten oder Ablauf der Frist entscheidet das Gericht darüber, ob das Hauptverfahren zu eröffnen oder die Klage zurückzuweisen sei, nach Maßgabe der Bestimmungen, welche bei einer von der Staatsanwaltschaft unmittelbar erhobenen Anklage An­ wendung finden.

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 376—391.

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8 384. Das weitere Verfahren richtet sich nach den Bestimmungen, welche für das Verfahren auf erhobene öffentliche Klage gegeben sind. Bor dem Schwurgerichte kann eine PrivaMagesache nicht gleichzeitig mit einer auf öffentliche Klage anhängig gemachten Sache verhandelt werden. 8 383. Insoweit in dem Verfahren auf erhobene öffentliche Klage die Staatsanwaltschaft zuzuziehen und zu hören ist, wird in dem Verfahren auf erhobene Privatklage der Privatkläger zugezogen und gehört. Desgleichen sind alle Entscheidungen, welche dort der Staatsanwaltschaft bekanntgemacht werden, hier dem Privatkläger bekanntzugeben. Es werden jedoch die auf richterliche Anordnung ergehenden Ladungen nicht durch die Staatsanwaltschaft, sondern durch den Gerichtsschreiber bewirkt. Zwischen der Zustellung der Ladung des Privatklägers zur Hauptver­ handlung und dem Tage der letzteren muß eine Frist von mindestens einer Woche liegen. Das Recht der Akteneinsicht kann der Privatkläger nur durch seinen Anwalt ausüben. 8 386. Der Vorsitzende des Gerichts bestimmt, welche Personen als Zeugen oder Sachverständige zur Hauptverhandlung geladen werden sollen. Dem Privatkläger wie dem Angeklagten steht das Recht der unmittel­ baren Ladung zu. 8 387. In der Hauptverhandlung kann auch der Angeklagte im Beistand eines Rechtsanwalts erscheinen oder sich auf Grund einer schriftlichen Voll­ macht durch solchen vertreten lassen. Die Bestimmung des § 139 findet auf den Anwalt des Klägers wie auf den des Angeklagten Anwendung. Das Gericht ist befugt, das persönliche Erscheinen des Klägers sowie des Angeklagten anzuordnen, Mch den Angeklagten vorführen zu lassen. 8 388. Hat der Verletzte die Privatklage erhoben, so kann der Beschul­ digte bis zur Beendigung der Schlußvorträge (§ 258) in erster Instanz mittels einer Widerklage die Bestrafung des Klägers beantragen, wenn er von diesem gleichfalls durch ein Vergehen verletzt worden ist, das im Wege der Privat­ klage verfolgt werden kann und mit dem den Gegenstand der Klage bildenden Vergehen im Zusammenhänge steht. über Klage und Widerklage ist gleichzeitig zu erkennen. Die Zurücknahme der Klage ist auf das Verfahren über die Widerklage ohne Einfluß. 8 389. Findet das Gericht nach verhandelter Sache, daß die für festge­ stellt zu erachtenden Tatsachen eine solche strafbare Handlung darstellen, aus welche das in diesem Abschnitt vorgeschriebene Verfahren keine Anwendung erleidet, so hat es durch Urteil, welches diese Tatsachen hervorheben muß, die Einstellung des Verfahrens auszusprechen. Die Verhandlungen sind in diesem Falle der Staatsanwaltschaft mitzu­ teilen. 8 390. Dem Privatkläger stehen, vorbehaltlich des § 313, die Rechts­ mittel zu, welche in dem Verfahren auf erhobene öffentliche Klage der Staats­ anwaltschaft zustehen. Dasselbe gilt von dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens in den Fällen des § 362. Die Bestimmung des § 301 findet auf das Rechtsmittel des Privatklägers Anwendung. Revisionsanträge und Anträge auf Wiederaufnahme des durch ein rechts­ kräftiges Urteil geschlossenen Verfahrens kann der Privatkläger nur mittels einer von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift anbringen. Die in den §§ 320, 321, 347 angeordnete Vorlage und Einsendung der Akten erfolgt wie im Verfahren auf erhobene öffentliche Klage an und durch die Staatsanwaltschaft. Die Zustellung der Berusungs- und Revisionsschriften an den Gegner des Beschwerdeführers wird durch den Gerichtsschreiber bewirkt. 8 391. Die Privatklage kann bis zur Verkündung des Urteils erster Instanz und, soweit zulässige Berufung eingelegt ist, bis zur Verkündung des Urteils zweiter Instanz zurückgenommen werden. A l l f e l d, Strafgesetzgebung. 3. Anfl. 53

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

Als Zurücknahme gilt es im Verfahren erster und, soweit der Angeklagte die Berufung eingelegt hat, im Verfahren zweiter Instanz, wenn der Privat­ kläger in der Hauptverhandlung weder erscheint noch durch einen Rechtsanwalt vertreten wird, oder in der Hauptverhandlung oder einem anderen Termin ausbleibt, obwohl das Gericht sein persönliches Erscheinen angeordnet hatte oder eine Frist nicht einhält, welche ihm unter Androhung der Einstellung des Verfahrens gesetzt war. Soweit der Privatkläger die Berufung eingelegt hat, ist sie im Falle der vorbezeichneten Versäumungen unbeschadet der Bestimmung des § 301 sofort zu verwerfen. Der Privatkläger kann binnen einer Woche nach der Versäumung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den in den §§ 44, 45 bezeichneten Voraussetzungen beanspruchen. 8 392. Die zurückgenommene Privatklage kann nicht von neuem er­ hoben werden. 8 393. Der Tod des Privatklägers hat die Einstellung des Verfahrens zur Folge. War jedoch die Privatklage darauf gestützt, daß der Beschuldigte wider besseres Wissen in Beziehung auf den anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet habe, welche ihn verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, so kann die Klage nach dem Tode des Klägers von den Eltern, den Kindern oder dem Ehegatten des letzteren fortgesetzt werden. Die Fortsetzung ist von dem Berechtigten bei Verlust des Rechtes binnen zwei Monaten, vom Tode des Privatklägers an gerechnet, bei Gericht 'zu erklären. 8 394. Die Zurücknahme der Privatklage und der Tod des Privat­ klägers sowie die Fortsetzung der Privatklage sind dem Beschuldigten bekannt­ zumachen. Zweiter AbschnkLt. Nebenklage.

8 395. Wer nach Maßgabe der Bestimmung des § 374 als Privatkläger aufzutreten berechtigt ist, kann sich der erhobenen öffentlichen Klage in jeder Lage des Verfahrens als Nebenkläger anschließen. Der Anschluß kann behufs Einlegung von Rechtsmitteln auch nach ergangenem Urteil geschehen. Die gleiche Befugnis steht dem zu, welcher durch einen Antrag auf gericht­ liche Entscheidung (§ 172) die Erhebung der öffentlichen Klage herbeigeführt hat, wenn die strafbare Handlung gegen sein Leben, seine Gesundheit, seine Freiheit, seinen Personenstand oder seine Vermögensrechte gerichtet war. 8 396. Die Anschlußerklärung ist bei dem Gerichte schriftlich einzureichen. Das Gericht hat über die Berechtigung des Nebenklägers zum Anschluß nach Anhörung der Staatsanwaltschaft zu entscheiden. Zu einer Sicherheitsleistung ist der Nebenkläger nicht verpflichtet. 8 397. Der Nebenkläger hat nach erfolgtem Anschluß die Rechte des Privatklägers. 8 398. Der Fortgang des Verfahrens wird durch den Anschluß nicht aufgehalten. Die bereits anberaumte Hauptverhandlung sowie andere Termine finden an den bestimmten Tagen statt, auch wenn der Nebenkläger wegen Kürze der Zeit nicht mehr geladen oder benachrichtigt werden konnte. 8 399. Entscheidungen, welche schon vor dem Anschluß ergangen und der Staatsanwaltschaft bekanntgemacht waren, bedürfen keiner Bekanntmachung an den Nebenkläger. Die Anfechtung solcher Entscheidungen steht auch dem Nebenkläger nicht mehr zu, wenn für die Staatsanwaltschaft die Frist zur Anfechtung abge­ laufen ist.

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877, §§ 392—408.

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§ 400. Ist in der Hauptverhandlung weder der Nebenkläger noch ein Anwalt des Nebenklägers erschienen, so wird das Urteil dem ersteren zugestellt, g 401. Der Rechtsmittel kann sich der Nebenkläger unabhängig von der Staatsanwaltschaft bedienen. Wird auf ein nur von dem Nebenkläger eingelegtes Rechtsmittel die angefochtene Entscheidung aufgehoben, so liegt der Betrieb der Sache wiederum der Staatsanwaltschaft ob. § 402. Die Anschlußerklärung verliert durch Widerruf sowie durch den Tod des Nebenklägers ihre Wirkung. § 403. Die Befugnis, sich einer öffentlichen Klage nach den Bestim­ mungen der §§ 395 bis 402 als Nebenkläger anzuschließen, steht auch dem zu, welcher berechtigt ist, die Zuerkennung einer Buße zu verlangen. Wer die Zuerkennung einer Buße in einem auf erhobene öffentliche Klage anhängigen Verfahren beantragen will, muß sich zu diesem Zwecke der Klage als Nebenkläger anschließen. § 404. Der Antrag auf Zuerkennung einer Buße kann bis zur Ver­ kündung des Urteils erster Instanz gestellt werden. Der Antrag kann bis zur Verkündung des Urteils zurückgenommen, ein zurückgenommener Antrag nicht erneuert werden. Wird der Angeklagte freigesprochen oder das Verfahren eingestellt oder die Sache ohne Urteil erledigt, so gilt auch der Antrag ohne weitere Entschei­ dung für erledigt. Der Anspruch auf Buße kann von den Erben des Verletzten nicht erhoben oder fortgesetzt werden. g 405. Der Nebenkläger hat den Betrag, welchen er als Buße verlangt, anzu geben. Auf einen höheren Betrag der Buße als den beantragten darf nicht erkannt werden. g 406. Die Bestimmungen der §§ 404, 405 finden auf 5cn Fall ent­ sprechende Anwendung, daß von dem die Buße Beanspruchenden die Privat­ klage erhoben wird. Sechstes Buch.

Besondere Arten des Verfahrens. Erster Abschnitt. Verfahren bei amtsrichterlichen Strafbefehlen, g 407. Bei Übertretungen und Vergehen kann die Strafe durch schrift­ lichen Strafbefehl des Amtsrichters ohne vorgängige Verhandlung festgesetzt werden, wenn die Staatsanwaltschaft schriftlich hierauf anträgt. Durch einen Strafbefehl darf jedoch keine andere Strafe als Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von höchstens drei Monaten sowie eine etwa verwirkte Einziehung oder die Bekanntmachung der Entscheidung festgesetzt werden. Die Überweisung des Beschuldigten an die Landespolizeibehörde darf in einem Strafbefehle nicht ausgesprochen werden. Die Staatsanwaltschaft kann bei dem Antrag auf Erlaß des Strafbefehls zugleich den im § 25 Abs. 1 Nr. 2e des Gerichtsverfassungsgesetzes bezeichneten Antrag für den Fall stellen, daß der Amtsrichter die Sache zur Hauptver­ handlung bringt oder der Beschuldigte Einspruch erhebt. g 408. Der Antrag ist auf eine bestimmte Strafe zu richten. Der Amtsrichter hat ihm zu entsprechen, wenn der Erlassung des Strafbefehls Be­ denken nicht entgegenstehen. Findet der Amtsrichter Bedenken, die Strafe ohne Hauptverhandlung fest­ zusetzen, so ist die Sache zur Hauptverhandlung zu bringen. Dasselbe gilt, wenn der Amtsrichter eine andere als die beantragte Strafe festsetzen will und die Staatsanwaltschaft bei ihrem Antrag beharrt.

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

8 409. Der Strafbefehl muß außer der Festsetzung der Strafe die straf­ Handlung, das angewendete Strafgesetz und die Beweismittel bezeichnen, die Eröffnung enthalten, daß er vollstreckbar werde, wenn der Beschuldigte binnen einer Woche nach der Zustellung bei dem Amtsgerichte schriftlich zu Protokoll des Gerichtsschreibers Einspruch erhebe. Auf den Einspruch kann vor Ablauf der Frist verzichtet werden. 8 41V. Ein Strafbefehl, gegen welchen nicht rechtzeitig Einspruch erhoben worden ist, erlangt die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils. 8 411. Bei rechtzeitigem Einspruch wird zur Hauptverhandlung ge­ schritten, sofern nicht bis zu ihrem Beginne die Staatsanwaltschaft die Klage fallen läßt oder der Einspruch zurückgenommen wird. Der Angeklagte kann sich in der Hauptverhandlung durch einen mit schrift­ licher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lassen. Bei der Urteilsfällung ist das Gericht an den in dem Strafbefehl ent­ haltenen Ausspruch nicht gebunden. 8 412. Bleibt der Angeklagte ohne genügende Entschuldigung in der Hauptverhandlung aus, und wird er auch nicht durch einen Verteidiger ver­ treten, so wird der Einspruch ohne Beweisaufnahme durch Urteil verworfen. Ein Angeklagter, welchem gegen den Ablauf der Einspruchsfrist Wiederein­ setzung in teil vorigen Stand gewährt worden war, kann sie nicht mehr gegen das UrteiJ beanspruchen.

bare auch nicht oder

Zweiter Abschnitt. Verfahren nach vorangegangener polizeilicher Strafverfügnng.

8 413. Wo nach den Bestimmungen der Landesgesetze die Polizeibehörden befugt sind, eine in den Strafgesetzen angedrohte Strafe durch Verfügung fest­ zusetzen, erstreckt sich diese Befugnis nur auf Übertretungen. Auch kann die Polizeibehörde keine andere Strafe als Haft bis zu vierzehn Tagen oder Geldstrafe und die Haft, welche für den Fall, daß tzie Geldstrafe nicht beigetrieben werden kann, an ihre Stelle tritt, sowie eine etwa verwirkte Einziehung verhängen. Die Strafverfügung muß außer der Festsetzung der Strafe die strafbare Handlung, das angewendete Strafgesetz und die Beweismittel bezeichnen, auch die Eröffnung enthalten, daß der Beschuldigte, sofern er nicht eine nach den Gesetzen zugelassene Beschtverde an die höhere Polizeibehörde ergreife, gegen die Strafverfügung binnen einer Woche nach der Bekanntmachung bei der Poli­ zeibehörde, welche diese Verfügung erlassen hat, oder bei dem zuständigen Amtsgericht auf gerichtliche Entscheidung antragen könne. Die Strafverfügung wirkt in betreff der Unterbrechung der Verjährung wie eine richterliche Handlung. 8 414. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung kann bei der Polizei­ behörde schriftlich oder mündlich, bei dem Amtsgerichte schriftlich oder zu Pro­ tokoll des Gerichtsschreibers angebracht werden. Die Polizeibehörde übersendet, falls sie nicht die Strafverfügung zurück­ nimmt, die Akten an die zuständige Staatsanwaltschaft, welche sie dem Amts­ richter vorlegt. 8 415. Gegen die Versäumung der Antragsfrist ist unter den in den §§ 44, 45 bezeichneten Voraussetzungen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässig. Das Gesuch ist bei einer der im § 414 Abs. 1 genannten Behörden anzubringen. über das Gesuch entscheidet der Amtsrichter. Die Bestimmungen des § 46 Abs. 2, 3 ftnten hier gleichfalls Anwendung 8 416. Ist der Antrag rechtzeitig angebracht, so wird zur Hauptverhandlung vor dem Amtsrichter geschritten, ohne daß es der Einreichung einer An­ klageschrift oder einer Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens bedarf. Bis zum Beginne der Hauptverhandlung kann der Antrag zurückge­ nommen werden.

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 409—425.

837

8 417. Das Verfahren vor dem Amtsrichter ist dasselbe wie int Falle einer von der Staatsanwaltschaft erhobenen und zur Hauptverhandlung ver­ wiesenen Anklage. Der Angeklagte kann sich durch einen mit schriftlicher Vollmacht ver­ sehenen Verteidiger vertreten lassen. Bei der Urteilsfällung ist das Gericht an den Ausspruch der Polizei­ behörde nicht gebunden. 8 418. Stellt sich «nach dem Ergebnisse der Hauptverhandlung die Tat des Angeklagten als eine solche dar, bei welcher die Polizeibehörde zum Erlaß einer Strafverfügung nicht befugt war, hat das Gericht die letztere durch Urteil aufzuheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden.

Dritter Abschnitt. Verfahren bei Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Erhebung öffentlicher Abgaben und Gefälle. 8 419. Strafbescheide der Verwaltungsbehörden wegen Zuwiderhand­ lungen gegen die Vorschriften über die Erhebung öfentlicher Abgaben und Ge­ fälle dürfen nur Geldstrafen sowie eine etwa verwirkte Einziehung festsetzen. Ter Strafbescheid muß außerdem die strafbare Handlung, das ange­ wendete Strafgesetz und die Beweismittel bezeichnen, auch die Eröffnung enthalten, daß der Beschuldigte, sofern er nicht eine nach den Gesetzen zuge­ lassene Beschwerde an die höhere Verwaltungsbehörde ergreife, gegen den Strafbescheid binnen einer Woche nach der Bekanntmachung bei der Ver­ waltungsbehörde, welche ihn erlassen, oder bei der, welche ihn bekanntgemacht hat, auf gerichtliche Entscheidung antragen könne. Der Strafbescheid wirkt in betreff ür Unterbrechung der Verjährung wie eine richterliche Handlung. 8 420. Wird auf gerichtliche Entscheidung angetragen, so übersendet die Verwaltungsbehörde, falls sie nicht den Strafbescheid zurücknimmt, die Akten an die zuständige Staatsanwaltschaft, welche sie dem Gerichte vorlegt. 8 421. Für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand finden die Bestimmungen des § 415 entsprechende Anwendung. 8 422. Ist der Antrag rechtzeitig angebracht, so wird zur Hauptverhand­ lung geschritten, ohne daß es der Einreichung einer Anklageschrift oder einer Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens bedarf. Die Staatsanwaltschaft kann den im § 25 Abs. 1 Nr. 2 c des Gerichts­ verfassungsgesetzes vorgesehenen Antrag auch noch bei Vorlage der Akten in das Gericht stellen; auf Verlangen der Verwaltungsbehörde hat sie dies zu tun. Bis zum Beginne der Hauptverhandlung "kann der Antrag zurückge­ nommen werden. 8 423. Ist die in einem vollstreckbaren Strafbescheide festgesetzte Geld­ strafe von dem Beschuldigten nicht beizutreiben und deshalb ihre Umwand­ lung in eine Freiheitsstrafe erforderlich, so ist diese Umwandlung nach An­ hörung der Staatsanwaltschaft und des Beschuldigten durch gerichtliche Ent­ scheidung auszusprechen, ohne daß der Strafbescheid einer Prüfung des Ge­ richts unterliegt. Über die Umwandlung entscheidet der Amtsrichter. Gegen die Entscheidung findet sofortige Beschwerde statt. 8 424. Hat die Verwaltungsbehörde einen Strafbescheid nicht erlassen, und lehnt die Staatsanwaltschaft den an sie gerichteten Antrag auf Verfol­ gung ab, so ist die Verwaltungsbehörde befugt, selbst die Anklage zu erheben. In einem solchen Falle hat sie einen Beamten ihres Berwaltungszweigs oder einen Rechtsanwalt als ihren Vertreter zu bestellen und in der Anklage namhaft zu machen. 8 425. Die Staatsanwaltschaft ist zu einer Mitwirkung in jeder Lage des Verfahrens berechtigt.

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

Bei der Hauptverhandlung muß sie vertreten fein; auch hat sie die ge­ richtlich angeordneten Ladungen dazu zu bewirken. Alle im Laufe des Verfahrens ergehenden Entscheidungen sind ihr be­ kanntzumachen. 8 426. Im übrigen regelt sich das Verfahren auf die von der Ver­ waltungsbehörde erhobene Anklage nach den für die Privatklage gegebenen Be­ stimmungen. 8 427. Hat der Beschuldigte gegen einen Strafbescheid auf gerichtliche Untersuchung angetragen, oder hat die Staatsanwaltschaft die Anklage erhoben, so kann die Verwaltungsbehörde sich der Verfolgung anschließen, und sie hat alsdann gleichwie bei einer von ihr erhobenen Anklage einen Vertreter zu bestellen. In diesem Falle kommen die für den Anschluß des Verletzten als Neben­ kläger gegebenen Bestimmungen zur Anwendung. 8 428. Wenn die Verwaltungsbehörde die Anklage erhoben oder sich der Verfolgung angeschlossen hat, so sind ihr das Urteil und alle sonstigen Entscheidungen zuzustellen, auch wenn sie bei deren Verkündung vertreten ge­ wesen ist. 8 429. Die Fristen zur Einlegung von Rechtsmitteln beginnen für die Verwaltungsbehörde erst mit der Zustellung. Zur Anbringung von Revisionsanträgen und zur Gegenerklärung auf solche steht der Verwaltungsbehörde eine Frist von einem Monat zu.

Vierter Abschnitt. Verfahren bei Einziehungen und BermögenSbeschlagnahmen. 8 430. In den Fällen, in welchen nach § 42 des Strafgesetzbuchs oder nach anderweiten gesetzlichen Bestimmungen auf Einziehung, Vernichtung oder Unbrauchbarmachung von Gegenständen selbständig erkannt werden kann, ist der Antrag, sofern die Entscheidung nicht in Verbindung mit einem Urteil in der Hauptsache erfolgt, seitens der Staatsanwaltschaft oder des Privat­ klägers bei dem Gerichte zu stellen, welches für den Fall der Verfolgung einer bestimmten Person zuständig sein würde. An die Stelle des Schwurgerichts tritt das Schöffengericht. 8 431. Die Verhandlung und Entscheidung erfolgt in einem Termin, auf welchen die Bestimmungen über die Hauptverhandlung entsprechende An­ wendung finden. Personen, welche einen rechtlichen Anspruch auf den Gegenstand der Ein­ ziehung, Vernichtung oder Unbrauchbarmachung haben, sind, soweit dies aus­ führbar erscheint, zu dem Termine zu laden. Sie können alle Befugnisse ausüben, welche einem Angeklagten zu­ stehen, sich auch durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lassen. Durch ihr Nichterscheinen wird das Verfahren und die Ur­ teilsfällung nicht aufgehalten. 8 432. Die Rechtsmittel gegen das Urteil stehen der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und den im § 431 bezeichneten Personen zu. 8 433. Auf die im § 93 des Strafgesetzbuchs vorgesehene Beschlag­ nahme des Vermögens eines Angeschuldigten finden die Bestimmungen der §§ 291 bis 293 entsprechende Anwendung.

Fünfter Abschnitt. Besondere Vorschriften über das Verfahren bei militärische« Straftaten für Straf­ sachen gegen Angehörige der Reichswehr nnd für Milttärstrafsacheu.

8 434. Eine Militärgerichtsbarkeit besteht nur für Strafverfahren in Kriegszeiten und gegen die Angehörigen der Reichsmarine, die an Bord von in Dienst gestellten Kriegsschiffen eingeschifft sind.

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 426—442.

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Soweit eine Militärgerichtsbarkeit nicht besteht, gelten für miltärische Straftaten sowie für Strafsachen gegen Angehörige der Reichswehr und für Militärstrafsachen die folgenden besonderen Vorschriften:

Erster Titel. Vorschriften für militärische Straftaten. 8 438. Die Entscheidung, ob eine militärische Straftat gemäß 8 3 des Einsührungsgesetzes zum Militärstrafgesetzbuche disziplinarisch zu ahnden ist, steht dem militärischen Disziplinarvorgesetzten, sofern aber ein Untergebener oder eine nicht der Reichswehr angehörige Person verletzt ist, der Staatsan­ waltschaft zu. Gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft, durch welche die Straftat der disziplinarischen Ahndung überwiesen wird, kann der Verletzte binnen einer Woche nach Zustellung die Entscheidung des Landgerichts Anrufen Die Behörde, bei der eine Anzeige oder ein Strafantrag eingegangen ist, hat dem Disziplinarvorgesetzten sofort Nachricht zu geben. Ist das Haupt­ verfahren eröffnet, so ist die Straftat gerichtlich abzuurteilen. Der militärische Disziplinarvorgesetzte hat stets das Recht, gerichtliche Aburteilung zu verlangen 8 436. Bei militärischen Vergehen finden die Vorschriften des § 153 Abs. 2, 3 über die Befugnis, von der Erhebung der öffentlichen Klage abzu­ sehen oder das Verfahren einzustellen, keine Anwendung. 8 437. Ein Abwesender, gegen den die öffentliche Klage wegen Fahnen­ flucht erhoben ist, kann durch Beschluß des Gerichts für fahnenflüchtig erklärt werden. Für die Bekanntmachung und die Aufhebung des Beschlusses gelten die §§ 291, 293. Zweiter Titel. Vorschriften für Strafsachen gegen Angehörige der Reichswehr und für Militär­ strafsachen. 8 438. In Strafverfahren gegen Angehörige der Reichswehr gelten die besonderen Vorschriften der §§ 439 bis 441. 8 439. Ein Gerichtsstand ist auch bei dem Gerichte begründet, in dessen Bezirke sich der Standort des Truppenteils beftndet, dem der Beschuldigte angehört. 8 449. Von der Festnahme ist der vorgesetzten Dienstbehörde unverzüg­ lich Nachricht zu geben. 8 441. Bon der Einleitung der Strafverfolgung, der Eröffnung des Hauptverfahrens und der Anberaumung einer Hauptverhandlung ist der höheren Kommandobehörde des Beschuldigten Nachricht zu geben. Bon dem Eingang der Nachricht über die Einleitung einer Strafverfolgung an ist eine Versetzung des Beschuldigten aus dem Bereiche der Strafverfolgungsbehöroe nur noch mit deren Zustimmung zulässig. Bei militärischen Verbrechen und Vergehen ist außerdem der höheren Kom­ mandobehörde des Beschuldigten die Verfügung der Staatsanwaltschaft Liber die Ablehnung der Strafverfolgung oder die Einstellung des Verfahrens nebst den Gründen zuzustellen. Die Zustellung kann durch Vorlage der Akten erfolgen. In den Fällen des Abs. 2 stehen die Rechte des Verletzten nach § 172 auch dem Befehlshaber der höheren Kommandobehörde zu. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung kann statt von einem Rechtsanwälte von einem Heeres- (Marine-) Anwalt unterzeichnet werden. Die §§ 176, 177 finden auf den von dem Befehlshaber gestellten Antrag keine Anwendung. Was unter „höhere Kommandobehörde" zu verstehen ist, bestimmt der Reichswehrminister. 8 442. In Militärstrafsachen gelten die besonderen Vorschriften der §§ 443 bis 448. Militärstrafsachen sind Strafverfahren, die von Angehörigen der Reichs­ wehr während ihrer Zugehörigkeit zur Reichswehr oder zum bisherigen aktiven Heere oder zur bisherigen aktiven Marine begangene Straftaten betreffen.

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

8 443. Die militärischen Vorgesetzten haben die gleichen Rechte und Pflichten wie die Polizei- und Sicherheitsbeamten, welche als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft deren Anordnungen Folge zu leisten haben. Sie sind insbe­ sondere verpflichtet, die Ersuchen der Staatsanwaltschaft, des Untersuchungs­ richters und der Gerichte auszuführen. Untersuchungshandlungen dürfen sie ohne Ersuchen nur vornehmen, wenn diese keinen Aufschub gestatten. 8 444. Anzeigen strafbarer Handlungen und Anträge auf Strafverfol­ gung können auch bei den Disziplinarvorgesetzten des Beschuldigten angebracht werden. Mündliche Anzeigen und Anträge sind zu Protokoll zu nehmen. Der Tisziplinarvorgesetzte hat von der Anzeige oder dem Antrag die Staatsanwaltschaft oder, wenn die schleunige Vornahme einer richterlichen Untersuchungshandlung erforderlich erscheint, den Amtsrichter sofort zu benach­ richtigen. Das gleiche gilt, wenn sich sonst der Verdacht einer strafbaren Hand­ lung ergibt. Die Pflicht zur Benachrichtigung entfällt, wenn der militärische Vorgesetzte das Recht hat, die strafbare Handlung disziplinarisch zu ahnden. 8 445. Die Anordnung der Untersuchungshaft ist beim Vorliegen dringenden Tatverdachts auch dann zulässig, wenn die Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin dies fordert. In diesem Falle hat das Gericht nach Ablauf je eines Monats zu prüfen, ob der Haftbefehl aufrechtzuerhalten ist- die Dauer der Untersuchungshaft ist auf die Strafe voU anzurechnen. 8 446. Als Verteidiger können mit ihrer Zustimmung auch Offiziere und gewählte Vertreter der Soldaten gewählt oder auf Antrag des Beschul­ digten bestellt werden. Den im § 144 Abs. 2 bezeichneten Justizbeamten stehen die bei den Heeres- (Marine-) Anwälten beschäftigten Sekretäre gleich. 8 447. Erklärungen über die Einlegung oder die Rechtfertigung von Rechtsmitteln, Gesuche auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens, Einsprüche gegen Strafbefehle sowie Anträge auf gerichtliche Entscheidung gegenüber einer polizeilichen Strafverfügung kann der Beschuldigte oder Verurteilte auch zu Protokoll des nächsten mit Disziplinarstrafgewalt versehenen Vorgesetzten, eines Heeres- (Marine-) An­ walts oder eines bei einem solchen beschäftigten Sekretärs, ferner, wenn er sich in militärischem Gewahrsame befindet, zu Protokoll des mit der Aufsicht über das Gefängnis betrauten Offiziers oder Beamten anbringen. Revisions­ anträge uno deren Begründung können jedoch von dem Angeklagten außer in der Form deß § 345 Abs. 2 nur zu Protokoll eines Heeres- (Marine-) Anwalts oder eines bei einem solchen beschäftigten Sekretärs angebracht werden. In den Fällen des Abs. 1 genügt es zur Wahrung einer Frist, wenn innerhalb der Frist das Protokoll ausgenommen wird. 8 448. Die Revision kann auch daraus gestützt werden, daß eine allge­ meine militärische Dienstvorschrift nicht oder nicht richtig angewendet worden ist. Siebentes Buch.

Strafvollstreckung und Kosten des Verfahrens. Erster Abschnitt. Strafvollstreckung. Strafurteile siird nicht vollstreckbar, bevor sie rechtskräftig ge­

8 449. worden sind. 8 450. Auf die zu vollstreckende Freiheitsstrafe ist unverkürzt die Unter­ suchungshaft anzurechnen, welche der Angeklagte erlitten hat, seit er auf Ein­ legung eines Rechtsmittels verzichtet oder das eingelegte Rechtsmittel zurück­ genommen hat, oder seitdem die Einlegungsfrist abgelaufen ist, ohne daß er eine Erklärung abgegeben hat.

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 443—458.

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8 451. Die Strafvollstreckung erfolgt durch die Staatsanwaltschaft auf Grund einer von dem Gerichtsschreiber zu erteilenden, mit der Bescheinigung der Vollstreckbarkeit versehenen, beglaubigten Abschrift der Urteilsformel. Den Amtsanwälten stebt die Strafvollstreckung nur insoweit zu, als die Landesjustizverwaltung sie ihnen übertragen hat. Für die zur Zuständigkeit der Amtsgerichte gehörigen Sachen kann durch Anordnung der Landesjustizverwaltung die Strafvollstreckung den Amts­ richtern übertragen werden. 8 452. In Sachen, in denen das Reichsgericht in erster Instanz erkannt hat, steht das Begnadigungsrecht dem Reiche zu. 8 453. Todesurteile bedürfen zu ihrer Vollstreckung keiner Bestäti­ gung. Die Vollstreckung ist jedoch erst zulässig, wenn die Entschließung der zur Ausübung des Gnadenrechts berufenen Stelle ergangen ist, von dem Be­ gnadigungsrechte keinen Gebrauch machen zu wollen. An schwangeren oder geisteskranken Personen darf ein Todesurteil nicht vollstreckt werden. 8 454. Die Vollstreckung der Todesstrafe erfolgt in einem umschlossenen Raume. Bei der Vollstreckung müssen zwei Mitglieder des Gerichts erster In­ stanz, ein Beamter der Staatsanwaltschaft, ein Gerichtsschreiber und ein Ge­ fängnisbeamter zugegen sein. Der Gemeindevorstand des Orts, wo die Hin­ richtung stattfindet, ist aufzufordern, zwölf Personen aus den Vertretern oder aus anderen achtbaren Mitgliedern der Gemeinde abzuordnen, um der Hin­ richtung beizuwohnen. Außerdem ist einem Geistlichen von dem Religionsbekenntnisse des Ver­ urteilten und dem Verteidiger und nach dem Ermessen des die Vollstreckung leitenden Beamten auch anderen Personen der Zutritt zu gestatten. Über den Hergang ist ein Protokoll aufzunehmen, welches von dem Be­ amten der Staatsanwaltschaft und dem Gerichtsschreiber zu unterzeichnen ist. Der Leichnam des Hingerichteten ist seinen Angehörigen auf ihr Ver­ langen zur einfachen, ohne Feierlichkeiten vorzunehmenden Beerdigung zu verabfolgen. 8 455. Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe ist auszuschieben, wenn der Verurteilte in Geisteskrankheit verfällt. Dasselbe gilt bei anderen Krankheiten, wenn von der Vollstreckung eine nahe Lebensgefahr für den Verurteilten zu besorgen steht. Die Strafvollstreckung kann auch dann aufgeschoben werden, wenn sich der Verurteilte in einem körperlichen Zustande befindet, bei welchem eine so­ fortige Vollstreckung mit der Einrichtung der Strafanstalt unverträglich ist. 8 456. Aus Antrag des Verurteilten kann die Vollstreckung aufge­ schoben werden, sofern durch die sofortige Vollstreckung dem Verurteilten oder seiner Familie erhebliche, außerhalb des Strafzwecks liegende Nachteile er­ wachsen. Der Strafaufschub darf den Zeitraum von vier Monaten nicht übersteigen. Seine Bewilligung kann an eine Sicherheitsleistung oder andere Be­ dingungen geknüpft werden. 8 457. Die Staatsanwaltschaft ist befugt, behufs Vollstreckung einer Freiheitsstrafe einen Vorführungs- oder Haftbefehl zu erlassen, wenn der Ver­ urteilte auf die an ihn ergangene Ladung zum Antritt der Strafe sich nicht gestellt hat oder der Flucht verdächtig ist. Auch kann von der Staatsanwaltschaft zu demselben Zwecke ein Steckbrief erlassen werden, wenn der Verurteilte flüchtig ist oder sich verborgen hält. Diese Befugnisse stehen im Falle des § 451 Abs. 3 auch dem Amts­ richter zu. 8 458. Wenn über die Auslegung eines Strafurteils oder über die Berechnung der erkannten Strafe Zweifel entstehen, oder wenn Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung erhoben werden, so ist die Ent­ scheidung des Gerichts herbeizuführen.

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

Dasselbe gilt, wenn nach Maßgabe des § 455 Einwendungen gegen die Ablehnung eines Antrags auf Aufschub der Strafvollstreckung erhoben werden. Der Fortgang der Vollstreckung wird hierdurch nicht gehemmt,- das Ge­ richt kann jedoch einen Aufschub oder eine Unterbrechung der Vollstreckung anordnen. 8 459. Kann eine verhängte Geldstrafe nicht beigetrieben werden und ist die Festsetzung der für diesen Fall eintretenden Freiheitsstrafe unter­ lassen worden, so ist die Geldstrafe nachträglich von dem Gericht in die ent­ sprechende Freiheitssprache umzuwanbeln. 8 460» Ist jemand durch verschiedene rechtskräftige Urteile zu Strasen verurteilt worden und sind dabei die Vorschriften über die Zuerkennung einer Gesamtstrafe (§ 79 des Strafgesetzbuchs) außer Betracht geblieben, so sind die erkannten Strafen durch eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung auf eine Gesamtstrafe zurückzuführen. 8 461* Ist der Verurteilte nach Beginn der Strafvollstreckung toegen Krankheit in eine von der Strafanstalt getrennte Krankenanstalt gebracht worden, so ist die Dauer des Aufenthalts in der Krankenanstalt in die Straf­ zeit einzurechnen, wenn nicht der Verurteilte mit der Absicht, die Strafvoll­ streckung zu unterbrechen, die Krankheit herbeigesührt hat. Die Staatsanwaltschaft hat im letzteren Falle eine Entscheidung des Ge­ richts herbeizuführen. 8 462. Die bei der Strafvollstreckung notwendig werdenden gericht­ lichen Entscheidungen (§§ 458 bis 461) werden von dem Gericht erster Instanz ohne mündliche Verhandlung erlassen. Bor der Entscheidung ist der Staatsanwaltschaft und dem Verurteilten Gelegenheit zu geben, Anträge zu stellen und zu begründen. Kommt es auf die Festsetzung einer Gesamtstrafe an (§ 460), und waren die verschiedenen hierdurch abzuändernden Urteile von verschiedenen Gerichten erlassen, so steht die Entscheidung dem Gerichte zu, welches die schwerste Straf­ art oder bei Strafen gleicher Art die höchste Strafe erkannt hat, falls hiernach aber mehrere Gerichte zuständig sein würden, dem, dessen Urteil zuletzt er­ gangen ist. War das hiernach maßgebende Urteil von einem Gericht höherer Instanz erlassen, so setzt das Gericht erster Instanz, und war eines der Straf­ urteile von dem Reichsgericht oder einem Oberlandesgericht in erster Instanz erlassen, das Reichsgericht oder das Oberlandesgericht die Gesamtstrafe fest. Gegen diese Entscheidungen findet, sofern sie nicht von dem Reichs­ gericht oder einem Oberlandesgericht erlassen sind, sofortige Beschwerde statt. 8 463. Die Vollstreckung der über eine Vermögensstrafe oder eine Buße ergangenen Entscheidung erfolgt nach den Vorschriften über die Vollstreckung der Urteile der Zivilgerichte. Zweiter Abschnitt Kosten des Verfahrens.

8 464. Jedes Urteil, jeder Strafbefehl und jede eine Untersuchung ein­ stellende Entscheidung muß darüber Bestimmung treffen, von wem die Kosten des Verfahrens zu tragen sind. Die Höhe der Kosten und Auslagen, die ein Beteiligter einem anderen Beteiligten zu erstatten hat, wird auf Antrag eines Beteiligten durch den Gerichtsschreiber festgesetzt. Auf das Verfahren und auf die Vollstreckung der Entscheidung finden die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechende An­ wendung. 8 465. Die Kosten, mit Einschluß der durch die Vorbereitung der öffent­ lichen Klage und die Strafvollstreckung entstandenen, hat der Angeklagte zu tragen, wenn er zu Strafe verurteilt wird. Stirbt ein Verurteilter vor eingetretener Rechtskraft des Urteils, so haftet sein Nachlaß nicht für die Kosten.

177. Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877. §§ 459— 473.

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8 46V. Wenn ein Angeklagter in einer Untersuchung, welche mehrere strafbare Handlungen umfaßt, nur in Ansehung eines Teiles derselben verur­ teilt wird, durch die Verhandlung der übrigen Straffälle aber besondere Kosten entstanden sind, so ist er von deren Tragung zu entbinden. Mitangeklagte, welche in bezug auf dieselbe Tat zu Strafe verurteilt sind, haften für die Auslagen als Gesamtschuldner. Dies gilt nicht von den durch die Strafvollstreckung oder die Untersuchungshaft entstandenen Kosten. 8 467 Einem freigesprochenen oder außer Verfolgung gesetzten Ange­ schuldigten smd nur solche Kosten aufzuerlegen, welche er durch eine schuldbare Versäumnis verursacht hat. Die dem Angeschuldigten erwachsenen notwendigen Auslagen können der Staatskasse auferlegt werden. 8 468. Bei wechselseitigen Beleidigungen oder Körperverletzungen wird die Verurteilung eines oder beider Teile in die Kosten dadurch nicht ausge­ schlossen, daß einer oder beide für straffrei erklärt werden 8 469. Ist ein, wenn auch nur außergerichtliches Verfahren durch eine wider besseres Wissen gemachte oder auf grober Fahrlässigkeit beruhende An­ zeige veranlaßt worden, so kann das Gericht dem Anzeigenden, nachdem er gehört worden, die der Staatskasse und dem Beschuldigten erwachsenen Kosten auferlegen. War noch kein Gericht mit der Sache befaßt, so erfolgt die Entscheidung auf den Antrag der Staatsanwaltschaft durch das Gericht, welches für die Eröffnung des Hauptversahrens zuständig gewesen wäre. Gegen die Entscheidung findet sofortige Beschwerde statt. 8 470. Erfolgt eine Einstellung des Verfahrens wegen Zurücknahme des Antrags, durch welchen es bedingt war, so hat der Antragsteller die Kosten zu tragen. 8 471. In einem Verfahren auf erhobene Privatklage hat der Verur­ teilte auch die dem Privatkläger erwachsenen notwendigen Auslagen zu erstatten. Das Gericht kann, wenn den Anträgen des Privatklägers nur zum Teil entsprochen ist, die im Verfahren entstandenen Auslagen sowie die dem Privat­ kläger und dem Beschuldigten erwachsenen notwendigen Auslagen angemessen verteilen. Wird der Beschuldigte außer Verfolgung gesetzt oder freigesprochen, oder wird das Verfahren eingestellt, so fallen dem Privatkläger die Kosten des Verfahrens sowie die dem Beschuldigten erwachsenen notwendigen Auslagen zur Last. Mehrere Privatkläger haften als Gesamtschuldner. Das gleiche gilt hin­ sichtlich der Haftung mehrerer Beschuldigter für die dem Privatkläger er­ wachsenen notwendigen Auslagen. Die nach den Bestimmungen dieses Paragraphen zu erstattenden Aus­ lagen umfassen auch die Entschädigung für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis: die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften finden entsprechende Anwendung. Hat sich der Gegner der erstattungspflichtigen Partei eines Rechts­ anwalts bedient, so sind die Gebühren und Auslagen des Anwalts insoweit inbegriffen, als solche nach der Bestimmung des § 91 der Zivilprozeßord­ nung die unterliegende Partei der obsiegenden zu erstatten hat. 8 472. Wird in dem Falle des § 175 der Angeschuldigte außer Verfol­ gung gesetzt oder freigesprochen, oder das Verfahren eingestellt, so finden auf den Antragsteller die Bestimmungen des § 471 Abs. 2 bis 5 entsprechende Anwendung. Das Gericht kann jedoch nach Befinden der Umstände den Antrag­ steller von der Tragung der Kosten ganz oder teilweise entbinden. Bor der Entscheidung über den Kostenpunkt ist der Antragsteller zu hören, sofern er nicht als Nebenkläger aufzutreten berechtigt war. 8 473. Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. War das Rechtsmittel von dec Staatsanwaltschaft eingelegt, so können die dem Beschuldigten erwachsenen not-

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Zweiter Teil. Strafprozeßgesetze.

wendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt werden. Hatte das Rechtsmittel teilweisen Erfolg, so kann das Gericht die Gebühr ermäßigen und die ent­ standenen Auslagen angemessen verteilen. Dasselbe gilt von den Kosten, welche durch einen Antrag auf Wieder­ aufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil geschlossenen Verfahrens verur­ sacht worden sind. Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antrag­ steller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind. 8 474. In den zur Zuständigkeit des Reichsgerichts in erster Instanz gehörigen Sachen sind die von der Staatskasse zu tragenden Kosten der Reichs­ kasse aufzuerlegen.

178. 4. Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung. Vom 1. Februar 1877 (RGBl. S 346).

8 1.

Die Strafprozeßordnung tritt im ganzen Umfange des Reiche gleichzeitig mit dem Gerichtsverfassungsgesetze in Kraft. 8 2. Die erforderlichen Anordnungen, um die Jahreslisten der Schöffen und der Geschworenen bis zum Tage des Inkrafttretens der Strafprozeßord­ nung nach den Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes herzustellen, ins­ besondere die Bezeichnung der Behörden, welche hierbei die den Amtsrichtern und den Landgerichten zugewiesenen Geschäfte wahrzunehmen haben, erfolgen durch die Landesjustizverwaltung. Dieselbe kann den Zeitraum, für welchen die in dieser Weise hergestellten Listen Geltung haben sollen, abweichend von dem Gerichtsverfassungsgesetze, jedoch nicht über das zweite Geschäftsjahr, bestimmen. 8 3. Die Strafprozeßordnung findet auf alle Strafsachen Anwendung, welche vor die ordentlichen Gerichte gehören Insoweit die Gerichtsbarkeit in Strafsachen, für welche besondere Ge­ richte zugelassen sind, durch die Landesgesetzgebung den ordentlichen Gerichten übertragen wird, kann diese ein abweichendes Verfahren gestatten Die Landesgesetze können anordnen, daß Forst- und Feldrügesachen durch die Amtsgerichte in einem besonderen Verfahren, sowie ohne Zuziehung von Schöffen verhandelt und entschieden werden 8 4. In Ansehung der Landesherren und der Mitglieder der landes­ herrlichen Familien sowie der Mitglieder der Fürstlichen Familie Hohenzollern finden die Bestimmungen der Strafprozeßordnung nur insoweit An­ wendung, als nicht besondere Vorschriften der Hausverfassungen oder der Landesgesetze abweichende Bestimmungen enthalten. Das gleiche gilt in An­ sehung der Mitglieder des vormaligen Hannoverschen Königshauses, des vor­ maligen Kurhessischen und des vormaligen Herzoglich Nassauischen Fürstewhauses.*) 8 5. Die prozeßrechtlichen Vorschriften der Reichsgesetze werden durch die Strafprozeßordnung nicht berührt. Wird in den Fällen des § 101 der Seeinannsordnung gegen den Be­ scheid des Seemannsamtes auf gerichtliche Entscheidung angetragen, so finden auf das weitere Verfahren die §§ 455—458*2) der Strafprozeßordnung ent­ sprechende Anwendung. 8 6. Die prozeßrechtlichen Vorschriften der Landesgesetze treten für alle Strafsachen, deren Entscheidung in Gemäßheit des § 3 nach den Vorschriften Fassung gemäß Art II d. Gesetzes v. 17. Mai 1898 (RGBl. S. 252). 2) Nunmehr §§ 415—418

179. Verordnung über Gerichtsverfassung u. Strafrechtspflege v. 4- Jan. 1924.

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der Strafprozeßordnung zu erfolgen hat, außer Kraft, insoweit nicht in der Strafprozeßordnung auf sie verwiesen ist. Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Bestimmungen: 1 über die Voraussetzungen, unter tvelchen gegen Mitglieder einer gesetzigebenden Versammlung während der Dauer einer Sitzungsperiode eine Strafverfolgung eingeleitet oder fortgesetzt werden kann; 2. (durch § 23 des Vereinsgesetzes vom 19. April 1908 aufgehoben); 3. über das Verfahren im Verwaltungswege bei Übertretungen, wegen deren die Polizeibehörden zum Erlaß einer Strafverfügung befugt sind, und bei Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Erhebung öffentlicher Abgaben und Gefälle, insoweit nicht die §§ 453, 454, 455 und 459 bis 463 i) der Strafprozeßordnung abändernde Bestimmungen treffen. 8 7. Gesetz im Sinne der Strafprozeßordnung und dieses Gesetzes ist jede Rechtsnorm. g 8. In den am Tage des Inkrafttretens der Strafprozeßordnung an­ hängigen Strafsachen sind für das weitere Verfahren die Vorschriften der Strafprozeßordnung maßgebend Die Landesgesetzgebung kann die zur Über­ leitung des Verfahrens erforderlichen Bestimmungen treffen. War jedoch vor dem Tage des Inkrafttretens der Strafprozeßordnung ein Endurteil erster Instanz ergangen, so finden auf die Erledigung der Sache bis zur rechtskräftigen Entscheidung die bisherigen Prozeßgesetze Anwendung, g 0. Wird ein vor dem Tage des Inkrafttretens der Strafprozeßordnung ergangenes Endurteil erster Instanz in der höheren Instanz aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung in die erste Instanz zurückgewiesen, so regelt sich das weitere Verfahren nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung, g 10. Für die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil ge­ schlossenen Verfahrens sind die Vorschriften der Strafprozeßordnung auch dann maßgebend, wenn das Urteil vor dem Tage des Inkrafttretens der Straf­ prozeßordnung erlassen oder rechtskräftig geworden war. g 11. Die Verfolgung von Beleidigungen und Körperverletzungen findet nur nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung statt. Insoweit diese Verfolgung nach der Gesetzgebung eines Bundesstaates im Wege des Zivilprozesses stattfand, richtet sich die Erledigung eines an­ hängigen Verfahrens nach den Vorschriften des Einführungsgesetzes zur Zivil­ prozeßordnung. g 12. Auf die Strafvollstreckung finden die Vorschriften der Straf­ prozeßordnung Anwendung, auch wenn die Strafe nach den bisherigen Vor­ schriften über das Strafverfahren erkannt ist.

179. 5. Verordnung über Gerichtsverfassung und Straf­ rechtspflege. Vom 4. Januar 1924. (RGBl. I S. 15.) Auf Grund des Ermächtigungsgesetzes vom 8. Dezember 1923 (Reichs­ gesetzblatt I S. 1179) verordnet die Reichsregierung nach Anhörung eines Aus­ schusses des Reichsrats und des Reichstags:

I. Abschnitts)

II. Abschnitt.»)

III. Abschnitts) !) Nunmehr §§ 413, 414, 415, 419—423. 2) Die Bestimmungen des I.—III. Abschnittes sind in die neue Fassung des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung (s. o. Nr. 175 und Nr. 177) ausgenommen-

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

IV. Abschnitt. Schluß- und Übergangsvorschriften. Zeit des Inkrafttretens. 8 40. Die §§ 22, 23, 24, 30, 31, 37 Abs. 1 treten am 15 Januar 1924 in Kraft. Am gleichen Tage treten die Borschristen der §§ 15 und 26 in Kraft. Sie finden auch Anwendung auf Zuwiderhandlungen gegen die Verordnung des Reichspräsidenten vom 3. März 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 159). Anhängige Strafsachen können abgegeben oder überwiesen werden, solange mit der Haupt­ verhandlung noch nicht begonnen worden ist; die Überweisung ist auch wäh­ rend einer Voruntersuchung zulässig Diese Vorschrift findet entsprechende Anwendung, wenn die Sache bereits zur Zuständigkeit eines Oberlandes­ gerichts gehört und auf Grund des § 15 Abs 4 dieser Verordnung ein anderes Gericht für zuständig erklärt worden ist. Die §§ 1 bis 5 treten am 15 Februar 1924 in Kraft Im übrigen tritt die Verordnung am 1 April 1924 in Kraft

Übergangsvorschriften

8 41. Die Anordnungen, die erforderlich sind, uni die Besetzung der Strafgerichte bis zum Inkrafttreten dieser Verordnung nach ihren Vorschriften herbeizuführen, trifft die Landesjustizverwaltung 8 42. Die am Tage des Inkrafttretens dieser Verordnung in erster In­ stanz anhängigen Strafsachen, für die durch diese Verordnung die Zuständig­ keit der Amtsgerichte begründet wird, gehen in der Lage, in der sie sich be­ finden, auf das nach den neuen Vorschriften berufene Gericht über. Solange der Termin zur Hauptverh-andlung noch nicht bestimmt ist, kann die Staats^ anwaltschaft nach Maßgabe des § 8 Abs, 1 Nr 3, § 9 und des §. 10 Abs. 2 beantragen, daß die Hauptverhandlung vor dem Amtsrichter allein stattfinde oder daß ein zweiter Amtsrichter zugezogen werde. Die zur Überleitung des Verfahrens erforderlichen Bestimmungen trifft die Landesjustizverwaltung. Eine begonnene Hauptverhandlung ist nach den bisherigen Vorschriften zu Ende zu führen Gegen die vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung oder auf Grund einer nach den bisherigen Vorschriften zu Ende geführten Verhandlung er­ lassenen Urteile der Strafkammern und Schwurgerichte findet die Revision nach den bisherigen Vorschriften statt. Wird ein Urteil, das die Strafkammer in erster Instanz erlassen hat, vom Revisionsgericht aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, so findet die neue Hauptverhandlung vor dem Schöffengerichte statt; die Staatsanwaltschaft kann vor Anberaumung des Hauptverhandlungs­ termins nach Maßgabe des § 8 Abs. 1 Nr. 3, § 9 und des § 10 Abs. 2 bean­ tragen, daß die Hauptverhandlung vor dem Amtsrichter allein stattfinde oder daß ein zweiter Amtsrichter zugezogen werde. Dasselbe gilt, wenn ein Urteil des Schwurgerichts vom Revisionsgericht aufgehoben und die Sache zurück­ verwiesen wird, sofern nach § 14 dieser Verordnung das Schwurgericht nicht mehr zuständig ist. Wird ein Urteils das die Strafkammer in erster Instanz erlassen hat, mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens angefochten, so entscheidet darüber, ob der Antrag zulässig und begründet ist, die Strafkammer. Die erneute Hauptverhandlung findet vor dem Schöffengericht statt Wird der Antrag auf Wiederaufnahme eines durch Urteil des Schwurgerichts abge­ schlossenen Verfahrens für begründet erklärt, so findet, sofern nach § 14 dieser Verordnung das Schwurgericht nicht mehr zuständig ist, die erneute Haupt­ verhandlung vor dem Schöffengerichte statt Abs 3 Satz 2 Halbsatz 2 gilt entsprechend. Der Reichsminister der Justiz kann weitere Vorschriften zur Überleitung anhängiger Verfahren erlassen.

181. Ges-, bett, d Entschädig, d. im Wiederaufnahmeverfahren freigespr. Pers.

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des Gerichtsversassun gs g e s e tz e s und der Strafprozeßordnung. g 43. Der Reichsminister der Justiz wird ermächtigt, den Text des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung mit dieser Verord­ nung und den bis zu ihrem Inkrafttreten ergangenen Gesehen und Berovd^ nungen in Vnklang zu bringen und in fortlaufender Paragraphenfolge im Reichsgesehblatt bekanntzumachen. Die Ermächtigung umfaßt die Befugnis, soweit durch die Vorschriften dieser Verordnung eine Änderung oder Ergänzung der genannten Gesetze be­ dingt ist, diese Änderung oder Ergänzung vorzunehmen sowie ihre Vorschriften den bestehenden staatsrechtlichen Verhältnissen anzupassen. Beröffentlichun g

V. Abschnitt. Notmaßnahmen?)

180. 6. Verordnung zur Überleitung anhängiger Straf­ verfahren. Bom 18. März 1924. (RGBl. I S. 284.)

g 1. Soweit auf Grund der Verordnung vom 4. Januar 1924 die Straf­ kammer an Stelle des Schwurgerichts entschieden hat, gelten die Urteile der Strafkammer im Sinne des § 42 Abs. 3, 4 der Verordnung als Urteile des Schwurgerichts. g 2. Für die Verhandlung und Entscheidung über die Berufung gegen die vor dem 1. April 1924 erlassenen Urteile des Schöffengerichts und des Amtsrichters ist die kleine Strafkammer, für die Verhandlung und Entschei­ dung über die Berufung gegen die vor dem 1. April 1924 erlassenen Urteile des Jugendgerichts ist die große Strafkammer zuständig. Die Vorschrift des § 42 Abs. 2 der Verordnung vom 4. Januar 1924 bleibt unberührt, g 3. Ob ünd mit welchen Rechtsmitteln ein vor dem 1. April 1924 erlassenes Urteil des Amtsrichters oder des Schöffengerichts angefochten wer­ den kann, bestimmt sich nach den Vorschriften, die zur Zeit der Verkündung tdes Urteils gelten. g 4. Diese Verordnung tritt mit dem 1. April 1924 in Kraft.

181. 7. Gesetz, betr. die Entschädigung der im Wieder­ aufnahmeverfahren freigesprochenen Personen. Bom 20. Mai 1898. (RGBl. S. 345.)

8 1. Personen, welche im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes mit einer geringeren Strafe belegt werden, können Entschädigung aus der Staatskasse verlangen, wenn die früher erkannte Strafe ganz oder teilweise gegen sie vollstreckt worden ist. Das Wiederaufnahmeverfahren muß die Unschuld des Verurteilten bezüglich der ihm zur Last gelegten Tat oder bezüglich eines die Anwendung eines schwe­ reren Strafgesetzes begründenden Umstandes ergeben oder doch dargetan haben, daß ein begründeter Verdacht gegen den Angeklagten nicht mehr vorliegt. Außer dem Verurteilten haben diejenigen, denen gegenüber er kraft Ge­ setzes unterhaltspflichtig war, Anspruch auf Entschädigung. l) Diese hatten nur bis 31. März 1924 Geltung.

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Zweiter Teil. Strafprozeßgesetze.

Der Anspruch auf Entschädigung ist ausgeschlossen, wenn der Verurteilte die frühere Verurteilung vorsätzlich herbeigeführt oder durch grobe Fahrlässig­ keit verschuldet hat. Die Versäumung der Einlegung eines Rechtsmittels ist nicht als eine Fahrlässigkeit zu erachten. 8 2. Gegenstand des dem Verurteilten zu leistenden Ersatzes ist der für ihn durch die Strafvollstreckung entstandene Bermögensschaden Unterhaltsberechtigten ist insoweit Ersatz zu leisten, als ihnen durch die Strafvollstreckung der Unterhalt entzogen worden ist. 8 3. Die Entschädigung wird aus der Kasse desjenigen Bundesstaats ge­ zahlt, bei dessen Gerichte das Strafverfahren in erster Instanz anhängig war Bis zum Betrage der geleisteten Entschädigung tritt die Kasse in die Rechte ein, welche dem Entschädigten gegen Dritte um deswillen zustehen, weil durch deren rechtswidrige Handlungen seine Verurteilung herbeigeführt war 8 4, Über die Verpflichtung der Staatskasse zur Entschädigung wird durch besonderen 'Beschluß des im Wiederaufnahmeverfahren erkennenden Gerichts Bestimmung getroffen Der Beschluß ist von dem Gerichte gleichzeitig mit dem Urteile zu fassen, aber nicht zu verkünden, sondern durch Zustellung bekannt zu machen Der Beschluß unterliegt nicht der Anfechtung durch Rechtsmittel Er tritt außer Kraft, wenn das Urteil aufgehoben wird. 8 5. Wer auf Grund des die Verpflichtung der Staatskasse zur Ent­ schädigung aussprechenden Beschlusses einen Anspruch geltend macht, Hot diesen Anspruch bei Vermeidung des Verlustes binnen drei Monaten nach Zustellung des Beschlusses durch Antrag bei der Staatsanwaltschaft zu verfolgen Der Antrag ist bei der Staatsanwaltschaft desjenigen Landgerichts zu stellen, in dessen Bezirke das Urteil ergangen ist Über den Antrag entscheidet die oberste Behörde der Landesjustizver­ waltung. Eine Ausfertigung der Entscheidung ist dem Antragsteller nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung zuzustellen. Gegen die Entscheidung ist die Berufung auf den Rechtsweg zulässig. Die Klage ist binnen einer Ausschlußfrist von drei Monaten nach Zustellung der Entscheidung zu erheben Für die Ansprüche auf Entschädigung sind die Zivilkammern der Landgerichte ohne Rücksicht auf den Wert des Streit­ gegenstandes ausschließlich zuständig Bis zur endgültigen Entscheidung über den Antrag ist der Anspruch weder übertragbar, noch der Pfändung unterworfen 8 6. In den zur Zuständigkeit des Reichsgerichts in erster Instanz ge­ hörigen Sachen ist statt der Staatskasse die Reichskasse ersatzpflichtig. In diesen Fällen tritt an die Stelle der Staatsanwaltschaft des Land­ gerichts die Staatsanwaltschaft bei dem Reichsgericht, an die Stelle der obersten Behörde der Landesjustizverwaltung der Reichskanzler

182. 8. Gesetz, betr. die Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft. Bom 14. Juli 1904. (RGBl. S. 321.)

8 !♦ Personen, die im Strafverfahren freigesprochen oder durch Beschluß des Gerichts außer Verfolgung gesetzt sind, können für erlittene Untersuchungs­ haft Entschädigung aus der Staatskasse verlangen, wenn das Verfahren ihre Unschuld ergeben oder dargetan hat, daß gegen sie em begründeter Verdacht nicht vorliegt. Außer dem Verhafteten haben diejenigen, denen gegenüber er kraft Ge­ setzes unterhaltspflichtig war, Anspruch auf Entschädigung

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182. Ges , bett, die Entschädig, f. unschuldig erlitt. Untersuchungshaft.

§ 2. Der Anspruch auf Entschädigung ist ausgeschlossen, wenn der Ver­ haftete die Untersuchungshaft vorsätzlich herbeigeführt oder durch grobe Fahr­ lässigkeit verschuldet hat. Die Versäumung der Einlegung eines Rechts­ mittels ist nicht als eine Fahrlässigkeit zu erachten. Der Anspruch kann ausgeschlossen werden, wenn die zur Untersuchung gezogene Tat des Verhafteten eine grobe Unredlichkeit oder Unsittlichkeit in sich geschlossen hat oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Trunkenheitszustande begangen worden ist oder wenn aus den Tatumständen erhellt, daß der Verhaftete die Verübung eines Verbrechens ooer Vergehens vorbereitet hatte. Der Anspruch kann auch dann ausgeschlossen werden, wenn der Verhaftete zur Zeit der Verhaftung sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte be­ fand oder unter Polizeiaufsicht stand oder wenn gegen den Verhafteten auf Grund des § 181a oder des § 363 des Strafgesetzbuchs innerhalb der letzten zwei Jahre auf Überweisung an die Landes-Polizeibehörde rechtskräftig er­ kannt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Verhaftete mit Zuchthaus bestraft worden ist und seit der Verbüßung der Strafe drei Jahre noch nicht ver­ flossen sind. 8 3. Gegenstand des dem Verhafteten zu leistenden Ersatzes ist der für ihn durch die Untersuchungshaft entstandene Bermögensschaden. Hat vor dem Erlasse des Haftbefehls eine Vorführung oder eine vorläufige Festnahme statt­ gefunden, so erstreckt sich der Entschädigungsanspruch auch auf die dem Haft­ befehle vorausgegangene Zeit der Haft. Unterhaltsberechtigten ist insoweit Ersatz zu leisten, als ihnen durch die Verhaftung der Unterhalt entzogen worden ist.

8 4. Über die Verpflichtung der Staatskasse zur Entschädigung wird von dem Gerichte gleichzeitig mit seinem den Verhafteten freisprechenden Urteile durch besonderen Beschluß Bestimmung getroffen. Wird auf ein gegen das Urteil eingelegtes Rechtsmittel von neuem auf Freisprechung erkannt, so ist von dem erkennenden Gerichte nach Maßgabe des Abs. 1 von neuem Beschluß zu fassen. Der Beschluß ist nicht zu verkünden, sondern durch Zustellung bekannt zu machen, sobald, das freisprechende Urteil rechtskräftig geworden ist. Er unterliegt nicht der Anfechtung durch Rechtsmittel. Wird die Entschädigungs­ verpflichtung der Staatskasse ausgesprochen, so soll der Beschluß auch den Unterhaltsberechtigten, die nicht dem Hausstande des Verhafteten angehören, mitgeteilt werden, sofern ihr Aufenthalt dem Gerichte bekannt ist. Diese Vorschriften finden entsprechende Anwendung, wenn der Verhaftete durch Beschluß des Gerichts außer Verfolgung gesetzt wird. 8 5* Der die Entschädigungsverpflichtung der Staatskasse aussprechende Beschluß tritt außer Kraft, wenn zuungunsten des Freigesprochenen die Wieder­ aufnahme des Verfahrens angeordnet oder wenn gegen den außer Verfolgung Gesetzten nach Wiederaufnahme der Klage das Hauptverfahren eröffnet wird. War die Entschädigung schon gezahlt, so kann das Gezahlte zurückgefordert werden. 8 6. Wer auf Grund des die Entschädigungsverpflichtung der Staats­ kasse aussprechenden Beschlusses einen Anspruch geltend macht, hat diesen An­ spruch bei Vermeidung des Verlustes binnen sechs Monaten nach Zustellung des Beschlusses 'durch Antrag bei der Staatsanwaltschaft des Landgerichts zu verfolgen, in 'dessen Bezirke das Verfahren in erster Instanz anhängig war. Über den 'Antrag entscheidet die oberste Behörde der Landes-Justiz­ verwaltung. Eine 'Ausfertigung der Entscheidung ist dem Antragsteller nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung zuzustellen. Gegen die Entscheidung ist die Berufung auf den Rechtsweg zulässig. Die Klage ist binnen einer Ausschlußfrist von drei Monaten nach Zustellung der Entscheidung zu erheben. Für die Ansprüche auf Entschädigung sind die A l l f e 10, Srrafgesetzgevung. 3. Aufl.

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

Zivilkammern der Landgerichte ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegen­ standes ausschließlich zuständig. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag ist der Anspruch nicht übertragbar. 8 7. Die Entschädigung wird aus der Kasse des Bundesstaats gezahlt, bei dessen Gerichte das Staatsverfahren in erster Instanz anhängig war. Bis zum Betrage der geleisteten Entschädigung tritt die Kasse in die Rechte ein, welche dem Entschädigten gegen Dritte um deswillen zustehen, weil durch deren rechtswidrige Handlungen die Untersuchungshaft herbeigeführt war. 8 8. Ist zuungunsten des Freigesprochenen die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt oder gegen den außer Verfolgung Gesetzten die Klage wieder ausgenommen worden, so kann die Entscheidung der obersten Behörde der Landes-Justizverwaltung (§ 6 Abs. 2) sowie die Zahlung der Entschädigung (§ 7 Abs 1) ausgesetzt werden 8 9. In den zur Zuständigkeit des Reichsgerichts in erster Instanz ge­ hörigen Sachen ist statt der Staatskasse die Reichskasse ersatzpflichtig. In diesen Fällen tritt an die Stelle der Staatsanwaltschaft des Land­ gerichts die Staatsanwaltschaft bei dem Reichsgericht, an die Stelle der obersten Behörde der Landes-Justizverwaltung der Reichskanzler 8 10. Dieses Gesetz findet aus die im militärischen Verfahren frei­ gesprochenen Personen entsprechende Anwendung. An die Stelle der Staats­ kasse tritt im Heer die Kasse desjenigen Kontingents, bei dessen Gerichte das Strafverfahren in erster Instanz anhängig war, in der Marine die Reichskasse. Statt der Staatsanwaltschaft des Landgerichts ist der Gerichtsherr erster Instanz, statt der obersten Behörde der LandeK-Justizverwaltung die oberste Militär- oder Marine-Justizverwaltungsbehörde zuständig 8 11. In den zur Zuständigkeit der Konsulargerichte gehörigen Sachen findet dieses Gesetz mit folgenden Maßgaben Anwendung: An die Stelle der Staatsanwaltschaft des Landgerichts tritt der Konsul. Für die Ansprüche auf Entschädigung ist das Reichsgericht in erster und letzter Instanz zuständig. 8 12. Die Vorschriften dieses Gesetzes finden auf Angehörige eines aus­ wärtigen Staates nur insoweit Anwendung, als nach einer im Reichsgesetzblatt enthaltenen Bekanntmachung durch die Gesetzgebung dieses Staates oder durch Staatsvertrag die Gegenseitigkeit verbürgt ist.

183. 9. Gesetz über den Beistand bei Einziehung von Abgaben und Vollstreckung von Bermögensstrasen. Vom 9. Juni 1895. (RGBl. S. 256.) 8 1. Die Behörden verschiedener Bundesstaaten haben einander auf Er­ suchen Beistand zu leisten: 1 zum Zwecke der Erhebung und Beitreibung a) der Zölle, der in die Reichskasse fließenden Steuern Und der Über­ gangsabgaben, b) der für einen Bundesstaat, für politische, Kirchen- und Schulgemeiwden, sowie für weitere kommunale und kirchliche Verbände einzuziehen­ den öffentlichen Abgaben, c) sonstiger öffentlicher Abgaben, einschließlich der Beiträge an öffent­ lichrechtliche Verbände, Genossenschaften und Anstalten, soweit diese Abgaben oder Beiträge nach Reichs- oder Landesrecht in derselben Weise beigetrieben werden, wie die unter b bezeichneten Abgaben;

183. Gesetz über den Beistand bei Einziehung von Abgaben usw.

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2. zürn Zweck der Durchführung des Berwaltungsstrafverfahrens wegen Zu­ widerhandlungen gegen die Vorschriften über die Erhebung der in Nr. 1 bezeichneten Abgaben und Gefälle; 3. zum Zweck der Vollstreckung von Vermögensstrafen, welche gemäß § 453 der Strafprozeßordnung durch polizeiliche Verfügung oder gemäß § 101 der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 (Reichs-Ges^bl. S. 409) durch Bescheid eines Seemannsamts festgesetzt worden sind. Unter die Bestimmungen der Nr. 1 b und c fallen auch die durch ein ge­ richtliches oder Verwaltungsverfahren entstandenen Gebühren und Auslagen, soweit nicht § 99 des Gerichtskostengesetzes vom 18. Juni 1878 (ReichsGesetzbl. S. 141) Anwendung findet.

8 2. Verpflichtet zur Gewährung des Beistandes sind, soweit nicht landesrechtlich besondere Bestimmungen hierüber bestehen, diejenigen Behör­ den, welche zu Handlungen der beantragten Art in dem entsprechenden Ge­ schäftskreise ihres Staates berufen sind. Fehlt es an einer hiernach verpflich­ teten Behörde, so haben die Landesregierungen solche zu bestimmen. 8 3. Die Gewährung des Beistandes findet nicht statt, wenn zu einem der im § 1 angeführten Zwecke eine Handlung beantragt wird, die nach dem für die ersuchte Behörde geltenden Rechte zu diesem Zweck nicht vorgenommeq werden darf. Die Gewährung des Beistandes kann behufs Abwendung einer Doppel­ besteuerung versagt werden. 8 4» Die Voraussetzungen der Beistandsleistung nach § 1 sowie die Vollstreckbarkeit des Anspruchs richten sich nach den für die ersuchende Stelle maßgebenden Vorschriften. Die Vollstreckbarkeit ist in dem Ersuchungsschreiben zu bescheinigen. Die Art und Weise der Beistandsleistung richtet sich nach den am Orte der Vollziehung geltenden Bestimmungen.

8 5. über die Zulässigkeit des Beistandes, über Einwendungen, welche die Art und Weise der Beistandsleistung betreffen, sowie über die Versagung der Beistands gewährung im Falle des § 3 Abs. 2 entscheiden die zuständigen Behörden desjenigen Bundesstaates, welchem die ersuchte Stelle angehört. Einwendungen, welche den Anspruch selbst oder die Vollstreckbarkeit des­ selben betreffen, unterliegen der Entscheidung der zuständigen Behörden des­ jenigen Bundesstaates, welchem die ersuchende Stelle angehört. 8 6 Werden gegen die Vollstreckung Einwendungen erhoben, über welche die im § 5 Abs. 2 bezeichneten Behörden zu entscheiden haben, so kann die Bollstreckungsbehörde, wenn ihr die Einwendungen erheblich und in tat­ sächlicher Beziehung glaubhaft erscheinen, die Vollstreckung vorläufig einstellen. 8 7. Jede von einer zuständigen Behörde eines Bundesstaates wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften über die Erhebung der im tz 1 Nr. 1 bezeichneten Abgaben und Gefälle einzuleitende Untersuchung und zu erlassende Strafentscheidung kann auch gegen diejenigen Teilnehmer und Be­ günstiger gerichtet werden, welche einem anderen Bundesstaate angehören. 8 8. In dem Verwaltungsstrafverfahren (§ 1 Nr. 2) haben die Amts­ gerichte auf Ersuchen Zeugen und Sachverständige eidlich zu vernehmen. Hin­ sichtlich der Vernehmung und Beeidigung finden die Vorschriften der Straf­ prozeßordnung Buch I Abschnitt 6 uno 7 Anwendung. 8 9. Im Falle der Gewährung von Beistand zwischen Behörden ver­ schiedener Bundesstaaten sind die hierdurch entstehenden baren Auslagen der ersuchten Behörde von der ersuchenden zu erstatten. Weitere Kosten werden von der ersuchenden Behörde nicht erstattet Ist eine zahlungspflichtige Person vorhanden, so sind die Kosten, soweit die ersuchte Behörde diese nicht selbst betreiben kann, von der ersuchenden Be­ hörde einzuziehen. Der eingezogene Betrag ist der ersuchten Behörde zu übersenden.

852

Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

8 10. Die Vorschriften dieses Gesetzes finden entsprechende Anwendung auf die Beistandsleistung der Landesbehörden zum Zweck der Beitreibung von Geldstrafen, welche gemäß § 101 der Seemannsordnung durch Bescheid eines deutschen Seemannsamts im Auslande festgesetzt worden sind. 8 11. Staatsverträge, nach welchen die Behörden verschiedener Bundes­ staaten einander weitergehenden Beistand zu leisten haben, als in diesem Gesetze vorgesehen ist, bleiben unberührt 8 12. Dieses Gesetz tritt mit dem 1 Juli 1895 in Kraft.

184.

10. Verfassung des Deutschen Reichs. Vom 11

August 1919.

(NGBl. S. 1383 ff)

Art. 37. Kern Mrtglred des Reichstags oder eines Landtags kann ohne Genehmigung des Hauses, dem der Abgeordnete angehört, während der Sitzungs­ periode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, es sei denn, daß das Mitglied bei Ausübung der Tat oder spätestens im Laufe des folgenden Tages festgenommen ist Die gleiche Genehmigung ist bei jeder anderen Beschränkung der persön­ lichen Freiheit erforderlich, die die Ausübung des Abgeordnetenberufs be­ einträchtigt. Jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied des Reichstags oder eines Land­ tags und jede Hast oder sonstige Beschränkung seiner persönlichen Freiheit wird auf Verlangen des Hauses, dem der Abgeordnete angehört, für die Dauer der Sitzungsperiode auf gehoben

185.

11. Reichsabgabenordnung. Vom 13. Dezember 1919. (RGBl. S. 1993)

Dritter Teil. Strafrecht und Strafverfahren. Zweiter Abschnitt.

Strafverfahren?) Erster Titel. Allgemeine Vorschrift.

8 385. Die Strafprozeßordnung gilt, soweit die Steuergesetze nichts Abweichendes vorschreiben Zweiter Titel. Berwaltungsstrafverfahren.

I Allgemeine Vorschriften.

8 386. Die Finanzämter huben bei allen Steuerzuwiderhandlungen (§ 356) den Sachverhalt zu erforschen. Eine Ausnahme gilt, wenn der Beschul­ digte wegen Steuerhinterziehung festgenommen und dem Richter vorgeführt ist. Die Entscheidung steht dem Finanzamt zu, wenn die Steuerzuwiderhanolung nur mit Geldstrafe und Einziehung oder einer dieser Strafen bedroht ist i) Der erste Abschnitt „Strafrecht" ist oben S 138 ff. abgedruckt. Soweit in den §§ 386 ff auf andere §§ der RAO. Bezug genommen ist, finden sich diese o. S. 128 ff.

185. Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919.

§§ 385—393.

853

oder das Finanzamt auf keine andere als auf diese Strafen oder daraus er­ kennen will, daß die Verurteilung auf Kosten des Verurteilten bekanntzu­ machen sei. Die Finanzämter können auch gegen Nebenbeteiligte entscheiden. Neben­ beteiligter ist, 1. wem ein Recht an Gegenständen zusteht, die der Einziehung unterliegen, oder wem ein Anspruch auf solche Gegenstände zusteht, 2. wer für die Geldstrafe und die Kosten haftet, die dem Täter oder einem Teilnehmer auferlegt werden. 8 387. Ist ein und dieselbe Handlung zugleich als Steuerzuwiderhandlung und nach einem anderen Gesetze strafbar, so steht die Untersuchung und in den Grenzen des § 386 die Entscheidung dem Finanzamt zu, wenn die Strafe aus dem Steuergesetze zu entnehmen ist (§ 73 des Strafgesetzbuchs). 8 388. Besteht gegen einen Rechtsanwalt der Verdacht einer fahrlässigen Steuerzuwiderbandlung, die er in Ausübung seines Berufs bei der Beratung in Steuersachen begangen hat, so ist die Einleitung einer strafrechtlichen Verfol­ gung an die Voraussetzung gebunden, daß zuvor im ehrengerichtlichen Verfahren (§§ 62 ff. der Rechtsanwaltsordnung) eine Verletzung der Berufspflichten des Rechtsanwalts festgestellt ist. Ist die Untersuchung wegen einer vorsätzlichen Steuerzuwiderhandlung eingeleitet, so gilt das gleiche für die Fortsetzung des Verfahrens, wenn sich vor Erlaß des Strafbescheids oder vor Eröffnung des Hauptverfahrens ergibt, daß nur der Verdacht einer fahrlässigen Steuerzuwider­ handlung begründet erscheint. 8 389. Sachlich zuständig zur Untersuchung und Entscheidung ist das Finanzamt, dem die Verwaltung der beeinträchtigten oder gefährdeten Steuer übertragen ist. Die Finanzämter können sich der Hilfe der Ortspolizeibehörden bedienen. Die Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes sind ver­ pflichtet, die Ermittlungen anzustellen, die die Finanzämter verlangen. 8 390. Die Finanzämter sind befugt, sich jederzeit der weiteren Unter­ suchung oder Entscheidung zu enthalten und die Sache an die zuständige Staats­ anwaltschaft abzugeben. 8 391. Solange nicht das Finanzamt die Sache an die zuständige Staats­ anwaltschaft ab gibt (§ 390), haben die Staatsanwaltschaft und die Gerichte nur einzugreifen, wenn der Beschuldigte wegen der Steuerzuwiderhandlung vor­ läufig festgenommen und dem Richter vorgeführt wind. Hat jemand durch mehrere selbständige Handlungen eine Steuerzuwider­ handlung und eine andere strafbare Handlung begangen, so kann die Staats­ anwaltschaft die Strafverfolgung wegen der Steuerzuwiderhandlung, gegen ihn und die als Teilnehmer, Nebenbeteiligte (§ 386 Abs. 3) oder Begünstiger be­ teiligten Personen übernehmen. Auch da, wo ihre Zuständigkeit begründet ist, kann die Staatsanwaltschaft das Finanzamt ersuchen, den Sachverhalt der Steuerzuwiderhandlung zu er­ mitteln. Entspricht das Finanzamt dem Antrag, so ist es in den Grenzen der §§ 386, 387 auch zur Entscheidung zuständig; sein Recht, sich jederzeit der weiteren Verfolgung oder der Entscheidung zu enthalten, bleibt unberührt. 8 392. Die Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes haben auch Steuerzuwiderhandlungen zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunklung der Sache zu ver­ hüten. Sie haben Steuerzuwiderhandlungen ohne Verzug dem Finanzamt anzu­ zeigen. Sie haben der Anzeige ihre Verhandlungen beizufügen, es sei denn, daß der Beschuldigte sestgenommen und dem Richter vorgeführt wird. 8 393. Örtlich zuständig ist das Finanzamt, in dessen Bezirk die Steuer­ zuwiderhandlung begangen oder entdeckt ist, und bei Steuerhinterziehungen oder -gefährdungen auch das Finanzamt, das zur Festsetzung und Einziehung der Steuer zuständig ist. Sind mehrere Finanzämter zuständig, so gebührt der Vorzug dem Finanz­ amt, das die Untersuchung zuerst geführt hat. Die Untersuchung und Ent-

854

Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

scheidung kann jedoch auf Ersuchen von einem anderen örtlich zuständigen Finanzamt übernommen oder ihm von einer gemeinschaftlich vorgesetzten oberen Behörde übertragen werden. Die Untersuchung und Entscheidung kann auf alle Steuerzuwiderhand­ lungen desselben Beschuldigten und auf alle bei einer Steuerzuwiderhandlung beteiligten Personen ausgedehnt werden, für die das Finanzamt sachlich zu­ ständig ist. Sind mehrere Finanzämter sachlich zuständig, so kann die gemein­ schaftlich vorgesetzte obere Behörde die Untersuchung und Entscheidung einem von ihnen übertragen. 8 394. Für Zustellungen gelten die §§ 70 bis 72. Bei Straf- oder Beschwerdebescheiden ist eine Ausfertigung, sonst eine ein­ fache Abschrift zu übergeben. Wird nach § 72 zugestellt, so sind statt der Straf- oder Besch werdebescheide Benachrichtigungen nach § 72 Satz 3 anzuheften. Fristen sink) nach § 64 zu berechnen. 8 395* Die Finanzämter können Beschlagnahmen nach § 94, § 95 Abs. 1, 88 96, 97 der Strafprozeßordnung anordnen und durch ihre Beamten ausführen lassen. Bei Gefahr im Verzüge können auch Beamte der Finanzämter Beschlag­ nahmen anordnen- sie haben binnen dreier Tage die Bestätigung des Finanz­ amtes nachzusuchen. Wenn Polizei- und Sicherheitsbeamte bei der Verfolgung von Steuerzu­ widerhandlungen nach § 392 dieses Gesetzes und nach § 98 Abs. 1 der Straf­ prozeßordnung Beschlagnahmen angeordnet haben, steht die im § 98 Abs. 2 der Strafprozeßordnung vorgeschriebene Bestätigung und Entscheidung dem Finanz­ amt zu. Der Betroffene kann jederzeit Entscheidung durch das Finanzamt bean­ tragen. Auf Verlangen ist ihm ein Verzeichnis der in Verwahrung genommenen Sachen mitzuteilen. 8 396» Um die Beschlagnahme von Briefen und Sendungen auf der Post sowie von Telegrammen auf den Telegraphenanstalten (§ 99 der Strafprozeß­ ordnung) ersucht das Finanzamt das zuständige Amtsgericht. Dieses übergibt ihm eröffnete Sendungen, deren Zurückhaltung erforderlich erscheint. 8 397. Bei einer Zuwiderhandlung gegen § 165 Abs. 1, § 371 ist die Beschlagnahme dem zu erNären, der das Guthaben schuldet, die Wertsachen ver­ wahrt oder das Schließfach überlassen hat- dabei sind die Wertsachen oder Ur­ kunden in Verwahrung zu nehmen oder sonst sicherzustellen. Die Beschlagnahme der Ansprüche des Beschuldigten wirkt als Veräußerungsverbot nach § 136 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. 8 398. Die Beschlagnahme von Gegenständen, die der Einziehung unter­ liegen, bleibt wirksam, bis das Strafverfahren wegen der Steuerzuwiderhand­ lung vollständig erledigt ist oder das Finanzamt die Beschlagnahme aufhebt. In Beschlag genommene Sachen, deren Aufbewahrung, Pflege und Er­ haltung unverhältnismäßig viel kostet oder deren Verderben droht, kann das Finanzamt nach drei Tagen, bei Gefahr im Verzug auch schon vorher, im Zwangsverfahren veräußern lassen. Der Erlös tritt an die Stelle der Sachen. Zeit und Ort der Veräußerung sind dem Beschuldigten und dem Eigentümer möglichst vorher mitzuteilen. 8 399. Sind in Beschlag genommene Sachen, die der Einziehung unter­ liegen, von einem Unbekannten zurückgelassen worden, der auf der Zuwider­ handlung betroffen, aber entkommen ist, so verfallen sie oder ihr Erlös dem Reiche, wenn sich der Betroffene oder der Eigentümer nicht innerhalb dreier Monate nach der Beschlagnahme gemeldet hat. Das Finanzamt kann sie nach Ablauf einer Woche, von der Beschlagnahme an gerechnet, im Zwangsverfahren veräußern lassen. 8 400. Zur Sicherung einer hinterzogenen Steuer können Beförderungs­ mittel, die der Beschuldigte bei Begehung einer Steuerzuwiderhandlung in seinem Gewahrsam hat, und andere Sachen, die er mit sich führt, außer Arbeits­ geräten, mit Beschlag belegt werden, wenn sein Wohnsitz unbekannt oder außer-

185. Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919. §§ 394—406.

855

halb des Deutschen Reichs gelegen ist. Mit den Beförderungsmitteln können die in Beschlag genommenen Sachen bis zur nächsten Amtsstelle befördert werden, bei der ihre Aufbewahrung möglich ist. Die Sachen sind freizugeben, wenn nachgewiesen wird, daß sie jemand gehören, der weder bei der Tat be­ teiligt ist noch für Strafe und Kosten haftet. § 4O1. Die Finanzämter können die nach der Strafprozeßordnung zu­ ständigen Behörden und Beamten um Durchsuchungen ersuchen. Auf ihr Ver­ langen sind von ihnen zu bezeichnende Beamte bei der Ausführung zuzuziehen. Die Sachen, die in Verwahrung oder in Beschlag genommen werden, sind den Finanzämtern zu übergeben. § 402. Wenn in Steuergesetzen Durchsuchungen vorgesehen sind, steht ihre Anordnung den Finanzämtern zu. Die Beamten, die mit der Ausführung be­ auftragt werden, haben, soweit in den Steuergesetzen nichts Abweichendes bestimnrt ist, nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zu verfahren- sie haben sich durch einen schriftlichen Auftrag des Finanzamts auszuweisen. Papiere und Handelsbücher dürfen hie Finanzämter und deren Beauf­ tragte nur einsehen, wenn es der Inhaber genehmigt. Andernfalls haben sie die Papiere und Handelsbücher, deren Durchsicht sie für geboten halten, in Gegenwart des Inhabers oder seines Vertreters mit dem Amtssiegel in einem Umschlag zu verschließen und an den Amtsrichter des Bezirkes abzuliefern. Dieser hat Papiere und Handelsbücher, die für die Untersuchung Bedeutung haben, dem Finanzamt mitzuteilen. § 403. Das Recht des Finanzamts, in Räumen, die ihm zur Ausübung der SLeueraufsicht zugänglich sind, Nachschau zu halten und die dort zu seiner Einsicht bestimmten Bücher und Aufzeichnungen einzusehen, bleibt unberührt: Zwangsmittel (§ 202) gegen die Person des Beschuungten sind jedoch unstatt­ haft, soforn es sich darum handelt, Spuren einer Steuerzuwiderhandlung zu verfolgen. § 4O4. Bei Verdacht einer Steuerzuwiderhandlung sind die Finanzämter und ihre Hilfsbeamten außer im Falle des § 127 Abs. 1 der Strafprozeßord­ nung auch dann zur vorläufigen Festnahme des Beschuldigten befugt, wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls vorliegen und Gefahr im Verzug ob­ waltet. Bei vorläufiger Festnahme ist nach Artikel 114 Abs. 2 der Verfassung zu verfahren. Der Beschuldigte hat die Wahl, ob er sich dem nächsten Finanzamt oder dem Amtsrichter des Bezirkes, in dem die Festnahme erfolgt ist, vorführen lassen will. Die §§ 128, 129 der Strafprozeßordnung finden entsprechende An­ wendung. Ist die Zuwiderhandlung, wegen deren die Festnahme erfolgte, nur mit Geldstrafe oder Einziehung bedroht, so ist der Beschuldigte in Freiheit zu setzen, wenn er für Steuer, Strafe und Kosten Sicherheit bestellt oder sich über seine Person ausweist und eine Sicherheitsleistung nicht erforderlich erscheint.

II. Das Verfahren. § 405» Die Hilfsstellen und die Beamten der Finanzämter haben die Steuerzuwiderhandlungen zu erforschen und innerhalb ihrer Zuständigkeit alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunklung der Sache zu verhüten, über die Ermittlungen ist dem Finanzamt eine Niederschrift oder eine schriftliche Anzeige einzureichen. 8 406» Die Finanzämter haben die Anzeigen, die bei ihnen eingehen, darauf zu prüfen, ob wegen einer Steuerzuwiderhnndlung einzuschreiten sei. Das gleiche gilt, wenn sie sonst von dem Verdacht einer Steuerzuwiderhandlung Kenntnis erhalten. Die Einleitung der Untersuchung ist aktenkundig zu machen. Zur Erforschung des Sackverhalts können die Finanzämter Ermittlungen jeder Art selbst anstellen oder ourch ihre Hilfsstellen oder Beamten vornehmen lassen. Die Befugnisse, die den Finanzämtern nach den §§ 177 bis 186, 188, 191, 202 und § 209 Abs. 1 * bei Ermittlung der Steuerpflicht zustehen, gelten sinngemäß für die Untersuchung.

856

Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

über jede Ermittlung ist eine Niederschrift oder ein Vermerk aufzunehmen. Niederschriften, die ein Finanzamt unter Zuziehung eines Schriftführers ausgenommen hat, stehen hinsichtlich ihrer Vorlesung in einer Hauptverhand­ lung vor Gericht (§§ 248 bis 254x) der Strafprozeßordnung) richterlichen Pro­ tokollen gleich.

8 407?) Gegen den Beschuldigten soll ein Strafbescheid über eine Geld­ strafe von mehr als fünf Reichsmark nur erlassen werden, wenn ihm Gelegen­ heit zur Äußerung geboten worden ist. Er ist erforderlichenfalls zur Ver­ nehmung zu laden. Erscheint der Beschuldigte, so ist ihm zu eröffnen, welche strafbare Hand­ lung ihm zur Last gelegt wird. Er ist zu befragen, ob er etwas auf die Be­ schuldigung erwidern wolle. Die Vernehmung soll ihm Gelegenheit geben, die Verdachtsgründe zu beseitigen und Tatsachen, die zu seinen Gunsten sprechen, geltend zu machen. Seine persönlichen Verhältnisse sind zu ermitteln. Erscheint der Beschuldigte auf die Ladung nicht, so ist er auf Antrag des Finanzamts von dem Amtsgerichte seines Wohn- oder Aufenthaltsorts nach den §§ 133 bis 136 der Strafprozeßordnung zu vernehmen. Gegen einen abwesenden Beschuldigten (§ 3183* )2 der Strafprozeßordnung) kann ohne seine Anhörung verfahren werden. 8 408. Wer neben dem Beschuldigten für Geldstrafe und Kosten haftet, ist zum Verfahren zuzuziehen. Falls es nicht geboten erscheint, ihn zu ver­ nehmen, ist ihm die Steuerzuwiderhandlung und die Person des Beschuldigten mitzuteilen, und er ist aufzufordern, zu erklären, ob er die Schuld des Be­ schuldigten und seine Haftung anerkenne oder was er einwende. Folgt er der Aufforderung nicht, so ist gleichwohl das Verfahren gegen ihn fortzusetzen. Entsprechendes gilt für den, der bei einer Einziehung beteiligt ist, wenn er sich meldet oder anzunehmen ist, daß es einer Vollstreckungshandlung gegen ihn bedarf. Dies gilt auch, wo auf Einziehung selbständig erkannt werden soll. 8 400. Der Beschuldigte und die Nebenbeteiligten können sich durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Beauftragten vertreten lassen. Geschäfts­ mäßige Vertreter können zurückgewiefen werden. Dies gilt nicht für die im § 88 Abs. 1 Satz 3 genannten Personen. Das Finanzamt kann anordnen, daß der Beschuldigte erscheint. 8 410. Wenn der Beschuldigte die Zuwiderhandlung vorbehaltlos ein­ räumt, so kann er sich der in einer Niederschrift festzusetzenden Strafe unter Verzicht auf Erlaß eines Strafbescheids sofort unterwerfen. Die Unterwerfung steht einer rechtskräftigen Verurteilung gleich. Das Verfahren regelt der Reichs­ minister der Finanzen. 8 411. Ergibt die Untersuchung, daß der Verdacht nicht begründet war, so stellt das Finanzamt das Verfahren ein und teilt dies dem Beschuldigten mit, wenn er als solcher vernommen worden ist. Erscheint der Verdacht be­ gründet, so gibt das Finanzamt, wenn es nicht selber erkennen kann oder will, die Verhandlungen an die Staatsanwaltschaft ab. Es kann beantragen, daß die öffentliche Klage gegen den Beschuldigten und die Nebenbeteiligten erhoben werde; geeignetenfalls ist ein bestimmter Antrag zu stellen und zu begründen. Örtlich zuständig ist auch die Staatsanwaltschaft des Bezirkes, in dem das Finanzamt seinen Sitz hat. Die Zuständigkeit erstreckt sich auf die der Gerichte. Die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die örtliche Zuständigkeit bleiben im übrigen unberührt. Hat das Finanzamt die Sache abgegeben, weil es nicht zur Entscheidung zuständig sei, hält die Staatsanwaltschaft dagegen diese Auffassung nicht für zutreffend, so kann sie die Sache zur weiteren Erledigung im Verwaltungs­ strafverfahren an das Finanzamt zurückgeben; § 390 bleibt unberührt. Jetzt §§ 249—255 StPO. 2) Fassung gemäß Steuernotverordnung v. 19. Dez. 1923 Art. XVI Nr 7 (RGBl. I S. 1225). 3) Jetzt § 276 StPO.

185. Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919. §§ 407—418.

857

8 412?) Will das Finanzamt selbst erkennen, so erläßt es einen Straf­ bescheid. Im Strafbescheide sind außer der Strafe die strafbare Handlung, das Strafgesetz und die Beweismittel anzugeben. Er soll ferner die Entscheidungsgründe und die Belehrung enthalten, daß der Beschuldigte, wenn er nicht nach § 416 Beschwerde an das Landessinanzamt einlege, gegen den Strafbescheid binnen einer Woche nach der Bekanntmachung bei dem Finanzamt, das den Bescheid erlassen habe, auf gerichtliche Entscheidung antragen könne Ist auf Einziehung zu erkennen und steht nicht fest, ob die Emziehung vollzogen werden kann, so ist für den Fall, daß die Einziehung nicht ausge­ führt werden kann, die Ersatzstrafe nach § 365 Abs 2 festzusetzen.

§ 413. Sürd Nebenbeteiligte in der Untersuchung zugezogen, so ist im Strafbescheide darüber zu erkennen, ob sie die Einziehung gegen sich gelten zu lassen oder für die Geldstrafe und die Kosten des Strafverfahrens und der Strafvollstreckung zu haften haben. Ist ihre Zuziehung im Verwaltungsstrafverfahren oder im gerichtlichen Verfahren unterblieben, so kann gegen sie durch besonderen Strafbescheid ent­ schieden werden. 8 414. Der Strafbescheid ist den Beteiligten zuzustellen oder zu ver­ künden. Ist der Beschuldigte noch nicht achtzehn Jahre alt, so ist der Strafbescheid auch dem gesetzlichen Vertreter zuzustellen oder zu verkünden Sind mehrere gesetzliche Vertreter oder bei juristischen Personen, Personen­ vereinigungen, Zweckvermögen und ähnlichen Gebilden mehrere Vertreter, Vor­ steher oder Verwalter vorhanden, so genügt die Zustellung oder Verkündung an einen von ihnen. Nach der Anstellung kann der Strafbescheid nur in den Fällen der §§ 426, 429 zurückgenommen werden. 8 415. Der Beschuldigte und die Nebenbeteiligteu können gegen den Strafbescheid Beschwerde einlegen, wenn sie nicht auf gerichtliche Entscheidung antragen. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist bei hem Finanzamt, das den Strafbescheid erlassen hat, binnen einer Woche nach der Bekanntgabe schriftlich oder mündlich zu stellen. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung schließt für den Beteiligten die Beschwerde, die Einlegung der Beschwerde den Antrag auf gerichtliche Ent­ scheidung aus. Hat der gesetzliche Vertreter oder der Ehemann einer beschul­ digten Frau Beschwerde eingelegt und der Vertretene oder die beschuldigte Frau gerichtliche Entscheidung beantragt oder umgekehrt, so ist die Beschwerde wir­ kungslos, wenn nicht der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückge­ nommen wird. Hat von mehreren Beteiligten ein Teil auf gerichtliche Entscheidung an­ getragen, während der andere Beschwerde eingelegt hat, so ist über die Be­ schwerde in der Regel erst nach rechtskräftiger Erledigung des gerichtlichen Ver­ fahrens zu befinden. 8 416. Die Beschwerde ist bei dem Finanzamt, das den Strafbescheid erlassen hat, schriftlich oder mündlich einzulegen. Die Frist für die Einlegung beträgt eine Woche- sie ist eine Ausschlußfrist und läuft von der Bekannt­ machung an. Die Einlegung bei der Beschwerdebehörde genügt zur Wahrung der Frist. Bei Versäumung der Frist kann nach den §§ 68, 69 Nachsicht ge­ währt werden. 8 417. Über die Beschwerde entscheidet das Landesfinanzamt. Es kann nach § 406 Ermittlungen anstellen. Der Beschwerdebescheid ist zu begründen und zuzustellen oder zu verkünden. 8 418 Gegen andere Verfügungen der Finanzämter und Landesfinanz­ ämter als Straf- und Beschwerdebescheide kann der Betroffene Beschwerde an x) In der Fassung nach § 50 Ziff. 1 15. Febr. 1923 (RGBl. I S. 135).

des

Jugendgerichtsgesetzes v

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

die nächstobere Behörde einlegen Die Frist zur Einlegung der Beschwerde beträgt eme Woche- sie beginnt mit der Zustellung oder Bekanntmachung der Verfügung. Die Beschwerde ist bei der Behörde einzulegen, deren Verfügung angefochten wird- die Einlegung bet der Beschwerdebehörde genügt Die Be­ sch tverdebehörde entscheidet endgültig. Verfügungen, die dem Straf- oder Beschwerdebescheide voraus gehen und chn vorbereiten sollen, unterliegen der Beschwerde nur, wenn sie eine Beschlag­ nahme anordnen oder andere Personen betreffen als den Beschuldigten oder die Nebenbeteiligten

III Mosten des Verfahrens

§ 419*

Im Verwaltungsstrafverfahren werden an Kosten erhoben: a) für Strafbescheide und für Beschwerdebescheide (§ 417) eine Gebühr in Höhe der Gebühr des Gerichtskostengesetzes für Urteile in Straffachen des ersten Rechtszugs: die §§ 51, 75 Abs 2, 79, 80 des Gerichtskosten­ gesetzes sind anzuwenden x); b) an Auslagen: 1 Schreib gebühren für Ausfertigungen und Abschriften nach dem Gerichts­ kostengesetze, 2. Telegraphengebühren und im Fernverkehre zu entrichtende Fernsprech­ gebühren, 3 Kosten von Zustellungen und öffentlichen Bekanntmachungen, 4 Entschädigungen, die an Auskunftspersonen und Sachverständige ge­ zahlt sind, 5 Reisekosten der Beamten bei Geschäften außerhalb des Dienststtzes, 6. Auslagen anderer Behörden, 7 Kosten der Erhaltung beschlagnahmter Sachen und der Beförderung von Personen oder Sachen, 8. Haftkosten.

8 420. Die Kostenvorschriften der Strafprozeßordnung gelten sinngemäß auch für das Berwaltungsstrafverfahren über Höhe und Notwendigkeit von Auslagen entscheidet das Finanzamt endgültig. Wer nur bei der Einziehung beteiligt ist, hat außer bei Zurückweisung unbegründeter Beschwerden keine Kosten zu tragen. Sind durch das Verfahren gegen den, der für Geldstrafe und Kosten haftet, besondere Kosten entstanden, so sind ihm diese Kosten bei Festsetzung seiner Haftpflicht aufzuerlegen. 8 421. Zur Sicherung der Staatskasse wegen der Kosten, die den Be­ schuldigten voraussichtlich treffen werden, kann das Finanzamt nach § 351 einen Arrest anordnen und vollziehen. 8 422. Wenn das Gericht gegen den Beschuldigten eine Strafe oder gegen den, der für Geldstrafe und Kosten haftet, die Haftpflicht rechtskräftig festgesetzt hat, so haben diese Personen auch die Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens zu tragen. IV. Strafvollstreckung 8 423. Vollstreckbare Strafbescheide und Beschwerdebescheide wirken wie ein rechtskräftiges Urteil.

8 424?) Die Finanzämter haben die Straf- und Beschwerdebescheide sowie die Kostenentscheidungen nach den Vorschriften über das Zwangsverfahren zu vollstrecken. Für Zahlung einer Geldstrafe kann eine Frist oder Abtragung in Teil­ beträgen bewilligt werden. Teilzahlungen sind zulässig und werden zunächst x) Siehe hierzu Art. VI des G. v. 21. Dez. 1922 und Art. XVI § 5 bet 2. StNBO. v. 19. Dez. 1923 (RGBl. 1923 I S. 1 u. 1205). 2) Fassung nach § 50 Ziff 2 des Jugendgerichtsgesetzes.

185. Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919. §§ 419—430.

859

auf die Strafe angerechinet. Der Versuch, eine Geldstrafe heizutreiben, kann unterbleiben, wenn sicher vorauszusehen ist, daß er erfolglos sein würde. Die Einziehung wird dadurch vollstreckt, daß das Finanzamt die Sachen dem Besitzer wegnehmen läßt. § 301 gilt entsprechend, jedoch kann der Dritte nur geltend machen, daß die Sache nicht durch die Einziehung getroffen sei, oder daß er das Recht an ihr nach der Rechtskraft des Strafbescheids er­ worben habe. Bei Einziehungen kann das Finanzamt die Ersatzstrafe (§ 365 Abs. 2, § 412 Abs. 3) vollstrecken, wenn die Sachen nicht in Verwahrung genommen sind und vom Verurteilten nicht binnen angemessener Frist abgeliefert werden 8 425. Geldstrafen und Gegenstände, deren Einziehung ausgesprochen ist, fallen dem Reiche zu.

Dritter Titel Gerichtliches Verfahren.

8 426. Hat der Beschuldigte oder ein Nebenbeteiligter auf gerichtliche Entscheidung angetragen, so kann das Finanzamt den Strafbescheid wegen des Antragstellers bis zur Übersendung der Verhandlungen an die Staatsanwalt­ schaft zurücknehmen In diesem Falle kann es das Verfahren einstellen, nach weiteren Ermittlungen einen neuen Bescheid erlassen oder die Sache an die Staatsanwaltschaft zum gerichtlichen Verfahren abgeben Der Antragsteller ist zu benachrichtigen. 8 427?) Wird der Strafbescheid nicht zurückgenommen, so übersendet das Finanzamt die Verhandlungen der Staatsanwaltschaft mit dem Antrag, die Entscheidung des Gerichts HÄbeizuführen. Die Staatsanwaltschaft legt sie dem Gerichte vor- eine Anklageschrift wird nicht eingereicht. Wegen der örtlichen Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft und des Gerichts gilt § 411 Abs. 2. Zur Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht ist ein zweiter Amtsrichter zuzuziehen, wenn das Finanzamt es beantragt Das Finanzamt soll den Antrag nur stellen, wenn die Zuziehung eines zweiten Amtsrichters nach Umfang und Bedeutung der Sache notwendig erscheint. Der Antrag soll dem Schreiben, mit dem das Finanzamt die Verhandlungen der Staatsanwaltschaft übersendet (Abs. 1 Satz 1) beigefügt werden; die Staatsanwaltschaft hat ihn zusammen mit den Verhandlungen (Abs. 1 Satz 2) an das Gericht weiterzuleiten. 8 428 Das Gericht hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als un­ zulässig zu verwerfen, wenn er nicht rechtzeitig oder nicht in der vorgeschriebenen Form gestellt ist, oder wenn er nach § 415 wirkungslos ist, weil Beschwerde eingelegt ist. Bei Versäumung der Frist kann nach den Vorschriften der Straf­ prozeßordnung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erteilt werden Verwirft das Gericht den Antrag nicht als unzulässig, so ist die Haupt­ verhandlung anzuberaumen. Ist der Beschuldigte abwesend (§ 318 der Strafprozeßordnung), so ist gegen ihn nach den §§ 320 bis 326’) der Strafprozeßordnung zu verfahren. 8 426. Nach Übersendung der Verhandlungen an die Staatsanwaltschaft kann das Finanzamt den Strafbescheid nur mit deren Zustimmung zurück­ nehmen. Die Staatsanwaltschaft teilt die Zurücknahme dem Gerichte mit, wenn sie ihm die Verhandlungen schon vorgelegt hat. Das Gericht stellt das Ver­ fahren ein. Nach Beginn der Hauptverhandlung kann das Finanzamt den Straf­ bescheid nur mit Zustimmung dessen, der auf gerichtliche Entscheidung angetragen hat, nach Verkündung des Urteils erster Instanz überhaupt nicht mehr zurück­ nehmen. 8 436 Der Beschuldigte oder der Nebenbeteiligte kann den Antrag auf gerichtliche Entscheidung bis zur Verkündung des Urteils erster Instanz zurücki) Fassung nach Art. V § 1 Zifs. 4 des G. v. 10. Aug. 1925 (RGBl., I S. 241). ’) Jetzt §§ 276, 278—284 StPO.

860

Zweiter Teil. Strafprozeßgesetze.

nehmen, nach Beginn der Hauptverhandlung jedoch nur mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und, falls es als Nebenkläger vertreten ist, auch des Finanzamts. Der Antrag gilt als zurückgenommen, wenn der Beschuldigte oder der Nebenbeteiligte ohne genügenden Grund in der Hauptverhandlung ausbleibt und sich nicht durch einen Verteidiger vertreten läßt. 8 431. Hat der gesetzliche Vertreter eines noch nicht achtzehn Jahre alten Beschuldigten die gerichtliche Entscheidung beantragt, so ist auch der Beschuldigte zu laden. Sein Erscheinen kann erzwungen werden. Der gesetzliche Vertreter kann sich durch einen Verteidiger vertreten lassen, der mit einer ausdrücklich darauf gerichteten schriftlichen Vollmacht versehen ist. Bleibt der gesetzliche Vertreter aus und läßt er sich nicht vertreten, jo hat das Gericht gleichwohl zu verhandeln, wenn der Beschuldigte selbst erscheint. Bleibt auch dieser aus, so gilt § 430 Abs. 2. § 432. Ist gerichtliche Entscheidung beantragt, so hat das Finanzamt für das weitere Verfahren die Rechte eines Nebenklägers. Das Urteil und andere Entscheidungen sind dem Finanzamt zuzustellen., auch wenn es bei der Verkündung vertreten gewesen ist. Die Fristen für die Einlegung von Rechtsmitteln beginnen für das Finanzamt erst mit der Zustel­ lung. Für Revisionsanträge und für Erklärungen ans solche hat es einen Monat Frist. Berufungsanträge, Revisionsanträge und Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens kann es schriftlich selbst stellen. 8 433. Hängt eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung oder Steuer­ gefährdung davon ab, ob ein Steueranspruch besteht, oder ob und in welcher Höhe ein Steueranspruch verkürzt oder ein Steuervorteil zu Unrecht gewährt ist, und hat der Reichsfinanzhof über diese Fragen entschieden, so bindet dessen Entscheidung das Gericht. Liegt eine Entscheidung des Reichsfinanzhofs nicht vor, sind die Fragen jedoch von Finanzbehörden oder Finanzgerichten zu entscheiden, so hat das Gericht das Strafverfahren auszusetzen, bis über die Fragen rechtskräftig entschieden worden ist. Entscheidet der Reichssinanzhof, so bindet dessen Entscheidung das Gericht. Ergeht keine Entscheidung des Reichsfinanzhofs, so hat das Gericht, wenn es von der rechtskräftigen Entscheidung des Finanzamts oder der Rechtsmittelbehörde abweichen will, die Entscheidung des Reichsfinanzhofs einzuholen. Es übersendet die Akten dem Reichsfinanzhof. Dieser entscheidet im Beschlußverfahren in der Besetzung von fünf Mitgliedern. Seine Entscheidung ist bindend. Während der Aussetzung des Verfahrens ruht die Verjährung. Weicht die Entscheidung des Reichsfinanzhofs von der rechtskräftigen Ent­ scheidung des Finanzamts oder der Rechtsmittelbehörde ab, so ist diese zu be­ richtigen- § 212 Abs. 2, 3, 8 213 gelten entsprechend. 8 434. Das Gericht ist bei der Entscheidung an die im Strafbescheide festgesetzte Strafe nicht gebunden. Stellt sich heraus, daß die Tat der Strafbefugnis des Finanzamts ent­ zogen war, so hat das Gericht, ohne in der Sache zu entscheiden, den Straf­ bescheid durch Beschluß aufzuheben und die Verhandlungen der Staatsanwalt­ schaft mitzuteilen- gegen den Beschluß ist sofortige Beschwerde zulässig. 8 435. Kann eine durch Strafbescheid festgesetzte Geldstrafe oder die Strafe des Ersatzes des Wertes nicht einziehbarer Sachen nicht beigetrieben werden, so hat das Gericht auf Antrag des Finanzamts die Strafe in Frei­ heitsstrafe umzuwandeln. Das Finanzamt übersendet die Verhandlungen der Staatsanwaltschaft. Die Entscheidung steht dem Gerichte zu, das für die Er­ öffnung des Hauptverfahrens zuständig gewesen wäre. Vor der Entscheidung sind die Staatsanwaltschaft und der, gegen den die Strafe festgesetzt ist, sowie das Finanzamt zu hören. Gegen den Beschluß ist sofortige Beschwerde zulässig. 8 436. Beamte der Finanzämter dürfen außerhalb des Deutschen Reichs wohnende Personen, von denen eine Geldstrafe nicht eingezogen werden kann, beim Antreffen im Inland festnehmen. Sie haben sie ohne Verzug der Straf­ vollstreckungsbehörde vorzusühren. Diese hat die Ersatzfreiheitsstrafe zu voll-

185. Reichsabgabenordnung vom 13 Dezember 1919. §§ 431—448.

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strecken oder, wenn eine solche noch nicht festgesetzt ist, die Entscheidung über die Umwandlung sofort herbeizuführen und die festgenommenen Personen so­ lange in Haft zu behalten- die Haft ist auf die Freiheitsstrafe unverkürzt an­ zurechnen. 8 437. Erhebt die Staatsanwaltschaft wegen einer Steuerzuwiderhand­ lung die öffentliche Klage, so hat das Finanzamt die Rechte eines Neben­ klägers (§ 432). Lehnt die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Verfolgung einer Steuer­ zuwiderhandlung ab, so kann das Finanzamt die öffentliche Klage selbst er­ heben. Sein Vertreter hat im weiteren Verfahren dieselbe Stellung wie die Staatsanwaltschaft im Verfahren auf öffentliche Klage. § 432 Abs. 2 gilt entsprechend. Hat das Finanzamt die öffentliche Klage erhoben, so kann die Staats­ anwaltschaft in jeder Lage des Verfahrens mitwirken. Sie bewirkt die La­ dungen zur Hauptverhandlung und muß darin vertreten sein Die Entschei­ dungen sind ihr bekanntzugeben. Bis zur Rechtskraft des Urteils kann sie die Verfolgung übernehmen- legt sie ein Rechtsmittel ein, so übernimmt sie die Verfolgung. Das Verfahren wird in der Lage fortgesetzt, in der es sich befindet Das Finanzamt hat die Rechte eines Nebenklägers (§ 432) Die Vorschrift des §| 433 gilt auch in den Fällen dieses Paragraphen 8 438. Ist der Angeklagte in den Fällen des §437 abwesend (§3181) der Strafprozeßordnung), so -st gegen ihn nach den §§ 320 bis 326 der Straf­ prozeßordnung zu verfahren 8 439. Wenn jemand als Nebenbeteiligter für die Geldstrafe haftet, ist eine Ersatzfreiheitsstrafe nur zu vollstrecken, nachdem das Finanzamt gehört worden ist und soweit es die Vollstreckung beantragt Gegenstände, deren Einziehung ausgesprochen ist, sind dem Finanzamt aus­ zuhändigen. Hat das Gericht erkannt, daß die Verurteilung auf Kosten des Verur­ teilten bekanutzumachen sei, so bestimmt das Finanzamt die Art der Bekannt­ machung. 8 440. § 425 gilt auch bei gerichtlich erkannten Strafen. 8 441. Schließt das gerichtliche Verfahren mit einer Verurteilung, so ge­ hören die notwendigen Auslagen des Finanzamts zu den Kosten des Ver­ fahrens. 8 442. Das Landesfinanzamt' kann die Befugnisse, die den Finanzämtern im gerichtlichen Verfahren zustehen, anderen Behörden oder bestimmten Be­ amten übertragen.

Vierter Titel.

Niederschlagung.

8 443. Der Reichsminister der Finanzen ist befugt, von der Einleitung oder Durchführung eines Verwaltungsstrafverfahrens abzusehen und im Berwaltungsstrafverfahren erkannte Strafen zu erlassen; im übrigen steht das Recht der Begnadigung den Regierungen der Länder zu. Der Reichsminister der Finanzen kann die ihm zustehenden Befugnisse auf die ihm unterstellten Finanzbehörden übertragen. Die Finanzämter sind befugt, von der Einleitung oder Durchführung einer Untersuchung abzusehen, wenn eine Hinterziehung nicht in Frage kommt und das Verschulden des Täters geringfügig ist.

Übergangs- und Schlußvorschriften.

8 444. Abs. 1. Die Reichsabgabenordnung tritt am Tage nach ihrer Ver­ kündung in Kraft.

88 445-448 !) Jetzt z 276 StPO.

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

8 44V. Die §§ 459 bis 469*) der Strafprozeßordnung treten für den Geltungsbereich der Reichsabgabenordnung außer Kraft. Das gleiche gilt für den Art. 104 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch.

88 450—463

186.

12

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Gesetz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen nnd Kriegsvergehen. Bom 18 Dezember 1919 (RGBl S. 2125.)

8 1* Bei Berbrechen oder Bergehen, die ein Deutscher im In- oder Aus­ land während des Krieges bis zum 28 Juni 1919 gegen feindliche Staatsan­ gehörige oder feindliches Vermögen begangen hat, ist das Reichsgericht für die Untersuchung und Entscheidung in erster und letzter Instanz ausschließlich zuständig. 8 2. Der Oberreichsanwalt ist verpflichtet, nach deutschem Recht straf­ bare Handlungen der im § 1 bezeichneten Art auch dann zu verfolgen, wenn die Tat im Ausland begangen und durch die Gesetze des Ortes, wo sie begangen ist, mit Strafe bedroht ist. 8 3. Das Verfahren richtet sich, soweit dieses Gesetz nicht ein anderes bestimmt, nach den Vorschriften, die für das Verfahren vor dem Reichsgericht in erster und letzter Instanz gelten 8 4. Die Geschäfte, die im § 72 Abs. 1 des GerichtsverfassungsgeseHes der Strafkammer des Landgerichts zugewiesen sind, erledigt der erste Straf­ senat des Reichsgerichts. Das Hauptverfahren findet vor einem der übrigen Strafsenate des Reichsgerichts statt 8 5. Eine gerichtliche Voruntersuchung ist nur bei Verbrechen notwendig. Eine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens findet nicht statt. Der Oberreichsanwalt reicht die Anklage bei dem erkennenden Senat ein Der Vorsitzende des Senats beraumt -den Termin zur Hauptverhandlung an. Dem Angeklagten wird die Anklage mit der Terminsanberaumung zugestellt. Dem Verteidiger, der gemäß § 137 der Strafprozeßordnung auch aus den im § 138 der Strafprozeßordnung und § 341 l>er Militärstrafprozeß­ ordnung bezeichneten Personen bestellt werden kann, ist in jeder Lage des Verfahrens Akteneinsicht zu gewähren. 8 6. Der Verletzte oder im Falle seines Todes seine Erben sind berech­ tigt, sich dem Verfahren als Nebenkläger (§§ 435 ff1 2) der Strafprozeßordnung) anzuschließen. Der Reichsminister der Justiz kann bestimmen, daß auch andere Per­ sonen als Nebenkläger zuzulassen sind. 8 7. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft Die in diesem Zeitpunkt bei den Gerichten oder Staatsanwaltschaften bereits an­ hängigen Verfahren werden nach den bisherigen Vorschriften erledigt; der Oberreichsanwalt kann jedoch die noch nicht gerichtlich anhängigen Verfahren übernehmen. 1) Jetzt §§ 419 bis 429. 2) Jetzt §§ 395 ff. StPO.

187. Ges. zur Ergänzung des Ges. zur Verfolgung von Kriegsverbrechen usw. 863

187. 18. Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes zur Ver­ folgung von Kriegsverbrechen und Kriegsvergehen vom 18. Dezember 1919. Vom 24

März 1920

(RGBl. S 341.)

Art. I. Für das Verfahren auf Grund des Gesetzes zur Verfolgung von Kriegsverbrecher: und Kriegsvergehen vom 18. Dezember 1919 .Meichs-Gesetzbl. S 2125) gelten, soweit es sich um eine in Ausführung der Artikel 228 bis 230 des Friedensvertrags und der Ziffer 3 des Schlußprotokolls vom 28. Juni 1919 von den alliierten Mächten erhobene Beschuldigung handelt, folgende Vorschriften: 8 1. Besteht nach der Überzeugung des Oberreichsanwalts kein genügender Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so hat er die Akten dem ersten Strafsenate des Reichsgerichts mit dem Antrag auf Einstellung des Berfah»-rens vorzulegen. Beschließt der Senat die Einstellung, so hat er den Beschluß mit Gründen zu versehen, welche die für seine Entscheidung maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen erkennen lassen; der Beschluß ist dem Beschuldigten bekanntzumachen. Lehnt der Senat den Antrag ab, so hat er die Erhebung der öffent­ lichen Klage anzuordnen. Zur besseren Aufklärung der Sache kann der Senat eine Ergänzung der Voruntersuchung oder, falls eine Voruntersuchung nicht stattgefunden hat, die Eröffnung einer solchen oder einzelne Beweiserhebung anordnen 8 2. Die Gewährung von Straffreiheit, die Verjährung der Strafver­ folgung und ein früheres Verfahren stehen einem Verfahren auf Grund des Gesetzes vom 18. Dezember 1919 nicht entgegen Ist der Beschuldigte in dem früheren Verfahren rechtskräftig frei­ gesprochen worden, so verordnet der erste Strafsenat auf Antrag des Ober­ reichsanwalts die Wiederaufnahme des Verfahrens, falls der Beschuldigte hin­ reichend verdächtig ist; das gleiche gilt, wenn in dem früheren Verfahren auf eine Strafe erkannt worden ist, die zu der Schwere der Tat im offenbaren Mißverhältnisse steht. Ist das frühere Verfahren durch einen nicht mehr anfechtbaren Beschluß beendet worden, so ist, falls der Beschuldigte hinreichend verdächtig ist, die Verfolgung wieder aufzunehmen. Erscheint dem Oberrerchs anwalt eine Wiederaufnahme des Verfahrens oder der Verfolgung nicht geboten, so hat er die Entscheidung des ersten Straf­ senats herbeizuführen; die Vorschriften des § 1 geltend entsprechend.

8 3. Für das Verfahren ist, auch soweit es beim Inkrafttreten des Ge­ setzes vom 18. Dezember 1919 bereits anhängig war, das Reichsgericht aus­ schließlich zuständig; soweit die Untersuchung gerichtlich anhängig ist, hat das Gericht die Sache durch Beschluß an das Reichsgericht zu verweisen. 8 4. Kosten und Auslagen des Verfahrens können, soweit besondere Billigkeitsgründe es rechtfertigen, ganz oder teilweise der Reichskasse auf­ erlegt werden. Art. II. Der Reichsminister der Justiz wird ermächtigt, bis zur Er­ ledigung der dem Reichsgerichte durch das Gesetz zur Verfolgung von Kriegs­ verbrechen und Kriegsvergehen vom 18. Dezember 1919 (Reichs-Gesetzbl. S. 2125) zugewiesenen Untersuchungen zum Reichsgerichte Hilfsrichter aus der Zahl der Mitglieder der Oberlandesgerichte und Landgerichte sowie der Amtsrichter zum Zwecke der Erledigung der Geschäfte der Zivilsenate und Strafsenate einzuberufen Die Abordnung eines jeden Hilfsrichters ist bis

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

zu dem Zeitpunkt unwiderruflich, in welchem die Wahrnehmung seiner Tätig­ keit nicht mehr erforderlich ist. In den Untersuchungen, die dem Reichsgerichte durch das Gesetz vom 18. Dezember 1919 zugewies-en sind, dürfen die Hilfsrichter nicht Mitwirken Art. III. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft.

188. 14. Gesetz zur weiteren Ergänzung des Gesetzes zur Verfolgung von Kriegsverbrechen und Kriegsvergehen. Vom 12. Mai 1921. (RGBl. S. 508.)

In den Artikel I des Gesetzes vom 24. März 1920 (Reichs-Gesetzbl. S. 341) wird folgender § la eingestellt: § la. Wenn nach der Überzeugung des Oberreichsanwalts kein genügen­ der Anlaß besteht, eine Anklageschrift einzureichen, so kann er gleichwohl die Anberaumung einer Hauptverhandlung beantragen. In dem Antrag ist die Tat, fcte den Gegenstand des Ermittlungsverfa hö­ rens oder der Voruntersuchung gebildet hat, unter Hervorhebung ihrer gesetz­ lichen Merkmale und des Strafgesetzes zu bezeichnen. Das Ergebnis der Er­ mittlungen ist in den Antrag aufzunehmen; die Beweismittel sind anzugeben. Auf das Verfahren finden die Vorschriften des § 5 Abs. 3,4 und des Z6 des Gesetzes vom 18. Dezember 1919 (Reichs-Gesetzbl. S. 2125) entsprechende Anwendung.

189. 15. Gesetz über das Wiederaufnahmeverfahren gegen­ über Urteilen der außerordentlichen Kriegsgerichte. Vom 10. Mai 1920. (RGBl. S. 962.)

§ 1. Gegenüber den Urteilen der außerordentlichen Kriegsgerichte, die nicht auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung, sondern auf Grund der früher geltenden gesetzlichen Vorschriften über den Kriegs- und Belagerungs­ zustand eingesetzt worden sind, findet die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung statt. Über Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens entscheidet die Strafkammer. Die Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten findet auch dann statt, wenn Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die es notwendig er­ scheinen lassen, die Sache im ordentlichen Verfahren nachzuprüfen. Die Vor­ schrift des § 403x) der Strafprozeßordnung bleibt unberührt. Ist der Antrag auf Wiederaufnahme begründet, so ist die Hauptverhand­ lung vor dem zuständigen ordentlichen Gericht anzuordnen. 8 2. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft.

x) Jetzt § 363 StPO.

190. Verordnung über den Staatsgerichtshof zum Schutze d. Republik usw. 865

iso. 16. Verordnung über den Staatsgertchtshof zum Schutze der Republik?) Bom 30. Juni 1922.

(RGBl. I S. 534.)

8 1. Auf den Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik finden die Bestimmungen des 13. bis 16. Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes mit fol­ genden Maßgaben entsprechende Anwendung: 1. Das Ersuchen um Rechtshilfe darf nicht abgelehnt werden. 2. Der Gerichtshof kann an jedem Orte innerhalb des Deutschen Reichs Sitzungen abhalten und Amtshandlungen durch einen beauftragten Richtter vornehmen lassen. 3. Die nicht zum Richteramte befähigten Mitglieder stimmen vor den zum Richteramte befähigten Mitgliedern- der Vorsitzende stimmt zuletzt, der Berichterstatter zuerst. 8 2. Die zur Erledigung der Geschäfte des Staatsgerichtshofs erforder­ lichen Gerichtsschreiberei-, Kanzlei- und Unterbeamten beruft der Präsident des Reichsgerichts. Der Präsident des Reichsgerichts trifft die erforderlichen Anordnungen über die Geschäftsräume und Geschäftsbedürfnisse des Staatsgerichtshofs. 8 3. Die Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung trifft der Staatsgerichtshof in der Besetzung von drei Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden. 8 4. Auf das Verfahren in den zur Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs gehörenden Sachen finden, soweit nachstehend nichts anderes bestimmt ist, die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die zur Zuständigkeit der Straf­ kammern gehörenden Sachen entsprechende Anwendung. 8 5. Über die Ablehnung eines Richters entscheidet der Staatsgerichtshof, nachdem an die Stelle des abgelehnten Richters dessen Stellvertreter getreten ist. Die Ablehnung des Stellvertreters ist unzulässig. 8 6. Die nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung im vorbereiten­ den Verfahren dem Amtsrichter obliegenden Geschäfte können auch durch einen vom Reichsminister der Justiz besonders bestimmten Ermittlungsrichter des Staatsgerichtshofs vorgenommen werden. Soweit nach der Strafprozeßordnung die Verfügungen des Amtsrichters einer Beschwerde unterliegen, gilt dies auch 7ür die Verfügungen des Er­ mittlungsrichters. über die Beschwerde gegen Verfügungen des Amtsrichters und des Ermittlungsrichters entscheidet der Staatsgerichtshof. Das gleiche gilt für die nach § 8 der Verordnung des Reichspräsidenten vom 26. Juni 1922 zugelassene Beschwerde. 8 7. Der Amtsrichter oder der Ermittlungsrichter hat den vor Erhebung der öffentlichen Klage erlassenen Haftbefehl aufzuheben, wenn der Ober­ reichsanwalt es beantragt oder wenn ihm nicht vor Ablauf von drei Wochen nach der Vollstreckung des Haftbefehls die Entscheidung des Staatsgerichtshofs bekannt wird, daß der Haftbefehl aufrecht erhalten wird. Erhält der Staatsgerichtshof den Haftbefehl aufrecht, so stehen ihm alle weiteren Entscheidungen über die Untersuchungshaft zu. Solange die öffenliche Klage noch nicht erhoben ist, hat der Oberreichsanwalt nach Zlblauf je eines Monats seit der letzten Entscheidung des Staatsgerichtshofs dessen Ent­ scheidung darüber herbeizuführen, ob die Untersuchungshaft fortdauern soll. Der Staatsgerichtshof hat den Haftbefehl, solange die öffentliche Klage noch nicht erhoben ist, aufzuheben, wenn der Oberreichsanwalt es beantragt. 8 8. Die Verteidigung ist in allen Sachen notwendig, die vor dem Staatsgerichtshofe zu verhandeln sind. ’) Das Gesetz zum Schutze der Republik findet sich oben S. 113 unter Nr. 29. 3. Aufl. 55

Allfeld, Strafgesetzgebung.

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

§ 9. Die Voruntersuchung wird durch einen ständigen Untersuchungs^richter geführt, den der Reichsminister der Justiz bei dem Staatsgerichtshof ernennt. Der Vorsitzende des Staatsgerichtshofs kann im einzelnen Falle einen anderen Untersuchungsrichter bestimmen; zum Untersuchungsrichter kann jedes Mitglied eines deutschen Gerichts und jeder Amtsrichter bestimmt werden. § 10. Ein Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens ergeht nicht. Die nach § 148 Abs. 2, 3 der Strafprozeßordnung an die Eröffnung des Haupt­ verfahrens geknüpften Wirkungen treten mit der Einreichung der Anklage­ schrift ein. Die Wirkungen, die nach der Strafprozeßordnung an die Ver­ lesung des Eröffnungsbeschlusses geknüpft sind, treten mit dem Beginne der Vernehmung des Angeklagten zur Sache (§ 242 *) Abs. 3 der Strafprozeßord­ nung) ein. 8 11» Nach Ablauf der gemäß, § 199*2) der Strafprozeßordnung bestimm­ ten Frist beraumt der Vorsitzende des Staatsgerichtshofs Termin zur Haupbverhandlung an. Hat der Angeschuldigte eine Voruntersuchung oder einzelne Beweiserhebungen beantragt oder hat er Einwendungen gegen die Haupt­ verhandlung erhoben, so entscheidet der Staatsgerichtshof; das gleiche gilt, wenn der Vorsitzende gegen die Hauptverhandlung Bedenken hat. 8 12. Auf die von dem Staatsgerichtshof erkannten Strafen und auf ihre Vollstreckung finden die Vorschriften über die von dem Reichsgericht in erster Instanz erkannten Strafen und deren Vollstreckung entsprechende An­ wendung. 8 13. Die Kosten des Staatsgerichtshofs einschließlich der Kosten der Untersuchungshaft und der Strafvollstreckung trägt das Reich; die Verpflich­ tung des Verurteilten und dritter Personen zur Tragung der Kosten wird hier­ durch nicht berührt. Soweit der Verurteilte oder dritte Personen zur Tragung der Kosten verpflichtet find, fließen die von ihnen gezahlten Kosten in die Reichskasse. In den zur Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs gehörenden Sachen finden das Gerichtskostengesetz und die Gebührenordnung für Zeugen und Sach­ verständige entsprechende Anwendung. Die Gebühren der Rechtsanwälte be­ stimmen sich nach den Vorschriften der Gebührenordnung für Rechtsanwälte, die für die vor dem Reichsgericht in erster Instanz zu verhandelnden Sachen gelten. Die Vorschriften des Gesetzes, betreffend die Entschädigung der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen, vom 20. Mai 1898 (Reichsaesetzbl. S. 345) und des Gesetzes, betreffend die Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft, vom 14. Juli 1904 (Reichsgesetzbl. S. 321) finden entsprechende Anwendung.

191.

17. Zugendgerichtsgesetz. Vom 16. Februar 1923. (RGBl. I S. 135.) Zweiter Abschnitt. (S. diesen oben S. 65 Gesetz Nr. 12.)

') Jetzt § 243 StPO. 2) Jetzt §L 201 StPO.

192. Ges. über die beschr. Auskunft aus dem Strafregister usw. v. 9. April 1920. 867

192. 18. Gesetz über die beschränkte Auskunft aus dem Strafregister und die Tilgung von Strasvermerken. Boni 9. April 1920.

(RGBl. S. 507.)’)

8 1 Über Verurteilungen, die in das Strafregister ausgenommen sind, ist nach Ablauf einer bestimmten Frist nur noch beschränkt Auskunft zu erteilen. Ist nach Eintritt des' Zeitpunkts, von dem ab nur beschränkt Auskunft zu erteilen ist, eine weitere Frist abgelaufen, so wird der Vermerk im Straf­ register getilgt. Diese Vorschriften gelten, unbeschadet der Bestimmungen des § 8, nicht für Verurteilungen zum Tode und zu Zuchthaus. 8 2. Bei mehreren Verurteilungen einer Person ist über alle Verur­ teilungen unbeschränkt Auskunft zu erteilen, solange über eine der Verur­ teilungen unbeschränkt Auskunft erteilt werden muß. Die Tilgung einer Ver­ merkes im Strafregister darf bei mehreren Verurteilungen einer Person erst erfolgen, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzungen der Tilgung vor­ liegen. Lautet die Verurteilung, über die unbeschränkt Auskunft erteilt werden muß oder die im Strafregister noch nicht getilgt werden samt, nur auf Ver­ weis oder auf Geldstrafe, allein oder in Verbindung miteinander oder mit Nebenstrafen, so finden die Vorschriften des Abs. 1 keine Anwendung.

8 3. Hat der Verurteilte die bürgerlichen Ehrenrechte oder einzelne Rechte oder Fähigkeiten verloren, so kommen ihm die Vergünstigungen des § 1 nicht zugute, solange er diese Rechte und Fähigkeiten nicht wiedererlangt hat. Das gleiche gilt, so lange über einen Verurteiltest eine Steckbriefnach­ richt im Strafregister niedergelegt ist. Die Vergünstigungen dÄ § 1 kommen einem Verurteilten für eine Ver­ urteilung so lange nicht zugute, als sich aus dem Inhalt des Strafregisters ergibt, daß die Vollstreckung noch nicht erledigt ist. 8 4. Über Verurteilungen, die der beschränkten Auskunft unterliegen, wird nur den Gerichten, den Behörden der Staatsanwaltschaft sowie auf aus­ drückliches Ersuchen den obersten Reichs- oder Landesbehörden Auskunft er­ teilt. Ist Hiernach Auskunft zu erteilen, so ist darin besonders hervorzuheben, daß die Verurteilung der beschränkten Auskunft unterliegt. Soweit über eine Verurteilung, die der beschränkten Auskunft unterliegt, keine Auskunft erteilt werden darf, sind Anfragen in gleicher Weise zu beant­ worten wie in den Fällen, in denen ein Vermerk nicht vorhanden ist. Diese Vorschriften gelten entsprechend für die Auskunft aus den poli­ zeilichen Listen; bei der Ausstellung polizeilicher Führungszeugnisse bleiben Verurteilungen, die der beschränkten Auskunft unterliegen, außer Betracht. *) S. hiezu Artikel X der Verordnung über Vermögensstrafen und Bußen vom 6. Februar 1924 (RGBl. I S. 44), der lautet: Art. X. In dem Gesetz über beschränkte Auskunft aus dem Strafregister und die Tilgung von Strafvermerken vom 9. April 1920 (Reichsgesetzbl. S. 507) sind gestrichen: 1. im § 2 Abs. 2 die Worte „von höchstens fünfhundert Mark", 2. int § 6 .Abs. 1 Nr. 1 die Worte „bis zu fünftausend Mark", 3. tnti § 7 Abs. 1 Nr. 1 die Worte „bis zu fünfhundert Mark". Bei Geldstrafen, die schon vor dem 1. Mai 1923 in das Strafregister ausgenommen worden sind, berechnen sich die Fristen so, wie wenn das Gesetz vom 9. April 1920 in der Fassung des Abs. 1 schon zur Zeit der Aufnahme des Vermerks in das Register in Kraft gewesen wäre.

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

8 3. Ein Vermerk, der im Strafregister zu tilgen ist, wird aus dem Register entfernt und vernichtet; enthält das Register außerdem Vermerke/die bestimmungsgemäß darin verbleiben müssen, so wird der zu tilgende Vermerk unkenntlich gemacht Ebenso wird der Vermerk über die Verurteilung aus den Polizeilichen Listen entfernt oder darin unkenntlich gemacht Ist der Vermerk über eine Verurteilung im Strafregister getilgt worden, so gilt die Verurteilung nicht mehr als Bestrafung im Sinne solcher Vorschriften, die für den Fall, daß der Täter bereits bestraft ist, eine schwerere Strafe oder andere Rechtsnachteile androhen 8 K Die Frist, nach deren Ablauf beschränkt Auskunft zu erteilen ist, beträgt 1. fünf Jahre, wenn auf Verweis oder aus Geldstrafe oder auf Freiheitsstrafe von höchstens drei Monaten, allein oder in Verbindung miteinander oder mit Nebenstrafen, erkannt worden ist, mit Ausnahme der Fälle, in denen auf Überweisung an die Landespolizeibehörde oder auf die Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt worden ist; 2 zehn Jahre in allen übrigen Fällen Die Frist der Nr 1 beginnt mit dem im Strafregister vermerkten Tage der Verurteilung. Die Frist der Nr 2 beginnt mit dem Tage, an dem die Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist; ist auf Überweisung an die Landespolizeibehörde oder auf die Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt worden, so beginnt die Frist erst, wenn diese Maßregeln erledigt sind. Ist die Strafe nach einer Probezeit er­ lassen, so wird deren Dauer, auf volle Monate abgerundet, auf die Frist der Nr 2 angerechnet. War der Verurteilte zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt, so verkürzt sich die Frist von fünf Jahren auf drei Jahre und die Frist von zehn Jahren auf sechs Jahre

8 7. Die Frist, nach deren Ablauf ein Strafvermerk zu tilgen ist, beträgt 1. fünf Jahre, wenn auf Verweis oder auf Geldstrafe oder auf Haft oder auf Gefängnis oder Festungshaft von höchstens einer Woche, allein oder in Verbindung miteinander oder mit Nebenstrafen, erkannt worden ist, mit Ausnahme der Fälle, in denen auf Überweisung an die Landespolizei-« behörde oder auf die Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt worden ist: 2. zehn Jahre in allen übrigen Fällen. Die Frist beginnt mit dem Tage, von dem ab nur noch beschränkt Aus­ kunft zu erteilen ist. War der Verurteilte zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt, so verkürzt sich die Frist von fünf Jahren auf drei Jahre und die Frist von zehn Jahren auf sechs Jahre 8 8. Die Landesjustizverwaltung kann in Fällen, in denen die Voraus­ setzungen der beschränkten Auskunft oder der Tilgung nicht vorliegen, diese Maßnahmen anordnen, wenn dadurch staatliche Interessen nicht gefährdet werden. Hat der Verurteilte die bürgerlichen Ehrenrechte oder einzelne Rechte oder Fähigkeiten verloren, so sollen die Maßnahmen nicht angeordnet werden, solange er diese Rechte und Fähigkeiten nicht wiedererlangt hat Zuständig für die Anordnung ist die oberste Justizverwaltungsbehörde des Landes, in dessen Bezirk das Strafregister geführt wird, und für das Re­ gister, das beim Reichsjustizministerium geführt wird, der Reichsminister der Justiz. Wird angeordnet, daß eine Verurteilung der beschränkten Auskunft unterliegen soll, so beginnt die Frist für die Tilgung des Strafvermerkes mit dem Tage der Anordnung. 8 9. Vermerke über Verurteilungen im Ausland sind im Sinne dieses Gesetzes Vermerken über Verurteilungen im Inland gleichzuachten.

193. Reichskriminalpolizeigesetz vom 21. Juli 1922.

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8 lv Bei der Verwertung von Auszügen aus ausländischen Straf­ registern ist so zu verfahren, wie wenn die in dem Auszug enthaltenen Ver­ merke in einem inländischen Strafregister enthalten wären Die Vorschriften des § 11 Abs 2 sind entsprechend anzuwenden. 8 11. Das Gesetz tritt mit dem 1 Juli 1920 in Kraft Bei Verurteilungen, die schon vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes in das Strafregister ausgenommen worden sind, berechnen sich die Fristen so, wie wenn das Gesetz schon zur Zeit der Aufnahme des Vermerkes in das Register in Kraft gewesen wäre. Ist in den Fällen des § 6 Nr. 2 aus dem Register nicht zu ersehen, wann die Strafe vollstreckt worden ist, so ist die Frist vom Tage der Verurteilung an zu berechnen; sie verlängert sich jedoch in diesem Falle um die Dauer der erkannten Freiheitsstrafe. Das gleiche gilt in den Fällen des § 6 Nr. 2, wenn nach dem Inhalt des R-egisters anzunehmen ist, daß eine Strafe erst nach einer Probezeit erlassen worden ist, und die Dauer dieser Probezeit aus dem Register nicht zu ersehen ist. Ist aus dem Register nicht zu ersehen, ob der Verurteilte zur Zeit der Tat schon achtzehn Jahre alt war, so sind die kürzeren Fristen anzuwenden, wenn der Verurteilte zur Zeit der Verurteilung noch nicht neunzehn Jahre alt war, andernfalls grei­ fen die längeren Fristen Platz. Verurteilungen, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes im Straf­ register gelöscht worden sind, unterliegen der beschränkten Auskunft Die Frist für ihre Tilgung beginnt mit dem Tage, an dem die Löschung angeordnet worden ist

193.

19. Reichskriminalpolizeigesetz. ) Vom 21

Juli 1922

(RGBl. I S. 593)

8 1. Zur Bekämpfung des Verbrechertums, das sein Tätigkeitsfeld nutzt aus bestimmte Orte oder Landesgebiete beschränkt, wird ein Reichskriminalpolizei­ amt errichtet. Es hat seinen Sitz in Berlin und wird dem Reichsminister des Innern unterstellt. 8 2 Die Landesregierungen errichten Landeskriminalpolizeiämter; diese unterstehen den Landesregierungen. Mehrere Länder können ein gemeinsames Landeskriminalpolizeiamt errichten. Als Vollzugsorgane werden von den Landesregierungen Landeskriminal­ polizeistellen eingerichtet. 8 3. Die Landeskriminalpolizeibehörden haben die Aufgabe, 1. die Staatsanwaltschaften und Gerichte bei der Aufdeckung und Aufklärung von Straftaten zu unterstützen, welche die öffentliche Sicherheit besonders beeinträchtigen; 2. solche Straftaten zu verhüten. Die Reichsregierung kann mit Zustimmung des Reichsrats im Rahmen des Abs. 1 nähere Bestimmungen über die sachliche Zuständigkeit der Landeskriminalpolizeibehörden erlassen. Die Staatsanwaltschaften und Gerichte können in Ausnahmefällen den Landeskriminalpolizeistellen auch die Aufklärung anderer Straftaten übertragen. Die Landeskriminalpolizeistellen haben die Aufträge der Staatsanwalt­ schaften, der Gerichte, der Landeskriminalpolizeiämter und des Reichskriminal­ polizeiamts auszuführen. In den zu ihrer Zuständigkeit gehörenden Sachen sind sie auch zu selbständigem Einschreiten befugt und verpflichtet, wenn noch keine der im Satze 1 genannten Stellen mit der Sache befaßt ist. 8 4* Durch Vereinbarung der Landeszentralbehörden mit dem Reichs­ kriminalpolizeiamte kann ausnahmsweise bestimmt werden, daß in dem örtlichen *) Dieses Gesetz ist noch nicht in Kraft getreten (s. § 12).

870

Zweiter Teil. Strafprozeßgesetze.

Zuständigkeitsgebiet einzelner großer Städte mit eigener Kriminalpolizei und eigenen erkennungsdienstlichen Einrichtungen die Landeskriminalpolizeistelüm nur tätig werden dürfen 1. auf Ersuchen der örtlichen Polizeibehörde, 2. auf Anordnung der Staatsanwaltschaften, der Gerichte, des Landes­ kriminalpolizeiamts oder des Reichskriminalpolizeiamts, 3. wenn die außerhalb der Stadt von den Landeskriminalpolizeistellen auf­ genommenen Spuren in die Stadt hineinführen.

8 5. Die Landeskriminalpolizeiämter sind Dienstaufsichtsbehörden der Landeskriminalpolizeistellen ihres Gebiets. Sie haben als solche 1. die Tätigkeit der ihnen unterstellten Landeskriminalpolizeistellen zu beaufsichtigen, 2. die Verbindung des Reichskriminalpolizeiamts mit den Landeskriminalpolizeistellen und dieser Stellen untereinander aufrechtzuerhalten, 3. die Landeskriminalpolizeistellen bei der Aufdeckung und Aufklärung von Straftaten, insbesondere soweit sie sich über das Gebiet mehrerer Landeskriminalpolizeistellen erstrecken, mit Anweisungen zu versehen. Ferner sind die Landeskriminalpolizeiämter erkennungsdienstliche Sammel­ stellen ihres Gebiets und haben die Ausbildung und Ausrüstung der Beamten ihrer Landeskriminalpolizeistellen durchzuführen. 8 6. Das Reichskriminalpolizeiamt stellt Richtlinien für die einheitliche Geschäftsführung der Landeskriminalpolizeibehörden und für entsprechende Aus­ bildung der Beamten auf. Es hat alle für die planmäßige Zusammenarbeit der Landeskriminalpolizeibehörden nötigen Maßnahmen zu treffen, insbesondere einen allen Ländern gemeinsamen Nachrichten- und Erkennungsdienst zu unterhalten. Die bei der Tätigkeit des Reichskriminalpolizeiamts und der Landes­ kriminalpolizeibehörden gewonnenen Ergebnisse von wissenschaftlichem Werte hat das Reichskriminalpolizeiamt nach. Anweisungen, die der Reichsminister des Innern im Einvernehmen mit dem Reichsminister der Justiz erläßt, zu sammeln und zu bearbeiten. 8 7. In Fällen, deren Aufdeckung und Aufklärung sich über das Gebiet mehrerer Landeskriminalpolizeiämter zu erstrecken hat, unterrichtet das Reichs­ kriminalpolizeiamt die in Betracht kommenden Landeskriminalpolizeiämter und -stellen über die durch den Nachrichtendienst in Erfahrung gebrachten Zusammen­ hänge und kann zu diesem Zwecke seine Beamten entfetiben. Auf Antrag eines der beteiligten Landeskriminalpolizeiämter kann das Reichskriminalpolizeiamt über solche Fälle durch seine eigenen Vollzugsbeamten Ermittlungen anstellen lassen. Auch ohne Antrag kann das Reichskriminalpolizeiamt ausnahmsweise im ganzen Reichsgebiete durch seine eigenen Bollzugsbeamten Ermittlungen an­ stellen und allen Polizeibehörden Weisungen erteilen, wenn es sich um Einzel­ fälle handelt, durch die Interessen des Reichs unmittelbar berührt werden. In Fällen eigener Ermittlungstätigkeit des Reichskrimmalpolizeiamts ist nach Tun­ lichkeit ein örtlich zuständiger Beamter der Landeskriminalpolizei zuzuziehen, in allen Fällen eigener Ermittlungstätigkeit des Reichskriminalpolizeiamts ist der obersten Landesbehörde des in Frage kommenden Landes unverzüglich hier­ von Anzeige zu erstatten. Das Reichskriminalpolizeiamt kann den Verkehr mit ausländischen^ Be­ hörden ausschließlich auf sich übernehmen, wo es ihm für die zweckmäßige Durchführung der Sache erforderlich erscheint. 8 8. Die Vollzugsbeamten des Reichskriminalpolizeiamts und der Landeskriminalpolizeibehörden können innerhalb ihrer Zuständigkeit im ganzen Reichs­ gebiet polizeiliche Amtshandlungen vornehmen; sie üben im ganzen Reichs­ gebiete die Befugnisse von Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft aus. 8 9. Die örtlich zuständigen Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes haben, sobald sie von der Verübung oder dem Verdachte der Verübung einer zur Zuständigkeit der Landeskriminalpolizeiibehörden gehörenden

194. G. üb. d. Wiederaufnahme d. B. geg. Urt. d. bay. Bolksgerichte.

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Straftat Kenntnis erhalten, die Landeskriminalpolizeistellen auf dem schnellsten Wege unverzüglich zu benachrichtigen und bis zu deren Eingreifen die unauf­ schiebbaren Maßnahmen zu treffen.

§ 1V. Die Polizei- und Justizbehörden der Länder find verpflichtet, dem Reichskriminalpolizeiamte von dem Auftreten, der Verhaftung und der Haftent­ lassung jedes Verbrechers, dessen Tätigkeitsfeld sich vermutlich nicht auf be­ stimmte Orte oder Landesgebiete beschränkt, unverzüglich Mitteilung zu machen. Das Nähere bestimmt der Reichsminister des Innern im Einvernehmen mit dem Reichsminister der Justiz. § 11. Die Kosten des Reichskriminalpolizeiamts und seiner abgeordneten Beamten trägt das Reich. Ebenso trägt das Reich die Kosten, wenn Beamte eines Landes im Auftrag des Reichskriminalpolizeiamts außerhalb des Bereichs ihres Landesamts tätig werden. Die Kosten der Landeskriminalpolizei werden zu einem Drittel vom Reiche, zu zwei Dritteln von den Ländern getragen. Bei der Berechnung des Gesamt­ betrags dieser Kosten werden sonstige Zuschüsse des Reichs, insbesondere die Besoldungszuschüsse auf Grund des Landessteuergesetzes vorweg abgezogen. Errichten mehrere Länder eine gemeinsame Landeskriminalpolizei, so bleibt die Kostenverteilung der Vereinbarung der beteiligten Länder überlassen. § 12. Die Ausführungsbestimmungen erläßt die Reichsregierung mit Zu­ stimmung des Reichsrats. Sie bestimmt den Zeitpunkt, zu dem das Gesetz oder einzelne seiner Vorschriften in Kraft treten.

194. 20. Gesetz über die Wiederaufnahme des Verfahrens gegenüber Urtellen der bayerischen Volksgerichte. Vom 4. Juli 1925. (RGBl. I S. 95).

Art. I. Gegenüber den Urteilen der bayerischen Volksgerichte findet die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den Vorschriften der Strafprozeßord­ nung mit folgenden Änderungen statt: § 1. Die Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten findet auch dann statt, wenn aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Freisprechung des Angeklagten oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes eine geringere Bestrafung zu erwarten ist. Die Vorschrift des § 363 der Strafprozeßordnung bleibt unberührt.

8 2. Darüber, ob der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu­ lässig und begründet ist, entscheidet die Strafkammer. Bildet den Gegenstand der Verurteilung allein oder zusammen mit anderen Straftaten eine Straftat, die nicht zur Zuständigkeit der Landesgerichte gehört, so entscheidet über dle sofortige Beschwerde (§ 372 der Strafprozeßordnung) das Reichsgericht. 8 3. Die erneute Hauptverhandlung findet vor dem Gerichte statt, das zur Zeit der Anordnung der Erneuerung der Hauptverhandlung für die Sache zuständig ist. Ist das Amtsgericht (Schöffengericht) zuständig, so kann die Staatsanwaltschaft, solange der Termin zur Hauptverhandlung noch nicht bestimmt ist, beantragen, daß ein zweiter Richter zugezogen werde. 8 4. Wer in dem wiederaufzunehmenden Verfahren als Richter mit­ gewirkt hat, ist von der Mitwirkung bei der Entscheidung über die Wieder­ aufnahme und in der erneuten Hauptverhandlung ausgeschlossen.

Art. II. Das Gesetz tritt mit dem Tage nach der Verkündung in Kraft.

872

195.

Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

21. Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit. Vom 7. April 1900. (RGBl. S. 213 ff.) Erster Abschnitt.

Umfang der Konsulargerichtsbarkeit.

§ 1. Die Konsulargerichtsbarkeit wird in den Ländern ausgeübt, in denen ihre Ausübung durch Herkommen oder durch Staatsverträge gestattet ist. Sie kann durch Kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats für bestimmte Gebiete und in Ansehung bestimmter Rechtsverhältnisse außer Übung gesetzt werden. § 2. Der Konsulargerichtsbarkeit sind unterworfen: 1. Deutsche, soweit sie nicht in dem Lande, in dem die Konsularg er ichtsbarkeit ausgeübt wird, nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen das Recht ber Exterritorialität genießen; 2. Ausländer, soweit sie für ihre Rechtsverhältnisse durch Anordnung des Reichskanzlers oder auf Grund einer solchen dem deutschen Schutze unter­ stellt sind (Schutzgenossen). Den Deutschen (Abs. 1 Nr. 1) werden gleich geachtet Handelsgesellschaften, eingetragene Genossenschaften und juristische Personen, wenn sie im Reichs­ gebiet oder in einem deutschen Schutzgebiet ihren Sitz haben, juristische Per­ sonen auch dann, wenn ihnen durch den Bundesrat oder nach den bisherigen Vorschriften durch einen Bundesstaat die Rechtsfähigkeit verliehen worden ist. Das gleiche gilt von offenen Handelsgesellschaften und Kommanditgesell­ schaften, die in einem Konsulargerichtsbezirk ihren Sitz haben, wenn die per­ sönlich haftenden Gesellschafter sämtlich Deutsche sind. Andere als die bezeich­ neten Handelsgesellschaften, eingetragenen Genossenschaften und juristischen Personen werden den Ausländern (Abs. 1 Nr. 2) gleichgeachtet. Durch Anordnung des Reichskanzlers oder auf Grund einer solchen kann bestimmt werden, daß die im Abs. 2 Satz 1 bezeichneten Handelsgesellschaften, eingetragenen Genossenschaften und juristischen Personen, wenn Ausländer daran beteiligt sind, der Konsulargerichtsbarkeit nicht unterstehen. § 3. Die Militärgerichtsbarkeit wird durch dieses Gesetz nicht berührt. Zweiter Abschnitt.

Gerichtsverfassung. 8 4. Die Konsulargerichtsbezirke werden von dem Reichskanzler nach Ver­ nehmung des Ausschusses des Bundesrats für Handel und Verkehr bestimmt. 8 5* Die Konsulargerichtsbarkeit wird durch den Konsul (§ 2 des Gesetzes, betreffend die Organisation der Bundeskonsulate, vom 8. November 1867), durch das Konsulargericht und durch das Reichsgericht ausgeübt. 8 6. Der Konsul ist zur Ausübung der Gerichtsbarkeit befugt, wenn er dazu von dem Reichskanzler ermächtigt wird. Der Reichskanzler kann neben dem Konsul sowie an dessen Stelle einem anderen Beamten die dem Konsul bei der Ausübung der Gerichtsbarkeit ob­ liegenden Verrichtungen übertragen. 8 7. Der Konsul ist zuständig: 1. für die durch das Gerichtsverfassungsgesetz, die Prozeßordnungen und die Konkursordnung den Amtsgerichten zugewiesenen Sachen; 2. für die durch Reichsgesetze oder in Preußen geltende allgemeine Landes­ gesetze den Amtsgerichten übertragenen Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. 8 8. Das Konsulargericht besteht aus dem Konsul als Vorsitzendem und zwei Beisitzern.

195. Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit vom 7. April 1900. §§ 1—16. 873

In Strafsachen sind in der Hauptverhandlung vier Beisitzer zuzuziehen, wenn der Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens ein Verbrechen oder ein Vergehen zum Gegenstände hat, das weder zur Zuständigkeit der Schöffengerichte noch zu den in den §§ 74, 75 des Gerichtsverfassungsgesetzes bezeichneten Handlungen gehört. 8 9. Ist in bürgerlichen Reichtsstreitigkeiten die Zuziehung von zwei Bei­ sitzern nicht ausführbar, so tritt an die Stelle des Konsulargerichts der Konsul. Ist in Strafsachen die vorgeschriebene Zuziehung von vier Beisitzern nicht ausführbar, so genügt die Zuziehung von zwei Beisitzern. Die Gründe, aus denen die Zuziehung von Beisitzern nicht ausführbar war, müssen in dem Sitzungsprotokoll angegeben werden. tz 10. Das Konsulargericht ist zuständig: 1. für die durch das Gerichtsverfassungsgesetz und die Prozeßordnungen den Landgerichten in erster Instanz sowie den Schöffengerichten zugewiesenen Sachen; 2. für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der Be­ schwerde gegen die Entscheidungen des Konsuls in Strafsachen. 8 11. In den vor das Konsulargericht gehörenden Sachen steht den Beisitzern ein unbeschränktes Stimmrecht zu. In den im z 10 Nr. 1 bezeichneten Sachen nehmen die Beisitzer nur an der mündlichen Verhandlung und an den im Laufe oder auf Grund dieser Ver­ handlung ergehenden Entscheidungen Teil; die sonst erforderlichen Entschei­ dungen werden von dem Konsul erlassen. 8 12. Der Konsul ernennt für die Dauer eines jeden Geschäftsjahrs aus den achtbaren Gerichtseingesessenen oder in Ermangelung solcher aus sonstigen achtbaren Einwohnern seines Bezirkes vier Beisitzer und mindestens zwei Hilfs­ beisitzer. Die Gerichtseingesesseuen haben der an sie ergehenden Berufung Folge zu leisten; die §§ 53, 55, 56 des Gerichtsverfassungsgesetzes finden entsprechende Anwendung. 8 13. Die Beeidigung der Beisitzer erfolgt bei ihrer ersten Dienstleistung in öffentlicher Sitzung. Sie gilt für die Dauer des Geschäftsjahrs. Der Vor­ sitzende richtet an die zu Beeidigenden die Worte: „Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, die Pflichten eines Beisitzers des deutschen Kon­ sulargerichts getreulich zu erfüllen und Ihre Stimme nach bestem Wissen und Gewissen abzugeben." Die Beisitzer leisten den Eid, indem jeder einzeln, unter Erhebung der rechten Hand, die Worte spricht: „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe." Ist ein Beisitzer Mitglied einer Religionsgesellschaft, der das Gesetz den Gel­ brauch gewisser Beteuerungsformeln an Stelle des Eides gestattet, so wird die Abgabe einer Erklärung unter der Beteuerungsformel dieser Religionsgesell­ schaft der Eidesleistung gleichgeachtet. Über die Beeidigung ist ein Protokoll aufzunehmen. 8 14. Das Reichsgericht ist zuständig für die Verhandlung und endgültige Entscheidung über die Rechtsmittel 1. der Beschwerde und der Berufung in den vor dem Konsul oder dem Konsulargerichte verhandelten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und in Konkurssachen; 2. der Beschwerde und der Berufung gegen die Entscheidungen des Konsu­ largerichts in Strafsachen; 3. der Beschwerde gegen die Entscheidungen des Konsuls in den Angelegen­ heiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. 8 15. Eine Mitwirkung der Staatsanwaltschaft findet, soweit nicht in diesem Gesetz ein anderes vorgeschrieben ist, in den vor den Konsul oder das Konfulargericht gehörenden Sachen nicht statt. 8 16. Die Personen, welche die Verrichtungen der Gerichtsschreiber und der Gerichtsvollzieher sowie die Verrichtungen der Gerichtsdiener als Zustellungsbeamten auszuüben haben, werden von dem Konsul bestimmt. Sofern

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

diese Personen nicht bereits den Diensteid als Konsularbeamte geleistet haben, sino sie vor ihrem Amtsantritt auf die Erfüllung der Obliegenheiten des ihnen übertragenen Amtes eidlich zu verpflichten. Das Verzeichnis der Gerichtsvollzieher ist in der für konsularische Be­ kanntmachungen ortsüblichen Weise, jedenfalls durch Anheftung an die Gerichts­ tafel bekannt zu machen. 8 17. Die Personen, die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft zuzu­ lassen sind, werden von dem Konsul bestimmt. Die Zulassung ist widerruflich. Gegen eine Verfügung des Konsuls, durch die der Antrag einer Person auf Zulassung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft abgelehnt oder die Zu­ lassung zurückgenommen wird, findet Beschwerde an den Reichskanzler statt. Das Verzeichnis der zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft zugelassenen Personen ist in der für konsularische Bekanntmachungen ortsüblichen Weise, jedenfalls durch Anheftung an die Gerichtstafel bekannt zu machen. 8 18. Die Vorschriften der §§ 157 bis 169T) des Gerichtsverfassungs­ gesetzes und des § 2 des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der frei­ willigen Gerichtsbarkeit finden auf die Leistung der Rechtshilfe unter den bei der Ausübung der Konsulargerichtsbarkeit mitwirkenden Behörden sowie unter diesen Behörden und den Behörden im Reichsgebiet oder in den deutschen Schutzgebieten mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, daß für die im § 160 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes?) vorgesehene Entscheidung, sofern die Rechtshilfe von dem Konsul versagt oder gewährt wird, das Reichsgericht in erster und letzter Instanz zuständig ist.

Dritter Abschnitt. Allgemeine Vorschriften über das anzuwendeude Recht. 8 19. In den Konsulargerichtsbezirken gelten für die der Konsular­ gerichtsbarkeit unterworfenen Personen, soweit nicht in diesem Gesetz ein anderes vorgeschrieben ist: 1. die dem bürgerlichen Rechte angehörenden Vorschriften der Reichsgesetze und der daneben innerhalb Preußens im bisherigen Geltungsbereiche des preußischen Allgemeinen Landrechts in Kraft stehenden allgemeinen Gesetze sowie die Vorschriften der bezeichneten Gesetze über das Verfahren und die Kosten in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in Konkurssachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit; 2. die dem Strafrecht angehörenden Vorschriften der Reichsgesetze sowie die Vorschriften dieser Gesetze über das Verfahren und die Kosten in Straf­ sachen. 8 20. Die im § 19 erwähnten Vorschriften finden keine Anwendung, soweit sie Einrichtungen und Verhältnisse voraussetzen, an denen es für den Konsulargerichtsbezirk fehlt. Durch Kaiserliche Verordnung können die hiernach außer Anwendung bleibenden Vorschriften, soweit sie zu den im § 19 Nr. 1 erwähnten gehören, näher bezeichnet, auch andere Vorschriften an deren Stelle getroffen werden. 8 21. Durch Kaiserliche Verordnung können die Rechte an Grundstücken, das Bergwerkseigentum sowie die sonstigen Berechtigungen, für welche die sich auf Grundstücke beziehenden Vorschriften gelten, abweichend von den nach § 19 maßgebenden Vorschriften geregelt werden. 8 22. Durch Kaiserliche Verordnung kann bestimmt werden, inwieweit die Vorschriften der Gesetze über den Schutz von Werken der Literatur und Kunst, von Photographien, von Erfindungen, von Mustern und Modellen, von Gebrauchsmustern und Warenbezeichnungen in den Konsulargerichtsbezirken Anwendung finden oder außer Anwendung bleiben. 8 23 Soweit die im g 19 bezeichneten Gesetze landesherrliche Verord­ nungen oder landesherrliche Genehmigung vorsehen, treten an deren Stelle in den Konsulargerichtsbezirken Kaiserliche Verordnungen oder die Genehmigung des Kaisers.

1) Jetzt 88 156—168 GBG. 2) Jetzt 8 159 Abs. 1 GBG.

195. Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit vom 7. April 1900. §§ 17—29. 875 Die nach diesen Gesetzen im Berwaltungsstreitverfahren zu treffenden Entscheidungen werden für ine Konsulargerichtsbezirke in erster und letzter Instanz von dem Bundesrat erlassen. Soweit in diesen Gesetzen auf Anordnungen oder Verfügungen einer Landes-Zentralbehörde oder einer höheren Verwaltungsbehörde verwiesen wird, treten an deren Stelle in den Konsulargerichtsbezirken Anordnungen oder Verfügungen des Reichskanzlers oder der von diesem bezeichneten Behörde. Die nach diesen Gesetzen den Polizeibehörden zustehenden Befugnisse werden in den Konsulargerichtsbezirken von dem Konsul ausgeübt. Bis zum Erlasse der im Abs. 1 vorgesehenen Kaiserlichen Verordnungen sowie der im Abs. 3 vorgesehenen Anordnungen oder Verfügungen des Reichs­ kanzlers finden die innerhalb Preußens im bisherigen Geltungsbereiche des preußischen Allgemeinen Landrechts geltenden landesherrlichen Verordnungen sowie die dort geltenden Anordnungen und Verfügungen der Landes-Zentral­ behörden entsprechende Anwendung. § 24. Soweit nach den im § 19 bezeichneten Gesetzen dem Landesfiskus Rechte zustehen oder Verpflichtungen obliegen, tritt in den Konsulargerichts­ bezirken an dessen Stelle der Reichsfiskus. Diese Vorschrift findet keine An­ wendung auf die Rechte und Verpflichtungen, die für den Landesfiskus mit Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit eines Beteiligten begründet sind. Geldstrafen fließen zur Reichskasse. Durch Kaiserliche Verordnung kann bestimmt werden, daß die wegen Zuwiderhandlung gegen einzelne Gesetze oder Verordnungen verhängten Geldstrafen einem anderen Berechtigten zufallen. 8 25. Die Rechtsverhältnisse der Schntzgenossen, die keinem Staate an­ gehören, werden, soweit dafür die Staatsangehörigkeit in Betracht kommt, nach den Vorschriften beurteilt, die für die keinem Bundesstaate angehörenden Deutschen gelten. Die Rechtsverhältnisse der Schutzgenossen, die einem fremden Staate ange­ hören, werden, soweit dafür die Staatsangehörigkeit in Betracht kommt, nach den für Ausländer geltenden Vorschriften beurteilt. 8 26. Durch Kaiserliche Verordnung kann bestimmt werden, inwieweit die Konsulargerichtsbezirke im Sinne der in den §§ 19, 22 bezeichneten Gesetze als deutsches Gebiet oder Inland oder als Ausland anzusehen sind. § 27. Soweit die nach § 19 zur Anwendung kommenden Gesetze auf die an einem ausländischen Orte geltenden Vorschriften Bezug nehmen, sind hierunter, falls es sich um einen Ort innerhalb eines Konsulargerichtsbezirkes und um die Rechtsverhältnisse einer der Konsulargerichtsbarkeit unterworfenen Person handelt, die deutschen Gesetze zu verstehen. Durch Kaiserliche Verordnung kann bestimmt werden, inwieweit in einem Konsulargerichtsbezirke die von der dortigen Staatsgewalt erlassenen Vor­ schriften neben den deutschen Gesetzen als Gesetze des Ortes anzusehen sind. 8 28. Zustellungen an die der Konsulargerichtsbarkeit unterworfenen Personen erfolgen im Konsulargerichtsbezirke, sofern sie entweder in einer in diesem Bezirke vor den Konsul oder das Konfulargericht gehörenden Sache oder in nicht gerichtlichen Rechtsangelegenheiten auf Betreiben einer in dem Bezirke befindlichen Person zu geschehen haben, nach den Vorschriften über Zustellungen im Jnlande. Falls die Befolgung dieser Vorschriften mit Schwierigkeiten verbunden ist, kann die Zustellung durch den Konsul nach den Vorschriften über Zustellungen im Auslande mit der Maßgabe bewirkt werden, daß an die Stelle des Ersuchens bei Zustellungen auf Betreiben der Beteiligten deren Antrag und bei Zustellungen von Amts wegen die Anzeige des Gerichts-, schreibers tritt. Im übrigen erfolgen Zustellungen im Konsulargerichtsbezirk an die der Konsulargerichtsbarkeit unterworefnen Personen nach den Vorschriften über Zustellungen im Ausland, und zwar in gerichtlichen Angelegenheiten mittels Ersuchens des Konsuls und in nicht gerichtlichen Rechtsangelegenheiten auf einen von den Beteiligten an ihn zu richtenden Antrag. § 29. Die Einrückung einer öffentlichen Bekanntmachung in den Deutschen Reichsanzeiger ist nicht erforderlich, sofern daneben eine andere

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

Art der Veröffentlichung vorgeschrieben ist Der Reichsanzeiger kann Aus­ nahmen von dieser Vorschrift anordnen Der Reichskanzler kann bestimmen, daß an die Stelle der Einrückung einer öffentlichen Bekanntmachung in den Deutschen Reichsanzeiger eine andere Art der 'Veröffentlichung tritt § 30» Neue Gesetze erlangen in den Konsulargerichtsbezirken, die in Europa, in Ägypten oder an der asiatischen Küste des Schwarzen oder Mittel­ ländischen Meeres liegen, mit dem Ablaufe von zwei Monaten, in den üb­ rigen Konsulargerichtsbezirkeu mit dem Ablaufe von vier Monaten nach dem Tage, an dem das betreffende Stück des Reichs-Gesetzblatts oder der Preußichen Gesetz-Sammlung in Berlin ausgegeben worden ist, verbindliche Kraft, öweit nicht für das Inkrafttreten ein späterer Zeitpunkt festgesetzt ist oder für )ie Konsulargerichtsbezirke reichsgesetzlich ein anderes vorgeschrieben wird.

Vierter Abschnitt. Besondere Vorschriften über das bürgerliche Recht. 88 31-40.

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Fünfter Abschnitt

Besondere Vorschriften über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in Konknrssachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. 88 41-48. Sechster Abschnitt

Besondere Vorschriften über das Strafrecht. 8 49. In den Konsulargerichtsbezirken finden die von der dortigen Staatsgewalt erlassenen Strafgesetze soweit Anwendung, als dies durch Her­ kommen oder durch Staatsverträge bestimmt ist. 8 50. Durch Kaiserliche Verordnung kann bestimmt werden, inwieweit in den Konsulargerichtsbezirken die strafrechtlichen Vorschriften der allgemeinen Gesetze Anwendung finden, die innerhalb Preußens im bisherigen Geltungs­ bereiche des preußischen Allgemeinen Landrechts in Kraft stehen. 8 51. Der Konsul ist befugt, für seinen Gerichtsbezirk oder einen Teil des Bezirkes polizeiliche Vorschriften mit verbindlicher Kraft für die seiner Gerichtsbarkeit unterworfenen Personen zu erlassen und deren Nichtbefolgung mit Haft, Geldstrafe bis zum Betrage von eintausend Mark und Einziehung einzelner Gegenstände zu bedrohen Diese Vorschriften sind sofort in Abschrift dem Reichskanzler mitzuteilen. Der Reichskanzler ist befugt, die von dem Konsul erlassenen polizeilichen Vorschriften .aufzuheben Die Verkündung der polizeilichen Vorschriften sowie die Verkündung ihrer Aufhebung erfolgt in der für konsularische Bekanntmachungen ortsüblichen Weise, jedenfalls durch Anheftung an die Gerichtstafel. Siebenter Abschnitt. Besondere Vorschriften über das Verfahren in Strafsachen.

8 52. Der Konsul übt in Strafsachen die Verrichtungen des Amtsrichters und des Vorsitzenden der Strafkammer aus. 8 53. Die Zustellungen, die Ladungen, die Vollstreckung von Beschlüssen und Verfügungen sowie die Strafvollstreckung werden durch den Konsul ver­ anlaßt. 8 54. Im vorbereitenden Verfahren ist die Beeidigung eines Zeugen oder Sachverständigen auch in den im § 65 Abs 21) der Strafprozeßordnung bezeichneten Fällen zulässig. i) Jetzt § 66 Abs. 2 StPO.

195. Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit vom 7. April 1900. §§ 30—68. 877 Die Vorschriften des § 126 der Strafprozeßordnung finden keine An­ wendung. 8 55. Erhält der Konsul von dem Verdacht eines zur Zuständigkeit des Reichsgerichts oder der Schwurgerichte gehörenden Verbrechens Kenntnis, so hat er die zur Strafverfolgung erforderlichen Sicherheitsmaßregeln zu treffen sowie die Untersuchungshandlungen, in Ansehung deren Gefahr im Verzug obwaltet oder die Voraussetzungen des § 65 Abs. 21)* der Strafprozeßordnung zutreffen, vorzunehmen und demnächst die Akten der Staatsanwaltschaft bei dem zuständigen deutschen Gericht, in Ermangelung eines solchen dem OberReichsanwalte zu übersenden. Im letzteren Falle wird das zuständige Gericht von dem Reichsgerichte bestimmt. 8 56. Gehört die strafbare Handlung zur Zuständigkeit des Konsular­ gerichts oder des Konsuls, so ist an Stelle der Staatsanwaltschaft der Konsul, zum Einschreiten berufen. Er stellt insbesondere die der Staatsanwaltschaft im vorbereitenden Verfahren obliegenden Ermittelungen an. 8 57. Eine Voruntersuchung findet nicht statt. 8 58. An die Stelle der öffentlichen Klage tritt in den Fällen, in denen nicht sofort das Hauptverfahren eröffnet wird, die Verfügung des Konsuls über die Einleitung des Strafverfahrens gegen den Beschuldigten. Diese Ver­ fügung hat die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Tat unter Hervorhebung ibrer gesetzlichen Merkmale und des anzuwendenden Strafgesetzes zu bezeichnen. Der Beschluß, durch den das Hauptverfahren eröffnet wird, hat auch die Beweismittel anzugeben. 8 59. Die Vorschrift des § 232 2) der Strafprozeßordnung findet auch'dann Anwendung, wenn nach dem Ermessen des Gerichts die zu erwartende Frei­ heitsstrafe nicht mehr als sechs Monate beträgt. § 69. Den Umfang der Beweisaufnahme bestimmt das Gericht, ohne hierbei durch Anträge, Verzichte oder frühere Beschlüsse gebunden zu sein. 8 61. In das Protokoll über die Hauptverhandlung sind Die. wesent­ lichen Ergebnisse der Vernehmungen aufzunehmen. 8 62. In den Fällen der §§ 45, 4493) der Strafprozeßordnung beträgt die Frist zwei Wochen. 8 63. Gegen die wegen Übertretungen erlassenen Entscheidungen ist, so­ fern eine Verurteilung auf Grund des § 361 Nr. 3 bis 8 des Strafgesetzbuchs erfolgt oder nur auf Geldstrafe oder auf Geldstrafe und Einziehung erkannt wird, ein Rechtsmittel nicht zulässig. Im übrigen findet in Strafsachen gegen die Urteile des Konsulargerichts das Rechtsmittel der Berufung statt. 8 64. Auf Beschwerden gegen Entscheidungen des Konsuls findet die Vorschrift des § 23 Abs. 1 der Strafprozeßordnung keine Anwendung. In den Fällen des § 3534) der Strafprozeßordnung ist der Konsnl zur Abänderung seiner durch Beschwerde angefochtenen Entscheidung befugt. 8 65. Die der Staatsanwaltschaft zustehenden Rechtsmittel können gegen die Entscheidungen des Konsulargerichts von dem Konsul eingelegt werden. 8 66. In den Fällen der §§353, 355, 358, 3605) der Strafprozeßordnung beträgt die Frist zwei Wochen. 8 67. Die Frist zur Anfechtung einer Entscheidung beginnt für den Nebenkläger im Falle des § 4396) der Strafprozeßordnung mit der Bekannt­ machung der Entscheidung an den Beschuldigten. 8 68. Der Konsul kann Zeugen und Sachverständige, die zur Recht­ fertigung der Berufung benannt sind, vernehmen und beeidigen, wenn die Voraussetzungen des § 65 Abs. 21) der Strafprozeßordnung vorliegen. Die Protokolle über die Vernehmungen sind dem Ober-Reichsanwalte zu übersenden.

2) 3) 4) 5) 6)

Jetzt Jetzt Jetzt Jetzt Jetzt Jetzt

§ 66 Abs. 2 StPO. § 233 StPO. § 409 StPO. § 311 StPO. §§ 311, 314, 317, 319 StPO. § 399 StPO.

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Zweiter Teil.

Strafprozeßgesetze.

Die Vorschriften des § 223 und des § 250 Abs. 2 der Strafprozeßordnung *) finden entsprechende Anwendung. 8 69* Der Angeklagte kann in der Hauptverhandlung vor dem Be­ rufungsgericht erscheinen oder sich durch einen mit schriftlicher Vollmacht ver­ sehenen Verteidiger vertreten lassen. Der nicht auf freiem Fuße befindliche Angeklagte hat keinen Anspruch auf Anwesenheit. Soweit der Angeklagte die Berufung eingelegt hat, ist über diese auch dann zu verhandeln, wenn weder der Angeklagte noch em Vertreter für ihn erschienen ist. 8 79. Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil geschlos­ senen Verfahrens kann von Amts wegen erfolgen. 8 71. Das Gesetz, betreffend die Entschädigung der im Wiederaufnahme­ verfahren freigesprochenen Personen, vom 20. Mai 1898 (Reichs-Gesetzbl. S. 345) findet mit folgenden Maßgaben Anwendung. An die Stelle der Staatsanwaltschaft des Landgerichts tritt der Konsul. Die im § 5 Abs. 3 vorgesehene Ausschlußfrist beträgt sechs Monate. Für die Ansprüche auf Entschädigung ist das Reichsgericht in erster und letzter Instanz zuständig. 8 72. In Strafsachen, in denen der Konsul oder das Konsulargericht in erster Instanz erkannt hat, steht das Begnadigungsrecht dem Kaiser zu

Achter Abschnitt. Besondere Vorschriften über die Kosten. 8 73. Die Gebühren der Gerichte und der Gerichtsvollzieher in den Konsulargerichtsbezirken werden im doppelten Betrage der Sätze erhoben, die in den nach § 19 maßgebenden Vorschriften bestimmt sind. Die Gebühr für eine Zustellung in den Konsulargerichtsbezirken nach den Vorschriften über Zustellungen im Auslande beträgt drei Mark. Die den Gerichtsbeamten und Gerichtsvollziehern zustehenden Tagegelder und Reisekosten werden, soweit es sich um Konsularbeamte handelt, nach Maß­ gabe der für diese geltenden Vorschriften erhoben. 8 74 Die Erhebung und Beitreibung der Kosten wird durch den Konsul veranlaßt. Die Regelung des Beitreibungsverfahrens erfolgt im Anschluß an die Vor­ schriften der Zivilprozeßordnung durch Anordnung des Reichskanzlers. 8 75. Die bei der Ausübung der Konsulargerichtsbarkeit mitwirkenden Behörden haben einander zum Zwecke der Erhebung und Beitreibung der Kosten Beistand zu leisten. Das gleiche gilt für die Beistandsleistung unter diesen Behörden und den Behörden im Reichsgebiet oder in den deutschen Schutzgebieten. Dabei finden die gemäß K 99 des Gerichtskostengesetzesi) 2) (Reichs-Gesetzbl. 1898 S. 659) er­ lassenen Vorschriften über den zum Zwecke der Einziehung von Gerichtskosten unter den Bundesstaaten zu leistenden Beistand entsprechende Anwendung. 8 76. Soweit die Gebühren der Rechtsanwälte durch Ortsgebrauch ge­ regelt sind, kommt dieser zunächst zur Anwendung.

Neunter Abschnitt. Schlußbestirnmungen. 8 77. Die irn z 2 bezeichneten Personen können nach den in Gemäßheit dieses Gesetzes in den Konsulargerichtsbezirken Anwendung findenden straf­ rechtlichen Vorschriften wegen eines Verbrechens oder Vergehens auch dann verfolgt werden, wenn sie die Handlung in einem Gebiete begangen haben, das keiner Staatsgewalt unterworfen ist. .... Im übrigen können durch Kaiserliche Verordnung die in Gemäßheit dieses Gesetzes in den Konsulargerichtsbezirken geltenden Vorschriften in Gebieten der im Abs. 1 bezeichneten Art ganz oder teilweise für anwendbar erklärt werden. i) Jetzt §§ 224, 251 Abs. 2 StPO, r) Jetzt § 91 GKG.

195. Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit vom 7. April 1900. §§ 69—80.

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Soweit hiernach die Vorschriften über die Ausübung der Gerichtsbarkeit Gel­ tung erlangen, ist der Reichskanzler befugt, an Stelle des Konsuls einen anderen Beamten zur Wahrnehmung der Gerichtsbarkeit zu ermächtigen,- auch können als Gerichtsbeisitzer Personen zugezogen werden, die nicht Eingesessene oder Ein­ wohner des Gerichtsbezirkes sind. 8 78. Dieses Gesetz tritt an einem durch Kaiserliche Verordnung festzu­ setzenden Tage in Kraft. 8 79. Soweit in Reichsgesetzen oder in Lairdesgesetzen auf Vorschriften des Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit vom 10. Juli 1879 verwiesen ist, treten die entsprechenden Vorschriften dieses Gesetzes an deren Stelle. 8 80. Der Reichskanzler hat die zur Ausführung des Gesetzes erforder­ lichen Anordnungen zu erlassen.

Anhang. Achtriige und Änderungen. I. Reichsabgabenordnung. (f. o. S. 128 ff.)

1. Gesetz zur Änderung von Verbrauchssteuern. Vom 10. August 1925.

(RGBl. I S. 248.)

Art. VI. Die Reichsabgabenordnung wird wie folgt geändert: 3. Hinter dem § 357 wird folgender § 357 a eingefügt:

„8 357 a. Mit Genehmigung des Finanzamts können Betriebsinhaber, die derr Betrieb nicht selbst leiten, für die Verbrauchssteuern die strafrechtliche Verantwortlichkeit auf den Betriebsleiter (§ 193) übertragen. Durch die Über­ tragung wird die im § 381 vorgesehene Haftung des Betriebsinhabers nicht berührt. Das Finanzamt kann die Genehmigung jederzeit widerrufen."

2. Verordnung zur Anpassung des Steuerstrafrechts an die Vorschriften des Allgemeinen Strafrechts (Anpaffungsverordnung). Vom 20. November 1925.

1. 2.

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6.

7. 8.

(RGBl. I S. 389.) Die Reichsabgabenordnung wird wie folgt geändert: Im § 365 Abs. 2 werden die Worte: „von zwanzig bis dreihunderttausend Mark" ersetzt durch die Worte: „bis zu einhunderttausend Reichsmark". Der § 371 erhält folgende Fassung: „C1) Wer dem § 165 Abs. 1 zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bestraft. „(2) Wird die Absicht der Steuerhinterziehung festgestellt, so kann neben der Geldstrafe ganz oder teilweise auf Einziehung der Vermögenswerte erkannt werden, auf die sich die Steuerzuwiderhandlung bezieht." Jnr § 372 werden die Zahl „189" und die Worte: „bis zu zehntausend Mark" gestrichen. Im § 375 werden die Worte: „mit einer Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark" ersetzt durch die Worte: „mit Geldstrafe". Im § 376 werden a) im Abs. 1 die Worte: „bis zu dreitausend Mark" gestrichen; b) im Abs. 2 die Worte: „auf Geldstrafe bis zu dreißigtausend Mark und statt ihrer" ersetzt durch die Worte: „statt der Geldstrafe". Im § 377 a) werden im Abs. 1 Satz 1 die Worte: „von fünf bis fünfhundert Mark" ersetzt durch die Worte: „bis zu zehntausend Reichsmark"; b) wird Abs. 2 gestrichen. Der § 378 wird gestrichen. Im § 383 wird der Abs. 4 gestrichen.

Gesetz über die Ablösung öffentlicher Anleihen vom 16. Juli 1925.

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II. Gesetze bete, den Geldverkehr. (f. o

S. 212 ff.)

1. Gesetz über den Schutz des zur Anfertigung von Schuld­ urkunden des Reichs nnd der Länder verwendeten Pa­ piers gegen unbefugte Nachahmung. Bom 3. Juli 1925. (RGBl I S 93.) 8 1 Papier, das dem zur Herstellung von Schuldurkunden des Reichs oder der Länder verwendeten, durch äußere Merkmale erkennbar gemachten Papier hinsichtlich dieser Merkmale gleich oder so ähnlich ist, daß die Ber-* schiedenheit nur durch Anwendung besonderer Aufmerksamkeit wahrgenommen werden kann, darf, nachdem die Merkmale öffentlich bekanntgemacht worden sind, ohne besondere Erlaubnis weder angefertigt oder aus dem Ausland eingeführt, noch verkauft, feilgehalten oder sonst in Verkehr gebracht werden Die Erlaubnis wird für das Reich von dem Reichsminister der Finanzen oder einer von ihm ermächtigten Behörde, für die Länder von den obersten Landes­ behörden erteilt 8 2. Wer den Bestimmungen int § 1 vorsätzlich zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und, wenn die Handlung zum Zwecke eines Münzverbrechens begangen worden ist, mit Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren bestraft. Ist die Handlung aus Fahrlässigkeit begangen worden, so ist auf Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten zu erkennen 8 3. Neben der Strafe ist auf Einziehung des Papiers zu erkennen, ohne Unterschied, ob es dem Verurteilten gehört oder nicht Auf die Einziehung des Papiers ist auch dann zu erkennen, wenn die Verfolgung oder die Ver­ urteilung einer bestimmten Person nicht stattfindet. 8 4. Dieses Gesetz tritt mit dem auf die Verkündung folgenden Tage in Kraft.

2. Gesetz über die Ablösung öffentlicher Anleihen. Bom 16

Juli 1925

(RGBl I S. 137.) Erster Teil.

Die Ablösung der Markanleiheu de» Reichs. Erster Abschnitt. Die Anleiheablösungsschuld des Deutschen Reichs. § 1. C1) Die Markanleihen des Reichs werden, soweit dieses Gesetz nicht ein anderes bestimmt, in die Anleiheablösungsschuld des Deutschen Reichs um­ getauscht. (2) Ansprüche aus Markanleihen des Reiches bestehen nur nach Maßgabe dieses Gesetzes. § 2. Markanleihen des Reichs im Sinne dieses Gesetzes sind: 1. die auf Mark lautenden Schuldverschreibungen, Buchschulden und Schatz­ anweisungen des Deutschen Reiches; 2. solche Schulden der Länder, die das Reich im Zusammenhänge mit dem Übergange der Staatseisenbahnen übernommen hat (Gesetz vom 29. Juli 1922 — Reichsgesetzbl. II S. 693 —); SNlfeld, Strafgesetzgebung.

3. Aufl.

66

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Anhang.

