Die Straße der Störche: Deutsche und österreichische Militärexpertise in Syrien und Ägypten und die Antwort Israels (1947-1967) 9783534407248, 9783534407255, 3534407245

Nur wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und des nationalsozialistischen Massenmords an dem europäischen Judent

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Die Straße der Störche: Deutsche und österreichische Militärexpertise in Syrien und Ägypten und die Antwort Israels (1947-1967)
 9783534407248, 9783534407255, 3534407245

Table of contents :
Cover
Impressum
Inhalt
Einleitung
Prolog
Kapitel I: Der Nahe Osten nach 1945 in Skizzen
Der Nahost-Konflikt
Historische Wendepunkte in Ägypten und Syrien
Bonn zwischen Tel Aviv und Kairo
Kapitel II: Aufmarsch für die„zweite Runde“ gegen Israel?
Entflohene Kriegsgefangene als militärische „Ersthelfer“
Militärs, Manager und Mediziner
Nassers Sicherheitspersonal und das Rätselum die „Nazi-Listen“
Wilhelm Voss, der „Central Planning Board“ und die Gruppe „Armed Forces“
Experten der theoretischen und praktischenJudenverfolgung
Kapitel III: „[…] ein zeitgemäßgeschliffenes Schwert zu schmieden“1
Raketen made in Egypt „die Erste“
Düsenjäger made in Egypt „die Erste“:Ernst Heinkels Intermezzo am Nil
Düsenjäger made in Egypt „die Zweite“:Willy Messerschmitts Abfangjäger HA-300
Raketen made in Egypt „die Zweite“:„Ägypten˚beginnt˚in˚Stuttgart“
Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma
Die israelische Operation „Damokles“˚– und wasman dafür hielt
Spannungen zwischen Bonn und Tel Aviv und Rechtfertigungsversuche der Experten
Otto Skorzeny im Dienste Israels˚– sein letzter Coup?
Kapitel V: Das Ende der Expertentätigkeit oder von unechten und echten Peking-Enten
Bilanz
Dank
Abkürzungen
Quellen- und Literaturverzeichnis
Personenregister
Unbenannt

Citation preview

Albrecht Hagemann, geboren 1954 in Detmold, studierte Sozialwissenschaften, Geschichte und Ev. Religionslehre in München und Bielefeld, 1989 erreichte er seine Promotion zum Doktor phil. an der Universität Bielefeld. Er arbeitete als Gymnasiallehrer in Herford und ist Autor mehrerer Sachbücher.

www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-40724-8

Albrecht Hagemann Die Straße der Störche

Nur wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des nationalsozialistischen Massenmords an dem europäischen Judentum widmeten sich deutsche und österreichische Militärexperten in Syrien und Ägypten der militärischen Ausbildung sowie der Entwicklung von Raketen und Jagdflugzeugen. Dies geschah in unmittelbarer Nähe zum jungen Staat Israel, der auch zur Heimat von HolocaustÜberlebenden wurde. Was waren die Motive dieser Fachleute? Dieser Frage geht der vorliegende Band ebenso nach wie der z. T. blutigen Reaktion auf das Treiben der Experten im Rahmen der israelischen Operation „Damokles“.

Albrecht Hagemann

Die Straße der Störche Deutsche und österreichische Militärexpertise in Syrien und Ägypten und die Antwort Israels (1947–1967)

Albrecht Hagemann

Die Straße der Störche

Albrecht Hagemann

Die Straße der Störche Deutsche und österreichische Militärexpertise in Syrien und Ägypten und die Antwort Israels (1947–1967)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

wbg Academic ist ein Imprint der wbg © 2023 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Satz und eBook: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-40724-8 Elektronisch ist folgende Ausgabe erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-40725-5

„Der qualifizierteste Techniker kann sich heute nicht so verhalten, als gäbe es nicht auch politische Umstände zu bedenken“. Wochenzeitung „Christ und Welt“, 8. Dezember 1961.

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Inhalt Einleitung ...............................................................................................................................................10 Prolog ......................................................................................................................................................17 Kapitel I: Der Nahe Osten nach 1945 in Skizzen .............................................................................18 Der Nahost-Konflikt ......................................................................................................................18 Die Gründung des Staates Israel 1948 ..................................................................................18 Nakba – die Katastrophe für die arabische Welt .................................................................21 Historische Wendepunkte in Ägypten und Syrien ...................................................................23 Revolution in Ägypten und Gamal Abdel Nasser.............................................................. 24 Die Suezkrise 1956 ...................................................................................................................33 Syrien zwischen politischer Dauerkrise und einem „Preußen Arabiens“ ...................... 34 Bonn zwischen Tel Aviv und Kairo .............................................................................................37 Das Luxemburger Abkommen von 1952 ..............................................................................37 Arabische Reaktionen............................................................................................................. 40 Kapitel II: Aufmarsch für die „zweite Runde“ gegen Israel? ......................................................... 48 Entflohene Kriegsgefangene als militärische „Ersthelfer“ ...................................................... 48 Militärs, Manager und Mediziner ...............................................................................................53 Via Italien in den Nahen Osten .............................................................................................53 Militärberater in Syrien und die Rolle von Walther Rauff ................................................63 Wilhelm Voss, der „Central Planning Board“ und die Gruppe „Armed Forces“..........92 Guerillas, Gerüchte und Geschäfte .....................................................................................106 Rivalitäten, Ranküne und der Rückzug der Berater ........................................................ 128 Von Mauthausen über Buchenwald nach Kairo: Stationen des Arztes Hans Eisele..................................................................................................................139 Israelische Beobachtungen zu den Militärberatern ................................................................145 Nassers Sicherheitspersonal und das Rätsel um die „Nazi-Listen“ ..................................... 150 Experten der theoretischen und praktischen Judenverfolgung ............................................171 Der Theoretiker: Johann von Leers .....................................................................................171 Der Praktiker: Alois Brunner ...............................................................................................184

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Kapitel III: „[…] ein zeitgemäß geschliffenes Schwert zu schmieden“ ...................................... 190 Raketen made in Egypt „die Erste“........................................................................................... 190 Die Anfänge unter Kurt Hermann Füllner....................................................................... 190 Rolf Engel und das CERVA-Programm ..............................................................................197 Düsenjäger made in Egypt „die Erste“: Ernst Heinkels Intermezzo am Nil .......................217 Düsenjäger made in Egypt „die Zweite“: Willy Messerschmitts Abfangjäger HA-300 .... 222 Von Spanien nach Ägypten ................................................................................................. 225 Hassan Sayed Kamil: Nassers Mann für Menschen und Material ................................ 227 Der Triebwerksspezialist Ferdinand Brandner und die Sache mit dem Elefanten im Raum ............................................................................................................... 238 Von der Spree an den Nil: Flugzeugexperten der DDR am Vorabend des Mauerbaus ..................................................................................................... 262 Raketen made in Egypt „die Zweite“: „Ägypten beginnt in Stuttgart“ ............................... 267 Eugen Sänger, das FPS und die „Sängerknaben“...............................................................270 Heinz Krug, die „Intra“ und die „United Arab Airlines“ ............................................... 286 Forschung am Nil, Entscheidungen in Bonn und Krach im FPS .................................. 293 „El Zafir“ und „El Kahir“ ..................................................................................................... 307 Israelische Kundschafter made in Germany: Wolfgang Lotz und Horst J. Andel .......319 Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma ....................................................................335 Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt..................................... 341 Der Flugzeugabsturz am Teutoburger Wald ..................................................................... 342 Das Verschwinden von Heinz Krug und der Seitenwechsel Otto F. Jokliks................ 349 Mysteriöse Besuche und Anrufe ..........................................................................................381 Sprengstoffattentate in Kairo............................................................................................... 388 Der Angriff auf Hans Kleinwächter in Lörrach ............................................................... 396 Der Nötigungsversuch in Basel ........................................................................................... 406 Operation Damokles, die Raketen und das israelische Nuklearprogramm ................ 421 Spannungen zwischen Bonn und Tel Aviv und Rechtfertigungsversuche der Experten .................................................................................... 430 Otto Skorzeny im Dienste Israels – sein letzter Coup?.......................................................... 454 Kapitel V: Das Ende der Expertentätigkeit oder von unechten und echten Peking-Enten .... 462 Bilanz ................................................................................................................................................... 468 Dank......................................................................................................................................................473 8

Abkürzungen .......................................................................................................................................474 Quellen- und Literaturverzeichnis.................................................................................................. 479 Ungedruckte Quellen .................................................................................................................. 479 Gedruckte Quellen ...................................................................................................................... 480 Wiederholt benutzte Zeitschriften und Zeitungen (z. T. auch online-Ausgaben) ............ 480 Literatur .........................................................................................................................................481 Bildnachweis................................................................................................................................. 495 Personenregister .......................................................................................................................... 496

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Einleitung „Die Straße der Störche“ – dieses auf einen Text des belgischen Widerstandskämpfers Hubert Halin mit dem Titel „Nassers Nazis“ zurückgehende Bild stammt ursprünglich aus Ägypten.1 Wie die Störche alljährlich im Herbst von Europa über den Bosporus an den Nil flogen, so seien die mit den Ägyptern freundschaftlich verbundenen Deutschen ins Land der Pharaonen gekommen, lange bevor das Ringen der europäischen Mächte um die Vormachtstellung dort begann. So mag der Zug der Störche symbolhaft dafür stehen, was in zahllosen Texten und Quellen als „deutscharabische Freundschaft“ beschworen wird, die auch in dem vorliegenden Text eine besondere Rolle spielt. Weniger ornithologisch versierte Kenner des deutsch-arabischen Verhältnisses weisen eher nüchtern darauf hin, dass Deutschland aus arabischer Sicht traditionell keine Interessen im Nahen Osten verfolgt habe, und dies im Gegensatz etwa zu Großbritannien, Frankreich und Italien. Noch während des hier im Mittelpunkt stehenden Berichtszeitraumes erklärte der ägyptische Präsident Nasser anlässlich des Besuches von Eugen Gerstenmaier, dem damaligen Bundestagspräsidenten, er liebe Deutschland besonders, denn es habe niemals imperialistische Neigungen gegenüber der arabischen Welt gezeigt.2 Mag auch das wilhelminische Projekt der Bagdad-Bahn dieser Idylle nicht ganz gerecht werden, bleibt gleichwohl für die Kräftearithmetik im Nahen Osten der arabische Aphorismus bestimmend, wonach der Feind meines Feindes mein Freund ist. Aus nahöstlicher Perspektive hieß dies für den hier interessierenden Zeitraum, dass das im Zweiten Weltkrieg geschlagene Deutschland einschließlich Hitlers verbreitet auf starke Sympathien in Syrien und Ägypten zählen konnte – zwei Länder, die sich unmittelbar nach 1945 von den letzten Resten französischer bzw. britischer Vorherrschaft befreiten. Im Gegenzug frönte auch die Bonner Diplomatie – ihr Ost-Berliner Gegenstück bleibt im Folgenden weitgehend unberücksichtigt – einer besonderen Offenheit gegenüber arabischen Wünschen und Interessen. Mit Blick auf das in der damaligen Koblenzer Straße der Bundeshauptstadt Bonn ansässige Auswärtige Amt sprach man in den 1950er und 1960er Jahren gelegentlich auch von den „Arabern in der Koblenzer Straße“3. Angesichts der in der Shoah gip1

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VWI-SWA, I. 1., Mappe Ägypten (D), Synopsis als Anlage zum Schreiben Hubert Halins an Simon Wiesenthal, Brüssel, 1. Dezember 1970. Vgl. Irving Sedar and Harold J. Greenberg, Behind the Egyptian Sphinx, Philadelphia 1960, S. 45. Vgl. Inge Deutschkron, Israel und die Deutschen. Zwischen Ressentiment und Ratio. Mit einem Geleitwort von Asher Ben-Nathan, Köln 1970, S. 208. Die Koblenzer Straße wurde nach dem Tod des ersten Bundeskanzlers der Bundesrepublik in Adenauerallee umbenannt.

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Einleitung

felnden nationalsozialistischen Judenverfolgung ist es beinahe unnötig zu erwähnen, dass es eine entsprechende jüdisch-israelische „Lobby“ im Auswärtigen Amt (AA) schlicht nicht gab. Zur relativen Schwäche der israelischen Position im Bonner AA trug aber auch wesentlich der Umstand bei, dass es bis zum Mai 1965 keine diplomatischen Beziehungen zwischen Tel Aviv und Bonn gab, während arabische Staaten am Rhein nach Gründung der Bundesrepublik im Jahre 1949 recht bald mit Botschaften vertreten waren. Wenn von so viel Sympathie und Bewunderung für Deutschland auf arabischer Seite die Rede ist4, stellt sich die Frage, ob auf Seiten der vielen hundert, ja tausenden Deutschen und auch Österreichern, die nach 1945 ihr Heil im Nahen Osten suchten, ähnliche Gefühle für die Araber vorhanden waren. Vermutlich war dem in diesem Maße nicht so, auch wenn die arabische Welt vielen tatsächlichen oder vermeintlichen Kriegsverbrechern aus praktischen Gründen als alternatives Ziel zu Südamerika oder auch Franco-Spanien galt. Berührungspunkte mit dieser Welt hatten sich wenige Jahre zuvor für die Teilnehmer des Afrika-Feldzuges unter Generalfeldmarschall Rommel ergeben, die immerhin bis kurz vor die zweitgrößte Stadt Ägyptens, Alexandria, gelangt waren. Nebenbei: Von dem „Nazi-Jäger“ Simon Wiesenthal stammt das Diktum, wonach die Niederlage Rommels in Afrika die Sympathien der Araber für Deutschland gerettet habe, denn so sei ihnen eine deutsche Besetzung mit den Auswüchsen der NS-Rassentheorie erspart geblieben.5 Nur sehr wenige der tatsächlichen oder vermeintlichen Kriegsverbrecher auf der Flucht kannten die arabische Welt oder den Nahen Osten aus eigener Anschauung. Ausgerechnet der Bekannteste von ihnen, der spätere Leiter des Referates IV B 4 (Juden) im Reichssicherheitshauptamt und damit seit 1941 Hauptverantwortlicher für die „Endlösung“, Adolf Eichmann, gehörte zu dieser kleinen Schar: Im Jahre 1937 unternahm er eine Dienstreise nach Palästina und Ägypten. Er kehrte mit der Auffassung zurück, dass eine Auswanderung der deutschen Juden nach Palästina nicht wünschenswert sei. Eichmann wurde nach 1945 zwar gelegentlich im Nahen Osten vermutet, doch fand seine Festnahme durch den israelischen Geheimdienst bekanntlich in Argentinien statt. Auch Walther Rauff6, der Erfinder der Gaswagen, konnte bei seinem kurzen Nachkriegsgastspiel in Syrien auf Erfahrungen mit Arabern zurückblicken, die von seiner Tätigkeit als Chef

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Wenn sich früher ein arabischer Student etwa in Kairo durch besondere Genauigkeit und Pünktlichkeit auszeichnete, sah er sich auch schon mal als „Mr. Immanuel Kant“ angesprochen. Vgl. den Beitrag des ägyptischen Journalisten und Literaturkritikers Magdi Youssef mit dem Titel „Lebenskraft und Unrast“ in dem Sammelband des Nahost-Korrespondenten Hermann Ziock, Sind die Deutschen wirklich so?, Tübingen 1965, S. 352. Simon Wiesenthal, Ich jagte Eichmann, Gütersloh 1961, S. 169. In der Literatur und in Dokumenten – etwa der CIA – finden sich die Schreibweisen „Walter“ mit und ohne „h“. Unterschrieben hat Rauff selber aber mit „Walther“, weshalb diese Schreibweise auch hier benutzt werden soll.

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Einleitung

eines gegen die Juden gerichteten Einsatzkommandos im Tunesien des Jahres 1942 herrührten. Leopold von Mildenstein wiederum, SS-Offizier und ehedem Leiter der Nahostabteilung im Propagandaministerium von Joseph Goebbels, hatte im Jahre 1933 Palästina bereist und darüber zunächst eine Artikelserie veröffentlicht, in der die Juden auffallend positiv gezeichnet, die Araber hingegen eher abfällig charakterisiert wurden. Angesichts der insgesamt eher geringen Affinität vieler Deutscher gegenüber der arabischmuslimischen Welt überrascht dann doch die Bereitschaft zahlreicher im Nahen Osten Gestrandeter, zum Islam überzutreten und – ganz überwiegend aus Gründen der Tarnung – einen arabischen Namen anzunehmen. Im Mittelpunkt des Interesses an dem hier behandelten Thema steht die Frage, was deutsche – und zahlenmäßig mit deutlichen Abstrichen auch österreichische – Fachleute unterschiedlicher Fachrichtungen seinerzeit dazu bewogen hatte, nur wenige Jahre nach der Shoah den geschworenen Feinden Israels  – und damit des Staates, der auch zur Heimat tausender jüdischer Menschen geworden war, die dem NS-Massenmord mit knapper Not hatten entrinnen können – technisch-militärisch zur Seite zu stehen. War es, wie von den Experten selber immer wieder betont wurde, die fehlende berufliche Perspektive in der noch jungen Bundesrepublik? Ging es beispielsweise bei der Raketenentwicklung in Ägypten ausschließlich um zivile Forschung, etwa im Bereich der Meteorologie, sowie um die Ausbildung einheimischer Kräfte, wie die Experten dies in Interviews und Stellungnahmen immer wieder behaupteten?7 War es ungebrochener Judenhass? Lockte ganz banal die beachtliche Entlohnung aus der Schatulle Präsident Nassers, die ein häufig luxuriöses Leben in einer faszinierend-fremdartigen Kultur ermöglichte? Oder lag eine Melange verschiedener Motive vor? Der vorliegende Text kann darüber hinaus auch als eindrucksvolles Beispiel für das klassische Problem naturwissenschaftlich-technischer Forschung und Entwicklung, für deren Zwittercharakter mithin, gelesen werden. Darf man sie losgelöst von ethisch-moralischen Kategorien betreiben? Waren hier nur politisch desinteressierte Techniker am Werk, die ihre Arbeit gemäß dem folgenden Liedtext durchführten: „Don’t say that he is a hypocritical, say rather that he is apolitical, ‚Once the rockets are up, who cares where they come down, that’s not my department‘, says Wernher von Braun“8. Hinsichtlich etwa der Raketenkonstruktion im Schatten der Pyramiden auf den Punkt gebracht: Diese Geschosse ließen sich sowohl für die Wetterforschung in großer Höhe als auch, bei gewissen Veränderungen, für militärische Zwecke nutzen. Und die Forscher in der ägyptischen Wüste waren sich des Doppelcharakters ihres Treibens durchaus bewusst. 7

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Stellvertretend für die Rechtfertigungen der Raketenfachleute sei der ausführliche Leserbrief des Triebwerksspezialisten Wolfgang Pilz in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 25. April 1974 unter der Überschrift „Der Auftrag der deutschen Raketenbauer in Ägypten“ angeführt. So der ehemalige Harvard-Mathematiker und Musiker Tom Lehrer, hier zitiert nach Ken Silverstein, Private Warriors, New York 2000, S. 117.

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Einleitung

Während vor allem für die Raketenfachleute am Nil zahlreiche Studien vorliegen, versucht der vorliegende Text erstmals, den Gesamtkomplex deutscher Expertentätigkeit in Syrien und Ägypten im fraglichen Zeitraum in den Griff zu bekommen. Dazu zählen die Militärberater in beiden Ländern ebenso wie die Flugzeug- und Rakenkonstrukteure in Ägypten. Darüber hinaus bezieht er erstmals auch die Bemühungen Israels um eine nukleare Bewaffnung und deren Rückwirkungen auf das ägyptische Raketenprogramm in die Analyse ein. Das erste Kapitel unternimmt den Versuch, die politische „Großwetterlage“ im Nahen Osten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu umreißen, um ein besseres Verständnis der nachfolgenden Darstellung zu ermöglichen. Das zweite Kapitel geht vor allem der Frage nach, ob ehemalige deutsche und österreichische Wehrmachtsangehörige und andere Experten durch ihre Hilfe für das syrische und ägyptische Militär bewusst oder unbewusst dazu beigetragen haben, einen Vergeltungskrieg der arabischen Länder, eine „zweite Runde“, gegen Israel vorzubereiten, nachdem diese im israelisch-arabischen Krieg von 1948/49 unterlegen waren. Auch der Diskussion um die Aktivitäten ehemaliger Nationalsozialisten im Umfeld Präsident Nassers sowie der viel zitierten „Nazi-Listen“ zu Ägypten geht dieses Kapitel nach. Es schließt sich im dritten Kapitel die Analyse der ägyptischen Bemühungen um den Aufbau einer eigenen Fertigung von Militärflugzeugen mit deutscher und österreichischer sowie der beiden Versuche zur Entwicklung eines ägyptischen Raketenprogramms mit entscheidender deutscher Expertise an. Im vierten Kapitel steht die israelische Reaktion auf die Expertentätigkeit in Ägypten im Mittelpunkt. Dabei wird es in erster Linie um die Darstellung jener z. T. gewaltsamen Aktionen von israelischer Seite gehen, die unter dem Codewort Operation „Damokles“ bekannt geworden sind. Weitere zentrale Aspekte dieses Kapitels umfassen die Bedeutung des israelischen Atomprogramms für die ägyptische Raketenentwicklung und die Haltung der Bonner Regierung zu der Tätigkeit deutscher Experten am Nil. Auch die Fachleute selber sollen hier mit ihren Rechtfertigungsversuchen für ihr Tun zu Wort kommen. Die nahezu unglaubliche Arbeit des berühmt-berüchtigten Nationalsozialisten Otto Skorzeny für Israel im Zusammenhang mit dem Kampf Tel Avivs gegen die deutsche Expertenarbeit in Ägypten rundet dieses Kapitel ab. Das abschließende fünfte Kapitel widmet sich dem Ende dieser Tätigkeit und dem beruflichen Neuanfang einiger der Hauptprotagonisten unter den Fachleuten. Die Bilanz versucht ein Resümee: Was hatte die Experten bewogen, Syrien und Ägypten als den erbitterten Feinden Israels wenige Jahre nach der Shoah zur Hand zu gehen? Inwieweit zeigte sich der Zwittercharakter technischer und ingenieurwissenschaftlicher Arbeit an Flugzeugen und Raketen in einem Land wie Ägypten, das von einem Friedensschluss mit Israel weit entfernt war? Die Quellenlage zu den einzelnen Kapiteln ist sehr unterschiedlich. Außerordentlich dürftig ist sie hinsichtlich der Tätigkeit der Militärexperten vor allem in Syrien unmittelbar nach 1945. Das andere Extrem bildet die Arbeit der Raketenfachleute in Ägypten während der 13

Einleitung

frühen 1960er Jahre sowie die israelische Reaktion darauf. Zahlreiche Bücher, Aufsätze und Studien sind hierzu vor allem im angloamerikanischen Raum sowie in Frankreich und Israel, aber auch in Schweden, veröffentlicht worden. Einer breiteren Öffentlichkeit sind vor allem die Raketenkonstrukteure in Ägypten durch den Bestseller von Frederick Forsyth mit dem Titel „Die Akte Odessa“ bekannt geworden.9 Aufschlussreiches Primärquellenmaterial zum gesamten Thema dieses Buches liefern die Aktenpublikationen des Auswärtigen Amtes, das Archiv des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, das Archiv des Deutschen Museums in München, ferner das Schweizerische Bundesarchiv, das Archiv der Eidgenösssischen Technischen Hochschule in Zürich sowie das Vienna Wiesenthal Institute, um nur einige Institutionen zu nennen. Inzwischen in großer Zahl freigegebene Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes (BND) und der amerikanischen CIA nach dem Freedom of Information Act sowie – in geringerem Umfang – des Archivs des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen erlauben zudem spezielle Blicke auf das Thema. Der Lockdown der Jahre 2020/21 im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie verhinderte die Sichtung von möglicherweise wichtigen Aktenbeständen in einigen wenigen Archiven. Auch die vorliegende Studie konnte nicht auf jene bahnbrechende Titelgeschichte des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ aus dem Jahre 1963 verzichten, die so gut wie allen Beiträgen zu der Expertentätigkeit in Ägypten, seien sie deutsch- oder fremdsprachig, zugrunde liegt.10 Insbesondere für die frühen Jahre unseres Berichtszeitraumes, also die frühen 1950er Jahre, bildet die damalige Spiegel-Berichterstattung oft die einzige Informationsgrundlage, insbesondere, was Syrien betrifft.11 Die spärliche Materialbasis machte es notwendig, gerade auch für Syrien auf zeitgenössische Publikumszeitschriften wie „Revue“, „Bunte“, „Stern“ und „Quick“ zurückzugreifen. Der diesen Publikationen eigene, oft recht farbige und plastische Stil muss das Berichtete nicht a priori unwahr machen. Ähnliches gilt für Erlebnis- und Reiseberichte solcher Journalisten und 9

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München (2) 2003, S. 81ff. In seiner unlängst erschienen Autobiografie hat Forsyth einige Hintergründe seiner Recherchen für den Thriller geschildert, der 1974 mit Jon Voight als Ermittler Peter Miller und Maximilian Schell als Eduard Roschmann, Kommandant des Ghettos von Riga, verfilmt wurde. Vgl. Forsyth, Outsider, München (2) 2015. Der Spiegel Nr.  19 vom 8.  Mai 1963, „36, 135 und 333“. Die drei Zahlen stehen für die Military Factories, die Fabrikationsstätten, in der Nähe von Kairo, in denen die Fachleute arbeiteten. Das Titelblatt der Spiegel-Ausgabe zeigte eine aufsteigende Rakete vor schwarzem Hintergrund, dazu der Schriftzug rechts unten „Deutsche Raketen für Nasser“. Auch ohne Lektüre des zugehörigen Artikels im Heft war mit diesem Titelbild der deutsche Raketenbau in Ägypten einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht worden. Vgl. Chern Chen, Former Nazi Officers in the Near East: German Military Advisers in Syria, 1949– 56, in: The International History Review, Vol. 40, No. 4, 2018, S. 732–751. Zu Ägypten und Syrien zuletzt Tilman Lüdke, Die Aktivitäten von Organisation Gehlen und BND im Nahen Osten, 1946– 1968, in: Wolfgang Krieger (Hg.) in Verbindung mit Andreas Hilger und Holger Meding, Die Auslandsaufklärung des BND, Berlin 2021, S. 396–502.

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Einleitung

Autoren, die sich seit etwa Anfang der 1950er Jahre auf dem abenteuerlichen Landweg nach Syrien aufmachten, um mit den dortigen deutschen Militärberatern Fühlung aufzunehmen. Der vorliegende Text konzentriert sich ganz überwiegend auf solche Personen, die durch eine fachmännische – Frauen gab es so gut wie gar nicht unter den Experten, eine Ausnahme bildete die Chemikerin Mathilde Rosenfelder – Tätigkeit aufgefallen sind, die in einem weiteren Sinne als bedrohlich für den Staat Israel und seine Bewohner interpretiert werden konnte. Wollte man alle Deutschen und Österreicher in der Region in den ersten beiden Jahrzehnten nach 1945 beleuchten, hätte man es zeitweilig mit ca. 6000 bis 7000 Personen zu tun.12 Rein sportliche  – diese etwa im Gegensatz zum Konditionstraining für syrische Offiziere durch Heinz Heigl – oder kulturelle Expertentätigkeit in den fraglichen Ländern bleibt unberücksichtigt, obwohl sich argumentieren ließe, dass etwa die Arbeit des Springreiter-Asses HansHeinrich Brinckmann mit der ägyptischen Reiter-Equipe von 1954 bis 1956 zur Stärkung des Selbstbewusstseins der ägyptischen Eliten und damit auch führender Militärs beigetragen haben dürfte. Immerhin erreichten die ägyptischen Springreiter bei den Olympischen Spielen von 1960 in Rom einen damals viel beachteten vierten Platz. Allenfalls am Rande erwähnt werden solche Personen, die zwar während des „Dritten Reiches“ z. T. schwerste Verbrechen begangen hatten und wenigstens vorübergehend Unterschlupf in Ägypten und/oder Syrien fanden, die aber nicht durch eine unterstützende Expertentätigkeit für ihr Gastland aufgefallen sind, so weit dies heute feststellbar ist. Zu denken ist hier etwa an den „Judenreferenten“ im Auswärtigen Amt, Franz Rademacher alias Francisco Rosilio (und Namensvarianten) und an Franz Stangl, den Kommandanten des Konzentrationslagers Treblinka. Auftritte am Nil bzw. in Syrien hatten auch andere ehemalige prominente Nationalsozialisten oder gerichtlich Verfolgte wie Otto-Ernst Remer, Ernst-Wilhelm Springer, Wilhelm Beissner, Hartmann Lauterbacher oder Hans-Walter Zech-Nenntwich. Auch sie traten nicht als Experten zugunsten der Kairoer oder Damaszener Regierung in Erscheinung, dafür um so mehr als Privatiers und Geschäftsleute, was den einen oder anderen Waffenhandel nicht ausschloss, wie das Beispiel des in Ägypten als Fallschirmjägerausbilder tätigen Gerhard Mertins zeigt. Der KZ-Arzt Hans Eisele als eine Art Betriebsarzt eines Teils der deutschen und österreichischen Fachleute wird hingegen ebenso genauer unter die Lupe genommen wie der in Kairo für antijüdische Propaganda zuständige Radikalantisemit Johann von Leers. Einen Grenzfall bildet Alois Brunner, Adolf Eichmanns „rechte Hand“ bei der systematischen Judenverfolgung und als solcher verantwortlich für den Tod von mehr als hunderttausend Juden im Rahmen der „Endlösung“. Getarnt als Geschäftsmann in Damaskus erfolgreich tätig, geriet er eher zufällig in Kontakt mit dem syrischen Geheimdienst, für den er dann offensichtlich gearbeitet hat. 12

Tom Segev, Simon Wiesenthal, Berlin 2010, S. 206.

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Einleitung

Eine Besonderheit unseres Themas ist das Verwirrspiel um zumindest einige der Männer, die nach dem deutschen Zusammenbruch ihre Zukunft im Nahen Osten suchten. Prominentestes Beispiel für diese Konfusion ist zweifellos Adolf Eichmann, der nach einer irrtümlichen Meldung Simon Wiesenthals zunächst in Ägypten Zuflucht gefunden haben sollte. Oder Oskar Dirlewanger, jener SS-Oberführer, der im Zweiten Weltkrieg durch besondere Brutalität aufgefallen war und der trotz Exhumierung und gerichtsärztlicher Analyse seiner sterblichen Überreste noch lange Zeit von einigen Autoren als hauptverantwortlich für die persönliche Sicherheit des ägyptischen Präsidenten Nasser gehalten wurde. Mag im Falle Dirlewangers eine schlichte Verwechslung oder die ungeprüfte Übernahme von Textinformationen für Verwirrung verantwortlich sein, drängt sich zuweilen aber auch der Eindruck auf, dass bewusste Legendenbildung zwecks Verschleierung des wahren Aufenthaltsortes eines Gesuchten im Spiel war. Eine derartige Vermutung ergibt sich etwa bei der Lektüre des Buches von Werner Brockdorff mit dem Titel „Flucht vor Nürnberg“, das 1969 im rechtskonservativen Welsermühl Verlag, Wels, erschienen ist. Dabei ist der Name des Autors entweder ein Pseudonym für den Kinder- und Jugendbuchautor Friedrich Jarschel oder aber für den ehemaligen HJ-Führer Alfred Jarschel.13 Nicht nur die penetrant wiederholte Behauptung Brockdorffs, Hitlers Stellvertreter Martin Bormann habe bei Kriegsende Berlin lebend verlassen, hat die Fachwelt beschäftigt, sondern auch seine Behauptung, Ex-Gestapo-Chef Heinrich Müller halte sich in Kairo auf, irritiert einen Leser, der sich mit den Deutschen in Ägypten nach 1945 ein wenig auszukennen glaubt. Doch es kommt noch besser: Er wisse um Müllers Aufenthaltsort in Kairo, schreibt Brockdorff, wolle ihn aber nicht verraten. Brockdorff behauptet ferner, Müller sei verantwortlich für „Nassers Raketenprogramm“ und leite es „bis heute“14. Keine andere dem Autor dieser Zeilen bekannt gewordene Schrift zu dem ägyptischen Raketenprojekt hat Müller jemals erwähnt, geschweige denn ihn damit in Verbindung gebracht. Über viele der im Text genannten Personen liegen nur wenige und häufig gar keine weiteren Erkenntnisse vor. Sofern aber ihr auch nur vorübergehender Aufenthalt in der Region feststeht, sollen sie wenigstens erwähnt werden, allein schon um der Vermutung vorzubeugen, sie seien übersehen worden. Dass dem Autor dennoch Wichtiges entgangen sein könnte, muss er in Kauf nehmen. Neben anderen sind fraglos dies die Grenzen des folgenden Textes, die er aber mit denen zahlreicher anderer Autoren, die sich mit der Thematik beschäftigt haben, teilt: Wie die meisten von ihnen auch, hat der Verfasser aus sprachlicher Unkenntnis keine arabischen und hebräischen Quellen herangezogen, und er ist auch weit davon entfernt, sich als Experte für Flugzeug- und Raketenbau zu bezeichnen. 13

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Kürschners Deutscher Literatur-Kalender 1973 nennt unter den Nekrologen Friedrich Jarschel als wahre Identität Brockdorffs. Vgl. ebd., Berlin 1974, S. 1085. Wolfgang Brockdorff, Flucht vor Nürnberg, Wels 1969, S. 115.

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Prolog 7. Juli 1962. Bundeswehrfliegerhorst Westerland auf Sylt. Um 12.57 Uhr hebt ein zweimotoriges Geschäftsreiseflugzeug vom Typ „Twin Bonanza“ der Charterfluggesellschaft Air Lloyd mit Sitz in Gummersbach zu einem Flug nach Düsseldorf ab. Der Start verläuft reibungslos. An Bord der Maschine, die ohne Kopilot gesteuert wird, befinden sich zwei Personen: der flugerfahrene Pilot Hans Tinnefeld aus Wesel am Niederrhein und als Passagierin die britische Staatsangehörige Herzogin Helene zu Mecklenburg, 38 Jahre alt. Sie ist die Gattin des ägyptischen Ingenieurs, Industrielobbyisten und Waffenhändlers Hassan Sayed Kamil. Nach gut einer Stunde Flugzeit bei ruhigem Sommerwetter beobachten mehrere Zeugen nahe dem münsterländischen Riesenbeck an den westlichen Hängen des Teutoburger Waldes, dass die Maschine mit geringer Geschwindigkeit auffallend niedrig sowie über der rechten Tragfläche hängend unterwegs ist. Da sie an Höhe verliert, gewinnt ein Zeuge den Eindruck, der Pilot versuche eine Notlandung. Unmittelbar vor der Erdberührung zieht die Bonanza eine fast rechtwinklige Kurve, dann heult der Motor kurz auf, sie stürzt auf eine Wiese und fängt sofort Feuer. Während des gesamten Fluges bis zum Absturz hatte sich Pilot Tinnefeld bei keiner Bodenstation gemeldet, und auch ein Notsignal hatte er nicht gegeben. An dem später sichergestellten Funkgerät waren die Frequenzen richtig eingestellt gewesen. Die Maschine brannte ausschließlich im Kabinenteil sowie im Bereich der rechten Tragfläche aus, hingegen waren der linke Flügel und das Rumpfende von der Havarie wenig in Mitleidenschaft gezogen worden. Beide Insassen verbrannten in den Trümmern.

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Kapitel I: Der Nahe Osten nach 1945 in Skizzen Der Nahost-Konflikt Die Gründung des Staates Israel 1948 Seit den 1880er Jahren wanderten Juden aus Europa nach Palästina ein, das damals eine Provinz im riesigen Osmanischen Reich bildete.1 Im Zusammenhang mit einer ersten Auswanderungswelle entstand Ende des 19. Jahrhunderts in Europa der moderne Zionismus. Inspiriert durch den europäischen Nationalismus und vor dem Hintergrund des von Pogromen begleiteten europäischen Antisemitismus propagierte der Zionismus die Errichtung einer jüdischen nationalen Heimstätte in Palästina als Alternative zur Assimilierung der Juden in den jeweiligen europäischen Nationalstaaten. Herausragende Vertreter dieser Idee waren der Journalist Nathan Birnbaum, der 1890 den Begriff „Zionismus“ – nach dem Berg Zion bei Jerusalem – prägte, sowie der Publizist Theodor Herzl, welcher 1897 die Zionistische Weltorganisation mitbegründete und 1899 sein Manifest „Der Judenstaat“ veröffentlichte. Beide verband die Absicht, mit der „Rückkehr“ der Juden nach Zion, also in das Land, aus dem die Juden mit der zweiten Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n. Chr. durch die Römer vertrieben worden waren, eine moderne jüdische Gesellschaft zu errichten. Der politische Zionismus folgte dabei der Devise „ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“, der Vorstellung also, die künftige jüdische Besiedlung Palästinas erfolge in einem mehr oder weniger menschenleeren Raum. Aber das Land, in das die Juden einwanderten und das nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches am Ende des Ersten Weltkrieges britisches Mandatsgebiet werden sollte, war durchaus nicht menschenleer. Dort lebten 1882 ca. 450  000 überwiegend muslimische Araber und rund 15 000 Juden. Die alteingesessenen Araber verfolgten das zionistische Projekt naturgemäß mit Misstrauen, konkurrierten Neuankömmlinge doch um Acker- und 1

Das Folgende im Wesentlichen nach Muriel Asseburg und Jan Busse, Der Nahost-Konflikt, München (2) 2018.

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Der Nahost-Konflikt

Bauland sowie um Wasser. Darüber hinaus brachten sie ungewohnte kulturelle Eigenheiten mit. Auch der osmanische Sultan Abdülhamit II., die große Mehrheit des europäischen Judentums sowie die europäischen Großmächte unterstützten den Zionismus zunächst nicht. Dies änderte sich, als die Hohe Pforte, also das Osmanische Reich, im Jahre 1914 auf Seiten Deutschlands und Österreich-Ungarns in den Ersten Weltkrieg eintrat und sich damit schlagartig auch die Bedeutung Palästinas wandelte. Die Briten versuchten, die lokale arabische Bevölkerung für ihre Ziele einzuspannen und verstrickten sich dabei in Widersprüche. So versprach etwa der britische Hochkommissar in Ägypten, Sir Henry MacMahon, dem Sherif in Mekka, Hussein Ibn Ali, Unterstützung für ein unabhängiges arabisches Königreich, während 1917 Außenminister Arthur James Balfour dem Zionisten Walter Rothschild die „Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“ im Gegenzug für finanzielle Hilfe der Juden im Krieg gegen die Mittelmächte zusagte. Die Zusage Balfours enthielt jedoch die Einschränkung, dass die Rechte bestehender nicht-jüdischer Gemeinschaften gewahrt bleiben sollten. Noch im selben Jahr 1917 besetzten die Briten Jerusalem und etablierten sich damit neben den Franzosen als zweite europäische Macht im Nahen Osten. Bereits zuvor hatten sich beide Mächte im geheimen Sykes-Picot-Abkommen von 1916 über eine künftige Aufteilung der osmanischen Provinzen verständigt. Palästina sollte dabei unter eine internationale Verwaltung fallen. Diese wurde jedoch nicht ins Werk gesetzt, als die Siegermächte des Ersten Weltkrieges im Jahre 1920 auf der Konferenz von San Remo ihre Einflusszonen in der Region festlegten. Der neu gegründete Völkerbund erteilte Großbritannien im selben Jahr das Mandat über Palästina. Etwa mit dem Beginn der britischen Mandatsherrschaft begannen zwischen Juden, Arabern und Briten häufig blutige Auseinandersetzungen, weil sich die Araber durch die Neueinwanderer zunehmend an den Rand gedrängt sahen. Aufstände richteten sich zunächst gegen die neuen jüdischen Siedlungen. Allein dem Massaker von Hebron im Jahre 1929 fielen 29 Juden zum Opfer. Dann aber wandten sich die arabischen Palästinenser auch gegen die britische Besatzung. Mohammed Amin al-Husseini, der Mufti von Jerusalem – und nach einem Wort Winston Churchills „eine Tonne Dynamit auf zwei Beinen“2 – stiftete dabei den sog. Arabischen Aufstand der Jahre 1936 bis 1939 an. Al-Husseini wird uns noch einige Male begegnen. Angesichts des Zustroms von Juden, die der nationalsozialistischen Verfolgung zu entkommen suchten, schränkte London die jüdische Einwanderung nach Palästina seit 1939 drastisch ein. Das war der Wendepunkt für viele jüdische Gruppen im Lande, die sich nun seit 1940 ebenfalls zum Kampf gegen die britische Mandatsmacht entschieden.

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Welt am Sonntag vom 3. Februar 1952, S. 3.

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Kapitel I: Der Nahe Osten nach 1945 in Skizzen

Im Mai 1942 beschlossen Vertreter zionistischer Organisationen aus den Vereinigten Staaten, Europa und Palästina bei einem Treffen in New York zwar einerseits die Unterstützung der Anti-Hitler-Koalition, zugleich forderten sie aber die Zulassung weiterer jüdischer Immigration nach Palästina sowie die Gründung eines jüdischen Staates ebendort nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges. Einer der am East River Anwesenden war David Ben-Gurion, der spätere erste Premierminister Israels. Angesichts der sich gegen Ende des Zweiten Weltkrieges immer heftiger zuspitzenden Auseinandersetzungen in ihrem Mandatsgebiet ersuchten die Briten die neu gegründeten Vereinten Nationen (UN) um Vermittlung. Ein UN-Sonderausschuss erarbeitete schließlich einen Lösungsvorschlag, der auf eine Teilung Palästinas hinauslief. Spätestens seit der Annahme des Teilungsplanes für Palästina durch die UN-Generalversammlung am 29. November 1947 als Resolution 181 (II) trat der Palästina-Konflikt als Nahost-Konflikt in das Blickfeld der Weltöffentlichkeit. Der Plan sah die Beendigung des britischen Mandats und, basierend auf den jeweiligen Hauptsiedlungsgebieten, einen jüdischen und einen arabischen Staat vor, die jedoch in einer Wirtschaftsunion verbunden sein sollten. Der jüdische Staat umfasste danach 56 % des Gesamtgebietes, der arabische 43 %. Jerusalem, das einem internationalen Regime unterworfen werden sollte, machte mit seiner gemischten Bevölkerung das restliche Prozent aus. Araber stellten damals rund 70  % der Gesamtbevölkerung Palästinas, Juden etwa 30  %. Dem jüdischen Staat wurden also auch solche Gebiete zugesprochen, in denen die arabische Bevölkerung die Mehrheit ausmachte. Während die Juden, vertreten durch ihre Interessenorganisation Jewish Agency, den Teilungsplan annahmen, verweigerten die arabischen Mitgliedsländer der UN-Generalversammlung ihre Zustimmung. Die USA und die Sowjetunion hatten im beginnenden Kalten Krieg gemeinsam für die Teilung gestimmt, 13 weitere Staaten votierten gegen sie, darunter sämtliche arabische Staaten, zehn enthielten sich der Stimme. Nach der geschlossenen arabischen Ablehnung blieb der Teilungsvorschlag der Vereinten Nationen lediglich eine Empfehlung ohne Aussicht auf Verwirklichung. Während der nächsten Monate blieb alles in der Schwebe, nur der Terror der verfeindeten Gruppen in Palästina nahm weiter zu. Unmittelbar vor der Beendigung des britischen Mandats um Mitternacht des 14. Mai 1948 ergriffen die Juden die Initiative, um während einer Sitzung des Jüdischen Nationalrats am Nachmittag jenes Freitags noch vor Beginn des Sabbats den ihnen von der Vollversammlung der UN zugesprochenen Staat zu verwirklichen. David Ben-Gurion, der Chef der sozialdemokratischen Mapai, rief den neuen Staat Israel aus.

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Der Nahost-Konflikt

Abb. 1: Israels erster Ministerpräsident David Ben-Gurion (rechts) zusammen mit UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld

Nakba – die Katastrophe für die arabische Welt Die Proklamation Ben-Gurions führte beinahe zwangsläufig zum Krieg. Nachdem die britische Streitmacht aus Palästina abgezogen war, griffen noch in der Nacht der Staatsgründung militärische Verbände Syriens, Transjordaniens, des Iraks, Jemens, des Libanons und Ägyptens das neue Staatsgebilde an, um eine Rücknahme der jüdischen Entscheidung zu erzwingen. Saudi-arabische Einheiten kämpften darüber hinaus in ägyptischen Verbänden. Mit den Worten des ehemaligen israelischen Diplomaten Gideon Rafael: „In der Morgendämmerung empfing Israel die erste Anerkennungserklärung durch ein fremdes Land: Die ägyptische

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Kapitel I: Der Nahe Osten nach 1945 in Skizzen

Luftwaffe bombardierte den Flugplatz und das Kraftwerk von Tel Aviv“.3 Etwa zur gleichen Zeit riefen die Häupter der Arabischen Liga ihre muslimischen Glaubensgenossen dazu auf, das Land bis zum erwarteten Sieg der arabischen Armeen vorübergehend zu verlassen. Dass dieser Sieg angesichts der militärischen Kräfteverhältnisse sehr bald errungen werden würde, schien unzweifelhaft. Viele Araber im neuen Staat Israel folgten der Aufforderung, und verschiedene jüdische Terrorakte noch vor der Staatsproklamation hatten zusätzlich zur Flucht beigetragen. Ein geringer Teil der Araber verblieb in Israel, rund 700 000 arabische Flüchtlinge außerhalb Israels hingegen bildeten künftig das „palästinensische Flüchtlingsproblem“, wobei der Begriff „Palästinenser“ sich erst seit ca. 1968 durchsetzte. Die geflohenen Menschen lebten in Lagern, nicht selten in Sichtweite ihrer ehemaligen Felder. Die arabischen Staaten taten in der Folge nicht allzu viel, um die Flüchtlinge in ihre Gesellschaften zu integrieren. Sie sollten als augenfälliger Nachweis für die ihrer Auffassung nach ungerechte Politik des Judenstaates – als solcher hatte sich Israel selber definiert – dienen. In den arabischen Hauptstädten verwies man nicht zu Unrecht darauf, dass die jüdische Masseneinwanderung nach Palästina und in deren Konsequenz die Ausrufung des Staates Israel Folge des europäischen Antisemitismus war. Früher hätten Araber und Juden ohne größere Gewalt in Palästina zusammengelebt, hieß es; nun sollten sie, die Araber, für den Hass der Europäer auf die Juden zahlen, indem sie für die Flüchtlinge aufkommen sollten. Die Versorgung der palästinensischen Flüchtlinge lag künftig in den Händen der Vereinten Nationen. Die „Katastrophe“, arabisch Nakba, bezeichnet seither das, was die Israelis den Unabhängigkeitskrieg von 1948 nennen. Israel, das den arabischen Feinden zahlenmäßig deutlich unterlegen war, rettete mit knapper Not sein Überleben und das nicht zuletzt, was häufig vergessen wird, mit tschechoslowakischer Waffenhilfe.4 Die arabischen Aggressoren hingegen erfuhren eine totale Niederlage. Bis zum Juli des Jahres 1949 schloss der junge israelische Staat unter UN-Vermittlung bilaterale Waffenstillstandsabkommen, jedoch keine Friedensverträge, mit den feindlichen arabischen Nachbarn, wodurch der Kriegszustand formal nicht beendet war. Für das Verhältnis Israels zu Syrien und Ägypten galt dieser Zustand auch während des gesamten hier interessierenden Zeitraumes über 1949 hinaus.

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Gideon Rafael, Der umkämpfte Frieden, Frankfurt 1984. Tatsächlich hatten die Vereinigten Staaten als erstes Land Israel bereits elf Minuten nach dessen Ausrufung anerkannt, es folgten binnen weniger Tage zunächst die Sowjetunion und dann die Tschechoslowakei. Dies geschah mit Wissen der damals mit der Tschechoslowakei „verbündeten“ Sowjetunion. Stalin verfolgte ursprünglich eine antikoloniale Strategie, die mit der Unterstützung Israels, von dem Stalin annahm, dass es einen sozialistischen Weg einschlagen würde, die britische Vorherrschaft in der Region zu brechen suchte. Mit dem schwindenden britischen Einfluss im Nahen Osten und der prowestlichen Orientierung Israels wandte sich Moskau jedoch zunehmend der arabischen Seite zu.

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Historische Wendepunkte in Ägypten und Syrien

Nach Beendigung der Kampfhandlungen am 20. Juli 1949 hatte sich die nahöstliche Landkarte verändert. Hatte der UN-Teilungsplan 56 % des ehemaligen britischen Mandatsgebietes für den jüdischen Staat vorgesehen, befanden sich nun 78 % des Territoriums unter seiner Kontrolle. Seit 1949 markierte die sog. Grüne Linie die neuen Außengrenzen Israels, die bis zum Juni-Krieg von 1967 Bestand haben sollten. Außerhalb dieser Linie lag der nun von Ägypten kontrollierte Gaza-Streifen am Mittelmeer. Ost-Jerusalem sowie das Westjordanland kamen jetzt unter transjordanische – seit 1950 jordanische – Herrschaft und Gebiete an den nördlich gelegenen Golan-Höhen fielen bis 1967 an Syrien. Während in Israel der gewonnene Unabhängigkeitskrieg die Basis für einen Gründungsmythos schuf – etwa nach dem Bilde des siegreichen kleinen David gegen den übermächtigen Goliath – nährte die Nakba auf arabischer Seite einen Hass auf die Juden, den es vor der israelischen Staatsgründung so nicht gegeben hatte. Schnell kam das Wort von einer arabischen „zweiten Runde“ gegen Israel in Umlauf, nachdem die „erste Runde“ an den jüdischen Staat gegangen war. Der Rachegedanke begann sich in die arabischen Gesellschaften hineinzufressen. Für unseren Zusammenhang ist von Bedeutung, dass insbesondere in Ägypten nun auch der seit Jahrzehnten schwelende Groll auf die Kolonialmacht Großbritannien wuchs. Am Nil warf man den Briten vor, den Ägyptern für ihren Kampf gegen Israel moderne Waffen vorenthalten zu haben. Aus Londoner Sicht war Ägypten jedoch nicht mehr als eine „Bagatelle“ im Erosionsprozess des Empire gewesen, die folglich, wie Außenminister Ernest Bevin es einmal ausgedrückt hatte, waffentechnisch nur mit Schrott ausgerüstet worden war.5 Über Italien „von dunklen Firmen“ gelieferte Waffen hatten sich im Krieg als „Blindgänger oder Manöverdonner“ erwiesen, und Granaten häufig nur Sand oder Sägespäne enthalten.6 Hier mochten die deutschen Experten nach 1949 in dreifacher Weise ansetzen: Bei der Beliebtheit der Deutschen in der arabischen Welt, beim dortigen Hass auf Deutschlands ehemaligen Feind Großbritannien und vor allem bei dem dringenden Wunsch der Ägypter und Syrer nach moderner militärischer Ausbildung, modernen Waffen und einer eigenen Rüstungsindustrie.

Historische Wendepunkte in Ägypten und Syrien Eine Art ständiges Grundrauschen in der arabischen Welt über die Jahre von 1954 bis 1962 bildete der blutige Algerienkrieg, in dessen Verlauf sich dieser nordafrikanische Teil Frankreichs vom Mutterland zu lösen suchte. Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser unterstützte 5 6

Vgl. Lawrence James, The Rise and Fall of the British Empire, London 2001, S. 569. Der Spiegel Nr. 27 vom 2. Juli 1952, „Die PAG ist eine Macht“.

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Kapitel I: Der Nahe Osten nach 1945 in Skizzen

die Algerier in ihrem Kampf und gestattete die Bildung einer provisorischen Regierung Algeriens sowie die Eröffnung eines Büros der Befreiungsorganisation FLN in Kairo. Ohne Zweifel beobachtete man in Paris das Treiben deutscher und österreichischer Flugzeug- und Raketenfachleute am Nil mit Argwohn, denn es lag nahe, dass die technologischen Ergebnisse der Expertentätigkeit ihren Weg nach Algerien finden könnten. Ebenfalls kein eigentlicher Wendepunkt, sondern eher eine militärische Begleitmusik war das Eingreifen Ägyptens auf der Seite der Republikaner gegen die Monarchisten im jemenitischen Bürgerkrieg seit 1962, das gelegentlich Gerüchte aufkommen ließ, von deutschen Fachkräften am Nil entwickelte Gaswaffen würden von den Truppen Nassers auf der arabischen Halbinsel eingesetzt. Zweifellos aber zehrte das ägyptische Engagement im Jemen an den ohnehin knappen finanziellen Ressourcen Kairos, was u. a. auch zum Ende der deutschen Expertentätigkeit seit ca. Mitte der sechziger Jahre mit beigetragen haben dürfte.

Revolution in Ägypten und Gamal Abdel Nasser Der Beginn des Jahres 1952 läutete gleichsam das Ende der ägyptischen Monarchie unter König Faruk ein. Im Januar kam es zu Kämpfen zwischen ägyptischen Guerillakommandos und den Briten in der Suezkanalzone, die Opfer auf beiden Seiten forderten. Die Briten rächten sich für die Nadelstiche der Freischärler mit einem Angriff auf eine Polizeistation in der Stadt Ismailia am Suezkanal, der fünfzig getötete Hilfspolizisten forderte. Im Gegenzug wurde im ganzen Land der Generalstreik ausgerufen, und im Verlauf von Massendemonstrationen in Kairo gingen dort über 750 Gebäude in Flammen auf, darunter nicht ohne Symbolik das bei Ausländern so beliebte Shepheards Hotel sowie das Opernhaus. London setzte von Malta aus die britische Mittelmeerflotte in Marsch: ein Flugzeugträger, drei Kreuzer, ein schneller Minenleger und sieben Zerstörer sollten vor Suez die Muskeln spielen lassen. Dabei waren die blutigen Unruhen keineswegs nur Ausdruck des Hasses vieler Ägypter auf Fremde im Allgemeinen und die Briten im Besonderen. Die damals in Kairo am Ruder befindliche Wafd-Partei hatte den Mob aufgehetzt, um die immer offener zutage tretende Korruption ihrer eigenen Führer zu verdecken. Unter dem Druck der Ereignisse zeigte sich nun die Unfähigkeit der Monarchie, die Probleme des Landes in den Griff zu bekommen; insgesamt wechselten vier Regierungen einander in rascher Folge ab. In der Nacht vom 22. auf den 23. Juli 1952 putschten die „Freien Offiziere“ und übernahmen die Macht am Nil. König Faruk, dessen Sturz nach Meinung vieler Beobachter dem Fall einer „überreifen Frucht vom Baume“ glich, sah sich zur Abdankung gezwungen und verließ mit einer Segelyacht von Alexandria aus seine Heimat in Richtung Italien. Sein nur ein halbes Jahr alter Sohn Fuad wurde zunächst neuer König, bevor auch er im Juni 1953 abgesetzt und 24

Historische Wendepunkte in Ägypten und Syrien

ins Exil verbannt wurde.7 Führender Kopf der Freien Offiziere war Gamal Abdel Nasser. Nach ihrem Putsch profitierten die Frondeure davon, dass sich General Muhammad Nagib ihr Anliegen zu eigen machte. Er war älter, höherrangig und bekannter als der gerade 34 Jahre alte Nasser, zudem hatte er sich im Krieg gegen Israel als einer der wenigen ägyptischen Offiziere ein gewisses Ansehen erworben. General Nagib wurde Vorsitzender des Revolutionären Kommandorates, Nasser sein Stellvertreter in diesem eigentlichen Machtzentrum. Als die alte Regierung im September 1952 zurücktrat, übernahm Nagib das Amt des Premierministers, und Nasser diente ihm erneut als Stellvertreter. Nach der endgültigen Abschaffung der Monarchie wurde Nagib zum Präsidenten ernannt. Er und Nasser entzweiten sich nun zunehmend über den politischen Kurs des Landes: Nagib begann, sich wieder den alten Eliten anzunähern, zeigte sich nicht dezidiert antibritisch, plädierte für ein Ende der Militärherrschaft sowie für die Wiedereinführung des Parlamentarismus. Nasser lehnte dies strikt ab und ließ im Januar 1953 bis auf die Muslimbruderschaft alle politischen Parteien und Organisationen auflösen. Ihm schwebte eine staatliche Einheitsorganisation, eine „Befreiungsfront“ vor. Im Februar 1954 erklärte der in der Bevölkerung beliebte Nagib seinen Rücktritt, und Nasser übernahm die Präsidentschaft. Es folgten mehrwöchige und zeitweilig heftige armeeinterne Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern Nagibs und Nassers, die dann auch in die gesamte ägyptische Gesellschaft hineingetragen wurden. Nasser übernahm den Vorsitz im Revolutionären Kommandorat und 1956 erfolgte seine Wahl zum Staatspräsidenten. Bis auf eine kurze Periode nach dem verlorenen Sechs-Tage-Krieg von 1967 gegen Israel und dann wieder bis zu seinem Tode 1970 regierte Nasser das damals knapp 30  Millionen Einwohner zählende Land der Pharaonen. General Nagib sah sich unter Hausarrest gestellt, bis der Nachfolger Nassers und neue ägyptische Präsident Anwar as-Sadat den Arrest 1971 aufhob und Nagib rehabilitierte. Da Gamal Abdel Nasser in unserer Geschichte eine herausragende Rolle spielt, soll er hier ein wenig ausführlicher porträtiert werden. Geboren 1918 in einem armen Fellachendorf am Nil als Sohn eines Postbeamten, wuchs Nasser im kleinbürgerlichen Milieu der damals kosmopolitisch geprägten Hafenstadt Alexandria auf. Während seiner Schulzeit in den dreißiger Jahren wurde er im Sinne eines ägyptischen Nationalismus mit antibritischer Stoßrichtung stark politisiert. Dabei hatte erst ein ägyptischbritischer Vertrag aus dem Jahre 1936 ihm und seinen Standesgenossen Karrieremöglichkeiten eröffnet, denn dieser sah unter anderem die künftige Ersetzung britischer Offiziere durch ägyptische vor. Bis dahin waren militärische Laufbahnen allenfalls Angehörigen der ägyptischen Eliten vorbehalten gewesen. Gemeinsam mit den anderen Freien Offizieren wandte sich Nasser insgeheim gegen die im Lande unpopuläre Monarchie, die britische Dominanz und 7

Für das Folgende vgl. Johanna Pink, Geschichte Ägyptens, München 2014, S. 206f.

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Kapitel I: Der Nahe Osten nach 1945 in Skizzen

gegen vielerlei Missstände in seiner Heimat. Das Erlebnis der Nakba wirkte dann geradezu katalysatorisch hinsichtlich seiner Ablehnung der bestehenden Verhältnisse. In den vierziger Jahren liebäugelte die Gruppe der Offiziere um Nasser mit diversen außerparlamentarischen Bewegungen, seien es die Muslimbruderschaft der Islamisten, die Faschisten mit ihrer Bewunderung eher Hitlers als Mussolinis oder aber die Kommunisten. Nasser hat sich, so weit bekannt, nie als Anhänger Hitlers gezeigt, im Gegensatz etwa zu Anwar as-Sadat, seinem späteren Nachfolger im höchsten Staatsamt. As-Sadat konspirierte während des Feldzuges von Rommel in Nordafrika nicht nur mit deutschen Spionen in Kairo und bezahlte dies mit seiner Inhaftierung, sondern er äußerte nach dem Krieg auch öffentlich, dass Hitlers einziger Fehler die Eröffnung des Zwei-Fronten-Krieges im Jahre 1941 gewesen sei, kurzum: dass er den Krieg verloren hatte. Im ersten israelisch-arabischen Krieg von 1948/49 hatte Nasser als einziger ägyptischer Befehlshaber seine Stellung im sog. Kessel von Faludscha gegenüber der israelischen Armee halten und diesen mit seinen Offizieren und Mannschaften ohne Kapitulation verlassen können, was ihm den Ehrentitel „Tiger von Faludscha“ einbrachte. Spätestens seit einem Revolverattentat auf Nasser während einer öffentlichen Rede im Oktober 1954 in Alexandria haftete ihm der Ruf persönlichen Mutes und der Unerschrockenheit an, denn ungerührt von den auf ihn abgefeuerten Schüssen setzte er damals seine Ansprache fort. Ambivalent und letztlich ungeklärt war Nassers Verhältnis zu Israel und den Juden. Während seiner Regierungszeit gebärdete sich die ägyptische Propaganda z. T. wüst antiisraelisch bzw. antizionistisch, und auch Nassers Reden enthielten immer wieder unmissverständliche Drohungen in Richtung Tel Aviv. Doch ist schwer zu sagen, wie viel innere Überzeugung hinter den Tiraden steckte, und ob es ihm nicht vor allem darum ging, den ägyptischen und arabischen Massen zu gefallen. In Israel machte damals ein Kalauer die Runde, dem zufolge Hitler nicht gestorben, sondern zum Nil geschwommen und dort Nasser geworden sei. Noch bevor Nasser Staatschef wurde, gelang es ihm, einen programmatischen Aufsatz über die ägyptische Revolution in den „Foreign Affairs“ unterzubringen, der seinerzeit angesehensten Fachzeitschrift für Außenpolitik.8 Dem Publikationsort angemessen, fiel Nassers Attacke auf Israel einigermaßen temperiert aus. Man unterstelle den Arabern, so der Autor, jegliche ihnen gewährte Militärhilfe werde zu Angriffen auf Israel genutzt. Dabei sei es Israels Politik, die aggressiv und expansionistisch sei, und Tel Aviv werde alles unternehmen, um ein Erstarken der Region zu verhindern. „Jedoch wollen wir keinen Krieg anfangen“, schrieb Nasser. Krieg habe keinen Platz in der konstruktiven Politik, welche die Revolutionäre entworfen hätten, 8

Gamal Abdel Nasser, The Egyptian Revolution, in: Foreign Affairs, Jg. 33, Heft 1, 1.  Januar 1954, S. 199–211.

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Historische Wendepunkte in Ägypten und Syrien

„um die Lebensbedingungen unseres Volkes“ zu verbessern. Und weiter: „Wir haben allerhand zu tun in Ägypten, und der Rest der arabischen Welt hat allerhand zu tun. Ein Krieg ließe uns eher verlieren als gewinnen von dem, was wir zu erreichen suchen“. Hinter den Kulissen des politischen Alltags versuchte Nasser mit Israel ins Gespräch zu kommen mit dem Ziel einer Friedensregelung zwischen seinem Land und dem jüdischen Staat. So hielt er Kontakt zum israelischen Ministerpräsidenten Moshe Sharett, der jedoch von David Ben-Gurion torpediert wurde. Der Druck auf Tel Aviv, mit Ägypten Frieden zu schließen, hatte nachgelassen, weil sich die Bundesrepublik unter Kanzler Adenauer zu sehr kostengünstigen Waffenlieferungen an den jüdischen Staat verpflichtet hatte.9 Einer, der sicherlich wenig Grund hatte, Nasser besonders gewogen zu sein, der zeitweilig in Kairo operierende israelische Spion Horst J. Andel, widmet in seiner Autobiografie dem Verhältnis Nassers zu den Juden eine längere Passage, die es verdient, hier wiedergegeben zu werden. Gamal Abdel Nasser, so Andel, „war alles andere als ein Antisemit. Er beschäftigte zwar eine ganze Reihe von immer noch der Endlösung der Judenfrage nachtrauernden alten Nazis in Geheimdienst und Rüstungsindustrie und galt als stärkster, furchterregendster und unversöhnlichster Feind Israels. Diese Feindschaft war für ihn aber nie eine Rassenfrage, sondern stets nur ein nationales Problem. Bis zu seinem Tod korrespondierte er – über eine neutrale Adresse – regelmäßig mit einem ihm während der Belagerung des von ihm befehligten Kessels von Faludscha […] bekannt gewordenen ehemaligen israelischen Offizier. Dieser hatte ihn in einer Feuerpause zu einem Besuch der gegnerischen Stellungen und der jüdischen Hauptstadt Tel Aviv eingeladen und auch mit dem inzwischen verstorbenen damaligen israelischen Bezirkskommandeur und späteren zeitweiligen Außenminister Yigal Allon bekannt gemacht […]. Die Niederlage von 1949, die militärische Niederlage in den jungen Jahren seiner Offizierskarriere, lastete bis zuletzt auf seiner Seele. Gamal Abdel Nasser war dessen ungeachtet der sicher bedeutendste ägyptische und arabische Staatsmann der Gegenwart. Sein Tod stieß die Araber in grenzenlose Hoffnungslosigkeit und machte den Weg frei für die unglückselige Rückwendung der muslimischen Völker unter verbrecherischen Führern wie dem Ajatollah Chomeini“10.

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Vgl. Helmut Mejcher, Der arabische Osten im zwanzigsten Jahrhundert 1914–1985, in: Ulrich Haarmann (Hg.), Geschichte der arabischen Welt, München (4) 2001, S. 484. Aharon Moshel (d. i. Horst J. Andel), Die Viper. Die Geschichte eines israelischen Spions, Hamburg 1989, S. 133f. Näheres zur Person Andels und zum Quellenwert der „Viper“ im Abschnitt „Israelische Kundschafter made in Germany: Wolfgang Lotz und Horst J. Andel“ in Kapitel III dieses Buches. Bereits in einem ein Jahr zuvor veröffentlichten Sachbuch hatte Moshel die Episode mit dem Treffen Nassers und

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Kapitel I: Der Nahe Osten nach 1945 in Skizzen

War Nasser zu Beginn seiner Karriere gewissermaßen als ägyptischer Nationalist gestartet, wandelte er sich im weiteren Verlauf als ägyptischer Staatspräsident zu einem selbsternannten Führer der gesamten arabischen Welt, der im Gehäuse des Kalten Krieges eine Schaukelpolitik zwischen Ost und West verfolgte und seit Mitte der sechziger Jahre ein sozialistisches Gesellschaftsmodell durchzusetzen versuchte. In dem unter seinem Namen 1955 veröffentlichten, jedoch von seinem engen Freund und Journalisten Mohammed Heikal geschriebenen Buch „The Philosophy of the Revolution“11, nannte Nasser drei Kreise, die für seine künftige Politik richtungweisend sein sollten: den arabischen Kreis mit dem Merkmal Panarabismus, den afrikanischen Kreis, der ihn zu einem der politischen Führer Afrikas machen sollte und schließlich den Kreis der gesamten islamischen Welt. Der internationalen Öffentlichkeit wurde Nasser mit einem Schlag ein Begriff, als er im April 1955 auf der asiatisch-afrikanischen Konferenz im indonesischen Bandung gleichberechtigt neben Staatsmännern wie Zhou Enlai aus der Volksrepublik China oder Jawaharlal Nehru aus Indien als Vertreter eines selbstbewussten, dekolonisierten und blockfreien Ägyptens auftrat. Nasser suchte zu dieser Zeit andere arabische Staaten auf die ägyptische und damit auch auf seine Seite zu ziehen. Diese Länder liebäugelten zeitweilig mit einem Beitritt zum sog. Bagdad-Pakt vom Februar 1955, der zwischen Großbritannien, der Türkei, Pakistan, dem Iran und dem Irak geschlossen worden war und die NATO-Strategie mit Hilfe eines Staatengürtels gegen die Sowjetunion an deren Südgrenze unterstützen sollte. Und ein weiteres Mal brachte sich Gamal Abdel Nasser im Jahre 1955 in die Schlagzeilen der internationalen Presse. Ende September erfuhr die Welt von umfangreichen Waffenkäufen Kairos in der Tschechoslowakei, hinter denen jedoch die Sowjetunion stand. Ägypten sollte 120 MiG-Kampfflugzeuge sowie 50 Iljuschin II-28-Bomber, 20 Transportflugzeuge, 200 Panzer, 230 gepanzerte Truppentransporter, 500 Kanonen unterschiedlichen Kalibers, Torpedoboote, Zerstörer sowie sechs U-Boote erhalten. Damit begann die UdSSR mit der einseitigen, massiven Aufrüstung eines der Hauptakteure im Nahost-Konflikt, während sich Großbritannien und die USA an das Verbot von Waffenverkäufen in die Region hielten. Frankreich lieferte seit 1954 heimlich Rüstungsgüter an Israel, so wie dies, wie erwähnt, auch die Bundesrepublik seit 1957 tat. Den Käufen Nassers vorausgegangen war ein empfindlicher Schlag Israels gegen den GazaStreifen, der wiederum eine Antwort auf Attacken arabischer Freischärler gegen israelische Dörfer gewesen war, bei denen die Angreifer bis auf wenige Kilometer an Tel Aviv herangekommen waren.

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Allons berichtet. Vgl. Moshel, In einer Hand den Ölzweig. Jassir Arafat und die PLO, Hamburg 1988, S. 104f. New York 1955.

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Historische Wendepunkte in Ägypten und Syrien

Die Nachricht von den ägyptischen Waffenkäufen schockierte nicht nur Israel, das nun das Kräftegleichgewicht in der Region gestört sah und einen Angriffskrieg Ägyptens in nicht allzu ferner Zukunft für wahrscheinlich hielt. Zeit glaubte man in Tel Aviv allenfalls dadurch gewinnen zu können, dass die Ägypter zunächst einmal an den neuen Waffen ausgebildet werden mussten. Doch auch der Westen war alarmiert. Zum ersten Mal lieferte die Sowjetunion nach außerhalb des Ostblocks und machte dadurch den Nahen Osten endgültig zu einem Schauplatz des Kalten Krieges.

Abb. 2: Gamal Abdel Nasser (rechts) und der kubanische Ministerpräsident Fidel Castro um 1960 Wie zu zeigen sein wird, wurden die ägyptischen Waffenkäufe auch mit den deutschen Militärfachleuten am Nil in Verbindung gebracht. Innenpolitisch regierte Nasser autoritär und verfolgte das Ziel eines Einparteienstaates. Gemäß den Grundsätzen der Freien Offiziere strebte er u. a. die Industrialisierung seines Landes 29

Kapitel I: Der Nahe Osten nach 1945 in Skizzen

an, um dadurch vor allem die bittere Armut der Fellachen, also der Landbevölkerung, bekämpfen zu können. Auch der Bau des Assuan-Hochdammes in Oberägypten diente diesem Vorhaben. Aus der Feder des langjährigen Kairo-Korrespondenten der Tageszeitung „Die Welt“ und Nasser-Kenners Peter Meyer-Ranke stammen einige Beobachtungen zur Persönlichkeit, zum Charakter und zur privaten Lebensführung des „Rais“, des „Führers“, wie Nasser auch genannt wurde.12 Sie sollen dieses kurze Porträt mit groben Strichen abrunden. Nach Meyer-Ranke fremdelte Nasser zeitlebens mit seiner Heimatstadt Alexandria, deren damalige Ausrichtung auf die Welt des Mittelmeers ihm immer suspekt blieb. Bis 1932 hatte es in der Metropole nicht einen einzigen arabischen Bäcker gegeben, und die meisten Geschäfte lagen in griechischer oder italienischer Hand. Unerreichbar musste dem Heranwachsenden das Gesellschaftsleben der Reichen und besonders der Königsfamilie bleiben, die mit Ministerialbürokratie und diplomatischem Corps in den heißen Sommermonaten in Alexandria residierten. Vielleicht, so Meyer-Ranke, lag hier auch ein Schlüssel für Nassers im Grunde anti-europäische und antikapitalistische Einstellung, denn „Levantinertum war und ist für diesen Ägypter nichts anderes als verrottetes Schmarotzerdasein“. Und so bedeutete die Wahl und Bestätigung Alexandrias als zweite Hauptstadt durch sein Regime für Nasser vor allem einen Akt der Besitzergreifung. Ägypten hatte Alexandria endlich erobert, der Fremdkörper auf dem eigenen Boden war ausgemerzt, arabisiert und sozialisiert worden. Alexandria sei, erklärt Meyer-Ranke, „die vollkommenste Eroberung gewesen, die das Regime bis Mitte der sechziger Jahre“ gemacht habe. Auf Widerstand sei es dabei nicht gestoßen. Die Residenz der Familie Nasser im nördlich von Kairo gelegenen Stadtteil Heliopolis zeichnete sich durch Bescheidenheit aus, den einzigen Luxus zur damaligen Zeit bildeten Klimaanlagen in allen Zimmern. Bescheidenheit bestimmte auch die Lebensgewohnheiten des Staatspräsidenten. Die Mahlzeiten entsprachen etwa denen der ägyptischen Mittelschicht. Alkohol verbot sich für den Muslim Nassser per se und auf seine Gesundheit musste der Diabetiker ohnehin achten. Dem widersprach jedoch eindeutig der enorme Zigarettenkonsum: Im Verlauf einer zweistündigen Unterredung rauchte er oft ein ganzes Päckchen Filterzigaretten.13 Mit ausländischen Gästen sprach Nasser recht fließend Englisch ohne Dolmetscher. Seine Hauptarbeitszeiten lagen in der Nacht, noch nach zwei Uhr morgens machte er sich häufig an die Lektüre arabischer und englischsprachiger Zeitungen. Spätes Aufstehen am anderen Morgen war dann selbstverständlich. Der Rais legte Wert auf sorgfältige Kleidung, wobei maßgeschneiderte Anzüge seine hochgewachsene Figur betonten. Zerstreuung suchte er bei spannenden Wildwest- und amerikanischen Kriminalfilmen sowie beim Lauschen der „arabischen 12 13

Peter Meyer-Ranke, Der rote Pharao, Hamburg 1964. Nur 52-jährig starb Nasser 1970 an einem Herzinfarkt.

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Historische Wendepunkte in Ägypten und Syrien

Nachtigall“, der legendären Sängerin Om Kalsoum. Nasser schätzte auch klassische Musik, bevorzugt jene von Beethoven und Rimski-Korsakow. Seine Frau Tahia, aus einer wohlhabenden persischen Händlerfamilie stammend, hielt sich aus der Öffentlichkeit weitgehend heraus – die Rolle einer First Lady gab es in Ägypten nicht. Zwei Töchter und drei Söhne komplettierten die Familie Nasser. Besuchern fiel gelegentlich auf, dass Fotos aus der familiären Sphäre in der Wohnung weithin fehlten. Wer auch immer die nassersche Residenz in Manchiet el-Bakry von Heliopolis betrat, hob hernach, so Meyer-Ranke, die Einfachheit und Natürlichkeit des Staatspräsidenten hervor. „Im Gespräch gibt er sich verbindlich; er kann zuhören und antwortet – wenn er will – auf die kritischsten Fragen mit überraschender Offenheit. Dabei scheut er nicht davor zurück, auch kritische Bemerkungen über Ägypten zu äußern“. Allerdings sei er nach Jahren an der Macht auch von einem ausgeprägten Selbst- und Sendungsbewusstsein geprägt, von der Überzeugung, dass nur er allein alles richtig mache und die Bürde dessen trage, der auch alles selber erledigen müsse. Einer der frühen deutschen Raketenkonstrukteure am Nil hätte diesem Urteil nach eigener Erfahrung nichts hinzuzufügen gehabt, wie wir sehen werden. Seinen Durchbruch als Massenredner hatte Nasser am 26. Juli 1956 in Alexandria gefeiert, als er vor begeisterten Zuhörern die Verstaatlichung des Suezkanals verkündete. Niemals zuvor hatte ein Politiker der afro-asiatischen Welt den Westen dergestalt herausgefordert. Indes: Nach dem Zeugnis des Welt-Korrespondenten war Nasser kein guter Redner. „Er spricht monoton und langweilig, wobei er oft in die Luft blickt. Wenn er vom Blatt liest, was selten geschieht, muss er eine Brille tragen. Seine Reden dauern im Schnitt zwei Stunden; treffende, packende oder witzige Formulierungen sind selten, dagegen wiederholt er sich häufig […]. Die Höhepunkte der Reden Nassers liegen meist am Schluß, wenn er warm geworden ist und von der eigenen Erregung fortgetragen wird. Dann fällt er vom Hocharabischen in den ägyptischen Dialekt und wirft mit Beschimpfungen um sich, die die Menge mitreißen“.

Da werde dann der jordanische König Hussein zu einem Zwerg des Imperialismus, der britische Premierminister zu einem Nachtclub-Premier, und die in Syrien herrschende BaathPartei bestehe aus Terroristen, Faschisten und Blutsäufern. In solchen Augenblicken gingen Nasser die Pferde durch, und man könne sich gut vorstellen, sinniert Meyer-Ranke, wie aus derartigen Emotionen heraus politische Entscheidungen fielen oder Anweisungen für den Propagandaapparat entstünden. So sei es auch gewesen, als Nasser im Januar 1961 die Nachricht von der Ermordung des kongolesischen Ministerpräsidenten Patrice Lumumba erhielt. Lumumba hatte sich im ehemals belgischen Katanga vor seinen politischen Feinden in Sicherheit

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Kapitel I: Der Nahe Osten nach 1945 in Skizzen

bringen wollen. Erzürnt durch die Nachricht, gab Nasser daraufhin die belgische Botschaft in Kairo zur Brandstiftung frei.14

Abb. 3: Nasser mit Zigarette und einem kleinen sudanesischen Jungen, 1954 14

Meyer-Ranke, Pharao, S. 44–48.

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Historische Wendepunkte in Ägypten und Syrien

Die Suezkrise 1956 Zwei weltpolitische Krisen verliefen zum Jahresende 1956 nahezu parallel: Die Suezkrise samt Sinaikrieg und der Ungarn-Aufstand. Die Erste war ein militärisches Kräftemessen zwischen dem Ägypten Nassers mit Großbritannien, Frankreich und Israel, die Zweite eine Auflehnung bürgerlich-demokratischer Ungarn gegen ihre moskauhörige Regierung. Auslöser der Suezkrise war die von Präsident Nasser angekündigte Verstaatlichung des Suezkanals, die ihrerseits eine Retourkutsche des Ägypters gegen die spektakuläre Entscheidung Londons und Washingtons war, ihre kurz zuvor gegebene Finanzierungszusage für den Bau des Assuan-Hochdammes zurückzuziehen. Hintergrund dieser angloamerikanischen Entscheidung wiederum war die zunehmend prosowjetische Haltung der Regierung Nasser sowie die diplomatische Anerkennung der Volksrepublik China durch Kairo im Juli. Mit der Verstaatlichung des Kanals verletzte Nasser ein im Oktober 1954 zwischen Ägypten, Großbritannien und Frankreich geschlossenes Abkommen, das einerseits den Abzug des britischen Militärkontingentes aus der Kanalzone binnen 20 Monaten vorsah, andrerseits aber Ägypten verpflichtete, Militärbasen in der Zone zu unterhalten und im Kriegsfall London zur Verfügung zu stellen. Kairo würde darüber hinaus das internationale Statut des Kanals respektieren. Die letzten britischen Soldaten hatten am 13. Juni 1956 die Kanalbasen verlassen. Damit war eine Situation eingetreten, vor der man sich im benachbarten Israel gefürchtet hatte, da die Briten immer als Puffer gegen die Ägypter gesehen worden waren. Mit gewaltsamen Geheimdienstaktionen im Rahmen der Operation „Susannah“ versuchte Israel in Kairo vergeblich, in London und Washington Unsicherheit zu erzeugen und den britischen Abzug aus der Kanalzone zu verhindern. Wie zwischen Briten, Franzosen und Israelis bei einem Pariser Geheimtreffen vereinbart, führten die israelischen Streitkräfte am 29. Oktober 1956 den Erstschlag gegen Ägypten auf der Sinaihalbinsel und eröffneten damit den Suez- bzw. Sinaikrieg, aus arabischer Sicht die „trilaterale Aggression“. In Tel Aviv, Paris und London hatte man möglicherweise kalkuliert, dass angesichts des wenige Tage zuvor begonnenen Ungarn-Aufstandes die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Budapester Ereignisse gerichtet bleiben würde. Umgekehrt war sich die sowjetische Führung sicher, dass ihre Intervention in Ungarn wegen des Engagements der Franzosen und Briten am Suezkanal folgenlos bleiben würde: „Sie stecken in Ägypten genauso im Sumpf wie wir in Ungarn“15. Vereinbarungsgemäß griffen Briten und Franzosen nach Eröffnung der israelisch-ägyptischen Kampfhandlungen in das Kriegsgeschehen ein.

15

Von dem ehemaligen jugoslawischen Botschafter in der Sowjetunion Micunovic überlieferte Äußerung des sowjetischen Staats- und Parteichefs Chruschtschow gegenüber dem jugoslawischen Marschall Tito. Hier zitiert nach Rafael, Frieden, S. 93.

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Der britische Premierminister Eden verfolgte mit der Teilnahme an dem Feldzug außer der Sicherung der freien Schifffahrt auf dem Kanal vor allem das Ziel, Präsident Nasser zu stürzen, dessen panarabischen Nationalismus er verabscheute. Es war sein „Nasser-mussweg-Komplex“16. Auch für Israel war der Sturz des Rais eine ausgemachte Sache. Frankreich sah in dem Vorgehen gegen Nassers Ägypten eine willkommene Gelegenheit, das schwelende algerische Glutnest am Nil auszutreten. 48 Stunden nach dem Angriff der Israelis attackierte die Royal Air Force Nassers Truppen, und weitere drei Tage später landeten französische und britische Einheiten in Port Said am Nordausgang des Kanals und nahmen die Stadt rasch ein. Die gemeinsame Verurteilung Großbritanniens, Frankreichs und Israels durch die USA und die Sowjetunion durch die Vereinten Nationen bedeutete für Präsident Nasser einen klaren diplomatischen Sieg, der zugleich verdeckte, dass sich sein Land am Rande einer militärischen Niederlage befunden hatte. Es war dies die Zeit, in der Nasser zum unbestrittenen Volkshelden in der arabischen Welt wurde.17 In dieser Rolle fiel es ihm nicht schwer, einen ersten Schritt auf dem langen Weg zur Verwirklichung der arabischen Einheit „vom Atlantik bis zum Indischen Ozean“ in Angriff zu nehmen: die Bildung der Vereinigten Arabischen Republik (VAR) aus Ägypten und Syrien.

Syrien zwischen politischer Dauerkrise und einem „Preußen Arabiens“ Noch unter französischer Mandatsherrschaft wurde in Syrien 1943 unter der Parole „Einheit, Freiheit, Sozialismus“ die erste panarabisch-sozialistische Organisation mit Kadergruppen und geheimen Zellen gegründet – die Baath-Partei, wobei Baath so viel wie Sendung, Erweckung, Auferstehung bedeutet. 1949, drei Jahre nachdem die letzten französischen Truppen das Land verlassen hatten, wurde Shukri al-Kuwatli erster syrischer Staatspräsident, doch bereits im März jenes Jahres ergriff Husny Za‘im, der Generalstabschef der Armee, die Macht in Damaskus und verdrängte al-Kuwatli ins ägyptische Exil. Er wollte vor allem Angriffe gegen die Armee von Seiten ziviler Politiker zum Verstummen bringen. Oberst Sami al-Hinnawi lehnte sich bereits im August 1949 erfolgreich gegen Za‘im auf, fiel jedoch selber bereits im Dezember desselben Jahres Oberst Adib Chichakly zum Opfer. Im Jahre 1950 starb al-Hinnawi in Beirut infolge eines Mordanschlages.

16

17

So Edens ehemaliger Staatsminister Harold A. Nutting, hier zitiert nach Erdmute Heller, Die arabisch-islamische Welt im Aufbruch, in: Weltbild Weltgeschichte, Bd. 36, Das Zwanzigste Jahrhundert III, S. 116. Vgl. Pink, Geschichte, S. 211.

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Historische Wendepunkte in Ägypten und Syrien

Abb. 4: Oberst Adib Chichakly 35

Kapitel I: Der Nahe Osten nach 1945 in Skizzen

Der kurdischstämmige Chichakly ließ als erster syrischer Militär die Parteien auflösen und gründete 1952 seine eigene Staatspartei. Ende Dezember 1952 konnte man Chichakly bei einem Besuch in Kairo neben seinem ägyptischen Kollegen General Nagib beobachten. Der Syrer schien damals auf dem Sprung, die Rolle eines Führers in der arabisch-islamischen Politik zu übernehmen. Der Korrespondent des „Spiegel“ erkannte damals zwei Unterschiede zwischen den beiden eher kleingewachsenen und hageren, aber „starken Männern des Orients“: Nagib sei vorsichtiger als Chichakly, er bewerte die eigene militärische Stärke Ägyptens und die der arabischen Staaten wesentlich nüchterner als sein syrischer Kollege. Und: Nagib fühle sich in erster Linie als der Mann, der zunächst sein Land von den letzten Resten der britischen Oberherrschaft befreien wolle, danach erst käme die arabische Welt. Ferner wolle er den Lebensstandard der Fellachen heben und die alten islamischen Sitten wiederherstellen. Chichakly hingegen, so der Spiegel, sei der „Brausekopf“ der panarabischen Revolution. Er, den man in Damaskus auch schon mal mit einem einst Adolf Hitler gehörenden Mercedes umherfahren sehe, fühle sich als der kommende Bismarck der arabischen Welt, und passend dazu habe er die Losung vom kommenden Syrien als dem „Preußen Arabiens“ formuliert. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass ein Land mit einer solchen Zielsetzung ein willkommener Hafen für Deutsche auf der Flucht vor dem Staatsanwalt daheim war.

Abb. 5: Mercedes Benz von Oberst Chichakly mit Nummernschild des syrischen Militärs 36

Bonn zwischen Tel Aviv und Kairo

Chichaklys Untertanen gaben ihrem Staatschef jedoch wenig Zeit zur Verwirklichung seiner Träume. Viele der damals knapp vier Millionen Einwohner Syriens waren unzufrieden mit seiner Politik, ungeachtet ihrer religiös-ethnischen Zugehörigkeit zu sunnitischen und schiitischen Muslimen sowie Alawiten, Drusen, Christen oder Kurden, um nur die Hauptgruppen zu nennen. Schließlich rebellierten im Februar 1954 Truppeneinheiten im nordsyrischen Aleppo und Chichakly musste sein Land verlassen. Mehr als ein Jahrzehnt später, im Jahre 1965, ermordete ein junger Druse Chichakly in seinem brasilianischen Exil – ein Racheakt dafür, dass Chichakly einst drusische Wohngebiete hatte bombardieren lassen. Die folgenden vier Jahre nach Chichaklys Abgang von der Macht waren durch die Herrschaft einer zivilen Regierung bestimmt, hinter deren Fassade sich rivalisierende Offiziersgruppen befehdeten. Es gelang schließlich einer Gruppe um den Geheimdienstchef Oberst Abdul Hamid Sarradsch ihre Gegner kaltzustellen. Nach der Suezkrise vom Herbst 1956 spitzte sich in Syrien – wie auch in anderen arabischen Staaten – die Frage zu, ob sich das Land künftig nach Westen oder zur Sowjetunion orientieren sollte. In dieser Situation entschied sich eine nationalistische Gruppe von Offizieren für einen Zusammenschluss Syriens mit Ägypten. Dessen Präsident stand damals, wie gezeigt, auf dem Höhepunkt seines Ruhmes und übte folglich eine enorme Anziehungskraft auf arabische Kreise jenseits der ägyptischen Landesgrenzen aus. Während mit Sarradsch verbündete Offiziere in Kairo die Übergabe Syriens an Ägypten mit dem Argument anboten, in Damaskus drohe eine kommunistische Machtübernahme, blieb Sarradsch selber in der Hauptstadt und hielt die zivile Regierung in Schach. Die Politiker wurden erst in das Übergabeprojekt eingeweiht, nachdem die syrischen Offiziere mit Nasser zu einer Übereinkunft gelangt waren. Ende Januar 1958 sah sich die syrische Regierung unter dem sanften Druck der Offiziere mehr oder weniger gezwungen, ein Flugzeug zu besteigen und am 1. Februar 1958 in Kairo offiziell die Quasiunterwerfung ihres Landes in Gestalt der VAR unter Gamal Abdel Nasser zu vollziehen. Wegen bald aufbrechender syrisch-ägyptischer Rivalitäten innerhalb der VAR war dieses Projekt jedoch nur von kurzer Dauer. Es waren Ende September 1961 erneut syrische Offiziere, die aktiv wurden. Sie führten den Bruch mit Kairo herbei.

Bonn zwischen Tel Aviv und Kairo Das Luxemburger Abkommen von 1952 Unmittelbar nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 hatten die meisten Deutschen, die sich inmitten der Trümmer zu sortieren suchten, wenig Interesse an Politik. Es galt, das tägliche 37

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Leben zu organisieren. Man vermied es, sich mit der Vernichtung von Millionen Juden von deutscher Hand auseinanderzusetzen; lediglich christliche, linksliberale und sozialistische Intellektuelle durchbrachen das Schweigen. Noch weniger beschäftigte man sich mit der Lage der nach Palästina emigrierten Juden, und von der Staatsgründung Israels 1948 nahm die deutsche Öffentlichkeit kaum Notiz.18 Die Stimmen der linkskatholischen Publizisten Eugen Kogon und Walter Dirks gehörten 1949 zu den ersten, die an Bundesregierung und Bundestag appellierten, „die so lange verschleppte Wiedergutmachung“ an den Juden einzuleiten. Ihre Forderung, bestmögliche Beziehungen zum jüdischen Volk zu entwickeln, „besonders aber mit seinem Staat in Palästina“, verhallte jedoch zunächst ungehört – auch in Israel. Ohne Resonanz blieb auch der Vorschlag des damaligen Bundestagsvizepräsidenten und stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Carlo Schmid vom Februar 1951, den Staat Israel als „Rechtsnachfolger für alle erbenlosen Rückerstattungs- und Wiedergutmachungsansprüche“ anzuerkennen. Zwei Monate später zeichnete sich jedoch eine Wende ab. Bundeskanzler Adenauer geriet zunehmend unter Zugzwang, zumal politische Kreise in Israel die Westmächte mahnten, in der Reparationsfrage Druck auf die (West)deutschen auszuüben.19 Zwar lehnten die Westalliierten eine Vermittlungstätigkeit ab, doch der Bundeskanzler bekannte sich jetzt grundsätzlich zu einer materiellen Entschädigung für die jüdische Gemeinschaft. Im April 1951 traf Adenauer unter strengster Geheimhaltung israelische Unterhändler zwecks Vorbereitung von Verhandlungen. Am 27. September 1951 bekannte sich der Kanzler vor dem Deutschen Bundestag zu Schuld und Verantwortung des deutschen Volkes an den NS-Verbrechen sowie zu einer prinzipiellen Verpflichtung gegenüber Israel und dem jüdischen Volk. Während der Bundestag dieses Vorhaben mehrheitlich begrüßte, tat sich Israels Regierungschef Ben-Gurion außerordentlich schwer, in der Knesset, dem israelischen Parlament, ein Mandat für die Aufnahme von Entschädigungsverhandlungen zu erwirken. Zu groß war bei vielen Abgeordneten die grundsätzliche Ablehnung jeglichen Gedankens an Gespräche mit Deutschen. Es waren am Ende die finanziellen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten, welche die israelische Seite an den Verhandlungstisch zwangen.20 Die schleppenden und naturgemäß sehr häu-

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19

20

Dies und das Folgende im Wesentlichen nach Martin Kloke, Deutsch-israelische Beziehungen. Informationen zur politischen Bildung aktuell, Nr. 27/2015, S. 4–8. Die DDR lehnte jegliche Zahlungen an Israel mit der Begründung ab, sie sei nicht Nachfolgerin des „Dritten Reiches“ und mit dem Aufbau eines „antifaschistischen Arbeiter- und Bauernstaates“ habe man Wiedergutmachung geleistet; die neuen gesellschaftlichen Strukturen in der DDR hätten zur „Ausrottung von Faschismus und Revanchismus“ geführt. Die Sowjetunion enthielt sich Drucks auf die DDR wegen etwaiger Zahlungen an Israel oder jüdische Einzelpersonen. Wochenlang hatten beispielsweise ein mit Zucker beladener Frachter sowie ein Tanker mit Erdöl im Hafen von Haifa gelegen, weil die israelische Regierung die Rechnungen nicht bezahlen konnte. Vgl.

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Bonn zwischen Tel Aviv und Kairo

fig kontroversen Unterredungen zwischen Vertretern der Bundesregierung sowie Abgesandten der jüdischen Dachorganisation „Jewish Claims Conference“ im niederländischen Wassenaar führten schließlich am 10.  September 1952 zum Abschluss eines Abkommens, das in Luxemburg vom damaligen israelischen Außenminister Moshe Sharett und von Bundeskanzler Konrad Adenauer unterzeichnet wurde. Mit Zustimmung der SPD wurde das Luxemburger Abkommen am 18. März 1953 vom Deutschen Bundestag ratifiziert, so dass es am 1. April 1953 in Kraft treten konnte. In dem Vertrag verpflichtete sich die Bundesrepublik zu Zahlungen in Höhe von 3,45 Milliarden DM in zwölf Jahresraten, die als kollektive Reparationen für materielle Schäden – nicht aber für getötetes Menschenleben  – vor allem in Form von Warenlieferungen an den Staat Israel zu leisten waren. Drei Milliarden waren dabei für derartige Lieferungen vorgesehen, die restlichen 450 Millionen DM gingen an die 23 in der Claims Conference zusammengeschlossenen jüdischen Organisationen. In Köln, nicht in der Bundeshauptstadt Bonn, richtete sich die Israel-Mission ein mit der Aufgabe, die nach Israel zu transferierenden Waren zu bestimmen und den Transport zu koordinieren. Das Abkommen war umstritten: Auf die arabische Reaktion wird im nächsten Abschnitt zurückzukommen sein. Auf israelischer Seite setzte sich Ministerpräsident Ben-Gurion für das dort äußerst umstrittene, aber wirtschaftlich unerlässliche Vertragswerk ein, an dessen Zustandekommen auch Nahum Goldmann in seiner Eigenschaft als Präsident der Claims Conference wesentlichen Anteil hatte. Die israelische Opposition lehnte es anfangs vehement ab, aus Deutschland stammendes „Blutgeld“ anzunehmen. Deutsche Kritiker inner- und außerhalb der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP argumentierten, Israel habe kein Recht auf Reparationen, da es während der NS-Herrschaft noch gar nicht existiert habe. Interessant ist in der Rückschau die Haltung des damals gerade aufgehenden Stars der westdeutschen Politik, des späteren Verteidigungsministers Franz Josef Strauß. In seinen Erinnerungen schreibt Strauß, der seit 1957 eine persönliche Freundschaft mit dem späteren israelischen Ministerpräsidenten Shimon Peres als Folge geheimer Absprachen über deutsche Waffenlieferungen an Israel pflegte, er habe sich 1952 gegen das Abkommen ausgesprochen, weil er die Bonner Beziehungen zu den arabischen Staaten nicht habe gefährden wollen. Diese Position sei vielleicht, räumte er freimütig ein, „politisch falsch“ gewesen. Er hätte jedoch damals die individuelle Wiedergutmachung an den Juden lieber gesehen.21

21

Nahum Goldmann, Das jüdische Paradox, Köln 1978, S. 183, hier nach Wageh Atek, Der Standpunkt Ägyptens zur westdeutschen Wiedergutmachung an Israel, in: Orient, Vol. 24, 1983, S. 472. Franz Josef Strauß, Die Erinnerungen, Berlin 1989, S. 347. Bei der entscheidenden Abstimmung im Bundestag über das Abkommen enthielt sich Strauß dann der Stimme.

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Kapitel I: Der Nahe Osten nach 1945 in Skizzen

Auch in der öffentlichen Meinung der Bundesrepublik war der Luxemburger Vertrag nicht eben populär. Laut einer Umfrage des „Instituts für Demoskopie Allensbach“ vom August 1952 hielten 44 % der Befragten das Abkommen für „überflüssig“ und nur 11 % signalisierten Zustimmung. Am 30.  Juli 1953, knapp viereinhalb Monate nach der Ratifizierung des Abkommens im Bundestag, lief in Bremen der israelische Frachter „Haifa“ mit ersten deutschen Warenlieferungen aus, und am 17. Februar 1955 traf das erste Frachtschiff unter deutscher Flagge in einem israelischen Hafen ein. Diese und weitere Lieferungen waren in den nächsten zwölf Jahren grundlegend für die Entwicklung und Modernisierung der israelischen Wirtschaft und Infrastruktur. Abgesehen von der Bezahlung britischen Rohöls für Israel durch die Bundesrepublik umfassten die deutschen Güter unter anderem Stahl und Eisen, Erzeugnisse der stahlverarbeitenden und chemischen Industrie, landwirtschaftliche Produkte sowie Fahrzeuge für Schiene und Straße. Sie dienten auch der Eingliederung von etwa 1,5 Millionen Einwanderern. Neben den Warenlieferungen begann die Bundesrepublik, Entschädigungsgelder und Renten an Überlebende der Shoah zu entrichten. Doch auch die Bundesrepublik profitierte von dem Luxemburger Abkommen. Nach der NSBarbarei signalisierte die Vereinbarung aller Welt einen Neuanfang, der der Rehabilitierung des deutschen Namens den Weg ebnen sollte. Die Waren- und Finanzströme legten auch den Grundstein für die Entwicklung eines stabilen Beziehungsgeflechtes zwischen Israel und der Bundesrepublik – unabhängig von der politischen Eiszeit angesichts fehlender diplomatischer Beziehungen. Und schließlich: Viele israelische Verbraucher waren mit den ersten deutschen Lieferungen „angefüttert“ worden, hatten sie sich erst einmal überwunden, überhaupt ein deutsches Erzeugnis zu kaufen. Oder: War der Kibbuz von der Qualität etwa eines deutschen Traktors überzeugt, würde er womöglich wieder einen aus deutscher Produktion beziehen. Während sich schon 1953 etwa 4000 westdeutsche Firmen um lukrative Lieferverträge mit Israel bewarben, war die deutsche Investitionsbereitschaft dort eher gering. Führende Ökonomen von Rang während des „Dritten Reiches“, wie Ex-Reichsbankchef Hjalmar Schacht und Hermann-Josef Abs als Direktor der Deutschen Bank, warnten vielleicht auch wegen ihrer nicht allzu ausgeprägten Begeisterung für den jüdischen Staat vor den finanzwirtschaftlichen Folgen der vereinbarten Transferleistungen nach Israel und empfahlen stattdessen Investitionen in arabischen Staaten.

Arabische Reaktionen Schon vor Beginn der eigentlichen Verhandlungen über die Wiedergutmachung löste allein die Absicht der Bundesregierung, solche Gespräche aufzunehmen, z.  T. scharfe arabische 40

Bonn zwischen Tel Aviv und Kairo

Reaktionen aus.22 Grundsätzlich herrschte auf arabischer Seite der Argwohn, dass sich mit erheblichen deutschen Zahlungen und Lieferungen an Israel das Gleichgewicht der Kräfte in der Region zu Lasten der arabischen Welt verschieben würde. Anders ausgedrückt: Jeder Rohstoff, jeder Kraftwagen und jeder Traktor, für dessen Import Tel Aviv nichts bezahlen musste, machte Finanzmittel für israelische Militärausgaben frei. Wenn schon Wiedergutmachung an Juden, dann, so verlautete gelegentlich von arabischer Seite, sei diese an Einzelpersonen, etwa Überlebende der Shoah zu zahlen, nicht aber an den israelischen Staat. Bereits Anfang 1952 bemühte sich die syrische Regierung um eine einheitliche Argumentationslinie mit der Kairoer Führung wegen der deutsch-israelischen Verhandlungen. In einer syrischen Note an die ägyptische Seite hieß es, man wolle in dieser Sache syrischerseits mit den drei Westmächten in Damaskus Kontakt aufnehmen, und zwar „auf der Grundlage, daß die von den Israelis vertriebenen palästinensischen Flüchtlinge ebenfalls einen Anspruch auf Wiedergutmachung haben, und zwar gegen Israel“. Die Regierung in Damaskus hoffe, dass man in Kairo denselben Versuch gegenüber den Westmächten unternehmen werde. Ende April 1952 wandte sich das ägyptische Außenministerium an den amerikanischen Botschafter in Den Haag mit der Information, man werde versuchen, die Vereinigten Staaten für eine Einflussnahme auf die Bundesrepublik wegen der Palästinenser- und der Wiedergutmachungsfrage zu gewinnen, „da Amerika Macht und Einfluß auf Westdeutschland hat“. Doch derartige Ansätze, Washington gegen ein deutsch-israelisches Abkommen einzuspannen, misslangen. Die Amerikaner vertraten die Ansicht, ein solches Abkommen sei allein Sache der beteiligten Staaten, im Übrigen habe sich Kanzler Adenauer von sich aus um die Wiedergutmachung an Israel bemüht. Nach Wageh Atek soll auch die libanesische Regierung eine Demarche bei den Vereinigten Staaten unternommen haben – gleichfalls ohne Erfolg. Zwei Tage vor der Vertragsunterzeichnung in Luxemburg startete die syrische Regierung noch eine Sondermission in Richtung Bonn, um das Abkommen vielleicht noch in letzter Minute verhindern zu können und sich damit einen besonderen Platz innerhalb der arabischen Völkerfamilie zu sichern. Nach Atek habe Dr. Mamun al-Hamawi als Leiter der Mission Bundeskanzler Adenauer und Professor Walter Hallstein – Adenauer führte damals noch selber die westdeutsche Außenpolitik, Hallstein war Staatssekretär im AA – vorgeschlagen, die Wiedergutmachung jenen Juden, die als Juden und nicht als Israelis Opfer der Nazis geworden seien, zuteil werden zu lassen. Er bot sodann einen zahlenmäßigen Schlüssel an, dem zufolge die „100 000“ – so seine Zahl – nach Israel geflüchteten Juden Wiedergutmachung im Verhältnis zu noch zu zahlender Entschädigung an die eine Million geflüchteten Palästinenser erhalten sollten. Al-Hamawi wies ferner darauf hin, dass die Bundesrepublik doch selber Geld für den 22

Für das Folgende vgl. Atek, Standpunkt. Atek ist offensichtlich einer der ganz wenigen Autoren, die Zugang zu Unterlagen ägyptischer Archive hatten und diese auch lesen konnten.

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Wiederaufbau benötige und „eine Globalzahlung an Israel mit Wiedergutmachung nichts zu tun habe, sondern ein Beitrag zur Stärkung des israelischen Militarismus sei“. Wageh Atek zitiert seine ägyptischen Quellen sprachlich distanziert, indem er häufig das Modalverb „sollen“ bemüht, gerade so, als ob er entweder den Quellen nicht traue oder aber Berichte von dritter Seite referiert. So fährt er hinsichtlich des Besuches von al-Hamawi beim Bundeskanzler fort: „Adenauer soll Dr. Hamawi gegenüber unter vier Augen geäußert haben, daß die Bundesregierung keine freie Hand habe, sondern unter amerikanischem Druck handle, und daß die Frage der Wiedergutmachung an Israel nach den Wünschen der USA geregelt worden sei. Adenauer soll weiter gesagt haben, daß die Bundesregierung für die arabischen Staaten eine große wirtschaftliche Unterstützungsaktion plane“23. Nach der Vertragsunterzeichnung versuchte die Bundesregierung Schadensbegrenzung zu betreiben und spielte dazu auf der Klaviatur der deutsch-arabischen Freundschaft. Die „arabischen Freunde“ zählten zu den „ältesten und beständigsten, die Deutschland in der Welt habe“, hieß es in dem regierungsoffiziellen Bulletin „Diplomatische Korrespondenz“ vom 12. September 1952, und diese „Empfindung“ solle „Garantie dafür sein, daß der Konflikt gelöst werden kann“. Voraussetzung dafür sei allerdings auch, „daß die arabische Welt zu einer sachlichen Würdigung der deutschen Beweggründe bereit sei“. Um das Momentum einer Verknüpfung des deutschen Wiedergutmachungswillens gegenüber Israel einerseits und der Lösung des Palästinenserproblems andrerseits zu nutzen, schlug der ägyptische Generalkonsul in Frankfurt am Main seiner Regierung sogar vor, eine ägyptische Delegation nach Rom zu entsenden, um den Papst für die verwickelte Problematik zu interessieren. Begründung: Der Heilige Vater stehe bei Bundeskanzler Adenauer in hohem Ansehen. Doch in Kairo verhallte dieser Vorschlag offenbar folgenlos. Bei einem Gespräch des ägyptischen Generalkonsuls in Frankfurt am Main mit Staatssekretär Hallstein in Bonn gut einen Monat nach der Luxemburger Vertragsunterzeichnung und Monate vor der Ratifizierung, versicherte Hallstein dem Ägypter, dass die Bundesregierung „Vorsorge treffen werde, daß das Abkommen mit Israel nicht zur Lieferung von Waffen, Munition oder sonstigem Kriegsgerät“ benutzt werden könne. Wörtlich soll Hallstein, so Atek aus den ägyptischen Quellen zitierend, gesagt haben: „Es ist nicht möglich, das Abkommen nicht zu ratifizieren. Israel ist durch die jüdische Lupe in Amerika und England stärker als man denkt. Gerade dem kann die Bundesregierung nicht begegnen“. Wie im Auge eines Zyklons nahmen inmitten der Kontroversen um das Luxemburger Abkommen die Bundesrepublik und Ägypten am 14. Oktober 1952 diplomatische Beziehungen auf. Der neue deutsche Botschafter Günther Pawelke, der des Arabischen wenigstens teilweise mächtig war und auf eine dreijährige Dienstzeit als Legationssekretär an der deutschen Gesandtschaft in 23

Ebd., S. 475.

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Bonn zwischen Tel Aviv und Kairo

Bagdad zurückblicken konnte, nahm seine Arbeit am Nil zunächst im Hotel Semiramis auf, weil das frühere deutsche Gesandtschaftsgebäude nicht mehr zur Verfügung stand.24 Da die Arabische Liga, eine 1945 gegründete internationale Organisation arabischer Staaten mit Sitz in Kairo, nach dem Luxemburger Abschluss mit dem Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen zur Bundesrepublik gedroht hatte, beeilten sich Vertreter der deutschen Wirtschaft, die arabische Welt davon zu überzeugen, dass sie dem Abkommen distanziert gegenüber stünden. Firmen wie die DEMAG waren seit langem etwa in Ägypten aktiv, und sie fürchteten nun um ihre Geschäftsbeziehungen zu den arabischen Staaten. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Mannheimer Motorenwerke, Herbert Waldschmidt, versicherte in einem Schreiben vom 19. September 1952 nach Kairo, dass sich seine Firma wie auch Firmen des Knorr-Bremse-Konzerns – genannt werden u. a. Knorr-Bremse GmbH, Mannheim, Gebr. Isringhausen GmbH, Bielefeld, Süddeutsche Bremsen AG, München – grundsätzlich weigerten, an den Staat Israel zu liefern, sofern sich solche Lieferungen aus dem Wiedergutmachungsabkommen ergäben.25 Auch Abgeordnete der FDP und der Föderalistischen Union im Bundestag sorgten sich um eine gefährdete Position der deutschen Wirtschaft in der arabischen Welt. Sie baten Bundeskanzler Adenauer darum, die Ratifizierung auszusetzen, bis die Einwände der Araber geklärt seien. Es gehe darum, die arabischen Märkte für die deutsche Wirtschaft offenzuhalten. Es folgten weitere Versuche der arabischen Staaten, die Ratifizierung des Abkommens doch noch zu verhindern. Und hier ergab sich einer der wenigen publik gewordenen Momente, in dem die immer wieder auch von deutscher Seite bemühte deutsch-arabische Freundschaft schwächelte: Eine arabische Delegation unter Leitung des libanesischen Diplomaten Ahmad ad-Dauq besuchte Ende Oktober 1952 die Bundesrepublik, um noch einmal das Gespräch mit der Bundesregierung zu suchen. Von Anfang an sah sich die Delegation auf deutschem Boden unfreundlich und mit allerlei Tricksereien behandelt. In der Bundeshauptstadt habe man ihr erklärt, es seien hier keine Hotelzimmer mehr verfügbar, und so habe man nach Köln ausweichen müssen. Nachdem es dann zwischen dem 22. und 28. Oktober doch vier Gespräche u. a. mit Bundespräsident Heuss und Kanzler Adenauer gegeben hatte, resümierte ad-Dauq in einem Telegramm an die Arabische Liga in Kairo, dass die Verhandlungen in Bonn „äußerst schwer“ gewesen seien, da die Bundesregierung kein Verständnis für die arabische Position gezeigt habe. Wörtlich hieß es in dem Telegramm (in deutscher Übersetzung): „Hallstein hat sich unfreundlich und undiplomatisch uns gegenüber benommen; er hat uns in scharfem Ton gesagt, wir sollten weder mit Bundestagsabgeordneten noch mit

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Vgl. Dalia Abu Samra, Deutsche Außenpolitik gegenüber Ägypten, online-Ausgabe, Phil.Diss., Berlin 2002, S. 31, ausgedruckt am 12. Juli 2019. Abdruck des ganzen Schreibens in englischer Sprache ebd., S. 477.

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Kapitel I: Der Nahe Osten nach 1945 in Skizzen Leuten von der Presse und der Industrie Gespräche führen. Heute Morgen (29.10.1952) besuchte uns in Köln ein Beamter des Auswärtigen Amtes. Er sagte uns, daß wir in Westdeutschland unerwünscht seien, daß wir möglichst bald das Gebiet der Bundesrepublik verlassen und keine Kontakte mit Deutschen aufnehmen sollten“26.

Mit Flugblättern wandte sich die ägyptische Vertretung in Bonn an die deutsche Öffentlichkeit, um Stimmung gegen die Ratifizierung des Luxemburger Abkommens zu machen. Im Mittelpunkt eines Flugblatttextes stand die Sorge der Ägypter vor einem militärisch erstarkenden Israel, sollte einschlägiges Wiedergutmachungsmaterial dorthin gelangen. Eine militärische Aufrüstung Israels könne nicht im Interesse der Deutschen liegen, hieß es weiter. Nachdem die Revolution der Freien Offiziere in Kairo im Juli 1952 über die Bühne gegangen war, hatte der Revolutionäre Kommandorat zunächst andere Sorgen, als sich mit dem Wiedergutmachungsabkommen zu beschäftigen. Dann jedoch, am 30.  Oktober und damit gerade einmal zwei Wochen nach Eröffnung der Botschaft der Bundesrepublik in Kairo, sah sich Botschafter Pawelke zu Ministerpräsident Nagib zitiert, der ihm eine Protestnote gegen das Luxemburger Vertragswerk übergab.27 Mit einem Appell an den Ministerpräsidenten, die Gründe der Bundesrepublik für den Abschluss des Abkommens zu respektieren, wies Pawelke am 17. Dezember die Note zurück und erklärte, dass Bonn an dem Vertrag festhalte und die Ratifizierung nicht vertagen werde. Angesichts dieser Sachlage stellte sich für die arabischen Staaten und insbesondere für Kairo das Problem, ob und wie ihre Beziehungen zur Bundesrepublik künftig aufrechterhalten werden sollten. Drei Aspekte schälen sich dabei heraus. Zunächst kam die Regierung in Kairo zu dem Schluss, dass aufgrund von Äußerungen hochrangiger deutscher Diplomaten offenbar vor allem die Vereinigten Staaten die treibende Kraft hinter dem Luxemburger Vertrag gewesen waren, gegen die die Bundesregierung nichts Wesentliches habe ausrichten können. Dies bezog sich insbesondere auf den spezifischen Charakter der deutschen Zahlungen, die vor allem an Israel als Ganzes, nicht aber an individuelle jüdische Nazi-Opfer bzw. deren Hinterbliebene gehen sollten, wie die arabische Seite dies gefordert hatte. Es bleibt die Frage, ob die besagten deutschen Diplomaten ihre Hilflosigkeit gegenüber dem Washingtoner Ansinnen nur vorgeschoben hatten, um der arabischen Seite die Alternativlosigkeit des Bonner Handelns vor Augen zu führen. Sodann ergab sich aus dieser Analyse für die arabischen Länder die Erkenntnis, dass in der Sache selber nichts mehr zu bewegen, die Ratifizierung hinzunehmen war. Schließlich, drittens, entschloss man sich beispielsweise in Kairo, nicht im Schmollwinkel zu verharren, sondern die Beziehungen zu Bonn durch ihre wirtschaftliche Ausnutzung 26 27

Ebd., S. 479. Wörtlicher Abdruck in französischer Sprache ebd., S. 481.

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Bonn zwischen Tel Aviv und Kairo

weiterzuentwickeln. Auf dieser Linie lag auch ein Handschreiben des späteren Leiters des Büros der Arabischen Liga in Bonn, Faqusa, vom 28. September 1952 an den ägyptischen Außenminister. Darin hieß es u. a. „Die heutige internationale Lage fordert von uns, nicht bei dem Problem der westdeutschen Wiedergutmachung an Israel stehen zu bleiben, sondern an die Zukunft und unseren eigenen wirtschaftlichen Nutzen zu denken. Das Tor Ägyptens sollte für das deutsche Kapital und die deutsche Industrie offen bleiben, wenn wir unser Wohl fördern wollen. Der Abbruch der wirtschaftlichen Beziehungen mit Westdeutschland würde uns mehr Schaden als Vorteile bringen“28.

Seit 1955 besaßen die arabischen Länder gegenüber der Bundesrepublik ein Druckmittel, das in der damaligen diplomatischen Welt ein Unikat darstellte. Es handelte sich dabei um die sog. Hallstein-Doktrin, der zufolge – vereinfacht ausgedrückt – ein Land mit dem Abbruch seiner diplomatischen Beziehungen durch Bonn rechnen musste, wenn es die DDR anerkannte und damit den Bonner Alleinvertretungsanspruch für alle Deutschen in Frage stellte.29 Die Bonner Außenpolitik registrierte je länger desto mehr das Interesse verschiedener arabischer Staaten nach einem Botschafteraustausch mit Ost-Berlin  – signalisiert zweifellos auch, um von Bonn wirtschaftliche Zugeständnisse zu erhalten. Um diesen Schwebezustand möglichst intakt zu halten, vermied die Bundesregierung ihrerseits über viele Jahre jegliche Verlautbarung, die in Richtung einer baldigen diplomatischen Anerkennung Israels durch Bonn interpretiert werden könnte. Im April 1956 drohte Präsident Nasser erstmals ganz unverhohlen mit der Anerkennung der DDR für den Fall eines Botschafteraustausches zwischen Bonn und Tel Aviv.30 Gewissermaßen als Kompensation für die seitens Bonn ausbleibende Anerkennung Israels darf man nach Meinung des inzwischen verstorbenen Kenners der deutsch-israelischen Beziehungen, des ehemaligen Diplomaten Niels Hansen, die bereits angedeuteten geheimen Absprachen zwischen Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß und dem damaligen Generalsekretär im israelischen Verteidigungsministerium, Shimon Peres, über die Lieferung

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Deutsche Übersetzung, ebd., S. 483. Benannt nach Walter Hallstein, war diese Doktrin 1955 von dem damaligen Leiter der Politischen Abteilung im AA, Wilhelm Grewe, formuliert worden. Die sozialliberale Bundesregierung gab sie erst 1969 auf, nachdem sich ihre Durchsetzbarkeit in der internationalen Politik als zusehends unmöglich herausgestellt hatte. Vgl. Rainer A. Blasius, „Völkerfreundschaft“ am Nil: Ägypten und die DDR im Februar 1965, in: VfZ, Jg. 46, 1998, Heft 4, S. 747.

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Kapitel I: Der Nahe Osten nach 1945 in Skizzen

von Rüstungsgütern und Ausbildungshilfe für israelische Offiziere etwa an der Flakschule in Rendsburg ansehen.31 Doch zurück zum Luxemburger Abkommen. Der Gesandte der Bundesrepublik in Damaskus und spätere Botschafter in Kairo, Walter W. Weber, entwickelte im Oktober 1957 – also geraume Zeit nach dessen Ratifizierung – in einem Brief an den Leiter der Orient-Abteilung im Bonner Auswärtigen Amt, Hermann Voigt, einige Fantasie im Zusammenhang mit dem Abkommen, der im Raume stehenden Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Bonn und Tel Aviv sowie der Hallstein-Doktrin, um zumindest gegenüber Syrien einen weniger defensiven Ton anschlagen zu müssen. „Auf die Dauer gesehen ist es […] ein unwürdiger Zustand“, so Weber, „daß wir uns von einem Land wie Syrien unsere Politik gegenüber Israel vorschreiben lassen. Ich meine unwürdig auch gegenüber dem Staate Israel selbst, der dauernd wieder bezüglich des Zeitpunkts der Aufnahme diplomatischer Beziehungen vertröstet wird“. Als Ausweg regte er an, die Leistungen nach dem Luxemburger Abkommen mittels VorabDiskontierungen zu beschleunigen und sie auf diese Weise schneller auslaufen zu lassen, wobei er den Jahresbeginn 1959 als denkbares Datum nannte. Dann sollte den Israelis „zu diesem Zeitpunkt die Aufnahme diplomatischer Beziehungen fest“ zugesagt werden. „Gleichzeitig sollte man […] den arabischen Staaten sagen, daß mit dem Zeitpunkt des Fortfalls der Lieferungen […] die Bundesrepublik ihre Beziehungen zu Israel normalisieren würde, da dann das von den arabischen Staaten vorgebrachte Argument – Israel werde durch die Luxemburger Vereinbarungen einseitig gestärkt und könne finanzielle Mittel in die Aufrüstung stecken – in Fortfall gekommen sei. Das würde zunächst natürlich ein wüstes Geschrei bei den Syrern, vielleicht auch bei den Ägyptern, weniger wohl bei den anderen arabischen Staaten zur Folge haben, aber ich glaube nicht, daß man auf Grund einer solchen Mitteilung bereits zur Anerkennung der ‚DDR‘ schreiten würde“.

Syrien erwies sich – seit dem Luxemburger Abkommen und bis zum Abbruch seiner diplomatischen Beziehungen zur Bundesrepublik im Jahre 1965 als Folge der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Tel Aviv und Bonn – als besonderer Scharfmacher gegen eine israelisch-deutsche Annäherung, obwohl die Bundesrepublik Mitte der fünfziger Jahre zum wichtigsten Handelspartner des Landes avanciert war. In einer Instruktion des Auswärtigen Amtes für den Gesandten Weber in Damaskus vom Juni 1957 heißt es:

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Vgl. Niels Hansen, Aus dem Schatten der Katastrophe, Düsseldorf 2002, S. 459f. sowie Hansen, Geheimvorhaben „Frank/Kol“. Zur deutsch-israelischen Rüstungszusammenarbeit 1957 bis 1965, in: Historisch-politische Mitteilungen, Heft 6, 1999, S. 230–264.

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Bonn zwischen Tel Aviv und Kairo „Syrien vertritt in der Israelfrage einen Standpunkt, dessen Kompromißlosigkeit kaum von einem anderen arabischen Staat übertroffen wird. Dabei ist unverkennbar, daß die syrischen Regierungen, gleich welcher Provenienz, hinter dem Nahziel einer hinreichenden militärischen und politischen Sicherheit gegenüber Israel als endgültiges Ziel die Vernichtung dieses Staatswesens sieht“32.

Es lohnt, sich diesen Satz zu merken, wenn es im weiteren Verlauf unserer Geschichte um die Beratertätigkeit deutscher Militärfachleute in Syrien geht. Und Syrien war auch ein Vorreiter der Annäherung an die DDR in der arabischen Welt, so dass Bonn den Vorgänger Webers auf dem Posten des Gesandten in Damaskus, Hansjoachim von der Esch, im Oktober 1956 unter Androhung des Abbruchs der Beziehungen nach Hause zurückrief, als Gerüchte um die Errichtung eines Ost-Berliner Konsulats in der syrischen Hauptstadt die Runde machten. Kehren wir abschließend noch einmal zur Haltung der ägyptischen Regierung angesichts der von ihr nicht mehr zu verhindernden Ratifizierung des Luxemburger Abkommens zurück. Anlässlich der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Kairo und Bonn im Oktober 1952 gewährte Ministerpräsident Nagib der Deutschen Presse-Agentur ein Interview, in dem er die Ankunft von Botschafter Pawelke am Nil begrüßte und zu den künftigen Beziehungen beider Länder Stellung nahm. Dabei führte er u. a. aus: „Die Hauptfaktoren dieser Beziehungen sind erstens Wirtschaft und Handel zum Wohle beider Staaten, zweitens die Anstellung deutscher Sachverständiger auf Gebieten, auf denen Ägypten nicht genug Erfahrung und Fachleute besitzt, und drittens politische Zusammenarbeit zum Nutzen beider Länder. Eine Ratifizierung des deutsch-israelischen Wiedergutmachungsabkommens wird Ägyptens Gefühle verletzen, jedoch nicht die Wurzel der Freundschaft zwischen Ägypten und Deutschland angreifen“33.

Sofern die „Sachverständigen“ nicht schon längst an den Pyramiden eingetroffen waren, öffnete sich den „Störchen“ spätestens mit dieser Einladung die Straße an den Nil.

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Vgl. Hansen, Schatten, S. 460. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. Oktober 1952.

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Kapitel II: Aufmarsch für die „zweite Runde“ gegen Israel? Entflohene Kriegsgefangene als militärische „Ersthelfer“ Die ersten Deutschen und Österreicher, die sich zunächst auf meist einfache Weise auf Seiten der Ägypter vor und nach dem Ende der Kampfhandlungen in Europa im Mai 1945 betätigten, waren entflohene Kriegsgefangene britischer Lager in Ägypten und auf Zypern. Rund 60 000 Gefangene zählten diese Lager zeitweilig. Sie befanden sich zumeist nahe Alexandrias und in der Nähe des Suezkanals bei Ismailia. In ihrer Ausgabe vom 20. März 1947 widmete die britische Tageszeitung „The Times“ den deutschen Kriegsgefangenen im Nahen Osten einen aufschlussreichen Artikel, dem die meisten der nachfolgenden Informationen entnommen sind.1 So hieß es in dem Beitrag, nach dem deutschen Zusammenbruch sei eine zuvor häufig beobachtete Arroganz unter den Gefangenen einer verbreiteten Desillusionierung und Hoffnungslosigkeit, gepaart mit Selbstmordversuchen, gewichen. Fügsam seien sie geworden. Angesichts mangelnder Arbeitskräfte vor allem in der Kanalzone gelang es den britischen Militärbehörden dort, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Sie hatten jetzt Arbeitskräfte zur Verfügung, die ihrerseits ihre depressive Stimmung durch den Kauf von Tabak und Süßwaren aufgrund des erhaltenen Arbeitslohnes lindern konnten. Die Bewachung der Gefangenen gestaltete sich insgesamt relativ locker. Nach der von den Briten eingeführten Einteilung der Inhaftierten gemäß ihrer mutmaßlichen politischen Einstellung und allgemeinen Haltung  – Grade I bedeutete etwa vorbildliche Haltung, die „bad hats“ als letzte Kategorie standen hingegen für „unverbesserliches Nazi-Gehabe“ – bewachten Grade-I-Gefangene manchmal sogar solche der Kategorie Grade II. Der Autor des Times-Berichtes kam zu dem Schluss, dass es angesichts der „nahezu völligen Freiheit, in welcher die Gefangenen leben und arbeiten“, erstaunlich wenig Fluchtversuche gebe. Auch solle man in vielen solcher Fälle eher von „Abwesenheit ohne zu verschwinden“ sprechen, was wohl bedeuten sollte, dass die Entwichenen unpünktlich wieder im Lager auftauchten. 1

Abgedruckt bei: Helmut Wolff, Die deutschen Kriegsgefangenen in britischer Hand, München 1974, S. 510–512.

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Entflohene Kriegsgefangene als militärische „Ersthelfer“

Eine Notiz der sowjetzonalen Nachrichtenagentur ADN meldete am 28. Juli 1947, dass die ägyptische Regierung entflohenen deutschen Gefangenen gestatte, sich ab sofort in Ägypten bewegen zu dürfen, wofür sie besondere Ausweise erhielten. Abends hätten sie wieder in ihre Unterkünfte zurückkehren müssen. ADN weiter: Die „Spezialisten unter den geflohenen Kriegsgefangenen werden von der ägyptischen Armee beschäftigt“2. Der Artikel in der Times machte darauf aufmerksam, dass es Beweise für die Tätigkeit einer Fluchthilfeorganisation gebe, die mit Deutschland in Verbindung stehe. Doch rund 70 % der Geflohenen würden, so das Blatt, wieder festgenommen oder kehrten nach ein paar Tagen zurück; nur der geringste Teil verschwinde auf Nimmerwiedersehen. Die meisten Entkommenen versuchten ihr Glück in den Häfen, aber Sprachschwierigkeiten und Geldmangel setzten ihrer Freiheit häufig ein vorzeitiges Ende. Einige wenige versteckten sich bei den Ägyptern, wo sie als Mechaniker, Feldarbeiter und auch als Waffenschmiede für jene ägyptischen Banden arbeiteten, welche die riesigen Müllhalden plünderten. Es käme auch vor, dass entwichene Kriegsgefangene auf den Feldern der Fellachen schufteten, während diese sich für besseres Geld bei den Briten verdingten. Gelegentlich fanden getürmte Kriegsgefangene direkt in den jüdisch-arabischen Auseinandersetzungen am Ende der britischen Mandatszeit in Palästina bzw. anschließend im ersten israelisch-arabischen Krieg von 1948/49 auf arabischer Seite Verwendung. Einen solchen Fall hat der Fotograf und Journalist Albrecht Cropp zusammen mit seinem Kollegen Jörg Andrees Elten für die Zeitschrift „Revue“ im Jahre 1953 recherchiert.3 Cropp traf in Syrien einen ehemaligen Hauptmann bei der Panzerwaffe namens Siegfried Keil, dem es gelungen war, durch ein Kanalisationsrohr des britischen Internierungslagers 308 bei Fayed an den Bitterseen im Suezkanal zu fliehen. Keils Weg in den Krieg gegen die Juden in Palästina soll hier kurz nachgezeichnet werden. Zunächst tauchte Keil nach seinem Ausbruch aus dem Lager in Kairo unter und hielt sich dort anfangs als Chauffeur und Sprachlehrer über Wasser. Danach ging er nach Alexandria an die Mittelmeerküste, wo er als Schwimmlehrer tätig war. Er erhielt Zugang zu

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Abgedruckt in der SPD-nahen Zeitung „Telegraf“ vom 29. Juli 1947. „Die Deutschen sind uns am liebsten“. Dreiteilige Serie in: Revue, Nr. 10–12/1953, hier Nr. 10. Ich danke der Familie Cropp für bereitwillig erteilte Auskünfte und die Überlassung von einschlägigem Material. Für die Revue-Serie zeichnete Cropp allein verantwortlich. Einen Hinweis auf die Serie liefert Herbert Elzer, Deutsche Militärberater in Ägypten, in: Historisch-politische Mitteilungen, Bd. 24, 2011, S. 229. Ein Teil des Serieninhaltes findet sich dann wieder in dem Buch von Jörg Andrees Elten und Albrecht Cropp, In Allahs Hand. Eine abenteuerliche Orientreise im Auto, Wien 1956. Elten arbeitete nacheinander für die „Süddeutsche Zeitung“ und den „Stern“, und es war nicht zuletzt seiner Berichterstattung geschuldet, dass die ehemalige Bhagwan-Sekte in der Bundesrepublik bekannt wurde. Elten hatte die Sekte und ihren Chef in Indien kennengelernt, war von Letzterem stark beeindruckt und hat auch später als sog. Sannyasin im amerikanischen Oregon jahrelang mit ihm zusammengelebt.

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Kapitel II: Aufmarsch für die „zweite Runde“ gegen Israel?

den exklusiven Clubs der Stadt und erfreute sich eines beachtlichen Freundeskreises. Er war sogar in der Lage, seine Eltern in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands zu unterstützen. Über einen seiner ägyptischen Freunde lernte er einen Deutschen namens Kammler4 kennen, der ihm versicherte, dass er als „Hauptmann bei den Panzern“ dringend gebraucht werde  – und zwar im „Palästinakrieg“. Keil entgegnete, dass er damit nichts zu tun haben wolle, woraufhin ihm sein Gegenüber klarmachte, dass er dann eben mit seiner abermaligen Verhaftung rechnen müsse. Palästina solle er als Übergang auf dem Weg nach Hause begreifen. Keil gab klein bei und schloss wenig später mit Abdel Rahman Azzam, dem ägyptischen Diplomaten und ersten Generalsekretär der Arabischen Liga, einen Einjahresvertrag. Darin war u. a. festgelegt, dass Keil in Damaskus als Hauptmann in syrischer Uniform junge, unerfahrene Männer aus verschiedenen Ländern an militärischem Gerät ausbilden sollte. Mit einer „Dakota“ der syrischen Regierung, in der zufällig auch der syrische Ministerpräsident saß, flog Keil von Kairo aus zu seinem neuen Arbeitsplatz in Damaskus, wo er am 22. Februar 1948 eintraf. Laut Cropp führte Keil später ein „gefürchtetes Panzer-Rollkommando“ gegen die jüdischen Kampfverbände in Palästina. Seine aus muslimischen Bosniern, Palästinensern, Syrern, Irakern, Libanesen und Ägyptern zusammengewürfelte Kommando-Kompanie war mit Panzerspähwagen vollmotorisiert und wurde überall dort eingesetzt, „wo die Juden Durchbrüche erzielt hatten“. Als erster und einziger Deutscher erhielt Keil eine syrische Tapferkeitsmedaille. Im Zuge der syrischen politischen Dauerkrise fiel er dann jedoch im Jahre 1950 einer militärischen Säuberungswelle zum Opfer und musste das Land verlassen. Zwischen den aus den britischen Lagern entwichenen Kriegsgefangenen und den Ägyptern standen häufig muslimische Bosnier, die 1947 im Angesicht der sich abzeichnenden Gründung eines jüdischen Staates und der drohenden militärischen Auseinandersetzung der Juden mit ihren arabischen Nachbarstaaten aus deutschen und österreichischen Lagern an den Nil gelockt worden waren. Diese Bosnier sowie andere jugoslawische Muslime waren 1943 nach einem Treffen zwischen Amin al-Husseini, dem Mufti von Jerusalem, und dem ReichsführerSS Heinrich Himmler für den sich zuspitzenden Partisanenkrieg in Jugoslawien zur 2. und 13. bosnisch-herzegowinischen, freiwilligen SS-Gebirgsdivision Kroatien geformt worden. Sie sollten gegen die „jüdisch-plutokratisch-bolschewistische Allianz“ auf dem Balkan eingesetzt werden. Aus Angst vor Racheakten flüchteten diese muslimischen Kämpfer gegen Ende des

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Cropp nennt häufig nicht die Vornamen der von ihm erwähnten Personen, wahrscheinlich aus eigener Unkenntnis. Lediglich angemerkt sei hier, dass seit einigen Jahren in der Forschung eine Kontroverse darüber geführt wird, ob der SS-Obergruppenführer und Konstrukteur der Vergasungsanlagen in Auschwitz-Birkenau, Hans Kammler, tatsächlich, wie lange festzustehen schien, Anfang Mai 1945 in der Nähe von Prag durch Selbstmord ums Leben kam. Im Falle seines Überlebens soll Kammler bei Kriegsende in die USA gebracht worden sein. Zu der Kontroverse vgl. auch Wikipedia, Stichwort „Hans Kammler“, aufgerufen am 7. April 2021.