3. die Schulden, die der Reichsminister der Finanzen mit Zustimmung des Reichsrats zu Markanleihen des Reichs erklärt. 8 3. Ausgeschlossen von dem Umtausch sind: 1. die Schuldverschreibungen der Zwangsanleihe (Gesetz vom 20. Juli 1922 — Reichsgesetzbl. I S. 601 —); 2. die unverzinslichen Schatzanweisungen des Deutschen Reichs, soweit sie nicht für Kriegsschäden im Entschädigungsverfahren ausgegeben sind; 3. die Reichskassenscheine (Gesetze vom 30. April 1874 — Reichsgesetzbl. S. 40 —, vom 3. Juli 1913 — Reichsgesetzbl. S. 521 — und vom 22. März 1915 — Reichsgesetzbl. S. 179 — ); 4. die Darlehenskassenscheine (Gesetz vom 4. August 1914 — Reichsgesetzbl. S. 340 — und Verordnung des Oberbefehlshabers Ost vom 16. Januar 1918^— Befehls- und Verordnungsblatt des Oberbefehlshabers Ost

Aus diesen Schuldansprüchen können Ansprüche nicht hergeleitet werden. 8 4. (i) Die Anleiheablösungsschuld lautet auf Reichsmark. Sie kann von den Gläubigern nicht gekündigt werden. (9) Eine Verzinsung der Anleiheablösungsschuld kann bis zum Erlöschen der Reparationsverpflichtungen nicht gefordert werden. Das Erlöschen der Reparationsverpflichtungen wird durch Gesetz festgestellt. (3) Auf hie Anleiheablösungsschuld finden die Vorschriften der Reichs­ schuldenordnung über Schuldverschreibungen Anwendung. Die Schuldverschrei­ bungen der Anleiheablösungsschuld können in Buchschulden des Reiches umge­ wandelt werden. 8 5. (1) Je 1500 Mark Nennbetrag der Sparprämienanleihe, je 16 700 000 Mark Nennbetrag der 8- bis 15 Prozentigen Schatzanweisungen K 1923, je 50 Milliarden Mark Nennbetrag der 8- bis 15 prozentigen Schätzung Weisungen K 1924, je 1000 Goldmark der im Entschädigungsverfahren für Kriegsschäden aus­ gegebenen unverzinslichen Schatzanweisungen, je 1000 Mark Nennbetrag der übrigen Markanleihen des Reichs werden in 25 Reichsmark Nennbetrag der Anleiheablösungsschuld umgetauscht. (2) Ein Anspruch auf den Umtausch besteht nur, soweit Anleiheablösungs ­ schuld im Nennbeträge von 12,50 Reichsmark oder einem Vielfachen davon zu gewähren ist. (3) Der Goldmarkbetrag der im Entschädigungsverfahren für KriegsschLden ausgegebenen unverzinslichen Schatzanweisungen wird dadurch festgestellt, daß ihr Nennbetrag nach Maßgabe des Wertverhältnisses umgerechnet wird, das in der Anlage zu dem Aufwertungsgesetz vom 16. Juli 1925 (Reichsgesetzbl. I S. 117) für den Tag der Ausstellung bestimmt ist. (4) Soweit Markanleihen auf eine frühere Landeswährung lauten, ist ihr Nennbetrag der Markbetrag, der ihrem Nennwert nach § 15 des Münzgesetzes vom 1. Juni 1909 (Reichsgesetzbl. S. 507) entspricht. (5) Für Schuldbuchforderungen der Markanleihen kann, soweit ihr Betrag durch 500 nicht teilbar ist, die Ausreichung von Schuldverschreibungen solcher Anleihen verlangt werden. Statt der Schuldverschreibungen können Ersatzurkun­ den ausgestellt werden. 8 6. Der Anspruch auf den Umtausch der Markanleihen ist durch Anmel­ dung innnerhalb einer Ausschlußfrist geltend zu machen. Der Anmeldung sind die ausgestellten Schuldurkunden der umzutauschenden Anleihen beizufügen. Der Reichsminister der Finanzen bestimmt die Ausschlußfrist und die Anmeldungs stellen. 8 7. Insoweit dingliche Rechte Dritter oder Verfügungsbeschränkungen in bezug auf einzelne Schuldurkunden oder Schuldbuchforderungen der Mark­ anleihen bestehen, treten die für sie ausgegebenen Schuldverschreibungen oder die für sie eingetragenen Schuldbuchforderungen der Anleiheablösungsschuld an ihre Stelle. >

Gesetz über die Ablösung öffentlicher Anleihen vom 16. Juli 1925.

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Zweiter Ab schnitt.

Die Rechte der Anleihealtbefitzer. 1. Titel: All gemeine Borfchriften.

§ 8. Wer Anleiheablösungsschuld im Umtausch gegen Altbesitzanleihen (§§ 9—11) erhält (Anleihealtbesitzer), hat nach näherer Bestimmung dieses Gesetzes 1. das Recht, an der Tilgung der Anleiheablösungsschuld teilzunehmen (Auslosungsrecht) (§§ 12—17), 2. das Recht aus die Vorzugsrente (§§ 18—26). § 9. Altbesitzanleihen sind Markanleihen des Reichs, die der Gläubiger nachweislich vor dem 1. Juli 1920 erworben hat und die ihm von dem Erlverbe bis zur Anmeldung ununterbrochen gehört haben.

§ IO* (i) Markanleihen gelten als vor dem 1. Juli 1920 erworben, 1. wenn sie der Gläubiger nach dem 30. Juni 1920 von einer Bank, einem Bankier, einer Sparkasse oder einer Versicherungsgesellschaft in Erfüllung eines vor dem 1. Juli 1920 begründeten Anspruchs erworben hat, 2. wenn sie dem Gläubiger eine Bank nach dem 30. Juni 1920 in Erfüllung eines darlehnsartigen Berwahrungsvertrags übereignet hat, sofern der Gläubiger der Bank früher auf Grund des gleichen Vertrags das Eigentum an Markanleihen übertragen hat, die er vor dem 1. Juli 1920 erworben hatte, und er gegen sie einen Anspruch auf Markanleihen gleicher Art und gleichen Betrags von dieser Übertragung bis zum Erwerbe der umzu­ tauschenden Anleihen ununterbrochen gehabt hat- der Bank steht ein Bankier oder eine Sparkasse gleich, 3. wenn sie nach dem 30. Juni 1920 in das Schuldbuch eingetragen sind, ihre Eintragung aber der Gläubiger vor dem 1. Juli 1920 beantragt hat, 4. wenn sie der Gläubiger bei einer Umwandlung von Schuldverschreibungen in Schuldbuchforderungen oder von Schuldbuchforderungen in Schuldver­ schreibungen nach dem 30. Juni 1920 erworben hat, sofern ihm die umge­ wandelten Schuldverschreibungen oder Schuldbuchforderungen vom 1. Juli 1920 an bis zur Umwandlung ununterbrochen gehört haben, 5. wenn sie der Gläubiger von Todes wegen, durch Gütergemeinschaft, bei Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft oder einer Gütergemeinschaft, als Ausstattung, mit Rücksicht auf ein künftiges gesetzliches Erbrecht, als Geschäftsherr von einem Treuhänder oder durch Übertragung eines Ver­ mögens als Ganzes nach dem 30. Juni 1920, der Erblasser oder der son­ stige Rechtsvorgänger aber vor dem 1. Juli 1920 erworben hat und sie diesem bis zum Rechtsübergang ununterbrochen gehört haben, 6. wenn sie der Gläubiger im Tausche gegen Markanleiheu, die er vor dem 1. Juli 1920 erworben hat, nach dem 30. Juni 1920 von einer Behörde oder von der Reichsanleihe Aktiengesellschaft erlangt hat, 7. wenn sie dem Gläubiger zur Erstattung von Steuern, die er mit Mark­ anleihen entrichtet hatte, nach dem 1. Juli 1920 übereignet worden sind. (2) Der Reichsminister der Finanzen wird ermächtigt, andere Arten des Erwerbes von Markanleihen nach dem 30. Juni 1920 einem vor dem 1. Juli 1920 vollzogenen Erwerbe gleichzusetzen. § 11. (1) Markanleihen, die nicht gemäß den Vorschriften der §§ 9 und 10 Altbesitzanleihen sind, gelten, wenn sie der Gläubiger vor dem 1. Juli 1923 auf Grund gesetzlichen Zwangs zur mündelsicheren Anlage erworben hat und sie ihm von diesem Erwerbe bis zur Anmeldung ununterbrochen gehört haben, als Altbesitzanleihen in Höhe des doppelten Goldmarkbetrags ihres Erwerbs­ preises, soweit dieser Betrag durch 500 teilbar ist. Die Vorschriften des § 10 finden entsprechende Anwendung. Der Goldmarkbetrag wird dadurch festgestellt, daß der Erwerbspreis nach Maßgabe des Wertverhältnisses umgerechnet wird, das in der Anlage zu dem Aufwertungsgesetze vom 16. Juli 1925 für den Tag des Erwerbes bestimmt ist; ist ein Umrechnungsverhältnis für Diesen Tag nicht bestimmt, so ist das letzte vorhergehende Umrechnungsverhältnis maßgebend. 56*

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Anhang.

(2) Bei einer ausschließlich gemeinnützigen, mildtätigen, ethischen oder reli­ giösen Zwecken dienenden inländischen Anstalt, Stiftung, Körperschaft oder son­ stigen Personenvereinigung oder Vermögensmasse steht dem gesetzlichen Zwange der Zwang durch die Vorschriften der Satzung oder der sonstigen Verfassung gleich. 2. Titel: Das Auslosungsrecht.

§ 12. G) Das Auslosungsrecht (§ 8) ist dem Anleihealtbesitzer auf Antrag in Höhe eines bestimmten Nennbetrags zu gewähren. Der Nennbetrag ist der Betrag der Anleiheablösungsschuld, ben der Anleihealtbesitzer im Umtausch gegen seine Altbesitzanleihen erhält, soweit ihr NennbetraL durcb 500, bei der Spar­ prämienanleihe durch 750 teilbar ist. Erhält jedoch eine natürliche Person für ihre Altbesitzanleihen mehr als 12500 Reichsmark Nennbetrag der Anleihe­ ablösungsschuld, so sind ihr für die ersten 25 000 Reichsmark des Mehrbetrags auf je 2000 Reichsmark, für die nächsten 25 000 Reichsmark aus je 3000 Reichs­ mark, für die weiteren Beträge auf je 4000 Reichsmark der Anleiheablösungs­ schuld Auslosungsrechte im Nennbeträge von nur 1000 Reichsmark zu gewähren. Hat sie nachweislich zum Zwecke der Zeichnung von Schuldverschreibungen, Schatzanweisungen oder Schuldbuchforderungen der Kriegsanleihen des Reiches eine Verbindlichkeit begründet, die der Aufwertung unterliegt, so gilt als Mehre­ betrag höchstens die Summe, um die der Gesamtbetrag ihrer Anleiheablösungs­ schuld den Aufwertungsbetrag der Verbindlichkeit übersteigt. (2) In den Fällen des § 11 ist der Nennbetrag des Auslosungsrechts 21/2 vom Hundert des Betrags, zu dem die Markanleihen als Altbesitzanleihen gelten. Abs. 1, Satz 3 und 4 finden entsprechende Anwendung. .(3) Der Antrag auf Gewährung eines Auslosungsrechts kann nur inner­ halb der Frist gestellt werden, die der Reichsminister der Finanzen bestimmt. § 13. G) Die Anleiheablösungsschuld wird bis zur Höhe des Gesamt­ betrags der Auslosungsrechte getilgt. Die Tilgung wird in 30 Jahren durch­ geführt, sie beginnt im Jahre 1926. (2) Die Tilgung wird durch Ziehung von Auslosungsrechten und durch deren Einlösung vollzogen. Wer ein Auslosungsrecht einlost, hat in Höhe seines Nennbetrags Anleiheablösungsschuld abzuliefern. § 14. G) Ein gezogenes Auslosungsrecht wird durch Barzahlung des fünf­ fachen seines Nennbetrags eingelöst. Der Einlösungsbetrag ist mit jährlich 4i/2 vom Hundert vom 1. Januar 1926 an bis zum Ende des Jahres, in dem das Auslosungsrecht gezogen wird, zu verzinsen- die Zinsen sind bei der Einlösung zu zahlen. (2) Die Einlösung kann am Ende des Jahres verlangt werden, in dem das Auslosungsrecht gezogen wird. § 15. Für die Einlösung der Auslosungsrechte ist jährlich ein gleicher Be­ trag in dem Reichshaushaltplan einzusetzen. Die Beträge sind einem Tilgungs­ fonds zuzuführen. Soweit der Inhalt des Tilgungsfonds nach dem Tilgungs­ plan erst in späteren Rechnungsjahren zu verausgaben ist, ist er verzinslich anzulegen. Die dem Tilgungsfonds zuzuführenden Beträge sind so zu bemessen, daß sie unter Hinzurechnung der Zinseinnahmen, die bei einem Zinssatz frort 6 front Hundert zu erzielen sind, den gesamten Tilgungsaufwand erreichen. 8 16. G) Die Auslosungsrechte sind selbständig veräußerlich. (2) Dingliche Rechte Dritter oder Verfügungsbeschränkungen, die gemäß 8 7 in bezug auf Schuldverschreibungen oder Schuldbuchforderungen der An­ leiheablösungsschuld entstehen, erstrecken sich auch aus die Auslosungsrechte, die auf Grund dieser Schuldverschreibungen oder Schuldbuchforderungen gewährt werden. § 17. G) Über die Auslosungsrechte werden auf den Inhaber lautende Auslosungsscheine ausgestellt. Auf die Auslosungsscheine finden die Vorschriften über Schuldverschreibungen auf den Inhaber sowie die Vorschriften der Reichs­ schuldenordnung über Schuldverschreibungen Anwendung. (2) Der Gläubiger kann unter Verzicht auf einen Auslosungsschein oder gegen Ablieferung eines zum Umlauf brauchbaren Auslosungsscheins die Ein­ tragung seines Auslosungsrechts in das Reichsschuldbuch verlangen, sofern ein

Gesetz über die Ablösung öffentlicher Anleihen vom 16. Juli 1925.

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drnt Betrage des Auslosungsrechts entsprechender Nennbetrag der Anleiheablssungsschuld für ihn im Reichsschuldbuch eingetragen ist. Über ein eingetragenes AÜslosungsrecht und über den entsprechenden Nennbetrag der Anleiheablösungs­ schuld kann nur einheitlich verfügt werden. 3. Titel: Die Vorzugsrente. Die Wohlfahrtsrente. 8 18. (i) Einem bedürftigen (§ 19), im Inland wohnenden deutschen Reichsangehörigen ist auf Antrag eine Vorzugsrente zu gewähren, wenn ihm ein Auslosungsrecht zusteht, das er a) als Anleihealtbesitzer oder b) als Rechtsnachfolger seines verstorbenen Ehegatten oder eines verstorbenen Verwandten ersten Grades, dem das Auslosungsrecht als Anleihen ltbesrtzer gewährt worden ist, erlangr 'hat. Hat er das Auslosungsrecht von seinem Vater oder von seiner Mutter erlangt, so ist ihm die Vorzugsrente nur zu gewähren, solange er nicht volljährig ist, es sei denn, daß er wegen geistiger oder körperlicher Gebrecl>en dauernd erwerbsunfähig ist. (2) Der Reichsminister der Finanzen wird ermächtigt, in besonders be­ gründeten Fällen eine Vorzugsrente auch dann zu gewähren, wenn einzelne» Voraussetzungen des Abs. 1 nicht gegeben sind (3) Die Vorzugsrente läuft von dem Beginne des KalendermonatS an, in dem sie zuerkannt wird. 8 19. (1) Bedürftig ist eine Person, deren Jahreseinkommen den Betrag von 800 Reichsmark nicht übersteigt Maßgebend ist das Einkommen des Kalen­ derjahrs, das der Stellung des Antrags auf Gewährung der Vorzugsrente vorhergeht. (2) Bei der Berechnung des Einkommens bleiben außer Ansatz: 1. Leistungen, die ein anderer auf Grund gesetzlicher Unterhaltspflicht oder ohne rechtliche Verpflichtung gewährt, sofern er nicht als Ehegatte, als geschiedener Ehegatte oder als Verwandter aufsteigender Linie unter­ haltspflichtig ist, und die Leistungen ohne Gefährdung seines eigenen standesgemäßen Unterhalts gewähren kann: 2. Versorgungsbezüae von Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen; 3. Renten der Reichsversicherung; 4. Vorzugsrenten, die auf Grund dieses Gesetzes gewährt werden. (3) Bedürftigkeit liegt nicht vor, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß eine Hilfe nicht benötigt wird. 8 20. (1) Die Borzugsrente beträgt 80 vom Hundert des Nennbetrags des Auslosungsrechts, auf Grund dessen sie gewährt wird, für eine Person jeooch höchstens jährlich 800 Reichsmark. (2) Der Betrag einer Vorzugsrente erhöht sich um 25 vom Hundert bis höchstens auf 1000 Reichsmark, wenn der Gläubiger auf das Auslosungs­ recht, auf Grund dessen seine Vorzugsrente gewährt wird, verzichtet und in Höhe des Nennbetrags seines Auslosungsrechts Anleiheablösungsschuld auf das Reich überträgt. Der Betrag erhöht sich um 50 vom Hundert bis höchstens auf 1200 Reichsmark, wenn der Gläubiger zur Zeit des Verzichts das 60. Lebensjahr voll­ endet hat. 8 21. (1) Die Vorzugsrente erlischt 1. wenn der Gläubiger die deutsche Reichsangehörigkeit verliert, 2. wenn der Gläubiger nicht mehr im Inland wohnt oder 3. wenn bei einer Prüfung festgestellt wird, daß der Gläubiger nicht mehr be­ dürftig ist. Die Bedürftigkeit ist zum ersten Male 5 Jahre nach dem Beginne der Borzugsrente und sodann nach je 3 Jahren zu prüfen. Eine Prüfung der Be­ dürftigkeit findet nicht statt, wenn der Gläubiger bei Zuerkennung der Vorzugs-« rente das 60. Lebensjahr vollendet hat oder es während des Bezuges der Vor­ zugsrente vollendet. (2) Treten die Voraussetzungen für die Gewährung der Borzugsrents (§ 18) von neuem ein, so kann die Borzugsrente unbeschadet der Vorschrift des § 18 Abs. 1 Satz 2 wieder entstehen.

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Anhang.

(3) Der Reichsminister der Finanzen wird ermächtigt, in besonders be­ gründeten Fällen die Vorzugsrente fortzugewähren, auch wenn die Voraus­ setzungen für ihr Erlöschen eingetreten sind. § 22. Die Vorzugsrente ist, sofern ihr Jahresbetrag 100 Reichsmark über­ steigt, in zwei gleichen Teilbeträgen halbjährlich, im übrigen einmal jährlich im voraus zu zahlen. Für die ersten Rentenzahlungen kann der Reichsminister der Finanzen etwas anderes bestimmen. § 23. Solange eine Vorzugsrente gewährt wird, ninnnt das Auslosungs­ recht, auf Grund dessen sie gewährt wird, an der Ziehung nicht teil. Der ausge­ stellte Auslosungsschein ist bei der Reichsschuldenverwaltung für diese Zeit zu hinterlegen. Ist das Auslosungsrecht im Reichsschuldbuch eingetragen, so ist es für diese Zeit von Amts wegen zu sperren. § 24 Wer ein Auslosungsrecht hat, auf Grund dessen ihn: eine Vorzugs­ rente im Falle seiner Bedürftigkeit zu gewähren ist (§ 18), kann auf die Teil­ nahme an der Auslosung verzichten, um sich das Recht auf eine Vorzugsrente zu wahren. Der Verzicht ist der Reichsschuldenverwaltung zu erklären- er ist widerruflich. Das Verzicht ist uns bem ausgestellten Auslosungsschein ersichtlich zu machen- ist das Auslosungsrecht im Schuldbuch eingetragen, so ist er üt diesem zu vermerken. 8 25. (1) Über die Vorzngsrente ist eine auf den Ramen des Gläubigers lautende Urkunde auszustellen. Die Urkunde ist nach dem Erlöschen der Vor­ zugsrente zurückzugeben. (2) Die Vorzugsrente ist unveräußerlich und nicht vererblich. Sie unter­ liegt der Pfändung nicht. § 26. Bei der Festsetzung einer Unterstützung öffentlichrechtlicher Art für den Gläubiger bleibt die Vorzugsrente als Einkommen allster Ansatz, soweit sie den Betrag von 270 Reichsmark für das Jahr nicht übersteigt. Hat der Gläubiger neben der Vorzllgsrente Einnahmen aus Ansprüchen, die der Auf­ wertung nach dem Aufwertungsgesetze vom 16. Juli 1925 unterliegen, so bleiben diese Einnahmen und die Vorzngsrente bis zum Gesamtbeträge von 270 Reichs­ mark für das Jahr außer Ansatz. § 27. (L) Anstalten und Einrichtungen der freien imb kirchlichen (Ar­ tikel 137 der Reichsverfassung) Wohlfahrtspflege, die Ausgaben der öffentlichen Wohlfahrtspflege erfüllen, sowie Anstalten und Einrichtungen zur Förderung wissenschaftlicher Ausbildung und Forschung ist, sofern ihnen Auslosungsrechte zustehen, die sie als Anleihealtbesitzer erlangt haben, auf Antrag 15 Jahre hin­ durch eine Wohlfahrtsrente zu gewähren. § 23 findet entsprechende Anwendung. Die Mittel für die Wohlfahrtsrente sind llach näherer gesetzlicher Bestimmung der: Einnahmen aus Zöllen auf landwirtschaftliche Erzeugnisse zu entnehmen. Sie dürfen den jährlichen Betrag von 10 Millionen Reichsmark nicht über­ steigen. Drei Viertel der zur Ausgabe gelangenden Mittel sind den Anstalten und Einrichtungen der Wohlfahrtspflege zuzuwenden. (2) Die Reichsregierung erläßt mit Zustimmung des Reichsrats die näheren Vorschriften über die Wohlfahrtsrente, insbesondere über die Höhe und den Kreis der Gläubiger. Dritter Abschnitt.

Der Anleihefonderfouds.

§ 28. Zur Verstärkung der Tilgung der Anleiheablösungsschuld ist ein besonderer Fonds (Anleihesonderfonds) zu bilden. Dem Anleihesonderfonds sind zuzuführen: 1. die Hälfte der Dividenden, die dem Reiche als Eigentümer von Stamm­ aktien der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft während der Dauer ihrer Reparationsverpflichtungen zufließen. Von den Dividenden sind die Teil­ beträge abzuziehen, die das Reich nach besonderer Vereinbarung an die Länder abführt- hinzuzurechnen sind die Beträge, die die Länder von den ihnen zufließenden Dividenden der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft dem Reiche nach besonderer Vereinbarung erstatten,

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2. die Summe, um welche die jährlichen Zahlungen für den Tilgungsfonds (§ 15) hinter den Beträgen zurückbleiben, die dem Fonds bei einem Ge­ samtbeträge der Auslosungsrechte von 500 Millionen Reichsmark zuzu­ fuhren wären.

§ 29. Der Anleihesonderfonds ist zu verwenden: zunächst für die Einlösung der Auslosungsrechte, die die öffentlichen oder unter Staatsaufsicht stehenden Sparkassen, die Träger der Reichsver­ sicherung, die reichs- oder landes rechtlich zugelassenen Ersatzkassen, die Zuschuß-, Pensions- und Werkkassen sowie die Pensions- und Unter* stützungskassen von Berufsverbänden als Anleihealtbesitzer erlangt huben, soweit diese Auslosungsrechte nicht auf Grund des § 47 Abs. 4 eingelöst werden; sodann für eine außerordentliche Tilgung der Anleiheablösungsschuld durch Ziehung von Auslosungsrechten nach Maßgabe der Vorschriften des 8 13 Abs. 2 und des § 14. Zweiter Teil.

Die Ablösung der Markanleihev der Länder, Gemeinde« «nd Ge­ meindeverbände. Erster Abschnitt. Die Ablösung der Markanleihen der Länder.

§ 30. G) Die Gläubiger der auf Mark oder auf eine andere nicht mehr geltende Währung lautenden Anleihen (Markanleihen) der Länder können deren Umtausch in Ablösungsanleihen verlangen. Ein Anspruch auf den Umtausch be­ steht nur, soweit der zu gewährende Betrag der Ablösungsanleihen 12,50 Reichs­ mark oder ein Vielfaches davon ausmacht. (2) Ansprüche aus Markanleihen der Länder bestehen unbeschadet einer weitergehenden landesgesetzlichen Regelung nur nach Maßgabe dieses Gesetzes. (3) Anleihen im Sinne des Abs. 1 sind die Schuldverpflichtungen aus Schuldverschreibungen, Buchschulden und verzinslichen Schatzanweisungen sowie aus Darlehen, über die Schuld scheine ausgestellt sind.

§ 31. (1) Bei dem Umtausch sind Ablösungsanleihen iw Nennbeträge von 21/2 vom Hundert des Goldwertes, den die umzutauschenden Markanleihen zur Zeit ihrer Begründung hatten, zu gewähren, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die Markanleihen durch dingliche Rechte gesichert sind. (2) Der Goldwert der bis zum 1. Januar 1919 begründeten Markanleihen ist ihrem Nennbetrag oder dem Markbetrage gleich, der ihrem Nennwert nach g 15 des Münzgesetzes vom 1. Juni 1909 entspricht. Der Goldwert einer später begründeten Schuldverpflichtung ist gleich dem Goldwert des Geld­ betrags, der dem Schuldner aus der Begründung der Schuldverpflichtung zugeflossen ist. Der Goldwert dieses Betrags wird dadurch festgestellt, daß der zugeslossene Betrag nach Maßgabe des Wertverhältnisses umgerechnet wird, das in der Anlage zu dem Aufwertungsgesetze vom 16. Juli 1925 für den Tag des Einganges des Betrags bestimmt ist; ist ein Umrechnungsverhältnis für diesen Tag nicht bestimmt, so ist das letzte vorhergehende Umrechnungs­ verhältnis maßgebend.

8 32. (1) Hat sich ein Gläubiger getilgter Markanleihen bei der Annahme des Tilgungsbetrags seine Rechte Vorbehalten, so kann er die Gewährung von Ablösungsanleihen verlangen, wie wenn ihm die getilgten Markanleihen noch zuständen. (2) Ein Gläubiger von Markanleihen, die gekündigt oder ausgetoü Und, aber sich noch in seinem mittelbaren oder unmittelbaren Besitze befinden, hat einen Anspruch auf ihren Umtausch auch dann, wenn bereits eine Abrech­ nung mit dem Schuldner oder eine Hinterlegung zugunsten des Gläubigers stattgefunden hat.

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Anhang.

(3) Markanleihen, die bei Banken zur Einlösung eingereicht sind und ych noch in deren Besitz befinden, sind zugunsten des einreichenden Gläubi­ gers auch dann umzutauschen, wenn bereits eine Abrechnung mit dein Gläu­ biger oder mit dem Schuldner oder eine Hinterlegung zugunsten des Gläu­ bigers stattgefunden hat. Der Bank steht ein Recht auf den Umtausch nicht -u. Ablieferungen aus dem Besitze der Bank, die seit dem 1. Juni 1925 erfolgt sind, gelten als nicht geschehen. Entsprechendes gilt für Bankiers und andere Unternehmungen, die die Aufbewahrung und Verwaltung fremder Wertpapiere gewerbe- oder geschäftsmäßig betreiben. (4) Gezahlte Beträge sind in den Fällen der Abs. 1 bis 3 in Höhe ihres Goldmarkbetrags, soweit dieser durch 12i/2 teilbar ist, auf den Betrag der zu gewährenden Ablösungsanleihen zu verrechnen- im übrigen sind sie in dieser Höhe bar zu erstatten. Der Goldmarkbetrag wird dadurch festgestellt, daß der gezahlte Betrag nach Maßgabe des Wertverhältnisses umgerechnet wird, das in der Anlage zu dem Aufwertungsgesetze vom 16. Juli 1925 für den Tag der Zahlung gilt; ist ein Umrechnungsverhältnis für diesen Tag nicht bestimmt, so ist das letzte vorhergehende Umrechnungsverhältnis maßgebend. 8 33. Die Ablösungsanleihen der Länder lauten auf Reichsmark; sie können von den Gläubigern nicht gekündigt werden. 8 34. (1) Der Teil der Ablösungsanleihen, der im Umtausch gegen Mark­ anleihen alten Besitzes (§ 35) ausgegeben wird, ist in 30 gleichen Jahresraten von dem Kalenderjahr an, das auf das Inkrafttreten dieses Gesetzes folgt, mittels Auslosung zu tilgen. Die ausgelosten Teilbeträge sind durch Barzah­ lung des Fünffachen ihres Nennwerts einzulösen. Der Einlösungsbetrag ist mit 41/2 vom Hundert jährlich vom 1. Januar 1926 an his zum Ende des Jahres, in dem die Teilbeträge ausgelost werden, zu verzinsen; die Zinsen sind bei der Einlösung zu zahlen. (2) Die Landesregierungen erlassen Bestimmungen über die Art und den Zeitpunkt der Tilgung des Teiles der Ablösungsanleihen, der nicht im Um­ tausch gegen Markanleihen alten Besitzes ausgegeben wird. Sofern die Til­ gung mittels Auslosung vorgenommen wird, muß die Einlösung mindestens zum Nennbetrag erfolgen. 8 35. Markanleihen alten Besitzes sind solche Markanleihen, die der Gläubiger nachweislich vor dem 1. Juli 1920 erworben hat und die ihm von dem Erwerbe bis zum Umtausch ununterbrochen zugestanden haben. Die Vor­ schriften der §§ 10 und 11 sowie die auf Grund des K 10 Abs. 2 erlassenen Be­ stimmungen finden auf die Markanleihen der Länder entsprechende Anwendung. 8 36. Ein Umtausch der unverzinslichen Schatzanweisungen der Länder kann nicht verlangt werden. Ansprüche können aus ihnen nicht hergeleitet werden. 8 37. (1) Ein bedürftiger, im Inland wohnender deutscher Reichsangehöriger hat ein Recht auf eine Borzugsrente, wenn ihm ein Teilbetrag der Ablösungsanleihe eines Landes gehört, den er a) im Umtausch gegen Markanleihen alten Besitzes erlangt hat oder b) als Rechtsnachfolger seines verstorbenen Ehegatten oder eines verstor­ benen Verwandten ersten Grades, der den Teilbetrag der Ablösungs­ anleihe im Umtausch gegen Markanleihen alten Besitzes erworben hat. Hat er den Teilbetrag der Ablösungsanleihe von seinem Vater oder von seiner Mutter erlangt, so kann er die Vorzugsrente nur verlangen, solange er nicht volljährig ist, es sei denn, daß er wegen geistiger oder körperlicher Gebrechen dauernd erwerbsunfähig ist. (2) Die Vorschriften des § 18 Abs. 3, der §§ 19, 20, des § 21 Abs. 1 und 2, des § 23 Satz 1 und des § 25 Abs. 2 und des § 26 finden auf die Borzugsrente entsprechende Anwendung. 8 38. Ein Gläubiger hat einen Anspruch auf mehrere Vorzugsrenten des Reichs oder der Länder nur, soweit ihr Gesamtbetrag die int § 20 bezeich­ neten Höchstsätze nicht übersteigt. Eine hiernach erforderliche Beschränkung tritt bei der Borzugsrente ein, deren Gewährung der Gläubiger zuletzt be­ antragt hat.

Gesetz über die Ablösung öffentlicher Anleihen vom 16. Juli 1925.

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§ 39. Die Vorschriften der §§ 30 bis 38 finden keine Anwendung 1. auf solche Schuldverpflichtungen der Länder, die das Reich übernommen hat oder übernimmt, 2. auf solche Schuldverpflichtungen der Länder, die in Mark zu erfüllen sind, deren Höhe aber nach einer anderen Rechnungseinheit als der Mark bestimmt wird, 3. auf solche Schuldverpflichtungen der Länder, die sie als Inhaber staat­ licher Grundkreditanstalten oder als Inhaber solcher öffentlichrechtlichen Kreditanstalten begründet haben, deren Schuldverschreibungen nach § 51 Abs. 3 des Aufwertungsgesetzes vom 16. Juli 1925 auf der Grundlage der §§ 47 bis 50 dieses Gesetzes aufgewertet werden. Zweiter Abschnitt.

Die Ablösung der Markanleihen der Gemeinden und Gemeindeverbände. 8 40. (i) Die Gläubiger der Markanleihen (§ 30) der Gemeinden und Gemeindeverbände können deren Umtausch in Ablösungsanleihen verlangen. Ein Anspruch auf den Umtausch besteht nur, soweit der zu gewährende Betrag der Ablösungsanleihe 12,50 Reichsmark oder ein Vielfaches davon ausmacht. (2) Ansprüche aus Markanleihen der Gemeinden und Gemeindeverbände bestehen unbeschadet einer weitergehenden landesgesetzlichen Regelung nur nach Maßgabe dieses Gesetzes. (3) Die Vorschriften des § 30 Abs. 3 und des § 32 finden entsprechende Anwendung. G) Die oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle kann einen Treuhänder zur Wahrnehmung der Rechte der Anleihegläubiger einer Gemeinde oder eines Gemeindeverbandes (§§ 41, 42, 4ß) bestellen. Ein Treu­ händer ist zu bestellen, wenn ein Gläubiger dies innerhalb eines Monats nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes bei der obersten Landesbehörde oder bei der von ihr bestimmten Stelle beantragt. § 41. G) Auf den Umtausch der Markanleihen der Gemeinden und Ge­ meindeverbände finden die Vorschriften des § 31, auf ihre Ablösungsanleihen finden die Vorschriften des § 33 entsprechende Anwendung. (2) Auf Antrag des Treuhänders (§. 40 Abs. 4) entscheidet die oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle, ob die Festsetzung des Gold­ werts einer nach dem 1. Januar 1919 begründeten Markanleihe den gesetzlichen Vorschriften entspricht. Die Entscheidung ist endgültig.

8 42. (1) Der Teil der Ablösungsanleihen, der im Umtausch gegen Mark­ anleihen alten Besitzes (§ 35) ausgegeben wird, ist in höchstens 30 gleichen Jahresraten von dem Jahre an, das auf das Inkrafttreten dieses Gesetzes folgt, mittels Auslosung zu tilgen. (2) Der Treuhänder (§ 40 Abs. 4) kann bei der obersten Landesbehörde oder bei der von ihr bestimmten Stelle beantragen, daß die Dauer der Tilgung bis auf 20 Jahre herabgesetzt wird, wenn dies der Leistungsfähigkeit des Schuldners entspricht. (3) Der Schuldner kann bei der obersten Landesbehörde oder bei der von ihr bestimmten Stelle beantragen, daß die Dauer der Tilgung auf einen Zeit­ raum von mehr als 30 Jahren festgesetzt wird, wenn eine solche Regelung mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage des Schuldners und die Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben unabweisbar ist und seine Leistungsfähigkeit durch die Vorschriften des Vertrags von Versailles in besonders starkem Maße beein­ trächtigt ist. 8 43. G) Die ausgelosten Teilbeträge der Ablösungsanleihen, welche ge­ mäß der Vorschrift des § 42 zu tilgen sind, sind durch Barzahlung des Fünf­ fachen ihres Nennwerts einzulösen. Der Einlösungsbetrag ist mlit 5 vom Hun­ dert jährlich vom 1. Januar 1926 an bis zum Ende des Jahres, in dem die Teilbeträge ausgelost werden, zu verzinsen; die Zinsen sind bei der Einlösung zu zahlen.

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Anhang.

(2) Der Einlösungsbetrag ist auf Antrag bis auf bas Zehnfache des Nenn­ werts zu erhöhen, sofern dies dem Anleiheschuldner nach seiner finanziellen Leistungsfähigkeit und unter Berücksichtigung seiner öffentlichen Aufgaben zu­ gemutet werden kann. Dies gilt nicht, soweit die Markanleihen auf Grund des § 59 Abs. 3 des Landessteuergesetzes vom 30. März 1920 (RGBl. S. 402) § 68 Abs. 3 des Finanzausgleichsgesetzes vom 23. Juni 1923 (RGBl. S. 494) für Rechnung des Reichs ausgenommen sind. (3) Antragsberechtigt sind der Anleiheschuldner und der Treuhänder (§ 40 Abs. 4). Der Antrag kann nur innerhalb von 4 Monaten nach dem In­ krafttreten dieses Gesetzes gestellt werden. Der Antrag ist bei der obersten Landesbehörde oder bei der von ihr bestimmten Stelle einzureichen. (4) Die obersten Landesbehörden bezeichnen die Stellen, die für die Ent­ scheidung über den Antrag zustcurdig sind. Gegen die Entscheidung steht den Antragsberechtigten innerhalb eines Monats nach der Zustellung die Beschwerde an eine kollegiale Behörde zu, die die obersten Landesbehörden bestimmen. Die Entscheidung der kollegialen Behörde ist endgültig. Die Landesregierungen erlassen die näheren Vorschriften über das Verfahren. 8,44. Die Landesregierungen erlassen Bestimmungen über die Art und den Zeitpunkt der Tilgung des Teiles der Ablösungsanleihen, der nicht im Umtausch gegen Markanleihen alten Besitzes ausgegeben wird- sofern die Til­ gung mittels Auslosung vorgenommen wird, muß die Einlösung mindestens zum Nennbetrag erfolgen. 8 45. Die Vorschriften der §§ 40 bis 44 finden keine Anwendung auf 1. solche Schuldverpflichtungen der Gemeinden und Gemeindeverbände, die in Mark zu erfüllen sind, deren Höhe aber nach einer anderen Rechnungs­ einheit als der Mark bestimmt wird, 2. aus solche Schuldverpflichtungen, die Gemeinden und Gemeindeverbände als Inhaber kommunaler 'Grundkreditanstalten oder als Inhaber solcher öffentlichrechtlichen Kreditanstalten begründet haben, deren Schuldverschrei­ bungen nach § 51 Abs. 3 des Aufwertungsgesetzes vom 16. Juli 1925 auf der Grundlage der §§ 47 bis 50 dieses Gesetzes aufgewertet werden. 8 46. Die Reichsregierung kann mit Zustimmung des Reichsrats die Vor­ schriften dieses Gesetzes über die Markanleihen der Gemeinden und Gemeinde­ verbände auf Markanleihen anderer öffentlichrechtlicher Körperschaften für an­ wendbar erklären. Dritter Teil.

Schluß- «ud Slrasvorschristen. 8 47. (1) Der Reichsminister der Finanzen wird ermächtigt, einmalig einen Betrag von hundertfünfzig Millionen Reichsmark zu verausgaben. (2) Aus diesen Mitteln ist bedürftigen (§ 19), im Inland wohnenden deutschen Reichsangehörigen, die Altbesitzanleihen (§§ 9 bis 11) im Gesamtnennbetrage von weniger als 1000 Mark haben, auf Antrag unter Fortfall eines ihnen etwa nach § 5 zustehenden Anspruchs auf Anleiheablösungsschuld eine Barabfindung von 15 Reichsmark für je 100 Mark des Nennbetrags zu ge­ währen. Die Vorschrift des § 12 Abs. 3 findet entsprechende Anwendung. (3) Von dem hiernach verbleibenden Betrag ist im Inland wohnenden deutschen Reichsangehörigen, die Altbesitzanleihen (§§ 9 bis 11) im Gesamtnenwbetrage von weuiger als 1000 Reichsmark haben, auf Antrag eine Barab­ findung von 8 Reichsmark für je 100 Mark des Nennbetrags zu gewähren, so­ fern ihr Jahreseinkommen den Betrag von 1500 Reichsmark nicht übersteigt. Die Vorschriften des § 19 Abs. 1 Satz 2 und des § 12 Abs. 3 finden ent­ sprechende Anwendung. (4) Der Restbetrag ist für die Einlösung der Auslosungsrechte, die die öffentlichen oder unter Staatsaufsicht stehenden Sparkassen, die Träger der Reichsversicherung, die reichs- oder landesrechtlich zugelassenen Ersatzkassen sowie die Pensions- und Unterstützungskassen von Berufsverbänden als An­ leihealtbesitzer erlangt haben, zu verwenden.

Gesetz über die Ablösung öffentlicher Anleihen vom 16. Juli 1925.

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8 48. Die Reichsregierung erläßt unbeschadet der §§ 49 und 50 mit Zu­ stimmung des Reichsrats die für die Durchführung dieses Gesetzes erforderlichen Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften. Durch diese Bestimmungen können insbesondere 1. Stellen mit der Durchführung dieses Gesetzes, besonders mit dem Um­ tausch der Markanleihen des Reichs und mit der Entscheidung über die Gewährung von Auslosungsrechten und Vorzugsrenten beauftragt werden; 2. die mit der Durchführung dieses Gesetzes beauftragten Stellen für zu­ ständig erklärt werden, Versicherungen an Eides Statt entgegenzunehmen unb die Amtsgerichte um eidliche Vernehmungen zu ersuchen; 3. die mit der Durchführung dieses Gesetzes beauftragten Stellen zur Ein­ sichtnahme in die Geschäftsbücher und Geschäftspapiere von Personen, die die Aufbewahrung von Wertpapieren oder ihren Ankauf und Verkauf für fremde Rechnung gewerbsmäßig betreiben, ermächtigt werden; 4. den in Ziffer 3 bezeichneten Personen Verpflichtungen uuferlegt werden, Behörden und Privatpersonen Auskünfte und Bescheinigungen zu erteilen, die für die Durchführung dieses Gesetzes, insbesondere für die Geltend­ machung oder Prüfung von Ansprüchen, die auf Grund der Vorschriften dieses Gesetzes erhoben werden, erheblich sind; 5. Vorschriften über die Geltendmachung der durch dieses Gesetz begründeten Ansprüche getroffen werden; 6. Verstöße gegen die Durchführungsvorschriften mit Geldstrafe bis zu 10000 Reichsmark und mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit einer dieser Strafen bedroht werden. 8 49. Der Reichsminister der Finanzen wird ermächtigt, 1. in besonderen Fällen aus Gründen der Billigkeit auch dann den Umtausch von Markanleihen des Reichs vorzunehmen oder Auslosungsrechte zu ge­ währen, wenn die in den §§ 6 und 12 vorgesehenen Fristen nicht einge­ halten werden; 2. zu bestimmen, daß die Schuldbuchforderungen von Markanleihen des Reichs von Amts wegen in Schuldbuchsorderungen der Anleiheablösungs­ schuld umgetauscht werden; wird dieses bestimmt, so gilt der erste Tag der im § 6 bezeichneten Frist für die Schuldbuchforderungen als Zeitpunkt der Anmeldung; 3. zu bestimmen, daß den Anleihealtbesitzern von Schuldbuchforderungen die Auslosungsrechte von Amts wegen zu gewähren sind; 4. Grundsätze für die Führung des Nachweises aufzustellen, daß Schuld­ verschreibungen, Schatzanweisungen oder Schuldbuchsorderungen von Mark­ anleihen des Reichs Altbesitzanleihen sind. Der Beweis durch Urkunden darf nicht beschränkt werden. Die Reichsschuldenverwaltuna wird ermächtigt, Schuldverschreibungen der An­ leiheablösungsschuld und Auslosungsscheine den mit der Ausreichung beauf­ tragten Stellen in Höhe des voraussichtlichen Bedarfs im voraus zur Ver­ fügung zu stellen. 8 50. (].) Soweit Reichsangehörige in einem fremden Staate hinsichtlich der Ablösung öffentlicher Anleihen ungünstiger behandelt werden als seine Staatsangehörigen, wird die Reichs re gierung ermächtigt, eine entsprechende unterschiedliche Behandlung der Angehörigen dieses Staates durch Verordnung zu bestimmen. (2) Sofern nach der Gesetzgebung eines fremden Staates dieser Staat oder seine öffentlich-rechtlichen Körperschaften nicht verpflichtet sind, Reichsange­ hörigen eine höhere Ablösung ihrer Anleihen zu gewähren als die, welche ihnen im Deutschen Reiche unter den gleichen Bedingungen auf Grund der deutschen Bestimmungen zufallen würde, wird die Reichsregierung ermächtigt, einem solchen Staate gegenüber durch Verordnung eine entsprechende Regelung zu treffen. (3) Die Reichsregierung wird ermächtigt, die Ablösung der Markanleihen des Reichs, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände zugunsten der Angehörigen solcher Staaten auszuschließen, nach deren Recht Markanleihen

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Anhang.

öffentlich-rechtlicher Körperschaften einer Aufwertung ober Ablösung nicht unterliegen. § 51. Die Länder werden ermächtigt, die näheren Bestimmungen über die Ablösung der Markanleihen der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände zu treffen. Sie können insbesondere Vorschriften über die Geltendmachung der durch den Zweiten Teil dieses Gesetzes begründeten Ansprüche erlassen und die Bestimmung von Ausschlußfristen für die Erhebung dieser Ansprüche gestatten. Die Vorschrift des § 49 Ziffer 4 Satz 2 gilt entsprechend. § 52. (i) Auf das Aufgebotsverfahren zum Zwecke der Kraftloserklärung von umzutauschenden Schuldurkunden der Markanleihen finden die Vorschriften der §§ 1010 bis 1014 der Zivilprozeßordnung keine Anwendung. Der Auf­ gebotstermin soll, unbeschadet der Vorschrift des § 1015 der Zivilprozeßordnung, nicht über das Ende der in den §§ 6 und 51 vorgesehenen Fristen hinaus anberaumt werden. (2) Wer vor dem Ablauf der im § 6 vorgesehenen Frist das Aufgebots­ verfahren zum Zwecke der Kraftloserklärung von umzutauschenden Schuldur­ kunden der Markanleihen des Reichs beantragt, das Ausschlußurteil aber erst einen Monat vor diesem Zeitpunkt oder später erwirkt, kann die Zuteilung der Anleiheablösungsschuld aus die für kraftlos erklärten Schuldurkunden sowie die Gewährung eines auf diese gegründeten Auslosungsrechts innerhalb von drei Monaten nach Rechtskraft des Ausschlußurteils verlangen. § 53. Das Gesetz, betreffend die Beseitigung kleiner im Reichsschuldbuch eingetragener Forderungen, vom 19. Mai 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 296) wird aufgehoben. Soweit auf Grund dieses Gesetzes Schuldbuchsorderungen gelöscht worden sind, ohne daß dafür eine Ausreichung von Schuldverschreibungen statt­ gefunden hat, gelten die Löschungen als nicht erfolgt. 8 54. Die §§ 51 bis 54 des Aufwertungsgesetzes vom 16. Juli 1925 finden aus die Markanleihen, die auf Grund dieses Gesetzes in Ablösungs­ anleihen umzutauschen sind, keine Anwendung. 8 55. Wer den Durchführungsbestimmungen des im § 48 Ziffer 4 be­ zeichneten Inhalts zuwiderhandelt, obwohl ihm die Erteilung der erforderten Auskunft oder Bescheinigung auf Grund seiner Geschäftsbücher oder Geschäfts­ papiere möglich ist und zugemutet werden kann, oder wer sich der Einsicht in seine Geschäftsbücher oder Geschäftspapiere durch eine auf Grund des § 48 Ziffer 3 ermächtigte Stelle widersetzt, kann mit einer Ordnungsstrafe bis zu 10000 Reichsmark bestraft werden. Die Vorschriften des Reichsstrafgesetzbuchs bleiben unberührt. Zuständig für die Festsetzung der Ordnungsstrafe ist der Reichsminister der Finanzen oder die von ihm bestimmte Stelle. Innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Straffestsetzung kann der Antrag auf Entscheidung des Reichswirtschaftsgerichts gestellt werden. 8 56. Wer zur Begründung eines Antrags auf Gewährung eines Aus­ losungsrechts, einer Borzugsrente oder einer Wohlfahrtsrente leichtfertig oder wider besseres Wissen unrichtige Angaben macht, kann mit einer Ordnungs­ strafe bis zu 10000 Reichsmark bestraft werden. Die Vorschriften des § 55 Satz 2 bis 4 finden entsprechende Anwendung. 8 57. Wer bis zum Ablauf der im § 6 bestimmten Frist den Ankauf oder den Verkauf von bestimmten, nach Nummern gekennzeichneten Stücken der Schuldverschreibungen oder Schatzanweisungen der Markanleihen des Reichs öffentlich anbietet oder nach solchen Stücken öffentlich Nachfrage hält oder die Verbreitung von Angeboten oder Nachfragen dieser Art fördert, wird, sofern nach den allgemeinen Strafgesetzen keine höhere Strafe an gedroht ist, mit Geld­ strafe bis zu 10000 Reichsmark und mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit einer dieser Strafen bestraft. 8 58. Dieses Gesetz tritt gleichzeitig mit dem Aufwertungsgesetze vom 16. Juli 1925 in Kraft.

Hypothekenbankgesetz vom 13. Juli 1899.

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3. Zweites Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Hypothekenbankgesetzes?) Vom 26. Januar 1926.

(RGBl. I S. 97.) Das Hypothekenbankgesetz vom 13. Juli 1899 in der Fassung des Gesetzes vom 14. Juli 1923 (RGBl. 1899 S. 375, 1923 I S. 635) wie folgt ge­ ändert und ergänzt: Art. I. Im § 5 Abs. 1 wird hinter Ziffer 6 als Ziffer 7 neu ein­ gefügt: „7. Die Aufnahme von Darlehen bei der Deutschen Rentenbank-Kredibanstalt zwecks Gewährung hypothekarischer Darlehen und die Bestellung von Sicherheiten für diese Darlehen." Art. II. 1. § 7 erhält folgende Fassung: „Die Hypothekenbanken dürfen Hypothekenpfandbriefe nur insoweit aus­ geben und Darlehen von der Deutschen Rentenbank-Kreditanstalt nur insoweit aufnehmen, als der Betrag der ausgegebenen Hypothekenpfand­ briefe zuzüglich des Betrags der bei der Deutschen Rentenbank-Kreditanstalt aufgenommenen Darlehen den zwanzigfachen Betrag des eingezahlteii Grundkapitals und des ausschließlich zur Deckung einer Unterbilanz oder zur Sicherung der Pfandbriefgläubiger oder der Forderungen der Deutschen Rentenbank-Kreditanstalt aus der Darlehnsgewährung bestimm­ ten Reservefonds nicht übersteigt." 2. § 41 Abs. 2 erhält folgende Fassung: „Die Schuldverschreibungen, welche die Hypothekenbank gemäß Abs. 1 ausgibt, dürfen, unter Hinzurechnung der im Umlauf befindlichen Hypoihekenpfandbriefe und der bei der Deutschen Rentenbank-Kreditanstalt aufgenommenen Darlehen, den int § 7 bestimmten Höchstbetrag nicht um mehr als zwei Fünfteile übersteigen." 3. § 46 Abs. 2 erhält folgende Fassung: „Eine Hypothekenbank, die von dem Rechte des erweiterten Geschäfts­ betriebs nach Maßgabe des Abs. 1 Gebrauch macht, darf Hypothekenpfandbriefe nur insoweit ausgeben und Darlehen bei der Deutschen RentenbankKreditanstalt nur insoweit aufnehmen, als der Betrag der ausgegebenen Hypothekenpfandbriefe zuzüglich des Betrags der bei oer Deutschen Ren­ tenbank-Kreditanstalt aufgenommenen Darlehen das Fünfzehnfache des eingezahlten Grundkapitals und des im § 7 bezeichneten Reservefonds nicht übersteigt. Haben bei dem Inkrafttreten des Hypothekenbank­ gesetzes die von der Bank ausgegebenen Hypothekenpfandbrrefe c>en doppel­ ten Betrag des eingezahlten Grundkapitals nicht überstiegen, so darf die Bank Hypothekenpfandbriefe nur insoweit ausgeben und Darlehen bei der Deutschen Rentenbank-Kreditanstalt nur insoweit aufnehmen, als die ausgegebenen Hypothekenpfandbriefe zuzüglich der bei der Deutschen Rentenbank-Kreditanstalt aufgenommenen Darlehen den doppelten Be­ trag des eingezahlten Grundkapitals und des im § 7 bezeichneten Re­ servefonds nicht übersteigt." 4. § 48 Abs. 1 erhält folgende Fassung: „Eine Hypothekenbank, die bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes das Recht besitzt, über den in den §§ 7, 41, 42 oder im § 46 Abs. 2 Satz 1 Abs. 3 bestimmten Betrag hinaus Hypothekenpfandbriefe oder Schuldverschrei­ bungen auszugeben, behält dieses Recht mit der Maßgabe, daß die Hypothekenpfandbriefe, die bei der Deutschen Rentenbank-Kreditanstalt aufgenommenen Darlehen und die auf Grurü» von Darlehen an Kleinbahn-« Unternehmungen ausgegebenen Schuldverschreibungen zusammen den zwan­ zigfachen Betrag des eingezahlten Grundkapitals nicht übersteigen dürfen

!) S. o. S. 214.

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Anhang.

und daß hierbei das eingezahtte Kapital nur insoweit berücksichtigt wird, als es innerhalb des Betrags verbleibt, auf welchem am 1. Mai 1898 das Grundkapital der Bank durch die Satzung festgesetzt war; die Schuld­ verschreibungen, welche die Bank auf Grund nicht hypothekarischer Dar­ lehen an Körperschaften des öffentlichen Rechtes oder gegen Übernahme der Gewährleistung durch eine solche Körperschaft ausgibt, dürfen unter Hinzurechnung der im Umlauf befindlichen Hypothekenpfandbriefe und auf Grund von Darlehen an Kleinbahnunternehmungen ausgegebenen Schuldverschreibungen sowie unter Hinzurechnung der bei der Deutschen Rentenbank-Kreditanstalt aufgenommenen Darlehen den im Halbsatz 1 bezeichneten Betrag nicht um mehr als zwei Fünfteile übersteigen."

4. Zweite Verordnung zur Änderung der Wechselstuben­ verordnung?) Vom 16. November 1925. (RGBl. I S. 389.)

Auf Grund des § 17 Abs. 2 der Verordnung auf Grund des Notgesetzes (Wechselstubenverordnung) vom 8. Mai 1923 (RGBl. I S. 282) in der Fassung des Art. II der Verordnung zur Änderung der Devisengesetzgebng vom 8. No­ vember 1924 (RGBl. I S. 729) wird hiermit verordnet: Paragraph 11 der Wechselstubenverordnung vom 8. Mai 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 282) wird aufgehoben.

III. Gesetze betr. das Versicherungswesen. (s. o. S. 268 ff.).

1. Reichsversicherungsordnung. Vom 19. Juli 1911.

In der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1924, des zweiten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 14. Juli 1925, des Gesetzes über Ausbau der Angestellten- uno Invalidenversicherung und über Gesundheitsfürsorge in der Reichsversicherung vom 28. Juli 1925 und der Bekanntmachung vom 9. Januar 1926. (RGBl. I 1924 S. 779, 1925 S. 97, 157, 1926 S. 9.)

Erstes Buch.

Gemeinsame Vorschriften. Erster Abschnitt.

Umfang der Reichsverfichernng.

8 1. Die Reichsversicheruug umfaßt die Krankenversicherung, die Unfallversicherung, die Invalidenversicherung.

i) S. o. S. 236.

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 1—14.

895

8 2.

Es gelten die besonderen Vorschriften der §§ 165 bis 536 für die Krankenversicherung, der §§ 537 bis 1225 für die Unfallversicherung, und zwar der §§ 537 bis 914 für die gewerbliche, der §§ 915 bis 1045 für die landwirtschaftliche und der §§ 1046 bis 1225 für die See-Unfallversicherung, der §§ 1226 bis 1500 für die Invalidenversicherung.

Zweiter Abschnitt.

Träger der Reichsverficherung. I. Bezeichnung.

8

3» Träger der Reichsversicherung sind, soweit dieses Gesetz nichts anderes vorschreibt, für die Krankenversicherung die Krankenkassen, für die Unfallversicherung die Berufsgenossenschaften, für die Invalidenversicherung die Versicherungsanstalten. Für diese Bersicherungsträger gelten die Vorschriften der §§ 4 bis 34. II. Rechtsfähigkeit.

8 4.

Die Träger der Versicherung sind rechtsfähig. III. Organe.

8 9.

Jeder Bersicherungsträger hat einen Vorstand. Dieser vertritt ihn gerichtlich und außergerichtlich Er hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters. Beschränkungen des Umfanges der Bertretungsmacht, die sich nicht aus dem Gesetz ergeben, kann mit Wirkung gegen Dritte die Satzung bestimmen. Sie kann es nur, soweit dieses Gesetz es zuläßt Tte Satzung kann bestimmen, daß auch einzelne Vorstandsmitglieder den Versicherungsträger vertreten können.

88 6-11.-

-----------IV. Ehrenämter.

8 12.

Wählbar zu den Organen der Versicherungsträger sind nur voll­ jährige Teutsche. Nicht wählbar ist, 1. wer infolge strafgerichtlicher Verurteilung die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter verloren hat oder wegen eines Verbrechens oder Ver­ gehens, das den Verlust dieser Fähigkeit zur Folge haben kann, verfolgt wird, falls gegen ihn das Hauptverfahren eröffnet ist, 2. wer infolge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über sein Ver­ mögen beschränkt ist. 8 13 Wählbar als Vertreter der Unternehmer oder anderen Arbeit-? geber ist, wer regelmäßig mindestens einen Versicherungspflichtigen beschäftigt, der bei dem Versicherungsträger versichert ist. Ten Unternehmern oder anderen Arbeitgebern stehen bevollmächtigte Be­ triebsleiter, den Arbeitgebern bei den Wahlen zu den Organen der Krankenkassen auch Geschäftsführer und Betriebsbeamte der beteiligten Arbeit­ geber (§ 332 Abs. 2), den Unternehmern bei den Wahlen zu den Organen der Berufsgenossenschaften auch die gesetzlichen Vertreter der Genossenschafts­ mitglieder gleich. Nicht wählbar sind Mitglieder einer Behörde, die Aufsichtsbefugnisse über einen Versicherungsträger hat.

8 14 Wählbar als Vertreter der Versicherten ist nur, wer bei dem Ver­ sicherungsträger versichert ist. Bei der Kranken- und der Invalidenversicherung werden Versicherte für die Bildung der Organe den Arbeitgebern zugerechnet, wenn sie regel­ mäßig mehr als zwei Versicherungspflichtige beschäftigen. Bei der Unfall-

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Anhang.

Versicherung werden versicherte Mitglieder der Berufsgenossenschaften den Unternehmern zugerechnet, wenn sie regelmäßig mindestens einen Versiche­ rungspflichtigen beschäftigen.

§ 15. Tie Vertreter der Unternehmer oder anderen Arbeitgeber und der Versicherten werden nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Wird dabei die Stimmabgabe auf Vorschlagslisten beschränkt, so bestimmt die Satzung, bis wann sie einzureichen sind; die Wahl ist, unbeschadet der Vor­ schlagslisten, geheim. § 16. Tie Wahlzeit dauert vier Jahre. Tie Gewählten bleiben nach Ablauf dieser Zeit im Amte, bis ihre Nach­ folger eintreten. Wer ausscheidet, kann wiedergewählt werden.

8 17. Wer als Unternehmer oder anderer Arbeitgeber wählbar ist, kann die Wahl nur ablehnen, wenn er 1. das sechzigste Lebensjahr vollendet hat, 2. mehr als vier minderjährige eheliche Kinder hat; Kinder, die ein an­ derer an Kindes Statt angenommen hat, werden dabei nicht gerechnet, 3. durch Krankheit oder Gebrechen verhindert ist, das Amt ordnungsmäßig zu führen, 4. mehr als eine Vormundschaft oder Pflegschaft führt. Die Vormundschaft oder Pflegschaft über mehrere Geschwister gilt nur als eine; zwei Gegen­ vormundschaften stehen einer Vormundschaft, ein Ehrenamt der Reichs­ versicherung einer Gegenvormundschaft gleich, 5. nur Hausgehilfen beschäftigt. Nach mindestens zweijähriger Amtsführung kann eine Wiederwahl für die nächste Wahlzeit abgelehnt werden. Die Satzung kann noch andere Ablehnungsgründe zulassen. 8 18. Ein Unternehmer oder anderer Arbeitgeber, der die Wahl ohne zulässigen Grund ablehnt, kann vom Vorsitzenden des Vorstandes mit Ord-rungsstrafe in Geld bestraft werden. 8 19. Der Vorsitzende kann gegen ein Mitglied des Vorstandes, das sich der Erfüllung seiner Pflichten entzieht, eine Ordnungsstrafe in Geld ver­ hängen. Er hat die Strafe zurückzunehmen, wenn nachträglich eine genü­ gende Entschuldigung nachgewiesen wird.

8 20. In den Fällen der §§ 18, 19 entscheidet auf Beschwerde die Auf­ sichtsbehörde endgültig. 8 21. Die Gewählten verwalten ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt. Der Versicherungsträger erstattet ihnen ihre baren Auslagen und gewährt den Vertretern der Versicherten Ersatz für entgangenen Arbeitsverdienst oder statt dessen einen Pauschbetrag für Zeitverlust. Einen solchen Pauschbetrag kann die Satzung auch den Vertretern der Unternehmer oder anderen Arbeit­ geber Aubilligen. Die Festsetzung der Pauschbeträge bedarf der Zustimmung der Behörde, welche die Satzung genehmigt. Tie ehrenamtlichen Mitglieder des Vorstandes dürfen nicht zugleich be­ soldete Beamte des Bersicherungsträgers sein.

8 22. Tie Vertreter der Versicherten haben ihrem Arbeitgeber jede Ein­ berufung zu den Organen anzuzeigen. Tun sie es rechtzeitig, so gibt das Fernbleiben von der Arbeit dem Arbeitgeber keinen wichtigen Grund, das Arbeitsverhältnis ohne Einhalten einer Kündigungsfrist zu lösen. 8 23. Die Mitglieder der Organe haften dem Versicherungsträger für .getreue Geschäftsverwaltung wie Vormünder ihren Mündeln. Der Ver­ sicherungsträger kann auf Ansprüche aus der Haftung nur mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde verzichten. Diese kann die Haftung an Stelle und auf Kosten des Bersicherungsträgers geltend machen. Ein Mitglied, das vorsätzlich zum Nachteil des Bersicherungsträgers handelt, wird mit Gefängnis bestraft. Daneben kann auf Verlust der bürger-

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 15—35.

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lichen Ehrenrechte erkannt werden. Hat das Mitglied die Handlung begangen, um sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen, so kann neben der Gefängnisstrafe auf Geldstrafe erkannt werden. Bei Beratung über solche Gegenstände, welche das Privatinteresse eines Mitglieds oder seiner Angehörigen berühren, muß sich das Mitglied der Teil­ nahme an der Beratung und Abstimmung enthalten, auch sich während der Beratung aus dem Sitzungszimmer entfernen.

§ 24. Werden von einem Gewählten Tatsachen bekannt, die seine Wähl­ barkeit oder seine Vertrauenswürdigkeit für die Geschäftsführung ausschließen, so hat ihn der Vorstand, wenn es sich jedoch um eine Krankenkasse handelt, die Aufsichtsbehörde seines Amtes durch Beschluß zu entheben. Vor der Beschlußfassung ist ihm Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Gegen den Beschluß ist die Beschwerde beim Reichsversicherungsamte (Beschlußsenat), wenn es sich jedoch um eine Krankenkasse handelt, beim Ober­ versicherungsamte (Beschlußkammer) zulässig. Ein Gewählter wird auf seinen Antrag durch Beschluß des Vorstandes des Amtes enthoben, wenn bei ihm während der Wahlzeit einer der AbLohnungsgründe nach § 17 Ms. 1 Nr. 2 bis 5 eintritt.

V. Vermögen. 88 25-29. ------------VI. Aufsicht.

8 30.

Das Aufsichtsrecht der Aufsichtsbehörde erstreckt sich darauf, daß Gesetz und Satzung so beobachtet werden, wie es der Zweck der Versicherung er­ fordert. Das gilt nicht, soweit die Versicherungsträger nach ihrem Ermessen zu verfügen berechtigt sind. Die Aufsichtsbehörden sind, soweit sie Landesbehörden sind, an allgemeine Weisungen der obersten Verwaltungsbehörde ihres Landes, soweit sie Reichs­ behörden sind, an allgemeine Weisungen des zuständigen Reichsministers ge­ bunden. Ter Reichsarbeitsminister kann für die Ausübung des Aufsichtsrechts Richtlinien erlassen.

8 31. Tie Aufsichtsbehörde kann jederzeit die Geschäfts- und Rechnungs­ führung des Versicherungsträgers prüfen. Tie Mitglieder seiner Organe, seine Vertrauensmänner, Beamten und Angestellten haben der Aufsichtsbehörde oder ihren Beauftragten auf Ver­ langen alle Bücher, Rechnungen, Belege und Verhandlungen sowie die von ihnen verwahrten Urkunden, Wertpapiere und Bestände vorzulegen und alles mitzuteilen, was zur Ausübung des Aufsichtsrechts gefordert wird. Tie Aufsichtsbehörde kann die im Abs. 2 Bezeichneten, vorbehaltlich des § 985 Abs. 2, durch Zwangsstrafen in Geld anhalten, das Gesetz und die Satzung zu befolgen. 88 32-34. -

-

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Dritter Abschnitt.

BerficherungsbehSrden. I. Allgemeines.

8 35.

Die öffentlichen Behörden der Reichsversicherung sind die ,Versicherungsämter (§§ 36 bis 60), die Oberversicherungsämter (§§ 61 bis 81), das Reichsversicherungsamt und die Landesversicherungsämter (§§ 83 bis 109). Soweit nicht dieses Gesetz den • Geschäftsgang und das Verfahren der Versicherungsbehörden ordnet, geschieht es, vorbehaltlich des § 109 Abs. 1, durch Verordnung des Reichspräsidenten mit Zustimmung des Reichsrats. Allfrld, Strafgeseygevuug. «. Äufl. 57

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Anhang.

II. Bersicherungsäurter. 1. Errichtung.

8 36. Bei jeder unteren Verwaltungsbehörde wird eine Abteilung für Re;ichsversicherung (Bersicherungsamt) errichtet. Die oberste Verwaltungs­ behörde kann bestimmen, daß für die Bezirke mehrerer unterer Verwaltungs­ behörden bei einer dieser Behörden ein gemeinsames Versicherungsamt errichtet wird. Tie Regierungen mehrerer Länder können für ihre Gebiete oder Teile davon die Errichtung eines gemeinsamen Bersicherungsamts bei einer unteren Verwaltungsbehörde vereinbaren.

8 37. Die Versicherungsämter nehmen nach den Vorschriften dieses Ge­ setzes die Geschäfte der Reichsversicherung wahr und erteilen in Angelegen­ heiten der Reichsversicherung Auskunft. Sie können nach den Vorschriften dieses Gesetzes die Versicherungsträger in deren Angelegenheiten unterstützen. Ter Reichsarbeitsminister kann mit Zustimmung der obersten Verwal­ tungsbehörde den Versicherungsämtern nach Anhören des Reichsknappschafts­ vereins Aufgaben aus der knappschaftlichen Versicherung übertragen. 8 38. -----

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2. Zusammensetzung.

8 39. Der Leiter der unteren Verwaltungsbehörde ist der Vorsitzende des Versicherungsamts. Es werden ein ober mehrere ständige Stellvertreter des Vorsitzenden bestellt. Zum Stellvertreter kann bestellt werden, wer durch Vorbildung und Erfahrung aus dem Gebiete der ReichsversicherunH geeignet ist. Die Bestellung bedarf der Zustimmung des Oberversicherungsamts, soweit nicht die ständigen Stellvertreter nach Landesrecht wie die höheren Verwal­ tungsbeamten bestellt werden. Ist das Bersicherungsamt bei einer gemeindlichen Behörde errichtet, so bestellt die Stellvertreter des Vorsitzenden der Gemeindeverband, dessen Bezirk den des Versicherungsamts umfaßt. Wo das Landesgesetz für die Wahl höherer gemeindlicher Beamten eine Bestätigung vorschreibt, gilt es auch für die Be­ stellung der Stellvertreter des Vorsitzenden des Bersicherungsamts.

8 40. In den vom Gesetze bestimmten Fällen sind als Beisitzer des Ber­ sicherungsamts Versicherungsvertreter beizuziehen. Sie werden je zur Hälfte aus Arbeitgebern und aus Versicherten entnommen. 8 41. Ihre Zahl beträgt zusammen mindestens zwölf; sie kann vom Bersicherungsamte mit Genehmigung des Oberversicherungsamts sowie von diesem nach Anhören des Bersicherungsamts erhöht werden. Ein Versicherungsvertreter darf nicht zugleich besoldeter Beamter des Versicherungsamts oder Versicherungsvertreter bei einem anderen Versicherungs­ amt oder Beisitzer bei einem Oberversicherungsamt oder nichtständiges Mit­ glied des Reichs- oder eines Landesversicherungsamts sein. 8 42. Die Versicherungsvertreter werden von den Vorstandsmitgliedern der Krankenkassen gewählt, die im Bezirke des Bersicherungsamts mindestens fünfzig Mitglieder haben. An der Wahl nehmen ferner teil die Vorstandsmitglieder der 1. Ersatzkassen, 2. Seemannskassen und anderen obrigkeitlich genehmigten Vereinigungen von Seeleuten zur Wahrung ihrer Rechte, soweit sie im Bezirke des Versicherungsamts mindestens fünfzig Mitglieder haben; die Ersatzkassen und die außerhalb des Bezirkes des Bersicherungs­ amts seßhaften Kassen außerdem nur, wenn sie ihre Beteiligung an der Wahl dem Wahlleiter rechtzeitig anmelden und die Zahl ihrer Mitglieder in diesem Bezirke nachweisen. An Stelle der Vertreter der Versicherten im Vorstand wählen bei den Ersatzkassen, die örtliche Verwaltungsstellen haben, die Geschäftsleiter der für den Bezirk des Versicherungsamts zuständigen örtlichen Verwaltungsstellen.

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 36—52.

899

8 43. Die Stimmenzahl einer Kasse richtet sich nach ihrer Mitgliederzahl im Bezirke des Bersicherungsamts und wird von ihm vor jeder Wahl festgesetzt. Diese Stimmenzahl wird auf die Vorstandsmitglieder und die an ihrer Statt nach § 42 Abs. 3 Wahlberechtigten gleichmäßig verteilt. ' 8 44. In den Kassenvorständen nehmen die Mitglieder aus den Arbeit­ gebern nur an der Wahl der Arbeitgebervertreter, die Mitglieder aus den Versicherten nur an der Wahl der Versichertenvertreter teil. Vorstände, die keine Arbeitgeber enthalten, nehmen nur an der Wahl der Versichertenvertreter teil. Bei Kassen der im § 42 Abs. 2 bezeichneten Art, die keine Vertreter der Versicherten im Vorstände haben, wählen sonst bei ihnen vorhandene Arbeiter­ vertreter. Was von den Vorständen gilt, gilt entsprechend von den an ihrer Statt nach § 42 Abs. 3 Wahlberechtigten. 8 45. Die Wahl geschieht schriftlich und nach den Grundsätzen der Ver­ hältniswahl. Die oberste Verwaltungsbehörde erläßt eine Wahlordnung. Der Vorsitzende des Bersicherungsamts leitet die Wahl. Bei Streit über die Wahl entscheidet das Oberversicherungsamt end­ gültig. 8 46. Für die Versicherungsvertreter werden in der gleichen Weise Stell­ vertreter nach Bedarf bestimmt. Für Versicherungsvertreter, die vor Ablauf ihrer Wahlzeit ausscheiden, rücken die Stellvertreter ein. 8 47. Wählbar sind nur Teutsche, die im Bezirke des Bersicherungsamts wohnen oder ihren Betriebsitz haben oder beschäftigt werden, und die nicht nach § 12 ausgeschlossen sind. Wählbar sind nur Versicherte, ihre Arbeitgeber und deren bevollmächtigte Betriebsleiter. Versicherte werden den Arbeitgebern zugerechnet, wenn sie regel­ mäßig mehr als zwei Versicherungspflichtige beschäftigen. Bei Bersicherungsämtern an der Seeküste können zu Vertretern der Ver­ sicherten auch befahrene Schissahrtkundige gewählt werden, die nicht Reeder, Reedereileiter (Korrespondentreeder, §§ 492 bis 499 des Handelsgesetzbuchs) oder Bevollmächtigte sind. 8 48. Die Versicherungsvertreter sollen mindestens je zur Hälfte an der Unfallversicherung beteiligt sein. 8 49. Die Versicherungsvertreter sollen mindestens je zu einem Drittel am Sitze des Bersicherungsamts selbst oder nicht über zehn Kilometer entfernt wohnen oder beschäftigt sein. Bei der Wahl sollen die hauptsächlichsten Erwerbszweige, insbesondere die Landwirtschaft, uno die verschiedenen Teile des Bezirkes berücksichtigt werden. Die oberste Verwaltungsbehörde kann darüber Besonderes oder Abweichen­ des bestimmen. 8 50. Tie §§ 16, 17, 22 gelten entsprechend; jedoch beschließt über die Zulässigkeit anderer Ablehnungsgründe das Bersicherungsamt. Solange und soweit keine Wahl zustande kommt oder die Gewählten die Dienstleistung verweigern, beruft der Vorsitzende des Bersicherungsamts Vertreter aus der Zahl der Wählbaren. 8 51. Wer die Wahl oder die Berufung ohne zulässigen Grund ablehnt, kann vom Vorsitzenden des Versicherungsamts mit Ordnungsstrafe in Geld bestraft werden. Das Bersicherungsamt kann einen Vertreter von seinem Amt entbinden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Aus Beschwerde entscheidet das Oberversicherungsamt (Beschlußkammer) endgültig. 8 52. Werden von einem Versicherungsvertreter Tatsachen bekannt, die seine Wählbarkeit ausschließen oder eine grobe Verletzung seiner Amtspflicht darstellen, so enthebt ihn der Vorsitzende seines Amtes.

900

Anhang.

Auf Beschwert entscheidet das Oberversicherungsamt (Beschlußkammer) emdgültig. 8 53. Ter Vorsitzende verpflichtet die Versicherungsvertreter vor ihrer ersten Tienstleistung auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Pflichten. Ter Vorsitzende kann gegen einen Vertreter, der sich der Erfüllung seiner Pflichten entzieht, eine Ordnungsstrafe in Geld verhängen. Er hat die Strafe xurstckzunehmen, wenn nachträglich eine genügende Entschuldigung rurchgewiesen wird. Aus Beschwerde entscheidet das Oberversicherungsaint (Beschlußkammer) endgültig.

88 54, 55. -------------

-

3. Ausschüsse.

88 56-58. -

4. ft o st e n.

8 59. Sämtliche Kosten des Bersicherungsamts trägt das Land. Ist das Bersicherungsamt bei einer gemeindlichen Behörde errichtet, so trägt sie der Gemeindeverband, dessen Bezirk den des Versicherungsamts umfaßt. Ist ein Bersicherungsamt für die Bezirke mehrerer unterer Verwaltungsbehörden ge­ meinsam errichtet, so bestimmt die oberste Verwaltungsbehörde die Kostenver­ teilung. Die Versicherungsträger haben die in Spruchsachen (§§ 1608 bis 1674) entstehenden Barauslagen des Verfahrens mit Ausnahme der Bezüge der Ver­ sicherungsvertreter zu erstatten, soweit die Barauslagen nicht nach Abs. 3 zu erstatten sind. In die Kasse des Landes oder des Gemeindeverbandes Abs. I) fließen die Geldstrafen nach 851 Abs. 1, § 53 Ms. 2, §■ 1577 Abs. l/§ 1617 Abs. 1, § 1626 Abs. 1, § 1652 Abs. 3, § 1664 Abs. 1 sowie die besonders auferlegten Verfahrenskosten (§ 1802) und die Beiträge nach § 60.

8 60. -----

---------

III. Oberversicherungsämter. 1. Errichtung.

8 61. Die Oberversicherungsämter nehmen nach den Vorschriften dieses Gesetzes die Geschäfte der Reichsversicherung als höhere Spruch-, Beschluß- und Aufsichtsbehörde wahr. 8 62. Das Oberversicherungsamt wird in der Regel für den Bezirk einer höheren Verwaltungsbehörde errichtet. Tie oberste Verwaltungsbehörde kann den Bezirk anders abgrenzen. Die Regierungen mehrerer Länder können für ihre Gebiete oder Teile davon ein gemeinsames Oberversicherungsamt errichten. 8 63. Oberversicherungsämter können von der obersten Verwaltungsbe­ hörde auch errichtet werden für 1. Betriebsverwaltungen und Dienstbetriebe des Reichs oder der Länder, die eigene 'Betriebskrankenkassen haben, 2. Gruppen von Betrieben, für deren Beschäftigte Sonderanstalten die In­ validenversicherung besorgen. Für diese besonderen Oberversicherungsämter gelten § 62 Abs. I, §§ 73, 80 nicht. Im übrigen gelten für sie die Vorschriften über die Oberversicherungs­ ämter, soweit die §§ 70, 75, 81 nichts anderes vorschreiben. Ihre Zuständigkeit bestimmt die oberste Verwaltungsbehörde.

8 64. Die oberste Verwaltungsbehörde kann die Oberversicherungsämter an höhere Reichs- oder Landesbehörden angliedern oder als selbständige Landesbehörden errichten. 8 65. Die oberste Verwaltungsbehörde bestimmt den Sitz des Oberversichepungsamts.

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 53—76.

901

Bei einem gemeinsamen Oberversicherungsamt ist die Zustimmung der be­ teiligten Landesregierungen erforderlich. 8 66. Die oberste Verwaltungsbehörde teilt Sitz und Bezirk aller Oberversichcrungsämter ihres Bereichs binnen einem Monat nach deren Errichtung oder Änderung dem Reichsversicherungsamte zur Veröffentlichung mit.

8 67. Wird das Oberversicherungsamt an eine höhere Reichs- oder Lan­ desbehörde angegliedert, so ist ihr Leiter zugleich der Vorsitzende. Als sein ständiger Stellvertreter wird ein Direktor des Oberversicherungsamts bestellt. 2.

Zusammensetzung.

8 68. Tas Oberversicherungsamt besteht aus Mitgliedern und Beisitzern. 8 69. Das Oberversicherungsamt hat außer dem Direktor mindestens noch ein Mitglied zugleich als dessen Stellvertreter. Für jedes Mitglied wird mindestens ein Stellvertreter bestellt. Die Mitglieder werden im Hauptamt oder für die Dauer des Hauptamts aus der Zahl der öffentlichen Beamten, der Direktor auf Lebenszeit oder nach Landesrecht unwiderruflich ernannt. 8 70. Die oberste Verwaltungsbehörde kann bestimmen, daß dem Direktor noch andere Dienstgeschäfte übertragen werden, und daß die übrigen Mitglieder sowie bei besonderen Oberversicherungsämtern auch der Direktor das Amt im Nebenberuf ausüben. 8 71. Die Beisitzer werden je zur Hälfte aus Arbeitgebern und Ver­ sicherten gewählt. Die Zahl der Beisitzer beträgt vierzig; sie kann von der obersten Ver­ waltungsbehörde erhöht oder vermindert werden. Ein Beisitzer darf nicht zugleich nichtständiges Mitglied des Reichs- oder eines Landesversicherungsamts sein. 8 72 ist weggesallen. 8 73. Die Beisitzer aus den Arbeitgebern werden von den Arbeitgeber­ mitgliedern, die Beisitzer aus den Versicherten von den Versichertenmitgliedern der Ausschüsse der Versicherungsanstalten gewählt, zu deren Bezirke das Obervevsicherungsamt gehört. Bei Zugehörigkeit des Oberversicherungsamts zu mehreren Versicherungsanstalten setzt das Reichsversicherungsamt das Stim­ menverhältnis nach der Zahl der Versicherten fest. Die Wahl geschieht nach den Grundsätzen der Verhältniswahl. Tas Reichs­ versicherungsamt erläßt die Wahlordnung. 8 74. Die Wahl geschieht schriftlich. Der Direktor des Oberversicherungs­ amtes leitet die Wahl. Bei Streit über die Wahl entscheidet das Oberversicherungsamt (Be­ schlußkammer) endgültig. 8 75. Die Arbeitgeberbeisitzer für ein besonderes Oberversicherungsamt werden von den Arbeitgebervorstandsmitgliedern der Betriebskrankenkasse oder der Sonderanstalt gewählt; sind in einem Vorstand keine Arbeitgebervertreter vorhanden, so wählen die in einem anderen Verwaltungsorgan vorhandenen Arbeitgebervertreter. Die Bersichertenbeisitzer werden nach den Grundsätzen der Verhältniswahl von den Bersicherten-Ausschußmitgliedern der Betriebskrankenkasse oder der Sonderanstalt gewählt; soweit eine Sonderanstalt keinen Ausschuß hat, wählen die in einem anderen Verwaltungsorgan vorhandenen Versichertenvertreter. Die oberste Verwaltungsbehörde bestimmt das Nähere. Bei Sonderan­ stalten der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft kann die oberste Verwaltungs­ behörde auch bestimmen, daß die Versichertenbeisitzer von den Versichertenver­ tretern im Vorstande der Anstalt zu wählen sind. 8 76. Die §§ 46 bis 48, § 49 Abs. 2, 3, §§ 50 bis 54 gelten entsprechend für Wahl, Rechte und Pflichten der Beisitzer sowie ihrer Stellvertreter. Je­ doch .gehen Beschwerden (§ 51 Abs. 3, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 3) an die oberste Bevwaltungsbehörde.

902

Anhang. 3. Kammern. 88 77-79. -----------------------------------------------------------------------------------------------

4. Aufsicht. Kosten.

.8 89. Sämtliche Kosten des Oberversicherungsamts trägt das Land. Die Bersicherungsträger haben für jede Spruchsache, an der sie beteiligt sind, einen Pauschbetrag zu entrichten, den der Reichsarbeitsminister mit Zustimmung des Reichsrats für jedes Gebiet der Reichsversicherung einheitlich festsetzt. Die Pauschbeträge sollen die tatsächlichen Kosten der Oberversicherungsämter ohne die Bezüge der Mitglieder und ihrer Stellvertreter zur Hälfte decken. In die Kasse des Landes fliesten die Geldstrafen nach den §§ 76, 1679 sowie die nach § 1802 besonders auferlegten Verfahrenkosten. Sind in einem Falle solche Kosten zu erstatten, so vermindert sich der Pauschbetrag entsprechend. 8 81. Alle Kosten der für Betriebe des Reichs oder eines Landes errich­ teten besonderen Oberversicherungsämter fallen den Verwaltungen der Betriebe zur Last. Diesen fliesten die Einnahmen (§ 80 Abs. 2) zu. Alle Kosten der übrigen besonderen Oberversicherungsämter erhält nach Abzug der Einnahmen (§ 80 Abs. 2) das Land von den beteiligten Versichevungsträgern erstattet. 8 82 ist weggefallen. IV. ReichSverficherungSamt.

LandeSverficherungsämter.

1. Geschäftskreis. Sitz. 8 83. Das Reichsversicherungsamt nimmt nach den Vorschriften dieses Gesetzes die Geschäfte der Reichsversicherung als oberste Spruch-, Beschluß- und Aufsichtsbehörde wahr. Es hat seinen Sitz in Berlin. 8 84. Seine Entscheidungen sind endgültig, soweit dieses Gesetz nichts anderes vorschreibt. 8 84 a. Die Versicherungsträger haben dem Reichsvcrsicherungsamte nach seinen Bestimmungen diejenigen Mitteilungen zu machen, deren es zu seinen statistischen, rechnerischen und versicherungstechnischen Arbeiten bedarf.

2. Zusammensetzung. 8 85. Das Reichsversicherungsamt besteht aus ständigen und nichtstän­ digen .Mitgliedern. 8 86. Der Reichspräsident ernennt den Präsidenten und die übrigen stän­ digen Mitglieder auf Vorschlag des Reichsrats auf Lebenszeit. Aus den ständigen Mitgliedern ernennt der Reichspräsident die Direktoren und die Senatspräsidenten. Tie übrigen Beamten ernennt der Reichsarbeitsminister. 8 87. Das Reichsversicherungsamt hat zweiunddreistig nichtständige Mit­ glieder. Achl von ihnen wählt der Reichsrat, und zwar mindestens sechs aus seiner Mitte; je zwölf werden als Vertreter der Arbeitgeber und der Ver­ sicherten gewählt. Für die Arbeitgeber und Versicherten werden in der gleichen Weise Stell­ vertreter nach Bedarf gewählt. Für Mitglieder, die vor Ablauf ihrer Wahl­ zeit ausscheiden, rücken die Stellvertreter in der Reihenfolge ihrer Wahl ein. 8 88 ist weggefallen. 8 89. Tie zwölf Arbeitgeber werden von den Arbeitgebermitgliedern, die zwölf Versicherten von den Bersichertenmitgliedern in den Ausschüssen der Ver­ sicherungsanstalten und in den entsprechenden Vertretungen der Sonderanstalten mit Ausnahme des Reichsknappschaftsvereins nach den Grundsätzen der Ver­ hältniswahl gewählt. Die Ausschußmitglieder, welche dem Gewerbe ange­ hören, wählen je sieben Vertreter aus dem Bereiche der Gewerbe-Unfallver­ sicherung und je einen Vertreter aus dem Bereiche der See-Unfallversicherung. Die der Landwirtschaft angehörenden Ausschustmitglieder wählen je vier nicht­ ständige Mitglieder aus dem Bereiche der landwirtschaftlichen Unfallversiche-

903

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 77—102.

rung. Das Reichsversicherungsamt setzt das Stimmenverhältnis der Wähler nach der Zahl der Versicherten fest und erläßt die Wahlordnung. Bei Sonderanstalten der Teutschen Reichsbahn-Gesellschaft kann die oberste Verwaltungsbehörde bestimmen, daß die Versichertenvertreter im Vorstand der Anstalt wahlberechtigt sind. Das Reichsversicherungsamt leitet die Wahl und veröffentlicht das Wahl­ ergebnis. 88 90, 91 sind weggefallen. 8 92. Wählbar sind nur Deutsche, die nicht nach § 12 ausgeschlossen sind. 8 93. Wählbar als Arbeitgeber sind die stimmberechtigten Mitglieder der Berufsgenossenschaften, deren gesetzlicher Vertreter, die bevollmächtigten Leiter ihrer Betriebe und die Beamten der Betriebe, für die eine Aussührungsbehörde bestellt ist. Wählbar nach § 89 sind außerdem auch Arbeitgeber, die Mitglied im Ausschuß einer Versicherungsanstalt oder in der entsprechenden Vertretung einer Sonderanstalt sind. 8 94. Wählbar als Versicherte sind die nach diesem Gesetze gegen Unfall Versicherten, ferner Versichertenmitglieder im Ausschuß einer Versicherungs­ anstalt, auch wenn sie nicht gegen Unfall versichert sind, und für den Bereich der See-Unfallversicherung auch befahrene Schiffahrtkundige, die nicht Reeder, Reedereileiter oder Bevollmächtigte sind. 8 95. Der § 49 Abs. 2 und die §§ 50 bis 52, § 53, Abs. 2, 3 gelten entsprechend; für die Bestrafung (§ 51 Abs. 1, § 53 Abs. 2) und die Amts­ enthebung (§ 52) ist jedoch das Reichsversicherungsamt (Beschlußsenat) zuständig.

88 96, 97. —

























3. Senate. § 98. Das Reichsversicherungsamt bildet Spruchsenate für die Sachen, die dieses Gesetz dem Spruchverfahren überweist. Der Spruchsenat besteht aus einem Vorsitzenden, einem ständigen Mit­ glied, einem hinzugezogenen richterlichen Beamten, einem Arbeitgeber und einem Versicherten. 8 99. Den Vorsitz im Spruchsenate führt der Präsident, ein Direktor oder ein Senatspräsident. Der Reichsarbeitsminister kann ein anderes stän­ diges Mitglied vorübergehend mit dem Vorsitz betrauen. Ter Reichsarbeitsminister beruft die richterlichen Beamten zu den Spruch­ senaten. 8 100. Dos Reichsversicherungsamt bildet Beschlußsenare für die Sachen, die dieses Gesetz dem Beschlußverfahren überweist. Ter Beschlußsenat besteht aus dem Präsidenten, einem Direktor oder einem Senatspräsidenten als Vorsitzendem, einem vom Reichsrate gewählten nichtständigen, einem ständigen Mitglied, einem Arbeitgeber und einem Ver­ sicherten. An Stelle des vom Reichsrate gewählten kann ein ständiges Mit­ glied treten. 8 101. Das Reichsversicherungsamt bildet den Großen Senat für die Aufgaben, die diesem das Gesetz zuweist. Ter große Senat besteht vorbehaltlich einer Verstärkung nach § 1718 Abs. 2 aus dem Präsidenten oder seinem Vertreter, zwei vom Reichsrate ge­ wählten Mitgliedern, zwei ständigen Mitgliedern, zwei richterlichen Beamten, zwei Arbeitgebern und zwei Versicherten. 8 102. Sind alle vom Reichsrate gewählten Mitglieder des Reichs­ versicherungsamts verhindert, so werden statt ihrer ständige Mitglieder zu­ gezogen. Die übrigen Mitglieder des Großen Senats und mindestens je zwei Stellvertreter werden nach näherer Bestimmung der Verordnung (§ 35 Abs. 2) für ein Geschäftsjahr im voraus bezeichnet. Dabei sind je zwei ständige Mit-

904

Anhang.

glieder und je zwei richterliche Beamte sowie deren Stellvertreter besonders zu bezeichnen für Sachen der Krankenversicherung, Unfallversicherung, Invalidenversicherung. 4. Kosten. ist weggefallen. Die Kosten des Reichsversicherungsamts einschließlich der Kosten des Verfahrens trägt das Reich. In die Reichskasse fließen die Geldstrafen nach § 95, § 1698 Abs. 1, § 1701 Ms. 1, sowie die besonders auferlegten Verfahrenskosten (§ 1802) und die Gebühren nach § 1803.

8 103 8 104.

5. Landesversicherungsämter.

88 105-109. -

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-- -

Vierter Abschnitt.

Sonstige gememsame Vorschriften. I. Behörden.

88 no-114. -----------II. Rechtshilfe. 88 115-117. -----------III. Leistungen. 88 118-121. -----------IV. Ärztliche Behandlung. 88 122 123. - -- -- -- -- -- V. Fristen. 8 124. Richtet sich der Anfang einer Frist nach einem Ereignis oder Zeitpunkt, so beginnt die Frist mit dem Tage, der auf das Ereignis oder den Zeitpunkt folgt. Wird eine Frist verlängert, so beginnt die neue mit Ablauf der alten Anst. 8 125. Eine nach Tagen bestimmte Frist endigt mit dem Ablauf ihres letzten Tages, eine nach Wochen oder Monaten bestimmte Frist mit dem Ab­ lauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Fehlt dem letzten Monat der entsprechende Tag, so endigt die Frist mit dem Monat. 8 126. Braucht ein Zeitraum von Monaten oder Jahren nicht zusam­ menhängend zu verlaufen, so wird der Monat zu dreißig, das Jahr zu dreihundertfünfundsechzig Tagen gerechnet. 8 127. Fällt der für eine Willenserklärung oder Leistung oder den Ab­ lauf einer Frist gefetzte Tag auf einen Sonntag oder einen allgemeinen Feier­ tag, der am Erklärungs- oder Leistungsorte staatlich anerkannt ist, so gilt dafür der nächstfolgende Werktag. Für die Dauer von Leistungen, zu denen ein Bersicherungsträger ver­ pflichtet ist, gilt diese Vorschrift nrcht. 8 128. Rechtsmittel sind, soweit dieses Gesetz nichts anderes vorschreibt, binnen einem Monat nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung ein­ zulegen. I Für Seeleute, die sich außerhalb Europas aufhalten, wird diese Frist von der Stelle bestimmt, welche die angefochtene Entscheidung erlassen hat; sie muß mindestens Drei Monate von der Zustellung an betragen.

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 103—139.

905

8 129. Soweit dieses Gesetz nichts anderes vorschreibt, werden die Rechtsmittel bei der Stelle eingelegt, die zu entscheiden hat. Tie Frist gilt auch dann als gewahrt, wenn das Rechtsmittel recht­ zeitig bei einer anderen inländischen Behörde oder bei einem Organe der Bersicherungsträger, für die See-Unfallversicherung auch bei einem deutschen Seemannsamte des Auslandes eingegangen ist. Tie Rechtsmittelschrist ist unverzüglich an die zuständige Stelle ab­ zugeben. 8 130. Die Rechtsmittel bewirken Aufschub nur da, wo das Gesetz es vorschreibt.