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Entflohene Kriegsgefangene als militärische „Ersthelfer“

Krieges teilweise mit ihren Familien nach Deutschland und Österreich, wo sie etwa im „Grenzlager Ulm“ interniert wurden. Hier trafen sie auf deutsche, syrische und ägyptische Werber, die sie zum Kampf gegen den kommenden jüdischen Staat im Nahen Osten aufforderten. Simon Wiesenthal berichtet, dass in der für die Repatriierung von Muslimen5 zuständigen „International Refugee Organization“ in Genf einige Briten gesessen hätten, die der Gründung des Staates Israel feindlich gegenübergestanden hätten. Sie sorgten dafür, so Wiesenthal, dass „sich nunmehr ‚Repatriierungstransporte‘ in den Nahen Osten in Marsch setzten“. Die Söldner wurden zwischen Syrien und Ägypten aufgeteilt. Jene, die nach Ägypten kamen, trainierten an deutschen Waffen, die seinerzeit in großen Mengen der geschlagenen Armee Rommels abgenommen worden waren. Die aus den britischen Lagern in Ägypten geflohenen deutschen und österreichischen Kriegsgefangenen bewachten nun vielfach die Waffenlager, händigten den Bosniern das Material aus und schulten sie im Umgang damit.6 Eine ADN-Meldung aus „Neuyork“, die am 15. Januar 1949 in der „Sächsischen Zeitung“ erschien, berichtete von einem Memorandum der linksliberalen amerikanischen Wochenschrift „The Nation“, das kürzlich dem amerikanischen Präsidenten Truman, dem Generalsekretär der UN, Trygve Lie, sowie den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates überreicht worden sei und das einen „offiziellen Bericht des Geheimdienstes der französischen Regierung vom 8. Dezember 1948“ enthalte. Zu diesem Zeitpunkt waren die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten in vollem Gange. Nach dem französischen Bericht seien 6000 deutsche Kriegsgefangene unter der Führung von 500 deutschen Offizieren mit Genehmigung der Briten in die ägyptische Armee eingegliedert worden. Es seien außerdem zwei Brigaden mit ausschließlich ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen aufgestellt worden, die sich in Marsa Matruh und in Sollum, beide an der westlichen Mittelmeerküste Ägyptens gelegen, befänden. Aus dem Bericht gehe weiter hervor, dass die britische Regierung „drei deutsche Nazigenerale“, von denen „mindestens einer“ auf der Kriegsverbrecherliste stehe, mit britischen Militärflugzeugen von Hamburg nach Beirut befördert und dem irakischen Oberkommando in Transjordanien und Syrien beigeordnet habe. Im Auftrag Londons sollten sie eine „umfassende Reorganisation der arabischen Armeen“ vornehmen. Das Memorandum weise abschließend auf der Grundlage sicherer französischer Informationen darauf hin, dass London „gegenwärtig in der britisch besetzten Zone Deutschlands eine intensive Werbeaktion unter den ehemaligen deutschen Nazigeneralen zum Eintritt in die arabische Armee betreibe“. Laut ADN sei Präsident Truman von The Nation aufgefordert worden,

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Für Muslime aus dem ehemaligen Jugoslawien, also z. B. die Bosnier, kam eine Repatriierung in ihre Heimat nicht in Frage, da die sozialistische Regierung unter Marschall Tito sie als Kriegsverbrecher behandelt hätte. Nach Wiesenthal, Eichmann, S. 167–170.

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Kapitel II: Aufmarsch für die „zweite Runde“ gegen Israel?

„unverzüglich eine Untersuchung über die von dem französischen Geheimdienst gemachten Feststellungen anzuordnen“.7 Ist schon diese ADN-Meldung wegen ihrer offenkundigen Nähe zur sowjetischen Propaganda jener Tage mit Vorsicht zu begegnen, gilt dies umso mehr für eine weitere, welche die Sächsische Zeitung zwei Tage später veröffentlichte und die als deutliches Beispiel für das eingangs erwähnte Verwirrspiel um deutsche Namen im Nahen Osten der frühen Nachkriegszeit dienen kann. Die Zeitung griff dieses Mal nicht auf ADN zurück, sondern sie referierte eine Nachricht der sowjetischen Agentur TASS. TASS nannte in der Meldung vier deutsche Kriegsverbrecher, die ausschließlich in der britischen Besatzungszone für den Dienst „in den Streitkräften der Araber“ angeworben und inzwischen mit britischen Militärmaschinen nach Beirut gebracht worden sein sollten. Bei den Personen handle es sich um Oskar Dirlewanger, der inzwischen im irakisch-transjordanischen Oberkommando tätig sei, ferner um den Obergruppenführer der Waffen-SS, Wolf [gemeint offenbar Karl Wolff, A.  H.], der nunmehr als Berater in der syrischen Armee diene, weiter um den SS-Gruppenführer Fritz Katzmann sowie um den SS-Standartenführer Alfred Bisanz, der mittlerweile in Bagdad tätig sei. Zu diesen Namen, auf die z. T. noch zurückzukommen sein wird, ist zu sagen: Dirlewanger war seit 1945 tot, Wolff wurde nach dem Krieg zu 15 Jahren Haft verurteilt, die 1971 mit Haftverschonung endete, Katzmann lebte nach 1945 nahezu unerkannt in der Bundesrepublik, bis er 1957 in Darmstadt verstarb. Alfred Bisanz schließlich hielt sich bei Kriegsende in Wien auf, wo er angeblich im dortigen sowjetischen Sektor bei Schwarzmarktgeschäften verhaftet und nach einem Schauprozess in Lemberg (Lviv) oder Moskau 1950 hingerichtet wurde bzw. in Haft verstorben sein soll. Doch nicht nur die beiden Nachrichtenagenturen aus dem sowjetischen Machtbereich veröffentlichten Namen ehemaliger Nationalsozialisten in Diensten der arabischen Welt. Auch die „Welt am Sonntag“ (WamS) glaubte einen Scoop gelandet zu haben, als sie in ihrer West-Ausgabe vom 23. November 1952 mit der Schlagzeile „Deutsche ‚Berater‘ schüren in Kairo [sic]. Ehemalige SS- und SD-Führer in Verbindung mit Nagib und Mufti“ aufmachte und eine Namensliste präsentierte, die jener von ADN und TASS teilweise glich. „Aus hiesigen gut informierten Kreisen“ hatte der Kairoer Berichterstatter der WamS „Einzelheiten“ und damit auch die Namen folgender Männer erhalten, die vor allem im Umfeld des Mufti tätig sein sollten: Neben einigen anderen gehörte Fritz Katzmann ebenso dazu wie abermals Oskar Dirlewanger.

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Die ADN-Meldung spiegelt in ihrer Israel-freundlichen Tendenz den damaligen nahostpolitischen Kurs der Sowjetunion und ihrer Satelliten wider  – wie er sich auch in den erwähnten tschechoslowakisch-sowjetischen Waffenlieferungen an Israel im ersten Nahost-Krieg von 1948/49 gezeigt hatte – der auf einer Unterstützung Israels in der Erwartung einer sozialistischen Entwicklung dieses Landes gründete.

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Militärs, Manager und Mediziner

Neu traten hier SS-Standartenführer Eugen Dollmann und, quasi als Sensation, der Architekt der „Endlösung“, Adolf Eichmann, in Erscheinung. Der Journalist und Nahost-Experte Hermann Ziock hatte bereits Monate vor dem WamSAufmacher einen differenzierteren Blick auf deutsche Expertengruppen am Nil veröffentlicht. In der „Westdeutschen Allgemeinen“ vom 5. Juni 1952 widersprach Ziock Meldungen einiger „Wochenzeitungen“, wonach die Generäle von Prittwitz, von Ravenstein, Weinberg und Mendl in Ägypten tätig seien. Dort seien sie nie gewesen, so Ziock, und die „vielfach genannten SSFührer Kazmann [sic], Dirlewanger, Eichmann und Dollmann“ gehörten ebenfalls nicht zu der Beratergruppe um Wilhelm Voss – auf Voss wird wenig später ausführlich zurückzukommen sein. Eine Formulierung, die immerhin offen lässt, ob die Genannten sich möglicherweise am Nil aufhielten. Die „wichtigsten Fäden“ der von der WamS genannten Männer, liefen über das Presse- und Informationsbüro der Arabischen Liga, das unter dem Namen Agarthis8 außer in der Zentrale in Kairo noch in Madrid, Tanger, Rom und Buenos Aires ansässsig sei.

Militärs, Manager und Mediziner Via Italien in den Nahen Osten Rom. Die Ewige Stadt war wohl der wichtigste Knotenpunkt eines informellen Fluchtwegenetzes ehemaliger Nationalsozialisten unmittelbar nach der deutschen Kapitulation im Jahre 1945, für das sich der Begriff Odessa (Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen) eingebürgert hat. Durch Frederick Forsyths Thriller „Die Akte Odessa“ nebst dessen Verfilmung erlangte die Odessa Weltberühmtheit. Hier ist nicht der Ort, den Streit in der Historikerzunft um die reale Existenz einer Organisation dieses Namens nachzuzeichnen.9 Wir halten uns an einen Definitionsversuch des Geheimdienstexperten Stephen Dorril, der sich wiederum auf den ungarisch-amerikanischen Journalisten Ladislas Farago stützt. „Die Mehrheit der

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Zu Agarthis findet sich bei Wikipedia folgender Eintrag: „Agartha (hindustanische Form) oder Argathi (mongolische Form) ist ein mythologischer Ort, der in Esoterik und Okkultismus als (meist arisches) Weltzentrum betrachtet wird, von dem aus unterirdische Gänge in alle Weltgegenden führen“. Aufgerufen am 12. März 2020. Eine knappe und kritische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Odessa bietet der Historiker und Diplomat Heinz Schneppen, Odessa und das Vierte Reich. Mythen der Zeitgeschichte, Berlin 2007. Die These von einem machtvollen Netzwerk namens Odessa hält hingegen der argentinische Journalist Uki Goni, Odessa. Die wahre Geschichte, Berlin (3) 2009, aufrecht. Grundlegend zu dieser Thematik: Gerald Steinacher, Nazis auf der Flucht, Innsbruck 2008.

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Nachkriegsselbsthilfegruppen unter den Nationalsozialisten“, schreibt Dorril, „existierten nur dem Namen nach, während andere Gruppen sporadischer Abenteurer in den chaotischen Nachkriegsmonaten kurzzeitig und sprunghaft operierten, dann in Vergessenheit gerieten, ohne viel erreicht zu haben“. Die von Forsyth hervorgehobene Organisation Odessa habe zwar existiert, so Dorril, sie sei aber „kein weltweiter Untergrundbund alter Nazis, finanziert von Südamerika aus mit Nazi-Gold, welcher die Flucht von Bösewichtern des Dritten Reiches von Martin Bormann abwärts arrangiert und, mit der diskreten Hilfe des Vatikans, diese aus Europa geschmuggelt habe“. In Wirklichkeit, fährt Dorril fort und bezieht sich nun auf Ladislas Farago und dessen frühen und privilegierten Zugang zu amerikanischen CIC- und OSS-Akten, „war Odessa kaum mehr als ein schattenhaftes Konsortium einer Handvoll Freelancer, und sie hat es nie zu etwas im Nazi-Untergrund gebracht. Es gab zu keiner Zeit eine einzige zusammenhängende, einheitliche Struktur; die Archive legen statt dessen nahe, dass zahlreiche kleine Gruppen alter SS-Kameraden, die aus dem Boden schossen, diesen Begriff mit seinem Klang von Ferne und Rätselhaftigkeit nutzten, um sich selber mehr Bedeutung zu verleihen, als sie tatsächlich besaßen“10. Eine andere Organisation namens „Spinne“11 wird man, entgegen gelegentlich anderslautender Darstellung, nicht zu den locker strukturierten Fluchthilfeorganisationen zählen können. Anders verhält es sich mit den „Rattenlinien“, die informelle Fluchtwege ehemaliger Nationalsozialisten aus Deutschland über Österreich nach Italien bezeichnen. So führte etwa die „B-B-Achse“ von Bremen über die Alpen hinunter nach Bari in Süditalien. In ihren Verlängerungen reichten die Rattenlinien wahlweise nach Spanien, Südamerika oder in den Nahen Osten.12 Ob Odessa oder Rattenlinien: Die italienische Hauptstadt und der Vatikan spielten zweifellos eine zentrale Rolle bei Fluchtversuchen ehemaliger Nationalsozialisten unmittelbar nach Kriegsende. Etwa in der zweiten Jahreshälfte 1949 verloren die Fluchtrouten dann ihre Bedeutung, denn seit Gründung der Bundesrepublik im Mai jenes Jahres war es Ausreiseinteressierten möglich,

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Vgl. Stephen Dorril, MI 6. Inside the Covert World of Her Majesty’s Secret Intelligence Service, New York 2000, S. 102. Meine Übersetzung aus dem Englischen, A. H. Dem ehemaligen Vizepräsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Werner Smoydzin, zufolge hat eine Organisation namens „Spinne“ tatsächlich existiert. In dem österreichischen Internierungslager für ehemalige Nationalsozialisten in Glasenbach bei Salzburg sei sie um die Jahreswende 1948/49 als Feme- und Untergrundorganisation gegründet worden. Ihre Anhänger wollten für die Rehabilitierung der Nationalsozialisten und für den Anschluss Österreichs an Deutschland kämpfen. Vor allem durch eine Artikelserie des Journalisten Curt Riess in den Vereinigten Staaten sei aus der Spinne fälschlicherweise eine Fluchthilfeorganisation geworden, der solche NS-Größen wie Otto Skorzeny und Martin Bormann angehört hätten ebenso wie der kroatische Faschistenführer Ante Pavelic. Vgl. den Auszug aus dem Buch „Hitler lebt!“ von Smoydzin in: Der Spiegel Nr. 47/1966, S. 87. Vgl. Rena und Thomas Giefer, Die Rattenlinie, Weinheim 1992 sowie Philippe Sands, The Ratline, London 2020.

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einen bundesdeutschen Reisepass zu beantragen und damit die mühevolle Prozedur zur Erlangung eines Reisedokumentes in Rom zu umgehen, sofern sie nicht auf der Fahndungsliste standen. Denn es war vor allem die italienische Hauptstadt gewesen, wo die Vertretung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) ihre begehrten „Rote-Kreuz-Pässe“ ausstellte, mit denen dann ein Visum etwa für Argentinien oder Ägypten beantragt und schließlich die wichtige italienische Aufenthaltsgenehmigung eingeholt werden konnte. Die Tatsache, dass das Rote Kreuz Pässe ausstellte, rührte noch aus der Kriegszeit her, als Flüchtlinge aus ganz Europa, die ihre Papiere unterwegs verloren hatten, vom Roten Kreuz mit jenem Reisedokument versehen worden waren, das international als Passersatz anerkannt war. Als Bindeglied zwischen dem Roten Kreuz und den Flüchtenden diente zwischen 1945 und 1949 in Rom die Katholische Kirche, genauer: das Kolleg der deutschen katholischen Nationalkirche Santa Maria dell’Anima mit ihrem Rektor Bischof Alois Hudal und seinen Mitarbeitern im dortigen „Germanicum“ – eigentlich „Collegio Teutonico-Hungarico di Santa Maria dell’Anima“ – außerhalb der Mauern des Vatikans. Sie machten es sich zur Aufgabe, gegenüber dem IKRK in Rom oder, seltener, Genua – wie im Falle des KZ-Arztes Josef Mengele – für die Antragsteller auf einen Pass zu bürgen, und dies häufig aufgrund eines windigen deutschen, österreichischen oder südtiroler Ausweispapieres. Bischof Hudal, der im Jahre 1952 vom Vatikan zum Rücktritt genötigt wurde, hat sich später in seinen 1976 veröffentlichten „Römischen Tagebüchern“ zu seiner vorrangigen Hilfe für ehemalige kroatische Faschisten und Nationalsozialisten bekannt. Er habe sie damit „ihren Peinigern durch die Flucht in glücklichere Länder entrissen“13. Nicht wenige der Hilfesuchenden standen der römischen Kirche eigentlich distanziert oder gar ablehnend gegenüber, waren wie der in Genua auf seinem Weg nach Südamerika gestrandete Adolf Eichmann ursprünglich evangelisch bzw. im „Dritten Reich“ dann „gottgläubig“ geworden. Sie wurden nun katholisch als Voraussetzung für katholische Hilfe bei der weiteren Flucht.14 Eichmann hat Jahre später wenige Monate vor seiner Hinrichtung in Israel der Katholischen Kirche seinen Dank für die ihm gewährte Hilfe mit der Formulierung ausgedrückt, er habe den katholischen Glauben dadurch honoriert, dass er „Ehrenmitglied“ der römischen Kirche geworden sei.15

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Zitiert nach Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Stichwort Hudal, Alois, Frankfurt am Main (2) 2007, 272f. Vgl. Schneppen, Odessa, S. 41f. Ebd., Anm. 81 mit weiteren Nachweisen. Weite Verbreitung hat das Lob des höchstdekorierten Wehrmachtsangehörigen und späteren Rechtsradikalen Hans-Ulrich Rudel gefunden, dem die Kirche den Weg nach Argentinien geebnet hatte: „Man mag sonst zum Katholizismus stehen, wie man will“, schreibt Rudel in seinen Erinnerungen, um dann fortzufahren: „Was in diesen Jahren durch die katholische Kirche, vor allem durch einzelne menschlich überragende Persönlichkeiten innerhalb

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Neben Italien spielte in den frühen fünfziger Jahren auch die damals kleine spanische Hafenstadt Denia eine Rolle bei der Flucht ehemaliger Nationalsozialisten in den Nahen Osten. Auf halbem Wege zwischen Valencia und Alicante an der spanischen Mittelmeerküste gelegen, hatten sich hier nach den Recherchen des Historikers Michael Bar-Zohar die angeblichen SSObersturmbannführer Johannes Bernhardt und Gerhard Bremer im Schutz der Franco-Diktatur niedergelassen. Bremer baute mit dem Gespür für den kommenden Massentourismus an der Costa Blanca eine Bungalow-Siedlung auf, die anfangs auch von lichtscheuen Reisenden auf dem Weg in den Nahen Osten genutzt wurde. Häufiger Gast in Denia war auch der SSObersturmbannführer und „Mussolini-Befreier“ Otto Skorzeny, der uns später noch wiederholt begegnen wird. Gerüchten zufolge soll sich auch der ehemalige KZ-Arzt Aribert Heim vorübergehend in Denia aufgehalten haben, bevor er Zuflucht in Kairo suchte. Nach Michael Bar-Zohar erkundeten Vertraute von Bremer in Ägypten Beschäftigungsmöglichkeiten für Deutsche und Österreicher auf der Flucht. Bremer selber organisierte dann bei Bedarf den Transfer mit einem seiner Boote entlang nordafrikanischer Häfen nach Alexandria.16 Von Italien und Spanien aus gesehen auf der anderen Seite des Mittelmeeres konnten seit 1946 flüchtige Nahostreisende aus Deutschland in Kairo auf die Hilfe von Amin al-Husseini, dem bereits erwähnten Mufti von Jerusalem, zählen. Al-Husseini hatte sich zu einem glühenden Anhänger des Nationalsozialismus entwickelt und 1941 an einem fehlgeschlagenen Putsch prodeutscher Kräfte im Irak teilgenommen. Es gelang ihm die Flucht nach Deutschland, wo er auf Kosten des Reiches ein komfortables Leben führte. Zusammen mit Adolf Eichmann besuchte er das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Bei Kriegsende flüchtete er über die Schweiz nach Frankreich und von dort weiter nach Kairo, das er erst 1959 in Richtung Beirut wieder verließ. Zahlreiche Quellen stützen die Vermutung, dass al-Husseini in Kairo eine wichtige Anlaufstelle für Geflohene aus Deutschland und Österreich war. Auch der ehemalige Kommandant des Vernichtungslagers Treblinka, Franz Stangl, nahm die Hilfe der Familie alHusseinis in Anspruch und ließ sich von ihr in Damaskus unterbringen. Auch ehemalige Wehrmachtsangehörige profitierten von den Hilfeleistungen des IKRK und der katholischen Kirche, wenn sie ihr Heil in Syrien suchten. Einige wenige Syrien-Fahrer

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der Kirche, an wertvoller Substanz unseres Volkes gerettet worden ist, oft vor dem sicheren Tod gerettet worden ist, soll billigerweise unvergessen bleiben! […] Die Kirche ließ in eigener Regie sehr viele nach Übersee fahren. So wurde dem Rache- und Vergeltungsdurst der wahnsinnig gewordenen Sieger in aller Stille im Rahmen des Möglichen entgegengewirkt“. Zitiert nach ebd., S. 41. Michael Bar-Zohar, The Avengers, London, S. 157f. Bar-Zohar erhob Bernhardt und Bremer in den Rang von SS-Obersturmbannführern. Tatsächlich war jedoch nur Bremer Mitglied der SS gewesen. Zu den Aktivitäten Bremers in Denia findet sich in der Ausgabe des Web-Portals Denia.com vom 3. August 2019 ein aufschlussreicher Beitrag von Javier Justo Moncho mit der Überschrift „Wichtige Nazi-Kriminelle ruhen ungestraft bei den Nachbarn der Dianensen auf dem Friedhof“. https://www. denia.com/de/, aufgerufen am 11. April 2021.

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gelangten z. T. mit ihren Familien auch über die Schweiz dort hin. In diesen Fällen wurden die betreffenden Personen zunächst nach Österreich und von dort in die Schweiz geschleust, wo sie die syrische Gesandtschaft in Bern mit den nötigen Reisepapieren ausstattete. Zu Beginn der fünfziger Jahre gab es angeblich noch andere Wege von Europa nach Damaskus. In München soll eine islamische Tarnorganisation militärisches Personal nicht nur über Rom, sondern auch via Mailand und Bari per Schiff in die Levante gebracht haben. Wissenschaftler und Techniker reisten wohl auf einer weiteren Schiene: Eine „Physikalische Arbeitsgemeinschaft“ mit Sitz bei Hannover organisierte mutmaßlich Reisen nach Nahost. Für ehemalige SS-Männer habe es eine dritte, in Mailand, angesiedelte Organisation gegeben.17 Michael Bar-Zohar berichtet, Simon Wiesenthal habe seinerzeit Kenntnis von einer weiteren Variante des Nahost-Transfers erhalten. Wiesenthal zufolge versuchte die syrische Botschaft in Rom die Arbeit des Rekrutierungsbüros der französischen Fremdenlegion zu kopieren. Ihm sei mitgeteilt worden, so Wiesenthal, dass einige Franzosen solche Männer, die sich der Fremdenlegion verpflichtet hätten, an die Araber weiterverkauft und über einen italienischen Hafen herausgeschleust hätten, und zwar für 350 US-Dollar pro Kopf. Als dieser Handel aufgeflogen sei, habe man die französischen Verantwortlichen gerichtlich belangt.18 Bar Zohar weist schließlich darauf hin, dass David Ben-Gurion bereits im März 1948 seinem Tagebuch Kenntnisse „unseres Geheimdienstes“ über „Untergrundfluchtrouten für Nazis“ in Richtung arabische Staaten anvertraut hätte. Die Araber, so Ben-Gurion in seinen Notizen, seien besonders an Muslimen interessiert gewesen, die in der Wehrmacht gedient hätten sowie an Spezialisten und Offizieren aus alliierten Internierungslagern. Das Hauptquartier der Fluchtrouten habe in Rom gelegen und unter dem Tarnnamen „Muslim Relief Service“ firmiert.19 Der bereits erwähnte Illustriertenbericht des Journalisten Albrecht Cropp zeigt auf der Grundlage von Schilderungen zweier ehemaliger deutscher Jagdflieger beispielhaft, wie man damals als früherer Wehrmachtsangehöriger über Italien in den Nahen Osten gelangen konnte.20 Die nachfolgende Darstellung fußt wesentlich auf Cropps Bericht. Fliegen, fliegen, fliegen. „Wenn es irgendwo auf der Welt eine Chance gibt zu fliegen, dann gehen wir dort hin! Wir wollen fliegen um jeden Preis“. Dieses Versprechen gaben sich die

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La Nation Belge vom 17. November 1952, hier nach Elzer, Militärberater, S. 229. Bar-Zohar, Avengers, S. 154f. Ebd. Für diese und die zuvor genannte Information Bar-Zohars gilt, dass der Autor sie quellenmäßig nicht näher nachweist. Zahlreiche Namen und Begebenheiten, die Cropp in Syrien recherchieren konnte, werden recht präzise durch Berichte der amerikanischen CIA bestätigt. Sie können unter dem Link „Freedom of Information Act“ (FOIA) auf der Homepage der CIA aufgerufen werden. Ergiebig für unseren Zusammenhang ist insbesondere die Eingabe des Stichwortes „Walter Rauff“ in der Suchmaske (19. März 2020).

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ehemaligen Jagdflieger Stohr und Walter Weiß unmittelbar nach der deutschen Kapitulation für den Fall, dass sich ihre Wege trennen sollten. Beide hatten während des Krieges im selben Geschwader gedient, beide hatten ihre im letzten Luftkampf abgeschossene Maschine mit dem Fallschirm verlassen und waren in amerikanische Gefangenschaft „gesegelt“. Ihre Wege gingen nach der Entlassung aus einer kurzen Internierung tatsächlich auseinander. Doch eines Tages erhielt Weiß einen Brief mit der ihm bekannten Handschrift seines Freundes Stohr aus Rom. Der entscheidende Satz in dem Schreiben lautete: „Wenn Du fliegen willst, komme so schnell wie möglich nach Rom. Wende Dich an Dr. Homsy, Garmisch-Partenkirchen, Wettersteinstr. 6“. Homsy, geschrieben auch Homsi oder Hamsy, hieß in Wirklichkeit Akram Tabarrah 21. Über seine frühen Nachkriegsaktivitäten kursieren unterschiedliche, nicht immer kompatible Versionen. Nach den Erkenntnissen von Simon Wiesenthal war Homsy nach dem Krieg zunächst bei der syrischen Gesandtschaft in Bern attachiert. Er sei es gewesen, der von hier aus deutschen Syrien-Fahrern die notwendigen Einreisepapiere vermittelte.22 Noch vor dem israelisch-arabischen Krieg von 1948/49 hatte er Kontakt mit Gerhard Schacht, dem Chef des „Friedrich-Wilhelm-Heinz-Dienstes“ (FWHD)23 in München hergestellt. Schacht, ehemaliger hochdekorierter Fallschirmjäger-Kommandeur in Belgien und Nordafrika, kümmerte sich um die Informationsbeschaffung aus der SBZ, war aber in gleicher Funktion auch im Nahen Osten, insbesondere in Damaskus, aktiv. Zwischen 1948 und 1951 befasste sich Schacht mit der Auswahl und Anwerbung militärischen und technischen Personals, für das die Syrer Bedarf angemeldet hatten. „Eine regelrechte Auswanderung in Richtung Orient“ begann, schrieb der FWHD damals mit Blick auf die Rekrutierung ehemaliger Wehrmachtsangehöriger kurz vor der Gründung der Bundesrepublik im Jahre 1949, und weiter: „Eine Reihe wirklich fähiger Experten befand sich auf dem Weg nach Ägypten und Syrien in jenen Tagen, ebenso wie zahlreiche schwierige Individuen und Abenteurer“24. Homsys Vertrauter und Vorgesetzter in Damaskus, der damalige Chef des syrischen Generalstabes Husny Za‘im, hatte Homsy zunächst nach Deutschland entsandt, um Fachkräfte aller Art für die syrische

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Laut Adresskarte der Gemeinde Garmisch-Partenkirchen aus dem Jahre 1945 nannte sich Homsy Andre Akram Tabarra (ohne „h“). Die Karte war aus Anlass des Zuzugs einer Frau Lieselotte Helding aus Berlin am 27. April 1945 angelegt worden. Sie vermerkt die Eheschließung Tabarrahs mit Frau Helding am 9.  Oktober 1945 in Garmisch-Partenkirchen. Der Verfasser dankt Herrn Franz Wörndle vom Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen für diese Informationen. Vgl. VWI-SWA, I. 1., Mappe Syrien, Abschrift einer Aufzeichnung vom 10. Februar 1949. Zur Identität Homsys und Tabarrahs vgl. S. Wiesenthal, Eichmann, S. 179. Der FWHD war ein dem Bundeskanzleramt in der Zeit von 1951 bis 1956 zugeordneter Nachrichtendienst. Zitiert nach Chen, Nazi Officers, S. 735f.

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Armee und dessen Deuxième Bureau, den militärischen Geheimdienst, anzuwerben. Für einige Monate der Jahre 1947/48 übte Homsy diese Funktion in Oberbayern aus, er reiste jedoch auch wiederholt nach Rom.25 Ein CIA-Bericht vom 19. Juni 1950 wusste zu berichten: „Tabarrah spricht Arabisch, Französisch und etwas Deutsch. Nach unserer Quelle ist er nicht sehr sympathisch, unintelligent und antiamerikanisch […]. Nach Kriegsende verhafteten ihn die Amerikaner, aber er entkam nach Syrien[…]. Ein Kommentar aus Washington […] ergänzt: Hauptmann Tabarrah machte unter dem Namen John Homsi im Oktober 1948 eine Reise nach Europa mit dem Ziel, europäische Offiziere für die syrische Armee zu rekrutieren, insbesondere Italiener und Deutsche“26.

Aber bereits vor 1950, genauer: Mitte November 1948, fand Homsys Werbeaktivität in Europa ein frühzeitiges Ende, als eine von ihm in der amerikanischen Zone Deutschlands zusammengestellte, aus insgesamt sieben deutschen Offizieren bestehende, „Militärmission“ für Syrien in Innsbruck wegen „Bedenklichkeit und Ausweislosigkeit“ festgesetzt wurde. Die Festnahme der Gruppe fand in der Wohnung des im amerikanischen Seattle geborenen Deutschen Heinz Bertholdt statt. Bertholdts Aufgabe bestand darin, Durchreisende mit Ziel Nahost mit Geld über Wasser zu halten, bis die Einreisepapiere von der syrischen Gesandtschaft in Bern eintrafen. In ähnlicher Weise war ebenfalls in Innsbruck der österreichische Korvettenkapitän a. D. Guido Bernardi tätig, wie ein Bericht aus dem Jahre 1960 mit der Überschrift „Festnahme deutscher Staatsangehöriger, Werbung für syrische Armee“ festhielt.27 Homsy machte sich selber von Garmisch auf den Weg über die österreichische Grenze, um in Innsbruck etwas über den Verbleib der Militärmission herauszufinden. Dabei wurde auch er festgenommen, wegen einer Rippenfellentzündung jedoch in ein Innsbrucker Krankenhaus verlegt, von wo aus ihm die Flucht über Italien nach Syrien gelang. Hier fiel er dann im Sommer 1949 dem Putsch gegen seinen Gönner Husny Za‘im zum Opfer und verbrachte anschließend sieben Jahre im Gefängnis.28

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Cropp, „Die Deutschen“, Revue Nr. 10/1953, S. 11. CIA (FOIA), Rauff, Walter _0078.pdf. VWI-SWA, I. 1., Mappe Syrien, 20. Dezember 1960. Hier auch die Liste der Verhafteten mit persönlichen Daten einschließlich Berufsangaben bzw. letzten Wehrmachtsdienstgraden. Vgl. dazu auch den CIA-Bericht vom 2. November 1949 in: CIA (FOIA), Rauff, Walter _0057.pdf. Simon Wiesenthal hatte Adolf Eichmann unter den sechs Verhafteten vermutet. Das stellte sich jedoch als unzutreffend heraus, immerhin wurde er Zeuge der Verhaftung von Homsy alias Tabarrah in Österreich.

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Doch zurück zu den Fliegern.29 Beherzt folgte Walter Weiß dem Rat seines Kameraden Stohr in Rom und stand bereits wenige Tage später Dr. Homsy in dessen Partenkirchener Wohnung gegenüber. Homsy war offenbar bereits auf Weiß’ Erscheinen vorbereitet, denn er legte ihm sofort einen Vorvertrag zur Unterzeichnung vor. Weiß verlangte jedoch zunächst eine Legitimation Homsys, welche dieser ihm anhand eines Blatt Papiers mit dem Stempel des syrischen Verteidigungsministeriums lieferte. In dem Vorvertrag hieß es u. a.: „Herr Walter Weiß verpflichtet sich, in die Dienste der Syrischen Republik als technischer Berater einzutreten. Entsprechend seinem Dienstgrad in der Wehrmacht wird Weiß nach den Tarifen der syrischen Armee bezahlt. Zusätzlich erhält er eine monatliche Ausländerzulage in Höhe von 15  Pfund Sterling. Auf Wunsch kann ein Teil des Gehaltes in deutsche oder andere Währung transferiert werden. Herr Weiß tritt in die syrische Armee mit den gleichen Rechten ein, die ein syrischer Offizier im gleichen Dienstgrad genießt (kostenlose ärztliche Behandlung, Versicherung im Fall der Invalidität etc.). Nach Unterzeichnung des Vorvertrages erhält Herr Weiß freie Überfahrt von Rom bis Damaskus. Dieser Vertrag gilt vom Datum der Unterschrift an sechs Monate. Nach Ablauf der Frist können beide Parteien überprüfen, ob der Vorvertrag durch einen langfristigen Vertrag ersetzt werden soll. Sollte dieser Vertrag nach sechs Monaten nicht verlängert werden, verpflichtet sich die syrische Regierung, dem technischen Berater die Reisespesen für eine Fahrt an jedes beliebige Ziel auszuzahlen“.

Nachdem sich Homsy und Weiß über den Vorvertrag einig geworden waren, stand nun der Transfer von Weiß nach Rom bevor, wo er laut Homsy die erforderlichen Ausreisepapiere bekommen sollte. Im Sommer 1948 startete Weiß seine Bahnreise von Bayern nach Österreich in Begleitung eines Mittelsmannes namens Bertold30, der als Spezialist für illegale Grenzübertritte von Deutschland nach Österreich galt. Bertold bediente sich dafür der Schmugglerkreise, die um diese Jahreszeit besonders aktiv waren. „Überführungsspesen“ nannten die syrischen Auftraggeber das Handgeld, mit dem die Schmuggler die ihnen anvertraute Kundschaft „absolut zuverlässig“ nach Österreich brachten. Weiter in Richtung Italien übergab Bertold Weiß an einer Bahnstation vor dem Brenner an einen anderen Mann, der bereits im Zug auf Weiß wartete. 4000  Lire händigte Bertold Weiß beim Abschied noch aus, Geld, das bis Modena in Oberitalien reichen würde. Karl, so nannte sich der neue Begleiter von Weiß, war „Schmuggler 29 30

Für das Folgende vgl. Cropp, „Die Deutschen“, Revue Nr. 10/1953, S. 11. Trotz leicht abweichender Schreibweise dürfte es sich um den bereits erwähnten Heinz Bertholdt aus Innsbruck gehandelt haben.

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aus Leidenschaft“ und beherrschte sein Metier. Zwei Stationen vor der Brenner-Passhöhe verließen die beiden Männer den Zug und stapften bei leichtem Schneetreiben steil bergan. Leise Stimmen österreichischer Zollbeamter signalisierten die Nähe der Grenze. Auf einer Anhöhe wies Karl in stockdunkler Nacht auf ein etwa 200  Meter tiefer liegendes Häuschen, das er als österreichische Zollstation beschrieb. Karl trennte sich hier von Weiß, nicht ohne ihn auf einen Gebirgsbach aufmerksam gemacht zu haben, dessen Lauf er abwärts bis zu einem Bahnwärterhaus folgen sollte. Vorbei an der italienischen Zollstelle tastete sich Weiß hinunter zu dem Haus, in dessen Inneres er durch einen rückwärtigen Schuppen gelangte. Hier fand er alles vorbereitet: Im Herd glomm noch ein wenig Feuer, eine warme Suppe stand bereit und sogar der Küchentisch war für ihn gedeckt worden. Auf einem gemachten Bett schlief er sofort ein und verpasste prompt den 7-Uhr-Zug am nächsten Morgen in Richtung Süden. Bis zur Abfahrt des nächsten Zuges 90 Minuten später galt es, sich auf dem Bahnsteig vor patrouillierenden Carabinieri in Acht zu nehmen, wofür Weiß die Frühmesse in einer nahen Kirche für geeignet hielt. Ohne weitere Zwischenfälle gelangte er dann über Modena nach Rom. Der Pförtner des Germanicums wusste Bescheid. Weiß meldete sich gemäß den Anweisungen Homsys bei einem Willy Friede und einem gewissen Alf, die beide im Germanicum ein Büro unterhielten. In Friedes und Alfs Händen lag auch die Anwerbung technischer Berater, Flieger und Frontoffiziere für die syrische Armee. Hinter dem Namen Alf verbarg sich in Wahrheit einer der schlimmsten Kriegsverbrecher. Der im Jahre 1906 im anhaltinischen Köthen geborene Walther Rauff galt, wie bereits erwähnt, als Erfinder der Gaswagen, mit denen die Einsatzgruppen im Osten mehr als 90  000 Juden getötet hatten. Norditalien war Rauff durch seine Tätigkeit als Gestapo-Chef von Mailand vertraut, auf seine arabischen Erfahrungen in Tunesien ist bereits hingewiesen worden. Der ehemalige SS-Oberführer Willy Friede arbeitete in Rom auch für die „Organisation Gehlen“, der Vorläuferin des BND, sowie für einen italienischen Geheimdienst gegen die sowjetische Botschaft am Tiber.31 Auch die CIA war über die Identität von Rauff alias Alf und Friede sowie über deren Tätigkeit in Rom im Bilde.32 Friede, so die CIA, beanspruche für sich, der Initiator eines „Deutsche-nach-Syrien“-Programms zu sein. Nach Erkenntnissen der CIA hatte Friede mit Dr. Homsy alias Tabarrah in Rom eine drei Punkte umfassende Abmachung getroffen: Friede würde Deutsche nur unter der Bedingung rekrutieren, dass diese nicht in „irgendeinem Syro-Palästinensischen Konflikt eingesetzt“, sie ferner nur als Lehrer und Ausbilder verwendet würden und schließlich, drittens, sie keinen 31

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Vgl. Christoph Franceschini, Wegener Friis, Thomas und Schmidt-Eenboom, Erich, Spionage unter Freunden, Berlin 2017, S. 64f. CIA (FOIA), Rauff, Walter _0072.pdf, „Dispatch from Karlsruhe“, 17. März 1950. Zu diesem Zeitpunkt identifizierte diese Meldung einen gewissen Roewe (möglicherweise Übertragungsfehler?, A. H.) mit Rauff.

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Treueid leisten, sondern nur einen Vertrag unterschreiben müssten. In einem Bericht des amerikanischen Geheimdienstes vom 11. April 1951 wird „Walter Rauff (Alf)“ als erster offizieller Chef eines deutschen Beraterstabes für die syrische Armee genannt.33 Auf Aufforderung Rauffs legte Weiß diesem seinen mit Homsy in Garmisch abgeschlossenen Vorvertrag vor. Anschließend überflog Friede flüchtig den Vertrag, befand ihn für in Ordnung und rechtfertigte seine Kontrolle mit der Bemerkung, er habe nur eine „weitere Panne“ verhindern wollen. Rauff und Friede händigten Weiß anschließend 5000  Lire aus und verwiesen ihn an Monsignore Heinemann Santa Anima, der bereits informiert sei. Heinemann befürwortete schriftlich, dass Weiß einen Rot-Kreuz-Pass erhalten solle.34 Den Pass schließlich in Händen, begab sich Weiß in die Via Salaria 267, Villa Savoia, den Sitz der ägyptischen Botschaft. Auf Bitten von Friede und Rauff ließ sich Weiß vom Botschaftssekretär ein ägyptisches Visum in den neuen Pass stempeln. Anschließend kehrte er in das Germanicum zurück, wo er von seinen Helfern eine Flugkarte nach Kairo entgegennahm. Das Ticket stellte die damalige ägyptische Fluglinie SAIDE den deutschen Beratern gratis zur Verfügung. Mit ihm machte sich Weiß auf den Weg zur Polizei, um sich eine ordentliche italienische Aufenthaltsgenehmigung zu besorgen. „Ohne diese kommen Sie nicht aus Italien“, hatte Rauff ihm erklärt. Eine Linienmaschine der SAIDE flog Weiß wenige Tage später von Rom nach Kairo. Außer ihm befand sich noch ein weiterer deutscher Experte an Bord, der ehemalige Jagdflieger Karl Romain. Romain war ein Freund des späteren BND-Residenten in Kairo, Gerhard Bauch. In seiner letzten Heimat, im amerikanischen Bundesstaat Maryland, schilderte Bauch dem Journalisten Ken Silverstein, wie Kampfpilot Romain und andere Flieger der Luftwaffe mit Hilfe des Vatikans in den Nahen Osten geschleust worden seien.35 Auf dem Kairoer Faruk-Flugplatz angekommen, sagte Romain dem Grenzbeamten nur, dass er und Weiß Deutsche seien und sie den SAIDE-Manager sprechen wollten. Daraufhin wurden sie in ein Büro geleitet, wo der Manager sie nur wenige Minuten später begrüßte. Höchstpersönlich chauffierte er die Neuankömmlinge mit seinem Chevrolet zum Kairoer Hotel Heliopolis, wo sich die beiden erst einmal einrichteten. Der Manager erklärte ihnen, sie sollten sich bei dem Hotelgeschäftsführer unter dem Stichwort „Syrienkontingent“ melden, er werde sich derweil um ihre syrischen Pässe kümmern.

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Ebd., Rauff, Walter, _0086.pdf, „German Military Advisers to Syria“. Uki Goni formuliert leicht abweichend so: „Priester wie […] Heinemann […] unterschrieben die Pass-Anträge“. Vgl. Goni., Odessa, S. 238. Silverstein, Warriors, S. 13. Silverstein über seinen Besuch bei Bauch: „Im Esszimmer befand sich ein Geschenk von Reinhard Gehlen, seinem ehemaligen Chef beim Bundesnachrichtendienst: ein silberner Präsentierteller mit dem eingravierten Bibelspruch nach Matthäus 10,16: ‚Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben‘“.

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Während der nächsten acht Tage stellten sich Romain und Weiß bei der syrischen Gesandtschaft in Kairo vor, nahmen ihre Pässe in Empfang, ließen sich impfen und erhielten einen Gesundheitspass vom zuständigen ägyptischen Ministerium. Zwei Tage bevor die beiden Deutschen auf dem Flugplatz Damaskus-Mezzé landeten, hatte Husny Za‘im, der Chef des Generalstabes, 23 deutsche Experten im Armee-Hauptquartier begrüßt. Ihre Aufgabe sollte es sein, die im Krieg mit dem jungen Staat Israel zutage getretenen Schwächen in der Armee beseitigen zu helfen und, wenn nötig, die Streitkräfte von Grund auf zu reformieren.

Militärberater in Syrien und die Rolle von Walther Rauff Mit dem Empfang durch Husny Za‘im begann die erste von insgesamt drei deutschen Militärmissionen in Syrien.36 Sie bestand ursprünglich aus zehn Leuten, die man überwiegend durchaus als Abenteurer bezeichnen konnte, keinesfalls jedoch als Experten. Sie waren aus dem italienischen Internierungslager Fraschette in der Provinz Frosinone entflohen und bereit, nahezu alles zu tun und überall hinzugehen, wo sich ihnen eine Zukunft zu bieten schien. Selbsternannte Flieger stellten sich in Syrien alsbald als blutige Laien auf dem Gebiet der Fliegerei heraus. Manche Fraschette-Flüchtlinge zogen sofort nach ihrer Ankunft in Syrien eine Uniform der syrischen Armee an und machten sich auf den Weg zu dem, was man damals vor Ort die „Palästinafront“ nannte, also die Schauplätze der jüdisch- bzw. israelisch-arabischen Kampfhandlungen. Ein Deutscher oder Österreicher namens Lehmann zog an dieser Front eine sog. TotenkopfKompanie auf, die ausdrücklich nach dem Vorbild der SS eine Elitetruppe werden sollte. Lehmann zeigte sich sehr stolz darüber, dass seine „Recken“ auf dem rechten Ärmel und an der Mütze einen silbernen Totenkopf tragen durften, so der Journalist Cropp. In einem anderen Text heißt es: „Ein gewisser Lehmann, im Dienste des syrischen Diktators Husny Za‘im stehend, rekrutierte eine Anzahl ehemaliger SS-Offiziere, Testpiloten und Panzerspezialisten mit der Absicht, Einheiten der syrischen Armee nach dem Vorbild der Waffen-SS zu bilden“37.

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Die Gliederung in drei Missionen folgt der Darstellung bei Cropp, „Die Deutschen“. Auch die FWHD-Berichte über die Aktivitäten von Deutschen in Syrien nennen drei aufeinander folgende Missionen. Inhaltlich und insbesondere bei der Nennung von Namen stimmen die FWHD-Berichte und die Serie von Cropp in vielen Details überein, was die Vermutung nahelegt, dass Cropp Zugang zu den Berichten hatte. Dass er tatsächlich Syrien im Jahre 1952 besucht hat, steht außer Frage, was vor allem aus seinen dort angefertigten Tagebuchaufzeichnungen hervorgeht. Bar-Zohar, Avengers, S. 156. Da Bar-Zohar mit Quellennachweisen mehr als sparsam umgeht, ist nicht auszuschließen, dass ihm bei der Abfassung seines Textes die Zeitschriftenserie Cropps vorlag.

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Die Leitung der ersten deutschen Militärmission in Syrien lag in den Händen des im Zweiten Weltkrieg höchstdekorierten Generalmajors der Panzerwaffe a. D., Hyazinth (auch Hyacinth) Graf Strachwitz von Groß-Zeuche und Camminetz, auch der „Panzergraf“ genannt.38 Graf Strachwitz hatte sich vor allem mit tollkühnen Aktionen auf den russischen Schlachtfeldern einen Namen gemacht. Nun berichtete das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ in seiner Ausgabe vom 19. Februar 1949, dass er zusammen mit seiner Gattin auf dem Weg von München über Rom sein Ziel Syrien erreicht habe. Graf Strachwitz, der seine kommende Tätigkeit im Nahen Osten mit „landwirtschaftlicher Beratung“ tarnte und privat in Damaskus auch mit dem dorthin geflohenen, ehemaligen Kommandanten der Konzentrationslager Sobibor und Treblinka, Franz Stangl und seiner Familie, verkehrte39, brachte einen engen Vertrauten namens Hans Heitmann mit in den Orient, der, so Cropp, sofort nach der Ankunft dort zum Islam übertrat.40 Als Adjutanten hatte sich der Panzergraf einen Mann namens Fehler ausgewählt, der gegen Kriegsende als Kapitänleutnant bei der U-Boot-Flotte gedient hatte. Diese Information über den „Kapitänleutnant Fehler“, die hier nahezu wörtlich aus dem Bericht Cropps wiedergegeben wird, verdeckt in ihrer Schlichtheit eine kleine personelle Sensation, um die Cropp seinerzeit nicht wissen konnte. Denn Kapitänleutnant Johann-Heinrich Fehler beschäftigt bis in unsere Tage die Publizistik. Fehler war Kommandant des U-Boots 234 gewesen, das in den letzten Kriegstagen mit einer Ladung Uranoxid von Norwegen aus in Richtung Japan ausgelaufen war, wo das Material möglicherweise für die Konstruktion einer japanischen Atombombe Verwendung finden sollte. Von der deutschen Kapitulation am 8.  Mai 1945 im Nordatlantik überrascht, entschied Fehler, den amerikanischen Ostküstenhafen von Portsmouth, New Hampshire, anzulaufen und sich mit seiner Mannschaft zu ergeben. Die Amerikaner bargen die Ladung Uranoxid und ließen den Leiter des „Manhattan-Projekts“ zum Bau einer amerikanischen Atombombe, Robert Oppenheimer, zur Begutachtung nach Portsmouth kommen.

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In der oben erwähnten Aufzeichnung über die Festnahme einer kleinen Gruppe von deutschen Offizieren in Innsbruck Ende 1948 hieß es über einen dort festgesetzten Johann Schlemmer: „Bei den Einvernahmen der Festgenommenen wurde weiters ermittelt, dass Schlemmer die Führung der syrischen Armee übernehmen sollte, die damals unter Leitung des früheren Generals von Strachwitz stand, der ebenfalls von Deutschland nach Syrien gekommen war“. Vgl. VWI-SWA, I.  1., Mappe Syrien, Aufzeichnung vom 20. Dezember 1960. Bei Schlemmer handelte es sich um den 1947 aus amerikanischer Gefangenschaft entlassenen General der Gebirgstruppe Hans (Johann) Schlemmer, der zeitgleich mit Homsy alias Tabarrah in Garmisch wohnte. Mitteilung von Theresa Stangl, der Ehefrau Franz Stangls, an die Publizistin Gitta Sereny. In der Mitteilung erwähnt sie auch Besuche eines „Oberst Rössler“ in ihrem Damaszener Haus, womit sie wahrscheinlich Franz Röstel gemeint haben dürfte. Vgl. Gitta Sereny, Am Abgrund: Gespräche mit dem Henker, München (3) 1997, S. 402, Fußnote 2. Zum Folgenden vgl. Cropp, „Die Deutschen“, Revue Nr. 11/1953.

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Nach Prüfung des Materials ordnete Oppenheimer dessen Transfer nach Los Alamos in New Mexico an, wo es nach Meinung einiger Historiker bei der Herstellung jener beiden Bomben Verwendung fand, die dann über Hiroshima und Nagasaki gezündet wurden.41 Kapitänleutnant Fehler ging zunächst in amerikanische Kriegsgefangenschaft, das U-Boot wurde zwei Jahre später im Rahmen einer militärischen Übung der US-Marine vor Cape Cod, Massachusetts, versenkt. Mit einiger Mühe konnten die von Cropp als Begleiter Graf Strachwitz’ erwähnten Heitmann und Fehler für den vorliegenden Text identifiziert werden. Der britische Journalist Arthur V. Sellwood, der sich auf die Seekriegsgeschichte des 20. Jahrhunderts spezialisiert hatte, hat eine Art Autobiografie Johann-Heinrich („Hein“) Fehlers geschrieben, indem er die erzählende Person Fehler durch englisch „I“, ich, ersetzt. Das Buch Sellwoods kommt ohne jegliche Quellennachweise aus, es ist durch Mitteilungen ehemaliger Marinekollegen Fehlers und höchstwahrscheinlich durch ausführliche Informationen des Kommandanten von U 234 selber entstanden.42 Sellwoods/Fehlers Schilderungen, die mit der Kindheit und Jugend des späteren Handelsschiffsoffiziers Fehler in Berlin-Charlottenburg, Uelzen und Göttingen sowie einem prägenden Internataufenthalt auf der Nordseeinsel Spiekeroog – ein Klassenkamerad dort war Fehler zufolge der spätere Raketenpionier Wernher von Braun  – beginnen, gehen recht behutsam mit exakten Daten um. Immerhin: Der in unserem Zusammenhang wichtige Tag der Entlassung Fehlers aus amerikanischer Gefangenschaft, die ihn in verschiedene Lager mit harter Disziplin über den ganzen Kontinent geführt hatte, lag im März 1946. Zurück in Deutschland und nach einer kurzen britischen Gefangenschaft zählte der ehemalige U-BootKommandant zu dem riesigen Heer ehemaliger Wehrmachtsangehöriger mit ungewisser Zukunft. Nachdem er sich auf verschiedenste Weise den Lebensunterhalt zu sichern versucht hatte, entschloss sich Fehler, sein Glück im Ausland zu suchen. Über alte Kontakte nach Argentinien erhielt er den Hinweis, dass sich in Kopenhagen eine argentinische Organisation befinde, die deutsche Ingenieure und Techniker an den La Plata schmuggle. Fehler hatte Aussicht auf eine Stelle als Zweiter Offizier bei der argentinischen Reederei Lineas Dodero. Doch in dem Moment, als er sich nach Dänemark aufzumachen im Begriff war, sei, so Sellwood/Fehler, das Büro in Kopenhagen von der dänischen Polizei durchsucht und geschlossen worden. Die

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Der Historiker Matthias von Hellfeld formuliert, dass sich die Spur des Uranoxids in Los Alamos „verloren“ habe. „Aber“, fährt er fort, „es ist wahrscheinlich, dass es in die Herstellung jener beiden Bomben geflossen ist, die am 6. und 9. August 1945 über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden“, Vgl. von Hellfeld, Hitlers letztes U-Boot, Deutsche Welle, 06.08.2010, https://www.dw.com/de/ hitlers-letztes-u-boot/a-5873801, ausgedruckt am 23. Mai 2022. Arthur V. Sellwood, Dynamite for Hire. The Story of Hein Fehler, London 1956. Erklärung zur Nutzung der 1. Person Singular vgl. die Author’s Note, ebd., S. 6. Alle Übersetzungen aus dem Englischen von A. H.

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Argentinier verzogen sich vom Öresund nach Lindau im Bodensee, wo einer von ihnen Fehler die erstaunliche Mitteilung machte, dass Buenos Aires vor allem solche Deutsche suche, die in Gefahr seien, wegen Kriegsverbrechen verhaftet zu werden. Er, Fehler, sei nicht hinreichend qualifiziert.43 Irgendwann nach dem Juni 1948 geriet Johann-Heinrich Fehler in Hamburg in Kontakt mit einem Syrer und dem von Cropp erwähnten Hans Heitmann, bei Sellwood Heitman geschrieben. Glaubt man Fehler, war Heitmann seit frühester Jugend ein fanatischer Anhänger alles Arabischen gewesen, begründet in intensiver Lektüre über die arabische Welt während einer langen Tuberkuloseerkrankung. Bereits in Hamburg sei er – dies im Widerspruch zu Cropps Darstellung – Muslim gewesen. Heitmann habe gegen die Briten und Franzosen zugunsten der Araber auf verschiedene Weise agitiert, war vor allem von den Briten wiederholt inhaftiert worden, und es sei ihm beinahe gelungen, während des Krieges in Berlin vom Mufti al-Husseini empfangen zu werden. Heitmann und der Syrer wollten sich mit Hilfe der Arabischen Liga von Hamburg aus auf den Weg nach Ägypten oder Syrien machen, wo Heitmann mehr noch den arabischen Widerstand gegen die Juden als gegen die Briten habe unterstützen wollen.44 Fehler schloss sich den beiden an, und zwar mit folgender Begründung: „Die Streitkräfte der arabischen Staaten, die sich jetzt auf die zweite Runde gegen die Juden vorbereiteten, brauchten Berater. Heitmann und sein syrischer Kumpel benötigten einen Kameraden“, der sich „mit dem Herumreisen auskannte“45 . Fehler war im November 1933 zusammen mit anderen Besatzungsmitgliedern des Frachters „Havel“ der NSDAP beigetreten, nachdem dieser in Hamburg nach einer zehnmonatigen Ostasien-Fahrt festgemacht hatte und Parteiwerber an Bord gekommen waren.46 Auf höchst abenteuerliche Weise machte sich das Trio zunächst auf den Weg in die Schweiz, von dort wieder zurück nach Hamburg, dann über die Niederlande und Belgien schließlich zur syrischen Botschaft in Paris. Hier wurden Heitmann und Fehler wegen ihres Einreiseantrages nach Syrien und wegen der erforderlichen Papiere wieder und wieder vertröstet, bis endlich die Ausreise der drei von Marseille per Schiff nach Beirut erfolgte. Hier bricht Sellwoods/

43 44 45 46

Ebd., S. 249. Ebd., S. 252. Ebd., S. 253. Nach Aussage seines Oberfunkmeisters auf der U 234, Wilhelm Hirschfeld, besaß Fehler „keine starke politische Einstellung“. Vgl. Joseph Mark Scalia, U 234. In geheimer Mission nach Japan, Stuttgart 2002, S. 45. Sellwood/Fehler schildert den Parteibeitritt der Matrosengruppe auf der Havel mit sympathischer Offenheit. „Hat es denn keine Opposition, keine einzige abweichende Stimme gegeben?“, fragt er in seinen Erinnerungen rhetorisch und fährt fort: „Ja. Eine. Aber die kam nicht von mir. Der Aufmüpfige vermochte nicht einzusehen, weshalb er, wenn er im November beitrat, rückwirkend Beiträge auch für September und Oktober zahlen sollte“. Vgl. Sellwood, Dynamite, S. 65.

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Fehlers Bericht leider ab. Vermutlich in Beirut oder Damaskus muss dann der Kontakt zu Graf Strachwitz erfolgt sein. Bereits in einem persönlichen Vorwort („on a personal note“) zu seinem Lebensbericht hatte Sellwood/Fehler ganz knapp einen etwas verschleiernden und resümierenden Hinweis auf seine Tätigkeit in Syrien eingeflochten: „Zwei Jahre nach meiner Entlassung aus amerikanischer und britischer Gefangenschaft war ich mit einer Armee gegen Israel engagiert und habe mir deshalb meine Finger verbrannt“.47 Inwiefern er sich die Finger verbrannte, wird in dem Vorwort nicht deutlich, denn Fehler fährt nahtlos mit der Information fort, dass er „heute ein Familienmensch“ sei, „glücklich verheiratet mit drei Kindern und sich Gedanken um deren Sicherheit im zukünftigen Deutschland“ machend. Möglich ist, dass sein militärisches Engagement auf Seiten der Syrer gegen Israel ihm den Weg in die Bundeswehr versperrt hatte, den so mancher der Syrien-Söldner nach ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik beschreiten wollten. Im Jahre 1975, also knapp 20 Jahre später, erschien Sellwood/Fehlers Buch unter dem neuen Titel „The Warring Seas“ noch einmal in einem Londoner Verlag anderen Namens. Der Text blieb völlig unverändert – bis auf die drei letzten Kapitel, die ohne Kommentar ersatzlos gestrichen wurden und damit auch Fehlers Engagement für die Syrer. Hingegen blieb die „personal note“unverändert und damit auch Fehlers flüchtiger Hinweis darauf, dass er mit „einer Armee gegen Israel engagiert“ gewesen sei. Angesichts der fehlenden Schlusskapitel muss diese Aussage die Leserschaft der Warring Seas einigermaßen ratlos zurückgelassen haben, denn im gesamten neuen Text taucht Israel oder der Nahe Osten nirgends mehr auf. Warum die letzten Kapitel weggelassen wurden, bleibt unklar. Hier ein Erklärungsversuch: Fehler hatte 1975 noch knapp 20  Lebensjahre vor sich, und es könnte durchaus sein, dass Sellwood vor der Herausgabe der Warring Seas noch einmal Kontakt mit ihm aufgenommen hatte. Eingedenk der „verbrannten Finger“, die Fehler im Zusammenhang mit seinem Kampf gegen Israel erwähnt, ist es vorstellbar, dass er sein im ersten Buch auch nur angedeutetes Syrien-Abenteuer künftigen Lesern verschweigen wollte. Die „verbrannten Finger“ aus dem persönlichen Vorwort könnten dann bei der Schlussredaktion der Warring Seas einfach übersehen worden sein. Doch kehren wir mit dem Journalisten Cropp nach Syrien zurück. Außer mit Heitmann und Fehler trat Graf Strachwitz noch in Begleitung eines Oberst Hardt auf, ein kleiner, etwa 50-jähriger, elegant gekleideter Herr, der in Damaskus den Posten eines Chefs der Luftwaffenmission übernahm. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich Graf Strachwitz nach seiner Ankunft in der syrischen Metropole einen Überblick über seine Truppe verschafft hatte, zu der auch ein paar Fallschirmjäger sowie ein Arzt gehörten, „dem es nie gelang sein Diplom nachzuweisen“. 47

Ebd., S. 9.

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Räumlich vom Panzergraf in Damaskus getrennt, hielten sich ein Hauptman Ebert, der später beim Bundesgrenzschutz unterkam, sowie ein gewisser Wenzel auf. Beide taten Dienst an der Palästinafront, wobei sich Wenzel weniger für Militärisches als für nahöstliche Archäologie interessierte. Ein Eigenleben innerhalb der deutschen Gruppe führten die Flieger, zu denen die uns bereits bekannten Stohr, Romain und Weiß gehörten. Die erste deutsche Militärmission in Syrien machte vor allem durch spektakuläre Auftritte im Damaszener Nachtleben von sich reden, etwa, wenn einige der Beteiligten direkt von der Palästinafront mit dem soeben ausgezahlten Wehrsold von damals umgerechnet 550 DM das Nachtlokal „Scherezad“ unsicher machten. Hier kam es zu Streit und Tumult mit anderen Gästen, was wiederum die „Rotkappen“, die syrische Militärpolizei, auf den Plan rief. Zu ihrer eigenen Überraschung gelang es den beteiligten deutschen Fallschirmjägern, die angerückten Rotkappen zu entwaffnen. Die Deutschen waren jedoch nicht auf unangenehme Weiterungen erpicht und begaben sich daher mit einem Taxi zum Polizei-Hauptquartier. Um aber die Dinge nicht bis an eine höhere Stelle eskalieren zu lassen, zeigten sich die Syrer ihrerseits auf der Wache an deutschen Demutsbezeugungen wenig interessiert. „Das Thermometer stand auf Versöhnung“. Und so endete die Nacht mit einer „Versöhnung von arabischer Heftigkeit“. Graf Strachwitz war von seinen Mitarbeitern nicht übermäßig begeistert. „Die Werbeaktion der Syrer war ein einziger Fehlschlag“ zitiert Journalist Cropp den Kapitänleutnant a. D. Fehler. Strachwitz teilte diese Meinung vom ersten Tag an. „Meine halbe Militärmission besteht aus Abenteurern, Hochstaplern und Landsknechten“. Es müsse schleunigst Ordnung geschaffen werden, fügte er gegenüber Fehler hinzu. Ein Kampf jeder gegen jeden – das sei die Geschichte der Militärmission unter dem Panzergrafen gewesen, urteilte Cropp nach seinen Recherchen vor Ort. Es habe damit angefangen, dass der Graf die Post seiner Untergebenen kontrollieren ließ. Dabei kam u. a. heraus, dass sich zwei seiner Flieger um eine uralte JU 52 stritten, die vor Zeiten ein Geschenk des jemenitischen Königs an Syrien gewesen war und die nun beide fliegen wollten. Romain hatte sich die Maschine bereits gesichert, worüber sich sein Konkurrent Oberst Hardt bei seinem höchsten syrischen Vorgesetzten, Husny Za‘im, beschwerte. Als nächstes ergab die Postkontrolle, dass es Streit um die Höhe des Soldes gab. Wer sich benachteiligt fühlte, „lief zu den Syrern und fing an zu jammern“. Schließlich suchte Graf Strachwitz seine Leute mit Fragebogen zu ihrem Werdegang zu disziplinieren. Doch auch der Panzergraf fand sich, so Cropps Eindruck, in den orientalischen Verhältnissen nicht ganz zurecht. Seine Aufgabe bestand eigentlich darin, den syrischen Generalstab in strategischen Fragen zu beraten. Strachwitz habe, so Cropp, mit Divisionsstärken und Truppenkontingenten gearbeitet, die an der Ostfront üblich gewesen seien, in Syrien aber nicht mal auf dem Papier existierten. Folgt man seinem ihm durchaus wohlwollenden Biografen, hielten die syrischen Offiziere Graf Strachwitz für „überheblich, weil er permanent mit seinen 68

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militärischen Erfolgen in Russland prahlte“48. Wichtiger noch als dieser Grund für das Sinken des Grafen Stern dürften jedoch seine Vorschläge für die Anschaffung neuen militärischen Gerätes für die syrische Armee gewesen sein, deren Kosten das kleine Land hoffnungslos überforderten. Ein amerikanischer Biograf Graf Strachwitz’ verweist ebenfalls auf das Kostenproblem, hebt aber für dessen Ursache als mindestens ebenso gravierend das unsägliche Maß an Korruption und Vetternwirtschaft im damaligen Syrien hervor, das wichtige und eigentlich vorhandene Mittel habe verschwinden lassen.49 Zum Jahresende 1948 fanden in Damaskus Demonstrationen gegen Staatschef al-Kuwatli statt. In diesem Zusammenhang verhaftete die syrische Militärpolizei zehn Mitglieder der deutschen Militärmission. Sie sollten des Landes verwiesen werden, und man wollte sie zum Flugplatz bei Damaskus bringen. Der Flieger Romain war des Französischen mächtig und erklärte dem Chef des Deuxième Bureau, dass zuvor einige Dinge zu klären seien, wie etwa die Auszahlung des restlichen Soldes. Einem mit Nachdruck unternommenem Versuch der Rotkappen, die Deutschen zum Flugplatz zu bringen, widersetzten sich diese gewaltsam. Aber diesmal obsiegten die Syrer, und die Deutschen landeten erst einmal im Gefängnis. Romain alias Captain Carol wurde erst nach sechs Monaten entlassen, doch statt dem Land schleunigst den Rücken zu kehren, heuerte er als Flugkapitän bei den Ende 1946 gegründeten „Syrian Arab Airlines“ an. Ein Teil der Missionsmitglieder machte sich nach der Haftentlassung auf den kurzen Landweg von Damaskus nach Beirut, von wo aus sie per Schiff nach Marseille gelangten. Bei einem Zwischenstopp in Genua sprang ein ehemaliger Fallschirmjäger von Bord und verschwand in den Fluten des Mittelmeeres. Ende März 1949 putschte Husny Za‘im erfolgreich gegen Staaatspräsident al-Kuwatli. Nach den Recherchen von Albrecht Cropp wurde die erste deutsche Militärmission unter Graf Strachwitz davon nur am Rande berührt. Die Behauptung, so Cropp, Oberst Za‘im habe sich der Hilfe deutscher Offiziere und SS-Leuten bedient, sei „aus der Luft gegriffen“. Die Deutschen seien von den Ereignissen genauso überrascht gewesen, wie jene Syrer, die nicht zum Kreis der Verschwörer zählten. Allerdings fehlte dem Journalisten wohl die zeitliche Distanz und, wie hätte es anders sein können, der Einblick in die Hintergründe des unblutigen Staatsstreiches. Immerhin scheint ihm bereits damals die Rolle des Kriegsverbrechers Walther Rauff in Syrien zu denken gegeben haben.50

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Hans-Joachim Röll, Generalleutnant der Reserve Hyacinth Graf Strachwitz von Groß-Zeuche und Camminetz, Würzburg 2011, S. 176. Vgl. Raymond Bagdonas, The Devil’s General, Philadelphia 2013, S. 314. Zu Rauff vgl. auch Martin Cüppers, Immer davongekommen. Wie sich Walther Rauff erfolgreich seinen Richtern entzog, in: Klaus-Michael Mallmann/Angrick, Andrej (Hg.), Die Gestapo nach 1945, Darmstadt 2009, S. 71–89.

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Denn der Einzige, so Cropp, der aus der neuen Situation einen Vorteil gezogen habe, sei der ehemalige Mailänder SD-Chef gewesen. „Fast unbemerkt“ sei Rauff in Syrien aufgetaucht, nachdem in Rom ein „deutscher Ring“ von Fluchthelfern aufgeflogen sei. Oberst Husny Za‘im, der angesichts der brodelnden Stimmung in seinem Lande Grund genug hatte, um seine Position besorgt zu sein, machte Rauff zu seinem persönlichen Berater in Sicherheitsfragen. „Gestapo-Routinier Rauff nahm seine neue Aufgabe ernst“, schrieb Cropp. Er habe den syrischen Staatschef „mit einer Wolke von Spitzeln und Polizisten“ umgeben. Von der syrisch-israelischen Front holte er den deutschen Oberleutnant Lipkau und machte ihn zum Chef der Leibgarde des Präsidenten. Damals kursierten offensichtlich Gerüchte, wonach die Mitglieder der Leibgarde sich aus Angehörigen der ehemaligen Leibstandarte „Adolf Hitler“ zusammengesetzt habe. Alles haltlos, so Cropp, vielmehr seien die Mitglieder aus verschiedenen Nationen rekrutiert und Lipkaus Befehl unterstellt worden. Lipkau selber habe Husny Za‘im auf seinen Dienstfahrten begleitet. Rauff hielt von Syrien aus brieflichen Kontakt („P.O. Box 95, Damascus“) mit Freiherr Otto von Wächter in Rom, dem ehemaligen Gouverneur des Distriktes Krakau, seit Januar 1942 Gouverneur des Distriktes Galizien und seit 1944 Chef der Militärverwaltung in Italien. Beide kannten sich aus ihrer gemeinsamen Dienstzeit bei der SS in Oberitalien-West. In seinen Briefen an von Wächter äußerte sich Rauff über den Nahen Osten als Fluchtziel durch und durch negativ. Nach Damaskus kämen Leute vom Typus des ‚Abenteurers und leichtlebigen Treibund Strandguts‘, Glücksritter, die den Ruf der Deutschen in der arabischen Welt schädigten. Persönlich riet er von Wächter, seine Zeit in Rom zu akzeptieren, seine „unerschütterliche Zähigkeit“ beizubehalten, jede Art von Arbeit anzunehmen und keine Zeit auf Gedanken an die Vergangenheit zu verschwenden.51 Die Frage sei erlaubt, ob Rauff mit seinen Ratschlägen nicht vielleicht auch einen potenziellen Konkurrenten von Syrien fernhalten wollte. Heute wissen wir vor allem dank freigegebener CIA-Dokumente mehr über die Rolle Rauffs in Syrien, ohne dass diese allerdings restlos geklärt wäre. Nach den Recherchen des „New York Times“-Journalisten und Geheimdienstexperten Tim Weiner hatten die Amerikaner selber an einer Möglichkeit zur Beseitigung von Staatschef al-Kuwatli gearbeitet. Weiner schreibt über Miles Copeland, einen „Arabisch sprechenden, aalglatten Burschen aus Alabama und ersten Leiter des CIA-Büros in Damaskus“, dass dieser zusammen mit Stephen J. Meade, dem amerikanischen Militärattaché in Syrien, „Anfang der fünfziger Jahre“ an einem Plan gearbeitet habe, der auf die Unterstützung einer „von der Armee gestützten Diktatur zielte“. So der Inhalt eines Telegramms, das Meade im Dezember 1948 – also zeitlich vor den fünfziger Jahren – an das Pentagon in Washington geschickt habe. Copelands und Meades Mann war Oberst Husny 51

Vgl. Philippe Sands, Ratline. Love, Lies, and Justice on the Trial of a Nazi Fugitive, London 2020, S. 170 und 187.

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Za‘im, den Copeland als einen für „seinen eisernen Willen und die dazu passende Cleverness“ bekannten Offizier beschrieb, so Weiner. Copeland ermutigte Oberst Za‘im, fährt Weiner fort, seinen Präsidenten al-Kuwatli zu stürzen, weil dieser die Verlegung einer Pipeline der Arabian-American Oil Company durch Syrien blockiert hatte. Za‘im habe von den beiden Amerikanern die Zusicherung erhalten, dass sich Präsident Truman erkenntlich zeigen werde. Nach dem Putsch vom 30. März 1949 habe Husny Za‘im rückhaltlose Kooperation bei dem PipelineProjekt zugesagt, und, wie Meade Weiner zufolge berichtete, „mehr als 400 Commies“, also Kommunisten, ins Gefängnis geworfen.52 Tim Weiner erwähnt Walther Rauff im Zusammenhang mit dem Sturz al-Kuwatlis nicht. Die CIA wusste indessen sehr wohl um diesen Zusammenhang, und die relevanten Dokumente des Dienstes belegen zugleich ein beachtliches Interesse der Amerikaner an Rauff. Wenn im Folgenden einige Informationen aus diesen Dokumenten ausgebreitet werden, muss dies nicht notwendigerweise deren faktische Richtigkeit bedeuten, denn auch Informanten können irren oder wollen desinformieren. Und auch auf der Empfängerseite von klandestin übermittelten Informationen wird nicht immer alles einhundertprozentig zutreffend niedergelegt worden sein. Im Falle Rauffs kommt hinzu, dass die Amerikaner anfangs mit dessen eindeutiger Identität haderten, da sie zeitweilig vermuteten, Rauff sei identisch mit Abdullah Rauf, einem ehemaligen Repräsentanten der Afghanischen Nationalbank in Berlin.53 Aufgrund italienischer Hinweise hielt die CIA-Residentur in Rom unter dem 2. März 1949 fest, dass Rauff im April 1945 von den Alliierten gefangen genommen worden, er dann 1947 aus einem Lager bei Rimini ausgebrochen sei und sich versteckt gehalten habe.54 Mitte November 1948 etwa sei er mit seiner Familie nach Syrien gegangen. Dabei seien seine Frau und seine Kinder zuvor aus der sowjetisch besetzten Zone – der Hinweisgeber ließ

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Vgl. Tim Weiner, CIA, Frankfurt am Main (3) 2008, S. 713f. Miles Copeland jr., Vater von Stewart Copeland, dem Schlagzeuger der Rockgruppe „The Police“, leitete Anfang der fünfziger Jahre die CIA-Mission in Kairo. Der Wirtschaftsjournalist Stuart Smith nennt ihn einen „frühen Meister angeordneten Regimewechsels im Nahen Osten“ und schreibt ihm eine nicht näher definierte Rolle beim Sturz des ägyptischen Königs Faruk im Jahre 1952 zu. Darüber hinaus, so Smith, stand Copeland im Rufe eines „angeblich gewohnheitsmäßigen Lügners“. Vgl. Stuart Smith, Otto Skorzeny, Oxford 2018, S. 288f. Zu Kontakten zwischen Stephen Meade und Husny Za‘im ausführlich I. Rabinovich, Road, S. 82ff. Möglicherweise CIA- oder aber israelischen Quellen folgend, haben Zwy Aldouby und Jerrold Ballinger den deutschen Berater des Deuxième Bureau in Damaskus fälschlich als „Gestapo Colonel Rapp“ identifiziert, wodurch ihnen der seinerzeitige Aufenthalt des Gaswagenerfinders Rauff in Syrien entgangen war. Vgl. Aldouby/Ballinger, The Shattered Silence. The Eli Cohen Affair, New York 1971, S. 275. Der in dem Lager bei Rimini ebenfalls internierte ehemalige Gauleiter von Südhannover-Braunschweig, Hartmann Lauterbacher, behauptet in seinen Memoiren, er sei bei der Flucht Rauffs, die die Italiener ermöglicht hätten, an Ort und Stelle gewesen. Vgl. Hartmann Lauterbacher, Erlebt und mitgestaltet, Preußisch Oldendorf 1984, S. 332.

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offen, ob die deutsche oder österreichische Zone gemeint war – nach Italien geschmuggelt worden, heißt es in dem Dokument. Die italienische Polizei behaupte ferner, dass das Schmuggeln der Familie aus der Zone mit stillschweigender Duldung der Amerikaner erfolgt sei.55 Offensichtlich gelang es der CIA in Syrien, Kontakt zu dem Leiter der ersten deutschen Militärmission, Graf Strachwitz, aufzunehmen, wobei unklar ist, ob der Graf die wahre Identität der ihn kontaktierenden Person erkannte. Unter dem 11. Mai 1949, also knapp eineinhalb Monate nach dem Staatsstreich Husny Za‘ims, berichtete eine Quelle dem CIA aus Syrien, von einem Gespräch mit Strachwitz. Darin habe dieser die „bis dahin rätselhafte Situation hinsichtlich der von der syrischen Regierung beschäftigten Deutschen geklärt“. Es hätten sich zu keiner Zeit mehr als 47 Deutsche in dem Land aufgehalten und gegenwärtig seien es nur etwa 30. Das CIA-Dokument mit den Informationen über das Strachwitz-Gespräch nannte als einzigen von dem Grafen bei dieser Gelegenheit erwähnten Namen jenen von „Walther Rauff, beschäftigt beim Deuxième Bureau“, es folgen die Dienstgrade Rauffs im „Dritten Reich“. Laut Graf Strachwitz versuche Rauff, das syrische Deuxième Bureau nach Gestapo-Richtlinien zu reorganisieren.56 In einem weiteren CIA-Dokument ging es um die Frage, ob und in welchem Maße syrische Ordnungskräfte mit den USA zusammenzuarbeiten bereit seien. Ein Informant teilte hierzu mit, dass die Polizei Syriens „nicht ausdrücklich unfreundlich“ gegenüber den Vereinigten Staaten eingestellt sei, doch habe die amerikanische „Position in der Palästina-Frage sie kaum in eine kooperative Stimmung versetzt“. Darüber hinaus seien „bestimmte Polizeioffiziere entschlossen gegen eine Zusammenarbeit mit Amerikanern und sabotierten Versuche von Freunden, uns zu helfen“. In Klammern folgte die Ergänzung: „Wir haben soeben erfahren, dass Oberst Rauff, weiterer Name unbekannt, der deutsche Berater des Deuxième Bureau der syrischen Armee, unsere Versuche, mit dem Deuxième Bureau zu kooperieren, sabotiert“57. Vom 15. Juli 1949 datiert ein Bericht der CIA, dessen Quelle wahrscheinlich Rauffs gelegentlicher Begleiter in Italien, ein gewisser Otto Gruber, war. Rauff, so der knappe Inhalt des Berichtes, sei „früher für GIS, jetzt für den BIS tätig“58. Im letzten Winter sei er in Mailand gewesen, wo er im Hotel Gallia auf seinem Weg nach Syrien unter falschem Namen logiert habe. Das

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CIA (FOIA), Rauff, Walter_0042.pdf. Ein weiteres CIA-Dokument stellte fest, dass Rauff am 10. Dezember 1948 noch einmal in Rom aufgetaucht sei; Zweck und Ergebnis dieser Reise, an deren Ende er wieder nach Syrien zurückkehrte, seien jedoch unbekannt. Vgl. ebd., _0058.pdf. Ebd., _0047.pdf. Ebd., _0048.pdf. Ebd., _0049.pdf. GIS und BIS stehen vermutlich für German bzw. British Intelligence Service. Auch dem Bearbeiter des Berichtes bei der CIA war offensichtlich das Kürzel BIS nicht geläufig, er kreiste es handschriftlich ein und versah es mit einem Fragezeichen.

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unmittelbare Ergebnis seiner Arbeit sei die Revolution gewesen, welche die syrische Regierung gestürzt habe. Wesentlich später, im Januar 1954, gelang es der CIA in Kairo, einen ehemaligen deutschen Abwehroffizier zur Strachwitz-Periode in Syrien zu befragen. Hinsichtlich Walther Rauffs bestätigte diese Quelle jene Information, wonach Rauff im Auftrage Husny Za‘ims den syrischen Geheimdienst habe reorganisieren sollen. Rauff habe eine aktive Rolle beim Putsch von Za‘im gespielt. Erfolgreich sei der Deutsche auch bei der Beschaffung von militärischer Ausrüstung für die syrische Armee gewesen. Nachtferngläser und Infanterie-Sichtgräte habe er von der deutschen Firma für Militäroptik, Hensoldt, bezogen.59 Doch weder Rauff noch sein Gönner und Chef Husny Za‘im konnten sich ihres Putscherfolges vom März 1949 lange erfreuen. Nicht einmal ein halbes Jahr später war das Regime Geschichte. Am 13. August jenes Jahres rückten nachts sechs schwere Panzerspähwagen von der Stadt Qatana her auf das nur rund 40 km entfernte Damaskus vor. Ihr Ziel: das Hauptquartier der Armee. Dabei passierten sie in der syrischen Hauptstadt auch das Domizil Walther Rauffs, der fest schlief und nichts mitbekam. Husny Za‘ims Haus lag im Diplomatenviertel, und so versuchte er vergeblich, seinen bewaffneten Häschern zu entkommen und über einen Hinterausgang zur amerikanischen Botschaft zu gelangen. Der zweite syrische Staatsstreich im Jahre 1949 brachte nun Sami al-Hinnawi an die Macht. Mit dem Ende Husny Za‘ims ging alsbald auch die Strachwitz-Mission zu Ende. Bereits vor dem zweiten Putsch war der Graf mit seiner Frau im Juli in Richtung Beirut abgereist. Nur ein halbes Jahr hatte ihr syrisches Abenteuer gedauert. Nun besaßen sie argentinische Visa, die sie jedoch nicht mehr nutzten. In der libanesischen Hauptstadt bestiegen sie ein Schiff, das sie zunächst nach Italien brachte. Hier, in der Nähe von Livorno, versuchten sie sich eine Weile im Weinbau, kehrten dann aber nach Deutschland zurück, um sich in Oberbayern niederzulassen.60 Für Walther Rauff bedeutete das Ende von Husny Za‘im auch das Ende seiner Syrien-Arbeit. Es scheint indes, als habe zwischen ihm und Za‘im seit dessen erfolgreichem Staatsstreich vom März 1949 nicht ausschließlich Harmonie geherrscht. Rückblickend kam die CIA im Dezember 1949 zu dem Ergebnis, dass Za‘im bald begonnen habe, an der Loyalität Rauffs zu zweifeln. Der Grund dafür sei sein Verdacht gewesen, Rauff pflege Kontakt zu syrischen Kommunisten, sein Verbindungsmann dabei sei der Deutsche Lipkau.61 Noch am Tag von al-Hinnawis Putsch 59 60

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Vgl. Chen, Nazi Officers, S. 736. Die FWHD-Berichte meldeten eine Inhaftierung der Familie von Strachwitz im Oktober 1949 in Innsbruck wegen illegaler Grenzüberquerung. Ein französisches Militärgericht – Tirol gehörte damals zur französischen Besatzungszone Österreichs – verurteilte sie zu einigen Wochen Haft. Vgl. Chen, Nazi Officers, S. 736. CIA (FOIA), Rauff, Walter _0067.pdf.

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wurde Rauff zusammen mit anderen Mitgliedern des Deuxième Bureau verhaftet. Der Vorwurf lautete auf Terrorismus. Das Ansinnen, ein Verfahren gegen Rauff zu eröffnen, so ein Bericht der CIA, sei noch dadurch gestärkt worden, dass Husny Za‘im, ihm, dem Ausländer, mehr vertraut habe als syrischen Offizieren, was Rauff bei der Armee sehr unpopulär gemacht habe.62 Rauff kam in jenes Gefängnis, aus dem gerade zwei Deutsche nach neun Monaten Haft entlassen worden waren. Bereits nach wenigen Tagen wurde er jedoch mit der Begründung auf freien Fuß gesetzt, gegen ihn läge nichts vor, allerdings müsse er das Land umgehend verlassen. Man zahlte ihm den noch ausstehenden Lohn aus und versah ihn mit einem Laissez-passer sowie zwei Flugtickets für sich und seine Frau für die Strecke Damaskus-München. Tatsächlich jedoch verließen die Rauffs Syrien via Beirut, von wo aus ihre Reise über Italien nach Ecuador ging. Anfang März 1950 vertrat Otto Gruber gegenüber einer CIA-Kontaktperson die Auffassung, dass Rauff gerne in den Nahen Osten zurückgehen würde, „wahrscheinlich Ägypten, gleichgültig, ob die Amerikaner ihn beschäftigen würden oder nicht, da er sowohl gute Kontakte zum ‚Präsidenten‘ der Arabischen Liga als auch zum ägyptischen König“ habe. Gruber, heißt es in einer Aufzeichnung des CIA weiter, sei „extrem interessiert daran, für sich und Rauff Beschäftigung im amerikanischen Geheimdienst zu finden“. Am effektivsten könnten sie in Kairo operieren, da Rauff Arabisch sowie einige europäische Sprachen beherrsche, während Gruber selber die meisten slawischen Sprachen spreche.63 In Ecuador ließ sich Rauff 1958 vom BND anwerben. Zur Erfüllung seines Auftrages für den Dienst griff er auch auf „alte Kameraden“ zurück, wie den SS-Obersturmführer Willi Lehmann, den er bereits aus seiner Zeit in Syrien gekannt haben soll.64 Möglicherweise handelte es sich dabei um jenen Lehmann, der, wie geschildert, an der Palästinafront einen Totenkopfverband aufgestellt hatte. Bizarr mutet die Vorstellung an, Rauff, der Verantwortliche für den Tod von mehreren Zigtausend Juden, könnte nach 1945 den Israelis zu Diensten gewesen sein. Immerhin war die CIA in den Besitz von Äußerungen „deutscher Landsleute und sogar Ex-Nazis und SS-Elementen“ gelangt, die ein solches Engagement nicht völlig undenkbar erscheinen lassen. Danach sei Rauff ein „kalter Egoist gewesen, der zeitweilig seine eigenen Ideale beiseite gelegt hat und der zu allem fähig“ sei, wenn es um seinen persönlichen Vorteil ging.65 Einen Hinweis auf eine Verbindung zu den Israelis liefert der Bericht eines israelischen Geheimdienstmitarbeiters

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Ebd., _0051.pdf. Ebd., _0070.pdf, Bericht vom 6. März 1950. Vgl. Bundesnachrichtendienst (Hg.), Mitteilungen der Forschungs- und Arbeitsgruppe „Geschichte des BND“, Hauptherausgeber: Bodo Hechelhammer, Nr. 2, Berlin, 23. September 2011, S. 6. CIA (FOIA), Rauff, Walter _0083.pdf, Bericht vom 1. Oktober 1950.

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namens Edmond Cross alias Crowder alias David Magen vom 17.  Januar 1950. Dieser teilte einem CIA-Kontaktmann mit, er habe keinerlei Möglichkeit mehr, „Rauff zu nutzen“, da sich dieser nach Südamerika abgesetzt habe, „frei von jeglicher Bindung an den israelischen Dienst“. Rauff habe „viele interessante Dokumente in Rom zurückgelassen, von denen er versprochen hat, sie beim nächsten Kontakt vorzulegen“66. Vom 24.  März 1950 datiert eine Aufzeichnung der CIA, die Bezug nimmt auf ein mögliches Engagement Rauffs in Ägypten – und zwar in Diensten Tel Avivs. Da inzwischen der Versuch, den „bekannten ehemaligen SSOberst Walther Rauff nach Ägypten zu entsenden“, gescheitert sei, habe der israelische Dienst einen anderen ehemaligen Nationalsozialisten namens Janos Walberg engagiert, hieß es in der Aufzeichnung, „dessen Ansichten und Vergangenheit in Ägypten keinerlei Verdacht darüber aufkommen lassen werde, dass er ein jüdischer Agent ist“67. Die Vorstellung einer geheimen Kooperation Rauffs mit den Israelis erscheint insofern besonders bemerkenswert, als Rauff, der zeitweilig enge und persönliche Vertraute Husny Za‘ims, auch Zeuge eines von dem Syrer ausgehenden Annäherungsversuches gegenüber dem jüdischen Staat gewesen sein könnte. Nach Alain Gresh bot Za‘im „in aller Form einen Botschafteraustausch an. Als Gegenleistung forderte er Zugeständnisse in Gebiets- und Wasserfragen, erklärte sich aber auch bereit, 300 000 palästinensische Flüchtlinge aufzunehmen“. Ben-Gurion habe diese Vorschläge ebenso abgelehnt wie ein Treffen mit dem syrischen Machthaber.68 Wie andere deutsche Syrien-Fahrer auch, hat Walther Rauff  – soweit ersichtlich  – so gut wie nichts Schriftliches aus eigener Feder über sein Damaszener Intermezzo hinterlassen. Nur im Vienna Wiesenthal Institute finden sich ein paar Briefe Rauffs aus seiner Zeit in Chile, in denen Splitter von Reflexionen und Erinnerungen an diese Zeit auftauchen. Zugleich geben die z. T. recht ausführlichen, einzeilig getippten Schreiben einen Einblick in das Innenleben dieses Kriegsverbrechers während seiner späten Exilphase – er starb 1984 in Chile. Insbesondere zu dem amerikanischen Fotografen und Inhaber der Münchner „Hometown Feature Agency“ Ernest Zaugg hielt er „München hauptpostlagernd“ Kontakt.69 66

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Ebd., _0065.pdf. Zu Verbindungen Rauffs zu den Israelis vgl. auch Heinz Schneppen, Walther Rauff, Berlin 2011, S. 106ff. sowie Tom Segev, Simon Wiesenthal. Die Biographie, München 2010, S. 407. CIA (FOIA), Rauff, Walter _0073.pdf. Stefan Klemp hat auf dieses Dokument in Verbindung mit einem Artikel in der israelischen Zeitung „Haaretz“ bereits aufmerksam gemacht. Vgl. Stefan Klemp, KZ-Arzt Aribert Heim, Münster 2010, S.  132. Der Historiker Klemp arbeitete jahrelang mit dem Nachfolger des verstorbenen „Nazijägers“ Simon Wiesenthal, Efraim Zuroff, zusammen. Alain Gresh, Israel-Palästina, S.  103. Eine flüchtige Erwähnung des syrischen Kontaktversuches gegenüber Israel findet sich auch bei Klemp, KZ-Arzt, S. 132. Zaugg hatte ein „lukratives Geschäft“ mit Fotos von dem Offenburger Exstudienrat, Antisemiten und Justizflüchtling Ludwig Pancraz Zind gemacht, der zeitweilig in Kairo Unterschlupf gefunden hatte und auf den noch zurückzukommen sein wird. Vgl. Der Spiegel Nr. 32 vom 2. August 1960, „Ernest Zaugg“.

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Ein längerer Abschnitt aus einem Schreiben Rauffs an Zaugg vom 8. Mai 1980 aus Santiago de Chile enthält kurze Gedanken Rauffs über große Gestalten der Geschichte sowie über den Islam und die Muslime. „Ein Schriftsteller-Kollege“ (von Zaugg, A. H.), heißt es etwa in der Mitte des Briefes, „befragte mich in einem Interview einmal, welche Männer ich für die grössten Deutschen halte. Meine Antwort liess nicht auf sich warten: 1.) Martin Luther: ein Mann, der allein gegen eine gewaltige, weltumspannende Romkirche aufstand, 2.) Friedrich der Grosse […] und 3.) Bismarck, der nach meinem Urteil der einzig wirkliche deutsche Diplomat war, den wir hatten, sodass weitere Kommentare überflüssig sind. Ich bin überzeugt, dass Ihr Kollege nun auch noch von mir erwartete, dass ich auch noch Hitler erwähnte, aber da hat er sich geirrt und es schweigt des Sängers Höflichkeit!! [sic] Um aber bei der Religion zu bleiben: Es gab ein SS-Lied, das besagte ‚Wir brauchen zum Himmel den Mittler nicht!‘ Was wir Berliner Kodderschnauzen sofort umgedichtet haben ‚Wir brauchen zum Himmler den Hitler nicht!‘“

In dem Schreiben folgen dann ein paar Bemerkungen Rauffs über sein Verhältnis zur Religion und einer „göttlichen Allmacht“, an die er glaube, gleichgültig, ob die „Allmacht sich nun Gott oder Allah nennt“. Er habe „viel in arabischen Ländern gelebt“ schrieb er weiter, nachdem er sich noch kurz über „Pfaffen oder Pfarrer“ lustig gemacht hatte, um dann fortzufahren: „und mit großem Interesse die muselmanische Religion studiert und bin zu der Überzeugung gekommen, dass Mohammed genau das Richtige gemacht hat, was für diese Wüsten- und Nomadenvölker das Richtige war. Nur einige kleine Beispiele: 1.) Die Araber sind Schweine und waschen sich nicht, darum mussten sie sich, bevor sie in die Moschee eintraten, die Füsse waschen! 2.) Da sie Nomadenvölker waren und für ihre Herden immer weiter ziehen mussten, gab es keine Friedhöfe: wenn einer ins Gras biss, wurde er im Sand verscharrt und es blieb keine Spur von dem Grab“.

Rauff lieferte dann noch ein weiteres, sehr lebensnahes Beispiel, dessen Schilderung hier aber zu weit führen würde. Alle diese Beispiele brächten ihn natürlich nicht dazu, dass er „Mohammedaner“ werde. Er halte den Propheten Mohammed „jedoch für einen grossen Mann, der genau wusste, was für seine Gläubigen nötig war“70.

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VWI-SWA, I. 1., Akte Walter Rauff (2). Im weiteren Verlauf seines Schreibens berichtete Rauff noch über seinen Kontakt mit dem damaligen „Stern“-Reporter Gerd Heidemann („Hitler-Tagebücher“). Er habe mit Heidemann gesprochen, sie hätten sich „sehr gut verstanden“, er habe ihm „eine

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Militärs, Manager und Mediziner

In einem weiteren Brief an Zaugg, dessen Datum zwar nicht leserlich, jedoch anhand des erhalten gebliebenen Luftpostbriefumschlages recht genau auf den 20.  Juli 1980 festgelegt werden kann, erwähnte Rauff kurz eine Person aus seiner Damaszener Zeit. Es handelte sich dabei um den ehemaligen stellvertretenden Kommandanten des Vernichtungslagers Sobibor, Gustav Wagner, mit dem er, Rauff, in „Damaskus/Syrien“ gewesen sei. Er halte Wagner für einen „grundanständigen Mann“, und dass Wagner sich für seinen kommenden Prozess in der Bundesrepublik – nach seiner vorgesehenen Auslieferung aus Brasilien – einen „jüdischen Anwalt geschnappt“ habe, sei eine „Panne, die jedem passieren“ könne.71 Von Simon Wiesenthal stammt eine interessante Beobachtung zum möglichen Verhältnis ehemaliger Mitglieder des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) zu anderen früheren SSMännern, die im Nahen Osten Zuflucht gefunden hatten. Sie findet sich in einem Schreiben Wiesenthals an den Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, Nahum Goldmann – man beachte die schlichte Adresse: „Herrn Dr. Nahum Goldmann, New York“ – vom 30. März 1954, das sich unter den freigegebenen Dokumenten der CIA findet. Der vierseitige Brief beschäftigt sich mit Wiesenthals jahrelanger Suche nach Adolf Eichmann. Zur Frage, ob Eichmann sich damals in Ägypten aufhalte, erklärte Wiesenthal hier, dass dies seiner Meinung nach nicht der Fall sein könne. „Vor allem deswegen“ erläuterte er Goldmann, „da die SS-Gruppe, die in Ägypten tätig war oder ist, seit jeher feindlich dem RSHA gesinnt war und Gestapoleute aus Ägypten und Syrien im Laufe der Jahre wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind, da sie von den anderen Leuten herausgeekelt wurden“72. Wenden wir uns noch einmal der deutschen Militärmission in Syrien zu. Folgt man der Periodisierung des Journalisten Cropp, lässt sich der Beginn einer zweiten Mission mit der Übernahme ihrer Führung durch Oberst a. D. Franz Röstel bestimmen, der laut Cropp ein ehemaliger Führer eines SS-Sturmgeschützregimentes war.73 Möglicherweise verbirgt sich hinter diesem Namen Erwin Franz Röstel, SS-Obersturmbannführer, Kampfgruppenführer und Kommandeur des SS-Panzer-Regimentes 10 (Frundsberg). Röstel traf in ebenjener Nacht Mitte August 1949 in Damaskus ein, als Husny Za‘im und mit ihm Walther Rauff hinweggeputscht wurden. Einige Wochen später konfrontierte ihn der neue syrische Generalstabschef Banout mit dem Angebot, eine neue deutsche Beratergruppe aufzubauen. Allerdings, so Banout, müsse diese aus wirklichen Experten bestehen und nicht aus Rabauken und Abenteurern

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Glückwunschkarte zum Neuen Jahr geschickt“ und den Anfang seiner Memoiren gelesen und diesen „recht gut“ befunden. Leider habe er seit längerem nichts mehr von Heidemann gehört. Ebd. Wagner entzog sich dem Verfahren durch Selbstmord in Sao Paulo am 15. Oktober 1980. CIA (FOIA), Eichmann, Adolf, Vol 4_0034.pdf. Ein israelisches Geheimdienstkommando nahm Eichmann im Mai 1960 in Buenos Aires gefangen und brachte ihn nach Israel, wo er nach einem Gerichtsverfahren am 1. Juni 1962 gehenkt wurde. Cropp, „Die Deutschen“, in: Revue Nr. 12/1953, S. 20.

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wie die erste. Röstel versuchte dem Syrer zu erklären, dass die meisten Männer der ersten Mission nur aus dem italienischen Internierungslager Fraschette hatten entkommen wollen und den syrischen Werbern alles Mögliche über ihre Fähigkeiten erzählt hätten. Außerdem, ergänzte Röstel, bekäme man qualifizierte Leute nur mit besserer Bezahlung. Dies leuchtete Banout wohl ein, er verwies aber auf die verbreitete Armut in Syrien. Immerhin wolle er sich aber um das Problem kümmern. Schließlich stellte Röstel noch die Bedingung, dass ein gewisser Holm wieder tätig werden dürfe – ein Mann, den Cropp in seiner Serie bis dahin nicht erwähnt hatte. Holm, der sich inzwischen Haddad nannte, hieß angeblich mit richtigem Namen Martin, war Franzose, hatte in der Wehrmacht als Fallschirmjäger gedient und war als einer von wenigen Ausländern mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet worden. Als Vichy-Mann war er nach dem Krieg in Frankreich zum Tode verurteilt worden und wurde nun von den Franzosen gesucht. Nur mit dem Versprechen, dass Röstel mit seinem Kopf für Holm hafte, ließ sich Banout schließlich überzeugen, Holm wieder aufzunehmen. Cropp zufolge erwies sich Holm als der starke Mann hinter den Kulissen der zweiten deutschen Militärmission, weit mehr als nur ein Dolmetscher für Röstel in dem auch französisch geprägten Land. Nur in seiner Begleitung inspizierte Röstel die Palästinafront, an der sich Israelis und Araber belauerten und reiste mit ihm an die irakische und jordanische Grenze. Holm machte sich auch an die Ausarbeitung von Plänen für den Neuaufbau des syrischen Heeres. Das Bemerkenswerte an ihnen war, so Cropp, dass ihre Durchführung stark von französischer Hilfe abhing, vor allem hinsichtlich der künftigen Bewaffnung. Zwar zeichnete Röstel die Ausarbeitungen ab, doch den maßgeblichen Einfluss habe Holm gehabt. Kurz vor Weihnachten 1949, am 19. Dezember, erlebte Syrien den dritten Staatsstreich innerhalb eines Jahres. Es war der Coup d’état des Obersten Adib Chichakly. Nach dem Vorbild seiner Vorgänger ließ er das Haus al-Hinnawis umzingeln. Dann wurde al-Hinnawi festgenommen, kurze Zeit ins Gefängnis gesteckt und dann des Landes verwiesen. Schon lange galt Chichakly als der starke Mann im Hintergrund der syrischen Politik. Er hatte, wie eingangs erwähnt, hinter Husny Za‘ims Machtübernahme gestanden, er betrieb nach wenigen Monaten dessen Sturz, brachte Oberst al-Hinnawi an die Macht und sorgte dann für dessen Entmachtung. Oberst Chichakly sorgte, wie Journalist Cropp es formulierte, für frischen Wind im syrischen Hauptquartier und ließ den deutschen Beratern mehr Bewegungsfreiheit. Röstel nutzte dies und flog in die Schweiz, um für die personelle Ergänzung seiner deutschen Mission zu sorgen. Wenig später folgte ihm Holm. In Zürich lernte Röstel den in Graz geborenen Oberstleutnant Hartmann Grasser kennen. Während des Krieges war Grasser zunächst Gruppenkommandeur in einem Jagdgeschwader und später Generalstabsoffizier gewesen. Als Träger des Eichenlaubs zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes werden ihm 103 Abschüsse zugeschrieben. Röstel bot ihm die Leitung der Luftwaffenmission in Syrien an, und Grasser akzeptierte. 78

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Für Röstel waren Grasser und Holm ein guter Griff in doppelter Hinsicht: Grasser war mit dem Chef der politischen Polizei der Schweiz befreundet, so dass sich die künftige Zentrale der Werbeaktionen für Syrien mit der Schweiz am denkbar besten Ort befand. Holm wiederum gelang es Cropp zufolge, mit „unglaublicher Geschicklichkeit“ für die syrische Regierung einen speziellen Geheimdienst aufzuziehen, der von Zürich aus operierte. Hauptsächlich widmete er sich der Anwerbung deutscher Experten für Syrien. Im Sommer 1950 versammelte sich in Damaskus endlich die neue deutsche Militärmission. Sie bestand aus 37 Offizieren und Fachleuten. Zwölf Offiziere wurden den verschiedenen Waffengattungen der syrischen Landstreitkräfte zugeteilt. Der Posten des Missionschefs der Luftwaffe war gleich dreimal vergeben worden, so dass auch die neue Mission ihre Arbeit mit Intrigen beginnen konnte. Die Schwierigkeiten setzten in dem Augenblick ein, als aus Europa weitere Experten eintrafen. Bis zu diesem Moment hatten die Versammelten nicht gewusst, dass es einen Röstel gab, der ihnen vorgesetzt sein sollte. Sie hatten einen Vertrag mit der syrischen Regierung in der Tasche – das war alles. Gerüchte begannen die Runde zu machen, als der Name Röstel fiel. Sicher schien nur, dass der große Unbekannte aus irgendwelchen Gründen deutschen Boden nicht betreten durfte. Er selber behauptete, Generalstabsoffizier im Stabe von General Heinz Guderian gewesen zu sein, was aber nicht den Tatsachen entsprach. Wenn die zweite deutsche Militärmission nicht wie die erste im Zwielicht zweifelhafter Karrieren ihrer Mitglieder untergehen wollte, schien eine Klärung der Vergangenheit Röstels unumgänglich. Doch diese erübrigte sich bald. Als Mann mit militärischem Sachverstand, gepaart mit Durchsetzungsvermögen, trat mehr und mehr ein Oberst Rainer Kriebel in den Vordergrund.74 Der 1908 geborene Kriebel war der Sohn des Freikorpsführers und Chefs der ehemaligen deutschen Militärmission bei Chiang Kai-schek in China, Hermann Kriebel. Im Zweiten Weltkrieg hatte Kriebel jr. den Afrika-Feldzug mitgemacht und später im Krieg gegen die Sowjetunion gedient. Im Herbst 1944 war er zur Waffen-SS gekommen. Nach dem Urteil von Cropp, das auf seine persönliche Bekanntschaft mit Kriebel während seines Syrien-Aufenthaltes gründete, besaß dieser „eine ausgezeichnete Personalkenntnis“. Kriebel erarbeitete einen Verteidigungsplan für die syrische Armee – Cropp: „eine erstklasssige Generalstabsarbeit“ – den Röstel mit seinem Namen abzeichnete. Die Syrer wollten, dass die Autoren des Planes ihre Arbeit selber vorstellten. Dabei zeigte sich, dass fast nur Kriebel zu Wort kam, Röstel hingegen kaum. Nicht genug damit, verblasste Röstels Ansehen weiter, als sich Generalstabschef Banout 74

Bereits am 6. November 1948 soll Kriebel zusammen mit drei anderen deutschen Militärs – „ebenfalls eine Auswanderergruppe“  – bei Kufstein, aber noch auf bayerischem Boden, festgenommen worden sein. Vgl. die Aussage des bereits erwähnten und in Innsbruck verhafteten Fluchthelfers Heinz Bertholdt gegenüber der österreichischen Gendarmerie: VWI-SWA, I. 1., Mappe Syrien, Aufzeichnung vom 20. Dezember 1960.

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Mitte Oktober 1950 in erster Linie bei Kriebel und nicht bei Röstel für einige Fachvorträge im Rahmen eines Taktiklehrganges bedankte, die bei den syrischen Offizieren offenbar sehr gut angekommen waren. Cropp: „Für feine Ohren war dies ein Alarmzeichen“. Bereits am nächsten Tag eröffnete Banout Kriebel die Absicht der Regierung, sich von Röstel trennen zu wollen. Als Grund nannte Banout zunächst eine angebliche Zusammenarbeit Röstels mit ausländischen Geheimdiensten, ein Vorwurf, den Kriebel umgehend als unbegründet zurückwies. Dann äußerte Banout eine allgemeine Unzufriedenheit mit Röstels Arbeit und schloss daran die Frage an, ob er, Kriebel, einen letzten Versuch, die deutsche Mission zu retten, übernehmen wolle. Der lehnte zunächst dankend ab, um dann nach weiterem Insistieren Banouts mit dem Zusatz „versuchsweise“ klein beizugeben. Wenig später unternahm Banout mit Röstel eine gemeinsame Inspektionsreise in den Norden des Landes, an deren Ende Röstel sein und das Hab und Gut einiger seiner Untergebenen von der Polizei durchsucht vorfand. Er, seine engsten Mitarbeiter und einige verbliebene Veteranen der Strachwitz-Mission, mussten das Land verlassen. Ein letztes Mal wurden deutsche Fachleute für Syrien angeworben, um die Reihen der angeschlagenen Mission zu schließen. Sie stand nun unter Leitung von Oberst Kriebel. Zu jener Zeit fühlte sich Syrien nicht nur von Israel bedroht, sondern stand zusätzlich in Grenzkonflikten mit dem Irak und Jordanien sowie im Norden mit der Türkei wegen des Euphrat-Wassers. Eine der ersten Aufgaben Kriebels bestand darin, ein Verteidigungskonzept nicht gegen Israel, sondern gegen Jordanien auszuarbeiten.75 Albrecht Cropp hat im letzten Teil seiner Illustriertenserie Mitglieder der letzten Militärmission mit ihren Nachnamen und ihrer Funktion in Syrien aufgeführt. Hier sollen die Namen genannt werden, um weitergehende Forschungen zu erleichtern. Abgesehen vom Missionschef Oberst Kriebel gab es folgende Verantwortlichkeiten (in der Begrifflichkeit jener Tage): „Gartmayr76: Berater für Mobilisationsfragen und Organisation, Tzschaschel77: Leiter taktischer Offizierslehrgänge, von Vogel: Chefberater an der Kriegsschule, Valleser: Chefberater an der Infanterieschule, Sauvant: Berater der Panzerschule, Nimz und Schürenberg: Mineralogen, Dipl.-Ing. Messerer: Heeresbauberater, Heigl78: Chefberater der Sportschule Qatana bei Damaskus, Ing. Schreiber: Rüstungsberater, Kräftner

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Vgl. Chen, Nazi Officers, S. 738. Sein Vorname war wahrscheinlich Georg. Joachim Tzschaschel diente später dem Bundesnachrichtendienst im Range eines Generals. Für Einzelheiten zu Heinz Heigl vgl. die übernächste Seite.

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Militärs, Manager und Mediziner und Stowasser79: Dolmetscher, von Bezold: Meteorologe, Greilinger: Berater an der Sportschule Qatana, Fitzner: Büro-Offizier, von Paulgerg: technischer Zeichner, Eder: Grubeningenieur“.

Abb. 6: Mitglieder der deutschen Militärmission in Syrien. Von links: Sauvant, Gartmayr, Pfitzner, Reisch, Kriebel, Ott und Stowasser Außerhalb der Mission waren noch die drei Fluglehrer Weiß, Bremer und Möhr in Syrien tätig. „Der Spiegel“ meldete in einem Artikel seiner Ausgabe vom 1. Juni 1960, in dem es vor allem um die soeben erfolgte Entführung Adolf Eichmanns aus Argentinien ging, dass der „ehemalige deutsche Jagdbomber-Offizier Hans Möhr“ wenige Monate zuvor in einer Maschine der syrischen Luftfahrtgesellschaft gesessen habe, die von „israelischen Jägern zum Landen“ gezwungen worden sei. Grund für diese Maßnahme, über deren weitere Konsequenzen nichts

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Karl Stowasser hatte Arabisch studiert, gab später ein Wörterbuch des syrischen Arabisch heraus, übersetzte Bücher aus dem Arabischen und lehrte später in den Vereinigten Staaten, wo er 1997 verstarb.

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berichtet wurde: Möhr habe während des israelisch-arabischen Krieges von 1948/49 Israels „junge Luftwaffe dezimiert“.80 Im Falle Heinz Heigls ist es über dessen Nachlass ausnahmsweise möglich, einige Details sowie ein wenig Atmosphärisches über die Zeit eines der deutschen Missionsmitglieder in Syrien in Erfahrung zu bringen. Da Heigl, der sich nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik im Jahre 1957 einen Namen als Konditionstrainer mit einer besonderen Methode – dem „Heigln“ – machte, relativ lange in Syrien weilte, sollen ihm und seinen orientalischen Jahren hier ein wenig Raum gegeben werden.81 Peter Heinrich (Heinz) Heigl wurde 1901 in ärmlichen Verhältnissen im Böhmerwald geboren. Nach dem Abitur im oberpfälzischen Amberg sah er seine einzige Chance für einen gesellschaftlichen Aufstieg auf dem weiten Feld des mit dem Militär verbundenen Sports. Nach einer Offiziersausbildung kam er an die Heeressportschule Wünsdorf in Brandenburg. Hier befand sich übrigens seit 1914 die erste Moschee auf deutschem Boden – ein Fingerzeig auf den weiteren Lebensweg Heigls? In Wünsdorf machte Heigl Karriere als Ausbildungsleiter und Trainer für die deutsche Olympia-Mannschaft im Modernen Fünfkampf. Bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin holte Hauptmann Gotthard Handrick als Mitglied der von Heinz Heigl trainierten Fünfkampfmannschaft eine Goldmedaille. Nach einer mit „Stationen seines Lebens“ überschriebenen Aufzeichnung über Heigls Werdegang, die vermutlich von Heigls dritter Ehefrau Irmhild stammt, diente Heigl während des Krieges u. a. als Oberquartiermeister in der Afrika-Armee Rommels. Später folgte seine Versetzung nach Ostpreußen als Kommandeur eines Fallschirmjägerregimentes. Hier geriet er 1945 in sowjetische Gefangenschaft. Im Lager Morschansk bei Tambow lernte Heigl von dort ebenfalls internierten Japanern die Grundzüge jenes Konditionstrainings, das dann nach ihm benannt wurde. Die Aufzeichnung berichtet von Heigls Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft im Jahre 1950, um dann hervorzuheben, dass er in jenem Jahr den Dienst in der neu zu schaffenden Bundeswehr zugunsten der Übernahme „diplomatischer Aufgaben“ in Damaskus und Beirut abgelehnt habe.82 Vom Februar 1996 datiert eine weitere Aufzeichnung, die nun Irmhild Heigls 80 81

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Der Spiegel Nr. 23 vom 1. Juni 1960, „Der Endlöser“. Niedersächsisches Institut für Sportgeschichte e. V. (NISH), Hannover., Nachlass Heinz Heigl. Zu den begeisterten Anhängern des Heiglns gehörten bis in ihr hohes Alter u. a. der Bankier Eric M. Warburg und der Diplomat Werner Otto von Hentig. Auch der ehemalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß zählte zu den Anhängern Heigls. Vgl. ebd., Mappen I und III. Nach seinem Tod im Jahre 1987 erhielten er posthum und seine Witwe das Bundesverdienstkreuz am Bande. Vgl. ebd., Mappe III. Ebd., Mappe I. Ob Heigl jedoch bereits 1950 der Bundeswehr einen Korb hat geben können, bleibt fraglich, denn zu dieser Zeit befand diese sich in Gestalt des „Amtes Blank“ allenfalls in statu nascendi.

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Namen und die Überschrift „Heinz Heigls Gedanken zum Militär und zur N.S.D.A.P.“ trägt. Seine Haltung zum Militärischen wird darin nach seinen eigenen Worten kurz und bündig so bestimmt: „Militär ja, aber nur zur Verteidigung“. Irmhild Heigl gibt dann einen angeblichen, knappen Dialog zwischen Erwin Rommel und seinem Oberquartiermeister wieder. Danach fragte Rommel Heigl eines Tages: „Heigl, gefällt Ihnen eigentlich ihr Soldatenberuf?“ – „Nein, Herr Generalfeldmarschall“, habe die Antwort gelautet. „Denn wenn ich mir überlege, daß ich all meine körperlichen und geistigen Fähigkeiten dafür einsetzen soll, Menschenleben zu vernichten, ist das einfach schrecklich!“ Darauf Rommel: „Behalten Sie diese Meinung für sich, Sie wissen ja, wegen ihrer Frau [sie war Jüdin, A. H.] ist man Ihnen nicht allzu gut gesonnen. Mein Rat, gehen Sie so weit Sie können an die vorderste Front, da sucht sie keine Gestapo! Ich denke genauso“. Irmhild Heigl zufolge war ihr Gatte damals „durch die Heirat mit der reizenden Urenkelin des Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy“ in einer mit Blick auf die nationalsozialistische Rassenideologie „geradezu unmöglichen Lage, die er jahrelang durch seine sportlichen Erfolge aber habe abdecken“ können. Ohne Wissen ihres Mannes habe sich seine Frau damals „an den schwedischen Königshof nach Stockholm“ abgesetzt, um „sich, aber auch das Leben ihres geliebten Mannes, nicht zu gefährden“83. Schriftliche Zeugnisse Heigls über seine syrischen Jahre sind rar, anders sieht es hingegen mit Fotos und weiteren Memorabilia in seinem Nachlass aus. Im Jahre 1952 führte er eine Korrespondenz mit dem Sportjournalisten und -funktionär Carl Diem, in der es auch um seine Zukunftspläne ging. In einem handschriftlichen Brief vom 29. Juli 1952 lud Heigl „Professor“ Diem nach „Damas“, also Damaskus, ein, woraufhin dieser in seiner Antwort vom 15. August vorschlug, Heigl möge ihn und seine Frau zu Vorträgen nach Syrien einladen. Diem versäumte es bei dieser Gelegenheit nicht, auf seine eigenen Erfahrungen „im Orient“ hinzuweisen. Mit seinem „Professorengehalt und der Kinderschar“ seien solche inzwischen aber kaum mehr zu machen. Am Neujahrstag 1953 ließ Heigl gegenüber Diem in einem kurzen Schreiben durchblicken, dass es für ihn auch eine andere Option als Syrien geben könne: Südamerika nämlich. Doch daraus wurde nichts, und so setzte Heigl den Professor weiterhin über allgemeine sportpolitische Überlegungen aus Damaskus ins Bild. In einem Brief Diems vom 5. Mai 1958, der bereits an Heigls neue Wohnanschrift in Hoya an der Weser adressiert war, drückte der Professor seine Zustimmung zu der Überzeugung Heigls aus, dass die nahöstlichen Länder sich „über eine Belebung des Sportverkehrs freuen“ würden. Auch trat er Heigls offenbar in einem vorherigen Schreiben geäußerten Ansicht bei, dass „dies für uns ein wichtiges Politikum“ bedeute,

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Ebd. Die Angaben der Aufzeichnung konnten für diesen Text nicht überprüft werden.

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womit er wahrscheinlich auf die Systemrivalität im Kalten Krieg anspielte.84 Von Heinz Heigl ist keine schriftliche Äußerung zu den Beweggründen überliefert, die ihn Anfang der fünfziger Jahre bewogen hatten, nach Syrien zu gehen. „Dreck am Stecken“ aus der NS-Zeit, wie so manch anderer der deutschen und österreichischen Syrien-Söldner, hatte er offenbar nicht. Nach seinem Tod hat eine unbekannte Person auf einem knappen Bogen Papier – er trägt am Kopf das Logo Heigls: zwei im Lauf befindliche Personen zwischen dem in Fraktur gehaltenen Schriftzug „Konditions-Therapie Methode Heigl“ – maschinenschriftlich den Lebenslauf Heigls zusammengefasst. Darin heißt es über Heigls Zeit nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft: „Dann übernahm Heigl eine diplomatische Stellung auf Geheiss der deutschen und amerikanischen Regierungen im Vorderen Orient an, in Anbetracht seiner Afrikaerfahrung unter Rommel. Heigl sollte den russischen Einfluß innerhalb der syrischen Armee aufhalten“.85 Diese Darstellung deckt sich mit jener in dem Buch des Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom über die Aktivität des BND im Nahen Osten, in der es heißt: „Neben Kriebel hielt Oberst Heigel [sic] die politischen Kontakte zu den Westmächten im Land, denn Amerikanern, Franzosen und Briten war durchaus an der Präsenz deutscher Militärberater gelegen, um sowjetischen Einfluss zu verhindern“86. Apropos Kriebel: Im Nachlass Heigls findet sich an zwei ganz unterschiedlichen Orten eine „Beurteilung“ Heigls durch Oberst Kriebel, datiert vom 22.  Mai 1952. Es ist denkbar, dass Heigl Kriebel, der sich einleitend als „Chef der Deutschen Beratergruppe in Syrien“ bezeichnet, um ein Gutachten für neue Aufgaben, etwa in Südamerika, gebeten hatte. Die durchweg positive Beurteilung durch Kriebel stellt eingangs zunächst fest, dass Heigl ursprünglich „Erster Berater der syrischen Luftwaffe“ gewesen sei, und er dann die Sportschule in Qatana sowie die Kommandotruppe der syrischen Armee mit aufgebaut habe. Heigls Charaktereigenschaften finden bei Kriebel höchstes Lob: Insbesondere sei er ein warmherziger und fürsorglicher Vorgesetzter, der einen „geradezu magischen Einfluß“ auf seine Leute habe. Er sei als Spezialist auf dem Gebiet der Ausbildung von Kommandotruppen zu bezeichnen und habe hier „Schöpferisches“ geleistet. Abschließend hieß es in dem Gutachten, Oberst Heigl habe im Ausland Hervorragendes für den deutschen Namen getan und sei in ganz Syrien besonders geachtet und beliebt. Wegen seiner „Führereigenschaften“ sei er auch als Kommandeur einer Fallschirmjägerdivision hervorragend geeignet.87 84

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Sämtliche Briefzitate aus dem Bestand des Carl und Liselott-Diem-Archivs in der Deutschen Sporthochschule Köln, Korrespondenzen, Mappe 553, Film 11, Briefwechsel Carl Diem/Heinz Heigl, 1950–1958. Kopien des Briefwechsels im NISH, Nachlass Heinz Heigl. Ebd., Mappe III. Erich Schmidt-Eenboom, BND. Der deutsche Nachrichtendienst im Nahen Osten. Geheime Hintergründe und Fakten, München 2007, S. 192. NISH, Nachlass Heinz Heigl, Mappe III.

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Ein Problem mit dieser Beurteilung ergibt sich dadurch, dass sie keine handschriftliche Unterschrift trägt und es am Schluss in Maschinenschrift heißt: „gez. Werner Kriebel, Oberst“. Sollte Oberst Rainer Kriebel seinen eigenen Vornamen nicht gekannt haben? Schwer vorstellbar ist auch, dass Heinz Heigl den richtigen Vornamen Kriebels nicht gekannt haben soll. Eine mögliche Erklärung für diese Unstimmigkeit könnte darin liegen, dass eine Person, die den Nachnamen Kriebel und dessen Dienststellung in Syrien, nicht aber Kriebels Vornamen kannte, den Text nach dem Tode Heigls verfasst und ihm damit gleichsam ein charakterliches Denkmal zu setzen versucht hat. Abgesehen von dem Namensproblem bleibt im Übrigen die Frage, ob Personen gleichen Ranges (hier: zwei Oberste) Gutachten übereinander ausstellen können. Man könnte indessen hier von einem Ausnahmefall sprechen, da Oberst Rainer Kriebel neben Heigl der damals ranghöchste deutsche Offizier und – nach eigener Darstellung – „Chef“ der deutschen Beratergruppe in Syrien war. Abgesehen von den genannten Ungereimtheiten hinsichtlich der Beurteilung Heigls schien sich in Syrien bei dem Betroffenen ein gewisser Sinneswandel in seiner Einstellung zum Militär vollzogen zu haben. Hatte er doch ursprünglich dem Militärischen angeblich nur dann etwas Positives abgewinnen können, wenn es der Verteidigung diente, sprach seine angeblich besondere Eignung für die Führung von syrischen Kommandoeinheiten nun eine etwas andere Sprache, denn diese finden ihren Einsatz in den seltensten Fällen zur Verteidigung. Texte und Fotos im Nachlass Heigls umfassen im Übrigen eine „hohe syrische Auszeichnung“ in arabischer Sprache nebst Orden, des Weiteren ein Foto vom Empfang des Architekten des Berliner Olympia-Stadions, Werner March, auf dem Damaszener Flughafen durch Heinz Heigl, ferner ein Bild, das seine Frau Irmhild beim Paddeln auf dem Mittelmeer bei Latakia sowie schließlich eines, das sie mit umgehängter, toter Schlange – wohl scherzhaft als „schwarze Mamba“ bezeichnet – zeigt. Ein anderes Foto gibt eine Szene mit Irmhild und Heinz Heigl im Beisein des Bruders des saudi-arabischen Königs wieder, welcher Irmhild als Braut begehrte und dafür zehn Kamele zu zahlen bereit war. Irmhild habe jedoch, so die Bildunterschrift, ihren Gatten „dem Status einer dritten Frau des Prinzen“ vorgezogen, und „Colonel Heigl wollte keine Kamele“. Und natürlich finden sich auch einige, wenngleich nicht viele, Aufnahmen von syrischen Soldaten beim Konditionstraining in der Sportschule von Qatana sowie eines, das Irmhild im Kreise von Soldaten zeigt, die ihren Erzählungen von ihrer Zeit als Krankenschwester während des Russlandfeldzuges zuhören. Vermutlich zum Abschluss ihrer Arbeit in Syrien bedankten sich „die Commandos bei Heinz und Irmhild Heigl“ im Jahre 1956 mit einer handschriftlich auf Englisch abgefassten

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Urkunde, deren letzter Satz lautete: „With our best wishes and compliments we hope for you and your new life, the happiness; and for your people the victory“88. Das Ehepaar Heigl scheint Syrien, seinen Menschen und seiner islamisch geprägten Kultur einiges abgewonnen zu haben. Liebevoll zeichnete Heinz Heigl eine mit kleinen Miniaturen versehene Landkarte des Nahen Ostens für eine geplante Reise in den späten fünfziger Jahren. In ihr war an geeigneter Stelle statt des Staatsnamens „Israel“ der Begriff „Palästina“ eingetragen. Ebenso sorgfältig gestaltete er zwei Blätter, die sich dem Islam widmeten. Das eine beschäftigte sich sachlich-informatorisch mit den „Fünf Säulen des Islam“, also den Grundlagen dieser Religion. Das andere Blatt zeigte ein Bild der Kaaba in Mekka mit einem erläuternden Text zur Pflicht der Pilgerfahrt nach Mekka für einen gläubigen Muslim. Irmhild schrieb 1955 in Damaskus einen lyrischen Text, in dem sie das Leben und die Erfahrungen in der Fremde pries – beide trügen sie zur Toleranz und Horizonterweiterung des Menschen bei. Allerdings scheinen die religiösen Führer des Islams in Syrien auch wesentlich dazu beigetragen zu haben, dass die Heigls dem Land im Jahre 1957 den Rücken kehrten. „Die Mullahs kommen ins Camp“, lautete die Beschriftung eines auf ein Blatt geklebten Fotos, und darüber befand sich ein weiteres Bild, das Irmhild im Badeanzug zusammen mit syrischen Soldaten am Strand zeigt. Dazu der Text: „Irmhild badete mit Soldaten im Mittelmeer, was die Mullahs […] sehr störte. Daraufhin verließen Heinz und Irmhild Syrien in Richtung Libanon“. Nach einem Zwischenaufenthalt in Beirut kehrte die Familie Heigl, zu der auch zwei Kinder gehörten, nach Deutschland zurück, wo sie sich im niedersächsischen Hoya niederließen. Kommen wir noch einmal auf die Recherchen des Journalisten Cropp zurück. Er unternahm gegen Ende seiner Revue-Serie den Versuch einer Charakterskizze der drei deutschen Missionschefs. Danach sei Graf Strachwitz der Typ des „Draufgänger-Generals“ gewesen, der keine Rücksicht auf Verluste seiner Truppe genommen habe. Oberst Röstel hingegen „war zweifellos eine Persönlichkeit, die von seiner 2-Meter-Statur eindrucksvoll unterstrichen wurde. Er besaß Auslandserfahrung und hatte eine gediegene, resolute Verhandlungstaktik. Er liebte es, mit seiner Überzeugungskraft zu spielen. Als Missions-Chef erkannte er seine Grenzen nicht“. Deutlich besser in Cropps Beurteilung kam schließlich Oberst Kriebel weg. Er sei „von ganz anderem Schlag“ heißt es, Kriebel verkörpere den Typ eines Wissenschaftlers, sei ein sensibler Intellektueller, der vorsichtig tastend und präzise formuliere, und er hasse Übertreibungen. Die Mitglieder seiner Mission, so Cropp, achteten Kriebel als einen „bescheidenen, verbindlichen Mann und als Könner“. Seine Arbeit sei nicht leicht.

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Dass das Urteil über den Missionschef so differenziert und wohlwollend ausfiel, ließ sich zweifellos auch darauf zurückführen, dass Cropp und sein Kollege Elten während der mehr als vierwöchigen Recherchen vor Ort recht viel gemeinsame Zeit mit dem Ehepaar Kriebel verbrachten. Zusammen nahm man gelegentlich den „Lunch“ ein, mit Frau Kriebel wurde ein „Rosengut“ besichtigt, und mit Oberst Kriebel führte Jörg A. Elten laut Cropps Tagebuch auch schon mal eine „Wehr-Debatte“89. Nach dem Eindruck von Albrecht Cropp gestaltete sich die Beratertätigkeit unter Chichakly im Damaszener Hauptquartier in entspannter Atmosphäre. Besucher hätten nach kurzer Anmeldung freien Zutritt zu den Beratern, und es gebe keine Geheimniskrämerei. Auf den Tischen in den verschiedenen Räumen lägen deutsche Zeitungen aus. Im Gegensatz zu den früheren Missionen wurde Zivil und keine Uniform getragen. Der monatliche Verdienst der Fachleute aus Deutschland reiche bei den meisten von ihnen zur Bildung bescheidener Rücklagen, zumal ein Teil des Soldes in Dollar ausgezahlt werde. Als Chef der Mission müsse Kriebel recht hohe Kosten für Repräsentationsverpflichtungen schultern. Cropp beobachtete, dass das Wort der Deutschen in Syrien zwar „geschätzt“ werde, es sei aber „kein Evangelium“. Anders als gelegentlich behauptet, bestimmten die Berater aus Almanya keineswegs die Landespolitik. Irgendwann gegen Ende des Jahres 1950 oder zu Beginn des folgenden Jahres ist offensichtlich seitens der Mitglieder der ersten Militärmission der Versuch unternommen worden, von der Bundesregierung offiziell als solche anerkannt zu werden. Bei einer Sitzung Bundeskanzler Konrad Adenauers mit den Hohen Kommissaren der Siegermächte am 5.  April 1951 informierte Adenauer den französischen Hohen Kommissar, André FranÇois-Poncet, über ein solches Ansinnen. Der Bundeskanzler fügte hinzu, er sei von französischer Seite gebeten worden, gegen die Militärmission „etwas zu tun“, allerdings fürchte er, regierungsseitig wenig in dieser Richtung unternehmen zu können. Im Übrigen habe er, Adenauer, sich darüber „amüsiert, wie diese deutschen Offiziere uns geschrieben haben, wir möchten sie als deutsche Militärmission in Syrien anerkennen“. FranÇois-Poncet schloss seine Ausführungen zu dieser Frage mit der Bemerkung, sie sei allein Sache der deutschen Regierung, und die syrische Regierung sei „vollkommen unabhängig“90. Was die Mitglieder der deutschen Mission in Damaskus zu diesem Schritt bewogen haben mag, bleibt unklar. Zu ihnen dürften jedoch Meldungen aus der Bundesrepublik vorgedrungen sein, die sich mit der Schaffung der Bundeswehr beschäftigten. Möglicherweise wollte man für

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Der Verfasser dankt dem Ehepaar Cropp für die Überlassung relevanter Tagebuch-Scans, die die Zeit vom 13. bis 19. Juli 1952 umfassen. AAPD, Bd. 1, 1949–1951, München 1989, Nr. 23.

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den Fall einer plötzlich erforderlichen Rückkehr in die Heimat Beziehungen zu dem neuen militärischen Apparat in Bonn knüpfen. Auch die Entwicklung von Raketen durch eine Gruppe von Deutschen hat Anfang der fünfziger Jahre in Syrien eine Rolle gespielt, ohne dass darüber viel bekannt geworden ist. Allein einige Namen belegen, dass in dem Land – und offenbar abseits der drei deutschen Militärmissionen – an kleinen Raketen geforscht worden ist. Ein solcher Akteur auf der syrischen Bühne war Peter Nauschütz, ein gelernter Aerodynamiker, der in Damaskus an einer ferngesteuerten Panzerabwehrrakete arbeitete, wie er seinem ehemaligen Studienkollegen, dem Flugzeugkonstrukteur Ludwig Bölkow, im Frühjahr 1954 bei einem Wiedersehen in der Bundesrepublik berichtete.91 Ein weiteres Mitglied des Teams war Wilhelm Wessel, der während des Krieges bei BMW gearbeitet hatte, ferner Otto Cerny, ein ehemaliger Raketenkonstrukteur aus Peenemünde. Nach 1945 war Cerny zunächst nach Österreich gegangen, dann, im Jahre 1956, nach Syrien, und schließlich nach Huntsville/Alabama, wo er für die NASA forschte.92 Die Schweizer Bundespolizei schließlich war im Rahmen ihrer Ermittlungen zu dem ägyptischen Ingenieur und Waffenhändler Hassan Sayed Kamil auf Hans Georg Mebus gestoßen, einen 1910 in Posen geborenen Raketenfachmann, der, so eine Aufzeichnung der Bundespolizei vom 2. Oktober 1961, nach dem Krieg zunächst im oberbayerischen Sonthofen, dann von 1950 bis 1951 in Genf und von 1951 bis 1954 in Damaskus lebte. Wie sein Kollege Nauschütz fand Mebus nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik eine Anstellung bei der Firma Bölkow in Ottobrunn bei München. Die Aufzeichnung vermerkte, dass Mebus mehrere Patente auf dem Gebiet der Raketenforschung besitze.93 Anders als für die deutschen Raketenexperten im Ägypten der frühen sechziger Jahre fehlt es an jeglichen Informationen über die Zielsetzung der „syrischen“ Raketenforscher aus Deutschland und Österreich, sieht man von dem Hinweis auf Nauschütz’ Panzerabwehrraketen einmal ab. Die Kollegen am Nil haben auf Befragen gern die rein zivile Aufgabenstellung – vorzugsweise die Entwicklung einer meteorologischen Höhensonde – für ihre Arbeit hervorgehoben. In Syrien scheint es, ähnlich wie bei der noch darzustellenden ersten Phase der 91

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Vgl. Ludwig Bölkow, Erinnerungen, aufgezeichnet von Brigitte Röthlein, München 1994, S. 152. In einem weiteren Buch über Ludwig Bölkow, an dem auch Nauschütz’ Ehefrau Annelise mitgearbeitet hat, heißt es über Nauschütz: „Dieser arbeitete nach 1945 im deutsch-französischen Forschungsinstitut St. Louis (Elsass, A.  H.) und von 1951 bis 1954 in Damaskus, wo er in einem deutschen Ingenieurteam für die Aerodynamik und Flugmechanik eines Boden-Boden-Flugkörpers mit Flüssigkeits-Raketenantrieb – auf der Basis von BMW-Entwicklungen – verantwortlich war“. Vgl. Kyrill von Gersdorff, Ludwig Bölkow und sein Werk  – Ottobrunner Innovationen, Koblenz 1987, S.  36. Erwähnung eines „Raketentechnikers“ Nauschütz auch bei Schmidt-Eenboom, BND, S. 195. Vgl. Linda Hunt, Secret Agenda, New York 1991, S. 191. Schweizerisches Bundesarchiv, Bern, Akte E 4320 C #1994/120#690, Kamil Hassan Sayed.

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deutschen Raketenforschung in Ägypten in den frühen fünfziger Jahren – und damit parallel zu den syrischen Forschungen – um die Entwicklung von zwar kleinen, dafür aber eindeutig militärisch nutzbaren Projektilen gegangen zu sein. Gegen Ende dieses Abschnitts soll abschließend die Tatsache in den Mittelpunkt gerückt werden, dass die deutschen Militärexperten in Syrien, die noch wenige Jahre zuvor auf irgendeine Weise in den nationalsozialistischen Völkermord an den europäischen Juden verstrickt waren, einem erklärten Feind Israels zu Diensten waren. Vom syrischen Staatschef Chichakly sind, wie von anderen arabischen Staatsmännern auch, sowohl vollmundige panarabische Sprüche  – etwa Chichakly als der kommende Herrscher der Völker „zwischen dem Indischen Ozean und dem Atlantik“ – als auch giftige Sentenzen gegen die Juden überliefert. In einer seiner aufpeitschenden Reden proklamierte er: „Im Vorderen Orient gibt es keinen Platz für Araber und Juden gemeinsam. Zwei Alternativen stehen zur Debatte: Entweder werden die Araber in die Wüste gejagt, oder die Juden kehren in die Länder zurück, aus denen sie gekommen sind“. Über die Arbeit der Mission von Oberst Kriebel äußerte sich der syrische Staatschef bei Gelegenheit rundum positiv. Sie werde „zu unserer vollen Zufriedenheit“ durchgeführt.94 Auch wenn, wie Journalist Cropp zum Abschluss seiner Serie feststellte, „heute“ nicht mehr das Horst-Wessel-Lied aus den Kehlen der deutschen Abenteurer der ersten Stunde in den Straßen der syrischen Hauptstadt ertöne, sondern ein deutscher Kinderchor über Radio Damaskus „Im schönsten Wiesengrund“ anstimme, bleibt der Eindruck, dass Deutsche kaum ein Jahrzehnt nach dem Ende der Shoah hilfreich zu der Vernichtung jüdischen Lebens im Nahen Osten bereitstanden. Auf israelischer Seite war man vermutlich grundsätzlich über das Treiben der deutschen Militärs im Solde Syriens informiert. Die israelischen Streitkräfte unterhielten an den Golanhöhen ein Spionagenetz aus syrischen Drusen95, die in Erwartung eines israelischen Endsieges am Golan entschlossen waren, für Tel Aviv und gegen Damaskus Informationen zu sammeln und weiterzugeben. Im Jahre 1950 lieferte das Netz dem militärischen Geheimdienst Israels ein zehnseitiges Dokument, in dem jene Veränderungen skizziert wurden, die in Übereinstimmung mit den Ratschlägen der in syrischen Diensten stehenden deutschen Militärexperten an der syrischen Befestigung der Golanhöhen vorgenommen werden sollten.96

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Der Spiegel Nr. 1 vom 31. Dezember 1952, „Der Preuße Arabiens“. Die Drusen sind eine vor etwa 1000  Jahren aus dem schiitischen Islam hervorgegangene, streng monotheistische, Religionsgemeinschaft, die heute vorwiegend im Libanon, Syrien und Jordanien beheimatet ist. Vgl. Ian Black und Benny Morris, Mossad, Shin Bet, Aman, Heidelberg 1994, S. 163.

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Nach Angaben der israelischen Historiker Ian Black und Benny Morris befindet sich in israelischen Akten auch die Übersetzung eines Schreibens eines damals in Syrien lebenden deutschen Militärberaters an einen Freund in Damaskus vom 1. Februar 1952. Der namentlich unbekannte, unter Oberst Kriebel arbeitende Berater für Panzerkriegsführung berichtete in dem Brief, er sei einer von etwa 30 ehemaligen „Berufsoffizieren […], alle wieder im alten Rang, wir tragen jedoch keine Uniformen […]“. Es folgte als Ergänzung: „Mich erstaunt die große Sympathie, die man uns Deutschen hier entgegenbringt […]. In vielen Läden und Wohnungen hängen Bilder von Hitler, und man scheint ihn zu mögen wie früher“97. Wenn man die insgesamt recht spärlichen Informationen über die Militärmissionen des Grafen Strachwitz, Röstels und Kriebels noch einmal vor der eingangs formulierten Fragestellung Revue passieren lässt – nämlich der Frage nach der Motivation der Syrien-Fahrer und ihrem vorhandenen oder eben nicht vorhandenen Bewusstsein für das Besondere ihrer Tätigkeit in einem Feindstaat Israels – ergibt sich ein diffuses Bild. In erster Linie und vor allem zu Beginn der ersten Militärmission ging es den Beteiligten um das Entkommen aus einem italienischen Gefangenenlager und um die Suche nach einer adäquaten Beschäftigung, die ihnen das geschlagene Deutschland nicht bieten konnte. Insbesondere bei den Fliegern war der offenbar geradezu brennende Wunsch maßgebend, unbedingt wieder Flugzeuge steuern zu können, für welchen Dienstherrn auch immer. Ferner gab es wohl auch fanatische antijüdische Missionsteilnehmer, wie jenen erwähnten Lehmann, der den jüdischen Kämpfern an der Palästinafront wie ein Mitglied der Einsatzgruppen in Russland meinte gegenübertreten zu müssen. Reflexionen von Teilnehmern der drei Missionen über ihre Tätigkeit in Syrien konnten nicht ausfindig gemacht werden. Allerdings: In den erwähnten Tagebuchblättern des Journalisten Cropp finden sich zwei Einträge, die darauf hindeuten, dass die Juden sehr wohl Thema bei Unterhaltungen vor Ort gewesen sein dürften. Unter dem 24. Juli 1952 hatte Cropp beispielsweise stichwortartig festgehalten: „Bei Schreiber und dem Mineralogen – ‚Juden-talk‘“. Also offenbar irgendwelche Gespräche über Juden, ohne dass deutlich würde, worum genau es gegangen war. Und unter dem nächsten Tag, dem 25. Juli, notierte Cropp: „Kriebel wegen ‚Juden -talk‘ besorgt“. Kriebel war im Übrigen im April 1952 von einer israelischen Zeitung mit den Worten zitiert worden, er und seine Männer „agierten rein privat in Damaskus. Die Jahreskontrakte hätten nur im Frieden Gültigkeit. Offiziell laute das Ziel, „aus modernen Kriegserfahrungen ein geeignetes System für die arabische Geisteshaltung zu entwickeln“98. Albrecht Cropp selber ent97

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Vgl. ebd., S.  768, Anm. 4. Hier auch die genaue Quellenangabe sowie die Information, dass das Schreiben von der israelischen Botschaft in London nach Jerusalem gelangt sei. „Jedioth Chadashat“, hier zitiert nach Elzer, Militärberater, S. 229.

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hielt sich in seiner dreiteiligen Illustriertenserie reflektierender Bemerkungen über die Arbeit der deutschen Militärberater in Syrien. Denkbar ist, dass seine Vorgesetzten in der Münchner Redaktion ihm von derartigen Kommentaren mit Blick auf die Leserschaft der Revue abgeraten hatten, die im Jahre 1953 mit dem Thema Judenvernichtung nicht behelligt werden wollte oder sollte.99 In ihrem drei Jahre später in Buchform erschienenen Reisebericht deuteten Cropp und Jörg Andrees Elten an, wie sich ihrer Meinung nach die deutsche Expertentätigkeit in Damaskus künftig auswirken könnte: „Wenn die deutschen Militärberater aber auch keinen Einfluß auf die syrische Innenpolitik ausgeübt haben, so sind sie doch nicht unwesentlich am Aufbau der syrischen Armee beteiligt gewesen. Dies ist im Hinblick auf die gespannten Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten nicht ohne Bedeutung. Sollte der unselige Konflikt zwischen den Arabern und den Juden je wieder zum offenen Ausbruch kommen, so wird Israel auf dem Schlachtfeld einer vollkommen neuen, schlagkräftigen syrischen Armee begegnen“100.

Oberst Kriebel und seine Männer der dritten deutschen Militärmission dienten ihrem Chef Adib Chichakly seit Ende 1949 für einige Jahre, ehe die Mission endgültig im Februar 1957 auslief, so jedenfalls die beiden Autoren Aldouby und Ballinger.101 Nach einer anderen Lesart, die auf eine Information von Oberst Kriebel an die Dienststelle Blank, der Vorläuferin des Bundesministeriums für Verteidigung, in Bonn zurückgeht, sei mehreren Offizieren angeblich aus Geldmangel zum Jahresende 1952 gekündigt worden. Die wahre Ursache liege aber bei dem Luxemburger Abkommen über „Wiedergutmachung“ zwischen Tel Aviv und Bonn. Syrien, so Kriebel, nehme hier eine harte Position ein, die sich für die deutsche Expertentätigkeit negativ auswirke.102 Noch vor seinem Sturz im Februar 1954 erklärte Chichakly die deutsche Militärmission offiziell für beendet, nicht ohne die Obersten Kriebel und Heigl zuvor für „außerordentliche Dienste an der syrischen Nation ausgezeichnet“ zu haben.103 99

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Auf eine E-mail-Anfrage des Autors bzgl. der Bedeutung des Wortes „Juden-talk“ in den Tagebucheinträgen und ob die Redaktion der Revue seinerseits einschlägige Vorgaben gemacht habe, antwortete die Gattin des hochbetagten Cropp per Email vom 28. März 2020, dass ihrem Mann zwar die Vorgänge als Ganzes, nicht jedoch bestimmte Einzelheiten mehr präsent seien. Albrecht Cropp verstarb am 26. Juni 2020. Elten/Cropp, Allahs Hand, S. 50. Vgl. Aldouby/Ballinger., Silence, S. 276. Elzer, Militärberater, S. 229. Vgl. Aldouby/Ballinger, Silence, S. 276.

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Den Deutschen winkte nun eine neue berufliche Zukunft beim Aufbau der Bundeswehr. Nach weiteren politischen Kurswechseln in Damaskus trafen später erneut deutsche Experten in Syrien ein – diesmal aus der DDR. Für militärische und nicht-militärische Fachleute aus der Bundesrepublik, aber auch für solche, die aus der DDR in den Westen geflohen bzw. von der Regierung der DDR diskret in den Westen entsandt worden waren, bot sich zeitlich parallel und darüber hinaus zu Syrien noch ein weit lohnenderes Betätigungsfeld im Nahen Osten: Ägypten, das Land der Pharaonen.

Wilhelm Voss, der „Central Planning Board“ und die Gruppe „Armed Forces“ Für ein halbes Jahrzehnt war der 1896 in Rostock geborene Wilhelm Voss der führende Kopf unter den deutschen und österreichischen Experten am Nil.104 Der promovierte Jurist und Wirtschaftsprüfer brachte es nach einer Verbandstätigkeit in der Weimarer Republik im Jahre 1937 zum stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden der Holding „Reichswerke Hermann Göring“. Er wurde Mitglied der SS sowie des „Freundeskreises Reichsführer SS“ und erfreute sich zu dieser Zeit der Gunst Heinrich Himmlers. Während des Krieges bekleidete Voss daneben zahlreiche weitere Vorstandsposten vorwiegend in Aktiengesellschaften des Maschinenbaus und der Rüstungsindustrie.105 Als Chef des „Waffenblocks“ innerhalb der im August 1940 auf Befehl Görings reorganisierten Holding erfüllte der „Wehrwirtschaftsführer“ Voss offenbar die Erwartungen des Reichsmarschalls nicht. Göring ließ den Waffenblock auflösen und ernannte Voss nun zum Geschäftsführer der neu geschaffenen „Waffen-Union Skoda Brünn GmbH“.106 Voss’ Verantwortungsbereich beschränkte sich jetzt auf die tschechischen Rüstungskonzerne Skoda und Waffenwerke Brünn nebst deren Tochtergesellschaften. Anfang

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Für das Folgende vgl. vor allem: Ute Pothmann, Karrieren eines Beraters – biografische Skizzen zum Wirtschaftsprüfer Dr. Wilhelm Voss (1896–1974) – Teil 1, veröffentlicht am 15. Oktober 2017 in: Abgehört. Das Blog zur Geschichte der Wirtschaftsprüfung, ausgedruckt am 12. September 2019 sowie Ute Pothmann., „Die deutsche Sphinx“ – Voss in Ägypten 1951–1955, veröffentlich am 10. Oktober 2019 ebd., ausgedruckt am 3. Januar 2020. Vgl. die Auflistung in Der Spiegel Nr. 27 vom 30. Juni 1954, „Geheim, privat, persönlich“. In dieser Funktion hatte Voss Mitte November 1943 auch eine Begegnung mit Hanns-Martin Schleyer, dem damaligen Leiter des Präsidialbüros und persönlichen Sekretärs von Bernhard Adolf, dem Präsidenten des Zentralverbands der Industrie für Böhmen und Mähren. Schleyer war nach dem Zweiten Weltkrieg zeitweilig Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Im Jahre 1977 wurde er von Mitgliedern der „Roten Armee Fraktion“ ermordet. Vgl. Lutz Hachmeister, Schleyer. Eine deutsche Geschichte, München 2004, S. 218.

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1945 entließ Göring ihn auch aus dieser Position. Er begründete diesen Schritt mit unzureichender Aufgabenerfüllung und mangelnder Loyalität ihm gegenüber. Eine andere Quelle berichtet von der Eröffnung eines Kriegsgerichtsverfahrens gegen Voss wegen „unwürdigen Verhaltens“ bei der Aufgabe des Truppenübungsplatzes Heidelager im heutigen Südostpolen.107 Auch im Reichsministerium für Rüstungs- und Kriegsproduktion sowie in der Verwaltung des „Protektorats Böhmen und Mähren“ war man von Voss’ Fähigkeiten nicht restlos überzeugt. Nach der Analyse von Ute Pothmann besaß Voss durchaus Talent, Kontakte zu knüpfen, aber er sei kaum in der Lage gewesen, Personal oder ein Industrieunternehmen zu führen bzw. ein Projekt zu gestalten. Das Ende des Krieges erlebte Wilhelm Voss in der Tschechoslowakei, wo er auch kurzzeitig in der Nähe von Prag interniert wurde. Nach seiner Entlassung ließ er sich 1946 in Bayern nieder, wo er fortab in Rottach-Egern am Tegernsee unter ständiger Überwachung durch einen Agenten des amerikanischen Nachrichtendienstes CIC stand. Am 24.  April 1946 suchte Voss das Münchner Regionalbüro des CIC auf. Den ihn dort vernehmenden Offizieren erzählte Voss, er habe wertvolle Informationen über die deutsche Forschung an einer Atombombe sowie weiteres Material zu einem neuen, radarkontrollierten Torpedo-Typ, der im Wasser keine Spuren (traceless) hinterlasse.108 Aus heutiger Sicht liegt die Vermutung nahe, Voss habe sich mit diesen Andeutungen bei den Amerikanern interessant machen wollen, vielleicht auf eine berufliche Zukunft bei ihnen spekuliert. Allerdings zeigt die Aufzeichnung von Special Agent Gunter Zweig über die Vernehmung von Voss in München, dass dieser seine Aussage um einige Einzelheiten und Namen ergänzen konnte. So teilte er mit, die beiden für die Entwicklung geheimer Waffen bei Skoda Verantwortlichen seien SSGruppenführer Professor Kammerer und sein Stellvertreter SS-Oberführer Purucker gewesen. Purucker sei, so Voss, mit ihm gemeinsam am 10. Mai 1945 vom böhmischen Schimelitz aus in Richtung der amerikanischen Truppen geflohen. Purucker habe ein Zivilfahrzeug gesteuert, in dem sich viele der Pläne zu der Atombombe befunden hätten; er sei dann samt Fahrzeug und den Plänen in die Hände der Russen gefallen. Der Verbleib Puruckers entziehe sich seiner Kenntnis. Aufschlussreich ist zumindest eine weitere Personalie, die Voss im Zusammenhang mit Skoda nannte: Ein „Direktor Engel, Manager des Forschungslabors im böhmischen Pibrams“, sei eng mit Professor Kammerer verbunden gewesen. Bei dem Direktor Engel handelte es sich zweifellos um den Peenemünder Raketenfachmann Rolf Engel, von dem weiter unten noch ausführlich die Rede sein wird.

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Vgl. Günter Nagel, Himmlers Waffenforscher, Aachen 2011, S. 26. CIA (FOIA), Voss, Friedrich Wilhelm_0009.pdf, secret. Ein CIA-Bericht aus Frankfurt  am  Main vom 10. April 1952 fasste noch den CIC-Bericht über Voss’ Aussagen zusammen, nannte aber vermutlich aufgrund eines Hörfehlers der Schreibkraft den fraglichen Torpedo-Typ nicht „traceless“ wie im CIC-Originalbericht, sondern „wakeless“, also „sinnlos“.

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In seiner Münchner Vernehmung sagte Voss aus, er vermute, dass Engel aus der Tschechoslowakei geflohen sei und sich möglicherweise als Kriegsgefangener in amerikanischem Gewahrsam befinde. Im Sommer 1948 begann Wilhelm Voss sein Entnazifizierungsverfahren, das er auch ein Jahr später noch nicht abgeschlossen hatte. Während dieser Zeit versuchte er auch beruflich wieder auf die Beine zu kommen. Als freier Mitarbeiter eines Unternehmens sollte er seine Kontakte zu „Herren“ in verschiedenen Ländern nutzen, die er noch aus dem „Dritten Reich“ kannte: Aus dem Iran traf er einen „Freund“, aus der Sowjetunion einen Major Grischajew, ferner waren Jugoslawen ebenso wie Persönlichkeiten der „Ostzone“, der Tschechoslowakei und Vertreter ost- und südosteuropäischer Handelsmissionen darunter. Im Sommer 1950 freute sich Voss über „Besuch aus Kairo“. Angesichts seiner erfolgreichen Arbeit stand er kurz davor, das Angebot eines Vorstandspostens einer Firma jenes Konzerns anzunehmen, für den er tätig war. Doch dann kam alles anders.109 Auf Einladung des ägyptischen Königs Faruk reiste Voss im März 1951 nach Kairo mit dem Auftrag, in Ägypten eine eigene Rüstungsindustrie aufzubauen.110 Begleitet wurde er von zwei ehemaligen Wehrmachtsoffizieren, einer von ihnen war der General der Artillerie a. D. Wilhelm Fahrmbacher. Der ehemalige SS-Standartenführer Voss schloss mit der ägyptischen Regierung einen privaten Arbeitsvertrag. Für seine Mission am Nil genoss er die volle Deckung und jede Unterstützung des Bundesministers für Wirtschaft, Ludwig Erhard. Informiert waren auch das Auswärtige Amt, dessen Staatssekretär Walter Hallstein ihm besonderes Vertrauen entgegenbrachte, ferner der Vertreter der Bundesregierung bei der alliierten Überwachungsbehörde und das Amt Blank. Letzteres erklärte jedoch das Vorhaben von Voss für illegal und schlug daher zu dessen Tarnung die Bezeichnung „Unterstützung des wirtschaftlichen Aufbaus in Ägypten“111 vor. Staatssekretär Schalfejew vom Bundeswirtschaftsministerium formulierte in den Reisepassanträgen für Voss und seine Entourage: „Herr Dr. Wilhelm Voss, Rottach-Egern, Fürstenstraße 116, beabsichtigt, mit seinem Mitarbeiterstab und den dazu gehörigen Familienangehörigen nach Ägypten auszureisen. Die Ausreise liegt im dringenden wirtschaftlichen Interesse der Bundesrepublik.

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Vgl. Pothmann, Sphinx, Bl. 1f. Die Autorin nennt den Namen des Konzerns nicht, die Stelle eines freien Mitarbeiters habe er durch einen „rheinischen Unternehmer“ bekommen. Kaum Informationen liegen über eine ebenfalls seinerzeit in Ägypten tätige „Forschungsgruppe Waffen und Munition“ unter einem Professor Römer vor. Immerhin findet sich eine Erwähnung der Gruppe in einer Aufzeichnung des BND: Archiv des BND, Akte 24881_OT, „Betr.: Deutsche Raketenexperten in Ägypten“ vom 23. August 1962, Entwurf, Bl. 143. Pothmann, Sphinx, Bl. 2.

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Ich bitte, der Bedeutung dieser Reise bei der Bearbeitung der Passanträge Rechnung zu tragen“112 . Schon wenige Monate nach seiner Ankunft in Kairo und dem Bezug eines repräsentativen Hauses im Villenviertel Heliopolis sah sich Wilhelm Voss dem Argwohn europäischer Zeitungen ausgesetzt, die mutmaßten, dass er und seine Mitarbeiter mit einer SS-Verschwörung am Nil in Verbindung stünden. Eine „Faschistische Großinternationale“ sei dort mit zahllosen, aus Deutschland geflüchteten SS-Männern dabei, Kräfte für ein „Viertes Reich“ zu sammeln.113 In dem ersten Interview, das Voss einem Journalisten nach seiner Ankunft in Kairo gab – es handelte sich dabei um den Nahost-Korrespondenten Hermann Ziock – wies er jegliche Kenntnis von einer solchen Großinternationale ebenso zurück wie auch von einer „Werbezentrale“ für ehemalige Wehrmachtsangehörige in der Schweiz unter der Leitung eines Hanak Hassim Bey alias Oberstleutnant Hans Müller.114 „Bei uns wird keinerlei Politik getrieben“, meinte Voss wohl ein wenig naiv gegenüber Ziock über seine und seiner Mitarbeiter Tätigkeit bei den Pyramiden. Und er fuhr fort: „Wir haben keine Neigung, das Gastrecht Ägyptens zu mißbrauchen oder die an sich schon heikle politische Situation noch zu verschärfen“. Er war sich offenbar des Widerspruchs in seinen Aussagen nicht bewusst, wenn er diese Tätigkeit auch damit rechtfertigte, dass deutsche „Fachkräfte und Berater in großer Anzahl auch in Amerika, England und Frankreich“ arbeiteten. Ägypten wenige Jahre nach dem israelisch-arabischen Krieg von 1948/49 und einem immer noch ausstehenden Friedensabkommen zwischen Tel Aviv und Kairo ein Land wie jedes andere? Voss selber hatte von einer „heiklen politischen Situation“ am Nil gesprochen, die zusätzlich noch durch britisch-ägyptische Kämpfe in der Suezkanalzone angeheizt wurde. Und innenpolitisch führte seit dem 23. Juli 1952 die Revolution der Freien Offiziere in Ägypten auch nicht gerade zu einer Entspannung der heiklen Situation. Hinsichtlich der Art und Weise, wie Voss die vor ihm liegenden Aufgaben in Angriff nehmen wollte, zeigte er sich in dem Interview nach wie vor von der Wirtschaftspolitik des „Dritten Reiches“ überzeugt. Seine Arbeit, so Voss, richte sich auf die „allgemeine industrielle Entwicklung“, wie es „früher bei uns im Vierjahresplan war, und daß dazu natürlich auch Rüstungsplanung, Ausbildung und Organisation gehört“115. Nach dem Sturz Königs Faruks im Juli 1952 ging die Zusammenarbeit von Voss und seinen Männern nahtlos mit dem neuen Machthaber General Mohammed Nagib weiter. Die recht kurze – bedingt durch den Sturz Nagibs durch Gamal Abdel Nasser – Phase der Kooperation 112

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Abgedruckt in Der Spiegel Nr. 27 vom 30. Juni 1954, „Geheim, privat, persönlich“. Bereits im April 1951 trat ein deutsch-ägyptisches Handelsabkommen in Kraft. Vgl. den Artikel „Deutsche Militärs in Ägypten. Zivilberater der Regierung“ von Hermann Ziock, in: „Westdeutsche Allgemeine“ vom 5. Juni 1952. Ebd. Ebd.

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zwischen Voss und General Nagib bildete den harmonischsten Abschnitt der Tätigkeit des „Central Planning Board“, wie die Gruppe unter Voss’ Leitung offiziell hieß. Voss, der Nagib unmittelbar verantwortlich war, und der als leutselig und umgänglich geschilderte Staatschef verstanden sich persönlich gut. In der ersten Jahreshälfte 1953 bereiste Voss mehrmals die Bundesrepublik, jedes Mal begleitet von engsten Mitarbeitern und Beratern General Nagibs. Der Auftrag für diese Reisen lautete in der damals leicht schnoddrigen Sprache des „Spiegel“: Deutschlands „international übel beleumundeten Erfahrungsschatz beim Bau von Großdeutschland für General Nagibs geplanten Neubau Groß-Ägyptens auszuwerten. Die Ägypter interessieren sich ebenso sehr für Mangelwirtschafts-Experten aus Görings Vierjahresplan wie für Fachleute, die nach Robert Leys verfemten Anweisungen der ‚Deutschen Arbeitsfront‘ ähnliche Betriebsgemeinschaften ohne klassenkämpferischen Zwiespalt aufzuziehen vermögen“116. General Nagib plane ein Groß-Ägypten einschließlich des damals noch britisch beherrschten Sudan, dessen Kulturland am Nil auf etwa das Doppelte erweitert werden solle, hätten Begleiter Nagibs laut Spiegel erklärt. Ob es Nagib nur darum ging, sich selber und seinem Land „ein Denkmal zu setzen“, wie der Spiegel lästerte, sei dahingestellt. Nagib, so das Nachrichtenmagazin weiter, biete den „deutschen Hilfs-Denkmalbauern mit großdeutscher Erfahrung“ im Gegenzug einiges: zollfreie Einfuhr von Investitionsgütern wie Werkzeuge und Maschinen nach Ägypten, freien Grund und Boden für die Deutschen sowie Steuerfreiheit in den ersten vier Jahren nach Inbetriebnahme von Produktionsanlagen; darüber hinaus in einem weiteren, noch näher zu bestimmenden Zeitraum eine nur zehnprozentige steuerliche Belastung. Die ägyptische Delegation verhandelte in Frankfurt am Main, Düsseldorf und Bonn. In der Bundeshauptstadt gab es ausführliche Gespräche mit Wirtschaftsminister Erhard, zu denen sich Staatssekretär Walter Hallstein, einer der Architekten des deutsch-israelischen Abkommens über „Wiedergutmachung“ vom Vorjahr, sich entschuldigen ließ und stattdessen als „Lückenbüßer“ Legationsrat Helmut Allardt entsandte. Ihn kannte Wilhelm Voss aus der gemeinsamen Internierungszeit unmittelbar nach dem Krieg. Seine Bekanntschaft mit Allardt sollte sich für Voss in Kairo in naher Zukunft als nicht unbedeutend erweisen. In Bonn traf Voss auch noch mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Franz Josef Strauß, ferner mit dem Leiter der Unterabteilung „Militärische Planung“ im Amt Blank, Bogislaw von Bonin, sowie mit Bundeskanzler Adenauer zusammen.117 Hinsichtlich weiterer Reisepläne der ägyptischen Delegation in Richtung DDR riet ihr der ehemalige Reichsbankchef und Ägyptenreisende des Jahres 1952  – darüber später mehr  – Hjalmar Schacht ab. Man wird die Tätigkeit von Wilhelm Voss in Ägypten, abgesehen von 116 117

Der Spiegel Nr. 6 vom 4. Februar 1953, „Nach großdeutschem Muster“. Vgl. Pothmann, Sphinx, Bl. 2.

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ihrer Beratungsfunktion für die Regierung, auch mit der eines Türöffners für die deutsche Industrie und für Fachleute auf der Suche nach attraktiver Beschäftigung – siehe Rolf Engel weiter unten – vergleichen dürfen. Belege für diesen Vergleich liefern freigegebene Unterlagen der CIA. Voss war aufgrund seiner Vergangenheit als Wehrwirtschaftsführer mit seinen zahlreichen Aufsichtsratsmandaten im „Dritten Reich“ auch nach dessen Zusammenbruch mit den Führungsetagen der westdeutschen Nachkriegsindustrie bestens vernetzt. Im Januar 1953 berichtete ein Informant der CIA, dass Voss eine Inspektionsreise an die israelische Grenze auf der Sinai-Halbinsel und am Golf von Aqaba unternommen habe. Die ägyptische Regierung errichte dort Befestigungsanlagen mit Blockhäusern, Geschützständen und Minenfeldern. Die Befestigungen erstreckten sich entlang der gesamten ägyptisch-israelischen Grenze, Küstenbatterien würden ebenfalls gebaut und der dortige Flugplatz erweitert. Die Arbeiten unterlägen der Aufsicht deutscher Fachleute. Der Bericht schloss mit der Information, dass „Dr. Voss im Anschluss an diese Inspektionstour Ägypten in Richtung Westdeutschland“ verlassen habe, um dort weitere Experten für die ägyptische Regierung anzuheuern, sowohl zivile als auch militärische.118 Vom Juli 1954 datiert eine CIA-Aufzeichnung, der zufolge in Heluan, südlich von Kairo, ein Walzstahlwerk entstehen sollte, dessen Pläne von einer Rheinhausener Stahlbaufirma (Name in der Kopie unleserlich) auf Bitten von Wilhelm Voss erstellt worden seien.119 Im April 1955 schließlich gewann die CIA die Information, wonach Voss dem ägyptischen Ministerium für Handel und Industrie einen Plan für den Bau einer Autofabrik unterbreitet habe. Die Karosserien sollten dabei mit importiertem Material in Ägypten gefertigt und mit aus Deutschland eingeführten Motoren ausgestattet werden. Wenig überraschend schloss die Meldung mit der Information, dass die gesamte Fabrik unter deutscher Verwaltung und unter Führung deutscher Techniker arbeiten sollte. Der ägyptische Ministerrat habe das Projekt bereits bewilligt.120 Der Bundesnachrichtendienst als Auslandsgeheimdienst der Bundesrepublik kam Mitte der sechziger Jahre zu einem farbigen Urteil über Voss. In einem langen Bericht über den Raketenexperten Rolf Engel, in dem zahlreiche Kontaktpersonen Engels nach ihrem Werdegang und ihrer Tätigkeit kurz skizziert wurden, hieß es über Voss stichwortartig: „Industrieberater, Neonazi, Waffenhandel, Nachrichtendienst-Verdacht“121.

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CIA (FOIA), Voss, Friedrich Wilhelm_0026.pdf. Ebd., _0070.pdf. Ein der Aufzeichnung angeblich beigefügtes Schreiben von Voss in deutscher Sprache hat sich nicht erhalten. Ebd., _0079.pdf. Archiv des BND, Akte 28152_OT, Vorläufiger Bericht über Rolf Engel, Stand 6. Juni 1966, Bl. 229.

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Während über die eigentliche Arbeit von Wilhelm Voss und seiner Mitarbeiter im Kairoer Central Planning Board wenig, dafür aber über Reibereien dieser Akteure mit anderen Protagonisten auf der ägyptischen und deutschen politischen Bühne umso mehr bekannt ist, wissen wir einiges über die Tätigkeit der Gruppe Armed Forces, die mit ihrem Chef General a. D. Wilhelm Fahrmbacher ebenfalls im Frühjahr 1951 den Nil erreichte.122 Mit „Heil Rommel“ begrüßten deutschfreundliche Ägypter die deutschen Militärs um Voss und Fahrmbacher mitunter, was den britischen Oberbefehlshaber in der Suezkanalzone, Generalmajor Sir George Erskine zu der Meldung nach London veranlasste: „In Ägypten rommelt es schon wieder. Wir nehmen an, daß sich eine größere Gruppe von deutschen Militärs in Kairo aufhält. Obwohl die Anwesenheit der Deutschen nicht unmittelbar mit der Lage in der Suez-Zone zusammenhängt, betrachtet das britische Heer diesen Vorgang als eine ernste Angelegenheit“123.

Wilhelm Fahrmbacher, 1888 im damals bayerischen Zweibrücken geboren, war bis Mitte des Zweiten Weltkrieges Chef des Berliner Heereswaffenamtes gewesen und hatte am Ende des Krieges die deutsche U-Bootfestung Lorient in der Bretagne verteidigt. Nach seiner Kapitulation geriet er zunächst in amerikanische, dann, wegen angeblicher Kriegsverbrechen, für vier Jahre in französische Gefangenschaft. Nach seiner Entlassung im Jahre 1950 ließ sich Fahrmbacher zunächst in Garmisch bei seiner Tochter nieder, wo ihn das Angebot von Wilhelm Voss erreichte, mit ihm nach Ägypten zu gehen. Im Gegensatz zu den meisten deutschen und österreichischen Experten, die selber nichts über ihre Erfahrungen in dem Land am Nil veröffentlichten, schrieb Fahrmbacher einiges über seine Zeit in Ägypten in der Fachzeitschrift „Wehrkunde“.124 Bereits der erste Satz seiner Ausführungen stellte einen Bezug zu Israel her, ohne dass Fahrmbacher hier das Wort „Israel“ zu Papier gebracht hätte. Ein früher Elefant im Raum sozusagen, dem, wie wir sehen werden, weitere folgen sollten. Es hieß dort: „Die teilweise bitteren Erfahrungen der ägyptischen Armee während der Kämpfe 1948/49 in Palästina, vor allem hinsichtlich Ausbildung und Güte der Waffen, veranlaßte 122

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Vgl. dazu Elzer, Militärberater. Elzer stützt sich wiederholt auf den Beitrag von Ahmad Mahrad, Ehemalige nationalsozialistische Militärexperten im Dienste der ägyptischen Revolutionsregierung 1952–1955, in: Hannoversche Studien über den Nahen Osten, Bd.  1, 1986, S.  125–179. Siehe auch Wolfgang J. Schwanitz, Deutsche in Nahost 1946–1965: Sozialgeschichte nach Akten und Interviews, Erster Bd., Habil.-Schrift FU Berlin, Princeton NJ, 1995. Ferner Ulrike Becker, Die deutsche Militärberatergruppe in Ägypten 1951–1958, in: Martin Cüppers, Jürgen Matthäus und Andrej Angrick, Naziverbrechen, Darmstadt 2013, S. 335–349. Der Spiegel Nr. 15 vom 8. April 1952, „Heil Rommel“. Wilhelm Fahrmbacher, Sieben Jahre Berater bei der ägyptischen Armee, in: Wehrkunde, VIII. Jg., Heft 1, Januar 1959, S. 1–9.

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das ägyptische Kriegsministerium, den Rat und die Hilfe ausländischer, militärischer Experten in Anspruch zu nehmen, um eine Wiederholung solcher Erscheinungen in Zukunft zu vermeiden“. Vier Jahre nach Erscheinen dieses Beitrages äußerte sich Fahrmbacher in einem Leserbrief deutlicher.125 Nun schrieb er: „Die Heranziehung von deutschen Beratern ergab der ägyptisch-israelische Feldzug 1948/49, da während dieses Feldzuges sich deutlich herausgestellt hatte, daß die ägyptische Armee völlig unzureichend bewaffnet und ausgerüstet war, und weil man die deutschen Kriegserfahrungen in Führung und Ausbildung verwerten wollte“.

Man wird Fahrmbacher wohl nicht zu nahe treten, wenn man seine Formulierungen so deutet, dass die deutsche Expertise dabei behilflich sein sollte und wollte, die „zweite Runde“, also einen neuerlichen arabischen Waffengang gegen Israel, erfolgreich zu gestalten. Gleich zu Beginn seines Fachbeitrages von 1959 umriss Fahrmbacher die „Arbeitsgebiete“, die für die gesamte deutsche Mission in Ägypten seit März 1951 festgelegt worden seien: „1. Vertrautmachen der Armee mit einer neuzeitlichen Kampfführung einschl. Verbesserung der Organisation und Bewaffnung. 2. Beratung der Marine in der Erfüllung der ihr vorbehaltenen Aufgaben. 3. Schaffung einer Wehrwirtschaft, soweit eine solche in Ägypten möglich und förderlich war. Im Zuge dieser Absichten wurden nach einigen vorbereitenden Besprechungen im März 1951 als Berater für die Armee: General der Artillerie a. D. W. Fahrmbacher, für die Marine: Kapitän zur See a. D. von Bechtolsheim, für die Wehrwirtschaft: Dr. W. Voß, einstiger Wehrwirtschaftsführer nach Ägypten berufen“126.

In seinem Leserbrief von 1963 in der FAZ nannte Fahrmbacher eindeutig Wilhelm Voss als führenden Kopf der deutschen Mission. Eine auf den 30. April 1953 datierte „Liste der Expertengruppe ‚Armed Forces‘“, die Bonns Botschafter in Kairo, Pawelke, an das Auswärtige Amt sandte, nannte zunächst 31 Namen mit Fahrmbacher an der Spitze, sodann 11 Zivilangestellte bei der Forschungsstelle für Sprengstoffe und Waffen, sodann „Dr. Wilhelm Voss und Sepp Tiefenbacher127 (Oberst der Polizei,

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Fahrmbacher, Leserbrief, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. April 1963. Fahrmbacher, Sieben Jahre, S. 2. Wie Voss hatte auch Tiefenbacher nach Kriegsende eine neue Heimat in Rottach-Egern am Tegernsee gefunden.

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SS-Obersturmbannführer)“ sowie schließlich „frühere Angestellte der Skoda-Werke, von Dr. Voss nach Ägypten mitgebracht“, mit den Namen Gabor von Moricz und Vaclav Kostroun.128 In Fahrmbachers Wehrkunde-Beitrag von 1959 dominieren ganz überwiegend defensive strategische und taktische Überlegungen gegenüber eingestreuten offensiven Gedanken hinsichtlich seiner militärischen Planung für die ägyptischen Streitkräfte. Für die Arbeit seiner Gruppe Armed Forces, in der er sich selber als eine Art „primus inter pares“ sah und die nach seinen Angaben nie mehr als 67 Personen umfasste, hatte er eine „Dienstordnung“ mit folgenden „Richtlinien“ entworfen: Erstens: Keine irgendwie geartete politische Tätigkeit, vor allem keine Einmischung in ägyptische Angelegenheiten. Zweitens: Keinerlei Beratung in Angelegenheiten, die als Kommando-Unternehmungen, Untergrundbewegung etc. anzusprechen waren.129 Drittens: Keine Betätigung in Beschaffungsangelegenheiten der Armee und Viertens: Keine Verbindung mit Deutschen, die durch politische oder SD-Betätigung während des Krieges belastet schienen.130 Es ist im Nachhinein schwer zu prüfen, ob diese Richtlinien tatsächlich von Anbeginn der deutschen Mission Armed Forces maßgeblich für ihre Arbeit waren, oder ob sie wenigstens z. T. ex post formuliert worden waren. Denn vor allem die Punkte 2 und 4 waren mal mehr und mal weniger Gegenstand von Schuldzuweisungen verschiedener Seiten und unterschiedlicher Art während die Mission lief, wie noch zu zeigen sein wird. Nur so viel an dieser Stelle zum vierten Punkt: Dass sich ausgerechnet im Nachlass des SS-Obersturmbannführers Otto Skorzeny eine mehrseitige, detaillierte Denkschrift eines deutschen Militärberaters in Kairo über die technische Ausrüstung der ägyptischen Armee findet – Absender: „Expert’s Board, Armed Forces, Section Q. M. G./17, Lt. Col. [Oberstleutnant, A. H.] Herbert Boemert“ – scheint darauf hinzudeuten, dass die Distanz zwischen den Militärs und den SD-Leuten vielleicht doch nicht so groß war.131 Immerhin hielt sich Skorzeny 1953 zweimal in Kairo auf. Jahre nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik legte Wilhelm

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Vgl. Elzer, Militärberater, S. 234, Anm. 81. Fotokopie der Liste bei W. J. Schwanitz, Nahost, Dokument 8 nach S. 208. Damit war vor allem die Guerilla-Aktivität von Ägyptern gegen die Briten in der Kanalzone, aber wohl auch Unternehmungen arabischer Fedayin gegen Israel gemeint. Gemeint war hier der Sicherheitsdienst (SD) des Reichsführer-SS Heinrich Himmler. Datum der Denkschrift 30. März 1953. Österreichisches Staatsarchiv, Kriegsarchiv, Wien, NL Otto Skorzeny, Mappe „Artikel etc.“.

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Fahrmbacher als Leiter der Gruppe Armed Forces öffentlich Wert auf die Feststellung, er habe Skorzeny während dessen Aufenhalten in Kairo nicht getroffen, ja nicht einmal gesehen.132 Auch die Enthaltsamkeit der deutschen Berater hinsichtlich der „Beschaffungsangelegenheiten“ (Punkt 3) wird man kritisch sehen dürfen. Mit dem für die Fallschirmjäger-Ausbildung verantwortlichen Gerhard Mertins war zugleich ein mit allen Wassern gewaschener Geschäftsmann an den Nil gekommen, dessen große Zeit als Chef der von ihm 1960 in Genf gegründeten Waffenhandelsfirma Merex allerdings erst noch bevorstand. Mertins selber hat über sich in einer Kurzbiografie für die Jahre 1951–1955 angegeben: „Leiter einer Militärberater-Gruppe (Fallschirmjäger) beim Verteidigungsministerium Ägyptens“. Seinem Freund Heinz Vielain, ehemals Leiter des Bonner Büros der „Welt am Sonntag“, erzählte er, dass er Fallschirme für Ägypten aus der Bundesrepublik beziehe. Vielain: „Bald rollen deutsche Lastwagen für die Armee durch den Wüstensand, dann schließlich wird mancherlei wehrtechnisches Gerät aus Düsseldorf erprobt, […]“133. Wilhelm Fahrmbacher könnte also die genannten vier Punkte wenigstens teilweise nachträglich formuliert und publiziert haben, um seine und die Arbeit seiner Leute geradlinig und einwandfrei erscheinen zu lassen. Denkbar ist natürlich auch, dass er von manchem nichts mitbekommen hatte, oder es ihm nicht gelungen war, sich in jedem Punkt durchzusetzen. Schon im Frühjahr 1951 ließen die Ägypter Fahrmbacher von Militärpolizisten bewachen, da sie vermuteten, dass die Israelis über die Ankunft der deutschen Militärs am Nil informiert waren. Er erhielt bis zum Sommer 1958, als mit seiner Rückkehr in die Bundesrepublik das Kapitel der deutschen Militärberatung in Ägypten endete, eine Dienstpistole nebst Munition zum „Selbstschutz“. Mit der Pistole sei, so Fahrmbacher, „niemals eine Handlung erfolgt“134. Während Fahrmbachers eigene Tätigkeit vor allem darin bestand, in der Kairoer Kriegsakademie Vorträge zu militärischen Fragen zu halten, Denkschriften („Memos“) zu verfassen und taktische Aufgaben zu stellen – im Ergebnis rund 150 – waren ägyptische Berater in Untergruppen mit folgenden Schwerpunkten befasst: Infanterie, Panzertruppe, Aufklärungstruppe, Artillerie, Panzerabwehr, Pioniere, Fallschirmtruppe, Nachrichtentruppe, Waffen-, Sperr- sowie Nachschubwesen. Hinsichtlich der Artillerie bemerkte Fahrmbacher, dass es bei der Flakartillerie schwierig gewesen sei, mit der „sprunghaften Entwicklung“ auf diesem Gebiet Schritt zu halten. „Zur Zeit“ werde das Bestmögliche erstrebt, schrieb er in seinem Beitrag von 1959, und fügte mit Blick auf die Suezkrise nicht ohne einen Anflug von Stolz hinzu: „Bei der Abwehr der britischen Luftangriffe im November 1956 auf ägyptische Anlagen konnte die Flak,

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Fahrmbacher, Leserbrief. Heinz Vielain, Waffenschmuggel, Herford 1986, hier nach Peter F. Müller und Michael Mueller, Gegen Freund und Feind, Reinbek 2002, S. 337. Fahrmbacher, Leserbrief.

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fast überraschenderweise, einige Erfolge verzeichnen“. Auch in Bezug auf die Fallschirmtruppe mochte sich Fahrmbacher in seinem Text für die Wehrkunde einer kleinen Erfolgsmeldung nicht enthalten: „Durch die Anleitung eines überall anerkannten Kommandeurs der ehemaligen deutschen Fallschirmtruppe, […], gelang es, die Fallschirmjäger auch im Erdkampf nach dem Sprung, was zuerst zurückhing, zu fördern. So kann die Truppe nun weiter arbeiten“. Besagter Kommandeur war Gerhard Mertins, den die Briten mit Blick auf die GuerillaKämpfe in der Kanalzone mehr fürchteten als „anerkannten“, wie Fahrmbacher sich ausdrückte. Bei anderer Gelegenheit attestierte Fahrmbacher einem weiteren „souveränen Fallschirmer“ unter seinen Fittichen „besten Erfolg“. Friedrich-August von der Heydte, späterer Staats- und Völkerrechtler und als enger Freund von Franz Josef Strauß maßgeblich in die „Spiegel-Affäre“ von 1962 verwickelt, habe am Nil ein vierteljähriges Gastspiel gegeben.135 In seinem Aufsatz für die Wehrkunde beschäftigte sich Fahrmbacher recht ausführlich mit der Einteilung der ägyptischen Landfläche nach Himmelsrichtungen zwecks militärstrategischer Analyse. Es wäre interessant zu wissen, ob zeitgenössische israelische Fachleute die einschlägigen Ausführungen des ehemaligen Artilleriegenerals zur Kenntnis genommen und wie sie diese ggf. bewertet haben. Denn fast immer ging Fahrmbacher implizit von einem Feindstaat Israel aus, der Ägypten aus „Nord, West, Süd und Ost“ angreifen könne. Während er naturgemäß einen solchen Angriff von der Mittelmeerküste (Nord), von Libyen aus (West) oder gar aus dem Süden, also den Küsten des Roten Meeres mit wenigen Sätzen als eher unwahrscheinlich abtun konnte, widmete er sich – ebenfalls wenig überraschend – ausführlich dem Osten, da „dieser Raum zweifellos das interessanteste Operationsgebiet“ sei. Denn die ägyptische Sinai-Halbinsel mit ihrer rund 150 km langen gemeinsamen Landgrenze zu Israel bildete einen „richtigen Puffer“ zwischen dem Land am Nil und dem jüdischen Staat, erläuterte Fahrmbacher. Er gliederte den Sinai in mehrere Abschnitte und diskutierte verschiedene Operationsmöglichkeiten in ihnen. Insbesondere ein von ihm so bezeichneter „Mittelabschnitt“ sei „vom militärischen Standpunkt aus der weitaus bedeutungsvollste“136. Fahrmbachers Beitrag aus dem Jahre 1959 stand noch unter dem Eindruck des Sinaikrieges von 1956. Im Gegensatz zu den Kämpfen im Sinai während des Ersten Weltkrieges infolge des deutsch-türkischen Vorstoßes von 1916 sowie während des Zweiten Weltkrieges in den Jahren 1942/43 von Westen her durch das Afrika-Korps Rommels, traten die Ägypter, so Fahrmbacher, im Sinaikrieg „selbst 135

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ETH Zürich, Archiv für Zeitgeschichte, NL Georges Brunschvig/57, Interview mit General a.  D. Fahrmbacher in der ARD, Anmoderation von Nahost-Korrespondent Heinz Metlitzky, undatiert, transkribiert am 17. April 1963. Fahrmbacher begrenzte diesen Abschnitt im Norden durch die „gute Straße“ von Ismailia in Ägypten (Westen) bis zur israelischen Grenze im Osten bei El Auja, im Süden etwa südlich der „alten Pilgerstraße nach Mekka“ in einer Linie vom ägyptischen Suez (Westen) bis Ras al Naqb im Osten nahe dem israelischen Hafen Elath am Nordende des Golfes von Aqaba.

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als Verteidiger ihres Landes in Erscheinung“. Bisher, erläuterte der Verfasser, „war das ägyptische Volk bei Auseinandersetzungen meist nur am Rande oder mehr als Zuschauer beteiligt gewesen, jetzt griff es selbst zur Waffe“. Im Sinaikrieg von 1956 seien die deutschen Berater an den „Aktionen weder in Führung noch Beratung beteiligt“ gewesen, wenn auch die „Abwehrlage für die in Frage kommenden Räume […] schon früher geprüft worden“ sei. „Die ägyptische Führung handelte völlig unabhängig von gemachten Vorschlägen, insbesondere, weil der Ausbau der Armee noch gar nicht abgeschlossen und neuartige Gedanken noch nicht zur Ausreife gelangt waren“. Ungeachtet dieser Zurückhaltung konnte sich Fahrmbacher ein geradezu gerissen anmutendes Lob für seine und seiner Mitstreiter Arbeit doch nicht ganz verkneifen, wenn er resümierte: „Soweit festgestellt werden konnte, begrüßte man auf israelischer Seite, daß die Abwehrgedanken der deutschen Berater noch nicht in die Tat umgesetzt waren“. Die Israelis hatten also, gelinde gesagt, Respekt vor der Arbeit der deutschen Militärberater. Man wüsste gern, auf welche Weise der hier angedeutete, angebliche Respekt der Israelis festgestellt worden war. Weniger gerissen verhielt sich der General a. D. gegenüber dem israelischen Spion Avri ElAd, mit dem ihn und seine Gattin in Ägypten ein nahezu freundschaftliches Verhältnis verband. Natürlich wusste das Ehepaar weder von der Spionagetätigkeit El-Ads noch von dessen israelischer Identität, denn dieser hatte sich bei dem Ehepaar und anderen Deutschen in Ägypten als deutscher Geschäftsmann und ehemaliger Fallschirmjäger namens Paul Frank eingeführt.137 Wiederholt unternahm man in Kairo und Umgebung gemeinsame Freizeit-

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Geboren in Wien als Avri Seidenwerg war Paul Frank alias El Ad vom israelischen Militärgeheimdienst Aman nach Kairo entsandt worden, um dort die Operation „Susannah“ aufzuziehen. Aus der fehlgeschlagenen Operation entwickelte sich später in Israel die jahrelange „Affäre Lavon“. Dass Paul Frank in Ägypten sehr bald in engen Kontakt mit der dortigen deutschen Community kam, verdankte sich einem bemerkenswerten Zufall. Beim Verlassen der Fähre, die Frank mit seinem Plymouth und den deutschen Botschafter Günther Pawelke mit seinem Fahrzeug im Dezember 1953 von Italien nach Alexandria gebracht hatte, stellte Pawelke indigniert fest, dass Frank an seinem Wagen einen Wimpel mit den deutschen Farben inklusive Adler führte. Dies kam nach seiner Meinung nur dem deutschen Botschafter in Ägypten zu. Nach einem Überholmanöver auf der Straße nach Kairo stellte Pawelke Frank zur Rede. Frank spulte nun zum ersten Mal seine Legende vom deutschen Geschäftsmann herunter und erklärte den Wimpel mit einer zusätzlich geplanten Tätigkeit für den Allgemeinen Deutschen Automobil-Club (ADAC) im Land am Nil. Nachdem Pawelke den Adler als den des ADAC erkannt hatte, entspannte sich die Situation, und Frank sah sich unversehens zum Weihnachtsempfang in die Residenz des deutschen Botschafters eingeladen. Seither datierten zahllose private Begegnungen Franks mit Mitgliedern der deutschen Gemeinde einschließlich der ersten Gruppe von Raketenexperten aus der Bundesrepublik. Mehr als einmal musste Frank höllisch darauf achten, seine israelische Identität zu verbergen. Vgl. Avri El-Ad, Decline of Honor, Chicago 1976. „Der Spiegel“ brachte in seiner Nr. 15 vom 2. April 1972 unter der Überschrift „Der dritte Mann“ einen Bericht über El-Ads Tätigkeit in Ägypten, in dem am Ende das baldige Erscheinen der Erinnerungen El-Ads (eben „Decline of Honor“, A. H.) angekündigt wurde. Das ebenfalls in

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aktivitäten. Bei einer Gelegenheit fuhr Fahrmbacher zusammen mit Paul Frank und zwei ägyptischen Offizieren in Franks Plymouth die Sinai-Halbinsel hinunter bis kurz vor das Katharinenkloster, das sie dann jedoch nur zu Fuß erreichen konnten. Ein gewisses Misstrauen der ägyptischen Begleiter ihm gegenüber vermochte Frank beim nächtlichen Biwakieren in der Wüste mit reichlich Scotch aufzulösen. Fahrmbacher hingegen vertraute Frank uneingeschränkt und erläuterte ihm während der Exkursion anhand von Kartenmaterial detailliert die Schwachstellen der ägyptischen Verteidigungsstrategie auf der Halbinsel. Bei nächster sich bietender Gelegenheit übermittelte Frank seine neuesten Kenntnisse seinem Hauptquartier in Israel. Nach dem Sinai-Trip habe die Zukunft Israels „ein wenig mehr geleuchtet“, hielt er in seinen Erinnerungen fest.138 Gut 200 km von Kairo entfernt wirkte in der Hafenstadt Alexandria eine weitere Gruppe der deutschen Militärberater, die Marineexperten. Es handelte sich um eine den Briten im Lande besonders unangenehme Marine-Einheit, zu der die „Asse der ehemaligen ‚Frösche‘ (Ein-Mann-Torpedos, Zwerg-U-Boote und ferngesteuerte Motorboote mit Sprengkörpern) wie Kapitän zur See a. D. Theodor von Bechtolsheim und Fregattenkapitän Wormser“139 gehörten. Ägypten hatte damals zwar keine eigene Flotte, aber es verfügte über exzellente Langstreckenschwimmer. Ohne Ausnahme waren sie Berufssoldaten in König Faruks Erster Armee. Die 70 besten Schwimmer trainierte der in Deutschland zum Mediziner ausgebildete Armee-Oberstabsarzt Omar Sabry, der nun zusätzlich für die deutschen Marine-Offiziere dolmetschte. Franz-Georg Freiherr von Bechtolsheim, der Sohn Theodor von Bechtolsheims, erinnert sich, dass sein Vater kaum Kontakt mit den anderen deutschen Militärs in Kairo hatte: „Er war halt Mariner“. Bemerkenswert erscheint, dass der Sohn in Alexandria die dortige britische Schule besuchte, wo die Briten doch dem Treiben der deutschen Marinefachleute mehr als argwöhnisch gegenüberstanden.140 Zur Überraschung der Deutschen erfolgte bereits im April 1954 die Entlassung dreier Marineexperten durch die ägyptische Regierung, darunter auch Theodor von Bechtolsheims. Eine Begründung für diesen Schritt erfolgte nicht; die amerikanische CIA, die über die Entlassung

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dem Bericht erwähnte Buch des britischen Journalisten L. Shearer über El-Ads Arbeit am Nil konnte trotz detaillierter Angaben in dem Spiegel-Artikel nicht verifiziert werden. Auch Joel Beinin, einem amerikanischen Experten für die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Ägypten an der Stanford University, ist das Werk Shearers nicht bekannt. Der Verfasser bedankt sich bei Prof. Beinin für eine entsprechende Information per E-mail vom 15. Juli 2020. Vgl. auch Joel Beinin, The Dispersion of Egyptian Jewry, Berkeley 1998. El-Ad, Decline, S. 108f. Vgl. Der Spiegel Nr. 15 vom 8. April 1952, „Heil Rommel“. Der Verfasser dankt Herrn Franz-Georg Freiherr von Bechtolsheim für per E-mail vom 30. November 2019 übermittelte Informationen.

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informiert war, sprach in einer Meldung vom 4. Mai 1954 von einem „ernsthaften Riss“ zwischen den Marinern und der Kairoer Regierung.141 El-Ad alias Paul Frank berichtet in seinen Memoiren, dass ihm sein deutscher Fallschirmjägerkollege Gerhard Mertins einmal gesteckt habe, von Bechtolsheim werde von den Ägyptern verdächtigt, Kontakt mit den Briten zu pflegen. Das, so El-Ad, erkläre einiges hinsichtlich von Bechtolsheims Entlassung.142 Einigermaßen makaber mutet die Tatsache an, dass die Entlassung von Bechtolsheims durch Präsident Nagib ausgerechnet in Gegenwart eines israelischen Spions erfolgte. El-Ad war als guter Bekannter der Familie von Bechtolsheim bei der Entlassungsfeier in Kairo zugegen. Folgt man der Darstellung El-Ads in dessen Erinnerungen, hörte er bei dieser Feier erstmals von den Russen als den kommenden starken Männern in Ägypten, als nämlich Nagib die Bemerkung fallen ließ, „die jungen Offiziere“ – und damit war auch Gamal Abdel Nasser gemeint – glaubten, „die Amerikaner seien besser als die Briten und die Russen besser als beide zusammen“. Und Nagib habe weiter sinniert „Sie werden ihre Lektion lernen, sie werden lernen“. Nagib, so El-Ad, habe die deutschen Marineberater im Lande halten wollen. Kurz habe er darüber während der kleinen Zeremonie gesprochen, bevor er die Arbeit Theodor von Bechtolsheims lobte. In makellosem Deutsch erklärte er dem scheidenden Kapitän a. D.: „Die Republik schuldet Ihnen ein großes Maß an Dankbarkeit, Herr Baron!“ El-Ad zufolge gab Nagib während der Feier keinen Grund für die Entlassung an, sie sei offenkundig das Werk Nassers gewesen. Abgesehen von den hier herangezogenen Selbstzeugnissen Wilhelm Fahrmbachers besitzen wir nur wenig Kenntnis über die Tätigkeit der damals als „geheimnisumwittert“ (E. Helmensdorfer) beleumundeten deutschen Militärberater in Ägypten, über die der ehemalige dpa-Korrespondent in Kairo, Erich Helmensdorfer, Mitte der siebziger Jahre schrieb, Offiziere der ägyptischen Streitkräfte sprächen „noch heute mit Hochachtung von ihnen“143. Anders sieht die Informationslage hinsichtlich Konflikten aus, in welche die deutsche Militärmission als Teil der von Wilhelm Voss geführten Berater aus der Bundesrepublik geriet. In den fünfziger Jahren braute sich in Kairo eine kaum zu entwirrende Verquickung widerstreitender Interessen zusammen, in welche die Berater unweigerlich hineingezogen wurden. Die politische Großwetterlage wurde dabei vom Kalten Krieg geprägt, ferner von dem britisch-ägyptischen Streit um die Suezkanalzone einschließlich der ägyptischen Guerillaaktivität dort, weiter durch das Luxemburger Abkommen zwischen Bonn und Tel Aviv sowie, last but not least, von der ägyptischen Revolution 1952 und ihrer Entwicklung. Weltweites Interesse erregte das Auftreten ehemaliger, z. T. prominenter Nationalsozialisten mit ihren Ambitionen unter den Pyramiden, von denen die geschäftlichen kaum die belanglosesten waren. Es 141 142 143

CIA (FOIA), Voss, Friedrich Wilhelm_0063.pdf. El-Ad, Decline, S. 103f. Erich Helmensdorfer, Die große Überquerung. Der neue Geist Ägyptens, Percha 1975, S. 26.

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wimmele im Kairoer Straßenverkehr von Autos mit deutschen Kennzeichen, schrieb der britische Journalist und Buchautor Norman Barrymaine anlässlich eines Besuches in der ägyptischen Hauptstadt um 1955, doch jegliche Nachfrage wegen der Deutschen sei „not welcome“144.

Guerillas, Gerüchte und Geschäfte Mit einer „Mitteilung“ wandte sich Wilhelm Fahrmbacher in seiner Eigenschaft als Chef der Gruppe Armed Forces am 16. Mai 1953 „an alle Herren“ dieser Gruppe. Darin erklärte er, dass „für die Angehörigen der Expertengruppe ausgeschlossen“ sei, sich in irgendeiner Weise an der Ausbildung von Freischärlern für den Guerillakrieg zu beteiligen oder überhaupt Besprechungen oder Diskussionen in dieser Angelegenheit mit ägyptischen Offizieren zu führen. „In gleicher Weise“, fuhr die Mitteilung fort, „sind Erörterungen über die Lage am Kanal zu unterlassen, und jegliches Interesse für diese Fragen ist in Gesprächen mit ägyptischen Offizieren zurückzustellen. Auch Übersetzungen aus Zeitungen, die diese Fragen oder die Stellung der Experten hierzu betreffen, sind unzulässig. Ich bin verpflichtet, darauf aufmerksam zu machen, dass die Nichtbeachtung obiger Anordnung zu entscheidenden Konsequenzen für den Betreffenden führen wird“.

Am nächsten Tag ergänzte Fahrmbacher diese Mitteilung mit folgender „Richtlinie“, die offenbar Bezug auf den Zweiten Weltkrieg nahm: „Guerillakrieg war nicht Aufgabe der deutschen Armee, wurde sogar von deutschen Soldaten strikt abgelehnt. Daher kann auch keine Beratung auf diesem Gebiet erfolgen, da keinerlei praktische Erfahrungen hierfür vorliegen. Die Truppe wurde nur im Kampf gegen Guerillas nach Bedarf geschult. In diesem Sinne habe ich vor einigen Tagen an die einschlägige Dienststelle gemeldet“.

Der englischsprachige Text an diese Dienststelle richtete sich an den ägyptischen Generalstabschef. Fahrmbacher bat diesen zusätzlich darum, dafür Sorge zu tragen, dass ein deutsches Trainingslager für Ingenieure am Suezkanal so lange seine Arbeit unterbrechen möge, wie der

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Österreichisches Staatsarchiv, Kriegsarchiv, Wien, NL Otto Skorzeny, Mappe „Ägypten (Pressekonferenz)“, Report on José Perez by Norman Barrymaine, confidential, S. 8.

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Guerillakrieg dort andaure.145 Möglicherweise sah sich Fahrmbacher aufgrund von Druck aus Bonn genötigt, so zu handeln. Denn in der Bundeshauptstadt hatten inzwischen die Briten ihren Unmut über das Treiben der deutschen Militärs am Nil zum Ausdruck gebracht.146 Bereits im Spätsommer 1951 hatte die deutsche Presse über ehemalige Wehrmachtsangehörige in Syrien und Ägypten berichtet, und auch europäische Zeitungen hatten sich dieses Themas angenommen.147 Der designierte deutsche Botschafter in Kairo, Pawelke, bat im Auswärtigen Amt um eine „Sprachregelung“ für den Fall, dass er mit dem Thema vor Ort konfrontiert würde. Die Bundesregierung beschäftige sich nicht mit der Benennung militärischer Experten, lautete dann die Sprachregelung. Erstmals brachte der Hohe Kommissar Großbritanniens in der Bundesrepublik, Sir Ivone Kirkpatrick, am 23. Januar 1952 die Besorgnis seiner Regierung wegen der deutschen Militärs zum Ausdruck. Bundeskanzler Adenauer antwortete am 12. Februar, die Bundesregierung sei an einem Weg interessiert, auf dem die Anwerbung deutscher Soldaten für Ägypten unterbunden werden könne. Der Alliierte Kontrollrat habe jedoch eine solche Anwerbung 1946 grundsätzlich gestattet. Eine Passverweigerung ohne Vorliegen einer Straftat sei rechtlich nicht haltbar. Die Bundesregierung könnte jedoch die deutschen Vertretungen im Ausland – etwa in „Buenos Aires“ – anweisen, Passanträge für Reisen mutmaßlicher Offiziere nach Ägypten möglichst nicht zu bewilligen.148 Meldungen über reguläre Werbestellen in der Bundesrepublik seien hingegen unzutreffend. Tatsächlich fehlte den deutschen Behörden die rechtliche Grundlage zur Intervention, denn die Alliierten hatten auf Betreiben Frankreichs das Verbot des Kriegsdienstes in anderen Ländern für Deutsche aufgehoben. Dahinter steckte die Pariser Absicht, Deutsche für die französische Fremdenlegion zu gewinnen.149 Um sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen, flog am 29. September 1952 Alexander Böker, der persönliche Referent von Ministerialdirektor Herbert Blankenhorn, in geheimer Mission nach Kairo und legte Anfang Oktober dem Auswärtigen Amt einen Bericht über seine Erkenntnisse vor. Hinsichtlich der deutschen Militärexperten kam er darin zu dem Schluss, dass deren Zahl und Bedeutung übertrieben werde. Als Mitglied der Gruppe Armed Forces

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Vgl. AAPD, 1953, I, Nr. 183, Fußnoten 11 und 12, S. 566. Vgl. dazu: Michael Wolffsohn und Ulrich Brochhagen, Hakenkreuze unterm Burnus? Großbritannien und die deutschen Militärberater in Ägypten 1951–1956, in: Ludger Heid und Joachim H. Knoll (Hg.), Deutsch-jüdische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1992, S. 513–542. Dies und das Folgende nach Elzer, Militärberater, S. 226ff. Die Herausstellung gerade der argentinischen Hauptstadt erfolgte offensichtlich aufgrund eines Berichts des Argentinien-Korrespondenten der ägyptischen Zeitung „al-Misr“ vom Herbst 1951 über einige am La Plata ansässige deutsche Offiziere, die bereit seien, in ägyptische Dienste zu treten. Vgl. Mahrad, Militärexperten, S. 126. Vgl. Elzer, Militärberater, S. 227.

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hatte General Oskar Munzel ihn darüber aufgeklärt, dass dieser Gruppe nicht etwa mehrere hundert, sondern nur achtzehn Männer angehörten. Diese geringe Zahl mochte vielleicht zu einem bestimmten Zeitpunkt zugetroffen haben, sie lag jedoch weit unter jener, die, wie oben gezeigt, General Fahrmbacher selber nach Beendigung der Beratungstätigkeit öffentlich nennen sollte. Munzel hatte Bökers Bericht zufolge versichert, dass man deutscherseits am Nil weder bei den Ägyptern noch bei den Briten anecken wolle. Wer bei der Ausarbeitung operativer Pläne mitwirke, lehne es ab, ihnen einen anti-britischen Charakter zu verleihen.150 In Kairo suchten die Briten selber den Kontakt zu den Deutschen. Aus einem Gespräch mit General Munzel erfuhr der britische Militärattaché an der britischen Botschaft Anfang 1953, dass etwa 30 frühere deutsche Offiziere für die ägyptische Armee tätig seien. Die deutschen Berater übten dabei, so der General, keine exekutiven Funktionen aus. Nicht zuletzt deshalb betrachte er seine Versuche, die ägyptische Armee mit modernen Waffen vertraut zu machen, als Zeitverschwendung. Die Ägypter beschrieb er als große Bewunderer Hitlers. Besonders General Nagib versuche diesen nachzuahmen. General Munzel erklärte in seinem Gespräch mit dem Militärattaché ferner, die Ägypter würden zwar in erster Linie gegen Israel rüsten; er warnte sein britisches Gegenüber aber auch unmissverständlich: „Die hassen Euch noch viel mehr als die Juden!“151 Am 1. April 1953 berichtete Botschafter Pawelke aus Kairo, ein britischer Diplomat habe ihm gegenüber die Sorge der Londoner Regierung wegen der deutschen Militärberater am Nil zum Ausdruck gebracht. An der Themse zweifle man beschwichtigende Meldungen der eigenen Botschaft an: Man fürchte den Einfluss maßgeblicher Nationalsozialisten in Ägypten. Knapp zwei Wochen später informierte der deutsche Gesandte in London, Hans SchlangeSchöningen, das Auswärtige Amt über den Stand der britisch-ägyptischen Beziehungen. Zu diesem Thema habe er zuvor mit dem im Foreign Office für Ägypten zuständigen Beamten R. T. D. Ledward gesprochen. Ledward habe ihm bedeutet, dass man in London davon überzeugt sei, dass General a. D. Fahrmbacher und seine Leute Personal für den Guerillakrieg ausbilden sollten, „während Dr. Voss vor allem auf dem Gebiet der politischen Schulung in scharf anti-britischem Sinne tätig sein soll“152. Ledward machte Schlange-Schöningen des Weiteren auf Informationen aufmerksam, denen zufolge einige der Militärberater Kontakte nach OstBerlin unterhielten, eine Überprüfung durch Bonner Stellen empfehle sich. Immerhin hatte ein Pressedienst bereits am 17. Februar 1953 gemeldet, in Potsdam gebe es einen Stab namens „Ikarus“, der deutsche Militärs und Fachleute für den Nahen Osten anwerbe mit dem Ziel, die sowjetfeindlichen Experten aus der Bundesrepublik aus Ägypten herauszudrängen.

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Ebd., S. 230. Vgl. Wolffsohn/Brochhagen, Hakenkreuze, S. 524f. Hier auch Quellennachweise aus Akten der National Archives in Kew, London. AAPD, 1953, I, Nr. 118.

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Vor dem Hintergrund des sich bedrohlich entwickelnden Kalten Krieges – auf der koreanischen Halbinsel ging zeitgleich ein heißer Krieg zwischen Ost und West seinem Ende entgegen – mochte vielleicht auch in London die Tätigkeit westdeutscher Militärberater in Ägypten mehr und mehr in einem anderen Licht erscheinen: besser westdeutsche Experten dort als ostdeutsche. Zu dieser Zeit hatte Winston Churchill als Chef einer konservativen Regierung anstelle des schwer erkrankten Außenministers Anthony Eden die Verhandlungen mit Ägypten wegen der Zukunft der Suezkanalzone selber in die Hand genommen. Anders als der in dieser Frage kompromissbereitere Eden, anders auch als die amerikanische Regierung, war der Premierminister nicht zu einer Aufgabe der britischen Militärbasis am Kanal bereit.153 Er hatte deshalb auch ein besonderes Auge auf die deutschen Militärfachleute am Nil. Für den britischen Diplomaten William Strang notierte er am 23. April 1953, dass die letzten Geheiminformationen zeigten, „wie gefährlich es wäre, den Dingen ihren Lauf zu lassen, während Nagib Nazis dazu benutzt, um die ägyptische Armee und deren terroristische Hilfstruppen in Sabotage und Guerillakrieg auszubilden“. Auch gegenüber dem amerikanischen Außenminister John F. Dulles verwies er auf die Gefahren einer ägyptischen Armee „unter der Vormundschaft von Nazi-Verbrechern“. Am 4. Mai sprachen die Briten Schlange-Schöningen in London erneut auf das Thema „Militärberater“ an. Nachweislich habe sich die Haltung der Ägypter in den Verhandlungen über die Zukunft der Kanalzone aufgrund der Tätigkeit der deutschen Militärs versteift. Kaum zehn Jahre nach Kriegsende könne das deutsch-britische Verhältnis „erheblich belastet werden“, wenn es am Suezkanal zu feindseligen Handlungen durch von Deutschen ausgebildete „Partisanen“ käme. Im britischen Unterhaus sprach Churchill nun auch offen von „Nazis“, die in der Kanalzone aktiv seien. Dies war eine höchst undifferenzierte, wenn nicht gar falsche Etikettierung, die aber wohl in der damaligen britischen Öffentlichkeit gut ankommen mochte. Und so überrascht es auch nicht, dass sich General Fahrmbacher in einem Brief an Botschafter Pawelke – sozusagen von Haus zu Haus innerhalb der Mauern Kairos – genötigt sah, „Zeitungsberichten“ zu widersprechen, denen zufolge „Sir Winston Churchill in seiner politischen Rede vor dem Unterhaus von Ex-Nazioffizieren“ in ägyptischen Diensten gesprochen habe.154 Weiter führte Fahrmbacher aus: „Wir fühlen uns durch diese gänzlich unberechtigte Bezeichnung schwer betroffen und empfinden es als eine erneute Diffamierung des deutschen Offiziers vor aller Welt. Diese Äußerung des Premierministers ist schon deshalb nicht stichhaltig, da wir in keinerlei 153

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Dies und das Folgende nach Wolffsohn/Brochhagen, Hakenkreuze, S. 527f. Hier auch in der Fußnote 55 das geschichtsträchtige Bonmot Churchills gegenüber einem Gesprächspartner bzgl. Edens nachgiebiger Haltung: Er habe nicht gewusst, so Churchill, dass München am Nil liege. Damit spielte der Premierminister auf das Münchner Abkommen von 1938 an. Kopie des Schreibens in: Schwanitz, Deutsche, Dokument Nr. 11, nach S. 210.

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Kapitel II: Aufmarsch für die „zweite Runde“ gegen Israel? Zusammenhang mit Dingen stehen, wie man anscheinend vermutet, weiterhin die große Mehrzahl der Experten schon dem 100  000-Mann-Heer [der Weimarer Republik, A. H.] angehörte, einige sogar schon Offiziere in den königlichen Armeen vor 1918 waren. Außerdem ist zu bemerken, daß sämtliche Angehörige der Expertengruppe als nicht betroffen entnazifiziert wurden. Ich darf im Namen der Experten der Gruppe ‚Armed Forces‘ bitten, feststellen zu wollen, ob man an maßgebender Stelle in Bonn gegen diese Bezeichnung, wenn sie überhaupt in dieser Form gefallen ist, Stellung nehmen wird, allenfalls, was in dieser Hinsicht schon geschehen ist“.

Fahrmbacher schloss sein Schreiben mit dem Ausdruck seiner Erwartung, dass der Botschafter „die nötigen Schritte in unserem Interesse als zuständige Stelle ergreifen“ werde. In Bonn trafen hingegen erneut bedenkliche Nachrichten von der Themse ein. Der Gesandte Schlange-Schöningen berichtete von der Mitteilung eines Mitarbeiters im Foreign Office, wonach die Tätigkeit der deutschen Militärsachverständigen eine Bedrohung der Interessen Großbritanniens darstelle, „da die deutschen Experten wesentlich an der Ausbildung von Sabotagetrupps mitarbeiteten“155. Nachdem sich Adenauer und das Auswärtige Amt in der Partisanenfrage lange Zeit mehr oder weniger taub gestellt hatten, entschloss sich der Bundeskanzler schließlich zur Flucht nach vorn. Bei einem Treffen mit Winston Churchill in London am 15. Mai 1953, bei dem es vorrangig um Wirtschaftsfragen ging, brachte er das leidige Thema von sich aus zur Sprache, indem er erklärte, Botschafter Pawelke habe vor einiger Zeit „die Vergangenheit der deutschen Berater erforscht“, sei dabei aber zu keinen dramatischen Ergebnissen gelangt. Die Bundesregierung wolle verhindern, dass deutsche Ausbilder ägyptische Partisanen trainierten. Churchill zeigte sich dankbar für diese Mitteilung, denn die Partisanentätigkeit könnte eine Gefahr für das Vereinigte Königreich darstellen, bewegten sich doch immerhin 20 bis 30  „Moslem-Banden“ in der Kanalzone. Im Übrigen könnten auch deutsche Experten zu Schaden kommen oder in Gefangenschaft geraten. Eine britische Aufzeichnung gab diese Äußerung des Premierministers etwas pointierter wieder: Er sei sicher, so Churchill in der deutschen Übersetzung, „daß der Kanzler in dieser Sache helfen werde. Sollten kenntnisreiche deutsche Offiziere Banden fanatisierter Moslems anführen, gebe es Ärger“156. Am 6. Juni nannte der britische Botschafter in Kairo, Michael J. Creswell, vier deutsche Offiziere, die angeblich paramilitärische Kräfte ausbildeten und nach Möglichkeit aus Ägypten

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Vgl. Wolffsohn/Brochhagen, Hakenkreuze, S. 528. Ebd., S. 529 mit der genauen Quellenangabe in Fußnote 69.

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entfernt werden sollten: Gerhard Mertins alias Metz, Ernst Zolling, Rudolf Roser und Karl Bergholz. Zolling und Bergholz seien darüber hinaus eingefleischte Nationalsozialisten.157 Mertins zählte, wie bereits erwähnt, zu jenen deutschen Experten, die völlig arglos privaten Kontakt zu dem israelischen Spion Paul Frank alias Avri El-Ad unterhielten. In seinen Erinnerungen schildert El-Ad einen Ausflug an den Golf von Suez, den er gemeinsam mit Mertins sowie Theodor von Bechtolsheim und dessen Söhnen unternommen habe. Da ihn mit Mertins die Fallschirmspringerei verband, sei unter dem Sternenhimmel eifrig gefachsimpelt worden. Zu späterer Stunde seien dann, so El-Ad, judenfeindliche Witze gerissen worden, bei denen er beschämt und innerlich erregt mitgelacht habe. Die von Bechtolsheims hätten nicht gelacht.158 Gerhard Mertins war bereits am 4. April 1953 mit einem Brief bei Oberst Bogislaw von Bonin von der Dienststelle Blank vorstellig geworden. In dem Schreiben bat er darum, man möge den Aufenthalt von zwei ägyptischen Offizieren „fruchtbar“ machen, die an der Sporthochschule Köln zu militärischen Sportlehrern ausgebildet würden. Wilhelm Voss werde mit ihm, von Bonin, anlässlich seines kürzlich erfolgten Bonn-Besuches gewiss über Möglichkeiten des Weiteren militärischen Austausches gesprochen haben. Oberst von Bonin empfing daraufhin einen ägyptischen Oberleutnant und zeigte sich hilfsbereit. Erwägungen zu einer künftigen Kooperation auf militärischem Gebiet waren offenbar der Vorläuferin des Bundesministeriums der Verteidigung nicht fremd.159 Hatte sich die britisch-deutsche Kontroverse um die deutschen Militärberater zur Jahresmitte 1953 im Gefolge des Treffens zwischen Premierminister Churchill und Bundeskanzler Adenauer zunächst einmal beruhigt, drohte neues Ungemach durch die Ankunft ehemaliger Nationalsozialisten und anderer Deutscher und Österreicher am Nil. Mit Otto Skorzeny betrat eine der wohl schillerndsten Figuren des untergegangenen „Dritten Reiches“ die ägyptische Bühne. Skorzeny, 1908 in Wien geboren und Ingenieur von Beruf, hatte sich im September 1943 mit seiner Teilnahme an der Befreiung Benito Mussolinis im Rahmen des Unternehmens „Eiche“ auf dem Gran Sasso in Italien weltberühmt gemacht. Als Chef eines Spezialkommandos gelang ihm im Oktober 1944 die Entführung des einzig lebenden Sohnes des ungarischen Staatschefs Miklos Horty, woraufhin dieser den Berliner Wünschen entsprechend abdankte. Während der Ardennenoffensive im Dezember 1944 führte er die als amerikanische GI verkleidete SS-Panzerbrigade 150, was einem Verstoß gegen das Kriegsrecht gleichkam. Wochen darauf, beim Rückzug der Wehrmacht aus dem Osten, kam es u. a. in Schwedt an der Oder zu Hinrichtungen von Zivilisten und Soldaten, die man später ihm zur Last legte. Doch diese Beschuldigung blieb juristisch ebenso folgenlos wie der Vorwurf, er habe in der Pogromnacht vom November 1938 den Brand von Wiener Synagogen zu verantworten. Wo 157 158 159

Vgl. Elzer, Militärberater, S. 235. Vgl. El-Ad, Decline, S. 107. Vgl. Elzer, Militärberater, S. 235.

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immer er auftrat, machte seine hünenhafte Gestalt ebenso Eindruck wie die von einer seiner Mensuren herrührende Narbe auf der linken Wange. „Scarface“, Narbengesicht, lautete denn auch sein Spitzname in der englischsprachigen Welt, „Jagd nach dem Narbengesicht“ hieß der Titel eines 1962 in der DDR erschienen Buches des Stasi-Propagandisten Julius Mader.160

Abb. 7: Otto Skorzeny im Jahre 1963 Im Jahre 1948 gelang Skorzeny auf bis heute ungeklärte Weise die Flucht aus einem amerikanischen Internierungslager in Darmstadt. Er setzte sich in das von General Franco regierte Spanien ab, wo er sich mit einem Ingenieurbüro und einer Import-Export-Firma eine Existenz aufbaute. In Spanien kam es auch bereits 1948 zu einer Begegnung zwischen ihm und einem amerikanischen Nachrichtenoffizier. Nach einem Bericht der US Air Intelligence vom 28. Juni über eines von offenbar mehreren Treffen des Offiziers mit Skorzeny alias Rolf Steinbauer – Steinbauer war der Mädchenname seiner Mutter  – habe sich Steinbauer ausgesprochen freundlich bei diesen Gelegenheiten gegeben. Angesichts der imposanten Gestalt Steinbauers sei die Begrüßung jedes Mal wie durch einen riesigen Bernhardinerhund erfolgt. Steinbauer habe deutlich gemacht, dass Deutschland vor dem Krieg eine starke kommunistische Partei gehabt habe, der es nun leicht zum Opfer fallen könne. Wohl um sich für künftige Aufgaben in Stellung zu bringen, bot 160

Untertitel: Ein Dokumentarbericht über Hitlers SS-Geheimdienstchef Otto Skorzeny, Berlin (Ost).

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Steinbauer seinem Gesprächspartner seine Hilfe für die Vereinigten Staaten an, auf welche Weise auch immer. Allerdings könne dies nicht offen geschehen, da „er fürchte, gegenüber seinen Anhängern sein Gesicht zu verlieren, die vorgäben, rabiat anti-amerikanisch zu sein“161. Mit seinem 1950 erstmals erschienenen und dann wiederholt aufgelegten Memoirenband „Geheimkommando Skorzeny“162 arbeitete Skorzeny selber nach Kräften an seinem eigenen Mythos, den die Nationalsozialisten zuvor mit dem Schlagwort vom „Mussolini-Befreier“ begründet hatten.163 Vor allem die angloamerikanische Literatur hat Otto Skorzeny lange Zeit in Verbindung mit der CIA und der „Organisation Gehlen“, auch kurz Org., gebracht. Benannt nach dem ehemaligen Chef der Abteilung „Fremde Heere Ost“ im Generalstab des Heeres, General Reinhard Gehlen, war die Org. ein mit amerikanischer Unterstützung im Jahre 1946 gegründeter Nachrichtendienst in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands, aus dem 1956 der Bundesnachrichtendienst mit Reinhard Gehlen an der Spitze hervorging. Skorzeny soll demnach Anfang 1953 von Gehlen mit Wissen der CIA sowie mit ausdrücklicher Unterstützung des ehemaligen Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht – Skorzeny und Schacht waren über ihre Ehen weitläufig miteinander verwandt – nach Kairo entsandt worden sein. Seine Aufgabe am Nil hätte darin bestanden, die junge Revolutionsregierung mit Hilfe einer großen Zahl flüchtiger Nationalsozialisten abzusichern und nicht nur israelische Sabotage, sondern auch Anschläge innenpolitischer Gegner wie der Muslimbrüder zu verhindern.

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Vgl. Silverstein, Private Warriors, New York 2000, S. 114. Hamburg 1950. Vgl. Thomas Riegler, „The Most Dangerous Man in Europe?“. Eine kritische Bestandsaufnahme zu Otto Skorzeny, in: Journal for Intelligence, Propaganda, and Security Studies, Vol. 11, No. 1, 2017, S. 15–61. Das Wort vom „most dangerous man in Europe“ stammt Charles Whiting zufolge von General Eisenhower. Vgl. C. Whiting, Skorzeny. The Most Dangerous Man in Europe, Barnsley 2010. T. Riegler skizziert in seinem Beitrag eindrucksvoll Etappen der Skorzeny-Rezeption, die ihn wahlweise „zum modernen Freibeuter erster Güte“ oder zum „Haudegen“ stilisierten, um nur zwei „Ehrentitel“ zu erwähnen. Mal wurde die kubanische Revolution Fidel Castros mit ihm in Verbindung gebracht, mal wurde er mit dem fiktiven Superagenten James Bond gleichgesetzt. Der Oberbefehlshaber des amerikanischen Kommandounternehmens, das 2011 Osama Bin Laden tötete, Admiral William H. McRaven, zollte Skorzeny ebenso Respekt wie eine japanische Manga-Serie der Jahre 2006–2015. Auch der mysteriöse Tod des Ingenieurs und Erfinders Niklas Tesla 1943 in New York, sei, so Riegler, wiederholt mit Skorzeny assoziiert worden. Bei so viel Betriebsamkeit in der Gerüchteküche überrascht es am Ende auch nicht, dass selbst die Attentate des sog. Islamischen Staates (IS) in die Nähe Skorzenys gerückt wurden: ebd. Darauf, dass der zeitlebens überzeugte Nationalsozialist Skorzeny schließlich wahrscheinlich sogar mit den Israelis kooperierte, wird gegen Ende unserer Geschichte zurückzukommen sein. Skorzeny konnte sich im Übrigen auch über die Wahr- und Halbwahrheiten amüsieren, die seine Vita ausgemacht haben sollen. Und ein wenig kokett kommt sein Diktum daher, die Geschichten über ihn langweilten ihn allmählich. Vgl. ebd., S. 17. Otto Skozeny starb 1975 in Madrid, seine Urne wurde im Familiengrab auf dem Döblinger Friedhof bei Wien beigesetzt.

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Alle Varianten dieser These gehen auf Miles Copeland zurück, jenes CIA-Chefs in Kairo, der uns bereits in Syrien begegnet ist. Copeland brachte seine These von der Zusammenarbeit zwischen Gehlen, Skorzeny, einem amerikanischen Nachrichtendienst sowie Hjalmar Schacht erstmals in dem von ihm veröffentlichten Buch „The Game of Nations“164 in Umlauf. Copeland zufolge waren Kermit („Kim“) Roosevelt, ein Enkel Präsident Theodore Roosevelts, und der ägyptische Oberst Gamal Abdel Nasser bereits 1951, also noch zur Zeit König Faruks übereingekommen, mit amerikanischer Hilfe den ägyptischen Sicherheitsdienst gründlich zu reformieren. Deshalb habe sich CIA-Direktor Allen W. Dulles an Reinhard Gehlen gewandt, der seinerseits Otto Skorzeny „zu Hilfe geholt“ habe. Skorzeny habe den Auftrag in Ägypten zunächst mit dem Hinweis auf die zu geringe Bezahlung seitens der Ägypter abgelehnt. Gehlen, so Copeland weiter, versprach Skorzeny, dass die CIA das Honorar aufstocken werde. Zusätzlich lockte Gehlen Skorzeny mit der Aussicht auf den Einstieg in einen künftigen Waffenhandel im Nahen Osten. Als Skorzeny sich immer noch weigerte, übte Gehlen, folgt man Copeland, Druck auf ihn über Hjalmar Schacht aus. Schacht, der zu diesem Zeitpunkt allen Grund hatte, den Amerikanern dankbar zu sein, habe Skorzeny davon überzeugt, dass es sinnvoll sei, die Amerikaner zu unterstützen, worauf jener unter der Bedingung zugestimmt habe, dass sein Aufenthalt in Kairo zeitlich begrenzt sein müsse.165 Dass Skorzeny mit Schacht in Sachen Naher Osten in Kontakt stand, dürfte durchaus zutreffen. Schacht konnte im Jahre 1953, als Skorzenys erste Reise nach Ägypten im Raume stand, auf zwei eigene, erst wenige Monate zurückliegende Aufenthalte in der Region zurückblicken. Im Jahre 1951 legte er auf dem Weg nach Indonesien einen einwöchigen Zwischenstopp im Ägypten König Faruks ein, wo er neben einem touristischen Programm auch Gespräche „mit den Herren des Wirtschafts- und Finanzministeriums“ absolvierte. Augenzwinkernd sprach damals in Bonn der französische Hochkommissar in Deutschland gegenüber Bundeskanzler Adenauer in Anspielung auf Schachts orientweite Aktivitäten vom „Schacht von Persien“ – im Iran herrschte damals Schah Reza Pahlevi. Weniger erheitert, aber immerhin auch mit einem Wortspiel, berichtete der britische Botschafter in Kairo, Stevenson, an das Foreign Office in London, dass Schacht auf einer Pressekonferenz den Ägyptern den nationalsozialistischen Reichsarbeitsdienst zur Nachahmung empfohlen habe – dies sei ohne Zweifel eine Anregung aus dem „Schacht“ der Vergangenheit.166 Die „New York Times“ registrierte aufmerksam, dass sich Schacht bei seiner Orient-Reise offenbar sehr sicher gefühlt habe: In aller Ruhe habe er im

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166

London 1969, S. 87. Ebd., S. 104. Eine von einem deutschen Gericht gegen Schacht verhängte achtjährige Haftstrafe wurde aufgrund eines vom amerikanischen Hochkommissar in Deutschland, John McCloy, erlassenen Entnazifizierungsgesetzes ausgesetzt. Vgl. Wolffsohn/Brochhagen, Hakenkreuze, S. 525.

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Flughafengebäude von Tel Aviv bei einer Zwischenlandung gefrühstückt. Nur der Unaufmerksamkeit der israelischen Behörden habe er es zu verdanken gehabt, nicht als Kriegsverbrecher verhaftet worden zu sein.167 In der zweiten Septemberhälfte des Jahres 1952 flog der ehemalige Reichsbankpräsident auf Einladung der ägyptischen Regierung erneut an den Nil. Nun führte er Unterredungen mit dem Finanzminister der jungen Revolutionsregierung und beriet sich mit dessen Mitarbeitern.168 „Der Spiegel“ berichtete Wochen vor Beginn der Reise in einer kurzen Notiz zu diesem Besuch, Schacht sei eingeladen worden, um „die wirtschaftliche Situation eingehend zu prüfen. Er soll auch bei der Gründung einer deutsch-ägyptischen Bank mit Sitz in Kairo beratend mitwirken“169. Geradezu überschwänglich ließ sich Schacht in seinen Erinnerungen über General Nagib aus, der zum Zeitpunkt seines Aufenthaltes in Ägypten der starke Mann im Lande war. Nagib sei einer der „vortrefflichsten Persönlichkeiten moderner Staatskunst in unserer durcheinander gewürfelten Zeit“, notierte er. Nie habe er einen Staatsmann kennengelernt. „der in so hohem Grade politisches Maß mit notwendiger Tatkraft“ verbunden habe, „hinzu trat ein persönlicher Charme und eine bescheidene Zurückhaltung“170. Im Dezember 1952 folgte Schacht dann noch einer Einladung der syrischen Regierung nach Damaskus  – zu einer Zeit also, als dort auch die deutschen Militärberater wirkten. Für die Syrer sollte der frühere Reichsbankpräsident ein Gutachten über den „vorliegenden Gesetzentwurf für die Errichtung einer staatlichen Nationalbank“ anfertigen, so Schacht in seinen Erinnerungen. Bis dahin habe „das Notenbankprivileg für Syrien und Libanon in den Händen einer Privatbank gelegen“. Die syrische Regierung ermöglichte dem deutschen Gast auch Flüge in einige Landesteile außerhalb der Hauptstadt. In den weiten Ebenen, die sich im Norden bis an den Euphrat erstreckten, erkannte Schacht „unerhörte Möglichkeiten, die sich aus einer künstlichen Bewässerung dieses Gebiets für die syrische Landwirtschaft ergeben“. Hier liege, meinte er abschließend, „eine der großen Kornkammern für die Ernährung der Menschheit bisher ungenutzt“. Sollte Otto Skorzeny also mit Hjalmar Schacht über seine Ägypten-Pläne gesprochen haben, dürfte zumindest der Geschäftsmann Skorzeny hilfreiche Informationen aus erster Hand mit auf den Weg zu den Pyramiden bekommen haben. Eine Win-Win-Situation: Schacht beabsichtigte zu dieser Zeit die Intensivierung seines Nahost-Geschäftes über die erst kürzlich von ihm in Düsseldorf gegründete „Deutsche Außenhandelsbank Schacht & Co“, zu der Skorzeny in Kairo beitragen und gleichzeitig dort Geschäfte auf eigene Rechnung einfädeln könnte.171

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Ausgabe vom 27. November 1951, hier nach ebd., S. 525, Anm. 48. Vgl. Hjalmar Schacht, 76 Jahre meines Lebens, Bad Wörishofen 1953, S. 663ff. Nr. 10 vom 4. März 1952, „Personalien“. Schacht, 76 Jahre, S. 671. Der Spiegel Nr. 5 vom 28. Januar 1953, „Der Mufti läßt grüßen“.

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Doch kehren wir zurück zum Chef der Organisation Gehlen und seinem angeblichen oder tatsächlichen Engagement für Ägypten. Zwei Jahre nach Copelands „The Game of Nations“, im Jahre 1971, erschien aus der Feder des britischen Autors E. H. Cookridge die für viele Jahre maßgebliche Gehlen-Biografie mit dem Titel „Gehlen. Spy of the Century“, die sich dabei auf Copeland stützte, was die Zusammenarbeit Gehlens mit der CIA, Skorzeny und Schacht betraf. Auch der amerikanische Journalist Christopher Simpson sorgte mit seinem 1988 in New York erschienenen Buch „Blowback“ für eine weite Verbreitung der These Copelands, im deutschsprachigen Raum durch die noch im selben Jahr veröffentlichte Übersetzung von Blowback.172 Etwa zeitgleich mit Cookridges Werk waren 1971 Reinhard Gehlens Memoiren unter dem Titel „Der Dienst“173 erschienen. In ihnen schreibt der BND-Chef erwartungsgemäß sehr wenig über die arabische Welt, lediglich über Walter Ulbrichts Kairo-Besuch 1965 und zur Vorgeschichte des Sechs-Tage-Krieges vom Juni 1967 finden sich einige Ausführungen. Für unseren Zusammenhang sind ein paar flüchtige Bemerkungen zur israelischen Staatsgründung 1948 und zum deutsch-arabischen Verhältnis von Interesse, wenn er notiert: „Es bleibt Ben Gurions geschichtliches Verdienst, die Versöhnung zwischen dem israelischen und dem deutschen Volk durch seine Begegnung mit Bundeskanzler Dr. Adenauer vorbereitet und entscheidend beeinflusst zu haben. Ich habe es immer bedauert, daß nach dem Zusammenbruch am Ende des Krieges die BRD [sic] mit einer Unausweichlichkeit, die an antike Beispiele erinnerte und aus der es kein Entrinnen geben konnte, in den Existenzkampf Israels gegen die arabischen Länder einbezogen wurde. Schien mir die traditionelle Freundschaft der Araber zu Deutschland für den Wiederaufbau unseres Staates wertvoll genug, so sah ich demgegenüber die politische Verpflichtung Deutschlands, zum Überleben des Staates Israel beizutragen. Hervorragende Persönlichkeiten aus beiden Lagern haben die Verbindung zur Bundesregierung und – in Einklang damit – auch zu mir zu halten und zu verbessern versucht. Am Ende aber zwangen die politischen und militärischen Entwicklungen im Nahen Osten, die in der erneuten militärischen Kraftprobe im Juni 1967 kulminierten, die Bundesregierung und damit den Dienst zu einer eindeutigen Stellungnahme“174.

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Christopher Simpson, Der amerikanische Bumerang, Wien 1988. Untertitel: Erinnerungen 1942–1971, Mainz 1971. Ebd., S. 295f.

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In der amerikanischen Ausgabe der Erinnerungen Gehlens, die nur ein Jahr nach der deutschen auf den Markt kam, wird diese Passage auf bemerkenswerte Weise verändert.175 Auch sie liefert Gehlens Äußerungen über Ben-Gurion und Adenauer und sein Bedauern über die Involvierung der Bundesrepublik in den Nahost-Konflikt. Doch es fehlt dann der Passus über den Sechs-Tage-Krieg. Dafür taucht Gehlens Erwähnung der arabischen Freundschaft gegenüber Deutschland wieder auf, woran sich ein Satz anschließt, der im deutschen Original fehlt. Es heißt dort: „Auf Bitten von Allen Dulles und des CIA taten wir in Pullach unser Bestes, um Leben und Expertise in den ägyptischen Geheimdienst zu injizieren, indem wir ihn mit den früheren SS-Offizieren ausstatteten, die ich oben erwähnt habe“. Ähnlich wie die deutsche Ausgabe fährt die amerikanische sodann fort: „Aber zugleich anerkannte ich die politische Schuld Deutschlands gegenüber den Juden; wir mussten tun, was wir konnten für das Überleben Israels“176. Die „oben erwähnt(en)“ früheren SS-Offiziere: Dieser Hinweis bezog sich auf folgende Passage der amerikanischen Übersetzung: „Wir hatten bestimmte frühere SS-Mitglieder zu Sondermissionen nach Übersee entsandt, soweit sie politisch nicht belastet waren; dies geschah mit voller Unterstützung der amerikanischen Dienststellen. Beispielsweise stellten wir fest, dass arabische Länder ausgesprochen willens waren, Deutsche mit einer angeblichen ‚Nazi‘-Vergangenheit aufzunehmen. Von ihnen gab es nicht viele in unserer Organisation. Die Beschuldigungen, die gegen uns formuliert worden sind, etwa, dass wir große Zahlen ehemaliger SS-Offiziere beschäftigen würden, sind falsch. Die meisten dieser Vorwürfe hatten ihren Ursprung in Ostdeutschland, und gelegentlich wurden sie von weniger gut informierten Teilen der westlichen Presse wiedergegeben“177.

Das deutsche Original der Memoiren liest sich an dieser Stelle ganz ähnlich, allerdings mit einer Ausnahme: Der Hinweis auf die arabischen Sympathien für angebliche Ex-Nazis fehlt. Es bleibt unklar, wie sich die Abweichungen beider Texte im Punkte der arabischen Welt erklären ließen. Schwer vorstellbar erscheint, dass Gehlen sie, sollte er das amerikanische Manuskript gegengelesen haben, toleriert haben könnte. David Irving erscheint in der amerikanischen Version der Erinnerungen nur als Übersetzer. Ob ihm, dem späteren notorischen Holocaust-Leugner, an den fraglichen Abweichungen gelegen haben könnte, ist ebenso

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The Service. The Memoirs of Reinhard Gehlen. Translated by David Irving, Introduction by George Bailey, New York 1972. Ebd., S. 260. Alle Übersetzungen aus „The Service“ stammen von mir, A. H. In Pullach, südlich von München, befand sich jahrzehntelang der Sitz des BND. Ebd., S. 203.

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zweifelhaft.178 Als Erklärungsthese sei hier mit aller Zurückhaltung formuliert: Möglicherweise wollte der amerikanische Verlag durch die Hereinnahme von Begriffen wie „ägyptischer Geheimdienst“, „Nazis“ und „arabische Länder“ in den Gehlen-Text eine damals in interessierten Kreisen der Vereinigten Staaten weit verbreitete Vorstellung bedienen, der zufolge vor allem Ägypten mit seiner Hauptstadt Kairo von ehemaligen Nationalsozialisten geradezu geflutet worden sei. Auf diesen Aspekt wird weiter unten zurückzukommen sein. Kann man dieser These grundsätzlich etwas abgewinnen, bleibt freilich immer noch das Problem des Autors Gehlen: Hat er diese Veränderungen zur Kenntnis genommen, ihnen zugestimmt, waren sie ihm gleichgültig, oder hat er sie übersehen? Die Verwirrung um die Gehlen-Memoiren wird nicht geringer, wenn man bedenkt, dass das Ministerium für Staatssicherheit der DDR sich die Mühe machte, ein eigenes, fiktives Kapitel diesen Erinnerungen Gehlens hinzuzufügen und in Umlauf zu bringen.179 Dieses Kapitel, heißt es in einer Art Vorwort, „wurde an politische Persönlichkeiten in der ARÄ und Redaktion ‚Africasa‘ verschickt“180. Es sei auf der „Grundlage von allgemeinen Erkenntnissen über BND-Beziehungen und von 1945 bis 1970 im arabischen Raum wohnenden Altnazis […]“ gefertigt worden. Und weiter: „Es wurde vorgetäuscht, daß dieses Kapitel aus politischen Gründen aus den tatsächlichen Gehlen-Memoiren gestrichen wurde“. In Kenntnis der echten Gehlen-Erinnerungen ist in formaler Hinsicht zu diesem „Kapitel“ dreierlei zu sagen: Zum einen erscheint es mit rund 12  Schreibmaschinenseiten zu lang für einen Spezialaspekt der Gehlen-Arbeit, in sprachlicher Hinsicht gelingt, zweitens, eine weithin verblüffende Ähnlichkeit mit dem Text des Originals, abgesehen, drittens, von einigen Zuspitzungen, die es möglich machten, es als als Fälschung zu erkennen. Etwa, wenn der oder die Fälscher sich zu recht schneidig formulierten Urteilen hinreißen ließen, die nicht der temperierten Diktion Gehlens entsprachen. So heißt es beispielsweise in der Fälschung: „So gedieh und gedeiht in Ägypten jede Art von Korruption, besonders jedoch im Armee-, Polizei- und Geheimdienstbereich. Die Armee, die am faulen Erbe der Vergangenheit hängt, kennt weder (bei den Soldaten noch Generalen) soldatische Entschlossenheit und Kühnheit. Der geschwollene Kult um Nasser ist nur ein Symptom der Fäulnis des 178

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Zum Zeitpunkt des Erscheinens der „amerikanischen“ Gehlen-Memoiren genoss Irving in der Fachwelt aufgrund seiner Bücher über Hitler und den Zweiten Weltkrieg, deren deutsche Ausgaben damals von renommierten Verlagen in der Bundesrepublik publiziert wurden, einen tadellosen Ruf. BStU, Zentralarchiv, MfS-Hauptverwaltung Aufklärung, Nr. 1221. ARÄ war im MfS die Bezeichnung für Arabische Republik Ägypten. Ich danke Frau Angelika Weiss vom BStU für diesen Hinweis. Bei Africasa dürfte es sich um eine sozialistisch orientierte Zeitschrift für Fragen des Globalen Südens gehandelt haben.

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Militärs, Manager und Mediziner arabischen Staatssystems. Der frühe Tod des einzigen Staatsmannes von Format, des Präsidenten Nasser, wird dem arabischen Unabhängigkeitsgehabe ein ebenso plötzliches wie definitives Ende bereiten“181.

Inhaltlich bietet das gefälschte Kapitel eine bemerkenswerte Deutung der sowjetischen Position zur drohenden Kriegsgefahr am Vorabend des Juni-Krieges von 1967. Gehlen wird hier „in seine Feder“ seine Verwunderung darüber diktiert, dass der sowjetische Außenminister Gromyko bei seinem Besuch in Kairo Anfang Juni nichts getan habe, um „die kriegerischen Töne im arabischen Lager zu dämpfen“. Der sowjetische Geheimdienst sei sehr wohl über die militärische Unterlegenheit der arabischen Staaten gegenüber Israel informiert gewesen. Die Erklärung des „falschen“ Gehlens für die Haltung Gromykos in Kairo: Man habe sowjetischerseits die Araber bewusst ins israelische Messer laufen lassen, um sie nach der absehbaren Niederlage noch fester an sich ketten zu können. Über die Rolle der Org. beim Aufbau eines Informantennetzes im Nahen Osten hieß es in der Ost-Berliner Produktion: „Als Chef der Organisation entsandte ich 1945 bekannte, bewährte und fähige Nachrichtenoffiziere in den arabischen und amerikanischen Raum, um sie für einige Zeit aus dem europäischen Blickfeld zu nehmen. Gleichzeitig orientierte ich mich auf Gewinnung von Vertrauensleuten, Informanten und Quellen aus den dorthin emigrierten Männern der SS, der Wehrmacht und der Wirtschaft. Sie alle emigrierten nach dem Krieg aus Vorurteilen oder Angst vor Aburteilungen in Deutschland nach Südamerika oder dem Nahen Osten, um sich eine neue Existenz aufzubauen […]. Die antijüdische Gesinnung dieser deutschen Männer und ihre Verachtung dem israelischen Staat gegenüber waren die besten Indizien für die Karriere in der arabischen Welt. Soldatische Haltung und Organisationstalent taten ein Übriges. Schon in den ersten Nachkriegsjahren erlangten wir einflußreiche Positionen im ägyptischen Sicherheitsdienst, in der Armee, in Ministerien und in der Wirtschaft“.

Auch der aus seiner Tätigkeit im „Dritten Reich“ nicht unbelastete Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Hans Globke, der Zeit seines Wirkens für Kanzler Konrad Adenauer Zielscheibe von Angriffen seitens der DDR war, fehlte nicht in diesem „Gehlen-Kapitel“. „Dankbar muß ich mich daran erinnern“, liest man hier, „daß durch das Verständnis Globkes nicht nur die großen Dinge des Dienstes geordnet wurden, sondern durch seinen Hinweis manche ‚Quelle‘ in diesem Raum erhalten blieb“. Um die in den echten, deutschsprachigen Gehlen-Erinnerungen 181

Ebd., Bl. 317.

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vom Autor sorgsam unternommene Austarierung der Org.- bzw. BND-Tätigkeit zwischen Israel einerseits und den arabischen Staaten andrerseits beizubehalten, überraschte die Fälschung ihre Leserschaft mit der Mitteilung, der Dienst habe „dem israelischen Nachrichtendienst nicht nur in großzügiger Manier das Feld der deutschen Wissenschaftler, die in Ägypten für die Rüstung arbeiteten, überlassen, sondern auch manchen Wissenschaftler dem israelischen Nachrichtendienst zugeführt. Schon 1952 konnten wir dem israelischen Geheimdienst geeignete Personen benennen“, so der falsche Gehlen, „und Informationen über Rüstungsvorhaben in Ägypten geben. Es begann mit der Aufklärung von Prof. Paul Goerke [sic] und Prof. Engel und somit die Ausspionierung der später errichteten Raketenbasis (Anlage 333)182. Auch das vom Dienst erbrachte ägyptische Codematerial war für die israelische Kriegführung sehr dienlich“.

Um möglichst authentisch zu wirken, konnte das Gehlen-Kapitel „made in GDR“ nicht völlig der Frage ausweichen, wie sich die Org. zu den „harten“ Nationalsozialisten am Nil positionierte, denn dass sich von diesen etliche dort aufhielten, war in der westdeutschen Öffentlichkeit Anfang der siebziger Jahre kein Geheimnis. „Um an einem Beispiel die Schwierigkeit auf diesem Gebiet zu verdeutlichen“, hieß es in dem fraglichen Kapitel, „sei die Arbeit des Herrn Johannes [sic] von Leers genannt, eines Deutschen, der auf ideologischem Gebiet im Nahen Osten von uns unabhängig tätig war. In großer organisatorischer Manier baute er in den sechziger Jahren mit Hilfe einer Mannheimer Firma den größten Sender im Nahen Osten auf“.

War nun immerhin die Katze in Gestalt des rabiaten Berufsantisemiten Johann von Leers aus dem Sack, musste der falsche Gehlen eine noch deutlichere Distanzierung hinbekommen. Und das durch Ablenkung von dem Radikalantisemiten: „Seine Mitarbeiter leisteten Großartiges. Es erschien mir jedoch politisch instinktlos, wenn von Leers seinem Mitarbeiter Louis Heiden erlaubte, Hitlers ‚Mein Kampf‘ ins Arabische zu übersetzen und diese Bücher in 911  000 Exemplaren in der Vereinigten Arabischen Republik zu vertreiben“.

Wenden wir uns noch einmal Reinhard Gehlen und Otto Skorzeny zu. 182

Zu Goercke und Engel ausführlich weiter unten. Hinter der Anlage 333 verbirgt sich die Nummer 333 der Raketenfabrik (Military factory) in Heliopolis bei Kairo.

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Miles Copeland war vor dem Erscheinen der echten Gehlen-Memoiren zu dem Schluss gelangt bzw. er hatte behauptet, der deutsche Nachrichtenexperte Gehlen habe sich nach Rücksprache mit Allen Dulles für Skorzeny als den fachlich und charakterlich bestgeeigneten Mann an der Seite Gamal Abdel Nassers entschieden.183 Insbesondere die charakterliche Seite Skorzenys scheint indes Gehlen, zumindest aber Männer in seiner Umgebung, in Wahrheit nicht von dem früheren SS-Obersturmbannführer überzeugt zu haben, was es eher unwahrscheinlich erscheinen lässt, dass Gehlen Skorzeny mit der Ägypten-Mission betraut haben sollte. Thomas Riegler hat einige bemerkenswerte Äußerungen über Skorzeny zusammengetragen, die ihren Ursprung in den letzten Kämpfen des Zweiten Weltkrieges haben. Sie müssen insofern mit einer gewissen Vorsicht zur Kenntnis genommen werden, als sie z. T. von hohen Wehrmachtsangehörigen stammen, die SS-Offiziere gern auf Distanz hielten. So verband den Oberst im Generalstab Georg Buntrock seit den letzten Kriegstagen eine erbitterte Fehde mit Otto Skorzeny, die hier nicht nachzuzeichnen ist. Wichtig ist jedoch, dass Buntrock in der Org. zu Beginn der fünfziger Jahre ein enger Vertrauter des ehemaligen Wehrmachtsoffiziers Gehlen war und, so Riegler, „alle Andienungsversuche“ Skorzenys bei der Org. „zunichte machte“. In einer Beurteilung Skorzenys durch Buntrock hieß es unter dem Datum des 5. Oktober 1951: „Es gibt in der Zentrale unserer Organisation […] niemand, der Skorzeny so gut kennt wie ich. Ich weiß, daß er der ausgeprägteste Typ eines Hochstaplers ist. Er ist von einer persönlichen Eitelkeit, die nicht zu übertreffen ist. Ich habe niemals erlebt, dass Skorzeny die Wahrheit gesagt hat. Er ist ein Jongleur mit Dingen, die ihm nicht gehören und von denen er nichts versteht. Alles ordnet er seinem persönlichen Ehrgeiz und Geltungsbedürfnis unter. Er besitzt keine Ehre […]“.

Ein Org.-Bericht aus demselben Zeitraum kam zu keinem günstigeren Ergebnis, das kurz gefasst so lauten könnte: Skorzeny sei ein Blender gewesen, wenn auch ein höchst geschickter.184 Was also bleibt vom Dreieck CIA-Gehlen-Skorzeny? Nach der Freigabe einschlägiger CIAAkten kam der kanadisch-amerikanische Historiker Timothy Naftali aufgrund seiner Recherchen an dem Material zu dem Ergebnis, dass der Beweis recht eindeutig sei, dass „die CIA und Gehlen nicht kooperierten hinsichtlich Skorzenys oder irgendeines anderen der Dutzenden alternden Nazis, die in der Tat in den ersten Jahren der Herrschaft Nassers nach Kairo treckten, um die Araber für die Schlacht gegen den jüdischen Staat vorzubereiten“185. Wenn Gehlen et-

183 184 185

Copeland, The Game, S. 104, hier nach Martin A. Lee, The Beast Reawakens, London 1997, S. 125. Riegler, Dangerous Man, S. 29f. Timothy Naftali, Reinhard Gehlen and the United States, in: Richard Breitman et al. (ed.), US Intelligence and the Nazis, New York 2005, S. 405 (meine Übersetzung aus dem Amerikanischen, A. H.).

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was mit diesen Leuten zu schaffen gehabt habe, so Naftali, hielt man in Pullach die CIA außen vor. Naftali kam zu dem Schluss, dass die CIA kein „sponsor“ der Beschäftigung ehemaliger „Nazis“ durch die Org. gewesen sei, sondern nur ein „interested onlooker“. Was das unmittelbare Verhältnis der CIA zu Skorzeny anging, hält der Historiker es für nicht ausgeschlossen, dass beide Seiten durchaus miteinander zu tun hatten. Auch wenn die Skorzeny-Personalakte (name file) der CIA für die späten fünfziger Jahre keinen entsprechenden Hinweis liefere, zeige etwa die FBI-Akte über ihn, dass ein CIA-Beamter in Madrid im Jahre 1959 ein Visum für Skorzeny zwecks Einreise in die Vereinigten Staaten anforderte. Der Besuch Skorzenys sei, so der Beamte, im Interesse der USA. Als sich das State Department dem Ansinnen verweigerte, versagte die CIA-Zentrale ihrem Mann in Madrid die weitere Unterstützung, so Timothy Naftali.186 Otto Skorzeny betrat im Januar 1953 erstmals ägyptischen Boden  – wahrscheinlich „under his own steam“, auf eigene Rechnung, wie es in der jüngsten Skorzeny-Biografie heißt.187 Der Grund für seine Reise: Einstieg in das Waffengeschäft und, wenn möglich, Übernahme einer militärischen Beraterfunktion bei den ägyptischen Guerillas in der Suezkanalzone. Skorzeny fühlte sich von der beachtlichen deutschen Diaspora am Nil angezogen, allen voran von Wilhelm Voss als Chef des Central Planning Board. Voss stand zu dieser Zeit im Begriff, die offizielle Nummer eins unter den Deutschen in Ägypten, Botschafter Pawelke, in den Schatten zu stellen. Skorzeny erzählte einem britischen Journalisten durchaus selbstbewusst, dass keiner der deutschen Berater bei der ägyptischen Armee über ein besonderes Ansehen verfüge. Dabei machte dieses luftige Urteil die Rechnung zumindest ohne den Major der Fallschirmjäger, Gerhard Mertins. Mertins hatte sich den Ruf eines geachteten Instrukteurs einer ägyptischen Fallschirmjäger-Elitetruppe erworben. Nach einem amerikanischen Geheimdienstbericht verhalfen Mertins und Wilhelm Voss im April 1953 dem deutschen Rechtsextremisten Otto-Ernst Remer zu einem Unterschlupf in Kairo, wozu der in die ägyptische Hauptstadt geflohene Mufti al-Husseini seine helfende Hand geliehen habe.188 Generalmajor Remer war an der Niederschlagung des Aufstandes vom 186 187 188

Ebd., S. 417, Anm. 166. Smith, Skorzeny, S. 289. Das Folgende im Wesentlichen nach Smith. Ende 1951 hatte al-Husseini der rechtskonservativen „Zeitschrift für Geopolitik“ ein kurzes Interview gegeben, das erkennen ließ, was sich der Mufti von den Deutschen für die arabische Welt versprach. Zu Beginn des Gesprächs  – der Fragesteller blieb anonym  – wünschte er dem deutschen Volk wenige Jahre nach der Kapitulation „für die Zukunft alles Gute“ und beschwor einmal mehr die arabisch-deutsche Freundschaft. Hinsichtlich der Möglichkeiten für den Ausbau dieser Freundschaft nannte al-Husseini an erster Stelle die „Heranziehung deutscher Sachverständiger auf den verschiedensten Gebieten“. Auf die abschließende Frage, was er über „die Lösung der Palästina-Frage“ denke, antwortete er, dazu gehöre, „daß die arabischen Bewohner nach Palästina zurückkehren und die Eindringlinge wieder verschwinden“. „Gespräch mit dem Großmufti von Jerusalem“, in: Zeitschrift für Geopolitik, 22, Heft 12, 1951, S. 761.

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20. Juli 1944 beteiligt und nach 1945 seiner nationalsozialistischen Überzeugung treu geblieben. Die von ihm mitgegründete neonazistische Sozialistische Reichspartei (SRP) wurde 1952 vom Bundesverfassungsgericht verboten. Er selber wurde vom Landgericht Braunschweig wegen diverser Delikte zu einer dreimonatigen Haftstrafe verurteilt, der er sich jedoch durch seine Flucht nach Ägypten entzog. Im Juni 1953 veröffentlichte er in der in Buenos Aires erscheinenden rechtsextremen Zeitschrift „Der Weg“ einen Aufsatz mit dem Titel „Deutschland und die arabische Welt“. In bester „Stürmer“-Manier malte er in dem Beitrag eine zweigeteilte Welt, in der „der Jude“ sowohl hinter dem „amerikanischen Kapitalismus“ als auch hinter dem „kollektivistischen Bolschewismus“ stecke. Erforderlich sei, so Remer Felix Schwarzenborn alias Johann von Leers189 aus einer anderen Ausgabe des „Weg“ zitierend, die Verwandlung der „falschen Revolution“ der Proletarier gegen den Kapitalismus in die „echte Weltrevolution der Nichtjuden gegen Israel“. Notwendig sei die Schaffung einer „dritten Macht“, um den „gewissenlosen Kriegstreibern“ Einhalt zu gebieten. Zu dieser Macht zählte Remer nun auch die arabischen Staaten. Die Voss und Fahrmbachers am Nil mochten Remers abschließende Forderung als Beifall von der falschen Seite empfinden: Es gehe darum, so Remer, dass Deutschland an der „Schaffung einer starken arabischen Armee“ teilnehme. Diese Armee liege „im ureigensten Interesse der nationalen Kräfte Deutschlands, die gewillt sind, ihre besten Kräfte zur Verfügung zu stellen, beseelt von der Wichtigkeit ihrer Mission“190. Wilhelm Voss operierte in Kairo auch in einer denkwürdigen Dreierbeziehung mit Joachim Hertslet und Wilhelm Beissner. Hertslet war nach dem Krieg einer der erfolgreichsten deutschen Außenhandelskaufleute, der anfangs auch in die Bonner Amtsstuben durch stets weit geöffnete Türen schritt. Damit war es vorbei, als sich Hertslet im Jahre 1952 mit Verve gegen das Luxemburger Abkommen zwischen Israel und der Bundesrepublik positionierte  – wohl in erster Linie, um seine Geschäftsinteressen in der arabischen Welt vor deren drohendem Boykott zu schützen. Ohne Übertreibung konnte man fortab von Bundeskanzler Adenauer als einem Todfeind Hertslets sprechen. Über Jahre befehdeten sich in schier endlosen Gerichtsverfahren der Kaufmann und die Bundesrepublik Deutschland. Wilhelm Beissner wiederum blickte auf eine Karriere als SS-Hauptsturmführer und Mitglied des SD im Reichssicherheitshauptamt zurück. Für den SD leitete er 1943 in Tunesien als mit Sprengstoffen bestens vertrauter Draufgänger und Diversionsspezialist riskante Operationen mit aus Arabern, Spaniern und Franzosen bestehende Stoßtrupps gegen Amerikaner und 189 190

Von Leers lebte damals noch in Argentinien. Otto Ernst Remer, Deutschland und die arabische Welt, in: Der Weg, Juni 1953, S, 365–368. Die Redaktion der Zeitschrift erläuterte in einem Asterisk auf S. 365, dass Remer zu den „bestgehassten Männer im Bonner Regime“ gehöre, er sei „dem Zugriff der Karlsruher Schergen durch vorübergehenden Aufenthalt im Auslande“ ausgewichen.

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Briten, denen er mit seinen Leuten in den Rücken fiel. Dass Beissner schon damals die Nordafrikaner gegen ihre Kolonialherren zu mobilisieren suchte, kam ihm im Kairo der frühen fünfziger Jahre bei seinen Waffengeschäften mit der algerischen Befreiungsorganisation FLN zugute. Über die schon im Zusammenhang mit den deutschen Syrien-Fahrern erwähnte Anlaufstelle in Innsbruck gelangte Beissner nach Italien, wo er verhaftet wurde und ein kurzes Gastspiel als Lagerältester in einem Internierungslager bei Rom gab. Dort, erinnerten sich seine mitinhaftierten deutschen Weggefährten, vertrieb er sich und ihnen die Zeit mit Vorträgen über Geheimdienste.191 Eines Tages nutzte er die mit seinem Posten verbundenen Privilegien zur Flucht vom Tiber an den Nil. Eine Zeitlang tarnte sich Beissner dort als Italiener, doch dann lernte er den Vetter König Faruks, Prinz Abbas Halim, kennen, der einst beim Infanterieregiment 9 in Potsdam eine preußische Fähnrichausbildung erhalten hatte. Halim engagierte Beissner als seinen Sekretär. Darüber hinaus stellte Beissner seine Kenntnisse aus seiner tunesischen Zeit der panarabischen Bewegung zur Verfügung und schulte ägyptische Geheimdienstler und algerische Emigranten. Schon 1948 befasste er sich mit Waffen- und Munitionslieferungen im arabisch-israelischen Krieg, selbstredend für die arabische Seite. Doch das aus Italien bezogene Material erwies sich zur Enttäuschung der ägyptischen Soldaten als von minderer Qualität, was zu Spekulationen darüber Anlass gab, dass die Lieferanten vorsätzlich unbrauchbare und unschädliche Munition auf den Weg gebracht hatten. Beissner überstand die Revolution der Freien Offiziere von 1952 und auch den Machtwechsel von General Nagib zu Oberst Abdel Nasser. Seit 1954 war er ein vielbeschäftigter Handelsagent, der u. a. jahrelang den Dortmunder Stahlkonzern Hoesch am Nil vertrat. Erst spät erfuhr Hoeschs Exportchef Arendt, dass Beissner in Kairo nicht nur nahtlos geschweißte Rohre für Wasser- und Ölleitungen vermittelte, sondern auch Spezialstahlrohre, aus denen algerische Rebellen Projektile diversen Kalibers auf die Franzosen abfeuerten. Beissners Aktionsradius reichte nach Tunis und Algerien. In Tunis hatte er alte Bekannte aus der Kriegszeit. In Damaskus traf er den uns bereits bekannten Hartmann Lauterbacher, der sich von seiner Außenhandelsagentur in München aus im Nahosthandel betätigte. Gleichfalls in der syrischen Hauptstadt engagierte er sich mit Otto-Ernst Remer und Ernst-Wilhelm Springer, einem ehemaligen niedersächsischen Landtagsabgeordneten der rechtsextremen SRP, in Waffengeschäften, die wieder einmal den algerischen Rebellen im Kampf gegen Frankreich zugutekamen. Während Springer den syrischen Mittelmeerhafen Latakia für den Waffentransfer nach Algerien nutzte, steuerte Beissner von seinem Kairoer Büro aus das Kriegsmaterial über Marokko.

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Dies und das Folgende nach Der Spiegel Nr. 44 vom 25. Oktober 1960, „Bombe in der Blütenstraße“.

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Vermutlich lanciert durch die französische Terrororganisation „Rote Hand“, die gegen die algerische FLN kämpfte, erschien im Juni 1960 in einer nicht näher bezeichneten „westdeutschen Zeitschrift“ ein Artikel über Waffenhandel, der auch eine Liste mit Namen von Geschäftsleuten enthielt, die als potenzielle Lieferanten für die FLN erkannt worden seien. Auch Beissners Name stand auf der Liste. Das Hoesch-Direktorium zeigte sich ob dieser Veröffentlichung alarmiert und kündigte Beissner umgehend. Etwa zur gleichen Zeit bekam Beissner in Ägypten Probleme mit den dortigen Steuerbehörden, weshalb er seine Aktivitäten künftig von Saudi-Arabien aus betrieb. Von dort aus besuchte er regelmäßig sein Büro in der Schwabinger Blütenstraße. Im Oktober 1960 entging er dort bei einem Bombenanschlag der Roten Hand schwer verletzt nur knapp dem Tod. In Kairo pflegte Wilhelm Beissner auch seine enge Bekanntschaft mit dem Mufti al-Husseini, von der auch Otto Skorzeny profitierte, als dieser Anfang 1953 erstmals Ägypten besuchte. Al-Husseini und Beissner kannten sich noch aus al-Husseinis Zeit in Deutschland während des Krieges, und so konnte Beissner gemeinsam mit seinem alten Bekannten Skorzenys Besuch am Nil vorbereiten. Hatte sich al-Husseini schon im Falle Otto-Ernst Remers als selbstloser Helfer erwiesen, sprang er nun auch Otto Skorzeny zur Seite, indem er ihm in seiner Eigenschaft als Präsident der All-Palästinensischen Regierung des Gaza-Streifens einen auf den 27. April 1952 datierten Reisepass ausstellte – eine falsche Identität mehr für den Mussolini-Befreier. Seine neue Identität: Hanna Effendi Khoury, in Haifa geborener Ingenieur palästinensischer Nationalität.192 Ungeachtet seiner vehementen Dementis, damals wie auch später, dass er jemals im Waffenhandel tätig gewesen sei, war es genau das, was Skorzeny während seiner zwei Besuche in Ägypten im Sinn hatte. Sein erster Aufenthalt im Januar 1953 dauerte kaum mehr als zwei Wochen. Skorzeny stellte fest, dass sein Ruf ihm schon an den Nil vorausgeeilt war. Wie in Madrid gab es auch hier ein Bedürfnis der Mächtigen, mit der Prominenz gesehen zu werden. Im Falle Skorzenys hatten Wilhelm Beissner und al-Husseini im Vorfeld seines Besuches entsprechend Regie geführt. Kaum im Hotel angekommen, erhielt der Gast aus Spanien eine Einladung zu einem Treffen mit General Nagib. Anlässlich einer Truppenparade zu Ehren der Revolutionsregierung platzierte man ihn auf der Ehrentribüne zwischen Nagib und al-Husseini – ein Fingerzeig für die Gerüchteküche Kairos. Tatsächlich war der Platz auf der Tribüne von al-Husseini arrangiert worden, doch nach Skorzenys Bekunden hat er bei dieser Gelegenheit kaum mehr als zehn Worte mit dem starken Mann Ägyptens gewechselt. Diese kurze Begegnung und ein späteres Treffen mit Nasser machten ihm zufolge sein ganzes Engagement bei der ägyptischen Regierung aus. Im Übrigen: Nicht jeder, der am Nil etwas zu sagen hatte, war ein Fan Skorzenys. Der ägyptische Innenminister warnte das Außenministerium, Skorzeny sei ein „amerikanischer 192

Vgl. Smith, Skorzeny, S. 290.

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Agent“ – eine Achillesferse seiner Pläne von Beginn an, auch wenn die Behauptung höchstwahrscheinlich unzutreffend war. Dem amerikanischen Hörfunk- und Fernsehsender NBC sagte Skorzeny, sein Besuch in Ägypten diene lediglich dazu, „Verkaufswege für einige spanische Firmen zu entwickeln“, und er leugnete, dass irgendwelche Waffenfirmen darunter seien. Gleichwohl schrieb er an Nasser und bot ihm an, Ägypten Waffen und Munition zu liefern.193 Darüber hinaus war Skorzeny nicht nur Repräsentant eines spanischen Waffenkonzerns, sondern er bot selber den Verkauf von Mörsern194 zuzüglich kompatibler Munition an. Nach Skorzeny-Biograf Stuart Smith handelte es sich bei dem Waffenproduzenten wahrscheinlich um den Konzern Esperanza y Cia, einem im spanischen Baskenland ansässigen Mörserspezialisten. Informationen der CIA zufolge soll Skorzeny einmal bei der zum Esperanza-Konzern gehörenden Waffenfirma Marquina erschienen sein und ultimativ seine Beteiligung an einem Geschäft zwischen der Esperanza und der ägyptischen Regierung gefordert haben, andernfalls er seinen Einfluss bei General Nagib mit dem Ziel von dessen Annullierung nutzen werde.195 Die Ägypter wiesen Skorzenys Mörserangebot zurück. Ihr Sinn stand damals vielmehr nach dem vielseitigen Maschinengewehr MG 42. Dafür machte Kairo eine Ausschreibung, und unter den – erfolglosen – Angeboten befand sich auch eines von Joachim Hertslet, das via Spanien gelaufen wäre – möglicherweise unter Berücksichtigung Otto Skorzenys. Wie angedeutet, versuchte Skorzeny auch ein militärisches Kommando in Ägypten zu erlangen. Auch hier blieb er erfolglos, obwohl er nicht müde wurde, seine Fähigkeiten jedem im Generalstab anzupreisen, der bereit war, ihm zuzuhören. Allerdings behaupteten ägyptische Offiziere zweier Trainingslager im Nildelta, dass die gesamte Ausrichtung von Guerillaaktionen gegen die Briten von Skorzeny bestimmt werde. Auch kursierten Gerüchte, denen zufolge Skorzeny die Kanalzone bei einem privaten Besuch ausgekundschaftet habe; die Briten waren ohnehin überzeugt, dass Skorzeny Ratschläge für den Partisanenkrieg gab. Letztlich blieb dem Freelancer Skorzeny der Erfolg versagt, weil es ihm nicht gelang, Wilhelm Voss für sich zu gewinnen, den Mann, der das Ohr der Mächtigen Ägyptens besaß. Die dienstälteren deutschen Militärberater mieden den Kontakt mit Skorzeny, wiesen seine Anbiederungsversuche zurück. Sie betrachteten Skorzeny als Störenfried, der ihre Position durch undiplomatisches Auftreten aufs Spiel setzte. Dem amerikanischen Militärattaché an der US-Botschaft in Kairo erklärte Voss, Skorzeny sei ein „gefährlicher Mann“. Der Chef des Central Planning Board fürchtete, dass die ägyptischen Guerillas die Briten in der Kanalzone angreifen könnten und versuchte General Nagib davon zu überzeugen, die „dürftig 193 194 195

Ebd., S. 370, Anm. 37. Steilfeuergeschütze mit kurzem Rohr. Ebd., S. 291.

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ausgebildeten und unverantwortlichen“ Kommandos in die regulären Streitkräfte zu integrieren, um sie dadurch besser kontrollieren zu können. Ein skrupelloser Einzelgänger („maverick“) vom Schlage Skorzenys, der verzweifelt nach einem Kommando verlangte, stellte eine Gefahr auch für die Stellung von Voss und seine Mannen dar. Noch bevor es zu einer Zuspitzung und möglichen Klärung des Konfliktes zwischen Voss und Skorzeny kam, verließ Letzterer Ägypten wieder. Noch einmal tauchte er im Juni 1953 in Kairo auf; diesmal befand er sich auf dem Rückweg von ausgedehnten Erkundungs- und Geschäftsreisen, die ihn nach Pakistan, Angola und Belgisch-Kongo geführt hatten. Seine Geschäfte in Spanien liefen nicht besonders, und so hielt er Ausschau nach alternativen Standorten auch im kolonialen Afrika. Am 12. Juni gewährte ihm der damalige stellvertretende Premierminister Nasser eine einstündige Unterredung. Nasser bot ihm bei dieser Gelegenheit die Stellung „seines persönlichen und militärischen Beraters“ an.196 Skorzeny erkannte in der Offerte einen „vergifteten Kelch“ angesichts seiner gespannten Beziehungen zu den deutschen Militärberatern und lehnte dankend ab, ebenso wie ein etwa zur gleichen Zeit eintreffendes, ähnliches Angebot von syrischer Seite – jedenfalls behauptete Skorzeny ein solches. Ein Angebot, als Guerilla-Ausbilder tätig zu werden, lehnte er angesichts des von ihm geforderten, jedoch verweigerten Soldes von 360 ägyptischen Pfund ab.197 Vor dem Gespräch mit Nasser hatte Skorzeny Wilhelm Voss einen Besuch abgestattet. Als Einige seiner deutschen Untergebenen dagegen protestierten, erklärte Voss, dass er ihre Vorbehalte teile und dass er Skorzenys Bitte nach einer Begegnung nur entsprochen habe, um ihm mitzuteilen, dass er sich aus den Guerilla-Aktivitäten heraushalten und Ägypten verlassen solle. Otto Skorzeny kehrte Ägypten mit ein paar blauen Flecken den Rücken. Als die Londoner Zeitung „Daily Sketch“ in ihrer Ausgabe vom 17. August 1954 behauptete, dass er ägyptische Guerillas gegen die Briten trainiert habe, verklagte er das Blatt, erhielt 2000 britische Pfund Schadenersatz sowie eine Gegendarstellung; ein kleiner Trost für sein einstweiliges Debakel am Nil. Er war mit seiner Klage dem dringenden Rat von Hubertus Freiherr von Wolff, einem Frankfurter Finanzberater, gefolgt, der ihn auf den Artikel im Daily Sketch aufmerksam gemacht hatte. Freiherr von Wolff hatte ihn gewarnt, dass sich Skorzenys Geschäftsfreunde

196

197

Ebd., S. 292. Eine UP-Meldung über die Begegnung zwischen Nasser und Skorzeny brachte auch die FAZ vom 16. Juni 1953. Populärwissenschaftlich knapp und unzutreffend zeichnete der Journalist William Stevenson das Bild vom angeblichen Tausendsassa Skorzeny in Kairo, wenn er schrieb: „[…] es gab einige hundert Deutsche mit Gestapo, SS oder Nazi-Propaganda-Erfahrung in Ägypten. Ihre Anonymität wurde durch ein Sicherheitssystem geschützt, das von Otto Skorzeny geschaffen worden war“. Vgl. William Stevenson, The Bormann Brotherhood, New York 2019, S. 156.