8 131. Ist ein Beteiligter durch Naturereignisse oder andere unabwendbare Zufälle verhindert worden, eine gesetzliche Berfahrensfrist einzuhalten, so wird ihm auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erteilt. Die Wiedereinsetzung wird auf Antrag auch dann erteilt, wenn das ver­ spätet eingelaufene Schriftstück der Post mindestens drei Tage vor Ablauf der Frist zur Bestellung übergeben worden ist. 8 132. Die Wiedereinsetzung ist im Falle des § 131 Abs. 1 binnen einer Frist zu beantragen, deren Dauer durch die Dauer der versäumten Frist be­ stimmt wird. Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis ge­ hoben ist. In den Fällen des § 131 Abs. 2 ist die Wiedereinsetzung binnen einem Monat zu beantragen. Die Frist beginnt mit dem Tage, an welchem dem Beteiligten bekannt wird, daß er die Frist versäumt hat. Nach Ablauf von zwei Jahren, vom Ende der versäumten Frist an, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. 8 133. Der Antrag auf Wiedereinsetzung soll 1. die Tatsachen angeben, welche die Wiedereinsetzung begründen, 2. die Mittel bezeichnen, diese Tatsachen glaubhaft zu machen, und 3. die versäumte Handlung nachholen, wenn es nicht bereits geschehen ist. Er wird bei der Stelle angebracht, bei der die Frist versäumt ist; § 129 Abs. 2, 3 gilt entsprechend. Die Stelle entscheidet, die über die nach­ geholte Handlung zu entscheiden hat. 8 134. Das Verfahren über den Antrag wird mit dem über die nach­ geholte Handlung verbunden, doch kann auch zunächst über den Antrag allein verhandelt und entschieden werden. Für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und ihre An­ fechtung gelten dieselben Vorschriften wie für die nachgeholte Handlung. VI. Zustellungen. 8 135. Zustellungen, die eine Frist in Lauf setzen, können durch ein­ geschriebenen Brief geschehen. Der Postschein begründet nach zwei Jahren seit seiner Ausstellung die Vermutung dafür, daß in der ordnungsmäßigen Frist nach der (Anlieferung zugestellt worden ist. 8 130. Wer nicht im Jnlande wohnt, hat auf Verlangen einen Zustollnngsbevollmächtigten zu benennen. Ist der Aufenthalt unbekannt oder wird der Zustellungsbevollmächtigte nicht in der gesetzten Frist benannt, so kann die Zustellung durch einwöchigen Aushang in den Geschäftsräumen der Behörde oder Stelle ersetzt werden; die Frist darf nicht kürzer als ein Monat sein.

VII. Gebühren und Stempel.

88 137

138. -









-









VIII. Verbote und Strafen. 8 139. Den Arbeitgebern und ihren Angestellten sowie den Bersicherungsträgern ist untersagt, die Versicherten in der Übernahme oder Ausübung eines Ehrenamts der Reichsversicherung zu beschränken oder sie wegen der

906

Anhang.

Übernahme oder der Art der Ausübung eines solchen Ehrenamts zu benach­ teiligen. Ten Arbeitgebern und ihren Angestellten ist ferner untersagt, durch Übereinkunft oder Arbeitsordnung zum Nachteile der Versicherten die An­ wendung der Vorschriften dieses Gesetzes ganz oder teilweise auszuschließen. Vertragsbestimmungen, die dem zuwiderlaufen, sind nichtig.

8 140. Arbeitgeber oder ihre Angestellten, die gegen § 139 Abs. 1 ver­ stoßen, werden mit Geldstrafe oder mit Haft bestraft, sofern nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften härtere Strafe eintritt. 8 141. Wer unbefugt offenbart, was ihm in amtlicher Eigenschaft als Mitglied eines Ordens oder Angestelltem eines Versicherungsträgers, Mitglied oder Angestelltem einer Versicherungsbehörde, Vertreter oder Beisitzer bei einer Versicherungsbehörde über Krankheiten oder andere Gebrechen Versicherter oder ihre Ursachen bekannt geworden ist, wird mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft. Tie Verfolgung tritt nur aus Antrag des Versicherten oder der Auf­ sichtsbehörde ein. Ten Versicherten stehen andere Personen gleich, für die dieses Gesetz eine Leistung eines Versicherungsträgers vorsieht. 8 142. Mit Geldstrafe oder mit Gefängnis werden bestraft die im § 141 Abs. 1 Bezeichneten, die besonderen Sachverständigen nach § 880, wenn sie unbefugt Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse offenbaren, die ihnen in amtlicher Eigenschaft bekannt geworden sind. Tun sie dies, um den Unternehmer zu schädigen oder sich oder anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen, so werden sie mit Gefängnis bestraft. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und auf Geldstrafe erkannt werden. Die Verfolgung tritt im Falle des Abs. 1 nur auf Antrag des Unter­ nehmers ein. 8 143. Tie im § 142 Abs. 1 Bezeichneten werden mit Gefängnis bestraft, wenn sie Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse unbefugt verwerten, um den .Unternehmer zu schädigen oder sich oder anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und auf Geldstrafe erkannt werden. 8 144. Sind in den Fällen des § 142 Abs. 2 oder des § 143 mildernde Umstände vorhanden, so ist auf Geldstrafe zu erkennen. 8 145. Für Beamte, die der Dienstgewalt einer Landesbehörde oder einer gemeindlichen Behörde unterstehen, bewendet es an Stelle der §§ 141 bis 144 bei den für sie geltenden Vorschriften. 8 146. Die Geldstrafen fließen, vorbehaltlich des § 59 Abs. 3, § 80 Abs. 2, § 104 Abs. 2, § 108 Abs. 2 und der §§ 914, 1045, 1224, in dis Kasse des Versicherungsträgers, die gerichtlich erkannten nur, wo es dieses Gesetz vorschreibt. Tie Strafen, außer den gerichtlich erkannten, werden wie Rückstände bei­ getrieben. 8 147. Zuwiderhandlungen gegen die Strafvorschriften dieses Gesetzes, für welche die Gerichte nicht zuständig sind, verjähren in einem Jahre. Tie Verjährung beginnt mit dem Tag, an dem die Handlung begangen ist. Sie wird unterbrochen durch jede gegen den Täter gerichtete Handlung dessen, der zur Verhängung der Strafe zuständig ist. Mit der Unterbrechung be­ ginnt eine neue Verjährung; sie endet spätestens mit Ablauf von zehn Jahren seit dem Tage, an dem die Zuwiderhandlung begangen ist.

8 148. Endgültig verhängte Strafen, die nicht von den Gerichten er­ kannt sind, verjähren in zwei Jahren. Die Verjährung beginnt mit dem Tag, an dem die Entscheidung endgültig geworden ist. Sie wird unterbrochen durch jede auf Vollstreckung der Strafe gerichtete Handlung dessen, dem die Vollstreckung obliegt. Mit der Unterbrechung beginnt eine neue Verjährung;

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 140—157.

907

sie endet spätestens mit Ablauf von vier Jahren seit dem Tage, an dem die Entscheidung endgültig geworden ist. IX. OrtSlohn.

8 140.

Als Ortslohn gilt der ortsübliche Tagesentgelt .gewöhnlicher

Tagarbeiter. Tas Oberversicherungsamt setzt den Ortslohn fest und macht ihn öffent­ lich bekannt. Vorher werden die Vorstände der beteiligten Versicherungs­ anstalten gehört; das Versicherungsamt hat sich nach Anhörung der Ge­ meindebehörden und der Vorstände der beteiligten Krankenkassen gutachtlich zu äußern. 8 150. Der Ortslohn wird für Männer und Frauen, für Versicherte unter sechzehn Jahren, von sechzehn bis einundzwanzig Jahren und über einundzwanzig Jahre besonders festgesetzt. Tie Versicherten unter sechzehn Jahren (Jugendliche) können dabei in junge Leute von vierzehn Jahren an und Kinder unter vierzehn Jahren ge­ schieden werden; Lehrlinge zählen zu den jungen Leuten. Im übrigen wird der Ortslohn einheitlich nach dem Turchschnitte für den ganzen Bezirk jedes Bersicherungsamts festgesetzt. Ausnahmen sind zu­ lässig, tvenu die Lohnhöhe in einzelnen Ortschaften oder zwischen Stadt und Land erheblich abweicht. 8 151. Tie Ortslöhne werden gleichzeitig im ganzen Reiche für Zeit­ räume festgesetzt, die der Reichsarbeitsminister bestimmt. Änderungen in der Zwischenzeit gelten nur bis zur nächsten allgemeinen Festsetzung; sie treten an dem vom Oberversicherungsamte bestimmten Tage in Kraft. 8 152. Der Reichsarbeitsminister veröffentlicht im Reichsministerial­ blatt (Zentralblatt für das Deutsche Reich) mindestens alljährlich eine Liste der inzwischen vorgenommenen Änderungen. X. Beschäftigungsort.

8 153. Beschäftigungsort ist der Ort, an dem die Beschäftigung tatsäch­ lich stattfindet. Für Versicherte, die an einer festen Arbeitsstätte (Betrieb-, Dienststätte) beschäftigt werden, gilt diese als Beschäftigungsort auch, während sie bei Ar­ beiten, die ihre Arbeitgeber außerhalb der Betriebsstätte ausführen läßt, für kürzere Zeit beschäftigt werden. Das gleiche gilt für Versicherte, die von einer festen Arbeitsstätte aus nur mit einzelnen Arbeiten wechselnd in Bezirken verschiedener Orts- oder Land­ krankenkassen beschäftigt werden. Es gilt ferner für Versicherte, die nur für einzelne Arbeiten außerhalb der festen (Arbeitstätte angenommen sind, sofern diese und ihr Arbeitsort im Be­ zirke desselben Versicherungsamts liegen. 8 154. Für Beschäftigungsverhältnisse ohne feste Betriebstätte gilt als Be­ schäftigungsort der Sitz des Betriebs. Für Hausgewerbetreibende gilt als Beschäftigungsort ohne Rücksicht auf den Betriebsitz ihrer Arbeitgeber oder Auftraggeber der Ort, an dem sie ihre eigene Betriebsstätte haben. 8 155. Für Versicherte, die eine Betriebsverwaltung zu einer in verschie­ denen Gemeinden wechselnden Beschäftigung angenommen hat, gilt die Ge­ meinde als Beschäftigungsort, wo die unmittelbare Leitung der Arbeiten ihren Sitz hat. Das Oberversicherungsamt kann anders darüber bestimmen, nachdem es die beteiligten Verwaltungen und Gemeinden oder Gemeindeverbände ge­ hört hat. 8 156. Für Versicherte, die zu landwirtschaftlicher, in verschiedenen Ge­ meinden wechselnder Beschäftigung angenommen sind, gilt der Sitz des Be­ triebs (§§ 963, 964) als Beschäftigungsort. XL Ausländische Gesetzgebung.

8 157. Soweit andere Staaten eine der Reichsversicherung entsprechende Fürsorge durchgeführt haben, kann die Reichsregierung mit Zustimmung des

908

Anhang.

Reichsrats unter Wahrung der Gegenseitigkeit vereinbaren, in welchem Um­ fang für Betriebe, die aus dem Gebiete des einen Staates in das des anderen übergreisen, sowie für Versicherte, die zeitweise im Gebiete des anderen Staates beschäftigt werden, die Fürsorge nach der Reichsversicherungsordnung oder nach den Fürsorgevorschriften des anderen Staates geregelt werden soll. Auf gleichem Wege kann bei entsprechender Gegenleistung die Versicherung von Angehörigen eines ausländischen Staates abweichend von den Vorschriften dieses Gesetzes geregelt und die Durchführung der Fürsorge des einen Staates in dem Gebiete des anderen erleichtert werden. In diesen Vereinbarungen darf die nach diesem Gesetze bestehende Beitragspflicht des Arbeitgebers nicht er­ mäßigt oder beseitigt werden. Diese Vereinbarungen sind dem Reichstag mitzuteilen. Diese Vorschriften gelten entsprechend für eine Fürsorge, die an Stelle der Reichsversicherung tritt.

8 158. Die Reichsregierung kann mit Zustimmung des Reichsrats anord­ nen, daß gegen Angehörige eines ausländischen Staates und ihre Rechtsnach­ folger ein Vergeltungsrecht angewendet wird. XII. Gemeinsame Begriffsbestimmungen.

1. Versicherungspflichtige Beschäftigung.

8 159. Die Beschäftigung eines Ehegatten durch den anderen begründet, vorbehaltlich der Vorschriften der §§ 551, 922, 1062, keine Versicherungs­ pflicht. 2. Entgelt. 8 160. Zum Entgelt im Sinne dieses Gesetzes gehören neben Gehalt oder Lohn auch Gewinnanteile, Sach- und andere Bezüge, die der Versicherte, wenn auch nur gewohnheitsmäßig, statt des Gehalts oder Lohnes oder neben ihm von dem Arbeitgeber oder einem Dritten erhält. Den Wert der Sachbezüge stellt das Bersicherungsamt nach Ortspreisen fest; vorher hat es den beteiligten Krankenkassen Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Die oberste Verwaltungsbehörde kann Näheres bestimmen, insbe­ sondere vorschreiben, daß die Festsetzung des Bersicherungsamts der Zu­ stimmung des Oberversicherungsamts bedarf, und daß das Oberversicherungs­ amt die Festsetzung vorzunehmen hat, wenn es die Genehmigung versagt. 3. Landwirtschaft.

8 161. Die Vorschriften dieses Gesetzes für landwirtschaftliche Betriebe, Arbeitgeber, Unternehmer und Beschäftigte gelten, soweit nichts anderes vor­ geschrieben ist, auch für forstwirtschaftliche Betriebe, Arbeitgeber, Unter­ nehmer und Beschäftigte.

4. Hausgewerbetreibende. 8 162. Als Hausgewerbetreibende im Sinne dieses Gesetzes gelten die selbständigen Gewerbetreibenden, die in eigenen Betriebstätten im Auftrage und für Rechnung anderer Gewerbetreibender gewerbliche Erzeugnisse herstellen oder bearbeiten. Als Hausgewerbetreibende gelten ferner diejenigen, welche in gleicher Weise wie die im Abs. 1 Bezeichneten, aber mit der Maßgabe tätig sind, daß sie im Auftrag und für Rechnung öffentlicher Verbände, öffentlicher Körper­ schaften oder gemeinnütziger Unternehmungen arbeiten. Die im Abs. 1, 2 Bezeichneten gelten als Hausgewerbetreibende auch dann, wenn sie die Roh- oder Hilfstoffe selbst beschaffen, sowie für die Zeit, in der sie vorübergehend für eigene Rechnung arbeiten. Als Arbeitgeber des Hausgewerbetreibenden gilt, wer die Arbeit un­ mittelbar an ihn vergibt.

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 158—166.

909

Als Auftraggeber des Hausgewerbetreibenden gilt derjenige, itt dessen Auftrag und für dessen Rechnung er hausgewerblich arbeitet. 5.

Deutsches

Seefahrzeug.

8 163. Als deutsches Seefahrzeug gilt jedes Fahrzeug, das unter deut­ scher Flagge fährt und ausschließlich oder vorzugsweise zur Seefahrt be­ nutzt wird. Dadurch, daß Angeborene der Schutzgebiete die Reichsflagge führen (§ 10 des Schutzgebietgesetzes, Reichsgesetzbl. 1900 S. 812), wird das Schiff nicht zu einem deutschen Seefahrzeug im Sinne dieses Gesetzes. 6. Geschäftsjahr.

8 164. Geschäftsjahr ist das Kalenderjahr. Zweites Buch.

Aravkeuverficherrmg. Erster Abschnitt.

Umfang -er Berficherung. I. Bersicherungspflicht. 8 165. Für den Fall der Krankheit werden versichert 1. Arbeiter, Gehilfen, Gesellen, Lehrlinge, Hausgehilfen, 2. Betriebsbeamte, Werkmeister und andere Angestellte in ähnlich gehobener Stellung, sämtlich, wenn diese Beschäftigung ihren Hauptberuf bildet, 3. Handlungsgehilfen und -lehrlinge, Gehilfen und Lehrlinge in Apotheken, 4. Bühnenmitglieder und Musiker ohne Rücksicht auf den Kunstwert ihrer Leistungen, 5. Lehrer und Erzieher, 5 a. Angestellte in Berufen der Erziehung, des Unterrichts, der Fürsorge, der Kranken- und Wohlfahrtspflege, die nicht unter Nr. 2 oder 5 fallen, wenn diese Beschäftigung ihren Hauptberuf und die Hauptquelle ihrer Einnahmen bildet, 6. Hausgewerbetreibende, soweit ihnen nicht ein jährliches Einkommen in dem nach § 165 a festgesetzten Betrage sicher ist, 7. die Schiffsbesatzung deutscher Seefahrzeuge, soweit sie weder unter die §§ 59 bis 62 der Seemannsordnung (Reichsgesetzbl. 1902 S. 175 und 1904 S. 167) noch unter die §§ 553 bis 553 b des Handelsgesetzbuchs fällt, sowie die Besatzung von Fahrzeugen der Binnenschiffahrt. Voraussetzung der Versicherung ist für die im Abs. 1 unter Nr. 1 bis 5a und Nr. 7 Bezeichneten, mit Ausnahme der Lehrlinge aller Art, daß sie gegen Entgelt (§ 160) beschäftigt werden, für die unter Nr. 2 bis 5 a Bezeich­ neten sowie für Schiffer außerdem, daß ihr regelmäßiger Jahresarbeits­ verdienst an Entgelt nicht den nach § 165 a festgesetzten Betrag übersteigt. Für die Jahresarbeitsverdienst- (Einkommens-) Grenze werden.Zuschläge, die mit Rücksicht auf den Familienstand gezahlt werden (Frauen-, Kinderzuschläge), nicht angerechnet. 8 165 a. Der Reichsarbeitsminister setzt die Grenzen des jährlichen Ein­ kommens und des Jahresarbeitsverdienstes fest, soweit sie nach § 165 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 2 die Bersicherungspflicht bestimmen. Er hat die Festsetzung dem Reichsrat und dem Ausschuß des Reichstags für soziale Angelegen­ heiten alsbald mitzuteilen und auf ihr gemeinsames Verlangen zu ändern. 8 165 b. Wer die für seine Bersicherungspflicht nach § 165 a maßgebende Berdienstgrenze überschreitet, scheidet erst mit dem ersten Tage des vierten Monats nach überschreiten der Berdienstgrenze aus der Versicherungspflicht aus. Das gleiche gilt sinngemäß für Hausgewerbetreibende bei überschreiten der nach § 165 a maßgebenden Einkommensgrenze. 8 166. Für die Versicherung der in der Landwirtschaft, als Hausgehilfen, unständig oder im Wandergewerbe Beschäftigten, der Hausgewerbetreibenden und ihrer hausgewerblich Beschäftigten sowie der ohne Entgelt beschäftigten Lehrlinge aller Art gelten die besonderen Vorschriften der §§ 416 bis 494.

910

Anhang.

8 167* Sind in einem Lande beim Inkrafttreten dieses Gesetzes andere Gruppen von Beschäftigten verpflichtet, eine landesrechtliche Versicherung ein­ zugehen, so kann die Landesregierung anordnen, daß sie nach diesem Gesetze für den Fall der Krankheit versichert sind, und näheres darüber bestimmen. 8 168. Die Reichsregierung bestimmt, wieweit vorübergehende Dienst­ leistungen versicherungsfrei bleiben. 8 169. Bersicherungssrei sind Beamte, Ärzte und Zahnärzte in Be­ trieben oder im Dienste des Reichs, der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft, eines Landes, eines Gemeindeverbandes, einer Gemeinde oder eines Ver­ sicherungsträgers, .wenn ihnen gegen ihren Arbeitgeber ein Anspruch mindestens entweder auf Krankenhilse in .Höhe und Dauer der Regelleistungen der Krankewkassen (§ 179) oder für die gleiche Zeit auf Gehalt, Ruhegehalt, Wartegeld oder ähnliche Bezüge im anderthalbfachen Betrage des Krankengeldes (§ 182) ge­ währleistet ist. Das gleiche gilt für Beschäftigte der im Abs. 1 bezeichneten Arbeitgeber, die auf Lebenszeit oder nach Landesrecht unwiderruflich oder mit Anrecht auf Ruhegehalt angestellt sind, sowie für Lehrer und Erzieher an öffentlichen Schulen oder Anstalten und ferner für Angehörige der Schutzpolizei im Sinne des § 1 des Reichsgesetzes über die Schutzpolizei der Länder vom 17. Juli 1922 (Reichsgesetzbl. I S. 597). 8 176. Beamte in Betrieben oder im Dienste anderer öffentlicher Ver­ bände oder öffentlicher Körperschaften werden auf Antrag des Arbeitgebers durch die oberste Verwaltungsbehörde von der Versicherungspflicht befreit, wenn ihnen gegen ihren Arbeitgeber einer der im § 169 bezeichneten An­ sprüche gewährleistet ist oder sie lediglich für ihren Beruf ausgebildet werden. Das gleiche gilt für Beamte der bisher landesherrlichen Hof-, Domanial-, Kameral-, Forst- und ähnlichen Verwaltungen, der bisher Herzoglich Braunschweigischen Landschaft und der Fürstlich Hohenzollernschen FideikommißverWallung. Das gleiche gilt ferner für Beschäftigte der im Abs. 1, 2 bezeichneten Arbeitgeber, die aus Lebenszeit oder nach Landesrecht unwiderruflich oder mit Anrecht auf Ruhegehalt angestellt sind. 8 171. Die oberste Verwaltungsbehörde kann auf Antrag des Arbeit­ gebers bestimmen, wieweit auch die als Lehrer und Erzieher an nichtöffentlichen Schulen oder Anstalten oder als Ärzte und Zahnärzte Beschäftigten versiche­ rungsfrei sind, wenn ihnen gegen ihren Arbeitgeber einer der im § 169 be­ zeichneten Ansprüche gewährleistet ist. 8 172. Bersicherungssrei sind 1. Beamte des Reichs, der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft, der Länder, der Gemeindeverbände, der Gemeinden und der Versicherungsträger, Lehrer und Erzieher an öffentlichen Schulen oder Anstalten, solange sie lediglich für ihren Berus ausgebildet werden, 2. Soldaten, die eine der im § 165 bezeichneten Tätigkeiten im Dienste oder während der Vorbereitung zu einer bürgerlichen Beschäftigung aus­ üben, auf die § 169 anzuwenden ist, 2 a. Angehörige der Schutzpolizei, die eine der int S 165 bezeichneten Tätig­ keiten im Dienste der Polizei oder während der Vorbereitung zu einer an­ deren Beschäftigung ausüben, auf die § 169 anzuwenden ist, 3. Personen, die zu ihrer wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf gegen Entgelt tätig sind, 4. Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Diakonissen, Schwestern vom Roten Kreuz, Schulschwestern und ähnliche Personen, wenn sie sich aus überwiegend religiösen oder sittlichen Beweggründen mit Krankenpflege, Unterricht oder anderen gemeinnützigen Tätigkeiten beschäftigen und nicht mehr als freien Unterhalt oder einen geringen Entgelt beziehen, der nur zur Beschaffung der unmittelbaren Lebensbedürfnisse an Wohnung, Ver­ pflegung, Kleidung und dergleichen ausreicht. 8 173. Auf seinen Antrag wird von der Bersicherungspflicht befreit, wer eine Invalidenrente bezieht oder dauernd invalide im Sinne des § 1255 Abs. 2

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 167—182.

911

ist, solange der vorläufig unterstützungspslichtige Träger der Armenfürsorge oinverstanden ist. Auf seinen Antrag wird ferner befreit, wer die Leistungen seiner Kasse für die zulässige Höchstdauer bezogen hat und deshalb keinen Anspruch mehr auf die Leistungen der Krankenhilfe seitens dieser Krankenkasse hat, solange die Arbeitsunfähigkeit oder die Notwendigkeit der Heilbehandlung während der Fortdauer derselben Krankheit besteht. Über den Antrag auf Befreiung entscheidet das Versicherungsamt (Beschlußausschuß) nach Anhörung des Kassenvorstandes. Die Befreiung wirkt vom Eingang des Antrags an. Wird der Antrag abgelehnt, so entscheidet auf Beschwerde das Oberversicherungsamt endgültig. g 174. Auf Antrag des Arbeitgebers werden von der Versicherungs-, pflicht befreit 1. Lehrlinge aller Art, solange sie im Betrieb ihrer Eltern beschäftigt sind, 2. Personen, die bei Arbeitslosigkeit in Arbeiterkolonien oder ähnlichen Wohltätigkeitsanstalten vorübergehend beschäftigt werden g 175. Über den Antrag auf Befreiung (§ 174) entscheidet der Kassen--» vorstand. Die Befreiung wirkt vom Eingang des Antrags an. Wird der Antrag abgelehnt, so entscheidet auf Beschwerde das Ver­ sicherungsamt endgültig.

II. BersicherungSberechtigung. g 176. 1 Bersicherungsfreie Beschäftigte der im § 165 Abs. 1 bezeich­ neten Art 2 Familienangehörige des Arbeitgebers, die ohne eigentliches Arbeits­ verhältnis und ohne Entgelt in seinem Betriebe tätig sind, 3 Gewerbetreibende und andere Betriebsunternehmer, die in ihren Betrieben regelmäßig keine oder höchstens zwei Versicherungspflichtige beschäftigen, können der Versicherung freiwillig beitreten, wenn nicht ihr jährliches Ge­ samteinkommen den vom Reichsarbeitsminister festgesetzten Betrag übersteigt. Für die Festsetzung gilt § 165 a entsprechend. § 165 Abs. 2 Satz 2 gilt ent­ sprechend. Die Reichsregierung bestimmt, wieweit unter der gleichen Voraus­ setzung Personen, die nach § 168 versicherungssrei sind, der Versicherung freiwillig beitreten können. Die Satzung der Krankenkasse kann das Recht zum Beitritt von einer­ bestimmten Altersgrenze und von der Vorlegung eines ärztlichen Gesund­ heitszeugnisses abhängig machen. Die Festsetzung der Altersgrenze bedarf der Zustimmung des Oberversicherungsamts. g 177. Haben beim Inkrafttreten dieses Gesetzes in einem Lande nach Landesrecht noch andere Gruppen das Recht, der Versicherung freiwillig bei­ zutreten, so bewendet es dabei nach näherer Bestimmung der obersten Ver­ waltungsbehörde. g 178 ist weggefallen. Z w e i t er Abschnitt.

Gegenstand der Berficherung. I. Leistungen im allgemeinen. 8 179. Gegenstand der Versicherung sind die in diesem Buche vorge­ schriebenen Leistungen der Krankenkassen (§ 225) an Krankenhilfe, Wochen­ hilfe, Sterbegeld und an Familienhilfe. Diese Leistungen gelten als Regelleistungen der Kassen, und zwar auch dann, wenn die Satzung von den Vorschriften der §§ 188, 192 Gebrauch macht. Gegenstand der Versicherung sind auch die durch die Satzung bestimmten Mehrleistungen; sie sind nur soweit zulässig, wie es dieses Buch vorsieht.

8 180.------g 181 ist weggefallen. II« Krankenhilfe. 8 182. Als Krankenhilfe wird gewährt:

1. Krankenpflege

vom

Beginn

der

Krankheit

an;

sie

umfaßt

ärztliche

912

Anhang.

Behandlung und Versorgung mit Arznei sowie Brillen, Bruchbändern und anderen kleineren Heilmitteln, und 2 Krankengeld in Höhe des halben Grundlohns für jeden Kalendertag, wenn die Krankheit den Versicherten arbeitsunfähig macht; es wird vom vierten Krankheitstag an, wenn aber die Arbeitsunfähigkeit erst später eintritt, vom Tage ihres Eintritts an gewährt. 8 182 a. Von den Kosten für Arznei, Heil- und Stärkungsmittel haben die Versicherten in allen Fällen zehn vom Hundert selbst zu tragen. Gefährden nach pflichtmäßiger Überzeugung des Kassenvorstandes die Aus­ gaben der Kasse für die im Abs. 1 genannten Leistungen die Leistungsfährgffeit der Kasse, so kann er beschließen, daß die Kassenmitglieder die Kosten bis zwanzig vom Hundert selbst zu tragen haben. Auf Verlangen der Mehrheit der Versichertenvertreter im Ausschuß muß der Kassenvorstand den Beschluß auf­ heben. Der Reichsausschuß für Ärzte und Krankenkassen setzt die Ausnahmen von der Vorschrift der Abs. 1, 2 fest. Der Kassenvorstand bestimmt, rote bie Mitglieder mit ihrem Kostenanteile heranzuziehen sind. 88 183—188. ----------8 189. Erhält ein Versicherter Krankengeld gleichzeitig aus einer anderen Versicherung, so hat die Krankenkasse ihre Leistung so weit zu kürzen, daß das gesamte Krankengeld des Mitglieds den Durchschnittsbetrag seines täglichen Arbeitsverdienstes nicht übersteigt. Die Satzung kann die Kürzung ganz oder teilweise ausschließen. 8 190. Die Satzung kann die Mitglieder verpflichten, dem Vorstand, wenn sie Krankengeld oder die Ersatzleistungen dafür beanspruchet, die Höhe der Bezüge mitzuteilen, die sie gleichzeitig aus einer anderen Krankenversiche­ rung erhalten. Die Frage, aus welcher Krankenversicherung die Bezüge her­ rühren, ist nicht gestattet 88 191-194. -----------III. Wochenhilfe. 88 195 a—200. — — — — — IV. Sterbegeld. 88 201-204. -----------V. Familienhilfe. 88 205 a—d. — — — — — VI. Gemeinsame Vorschriften. 88 206—224. — - — - — — — —

Dritter

Abschnitt.

Trager der Versicherung. I. Arten der Krankenkaffen. 8 225. Krankenkassen nach diesem Gesetze sind die Ortskrankenkassen, die Landkrankenkassen, die Petriebskrankenkassen und die Jnnungskrankenkassen. Diesen Krankenkassen können die Mitglieder vereins nicht angehören.

des

Reichsknappschafts­

II. Allgemeine Ortskrankenkaffen und Landkrankenkaffen.

- — - — - — - — III. Besondere Ortskrankenkaffen. 88 239—244. - — — — — — IV. Betriebskrankenkaffen und Jnnungskrankenkaffen. 88 245-257. — — — — —

88 226-238.



r—

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 182 a—313.

913

V. Streitigkeiten. ------------VI. Gleichwertigkeit der Leistungen. §8 259-268. — — VII. Bereinigung, Ausscheidung, Auflösung, Schließung. 88 264-305. — — — — — —

8 258.

Vierter Abschnitt.

Verfassung. I. Mitgliedschaft. 1. Beginn und Ende. 8 306. Die Mitgliedschaft Bersicherungspflichtiger beginnt mit dem Tage des Eintritts in die versicherungspflichtige Beschäftigung. 8 307. Die Mitgliedschaft bei einer neuerrichteten Betriebskrankenkasse beginnt für alle in dem Betriebe beschäftigten Versicherungspflichtigen mit dem Tag, an dem die Kasse ins Leben tritt. 8 308. Das gleiche gilt für versicherungspflichtig Beschäftigte in Be­ trieben, mit denen Jnnungsmitglieder der Innung angehören, bei Errichtung einer Jnnungskrankenkasse oder bei späterem Beitritt des Arbeitgebers zur Innung, vorbehaltlich des § 250 Abs. 3. 8 309. In welche Kasse Versicherte gehören, die gleichzeitig in verschiß denen Arbeitsverhältnissen stehen, richtet sich nach ihrer überwiegenden Be­ schäftigung. Im Zweifel entscheidet das Arbeitsverhältnis, in das sie zuerst ein­ getreten sind. Die Reichsregierung kann hierüber näheres bestimmen. 8 310. Die Mitgliedschaft Versicherungsberechtigter beginnt mit dem Tag ihres Beitritts zur Kasse. Der Beitritt geschieht durch schriftliche oder mündliche Anmeldung beim Vorstand oder bei der Meldestelle (§ 319). Eine Erkrankung, die beim Beitritt bereits besteht, begründet für diese Krankheit keinen Anspruch auf Kassenleistung. Macht die Satzung das Recht zum Beitritt von der Vorlegung eines ärztlichen Gesundheitszeugnisses ab­ hängig (§ 176 Abs. 3), so muß dieses der Anmeldung beigefügt sein. Die Kasse kann Bersicherungsberechtigte, die sich zum Beitritt melden, ärztlich untersuchen lassen. Sie kann binnen einem Monat den Beitritt Er­ krankter und solcher Personen, für die das nach Abs. 2 erforderliche Gesund­ heitszeugnis nicht genügt, mit Wirkung von der Meldung an zurückweisen. 8 311. Arbeitsunfähige bleiben Mitglieder, solange die Kasse ihnen Lei­ stungen zu gewähren hat. 8 312. Die Mitgliedschaft erlischt, sobald der Versicherte Mitglied einer anderen Krankenkasse oder des Reichsknappschaftsvereins wird. 8 313. Scheidet ein Mitglied, das auf Grund der Reichsversicherung oder bei dem Reichsknappschaftsverein in den vorangegangenen zwölf Monaten mindestens sechsundzwanzig Wochen oder unmittelbar vorher mindestens sechs Wochen versichert war, aus der versicherungspslichtigen Beschäftigung aus, so kann es in seiner Lohnstufe oder Klasse Mitglied bleiben, solange es sich regelmäßig im Inland aufhält und nicht nach § 312 ausscheidet. Wer Mitglied bleiben will, muß es der Kasse binnen drei Wochen nach dem Ausscheiden oder im Falle des § 311 nach Beendigung der Kassenleistungen anzeigen. Wer jedoch in der zweiten oder dritten dieser Wochen erkrankt, hat für diese Krankheit, vorbehaltlich des § 214, Anspruch auf die Kassen­ leistungen nur, wenn er die Anzeige in der ersten Woche gemacht hat. Der Anzeige steht es gleich, wenn in der gleichen Frist die satzungsmäßigen Bei­ träge voll gezahlt werden. Mit Zustimmung des Oberversicherungsamts kann die Satzung längere Fristen bestimmen. Für Erwerbslose, die vor dem Beginne der Erwerbslosigkeit versicherungs­ pflichtig waren und deren Unterstützungsdauer abgelaufen ist, beginnt die Erklärungsfrist erst mit dem Tage nach Ablauf dieser Unterstützung. 8Ulf el b, Strafgesetzgebung. 8. AuL. 58

914

Anhang.

8 313 a. Bei Beginn oder während der Dauer der Weiterversicherung kann das Mitglied entsprechend seinen Einkommensverhältnissen seine Ver­ setzung in eine niedere Stufe oder Klasse beantragen Der Kassenvorstand kann die Versetzung des Weiterversicherten in eine höhere Klasse oder Stufe auch ohne seine Zustimmung anordnen, wenn dessen Beiträge in erheblichem Mißverhältnisse zu seinem Gesamteinkommen und zu den ihm im Krankheits­ fälle zu gewährenden Kassenleistungen stehen. Gegen die Ablehnung des An­ trags oder gegen die Anordnung des Vorstandes steht dem Mitglied binnen einem Monat die Beschwerde an das Versicherungsamt zu; dieses entscheidet endgültig. Aus Versicherungsfälle, die bereits einaetreten finb, bleibt die Änderung der Lohnstufe oder Mitgliederklasse ohne Einfluß. 8 314. Die Mitgliedschaft Bersicherungsberechtigter erlischt, wenn sie zweimal nacheinander am Zahltage die Beiträge nicht entrichten und seit dem ersten dieser Tage mindestens vier Wochen vergangen sind. Die Satzung kann diese Frist bis zum nächstfolgenden Zahltag verlängern 8 315. Hat eine Kasse für einen VersicherungsPflichtigen nach vorschrifts­ mäßiger Anmeldung drei Monate ununterbrochen und unbeanstandet die Bei­ träge angenommen, so hat sie ihn, solange sich sein Beschäftigungsverhältnis nicht ändert, als Mitglied mindestens bis zu dem Tag anzuerkennen, wo der Kassenvorstand ihn oder seinen Arbeitgeber schriftlich an eine andere Kasse verweist. 8 316. Bestreitet die andere Kasse seine Zugehörigkeit, so hat die alte Kasse bis zur Entscheidung, vorbehaltlich späterer Erstattung, vorläufig wei­ ter die Beiträge anzunehmen und die Leistungen zu gewähren. 2. Meldungen. 8 317. Die Arbeitgeber haben jeden von ihnen Beschäftigten, der zur Mitgliedschaft bei einer Orts-, Land- oder Jnnungskrankenkasse verpflichtet ist, bei der durch die Satzung oder nach § 319 bestimmten Stelle binnen drei Tagen nach Beginn und Ende der Beschäftigung zu melden. Änderungen des Beschäftigungsverhältnisses, welche die Versicherungspslicht berühren, haben sie gleichfalls binnen drei Tagen zu melden. Die Meldung kann unteröleiben, wenn die Arbeit für kürzere Zeit als eine Woche unterbrochen wird und die Beiträge fortgezahlt werden Die Satzung kann die Meldefrist über den dritten Tag hinaus bis zum letzten Werk­ tag der Kalenderwoche erstrecken. Der Kassenvorstand kann mit Inhabern von Betrieben, für welche die Bei­ träge nach dem wirklichen Arbeitsverdienste bemessen werden (§ 180 Abs. 5), vereinbaren, daß sie Listen über den den Versicherten gezahlten Entgelt an den Zahltagen (§ 393) einzureichen und ihre Bücher und Belege für den Kassenvor­ stand zur Nachprüfung dieser Listen offenhalten. Solange diese Vereinbarung eingehalten wird, fällt die Pflicht zur Erstattung der im Abs. 1 vorgeschrie­ benen Meldungen weg; die Versicherten gelten als angemeldet im Sinne des § 397 a. Die Kasse kann mit Verwaltungen von Betrieben des Reichs, der Länder und Gemeinden sowie mit den Unternehmern von Binnenschiffahrtsbetrieben Abweichendes über die Meldungen vereinbaren. Kommt eine Vereinbarung nicht zustande, so kann das Versicherungsamt aus Antrag die Meldefrist bis auf vierzehn Tage verlängern. Der Reichsarbeitsminister kann Bestimmungen zur Vereinfachung des Meldewesens treffen; soweit diese nicht entgegenstehen, können die obersten Verwaltungsbehörden über Form und Inhalt der Meldungen Vorschriften er­ lassen. 8 318. In der Anmeldung sind auch die Angaben zu machen, die durch die Satzung zur Berechnung der Beiträge gefordert werden. Änderungen in diesen Verhältnissen sind binnen der Meldefrist anzuzeigen. § 317 Abs. 3 gilt entsprechend. Ändert sich der Lohn, so ändert sich die Lohnstufe, wenn nicht die Satzung anders bestimmt, erst mit der nächsten Beitragszahlung.

915

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 313a—328.

8 318 a. Die Arbeitgeber haben der Krankenkasse sowie deren Beauftrag­ ten auf Verlangen Auskunft zu geben über alle Tatsachen, die eine Meldung zu enthalten hat. Sie haben die Geschäftsbücher oder Listen, aus denen diese Tat­ sachen hervorgehen, während der Betriebszeit an Ort und Stelle vorzulegen. Auch dre Versicherten haben über ihren Personenstand sowie Art iinb Dauer ihrer Beschäftigung und ihren Arbeitsverdienst Auskunft zu geben. Das Versicherungsamt kann die Arbeitgeber und die Versicherten durch Zwangsstrafen in Geld zur Erfüllung dieser Pflichten anhalten. Entstehen durch die Überwachung bare Auslagen, so kann das Ver­ sicherungsamt sie auf Antrag der Kasse dem Arbeitgeber auferlegen, wenn er sie durch Pflichtversäumnis verursacht hat. Die Kosten werden wie Gemeinde­ abgaben beigetrieben. Auf Beschwerde in den Fällen der Abs. 2, 3 entscheidet das Oberver-, sicherungsamt endgültig.

8 318 b.1) Soweit der Grundlohn nach dem wirklichen Arbeitsverdienste berechnet wird, kann der Kassenvorstand bestimmen, daß die Arbeitgeber Listen über den den Versicherten gezahlten Entgelt an den Zahltagen einzureichen und ihre Bücher und Belege für den Kassenvorstand zur Nachprüfung dieser Listen ofsenzuhalten haben. Solange die Arbeitgeber diese Verpflichtung einhalten, fällt für sie die Pflicht zur Erstattung der in den §§ 317, 318 vorgeschriebenen Meldungen weg. Die Arbeitgeber haben den in der zuletzt eingereichten Lohn­ liste noch nicht verzeichneten Versicherten bei Eintritt des Versicherungsfalles eine Bescheinigung auszustellen, aus der die Art und Dauer der Beschäftigung sowie die Höhe des gezahlten Entgelts zu ersehen ist. Für Arbeitgeber, welche diesen Bestimmungen des Kassenvorstandes zuwiderhandeln, gilt § 530 entsprechend. § 318 c.1) Erstattet ein Arbeitgeber trotz Aufforderung des Kassenvor­ standes die erforderliche Meldung nicht fristzeitig, so kann für seine Be­ schäftigten der Kassenvorstand bis zur ordnungsmäßigen Meldung den Grund­ lohn in der Höhe festsetzen, die für Versicherte der gleichen Art in Betrieben gleicher Art gilt und ohne Pflicht zur Rückerstattung die entsprechenden Bei­ träge erheben. 8 319. Das Versicherungsamt kann in seinem Bezirke für alle oder mehrere Orts-, Land- und Jnnungskrankenkassen gemeinsame Meldestellen errichten oder deren Geschäfte mit Genehmigung der Gemeindeaufsichtsvehörde den Ortsbehörden übertragen. Die Kosten werden auf die beteiligten Kassen nach Verhältnis des Jahres­ einganges an Beiträgen umgelegt, sofern nicht das Oberversicherungsamt einen anderer! Maßstab bestimmt.

II. Satzung.

88 320-826.

























III. Kaffenorgane.

1.

Zusammensetzung

bei

Orts-

und

Lan d kran ke n k a s s e n.

8 327. Vorstand und Ausschuß besorgen die Geschäfte der Kasse. Die Mitglieder des Ausschusses und deren Ersatzmänner dürfen nicht dem Vorstand angehören; werden sie in den Vorstand gewählt, so scheiden sie mit dem Zeit­ punkt aus dem Ausschuß aus, an dem sie zur Ausübung des Borstandsamtes tatsächlich berufen werden. 8 328. Die Vorstandsmitglieder wählen aus ihrer Mitte in ungetrennter Wahlhandlung den Vorsitzenden des Vorstandes sowie einen oder mehrere Stell­ vertreter für ihn. 1) In der Fassung des Gesetzes v. 26. März 1926 (RGBl. I S. 179). 68*

916

Anhang.

Erhält kein Mitglied die für seine Wahl erforderliche Stimmenmehrheit, so wird die Wahl auf einen anderen Tag anberaumt. Kommt die Wahl auch in der zweiten Sitzung nicht zustande, so gelten die beiden Mitglieder, welche die höchste Stimmenzahl erhalten haben, mit der Maßgabe als gewählt, daß sie den Vorsitz unter gegenseitiger Stellvertretung abwechselnd für je ein Ja.hr zu führen haben. Die Reihenfolge bestimmt sich nach der höchsten Stimmenzahl, bei Stimmengleichheit entscheidet das Los. Für die etwa zu wählenden weiteren Stellvertreter gilt diese Vorschrift entsprechend. 88 329—331 sind weggefallen. 8 332. Der Ausschuß besteht zu einem Drittel aus Vertretern der be­ teiligten Arbeitgeber und zu zwei Dritteln aus Vertretern der Versicherten und zählt höchstens neunzig Vertreter. Beteiligt ist ein Arbeitgeber, der für seine versicherungspflichtigen Be­ schäftigten Beiträge an die Kasse zu zahlen hat und nicht nach § 14 Abs. 2 zu den Versicherten zu rechnen ist.

8 333. Die beteiligten volljährigen Arbeitgeber und die volljährigen Versicherten wählen ihre Vertreter je aus ihrer Mitte, und zwar getrennt unter Leitung des Vorstandes. Die erste Wahl nach Errichtung der Kasse leitet ein Vertreter des Bersicherungsamts, spätere nur, wenn kein Vorstand vorhanden ist. Das Stimmrecht der einzelnen Arbeitgeber ist nach der Zahl ihrer ver­ sicherungspflichtigen Beschäftigten zu bemessen; die Satzung kann es abstufen und eine Höchstzahl der Stimmen vorschreiben. Abstufung und Höchstzahl be­ dürfen der Zustimmung des Oberversicherungsamts. 8 334. Die Frist zwischen der Ausschreibung der Wahl (§ 333) und der Wahl selbst muß mindestens einen Monat betragen; die Satzung kann eine längere Mindestfrist festsetzen. Die Satzung kann bestimmen, daß nach Bezirken oder Berufsgruppen ge­ wählt wird. 8 335. Die Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten im Ausschuß wählen getrennt aus ihrer Gruppe die Vorstandsmitglieder, und zwar die Arbeitgeber ein Drittel und die Versicherten zwei Drittel. 8 336 ist weggefallen. 8 337. Die Satzung kann die Arbeitgeber, die mit Zahlung der Beiträge im Rückstand sind, von Wählbarkeit und Wahlberechtigung ausschließen. 2. Zusammensetzung bei Betriebs- und Jnnungskrankenkassen. 8 338. Für Betriebskrankenkassen gilt § 327 entsprechend. Vorstand und Ausschuß bestehen aus dem Arbeitgeber oder seinem Ver­ treter und aus Vertretern der Versicherten; der Ausschuß zählt höchstens fünfzig Vertreter der Versicherten. Der Arbeitgeber oder sein Vertreter führt den Vorsitz. Er hat die Hälfte der Stimmen, die den Versicherten nach der Satzung zustehen. 8 339. Bei der Betriebskrankenkasse wählen die volljährigen Versicherten aus ihrer Mitte ihre Vertreter im Ausschuß unter Leitung des Vorstandes. § 333 Abs. 2, § 334 Abs. 1 gelten. Diese Vertreter wählen aus den Bev-. sicherten deren Vertreter im Vorstand. 8 340. Wer die Mitgliedschaft bei einer Betriebskrankenkasse freiwillig fortsetzt, ist nur so lange wählbar und wahlberechtigt, als er dem Betrieb angehört, für welchen die Kasse errichtet ist. 8 841. Die §§ 327, 332, 333, § 334 Abs. 1, §§ 335, 337 gelten auch für Jnnungskrankenkassen; den Vorsitzenden und seine Stellvertreter bestellt die Innung aus den Vorstandsmitgliedern.

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 329—349.

917

Haben nach der Satzung (§ 381 Ws. 2) die Arbeitgeber und die Ver­ sicherten je die Hälfte der Beiträge zu tragen, so haben sie je die Hälfte der Vertreter im Ausschuß, diese Vertreter je die Hälfte der Vorstandsmitglieder zu wählen. 3. Pflichten. 8 342. Der Vorstand verwaltet die Kasse, soweit das Gesetz nichts an­ deres bestimmt. 8 343. Der Vorstand ist verpflichtet, den Gewerbeaufsichtsbeamten auf Verlangen Auskunft über Zahl und Art der Erkrankungen zu erteilen. Die oberste Verwaltungsbehörde kann hierüber näheres bestimmen. 8 344. Der Vorstand muß den Trägern der Unfall- sowie der Invaliden­ versicherung gestatten, durch Beauftragte in den Kassenräumen während der Geschäftsstunden die Bücher und Listen einzusehen, um Zahl, Beschäftigungs­ zeit und Lohnhöhe ihrer Versicherten zu ermitteln. 8 345. Der Ausschuß beschließt über alles, was nicht Gesetz, Satzung oder Dienstordnung dem Vorstand zuweist. Dem Ausschuß bleibt Vorbehalten, 1. den Voranschlag festzusetzen, 2. die Jahresrechnung abzunehmen, 3. die Kasse gegenüber den Vorstandsmitgliedern zu vertreten, 4. Vereinbarungen und Verträge mit anderen Kassen zu beschließen, 5. die Errichtung von Melde- und Zahlstellen zu beschließen, 6. die Satzung zu ändern, 7. die Kasse aufzulösen oder mit anderen Krankenkassen freiwillig zu ver­ einigen Die Beschlüsse zu Nr. 6 und 7 bedürfen der Mehrheit sowohl der Ar­ beitgeber als der Versicherten. Bei Satzungsänderungen genügt ungetrennte Abstimmung, wenn sie nach § 326 angeordnet sind, oder toenn sie die Kassen­ leistungen und Beiträge betreffen und nicht § 388 oder § 389 entgegensteht. 8 346. Bei Erwerb, Veräußerung oder Belastung von Grundstücken wird die Kasse durch den Vorstand und den Ausschuß vertreten. Der Zustimmung des Ausschusses bedürfen 1. die vom Vorstand aufgestellte oder geänderte Dienstordnung für die Ange­ stellten (§ 355), 2. Vorstanosbeschlüsse über Errichtung von Krankenhäusern und Genesungs­ heimen. 8 347. Der Ausschuß regelt Meldung und Überwachung der Kranken sowie ihr Verhalten durch eine Krankenordnung. Sie bedarf der Genehmigung des Bersicherungsamts. Wird die Geneh­ migung versagt, so entscheidet auf Beschwerde das Oberversicherungsamt (Be­ schlußkammer) endgültig. Reicht eine Kasse trotz Aufforderung des Bersicherungsamts in der ge­ setzten Frist keine Krankenordnung ein, so stellt das Oberversicherungsamt (Beschlußkammer) diese rechtsverbindlich fest. Das gleiche gilt für angeord­ nete Änderungen oder Ergänzungen. Das Bersicherungsamt kann die Krankenkasse mit ihrer Zustimmung und unter Vereinbarung über die Kosten bei der Überwachung der Kranken unter­ stützen. Hierüber beschließt der Beschlußausschuß. Lehnt er ab, so beschließt auf Beschwerde das Oberversicherungsamt endgültig. 8 348. Der Ausschuß bestimmt, wie für die Mitglieder, die sich nicht im Kassenbereich aufhalten, die Beiträge einzusenden und die Leistungen auszu­ zahlen sind, und wie die Krankenüberwachung bei ihnen zu regeln ist. IV. Angestellte und Beamte. Bei den Krankenkassen werden die aus Mitteln der Kasse be­ zahlten Stellen der Beamten und derjenigen Angestellten, für welche die Dienstordnung (§ 351) gilt, mit zwei Drittel Mehrheit durch den Vorstand besetzt.

8 349.

918

Anhang.

8 350. Kommt kein Anstellungsbeschluß zustande, so bestellt das Ver­ sicherungsamt auf Kosten der Kasse widerruflich die für die Geschäfte der Stelle erforderlichen Personen. 8 351. Für die von den Krankenkassen besoldeten Angestellten, die nicht nach Landesrecht staatliche oder gemeindliche Beamte sind, wird eine Dienst­ ordnung -ausgestellt. Für Angestellte, die nur auf Probe, zu vorübergehender Dienstleistung oder zur Vorbereitung beschäftigt werden oder die das Amt ohne Entgelt nebenher ausüben, gilt die Dienstordnung nur, soweit sie es ausdrücklich vorsieht. 8 352. Die Dienstordnung regelt die Rechts- und die allgemeinen Dienst­ verhältnisse der Angestellten, insbesondere den Nachweis ihrer fachlichen Be­ fähigung, ihre Zahl, die Art der Anstellung, die Kündigung oder Entlassung und die Festsetzung von Strafen. Die fachliche Befähigung muß auch in an­ derer Weise als durch die Zurücklegung eines vorgeschriebenen Bildungsganges Mchgewiesen werden können. 8 353. Die Dienstordnung enthält einen Besoldungsplan. Dabei regelt sie: 1. wieweit bei unverschuldeter Arbeitsbehinderung das Gehalt fortgezahlt wird, 2. in welchen Fristen Dienstalterszulagen gewährt werden, 3. unter welchen Bedingungen Anstellung auf Lebenszeit oder nach Landes­ recht unwiderruflich erfolgt und Ruhegehalt und Hinterbliebenenfürsorge gewährt werden. Sie regelt ferner, unter welchen Voraussetzungen Beförderung stattfindet. 8 354. Wer der Dienstordnung unterstehen soll, wird durch schriftlichen Vertrag angestellt. Nach zehnjähriger Beschäftigung darf die Kündigung oder Entlassung solcher Angestellten nur aus einem wichtigen Grunde stattfinden. Die Vereinbarungen über das Kündigungsrecht der Kasse dürfen den An­ gestellten nichc schlechter stellen, als er mangels einer Vereinbarung nach bürgerlichem Rechte gestellt sein würde. Kündigung oder Entlassung darf für Fälle nicht ausgeschlossen werden, in denen ein wichtiger Grund vorliegt. Geldstrafe darf nur bis zum Betrag eines einmonatigen Diensteinkommens vorgesehen werden. Angestellte, die ihre dienstliche Stellung oder ihre Dienstgeschäste zu einer religiösen oder politischen Betätigung mißbrauchen, hat der Vorsitzende des Vorstandes zu verwarnen und bei Wiederholung, nachdem ihnen Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist, sofort zu entlassen; die Entlassung bedarf der Genehmigung durch den Vorsitzenden des Versicherungsamts. Eine religiöse oder politische Betätigung außerhalb der Dienstgeschäfte und die Ausübung des Vereinigungsrechts dürfen, soweit sie nicht gegen die Gesetze verstoßen, nicht gehindert werden und gelten an sich nicht als Gründe zur Kündigung oder Entlassung. 8 355. Vor Aufstellung der Dienstordnung hat der Vorstand die voll­ jährigen Angestellten zu hören. Die Dienstordnung bedarf der Genehmigung des Oberversicherungs-^ amts. Diese darf nur versagt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, insbesondere, wenn Zahl oder Besoldung der Angestellten in auffälligem Miß­ verhältnisse zu ihren Aufgaben steht. Wird die Genehmigung versagt, so entscheidet auf Beschwerde die oberste Das gleiche gilt für Änderungen der Dienstordnung. § 356. Reicht eine Kasse trotz Aufforderung in der gesetzten Frist keine Dienstordnung ein, so stellt das Oberversicherungsamt die Dienstordnung rechtsverbindlich fest. Das gleiche gilt für angeordnete Änderungen und Er­ gänzungen.

Reichsversicherungsordnung v. 19 Juli 1911. §§ 350—363 a.

919

8 357. Beschlüsse des Vorstandes oder Ausschusses, die gegen die Dienst­ ordnung verstoßen, hat der Vorsitzende des Vorstandes durch Beschwerde an die Aufsichtsbehörde zu beanstanden; die Beschwerde bewirkt Aufschub. Mach: der Vorstand oder sein Vorsitzender, obgleich ein wichtiger Grund dafür vorliegt, gegen einen Angestellten von seinem Kündigungs- oder Ent­ lassungsrecht keinen Gebrauch, so kann ihn das Versicherungsamt dazu anhalten. Über die Anordnung entscheidet auf Beschwerde des Vorsitzenden das Ober­ versicherungsamt (Beschlußkammer) endgültig. Läuft eine Bestimmung des Anstellungsvertrags der Dienstordnung zu­ wider, so ist sie nichtig. 8 358. In Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnisse der Angestellten, die der Dienstordnung unterstehen, entscheidet das Versicherungsamt (Beschluß­ ausschuß). Auf Beschwerde entscheidet das Oberversicherungsamt endgültig. Die Verordnungen (§ 35 Abs. 2) regeln das Nähere über das Verfahren bei Entlassung eines Angestellten wegen Vergehens gegen die Dienstordnung oder im Falle des § 354 Abs. 6 entsprechend den Vorschriften des Reichsbeamten­ gesetzes über Anschuldigungsschrift, Zulassung eines Verteidigers, Vernehmung des Angeschuldigten, mündliche Verhandlung und freie Beweiswürdigung. Für vermögensrechtliche Ansprüche gelten folgende besondere Vorschriften: Der Klage muß die Entscheidung des Oberversicherungsamts vorangehen. Die Klage kann nur binnen einem Monat erhoben werden, nachdem die Ent­ scheidung des Oberversicherungsamts zugestellt ist; die Frist ist eine Notfrist im Sinne des § 223 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung. Soweit es sich um die Festsetzung von Geldstrafen handelt, ist der Rechtsweg ausgeschlossen. An die Entscheidung der Versicherungsbehörden darüber, ob un­ ter Einhaltung der Kündigungsfrist aus einem wichtigen Grunde gekündigt werden darf (§ 354 Abs. 2), sind die ordentlichen Gerichte gebunden. Aus den rechtskräftigen Entscheidungen der Bersicherungsbehörden findet die Zwangsvollstreckung nach dem Achten Buche der Zivilprozeßordnung statt. 8 359. Für Versorgungsanwärter darf kein Vorrecht bei der Stellen­ besetzung vorgeschrieben werden. 8 360. Wo nach Landesgesetz auch die nicht auf Lebenszeit oder pnwiderruslich angestellten Beamten der Gemeinden und anderer öffentlicher Körperschaften verpflichtet sind, einer staatlich überwachten Pensionskasse oder ähnlichen Einrichtung beizutreten, kann die Landesregierung die zu diesem Zwecke für die Körperschaften und ihre Angestellten geltenden Vorschriften auf Orts-, Land- und Innungkrankenkassen und deren Angestellte ausdehnen. 8 361. Für geschäftsleitende Beamte oder Angestellte gilt § 23 Abs. 1 .entsprechend 8 362. Bei den Betriebskrankenkassen bestellt der Arbeitgeber auf seine Kosten und Verantwortung die für die Geschäfte erforderlichen Personen. Für diese Personen gilt § 24 entsprechend. Angestellte der Betriebskrankenkassen, die ihre dienstliche Stellung oder ihre Dienstgeschäfte zu einer religiösen oder politischen Betätigung mißbrauchen, hat der Vorsitzende des Vorstandes zu verwarnen und bei Wiederholung, nach­ dem ihnen Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist, sofort zu entlassen; § 357 Abs. 2 gilt dann entsprechend. V. Verwaltung der Mittel.

Gemeinlast.

8 363. Die Mittel der Kasse dürfen nur zu den satzungsmäßigen Leistun­ gen, zur Füllung der Rücklage, zu den Berwaltungskosten und für Zwecke der besonderen oder allgemeinen Krankheitsverhütung verwendet werden. Nach Bestimmung der obersten Verwaltungsbehörde ist es zulässig, Kassen­ mittel für den Besuch von Versammlungen zu verwenden, die den gesetzlichen Zwecken der Krankenversicherung dienen sollen. 8 363 a. Die Satzung der Krankenkasse kann den Vorstand ermächtigen, für Sozialrentner und Kleinrentner sowie für Erwerbslose, die nicht der Er­ werbslosenfürsorge unterstehen oder aus der Erwerbslosenfürsorge ausgeschieden

920

Anhang.

sind, und andere Fürsorgeempfänger die Krankenpflege zu übernehmen, sofern der Kasse Ersatz der vollen Aufwendungen für den Einzelfall sowie eines ange­ messenen Teils ihrer Berwaltungskosten gewährleistet wird. Eine solche Satzungsbestimmung bedarf der Zustimmung des Ober­ versicherungsamts. 8 364. Die Kasse sammelt eine Rücklage mindestens im Betrage der Jahresausgabe je nach dem Durchschnitte der letzten drei Jahre an und hält sie auf dieser Höhe. Sie benutzt hierzu mindestens ein Zwanzigstel des Jahres­ betrages der Kassenbeiträge. Bei ungeordneten Betriebskrankenkassen (§ 249) kann die Satzung mit Zustimmung des Oberversicherungsamts anderes bestimmen. 8 365. Wertpapiere der Kasse, die nicht lediglich zur Anlegung zeit­ weilig verfügbarer Betriebsgelder dienen, verwahrt der Gemeindeverband, wenn das Bersicherungsamt nichts anderes bestimmt. 8 366. Art und Form der Rechnungsführung bestimmt der Reichsarbeits»minister. 8 367. Die Kasse hat dem Versicherungsamt einen Rechnungsabschluß einzureichen sowie Nachweisungen über die 1. Mitglieder, 2. Krankheits-, sonstigen Leistungs- und Sterbesälle, 3. eingegangenen Beiträge, 4. gewährten Leistungen, 5. Art und Höhe des Entgelts für die ärztlichen Leistungen, 6. Zahl der für die Kasse tätigen Ärzte, Spezialärzte, Zahnärzte, Zahn­ techniker, Apothekenbesitzer und -Verwalter und anderen solchen Personen, welche Arzneimittel feilhalten. Der Reichsarbeitsminister stellt Muster und Einsendungsfristen fest; er kann den Inhalt der Nachweisungen ausdehnen. Mindestens von vier zu vier Jahren sind die Nachweisungen und Abschlüsse einheitlich für das Reich zusammenzustellen. § 367 a. Die Krankenkassen im Bezirke jedes Oberversicherungsamts tra­ gen im Verhältnis zueinander einen Teil ihrer Aufwendungen gemeinschaftlich (Gemeinlast). Soweit Ersatzkassen versicherungspflichtige Mitglieder in dem Bezirke des pberversicherungsamts haben, stehen sie für die Gemeinlast den Krankenkassen gleich. 367d. Zur Gemeinlast gehören ie Aufwendungen für die Wochenhilfe, soweit sie den Krankenkassen zur Last fallen, 2. ein Teil der Aufwendungen für die Krankenpflege weiblicher Ver­ sicherter. Bei der Wochenhilfe wird als Sachleistung nach § 195 a Abs 1 Nr 1 der im § 197 bestimmte Betrag, als Wochen- und Stillgeld der versicherten Wöchnerinnen der im § 195 a Abs. 1 Nr. 3 und 4 bestimmte Mindestbetrag angesetzt. Von den Aufwendungen nach Nr. 2 gehört zur Gemeinlast der Betrag des halben Ortslohns, vervielfältigt mit der Zahl der Krankheitstage, an denen die Kasse Krankengeld an weibliche Versicherte zu zahlen hatte Maßgebend ist der am Sitze der Kasse geltende Ortslohn für weibliche Versicherte über 21 Jahre in der am 15. des zweiten Monats im Kalendervierteljahre bestehen­ den Höhe. 8 367 c. Abrechnungsstelle für die Gemeinlast ist das Oberversicherungs­ amt. 8 367 d. Die Kassenvorstände haben der Abrechnungsstelle bis zum 15. des ersten Monats in jedem Kalendervierteljahre nachzuweisen. 1. die Höhe der im abgelaufenen Kalendervierteljahr entstandenen Auf­ wendungen für Wochenhilfe nach § 367 b. 2. die Zahl der Tage, an denen die Kasse im abgelaufenen Vierteljahre Krankengeld an weibliche Versicherte gezahlt hat,

?

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 364—382.

921

3. die Durchschnittszahl ihrer sämtlichen Mitglieder im abgelaufenen Vier­ teljahre. Die Wrechnungsstelle verteilt den Gesamtbetrag der Aufwendungen auf die Kassen nach der Zahl ihrer Mitglieder und belastet die Kassen mit dem auf sie entfallenden Anteil. Die Kassen, bei denen der Anteil höher ist als der von ihnen angemeldete Betrag, haben den Unterschied an die Wrechnungsstelle einzuzahlen. Die Wrechnungsstelle überweist die eingezahlten Beträge im Verhältnis an diejenigen Kassen, bei denen der Anteil niedriger ist als der angemeldete Betrag. 8 867 e. Der Reichsarbeitsminister ist ermächtigt, das Nähere zur Durch­ führung der Vorschriften des § 367 d zu bestimmen. Die oberste Verwaltungsbehörde kann statt des Oberversicherungsamts und seines Bezirkes andere Stellen und andere Bezirke für die Wrechnung be­ zeichnen.

VI, Verhältnis zu Ärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern und Apotheken. 88 368-876 — - — — — — Fünfter Abschnitt.

Aufsicht.

8 877.

Me Aufsicht über die Krankenkassen führt, vorbehaltlich der §§ 372 bis 375, das Versicherungsamt. Sie erstreckt sich auch auf die Beobach­ tung der Dienst- und Krankenordnung. Wird die Beschwerde gegen eine Anordnung des Bersicherungsamts darauf gestützt, daß die Anordnung rechtlich nicht begründet sei und den Be­ schwerdeführer in einem Rechte verletze oder mit einer rechtlich nicht begründe­ ten Verbindlichkeit belaste, so entscheidet darüber das Oberversicherungsamt ^Bei Betriebskrankenkassen für Betriebe des Reichs oder der Länder kann die oberste Verwaltungsbehörde Aufgaben des Bersicherungsamts, die nicht der Spruchausschuß wahrzunehmen hat, anderen Behörden übertragen. 8 378. Das Bersicherungsamt kann Ansprüche einer Betriebskrankenkasse gegen den Arbeitgeber aus seiner Rechnungs- und Kassenführung in Ver­ tretung der Kasse selbst oder durch einen Beauftragten geltend machen. 8 379. Solange die Wahlberechtigten sich weigern, zu den Kassenorganen zu wählen, bestellt das Bersicherungsamt (Beschlußausschuß) die Mitglieder oder Vertreter. Solange der Vorstand oder sein Vorsitzender oder der Ausschuß sich wei­ gern, die ihnen obliegenden Geschäfte auszuführen, nimmt sie das Ver­ sicherungsamt selbst oder durch Beauftragte auf Kosten der Kasse wahr.

Sechster Abschnitt.

Aufbringung der Mittel. I. Beiträge. 8 380. Die Mittel für die Krankenversicherung sind von den Arbeitgebern und den Versicherten aufzubringen. 8 381. Bersicherungspflichtige haben zwei Drittel, ihre Arbeitgeber ein Drittel der Beiträge zu zahlen. Bei Jnnungskrankenkassen kann die Satzung bestimmen, daß die Arbeit­ geber und die Versicherungspflichtigen je die Hälfte der Beiträge zu tragen haben. Wird dies durch Änderung der Satzung bestimmt, so bedarf der Be­ schluß der Mehrheit der Vertreter sowohl der Arbeitgeber als auch der Ver­ sicherten. Bersicherungsberechtigte haben die Beiträge allein zu tragen. 8 382. Die Satzung kann gestatten, daß Versicherte, die vorübergehend einen geringeren Lohn beziehen, in ihrer alten höheren Lohnstufe versichert

922

Anhang.

bleiben, wenn sie den Mehrbetrag des Beitrags selbst übernehmen oder der Ar­ beitgeber zustimmt. 8 383. Bei Arbeitsunfähigkeit sind für die Dauer der Krankenhilfe keine Beiträge zu entrichten. Für eine Versicherte sind während des Bezugs von Wochen- und Schwan­ gerengeld Beiträge so lange nicht zu entrichten, als sie nicht gegen Entgelt -arbeitet. 8 384. Die Satzung kann die Höhe der Beiträge nach den Erwerbs­ zweigen und Berufsarten der Versicherten abstufen und eine höhere Bemessung der Beitragsteile des Arbeitgebers für einzelne Betriebe zulassen, soweit die Erkrankungsgefahr erheblich höher ist. Kassen mit Familienhilfe nach § 205 b können von den Versicherten mit Familienangehörigen einen Zusatzbeitrag erheben, den die Satzung allgemein festzusetzen hat. Die §§ 381, 382, 385 bis 403 gelten hierfür nicht. Festsetzungen dieser Art bedürfen der Zustimmung des Oberversicherungs­ amts. Ordnet der Vorstand für einen Betrieb höhere Beiträge an, so hat der Arbeitgeber die Beschwerde an das Versicherungsamt. Im Rechtszug ent­ scheidet das Oberversicherungsamt endgültig. 8 385. Die Beiträge sind in Hundertsteln des Grundlohns so zu be­ messen, daß sie, die anderen Einnahmen eingerechnet, für die zulässigen Aus­ gaben der Kasse ausreichen. Zu anderen Zwecken darf die Kasse keine Beiträge erheben. Entstehen Zweifel darüber, ob die Satzung oder ihre Änderung die Bei­ träge entsprechend dem Abs. 1 bemißt, so läßt sie das Oberversicherungsanvt vor der Genehmigung sachverständig prüfen. Sind sie unzulänglich, so hängt die Genehmigung davon ab, daß die Beiträge erhöht oder die Leistungen bis auf die Regelleistungen gemindert werden. 8 38V. Die Beiträge dürfen bei Errichtung der Kasse nur dann höher als siebeneinhalb vom Hundert des Grundlohns festgesetzt werden, wenn es zur Deckung der Regelleistungen erforderlich ist. 8 387. Decken die Einnahmen der Kasse ihre Ausgaben einschließlich der Beträge für die Rücklage nicht, so sind durch Satzungsänderung entweder die Leistungen bis auf die Regelleistungen zu mindern oder die Beiträge zu er­ höhen. 8 388. Über siebeneinhalb vom Hundert des Grundlohns dürfen die Beiträge nur zur Deckung der Regelleistungen oder auf übereinstimmenden Beschluß der Arbeitgeber und Versicherten im Ausschuß erhöht werden. 8 389. Decken bei einer Ortskrankenkasse auch zehn vom Hundert des Grundlohns als Beiträge die Regelleistungen nicht, so können die Beiträge nur aus übereinstimmenden Beschluß der Arbeitgeber und Versicherten im Ausschuß noch weiter erhöht werden. Andernfalls veranlaßt das Oberversicherungsamt, vorbehaltlich des § 268, daß die Kasse mit anderen Ortskrankenkassen vereinigt wird. Ist das nicht möglich oder reichen trotz der Vereinigung die Beiträge für die Regelleistungen nicht aus, so hat der Gemeindeverband die erforderliche Beihilfe, aus eigenem Mitteln zu leisten. Solange dies geschieht, kann er einem Vertreter das Amt des Kassenvorsitzenden übertragen. 8 390. Decken bei einer Land-, Betriebs- oder Jnnungskrankenkasse zehn vom Hundert des Grundlohns als Beiträge die Regelleistungen nicht, so hat bei Landkrankenkassen, vorbehaltlich des § 265 Abs. 2, der Gemeindeverband, bei Betriebskrankenkassen der Arbeitgeber, bei Jnnungskrankenkassen die Innung die erforderliche Beihilfe aus eigenen Mitteln zu leisten. Solange dieses bei einer Landkrankenkasse geschieht, kann der Gemeindeverband einem Vertreter das Amt des Kassenvorsitzenden übertragen. 8 391. Muß eine Kasse, um ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten oder her­ zustellen, schleunig ihre Einnahmen vermehren oder ihre Ausgaben vermindern,

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 383—397.

923

so kann bis zur satzungsmäßigen Neuregelung das Versicherungsamt (Beschluß­ ausschuß) vorläufig verfügen, daß, soweit erforderlich, die Beiträge erhöht wie auch die Leistungen bis auf die Regelleistungen gemindert werden; laufende Leistungen bleiben unberührt. Auf Beschwerde entscheidet das Oberversicherungsamt endgültig.

8 392. übersteigen die Einnahmen der Kasse die Ausgaben, so sind, falls die Rücklage das Doppelte ihres gesetzlichen Mindestbetrags erreicht hat, durch Änderung der Satzung entweder die Beiträge zu ermäßigen oder die Leistungen zu erhöhen.

8 392 a. Die Satzung einer Krankenkasse mit räumlich weit ausgedehntem Bezirke kann nach Vereinbarung des Vorstandes mit den für den Bezirk örtlich zuständigen Organisationen der Arbeitgeber und nach Anhörung d-er für die Kasse tätigen Ärzte bestimmen, daß die Arbeitgeber der an der Vereinbarung beteiligten Gruppen die Kosten der notwendigen Arzt- und Krankenfuhren für ihre Beschäftigten zu tragen haben.

II. Zahlung der Beiträge. 8 393. Die Arbeitgeber haben die Beiträge für ihre Versicherungspflich­ tigen an den Tagen einzuzahlen, welche die Satzung festsetzt. Die Zahltage dürfen höchstens einen Monat auseinanderliegen. An denselben Tagen haben die Versicherungsberechtigten die Beiträge einzuzahlen.

§ 393 a.1) Der Kassenvorstand kann bestimmen, daß die Arbeitgeber oder bestimmte Gruppen von ihnen Die Beiträge statt an den in der Satzung fest­ gesetzten Zahltagen schon am Tage der jedesmaligen Lohnzahlung einzuzahlen haben. 8 393 b.1) Der Reichsarbeitsminister kann weitere Bestimmungen erlassen, die der Vereinfachung der Beitragszahlung dienen und den rechtzeitigen Ein­ gang der Beiträge sichern.

8 394. Die Versicherungspflichtigen müssen sich bei der Lohnzahlung ihre Beitragsteile vom Barlohn abziehen lassen. Die Arbeitgeber dürfen die Ber­ tragsteile nur auf diesem Wege wieder einziehen. Die oberste Verwaltungsbehörde kann bestimmen, wie dem Arbeitgeber der Beitragsteil Versicherungspflichtiger aus ihrem Entgelt zu erstatten ist, wenn dieser ganz oder überwiegend aus Sachbezügen besteht oder von Dritten gewährt wird. 8 395. Die Abzüge für Beitragsteile sind gleichmäßig auf die Lohnzeiten zu verteilen, auf die sie fallen. Die Teilbeträge dürfen ohne Mehrbelastung der Versicherten auf volle 10 Reichspfennig abgerundet werden. Sind Abzüge für eine Lohnzeit unterblieben, so dürfen sie nur bei der Lohnzahlung für die nächste Lohnzeit nach geholt werden, wenn nicht die Beuträge ohne Verschulden des Arbeitgebers verspätet entrichtet worden sind. Bei Hausgehilfen gelten Abschlagszahlungen nicht als Lohnzahlungen. 8 396. Steht der Versicherte gleichzeitig in mehreren versicherungspflich­ tigen Arbeitsverhältnissen, so haften die Arbeitgeber als Gesamtschuldner für die vollen Beiträge. Auf Antrag eines der Arbeitgeber verteilt das Bersicherungsamt die Beiträge.

8 397. Die Beiträge sind bei rechtzeitiger Abmeldung bis zum Tage des Ausscheidens aus der Beschäftigung, sonst bis zur vorschriftsmäßigen Ab­ meldung, längstens aber für die Dauer eines Jahres nach dem Ausscheiden zu zahlen. x) In der Fassung des Gesetzes v. 26. März 1926 (RGBl. I S. 179).

924

Anhang.

Scheidet der Versicherte zwischen zwei Zahltagen aus der Beschäftigung aus uno wird er rechtzeitig abgemeldet, so sind die vorausgezahlten Beiträge nach Verhältnis der Zeit zurückzuzahlen. Bei Betriebskrankenkassen sind die Beiträge bis zum Ende der Mitglied­ schaft fortzuzahlen. Der Kassenvorstand kann auf die Fortzahlung der Beiträge über das Aus­ scheiden aus der Beschäftigung hinaus verzichten. Lehnt er dies ab, so kann das Bersicherungsamt den Verpflichteten auf Antrag von der Fortzahlung über die sechste Beitragswoche nach dem Ausscheiden aus der Beschäftigung hinaus ganz oder teilweise entbinden, wenn die Verspätung oder Unterlassung per Abmeldung nicht auf Vorsatz oder grobem Verschulden beruht. Die Entschei­ dung ist endgültig. 8 397a. Der Vorstand der Krankenkasse kann von Arbeitgebern, die mit der Zahlung der Beiträge für die angemeldeten Beschäftigten und Haus­ gewerbetreibenden länger als eine Woche von der Zahlungsaufforderung ab in Verzug sind, einen Zuschlag zu den Beiträgen erheben, der für jede Woche des Verzugs vom Beginne der zweiten Woche ab zehn vom Hundert des Beitrags beträgt. Der Gesamtbetrag der Zuschläge darf das Fünffache der rückständigen Beiträge nicht übersteigen. 8 398. Auf Antrag einer Orts-, Land- oder Jnnungskrankenkasse sowie auf Antrag von Mitgliedern der Organe einer Betriebskrankenkasse kann das Bersicherungsamt (Beschlußausschuß) widerruflich anordnen, daß Arbeitgeber, die mit Abführung der Beiträge rückständig sind und sich in einem Zwangs­ beitreibungsverfahren als zahlungsunfähig erwiesen haben, nur rhren Bei­ tragsteil einzahlen. Die von ihnen beschäftigten Bersicherungspflichtigen haben dann ihren Beitragsteil an den Zahltagen selbst einzuzahlen. Gegen diese Anordnung hat der Arbeitgeber die Beschwerde an das Oberversicherungsamt (Beschlußkammer). Es entscheidet endgültig. 8 399. Die Anordnung muß den Arbeitgeber, für den sie gilt, nach Namen, Wohnort und Geschäftsbetrieb bezeichnen. Sie wird ihm sowie der Polizeibehörde seines Wohnorts und des davon etwa getrennten Betriebsitzes schriftlich mitgeteilt. Verlegt der Arbeitgeber seinen Wohnort oder Betriebsitz, so benachrichtigt die Polizeibehörde die für den neuen Wohnort oder Betriebsitz zuständige Behörde 8 490. Der Arbeitgeber hat die Anordnung durch dauernden Aushang in den Arbeitsstätten den. von ihm beschäftigten Bersicherungspflichtigen be­ kanntzumachen und diese bei jeder Lohnzahlung darauf hinzuweisen, daß sie ihren Beitragsteil selbst einzuzahlen haben. 8 401. Tas Bersicherungsamt (Beschlußausschuß) hebt die Anordnung auf, sobald ihm durch Bescheinigung des Kassenvorstandes nachgewiesen wird, daß alle rückständigen und fälligen Verpflichtungen des Arbeitgebers gegen die Kasse erfüllt sind. 8 402. Solange für Arbeitgeber, die sich im Zwangsbeitreibungsveqfahren als zahlungsunfähig erwiesen haben, die Anordnung nicht getroffen ist, haben sie die Lohnabzüge zu machen und den Betrag spätestens binnen drei Tagen an die berechtigte Kasse abzuführen. 8 403. Die Satzung einer Orts-, Land- oder Jnnungskrankenkasse jkann mit Zustimmung des Oberversicherungsamts bestimmen, unter welchen Voraus­ setzungen die Kasse Vorschüsse von den Arbeitgebern einfordern soll. 8 404. Auf Antrag beteiligter Kassen kann das Bersicherungsamt (Be­ schlußausschuß) die gemeinsamen Meldestellen zugleich als Zahlstellen bestim­ men, welche Beiträge annehmen und Leistungen auszahlen. Es kann den Ortsbehörden mit Genehmigung ihrer Aufsichtsbehörden die Geschäfte der Zahlstellen übertragen. Das Versicherungsamt kann die Krankenkassen mit ihrer Zustimmung und unter Vereinbarung über die Kosten bei der Gnziehung der Beiträge unter­ stützen. Die oberste Verwaltungsbehörde kann bestimmen, daß das Versicherungs­ amt nach Anhören der Kasse die geschäftsleitenden Angestellten als Boll-

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 397 a—415 b.

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streckungsbeamte und sonstige Angestellte der Kasse als Bollziehungsbeamte bestellen darf. g 404a. Der Reichsarbeitsminister kann Bestimmungen treffen, um die Einziehung der Beiträge zu vereinfachen. g 405. Entsteht zwischen dem Arbeitgeber und seinen Beschäftigten Streit über die Berechnung und Anrechnung ihrer Beitragsteile, so entscheidet end­ gültig das Versicherungsamt (Beschlußausschuß). Entsteht zwischen einem Arbeitgeber oder einem Versicherten oder bisher Versicherten oder einem zu Versichernden und einer Kasse Streit über das Bersicherungsverhältnis oder über die Verpflichtung, Beiträge zu leisten, gtn* zuzahlen oder zurückzuzahlen, so entscheidet das Bersicherungsamt (Beschlußaus­ schuß) und auf Beschwerde endgültig das Oberversicherungsamt. Endgültige Entscheidungen über das Bersicherungsverhältnis sind für alle Behörden und Gerichte bindend. Ist jedoch die Mitgliedschaft eines Ver­ sicherten für alle beteiligten Kassen endgültig und aus dem Grunde abgelehnt, daß er einer anderen von ihnen anzugehören habe, so bestimmt auf Antrag das diesen Kassen gemeinsame Bersicherungsamt (Beschlußausschuß) oder Ober­ versicherungsamt (Beschlußkammer) oder, wo ein solches fehlt, die oberste Verwaltungsbehörde die zuständige Kasse, ohne an die früheren Entscheidungen gebunden zu sein. Siebenter Abschnitt.

AaffenverdLnde. Sektionen. g 406. Krankenkassen können sich durch übereinstimmenden Beschluß zu einem Kassenverbande vereinigen, wenn sie ihren Sitz im Bezirke desselben Versicherungsamts haben. Mit Genehmigung des Oberversicherungsamts (Beschlußkammer) oder, wenn sie versagt wird, mit Genehmigung der obersten Verwaltungsbehörde kann sich ein Kassenverband über die Bezirke oder Bezirksteile mehrerer Bersicherungsämter erstrecken. Das Oberversicherungsamt bestimmt endgültig, welches Versicherungsamt die Aufsicht führt. g 407. Der Kassenverband kann für die ihm angeschlossenen Kassen ge­ meinsam 1. Angestellte und Beamte anstellen, 2. Verträge mit Ärzten, Zahnärzten, Zahntechnikern, Apothekenbesitzew. und -Verwaltern oder anderen Arzneimittelhändlern, Krankenhäusern sowie über Lieferung von Heilmitteln und anderen Bedürfnissen der Kran­ kenpflege vorbereiten oder abschließen, 3. die Kranken nach einheitlichen Grundsätzen überwachen, 4. Heilanstalten und Genesungsheime anlegen und betreiben, 5. die Ausgaben für die Leistungen bis zur Hälfte oder innerhalb dieser Grenze die Ausgaben für bestimmte Krankheitsarten oder Erkrankungsfälle bis zur vollen Höhe tragen, 6. die Beitragsentrichtung nach einheitlichen Grundsätzen überwachen, gg 408-412. — - — — - — - — g 418. Die Aufsicht über den Verband führt das Bersicherungsamt. Die §§ 377 bis 379 gelten entsprechend. Für die Angestellten des Verbandes gelten die §§ 349 bis 361 ent­ sprechend; ebenso für die Verwaltung der Mittel die §§ 363, 365. Die Reichs­ regierung kann bestimmen, wieweit die §§ 366, 367 gelten. Entsteht zwischen dem Verband und den beteiligten Kassen Streit aus dem Verbandsverhältnisse, so entscheidet das Bersicherungsamt (Beschlußausschuß), g 414. Für Kassenvereinigungen anderer Art, die den allgemeinen Zwecken der Krankenhilfe dienen, dürfen Kassenmittel nur mit Zustimmung bei­ der Gruppen im Vorstand verwendet werden. Mit Genehmigung der obersten Verwaltungsbehörde dürfen solche Kassenvereinigungen auch einzelne der im § 407 bezeichneten Aufgaben übernehmen. gg 415—415 b. - — — — — — —

926

Anhang.

Achter Abschnitt.

Besondere Berufszweige.

8 41«. schriften §§ §§ §§ §§ §§ §

I. Allgemeine Vorschrift. Die Vorschriften dieses Buches gelten mit den besonderen Vor-

der 417 bis 434 für die in der Landwirtschaft Beschäftigten, 435 bis 440 für Hausgehilfen, 441 bis 458 für unständig Beschäftigte, 459 bis 465 für die im Wandergewerbe Beschäftigten, 466 bis 475 a für Hausgewerbetreibende und ihre hausgewerblich Be­ schäftigten sowie des 494 für Lehrlinge.

ll. Landwirtschaft. Als in der Landwirtschaft Beschäftigter gilt auch, wer 1. in landwirtschaftlichen Nebenbetrieben (§§ 918 bis 921) beschäftigt wird, 2. in landwirtschaftlichen Betrieben beschäftigt wird, die Nebenbetriebe eines gewerblichen Betriebs sind, und nicht nach § 540 durch die Satzung einer gewerblichen Berufsgenossenschaft bei dieser versichert ist. 88 418, 419 sind weggefallen.

8 417.

88 429-434. —



III.



-









Hausgehilfen. 8 435. Die §§ 426 bis 433, 434 gelten auch für die Versicherung der Hausgehilfen; jedoch ist die Einführung der erweiterten Krankenpflege nicht an die Voraussetzung des § 427 Nr. 1 gebunden und für die Zustimmung immer das Oberversicherungsamt zuständig. Auf Antrag des Dienstberechtigten oder des Versicherten ist von der Unterbringung an eine Heilanstalt abzu­ sehen, wenn sie nach ärztlichem Gutachten nicht notwendig ist.

88 486—439 — — — — — — — — 8 440. Die Landesregierung kann bestimmen, daß







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Hausgehilfen nach diesem Gesetze versicherungsfrei sind, wenn für sie bei dessen Verkündung lan­ desrechtlich Fürsorge im Krankheitsfälle getroffen ist. Diese Fürsorge muß nach Umfang und Dauer mindestens den Regel­ leistungen der Krankenkassen gleichwertig sein oder binnen sechs Monaten, nachdem dieses Gesetz in Kraft getreten ist, gleichwertig gemacht sein. Für einen Hausgehilfen dürfen dabei nicht höhere Beiträge erhoben wer­ den, als nach diesem Gesetze Beitragsteile auf ihn fallen würden. Soweit die Reichsversicherungsordnung oder die Satzung einer Kranken­ kasse ein Recht daraus herleitet, daß eine Wartezeit bei einer Krankenkasse zurückgelegt ist oder eine Versicherung von bestimmter Dauer innerhalb eines gleichfalls bestimmten Zeitraums bestanden hat, steht die Zeit der Bersicherungsfreiheit auf Grund des Abs. 1 der Versicherung bei einer Krankenkasse gleich. Die Versicherungseinrichtung gilt für die Zeit, in der sie dem Haus­ gehilfen Fürsorge zu gewähren hat, der Krankenkasse gleich, der er ohne die Befreiung anzugehören hätte.

IV. Unständige Beschäftigung. Unständig ist die Beschäftigung, die auf weniger als eine Woche entweder nach der Natur der Sache beschränkt zu sein Pflegt oder im voraus durch den Arbeitsvertrag beschränkt ist. 8 442. Unständig Beschäftigte, die nicht nach § 168 versicherungsfrei find, werden bei der allgemeinen Ortskrankenkasse oder, wenn sie überwiegend land­ wirtschaftlich beschäftigt sind, bei der Landkrankenkasse ihres Wohnorts ver­ sichert. Die Kasse hat über sie ein Mitgliederverzeichnis nach der Buchstabenfolge zu führen und laufend zu halten.

8 441.

927

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 416—462.

Die Mitgliedschaft bei der Kasse beginnt mit der Eintragung in das VerAeichnis.

8 443. Sobald die Kasse Kenntnis erhält, daß ein unständig Beschäftigter ihres Bezirkes keiner Krankenkasse angehört, obwohl er versicherungspflichtig ist, trägt sie ihn von selbst in das Verzeichnis ein

8 444 Der VersicherungsPflichtige soll sich selbst zur Eintragung melden. Das Versicherungsamt, die Gemeinde- und Polizeibehörde, bje Ausgabe­ stelle für Quittungskarten (§ 1419) sowie alle Organe und Angestellten der Versicherungsträger haben der zuständigen Kasse jeden Versicherungspflichtigen zu melden, der unständig beschäftigt und nicht schon Mitglied einer Kranken­ kasse ist. Die oberste Verwaltungsbehörde kann diese Pflicht näher regeln 8 445. Die Kasse kann unständig Beschäftigte zur Feststellung ihrer Kersicherungspflicht laden und durch Zwangsstrafen in Geld anhalten, der Ladung zu folgen. 8 446. Der Eingetragene bleibt Mitglied auch während der Zeit, in der er vorübergehend nicht gegen Entgelt beschäftigt wird. 8 447. Der Versicherte wird aus seine Abmeldung im Verzeichnis ge­ löscht, wenn er glaubhaft macht, daß er Mitglied einer anderen Kasse geworden ist oder die unständige Beschäftigung nicht nur vorübergehend aufgegeben hat Er wird auch dann gelöscht, wenn die Kasse diese Tatsachen anderweit fest­ stellt, oder wenn sie erfährt, daß der Versicherte gestorben oder in den Bezirk einer anderen Kasse verzogen ist. Wer gelöscht wird, kann nach § 313 Mitglied bleiben Die Satzung be­ stimmt näheres über Beiträge und Leistungen. 8 448. Scheidet der Versicherte aus der anderen Kasse (§ 447) wieder aus oder nimmt er die unständige Beschäftigung wieder auf, so soll er sich sofort wieder zur Eintragung in das Verzeichnis melden Die Kasse hat das Versicherungsverhältnis solcher Personen zu über­ wachen

8 449 Wird der Versicherte bei seiner Kasse nach, § 317 durch einen Arbeitgeber angemeldet, so ist dies in dem Verzeichnis zu vermerken. Die Mitgliedschaft auf Grund dieser Anmeldung setzt die frühere un­ mittelbar fort. Nach Abmeldung durch den Arbeitgeber ist der Vermerk in dem Ver­ zeichnis zu löschen. 88 450—458.

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V« Wandergewerbe.

8 459. Der Arbeitgeber, der eines WanderLewerbescheins bedarf, hat die in seinem Wandergewerbebetriebe Beschäftigten, soweit er sie von Ort zu Ort mit sich führen will, ihrer Zahl nach bei der Landkrankenkasse des Ortes als Mitglieder anzumelden, bei dessen Polizeibehörde er beit Schein beantragt Beschäftigte, für die er über die angemeldete Zahl hinaus die Erlaubnis nach § 62 der Gewerbeordnung erst nach Empfang des Scheines nachsucht, hat er durch Vermittlung der für diese Erlaubnis zuständigen Behörde anzumelten

8 460. Bei der Anmeldung hat der Arbeitgeber die Beiträge für die Zeit bis zum Ablauf des Wandergewerbescheins oder mit Erlaubnis des Kassen­ vorstandes für kürzere Zeit im voraus zu entrichten. Wird der Schein oder die Erlaubnis (§ 459 Abs. 2) zurückgenommen oder der Betrieb sonst eingestellt, so erstattet der Vorstand auf Antrag die zuviel gezahlten Beiträge zurück, ebenso für volle Kalenderwochen, in denen nachweislich der Arbeitgeber die Personen nicht mit sich geführt hat. 88 461, 462. -











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Anhang.

8 463. Der Arbeitgeber kann den Versicherten für Zeiten, die längstens einen Monat zurückliegen, zwei Drittel der von ihm dafür gezahlten Beiträge vom Lohne abziehen. Bei Streit über Abzüge entscheidet das Versicherungsamt des Auf­ enthaltsorts. 8 464. Wer für einen anderen ein Wandergewerbe betreibt (§ 60 d Abs. 2 der Gewerbeordnung), hat die Rechte und Pflichten des Arbeitgebers nach den §§ 459 bis 463. 8 465 Die Reichsregierung kann zur Durchführung der §§ 459 bis 464 näheres bestimmen. Sie kann bestimmen, wieweit Personen versicherungspflichtig sind, die ein Arbeitgeber ohne Wandergewerbschein in seinem Wandergewerbbetriebe beschäftigt (§ 59 der Gewerbeordnung) und von Ort zu Ort mit sich führt-, und ihre Versicherung auch abweichend von den §§ 459 bis 464 regeln.

VI. Hausgewerbe. 8 466 Die Versicherung der Hausgewerbtreibenden wird durch Statut der Gemeinden oder kommunaler Verbände geregelt. Vorher ist den beteiligten Ortskrankenkassen Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Das Statut und seine Änderung bedürfen unter Ausschluß der Zuständigkeit anderer Behörden jder Zustimmung des Oberversicherungsamts. Die Zustimmung darf nur durch die Beschlußkammer versagt werden. Die Gründe der Versagung sind mitzuteilen; gegen die Versagung findet die Beschwerde an die oberste Verwaltungsbehörde statt. Was als kommunaler Verband gilt, bestimmt die oberste Verwaltungs­ behörde. 8 467. Auf übereinstimmenden Antrag der für den Erlaß des Statuts zuständigen Stelle und der allgemeinen Ortskrankenkasse oder Ortskranken­ kassen ihres Bezirkes kann das Oberversicherungsamt genehmigen, daß die Versicherung der Hausgewerbetreibenden für diesen Bezirk durch die Satzung der allgemeinen Ortskrankenkasse oder Ortskrankenkassen geregelt wird. Ge­ gen die Versagung der Genehmigung findet die Beschwerde an die oberste Ver­ waltungsbehörde statt. Für die Bestimmungen der Satzung über die Ver­ sicherung der Hausgewerbtreibenden gilt § 466 Abs. 1 Satz 3 bis 5 ent­ sprechend. 8 468. Ist für einen Bezirk innerhalb sechs Monaten nach Inkrafttreten dieser Vorschriften die Regelung nach den §§ 466, 467 nicht erfolgt, so erläßt die oberste Verwaltungsbehörde oder die von ihr beauftragte Behörde die er­ forderliche Bestimmung, es sei denn, daß in dem Bezirk eine hausgewerb­ liche Beschäftigung nicht stattsindet. Änderungen der Bestimmungen erfolgen durch die gleichen Stellen.