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wegen der in dem Artikel aufgestellten Behauptungen von ihm zurückziehen könnten, obwohl er, von Wolff, natürlich wisse, dass an ihnen nichts dran sei.198 Doch trotz seiner wenig ertragreichen Gastspiele am Nil behielt Otto Skorzeny die geschäftlichen Möglichkeiten im Auge, die sich ihm in dieser Region boten. Nach Informationen des BND unterhielt er während der Suezkrise von 1956 „enge Kontakte zu syrischen und ägyptischen Diensten“ und lieferte zu dieser Zeit „Ägypten, Jordanien und Algerien ausgemusterte Waffen der spanischen Armee“199. Und mit großer Wahrscheinlichkeit besuchte Skorzeny Ägypten mindestens noch einmal für ein paar Tage im Januar 1968. Dies legt ein detailliertes Besuchsprogramm für ihn nahe, das sich in seinem Nachlass findet. Seine Visite sah zu Beginn und am Ende je ein Treffen mit einem „Mr. Soliman“ vor, bei dem es sich vermutlich um Major Omar Soliman von den ägyptischen Streitkräften handelte. Im Mittelpunkt seines Aufenthaltes standen ausweislich des Reiseprogramms Besichtigungen am Assuan-Hochdamm, aber auch ein Gespräch mit „His Excellence, The Director of General Intelligence Department“ war vorgesehen. Besuche bei den Pyramiden und ein Abstecher nach Alexandria rundeten die Reise ab.200 Es war Wilhelm Beissner, der zukünftig als Skorzenys Repräsentant in Ägypten fungierte. Beissner bestätigte im Übrigen, dass es Skorzeny nicht gelungen war, Kairo eine Ladung MG 42 zu verkaufen.

Rivalitäten, Ranküne und der Rückzug der Berater Nur wenige Monate, nachdem die deutschen Militärberater ihre Tätigkeit in Ägypten aufgenommen hatten, fanden sie sich inmitten eines Gerangels um Kompetenzen zwischen dem offiziellen Vertreter der Bundesrepublik vor Ort, Botschafter Pawelke, einerseits und dem „ungekrönten Botschafter“201 der Bundesrepublik am Nil, Wilhelm Voss, andrerseits, wieder. Zu diesem Gerangel trat noch ein wachsender Dissens zwischen Voss und seinen Militärberatern sowie eine Störung des Vertrauens zwischen Voss und dem neuen starken Mann in Kairo, Gamal Abdel Nasser, der immer wieder Sympathien für den damaligen Ostblock erkennen ließ. Vor allem die Rivalität zwischen Wilhelm Voss und Günther Pawelke ist bereits wiederholt dargestellt worden, so dass wir uns hier ganz überwiegend auf die Zusammenfassung bei 198

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Österreichisches Staatsarchiv, Kriegsarchiv, Wien, NL Otto Skorzeny, Mappe „Anti-Komintern“, Schreiben von Wolffs an Skorzeny vom 22. September 1954. Vgl. Peter Hammerschmidt, Deckname Adler. Klaus Barbie und die westlichen Geheimdienste, Frankfurt am Main 2014, S. 260. Österreichisches Staatsarchiv, Kriegsarchiv, NL Otto Skorzeny, Mappe „Zusammenarbeit mit Durst“, Programme for Mr. Otto Skorsini [sic]. „Voss was the uncrowned ambassador in Cairo“: El-Ad, Decline, S. 73.

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Herbert Elzer stützen können, der die einschlägigen Vorgänge vor allem anhand der Akten des Auswärtigen Amtes detailliert nachgezeichnet hat.202 Schon bald nach der Ankunft Pawelkes auf seinem Posten in Kairo Ende 1952 begann sich sein Verhältnis zu Voss, der bereits seit Monaten vor Ort war, einzutrüben. Bis heute ist nicht geklärt, worin die sich zu einer regelrechten Fehde entwickelnden Unstimmigkeiten ihren Ursprung hatten. Der des Arabischen einigermaßen kundige Pawelke mochte Voss wohl als Quereinsteiger am Nil geringschätzen, Voss seinerseits genoss wahrscheinlich seine unmittelbare Nähe zu General Nagib. Pawelke versuchte die Stimmung in Bonn gegen Voss mit dürftig fundierten Beschuldigungen anzuheizen, wonach Voss ein Doppelspiel betreibe, mit Vertretern des Ostblocks in Kontakt stehe und darüber hinaus eine antibritische Tätigkeit entfalte. Zu den Gerüchten um seine angeblichen Ostkontakte trug der Umstand bei, dass Voss aus seiner Zeit bei den Skoda-Werken ehemalige tschechische Mitarbeiter nach Ägypten geholt hatte. Auch die amerikanische Botschaft in Kairo versuchte Licht in Voss’ Aktivitäten zu bringen. Botschafter Jefferson Caffery sandte am 28. April 1953 eine Aufzeichnung an die Zentrale in Washington, in der er von einem Treffen eines Botschaftsangestellten mit Voss berichtete, das auf Wunsch des Deutschen zustande gekommen war. Einige Gedanken verwandte Caffery auf die Frage, warum Voss einen Gesprächstermin gewünscht haben könnte. Er kam dabei zu dem Schluss, dass sich Voss möglicherweise bei den Amerikanern habe rückversichern wollen für den Fall, dass sich Ägypter und Briten verständigen könnten oder aber ein „Kollaps“ des gegenwärtigen Kairoer Regimes stattfinde und die Zukunft der deutschen Berater damit unsicher werde. Befragt nach seinen eigenen politischen Vorstellungen, habe der Chef des Central Planning Board erklärt, es machten Gerüchte die Runde, dass er Kommunist sei. Dies sei jedoch völlig abwegig, schließlich seien die Russen für den Tod seiner Frau und den Verlust seiner beiden Söhne während des Krieges verantwortlich. Hinsichtlich seiner Position gegenüber den anderen deutschen Experten habe Voss darauf hingewiesen, dass er der führende Kopf der Gruppe sei. Cafferys abschließender Bemerkung in der Aufzeichnung zufolge fühlte sich Voss in Ägypten „offensichtlich wohl“, er wolle vermutlich im Lande bleiben. Voss wörtlich: „Was das betrifft, empfiehlt es sich wohl, sich von Europa eine Weile fernzuhalten“203. Nicht nur zieh Botschafter Pawelke Voss verdächtiger Ostkontakte, er stellte ihn in Bonn auch als Initiator arabischer Boykottdrohungen wegen des Luxemburger Abkommens mit Israel hin. Ob dies tatsächlich zutraf, ist kaum zu beurteilen; eher kam der Geschäftsmann Joachim Hertslet für solche Machinationen in Frage. Allerdings unterhielt Voss in Kairo Verbindungen 202 203

Elzer, Militärberater. CIA (FOIA), Voss, Friedrich Wihelm_0048.pdf.

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sowohl zu alten NS-Größen als auch zu Hertslet, wie oben erwähnt.204 Pawelke selber scheint in der Frage des Luxemburger Abkommens im Übrigen auch nicht ganz sattelfest gewesen zu sein. Die für die israelische Zeitung Ma‘ariv in Bonn tätige Journalistin Inge Deutschkron berichtet von einem Treffen Pawelkes mit dem stellvertretenden Leiter der Israel-Mission in Köln, Chaim Yachil, im Dezember 1952 – also vor dem Ratifizierungsverfahren im Deutschen Bundestag – zu mitternächtlicher Stunde in einem Hotel der Domstadt. Bei dieser Begegnung habe Pawelke seinem israelischen Gegenüber vorgeschlagen, auf dem Wege einer „Kompromißlösung“ – etwa durch die Abwicklung des Vertrages durch die Vereinten Nationen – das Problem zu lösen. Damit wäre die Bundesrepublik ein wenig aus der arabischen Schusslinie getreten. Yachil habe das Ansinnen Pawelkes jedoch „entschieden zurückgewiesen“, so Deutschkron.205 Nicht auszuschließen ist, dass Wilhelm Voss seinerseits Versuche unternahm, Pawelke zu schaden. Einen Monat nach der Ratifizierung des Luxemburger Abkommens im Bundestag Mitte März 1953 berichtete das ägyptische Wochenblatt „Ruz al Yusuf“ über einen Besuch Botschafter Pawelkes im Gaza-Streifen. Bei dieser Gelegenheit habe dieser gesagt, das Gebiet von Beersheba sei „rein arabisch und müsse daher Ägypten angeschlossen werden“. In einer Ansprache vor Flüchtlingen aus dem Krieg von 1948/49 äußerte er dem Blatt zufolge: „Ich bin Flüchtling wie ihr, denn ich komme aus Ostdeutschland. Meine Mutter lebt immer noch dort, und sie lebt da ganz allein“. Lediglich intern dementierte Pawelke diese möglicherweise von Voss lancierte Meldung, indem er den Inhalt der Zeitungsmeldung ebenso abstritt wie die Behauptung, vor Flüchtlingen gesprochen zu haben. Seine Mutter lebe in der Bundesrepublik, und zwar nicht allein.206 Laut Pawelke sei eine solche ägyptische Berichterstattung durchaus „landesüblich“. Da er jedoch auf ein öffentliches Dementi verzichtete, schossen natürlich die Spekulationen über seinen Auftritt in Gaza ins Kraut. Botschafter Pawelkes Zorn auf Voss dürfte vor allem dadurch befeuert worden sein, dass Letzterer in Bonn – und hier ausgerechnet im Auswärtigen Amt – über weit bessere Kontakte verfügte, als er selber, wie seinerzeit der „Spiegel“ enthüllte.207 Vor allem Staatssekretär Hallstein und der Leiter der Politischen Abteilung im Auswärtigen Amt, Herbert Blankenhorn, pflegten ein ausnehmend gutes Verhältnis zu Wilhelm Voss und versorgten ihn mit wichtigen Dokumenten, die Pawelke nie zu Gesicht bekam.208 204 205 206 207 208

Vgl. Elzer, Militärberater, S. 249. Information Yachils gegenüber Inge Deutschkron. Vgl. Deutschkron, Israel, S. 88. Vgl. Schwanitz, Deutsche, S. 235. Pawelke stammte aus Oberschlesien. Der Spiegel Nr. 27 vom 29. Juni 1954, „Geheim, privat, persönlich“. Das Folgende nach ebd. Zumindest Blankenhorn ließ bei einer Gelegenheit erkennen, dass sein Verhältnis zu Voss womöglich doch nicht so harmonisch war, wie der Spiegel behauptete. Bei einem Abendessen Blankenhorns mit dem britischen Hohen Kommissar Sir Ivone Kirkpatrick und dem FDP-Justizminister Thomas Dehler im April 1953 in der Wohnung Kirkpatricks in der Wahner Heide bei Köln ging es

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Voss entsandte Oberst Ferchl, der ihm in Kairo unterstand, nach Bonn. Ferchl ließ sich von der Dienststelle Blank „Dienstvorschriften und Instruktionen“ aushändigen und brachte sie an den Nil. Voss teilte dies auch „top secret“ in einem Schreiben vom 11. März 1953 dem damaligen ägyptischen Verteidigungsminister Kamal Abdel Hamid mit, nicht ohne diesen darauf hinzuweisen, dass diese Dinge „absolut streng geheim behandelt werden“ müssten, „nur privat, persönlich und vertraulich zwischen den Offizieren in Bonn und mir beziehungsweise meinen persönlichen Abgesandten“. Für die entstandenen Reisekosten Ferchls nach Bonn und zurück bat Voss den Minister um deren Erstattung nebst „den üblichen Spesen“. Der Bericht des Spiegel warf die rhetorische Frage auf, ob die außenpolitischen Größen am Rhein gut beraten waren, in Ägypten auf Voss statt auf Pawelke zu setzen. Voss habe ein enges Verhältnis zu General Nagib gepflegt, seit aber Nasser die Geschicke des Landes bestimme, verblasse Voss’ Ansehen. Nasser habe zahlreiche Offiziere der „bis dato 60  Köpfe starken deutschen Expertengruppe entlassen“. Bei den deutschen Marineexperten in Alexandria habe es im Mai 1954 Hausdurchsuchungen und sogar Leibesvisitationen gegeben. Der Spiegel-Artikel schloss mit der in der einschlägigen Literatur gelegentlich wiederholten, angeblich aus deutschen Industriekreisen stammenden Bemerkung Nassers über Wilhelm Voss: „Er ist ein Lügner, und Sie können mich zitieren“. Worauf sich dieses prägnante Urteil bezog, bleibt ein Rätsel. In seinem Streit mit Voss genoss Botschafter Pawelke fraglos nicht jene Unterstützung des Auswärtigen Amtes, die ihm als Beamter seiner Behörde zukam. Möglicherweise wirkten hier die nicht substantiierten Behauptungen wegen Voss’ angeblicher Ostkontakte und jene über vermeintlich von diesem initiierte Boykottdrohungen. Auch die Frage, ob Pawelke Opfer bestimmter Seilschaften im Auswärtigen Amt und insbesondere der eingangs erwähnten „Arabisten der Koblenzer Straße“ geworden ist, bleibt offen.209 Pech hatte Günther Pawelke aber nachweislich insofern, als er mit dem Vortragenden Legationsrat im Auswärtigen Amt, Helmut Allardt, dort einen entschlossenen Gegner aus dienstlichen Gründen hatte. Obendrein verband Allardt mit Voss wiederum zumindest jene bereits erwähnte Bekanntschaft aus der Zeit ihrer gemeinsamen Internierung nach dem Kriege. In seinen 1979 erschienenen Memoiren lässt Allardt kein gutes Haar an Pawelke. Herbert Elzer nennt ihr Verhältnis mit Hinweis auf die Memoiren „zerrüttet“, ohne jedoch den in dem

209

um das Material, das die Briten im Zuge der Verhaftung von Mitgliedern des neonazistischen Naumann-Kreises sichergestellt hatten. In einer Aufzeichnung Blankenhorns über dieses Treffen heißt es, „Naumann scheint […] auch Herrn Voss in Ägypten veranlasst zu haben, die übelsten Verleumdungen gegen mich in die Welt zu setzen“. Vgl. AAPD, 1953, I, München 2001, Nr. 117. Zu zwei unterschiedlichen Deutungen solcher Seilschaften siehe Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann, Das Amt und die Vergangenheit, München (2) 2010. Hier vor allem die Betonung der Wirksamkeit der „Arabisten“ S.  574f. Vor ihrer Überschätzung warnt hingegen Sven Olaf Berggötz, Nahostpolitik in der Ära Adenauer 1949–1963, Düsseldorf 1998, S. 105–113.

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Text Allardts geschilderten Grund dafür zu nennen.210 Allardt berichtet in seinen Erinnerungen u. a. über personalpolitische Vorgänge beim Aufbau des auswärtigen Dienstes der Bundesrepublik Deutschland nach 1949, an dem er mitwirkte.211 Dabei scheint nach seinen Schilderungen der konfessionelle Proporz bei der Besetzung von Leitungspositionen eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Während der Katholik und Bundeskanzler Adenauer die Richtlinie ausgegeben habe, dass für die Einstellung eines Bewerbers „politisch und charakterlich einwandfreies Verhalten in der Vergangenheit und eine möglichst breite Qualifizierung“ maßgeblich sein sollten, habe der einflussreiche Staatssekretär im Bundeskanzleramt und ebenfalls katholische Hans Globke weit mehr darauf gedrungen, dass im AA künftig katholische Bewerber „mindestens entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung vertreten“ sein müssten. Das aber sei laut dem Protestanten Allardt „aus strukturpolitischen Gründen“ kaum realisierbar gewesen, da sich „weniger Katholiken als Protestanten um die Aufnahme bewarben“212. Nach Allardts Darstellung sei es Günther Pawelke gewesen, der ihn bei Globke angeschwärzt habe, weil er angeblich und in Wahrheit unzutreffenderweise die Einstellung von evangelischen Bewerbern gegenüber katholischen bevorzugt habe.213 Nachdem er in seinen Erinnerungen Pawelkes Ernennung zum deutschen Missionschef in Kairo erwähnt hatte, bilanzierte Allardt dessen weiteren beruflichen Werdegang eher herablassend: „Aber auch dort war seines Bleibens nicht lange. Er verschwand ganz aus dem angesammelten Personalschatz des Auswärtigen Amtes und eröffnete als nächstes eine Pension in der Schweiz“. Pawelke äußerte angesichts der Vorgänge zwischen Kairo und Bonn im Sommer 1954 die Bitte um die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand, der sein Dienstherr auch entsprach. Allerdings hatte er selber inzwischen ohne Not einen eigenen Nebenkriegsschauplatz mit seinen Vorgesetzten in der Koblenzer Straße eröffnet, der ebenfalls zu seiner vorzeitigen Demission beigetragen haben könnte.214 Dabei ging es um einen von Bonn nicht autorisierten Versuch Pawelkes vom Juli 1953, sich in dem britisch-ägyptischen Konflikt in der Suezkanalzone eine Vermittlerrolle anzumaßen. Ministerialdirektor Kordt von der Politischen Abteilung III des Auswärtigen Amtes riet Staatssekretär Hallstein dazu, „Herrn Pawelke zur Vorsicht zu mahnen“. Diese Mahnung erfolgte dann per Schreiben Hallsteins an Pawelke vom 20. August 1953. Mit dem Wissen um seine spezielle Beziehung zu Botschafter Pawelke im Gepäck, unternahm 210 211 212

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Elzer, Militärberater, S. 249 mit Anm. 160. Helmut Allardt, Politik vor und hinter den Kulissen, Düsseldorf 1979. Ebd., S. 165. Allardt zufolge bewarben sich damals im Durchschnitt 75% Protestanten und nur ein Viertel Katholiken. Die entscheidende Textpassage zu Allardts inkriminierter Einstellungspraxis ist in seinen Memoiren grob sinnentstellend wiedergegeben. Vgl. ebd., S. 166. Vgl. Der Spiegel Nr. 28 vom 7. Juli 1954, „Kein Dementi“ und Nr. 2 vom 12. Januar 1955, „Rückspiegel“, ferner AAPD, 1953, II, München 2001, Nr. 229 mit Fußnote 12 sowie Nr. 248.

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Helmut Allardt im Auftrag Staatssekretär Hallsteins am 20. Mai 1953 eine Erkundungsreise nach Kairo. Allardt war damit jener „zuverlässige Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes“, von dem Kanzler Adenauer bei seinem Treffen mit Premierminister Winston Churchill am 15. Mai 1953 gesprochen und den an den Nil zu entsenden er versprochen hatte. Die umfangreiche Aufzeichnung über diese Mission datiert vom 16. Juni 1953 und ist mit „Besprechungen mit den deutschen Militärexperten in Ägypten“215 überschrieben. Gleich zu Beginn seines Berichtes referiert Allardt eine Meinungsverschiedenheit mit Botschafter Pawelke, den er dann im Folgenden vollständig ignoriert. Wenig überraschend ging es bei diesem Dissens um Wilhelm Voss, über den Pawelke die erwähnten Vorwürfe geschildert und auch dadurch zu untermauern versucht hatte, dass auch die Botschafter und Gesandten befreundeter Staaten in Kairo „nachdrücklichst“ vor „Dr. Voss und seinem Umgang mit Existenzen wie Hertslet, Skorzeny etc. gewarnt“ hätten. Allardt drehte den Spieß um und empfahl Pawelke ausdrücklich die Kontaktpflege mit Voss, gerade wenn er der Meinung sei, dessen Tätigkeit sei gefährlich. Dem Bericht zufolge gab Pawelke den Ball zurück und erklärte, es sei ihm in seiner Stellung nicht zuzumuten, mit einem „anrüchigen Subjekt, wie Dr. Voss es sei“, zu verkehren. Allardt erklärte daraufhin, sich selber ein Bild machen und mit Voss sprechen zu wollen. Laut seiner Aufzeichnung habe Pawelke ihn gebeten, „auf jeden Fall nicht mit Herrn Dr. Voss zu beginnen, sondern zunächst mir ein Bild der Lage durch General Munzel geben zu lassen“. Breiten Raum nahm in Allardts Aufzeichnung die Analyse der Lage in der militärischen Beratergruppe ein. Nach einer sachlichen Schilderung der äußeren Gegebenheiten bei der Gruppe Armed Forces gelangte der Verfasser zu dem Schluss, dass es sowohl hinsichtlich ihrer „notwendigen und sachlichen Betreuung als auch mit Blick auf die „völlig fehlende Disziplinargewalt“ eine „Lücke“ gebe. Da weder Voss noch General a. D. Fahrmbacher den Versuch unternommen hätten, diese Lücke zu schließen, sei unter den „sehr führungsbedürftigen Offizieren eine starke Verstimmung gegen beide entstanden“. Eine negative Berichterstattung in der deutschen Presse und Angriffe „in der englischen Öffentlichkeit“ wegen der angeblichen Partisanenausbildung durch die Deutschen hätten das Ihrige dazu beigetragen, die „vorhandene Nervosität zu vergrößern und die Befürchtung entstehen lassen, die öffentliche Stellungnahme gegen die Offiziere erschwere ihre Rückkehr in die Heimat oder mache sie gar unmöglich“. Allardt berichtete, dass die große Mehrheit der deutschen Militärberater bei der Dienststelle Blank Bewerbungen für die kommende westdeutsche Armee eingereicht hätte und einem Einberufungsbefehl unverzüglich Folge leisten würde. Bei den Jüngeren wirke jedoch die relativ gute ägyptische Besoldung in dieser Richtung noch hemmend. Hinsichtlich des Führungsproblems innerhalb der militärischen Beratergruppe machte Allardt den Vorschlag, General Fahrmbacher von seinem Chefposten abzulösen und für 215

AAPD, 1953, I, Nr. 182.

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geeigneten Ersatz zu sorgen. Fahrmbacher habe es offenbar weder vermocht, sich „in ägyptischen Kreisen noch bei den ihm unterstellten deutschen Offizieren Respekt oder Achtung zu verschaffen“. Es sei ihm richtig erschienen, „offen mit Dr. Voss zu sprechen“ und ihn auf die Gefahren auch für seine eigene Position hinzuweisen, sollten „Zwischenfälle, Denunziationen und mangelnde Disziplin“ kein Ende nehmen. Er habe Voss vorgeschlagen, sich der Verantwortung für die Militärs zu entledigen und stattdessen einen Offizier in seinem Büro zu installieren, der die „notwendigen Eigenschaften mitbringe, um für die Disziplin der Gruppe zu sorgen und gleichzeitig als Verbindungsoffizier tätig zu sein“. Bei seinem Besuch in Kairo traf Allardt seinem Bericht gemäß auf breite Zustimmung aller deutschen Beteiligten in der Frage der Partisanenausbildung. Auch Voss sprach sich strikt gegen jede deutsche Aktivität auf diesem Gebiet aus. Seitens der Expertengruppe habe man darüber hinaus auch die Ägypter mit Nachdruck davor gewarnt, in der Kanalzone ein Kräftemessen mit den Briten zu suchen. Diese Empfehlung, so Allardt, „entspricht den Wünschen der Bundesregierung“. Der deutsche Emissär legte in diesem Punkt gegenüber seinen Landsleuten am Nil noch nach: Er habe in Kairo „keine Zweifel darüber gelassen, daß eine Förderung ägyptischer Pläne, die etwa darauf abzielten, Zivilisten in militärischen Sonderkursen zu Partisanenkämpfern auszubilden, nicht nur eine schlechte Beratung der Ägypter darstellen würde, sondern auch nachteilige Folgen für eine Bewerbung um Eintritt in künftige Europa-Verbände216 haben müsse“.

Weisungsgemäß hatte Allardt in Kairo auch Besprechungen mit der britischen Botschaft wahrzunehmen. Insbesondere mit dem dortigen Gesandten, Creswell, führte Allardt Unterredungen, in denen die britische Seite Erwartungen hinsichtlich eines „unverzüglichen Abzugs“ der deutschen Militärberater äußerte. Allardt wies indessen auf die begrenzten Einflussmöglichkeiten der Bundesregierung hin, die es allenfalls erlaubten, gegenüber den Betroffenen den „Wunsch auszudrücken, bald nach Hause zurückzukehren“. Voraussetzung dafür sei jedoch, dass „in der Heimat Arbeit vorhanden wäre, die dem Einzelnen und seiner Familie den notwendigen Lebensunterhalt garantiere“. Angesichts der ungeklärten EVG-Zukunft bleibe hier noch einiges zu tun. Allardt warnte die Briten davor, beim Thema Abzug allzu sehr aufs Tempo zu drücken. Es müsse auch in ihrem Interesse liegen, dass keine „Lücke durch die Abreise der deutschen Berater entstehe, die von der ägyptischen Regierung sofort aufgefüllt werden würde“. Er malte

216

Mit diesen Verbänden meinte Allardt Truppen der demnächst erwarteten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG), die dann jedoch 1954 durch Beschluss der französischen Nationalversammlung nicht zustande kam.

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dann ein Szenario an die Wand, in dem „Herr Skorzeny“ den Ägyptern mit „200 früheren, im Ausland befindlichen SS-Offizieren“ zu Diensten sein könnte. Darüber hinaus besitze er Informationen, denen zufolge bei den ägyptischen Stellen Hunderte von „Bewerbungen aus Kreisen eingegangen“ seien, auf die weder „die englische noch die amerikanische noch die Bundesregierung irgendwelchen Einfluß hätten“. Um die Drohkulisse zu komplettieren, skizzierte Allardt zwei Möglichkeiten, die den Briten offen stünden: Entweder sie fänden sich „mit dieser Gruppe ehemaliger deutscher Berufssoldaten ab, die ehrenhaft und amtlichen deutschen Ratschlägen und Empfehlungen durchaus zugänglich“ sei, oder sie liefen Gefahr, dass die ägyptische Regierung „eine Anzahl Landsknechte und Agenten aus dem östlichen Lager in ihre Dienste nehme“. Nach einer Bedenkzeit und Rücksprache „mit seinen Mitarbeitern und dem englischen Geheimdienst“ erklärte Creswell Allardt, dass die Botschaft „und nicht zuletzt der Militärattaché sich dieser Auffassung voll anschlössen und in diesem Sinne nach London berichtet hätten“. Die unbedingte Entfernung des Fallschirmjäger-Ausbilders Mertins aus Ägypten sei jedoch nicht verhandelbar. Die „Gegenwart“ der deutschen Beratergruppe am Nil hätten die Briten als „das kleinste von mehreren Übeln“ akzeptiert, hieß es in Allardts Bericht. Es sei nur am Rande erwähnt, dass es für die nicht übermäßig engagiert betriebene Rückführung der deutschen Militärberater seitens der Bundesregierung möglicherweise noch eine weitere Erklärung gibt. Erneut war es Helmut Allardt, der nur wenige Tage nach der Vorlage seiner umfangreichen Aufzeichnung über seine Kairoer Erkenntnisse im Auswärtigen Amt an einer Referentenbesprechung über die Situation der deutschen Berater am Nil teilnahm. Hier erklärte er, deren Anwesenheit dort stelle ein „wirtschaftliches Positivum“ für die Bundesrepublik in Ägypten dar, da man in Kairo aktuell über das Großprojekt des Assuan-Hochdamms spreche, an dem deutsche Firmen wie die Essener Hochtief AG – in Ägypten vertreten durch den außerordentlich umtriebigen Repräsentanten Rudi Stärker  – immens interessiert sei.217 Ein übereilter Abzug der deutschen Experten brächte sowohl die Ägypter als auch die deutschen Wirtschaftsvertreter in Verlegenheit. Mitte der fünfziger Jahre trat das Problem der deutschen Militärfachleute in den deutschbritischen Beziehungen mehr und mehr in den Hintergrund.218 Mit der zunehmenden Hin-

217

218

Wolffsohn/Brochhagen, Hakenkreuze, S.  530 mit genauen Quellenangaben. Jahre später errichteten dann sowjetische Ingenieure den Hochdamm auf der Grundlage der Pläne von „Hochtief“ und „Rheinstahl Union Brückenbau“. Dass das Problem die Gemüter im AA vielleicht doch mehr bewegt hatte, als die anfangs eher indifferente Haltung der zuständigen Beamten gegenüber den britischen Vorhaltungen vor allem im Jahre 1953 vortäuschte, wird aus einer Notiz des Vortragenden Legationsrates Hasso von Etzdorf vom 1. Juni 1953 deutlich, in der er davon abriet, indonesischen Wünschen nach Entsendung deutscher Militärberater umstandslos nachzukommen. „Denn es liegt“, schrieb von Etzdorf, „in unserem

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wendung Nassers zur Sowjetunion und ihren Verbündeten erkannte man in London in den westdeutschen Militärs am Nil in der Tat das kleinere Übel gegenüber ihrem Ersatz durch Fachkräfte etwa aus der UdSSR und der DDR. Wie bereits erwähnt, beendete die ägyptische Regierung die deutsche Marinearbeit in Alexandria bereits im Jahre 1954. Die anderen Militärberater kehrten nach und nach in die Bundesrepublik zurück, wo die neu geschaffene Bundeswehr als Arbeitgeber lockte. Wilhelm Fahrmbacher verließ Ägypten nach eigener Aussage auf eigenen Wunsch im Sommer 1958, obwohl die Ägypter seinen Vertrag ungefragt bis 1959 verlängert hätten.219 Die Umstände des Abschieds von Wilhelm Voss liegen im Dunkeln. Noch Ende 1954 habe er von seiner „Wahlheimat im Osten“ gesprochen und über die amerikanischen Geheimdiensterkenntnisse, wonach sich Voss wohl dauerhaft bei den Pyramiden einrichten wolle, ist bereits berichtet worden. Eine Aufzeichnung der CIA vom 10.  April 1956 lieferte indirekt einen Hinweis auf die Position von Voss in Kairo zum Jahresende 1955. Sie basierte auf Mitteilungen eines britischen Informanten vom Dezember jenes Jahres. Zunächst listete sie militärisch nutzbares Gerät auf, das eine ägyptische Regierungsdelegation anlässlich ihres Besuches bei der Daimler-Benz AG in Stuttgart geordert hatte. Der Bericht des Informanten endete mit dem Hinweis, dass sich „Angestellte von Daimler-Benz bei der Reisegruppe nach dem Befinden von ‚Dr. Wilhelm Voss‘“ erkundigt hätten, und ihre Antwort habe gelautet: Voss sei in Ungnade gefallen (out of favor) und werde in Kürze nach Deutschland zurückkehren.220 Spätestens seit dem Sommer 1956 lebte Voss in Gräfelfing bei München.221 Möglicherweise hing der Abschied von Voss zum Jahresende 1955 auch mit einem Gerücht zusammen, das sich um ihn und seine Tätigkeit in Ägypten rankte. Ende September 1955 hatte Präsident Nasser die eingangs erwähnten, außerordentlich umfangreichen Waffenkäufe in der Tschechoslowakei öffentlich gemacht. Die Nachricht setzte Israel unter Schock, wirkte dort wie ein Erdbeben und führte im Generalstab der Streitkräfte und in den oberen Rängen des israelischen militärischen Geheimdienstes zu der fast einhelligen Überzeugung, dass Ägypten unbedingt einen neuen Krieg wolle. Das Waffengeschäft sei im Hinblick auf eine „zweite Runde“ gegen Israel getätigt worden.222 Es

219 220 221 222

Interesse nach Möglichkeit zu verhindern, daß wir gegenüber den Holländern (den ehemaligen Kolonialherren in Indonesien, A. H.) in ein ähnliches Dilemma geraten wie jetzt gegenüber England durch unsere ‚Partisanenausbilder‘ in Ägypten“. AAPD, 1953, I, Nr. 90, Fußnote 5. Fahrmbacher, Leserbrief. CIA (FOIA), Voss, Friedrich Wilhelm_0080.pdf. Vgl. Pothmann, Sphinx, S. 4. Black/Morris, Mossad, Shin Bet, Aman, S. 201. In ihrem extrem deutschlandkritischen Buch „Behind the Egyptian Sphinx“ aus dem Jahre 1960 behaupten die Autoren Sedar und Greenberg ohne jegliche Quellenangabe, dass es der deutsche Diplomat und Arabien-Spezialist Fritz Grobba gewesen sei, der als „diplomatischer Vermittler“ aus Moskau kommend im Juli 1955 inkognito in Kairo eingetroffen sei, um den Waffendeal voranzubringen. Der zum Islam konvertierte Grobba war nach dem

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war das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, das Ende Oktober 1955 meldete, „alliierte Nachrichtendienste“ hätten Ermittlungen „über die Hintergründe der ägyptischen Waffenkäufe im Ostblock und über die engen Beziehungen angestellt, die der deutsche Staatssekretär des Auswärtigen, Walter Hallstein, zu dem ehemaligen Chef der deutschen Militärexperten in Kairo, Dr. Wilhelm Voß unterhielt“. Im Lichte des jüngsten tschechisch-ägyptischen Waffengeschäftes käme nun, so der Spiegel, drei Tschechen eine spezielle Bedeutung zu, die Voss aus seiner Zeit bei Skoda gekannt und die er nach Ägypten geholt habe: es handelte sich um die Herren Kostrum – als Kostroun uns bereits bekannt – Prantel und Nohinec. Das Amt Blank habe vergeblich davor gewarnt, dass zumindest zwei der Tschechen „kommunistische Spione“ seien, doch sei die Warnung ungehört verhallt. Die „Bekanntschaft und Zusammenarbeit zwischen Konrad Adenauers Staatssekretär Walter Hallstein und Wilhelm Voß schien“, schrieb das Blatt, „eine ausreichende Gewähr dafür zu bieten, daß sich im Schatten der damals noch angesehenen deutschen Berater keine bolschewistischen Agenten am Nil niederlassen konnten. Die angloamerikanischen Geheimdienste sind erst jetzt, nach dem Zustandekommen des tschechoslowakisch-ägyptischen Waffenlieferungsabkommens, auf die Spuren der Skoda-Tschechen gestoßen“.

Die Zeitschrift erwartete „feingedrechselte Entschuldigungsreden aus der Koblenzer Straße, um den „bitteren Vorwürfen“ aus Washington und London angesichts des „roten Erfolgs“ in Kairo zu begegnen.223 Bemerkenswert erscheint, dass die alliierten Geheimdiensterkenntnisse, auf die sich der Spiegel wesentlich stützte, doch recht schnell, nämlich nur einen Monat nach der Bekanntgabe der tschechoslowakischen Lieferungen durch Präsident Nasser, von dem Nachrichtenmagazin publik gemacht wurden. Die einschlägige Literatur über dieses Geschäft und seine Hintergründe geht sehr zurückhaltend mit Verdächtigungen gegen die tschechischen Mitarbeiter von Voss um. Der ehemalige britische Außenminister Selwyn Lloyd etwa widmete dem Waffendeal in seinem Buch über die Suezkrise von 1956 zwar einige Zeilen, verliert jedoch kein Wort über die angeblichen tschechischen Spione.224 Auch der israelische Historiker und Bestseller-Autor Michael

223 224

Krieg von den Russen in Thüringen verhaftet und in die Sowjetunion gebracht worden, wo er laut Sedar und Greenberg „Direktor der arabischen Abteilung des sowjetischen Außenministeriums“ in Moskau geworden sei. U. a. habe er bei seinem Kairo-Besuch auch mit Wilhelm Voss über eine Strategie gegen die NATO gesprochen. Vgl. ebd., S. 70. Grobba kehrte 1955 in die Bundesrepublik zurück und starb 1973 in Bonn. Der Spiegel Nr. 44 vom 25. Oktober 1955, „Auf Skoda-Spuren“. Selwyn Lloyd, Suez 1956, London 1978.

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Ben-Zohar, der sich aufgrund seiner Forschungen zum Treiben der Deutschen in Ägypten nach dem Zweiten Weltkrieg diesbezüglich bestens auskennt, schildert in seiner Biografie über „Shimon Peres and the Secret History of Israel“ zwar ebenfalls das Waffengeschäft, weiß aber über die „Skoda-Tschechen“ gleichfalls nichts zu berichten.225 Das umfangreiche Werk Stephen Dorrils über die Geschichte des britischen Auslandsgeheimdienstes MI 6 widmet sich gleichfalls ausführlich dem Waffengeschäft, macht aber nicht einmal eine Andeutung über eine mögliche Verstrickung der drei Tschechen am Nil.226 Der bereits erwähnte CIA-Experte Tim Weiner befasst sich in seinem Werk über den amerikanischen Geheimdienst knapp mit dem Entschluss Nassers, im Tausch gegen Waffen Baumwolle an die Sowjetunion zu liefern, berichtet jedoch nichts von den inkriminierten Tschechen.227 Andere Autoren, wie etwa Martin A. Lee, übernehmen unkritisch die hier dargestellte Spiegel-Version.228 Eine Variante im Umgang mit den angeblichen kommunistischen Dunkelmännern aus der Tschechoslowakei bietet der israelische Spion Frank alias El-Ad in seinen Erinnerungen. Von all den Persönlichkeiten, die er auf dem erwähnten Weihnachtsempfang beim deutschen Botschafter Pawelke small talk führend und Whisky schlürfend kennengelernt habe, habe ihn vor allem „Voss“ interessiert, schreibt El-Ad, denn über ihn hätten ihn seine Vorgesetzten zuvor informiert. El-Ad beschreibt in seinem Buch kurz und zutreffend die Rolle von Voss in Diensten General Nagibs sowie später Nassers und fügt in einer Klammer die Information an, „aufgrund seiner früheren Verbindung mit Skoda würde er die Vorzüge des Erwerbs kommunistischer Waffen hervorheben  – und der tschechoslowakisch-ägyptische Waffendeal von 1955 würde daraus resultieren“.229 Ob El-Ad jemals die fragliche Spiegel-Ausgabe zur Verfügung stand und sich durch den betreffenden Artikel inspirieren ließ, darf bezweifelt werden. Es scheint eher, als wollte er mit seiner Information betonen, dass es Voss mehr um die günstige Gelegenheit des Kaufs von Rüstungsgütern in der sozialistischen Tschechoslowakei ging, nicht aber um eine bewusst gesteuerte Anbahnung einer Neuorientierung der ägyptischen Außenpolitik in Richtung Ostblock, als die das damalige Waffengeschäft im Westen unisono gewertet wurde. Von den drei Skoda-Tschechen weiß im Übrigen auch El-Ad nichts zu berichten. Vielleicht, und dies ist gewiss eine gewagte These, war der Spiegel einer Desinformation von Ex-Botschafter Pawelke aufgesessen, der sich auf diese Weise an seinem Feind Wilhelm Voss rächen wollte.

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Tel AviV 2016, S. 123f. Dorrils, MI 6, S. 605f. Weiner, CIA, S. 180. Lee, Beast, S. 180. El-Ad, Decline, S. 73.

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Von Mauthausen über Buchenwald nach Kairo: Stationen des Arztes Hans Eisele Zeitlich etwa an der Nahtstelle zwischen der Rückkehr der meisten deutschen Militärberater in die Bundesrepublik einerseits und der Ankunft von Experten des Düsenflugzeug- und Raketenbaus in Ägypten andrerseits, fiel im Jahre 1958 die Flucht des Arztes Hans (auch Hanns) Eisele an den Nil. Im Jahre 1913 in Donaueschingen geboren, hatte Eisele in Freiburg i. Breisgau Medizin studiert und war als Mitglied der SS seit August 1940 als Lagerarzt im Konzentrationslager (KZ) Mauthausen und vom Februar bis August 1941 im KZ Buchenwald tätig gewesen, wo er u. a. mehrere hundert Gefangene mit einer Überdosis des Betäubungsmittels Evipan zu Tode gespritzt hatte. 230 Im Februar 1945 diente er schließlich als Lagerarzt im KZ Dachau, wo ihn die Amerikaner festnahmen. Die im sog. Dachau-Prozess im Dezember 1945 und dann im Buchenwald-Prozess im August 1948 unter alliierter Ägide gegen ihn verhängten Todesurteile wurden nicht vollstreckt, und im Februar 1952 erfolgte dann seine Entlassung aus der Haftanstalt Landsberg am Lech. Aus Gründen der Amtspflicht hätten die deutschen Strafverfolgungsbehörden Eisele durchaus erneut den Prozess machen müssen. Eisele konnte jedoch zunächst unbehelligt unter seinem Namen in München-Pasing eine gut gehende Praxis als Kassenarzt eröffnen. Erst im Zusammenhang mit einem anderen Strafverfahren des Jahres 1958 gegen ein Mitglied der Wachmannschaft im KZ Buchenwald, geriet Eisele wieder in die Schlagzeilen, da sein Name während des Verfahrens wiederholt von Zeugen genannt wurde, die ihn schlimmster Grausamkeiten in Buchenwald bezichtigten. Nach einer kurzen Zeit des Zögerns entschloss sich Eisele zunächst zur Flucht nach Italien, und von dort noch 1958 nach Ägypten. Hier richtete er sich in dem von Ausländern und insbesondere Deutschen beliebten Villenvorort Maadi (auch Meadi) am östlichen Nilufer eine Praxis ein. Maadi liegt ca. 12 km südlich von Kairo auf halbem Wege nach Heluan, wo die Flugzeugkonstrukteure ihre Fabriken Nr. 36 und 135 hatten. Es war damals eine Kleinstadt im Grünen, mit gepflegten Gärten, Schwimmbad sowie Tennis- und Golfplätzen im Maadi Sporting Club. Von seiner Praxis aus nahm Eisele seine Aufgabe als Werksarzt, Vertrauensarzt, Betriebsarzt oder Stabsarzt231 – die Funktion je nach Dokument oder literarischer Quelle – jener Beschäftigten und ihrer Familien im Flugzeugzentrum von Heluan wahr, die sich an der kolportierten Vergangenheit des Mediziners nicht störten. Ein Mitglied der Flugzeugexpertengruppe 230 231

Vgl. Jens Schley, Nachbar Buchenwald, Köln 1999, S. 96. Stabsarzt etwa bei Klee, Personenlexikon, S. 132.

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bescheinigte Eisele, ein beliebter Arzt gewesen zu sein: „Er ist ein guter Arzt. Vor allem unsere Frauen haben Vertrauen zu ihm, außerdem brauchen sie bei Dr. Eisele auch für schwierige Sachen keinen Dolmetscher“232. Vielleicht verstand Eisele es auch, seine Patientinnen mit den Erfahrungen aus seiner Münchner Praxiszeit zu überzeugen, in der er mit der damals auch bei Prominenten populären Frischzellentherapie gearbeitet hatte. Trotz seines erfolgreichen beruflichen Starts in Maadi gibt es einen Hinweis, dass Eisele bereits bald nach seiner Ankunft am Nil auf einen Ortswechsel aus war. Der Spiegel brachte in seiner Ausgabe Nr. 7 vom 11. Februar 1959 eine Notiz, in der es hieß: „Dr. Hans Eisele, 46, ehemaliger KZ-Arzt, zur Zeit Ägypten, bewarb sich bei der algerischen Freiheitsarmee um den Posten eines Feldarztes und wurde abgewiesen“. Nur Weniges ist über Eiseles Kairoer Zeit bekannt. Es soll sich auch Karl de Bouche (auch Debouche) genannt haben und in der Öffentlichkeit nur in Erscheinung getreten sein, wenn er seinen Frisör aufsuchte oder in der Apotheke Medikamente einkaufte. Die Behauptung, Eisele habe sich in Kairo aufgehalten, um an biochemischen Waffen zu forschen, wird man der Kategorie Unsinn zuordnen dürfen.233 Der Leiter der Ingenieurgruppe, die in Heluan mit der Triebwerkskonstruktion für einen ägyptischen Düsenjäger beschäftigt war, der Österreicher Ferdinand Brandner, kaufte bei seinen Besuchen in Zürich, wo die Verbindungsstelle der Flugzeugbauer zu europäischen Materiallieferanten angesiedelt war234, in einem dortigen, „bekannten Sanitätsgeschäft Riesenmengen von Material“ für Eiseles Praxis in Kairo. Einmal war sein Schweizer Fahrer Willi Naef bei einem solchen Kauf zugegen, und Naef wurde dabei Zeuge, wie Brandner in dem Geschäft nach einer ärztlichen Vollmacht gefragt wurde. Offenbar auf die Forderung vorbereitet, legte Brandner umgehend einen „Ausweis auf den Namen Dr. Hans Eisele“ vor.235 Ferdinand Brandner hat in seinen Memoiren unter der Kapitelüberschrift „Heiße Eisen“ auch einige Zeilen über Hans Eisele in Kairo geschrieben. Auch er äußerte sich in ihnen uneingeschränkt angetan von dem Arzt. „Durch viele Gespräche bin ich Dr. Eisele nähergekommen“, heißt es da, und weiter: „Freimütig, wie es seiner ursprünglichen Art entsprach, hat er mir genau den tatsächlichen Hergang jener unmenschlichen Taten anvertraut, die er nach Aussagen zum Teil noch lebender ‚Zeugen“ begangen haben soll […]. Ich wußte, daß er schuldlos gejagt wurde“. Eisele sei ein tief religiöser Mensch gewesen, „seine künstlerischen Fähigkeiten waren ungewöhnlich“, fährt Brandner fort. Nach seinem Tod habe Eisele seine letzte Ruhe „auf dem 232

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Vgl. Bernd Christmann, Hanns Eisele. Biographische Nachforschungen zu einem SS-Arzt, Marburg 2011, S. 105. Die Behauptung bei Dennis Eisenberg, Dan, Uri und Landau, Eli, The Mossad, New York 1978, S. 138. Dazu unten mehr. Aussage Naefs im Zürcher Spionageprozess gegen ihn im Mai 1963. In der seinerzeitigen Schweizer Presse ausführlich berichtet, hier nach den „Schaffhauser Nachrichten“ vom 14. Juli 1964.

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deutschen Friedhof von Kairo in der Nähe seines großen Kollegen“ Theodor Bilharz gefunden. „Die Worte, die der katholische Geistliche an seinem Grab sprach, werden viele Deutsche, die bei seiner Beisetzung“ im Mai 1967 „dort versammelt waren, in ihrem Urteil über den Arzt und Menschen Dr. Hans Eisele unzweifelhaft gefestigt haben“236. Ganz ähnlich hatte sich Brandner bereits 1967 in einem Interview des Spiegel über Hans Eisele geäußert.237 Nachbarn Eiseles in Maadi fiel gelegentlich auf, dass der Arzt von seinem Fenster aus auffallend lange das Gebäude der örtlichen Synagoge auf der gegenüberliegenden Straßenseite beobachtete. Auch wenn er selten außer Haus ging, galt Eisele in Maadi doch als geselliger Mensch – zumindest, wenn es um die Kontaktpflege zur deutsch-österreichischen Gemeinde ging. Besuche deutscher und österreichischer Experten rund um die Flugzeug- und Raketenprojekte, aber auch Menschen aus seiner Heimat, die schon länger im Lande waren und z. T. arabische Namen angenommen hatten, waren bei ihm durchaus keine Seltenheit. Er war vermutlich bereits kurz nach seiner Ankunft in Ägypten Gegenstand von Spekulationen über seine Vergangenheit geworden, denn die deutsche Presseberichterstattung über seinen Fall blieb auch bei den Pyramiden kein Geheimnis. So bezeichneten die Lehrer jener deutschen Schule in Kairo, die Eiseles Kinder besuchten, diese hinter vorgehaltener Hand als „Kinder des Verfluchten“238. Der Herausgeber der rechtsextremen „Deutschen National Zeitung und Soldaten-Zeitung“ (DNSZ), Gerhard Frey, suchte Eisele im Mai 1963 im Rahmen von Recherchen zur angeblichen „Faschistischen Internationale“ in Kairo auf. Frey berichtet, der Arzt habe in seiner Wohnung mit „weinerlicher Stimme“ zu ihm davon gesprochen, dass er „fast wahnsinnig vor Heimweh nach Deutschland“ sei. Von Frey damit konfrontiert, stellte Eisele – wenig überraschend – die seinerzeitigen Vorgänge im KZ Buchenwald völlig anders dar, als sie in der Bundesrepublik behauptet würden. Er sei manchmal kurz davor, nach Deutschland zurückzukehren und sich einem Gerichtsverfahren zu stellen. Doch halte ihn seine Verachtung der deutschen Justiz vor einem solchen Schritt zurück. Einem „internationalen Gerichtshof der Neutralen“ wolle er sich aber durchaus stellen.239 Ein Briefbombenattentat auf Eisele, bei dem dieser schwer verletzt wurde, ging vermutlich auf das Konto des damaligen israelischen Spions am Nil, des deutschstämmigen Wolfgang Lotz.240 Lotz hat in der ersten, im Frankfurter Verlag Goverts Krüger Stahlberg erschienenen Version seiner deutschsprachigen Lebenserinnerungen mit dem Titel „Fünftausend für Lotz“241 seine und seiner Ehefrau Waltrauds erste Begegnung mit Hans Eisele

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Ferdinand Brandner, Ein Leben zwischen Fronten, München (2) 1976, S. 322f. Der Spiegel Nr. 38 vom 11. September 1967, „Wir bauen weiter, aber gebremst“. Zitiert nach Christmann, Eisele, S. 105. DNSZ, 24. Mai 1963, Die „Faschistische Internationale in Kairo“. Zu Lotz unten mehr. Untertitel: „Der Bericht des israelischen Meisterspions Wolfgang Lotz“, Frankfurt 1973.

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Kapitel II: Aufmarsch für die „zweite Runde“ gegen Israel?

in der Kairoer Residenz des Ehepaars von Leers geschildert. Danach waren die Lotzens über Details der Tätigkeit Eiseles in Buchenwald offenbar im Bilde, denn Lotz beschreibt recht anschaulich den Ekel, den seine – nichtjüdische – Gattin angesichts Eiseles empfunden, und wie sie es mit einem Trick fertiggebracht habe, sich vor einem Händeschütteln mit dem Arzt zu drücken. Das tatsächliche oder angebliche Zusammentreffen des Ehepaars Lotz im Anwesen derer von Leers hatte in der Bundesrepublik noch ein spätes juristisches Nachspiel. Die Ehefrau Johann von Leers’, Gesine von Leers, verklagte rund sieben Jahre nach dem Tode ihres Mannes im Februar 1974 den Frankfurter Verlag vor dem Landgericht Stuttgart „wegen Unterlassung und Veröffentlichung, Streitwert 80 000 DM“242. Die Klage Gesine von Leers’ richtete sich gegen eine Reihe von Behauptungen, die Wolfgang Lotz in seinem Buch aufgestellt hatte, die hier aber nicht vollständig referiert werden können. Bemängelt wurde von Seiten der Klägerin u. a., dass Lotz in seinem Buch insinuiert habe, der ehemalige „Reichsleiter“ Martin Bormann sei in Kairo Gast bei von Leers gewesen, und darüber hinaus hätten sich auch NS-belastete deutsche und österreichische Flugzeug- und Raketenexperten dort aufgehalten.243 Für unseren Zusammenhang ist vor allem Ziffer 5, Kleinbuchstabe f der Klageschrift von Bedeutung und hier wiederum eine eher beiläufige Ergänzung, die vollständig zitiert werden soll: „So ist z. B. unwahr die Behauptung von Herrn Lotz“, heißt es da, „er habe im Hause von Prof. Dr. von Leers in Kairo den KZ-Arzt Eisele kennengelernt. Herr Eisele wurde 1957 durch den damaligen dpa-Korrespondenten in Kairo, Herrn Erich Hellmensdorfer [sic], (dem jetzigen bekannten Fernsehjournalisten und Quizmaster) bei Prof. Dr. von Leers eingeführt, wobei Herr Dr. Eisele von Herrn Hellmensdorfer ausdrücklich als unschuldig bezeichnet wurde.244 Die Bekanntschaft von Herrn Prof. Dr. von Leers und Herrn Dr. Eisele ging bloß bis zum Jahr 1958, danach war man ausgesprochen verfeindet. Herr Lotz kam erst sehr viel später ins Haus von Prof. Dr. von Leers, wahrscheinlich frühestens im März 1960“.

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244

Institut für Zeitgeschichte, München, Archiv, Gs 05.40, Klageschrift der Anwaltskanzlei Dr. Grosse, W. Arnold, Notar Dr. Oettinger, Dr. Bofinger u. a. vom 4. Februar 1974. Die Klageschrift selber weist unter Punkt 5d auf die zwischenzeitlich „wahrscheinlich gerichtsbekannten Untersuchungen“ zum Tode Bormanns in den letzten Kriegstagen in Berlin hin. Ebd. In einigen seiner Ägypten-Bücher hat Helmensdorfer Eisele zwar erwähnt, nicht aber die angebliche persönliche Bekanntschaft mit diesem. Helmensdorfer schont Eisele in den betreffenden Passagen wegen dessen Verbrechen nicht. Vgl. z. B. Erich Helmensdorfer., Westlich von Suez, Percha 1973, S. 154 und Helmensdorfer., 54mal Ägypten, München (4) 1989, S. 222f. In Übereinstimmung mit anderen Berichten über Eisele bezeichnet Helmensdorfer diesen bei seinem Lebensende als „drogen-“ bzw. „rauschgiftsüchtig“, abweichend nennt er merkwürdigerweise – unterstellt man eine tatsächliche persönliche Bekanntschaft – als dessen Todesjahr 1970, statt zutreffend 1967. Vgl. ebd.

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Militärs, Manager und Mediziner

An dieser kurzen Darstellung fällt ein unrichtiges Datum auf, das den Anwälten Gesine von Leers entweder absichtlich oder wider besseres Wissen in ihre Klageschrift geraten war. So war Hans Eisele erst 1958 nach Ägypten gekommen, noch in jenem Jahr hatte bekanntlich in der Bundesrepublik die öffentliche Auseinandersetzung um Eiseles Vergangenheit stattgefunden, vorher kann also kein privates Verhältnis zwischen von Leers und Eisele in Kairo bestanden haben. 245 Auch die Beiziehung Erich Helmensdorfers als einer Art Zeuge für ein auskömmliches Verhältnis zwischen von Leers und Eisele vor 1958 erscheint damit fragwürdig. Mangels Dokumenten ist die Argumentation des beklagten Frankfurter Verlages, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ferdinand Steiner, Frankfurt am Main, nicht bekannt. Der Prozess endete am 30. Mai 1974 mit einem Vergleich, dessen Einzelheiten hier nicht von Belang sind. Der Punkt die Bekanntschaft Eiseles mit von Leers betreffend, spielte in ihm keine Rolle. Zwar erklärte sich Gesine von Leers damit einverstanden, dass die restlichen Exemplare der ersten Auflage von „Fünftausend für Lotz“ abverkauft wurden und dass zusammen mit den übrigen Teilen des Vergleiches „alle Ansprüche der Klägerin […] erledigt“ seien. Doch im Juli 1988 erschien das Buch von Wolfgang Lotz leicht verändert im Münchner Piper Verlag unter dem Titel „Der Champagnerspion“. Die drei hier thematisierten Monita der Klage von 1974 gegen die frühere Ausgabe der Lotz-Memoiren finden sich hier nahezu unverändert wieder: die Begegnung von Lotz und Eisele, ferner die Anwesenheit der Flugzeug- und Raketenexperten im Kairoer Anwesen derer von Leers sowie die Bormann-Unterstellung. 246 Gesine von Leers war wenige Wochen nach dem Vergleich bei Gericht im Sommer 1974 verstorben. Übrigens: Zur Zeit des Stuttgarter Verfahrens verdiente Wolfgang Lotz seinen Lebensunterhalt als Verkäufer von Angelgerät in einem Kaufhaus am Münchner Marienplatz. Aufgrund eines seit dem 28. Juni 1958 bestehenden Haftbefehls der Staatsanwaltschaft München I beantragten die deutschen Behörden wiederholt die Auslieferung Hans Eiseles an die Bundesrepublik. Nach Informationen Erich Helmensdorfers lehnte die ägyptische Seite dieses Ersuchen zunächst mit dem Hinweis auf „Nichtwissen“ in Bezug auf Eisele ab, bevor ihr „eingefallen“ sei, dass nach ägyptischem Recht Mord nach zwanzig Jahren verjähre und deshalb eine Auslieferung nicht in Frage komme. 247 Während Hans Eisele aufgrund seiner Betriebsarzttätigkeit für die deutschen und österreichischen Experten in Ägypten eine gewisse Bedeutung im Sinne der eingangs formulierten Fragestellung für diesen Text zukommt, lässt sich dies für einen weiteren an den

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Andreas Eichmüller weist auf das „äußerst breite Medienecho“ hin, das die Flucht Eiseles im Sommer 1958 ausgelöst habe. Vgl. Andreas Eichmüller., Keine Generalamnestie, München 2012, S. 184. Wolfgang Lotz, Champagnerspion, München (2) 1988, S. 75f. Und 79. Helmensdorfer, 54mal, S. 223.

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Kapitel II: Aufmarsch für die „zweite Runde“ gegen Israel?

Nil geflohenen Arzt im selben Maße nicht behaupten, so dass ihm, Aribert Heim, hier nur wenige Sätze gewidmet werden sollen. Aribert Heim, im Jahre 1914 in Radkersburg in der Steiermark geboren, galt als „Dr. Tod“ oder auch als „Schlächter von Mauthausen“ jahrzehntelang als meistgesuchter NS-Verbrecher der Welt. Er sei „von allen Lagerärzten in Mauthausen der schrecklichste“ gewesen, klagte ein überlebender politischer Gefangener im Jahre 1949. Berüchtigt war er u. a. für die Phenol (Benzin)-Injektionen, die er seinen Opfern direkt ins Herz spritzte. Darüber hinaus führte er an Häftlingen Operationen ohne Betäubung durch. Außer in Mauthausen war Heim auch in den KZ Sachsenhausen (1940) und Buchenwald (1941) tätig gewesen. Nachdem Heim 1945 von den Amerikanern gefangengenommen worden war, blieb er bis Ende 1947 in einem amerikanischen Lager interniert.248 Auf seine Entlastung durch ein Spruchgericht und die Entlassung aus der Haft folgte ein Engagement Aribert Heims beim VfL Bad Nauheim, für den er u. a. 1948 um die deutsche Eishockeymeisterschaft spielte. Dadurch auf ihn aufmerksam geworden, eröffneten die österreichischen Ermittlungsbehörden ein Verfahren gegen Heim, der sich inzwischen als Arzt in Bad Nauheim niedergelassen hatte. Im Juli 1948 heiratete er in Mannheim, war dort auch polizeilich gemeldet und ging seinem Beruf nach. Spätestens 1960 eröffnete er als Frauenarzt eine eigene Klinik in Baden-Baden, wodurch das Amtsgericht der Kurstadt auf ihn aufmerksam wurde und einen Haftbefehl gegen ihn erließ. Nun ergriff Heim die Flucht und gelangte nach Ägypten, wo er nach seinem Übertritt zum Islam den arabischen Namen Tarik Hussein Farid annahm. Die deutschen Zielfahnder, die Heim weltweit nachstellten, waren bereits 1965 und 1967 im Besitz von Informationen, wonach sich Heim am Nil aufhielt. Ihre Ersuchen bei den ägyptischen Behörden betrieben sie jedoch recht leidenschaftslos, so dass Heim in Kairo ungehindert seiner ärztlichen Profession nachgehen konnte. Angeblich war er auch als Polizeiarzt für die Ägypter tätig. Aufgrund gemeinsamer Recherchen der „New York Times“ und des ZDF konnte Anfang 2009 der damalige stellvertretende Chefredakteur des ZDF, Elmar Theveßen, der Öffentlichkeit mitteilen, dass Aribert Heim am 10.  August 1992 in Kairo an Krebs gestorben sei.249 Knapp 30  Jahre hatte Heim in Kairo gelebt, engen Kontakt zu Verwandten in Baden-Baden unterhalten, sich unter seinem zweiten Vornamen Ferdinand Geldbeträge über die Schweiz überweisen lassen und sogar Besuch von seinem Sohn Rüdiger erhalten. Das Landgericht Baden-Baden stellte im September 2012 das Strafverfahren gegen Aribert Heim ein, weil nach seiner Auffassung kein vernünftiger Zweifel am Tode Heims mehr möglich sei. Zweifel wollten dennoch nicht

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Dies und das Folgende nach Klemp, KZ-Arzt, S. 334f. Zum Fall Aribert Heim vgl. auch Efraim Zuroff, Operation Last Chance, Münster 2013, insbesondere S. 231–256. Der Spiegel Nr. 7 vom 9. Februar 2009, „Tod am Nil“. Vgl. auch Nicholas Kulish und Souad Mekhennet, Dr. Tod. Die lange Jagd nach dem meist gesuchten NS-Verbrecher, München (3) 2015.

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Israelische Beobachtungen zu den Militärberatern

verstummen. Sie nährten sich vor allem aus der Tatsache, dass seine Leiche nie gefunden wurde. Sein Sohn Rüdiger will dabei gewesen sein, als sein Vater starb, doch über den Verbleib der sterblichen Überreste könne er nichts Genaues sagen.250

Israelische Beobachtungen zu den Militärberatern Angesichts der eingangs erwähnten fehlenden Sprachkenntnisse des Autors kann leider keine Prüfung der Frage erfolgen, ob, wie und in welchem Maße man auf jüdischer bzw. israelischer Seite auf die Arbeit der deutschen Militärberater in Syrien und Ägypten reagiert hat. Doch immerhin: Es gibt in deutschsprachigen Quellen sowie in den Memoiren des israelischen Spions Avri El-Ad wenigstens ein paar Hinweise. Und auf den Fund von Dokumenten durch drusische Agenten in Diensten Tel Avivs am syrischen Golan im Jahre 1950 ist bereits hingewiesen worden. Es steht zu vermuten, dass sich in israelischen Archiven weitere Dokumente befinden. Der iranische Autor Ahmad Mahrad hat in seinem Beitrag über die deutschen Militärberater in Ägypten eine längere Aufzeichnung aus dem Jahre 1953 wörtlich wiedergegeben, aus der hier in Auszügen zitiert werden soll.251 Es handelt sich dabei um den Bericht eines nicht näher bezeichneten „Spezialkorrespondenten“ aus Tel Aviv vom 3. August 1953. Das Bonner Auswärtige Amt, das in Besitz eines Exemplars der Aufzeichnung gelangte, leitete sie wenig später an das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung weiter. Der Korrespondent berichtete, dass man in Israel „mit großer Aufmerksamkeit, aber auch nicht ohne Sorge eine Entwicklung beobachte“, die durch einen „Umschwung“ innerhalb der in den arabischen Staaten tätigen Militärmissionen gekennzeichnet sei. Und zwar „weg vom reinen Fachmann“ und hin „zum nationalsozialistisch eingestellten Parteisoldaten“. Diese Entwicklung habe sich, so werde gesagt, „während der letzten sechs Monate vollzogen“. Zwar wachse in Israel die Erkenntnis – es war dies die Zeit des Abschlusses und der Ratifizierung des Luxemburger Abkommens – dass die Bundesrepublik gegenüber Israel „wirklich loyal“ sei, aber man sehe auf der anderen Seite auch „gewisse Gefahren“, die aus der „gesteigerten Aktivität der um Skorzeny gruppierten SS-Offiziere und Gestapo-Beamten“ entstehen könnten. Zum einen sei der Frieden „zwischen Juden und Arabern“ dadurch bedroht, zum anderen aber auch das Verhältnis zwischen den angloamerikanischen Ölinteressen und den „arabischen Staatsmännern“. Dies nämlich dann, wenn der Einfluss der Männer um Skorzeny „auf die arabischen Staatsmänner sowie auf den Mufti und auch auf die sich befehdenden Wirtschaftskonzerne weiter solche Fortschritte machen sollte, wie in den letzten Monaten“. 250 251

Der Spiegel Nr. 7 vom 9. Februar 2009, „Tod am Nil“. Mahrad, Militärexperten, S. 146, Anm. 1; hier auch genauere Quellenangaben.

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In israelischen Militärkreisen, fährt der Korrespondentenbericht fort, werde die Ansicht vertreten, dass die Fortdauer der israelisch-jordanischen Grenzstreitigkeiten auf die Tätigkeit von „nazistisch eingestellten Instrukteuren zurückzuführen“ sei, die „im Solde des Mufti“ stünden. Während Banden „früher rein auf Diebstähle und Raubüberfälle“ aus gewesen seien, arbeiteten sie jetzt nach Auffassung der israelischen Militärs „mit allen Finessen des modernen Kommandokrieges“. Der Bericht nennt dann noch eine „tiefgehende Spaltung innerhalb der deutschen Militärexperten […], die ihren Ausgang von der Politik genommen“ habe. Kristallisationspunkt dieser Entwicklung sei ein „Büro zur Rekrutierung deutscher Kriegsgefangener“, das den arabischen Armeen unterstehe und seinen Sitz in Beirut habe. Chef des Büros sei ein Graf Hardenberg. Hans Graf von Hardenberg war auch in jener oben erwähnten Aufzeichnung über die „Festnahme deutscher Staatsangehöriger, Werbung für syrische Armee“ vom 20. Februar 1960 genannt worden, in dem über die Inhaftierung von sechs Syrien-Fahrern in Innsbruck Anfang November 1948 berichtet worden war. Von Hardenberg hatte zwar nicht zu dieser Gruppe gehört, er war jedoch etwa zeitgleich in Vorarlberg, das, wie auch Innsbruck in Tirol, in der französischen Besatzungszone Österreichs lag, verhaftet worden, wo er auf „die Verschaffung syrischer Einwanderungspapiere“ aus Bern durch den in Innsbruck ansässigen Heinz Bertholdt gewartet hatte. Zusammen mit fünf anderen deutschen Militärs wurde von Hardenberg „über Weisung des französischen Kontrollmission Section Sécurité abgeschafft“252, also offenbar über die bayerische Grenze nach Deutschland abgeschoben. Doch von Hardenberg scheint erneut sein Glück bzw. Unglück im Nahen Osten gesucht zu haben. Der zitierte Korrespondentenbericht fährt mit der Information fort, dass das Büro in Beirut „allmählich ganz in die Hände der von ehemaligen Gestapo-Leuten und von SS-Offizieren beherrschten Filiale Damaskus geraten“ sei. Sie sei für die Einschleusung von „SS-Offizieren und Technikern“ in die mit Großbritannien „befreundeten Staaten Irak und Jordanien“ verantwortlich gewesen, wo die Deutschen die jeweiligen Armeen infiltrieren sollten. Das habe den ersten Anlass zu Spannungen gegeben, weil sich die in Diensten dieser Länder stehenden deutschen Militärs als „Berufssoldaten und nicht als ausführende Organe politischer Unruhestifter fühlten“253. Die „neutralistische Richtung“ unter den Beratern soll durch eine angebliche Entführung Graf von Hardenbergs nach Alexandria „gelitten“ haben. Nach Angaben eines Informanten namens Brandenberg soll von Hardenberg dort ermordet worden sein. Der Bericht vermerkte, dass nach israelischer Auffassung die „Schlüsselpositionen in den deutschen Militärmissionen von Syrien und Ägypten allmählich ganz in die Hände von Anhängern Skorzenys“ gelangt seien, 252 253

VWI-SWA, I. 1., Mappe Syrien. Im Gegensatz zu Syrien und Ägypten liegen über eine Tätigkeit deutscher Militärexperten im Irak und in Jordanien keine Informationen vor.

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„die ihren Einfluß mit großer Rücksichtslosigkeit ausübten“. Stellt man die oben dargestellte tatsächliche und damit äußerst begrenzte Wirksamkeit von Otto Skorzeny im Nahen Osten in Rechnung, drängt sich der Eindruck auf, dass entweder der unbekannte Sonderkorrespondent und/oder israelische Militärs dem verbreiteten „Mythos Skorzeny“ aufgesessen waren. Die gemäßigten „Anhänger der Neutralität“ seien bereit, so mutmaße man in Israel laut dem Korrespondentenbericht, ein westdeutsches Angebot zum Eintritt in eine kommende deutsche Armee anzunehmen, dies treffe jedoch nicht für die „SS-Offiziere und Gestapo-Leute“ zu, die, „so lange es geht, es vorziehen dürften, mit aus unterirdischen Fonds kommenden Geldern ein Abenteuerleben im Orient zu führen“. Sie seien schließlich, so meine man in Israel, zu sehr „an das politische Hasardspiel gewöhnt“ und könnten sich nicht in einen mühsamen Alltagstrott einfügen. Dass sich die israelische Furcht vor den Machenschaften deutscher Söldner in Syrien auch ironisch brechen konnte, zeigt eine Karikatur aus der Zeit des israelisch-arabischen Krieges von 1948/49, „als sich“, wie eine israelische Erläuterung dazu lautete, „deutsche Landsknechte in den Reihen der nach Erez Israel eingedrungenen syrischen Freischärler befanden“. Die Karikatur war nicht in einer Zeitung, sondern in einem Buch erschienen, das fast 100 solcher Zeichnungen aus der letzten Phase des britischen Mandats über Palästina und der Frühzeit des Staates Israel enthielt. Die Zeichnung zeigte zwei uniformierte Soldaten, der eine zu Fuß, der andere, füllige, auf einem Esel neben ihm sitzend und mit einer Hakenkreuzbinde am Oberarm versehen. Beide, mit grimmigem Gesichtsausdruck, tragen einen Fez, und der Stehende hält eine Maschinenpistole in Händen, während der Reiter mit einem einfachen Gewehr ausgerüstet ist. Im Hintergrund sind ein offenbar arabisches Haus sowie eine Moschee angedeutet. Über dem Ganzen ist zu lesen: „Na, hat Goebbels nicht prophezeit, dass wir schließlich noch ins Gelobte Land der Juden eindringen werden“?254 Ohne auch nur von Ferne Repräsentativität beanspruchen zu wollen, seien noch drei Bücher israelischer Autoren erwähnt, die sich in nicht allzu großer zeitlicher Distanz zur deutschen Militärexpertentätigkeit im Nahen Osten mit dem israelisch-deutschen Verhältnis beschäftigten und von denen man annehmen könnte, dass diese Tätigkeit in ihnen einen Niederschlag gefunden haben könnte. Felix E. Shinnar, der von der israelischen Regierung beauftragte Verhandlungsleiter für das Luxemburger Abkommen und nach dessen Abschluss Chef der Israel-Mission in Köln, legte 1967 ein Werk über die „deutsch-israelischen Beziehungen 1951–1966“ vor.255 Darin schildert der Autor Meilensteine und Wendepunkte in den Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik im fraglichen Zeitraum. Die Tätigkeit der deutschen Militärberater in Syrien und Ägypten erwähnt er dabei mit keinem Wort, ebenso wenig die Arbeit von 254 255

Vgl. Mahrad, Militärexperten, Dokumentenanhang. Felix E. Shinnar, Bericht eines Beauftragten, Tübingen 1967.

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Flugzeugkonstrukteuren aus Deutschland und Österreich am Nil. Ganze fünf Seiten befassen sich mit den dort tätigen Raketenfachleuten unter der recht prosaischen Überschrift „Deutsche Sachverständige in Ägypten“. Inge Deutschkron, die, wie erwähnt, als Korrespondentin der israelischen Zeitung Ma‘ariv in Bonn arbeitete, schreibt in ihrem auch hier herangezogenen Buch über „Israel und die Deutschen“ aus dem Jahre 1970256 immerhin einige Zeilen über die Militärberater, von denen sie Fahrmbacher und von Bechtolsheim namentlich erwähnt. Deutschkron gelangt zu dem Fazit, der Beitrag dieser Experten „zur Entwicklung der ägyptischen Kriegsmaschinerie“ sei „unbedeutend“ gewesen, ein Urteil, das auch den Einsatz von Wilhelm Voss im rüstungsindustriellen Sektor Ägyptens einschloss. Ausführlicher wendet sie sich dann ebenfalls den Raketenkonstrukteuren bei den Pyramiden zu. Schließlich sei noch auf die Arbeit von Jekutiel Deligdisch über „Die Einstellung der Bundesrepublik Deutschland zum Staate Israel“ aus dem Jahre 1974 verwiesen, das in einem gewerkschaftseigenen Verlag der Bundesrepublik erschien.257 In der Anlage dem Buch von Shinnar vergleichbar, thematisiert Deligdisch nur – dies jedoch recht ausführlich – die Arbeit der Raketenfachleute sowie summarisch „andere Arten von Luftwaffen in Ägypten“, an denen Deutsche beteiligt waren. Ähnlich auch wie Shinnar überschreibt er den entsprechenden Unterabschnitt sachlich mit „Die deutschen Wissenschaftler in Ägypten“. Über die Militärexperten der fünfziger Jahre am syrischen Golan und am Nil kein Wort. Unterm Strich: Die militärische Beratertätigkeit von Deutschen und Österreichern im Nahen Osten wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges scheint israelische Publizisten und Politiker nicht allzu sehr beeindruckt zu haben, anders sah dies mit den Raketenfachleuten aus. Paul Frank alias Avri El-Ad, der israelische Spion in Kairo zur Zeit der deutschen Militärberater, mit zahlreichen sozialen Kontakten zu einigen der Experten, hat in seinen Erinnerungen zwar selber wenig über deren Arbeit zu Gunsten Ägyptens reflektiert, doch scheint man bei seinen Vorgesetzten im militärischen Geheimdienst Aman doch besorgt gewesen zu sein. Anlässlich einer Beorderung nach Paris durch den dortigen Aman-Residenten Mordechai Ben Zur Motke kurz nach der Machtübernahme Nassers etwa zur Jahresmitte 1954, wurde El-Ad auch zu den deutschen Militärfachleuten am Nil gehört. Auf die Frage Motkes, ob Nasser zu den Deutschen stehen werde, nachdem diese doch sehr eng mit seinem Vorgänger Nagib kooperiert hätten, entgegnete El-Ad, dass dies schwer zu beantworten sei. Die Akten des Aman, so El-Ad in seinen Memoiren, enthielten alles über die Berater, und die meisten Informationen über deren Aktivitäten darin stammten von ihm – angefangen von Dokumentenstempeln bis hin zur Errichtung von Konzentrationslagern im Stile der SS in der westlichen Wüste. Nach seinem Eindruck, so wie er ihn gegenüber Motke äußerte, würden 256 257

Untertitel: Zwischen Ressentiment und Ratio, Köln. Verlag Neue Gesellschaft, Bonn.

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Israelische Beobachtungen zu den Militärberatern

wohl die meisten Verträge der Deutschen unter Nasser erneuert, allerdings nur so lange, bis sich für die ägyptische Seite „etwas Besseres“ biete, womit nach Lage der Dinge nur der langsam wachsende Einfluss der Sowjetunion am Nil gemeint sein konnte. „Jerusalem“ sorge sich genau davor, entgegnete ihm Motke. Dort fürchte man das Bleiben der Deutschen ebenso wie das, was nach ihnen komme. Damit war das Thema der deutschen Militärexperten in Ägypten in der Unterredung der beiden Männer zunächst erledigt, und Motke führte seinen Gesprächspartner übergangslos in jenes andere ein, das der israelischen Regierung weit mehr auf den Nägeln brannte als die deutsche Beratertätigkeit, nämlich eine mögliche Einigung zwischen London und Kairo über einen vollständigen Abzug der Briten aus der Kanalzone und die daraus resultierende direkte Konfrontation zwischen israelischen und ägyptischen Streitkräften am Kanal.258 Gegen Ende ihres Pariser Gespräches kam Motke doch noch einmal auf die Deutschen zurück. Er und Avri würden eine Liste notfalls zu ermordender Personen in Ägypten zusammenstellen, die sowohl Deutsche umfassen sollte, die für Nassers „Kriegsprogramm“ bedeutsam seien, als auch wichtige Ägypter. Seinen Erinnerungen zufolge reiste El-Ad mit einer derartigen Liste im Gepäck zurück nach Alexandria. El-Ad wörtlich über die Personen im Fadenkreuz: „Die Männer auf der Liste lebten, atmende Männer, einige von ihnen kannte und mochte ich. Nasser, Naguib, Fahrmbacher, Bechtolsheim […] ‚Cripple by sabotage, maim by death‘259. Motkes Worte – meine Befehle“.

Sollte das Hauptquartier in Israel den Zeitpunkt für die Morde für gekommen halten, würde über das israelische Radio in einer bestimmten Sendung für Fahrmbacher das Codewort „Karotte“ und für von Bechtolsheim das Wort „Rettich“ genannt werden. Theodor von Bechtolsheim entging einem Anschlag vermutlich durch seine plötzliche Entlassung seitens der Ägypter, Fahrmbacher kam wahrscheinlich das vorzeitige Scheitern der Operation „Susannah“ zugute.260 Es scheint, als habe die deutsche Militärberatung vor allem bestimmte Geheimdienstkreise in Israel geschreckt. Angesichts der Rivalität zwischen den verschiedenen israelischen Diensten – die Erinnerungen El-Ads liefern zahlreiche Hinweise

258

259 260

Zur Unterredung El-Ads mit Motke in Paris vgl. El-Ad., Decline, S. 115f. Zur Operation „Susannah“ vgl. den nächsten Abschnitt des vorliegenden Textes. „Lähme durch Sabotage, verstümmele durch Tod“. Kurze Zeit nach seiner Rückkehr aus Paris nach Ägypten musste Frank bei einer neuerlichen Begegnung mit Fahrmbacher zu seinem Entsetzen feststellen, dass der Deutsche erstmals in Begleitung zweier ägyptischer Soldaten auftrat. Fahrmbachers Erklärung gegenüber Frank: Die Ägypter hätten eine Warnung erhalten, dass er, Fahrmbacher, ermordet werden solle. Wer mochte wohl der Verräter sein, habe er sich unwillkürlich gefragt, schreibt El-Ad. Vgl. ebd., S. 135.

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auf Spannungen zwischen dem Militärgeheimdienst Aman und dem Auslandsgeheimdienst Mossad während seiner Mission am Nil – kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass der in Ägypten mit El-Ad operierende Dienst mit spektakulären Aktionen gegen Deutsche seine Reputation in der Heimat zu steigern suchte. Für ernste Besorgnis sorgte in der gesamten jüdischen Welt eindeutig die Ansammlung ehemaliger, z. T. fanatischer Nationalsozialisten in Kairo und Damaskus, die häufig mit Otto Skorzeny und einigen anderen, hingegen jedoch, wie gezeigt, eher wenig oder überhaupt nicht mit den deutschen Militärberatern in Verbindung standen.

Nassers Sicherheitspersonal und das Rätsel um die „Nazi-Listen“ Als Ende der vierziger Jahre in Syrien ein Regierungsumsturz den nächsten jagte, dienten General Nagib und Oberst Nasser in der ägyptischen Armee König Faruks. Wenn sie sich bereits zu jener Zeit mit dem Gedanken einer eigenen Revolution trugen, dürften sie sich vermutlich auch Gedanken darüber gemacht haben, wie sie im Falle eines Erfolges ihre neu gewonnene Macht absichern könnten. Nagib erfreute sich ihrer nicht einmal zweier Jahre, dann sah er sich im Februar 1954 durch den bis dahin nur im Hintergrund wirkenden Nasser gestürzt. Möglicherweise zog Nasser aus den syrischen Vorgängen und seinem eigenen Griff nach der Macht am Nil seine ganz eigenen Schlüsse. Der bereits erwähnte amerikanische Journalist Norman Barrymaine berichtete um 1955 vertraulich über Gespräche, die er soeben in Kairo geführt habe.261 Unter anderem habe er Besuch eines alten ägyptischen Freundes gehabt, der in der Polizeihierarchie recht weit oben beschäftigt sei. Der Besucher informierte Barrymaine, dass die ägyptische Geheimpolizei nach 1953 von ehemaligen Gestapo-Beamten organisiert worden sei. Wenn auch einige dieser Beamten das Land inzwischen wieder verlassen hätten, befinde sich die Geheimpolizei „praktisch immer noch unter Kontrolle von Deutschen“. Auf diese Weise gewährleiste Nasser seine eigene Sicherheit nach der Devise: „keine Ägypter um ihn herum“. Vielleicht, so Barrymaine, könne man darauf teilweise den Erfolg zurückführen, „dass sich Nasser bislang im Amt halten konnte, trotz beachtlicher Untergrundopposition“, etwa von Seiten der Muslimbruderschaft. Mitte der fünfziger Jahre entstanden am Nil nicht nur Gerüchte um Nassers Sicherheitspersonal, sondern es wurden immer mehr Namen ehemaliger Nationalsozialisten bekannt oder kolportiert, die in Ägypten Unterschlupf gefunden und hier nun die unterschiedlichsten 261

Österreichisches Staatsarchiv, Kriegsarchiv, Wien, NL Otto Skorzeny, Mappe „Ägypten (Pressekonferenz)“, Report on Jose Perez.

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Nassers Sicherheitspersonal und das Rätsel um die „Nazi-Listen“

Aufgaben für die Regierung Nasser übernommen haben sollten. Es begann die Zeit der Namenslisten, deren Wahrheitsgehalt wohl für immer ungeklärt bleiben wird. Das Problem bei der Trennung von Dichtung und Wahrheit in diesen Listen beginnt damit, dass ihr Ursprung nicht aufzudecken ist. Einer der besten frühen Kenner der rechtsextremistischen und ehemals nationalsozialistischen Kräfte in der jungen Bundesrepublik Deutschland, der 1933 mit seinen Eltern aus Wien in die Vereinigten Staaten emigrierte Politikwissenschaftler Kurt P. Tauber, nennt pauschal „israelische und französische Nachrichtendienste“ als Quellen jener Namen, die in den diversen Listen auftauchten.262 Im deutschsprachigen Raum ist eine erste (?) rudimentäre Aufstellung von Namen ehemaliger Nationalsozialisten in angeblich arabischen Diensten in einem kurzen Bericht der „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland“ vom 2. November 1956 unter der Überschrift „Hakenkreuz unterm Burnus“ nachzuweisen. Dieser Bericht fußte seinerseits auf einem Artikel in der „Frankfurter Neuen Presse“ von Ende Oktober 1956 sowie einem Beitrag der Wiener Wochenschrift „Die Furche“, so die Allgemeine Wochenzeitung. Während sich das Frankfurter Blatt auf die kürzlich erfolgte „Entdeckung“ des Radikalantisemiten Johann von Leers in Ägypten kaprizierte, hatte Die Furche, so die Allgemeine Wochenzeitung, noch weitere Namen im Angebot: SS-Standartenführer Moser, ein „Sudetendeutscher“, jetzt mit dem arabischen Namen Nalisman, SA-Gruppenführer Buble „aus Ostpreußen“, jetzt arabisch Aman, ferner „ein Spezialist der Gestapo namens Gleim, der während des Krieges in Oberschlesien gearbeitet hat“, jetzt arabisiert al-Naher. Die drei Letztgenannten seien in Paris für „panarabische Propaganda tätig, natürlich mit ägyptischen Pässen“ ausgestattet. Im Stockholmer Büro der Arabischen Liga arbeite der „SS-Untergruppenführer Bender, ein Mann, der perfekt Jiddisch und ganz gut Hebräisch spricht“. Bender habe sich inzwischen in einen „waschechten Ägypter namens Ben Salem“ verwandelt“. Um es vorwegzunehmen: Die Identität keiner der genannten Personen konnte für den vorliegenden Text trotz umfangreicher Recherchen verifiziert werden, was ihre tatsächliche Existenz natürlich nicht restlos ausschließt. Das einschlägige Nachschlagewerk „Encyclopedia of Jews in the Islamic World“263 erwähnt unter dem Stichwort „Egypt“ überhaupt keine Nationalsozialisten, die in den fünfziger Jahren für Nasser gearbeitet hätten. Sozusagen den Durchbruch auf die internationale Bühne erzielten die genannten und weitere namentlich erwähnte Personen mit Veröffentlichungen in den Vereinigten Staaten zu Beginn des Jahres 1957. Bemüht man sich, diesen Durchbruch in einen Zusammenhang mit der Ereignisgeschichte Ägyptens im Gehäuse des Kalten Krieges zu bringen, fällt vor allem die Drangsalierung und Verfolgung der alteingesessenen jüdischen Bevölkerung am Nil im Kontext zweier wichtiger Ereignisse auf:

262 263

Vgl. Kurt P. Tauber, Beyond Eagle and Swastika, Vol. II, Middletown Conn. 1967, S. 1114, Anm. 179. Leiden 2010, Vol. 2, S. 140f.

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zum einen mit der gescheiterten israelischen Geheimdienstoperation „Susannah“ im Jahre 1954/55 und zum anderen mit dem Suezkrieg des Jahres 1956. Bis heute ist die Zielsetzung der Operation „Susannah“ nicht völlig geklärt. Zwei Alternativen werden von der Forschung, die aus unterschiedlichen Gründen kaum auf nennenswerte Primärquellen zurückgreifen kann, favorisiert: Einerseits könnte es darum gegangen sein, durch israelische Sabotageaktionen die Briten von der Instabilität der Verhältnisse in Ägypten zu überzeugen, und sie dadurch zu veranlassen, die Suezkanalzone nicht zu räumen. Auf diese Weise wäre die Pufferfunktion des Kanals zwischen Israel und Ägypten erhalten geblieben. Andrerseits ist es auch nicht ausgeschlossen, dass aktivistische Kreise im israelischen Militär und im Verteidigungsministerium mit den Attentaten auf öffentliche Einrichtungen in Alexandria und Kairo geheime Friedensgespräche zwischen Ägypten und Israel sowie die Möglichkeit einer persönlichen Begegnung zwischen dem in Israel als „Taube“ geltenden Ministerpräsidenten Moshe Sharett und Präsident Nasser torpedieren wollten.264 Die aus ägyptischen Juden bestehende Gruppe von Saboteuren flog auf, und in den anschließenden Kairoer Gerichtsverfahren verhängten die Richter zwei Todesstrafen, die Ende Januar 1955 vollstreckt wurden. Der in Köln geborene Max Bennett beging als Mitglied der Gruppe in der Haft Selbstmord. Wieder andere wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt; außerdem ergingen zwei Freisprüche. Die Verhängung der Todesstrafen hatte internationalen Protest hervorgerufen, Gnadenappelle von britischer und französischer Seite blieben ebenso erfolglos wie ein entsprechender Appell des Vatikans. In Washington verhielt man sich offiziell „indifferent“ zu den Urteilen, sie seien eine „interne ägyptische Angelegenheit“265. Am Nil munkelte man, Nasser habe mit den Urteilen die in der ägyptischen Hauptstadt tagende Arabische Liga beeindrucken wollen: Nicht nur gegen die Muslimbruderschaft, sondern eben auch gegen die Juden gehe er vor. Der oberste Rabbiner Ägyptens, der immer Zugang zu Nasser gehabt hatte, suchte zweimal vergeblich um eine Audienz beim Staatschef nach, um die Exekutionen zu verhindern. Die Hinrichtungen und die Inhaftierung der Spione und Agenten beflügelten die ägyptische Polizei bei ihren Bemühungen, eine angebliche jüdische „fünfte Kolonne“ am Nil auszumerzen. Die noch im Lande ansässigen rund 45 000 Juden sahen sich verstärkt dem Vorwurf der Subversion ausgesetzt. Doch während die Zionisten das bevorzugte Objekt der politischen Polizei bildeten, wurde gleichzeitig immer deutlicher, dass nun jeder Jude dem Zorn Nassers anheimfallen konnte. Die Regierung hielt sich nicht mehr länger mit der Unterscheidung zwischen loyalen jüdischen Mitbürgern und „zionistischen“ Anhängern Israels auf.

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Vgl. Beinin, Dispersion, S. 19f. Vgl. Aldouby/Ballinger, Silence, S. 80.

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So schaukelte sich am Nil ein Judenhass auf, der propagandistisch noch vor dem Zweiten Weltkrieg durch die Verbreitung der berüchtigten „Protokolle der Weisen von Zion“266 entfacht worden war. Die Muslimbruderschaft hatte diese Fälschung in arabischer Übersetzung auf einer „Islamischen Parlamentarierkonferenz zugunsten Palästinas“ verteilen lassen. Ihre Wirkung wurde noch durch das Auftauchen einer arabischen Version von Hitlers „Mein Kampf“ verstärkt. Es ist beinahe unnötig zu erwähnen, dass die Staatsgründung Israels 1948 und der anschließend verlorene Krieg der arabischen Staaten gegen Israel den Hass auf die ägyptischen Juden noch anheizten, ehe der jüdische Staat im Jahre 1949 mit Ägypten auf der Insel Rhodos ein Waffenstillstandsabkommen – nicht den Frieden – schloss. Nun entspannte sich die Lage vorübergehend: Beschlagnahmtes jüdisches Vermögen wurde zurückerstattet, und Juden konnten das Land verlassen, wenn sie dies wünschten. Etwa 20 000 Juden verließen zwischen 1948 und 1950 Ägypten. Ein Großteil von ihnen ging nach Europa und Lateinamerika, deutlich weniger ließen sich über einen Umweg in Israel nieder. Das Regime der Revolutionäre um General Nagib seit Juli 1952 und später um Nasser wurde von den ägyptischen Juden zunächst keineswegs als Verschlechterung wahrgenommen. Die Stabilisierung der innenpolitischen Verhältnisse brachte für sie eher positive Auswirkungen, zumal die staatliche Feindpropaganda sich bis 1956 klar auf die Briten einschoss,267 und Nasser im Inneren die Muslimbrüder weiter härter drangsalierte als die Juden. Das galt auch noch während diverser Grenzzwischenfälle im Gazastreifen und änderte sich erst wieder mit den Auswirkungen der Operation „Susannah“. Zum eigentlichen Wendepunkt im Verhältnis der ägyptischen Eliten zu den Juden im eigenen Land geriet die Suezkrise von 1956 mit der militärischen Aggression Israels und seiner Verbündeten. „Suez 1956“ führte gegenüber den ägyptischen Juden im großen Stil zu Verhaftungen, Ausweisungen, Beschlagnahmungen und dem Entzug der Staatsbürgerschaft. Vielen der Emigranten blieb keine andere Wahl, als zu gehen, denn die meisten jüdischen Ägypter waren ihres Vermögens verlustig gegangen, so dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als mit Hilfe des Roten Kreuzes auszuwandern. Im Gegensatz zu 1948/49 kam es in eher geringem Umfang zu Übergriffen seitens der muslimischen Bevölkerung; jetzt führte die Regierung die

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Dabei handelte es sich um eine antisemitische Schmähschrift, die Ende des 19. Jahrhunderts von der zaristischen Geheimpolizei aus diversen Vorgängerschriften kompiliert worden war. Als eine Art Verschwörungstheorie behaupteten die Protokolle das geheime Streben der Juden nach der Weltherrschaft. In den 1920er Jahren wurden sie als Fälschung entlarvt, was ihrer Wirkung in rechtsextremistischen Kreisen jedoch keinen Abbruch tat. Der sog. Berner Prozess von 1933 bis 1937 erhellte die Entstehungsgeschichte des Falsifikats. Vgl. den Artikel Die Protokolle der Weisen von Zion von Uffa Jensen in: Wolfgang Benz/Hermann Graml/Hermann Weiß (Hg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1997, S. 657. Dies und das Folgende nach Pink, Geschichte Ägyptens, S. 218ff.

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Verfolgungsmaßnahmen an. Sie veröffentlichte erneut eine arabische Ausgabe der „Protokolle der Weisen von Zion“, auf deren inhaltlicher Wahrheit sie beharrte, obwohl sie längst als Fälschung entlarvt waren. Ein „Komitee für den Kampf gegen den Zionismus“ vertrieb antijüdische Pamphlete, darunter auch Übersetzungen nationalsozialistischer Propaganda. Dem Anschwellen des Antijudaismus und Antizionismus im Ägypten der Jahre nach 1954/55 und insbesondere nach 1956 ist hier mit Bedacht breiter Raum gegeben worden, weil dieses Phänomen in Verbindung mit dem Kurswechsel des Landes unter Nassers Führung in Richtung Sowjetunion ganz offensichtlich dazu geführt hat, dass jüdische Interessenvertretungen namentlich in den Vereinigten Staaten mit einer Gegenpropaganda den publizistischen Versuch unternahmen, Nasser als eine Art zweiten Hitler und das ägyptische Regime vergleichbar dem nationalsozialistischen vergangener Tage in Deutschland darzustellen.268 Dabei wurde durchaus auch mit kräftiger Farbe aufgetragen. In diesen Zusammenhang gehören auch die „Nazi-Listen“, die seither in diversen Varianten durch die einschlägige Publizistik geistern und deren Inhalt nicht immer frei von Erfindungen, fantasievollen Rangbezeichnungen und – vermutlich  – irrtümlichen Zuordnungen ist. Soweit erkennbar, scheint die jüdische Gegenpropaganda ihren Ausgang mit zwei Berichten in den Nummern 41 und 47 der Zeitschrift „Prevent World War III“ vom Ende des Jahres 1956, also nach der Suezkrise, genommen zu haben. Diese Publikation wurde von der in der New Yorker Madison Avenue beheimateten „Society for the Prevention of World War III Inc.“ herausgegeben. Zusätzliche Informationen enthielt die Februar-Ausgabe des Jahres 1957 der Zeitschrift „National Jewish Monthly“, die in Washington von der jüdischen Organisation B’nai B’rith ediert wurde. Unter der Überschrift „From Dachau to Cairo“269 erreichten beide Beiträge von 1956 sowie ihre Ergänzung vom Februar 1957 eine größere Leserschaft durch eine Gesamtveröffentlichung in der Nummer 50, „Summer Edition 1957“, der Zeitschrift „Prevent World War III“.270 Weitere Verbreitung fanden diese Beiträge, die im Internet unter den nach dem Freedom of Information Act der Vereinigten Staaten freigegebenen Unterlagen der CIA eingesehen werden können, durch ihren Wiederabdruck in amerikanischen jüdischen Publikationen. Im Folgenden sollen einige der wesentlichen Punkte des Artikels „From Dachau to Cairo“ dargestellt und ggf. ergänzende bzw. korrigierende Zusatzinformationen gegeben werden.

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Ich danke Professor Joel Beinin, ehemals Stanford University, für seine grundsätzliche Bestätigung meiner so formulierten Vermutung per E-mail vom 7. Juni 2020. Vgl. auch die Einleitung zu diesem Artikel, die folgendermaßen beginnt: „The Middle East crisis is an extremely complicated problem made all the more difficult by outside influences including the nefarious activities of Soviet agents. However, it is a fact that German influences have also been operating in this area with considerable effectiveness. Pan-Germans and former Nazis have gained important positions in a number of Middle East states, particularly Egypt“. CIA (FOIA), CIA-RDP 88-01315R000400480017.

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Der Artikel beginnt mit einer kurzen Beschreibung des Schicksals vieler Juden in Ägypten „nach Suez“, welche „in die Armut getrieben, malträtiert und zusammen mit normalen Kriminellen an unfassbaren Orten der Haft festgehalten“ würden. Die restlichen Juden seien der Gnade des ägyptischen Sicherheitsdienstes „State Security Cadre, SSC“271 ausgeliefert, der „eine genaue Kopie des deutschen ‚Nazi Sicherheitsdienstes‘272 zu sein scheine. Der Oberbefehlshaber des SSC ist ‚Lt. Col. Al Nacher, ehemals ‚SS-Grossaktionsleiter‘ Leopold Gleim, einst Oberbefehlshaber der ‚SD-Geheimgarde‘273 der Nazi-Regierung“. Bei einer Ansprache anlässlich eines Lunches in Kairo, der angeblich zu Ehren von Vertretern der „League for East German-Arab Brotherhood“274 – es folgt die arabische Bezeichnung dieser Liga – am 7. Dezember 1956 gegeben worden sei, habe Gleim offen bekannt, „dass der SSC das Rückgrat der ägyptischen Sicherheitskräfte gegen die aggressiven Elemente des Zionismus und des Imperialismus“ sei. Nach dem Lunch sei es bei Bourbon und Zigarren mit den Vertretern der Bruderschaft ‚gemütlich‘ zugegangen, und Gleim habe dabei Pläne des SSC „für die ägyptische Version des Nazismus“ erläutert, der in „Ägypten ideale Bedingungen für ein Wiederaufbrechen“ gefunden habe. Das SSC-Hauptquartier befinde sich Gleim zufolge in Kairo und seine Verwaltung liege in den Händen von „6249 ‚arabisierten‘ Nazis“, denen „vielleicht 70 000 Ägypter zur Seite“ stünden. Laut dem Artikel gliederte sich das Hauptquartier in drei Abteilungen: A. Public Relations („PR-Dptm.“), B. Economic Department und C. Geheime Staatspolizei („Secret State Police“)275. Führungsfiguren im Public Relations Department seien „SS-Gruppenleiter Moser“ und „SS-Gruppenleiter Buble“ mit ihren arabischen Namen Nalisman bzw. Amman. Das Department verfüge über Zweigstellen in Berlin („East and West“), Wien, Stockholm, Helsinki, Rom, Mailand und Bordeaux. Ausgehend von dieser Propagandaabteilung überschwemme eine Flut antisemitischer Literatur den Nahen Osten und Europa, wobei die arabische Übersetzung von „Mein Kampf“ der Bestseller sei. Die vollständige und ungekürzte Ausgabe dieses Buches habe 1951 der syrische Journalist, Autor und Eigentümer des Beiruter „Printing & Publishing House“, Louis al-Haj, vormals Louis Heiden, Direktor der „Reichsdeutschen Presseagentur“

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Der „Cadre“, Kader, sollte offensichtlich Assoziationen mit dem Polit-Sprech im politischen System der Sowjetunion und ihrer Satelliten wecken. Dieser und die folgenden deutschsprachigen Begriffe erschienen im Original auf Deutsch. Weder hatte es mit großer Wahrscheinlichkeit, wie bereits erwähnt, einen ranghohen SS-Führer mit dem Namen Leopold Gleim noch den hier genannten SD-Rang gegeben. Bereits am 18. Januar 1957 war die „Geheimgarde“ in einem Beitrag der Zeitung „The Detroit Jewish News“ mit der Überschrift „Nazis with Arab Aliases Direct Egyptian Atrocities“ erwähnt worden, desgleichen in dem Blatt „The Jewish Floridian“ vom 10. Januar 1958. Hier war Gleim Mitglied der „SD-Geheimgarde“ in „Hitler’s Generalgouvernement“. Den hier genannten ostdeutschen „Bruderschaftsverband“ hat es nie gegeben. In dieser Reihenfolge, erst deutsch und dann englisch in Klammern.

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[deutsch im Original, A. H.], herausgebracht.276 Das PR-Dptm. verfüge auch über eine „sehr spezielle Abteilung“, so der Artikel: den „Youth Club of the Deutsch-Arabischer Bruderschaftsverband“. Zweimal wöchentlich gebe es geschlossene Sitzungen dieses Klubs, bei denen ägyptische Jugendliche von dessen Vorsitzenden Nalisman alias Moser eingeschworen würden. An dieser Stelle wartete der Beitrag noch mit einem echten Knüller auf: Ägyptens starker Mann höchstpersönlich, Oberst Abdel Nasser, sei „Ehrenpräsident des Klubs und als Mitglied Nr. 3 vereidigt“ worden. Recht knapp fallen die Informationen des Artikels zum Economic Department aus, das man durchaus ähnlich mit „SS-Wirtschaftsamt“ [deutsch im Original, A. H.] übersetzen dürfe. Die Abteilung, angeblich am 2. Februar 1954 gegründet, sei „derzeit stark mit jüdischen Angelegenheiten“ befasst. Spezialregister führten „sämtliches jüdisches Eigentum“, und es habe beim Rauswurf tausender ausländischer und staatenloser Juden aus Ägypten „14 Millionen ägyptische Pfund in Währung, Policen und Sicherheiten sowie 27 Millionen Pfund an Immobilien und Vermögen solcher Juden kassiert, die deportiert“ worden seien. Eine „interessante Abteilung“ des Departments sei das „Public Sales Center“ in Kairo, wo jene Juden, die das Land „freiwillig“ verlassen hätten, der Departmentverwaltung Möbel, Kleidung, Gemälde, Kühlschränke sowie ganze Bibliotheken zwecks Versteigerung überlassen hätten. Der Finanzverwaltung der State Security [im Text „SS“] bringe dies wöchentliche Einnahmen zwischen 500 und 3000 Pfund“. Den weitaus größten Raum in dem Artikel „From Dachau to Cairo“ nimmt der Abschnitt über die „Secret State Police“ ein. Die Bezeichnung lasse es, so der Text, „irgendwo klingeln“. Übersetzt ins Deutsche würde „Geheime Staatspolizei“ daraus, „abgekürzt Ge-Sta-Po“. Einige Schlaglichter aus diesem Abschnitt müssen genügen. Der bereits in dem Artikel der „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland“ vom November 1956 erwähnte „SSUntergruppenführer“ Bender taucht auch hier auf, allerdings nunmehr ergänzt um den Vornamen Bernard und als „SS-Bannführer“. Er ist auch nicht mehr in Stockholm tätig, sondern „Lt. Col. Ben Salem“ leitet inzwischen das Verhörzentrum („Interrogation Centre“) des SSC, das ägyptischen Juden, so der Bericht, besser unter dem Namen „Floating Hell“, Schwimmende Hölle, bekannt sei. Die Schwimmende Hölle war angeblich ein alter italienischer 12 000-Tonnen-Frachter mit dem Namen „Marinaio Rosso“, der zu einem Verhörzentrum mit 80  Zellen umgebaut worden sei. Das Aufzeichnungszentrum („Recording Centre“) auf dem Schiff, dessen Position  – an der Mittelmeerküste vor Alexandria?  – aus dem Artikel nicht hervorgeht, werde von zwei Russen betrieben, die früher in der Wlassow-Armee gedient hätten.277

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Weder hat es einen Louis Heiden mit der genannten Funktion in Beirut noch die erwähnte Presseagentur im „Dritten Reich“ gegeben. General Andrej A. Wlassow kämpfte im Zweiten Weltkrieg mit der Roten Armee gegen die deutsche Wehrmacht und geriet in deutsche Kriegsgefangenschaft, wo er die Seite wechselte und später eine

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Ein prominentes jüdisches Opfer der Verhörmethoden auf der Marinaio Rosse soll der „berühmte jüdische Bankier Elie Politi“ gewesen sein, der schließlich ein Dokument des Inhalts unterschrieben haben soll, dass er seine gesamte Habe im Wert von 112 000 Pfund „freiwillig“ abtrete. Bernard Bender soll höchst erfreut darüber gewesen sein, „die Angelegenheit des ägyptischen Verlegers und Juden Salama“ persönlich regeln zu dürfen. Im November 1956 habe, so der Artikel, die erste Phase von Benders „Lösung des jüdisch-zionistischen Problems“ begonnen: Unter Führung von „SS-Grossaktionsleiter Gleim“ seien die ländlichen Distrikte Alexandrias und Kairos durchkämmt worden, wobei mehr als 1700 jüdische Männer, Frauen und Kinder festgenommen worden seien. Dabei sei es zu Plünderungen, Raub und acht bestätigten Tötungen gekommen. Gefangene einer Kategorie A, gegen die keine Vorwürfe erhoben wurden, fanden sich im „berühmten Gefängnis von Des Barrages“ festgesetzt, das einst von den Franzosen erbaut worden war. Die Juden Alexandrias bildeten die Kategorie B: etwa 18 000 Menschen, davon ca. 6000 seit langem dort zuhause, die Mehrheit hingegen im Lauf der Zeit dorthin zugezogen. Hier sei es dem SSC vor allem darum gegangen, die wirtschaftliche Macht der Alexandriner Juden zu brechen, von denen viele obendrein verdächtigt wurden, mit Israel zu konspirieren. 830 Juden würden bei den Ruinen von Qalat al-Qahira außerhalb Kairos festgehalten. Drei von ihnen seien mittlerweile „auf der Flucht erschossen“ worden – der „Nazi-gimmick“, der „alte Nazi-Trick“, wie es in dem Artikel heißt. Leopold Gleim als Kommandeur des SSC Nassers habe gegenüber ostdeutschen Jugendlichen in Kairo erklärt, das bisherige Vorgehen gegen die Juden am Nil sei erst die „erste Phase“. Der unbekannte Autor von „From Dachau to Cairo“ meinte sich unschwer die „zweite Phase“ vorstellen zu können: die „Lösung des jüdisch-zionistischen Problems innerhalb der souveränen ägyptischen Territorien“. Zu diesem Zweck seien bereits fünf Konzentrationslager fertiggestellt worden. Das schlimmste Lager befinde sich in der Suheilla-Region278 200 Meilen westlich von Kairo in Gestalt der Samara-Baracken. Es werde derzeit aufgrund von Fotokopien nach dem Muster des „berüchtigten Nazi ‚Medizinisches Versuchslager Mannerheime [sic] bei Dachau‘, auch bekannt als Block 10“, umgebaut.279 Verantwortlich für den Umbau des Lagers sei „SS-Hauptstabsarzt Heinrich Willermann“, der über Erfahrung mit der Sterilisierung hunderter jüdischer Mädchen im Block 10 verfüge und der sich inzwischen arabisiert Lt. Col. Naam Fahum nenne. Der Artikel der Summer Edition 1957 schloss mit einem Aufruf an die Vereinten Nationen, etwas gegen die Unterdrückung der Juden in Ägypten zu unternehmen.

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„Russische Befreiungsarmee“ gegen die sowjetischen Streitkräfte anführte. Bei Kriegsende wurde er an die UdSSR ausgeliefert und im Jahre 1946 ein gegen ihn verhängtes Todesurteil vollstreckt. Eine Region dieses Namens existiert in Ägypten offenbar nicht Ein Versuchslager mit diesem Namen ist unbekannt.

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Auch die amerikanische Politik beschäftigte sich gegen Ende der fünfziger Jahre mit den genannten Veröffentlichungen. Der Kongressabgeordnete der Demokraten und ehemalige Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Philip M. Klutznick, hatte bereits im Frühjahr 1957 Teile des Materials dem amerikanischen Außenministerium mit der Aufforderung übergeben, es möge sich gemeinsam mit den Vereinten Nationen um eine vollständige Aufklärung der fraglichen Sachverhalte kümmern.280 Nach Angabe der Herausgeber des Kongressberichtes für das Jahr 1957 hatte eine „news story“, die auf diesem Material basierte, in den Vereinigten Staaten eine Sensation hervorgerufen, nachdem sie in allen führenden Zeitungen „from coast to coast“ veröffentlicht worden war. Zugleich versicherten die Herausgeber, dass zwar der Autorenname des Materials aus Gründen seiner persönlichen Sicherheit nicht genannt werden könne, doch habe man alles Erdenkliche unternommen, um seine inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen. Mit dieser Einleitung der Herausgeber druckte der Kongressbericht den Text ab, der dann wortidentisch wenig später in der Summer edition 1957 von Prevent World War III erschien. Am 30. Juli 1957 brachte James Roosevelt, demokratischer Abgeordneter aus Kalifornien und Sohn Präsident Franklin D. Roosevelts und seiner Frau Eleonore, den Text noch einmal ins Repräsentantenhaus ein, ehe er im Kongressbericht vollständig abgedruckt wurde.281 Mit den Zeitungsberichten noch vor dem Februar 1957 und der Veröffentlichung in den Kongressberichten desselben Jahres war die Geschichte um die „Nazis in Kairo“ und Nassers Sicherheitsdienst nicht nur in den politischen Willensbildungsprozess der Vereinigten Staaten eingespeist worden, sondern sie wurde nun auch weltweit rezipiert. So druckte die „Frankfurter Allgemeine“ in ihrer Ausgabe vom 25. Juli 1957 eine Meldung der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) ab, die sich wiederum auf einen undatierten Bericht der „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland“ berief. In der KNA-Meldung wurden die SA- bzw. SD-Führer Gleim, Moser, Buble, Sellmann und Bender mit ihren neuen Aufgaben bei Präsident Nasser vorgestellt, Bender darüber hinaus als „Urheber des Erlasses des ägyptischen Innenministeriums vom 26. Januar 1956“ – also lange vor der Suezkrise – präsentiert, „der die Grundlage für die ‚Endlösung‘ der Judenfrage in Ägypten darstellt“, so die Nachrichtenagentur. Um weitere Informationen erheblich ergänzt, massenwirksam frisiert und ideologisch neu justiert, brachte die damals auflagenstarke „Frankfurter Illustrierte“ das ursprünglich amerikanische Material. Sie verarbeitete es zu einer vierteiligen Serie unter dem Titel „SSTreffpunkt Kairo“282 . Die namentlich nicht gezeichnete Serie begann mit der Nr.  33 vom 280 281 282

U. S. Congress, Congressional Record-Appendix, Vol. 103, 1957, A 1622. Ebd., A 6143. Vgl. dazu auch Martin Finkenberger, Johann von Leers und die „faschistische Internationale“ der fünfziger und sechziger Jahre in Argentinien und Ägypten, in: ZfG, 6, 2011, S.  522–543. Finkenberger würdigt die Illustrierten-Serie durchaus kritisch, der amerikanische Ursprung des in ihr verarbeiteten Materials war ihm jedoch offenbar unbekannt.

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17.  August 1957 und schloss mit der Nr.  36 vom 7.  September jenes Jahres. Auf welche Weise die Frankfurter an das amerikanische Material gelangte, ist heute kaum mehr zu ermitteln. Da die erwähnten Ausgaben von Prevent World War III zu den vom CIA inzwischen freigegebenen Dokumenten gehören, die damals jedoch nicht zugänglich waren, liegt die Vermutung nahe, dass die Illustrierte vom amerikanischen Geheimdienst „gefüttert“ worden war. Im letzten Teil der Frankfurter Serie findet sich der Satz: „Die amerikanische Regierung besitzt natürlich eine genaue Liste aller ehemaligen SS- und SD-Leute, die für Nasser arbeiten“. Bemerkenswert ist die ideologische Instrumentalisierung des amerikanischen Textes durch die Frankfurter Illustrierte. Es ging ihr eindeutig um die Verunglimpfung der DDR-Machthaber mitten im Kalten Krieg. Bereits die erste Seite des ersten Teils der Serie, die eine Collage aus Fotos mit jeweiliger ausführlicher Bildlegende bildete, macht ihre Stoßrichtung unmissverständlich. Ein Bild Ernst Wollwebers, des Chefs des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit seit 1953, prangte direkt unter der Balkenüberschrift „SS-Treffpunkt Kairo“. Im Gegensatz zu den amerikanischen Darstellungen zu dem Thema versuchte die Frankfurter Illustrierte ihrer Leserschaft klarzumachen, dass Wollweber mit Billigung der Sowjetunion ehemalige „Mitglieder der Gestapo, des Reichssicherheitsdienstes [sic] und der SS mit verlockenden Angeboten für eine nutzbringende Beschäftigung im Nahen Osten“ werbe. Die angebliche Absicht hinter diesem Vorhaben, für das sich im Übrigen in den Unterlagen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit keine Anhaltspunkte finden283, habe darin bestanden, der Sowjetunion mittels der Deutschen zu Einfluss auf Präsident Nasser und die ägyptische Politik zu verhelfen. Von Seiten eines sowjetischen Generals soll es geheißen haben, Deutsche kennten „sich da besser aus“ und sie fielen „weniger auf als Sowjetbürger“284. Ausführlich informierte die Illustrierte ihre Leserschaft über Details aus der politischen Vita Wollwebers, der sich als überzeugter Kommunist im und nach dem letzten Krieg insbesondere durch spektakuläre Sabotageakte gegen Schiffe einen Namen gemacht hatte. Durch die prominente Platzierung Wollwebers zum Serienauftakt ging es der Zeitschrift ganz offensichtlich darum, die östliche Steuerung der angeblich in so großer Zahl in den Nahen Osten ziehenden ehemaligen Nationalsozialisten augenfällig zu machen. Vor allem im zweiten Teil der Serie wird deutlich, dass ihr Text zwar auf den amerikanischen Quellen basierte, jedoch die Hervorhebung Ernst Wollwebers als eine Art Mastermind bei der Anwerbung ehemaliger Nationalsozialisten eine spezifische Ingredienz aus den Frankfurter Redaktionsräumen war:

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Mitteilung des BStU an den Autor vom 20. November 2020. Frankfurter Illustrierte, Nr. 33 vom 17. August 1957.

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Kapitel II: Aufmarsch für die „zweite Runde“ gegen Israel? „Im Gegensatz zu den alten Nationalsozialisten, die schon in den Nachkriegsjahren in Ägypten Zuflucht gesucht und gefunden hatten, war diese neue Invasion 1955 von außen gelenkt. Sie lag in den Händen von Wollweber, dem ehemaligen Sabotagespezialisten der Komintern […]. Sein Auftraggeber war Moskau“.285

Eine unscharfe Abbildung zeigte einen „alten Frachtdampfer“, den die Zeitschrift als die Marinaio Rosso präsentierte, ohne dass der Name des Schiffes auf dem Foto lesbar wäre. Das Schiff liege an einem „abgelegenen Platz“, erläuterte die Bildlegende. Neben dieser Abbildung war ein Foto eines Bauwerkes zu sehen, das das „Konzentrationslager Festung Heliopolis in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt“ zeigen sollte. Nach Ankunft der „Fachleute“ von der SS, so die Bildlegende weiter, habe man in Ägypten „vorsorglich fünf Konzentrationslager eingerichtet“. Auch Leopold Gleim begegnet man in der Illustrierten wieder, und auch hier bekleidet er eine Führungsposition unter den Sicherheitsleuten Nassers. Seine frühere Funktion hier: „SD-Chef für das Generalgouvernement Warschau“286. Man schätze, „dass der ägyptische „Sicherheitskader“ zwischen 20 000 und 50 000 Mann zähle, wusste die Frankfurter Zeitschrift zu berichten. Abweichend von der amerikanischen Vorlage taucht hier ein ehemaliger „SA-Gruppenführer Sellmann“ alias Hamis Suleiman auf, den „man in Ulm an der Donau“ sofort wiedererkennen würde. In Kairo sei dieser angebliche Sellmann Chef der militärischen Spionageabwehr. Auch Bernhard [sic] Bender erscheint in dem deutschen Text, und wie in der amerikanischen Version dient er auch hier als Verhörspezialist auf der ausgemusterten Marinaio Rosso. Der uns bereits bekannte Deutsch-Arabische Bruderschaftsverband taucht als „Deutsch-Arabische Bruderschaft“ [hier wie dort mit identischer arabischer Übersetzung in lateinischer Transkription] als eine Art „NS-Wohlfahrt“ auf, die von Ernst Wollweber gegründet worden sei und die in der DDR Geld sammle. Ihre Mitglieder hätten „meistens keine Ahnung“, worum es eigentlich gehe. Die Jugendorganisation der Bruderschaft für ägyptische Jungen ähnele der damaligen Hitlerjugend „wie ein Ei dem anderen“ – die DDR als Vollstreckerin des NS-Erbes am Nil sozusagen. Empfindlicher konnte man damals von westlicher Seite die DDR kaum provozieren. Führende Köpfe bei der Jugendorganisation im amerikanischen wie deutschen Material: Der angebliche sudetendeutsche Ex-SS-Gruppenführer Moser alias Hasan Soliman sowie der angebliche frühere SA-Gruppenführer Buble alias Oberstleutnant Amman. Allerdings ersparte die Frankfurter Illustrierte ihrer Leserschaft jene Sensation, der zufolge Präsident Nasser Mitglied Nr. 3 der Organisation sei. Auch der „frühere SS-Hauptsturmführer 285 286

Ebd., Nr. 34 vom 24. August 1957. Der Begriff „Generalgouvernement Warschau“ bezeichnete den ehemals russischen und dann von den Deutschen besetzten Teil Polens zwischen 1915 und 1918, also während des Ersten Weltkrieges. Davon zu unterscheiden ist das von den Deutschen errichtete „Generalgouvernement“ auf polnischem Boden im Zweiten Weltkrieg.

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Heinrich Willermann“ war bei den Frankfurtern in den Samara-Kasernen, 300 km westlich von Kairo medizinisch“ tätig. Neben weiteren Übereinstimmungen mit den amerikanischen Veröffentlichungen  – etwa hinsichtlich der am Nil erbauten Konzentrationslager – gibt es auch einige Unterschiede, von denen die angebliche DDR-Steuerung an der Leine Moskaus zweifellos die bedeutendste ist. Darüber hinaus fällt auf, dass im Gegensatz zur amerikanischen Vorlage die Malträtierung der ägyptischen Juden mit Hilfe der ehemaligen Nationalsozialisten – immerhin der rote Faden der Vorlage – in der deutschen Illustrierten eine eher untergeordnete Rolle spielt. Es scheint, als habe man in der Frankfurter Redaktion aus der amerikanischen Version viele Aspekte des schweren Lebens der Juden in Ägypten vor und nach „Suez“ getilgt, weil man angesichts des in den fünfziger Jahren in der Bundesrepublik durchaus vorhandenen Antisemitismus‘ die Leserschaft mit dieser Thematik möglicherweise nicht übermäßig behelligen wollte287. Hinsichtlich der vermuteten Gesamtzahl ehemaliger „SS-Offiziere und Mannschaften im Nahen Osten“ erlaubte sich die Illustrierte eine Korrektur an der amerikanischen Vorlage: Die Zahl von 6000 sei übertrieben, es könnten „höchstens 2000 sein“, hieß es nun aus Frankfurt. Auch die erste deutsche Militärmission in Syrien unter Graf Strachwitz fand in der Zeitschrift kurze Erwähnung. Der Graf habe „nichts mit den Machenschaften in Moskau oder Pankow zu tun, er dient auch nicht als Tarnfigur; er würde sich eine solche Rolle stärkstens verbitten“, hob das Blatt hervor.288 Ergänzend zu der amerikanischen Vorlage nennt die Illustrierte einige zusätzliche Personen, die Präsident Nasser zugearbeitet haben sollen. Mit Joachim Deumling (in anderen Quellen auch Daemling oder Dömling) tritt dabei – endlich, möchte man beinahe meinen – ein Mann in Erscheinung, der tatsächlich im fraglichen Zeitraum, genauer: zwischen 1954 und 1956, in Kairo gelebt hat.289 Dort habe er sich die „Sonderdienste“ unterstellt. Zu ihnen gehörten, so die Illustrierte, „die sogenannten Volkstribunale, die nach der Tradition des Volksgerichtshofes in Berlin Urteile fällen. Sie gehen auch den radikalen ägyptischen Nationalisten auf die Nerven“. Im Gegensatz zu dem amerikanischen Ausgangsmaterial kommt die Frankfurter Illustrierte auch auf die Aktivität des Berufsantisemiten Johann von Leers in Kairo zu sprechen – wenn auch nur am Rande. Wahrscheinlich war von Leers von den amerikanischen

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Nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie, Allensbach, bezeichneten 1952 68 % der Befragten sich als „demonstrativ antisemitisch“ bzw. als „gefühlsmäßig ablehnend“ gegenüber Juden. Eine weitere Umfrage dieses Instituts ermittelte für das Jahr 1956, dass es für 26 % der Befragten „besser wäre, keine Juden“ in Deutschland zu haben. Vgl. Werner Bergmann und Rainer Erb, Wie antisemitisch sind die Deutschen? Meinungsumfragen 1945–1994, in: Wolfgang Benz (Hg.), Antisemitismus in Deutschland, München 1995, S. 47–63. Frankfurter Illustrierte Nr. 34 vom 24. August 1957. Vgl. Klee, Personenlexikon, S.  106 sowie Michael Wildt, Generation des Unbedingten, Hamburg 2002, S. 932.

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Publikationen deshalb nicht berücksichtigt worden, weil dieser erst Mitte 1956 aus Argentinien an den Nil gekommen und nicht sofort entdeckt worden war. Nach Auffassung der Illustrierten zeichnete von Leers für die stark antiwestliche und einseitig nasseristische Propaganda von Radio Kairo verantwortlich, die jegliche arabische Konkurrenz gegen die Führerschaft Nassers im gesamten Nahen Osten im Keim zu ersticken suche. Ob die Frankfurter mit dieser Aufgabenbeschreibung für von Leers nicht ein wenig übers Ziel hinausgeschossen waren, steht dahin. Der Sender von Radio Kairo sei, so die Zeitschrift, 1942 als „getreue Kopie des Deutschlandsenders Königswusterhausen“290 in der Nähe Berlins gebaut und „technisch hervorragend ausgestattet“ worden. Die „Stimme Arabiens“, die „Umma Arabiah“, habe eine enorme Reichweite, sie decke Entfernungen von bis zu 5000  km ab, von der Küste Westafrikas bis nach Indonesien, also fast die gesamte islamische Welt.291 Die Illustrierten-Serie nennt schließlich noch vier nichtdeutsche Rechtsextremisten im Solde Kairos, die ebenfalls Authentizität beanspruchen können. Georges Oltramare alias Dieudonné sei als ehemaliger SS-Angehöriger und früherer „Chef der Schweizer Braunhemden“ ebenso am Nil eingetroffen wie sein Landsmann Daniel Perret-Gentil, der 1948 in Frankreich zum Tode verurteilt, 1955 jedoch ausgewiesen worden sei. Angeblich, so die Zeitschrift, leitete Perret-Gentil das französischsprachige Programm von Radio Kairo. Aus Italien habe der ehemalige Faschistenführer Antonio Mentegazzi den Weg zu den Pyramiden gefunden, wo er die „Nachahmung einer faschistischen Miliz“ kommandiere. Schließlich sei aus Schweden der dortige „Führer der Braunhemden“, Per Olaf Andersson, nach Ägypten gekommen, wo er sich propagandistisch betätige.292 Zurück in die Vereinigten Staaten. Eine neue Liste mit den Namen angeblich in Ägypten tätiger ehemaliger Nationalsozialisten machte seit Oktober 1963 in politischen Kreisen der USA die Runde. Ernest Gruening, damals demokratischer Senator für den Bundesstaat Alaska, war Mitglied eines Senatskomitees, das einen Bericht über „Amerikanische Auslandshilfe in zehn nahöstlichen und afrikanischen Ländern“ mit Datum vom 1. Oktober 1963 vorlegte.293 In dem Abschnitt seines Berichtes über die VAR (Ägypten) warnte Senator Gruening vehement vor jeglicher Hilfe für das gegenwärtige Regime Präsident Nassers. Er wies auf die „grosse Zahl ehemaliger Nazis“ in Ägypten hin, die am Bau moderner Vernichtungswaffen beteiligt seien294 und die gegen Jordanien und Israel zum Einsatz kommen sollten. Dem oben bereits er290

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Ob 1942 mitten im Krieg in Ägypten, in dem die Briten immer noch eine politisch-militärische Größe waren, tatsächlich ein Sender nach diesem Vorbild errichtet wurde, erscheint doch höchst fraglich. Frankfurter Illustrierte Nr. 34, 1957. Ebd. U. S. Congress, 88th Congress, 1st Session, Committee Print, Washington 1963. Senator Gruening hatte für diesen Bericht u. a. auch Libyen, Tunesien und Ägypten besucht. Dazu unten mehr.

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wähnten Buch „Behind the Egyptian Sphinx“295 habe er eine Liste mit Namen von „Ex-Nazis“ entnommen, die für Nasser arbeiteten. Die Namen auf der Liste waren nahezu deckungsgleich mit jenen, die 1957 in der Frankfurter Illustrierten bzw. in Prevent World War III publiziert worden waren, einschließlich der Schweizer Dieudonné und Perret-Gentil. Neu waren Willi Berner alias Ben Kashir sowie Dr. Erich Alten alias Ali Bella, der mit den algerischen Rebellen in Kairo kooperiere und der einst eine wichtige Rolle bei der Ermordung des Philosophen und Schriftstellers Theodor Lessing „in Karlsbad 1934“296 gespielt habe. Erstmals tauchte auf einer derartigen Liste „SS-General Dirlewanger“ auf, „known as the butcher of Warsaw“. Angeblich sollte Dirlewanger jetzt Nassers Militärberater für die Guerillakriegführung sein. Seit der gerichtsmedizinischen Identifizierung Dirlewangers aufgrund der Exhumierung einer Leiche im November 1960, die von der Staatsanwaltschaft Ravensburg angeordnet worden war, galt Dirlewanger offiziell als tot297 – ein Umstand, den die Autoren von „Behind the Egyptian Sphinx“ nicht kennen konnten, den ein paar Jahre später zu prüfen Senator Gruening offenbar keinen Anlass gesehen hatte, falls er von ihm gewusst haben sollte. Dirlewangers Name taucht immer wieder in der einschlägigen Publizistik auf. Schillernd ist die Schilderung des Schicksals von Dirlewanger durch den Historiker Michael Bar-Zohar. Auch für Bar-Zohar stand in seinem 1968 in englischer Übersetzung aus dem Französischen veröffentlichten Werk mit dem Titel „The Avengers“ fest, dass Oskar Dirlewanger die Flucht nach Ägypten gelungen war. Im Gegensatz zu anderen Autoren erwähnt er immerhin die Exhumierung einer Leiche, die für jene Dirlewangers gehalten worden sei. Dass die im Sarg aufgefundene Leiche jedoch nicht diejenige Dirlewangers gewesen sein könnte, erklärt Bar-Zohar damit, dass sie elf Schusswunden

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Untertitel: Nasser’s Strange Bedfellows: Prelude to World War III?, Philadelphia. Dieses 1960 erschienene Buch von Irving Sedar und Harold J. Greenberg versuchte eine Kontinuitätslinie des deutschen politischen „Drangs nach Osten“ vom Kaiserreich über das „Dritte Reich“ bis in die Bundesrepublik zu ziehen. Im Epilog lassen die Autoren sogar die Gefahr eines von der Bundesrepublik verursachten dritten Weltkrieges aufscheinen: „Innerhalb der nächsten entscheidenden Jahre werden die islamischen Länder gemeinsam mit ihrem atomar bewaffneten Deutschland als ihrem Verbündeten einen neuen dritten Machtblock bilden und dreist auf ihr Recht pochen, das Schicksal der Welt mitzubestimmen, so dies nicht durch entschlossene und kluge Diplomatie verhindert wird. Falls Deutschland, das bereits jetzt mit dem Islam gemeinsame Sache macht, die langfristige Ostorientierung seiner Politik fortsetzt, die Wiedervereinigung durch eine weitere Annäherung an Russland bewerkstelligt und das Nordatlantische Bündnis verlässt – und alle Anzeichen deuten darauf hin, dass es so kommen wird – können sich Amerika und seine westlichen Verbündeten auch gleich eingestehen, dass Europa, der Nahe Osten und Afrika unwiderruflich verloren sind. Denn trotz all unserer Anstrengungen, unserer Entschlossenheit und unserer guten Vorsätze werden wir uns wieder entfesselten Kräften gegenüber sehen, die unsere Zerstörung zum Ziel haben“. Tatsächlich wurde Lessing 1933 in Marienbad ermordet. So weit bekannt, hat ein Erich Alten bei der Tat keine Rolle gespielt. Vgl. dazu Hellmuth Auerbach, Die Einheit Dirlewanger, in: VfZ, 10, 1962, Heft 3, S. 252.

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aufgewiesen habe. Einen Tod durch Erschießen hatte aber niemand Dirlewanger attestiert298, vielmehr ist er mit großer Wahrscheinlichkeit im oberschwäbischen Altshausen von ehemaligen KZ-Häftlingen erschlagen worden.299 Doch zurück zu Bar-Zohar. Ohne Überleitung zieht der Autor dann eine „gut informierte Quelle“300 heran, der zufolge Dirlewanger nicht tot, sondern der französischen Fremdenlegion beigetreten, dann beim Schiffstransfer nach Indochina mit fünf anderen Deutschen in den Suezkanal gesprungen und ans rettende ägyptische Ufer geschwommen sei. Er habe dann die Position eines technischen Beraters beim Ägyptischen Oberkommando übernommen und sich fortab Hassan Souliman genannt.301 Nach einer anderen Information war Oskar Dirlewanger nach seiner Ankunft in Ägypten verantwortlich für die sog. Gorillas, also jene Sicherheitskräfte, die die unmittelbare Umgebung Präsident Nassers zu schützen hatten. Es sei ihm gelungen, in die „höhere Gesellschaft“ Kairos aufzusteigen, und man sehe ihn regelmäßig im Sportclub von Heliopolis.302 Wenden wir uns einen Moment der politischen Lage in Ägypten nach der Suezkrise und der Positionierung der VAR (Ägypten) in ihr zu. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges begann Präsident Nasser mit einer rigorosen Nationalisierungspolitik. Briten und Franzosen

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Dirlewanger sei am 7. Juni 1945 in Altshausen (Oberschwaben) „gestorben“, heißt es bei H. Auerbach, ebd., der sich auf das Standesamtregister dieser Gemeinde beruft. Die Nr. 63 des Registers vom 19. Juni 1945 nennt als Todesursache einen „natürlichen“ Tod. Der Autor dankt Frau Renate Sigloch vom Gemeindebüro Altshausen für die Überlassung einer Kopie der Nr. 63 des Registers. Das mit Datum vom 24. November 1960 angefertigte Exhumierungsgutachten erwähnte keine elf „Schusswunden“, sondern elf „Verwundungen“, darunter „eine schwere Kopfverletzung von 1921, eine Verletzung an der linken Hand, einen Durchschuß des rechten Fußes und eine Verletzung einer großen Zehe“. Vgl. „Schwäbische Zeitung“ vom 2. Dezember 1960. Der Verfasser dankt Elmar Hugger, Altshausen, für den Hinweis auf seinen Beitrag „Wie wurde Oskar Dirlewanger getötet?“, in: Altshausen in Bildern von einst, mit lustigen Geschichten und örtlichen Begebenheiten, Bd. IX, Meßkirch 2016, S. 47, wo es aufgrund einer von Hugger im Jahre 2014 durchgeführten Zeitzeugenbefragung heißt: Zwei „Buben sahen, wie Dirlewanger von ehemaligen KZ-Häftlingen in gestreifter Kleidung als Gefangener die Hindenburgstraße hinaufgetrieben wurde. Dirlewanger musste dabei mit erhobenen Armen gehen. Vor dem Haus […] schlugen die Bewacher plötzlich mit Stöcken und Knüppeln brutal auf ihren Gefangenen ein. Dirlewanger platzte dabei der Schädel, so dass ‚Blut und sein Gehirn an ihm herunterliefen‘. Es war ein schreckliches Bild. Ein vorbeikommender Marokkaner, der als Besatzungssoldat hier war, wollte den Buben diesen schlimmen Anblick ersparen und führte sie vom Tatort weg“. Bei dieser Quelle könnte es sich um die Nummer 16 vom 17. April 1951 des Nachrichtenmagazins Der Spiegel handeln, wo auf S. 18 im Rahmen einer Serie über die „Brigade Dirlewanger“ wenigstens der erste Teil der nachfolgenden Informationen Bar-Zohars auftaucht. Bar-Zohar, Avengers, S. 155. Liste „SS et criminels de guerre au service de Nasser“, zusammengestellt von der „Union International de la Résistance et de la Déportation“ (U. I. R. D.), Brussel [sic], April 1965: VWI-SWA, I. 1., Mappe Ägypten (A).

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sahen sich verhaftet und ausgewiesen303, Unternehmen und Ländereien, die Angehörigen dieser Staaten gehörten, wurden beschlagnahmt und verstaatlicht. Zu Beginn der sechziger Jahre forcierte Nasser eine sozialistisch orientierte Politik, die den revolutionären Charakter seines Regimes sowie sein Streben nach nationalem Fortschritt unterstreichen sollte. Außenpolitisch korrespondierte mit diesem innenpolitischen Kurs eine zumindest taktische Hinwendung zum Osten. Augenfällig wurde dies Ende Februar 1965 etwa durch den Besuch des Staatsratsvorsitzenden der DDR, Walter Ulbricht, im Land der Pyramiden.304 Mit dem Besuch Ulbrichts, von dem noch die Rede sein wird, brachte Nasser jene Bonner Politiker, die Anhänger der sog. Hallstein-Doktrin waren, zur Weißglut. Und in dieser Situation kamen auch die alten „Nazi-Listen“ wieder ins Spiel. Durchaus scheinheilig und geradezu atemberaubend instrumentalisierten nun westdeutsche Medien die Namen dieser Listen, um der DDR und „dem Osten“ zu schaden. Immerhin waren die ewig gleichen Namen inzwischen auch in der Bundesrepublik längst bekannt, etwa durch die Veröffentlichung in der Frankfurter Illustrierten. Wenn eine Zeitung wie der „Donaukurier“ und, diesen zitierend, die FAZ die „Nazis vom Nil“ hämisch als „Ulbrichts Beschützer in Kairo“ apostrophierte, war dies doch einigermaßen befremdlich, denn solange Ägypten unter Nasser halbwegs zuverlässig im Kielwasser des Westens gesegelt war, hatte sich niemand in der Bundesrepublik öffentlich über diese Beschützer aufgeregt – beispielsweise anlässlich des Besuches von Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier in Kairo im November 1964.305 Als Beschützer Ulbrichts hatte der Donaukurier nun wieder die üblichen Verdächtigen aus der Versenkung geholt: Gleim, Bender, Moser usw.306 Knapp zwei Jahre vor dem Besuch Ulbrichts am Nil hatte der Journalist Johannes Gaitanides im Donaukurier einen umfangreichen Beitrag über die Arbeit Eugen Sängers und anderer Raketenkonstrukteure in Ägypten veröffentlicht. Bei seinen Recherchen zu diesem Artikel dürften ihm wohl auch einige der Beschützernamen begegnet sein, ohne dass dies damals offenbar zu seiner Entrüstung geführt hätte.307 Auch der Rundfunk im Westen bemühte sich, die über den deutschlandpolitischen Kurs Nassers erhitzten Gemüter am Rhein zu kühlen. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR schnitt beispielsweise eine Sendung des West-Berliner „Senders Freies Berlin“ (SFB) mit dem Titel „Hier spricht Berlin“ vom 14. Dezember 1967 mit, in der die angebliche Blindheit des „Antifaschismus der SED“ gegeißelt wurde. Dieser 303 304

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Vgl. Pink, Geschichte, S. 211f. Vgl. dazu Rainer A. Blasius, „Völkerfreundschaft“ am Nil: Ägypten und die DDR im Februar 1965, in: VfZ, 46, 1998, Heft 4, S. 747–805. Zum Gerstenmaier-Besuch vgl. die Erinnerungen des ägyptischen Journalisten und Nasser-Vertrauten Mohammed Heikal, Das Kairo-Dossier, Wien 1972, S. 279f. FAZ, 1. März 1965. Johannes Gaitanides, Ägypten beginnt in Stuttgart. Vom Trauerspiel der deutschen Raketenforscher, in: Donaukurier, 17. April 1963.

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Antifaschismus sei „nur in sehr begrenztem Maße glaubwürdig“, so der Sendemitschnitt, „denn da, wo es ihren Führern nicht ins Konzept paßt, sind sie plötzlich blind und taub. Da sehen sie Nazis und Naziverbrecher selbst dort nicht, wo sie noch immer in beträchtlicher Zahl am Werk sind – in Ägypten und Syrien nämlich“. Und weiter stellte der SFB fest: „Daß wegen Kriegsverbrechen gesuchte Nazis in diesen arabischen Staaten aktiv tätig sind, stört die SED dabei offenbar nicht im Mindesten“. Die früher für Hitler ausgeübte Tätigkeit setzten die „berüchtigten SS- und Gestapo-Gewaltigen“ nun „nicht gegen die wehrlosen Juden, vor allem Europas“ fort, die „neue Endlösung die sie seit Jahren mit vorbereiten helfen, ist dem Staat Israel und seiner Bevölkerung zugedacht“308. Auf dem Höhepunkt des Nahost-Krieges vom Juni 1967, der erneut mit einer Niederlage der arabischen Staaten geendet hatte, war im Wiener Presseclub „Concordia“ der Nazijäger Simon Wiesenthal vor die internationale Presse getreten, um eine Liste mit 29 angeblichen Namen ehemaliger Nationalsozialisten im Dienste Nassers vorzustellen, die aus einer weiteren Aufstellung mit insgesamt 43 verdächtigten Personen hervorgegangen war.309 Die Pressekonferenz markierte einen Wendepunkt in der Reihe von einschlägigen Namenslisten, da jetzt erstmals eine westdeutsche Behörde zu den Namen der angeblich in Ägypten lebenden Deutschen offiziell Stellung bezog. Ein Schreiben des damaligen Leiters der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, Oberstaatsanwalt Adalbert Rückerl, an Simon Wiesenthal vom 23.  August 1967, befasste sich mit den 43 ursprünglich genannten Männern. Anlass dieses Schreibens war eine Bitte des belgischen Widerstandskämpfers und Vorsitzenden der U. I. R. D., Hubert Halin, eine Liste der U. I. R. D. vom April 1965 und die gedruckte Liste von der Wiesenthal-Pressekonferenz vom Juni 1967 zu prüfen. Kriterium für die Aufnahme einer Person in wenigstens eine der beiden Listen war zumeist die Kategorie „Kriegsverbrecher“ bzw. ihr Erscheinen auf einer Fahndungsliste. Rückerl schickte Wiesenthal eine „Zusammenstellung“ seiner Erkenntnisse, die selber nicht auffindbar ist. Jedoch enthielt das Anschreiben des Oberstaatsanwalts an Wiesenthal vom 23. August 1967 eine Zusammenfassung, die hier einfachheitshalber nahezu vollständig wiedergegeben werden soll. Rückerl schrieb: „Wie sich aus der Zusammenstellung ergibt, sind der Zentralen Stelle lediglich 19 der insgesamt 43 in den beiden Listen genannten Personen bekannt. Von diesen 19 Personen sind bis jetzt fünf nicht wegen NS-Verbrechen in Erscheinung getreten (von 308

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BStU, Archiv der Zentralstelle, MfS-HA XX, Nr. 3764, Staatliches Rundfunkkomitee, Abt. Information, vertrauliches Material, nur für den Dienstgebrauch!, 14. Dezember 1967, 19.15 Uhr. VWI-SWA, I. 1., Mappe Ägypten (C). Dort die auf „Juni 1967“ datierte und gedruckte Liste als „Bulletin of Information No. 6“ des „Dokumentationszentrums des Bundes jüdischer Verfolgter des Naziregimes“. Die Liste der U. I. R. D. ebd.

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Nassers Sicherheitspersonal und das Rätsel um die „Nazi-Listen“ Harder, Remer, Richter, Springer und Dr. Voss). Von den verbleibenden 14 Personen sind zwei tot (Dirlewanger und Eisele) und zwei weitere in der Bundesrepublik in Untersuchungshaft (Deumling und Rademacher). Es verbleiben somit lediglich zehn Personen, die bekannt sind, deren genauer Aufenthaltsort jedoch ungewiss ist. In 24 der 43 Fälle war es unmöglich, die betreffenden Personen zu identifizieren. Dies beruht zum Teil darauf, daß die angegebenen Personalien und sonstigen Hinweise nicht ausreichen. Zum Teil können jedoch die angegebenen Namen, ehemaligen Dienstgrade und Einsatzorte nicht stimmen. So hat es zum Beispiel einen SS-Gruppenführer namens Alois Moser […] in der Ukraine nicht gegeben. Ein Heinrich Sellmann […] ist in Ulm völlig unbekannt. Ähnlich ist auch das Ergebnis in den anderen Fällen, die nicht in der beiliegenden Zusammenstellung aufgeführt sind. Neben Moser und Sellmann handelt es sich hierbei aus Ihrer Liste um Appler, Bartel, Baumann, Bender, Birgel, Böckler, Bollmann, Börner, Bünsche, Bunzel, Gleim, Heiden, Luder, Seipel, Thiemann, Wesemann und Dr. Willermann. Sollten Ihnen

weitere Anhaltspunkte bezüglich

dieses Personenkreises bekannt werden, bin ich gerne bereit, die betreffenden Personen nochmals zu überprüfen“310.

Ein wenig merkwürdig berührt ein Brief Simon Wiesenthals vom 17. April 1968, mit dem er ein Schreiben des Schweizer Schriftstellers Jacques Givet beantwortete. Hier erklärte Wiesenthal, dass es sich bei Leopold Gleim um einen Hörfehler seinerseits handle, richtig müsse es „Klein“ heißen. Der Nachname Gleim war aber längst vor 1968, wie wir gesehen haben, in zahlreichen Publikationen aufgetaucht, die auch Wiesenthal wenigstens teilweise bekannt gewesen sein dürften. Eine Korrektur des Namens Gleim zu Klein ist in der Publizistik, so weit erkennbar, später nirgends aufgetaucht, Gleim hat sich bis in die jüngere Zeit gehalten. Auch die anderen Namen tauchen immer wieder auf. Werner Brockdorff, der uns mit irreführenden Angaben über einen angeblichen Aufenthalt des ehemaligen Gestapo-Chefs Heinrich Müller in Ägypten begegnet ist, betete die Namensliste mit den Gleim, Sellmann, Willermann usw. ohne einen Anflug kritischer Distanz nach.311 In jüngerer Zeit hat der amerikanische Autor Peter Levenda, der sowohl über Esoterik als auch über die berühmten „Rattenlinien“ der Nationalsozialisten bei Kriegsende publiziert hat, die fraglichen Namen in eine Liste von insgesamt 45  „Nazis“ samt Funktionsangabe in englischer Übersetzung eingearbeitet, die in Ägypten

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VWI-SWA, I. 1., Mappe Ägypten (C). Der israelische Wiesenthal-Biograf Tom Segev nennt den Inhalt der Post aus Ludwigsburg „einigermaßen peinlich“. Vgl. Segev, Wiesenthal, S. 267. Vgl. Brockdorff, Flucht, S. 116.

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zum Islam konvertiert sein sollen.312 Diese Liste sei ursprünglich von einem italienischen Journalisten zusammengestellt und dann immer wieder ergänzt worden, schreibt Levenda, der ebenfalls keinerlei kritische Distanz zu dem Material erkennen lässt.313 Auch Oskar Dirlewanger schaffte es wieder auf eine derartige Liste sowie vermutlich erstmals und reichlich deplatziert General a. D. Wilhelm Fahrmbacher. Eine handschriftlich gefertigte Matrix, die sich ebenfalls in den Unterlagen des VWI-SWA befindet, aber offensichtlich in dem Schriftwechsel Simon Wiesenthals mit Oberstaatsanwalt Rückerl keine Berücksichtigung gefunden hat,314 vermittelt eine Ahnung davon, aus welch trüben Quellen die erwähnten Namenslisten zumindest auch entstanden sein dürften. Drei Kategorien umfasst diese Matrix in der Waagerechten: a. Ägyptische Namen, b. Deutsche Namen und c. Arbeit in Ägypten. In der Senkrechten finden sich die Namen der Personen. Die undatierte und in mäßigem Deutsch erstellte Übersicht ist unterschrieben von einem Enrico Loewenthal, bei dem es sich vermutlich um den bekannten italienischen Partisanen Ico handelt.315 Insgesamt 14 Namen umfasst die Aufstellung, und sie wird angeführt von Leopold Gleim und Bernard Bender. Die stichwortartige Beschreibung ihrer Arbeit in Ägypten erlaubt eine indirekte Datierung des Dokumentes: Es wird in ihm behauptet, Gleim und Bender hätten in Rom bei der versuchten „Entführung des Mannes im Koffer“ mitgewirkt, die Mitte November 1964 hätte vonstatten gehen sollen. Als Name des zu Entführenden wird ein „Louk“ genannt, bei dem es sich höchstwahrscheinlich um den gebürtigen Israeli Mordechai Louk gehandelt haben dürfte.316 Joachim Deumling taucht in der Aufstellung wieder als Doemling auf, und als neuer Name erscheint hier ein „Hithofer“ als angeblich ehemaliges Gestapo-Mitglied in Wien.317 Enrico Loewenthal machte am Ende der Matrix ein paar Andeutungen über ihre Entstehungsgeschichte. „Alle diese Sachen“ habe ein „Faisal Abdul Ghader Owdeh, ein Chef der ägyptischen Geheimpolizei, erzählt“, der über den Libanon in den Iran „geflüchtet“ sei. Ghader Owdeh wiederum habe „diese Sachen“

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Peter Levenda, The Hitler Legacy, Lake Worth Fl., 2014, Appendix, S. 319f. In Fettdruck, dafür aber ohne jeden Quellennachweis, tauchten einige der Namen einschließlich Dierlewangers [sic] nebst Angabe ihrer angeblichen Funktion in Ägypten auf bei: William R. Perl, The Holocaust Conspiracy, New York 1989, S. 236–237. Vermutlich war der fragliche Journalist bei der Pressekonferenz von Simon Wiesenthal im Jahre 1967 zugegen gewesen. VWI-SWA, I. 1., Mappe Ägypten (A), Darstellung ohne Überschrift bzw. Titel. Vgl. Enrico Loewenthal, Hände hoch, bitte! Erinnerungen des Partisanen Ico, Berlin 2014. Louk galt als zwielichtige Figur, die möglicherweise als Doppelagent für Kairo und Tel Aviv arbeitete. Vgl. den Artikel „Mann im Koffer“ in „Die Zeit“ vom 27. November 1964: http://www.zeit. de/1964/48/mann-im-koffer?print. In anderen Listen Franz Hithofer. Mit E-mail vom 15. Juni 2020 teilte das „Dokumentationszentrum des österreichischen Widerstandes“ in Wien dem Verfasser mit, dass dem Zentrum diese Person unbekannt sei.

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Nassers Sicherheitspersonal und das Rätsel um die „Nazi-Listen“

General Bacravan, „Chef der iranischen Geheimpolizei erzählt“, so Loewenthal. Bedenkt man, dass die fraglichen Informationen ihren Weg auch wieder aus dem Iran nach Europa gefunden haben müssen, drängt sich einem doch das Spiel „Stille Post“ mit all ihren Wendungen und Weiterungen auf. Auch in die Belletristik gelangten wenigstens einige der Männer auf den Listen. Der britische Bestsellerautor und Spezialist für Polit-Thriller, Brian Freemantle, lässt in seinem ins Deutsche übersetzten Roman „Rächer kennen kein Erbarmen“ die ehemalige israelische Außenministerin Golda Meir die Namen Leopold Gleim, Heinrich Willermann und Hans Eisele aussprechen, und Oskar Dirlewanger (hier Oscar Dulwanger) findet nun im oberägyptischen Assuan eine neue Heimat318 – Letzteres eine bemerkenswerte Variante zu den anderen Deutschen in Ägypten, die ausschließlich in oder nahe Kairo bzw. Alexandria lebten. Hinsichtlich des Rätsels um die „Nazi-Listen“ soll noch jemand zu Wort kommen, der allein schon aus beruflichen Gründen den deutschen „Sicherheitsberatern“ Präsident Nassers gerne näher gekommen wäre. Erich Helmensdorfer, der uns bereits als ehemaliger dpa- und später FAZKorrespondent am Nil begegnet ist, bestätigte in einem umfassenden Beitrag für die Wochenend-Tiefdruckbeilage der FAZ vom 30. März 1963319 zunächst, dass die jüdische Organisation B’nai B’rith es gewesen sei, die im Frühjahr 1956 berichtet habe, dass „6248 ehemalige Nazis das Heft in Kairo in der Hand hätten“. Diese Information entspricht ungefähr jener in dem oben erwähnten Artikel in der Zeitschrift „National News Monthly“ von 1957, die von der Organisation herausgegeben wurde. Ein KZ-Schiff – es kann sich dabei nur um die „Schwimmende Hölle“, den ominösen Frachter Marinaio Rosso, handeln – fährt Helmensdorfer fort, werde laut B’nai B’rith „von hochblonden Germanen bewacht“, immer „wieder tauchen diese Behauptungen wieder und wieder auf […]. Tatsächlich scheint die Zahl der unter arabischen Namen und mit ägyptischer Staatsangehörigkeit in Ägypten lebenden Deutschen sehr gering. Sie müssen sich den einheimischen Lebensbedingungen und Gewohnheiten anpassen, was für jeden Mitteleuropäer schwer ist, für einen ehemaligen Herrenmenschen Hitlerscher Prägung aber eine schwere Strafe darstellt“. In seinen diversen Büchern über Ägypten kam Helmensdorfer gelegentlich auf die Sicherheitsberater im Orbit Nassers zurück. „Die Presseberichte in den fünfziger Jahren über ehemalige Nazis und SS-Führer, die in Ägypten die Fäden aus dem Hintergrund ziehen würden, waren, trotz detaillierter Angaben, an Ort und Stelle nie zu verifizieren“, schrieb er 1973 und 318

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Frankfurt am Main 1984, S. 76. Im englischen Original unter dem Titel „The Man Who Wanted Tomorrow“ ebenfalls Oscar Dulwanger. Angesichts der aus seiner realen Vita hinreichend bekannten Abgebrühtheit hätte man Dirlewanger durchaus zutrauen können, dass er sich vorsichtshalber lieber weit weg von Kairo in Assuan seinen Wohnsitz nahm, wo der Klatsch der deutschen Gemeinde Kairos ebenso fehlte wie vermutlich das wachsame Auge der amerikanischen CIA. „Deutsche im Solde Nassers“.

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fuhr fort, dass mehr als ein Dutzend ehemaliger Deutscher, die meist Moslems wurden und ein erbarmungswürdiges Leben führten nie ausfindig gemacht worden seien. „Wesentlichen Einfluß hatten sie nicht“320. Wenige Jahre nach dieser Veröffentlichung schrieb Helmensdorfer in seinem mehrfach aufgelegten Buch „54mal Ägypten“: „Fluchtdeutsche, die unter Namensänderung Moslems geworden waren, und über ägyptische Pässe verfügten, konnten am Nil nie ausfindig gemacht werden“321. Die Frage des Passbesitzes mal außen vor gelassen, war dies natürlich Unsinn. Er selber bewegte sich, wie gezeigt, in nächster Nähe Hans Eiseles und Johann von Leers und dürfte wohl auch mindestens von der Anwesenheit des Arztes Aribert Heim am Nil gewusst haben. Zum Schluss dieses Abschnitts sei noch einmal auf Kurt P. Tauber verwiesen, mit dem dieser begonnen worden war. Der NS-Flüchtling Tauber mahnte eine gehörige Portion „Skeptizismus“ beim Umgang mit Informationen über die „Sicherheitskräfte“ in Kairo an. „Dieser Skeptizismus“, meint Tauber, „ist gerechtfertigt durch die unglückliche Tendenz der Nachrichtenmedien, sensationelle Einzelheiten anderer Nachrichtenquellen zu kopieren, ohne sie auf ihre Exaktheit zu prüfen. Auf diese Weise kommen reine Fälschungen in Umlauf und im Prozeß der wiederholten Veröffentlichung nehmen sie die Qualität von Fakten an. Selbst dieselben Falschschreibungen lassen sich in identischen stories entdecken, die von einer Reihe verschiedener Zeitungen und Informationsdiensten berichtet werden“322 .

Dem ist nichts hinzuzufügen.

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Helmensdorfer, Suez, S. 154. Die Zahl von „nicht mehr als ein Dutzend“ ließ offensichtlich die zahlreichen deutschen Mitarbeiter zunächst bei der Flugzeugkonstruktion in Heluan und später beim Raketenprojekt in Heliopolis unberücksichtigt. Helmensdorfer, 54mal, S. 222. Tauber, Eagle, Vol. II, S. 1114, Anm. 179. Meine Übersetzung aus dem Amerikanischen, A. H.

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Experten der theoretischen und praktischen Judenverfolgung

Experten der theoretischen und praktischen Judenverfolgung Der Theoretiker: Johann von Leers Mit dem im Jahre 1902 im mecklenburgischen Vietlübbe geborenen Johann von Leers erreichte im Sommer 1956 einer der schriftstellerisch produktivsten und verbalradikalsten Antisemiten des „Dritten Reiches“ das Land am Nil.323 Von Leers hatte zunächst Jura und Geschichte studiert, war in Jura promoviert worden und hatte 1926 als Attaché im Auswärtigen Amt eine Ausbildung zum Diplomaten begonnen. Er verfügte über eine ausgeprägte Sprachbegabung, die ihn u. a. auch das Japanische erlernen ließ. Nach den Angaben in seinem Lebenslauf aus dem Jahre 1936, den er für seine Aufnahme in die SS anfertigte, brach er die diplomatische Ausbildung jedoch ab, weil seine „offen judenfeindliche Gesinnung“ einer Karriere im diplomatischen Dienst im Wege gestanden habe.324 Dass er den angeblichen jüdischen Ritualmord gemäß der antijüdischen Schmähschrift „Die Protokolle der Weisen von Zion“ anlässlich eines Auftritts an der Universität Leiden öffentlich verteidigte, trug ihm im Jahre 1931 den Verweis vom Gelände der Hochschule durch deren Rektor, den berühmten Kulturhistoriker Johan Huizinga, ein,325 was in den Augen damals führender Nationalsozialisten einem Ritterschlag gleichgekommen sein dürfte.326 Am 1. August 1929 war von Leers der NSDAP beigetreten. Nachdem er den auswärtigen Dienst quittiert hatte, arbeitete er vor allem als Journalist und als wortgewandter Vortragsredner. Anfangs schrieb er für das von Goebbels herausgegebene Blatt „Der Angriff“ und als Chefredakteur für die Monatsschrift „Wille und Weg“. Möglicherweise aufgrund von Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der deutschen Russlandpolitik 327 überwarf sich von Leers mit Goebbels, besaß aber dafür den Rückhalt Heinrich Himmlers und des „Reichsbauernführers“ 323 324

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Vgl. Peter Longerich, „Davon haben wir nichts gewusst!“, München 2006, S. 270 sowie S. 278f. Vgl. Martin Finkenberger, „Während meines ganzen Lebens habe ich die Juden erforscht, wie ein Bakteriologe einen gefährlichen Bazillus studiert“ – Johann von Leers (1902–1965) als antisemitischer Propagandaexperte bis 1945, in: Bulletin Nr. 2 des Deutschen Historischen Instituts Moskau, 2008, S. 89. Das Folgende nach ebd. Vgl. The Wiener Library Bulletin, May-July 1951, Dr. Johann von Leers. A Propagandist of Extermination, S. 19. Eine ausführliche Schilderung der Vorgänge in Leiden lieferte Malkah Raymist in seinem Artikel „Egypt’s Nazi Propagandist“, der in der Nr. 49 von 1957 der Zeitschrift „Prevent World War III“ auf den Seiten 18–19 erschienen ist. Auf die Problematik hinsichtlich der Glaubwürdigkeit dieser Zeitschrift ist im vorherigen Abschnitt hingewiesen worden. So von Leers eigene Aussage. Vgl. dazu weiter unten.

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Richard Walter Darré. Mit Darré verband ihn die Verklärung des deutschen Bauerntums „als Träger rassisch wertvollen Erbgutes“. Seine guten Beziehungen zur Herrschaftselite des „Dritten Reiches“ ermöglichten es von Leers, Mitte der dreißiger Jahre eine akademische Karriere zu beginnen. Im Jahre 1936 wurde er zunächst Dozent und später dann ungeachtet seiner fehlenden Qualifikation als Wissenschaftler Professor für „Geschichte auf rassischer Grundlage“ an der Universität Jena, die sich zu einer Hochburg nationalsozialistischer Rassenforschung entwickelte.328 Zu seinen Assistentinnen gehörten u. a. Ingeborg Meinhof, die Mutter der späteren RAF-Mitbegründerin Ulrike Meinhof, sowie Renate Riemeck, welche die Vormundschaft für Ulrike Meinhof und ihre Schwester Wienke nach dem Tod ihrer leiblichen Mutter im Jahre 1949 übernahm.329 Früh wandte sich von Leers gegen das Christentum, das er als jüdische Sekte wahrnahm, und gab sich in einer Fülle von Schriften einem rabiaten Antisemitismus hin, den er auch über den Rundfunk propagierte. Einige seiner antisemitischen Aufsätze ließen bereits während der Kriegsjahre die Wahrscheinlichkeit der sog. Endlösung, also der physischen Vernichtung des Judentums im deutschen Herrschaftsbereich, anklingen.330 Allein viele Titel seiner Schriften sprachen für sich: „Forderung der Stunde: Juden raus!“ (1933), „Juden sehen Dich an“331 (1933), „14 Jahre Judenrepublik. Die Geschichte eines Rassenkampfes“ (1933), „Die Kriminalität des Judentums“ (1936), „Judentum und Gaunertum. Eine Wesens- und Lebensgemeinschaft“ (1940) sowie „Die Verbrechernatur der Juden“ (1944). Andere Schriften, die häufig Broschürencharakter trugen, bedienten das Zwitterhafte des nationalsozialistischen Antisemitismus’, nämlich die Juden sowohl hinter dem westlichen Kapitalismus als auch hinter dem Bolschewismus agieren zu sehen.332 Für unseren Zusammenhang ist bedeutsam, dass von Leers etwa seit Anfang der vierziger Jahre Beiträge publizierte, die eine Geistesverwandtschaft von Islam und Nationalsozialismus postulierten. 328 329

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Finkenberger, Johann von Leers, S.529. Vgl. Wikipedia, Stichworte Renate Riemeck und Ingeborg Meinhof. Ausführlich, jedoch ohne Erwähnung Johann von Leers: Bettina Röhl, So macht Kommunismus Spaß! Ulrike Meinhof, Klaus Rainer Röhl und die Akte Konkret, Hamburg 2006, S. 142ff. Zu Riemeck und von Leers in Jena vgl. Marco Sennholz, Johann von Leers, Berlin 2013, S. 278. Vgl. dazu auch Willi Winkler, Der Schattenmann, Berlin 2011, S. 145. Longerich, „Davon“, S. 278. In dieser Schrift reihte von Leers etwa Albert Einstein in die Kategorie „Lügenjude“ ein und schrieb: „Er fand eine stark bestrittene ‚Relativitätstheorie‘. Wurde von der Judenpresse und dem ahnungslosen deutschen Volk hoch gefeiert, dankte dies durch verlogene Greuelhetze gegen Adolf Hitler im Auslande (Ungehängt)“. Hier zitiert nach Michael Hagner (Hg.), Einstein on the Beach, Frankfurt am Main 2005, S. 299, Anm. 2. Etwa „Kräfte hinter Roosevelt“ (1942) und „Juden hinter Stalin“ (1941). Eine Aufstellung wichtiger Arbeiten von Leers veröffentlichte bereits 1951 The Wiener Library Bulletin, Vol. 5, S. 19. Eine Vielzahl weiterer Schriften und Manuskripte von Leers fand Martin Finkenberger bei seinen Recherchen in Moskauer Archiven. Ders., „Während“.

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Er war überzeugt, „dass man auf der Basis der gemeinsamen Judenfeindschaft Deutsche und Moslems am raschesten zusammenbringen“ könne.333 Im Jahre 1945 geriet Johann von Leers in amerikanische Gefangenschaft. Aus einem Lager in Darmstadt gelang ihm – ähnlich wie Otto Skorzeny – die Flucht, und mit einem gefälschten Pass auf den Namen Hans A. Euler lebte er einige Jahre in der Nähe von Bonn. Unwillig und unfähig seinen Frieden mit dem Leben in den Westzonen zu machen, sannen er und seine Frau Gesine von Leers auf Auswanderung nach Übersee. In diese Zeit, genauer Ende August 1947, fällt auch eine kurze Begegnung mit Ernst Jünger in dessen Heim in Kirchhorst bei Hannover. „Ich fand ihn unerschüttert in seinen Ansichten und lenkte daher vom politischen Thema ab“, notierte Jünger über seinen Gast.334 Von Leers’ anschließende ausschweifende Ausführungen über die angeblich besondere Präzision der türkischen Sprache bezeugten offensichtlich das Gelingen des jüngerschen Ablenkungsmanövers. Das heutige Urteil über Johann von Leers wird ganz von seiner antisemitischen Agitation im „Dritten Reich“ bestimmt und kann daher naturgemäß nur vernichtend ausfallen. Es entspricht indessen dem Gebot der Fairness, auch, so weit vorhanden, entlastende Stimmen über einen Angeklagten zu Wort kommen zu lassen. Diese sind nach Lage der schriftlichen Überlieferung im Falle von Leers durchaus überschaubar. Dennoch sei hier zunächst auf eine „Erklärung betreffend Herrn Dr. Johannes [sic] von Leers“ des deutsch-amerikanischen Soziologen und Sinologen Karl August Wittfogel vom 26. Dezember 1949 verwiesen, die Wittfogel in New York auf dem Briefpapier seines damaligen Arbeitgebers abfasste.335 Wittfogel war im Jahre 1933 als damals überzeugter Marxist in der Sowjetunion und in China gewesen und wurde bei seiner Rückkehr nach Deutschland an der Schweizer Grenze verhaftet. Seiner „Erklärung“ zufolge wurde er im November 1933 aus dem Konzentrationslager Lichtenburg bei Torgau entlassen. Für seine Entlassung habe sich, so Wittfogel, „auch Herr Dr. von Leers eingesetzt“. Dessen Intervention habe „erheblich, ja vielleicht entscheidend, zu seiner Befreiung beigetragen“. Wittfogel fährt fort: „Es ist für mich heute schwer zu beurteilen, wie gross Dr. von Leers’ Anteil an meiner Entlassung war; aber ich habe damals in Berlin feststellen können, dass Dr. von Leers sich in der Tat in dem mir berichteten Sinne im Innenministerium für mich bemühte – dies zu einer Zeit, als es fast unmöglich war, auch nur einen Anwalt zu finden, der meinen Fall aufzunehmen wagte“. 333 334 335

Ebd., S. 97f. Ernst Jünger, Jahre der Okkupation, Stuttgart 1958, S. 287. „Chinese History Project, sponsored by University of Washington, Seattle, in Cooperation with Columbia University“. Die Erklärung findet sich in der Sammlung ZS-3084-4 im Archiv des Münchner Instituts für Zeitgeschichte (IfZ). Zum Verhältnis zwischen Wittfogel und von Leers vgl. auch Sennholz, Johann von Leers, S. 41f.

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Die nachfolgenden Ausführungen Wittfogels zeigen seine Ambivalenz gegenüber seinem Helfer und sollen daher vollständig zitiert werden. „Ich kannte Herrn Dr. Leers nicht“, schrieb Wittfogel, um dann fortzufahren: „Und als ich ihn nach meiner Entlassung und vor meiner Ausreise aus Deutschland sah, erfuhr ich, dass er mich im Wesentlichen als den Verfasser einer Biographie Sun Yat-sens kannte. Was ich später in London von Dr. Leers’ Schriften las, zeigte mir, dass er vor 1933 sich in Gedankengängen bewegte, die mir unfassbar erschienen. Ich war froh, dass ich diese seine Schriften nicht kannte, als ich ihn im November und Dezember [1933, A. H.] traf. Ich muss indessen sagen, dass während unserer mehrfachen Begegnungen er mir gegenüber die NSDAP erstaunlich scharf kritisierte. Er versicherte mir wiederholt, dass er manche Angriffe auf die Korruption von Weimar bedaure, sie sei von der gegenwärtigen der Herren Göbbels [sic] usw. weit übertroffen. Und heute könne man nicht mehr, wie damals, öffentlich kritisieren. Als ich ihm vor meiner Ausreise Lebewohl sagte, beglückwünschte er mich. ‚Seien Sie froh, dass sie aus Deutschland rauskönnen‘“.

Er sei bereit, schloss Wittfogel, „diese Feststellungen zu beeiden“. Vielleicht könnten sie „helfen, das Bild einer umstrittenen Persönlichkeit zu klären“. Wittfogel und von Leers hielten in den Jahren nach Kriegsende regen Briefkontakt. In einem undatierten Schreiben an von Leers erläuterte Wittfogel noch einmal seine seinerzeitige Situation im Konzentrationslager, hob die politischen Differenzen zwischen ihm und von Leers hervor und dankte diesem erneut mit emotionalen Worten, so dass auch sie im Zusammenhang hier wiedergegeben werden sollen.336 „Die Tatsache, dass wir einander schreiben“, hieß es in dem Brief, „zeigt ja, dass wir beide der Meinung sind, dass es Ebenen gibt, auf denen sich die beiden Stellungen einander gedanklich gegenüber treten koennen […]. Ich moechte Ihnen heute ganz einfach wiederholen, was ich im Winter 1933 Ihnen bereits sagte: naemlich, dass ich mir wohl bewusst bin, was Ihr Eintreten in meiner Sache bedeutet hat. Waere ich damals nicht aus dem Lager gekommen, waere ich vermutlich am 10. März 1934 – oder frueher – gestorben. An dem Tage hatte ich eine schwere Blinddarmentzündung in London, und im KZ waere ich dann sicher draufgegangen. Ich weiss, was ihr Eingreifen in meinem Fall bedeutet hat. Es gehoerte gewiss Mut dazu, grosser Mut, so etwas damals für einen nicht ganz unbekannten Kommunisten zu tun. Als ich zu Ihnen kam, nach der Freilassung, haben Sie meine Wuerde nicht verletzt, sondern mit mir wie ein Gleicher 336

IfZ, Archiv, ZS-3084-4. Zu weiterem Schriftverkehr vgl. Finkenberger, Johann von Leers, S. 531.

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Experten der theoretischen und praktischen Judenverfolgung zum Gleichen gesprochen, auf Grund alter Wurzeln in der Jugendbewegung, und offenbar auch, weil Sie zu der Gruppe gehoerten, die auf eine „Zweite Revolution“337 hoffte. Was immer Sie bewegte, einen schwer bedrohten und fremden Menschen aus dem Lager zu holen – ich danke Ihnen heute dafuer, wie ich es damals tat. Und ich denke, ich habe Sie nicht betrogen. Ich habe mich nicht als etwas ausgegeben, was ich nicht war. Und Sie haben – uns beiden zur Ehre – mich nicht in eine demuetigende Rolle hineinzuzwingen versucht. Nochmals Dank, auch dafuer“.

Im Jahre 1950 verließ Johann von Leers mit einem gefälschten Pass Hamburg per Schiff in Richtung Buenos Aires. Wenige Wochen später folgte ihm seine Familie. In der argentinischen Hauptstadt, die damals eine große Zahl ehemaliger Nationalsozialisten beherbergte, fand von Leers schnell ein Auskommen bei der im dortigen, rechtsextremen „Dürer Verlag“ herausgegebenen Monatsschrift „Der Weg“. Er machte aus ihr ein „Schulungsorgan im Geiste der SS“, nachdem sie zuvor als eher betuliches Blatt für Auslandsdeutsche mit nationaler Grundhaltung und einer Auflage von ca. 2000 Exemplaren in ganz Südamerika Verbreitung gefunden hatte.338 In Buenos Aires gehörte von Leers dem dort 1952 gegründeten „Kameradenwerk“ früherer Nationalsozialisten an, als deren offizieller Sprecher Konstantin Freiherr von Neurath, der Sohn des ehemaligen Reichsaußenministers, fungierte. Nach einer Meldung der „Welt am Sonntag“ vom 14. September 1952 lag die tatsächliche Führung des Kameradenwerks jedoch in den Händen von Ex-SS-Obersturmbannführer Kurt Christmann. Nach dem Sturz des argentinischen Präsidenten Juan Peron im Jahre 1955 siedelte von Leers mit seiner Familie nach Ägypten um. Zum Abschiedsfest in Buenos Aires erschienen noch einmal die Größen der nationalsozialistischen Diaspora am La Plata: Der Verlagsleiter des „Wegs“, Eberhard Fritsch ebenso wie Hans-Ulrich Rudel, der erfolgreichste Kampfpilot des Zweiten Weltkrieges und unbeirrbare Hitler-Anhänger. Selbst die weltweit gesuchten Kriegsverbrecher Adolf Eichmann und Josef Mengele, die beide unter falschem Namen in Argentinien lebten, wollten sich eine persönliche Verabschiedung von der Familie von Leers nicht nehmen lassen.339 In Kairo angekommen, lebte die Familie zunächst weitgehend inkognito. Die „Entdeckung“ Johann von Leers’ erfolgte dann durch Recherchen der Journalisten William Stevenson vom „Toronto Star“

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Mit diesem Begriff verband sich für viele SA-Führer und Angehörige des „linken“ sog. StrasserFlügels in der NSDAP die Erwartung auf eine Fortführung der gesellschaftlichen Umwälzung in Deutschland nach der „Machtergreifung“ 1933, an der Hitler jedoch nicht gelegen war. Mit der Niederschlagung des sog. Röhm-Putsches vom 30. Juni 1934 fanden die Gedankenspiele um eine „zweite Revolution“ ein Ende. Vgl. Finkenberger, Johann von Leers, S. 533. Vgl. Holger Meding, „Der Weg“, Berlin 1997, S. 134, hier nach Sennholz, Johann von Leers, S. 313.

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und Anne Sharpley vom Londoner „Evening Star“ irgendwann im Jahre 1956.340 Die genauen Umstände des Wechsels von Leers’ nach Nordafrika liegen im Dunkeln. Zumindest erleichtert haben dürfte den Wechsel von Leers in die arabische Welt die Tatsache, dass er mit einer in der Forschung bislang kaum beachteten und bereits 1936 ins Arabische übersetzten Hitler-Biografie eine Art Visitenkarte vorlegen konnte. Dem 181 Seiten umfassenden und mit einigen Illustrationen ausgestatteten Werk mit dem Titel „al-Za‘im Hitlir“, das in einem Kairoer Verlag erschienen war, lag vermutlich von Leers deutschsprachige Hitler-Biografie aus dem Jahre 1932 zugrunde, die mehrfach wieder aufgelegt und erweitert worden war.341 Mitarbeiter der Arabischen Liga, die sich z. T. im Dunstkreis des Muftis al-Husseini bewegten, dürften bei dem Wechsel der Familie von Leers von Buenos Aires an den Nil mitgewirkt haben. Nach Martin Finkenberger spielte der Plan einer Wiederbelebung der Zeitschrift „Weltdienst“ in Kairo eine wesentliche Rolle. Im Einflussbereich des „Amtes Rosenberg“ hatte sie sich zwischen 1933 und 1944 dem weltweiten Antisemitismus verschrieben. Von Leers als ausgewiesener Antisemit sollte nun am Nil für dieses Projekt tätig werden. Als Mittelsmann für das Projekt, aus dem dann offensichtlich nichts wurde, fungierte ein Ägypter namens Mahmoud Saleh, der sich in den dreißiger Jahren in Berlin aufgehalten haben soll und seit dieser Zeit wahrscheinlich mit von Leers in Kontakt stand. Nach einem Intermezzo im britischen Mandatsgebiet Palästina eilte ihm der Ruf voraus, „ausgesprochen deutschfreundlich, antibritisch und judenfeindlich“ zu sein.342 Nach dem Zweiten Weltkrieg unterhielt Saleh Verbindungen zu Antisemiten in ganz Europa, von denen er sich Material für seine judenfeindlichen Schriften erhoffte. Als Johann von Leers sich in Kairo etabliert hatte, verschaffte Saleh ihm Arbeit; insbesondere dürfte von Leers Propagandaschriften übersetzt haben, außerdem soll er für den Sender „Voice of the Arabs“ tätig gewesen sein. Mahmoud Saleh spielte auch den Gastgeber für Savitri Devi, die gebürtige Französin, die Hitler verehrte und von einer Symbiose zwischen Hinduismus und Nationalsozialismus träumte. Auf einer Rückreise von Europa nach Indien im Jahre 1957 legte sie am Nil einen Zwischenstopp ein, um Johann von Leers zu treffen. Saleh nahm Savitri Devi im Stadtteil Maadi für eine Nacht bei sich auf, da sein Nachbar von Leers sein Haus bereits voller Gäste hatte.343 Doch

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Vgl. Stevenson, Bormann Brotherhood, S. 157f. Adolf Hitler bzw. Reichskanzler Adolf Hitler, Berlin, Verlag Kittler, 128 Seiten. Dieses Buch wie auch die arabische Biografie Hitlers aus der Feder von Leers werden im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek, Leipzig/ Frankfurt am Main, nachgewiesen. Bei den Angaben der Bibliothek zu dem Werk in arabischer Sprache findet sich hier hinter der Jahreszahl 1936 als Erscheinungsdatum ein Fragezeichen. Bericht der deutschen Botschaft in Kairo vom 16. März 1960, hier nach Finkenberger, Johann von Leers, S. 538. Vgl. Nicholas Goodrick-Clarke, Hitler’s Priestess, New York 1998, S. 177.

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in den nächsten Tagen fand von Leers Zeit, sich mit Devi bei Spaziergängen auf der palmengesäumten Esplanade am Ostufer des Nils zu unterhalten. Er gab ihr auch Kontaktadressen für die Weiterreise in anderen Metropolen des Nahen Ostens – angeblich solche von früheren SS-Granden, die nun in Damaskus und Bagdad lebten. Leider habe sie diese dann vor Ort nicht angetroffen, weil sie angesichts der Sommerhitze das Weite aus den Metropolen heraus gesucht hätten.344 Zum Mittagessen bewirtete von Leers in Maadi eine Zeitlang einen Gesinnungsgenossen, der sich zwar nicht im „Dritten Reich“, dafür aber in der Bundesrepublik einen Namen als Antisemit gemacht hatte: Ludwig Pancraz Zind, ein Studienrat aus Offenburg, hatte 1957 in einer dortigen Gaststätte einem ortsansässigen Textilhändler, der sich als Jude zu erkennen gegeben hatte, ins Gesicht gesagt: „Meiner Meinung nach sind noch viel zu wenig Juden vergast worden“345. Im Verlauf eines sich daran anschließenden Schlagabtausches mit anderen Gästen in dem Gasthof erklärte Zind, „Israel gehört ausradiert und wird ausradiert“. Auf die Nachfrage des Textilhändlers, wie er das meine, antwortete Zind: „Ich sehe das mit den Augen des Arabers an“346. Nach intensiver Berichterstattung insbesondere des „Spiegels“ über den Vorfall, wurde Zind disziplinarrechtlich belangt und zu einem Jahr und einem Tag Gefängnis verurteilt. Ihm gelang jedoch die Flucht nach Ägypten, bei der wahrscheinlich Johann von Leers eine Rolle gespielt hat. In Kairo wohnte er bei dem ehemaligen KZ-Arzt Hans Eisele. Zind hielt es jedoch nicht lange bei den Pyramiden, und er zog nach Libyen weiter, wo er eine Stelle als Sportlehrer fand. In dieser Zeit reiste er immer wieder in die Bundesrepublik, wo er

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Um die Atmosphäre der angeblich von geflohenen Nationalsozialisten bevölkerten ägyptischen Hauptstadt zu illustrieren, lässt auch Goodrick-Clarke eine Reihe der uns mittlerweile geläufigen, aber nie verifizierten Figuren aus den erwähnten „Nazi-Listen“ aufmarschieren. An die Auffassung Kurt P. Taubers, wonach in dieser Hinsicht sehr viel einfach immer nur wieder kopiert aber nicht geprüft werde, erinnert die Wiedergabe des persönlichen ersten Eindrucks, den Savitri Devi angeblich bei ihrer Begegnung mit von Leers gewonnen habe. „Der weißhaarige Mann mit den rosa Wangen und den strahlend blauen, marmorartigen Augen erhob sich, um Savitri Devi zu begrüßen […]“. Ebd. Der Journalist William Stevenson hatte Jahre zuvor seine eigene erste Begegnung mit von Leers in Kairo wie folgt geschildert: „[…] drinnen saß ein weißhaariger Mann mit rosa Wangen und strahlend blauen, marmorartigen Augen“. Stevenson, Bormann Botherhood, S. 157. Meine Übersetzungen aus dem Amerikanischen, A. H. Das Zitat in: Der Spiegel Nr. 35 vom 21. August 1967, „Der Chef trägt niemals ein Jackett. Sefton Delmer über Israels Geheimdienst Schin Beth“. Aus diesem Bericht des britischen Journalisten und antideutschen Propagandisten im Zweiten Weltkrieg wird deutlich, dass der israelische Geheimdienst Shin Beth die Briefkorrespondenz von Leers’ mit dem rechtsextremistischen Publizisten KarlHeinz Priester in Wiesbaden überwachte. Darin fand sich u. a. folgende Mitteilung von Leers’: „Zind kommt alle Tage zu uns zum Mittagessen; ein tapferer, gerader Mann“. Ebd., S. 90. Zu Zind hier vor allem: Frank Flechtmann, Ludwig Pancraz Zind: „Im Übrigen bin ich stolz darauf …“. Der Sputnik, Rosemarie Nitribitt und der Fall Zind, in: Wolfgang Proske (Hg.), Täter, Helfer, Trittbrettfahrer, Bd. 9, Gerstetten 2018, S. 418. Vgl. auch Eichmüller, Generalamnestie, S. 213f. Vgl. Der Spiegel Nr. 51 vom 18. Dezember 1957, „Israel wird ausradiert“.

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es sich auch nicht nehmen ließ, durch das Bonner Bundestagsgebäude zu spazieren. Zind starb 1973 in Offenburg. Als Dr. Omar Amin von Leers konvertierte der getaufte Protestant im Jahre 1957 zum Islam.347 Vor seinem Tod im Jahre 1965 veröffentlichte er im Februar 1964 noch eine autobiografische Erklärung mit dem Titel „Warum ich Muslim wurde“, die zunächst in der Kairoer Zeitung „Minbar al Islam“ (Kanzel des Islam) erschien und von der deutschen Botschaft in Kairo ins Deutsche übersetzt wurde.348 In diesem Stück erläuterte von Leers zunächst die Gründe für seine Abwendung von der evangelischen Kirche im Jahre 1932 („Christentum als jüdische Sekte“). Anschließend behauptete er, dass sich die christlichen Kirchen auf dem Wege des moralischen Verfalls befänden, so dass sie zu „Verbündeten des internationalen Zionismus und zum Medium der israelischen Propaganda“ wurden.349 Von Leers sprach sich in seiner Erklärung für die Ersetzung des „Judeo-Christentums“ durch den Islam aus. Wenig bescheiden forderte er eine Initiative, welche den Sieg des Christentums über den Islam anlässlich der Schlacht von Poitiers im Jahre 732 rückgängig machen und die einen Prozess zur schnelleren Islamisierung Europas auslösen sollte. Bitterkeit habe ihn als Student der Geschichte überkommen, so der Autor, als er Karl den Großen als Urheber der Christianisierung der Deutschen habe kennenlernen müssen. Ohne ihn hätte die Möglichkeit bestanden, dass „wir unsere“ vorchristliche Religion hätten entwickeln können. Folglich sei es ein Unglück, dass der „Tyrann Karl Martell“, der Sieger von Poitiers, die Muslime aus Spanien vertrieben habe, die eine höhere Kultur für die deutschen Stämme hätten bringen können. Von Leers stand auch unter Beobachtung der amerikanischen CIA. Ende Oktober 1957 beschäftigte sich ein Bericht des Geheimdienstes mit von Leers Konversion zum Islam. Er entwickle sich mehr und mehr zu einem Zeloten, zu einem religiösen Eiferer also, hieß es in einer Meldung vom 24. Oktober. Die von ihm geforderte Ausdehnung des Islams nach Europa solle einer stärkeren Einigkeit unter den Europäern infolge einer einheitlichen Religion dienen. Die Expansion resultiere nach von Leers’ Auffassung nicht allein durch den Kontakt mit den Arabern im Nahen Osten und in Afrika, sondern auch durch Verbindungen zu islamischen Elementen in der Sowjetunion. Im Ergebnis schwebe ihm ein politischer Block vor, gegen den weder Ost noch West bestehen könnten. Die CIA-Meldung versäumte nicht darauf hinzuweisen, dass führende ägyptische Nationalisten wenig begeistert von dem Konvertiten Omar Amin

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Mit Omar meinte er offenbar einen besonders judenfeindlichen Kalifen und mit Amin seinen Freund und Gönner Hadj Amin al Husseini, den Mufti, ehren zu müssen. Vgl. Sennholz, Johann von Leers, S. 326. Vgl. Joel Fishman, The Postwar Career of Nazi Ideologue Johann von Leers, in: Jewish Political Studies Review, 26, 2016, No 3 & 4, S. 62. Diese und weitere Rückübersetzungen aus dem englischen Text Fishmans, A. H., nach ebd., S. 63.

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Leers seien, denn diese Art religiösen Eifers rücke ihn in die Nähe der Muslimbruderschaft.350 Johann von Leers, der im Übrigen zeitweilig vom Bundesnachrichtendienst unter den Decknamen „Nazi-Emi“ und „Hannes“ als politische Quelle mit der Registriernummer V 12 859,1 geführt wurde351, ist in seiner propagandistischen Wirksamkeit am Nil nur schwer zu beurteilen. Dies betrifft sowohl seine Propagandaschriften als auch seine Arbeit für den Radiosender. Noch im Oktober 1957 stufte die CIA seinen Einfluss auf die ägyptische Politik als „low“ ein, um nur 18  Monate später in einem Bericht vom 27.  März 1959 zu einem anderen Urteil zu kommen. Danach sei von Leers „der einflussreichste Deutsche in Kairo“.352 Ein weiterer CIABericht – vermutlich aus dem Jahre 1958 – stellte fest, von Leers sei derzeit „the first-ranking German in terms of confidence“353. Kriterium für das Maß an „Vertrauen“ war dabei für die CIA von Leers’ Status einer persona grata bei mindestens sechs hochrangigen Mitgliedern der politischen Klasse Ägyptens.354 Präsident Nasser hingegen ist von Leers wahrscheinlich nie begegnet. Ob es sinnvoll ist, die Memoiren des israelischen „Champagnerspions“ in Kairo, Wolfgang Lotz, als Beleg für von Leers’ Einfluss in Ägypten heranzuziehen, steht dahin. Joel Fishman unternimmt diesen Versuch, indem er jene Szene aus den Erinnerungen von Lotz heranzieht, in der Lotz eine abendliche Einladung für seine Frau Waltraud und sich bei den von Leers schildert, ohne dass deutlich würde, was die Schilderung des Smalltalk zwischen den Ehepaaren und das angeblich abschließende gemeinsame Singen des Horst-Wessel-Liedes über den Einfluss von Leers aussagt.355 Johann von Leers gehörte auch zu den „Kunden“ des eingangs erwähnten israelischen Spions in Kairo, Horst J. Andel alias Aharon Moshel, zu jenen Personen also, denen Moshel sich auftragsgemäß zuwenden musste. Dies tat er des Öfteren, wie er in seinem Erinnerungsband „Die Viper“ berichtet, im „Münchner Löwenbräu“, wo nach seinen Recherchen die deutschen und österreichischen „Nazi-Flüchtlinge“ verkehrten, während die Flugzeug- und Raketentechniker alkoholgetriebene Entspannung vorzugsweise im damals noch recht neuen „Sahara Club“ bei den Pyramiden von Gizeh gesucht hätten. Das legendäre „Cafe Groppi“ in der Kairoer City, von dem Generalfeldmarschall Rommel bei El-Alamein in Erwartung seines erfolgreichen Feldzuges meinte, er werde dort einen Tee trinken, bot sich hingegen als Treffpunkt für alle Expats an.

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Ebd. Vgl. Martin Finkenberger, Tarnname „Nazi-Emi“, in: der rechte rand, Ausgabe 155, Juli/August 2015: Permalink: https://www.der-rechte-rand.de/ausgaben/ausgabe-179/. Fishman, Career, S. 65. Ebd. Ebd. mit Nennung der Namen und Funktionen. Ebd., S. 66.

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Nach Moshel war von Leers zeitweilig auch für die Zensur solcher Post in Diensten der ägyptischen Regierung tätig, die aus Deutschland und Österreich einging. Einmal habe er großes Glück gehabt, berichtet Moshel in seinen Memoiren, denn ein an ihn gerichteter Brief des früheren stellvertretenden amerikanischen Hauptanklägers bei den Nürnberger Prozessen, Robert M. W. Kempner, sei von der Zensur übersehen worden. In dem Schreiben habe Kempner „um Adressen der in Kairo untergekrochenen ehemaligen Nazigrößen“ gebeten. „Der Brief hätte mir sehr schaden können“, heißt es in der „Viper“.356 Von Leers vergaß für seine antijüdische und antiisraelische Agitation auch seine ehemalige Wirkungsstätte in Buenos Aires nicht. Im Jahre 1957 veröffentlichte er in „Der Weg“ einen Beitrag, in dem er sich mit einem Solidaritätsappell von Christen in der Bundesrepublik zugunsten Israels wenige Tage nach dem Ende des von Israel begonnenen Suezkrieges auseinandersetzte.357 Dabei machte er sich zunächst die Mühe, den Appell mit den Namen sämtlicher rund 50 Unterzeichner wörtlich wiederzugeben. Als Quelle diente ihm die Ausgabe der „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland“ vom 30. November 1956. Formal beklagte von Leers in seinem Beitrag den „vorgeschriebenen 1945er bußfertigen Selbstanklage-Stil“ des Aufrufes, inhaltlich warf er Israel brutalen Expansionismus im Nahen Osten vor, der ein „jüdisches Imperium vom Nil bis zum Euphrat“ erstrebe. Darüber hinaus sei es „unwahr, daß das europäische Judentum ‚zu zwei Dritteln ausgemordet‘“ sei – „richtig ist, daß der größte Teil des europäischen Judentums teils nach Amerika auswich, teils sich erhielt, daß die Juden auch nicht ‚ausgemordet‘ wurden, sondern nur ein Teil von ihnen im Zuge der Bekämpfung jüdischer Partisanen-Verbände im Osten vernichtet worden ist“. Von Leers wiederholte dann noch einmal seine Behauptung, wonach eine „Ausrottungsaktion der Nationalsozialisten“ in der behaupteten Größenordnung „völlig unbewiesen“ sei, und die Verfasser des Appells wüssten dies auch. Der Autor referierte einige angebliche Gräueltaten der israelischen Armee im Sinai und plädierte nachdrücklich für eine Hinwendung der Deutschen zur muslimischen Welt – dies auch deshalb, weil Deutschland die große Zahl muslimischer Staaten bei den Vereinten Nationen benötigen werde, wenn es einmal um die Wiedervereinigung Deutschlands gehe. Wie Martin Finkenberger festgestellt hat, manövrierte sich Johann von Leers je länger desto mehr ins publizistische Abseits, weil seine Artikel in ihrer antiisraelischen Raserei sogar rechtsextremen Blättern in der Bundesrepublik offenbar nicht mehr vermittelbar erschienen. Selbst der einflussreiche, rechtsextreme Verleger Gerhard Frey sprach nach einer Begegnung mit von Leers in Kairo im Jahre 1963 von „recht verworrenen Vorstellungen“ seines

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Moshel, Viper, S. 187. Johann von Leers, Das blies ihnen der Teufel ein, in: Der Weg, 11, 1957, S. 173–178.

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Gesprächspartners.358 Frey, der, wie berichtet, auf den Spuren der „Faschistischen Internationale“ am Nil wandelte, hatte von Leers kurz vor seinem bereits erwähnten Besuch bei Hans Eisele gesprochen, die beide nur wenige Straßenzüge voneinander entfernt in Maadi lebten, ohne sich jedoch zu grüßen, wie Frey berichtet. Sein Porträt Johann von Leers zeichnete diesen durchaus nicht unkritisch: Zwar sei ihm von Leers in seiner schönen Wohnung als überzeugter Muslim begegnet, der „sein Glück unentwegt und um einige Nuancen zu stark“ betont habe, doch bewege sich von Leers eben in einem eindeutig europäisch geprägten Ambiente, zu dem ein großangelegter, schattiger Garten“ gehöre, während er gleichzeitig von Islam und Orient schwärme. Frey zufolge räumte von Leers in ihrer Unterhaltung ein, dass „Führerstaat und Rassismus“ der Vergangenheit angehörten und dass der „grossdeutsche Gedanke“ nicht mehr auf den Staat, sondern auf die Nation ziele. Frau von Leers, die dem Gespräch beiwohnte, sprach laut Frey eher von einer „Faschistischen Vogelscheuche“ anstatt von einer Faschistischen Internationale. Ihr Mann selber habe die Vogelscheuche durch „ein paar dumme Aussprüche und Briefe“ aufgerichtet, und sie habe in Wahrheit zur Isolation ihrer Familie in der deutschen Gemeinde Kairos geführt. Sie bezeichnete die Nationalsozialisten indirekt als „Mörderbande“, warf aber gegenüber Frey den in Ägypten tätigen deutschen Firmen vor, nun ihrerseits „Sippenhaft“ zu betreiben, weil niemand ihrer Tochter eine Anstellung geben wolle.359 Auch die in Coburg herausgegebene rechtsextreme Zeitschrift „Nation Europa“ fasste Manuskripte von Leers’ nur mit spitzen Fingern an. Dem „Wiener Library Bulletin“ fiel 1961 auf, dass Nation Europa eine „Richtigstellung“360 von Leers in der kleinstmöglichen Type abgedruckt hatte, offenbar, so das Bulletin, um sich von dem „Lügengespinst“ (tissue of lies) von Leers’ in seiner Richtigstellung zu distanzieren.361 Johann von Leers zeigte sich in diesem Beitrag getroffen von den ständigen Angriffen der letzten Jahre gegen ihn. In fünf Punkten versuchte er, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu entkräften. Im ersten Punkt ging es um „fanatischen Rassenhass und Antisemitismus“, der ihm zur Last gelegt werde. Er hasse weder „die semitische arabische noch die schwarzen, gelben und braunen Rassen“, zu denen er „seit Jahrzehnten beste Beziehungen“ unterhalte, behauptete er. Er sei aber ein „konsequenter Gegner des Weltzionismus“, worin er sich einig wisse „mit großen Teilen des Judentums“. Er sei überzeugt, dass keiner der „wirklichen Verbrechen überführten Nazis oder SS-Angehörigen je einen Artikel geschweige denn ein Buch“ von ihm gelesen habe. Für die Wahl des Titels seiner berüchtigten Broschüre „Juden sehen Dich an“ aus dem Jahre 1933 bot er eine originelle Erklärung: Sie sei „ausgelöst“ worden 358 359 360 361

Vgl. Finkenberger, Johann von Leers, S. 543. DNSZ, 24. Mai 1963, „Die ‚Faschistische Internationale‘ in Kairo“. Nation Europa, 11. April 1961, S. 68. The Wiener Library Bulletin, XV, 2, 1961, S. 35.

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durch Kurt Tucholskys Buch „Deutschland, Deutschland über alles“, in dem auf „Seite 63 acht verdiente deutsche Generäle“ mit der Unterschrift „Tiere sehen Dich an“ abgebildet seien.362 In seinem zweiten Punkt ging es um die Beschuldigung, er, von Leers, sei der „gefährlichste Judenhetzer der arabischen Länder“. Diese gehe ebenso ins Leere wie die ständig wiederholte Behauptung, er sei die „Seele von Goebbels“ gewesen. Tatsächlich sei er 1935 von Goebbels aus seiner „Stellung als Leiter der akademischen Abteilung der Hochschule für Politik fristlos entlassen worden“. Der Grund dafür habe in seinem unüberbrückbaren Gegensatz zur Russlandpolitik des Reiches gelegen. Während er, von Leers, im „Sinne Bismarcks eine deutsch-russische Zusammenarbeit“ angestrebt habe, sei diese Richtung von Alfred Rosenberg und seinem „antirussischen Referenten Bräutigam“ bekämpft worden. Im Übrigen sei er keineswegs „Chef des Propagandabüros von Nasser“, und überhaupt übe er keine politische Tätigkeit in Ägypten aus. Unter Punkt drei wies er die Behauptung der „Weltpresse“ zurück, er sei „Leiter einer weltweiten antijüdischen, faschistischen Organisation und zum Leiter einer Ortsgruppe Kairo befördert“ worden. Von „beiden Einrichtungen“ sei ihm nichts bekannt. Der vierte Punkt befasste sich mit der „Verbreitung“ von angeblichen Absichten des israelischen Premierministers Ben-Gurion, denen zufolge er an „die Spitze einer Liste von ‚Naziverbrechern‘ in arabischen und anderen Ländern“ gesetzt worden sei, die es noch aufzuspüren und zu ‚kidnappen‘ gelte. Er habe Adolf Eichmann nie gekannt, beteuerte von Leers, und dessen Namen erstmals 1955 in Buenos Aires gehört. Dort habe er einmal kurz mit ihm gesprochen „und versucht, von ihm die historische Wahrheit über die Zahl der in den KZ gestorbenen Juden zu erfahren, er gab aber darüber keinerlei Auskunft“. Im letzten, fünften, Punkt wurde von Leers dann ganz pragmatisch. Wenn „die Presse sich damit beschäftige, wer mir meinen Paß verlängert hat“, laute seine Antwort: „Auf dem völlig normalen Dienstweg, weil ich als deutscher Staatsbürger Anspruch auf einen Paß habe“, 362

Bei der Abbildung handelte es sich um eine Collage von John Heartfield. Im Jahre 1928 veröffentlichte der Tierbuchautor Paul Eipper seinen später in der NS-Zeit und danach auch in der Bundesrepublik immer wieder aufgelegten Bestseller „Tiere sehen Dich an“, über den 1943/44 auch ein gleichnamiger Film produziert wurde. Es scheint, dass in der Bundesrepublik der von verschiedenen Verlagen herausgegebene Eipper-Titel mit seiner Analogie zu der von Leers-Broschüre als unproblematisch angesehen wurde bzw. die Verbindung zwischen der Heartfield-Collage in dem Tucholsky-Buch und dem von Leers-Titel unbekannt war. Letzteres war offenbar auch noch bei dem im Jahre 2010 in zweiter Auflage erschienenen Band mit Essays und Reden des Philosophen und Schriftstellers Hans Wollschläger mit dem Titel „Tiere sehen Dich an“ der Fall. Auch der Untertitel „Das Potential Mengele“ mutet heute, in Kenntnis der Verbindung dieses Titels zu der von Leers-Schrift, peinlich an. Wollschläger stellt in seinem rund 170 Seiten umfassenden Essay, in dem es vor allem um Tierversuche geht, keinerlei Bezug zu von Leers her; in den vom Verlag angefügten „Nachweisen“ findet sich auf Seite 329 zwar ein Hinweis auf eine Verbindung zwischen den Büchern Tucholskys und Eippers, nicht jedoch auf die Schrift Johann von Leers’. Vgl. Hans Wollschläger, „Tiere sehen Dich an“, Göttingen (2) 2010.

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ebenso wie einen Anspruch „auf meine Pension“, schloss er seine fünfteilige Richtigstellung. Abgesehen davon, ob die letztgenannte Behauptung einer verwaltungsrechtlichen Prüfung in der Bundesrepublik standgehalten hätte, erkennt man hier das Motiv von Leers für seinen Angriff auf seine Kritiker: Er wünschte in die Heimat zurückzukehren.363 Den propagandistischen Vogel schoss von Leers vermutlich mit einer Broschüre über den Jerusalemer Eichmann-Prozess von 1961 ab, die den Titel trug: „Der Eichmann-Schauprozess soll die atomare Aufrüstung gegen die arabischen Länder finanzieren helfen“364. Demnach sei Eichmann, so Finkenberger aus der Broschüre zitierend, ein zionistischer Jude gewesen, der sich in die SS eingeschmuggelt habe, um in den dreißiger Jahren die Auswanderung der Juden aus Deutschland zu organisieren. Der Prozess gegen Eichmann diene der finanziellen Erpressung Westdeutschlands, damit der „verbrecherische Raubstaat Israel“ seine atomare Aufrüstung gegen die arabischen Staaten finanzieren könne. Es folgte dann die Wiederholung der These vom jüdischen Imperium im Nahen Osten, das Tel Aviv angeblich anstrebe. Das Verfahren gegen Adolf Eichmann sei eines der „größten Schwindelunternehmen der Weltgeschichte“ und die „Ouvertüre zum Dritten Weltkrieg“, wenn die Völkergemeinschaft der Welt nicht im letzten Moment einschreite und den „wirklichen Weltfeind und Friedensstörer unschädlich“ mache.365 Apropos Israel: Im Gefolge der Entdeckung von Leers in Ägypten interessierte sich seit 1959 auch der israelische Geheimdienst Shin Beth für dessen Aktivitäten am Nil. Zwar galt von Leers nicht als besonders gefährlich – im Gegensatz zu den deutschen und österreichischen Raketenexperten dort  – doch war er immerhin ein prominentes Mitglied der dortigen tatsächlichen oder imaginierten „Nazi-Kolonie“. In enger Kooperation mit deutschen Behörden konnten, wie bereits erwähnt, Kopien des Schriftwechsels zwischen von Leers und dem rechtsextremen Wiesbadener Verleger Karl-Heinz Priester beschafft werden. Es war der Champagnerspion und Pferdezüchter Wolfgang Lotz, der für seine israelischen Auftraggeber das Material ermittelte. Lotz hatte den Kontakt zur Familie von Leers mittels Reitunterrichts für deren Tochter Gesine – „Geschi“ – hergestellt. Nachdem sich Lotz jedoch von den bescheidenen Lebensverhältnissen und der „politischen Situation der Familie“ ein Bild gemacht hatte, habe er den Kontakt abgebrochen.366 Ende der fünfziger Jahre geriet der Fall von Leers kurzzeitig auch in die Mühlen der deutschen Innenpolitik. Die SPD nutzte ihr Magazin „Vorwärts“, um mit ihren Kenntnissen über von Leers die Regierung Adenauer und speziell das Auswärtige Amt unter der Leitung Heinrich von Brentanos anzugreifen. Der Vorwurf des 363 364

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Zur „Erklärung“ von Leers vgl. auch Finkenberger, „Während“, S. 94, Anm. 25. Vgl. Finkenberger, Johann von Leers, S. 541. Die Broschüre war anonym erschienen, sie trage jedoch die „Handschrift“ von Leers, schreibt Finkenberger. Ebd. Mitteilung Geschi von Leers an Marco Sennholz vom 16. Februar 2006. Vgl. Sennholz., Johann von Leers, S. 336.

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Vorwärts vom 13. Februar 1959 lautete, im AA sei man entweder nicht willens oder aber unfähig, die Meldungen des Informationsdienstes der dpa zu lesen, der einiges über von Leers zu berichten habe. So veröffentlichte laut Vorwärts die Zeitschrift des Bundesverbandes der Deutschen Arbeitgeber, „Der Arbeitgeber“, im Jahre 1952 einen Artikel von Hans A. Euler mit der Überschrift „Was bedeutet Eva Peron für Argentinien?“. Dass sich hinter dem Pseudonym Euler in Wahrheit Johann von Leers verbarg, habe der Informationsdienst, der auch im AA zur Verfügung stehe, seinen Lesern mitgeteilt. Laut dem Vorwärts zeigte sich der Bundesverband „peinlich berührt“. Einen Monat später, so das SPD-Magazin, sei in Buenos Aires in „Der Weg“ ein von Johann von Leers gezeichneter Beitrag erschienen, in dem nicht nur die Wiederkehr der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland prognostiziert, sondern auch ein nicht ganz unbedeutender Beamter des AA denunziert worden sei: Rudolf Holzhausen, seit 1954 erster Botschafter der Bundesrepublik in der Südafrikanischen Union, sei, so die „Entdeckung“ von Leers’, mit der jüdischen Nichte des ehemaligen Reichsaußenministers Walther Rathenau verheiratet. Am 5. März 1965 verstarb Johann von Leers mit nur 63 Jahren nach kurzer Krankheit in Kairo. Seine Frau Gesine ließ die sterblichen Überreste seinem Wunsch gemäß nach Deutschland überführen, wo sie auf dem Friedhof von Schutterwald im Ortenaukreis beigesetzt wurden.367

Der Praktiker: Alois Brunner Handelte es sich bei Johann von Leers geradezu um den Prototypen eines antisemitischen Agitators, stellte der im Jahre 1912 im burgenländischen Rohrbrunn (ungarisch Nadkut) geborene, ehemalige SS-Hauptsturmführer Alois Brunner – zur Vermeidung einer Verwechslung mit einem anderen Nationalsozialisten namens Anton Brunner auch „Brunner I“ genannt – den praktischen Verfolger europäischer Juden par excellence dar. Das Vienna Wiesenthal Institute macht ihn für die Ermordung von rund 130 000 jüdischen Menschen verantwortlich.368 Da Brunner wahrscheinlich nur in geringem Maße für seine arabischen „Gastgeber“ gearbeitet hat, soll sein Fall an dieser Stelle nicht allzu ausführlich erörtert werden.369 Brunner in unserem Zusammenhang völlig zu ignorieren, ist jedoch auch kaum möglich. 367 368

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Ebd., S. 347. Vgl. Deutscher Bundestag, 18. Wahlperiode, Drucksache 18/3777. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jan Korte, Sevim Dagdelen, Ulla Jelpke und weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 18/3599 – Suche nach dem Kriegsverbrecher Alois Brunner, S. 1. Vgl. ausführlich dazu: Georg M. Hafner und Esther Shapira, Die Akte Alois Brunner. Warum einer der größten Naziverbrecher noch immer auf freiem Fuß ist, Frankfurt am Main 2000 sowie den

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Nach der Volksschule trat Alois Brunner bereits mit 19 Jahren in die NSDAP und wenig später in die SA ein. Über Stationen in Graz und Augsburg kam er 1938 nach Wien sowie vorübergehend in die burgenländische Hauptstadt Eisenstadt. In Wien wurde er Mitglied der SS und arbeitete unter Adolf Eichmann in der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“, die nach dem „Anschluss“ Österreichs die Deportation der jüdischen Bevölkerung aus der Donaumetropole betrieb. Brunner erwarb sich den Ruf eines Spezialisten für Ausraubung und Deportation seiner Opfer. Zusammen mit seinen Gefolgsleuten ließ er bis 1942 etwa 50 000 Menschen aus Wien in die Konzentrationslager verschleppen.370 Im Oktober 1942 wurde Brunner mitsamt seinem Team nach Berlin versetzt, um nun dort sein Deportationswerk fortzusetzen. Adolf Eichmann, der Brunner seinen „besten Mann“ nannte, schickte ihn 1943 in das von den Deutschen besetzte Saloniki. Als Brunner die zweitgrößte griechische Stadt nach ein paar Monaten wieder verließ, hatte er die alte jüdische Gemeinde der Stadt bis auf ein paar Überlebende vernichtet – fast 50 000 Menschen ließ er in die Vernichtungslager deportieren. Vom Juli 1943 bis August 1944 setzte er sein Werk in Frankreich fort. Von Drancy aus, einem Vorort von Paris, gingen unter seinem Kommando 22 Menschentransporte per Bahn nach Auschwitz. Anschließend machte er mit Erpressung und Gewalt Jagd auf Juden, die sich in Südfrankreich versteckt hielten. Noch im Juli 1944, im Angesicht der zurückweichenden Wehrmacht, ließ Brunner in Paris über 130 jüdische Kinder verhaften und deportieren. Bis Februar 1945 widmete er sich der Zerschlagung der jüdischen Untergrundbewegung in der Slowakei und deportierte ca. 12  000  Menschen nach Auschwitz, ehe das dortige KZ im Januar 1945 von der Roten Armee befreit wurde. Über Brunners Leben nach Kriegsende sind wir nahezu ausschließlich durch ein mittlerweile legendär zu nennendes Interview informiert, das er 1985 einem Journalisten der Illustrierten „Bunte“ in Damaskus gegeben hat.371 Allerdings sind die bei dieser Gelegenheit gewährten Informationen mit Vorsicht zu bewerten, da sie sich kaum durch andere Quellen überprüfen lassen. Unter falschem Namen arbeitete Alois Brunner nach

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diesem Buch vorausgehenden Dokumentarfilm der beiden Autoren, der vom Hessischen Rundfunk produziert wurde: Die Akte B. Alois Brunner – Geschichte eines Massenmörders, 115 Minuten. Die Geschichte seiner privaten Suche nach Alois Brunner schildert der Kabarettist Christian Springer in seinem Buch „Nazi komm’ raus!“ Wie ich dem Massenmörder Alois Brunner in Syrien auf der Spur war, München 2012. Der Titel und der humorvoll gestaltete Schutzumschlag des Buches werden seinem traurigen Gegenstand wohl nicht ganz gerecht. Vgl. burgenland.ORF.at. Burgenland-Magazin, Alois Brunner – ein Leben für Hitler, ausgedruckt am 6. Juli 2020. Bunte, Nr. 45, 46 und 48 (Editorial), 1985. Vgl. dazu auch Hafner/Shapira, Akte, S. 215ff. Um Syrien als Unterstützer Brunners öffentlichkeitswirksam anzuklagen, präsentierte der spätere israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu während seiner Rede vor der UN-Vollversammlung in New York am 30. Oktober 1985 den Delegierten ein Exemplar der Bunten. Ebd., S. 272 mit einem Foto Netanjahus am Rednerpult, das ihn die Illustrierte mit den Händen hochhaltend zeigt.

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dem Zusammenbruch zunächst in München für die Amerikaner, dann zwischen 1947 und 1954 unter dem Pseudonym Alois Schmaldienst als Bergmann in Essen. Wegen seiner Verbrechen in Frankreich verurteilte ihn ein französisches Gericht 1954 in Abwesenheit zum Tode, was seine Flucht in den Nahen Osten ausgelöst haben dürfte. Nach einem Bericht des deutschen Generalkonsulats in Damaskus vom April 1964 kam Brunner 1954 über Kairo in die syrische Hauptstadt.372 Dass Brunner in Kairo Kontakt zum antisemitischen Propagandisten Johann von Leers aufgenommen hat, ist wahrscheinlich; zwar lebte letzterer 1954 noch in Argentinien, doch setzte sich Brunner im Sommer 1960 mindestens noch einmal vorübergehend nach Kairo ab, als ihm der Boden in Damaskus aufgrund von Presseberichten zu heiß geworden war.373 Brunners wichtiger Helfer in Kairo wurde 1954 der Mufti al-Husseini. Beide sollen zusammen etwa im Juni 1943 das Konzentrationslager Auschwitz besucht haben, gesichert sind Begegnungen beider Mitte September 1943 im Hotel Excelsior in Nizza und Mitte Oktober 1944 in Budapest, als al-Husseini der ungarischen Hauptstadt einen Besuch abstattete.374 Da Brunner nur mit einem Touristenvisum mit dreimonatiger Laufzeit nach Ägypten eingereist war, folgte er dem Rat al-Husseinis und zog nach Damaskus weiter, wo er sich als Dr. Georg Fischer niederließ. Hier bestritt er seinen Lebensunterhalt durch Geschäfte, die etwa über das „Kathar Office“ in der Rue Georges Haddad No. 22 und damit unweit seiner Wohnung in derselben Straße oder aber über die „Orient Trading Company“ (Otraco) liefen. Auch für die „Dortmunder Actien Brauerei“ war er geschäftlich unterwegs. Als Mittelsmann in Europa diente ihm sein Schwager Rudolf Schneeweiss in Wien. Als die Syrer misstrauisch wegen hoher Geldüberweisungen nach Österreich wurden, verhafteten sie Brunner unter dem Verdacht des Drogenhandels. Angesichts der drohenden Gefängnisstrafe deckte Fischer seine wahre Identität auf und gab den Judenverfolger aus dem „Dritten Reich“. Der Bunten zufolge drückte ihm der ihn vernehmende Geheimdienstoffizier Lahan daraufhin die Hand und erklärte: „Herzlich willkommen in Syrien, die Feinde unserer Feinde sind unsere Freunde“. Das war der Beginn von Brunners syrischer Geheimdienstarbeit und seiner persönlichen Freundschaft mit Lahan.375 Ungeachtet des Interviews, das Brunner der Bunten gewährt hatte und das mit Text und Fotos keinen vernünftigen Zweifel an seinem Aufenthaltsort gestattete, bestritt die syrische Regierung jegliches Wissen um Alois Brunner auf ihrem Territorium. Auch ein Auslieferungsersuchen von Interpol ließ sie auf diese Weise ins Leere laufen. 372

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Deutscher Bundestag, 18. Wahlperiode, S. 4. Hier die Jahresangabe 1953/54 für den Weg nach Damaskus via Kairo sowie folgende weitere Aliasnamen: (Dr.) Georg (Waldemar) Fischer, Alois Fescoer, Klaus Fischer, Franz Kolar sowie Linden. Irrig hinsichtlich von Leers’ Treffen mit Brunner 1954 in Kairo Barry Rubin und Wolfgang. G. Schwanitz, Nazis, Islamists, and the Making of Modern Middle East, New Haven 2014, S. 225. Ebd. Nach Hafner/Shapira, Akte, S. 236f.

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So führte Brunner in Syrien über viele Jahre ein unauffälliges und insgesamt wohl recht angenehmes Leben, das allerdings zweimal durch ein Attentat empfindlich gestört wurde: Am 13. September 1961 detonierte ein an ihn adressiertes Paket, das er persönlich von der Post abholen wollte. Zwei syrische Postbeamte wurden sofort getötet, Brunner selbst schwer verletzt. Er verlor ein Auge. Wer hinter diesem Anschlag steckte, ist unklar. Ex-Mossad-Chef Isser Harel wies jede Verantwortung seiner Leute für die Tat auf Befragen der Autoren Georg M. Hafner und Esther Shapira zurück: „Von uns war es keiner“376. Man habe gerade mit der Eichmann-Entführung aus Argentinien genug zu tun gehabt, und im Übrigen sei Josef Mengele der nächste Kandidat, so Harel. In seinem umfangreichen Werk über „Israel und die geheimen Tötungskommandos des Mossad“377 behauptet dessen Autor, der Enthüllungsjournalist Ronen Bergman neuerdings, der Nachrichtendienst der israelischen Streitkräfte, Aman, habe Brunner mit dem Paket töten wollen. Eli Cohen, der legendäre israelische Spion in Syrien, habe Brunner in Syrien entdeckt.378 19 Jahre später, am 1. Juli 1980, schien sich die Geschichte zu wiederholen. Brunner öffnete ein in Österrreich aufgegebenes und an ihn adressiertes Paket eines Absenders – „Verein der Freunde der Heilkräuter“ in Karlstein an der Thaya – von dem er schon dreimal Sendungen erhalten hatte. Das Paket explodierte und riss ihm bis auf den Daumen alle Finger der linken Hand ab. Die Urheber dieses Anschlages blieben ebenfalls unbekannt.379 Während des Eichmann-Prozesses in Jerusalem fand Brunner sogar Zeit und Muße, gemeinsam mit Gesinnungsgenossen die Entführung des Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, Nahum Goldmann, zu planen. Im Austausch gegen Adolf Eichmann sollte Goldmann wieder freikommen. Das Kidnapping sollte Ende 1960 während eines Treffens von Goldmann mit Bundeskanzler Adenauer in Bonn durch Angehörige der ehemaligen Division Brandenburg des Oberkommandos der Wehrmacht erfolgen. Doch das Unternehmen scheiterte bereits in der Planungsphase an Personen, die sich für seine Durchführung als unzuverlässig herausstellten bzw. eine Mitarbeit ablehnten. Auch dem in die Sache eingeweihten syrischen Geheimdienst sei das Vorhaben zu riskant geworden, schreiben Hafner und Shapira.380

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Ebd., S. 251. Allerdings fügte Harel hinzu, verdient habe Brunner den Anschlag durchaus. So der deutsche Untertitel des Buches von Bergman, Der Schattenkrieg, München (2) 2018. „Rise and Kill First“ lautet der englischsprachige Originaltitel, der dem Babylonischen Talmud entnommen ist. Auch Sohn und Vater Churchill betonten in ihrem Buch über den Sechstagekrieg von 1967 die Erstschlagsbereitschaft der Israelis, bemühten jedoch zu deren Verdeutlichung eine weniger religiöse Tradition: „Wie ein Cowboy im Wilden Westen wartete Israel nicht, bis der Gegner abdrückte – es hatte das verdächtige Glitzern in Nassers Augen wohl bemerkt“. Vgl. Randolph S. Churchill/Winston S. Churchill, … und siegten am siebenten Tag, Bern 1967, S. 87. Bergman, Schattenkrieg, S. 97. Hafner/Shapira, Akte, S. 219f. Ebd., S. 239.

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Aus deutscher Sicht ist mit dem Komplex „Alois Brunner“ neben der Frage, ob die deutsche Politik und die deutschen Strafverfolgungsbehörden energisch genug versucht haben, Brunners in Syrien habhaft zu werden, auch die immer wieder aufgestellte Behauptung von Interesse, ob sich der Bundesnachrichtendienst mit Alois Brunner eines der schlimmsten Kriegsverbrecher bedient hat. Der Geschichte der mal mehr und mal weniger nachdrücklich – insgesamt eher weniger – von deutscher und österreichischer Seite betriebenen Fahndung und Auslieferungsersuchen gegenüber Damaskus kann hier nicht weiter nachgegangen werden.381 Die Frage einer Tätigkeit Brunners für den BND lässt sich heute nicht mehr eindeutig beantworten. Hauptgrund dafür ist, dass die Brunner betreffenden Papiere beim BND, die immerhin einmal 581 Blatt umfasst haben sollen, hinter dem Rücken der BND-Spitze vernichtet wurden.382 Ende Februar 1994 habe ein Mitarbeiter des Dienstes ohne Angabe von Gründen vorgeschlagen, der BND solle sich von den Unterlagen trennen, so Spiegel-online.383 Seit 1997 trage ein Blatt in den einschlägigen BND-Akten den Hinweis: „Datenschutzbeauftragter hat dafür gesorgt, dass gelöscht wird“, es sei „nichts mehr vorhanden“. Es findet sich jedoch auch eine handschriftliche Aufzeichnung vom 2. September 1997 über ein dienstinternes Gespräch mit Volker Foertsch, dem damaligen Abteilungsleiter „Sicherheit“ beim BND, dem zufolge Foertsch erklärt habe, ihm sei „aus persönlichem Wissen“ bekannt, dass Brunner ehemaliger Mitarbeiter des Dienstes in Damaskus gewesen sei. Ein seinerzeit in der Abteilung tätiger Mitarbeiter sagt heute, Foertschs Kenntnis habe nur auf Hörensagen beruht und das Ganze sei „nicht belastbar“384. Ein recht hochkarätiger Zeuge dafür, dass Brunner nicht für Gehlens Org. bzw. den BND tätig war, ist der ehemalige BND-Vertreter in Kairo, Gerhard Bauch, der uns bereits früher begegnet ist. Bauch erklärte dem Journalisten Ken Silverstein bei dem erwähnten Treffen in Bauchs Privathaus im amerikanischen Bundesstaat Maryland, dass nach seiner Kenntnis Brunner nicht für Gehlens Org. in Ägypten oder Syrien gearbeitet habe. Er räumte jedoch ein, dass er Brunner in gesellschaftlichem Rahmen in Damaskus unter dessen Aliasnamen Georg Fischer begegnet sei, ohne damals seinen wirklichen Namen erfahren zu haben.385

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Zum Sachstand im Fall Brunner gegen Ende des letzten Jahrtausends vgl. ebd. an verschiedenen Stellen des Buches. Hier finden sich auch Informationen zu den Versuchen des „Nazijäger“-Ehepaares Beate und Serge Klarsfeld, Alois Brunner dingfest zu machen. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt  am  Main setzte für sachdienliche Hinweise, die zur Ergreifung Brunners führten, eine Belohnung von DM  500  000 aus. Einen knappen Überblick über die letzten Entwicklungen im Fall Brunner bietet auch der Spiegel-Bericht „Herzliche Grüße aus Damaskus“, Heft Nr. 9 vom 25. Februar 2017. Vgl. Spiegel-online, 20. Juli 2011, „BND vernichtete Akten zu SS-Verbrecher Brunner“. Ebd. Ebd. Silverstein, Private Warriors, S. 115f.

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Zu den Trabanten Alois Brunners in Damaskus gehörte zeitweilig auch eine der zwielichtigsten Figuren in der Presselandschaft der frühen Bundesrepublik: Hermann Schaefer, Journalist und FDP-Mitglied. Bereits seit 1946 gab er kurzzeitig die „Aachener Nachrichten“ heraus, bevor er als Chefredakteur zur nationalbolschewistischen „Deutschen National-Zeitung“ nach München ging. Zusammen mit dem ehemaligen nationalsozialistischen Senatspräsidenten der Freien Stadt Danzig, Hermann Rauschning, gab er anschließend für etwa zwei Jahre die neutralnationalistischen „Rheinisch-Westfälischen Nachrichten“ (RWN) in Düsseldorf heraus.386 Die RWN standen in dem Ruf, ostfinanziert zu sein, d. h., Gelder aus der DDR hätten das Blatt wesentlich mitgetragen. Schaefer gab die Zeitung auf, verschwand für einige Jahre in der Versenkung, und Rauschning emigrierte – ein zweites Mal nach der NS-Zeit – in die Vereinigten Staaten. Der Spiegel berichtete 2017 auf der Grundlage neuer Quellen, dass Hermann Schaefer Brunner „nach eigenen Angaben“ in den Jahren 1959/60 ein knappes Dutzend Mal getroffen habe. Aus ungeklärten Gründen – es könnte sich um einen Racheakt gehandelt haben – schickte Schaefer dem Spiegel 1959 die Information, dass Brunner noch lebe und fügte ein Foto des weltweit Gesuchten hinzu – das erste seit Kriegsende.387 Nach einer Vortragsnotiz vom 15. Mai 1961, die sich in den Unterlagen des BND findet, trat Schaefer in Damaskus seit März 1959 als „maßgeblicher Journalist auf, hinter dem offizielle Stellen der BRD stünden“388. Am 16. März 1960 wurde Schaefer durch die syrischen Sicherheitsbehörden kurzfristig aus Damaskus ausgewiesen, wie es in der BND-Notiz heißt. Für diese Ausweisung könnte der Arzt und Journalist Hans Germani verantwortlich gewesen sein, nach Angaben des Spiegels ein „Brunner-Freund, überzeugter Rassist und BND-Informant“389 Ungeklärt ist bis heute das Todesjahr Alois Brunners. Mal wird das Jahr 1999, ein anderes Mal 2001 genannt. Und so unsicher wie dieses Datum, sind auch die Gerüchte über seine letzten Aufenthaltsorte in Syrien.

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Vgl. Albrecht Hagemann, Hermann Rauschning. Ein deutsches Leben zwischen NS-Ruhm und Exil, Köln 2018, S. 404–440. Der Spiegel Nr. 9 vom 25. Februar 2017, „Herzliche Grüße aus Damaskus“. Archiv des BND, Akte 30212_OT, Nr. 28/61, VS-vertraulich, Bl. 000137. Klaus Wiegrefe, der Autor des Spiegel-Berichtes „Herzliche Grüße aus Damaskus“, schreibt, dass Germani „den Kollegen Schaefer am liebsten mundtot machen würde. Er denunziert ihn beim syrischen Innenministerium. Zweimal planen die Syrer, Schaefer aus Beirut zu entführen“, wozu es jedoch nicht gekommen sei.

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Kapitel III: „[…] ein zeitgemäß geschliffenes Schwert zu schmieden“1 Deutsche und österreichische Militärs, Manager und Mediziner, dazu Experten des Antisemitismus in Diensten der syrischen und ägyptischen Regierung – sie alle brachten die israelische Regierung, das israelische Militär und die Zivilbevölkerung des jüdischen Staates letzten Endes nicht um den Schlaf, sofern sie denn Kenntnis von deren Aktivitäten erhielten. Das änderte sich mit der Tätigkeit von Raketen- und Flugzeugfachleuten am Nil, die ihre Heimat in Europa mit unterschiedlicher Motivation verlassen hatten. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die ersten Arbeiten an Raketen unter deutscher Leitung im Ägypten der frühen fünfziger Jahre eindeutig militärischen Zwecken dienten und damit, nach Lage der politischen Dinge in der Region, zuvörderst gegen Israel gerichtet waren. Dieser Hinweis ist nicht unwichtig, denn spätere deutsche Raketenbauer am Nil behaupteten immer wieder, ihre weitaus größeren Projektile dienten ausschließlich zivilen Zwecken, etwa der meteorologischen Forschung.

Raketen made in Egypt „die Erste“ Die Anfänge unter Kurt Hermann Füllner Es waren keine großen Raketen, sondern kleine 8- und 12-cm-Geschosse, um die es ging. Für die deutschen Hauptprotagonisten in dieser Phase – etwa Kurt Hermann Füllner, Rolf Engel, Uwe Bödewadt, Kurt Hanisch und Paul Goercke  – war die militärische Ausrichtung ihrer Arbeit am Nil selbstverständlich. Sie brauchten darüber auch keine öffentlichen Worte der Rechtfertigung zu verlieren, denn es fragte sie schlicht kaum jemand. In den Prozessunterlagen des Schweizer Rechtsanwaltes Georges Brunschvig aus dem Basler Strafverfahren gegen die beiden israelischen Agenten Joklik und Ben-Gal aus dem Jahre 1963 – ausführlich dazu

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So die Antwort des Chefredakteurs des „Berner Tagblatts“, Dr. Rudolf Theodor Weiss, in einem Interview auf die Frage, welche Aufgabe denn wohl den „deutschen Spezialisten“ im Ägypten Präsident Nassers zugedacht sei. Vgl. ETH Zürich, AfZ, NL Georges Brunschvig/58, undatierte Abschrift.

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weiter unten – findet sich ein Blatt mit aufgeklebten Fotos deutscher Raketentechniker, darunter auch ein Gruppenbild der CERVA-Experten2 aus den fünfziger Jahren, das neben anderen Personen auch Rolf Engel und Paul Goercke sowie ägyptische Mitarbeiter zeigt. Eine handschriftliche Notiz auf dem Briefpapier der griechischen Fluglinie „Olympic Airways“ hielt dazu am Rande fest: „Die CERVA-Gruppe, unter Prof. Rolf Engel, […], hat jedoch nie bestritten, daß sie MILITÄRISCHE [Blockbuchstaben im Original, A. H.] (und keine anderen) Raketen hergestellt hat“3. Die vermutlich von Brunschvig stammende Notiz wollte wahrscheinlich den Unterschied zu der zweiten Generation deutscher Raketenbauer in Ägypten seit ca. 1960 herausstellen, deren Tätigkeit von der internationalen Presse grell beleuchtet wurde mit dem Ergebnis, dass diverse Verharmlosungsversuche seitens dieser Experten vorgetragen wurden. Über die Anfänge des Raketenbaus zu Beginn der fünfziger Jahre im Lande der Pharaonen gibt es nur wenig Quellenmaterial; allein „Der Spiegel“ brachte im Juli 1952 ein wenig Licht in das Dunkel.4 Versucht man, gleich einem Verfahren mit dem Säurebad den damals häufig anzutreffenden schnoddrig-überheblichen Ton5 vom Inhalt eines Beitrages im „Spiegel“ zu trennen, entpuppt sich das erste deutsche Raketenengagement bei den Pyramiden nach den Recherchen des Nachrichtenmagazins als eine Mischung aus Hochstapelei und Unverfrorenheit, an dessen frühzeitigem Ende auch die Frage bleibt, warum die ägyptischen Entscheidungsträger in einer Art orientalischer Nibelungentreue an deutschen Experten festhielten. Es begann im Sommer 1949. Zur Behandlung des Rheumaleidens der Gattin des damaligen ägyptischen Ministerpräsidenten Nahas Pascha ließ deren Leibarzt Dr. Anwar al-Gindi ein Ultraschallgerät für medizinische Zwecke von der Physikalischen Arbeitsgemeinschaft (PAG) mit Sitz nahe Lüchow-Dannenberg in Niedersachsen an den Nil kommen. Chef der PAG war damals der Mechanikermeister und Gefreite a. D. Kurt Hermann Füllner aus Danzig, der dort u.  a. ein florierendes Geschäft für Schreibmaschinenreparaturen betrieben und den es bei Kriegsende mit seiner Familie an die Zonengrenze an der Elbe verschlagen hatte. Der Gründer der PAG war ein Danziger Landsmann Füllners gewesen, dessen Name unbekannt ist. Als angesehener Physiker und Hochfrequenzingenieur hatte dieser sich in Hamburg niedergelassen

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CERVA steht für „Compagnie des Engines à Réactions à Vol Accéléré“, zu Deutsch etwa „Gesellschaft für Rückstoßaggregate zum Zwecke der Flugbeschleunigung“. Vgl. Thomas Riegler, Agenten, Wissenschaftler und „Todesstrahlen“: Zur Rolle österreichischer Akteure in Nassers Rüstungsprogramm (1958–1969), in: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies, Vol. 8, No 2, 2014, S. 44–72, hier S. 45. ETH Zürich, AfZ, NL Georges Brunschvig/57, undatiert. Vgl. die Nr. 27 vom 2. Juli 1952: „Die PAG ist eine Macht“. So mutierte im Spiegel Ägypten schon mal zur „dreischwänzigen Katze Armut, Krankheit und Unwissenheit“: Ebd. Und einfache ägyptische Soldaten verwandelten sich mitunter zu „braunhäutigen Muschkoten“: Der Spiegel Nr. 15 vom 9. April 1952, „Heil Rommel“.

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und gemeinsam mit Füllner eine Zeitlang die PAG betrieben. Doch nur kurz währte die Kooperation der beiden Danziger, dann schied man im Unfrieden. Füllner erhielt jedoch die Rechte an der PAG. Ausgestattet mit einem ausgeprägten Überzeugungstalent, warb Füllner nun im In- und Ausland um weitere Teilhaber für seine Arbeitsgemeinschaft. Angeblich, so erzählte er dem Spiegel, gehörten auch prominente Raketenforscher und Naturwissenschaftler wie der „Erfinder der Flüssigkeitsrakete, Wernher von Braun, und Professor Otto Hahn“ zu seinen Unterstützern. Das Geschäftsmodell Füllners beruhte auf der Lieferung von halbfertigen Ultraschallgeräten gegen die Zahlung z. T. hoher Vorschüsse. Insbesondere mit seinem Schweizer Kompagnon Karl Ehrensperger pflegte er auf dieser Basis eine enge, wenngleich nicht reibungslose, Geschäftsbeziehung. Auch Leibarzt al-Gindi in Kairo hatte anfangs seine liebe Not mit dem von Füllner gelieferten Gerät. Er ließ den Deutschen nach Ägypten kommen, um sich in dessen Anwendung einweisen zu lassen. Das war der Durchbruch: Nicht nur bei der Frau des Ministerpräsidenten stellten sich Behandlungserfolge ein, auch andere Angehörige der Kairoer Hautevolée äußerten sich bald anerkennend über die füllnersche Therapie. Al-Gindi sprach inzwischen ehrfurchtsvoll von „Dr. Füllner“ und führte ihn in seiner Eigenschaft als Schwiegersohn des höchsten Richters und einflussreichen Mannes der Wafd-Partei, Mohammed Mahmud Pascha, in die Spitzenkreise der Wafd-Regierung ein. Hier konfrontierte man Füllner in Gesprächen mit der Misere der ägyptischen Streitkräfte aufgrund der schlechten Bewaffnung und mangelhaften Munition im gerade zurückliegenden Krieg gegen Israel. Schnell gelangte man zu dem Wunsch der Ägypter nach einer eigenen Rüstungsindustrie, es war die Rede von „panzerbrechenden Raketenwaffen, Todesstrahlen und den phantastischen Plänen des verflossenen NS-Brain-Trust, die nicht mehr realisiert wurden“, wie der Spiegel schrieb. Füllner erkannte seine Chance und erklärte sich bereit, an einer ägyptischen Raketenentwicklung maßgeblich teilzunehmen. Um seine Reputation weiter zu steigern, behielt er sich jedoch vor, zunächst ausgedehnte Erkundungsreisen nach Nord- und Südamerika durchzuführen. Angeblich inspizierte er in diesem Zusammenhang auch Raketenstartbahnen in den Vereinigten Staaten. Im August 1950 nahm Füllner dann auf Einladung der ägyptischen Regierung an einer Geheimkonferenz in Alexandria teil, bei der auch der Kriegsminister sowie die Minister für Inneres und Gesundheit zugegen waren. Auch einen weiteren Deutschen hatten die Ägypter zur Überraschung Füllners eingeladen, der zudem vermutlich ein wirklicher Fachmann auf dem Gebiet der Raketentechnologie war: Herbert Elger, inzwischen wohnhaft in Stockholm, war nach eigener Auskunft gegenüber dem Spiegel „Fachmann für Radar und gewisse Gebiete der Fernsteuerung von Großraketen“. Während des Krieges hatte er zeitweilig bei den „Elektromechanischen Werken Karlshagen“ der Raketenforschungsanstalt Peenemünde gearbeitet. Elger seinerseits zeigte sich anlässlich des Auftretens von Füllner auf der Konferenz in Alexandria 192

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darüber „überrascht“, dass dieser dort behauptete, sämtliche Unterlagen über ein „bestimmtes Geschoß“ zu besitzen. Dieses war zwar „museumsreif“, so Elger. Es beeindruckte aber die Ägypter dennoch, so dass sie Füllner mitsamt seiner PAG nach Kairo zwecks Entwicklung einer ägyptischen Rakete einluden. Elger versicherte dem Spiegel telefonisch aus Stockholm, dass Füllner lediglich eine Fotokopie des Versuchstyps dieser Rakete, nicht aber die zugehörigen Originalkonstruktionszeichnungen besessen habe. Füllners Angebot, unter seiner Leitung Chefingenieur am Nil zu werden, lehnte Elger nach eigenen Worten ab. Kurt Hermann Füllner verließ Alexandria zunächst wieder mit dem Auftrag, in Deutschland nach Technikern und Raketenfachleuten zu suchen und sie zur Übersiedlung an den Nil zu bewegen. In Europa angekommen, versuchte er in der Schweiz auf eigene Rechnung in das Raketengeschäft einzusteigen. Sein Vorgehen dabei: Er spannte seinen PAG-Statthalter Ehrensperger in Zürich in seine Bemühungen ein, Zugang zu Schweizer Regierungsvertretern und zum „Kanonenkönig“ Emil Bührle und dessen Werkzeugmaschinen- und Waffenfabrik in Zürich-Oerlikon zu bekommen. Im Gegenzug versprach er die Vorlage von umfangreichem Peenemünder Geheimmaterial zum Raketenbau. In einem ausführlichen Gespräch fühlte man bei Bührle-Oerlikon Füllner waffentechnologisch auf den Zahn – mit dem Ergebnis, dass eine Zusammenarbeit nicht zustande kam. Auch bei einer anderen einschlägig engagierten Schweizer Firma erging es ihm nicht besser, so dass aus Füllners dort geäußertem Wunsch nach einem Vorschuss über 10 000 Schweizer Franken ebenfalls nichts wurde. Sich seines ägyptischen Auftrages besinnend, erinnerte sich Füllner sodann seiner alten Kontakte aus der Danziger Zeit. In dem südlich von Paris gelegenen Städtchen Brunoy suchte er in Begleitung eines Staatssekretärs im ägyptischen Kriegsministerium den Raketenexperten Rolf Engel auf, den die Franzosen nach Kriegsende in ihr Raketenprogramm in ähnlicher Weise einzuspannen trachteten, wie die USA dies mit Wernher von Braun und anderen Peenemündern für ihre Weltraumambitionen taten. Engel und Füllner kannten sich von Engels zeitweiliger Raketenforschung im nahe Danzig gelegenen Großendorf. Der Bruder von Füllner arbeitete damals als Leiter der Verwaltung in dem Betrieb von Engel, während Kurt Füllner selber als von der Wehrmacht Freigestellter in einer Danziger Firma tätig war, wo er sich laut Engel vor allem mit dem Bau von elektrischen Messgeräten beschäftigte und auf diese Weise häufigen Kontakt mit Engel hatte. „Mit Raketen hatte er ganz und gar nichts zu tun“, versicherte Engel dem Spiegel auf Anfrage. Und auch der Auftritt Füllners bei ihm in Brunoy bestätigte Engel in seinem Urteil, dass sein Gast „nichts von Raketen verstand“. Noch ließ sich Engel beim ersten Besuch Füllners nicht von einem Ägypten-Engagement überzeugen, und selbst ein zweiter Auftritt Füllners in Brunoy brachte keine Wende. Allenfalls, so Engel zum Spiegel, habe er sich über die farbigen und eindeutig hochstaplerischen Schilderungen seines Gastes hinsichtlich der Raketenzukunft Ägyptens amüsiert. 193

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Das deutsche Personaltableau für die Raketenentwicklung am Nil erweiterte sich um nur wenige Namen, so dass sich der ehemalige Danziger erneut seiner Schweizer Kontakte bediente, um sich und die mittlerweile nahezu insolvente PAG vor dem Ruin zu retten. Es gelang ihm, eine Schweizer Firma für einen angeblichen Spezialtreibstoff zu interessieren, der auch, so Füllner, als Sprengstoff in Raketen gefüllt werden könne. Für eine Beweisführung in einem Prüflabor verlangte Füllner 6000 Franken Vorschuss, was die Eidgenossen hellhörig machte, und sie lediglich ein Zehntel dieses Betrages plus großzügiger Spesenabrechnung anboten. Füllner lehnte dankend ab und wandte sich erneut seiner Kairoer Option zu. Mittlerweile von zwei Verkehrsunfällen gezeichnet, suchte sich Füllner Unterstützung durch die Sprechstundenhilfe eines Dannenberger Arztes, die früher im Auswärtigen Amt unter Minister von Ribbentrop beschäftigt gewesen war. Als Pflegerin, Sekretärin und Dolmetscherin in einer Person wurde Renate Wiegels als erste Frau im ägyptischen Kriegsministerium vereidigt, um dem Vertragsabschluss Füllners mit der ägyptischen Regierung beizuwohnen. In dem Vertrag verpflichtete sich der Mechanikermeister, „seine Raketengruppe, so wie sie ist, sofort nach Kairo zu bringen sowie, zweitens, Feldraketen zu entwickeln und zum Fliegen zu bringen“. Die Ägypter erklärten sich zur Übernahme aller Sachkosten sowie zur Zahlung der Gehälter von Füllners Mitarbeitern bereit. Er selber sollte sämtliche Gemeinkosten erstattet bekommen und zusätzlich nach Erledigung des Auftrages eine Gewinnprämie von umgerechnet 120 000 DM. Noch einmal reiste Füllner nach Europa  – nun in Begleitung seiner Allrounderin. Den Ägyptern hatte er erklärt, in Archiven nach Konstruktionszeichnungen suchen zu wollen. Während er in Frankreich seinen bereits erwähnten zweiten und vergeblichen Versuch unternahm, Rolf Engel für Ägypten zu begeistern, gelang es ihm in der Bundesrepublik immerhin, zwei Fachleute für die Arbeit am Nil zu verpflichten: den Sprengstoffchemiker Dr. Toepfer sowie den ehemaligen Mitarbeiter aus dem Rüstungsstab Albert Speers, Alfred Schleu. Gemeinsam reiste das Quartett Füllner, Wiegels, Toepfer und Schleu Mitte Januar 1951 nach Kairo. Schleu zufolge hatte ihm Füllner erst auf dem Flug nach Ägypten eröffnet, dass er für den Raketenbau engagiert worden sei, was allerdings wenig überzeugend klingt. Vor Ort in Kairo zeigte Schleu sich dann erschüttert über das Fehlen jeglicher personeller und materieller Voraussetzungen für eine Raketenkonstruktion. Anfang März 1951 musste dennoch geliefert werden, und prompt wurde Kriegsminister Nosret Pascha eine in aller Eile zusammengebastelte Attrappe einer 12-cm-Rakete vorgeführt. Verzweifelt versuchte Füllner mit Hilfe seiner Kontakte in Europa die notwendigen Rohstoffe und Instrumente zu beschaffen. Zu diesem Zweck trat er erneut auch an Herbert Elger in Schweden mit der Bitte um Vermittlung heran. Elger gegenüber dem Spiegel:

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Raketen made in Egypt „die Erste“ „Füllner beauftragte mich (wie auch andere Kollegen), Meßausrüstungen und Material zu bestellen, was ich zunächst ernstnahm und daher umfangreiche Verhandlungen mit verschiedenen Firmen (Siemens, Philips, Schwedische Aluminium-Kompagnie, Rohde & Schwarz, München und mehrere finnische Firmen) führte […]. Füllner erklärte, daß hierfür in meinem Bereich 125 000 DM in Dollar zur sofortigen Auszahlung bereitstünden, außerdem Reisegeld und Visum bei der ägyptischen Gesandtschaft, die bis heute noch nie davon gehört hat und bis heute weder Füllner noch die PAG kennt“.

Auf Seiten der Kairoer Regierung wunderte man sich vor allem über das Ausbleiben weiterer Fachleute aus Deutschland, denn auf der Alexandriner Konferenz war von insgesamt sieben Experten die Rede gewesen. Die einstweilige Rettung für Füllner stellte sich mit der Ankunft von vier deutschen Touristen in Kairo Ende Februar ein, die mit einem Volkswagen und einem Mercedes den afrikanischen Kontinent bis an das Kap der Guten Hoffnung durchqueren wollten. Neben einem Textilkaufmann gehörten laut dem Spiegel noch eine Drogistin, ein Autohändler sowie eine Nachtclubtänzerin zu der Gruppe. Dank Füllners Überredungskunst – auf seiner Visitenkarte firmierte er inzwischen als „President P. A. G. Near East United Laboratories of Physics“ – ließen die Reisenden von ihren Plänen ab und wurden PAG-Mitarbeiter. Der von Füllner zum Chef-Ingenieur ernannte Alfred Schleu gegenüber dem Spiegel: „Der Textilkaufmann sollte gleich am nächsten Tag nach Deutschland zurückfliegen, um eine Million Eisenbahnschwellen und eine Million Meter Schienen einzukaufen“. Der Personalzuwachs erwies sich jedoch mehr oder weniger erwartbar als Reinfall, und so blieb allein der Drogist Sieberger im chemischen Labor der PAG am Nil hängen, „um die Schwarzpulvermühle zu bedienen und die Pulverkörner für die Versuchsraketen pressen zu helfen“. Die Experimentierraketen hatten sich größtenteils als Fehlschläge erwiesen, Schleu hatte sich immer wieder mit einem ägyptischen Schlosser auf Kairos Trödelmärkte begeben müssen, um ausgemusterte Kanalisationsrohre aufzutreiben, die dann auf Raketenlänge zurechtgeschnitten wurden. Das größte Problem stellte jedoch der Treibstoffnachschub dar. Ungeachtet aller Hindernisse bestand das Kriegsministerium auf dem 18. Juni 1951 als Termin für ein Probeschießen. Zu diesem Anlass erschien die gesamte ägyptische Generalität, mehrere Minister sowie der leitende deutsche Militärberater bei den ägyptischen Streitkräften, Wilhelm Fahrmbacher. Immerhin gelang es, eine 6-cm-Rakete erfolgreich abzufeuern, für den Start der 12-cm-Rakete fehlte dann jedoch der Treibstoff. Dennoch zeigten sich die Ägypter beeindruckt und ordneten an, das 12-cm-Projektil einsatzbereit zu machen. Die Jahresmitte 1951 erwies sich für Füllner als eine vergleichsweise erfolgreiche Zeit. Mit Hilfe eines ägyptischen Diplomatenpasses gelang es ihm, Messgeräte und wichtige Unterlagen unkontrolliert aus der Schweiz in den Nahen Osten zu transferieren. Außerdem machte 195

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Füllner bei einem Aufenthalt in der Bundesrepublik mit dem Dipl.-Ing. Hermann Pitzken einen echten Fang für seine Gruppe in Ägypten: Pitzken konnte sich mit Fug und Recht einen Raketenspezialisten nennen, der bereits an den V-Waffen in Peenemünde unter Wernher von Braun gearbeitet hatte. Pitzken verstand es, die von Kairo so dringend geforderten 12-cm-Raketen zu konstruieren, und am 31. Oktober 1951 beobachtete der versammelte ägyptische Generalstab nebst einigen Ministern den erfolgreichen Abschuss von vier Exemplaren dieses Geschosses. Füllner glaubte, dass nun sein Auftrag („Raketen bauen und fliegen lassen“) erfüllt sei und forderte die Auszahlung der vereinbarten Gewinnprämie. Die ägyptische Regierung weigerte sich jedoch mit dem Argument, ihr seien weit höhere Kosten im Verlauf der füllnerschen Aktivitäten entstanden, als ursprünglich vereinbart. Als sie darauf bestand, eine 500er-Serie der 12-cm-Rakete zu sehen, lehnte Füllner dies ab und beharrte auf der Auszahlung der vereinbarten Prämie. Im weiteren Verlauf stellte sich heraus – so die Schilderung von Hermann Pitzken gegenüber dem Spiegel – dass angeblich noch ausstehende Zahlungen an Füllners Mitarbeiter von diesem teilweise in die eigene Tasche abgezweigt worden waren. Während sich die Mitarbeiter ihr Geld schließlich direkt von der zuständigen Regierungsstelle holten, sah sich Kurt Hermann Füllner am Ende seiner Zeit am Nil. Es entbrannte ein Streit mit den Ägyptern um Konstruktionspläne und Hilfsgeräte, den der Deutsche auf seine Weise beendete: Fluchtartig verließ er Kairo in Richtung Schweiz. Renate Wiegels und einer seiner Chemiker wurden erst zehn Tage später aus dem Ausländergefängnis abgeschoben. Ein Teil der zurückgebliebenen Techniker und Chemiker fand Anschluss bei dem von Wilhelm Voss geleiteten Central Planning Board in den Kairoer Abbacia Baracks. Füllner schlug sich anschließend in der Schweiz, deren Boden er nach Abgabe seines Diplomatenpasses in Ägypten mit einem ägyptischen Ausländerpass betreten hatte, mit diversen Gläubigerforderungen herum, die ihm auf Betreiben sogar seiner eigenen Anwälte einen vorübergehenden Arrest einbrachten, ehe er den Zürcher Flughafen Kloten in Richtung Heimat verlassen konnte. Zurück in seinem Haus nahe Dannenberg an der Elbe ließ Füllner über seinen Anwalt nicht nur Regressforderungen in Richtung Ägypten formulieren, sondern sein Hamburger Rechtsbeistand rief wegen des Schicksals seines Mandanten sogar die UN-Kommission zur Wahrung der Menschenrechte an – so jedenfalls Füllner im Gespräch mit dem Spiegel. Der von Kurt Hermann Füllner wiederholt umworbene Raketenexperte Rolf Engel machte sich seinen eigenen Reim auf das Ende der „Mission Füllner“ bei den Pyramiden. „Die ganze Angelegenheit wäre lächerlich“, erklärte Engel dem Hamburger Nachrichtenmagazin, „wenn nicht eine politische Prestigefrage mit ihr verbunden wäre – der Einfluß und das Ansehen der deutschen Ingenieure in der arabischen Welt“. 196

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Rolf Engel und das CERVA-Programm Engel hatte dem Spiegel offenbar verschwiegen, dass er sich sehr wohl seit einiger Zeit ernsthaft mit dem Gedanken trug, selber in Ägypten aktiv zu werden. Ob seine Sorge um das Ansehen der deutschen Ingenieurskunst dabei das entscheidende Movens gewesen war, dürfte nur er gewusst haben. Über die Genese seines Entschlusses, als Raketenexperte nach Kairo zu gehen sowie über seine Zeit und Arbeit dort, war die Öffentlichkeit lange Zeit fast ausschließlich durch ein Buch des freien Wissenschaftsjournalisten Heinz Horeis informiert, der mit Engel vor dessen Tod im Jahre 1993 zahlreiche Interviews führte, die er dann zu einer Art „subjektivem Lebensbild“ zusammenfasste, wie Horeis selber schreibt.6 Seit der Öffnung des Archivs des Bundesnachrichtendienstes tritt nun eine Fülle zusätzlicher und dem Horeis’schen Bild teilweise widersprechender Informationen hinzu7, die ihrerseits längst nicht immer mit den Erkenntnissen etwa der amerikanischen CIA über Engel in Deckung zu bringen sind. Für Engels Werdegang liegt verstreutes Material in zahlreichen Primärquellen und Publikationen vor, das nicht nur für die Kriegszeit, sondern gerade auch für sein Ägypten-Engagement zu teilweise voneinander abweichenden Ergebnissen gelangt.8 Es ist allerdings dies nicht der Ort, Widersprüche in der Vita Engels auszuloten und aufzuklären, Andeutungen müssen genügen. Im Archiv des BND findet sich etwa ein zwanzigseitiges Dossier, das von dem „Stern“-Journalisten Wolfgang Löhde – von ihm wird noch ausführlich die Rede sein – angefertigt wurde und unmittelbar nach der Rückkehr Engels aus Ägypten entstand.9 Möglicherweise hielt man 6 7

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Heinz Horeis, Rolf Engel – Raketenbauer der ersten Stunde, München 1992. Bis zu seiner „Abschaltung“ durch den BND Ende März 1961 arbeitete Engel unter den Decknamen „Gabriel“ bzw. als „Quelle 20 200“ für den Dienst. In den Jahren 1956 (?) bis 1957 wurde er dort von einem gewissen Bauch geführt, bei dem es sich wahrscheinlich um den bereits erwähnten Regierungsrat Gerhard Bauch handelt, der später BND-Vertreter in Kairo wurde. Die Abschaltung wurde mit Engels’ Übernahme in das Bundesverteidigungsministerium begründet. Vgl. Archiv des BND, Akte 28152_OT, Bl.  006. Engels zweite Ehefrau Daniela, geb. Stippberger, arbeitete ebenfalls zeitgleich wie ihr Gatte für den BND, Deckname „Gabriele“ bzw. „Quelle 20 200,2“. Ihre Abschaltung erfolgte zum selben Zeitpunkt wie die ihres Mannes. Vgl. ebd., Bl. 007 und 004. Zumindest dieser hielt nach Ausweis der BND-Akten auch nach seiner Abschaltung Kontakt zu dem Dienst unter wechselnden Namen und Quellennummern; eine erneute und endgültige Abschaltung erfolgte offenbar mit Datum vom 1. April 1967. Vgl. ebd. Bl. 101. Vgl. z. B. Horeis, Engel, ferner Thomas H. Lange, Peenemünde, Düsseldorf 2006, Nagel, Himmlers Waffenforscher, Aachen 2011, Michael J. Neufeld, Rolf Engel vs. the German Army: A Nazi Career in Rocketry and Repression, in: History and Technology, Vol. 13, 1996, S. 53–72, ders., Wernher von Braun, München 2009 sowie Owen L. Sirrs, Nasser and the Missile Age in the Middle East, Abingdon 2006. Archiv des BND, Akte 100614_OT, Wissenschaftler in Ägypten, Bd. 1, Recherchenbericht zum Fall Engel, München, den 5.12.1957, Süddeutsche Redaktion [des Stern, A. H.]. Wolfgang Löhde arbeitete

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Rolf Engel beim BND für einen Mann mit Zukunft. Allein die Beschreibung der Persönlichkeit Engels und seiner Charaktereigenschaften etwa in den Unterlagen des BND ist alles andere als eindeutig. Eine umfangreiche Aufzeichnung des Dienstes zu Engel vom 22. April 1958 äußerte sich zunächst rundweg positiv. Die darin enthaltene „menschliche Beurteilung“ kam zu folgendem Ergebnis: „Engel ist hochintelligent, im persönlichen Umgang sehr konziliant und hilfsbereit. Er gilt als zuverlässig und korrekt. Um seine Mitarbeiter war er stets fürsorglich bemüht. Er ist vital, zäh und von seiner Arbeit auf dem Raketengebiet besessen. Das Moment des zielstrebigen-zweckdienlichen Einsatzes seiner Gaben ist ihm in Verbindung mit einem gesunden Ehrgeiz eigen. Seinen Aufgaben widmet er sich mit größter Präzision. Engel ist ein schneller Arbeiter und ein sehr guter Organisator. Engel besitzt ein gutes Urteilsvermögen und unabhängigen Geist. Die aus seiner Veranlagung, seinem Werdegang und seiner Freude am geistigen Arbeiten resultierende Persönlichkeitsdurchbildung, gepaart mit einem spezifischen Wertbewusstsein, deuten auf eine verlässliche Grundsatzbetontheit hin. Hinsichtlich seiner Vertrauenswürdigkeit kann mit Wahrscheinlichkeit gesagt werden: verlässlicher Funktionär“10.

Ein „Gesamturteil“ des BND vom 2. Oktober 1959 bezeichnete ihn hingegen als „unseriös“ und sein „Windhundcharakter“ sei auch „nur insofern wichtig“ als er sich „verzweifelt bemüht, in die deutsche Raketenforschung, möglichst im Bundesministerium der Verteidigung, hineinzukommen“11. Die „Abschaltmeldung (II)“ wiederholte noch einmal den Windhundcharakter, ergänzt um das Prädikat „gerissener Geschäftsmann“, der eine „Falschmeldung“ abgegeben habe. Die Disparität der hier nur in Auswahl vorgelegten Urteile erklärt sich, wie im Folgenden deutlich werden wird, zumindest auch mit der Unterschiedlichkeit der Quellen, die der BND abgeschöpft hat. Freunde, Neutrale und  – aus welchem Grunde auch immer – eindeutige Feinde Rolf Engels haben zweifellos auf ihre Weise zum überlieferten Bild seiner Persönlichkeit beigetragen. Insgesamt sind Leben und Wirken Rolf Engels auch eine eindrucksvolle Mahnung an den Historiker, sich angesichts der oszillierenden Quellenlage in

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vermutlich schon länger für den BND. Als Journalist machte er sich vor allem einen Namen mit Reportagen über die Suche nach dem angeblichen „Nazi-Falschgeld“ im Toplitzsee des Salzkammergutes. Das Dossier über Rolf Engel beruhte offenbar einerseits auf Gesprächen Löhdes mit diesem, andrerseits auf einem nicht näher bezeichneten „Archiv Engel“, über das die damalige Ehefrau Engels in München gebot. Vgl. ebd., Bl. 52. Archiv des BND, Akte 28152_OT, Bl. 318. Ebd., Bl. 007, 017 und 019.

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Demut zu üben und eingedenk jener Maxime zu arbeiten, der zufolge „alles auch ganz anders gewesen sein könnte“. Der im Jahre 1912 in dem zur heutigen brandenburgischen Gemeinde Stechlin gehörenden Menz12 geborene Rolf Engel, dessen Vater im Ersten Weltkrieg gefallen war, begeisterte sich schon als Junge für das Thema Raumfahrt, an das er nach eigener Aussage durch Lektüre einschlägiger Bücher herangeführt worden sei. Noch als Jugendlicher trat er in engen Kontakt zu damaligen Pionieren der Raumfahrt wie Hermann Oberth, Johannes Winkler, Rudolf Nebel und Wernher von Braun. Ihr zeitweilig gemeinsames Übungsgelände war der „Raketenflugplatz Berlin-Reinickendorf“13. Engel konnte in diesen Kreis der Raumfahrtenthusiasten seine praktischen Kenntnisse aufgrund einer Schlosserlehre einbringen.14 Seinen Erzählungen gegenüber Heinz Horeis zufolge gab es auch hitzige politische Diskussionen zwischen den „Raketenexperten“ in Reinickendorf, die vor allem zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten stattgefunden hätten. Die technische Zusammenarbeit sei aber dadurch zu keiner Zeit beeinträchtigt und er selber politisch „neutral“ gewesen. Engel erwähnte übrigens nicht die angeblichen physischen Angriffe kommunistischer Jugendlicher auf den Raketenflugplatz und seine Experten, die auch schon mal zu Schlägereien geführt haben sollen. Ausgangspunkt dieser Angriffe, so der Journalist Löhde aufgrund seiner Recherchen für den BND, seien „unaufhörliche Attacken“ des späteren Stasi-Chefs in der DDR, Erich Mielke, in der Zeitung „Die Rote Fahne“ gewesen. Mielke habe die Techniker auf dem Flugplatz wiederholt als „Kriegshetzer“ bezeichnet.15 Im Jahre 1929 wandte sich Engel von der Gruppe um Rudolf Nebel ab und einem Team um den Ingenieur und Theologen Johannes Winkler nahe Dessau zu, das damals eine Flüssigkeitsrakete entwickelte und sie mit viel propagandistischem Aufwand – hierbei tat sich offenbar Rolf Engel besonders hervor –vergeblich zu starten versuchte.16 Das Ende dieser Experimentierphase kam recht bald nach der „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten.

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Andere Quellen machten aus Menz irrtümlich das französische Metz oder auch Mainz. In einem Bericht der CIA vom Oktober 1957 nannte ein „US citizen, former German national and paperclip scientist‘ diesen Platz als den Ort, an dem Engel seine Leidenschaft für die Raketen entdeckt habe. Seine Mutter habe die dortige Cafeteria geleitet. Vgl. CIA (FOIA), Engel, Dr. Rolf_0016. pdf. Bei dem US citizen könnte es sich um Wernher von Braun gehandelt haben, der 1955 die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Operation „Paperclip“ war jenes amerikanische Unternehmen, in dessen Verlauf deutsche Raketenexperten nach 1945 in die Vereinigten Staaten gebracht wurden. Vgl. dazu Tom Bower, The Paperclip Conspiracy, London 1987. Vgl. Nagel, Waffenforscher, S. 185ff. Archiv des BND, Akte 100614_OT, Recherchenbericht, Bl.  039. Zwar schreibt Löhde fälschlich „Horst Miehlke“, doch seine Angaben zu dieser Person – etwa die Beteiligung Mielkes an dem zweifachen Polizistenmord auf dem Berliner Bülowplatz 1931 – identifizieren diese eindeutig als Erich Mielke. Zu den Details vgl. ebd., Bl. 45f.

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Im April 1933 wurde Engel wegen Briefkontakten mit Personen in den USA und der Sowjetunion verhaftet. Möglicherweise steckte das Heereswirtschaftsamt (HWA) hinter dieser Aktion, das selber auf dem Gebiet der Dessauer forschte und keine privaten Raketenbauer neben sich duldete. Auf Bitten Engels setzte sich Wernher von Braun für ihn ein, so dass er nach gut vier Wochen wegen fehlenden Haftgrundes entlassen wurde. Seit dieser Erfahrung datierte eine Aversion Engels gegen die Wehrmacht im Allgemeinen und gegen den späteren Chef der Raketenabteilung des HWA, Walter Dornberger, im Besonderen, nicht jedoch gegen den Nationalsozialismus und dessen Repräsentanten. An der Berliner „Ingenieurschule Beuth“ studierte Engel zwischen 1933 und 1935 Ingenieurwissenschaften, von 1936 bis 1937 war er an der Technischen Hochschule München eingeschrieben. Während seines Studiums an der Münchner TH engagierte er sich in der „Deutschen Studentenschaft“. Bereits im Oktober 1933 war er in die SA eingetreten, und seit dem 24. Mai 1937 arbeitete Engel ehrenamtlich für den Sicherheitsdienst (SD) der SS. 1937 wurde er Parteimitglied und wechselte Ende August 1938 – inzwischen Student an der Technischen Hochschule Danzig  – von der SA zur SS. Einen Universitätsabschluss machte Engel nicht, zeitlebens blieb er in der Raketentechnik ein Autodidakt.17 Nach den Recherchen Wolfgang Löhdes geriet Engel Anfang der dreißiger Jahre erneut in Konflikt mit dem HWA, das ihn davor warnte, weiter an Raketentreibstoffen zu forschen. Man drohte ihm angeblich mit der Verhaftung, wenn er sich als Privatier weiter in den Gefilden der Wehrmacht tummle.18 Engel weigerte sich, für die Wehrmacht unter Generalmajor Walter Dornberger auf dem Gebiet der Raketenentwicklung zu arbeiten, was dazu führte, dass er zwischen 1935 und 1942 beruflich seiner Leidenschaft nicht weiter nachgehen konnte.19 Beim Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund leitete er 1938 im Auftrag der Reichsstudentenführung den „Reichsberufswettkampf“. Sein eigener Beitrag dazu bestand in der Konstruktion eines mechanischen Gerätes zur Integration mathematischer Funktionen. Fritz Todt, Generalinspekteur der nach ihm benannten „Organisation Todt“, zeigte sich beeindruckt von dem Gerät und informierte Hitler darüber. Der Reichskanzler überreichte Engel für seine Erfindung das Reichssiegerabzeichen und führte mit Engel ein Gespräch über die Apparatur, in dessen Verlauf Hitler nach Engels

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Diesen rudimentären Bildungsgang von Rolf Engel bestätigte auch der bereits im Zusammenhang mit Kurt Hermann Füllners Ägypten-Mission erwähnte Hermann Pitzken – inzwischen Angestellter bei dem zur Bundeswehr gehörenden Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung in Koblenz – in einer ausführlichen Befragung zur Person Rolf Engels durch das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im April 1960. Das Protokoll der Befragung sandte das BfV dem BND zu und letzterer stufte sie als „vernichtende Beurteilung (auch des Werdegangs)“ von Engel ein. Vgl. Archiv des BND, Akte 28152_OT, Arbeitsunterlagen „Engel, Rolf“, Bl. 33 (Abschrift). Ebd., Akte 100614_OT, Recherchenbericht, Bl. 45f. Vgl. Neufeld, Rolf Engel, S. 59.

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eigener Aussage dazu durchaus „sachkundige Fragen“ stellte. Mit seiner Erfindung eröffneten sich Engel nun Möglichkeiten an der TH Danzig, seine Diplomarbeit zu schreiben und hinsichtlich deren theoretischer Seite eine Dissertation anzuschließen. Doch der Kriegsausbruch am 1. September 1939 änderte alles. Ursprünglich für einen nicht näher bezeichneten Einsatz in Polen verplant, sah sich Engel nach dem Frankreichfeldzug Mitte Oktober 1940 zum Einsatzkommando des SD im elsässischen Mühlhausen abkommandiert. Es war der ehemalige Reichsstudentenführer Gustav Adolf Scheel, der dafür verantwortlich zeichnete. Scheel kannte Engel aus dem Reichsberufswettkampf. Mit zwei SD-Einsatzkommandos sollten insbesondere elsässische Juden über Durchgangslager in Straßburg und Mühlhausen in „französische Gebiete“ abgeschoben werden. Zwischen Juli und Dezember 1940 waren von dieser sog. Frankophilen-Aktion, die nebenher noch von der „Rückführung verschleppter Kunstwerke ins Reich“ begleitet wurde, ca. 150 000 Menschen betroffen. Als frisch beförderter SS-Untersturmführer brauchte man Engel just für die Erledigung dieser „Sonderaufgabe“, die ihm später im Jahre 1942 das Lob des zuständigen SS-Oberführers einbrachte: Mit dem nationalsozialistischen Gedankengut sei Engel „restlos vertraut und vertritt unsere Weltanschauung“. Er verfüge über „organisatorisches Geschick, Fleiß und über dem Durchschnitt stehende Fähigkeiten“20. Bei dem Transfer der Kunstgegenstände handelte es sich zweifellos um einen Kunstraub des SD, auch wenn Heinz Horeis Engel sagen lässt, sein und seiner Untergebener Vorgehen im Elsass habe dazu gedient, „wertvolle Bibliotheken, Museen und andere kulturelle Einrichtungen vor Beschädigung und Plünderung zu schützen“. Nach rund acht Monaten im Elsass hatte Engel nach eigenem Bekunden genug von seiner dortigen Tätigkeit. Gegenüber Horeis ließ er Enttäuschung darüber erkennen, dass sie nur wenig mit „Aktionen im Sinne eines James Bond“ zu tun hatte. In Berlin suchte er den SD-Chef Walter Schellenberg auf und erklärte seinem Vorgesetzten, dass er wieder „in die Technik zurückkehren“ wolle. Schellenberg zeigte für den Wunsch Verständnis und beorderte Engel nach Danzig. Seine Tätigkeit für den SD war damit, so Engel, „mehr oder weniger beendet“21. In Danzig traf Engel auf einen alten Bekannten, den Physiker Frank Früngel, einen Spezialisten für Kurzzeitphysik.22 Gemeinsam gingen sie in Danzig-Langfuhr daran, Früngels alte Firma „Geräteentwicklung Danzig GmbH“ wiederzubeleben, die wegen Früngels Kriegseinsatz bei der Luftwaffe in Frankreich in einen Dornröschenschlaf versunken war. „Zwischendurch“, so Günter Nagel in seinem Werk über „Himmlers Waffenforscher“, bekam Engel auch einmal Ärger mit der SS. Diese warf ihm vor, in seiner Elsässer Zeit einen Doktortitel

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Vgl. Nagel, Waffenforscher, S. 188. Vgl. Horeis, Engel, S. 58. Praktische Anwendung fand diese Spezialisierung in dem Bau einer pulsierenden, leistungsstarken Lichtquelle durch Früngel und Engel, die feindliche Piloten blenden sollte.

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zu Unrecht geführt zu haben. Die Angelegenheit wurde durch den Danziger SD mit einem „einfachen Verweis“ geräuschlos beigelegt.23 Die Zusammenarbeit zwischen Rolf Engel und Frank Früngel währte nicht allzu lange, die Trennung erfolgte jedoch einvernehmlich. Nach wie vor stand Engels Sinn nach der Raketenentwicklung. Schließlich entschied er sich dafür, die bisher dominierende Forschungsarbeit an Flüssigkeitsraketen durch eigene Arbeiten an Feststoffraketen (Pulverraketen) zu ergänzen. Dieses Gebiet sei „stiefmütterlich behandelt“ worden; bis dahin habe nur ein Salvenwerfer vom Kaliber 15 cm existiert, den das HWA seit 1935 entwickelt habe und der erstmals beim Russlandfeldzug im Juni 1941 zum Einsatz gekommen sei. „Auf diesem Gebiet, so dachte ich, ließe sich noch einiges auf die Beine stellen“24. Es gelang Engel, über den Chef des SS-Waffenamtes den Auftrag für die Entwicklung eines solchen, auf Fahrzeugen montierbaren, Werfers mit dem Kaliber 8 cm zu bekommen, der dann von Verbänden der Waffen-SS an der Ostfront eingesetzt wurde. Rolf Engel hatte inzwischen sein eigenes Unternehmen, die „Versuchsanstalt für Strahltriebwerke“ in der kleinen Fischersiedlung Großendorf gegründet, die am Fuße der Halbinsel Hela an der Danziger Bucht lag. Etwa um die Jahresmitte 1944 beschäftigte die Versuchsanstalt rund 250 Mitarbeiter, die überwiegend in Baracken untergebracht waren. Ungefähr zeitgleich zu Experimenten in Großendorf liefen die Raketenforschungen des HWA und der Luftwaffe in Peenemünde, als deren Konkurrent sich Engel mit seiner Unterstützung durch die SS wohl immer gesehen hat. Er war durch wiederholte Aufenthalte in Peenemünde über die dortigen Arbeiten an den „Vergeltungswaffen“ V 1 und V 2 recht gut informiert. Das engelsche Unternehmen an der Ostsee existierte jedoch nur rund 15 Monate. Während dieser Zeit hielt sich Rolf Engel wiederholt auch bei der Forschungsanstalt von Skoda im tschechischen Pribram auf. In Kooperation mit der Firma „Rheinmetall“ tüftelte er hier mit seinem Mitarbeiter Uwe T. Bödewadt, einem Mathematiker, an dem Projekt „Rheintochter“, das unter dem Decknamen „Feuerwerk Z“ Klarheit über den Abbrand großer Mengen Pulvers in einem Kanonenrohr mit dem Fernziel einer Feststoffrakete bringen sollte. Nach Engels eigenen Angaben verlief ein erster Versuch negativ, ein zweiter jedoch habe eine Sekunde lang einen Schub von 75 Tonnen erreicht: „Für die damalige Zeit war das ein Rekord“, so Engel später, „die Peenemünder waren froh, wenn sie drei Tonnen erreichten“25. Mittlerweile im Reich angeblich unter Sachkennern als „Raketenpapst“ apostrophiert – so jedenfalls berichtet es Engel selber26 – wurde ihm 1944 von Albert Speer, dem Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion, die

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24 25 26

Bei Neufeld, Rolf Engel, S. 64, ist das disziplinarische Vorgehen gegen Engel der Auslöser für dessen Wechsel nach Danzig, von einer Begegnung Engels mit Walter Schellenberg findet sich hier nichts. Vgl. Nagel, Waffenforscher, S. 189. Zitiert nach Horeis, Engel, S. 71. Nach ebd., S. 67.