8 469. Was nach den nachstehenden Vorschriften für die Regelung der hausgewerblichen Krankenversicherung durch Statut (§ 466) gilt, gilt auch für die Regelung nach den §§ 467, 468. Die nach den §§ 466 bis 468 für die Hausgewerbtreibenden eines Bezirkes getroffene Bestimmung gilt auch für die außerhalb des Bezirkes wohnenden Arbeitgeber und Auftraggeber dieser Hausgewerbtreibenden. 8 470. Die Hausgewerbtreibenden sind vorbehaltlich des § 309 bei der allgemeinen «Ortskrankenkasse ihrer Betriebstätte versichert. Wo für einzelne oder mehrere Gewerbszweige eine besondere Ortskranken­ kasse besteht und für diese Gewerbszweige die haus gewerbliche Betriebsart in größerem Umfang stattfindet, kann das Statut die Hausgewerbtreibenden dieser Gewerbszweige auch der besonderen Ortskrankenkasse zuweisen. Die allgemeine Ortskrankenkasse oder die allgemeinen Ortskrankenkassen des Bezirkes sind vor­ her zu hören. Der Kasse des Hausgewerbtreibenden gehören auch die von ihm in sei­ nem hausgewerblichen Betriebe Beschäftigten an. Für ihre Versicherung gelten die allgemeinen Vorschriften dieses Buches.

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 463—503.

929

§ 471. Die Meldepflicht für seine Beschäftigten liegt dem Hausgewerbe treibenden, diejenige für den letzteren seinem Arbeitgeber (§ 162 Abs. 4) ob. § 472 Die Mittel für die Krankenversicherung sind durch Beiträge der Hausgewerbetreibenden und ihrer Arbeitgeber aufzubringen. § 381 Abs. 1 und die allgemeinen Vorschriften über die Zahlung der Beiträge gelten entsprechend. Das Statut kann den Auftraggeber für die Beiträge haftbar machen. Für die Zeit, in der die Hausgewerbtreibenden für eigene Rechnung grbeiten, haben sie die Beiträge für ihre Person selbst zu zahlen. 8 473. Das Statut kann den Auftraggebern Zuschüsse bis zu eins vom Hundert des Entgelts für die vom Hausgewerbtreibenden gelieferten Arbeits­ erzeugnisse auferlegen. Es kann statt des Arbeitgeberbeitrags den Arbeit­ gebern oder Auftraggebern solche Zuschüsse bis zu zwei vom Hundert des Ent­ gelts auferlegen. Dabei ist zu bestimmen, ob vom Entgelt der Wert der vom Hausgewerbtreibenden beschafften Roh- und Hilfsstoffe abzuziehen ist. Die Vorschriften über Beitragsstreitigkeiten (§ 405) gelten entsprechend bei Streit über Zuschüsse. Wo Zuschüsse erhoben werden, setzt das Versicherungsamt im Falle eines Bedürfnisses den Durchschnittswert der Roh- und Hilfsstoffe fest Auf Be­ schwerde entscheidet das Oberversicherungsamt endgültig. 8 474. Die Auftraggeber stehen für die §§, 137 bis 140 den Arbeitgebern gleich 8 475. Für die Leistungen der Krankenkassen an die Hausgewerbtreibenden gelten die allgemeinen Vorschriften dieses Buches. Für Bezirke, in denen der Grundlohn für die Hausgewerbtreibendern durchschnittlich niedriger ist als der Ortslohn, kann das Statut den letzteren als Grundlohn festsetzen. Das Statut kann für Hausgewerbtreibende, deren Entgelt geringer Ist als der halbe Grundlohn der niedrigsten Lohnstufe bei ihrer Kasse, die Bei­ träge entsprechend ermäßigen. 8 475 a. Statutarische Bestimmungen über die Versicherung der Haus­ gewerbtreibenden, die am 5. Mai 1922 bereits bestanden, bleiben aufrecht­ erhalten, wenn sie den vorstehenden Vorschriften genügen oder ihnen ent­ sprechend geändert und innerhalb sechs Monaten nach dem 5. Mai 1922 vom Oberversicherungsamte genehmigt worden sind. Für eine spätere Änderung des Statuts gilt § 466 Satz 3 bis 5 ent­ sprechend. 88 476—493 sind weggefallen. VII. Lehrlinge. 8 494. Krankengeld wird nicht gewährt Lehrlingen aller Art, die ohne Entgelt beschäftigt werden. Me Beiträge sind entsprechend zu ermäßigen. 88 495—502 sind weggefallen. Neunter Abschnitt.

Grfa-kaffe«. I. Zulassung. 8 503. Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, denen als eingeschriebe­ nen Hilfskassen vor dem 1. April 1909 eine Bescheinigung nach § 75a des KTankenversicherungsgesetzes erteilt worden ist, sind auf ihren Antrag für den an diesem Tage durch die Satzung bestimmten Bezirk und Kreis ihren versicherungspflichtigen Mitglieder als Ersatzkassen zuzulassen, wenn ihnen dauernd mehr als eintausend Mitglieder angehören und ihre Satzung den §§ 504 bis 513 genügt. Auf Antrag eines solchen Versicherungsvereins kann für ihn die oberste Verwaltungsbehörde seines Sitzes die Mindestzahl der Mitglieder auf zwei­ hundertfünfzig herabsetzen. A l l f e l d, Strafgesetzgebung.

8. Aufl.

930

Anhang.

88 504-516.

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II. Verhältnis zu Krankenkassen. 8 517,

Versicherungspflichtige Mitglieder einer Ersatzkasse haben das Recht auf Befreiung von der Mitgliedschaft bei einer Krankenkasse (§ 225). Wollen sie von diesem Rechte Gebrauch machen, so haben sie ihrem Arbeitgeber eine Bescheinigung über ihre Zugehörigkeit zur Ersatzkasse vorzulegen.

8 518. ------------8 519. Der Arbeitgeber hat Beschäftigte, die ihm die Bescheinigung innerhalb der Meldefrist vorlegen, der Krankenkasse nicht zu melden Wird dem Arbeitgeber in anderer Weise glaubhaft nachgewiesen, daß der Arbeite nehmer Mitglied der Ersatzkasse ist, so verlängert sich die Meldefrist aus zwei Wochen. Wird die Bescheinigung nicht innerhalb dieser Frist beigebracht, so hat der Arbeitgeber die Meldung zu erstatten. Wird die Bescheinigung erst später im Laufe der Beschäftigung beige­ bracht, so hat der Arbeitgeber den Beschäftigten innerhalb der Meldefrist (§ 317) bei der Krankenkasse unter Vorlage der Bescheinigung abzumelde-n Unterläßt er diese Meldung, so haftet er dem Beschäftigten für den diesem hieraus erwachsenden Schaden 8 520. Die Ersatzkasse hat für die nach § 517 von der Mitgliedschaftbei einer Krankenkasse Befreiten Anspruch auf den vollen Beitragsteil, den der Arbeitgeber an die Krankenkasse abzuführen hätte, bei der der Beschäftigte ohne die Mitgliedschaft bei der Ersatzkasse versichert sein würde. Der Arbeitgeber hat den Beitragsteil unmittelbar an den Versicherten bei der Lohn- oder Ge­ haltszahlung abzuführen. Streit über den Anspruch der Ersatzkasse gegen den Arbeitgeber wird nach § 405 Abs. 2, § 1799 entschieden. Für Rückstände gelten § 28, § 29 Abs 1, 2 entsprechend. 8 521. Scheidet ein versicherungspflichtiges Mitglied aus der Ersatzkasse aus, so hat sie den Arbeitgeber binnen einer Woche hiervon zu benachrichtigen. Der Arbeitgeber hat den Versicherten nach der Mitteilung gemäß § 317 zu melden. Unterläßt oder verzögert die Ersatzkasse die Benachrichtigung des Arbeit­ gebers oder dieser die Meldung, so haftet die Ersatzkasse der Krankenkasse für Leistungen bis zur ordnungsmäßigen Meldung des Versicherten bei der letzte­ ren. Der Ersatzkasse haftet der Arbeitgeber für den Schaden, den er ihr durch schuldhafte Unterlassung oder Verzögerung der Meldung verursacht. 8 522. Der Vorstand der Kasse bestimmt, welche Organe und Angestellten der Kasse die Benachrichtigung der Arbeitgeber vorzunehmen haben.

88 523-525.

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Zehnter Abschnitt. Schluß- und Strafvorschriften I. Schlußvorschriften. 88 526—528.



II. Strafvorschriften. 8 529. Gegen einen Versicherten, der die Krankenordnung oder die An­ ordnungen des behandelnden Arztes übertritt oder die ihm nach § 190 ob­ liegende Mitteilung unterläßt, kann der Vorstand der Kasse Strafen bis zum dreifachen Betrage des täglichen Krankengeldes für jeden Übertretungsfall festsetzen. Die gleiche Befugnis hat der Vorstand einer Ersatzkasse gegen ein ver­ sicherungspflichtiges Mitglied, das die Krankenordnung oder die Anordnungen des behandelnden Arztes übertritt. Auf Beschwerde entscheidet das Versicherungsamt endgültig.

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 504—536.

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8 530. Wer seiner Pflicht zuwider Versicherungspflichtige nicht anmeldet (88 317, 319, § 521 Abs 1) oder wer die Vorschriften über die Meldung Bersicherungspflichtiger (§§ 317 bis 318 a, 319) in anderer Weise verletzt oder wer seiner Pflicht zuwider die Benachrichtigung nach § 521 Abs. 1, § 522 unterläßt, kann mit Ordnungsstrafe in Geld bestraft werden Diese Strafen verhängt das Versicherungsamt. Auf Beschwerde entscheidet das Oberversicherungsamt endgültig. 8 531. Unabhängig von der Strafe hat die Kasse die rückständigen Bei­ träge nachzuholen. Sie kann dem Bestraften außerdem die Zahlung des Ein- bis Fünf­ fachen der rückständigen Beiträge auferlegen. Der Betrag wird wie Gemeinde­ abgaben beigetrieben. § 396 gilt entsprechend 8 532. Mit Geldstrafe oder mit Haft werden bestraft, wenn nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften härtere Strafe verwirkt ist, Arbeitgeber, die vorsätzlich 1. den Beschäftigten höhere Beitragsteile vom Entgelt abziehen, als dieses Gesetz zuläßt, oder im Falle des § 398 Abzüge machen, 2 den Vorschriften des § 402 zuwiderhandeln. Die gleiche Strafe trifft Arbeitgeber, die der Vorschrift des § 400 zu­ widerhandeln, sowie Hausgewerbtreibende und ihre Arbeitgeber oder Auftrag­ geber, die den auf Grund der §§ 466 bis 468 erlassenen Strafbestimmungen zuwiderhandeln. 8 533 Arbeitgeber werden mit Gefängnis bestraft, wenn sie Beitrags­ teile, die sie den Beschäftigten einbehalten oder von ihnen erhalten haben, der berechtigten Kasse vorsätzlich vorenthalten. Daneben kann auf Geldstrafe und auf Verlust der bürgerlichen Ehreirrechte erkannt werden. Bei mildernden Umständen kann ausschließlich auf Geldstrafe erkannt werden. 8 534. Der Arbeitgeber darf die Pflichten, die ihm dieses Gesetz auf­ erlegt, Betriebsleitern, Aufsichtspersonen oder anderen Angestellten seines Betriebs übertragen. Handeln solche Stellvertreter den Vorschriften dieses Gesetzes zuwider, so trifft sie die Strafe. Neben ihnen ist der Arbeitgeber strafbar, wenn 1. die Zuwiderhandlung mit seinem Wissen geschehen ist, 2 er bei Auswahl und Beaufsichtigung der Stellvertreter nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat; in diesem Falle darf gegen den Arbeitgeber auf keine andere Strafe als auf Geldstrafe erkamnt werden. Das Ein- bis Fünffache der rückständigen Beiträge (§ 531 Abs. 2) kann auch dem Stellvertreter auferlegt und von ihm beigetrieben werden. Neben ihm haftet für diesen Betrag der Arbeitgeber, falls er nach Abs. 2 bestraft ist. 8 535. Für die geschäftsleitenden Beamten und Angestellten der Kassen und Kassenverbände, bei den Betriebskrankenkassen für den Arbeitgeber und die nach, § 362 Abs. 1 bestellten Personen gelten, wenn sie vorsätzlich zum Nach­ teil der Kasse handeln, die Strafvorschriften des § 23 Abs. 2. 8 536. Die gleichen Strafvorschriften (§§ 529 bis 535) gelten 1. wenn eine Aktiengesellschaft, ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, eine eingetragene Genossenschaft, eine Innung oder andere juristische Per­ son Arbeitgeber ist, für die Mitglieder des Vorstandes, 2. wenn eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung Arbeitgeber ist, für die Geschäftsführer, 3. wenn eine andere Handelsgesellschaft Arbeitgeber ist, für alle persönlich haftenden Gesellschafter, soweit sie von der Vertretung nicht ausgeschlossen sind, 4. für die gesetzlichen Vertreter geschäftsunfähiger und beschränkt geschäfts­ fähiger Arbeitgeber sowie für die Liquidatoren einer Handelsgesellschaft, eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit, einer eingetragenen Ge­ nossenschaft, einer Innung oder einer anderen juristischen Person.

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Anhang. Drittes Buch.

U«f«llverficher»»g. Erster Teil.

Gewerbe-Unfallversicherung. Erster Abschnitt. Umfang der Versicherung. 8 537. Der Versicherung unterliegen 1. Bergwerke, Salinen, Aufbereitungsanstalten, Steinbrüche, Gräbereien (Gruben), 2 Fabriken, Werften, Hüttenwerke, Apotheken, gewerbliche Brauereien und Gerbereibetriebe, 3. Bauhöfe, Gewerbebetriebe, in denen Bau-, Dekorateur-, Steinhauer-, Schlosser-, Schmiede- oder Brunnenarbeiten ausgeführt werden, ferner Steinzerkleinerungsbetriebe sowie Bauarbeiten außerhalb eines gewerbs­ mäßigen Baubetriebs, 4. das Schornsteinfeger-, das Fensterputzer-, das Fleischergewerbe und der Betrieb von Badeanstalten, 5. der gesamte Betrieb der Eisenbahnen und der Post- und Telegrqphenverwaltung, die Betriebe der Verwaltung der Reichswehrmacht (Heer und Marine) sowie solche Betriebe der früheren Marine- und Heeresverwal­ tungen, die auf Zivilverwaltungey des Reichs übergegangen sind, 6. der Binnenschiffahrts-, der Flößerei-, der Prahm- und der Fährbetrieb, das Schiffziehen (Treidelei), die Binnenfischerei, die Fischzucht, die Teich­ wirtschaft und die Eisgewinnung, wenn sie gewerbsmäßig betrieben pder vom Reiche, einem Lande, einer Gemeinde, einem Gemeindeverband oder einer anderen öffentlichen Körperschaft verwaltet werden, der Baggerei­ betrieb sowie das Halten von Fahrzeugen auf Binnengewässern, 7. der Fuhrwerksbetrieb, der Speditionsbetrieb, der Fährbetrieb, der Reit­ tier- und der Stallhaltungsbetrieb, wenn sie gewerbsmäßig betrieben werden, das Halten von anderen Fahrzeugen als Wasserfahrzeugen, wenn sie durch elementare oder tierische Kraft bewegt werden, sowie das Halten von Reittieren, 8. der Speicher-, der Lagerei- und der Kellereibetrieb, wenn sie gewerbs­ mäßig betrieben werden, 9. der Gewerbebetrieb der Güterpacker, Güterlader, Schaffer, Bracker, Wä­ ger, Messer, Schauer, Stauer, 10. Betriebe zur Beförderung von Personen oder Gütern und Holzfällungs­ betriebe, wenn sie mit einem kaufmännischen Unternehmen verbunden sind, das über den Umfang des Kleinbetriebs hinausgeht, 11. unter der gleichen Voraussetzung (Nr. 10) Betriebe zur Behandlung und Handhabung der Ware. Das Reichsversicherungsamt bestimmt, welche kaufmännischen Unter­ nehmen (Nr. 10 und 11) als Kleinbetriebe der Unfallversicherung nicht unter­ liegen. 8 538. Als Fabriken im Sinne des § 537 Nr 2 gelten Betriebe, die 1. gewerbsmäßig Gegenstände bearbeiten oder verarbeiten und hierzu min­ destens zehn Arbeiter regelmäßig beschäftigen, 2. gewerbsmäßig Sprengstoffe oder explodierende Gegenstände erzeugen oder verarbeiten oder elektrische Kraft erzeugen oder weitergeben, 3. nicht bloß vorübergehend Dampfkessel oder von elementarer oder tierischer Kraft bewegte Triebwerke verwenden, 4 vom Reichsversicherungsamte den Fabriken gleichgestellt werden. 8 539. Der Versicherung unterliegen auch andere Betriebe, wenn sie wesentliche Bestandteile oder Nebenbetriebe der in den §§ 537, 538 bezeichneten Betriebe sind.

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 537—545 c.

933

8 540. Der § 539 gilt nicht 1. für landwirtschaftliche Betriebe, die Nebenbetriebe sind. Dre Satzung (§ 675) kann auch Nebenbetriebe dieser Art der gewerb­ lichen Unfallversicherung unterstellen, wenn in ihnen überwiegend Per­ sonen aus dem Hauptbetriebe tätig sind. Die Nebenbetriebe scheiden dann mit dem Inkrafttreten einer solchen Bestimmung aus der Versicherung bet der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft aus. Die Bestimmung kann nur zum Schluß eines Geschäftsjahrs aufgehoben werden Bevor eine Bestimmung der Satzung über die Zugehörigkeit landwirtschaftlicher .Ne­ benbetriebe genehmigt wird, sind die beteiligten landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften zu hören. Einigen sich die beteiligten Berufs­ genossenschaften nicht, so entscheidet auf Antrag der Reichsrat. Es be­ darf jedenfalls der Zustimmung der landwirtschaftlichen Berussgenossenschast, wenn die Bestimmung noch nicht mehr als drei Jahre gegolten hat; 2. für Seeschiffahrts- und andere unter die §§ 1046, 1049 fallende Be­ triebe, die wesentliche Bestandteile der in den §§ 537, 538 bezeichneten Betriebe sind und über den örtlichen Verkehr hinausgreifen oder die Nebenbetriebe sind. 8 541. Für welche Betriebe und Tätigkeiten der in den §§ 537, 538 be­ zeichneten Art als Teile oder Nebenbetriebe eines landwirtschaftlichen Betriebs an Stelle der gewerblichen die landwirtschaftliche Unfallversicherung tritt, regeln die §§ 916, 918 bis 921. 8 542. Unterliegen von mehreren Betrieben, die ein Unternehmer in dem Bezirke desselben Oberversicherungsamts hat, ihrer Art nach die einen der gewerblichen und andere der landwirtschaftlichen Unfallversicherung, und gehören sie nicht schon nach den vorstehenden Vorschriften derselben Genossen­ schaft an, so sind sie auf Antrag des Unternehmers einer Genossenschaft zuzuteilen, wenn in den Betrieben zusammen regelmäßig nicht mehr als zehn Versicherungspflichtige beschäftigt werden. Der Antrag ist an das Oberversicherungsamt zu richten, welches nach Anhörung der beteiligten Genossenschaften über die Zuteilung entscheidet. Die Beschwerde gegen die Entscheidung des Oberversicherungsamts steht dem Unternehmer und den beteiligten Genossenschaften zu Bis zur Endgültigkeit der Entscheidung kann der Unternehmer den An­ trag zurücknehmen. Die Zuteilung kann nur zum Schluß eines Geschäftsjahrs und, solange die Voraussetzungen des Abs. 1 zutreffen, nur auf Antrag des Unternehmers aufgehoben werden. Hat sie noch nicht mehr als drei Jahre seit der .End­ gültigkeit der Entscheidung gegolten, so bedarf die Aufhebung auch der Zustim­ mung der beteiligten Genossenschaften. 8 543. Betriebe ohne besondere Unfallgefahr kann das Reichsversiche­ rungsamt für versicherungsfrei erklären. 8 544. Gegen Unfälle bei Betrieben oder Tätigkeiten, die nach den §§ 537 bis 542 der Versicherung unterliegen (Betriebsunfälle), sind versichert 1. Arbeiter, Gehilfen, Gesellen, Lehrlinge, 2. Betriebsbeamte, wenn sie in diesen Betrieben oder Tätigkeiten beschäftigt sind. Berbotwidriges Handeln schließt die Annahme eines Betriebsunfalls nicht aus. 8 545. Als Betriebsbeamte gelten auch Werkmeister und Techniker. 8 545 a. Als Beschäftigung in einem der Versicherung unterliegenden Betriebe (§ 544 Abs. 1) gilt der mit der Beschäftigung in diesem Betriebe zu­ sammenhängende Weg nach und von der Arbeitsstätte. 8 545 d. Als Beschäftigung in einem der Versicherung unterliegenden Betriebe (§ 544 Abs. 1) gilt die mit der Beschäftigung in diesem Betriebe Zu­ sammenhängende Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung und Erneuerung des Arbeitsgeräts, auch wenn es vom Versicherten gestellt wird. 8 545 xc. Die Vorschriften der §§ 545 a, 545 b über Betriebe gelten ent­ sprechend für Tätigkeiten, die der Versicherung unterliegen.

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Anhang.

g 546. Die Versicherung erstreckt sich auf häusliche und andere Dienste, zu denen Versicherte, die hauptsächlich im Betrieb oder bei versicherten Tätig­ keiten beschäftigt sind, von dem Unternehmer oder dessen Beauftragten heran­ gezogen werden. g 547. Durch Verordnung der Reichsregierung kann die Unfallver­ sicherung auf bestimmte Berufskrankheiten ausgedehnt werden. Die Reichs­ regierung ist berechtigt, für die Durchführung besondere Vorschriften zu er­ lassen g 548. Die Satzung kann die Versicherungspflicht erstrecken 1. auf Betriebsunternehmer, 2 auf Hausgewerbetreibende (§ 162), die Unternehmer eines in den §§ 537, 538 bezeichneten Betriebs sind

g 549. Betriebsunternehmer, die nach der Satzung der Versicherungs­ pflicht unterliegen (§ 548 Nr 1), aber keiner besonderen Unfallgefahr ausgesetzt sind, rann der Vorstand der Berufsgenossenschaft für versicherungsfrei erklä­ ren Er widerruft die Befreiung, sobald ihre Voraussetzung nicht mehr vorliegt. Auf Beschwerde entscheidet das Oberversicherungsamt endgültig. g 550. Unternehmer (§ 633) sowie Binnenlotsen, die ihr Gewerbe für eigene Rechnung betreiben, können sich gegen die Folgen von Betriebsunfälle selbst versichern g 551. Die Vorschriften der §§ 548, 550 über die Versicherung des Unter­ nehmers gelten auch für seinen im Betriebe tätigen Ehegatten. g 552. Die Satzung kann bestimmen, unter welchen Bedingungen gegen Unfälle der in den §§ 544, 546 bezeichneten Art versichert werden können 1. durch den Betriebsunternehmer Personen, die im Betriebe beschäftigt, aber nicht nach den §§ 544, 545 versichert sind, 2 durch den Betriebsunternehmer oder den Vorstand der Berufsgenossenschast Personen, die nicht im Betriebe beschäftigt sind, aber die Betrieb­ stätte besuchen oder auf ihr verkehren, 3 durch den Vorstand der Genossenschaft die Mitglieder ihrer Organe und ihre Angestellten. g 553. Die Satzung kann bestimmen, daß die freiwillige Versicherung außer Kraft tritt, wenn der Beitrag trotz Mahnung nicht bezahlt worden ist, und daß eine Neuanmeldung so lange unwirksam bleibt, bis der rückständige Beitrag entrichtet worden ist. g 554. Versicherungsfrei sind 1. Soldaten, die im Falle der Dienstbeschädigung einen Versorgungsanspruch auf Grund des Reichsversorgungsgesetzes (Reichsgesetzbl 19231 S 523) oder des II. Teils des Wehrmachtversorgungsgesetzes (Reichsgesetzbl. 1921 S. 993) haben, 2. Angehörige der Schutzpolizei im Sinne des § 1 des Reichsgesetzes über die Schutzpolizei der Länder vom 17. Juli 1922 (Reichsgesetzbl. I S. 597), 3. Reichsbeamte und Neichsbahnbeamte, für die § 1 des Unfallfürsorge-' gesetzes vom 18. Juni 1901 (Reichsgesetzbl. S. 211) gilt, 4. Beamte, die mit festem Gehalt und Anspruch auf Ruhegeld in Betriebs­ verwaltungen eines Landes, eines Gemeindeverbandes oder einer Ge­ meinde angestellt sind, 5. andere Beamte eines Landes, eines Gemeindeverbandes oder einer Ge­ meinde, wenn für sie Fürsorge nach § 14 des vorbezeichneten Unfall­ fürsorgegesetzes getroffen ist. Bauarbeiten außerhalb eines gewerbsmäßigen Baubetriebs sowie das nicht gewerbsmäßige Halten von Reittieren oder Fahrzeugen (§ 537 Nr. 6, 7) gelten als Betrieb im Sinne des Unfallfürsorgegesetzes

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911.

§§ 546—626.

935

Zweiter Abschnitt.

Gegenstand der Berficherung

8 555. Gegenstand der Versicherung ist der in den folgenden Vorschriften bestimmte Ersatz des Schadens, der durch Körperverletzung oder Tötung entsteht. 8 556. Dem Verletzten und seinen Hinterbliebenen steht kein Anspruch zu, wenn sie den Unfall vorsätzlich herbeigeführt haben. 8 557. Hat der Verletzte sich den Unfall beim Begehen einer Handlung, die nach strafgerichtlichem Urteil ein Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen ist, zugezogen, so kann der Schadenersatz ganz oder teilweise versagt werden. Die Verletzung bergpolizeilicher Verordnungen gilt nicht als Vergehen im Sinne des vorstehenden Absatzes Die Rente kann den im Inland wohnenden Angehörigen des Verletzten ganz oder teilweise überwiesen werden, wenn sie im Fülle seines Todes Aw­ spruch auf Rente haben würden. Deutsche Schutzgebiete gelten im Sinne dieser Vorschrift als Inland Der Schadenersatz kann auch versagt werden, wenn wegen des Todes, der Abwesenheit oder eines anderen in der Person des Verletzten liegenden Grün-, des kein strasgerichtliches Urteil ergeht

88 557 a—622 a.

----------Dritter Abschnitt.

Trager der Berficherung. I. Bernfsgenoffenschaften und andere Träger der Versicherung.

8 623. Die Berufsgenossenschaften als Träger der Versicherung umfassen die Unternehmer der versicherten Betriebe (§ 633 Abs 1). 8 624. Das Reich ist Träger der Versicherung, wenn der Betrieb für seine Rechnung geht oder die Tätigkeit für seine Rechnung ausgeführt wird. Das gilt nicht bei den Betrieben oder Tätigkeiten, für die es auf Grund frühe-, rer Vorschriften oder nach Abs 2 Mitglied einer Genossenschaft ist Das Reich kann für bestimmte Betriebe oder Tätigkeiten der zuständigen Genossenschaft beitreten. Für die Tätigkeiten bei nicht gewerbsmäßigem Halten von Reittieren oder Fahrzeugen (§ 537 Nr 6, 7) kann es auch in die Berufs«genossenschaft eintreten, die für Unternehmer gewerbsmäßiger Fuhrwerks- oder Binnenschiffahrtsbetriebe zuständig ist Für Bauarbeiten kann es der für Baugewervtreibende «zuständigen Berussgenossenschaft beitreten Ist das Reich auf Grund früherer Vorschriften oder nach Abs. 2 Mitglied einer Genossenschaft, so kann es aus der Genossenschaft austreten. Vom Zeitpunkt des Austritts an hat es die Entschädigungsansprüche zu befriedigen, die gegen die Genossenschaft aus Unfällen in den ausgeschiedenen Betrieben oder bei den ausgeschiedenen Tätigkeiten entstanden sind. Ein ent­ sprechender Teil des Vermögens der Genossenschaft ist dem Reiche zu überweisen. Zu einer abweichenden Vereinbarung über die Auseinandersetzung be­ darf es des Beschlusses der Genossenschaftsversammlung. Streit bei der Aus­ einandersetzung über das Vermögen entscheidet das Reichsversicherungsamt (Beschlußsenat), falls nicht schiedsrichterliche Entscheidung vereinbart ist. Der Austritt ist mangels anderer Vereinbarung nur zum Schlüsse eines Geschäftsjahrs zulässig. Der Eintritt und der Austritt wird durch den zuständigen Reichsminister erklärt. 8 625. Der § 624 gilt entsprechend für die Länder. Der Eintritt und der Austritt wird durch die oberste Verwaltungsbe­ hörde erklärt. 8 626. Die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft ist Träger der Versicherung, wenn der Betrieb für ihre Rechnung geht oder die Tätigkeit für ihre Rech­ nung ausgeübt wird. 8 627 ist weggefallen.

936

Anhang.

8 628. Eine Gemeinde, ein Gemeindeverband oder eine andere öffent­ liche Körperschaft ist Träger der Versicherung für solche Bauarbeiten und Tätig­ keiten bei nicht gewerbsmäßigem Halten von Reittieren oder Fahrzeugen (§ 537 Nr 6, 7), welche sie als Unternehmer in anderen,als Eisenbahnbetrie­ ben ausführen, wenn die oberste Verwaltungsbehörde sie auf Antrag zur Über­ nahme der Last für leistungsfähig erklärt. Sonst ist eine solche Körperschaft mit den bezeichneten Arbeiten und Tätigkeiten nach § 629 versichert. Die oberste Verwaltungsbehörde kann mehrere Gemeinden, Gemeindever­ bände oder andere öffentliche Körperschaften zur gemeinsamen Durchführung der Versicherung zu einem Verbände vereinigen und diesen für leistungsfähig erklären Eine Gemeinde, ein Gemeindeverband oder eine andere öffentliche Körper­ schaft kann durch eine Erklärung ihres Vorstandes zur Versicherung der im Abs. 1 bezeichneten Bauarbeiten in die für Baugewerbtreibende zuständige Be­ rufsgenossenschaft und zur Versicherung der im Abs. 1 bezeichneten Tätigkeiten in die für Unternehmer gewerbsmäßiger Fuhrwerks- oder Binnenschiffahrts­ betriebe zuständige Berufsgenossenschaft eintreten. Die Eintrittserklärung be­ stimmt auch den Zeitpunkt, mit dem der Eintritt wirksam wird. Der Wiederaustritt aus der Genossenschaft und der Wiedereintritt ist für solche Körperschaften mangels anderer Vereinbarung nur zum Schlüsse eines Geschäftsjahrs zulässig. Ist die Körperschaft für leistungsfähig erklärt, so be­ darf es für den Wiederaustritt und den Wiedereintritt, wenn die Genossen­ schaft nicht zustimmt, der Genehmigung des Reichsversicherungsamts. Eine für leistungsfähig erklärte Körperschaft hat vom Zeitpunkt des Austritts an die Entschädigungsansprüche zu befriedigen, die gegen die Genossenschaft aus Un­ fällen bei den ausgeschiedenen Arbeiten oder Tätigkeiten entstanden sind Ein entsprechender Teil des Vermögens der Genossenschaft ist der Körperschaft zu überweisen. Zu einer abweichenden Vereinbarung über die Auseinandersetzung bedarf es des Beschlusses der Genossenschaftsversammlung. Streit bei der Auseinandersetzung über das Vermögen entscheidet das Reichsversicherungsamt (Beschlußsenat), falls nicht schiedsrichterliche Entscheidung vereinbart ist. 8 629.

- — - — — — — - — II. Zusammensetzung der Berufsgenossenschaften.



8 630. Die Berufsgenossenschaften werden nach örtlichen Bezirken ge­ bildet; sie umfassen darin alle Betriebe der Gewerbezweige, für die sie er­ richtet sind. Von dieser Vorschrift kann bei Genossenschaften für Eisenbahnen oder die am § 537 Nr. 6, 7 bezeichneten Betriebe abgesehen werden. Der Reichsrat kann die Vereinigung der Unternehmer knappschaftlicher Betriebe (§§ 1, 2 des Reichsknappschaftsgesetzes) zu Knappschafts-Berufsgenos­ senschaften genehmigen. Genossenschaften, die nach den früheren Unfallversicherungsgesetzen er­ richtet sind, bleiben in ihrem Bestände, vorbehaltlich der nach den §§ 635 bis 648 zulässigen Änderungen, erhalten. 8 631. Umfaßt ein Betrieb wesentliche Bestandteile verschiedenartiger Gewerbszweige, so ist er der Genossenschaft zuzuteilen, welcher der Haupt­ betrieb angehört. Das gleiche gilt, unbeschadet des § 540, von Nebenbetrieben und von solchen versicherten Tätigkeiten, welche Bestandteile eines Betriebs sind. Binnenschiffahrts- und Flößereibetriebe oder -tätigkeiten fallen nur dann in die Versicherung des Hauptbetriebs, wenn sie nicht über den örtlichen Ver­ kehr hinausgreifen. Tätigkeiten, die ihrer Art nach der Versicherung bei einer Zweiganstalt oder Versicherungsgenossenschaft unterliegen, sind bei der Berufsgenossenschaft, welcher der Unternehmer mit Betriebstätigkeiten derselben Art angehört, ver­ sichert, wenn diese die anderen Tätigkeiten überwiegen. 8 632. Die Vorschrift des § 542 gilt entsprechend für mehrere Betriebe desselben Unternehmers, die sämtlich der gewerblichen Unfallversicherung unterliegen und nicht schon unter § 631 Abs. 1 fallen. Dies gilt nicht für Binnenschiffahrts- und Flößereibetriebe.

Reichsversicherungsordnung v. 1S.Juli 1911. §§ 628—664.

937

8 683. Unternehmer eines Betriebs ist derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb geht. Im übrigen ist Unternehmer 1. von Bauarbeiten, die nicht in einem gewerbsmäßigen Baubetrieb aus­ geführt werden, derjenige, für dessen Rechnung sie gehen, 2. von Tätigkeiten bei nicht gewerbsmäßigem Halten von Reittieren oder Fahrzeugen (§ 537 Nr. 6, 7), wer das Reittier oder Fahrzeug hält. 8 634. Eine Genossenschaft hat Unfälle bei versicherten Tätigkeiten in einem Betriebe, der für Rechnung eines ihr nicht angehörigen Unternehmers geht, dann zu entschädigen, wenn ein ihr angehöriger Unternehmer den Auf­ trag gegeben und den Entgelt zu zahlen hat. Dies gilt entsprechend für die Zweigaustalten. III. Änderung des Bestandes der Berufsgenoffenschaften. 88 635—648. -



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Vierter Abschnitt.

Verfassung bet BerufSgeuoffenschasten. 1. Mitgliedschaft und Stimmberechtignng. Mitglied der Berufsgenossenschaft ist jeder Unternehmer, dessen Betrieb zu den ihr zugewiesenen Gewerbszweigen gehört und in ihrem Bezirke seinen Sitz hat. Das Reich, die Länder, Gemeinden, Gemeindeverbände und andere öffentliche Körperschaften sind nur Mitglieder, soweit es die §§ 624 bis 628 vorschreiben oder zulassen. 8 650. Die Mitgliedschaft beginnt mit der Eröffnung des Betriebs oder mit seiner Versicherungspflicht; für das Reich und die Länder, für Gemeinden, Gemeindeverbände und andere öffentliche Körperschaften regelt sich der Be­ ginn der Mitgliedschaft nach den §§ 624 bis 628. 8 651. In jedem Betriebe hat der Unternehmer durch einen Aushang bekanntzumachen, 1. welcher Genossenschaft und Sektion der Betrieb angehört, 2. wo die Geschäftsstelle des Genossenschafts- und des Sektionsvorstandes jft. Ist ein landwirtschaftlicher Betrieb der Gewerbe-Unfallversicherung nach § 540 Nr. 1, § 542 unterstellt, so hat der Aushang darauf hinzuweisen. 8 652. Besitzen Mitglieder oder ihre gesetzlichen Vertreter nicht die bürgerlichen Ehrenrechte, so haben sie kein Stimmrecht.

8 649.

II. Anmeldung der Betriebe. Wer mit einem Betriebe Mitglied einer Genossenschaft wird, hat binnen einer Woche dem Versicherungsamt, in dessen Bezirke der Betrieb seinen Sitz hat, anzuzeigen 1. den Gegenstand und die Art des Betriebs, 2. die Zahl der Versicherten, 3. die Genossenschaft, welcher der Betrieb angehört, 4. wenn der Betrieb erst nach Inkrafttreten des Gesetzes eröffnet ist, den Eröffnungstag und, wenn der Betrieb erst nach Inkrafttreten des Gesetzes versicherungspflichtig geworden ist, den Tag des Beginns der Ver­ sicherungspflicht. Die Anzeige ist doppelt einzureichen; der Empfang wird bescheinigt. Ist der Betrieb schon angemeldet und findet nur ein Wechsel in der Person des Unternehmers statt, so ist eine nochmalige Anzeige nach Abs. 1 nicht erforderlich.

8 653.

88 654—656. -

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r-



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III. Betriebsverzeichnis.

88 657—663. —







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Wechsel des Unternehmers. Änderung im Betrieb und in seiner Zugehörig­ keit zur Genossenschaft. 8 664. Der Unternehmer hat den Wechsel der Person, für deren Rech­ nung der Betrieb geht, in der durch die Satzung bestimmten Frist dem GeIV.

938

Anhang.

nossenschaftsvorstande zur Eintragung in das Betriebsverzeichnis anzuzeigen. Für die Beiträge bis zum Ablauf des Geschäftsjahrs, in welchem der Wechsel angezeigt wird, bleibt er haftbar, ohne dadurch den Nachfolger von der Haf­ tung zu befreien. 8 665. Jeder Unternehmer hat Änderungen seines Betriebs, die für die Zugehörigkeit zu einer Genossenschaft wichtig sind, ihrem Vorstand in der durch die Satzung bestimmten Frist anzuzeigen

88 666—673. - - — — - — — — — r8 674. Die Meldepflicht bei Betriebsänderungen, die auf die Veranlag gung zum Gefahrtarife wirken (§ 711), und das weitere Verfahren sind in der Satzung zu regeln. Hat ein Ausschuß oder der Vorstand der Genossenschaft den Gefahrtarif aufzustellen und zu ändern (§ 707), so kann ihm die Genossenschaftsversamm­ lung auch übertragen, die Meldepflicht bei diesen Betriebsänderungen zn regeln. Gegen den Bescheid, den die Genossenschaft auf die Anmeldung der Ände­ rung oder von Amts wegen erläßt, hat der Unternehmer die Beschwerde V. Satzung.

8 675. Die Berufsgenossenschaften regeln ihre innere Verwaltung und ihre Geschäftsordnung durch eine Satzung, welche die Genossenschaftsversamm­ lung beschließt

88 676—684.

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VI. Genoffenschaftsorgane.

8 685. Der Vorstand verwaltet die Genossenschaft, soweit Gesetz oder Satzung nichts anderes bestimmen.

88 686—689.





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VII. Angestellte.

88 690—705.

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VIII. Bildung der Gefahrklaffen. 8 706. Die Genossenschaftsversammlung hat für die der Genossenschaft zugehörigen Betriebe durch einen Gefahrtarif Gefahrklassen nach dem Grade der Unfallgefahr zu bilden und danach die Höhe der Beiträge abzustufen. 8 707. Sie kann einem Ausschuß oder dem Vorstand übertragen, den Gefahrtarif aufzustellen und zu ändern 8 708. Der Gefahrtarif ist zuerst längstens nach zwei Geschäftsjahren und dann mindestens von fünf zu fünf Jahren mit Rücksicht auf die vor­ gekommenen Unfälle nachzuprüfen. Ist die Änderung des Tarifs nicht dem Vorstand übertragen, so hat er das Ergebnis der Nachprüfung mit einem nach Betriebszweigen geordneten Verzeichnis der entschädigungspflichtigen Unfälle dem zuständigen Genossewschaftsorgane vorzulegen. Dieses hat darüber zu beschließen, ob der Gefahr­ tarif beizubehalten oder zu ändern ist. 8 709. Der Gefahrtarif und jede Änderung bedürfen der Genehmigung des Reichsversicherungsamts, dem im Falle des § 708 das Unfallverzeichnis vorzulegen ist. 8 710. Stellt das zuständige Genossenschaftsorgan den Gefahrtarif in einer ihm gesetzten Frist nicht auf oder wird er nicht genehmigt, so stellt ihn nach Anhören des Genossenschaftsorgans das Reichsverficherungsamt selbst auf. 8 711. Die Genossenschaft verlangt die Betriebe für die Tarifzeit nach Bestimmung der Satzung zu den Gefahrklassen. Nach der Veranlagung kann die Genossenschaft einen Betrieb für die Tarifzeit neu veranlagen, wenn sich herausstellt, daß die Angaben des Unter­ nehmers unrichtig waren, oder wenn eine Änderung im Betrieb eingetreten ist. Gegen die Veranlagung hat der Unternehmer die Beschwerde. 8 712. Die Genossenschaftsversammlung kann Unternehmern nach den Unfällen, die in ihren Betrieben vorgekommen sind, für die nächste Tarifzeit oder einen Teil von ihr Zuschläge auflegen oder Nachlässe bewilligen.

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 665—749. Gegen die schwerde.

Festsetzung

von Zuschlägen hat

939

der Unternehmer die Be­

IX. Teilung und Zusammenlegung der Last. 88 713-716. - -- -- -- --

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X. Vermögensverwaltung. -

88 717-721.

Fünfter Abschnitt.

88 722-725.

Aufsicht. -----------Sechster Abschnitt.

Auszahlung der Entschädigung. Aufbringung der Mittel. I. Auszahlung durch die Post. 8 726. Die Genossenschaft zahlt die Entschädigung auf Anweisung des Genossenschaftsvorstandes durch die Post, und zwar durch die Postanstalt, in deren Bezirke der Empfänger wohnt. Die Zahlstelle wird ihm vom Vorstand mitgeteilt. Verzieht der Empfänger, so kann er bei dem Vorstand oder bei der Post­ anstalt des alten Wohnorts beantragen, daß die Zahlung an die Postanstalt des neuen Wolmorts überwiesen wird

88 727-731).

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II. Aufbringung der Mittel. 8 731. Die Berufsgenossenschaften haben die Mittel für ihre Aufwen­ dungen durch Mitgliederbeiträge aufzubringen, die den Bedarf des abgelaufe­ nen Geschäftsjahrs decken Bei der Tiefbau-Berufsgenossenschaft müssen die Beiträge neben den anderen Aufwendungen den Kapitalwert der Renten decken, die der Ge­ nossenschaft im abgelaufenen Geschäftsjahr zur Last gefallen sind Die Grund­ sätze zur Ermittlung des Kapitalwerts stellt das Reichsversicherungsamt fest. Bei den Zweiganstalten für Bauarbeiten sind feste Prämien sowie Bei­ träge der Gemeinden und anderen Verbände, bei Zweiganstalten und Ver­ sicherungsgenossenschaften für Halten von Reittieren oder Fahrzeugen sind feste Prämien zu erheben (§§ 783 bis 842). 8 732. Die Mitgliederbeiträge werden nach dem Entgelt, den die Ver­ sicherten in den Betrieben verdient haben, mindestens aber nach dem Orts­ lohn für Erwachsene über einundzwanzig Jahre sowie nach dem Gefahrtarife jährlich umgelegt. Übersteigt der Entgelt während der Beitragszeit im Jahresbetrage den im § 571 c festgesetzten Betrag, so wird der Überschuß nur angerechnet, soweit die Satzung die Versicherung auf einen höheren Jahresarbeitsverdienst erstreckt hat. 88 733—748. — - — - — — r-

III. Umlage- nnd Erhebungsverfahren. 8 749. Die Genossenschaftsvorstände haben die Zahlungen, die ihnen die Deutsche Reichspost nachweist (§ 777), samt den anderen Aufwendungen nach dem festgestellten Verteilungsmaßstab auf die Mitglieder umzulegen. Dabei sind die Vorschriften über Teilung und Zusammenlegung der Last (§§ 713 bis 716) zu berücksichtigen und erhobene Vorschüsse zu verrechnen. Für die Tiefbau-Berufsgenossenschaft gilt § 764, für die Zweiganstalten gelten § 731 Abs. 3, §§ 763, 799 bis 842, für Versicherungsgenossenschaften § 731 Abs. 3, § 842 Abs. 2, 3.

940

Anhang.

8 750. Für die Urnleguttg und Einziehung der Beiträge hat jedes Mit­ glied, soweit nicht Pauschbeträge gelten oder einheitliche Beiträge zu entrichten sind (§ 734), binnen sechs Wochen nach Ablauf des Geschäftsjahrs dem Ge­ nossenschaftsvorstand einen Lohnnachweis einzureichen. Dieser hat zu enthalten 1. die während des abgelaufenen Geschäftsjahrs im Betriebe beschäftigten Versicherten, die Zahl ihrer Arbeitstage und den von ihnen verdienten Entgelt, 2. wenn nicht der wirklich verdiente Entgelt maßgebend ist, eine Berechnung des Entgelts, der bei der Umlegung der Beiträge anzurechnen ist, 3. die Gesahrklasse, in die der Betrieb eingeschätzt ist. Die Satzung kann bestimmen, daß der Lohnnachweis statt der einzelnen Versicherten und ihrer Arbeitstage sowie des von ihnen verdienten Entgelts die Zahl dec Versicherten und ihrer Arbeitstage sowie die Gesamtsumme des Ent­ gelts für das ganze Geschäftsjahr oder für kleinere Zeitabschnitte enthalten soll (Summarischer Lohnnachweis) 8 751. Die Satzung kann bestimmen, daß dre Lohnnachweise viertel- oder halbjährlich eingereicht, fortlaufend Lohnlisten (Lohnbücher), aus denen sich diese Nachweise ent­ nehmen lassen, geführt, die Lohnlisten (Lohnbücher) drei Jahre lang aufbewahrt werden. 8 752. Für Mitglieder, die den Lohnnachweis nicht rechtzeitig oder un­ vollständig einreichen, stellt ihn die Genossenschaft selbst auf oder ergänzt ihn. 8 753. Auf Grund der Lohnnachweise, Pauschbeträge und einheitlichen Beiträge stellt der Genossenschaftsvorstand einen Gesamtnachweis der Ver­ sicherten zusammen, die im abgelaufenen Geschäftsjahr von den Mitgliedern beschäftigt worden sind, und des anrechnungsfähigen Entgelts, den sie ver­ dient haben. Danach berechnet er den Beitrag, der auf jedes Mitglied zur Deckung des Gesamtbedarfs entfällt.

88 754—756. — - — — — - - - — 8 757 Die Mitglieder können gegen die Feststellung ihrer Beiträge, binnen zwei Wochen Einspruch bei dem Vorstand erheben, bleiben aber zur vorläufigen Zahlung verpflichtet. Sie sind zur vorläufigen Zahlung nicht verpflichtet, soweit der Entgelt schon in dem Lohnnachweise für eine andere Genossenschaft enthalten ist und die Beiträge, die auf diesen Entgelt entfallen, an diese Genossenschaft gezahlt sind.

88 758-764. -----------8 765. Wenn Unternehmer eines gewerblichen Baubetriebs mit Zahlung der Beiträge rückständig geblieben sind und sich in einem Zwangsbeitreibungs­ verfahren als zahlungsunfähig erwiesen haben, so kann das Versicherungsamt auf Antrag des Genossenschaftsvorstandes widerruflich anordnen, daß der Bau­ herr sowie Zwischenunternehmer für die Beiträge während eines Jahres nach deren endgültiger Feststellung insoweit haften, als sie nach Erlaß der Anord­ nung erwachsen sind. Die Satzung kann für diesen Fall näheres über die Führung von Lohnlisten zum Nachweis der Lohnsummen, für die der Bauherr oder Zwischenunternehmer haftet, bestimmen. Zwischenunternehmer haften vor dem Bauherrn. 8 766. Eine Anordnung dieser Art muß den Unternehmer, für den sie gilt, nach Namen, Wohnort und Geschäftsbetrieb deutlich bezeichnen. Sie wird ihm sowie der Polizeibehörde seines Wohnorts und des davon etwa getrennten Betriebsitzes schriftlich mitgeteilt. Verlegt der Unternehmer seinen Wohnort oder Betriebsitz, so benachrichtigt die Polizeibehörde die für den neuen Wohnort oder Betriebsitz zuständige Be­ hörde. Die Polizeibehörden haben auf Verlangen jedem Beteiligten von der An­ ordnung Kenntnis zu geben.

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 750—788.

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8 767. Von der Anordnung hat der Unternehmer dem Huftraggeber un­ verzüglich schriftlich Anzeige zu machen, übernimmt er einen baugewerblichen Auftrag, so hat er die Anzeige vorher zu erstatten. Zwischenunternehmer haben von der Anzeige unverzüglich ihrem Auftraggeber schriftlich Kenntnis zu geben. Wer diesen Vorschriften zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft; daneben kann auf Geldstrafe erkannt werden. Hat er fahrlässig gehandelt, so wird er mit Geldstrafe bis zu 150 Reichsmark bestraft. Bestrafung tritt nur ein, wenn infolge der Zuwiderhandlung der Auftraggeber geschädigt wird. 8 768. Das Versicherungsamt hebt die Anordnung auf, sobald ihm durch Bescheinigung des Vorstandes nachgewiesen wird, daß der Unternehmer der Genossenschaft nichts mehr schuldet. 8 769. Das Oberversicherungsamt entscheidet endgültig auf Beschwerde gegen die Anordnung des Versicherungsamts, Versagung der Anordnung, Entscheidung des Versicherungsamts über Aufhebung der Anordnung. 88 770—776. — — - — - — - — — - — —

IV. Abführung der Beträge au die Post. 8 777. Binnen acht Wochen nach Ablauf jedes Geschäftsjahrs weist die Deutsche Reichspost den Genossenschaftsvorständen die für sie geleisteten Zah­ lungen nach und bezeichnet die Postkassen, an die sie zu erstatten sind. Nach Anerkennung des Forderungsnachweises durch den Genossenschafts­ vorstand teilt die Deutsche Reichspost dem Reichsversicherungsamte die Beträge mit, die für jede Berufsgenossenschaft im abgelaufenen Geschäftsjahr gezahlt worden sind. Das Reichsversicherungsamt gleicht die tatsächlichen Zahlungen aus, die der Post zu erstatten sind. 88 778-782. Siebenter Abschnitt. Zwelganftalterr.

I. Zweiganstatten für Bauarbeiten. Bildung, Umfang und Einrichtung. 8 783. Bei der Zweiganstalt, die einer Berufsgenossenschaft von Bau­ gewerbetreibenden angegliedert ist, sind die Personen versichert, die ein Un­ ternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten (§ 633 Abs. 2 Nr. 1) im Bezirke der Genossenschaft bei solchen Arbeiten beschäftigt. Das gleiche gilt von den selbstversicherten Unternehmern solcher Bau­ arbeiten. 8 784. Andere Versicherungen darf die Zweiganstalt nicht übernehmen. 8 785. Den Zweiganstalten der Baugewerks-Berufsgenossenschaften wer­ den außer den Bauarbeiten, für die sie errichtet sind, die Eisenbahn-, Kanal-, Wege-, Strom-, Deich- und andere Bauarbeiten ihres Bezirkes zugewiesen, wenn ein Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten (§ 633 Abs. 2 Nr. 1) sie ausführt und für die einzelne Arbeit nicht mehr als sechs Arbeitstage tat­ sächlich verwendet werden. 8 786. Die Organe der Genossenschaften verwalten. die Zweiganstalt, wenn die Nebensatzung nichts anderes bestimmt (§ 794). 8 787. Die Einnahmen und Ausgaben der Zweiganstalt sind besonders zu verrechnen und ihre Bestände gesondert zu verwahren. Für die Zweiganstalt ist eine besondere Rücklage anzusammeln. Sie darf nicht zu Zwecken der Genossenschaft verwendet werden. 8 788. Das übrige Vermögen, das für die Zweiganstalt bestimmt ist, darf nur mit Genehmigung des Reichsversicherungsamts für die Genossenschaft verwendet werden.

942

Anhang.

Die Genehmigung hierzu darf nur erteilt werden, wenn der Teil dieses Vermögens, der für die Zweiganstalt verbleibt, zur dauernden Befriedigung der bisher erwachsenen Verbindlichkeiten der Zweiganstalt voraussichtlich aus­ reicht. 8 789. Die Genossenschaft hat, soweit nötig, die Mittel für den Geschäfts­ betrieb der Zweiganstalt vorzuschießen. 8 790. An Verwaltungskosten hat die Zweiganstalt so viel aufzubringen, wie tatsächlich für ihre besondere Verwaltung erforderlich gewesen ist. Daneben kann ihr nach Bestimmung des Reichsversicherungsamts ein Pauschbetrag als Anteil an den gemeinsamen Verwaltungskosten auferlegt werden. 8 791 An dem Vorschüsse, den die Genossenschaft an die Deutsche Reichs­ post abzuführen hat (§ 728), ist die Zweiganstalt nach dem Verhältnis der voraussichtlichen Aufwendungen der Reichspost für die Genossenschaft und die Zweiganstalt zu beteiligen. 8 792. Die Genossenschaftsversammlung hat für die Zweiganstalt eine Nebensatzung zu errichten. Bei den Beratungen darüber muß ein Vertreter des Reichsversicherungs­ amts zugegen sein und auf sein Verlangen jederzeit gehört werden 8 793. Die Nebensatzung muß bestimmen über 1 Meldepflicht der im § 633 Abs. 2 Nr. 1 bezeichneten Unternehmer, die sich selbst versichern wollen, sowie Höhe und Ermittlung des Jahres­ arbeitsverdienstes dieser Unternehmer, 2 Abgrenzung der Rechte des Vorstandes und der Genossenschaftsversamm­ lung bei der Verwaltung der Zweiganstalt, 3 Ansammlung der Rücklage, 4 Aufstellung, Prüfung und Abnahme der Jahresrechnung, 5. Veröffentlichung der Rechnungsabschlüsse, 6. Änderung der Nebensatzung. 8 794. Die Nebensatzung kann bestimmen, daß die Zweiganstalt durch besondere Organe verwaltet wird. Sie bestimmt dann auch den Sitz dieser Organe, ihre Zusammensetzung, ihre Bezirke und den Umfang ihrer Rechte. 8 795. Die Genossenschaftsversammlung kann dem Genossenschaftsvor­ stand übertragen, die Bezirke der besonderen Organe abzugrenzen und ihre Mitglieder zu wählen. 8 796. Die Nebensatzung und ihre Änderung bedürfen der Genehmigung des Reichsversicherungsamts. Soll die Genehmigung versagt werden, so entscheidet über sie der Beschlußsenat; die Gründe der Versagung sind mit­ zuteilen. Wird die Genehmigung versagt, so entscheidet auf Beschwerde der Reichsrat. 8 797. Der Genossenschaftsvorstand hat die Bezirke und die Zusammen­ setzung der besonderen Organe im Reichsanzeiger bekanntzumachen 8 798. In der Zweiganstalt werden versichert Bauarbeiten 1. auf Kosten des Unternehmers (§ 633 Abs. 2 Nr. 1) gegen feste Prämien nach einem Prämientarif (§§ 799 bis 824), wenn für die einzelne Arbeit mehr als sechs Arbeitstage tatsächlich verwendet worden sind (längere Bauarbeiten), 2. auf Kosten der Gemeinden oder der in den §.§ 828 bis 830 bezeichneten Verbände, über deren Bezirke sich die Genossenschaft erstreckt, gegen Bei­ träge, die auf diese Gemeinden oder Verbände nach dem Bedarfe des ab­ gelaufenen Geschäftsjahrs jährlich umgelegt werden, wenn für die ein­ zelne Arbeit höchstens sechs Arbeitstage verwendet werden (kurze Bau­ arbeiten) 2. Versicherung auf Kosten der Unternehmer. Prämien. 8 799. Die Unternehmer längerer Bauarbeiten haben für jeden Monat spätestens drei Tage nach dessen Ablauf dem Genossenschaftsvorstand oder dem zuständigen anderen Organ (§ 794) einen Nachweis vorzulegen über

943

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 789—835.

1. die verwendeten Arbeitstage, 2. den den Versicherten dafür gewährten Entgelt. Die Form für den Nachweis schreibt das Reichsversicherungsamt vor. 8 800. Ist der Nachweis versäumt oder unvollständig, so stellt ihn der Genossenschaftsvorstand oder das zuständige Organ (§ 794) selbst auf oder ergänzt ihn nach eigener Kenntnis der Verhältnisse. Sie können zu diesem Zwecke den Verpflichteten durch Zwangsstrafen in Geld anhalten, binnen einer festgesetzten Frist Auskunft zu geben Der Genossenschaftsvorstand oder das zuständige andere Organ (§ 794) kann eine von der obersten Verwaltungsbehörde bestimmte Behörde, in deren Bezirke die Bauarbeiten ausgeführt werden, um die Aufstellung oder Ergänz zung des Nachweises oder um Auskunft ersuchen. Auch die Behörde kann den Verpflichteten zur Auskunft anhalten; Abs. 2 gilt entsprechend 8 801. Die für die Erteilung der Bauerlaubnisse zuständigen Behörden sind verpflichtet, dem Genossenschaftsvorstand oder dem zuständigen anderen Organe (§ 794) von jeder Bauerlaubnis unter Bezeichnung des Bauherrn, des Ortes und der Art der Bauarbeit binnen acht Tagen Nachricht zu geben. 8 802. Der Prämientarif muß ergeben, welcher Einheitssatz an Prämien für jede angefangene halbe Reichsmark des anrechnungsfähigen Entgelts zu entrichten ist Im Prämientarife können Mindestprämien festgesetzt werden. 8 803. Stuft die Genossenschaft in dem Gefahrtarife die Beiträge nach den Arten der Bauarbeiten ab, so gilt dasselbe Verhältnis auch für die Ein­ heitssätze der Prämien. 8 804. Das Reichsversicherungsamt setzt den Prämientarif mindestens alle fünf Jahre für jede Genossenschaft nach Anhören ihres Vorstandes im voraus fest Als Grundlagen dienen der Kapitalwert der Leistungen, die der Zweiganstalt aus Unfällen bei längeren Bauarbeiten nach dem Jahresdurchschnitte voraussicht­ lich erwachsen werden, die jährlichen Lasten, die der Zweiganstalt aus Unfällen vor dem 1. Januar 1925 voraussichtlich erwachsen werden, die Zuschläge für Bildung der Rücklage, ein Pauschbetrag für die Verwaltungskosten der Zweiganstalt, der nach dem Jahresdurchschnitte der vorangegangenen Tarifzeit unter Abzug des Anteils für kurze Bauarbeiten (§ 832) zu berechnen ist. Das Nähere bestimmt das Reichsversicherungsamt. Hierbei sind die Zinsen der Rücklage, soweit sie nicht ihr selbst nach der Nebensatzung zufließen, abzurechnen. 8 805. Das Reichsversicherungsamt veröffentlicht auf Kosten der Ge­ nossenschaft den Prämientarif im Deutschen Reichsanzeiger. 8 806. Das Reichsversicherungsamt bestimmt die Zeit des Inkrafttretens des Prämientarifs. Es kann ihm rückwirkende Kraft beilegen. 8 807. Der Genossenschaftsvorstand oder das zuständige andere Organ (§ 794) berechnen die Prämien auf Grund des Prämientarifs und der Nachweise und führen die Heberolle. Sie bestimmen die Zeit, für welche die Prämien eingezogen werden, sowie den Fälligkeitstag und die Art der Erhebung und Zahlung. Das Reichsversicherungsamt kann die Erhebung von Vorschüssen auf die Prämien zulassen. 8 808. Ist der Entgelt des Versicherten für den Tag der Bauarbeit nie­ driger als der für den Beschäftigungsort festgesetzte Ortslohn für Erwachsene, so ist die Prämie nach diesem zu berechnen, sofern nicht höhere Mindest­ prämien festgesetzt sind.

88 809—824.





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3. Versicherung auf Kosten von Gemeinden.

88 825—835

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Anhang.

II. Zweiganstalten für Halten von Reittieren und Fahrzeugen. 8 836. Bei der Zweiganstalt, die einer Berufsgenossenschaft von Unter­ nehmern gewerbsmäßiger Fuhrwerks- oder Binnenschiffahrtsbetriebe ange­ gliedert ist, sind die Personen versichert, die im Bezirke der Genossenschaft bei nicht gewerbsmäßigem Halten von Reittieren oder Fahrzeugen (§ 537 Nr. 6, 7) beschäftigt werden. Das gleiche gilt von den selbstversicherten Unternehmern solcher Tätig­ keiten. Die Tätigkeiten werden, wenn es sich um Fahrzeuge zu Wasser handelt, in den Zweiganstalten der Genossenschaften für Binnenschiffahrt versichert, im übrigen in den Zweiganstalten der Genossenschaften für gewerbsmäßigen Fuhr­ werksbetrieb, sofern der Reichsrat nicht nach § 629 Abs. 2 andere Bestim.mungen trifft. 8 837. Die Genossenschaftsversammlung kann bestimmen, daß statt einer mehrere Zweiganstalten für einzelne räumliche Gebiete ihres Bezirkes er­ richtet werden. Solche Bestimmungen bedürfen der Genehmigung des Reichsversicherungsamts; sie sind im Reichsanzeiger bekanutzumachen. 8 838. In der Zweiganstalt geht die Versicherung auf Kosten der Unter­ nehmer (§ 633 Abs 2 Nr. 2) gegen Prämien nach einem Prämientarif. Auf Antrag eines Unternehmers kann für den Entgelt, nach dem die Prämien zu berechnen sind, ein Pauschbetrag nach der durchschnittlichen Zahl der jährlichen Arbeitstage festgesetzt werden. Zugleich muß festgesetzt werden, wann die Prämien einzuzahlen sind. 8 839. Die Unternehmer haben, sofern nicht § 838 Abs. 2 gilt, dem Ge­ nossenschaftsvorstand oder dem zuständigen anderen Organe (§ 794, § 842 Abs 1) für jedes Kalendervierteljahr, spätestens drei Tage nach dessen Ab­ lauf, einen Nachweis vorzulegen über 1. die verwendeten Arbeitstage, 2. den den Versicherten dafür gewährten Entgelt. Die Form für den Nachweis schreibt das Reichsversicherungsamt vor. Gegen Säumige wird verfahren wie bei den Zweiganstalten für Bau­ arbeiten (§ 800). Das Reichsversicherungsamt kann auf Antrag des Vorstandes bestimmen, daß die Nachweise in anderen als vierteljährlichen Zwischenräumen vorzu­ legen sind. 88 840, 841 sind weggefallen. 8 842 Im übrigen gelten für diese Zweiganstalten entsprechend die Vor­ schriften für die Zweiganstalten für Bauarbeiten (§§ 784, 786 bis 797, 802 bis 810, 812, 814 bis 818 a, 822). Tritt an Stelle einer Zweiganstalt eine Versicherungsgenossenschaft, so gelten für diese die §§ 647, 648, 736 sowie von den Vorschriften für Zweig­ anstalten die §§ 802 bis 810, 812, 814 bis 818 822, § 836 Abs. 1, H §§ 838, 839 entsprechend. Auch für die Versicherungsgenossenschaft ist eine Rücklage anzusammeln. Der Vorstand der Versicherungsgenossenschaft kann von der Zustellung des Auszugs aus der Heberolle absehen. An der Verpflichtung zur Ein­ reichung der Lohnnachweise wird hierdurch nichts geändert.

Achter Abschnitt.

Weitere Einrichtungen. 88 843-847.

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Neunter Abschnitt.

Unfallverhütung.

Überwachung.

I. Allgemeines. 8 848. Die Berufsgenossenschaften müssen dafür sorgen, daß, soweit es nach dem Stande der Technik und der Heilkunde und nach der LeistungS-

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 836 —858.

945

sähigkeit der Wirtschaft möglich ist, Unfälle verhütet werden und bei Unfällen dem Verletzten eine wirksame erste Hilfe zuteil wird.

II. Unfallverhütungsvorschriften. § 848 a. Die Berufsgenossenschaften sind verpflichtet, die erforderlichen Vorschriften zu erlassen über 1. Die Einrichtungen und Anordnungen, welche die Mitglieder zur Ver­ hütung von Unfällen in ihren Betrieben zu treffen haben, 2 das Verhalten, das die Versicherten zur Verhütung von Unfällen in den Betrieben zu beobachten haben. Unfallverhütungsvorschriften können auch für einzelne Bezirke, Gewerbszweige und Betriebsarten erlassen werden In den Vorschriften ist zu bestimmen, wie sie den Versicherten bekannt zu /machen sind. Wenn in einem Betrieb Arbeiter beschäftigt sind, welche des Deutschen nicht mächtig sind, so sind ihnen, wenn fünfundzwanzig gemeinsam eine andere Muttersprache sprechen, die Unfallverhütungsvorschriften und die bieje ersetzenden bergpolizeilichen Verordnungen in dieser bekannt zu machen. 8 848 d. In den Unfallverhütungsvorschriften können den Mitgliedern Verpflichtungen für die erste Hilfe bei Unfällen und den Verletzten Verpflicht Lungen für ihr Verhalten bei Unfällen auferlegt werden. 8 849. Gehören einer Genossenschaft Betriebe an, die ihrer Art nach einer anderen Genossenschaft zuzuteilen wären (§§. 540, 542, 631, 632), so sollen dafür /Unfallverhütungsvorschriften erlassen werden, die d-en Vorschriften der­ jenigen Berufsgenossenschaft entsprechen, welcher die Betriebe ihrer Art nach angehören würden. 8 850. Den Mitgliedern ist eine angemessene Frist zu setzen, um die zur Verhütung von Unfällen vorgeschriebenen Einrichtungen zu treffen. 8 851. Zuwiderhandlungen der Mitglieder und der Versicherten gegen die Vorschriften können mit Ordnungsstrafe in Geld bedroht werden und zwar Zuwiderhandlungen der Mitglieder mit Geldstrafe bis zu 10 000 Reichsmark. 8 852. Der Entwurf der Vorschriften ist dem ReichsversicherungHamt einzureichen. Ist die Genossenschaft in Sektionen eingeteilt, so haben ihn die Vorstände der beteiligten Sektionen vorher zu begutachten. 8 853. Zur Beratung und zum Beschluß über die Vorschriften hat der Genossenschaftsvorstand Vertreter der Versicherten mit vollem Stimmrecht und in gleicher Zahl wie die beteiligten Vorstandsmitglieder zuzuziehen. Dies gilt entsprechend für Gutachten über Schutzvorschriften auf Grund des § 120 e Abs. 2 der Gewerbeordnung. 8 854. Der Genossenschaftsvorstand hat das Reichsversicherungsamt zu der Sitzung einzuladen, in der über den Entwurf der Vorschriften beraten und beschlossen werden soll. 8 855. Sollen Unfallverhütungsvorschriften oder sollen Schutzvorschriften auf Grund des § 120 e Abs. 2 der Gewerbeordnung nur für einzelne Sekq tionen gelten, so haben auch deren Vorstände Vertreter der Versicherten zur Begutachtung zuzuziehen. Dabei gilt § 853 Abs. 1 entsprechend.

8 856. Der Entwurf der Vorschriften ist den Vertretern der Versicherten zugleich mit der Einladung zu der Sitzung, in der die Vorschriften begutachtet oder beraten und beschlossen werden sollen, mitzuteilen. 8 857. Alljährlich nimmt der Vorstand unter Hinzuziehung der Vertreter der Versicherten (§ 853 Abs. 1) zu den Berichten der technischen Aufsichts^ beamten Stellung und regt die Maßnahmen an, die zur Verbesserung der Unfallverhütungsvorschriften geboten erscheinen. Dabei gilt § 854. 8 858. Die Vertreter der Versicherten werden von den Versicherten­ mitgliedern in den Ausschüssen der Versicherungsanstalten gewählt, in deren Be­ zirk die Genossenschaft oder die Sektion Mitglieder hat Wahlberechtigt sind jedoch nur solche Ausschußmitglieder, welche dem Bereiche der Gewerbe-UnfallA l l f e l d, Strafgesetzgebung. 3. Aufl. 60

946

Anhang.

Versicherung angehören Sind die Ausschüsse mehrerer Versicherungsanstalten beteiligt, so kann das Reichsversicherungsamt das Stimmenverhältnis bestim­ men. Es kann auch anordnen, daß Ausschüsse von Versicherungsanstalten, in deren Bezirke sich nur wenige und kleine Betriebe befinden, an der Wahl nicht zu beteiligen sind Die Knappschafts-Berufsgenossenschaft kann durch die Satzung bestimmen, daß die Vertreter der Versicherten Knappschaftsälteste und Angestelltenälteste sein müssen. Wird diese Bestimmung getroffen, so werden die Vertreter der Versicherten von den Versichertenvertretern gewählt, die dem Vorstand des Reichsknappschaftsvereins angehören g 859. Wählbar als Vertreter der Versicherten ist nur, wer selbst nach diesem Gesetze gegen Unfall versichert ist und in einem Betriebe, welcher der Berussgenossenschaft angehört, beschäftigt wird. Im übrigen gilt § 12 g 860. Die Wahlordnung erläßt das Reichsversicherungsamt Ein Beauftragter dieses Amtes leitet die Wahl. g 861. Für jeden Vertreter der Versicherten wird ein erster und ein zwei­ ter Ersatzmann gewählt (sie vertreten ihn, wenn er verhindert ist, und ersetzen ihn für den Rest seiner Amtsdauer, wenn er vor der Zeit ausscheidet, nach der Reihe, die sich durch die Wahl ergibt. g 862. Bei Streit über die Gültigkeit der Wahlen entscheidet daS Reichsversicherungsamt. g 863. Der Vorsitzende des Vorstandes setzt die Vergütung (§ 21) für die Vertreter der Versicherten fest. g 864. Die Unfallverhütungsvorschriften bedürfen der Genehmigung des Reichsversicherungsamts; der Beschlußsenat entscheidet darüber Dem Antrag auf Genehmigung sind die Niederschriften über die Ver­ handlungen der Vorstände beizufügen. Aus der Niederschrift muß sich ersehen lassen, wie die Vertreter der Versicherten gestimmt haben; sie muß ferner ein Gutachten der Vorstände der beteiligten Sektionen enthalten g 865. Vor der Genehmigung wird den beteiligten obersten Verwaltungs­ behörden Gelegenheit gegeben, sich zu äußern. Unfallverhütungsvorschriften für Betriebe, die unter bergpolizeilicher Aufsicht stehen, dürfen nur genehmigt werden, wenn die oberste Verwaltungs­ behörde zustimmt. g 866. Auch wenn Unfallverhütungsvorschriften oder Teile von ihnen nicht lediglich für einzelne Sektionen gelten sollen, kann das Reichsver­ sicherungsamt vor der Genehmigung anordnen, daß die Sektionsvorstände die Vertreter der Versicherten zum Gutachten zuziehen. g 867. Ändert die Genossenschaftsversammlung die Beschlüsse, die der Vorstand und die Vertreter der Versicherten gefaßt haben, so bestimmt das Reichsversicherungsamt, ob der Vorstand mit den Vertretern dec Versicherten nochmals beraten und beschließen soll. g 868. Macht das Reichsversicherungsamt seine Genehmigung davon ab­ hängig, daß die Vorschriften geändert werden, so bestimmt es auch, ob zur Be­ ratung und zum Beschlusse die Vertreter der Versicherten zugezogen werden sollen. g 869. Der Genossenschaftsvorstand hat die Vorschriften den höheren Verwaltungsbehörden mitzuteilen, deren Bezirke beteiligt sind. g 870. Zuständig für die Festsetzung der Geldstrafen gegen Genossene schaftsmitglieder ist der Vorstand der Genossenschaft, gegen Versicherte das Versicherungsamt (Beschlußausschuß). Aus Beschwerde gegen Straffestsetzungen des Genossenschaftsvorstandes entscheidet das Oöerversicherungsamt (Beschluß­ kammer).

gg 871—873.

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III. Überwachung.

g 874. Die Berufsgenossenschaften haben für die Durchführung der Unfallverhütungsvorschriften zu sorgen.

Neichsversicherungsordnung v. 19 Juli 1911. §§ 859—891.

947

8 875. Die Genossenschaften sind berechtigt und auf Verlangen des Reichsversicherungsamts verpflichtet, technische Aufsichtsbeamte in der er­ forderlichen Zahl anzustellen, um die Befolgung der Unfallverhütungsvorschrif­ ten zu überwachen und von den Einrichtungen der Betriebe Kenntnis zu neh­ men, soweit dies für die Zugehörigkeit zur Genossenschaft oder für die Eiwschätzung in die Gefahrklasse von Bedeutung ist. Als solche Beamte können auch Personen angestellt werden, die früher den versicherten Betrieben als Ar­ beiter angehört haben Die Anstellung technischer Aufsichtsbeamter bedarf der Genehmigung des Reichsversicherungsamts. Das Reichsversicherungsamt kann für die Anstellung technischer Aufsichts­ beamter den Nachweis einer bestimmten Vorbildung verlangen. Es kann auch verlangen, daß technischen Aufsichtsbeamten nur aus einem wichtigen Grunde gekündigt werden darf. Das Reichsversicherungsamt erläßt für technische Aufsichtsbeamte Be­ stimmungen über ihr Zusammenwirken mit den Betriebsvertretungen. 8 876. Die Genossenschaften können, um die eingereichten Lohnnachweise zu prüfen, durch Rechnungsbeamte die Geschäftsbücher und Listen einsehen, aus denen die Zahl der beschäftigten Arbeiter und Beamten und die Beträge des verdienten Entgelts hervorgehen 8 877. Die Geschäfte des technischen Aufsichts- und des Rechnungs­ beamten können mit Genehmigung des Neichsversicherungsamts in einer Person vereinigt werden 8 878. Die Unternehmer sind verpflichtet, den technischen Aufsichts­ beamten ihrer Genossenschaft den Zutritt zu ihren Betriebstätten während der Betriebszeit zu gestatten und den Rechnungsbeamten die Bücher und Listen (§ 876) an Ort und Stelle zur Einsicht vorzulegen 8 879. Der Genossenschaftsvorstand kann gegen Unternehmer bei Zu­ widerhandlung gegen die Pflichten aus § 878 Ordnungsstrafe in Geld ver­ hängen 8 880. Der Unternehmer kann besondere Sachverständige statt des tech­ nischen Aufsichtsbeamten verlangen, wenn er von dessen Besichtigung die Verletzung eines Betriebsgeheimnisses oder Schaden für seine geschäftliche Tätig­ keit befürchtet. 8 881. In diesem Falle hat der Unternehmer dem Genossen sch asts vor-, stände so bald als möglich einige Personen zu bezeichnen, die geeignet und bereit sind, auf seine Kosten den Betrieb zu besichtigen und die für die Ge­ nossenschaft notwendige Auskunft zu geben Einigt man sich nicht, so entscheidet auf Anrufen das Reichsversiche­ rungsamt. 8 882. Die Mitglieder der Genossenschaftsorgane, die technischen Auf­ sichts- und die Rechnungsbeamten sowie die besonderen Sachverständigen wer­ den von dem Versicherungsamt ihres Wohnorts eidlich verpflichtet, über das, was ihnen durch die Überwachung der Betriebe oder durch die Prüfung f>er Bücher und Listen bekannt wird, zu schweigen sowie Geschäfts- und Betriebs­ geheimnisse nicht unbefugt zu verwerten 88 883—889. — IV. Besondere Vorschriften für Bauarbeiten sowie tieren und Fahrzeugen.

für das Halten von Reit­

8 890. Unfallverhütungsvorschriften sind auch zu erlassen für die Tätig­ keit bei nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten und bei nicht gewerbsmäßigem Halten von Reittieren oder Fahrzeugen (§ 537 Nr 6, 7). Zuständig ist die Berufsgenossenschaft, in deren Zweiganstalt die bei sol­ chen Tätigkeiten Beschäftigten versichert sind. Sind sie bei einer Versicherungs­ genossenschaft versichert, so ist diese zuständig. 8 891. Die §§ 848 bis 889 gelten, vorbehaltlich der folgenden Vor­ schriften, auch für diese Tätigkeiten.

948

Anhang.

Bei einer Versicherungsgenossenschaft werden die Vertreter der Versicherten von den Versichertenmitgliedern in den Ausschüssen der Versicherungsanstalten gewählt, auf deren Bezirk sich die Genossenschaft oder Sektion erstreckt- dabei gilt § 858 Abs. 1 Satz 2 Zehnter Abschnitt.

Betriebe und Tätigkeiten für Rechnung öffentlicher verbände. 8 892. Ist das Reich oder ein Land Versicherungsträger, so treten sie an Stelle der Genossenschaft und werden Rechte und Pflichten der Genossenschafts­ organe durch Ausführungsbehörden wahrgenommen. Diese bestimmt für die Reichsverwaltungen der zuständige Reichsminister, für die Landesverwaltungen die oberste Verwaltungsbehörde. Das gleiche gilt für die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft, für Gemein­ den, Gemeindeverbände und andere öffentliche Körperschaften, die Versicherungs­ träger sind. Die Ausführungsbehörden bestimmt die oberste Verwaltungs­ behörde. Welche Stellen der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft als Ausführungs­ behörden gelten, bestimmt deren Personalordnung. Als Ausführungsbehörden für Reichsbetriebe können auch Organe von Be­ rufsgenossenschaften bestimmt werden 88 893-896. - -- -- -- -- -- 8 897. Will die Ausführungsbehörde eine Krankenordnung oder, um Un­ fälle zu verhüten, Vorschriften mit Strafbestimmungen gegen Versicherte er­ lassen, so sind mindestens drei Vertreter der Versicherten zur Beratung und zum Gutachten zuzuziehen. Ein Beauftragter der Behörde leitet die Beratung- er darf kein unmittel-, barer Vorgesetzter dieser Vertreter sein Soweit es sich um den Erlaß von Vorschriften handelt, die zugleich den Eisenbahnbetrieb zu sichern bestimmt sind, gilt das nicht

Elfter Abschnitt.

Haftung von Unternehmer« und Angestellten. I. Haftung gegenüber Verletzten und Hinterbliebenen. 88 898-902. -----------II. Haftung gegenüber Genossenschaften, Krankenkassen usw.

88 903-907.

-----------Zwölfter Abschnitt

Strafvorschriften. 8 908. Der Genossenschaftsvorstand kann gegen Unternehmer Ordnungs­ strafe in Geld verhängen, 1. wenn sie auf Grund des Gesetzes oder der Satzung Nachweise für die Beitrags- oder Prämienberechnung oder für die Veranlagung zu den Ge­ fahrklassen eingereicht haben, die unrichtige tatsächliche Angaben ent­ halten, 2. wenn in der Betriebsanzeige (§ 653) als Zeitpunkt der Eröffnung deBetriebs oder des Beginns seiner Versicherungspflicht ein späterer Tag an­ gegeben ist als der, an dem der Betrieb eröffnet oder versicherungspflichtig geworden ist, vorausgesetzt, daß die Unternehmer die Unrichtigkeit der Angaben kannten oder den Umständen ngch kennen mußten. 8 909. Der Genossenschaftsvorstand kann ferner gegen Unternehmer Ordnungsstrafe in Geld verhängen, wenn sie ihren Pflichten 1. zur Anmeldung der Betriebe und Betriebsänderungen sowie zum Aus­ hang in dem Betriebe, 2. zur Führung und Aufbewahrung der Lohnlisten (Lohnbücher),

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 892—915.

949

3. zur Einreichung der Lohnnachweise und der Nachweise für die Berechnung der Prämien, 4. zur Erfüllung der Bestimmungen der Satzung über Betriebseinstellung und Wechsel des Unternehmers nicht rechtzeitig nachkommen. 8 910. Auf Beschwerden gegen Straffestsetzungen der Genossenschafts­ vorstände entscheidet das Oberversicherungsamt (Beschlußkammer) endgültig. In den Fällen der §§ 870, 879, 887 und des § 891 in Verbindung mit diesen Vorschriften ist die Entscheidung des Oberversicherungsamts nicht end­ gültig, es sei denn, daß die Beschwerde zurückgewiesen wird. 8 9i0 a« Bei Beschwerden von Versicherten gegen StraffestsetzungM (§ 870) entscheidet das Oberversicherungsamt endgültig, wenn die Beschwerde zurückgewiesen wird. 8 911. Unternehmer oder Angestellte, die vorsätzlich Beiträge oder Prä­ mien ganz oder teilweise auf den Entgelt anrechnen oder es wissentlich ver­ anlassen, werden mit Geldstrafe oder mit Haft bestraft, wenn nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften härtere Strafe verwirkt ist. 8 912. Soweit auf Grund dieses Gesetzes Unternehmer mit Strafen be­ droht sind, stehen ihnen gleich: 1. wenn eine Aktiengesellschaft, ein Versicherungsverein aus Gegenseitigkeit, eine eingetragene Genossenschaft, eine Innung oder andere juristische Per­ son Unternehmer ist, die Mitglieder des Vorstandes, 2. wenn eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung Unternehmer ist, die Geschäftsführer, 3. wenn eine andere Handelsgesellschaft Unternehmer ist, alle persönlich haftenden Gesellschafter, soweit sie von der Vertretung nicht ausgeschlossen sind, 4. die gesetzlichen Vertreter geschäftsunfähiger und beschränkt geschäfts­ fähiger Unternehmer sowie die Liquidatoren einer Handelsgesellschaft, einer Handelsgesellschaft, eines Versicherungsvereins aus Gegenseitigkeit, einer eingetragenen Genossenschaft, einer Innung oder einer anderen ju­ ristischen Person 8 913. Der Unternehmer darf die Pflichten, die ihm auf Grund dieses Gesetzes obliegen, Betriebsleitern, soweit es sich nicht um Einrichtungen auf Grund von Unfallverhütungsvorschriften handelt, auch Aufsichtspersonen oder anderen Angestellten seines Betriebs übertragen. Handeln solche Stellvertreter den Vorschriften zuwider, die Unternehmer mit Strafe bedrohen, so trifft sie die Strafe. Neben ihnen ist der Unternehmer strafbar, wenn 1. die Zuwiderhandlung mit seinem Wissen geschehen ist, 2. er bei der Auswahl oder Beaufsichtigung der Stelloerrreter nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat; in diesem Falle darf gegen den Unternehmer auf keine andere Strafe als auf Geldstrafe erkannt werden. Ist die Geldstrafe, die ein Genossenschaftsvorstand festgesetzt hat, von dem Stellvertreter nicht beizutreiben, so haftet der Unternehmer für sie. Seine Haftung ist in der Straffestsetzung auszusprechen. 8 914. Strafgelder der Versicherten fließen, wenn der Bestrafte zur Zeit der Zuwiderhandlung einer Krankenkasse angehört, in diese, sonst aber in die allgemeine «Ortskrankenkasse seines Beschäftigungsorts und, wo eine solche nicht besteht, in die Landkrankenkasse. Das gilt auch von Geldstrafen, welche die Ausführungsbehörden gegen Versicherte verhängen (§ 897).

Zweiter Teil.

Landwirtschaftliche Unfallversicherung. Erster Abschnitt. Umfang -er Versicherung. 8 915. Der Unfallversicherung unterliegen die landwirtschaftlichen Be­ triebe (§ 161).

950

Anhang.

Das Neichsversicherungsamt kann bestimmen, welche Betriebszweige als landwirtschaftliche Betriebe gelten. 8 916. Als Teile des landwirtschaftlichen Betriebs gelten laufende Ausbesserungen an Gebäuden, die zum Betriebe der Landwirt­ schaft dienen, Bodenkultur- und andere Bauarbeiten für den Wirtschaftsbetrieb, be­ sonders das Herstellen oder Unterhalten von Wegen, Dämmen, Ka­ nälen und Wasserläufen für diesen Zweck, wenn ein landwirtschaftlicher Unternehmer die Arbeiten auf seinen Grund­ stücken oder für seinen eigenen landwirtschaftlichen Betrieb aus fremden Grund­ stücken ausführt, ohne sie an andere Unternehmer zu übertragen Führt em landwirtschaftlicher Unternehmer Arbeiten, die für die Ge­ meinde zum Herstellen oder Unterhalten von Gebäuden, Wegen, Dämmen, Kanälen und Wasserläufen kraft öffentlich rechtlicher Pflicht zu leisten sind und ihm als Landwirt obliegen, als Unternehmer ans, so rechnen sie zu seinem landwirtschaftlichen Betriebe 8 917. Als landwirtschaftlicher Betrieb im Sinne des § 915 Abs 1 gilt auch die Gärtnerei, die Park- und Gartenpflege sowie der Friedhofsbetrieb, soweit er nicht der gewerblichen Unfallversicherung unterliegt Kleine Haus- und Ziergärten, die nicht regelmäßig und in erheblichem Umfang mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet werden und deren Er­ zeugnisse hauptsächlich dem eigenen Haushalt dienen, gelten nicht als landwirt­ schaftlicher Betrieb

8 918. Die Versicherung gilt auch für Unternehmen, die ein landwirt­ schaftlicher Unternehmer neben seiner Landwirtschaft, aber in wirtschaftlicher Abhängigkeit von ihr betreibt (landwirtschaftliche Nebenbetriebe) Hierher gehören besonders Betriebe, die ganz oder hauptsächlich dazu bestimmt sind, 1 Erzeugnisse der Landwirtschaft des Unternehmers zu be- oder ver­ arbeiten, 2 Bedürfnisse seiner Landwirtschaft zu befriedigen, 3 Bodenbestandteile seines Grundstücks zu gewinnen oder zu verarbeiten. 8 919. Der § 918 gilt nicht für 1 Bergwerke, Salinen, Aufbereitungsanstalten, Wersten, Hüttenwerke, Bau­ höfe, sowie für Betriebe, die gewerbsmäßig Sprengstoffe oder explo­ dierende Gegenstände erzeugen oder verarbeiten, 2 Betriebe, die vom Reichsversicherungsamte wegen ihres erheblichen Umfanges, besonderer Einrichtung mit Maschinen, der Zahl ihrer gewerblichen Arbeiter den Fabriken gleichgestellt werden 8 920. Binnenschiffahrt- und Flößereibetriebe oder -tätigkeiten fallen nur dann in die Versicherung des landwirtschaftlichen Hauptbetriebs, wenn sie nicht über den örtlichen Verkehr hinausgreifen. 8 921. Tätigkeiten, die ihrer Art nach der gewerblichen Unfallversiche-» rung bei einer Zweiganstalt oder einer Versicherungsgenossenschaft unterliegen, sind bei der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft, welcher der Unternehmer mit Betriebstätigkeiten derselben Art angehört, versichert, wenn diese die anderen Tätigkeiten überwiegen 8 922. Für den Umfang der Versicherung gelten im übrigen die §§ 542 bis 554 aus der gewerblichen Unfallversicherung entsprechend. 8 923. Die Satzung kann die Versicherung der Unternehmer, die haupt­ sächlich in der Landwirtschaft beschäftigt sind, auf die hauswirtschaftliche Tätig­ keit erstrecken, die mit der Landwirtschaft zusammenhängt. Das gilt auch für die im Betriebe tätigen Ehegatten der Unternehmer. 88 924—929 sind weggefallen.

951

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§916—964 Zweiter Abschnitt.

Gegenstand der Berstcherrmg. § 930.

Für den Gegenstand der Versicherung gelten aus der gewerhliehen Unfallversicherung die §g 555 bis 622 a entsprechend, soweit nicht die §§ 931 bis 941 anderes vorschreiben.

88 931—941, 88 942—955 sind



-







weggefallen. Dritter Abschnitt.

Träger der Berstchernng. I. Berufsgenoffenschaften und andere Träger der Versicherung.

8 956. Die Berufsgenossenschaften als Träger der Versicherung umfassen die Unternehmer der versicherten Betriebe. Tie Genossenschaften werden nach örtlichen Bezirken gebildet; sie um­ fassen darin alle Betriebe der Betriebszweige, für die sie errichtet sind. Genossenschaften, die nach § 18 des Gesetzes, betreffend die Unfall- und Krankenversicherung der in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben beschäf­ tigten Personen, vom 5. Mai 1886 (Reichsgesetzbl. S. 132) errichtet sind, blei­ ben in ihrem Bestände, vorbehaltlich der nach § 960 zulässigen Änderungen, erhalten. 8 957. Das Reich oder ein Land ist Träger der Versicherung, wenn der Betrieb für seine Rechnung geht. Das gilt nicht bei den Betrieben, für die es auf Grund früherer Vorschriften oder nach Abs. 2 in Verbindung mit § 624 Abs. 2 Mitglied einer Berufsgenossenschaft ist. Im übrigen gelten § 624 Abs. 2 bis 6, § 625 entsprechend. 8 958. Unternehmer eines Betriebs ist derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb geht.

8 959. —



















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II. Änderung des Bestandes der Berufsgenoffenschaften.

§8 960, 961.









-









Vierter Abschnitt.

Berfttffung. I. Mitgliedschaft und Stimmberechtigung.

8 962. Mitglied der Berufsgenossenschaft ist jeder Unternehmer, dessen Betrieb zu den ihr zugewiesenen Betriebszweigen gehört und in ihrem Bezirke seinen Sitz hat. Das Reich und die Länder sind nur Mitglieder, soweit es § 957 verschreibt oder zuläßt. 8 963. Alle Grundstücke eines Unternehmers, zu deren landwirtschaft­ lichem Gesamtbetriebe gemeinsame Wirtschaftsgebäude dienen, gelten als ein einziger Betrieb. Erstreckt sich ein landwirtschaftlicher Betrieb in die Bezirke mehrerer Ge­ meinden, so hat er seinen Sitz da, wo die gemeinsamen oder die zu seinen Hauptzwecken dienenden Wirtschaftsgebäude liegen. Der Unternehmer kann sich mit den Gemeinden über einen anderen Betriebsitz einigen. 8 964. Mehrere forstwirtschaftliche Grundstücke eines Unternehmers, die derselben unmittelbaren Betriebsleitung (Revierverwaltung) unterstehen, gel­ ten als ein einziger Betrieb. Forstwirtschaftliche Grundstücke verschiedener Unternehmer gelten als Ein­ zelbetriebe, auch wenn sie zusammen derselben Betriebsleitung unterstehen.

952

Anhang.

Erstreckt sich ein forstwirtschaftlicher Betrieb über die Bezirke mehrerer Gemeinden, so hat er seinen Sitz da, wo der größte Teil der Forstgrundstücke liegt. Der Unternehmer kann sich mit den Gemeinden über einen anderen Be­ triebsitz einigen. 8 965* Die Mitgliedschaft beginnt mit der Eröffnung des Betriebs oder mit seiner Bersicherungspslicht; für das Reich und die Länder regelt sich der Beginn der Mitgliedschaft nach § 957 § 966. Besitzen Mitglieder oder ihre gesetzlichen Vertreter nicht die bür­ gerlichen Ehrenrechte, so haben sie kein Stimmrecht II. Anmeldung der Betriebe. 8 967. -- ---------------------------------------------------------------------------------------------------111.

Wechsel des Unternehmers. Änderung im Betrieb und in seiner Zugehörig­ keit zur Genossenschaft.

8 968. Der Unternehmer hat jeden Wechsel der Person, für deren Rech­ nung der Betrieb geht, in der durch die Satzung bestimmten Frist dem Ge­ nossenschaftsvorstand anzuzeigen. Für die Beiträge bis zum Ablauf des Ge­ schäftsjahrs, in welchem der Wechsel angezeigt wird, bleibt er haftbar, ohne dadurch den Nachfolger von der Haftung zu befreien 8 969. Für die Meldepflicht des Unternehmers bei Änderungen seines Betriebs, die für die Zugehörigkeit zu einer Genossenschaft wichtig sind, für die Überweisung und Löschung eines Betriebs sowie für den Übergang der Unfall­ last und eines Teiles der Rücklage gelten die §§ 665 bis 673 aus der gewerb­ lichen Unfallversicherung entsprechend 8 970. Die Meldepflicht bei Betriebsänderungen, die für die Umlagen wichtig sind, und das weitere Verfahren sind in der Satzung zu regeln Für die Anfechtung der Entscheidung, welche die Genossenschaft auf die Anmeldung der Änderung oder von Amts wegen erläßt, gelten die §§ 999, 1000 entsprechend.