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besondere Ehre zuteil, einen Dokumentarfilm über die Geschichte der Raketenentwicklung in Deutschland zu produzieren. Vermutlich war Speers Wahl auf Engel gefallen, weil es in Deutschland zu jener Zeit kaum einen zweiten Experten gab, der über sämtliche Teilaspekte der Raketenforschung unterrichtet war – insofern schien der Raketenpapst gerechtfertigt. Zusammen mit Fritz Beck als Kameramann, einem alten Kumpan aus SA-Zeiten, sammelte Engel etwa bei der Ufa und bei der Wochenschau alles an Filmmaterial, was noch aufzutreiben war. Das Kriegsende verhinderte zwar die Fertigstellung, doch immerhin fanden die Amerikaner in einem Bunker nahe dem oberbayerischen Brannenburg das Rohmaterial samt den von Engel formulierten Zwischentexten und klebten es zu einem mehr als zweistündigen Streifen zusammen.27 Etwa in das Jahr 1944 fällt auch eine Episode, die von Engels offensichtlichem Gegner Hermann Pitzken gegenüber dem Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz zum Besten gegeben wurde. Pitzken zufolge war Engel „im Zuge eines Sonderauftrages“ von Heinrich Himmler „nach Peenemünde gekommen, und auf seine Veranlassung hin sei damals von Braun vom SD verhaftet worden“. Erst auf die Intervention des Engel-Gegners Generalmajor Dornberger hin sei Wernher von Braun freigelassen worden.28 Indes erscheint eine wesentliche Beteiligung Engels an der Verhaftung von Brauns wenig glaubhaft, bedenkt man dessen Einsatz zu seiner eigenen Befreiung wenige Jahre zuvor. Mit dem Vorrücken der Roten Armee auf die Marienburg südöstlich von Danzig im Januar 1945 gab Engel Großendorf auf. Er hatte sich rechtzeitig um einen „Sonderzug“ gekümmert, mit dem seine Familie, seine Mitarbeiter sowie die wichtigsten Unterlagen, Instrumente und Maschinen von Danzig nach Pribram gebracht wurden. Im April ging die Flucht dann weiter nach Bayern, wo die Mitarbeiter in einem Lager bei Bad Aibling unterkamen. Engel selber setzte sich ins Allgäu ab, wo er bei einem Bauern in einer Dachkammer zur Miete wohnte. Nach seiner eigenen Darstellung begann er umgehend wieder mit Raketenzeichnungen. Zuvor soll er zwei Tage bei BMW in München zusammen mit dem dort beschäftigten

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28

„Heute“, so Engel gegenüber Horeis Anfang der neunziger Jahre, „liegt er im Bundeswehrarchiv in Koblenz; die Rechnung dafür in Höhe von 272 000 Reichsmark steht immer noch offen“. Ebd., S. 74. Nachweis des Films im Bundesarchiv, Berlin, Filmarchiv, Magazin Nr. 1139, 11 Rollen, bei Nagel, Waffenforscher, S. 225, Anm. 58. Archiv des BND, Akte 28153_OT, Bl. 209f. Walter Dornberger bestätigt die Verhaftung von Brauns zusammen mit einigen anderen Raketenkonstrukteuren im März 1944 sowie seine entscheidende Rolle bei der Freilassung der Betroffenen. Rolf Engel erwähnt er mit keinem Wort. Anlass für die Verhaftungen seien Aussagen von Spitzeln in dem Peenemünde benachbarten Ostseebad Zinnowitz gewesen, die aus Gesprächen von Brauns mit seinen Mitarbeitern entnommen hatten, dass die Raketenexperten in Wahrheit keine Vergeltungswaffe für den militärischen Einsatz konstruierten, sondern Weltraumforschung betrieben. Sabotage lautete mithin der Haftgrund. Vgl. Walter Dornberger, Peenemünde. Die Geschichte der V-Waffen. Mit einem Geleitwort von Eberhard Rees, Huntsville/Alabama, Ilmenau (2) 2020, S. 222ff.

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Raketenfachmann Helmuth von Zborowski gewesen sein. Hier habe er Geheimakten zur Raketenentwicklung verbrannt.29 Von Zborowski ging 1946 auf „Einladung“ der Franzosen für mehrere Jahre nach Frankreich, wo er zunächst als Forschungsingenieur arbeitete.30 Engel, der öffentlich so gut wie nichts Familiäres über sich preisgegeben hat, war in Bayern auf sich allein gestellt, sieht man von der Begleitung durch seinen in Chicago geborenen, polnischen Fahrer Lucian ab. In dem Recherchenbericht von Wolfgang Löhde für den BND heißt es, Ende 1945 sei Engels erste Frau, eine Opernsängerin, gestorben, die er 1940 in Danzig geheiratet habe.31 Im Spätsommer 1945 griffen die Amerikaner Rolf Engel auf und brachten ihn in ein Lager bei Augsburg. Hier sah er sich intensiven Verhören zu seiner früheren Tätigkeit ausgesetzt – ein Angebot, künftig in den Vereinigten Staaten zu arbeiten, will er mit der Begründung abgelehnt haben, er habe gefürchtet, dort „wie eine Zitrone ausgepresst“ und dann wieder nach Hause geschickt zu werden. Nach den Ermittlungen von Löhde war Engel bei den Amerikanern stets auf dem Laufenden, weil sein mit ihm inhaftierter Fahrer jetzt für die Amerikaner dolmetschte. Engels Entlassung erfolgte nach etwa zwei Monaten. Der berühmte Atlantikflieger Charles Lindbergh habe ihn, der angeblich „vor dem Krieg mehrfach“ mit Lindbergh „zusammen geflogen“ sei, in dem Lager entdeckt und sich sofort für seine Freilassung eingesetzt, behauptete Engel gegenüber Heinz Horeis.32 Löhde erwähnt Lindbergh in seinem Dossier mit keinem Wort. Auch die Akten des BND wissen nichts über Lindbergh im Zusammenhang mit Engel. Über einen früheren Mitarbeiter in Großendorf, der inzwischen für Frankreich arbeitete, geriet Engel in Kontakt mit den Franzosen.33 In Kempten im Allgäu kam es zu einem Treffen mit drei französischen Offizieren, in dessen Folge Engel seine Vorstellungen für den Fall einer Zusammenarbeit schriftlich niederlegte. Sein Wunsch, künftig vorwiegend forschend tätig sein zu wollen, sei bei den Franzosen auf offene Ohren gestoßen, so Engel rückblickend. Auch von sowjetischer Seite wurde er – es war im April 1947 – wegen einer Kooperation auf dem Gebiet der Raketentechnik kontaktiert, ein Ansinnen, das er jedoch abgelehnt habe. In der zweiten Jahreshälfte 1947 wurde Engel unter Federführung des französischen Auslandsgeheimdienstes „Service de Documentation Extérieure et de Contre-Espionnage“ (SDECE) über Bad Kreuznach für einige Wochen in die Nähe von Paris gebracht, wo ihm drei Alternativen für seine künftige Arbeit in Frankreich unterbreitet wurden. Die beiden ersten Möglichkeiten, für das französische Heer oder die Marine tätig zu werden, lehnte er aufgrund seiner Erfahrungen 29 30

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32 33

Archiv des BND, Akte 100614_OT, Recherchenbericht, Bl. 51. Vgl. Heinz Gartmann, Träumer, Forscher, Konstrukteure. Das Abenteuer der Weltraumfahrt, Düsseldorf 1955, S. 259f. In anderen Unterlagen des BND wird wiederholt von einer Scheidung Engels von seiner ersten Frau am 10. April 1941 berichtet. Vgl. z. B. Ebd., Akte 28152_OT, Bl. 037. Vgl. Horeis, Engel, S. 76. Zur Karriere Engels nach 1945 vgl. auch Nagel, Waffenforscher, S. 310ff.

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mit dem deutschen Heereswaffenamt ab. Er entschied sich statt dessen für die französische Forschungsorganisation „Office National d’Études et de Récherches Aérospatiales“ (ONERA), vergleichbar etwa der amerikanischen NASA, die es ihm erlaubte, „an der Gesamtplanung für die Raketenentwicklung“ mitzuarbeiten. Engels Tätigkeit für die SS im Elsass während des vergangenen Krieges scheint für die Franzosen kein sonderliches Problem gewesen zu sein. Nachdem sich Engel in einem nördlich von Paris gelegenen Schloss samt Parkanlage, Teich, Wohnräumen und Büros eingerichtet hatte, stellte er seine künftige Arbeitsgruppe zusammen, die dann zeitweise aus 20 Männern bestand. Vertragsgemäß durfte er sich zwei Mitarbeiter selber aussuchen. Seine Wahl fiel auf Uwe Bödewadt aus seiner Danziger Zeit und einen Diplomingenieur namens Zimmermann, den er allerdings schon bald durch seinen langjährigen Kollegen Kurt Hanisch ersetzte. Rückblickend zählte Rolf Engel seine Zeit in Frankreich zu den „fruchtbarsten“ seines Lebens. Nachdem erst einmal die größten Sprachprobleme mit Hilfe eines Französischunterrichtes überwunden waren, konnten er, Bödewadt und Hanisch ihre französischen Kollegen durch Fachvorträge über die deutschen Erfahrungen in der Raketenforschung informieren. Dabei habe es sich als besonders vorteilhaft herausgestellt, so Engel, dass auf französischer Seite kaum Vorwissen und damit auch „keine vorgefaßten Meinungen vorhanden“ waren: „Die Franzosen nahmen alles bereitwillig auf, was man ihnen in vernünftiger Weise darbot“. Seit 1949 verlagerte sich die Arbeit nach Chatillon im Süden der Hauptstadt, wo die ONERA ihre „großen Werkstätten und Labors“ betrieb. In Brunoy, das uns bereits seit den Tagen Kurt Hermann Füllners in Ägypten bekannt ist, bezog Engel ein Haus. In dieser Zeit schrieb er das sofort ins Französische übersetzte Buch „Begriffe der Raketentechnik“ und gemeinsam mit Kurt Hanisch ein Werk über den Bau einer „Außenstation“ im Weltraum, das jedoch nicht den ungeteilten Beifall der ONERA fand. Man meinte dort, ein solches Projekt – nach den Vorstellungen der Autoren zunächst ein Satellit  – sei doch reichlich Zukunftsmusik.34 Bereits im Jahre 1948 begann die Gruppe um Engel mit der Arbeit an einer Rakete, die als Höhenforschungssonde „Véronique“35 in die Geschichte des Raketenbaus eingegangen ist. Als Flüssigkeitsrakete, deren Ursprung in Peenemünde lag, gehörte sie mit einer Länge von 6,5 Metern und einem Gewicht von mehr als einer Tonne bereits zu den eher „großen“ Raketen. Nach fast einem Jahr Arbeit an der Véronique wurde Engel das Projekt überraschend und ohne Begründung aus der Hand genommen und dem französischen Heereswaffenamt in Meudon südwestlich von Paris übertragen. Es war der frühere Peenemünder Triebwerksspezialist Wolfgang Pilz, der hier künftig über der Véronique brüten sollte, und dem wir in 34 35

Horeis, Engel, S. 82. Das Akronym Véronique steht für „Vernon-électronique“; es verweist auf die Stadt Vernon westlich von Paris und damit auf den Standort des französischen Raketenforschungszentrums.

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Ägypten wieder begegnen werden. Für Engel war diese Wende der Anlass, sich nach einem neuen Betätigungsfeld umzusehen, zumal auch die Forschungsausgaben bei der ONERA stagnierten und keine neuen Projekte in Angriff genommen wurden.36 Nach eigener Aussage lernte Engel im Jahre 1950 den Grafen Stefan Czarnecki kennen. Aus Polen stammend, hatte dieser sich während des letzten Krieges in den Vereinigten Staaten aufgehalten, die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen, sich dann aber nach 1945 in Paris niedergelassen. Er war wohl, wie Rolf Engel berichtet, eine schillernde Figur – Industrieller, Waffenhändler und Filmproduzent. Zu seinen Kunden für militärisches Gerät zählten vor dem Zweiten Weltkrieg China und die spanische Volksfront, nach dem Krieg gehörte Israel zu seinen besten Kunden. Czarnecki hatte eine Vision. In Frankreich wollte er ein großes internationales Forschungszentrum entstehen lassen, in dem Wissenschaftler aus aller Welt arbeiten sollten. Dass unmittelbar nach dem Krieg auch deutsche Experten aus Peenemünde dazu gehören sollten, missfiel jedoch den Franzosen. Alternativ konfrontierte Czarnecki Engel, Bödewadt und Hanisch eines Abends mit einem exquisiten Dinner und seiner Idee, eine deutsche Gruppe mit raketentechnologischem Know-how solle in einem europäischen Land Raketen bauen. Er renommierte bei Tisch mit guten Beziehungen zum schwedischen Bofors-Konzern und zur schwedischen Industriellenfamilie Wallenberg ebenso wie mit Verbindungen zum Industriezulieferer Hispano Suiza in Spanien. Zu dieser Zeit, als Engel mit dem Grafen Czarnecki im Gespräch war, tauchte, wie bereits geschildert, Kurt Hermann Füllner samt ägyptischem Staatssekretär bei Engel in Brunoy auf. Auf Einladung des Staatssekretärs fand in der ägyptischen Botschaft in Paris zu Ehren von Engel ein spezielles Abendessen mit einem „Berg dampfenden Sauerkrauts mit Würstchen“ statt, mit dem dem deutschen Raketenbauer ganz offenbar geschmeichelt werden sollte. Engel kam bei dieser Gelegenheit einem Wunsch der Ägypter nach und erklärte sich grundsätzlich bereit, die bisherige füllnersche Arbeit am Nil zu begutachten. Mit Genehmigung seiner französischen Vorgesetzten reiste Engel Anfang 1952 nach Kairo, schrieb einen vernichtenden Bericht über das, was er gesehen hatte, und kehrte nach Paris zurück. Im Mai 1952 trat der Militärattaché der ägyptischen Botschaft in Paris mit einem waffentechnischen Projekt an Engel heran. Für die ägyptischen Jagdflugzeuge suche man Luft-LuftRaketen vom Kaliber 8 cm, die man aber unbedingt selber in Ägypten herstellen wolle. Ob Engel bereit sei, eine entsprechende Fertigungsstätte am Nil aufzubauen? Hier bot sich Engel die Chance, das einst in seiner Versuchsanstalt Großendorf begonnene Projekt einer Luft-LuftRakete in modifizierter Form zu realisieren. Seine französische Dienststelle gab nach einer Rücksprache Engels grünes Licht – dies umso mehr, als Engel angeboten hatte, einen ihrer Beamten in das Land der Pharaonen mitzunehmen. 36

Das Folgende nach Horeis, Engel, S. 84ff.

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In Kairo einigte sich Engel mit den Ägyptern auf die Gründung einer Firma mit zwei Gesellschaftern: Der eine war Graf Czarnecki, den Engel selber vorschlug und der 20 000 Dollar Startkapital einbrachte. Die ägyptische Seite stellte einen gewissen Comte de Lavison, der angeblich auf der Sinai-Halbinsel eine reiche Goldmine betrieb. Gegenüber seinem Interviewpartner Heinz Horeis hob Engel hervor, dass die Beteiligung Czarneckis „mit Billigung des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ben-Gurion“ erfolgt sei und zog als Beleg für diese Behauptung das Buch von Philippe Bernert über den französischen Auslandsgeheimdienst SDECE heran.37 Die entsprechende Textstelle bei Bernert zeigt jedoch, dass Ben-Gurion im persönlichen Gespräch mit Czarnecki nur die Option zwischen Pest und Cholera gehabt hatte: Vor die Wahl gestellt, ob eher die Briten oder er, Czarnecki, Waffen an das neue Revolutionsregime von General Nagib in Kairo liefern sollten, gab der Ministerpräsident klein bei und sprach sich für den gebürtigen Grafen aus.38 Folgt man der Darstellung von Rolf Engel, ging der Name für die künftige ägyptische Firma auf eine listige Idee zurück, die er sich gemeinsam mit seinen Kollegen Bödewadt und Hanisch ausgedacht habe: Die bereits oben kurz erwähnte CERVA stand zwar für „Compagnie des Engines à Réactions à Vol Accéléré“, doch die Anfangsbuchstaben der beiden letzten Worte sollten zugleich an die Zeiten der VA – Versuchsanstalt Großendorf – erinnern.39 Es ist bemerkenswert, dass weder Engel selber noch die einschlägige Literatur etwas darüber berichten, bei welcher Gelegenheit er mit Wilhelm Voss, dem Chef des ägyptischen Central Planning Board, vor Kriegsende bei Skoda in Tschechien zusammengetroffen war. Immerhin hatte Voss, wie oben gezeigt, seinerseits den Aufenthalt von Engel in Pribram bestätigt. In den freigegebenen Unterlagen des BND findet sich ein Schreiben dieser Behörde an das Bundesamt für Verfassungsschutz vom 25. April 1960, in dem eine Verknüpfung der Personen Engel, Czarnecki und Voss mit der Perspektive „Ägypten“ vorgenommen wird. Darin heißt es: 37 38 39

Philippe Bernert, SDECE. Service 7, Paris 1980. Ebd., S. 172. Paul Frank alias Avri El-Ad, der israelische Spion in Ägypten, war, wie wir gesehen hatten, eher zufällig in engen Kontakt mit der deutschen Gemeinde in Kairo geraten. Mit Rolf Engel, der selbstredend keine Ahnung von der wahren Identität Franks hatte, sprach der Israeli auch über de Lavison. Engel habe ihm erklärt, de Lavison sei eigentlich Jude, heiße mit richtigem Namen Levinson und habe vom Vatikan den Titel „Comte“ gekauft. Auf Franks ungläubige Entgegnung, es sei unmöglich, dass ein Jude Anteile an der Raketenproduktion Ägyptens halte, die irgendwann gegen Israel zum Einsatz kommen werde, reagierte Engel mit der Bemerkung, de Lavison betreibe in der CERVA Sabotage. Frank möge bei seinem nächsten Aufenthalt in Europa Erkundigungen über den Comte einholen. In Rom erfuhr Frank dann von seinem Vorgesetzten, dass de Lavison zumindest den israelischen Nachrichtendiensten unbekannt sei. Vgl. El-Ad, Decline, S. 110f. und 127. Auch der uns später wieder begegnende deutsche Radarexperte Paul Goercke, der ebenfalls für die CERVA in Ägypten tätig war, hob in einem Interview mit der „Zürcher Woche“ vom 3. Mai 1963 hervor, dass de Lavison Jude sei. Vgl. auch Sirrs, Nasser, S. 16f.

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Kapitel III: „[…] ein zeitgemäß geschliffenes Schwert zu schmieden“ „Nach dem Zusammenbruch rettete Engel seine Unterlagen, welche den Forschungsund Entwicklungsstand des deutschen Raketenbaus (ohne V 2) darstellten, und machte diese für eigene Geschäfte nutzbar. Er versuchte mit diesen Unterlagen in den Jahren 1947 bis etwa 1950 mit den Franzosen ins Geschäft zu kommen und bediente sich dabei der Vermittlung des in Paris ansässigen Waffenhändlers Charnecki [sic], der eventuell mit dem Charnecki identisch ist, der vor dem Kriege in der Verkaufsleitung der Firma Stockes-Brandt (Minen- und Granatwerfer) in Warschau tätig war und nach dem Kriege Aufgaben für den polnischen ND [Nachrichtendienst, A. H.] durchgeführt haben soll. Als die Verhandlungen mit den Franzosen sich 1952 zerschlugen, versuchte Engel seine Unterlagen einem anderen Lande nutzbar zu machen. Er nahm Verbindung mit Dr. Voss, Chef der deutschen Beratergruppe in Ägypten, auf. Dr. Voss versuchte Engel als Raketenfachmann in die deutsche Mission in Ägypten einzuschleusen, was jedoch mißlang. Trotzdem gelang es Dr. Voss, für Engel bei der ägyptischen Regierung die Erlaubnis zu erwirken, daß er auf ‚privates Risiko‘ ohne offiziellen Auftrag eine Raketenforschung und -entwicklung betreiben kann“40.

Nach diesen Informationen, die möglicherweise auf Mitteilungen Hermann Pitzkens zurückgingen, war Rolf Engel in der Ägypten-Mission offenbar nicht der Umworbene, sondern der angemessene Beschäftigung Suchende gewesen. Pitzken hatte in der bereits erwähnten Befragung durch das BfV Voss und Ägypten ebenfalls erwähnt und indirekt bestätigt, selber am Nil gewesen zu sein. Er habe seinerzeit, so Pitzken laut einer BND-Aufzeichnung, „mehrmaliges Anerbieten“ Rolf Engels zur Mitarbeit am Nil mit der Begründung abgelehnt, „daß Engel eben nicht genügend Fachmann sei, um mit Erfolg in Ägypten Forschungen betreiben zu können“. Engel müsse „doch erst einmal beweisen, daß er der Fachmann auf dem Gebiet der Raketenforschung sei“41. Mitten hinein in den Start der CERVA im Juli 1952 fiel die Revolution der Freien Offiziere in Ägypten. Diese zeigten sich durchaus willens, das unter König Faruk begonnene Raketenprojekt fortzuführen. Rolf Engel richtete sich mit seinen rund 20 Technikern und weiteren Mitarbeitern in Werkstätten und Büroräumen in Heliopolis nahe Kairos ein. Seine Gesprächspartner auf ägyptischer Seite waren der an der Sorbonne ausgebildete Ali Sabri, der nach Engels Eindruck „einiges von Raketen verstand“, ferner Hakim Amer, der kommende starke Mann in den ägyptischen Streitkräften sowie Ahmed Sidky, ein später zum Marschall beförderter Luftwaffengeneral.

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Archiv des BND, Akte 28152_OT, Bl. 075f. Ebd., Akte 28153_OT, Bl. 210.

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Bereits ein knappes Jahr nach seiner Ankunft in Kairo gründete Engel die „Ägyptische Astronautische Gesellschaft“ (Egyptian Astronautical Society), die er auch einige Jahre auf internationalen Kongressen vertrat.42 1955 schied Stefan Czarnecki als CERVA-Gesellschafter aus, nachdem die Ägypter herausgefunden hatten, dass dieser am Bau eines Hotels im israelischen Haifa beteiligt war.43 Mit Mühe habe er, Engel, Czarneckis Einlage bei der CERVA in Höhe von 20 000 Dollar für diesen zurückbekommen können. Statt Czarneckis trat nun Abud Pascha als Gesellschafter in die Firma ein, angeblich der damals reichste Mann Ägyptens. Ende 1956 hatte die Gruppe um Rolf Engel die geplante Rakete so weit fertiggestellt, dass in der Libyschen Wüste ein Abnahmeschießen erfolgen konnte. Im Falle des Erfolges sah Engel seinen Auftrag in Ägypten als erfüllt an und würde sich einer neuen Aufgabe zuwenden. Tatsächlich gelang das Abnahmeschießen, es wurde, wie Engel sagte, ein „voller Erfolg“ vor einem von ihm und seinen Mitarbeitern niemals erwarteten Riesenpublikum aus Angehörigen des Militärs und der politischen Elite des Landes. Peinlich genau achtete Engel mit Hilfe ägyptischer Fallschirmjäger darauf, dass nach dem Versuch niemand das Gelände verließ, dessen Unterschrift er für das Abnahmeprotokoll benötigte. Eine knappe Ansprache schloss er mit den Worten: „Die ägyptische Armee hat die Rakete abgenommen. Damit ist mein Vertrag mit dem Ministerium erfüllt. Ich kehre nach Europa zurück“. Folgt man den Schilderungen Engels über sein Ende in Ägypten, hatte er zur Zeit des erfolgreichen Raketentests zwei berufliche Optionen für die Zukunft: Ein amerikanisches Angebot lehnte er ab, für ein anderes, anlässlich eines Kongresses in Rom eröffnetes, hielt er sich die Entscheidung offen. Dabei ging es um die künftige Raketenentwicklung in Italien. Bei der Rückkehr aus Rom nach Kairo sah er sich und sein Team in den Suezkrieg verwickelt. In aller Eile verbrachte er wichtige Unterlagen in einige Munitionskisten und ließ sie per Schiff über Alexandria nach Genua bringen, wo sie auch sicher eintrafen. Er selber zog sich mit seiner (zweiten) Frau nilaufwärts nach Luxor in ein zuvor geheim gemietetes Apartment zurück, über dessen Existenz von seinen Mitarbeitern nur Uwe Bödewadt und Kurt Hanisch informiert waren. Zur Jahresmitte 1957 verließ das Ehepaar Engel Ägypten für immer. Rolf Engel hat ohne Emotionen auf seine Zeit am Nil zurückgeblickt: „Ich bedaure den Weggang aus Ägypten nicht“, heißt es bei Heinz Horeis. Insbesondere die Bürokratie habe ihm und seinen Leuten die Arbeit schwer gemacht, ferner habe die „mangelnde Qualifikation der ägyptischen Arbeiter […] eine weitere Quelle steten Ärgernisses“ gebildet. Es sei u. a. sein Ziel gewesen, einen 42

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Vgl. dazu den kurzen, englischsprachigen Erinnerungstext von Frederick C. Durant: „Recollections of Rolf Engel“, in: Horeis, Engel, S. 120f. Gegenüber der amerikanischen CIA hatte Engel seinerzeit behauptet, die Ägypter hätten die Zusammenarbeit mit Czarnecki beenden wollen, weil dieser Munition an die Israelis verkauft habe. Vgl. CIA (FOIA), Engel, Dr. Rolf_0002.pdf, Karteikarte Rolf Engel, Eintrag vom 16. November 1954.

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„technischen Mittelstand“ unter seinen einheimischen Mitarbeitern heranzuziehen  – die „mittlere Schicht, die Techniker und Meister“. Auf einer Sitzung des von Präsident Nasser selber geschaffenen Forschungs- und Entwicklungsrates habe er, Engel, das entsprechende Projekt einer neu zu schaffenden „Werksschule“ vorgetragen und sich prompt eine Abfuhr des anwesenden Staatschefs eingehandelt. „Mit Nasser zu argumentieren, war unmöglich“, so Engel rückblickend. „Er war ein Fanatiker, zutiefst von seiner Sendung und Auffassung überzeugt. Er wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß ein anderer auch einmal recht haben könnte. Ich mußte mit meinem Rücktritt drohen, damit er mir die Werksschule bewilligte“44.

Engel nannte schließlich einen weiteren Grund für das Ende seines ägyptischen Engagements: Die Russen seien seit längerem darauf aus gewesen, seine Stellung einzunehmen. Sie hätten später die CERVA, die Gebäude, Werkstätten und Maschinen übernommen, mit denen sie ihre Katjuscha-Raketen fertigten. Die von ihm und seiner Mannschaft entwickelte 8-cm-Rakete sei nicht weiter gebaut worden. Dieser Darstellung Rolf Engels seien noch einige Informationen aus anderen Quellen gegenübergestellt, die dazu beitragen sollen, das Selbstbild des Raketenexperten ein wenig zu prüfen. Offenbar hat das ehemalige SS-Mitglied Engel in seinen Gesprächen mit Heinz Horeis keinerlei Gedanken darüber geäußert, wie sich seine rein militärische Arbeit in Ägypten eines Tages für den Staat Israel und seine Bewohner auswirken könnte – oder aber, solche Gedanken haben keinen Eingang in den Text von Horeis gefunden. Ob und wann Rolf Engel je hinter die wahre Identität des israelischen Spions Paul Frank alias El-Ad, mit dem er in seiner Zeit in Ägypten recht engen Kontakt hielt, gekommen ist, bleibt ungeklärt. Doch selbst nach der Beendigung seiner Tätigkeit am Nil spielte Frank eine Rolle für Engel. Engel war im Herbst 1958 möglicherweise bereit, für die Israelis zu arbeiten. Dies legt eine Aufzeichnung des BND mit der Überschrift „Kontakte des V-20 200 zum Israelitischen [sic] ND“ vom 3.  November 1958 nahe.45 Die Aufzeichnung fasste den Gesprächsinhalt dreier Treffen Engels in Rom mit einem israelischen Raketenexperten namens Yaron (in anderen Quellen auch Jaron), ferner mit dem damals bereits renommierten Physiker und Luftfahrttechniker Theodore von Kármán – eine „leitende Persönlichkeit im NATO-Hauptquartier“, so die Aufzeichnung – sowie mit einem israelischen „ND-Führer“ namens Karun zusammen. Bei ihren Begegnungen unterbreitete Yaron Engel zunächst ein israelisches Projekt und erbat von ihm eine Beurteilung der technischen Möglichkeiten zu seiner Realisierung. 44 45

Vgl. Horeis, Engel, S. 89. Archiv des BND, Akte 28153_OT, Bl. 153–56.

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Das israelische Vorhaben lautete: „Bau einer Rakete von 150 km Reichweite mit 500 kg Nutzlast“. In seiner Stellungnahme meinte Engel, das für das Projekt bereitstehende Treibmittel – ein „Spezialpulver“ – verfüge über „geradezu hervorragende Daten“ und könne angeblich „nur aus amerikanischer Hand stammen“. Engel wurde für das israelische Vorhaben eine Beratertätigkeit angeboten, die er von Rom aus ausüben konnte. Die monatliche Vergütung sollte sich auf 5000 Dollar belaufen. Abgesehen von diesem Gesprächsgegenstand ging es laut dem BNDPapier in den weiteren Unterredungen der Beteiligten nur noch um Paul Frank, von dem es in der Aufzeichnung hieß, Engel habe ihn aus seiner Zeit in Kairo gekannt und mit ihm Kontakt gehabt. Der bei den Besprechungen in Rom anwesende israelische ND-Mann Karun meinte dem Papier zufolge, Frank sei „vor 5 Monaten in einer wichtigen israelischen Mission verloren oder über den Deich gegangen“46. Die vier Herren spekulierten des Weiteren darüber, für welchen Nachrichtendienst außer dem israelischen Frank noch gearbeitet haben könnte. Dabei wurde auch der BND in Betracht gezogen, es blieben schließlich aber „nur die Dienste Ägyptens und der Sowjet-Union übrig“. Die Aufzeichnung, die auf Mitteilungen Engels gegenüber dem BND beruhte, stellte ein wenig kryptisch fest: „Quelle“, also Engel, „hat ihre Erkenntnisse zum Fall Frank freimütig dargelegt“. Karun habe die „nützliche Hilfestellung mit 1000 Dollar begleichen“ wollen, doch habe Engel „die Annahme des Betrages abgelehnt“. Am nächsten Morgen „wurden für Quelle 10 Flaschen französischen Cognacs durch einen Boten abgegeben“. Gegenüber seinen Befragern vom BND äußerte Engel, er wisse nicht, ob das Gespräch über das israelische Raketenprojekt nur ein „Einführungsvorwand“ für das Thema Paul Frank gewesen sei. Es sei eine weitere Gesprächsrunde zu den Komplexen Frank und Raketen vorgesehen. Abschließend hielt die Aufzeichnung fest: „Quelle neigt dazu, die angebliche Beratertätigkeit für das israelitische Projekt anzunehmen“. Kurz vor der endgültigen Abschaltung Engels durch den BND im Jahre 1967 fertigte dieser im Juni 1966 noch ein 64-seitiges Dossier über Rolf Engel an.47 Auch hier ging es noch einmal um Kontakte zu israelischen Personen, u.  a. zu „Jaron“, dem Raketenexperten. Das Dossier listete in knapper Form verschiedene Treffen Engels mit Jaron auf, mal mit Jaron in Begleitung eines israelischen ND-Mannes, mal ohne Begleitung im Herbst 1961 in Rom sowie am Pariser Flughafen Orly. Gesprächsgegenstände waren zu dieser Zeit die Raketenentwicklung in Ägypten unter der Leitung Eugen Sängers bzw. nach dessen zeitigem Abgang Wolfgang Pilz’ sowie das mysteriöse Verschwinden des Juristen Heinz Krug im September 1962. Engel 46

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Wahrscheinlich wusste Karun es besser: Mitte Dezember 1957 war Avri El-Ad in Tel Aviv unter dem Verdacht, in der Bundesrepublik Kontakt zum Militärattaché der ägyptischen Botschaft in Bonn unterhalten zu haben, verhaftet worden. Später gestand El-Ad, einen Meineid geleistet zu haben. Er erhielt eine zwölfjährige Gefängnisstrafe. Vgl. Der Spiegel Nr. 15 vom 3. April 1972, „Der dritte Mann“. Archiv des BND, Akte 28152_OT, Bl. 235ff.

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gehörte dieser Gruppe nicht mehr an  – zu den genannten Personen und Vorgängen weiter unten mehr. Laut dem Dossier von 1966 ging es bei dem ersten Gespräch Engels mit Yaron in Rom u. a. auch um die „militärische Verwendbarkeit der ägyptischen Rakete“. Bei einem zweiten Treffen, ca. vier bis sechs Wochen später, lotete der israelische Wissenschaftler bei Engel eine „Kontaktmöglichkeit“ zu den in Ägypten tätigen deutschen Elektronik- bzw. Triebwerksexperten Paul Goercke und Wolfgang Pilz aus. Engels Reaktion laut dem Dossier: „Goercke und Pilz wären unbedingt vertragstreu, keine Hoffnung auf evtl. Abwerbung“.48 Die Aufzeichnung schloss diesen Abschnitt mit der Information, Engel habe versichert, „keinen Kontakt zur Israel-Botschaft in Rom gehabt“ zu haben.49 Ob und in welchem Umfang Rolf Engel mit Israel kooperiert hat, ist angesichts der Quellenlage kaum zu beurteilen. Nur der Vollständigkeit halber sei noch auf eine rätselhafte Meldung der amerikanischen CIA vom 3. April 1963 aus Wien verwiesen, nach der Engel anlässlich eines Besuches in der Bundesrepublik Mitte 1961 von „unidentified Israeli agents“ angesprochen und gewarnt worden sei, seine Arbeit in Ägypten fortzusetzen. Die weitere Raketenproduktion am Nil werde zu einem bewaffneten Konflikt mit Israel führen. Engel habe daraufhin, so die Wiener Meldung, umgehend seiner Frau in Kairo telegrafiert und sie aufgefordert, unter Zurücklassung all ihrer Habe sofort zu ihm nach Deutschland zu kommen.50 Diese Meldung ist insofern merkwürdig, als sich das Ehepaar Engel zum Zeitpunkt des angeblichen Treffens von Rolf Engel mit den israelischen Agenten längst nicht mehr in Ägypten befand, der Raketenfachmann hatte seine Arbeit in dem Land bereits vier Jahre zuvor beendet. Interessanterweise fällt jedoch die Terminierung des Treffens in den Beginn jener Periode, in der israelische Geheimdienstler tatsächlich Druck aller Art auf deutsche Raketenexperten am Nil mit dem Ziel ausübten, sie zur Beendigung ihrer dortigen Arbeit zu bewegen – auch davon weiter unten mehr. In Ergänzung zu und z. T. abweichend von der Darstellung von Heinz Horeis über Engels Zeit in Ägypten, bieten die Unterlagen des BND noch weitere diesbezügliche Informationen, deren Korrektheit naturgemäß schwer zu überprüfen ist. Während Engel gegenüber Horeis sehr zurückhaltend mit der Nennung weiterer Namen seines Teams in Ägypten war, kursierten beim BND verschiedene Listen mit meist 13 bis 14 Namen einschließlich jenes von Engel. Da die meisten von ihnen in unserer Geschichte keine weitere Rolle spielen, genügt ein Blick auf einige wenige. Es handelt sich dabei vor allem um den Radar- und Elektronikfachmann Paul Goercke und den Ingenieur Ludwig Bölkow, den 48

49 50

Hinter den Rücken Rolf Engels und des Radarfachmanns Paul Goercke kaufte Paul Frank von dem bei dem Raketenprojekt beschäftigten Graf Wilhelm Kubie Mikrofilme mit Aufnahmen vom Lenksystem der Raketen sowie des Radarsystems, das Goercke entwickelt hatte, und übermittelte sie seiner Dienststelle in Israel. Vgl. El-Ad, Decline, S. 158. Archiv des BND, Akte 28152_OT, Bl. 235f. CIA (FOIA), Engel, Dr. Rolf_0020.pdf, confidential.

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Raketen made in Egypt „die Erste“

bekannten Flugzeugkonstrukteur, der sowohl für Engel als auch für das weitere Berufsleben anderer deutscher Experten in Ägypten noch eine wichtige Rolle spielen sollte. Wohl aufgrund seiner umfassenden Sprachkenntnisse (Englisch, Französisch und Russisch) hatte Engel auch den Schwager aus seiner zweiten Ehe, Emanuel Stippberger, mit an den Nil genommen. Stippberger verfügte darüber hinaus über eine kaufmännische Ausbildung und ging später als Dolmetscher zur Montanunion.51 Eine Zusammenfassung der BND-Erkenntnisse über die Arbeit der Gruppe um Rolf Engel bietet die bereits erwähnte Aufzeichnung des Dienstes vom 3. November 1958, aus der im Folgenden ausführlich zitiert werden soll. Ihr Verfasser weist einleitend darauf hin, dass „alle aus Ägypten eingezogenen Auskünfte über Engel mit einem gewissen Vorbehalt zu beurteilen“ seien, „weil sie meist einer gewissen Sachlichkeit“ entbehrten. Dies vorausgeschickt, fährt der Autor fort: Engel sollte in der CERVA-Fabrik „20 000 Tragflächenraketen für englische Vampire-Düsenflugzeuge herstellen, die den Ägyptern von den Engländern überlassen worden waren. Die Konstruktion dieser Raketen war beendet und die Produktion sollte 1955 beginnen. Engel wußte damals noch nicht, daß bereits Verhandlungen mit den Tschechen wegen der Ostblock-Waffen liefen. Im Juni 1955 wurde Engel dann mitgeteilt, daß er seine Entwicklung so durchführen sollte, daß diese Raketen auch bei [sowjetischen, A. H.] MiG-Flugzeugen Verwendung finden könnten. Da die Flugeigenschaften der MiG, insbesondere der MiG-15, andere waren als bei der englischen Vampire, bat Engel die Ägypter, bei den Sowjets Flugberichte aus dem Korea-Krieg der frühen fünfziger Jahre zu erlangen, wo die MiG-15 mit Zusatzbehältern geflogen wurden, die, aerodynamisch gesehen, dieselben Voraussetzungen erfordern wie Tragflächenraketen. Die sowjetische Seite lehnte diese Forderung ab. Engel sollte nun rein theoretisch diese Raketen konstruieren, hatte aber keine Möglichkeit, Versuche mit den bereits in Ägypten eingetroffenen MiG-15 zu machen. Engel entwickelte mit seinen Mitarbeitern diese Rakete und forderte bereits im Frühjahr 1956 die Anschaffung weiterer Maschinen, die für die Serienproduktion unbedingt notwendig waren. Dieser Forderung wurde aus finanziellen Gründen nicht nachgekommen, so dass dann zu Beginn des Oktobers 1956 die Serienproduktion aus täglich nur 25 Raketen bestand, was praktisch einer Handfertigung gleichkam. Die Suezkrise lenkte die Aufmerksamkeit des ägyptischen Generalstabs auf die Raketenproduktion, und übelwollende Ägypter stellten die Behauptung auf, Engel oder die deutsche Gruppe habe die rechtzeitige Aufnahme der Serienproduktion verzögert. Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit den Ägyptern bestanden während des ganzen Aufenthalts der deutschen Gruppe in Ägypten von 1952–1957 besonders wegen des chronischen Geldmangels der CERVA. 51

Archiv des BND, Akte 28152_OT, Bl. 199.

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Kapitel III: „[…] ein zeitgemäß geschliffenes Schwert zu schmieden“ Dieser Geldmangel ist in erster Linie durch den jetzigen Militärattaché in Prag, Ezzadin Ramzi, künstlich erzeugt worden – Ramzi war bis zu seiner Versetzung nach Prag Aufsichtsführender der CERVA  – weil Ramzi durch Bestechungsgelder von Oerlikon [Fa. Oerlikon-Bührle in Oerlikon/Zürich, A. H.], die bislang Übungsraketen lieferten, an einer Eigenproduktion nicht interessiert war“52.

In einer zusätzlichen „Bemerkung“ zu diesen Ausführungen hieß es noch: „Ramzi wurde erst im August 1957 von dem ägyptischen Militärattaché in Bonn, Osman Nuri, ungünstig beurteilt, da Ramzi schon seit längerer Zeit zu dem Kreis von Offizieren gehöre, die für den Ausbau engerer Beziehungen zu den Ostblock-Staaten einträten“. Die sich „hieraus ergebenden Schwierigkeiten“ hätten vermutlich dazu beigetragen, so der Verfasser, dass Engel und seine Leute „nach dem Suezkrieg ihre Arbeit nicht wieder aufnehmen durften“. Nach seiner Rückkehr aus Ägypten im Jahre 1957 nahm das Ehepaar Engel seinen ersten Wohnsitz in der Münchner Habsburgerstraße, als ihren zweiten wählten sie die Via Malpighi in Rom. Hier arbeitete Rolf Engel dann einige Jahre als Berater für das italienische Kriegsministerium. Das Haus in der Habsburgerstraße der bayerischen Landeshauptstadt könnte mit seinen damaligen Bewohnern und den dort ein- und ausgehenden Besuchern dem BND zufolge reichlich Stoff für einen unterhaltsamen Roman abgegeben haben.53 Nicht nur wohnte das Ehepaar Engel dort, sondern, Zufall oder nicht, auch die Firma Labora des Bruders Hans des uns bereits begegneten stellvertretenden Reichsjugendführers Hartmann Lauterbacher nutzte Räume in dieser Immobilie. Hartmann Lauterbacher, nach Recherchen des „Spiegel“ ehemaliger hauptamtlicher Mitarbeiter des BND und „höchster Nazi-Funktionär, den der BND jemals eingestellt hat“ – Registriernummer V-6300 – koordinierte von hier aus u. a. sein Geschäft mit der Aufstellung von Werbetafeln am Suezkanal.54 Ein weiterer Mieter des Hauses im Schwabinger Westen war nach den Erkenntnissen des BND ein mutmaßlicher Agent des jugoslawischen Geheimdienstes. Die „Anlage 3“ einer BND-Aufzeichnung über Rolf Engel vom 29. August 1962 wusste von einem Besuch des ägyptischen Gesundheitsministers Dr. Hadi Galal bei einem BND-Mitarbeiter mit der Registriernummer V-6400 in dem Anwesen in der Habsburgerstraße etwa Anfang 1961 zu berichten – möglicherweise verbarg sich hinter dieser Nummer Hartmann Lauterbachers Bruder Hans. Der Aufzeichnung zufolge war der Ägypter einer privaten Einladung

52 53 54

Ebd., Akte 28153_OT, Bl. 153–56. Archiv des BND, Akte 28152_OT, Bericht über Rolf Engel vom September 1965, Bl. 036. Vgl. Der Spiegel Nr. 51 vom 14. Dezember 2014, „Nazi beim BND“. Vgl auch. Lauterbacher, Erlebt, S. 359.

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von V-6400 gefolgt und beim Betreten des Hauses Rolf Engel begegnet. „Was für ein Volk wohnt hier bei Euch im Hause?“, habe der Minister V-6400 gefragt und ergänzt, ob dieser einen gewissen Engel kenne. V-6400 verneinte „im ganzen Umfang“. Galal habe daraufhin Engel als einen „Halunken und Betrüger“ bezeichnet, der sich für seine „angeblichen wissenschaftlichen und technischen Arbeiten (Entwicklungsarbeiten für eine ägyptische Rakete) von der ägyptischen Regierung habe hoch bezahlen lassen. Darüber hinaus habe Engel „noch für einen deutschen Nachrichtendienst gearbeitet“ [in der Aufzeichnung unterstrichen, A. H.]. Engel würde, so Galal, „sofort verhaftet, wenn er je wieder arabischen oder ägyptischen Boden beträte“55. Recht viel Aufmerksamkeit widmete auch die CIA der Tätigkeit Engels am Nil. Hinsichtlich seiner Persönlichkeit kamen Beobachtungen vom August 1953 zu dem Ergebnis, dass diese „attraktiv, verbindlich und geschliffen im Umgang“ sei. Ihn umgebe die deutliche Aura (air) eines Opportunisten, und er erfreue sich unter den Deutschen in Kairo keiner besonderen Wertschätzung, vor allem nicht unter „older rocket men“56. Unter dem 10. Dezember 1953 notierte eine CIA-Karteikarte zu Engel, dass dieser als „eines der extremsten Nazi-Elemente innerhalb der deutschen Beratergruppe“ um Wilhelm Voss beschrieben werde und eng mit dem deutschen Waffenhändler Wilhelm Beissner verbunden sei, welcher ihn über die „Aktivitäten deutscher faschistischer Gruppen in Argentinien und Spanien auf dem Laufenden“ halte.57 Auch mit dem zeitweiligen CERVA-Gesellschafter Graf Czarnecki hielt die CIA offensichtlich Kontakt. Nach einer Notiz des Dienstes vom 22. März 1954, die auf einem Gespräch mit dem Grafen beruhte, war Engel derjenige gewesen, der die Zwietracht zwischen Czarnecki und der ägyptischen Regierung gesät hatte, die schließlich zum Ausstieg des Grafen aus dem Raketenprojekt geführt hatte. Czarnecki informierte die Amerikaner auch darüber, dass der renommierte Raketenfachmann Eugen Sänger es abgelehnt habe, unter Rolf Engel für die CERVA zu arbeiten.58 Vom Sommer 1954 datieren Spuren in den Unterlagen der CIA, denen zufolge Engel selber in Kontakt mit den Amerikanern stand und möglicherweise eine engere Verbindung mit ihnen einzugehen bereit war. Laut einer Notiz der CIA vom 18. August 1954 habe er anlässlich einer internationalen Konferenz von Raketenexperten in Innsbruck nicht nur über Pläne der ägyptischen

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Archiv des BND, Akte 28152_OT, Bl. 163. Dass es sich bei Galal um den ägyptischen Gesundheitsminister handelte, geht nicht aus dem BND-Bericht, sondern aus den Memoiren Hartmann Lauterbachers hervor, der den Ägypter darin als einen seiner „Freunde“ am Nil bezeichnete. Vgl. ders., Erlebt, S. 364. In einer Aufzeichnung des BND vom 15. November 1960 findet sich die knappe Bemerkung, Rolf Engel werde durch „Dr. Galal im Auftrag des Nachrichtendienstes der VAR überwacht“. Vgl. Archiv des BND, Akte 28152_OT, Bl. 326. Vgl. CIA (FOIA), Engel, Dr. Rolf_0002.pdf. Ebd. Ebd.

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Kapitel III: „[…] ein zeitgemäß geschliffenes Schwert zu schmieden“

Raketenentwicklung gesprochen, sondern sich auch mit einem amerikanischen Luftattaché unterhalten, dessen Dienstort auf der verwendeten Karteikarte jedoch ungenannt blieb. Dem Eintrag auf der Karte zufolge behauptete Engel gegenüber seinem Gesprächspartner, die Deutschen am Nil seien in einer „exzellenten Position, um Bonn über Entwicklungen im Nahen Osten auf dem Laufenden zu halten, und sie könnten sogar die politische Entwicklung beeinflussen“. Daher sollten die USA Deutsche in der Region pflegen (cultivate) – er dürfte sich wohl auch selber gemeint haben – um entsprechende Informationen zu erhalten, falls die Bundesregierung selber nicht an ihnen interessiert sei.59 Ein Karteikarteneintrag bei der CIA zu Rolf Engel vom 16. November 1954 erwähnte erstmals die angebliche Existenz der „weltgrößten technischen Bibliothek zur Lenkraketenentwicklung“; sie befinde sich in Engels Besitz.60 Engel betrachte darin enthaltene deutsche Akten als sein persönliches Eigentum. Die ominöse Bibliothek sollte im weiteren Verlauf der Kontakte Engels zu den Amerikanern noch eine wichtige Rolle spielen. Der deutsche Raketenexperte versuchte, sich ausweislich des CIA-Materials mit ihr und weiterem Wissen bei ihnen interessant zu machen. So brüstete er sich gegenüber einem amerikanischen Gesprächspartner im Mai 1955 damit, intime Kenntnisse über das Personal der Führungsebene im französischen Geheimdienst zu haben, und er könne darüber hinaus detaillierte Informationen über das Deuxième Bureau, den militärischen Geheimdienst Frankreichs, liefern. Während eines kürzlichen Aufenthaltes in Frankreich habe er dort mittels seiner nachrichtendienstlichen Kontakte sämtliche französische Geheimdienstberichte über die CERVA-Organisation einsehen können. Die Franzosen besäßen ein vollständiges Bild über die Produktion, Beschäftigte, Gehälter usw. der CERVA.61 Im Gegensatz zu seinen eigenen Äußerungen gegenüber Heinz Horeis scheint Engel gegen Ende seiner Zeit in Ägypten durchaus an einer Tätigkeit für die Amerikaner interessiert gewesen zu sein.62 Dies ergibt sich insbesondere aus einem Vermerk auf seiner CIA-Karteikarte vom 17. Februar 1956. Danach sei Engel bestrebt (anxious), eine Beschäftigung bei einer amerikanischen Firma im Bereich der Raketenforschung zu erhalten. Die Kontaktperson der CIA zu Engel attestierte diesem eine „in die Länge gezogene Verzögerungstaktik“ hinsichtlich der von ihm in Aussicht gestellten Informationen über eine große französische Wissenschaftsbibliothek in Paris. Es habe den Anschein, dass Engel seine sog. Technische Bibliothek als Instrument nutze, um sich die Unterstützung seitens der US Army bzw. des Luftattachés zwecks Beschäftigung in den Vereinigten Staaten zu sichern. Offensichtlich setze er seine Hinhaltetaktik

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Ebd. Ebd. Ebd. Avri El-Ad schildert in seinen Erinnerungen einen sehr lockeren und routinierten Umgang Engels mit dem Personal in den Räumen der amerikanischen Botschaft in Kairo. Vgl. El-Ad, Decline, S. 142f.

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Düsenjäger made in Egypt „die Erste“: Ernst Heinkels Intermezzo am Nil

bis zum Tag seiner Abreise aus Ägypten fort.63 Aus unbekannten Gründen kam es nicht zu einer Einigung zwischen den Amerikanern und Rolf Engel. Kurz vor seiner Ausreise aus Ägypten hatte der Raketenfachmann am 10. Mai 1957 noch einmal eine amerikanische Kontaktperson in Kairo zu einem Gespräch aufgesucht. Der umfangreiche Bericht darüber in den Akten der CIA ist in der Kopie leider in Teilen unlesbar. Aus den leserlichen Passagen wird jedoch deutlich, dass Engel offenbar recht freimütig über die Zukunft des ägyptischen Raketenprogramms gesprochen hatte. Nach seinen Informationen sei die ägyptische Raketenproduktion noch nicht angelaufen, erklärte er seinem Gegenüber, und es sei unwahrscheinlich, dass sich dies über eine Reihe von Jahren ändern werde. In seinen Abschiedsempfehlungen an die Regierung habe er dazu geraten, auf die Investition großer Summen in den Raketenbau zu verzichten und stattdessen jährliche Beträge für die Ausbildung technischen Personals bereitzustellen. Ägypten könne durchaus eines Tages eigene Raketen fertigen, doch dafür müssten ausreichend Fachkräfte bereitstehen. Inzwischen angesammelte Expertise dürfe nicht wieder zerrinnen, und Experten ihres Wissens nicht wieder verlustig gehen. Laut Engel habe die verantwortliche ägyptische Stelle diesen Empfehlungen zugestimmt. Auch die geheimnisvolle Bibliothek Engels kam in der Unterredung noch einmal zur Sprache. Gefragt, ob er all sein Hab und Gut einschließlich seiner Bibliothek aus Ägypten ausführen dürfe, habe Engel geantwortet, dies sei ein langer Kampf gewesen. Doch der ihm freundschaftlich verbundene Anwar as-Sadat, der spätere Nachfolger Nassers im Präsidentenamt, habe sich für ihn eingesetzt, alle Wege geebnet, und so stehe auch die Bibliothek bereit „for export“64. Einer der letzten CIA-Berichte über Rolf Engels datiert vom 9. Januar 1958. Darin wird seine neue Tätigkeit in Italien ebenso festgehalten wie auch das Urteil, sein Ansehen in Westdeutschland sei nicht sonderlich gut, dennoch plane er die Rückkehr in die Heimat. Zusammen mit seiner Frau habe er sich in München niedergelassen.65

Düsenjäger made in Egypt „die Erste“: Ernst Heinkels Intermezzo am Nil Zeitlich nahezu parallel zu Rolf Engels Arbeit an kleinen, maximal 1,5 Meter langen Raketen in Ägypten, versuchte auch der deutsche Flugpionier Ernst Heinkel dort Fuß zu fassen. Mitte März 1953 hatte er sich mit seiner Frau im Palace Hotel von Heliopolis einquartiert, um mit ihr nach seinen eigenen Worten am Nil eine vierzehntägige, verspätete Hochzeitsreise zu 63 64 65

Vgl. CIA (FOIA), Engel, Dr. Rolf_0002.pdf. Ebd., Datum unleserlich. Ebd., _0009.pdf.

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Kapitel III: „[…] ein zeitgemäß geschliffenes Schwert zu schmieden“

genießen. Im Wissen um sein internationales Renommee als Flugzeugkonstrukteur argwöhnten britische Beobachter im Schatten der Pyramiden, das schwäbische Schlitzohr könne damit wohl nur eine Hochzeit mit der ägyptischen Luftwaffe gemeint haben.66 In Heluan hatten die Briten noch ein modernes Flugzeugwerk für englische Düsenjäger errichtet, doch mit dem Zerwürfnis zwischen Kairo und London waren Fachpersonal, Maschinen, Pläne und Lizenzen an die Themse gezogen und das Werk verwaist hinterlassen worden. Hier würden sich künftige deutsche Flugzeugkonstrukteure einrichten.

Abb. 8: Ernst Heinkel mit Söhnchen Karl-Ernst August im Jahre 1941 66

Vgl. Der Spiegel Nr. 17 vom 22. April 1953, „Hauptsache, er fliegt“. Die Quellenbasis für diesen Abschnitt des vorliegenden Textes ist schmal. Neben zwei Spiegel-Artikeln wurde der Beitrag von Paul Erker, Ernst Heinkel: Die Luftfahrtindustrie im Spannungsfeld von technologischem Wandel und politischem Umbruch, in: Ders./Pierenkemper, Toni (Hg.), Deutsche Unternehmer zwischen Kriegswirtschaft und Wiederaufbau. Studien zur Erfahrungsbildung von Industrie-Eliten, München 1999, S. 217–290, berücksichtigt. Die erstmals 1953 in Stuttgart erschienene und von Jürgen Thorwald herausgegebene Autobiografie Ernst Heinkels mit dem Titel „Stürmisches Leben“ konnte das ÄgyptenEngagement des Flugzeugpioniers nicht mehr berücksichtigen, spätere Ausgaben enthalten nur ein Foto, das Heinkel zusammen mit General Nagib zeigt. Das Werk von Hans Dieter Köhler, Ernst Heinkel – Pionier der Schnellflugzeuge, Koblenz 1983, erwies sich für die Ägypten-Episode als unergiebig.

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Düsenjäger made in Egypt „die Erste“: Ernst Heinkels Intermezzo am Nil

Aus zwei Wochen Aufenthalt in Ägypten waren bei Heinkel am Ende sieben geworden. Der Konstrukteur des ersten Düsenflugzeugs der Welt, der He 178, sah im Ergebnis seiner Erkundungen gute Chancen für den Aufbau einer Flugzeugproduktion am Nil, zumal Ägypten nicht nur über im letzten Krieg erbeutete deutsche Flugzeuge und Maschinen verfügte, sondern auch über solche italienischer, englischer und amerikanischer Provenienz. Mit erneutem Argwohn registrierten die Briten noch einen „höchst herzlichen Empfang“ Ernst Heinkels durch General Nagib, der auf eine kommende Zusammenarbeit des Schwaben mit der Revolutionsregierung schließen ließ. Geboren 1888 im württembergischen Remstal, hatte der junge Ernst Heinkel sein Schlüsselerlebnis am 4. August 1908 in Echterdingen bei Stuttgart, als er Zeuge des Absturzes des Zeppelins L 4 wurde. Damals sei ihm klar geworden, dass Luftschiffe keine Zukunft hätten, „daß er Flugzeuge schwerer als Luft bauen müsse“67. Einmal vom Flugzeug-Virus befallen, hielt ihn drei Jahre später auch der eigene Absturz mit einem selbstgebauten Doppeldecker aus 40 Metern Höhe über dem Canstatter Wasen nicht vom „Traum vom Fliegen“ ab. Obwohl schwer verletzt, brach er sein Studium ab und entschied sich zum Verdruss seines Vaters für einen autodidaktischen Weg zum Flugzeugkonstrukteur  – in dieser Hinsicht dem Raketenexperten Rolf Engel nicht unähnlich. Über Stationen bei Flugzeugherstellern in Berlin-Johannisthal landete Heinkel schließlich bei den Brandenburgischen Flugzeugwerken, wo er im Ersten Weltkrieg „aufsehenerregende Flugzeuge“ für die deutsche und ungarische Armee und Marine entwickelte. Heinkels Karriere erfuhr durch die Versailler Vertragsbestimmungen als Ergebnis des von Deutschland verlorenen Krieges zunächst ein jähes Ende. Fliegen und Flugzeugbau waren in der jungen Weimarer Republik verboten, die Flugzeugwerke lösten sich auf, und Heinkel sah sich gezwungen, seiner beruflichen Leidenschaft in einem winzigen Konstruktionsbüro nachzugehen, das er im Hinterzimmer einer Travemünder Kneipe einrichtete. Als im Jahre 1922 die Restriktionen im Flugzeugbau gelockert wurden, gründete er in dem zwischen Rostock und Warnemünde gelegenen Marienehe die Ernst-Heinkel-Flugzeugwerke, die später mit ihren zigtausend Beschäftigten auch dazu beitrugen, dass die beschauliche Hafenstadt Rostock einen ausgeprägten Großstadtcharakter annahm. Um weiterhin bestehende Auflagen aus dem Versailler Vertrag zu umgehen, ließ Heinkel seine Konstruktionen unter Lizenz im Ausland bauen, so etwa katapultgestartete Wasserflugzeuge für die japanische Kriegsmarine, die etwa in Schweden produziert wurden. In der Zeit des Nationalsozialismus expandierten die Fabrikationsstätten des Parteimitgliedes Ernst Heinkel aufgrund zahlreicher Aufträge seitens der neuen Machthaber, deren „Führer“ ihm 1938 aus Anlass seines 50. Geburtstages den Professorentitel verlieh. Im Zeichen des 67

Dies und das Folgende nach: Der Spiegel Nr. 17 vom 22. April 1953, „Hauptsache, er fliegt“.

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Kapitel III: „[…] ein zeitgemäß geschliffenes Schwert zu schmieden“

Aufbaus einer geheimen Luftwaffe entstand in Oranienburg nördlich von Berlin ein weiteres Flugzeugwerk unter der Ägide des äußerst agilen und auch eigenbrötlerischen Dickkopfes aus dem Remstal, der betriebsbezogene Konflikte mit der Reichsregierung ebenso wenig scheute wie die Pflege einer Dauerfeindschaft mit seinem Konkurrenten Willy Messerschmitt.68 Auch die seit 1933 staatseigenen Junkers-Flugzeugwerke sah er in erster Linie unter dem Gesichtspunkt scharfer Konkurrenz. Wie ein roter Faden zieht sich durch Heinkels Schaffen als Flugzeugpionier sein brennender Wunsch, Schnellflugzeuge zu bauen. Zu diesem Zweck kooperierte er mit Wernher von Braun beim Bau des ersten, mit Flüssigtreibstoff betriebenen Raketenflugzeugs, der He 176, und gemeinsam mit dem Physiker Hans von Ohain entwickelte er in den Heinkel-Werken das erste Strahltriebwerk der Welt. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgte aufgrund finanzieller Engpässe die Umwandlung der Ernst-Heinkel-Werke in die Ernst Heinkel AG mit dem bisherigen Chef als Aufsichtsratsvorsitzendem. Dieser hatte damit weit geringeren Einfluss auf das Firmengeschehen, zu dem in erheblichem Maße auch Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge beitrugen. Den Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ überlebten die Flugzeugwerke in Rostock-Marienehe ebenso wenig wie die in Oranienburg. Bombardiert, demontiert und die Reste enteignet, verrotteten die Heinkel-Werke zunächst unter sowjetischer Besatzung, später unter der Herrschaft der DDR-Gewaltigen. Ernst Heinkel blieb ein Flugzeugmotorenwerk in Zuffenhausen bei Stuttgart, in dem ein Neuanfang jedoch zunächst unmöglich war. Produktionsauflagen der Alliierten verhinderten eine Flugzeugherstellung im Schwäbischen ebenso wie das sich hinziehende Entnazifizierungsverfahren Heinkels, das schließlich mit seiner Einstufung als „Mitläufer“ endete. Heinkel akzeptierte dieses Urteil jedoch nicht und erreichte im Berufungsverfahren von 1949 immerhin seine Entlastung wegen seiner Kontakte zum Widerstandskreis um Admiral Canaris, dem ehemaligen Chef des Amtes Ausland / Abwehr im OKW. Die Umstellung auf die Friedensproduktion erfolgte in Zuffenhausen zäh und holprig, vor allem, weil es an Kapital fehlte und die Flugzeugfertigung noch nicht möglich war. Heinkel kaprizierte sich nach seiner unternehmerischen Neuerfindung zunächst auf die Produktion von Ackerschleppern, Mopeds, Motorrollern und insbesondere des Heinkel-Kabinenrollers, auf den er sich geradezu „versteifte“, was zu „selbstmörderischen Verlusten“ in seinem Unternehmen führte.69 Ungeachtet der alliierten Auflagen sinnierte Heinkel schon wieder über Flugzeugprojekte. Einer seiner damaligen Berater stellte den Kontakt zur Handelsniederlassung der jugoslawischen Regierung von Marschall Tito in der Schweiz her. Die Jugoslawen köderten den

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Viel später, im Jahre 1959, ging Heinkel dann jedoch zusammen mit Messerschmitt und Ludwig Bölkow für einige Jahre ein Gemeinschaftsunternehmen unter der Bezeichnung „Entwicklungsring Süd GmbH“ ein. Vgl. Der Spiegel Nr. 40 vom 1. Oktober 1958, „Umwege über Vaduz“.

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Düsenjäger made in Egypt „die Erste“: Ernst Heinkels Intermezzo am Nil

Schwaben mit dem Auftrag, für die Luftwaffe ihres Landes einen Düsenjäger zu konstruieren, der den sowjetischen Jägertyp MiG an Schubkraft übertreffen sollte. Heinkel zog zur Realisierung dieses Projektes Experten seiner alten Konstrukteurs- und Ingenieurselite in Schweizer Tarnstellungen zusammen, wo sie unter dem Deckmantel der Gasturbinenforschung an dem jugoslawischen Auftrag arbeiteten. Das Vorhaben scheiterte schließlich aus politischen Gründen, doch erhielt Heinkel von Belgrad immerhin eine Million DM für Entwicklungskosten.70 An das kurzlebige Balkan-Abenteuer schloss sich beinahe nahtlos das Intermezzo Ernst Heinkels in Ägypten an, für dessen Vermittlung erneut seine Berater verantwortlich zeichneten.71 Im November 1953 unterschrieb Heinkel insgeheim einen Vertrag mit Vertretern der ägyptischen Regierung in der Bonner Botschaft des Landes am Nil. Gegenstand des Vertrages war die Entwicklung eines Hochleistungsdüsenjägers durch Heinkel und seine Mitarbeiter, für den die Ägypter insgesamt 50 Millionen DM zahlen sollten. Der Betrag war in Raten zahlbar nach Vorlage der Entwicklungsergebnisse. Bevor jedoch Ernst Heinkel den Auftrag übernahm, hatte er eine Schwierigkeit zu überwinden: Wegen des alliierten Verbotes durfte seine Firma in Zuffenhausen offiziell nicht als Partnerin der Ägypter in Erscheinung treten. Er gründete daher im Fürstentum Liechtenstein die Ekoba, die „Entwicklung, Konstruktion und Bau GmbH“, unter deren Namen er dann das Ägyptengeschäft abwickelte. Um Steuern zu sparen und um gegenüber den westdeutschen Finanzbehörden als Devisenausländer72 zu gelten, verlegte Heinkel mit seiner dritten Ehefrau Lisa und Sohn Karl-Ernst August seinen Wohnsitz nach Vaduz, wo sich die Familie in dem Landhaus des fürstlichen Schlossverwalters zur Miete einquartierte. Vorübergehend richtete Heinkel in der liechtensteinischen Hauptstadt auch ein kleines Konstruktionsbüro ein, aber den größten Teil der Entwicklungsarbeiten erledigten seine 170 Ingenieure und Techniker im österreichischen Feldkirch sowie im Werk Zuffenhausen, wo zeitweise 30 Ägypter, darunter auch ein Vizeluftmarschall, den Fortgang der Arbeiten überwachten. Pünktlich überwiesen die Ägypter ihre Ratenzahlungen auf ein Vaduzer Sonderkonto Heinkels, die dieser in dem Fürstentum nur zu den dort üblichen niedrigen Tarifen zu versteuern brauchte. Nachdem er die Daueraufenthaltsgenehmigung für Liechtenstein und damit die Vorstufe für die Einbürgerung erworben hatte, begann er seine ägyptischen 70

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Vgl. Erker, Ernst Heinkel, S.  272. Im Spiegel hieß es zum Abbruch des Jugoslawien-Geschäftes: „Nachdem Heinkel etwa eine Million DM von den Jugoslawen kassiert hatte, quittierte der sehr sprunghaft reagierende Professor – wegen einer kleinen Verärgerung – den Dienst bei Tito“. Vgl. Der Spiegel Nr. 40 vom 1. Oktober 1958, „Umwege über Vaduz“. Das Folgende nach ebd. Als Devisenausländer galt seinerzeit jeder, der seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt außerhalb der Bundesrepublik hatte. Der Devisenausländer unterlag, im Gegensatz zum Deviseninländer, für den immer noch die besatzungsrechtlichen Vorschriften zur Devisenkontrolle maßgebend waren, nicht der Pflicht, seine Devisengeschäfte bei den Oberfinanzdirektionen anzumelden, selbst dann nicht, wenn er deutscher Staatsbürger war.

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Kapitel III: „[…] ein zeitgemäß geschliffenes Schwert zu schmieden“

Einkünfte in die Bundesrepublik zu transferieren und sie hier rentabel anzulegen. Heinkel zog außerhalb der inzwischen hochverschuldeten Zuffenhausener Aktiengesellschaft zwei neue Betriebe auf: die Ernst Heinkel Motorenbau GmbH in Karlsruhe und die Ernst Heinkel Fahrzeugbau GmbH in Speyer. In diesen Betrieben führte er keine Experimente durch, hier wirtschaftete er streng gewinnorientiert. Während Heinkel noch erfolgreich dabei war, für sich und seine Familie neue industrielle Stützpunkte aufzubauen, versiegte plötzlich die ägyptische Geldquelle. Kurz vor Ausbruch der Suezkrise im Jahre 1956 annullierte Kairo den Düsenjägerauftrag. Im Zuge der Hinwendung Ägyptens zur Sowjetunion lieferte Moskau dem Land seine MiG-Jäger und leitete damit dort ein ähnliches Ende der deutschen Flugzeugentwicklung ein, wie dies bei der Raketenkonstruktion der CERVA unter Rolf Engel der Fall gewesen war. Die Ägypter fanden Ernst Heinkel nach Ablieferung eines unerprobten Prototyps mit einem Schlusshonorar ab. Immerhin hatte ihm das Ägypten-Geschäft 16 Millionen DM eingebracht, die er ohne erhebliche steuerliche Verluste vorwiegend in seine neuen Unternehmen investieren konnte. Allerdings hatte das ägyptische Abenteuer für Heinkel noch ein böses Nachspiel: Einer jener Berater, die das Engagement Heinkels am Nil auf den Weg gebracht hatten, fühlte sich um seine Provision betrogen und schwärzte den Flugzeugkonstrukteur bei den deutschen Finanzbehörden an, woraufhin Steuerfahnder dessen Reisetätigkeit an verschiedenen Grenzübergangsstellen in der Nähe von Liechtenstein überprüften. Im Ergebnis sollte Heinkel 250 000 DM Bußgeld wegen Devisenvergehen zahlen, was dieser jedoch ablehnte. Bis zu seinem letzten Atemzug verweigerte Heinkel die Zahlung auch des bereits um die Hälfte reduzierten Betrages, so dass das Verfahren erst nach seinem Tode eingestellt wurde.

Düsenjäger made in Egypt „die Zweite“: Willy Messerschmitts Abfangjäger HA-300 Ernst Heinkel und seine Mannschaft hatten in Heluan ein mit „drei neuen Gebäuden und einem halbfertigen Triebwerksprüfstand verziertes Flugfeld als Erinnerung an eine beachtliche, buchstäblich in den Sand gesetzte Summe“73 hinterlassen. Es sollte jedoch nicht lange dauern, bis sich die Regierung unter Gamal Abdel Nasser erneut an deutsche Prominenz im Flugzeugbau wandte. Mit Willy Messerschmitt versuchte ein weiterer deutscher Flugzeugpionier sein Glück am Nil. 73

Vgl. Willy Radinger und Walter Schick, Messerschmitts Geheimprojekte, Oberhaching (3) 2004, S. 251.

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Düsenjäger made in Egypt „die Zweite“: Willy Messerschmitts Abfangjäger HA-300

Messerschmitt erblickte im Jahre 1898 in Frankfurt am Main als Sohn des Bamberger Weingroßhändlers Ferdinand Messerschmitt und dessen Frau Anna Maria das Licht der Welt.74

Abb. 9: Willy Messerschmitt um 1960 74

Dies und das Folgende nach: Neue Deutsche Biographie – Onlinefassung, Artikel Messerschmitt, Wilhelm (Willy), ausgedruckt am 3. Oktober 2020.

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Kapitel III: „[…] ein zeitgemäß geschliffenes Schwert zu schmieden“

Es war der als Ingenieur ausgebildete Vater, der die Neigung des kleinen Willy zur Technik früh unterstützte. Der gemeinsame Besuch der Internationalen Luftfahrt-Ausstellung 1909 in Frankfurt am Main weckte das Interesse von Vater und Sohn an der Flugtechnik, und sie begannen mit dem Bau von Flugmodellen. Im Anschluss an sein Abitur an der Bamberger Oberrealschule und dem Militärdienst im Ersten Weltkrieg schrieb sich Willy Messerschmitt an der TH München ein, wo er 1923 sein Studium des Maschinenwesens als Diplomingenieur beendete. Mit finanzieller Unterstützung seiner Familie gründete er im selben Jahr in Bamberg die handwerklich ausgerichtete Firma „Messerschmitt Flugzeugbau“. Über den anfänglichen und erfolgreichen Segelflugzeugbau kam der Jungunternehmer zur Konstruktion leichter Motorflugzeuge, die bald in zwei Wettbewerben erste Preise errangen. Mitte der zwanziger Jahre ging Messerschmitt eine Interessengemeinschaft mit der auf staatliche Intervention hin gebildeten „Bayerischen Flugzeugwerke AG“ ein, die auch einen Umzug nach Augsburg erforderlich machte. Zusammen mit der Familie seiner späteren Frau Lilly von Michel-Raulino erwarb der Flugzeugkonstrukteur 1928 die Aktien der Bayerischen Flugzeugwerke. Die Weltwirtschaftskrise sowie unverschuldete Unfälle des Musterfliegers M 20 führten 1931 zu deren Konkurs. Messerschmitt konnte jedoch sein Unternehmen „Messerschmitt-Flugzeugbau“ behalten und auf dieser Grundlage erfolgreiche Wettkampfflugzeuge entwickeln. Mit der 1933 eingeleiteten Luftrüstung eröffnete sich in Deutschland ein Markt für Flugzeuge, der für die Bayerischen Flugzeugwerke den Vergleich und die Sanierung ermöglichte. Durch Verkauf seiner Patentrechte und Anlage des Erlöses konnte Messerschmitt gemeinsam mit seiner späteren Frau die Führung des 1938 in „Messerschmitt AG“ umbenannten Unternehmens wiedergewinnen. Seither trugen die Neukonstruktionen die Kurzbezeichnung „Me“. Bereits 1933 trat Willy Messerschmitt der NSDAP bei, 1937 erfolgte seine Ernennung zum Professor, und er wurde „Wehrwirtschaftsführer“. Zusammen mit Ferdinand Porsche und Fritz Todt gehörte er zu den Trägern des „Deutschen Nationalpreises für Kunst und Wissenschaft“. 1941 wurde Messerschmitt „Pionier der Arbeit“ und Vizepräsident der „Deutschen Akademie für Luftfahrtforschung“. Auf Druck des Generalluftzeugmeisters Erhard Milch trat er 1942 nach Differenzen mit der Luftwaffenführung vom Vorstand seines Unternehmens zurück und arbeitete fortab als einfacher Entwickler, es erfolgte seinerseits „aber keine Distanz zur NS-Diktatur“75. Aufgrund eines Wettbewerbes erhielt er mit seinem Muster Bf 109 – häufiger Me 109 genannt – den Auftrag für das spätere Standardjagdflugzeug der Luftwaffe, von dem

75

Die Angaben über Messerschmitts Karriere im „Dritten Reich“ seit 1933 fehlen in der Neuen Deutschen Biographie (Onlineausgabe) völlig. Die entsprechenden Informationen hier nach: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen, Hessische Biografie, Stichwort Messerschmitt, Wilhelm, ID=6024, Biografie Erweiterte Suche LAGIS Hessen.html.

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bis 1945 rund 35 000 Stück in zahlreichen Varianten gefertigt wurden. Eine Rennversion errang 1939 mit dem Piloten Ernst Wendel den Geschwindigkeitsrekord für Propellerflugzeuge, der bis 1969 Bestand hatte. Das Kriegsende 1945 brachte Messerschmitt eine vorübergehende Internierung, und in seinem Entnazifizierungsverfahren die Einstufung als „Mitläufer“. Vergleichbar dem unternehmerischen Schicksal seines Konkurrenten Ernst Heinkel sah sich auch Willy Messerschmitt durch die Bestimmungen der alliierten Siegermächte von der Wiederaufnahme des Flugzeugbaus ausgeschlossen. Ähnlich auch wie Heinkel versuchte sich Messerschmitt mit alternativen Produkten, die er in seinem Augsburger Werk herstellen ließ: Kabinenroller gehörten auch in sein Portfolio, darüber hinaus produzierte er über 20 000 Nähmaschinen sowie Bügeleisen und Fertighäuser. Nachdem er 1948 seine vollständige Bewegungsfreiheit wiedergewonnen hatte, unternahm er 1951 eine Erkundungsreise in die Südafrikanische Union, deren weiße Minderheitsregierung gerade dabei war, ihre Politik der rigiden Rassentrennung unter dem Begriff der „Apartheid“ durchzusetzen.76 Durch örtliche Presseberichte genötigt, stellte sich Messerschmitt am Ende seiner vierwöchigen Safari in Kapstadt den Fragen der Journalisten, von denen einige berichtet hatten, der Flugzeugkonstrukteur plane auf dem Flugplatz Palmietfontein bei Johannesburg eine großangelegte Düsenjägerproduktion. „Alles Unsinn“, beschied Messerschmitt die Pressevertreter. Er habe in der Union nur allgemein die gegebenen Möglichkeiten sondieren wollen. Damit war das Thema Südafrika für ihn erledigt. Und dann kam Spanien, das Land unter der Franco-Diktatur, dem er im März 1951, kurz vor seiner Reise ans Kap der Guten Hoffnung, auf Einladung seines früheren Repräsentanten in Madrid, Guillermo F. Mallet, seinen ersten Besuch nach dem Zweiten Weltkrieg abgestattet hatte.

Von Spanien nach Ägypten Im Juli 1951 reiste Willy Messerschmitt erneut auf die Iberische Halbinsel, um verschiedene Industriebetriebe zu besichtigen. Als Ergebnis seiner Erkundungen entstand das „SpanienMemorandum“ vom 17. Juli 1951, in dem er sich grundsätzlich sehr positiv über die Aussichten einer spanischen Luftfahrtindustrie äußerte. Gemeinsam mit seinem engen Mitarbeiter und persönlichen Freund, dem Mitgesellschafter des Münchner Bankhauses „Aufhäuser“, HansHeinrich Ritter von Srbik, sprach Messerschmitt sich dafür aus, eine Zusammenarbeit mit der „Hispano Aviación“ ins Auge zu fassen. Nach Verhandlungen mit den Spaniern und nach einer von diesen gewünschten Unterredung Messerschmitts mit Kanzlerberatern im Bonner Bundeskanzleramt kam es am 26.  Oktober 1951 in München zum Vertragsabschluss. Das 76

Vgl. dazu die Notiz in Der Spiegel Nr. 21 vom 23. Mai 1951, „Personalien“.

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Kapitel III: „[…] ein zeitgemäß geschliffenes Schwert zu schmieden“

Übereinkommen sah u. a. vor, dass zum 1. Januar 1952 in Sevilla ein „Entwicklungsbüro Prof. Messerschmitt“ eingerichtet werden sollte. Damit begannen nahe der andalusischen Metropole Planungs- und Konstruktionsarbeiten unter der Leitung von Professor Julius Krauß, dem eine Handvoll deutscher Flugzeugkonstrukteure zur Seite stand. Willy Messerschmitt hielt sich in der Folge oft wochenlang in Spanien auf, leitete aber auch Teile der Konstruktionsarbeiten in seinem Münchner Entwicklungsbüro. Zunächst stand die HA (= Hispano Aviación)-100 im Vordergrund, ein sog. Trainer oder Schulungsflugzeug mit einem 450-PS-Motor. Seit Mitte 1952 arbeitete man darüber hinaus an dem leichten Strahltrainer HA-200. Die Spanier hatten besonderes Interesse an einem kleinen, einsitzigen Abfangjäger bekundet und befanden sich damit bei Messerschmitt in besten Händen, da dieser seit jeher auf die Kombination von hoher Geschwindigkeit mit leichter Bauweise Wert gelegt hatte. Die HA-200 wurde für Mach 1,3 bis 1,5, also Überschallgeschwindigkeit, konzipiert, die Bestückung mit Kanonen und Raketen mit der Schweizer Firma Bührle-Oerlikon ausgehandelt.77 Bereits zu dieser Zeit beschäftigte sich Messerschmitt mit der Konstruktion eines Düsenjägers mit doppelter Schallgeschwindigkeit, der HA-300, die für unseren Zusammenhang von besonderer Bedeutung ist. Die wichtigsten Probleme, die die Entwicklungsgruppen in Sevilla und München zu bewältigen hatten, können hier nur stichwortartig angedeutet werden. Zum einen ging es um die richtige Wahl des Triebwerkes für die jeweiligen Flugzeugzellen, die Entscheidung etwa zwischen Zukauf aus dem Ausland oder Eigenproduktion. Zum anderen herrschte zunehmender Zeitdruck. Messerschmitt musste mit seinen Leuten schnell vorankommen, da im Westen verschiedene Hersteller auf den wachsenden Markt für Militärmaschinen drängten. So verlor Messerschmitt schließlich mit seiner HA-200 den Wettbewerb um die Ausrüstung der neu geschaffenen Luftwaffe der Bundeswehr, die sich für die französische Fouga-Magister entschied. Weniger ein Problem als vielmehr eine Chance bot sich Messerschmitt während seiner spanischen Zeit in einem möglichen Dreiecksprojekt zwischen ihm, den Spaniern und dem amerikanischen Hersteller Lockheed, aus dem aber am Ende nichts wurde. Auch sein alter Rivale Ernst Heinkel betrat zeitweilig die spanische Bühne, ohne dass dies jedoch zu Konsequenzen für Messerschmitt geführt hätte. Die HA-200 erwies sich als Verkaufserfolg, nachdem der erste Prototyp im August 1955 und der zweite im Januar 1957 geflogen waren. Leicht abgewandelt zur HA-200B wurden 1959 fünf Maschinen dieses Typs an die VAR (Ägypten) verkauft und im Jahre 1960 ausgeliefert. Seit der Jahresmitte 1956 gab es Kontakte zwischen der Hispano Aviación und der ägyptischen Regierung, die nicht nur zu den Verträgen über die Abnahme der HA-100 und der HA200B führten, sondern auch das Interesse Kairos an der HA-300 erkennen ließen. Letzteres war für die Spanier insofern bedeutsam, als sich auf ihrer Seite ein zunehmender Geld- und 77

Vgl. Radinger/Schick, Geheimprojekte, S. 134f.

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Devisenmangel und auf der ägyptischen die Möglichkeit einer Beteiligung an den Entwicklungskosten für die HA-300 abzeichnete.78 Erste Kontakte zur Hispano Aviación knüpften die Ägypter wahrscheinlich über den Militärattaché an der ägyptischen Botschaft in Bern, Oberst Ramadan.79 Die finanziellen Probleme der spanischen Regierung wirkten sich auch in Sevilla aus. Nicht nur gab es Schwierigkeiten mit der Bezahlung der spanischen Mitarbeiter Messerschmitts, sondern in besonderem Maße auch bei den Fertigungsvorbereitungen für die inzwischen bestellten Prototypen der HA-300. Wegen der finanziellen Kalamitäten unterbrach man auch die Windkanalmessungen im oberbayerischen Grainau sowie in Emmen bei Luzern und stellte Geräte, Messanlagen und Maschinen für den HA-300-Versuchsbau zurück bzw. stornierte kurzerhand entsprechende Aufträge.80 Mit halbierter Mitarbeiterzahl in Sevilla  – Ende 1957 von zwanzig auf zehn reduziert – gingen die Werkstattzeichnungen für die HA-300 seit Anfang 1958 vorerst weiter. Verbesserungen an Rumpf und Fahrwerk der Maschine trugen zur Aufhellung der Gemüter in Andalusien bei. Doch dokumentiert die abnehmende Korrespondenz zwischen München und Sevilla das rückläufige Interesse der Spanier an der Kooperation mit Messerschmitt. Neben ihrer prekären Finanzlage war hierfür auch das zunehmende Hineindrängen der Amerikaner in die spanische Flugzeugproduktion verantwortlich. Kopfzerbrechen bereitete schließlich auch noch die Beschaffung eines geeigneten Triebwerkes für die HA-300, nachdem deutlich geworden war, dass ein ins Auge gefasstes englisches Triebwerk nicht „zu einem diskutablen Zeitpunkt“ zu haben sein würde. Willy Messerschmitts Beratervertrag in Spanien lief im Jahre 1959 aus und wurde nicht verlängert. Mit dem Dipl.-Ing. Max Brümm behielt er jedoch einen Verbindungsmann in Sevilla, der seine Interessen als 27-prozentiger Anteilseigner an der Hispano Aviación wahrnehmen sollte. Das fertig definierte Projekt HA-300 verkaufte Spanien Ende 1959 mit sämtlichen Unterlagen an Ägypten, das damit nach der Episode Heinkel einen zweiten Versuch unternahm, sich ein Kampfflugzeug aus eigener Fertigung zu verschaffen.

Hassan Sayed Kamil: Nassers Mann für Menschen und Material Am 22.  Februar 1961 stimmte der Deutsche Bundestag in zweiter und dritter Lesung über ein Kriegswaffenkontrollgesetz ab. Artikel  26, Absatz  2 des Grundgesetzes forderte ein

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79

80

Vgl. Hans J. Ebert, Johann B. Kaiser und Klaus Peters, Willy Messerschmitt – Pionier der Luftfahrt und des Leichtbaus. Eine Biographie, Bonn 1992, S. 326f. Archiv des BND, Akte 100614_OT, Aufzeichnung „Betr.: Ausländische Fachleute in Ägypten“, Bl. 020. Zur Rolle Ramadans vgl. auch Der Spiegel Nr. 36 vom 5. September 1962, „Nassers Zigarren“. Vgl. Radinger/Schick, Geheimprojekte, S. 148.

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Bundesgesetz, nach dem zur Kriegsführung bestimmte Waffen – das heißt Waffen zur Gewaltanwendung zwischen Staaten im Kriegsfalle  – nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden dürfen. Das Gesetz wurde vom Bundestag mit einer Stimme der Enthaltung, also fast einstimmig, angenommen. Gut einen Monat vor der Abstimmung im Bundestag, am 16. Januar 1961, hatte in Heluan bei Kairo eine Sitzung stattgefunden, in der es, wie bei der Abstimmung in Bonn, um die Produktion von Kriegswaffen ging. Allerdings wurde hier nicht über Kontrolle gesprochen, sondern darüber, wie man gewisse technische Schwierigkeiten, welche die Herstellung der betreffenden Kriegswaffen verzögerten, beheben könne.81 Bei dieser, von dem ägyptischen Luftwaffenmarschall Mohamed Sidky geleiteten, Besprechung waren auch Deutsche zugegen. Der Prominenteste unter ihnen: der damals 63-jährige Willy Messerschmitt. Offenbar nahm der Flugzeugkonstrukteur die politische Debatte in der Heimat um ein Kriegswaffenkontrollgesetz nicht übermäßig ernst. In Spanien mochte diese Einstellung bei der Konstruktion von Düsenjägern noch nicht zu Gewissensnöten geführt haben, doch in Ägypten lagen die Dinge ohne Zweifel anders. Nassers zumindest nach außen demonstrierter Vernichtungswille gegenüber Israel war aufgrund seiner Reden und der staatlich dirigierten Propaganda in Presse und Radio sowie in dem seit 1960 in Ägypten ausgestrahlten Fernsehen allzu offenkundig. Messerschmitts Engagement in Ägypten begann im Jahre 1959, sieht man von den erwähnten Kontakten zwischen der Hispano Aviación in Sevilla und Kairo einmal ab. Eingefädelt wurde es von Hassan Sayed Kamil, jenem im Prolog bereits erwähnten Ingenieur, Industrielobbyisten und Waffenhändler, dessen Ehefrau im Juli 1962 mit einem Kleinflugzeug am Teutoburger Wald tödlich abgestürzt war. 81

Dies und das Folgende nach Peter Miska, Das Geschäft mit Herrn Nasser (I), in: Frankfurter Rundschau (FR) vom 10. August 1963. Miskas fünfteilige Serie in der FR ist von der Forschung kaum rezipiert worden, obwohl sie mit Detailreichtum die Hintergründe der Tätigkeit deutscher und österreichischer Experten in Ägypten seit ca. 1959 schilderte. Vermutlich hatte Miska für seinen Text auch jene informative Serie zum gleichen Thema genutzt, die einige Tage vor der FR-Serie in der auflagenstarken Pariser Tageszeitung „L’aurore“ erschienen war. Autor der L’aurore-Serie war Farid Sherif Shaker, nach eigenen Worten Schwager des ehemaligen Mitgliedes des Nachrichtendienstes der ägyptischen Luftwaffe, Mahmoud Khalil, von dem noch die Rede sein wird. Shakers Enthüllungen über seine Kontaktaufnahme zu Willy Messerschmitt in München sind wohl als persönlicher Racheakt Shakers an Khalil und seiner Entourage zu verstehen, die ihn zum Verräter gestempelt hätten, nachdem er eine Französin geheiratet hatte. Vgl. dazu die Einleitung zur Serie Shakers in L’aurore vom 26. Juli 1963 mit der Überschrift „J’étais l’agent secret de Nasser“. Shaker hat wenigstens einmal unter dem Namen Chaker, Farid Sherif, Spuren in den Akten der Stadtpolizei Zürich hinterlassen, die seine Telefonverbindungen vom Zürcher Hotel „du Théatre“ aus überprüft hatte. Die Hotelleitung hatte Zweifel an Chakers Legende geäußert, der zufolge er Vertreter schweizerischer Schokoladenhersteller sei. Vgl. Schweizerisches Bundesarchiv, Bern, Akte E 4320 C#1994/120#690, Kamil Hassan Sayed, 1960–1963, Schreiben der Stadtpolizei Zürich an das dortige Kriminalkommissariat vom 30. Januar 1960.

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Düsenjäger made in Egypt „die Zweite“: Willy Messerschmitts Abfangjäger HA-300

Kamil, im November 1918 in Langenthal im Kanton Bern geboren, war der Sohn eines ägyptischen Anwalts und Geschäftsmannes sowie einer Schweizerin. Obwohl er seit 1939 mit seinen Eltern wegen des Kriegsausbruches in der Schweiz festgesessen hatte, besaß er nur die ägyptische Staatsangehörigkeit.82 Nach der Matura studierte Kamil an der ETH Zürich Maschinenbau und schloss seine Ausbildung mit dem Ingenieurdiplom ab. Einmal in der Schweiz, machte er das Beste daraus: Als Sohn eines einflussreichen Ägypters arbeitete er seit 1952 als Waffenexperte für Bührle-Oerlikon und wurde Alleinvertreter dieser Firma in Ägypten. Da Kamil sich in der ersten Hälfte der sechziger Jahre mehr oder weniger ständig dem Vorwurf der Presse ausgesetzt sah, seine Tätigkeit für Bührle-Oerlikon sowie sein Engagement zugunsten der deutschen und österreichischen Flugzeugbauer am Nil stelle eine Bedrohung für Israel dar, soll kurz und knapp der Verdacht widerlegt werden, Kamil habe Sympathien für den Nationalsozialismus gehegt. Soweit bekannt, gibt es offenbar nur eine Quelle zu diesem Punkt. Es handelt sich dabei um die Plädoyernotizen des Zürcher Rechtsanwaltes und Publizisten Dr. Manfred Kuhn anlässlich des Strafverfahrens vor dem Bezirksgericht Zürich gegen den der Spionage für Israel angeklagten Johann Neeser vom 8. Mai 1964. Neeser hatte in der Kopierabteilung der kürzlich von Hassan Kamil gegründeten Firma „Maschinen, Turbinen und Pumpen AG“ gearbeitet und spioniert. Rechtsanwalt Kuhn führte vor dem Gericht u. a. aus, dass Neeser, der immerhin von Kamil wegen der versuchten unerlaubten Weitergabe von Firmenunterlagen angezeigt worden war, erklärt habe, er schätze Kamil eigentlich wegen seiner Gesinnung, die gegenüber „den Nazis negativ“ sei. Entsprechend habe sich dieser geäußert. Neeser, so Kuhn weiter, habe selbst in der Untersuchungshaft Kamils anti-nationalsozialistische Haltung betont.83 Man wird sich den Geschäftsmann Kamil wohl als unpolitischen Menschen vorstellen dürfen, dem etwa die potenzielle Bedrohung der Menschen in Israel durch die

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Auch aus diesem Umstand resultiert das reiche Aktenmaterial zu Kamil in schweizerischen Archiven, namentlich dem Schweizerischen Bundesarchiv in Bern und dem Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich, denn Kamil versuchte seit ca. 1963 aus seiner Niederlassungsbewilligung seine Einbürgerung in die Eidgenossenschaft abzuleiten. Diesem Ansinnen widersetzten sich im Juli 1964 die Direktion des Innern des Kantons Zürich und daran anknüpfend die Schweizerische Bundesanwaltschaft in Bern. Vor allem Kamils undurchsichtige Geschäfte und seine noch „zu wenig abgeklärte politische Assimilation“ – so die Bundesanwaltschaft – standen seiner Einbürgerung entgegen: Vgl. „Notiz“ der Bundesanwaltschaft vom 20. Juli 1964: Schweizerisches Bundesarchiv, Bern, Akte E 4320 V 1994/120 Bd. 219#691, Kamil Hassan Sayed, 1964. Vgl. ETH Zürich, AfZ, IB JUNA-Archiv/1878, Hassan Sayed Kamil, Gerichtsunterlagen, 1963–1964, Plädoyernotizen, Bl. 5. Laut den Notizen hatte sich Neeser, der eine deutschstämmige Mutter hatte, von einem anfänglichen Anhänger des Nationalsozialismus zu dessen Gegner gewandelt, nachdem er einen seiner Stiefbrüder bei einem Besuch in einem KZ des Emslandes zunächst nicht wiedererkannt hatte, da dieser ihm völlig ausgemergelt gegenübergetreten sei. Vgl. dazu auch Hannah Einhaus, Für Recht und Würde. Georges Brunschvig: Jüdischer Demokrat, Berner Anwalt, Schweizer Patriot (1908–1973), Zürich 2016, S. 221.

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von ihm mit ermöglichten Technologie- und Expertentransfers nach Ägypten zwar einerseits keine schlaflosen Nächte bereitete, den aber andrerseits offenbar auch kein Vernichtungswille leitete, wie dies bei vielen seiner ägyptischen Landsleute fraglos der Fall war. Geschäfte um der Geschäfte willen. Im Jahre 1955 erließ die Schweizer Bundesregierung ein Waffenausfuhrverbot für alle Länder des Nahen Ostens. Die laufenden Verträge betroffener Unternehmen wurden zwar noch erfüllt, seit 1957 jedoch war das legale Waffengeschäft mit diesen Staaten für schweizerische Firmen Geschichte. Hassan S. Kamil scheint einen kreativen Umgang mit diesen restriktiven Bestimmungen entwickelt zu haben. Die schweizerischen Sicherheitsbehörden hatten ihn unter Beobachtung, seit ihnen seine Tätigkeit bei Bührle-Oerlikon bekannt geworden war. In der Zeit vom 9. März bis zum 6. Juli 1957 war Kamil Gegenstand eines „gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens“ durch die Polizei des Kantons Zürich.84 Zu den Instrumenten dieses Verfahrens gehörte neben der Auswertung von Hotelunterlagen auch die Telefonüberwachung. In einem längeren Bericht des Nachrichtendienstes der Zürcher Kantonspolizei vom 7. August 1957 über die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens heißt es einleitend, es habe sich ergeben, „dass Kamil nicht nur Vertreter für Ägypten“ sei, „sondern auch in anderen Ländern Waffenverkäufe zu tätigen sucht“. Im Folgenden nennt der Bericht verschiedene Einzelpersonen, mit denen Kamil Kontakt hatte, die von ihm Gelder erhielten oder sich in seinem Auftrag um die Beschaffung waffentechnischen Materials wie Plastiksprengstoff, Zündschnüre usw. bemühten. Oft handelte es sich um Nordafrikaner und die vermuteten oder tatsächlichen Ziele der Transaktionen waren zumeist Algerien oder Osteuropa. Der Bericht machte auch eine bemerkenswerte Aussage über Kamils Ehefrau. Kamil dürfte, hieß es da, durch die „Vermittlung seiner Gemahlin Prinzessin zu Mecklenburg in diese illustre Gesellschaft gekommen sein. Was man von dieser Aristokratie halten kann, geht aus dem Telefonabhörbericht 3037 vom 29. Mai 1957 hervor“. Zu einem geplanten „Schieberunternehmen“ habe Kamil am Telefon zu einem Gesprächspartner geäußert: „Meine Frau sagt soeben, sie traue keinem Verwandten, wenn der andere ihm 1000 Mark gibt, macht er es vielleicht mit dem“85. Bereits am 12. September 1956 hatte der Nachrichtendienst der Kantonspolizei Zürich in einer Verfügung an die Schweizerische Bundesanwaltschaft in Bern notiert, dass die Herzogin zu Mecklenburg „bereits vor der Verehelichung mit Kamil durch ihre Beziehungen zu dem uns ebenfalls bekannten holländischen Waffenhändler und Kaufmann Willem Giesen in Erscheinung“ getreten sei.86 Der Bericht

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Schweizerisches Bundesarchiv, Bern, Akte E 4320 B#1990/266#6979, Hassan Sayed Kamil, 1918, 7. August 1957. Ebd., 8. August 1957, Bl. 4. Ebd., Bl. 5.

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vom 7. August 1957 monierte außerdem die Steuererklärung des Ehepaares, das mit allerlei Tricksereien „Geschäftsspesen“ geltend machen wolle – so etwa durch die Überführung ihres Pkw von der Schweiz zur Nordseeinsel Sylt und zurück durch einen Chauffeur. Schließlich sei man Kamil auf die Schliche gekommen, als er an Bührle-Oerlikon vorbei ein unzulässiges Ägypten-Geschäft mit einer Zürcher Waffenfirma über rund zwei Millionen Stück Kleinkalibermunition habe durchführen wollen, das dann jedoch von Seiten der Firma wegen der Gesetzeslage nicht zustande kam. Hinsichtlich seiner Pläne mit Willy Messerschmitt in Ägypten warf Kamil indessen die Flinte nicht sogleich ins Korn, sondern er nutzte seine ausgezeichneten Verbindungen zu hohen ägyptischen Militärs. Diese gaben ihm zu verstehen, dass Präsident Nasser darauf dränge, die ägyptische Luftwaffe mit Düsenjägern  – gern auch solchen mit Überschallgeschwindigkeit – auszurüsten. Nach den Recherchen von Peter Miska für die Frankfurter Rundschau fügte es der Zufall, dass es erneut, wie bereits im Jahre 1951, der in Madrid residierende, ehemalige Messerschmitt-Repräsentant Guillermo F. Mallet war, der nun die Brücke von Spanien nach Ägypten zu schlagen half. Mallet kannte Hassan Kamil aus der Zeit, als der Ägypter für Bührle-Oerlikon auch auf der Iberischen Halbinsel tätig gewesen war. Der Spanier setzte Kamil über die finanziellen Schwierigkeiten Messerschmitts und der Hispano Aviación ins Bild. Beide, so Mallet, wünschten sich einen finanzkräftigen Interessenten für ihre Düsenjäger in Sevilla. Kamil übermittelte seine von Mallet erworbenen Informationen nach Kairo, und so trafen am 19.  November 1959 zwei prominente Ägypter in Zürich ein: Mahmoud Khalil87, Nassers führender Mann für „besondere militärische Projekte“ am Nil, sowie Kemal Abdul Fadl, seines Zeichens Rechtsberater der ägyptischen Regierung. Von Zürich reisten die beiden Regierungsvertreter zusammen mit Farid Sherif Shaker und Hassan S. Kamil nach München, wo sie mit Willy Messerschmitt und seinem Rechtsberater Ritter von Srbik im Hotel „Vier Jahreszeiten“ bei Kaviar und Champagner die Möglichkeit einer

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Mahmoud Khalil, von den damals mit ihm befassten Deutschen und Österreichern in Kairo nur „Mr. Mahmoud“ genannt, genoss das besondere Vertrauen Präsident Nassers, seit er im Jahre 1956 einen royalistischen Attentatsplan auf diesen vereitelt hatte. Da Khalil in unserem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielt, sei eine kleine Persönlichkeitsskizze eingeflochten, die von dem ehemaligen leitenden deutschen Militärberater in Syrien und mittlerweile zum Militärattaché an der deutschen Botschaft in Kairo avancierten Rainer Kriebel stammt. Anlass für diese Skizze war ein Bericht Kriebels über ein längeres Gespräch mit Khalil am Abend des 21.  August 1962: Kriebel schrieb: „Khalil ist groß gewachsen, hellhäutig, von guter Erscheinung. Er ist intelligent, schlagfertig und humorvoll, von einfachem, gewinnenden Wesen. Er ist ein bedingungsloser Anhänger Präsident Nassers, […] der ihn, wie ich zufällig von Wachmannschaften vor seinem Haus erfuhr, gelegentlich in seiner Privatwohnung aufsucht“. Vgl. AAPD, 1962, Bd. II, München 2010, Nr. 341.

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Kooperation ausloteten.88 Als Ergebnis weiterer Gespräche wurde man am 29. November 1959 handelseinig. Die Ägypter kauften Messerschmitts Lizenzen, und der Professor willigte ein, für sie als Berater beim Bau der Flugzeuge tätig zu sein. Nasser hatte darauf bestanden, dass die Düsenjäger nicht komplett gefertigt von Hispano Aviación gekauft, sondern in Heluan bei Kairo konstruiert würden – die Zelle, also Rumpf, Tragflächen und Fahrgestell in der Military Factory 36, die Triebwerke in der Military Factory 135. Offensichtlich hatte er ein Interesse daran, geeignete Landsleute zu technischen Fachkräften ausbilden zu lassen, die dann auch in anderen Bereichen einsetzbar wären. Nun stellte sich das Problem des Transfers der europäischen Experten und der benötigten Materialien an den Nil, denn Ägypten verfügte weder über die notwendigen Rohstoffe, Vorprodukte und Maschinen noch in ausreichender Zahl über die erforderlichen Ingenieure und Techniker. Hassan S. Kamil machte aus der Not ein Geschäft. Er versicherte den Mächtigen in Kairo, er werde alles beschaffen und nach Ägypten kommen lassen, die Menschen wie auch das Material. Von der Regierung verlangte er beträchtliche Geldmittel für die Anwerbung der Flugzeugexperten, ferner für Edelstahl, Radaranlagen, Motoren und sonstige Ausrüstung. Da er in Zürichs Restelbergstraße eine ansehnliche Villa besaß, schlug Kamil vor, die Einkaufszentrale für die ägyptische Düsenjägerproduktion an der Limmat einzurichten. Die Tatsache, dass diese Zentrale ausgerechnet im Herzen jenes Landes liegen würde, das ein Waffenausfuhrverbot nach allen Ländern des Nahen Ostens verfügt hatte, sah der ägyptische Geschäftsmann weder als Hindernis für sein Vorhaben, noch bereitete sie ihm offensichtlich irgendwelche Gewissensnöte. Die verantwortlichen Männer im Kairoer Kriegsministerium stimmten Kamils Vorschlägen zu, und so entstand das Dokument „Contract M 2300“89. Contract M 2300 war der Vertrag, den das Kriegsministerium der VAR (Ägypten) Ende 1959 mit der schweizerischen Firma „Meco AG“ (Mechanical Corporation), Basel, später Zürich, abschloss. Ihr Zweck als eine Art Einkaufsbüro war laut handelsgerichtlicher Eintragung die „Herstellung von Maschinen, Apparaten und Werkzeugen, Verwertung von einschlägigen Patenten, Marken, Fabrikationsverfahren und Konstruktion, Handel mit den von der Gesellschaft hergestellten Erzeugnissen usw.“. Zeichnungsberechtigt mit Einzelunterschrift war der Schweizer Werner Hofmann, zugleich „einziges Mitglied des Verwaltungsrats“. Zum Vertragspartner des ägyptischen Ministeriums wurde die Meco nicht von ungefähr ausersehen: Messerschmitts rechte Hand, Ritter von Srbik, hatte über die „Deutsche Intertreuhand“, in deren Aufsichtsrat er saß, einen Draht zur Meco. Kamil übernahm die Funktion eines „Generalvertreters“ der Meco, wie die 88 89

Vgl. Shaker, L’agent secret (I), in: L’aurore, 25. Juli 1963. Das Folgende im Wesentlichen nach Miska, Geschäft (II), in: FR vom 12. August 1963.

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Düsenjäger made in Egypt „die Zweite“: Willy Messerschmitts Abfangjäger HA-300

Schweizerische Bundesanwaltschaft in einem Aktenauszug vom 21. März 1964 festhielt.90 Er war zu dem Schluss gekommen, dass sich gerade eine kleine, verhältnismäßig unbekannte, Firma für seine Zwecke eigne. In Artikel 1 des in englischer Sprache abgefassten, 92 Seiten starken Vertrages war vereinbart, dass die „ursprünglich in Spanien laufenden Entwicklungsund Herstellungsarbeiten an dem HA-300 (Düsenjäger mit Überschallgeschwindigkeit) gestoppt“ werden. Die Meco, heißt es weiter, „überträgt dem Ministerium das alleinige, uneingeschränkte Herstellungsrecht zum Bau des Düsenjägers HA-300 in der VAR. Die Meco wird am Tage der Unterschrift dem Ministerium eine Kopie aller bei der Hispano Aviación in Spanien vorhandenen Zeichnungen, Dokumente und Forschungsergebnisse über die Entwicklung und Herstellung des Düsenjägers HA-300 in der Originalsprache übergeben. Für das Herstellungsrecht und die Übergabe der Zeichnungen […] erhält Meco vom Ministerium die Pauschalsumme von 15 Millionen Schweizer Franken (CHF)“. Aus diesen Formulierungen geht klar hervor, dass Willy Messerschmitt und die Meco eng miteinander verbunden waren, denn ohne dessen Einwilligung hätte die Meco kaum die Lizenzrechte an die Ägypter verkaufen können. Die seinerzeit kolportierte Deutung, dass Meco die Abkürzung für „Messerschmitt Corporation“ sei, trifft zwar nicht zu, aber es stimmt, dass Messerschmitt zusammen mit Hassan S. Kamil im Aufsichtsrat der seit dem Vertragsabschluss mit dem ägyptischen Kriegsministerium florierenden schweizerischen Aktiengesellschaft saß. Die Liaison mit der Meco machte sich für Messerschmitt auch persönlich durchaus bezahlt. Nicht nur erhielt er einen erheblichen Teil der 15 Millionen CHF, sondern die ägyptische Regierung garantierte darüber hinaus, für den Aufenthalt des Konstrukteurs und seiner Gattin in Ägypten aufzukommen. Außerdem übernahmen die Ägypter Steuern und Abgaben Messerschmitts. Abgesehen von der garantierten Steuerbefreiung legte der Vertrag auch Messerschmitts Spesensätze fest. Bis zu dem Tag, an dem der Prototyp des HA-300 fertiggestellt wäre, erhielt er eine „Entschädigung von 500 CHF pro Aufenthaltstag in der VAR, außerdem eine Pauschalsumme von 2200 CHF für Flugkosten nach Europa und zurück an den Nil. Vom Tage des ersten Probefluges erhöhte sich die tägliche Entschädigung auf 1000 CHF bei gleichbleibenden Reisespesen. Abweichend von der Deutung Peter Miskas, wonach Messerschmitt gegenüber der rechtsextremen „Deutschen Nationalzeitung und Soldatenzeitung“ nicht die Unwahrheit gesagt habe, als er in einem Interview mit dem Blatt erklärte, er erhalte kein Honorar von den Ägyptern, sondern nur seine Reisespesen ersetzt, erscheint es doch durchaus angemessen, die täglichen Entschädigungszahlungen als eine Art Honorar zu betrachten.

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Vgl. Schweizerisches Bundesarchiv, Bern, Akte E 4320#/1994/120#690, Kamil Hassan Sayed, 1960– 1963. Hier finden sich auch ausführliche Auszüge aus dem Contract M 2300, etwa in dem Schreiben des Kriminalkommissariats III der Stadtpolizei Zürich an die Schweizerische Bundesanwaltschaft in Bern vom 17. Juli 1963. Sie decken sich mit den Angaben Miskas.

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Kapitel III: „[…] ein zeitgemäß geschliffenes Schwert zu schmieden“

Contract M 2300 legte außerdem fest, dass die Meco berechtigt sei, unter eigenem Namen und selbstverantwortlich jede andere Firma oder jeden anderen unabhängigen Fachmann in die VAR zu schicken bzw. mit ihm zusammenzuarbeiten und das Material zum Bau der Düsenjäger einzukaufen. Artikel 10 versuchte die Bewaffnung der Jäger festzulegen: 25 mm- oder 30  mm-Kanonen, Typ Oerlikon, 5  cm- oder 8  cm-Oerlikon-Raketen mit Faltflügeln, LuftLuft-Lenkraketen der Kategorie „Sidewinder“ sowie Bomben bis zu 500  kg Gewicht. Doch, so Miska, zu dieser Festlegung sagte man bei Bührle mit Blick auf die Rechtslage Nein. Es sei aber doch immerhin freundlich von Kamil gewesen, an seinen früheren Arbeitgeber zu denken, schreibt Peter Miska. Wahrscheinlich hätte Kamil an der Bewaffnung mit Oerlikon-Erzeugnissen verdient, denn seine Funktion als Oerlikon-Vertreter in Ägypten übte er weiterhin „gleichzeitig“91 mit jener bei der Meco aus. Auf der letzten Seite des Vertrages fand sich die Vereinbarung, dass sich die finanziellen Transaktionen, die sich aus Contract 2300 ergaben, über das Bankhaus „Credit Suisse“ abzuwickeln seien. Mit seinem Artikel „Nassers Zigarren“ – gemeint waren die ersten, von deutschen und anderen ausländischen Experten konstruierten Raketen Ägyptens – lüftete erstmals „Der Spiegel“ in seiner Ausgabe Nr.  36 vom 5.  September 1962 das „Geheimnis Meco“ für die breite Öffentlichkeit92 und trat damit eine über Jahre sich hinziehende Pressekampagne für und wider  – in der Summe allerdings mehr wider  – die deutsche Expertentätigkeit in Ägypten los.93 Der Spiegel dokumentierte die damals erst bruchstückhaft erkennbare Arbeit der Fachleute am Nil. So warf der Text die Tätigkeit der Flugzeug- und der Raketenexperten in einen Topf, was der Wirklichkeit vor Ort nicht entsprach. Räumlich deutlich voneinander getrennt arbeiteten die Raketenexperten in der Military Factory 333 in dem nördlich Kairos gelegenen Heliopolis und die Flugzeugbauer in den bereits erwähnten Fabriken 36 und 135 von Heluan südlich der Hauptstadt. Es gab zwar einige Berührungspunkte zwischen beiden Gruppen, die sich etwa durch das gemeinsame ägyptische Führungspersonal ergaben – zu erwähnen ist hier insbesondere Mahmoud Khalil  – doch im sozialen Miteinander ging man getrennte Wege, was einen gelegentlichen gemeinsamen Umtrunk im „Münchner Löwenbräu“ der ägyptischen Metropole nicht ausschloss. 91

92

93

Ebd., Schreiben des Eidgenössischen Politischen Departements (etwa Außenministerium, A. H. Seit 1979 Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten) an den Botschafter der schweizerischen Botschaft in Kairo vom 23. Januar 1961, „Meco AG, Zürich“, vertraulich. Im Bonner Auswärtigen Amt war man bereits mindestens im Sommer 1961 über die Meco und ihre Tätigkeit informiert. Vgl. die Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrates I. Klasse von Stechow vom 18. Juli 1961, in: AAPD, 1961, Bd. II, Berlin 2018, Nr. 223. Die Zäsur durch die Spiegel-Veröffentlichung hob auch Rechtsanwalt Manfred Kuhn in seinem Plädoyer vom 8. Mai 1964 vor dem Bezirksgericht Zürich im Prozess gegen Johann Neeser hervor. Vgl. ETH Zürich, AfZ, IB JUNA-Archiv/1878, Hassan Sayed Kamil, Gerichtsunterlagen, Plädoyernotizen Dr. Manfred Kuhn, Bl. 5.

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Nachdem der Vertrag zwischen der Meco und dem VAR-Kriegsministerium unter Dach und Fach war und die ersten Millionen aus Kairo in Zürich eingegangen waren, begann Kamil von Zürich aus für Ägyptens Aufrüstung aktiv zu werden. Eine seiner ersten Aktionen betraf die Verlegung der Meco von Basel nach Zürich. Dann gab die Meco Inserate in deutschen Zeitungen auf und engagierte eine Reihe technisch versierter Kaufleute aus der Bundesrepublik für das Zürcher Einkaufsbüro. Waren die Chiffrenanzeigen bewusst unscharf formuliert – „Flugzeugwerk in Nordafrika sucht Fachkräfte aller Art“  – entsprach die Auflage, die den Deutschen von der Meco-Geschäftsleitung gemacht wurden, weniger den Betriebsanweisungen einer seriösen Firma als dem Codex eines Geheimdienstes. Kaum, dass sie in Zürich eingetroffen waren, schärfte man den Deutschen ein, dass sie sich keinesfalls ein möbliertes Zimmer oder eine Wohnung nehmen dürften, sondern im Hotel logieren müssten. Als offiziellen Grund für diese Vorsichtsmaßnahme nannten die Meco-Leute Probleme bei der Besorgung einer Aufenthaltsgenehmigung und einer Arbeitserlaubnis. Der wahre Grund lag aber wohl darin, dass man die Schweizer Fremdenpolizei und andere Aufsichtsorgane nicht unnötig auf sich aufmerksam machen wollte. Dies schloss natürlich nicht aus, dass, wie gezeigt, die schweizerischen Sicherheitskräfte bei Bedarf auch Meldeunterlagen von Hotels bei ihren Recherchen nutzten. Die Frage, warum die Meco sich nicht mit schweizerischen Fachkräften begnügte, sondern bevorzugt Deutsche heranzog, ist leicht zu beantworten. Die Meco wollte den größten Teil des Materials, das Nasser für seine Düsenjäger benötigte, im nahe gelegenen Deutschland einkaufen, wo es vergleichsweise mehr leistungsfähige Industriebetriebe gab, als in der kleineren Schweiz. Und Marktkenntnis für das Gebiet zwischen Förde und Bodensee besaßen eben in erster Linie Deutsche. Der Erste von ihnen, den die Meco verpflichtete, war der Ingenieur Waldemar Schellhorn. Er war erst 1957 aus der DDR in die Bundesrepublik gekommen. Seine „Flucht“ aus Ostdeutschland musste, so Peter Miska, unter einem besonders glücklichen Stern gestanden haben: Nach Aussagen, die er später gegenüber Freunden machte, war es ihm vergönnt, sein gesamtes Mobiliar sowie seine hochwertige Sportanglerausrüstung in den Westen mitzunehmen. Ingenieur Schellhorn, der aus der Flugzeugbranche kam, hatte zunächst versucht, bei der Messerschmitt AG in Augsburg unterzukommen. Seine Bewerbung scheiterte jedoch an der seinerzeitigen Rechtslage in der Bundesrepublik, die es westdeutschen Flugzeugherstellern aus Sicherheitsgründen untersagte, DDR-Flüchtlinge vor Ablauf einer bestimmten Frist einzustellen. Ironie des Schicksals: Durch die Vermittlung von Willy Messerschmitt persönlich rutschte Schellhorn über die Meco in eine Stellung, die er in Augsburg so schnell nie hätte erreichen können. Mit einem Monatsgehalt von 5000 CHF plus Spesen ging er an den Nil. Ob Schellhorn überwiegend in Ägypten tätig oder aber in der Schweiz und in der Bundesrepublik als „Scout“ für Fachleute und Material unterwegs war, ist unklar. Peter Miska sieht ihn vorwiegend in letzterer Funktion, doch scheint dies kaum möglich, wenn man einen „Aktenauszug“ der 235

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Schweizerischen Bundesanwaltschaft aus dem Jahre 1964 mit dem Titel „Mechanical Corporation AG (MECO) und Maschinen-Turbinen- und Pumpen-AG (MTP)“ heranzieht, in dem es auch um Waldemar Schellhorn ging. Schellhorn habe, heißt es darin, den Antrag gestellt, für ca. neun Monate innerhalb eines Jahres die Tätigkeit eines technischen Leiters bei der Meco bewilligt zu bekommen. Die Eidgenössische Fremdenpolizei habe dieses Gesuch auf Antrag der Schweizerischen Bundesanwaltschaft abgelehnt. In Klammern ist in dem Aktenauszug hinzugefügt: „Gegen Schellhorn besteht eine Einreisesperre“94. Obwohl keine Begründung für die Sperre genannt wurde, liegt die Vermutung nahe, dass sie aufgrund der Herkunft Schellhorns aus der DDR erfolgte. Dass Waldemar Schellhorn die DDR samt üppigem Hausrat verlassen durfte, nährt die Vermutung, dass er kein „Republikflüchtling“ war, sondern dass er möglicherweise von den Machthabern der DDR in den Westen entsandt wurde, um dort Kontakte zu knüpfen und das technisch-wissenschaftliche Terrain auszukundschaften. Es fällt jedenfalls auf, dass sein Name auf den Listen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR fehlt, die ansonsten für die späten fünfziger Jahre jeden vermeintlichen oder tatsächlichen Republikflüchtling mit nahöstlichen Ambitionen aufführten.95 Willy Messerschmitts mehrere hundert Männer umfassende Techniker- und Fertigungsgruppe am Nil machte sich in den Militärfabriken von Heluan an die Arbeit. Der „Spiegel“ schrieb seinerzeit in seinem mittlerweile geradezu kanonischen Text „36, 135 und 333“ über die Flugzeugbauer in Heluan: „Wo einst englische Pensionäre in Schwefelbädern und trockener Wüstenluft Heilung von rheumatischen Beschwerden suchten, ist ein etwa sechs Quadratkilometer großes Areal von einem hohen Drahtzaun umschlossen. Zwischen den dichten Dattelpalmhainen des Niltals und den gelblichbraunen Hügeln der arabischen Wüste sind weißgekalkte Werkshallen aus dem Boden gewachsen. Bewaffnete Streifen bewachen das Sperrgebiet“. Während sich diese Beschreibung konkret auf das Areal der Factories  36 und 135, also der Flugzeugzellen- und der Triebwerkskonstruktion, bezog, galt der anschließende Blick des Blattes in die Zukunft auch dem zeitgleich stattfindenden Raketenbau in Heliopolis. „Wenn die deutschen Waffenschmiede ihre erfolgreiche Arbeit abschließen“, hieß es im Spiegel ahnungsvoll, „wird Gamal Abdel Nasser der mächtigste Mann der farbigen Welt sein und über jene Mittel verfügen, die er zum Vernichtungskrieg gegen Israel braucht“96. In Bonn beschäftigte man sich seit Mitte 1961 mit den Aktivitäten von Willy Messerschmitt im Schatten der Pyramiden. Rainer Kriebel in seiner Eigenschaft als Militärattaché an der

94 95 96

Schweizerisches Bundesarchiv, Bern, Akte E 4320 C#1994/120#690, 21. März 1964. BStU, MfS-Sekr. des Min., Nr. 1933, Teil 2 von 2. Zu Einzelheiten dieser Listen weiter unten mehr. Der Spiegel Nr. 19 vom 8. Mai 1963, „36, 135 und 333“. In kopierter Form findet sich dieser Artikel auch in den Unterlagen des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit: BStU, MfS, ZIAG 38708, Bl. 502–10.

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deutschen Botschaft in Kairo schrieb zu dieser Zeit an das Bundesverteidigungsministerium über die Bemühungen der VAR (Ägypten), die HA-300 zu bauen. Er habe den Eindruck, so Kriebel, dass das Gelingen dieses Vorhabens für die VAR „als ebenso bedeutsam angesehen wird, wie die anderen Großprojekte (Assuan- und Euphratdamm). Es steht fest, daß das Projekt mit einer erweiterten Hilfe des Westens steht und fällt“. Von offizieller amerikanischer Seite in Kairo habe er nur aufmunternde Worte zu dem Projekt vernommen, da „es für den Westen sehr bedeutungsvoll“ sei. Jede Hilfe, die die Bundesrepublik hier gewähren könne, werde „von den USA begrüßt“97. Vortragender Legationsrat I.  Klasse im AA, von Stechow, formulierte eine Stellungnahme zu den Ausführungen Kriebels, die ihm in Abschrift vorlagen. Darin erkannte er einerseits an, dass der Westen „zweifellos ein Interesse“ daran habe, dass die Sowjetunion in der VAR auf dem Gebiet der Rüstung „nicht zum Zuge“ komme und dort „keine beherrschende Stellung erhält“. Andrerseits sei von Israel eine „erhebliche Verärgerung“ zu erwarten, was verständlich sei, da sich das Messerschmittsche „Großprojekt in erster Linie gegen Israel richten dürfte“. Von Stechow warnte vor einer amtlichen Befassung mit dem Projekt. Den Israelis könnte „vielleicht ggf. gesagt werden, daß es sich um eine Zusammenarbeit mit einer spanischen Firma handle und Prof. Messerschmitt nur privat eingeschaltet sei“. In jedem Fall aber empfehle sich eine Abstimmung „mit den Amerikanern“ in dieser Sache.98 Während die Entwicklung der Zelle für die HA (jetzt = Heluani Aircraft)-300 in Ägypten ohne größere Probleme anlief, gab es Schwierigkeiten mit dem erforderlichen Triebwerk. Dieses sollte auf Messerschmitts Wunsch hin aus dem Ausland zugekauft werden. Zunächst hatte Frankreich 40 Marboré-II-Triebwerke über Spanien für die HA-200 geliefert. Für die HA-300 hatte Messerschmitt ein britisches Bristol-Orpheus-Triebwerk vorgesehen, „das 1959 auf allen Ausstellungen als das Neueste vom Neuen gezeigt“ worden sei und „von dem man annehmen mußte, daß es lieferbar war“99. Zur Überraschung der ägyptischen Regierung wurde ihr im Jahre 1960 von Bristol mitgeteilt, dass die Entwicklung des besagten Triebwerkes 1959 eingestellt worden sei. Zwar boten die Briten eine Wiederaufnahme der Fertigung an, doch die kalkulierte Zeit bis zum Abschluss der Serienreife sowie die voraussichtlichen Kosten ließen die Ägypter von Bristol Abstand nehmen. Bei der Suche nach einer Lösung für das brennende Problem kam schließlich der österreichische Triebwerksexperte Ferdinand Brandner ins Spiel.

97 98 99

Vgl. AAPD, 1961, Bd. II, Berlin 2018, Fußnote 1 zu Nr. 223. Ebd., Nr. 223. Vgl. Ferdinand Brandner, Ein Leben zwischen Fronten. Ingenieur im Schußfeld der Weltpolitik, München 1976 S. 264. Diese Memoiren des Triebwerksspezialisten Ferdinand Brandner enthalten die einzige ausführliche und für die Öffentlichkeit bestimmte Darstellung eines der führenden Beteiligten unter den deutschen, österreichischen und einigen spanischen Flugzeug- und Raketenexperten über ihre Arbeit in Ägypten.

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Der Triebwerksspezialist Ferdinand Brandner und die Sache mit dem Elefanten im Raum Es ist unklar, wie Ferdinand Brandner in den Kreis der Flugzeugkonstrukteure am Nil geriet. Nach der Darstellung des amerikanischen Nachrichtenoffiziers in Diensten der US Defence Intelligence Agency, Owen L. Sirrs, war Brandner auf eine jener Stellenanzeigen in deutschen Tageszeitungen gestoßen, die Hassan S. Kamil geschaltet hatte, um Fachkräfte für Ägypten zu finden. Brandner hatte sich Sirrs zufolge auf eine solche Anzeige hin beworben und war dadurch mit Kamil in Kontakt gekommen.100 Brandner selber verbreitete hingegen eine Version, die ihn als den exklusiv Umworbenen aussehen lässt. Demnach hatte ihn im April 1960 in London ein Telegramm von Willy Messerschmitt erreicht, das ihn bat, zu einer Besprechung nach München zu kommen. Brandner schildert die Szene in einem nicht näher bezeichneten Münchner Hotel, als er erstmals den „Vertrauensmännern der ägyptischen Regierung in Europa“, nämlich Hassan S. Kamil und Oberst Mahmoud Khalil im Beisein Willy Messerschmitts begegnete. Es fehlt zwar die Erwähnung von Kaviar und Champagner in der Schilderung, doch im Übrigen drängt sich der Eindruck auf, als habe Brandner die Artikelserie von Sherif Shaker im L’aurore aus dem Jahre 1963 gekannt und sie für seine erstmals 1973 erschienenen Memoiren genutzt, um seinem Einstieg bei Messerschmitt und Kamil einen würdevollen Rahmen zu geben. Messerschmitt habe ihm, so Brandner in seinen Erinnerungen, bei dem Treffen in dem Münchner Hotel die Triebwerksproblematik in Heluan auseinandergesetzt. Interessant ist eine Bemerkung in Brandners Buch, wonach die Ägypter bereits „mit Dr. B. E. als Vertreter von Daimler-Benz“ über die Triebwerksfrage verhandelt hätten, jedoch zu keinem Ergebnis gekommen seien.101 Hinter den geheimnisvollen Initialen verbarg sich kein Geringerer als Dr. Bruno Eckert, einer der damaligen Daimler-Benz-Vorstände. Von ihm wird noch die Rede sein. Ferdinand Brandner, zur Zeit der Kontaktaufnahme mit Willy Messerschmitt 57 Jahre alt, konnte bereits damals auf ein recht bewegtes Leben zurückblicken. Nach eigener Aussage „ein Idealist und Fanatiker der Technik“, ehemaliger Kämpfer im „Freikorps Oberland“, seit 1932 Mitglied der illegalen österreichischen NSDAP und SA-Mitglied „ehrenhalber“, hatte er im Zweiten Weltkrieg als Konstrukteur bei der Firma Junkers mit dem „Jumo 222“ den seinerzeit stärksten Jagdflugzeugmotor der Welt entwickelt. Nach Kriegsende wurde Brandner in Dessau von den Russen verhaftet und in die Sowjetunion verschleppt. Bis 1954 arbeitete er mit anderen zwangsverpflichteten deutschen und österreichischen Konstrukteuren in Kuibyschew, dem heutigen Samara, an der Wolga für die sowjetische Flugzeugindustrie. Brandner 100 101

Sirrs, Nasser, S. 23. Brandner, Leben, S. 263ff.

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entwickelte dort zwei Turboprop-Motoren, von denen einer mit 12 000 PS – „wieder einmal der stärkste in der Welt“, so der „Spiegel“ – als Kusnezow-Nk-12-Triebwerk in die legendäre Tupolew 114 eingebaut wurde.102 Nach der Rückkehr aus der Sowjetunion  – seine dort verbrachte Zeit hat später Gerüchte über eine geheime Tätigkeit Brandners im Westen für die UdSSR nie ganz verstummen lassen  – tat sich der gebürtige Wiener schwer, in der Heimat wieder Fuß zu fassen. „Ich habe immer Pech gehabt“, klagte er später einmal, wohl vergessend, dass sein Ägypten-Engagement zumindest in finanzieller Hinsicht kein allzu harter Schicksalsschlag gewesen war. Durch Hans Schönbaumsfeld, einem ehemaligen Direktor von Junkers, kam Brandner zu der in Graz ansässigen Andritzer Maschinenfabrik, deren Generaldirektor Schönbaumsfeld inzwischen geworden war. In Graz wurde Brandner technisches Vorstandsmitglied und zugleich Geschäftsführer der neu gegründeten „Anstalt für Strömungsmaschinen“, kurz ASTRÖ. In seinen Memoiren erwähnt Brandner, dass es ihm gelungen sei, ehemalige Kameraden aus seiner Zeit in der Sowjetunion in Graz unterzubringen, ohne jedoch Namen zu nennen. In den Unterlagen des ehemaligen MfS der DDR finden sich ein paar dokumentarische Splitter zu Brandners Tätigkeit in Graz. Ausgangspunkt waren MfS-Berichte über den früher in der „Forschungsabteilung Zeiss Jena“ tätig gewesenen Ingenieur Wilhelm Pröll, der inzwischen seit Mai 1957 als „republikflüchtig“ galt und angeblich im West-Berliner Flüchtlingslager Marienfelde erzählt habe, er arbeite für „den amerikanischen und englischen Geheimdienst“. In einem Fragebogen habe Pröll angegeben, so ein Bericht des MfS Karl-Marx-Stadt, Abteilung VI, vom 15. Juli 1957, dass er als Bürgen einen Brandner [hier stillschweigend korrigiert aus fälschlich Brandler, A. H.] nenne, der in der Sowjetunion Chefkonstrukteur gewesen sei und nun in Graz ein „selbständiges Konstruktionsbüro für Flugzeuge“ unterhalte.103 Da das MfS die aus der Sowjetunion zurückkehrenden Flugzeugexperten auf dem Gebiet der DDR beobachtete, darunter eine 23 Personen umfassende Gruppe, die sich im November/Dezember 1953 im Bezirk Karl-Marx-Stadt niedergelassen hatte104, gelangte es auch an Informationen über Ferdinand Brandner, und dies bereits zu einer Zeit, als dieser selber noch in der Sowjetunion lebte. Mit „z. Zt. UdSSR“ war die „Beurteilung des Koll. Brandner“ in einem Bericht vom 21. Juni 1953 überschrieben. Gezeichnet hatte diese Beurteilung ein gewisser „Werner“, und sie fiel für Brandner wenig schmeichelhaft aus.105 Wörtlich hieß es von Werner u. a.: „Politisch gesehen stand Kollege Brandner während der nationalsozialistischen Herrschaft auf 102 103 104

105

Vgl. Der Spiegel Nr. 19 vom 8. Mai 1963, „36, 135 und 333“. BStU, MfS, BV KMSt AOP 88/58, Bl. 206–07. Ebd., Bl. 0049, „Auszug aus dem Bericht vom 12. Juli 1954 der BV Karl-Marx-Stadt, Abt. III“. Der Bericht erwähnte auch, dass in jenem Bezirk noch 65 Personen „(uns unbekannte), die im Jahre 1949–1951 aus der SU als Spezialisten zurückkehrten“, lebten. Ebd., Bl. 0208.

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nationalsozialistischem Boden. Kollege Brandner war Mitglied der NSDAP und Obersturmführer der SA. Sein ganzes Handeln war bis zum letzten Tage des Krieges danach ausgerichtet“. Von den Russen sei er nach Moskau gebracht worden, „wo er bis 1948 mit hohen Offizieren der faschistischen Wehrmacht inhaftiert“ gewesen sei. Von dort sei er „in unser Werk nach Kuibyschew gekommen“ und habe dort das Konstruktionsbüro geleitet, sich dafür „mit großer Energie eingesetzt, wobei er aber nie vergaß, sich in den Vordergrund zu stellen“. Und weiter: „In politischer Hinsicht war er nicht wiederzuerkennen. Er tat so, als ob er von jeher überzeugter Kommunist gewesen sei. Eine Vorliebe war es von ihm, sich mit sowj. Bürgern anzufreunden“. Seinem Wunsch, in Wien seine Frau sehen zu dürfen, sei entgegen einer ersten Zusage von sowjetischer Seite nicht entsprochen worden. Abschließend bemerkte Werner: „Ich betrachte das Verhalten von Koll. Brandner in jeglicher Hinsicht etwas schleimig und könnte ihm nie Vertrauen entgegen bringen. Sein Handeln hat stets zwei Seiten und ist aus diesem Grunde kritisch zu betrachten“. Mit diesem Wissen um Brandner fertigte die Bezirksverwaltung des MfS Karl-Marx-Stadt für die MfS-Zentrale in Berlin unter dem 24. Juli 1957 einen Bericht, in dem es u. a. um die Teilnahme von drei Ingenieuren aus der DDR an einer Tagung der „Wissenschaftlichen Gesellschaft für Luftfahrt“ (WGL) in der Bundesrepublik ging. Einer dieser Ingenieure namens Makella gehörte später zur Gruppe um Brandner in Ägypten. Der Bericht, der von einem Oberleutnant Wolf unterzeichnet war, hob hervor, dass „von unserer Seite aus […] genau überprüft“ werde, „ob die drei genannten Personen im Frühjahr ortsabwesend waren. Es ist zu vermuten, daß diese Personen die WGL-Tagung in Westdeutschland ausgenutzt haben, um mit der Brandner-Gruppe in Österreich in Verbindung zu kommen. Es wird deshalb vorgeschlagen, die während der WGL-Tagung eingesetzten GI [Geheimer Informator bzw. inoffizieller Mitarbeiter, später IM, A. H.] konkret zu befragen, ob Hinweise vorhanden sind, die das o. a. bestätigen“106.