IV. Satzung.

8 971. Die Berufsgenossenschaften regeln ihre innere Verwaltung und ihre Geschäftsordnung durch eine Satzung, welche die Genossenschaftsversamm­ lung beschließt. 8 972. Die Satzung muß bestimmen über 1 Namen, Sitz und Bezirk der Genossenschaft, 2 Zusammensetzung, Rechte und Pflichten des Vorstandes, 3. Form der Willenserklärungen des Vorstandes sowie seiner Unterschrift für die Berufsgenossenschaft, Art der Beschlußfassung des Vorstandes und seine Vertretung nach außen, 4. Zusammensetzung und Berufung der Genossenschaftsversammlung und Art ihrer Beschlußfassung, 5. Stimmrecht der Mitglieder und Prüfung ihrer Vollmachten, 6. Vertretung der Genossenschaft gegenüber dem Vorstand, 7. Höhe der Sätze für entgangenen Arbeitsverdienst und für Reisekosten, die den Vertretern der Versicherten zu gewähren sind (§ 21), 8. Maßstab für das Umlegen der Beiträge und, soweit diese nicht nach Steuern umgelegt werden, Verfahren beim Abschätzen und Veranlagen, 9. Verfahren bei Eröffnung neuer Betriebe, bei Betriebsänderungen und bei Wechsel der Person des Unternehmers, 10. Folgen von Betriebseinstellung oder von Wechsel der Person des Unter­ nehmers, besonders Sicherstellung seiner Beiträge, wenn er den Betrieb einstellt, 11. Aufstellung, Prüfung und Abnahme der Jahresrechnung, 12. Handhabung des Erlasses von Vorschriften zur Unfallverhütung und zur Überwachung der Betriebe,

953

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§965—990.

13. Verfahren bei Anmeldung und Ausscheiden sowie Höhe und Ermittlung des Jahresarbeitsverdienstes versicherter Unternehmer und anderer nach g 552 in Verbindung mit § 922 Versicherter, 14 Art der Bekanntmachungen, 15. Änderung der Satzung.

88 973, 974. ----------

-

-

V. Genoffenschaftsorgane. Für die Genossenschaftsorgane gelten aus der gewerblichen Un­ fallversicherung die §§ 685 bis 687, 688 a, 689.

8 975.

88 976, 977. ------------VI. Angestellte.

8 978. ---------------------------------------------------------------------------VII. Bildung der Gefahrklaffen. Für die Bildung der Gefahrklassen (§§ 990 bis 1004, 1008) gel­ ten aus der gewerblichen Unfallversicherung die §§ 706 bis 710, 712 Ge­ nossenschaften, deren Betriebe sich in der Unsallgefahr nur wenig unterscheid den, können beschließen, keine Gefahrklassen aufzustellen Der Beschluß bedarf der Genehmigung des Reichsversicherungsamts. Sie kann zurückgenommen werden, wenn die Unfallverzeichnisse für die einzelnen Betriebszweige wesent­ liche Verschiedenheit aufweisen.

8 979.

VIII. Teilung und Zusammenlegung der Last.

88 980-982. --------

-

-

-

-

IX. Vermögensverwaltung.

88 983, 984. -----------Fünfter Abschnitt.

88 985-987.

-

Aufsicht. -- --

--

--

-

- -

Sechster Abschnitt.

Auszahlung der EntschSbigung. Aufbringung der Mittel. I. Auszahlung durch die Post. Für die Auszahlung durch die Post gelten die Vorschriften der gewerblichen Unfallversicherung. (§§ 726 bis 729).

8 988.

II. Aufbringung der Mittel. 1. Allgemeine Vorschrift. 8 989. Die Berufsgenossenschaften haben die Mittel für ihre Aufweni düngen durch Mitgliederbeiträge aufzubringen, die den Bedarf des abgelaufe­ nen Geschäftsjahrs decken.

2.

Maßstab

8 990.

des

Arbeitsbedarfs und

der

Gefahrklassen.,

Die Beiträge werden umgelegt nach dem abgeschätzten Durchschnittsmaße der menschlichen Arbeit (Arbeits­ bedarf) und ihrem Werte gemäß diesem Gesetze, dem Entgelt von Betriebsbeamten sowie dem Jahresarbeitsverdienste von Unternehmern, soweit die Arbeitsleistungen solcher Versicherten nicht mit ab geschätzt sind, und nach der Höhe der Unfallgefahr (Gefahrklasse).

954

Anhang.

8 991. Für jeden Unternehmer wird die Zahl der Arbeitstage abge­ schätzt, die zum Bewirtschaften seines Betriebs im Jahresdurchschnitt erforder­ lich sind; dabei sind die Zahl der Arbeiter im Betrieb und die Dauer ihrer Beschäftigung zu berücksichtigen. Die Satzung kann bestimmen, daß die hauswirtschaftlichen und anderen Dienste dabei gesondert zu rechnen sind. 8 992. Beim Abschätzen ist das Unternehmerverzeichnis zugrunde zu legen, das bei Errichtung der Genossenschaft (§ 34 des Gesetzes vom 5. Mai 1886, Reichsgesetzbl. S. 132) oder später aufgestellt ist. Betriebsänderungen sind zu berücksichtigen. 8 993. Dauernd beschäftigte Arbeiter sind mit dreihundert Arbeitstagen anzusetzen, weibliche nach einem in der Satzung bestimmten Verhältnis auf männliche umzurechnen. Die Arbeitsleistung von Betriebsbeamten, von Unternehmern und ihren nicht versicherten Angehörigen ist beim Abschützen nicht mitzurechnen. Die Satzung kann anders bestimmen. 8 994. Die Satzung kann bestimmen, daß ein einheitlicher Mindestbeitrag erhoben wird. Das Reichsversicherungsamt bestimmt darüber Näheres. Für Betriebe, in denen regelmäßig höchstens fünf Versicherte voll be­ schäftigt werden, kann die Satzung einheitliche Beiträge nach einem Maßstab, den sie festsetzt, bestimmen. 8 995. Die Organe der Genossenschaft haben das Abschätzen zu besorgen und die Betriebe zu den Gefahrklassen zu veranlagen. Das Nähere hat die Satzung zu bestimmen^

8 996. Die Gemeindebehörde kann den Unternehmer zu einer Auskunft über die Verhältnisse, die für das Abschätzen des Arbeitsbedarfs maßgebend sind, durch Zwangsstrajen in Geld anhalten. Erteilt der Unternehmer die Auskunft nicht rechtzeitig oder unvollständig, so hat die Gemeindebehörde nach eigener Kenntnis das Verzeichnis zu be­ richtigen.

§ 997. Die Unternehmer haben den Organen der Genossenschaft auf ^er­ langen binnen zwei Wochen über ihre Betriebs- und Arbeiterverhältnisse die weitere Auskunft zu geben, die für das Abschätzen und Veranlagen erforderlich ist. 88 998, 999. — — - — — - — - — —-------8 1000. Das Genossenschaftsorgan oder die von der Satzung bestimmte andere Stelle bescheidet den Unternehmer auf seinen Einspruch schriftlich. Der Unternehmer kann gegen den Bescheid Beschwerde an das Ober­ versicherungsamt erheben. Das Oberversicherungsamt entscheidet endgültig, wenn die Beschwerde zurückgewiesen wird. 8 1001 ist weggefallen.

88 1002-1004.

-----------

3. Maßstab des Steuerfußes.

88 1005-1009.

----------4. Andere Maßstäbe.

8 1010. Die Satzung kann, wenn die Voraussetzungen nach § 1005 Abf. 1 vorliegen, für die Aufbringung der Beiträge einen anderen angemessenen Maß­ stab bestimmen, zum Beispiel die Kulturart, bte Fläche in Verbindung mit der Grundsteuer, den Reinertrag, den die Grundstücke als solche, einschließlich der dazu­ gehörenden, denselben Zwecken dienenden Gebäude und des Zubehörs, nach ihrer bisherigen wirtschaftlichen Bestimmung bei gemeinüblicher Bewirtschaftung im Durchschnitt nachhaltig gewähren können.

955

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 991—1028 a.

den Ertragswert, der sich aus dem Fünfundzwanzigfachen dieses Rein­ ertrags ergibt. Die §§ 996 bis 1009 sind entsprechend anzuwenden; das Nähere bestimmt die Satzung. 5. Gemeinsame Vorschriften.

88 1011—1013.





-









III. Umlage- und Erhebungsverfahren. 8 1014. Für das Umlegen des Bedarfs auf die Mitglieder gilt § 749 Abs. 1 aus der gewerblichen Unfallversicherung entsprechend. 8 1015. — — — — — — — — — — — — — 8 1016. Bei der Umlage der Beiträge nach Arbeitsbedarf und Gefahr­ klassen hat jedes Mitglied, das im verflossenen Geschäftsjahr Betriebsbeamte beschäftigt hat, binnen sechs Wochen nach Ablauf des Geschäftsjahrs dem Vor­ stand einen Nachweis darüber einzureichen- wieviel jeder von ihnen während dieser Zeit an Entgelt tatsächlich bezogen hat oder wieviel für ihn anzu­ rechnen ist. Die Satzung kann einen summarischen Lohnnachweis nach § 750 Abs. 3 zulassen. Für Mitglieder, die den Lohnnachweis nicht rechtzeitig oder unvollständig einreichen, stellt ihn der Genossenschafts- oder Sektionsvorstand selbst auf oder ergänzt ihn.

8 1017. Zum Berechnen der Beiträge werden angesetzt für einen Betriebsbeamten der Entgelt, den er im Betriebe tatsächlich bezogen hat oder der für ihn anzurechnen ist, einen Arbeitstag eines Arbeiters ein Betrag, den der Vorstand der Berufsgenossenschaft unter Berücksichtigung der Festsetzungen vach den §§ 932—935 bestimmt, einen Unternehmer das Dreihundertfache dieses Betrages, wenn die Satzung nichts anderes bestimmt. Dabei gilt § 732 Abs. 2. 8 1018 Wird beim Abschätzen die Arbeitsleistung der Betriebsbeamten nach der Satzung mitgerechnet (§ 993 Abs. 3), so ist von dem Entgelt dieser Versicherten nur der Betrag anzusetzen, der das Dreihundertfache des für den Arbeitstag eines Arbeiters nachs § 1017 Abs. 1 anzusetzenden Betrags übersteigt. 88 1019-1022. — - — — — — — — — 8 1023. Binnen zwei Wochen nach Ablauf der Frist oder nach Zustellung (§ 1021 Abs. 2) kann der Unternehmer gegen die Beitragsberechnung bei dem Genossenschaftsvorstand Einspruch erheben; er bleibt aber zur vorläufigen Zahlung verpflichtet. Dabei gilt § 757 Abs. 2. Die Veranlagung und die Abschätzung können dadurch nicht angefochten werden. Das weitere Verfahren richtet sich nach § 1000. Für den Einspruch gilt dabei § 759 entsprechend. 88 1024—1027b. — — — — — — — — — — —

IV. Abführung der Beträge an die Post. 8 1028. Für die Abführung der Beträge an die Post gelten die Vor­ schriften der gewerblichen Unfallversicherung,.(§§ 777 bis 782). V. Berücksichtigung besonderer Arbeitergruppen. 8 1028 a. Die Satzung kann bestimmen und das Reichsversicherungsamt kann für den Bereich einer Berufsgenossenschaft anordnen, daß die Vorschriften des Sechsten Abschnitts über Betriebsbeamte auch für bestimmte Arbeitern gruppen gelten.

956

Anhang.

Siebenter Abschnitt.

Weitere Einrichtungen.

8 1029.

-

— Achter Abschnitt.

Unfallverhütung.

Überwachung.

8 1030.

Für Unfallverhütung und Überwachung gelten aus der gewerb­ lichen Unfallversicherung die §§ 848 bis 857, 859 bis 889, § 890 Abs 1, § 891 Abs. £ entsprechend. Die Vertreter der Versicherten werden von den Versichertenmitgliedern in den Ausschüssen der Versicherungsanstalten gewählt, auf deren Bezirke sich die Genossenschaft oder Sektion erstreckt. Wahlberechtigt sind jedoch nur solche Ausschußmitglieder, welche zu dem Bereiche der landwirtschaftlichen Un­ fallversicherung gehören; fehlt ein solches Mitglied, so steht den Versicherten­ mitgliedern des Ausschusses aus der gewerblichen Unfallversicherung das Wahl­ recht zu. Sind die Ausschüsse mehrerer Versicherungsanstalten beteiligt, so kann das Reichsversicherungsamt das Stimmenverhältnis festsetzen

8 1031. 8 1032.

















-







Die Unternehmer sind verpflichtet, den von ihrer Genossenschaft beauftragten Mitgliedern der Genossenschaftsorgane während der Betriebszeit den Zutritt zu ihren Betriebstätten zu gestatten § 879 gilt entsprechend

Neunter Abschnitt.

Reichs- und Landesbetriebe.

8 1033.

-

--

--

--

--

--

--

Zehnter Abschnitt

Landesgesetzliche Regelung.

88 1034—1041.

----------Elfter Abschnitt.

Haftung von Unternehmen und Angestellten.

8 1042.

------------Zwölfter Abschnitt

Strafvorschriste«.

8 1043.

Der Genossenschaftsvorstand kann gegen Unternehmer Ordnungsstvafe in Geld verhängen, wenn 1. Gehalt- oder Lohnnachweise, die sie nach § 1016 für das Umlegen «der Beiträge eingereicht haben, 2. Erklärungen, die den zuständigen Genossenschaftsorganen für das Ver­ anlagen zu den Gefahrklassen abgegeben sind, 3. eine Auskunft, die sie nach § 996 für das Abschätzen des Arbeitsbedarßs oder nach § 997 über ihre Betriebs- und Arbeiterverhältnisse erteilt haben, 4. eine Anzeige oder Anmeldung, die nach § 968 über Wechsel des Unter­ nehmers oder nach den §§ 969, 970 über Betriebsänderungen erstattet worden ist, tatsächliche Angaben enthalten, deren Unrichtigkeit sie kannten oder den Um­ ständen nach kennen mußten. -Abs. 1 gilt entsprechend für Nachweise, Erklärungen und Auskünfte, die Unternehmer für das Veranlagen zu den Beiträgen bei einem Maßstab nach § 1010 zu geben haben. 8 1044. Der Genossenschaftsvorstand kann ferner gegen Unternehmer Ordnungsstrafe in Geld verhängen, wenn sie ihren Pflichten,

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911.

§§ 1029—1052.

967

1. die im § 1043 Abs. 1 Nr. 1, 3, 4, Abs. 2 bezeichneten Äußerungen abzu­ geben, 2. die Bestimmungen der Satzung über Betriebseinstellung und Wechsel deS Unternehmers zu erfüllen, nicht rechtzeitig nachkommen. 8 1045. Aus der gewerblichen Unfallversicherung gelten entsprechend die Vorschriften des § 910 über Beschwerden gegen Straffestsetzungen der Genossenschafts­ vorstände, des § 910 a über Beschwerden der Versicherten gegen Straffestsetzungen der Versicherungsämter, des § 911 über Anrechnen von Beiträgen auf den Entgelt, des § 912 über Bestrafung der den Unternehmern Gleichgestellten, des § 913 über Bestrafung bei Übertragung der Pflichten des Unter­ nehmers, des § 914 über die Kassen, denen die Strafgelder zufließen. Dritter Teil.

See-Unfallversicherung. Erster Abschnitt.

Umfang der Versicherung.

8 1046. Gegen Unfall versichert sind Personen, die auf deutschen Seefahrzeugen als Schiffer, Schiffsleute, Maschinisten, Aufwärter oder in anderer Eigenschaft zur Schiffsbesatzung gehören (See­ leute), Schiffer jedoch nur, wenn sie gegen Entgelt beschäftigt werden, 2 aus deutschen Seefahrzeugen in inländischen Häfen oder auf inländischen Kanälen oder Flüssen beschäftigt werden, ohne zur Schiffsbesatzung zu ge­ hören, wenn sie nicht anderweit auf Grund der Reichsversicherung gegen Unfall versichert sind, 3 in inländischen Betrieben schwimmender Docks und ähnlicher Einrich­ tungen sowie in inländischen Betrieben für den Lotsendienst, für Retten oder Bergen von Menschen oder Sachen bei Schiffbrüchen, für Bewachen, Beleuchten oder Jnstandhalten von Gewässern beschäftigt sind, die dem Seeverkehre dienen. 8 1047. Als Seefahrt (§ 163) gilt: 1. der Verkehr auf See außerhalb der Grenzen, die H 1 der Ausführungs­ bestimmungen vom 10. November 1899 zum § 25 des Flaggengesetzes vom 22. Juni 1899 festsetzt, 2. die Fahrt auf Buchten, Haffen und Watten der See. 8 1048. Nicht als Seefahrt gilt die Fahrt auf anderen Gewässern, die mit der See verbunden sind, auch wenn sie von Seeschiffen befahren werden. 8 1049. Gegen Unfall ist auch versichert die Besatzung von Fahrzeugen, die zur Fischerei auf Gewässern der im § 1048 bezeichneten Art innerhalb der von der Reichsregierung festgesetzten Grenze dienen. 8 1050. Ist es zweifelhaft, ob Betriebe der See-Unfallversicherung unterliegen, so bestimmt darüber nach Anhören des Genossenschaftsvorstandes das Meichsversicherungsamt. 8 1051. Für Seeschiffahrts- und andere unter die §§ 1046, 1049 fallende Betriebe, die als wesentliche Bestandteile anderer Betriebe der gewerblichen Unfallversicherung unterliegen, gilt die See-Unfallversicherung nicht (§ 540 Nr. 2). 8 1052. Die Versicherung gilt für Unfälle beim Betrieb einschließlich der Unfälle, die während des Betriebs durch Elementarereignisse eintreten (Be-, triebsunfälle). Verbotwidriges Handeln schließt die Annahme eines Betriebsunfalls nicht aus.

1

958

Anhang.

8 1053* Die Versicherung gilt für die Zeit von Anfang bis Ende des Dienstverhältnisses einschließlich der Beförderung vom Lande zum Fahrzeug und vom Fahrzeug zum Lande. 8 1054. Die Versicherung erstreckt sich auch auf 1. Unfälle, welche die nach den §§ 1046, 1049 Versicherten auf einem der See-Unfallversicherung unterliegenden Fahrzeug, auf dem sie beschäf­ tigt sind, ohne zu dessen Besatzung zu gehören, bei dem Betrieb erleiden, 2. Unfälle deutscher Seeleute bei freier Zurückbeförderung, die ihnen nach dem Handelsgesetzbuch oder nach der Seemannsordnung (Reichsgesetzbl. 1902 S. 175) gewährt wird oder bei Mitnahme auf deutschen Seefahrzeugen nach dem Gesetze, betreffend die Verpflichtung der Kauffahrtei­ schiffe zur Mitnahme heimzuschaffender Seeleute (Reichsgesetzbl. 1902 S. 212). 8 1055. Bei Flaggenwechsel gilt das Dienstverhältnis in dem Zeitpunkt als beendet, in welchem der Versicherte seine Entlassung verlangen durfte. Der Flaggenwechsel ist dem Versicherten mitzuteilen. Die Mitteilung hat der Kapitän ins Schiffstagebuch einzutragen, und die Versicherten haben den Ein­ trag zu bestätigen. 8 1055 a. Für die Versicherung bei der Verwahrung, Beförderung, In­ standhaltung und Erneuerung des Arbeitgeräts sowie auf dem Wege zur Arbeit­ stätte und von der Arbeitstätte gelten die §.§ 545 a, 545 b, 545 c aus der gewerb­ lichen ^Unfallversicherung. 8 1056 Ausgeschlossen von der Versicherung sind Unfälle, die der Ver­ sicherte erleidet, während er 1. sich pflichtwidrig von Bord entfernt hält, 2. in eigener Sache an Land beurlaubt ist. 8 1057. Die Versicherung erstreckt sich auch auf 1. häusliche und andere Dienste, zu denen Versicherte, die hauptsächlich im Betriebe beschäftigt sind, von dem Unternehmer oder dessen Beauf­ tragten herangezogen werden, 3. Dienstleistungen Versicherter bei Retten oder Bergen von Menschen oder Sachen. 8 1057 a. Für die Versicherung von Berufskrankheiten gilt § 547 aus der gewerblichen Unfallversicherung entsprechend. 8 1058. Versichert sind auch Unternehmer solcher gewerblicher Betriebe, die durch die Zweiganstalt der Berufsgenossenschaft versichert werden (§ 1120). Die VersicherungsPflicht besteht nur, wenn der Unternehmer zur Be­ satzung des Fahrzeugs gehört und bei dem Betriebe regelmäßig keine oder höchstens zwei Versicherungspflichtige gegen Entgelt beschäftigt. 8 1059. Die Satzung kann die Versicherungspflicht auch sonst auf Reeder erstrecken, die zur Besatzung des Fahrzeugs gehören. 8 1060. Reeder sind die Eigentümer der Seefahrzeuge, sofern eine Reederei besteht (§ 489 des Handelsgesetzbuchs), die Reederei. 8 1061. Solche Unternehmer versicherter Betriebe, welche nicht schon nach diesen Vorschriften versichert sind, und Lotsen, die ihr Gewerbe für eigene Rechnung betreiben, können sich selbst gegen die Folgen von Betriebsunfällen versichern. 8 1062. Die Vorschriften der §§ 1058, 1059, 1061 über die Versicherung des -Unternehmers gelten auch für seinen im Betriebe tätigen Ehegatten. 8 1063 ist weggefallen. 8 1064. Aus der gewerblichen Unfallversicherung gelten entsprechend 1. für' die Versicherung anderer im Betriebe Beschäftigter und Betriebs­ fremder § 552, 2. für die Folgen nicht rechtzeitiger Entrichtung von Beiträgen bei frei­ williger Versicherung § 553, 3. für die Versicherung von Soldaten, von Angehörigen der Schutzpolizei und von Beamten § 554.

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 1053—1131.

959

Zweiter Abschnitt.

Gegenstand -er Berstcherung.

8 1065* Für den Gegenstand der Versicherung gelten aus der gewerblichen Unfallversicherung die §§ 555 bis 614, 616 bis 6*22 a entsprechend, soweit nicht die §.§ 1066 bis 1072, 1079 bis 1083, 1096 bis 1101, 1107 bis 1L10, 1113, 1116, 1117 anderes vorschreiben

88 1066—1117.

-







Dritter Abschnitt.

TrSger der Berstcherung.

8 1118. Die Berufsgenossenschaft als Träger der Versicherung umfaßt die Unternehmer der versicherten Betriebe, die nicht bei der Zweiganstalt ver­ sichert sind (§ 1120) § 1119. Das Reich oder ein Land ist Träger der Versicherung, wenn der Betrieb für seine Rechnung geht Dies gilt nicht bei den Betrieben, für die es auf Grund früherer Vorschriften oder nach Abs 2 in Verbindung mit § 624 Abs 2 Mitglied einer Berussgenossenschaft ist. Im übrigen gelten § 624 Abs 2 bis 6, § 625 entsprechend. 8 1120. Durch eine besondere Einrichtung (Zweiganstalt, §§ 1186 bis 1197), die der Genossenschaft angegliedert ist, werden versichert Kleinbetriebe 1. der Seeschiffahrt, 2 der Seefischerei, 3. der Fischerei mit Fahrzeugen der im § 1049 bezeichneten Art. Träger der Zweiganstalt ist die Genossenschaft. Kleinbetriebe der Seeschiffahrt (Abs. 1 Nr. 1) sind. Betriebe der See­ schiffahrt > wenn das Seesahrzeug nicht mehr als fünfzig Raummeter Gesamt­ raum hält und weder Zubehör eines größeren Fahrzeugs noch zur Fort­ bewegung durch Dampf oder andere Maschinenkräfte eingerichtet ist. Welche Betriebe als Kleinbetriebe der Seefischerei oder der Fischerei nach Abs. 1 Nr. 2, 3 gelten, bestimmt der Reichsarbeitsminister mit Zustimmung des Reichsrats. 8 J-121. Als Unternehmer gilt derjenige, für dessen Rechnung der Be­ trieb geht, bei Seeschiffahrtsbetrieben der Reeder 8 1122. Aus der gewerblichen Unfallversicherung gelten die Vorschriften des § 630 Abs 3 über Erhaltung des Bestandes der Genossenschaft, § 634 über Entschädigung von Unfällen in fremden Betrieben, § 647 Abs. 1, 3 über Auflösung der Genossenschaft. Die Organe der aufgelösten Genossenschaft wickeln unter Aufsicht des Reichsversicherungsamts die Geschäfte ab. Vierter Abschnitt.

Verfassung. I. Mitgliedschaft und Stimmberechtigung. Bevollmächtigte. 8 1123. Mitglied der Berufsgenossenschaft ist jeder Unternehmer eines bei ihr versicherten Betriebs Das Reich und die Länder sind nur Mitglieder, soweit es § 1119 vorschreibt oder zuläßt. 8 1124. Die Mitgliedschaft beginnt mit der Eröffnung des Betriebs oder mit seiner Versicherungspslicht; für das Reich und die Länder regelt sich der Beginn der Mitgliedschaft nach § 1119. 8 1125. Auf jedem Fahrzeug und in jedem anderen Betriebe hat der Unternehmer durch einen Aushang bekanntzumachen, welcher Sektion das Fahrzeug oder der Betrieb angehört, wo die Geschäftsstelle des Genossenschafts- und des Sektionsvorstanbes ist. 8 1126. Besitzen Mitglieder oder ihre gesetzlichen Vertreter nicht die bürgerlichen Ehrenrechte, so haben sie kein Stimmrecht.

88 1127-1131.



960

Anhang. II. Anmeldung der Betriebe.

8 1132.

Die Eröffnung eines Betriebs hat der Unternehmer unverzüglich dem Genossenschaftsvorstand anzumelden. Seesahrzeuge, die unter deutscher Flagge in Dienst gestellt werden sollen, hat der Eigentümer bereits nach ihrem Erwerb unverzüglich dem Genossenschaftsvorstand anzumelden Die Schifssvermessungsbehörden teilen jede Vermessung, die Schiffs­ registerbehörden den Eingang jedes Antrags auf Eintragung eines neuen Fahr­ zeugs sowie jede Eintragung eines neuen Fahrzeugs dem Genossenschafts­ vorstand unverzüglich mit.

III. Betriebsverzeichnis.

88 1133, 1134.

-----------

IV. Änderungen in den Berhältniffen des Betriebs. Die Schiffsregisterbehörden teilen dem Genossenschaftsvorstand alle Veränderungen und Löschungen im Schiffsregister mit. 8 1136. Für die nach § 1046 versicherten Fahrzeuge, die nicht im Schiffsregister eingetragen sind, haben die Reeder, Reedereileiter und Bevoll­ mächtigten in einer durch die Satzung bestimmten Frist dem Genossenschafts­ vorstand anzuzeigen. den Verlust (§ 1174), Änderungen des Heimathafens, des Namens, der Gattung und Größe, Wechsel der Person und der Staatsangehörigkeit der Reeder oder Mit­ reeder.

8 1135.

8 1137. 8 1138.

-------------

8 1139. 8 1140.

-

Die. Unternehmer von schwimmenden Docks, Lotsenbetrieben und anderen im § 1046 Nr. 3 bezeichneten Betrieben haben jeden Wechsel der Person, für deren Rechnung der Betrieb geht, und alle Änderungen des Be­ triebs, die für seine "Zugehörigkeit zur Genossenschaft von Bedeutung sind, dem Genossenschaftsvorstand anzuzeigen. Die Anzeige ist in der Frist zu er­ statten, die nach der Satzung für Anzeigen gemäß § 1136 gilt. Unterbleibt die Anzeige, so erleiden sie dieselben Nechtsnachteile wie die Reeder nach § 1137



-



-



Die Meldepflicht bei Betriebsänderungen, die für die Abschätzung (§ 1148) von Bedeutung sind, und das weitere Verfahren sind in der Satzung zu regeln. > Gegen den Bescheid, den die Genossenschaft auf die Anmeldung der Än­ derung oder von Amts wegen erläßt, hat der Unternehmer die Beschwerde. 8 1141. Hat die Genossenschaft einen Gefahrtarif, so gilt für die Melde­ pflicht bei Betriebsänderungen, die auf die Einschätzung des Betriebs zu den Gefahrklassen wirken, und für das weitere Verfahren § 674.

V. Satzung.

8 1142.

Die Berufsgenossenschaft regelt ihre innere Verwaltung und jihre Geschäftsordnung durch eine Satzung, welche die Genossenschaftsversammlung beschließt.

88 1143—1145.

-----------

VI. Genoffenfchaftsorgane. Für die Genossenschaftsorgane gelten die Vorschriften der ge­ werblichen Unfallversicherung (§§ 658 bis 689). Wählbar zu den Genossenschaftsorganen sind auch die Reedereileiter

8 1146.

VII. Angestellte.

8 1147.

-------------

VIII. Abschätzung. Gefahrtarif. Besondere Belastung. Für jedes Seefahrzeug wird die durchschnittliche Zahl der See­ leute abgeschätzt, die als Besatzung erforderlich sind

8 1148.

961

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 1132—1158.

Abgeschützt wird nach Klassen (§§ 1067 bis 1071) aus Grund des Handbuchs für die deutsche Handelsmarine, der Unternehmerverzeichnisse, die nach den §§ 21, 22 des Gesetzes vom 13. Juli 1887 (Reichsgesetzbl. S. 329) bei Errichtung der Berufsgenojsenschaft aufgestellt sind, der Änderungen in den Verhältnissen des Betriebs. Dies gilt nicht für die Zweiganstalt. 8 1149. Die Satzung kann bestimmen, daß Gefahrktassen gebildet werden. Dann gelten aus der gewerblichen Unfallversicherung die §§ 706 bis 709. Die Satzung muß dann auch über das Verfahren beim Veranlagen zu den Ge­ fahrklassen bestimmen. 8 1150. Die Genossenschaftsorgane haben die Fahrzeuge abzuschätzen und die Betriebe zu den Gefahrklassen zu veranlagen, wie es die Satzung bestimmt. 8 1151. Die Mitglieder haben den Organen der Genossenschaft auf Verlangen binnen zwei Wochen die Auskunft zu erteilen, die für das Abschätzen und Veranlagen erforderlich ist. Dies gilt auch für den Reedereileiter, den Bevollmächtigten und den Führer des Fahrzeugs. 8 1152. In den Fristen, in denen der Gefahrtarif nachzuprüfen ist, sind regelmäßig auch Abschätzung und Veranlagung nachzuprüfen. 8 1153. Jedem Mitglied ist seine Veranlagung zu Gefahrklassen und jedem Reeder das Ergebnis des Abschätzens seiner Schiffahrtsbetriebe mit­ zuteilen. Schon vor der regelmäßigen Nachprüfung kann die Genossenschaft die Schiffsbesatzung neu abschätzen und den Betrieb neu veranlagen, wenn sich herausstellt, daß die Angaben des Unternehmers unrichtig waren, oder wenn eine Änderung im Betrieb eingetreten ist. Gegen die Abschätzung und die Veranlagung hat der Unternehmer die Beschwerde. 8 1154. Die Genossenschaftsversammlung kann auf Antrag des Vor­ standes Unternehmern nach den Unfällen, die auf ihren Fahrzeugen vorgekommen sind, für die nächste Tarifzeit oder für einen Teil von ihr Zuschläge auflegen oder Nachlässe bewilligen. Gegen die Festsetzung von Zuschlägen hat der Unternehmer die Be­ schwerde. 8 1155. Die Satzung kann bestimmen, daß für Reisen mit besonders ge­ fährlicher Ladung oder in besonders gefährlichen Gewässern oder Jahres^ zeiten höhere Beiträge gezahlt werden. Über die Grundsätze dafür und über das Anmelden und Feststellen der maßgebenden Tatsachen hat die Genossenschaftsversammlung zu bestimmen. Diese kann das auch einem Ausschuß oder dem Vorstand übertragen. Die Bestimmungen bedürfen der Genehmigung des Reichsversicherungs­ amts. Für die Nachprüfung gelten entsprechend die §§ 708, 709 aus der ge­ werblichen Unfallversicherung. 8 1156. Für die einzelne Reise (§ 1155) erhöhen die Genossenschafts­ organe die Beiträge nach Verhältnis der Reisen, die in jedem Geschäftsjahr zurückgelegt sind. Das Nähere bestimmt die Satzung. Für die Auskunftpslicht gilt § 1151. Die Auflegung solcher Beiträge kann im Wege des Widerspruchs gegen die Festsetzung der Beiträge (§§ 1178 bis 1182) angefochten werden.

IX. Vermögensverwaltung.

8 1157.

-

--

--

--

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--

--

Fünfter Abschnitt.

8 1158.





Allfeld, Strafgesetzgebung.





Aufsicht. — —

8. Auflage.











— 61



962

Anhang.

Sechster Abschnitt.

Auszahlung der Entschädigung.

Aufbringung der Mittel.

I. Auszahlung durch die Post. 8 1159. Die Berufsgenossenschaft zahlt die Entschädigung aus An­ weisung des Genossenschastsvorstandes durch deutsche Postanstalten, und zwar in der Regel durch diejenige, in deren Bezirke der Heimathafen des Schiffes liegt, auf dem der Unfall sich ereignet hat. Die Zahlstelle wird dem Empfänger vom Vorstand mitgeteilt. Er kann bei dem Vorstand oder bei der ihm mitgeteilten Zahlstelle be­ antragen, daß die Zahlung an die Postanstalt seines Wohnorts überwiegen wird. 88 1160, 1161. -------II. Aufbringung der Mittel. 8 1162. Die Berufsgenossenschaft hat die Mittel für ihre Aufwendungen durch Mitgliederbeiträge aufzubringen, die den Bedarf des abgelaufenen Ge­ schäftsjahrs decken. 88 1163, 1164. ------------

III. Umlage- und Erhebungsverfahren. 8 1165. Der Genossenschaftsvorstand stellt fest, welcher Teil der von der Deutschen Reichspost nachgewiesenen Zahlungen der Berufsgenossenschaft, und welcher Teil der Zweiganstalt zur Last fällt. Für das Umlegen und Erheben der Mitgliederbeiträge gelten die §§ 1166 bis 1184. 8 1166. Jedes Mitglied der Genossenschaft hat binnen sechs Wochen nach Ablauf des Geschäftsjahrs dem Genossenschaftsvorstand einen Lohnnach­ weis einzureichen ‘Dieser hat zu enthalten 1. für jedes Seefahrzeug die nicht zur Besatzung gehörigen während des abgelaufenen Geschäftsjahrs auf dem Fahrzeug beschäftigten Versicherten (§ 1046 Nr 2), 2 für Betriebe schwimmender Docks, Lotsenbetriebe und andere im & 1046 Nr. 3 bezeichnete Betriebe, die während des abgelaufenen Geschäftsjahrs im Betriebe beschäftigten Versicherten; ferner für alle diese den von ihnen verdienten Entgelt, wenn nicht der wirklich verdiente Entgelt maßgebend ist, eine Berech­ nung des Entgelts, der beim Umlegen der Beiträge anzurechnen ist Die Satzung kann einen summarischen Lohnnachweis nach § 750 Abf 3 zulassen 8 1167. Für früheres Einreichen der Lohnnachweise, Führen und Aufbewahren von Lohnlisten gelten die Vorschriften der gewerblichen Unfallversicherung (§ 751). 8 1168. Für Mitglieder, die den Lohnnachweis nicht rechtzeitig oder unvollständig einreichen, stellt ihn die Genossenschaft selbst auf oder ergänzt ihn. 88 H69-1184a. -----------

IV. Abführung der Beträge an die Post. 8 1185. Für die Abführung der Beträge an die Post gelten die Vor­ schriften der gewerblichen Unfallversicherung (§§ 777 bis 782).

Siebenter Abschnitt.

Aweiganstatt für den Kleinbetrieb der Seeschiffahrt sowie der See- und Küstenfischerei. 88

1186-1197.

-----------

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911.

§§ 1159—1219.

963

Achter Abschnitt.

Wettere Einrichtnnge«. 8 1198.



-



-







Neunter Abschnitt.

Unfallverhütung.

Überwachung.

I. Allgemeine-. 8 1199. Für die Unfallverhütung und die erste Mfe bei Unfällen gilt § 848 aus der gewerblichen Unfallversicherung. II. Unfallverhütungsvorschriften. 8 1199 a. Die Berufsgenossenschaft ist verpflichtet, die erforderlichen Vor­ schriften zu erlassen 1. für die Unternehmer über Einrichtungen und Anordnungen zur Ver­ hütung von Unfällen sowie über Ausrüstung von Fahrzeugen, 2. über das Verhalten, das die Versicherten zur Verhütung von Unfällen in den Betrieben zu beobachten haben Die Unfallverhütungsvorschriften können auch für einzelne Bezirke oder für bestimmte Klassen von Fahrzeugen oder Betrieben erlassen werden. Dabei gilt § 848 b aus der gewerblichen Unfallversicherung. 8 1200. Den Unternehmern ist eine angemessene Frist zu setzen, um die zur Verhütung von Unfällen vorgeschriebenen Einrichtungen zu treffen. 8 1201. Zuwiderhandlungen der Unternehmer und der Versicherten gegen die Vorschriften können mit Ordnungsstrafe in Geld bedroht werden und zwar Zuwiderhandlungen der Unternehmer mit Geldstrafe bis zu 50000 Reichsmark. Der Versicherte ist straflos, wenn er in Ausführung eines Befehls seines Vorgesetzten den Vorschriften zuwidergehandelt hat. 8 1202. Die Genossenschaft kann neben dem Reeder auch den Schiffst führer dafür verantwortlich erklären, daß die erlassenen Vorschriften befolgt werden. Sie kann ihm für jede Nachlässigkeit Ordnungsstrafe in Geld androhen. 88 1203—1206. ----------8 1207. Zuständig für die Festsetzung der Geldstrafen gegen Unternehmer ist der Genossenschaftsvorstand. 8 1208. Die Geldstrafen gegen den Schiffsführer setzt das Seemannsamt fest, dem die Nachlässigkeit (§ 1202) zuerst bekannt wird, und trägt sie in das Schiffahrtstagebuch ein. Sie sind sofort vollstreckbar. Gegen die Straffestsetzung hat der Schiffsführer und der Reeder, Reederei^ leiter oder Bevollmächtigte binnen einem Monat nach dem Ende der Reise die Beschwerde an die Aufsichtsbehörde des Seemannsamts. Dasselbe oder ein anderes Seemannsamt kann nochmals eine Strafe festsetzen, wenn die Anordnung inzwischen nicht befolgt ist, ohne daß dies nachweisbar unmöglich war Zuständig für die Festsetzung der Geldstrafen gegen Versicherte (§ 1199 Abs. 1 Nr. 2) ist das Bersicherungsamt.

III. Überwachung. 88 1209-1217.

-----------

Zehnter Abschnitt

Reichs« und Landesbetriebe. 8 1218.



-



-





Elfter Abschnitt.

Haftung von Unternehmer« «uv Angestellte«. 8 1219.



-











964

Anhang. Zwölfter Abschnitt

Strafvorschritte«. 8 1220. Der Genossenschaftsvorstand kann gegen Unternehmer, Mitreeder, Reedereileiter, Bevollmächtigte und Schisfsführer Ordnungsstrafe in Geld verhängen, wenn 1. Nachweise der nicht im § 1581 bezeichneten Art, die sie nach Gesetz oder Satzung eingereicht haben, 2 eine Auskunft, die nach Gesetz oder Satzung von ihnen erfordert ist, 3 Erklärungen, die den zuständigen Genossenschaftsorganen für das Ver­ anlagen zu den Gefahrklassen abgegeben sind, tatsächliche Angaben enthalten, deren Unrichtigkeit sie kannten oder den Um­ ständen nach kennen mußten. 8 1221. Der Genossenschaftsvorstand kann ferner gegen die im § 1220 bezeichneten Personen Ordnungsstrafe in Geld verhängen, wenn sie ihren ge­ setzlichen oder satzungsmäßigen Pflichten, 1 Bevollmächtigte zu ernennen oder deren Namen oder Wechsel dem Ge­ nossenschaftsvorstande mitzuteilen, 2 Betriebe, Seefahrzeuge oder Betriebsänderungen anzumeloen, 3 Nachweise einzureichen, 4. Auskunft zu erteilen, 5. die Bestimmungen der Satzung über Betriebseinstellungen zu erfüllen, nicht rechtzeitig nachkommen 8 1222. Soweit auf Grund dieses Gesetzes Unternehmer oder Mitreeder mit Strafen bedroht sind, stehen ihnen gleich, 1. wenn eine Aktiengesellschaft, ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, eine eingetragene Genossenschaft, eine Innung oder andere juristische Per­ son Unternehmer oder Mitreeder ist, alle Mitglieder des Vorstandes, 2. wenn eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung Unternehmer oder Mit­ reeder ist, die Geschäftsführer, 3. wenn eine andere Handelsgesellschaft Unternehmer oder Mitreeder ist, alle persönlich haftenden Gesellschafter, soweit sie von der Vertretung nicht ausgeschlossen sind, 4. die gesetzlichen Vertreter geschäftsunfähiger und beschränkt geschäfts­ fähiger Unternehmer sowie die Liquidatoren einer Handelsgesellschaft, eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit, einer eingetragenen Ge­ nossenschaft, einer Innung oder einer anderen juristischen Person 8 1223. Der Reeder haftet für die Strafen, die ihm oder dem Schiffs­ führer auf Grund der §§ 1220 bis 1222 auferlegt sind, nach § 1183. 8 1224. Aus der gewerblichen Unfallversicherung gelten entsprechend die Vorschriften des § 910 über Beschwerden gegen Straffestsetzungen, des § 910 a über Beschwerden der Versicherten gegen Straffestsetzungen der Versicherungsämter, des § 911 über Anrechnen von Beiträgen auf den Entgelt, und zwar auch für Mitreeder, Schisfsführer und ihre Angestellten, des § 914 über die Kassen, denen dje Strafgelder zufließen; jedoch tritt an Stelle der Krankenkasse ihres Beschäftigungsorts die Krankenkasse, in deren Bezirke der Betrieb seinen Sjtz hat. 8 1225. Auch für Mitreeder, Schiffsführer und ihre Angestellten gilt das Verbot, die Versicherten in ihren Rechten aus diesem Gesetze zu beschränken (§ 139), und die Strafvorschrift wegen Zuwiderhandlung (§ 140)

Viertes Buch.

Zuvattdmverficherun-. Erster Abschnitt

Umfang der Versicherung I. Bersicherungspflicht. 8 1226. Für den Fall der Invalidität und des Alters sowie zugunsten der Hinterbliebenen werden versichert

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911.

§§ 1220—1235.

965

1. Arbeiter, Gesellen, Hausgehilsen, 2. Hausgewerbtreibende, 3. die Schiffsbesatzung deutscher Seesahrzeuge und die Besatzung von Fahr­ zeugen der Binnenschiffahrt, mit Ausnahme der Schiffsführer, Offiziere des Deck- und Maschinendienstes, Verwalter und Berwaltungsassistenten sowie der in einer ähnlich gehobenen oder höheren Stellung befinde lichen Angestellten, soweit sie nach dem Angestelltenversicherungsgesetze versicherungspflichtig oder versicherungsfrei sind, 4 Gehilfen und Lehrlinge, soweit sie nicht nach dem Angestelltenversicherungsgesetze versicherungspflichtig oder versicherungsfrei sind. Voraussetzung der Versicherung ist für die im Abs. 1 unter Nr. 1, 3 und 4 bezeichneten Personen, daß sie gegen Entgelt (§ 160) beschäftigt werden. § 1226 a. Den im § 1226 Abs 1 bezeichneten Personen stehen Ange­ hörige der Schutzpolizei im Sinne des § 1 des Reichsgesetzes über die Schutze­ polizei der Länder vom 17 Juli 1922 (Reichsgesetzbl. I S. 597) sowie Soldaten gleich, wenn sie bei ihrer vorgesetzten Dienststelle die Versicherung beantragen. 8 1227. Eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt ge­ währt wird, ist versicherungsfrei 8 1228. Versichert sind auch Deutsche, die bei einer amtlichen Vertretung des Reichs oder eines deutschen Landes im Ausland oder bei deren Leitern oder.Mitgliedern beschäftigt sind 8 1229. Der Reichsarbeitsminister kann mit Zustimmung des Neichsrats allgemein oder in einzelnen Bezirken die Versicherungspflicht für bestimmte Berufszweige erstrecken auf Gewerbetreibende und andere Betriebsunternehmer, die in ihren Betrieben regelmäßig keinen oder höchstens einen Versicherungs­ pflichtigen beschäftigen. 8 1230 ist weggefallen 8 1231. Die Reichsregierung kann bestimmen, wieweit die deutschen Be­ diensteten ausländischer Staaten und solcher Personen, welche nicht der inlän­ dischen Gerichtsbarkeit unterstehen, die Pflichten der Arbeitgeber zu erfüllen haben. 8 1232. Die Reichsregierung bestimmt, wieweit vorübergehende Drenstleistungen iversicherungsfrei bleiben 8 1233. Die Reichsregierung kann bestimm-en, daß Ausländer versiche­ rungsfrei sind, denen die Behörde den Aufenthalt im Inland nur für eine bestimmte Dauer gestattet hat Die Arbeitgeber zahlen dann nach Anordnung des Reichsversicherungs­ amts so viel an die Versicherungsanstalt, wie sie sonst aus eigenen Mitteln zahlen müßten. 8 1234. Versicherungssrei sind die in Betrieben oder im Dienste Reichs, der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft, eines Landes, eines Gemeinde­ verbandes, einer Gemeinde oder eines Versicherungsträgers Beschäftigten, wenn ihnen Anwartschaft auf Ruhegeld im Mindestbetrage der Invaliden­ rente nach den Sätzen der ersten Lohnklasse sowie auf Witwenrente nach den Sätzen der gleichen Lohnklasse und auf Waisenrente gewährleistet ist. Ob eine Anwartschaft als gewährleistet anzusehen ist, entscheidet für die Beschäftigten in Betrieben oder im Dienste des Reichs oder eines vom Reiche beaufsichtigten Trägers der Reichsversicherung der zuständige Reichsminister; im übrigen entscheidet die oberste Verwaltungsbehörde desjenigen Landes, in dessen Betrieben oder Dienste die Beschäftigung stattfindet oder in dessen Ge­ biete der Gemeindeverband oder die Gemeinde liegt oder der Versicherungs­ träger seinen Sitz hat. Die Gewährleistung der Anwartschaften bewirkt Befreiung von der Bersicherungspflicht von dem Zeitpunkt ab, an dem sie tatsächlich verliehen wurde. Sie hat Leine rückwirkende Kraft. 8 1235. Versicherungssrei sind 1. Beamte des Reichs, der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft, der Länder, der Gemeindeverbände, der Gemeinden und der Versicherungsträger,

966

Anhang.

Lehrer und Erzieher an öffentlichen Schulen oder Anstalten, solange sie lediglich für ihren Beruf ausgebildet werden, 2. Soldaten, die eine der im § 1226 bezeichneten Tätigkeit im Dienste oder während der Vorbereitung zu einer bürgerlichen Beschäftigung aus­ üben, auf die § 1234 anzuwenden ist, 3. Personen, die während der wissenschaftlichen Ausbildung für ihren zu­ künftigen Beruf gegen Entgelt tätig sind. 8 1236» Versicherungsfrei ist, wer invalide ist oder wer eine Invaliden-, Witwen- oder Witwerrente nach den Vorschriften dieses Gesetzes oder eine Wit­ werrente nach den Vorschriften des Angestelltenversicherungsgesetzes bezieht. 8 1237. Auf seinen Antrag wird von der Versicherungspflicht befreit, wenn von dem Reiche, der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft, einem Lande, einem Gemeindeverband, einer Gemeinde oder einem Ver­ sicherungsträger, oder wem auf Grund früherer Beschäftigung als Lehrer oder Erzieher in öffent­ lichen Schulen oder Anstalten Ruhegeld, Wartegeld oder ähnliche Bezüge im Mindestbetrage der Invaliden­ rente nach den Sätzen der ersten Lohnktasse bewilligt sind und daneben An­ wartschaft auf Hinterbliebenenfürsorge (§ 1234) gewährleistet ist. Auf seinen Antrag wird von der Versicherungspflicht auch befreit, wer Ruhegeld aus der Angestelltenversicherung oder eine knappschaftliche Pen­ sion bezieht. 8 1238. Auf ihren Antrag werden von der Versicherungspflicht befreit Versicherungspslichtige, die während oder nach der Zeit eines Hochschulunter­ richts zur Ausbildung für ihren künftigen Beruf oder in einer Stellung be­ schäftigt werden, die den Übergang zu einer der Hochschulbildung entsprechen­ den versicherungsfreien Beschäftigung bildet 8 1239. Auf seinen Antrag wird von der Versicherungspflicht befreit, wer ijn Laufe eines Kalenderjahrs Lohnarbeit nur in bestimmten Jahreszeiten für nicht mehr als zwölf Wochen oder überhaupt für nicht mehr als fünfzig Tage übernimmt, im übrigen aber seinen Unterhalt selbständig erwirbt oder ohne Entgelt tätig ist. Die Befreiung ist nur zulässig, solange nicht einhundert Beitragsmarken verwendet worden sind. Die Reichsregierung kann näheres bestimmen. 8 1249. Über den Antrag entscheidet das für den Wohnsitz des Antrag­ stellers zuständige Versicherungsamt (Beschlußausschuß). Hat der Antragsteller im Inland keinen Wohnsitz, so entscheidet das Bevsicherungsamt seines dau­ ernden Aufenthalts. Auf Beschwerde entscheidet das Oberversicherungsamt endgültig. Die Befreiung wirkt vom Eingang des Antrags an 8 1241. Das Versicherungsamt (Beschlußausschuß) widerruft die Be­ freiung, sobald ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Auf Beschwerde entscheidet das Oberversicherungsamt endgültig. Bei Verzicht auf die Befreiung und bei ihrem endgültigen Widerruf tritt die iVersicherungspflicht wieder in Kraft. 8 1242. Das Reichsversicherungsamt kann auf Antrag des Arbeit­ gebers bestimmen, wieweit § 1234, § 1235 Nr 1, §§ 1237, 1240, 1241 gelten für 1. die in Betrieben oder im Dienst anderer öffentlicher Verbände oder von Körperschaften oder als Lehrer und Erzieher an nicht öffentlichen Schu­ len oder Anstalten Beschäftigten, wenn ihnen die im § 1234 bezeichneten Anwartschaften gewährleistet sind oder sie lediglich für ihren Beruf aus­ gebildet werden, 2 Personen, denen auf Grund früherer Beschäftigung bei solchen Verbän­ den oder Körperschaften, Schulen oder Anstalten Ruhegeld, Wartegeld oder ähnliche Bezüge im Mindestbetrage der Invalidenrente nach den Sätzen der ersten Lohnklasse bewilligt sind und daneben eine Anwart­ schaft auf Hinterbliebenenfürsorge (§ 1234) gewährleistet ist.

Reichsversicherungsordnung von 19. Juli 1911.

§§ 1236—1243.

967

3. Beamte und Bedienstete der landesherrlichen Hof-, Domanial-, Kameral-, Forst- und ähnlichen Verwaltungen, der Herzoglich Braunschwei­ gischen Landschaft und der Fürstlich Hohenzollernschen Fideikommißverwaltung.

8 1242 a. Scheiden Personen, die gemäß § 1234, § 1235 Nr. 1, 2, § 1242 versicherungsfrei sind, aus der versicherungsfreien Beschäftigung aus, ohne daß gegen den Arbeitgeber ein Anspruch auf Ruhegeld oder Hinter­ bliebenenrente entsteht oder im Falle des Vorhandenseins von Hinterbliebenen ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente entstehen würde, so sind für die Zeit dieser Beschäftigung, frühestens jedoch von der Einführung der Bersicherungspflicht für die in Frage kommende Berufsgruppe an, Beitragsmarken der Lohn­ klasse zu verwenden, der die versicherungsfreien Personen im Fall ihrer Ver­ sicherung angehören würden. Für jede Woche bis zum Schlüsse des Jahres 1923 sind Beitragsmarken der Lohnklasse 2 zu verwenden. Für Angestellte, die auch in der Invalidenversicherung zu versichern gewesen wären, sind nur Beiträge zur Angestelltenversicherung zu entrichten. Für Ersatzzeiten im Sinne des § 1281 und im Sinne des Artikel II C des Gesetzes über die ander­ weite Festsetzung der Leistungen und der Beiträge in der Invalidenversiche­ rung vom 23. Juli 1921 (Reichsgesetzbl. S. 984) unterbleibt die Beitrags­ entrichtung. Die Beiträge gelten als Pflichtbeiträge. Der Eintritt des Bersicherungsfalls steht der Nachentrichtung von Beiträgen bis zu diesem Zeit­ punkt nicht entgegen. Solange die Personen Anspruch auf Wartegeld haben oder ihnen Ruhe­ gehalt nach Artikel 4 der Verordnung zur Herabminderung der Personalaus­ gaben des Reichs (Personal-Wbau-Kerordnung) vom 27. Oktober 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 999) oder Ruhegehalt oder Ruhegeld nach einer entsprechen­ den landesrechtlichen Regelung zugesichert ist, unterbleibt die Beitragsentrich­ tung nach Abs. 1. Ob ein Anspruch auf Ruhegeld, Ruhegehalt, Wartegeld oder Hinter­ bliebenenrente entsteht oder entstehen würde, entscheiden die im § 1234 Abs. 2 bestimmten Stellen. Beiträge, aus denen die Anwartschaft erloschen wäre, sind nicht nach­ zuentrichten. 8 1242b. Treten Personen, die bisher versicherungspflichtig waren, in ein nach § 1234, § 1235 Nr. 1, 2, § 1242 versicherungsfreies Beschäftigungs­ verhältnis, so sind, wenn sie in den Ruhestand versetzt werden oder mit Hinterlassung von anspruchsberechtigten Hinterbliebenen sterben, achtzig vom Hundert der seit 1. Januar 1924 entrichteten Versicherungsbeiträge dem Ver­ sicherten oder seiner Witwe oder, falls eine solche nicht vorhanden ist, den hinterlassenen Kindern unter 18 Jahren auszuzahlen. Ein weitergehender Anspruch gegen den Bersicherungsträger ist aus­ geschlossen. 8 1242 c. Die im § 1242 b Abs. 1 Satz 1 bezeichneten Personen können bis zum 1. Mai 1924, bei dem nach dem 1. Januar 1924 erfolgten Eintritt in eine gemäß § 1234, § 1235 Nr. 1, 2, § 1242 versicherungsfreie Beschäftigung binnen zwei Monaten nach dem Eintritt dem Arbeitgeber gegenüber erklären, daß sie auf das ihnen nach § 1242 b zustehende Recht verzichten. Der Arbeit­ geber hat unverzüglich eine Abschrift der Erklärung der örtlich zuständigem Versicherungsanstalt zu übersenden. Ist der Verzicht erklärt, so gelten die all­ gemeinen Vorschriften.

II. Berficherungsberechtigung. 8 1243. Zum freiwilligen Eintritt in die Versicherung (Selbstversiche­ rung) sind bis zum vollendeten vierzigsten Lebensjahre berechtigt 1. Gewerbtreibende und andere Betriebsunternehmer, die in ihren Betrieben regelmäßig keine oder höchstens zwei Versicherungspflichtige beschäftigen, 2. Personen, die nach den §§ 1227, 1232 versicherungsfrei sind.

968

Anhang.

Die Berechtigten können die Selbstversicherung beim Ausscheiden aus dem Verhältnis, das die Berechtigung begründet hat, fortsetzen oder später nach § 1283 erneuern. 8 1244. Wer aus einem versicherungspflichtigen Verhältnis ausscheidet, kann die Versicherung freiwillig fortsetzen oder später nach § 1283 erneuern (Weiterversicherung). 8 1245. Nach der Höhe des wöchentlichen Arbeitsverdienstes werden für die Versicherten folgende Lohnklassen gebildet:

Klasse 1 . . „ 2 von mehr als // // „ 3 „ 4 „ „ „ „ 5 „ „ „ 6 „

bis zu 6 Reichsmark 6 „ „ 12 „ 12 n ,, 18 ,, 18 „ ,, 24 ,, 24 „ „ 30 30 Reichsmark.

Der Reichsarbeitsminister bestimmt das Nähere. Er kann insbesondere für einzelne Berufszweige die Zugehörigkeit zu den Lohnklassen bestimmen. Auch kann er Lohnklassen an die bestehenden anfügen. 88 1246, 1247 sind weggefallen. 8 1248. Die Versicherung in einer höheren Lohnklasse ist erlaubt, der Arbeitgeber aber zum höheren Beitrag nur verpflichtet, wenn er sie mit dem Versicherten vereinbart hat. 8 1249 ist weggefallen. Zweiter Abschnitt.

Gegenstand der Berstchernng. I. Allgemeines. 8 1250. Gegenstand der Versicherung sind Invalidenrenten sowie Renten für Hinterbliebene. 88 1251-1254 a. —

88

1255,

1256.

II. Invalidenrente. -----------

III. Altersrente.

8 1257 ist weggefallen.

88 1258-1268. 88

IV. Bezüge der Hinterbliebenen. -----------

1269-1274 a.

88 1275-1277.

VI. Sachleistungen statt Renten. — - — —

-

VII. Wartezeit. -- --



-





--

--

--

VIII. Erlöschen der Anwartschaft. -- -- --

--

--

88 1278—1279 b.

88 1280-1283.

V. Heilverfahren. -----------

IX. Berechnung der BerficherungSleistnngen. 88 1284-1297. ----------88 1298-1303.

X. Wegfall der Leistungen. -----------

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911.

§§ 1244—1360.

969

XL Entziehung der Rente.

88

1304-1310.

88

1311-1318.

88

1319, 1320.

-----------

XII. Ruhen der Rente und Kapitalabfindnug.

-----------

XIII. Besondere Befugniffe der Versicherungsanstalten.

-----------

XIV. Verhältnis zu anderen Ansprüchen.

88 1321-1325.

----------Dritter Abschnitt.

Trager der Berftcherrmg. A. Versicherungsanstalten. I. Äußere Verfassung.

1 Errichtung. Die Versicherungsanstalten werden nach Bestimmung der Lan­ desregierungen für das Gebiet des Landes, für Gemeindeverbände oder andere Gebietsteile errichtet Für mehrere Länder oder ihre Gebietsteile sowie für mehrere Gemeinde­ verbände kann eine gemeinsame Versicherungsanstalt errichtet werden Versicherungsanstalten, die nach dem Gesetze vom 22. Juni 1889 errichtet sind, bleiben in ihrem Bestände, vorbehaltlich der nach den §§ 1332 bis 1337 zulässigen Änderungen, erhalten 8 1327. Die Errichtung der Versicherungsanstalt bedarf der Genehmigung des Reichsrats. Versagt er die Genehmigung, so kann er nach Anhören der beteiligten Landesregierungen die Errichtung selbst anordnen 8 1328. Die Landesregierung bestimmt den Sitz der Versicherungs-« anstatt Reicht die Versicherungsanstalt über mehrere Länder, so bestimmen die beteiligten Landesregierungen den Sitz. 2. Örtliche Zuständigkeit 8 1329. Die Versicherungsanstalt umfaßt alle in ihrem Bezirke Beschäf­ tigten (§§ 153 bis 156), die nicht in Sonderanstalten ihrer Versicherungs­ pflicht genügen. Werden Personen in einem Betriebe beschäftigt, dessen Sitz in dem Bezirk einer anderen Versicherungsanstalt liegt, so können sie mit Zustimmung der beteiligten Versicherungsanstalten auch bei der des Betrieb­ sitzes versichert werden. Mitglieder einer Betriebskrankenkasse müssen am An­ trag des Arbeitgebers dort versichert werden. 8 1330. Beschäftigt ein Betrieb, der seinen Sitz im Inland hat, vorüber­ gehend Personen im Ausland, so sind sie bei der Versicherungsanstalt des Betriebsitzes versichert 8 1331. Für ausländische Binnenschiffe gilt, vorbehaltlich einer anderen Bestimmung der Reichsregierung, als Beschäftigungsort d.er Sitz der Ver­ sicherungsanstalt, in deren Bezirk das Schiff bei Überfahren der Grenze zuerst eintritt 3. Änderung der Bezirke.

8 1326.

88 1332-1337.

-----------

88 1338-1359.

-----------

II. Innere Verfassung.

B. S o n d e r a n st a l t e n.

1. Allgemeines. Der Reichsarbeitsminister bestimmt auf Antrag der zuständigen Stelle, welche Anstalten des Reichs, eines Landes oder eines Gemeindsverbandes als Sonderanstalten -ugelassen werden und von welchem Zeitpunkt an.

8 1360.

970

Anhang.

Der Reichsarbeitsminister kann aus Antrag auch andere Sonderanstalten zulassen. Die Sonderanstalten müssen den §§ 1361 bis 1366 genügen.

§§ 1361-1370» — - — - — — — — 8 1371. Bersicherungsberechtigte in Betrieben, für die eine Sonderanstalt besteht, können sich nur bei ihr freiwillig aus der Beschäftigung nur bei ihr die Versicherungspslichtige in solchen Betrieben Beschäftigung ausscheiden, ohne anderswo nur bei der Sonderanstalt weiterversichern

88 1372-1374.

versichern und beim Ausscheiden Versicherung fortsetzen (§ 1243). können sich, wenn sie aus ihrer versicherungspflichtig zu werden, (§ 1244).

-----------

2. Sonderanstalt der Seeberufsgenossenschaft.

88 1375-1380.

----------Vierter Abschnitt

Aufsicht.

8 1381.

Das Reichsversicherungsamt führt die Aufsicht über die Ver­ sicherungsanstalten. 8 1382. Ist für ein Land ein Landesversicherungsamt errichtet, so führt es die Aufsicht über die Versicherungsanstalten, die nicht über dessen Gebiet hinausreichen. Fü n ster Abschnitt.

Auszahlung der Leistungen. Ausbringung der Mittel. I. Auszahlung durch die Post.

8 1383. Die Anstalt zahlt auf Anweisung des Vorstandes durch die Post, und zwar in der Regel durch die Postanstalt, in deren Bezirk der Empfänger zur Zeit des Antrags wohnte. Die Zahlstelle wird ihm vom Anstaltsvor­ stande mitgeteilt. Verzieht der Empfänger, so kann er bei der Versicherungsanstalt oder bei der Postanstalt des alten Wohnorts beantragen, daß die Zahlung an die Postanstalt des neuen Wohnorts überwiesen wird

88 1384-1386.

-----------

II. Aufbringung der Mittel. 1. Allgemeines. 8 1387. Das Reich, die Arbeitgeber und die Versicherten bringen die Mittel für die Versicherung auf. Das Reich leistet Zuschüsse für die in jedem Jahre tatsächlich gezahlten Renten (§ 1285), die Arbeitgeber und die Versicherten entrichten für jede Woche der versicherungspflichtigen Beschäftigung (Beitragswoche) laufende Beiträge zu gleichen Teilen (§§ 1432, 1439, 1458). Für Versicherte, deren wöchentliches Entgelt 6 Reichsmark nicht übersteigt, sowie für Lehrlinge ent­ richtet der Arbeitgeber die vollen Beiträge. Die Beitragswoche beginnt mit Montag. 2. Höhe der Beiträge.

88 1388—1391 sind weggefallen. 8 1392. Als Wochenbeitrag werden

erhoben 25 Reichspfennig, in der Lohnklasse 1 . 2 . 50 3 . 70 4 . 100 120 5 . 6 . 140 Im Falle des § 1245 Abs. 2 Satz 3 setzt der Reichsarbeitsminister die Beiträge fest. Er kann auch anordnen, daß Beiträge unter oder über einer bestimmten Lohnklasse nicht entrichtet werden dürfen.

971

§§ 1361—1419.

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1912.

3. Militärdienst- und Krankheitszeiten.

88 1393, 1394 sind weggefallen. 4.

88 1395-1400.

G e m e i n l a st,

S o n d e r l a st

-----------

5. Rückversicherungsverbände.

8 1401 ist weggefallen 6. Haftung.

8 1402. 7

-

--

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-

Berteilung und Erstattung der Versicherungsleistungen. Abführung der Beträge an die Post

88 1403—1410.

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Sechster Abschnitt

vettragSverfahrerr I. Marken. 8 1411. Zur Erhebung der Beiträge sind Marken zu verwenden Die Marken enthalten bis auf weiteres die Bezeichnung der Lohnklasse und des Geldwerts Das Reichsversicherungsamt bestimmt die Unterscheidungsmerkmale der Marken sowie die Zeitabschnitte, für die sie ausgegeben werden sollen. Ungültig gewordene Marken können innerhalb drei Monaten nach Ablauf der Gültigkeitsdauer bei den Verkaufsstellen umgetauscht werden. 8 1412. Die Marken werden von den Postanstalten verkauft. Der Erlös ist an die Versicherungsanstalt abzuführen, in deren. Bezirk die Post­ anstalt liegt. Die Versicherungsanstalten können auch besondere Verkaufsstellen für Marken einrichten. II. QuittnngSkarte. 8 1413. Die Beiträge werden dr^rch Einkleben von Marken in die Ouittungskarte des Versicherten entrichtet. 8 1414. Der Versicherte hat sich die Quittungskarte ausstellen zu lassen und sie zum Einkleben und Entwerten der Marken rechtzeitig vorz.ulegen Die Ortspolizeibehörde kann ihn dazu durch Zwangsstrafen in Geld anhalten. Hat er keine Quittungskarte oder weigert er sich^ sie vorzulegen, so kann sie der Arbeitgeber beschaffen und die Kosten bei der nächsten Lohnzahlung einbehalten. 8 1415. Der Versicherte kann auf seine Kosten stets eine neue Karte gegen Rückgabe der alten verlangen. 8 1416. Die Quittungskarte enthält Jahr und Tag der Ausstellung und den Inhalt der Vorschriften der §§ 1424, 1425, 1495. Die übrige Ein­ richtung bestimmt das Reichsversicherungsamt. Es kann für die Selbstversicherung und ihre Fortsetzung (§ 1243) be­ sondere Karten vorschreiben und die unbefugte Verwendung anderer mit Strafe bedrohen. 8 1417. Die Kosten der Karte trägt die Versicherungsanstalt des Aus­ gabebezirkes, wenn sie nicht für Rechnung des Versicherten zu beschaffen ist (§§ 1414, 1415). 8 1418. Jede Karte bietet Raum für mindestens zweiundfünfzig Wochenmarken. Die Karten werden für jeden Versicherten fortlaufend be­ ziffert. Die erste Karte wird am Kopfe mit dem Namen der Versicherungs­ anstalt versehen, in deren Bezirk der Versicherte zur Zeit der Ausstellung be­ schäftigt ist, jede folgende mit dem Naryssn der vorhergehenden (Ursprungs­ anstalt). Weicht die Bezeichnung einer späteren Karte ab, so ist der Name auf der ersten maßgebend. 8 1419. Die oberste Verwaltungsbehörde bestimmt, unbeschadet des § 1456, die Stellen, welche die Karten ausstellen und umtauschen (Ausgabe­ stellen).

972

Anhang.

Der Reichsarbeitsminister bestimmt die Ausgabestellen in den deutschen Schutzgebieten Die Ausgabestellen rechnen, wenn die Karte zurückgegeben wird, nach den eingeklebten Marken die Beitragswochen für die einzelnen Lohnklassen auf. Gleichzeitig ist die Dauer der nachgewiesenen Militärdienste und bei bescheinigten Krankheiten anzugeben, die in die Zeit der Geltung der Karte fallen. Die Ausgabestellen bescheinigen dem Inhaber die Endzahlen. Die Kosten für die Muster der Bescheinigungen über die Aufrechnung trägt die Versicherungsanstalt des Ausgabebezirkes Der Reichsarbeitsminister bestimmt, wer die Kosten für die Quittungs­ karten und für die Muster der Bescheinigungen in den deutschen Schutzgebie­ ten zu tragen hat 8 1420. Die Karte soll binnen zwei Jahren nach dem Tage der Aus­ stellung zum Umtausch eingereicht werden Ist dies versäumt, so must im Streitfall der Versicherte beweisen, daß die Anwartschaft erhalten ist 8 1421. Verlorene, unbrauchbar gewordene oder zerstörte Quittungskarten werden durch neue ersetzt Nachweisbare Beiträge werden beglaubigt übertragen; die Vssrsicherungsanstalt wird vorher gehört, wenn nicht die unbrauchbar gewordene Karte vorgelegt wird, und in jedem Falle nachher unterrichtet 8 1422. Der Versicherte kann gegen den Inhalt der Bescheinigung (§ 1419 Abs 3) und gegen die Übertragung oder deren Ablehnung (§ 1421 Abs 2) Beschwerde beim Versicherungsamt erheben. Gegen die Übertragung (§ 1421 Abs. 2) kann es auch die Versicherungsanstalt. Das Versicherungsamt entscheidet endgültig. 8 1423. Die eingereichten Karten gehen der Versicherungsanstalt des Bezirkes zu. Diese gibt sie nach Prüfung und Berichtigung der Eintragungen auf der Außenseite an die Ursprungsanstalt (§ 1418) weiter Die Ursprungsanstalt kann den Inhalt aller Karten desselben Ver­ sicherten in Sammelkarten übertragen und sie statt der Einzelkarten auf­ bewahren Das Reichsversicherungsamt bestimmt das Nähere. Es bestimmt auch, wann und wie sonst Quittungskarten zu vernichten sind 8 1424. Die Karte darf nur die gesetzlich vorgeschriebenen Angaben ent­ halten und keine besonderen Merkmale tragen; vor allem darf aus ihr nichts über Führung oder Leistungen des Inhabers zu entnehmen sein. Karten, die dagegen verstoßen, hat jede Behörde, her sie zugehen, einzubehalten und durch neue zu ersetzen. Die nachweisbaren Beiträge werden beglaubigt über­ tragen. Die Versicherungsanstalt wird benachrichtigt. 8 1425. Niemand darf eine Quittungskarte wider den Willen des In­ habers zurückbehalten. Dies gilt nicht für die zuständigen Stellen, wenn sie die Karten zu Zwecken des Umtauschs, der Berichtigung, Aufrechnung, Über­ tragung, Beitragsüberwachung oder beim Einzugsverfahren zurückbehalten Wer Karten dieser Vorschrift zuwider zurückbehält, ist dem Berechtigten für Nachteile hieraus verantwortlich. Die Ortspolizeibehörde nimmt die Karte ab und händigt sie dem Berechtigten aus. III. Entrichtung der Beiträge durch die Arbeitgeber. Nachweis des Militärdienstes und der Krankheit. 8 1426. Der Arbeitgeber, der den Versicherten die Beitragswoche hin­ durch beschäftigt, hat für sich und ihn den Beitrag zu entrichten. Beschäftigen mehrere Arbeitgeber den Versicherten während der Woche, so zahlt der erste von ihnen den ganzen Betrag. Hat weder er noch der Ver­ sicherte selbst den Beitrag entrichtet (§ 1439), so hat der nächste Arbeitgeber den Beitrag zu entrichten, kann aber von dem ersten Ersatz beanspruchen. Ist der Versicherte gleichzeitig von mehreren Arbeitgebern versicherungspflichtig be­ schäftigt, so hasten sie als Gesamtschuldner. 8 1427. Läßt sich die tatsächliche Arbeitszeit nicht feststellen, ist so der Beitrag für die Zeit zu entrichten, die für die Arbeit annähernd erforderlich

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911.

§§ 1420—1437.

973

ist. Bei Streit entscheidet auf Antrag eines Teiles das Versicherungsamt end­ gültig. Die Versicherungsanstalt kann mit Genehmigung des Reichsversicherungs­ amts oder des Landesversicherungsamts (§ 1382) für die Berechnung beson­ dere Bestimmungen erlassen. 8 1428. Der Arbeitgeber entrichtet die Beiträge, indem er bei der Lohn­ zahlung für die Dauer der Beschäftigung Marken nach der Lohnklasse des Ver­ sicherten in die Quittungskarte klebt Sie sind von einer Verkaufsstelle im Bezirke der Versicherungsanstalt des Beschäftigungsorts zu erwerben Der Arbeitgeber hat sie aus eigenen Mitteln zu erwerben. Wenn eine Lohnzahlung nicht stattfindet, sind die Marken spätestens bei der Beendigung der Beschäftigung einzukleben 8 1429. Bei Versicherten, die durch Vertrag für mindestens ein Viertel­ jahr dem Arbeitgeber zur Arbeit verpflichtet sind, kann der Arbeitgeber die Marken zu anderer Zeit, spätestens in der letzten Woche jeden Vierteljahrs, einkleben. Aus jeden Fall sind die Marken bei Ablauf der Beschäftigung ein­ zukleben. 8 1430. Die Versicherungsanstalt kann den Arbeitgebern gestatten, die Marken zu anderer Zeit einzukleben 8 1431. Die Marken müssen entwertet werden Als Tag der Entwer­ tung soll der letzte Tag desjenigen Zeitraums angegeben werden, für welchem: die Marke gilt Die Reichsregierung bestimmt das Nähere und kann Zuwider­ handlungen mit Strafe bedrohen 8 1432. Unbeschadet der Vorschrift des § 1387 Ms. 2 Satz 2 müssen sich die Versicherungspflichtigen bei der Lohnzahlung die Hälfte der Beiträge und, wer über die gesetzliche Lohnklasse hinaus versichert, ohne die Versicherung in einer Höheren Lohnklasse mit dem Arbeitgeber vereinbart zu haben, auch den Mehrbetrag vom Barlohn abziehen lassen. Die Arbeitgeber dürfen mir aus diesem Wege den Beitragsteil der Versicherten wieder einziehen. Die Abzüge sind auf die Lohnzeiten gleichmäßig zu verteilen 8 1433. Sind Abzüge bei einer Lohnzahlung unterblieben, so dürfen sie nur noch bei der nächsten nachgeholt werden, es sei denn, daß der Arbeitgeber ohne sein Verschulden wirksame Beiträge nachträglich entrichtet (§ 1442). 8 1434. Abschlagszahlungen gelten nicht als Lohnzahlungen im Sinne der §§ 1428, 1432, 1433. Auf jeden Fall sind die Marken in der letzten Woche jeden Vierteljahrs einzukleben. 8 1435. Arbeitgeber, gegen die eine Anordnung der Bersicherungsamts nach § 398 ergangen ist, dürfen, wenn sie die Beiträge in Marken entrichten, Lohnabzüge nur für die Zeit machen, für die sie die geschuldeten Beiträge nach­ weislich entrichtet haben. Wo das Einzugsverfahren besteht, gilt die Anordnung nach § 398 auch für die Beiträge zur Invalidenversicherung. Die Versicherten haben dann ihren Beitragsteil an den Zahltagen selbst einzuzahlen 8 1430. Der Reichsarbeitsminister regelt die Erhebung der Beiträge für die nach den §§ 1228, 1229 VersicherungsPflichtigen Die Versicherungsanstalt regelt mit Zustimmung des Reichsversicherungs­ amts die Erhebung der Beiträge für die Hausgewerbtreibenden. Sie kann auch bestimmen, wieweit die Auftraggeber die Pflichten der Arbeitgeber zu erfüllen haben. Die Regelung einer Versicherungsanstalt für die Hausgewerbtreibenden eines Bezirkes gilt auch für die außerhalb dieses Bezirkes wohnenden Arbeit­ geber und Auftraggeber dieser Hausgewerbtreibenden Für die von den Hausgewerbtreibenden Beschäftigten gelten die allgemei­ nen gesetzlichen Vorschriften. 8 1437. Die oberste Verwaltungsbehörde kann bestimmen, wie der Bei­ tragsteil Bersicherungspflichtiger aus ihrem Entgelt zu erstatten ist, wenn dieser nur aus Sachbezügen besteht oder von Dritten gewährt wird.

974

Anhang.

8 1438. Geleistete Militärdienste werden durch die Militärpapiere nach­ gewiesen. Krankheitswochen werden durch Bescheinigungen nachgewiesen. Nach Ab­ lauf der Krankenhilfe oder der Fürsorge während der Genesung hat der Vor­ stand der Krankenkasse, der Ersatzkasse, der Bersicherungsvereins auf Gegen­ seitigkeit oder der auf Grund landesrechtlicher Vorschriften errichteten Hilfs­ kasse die Bescheinigung auszustellen. Im übrigen hat es der Gemeindevorstand zu tun Das Versicherungsamt kann den Vorstand der Kasse oder des Ver­ sicherungsvereins auf Gegenseitigkeit durch Zwangsstrafen in Geld anhalten, diese Verpflichtung zu erfüllen. Für die in Reichs- und Landesbetrieben Beschäftigten kann die vorgesetzte Dienstbehörde die Bescheinigungen ansstellen. In diesen Fällen ist die Kranken­ kasse von der Verpflichtung zur Ausstellung der Bescheinigungen vom Ver­ sicherungsamte zu entbinden. IV. Entrichtung der Beiträge durch die Berficherteu.

8 1439. Auch der Versicherte kann die vollen Beiträge entrichten

Der Arbeitgeber hat ihm die Hälfte, und zwar der gesetzlichen Beiträge, wenn nicht die Versicherung in einer höheren Lohnklasse vereinbart ist, zu erstatten Der Anspruch besteht nur, wenn die Marke vorschriftsmäßig entwertet ist. Er ist spätestens bei der zweitnächsten Lohnzahlung zu erheben, es sei denn, daß der Versicherte ohne sein Verschulden wirksame Beiträge nachträglich ent­ richtet hat. 8 1440. Bei der Selbstversicherung und Weiterversicherung sind Beiträge in der dem jeweiligen Einkommen entsprechenden Lohnklasse, mindestens aber in der Lohnklasse 2, zu entrichten. Freiwillig Versicherte erwerben Marken bei den Verkaufsstellen des An­ stal,tsbezirks, in welchem sie beschäftigt sind oder sich aufhalten. Freiwillig Versicherte können die Versicherung im Ausland fortsetzen. Zur Fortsetzung der Versicherung bei einer Sonderanstalt dürfen Marken der im § 1411 be­ zeichneten Art nicht verwendet werden (§ 1371). 8 1441. Auch wer sich während einer entgeltlichen, aber nicht bar be­ zahlten oder nur vorübergehenden Beschäftigung (§§ 1227, 1232) freiwillig versichert, hat Anspruch auf den Beitragsteil des Arbeitgebers. Dieser kann es ablehnen, mehr zu erstatten, als er gesetzlich (§ 1245) verpflichtet ist.

V. Unwirksame Beiträge.

8 1442. Pflichtbeiträge sind unwirksam, wenn sie nach Ablauf von zwei Jahren, falls aber die Beitragsleistung ohne Verschulden des Versicherten unterblieben ist, nach Ablauf von vier Jahren seit der Fälligkeit entrichtet werden. Ein Verschulden des Versicherten liegt nicht vor, wenn der Arbeitgeber die Quittungskarte aufbewahrt und sie nicht zur richtigen Zeit ordnungs­ gemäß umgetauscht hat. 8 1443. Freiwillige Beiträge und Beiträge über die gesetzliche »Lohmklasse hinaus dürfen für mehr als ein Jahr zurück nicht entrichtet werden, eben­ sowenig nach Eintritt dauernder oder vorübergehender Invalidität oder für die weitere Invalidität. 8 1444. Der Entrichtung der Beiträge im Sinne der §§ 1442, 1443 steht gleich 1. die von einer zuständigen Stelle an den Arbeitgeber gerichtete Mahnung, 2. die Bereiterklärung des Arbeitgebers oder des Versicherten zur Nach­ entrichtung gegenüber einer solchen Stelle, wenn demnächst die Beiträge in einer angemessenen Frist entrichtet werden. Zeiträume, in denen eine Beitragsstreitigkeit (§§ 1459 bis 1461) oder ein Verfahren über einen Anspruch auf Invaliden-, Alters-, Witwen- oder Wit­ werrente schwebt, werden in die Fristen der §§ 1442, 1443 nicht eingerechnet. Diese Tatsachen (Abs. 1, 2) unterbrechen auch die Verjährung rückständiger Beiträge (§ 29).

Reichsverstcherungsordnung v. 19. Juli 1911.

§§ 1438—1450.

975

8 1445. Sind die Marken einer richtig ausgestellten und rechtzeitig zum Umtausch eingereichten Quittungskarte ordnungsmäßig verwendet, Jo wird vermutet, daß während der belegten Beitragswochen ein Versicherungsverhältnis bestanden hat. Dies gilt nicht, wenn die Marken über einen Monat nach Fälligkeit der Beiträge, oder für das Kalenderjahr in größerer Zahl einge­ klebt sind, als es Beitragswochen hat. Der Versicherte kann von der Versicherungsanstalt die Feststellung der Gültigkeit der verwendeten Marken verlangen. Hat die Versicherungsanstalt die Versicherungspflicht oder die Versicherungsberechtigung anerkannt, so kann der Rentenanspruch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, daß die Marken zu Unrecht verwendet sind. Nach Ablauf von zehn Jahren seit Aufrechnung der Quittungskarte jkann die rechtsgültige Verwendung der in der Aufrechnung bescheinigten Marken nicht mehr angefochten werden, es sei denn, daß der Versicherte oder sein Ver­ treter oder ein zur Fürsorge für ihn Verpflichteter die Verwendung der Mar­ ken in betrügerischer Absicht herbeigeführt hat. Sind für einen Versicherten Beiträge zur Invalidenversicherung entrichtet, obwohl er angestelltenversiche­ rungspflichtig ist, so dürfen die zur Invalidenversicherung entrichteten Beiträge nur insoweit beanstandet werden, als die Nachentrichtung von Beiträgen zur Angestelltenversicherung (§ 187 des Angestelltenversicherungsgesetzes) statthaft ist. 8 1445 a. Die bis zum 31. Dezember 1923 verwendeten Beitragsmarken dürfen nur insoweit beanstandet werden, als die Bersicherungspflicht oder die Versicherungsberechtigung in Frage steht. VI. Irrtümlich geleistete Beiträge. 8 1446. Beiträge, die in der irrtümlichen Annahme der Ber siche rangst pflicht entrichtet worden sind und nicht zurückgefordert werden, gelten als für die Selbstversicherung oder Weiterversicherung entrichtet, wenn das Recht dazu in der Zeit der Entrichtung bestanden hat. Der Versicherte kann die Beiträge binnen zehn Jahren nach der Ent­ richtung zurücksordern, wenn ihm nicht schon eine Rente rechtskräftig bewilligt worden ist und nicht die Verwendung der Marken in betrügerischer Absicht geschehen ist Der Arbeitgeber kann die Beiträge nicht mehr zurückfordern, wenn vom Versicherten ihm der Wert seines Anteils erstattet ist oder seit der Entrichtung zwei Jahre verflossen sind. § 1445 a gilt entsprechend. VII« Einziehung der Beiträge. 8 1447. Die oberste Verwaltungsbehörde kann mit Zustimmung der Ver­ sicherungsanstalt anordnen, daß Krankenkassen, andere Stellen, die sie bezeich­ net, oder örtliche Hebestellen der Versicherungsanstalt für deren Rechnung die Beiträge aller oder einzelner Gruppen der Bersicherungspflichtigen einziehen. Sie kann dabei die Pflicht zur Meldung der Versicherten regeln. Das gleiche kann die Versicherungsanstalt selbst mit Genehmigung der obersten Verwaltungsbehörde durch ihre Satzung, ferner eine Gemeinde oder ein Gemeindeverband mit Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde mit Zustimmung der Anstalt durch Statut bestimmen. Die oberste Verwaltungsbehörde kann das Einzugsverfahren wieder auf­ heben. Aus Antrag eines Bersicherungsträgers kann auch die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats das Einzugsverfahren wieder aufheben. 8 1448. Werden örtliche Hebestellen angeordnet, so muß sie die Anstalt auf eigene Kosten und da errichten, wo es die höhere Verwaltungsbehörde bestimmt. 8 1449. Die Versicherungsanstalt hat den Einzugsstellen eine Ver­ gütung zu gewähren; falls die Beteiligten sich nicht einigen, setzt sie die oberste Verwaltungsbehörde fest. 8 1456. Die oberste Verwaltungsbehörde kann mit Zustimmung der Krankenkasse die Beiträge auch für diese von den örtlichen Hebestellen ein­ ziehen lassen. Die Kasse übernimmt einen Teil der Kosten. Das'Nähere be-

976

Anhang.

stimmt die oberste Verwaltungsbehörde nach Anhören der beteiligten Ver­ sicherungsanstalten und Krankenkassen. tz 1451. Die oberste Verwaltungsbehörde regelt die Befugnisse der Ver­ sicherungsanstalt gegenüber den nicht von dieser selbst Eingerichteten Ein­ zugsstellen 8 1452. Für die freiwillige Versicherung kann die Einziehung der Bei­ träge nicht vorgeschrieben werden. 8 1453. Die oberste Verwaltungsbehörde kann das Verfahren bei Ein­ ziehung, Verwendung und Verrechnung der Beiträge näher regeln Die Beiträge werden in der Regel zugleich mit denen der Krankenkasse an deren Fälligkeitstag eingezogen Für Versicherte, von denen die Kranken­ kasse keine Beiträge einzieht, bestimmt die Einzugsstelle den Tag Für die eingezogenen Beiträge werden Marken in die Quittungskarte eingeklebt § 1414 ist entsprechend anzuwenden 8 1454. Auch wo das Einzugsverfahren angeordnet ist, kann die oberste Verwaltungsbehörde oder der Vorstand der Versicherungsanstalt einzelnen Arbeitgebern gestatten, die Beiträge durch Verwendung von Marken nach den §§ 1426 bis 1430 selbst zu entrichten Die Verfügungen sind der Einzugs­ stelle mitzuteilen Auch Reichs-, Landes- und Gemeindebehörden sönnen sich von dem Ein zugsversahren ausschließen Es wird der Versicherungsanstalt und der Ein­ zugsstelle mitgeteilt. 8 1455. Die oberste Verwaltungsbehörde kann anordnen, daß 1 Krankenkassen oder örtliche Hebestellen der Versicherungsanstalten die Quittungskarten ausstellen und umtauschen, 2 unständig Beschäftigte (§ 441) ihre Beitragshälfte unmittelbar entrichten, die andere der Gemeindeverband oder die Gemeinde auslegt und der Arbeitgeber erstattet; auch kann die entsprechende Anwendung der §§ 453 ff. angeordnet werden Die Versicherungsanstalt hat dafür den bezeichneten Stellen besondere Vergütungen zu gewähren, deren Höhe die oberste Verwaltungsbehörde festsetzt. 8 1456. Für die Mitglieder einer Krankenkasse kann ihre Satzung, für die Mitglieder der Krankenkasse eines Reichs- oder Landesbetriebs können die zu­ ständigen Dienstbehörden das Einzugsverfahren anordnen und der Kasse die Ausstellung und den Umtausch der Quittungskarten übertragen Die Anord­ nung bedarf der Zustimmung der zuständigen Versicherungsanstalt Für die Wiederaufhebung des Einzugsverfahrens gilt § 1447 Abs 3. § 1449 ist nicht anzuwenden. 8 1457. Solange jemand im Bezirk einer Einzugsstelle versichert ist, kann er bei ihr seine Quittungskarte hinterlegen. Die oberste Verwaltungsbehörde kann im Einvernehmen mit der Ver­ sicherungsanstalt die Hinterlegung vorschreiben. Das Versicherungsamt kann dann den Versicherten durch Zwangsstrafen in Geld dazu anhalten. VIII. Abrundung. 8 1458. Ergibt die Abrechnung zwischen Arbeitgebern und Versicherten Bruchteile von Reichspfennigen, so wird der Beitragsanteil der Arbeitgeber­ auf volle Reichspfennig aufgerundet, der der Versicherten nach unten auf volle Reichspfennig abgerundet. IX. Vertragsstreitigkeiten. 8 1459. Bei Streit über die Beitragsleistung entscheidet, wenn er nicht bei der Rentenfestsetzung hervortritt, das Bersicherungsamt und auf Beschwerde endgültig das Oberversicherungsamt. Diese Behörden sind an die amtlich ver­ öffentlichten grundsätzlichen Entscheidungen des Reichsversicherungsamts ge­ bunden. Handelt es sich um eine noch nicht feststehende Auslegung gesetzlicher Vorschriften von grundsätzlicher Bedeutung, so gibt das Oberversicherungsamt die Sache unter Begründung seiner eigenen Ansicht an das Reichsversicherungs-

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 1451—1469.

977

amt ab, wenn es der Beschwerdeführer innerhalb der Beschwerdefrist beantragt hat. Auch andere Beteiligte können diesen Antrag binnen einer Woche stellen, nachdem, sie die Gelegenheit, sich zu äußern, erhalten haben. Das Reichs­ versicherungsamt entscheidet in diesen Fällen statt des Oberversicherungs­ amts. 8 146V. Ist es streitig, an welche von mehreren Versicherungsanstalten Beiträge für bestimmte Personen zu entrichten sind, so entscheidet auf Antrag das Reichsversicherungsamt oder das Landesversicherungsamt (§ 1382). 8 1461. Allen anderen Streit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern über Berechnung und Anrechnung, Erstattung und Ersatz der Beiträge (§ 1426 Abs. 2, §§ 1432 bis 1435, 1437, 1439, 1441) entscheidet das Versicherungsamt endgültig. 8 1462. Ist der Streit endgültig entschieden, so sorgt das Versicherungs­ amt dafür, daß zu wenig erhobene Beiträge nachträglich durch Marken gedeckt werden. Zuviel erhobene, die noch zurückgefordert werden können (§ 1446), zieht es von der Versicherungsanstalt auf Antrag wieder ein und zahlt sie den Beteiligten zurück Die Marken werden vernichtet und die Aufrechnungen berichtigt. 8 1463. Statt die Marken zu vernichten, kann das Bersicherungsamt die Quittungskarte einziehen und das Gültige auf eine neuausgestellte übertragen lassen 8 1464. Wenn die Pflicht oder das Recht zur Versicherung endgültig ver­ neint ist, so erhalten die Beteiligten die noch nicht verfallenen Beiträge auf Antrag zurück § 1446 wird hierdurch nicht berührt.

X. Überwachung. 8 1465. Die Versicherungsanstalten überwachen die rechtzeitige und voll­ ständige Entrichtung der Beiträge. Das Versicherungsamt kann die Ver­ sicherungsanstalten mit ihrer Zustimmung und unter Vereinbarung über die Kosten dabei unterstützen 8 1466. Die Arbeitgeber haben dem Versicherungsamt und dem Anstalts­ vorstande selbst sowie den Beauftragten beider Auskunft zu geben über die Zahl der Beschäftigten, ihren Arbeitsverdienst und die Dauer ihrer Beschäf­ tigung. Sie haben die Geschäftsbücher oder Listen, aus denen diese Tatsachen hervorgehen, während der Betriebszeit an Ort und Stelle vorzulegen. Auch die Versicherten haben über Ort und Dauer ihrer Beschäftigung sowie ihren Arbeitsverdienst Auskunft zu geben Beide Gruppen sind verpflichtet, den bezeichneten Behörden und Beauf­ tragten auf Erfordern die Quittungskarten und Bescheinigungen (§ 1419 Abs 3) zur Prüfung und Berichtigung gegen Empfangschein auszuhändigen. Das Versicherungsamt kann die Arbeitgeber und die Versicherten durch Zwangsstrafen in Geld zur Erfüllung ihrer Pflichten (Abs 1, 2) anhalten. 8 1467. Die Versicherungsanstalten können mit Genehmigung des Reichs­ versicherungsamts oder des Landesversicherungsamts (§ 1382) Überwachungs­ vorschriften erlassen. Diese Behörden können den Erlaß solcher Vorschriften anordnen und, wenn dies ohne Erfolg bleibt, sie selbst erlassen Der Anstalts­ vorstand kann Arbeitgeber und Versicherte zur pünktlichen Verfolgung solcher Vorschriften durch Zwangsstrafen in Geld anhalten 8 1468. Entstehen durch die Überwachung bare Auslagen, so können sie dem Arbeitgeber auferlegt werden, wenn er sie durch Pflichtversäumnis ver­ ursacht hat Auf Beschwerde entscheidet das Oberversicherungsamt end­ gültig. Die Kosten werden wie Gemeindeabgaben beigetrieben 8 1469. Die Quittungskarten werden nach Einwilligung der Beteilig­ ten oder nach Schluß des Streitverfahrens von den überwachenden Behörden oder Beauftragten oder den Einzugsstellen berichtigt A l l f e l d, Strafgesetzgebung. 3. Aufl.