Offenbar stand man im MfS der Person Ferdinand Brandners und seiner Umgebung in Graz kritisch gegenüber, bzw. man fürchtete ein Abwandern der DDR-Ingenieure nach Graz. Dem Zwischenspiel Brandners in der Steiermark folgte ein weiteres bei BMW in München. Der „Spiegel“ nennt BMW als den kurzzeitigen Arbeitgeber Brandners nicht namentlich, sondern schreibt lediglich von „München“, wo er das „Feld“ habe räumen müssen, nachdem er dort von „ehemaligen Kuibyschew-Kollegen als Kameradenschinder“ denunziert worden sei. Brandners Memoiren, die dem Spiegel 1963 nicht bekannt sein konnten, stellen die Dinge ein wenig anders dar. Danach hatte der Österreicher zunächst im Triebwerksbau von BMW seine 106

Ebd., Bl. 0215.

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Tätigkeit hoffnungsvoll aufgenommen, war dann jedoch beurlaubt worden. Als Staatsangehöriger eines nicht zur NATO gehörenden Landes habe er nicht an einem gemeinsamen Projekt des Bundesverteidigungsministeriums und BMW mitarbeiten können; er werde keine Aussicht haben, die „security clearance“, also die Sicherheitsüberprüfung, zu überstehen, sei ihm beschieden worden. Es steht dahin, ob Brandner vielleicht eher über Verdächtigungen wegen seines langen Aufenthaltes in der Sowjetunion gestolpert war. Immerhin wurde zu seiner Überraschung mit dem Dipl.-Ing. Helmut von Zborowski, der uns bereits im Zusammenhang mit Rolf Engel begegnet ist und der inzwischen aus Frankreich nach Deutschland zurückgekehrt war, ein gebürtiger Österreicher sein Nachfolger, der allerdings noch vor dem „Anschluss“ die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hatte.107 Brandner, der inzwischen seine Frau bei einem Autounfall verloren hatte, wehrte sich und versuchte, seine Position gegenüber dem Verteidigungsministerium dadurch zu stärken, indem er sich um die deutsche Staatsangehörigkeit bemühte. „Da hielt man mir negative Aussagen meiner Rußlandverschleppten vor“, heißt es ein wenig unvermittelt in seinen Erinnerungen. Gemeint war die angebliche Kameradenschinderei.108 Im Gegenzug ließ Brandner sich von 80 ehemaligen Mitarbeitern aus seiner Russlandzeit eine „Ehrenerklärung“ für die „Abwehrstelle“ formulieren, die er auch in seine Memoiren aufnahm.109 Mit BMW, so Brandner auf seine Münchner Tage zurückblickend, „kam es zu einem Kompromiß, der beide Teile befriedigte“, während das Bundesverteidigungsministerium sich einer Zusammenarbeit mit ihm weiterhin verweigerte. Der überschaubaren Zeit an der Isar schloss sich eine ebensolche in seiner Heimatstadt Wien als Technischer Direktor bei der österreichischen Fluglinie Austrian Airlines (AUA) an. In dieser Phase kam es zu dem Kontakt mit Kairo und in Grundzügen zur Ausarbeitung eines Vertragswerkes zwischen Ferdinand Brandner und den Ägyptern. Nach einer Bedenkzeit, die er sich von Kairo erbeten hatte, verschaffte sich Brandner auf einer auch touristisch geprägten Reise Eindrücke in dem Land seines künftigen Wirkens, die in seinen Erinnerungen romantisch bis geradezu schwelgerisch daherkommen. „Als ich nach Heluan fuhr“, heißt es da etwa, „begannen die roten Flammenbäume gerade zu blühen. Eine 107 108

109

Vgl. Gartmann, Träume, S. 227. In einem Interview mit der rechtsextremen „Deutschen Nationalzeitung und Soldatenzeitung“ hatte Brandner ungewollt diesem Vorwurf seiner ehemaligen Kameraden Vorschub geleistet, denn „nicht ohne Stolz auf die eigene Leistung und mit einer gewissen Anerkennung für das sowjetische Arbeitssystem spricht Brandner auch heute noch von seinem Wirken in Kuibyschew“, schreibt Peter Miska in seiner FR-Serie (Teil III vom 14.  August 1963) unter Rückgriff auf das Interview. „Die Russen gaben uns genau drei Monate Zeit“, habe Brandner der DNSZ gegenüber erklärt, „und in diesen drei Monaten wurde vom Entwurf bis zur letzten Detailkonstruktion unter Einsatz von hundert Mann auch tatsächlich dieser Typ herausgebracht. In Westeuropa hält man solche Termine einfach nicht für möglich“. Brandner, Leben, S. 253f.

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Farbenorgie!“ Und weiter: „Die Weizenfelder wogten mit ihren grünen Ähren, man sah dazwischen verstreut Bananenstauden und Dattelpalmen. Zum ersten Mal sah ich die einfachen Fellachen mit ihrer schmucken weißen Weste und den kurzen Höschen auf den Feldern arbeiten“. „Blitzartig“ sei ihm plötzlich ein grotesker Gedanke durch den Kopf geschossen: „Dieses Land will Überschalljäger bauen“, und das sollte künftig seine Aufgabe sein. Kann die Leserschaft der Brandnerschen Memoiren für diesen Gedankenblitz durchaus Verständnis aufbringen, schlägt der nächste Satz bei dieser gleichfalls wie ein Blitz ein. „Dieses glückliche Land“, fährt Brandner nämlich fort, kenne „eigentlich keinen anderen Feind als die Wassernot, die aber der Nil mit seinen regelmäßigen Überschwemmungen seit Jahrtausenden behebt“.110 Kein Wort zu zwei Kriegen zwischen Ägypten und Israel binnen weniger Jahre, kein Wort zum weiterhin schwelenden Konflikt zwischen beiden Ländern. Was glaubte Brandner wohl, zu welchem Ende er Überschalljäger für Nasser bauen sollte? Gleich dem sprichwörtlichen Elefanten im Raum sah Brandner offenbar die wirkliche Gefahr in der von ihm besuchten Weltgegend nicht – oder wollte sie nicht sehen. Im Juni 1960 war es so weit. Brandner flog zum Vertragsabschluss nach Kairo. Der Kontrakt band ihn für fünf Jahre an Ägypten bei einem Monatsgehalt von 10 000 CHF111 zuzüglich Spesen und dem eigens für ihn geschaffenen Posten eines „Head of Staff“, also des Technischen Leiters der Düsenjägerproduktion am Nil. Nach Vertragsunterzeichnung reiste Brandner zusammen mit Hassan S. Kamil durch die Bundesrepublik und Österreich, um Ingenieure und Techniker für den Flugzeugbau anzuwerben. Organisatorisch firmierte die Flugzeugproduktion in Heluan später als „Egyptian General Aero Organization“ (EGAO). Das von Brandner dort auf der Grundlage der HA-300 entwickelte Triebwerk trug nun die Bezeichnung E 300, das kleinere für die HA-200 wurde zur E 200. In Zürich gründete Kamil neben der Meco nun noch eine weitere Firma: Die „Motoren, Turbinen und Pumpen AG“ (MTP) mit einem Gründungskapital von 510  000  CHF. Präsident der MTP wurde Hassan Kamil, Geschäftsführer Ferdinand Brandner; Kamil besaß 70 %, Brandner 30 % der Anteile. Mitglied des Verwaltungsrates wurde Kamils Schwager aus erster Ehe, Rechtsanwalt Dr. Hans Lott und als eine Art Personalchef fungierte Georg Alexander Herzog zu Mecklenburg, der Bruder von Kamils zweiter Ehefrau Helene Herzogin zu Mecklenburg. Das Handelsregisteramt des Kantons Zürich trug in der Rubrik „Zweck“ der Firma ein: „Die Gesellschaft bezweckt in erster Linie den Vertrieb von industriellen Erzeugnissen, vor allem Motoren, Turbinen und Pumpen sowie die Förderung von einschlägigen Entwicklungen durch Erwerb von Patenten und Lizenzen und die Planung und Mithilfe bei 110 111

Ebd., S. 269. Dies und das Folgende nach Miska, Geschäft, (III), FR vom 14. August 1963.

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Düsenjäger made in Egypt „die Zweite“: Willy Messerschmitts Abfangjäger HA-300 der Finanzierung von Industrieanlagen und anderen Bauvorhaben und jede Art technischer und kaufmännischer Beratung usw.“.

In den Akten des Schweizerischen Bundesarchivs findet sich für den Zeitraum vom 1.  Mai 1960 bis zum 30.  Juni 1964 ein „Verzeichnis sämtlicher Schweizer Lieferanten, die auftrags der M. T. P. Lieferungen im Gegenwert von total über Fr. 10 000 nach Ägypten durchführten“ Insgesamt umfasste die Liste 74 Firmen112. Lieferungen ab 1 CHF aufwärts tätigten 338 schweizerische Firmen, und laut Kamils eigener Aussage hatten „acht Schweizerfirmen neben Warenlieferungen ihre Monteure nach Ägypten entsandt in die Korrespondenzfirma der MTP AG, die Factory 135“113. Wie die Meco war die MTP eine Art Einkaufsbüro des ägyptischen Kriegsministeriums. Der Unterschied ergab sich dadurch, dass die MTP für die Beschaffung der Motoren, die Meco für den Einkauf des Materials für den Zellenbau des Düsenjägers zuständig war. Aufgrund eines israelischen Zeitungsberichtes wurden die schweizerischen Behörden noch auf die „Famka-Holding“ aufmerksam, die Hassan Kamil im März 1963 an seinem Wohnsitz in der Zürcher Restelbergstraße gegründet hatte. Die Israelis vermuteten, dass die Famka militärisches Material nach Ägypten liefere. Eine entsprechende Anfrage des Eidgenössischen Politischen Departements in Bern bei der Schweizerischen Bundesanwaltschaft führte zu Recherchen der Stadtpolizei Zürich mit dem Ergebnis, dass die Famka als Zweck ihrer Existenz den „Erwerb und Verwaltung von Beteiligungen, vor allem der technischen Branche“ angegeben habe, was natürlich militärisch nutzbare Beteiligungen nicht ausschloss.114 Doch nicht genug mit Meco, MTP und Famka. Hassan Kamil war darüber hinaus in Zürichs Badenerstraße in einer weiteren Firma mit dem Namen „Kreditschutz-Gesellschaft AG“ tätig. Nach den Angaben im Handelsregister war ihr Zweck der „Betrieb einer Auskunftei und die Besorgung von Inkassi und anderen Geschäften“. Aufschlussreich war die Besetzung des Verwaltungsrates der Gesellschaft, „die über die schweizerische Wirtschaft so vorzüglich orientiert“ war, wie die Basler „National-Zeitung“ am 27. August 1965 schrieb. Präsident des Verwaltungsrates war der uns bereits bekannte Rechtsanwalt Hans Lott, der die Firma von seinem Vater geerbt hatte. Als Vizepräsidentin zeichnete Lotts Ehefrau Ottilie und einer der beiden Verwaltungsräte war Hassan S. Kamil. „Der doppelte Kamil“ titelte denn auch die 112

113

114

Schweizerisches Bundesarchiv, Bern, Akte E 4320 C 1994/120 Bd.  219#691, Kamil Hassan Sayed, 1964. Vgl. ETH Zürich, AfZ, IB SIG-Archiv/804, Fall Hassan Sayed Kamil (Kriegsmateriallieferungen nach Ägypten), Akten Georges Brunschvig, 1964, Aktennotiz, telefonische Auskunft Rechtsanwalt Georges Brunschvig gegenüber Pfarrer J. Werner vom 3. November 1964. Schweizerisches Bundesarchiv, Bern, Akte E 4320 C#1994/120#690, Kamil Hassan Sayed, 1963, Schreiben der Stadtpolizei Zürich an die Schweizerische Bundesanwaltschaft vom 28. Juni 1963.

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National-Zeitung mit Hinweis auf dessen gleichzeitigen Verwaltungsratssitz bei der MTP. „Dass der Ägypter Kamil in einer ‚Schweizer‘ Auskunftei als Mitglied des Verwaltungsrates Einblick in all deren Geschäfte hat und mithin über alle von ihr erteilten Auskünfte Bescheid weiss, muss mehr als unangenehm berühren“, schrieb das Blatt. Die „Schweizerische HandelsZeitung“ in Zürich machte das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement auf die Auskunftei aufmerksam. Ein Leser habe geschrieben, die Kreditschutz-Gesellschaft AG erziele angeblich keine Gewinne und verfolge ausschließlich das Ziel, Informationen einzuziehen. Nach Darstellung des Lesers gehe es vor allem darum, „Auskünfte über Firmen“ zu erlangen, „die mit Israel arbeiten“. Vor allem diese letzte Behauptung führte offensichtlich zu einiger Hektik auf Seiten der Bundespolizei in Bern, die den „Nachrichtendienst Zürich dringend“ um entsprechende Aufklärung bat. Unter dem Datum des 24. Juli 1964 antwortete der Dienst aus Zürich mit einem Telex an die Bundespolizei, in dem er kurz die Besitzverhältnisse der Kreditschutz-Gesellschaft umriss und zum Schluss feststellte: „Es ist uns nicht bekannt, dass sich diese Gesellschaft um den Handel mit Israel befasst“.115 Da die MTP die benötigten Motoren und sonstige Gerätschaften nicht in Deutschland einkaufte, brauchte sie im Gegensatz zur Meco auch keine deutschen Kaufleute in Zürich zu engagieren. Dadurch ersparte sie sich fremdenpolizeiliche Aufmerksamkeit und gelegentliche Aufregung, wie sie etwa die Meco erfasste. Seit knapp anderthalb Jahren arbeiteten bereits deutsche Angestellte bei der Meco in Zürich. Eines Tages, im Oktober 1961, wurden sie zusammengerufen. Die Geschäftsleitung erklärte ihnen, dass sie nicht länger in der Schweiz bleiben dürften, weil man keine Aufenthaltsgenehmigung für sie bekomme. Unter der Leitung von Waldemar Schellhorn ließ sich die deutsche Gruppe nun in Konstanz am Bodensee nieder. Aber hier gab es für sie kaum etwas zu tun, zweimal wöchentlich fuhr ein Kurier nach Zürich, um die Post abzuholen. Das Provisorium Konstanz dauerte fast vier Monate. Dann geschah etwas, was der Vorstand der Messerschmitt AG später nicht wahrhaben wollte: Auf Betreiben Willy Messerschmitts wurden bei der Firma Messerschmitt in Augsburg hinter dem Rücken des dortigen Vorstandsvorsitzenden, Leo S. Rothe, Büroräume für die deutsche Meco-Gruppe freigemacht. Mitte Februar 1962 zogen die Meco-Leute in ihre neuen Augsburger Räumlichkeiten ein. Von deutschem Boden aus arbeiteten sie genauso wie früher von Zürich aus: Sie holten Angebote ein, erteilten Aufträge und wiesen Firmen an, das potenzielle Kriegsmaterial nach Ägypten zu transferieren.116 Schon während seiner ersten Besuche bei deutschen Firmen sah sich Schellhorn mit kritischen Fragen zur Meco konfrontiert, die er dahingehend beantwortete, dass hinter ihr Messerschmitt und 115

116

Ebd., Akte E4320 C 1994/120 Bd. 219#691, Kamil Hassan Sayed, 1964. Der Israel betreffende Schlusssatz ist im Original am Rand mit Bleistift deutlich markiert. Vgl. Miska, Geschäft (IV), in FR vom 15. August 1963.

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die ägyptische Regierung stünden. Wenn auch die Meco von Anfang an im Windschatten der Firma Messerschmitt arbeitete, besaß sie jetzt sogar eine Außenstelle in Augsburg. Für sie war das eine geradezu ideale Lösung, für die Bundesregierung und die bayerische Staatsregierung war es hingegen der Zeitpunkt, von dem an sie – vermutlich ohne ihr Wissen – in das Rüstungsgeschäft Nassers hineingezogen wurden. Der Bund und der Freistaat waren damals noch Teilhaber der Messerschmitt AG mit zusammen mehr als 50 % der Anteile. Es war klar, dass der Leitungsebene der Augsburger Aktiengesellschaft die Anwesenheit der Meco-Angestellten auf Dauer nicht verborgen bleiben konnte. Dies umso mehr, als man seitens der Meco selbstbewusst genug war, sich unter der Adresse der Messerschmitt AG als „Meco-Verbindungsstelle“ in das Augsburger Telefonbuch eintragen zu lassen. Im Mai 1962 erhielt das Bundesverteidigungsministerium offiziell Kenntnis von der Meco-Tätigkeit auf dem Messerschmitt-Gelände in Augsburg. Das Ministerium stand seinerzeit unter der Leitung von Franz Josef Strauß, dem durchaus der Ruf eines Freundes Israels vorausging. Für ihn entstand nun insofern eine delikate Lage, als bei Messerschmitt der amerikanische „Starfighter F 104-G“ in Lizenz für die Bundeswehr gebaut wurde, gleichzeitig aber auch die Materialbeschaffung für die ägyptischen Düsenjäger vonstattenging. Just zu jener Zeit, als Strauß dabei war sein Gefecht mit dem „Spiegel“ in der gleichnamigen Affäre zu verlieren, Ende 1962, wurde der Meco-Verbindungsstab in Augsburg aufgelöst, und die deutschen Angestellten des Einkaufbüros kehrten mit Ausnahme von Ingenieur Schellhorn in die Schweiz zurück. Schellhorn, belegt mit dem Einreiseverbot in die Schweiz, ging wieder nach Konstanz, wo er das „Ingenieurbüro W. Schellhorn“ eröffnete, das noch Monate als deutsche Meco-Filiale fungierte. Die Meco hatte, seit sie als Einkaufsbüro für das ägyptische Kriegsministerium tätig geworden war, etwa 68 Millionen CHF umgesetzt, so die Recherchen von Peter Miska. 6 % davon flossen an Hassan Kamil, Millionen verdiente auch Willy Messerschmitt an der Meco. Der Umsatz der MTP war mindestens zwei bis dreimal so hoch. Auch an ihr verdiente der Ägypter, wie auch sein Stellvertreter Ferdinand Brandner, auskömmlich, so dass er sich einen gediegenen Lebensstil leisten konnte, der es ihm auch erlaubte, die Nachbarvilla neben seiner eigenen in der Züricher Restelbergstraße zu erwerben. Entspannung suchte Kamil u. a. bei der Jagd in Rumänien, was ihm in der Schweiz prompt die von ihm umgehend dementierte Behauptung einbrachte, er sei Mitglied der Kommunistischen Partei Rumäniens. Zum anderen war Kamil ein begeisterter Jünger Petri, den es zum Fischen auch nach Kanada zog, wo er 1991 in der Provinz British Columbia verstarb. Anfang 1962 kam es unter den deutschen und österreichischen Experten in Heluan zu Zwistigkeiten, über die nichts Genaues nach außen drang. Der „Spiegel“ berichtete von einer Intrige, die mit Meinungsverschiedenheiten über die jüngste deutsche Vergangenheit zusammenhing und der 15 Messerschmitt-Ingenieure zum Opfer fielen, darunter der Leiter der 245

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Entwicklungsabteilung, Fritz Hentzen, und sein Chefingenieur Spieß, der im letzten Krieg den sechsmotorigen Lastenschlepper Me-323 entwickelt hatte. Von Deutschland aus versuchten sie, die Meco auf Erfüllung ihrer Verträge zu verklagen. Vor Ort wurden sie ersetzt durch eine Gruppe ehemaliger Fachleute der Siebel Flugzeugwerke, früher Halle/Saale, jetzt Donauwörth. Nicht alle „deutschen Fremdarbeiter“ – so der Spiegel – seien wegen des hohen Lebensstandards aufgrund der stattlichen Besoldung an den Nil gekommen. Eine Minderheit habe in Nasser den Mann erblickt, der Hitlers Kampf gegen die Juden fortsetze. Dabei zu sein, sei ihnen alles. Dies wiederum störe andere Kollegen. Sichtbar werde die Spaltung der Expertengemeinde bei der Wahl ihres Arztes in Kairo: Die „Ewiggestrigen“ ließen sich von dem ehemaligen KZ-Arzt Hans Eisele behandeln, die übrigen bevorzugten andere Mediziner.117 Möglicherweise einen Racheakt im Nachgang zu der Intrige stellte das Interview dar, das ein ehemaliger Flugzeugtechniker namens Walter Polenz Anfang März 1964 der Zeitung „Sunday Telegraph“ gegeben hatte und das in Auszügen im Zürcher „Tages-Anzeiger“ vom 23. März jenes Jahres erschien. Entgegen den Beteuerungen vor allem der Raketenspezialisten in Heliopolis hatte Polenz, der nach eigenen Angaben über die Zürcher Meco geworben worden war, gegenüber dem Sunday Telegraph-Journalisten bekräftigt, „dass die jetzt in Ägypten gebauten Raketen und Düsenflugzeuge ausschließlich militärischer Natur seien“118. Gegen Jahresende 1962 blies den Ingenieuren der Military Factory 36 der Wind noch aus einer anderen Richtung ins Gesicht. Der Militärattaché bei der deutschen Botschaft in Kairo, Rainer Kriebel, berichtete unter dem 28. September nach Bonn über den Besuch von drei deutschen Experten dieser Factory, den er in der „vergangenen Woche“ erhalten habe.119 Sie hätten sich bei ihm über die „Hetze“ in deutschen Zeitungen wegen ihrer angeblichen Beteiligung am Raketenbau in der VAR beklagt. Tatsächlich seien sie jedoch nur mit dem Bau von Düsenflugzeugen befasst, mit deren „militärischer Ausrüstung“ wiederum sie nichts zu tun hätten. Auch von einer „Zusammenarbeit mit dem Osten“, wie in manchen Blättern behauptet, könne keine Rede sein. Sollte eine derartige Kooperation von ihnen verlangt werden, würden sie die Weiterarbeit ablehnen. Bei ihrem letzten Heimaturlaub im Juli/August hätten die Ingenieure ihre früheren Arbeitgeber besucht und seien dabei, anders als früher, kühl empfangen worden. Es sei ihnen bedeutet worden, dass sie aufgrund ihrer Tätigkeit in Ägypten bei einer Rückkehr

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Der Spiegel Nr. 19 vom 8. Mai 1963, „36, 135 und 333“. Schweizerisches Bundesarchiv, Bern, Akte E 4320 C 1994/120 Bd.  219#691, Kamil Hassan Sayed, 1964, Meldung der Stadtpolizei Zürich an die Schweizerische Bundesanwaltschaft in Bern, 26. März 1964. Mit Hilfe eines Abgleichs der Zeitungsmeldung mit dem „Hotelbulletin“ des Zürcher Hotels „Sultan“ glaubte die Stadtpolizei, Polenz einwandfrei identifizieren zu können, denn dieser war am 22. September 1960 im Sultan abgestiegen und hatte als Reiseziel Kairo angegeben. Archiv des BND, Akte 24881_OT, Bl. 17071, Kopie des Schreibens von Kriebel ohne Anschrift mit der Überschrift „Deutsche Ingenieure im ägyptischen Flugzeugbau“.

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„etwa wie Ostflüchtlinge behandelt“ werden würden, d. h., drei Jahre dürften sie nicht im Flugzeugbau arbeiten. „Alle Herren“ hatten, so Kriebel, vor ihrer Ausreise nach Ägypten die „Verschlusssachengenehmigung ‚geheim‘ innegehabt. Die Herren hatten den Eindruck, daß als Folge der Zeitungskampagne gegen sie der Verband Deutscher Luftfahrtindustrie, Bad Godesberg, die Weisung erhalten habe, ihnen die clearance für geheim zu entziehen“120. Kriebel gab an, eigene Nachforschungen zu den drei Ingenieuren mit dem Ergebnis angestellt zu haben, dass diese „Spitzenpersönlichkeiten des Flugzeugbaus“ vertrauenswürdig seien. Würden diese Ägypten verlassen, sei mit einem „Scheitern von Prof. Messerschmitts Flugzeugbau“ am Nil zu rechnen, was wiederum eine Stärkung „des Ostens“ bedeuten würde, der bemüht sei, „die VAR in ihrer Rüstung völlig an sich zu binden“. Auf dem Wege der Amtshilfe bat Kriebel zunächst um Unterrichtung von BND und Verfassungsschutz mit dem Ziel, die Sicherheitsabteilung des Wirtschaftsministeriums, den Verband Deutscher Luftfahrtindustrie, Bad Godesberg, ferner Focke-Wulf-Werke, Bremen, das Bodenseewerk, Überlingen und BMW anzuweisen, „dass zur Aufhebung der clearance keine Veranlassung“ bestehe. Einer der „drei Herren“, der Aerodynamiker Heinrich – bei Kriebel Karl-Heinz – Gronau verließ dann nach 30 Monaten Forschung an Raketentreibstoff Ägypten in Richtung Heimat, wo er offenbar eine attraktive Beschäftigung als Abteilungsleiter bei der in Bad Godesberg ansässigen „Gesellschaft für Raumforschung“ fand. In einem Interview mit dem Journalisten Wolfmann von der damaligen gewerkschaftseigenen Wochenzeitung „Welt der Arbeit“ – Überschrift: „Oberst Kriebel: ‚Dableiben!‘“ – bestätigte Gronau, dass Bonn darauf gedrängt habe, dass die deutschen Experten am Nil blieben. Insbesondere Verteidigungsminister Franz Josef Strauß habe so verhindern wollen, dass „die Russen auf diese Plätze in Ägypten rücken“. Auf die Frage Wolfmanns, ob auch er sich in Kairo von dem KZ-Arzt Dr. Eisele habe behandeln lassen, verneinte Gronau dies, betonte jedoch, dass viele Deutsche zu Eisele gingen, weil er fachlich ein guter Arzt sei. Stolz teilte der Journalist seiner Leserschaft mit, dass Gronau ihm etwas verraten habe, was bisher völlig unbekannt sei, nämlich, dass Eisele der Betriebsarzt der gesamten deutschen Gruppe der Triebwerksbauer in Heluan unter Ferdinand Brandner sei.121 Spätestens seit März/April 1963 war der israelische Inlandsgeheimdienst Shin Beth über das Treiben der MTP informiert. Wie bereits erwähnt, war es Johann Neeser gewesen, der

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Ebd. Kriebel nannte die „drei Herren“: Es handelte sich um den „Betriebsleiter für Flugzeugbau der Militärfabrik 36, Dipl.-Ing. Stang; war vorher als technischer Leiter bei den Siebelwerken in Donauwörth, dann in gleicher Eigenschaft bei der Firma Liebherr in Lindenberg, ferner um den Dipl.-Ing. Wilhelm Benz; Leiter der Entwicklung für Flugzeugbau der Militärfabrik 36; war vorher als Projektleiter bei BMW sowie um den Dipl.-Ing. Karl Heinz Gronau; Leiter der Abteilung Aerodynamik in der Militärfabrik 36; war vorher bei den Dornier-Werken in Friedrichshafen“. Vgl. Deutschkron, Israel, S. 245. Das Interview erschien in der Zeitungsausgabe vom 10. April 1964, nicht vom 8. April, wie es bei Deutschkron irrtümlich heißt.

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zusammen mit seinem Kollegen Willi Naef in der Kopierabteilung der MTP beschäftigt war, wichtige kopierte Unterlagen der Firma mitgehen ließ und sie Shin Beth-Vertretern gegen ein nicht allzu hohes Honorar übergab.122 Zu den Dokumenten gehörte neben der Protokollkopie der oben erwähnten Geheimsitzung von 1961 in Kairo mit Luftmarschall Sidky und Willy Messerschmitt auch die Ablichtung einer fünfzehnseitigen Termin- und Lieferliste der MTP mit den Namen britischer, schweizerischer, österreichischer und 70 deutscher Firmen, darunter Friedrich Krupp, Essen, Kugelfischer, Schweinfurt, Carl Zeiss, Oberkochen, sowie AEG und Degussa, beide Frankfurt am Main. Vor Beginn des Verfahrens gegen Neeser und Naef vor dem Zürcher Bezirksgericht im Mai 1964 setzte sich der zuständige Untersuchungsrichter Koeferli auch mit dem früheren Dienstherrn der beiden Angeklagten, Hassan Kamil, auseinander. Dabei bat Kamil Koeferli, „in der Fragestellung und mit der Zulassung von Fragen zurückhaltend zu sein“. Denn der Verrat von MTP-Geheimnissen sei gleichzeitig Verrat militärischer Geheimnisse Ägyptens. Immerhin konnte Koeferli protokollieren, was Kamil unter Klagedrohung bisher bestritten hatte: Meco und MTP lieferten Material für den Bau ägyptischer Kampfflugzeuge. Anschließend wurde Kamil mit seinem ungetreuen Angestellten Neeser konfrontiert. Neeser fragte Kamil, ob ihm die zahlreichen Drohungen Präsident Nassers gegen Israel bekannt seien, und er zitierte dann dessen Wort vom Blut der Juden, mit dem die Wüste getränkt werden müsse. Untersuchungsrichter Koeferli ließ diese Frage jedoch nicht zu. Anfangs reiste Ferdinand Brandner, dem in Heluan inzwischen mit Hans Schönbaumsfeld von der Andritzer Maschinenfabrik ein Landsmann sekundierte, wiederholt von Kairo zu Sitzungen der MTP nach Zürich. Seit aber insbesondere die schweizerische Presse durch die Spiegel-Veröffentlichung vom September 1962 – „Nassers Zigarren“ – ein äußerst wachsames Auge speziell auf Hassan Kamils Aktivitäten an der Limmat zu werfen begonnen hatte, brach in der Öffentlichkeit der Eidgenossenschaft eine Diskussion um die Frage los, ob man den ehemaligen Freikorps-Führer und frühere SA-Mitglied Brandner weiter in die Schweiz einreisen lassen sollte. Am 9. Juni 1964 richtete der Zürcher Kantonsrat Werner Schmid folgende Interpellation an den Schweizer Bundesrat: „Ehemalige Naziverbrecher suchen oder fanden in der Schweiz Zuflucht. Ein ägyptischer Waffenhändler übt eine dem Ansehen der Schweiz abträgliche Tätigkeit aus. Welche Maßnahmen gedenkt der Bundesrat zu ergreifen?“ In seiner Antwort, die in Form einer Liste mit den fraglichen „Naziverbrechern“ erteilt wurde, schrieb das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement zu „Brandner, Ferdinand […]. Einer der Ausländer, die im Dienste Nassers am Aufbau der ägyptischen Armee arbeiten. Dies im Zusammenhang mit der Tatsache, dass Brandner Verwaltungsrat MTP (Kamil) ist, lässt seine Anwesenheit in

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Das Folgende nach Der Spiegel Nr. 19 vom 6. Mai 1964, „Briefe ohne Absender“.

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der Schweiz unerwünscht erscheinen“123. Als Maßnahme der Bundesanwaltschaft wurde mitgeteilt: “Verfügung der Einreisesperre am 18. Juli 1963“. Die Sperre sei jedoch seither viermal „suspendiert“, d.  h. ausgesetzt, worden. Der Anlass dafür waren jeweils MTP-Sitzungen in Zürich. Dann folgte eine dürre, abschließende Bemerkung, die als Erfolg der Brandner-kritischen Presseberichterstattung gelesen werden konnte: „Nach Publizität keine Suspendierung mehr“124. Die schweizerischen Debatten um Hassan Kamils Aktivitäten vor allem rund um die Meco und die MTP konzentrierten sich auf die Frage, ob der Ägypter mit diesen beiden Firmen Waffenhandel mit dem Land der Pharaonen betrieb und damit gegen die seit 1955 geltende Rechtslage in der Schweiz verstieß. Die Kritiker Kamils bejahten dies, und so fanden sich etwa am 18. Juli 1964 mehr als dreihundert schweizerische Professoren bereit, in der „Neuen Zürcher Zeitung“ ein Inserat zu schalten, in dem sie „ein Ende der Schweizer Rüstungshilfe für Ägypten“ forderten.125 Auch ein „Appell an die Gemeinden und Pfarrer der EvangelischReformierten Kirchen in der Schweiz“ drängte im Dezember 1964 in die gleiche Richtung.126 Hassan Kamil hingegen argumentierte, bei der Lieferung von Bauteilen und Materialien unterschiedlichster Art via Meco und MTP handle es sich eben nicht um Rüstungsgüter, sondern um Waren, mit denen man auch zivile Endprodukte herstellen könne. Dual-Use-Güter also. Mehr und mehr öffentlich in die Defensive gedrängt, sah sich Kamil schließlich zum Gegenangriff genötigt. Er tat dies am 9. Juli 1964 mit einer Pressekonferenz im Zürcher Kongresshaus. In seinem fünfzehnseitigen Eingangsstatement ließ sich Kamil zu einer minimalen Äußerung hinsichtlich der politischen Lage im Nahen Osten herbei. Selbstbewusst erklärte er hier, er sei der „festen Überzeugung“, dass die ägyptische Flugzeugindustrie „weder der Vorbereitung eines Genozids noch eines Angriffskrieges“ dienen werde.127 Inmitten der überaus 123

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Schweizerisches Bundesarchiv, Bern, Akte E 4320 C 1994/120 Bd.  219#691, Kamil Hassan Sayed, 1964. Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, Übersicht über die behandelten Fälle, die getroffenen oder zu treffenden Maßnahmen, 17. September 1964. Zu den weiteren Naziverbrechern auf der Liste zählten – durchaus nicht immer überzeugend – Hassan Kamil selber, Dr. Otto Ambros, ehemals Vorstandsmitglied des I. G.-Farbenkonzerns, der ehemalige SS-Standartenführer Dr. Kurt Becher, der Staatssekretär a.  D. im Bundeskanzleramt Dr. Hans Globke sowie der frühere Agent, Unternehmer und Globke-Duzfreund Hans-Walter Zech-Nenntwich, dem es im April 1964 nach seiner Flucht aus einem Braunschweiger Gefängnis vorübergehend gelungen war, in Ägypten unterzutauchen. Im Sommer jenes Jahres kehrte er jedoch wieder nach Europa zurück. Ebd. Vgl. dazu auch Einhaus, Recht, S. 222. ETH Zürich, AfZ, IB SIG-Archiv/804, Fall Hassan Sayed Kamil (Kriegsmateriallieferungen nach Ägypten), Akten Georges Brunschvig, 1964. Anschreiben von Pfarrer J. Werner, Bern, an den Präsidenten des Israelitischen Gemeindebundes der Schweiz, Georges Brunschvig, Bern, vom 19. Dezember 1964 mit Kopie des Appells. Schweizerisches Bundesarchiv, Bern, Akte E 4320 C 1994/120 Bd.  219#691, Kamil Hassan Sayed, 1964, Ausführungen von Herrn Hassan Kamil, Präsident der Firma M. T. P. Zürich, anlässlich der

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lebhaft ablaufenden Konferenz bestritt Kamil den Vorwurf der Unterstützung des ägyptischen Raketenprogramms und verwies auf eine ihm von den schweizerischen Behörden erteilte Unbedenklichkeitserklärung. Allerdings musste er auf intensives Nachfragen eines Journalisten einräumen, dass es sich bei der HA-300 in der Tat um ein „Kriegsflugzeug“ handelte, ein Eingeständnis, das er bis dahin sorgsam vermieden hatte.

Abb. 10: Zürcher Pressekonferenz Hassan S. Kamils, am Quertisch rechts sitzend

Pressekonferenz vom 9. Juli 1964 im Kongresshaus Zürich, Bl. 4.

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Die Pressekonferenz führte im schweizerischen Blätterwald erneut zu vernehmbarem Rauschen. Eine kursorische Durchsicht der Berichterstattung, wie sie im Schweizerischen Bundesarchiv in Bern dokumentiert ist, ergibt, dass die meisten Presseorgane dem Treiben Kamils skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden, insbesondere die linksorientierten. Einen Fürsprecher hingegen fand der Ägypter etwa in dem damals bekannten Publizisten Hans Fleig, der in der „Zürcher Woche“ in einem redaktionellen Beitrag unter der neutestamentlich inspirierten Überschrift „Eher geht ein Kamil durch ein Nadelöhr …“ u. a. geargwöhnt hatte, die Gegner Kamils wollten eine eigene „Lex Kamil“ durch das schweizerische Parlament bringen, also eine Novellierung der Bundesverfassung zwecks Erschwerung der Ausfuhr solcher Güter, die zur Aufrüstung missbraucht werden könnten. Fleig erhielt viel Gegenwind für seinen Beitrag, beispielsweise von Ulrich Bodamer in der sozialdemokratischen Zeitung „Volksrecht“. Es bedürfe überhaupt keiner Lex Kamil, meinte Bodamer, man könne Kamil auch „ohne Verfassungsrevision an die Grenze stellen“, also ausweisen. Eher gehe es um eine „Lex Bührle“, womit er auf die Tradition der Waffenproduktion bei Bührle-Oerlikon anspielte. Bodamer rückte am Ende seines Artikels Nasser und Kamil in die Nähe Hitlers, wenn er daran erinnerte, dass die Zürcher Woche nicht nur den beiden Ägyptern Sympathien entgegenbrächte, sondern zur Zeit des „Dritten Reiches“ auch „ehemaligen Nazis“ wie Franz von Papen und Carl Schmitt Gelegenheit für Leitartikel eingeräumt habe.128 Und die Sache mit „den Nazis“ wurde Kamil nicht mehr los. Bereits wenige Tage nach der Pressekonferenz hatte sich Hassan Kamil eines neuen Vorwurfes zu erwehren. Diesmal ging es um die bereits oben erwähnte Behauptung, er lasse sich durch seine enge Kooperation mit Ferdinand Brandner mit einem echten Nazi ein, der seine Aufenthalte in Zürich auch dazu nutze, große Mengen medizinischen Materials für den in Kairo untergetauchten KZ-Arzt Hans Eisele zu besorgen. Willi Naef, der bis zu seinem Rauswurf aus der MTP und dem Beginn seines Spionageprozesses auch als Fahrer für Brandner bei dessen Besuchen in der Schweiz gearbeitet hatte, schilderte bei Gelegenheit jene Episode, die zum Bruch zwischen ihm und dem Österreicher geführt habe. Als er Brandner einmal nach München habe fahren müssen, so Naef, sei dieser im Gespräch auf Adolf Hitler gekommen, dessen „Taten er in allen Tonarten“ gerühmt habe. „Dem deutschen Volk habe der Führer Arbeit und Brot gebracht, dazu die prächtigen Autobahnen. Leider sei ihm jedoch die Endlösung der Judenfrage nicht vollständig geglückt. ‚Was uns damals nicht gelungen ist, soll jetzt dort unten vollendet werden‘“ habe Brandner hinzugefügt.129 „Mit Entsetzen“ wollte Naef diese Worte vernommen haben und sei von Stund an mit

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Vgl. Volksrecht vom 11. August 1964, „Zürcher Woche auf dem Araberhengst“. Vgl. den Bericht der „Solothurner Zeitung“ vom 15. Juli 1964 mit der Überschrift „Was damals nicht gelungen ist, wird dort unten gelingen“.

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Brandner verfeindet gewesen.130 Ferdinand Brandner wies diese Darstellung, für die es keinen weiteren Zeugen gab, selbstredend zurück. Er erhob Klage gegen Naef und nahm in seine Memoiren folgende Erklärung Naefs auf, die dieser in schweizerischen Zeitungen veröffentlichen ließ: „Der Angeklagte anerkennt, daß sein früherer Eindruck, es handle sich beim Ankläger um einen ehemaligen Nationalsozialisten antisemitischer Gesinnung, aufgrund der jetzt vorliegenden Akten unrichtig war, und er die entsprechenden diesbezüglichen Vorwürfe und Behauptungen nicht mehr aufrechterhalten kann“131. Brandner erhielt zusätzliche Rückendeckung von Hans Lott und Hassan Kamil, der mit dem seltsamen Argument focht, dass Brandner sein bester Ingenieur sei. Ein aus Ägypten zurückgekehrter Techniker der Gruppe Messerschmitt erklärte damals gegenüber dem Spiegel, „die Gruppe Brandner steckt am tiefsten in der Vergangenheit“132. Auch in seiner österreichischen Heimat musste sich Brandner Anfeindungen wegen seiner Vergangenheit erwehren. Und wieder war die Quelle der Spionageprozess in Zürich gegen Willi Naef.133 Am 10. Mai 1964 titelte die linke Wiener „Arbeiter-Zeitung“: „Agentenprozess: Ex-AUA-Direktor als Judenfresser“. Wie die Zeitung meldete, hatte einer der Angeklagten behauptet, Brandner habe ein Loblied auf Hitler gesungen und wörtlich erklärt: Die Juden sind Schweinehunde. Wir konnten mit unserer Aufgabe leider nicht fertig werden. Jetzt müssen sie andere vollenden“. Unschwer ist zu erkennen, dass das Blatt höchstwahrscheinlich die hier zuvor zitierten Äußerungen von Willi Naef wiedergab, die knapp einen Monat vorher in den schweizerischen Zeitungen veröffentlicht worden waren. Auch im Falle der Arbeiter-Zeitung wehrte sich Brandner, doch wählte er nun einen anderen Weg als gegenüber Willi Naef. Er intervenierte wegen dieses Artikels brieflich bei dem damaligen österreichischen Außenminister Bruno Kreisky, den er zuvor einmal auf einem Empfang der österreichischen Botschaft in Kairo kennen- und wohl auch schätzen gelernt hatte. Er lehne es ab, ließ Brandner Kreisky wissen, mit der Arbeiter-Zeitung zu korrespondieren, „weil das gesamte Pressewesen […] auf ein Niveau gekommen ist, das Redlichkeit und Rechtlichkeit missachtet“. Er lege jedoch Wert darauf, „bei Ihnen sauber dazustehen“ und ließ dem Sozialdemokraten Kreisky deshalb eine „persönliche Erwiderung“ auf diese Angriffe zugehen. „Zuerst möchte ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich nie SS-Offizier war und nie eine Verbindung zur SS gehabt habe“. Er sei zwar Parteigenosse gewesen, räumte Brandner ein, und es treffe auch zu, dass er 130

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Vgl. die wortgleichen Berichte im „St. Galler Tagblatt“ und in den „Schaffhauser Nachrichten“, jeweils vom 14. Juli 1964. Brandner, Leben, S. 328. Brandner machte keine Angaben darüber, wie über seine Klage gegen Naef von dem zuständigen schweizerischen Gericht entschieden wurde. Möglicherweise war die „Erklärung“ Naefs, die Brandner in seine Memoiren aufgenommen hatte, das Ergebnis eines Vergleiches. Der Spiegel Nr. 19 vom 8. Mai 1963, „36, 135, und 333“. Das Folgende nach Riegler, Agenten, S. 56f.

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SA-Mitglied ehrenhalber wegen seiner Zugehörigkeit zum Freikorps Oberland gewesen sei. Er fuhr fort: „Ich bin mir sicher, dass Sie trotz Ihrer politischen Einstellung meine Gesinnung achten, genauso wie ich die Ihre achte, weil Sie aus Idealismus und nicht aus materiellen Gründen gegen die bürgerliche Welt kämpften. Dem Rassen-Antisemitismus habe ich nie in meinem Leben gehuldigt […] Ich habe das Gefühl, Ihnen dies sagen zu müssen, da ich Sie von einer sehr sympathischen Seite in Cairo kennenlernte, und ich Wert darauf lege, Ihr Vertrauen zu behalten“.

Kreisky nahm die Richtigstellung wie folgt zur Kenntnis: „Ich schätze es, dass Sie die in der Arbeiter-Zeitung gegen Sie erhobenen Beschuldigungen nicht unwidersprochen hinnehmen. Ich habe daher auch den Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung entsprechend informiert und nehme an, dass sich gelegentlich ein Weg findet, die seinerzeit gebrachte Nachricht in angemessener Weise richtigzustellen“.

Gegen Ende des Jahres 1964 und Anfang 1965 sah sich die österreichische Regierung Angriffen der israelischen Presse und kritischen Fragen israelischer Politiker wegen der Tätigkeit österreichischer Experten in Ägypten ausgesetzt. Zeitgleich liefen ähnliche Attacken gegen die Bundesregierung in Bonn mit dem Ziel, sie dazu zu bewegen, Wirksames für den Abzug der deutschen Raketenexperten am Nil zu unternehmen. Während es in der Bundesrepublik, soweit ersichtlich, keine politischen Demarchen gegen die Arbeit Willy Messerschmitts in Ägypten gab, verhielt sich dies in den Vereinigten Staaten anders. Der demokratische Abgeordnete Samuel J. Stratton forderte am 4. April 1963 Außenminister Dean Rusk und Verteidigungsminister Robert McNamara auf, Berichte über eine Tätigkeit Messerschmitts bei der Entwicklung eines Düsenjägers für die Ägypter zu prüfen und ggf. Maßnahmen zu ihrer Beendigung einzuleiten. Es könne nicht sein, so Stratton, dass Länder, die sich amerikanischer Unterstützung erfreuten – wie eben die Bundesrepublik – gleichzeitig die Beteiligung an militärischen Entwicklungsarbeiten gestatteten, welche die Sicherheit und Unabhängigkeit Israels bedrohten.134 Messerschmitt selber hielt es für angezeigt, gegenüber der deutschen Öffentlichkeit sein Engagement am Nil in blassen Farben zu malen. Zu der Zeit, als die Tätigkeit der Meco auf dem Messerschmitt-Areal in Augsburg ruchbar wurde, erklärte er nach einer dpa-Meldung vom 22. Juli 1963, er sei nicht an der Entwicklung eines Düsentriebwerks in Ägypten beteiligt und 134

Vgl. dazu den kurzen Bericht im Zürcher Tages-Anzeiger vom 5. April 1963.

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habe auch keinen Vertrag mit den Ägyptern, und nur im Auftrag der Hispano Aviación komme er gelegentlich dort hin. So halte er sich auch gegenwärtig nicht in dem nordafrikanischen Land auf, denn es sei „ihm jetzt dort etwas zu heiß“, was die „Frankfurter Rundschau“ in ihrer Ausgabe vom 23. Juli zu der vielsagenden Überschrift über die dpa-Nachricht führte: „Ägypten für Messerschmitt zu heiß“. Bei der ägyptischen Entwicklung der Flugzeugzelle und des zugehörigen Triebwerkes spielten vor allem mit Ferdinand Brandner und Hans Schönbaumsfeld österreichische Staatsangehörige eine wichtige Rolle, deshalb konzentrierten sich die israelischen Angriffe in diesem Bereich auf sie. Österreichs Außenminister Bruno Kreisky reagierte auf die Vorwürfe unaufgeregt, indem er seine Hoffnung ausdrückte, dass einige der Wissenschaftler „sich nach und nach zurückziehen werden“. Und weiter: „Es wäre noch leichter, wenn die österreichische Steuergesetzgebung so wäre, dass sie das Geld nach Österreich bringen; da würden sie sich wieder in die heimatlichen Berge zurückziehen“. Kreisky vermied einen entschiedenen Kurs gegenüber seinen Landsleuten in Ägypten und gegenüber der Regierung in Kairo. Ende März 1965 berichtete die österreichische Botschaft aus Tel Aviv, dass sich in Israel inzwischen eine Wandlung in der Beurteilung der österreichischen Techniker in Ägypten abzeichne. In der Angelegenheit gebe es zwei Aspekte, hätten israelische Informanten durchblicken lassen. Einen sachlichen dergestalt, dass „die Herren Brandner & Co gar nicht so viel wert“ seien, wie lange Zeit angenommen wurde, und dass man nichts davon hätte, wenn Nasser das Team durch ein brauchbares ersetzen würde, das er sicherlich bekommen könnte, möglicherweise aus der DDR. Der andere, politische, Aspekt sei aber der, dass man „in der öffentlichen Meinung mit dieser Ansicht nicht hausieren gehen könne“. Der stellvertretende israelische Ministerpräsident und spätere Außenminister Abba Eban habe inzwischen den Eindruck, „dass es ungeschickt wäre, Herrn Nasser durch die Abwerbung oder Beseitigung der österreichischen Experten daran zu hindern, sein Geld zum Fenster hinauszuschmeißen. Es sei doch viel besser, er fabriziere schlechte Flugzeuge im Lande und verblute sich finanziell, als dass er gute im Ausland kaufe, wo er sie gegen Bezahlung und billiger als über die Inlandsproduktion jederzeit erhalten könne“135.

In seinen Memoiren erklärte Ferdinand Brandner sein Ägypten-Engagement vor allem als Ausdruck seiner und seiner Mitarbeiter Begeisterung für eine neue Aufgabe, die „endlich unserem fachlichen Können“ entsprochen habe. Damit dürfte er zweifellos die Konstruktion von Flugzeugtriebwerken gemeint haben. In einem Interview mit dem „Spiegel“ im September 135

Vgl. Riegler, Agenten, S. 52f.

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1967136 versuchte Brandner die Düsenjägerentwicklung in Ägypten als eine Art Fehlentscheidung der Kairoer Regierung darzustellen, denn die Aufgabe seiner Gruppe am Nil sei es eigentlich gewesen, „einen Stamm ägyptischer Techniker“ heranzubilden. Es fragt sich, ob Brandner auch von einer Fehlentscheidung gesprochen hätte, hätte die militärische Niederlage der arabischen Staaten gegen Israel im Juni-Krieg von 1967 zum Zeitpunkt des Interviews nicht gerade erst ein paar Wochen zurückgelegen. Und so hob er nun die zivilen Aspekte seiner Tätigkeit am Nil hervor. „Sehr viele zivile Aufgaben“ habe seine Gruppe in Ägypten quasi nebenher erledigt. „Wir machen hochwertige Spindeln für die Baumwollspinnerei, Einspritzdüsen für Dieselmotoren, Zahnräder für die Ersatzteile der Eisenbahn, Feinmechanik […]“. Sich selber wohl ein wenig verleugnend, meinte Brandner, er hätte „lieber Traktoren gemacht“. In dem Interview versuchte er das angeblich Unpolitische seiner und Willy Messerschmitts Arbeit am Fuße der Pyramiden herauszustellen, indem er erklärte: „Messerschmitts Idee  – und er ist nur von der technischen Seite her interessiert, nicht politisch oder militärisch  – war es, den leichtesten Überschall-Jäger der Welt auf die Beine zu stellen“. Auf die Frage der Spiegel-Redakteure, inwieweit ausländische Firmen an Lieferungen für die HA-300 beteiligt seien, sagte Brandner, dass das Triebwerk für die Maschine „praktisch komplett in Ägypten produziert“ werde. Nur das Rohmaterial wie „Kugellager, Dichtungen und Ähnliches“ werde aus dem Ausland bezogen. Die hochwertigen Stähle für die Triebwerksschaufeln kämen von den Deutschen Edelstahlwerken und vom saarländischen Röchling-Konzern. Die Schmiedung der Triebwerksschaufeln erfolge jedoch in Ägypten und seien, „nebenbei gesagt, besser“ als die ausländischen. „Wir sind da auf dem allerneuesten Stand“. Gefragt nach etwaigen Schwierigkeiten beim Bezug technischer Verfahren aus den Vereinigten Staaten, meinte Brandner, „wir haben öfters Schwierigkeiten gehabt, und zwar, wie sich dann herausgestellt hat, mit jüdischen Unternehmungen“. Und „wie war die Zusammenarbeit mit England?“ Antwort Brandner: „Die Engländer liefern auch die Cockpit-Ausrüstungen  – und sie liefern klaglos“. Auch die deutsche Industrie liefere dort, „wo sie angesprochen wird – es gab da keine Schwierigkeiten“. Wenig überraschend, fühlten die Redakteure abschließend dem Triebwerkskonstrukteur noch politisch auf den Zahn, befragten ihn zu seiner politischen Vergangenheit und jener seiner deutschen Techniker in Ägypten. Brandner entgegnete daraufhin: „Verzeihen Sie, da muß ich in die Runde fragen: Wer war denn nicht an der Vergangenheit beteiligt? Wie viele können das schon von sich sagen? Ich habe dieses Team persönlich aus dreißig Lebensjahren ausgesucht und natürlich waren die Leute vielleicht in der Partei gewesen. Ich habe sie nie danach gefragt“.

136

Der Spiegel Nr. 38 vom 11. September 1967, „Wir bauen weiter, aber gebremst. Spiegel-Interview mit Dipl.-Ing. Ferdinand Brandner, Chefkonstrukteur im ägyptischen Flugzeugbau“.

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Brandner ergänzte diese Ausführungen mit dem bereits oben erwähnten, freundlichen Hinweis auf den in Kairo praktizierenden Arzt Hans Eisele. In seinen Memoiren schrieb Ferdinand Brandner rückblickend über seine Zeit am Nil: „Aus der Tatsache, daß wir nach Ägypten gingen, leitete man politische Rückschlüsse ab und wollte nicht erkennen, daß nur die Begeisterung, eine große, vielleicht sogar etwas abenteuerliche Aufgabe zu lösen, die endlich unserem fachlichen Können entsprach, der einzige und kein politischer Beweggrund unseres Hierseins war“137.

Erneut, wie auch schon bei seiner blitzartigen Reflexion über Sinn und Unsinn einer Fertigung von Überschalljägern für Ägypten, stand auch hier wieder der sprichwörtliche Elefant im Raum: Israel als nächstliegendes Objekt der ägyptischen Aufrüstung durfte nicht beim Namen genannt werden. Doch Trost für Brandner: Nicht nur er hatte es nicht so mit dem Elefanten. In der Mai-Ausgabe von 1964 der Fachzeitschrift „Flugwelt International“ erschien ein mehrseitiger, reich illustrierter Bericht über „Flugzeugwerke am Nil“, gezeichnet von Chefredakteur Stefan Geisenheyner.138 Auch in diesem Bericht tauchte Israel nicht auf. Stattdessen lenkte er die Aufmerksamkeit seiner Leserschaft auf die angeblich gewaltigen Exportchancen, die sich Ägypten durch die Entwicklung der HA-300 eröffneten. Nach den in einer derartigen Publikation durchaus zu erwartenden technischen Informationen, der Schilderung des Betriebsgeländes in Heluan mit seinen „gigantischen Prüfständen“ für die Triebwerke, des „glänzend ausgestatteten Elektronenrechnerzentrums“, der über die schwere Zementlast auf ihrem Rücken „protestierenden Eselsherde“ sowie der mehreren „10 000 Menschen“, welche die „jungfräuliche Wüste“ aufbrachen, um dort den Boden für Fabrikgebäude zu bereiten, riskierte Geisenheyer zum Schluss einen kühnen Blick in die Zukunft: „Zeitlich weitreichende Projekte für den zivilen Bedarf der afro-asiatischen Länder an Verkehrs- und Buschflugzeugen sind geplant“, schrieb er und fuhr fort: „Wenn alles den gewünschten Gang geht, wird die Flugzeug- und Triebwerksfabrik in Heluan der Kern einer ägyptischen Flugzeugindustrie sein, die vielleicht schon in der nicht allzu fernen Zukunft eine Macht auf dem Weltmarkt darstellen wird, mit der man rechnen muß“. Eine derartige Exportvision – oder war es eine Fata Morgana Geisenheyners? – für die Projekte in Heluan hatten wahrscheinlich nicht einmal die ägyptischen Verantwortlichen um Marschall Sidky, Mahmoud Khalil und Hassan Kamil. Der Wahrheit näher kam vermutlich der ägyptische Vizepräsident Zakaria Mohieddine in einem Gespräch mit dem österreichischen Botschafter in Kairo, das Ende Februar 1965 stattfand. Nachdem der Botschafter den Vizepräsidenten darauf aufmerksam gemacht hatte, 137 138

Brandner, Leben, S. 285. Flugwelt International, 16. Jg., Mai 1964, S. 344–48.

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dass sein Land als neutraler Staat es nicht gern sehe, wenn Österreicher die Aufrüstung eines anderen Landes förderten, meinte Mohiedinne, „man solle die Dinge nicht übertreiben“. Die VAR könne jederzeit Kampfflugzeuge im Osten und im Westen kaufen. Die Bedeutung des Programms in Heluan liege darin, „dass sie Ausbildungsmöglichkeiten für ägyptische Ingenieure biete und als Schlüsselindustrie einen Anreiz für die gesamte hiesige Industrie ausüben werde. Daher könne man die Tätigkeit der österreichischen Flugzeugexperten mit gutem Gewissen als eine Hilfe auf wissenschaftlicher Ebene bezeichnen“139. Auch hier: kein Elefant in Sicht, vielleicht bei einem ägyptischen Vizepräsidenten auch nicht ganz überraschend. Apropos Botschaften: Die deutsche Botschaft in Kairo habe jahrelang offiziell keine Kenntnis von seiner Arbeit und der seiner deutschen Teamkollegen nehmen wollen, schrieb Ferdinand Brandner in seinen Erinnerungen, auch dann nicht, „als wir mit Frauen und Kindern zusammen mit der Messerschmitt-Gruppe 3000 Seelen stark waren. Das Gleiche, wenn auch nicht so kraß, war bei der österreichischen Botschaft der Fall“. Weniger abweisend als die deutsche Botschaft erwies sich für Brandners Mitarbeiter die Deutsche Evangelische Schule in dem Nobelvorort Zamalek auf der Nilinsel Gezirah, die ihre Kinder problemlos aufgenommen habe.140 Nur in groben Zügen soll im Folgenden noch die Entwicklung der Flugzeugproduktion und ihr Ende unter Willy Messerschmitt und Ferdinand Brandner in Ägypten nachgezeichnet werden. Die Militärfabrik 135, die die Triebwerksfertigung beherbergte, erfreute sich zwischen 1960 und 1964 eines großzügigen Ausbaus, und sie wurde, wie bekanntlich auch die „Flugwelt“ zu berichten wusste, mit allen modernen Einrichtungen ausgestattet, die zur Entwicklung, zum Versuch und zur Fertigung von Strahltriebwerken erforderlich waren. Die Produktionsanlagen in Heluan waren für 120 Exemplare des Triebwerkes E 200 und für 18 vom Typ E 300 ausgelegt. Ende 1964 waren in der Factory 135 insgesamt 335 Spezialisten und Fachkräfte beschäftigt, darunter 36 im Projekt und 22 in der Konstruktion, 34 im Versuch und rund 200 in der Fertigung.141 Seit 1964 wurden verstärkt Ägypter in leitende Tätigkeiten eingewiesen. Die Würdigung der bis dahin geleisteten Arbeit kam auch in zwei Werksbesuchen von Präsident Nasser zum Ausdruck. Der erste erfolgte im Juli 1962, als bereits das kleine Triebwerk E 200 erprobt wurde. Der zweite Besuch ein Jahr später blieb Ferdinand Brandner wegen des tumultartigen Jubels unauslöschlich in Erinnerung, welcher die anwesenden ägyptischen Massen im Fieber der panarabischen Bewegung erfasste. Nasser war in Begleitung des

139 140 141

Vgl. Riegler, Agenten, S. 67, Anm. 27, nach österreichischen Regierungsakten. Brandner, Leben, S. 283 und 285. Vgl. Kyrill v. Gersdorff, Schubert, Herbert und Ebert, Stefan, Flugmotoren und Strahltriebwerke, Bonn (4) 2007, S. 346ff.

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algerischen Revolutionsführers Ahmed Ben Bella erschienen, der Brandner zufolge ihn und seine Mitarbeiter eingeladen habe, auch in Algerien tätig zu werden.142 Solche augenscheinlichen Höhepunkte verstellten jedoch den Blick auf Gewitterwolken, die sich über Heluan zusammenbrauten. Zu Beginn des Jahres 1964 verschlechterte sich – nicht zuletzt infolge der Sozialisierungsmaßnahmen Nassers  – die wirtschaftliche Lage Ägyptens. Devisen wurden auch aufgrund des militärischen Abenteuers Ägyptens im Jemen immer knapper und nach einem Personalwechsel bei wichtigen Regierungs- und Militärstellen schwächte sich das ägyptische Interesse an einer eigenen Flugzeug- und Triebwerksentwicklung zusehends ab. Doch zunächst eröffnete sich für Messerschmitt und Brandner noch einmal eine ganz neue Perspektive. Im Jahre 1963 war es in Heluan zu einem Treffen zwischen dem deutschen Flugzeugkonstrukteur Professor Kurt Tank und Ferdinand Brandner gekommen. Tank hatte, nachdem er bei Kriegsende Deutschland verlassen und in Argentinien seine berufliche Karriere fortgesetzt hatte, Südamerika inzwischen wieder den Rücken gekehrt und sich der Flugzeugproduktion in Indien verschrieben. Dort entwickelte er für die „Hindustan Aircraft“ in Bangalore die HF 24, ein zweistrahliges Überschallkampfflugzeug, mit dem er jedoch Triebwerksprobleme hatte. In Heluan kam er nun zu dem Schluss, dass Brandners Triebwerk E 300 die ideale Lösung für seine HF 24 sei und regte eine Kooperation zwischen Ägypten und Indien an. Bei einem anschließenden Besuch Brandners in Bangalore schlugen seine indischen Gastgeber vor, dass Ägypten die HF 24 übernehmen und Indien im Gegenzug das Triebwerk E 300 liefern solle. Das wäre, wie man heute sagen würde, eine Win-win-Situation gewesen, bei der Ägypten in Kürze ein serienreifes Flugzeug und die Inder das dringend benötigte Triebwerk gehabt hätten. Aber in Ägypten besaß nach wie vor der Vertrag mit Messerschmitt über den Bau des Abfangjägers HA-300 Gültigkeit, und in Indien liefen Verhandlungen mit der Sowjetunion über die Lieferung von MiG-21. Trotzdem sagten die Inder zu, der EGAO eine HF 24 kostenlos als Erprobungsträger für das brandnersche Triebwerk E 300 zu überlassen und dazu noch das nötige Personal zu stellen. 1965 brachten zwei russische Antonow-10-Transportmaschinen eine in Kisten sorgfältig verpackte HF 24 nach Heluan. Doch erst 1966 konnte diese Maschine im Beisein von Professor Tank mit einem britischen Orpheus- und einem E  300 Triebwerk starten.143 Die HF 24 brachte danach 80 Flugstunden unter Führung eines indischen Testpiloten im Range eines Oberstleutnants mit beiden Triebwerken ohne Beanstandungen hinter sich. Kurt Tank, inzwischen in Ägypten für den selten in Heluan anwesenden

142 143

Brandner, Leben, S. 293f. Vgl. Wolfgang Wagner, Kurt Tank  – Konstrukteur und Testpilot bei Focke-Wulf, Bonn (2) 1991, S. 260.

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Messerschmitt verantwortlich für den Zellenbau der HA-300, kam zu dem Ergebnis, dass das E 300 ein angemessenes Triebwerk sei, das der HF 24 hervorragende Leistungen ermöglichen würde. Es gelang nicht, in die HA-300 das von Messerschmitt gewünschte Triebwerk E 300 im vorgesehenen Zeitrahmen einzubauen. Stattdessen installierte man das leistungsschwächere britische Orpheus-Triebwerk, mit dem dann immerhin am 23. Juli 1963 eine Vorführung auf dem Rollfeld von Heluan im Beisein Präsident Nassers erfolgen konnte. Nach weiteren Nachbesserungen deutscher und ägyptischer Ingenieure am Prototyp war es endlich so weit: Am 7. März 1964 unternahm der indische Testpilot mit dem kleinsten Mach-2-Jäger der Welt den ersten Flug, der zwölfeinhalb Minuten dauerte und bei dem diese Maschine von zwei HA-200-Jägern begleitet wurde. Nach zusätzlichen Modifikationen an der HA-300 hob der zweite Prototyp am 22. Juli 1965 von der Rollbahn ab.144

Abb. 11: Die HA-300 Kaum war der Jubel über den erfolgreichen Flug verklungen, kam es zum Bruch zwischen der ägyptischen Regierung einerseits und der MTP mit Hassan Kamil andrerseits, ein Bruch, der Spannungen zum Zerreißen brachte, die bereits seit Mitte Juli 1965 angewachsen waren. Grund für das Zerwürfnis war Geld, viel Geld. Kamil hatte nach Angaben ägyptischer Stellen 144

Vgl. Frank Vann, Willy Messerschmitt. First Full Biography of an Aeronautical Genius, Sparkford 1993, S. 242.

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bei Vorverhandlungen über die Vertragserneuerung „unakzeptable Forderungen gestellt“, darunter die vollständige Vorauszahlung der Gehälter für die 350 Spezialisten in Heluan. Kairo war allenfalls bereit, für weitere sechs Monate die geforderten Vorauszahlungen zu leisten, woraufhin Kamil nach Ablauf eines Ultimatums diese Experten brieflich aufforderte, Ägypten innerhalb einer Woche zu verlassen. Die Regierung ihrerseits konterte diesen Schritt mit einer Ausreisesperre für sämtliche Angestellte des HA-300-Projektes.145 Nach einigem Hin und Her verließen dann doch rund 300 Fachkräfte das Land. In Zürich war Hassan Kamil anschließend zunächst nicht auffindbar, und auch bei der MTP „hebt niemand mehr den Telephonhörer ab“, hieß es in der „Zürcher Woche“ vom 6. August 1965: „Die Szenerie ist ausgestorben“. In Erinnerung an den Kalauer von Hans Fleig im Jahr zuvor, kam das Blatt zu dem Schluss, Kamil sei „durch ein Nadelöhr in die Unerreichbarkeit entwichen“. Doch wenig später tauchte Kamil in Zürich wieder auf und erklärte, sich nicht ins Ausland absetzen, sondern Prozesse, welche die EGAO gegen ihn angestrengt habe, durchstehen zu wollen. Im September 1968 wurde die MTP schließlich vom Bezirksgericht Zürich liquidiert und der Konkurs über sie ausgesprochen. Monate zuvor hatten alle bisherigen Teilhaber außer Hassan Kamil die Firma verlassen, so dass dieser nun Alleinaktionär war. Die schweizerische Presse machte nach Eröffnung des Konkursverfahrens auf dessen „besonderen Platz in der Geschichte der Konkurse von Aktiengesellschaften in der Schweiz“ aufmerksam, denn dieser sei allein deshalb eröffnet worden, „weil die Substanz der Firma nur durch diesen nicht alltäglichen Schritt vor dem Zugriff der ägyptischen Regierung gerettet werden konnte“146. Ferdinand Brandner als damaliger Vizepräsident des MTP-Verwaltungsrates erklärte einen Tag nach dem Bruch Kamils mit der ägyptischen Regierung seinen Rücktritt von dem MTP-Gremium und lief, wie Ludwig A. Minelli am 1. Oktober 1965 in der linksliberalen Basler „National-Zeitung“ schrieb, „zu Nasser über“. Fortab war die weitere Entwicklung der HA-300 auf Gedeih und Verderb mit dem Namen Brandner und seiner auf 42 Köpfe geschrumpften Mannschaft verknüpft. Auf der Luftfahrtschau in Turin im Juni 1968 konnte auf dem Stand der EGAO erstmals das E 300-Triebwerk in einer Zivilversion gezeigt werden. Ferdinand Brandner, der mit Willy Messerschmitt, Kurt Tank und Giuseppe Gabrielli von FIAT in Turin vertreten war, begrüßte

145 146

Vgl. die Darstellungen in „Der Bund“, Bern, vom 30. Juli 1965 und in der NZZ vom 3. August 1965. Unter der Überschrift „Ein zweiter Fall Kamil?“ berichtete die „Appenzeller Zeitung“ vom 18. April 1964 über einen deutschen Waffenhändler, der uns bereits begegnet ist: Gerhard Mertins, der Fallschirmjäger-Ausbilder in Ägypten unter General a. D. Fahrmbacher, hatte sich in Genf niedergelassen, um wahlweise von hier oder von der Zweigstelle seiner Firma Merex AG in Bonn-Beuel aus Waffengeschäfte zu betreiben. Die Zeitung beklagte, dass die Schweiz erneut als Waffendrehscheibe von sich reden mache, was nur schwer mit dem schweizerischen Neutralitäts- und Solidaritätsgrundsatz in Einklang zu bringen sei.

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dort u.  a. auch einen alten Bekannten aus Wehrmachtstagen: den ehemaligen Generalfeldmarschall und Generalluftzeugmeister Erhard Milch.147 Als das Treibwerk E 300, an dessen Entwicklung unter Brandners Leitung die Fachleute Schuldt, Makella148, Neher, Goepfert, Held, Hackl und Rademacher wesentlichen Anteil hatten, serienreif war, ließ Kairo die Inder wissen, dass das Triebwerk nicht geliefert werden könne. Den Indern ist diese Entscheidung ebenso rätselhaft geblieben, wie Kurt Tank die indische Wahl der sowjetischen MiG-21. Nach Brandners Darstellung war insbesondere der Wechsel in der ägyptischen Leitung der Factory 135 für das Ende der österreichischen und deutschen Flugzeugbauer am Nil entscheidend, dahinter habe der seit 1964 ständig wachsende sowjetische Einfluss auf Kairo gestanden. Mit Industrieminister Sidky Acis hatte 1969, so Brandner, „unser alter Gegner“ das Werk übernommen. Dieser habe nicht lange gezögert, die Factory ohne Angabe von Gründen aufzulösen. Zum 1. Juni 1969 mussten Brandner und seine Leute bei künftigem Zutrittsverbot das Werksgelände verlassen, allein der indische Testpilot durfte bleiben.149 Der Ägypten-Korrespondent der Tageszeitung „Die Welt“ unternahm in deren Ausgabe vom 26. Juni 1969 den Versuch, das recht abrupte Ende des ägyptischen Düsenflugzeugbaus zu analysieren. Unter Rückgriff auf eine Äußerung eines der „maßgeblichen deutschen Wirtschaftsführers im Nahen Osten“, Rudi Stärkers, kam der Korrespondent u. a. zu dem Schluss, dass es weniger „technische Schuld“ sei, die zu dieser Entwicklung geführt habe, als vielmehr schlichter Geldmangel. Ägypten sei nach dem verlorenen Sechs-Tage-Krieg vom Juni 1967 gegen Israel vollauf mit dem kostspieligen Wiederaufbau beschäftigt. Und von Kurt Tank übernahm er als zusätzliche Hypothek für den Flugzeugbau dessen Erkenntnis, dass es „nur Sinn“ mache, ein „Projekt zu realisieren, wenn dahinter auch eine Verwendung steht, die die großen Ausgaben rechtfertigt; das heißt, wenn auch Abnehmer, wie es für Indien gedacht war, vorhanden sind“. Indirekt bestätigte Tank damit die Vermutung, dass es Ägypten unter Präsident Nasser bestenfalls in zweiter Linie darum gegangen war, mit dem Düsenjäger einen hochwertigen Exportschlager zu entwickeln, dass 147

148

149

Brandner weist in seinen Memoiren darauf hin, dass „FIAT während des Krieges unser großer Zulieferant“ bei Junkers in Dessau gewesen war. Vgl. Brandner., Leben, S. 319. In der Schweiz tauchte der Name Makella im Zusammenhang mit dem Spionageprozess gegen Johann Neeser und Willi Naef auf. Neesers Anwalt Manfred Kuhn referierte im Rahmen seines Plädoyers am 8. Mai 1964 über einen Bericht, den Neeser „an den israelischen Geheimdienst“ gerichtet hatte. Nicht frei von Ironie führte Kuhn dazu aus: „Unter den im Bericht aufgeführten führenden Gestalten der MTP befand sich auch ein Ingenieur Makella, der einen Verdienstorden der sogenannten DDR hat. Neeser musste somit feststellen, dass in den tiefbraunen Gewässern am Nil auch noch Kommunisten sitzen oder zumindest Zyniker, denen jeder Orden recht ist“. Dass immerhin die Möglichkeit bestand, dass Makella den „Kommunismus“ per Flucht hinter sich gelassen hatte, scheint Kuhn nicht berücksichtigt zu haben. Zu Makella vgl. auch den nächsten Abschnitt. ETH Zürich, AfZ, IB JUNA-Archiv/1878, Hassan Sayed Kamil, Gerichtsunterlagen, 1963–1964, Plädoyernotizen Dr. Manfred Kuhn vor Bezirksgericht Zürich, 8. Mai 1964, Bl. 6. Brandner, Leben, S. 320.

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in Wahrheit aber vor allem die eigene Aufrüstung gegenüber Israel das treibende Motiv für den Bau der HA-300 gewesen war. Letzten Endes, so der Welt-Journalist, sei Nasser geradezu blind vor Ehrgeiz gewesen, was ihn gehindert habe, sofort nach dem Desaster vom Juni 1967 die Arbeiten an dem Düsenjäger einzustellen und statt dessen frühzeitig auf die schnellere und billigere Beschaffung russischer Maschinen vom Typ MiG und „Suchoi“ zu setzen, die dann wenig später tatsächlich auch erfolgte.

Von der Spree an den Nil: Flugzeugexperten der DDR am Vorabend des Mauerbaus In der DDR beobachtete die politische Führung des Landes die Aktivität der Messerschmitt, Brandner und Tank nebst ihren spezialisierten Mitarbeitern am Nil fast ausschließlich unter einem Aspekt: der sog. Republikflucht von hochqualifizierten Technikern und Ingenieuren und damit des Aderlasses technisch-wissenschaftlichen Know-hows aus dem deutschen Arbeiter- und Bauernstaat. Da sich die Absetzbewegungen dieses Personenkreises gegen Ende der fünfziger Jahre sowie 1960 und in der ersten Jahreshälfte 1961 zutrugen, kann bei der Lektüre der einschlägigen Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit durchaus der Eindruck entstehen, dass es gerade auch dieser Aderlass war, der die Entscheidung zum Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 mit beeinflusst hat. Abgesehen davon, ist wohl die hohe Bereitschaft seitens der aus der DDR in die Bundesrepublik geflohenen Flugzeugexperten, weiter nach Ägypten zu ziehen, auch damit zu erklären, dass damals für „Ostflüchtlinge“ die Gesetzeslage in der Bundesrepublik vorsah, dass sie für die Dauer von drei Jahren nicht in der westdeutschen Flugzeugindustrie beschäftigt werden durften. Wie gezeigt, hatte sich der Militärattaché an der deutschen Botschaft in Kairo, Rainer Kriebel, mit diesem Sachverhalt auseinanderzusetzen. Rund 24 Namen von Ingenieuren und Technikern, die „vermutlich oder tatsächlich“ – so die Sprachregelung in diversen MfS-Unterlagen  – in der VAR arbeiteten, nennt ein Bericht des Leiters der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Dresden, Oberst Rolf Markert, vom 21. April 1965.150 Aufschlussreich ist das Anschreiben Markerts zu diesem Bericht, den er direkt an den „Genossen Minister Mielke“ im Ministerium für Staatssicherheit richtete, obwohl der Auftrag zu seiner Erstellung von Werner Krolikowski, dem damaligen Ersten Sekretär

150

BStU, Archiv der Zentralstelle, MfS, Sekr. des Min., Nr. 1933, Teil 2 von 2. Sozusagen das Spiegelbild dieser Namensliste auf der „Feindseite“ bietet eine Akte des Bundesnachrichtendienstes. Nicht nur die 24 Namen tauchen hier wieder auf, sondern darüber hinaus viele weitere deutscher (Ost und West) und österreichischer Experten in Ägypten: Archiv des BND, Akte 100615_OT, Bl. 175–188.

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der SED-Bezirksleitung Dresden und späterem Mitglied des ZK der SED, ergangen war. Laut Krolikowski hatte der „Genosse Walter Ulbricht“, Staatsratsvorsitzender der DDR, den Bericht über die „Intelligenzler“ angefordert, die „bei uns in der Flugzeugindustrie tätig waren und sich zur Zeit in der VAR befinden“. Ulbricht hatte nur wenige Wochen zuvor gemeinsam mit seiner Ehefrau Lotte einen international viel beachteten Staatsbesuch am Nil absolviert.151 Oberst Markert scheint Krolikowski bei der Übermittlung der Namensliste bewusst umgangen zu haben, denn in dem Anschreiben an Mielke heißt es abschließend: „Aufgrund des gefertigten Berichtes der Genossen bin ich jedoch der Meinung, Sie davon in Kenntnis zu setzen. Genosse Krolikowski hat über den in der Anlage beigefügten Bericht keine Mitteilung erhalten“. Die Anlage nannte zunächst drei Stellen, die im Westen mit der „Abwerbung von Spezialisten“ aus der DDR befasst gewesen seien. In der Schweiz seien dies die Meco mit Sitz in Zürich und die Firma „Liebermann, Pumpen/Motoren AG“, ebenfalls mit Sitz in Zürich, gewesen, die vermutlich mit der MTP identisch sein dürfte. Allein in den Unterlagen des MfS findet sich als dritte Abwerbestelle die in Frankfurt am Main beheimatete „Zentralstelle für Auslandsvermittlung“, die eine der seinerzeitigen „Bundesanstalt für Arbeit“ nachgeordnete Behörde der Bundesrepublik war. „Hauptsächlich“, so heißt es in dem Bericht, sei die Abwerbung „durch den Triebwerksspezialisten Dr. Ferdinand Brandner organisiert“ worden, der 1954 aus der Sowjetunion kommend nach Österreich gegangen sei. Außer Brandner habe der „ehemalige Technische Leiter des Industrie-Werkes Karl-Marx-Stadt, Makella, aktiv Personen abgeworben“. Über die „Flucht des M. ist bekannt, daß er 1957 über Westberlin nach Westdeutschland flüchtete, dann bei BMW in München sowie in einer Kugellagerfabrik in Österreich arbeitete“. Seit 1960 sei Makella in der VAR tätig und habe gesichert vier weitere „SU-Spezialisten“, also solche Experten, die nach Kriegsende wie Ferdinand Brandner in die Sowjetunion verbracht worden waren, nach dorthin abgeworben. Es würde zu weit führen und unserer Thematik wenig dienlich sein, an dieser Stelle sämtliche Namen nebst Geburtstagen und -orten aufzuführen. Exemplarisch seien lediglich vier Fälle mit Bezug zu Ägypten kurz dargestellt. Über den 1907 geborenen Walter Kretzschmar heißt es in den MfS-Unterlagen, er sei als Spezialist in der Sowjetunion gewesen und nach seiner Rückkehr von dort sofort nach Westberlin gegangen. „Dort nahm er“, fährt ein Bericht vom 4.  Mai 1965 über „Ehemalige SU-Spezialisten aus der Flugzeugindustrie, die sich heute in der Flugzeugindustrie der VAR befinden“ fort, „eine Tätigkeit beim Siemens-Konzern auf und erhielt den Auftrag, für diesen Konzern zu arbeiten, um dessen Einfluß in der dortigen Flugzeugindustrie durchzusetzen. Bis 151

Vgl. dazu den Bericht in Der Spiegel Nr. 10 vom 3. März 1965, „Du Lotte, der konnte nachts die Pyramiden sehn“.

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zum 13.08.1961 [also dem Tag des Mauerbaus, A. H.] traf er sich des öfteren mit Spezialisten aus der Flugzeugindustrie der DDR“152. Der im Jahre 1909 in Neugruna, einem östlichen Stadtteil Dresdens, geborene Ewald Kallas nahm „mit dem Aufbau der Flugzeugindustrie in der VAR dort eine Tätigkeit auf“, notierte diese Aufzeichnung. Kallas sei wiederholt nach Westberlin gekommen, wo er sich „bis zum 13.08.1961“ ebenfalls mit Fachleuten des DDR-Flugzeugbaus getroffen habe. In den Fällen Werner Gerich und Ernst Steuck, beide ehemalige Beschäftigte des „VEB Industriewerks Karl-Marx-Stadt“, seit dem 10. Juni 1961 bzw. 15. April 1964 republikflüchtig und seither in der ägyptischen Flugzeugindustrie tätig, hatte sich das MfS auch mit der Familienzusammenführung zu befassen. Sowohl Gerich als auch Steuck – Letzterer war nach eigenen Angaben 1939 aus der SS entlassen worden, weil er eine Polin geheiratet hatte – betrieben von Kairo aus die Ausreise ihrer Ehefrauen. „Zu diesem Zweck“, heißt es in einem Bericht des MfS vom 4. Mai 1965, „wurden während des Staatsbesuches des Vorsitzenden des Staatsrates und 1. Sekretärs des ZK, Gen. Walter Ulbricht, in der VAR über Regierungsstellen der VAR entsprechende Anträge herangetragen. Abschließend nahm der Unterzeichner des Berichtes, dessen Name unleserlich ist – sein Dienstgrad war Oberleutnant – wie folgt Stellung zu den Ausreiseanträgen. „Sollte seitens der Ehefrauen Gerich und Steuck erneut ein Antrag auf Ausreise in die VAR gestellt werden […], sollte man meines Erachtens diese Ausreisen genehmigen. In Anbetracht der sich entwickelnden Beziehungen zur VAR würde eine Verweigerung von uns möglicherweise mehr politischen Schaden bringen, als uns der Aufenthalt der beiden Frauen in der DDR nutzt“.

Zu Steuck notierte die Aufzeichnung darüber hinaus, dass dieser laut einem Vorgang „Ramsin“ bei der MfS-Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt noch vor dem 13.6.1961 [gemeint wohl 13.8.1961, A. H.] „weitere Mitarbeiter des Industriewerkes Karl-Marx-Stadt abwerben“ sollte. Steuck sei „heute Leiter der Fertigung und des Ausbildungszentrums in der VAR-Flugzeugindustrie“. Und über Werner Gerich heißt es, zwischen ihm und „dem vermutlichen Agenten Makella“ hätten „enge Beziehungen bestanden“153. So weit ersichtlich, hat das MfS außer den streng personenbezogenen Informationen nur eine einzige thematische Ausarbeitung zum Flugzeug- und Raketenbau in Ägypten erstellt. Unter dem Datum des 20. September 1967 – also wenige Wochen nach dem Sechs-Tage-Krieg  – druckte das Ministerium eine sog. 152

153

BStU, Archiv der Zentralstelle, MfS, Sekr. des Min., Nr. 1933, Teil 2 von 2, Berlin, Hauptabteilung II/7. Ebd., A III/604, Bl. 000351.

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Einzel-Information, die wie alle Einzel-Informationen des MfS mit dem Vermerk „Streng vertraulich! Um Rückgabe wird gebeten“ versehen war.154 Die sechsseitige Ausarbeitung über „die Lage in der ägyptischen Flugzeug- und Raketenindustrie“ behandelte folgende Aspekte: 1. Die Situation in der Flugzeugindustrie und die Umrüstung in der Luftwaffe, 2.  Stand der Entwicklungsarbeiten auf dem Gebiet des Raketen- und Triebwerkbaus in der VAR und 3. Zur Frage der westlichen Spezialisten. An dieser Stelle sollen nur die den Flugzeugbau betreffenden Erkenntnisse des MfS referiert, die wichtig erscheinenden Aspekte zur Rakenentwicklung am Nil weiter unten dargestellt werden. Zu Punkt 1 stellte die Einzel-Information fest, dass nach Mitteilung von Experten, die in Heluan tätig seien, das dortige „VAR-Flugzeugwerk von den Israelis bombardiert worden sei, es dabei jedoch keine größeren Schäden“ gegeben habe. Das Werk sei nach „modernen Gesichtspunkten aufgebaut und eingerichtet“. In typischer DDRDiktion heißt es weiter, „es wird eingeschätzt, daß z. Zt. keine Voraussetzungen für eine Produktionsaufnahme eines in der VAR entwickelten Jagdflugzeuges vom Typ HA-300 gegeben sind“. Die Entwicklungsarbeiten an der HA-300 litten insbesondere an den Folgen der „israelischen Aggression und den damit verbundenen Importschwierigkeiten sowie der Fluktuation westlicher Spezialisten“. Ungenügende Materialreserven zwängen zu der Annahme, dass die Entwicklungsarbeiten bis 1968 eingestellt bzw. „größere Einschränkungen“ notwendig würden. Vor diesem Hintergrund machten sich ägyptische Fachleute Gedanken über eine Einstellung des ägyptischen Flugzeugprojektes zu Gunsten einer Umorientierung der Produktion. Auch in der „Führung der VAR“ gebe es ähnliche Überlegungen, denen zufolge etwa „die Produktion bisher importierter Ersatzteile und Laborversuche für zivile Produktionsanlagen vorzubereiten“ seien. „Nach glaubwürdigen Angaben aus ägyptischen militärischen Kreisen werde in der VAR-Luftwaffe gegenwärtig daran gearbeitet, die in der VAR vorhandenen Jagdflugzeuge MiG-17, 19, 21 und Suchoi auf Raketenbestückung umzurüsten“, fuhr der Bericht fort, oder, „wenn die Maschinen bereits mit Raketen bestückt sind, deren Bewaffnung weiter zu modernisieren“. Dafür käme eine 120-mm-Rakete in Frage, die auch „in den Armeen der sozialistischen Länder im Einsatz sei“. Die Umrüstung erfordere jedoch einen hohen Zeitaufwand und den Einsatz ausländischer Fachleute. Die VAR habe bereits seit 1957 die MiG-17 als Jagdbomber umgerüstet, und zwar mit Raketen von Bührle-Oerlikon in der Schweiz. Dabei handle es sich um nicht gelenkte Feststoffraketen, die der VAR in zwei Varianten zur Verfügung stünden: Einmal mit einem panzerbrechenden Gefechtskopf und zum anderen mit einem eine „Brisanzladung“ tragenden Gefechtskopf, also etwa chemischen Kampfstoffen. Während der „israelischen Aggression“ im Juni 1967 habe es beim Einsatz dieser Raketen Probleme technischer Art gegeben. Für die VAR sei es derzeit 154

BStU, MfS, HVA, 227, Bl. 00092–00097. „Im Interesse der Sicherheit der Quellen darf diese Information nicht öffentlich publiziert werden“, hieß es am Ende des Textes.

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schwierig, entsprechenden Nachschub aus der Schweiz zu erhalten. Militärische Kreise in der VAR betonten, dass die MiG-17 als „Jagdbomber noch einen hohen Kampfwert“ besäßen. Hinsichtlich des zweiten Punktes der Einzel-Information ist die dort getroffene Feststellung bemerkenswert, dass im Triebwerksbau „bisher die einzige rein ägyptische Entwicklung eines Strahltriebwerkes für Flugzeuge realisiert“ worden sei. Auf diesem „Arbeitsgebiet soll die Situation günstiger“ sein als im Zellenbau des Flugzeuges. Die technische Ausrüstung der Factories 36 und 135 in Heluan hielte, so die Information, „jedem Vergleich mit gleichartigen europäischen Werken stand“. Sie umfasse beispielsweise „modernste Präzisionsschmiedeverfahren, Präzisionsmaschinen zur Bearbeitung von Zahnrädern von MAG [gemeint wahrscheinlich MAAG, von Max-Maag-Zahnräderfabrik, A. H.] in der Schweiz und amerikanische Präzisionswerkzeugmaschinen“. Der Produktionsablauf „von der Materialbereitstellung bis zur Endfertigung“ sei „auf das modernste organisiert“. Zu Punkt 3 der Einzel-Information hieß es, dass von den rund 300 westlichen Personen, die „vor der israelischen Aggression“ im ägyptischen Flugzeug-, Triebwerk- und Raketenbau beschäftigt gewesen seien, nur ca. 80 als Fachleute bezeichnet werden könnten. Die anderen hätten sich mit Problemen beschäftigt, die für die ägyptische Verteidigungsindustrie „wertlos“ gewesen seien. Für diesen Zustand trage wesentlich Ferdinand Brandner die Verantwortung, der bei der ägyptischen Regierung seine Forderung nach der Einstellung westlicher Spezialisten nicht habe durchsetzen können. In diesem Zusammenhang werde „eingeschätzt, daß die VAR besonders durch westdeutsche Spezialisten betrogen wurde“. Des Weiteren wusste die Information zu berichten, dass „mit Beginn der israelischen Aggression […] besonders westdeutsche Spezialisten fluchtartig die VAR verlassen“ hätten.155 Der Bericht skizzierte dann den Abzug eines Großteils der ausländischen Experten nach dem Bruch der MTP mit der ägyptischen Regierung. Die VAR sei bestrebt, „viele Arbeitsstellen mit eigenen, in Westeuropa ausgebildeten Kräften zu besetzen. So gebe es z.  B. im Technischen Institut von Heluan allein 60 in Westdeutschland ausgebildete ägyptische Dozenten und Wissenschaftler“, die sich nach dem Abzug der Ausländer um die „Aufrechterhaltung der

155

Diese Beobachtung bestätigt auch Ferdinand Brandner in seinen Erinnerungen. Die deutsche Botschaft in Kairo habe während des „Blitzkriegs“ – so Brandner – geradezu hektisch auf die Abreise der Deutschen nach Alexandria gedrungen, wo von der Bundesregierung gecharterte Schiffe bereitlägen, um sie nach Kreta zu evakuieren. Wesentlich gelassener habe sich die österreichische Botschaft gezeigt, schreibt Brandner. Und er fährt fort: Während in Alexandria die Österreicher den Deutschen wenig später ihre Omnibusse zum Transfer zu den Schiffen angeboten hätten, sei es seinen Landsleuten verwehrt worden, die von Bonn gecharterten Schiffe zu besteigen. „Im Grunde eine sehr traurige Haltung der offiziellen deutschen Vertretung“, urteilte Brandner, um dann diese Episode ein wenig maliziös mit dem Satz abzurunden: „Später tat dies den Deutschen wieder leid“. Vgl. Brandner, Leben, S. 314f.

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Produktion“ kümmerten. Und dort, „wo die eigenen Kräfte dennoch nicht ausreichten, hoffe man in der VAR auf die Hilfe durch Spezialisten aus den sozialistischen Ländern“.

Raketen made in Egypt „die Zweite“: „Ägypten beginnt in Stuttgart“ Nach Schätzungen amerikanischer Geheimdienstkreise hatte Ägypten in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts ein „starkes Interesse“ an Lenkraketen gezeigt und dafür die meisten der damals solche Raketen produzierenden Staaten angefragt.156 Aus den Schätzungen geht klar hervor, dass vor allem Boden-Boden-Raketen gewünscht waren; es wurden zwar keine spezifischen Staaten genannt, doch berichtete etwa die CIA 1964 von einem ägyptischen Interesse an nicht näher bezeichneten japanischen Projektilen, während andere Quellen zu dieser Zeit von einem Interesse an sowjetischen Geschossen wissen wollten. Da die Sowjetunion damals die Hauptquelle für die ägyptische Rüstung war, lag es nahe, anzunehmen, dass sich Kairo dort um Raketen bemühen würde. In diesem Zusammenhang kam es offenbar auch zu einem Missverständnis zwischen Staats- und Parteichef Chruschtschow und Präsident Nasser. Chruschtschow habe, so der amerikanische Experte Owen L. Sirrs, im Jahre 1959 Zurückhaltung an den Tag gelegt, als es um die Lieferung größerer Raketen an Ägypten ging, da er fürchtete, die Ägypter könnten in ihrer Begeisterung für diese Waffen Unheil im Nahen Osten anrichten. Sirrs zufolge reagierte Nasser gereizt auf diese sowjetische Zurückhaltung, und er habe erklärt, nur Raketen mit einer Reichweite von 50 bis 70 km haben zu wollen, nicht jedoch Mittelstreckenraketen nach sowjetischer Definition. Hier müsse, so Nasser seinerzeit, wohl ein Übersetzungsfehler vorliegen. Die Frage stellt sich jedoch, warum wollte Nasser Raketen mit solch geringer Reichweite, die Moskau gar nicht hätte liefern können. Nach Sirrs verhielt es sich wahrscheinlich so, dass der ägyptische Präsident Fühler in Richtung solcher sowjetischer Raketen ausstrecken wollte, die eine Reichweite von 80 bis 150 km hatten und die Moskau erstmals 1957 öffentlich präsentiert hatte. Die UdSSR hatte kein Interesse an einer Zuspitzung des angespannten Verhältnisses zwischen Israel und Ägypten und zeigte daher auch keine Neigung, Raketen gleich welcher Art zu liefern. Da auch andere Staaten nicht liefern wollten oder konnten, erwachte erneut das ägyptische Verlangen nach einer eigenen Raketenherstellung. Man erinnerte sich in Kairo an die Erfahrungen mit der CERVA und kam u.  a. zu dem Schluss, dass ein neues Raketenprogramm größeren Anforderungen genügen müsse, als dies bei der CERVA der Fall gewesen war. Eine physische Infrastruktur war vonnöten, die 156

Dies und das Folgende nach Sirrs, Nasser, S. 20ff.

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Prüfstände, Chemielabors sowie Werkzeugmaschinen umfassen müsste. Darüber hinaus erforderte die Neuauflage des Raketentraums am Nil die abermalige Hinzuziehung externer Wissenschaftler – allesamt teure Investitionen für ein armes Land, das sich außerdem den Assuan-Hochdamm, die Elektrifizierung der Dörfer, die Verstaatlichung großer Teile der Wirtschaft sowie den allgemeinen Rüstungswettlauf mit Israel auf die Fahnen geschrieben hatte. Seit den Tagen der Raketenentwicklung um Rolf Engel hatte sich diesbezüglich in Ägypten nichts bewegt, und die CERVA-Anlagen in Heliopolis verstaubten im Wüstensand. Wenn Kairo seine Raketenambitionen realisieren wollte, musste es Techniker aus dem Ausland verpflichten, eigene Leute im Raketenwesen ausbilden und Mittel für Forschung, Entwicklung und Tests bereitstellen, von der eigentlichen Produktion der Raketen ganz zu schweigen. Im Erfolgsfall standen den gewaltigen Kosten ein enormer Prestigegewinn Ägyptens und seiner politischen Führung in der arabischen, ja vielleicht im ganzen Globalen Süden gegenüber; und natürlich würde sich das militärische Kräfteverhältnis zu Israel für Kairo günstiger entwickeln. Irgendwann Ende 1958/Anfang 1959 entschloss sich die ägyptische Regierung zur Finanzierung und damit zum Aufbau eines ballistischen Raketenprogramms. Eine undatierte Aufzeichnung des BND tat sich nicht schwer mit der Datierung und Begründung des ägyptischen Raketenprogramms. Dort heißt es eindeutig aber vermutlich auch unzutreffend: „Als Israel im Frühjahr 1960 eine kleine Feststoffrakete ‚Shavit II‘ rund 80 km hoch schickte, gab Nasser den Befehl, eine ‚arabische Rakete‘ zu bauen“. Diese Datierung widerspricht den nachfolgend genannten Daten zum Beginn des ägyptischen Programms, das seine Wurzeln in den Anfängen unter Kurt Hermann Füllner und Rolf Engel in den frühen fünfziger Jahren hatte.157 Wie zu zeigen sein wird, wirkte der Start der Shavit II jedoch katalysatorisch auf die ägyptischen Anstrengungen beim Bau einer eigenen Rakete. Auch der Experte für das israelische Raketenprogramm, Shlomo Aronson, sieht die ägyptischen Anfänge auf diesem Gebiet als das „Prä“, auf das dann „1961 der Start einer behelfsmäßigen israelischen Rakete“, eben der Shavit II, als Reaktion erfolgt sei.158 Ein „Büro für spezielle Militärprogramme“ unter der Leitung von Nassers engem Vertrauten Abdel Hakim Amer wurde geschaffen, um die Kontrolle sowohl über die Raketentechnik als auch über die Düsenjägerprojekte zu gewährleisten. Ähnlich wie im Fall des MesserschmittEngagements am Nil richtete sich das ägyptische Regierungsinteresse auf die in Deutschland und Österreich mehr oder weniger arbeitslos verharrenden Raketenfachleute sowie auf jene, die nach dem Krieg von den Franzosen verpflichtet worden waren. Während es im Fall des

157

158

Vgl. Archiv des BND, Akte 100615_OT, Bl. 192. Tatsächlich erfolgte der Start der Shavit II erst am 5. Juli 1961. Vgl. Shlomo Aronson, Israelische Atomwaffen und der Sechs-Tage-Krieg 1967, in: VfZ 52 (2004), Heft 2, S. 250.

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Flugzeugbaus Hassan S. Kamil war, der die Verbindung vor allem zwischen der Schweiz und Ägypten, aber auch Spanien, knüpfte, ist der Beginn der Rekrutierung deutscher und österreichischer Fachkräfte für das Raketenprogramm nach Sirrs nicht mehr eindeutig zu klären. Entweder hatte auch hier Hassan Kamil die ausschlaggebende Rolle gespielt, oder aber es war „Mr. Mahmoud“, also Nassers enger Vertrauter Mahmoud Khalil, der Ende 1959 mit einem kleinen Team auf einer Erkundungstour durch die Bundesrepublik in Stuttgart-Untertürkheim mit dem Abteilungsleiter für Strahltriebwerke bei Daimler-Benz, Dr. Bruno Eckert, zusammentraf. Erstmals hatte der „Spiegel“ in dem hier wiederholt zitierten Artikel seiner Ausgabe vom 8. Mai 1963 den Daimler-Vorstand Eckert öffentlich als Spiritus Rector des neuerlichen deutschen Raketenengagements am Nil genannt. Und in einem ausführlichen tabellarischen Lebenslauf des international renommierten Raketenforschers Eugen Sänger begegnet uns nicht nur Bruno Eckert, sondern auch ein alter Bekannter aus der Flugzeugentwicklung unter den Pyramiden, wenn es dort heißt: „8.  März 1960. Auf Grund früherer Empfehlungen durch […] Dr.-Ing. Bruno Eckert und eines Jugendfreundes, Dr.-Ing. Ferdinand Brandner, Einladung Sängers zur Beratung des Projekts einer mehrstufigen Raketen-Höhensonde durch eine Forschungsstelle Ägyptens“159. Eckert, der Khalil wahrscheinlich bei einem früheren Ägyptenbesuch160 kennengelernt hatte, brachte den ägyptischen Raketenplänen und ihrer Unterstützung durch deutsche Fachleute also durchaus Sympathien entgegen – eine für die weitere Entwicklung nicht unwichtige Feststellung – und so empfahl er in Untertürkheim den Besuchern vom Nil einige Kollegen sozusagen „gleich um die Ecke“, nämlich eben jenen Eugen Sänger und dessen Mitarbeiter vom „Forschungsinstitut für die Physik der Strahlantriebe e. V.“ (FPS) in Stuttgart-Echterdingen, direkt am Flughafen.161 Dieser Schritt Eckerts sollte sich als ein ganz entscheiden159

160 161

Der Lebenslauf findet sich in dem Buch des Sohnes von Sänger, Hartmut E. Sänger (Zusammensteller), Ein Leben für die Raumfahrt. Erinnerungen an Prof. Dr.-Ing. Eugen A. Sänger, Lemwerder 2006. Vgl. Der Spiegel Nr. 19 vom 8. Mai 1963, „36, 135 und 333“. Die wichtige Rolle Eckerts beim Zustandekommen der ägyptischen Verbindung zum FPS und dessen Chef Eugen Sänger geht auch aus einem Privatbrief Irene Sänger-Bredts, der Ehefrau Eugen Sängers, an Ferdinand Brandner aus dem Jahre 1973 hervor. Es heißt dort: „Ich weiß nur, daß Eugen über seine ersten Kontakte mit Ägypten in Stuttgart pflichtgemäß unmittelbar Dr. Eckert berichtet hat, der intern damals zugab, Eugen an die ägyptischen Herren empfohlen zu haben“: Archiv des Deutschen Museums, München, NL 230 Eugen Sänger, vorl. Nr. 2647, Brief Sänger-Bredts vom 3. November 1973. Wie aus Unterlagen des BND hervorgeht, war Sänger mit seinem eigenen BNDCode V-20201 zumindest Mitte 1959 auf irgendeine Weise für den Dienst aktiv. Sängers Fachkollege und BND-Quelle Rolf Engel sollte Sänger im Auftrag des Dienstes auf einem Kongress in London Anfang September 1959 „führen“. G. [d.  i. „Gabriel“, Deckname Engels, A.  H.] wisse nicht, dass „Sänger, Stuttgart, als Unterquelle bereits angebunden“ sei. Vgl. Archiv des BND, Akte 28153_OT, Bl. 0046.

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der auf dem Weg zu einem ägyptischen ballistischen Raketenprogramm erweisen, denn Mr. Mahmoud „entdeckte“ in dem Institut den künftigen Kern seines Raketenentwicklungsteams.

Eugen Sänger, das FPS und die „Sängerknaben“ Im Folgenden sollen einige der wichtigsten Dramatis Personae vorgestellt werden, die wesentlichen Anteil an der Raketenentwicklung in Ägypten in der ersten Hälfte der sechziger Jahre hatten und die zumeist aus dem Stuttgarter FPS kamen. Die Darstellung beginnt mit dem zunächst wichtigsten Protagonisten, Eugen Sänger, und seiner Rolle im FPS. Anschließend gilt das Interesse weiteren Wissenschaftlern und Fachleuten, über deren Werdegang meist wenig Material überliefert ist, die aber in unserem Zusammenhang wichtige Rollen spielten. Für diejenigen Experten, die zeitweilig mit Sänger bis zu dessen überraschend frühen Fortgang vom Nil oder auch über diesen Zeitpunkt hinaus mit ihm zusammenarbeiteten, bürgerte sich in der seinerzeitigen Publizistik der Begriff „Sängerknaben“ ein. Eugen Sänger war, wie auffallend viele andere in Ägypten tätige Flugzeug- und Raketenexperten auch, ein Kind der Habsburgermonarchie,162 genauer: des Sudetenlandes. 1905 in Preßnitz (tschechisch Prisecnice) geboren, besuchte er Schulen im damals ungarischen Teil der Monarchie, in der Steiermark sowie die Technischen Hochschulen in Graz und Wien. In der Donaumetropole legte er die Ingenieur-Diplomprüfung ab und wurde dort auch im Jahre 1930 promoviert. Hier erwarb Sänger 1932 zusätzlich die Fluglehrerlizenz. Der berufliche Weg führte ihn dann von Wien nach Trauen in der Lüneburger Heide, wo er von 1936 bis 1942 den Aufbau der raketenflugtechnischen Forschungsstelle, des damals größten Raketenforschungszentrums der Welt, leitete. Gemeinsam mit Sänger arbeitete in Trauen der aus dem böhmischen Theresienstadt (Terezin) gebürtige Helmut von Zborowski, der uns bereits im Zusammenhang mit Rolf Engel begegnet ist. In Trauen war von Zborowski Vorgesetzter der frisch promovierten Physikerin Irene Bredt, die hier in der Heide ihren späteren Ehemann Eugen Sänger kennenlernte und ihn nach dem Krieg 1951 in Frankreich heiratete.163 Von 1942 bis 162

163

Nichts mit Ägypten hatte der häufig als Nestor der deutschen Raumfahrtforschung apostrophierte Hermann Oberth (1894–1989) zu tun; auch er wurde in der Donaumonarchie, genauer in Hermannstadt (heute rumänisch Sibiu), geboren. Auch der „Star“ unter den Raketenexperten der NASA, der ehemalige Peenemünder Wernher von Braun, stammte aus „dem Osten“, allerdings aus der ehemaligen preußischen Provinz Posen (Wirsitz, heute polnisch Wyrzysk). Heutzutage geradezu aktuell hatte das Promotionsthema Irene Bredts „Studien über Röntgenspektren seltener Erden“ (Bonn 1937) gelautet. In der Einsamkeit der Lüneburger Heide, unweit des späteren KZ Bergen-Belsen, fanden die Wissenschaftler auch Zeit, um sich mit der örtlichen Tierwelt zu beschäftigen: Irene Bredts Foxterrier machte Jagd auf Kreuzottern, zwei Störche etablierten sich auf dem Gelände, nachdem sie gesundgepflegt worden waren, und die gesamte Belegschaft widmete sich

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1945 leitete Sänger die Triebwerksabteilung der „Deutschen Forschungsanstalt für Segelflug“ im oberbayerischen Ainring.

Abb. 12: Die deutschen Raketenforscher (vorne von links) Wernher von Braun und Hermann Oberth erhalten die Ehrendoktorwürde der TU Berlin, Eugen Sänger (2. von rechts) erhält den Lehrstuhl für Raumfahrt. Rechts im Bild Berlins Regierender Bürgermeister Willy Brandt, 1963 Neben verschiedenen Einzelentwicklungen auf dem Gebiet der Raketentechnik – hier ist vor allem das auf der Bündelung von Lichtstrahlen basierende Photonentriebwerk zu nennen – erwarben sich Irene Bredt und Eugen Sänger, der auch schon mal als Pazifist, als ein wenig weltfremd, dabei aber durchaus liebenswürdig und ob „seiner politischen Naivität auch als

abends einer zahmen Hirschkuh. Vgl. den Bericht über das Ehepaar Sänger in „Der Tagesspiegel“ vom 9. Januar 1963 mit der damals wohl als sensationell empfundenen Überschrift „Auch seine Frau versteht viel von Raketen“.

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Narr der Wissenschaft“164 bezeichnet worden ist, einen besonderen Ruf durch die theoretische Entwicklung eines Stratosphären-Gleitbombers.165 Mit diesem hätte theoretisch „im Punktangriff von Mitteleuropa aus […] sogar ein einzelner Mensch auf der anderen Erdhälfte beschossen“ werden, er hätte „in einem Rutsch“ seine gewaltige Bombenlast von 3600 kg über New York abwerfen und sogleich wieder nach Europa umdrehen können. Aus Kostengründen blieb dieser 1939 auf 376 Druckseiten konzipierte „Silbervogel“ bloßes Papier.166 Beeindruckt von dem Projekt des „Pazifisten“ Sänger und seiner Mitarbeiterin Bredt, befahl Stalin 1947 die Entführung Sängers und Irene Bredts in die Sowjetunion, doch der mit dieser Mission beauftragte Oberstleutnant Grigorij Tokajew nutzte die Gelegenheit, um sich in den Westen abzusetzen.167 Nach dem Krieg, zwischen 1946 und 1954, arbeitete Sänger bei Paris in der französischen Raketenforschung. Während dieser Zeit veröffentlichte er zahlreiche fachwissenschaftliche Aufsätze, nahm an internationalen Kongressen teil und sah sich von verschiedenen Weltraumorganisationen geehrt, etwa 1952 von der „Sociedad Argentina Interplanetaria“ in Buenos Aires. In seine französische Zeit fiel auch ein Angebot der australischen Regierung, auf dem fünften Kontinent tätig zu werden, das sich jedoch zerschlug.168 Auch Ägypten rückte damals erstmals ins sängersche Blickfeld. Es war Kurt Hermann Füllner, der, wie geschildert, als erster Deutscher nach dem Krieg am Nil eine Raketenentwicklung versucht hatte und der nun Ende März 1951 von Kairo aus Sänger in Frankreich kontaktierte. Füllner warb in seinem Brief an Sänger um dessen Mitarbeit unter den Pyramiden mit der Aussicht auf „Forschungs- und Entwicklungsarbeit“, die er dort „in Ruhe“ durchführen könne. Er, Füllner, habe bereits einige „bekannte deutsche Wissenschaftler und Ingenieure“ vor Ort, und „diese Herren“ hätten sich bereits gut eingelebt. In seiner Antwort vom 9. April 164 165

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167 168

Vgl. Deutschkron, Israel, S. 232. Eugen Sänger und Irene Bredt, Über einen Raketenantrieb für Fernbomber, Ainring 1944, wieder aufgelegt Stuttgart 1957. Vgl. den ausführlichen Nachruf auf Eugen Sänger in Der Spiegel Nr. 8 vom 19. Februar 1964. Die österreichische Post nahm den hundertsten Geburtstag Eugen Sängers und den dreißigsten Jahrestag der Gründung der European Space Agency (ESA) im Jahre 2005 zum Anlass, eine 0,55 Euro-Sonderbriefmarke herauszugeben. Als Motiv der Marke diente u. a. eine Zeichnung des Sänger-Bredtschen Silbervogels im imaginierten Flug. Eine weitere 0,55 Euro-Sonderbriefmarke der österreichischen Post zu seinem 100. Geburtstag zeigte ein Porträt Sängers, seine Lebensdaten sowie ein Modell des Silbervogels. Vgl. Der Spiegel Nr. 1–2 vom 10. Januar 1962, „Wir müssen ihn haben“. Vgl. das Schreiben der australischen Vertretung in London vom 6. November 1950 an Eugen Sänger in Courcelles-sur-Yvette bei Paris. Daraus geht auch hervor, dass die Australier auf Sänger durch Dipl.-Ing. Paul Goercke aufmerksam geworden waren, der mit Sänger in Frankreich forschte und später in Stuttgart mit diesem zusammenarbeiten würde. Goercke, so das Schreiben aus London, habe berichtet, Sänger interessiere sich für die Auswanderung nach Australien. Vgl. Archiv des Deutschen Museums, München, NL 230, 1418/1.

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1951 zeigte sich Sänger „grundsätzlich interessiert“, bat jedoch um einige zusätzliche Informationen. Er setzte Füllner schließlich darüber in Kenntnis, dass er „eine langfristige und gesicherte theoretische und experimentelle Arbeitsmöglichkeit zusammen mit zwei Kollegen (Frau Irene Bredt, theoretische Physik, spez. Thermodynamik, Herr Prof. Dipl.-Ing. Paul Goercke, Hochfrequenz, spez. Ultrarot) anstrebe. In seinem Antwortschreiben vom 14.  April 1954 drückte Füllner seine Freude sowohl über Sängers grundsätzliches Interesse als auch über die Personalia Frau Bredt und Goercke aus, die er – nicht eben frauenfreundlich – kurzerhand unter „Herrschaften“ subsummierte. Als monatliche Bezahlung für die Gruppe Sänger-Bredt-Goercke wolle er monatlich umgerechnet 3800  DM netto „auswerfen“. Während Goercke, wie oben erwähnt, das Angebot einer ersten Tätigkeit in Ägypten annahm – dann allerdings unter der Leitung Rolf Engels – kam die Zusammenarbeit Füllners mit Sänger und Irene Bredt nicht zustande. Sänger begründete ihrer beider Absagen in einem Schreiben vom 7. Juni 1951 mit dem Argument, sie, also seine Gattin und er, seien fachlich vermutlich nicht die richtigen Leute für Füllners Vorhaben. Möglicherweise war dieses Argument mit Blick auf Füllners Entlohnungsangebot aber auch nur vorgeschoben. Besser, so Sänger, sehe es mit Paul Goercke aus, der unter der Bedingung nach Kairo gehen wolle, dass er an der dortigen Universität „eine Professur auf seinem Fachgebiet“ erhalte. Obwohl Füllner mit Brief vom 23.  Juni 1951 noch einen letzten Versuch unternahm, Sänger und Bredt zu gewinnen  – er lockte nun auch mit „einem unserer Labors hier, in Südafrika oder in Südamerika“ – kam es nicht zur Zusammenarbeit. Hinsichtlich Goerckes hätten ihm vor einigen Tagen einige ägyptische „Minister“ zugesichert, dass ihm an der örtlichen Faruk-Universität ein Lehrstuhl freigemacht werden könne. Füllner seinerseits machte nun aber eine Kooperation mit Goercke von „unserer nächsten Unterredung“ abhängig, die zeigen müsse, dass „wirklich erste Kräfte für ein Projekt“ eingesetzt würden, „dass noch lange nicht bei der A 5 endet oder mit A 5 beendet ist“. Offenbar argwöhnte Füllner eine stark theoretisch-universitäre Ausrichtung der Arbeit Goerckes in Kairo. Bei der A 5 dürfte es sich um eine an die Peenemünder Zeit angelehnte Typenbezeichnung – A für Aggregat – gehandelt haben, deren Details Füllner bei Sänger als bekannt voraussetzte.169 Von Paris aus hielt Eugen Sänger auch Kontakt zu dem in Bordes nahe den französischen Pyrenäen tätigen Dr. Bruno Eckert. Ecker gehörte wahrscheinlich zu einer Gruppe von 125 ehemaligen Motorenentwicklern bei Daimler-Benz, die im November 1945 in Bregenz, also in der französischen Zone des besetzten Österreichs, zusammengestellt und 1946 nach Pau am Fuße der Pyrenäen gebracht worden waren. Hier arbeiteten die Männer von Daimler bei der Firma Turbomeca, die sich u. a. mit der Entwicklung von Gasturbinen für die Luftfahrt

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Ebd., NL 230, 1425.

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befasste, sowie bei der Matra, einem Unternehmen des Flugzeug-, Rüstungs- und Kunststoffbaus.170 Die Bekanntschaft Eckerts mit Eugen Sänger mindestens seit der frühen Nachkriegszeit dürfte für Sängers berufliches Engagement in Stuttgart seit Mitte der fünfziger Jahre entscheidend gewesen sein. Am 1. Oktober 1954 trat Eugen Sänger als wissenschaftlicher Leiter in das Stuttgarter FPS ein, Stellvertreterin wurde seine Ehefrau Irene Sänger-Bredt. Von Mitte 1957 bis Anfang 1958 übte Sänger-Bredt haupt- und ehrenamtlich die Institutsleitung aus, nachdem ihr Mann während eines Triebwerksversuches auf dem Gelände von Daimler-Benz einen Herzinfarkt erlitten hatte – ein Menetekel für Dinge, die da kommen sollten. Dem Journalisten Johannes Gaitanides verdankte die damalige deutsche Öffentlichkeit einen detaillierten Einblick in das Innenleben des FPS. In einem langen Zeitungsartikel mit der Überschrift „Ägypten beginnt in Stuttgart“ widmete er sich den Hintergründen des Raketenbaus in Ägypten unter deutscher Leitung.171 Auch den hier ausgebreiteten Informationen über das Stuttgarter Institut liegt Gaitanides’ Artikel wesentlich zugrunde. Vorstandsvorsitzender im FPS wurde Bruno Eckert, Geschäftsführer ein gewisser Franz Wagner. Die rechtliche Konstruktion des Forschungsinstitutes durfte sich durchaus kompliziert nennen, da es nicht nur einen Vorstand, sondern auch ein Kuratorium gab, dem ebenfalls Bruno Eckert ehrenamtlich vorsaß. Eckert hatte keinen detaillierten Einblick in die Institutsinterna, ihm war jedoch Eugen Sänger als wissenschaftlicher Chef verantwortlich. Die Gesamtbelegschaft umfasste zunächst sieben Personen. Als wesentliche Geldgeber des FPS zeichneten die Bundesministerien für Verkehr und Verteidigung sowie das baden-württembergische Wirtschaftsministerium verantwortlich. In den ersten Haushaltsjahren mussten die Institutskosten bis zu einem Viertel durch private Forschungsaufträge gedeckt sein, die insbesondere Eugen Sänger ins Haus holte. Auf Wunsch Sängers, von dem es hieß, das Institut sei eigens für ihn gegründet worden, um ihn an die Bundesrepublik zu binden172, sollten auch ausländische Mitglieder im Institut zugelassen werden, 170

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Die Tätigkeit Eckerts für Turbomeca ist hier rückgeschlossen aus dem Briefkopf eines Schreibens Eckerts an Eugen Sänger vom 24. April 1952, in dem es heißt: „Dr. Ing. Bruno Eckert, Diplom-Ingenieur, Rue du Bois, Bordes (B. P.)“. B. P. steht für Basses-Pyrénées, das französische Departement Pyrénées-Atlantiques. Informationen zu den beiden Firmen Turbomeca und Matra sowie Bordes nach Wikipedia, aufgerufen am 20. November 2020. In dem besagten Schreiben bedankt sich Eckert bei Sänger für die Übersendung von dessen Schrift „Zur Soziologie des Forschers“ und drückt darüber hinaus seine Erwartung aus, dass Sänger demnächst „nochmals“ den weiten Weg von Paris zu den Pyrenäen finden werde. Vgl. ebd., NL 230, 1418/1. Untertitel: „Vom Trauerspiel der deutschen Raketenforscher“, in: Donaukurier, 17. April 1963. Der BND, der im Laufe der Zeit eine Fülle an Material über das FPS und das Ägypten-Engagement einiger seiner führenden Mitarbeiter produzierte, stellte zu Sängers Führungsrolle in dem Institut fest: „Prof. Dr. Sänger ist ein ausgesprochenes Protektionskind von Bundesminister Dr. Ing. Seebohm. Mit dessen Hilfe konnte er erst die Stellung erlangen, die er heute hat, d. h., praktisch die Leitung des FPS“. Vgl. Archiv des BND, Akte 24881_OT, Anlage Nr. 1, Sänger, Operation Galavorstellung,

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um ihm einen internationalen Charakter zu verleihen. Nach Sängers eigenen Angaben vollzog sich der Institutsaufbau bis 1957 im Wesentlichen mit Hilfe von Forschungsaufträgen deutscher Behörden sowie amerikanischer Behörden und Firmen. Sie hätten „dem Institut hohes Ansehen in der ganzen Welt gebracht“. Den für Sänger ursprünglich vorgesehenen Lehrstuhl an der TH Stuttgart lehnte diese jedoch ab, stattdessen erhielt er eine Honorarprofessur.173 Mitglieder des eingetragenen Vereins waren interessierte Firmen wie AEG, Brown Boveri, Bosch, BMW-Triebwerksbau, Daimler-Benz, Deutsche Edelstahl, Dornier, Heinkel, Maybach, Messerschmitt und Siemens-Schuckert. Die verschachtelte Konstruktion des Forschungsinstituts brachte bürokratische Schwerfälligkeit in den hausinternen Abläufen mit sich, die nach dem Bekunden der später in Ägypten tätigen FPS-Mitarbeiter auch dazu geführt habe, sich wenigstens zeitweilig nach anderer Tätigkeit umzusehen, und sei es am Nil. Dass die orientalische Bürokratie dann ebenfalls ausgeprägter Natur sein konnte, trug nicht unwesentlich zur Erweiterung ihres Erfahrungsschatzes bei. Während der Zeit, in der Eugen Sänger das FPS wissenschaftlich leitete, entstand auch das Raketenversuchsgelände von Lampoldshausen im heutigen östlichen Teil des Landkreises Heilbronn. Im Jahre 1961 unterhielt Sänger „guten Kontakt“  – so der BND  – zu dem sowjetischen Raumfahrtexperten Professor Leonid  I. Sedow. Diese Feststellung ebenso wie die Nachricht, dass Sänger in dem kritischen Jahr des Kalten Krieges – Bau der Mauer in Berlin – gemeinsam mit dem westdeutschen Raumfahrtpionier Hermann Oberth die erste sowjetische Juri-Gagarin-Medaille erhielt, waren dem Bundesnachrichtendienst zum wiederholten Male eine Notiz über Sänger wert.174 Doch wenden wir uns weiteren, engen Mitarbeitern Eugen Sängers zu, die ebenfalls ihren Weg nach Ägypten fanden.

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Bl. 032. Möglicherweise war das „Protektionskind“ eine Konsequenz aus der geistig-kulturellen Verbundenheit Seebohms mit den Sudetendeutschen, zu denen Sänger qua Geburt gehörte. Vor 1959 war Seebohm, der selber aus der Nähe von Kattowitz stammte, in der Sudetendeutschen Landsmannschaft aktiv, weil seine Eltern lange Zeit in Nordböhmen gelebt hatten. Just in jenen Jahren, nämlich von 1959 bis 1967, in denen die Raketenexperten sudetendeutscher Herkunft am Nil aktiv waren, war der Bundesminister Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Vgl. Wikipedia, Stichwort „Hans-Christoph Seebohm“, aufgerufen am 26. September 2021. Archiv des Deutschen Museums, München, NL 230, vorl. Nr. 1853/2, „Memorandum über die Behandlung des Forscherehepaares Sänger in Stuttgart, 14. Januar 1963; Eugen Sänger“, S. 1. Archiv des BND, Akte 24881_OT, Notiz (Entwurf) „Betr.: Eugen Sänger“ vom 23. August 1962. Zur gleichen Zeit gehörte Sänger auch der britischen „Blue-Streak“-Expertengruppe an, die versuchte, eine eigene ballistische Rakete zu entwickeln. Darüber hinaus fiel in Sängers FPS-Zeit auf Einladung des US-Außenministeriums eine ausgedehnte Reise „durch die zivile amerikanische Raumfahrtforschung“. Vgl. Archiv des Deutschen Museums., München NL 230, vorl. Nr. 1859, „Lebenslauf Prof. Dr. Ing. Eugen Sänger“, Bl. 2.

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Wolfgang Pilz wurde im Jahre 1911 in der Riesengebirgsstadt Hohenelbe (tschechisch Vrchlabi) in Nordböhmen geboren. Nach einem Maschinenbaustudium an der Deutschen Technischen Hochschule in Prag und dem Wehrdienst in der tschechoslowakischen Armee ging er 1939 zu den Berliner Borsig-Werken. Über seine Mitgliedschaft im Reichsforschungsrat kam er zur Heeresversuchsanstalt Peenemünde, wo er an dem „Aggregat 4“, bekannter unter der Bezeichnung „Vergeltungswaffe 2“ (V 2), sowie an dem „Wasserfall“-Raketenprojekt arbeitete. Unmittelbar nach Kriegsende erfolgte unter britischer Regie ein Zwischenspiel in Cuxhaven an der Nordsee, bei dem es um die Weitererprobung der V 2-Raketen ging. Als in London 1946 das Interesse an der V 2 erlosch, zog Pilz nach Frankreich, darin Eugen Sänger folgend. Hier, im normannischen Vernon bei Paris, widmete sich Pilz, wie bereits erwähnt, der Entwicklung der französischen Höhensonde Véronique, einer Vorläuferin der späteren „Ariane“-Weltraumrakete.175 Vermutlich war Pilz auch an Tests der Veronique in der algerischen Wüste von Colomb Bechar beteiligt. Jedoch persönlich wenig glücklich in Frankreich – er selber klagte über das Wetter in der Normandie, andere wussten von Streit mit den Franzosen um Geld und die Wohnsituation – kam Wolfgang Pilz Mitte der fünfziger Jahre in die Bundesrepublik, wo er im Stuttgarter FPS unter Eugen Sänger beruflich Fuß fasste. Nach einer wahrscheinlich auf Wolfgang Pilz selber zurückgehenden Version, die der „Stern“ im Jahre 1963 verbreitete, war Pilz auf einem Astronautenkongress in Barcelona im Jahre 1957 von dem damaligen Ministerialrat Gerlach vom Bundesverkehrsministerium mit der Bitte angesprochen worden, er, Pilz, und „etliche deutsche Raketenforscher“ möchten doch aus „fremden Diensten wieder ins Vaterland zurückkehren“. Der Hintergrund dieser Bitte: Im Herbst 1957 hatte der erste künstliche Satellit, der sowjetische „Sputnik“, seine Bahn um die Erde gezogen. Der Appell habe „Pilz und seine Mannschaft“ veranlasst, Frankreich den Rücken zu kehren und in Stuttgart anzufangen.176 Während sich Raketenexperte Sänger nach dem Urteil Owen L. Sirrs einen „bescheidenen Ruhm“ im Verlaufe seiner Karriere habe erarbeiten können, sei Pilz eine Art „Null“ gewesen. Sirrs stützte sich dabei auf eine Bemerkung Wernher von Brauns, der Pilz persönlich kannte. Danach sei Pilz eines der „kleineren Lichter“ in Peenemünde gewesen. Man wird bei derartigen Urteilen wohl immer auch Eitelkeiten und Eifersüchteleien in Rechnung stellen dürfen, die auch in der überschaubaren Gemeinde der deutschen Raketenexperten nicht völlig unbekannt waren. Immerhin unternimmt Sirrs eine gewisse Ehrenrettung 175

176

Vgl. den Nachruf auf Wolfgang Pilz unter dem Titel „Unschuldig zwischen den Mühlsteinen. In Kärnten starb der aus dem Sudetenland stammende Weltraumraketenforscher Dr. Wolfgang Pilz“, in: Das Ostpreußenblatt, 16. Juli 1994. Zur Cuxhavener Episode von Pilz vgl. Sirrs, Nasser, S. 26. Auch das Folgende nach Sirrs, S. 26f. „Stern“ Nr. 17 vom 28. April 1963. Wolfgang Löhde, der Autor des Artikels „Die Deutschen sind an allem schuld“ war zu dieser Zeit mit Wolfgang Pilz befreundet, wie weiter unten ausführlich dargestellt werden wird.

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für Pilz, wenn er ihm attestiert, praktische Erfahrung im Entwurf und im Bau von Raketentriebwerken besessen zu haben. Und es sei Pilz gewesen, der wesentlich zu Fortschritten bei der Lösung des neuralgischen Punktes der Veronique, nämlich deren Steuerung, beigetragen habe. Die von ihm entwickelte, recht primitive Steuerungstechnik der Raketen während ihres Starts durch Kabel und Explosivbolzen, kam später auch seinen mit der Raketensteuerung in Ägypten befassten Kollegen zugute. Ironie der Geschichte: Während seiner Zeit in Vernon arbeitete Pilz mit Israelis zusammen, die von Paris in einer Phase enger rüstungspolitischer Kooperation zwischen dem jüdischen Staat und der Vierten Republik eingeladen worden waren, an der französischen Raketenforschung teilzunehmen. In einer Notiz des BND nach einer Besprechung im Bundesverteidigungsministerium vom 27. Juni 1961 hieß es über Pilz, er sei der „eigentliche Fachmann für Raketentriebwerke und Flugkörper. Er ist ein von der Idee besessener Ingenieur, der zwar nicht unbedingt seine Kenntnisse an die Ostblockstaaten liefern würde, jedoch nichts dabei findet, diese Kenntnisse an die Vereinigte Arabische Republik weiterzugeben“177. Im Widerspruch zu dieser Feststellung steht eine unter dem 24. August 1962 für Staatssekretär Globke im Bundeskanzleramt gefertigte Aufzeichnung des BND – „geheim, persönlich“ – in der es heißt: „Um die Jahreswende 1959/60 erhielt der Bundesnachrichtendienst Nachrichten aus dem geheimen Meldedienst, die den Schluß zuließen, daß der Dipl.-Ing. Wolfgang Pilz und dessen ständige Begleiterin Hannelore Vogel178 Kontakte zu einem östlichen Nachrichtendienst unterhielten. Im Zuge der Ermittlungen verdichtete sich der Verdacht in Richtung einer Verbindung zum sowjetischen Nachrichtendienst“179. Bereits eine Notiz des BND über Pilz’ Werdegang vom Vortag, also vom 23.  August 1962, hatte abschließend festgehalten: „Im Jahre 1961 nahm er  – angeblich auf einen Vorschlag der Sowjets der Vereinigten Arabischen Republik gegenüber  – in Ägypten eine zunächst sporadische, später dauernde, Tätigkeit auf“180. Zumindest für diesen Verdacht einer besonderen Nähe Pilz’ zu Moskau findet sich sonst nirgends ein Beleg, alles spricht vielmehr dafür, dass dieser einem Angebot Mahmoud Khalils, im Kielwasser Eugen Sängers an den Nil zu kommen, folgte. In der Anfang und Mitte der sechziger Jahre aufkommenden Pressekampagne vor allem in Israel und in der Bundesrepublik gegen die Tätigkeit deutscher Flugzeug- und Raketenexperten für Ägypten spielte immer wieder deren Behauptung eine Rolle, sie hätten damals in der Bundesrepublik keine adäquate Beschäftigungsmöglichkeiten finden können, ja man 177 178

179 180

Archiv des BND, Akte 24881_OT, Bl. 104. Vogel war der Name ihres Noch-Ehemanns; in den meisten Quellen und Texten erscheint sie mit ihrem Mädchennamen Wende, bevor sie 1968 in zweiter Ehe Wolfgang Pilz in Velden am Wörthersee heiratete. Archiv des BND, Akte 24881_OT, Bl. 155. Ebd., Bl. 150.

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habe ihnen in Bonn die kalte Schulter gezeigt.181 Die amerikanische Fachzeitschrift „Missiles and Rockets“ brachte 1964 das letzte Interview mit Eugen Sänger vor dessen Tod im selben Jahr. In einem mit „Background of Egyptian Rockets“ überschriebenen Kasten im Rahmen des Interviews erfuhr die Leserschaft, dass Wolfgang Pilz im April 1960 der Bundesregierung und europäischen Industrieverbänden ein Memorandum zugeleitet hatte, in dem er sich für die Konstruktion eines Satellitenträgers stark gemacht habe, der die Leistungen der britischen Blue-Streak-Raketen erreichen und dabei nur ein Viertel von deren Kosten verursachen würde. Sprachlich sich ein wenig distanzierend, fährt der Text des Kastens fort: „Man sagt, dass keinerlei Antwort auf diesen Vorschlag erfolgt sei“ mit der Konsequenz, dass sich die Experten dafür entschieden hätten, Europa den Rücken zu kehren.182 Über den „Dritten im Bunde“, also den dritten Fachmann aus dem FPS, den Mahmoud Khalil neben Sänger und Pilz für die Arbeit in der Nähe von Kairo gewinnen konnte, den 1906 in der Nähe von Pforzheim geborenen Elektronikexperten Paul Goercke, liegen kaum Informationen vor, ein Umstand, der auch dem BND eine Notiz wert war. Wie Wolfgang Pilz hatte auch Goercke wahrscheinlich in Peenemünde gearbeitet. Sicher ist, dass er unmittelbar nach Kriegsende ebenfalls für die Franzosen tätig war. Anschließend übte er als freier Mitarbeiter eine Tätigkeit für die amerikanische Technikfirma Curtiss-Wright bei den Physikalisch-Technischen Werkstätten, der späteren Heimann GmbH, in Wiesbaden aus. Gleichfalls als freier Mitarbeiter wechselte Goercke im April 1959 zu Eugen Sänger ins Stuttgarter FPS.183 Nach dem Urteil des zeitgenössischen Journalisten Johannes Gaitanides erfreute sich Goercke eines „ausgeprägten Geschäftssinnes“  – im Gegensatz zu Wolfgang Pilz, der nur in seiner Arbeit aufgegangen und bereit gewesen sei, selbst „mit dem Teufel zu paktieren, sofern er nur Raketen bauen könnte“184. Armin Dadieu, 1901 in Marburg an der Drau (Maribor, Slowenien) geboren, war einer der Fachleute im FPS, der auf eine nationalsozialistische Karriere zurückblicken konnte. In Graz wurde er 1932 an der dortigen Technischen Hochschule außerordentlicher Universitätsprofessor für Physikalische Chemie, und im selben Jahr trat er auch der NSDAP bei. Im Juli 1936 folgte seine Mitgliedschaft in der SS. Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 stieg er, dem wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Fliegeridol Charles Lindbergh der Spitzname „Nazi Lindy“ 181

182

183 184

Typisch für den Tenor entsprechender Zeitungsberichte war etwa allein die Überschrift für den Aufmacher der Ausgabe Nr. 18 der DNSZ vom 3. Mai 1963: „Deutschland hat uns verstoßen“. In dem zugehörigen Text ging es um ein Interview der rechtsextremen Zeitung mit Willy Messerschmitt und Ferdinand Brandner. William Beller, Saenger’s Final Interview with M/R in: Missiles and Rockets, Vol.  14, 8, 1964, S. 35–38. Archiv des BND, Akte 24881_OT, Bl. 146. Donaukurier, 17. April 1963.