978

Anhang.

8 1470. Das Versicherungsamt kann die Versicherungsanstalten -mit ihrer Zustimmung und unter Vereinbarung über die Kosten bei der Überwachung der Rentenempfänger unterstützen. Hierbei beschließt der Beschlußausschuß. Lehnt er ab, so beschließt auf Beschwerde das Oberversicherungsamt end-» gültig. XL Besondere Vorschriften.

8 1471. Die Reichsregierung kann die Vorschriften dieses Abschnitts für die Besatzung ausländischer Binnenschiffe durch andere Bestimmungen ersetzen.

Siebenter Abschnitt

Freiwillige Zusatzverficheruug. 88 1472—1483 sind weggefallen. Achter Abschnitt.

Schluß- und Strafvorschrifterr. I. Krankenkassen.

8 1484. Was dieses Buch für Krankenkassen (§ 225) vorschreibt, gilt auch für den Reichsknappschaftsverein als Träger der Krankenversicherung und für Ersatzkassen hinsichtlich solcher Mitglieder, welche von der Befreiung nach § 517 Gebrauch gemacht haben. II. Besondere Vorschriften für Seeleute.

8 1485. Seeleute (§ 1046 Nr. 1) sind bei der Versicherungsanstalt tzu versichern, in deren Bezirke der Heimathafen des Schiffes liegt. 8 1486. Die Reeder dürfen die Beiträge für Seeleute nach dem Mannschaftsbedarse der einzelnen Schiffe entrichten, wie er für ihre Unfallversiche­ rung abgeschätzt ist. Die Versicherungsanstalt bestimmt das Nähere. Die Reichsregierung kann für die Entrichtung der Beiträge ein anderes Verfahren anordnen, als dieses Buch vorschreibt. III. Strafvorschriften.

8 1487. Nehmen Arbeiter in die Nachweise oder Anzeigen, die sie nach den Vorschriften des Gesetzes oder den Bestimmungen der Versicherungsanstalt aufzustellen haben, Eintragungen auf, deren Unrichtigkeit sie kannten oder den Umständen nach kennen mußten, oder unterlassen sie die vorgeschriebenen Eintragungen ganz oder teilweise, so kann der Anstaltsvorstand Ordnungs­ strafe in Geld gegen sie verhängen. 8 1488. Unterlassen es Arbeitgeber, rechtzeitig für ihre versicherungs­ pflichtig Beschäftigten die richtigen Marken zu verwenden oder die Beiträge abzuführen, so kann sie der Anstaltsvorstand mit Ordnungsstrafe in Geld be­ legen. Unabhängig von der Strafe und der Nachholung der Rückstände kann, der Vorstand dem Bestraften die Zahlung des Ein- bis Zweifachen dieser Rück­ stände auferlegen. Der Betrag wird wie Gemeindeabgaben beigetrieben. Das gleiche gilt, wenn Arbeitgeber bei Beschäftigung ausländischer Ver­ sicherten ihre Pflichten aus § 1233 nicht erfüllen. Bestreitet der Arbeitgeber seine Beitragspflicht, so ist sie nach § 1450 festzustellen. 8 1489. Wer seiner Pflicht zuwider Versicherungspflichtige nicht meldet (§ 1447), kann vom Versicherungsamte mit Ordnungsstrafe in Geld bestraft werden. 8 1490. Mit Geldstrafe oder mit Haft werden bestraft, wenn nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften härtere Strafe verwirkt ist, 1. Arbeitgeber, die vorsätzlich ihren Beschäftigten höhere Beiträge vom Lohne abziehen, als dieses Gesetz zuläßt, 2. Arbeitgeber, die vorsätzlich der Vorschrift des § 1435 Abs. 1 zuwider­ handeln, 3 Arbeitgeber, die im Falle des § 1435 Abs. 2 Lohnabzüge machen, wenn das Bersicherungsamt die Anordnung nach § 398 erlassen hat, 4. Angestellte, die vorsätzlich mehr abziehen, als dieses Gesetz zuläßt,

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911. §§ 1470—1495.

979

5 Personen, die dem Berechtigten eine Quittungskarte widerrechtlich vor­ enthalten. 8 1491. Mit Geldstrafe oder mit Haft werden bestraft, wenn nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften härtere Strafe verwirkt ist, Versicherte, die vor­ sätzlich sür selbstentrichtete Beiträge vom Arbeitgeber mehr als zulässig oder von mehreren Arbeitgebern den vollen Beitragsteil für dieselbe Woche fordern oder den erhobenen Betrag nicht zur Entrichtung der Beiträge verwenden, oder die Beitragsteile erheben, ohne daß von ihnen die vollen Beiträge ent­ richtet sind. 8 1492. Arbeitgeber werden mit Gefängnis bestraft, wenn sie vorsätzlich Beitragsteile, die sie den Beschäftigten vom Lohn abgezogen oder von ihnen erhalten haben, nicht sür die Versicherung verwenden. Daneben kann auf Geldstrafe und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Bei mildernden Umständen kann ausschließlich auf Geldstrafe erkannt werden 8 1493. Die gleichen Strafvorschriften gelic.i 1 wenn eine Aktiengesellschaft, ein Versicherungsverein auf Gegenseitig­ keit, eine eingetragene Genossenschaft, eine Innung oder andere juristische Person Arbeitgeber ist, für die Mitglieder des Vorstandes, 2. wenn eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung Arbeitgeber ist, für die Geschäftsführer, 3. wenn eine andere Handelsgesellschaft Arbeitgeber in, für alle persönlich haftenden Gesellschafter, soweit sie von der Vertretung nicht ausgeschlossen sind, 4 für die gesetzlichen Vertreter geschäftsunfähiger und beschränkt geschäfts­ fähiger Arbeitgeber sowie für die Liquidatoren einer Handelsgesellschaft, eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit, einer eingetragenen Ge­ nossenschaft, einer Innung oder einer anderen juristischen Person.

8 1494. Der Arbeitgeber darf die Pflichten, die ihm dieses Gesetz oder die Satzung auferlegt, Betriebsleitern, Aufsichtspersonen oder anderen Ange­ stellten seines Betriebs übertragen. Handeln solche Stellvertreter den Vorschriften zuwider, die den Arbeit­ geber mit Strafe bedrohen, so trifft sie die Strafe Neben ihnen ist der Arbeit­ geber strafbar, wenn 1. die Zuwiderhandlung mit seinem Wissen geschehen ist, oder 2. er bei Auswahl und Beaufsichtigung der Stellvertreter nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat; in diesem Falle darf gegen den Arbeitgeber auf keine andere Strafe als auf Geldstrafe erkannt werden Die Zahlung des Ein- bis Zweifachen der rückständigen Beiträge (§ 1488) kann auch dem Stellvertreter auserlegt werden. Neben ihm haftet für diesen Betrag der Arbeitgeber, falls er nach Abs. 2 bestraft ist. 8 1495. Wer Quittungskarten mit unzulässigen Eintragungen oder mit besonderen Merkmalen versieht, kann vom Versicherungsamte mit Ordnungs­ strafe in Geld bestraft werden. Mit der gleichen Strafe kann bestraft werden, wer in Quittungskarten den Vordruck fälschlich ausfüllt oder die zur Ausfüllung des Vordrucks ein­ getragenen Worte oder Zahlen verfälscht oder wissentlich eine solche Karte gebraucht. Wer die Eintragungen, Merkmale oder Fälschungen in der Absicht macht, den Inhaber Arbeitgebern gegenüber kenntlich zu machen, wird mit Geld­ strafe oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Bei mildernden Umständen kann statt der Gefängnisstrafe auf Haft erkannt werden. Eine Verfolgung wegen Urkundenfälschung (§§ 267, 268 des ReichsStrafgesetzbuchs) tritt nur gegen Personen ein, welche die Fälschung in der Absicht begangen haben, sich oder anderen einen Vermögensvorteil zu ver­ schaffen oder anderen einen Schaden zuzufügen.

980

Anhang.

8 1496» Mit Gefängnis nicht unter drei Monaten, neben dem auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann, wird bestraft, wer Marken fälschlich anfertigt oder verfälscht, um sie als echte zu verwenden, oder wer zu demselben Zwecke falsche Marken sich verschafft, verwendet, feilhält oder in Verkehr bringt.

8 1497. Mit der gleichen Strafe (§ 1496) wird bestraft, wer wissentlich bereits verwendete Marken wieder verwendet oder zur Wiederverwendung sich verschafft, seilhält oder in Verkehr bringt. Bei mildernden Umständen darf auf Geldstrafe oder Haft erkannt werden. 8 1498. In den Fällen der §§ 1496, 1497 ist zugleich auf Einziehung der Marken zu erkennen, auch wenn sie dem Verurteilten nicht gehören Das muß auch geschehen, wenn keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt wer­ den kann 8 1499. Wer ohne schriftlichen Auftrag einer Versicherungsanstalt oder einer Behörde Stempel, Siegel, Stiche, Platten oder andere Formen, die zur Herstellung von Marken dienen können, oder Abdrücke solcher Formen an­ fertigt, sich verschafft oder einem anderen als der Versicherungsanstalt oder der Behörde überläßt, wird mit Geldstrafe bis zu 150 Reichsmark oder mit Hast bestraft. Neben der Geldstrafe oder Haft kann auf Einziehung der Stempel, Sie­ gel, Stiche, Platten oder Formen erkannt werden, auch wenn sie dem Ver­ urteilten nicht gehören 8 1500. Aus Beschwerde gegen Strafverfügungen der Anstaltsvorstände und der Versicherungsämter entscheidet das Oberversicherungsamt (Beschluß­ kammer) endgültig. Fünftes Buch.

Beziehungen der Versichern« gtzträaer zu einander und zu anderen Verpflichteten. Erster Abschnitt.

Beziehungen der BerficherungstrLger zu einander.

I. Krankenversicherung und Unfallversicherung. Die Krankenkassen sind verpflichtet, die Träger der Unfallversicherung bei der Durchführung der Unfallversicherung gegen angemessene Entschädigung zu unterstützen. Der Reichsarbeitsminister bestimmt darüber mit Zustimmung des Reichsrats Näheres. Er kann diese Befugnis mit Zustimmung des Reichsrats ganz oder teilweise auf das Neichsversicherungsamt übertragen. 8 1502. Der Träger der Unfallversicherung kann jederzeit von der Krankenkasse Auskunft über die Behandlung und den Zustand des Verletzten verlangen Zu der Auskunft ist der geschäftsleitende Angestellte der Kasse verpflich­ tet, wenn nicht der Vorstand einen anderen damit beauftragt. Das Versicherungsamt kann gegen die zur Auskunft Verpflichteten Ord­ nungsstrafe in Geld verhängen, wenn sie die Auskunft nicht in angemessener Frist erteilen. Zuständig ist das Versicherungsamt, in dessen Bezirk der Ver­ pflichtete wohnt. Auf Beschwerde gegen die Festsetzung der Strafe entscheidet das Oberversicherungsamt endgültig. 8 1503. Die Krankenkasse hat jede Krankheit eines gegen Unfalls Ver-sicherten dem Träger der Unfallversicherung unverzüglich anzuzeigen, sobald Anhalt dafür vorliegt, daß die Krankheit durch einen Unfall herbeigeführt worden ist, den die Unfallversicherung umfaßt. Die Krankenkasse hat ferner dem Träger der Unfallversicherung unverzüglich Anzeige zu erstatten, wenn sie auf Grund des § 559 g mit Leistungen an Krankenpflege beginnt. Zu der Anzeige ist der geschäftsleitende Angestellte der Kasse verpflichtet, wenn nicht der Vorstand damit einen anderen beauftragt. Die Anzeige^an eine Berufsgenossenschaft, die in Sektionen eingeteilt ist, hat an den ^ektions-

8 1501.

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911.

£§ 1496—1609.

981

vorstand zu ergehen, falls nicht der Genossenschaftsvorstand der Kasse eine an­ dere Stelle bezeichnet. Das Versicherungsamt kann wegen Unterlassung der Anzeige eine Ord­ nungsstrafe in Geld festsetzen; auf Beschwerde entscheidet das Oberversicherungs­ amt endgültig. 8 1504. Ist eine Krankheit die Folge eines UnMls, für den der Träger der.Unfallversicherung zu entschädigen hat, so gelten für das Verhältnis zwischen der Krankenkasse und dem Träger der Unfallversicherung die §§ 1505 bis 1509. 8 1505. Die Aufwendungen für das Heilverfahren gehen zu Lasten des Trägers der Unfallversicherung. Wenn der Anspruch des Verletzten auf Krankengeld aus der Krankend­ versicherung vor dem Ablauf der achten Woche nach dem Unfall wegfältt, so gehen die Aufwendungen für das Heilverfahren bis zum Wegfall des Kranken­ geldes zu Lasten der Krankenkasse, soweit sie nicht über das hinausgehen, was die Krankenkasse auf Grund der Krankenversicherung zu leisten hat.

8 1506. Die Aufwendungen für wiederkehrende 'Geldleistungen, die dem Verletzten während der ersten acht Wochen nach dem Unfall gewährt werden, gehen zu Lasten der Krankenkasse, soweit sie nicht über das hinausgehen, was die Krankenkasse auf Grund der Krankenversicherung zu leisten, hat, im übrigen zu Lasten des Trägers der Unfallversicherung. Die Aufwendungen für wiederkehrende Geldleistungen, die denl Verletzten von: Beginn der neunten Woche an gewährt werden, gehen zu Lasten des Prä­ gers der Unfallversicherung. Zu Lasten der Krankenkasse bleiben aber 1. für die Zeit, in der der Träger der Unfallversicherung zur Gewährung einer Rente nicht verpflichtet ist, ihre Aufwendungen, die zwei Drittel des Grundlohns übersteigen, 2. für die spätere Zeit ihre Aufwendungen, soweit sie über das hinausgehen, was der Träger der Unfallversicherung auf Grund der Unfall­ versicherung zu leisten hat.

8 1507. Im Sinne der §§ 1505, 1506 gelten als Aufwendungen 1. für wiederkehrende Geldleistungen die Aufwendungen für das Krankengeld und das Hausgeld aus der Krankenversicherung, für die Verletztenrente, das Krankengeld, Tage­ geld, Familiengeld aus der Unfallversicherung, für den Unterhalt des Verletzten bei Krankenhäuspflege, Heilanstaltpflege oder Anstaltpflege und für die nach § 185 gewährte Hilfe und Wartung, soweit dafür Krankengeld abgezogen wird, 2. für Heilverfahren die Aufwendungen für Krankenpflege, für Hilfe und Wartung nach §. 185 und für Krankenhauspflege aus der Krankenversicherung, für Banken­ behandlung einschließlich des Pflegegeldes aus der Unfallversicherung, soweit diese Leistungen nicht nach Nr. 1 als wiederkehrende Geld­ leistungen gelten. 8 1508. Das Sterbegeld aus der Krankenversicherung geht zu Lasten des Trägers der Unfallversicherung, soweit es das von ihm zu gewährende Sterbe­ geld nicht übersteigt. 8 1509. Hat die Krankenkasse Aufwendungen, die nach den §,§ 1505 bis 1508 zu Lasten des Trägers der Unfallversicherung gehen, gemacht, so hat er sie ihr zu ersetzen. Hat der Träger der Unfallversicherung Aufwendungen, die zu Lasten der Krankenkasse gehen, gemacht, so hat sie sie ihm zu ersetzen. Der Ersatzanspruch ist ausgeschlossen, wenn er nicht spätestens drei Mo­ nate nach Beendigung der Leistungen bei dem zum Ersätze Verpflichteten geltend gemacht wird. Hat jedoch der Ersatzberechtigte ohne sein Verschulden erst nach Ablauf dieser Zeit Kenntnis davon erhalten, daß die Voraussetzungen für einen Ersatzanspruch zutreffen, so kann er noch innerhalb einer Woche nach dem Tage, an dem er diese Kenntnis erlangt hat, den Anspruch geltend machen.

982

Anhang.

Die Krankenkasse hat keinen Anspruch auf Ersatz für Aufwendungen für das Heilverfahren, wenn sie die im § 1503 vorgeschriebene Anzeige nicht recht­ zeitig erstattet. 8 1510» Der Träger der Unfallversicherung kann mit der Durchführung der Krankenbehandlung und mit der Gewährung der während der Kranken hehandlung ihm obliegenden Geldleistungen an den Verletzten oder seine Angehörigen eine Krankenkasse in dem Umfange beauftragen, den er für geboten hält. Das Reichsversicherungsamt gibt Bestimmungen darüber, welche Kranken­ kasse er beauftragen kann. Der Träger der Unfallversicherung hat dem Beauftragten die aus dein Auftrag erwachsenen Kosten zu ersetzen, soweit nicht diese Kosten nach den §§ 1505 bis 1509 zu Lasten der Krankenkasse gehen. 8 1511. Die Krankenkasse kann die Feststellung der Unfallentschädigung betreiben, auch Rechtsmittel einlegen. Der Ablauf von Fristen, die ohne ihr Verschulden verstrichen sind, wirn nicht gegen sie; dies gilt nicht für Ver-fahrenssristen, soweit die Krankenkasse das Verfahren selbst betreibt. 8 1512. Bei Streit zwischen dem Träger der Unfallversicherung und einer Kasse aus 8 1501 oder aus dem Auftrag (§ 1510) entscheidet das Versicherungs­ amt endgültig, wenn es sich nicht um einen Anspruch auf Ersatz oder Ent­ schädigung handelt. Streit über Ansprüche auf Ersatz oder Entschädigung aus den §§ 1501, 1505 bis 1510 wird im Spruchverfahren entschieden. 8 1513. Das Reichsversicherungsamt kann Näheres zur Durchführung der §§ 1502 bis 1512 bestimmen Es kann auch bestimmen, inwieweit Ersatz durch Pauschbeträge zu gewähren ist. 88 1514 bis 1517 sind weggefallen.

II. Krankenversicherung und Invalidenversicherung. 88 1518-1520. -----------8 1521 ist weggefallen.

88

III. Unfallversicherung und Invalidenversicherung. 1522-1520. ----------

Zweiter Abschnitt.

Beziehungen zu anderen verpflichteten. 88 1527-1543.

-----------Dritter Abschnitt.

Beziehungen der Grsatzkaffen zu Trägern der Reichsverstcherung und zu anderen verpflichteten. 8 1543 a.

------------Vierter Ab schnitt.

Beziehungen der Träger der Unfallverstcherung zu anderen verpflichteten. 88 1543 b—1543 d. 8 1544 ist weggefallen.

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Sechstes Buch.

Verfahren. A. Feststellung 8er Leistungen. Erster Abschnitt.

Feststellung durch die BerstcheruugStrSger I. Siuleituug M verfahre»». 88 1545- 1550.

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911.

g 1551.

-

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II. Krankenverficher»«-. — — — III. NnfaNverfichernng.

§§ 1510—1561.

983



1. Unfallanzeige.

§ 1552. Der Betriebsunternehmer hat jeden Unfall in seinem Betrieb anzuzeigen wenn durch den Unfall ein im Betriebe Beschäftigter getötet oder so verletzt ist, daß er stirbt oder für mehr als drei Tage völlig oder teilweise arbeitsunfähig wird. Der Unfall ist binnen drei Tagen anzuzeigen, nachdem der Betriebsunter­ nehmer ihn erfahren hat. 8 1553. Die Anzeige ist schriftlich oder mündlich der Ortspolizeibehörd-e des Unfallorts und der durch die Satzung des Versicherungsträgers bestimmten Stelle zu erstatten. Ereignet sich der Unfall auf der Reise, so kann er auch der inländischen Ortspolizeibehörde angezeigt werden, in deren Bezirke sich der Verletzte zuerst nach dem Unfall aufhält. Ereignet sich der Unfall im Ausland und ist keine nach Abs. 2 zustärrdige Behörde im Inland vorhanden, so ist er der Ortspolizeibehörde des inländischen Betriebsitzes anzuzeigen. Die oberste Verwaltungsbehörde kann bestimmen, daß Unternehmer von Betrieben, die der gewerblichen Unfallversicherung unterliegen, die Anzeige an die Ortspolizeibehörde schriftlich unter Beifügung einer Abschrift erstatten uno daß die Ortspolizeibehörde die Abschrift an den zuständigen Gewerbeaussichts­ beamten weitergibt. 8 1554. Für den Betriebsunternehmer kann der Leiter des Betriebs oder Betriebsteils, in dem sich der Unfall ereignet hat, die Anzeigen erstatten. Er ist dazu verpflichtet, wenn der Unternehmer abwesend oder verhindert ist. 8 1555. Das Reichsversicherungsamt stellt die Muster für die Unfallan­ zeigen fest. 8 1556. Wird der Unfall nicht oder zu spät angezeigt, so kann 5er Vor­ stand der Berufsgenossenschaft gegen den Verpflichteten Ordnungsstrafe in Geld verhängen. Dies gilt auch im Falle des § 913 Abs. 1 und der entsprechenden Vor­ schrift für die landwirtschaftliche Unfallversicherung (§ 1045). § 913 Abs. 2, 3, §§ 1045, 1223 gelten entsprechend. Auf Beschwerde entscheidet das Oberversicherungsamt (Beschlußkammer) endgültig. 8 1557. Die Vorstände der vom Reiche oder von einem Lande verwal­ teten Betriebe erstatten die Anzeige der vorgesetzten Dienstbehörde nach deren näherer Anweisung. 8 1558. Die Vorschriften über die Unfallanzeige gelten entsprechend für Unfälle bei einer versicherten Tätigkeit, die keinem versicherten Betriebe zu­ gehört. 2. Unfalluntersuchung. 8 1559. Ist ein Versicherter getötet oder derart verletzt worden, daß er voraussichtlich nach acht Wochen noch nicht wieder voll erwerbsfähig ist, so untersucht die Ortspolizeibehörde des Unfallorts sobald als möglich den Unfall. Die Ortspolizeibehörde hat den Unfall auch dann zu untersuchen, wenn es ein nach diesem Gesetze zur Leistung Verpflichteter beantragt. . Der Versicherte kann die Untersuchung des Unfalls bei dem Versicherungs­ amte beantragen. Dieses kann die Ortspolizeibehörde ersuchen, dem Antrag zu entsprechen. 8 1560. Unfälle, die sich auf der Reise oder im Ausland ereignen, unter­ sucht die Ortspolizeibehörde, der sie angezeigt werden. Die höhere Verwaltungsbehörde kann auf Antrag eines nach § 1562 Be­ teiligten die Untersuchung einer anderen Ortspolizeibehörde übertragen. 8 1561. Bei den vom Reich oder von einem Lande verwalteten Betrieben bestimmt die vorgesetzte Dienstbehörde, wer den Unfall zu untersuchen hat.

984

Anhang.

8 1662, An der Untersuchung können teilnehmen oder sich dabei vertreten lassen

der Verletzte oder seine Hinterbliebenen, der Träger der Unfall- und der Krankenversicherung, der Unternehmer, das Versicherungsamt, bei Unfällen in Betrieben, die der Gewerbeaufsicht unterliegen, der staat­ liche Aufsichtsbeamte (§ 139 b der Gewerbeordnung). § 1563. Diese Beteiligten werden vom Zeitpunkt der Untersuchung recht­ zeitig benachrichtigt. Ist die Berufsgenossenschast in Sektionen geteilt oder hat sie Vertrauens­ männer bestellt, so wird der Sektionsvorstand oder der Vertrauensmann benach­ richtigt. Ist der Präger der Krankenversicherung der Reichsknappschaftsverein, so wird der Vorstand des Bezirksknappschastsvereins oder der besonderen Krankenkasse benachrichtigt Zur Untersuchung sollen auch etwa sonst Beteiligte zugezogen werden. Der Verletzte oder seine Hinterbliebenen können erwachsene Angehörige oder andere geeignete Personen, die das Verhandeln vor Behörden Glicht ge­ schäftsmäßig betreiben, als Beistand zu den Verhandlungen zuziehen.

8 1564. Die Ortspolizeibehörde stellt den Sachverhalt fest. Sie kann Ermittlungen jeder Art mit Ausschluß eidlicher Vernehmungen anstellen. Auf Antrag der Versicherungsträger oder des Berechtigten sollen Sach­ verständige zugezogen werden; die Kosten trägt der Antragsteller. Soll im Dienstraum einer Behörde oder in einem Fahrzeug der Reichs­ marine Augenschein eingenommen werden, so ist die Genehmigung der zustän­ digen Dienst- oder Kommandobehörde einzuholen. 8 1565. Durch die Untersuchung werden namentlich festgestellt Veranlassung, Zeit, Ort, Hergang und Art des Unfalls, Name der getöteten oder verletzten Person, sowie Tag und Ort ihrer Geburt, die Art der Verletzung, der Verbleib des Verletzten, die Hinterbliebenen des Getöteten und die Angehörigen des Verletzten, die eine Entschädigung nach diesem Gesetze beanspruchen können, die Höhe von Unterstützungen und Renten, die der Verletzte aus der Reichsversicherung bezieht. 8 1566. Das Reichsversicherungsamt kann nähere Bestimmungen über die Niederschrift der Untersuchungsverhandlungen erlassen.

8 1567. Sobald die Untersuchung abgeschlossen ist, übersendet die Orts­ polizeibehörde die Verhandlungen dem Versicherungsträger. Die Beteiligten können Einsicht in die Verhandlungen und Abschrift ver­ langen. Für die Abschrift können Schreibgebühren erhoben werden. 3. Entscheidung der Versicherungsträger.

a) Allqemeiire Bsrfchrifteu.

8 1568. Die Leistungen der Unfallversicherung werden festgestellt 1. durch den Sektionsvorstand, wenn die Berufsgenossenschaft in Sektionen eingeteilt ist und es sich handelt um a) Krankenbehandlung (§ 558 Nr. 1) oder Berufssürsorge (§, 558 Nr. 2), b) Rente für die Dauer einer voraussichtlich vorübergehenden Erwerbs­ unfähigkeit, c) Krankengeld, Tagegeld oder Familiengeld, d) Sterbegeld oder Witwenbeihilfe; 2. durch den Genossenschaftsvorstand in allen übrigen Fällen.

Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911.

§§ 1562—1574.

985

§ 1569, Die Satzung der Berufsgenossenschaft kann die Feststellung über­ tragen 1. in den Fällen des g 1568 Nr. 1 dem Genossenschaftsvorstand, einem Ausschuß des Genossenschaft^- oder Sektionsvorstandes, besonderen Kommissionen, örtlichen Beauftragten (Vertrauensmännern-; 2. in den Fällen des § 1568 Nr. 2 dem Sektionsvorstand, einem Ausschuß des Genossenschafts- oder Sektionsvorstandes, besonderen Kommissionen. 1569 a. Eine förmliche Feststellung hat zu geschehen, wenn es sich handelt um 1. Gewährung von Renten, die nicht nur für die Vergangenheit gewährt werden, 2. Änderung, Entziehung und Ruhen von Renten, 3. Pflege, Heilanstaltpflege oder Anstaltpflege, 4. Abfindung. Im übrigen erfolgt eine f «rmliche ^estftc-llui.g = iir Hilf An^ag deo Be rechtigten oder Anweisung der Aufsichtsbehörde g 1569d. Bei jeder Berufsgenossenschaft müssen Einrichtungen getroffen werden, die sicherstellen, daß an der förmlichen Feststellung der Leistungen mindestens ein Vertreter der Versicherten beteiligt wird Die Satzung be­ stimmt das Nähere Bis zum Zustandekommen einer Satzungsbestimmung er­ läßt der Genossenschaftsvorstand die erforderlichen Anordnungen § 1570. Die Ausführungsbestimmungen bezeichnen die Behörde, welche die Leistungen feststellt, wenn ein anderer Träger der Unfallversicherung an die Stelle der Berufsgenossenschaft tritt. Sie treffen die im § 1569 b Satz 1 be­ zeichneten Einrichtungen. § 1571. Hält der Versicherungsträger die Sache nicht für genügend auf­ geklärt, so hat er, vorbehaltlich des § 1572, weitere Ermittlungen anzustellen. Sollen Zeugen oder Sachverständige im Wege der Rechtshilfe eidlich ver­ nommen werden, so soll das Versicherungsamt ersucht werden. Unterliegt die Beweisaufnahme vor dem Versicherungsamt erheblichen Schwierigkeiten, ins­ besondere wegen großer Entfernung des Aufenthalts des Zeugen von dem Sitze des Versicherungsamts, oder ist Gefahr im Verzüge, so kann auch das Amtsgericht ersucht werden. Um eidliche Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen darf der Versicherungsträger nur ersuchen, wenn er die Vereidigung für notwendig hält, um eine wahre Aussage herbeizuführen Wird das Ersuchen um eine Beweisaufnahme von dem Amtsgericht abge­ lehnt, so entscheidet das Oberlandesgericht endgültig.

g 1572. Auf Ersuchen des Bersicherungsträgers hat das Versicherungs­ amt den gesamten Sachverhalt aufzuklären und sich gutachtlich zu äußern. Es entscheidet nach freiem Ermessen, welche Ermittlungen erforderlich sind. Für die Zuständigkeit des Versicherungsamts gelten die §§ 1637 bis 1639 entsprechend. g 1573. Bei Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen ist den Beteiligten Gelegenheit zur Teilnahme zu gewähren.

g 1574. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Pflicht, als Zeuge oder Sachverständiger zu erscheinen, sich vernehmen und vereidigen zu lassen, gelten für das Verfahren vor dem ersuchten Richter entsprechend. Die Aussage darf nicht deshalb verweigert werden, weil dieses Gesetz eine Schweige­ pflicht begründet. Ob die Aussage oder die Eidesleistung verweigert werden darf, entscheidet der ersuchte Richter. Gegen dessen Entscheidung ist binnen einer Woche Be-

986

Anhang.

schwerde an das zunächst höhere Gericht nach den Vorschriften der Zivilprozeß­ ordnung zulässig.

8 1575. Die Vorschriften des § 1574 gelten auch, soweit die §§ 1576 bis 1579 nichts anderes vorschreiben, für das Verfahren vor dem Versicherungsamte. 8 1576. Ist das Bersicherungsamt um die Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen ersucht, so entscheidet dieses darüber, ob die Aussage oder die Eidesleistung verweigert werden darf. Gegen dessen Entscheidung ist binnen einer Woche Beschwerde an das Oberversicherungsamt zulässig. Das Ober­ versicherungsamt (Beschlußkammer) entscheidet endgültig. 8 1577. Gegen Zeugen oder Sachverständige, die sich nicht einfinden, ihre Aussage oder die Eidesleistung ohne Angabe eines Grundes oder, nachdem der vorgeschützte Grund rechtskräftig für unerheblich erklärt ist, verweigern, kann nur Ordnungsstrafe in Geld verhängt werden. Die Strafe verhängt das Versicherungsamt. Für die Beschwerde gilt § 1576 Satz 2, 3. 8 1578. Soldaten und Militärbeamte werden als Zeugen oder Sachver­ ständige aus Ersuchen von ihrer Dienststelle geladen 8 1579. Die Zeugen und Sachverständigen erhalten Gebühren wie bei Vernehmungen vor dem ordentlichen Gericht in bürgerlichen Rechtsstreitig­ keiten. Auf Beschwerde gegen die Festsetzung der Gebühren entscheidet das Ober­ versicherungsamt endgültig. 8 1580. Verweigert der Unternehmer dem Versicherungsträger die Ein­ nahme des Augenscheins, so entscheidet das Versicherungsamt, ob und in welcher Weise der Augenschein stattfinden soll. Das Versicherungsamt kann die Einnahme des Augenscheins selbst vor­ nehmen und sich dabei der Mitwirkung der Ortspolizeibehörde bedienen oder die Ortspolizeibehörde darum ersuchen. Die Beschwerde bewirkt Aufschub. Für de.n Augenschein im Dienstraum einer Behörde oder in einem Fahr­ zeug der Reichsmarine gilt § 1564 Abs. 3. Die oberste Verwaltungsbehörde bestimmt, wie weit Abs. 1 bis 3 für Be­ triebe gilt, die unter bergpolizeilicher Aufsicht stehen. 8 1581. Der Unternehmer hat der Genossenschaft auf Verlangen binnen einer Woche den Entgelt nachzuweisen, der für die Berechnung der Entschädi­ gung maßgebend ist. Er hat zu diesem Zwecke fortlaufende Aufzeichnungen über den von den einzelnen Versicherten verdienten Entgelt zu führen. Das Nähere bestimmt die Satzung. Weist der Unternehmer den Entgelt nicht nach oder enthält der Nach­ weis Angaben, deren Unrichtigkeit der Unternehmer kannte oder den Umständen nach kennen mußte, so kann er mit Ordnungsstrafe in Geld bestraft werden. Die Strafe verhängt der Genossenschaftsvorstand. Auf Beschwerde ent­ scheidet das Oberversicherungsamt endgültig. Diese Vorschriften gelten auch gegenüber den Personen, die im § 912, § 913 Abs. 1, § 1220 und in den entsprechenden Vorschriften für die landwirt­ schaftliche und die See-Unfallversicherung (§§ 1045, 1222) bezeichnet sind. § 913 Abs. 2, 3, §§ 1045, 1223 gelten entsprechend.

8 1582. Soll auf Grund eines ärztlichen Gutachtens die Entschädigung abgelehnt oder nur eine Teilrente gewährt werden, so soll vorher der behan­ delnde Arzt gehört werden, wenn er.nicht schon ein ausreichendes Gutachten erstattet hat. Er muß auf Verlangen des Verletzten gehört werden. Steht der behandelnde Arzt zu dem -Versicherungsträger in einem nicht nur vorübergehenden Vertragsverhältnis, so ist auf Antrag ein anderer Arzt zu hören

ReichsversicherungSordnung v. 19. Juli 1911.

987

§§ 1575—1746.

b) Bescheid.

88

1583-1591.

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--

88 1592 bis 1607 sind weggesallen

88 1608-1612.

c) Soustige Vorschriste«. ------------

88 1613-1635.

IV. Invalidenversicherung. ----------Z weiter Abschnitt.

Feststellung im Spruchverfahren. I. Verfahre« der dem VerficheruugSamte. 88 1636—1674. - — - — —

88







-

II. Verfahre« dar dem OberverficherungSamte. 1675-1693. -----------

III. Verfahren vor dem Aeich-versicheruuqSamte sLandeSverstchernna-amte). 88 1694-1721. --------88

IV. Wiederaufnahme des Verfahre«-. 1722-1734. -----------Dritter Abschnitt.

Besondere Arten deS Verfahrens. I. Streit mehrerer BerficheruugStrSger über die Entschädigung-Pflicht. 88 1735-1738 a. -----------

88 1739-1742.

II. Verteilung-Verfahren. ------

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-

-

III. Feststell««g der Anwartschaft aus Witwenrente.

8 1743 ist weggesallen. IV. Anfechtung endgültiger Bescheide der Versicherung-träger. 8 1744. ------------Vierter Abschnitt.

Besondere Vorschriften für die See-Uufallverficheruug I. Allgemeine Vorschrift 8 1745. Die Vorschriften über die Feststellung der Leistungen gelten, soweit die §§ 1746 bis 1770 nichts anderes vorschreiben, auch für oie SeeUnfallversicherung.

II. Unfallanzeige.

8 1746. Ein Unfall, den ein auf einem Seefahrzeuge Beschäftigter während der Reise erleidet und der die im § 1552 Ws. 1 bezeichneten Folgen hat, ist in das Tagebuch (Schiffsjournal, Loggbuch) einzutragen und dort oder in einem Anhang kurz darzustellen.

988

Anhang.

Ist kein Tagebuch zu führen, so hat der Schiffsführer solche Unfälle in einer besonderen Niederschrift nachzuweisen. § 1747. Der Schiffsführer hat von jedem Eintrag dieser Art eine von ihm beglaubigte Abschrift dem Seemannsamte zu übergeben, bei dem es zuerst geschehen kann. Statt dessen kann er auch das Tagebuch oder die Niederschrift dem Seemannsamte zur Abschrift des Eintrags vorlegen. Das Seemannsamt gibt das Tagebuch oder die Niederschrift binnen vierundzwanzig Stunden zurück. 8 1748. Ereignet sich der Unfall im Inland vor oder nach der Reise, so hat ihn der Schiffssührer spätestens am dritten Tage, nachdem er ihn erfahren hat, dem Seemannsamt oder, wo keines am Orte ist, der Ortspolizeibehörde sowie dem durch die Satzung bestimmten Genossenschaftsorgan an­ zuzeigen.

88 1749-1752. III. Uafallaaterfachuag.

8 1753. Der Unfall ist von einem Seemannsamt oder von einer Orts­ polizeibehörde de§ Inlandes unter entsprechender Anwendung des § 1559, § 1563 Abs. 5, der §§ 1564 bis 1567 zu untersuchen. An die Stelle der §§ 1560 bis 1562, des § 1563 Abs. 1 bis 4 treten die §§ 1754 bis 1766.

8 1754. Ist der Unfall im Ausland zu untersuchen, so hat der Schiffs­ führer vor dem deutschen Seemannsamte (Konsulate), vor dem es zuerst ge­ schehen kann, unter Zuziehung von zwei Schiffsofsizieren oder anderen glaub­ würdigen Personen eine eidesstattliche Erklärung über die Tatsachen abzugeben, die nach § 1565 festzustellen sind. Das Seemannsamt kann, um den Sachverhalt festzustellen, auch noch andere Personen eidesstattlich vernehmen und andere Beweise erheben.

88 1755-1766.



-





-

IV. Strafvorschriftei,. 8 1767. Verletzt der Verpflichtete die Vorschriften über die Eintragung in das Tagebuch (Schiffsjournal) oder andere Nachweisung der Unfälle, Mitteilung der Eintragung, Abgabe eidesstattlicher Erklärungen, Herbeiführung der Unsalluntersuchung, so kann der Vorstand der Genossenschaft gegen ihn Ordnungsstrafe in Geld verhängen. Der Reeder haftet für die Strafen, die ihm oder dem Schiffssührer auferlegt sind, nach § 1183. Aus Beschwerde entscheidet das Oberversicherungsamt endgültig.

V. AuftLndigkeit der FeftftellnngSorgaae. 88 1768, 1769.























VI. Streitsache». 8 1770.

— Fünfter Abschnitt.

Besondere Borschristen für daS »erfahren über Berufsfürsorge.

8 1770a. Der Reichsarbeitsminister kann mit Zustimmung des Reichsrats das Verfahren über Berufsfürsorge (§ 558 Nr. 2) abweichend von dem Fest­ stellungsverfahren in der Unfallversicherung regeln.

Änderung des Angestelltenversicherungsgesetzes v. 28. Juli 1925.

989

Sechster A b s ch u i t t.

Verfahren bei Leistungen besonderer Einrichtungen nach S 848 Rr. 2. 8 1770 b» — — — — — 88

1771-1779.

B. Andere GHrrrchfachen. - -- -- --

88

1780-1801.

C. »eschlutzderfahren. -----------

88

1802-1805.

D. Kosten und Gebühren. -----------

--

--

2. Angestelltenversicherungsgesetz. (s o S 268)

Gesetz über Ar»Sb«r» der A«gestellten- und Juvalideuverfichervng «nd über GesuudheitSsürsorge in der ReichSverficheruug. Bom 28

Juli 1925

(RGBl I S 157)

A. Änderungen des Angestelltenverficherungsgesetzes. Artikel I. Umfang der Berstcherung.

Dem § 1 Abs. 3 wird als Satz 2 angefügt: „Die Altersgrenze gilt nicht, wenn ein nach dem Vierten Buche der Reichs­ versicherungsordnung Versicherter in eine nach diesem Gesetze versiche­ rungspflichtige Beschäftigung übertritt" 2 Im § 18 Abs 1 Satz 2 tritt an Stelle des Buchstaben „A" der Buch­ stabe „C" 3 Im § 18 Abs. 2 werden nach den Worten „landesrechtlichen Regelung" eingefügt die Worte: „oder nach einer vom Reichsarbeitsminister be­ zeichneten anderen Vorschrift" 4 Der § 22 Abs. 1 erhält folgende Fassung: „Zum freiwilligen Eintritt in die Versicherung (Selbstversicherung) sind bis zum vollendeten vierzigsten Lebensjahre berechtigt 1 die im 1 Abs. 1 genannten Angestellten, wenn ihr Jahresarbeitsver­ dienst die für die Versicherungspflicht festgesetzte Grenze übersteigt, 2 Personen, die für eigene Rechnung eine ähnliche Tätigkeit wie die im § 1 Genannten aus üben, 3 Personen, die nach §§ 9, 10, § 12 Nr 4 versicherungsfrei sind " 1

Artikel II. Gegenstand der Berstcherung.

1

Im III. Abschnitt (Hinterbliebenenrenten) fällt der § 40 weg.

2 Im IV. Abschnitt (Heilverfahren) wird eingefügt: „8 49 a. Die Reichsversicherungsanstalt kann mit Genehmigung des Reichsarbeitsministers Mittel aufwenden, um allgemeine Maßnahmen zur Hebung der gesundheitlichen Verhältnisse der versicherten Bevölkerung zu fördern oder durchzuführen Die Genehmigung kann auch für Pausch­ beträge erteilt werden."

990

Anhang.

3 Im § 56 werden die Zahl „360" durch die Zahl „480" und das Wort „zehn" durch das Wort „fünfzehn" ersetzt. 4 Im § 58 Abs. 1 fällt das Wort „eheliche" weg. 5. Im § 58 Abs. 1 wird die Zahl „36" durch die Zahl „90" ersetzt. 6. Der § 62 erhält folgenden Abs. 2: „Die Vorschriften des Abs. 1 gelten auch für Versicherte, die durch Ein­ tritt in eine Schwesternschaft oder religiöse Gemeinschaft aus der Versicherungspflicht ausscheiden und sich nicht freiwillig weiterversichern." 7 Im § 63 Abs. 1 Satz 2 wird nach den Worten „mit dem" das Wort „dreifachen" eingefügt 8 Im § 80 werden die Worte „Unterstützt eine Gemeinde oder ein Für­ sorgeverband" ersetzt durch die Worte: „Unterstützt eine Gemeinde oder ein Fürsorgeverband als Träger der Armenfürsorge". 9 Im § 84 werden nach dem Worte „Fürsorgeverband" eingefügt die Worte „als Trager der Armenfürsorge"

Artikel III. 1

2 3 4

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9

Aufbringung der Mittel. Im § 168 erhält Abs 2 folgenden Satz 2: „Für Versicherte, deren monatliches Entgelt fünfzig Reichsmark nicht übersteigt, sowie für Lehrlinge entrichtet der Arbeitgeber die vollen Bei­ träge." Im § 170 Abs. 5 wird im zweiten Satze hinter dem Worte „Beitrags­ monate" eingefügt: „für die Erfüllung der Wartezeit und". Die Überschrift vor § 171 lautet: „2. Gehalts- und Beitragsklassen". Der § 171 Abs. 1 erhält folgende Fassung: „Nach der Höhe) bes monatlichen Arbeitsverdienstes werden für die Versicherungspflichtigen folgende Gehaltsklassen gebildet: Klasse A bis zu 50 Reichsmark, B von mehr ~ als ------50 bis zu 100 Reichsmark, C von mehr als 100 bis zu 200 Reichsmark, D von mehr als 200 bis zu 300 Reichsmark, E von mehr als 300 bis zu 400 Reichsmark, F von mehr als 400 Reichsmark." Als § 171a wird eingefügt: „Für freiwillige Beitragsentrichtung (§ 184 Abs 2 Satz 2, § 185) werden die Beitragsklassen G und H gebildet." Der § 172 Abs. 1 erhält folgende Fassung: „Der Monatsbeitrag beträgt in der Gehaltsklasse A . . 2 Reichsmark, 4 B . . . . C ... . 8 D ... . 12 E . . . . . 16 . 20 .... „ F........................ Als § 172 a wird eingesügt: „Der freiwillige Monatsbeitrag beträgt 25 Reichsmark, in der Beitragsklasse G . . . . .... .. H . . . 30 Im § 183 Abs. 1 treten an die Stelle der Worte „Der Versicherungs­ pflichtige muß sich" die Worte „Unbeschadet des § 168 Abs. 2 muß sich der Versicherungspflichtige" Der § 185 erhält folgende Fassung: „Die freiwillige Weiterversicherung ist nicht unter derjenigen Gehalts­ klasse zulässig, die dem Durchschnitt der letzten vier Pflichtbeiträge ent*

Änderung des Angestelltenversicherungsgesetzes v. 28. Juli 1925.

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spricht oder am nächsten kommt. Sie ist in einer niedrigeren Gehalts­ klasse zulässig, wenn der Versicherte nachweist, daß diese Gehaltsklasse seinem Einkommen entspricht. Im Falle der Selbstversicherung (§ 22) sind die Beiträge nicht unter der dem jeweiligen Einkommen entsprechenden Gehalts klasse zu entrichten " 10 Im. § 190 Abs. 2 wird als Satz 2 angefügt: „Sind für einen Versicherten Beiträge zur Angestelltenversicherung ent­ richtet, obwohl et rnvalidenversicherungspflichtig ist, so dürfen die zur Angestelltenversicherung entrichteten Beiträge nur insoweit beanstandet werden, als die Nachentrichtung von Beiträgen zur Invalidenversicherung f§ 1442 der Reichsversicherungsordnung) statthaft ist."

Artikel IV Private PenfionSeinrichtungen.

Verträge mit LebenSverficherungeu.

1 Der § 363 erhält folgende Fassung: „Die Beteiligung bei einer nach dem Bersicherungsgesetze für Angestellte vom 20 Dezember 1911 (Reichsgesetzbl. S. 989) zugelassenen Ersatzkasse gilt, unbeschadet des § 393 für die Angestellten derjenigen Unternehmun­ gen, für die die Zulassung erfolgt ist, der Versicherung bei der Reichs­ versicherungsanstalt gleich. Scheidet ein Angestellter aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung bei einer solchen Unternehmung aus, so kann er sich bei der Ersatzkasse weiterversichern (§ 21)/' 2 Der § 365 erhält folgenden Abs. 2: „§ 49 a gilt sinngemäß auch für die Ersatzkassen." 3. Im § 371 Abs. 2 Satz 1 werden die Worte „Oberversicherungsämter und des Reichsversicherungsamts" ersetzt durch das Wort „Bersiche-rungsbehörden" 4 Im § 376 Abs. 1 werden im ersten Satze die Worte „die Hälfte des Beitrags ihrer Gehaltsklasse" durch die Worte „die Beiträge, Die dem halben Jahresarbeitsverdl'enst entsprechen" ersetzt. 5 Der § 376 Abs. 2 erhält folgenden Satz 2: „Erstattungsansprüche aus den §§ 61, 62, 385 sind ausgeschlossen."

Artikel V. Übergangs- nud Schlußvorschriften.

1 Der § 380 erhält folgende Fassung: „Angestellte, die beim Eintritt in die versicherungspflichtige Beschäfti­ gung das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet haben, werden auf ihren Antrag von der Bersicherungspflicht befreit, wenn ihnen die Abkürzung der Wartezeit nicht gestattet wird oder nicht zugemutet werden kann. Der Befreiungsantrag ist innerhalb der ersten drei Jahre nach Beginn der Bersicherungspflicht zu stellen Diese Vorschriften gelten entsprechend für Angestellte, die zwar schon versicherungspflichtig gewesen sind, aber die Anwartschaft verloren haben oder sie ohne die Vorschrift des § 54 Abs. 2 verloren hätten." 2 Im § 382 Abs. 1 wird folgender Satz 2 eingefügt: „Dies gilt auch für Versicherte, die sich in der Zeit vom 1 Januar 1913 bis zum Beginn ihres Kriegsdienstes noch in der Ausbildung für einen Angestelltenberuf befanden oder nach vorheriger Beschäftigung als An­ gestellter ihrer aktiven Dienstpflicht genügten und daher von der Versiche­ rungspflicht nicht erfaßt wurden." 3. Der § 383 erhält folgende Fassung: „In der Zeit vom 1 Januar 1913 bis zum Schlüsse des Jahres 1928 genügt zur Erfüllung der Wartezeit bei den Hinterbliebenenrenten die Zurttcklegung von sechzig Beitragsmonaten auf Grund der Bersicherungs­ pflicht.

992

4

5 6 7.

Anhang.

Für Neuversicherte gilt in den ersten fünfzehn Jahren seit der Her­ aufsetzung der Jahresarbeitsverdienstgrenze Abs 1 entsprechend." Der § 384 erhalt folgende Fassung: „Die Reichsversicherungsanstalt kann dem Versicherten nach vorhergehender ärztlicher Untersuchung gestatten, die Wartezeit (§ 53) durch Einzahlung der entsprechenden Deckungsmittel abzukürzen. Auch nach Erfüllung der Wartezeit ist unter den gleichen Voraussetzungen der Änkauf von Beitragsmonaten zulässig. Der Reichsarbeitsminister bestimmt das Nähere nach Anhören der Reichsversicherungsanstalt" Der § 388 Abs 1 erhält folgende Fassung: „Beiträge für die Zeit vor dem 1. September 1925 sind vom 10 Sep­ tember 1925 an nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu entrichten " Im § 389 Satz 3 wird das Wort „dreieinhalb" durch das Wort „sechs" ersetzt Hinter § 396 wird folgende Vorschrift eingefügt: „8 397* Zur Vermeidung unbilliger Härten kann die Reichsversiche­ rungsanstalt bis zum Ablauf des Jahres 1928 in Fällen, in denen die Wartezeit nicht erfüllt ist, aber mindestens einhundert Pflichtbeiträge geleistet sind, die Entrichtung freiwilliger Beiträge auch entgegen den Vorschriften des § 188 zulassen."

IV. Gesetze -etr. das Gewerbe- und Handelswesen, (o. S. 369 ff)

Gesetz zur Änderung des Gesetzes, betreffend die Grwerbsund Wirtschastsgenoffenschaften/) Vom 19

Januar 1926.

(RGBl I S 91.) Art. I. Im § 43 a des Gesetzes, betreffend die Erwerbs- und Wirtschafts­ genossenschaften, vom 1 Mai 1889 (Reichsgesetzbl. S. 55) in der Fassung der Bekanntmachung vom 20 Mai 1898 (Reichsgesetzbl. S. 810) und des Gesetzes vom 1 Juli 1922 (Reichsgesetzbl. I S. 567) tritt an die Stelle der Zahl „zehntausend" die Zahl „dreitausend" und an die Stelle der Zahl „dreitausend" die Zahl „eintausendfünfhundert". Art. II. Die §§ 154 bis 170 des Gesetzes, betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, vom 1. Mai 1889 (Reichsgesetzbl. S. 55) werden auf­ gehoben Auf die gemäß dem Gesetze vom 4. Juli 1868 eingetragenen Genossen­ schaften findet fortan ausschließlich das Gesetz, betreffend die Erwerbs- und Wirtschastsgenossenschaften, in seiner allgemein geltenden Fassung Anwendung.

!) S o. S. 425.

VI. Gesetz zur Vereinfachung des Militärstrafrechts v. 30. April 1926.

993

V. Gesetz zur Abänderung des Gesetzes zum Schutze

der Republik. Vom 31. März 1926. (RGBl. S. 190.) Art. I. Für die Strafsachen, bie zur Zett zur Zuständigkeit des Staats­ gerichtshofs zum Schutze der Republik gehören, sind vom 1 April 1926 an die ordentlichen Gerichte zuständig. Die bereits anhängigen Sachen gehen mit diesem Zeitpunkt in der Lage, in der sie sich befinden, auf die ordentlichen Gerichte über. Eine begonnene Hauptverhandlung ist nach den bisherigen Vorschriften zu Ende zu führen. Mit dem gleichen Zeitpunkt treten § 12 Abs. 2 Satz 7, § 12 Abs. 3, mit Ausnahme des letzten Satzes und § 13 des Gesetzes zum Schutze der Repu­ blik, unbeschadet der Vorschrift des Abs. 2 dieses Artikels, außer Kraft. Geht eine Sache, in der bereits die Anklageschrift beim Staatsgerichts­ hof zum Schutze der Republik eingereicht worden war, auf die Amtsgerichte über, so findet die Hauptverhandlung vor dem Schöffengerichte statt; zur Hauptverhandlung ist ein zweiter Amtsrichter zuzuziehen. Wird ein Urteil des Staatsgerichtshofs zum Schutze., der Republik mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens angefochten, so entscheidet darüber, ob der Antrag zulässig und begründet ist, das Reichsgericht. Die erneute Hauptverhandlung findet vor dem Reichsgerichte statt. Für die bei der Vollstreckung eines vom Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik erlassenen Urteils notwendig werdenden gerichtlichen Entschei­ dungen (§ 462 der Strafprozeßordnung) ist das Reichsgericht zuständig. Art. II. Das Gerichtsverfassungsgesetz wird wie folgt geändert: a) Im § 134 Abs. 1 wird als Satz 2 folgende Vorschrift eingestellt: In diesen Sachen trifft das Reichsgericht auch die im § 73 Abs. 1 bezeichneten Entscheidungen. b) § 137 fällt fort. c) § 139 Satz 2 wird durch folgende Vorschrift ersetzt: In erster Instanz entscheiden die Strafsenate außerhalb der Haupt­ verhandlung in einer Besetzung von drei Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden. Art. III. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. April 1926 in Kraft.

VI. Gesetz zur Vereinfachung des Militärstraftechts. Vom 30. April 1926.

(RGBl. I S. 197.)

Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird: Artikel I. Im Militärstrafgesetzbuch, im Einführungsgesetz und in der Anlage dazu werden ersetzt die Worte: „Personen des Soldatenstandes" durch „Soldat", „Deutsches Heer" durch „Reichswehr", „Kaiserliche Marine" durch „Reichsmarine", „Gemeine" durch „Mannschaften", „Bundesgebiet" durch „Reichsgebiet", „Kaiser" durch „Reichspräsident", „Kaiserliche Anordnung" durch „Anordnung des Reichspräsidenten". Allfeld, Strafgesetzgebung. 3. Aufl. 63

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Anhang.

§ 2 Abs. 2 und 3 des

Einführungsgesetzes zum

Militärstrafgesetzbuch

und

§ 9 Nr. 2 des Militärstrasgesetzbuches werden gestrichen.

1. 2.

3 4 5.

6.

1.

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3.

4. 5. 6.

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Artikel II. Es werden gestrichen: im Einführungsgesetze zum Militärstrafgesetzbuch der § 3; im Einführungsgesetze zur Militärstrafgerichtsordnung der § 18 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 und im § 10 die Worte „sowie in den Fällen des § 3 des Einführungsgesetzes zum Militärstrafgesetzbuch vom Disziplmarvorgesetzten"; in der Militärstrafgerichtsordnung die §§ 157 und 251; in der Strafprozeßordnung die §§ 435, 444 Abs. 2 Satz 3; in dem Gesetze, betreffend Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit vom 17 August 1920 der § 6 Abs. 1 Satz 4 und der § 7; in der Verordnung, betreffend die einstweilige Änderung der Militür/strafgerichtsordnung usw vom 5. Dezember 1918 lReichsgesetzbl. S 1422) in Nr. II Satz 2 die Worte „sofern nicht Disziplinarbestrafung nach § 3 des Einsührungsgesetzes zum Militärstrafgesetzbuch eintritt" und Satz 4 Artikel III Das Militärstrafgesetzbuch wird dahin geändert: § 12 wird durch folgende Vorschrift ersetzt: Eme Handlung ist vor versammelter Mannschaft begangen, wenn außer dem Vorgesetzten und dem einzelnen Beteiligten noch mindestens sieben (7) andere zu militärischem Dienste versammelte Soldaten gegenwärtig ge­ wesen sind Eine Handlung ist unter den Waffen begangen, wenn der Täter im Waffendienst unter dem Befehl eines Vorgesetzten gestanden hat An Bord von Schiffen der Reichsmarine steht dem Waffendienste der Gefechtsdienst und die Ausübung des militärischen, seemännischen oder technischen Wachddienstes gleich § 19 wird durch folgende Vorschrift ersetzt: § 19. Der Arrest zerfällt in Stubenarrest, gelinden Arrest und ge­ schärften Arrest. § 20 wird durch folgende Vorschrift ersetzt: 8 20. Der Stubenarrest findet gegen Offiziere und Unteroffiziere mit Portepee, der gelinde Arrest gegen Unteroffiziere und Mannschaften, der geschärfte Arrest gegen Unteroffiziere ohne Portepee und gegen Mann­ schaften statt. Im § 23 werden die Worte „Rittmeister" und „Subalternoffiziere" ersetzt durch die Worte „Rittmeister, Leutnants und Unteroffiziere mit Por­ tepee" Jnl § 25 Satz 2 werden die Worte „achten, zwölften" gestrichen. § 54 Abs. 2 Satz 2 wird durch folgende Vorschrift ersetzt: Sind die Arreststrafen ungleichartige, so gilt ein (1) Tag geschärften Arrestes gleich zwei (2) Tagen gelinden Arrestes, cm ll) Tag gelinden Arrestes gleich einem (1) Tage geschärften Stubenarrestes, ein fl) Tag gelinden Arrestes oder geschärften Stubenarrestes gleich zwei (2) Tagen Stubenarrestes. § 64 wird durch folgende Vorschrift ersetzt: Wer eigenmächtig seine Truppe oder Dienststelle verläßt oder ihnen fernbleibt, wird, wenn die Abwesenheit durch sein vorsätzliches oder fahr­ lässiges Verschulden länger als sieben (7), un Felde länger als drei (3) Tage dauert, wegen unerlaubter Entfernung mit Gefängnis oder Festungs­ haft bis zu zwei (2) Jahren bestraft. In minder schweren Fällen kann die Strafe bis auf vierzehn (14) Tage geschärften Arrestes ermäßigt werden § 65 wird durch folgende Vorschrift ersetzt: Ebenso (§ 64) wird bestraft, wer im Felde es vorsätzlich oder fahr­ lässig unterläßt, binnen drei (3) Tagen

VI. Gesetz zur Vereinfachung des Mlitärstrasrechts v. 30. April 1926.

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1. sich der Truppe, von der er abgekommen ist, oder einer anderen Truppe wieder anzuschließen, oder 2. sich nach beendeter Kriegsgefangenschaft bei einem Truppenteil zu melden Dasselbe gilt für denjenigen, der außerhalb der deutschen Hoheitsgrenzen von einem Schiffe oder Seetransport abgekommen ist und es vorsätzlich oder fahrlässig unterläßt, sich bei ihnen oder andern deutschen Schiffen oder Seetransporten oder bei eurer deutschen Behörde binnen drei Tagen zu melden. 9. § 66 wird gestrichen. 10. § 69 wird durch folgende Vorschrift ersetzt: Wer in der Absicht, sich der Verpflichtung zum Dienste in der Wehrmacht dauernd zu entziehen oder die Auflösung des Dienstverhältnisses zu er­ reichen seine Truppe oder Dienststelle verläßt oder ihnen fernbleibt, wird wegen Fahnenflucht bestraft Der Fahnenflucht steht es gleich, wenn der Täter in der Absicht seine Truppe oder Dienststelle verläßt oder ihnen fernbleibt, sich für die Dauer eines Krieges, kriegerischer Unternehmungen oder -innerer Unruhen der Verpflichtung zum Dienste in der Wehrmacht überhaupt oder in den mo­ bilen Teilen der Wehrmacht zu entziehen. 11. § 79 wird gestrichen. 12 § 89 wird durch folgende Vorschrift ersetzt: Wer im Dienste oder in Beziehung auf eine Diensthandlung einen Vor­ gesetzten mit der Begehung eines Verbrechens oder Vergehens bedroh-, wird mit geschärftem Arrest nicht unter vierzehn (14) Tagen oder mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu drei (3) Jahren bestraft 13. § 90 wird gestrichen. 14 Im § 91 Abs. 1 werden zwischen den Worten „Höheren" und „beleidigt" die Worte eingefügt „durch üble Nachrede (§ 186 des Strafgesetzbuchs)" 15. Im § 9 Abs. 3 wird hinter dem Worte „verleumderische" eingefügt „(§ 187 des Strafgesetzbuchs)". 16. § 92 wird durch folgende Vorschrift ersetzt: Wer vorsätzlich einen Befehl in Dienstsachen nicht befolgt und dadurch vorsätzlich oder fahrlässig einen erheblichen Nachteil, eine Gefahr für Menschenleben oder in bedeutendem Umfang für fremdes Eigentum oder eine Gefahr für die Sicherheit des Reichs oder für die Schlagfertigkeit oder Ausbildung der Truppe herbeisührt, wird mit geschärftem Arrest nicht unter einer (1) Woche oder mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zehn (10) Jahren, im Felde bis zu fünfzehn (15) Jahren oder mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe bestraft. Ist die Tat fahrlässig begangen, so tritt Freiheitsstrafe bis zu zwei (2), im Felde bis zu drei (3) Jahren ein. 17. § 93 wird gestrichen. 18. § 94 wird durch folgende Vorschrift ersetzt: Wer den Gehorsam durch Wort oder Tat verweigert oder auf wieder­ holt erhaltenen Befehl in Dienstsachen im Ungehorsam beharrt und dadurch vorsätzlich oder fahrlässig die im § 92 Abs 1 angegebenen Folgen herbei­ führt, wird mit geschärftem Arrest nicht unter vierzehn (14) Tagen oder mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zehn (10) Jahren, im Felde bis zu fünfzehn (15) Jahren oder mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe bestraft. 19. § 95 wird durch folgende Vorschrift ersetzt: Wer den Gehorsam durch Wort oder Tat verweigert oder auf wiederholt erhaltenen Befehl in Dienstsachen un Ungehorsam beharrt, wird, wenn die Tat begangen wird, 1. vor versammelter Mannschaft oder 2. unter den Waffen oder 3. gegen den Befehl, unter die Waffen zu treten oder 4 in der Absicht, sich seiner Verpflichtung zum Dienste ganz oder teilweise zu entziehen oder die Auflösung des Dienstverhältnisses zu erreichen,

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20. 21. 22. 23.

Anhang.

mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu fünf (5) Jahren, im Felde mit Gefängnis oder Festungshaft nicht unter einem (1) Jahre bestraft. In minder schweren Fällen kann die Strafe bis auf vierzehn (14) Tage ge­ schärften Arrestes ermäßigt werden. Führt der Täter durch die Tat vorsätzlich oder fahrlässig die im § 92 Abs 1 bezeichneten Folgen herbei, so ist auf Gefängnis oder Festungshaft bis zu zehn (10), im Felde von einem (1) bis zu fünfzehn (15) Jahren oder auf lebenslängliche Freiheitsstrafe zu erkennen. In minder schweren Fällen kann die Strafe bis auf drei (3) Wochen geschärften Arrestes er­ mäßigt werden. Ist eine der im Abs 1 und 2 bezeichneten Handlungen vor dem Feinde begangen, so tritt in den Fällen des Abs. 1 Frecheitsstrafe nicht unter zehn (10) Jahren, in minder schweren Fällen nicht unter einem (1) Jahre, in den Fällen des Abs. 2 Todesstrafe oder lebenslängliche Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn (10) Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe nicht unter einem (1) Jahre ein. Im § 97 Abs. 1 werden die Worte „unter dem Gewehr" ersetzt durch die Worte „unter den Waffen". Im § 97 Zeile 2 wird das Wort „denselben" ersetzt durch „ihn". Im § 110 Ziffer 1 wird das Wort „ausdrücklich" gestrichen. An die Stelle des § 112 im VI. Abschnitt tritt folgender Abschnitt Via: Abschnitt Via.

Zweikampf unter Kameraden. § 112.

Der Zweikampf mit tödlichen Waffen (§ 201 des Strafgesetz­ unter Soldaten wird mit Freiheitsstrafe nicht unter sechs (6) Mo­ die Herausforderung zu einem solchen Zweikampf und die An­ der Herausforderung mit Freiheitsstrafe von zwei (2) Monaten einem (1) Jahre bestraft. § 112 a. Der Zweikampf unter Soldaten (§ 112) aus dienstlicher Ver­ anlassung wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem (1) Jahre, die Herausforderung zu einem solchen Zweikampf und die Annahme der Herausforderung mit Freiheitsstrafe von sechs (6) Monaten bis zu zwei (2) Jahren bestraft. Ist einer der Soldaten Vorgesetzter des andern oder im Dienstrang höher, so wird ein solcher Zweikampf mit Freiheitsstrafe nicht unter drei (3) Jahren, die Herausforderung zum Zweikampf und die Annahme der Herausforderung mit Freiheitsstrafe nicht unter einem (1) Jahre be­ straft. Ist der Vorgesetzte oder im Dienstrang Höhere der Herausfordernde, so wird die Annahme der Herausforderung und der Zweikampf bei dem Annehmenden nach Abs. 1 bestraft. § 112b. Ein Vorgesetzter, der es unternimmt, einen Untergebenen zu einer der in den §§ 112 bis 112 a bezeichneten strafbaren Handlungen zu bestimmen, wird mit Freiheitsstrafe von zwei (2) Monaten bis zu einem (1) Jahre bestraft. § 112 c. Wer aus Anlaß einer Einstellung in den Militärdienst oder einer Beförderung den Einzustellenden oder zu Befördernden über seine grundsätzliche Stellung zum Zweikampf befragt, wird mit Freiheits­ strafe von zwei (2) Monaten bis zu einem (1) Jahre bestraft. § 1126. Wer andere als in der Reichswehr dienstlich eingerichtete Organe zur Untersuchung oder Begutachtung von Ehrenangelegenheiten, insbesondere Ehrengerichte bei Vereinigungen von Angehörigen des alten Heeres, bei Orden oder sonstigen Genossenschaften, anruft oder sich ihnen zur Spruchfällung zur Verfügung stellt oder in ihnen als Ehrenrichter oder in ähnlicher Weise mitwirkt, wird mit Freiheitsstrafe von einem (1) bis zu sechs (6) Monaten bestraft. § 112 e. Wer ein Unwürdigkeitsverfahren gegen einen Soldaten bean­ tragt oder anordnet, weil er zum Zweikampf nicht herausgefordert oder eine Herausforderung nicht angenommen oder erklärt hat, daß er grund­ sätzlich Herausforderung zum Zweikampf oder Annahme einer Herausbuchs) naten, nahme bis zu

VI. Gesetz zur Vereinfachung des Militärstrafrechts v. 30. April 1926.

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forderung ablehne, wird mit Freiheitsstrafe von einem (1) bis zu sechs (6) Monaten bestraft. Die gleiche Strafe trifft denjenigen, der in einem sol­ chen Unwürdigkeitsversahren mitwirkt. § 112 s. In den Fällen der §.§ 112 bis 112 e ist zugleich auf Lösung des Dienstverhältnisses zu erkennen. § 114 wird durch folgende Vorschrift ersetzt: Wer seine Dienstgewalt oder dienstliche Stellung gegen Untergebene zu Befehlen, Forderungen oder Zumutungen mißbraucht, die in keiner Beziehung zum Dienste stehen, wird mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei (2^ Jahren, in minder schweren Fällen mit Arrest bestraft. In schwereren Fällen, insbesondere im Rückfall, kann zugleich gegen Offiziere auf Dienstentlassung, gegen Unteroffiziere auf Degradation er­ kannt werden § 121 wird durch folgende Vorschrift ersetzt: Wer einen Untergebenen durch üble Nachrede (§ 186 des Strafgesetz­ buchs) oder tätlich beleidigt, ttnrd mit Freiheitsstrafe bis zu zwei (2) Jahren bestraft. Ist die Beleidigung eine verleumderische (§ 187 des Strafgesetzbuchs), so tritt Gefängnis bis zu fünf (5) Jahren ein § 122 Abs. 2 wird durch folgende Vorschrift ersetzt: In schweren Fällen, insbesondere im wiederholten Rückfall, muß neben Gefängnis oder Festungshaft für Offiziere auf Dienstentlassung und für Unteroffiziere auf Degradation erkannt werden In anderen Fällen kann auf diese Nebenstrafe erkannt werden Hinter § 122 wird folgende Vorschrift eingestellt: § 122 a Der Mißhandlung eines Untergebenen (§ 122) steht es gleich, wenn ein Vorgesetzter einen Untergebenen durch unnötige Erschwerung des Dienstes oder auf andere Weise boshaft quält oder solches Quäken oder Mißhandlungen durch andere Soldaten duldet oder fördert Im § 123 werden im Abs. 1 hinter dem Worte „Handlung" cingefügir „(§ 122, 122 a)" und im Abs. 3 „Körperverletzung (§122)" ersetzt durch „Handlung (§§ 122, 122 a)". § 137 wird durch folgende Vorschrift ersetzt: Wer vorsätzlich und rechtswidrig einen Dienstgegenstand beschädigt, zerstört oder preisgibt und dadurch vorsätzlich oder fahrlässig einen er­ heblichen Nachteil, eine Gefahr für Menschenleben oder in bedeutendem Umfang für fremdes Eigentum oder eine Gefahr für die Sicherheit des Reichs oder für die Schlagfertigkeit oder Ausbildung der Truppe herbei­ führt, wird mit Freiheitsstrafe bis zwei (2) Jahren bestraft. Zugleich kann gegen Unteroffiziere und Mannschaften auf Dienstentlassung erkannt werden. § 139 wird durch folgende Vorschrift ersetzt: Wer vorsätzlich ein unrichtiges Dienstzeugnis ausstellt oder eine dienst­ liche Meldung unrichtig abstattet oder weiterbefördert und dadurch vor­ sätzlich oder fahrlässig einen erheblichen Nachteil, eine Gefahr für Men­ schenleben oder in bedeutendem Umfang für fremdes Eigentum oder eine Gefahr für die Sicherheit des Reichs oder für die Schlagfertigkeit oder Ausbildung der Truppe herbeiführt, wird mit Gefängnis von sechs (6) Monaten bis zu drei (3) Jahren bestraft. Zugleich ist gegen Unteroffiziere und Mannschaften auf Dienstentlassung zu erkennen In minder schweren Fällen tritt geschärfter Arrest oder Gefängnis oder Festungshaft bis zu sechs (6) Monaten ein. § 141 wird durch folgende Vorschrift ersetzt: Wer als Befehlshaber einer militärischen Wache, eines Kommandos oder einer Abteilung oder als Wachtposten vorsätzlich oder fahrlässig 1. sich außerstand setzt, den ihm obliegenden Dienst zu versehen, oder 2. seinen Posten verläßt oder den ihm für diesen Dienst sonst gegebenen Vorschriften zuwiderhandelt und dadurch einen Nachteil herbeiführt, wird mit geschärftem Arrest nichr

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Anhang.

unter vierzehn Tagen oder mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei (2) Jahren bestraft. Ist die Handlung im Felde begangen, so tritt Gefängnis oder Festungs­ haft nicht unter sechs (6) Monaten und, wenn sie vor dem Feinde be^ gangen ist, Todesstrafe, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe nicht unter einem (1) Jahre oder lebenslängliche Freiheitsstrafe ein. Wird durch die Pflichtverletzung im Felde die Gefahr eines erheblichen Nachteils herbeigeführt, so tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei (3) Monaten und, wenn die Pflichtverletzung vor dem Feinde begangen ist, Freiheitsstrafe nicht unter einem (1) Jahre ein. 32. § 146 wird gestrichen. 33. § 147 wird durch folgende Vorschrift ersetzt: Wer die ihm obliegende Beaufsichtigung seiner Untergebenen vorsätzlich oder fahrlässig verabsäumt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs (6) Monaten bestraft; gegen Offiziere kann zugleich auf Dienstentlassung er­ kannt werden. Die Bestimmung des Abs. 1 gilt nicht bei der Verabsäumung der Be­ aufsichtigung Untergebener im militärischen Verwalt rngsdienste. 34. Hinter § 147 wird folgende Vorschrift eingestellt: § 147 a. Wer die ihm obliegende Meldung oder Verfolgung strafbarer Handlungen seiner Untergebenen vorsätzlich unterläßt, wird mit Freiheits­ strafe bis zu sechs (6) Monaten bestraft; gegen Offiziere kann zugleich auf Dienstentlassung erkannt werden. 35. §§ 151 und 152 werden gestrichen. Artikel IV. Das Gesetz tritt am 1. August 1926 in Kraft. Ist bei Inkrafttreten dieses Gesetzes ein gerichtliches Verfahren wegen einer militärischen Straftat, die nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht mehr strafrechtlich geahndet werden kann, anhängig, so ist das Verfahren durch Beschluß des Gerichts einzustellen. Artikel V. Der Reichswehrminister wird ermächtigt, den Text des Militärstrafgesetz­ buchs, des Einführungsgesetzes und der Anlage dazu, wie er sich aus tioix stehenden und den früheren Änderungen ergibt, unter fortlaufender Nummer­ folge der Paragraphen durch das Reichsgesetzblatt bekanntzugeben.

VII. Gesetz über die Bestrafung des Zweikampfes. Vom 30. April 1926. (RGBl. I S. 201.) Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird: Artikel I. In das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich wird hinter § 210 folgende Bestimmung eingefügt: § 210 a» Neben einer nach den Vorschriften der 88 201 bis 203, 205 bis 208, 210 erkannten Strafe kann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter und bei Soldaten auf Lösung des Dienstverhältnisses erkannt werden. In besonders schweren Fällen muß hierauf erkannt werden.

Artikel II. In Nr. 14 c des vom Reichstag beschlossenen Gesetzes zur Vereinfachung des Militärstrafrechts erhält 8 H2f folgende Fassung: § 112 f. Neben einer nach den Vorschriften der 8§ 112, 112a Abs. 1, Abs. 2 Satz 2, 88 H2b bis 112 e erkannten Strafe kann auf Lösung des Dienstverhältnisses erkannt werden. In besonders schweren Fällen sowie neben einer nach der Vorschrift des 88 112a, Abs. 2 Satz 1 erkannten Strafe muß hierauf erkannt werden.

Sachregister. (Die Ziffern bedeuten die Seiten)

A. Abbildungen, beleidigende 26, 27. — papiergeldähnliche 48. — unzüchtige 25. — urheberrechtlich geschützte 688, 697. Abdruck, unbefugter, von Stempeln usw. 48. Aberkennung der bürgerlichen Ehren­ rechte 5. — unzulässig gegen Jugendliche 64. Abfeilen von Metallgeldstücken 21. Abgaben, öffentliche, im Rechtshilsever'kehr 781. — Zuwiderhandlungen, Verfahren hier­ bei 837. — Beistandspflicht der Behörden bei Einziehung 850. Abgabenerhebung, rechtswidrige 46. Abgeordnete, Redefreiheit 2. — Gewalttätigkeiten gegen A. 14, 15. — Vernehmung als Zeugen 793. Ab graben fremder Grundstücke 53. Abhänge, unverwahrte 52. Ablehnung des Schöffenamts 765, 767. — des Geschworenenamts 772. — des Dolmetschers 783. — des Richters usw. 790. — des Sachverständigen 796. Abmusterung des Seemanns 165. Abreiszen öffentlicher Bekanntmachungen usw. 18. — von Siegeln 19.

Absinth 575. Absperrungsmatzregeln bei Krankheiten, Verletzung 44. — bei Epidemien, Zuwiderhandlungen 587, 588, 593. Abstimmung des Gerichts 783. Abtreibung der Leibesfrucht 28, 29. Abwesende, Verfahren gegen solche 820. Abzahlungsgeschäfte, Gesetz über 736. Abzüge, rechtswidrige 61. — von Krankenversicherungsbeiträgen 596. Achtungsverletzung, militärisches Delikt 80. — gegen eine Wache 84. Acker, unbefugtes Betreten 53. Adelsprädikate, unbefugte Führung 48. Adoptiveltern, Angehörige 52. — unzüchtige Handlungen 23. Advokat siehe Anwalt. Agiohandel, Gesetz hierüber 235. Akten, Mitteilung im Nechtshilfeverfahren 781. — Auslieferung amtlicher A. 798.

Akten. Einsicht durch Verteidiger 805. -------- durch Privatkläger 833. Aktenstücke, Landesverrat 13. — Vernichtung usw. 18. Aktien, Verfälschung 20. Aktiengesellschaft, Strafvorschriften aegen Organe 447, 449, 450, 452. -------- gegen Gründer 448. — Stimmenkauf u. dgl. 452. Altmetall, Verkehr hiermit 526. ambulanter Gewerbebetrieb 380. — Zuwiderhandlungen 419, 420. Amnestie siehe Straffreiheit. Amt, öffentliches, Begriff 5. — Unfähigkeit zur Bekleidung 5,18,47. — Beleidigung im A. 27. Amtsanmaßung 18.

Amtsanwalt 778. Amtsenthebung der Richter 761. — beim Reichsgericht 776. Amtsgeheimnis, Verletzung 47. — der Schöffe:: und Geschworenen 784. — der Beamten bei Zeugenvernehmung 794. — siehe auch Geheimnisbruch. Amtsgericht, Zuständigkeit 762. — Staatsanwaltschaft dort 778. Amtsgewalt, Mißbrauch 45. Amtskleidung (Amtszeichen), unbefugtes Tragen 48. Amtsrichter im Vorverfahren 1128.

Amtsunterschlagung 46. Amtsverbrechen und -vergehen 44 ff. Anbordnahme schiffgesährdender Gegen­ stände 51.

Androhung siehe Drohung. Angehörige, Begriff 8. Totschlag 28. Diebstahl 32. Begünstigung 34. Betrug 35. Angeklagter, Begriff 807. — Ladung 813, 821. — Ausbleiben 814, 825. Angelöbnis, eidliches, Verletzung 22. Angeschuldigter, Begriff 807. — — — —

Angestelltenversicherungsgesetz 268, 989. Versicherungspflicht 268. Beitragsverfahren 288. Feststellungsverfahren 295. Strafvorschriften 307. Angriff, notwehrbegründender 8. — tätlicher, gegen Beamte 15, 16. — Beteiligung mehrerer 30. Ankauf gestohlener Sachen usw. 34. — von Montierungsstücken 53. — — — —

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Die Ziffern bedeuten die Seiten.

Anklagesckrift, Einreichung 808, 811. — Erfordernisse 811. Anklagezwang 806. Anlagen, öffentliche, Beschädigung 41. — gewerbliche, genehmigungspflichtige 372. Anleiheablösungsgesetz 881. — Strafvorschristen 892. Anmusterung des Seemanns 165. Annahme der Aufforderung zu Ver­ brechen 7 — des Zweikampfs 27 — von Geschenken durch Beamte 44 Anrechnung der Untersuchungshaft 8 Anreizung zum Klassenkamps 18 — zum Zweikampf 28 — der Soldaten zum Ungehorsam 15 Anschlag, öffentlicher, zu Hochverrat 11 — zu Widerstand gegen Staatsgewalt 15. — unzüchtiger Schriften 25 Anschlägen von Bekanntmachungen usw 435. Anschlutzcrklärung des Nebenklägers 834 — Widerruf 835. Anschuldigung, falsche 22. Anschwärzen, unlauterer Wettbewerb 732. Anstalten, Unzucht in A. 24. — unbefugte Errichtung 48. Ansteckende Krankheiten, Zuwiderhand­ lung gegen Polizeivorschriften 44. Anfteckungsstofse, Desinfektion nach dem Epidemiengesetz 589, 592. — Beseitigung bei Viehtransporten auf Eisenbahnen 595, 596 Anstiftung im allgemeinen 7. — öffentliche 15. — zum Meineid 22. — Jugendlicher 63. Antrag, Strafantrag 8. — auf Strafverfolgung 807, 840 — auf gerichtl Entscheidung 808, 839. bei Strafverfolgung usw 836, 837, 859. Anwalt, Geheimnisbruch 39. — nicht Beamte 47. — Gebührenüberhebung 46 — Prävarikation 47. — als Verteidiger 804. — Vertreter in der Hauptverhandlung 815. -------- im Privatklageverfahren 832,833. — Zeugnisverweigerungsrecht 794. Anwaltschaft, öffentliches Amt 5. Anwaltszwang bei Antrag auf gerichtl. Entscheidung 808. — bei Revision 827, 833. — bei Wiederaufnahme 830, 833. Anwendungsgebiet der Strafgesetze 1, 2. Anwerbung zu ausl. Militärdienst 19.

Anwerbung zu Hochverrat 11. Anzeigen, Anbringung 807, 840. — amtliche, preßrechtl. Einrückungs­ pflicht 119. Anzeigepflicht geplanter Verbrechen 19. — bei Kriegsverrat 77. — bei Meuterei 83. — bei Delrkten gegen die Republrk 113. — in Steuersachen 135, 136. — bei Strandungen 155. — bei Gewerbetreibenden 371, 419 — nach dem Epidemiengesetz 586, 592. — nach dem Viehseuchengesetz 598, 607. — nach dem Wohnungsmangelgesetz 673, 677. Anzeiger, Kostentragung 843. Apotheken, Errichtung und Verlegung, Gewerbeordnung nicht anwendbar 369. Apotheker, Geheimnisbruch 39. — Ablehnung des Schösfenamts 765 — Approbationspflicht 375 Approbationen, Erfordernis 375, 419. — Widerruf 379. Arbeiter, gewerbliche — Arbeitsvertrag 394, 402. — Beschäftigung an Sonn- u. Festtagen 394. — minderjährige 400, 396. — Lohnzahlung 398. — Schutzvorschriften 400. — Arbeitszeit 401, 411, 479 — Koalitionsfreiheit 421. Arbeiterschutz 400. Arbeitsbücher 396. — falsche 50. Arbeitshaus, Unterbringung 50. Arbeitskarten 456, 459. Arbeitsnachweisgesetz 624. — Auskunftspflicht 630, 631. — Anzeigepflicht 633. — Strafbestimmungen 635, 636. Arbeitsordnung 409. — Zuwiderhandlungen 419, 420. Arbeitsscheue 49. Arbeitszeit, Bestimmungen der Gewerbe­ ordnung 401, 411, 414. — Demobilmachungsverordnungen 479, 489. — Verordnung über die A. 491. Arbeitszwang im Zuchthaus 2. Ärgernis, öffentliches, durch Unzucht 25. — durch Gotteslästerung 22 — durch Tierquälerei 49. Armenrecht des Privatklägers 832. Arrest, militärische Strafe 73. Arrestbruch 25. Arzneien, Feilhalten usw. 51. Ärzte beim Zweikampf straflos 28. — Unzucht durch Ä. 24. — unrichtige Zeugnisausstellung 37.

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Die Ziffern bedeuten die Seiten.

Ärzte, Geheimnisbruck) 39 — — — —

Ablehnung des Schöffenamts 765. Zeugnisverweigerung 794. Zuziehung zu Leichenschau 797. Approbationserfordernis 375. Aszendenten, Totschlag an A. 28. — Körperverletzung an A. 29. — Diebstahl durch A 32. Atteste, ärztliche, falsche 37 — Verlesung ui der Haupwerhandlung 817. Ätzende Gegenstände 51.

Aufenthaltsbeschränkung 6. — vorm. landesherrlicher Familien 117.

Aufforderung zu Verbrechen 7 — — — — — —

zu Hochverrat 11. zu Gewalttätigkeiten 15. zu militärischen Delikten 82. unbefugte, durch die Presse 120. steuerrechtlich strafbare 141. zu Sprengstoffdelikten 577. Auslauf 16. Auflösung von Vereinen 123. — von Versammlungen 124. --------aus Grund des Friedenvertrags 127. Aufruhr 16. — militärischer 83 Aufschub der Strafvollstreckung 841. Aufsichtsmatzregeln, Verletzung 57, 58 Aufstandserregung unter Truppen im Kriege 12. Aufstellen, gefährliches, von Sachen 51. Aufwiegelung von Milttärpersonen 82. Aufzüge auf öffentlichen Straßen 124. Augenschein 1114, 1115, 1133, 1138. Ausbeutung Minderjähriger 39. — bei Darlehen 40. Ausbleiben des Angeklagten in der Haupwerhandlung 814. -------- in der Berufungsinstanz 825. -------- bei Einspruch 836. — des Verteidigers 805. Ausbruch von Gefangenen 17. Ausfuhr lebenswichtiger Gegenstände 647. — von Kunstwerken 684. Ausgietzen auf die Straße usw. 51. Auskunftspflicht, Verordnung hierüber 672. — zur Durchführung des Friedensver­ trags von Versailles 108. — in Steuersachen 133, 134. — an Betriebsräte 514. — gegenüber Prersprüfungsstellen 670, 671. — in Wohnungsmangelsachen 677. Auslagen im Rechtshilfeverfahren 781. — im Strafverfahren, Festsetzung 842. Haftung mehrerer 843. — Erstattung bei Privatklage 843.

Auslage» im Rechtsmittelverfahren 843. Ausland, Begriff 2. — Delikte im A. 1, 2. — Anrechnung von Strafen 2. — feindliche Handlungen gegen ausl. Staaten 14. — Zuständigkeit für Auslandsdelikte

Ausländer. Bestrafung 1, 2. — Ausweisung 6, 115. — Fischen in deutschen Gewässern 39. — Untersuchungshaft 801. Ausländische Wertpapiere, Bekanntm. hierüber 234. — Geldsorten usw ., Handel hiermit 236. Auslieferung 2 Auslosung der Sck)öffen 766, 770. — der Geschworenen 772 Ausnahmegerichte 762 Ausschließung von Gerichtspersonen 790. Autzerverfolgungsetzung, Entscheidung hierüber 811, 812. — Freilassung infolge A 802. Aussetzung hilfloser Personen 29, 30. — der Hauptverhandlung 814,816,818. — der Urteilsverkündung 819. — der Strafvollstreckung gegenüber Ju­ gendlichen 64 Autoritätszeichen, Verletzung 14, 19 Ausspielungen, unerlaubte 38 Ausstattungsschutz 1056 Ausverkauf, unlauterer Wettbewerb 730.

Auswandererberaiung 151. Auswanderungswesen, Gesetz

hierüber 143. — Strafbestimmnngen 148 — Verordnung gegen Mißstände 151. Auswärtiges Amt, Beamtendelikte 47. Ausweisung siehe Ausländer. Auswerfen von Sachen 67. Autoritätszeichen, Verletzung 14, 19.

B. Bahnanlagen, allgemeine Anordnungnr 201, 202. — unbefugtes Betreten 201, 202. — Beschädigungen 202.

Bahnpolizei 199. Bande, Diebstahl 32. — Raub 33.

Bankerott siehe Konkursordnung. Bankgesetz 243. Banknoten, Fälschung 20. — unbefugte

Ausgabe

252.

Bannkreis, befriedeter, des Reichstags usw.

126.

Baubuch 743. Bauforderungen, Gesetz zur Sicherung derselben 742. — Strafbestimmungen 743.

1002

Die Ziffern bedeuten die Seiten.

Baukunst, Handeln wider deren Regeln 58. Baupolizeiübertretungen 52. Bauten, ordnungswidrige 44 Bauunternehmer, Untersagungsbefugnis 378. Bauwerke, Zerstörung 41. Beamte, Begriff 47. Beleidigung von B- 27. Widerstand gegen B. 16 Nötigung von B. 16. unerlaubte Verbindung 18 unzüchtige Handlungen durch B Vernehmung als Zeugen 794 siehe auch Amt Bedrohung mit Verbrechen 31 — Privatklage 831. Beeidigung der Schöffen 767 — des Dolmetschers 783. — der Zeugen 794. — — — — — —

23.

— der Sachverständigen 796

Beerdigung, vorzeitige 51 — Genehnngungsersordernis 807

Befangenheit, Ablehnung des Richters usw. 790, 791.

Befehl in Dienstsachen 83. Befreiung von Gefangenen 17 Befreundete Staaten, feindliche Hand­ lungen gegen solche 14

Befriedung des Reichstagsgebäudes usw 126.

Begnadigungsrecht des Reichs 841. Begünstigung 34. — zugunsten Jugendlicher 63

Behörde, Beleidigung von B. 27. — Täuschung von B. 37. — Auskunftspflicht im Ermittlungsver­ fahren 807 s. auch Beamte.

Beihilfe 7. — zugunsten Jugendlicher 63

Beischlaf zwischen Verwandten 23 mit Willenlosen 24 durch Nötigung 24. durch Betrug 24. mit Verführung 25. trotz Geschlechtskrankheit 593 Beiseileschaffen amtlich aufbewahrter Gegenstände 18. — gepfändeter Sachen 19. — von Vermögensstücken 38 Beistand des Ehemanns 806 Beistandspflicht der Behörden usw in Steuersachen 136. — der Behörden bei Vollstreckung von Bermögensstrafen 850 Beitreibung der Geldstrafe 4. Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheilen 586. — der Geschlechtskrankheiten 593. — der Reblaus 609. — — — — —

Bekanntmachung gerichtlicher dungen 791

Entschei­

— von Strafurteilen 22, 27 im Steuerstrafrecht 139. wegen Preistreiberei 646 siehe auch Publikationsbefugnis Bekanntmachungen, öffentliche, deren Beschädigung usw 18 — amtliche, preßrechtliche Einrückungs­ pflicht 119 Belagerungszustand 54, 93. Beleidigung von Souveränen 13, 14. — von Behörden 27 — militärischer Vorgesetzter 81 — militärischer Untergebener 85 — Privatklage 831 — Sühneversuch 832 Beratung des Gerichts 783 Bergelohn bei Schiffsstrandung 156. Bergung von Schiffen 155. Bergwerk, Brandstiftung 41 Bergwesen, Anwendbarkeit der Gewerbe­ ordnung 369 Berichterstatter in der Berufungsinstanz 825 — in der Revisionsinstanz 828 — Abstimmung 784 Berichtigungspflicht, preßgesetzliche 119. Berner Übereinkunft, Auslührungsgesetz

1026 Berufung, Rechtsmittel 824 — auf geleisteten Eid 795, 797 — — fälschliche 21 Beschädigung staatlicher Hoheitszeichen

19, 14. — öffentlicher Bekanntmachungen usw. 18 — amtlicher Siegel 19 — von Privaturkunden 36 — von Gräbern 23 — von Wasserbauten usw 43 s auch Sachbeschädigung. Beschäftigung der Gefangenen 2, 3 Beschimpfung des Andenkens Verstor­ bener 26 — von Religionsgesellschaften 22. — der Republik und ihrer Regierungs­ mitglieder 114 — der Reichs- oder Landessarben 114 Beschlagnahme einzelner Gegenstände

798 — im Steuerstrafverfahren 854. — im Verfahren gegen Abwesende 821. — preß gesetzliche 121 siehe auch Vermögensbeschlagnahme. Beschneiden von Metallgeld 21. Beschwerde im Strafprozeß 823 — militärische, Unterdrückung 84. ordnungswidrige Anbringung 88.

1003

Die Ziffern bedeuten die Seiten. Besitzentziehung gegenüber dem Besitz­ siehe Hausfrie­

Besserungsanstalt 9, 10. Bestechung von Richtern 44. — zwecks unlauteren Wettbewerbs 731.

Beteuerungsformel an Stelle des Eides 795. — fälschliche 21.

Betriebsgeheimnisse, barung 1064.

566,

567,

Briefgeheimnis,

Wahrung

durch

die

Post 192.

berechtigten 38. Besitztum, befriedetes, densbruch.

unbefugte 716,

820,

Offen­ 932,

Betriebsrätegesetz 499. — Strafbestimmungen 514, 515.

Betrug 34. Bettel 49, 50. — Entführung zu B. 31.

Beugung des Rechts 59. ------- falsche B 60. — des Personenstandes 23, 992. Beurkundung, falsche, durch Beamte 46. — mittelbare Falsch-B. 36. — des Personenstandes 992.

Beutemachen 96. Bevollmächtigte, Untreue 35 Bewährung siehe Probezeit. Beweisantrag vor Hauptverhandlung — Ablehnung 816. Beweisaufnahme 815. — Würdigung 818. Beweissicherung im Verfahren gegen Abwesende 821. Bewußtlosigkeit, Strafausschließung 7. — Mißbrauch bei Frauenspersonen 24. Bigamie 23 — bigamische Trauung 45. Bildende Künste, Nachbildung 1017. Bildnisse, deren Schutz 1020. Binnenschiffahrt, Gesetz betr. ihre privatrechtl. Verhältnisse 444. Blankett, Fälschung 36. Bürsengejetz 220. — Zulassung zum Börsengesetz 221. — Ehrengericht 222. — Zulassung von Wertpapieren 225. — Börsenprospekte 225, 226. — Ordnungsstrafen 230. — Strafvorschriften 232. Bleihaltige Gegenstände 545. Blutschande 23.

Brandstiftung 41. Branntweinhandel auf der Nordsee, Un­ terdrückung 157. — im kleinen, Erlaubnispflicht 376. — Einschränkungen, Notgesetz 638. Brief, unbefugtes Offnen 39. — durch Postbeamte 47. — Beschlagnahme 799.

Brieftauben, Schutz derselben 104. Brücken, Zerstörung usw. 43. Brunnen, Vergiftung 43. Buchführung, steuerrechtliche Pflichten 132.

Buchmacher, Strafbestimmungen 745. Bühnenwerke 689. Bundesgebiet, Hochverrat 11

744,

— unbefugte Rückkehr 49

Buße, bei Beleidigung 26 — der Körperverletzung 30. — bei Verletzung des literar. Urheber­ rechts 694. — — des künstlerischen Urheberrechts 701. — bei unlauterem Wettbewerb 734. — Geltendmachung durch Nebenklage 835. — Vollstreckung Hierwegen 842. — Höhe der B. 61. Butter, Herstellung, Feilhalten 549. — polizeiliche Revisionen 550. — Zuwiderhandlungen 551. — Versteigerungen 553.

C. Chemische Vervielfältigungen, preßrecht­ liche Behandlung 120

Choreographische Werke 688.

D. Dämme, Zerstörung 43. Dampfkessel, Vorschriften hierüber 374. Darstellungen, hochverräterische 11. — beleidigende 27. — unzüchtige 25. Degradation 80, 82. Denkmäler, Beschädigung 41. Depeschen, Fälschung 47. Depot, Gesetz über Depot- und Depo­ sitengeschäfte 535. — Strafbestimmungen 537 — Depotgesetz 737. — Pflichten der Kaufleute hierbei 739. Desertion, Verleitung 19. — im Kriege 12. Desinfektionsvorschriften nach dem Epi­ demiengesetz 589, 592. — für Biehtransporte aus Eisenbahnen 595, 596. Devisen, Devisenordnung 265 — Devisenmaklerveroronung 239. — Devisenbanken 265. — Wechselstubenverordnung 236, 894.

Diebstahl 31. — von Nahrungsmitteln 53. — von Munition 38. — Forst-D. 54.

1004

Die Ziffern bedeuten die Seiten.

Dienftaufsicht bei Amtsgerichten 762. Dienstboten, Diebstahl 32. Dienstbücher. Fälschung 50. Diensteid, Berufung hierauf 21. Dienstentlassung von Beamten 5. Dienstgebäude, militärische, Beschlag­ nahme in solchen 799. — Durchsuchung in solchen 800. Dienftgegenstände, militärische, Beschädi­ gung usw. 87. Dienstgeheimnis, siehe Amtsgeheimnis. Dienstgewalt, militärische Mißbrauch 84. Dolmetscher, bei Eidesleistung Stum­ mer 795. — in der Hauptverhandlung 818. — Zuziehung 783. Doppelehe 23. — Strafbarkeit des Trauenden 45. Drohung, Nötigungsnotstand 8. — Anstiftung durch D. 7. — Bedrohung mit Verbr. usw. 31. vgl. auch Erpressung. Drucksachen, papiergeldähnliche 48. Druckschriften, Begriff 118. — Ausnahme für Stimmzettel 123. — republikgefährliche 117. — periodische 119. — fliegender Buchhandel 381. Dünen, Schutz derselben 51.

Durchsuchung 799. — im Steuerstrafverfahren 855.

E. Edelmetalle, Gesetz über

den Verkehr mit E. usw. 530. — Strafbestimmungen 533. Edelsteine, siehe Edelmetalle. Ehebruch 23. Eheerschleichung 23. Ehegatte, Zeugnisverweigerungsrecht793. — Antrag auf Wiederaufnahme des V. 829. — Fortsetzung der Privatklage 834. Ehemann als Zuhälter 25. — Strafantragsrecht 27. — Beistand 806. — Rechtsmitteleinlegung 822. Ehesachen, geistliche Gerichtsbarkeit 761. — Ausschluß der Öffentlichkeit 781. Eheschließung, Gesetz betr. Beurkundung 685. -------- Strafvorschriften 687. — trotz bestehender Ehe 23. Strafe des Trauenden 45. Ehrenrechte, Verlust 5. — Unfähigkeit zum Schöffenamte wegen drohenden Verlustes 764. Ehrenstrafen, militärische, gegen Per­ sonen des Soldatenstandes 73, 74.

Ehrenwort Minderjähriger bei Kredit­ wucher 39.

Ehrenzeichen, Verlust 5. — unbefugtes Tragen 48.

Eid, siehe Meineid, Beeidigung. Eidesstattliche Versicherung, falsche 21, 22. Eidesunfähigkeit 22. Eier, Ausnehmen 53. Eigennutz, strafbarer 37. Einbruch, schwerer Diebstahl 31. Änfahren von Pferden 51. Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch 54. — — — —

Militär-strafgesetzbuch 91. Bürgerl. Gesetzbuch 56. Gerichtsverfassung^. 785. Strafprozeßordnung 844. Einfuhrverbote, seuchenpolizeiliche 44. Einsicht, zur Strafbarkeit erforderliche, bei Jugendlichen 63. Einsperrung, widerrechtliche 31. Einsprache gegen Urliste 766. Einspruch gegen Strafbefehl 836. Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft 808. — durch das Gericht 806, 818, 833, 834. — vorläufige 811, 812. — bei Zuwiderhandlungen gegen Vor­ schriften über wirtschaftliche Maß­ nahmen 56. — im Verfahren gegen Jugendliche 68. — des Gewerbebetriebs, polizeiliche 419. Einverleibung, gewaltsame, von Staats­ gebiet 14. Einwand gegen Eröffnung der Vor­ untersuchung 809. Einwendung gegen Eröffnung des Hauptverfahrens 811. — gegen Zulässigkeit der Strafvollstrek­ kung 841. Einzelhaft 3. Einziehung 6. — Verfahren hierbei 838. — durch Strafbefehl usw. 835, 836, 837. — in Kriegswirtschaftsvorschristen 57. — im Steuerstrafrecht 139, 141. — von Lichtbild streifen 519. — nach dem Vogelschutzgesetz 540. — nach dem Nahrungsmittelgesetz 545. — nach dem Fleischbeschaugesetz 562. — nach dem Viehseuchengesetz 607. — bei der Preistreiberei 644, 646. Eisenbahn, Gefährdung im Kriege 12. — Transportgefährdung 42. — -Diebstahl 32. siehe auch Bahnanlagen. zum zum zum zur

Eisenbahnbau- und Betriebsordnung 199.

1006

Die Ziffern bedeuten die Seiten.

Eisenbahnbetrieb, Gewerbeordnung nicht anwendbar 369. Eisenbahnpolizeibeamte 199. Elektrische Maßeinheiten, Gesetz hierüber 453. — Meßgeräte, Gebrauch unrichtiger 453, 454. — Arbeit, Entziehung derselben 742. Elektrizitätswirtschaft, Gesetz betr. So­ zialisierung 494. — Auskunftspslicht 497, 498. Eltern, Anleitung der Kinder zu Bettel 49. Entbindung des Angeklagten vom Er­ scheinen 815. — des Zeugen von der Schweigepflicht 794. Entfernung, unerlaubte, von der Truppe 78. Entführung 31 Entlassung, vorläufige, Verurteilter 3. Entmündigung, Ausschluß der Öffent­ lichkeit 247. Entschädigung der Schöffen usw. 768. — der Zeugen und Sachverständigen 796, 797. — der nn Wiederaufnahmeverfahren Frei gesprochenen 847. — für unschuldig erlittene Unter­ suchungshaft 848. Entscheidungen, gerichtliche, Verfahren hierbei 791. Entweichenlassen von Gefangenen 17,88, 993. Entwendung von Nahrungsmitteln 53. Epidemiengesetz 586. — Anzeigepflichten 586, 592. — Absperrungen und dgl. 587, 588, 592. — Desinfektion 589, 592. — Quarantäne und dgl. 589, 593. Erbieten zu Verbrechen 7. Erbrechen, schwerer Diebstahl 31. Ergreifung, Zuständigkeit des Gerichts der E. 789. Ermächtigung beleidigter Körperschaften 27. Ermittlungsverfahren 807. — im Besteuerungsverfahren 137. — in Steuerstrafsachen 855. Erneuerungsscheine, Fälschung 20. — unbefugte Anfertigung usw. 48. Eröffnung des Hauptverfahrens 811. bei Privatklage 832. Eröffnungsbeschlutz 812. Erpressung 33. — durch Beamte 45. Ersatzstrafe, Geldstrafe an Stelle ver­ wirkter Freiheitsstrafe 4.

Ersatzstrafe, Freiheitsstrafe an Stelle uneinbringlicher Geldstrafe 4. — im Steuerstrafrecht 142. Erwerbs- u. Wirtschaftsgenossenschaften, siehe Genossenschaftsgesetz. Erzieher, Unzucht mit Zöglingen 23. Erziehungsmatzregeln statt Strafe bei Jugendlichen 63. Etzwaren, Feilbieten verdorbener usw. 52. Expresse Boten, Ausnahme vom Post­ zwang 191. Exterritorialität 762, 789.

F. Fabrikarbeiter 409. siehe auch Arbeiter. Fachbehörde, Gutachten 797, 798. Fahnenflucht 78. — Beschluß gegen Abwesende 839. Fahren, polizeiwidriges 50, 51. Fähren, Zerstörung usw. 43. Fahrlässigkeit, Begriff 8, 994. — bei Tötung 29. — bei Körperverletzung 30. Fahrwasser, Störung 43. Fallen, Gebrauch bei der Jagd 39. Falschbeurkundung durch Beamte 46. — mittelbare 36. Falsche Anschuldigung 22. Falschmünzerei 146. Fälschung, siehe Verfälschung. Familienrat. Unfähigkeit 5. Farben, Verkehr hiermit 543, 544. — Verwendung zu Gebrauchsgegenstän­ den und dgl. 547, 548. Federwild, Eier-, Junge-Ausnehmen 53. Feigheit, militärisches Delikt 80. Feind, Kriegsdienst beim F. 12. — Vorschub leisten im Krieg 12. Feindliche Handlungen gegen befreun­ dete Staaten 14. Feingehalt der Gold- und Silberwaren 424. Feldpolizeigesetze 54. Feldrügesachen 844. Feriensachen 784. Fernsprecher, siehe Telegraphen. Fesselung von Untersuchungsgefangenen 801. Festnahme, unberechtigte 45. — Unterbrechung der Verjährung 10. — vorläufige 803. — im Steuerstrafverfahren 855. — bei Reichswehrangehörigen 839. Fefttagsfeier, Störung 50. Festungen, Verrat an solchen 12, 13. — Rayonbeschränkungen 94. Festungshaft 3.

1006

Die Ziffern bedeuten die Seiten.

Feuergefährliche Waren, Aufbewahrung usw. 51.

Feuerlöschgeräte, Nichthalten usw. 53. Feuerpolizei, Übertretungen 52, 53. Feuerstätten 52, 53. Feuerversicherung, Betrug 35. — unbefugte 48.

Feuerwerk 52. Fieberthermometer,

Prüfung iinb Be­ glaubigung 525 Film, siehe Lichtfpielgesetz. Fischen, unbefugtes 39. Fischerei, Landesgesetze 54. — in der Nordsee 538. Klaggenrecht der Kauffahrteischiffe 158. — Strafbestimmungen 161. Fleisch gesundheitsichädtiches 52. — Verwendung zu menschlichem Genuß 557, 558.



bedingt taugliches 559

— Einfuhr 559, 561. — Kennzeichnung von Pferdefleisch 560. --------- Strafvorschriften 561, 562. — Verkehr mit Fleisch 661. — — Strafvorschriften 664.

Fleischbeschau

557.

— Strafvorschriften 561, 562 Flößerei, Gesetz betr. ihre privatrechtl. Verhältnisse 445. Flottendienst, Entziehung durch Aus­ wanderung usw. 19.

Fluchtverdacht 801. Flüssigkeitsmaße, blei- und zinkhaltige 545.

Flußufer, Schutz 51. Formen, Unbrauchbarmachung 6 — bei Münzdelikten 21 — unbefugte Anfertigung 48 Forstarbeit 54.

Forstpolizeigesetze 54 Forstrügesachen 844. Forstwiderstand 16. Fragerecht 815, 816. Frauenhandel 448 Freiexemplare 122. Freiheitsentziehung 30, 31. — durch Beamte 45.

Freiheitsstrafe 2, 3. — als Ersatzstrafe 4. — Zusammentreffen 10. — Vollstreckung 780, 840.

Freisprechung 818, 819 Freizeichen 724. Friedensstörung, öffentliche 17. — durch Klassenverhetzung 18. — durch Geistliche 18 Friedensvertrag, Durchführungsgesetze, Auskunftspflicht 108. — Auflösen von Vereinen 127. Fristen, Berechnung 792.

Führerschein für Führer von Kraftfahr­ zeugen 580. — Entziehung 580. — Zuwiderhandlungen 584 Führungszeugnisse, Fälschung usw. 50. Funkverkehr, Verordnung hierüber 210. Furcht, bei militärischen Delikten fein Strafausschließungsgrund 76 Fürsorgeerziehung als Erziehungsmaß­ regel bei Jugendlichen 64, 621 — Entziehung 624. Fußangeln, unbefugtes Legen 52

Futterdiebstahl 53

Gärten, unbefugtes Betreten 51. Gastwirtschaft, Erlaubnispflicht 376, 638. weibliche Angestellte 499 Polizeistunde 638 Schließung 638 Branntweinausschank 639 Gebäude, einsturzdrohende 52 — Zerstörung 41 — Brandstiftung 41. Gebrauchnahme, unbefugte, bei Pfän­ dern 38 Gebrauchsanmaßung durch Pfandleiher — — — —

50. Gebrauchsgegenstände, siehe Nahrungs­ mittelgesetz.

Gebrauchsmusterschutz 721 Gebrechen, Vorschützung solcher militärischer

zwecks Dienstpflichtentziehung

80. Gebühren, Überforderung 46. — der Zeugen und Sachverständigen 796, 797. — des Offizialverteidigers 806.

Geburtenanzeige 992, 994 Gefahr, Hilfeverweigerung 48 — für Leib und Leben, Nötigungsnot­ stand 8. Gefangene, Beschäftigung 2, 3. — vorläufige Entlassung 3. — Befreiung 17. — — durch Beamte 46. — Meuterei 17. Gefängnis 2. — Zusammentreffen 10 — Einzelhaft 3. — als Ersatzstrafe 4. — vorläufige Entlassung 3. Gegenstände zu hauswirischaftlichem Ge­ brauch, Entwendung 53. — zu unzüchtigem Gebrauch, Anprei­ sung 25. — des täglichen Bedarfs, siehe Preis­ treiberei.

Geheimbündelei 18. — gegen 114.

die

Republik

gerichtete

113,

Die Ziffern bedeuten die Seiten. Geheimnisbruch Hinsicht!, nicht öffent­ — — — — — — — — — —

licher Gerichtsverhandlungen 25,113. Lei Staatsgeheimnissen 13. bei nnlitärnchen Geheimnissen 12, 105. bei Privatgeheimnissen 39. beim Briefgeheimnis 39, 47 beim Telegraphengeheimnis 47. der Finanzbeamten 128, 141 der Gewerbesachverständigen 418. durch Betriebsräte 515. zwecks unlauteren Wettbewerbs 732 -durch Organe der Reichsversicherung

906. Gehilfe 7 Gehorsamsverweigerung, militärische 81. Geisteskrankheit, Strafbarkeit 7 — Mißbrauch zu Unzucht 24. — Folge von Körperverletzung 29 — vorläufige Einstellung des Verfah­ rens 812 — Aufschiebung der Strafvollstreckung 841. Geistliche, unbefugte Trauung 45 — Störung des öffentl Friedens 18. — Unzucht 23. — Beleidigung 27. — Zeugnisverweigerung 794 — Anwesenheit bei Hinrichtung 841. Geld, Fälschung usw 20. — Stempel hiezu usw 48. — Gutachten über Fälschung 798 Geldstrafe 3. — in Landesgesetzen 54 — Zusammentreffen 10. — Vollstreckung in Nachlaß 5. — G statt verwirkter Freiheitsstrafe 4. — Umwandlung in Freiheitsstrafe 4 -- -- bei Strafbescheiden 837. --------nachträgliche 842. — Vollstreckung 842. Geleit, sicheres 822. Gemeindearbeit als landesrechrl. Strafe

1007

Genossenschaftsgesetz, Pflichten der Organe 428, 435. — gesetzwidrige Zwecke 425, 436. — Verkauf an Nichtmitglieder 427, 436. — Stimmenfang 436. Genutzmittel, Entwendung 53. siehe auch Nahrungsmittelgesetz. Gepäck, schwerer Diebstahl 32. Gerich,tsarzt, bei Leichenöffnung 797.

Gerichtsferien 784. Gerichtskosten siehe Kosten. Gerichtsschreiber 779. — Ausschließung, Ablehnung 791. — Zuziehung zu Untersuchungshand­ lungen 808, 810. — Zuziehung zur Hauptverhandlung 814, 820. — Zuziehung zur Hinrichtung 841. — Erteilung vollstreckbarer Urteilsabschriftcn 841.

Gerichtssprache 783. Gerichtsstand 788 — bei Militärstrafsachen 839.

Gerichtsverfassungsgesetz 760. — Einführungsgesetz hierzu 785. — Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege 845.

Gerichtsvollzieher 780. — unmittelbare Ladung durch sie 792.

Gesamtstrafe 10. — nachträgliche Bildung 842.

Gesandte, Beleidigung 14, 994. — Exterritorialität 762.

Geschäftsbetrieb, Untersagung bei Steuer­ delikten 139.

Geschäftsräume, unbefugtes Eilidringen

54. Gemeindebehörde, Anzeigepflichten 807 Gemeindemitglieder, Zuziehung zu

17. — durch Beamte 45. Geschäftsverteilung beim Landgericht 769. Geschenke. Anstiftung durch G. 7. — Annahme durch Beamte 44. Geschirr, gesundheitsschädliches 543,544. Geschlechtskrankheiten, Beischlaf trotz G. 593.

Durchsuchungen 800. — Zuziehung zu Hinrichtungen 841 Gemeingefährliche Verbrechen usw. 41. Androhung 17. --------Anzeigepflicht 19 — Krankheiten, siehe Epidemiengesetz. Genehmigungserfordernis für gewerbliche Anlagen 419, 372 — für Gewerbe treibende 419, 375. — Versagung 379. — Ausführungsfrist 383. Genfer Neutralitätszeichen siehe Rotes Kreuz. Genossenschaftsgesetz 425, 992. — Anmeldepflichten 427, 435.

falsche Entschuldigung 19. Bestechung 44. Schwurgerichte 771. Ausschließung, Ablehnung 791. Gesellschaft als Privatkläger 831. Gesetzgebende Versammlungen, Störung usw. 14. — -Beleidigung 27. Gesinde, Diebstahl 32. — Aufsicht 49. Geständnis, Erpressung 45. — Verlesung zwecks Beweisaufnahme hierüber 817. — Wiederaufnahmegrund 830.

Geschworene, Fähigkeit 5. — — — —

1008

Die Ziffern bedeuten die Seiten.

Gesundheit, Verletzung 29. — schädliche Gegenstände 43, 52. — falsche Atteste 37. Gesundheitsschädliche Nahrungsmittel 543, 544. — Farben 547. Getränke, verdorbene usw. 52. Gewalt, Anstiftung durch G 7 — Anreizung zu Gewalttätigkeit 18 — Nötigungsnotstand 8. — Erpressung 33. — gegen Abgeordnete 14. — gegen Behörden 16. — bei Haus- und Landfriedensbruch 17 — bei Unzucht 24.

Gewerbeaufsicht 414. Gewerbebetrieb, stehender 371. — ambulanter G im Gemeindebezirk 3M.

— rm Umherziehen 384. — Marktverkehr 390.

Gewerbefreiheil 369, 417. Gewerbelegitimationskarten 382. — Zuwiderhandlungen 419.

Gewerbeordnung 369. — nicht anwendbar 369 — Strafbestimmungen 417. Gewerbetreibende, Anzeigepflicht 371, 419. — Ladenschild 371 420. — Approbationserfordernis 375, 419. — Konzessionserfordernis 375. — Erlaubnispflicht 376, 377. — Befähigungsnachweis 375, 376. — Untersagungsbefugnis 378. — Stellvertreter 382, 421. Gewerbliche Anlagen, Genehmigungs­ erfordernis 372, 419. — Genehmigungsverfahren 373. — Abänderungen 374. — mit ungewöhnlichem Geräusch 375. Gift, Vergiftung 30, 43. — Aufbewahrung usw. 51. — Untersuchung 798. — Schädlingsbekämpfung hiermit 569. Gläubigerbegünstigung siehe Konkurs­ ordnung.

Glücksspiel 37, 38. — Durchsuchung an Orten des G. 800.

G.m.b.H.-Gesetz, 437. — Strafbestimmungen 444. Goldwaren, Bezeichnung des Feingehalts 424. Gottesdienst, Störung 22. Gotteslästerung 22. Grab, Beschädigung 22, 41. Grenze, Verrückung 36. — Abpflügen usw. 53.

Grenzübertritt mit Wertpapieren usw. 236.

Grube, unverwahrte 52 Grundeigentum, Beschränkungen

in

Festungsrayons 94.

Grundstücksverringerung 53. Gutachten, falsches eidliches 21. — von Sachverständigen 796 — Verlesung i. d. Hauptverhandlg 817

H. Haft 3. — Ersatzstrafe 4

Haftbefehl 801 — vor Klagserhebung 803 — Aufhebung 802, 803

— zwecks Strafvollstreckung 841. — Haftdauer 803, 840

Handelsbeschränkungen 649. — Strafvorschriften 654.

Handelsflotten, Gesetz betr. ihre Wieder­ herstellung 189. siehe auch Kauffahrteischiffe. Handelsgesetzbuch 445. Handelsmäkler, Vorschriften über das Tagebuch 447 Handelsrichter 774 Handfeuerwaffen, Prüfung der Läufe und Verschlüsse 578 Handlungslehrlinge, Pflichten des Prin­ zipals 446 — unbefugtes Halten 446

Handwerkskammern 392 Haufen, bewaffnete 17. Hauptverfahren, Eröffnung 811. — bei Privatklage 832 Vorbereitung — Durchführung 814

Hauptverhandlung,

813.

Hausarbeitsgesetz 468. — Strafbestimmungen 478.

Hausfriedensbruch 17. — im Amte 45. — Privatklage 831. — Sühneverfuch 832. Hausschlüssel, unbefugte Anfertigung 53.

Haussuchung 799 — bei Polizeiaufsicht 6, 799.

Hebammen, Schweigepflicht 39. Heeresdienst, Unfähigkeit 5. — Entziehung 19.

HeereSgut, unbefugter Besitz 108, 111. — Verwertung desselben 111. Hehlerei 34.

Die Ziffern bedeuten die Seiten. Hehlerei zugunsten Jugendlicher 63. — Steueryeylerei 140. Heimatlosigkeit. Haftgrund 801. Heimzuschaffende Seeleute, Verpflichtung der Kauffahrteischiffe hierzu 186. Helgoland, Einführung von Reichs­ gesetzen 55. Herabwürdigung der Republik 114. Herausforderung zum Zweikampf 27. — gegenüber militärischen Vorgesetzten 84. Herkunftsbezeichnungen, falsche 1056, 1060. Heuer, Entlaufen damit 39. Heuervertrag 166. Hilfeverweigerung bei gemeiner Not usw. 48. Hilflose, Aussetzung 29. Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft 779. HilfSrichter beim Oberlandesgericht 775. HilfSschöffen 766, 767 Hinrichtung 841 Hinterbliebrnenversicherung 637. HöchstpreiSüberschreitung 641. Hochverrat 11 — Anzeigepflicht 19 — Zuständigkeit 777 — Straffreiheit 58. oheitszeichen, Unfug danut usw 14,19. olzdiebstahl, Landesrecht 54. Hufbeschlaggewerbe, landesrechtl. Vor­ behalt 376. Hunde bei Jagd 39. — Hetzen auf Menschen 51 Hypothekenbankgesetz 214, 893. — zulässige Geschäfte 214. — Deckungsvorschriften 215. — Beleihungsvorschriften 215. — Treuhänder 216. — Strafvorschriften 217.

B

IJagd, Landesrecht 54. — unbefugte 38. — Betreten fremder Reviere 53. Jagdbeamte, Widersetzung 16. Jahresliste der Schöffen 766. Jdealkonkurrenz 10. Jmpfgesetz 541. — Strafbestimmungen gegen Eltern usw. 542. -------- gegen Ärzte 543. Jnhaberpapiere, Fälschung 20. — mit Prämien 212. — Veräußerung auf Abzahlung 736. Innungen 392. Invalidenversicherung 964. — Strafvorschriften 978. — Verletzung der Anzeige- und An­ meldepflichten 978, — Zuwiderhandlungen in Bezug auf Lohn­ abzüge 978, 979. Allfeld, Strafgesetzgebung. 3.Aufl.

1009

Jnvalidenverficherung, Zuwiderhandlun­ gen in Bezug auf Quittungskarten 979. -------- in Bezug auf Jnvalidenkarten 980. Irrenanstalt, Beobachtung des Geistes­ zustandes eines Angeschuldigten 797. — private, .Konzessionspflicht des Un­ ternehmers 375. Irrtum in kriegswirtschaftlichen Vor­ schriften 56. — im Steuerstrafrecht 138. Jugendamt, Mitwirkung bei Straftaten Jugendlicher 64. Jugendgericht, Zuständigkeit 65. Jugendgerichtsgesetz 63. Jugendgerichtshilfe, Begriff 69. — Beiziehung ihrer Organe 66. Jugendliche, Begriff 63. — Strafbarkeit 63. — Verabfolgen von Branntwein 639. — Abgabe von Tabakwaren 639. — Zulassung zu Lichtspielen 517, 519 Jugendrichter 66 Jugendfachen 66. Jugendwohlfahrtsgesetz 614. — Pflegekinder 618, 619. — Fürsorgeerziehung 621, 624. Junge, Ausnahmen bei Federwild 53. Justizbeamte als Verteidiger 805. K. Kabel, unterseeische, Gesetz betr. deren Schutz 197. Kaliwirtschaft, Gesetz hierüber 480. — Durchführungsvorschristen 481. — Strafbestimmungen 487. Kammern, parlamentarische, Sprengung 14. — Bedrohung 14. — Beleidigung 27. — Redefreiheit 2. Kanäle, Störung 43. Kapitän 163. — Disziplinarbefugnisse 178. -------- Mißbrauch 181. — Strafvorschriften 182. — Ermittlungsbefugnisse 184. Karteligericht 682. Kartellträger 27. Kartellverordnung 680. — Ordnungsstrafen 683. — Strafvorschriften 683. Käse siehe Margarine. Kauffahrteischiffe, Flaggenrecht 158. — Mitnahme heimzuschasfender Seeleute 186. — Schiffsmeldungen bei deutschen Kon­ sulaten 188. — Beihilfen zur Wiederherstellung 189. Kaution, siehe Sicherheitsleistung. Kautschukgegenstände, bleihaltige 546. 64

1010

Die Ziffern bedeuten die Seiten Koste» im Steuerstrafrecht 142 , Kraftsahrliniengesetz 584

Keller, unverwahrte 52.

Kettenhandel 643. Kinder, Unterschiebung 23. Entführung 31. Aussetzung 29. Kindsmord 28. Unzucht 23, 24. Bettel 49. Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben siehe Kinderschutzgesetz. — verboten?Beschäftigungen 455,457,459.

— — — — —

— Sonntagsruhe 456, 459. — Anzeigepflicht 456, 459.

Kinematographie 1019. Kirche, Gottesdienststörung 22 — Beschädigung kirchlicher Gegenstände 41. Klage, öffentliche Strafklage 806.

— Klageänderung, Hinweis 818. — Privatklage 831.

Knappschaftsgesetz

siehe

Reichsknapp­

schaftsgesetz.

Koalitionsfreiheit der gewerblichen Ar­ beiter 421.

Kognak 565. Kokain 570. Kollusionsgefahr, Haftgrund 801. Kommanditgesellschaft auf Aktien 873. Kommissarische Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen 814. — des Angeklagten 815. Kompetenzkonflikt 762. Komplott, hochverräterisches 11. Konkursausverkauf, unlauterer Wettbe­ werb 730.

Konkursordnung 734. betrügerischer Bankrott 734. leichtfertiger Bankrott 735. Gläubigerbegünstigung 735. Gläubigerbestechung 735. Konkursverfahren, Gerichtsferien ohne Einfluß 785. Konfulargerichtsbarkeit 872. — Strafverfahren 876. Konsuln, ausländ., Exterritorialität 762. — deutsche, Organe der Konsulargerichtsbarkeit 872. Konsumvereine, Verkauf an Nichtmib— — — —

glieder 427, 436. Körperverletzung 29, 30. — im Amte 45. — bei Zweikampf 28. — Privatklage 831. — Sühneversuch 832. Korporationen als Privatkläger 831. Kosten im Rechtshilfeversahren 781. — im Strafverfahren 842, 843. — bei Rechtsmitteleinlegung 843. — bei Privatklage 843. — bei Wiederaufnahme 844.

— nicht genehmigte Kraftfahrlunen 585. Kraftfahrzeuggesetz, sicherheitspolizeiliche Vorschriften 581, 583. — Verhalten bei Unfällen 583 — Führerschein 581. — Kennzeichnung des Kraftfahrzeugs 584. Krankenanstalten, private, Konzeisionspflicht des Unternehmers 375

Krankenversicherung 909 — Strafvorschriften 930. — Zuwiderhandlungen gegen Kranken­ ordnung 930. — Verletzung der Anmeldepflicht 931. — zu hohe Abzüge am Arbeitslohn 931. Krankheit, ansteckende, Polizeivorschrif­ ten 44. — Hinderung der Strafvollstreckung 841N — gemeingefährliche, siehe Epidemiengesetz. Krebsen, unbefugtes 39, 53. Kreditgeschäfte, Pflicht zur Rechnungs­ legung 736. Kreditieren von Waren 795, 821. Kreditwucher 39 — Ergänzungsgesetz 736. Kreuzverhör 815. Kriegsdienst, Entziehung 19, 20. — fremder K. 12. — Anwerben hierzu 19 — Entführung hierzu 30. Kriegsgefangene, Anwendung des Mili­ tärstrafgesetzbuchs 89. Kriegs gerät. Ein- und Ausfuhr 109. Kriegsgerichte, Zulässigkeit 762.

Kriegsgesetze 72. KriegShäfen 102. Kriegsleistungen, Gesetz hierüber 101. Kriegslieferungen 44. Kriegsmacht, Benachteiligung 12. — Gefährdung im Felde 77.

Kriegsverbrechen usw., Verfolgung 862, 863, 864.

Kriegsverrat 77. — Zuständigkeit des Reichsgerichts 777.

Kriegszustand 54. Kriminalpolizei 869. Kunstgegenstände, Beschädigung 41. — Ausfuhr 684. — Urheberschutz 697, 701. Kunstsahne 552. Kuppelei 24. Kuratoren, Unfähigkeit 5. — Untreue 35. Küstenfrachtfahrt, Gesetz hierüber 157. Küstengewässer, unbefugtes Fischen 39. — Notsignale usw. 20.

1011

Die Ziffern bedeuten die Seiten.

L. Ladung zur Hauptverhandlung 813. — — — —

Ladungsfrist 813. bei Privatklage 833. des Nebenklägers 834. Abwesender 821. Lähmung infolge Körperverletzung 29. Landesherrliche Familien, vormalige Aufenthaltsverbote 117. Landesjustizverwaltung, Bildung von Schöffengerichtsbezirken 768. — Verteilung der Straskammerschöffen 770. — Bestimmung der Schwurgerichtsbe­ zirke 772. — Dienstaufsicht über Staatsanwaltschaft 779. — Vorschriften über Sühneversuch 832. Landeskokarde, Verlust 5. Landespolizeibehörde, deren Befugnisse bei Polizeiaufsicht 5, 6. — Überweisung an die L. 50. — Verhaftung, wenn Überweisung an die L. möglich 801. — Überweisung unzulässig bei Straf­ befehl 835. Landesregierung, Mitglieder als Zeugen 793.

Landesstrafrecht 54. Landesverrat 11, 12. — Anzeigepslicht 19. — Zuständigkeit 777. Landeswappen, Mißbrauch 48.

Landfriedensbruch 17. Landgerichte 768. Landstreicherei 49. — korrektionelle Nachhaft 50. — Verhaftungsgrund 801. Landtag, Schutz der Körperschaft 14. — Schutz der Wahlen 15. — Abgeordnete 2. — Berichte 2. — Abgeordnete als Zeugen 793. Landzwang, Friedensstörung 17. Leben, Verbrechen gegen das L. 28.

Legalitätsprinzip 806. Legitimationskarte der Gewerbetreibenden 382, 419.

Legitimationspapiere, Fälschung usw. 50. Lehrer, Unzucht mit Schülern 23. Lehrling, Äeb stahl gegen Lehrherrn 32. Lehrlingswesen 403, 417. — im Handwerk 406.

Lehrlingswesen, unbefugtes Halten 420. — siehe auch Handelslehrling. Leibesfrucht, Abtreibung 28, 29. Leiche, vorzeitige Beerdigung usw. 51. — Wegnahme 23.

Leichenfund 807.

Leichenschau, richterliche — Leichenöffnung 797.

797.

Leiftungswucher 640. Leiter politischer Versammlungen 124. Leitung der Hauptverhandlung 815. Leumundszeugnis, Verlesung in der Hauptverhandlung 817.

Licht, unverwahrtes 52. Lichtspielgesetz 516. Zulassungserfordernis 516, 519. Zulassung Jugendlicher 517, 519. Reklamevorschriften 517, 519. Einziehung von Bildstreifen 519. Lieferungsverträge, Verletzung im Kriege 44. Literatur, Urheberschutz 688, 693. — Quellenangabe 704. Lohnabzug bei der Krankenversicherung 931. — bei der Invalidenversicherung 978, 979.

— — — —

Lohnbücher 398. Lohnstatistik, Gesetz hierüber 526. Löschen durch den Brandstifter 41. Löschgerätschaften, Unbrauchbarmachung durch den Brandstifter 41. — Instandhaltung 53. LoSreitzung, gewaltsame, von Bundes­

gebiet 11. Lotsen, Befähigungsnachweis 376. Lotsensignale, Zuwiderhandlung 20. Lotterie, unbefugte 37, 38. — Lotterielose, Veräußerung auf Ab­ zahlung 736. — Rennwett- und Lotteriegesetz 744. Luftfahrtunternehmen, Genehmigungs­

pflicht 205, 209. Luftfahrzeugbau, Beschränkungen 202. — Verordnung hierüber 203.

Luftverkehrsgesetz 204. — Strafvorschriften 209.

M. Machtstellungen,

wirtschaftliche, deren Mißbrauch siehe Kartellverordnung. Mädchen, Verführung 25. — Entführung 31. — Auswanderung 152.

Mäkler, Untreue 35. — siehe auch Devisen (Mäkler), Handels­ mäkler. Mannschaften, hochverräterisches Anwer­ ben 11. — Zuführung an den Feind 12. — unbefugte Bewaffnung 17, 18. Margarine, Kennzeichnungspflicht 549, 550. — polizeiliche Revisionen 550. — Zuwiderhandlungen 551.

1012

Die Ziffern bedeuten die Seiten.

I I 1 I ' I !

Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen (siehe Kartellverordnung) 680 Missionen, ausländische, Exterritorialität 762. Mittäter 7. Modelle s. Muster. Montierungsstücke, Ankauf 53. Mord 28. I — Bedrohung mit M. 33. I — Verabredung zu M. 7. 1 — Nichtanzeige 19. — unter Brandstiftung 41. Morphium 570. Mundraub siehe Entwendung. Munition, Aneignung verschossener M 38 Münzgesetz 261. — Annahmepflicht 262, 263. Münzverbrechen usw. 20, 21. — Auslandsdelikte 1. — unbefugte Führung 420. — Erholung von Gutachten 798. Menschenraub 30, 31. Musikalisches Urheberrecht 688, 694. — Nichtanzeige 19. Mütziggang 49, 50. Messer, bei Körperverletzung 28. Muster, Musterschutzgesetz 704. — bei Schlägerei 52. — Musterregister 705. Metalle, unedle, Gesetz über den Ver­ — Gebrauchsmusterschutzgesetz 721. kehr mit solchen 526. — Gebrauchsmusterrolle 721. — Strafbestimmungen 529 Musterrolle des Seemannsamts 165, 166 siehe auch Edelmetalle. Meuterei von Gefangenen 17. — militärische 83. Nachbildung, unbefugte 1019, 1027 Mietstreitigkeiten,Amtsgerichtssacben763. Nachdruck, unerlaubter 694. — Feriensachen 784. Nacheile bei Verfolgung Flüchtiger 781. Mietzins, Anzeigepflicht von Verein­ Nachlatz, Haftung für Kosten 842. barungen 612, 613. Nachmachen siehe Verfälschung. Militärbehörden, Zeugenladung u.-Vor­ Nachrede, üble 26. führung 793. -------- zwecks unlauteren Wettbewerbs 732. — Beschlagnahmen 799. Nachschieben von Waren 1061. — Durchsuchungen 800. Nachschlüssel, Anfertigung 53. — Militärstrafsachen usw. 838, 839. — schwerer Diebstahl 32. Militärgerichtsbarkeit 838. Nachsicht bei Versäumung von Fristen Militärgut siehe Heeresgut. im Besteuerungsverfahren 129. Militärische Geheimnisse 12. Nachtarbeit 814, 821. — Gesetz gegen den Verrat solcher 105. Nachtzeit, Diebstahl zur N. 32. Militärpersonen, Anwendung des StG Z5.4. — Jagen, Fischen zur N. 39. — Aufreizung 15. — Haussuchung zur N. 799. — Widerstand 16. Nahrungsmittel, Entwendung 53 — Verleitung zu Desertion 19. — Verkauf verdorbener 52, 544. — Kauf von Monturstücken 53. — Verfälschung 544. — Zeugenladung u. -Vorführung 793. — Verwendung von Farben 547. Militärstrafgesetzbuch 71. Nahrungsmittelgesetz 543. Militärstrafrecht, Vereinfachung 993. — polizeil. Revisionen 543. Militärstrafsachen 839. — Strafbestimmungen 544. Minderjährige, Ausbeutung 39. — Einziehungsbefugnis 545. — Entführung 31. siehe auch Butter, Margarine. s. auch Jugendliche. Namensangabe, falsche 48. — auf Konten und in Büchern 133. Minister, Zeugenvernehmung 793. — Entbindung vom Dienstgeheimnis 794. Nebenbeteiligte im Steuerftrafverfahren, Mißbrauch der Amtsgewalt 45. Begriff 853. — des bürgerl. Rechts zur Umgehung — Zuziehung 856. — besonderer Strafbescheid 857, 861. der Steuerpslicht 128.

Marine, Unfähigkeit zum Dienst 5. Marken zu Warenbezeichnungen, Schutz 124. — der Invalidenversicherung, Versals schung usw. 980. Marktverkehr 390. — Polizeiliche Anordnungen 421. — Beschränkungen 658, 659. siehe auch Gewerbebetrieb Marodieren 86. Matz- u. Gewichtsordnung 461. — Strafvorschriften 464. siehe auch Elektrische Maßeinheiten.Temveraturskale; Wärmeeinheit Maul- u. Klauenseuche 604. Meeresufer, Schutzvorschristen 51. Meineid 21, 22. Meisterprüfung 408. Meistertitel 408.

1013

Die Ziffern bedeuten die Seiten. Nebenklage 834. Nebenstrafen 5, 6. Niederschlagung eines

I I Steuerstrafver­ I fahrens 861. : Nordseeflscherei, Polizeivorschristen 538. I Not, Diebstahl usw. aus N. 33. ! — Betrug aus N. 35. ! — Hilseverweigerung 48. Notare, Beamteneigenschaft 47. — Amtsverlust 5. — Geheimhaltungspflicht 39. Notgesetz 638. Nötigung 31. — eines Landtags usw. 14. — eines Beamten 16. — zur Unzucht 24. Notsignale 20.

Notstano 8. Notftandsversorgung

der Bevölkerung mit Gegenständen des täglichen Be­ darfs 665, 667.

Notwehr 8. Notzucht 24. O. Obdachlosigkeit selbstverschuldete 49. Oberlandesgerichte 775. Oberreichsanwalt 778. — Anweisungsrecht 779. Oberstes Landesgericht 776, 786. Objektives Einziehungsverfahren 838. Obrigkeit, Aufforderung zu Ungehorsam gegen sie 15. — Verächtlichmachung 18. Offenbarungseid 22. Öffentlichkeit, bei Sittlichkeitsdelikten 25. — bei Beleidigungen 27. — der Verhandlung 781. — Verletzung, Revisionsgrund 826. — Ausschluß in Jugendsachen 66. Ofstziere, Verletzung der Wehrpflicht 19. Öffnungen, unverwahrte 52. Operationsplüne, Verrat 12. Opiumgesetz 570. — Strafbestimmungen 571, 572. Orden, Verlust 5. — unbefugtes Tragen 48. Ordnung, öffentliche, Verfehlungen 17. Ordnungsstrafen gegen Schössen usw. 768. — gegen Zeugen 793, 795. — gegen Sachverständige 796. — bei der Sitzungspolizei 782. — Höhe 61. — im Steuerstrafrecht 141, 142.

P. Pantomimische Werke 688. Papier zu Papiergeld, Schutz

Papiere, Durchsicht 800. Papiergeld, Fälschung 20. — Stempelanfertigung 48. — Schutz des hierzu verwendeten PaPiers 213. Parlamentsberichte 2. Parteiverrat 47. Partiererei = Sachhehlerei 34. Patz, Fälschung 50. Passiergewicht 263. Patzwesen, Paßzwang 149. — Paßvorschriften 150. Patent, Patentgesetz 710. — Patentverletzungen 717. — Patentanmaßung 718. — Patentamt 712, 721, 723. — Patentanwälte 718. Perlen siehe Edelmetalle. Personenstand, Beurkundung 685, 687. — Fälschung usw. 23, 45. — Verlesung von Registerauszügen in der Hauptverhandlung 817. Persönliche Verhältnisse, Berücksichtigung bei Teilnahme 7. Petroleum, Verkehr mit solchem 543, 544.

Pfandbruch 19. Pfandkehr 38. Pfandleiher, Verfehlungen

48. — Erlaubnispflicht 377. Pfandmitzbrauch 38. Pferde einsahren 51. Pferdefleisch, Kennzeichnung 560, 562. Pflegeeltern, Angehörige 8, — Unzucht mit Pflegekindern 23. Pflegekinder, unbefugte Annahme usw.

619. Pfleger, Unfähigkeit 5. Pflichtexemplare, unentgeltliche Abliefe­ rung kraft Preßgesetzes 119, 122.

Phosphor, Verbot der Verwendung zu Zündwaren 553. Urheberrechtsschutz 697, 701. Platten für Münzverbrechen 21. — Anfertigung 48. — Unbrauchbarmachung 6. Plenarentscheidungen des Reichsgerichts 777, 778. — des Obersten Landesgerichts 786.

Photographie,

Plünderung 86. Politische Versammlungen

123.

— Vereine 123.

Polizeiaufsicht 5, 6. gegen

Nachahmung 213. — zu Schuldurkunden des Reichs, Schutz gegen Nachahmung 881.

— Zuwiderhandlungen 49. — Bedeutung bei Durchsuchungen 799. bei Haftbefehl 801. Polizeibeamte, Hilfsbeamte der Staats­ anwaltschaft 779.

1014

Die Ziffern bedeuten die Seiten.

Polizeibehörde,

Anzeige

bei P.

807.

— Ermittlungstätigßeit 807. — Erlaß von Strafverfügungen 836 Polizeistunde 50. — in Gast- u. Schankwirtschaften 638. Post, Beförderungspflicht 191. — Vorrechte 192. — Postzwang 191. — Postregal 196. Postbeamte 47.

Postdeschlagnahme 799. Postdefraudationen, Strafbestimmungen 193. — Strafverfahren 194. — Verjährung 55. Postsreimarken 36.

— Zuwiderhandlungen 593

— unzulässige 51.

Postsendungen, Öffnung, Unterdrückung 17 Postwertzeichen, Fäschung usw 36, 37, 50 — Platten usw hierzu 48. bei Juhaberpapieren, Gesetz hierüber 212 Präsident des Reichs oder Landes als Zeuge 793. Präsidium beim Landgericht 769 — beim Oberlandesgericht 775. — beim Reichsgericht 777. Prävarikation 47.

Prämien

Preisprüfungsstellen 668. Preisschilder 656, 657. Preistreiberei, Verordnung hierüber 640 — — — — — —

Machenschaften 643, 644. Verabredung 643, 644. Verleitung 644. Nichtabhalten 644. Einziehung 644, 646 Urteilsbekanntmachung 646. Preiswucher 642. Preßdelikte, Zuständigkeit der Schwur­ gerichte 785. — Gerichtsstand (örtl.) 788.

Pretzfreiheit 118. Pretzgesetz 118. — Anwendung zum Schutz der Repu­ blik 117. Pretzpolizei, Landesrecht 54. Privatgeheimnisse, Offenbarung 39.

831.

— unzulässig gegen Jugendliche 69

Privatnotenbänkgesetz 255. — Kontingent 255. — kein Annahmezwang 256. — Strafvorschriften 261. Proben von Nahrungsmitteln u. Entnahme durch Polizeibeamte — Verweigerung der Entnahme — desgl. bei Butter, Margarine 550, 551.

sachen 27. bei falscher Anschuldigung 22. preßgesetzliche 119, 120 bei Patentverletzungen 717 bei Gebrauchsmusterverletzungen 722. bei Warenzeichenverletzungen 728. bei unlauterem Wettbewerb 733. Pulver, Zerstörung mit P 12 — Aufbewahrung usw 51.

— — — — — —

Q. Quälerei von Tieren 49 Quarantäne 589.

Postgeheimnis 192 Postgesetz 191.

Privatklage

Probezeit für Jugendliche 64, 65. Protokoll über die Hauptverhandlung 82o. Provisionswucher 641. Prüfung zum Nichteramt 760. Publikationsbefugnis bei Beleidigungs­

dgl., 543. 544. usw.

Quittungen, Fälschung, bei Aktien, nsm 20. Quittungskarten der Invalidenversiche­ rung,

unzulässige

Einträge 979.

R. Rädelsführer, bei Aufruhr 16 — bei Landfriedensbruch 17

Radio, Schwarzhörer 210 Rapporte, militärische, unrichtige

Ab-

stattung 87.

Raub 33. — mit Brandstiftung 41 — Anzeigepflicht 19.

Raufhandel 30. Raumgehalt der Schankgefäße, Bezeich­ nung 423.

Raupen, Unterlassen 52 Rayongesetz 94. Realgewerbeberechtigungen 370. Realkonkurrenz 10. Reblaus, Bekämpfung 609. Rechnung, unrichtige Führung bei Be­ amten 46.

Rechnungsstellung bei Geld- und Kre­ ditgeschäften 736.

Rechtfertigung der Berufung 824 Rechtsanwalt siehe Anwalt Rechtsbeugung 45. Rechtshilfe 780. siehe

auch

Beistandspflicht.

Rechtskundige als Verteidiger 804, 805. Rechtslehrer, Befähigung zum Richter­ amt 760. — als Verteidiger 804. Rechtsmittel im Strafprozeß 822. Rechtsweg, Entscheidung über Zuläs­ sigkeit 762. Redakteur, verantwortlicher, preßgesetz­ liche Vorschriften 119, 120, 121. Reformatio in peius, Verbot bei Beru­ fung 826. — Verbot bei Revision 829.

1015

Die Ziffern bedeuten die Seiten.

Register, Vernichtung 18.

Reisekosten, Vergütung an Schöffen usw.

— Falschbeurkundung 46. -------- mittelbare 36. Reich, Hoch- und Landesverrat 11, 12. Reichsabgabenordnung 128, 852. — Änderungen 880. siehe auch Steuerstrafrecht.

768. — Vergütung an Zeugen und Sachver­ ständige 796, 797. Reiten, übermäßig schnelles 50. — über Gärten usw. 53. Reklame, unlautere 732. Rekursverfahren nach der Gewerbeord­ nung 373. Religionsdiener siehe Geistliche. Religionsgesellschaft, Beschimpfung 22. — Gottesdienststörung 22. — Beschädigung von Kultgegenständen

Reichsanwalt 778. Reichsausgleichsgesetz 746. — Strafbestimmungen 758

Reichsbank, Notenprivileg 243 Geschäftskreis 247. Notenausgabe 249 Deckungsvorschriften 250 Einlösungspflicht 250 Veröffentlichungen 251. Strafvorschriften 252. ReichSbanknotcn, Schutz des dazu ver­ wendeten Papiers 213. — Annahmepflicht 242. Reichsfarben, Beschimpfung 114. Reichsgericht 776. Reichskasse, Kostentragung 844. — Entschädigung der im Wiederauf­ nahmeverfahren Freigesprochenen 848. — Entschädigung für unschuldig erl. Untersuchungshaft 850. Reichsknappschaftsgesetz 342 — Versicherungspflicht 342, 344, 345, 351. — Beitragsverfahren 354. — Feststellungsverfahren 363 — Strafvorschriften 367 — — — — — —

Reichskriminalpolizeigesetz 869 Reichsmietengesetz 612. — Strafbestimmungen 613.

Reichspräsident, Vernehmung als Zeuge 793.

Reichsrat,

Zeugenvernehmung seiner Mitglieder 793. — Gerichtsstand seiner Mitglieder 762. Reichsregierung, Zeugenvernehmung ihrer Mitglieder 793. Reichstag siehe Landtag. Reichsverfassung, Strafverfolgung von 2lb geordneten 852. — Reichstagsberichte 92. — Reichstagsredeu 92.

Reichsversicherungsordnung 895. — Wahl der Organe 896. — Versicherungsvertreter 898. — Strafbestimmungen 905, 906. siehe auch Krankend ersicherun g, Unfallversicherung, Invalidenversicherung. Reichswehrangehörige als Beschuldigte 839. ReichSwirtschaftsgericht, Tätigkeit nach dem Reichsausgleichsgesetz 756, 757.

41. Religionsvergehen 22 Rennwett- und Lotteriegesetz 744. Republik, Gesetz zum Schutze der R. 113, Abänderung 993 — Staatsgerichtshof zum R. 865.

Schutze der

Revision 826. — Begründung 827.

Revisionen, polizeiliche, nach dem Nah. rungsmitte.gesetz 543, 544. — nach dem Margarinegesetz 550, 551. Richter, Bestechung 44 — Rechtsbeugung 45. — Ausschließung und Ablehnung 790. Richteramt, Fähigkeit hierzu 760. — Enthebung 761. Rinderpest, Maßregeln hiergegen 594. — Zuwiderhandlungen 594, 595. Robbenfang, zur Schonzeit 538.

Rohrpostanlagen 42. Rotes Kreuz, Schutz desselben 104. Rückfall, bei Diebstahl 32. — bei Raub 33. — bei Hehlerei 34. Rückfall, bei Betrug 35. — bei Bettel 50. — bei Steuerdelikten 140. — Entscheidung über Rückfallsvoraussetzungen 818.

Rückkaufshändler 48. Rückkehr, unbefugte, eines

Ausgewie­ senen 49. Rücktritt, beim Versuch 6. — bei Meineid 21. — bei Brandstiftung 41. Ruhen der Verjährung 9. — bei Aussetzung der Strafvollstreckung gegen Jugendliche 64.

Ruhestörung 48.

Sachbeschädigung 40, 41. — Privatklage 831.

Sachverständige 796. — unwahre Entschuldigung 19. — falsches Gutachten 21.

1016

Die Ziffern bedeuten die Seiten.

Sachverständige, Ablehnung 796. — Berweigerungsrecht 796. — Gebühren 797. — Schriftsachverständige 798. Sammelwerk 995, 1009, 1017. Sammlungen, öffentliche, Beschädigung 4 1. Schädlingsbekämpfung mit hochgiftigen Stoffen 569. Schamgefühl, Verletzung 25 Schankgefäße, Bezeichnung des Raum­ gehalts 423. Schankwirtschaft, Erlaubnispflicht 376. — weibliche Angestellte 499. — Polizeistunde 638. — Schließung 638. — Branntweinausschank 639 Schauspielunternehmer, Erlaubnispflicht 376. Schiedsrichter siehe Richter. Schießbedarf, verbotenes Aufsammeln 48. — Zerstörung usw. im Kriege 12. Schießen, verbotenes 52. Schießpulver, Aufbewahrung usw. 51. Schiffahrt, Gefährdung 43. Schiffe, der Kriegsmarine, Beschädigung usw. im Kriege 12. — Vorschriften bei Zusammenstoß 20. — Strandung bzw. Sinken 43. zwecks Versicherungsbetrugs 35. siehe auch Kauffahrteischiffe. Schiffer, Mitnahme von Konterbande 39. — Entlaufen mit der Heuer 39. Schiffsmann, Anmusterung 165. — Abmusterung 165. — Strafvorschriften 179. Schiffsmeldungen bei den deutschen Konsulaten 188.

Schiffsregister 158, 159. Schiffszertifikat 159. Schlachtviehmärkte, Vorschriften

über Preisfeststellung 465. Schlachtvieh» und Fleischbeschau 557. — Strafvorschriften 561, 562. Schlageisen, verbotenes Auslegen 52. Schlägerei 30. — Waffengebrauch 52. Schleusen, Beschädigung usw. 43. Schlingen, Benutzung zur Jagd 39. Schlittengeläute, Fahren ohne solches 51. Schlösser, unbefugtes Offnen 53. Schlüssel, unbefugte Anfertigung 53. — Diebstahl mit falschen Sch. 32. Schmalz siehe Butter, Margarine. Schmiergelder, unlauterer Wettbewerb 731. Schnellfahren 67. Schöffen, Zuziehung 764. — Urliste 765. — Jahresliste 766. — Beeidigung 767.

Schöffen, Entschädigung 768. Landgerichtsschösfen 770. Jugendschöffen 66. Ordnungsstrafen 768. falsche Entschuldigung 19. siehe auch Richter. Schöffenamt, Unfähigkeit 5, 764. — Ablehnungsrecht 765. Schöffengericht, Zuständigkeit 764 — als Jugendgerichte 65. Schonungen unbefugtes Betreten 53. Schonzeit, Jagen zur Sch. 39. — für den Robbenfang 538. Schornsteine, Nrchtreinigung 52. — — — —

Schornsteinfeger 379. Schriften, hochverräterische

11. aufreizende 15. unzüchtige 25. beleidigende 26, 27. Unbrauchbarmachung 6. Schriftstücke, Verlesung in der Hauptverhandlung 817.

— — — —

Schriftvergleichung 798. Schriftwerke 996. Schuld frage, Mehrheitserfordernis 818. Schuldurkunden des Reichs und der Länder, Schutz des hierzu verwen­ deten Papieres 881. Schuldverschreibungen, Fälschung 20. — Nachbildung 48. — wertbeständige, unbefugte Ausgabe 329. — unverzinsliche, unbefugte Ausgabe 252.

Schuldverschreibungsgesetz 740. — Stimmenkauf in bezug auf die Gläubigerversammlung 741. Schußwaffen, unbefugtes Feilhalten usw. 52. Schutzaufsicht bei Jugendlichen 64, 620. Schutzwehre, Beschädigung usw. 43. Schwangere, Abtreibung 28. — Unzulässigkeit der Strafvollstreckung

841. Schweigepflicht der Schöffen und Ge­ schworenen 784. — bei Ausschluß der Öffentlichkeit 782. siehe auch Geheimnisbruch, Amts­ geheimnis. Schwiegereltern, Angehörige 8. — Blutschande 23.

Schwurgerichte 771. — Zuständigkeit für Preßdelikte 785. Seeauswurf 156. Seedampfer, Befähigungsnachweis der Steuerleute usw. 376.

Seefahrtsbuch 164. Seemanns ämter 163. — Strafverfolgung durch S. 183. — Schlichtungstätigkeit 185.

Seemannnsordnung 162.

1017

Die Ziffern bedeuten die Seiten.

Seenot, Hilfeleistung 155. Seeraub 33. See-Unfallversicherung 627. Sekundanten beim Zweikampf 28. Selbstbefreiung siehe Meuterei. Selbftgeschotz, unbefugtes Auslegen 52. Selbstverstümmelung zwecks Wehrpflicht entziehung 20. — militärisches Delikt 79. Sequester, Untreue 35. Seuchen, Polizeivorschriften, Zuwider­ handlung 44. stehe auch Viehseuchen, Epidemiengesetz. Sicheres Geleit, Gewährung an abwe­ sende Beschuldigte 822. Sicherheit, eidliche, Zuwiderhandlung 22. Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft 779. — auf Straßen usw. 51. Sicherheitsdienst, seine Beamten als Sicherheitsleistung zur Abwendung der Untersuchungshaft 802. — bei Antrag aus gerichtl. Entscheidung

808. — bei Privatklage 832. — bei Strafaufschub 841. Siechtum infolge Körperverletzung 29. Siegel, Anschaffung zu Münzdelikten 21. — unbefugte Anfertigung 48. Siegelbruch 19. Signale, Eisenbahntransportgefährdung

42. Silberwaren, Bezeichnung des Feinge­ halts 424.

Singspielunternehmer, Erlaubnispflicht 377.

Singvögel, Schutz der Eier und Jungen 53. Sinkenmachen eines Schiffes 47, 57. Sittlichkeitsdelikte 23. Sitzungspolizei 782. Sitzungsprotokoll 820. Sklavenhandel 687. Sklavenraub 687. Sodomie 24. Soldaten siehe Militärpersonen. Sondergerichte 761. Sonntagsfeier, Störung 50. Sonn- und Festtagsruhe im Seemanns­ dienst 168, 183. — im Gewerbebetrieb 394, 418. Spielkarten, Stempelfälschung 36. Spielsuchl, Hilfsbedürftigkeit infolge Sp.

49. Spielwaren, gesundheitsschädliche 543,544. — Farbenverwendung

547.

Spionage 12. — Gesetz gegen den Verrat militärischer Geheimnisse 105. Sprengstoffe, Aufbewahrung usw. 51. — unbefugter Besitz usw. 576, 577.

Sp^ngsto^e,

verbrecherischer

Gebrauch

— gemeingefährlicher Gebrauch 576,577.

Sprengung erlaubter Versammlungen usw. 15. — gesetzgebender Versammlungen 14.

Sprungrevision 826. Staaten, befreundete, feindliche Hand­ lungen 14.

Staatsangelegenheiten,

sriedenstörende Erörterung durch Geistliche 18. Staatsanwaltschaft, Einrichtung 778. — Anklagebehörde 806. — bei Hauptverhandlung 814. Staatsbürgerrechte, Verlust 5. — Schutz der Ausübung 15. Staatseinrichtungen, Verächtlichmachung 18. Staatsgebiet, hochverräterische Losreißung 11. Staatsgeheimnisse, Verrat 13 -------- im auswärtigen Dienst 47. Staatsgerichtshof zum Schutze der Re­ publik 116, 865. Staatsgeschäste, nachteilige Führung 13. Staatsgewalt, Widerstand 15. Staatskasse, Kostentragung 843. — Ersatzpflicht bei Freisprechung nach Wiederaufnahme 848. — Ersatzpflicht bei unschuldig erlittener Untersuchungshaft 850. Standrecht 54, 762. Statistik, Gesetz betr. Lohnstatistik 526.

Stauanlagen 374. Stauer, Untreue 35. Steckbrief zwecks Aburteilung 803. — zwecks Strafvollstreckung 841.

Steine, Wersen 51. — Wegnehmen 53.

Stellenvermittler, Gesetz 466, 633. — Strafvorschriften 467, 636. des Gewerbetreibenden 382. — Haftung des Vertretenen 421. Stempel, Anschaffung zu Münzdelikten

Stellvertreter

21. — unbefugte Anfertigung 48. Stempelmarken, Fälschung 36. — Feilhalten verwendeter St. 50.

Sterbefalls-Anzeige 993, 994. Sterbekasse, unbefugte Errichtung 48. Steuer, Begriff 128. — rechtswidrige

Erhebung

46.

Steuerfestsetzung 132. Steuergefährdung 140. Steuerhehlerei 140. Steuerhinterziehung 138. Steuerstrafrecht 138. — Anpassungsverordnung 880. — Strafverfahren 852.

1018

Die Ziffern bedeuten die Seiten.

Steuerumgehung 128. — Strafbarkeit 138, 140. Steuerzeichen, Fälschung usw. 140. Steuerzuwiderhandlungen 138. Stiche siehe Platten. Stiefeltern siehe Angehörige. Stimmenkauf in öffentlichen Angelegen­ heiten 15. — im Konkursverfahren 735. — nach dem Schuldverschreibungsgesetz 741. — bei Aktiengesellschaften 436. — bei Wirtschastsgenossenschaften 436. Stimmenmehrheit int allgemeinen 784. — bei Schuld- und Strasfrage 818. Stimmrecht, Verlust 5. — Hinderung der Ausübung 15. — der Schöffen 764. — der Geschworenen 771.

Stimmzettel, Fälschung 15. — keine Druckschriften 123. Störung des Gottesdienstes 22. — der öffentl. Ordnung 48, 51. — der Sonntagsruhe 50. — des Fahrwassers 43. Stoffe, explodierende 68. Strafantrag 8. — Anbringung 807. — gegen Militärpersoneu 840. Strafauffchub 841. Strafausschließungsgründe 7. Strafbefehl 835. — gegen Jugendliche 69. Strafbemessung gegen Jugendliche 64. — Mehrheitserfordernis 818. Strafbescheid, verwaltungsbehördlicher 837. — des Seemannsamts 184. Strafen, Arten 1, 2. — Bemessung 3. — Landesrecht 54. — Zusammentreffen 10. — Verjährung 9. — Anrechnung von Auslandsstrafen 2. — Anrechnung von Untersuchungshaft 8. — Umrechnung 3. Straferlaß bei Jugendlichen 64, 65. Straffreiheit bei hochverräterischen Un­ ternehmungen 58. Strafgesetzbuch 1. — Anwendung im Landesstrafrecht 54. — Einführungsgesetz 54. Strafkammer, Zuständigkeit 770. — kleine Str. 770. — große Str. 770. — in Schwurgerichtssachen 771. — in der Voruntersuchung 770. Strafliste, Verlesung in der Hauptver­ handlung 817. stehe auch Strafregister.

Strafprozeßordnung 788. — Einführungsgesetz 844. — Verordnung zur Überleitung an­ hängiger Strafverfahren 847. Strafregister, Gesetz über beschränkte Auskunft und Tilgung von Straf­ vermerken 863. Strafurteil, Verlesung früherer in der Hauptverhandlung 817. — Art der Verkündung 819. — Verlesung in der Berufungsinstanz 825. Strafverfolgung, Verjährung 9. — Antrag 8. Strafverfügung, polizeiliche 836. — gegen Jugendliche 69. Strafvollstreckung 840. — Einzelhaft 3. — widerrechtliche 45. — Vereitelung 46. — gegen Jugendliche 65. Strandtristige Gegenstände 156. Strandung, vorsätzliche 43. — betrügerische 35. Strandungsordnung 154. Strandvogt 155. Straßenpolizei, Übertretungen 51. Stubenarrest 79. Stumme, strafrechtl. Verantwortlichkeit 8. — Beeidigung 795. — notwendige Verteidigung 804. Stundung von Geldstrafen 4. Sühneversuch bei Privatklage 832. Süßftoffgesetz 572. — Strafbestimmungen 573. T. Tadelnde Urteile 26. Tanzlustbarkeiten, landesrecht!. Vorbe­ halt 377. Tanzunterricht, Untersagungsbefugnis 378. Tapeten, gesundheitsschädliche 543, 544. Tätlichkeiten bei Beleidigung 26. — gegen Beamte 16. — gegen militärische Vorgesetzte 81. Tatsachen, beleidigende 26. — kreditschädigende 732. Tatumstände, Unkenntnis 8. Taube, notwendige Verteidigung 804. Taubstumme s. Stumme. Taxen, polizeiliche Zulässigkeit 391. — Überschreitung 420. Teerwirtschaft, Verordnung hierüber 519. — Strafbestimmungen 524. Teilnahme 7. — bei Strafantrag 8. — bei Raufhandel 30. — bei Aufruhr 16. Teilzahlungen, Bewilligung bei Geld­ strafen 4.

1019

Die Ziffern bedeuten die Seiten.

Telegramm, Beschlagnahme 799. Telegrammfälschung 47. Telegraphen, Kriegsverrat 12. — Beschädigung usw. 42. Telegraphen, Dienstunfähigkeit 43. — Wertzeichen 36, 48, 50. — Geheimnis 47, 198. Telegraphenanlagen, Reichsregal 197. — unbefugte Errichtung 199. Telegraphenkabel, unterseeische, Schutz 197. Temperaturskale, Gesetz hierüber 534. Termin, Anberaumung zur Hauptver­ handlung 813. Testamentsvollstrecker, Untreue 35. Theatralische Vorstellungen, Erlaubnis­ pflicht 377. Tiere, Unzucht mit solchen 24. — Vernachlässigung der Aufsicht 51. — Halten wilder T. 52. — Quälerei 49. Tierkadaver, Beseitigung 608. Tierquälerei 64. — bei Viehseuchen 602, 604, 607.

Titel, Verlust 5. — unbefugte Annahme 48.

Todesstrafe 1, 2. — — — —

Ehrverlust 5. Verjährung 9. Vollstreckung 841. unzulässig gegen Jugendliche 64. Tollwut 603. Tonkunst, Urheberschutz 688 693. Torfmoore, Anzünden 41. Totalisatorunternehmen^ unbefugtes 744, 745. Totschlag 28. Tötung 28. — aus Verlangen 28. — Kindstötung 28. — infolge Notzucht 24. — infolge Körperverletzung 29. — bei Raufhandel 30. — infolge Brunnenvergistung 43. — infolge Freiheitsberaubung 31. — im Zweikampf 28. — aus Fahrlässigkeit 29. — durch Gift 30. — bei Raub 33. — bei Brandstiftung 41. — bei Überschwemmung 42. — bei Eisenbahntransport 42. — durch Stranden 43. Transportgefährdung bei Eisenbahn 42. Transportgewerbe, ortspolizeiliche Re­ gelung 379. — Taxen 391. Transportmittel, Kriegsverrat 12. Trauung, vorschriftswidrige 45. — Vorspiegelung zwecks Erschleichung des Beischlafs 24.

Trennung, verbundener Strafsachen 788. Trichinenhaltiges Fleisch 52. Trichinenschau 561. Trödelhandel, Untersagungsbefugnis 378. Truckverbot 398, 418. Trunkenheit, selbstverschuldete, bei mili­ tärischen Delikten 76.

Trunksucht 49, 50.

U. übergehen zum Feind, Verleitung 12. Überschreitung der Notwehr 8. Überschwemmung 42. — Anzeigepflicht 19. Übersetzungen von Werken der Literatur 688. Übertretungen 1, 47. — im Ausland begangene 2. — Zuständigkeit 763. Überweisung an die Landespolizeibe­ hörde 50. üble Nachrede 26.

Uferschutz 51. Umrechnung von Vermögensstrafen und Bußen 62.

Umwandlung

von Zuchthausstrafe 3. — uneinbringlicher Geldstrafe 4. — bei Versuch 6. Unbrauchbarmachung v. Gegenständen 6. — Verfahren hierbei 838. Uneheliches Kind, Tötung 28. Unfähigkeit zu Ämtern 5. — zum Heeresdienst 5. — zum Eid 22. — zum Eisenbahn- oder Telegraphen­ dienst 43.

Unfallversicherung 932. — Gewerbe-U. 932. -------- Unfallverhütung §45. -------- Strafvorschriften 948. — landwirtschaftliche U. 949. Unfallverhütung 956. Strafvorschriften 956. — See-U. 957. -------- Unfallverhütung 963. -------- Strafvorschriften 964, 988. — Unfalluntersuchung 983. Unfug, grober 48. — an Gräbern 23. — an Hoheitszeichen 14, 19. — in Kirche 22. Ungebühr vor Gericht 782. Ungehorsam, Aufforderung 15. — gegenüber Militärpersonen 15. — der Zeugen usw. 19. — militärischer 81. Unglücks fall, Hilfeweigerung 48. Uniform, unbefugtes Tragen 48. Unkenntnis von Tatbestandsmerkmalen 8.

1020

Die Ziffern bedeuten die Seiten.

Unlauterer Wettbewerb, Gesetz 729.

Urkunden, unbefugtes Offnen 39.

-------- Privatklage 733, 831. — unlautere Reklame 732. Unterbrechung der Verfolgungsverjäh­ rung 9. -------- durch Strafverfügung 836. -------- durch Strafbescheid 837. — der Bollstreckungsverjährung 10. — der Hauptverhandlung 814. Unterhaltsberechtigte, Entschädigung bei unschuldig erlittener Untersuchungs­ haft 848. Unterhaltspflicht, Verletzung 49. Unterkommen, Nichtverschaffung 49. Unternehmen des Hochverrats 11. — der Meineidsverleitung 22. Untersagung des Geschäftsbetriebs bei Steuerdelikten 139. — des Gewerbebetriebs bei Unzuver­ lässigkeit 378. Unterschlagung 32. — im Amte 46. Unterschriftensammlung unbefugte, von Militärpersonen 82. Untersuchung gegen Unschuldige 45. Untersuchungshaft, Verhängung 801. — Vollzug gegen Jugendliche 67. — Anrechnung 8. — Entschädigung für unschuldig erlit­ tene U. 848. Untersuchungsrichter, Bestellung 768. — Führung der Voruntersuchung 809.

— Verlesung in der Hauptverhanolung

Untreue 35. Unverwahrte Öffnungen usw. 52. Unzucht, widernatürliche 24. — — — — — — —

gewaltsame 24. mit Kindern 23, 24. öffentliche 25. gewerbsmäßige 49. Entführung hierzu 31. durch Schriften usw. 25. Durchsuchung in Räumen der U. 800.

Unzurechnungsfähigkeit 7. Urheberrecht an Werken der Literatur und Tonkunst 688. -------- Verletzungen 694. — an Werken der bildenden Künste und Photographie 697. -------- Verletzungen 701. — Quellenangabe 704. — an Mustern und Modellen 704. Verletzungen 706. — Privatklage bei Verletzung des U.

831. Urkunden, Fälschung 35. —- Falschbeurkundung durch Beamte 46. -------- mittelbare 36. — Vernichtung bzw. Unterdrückung 36. bei amtlich verwahrten U. 18. landesverräterische 13.

817. Urkunden

siehe auch Zeugnis, Legiti­ mationspapiere. Urliste für die Schöffenwahl 765. Urteil, Erlassung 818. — Begründung 819. — Verkündung 819. — schriftliche Niederlegung 820. — Zustellung 791. Urteilsformel, Verlesung 819. — Protokollierung 820. —- vollstreckbare Abschrift 841.

B. Verabredung zu Hochverrat 11. — zu Mord 7. -------- an republikan. Regierungsmit­ gliedern 113. Verächtlichmachung von Staatsein rich?tungen 18. — beleidigende 26. — zwecks Anreizung zu Zweikampf 28.

Berbandszeichen 729. Verbeiständung 806. Verbindung zusammenhängender Straf­ sachen beim höheren Gericht 788. zusammenhängender Straf­ sachen beim gleichen Gericht 8;5. — in Jugendsachen 66. Verbindungen, geheime 18. — gegen die Republik gerichtete 113,

Verbindung

114. — zwecks Diebstahl 32. — zwecks Raub 33.

Berbrauchsgegenstände, Entwendung 53. — Vergiftung 43.

Verbrechen 1. — im Ausland begangene 2. — Erbieten oder Auffordern hierzu 7. — Zuständigkeit 763, 771, 777. Verbreiter, preßgesetzliche Verantwor­ tung 121. Verbreitung aufwieglerischer Schriften usw. 15. — unzüchtiger Schriften usw. 25. — unwahrer Tatsachen 26. — von Druckschriften 118. Vereidigung siehe Beeidigung. Vereinigungen gegen die Sicherheit der Republik gerichtete 116. — mit dem Friedensvertrag unverein­ bare 127. Vereinsgesetz 123. Verfälschung von Urkunden 35. -------- landesv erräterische 13. — von Geld 20. -------- Gutachten hierüber 798. — von Steuerzeichen 140.

Die Ziffern bedeuten die Seiten.

Verfälschung von Depeschen 47. — des Sitzungsprotokolls 820. — von Nahrungsmitteln 544. Verfälschung von Invalidenversicherungs­ marken 980. Verfassung, Unternehmen gewaltsamer Änderung 11. siehe auch Reichsverfassung. Verführung zum Beischlaf 25. Vergehen 1. — im Ausland verübte 2. — Strafbarkeit des versuchten B. 6. — Zuständigkeit 763. Vergiftung von Menschen 30. — von Brunnen usw. 43. — Untersuchung 798. Vergnügungen, Einschränkungen durch Landesrecht 639. Vergreifen an einem Vorgesetzten 91. Vergütung an Sachverständige 797. Verhaftung 801. — rechtswidrige 45. Verheerung fremder Sachen im Felde 96 Verheiratung ohne dienstliche Genehmi­ gung 99. Verhinderung strafbarer Handlungen 19. — staatsbürgerl. Rechte 15. — des Gottesdienstes 23. — des Vorbeifahrens 51. Verjährung, Berücksichtigung des aus­ ländischen Rechts 2. — der Strafverfolgung 9. bei Rückfall 32. bei Bigamie 23. — — bei Beleidigung 27. bei Körperverletzung 30. bei Postdefraudationen 55. bei Preßdelikten 121. bei Steuerdelikten 143. bei Seemannsdelikten 183. -------- bei Urheberrechtsdelikten 695, 706 709. -------- bei Strafbestimmungen der RVO. 906. — der Strafvollstreckung 9. — Entscheidung über das Vorliegen der V. 818. siehe auch Unterbrechung, Ruhen. Verkauf unzüchtiger Schriften 25. — von Giften usw. 51. — vergifteter Sachen 43. — verdorbener Nahrungsmittel 52. — verbotener Waffen 52. — gebrauchten Stempelpapiers 50. Verkaufsstellen, offene, besondere Vor­ schriften 414. Verkehr, Störung 51. Verkündung gerichtlicher Entscheidungen im allgemeinen 791. — des Urteils 819.

1021

Verlassen eines Hilflosen 29. Verleger, preßgesetzliche Pflichten 119, 120. Verleitung zur Desertion usw. 19. — zum Meineid usw. 22. — zum Beischlaf 24. — zur Eheschließung 23. Verleitung zu Amtsdelikten 47. — zur Börsenspekulation 233. siehe auch Aufforderung. Verlesung von Urkunden i. d. Hauptverhandluna 817. Verletzung des Amtsgeheimnisses 39,47. — des Schamgefühls 25. siehe auch Beschädigung. Verleumdung 26. — republikan. Regierungsmitglieder 114. Verlobte, Angehörige 8. — Zeugnisverweigerungsrecht 793. Verlust der bürgerl. Ehrenrechte 5. — öffentlicher Ämter usw. 12. Vermögensbeschlagnahme 13, 19. — Verfahren gegen Abwesende 822. gegen Hochverräter usw. 838. gegen Fahnenflüchtige 839. siehe auch Beschlagnahme. Vermögensstrafen, Verordnung hierüber 57. — Vollstreckung 842. — Beistand der Behörden hierbei 850. Vernehmung des Verhafteten 801, 803, 804. — des Beschuldigten im Vorverfahren 804, 807. — des Angeschuldigten in der Vor­ untersuchung 810. — des Angeklagten in der Hauptver­ handlung 815, 816. — des abwesenden Angeklagten 815. — der Zeugen und Sachverständigen 794, 795 815. -------- kommissarische 814. Vernichtung von Urkunden oder Grenz­ zeichen 36. — amtlicher Urkunden 13. durch Beamte 46. — staatsrechtlicher Urkunden 13. — Verfahren auf straf gerichtliche Ver­ nichtung von Gegenständen 838. Verringerung von Münzen 21. Versammlungen, gesetzgebende, Spren­ gung 14. — erlaubte, Sprengung 15. — religiöse, Störung 22. — republikgefährliche 116. — politische, Anzeige 123. — unter freiem Himmel 124. — im befriedeten Bannkreis 126. Versäumung von Fristen, Wiederein­ setzung 792.

1022

Die Ziffern bedeuten die Seiten

Verschwägerte, Angehörige 8. — Zeugnisverweigerungsrecht 793. Versicherung an Eides Statt 21. — unter Berufung auf Diensteid 21. auf früheren Eid 21. — betrügerische, gegen Feuer 35. Versicherungsanstalten, unbefugte Er­ richtung 48. — Täuschung durch falsche Zeugnisse 37. Versicherungsbetrug 35. Versicherungsunlernehmungen,private3l7 — Zulassung 317. — Geschäftsführung 326. — Beaufsichtigung 329. — Strafvorschriften 338. Versorgung der Bevölkerung, Notstand 665, 667. Versteigerer, Untreue 35. Versteigerungen, öffentliche, Polizeivorschriften 52. — Beschränkungen 659. Verstorbene, Beschimpfung des An­ denkens 26. VerftrickungSbruch 19. Verstümmelung zwecks Wehrpflichtent­ ziehung 20. Versuch 6. Verteidiger, Geheimnisbruch 39. Verteidigung bei Beleidigung ' 26. — bei Notwehr 8. — im Strafverfahren 804, 840. — bei Jugendlichen 67. Vertrauenspersonen zur Schösfenwahl 766. Vertreter, gesetzlicher, Strafantragsrecht 8. — des Jugendlichen, Rechte desselben 67. — juristischer Personen, steuerrechtliche Pflichten 130. Verwalter, Untreue 35. Verwaltungsbehörden, Zuständigkeit 761. — Kompetenzkonflikt 762. — Strafbescheide 837. Verwaltungsgerichte, Zuständigkeit 761. — Kompetenzkonslikte 762. Verwandte, Angehörige 8. — Zeugnisverweigerungsrecht 793. Verwarnung als Erziehungsmaßregel bei Jugendlichen 63. Verwechslungen, absichtl. Hervorrusung zwecks unlauteren Wettbewerbs 732. — bei Warenzeichen 728. Verweigerung des Zeugnisses 793. — der Beeidigung des Zeugnisses 794. — des Gutachtens 796. — Ordnungsstrafen 795, 796. Verzicht auf Beweismittel 816. — auf Rechtsmittel 823. -------- Wirkung auf Strafvollzug 840. Viehseuchen, Gesetz hierüber 596.

Viehseuchen, Anzeigepslichten 598, 607 — Schutzmaßregeln 600, 607. — Zuwiderhandlung gegen seuchenpolizeitliche Absperungsvorschristen usw. 44. — Desinfektionsvorschriften für Eisen­ bahnen 595, 596. Viehtreiben, unbefugtes, über fremden Grund 53. Viehverkehr, Handelserlaubnis 661,664. Vogelschutz 53. — Gesetz hierüber 539. — Strafbestimmungen 540. — Einziehung 540. Volks gerichte, bayrische, Wiederauf­ nahmeverfahren 871. Vollstreckung, Beamte, Widerstand 15. siehe auch Strafvollstreckung. Vollstreckungsbeamte 780. siehe auch Strafvollstreckung. Vorbeifahren, Verhinderung 51. Vorbereitungshandlungen zu Hochverrat 11. — zu Münzdelikten 21. — zu Verbrechen 7. Vorfragen, zivilrechtliche 818. Vorführung von Zeugen 793. — des Beschuldigten 804. -------- bei Privatklage 833. — zur Strafvollstreckung 841. Vorgesetzte, Rügen 27. — Strafantragsrecht 27. — Verleitung Untergebener 47. — militärische, verantwortlich f. Dienst­ befehle 75. Vorläufige Entlassung Verurteilter 3. — Beschlagnahme von Presserezeugnissen 121. — Festnahme Verdächtiger 803. — Einstellung des Verfahrens 812. — Anordnungen des Gerichts bei Straf­ taten Jugendlicher 64. Vormund, Unfähigkeit 5. — Unzucht mit Mündeln 23. — Kuppelei 24. — Untreue 35. Vormundschaftsgericht, Mitwirkung bei Straftaten Jugendlicher 63. Vorschieben von Waren 1061. Vorschubleisten der Unzucht 24. — zugunsten der feindlichen Kriegs­ macht 12. Vorschützung von Gebrechen zwecks mili­ tärischer Dienstpflichtentziehttng 80. Vorsitzender, Leitung der Hauptverhandlung 815. — Sitzungspolizei 782. Vorträge, Gegenstand des Urheberrechts 996. Voruntersuchung 809. — Ergänzung 812.

Die Ziffern bedeuten die Seiten.

W. Wache, militärische, Delikte gegen sie 8-1. -------- Mißbrauch ihrer Dienstgewalt 85. — Wachvergehen 87. Wahlzettel 20, 435. Waffen, verbotene 52. — unbefugtes Aufsammeln 48. — hochverrät. Waffenüben 11. Waffen in Feindes Hand bringen 12 — aus Heeresbeständen, unbefugter Be­ sitz 108. — unbefugtes Tragen in Versamm­ lungen usw. 124 Waffenbesitz, Verordnung hierüber 579. Waffengebrauch, unbefugter, durch Mili­ tärpersonen 88 Waffenlager, Verheimlichung 114. Wahlen, Verhinderung 15. — Wahlhandlungsfälschung 15. — Stimmenkauf 15. — Unfähigkeit 5 — Verlust von Wahlämtern 5, 12. — zu Betriebsräten, Benachteiligung 514.

Wahlverteidiger 804. Wahlzettcl 20, 245 Wahrheitsbeweis bei Beleidigungen 26. Wahrnehmung berechtigter Interessen 27 Wald, Brandstiftung 41. — gefährliches Feueranzünden 52.

Waldeigentümer, Widerstand gegen ihn 16.

Wanderbuch, Fälschung 50. Wandergewerbe 384. — Zuwiderhandlungen 419, 420.

Wandergewerbeschein 384, 655. — Zuwiderhandlungen 419.

Wappen, unbefugter Gebrauch 48. — Verwendung zu

Warenzeichen 727.

Waren, leichtentzündliche, Aufbewahrung 51. — Empfehlungskarken, papiergeldähnl. 48.

Warenbezeichnungen, Schutz derselben 723. — Berbandszeichen 729. — Freizeichen 724. — Strafvorschriften 727, 728. Warenumlauf, Sicherstellung 679.

Warenzeichenblatt 724. Warenzurückhaltung 643. Wärmeeinheit, Gesetz hierüber 534. Wasserbauten, Zerstörung usw. 43. Wasserstandsmerkmale, Verrückung usw. 36. Wasserstraßen, Polizeivorschriften 51. Wechselseitige Beleidigungen, Antrags­ frist 27.

Wechselstubenverordnung 236, 894. Wege, Beschädigung usw. 43. — Ab grab en usw. 53. — unbefugtes Betreten 53. — Polizeivorschriften 51.

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Wehre, Beschädigung usw. Weibliche Angestellte in Gast- u. Schank­ wirtschaften 499.

Wein, Gesetz hierüber 562. -------- Strafbestimmungen 567, 568. — Verordnung hierüber 569. Weinberge, Schließung 52. — unbefugtes. Betreten 53. Weinbrand 565. Werbung zu ausländ Militärdienst -19. — zu hochverrät. Zwecken 11. Wertbeständige Schuldverschreibungen, Ausgabe solcher 239. Wertpapiere, ausländische, Bekanntm. hierüber 234. Wettbewerb, unlauterer 729. — Privatklage 831. Wettbuch, Wettschein 744, 745. Widerklage bei Privatklage 833. Widernatürliche Unzucht 24. Widerruf des Meineids usw. 21, 22. — der Anschlußerklärung des Nebenklägers 835. Widersetzung, militärisches Delikt 81. Widerstand gegen die Staatsgewalt 15. — gegen Jagdbeamte usw. 16. Wiederaufnahme des Verfahrens 829. — Entschädigung der hierbei Freige­ sprochenen 847. — gegen Kriegsgerichtsurteile 864 — gegen Urteile bayer Volksgerichte 871. Wiederausgabe falschen Geldes 20, 21. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand allgemeines 792. — bei Verurteilung eines Abwesenden 815 — neben Berufung 824. — neben Revision 827. — bei Strafbefehl 836. — bei Strafverfügung 836. — bei Strafbescheid 837. Wiesen, unbefugtes Betreten usw. 53. Wilderer 38, 39. Wirtschaftliche Maßnahmen, Zuwider­ handlung gegen Vorschriften hierüber

56. Wirtschaftsgenossenschasten s. Genossen­ schaftsgesetz. Witwenkassen, unbefugte Errichtung 48. Wohnsitz, Gerichtsstand 788. Wohnung, widerrechtl. Eindringen 17. -------- durch Beamte 45.

Wohnungsmangelgesetz 673. — Strafvorschriften 677.

Wrack von Schiffen, Beseitigung 156. Wucher 40. — bei Pfandleihern 49.

Wundärzte beim Zweikampf 28. Geheimnisbruch 39.

Würden, Verlust 5. I -- unbefugtes Annehmen 48.

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Die Ziffern bedeuten die Seiten.

3. Zeichen öffentlicher Autorität, Unfug usw. damit 19, 14. — zur Sicherung der Schiffahrt, Weg­ nahme usw. 43. Zeichenrolle 723. siehe auch Warenbezeichnungen. Zeitungsanzeigen, unerlaubte, betr. Gegenstände des täglichen Bedarfs 659, 660. Zerstörung durch Pulver u. dgl. 42. siehe auch Vernichtung. Zeugen, unwahre Entschuldigung 19. — falsches Zeugnis 21. — Unfähigkeit 5, 22. — beim Zweikamps 28. Zeugenvernehmung 794, 795. — Ladung 793, 813. — Zwangsgestellung 793. —. Beeidigung 794, 795. — Zeugnisverweigerungsrecht 793. — Ordnungsstrafen 795. — Gebühren 796. — sachverständiger Zeugen 797. — kommissarische Vernehmung 814. — Kreuzverhör 815. Zeugnis, falsches 21. — falsche Gesundheitszeugnisse 37. — Fälschung von Arbeilszeugnissen 50. Zinkhaltige Gegenstände 545. Zinsscheine von Aktien usw., Fälschung 20. — Platten usw. 48. Zivilrechtliche Vorfragen 818. Zuchthaus 1, 2. — Ehrverlust 5. — Einzelhaft 3. — Verhältnis zu Festungshaft 3. — Ersatzstrafe für Geldstrafe 4. — Umwandlung in Gefängnisstrafe 3. — unzulässig gegen Jugendliche 64. Zucker, Verordnung hierüber 677. Zueignung von Munition 38. siehe auch Unterschlagung. Zuhälterei 25. Zulässigkeit von Polizeiaufsicht 5, 6. Züudwaren, Verbot der Verwendung von Phosphor 553. — Verkehr mit Z. 554, 556. Zurechnung persönlicher Eigenschaften usw. 7.

Zurechnungsfähigkeit, mangelnde 7, 8. Zureiten von Pferden mit gemeiner Ge­ fahr 51. Zurückbehaltungsrecht, Verletzung 38. Zurücknahme des Strafantrags 8. — der öffentl. Klage 806. — der Privatklage 834. — von Rechtsmitteln 823. — des Einspruchs gegen Strafbefehl 836. — der Strafverfügung 836. — des Strafbescheids 837. Zusammenhang von Strafsachen 788. Zusammenrottung, öffentliche, zwecks Widerstands 16. — öffentliche, zwecks Gewalttätigkeiten 17. — von Gefangenen 17. Zusammenstoß von Schissen 20. Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen 10. — von Steuer- und andern Delikten 143. Zuständigkeit des Gerichts, sachliche 788, 1071, 1078, 1081, 1089, 1103. — örtliche 1103. -------- der Amtsgerichte 763. -------- der Schöffengerichte 764. -------- der Strafkammern 770. -------- der Schwurgerichte 771, 785. -------- der Oberlandesgerichte 775, 776. -------- des Reichsgerichts 777. Zuständigkeitsstreit zwischen mehreren Gerichten 789. — zwischen Gerichten und Verwaltung 762. Zustellung gerichtlicherEntscheidungen791. Zustellungsbeamte 780. Zwang, Nötigungsnotstand 8. Zwangsmittel zur Geständniserpressung 45. — Anwendung im Besteuerungsversahren 136. Zwangsvollstreckung, Vereitelung 38. — Verstrickungsbruch 19. — Widerstand 15. — wegen Vermögensstrasen 842. — drohende, Beseitigung von Bermögensstücken 50. Zweikampf 27, 996, 998. — mit militärischen Vorgesetzten 84.

Gesetz zur Abänderung des Strafgesetz­ buchs. Bom 18. Mai 1926 (RGBl. I S. 239) Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrats hiemit verkündet wird: An Stelle der §§ 218, 219 und 220 des Strafgesetz­ buches tritt folgender neuer § 218:

§218 Eine Frau, die ihre Frucht im Mutterleib oder durch Abtreibung tötet oder die Tötung durch einen anderen zu­ läßt, wird mit Gefängnis bestraft. Ebenso wird ein anderer bestraft, der eine Frucht im Mutterleib oder durch Abtreibung tötet. Der Versuch ist strafbar. Wer die. im Abs. 2 bezeichnete Tat ohne Einwilligung der Schwangeren oder gewerbsmäßig begeht, wird mit Zuchthaus bestraft. Ebenso wird bestraft, wer einer Schwangeren ein Mittel oder Werkzeug zur Abtreibung der Frucht gewerbsmäßig verichafft. ^ind mildernde Um­ stände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein.

Deckblätter zum Strafgesetzbuch Auf Grund der Änderungen aus dem

Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechts­ krankheiten. Vom 18. Febr. 1927 (RGBl. I S. 61). (In Kraft ab 1. Okt. 1927). Das Strafgesetzbuch wird abgeändert wie folgt:

8 180 erhält folgenden zweiten und dritten Absatz: Als Kuppelei gilt insbesondere die Unterhaltung eines Bordells oder eines bordellartigen Betriebs. Wer einer Person, die das achtzehnte Lebensjahr voll­ endet hat, Wohnung gewährt, wird auf Grund des Absatz 1 nur dann bestraft, wenn damit ein Aus­ beuten der Person, der die Wohnung gewährt ist, oder ein Anwerben oder ein Anhalten dieser Person zur Unzucht verbunden ist.

Im 8 184 wird hinter Nr. 3 folgende Vorschrift ein­ gefügt: 3 a) wer in einer Sitte oder Anstand verletzenden Weise Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten dienen, öffent­ lich ankündigt, anpreist oder solche Mittel oder Ge­ genstände an einem dem Publikum zugänglichen Orte ausstellt.

8 361 Nr. 6 erhält folgende Fassung: wer öffentlich in einer Sitte oder Anstand verletzenden oder andere belästigenden Weise zur Unzucht ausfor­ dert oder sich dazu anbietet;

Im § 361 wird hinter Nr. 6 eingefügt: 6 a) wer gewohnheitsmäßig zum Zwecke des Er­ werbes in der Nähe von Kirchen oder in der Nähe von Schulen oder anderen zum Besuche durch Kin­ der oder Jugendliche bestimmten Örtlichkeiten oder in einer Wohnung, in der Kinder oder jugendliche Personen zwischen drei und achtzehn Jahren wohnen, oder in einer Gemeinde mit weniger als fünfzehn­ tausend Einwohnern, für welche die oberste Landes­ behörde zum Schutze der Jugend oder des öffent­ lichen Anstandes eine entsprechende Anordnung ge­ troffen hat, der Unzucht nachgeht. Im § 362 Absatz 3 Satz 2 werden die Worte „Im Falle des § 361 Nr. 6" durch die Worte „In den Fällen des § 361 Nr. 6, 6 a" ersetzt.