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zuteilwurde, rasch zum SS-Standartenführer auf.185 Dadieu blieb während des Krieges als Gauhauptmann in der Steiermark und war damit Chef der steirischen Gauselbstverwaltung, verantwortlich nur dem Gauleiter. Für den Zeitraum eines Jahres, vom Juli 1940 bis Juli 1941, diente er als Stuka-Pilot in der Luftwaffe. In welchem Maße Dadieu in die Pläne zur Germanisierung der von Slowenien bewohnten Untersteiermark eingebunden war, ist umstritten. Angesichts des nahenden Kriegsendes verbot er die gemäß Hitlers „Nero-Befehl“ vorgesehene Zerstörung der Infrastruktur und Industrie in der Steiermark, löste die Gestapo und den SD auf und befahl, die Besetzung der Steiermark ohne Widerstand abzuwarten. Nach seiner Flucht aus sowjetischer Gefangenschaft gelangte Armin Dadieu auf den uns bekannten Wegen via Südtirol nach Rom, von wo er sich weiter nach Argentinien durchschlug. Dort war er für die Regierung Peron mit dem Aufbau der Aluminium- und Magnesiumindustrie beschäftigt, darüber hinaus leistete er der argentinischen Militärindustrie Unterstützung bei der Raketenentwicklung. Wie andere flüchtige Nationalsozialisten auch, kehrte Dadieu dem La Plata nach dem Machtverlust Perons wieder den Rücken, kam in die Bundesrepublik und wirkte seit dem 1. Juli 1958 für das Stuttgarter FPS. Dagegen hatte sich Eugen Sänger ausgesprochen186, weshalb Dadieu nicht zum Kreis der eigentlichen Sängerknaben gezählt werden kann, auch wenn er etwa zeitgleich zumindest sporadisch mit diesen in Ägypten arbeitete. Nach den Erkenntnissen des BND soll Dadieu „keine ausgesprochen westliche Haltung an den Tag gelegt“ haben; in den Unterlagen des Dienstes findet sich auch eine knappe, unvorteilhafte Charakterskizze Dadieus187, deren Details hier nicht interessieren müssen. Der BND registrierte während des Jahres 1961 mehrfache Reisen Dadieus nach Ägypten, wo er in seiner Freizeit Verbindung zu den an den Nil geflohenen Radikalantisemiten um Johann von Leers aufgenommen habe; namentlich nennt die Aufzeichnung des Dienstes den oben erwähnten, ehemaligen Offenburger Studienrat Zind.188 Die vom BND angedeutete, ungebrochene Nähe Dadieus zum Antisemitismus erhielt in jüngster Zeit eine Bestätigung durch dessen Enkel, den Filmregisseur Martin Moszkowicz. Moszkowicz’ Vater, der russisch-jüdische, in Ahlen/Westfalen geborene Imo Moszkowicz, hatte die Tochter Armin Dadieus, Renate Dadieu, geheiratet, und aus dieser Ehe war der Sohn Martin hervorgegangen. Dieser bestätigte im Herbst 2020 gegenüber dem „Spiegel“, dass nach seiner Erinnerung Armin Dadieu „Nazi durch und durch“ gewesen sei. „Meine Mutter nahm ihm wahnsinnig übel“, so Martin Moszkowicz,

185 186 187 188

Dies und das Folgende nach Wolfgang Graf, Österreichische SS-Generäle, Klagenfurt 2012, S. 155ff. Archiv des Deutschen Museums, München, NL 230, vorl. Nr. 1859. Archiv des BND, Akte 24881_OT, Bl. 149. Ebd., Anlage 5 zu einem Schreiben – „persönlich/geheim“ – des BND an Staatssekretär Globke im Bundeskanzleramt vom 24. August 1962, Bl. 166.

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Kapitel III: „[…] ein zeitgemäß geschliffenes Schwert zu schmieden“ „dass er sich vom Nationalsozialismus nie distanziert hat. Er hat absolut nichts bereut […]. Ich bin sicher, dass er bis zu seinem Tod Antisemit war“. Wenig überraschend, dass der Vater gegen die Ehe seiner Tochter Renate mit Imo Moszkowicz gewesen war, er habe, so dessen Sohn, seine Tochter „mehr oder weniger“ enterbt „mit der Begründung, er wolle nicht, dass seine Enkel als ‚Halbjuden‘ Ärger bekommen“189.

Man wüsste zu gern, was sich Armin Dadieu bei seiner Hilfestellung für den ägyptischen Raketenbau in unmittelbarer Nähe des jüdischen Staates gedacht hat. So weit ersichtlich, sind entsprechende Äußerungen seinerseits nicht überliefert. In nächster Nachbarschaft zum Geburtsort von Wolfgang Pilz kam im Jahre 1915 im nordböhmischen Trautenau (tschechisch Trutnov) Hans Kleinwächter zur Welt. Offenbar gegenüber Vertretern des BND machte Kleinwächter am 18. November 1964 Angaben zu seinem beruflichen Werdegang, die andernorts kaum zu bekommen sind und deshalb hier Verwendung finden sollen. Im Anschluss an die nachfolgend referierten Daten fügte der Dienst noch weitere, ihm bekannt gewordene, Informationen zum Lebenslauf Kleinwächters hinzu.190 Nach Kleinwächters eigenen Angaben absolvierte er – wie auch Wolfgang Pilz – ein Studium der Ingenieurwissenschaften an der Deutschen Technischen Hochschule in Prag, das er 1940 mit der Promotion zum Dr. Ing. abschloss. Im selben Jahr begann er als Mitarbeiter der Forschungsanstalt der Deutschen Reichspost in Berlin, und in den Jahren 1941 bis 1943 diente er als Bataillonssonderführer der Heeres-Nachrichtentruppe im Majorsrang an der Ostfront. In den letzten beiden Kriegsjahren arbeitete er als Entwicklungsleiter in einem Projekt des Reichsluftfahrtministeriums. Nach Kriegsende verpflichteten ihn die Franzosen zur Raketenforschung in Vernon, wo er Wolfgang Pilz begegnet sein dürfte. Auch eine Begegnung mit Eugen Sänger in Frankreich erscheint möglich.191 Von 1952 bis 1960 leitete er eine Abteilung im elsässischen Forschungsin189 190

191

Der Spiegel Nr. 50 vom 5. Dezember 2020, „Eine unvorstellbare Liebe“. Archiv des BND, Akte 22562_OT, Bl. 012f. Einige Hinweise zum Leben Kleinwächters enthält auch der Nachruf auf diesen von Ulrich Luboschik, der in der Nr. 1/1998 der Zeitschrift „Sonnenenergie“ auf S. 69 erschienen ist. Kleinwächter war am 26. Oktober 1997 verstorben. Im Gegensatz zum Material des BND erwähnt der Nachruf ausdrücklich eine Zusammenarbeit Kleinwächters mit der „Gruppe von Prof. Oberth“ und eine ebensolche mit Wernher von Braun in Peenemünde. Nach seiner Rückkehr aus Ägypten 1964 wandte sich Kleinwächter zusammen mit seinem Sohn Jürgen beruflich mehr und mehr der Solarenergie zu. Eine nicht genau datierte Aufzeichnung des BND über Kleinwächters (Deckname Kunze) Werdegang nach Kriegsende, die zuletzt 1966 aktualisiert worden sein dürfte, stellte u. a. fest: „K. war nach dem Kriege in Vernon Frankreich am Raketenprogramm, später im Institut in St. Louis. War nie in Zusammenarbeit mit Prof. Sänger und auch nie beim FPS-Stuttgart. Zur Person Kleinwächters hieß es hier: „Überzeugter Antikommunist, zielstrebig, ehrgeizig, gilt als glänzender Fachmann“. Vgl. Archiv des BND, Akte 22562_OT, Bl. 055.

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stitut „Le Laboratoire de Recherches St. Louis“ (LRSL). Ohne Mitarbeiter des FPS in Stuttgart zu sein – aber wohl über Verbindungen zu Eugen Sänger bzw. Wolfgang Pilz – arbeitete Kleinwächter anschließend als freier Mitarbeiter „am Projekt der Raumfahrtforschung“ der Universität Kairo, die ihn 1962 auch zum Professor ernannte. Nach den Recherchen des BND hatte Kleinwächter das ägyptische Angebot im Dezember 1960 unter der Bedingung angenommen, dass er sein inzwischen in Lörrach gegründetes Labor beibehalten und „von dort den Hauptteil seiner Arbeiten“ für die Ägypter erledigen könne. Zur Vereinbarung mit Kairo habe auch gehört, dass „in Lörrach die Ausbildung ägyptischer Ingenieure und Techniker erfolgen“ sollte. Zusammen mit Paul Goercke, so der BND, habe Kleinwächter die Gruppe Elektronik der Military Factory 333 in Heliopolis übernommen und sei dort verantwortlich gewesen für die „elektronischen Berechnungen und die Entwicklungen der Steuer- und Kreiselgeräte der in der VAR-Ägypten in Entwicklung befindlichen Raketen“192. Reinhold Strobel war einer der Fachleute für die Fernsteuerung in dem Raketenteam am Nil. Der 1910 in Stuttgart-Wangen geborene Oberstudienrat taucht in nur wenigen Dokumenten und Texten auf. Aufgrund seines mathematisch-naturwissenschaftlichen Studiums an der Technischen Hochschule Stuttgart und früher Forschungstätigkeit am Flugtechnischen Institut dieser Hochschule, hatte ihn seine Laufbahn während des Zweiten Weltkrieges auch nach Peenemünde geführt, wo er als Aerodynamiker und Ballistiker tätig war.193 Nach den Recherchen des baden-württembergischen Landeskriminalamtes (LKA) arbeitete Strobel dort mit Wolfgang Pilz zusammen, dabei konzentrierte sich Strobel auf theoretische, Pilz auf praktische Arbeiten.194 Aus der Peenemünder Zeit hat ein Kollege Strobels an der Ostsee, der Ingenieur Willi Walther, im Internet ein paar Erinnerungen veröffentlicht, in denen auch Strobel, allerdings eher anekdotisch, vorkommt.195 Im Jahre 1947 ging Strobel nach einem kurzen 192 193

194

195

Ebd. Vgl. den Nachruf auf Reinhold Strobel in der „Esslinger Zeitung“ vom 21. April 1986, nachdem Strobel am 14. des Monats verstorben war. Ich danke Frau Karla Rommel vom Kulturamt-Stadtarchiv Esslingen für die Überlassung von Kopien des Sterbeeintrags und des Nachrufes. Für Hilfe im „Fall Strobel“ danke ich ferner Herrn Jochen Barwind vom Schelztor-Gymnasium in Esslingen sowie dem Direktor des dortigen Theodor-Heuss-Gymnasiums, Herrn Michael Burgenmeister. Archiv des BND, Akte 22564_OT, Aktenvermerk des LKA vom 20. März 1963. Bl. 87. Der umfangreiche Vermerk war im Zusammenhang mit dem Attentat auf Hans Kleinwächter am 20. Februar 1963 angelegt worden. Auf ihn wird noch ausführlich zurückzukommen sein. Walther zufolge widmete sich Strobel in Peenemünde auch seiner Dissertation über Flugbahnberechnungen von Raketen. Der Schwabe sei ein „wunderlicher Kauz“ gewesen. Er habe „zwei ungleich lange Beine“ gehabt, die zu einem eigenartigen Gang führten. Er, Walther, habe ihn einmal gefragt, „ob ihn das kürzere Bein nicht störe“, worauf dieser erwidert habe: „Dafür ist das andere Bein um die gleiche Differenz länger und das gleicht sich aus“. „Er fiel mir auch deshalb auf“, fährt Walther fort, „weil er immer mit ganz kurzen Bleistiften arbeitete. Die waren etwa drei cm lang. Wurde der Stummel so kurz, daß er nicht mehr nachzuspitzen war, dann kam ein neuer Bleistift dran, aber so,

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Intermezzo bei den Briten nach Vernon bei Paris, wo er gemeinsam mit Wolfgang Pilz in der französischen Raketenforschung tätig wurde. 1953 kehrte er in seine württembergische Heimat zurück, um am Esslinger Schelztor-Gymnasium eine Lehrerstelle im Beamtenverhältnis zu übernehmen. Im Herbst 1960 gelang es Wolfgang Pilz, Strobel für Ballistik-Vorlesungen an der Universität Kairo zu gewinnen. Die ägyptischen Direktoren des Raketenprogramms legten angeblich „großen Wert auf Dr. Strobel“, folgt man dem Artikel von Farid Sherif Shaker, dem uns bereits bekannten Schwager von „Mr. Mahmoud“, in der französischen Tageszeitung L’aurore196 Eine genaue Übersetzung ins Deutsche der Strobel betreffenden Passagen des Artikels findet sich interessanterweise im Nachlass Otto Skorzenys im Österreichischen Staatsarchiv in Wien.197 Möglicherweise stammen knappe handschriftliche Ergänzungen auf dem Blatt mit der maschinengeschriebenen Übersetzung der Passagen von Skorzeny. Es handelt sich dabei um die genaue postalische Anschrift Strobels in Esslingen am Neckar, ferner um den Zusatz „Kein Telefon“ sowie das Wort „Oberstudienrat“, das offensichtlich den Begriff „professeur“ im französischen Text wiedergeben sollte. Der Artikel in L’aurore, der zur Zeit der Tätigkeit des deutschen Raketenteams in Ägypten erschien, hebt zunächst hervor, dass der Fall Strobel insofern „interessant“ sei, als er zeige, dass die ägyptischen „Geheimdienste Schweigen über gewisse Mitarbeiter auszubreiten“ verstünden. „Bis jetzt“ sei es „Dr. Reinhold Strobel gelungen, so gut wie unbemerkt“ seine Arbeit am Nil zu verrichten. Der spätere Oberstudienrat wollte für sein Ägypten-Engagement seinen Esslinger Posten nicht aufgeben und bat daher das baden-württembergische Kultusministerium um einen zweijährigen, unbezahlten Urlaub. Strobel konnte sogar eine offizielle Einladung der Universität Kairo vorlegen, die ihm über die ägyptische Botschaft in Bonn zugestellt worden war. Doch das Stuttgarter Ministerium zeigte sich unbeeindruckt und kam Strobels Wunsch nicht nach. Wolfgang Pilz habe weiter auf das Erscheinen des Lehrers in Kairo gedrungen, so L’aurore, und seine ägyptischen Vorgesetzten gebeten, Strobel in den Sommerferien 1960 an den Nil kommen zu lassen. Auf Anweisung von „Mr. Mahmoud“ begab sich Strobel daraufhin in die Schweiz, wo er von Zürich aus nach Kairo flog. „Zur besseren Geheimhaltung“, so Shaker in L’aurore, hatte ihm die Botschaft in Bonn kein Visum in den Pass gestempelt, sondern ein „Laissez-passer“, eine Art Passierschein, auf einem besonderen Blatt ausgestellt, so dass sich „in seinem Pass keine Spur von einem Aufenthalt in Ägypten“ fand.

196 197

daß von ihm die Spitze etwa drei cm abgeschnitten wurde und so, wie wir damals sagten, ein neuer ‚Strobel‘ entstand“. Vgl. Willi Walther, Meine Zeit in Peenemünde, Ostern 1995, www.buschdorf.eu/ histoire/walther.pdf., heruntergeladen am 15. März 2021. „J’étais l’agent secret de Nasser“, in: L’aurore, 26. Juli 1963. Kriegsarchiv, NL Otto Skorzeny, Mappe „Ägypten (Pressekonferenz)“.

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Sherif Shaker zufolge erschien der Freizeitraketenexperte Reinhold Strobel über knapp zwei Jahre in sämtlichen Schulferien in Kairo, sogar an Wochenenden „brachte er es fertig, zu kommen, wenn den anderen Wissenschaftlern seine Anwesenheit notwendig erschien“. Der ansonsten unter jedem publizistischen Radar agierende Ballistikexperte Strobel tauchte nur einmal gleich einem Phantom in einem längeren Artikel der „Deutschen National-Zeitung und Soldaten-Zeitung“ vom 21.  Juli 1963 auf. In dem Bericht ging es um den damals Aufsehen erregenden Nötigungsprozess vor dem Strafgericht Basel gegen Otto F. Joklik und den Israeli Joseph Ben-Gal, denen vorgeworfen wurde, die – erwachsenen – Kinder des Radarfachmannes Paul Goercke genötigt zu haben, ihren Vater umgehend zur Einstellung seiner Tätigkeit in Ägypten zu veranlassen.198 Ohne dass Reinhold Strobel in dem Artikel zuvor in irgendeiner Weise in Erscheinung getreten wäre, heißt es darin unvermittelt hinsichtlich der damals umstrittenen Frage nach der wahren Identität Ben-Gals: „Dagegen behauptet aber der deutsche Wissenschaftler Dr. Strobel, in Ben-Gal einen Mann wiederzuerkennen, der als amerikanischer Journalist namens Livingston ihn aufgesucht und ihm wegen seiner Beziehungen zu Ägypten maßlos gedroht habe“.199 Sofern die Darstellung stimmt, war Strobel der Einzige unter den deutschen Raketenexperten in Ägypten, der es schaffte, sich mit einem deutlichen Hinweis auf die Zielrichtung ihrer Arbeit in die Weltpresse, eben in die L’aurore, zu bringen. Strobel habe unbedingt beim Start der Raketen am ägyptischen Revolutionstag im Juli 1962 dabei sein wollen, schrieb die Pariser Tageszeitung, und fuhr fort: „Strobel war verrückt vor Freude, als der Versuch glückte. Da rief er aus: ‚Von nun an haben die Juden sich richtig zu verhalten!‘“. Ginge es darum, den ersten Preis für die am schwersten zu durchschauende Persönlichkeit unter den deutschen und österreichischen Raketenfachleuten in Ägypten zu vergeben, fiele die Wahl fraglos auf Otto Franz Joklik, der meist als Österreicher firmierte, dessen österreichische Staatsangehörigkeit jedoch mit Spruch der Salzburger Landesregierung vom 25. Juni 1964 verneint wurde.200 Den Hintergrund dieser unklaren Staatsangehörigkeit bildete Jokliks Herkunft aus dem mährischen Ostrau (tschechisch Ostrava), wo er nach eigenen Angaben am 21. Januar 1921 geboren worden sei. Nach Auffassung der Salzburger Landesbehörden vom 4. Juni 1964 hätten Vater und Sohn Otto F. Joklik laut Meldebescheinigung der Bundespolizeidirektion Wien vom 24. März 1964 die Staatsangehörigkeit der tschechoslowakischen Republik besessen – was Joklik junior gegenüber den Salzburger Behörden mit Nichtwissen quittierte. Über Jokliks Zeit während des Krieges ist so gut wie nichts bekannt, die rechtsextreme DNSZ brachte in ihrer Ausgabe vom 21. Juni 1963 ein Foto, das ihn angeblich in der Uniform 198 199 200

Dazu unten mehr. Auch dazu unten mehr. Landesarchiv Salzburg, LAD 1967 d 1340: Verfahrensakt F. O. [sic] Joklik, Teil I.

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eines HJ-Führers zeigte. 1946 aus britischer Kriegsgefangenschaft entlassen, kam Joklik zunächst nach Wien und dann nach Salzburg, wo er als Dolmetscher für die britische Militärpolizei arbeitete.201 Anschließend nach Oberösterreich verzogen, versuchte Joklik sich in der Politik, und zwar zunächst im Lager der Rechtsaußen. Beim Verband der Unabhängigen (VdU), der Vertretung der ehemaligen Nationalsozialisten und einem Vorläufer der späteren FPÖ, brachte er es zum Landessekretär von Oberösterreich. Doch dann erfolgte ein radikaler Schwenk, linksaußen fand er eine neue politische Heimat bei der kommunistischen „Nationalen Liga“. Unter dem Pseudonym „Reinhard“ schrieb Joklik für die „Linkspresse“, wie die österreichische Staatspolizei feststellte. Sein Talent als Informationshändler zeigte sich schon damals: Noch als VdU-Funktionär soll er der Kommunistischen Partei Österreichs einen Bericht darüber zugespielt haben, wie man die „Ehemaligen“ am besten unterwandern könne. Anfang der fünfziger Jahre begann eine Phase undurchsichtiger Geschäftsaktivitäten Jokliks auf internationaler Bühne. In der Bundesrepublik war er angeblich Mitgesellschafter einer „Nord-West-Chemie“, die nicht einmal im Handelsregister auftauchte. Dann war er für die „Transcontinental Atomic Company“ unterwegs, die lediglich als Postfach in Liechtenstein existierte.202 Seinen Wohnsitz zwischen mehreren Ländern immer wieder wechselnd, komponierte Otto F. Joklik im Laufe der Zeit einen „überbordenden wissenschaftlichen Lebenslauf“, der für den Zeitraum 1959–1961 Beratertätigkeiten in Verfahrenstechnik, Apparatebau, Atomtechnik, Raumfahrt und Strahlenschutz aufführte. Beinahe unnötig zu erwähnen, dass fünf Bücher und rund 80 wissenschaftliche Aufsätze aus seiner Feder entstanden. Gegenüber österreichischen Behörden bezeichnete er sich wahlweise als Dr. rer. pol. oder als Jurist. Ob er jemals tatsächlich promoviert wurde, ist ungeklärt. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg legte unter dem Datum des 19. März 1963 einen umfangreichen Aktenvermerk über Joklik an.203 Darin heißt es u.  a., dass das Bundeskriminalamt in Wiesbaden wegen Joklik 201 202

203

Dies und das Folgende nach Riegler, Agenten, S. 59f. Als „Direktor der Entwicklungs- und Forschungsabteilung“ dieser Company, deren Sitz er nun allerdings mit Lugano angab, gelang es Joklik im Jahre 1959, einen Artikel mit der Überschrift „Das Gesicht des Atomforschers“ nahezu zeitgleich in mehreren westdeutschen Tageszeitungen unterzubringen, so im „Göttinger Tagblatt“ vom 28. Mai 1959, im „Flensburger Tagblatt“ vom 5. sowie in der „Merziger Volkszeitung“ vom 6.  Juni 1959. In dem Beitrag beklagte Joklik den modernen, von amerikanischer Teamarbeit geprägten Wissenschaftsbetrieb, der sich zunehmend von ethischen Positionen löse und in seiner fragwürdigen Nutzanwendung im Atombombenabwurf auf Hiroshima vorerst seinen traurigen Höhepunkt erreicht habe. Kopie im Archiv des BND, Akte 22564_OT, Bl. 105ff. Auf Bl. 105 findet sich auch der Hinweis, dass Unterlagen, die den militärischen Werdegang Jokliks betreffen, in der ehemaligen Zentralnachweisstelle des Bundesarchivs in Aachen-Kornelimünster lokalisiert und vorübergehend „zur Einsichtnahme“ dem Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln zur Verfügung gestellt worden seien. Dort hätten sich zeitweilig auch „umfangreiche Akten über Joklik“ befunden, die sein Leben im gesellschaftlichen Zwielicht dokumentierten : Ebd., Bl. 106.

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einen „umfangreichen Schriftwechsel mit der „Deutschen Zentralstelle zur Bekämpfung der Schwindelfirmen e. V., Hamburg“ führe. An anderer Stelle des Vermerks werden drei amerikanische Diplome Jokliks als „wertlos“ bezeichnet, da es sich bei den Institutionen, welche die Diplome verliehen hätten, um sog. Degree Mills (Titelfabriken) handle. Kurzum: Ein Blender und Hochstapler von Graden, ein „im Halbdunkel lebender Abenteurer, der nicht umsonst aus der Schweiz ausgewiesen“ wurde, wie das Basler Berufungsgericht einmal formulierte204, trat Anfang der sechziger Jahre in den Dienst Gamal Abdel Nassers. Die Ägypter waren über Mahmoud Khalil an Joklik herangetreten205, weil sie dessen angebliche Expertise bei Gammastrahlen und bei der medizinischen Anwendung von Kobalt nutzen wollten. Bereits 1958 waren der österreichischen Staatspolizei Kontakte Jokliks zu Beamten der ägyptischen Botschaft in Bern aufgefallen. In seinem tabellarischen Lebenslauf hielt Joklik über sich für das Jahr 1962 fest: „Chefberater der Luftwaffe der Vereinigten Arabischen Republik für Fragen der militärischen Anwendung der Atomenergie und Direktor des Forschungszentrums für fortgeschrittene Technologie der Luftwaffe der VAR in Cairo“206. Doch wenig überraschend hielt es Joklik nicht lange am Nil. Angeblich durch die dortige Raketenforschung von einem schlechten Gewissen geplagt, wechselte er irgendwann im Herbst 1962 die Seiten und begann nun für die Israelis zu arbeiten. Dazu weiter unten Näheres. Außer den bisher genannten, ein wenig ausführlich vorgestellten, Experten, waren in der Raketenforschung von Heliopolis noch weitere deutsche und österreichische Fachleute tätig, über die jedoch so gut wie nichts bekannt ist. Um künftige Forschungen zum Thema zu erleichtern, seien ihre Namen mit teilweiser Funktionsangabe wenigstens genannt, so, wie eine um 1960 entstandene Aufzeichnung des BND sie aufführt: Fehrer oder Fahrer, Techniker, Manfred Heidele, Naumann, Techniker, Joachim von Rhoden, Frl. Raedel, Frl. Mathilde Rosenfelder, Heinz Scheidt nebst Gattin, Peter Schütz, Walter Schuran, Rudolf Steinbrunner, Hannelore Vogel geb. Wende sowie Alfred Weiss.207 Bei einigen dieser Namen fehlt die Angabe der Staatsangehörigkeit, bei den übrigen steht „BRD“ und nur der hier nicht erneut aufgeführte Armin Dadieu wurde Österreich zugeordnet. Lediglich Schuran und Scheidt tauchen gelegentlich summarisch in anderen einschlägigen Dokumenten und Publikationen auf, ebenso Mathilde Rosenfelder, die Eugen Sänger nach Heliopolis gebracht haben soll und die dort als Chemikerin tätig war.

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Vgl. „Salzburger Volksblatt“ vom 8. Mai 1964. Hier nach Landesarchiv Salzburg, LAD 1967 d 1340: Verfahrensakt F. O. Joklik, Teil I. Sirrs, Nasser, S. 63. Riegler, Agenten, S. 59, lässt unter Rückgriff auf den deutschen Journalisten Egmont R. Koch Joklik gegenüber den Ägyptern initiativ werden. Landesarchiv Salzburg, LAD 1967 d 1340: Verfahrensakt F. O. Joklik, Teil II. Archiv des BND, Akte 100615_OT, Liste Werk 333/Heliopolis, VS-vertraulich, Bl. 178.

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Kapitel III: „[…] ein zeitgemäß geschliffenes Schwert zu schmieden“

Heinz Krug, die „Intra“ und die „United Arab Airlines“ Obwohl kein Raketenfachmann, aber doch immerhin begeisterter Flieger seit Luftwaffen-Tagen, kommt in unserem Zusammenhang dem 1913 im niederschlesischen Bad Muskau geborenen Heinz Krug eine herausragende Rolle zu. Diese ergibt sich aus seiner Doppelfunktion als Jurist und umtriebiger Beschaffer von Material für das ägyptische Raketenprojekt. Seit im Jahre 2018 die Kinder des später verschwundenen und nie wieder aufgetauchten Heinz Krug ein Buch über ihren Vater veröffentlichten, muss das bislang ohnehin wenig Bekannte über Krug z. T. neu bewertet bzw. müssen die Informationen dieses Buches dem Bekannten gegenübergestellt werden.208 Heinz Krugs ganze Leidenschaft scheint der Fliegerei gegolten zu haben, und so war es für ihn naheliegend, im Zweiten Weltkrieg als Jagdflieger zu dienen. Als solcher operierte er auch in Nordafrika während des Feldzuges von Generalfeldmarschall Rommel. Nach Deutschland zurückgekehrt, wurde er nach Peenemünde abkommandiert, wo er mit seinem „Jugendfreund“ Wernher von Braun arbeitete, so Kaj Rüdiger Krug. Heinz Krug hatte zwar Jura studiert und in diesem Fach auch während des Krieges den Doktortitel erworben, doch war ihm auch ein Faible für Physik und Strahlenforschung eigen, zwei Fächer, die er neben dem Jurastudium als Gasthörer belegte. Mittlerweile verheiratet und seit 1947 Vater seiner Tochter Beate, verdiente er in den ersten Nachkriegsjahren sein Geld mit Luftakrobatik. Gemeinsam mit einem Fliegerkumpel hatte er aus zwei ramponierten Maschinen vom Typ Me 109 eine flugtaugliche zusammengeflickt. 1950 ging Heinz Krug mit seiner jungen Familie – 1951 wurde der Sohn Kaj Rüdiger geboren – als Strafverteidiger nach Freiburg i. Breisgau, um nur wenig später nach München umzuziehen, wo er bei der Allianz Versicherungsgesellschaft die Flugrechtsschutzabteilung aufbaute. Nach dem Zeugnis seines Sohnes war Heinz Krug damals von dem Wunsch erfüllt, im Raketenund Raumfahrtbereich tätig zu werden, doch selbst mit Hilfe Wernher von Brauns sei es den Amerikanern nicht gelungen, Krug aus der Bundesrepublik loszueisen. Denn, so Kaj Rüdiger Krug, sein Vater habe um die „enormen Möglichkeiten“ gewusst, die sich ihm in Deutschland geboten hätten. Dies widerspricht nun allem, was von anderen Raketenfachleuten aus jener Zeit in der Bundesrepublik zu erfahren war. Experten wie Wolfgang Pilz oder Paul Goercke haben immer argumentiert, sie hätten nach Ägypten gehen müssen, da sich ihnen in der Heimat keine adäquaten Beschäftigungschancen eröffnet hätten. 208

Beate Soller-Krug und Kaj Rüdiger Krug, Am Ufer des Nils. Unser Vater „Raketen-Krug“ und der Mossad, Stuttgart 2018. Die nachfolgenden Angaben zum Werdegang Heinz Krugs wurden in dem Buch offensichtlich von Kaj Rüdiger Krug verfasst, sie finden sich in dem Kapitel „Die Karriere eines begabten Mannes“, S. 113–123. Ich danke Beate-Soller-Krug für einige Informationen, ihr Bruder ist 2019 verstorben.

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Raketen made in Egypt „die Zweite“: „Ägypten beginnt in Stuttgart“

Johannes Gaitanides zeichnete in seinem langen, hier bereits herangezogenen Artikel im Donaukurier ein recht ausführliches Charakterporträt Krugs, das ebenso viel Licht wie Schatten enthielt. Die eher unvorteilhaften Seiten sollen hier vernachlässigt werden. Noch recht günstig vermerkte Gaitanides über Heinz Krug: „Ein Virtuose auf der Klaviatur des männlichen Charmes und Hansdampf in allen Gassen, wußte sich seine vitale Kontaktfähigkeit Freunde zu machen und Vertrauen zu erwerben“. Für Krugs wahrscheinlich vorzeitiges und trauriges Ende im Herbst 1962 von womöglich größerer Bedeutung ist das knappe Diktum seines Sohnes über ihn: „Er hätte nur öfters den Mund halten sollen“209. Unter dem unmittelbaren Eindruck seines damaligen Verschwindens hieß es von anderer Seite: „Er weiß zu viel, und er redet zu viel“.

Abb. 13: Vermisst seit September 1962: Heinz Krug 209

Ebd., S. 114.

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Kapitel III: „[…] ein zeitgemäß geschliffenes Schwert zu schmieden“

Auf welchem Wege Heinz Krug schließlich zum Stuttgarter FPS gelangte, bleibt unklar. Eugen Sänger berichtet, dass er nach seinem Herzinfarkt Ende der fünfziger Jahre um Entlastung bei seiner Arbeit im FPS gebeten habe, woraufhin das baden-württembergische Wirtschaftsministerium im Frühjahr 1958 „in der Person des Versicherungsfachmannes, Herrn Dr. jur. Heinz Krug, einen neuen Verwaltungsleiter, der keine Erfahrung in der Verwaltung wissenschaftlicher und gemeinnütziger Institute mitbrachte“, vermittelt habe.210 Johannes Gaitanides zufolge hatte Krug diesen Schritt einem der Allianz-Direktoren zu verdanken. Krug habe beim FPS den Posten des ersten Geschäftsführers übernommen, nachdem Franz Wagner Mitte der fünfziger Jahre das Forschungsinstitut verlassen hatte. Kaj Rüdiger Krug macht keine genauen Angaben, wie sein Vater zum FPS gekommen war. Er erwähnt lediglich ein Wiedersehen seines Vaters mit Eugen Sänger im Jahre 1954: „1954 kam er [Heinz Krug, A. H.] wieder mit dem Strahlenforscher Eugen Sänger zusammen, den er bereits gegen Ende des Zweiten Weltkrieges kennengelernt hatte. Und hier [gemeint ist Stuttgart, A. H.] sollte, nach Peenemünde, der zweite Grundstein für die Entwicklung von Strahltriebwerken gelegt werden“.211 Wenn Krug jr. schreibt, sein Vater habe im FPS „gern“ mit seinem „wissenschaftlichen Chef“ Sänger – ansonsten war Heinz Krug dort nur Bruno Eckert verantwortlich – zusammengearbeitet, ist dies eine höchst einseitige Sicht der Dinge. Der Nachlass Eugen Sängers im Archiv des Deutschen Museums in München enthält zahllose Dokumente, die starke Spannungen zwischen den beiden Persönlichkeiten belegen – um es sachlich zu formulieren. An dieser Stelle nur ein Zitat aus einem Memorandum Eugen Sängers. Nachdem er die Einsetzung Krugs in dessen neue Position als Geschäftsführer des FPS geschildert hatte, heißt es dort: „Schon nach wenigen Wochen zeigte sich, dass der neue Geschäftsführer Mißtrauen zwischen Institutsleitung einerseits und Vorstand, Behörden und wissenschaftlichen Mitarbeitern andrerseits zu säen begann. Prof. Sänger bat daraufhin am 20. Mai 58 den Vorstandsvorsitzenden und dessen Stellvertreter um Ablösung des Geschäftsführers vor Ablauf von dessen Probezeit, was jedoch brüsk abgelehnt wurde“. Sänger erwähnt noch einen erneuten Vorstoß im Stuttgarter Ministerium mit dem als „dringend“ bezeichneten Wunsch, es möge eine Ablösung erfolgen. Und obwohl auch der Bundesrechnungshof Kritik an Heinz Krug übte, verblieb dieser in seinem Amt.212 Dann trat vorübergehend eine Wende ein: Sänger und Krug hatten ein „gemeinsames Hobby entdeckt“, wie

210

211 212

Vgl. Archiv des Deutschen Museums, München, NL 230, vorl. Nr. 1859, „Bericht über meine Forschungstätigkeit in Deutschland und sich in diesem Zusammenhang ergebende Rechtsfragen, E. Sänger“, S. 2. Vgl. Soller-Krug/Krug, Ufer, S. 121. Archiv des Deutschen Museums, München, NL 230, vorl. Nr. 1853/2, „Memorandum über die Behandlung des Forscherehepaares Sänger in Stuttgart, gez. E. Sänger, 14. Januar 1963“, Bl. 1f.

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Raketen made in Egypt „die Zweite“: „Ägypten beginnt in Stuttgart“

der „Spiegel“ schrieb, „die Ägyptenhilfe“213. Auch Heinz Krug, neben seiner Geschäftsführertätigkeit im FPS in gleicher Funktion auch bei der „Deutschen Gesellschaft für Hubschrauber“ tätig, verschrieb sich dem Ägypten-Abenteuer seiner Kollegen im Stuttgarter Institut. Kein Geringerer als Eugen Sänger hatte sich bei Mahmoud Khalil für ihn als Teilnehmer der FPSGruppe in Ägypten stark gemacht. Nicht auszuschließen, dass er glaubte, den ungeliebten Geschäftsführer so besser unter Kontrolle halten zu können, statt ihn in Stuttgart ungehindert walten zu lassen, während er, Sänger, Vorlesungen in Kairo hielt. In den Jahren 1960 und 1961 flog Krug häufig nach Kairo, hielt an der dortigen Universität Vorträge über Luftrecht und erfreute sich nach einiger Zeit sogar des Diplomatenstatus. Die ägyptische Regierung ernannte ihn zum „Sonderbotschafter“ der Republik am Nil. Die Formulierung seines Sohnes Kaj Rüdiger zu dieser Statusänderung: „Sein Diplomatenpass vereinfachte seine Arbeit in vielen Fällen“214, darf als freundliche Verschleierung des Umstandes gelesen werden, dass Krug mit diesem Instrument Manches an Material für den Raketenbau unter den Pyramiden durch den deutschen und ägyptischen Zoll schleusen konnte, was diese besser nicht zu Gesicht bekommen sollten. Denn Krugs maßgeblicher Beitrag zur Raketenforschung in der Wüste Ägyptens war die Gründung der Intra Handelsgesellschaft mbH215, die, vergleichbar der Meco und der MTP AG in der Schweiz für den Flugzeugbau, die Beschaffung von Material für die Raketenkonstruktion organisierte. Über die Intra informiert ausführlich ein längeres Fernschreiben des BND an Oberregierungsrat Schnell im Bundesverteidigungsministerium, dem eine Anfrage des Ministeriums vorausgegangen war. Der BND bat zu Beginn des Schreibens, dafür Sorge zu tragen, dass „bei einem etwaigen Vorgehen gegen Dr. Krug und Andere hiesige Kreise nicht gestört werden“216. Mit dem „etwaigen Vorgehen“ war ein vom Bundesverteidigungsministerium als einem der wesentlichen Geldgeber des FPS eingeleitetes Untersuchungsverfahren gegen Heinz Krug „wegen des Verdachts der Untreue im Zusammenhang mit seiner Geschäftsführertätigkeit beim FPS“ gemeint.217 Nach den Erkenntnissen des Nachrichtendienstes war die Intra, die ihre Büroräume in der Stuttgarter Königstraße hatte, mit Datum des 1. September 1960 im Handelsregister des Amtsgerichts Stuttgart eingetragen worden. Das Stammkapital betrug 25 000 DM, wobei Heinz Krug eine Einlage in Höhe von 20 000 DM und eine Frau Dr. med. Habermeyer eine solche in Höhe von 5000 DM tätigte. Krug war alleiniger Geschäftsführer, während Frau

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Der Spiegel Nr. 40 vom 3. Oktober 1962, „Raketen-Krug“. Soller-Krug/Krug, Ufer, S. 123. Eine Auflösung des Kürzels Intra findet sich höchst selten. Es steht für „International Trade Agency“. Archiv des BND, Akte 24881_OT, Bl. 124. Das Folgende nach ebd., Bl. 124–127. Ebd., Schreiben des Präsidenten des BND an den Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Hans Globke – „persönlich und geheim“ – vom 24. August 1962, Anlage 4.

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Kapitel III: „[…] ein zeitgemäß geschliffenes Schwert zu schmieden“

Habermeyer in der Firma nicht tätig war.218 Laut dem Handelsregistereintrag umfasste der Geschäftsgegenstand den Innen- und Außenhandel mit Waren aller Art sowie die Entwicklung technischer Geräte. Im Bundesverteidigungsministerium sah man die Gründung der Intra ganz nüchtern, wie eine Aufzeichnung des BND über ein Gespräch in dem Ministerium vom 27. Juni 1961 erkennen lässt. „Einige Angehörige des FPS, so u. a. Prof. Dr. Eugen Sänger, Dr. Krug und Pilz“ seien „hinter dem Gelde her wie der Teufel hinter der armen Seele“, zitierte die Aufzeichnung einen Ministeriumsvertreter „wörtlich“. Es liege „daher durchaus im Rahmen“, so der Ministeriale weiter, dass die „maßgeblich Beteiligten eine Firma gegründet haben, um ihre fachlichen Kenntnisse in größerem kommerziellen Sinne auszunutzen. Erstaunlich sei jedoch, daß zum Geschäftsführer der INTRA-Handelsgesellschaft mit Dr. Krug eine Person bestimmt worden ist, die bisher größere Differenzen mit Prof. Dr. Eugen Sänger und dessen Ehefrau gehabt hat“.219 In einer anderen Notiz des BND hieß es, Heinz Krug und die Intra benutzten Eugen Sänger als „Angelpunkt“ zur Firma Bölkow in Ottobrunn bei München. Zwischen Bölkow und dem Ehepaar Sänger bestünden immer noch „freundschaftliche Beziehungen“, die aus der Zeit resultierten, als Bölkow noch in Stuttgart-Echterdingen zuhause war.220 Tatsächlich, so das erwähnte BND-Fernschreiben, fungiere die Intra „hauptsächlich als Einkaufsgesellschaft. Zu ihren Hauptkunden zählt die ägyptische Luftfahrtgesellschaft ‚United Arab Airlines‘ (UAA), mit deren Stuttgarter Zweigstelle die Intra […] eine Bürogemeinschaft unterhält. Von der UAA hat die Intra […] einen Exklusivauftrag für die Beschaffung aller technischen Ersatzteile der von der UAA geflogenen Flugzeugtypen. Darüber hinaus ist die Intra […] im Rahmen der in der VAR laufenden Entwicklungsvorhaben verschiedener Art (Raketen-Strahlantriebe usw.) als Einkäuferin von Einzelteilen eingeschaltet. Hierfür bringt […] Dr. Krug die erforderlichen Verbindungen mit. Schließlich beabsichtigt die Intra […] für die VAR Entwicklungsaufträge durch Firmen (Anlagenbau Lurgi, Chemieanlagenbau Uhde u. a.) in der BRD planen und ausführen zu lassen […]“. Auch die UAA-Vertretung in Frankfurt am Main war nach Erkenntnissen des BND in Lieferungen aller Art an Kairo verwickelt. Aufgrund der Nähe des Frankfurter Flughafens zum Rüstungs- und Maschinenhersteller Fritz Werner AG in Geisenheim am Rhein dürfte ein großer Teil der Käufe für das ägyptische Raketenprogramm bei dieser Firma über die UAA

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219 220

Tätig in der Intra war hingegen Bärbel Pilz, die Tochter von Wolfgang Pilz, die 1961 aus Berlin nach Nellingen auf den Fildern bei Stuttgart, dem Wohnsitz ihres Vaters nach dessen Zeit in Frankreich, gezogen war. In Berlin-Charlottenburg lebte damals die von Wolfgang Pilz getrennt lebende Ehefrau Hildegard Pilz. Ebd, „Notiz über Besprechung im BMVtdg. am 27.6.1961 (auszugsweise)“, Bl. 031–32. Ebd., Bl. 036–37.

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Frankfurt abgewickelt worden sein.221 Ins Visier der Nachrichtendienstler geriet die Frankfurter UAA-Filiale jedoch durch den Journalisten Ben Porat von der in Tel Aviv erscheinenden Tageszeitung „Yedioth Acharonoth“. Porat hatte sich laut einem Aktenvermerk des BND vom 29.  April 1963 an eine „Ermittlungsbehörde der BRD“ wegen eines möglichen Verstoßes der Gießener Firma EVAUGE222 gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz der Bundesrepublik von 1961 gewandt. Die EVAUGE, von der in unserer Geschichte noch gelegentlich die Rede sein wird, liefere oder verhandle über die Lieferung von Kraftfahrzeugen nach Ägypten, die dort „vermutlich als Abschußbasen für Raketen für die ägyptische Armee bestimmt“ seien.223 Bei einer Vernehmung des Geschäftsführers der EVAUGE, Kurt Schubert, durch die Gießener Kriminalpolizei ergab sich, dass dieser zwischen Ende September und Mitte November 1962 insgesamt viermal am Nil gewesen war, dabei zweimal in Begleitung leitender Mitarbeiter der Firma. Im Anschluss an seine Vernehmung „gab Schubert folgende Hinweise“, heißt es in dem Vermerk des BND: Im Frankfurter UAA-Büro seien drei Mitarbeiter des ägyptischen Geheimdienstes tätig, darunter ein deutscher Staatsangehöriger. Alle drei arbeiteten für Mahmoud Khalil in Kairo. Dort betrachte man die drei als „äußerst wichtig“, da sie in Frankfurt „für die Beschaffung von Nachrichten und für den Transport von illegalem Material sowie für den reibungslosen Flug von Personen verantwortlich“ seien, die „ohne Flugkarten mit den UAA von Frankfurt nach Kairo reisten und nicht auf den Passagierlisten“ stünden. Mit den Verkehrsmaschinen der UAA vom Typ Comet werde illegales Material, darunter Waffen und Munition […] geflogen. Der Transport nach Kairo erfolge „in der Regel dienstags, donnerstags und samstags“ direkt von Frankfurt nach Kairo. Und weiter: „Illegales Material käme z.  T. aus Berlin, werde mit Verkehrsmaschinen der Pan American Airways von Berlin nach Frankfurt geflogen und sofort in die auf dem dortigen Flughafen wartende Comet umgeladen; es werde z. B. als „Haushaltsware“ deklariert. Schubert will selbst gesehen haben, wie bei einem Flug, den er mit einer

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Jürgen Kleinwächter, der Sohn des Elektronikspezialisten Hans Kleinwächter in Kairo, bestätigte in einem Telefonat mit dem Verfasser vom 13. Dezember 2020 Lieferungen der Fritz Werner AG für die deutschen Experten in Ägypten. Ich danke Herrn Kleinwächter für diese und weitere Informationen. EVAUGE steht für „Erfassungs- und Verkaufsgesellschaft mbH & Co KG., Gießen“. Als Zweck ihres Gewerbes gab die EVAUGE beim Eintrag in das Handelsregister an: „Erfassung von Industrierohstoffen und Großhandel mit diesen Stoffen. Import und Export jeder Art sowie An- und Verkauf von Waren aller Art. Vermietung von Maschinen und Geräten aller Art“. Ich danke Frau Barbara Tuczek vom Hessischen Staatsarchiv in Darmstadt für diese Informationen. Archiv des BND, Akte 100615_OT, Bl. 119.

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Kapitel III: „[…] ein zeitgemäß geschliffenes Schwert zu schmieden“ Verkehrsmaschine der UAA von Frankfurt nach Kairo absolvierte, Kisten mit Pistolen des Fabrikats ‚Smith & Wesson‘ sowie Granatwerfermunition transportiert worden sei“.

In Ägypten, so Schubert weiter, „hätten sich leitende Offiziere damit gebrüstet, daß es möglich sei, unter den Augen der deutschen Behörden Waffen und Munition von Deutschland nach Ägypten zu verbringen. Die Ägypter hätten ein System entwickelt, wonach der Transport fast risikolos sei“.

Vor allem für spätere Ereignisse, von denen noch die Rede sein wird, ist die Information nicht ganz unwichtig, dass Otto F. Joklik als eine der für die Ägypter „wichtigsten Personen“ bei den UAA einen „Arbeitsnamen“ getragen habe. Solange er für die Ägypter tätig war, nannte er sich bei den UAA „Mr. Samir“. Nur unter diesem Namen sei Joklik bei der Frankfurter UAA bekannt gewesen. Laut Mitteilung der Gießener Kripo vom 10. April 1963 hatte Joklik Schubert von der EVAUGE auch wegen „Heeresguts“ angesprochen, welches er in Ägypten anbieten wolle. Schubert habe daraufhin „durchblicken lassen“, dass er Raketenlafetten besorgen könne, was Joklik zu der Bemerkung veranlasst habe, damit könne er in Ägypten „groß ins Geschäft kommen“. Schubert habe dann Lafetten von den amerikanischen Streitkräften in Süddeutschland aufgekauft und in Ägypten angeboten. „Die Herren in Ägypten hätten ihm aber die Lafetten nicht abgenommen“, so die Kripo Kurt Schubert wiedergebend. Doch zurück zu Eugen Sänger und dem FPS. Nach einer Darstellung von Eugen Sänger nutzten verschiedene Institutsmitarbeiter, die an dem Ägypten-Projekt beteiligt waren, ihre tägliche Dienstzeit in Echterdingen auch, um in die Stuttgarter Innenstadt zu fahren, wo sie sich in den Räumen der Intra über künftige Materiallieferungen nach Ägypten unterhielten. Er selber will das Büro nur einmal betreten haben. Irene Sänger-Bredt machte die Intra-Abstecher während der Dienstzeit im Hause publik, wodurch sie sich umgehend eine Beschwerde „der Herren Goercke und Krug wegen allgemeiner Unverträglichkeit“ einhandelte, was wiederum am 20. April 1961 zu ihrer Entlassung als stellvertretende Institutsleiterin durch Bruno Eckert führte.224 Raketen made in Egypt „die Zweite“: Dieser Abschnitt über einen zweiten Versuch einer eigenen ägyptischen Raketenentwicklung unter deutscher Leitung lässt sich in zwei Phasen gliedern.

224

Archiv des Deutschen Museums, München, NL 230, vorl. Nr. 1859, „Bericht über meine Forschungstätigkeit in Deutschland und sich in diesem Zusammenhang ergebende Rechtsfragen, Eugen Sänger, 4. November 1961“, Bl. 5.

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Raketen made in Egypt „die Zweite“: „Ägypten beginnt in Stuttgart“

Die erste Phase beginnt mit den erfolgreichen Anwerbungen Mahmoud Khalils unter den Stuttgarter Forschern, sie umfasst ferner die recht kurze Zeit der quasi ambulanten Tätigkeit dieser Experten vor Ort und endet mit dem vorzeitigen Ausscheiden Eugen Sängers sowohl aus seinem Ägypten-Engagement als auch aus dem Stuttgarter Forschungsinstitut im Herbst 1961. Die zweite Phase ist gekennzeichnet durch die nunmehr teilweise stationäre Forschungsarbeit der Sängerknaben am Nil ohne Eugen Sänger, also vor allem Wolfgang Pilz, Paul Goercke, Reinhold Strobel und Heinz Krug, später ergänzt um den Elektronikfachmann Hans Kleinwächter.

Forschung am Nil, Entscheidungen in Bonn und Krach im FPS Nur elf Tage nach der ersten Kontaktaufnahme Mahmoud Khalils mit Eugen Sänger im StuttgarterFPS reiste Sänger zusammen mit dem Triebwerksexperten Pilz und dem Elektronikfachmann Goercke am 19. März 1960 nach Kairo. Für Goercke sprach aus Sängers Sicht insbesondere dessen Ägyptenerfahrung aus der CERVA-Zeit mit Rolf Engel Anfang der fünfziger Jahre. Pilz und Goercke sollten in Heliopolis an der Entwicklung einer zweistufigen Höhensonde für meteorologische Zwecke arbeiten – so die offizielle Version ihres Tuns. Vertikal aufsteigend, sollte sie eine Nutzlast von 100  kg in eine Höhe von 500  km bringen. Die erste Stufe war eine mit 20 t Schub konzipierte und damit vergrößerte Véronique, für deren Entwicklung Wolfgang Pilz verantwortlich zeichnete; die zugehörige Elektronik war das Feld Paul Goerckes. Da die Véronique seit 1956 durch Veröffentlichungen in allen Einzelheiten bekannt war, hatten die „deutschen Wissenschaftler“, so eine Aufzeichnung des BND von 1963, „keine Bedenken, bei einem solchen Projekt beratend mitzuwirken“. Eugen Sänger fiel die Aufgabe zu, an der Universität Kairo Vorlesungen aus seinem Fachgebiet zu halten, eine Tätigkeit, die gelegentlich auch Goercke und Pilz hinsichtlich ihrer Spezialgebiete wahrnahmen. Die Gesamtleitung des deutschen Teams lag bei Eugen Sänger, dem später auch die Verantwortung für die zweite Raketenstufe bei erneuter Elektronikexpertise Paul Goerckes zufallen sollte.225 Ein wenig ungenau und in einem wichtigen Punkt fahrlässig blickte der im Jahre 2009 erschienene Erinnerungsband „50 Jahre DLR Lampoldshausen“ auf die Tätigkeit der Sänger & Co. in Ägypten zurück.226 Vermutlich die Brisanz ihrer Aussage nicht erfassend, schreibt die Autorengruppe des Bandes von einer „Beteiligung deutscher Techniker am ägyptischen Raketenprogramm, 225

226

Archiv des BND, Akte 100615_OT. Aufzeichnung vom 2. Juli 1963 unter dem Fall „Waren-GmbH“, Bl. 192. Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (Hg.), 50 Jahre DLR Lampoldshausen, Köln 2009.

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das direkt gegen Israel gerichtet war“.227 „Direkt gegen Israel“ – so viel Eindeutigkeit hätten sich Eugen Sänger und seine Sängerknaben mit Sicherheit energisch verbeten und die Autoren des Erinnerungsbandes zumindest als Nestbeschmutzer geziehen. Wenigstens für die Zeit, in der Sänger seine Gruppe am Nil führte, also die erste Phase des neuerlichen Raketenbaus unter deutscher Leitung, wird man wahrscheinlich eher von einer zivilen Ausrichtung des ägyptischen Raketenprogramms ausgehen können. Diese Differenzierung nimmt der Erinnerungsband jedoch nicht vor, die militärische Ausrichtung gegen Israel gilt hier umstandslos von Anfang an. Mit großer Wahrscheinlichkeit rückte der militärische Verwendungszweck erst nach der frühzeitigen Demission Eugen Sängers und der dann eintretenden Leitung des deutschen Teams durch Wolfgang Pilz in den Vordergrund. Unter den Beteiligten aus Stuttgart bestand zunächst in Absprache mit der FPS-Institutsleitung die Absicht, für ihr Ägypten-Engagement den ihnen tariflich zustehenden Urlaub zu nutzen. Dies war ein kritischer Punkt, wie sich später herausstellen sollte. Denn nach Auffassung der Ägypten-Söldner war diese Regelung mit dem vertraglich vereinbarten Begriff der „zulässigen Nebenbeschäftigung“ im heimatlichen Forschungsinstitut durchaus zu vereinbaren. Aufgrund der Verhandlungen Heinz Krugs mit den verantwortlichen Ägyptern wurde als Entgelt für die Dienste Sängers, Pilz’, Goerckes und Krugs 7 % von 30 Millionen DM, also rund zwei Millionen DM, vereinbart. Dieses Honorar sollte unter den Genannten nach dem Schlüssel 30:30 und 20:20 aufgeteilt werden. Armin Dadieu erhielt für seine Mitarbeit ein Sonderhonorar, die Höhe der Entlohnung des später hinzutretenden Reinhold Strobel ist unbekannt. Rolf Engel hat 1963 vor Vernehmungsbeamten des LKA Baden-Württemberg in Freudenstadt eine interessante These über die ägyptischen Geldquellen für das Raketenprojekt geäußert. „In Fachkreisen wurde vielfach die Vermutung ausgesprochen“, so Engel, „daß die ägyptischen Geldmittel für die Raketenproduktion aus dem Osten stammen, um damit deutsche Fachkräfte aus der Bundesrepublik abzuziehen“228. Ein Beleg für diese Vermutung hat sich bislang nicht finden lassen. In Kairo angekommen, sahen sich die Stuttgarter Experten mit Bedenken der ägyptischen Seite hinsichtlich einer Verknüpfung ihrer künftigen Forschungsarbeiten mit dem FPS konfrontiert; man fürchtete in Kairo, dass die Interna über die Arbeiten am Nil weiteren Kreisen bekannt werden könnten. Heinz Krug schlug nun vor, die Mitglieder seiner Gruppe mit Privatverträgen auszustatten, was schließlich die Billigung aller Beteiligten vor Ort fand und Krug die Aufgabe zuwies, die Vertragsbedingungen auszuhandeln. Schließlich willigten die Ägypter sogar ein, dass nicht nur alle von der Gruppe Sänger erzielten Ergebnisse der Bundesregierung

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Ebd., S. 42. Ebd., Akte 22564_OT, Vernehmungsniederschrift (Kopie) vom 1. April 1963, Bl. 157.

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zugänglich sein sollten, sondern dass darüber hinaus Bonn die Versuchsanlagen vor Ort nutzen könne, wenn es dies wünsche. Wolfgang Pilz hatte nach Sängers Darstellung durch das Ägypten-Engagement wahrscheinlich bei der Stange gehalten werden können, trug er sich doch angesichts der bürokratischen Abläufe im Stuttgarter Institut mit Abwanderungsgedanken aus Deutschland. Während Heinz Krug mit den Rechtsfragen beschäftigt war, gingen seine Stuttgarter Kollegen daran, mit der Unterweisung ägyptischer Ingenieursgruppen zu beginnen. Bereits bei seinem nächsten Besuch in Kairo am 10. Mai 1960 – laut der Journalistin Inge Deutschkron stand seit 1960 auf dem Flughafen Echterdingen „stets eine Chartermaschine“ für die Gruppe um Sänger bereit 229 – meinte Sänger „bereits ein erstaunlich intensives und wohlgelungenes Anlaufen der Entwicklungsarbeiten feststellen“ zu können. Hierüber habe er anschließend auch Bruno Eckert in einer persönlichen Unterredung unterrichtet. Eckert habe bei dieser Gelegenheit  – und dies ist zum Verständnis der nachfolgenden Entwicklung wichtig  – auf die „Tatsache“ hingewiesen, „daß der Auftrag auf seine Empfehlung zustande gekommen wäre“230, hielt Sänger in seinem hier bereits mehrfach herangezogenen Memorandum vom Januar 1963 fest. Frappierend ist, was in dem recht detaillierten Memorandum nicht vorkommt: Der bereits erwähnte, völlig überraschende Start der israelischen Höhensonde Shavit II am 5. Juli 1961. Immerhin hatte der BND, wie gezeigt worden ist, diesen Start irrtümlich als den Auslöser für den Start des zweiten ägyptischen Raketenprogramms interpretiert. Doch so belanglos, wie Sänger den israelischen Erfolg durch dessen Auslassung in seinem Memorandum offenbar erscheinen lassen wollte, war er für die Raketenbauer am Nil wohl doch nicht. Das Problem war die Bezeichnung Shavit II. Mit ihr versuchte man in Tel Aviv ganz offensichtlich, die Ägypter an der Nase herumzuführen, denn eine Shavit I hatte es nie gegeben; eine „zweite“ Shavit mochte aber wohl die Wahrscheinlichkeit eines bereits fortgeschrittenen israelischen Raketenprogramms suggerieren. Wie dem auch sei: Mahmoud Khalil als Verantwortlicher für das ägyptische Programm zitierte einigermaßen nervös Eugen Sänger zu sich und wollte von ihm wissen, was einige Fotos mit der israelischen Rakete zeigten. Es handle sich nur um eine harmlose meteorologische Sonde, soll Sänger ihn zu beruhigen versucht haben. Doch der Ägypter habe nur geantwortet: Es sei ihm egal, ob meteorologisch oder nicht, es müsse jetzt schneller gearbeitet werden, man dürfe nicht zurückfallen.231

229 230

231

Deutschkron, Israel, S. 230. Archiv des Deutschen Museums, München, NL 230, vorl. Nr. 1853/2, „Memorandum über die Behandlung des Forscherehepaares Sänger in Stuttgart, Eugen Sänger, 14. Januar 1963“, Bl. 3. So jedenfalls die Darstellung bei Michael Bar-Zohar, Die Jagd auf die deutschen Wissenschaftler, Frankfurt 1966, S. 277. Vgl. auch Sirrs, Nasser, S. 42.

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Für das Jahr 1960 und die erste Jahreshälfte 1961 nennt Eugen Sänger jeweils einwöchige Aufenthalte in Kairo, die er in dreimonatigen Abständen gemeinsam mit Wolfgang Pilz und Paul Goercke absolviert habe. Dabei hielten sie, ergänzt gelegentlich durch Armin Dadieu, Vorlesungen und arbeiteten an der Raketenentwicklung. Pilz, später von Präsident Nasser persönlich zum Professor ernannt, hielt sich länger als ursprünglich geplant in Kairo auf und nahm dafür unbezahlten Urlaub. Unter Missbilligung Eugen Sängers nahm Pilz seinen Mitarbeiter Heinz Scheidt mit an den Nil. Goercke beschäftigte angeblich in Stuttgart seinen Mitarbeiter Schreyer etwa ein halbes Jahr lang mit dem Auftrag, den elektronischen Teil der Rakete nach einem Blockschaltbild auszuarbeiten. Seit Ende 1960 betraute Goercke dann den Lörracher Elektronikfachmann Hans Kleinwächter mit dieser Aufgabe. Auch der „Österreicher“ Otto Joklik gesellte sich etwa um diese Zeit der Gruppe in Heliopolis zu. Im Herbst 1960 begannen sich dunkle Wolken über dem Stuttgarter Institut und seinen Ägypten-Enthusiasten zusammenzubrauen. Zu jener Zeit suchte der Vorstandsvorsitzende des FPS, Bruno Eckert, wieder einmal das Institut in Echterdingen auf und fand angeblich zu seiner Überraschung weder Sänger noch Pilz, Goercke oder Dadieu im Hause vor. „Völlig schimmerlos“ habe Eckert gerufen: „Meine Herren, wo stecken Sie denn eigentlich?“ Worauf ihm die Antwort zuteilwurde, die Gesuchten hätten seit einiger Zeit Vorlesungen in Kairo übernommen – von Raketen kein Wort.232 Dass Eckert völlig „schimmerlos“ gewesen sein soll, erscheint höchst unglaubwürdig, zumal er die eigentlich treibende Kraft hinter dem ÄgyptenEngagement seiner Experten am FPS war. Darüber hinaus mussten ihm die Umtriebe rund um die im Sommer von Heinz Krug gegründete Intra bekannt sein. Nach der Freigabe einschlägiger Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes scheint inzwischen viel dafür zu sprechen, dass Sänger und seine Mitstreiter einer konzertierten Aktion zwischen dem Dienst, dem Bundesverteidigungsministerium (BMVtg.) und dem Bundesverkehrsministerium (BMV) zum Opfer fielen. Eine von Dr. Hermsdorf unterschriebene Aufzeichnung des BND zur Operation „Galavorstellung“ – dahinter verbarg sich die Befassung des Dienstes mit der Intra, dem FPS sowie der „Deutschen Gesellschaft für Raketentechnik und Raumfahrt e. V.“ (DGRR) – vom 3. August 1961 hielt wichtige Ergebnisse einer Besprechung des BND im Verteidigungsministerium fest.233

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233

So der baden-württembergische Wirtschaftsminister Eduard Leuze vor dem Stuttgarter Landtag am 1. Dezember 1961: Archiv des Deutschen Museums, München, NL 230, vorl. Nr. 1859. Archiv des BND, Akte 24881_OT, Tgb.- Nr. 12303/61–535/61, geheim, Bl. 112. „Der Spiegel“ berichtete in seiner Nr. 35 vom 27. August 1973 unter der Überschrift „Dicke Brocken“ über die zahlreichen Aliasnamen Hermsdorfs. Als Dr. Erwin Hauschildt soll er enge Kontakte zu dem Waffenhändler Gerhard Mertins unterhalten haben. Auch eine Verwicklung in die sog. Steiner-Affäre um die gekauften Stimmen beim Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt vom 27. April 1972 wird in dem Artikel angedeutet.

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Punkt 1 des Papiers erklärte, das BMVtg. sowie das Verkehrsministerium – als wichtige Geldgeber des FPS  – wollten „jetzt organisatorische Veränderungen“ in dem Stuttgarter Institut herbeiführen mit dem Ziel, „die Leitung des Instituts, die sich zur Zeit praktisch in Händen von Prof. Dr. Sänger befindet, einem Vorstand zu übertragen“. Dabei wolle man die Intra außen vor lassen, „so daß die seitens des BND bestehenden“ nachrichtendienstlichen „Interessen nicht berührt werden“234. Weiter heißt es: „Die organisatorischen Veränderungen sollen auf die Gefahr durchgeführt werden, daß mehrere leitende Mitarbeiter des FPS (z. B. Prof. Dr. Sänger, Prof. Goercke, Dipl.-Ing. Pilz, Dr. Krug) ausscheiden. Das BMVtg. hat hierfür entsprechenden Ersatz an der Hand“. Mitbestimmend für diese Entscheidung sei u.  a. der Umstand gewesen, „daß sich die Tätigkeit … Sängers auf die Zusammenarbeit mit den USA als sehr störend auswirkt. Wie amerikanische Stellen gegenüber dem BNVtg. durchblicken ließen, stößt man sich insbesondere an dem Opportunismus […] Sängers“. Was mit dem angeblichen Opportunismus Sängers konkret gemeint war, wird aus dem Papier nicht deutlich.235 Punkt 2 der Aufzeichnung vermerkte, dass man seitens des BND dem BMVtg. telefonisch mitgeteilt habe, dass man „keine Einwendungen“ habe, sofern die „oben genannten nachrichtendienstlichen Interessen nicht gefährdet sind“, und Punkt 3 hielt abschließend fest, dass „die operativen Maßnahmen gegen die Intra […] angelaufen“ seien. Am 26. September 1961 fand im Verteidigungsministerium eine Ressortbesprechung zum Komplex Galavorstellung statt, an der Vertreter des Auswärtigen Amtes, des BND – vertreten durch Hermsdorf – sowie des Verteidigungs- und des Verkehrsministeriums teilnahmen. Hermsdorf erklärte für den BND nach einer Aufzeichnung über die Besprechung, dass infolge der durch die Operation Galavorstellung gewonnenen Erkenntnisse die Tätigkeit von Personen des FPS „im Rahmen der von ihnen gegründeten Intra […] aus nachrichtendienstlichen Erwägungen nicht zu vertreten“ sei. Aufgrund der Verzahnung von FPS und Intra „sei die Abschirmung der im FPS gewonnenen nationalen und supranationalen rüstungstechnischen Erkenntnisse daher nicht gewährleistet“. Die im BMVtg. versammelte Runde beschloss daher, Sänger, Goercke, Krug und Pilz „fristlos zu entlassen, weil diese Personen in gröblicher Weise das Treueverhältnis zum FPS verletzt hätten“. Anschließend wurde Bruno Eckert als FPS-Vorstandsvorsitzender zu der Besprechung „hinzugezogen“ und ihm der Beschluss eröffnet. 234

235

Aus anderen BND-Dokumenten zum FPS/Intra-Komplex geht u.  a. hervor, dass man beim BND auch Handelsaktivitäten der Intra in Richtung des sozialistischen Jugoslawiens kritisch sah. Vgl. dazu die Charaktereigenschaften Sängers, wie sie der BND festgestellt haben wollte: „Sänger ist sehr von sich eingenommen, eitel, geltungsbedürftig, ein Wissenschaftler, der irgendwelche Sicherheitsbedenken kaum kennt […] Geheimhaltungsvorschriften wird er nie bewußt verletzen. Es fehlt ihm aber gelegentlich das politische Fingerspitzengefühl“. Vgl. Archiv des BND, Akte 24881_OT, Anlage Nr. 1, Sänger, Galavorstellung, Bl. 036 und 038.

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Dann folgen unter Punkt 3 des Papiers jene Sätze, welche die maßgebliche Beteiligung des BND an der Aktion gegen Sänger und seine Kollegen deutlich machen. „Die Vertreter des BMVtg. und des BMV dankten dem BND für die geleistete Hilfe, durch die sie, wie sie sagten, in die Lage versetzt worden seien, ein klares Bild über die Situation, insbesondere auch in nachrichtendienstlicher und damit sicherheitsmäßiger Hinsicht zu erlangen. Der kürzlich zum Ministerialdirektor ernannte General a. D. Kreipe bat, [es folgt ein in Ziffern chiffrierter Name, A. H.] persönlich besondere Grüße und Dank zu übermitteln […] Die Operation Galavorstellung läuft mit der bekannten Zielrichtung weiter“236.

Im Auswärtigen Amt bestätigte der Vortragende Legationsrat I. Klasse, Heinz Voigt, in einer Aufzeichnung vom 27.  September 1961 im Wesentlichen die Ergebnisse der Ressortbesprechung im BMVtg, wurde aber hinsichtlich der Begründung für die fristlose Entlassung der Betroffenen ein wenig deutlicher. Man warf Sänger und seinen Männern in Ägypten nun vor, mit „Bundesmitteln“ und im „verbündeten Ausland“ erworbene Erkenntnisse, nämlich in den USA – das betraf Sänger – und in Frankreich – das bezog sich auf immer noch bestehende Verbindungen von Wolfgang Pilz dort hin – „auf eigene Rechnung“ an die VAR weiterverkauft“ zu haben. Voigt rechnete mit einer möglichen Verärgerung in Kairo wegen Sängers Entlassung, dem stehe jedoch die Tatsache entgegen, dass die Raketenforschung in Ägypten „in erster Linie militärische Verwendung“ anstrebe, und man nun mit dem Schritt gegen Sänger und seine Gruppe zu erwartenden Vorwürfen Israels entgegentreten könne.237 Doch erst Anfang Oktober 1961 kam es zum Showdown zwischen staatlichen deutschen Stellen auf der einen sowie Sänger und seinen Mitarbeitern auf der anderen Seite. Befragt nach seinen Aktivitäten am Nil, antwortete Sänger, er habe lediglich Vorlesungen während seiner Urlaubszeit gehalten, und diese Arbeit überschreite nicht die mit dem FPS vertraglich vereinbarte, zulässige Nebentätigkeit. In Bonn sah man das anders. Anfang November erhielt Bruno Eckert einen Brief aus dem Bundesverkehrsministerium, in dem das Ausscheiden Sängers „auf dessen eigenen Wunsch“ gefordert wurde. Für den Fall, dass er sein Amt nicht freiwillig niederlege, sei die fristlose Kündigung auszusprechen. Als Begründung wurde eine Überschreitung der vertraglich zugelassenen Nebentätigkeit über das „zumutbare Maß hinaus“ angegeben. Auch zwischen einigen Bundesministerien kam es zu Reibereien wegen der Vorgänge in dem Stuttgarter Institut. Außenminister Heinrich von Brentano schrieb am 5. Oktober 1961 einen geharnischten Brief an seinen Kollegen Hans-Christoph Seebohm im Verkehrsministerium, 236 237

Ebd., Bl. 117f. AAPD, 1961, Bd. II, Berlin 2018, Nr. 373.

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in dem er sich über die Tätigkeit Sängers und seiner Fachleute in Ägypten empört zeigte. „Ich weiß nicht, welche Erwägungen dazu führten, ein solches Institut in der Form eines bürgerlichrechtlichen Vereins zu errichten; und ich weiß auch nicht, warum ein Vorstandsmitglied der Firma Daimler-Benz, Herr Dr. Eckert, zum Vorstand dieses Vereins bestallt worden ist“, hieß es in dem Schreiben. „Aber ich fürchte“, fuhr von Brentano fort, „daß diese Konstruktion praktisch dazu führt, daß diese Herren schwer zu belangen sein werden, da sie offenbar nicht in einem Beamtenverhältnis standen. Trotzdem halte ich die Prüfung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für unerläßlich“.

Es gehe bei der ganzen Angelegenheit „nicht nur um das Vertragsverhältnis zu diesen ‚vier Wissenschaftlern‘; es geht auch nicht nur um die Frage, was wir tun können, um eine weitere Tätigkeit dieser Leute zu verhindern, auch vielleicht durch Maßnahmen gegen diese sogenannte Intra-Handelsgesellschaft. Denn ich rechne damit, daß man uns über kurz oder lang sehr peinliche Fragen stellen wird“238.

Damit hatte der Minister ahnungsvoll in die Zukunft geblickt. Es kam dann nicht zu strafrechtlichen Untersuchungen gegen Sänger und seine Mitarbeiter, vor allem auch deshalb nicht, weil die Bundesministerien für Verteidigung und Verkehr mit dem Argument von diesem Schritt abgeraten hatten, dass, „falls ein Strafverfahren mangels ausreichender Beweise ohne Verurteilung enden sollte, die betreffenden deutschen Staatsangehörigen als ‚Märtyrer‘ hätten herausgestellt werden können“239. Dieses Urteil findet sich in einer ausführlichen Aufzeichnung von Ministerialdirektor Jansen vom Auswärtigen Amt zum Problem der deutschen Raketenfachleute in Ägypten. Das Papier Jansens enthielt einen bemerkenswerten Punkt. Die deutsche Botschaft in Kairo und insbesondere der dort tätige Militärattaché Rainer Kriebel hätten wiederholt darauf hingewiesen, dass die deutschen Raketenexperten vor Ort zum einen mit der Entwicklung einer Luft-Boden-Rakete mit Pulverantrieb zur Panzerbekämpfung und zum anderen mit der Arbeit an Flüssigkeits- oder Pulverraketen mit wesentlich größerem Kaliber, etwa dem einer Mittelstreckenrakete, befasst seien. „Die deutsche Mitarbeit“, so Jansen, „scheint sich vor allem auf diese Raketen zu konzentrieren“. Zwecks Sprachregelung gegenüber dem Ausland und der dortigen Presseberichterstattung werde festgelegt, dass „die Bundesregierung nach den bisherigen Meldungen davon hätte ausgehen“ müssen, 238 239

AAPD, 1961, Bd. III, Berlin 2018, Nr. 405. Ebd., 1962, Bd. II, München 2010, Nr. 316, Aufzeichnung vom 7. August 1962.

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„es habe sich in Ägypten um friedliche Raketenforschung gehandelt“. Bemerkenswert sind diese Ausführungen insofern, als sie quasi ex-post Unkenntnis der Bundesregierung über den wahren Charakter der Raketenforschung am Nil vorschützte. Darüber hinaus widersprachen die Erkenntnisse der Botschaft den Beteuerungen der beteiligten deutschen Wissenschaftler in Heliopolis, dass ihre Arbeit nur friedlichen Zwecken diene. Die Schwierigkeiten Eugen Sängers und seiner Kollegen am Nil entwickelten sich im weiteren Verlauf vor allem zu einem „Fall Sänger“, dessen sich auch die Printmedien sowie Funk und Fernsehen in der Bundesrepublik annahmen. Und offenbar verhielt es sich inzwischen so, dass israelische Zeitungsberichte einen gewissen Druck auf die Regierung Adenauer auszuüben begonnen hatten.240 Neben publizistischen Pressionen aus Israel scheint auch von französischer Seite Stimmung gegen die Tätigkeit Sängers und seiner Leute in Ägypten gemacht worden zu sein, auch wenn man in Paris damit nicht unbedingt auf die Entlassung Sängers aus seinem Arbeitsverhältnis beim FPS abzielte. Es ist aufschlussreich, dass das Lebensbild Eugen Sängers, das sein Sohn Hartmut zusammengestellt und veröffentlicht hat, kein Wort über Israel in diesem Zusammenhang verliert. Stattdessen heißt es an einer eher versteckten Stelle des Porträts, nachdem flüchtig auf den Beginn der Arbeit seines Vaters am Nil hingewiesen worden war: „Kurz danach erreichte Bonn ein Brief der französischen Regierung mit der Bitte, den Einsatz mit Hilfe deutscher Wissenschaftler in Ägypten entwickelter Raketen an der Algerienfront zu verhindern“. Sänger jr. fährt dann fort: „Da der Bundestag gerade neu gewählt worden war und die Kabinettsmitglieder noch nicht feststanden, führte ein Staatssekretär die Geschäfte und leitete den Brief nach Stuttgart weiter. Dies führte zur sofortigen Entlassung Sängers und seiner Frau aus dem Stuttgarter Arbeitsverhältnis, obwohl hiervon in dem Regierungsschreiben keine Rede war. Die Reaktion auf französischer Seite war eine Einladung des Ehepaares Sänger zu den Festlichkeiten des französischen Nationalfeiertages auf Schloß Ernich bei Rolandseck und die Verleihung des Verdienstordens für Forschungsund Entwicklungsleistungen durch die ‚Association Francaise pour la Recherche et l’Innovation‘“ 241.

Nach Meinung der Rekordfliegerin und Hitler-Verehrerin Hanna Reitsch, die sich für Sänger in dessen Querelen mit dem FPS einsetzte, erfolgte die französische Ehrung „ostentativ“, um

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Vgl. „Aktuell. Deutsches Wochenmagazin“, München, Nr. 20 vom 25. November 1961, „Ein Wink aus Tel Aviv genügte: Stuttgarter Sänger-Krieg“. Vgl. Sänger (Zusammensteller), Leben, S. 115f.

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zu zeigen, wie sehr Paris hinter Sänger stehe.242 Unterstützung erhielt Sänger nun auch zumindest von einem Kollegen im FPS, dem Ingenieur Edwin Schäfer, der in den kommenden Monaten seitenlange, einzeilig maschinengeschriebene Analysen zu den Vorgängen um den Fall Sänger verfasste und an die unterschiedlichsten Empfänger sandte. In einem vergleichsweise kurzen Schreiben an Sänger vom 9. Oktober 1961 versicherte Schäfer dem Adressaten, dass dieser „nicht allein“ dastehe. Wohl eingedenk des eher auf Harmonie bedachten Charakters von Sänger, äußerte Schäfer seinen „Eindruck“, dass der Angegriffene „immer noch auf Vernunft“ hoffe und „seine Gegner schützen“ wolle. Dem hielt Schäfer entgegen: „Der einzige Schutz Ihrer Gegner ist Ihre Bloßstellung. Auch Dr. Eckert ist Ihnen zwar menschlich wohlgesonnen, aber trotzdem ein Gegner, der um seinen Ruf kämpft – auch wenn er da dumm hineingeschlittert ist“. Und dann in Klammern die Abwandlung eines bekannten Goebbels-Zitats: „Wer mit Krug arbeitet, stirbt möglicherweise daran!“243 Den entscheidenden Anstoß zu seiner fristgerechten Kündigung mit Datum vom 20. Oktober 1961244 brachte eine Unterredung Sängers mit Staatssekretär Seiermann vom Bundesverkehrsministerium am 11. Oktober. Sänger hatte zu der Unterredung seinen Düsseldorfer Rechtsanwalt Reinhart von Eichborn hinzugezogen. Seiermann machte Sänger bei dieser Gelegenheit „auf die schweren und nachteiligen Folgen aufmerksam“, die der „Bau einer Rakete in Ägypten durch deutsche Wissenschaftler bei der gegenwärtigen weltpolitischen Situation für die Bundesrepublik mit sich bringe“. Er legte ihm nahe, seine Tätigkeit „bei dem Institut von sich aus zu beenden und von der Fortsetzung seiner Arbeit in Ägypten abzusehen“. Sänger sagte dies zu und zeigte sich auch bereit, „entsprechend auf seine Mitarbeiter einzuwirken. Aufgrund seines Vertrages erfolgte die Weiterzahlung seines Gehalts bis Ende 1962.245 In einem Schreiben von Eichborns an den Mitherausgeber der Wochenzeitung „Christ und Welt“, Giselher Wirsing, erläuterte der Anwalt die Bemerkung Seiermanns hinsichtlich des „Augenblicks internationaler Spannungen“. Es sei in diesem Zusammenhang „lediglich Frankreich“ erwähnt“ worden, „Israel nicht“246. Denkbar ist also, dass die französische Intervention  – Hartmut Sängers Schilderung als korrekt 242

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Archiv des Deutschen Museums, München, NL 230, vorl. Nr. 1068/2, Durchschrift eines Schreibens von Reitsch an Staatssekretär Brandt im Landesamt für Forschung beim Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf vom 12. Mai 1962. In ihrem undatierten Anschreiben an Sänger, dem die Durchschrift beigefügt war, grüßte sie diesen „in alter Verbundenheit“. Archiv des Deutschen Museums, München, NL 230, vorl. Nr. 1068/2. Goebbels hatte in einer Rede auf dem Parteitag der NSDAP am 10. November 1936 in Nürnberg ausgerufen: „Wer vom Bolschewismus frißt, stirbt daran!“ Bruno Eckert erteilte Sänger umgehend Hausverbot. AAPD, 1961, Bd. III, Berlin 2018, Nr. 405, „Bundesminister von Brentano an Bundesminister Seebohm“, Fußnote 4. Archiv des Deutschen Museums, München, NL 230, vorl Nr.  1859, Schreiben vom 13.  November 1961.

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vorausgesetzt – den Geldgebern des FPS gerade recht kam, um im Institut gründlich aufzuräumen und den Weg zu einer Neustrukturierung zu ebnen, wie weiter unten angedeutet werden soll. Der eher kleinliche Streit um die Nebentätigkeit wäre dann lediglich vorgeschoben gewesen. Eugen Sänger kündigte auch gegenüber Mahmoud Khalil in Kairo und wiederholte diesen Schritt wenig später noch einmal, nachdem Khalil ihn zur Weiterarbeit für Ägypten eingeladen hatte.247 Es gelang ihm jedoch, von Kairo noch 200 000 DM als Teil seines vertraglichen Anteils am Gesamthonorar der deutschen Experten zu erhalten248; eine immer wieder kolportierte Summe von 600 000 DM allein für sich hat Sänger stets bestritten. Nach seinem Rückzug aus dem FPS, dem auch jener seiner Gattin bald folgte, gab Eugen Sänger einige Presseinterviews, in denen er vor allem die friedliche Natur seiner Tätigkeit in Ägypten herausstellte, darüber hinaus über Nassers Motive spekulierte und die Unzulänglichkeit der westdeutschen Forschung betonte.249 Er beschwichtigte besorgte Gemüter mit dem Hinweis, dass der ägyptische Raketen-Prototyp über kein Lenksystem verfüge, so dass er für militärische Zwecke unbrauchbar sei. Die ägyptischen Raketen seien, so Sänger, mehr eine „Prestigeangelegenheit für Nasser“. Wenn Kairo militärisch nutzbare Raketen wolle, würde dies einige weitere Jahre der Forschung und Entwicklung erfordern. Er zögerte in Interviews auch nicht, die Bundesregierung indirekt für die Arbeit der Deutschen am Raketenprojekt Nassers verantwortlich zu machen. Niemals wären sie nach Ägypten gegangen, wenn Bonn ihnen die Chance echter Forschung in der Bundesrepublik ermöglicht hätte. Für seine Mitarbeiter habe es zuhause keine praktischen Möglichkeiten in der Raketenforschung gegeben, in Ägypten sei ihnen großzügig geholfen worden. Wie Irene Sänger-Bredt später einmal schrieb, werde die ganze Affäre um ihren Mann vermutlich immer ungeklärt bleiben. Neben dem Vorwurf der übertriebenen Nebentätigkeit als Kündigungsgrund einerseits und außenpolitischen Drucks andrerseits, spekulierte die zeitgenössische Publizistik noch über ein anderes Motiv, das hinter der Kündigung Sängers gestanden haben könnte. Danach habe die damalige Bundesregierung das Stuttgarter FPS mit der „Deutschen Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt“ (DVL) verschmelzen wollen. Dabei hätte der bisherige FPS-Chef Sänger durch einen „härteren Mann, wie ihn die militärische Luftfahrtforschung braucht“, ersetzt werden sollen. Im Gespräch als neuer Institutsleiter sei der „deutsch-amerikanische Wissenschaftler Professor Dr. Göthert, kein Raketenfachmann, sondern Aerodynamiker“, der bisher im Auftrag Sängers Windmessungen für das Stuttgarter

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Ebd., Schriftwechsel zwischen Sänger und Khalil in französischer Sprache, November 1961. Vgl. Sirrs, Nasser, S. 43. Dies und das Folgende nach ebd., S. 44.

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Institut durchgeführt hatte.250 Die Spekulationen besaßen offenbar einen wahren Kern: Bereits 1962 wurde das FPS in die DVL eingegliedert. Die DVL machte dem Ehepaar Sänger nach seinem Ausscheiden aus dem FPS ein Angebot auf Festanstellung, das jedoch scheiterte. Inmitten seiner Auseinandersetzungen um seine berufliche Zukunft sah sich Eugen Sänger durch eine Meldung des der SPD nahestehenden „Parlamentarisch-Politischen Pressedienstes“ (PPP) vom 3. November 1961 dem Vorwurf des Geheimnisverrates zugunsten der Sowjetunion ausgesetzt. Stein des Anstoßes war die Verhaftung des sowjetischen Ingenieurs Valentin A. Pripolzew in Köln Ende August wegen Spionageverdachts. Da Pripolzew Beziehungen zum FPS unterhalten hatte und bei ihm Unterlagen über amerikanische Raketenexpertise gefunden worden waren, richteten sich die Ermittlungen auch gegen Sänger aufgrund seiner USA-Reise vom Sommer 1961. Amerikanische Vertreter in der Bundesrepublik hielten es laut PPP zumindest „nicht für ausgeschlossen, daß am Stuttgarter Institut die getroffenen Sicherheitsvorkehrungen nicht ausreichten“. Die Entlastung Sängers erfolgte jedoch „postwendend“: Die Karlsruher Bundesanwaltschaft erklärte, es gebe keinerlei Zusammenhang zwischen Sänger und der Verhaftung Pripolzews.251 Sänger wandte sich in einem Schreiben vom 4. Dezember 1961 an Minister Leuze gegen die von diesem in aller Öffentlichkeit erhobenen Vorwürfe, insbesondere gegen die angebliche Verletzung der Treuepflicht gegenüber dem Kuratorium des FPS und gegen die Gerüchte im Zusammenhang mit dem Fall Pripolzew. Fast in der gesamten deutschen Presse, klagte Sänger, sei zwischen dem 7. und 10.  November gegen ihn als Privatmann und Wissenschaftler angeschrieben worden, allein am 9. November in der „Stuttgarter Zeitung“, den „Stuttgarter Nachrichten“, der „Deutschen Zeitung“ und der „Frankfurter Allgemeinen“. Sänger warf Minister Leuze in dem Schreiben insbesondere vor, dass er keine Gelegenheit zu einer Aussprache mit diesem bekommen habe. Auch das damals noch recht junge Medium Fernsehen beschäftigte sich mit dem Fall Sänger. Im „Internationalen Frühschoppen“ des Westdeutschen Rundfunks, einem Format, das heute als Talkshow durchgehen würde und in dem der Moderator Werner Höfer sonntagmorgens mit deutschen und internationalen Pressevertretern ein aktuelles Thema diskutierte, kam in der Sendung vom 3. Dezember 1961 auch die Causa Sänger zur Sprache. Eine Äußerung des damals für die „Stuttgarter Zeitung“ schreibenden Journalisten Reinhard Appel in dieser Runde sorgte beinahe für einen Rechtsstreit zwischen Sänger und Appel. Sänger hatte sich an der Äußerung Appels im „Frühschoppen“ gestört, er habe im Stuttgarter FPS öffentliche Gelder genutzt – eben die Mittel verschiedener Ministerien – um mit seinem Ägypten-Engagement private Geschäfte zu machen. „Das geht nicht“, so Appel in der ARD-Sendung. Sänger bestritt 250 251

Vgl. „Aktuell“, München, 25. November 1961. Ebd.

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über seinen Anwalt Adolf Karch diese Darstellung mit dem Ergebnis, dass man zwar ein Verfahren vor Gericht vermied, stattdessen aber Appel versprach, in einem der nächsten Frühschoppen eine Korrektur seiner inkriminierten Aussage einzuflechten.252 In die Journalistenrunde vom 3. Dezember war auch ein ägyptischer Kollege namens Salama eingeladen worden, der laut dem auszugsweise überlieferten Wortprotokoll der Diskussionen in aller Kürze und Offenheit auf die Frage Höfers, ob Ägypten die Raketen deshalb haben wolle, weil Israel auch welche hätte, antwortete: „Ja, für unser Verteidigungsinteresse, für das Prestige“. Kein Wort über meteorologische Forschung. In einem Anflug von herablassender Altersweisheit entgegnete Höfer seinem ägyptischen Gast daraufhin: „Aber ich glaube, wir sollten doch jetzt Herrn Salama und den Ägyptern Gerechtigkeit widerfahren lassen. Da zeigt sich doch die verhängnisvolle Kette technischer Neuerungen, wenn der Nachbar etwas hat, der böse Nachbar in diesem Falle, weil ja Israel der böse Nachbar Ägyptens ist, dann muß der Nachbar auf der anderen Seite des Zaunes es auch haben. So ist das heute in dieser Welt halt“253.

Für Eugen Sänger endete sein Bemühen um eine berufliche Neuerfindung nach dem FPS-Debakel zunächst erfreulich. Mit Wirkung vom 7. Januar 1963 berief ihn die Technische Hochschule Berlin auf den Lehrstuhl für Flugtechnik (Elemente der Raumfahrttechnik). In den Monaten zuvor hatte es Möglichkeiten für Gespräche über eine freie Mitarbeit zumindest bei den Düsseldorfer Firmen Rheinmetall AG und Mannesmann AG gegeben.254 Offenbar erst nach seinem Ausscheiden aus dem FPS und dem Ägypten-Projekt ist Sänger von jüdischer Seite wegen seiner Tätigkeit am Nil bedroht worden. Sofern das die Drohung enthaltende Schreiben echt ist, wäre es die früheste jüdische Aktion gegen die Raketenexperten in Ägypten, und sie stünde in keinerlei Beziehung zu dem, was später von israelischer Seite mit der Operation „Damokles“ betrieben wurde. Ein kurzes, handschriftliches und undatiertes Schreiben warnte Eugen Sänger Ende 1961 davor, „seine Arbeit für Herrn Nasser fortzusetzen“. Der „Jüdische Geheimbund“, so der Unterzeichner, werde „jedenfalls dafür sorgen, dass Ihr Beitrag zur Vernichtung Israels nicht ausgeführt werden soll“ [sic]. Der Stempel auf dem

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253 254

Ebd., vorl. Nr. 1859, Schriftwechsel zwischen dem 21. Dezember und dem 26. März 1962. Appel, der in seinen Schreiben immer wieder betonte, dass ihm daran liege, einen Raketenfachmann wie Sänger in der Bundesrepublik zu halten, teilte Karch mit Brief vom 26. März 1962 mit, dass er „soeben mit Werner Höfer abgemacht“ habe, demnächst auf die Arbeit Eugen Sängers „im Frühschoppen würdigend eingehen“ zu wollen. Ob und ggf. wie dies geschehen ist, konnte trotz entsprechender Recherchen nicht festgestellt werden. Ebd., „Auszug aus dem ‚Internationalen Frühschoppen‘ vom 3.12.61“. Ebd., Schreiben von Rechtsanwalt Karch an Sänger vom 10. Januar 1962.

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erhalten gebliebenen Briefumschlag zeigt als Datum den 6. November 1961. Allem Anschein nach hat dieser Brief keine besonderen Reaktionen auf Seiten Sängers hervorgerufen, zumindest finden sich im Nachlass Sängers keinerlei entsprechende Hinweise.255 Am 10. Februar 1964 erlitt Eugen Sänger in einem Hörsaal der TH Berlin seinen zweiten Herzinfarkt, an dem er noch vor Ort verstarb. Seine Witwe schrieb später, dass „die damalige Verleumdungskampagne“ gegen ihren Gatten rund um das FPS „mit ziemlicher Gewißheit“ zu dessen frühem Tod „und zum vorzeitigen Verlust eines für seine Zeit wertvollen Forschers geführt“ habe.256 Und: „Gottes Mühlen werden das Eugen Sänger angetane Unrecht an den Schuldigen rächen“, so die Naturwissenschaftlerin.257 Soweit die Geschichte um Eugen Sängers Ägypten-Abenteuer. Wolfgang Pilz und Paul Goercke kehrten im Zuge des Falles Sänger dem FPS den Rücken, nachdem ihnen dort gekündigt worden war; sie ließen sich zunächst dauerhaft in Ägypten nieder und starteten mit ihrer Weiterarbeit an dem dortigen Raketenprojekt die hier so bezeichnete zweite Phase von Raketen made in Egypt „die Zweite“. Pilz avancierte nun nach einem Wort von Owen L. Sirrs zum „unbestrittenen König eines Raketenlehens“258 und übernahm anstelle Eugen Sängers die Leitung des deutschen Raketenteams am Nil. Außer ihm und Goercke verließen noch zwei ehemalige Peenemünder das Stuttgarter Institut in Richtung Ägypten, nämlich Heinz Scheidt und Walter Schuran. Ihnen wiederum schlossen sich noch zehn jüngere Ingenieure und Techniker des FPS an und waren künftig ebenfalls in der Factory 333 in Heliopolis tätig.259 Hans Kleinwächter arbeitete hauptsächlich von seinem Labor in Lörrach aus, kam aber auch immer mal wieder an den Nil. Heinz Krug wurde im FPS zunächst fristlos gekündigt, doch später kam es zum Vergleich. Er verließ das Stuttgarter Institut und widmete sich fortab ausschließlich der Intra und ihren ägyptischen Aktivitäten. Wolfgang Pilz und Paul Goercke traten nun in die Intra als Gesellschafter ein. Krug verlegte sowohl den Wohnsitz seiner Familie als auch den Sitz der Intra von Stuttgart nach München. Die Räume der Intra in der bayerischen Landeshauptstadt lagen quasi um die Ecke zu den Geschäftsräumen der Münchner Filiale der United Arab Airlines, deren Chef jetzt Heinz Krug hieß. Angeblich hatte

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Vgl. Archiv des Deutschen Museums, München, NL 230, Brief und Briefumschlag in Akte 1858. Ebd., vorl. Nr. 2180, Brief Irene Sänger-Bredts vom 14. September 1967 an Chefredakteur Claus Jacobi vom „Spiegel“. Den Geschwistern Krug zufolge hat es eine Begegnung von Kaj Rüdiger Krug mit zwei unbekannten Männern auf einer Straße in München gegeben, die ihn vor weiteren Recherchen zum Verschwinden seines Vaters Heinz Krug warnten und behaupteten, Eugen Sänger sei im Hörsaal infolge Gifteinwirkung verstorben. Vgl. Soller-Krug/Krug, Ufer, S. 193. Archiv des Deutschen Museums, München, NL 230, vorl. Nr. 1857, Brief Sänger-Bredts an Ferdinand („Ferdi“) Brandner in Kairo vom 12. Dezember 1965. Vgl. Sirrs, Nasser, S. 86. Für weitere Namen vgl. Der Spiegel Nr. 19 vom 8. Mai 1963, „36, 135 und 333“.

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der im Luftrecht versierte Jurist der ägyptischen Fluglinie Landerechte in München sowie in Athen erwirkt.260 Krug sorgte für eine wöchentliche Linienverbindung zwischen München und Kairo, die den Transfer von Material für den Raketenbau gewährleistete und die er selber häufig nutzte. Mit dabei war nun auch der Ingenieur und Hochstapler Otto F. Joklik, der künftig in den UAA-Räumlichkeiten unweit des Münchner Hauptbahnhofes ein- und ausging. In den Unterlagen des BND findet sich eine wertmäßige Aufstellung der Infra-Lieferungen „für das Raketenprojekt“, die aufgrund einer „Prüfung der Firma Infra, München, im September 1962“ zustande kam. Diese Prüfung stand in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Verschwinden Heinz Krugs am 11. September 1962. Die wertmäßigen Lieferungen erfolgten wie folgt:261 Für Pilz: DM 6 524 000.– Für Prof. Goercke: DM 15 000.– Für Prof. Kleinwächter: DM 120 000.– Die Zahlen verdeutlichen bereits auf den ersten Blick die überragende Bedeutung des Triebwerksexperten Pilz innerhalb des deutschen Teams. Ägypten beabsichtige „1963 für das Raketenprogramm die Einzelteile in verstärktem Maße in der BRD zu kaufen“, hieß es in abschließender Ergänzung dieser Übersicht. „Dabei wurde insbesondere die Firma Degussa, Frankfurt, erwähnt“. Der Einzige, dem aus seiner sporadischen Tätigkeit in Ägypten unmittelbar keine Nachteile erwuchsen, obwohl auch er sich dort vier- bis fünfmal zu Vorlesungen aufgehalten hatte, war Armin Dadieu. Er konnte sogar seine Karriere in der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt fortsetzen, nachdem das FPS mit der DVL verschmolzen worden war. Innerhalb der DVL war Dadieu dann als Direktor für das „Institut für Düsentreibstoffe“ verantwortlich.262

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Vgl. dazu den dritten Teil der Serie „Raketen, Forscher und Agenten“, der am 3. Oktober 1973 in der Tageszeitung „Die Rheinpfalz“ erschien. Die Serie war von Egon W. Scherer und Hermann Valentin geschrieben worden. Valentin, von dem noch die Rede sein wird, war zeitweilig eng mit den deutschen Raketenbauern in Ägypten, insbesondere als Personenschützer Hans Kleinwächters, verbunden gewesen. Archiv des BND, Akte 100615_OT, Bl. 197. Vgl. E. Klee, Personenlexikon, S. 100.

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„El Zafir“ und „El Kahir“ Nunmehr unter der Leitung von Wolfgang Pilz, machte sich die Gruppe der überwiegend deutschen Fachleute im Sommer 1961 daran, in dem ausgedehnten Militär- und Kasernengelände von Heliopolis Raketen zu entwickeln. Nach einer Schätzung sollen in der Factory 333 zeitweilig rund 1000  Personen beschäftigt gewesen sein, darunter über 100  Ingenieure und Techniker.263 Außer Deutschen und einigen Österreichern arbeiteten auch Spanier sowie  – jedenfalls im Jahre 1963 – eine Gruppe von Fachleuten aus dem ehemaligen Jugoslawien in der Militärfabrik.264 „Angeblich“, so eine längere Aufzeichnung des BND, „übernahmen Pilz, Goercke usw. nach der Trennung vom FPS von den Ägyptern den Auftrag, eine militärisch verwendbare Rakete zu bauen“265. Bevor im Folgenden die ersten beiden Raketenstarts vor den Augen der politischen Führung Ägyptens und einer handverlesenen Schar von Pressevertretern geschildert werden, sollen kommentarlos Ausschnitte der seinerzeitigen ägyptischen Kriegspropaganda präsentiert werden, um ein wenig die politisch aufgeheizte Atmosphäre in dem Land am Nil spürbar werden zu lassen: Präsident Nasser: „Wir werden alles tun, um die arabische Einheit zu verwirklichen und die Reihen zu schließen, die schließlich Israel ein Ende setzen werden […] Wir werden es und den Imperialismus in unserem Lande liquidieren […]“ (In einer Rede in Alexandria am 17. August 1961, zitiert von El-Manar, einer jordanischen Tageszeitung, 18. August 1961). Präsident Nasser vor der UN-Generalversammlung am 27.  September 1960; hier in einer autorisierten Auslegung seiner Rede durch Radio Kairo: „In Bezug auf Palästina skizziert Nasser in seiner Rede zwei Richtlinien für den Feldzug. Die Erste ist das Feld des bewaffneten Waffenstillstands, welches die Araber, sobald es ihnen passen wird, in ein Schlachtfeld verwandeln werden  – eine Schlacht voll Rache und Blut, die Schlacht um Palästina […] Wir leugnen nicht, daß wir den Krieg wünschen. Wir wollen den Krieg; das ist unser Recht. Die Rückkehr von Palästina ist ohne Krieg unmöglich“. (Radio Kairo, 13. Oktober 1960).

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Vgl. Sirrs, Nasser, S. 41. Archiv des BND, Akte 100615_OT, „Meldedienstliche Verschlußsache betr. jugoslawische Techniker in der ägyptischen Rüstungsindustrie“, 28. März 1963, Bl. 220f. Hier auch die Namen von drei Serben und zwei Slowenen. Ebd., „Betr. Werk 333/Raketenbau“, Bl. 196.

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Kapitel III: „[…] ein zeitgemäß geschliffenes Schwert zu schmieden“ „Möge sich jemand finden, der sich erhebt und die kriminelle Bande verdammt und die Menschheit von deren Verbrechen befreit. Das ist die Lage zwischen Israel und unserem Arabertum  – das Ringen zwischen dem Verbrechen und seiner Bestrafung, zwischen Recht und Unrecht, und Gerechtigkeit gewinnt immer und die Verbrecher werden zum Tode verurteilt. Es ist immer Tod. Tod für Israel“ („Saut-el-Arab – „Stimme der Araber“, Kairo, 11. März 1961). „Die Garantie für den Frieden im Mittleren Osten liegt in unseren Waffen, in der Stärke unserer Armee und wir werden Frieden erzwingen. Oh, Ben-Gurion, – wir werden den Frieden erzwingen an dem Tag, an dem wir Dich ins weite Meer treiben werden.“ (Stimme der Araber, Kairo, 30. März 1960). „Israel ist ein Verbrechen, das man abschaffen muß bis auf die letzte Spur. Nur auf diesem Wege werden wir das Problem lösen und den Krebs im arabischen Heimatland ausmerzen“ (Radio Kairo, 17. März 1960).

Die Reihe der Zitate aus den staatlich kontrollierten Medien ließe sich mühelos verlängern. 266 Endlos ist der Streit darüber, ob die Äußerungen nur arabisches Maulheldentum oder eine ernstgemeinte Bedrohung Israels darstellten. Ob Hunde, die bellen, wirklich niemals beißen, mochte sich damals die Bevölkerung des jüdischen Staates mehr als einmal gefragt haben. Es gelang dem Team um Pilz innerhalb eines Jahres zwei Raketen herzustellen: eine kleinere, „El Zafir“, der Sieger, und „El Kahir“, der Eroberer. Beide Projektile waren aus einer Höhenforschungsrakete entwickelt worden, deren erster Start im August 1961 mit einem Fehlschlag geendet hatte. Sie explodierte damals in knapp 1000 Metern Höhe.267 Die Höhenrakete war nach dem Muster der französischen Véronique durch ein selbstzündendes Gemisch aus Terpentinöl und Salpetersäure angetrieben worden und konnte  – wie die Véronique  – nur senkrecht abgeschossen werden. Um sie in eine ballistische Rakete mit bestimmbarer Flugrichtung umzuwandeln, bedienten sich die Experten in der ägyptischen Wüste einer insbesondere von Wolfgang Pilz entwickelten Technik: Sie ersetzten die einfache Seilstabilisierung der Höhenrakete durch Graphit-Strahlruder sowie ein automatisches Kreiselsystem nach 266

267

Die vorliegenden Zitate sind eine Auswahl aus einer Sammlung, die der Schweizer Rechtsanwalt Georges Brunschvig für das Nötigungsverfahren vor dem Strafgericht Basel-Stadt 1963 gegen den Israeli Joseph Ben-Gal und den „Österreicher“ Otto F. Joklik anlegen ließ. Vgl. ETH Zürich, AfZ, NL Georges Brunschvig/57, Beweismittel von Georges Brunschvig, 1961–1964. Dies und das Folgende im Wesentlichen nach Der Spiegel Nr. 19 vom 8. Mai 1963, „36, 135 und 333“.

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dem Vorbild der Peenemünder V 2. Damit konnte die Rakete nach dem senkrechten Start in die gewünschte Richtung gelenkt werden.268 Die Reichweite der El Zafir, deren Triebwerk einen Schub von 20 t erzielte, erhöhten die Experten, indem sie das Projektil mit einer zweiten Stufe versahen, und das war dann El Kahir. Die größere Reichweite der zweistufigen Version erkaufte man allerdings mit einer erheblichen Einbuße an Nutzlast. Während der „Sieger“ – wie auch die V  2  – eine Last von rund einer Tonne über eine Distanz von 280  km tragen konnte, vermochte der „Eroberer“ maximal einen Sprengstoff von 100 kg über die vorgesehenen 560 km zu befördern.269 Was sich in den Sprengköpfen eines Tages befinden würde, war nicht Sache der deutschen Fachleute, wird uns aber weiter unten noch beschäftigen.270 Die mangelnde Zielgenauigkeit ließ den militärischen Wert beider Raketen fraglich erscheinen. Sie entscheidend zu verbessern, wurde dann vor allem die Aufgabe der Elektronikexperten Goercke und Kleinwächter. Es ist aufschlussreich zu lesen, mit welcher Selbstverständlichkeit „Der Spiegel“ in seinem bahnbrechenden Beitrag „36, 135 und 333“ aus dem Jahre 1963 von der militärischen Nutzung der Raketen schrieb. In der seinerzeit in der Bundesrepublik, aber auch besonders in Israel sowie in der angelsächsischen Welt herrschenden Debatte um die Tätigkeit der deutschen Fachleute am Nil beharrten diese eisern auf dem rein zivilen Wert der Raketen. „Märchen der deutschen Wissenschaftler in Nassers Ägypten“, wie der amerikanische Rüstungsexperte Sirrs kommentierte.271 In der ägyptischen Wüste war im Wadi al-Natrun (Natrontal) nordwestlich von Kairo ein Raketenabschussgelände eingerichtet worden. Hier sollten der „Sieger“ und der „Eroberer“ vorgeführt werden. Obwohl die beiden Raketen noch nicht ausgereift waren, drängte es Präsident Nasser – durchaus mit dem geübten Blick für öffentliches oder halb-öffentliches Spektakel, das Ägyptens Image und seiner eigenen Reputation Auftrieb zu geben imstande war – seine neuesten technischen Errungenschaften am zehnten Jahrestag der Revolution

268

269 270

271

Bei der Seilsteuerung laufen während des Starts vier an den Lenkarmen des Raketenhecks befestigte 60 Meter lange Seile gleichmäßig ab und verhindern so ein Umkippen der Rakete in dieser kritischen Flugphase. Vgl. ebd., S. 67, Asterisk. Für das Fachpublikum hat Pilz die technischen Daten „seiner“ Raketen in Ägypten in einem Zeitschriftenbeitrag dargestellt, diesen um Zeichnungen ergänzt und ein von ihm geschossenes Foto einer in der Wüste startenden Rakete beigefügt. Vgl. Wolfgang Pilz, Über eine Entwicklung einfacher und preisgünstiger Flüssigkeitsraketen, in: Flugwelt international, 18. Jg., Heft 11/1966, S. 884–88. Abweichende bzw. variierende Distanzangaben bei Sirrs, Nasser, S. 46f. Die Information von Dennis Eisenberg, Uri Dan und Eli Landau, dass es neben den genannten Projektilen noch eine dritte Rakete namens „al Ared“, „Der Forscher“, mit einer Reichweite von 1000 km, gegeben habe, wird in der Literatur nirgends bestätigt. Vgl. Eisenberg/Dan/Landau, Mossad. Die Aktionen des israelischen Geheimdienstes, Katwijk aan Zee 1980, S. 181. Vgl. Sirrs., Nasser, Acknowledgments.

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vom Juli 1952 zu präsentieren. Eingedenk seiner Düpierung durch den israelischen Raketenstart im Jahr zuvor, war der Präsident fest entschlossen, kein Risiko einzugehen. Statt die Raketenstarts am exakten Datum des 23.  Juli durchzuführen, entschied sich Nasser für den 21.  Juli 1962 als Starttermin. 272 Rund 50 ausländische Journalisten, die meisten von ihnen aus den damaligen Ostblockstaaten, wurden zu einer Show ins Wadi al-Natrun eingeladen. Innerhalb von zwei Stunden bekamen sie einiges geboten: Vier Raketen zweier unterschiedlicher Typen  – El Zafir und El Kahir  – stiegen mit einem eindrucksvollen Feuerschweif in den heißen Sommerhimmel, um dann in Richtung des Mittelmeeres zu verschwinden. Wolfgang Pilz hat in einer internen Auseinandersetzung mit dem in Heluan tätigen Ferdinand Brandner, wenige Jahre nach dem Ende des deutschen Expertenengagements in Ägypten, betont, dass die „Raketenvorführung im Juli 1962“ gegen den Willen der am Bau der Projektile beteiligten Deutschen erfolgt sei. „Bei dem Schau-Schießen haben keine Deutschen mitgewirkt“, heißt es in einem Schreiben von Pilz an Brandner. Gegenüber Präsident Nasser, dem er „während des Schießens“ vorgestellt worden sei, habe er darauf hingewiesen, dass „wir erst ganz am Anfang der Raketenentwicklung stehen“273. Auf seiner Rückfahrt vom Raketenschießgelände nach Kairo nutzte ein stolzer Präsident Nasser die Gelegenheit, sich am Straßenrand den wartenden Korrespondenten zu stellen. Es war zugleich seine erste Pressekonferenz mit der Auslandspresse seit drei Jahren. Gefragt nach dem Sinn und Zweck seiner neuen Raketen, antwortete Nasser mit einer Gegenfrage: „Was ist der Sinn von Raketen?“ Er holte ein wenig aus und erklärte, die militärische Bedeutung liege in der erzielbaren Reichweite. Dann folgte jene Frage eines libanesischen Reporters, die es zusammen mit Nassers Antwort in so gut wie jede bisher zu diesem Thema veröffentlichte Publikation gebracht hat. Der Libanese wollte genau eben dies wissen: Welche Reichweite denn nun die vorgeführten Raketen hätten? „Etwas südlich von Beirut“, lautete die Antwort des Präsidenten, die alle Anwesenden unzweideutig darüber ins Bild setzte, dass das gesamte israelische Territorium von den Projektilen erfasst werden konnte. Triebwerksspezialist Wolfgang Pilz hat ein halbes Jahrzehnt nach den Raketenstarts in einem „Stern“-Interview behauptet, nicht Nasser habe diese Antwort gegeben, sondern „Kriegsminister Marschall Amer“, der mittlerweile unter ungeklärten Umständen verstorben war – Pilz in dem Interview: „durch Gift geendet“. Im Übrigen seien er und seine Expertenkollegen damals über diesen Satz „genauso entrüstet“

272 273

Dies und das Folgende nach ebd., S. 47f. Abdruck des Schreibens von Pilz an Brandner vom Silvestertag 1967 in: Brandner, Leben, S. 335f.

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gewesen, wie über den militärischen Charakter der zwei Tage später in Kairo abgehaltenen Parade.274 Präsident Nasser machte anlässlich der Starts deutlich, dass er eine Massenfertigung sowohl der einstufigen als auch der zweistufigen Raketen in naher Zukunft beabsichtigte. Es war ihm darüber hinaus wichtig, mitzuteilen, dass sie aus ägyptischer Produktion hervorgegangen seien, bestritt aber vehement, dass diese Waffen mit Atomsprengköpfen ausgestattet werden würden. Während sich der ägyptische Präsident in Wadi al-Natrun mit den Journalisten befasste, wurden den breiten Massen Brot und Spiele geboten. Radio Kairo hatte zwei Stunden vor den Raketenstarts Marschmusik zu spielen begonnen. Dann verkündete die staatliche Nachrichtenagentur MENA, dass die Vereinigte Arabische Republik ins Raketenzeitalter eingetreten sei und ihren Platz in den vorderen Reihen der raketenproduzierenden Nationen eingenommen habe. MENA zeigte sich knausrig hinsichtlich Details zu den Raketenstarts, abgesehen von der Information, dass die erste Rakete ihr Ziel nach über 600  km erreicht habe. Nach dieser Ankündigung startete die Regierung ihre lang geplanten Feierlichkeiten: Es gab Massenaufmärsche von Jugendlichen, Wassershows und Bootsrennen auf dem Nil sowie Feuerwerk in den größeren Städten. Ein gechartertes Flugzeug ließ Bonbons und Freifahrtscheine für die ägyptischen Eisenbahnen über Kairo regnen, und eine neue Moschee widmete man Saladin, dem kurdischen Bezwinger der Kreuzfahrer. Sogar eine Sonderbriefmarke im Wert von 10 Milliemes gab die ägyptische Post aus Anlass der Raketenflüge heraus. Sie zeigte eine Rakete im Steigflug, und mit etwas Fantasie und einer imaginierten Landkarte vor Augen ließ sich aus der Flugrichtung von links unten (Ägypten) nach rechts oben (Israel) schließen, dass sich das Projektil auf dem Weg zum jüdischen Staat befand. Ein Olivenzweig sollte jedoch Friedfertigkeit signalisieren, und die Information „UAR ROCKET“ am unteren Markenrand machte aller Welt seine Herkunft klar – Rakete der Vereinigten Arabischen Republik.

274

Stern vom 22. Oktober 1967, Interview von Wolfgang Löhde mit Wolfgang Pilz, Paul Goercke und Hans Kleinwächter.

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Abb. 14: Karte von Unterägypten: nordöstlich von Kairo Heliopolis, im Osten der Suezkanal, im Nordwesten das Natrontal, im Norden am Mittelmeer Alexandria Präsident Nasser nutzte das Momentum der Raketenstarts für einen markigen Auftritt in der Öffentlichkeit. Vor rund 300 000 Menschen auf dem Kairoer Platz der Republik hielt er eine Rede zur militärischen Situation Ägyptens. Seit dem Sturz König Faruks vor zehn Jahren habe man substantielle Fortschritte erzielt, rief er aus, und: „Wir sind nicht länger ungeschützt. Israel hat uns angegriffen, und wir waren unbewaffnet“. Im Jahre 1955 habe man dann die „erste Stufe der Verteidigungsbereitschaft durch die Waffenlieferungen aus der Tschechoslowakei und der Sowjetunion“ erreicht. Die zweite Stufe bestehe im Besitz von Raketen und Jagdflugzeugen. In geradezu kunstvoller Verzögerung mit dem Ziel, die Spannung zu erhöhen, fütterte er die Massen mit einem Hinweis auf den nächsten Tag an: „Wir haben neue Waffen, ihr werdet sie morgen bei der Militärparade sehen“. Und die Spannung noch weiter steigernd, schloss Nasser: „Ein paar Dinge können wir nicht zeigen!“275 Wenig überraschend, jubelte die von der Regierung kontrollierte Presse grenzenlos über den Erfolg von Wadi al-Natrun. Die Zeitung „Al Akhbar“ traf wohl einen Punkt, der wahrscheinlich Nasser gewurmt hatte, seit er im Nachgang zum militärisch verlorenen Suezkrieg von 1956 das ballistische Raketenprogramm in Angriff genommen hatte. „Wir haben unser Selbstvertrauen wiedererlangt“, schrieb das Blatt und fuhr dann fort: „Das Personal der israelischen Botschaft in Paris trauert und die Juden in New York ängstigen sich“.

275

Zitate übersetzt nach Augenzeugenberichten in der „New York Times“, hier nach Sirrs, Nasser, S. 50.

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Abb. 15: Das Vorbild für die ägyptischen El Kahir und El Zafir-Projektile: die französische Veronique-Rakete, an deren Entwicklung auch Wolfgang Pilz beteiligt war. Radio Kairo wurde noch am Tage der Starts deutlicher: „Die Rakete ist imstande Israel zu treffen. Der Erfolg dieses Versuches eröffnet eine neue Phase im Rüstungswettrennen des Mittleren Ostens […] Die Einwohner Israels wissen, daß wir keine Wahl hatten“276. Auch im fernen Westafrika machten die ägyptischen Raketen Eindruck. Der ehemalige israelische Botschafter in Bonn, Avi Primor, erinnert sich in seinen Memoiren einer Anekdote aus seiner früheren Dienstzeit als Botschafter in der Republik Dahomey (heute Benin). Die Regierung Dahomeys sei traditionell sehr israelfreundlich gewesen, schreibt Primor, keine einzige arabische Vertretung habe es in dem Land gegeben. Nach einer Revolution, die als neuen Machthaber Präsident Apithy hervorgebracht habe, sei dieser sehr rasch zu einem Besuch nach Kairo eingeladen worden. Zurück in Dahomey erzählte Apithy Primor u. a. von der Arbeit der deutschen Raketenexperten, die ihn offenbar sehr beeindruckt hatte. „Alles in allem“, zitierte Primor den Präsidenten, „glaube er“, dass „Israel keine Chance mehr“ habe. Von da an, so

276

ETH Zürich, AfZ, NL Georges Brunschvig/57, Beweismittel von Georges Brunschvig, 1961–1964.

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Primor, „wurde Apithys Verhältnis zu Israel merklich kühler, zuletzt glich es etwa der Distanz zu einem Sterbenden, den man aufgegeben hat“277. Die israelische Reaktion auf die Raketen wird weiter unten ausführlich thematisiert. Hier soll der Hinweis genügen, dass Rolf Engel in Rom in den Jahren 1961 und 1962 zunächst wiederholt von seinem ihm gut bekannten israelischen Kollegen Jaron und einer nicht näher bezeichneten Begleitperson Jarons aufgesucht und in z. T. mehrstündige Gespräche verwickelt worden war. Nach den Starts von El Zafir und El Kahir im Juli 1962 suchte allein der unbekannte Begleiter Jarons Engel in Rom auf. Er wollte Näheres über die beiden Projektile wissen, worauf Engel seinem Besucher erklärte, dass es sich um Weiterentwicklungen der Veronique handle, an der er selber in Frankreich Seite an Seite mit Wolfgang Pilz gearbeitet habe. Es seien darüber hinaus Raketen, die nur für den vertikalen Flug, nicht aber für ballistische Schüsse geeignet und daher militärisch unbrauchbar seien – es sei denn, man nehme erhebliche Änderungen an der Konstruktion vor. Engel zeigte sich überrascht, dass sein israelischer Gast ihm sogar Filmaufnahmen von den Starts in Wadi al-Natrun präsentieren konnte, die offenbar aus ca. 150 m Entfernung gemacht worden waren. Da Engel das Testgelände in den fünfziger Jahren selber mit aufgebaut hatte, wusste er, wie schwierig es sein würde, in den Beobachtungsbunker nahe der Startrampen zu kommen. „Die Person, die diese Aufnahmen gemacht hat“, so Engel gegenüber Vernehmungsbeamten des LKA Baden-Württemberg in Freudenstadt, „muß zu einem bevorzugten Kreis gehört haben, denn in diesen Bunker gehen höchstens 20 Personen hinein“278. Es sei bereits an dieser Stelle vermerkt, dass ein von dem im September 1962 verschwundenen Heinz Krug ein solcher Film vor Ort gedreht und dass unmittelbar nach seinem Verschwinden in dessen Münchner Wohnung nach dem Film intensiv gesucht worden war. Denkbar ist natürlich auch, dass Krug nicht der Einzige gewesen war, der in dem Bunker die Starts gefilmt hatte. Auch das offizielle Bonn reagierte auf die Starts im Natron-Tal. Die bereits herangezogene Aufzeichnung von Ministerialdirektor Jansen vom Auswärtigen Amt vom 7. August 1962 vermerkte u. a., dass nach Bekanntwerden der Starts das Bundesministerium für Wirtschaft das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft um eine „weitere Durchleuchtung der Intra-Handelsgesellschaft ersucht“ habe, nachdem eine erste nichts ergeben habe, was zu beanstanden gewesen wäre. Nun sollten Techniker hinzugezogen werden, die „insbesondere prüfen sollen, inwieweit die von Dr. Pilz anläßlich einer Deutschlandreise“ bei der Firma „Bochumer Verein“ 277

278

Vgl. Avi Primor, „… mit Ausnahme Deutschlands“. Als Botschafter Israels in Bonn, Berlin (5) 1998, S. 77. Archiv des BND, Akte 22564_OT, Vernehmungsniederschrift (Kopie) vom 1. April 1963. Die Niederschrift nennt keinen Anlass für die Vernehmung Engels, doch drehte es sich bei den meisten seiner protokollierten Äußerungen um den verschwundenen Heinz Krug.

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bestellten Metallringe „als Teile von militärisch verwendbaren Raketen anzusprechen“ seien. Auch werde der BND seine „Ermittlungen in Ägypten fortsetzen, vor allem um festzustellen, inwieweit deutsche Materiallieferungen beim Bau der Raketen verwendet wurden“. Von der Botschaft in Kairo erwarte man ebenfalls ab Mitte August einen Bericht „zu dieser Frage“, da dann der zuständige Militärattaché Kriebel aus dem Urlaub auf seinem Posten wieder zurück sein werde.279 Rainer Kriebel sandte dann einen ausführlichen Bericht über ein längeres Gespräch, das er mit Mahmoud Khalil am 21. August geführt hatte, an das Bundesverteidigungsministerium sowie an das Auswärtige Amt.280 Nach ein paar einleitenden Bemerkungen über die Person und Funktion Khalils im ägyptischen Politikbetrieb teilte Kriebel eher beiläufig mit, dass im Verlauf seines Besuches bei Khalil „es sich selbstverständlich“ ergeben habe, dass er dem Ägypter „zu dem erfolgreichen Abschuß der ägyptischen Raketen am 21.  Juli“ seine „Bewunderung und Glückwünsche zum Ausdruck bringen mußte“. Diese Leistung habe auch in der Bundesrepublik „und besonders bei den deutschen Soldaten alle Anerkennung gefunden“, fuhr Kriebel fort. Khalil habe sich darüber sehr erfreut gezeigt. Kriebel war seinem Bericht zufolge erleichtert darüber, dass „in keiner öffentlichen Erklärung anlässlich des Raketenabschusses die Mitwirkung deutscher Wissenschaftler erwähnt worden sei. Eine Kompromittierung durch Materiallieferungen für das Raketenprogramm der VAR wäre unerwünscht. Khalil zeigte hierfür überraschend großes Verständnis“. Der Militärattaché will sodann „auf den begrenzten militärischen Wert der Raketen“ hingewiesen haben, woraufhin Khalil entschieden widersprochen habe. Die deutschen V 2 hätten große Wirkung in London gehabt, so Khalil, und die ägyptischen Raketen hätten sogar die doppelte Sprengladung der V 2. „Sie seien daher wirkungsvolle Vergeltungswaffen und durchaus geeignet, Israel vor einem Angriff gegen die VAR abzuschrecken“, gab Kriebel die Äußerungen seines ägyptischen Gegenübers wieder. Und Khalil weiter: „Dies sei auch dringend notwendig angesichts der israelischen Arbeiten auf dem Atom- und Raketengebiet“. Das Gespräch wandte sich anschließend anderen rüstungspolitischen Fragen Ägyptens zu, und Kriebel fasste diesen Teil der Unterredung wie folgt zusammen: „Ich gewann aus dem Gespräch den Eindruck, daß außer den am 21.  Juli abgeschossenen Raketenmodellen weitere Raketentypen, insbesondere Luft-Boden-Raketen großen Kalibers, entwickelt werden. Auch halte ich Khalils Angaben über einen Verzicht der VAR auf Flugabwehrraketen nicht für unbedingt glaubwürdig“. Im Auswärtigen Amt hielt sich die Begeisterung über das Treffen Rainer Kriebels mit Mahmoud Khalil in Grenzen. Legationsrat I. Klasse Hensel legte am 18. September 1962 dar, dass die „besondere Fühlungnahme des deutschen Militärattachés in Kairo mit den für die Raketenherstellung zuständigen militärischen und zivilen Stellen […] politisch nicht unbedenklich 279 280

AAPD, 1962, Bd. II, Nr. 316. Ebd., Nr. 341.

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ist“. Hensel schlug vor, das Bundesverteidigungsministerium zu bitten, „Oberst Kriebel zu veranlassen, in dieser politisch jetzt besonders delikaten Frage etwas mehr Zurückhaltung zu zeigen“.281 Für die Frage, inwiefern die ägyptischen Projektile eine ernsthafte Bedrohung für Israel darstellten, geriet damals der Zeitfaktor in Bezug auf ihre serienmäßige Herstellung in den Hintergrund der Berichte und Analysen. Nach Owen L. Sirrs begann in Heliopolis nach der Entwicklungsphase gegen Ende 1963 oder Anfang 1964 die Produktionsphase. Der Bedarf an Forschungs- und Entwicklungsexperten habe dort zu jener Zeit begonnen abzunehmen, während gleichzeitig zunehmend ausgebildete und halbausgebildete Techniker gefragt gewesen seien, um die Werkzeugmaschinen der Factory 333 zu bedienen. Unter Rückgriff auf die Forschungen George Harry Stines zur Geschichte der interkontinentalen ballistischen Rakete weist Sirrs auf spezifische Unterschiede zwischen Entwicklungs- und Produktionsingenieuren hin. Während erstere ständig bestrebt seien, ihr Produkt zu perfektionieren, seien letztere vor allem darauf aus, „Produktion herauszuhauen“ und im Produktionsinteresse das Design zu vereinfachen. Wenn man, so Sirrs, die Geschichte der deutschen V  2 als Vorbild nehme, sei das El Zafir- und das El Kahir-Programm wahrscheinlich mit zahlreichen technischen Fehlern in die Produktionsphase gestartet, einschließlich des Fehlens eines verlässlichen Steuerungs- und Kontrollsystems, um die Geschosse in ihr Ziel zu bringen. Wie ein Analyst bemerkt habe, sei es weitaus wahrscheinlicher, dass eine auf Tel Aviv abgeschossene El Kahir im Mittelmeer oder in Jordanien statt im Zielgebiet herunterkomme. Eine Variante dieser Überlegung, die gelegentlich der spätere israelische Außenminister Abba Eban zu der Raketenproblematik zum Besten gab, hielt aber für die Israelis wenig Beruhigendes bereit, denn, so Eban, angesichts der Zielungenauigkeit der Projektile bleibe es „für Israel dasselbe, ob die auf Tel Aviv gezielte Rakete Haifa treffe oder umgekehrt“282. In der Publizistik der Bundesrepublik war es, wie erwähnt, der Spiegel, der mit einem Artikel – überschrieben mit „Nassers Zigarren“ – erneut eine anhaltende, öffentliche Diskussion um die Arbeit der deutschen Raketenfachleute am Nil lostrat.283 Der Artikel hielt Rückschau auf die Entstehung des ägyptischen Flugzeug- und Raketenprogramms seit den Tagen der Meco-Gründung in der Schweiz und hob insbesondere hervor, dass Israel nach eigenen Geheimdienstangaben bestens über die ausländischen Mitarbeiter des Raketenprogramms informiert sei. Doch kehren wir noch einmal zu Präsident Nassers Auftritt vor den ägyptischen Massen am Vorabend des Revolutionstages zurück. Er hielt sein Versprechen am 23. Juli 1962 mit einer 281 282 283

Ebd., Fußnote 6. Zitiert nach Riegler, Agenten, S. 55. Der Spiegel Nr. 36 vom 5. September 1962.

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eindrucksvollen Militärparade in Kairo, die als Miniaturausgabe der alljährlichen Maiparaden auf dem Roten Platz in Moskau durchgehen konnte. Unter dem Jubel der Bevölkerung präsentierte das Regime alles, was es an Panzern und Flugzeugen zu bieten hatte, einschließlich der „selbstgebauten“ HA-200 Jets aus dem Hause Messerschmitt. Die Stars der Parade aber waren zweifellos die zwanzig El Zafir- und El Kahir-Raketen, die auf riesigen Tiefladern an den Zuschauern vorbeizogen. In ihrer zweifarbigen Schwarz-Weiß-Lackierung erinnerten sie an die V 2 bzw. die Veronique, schwarz-weiß-rotes Flaggentuch bezeugte hingegen ihre ägyptische Heimat. Bei den gezeigten Objekten handelte es sich, wie man heute weiß, um Attrappen. Dies war jedoch damals, zum Zeitpunkt ihrer Vorführung, noch nicht jedem offensichtlich.284 In seinem bereits erwähnten Schreiben an Ferdinand Brandner vom Silvestertag 1967 klärte Wolfgang Pilz Brandner darüber auf, dass „die Paraderaketen von Herrn Mahmoud und seinem Büro außerhalb der Factory 333 zusammengestellt“ worden seien. Pilz will dem Brief zufolge Mahmoud darauf aufmerksam gemacht haben, dass die Parade „einen den Tatsachen nicht entsprechenden militärischen Eindruck mit allen seinen Folgen“ erwecke, worauf hin Mahmoud erklärt habe, die Parade habe auch „wissenschaftliche und industrielle Erfolge“ Ägyptens gezeigt.285 In den Vereinigten Staaten fiel in der Annahme, dass es sich um echte Raketen handle, das Echo auf ihre Präsentation in Regierungskreisen zurückhaltend aus. Im Außenministerium kam man zu dem Schluss, dass die „jüngste Entwicklung“ in Ägypten die regionale Machtbalance „nicht signifikant ändere“. Allerdings konzedierte man im State Department Präsident Nasser einen „psychologischen Coup“, und zwar „vis-a-vis sowohl den arabischen Rivalen als auch Israel“286. Auf Einzelheiten der regierungsseitigen Reaktion Washingtons wird weiter unten näher einzugehen sein. Die Zeitungen in den Vereinigten Staaten schrieben kommentarlos über die Starts, während eine CIA-Beurteilung vom 22. Juli zu dem Schluss kam, dass sie im Großen und Ganzen Propagandatricks seien, mit denen Präsident Nasser sich auskenne. In wissenschaftlicher und militärischer Hinsicht hätten die Starts tatsächlich wenig Bedeutung. In der Bundesrepublik nahm Eugen Sänger in einem Gespräch mit der „Stuttgarter Zeitung“ vom 9. August 1962 Stellung zu der Raketenpräsentation während der Kairoer Militärparade – selbstverständlich davon ausgehend, dass es sich bei den Projektilen nicht um Attrappen 284

285 286

Der seinerzeit in Ägypten operierende israelische Spion Horst J. Andel – wie erwähnt camoufliert als deutscher Journalist – der mit einem polnischen Kollegen die Militärparade beobachtet hatte, berichtet, dass dieser Kollege sofort die Attrappen als solche erkannt habe. Eine Woche später will Andel im Treppenhaus des Kairoer Hauptzollamtes eine dieser Attrappen nahezu in Griffweite entdeckt haben. Vgl. Moshel, Viper, S. 162f. Vgl. den Abdruck des Schreibens von Pilz bei: Brandner, Leben, S. 337. Der Spiegel Nr. 36 vom 5. September 1962 „Nassers Zigarren“.

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handelte. Nach Größe und Bauart könnten die gezeigten Exemplare „nur eine begrenzte Reichweite von höchstens 120 km“ erzielen, meinte Sänger. In Ägypten fehlten „heute noch alle technischen und personellen Voraussetzungen für die Aufnahme einer Massenproduktion von Raketen“. Der Experte versuchte damit auch auf amerikanische Kritik an der deutschen Beteiligung am ägyptischen Raketenprogramm zu reagieren. „Freilich“, räumte er in dem Zeitungsgespräch auch ein, könne „grundsätzlich jede Forschungsrakete auch für militärische Zwecke verwendet werden“. Ebenso könne „die Atomkraft zum Segen oder zum Fluch der Menschheit dienen“. Dies sei das Dilemma aller wissenschaftlichen Arbeit. Für das Ehepaar Sänger hatten die Raketenstarts in der Wüste eine unschöne Konsequenz, an die sich eine ebenso unschöne, wenngleich vorübergehende, Verstimmung in ihrem freundschaftlichen Verhältnis zu dem Flugzeugtriebwerksexperten Ferdinand Brandner anschloss. Wie oben erwähnt, befanden sich die Sängers nach ihrem Ende im FPS in aussichtsreichen Verhandlungen über eine gemeinsame berufliche Zukunft bei der DVL. Am 26. Juli 1962, also nur wenige Tage nach den ägyptischen Raketenstarts, sollten mit dem Personal- und Finanzausschuss der DVL Einzelheiten über „reguläre Anstellungsverträge“ für das Ehepaar Sänger geklärt werden. Nach der Darstellung Irene Sänger-Bredts weigerten sich nun die „geldgebenden Behörden“ der Bundesrepublik unter dem „frischen Eindruck der Veröffentlichungen über die Vorführung der ägyptischen Abwehrraketen […] entgegen dem Vorschlag des DVL-Vorstandes für alle Zukunft ein festes Anstellungsverhältnis für uns beide […]“287. Für die Sängers war diese Entscheidung insofern durchaus tragisch, weil Eugen Sänger schon seit Monaten mit Ägypten nichts mehr zu tun und keinerlei Anteil an der Konstruktion von El Zafir und El Kahir hatte. Laut Irene Sänger-Bredt klingelte anschließend fast eine Woche lang täglich ein Dutzend Mal das Telefon in ihrer Wohnung, weil Nachrichtenagenturen von Eugen Sänger Informationen über diese ägyptischen Projektile haben wollten. Nach Sängers eigener Aussage gegenüber seiner Frau war auch eine israelische Agentur unter den Anrufern, was dazu führte, dass die israelische Zeitung Maariv sich in einer Meldung über die Raketen auf ihn berief. Es war dann „Mr. Mahmoud“, der sich gegenüber Eugen Sänger darüber beschwerte, dass dieser angeblich den Israelis ein Interview gegeben habe – jedenfalls hatte Mahmoud einen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen vom 2. August 1962 in dieser Weise missverstanden. Auch Ferdinand Brandner machte sich dieses Missverständnis zu eigen und schrieb unter dem 27. August 1962 aus Kairo einen bitteren Brief an die ihm eigentlich freundschaftlich verbundene „Liebe Irene“. Es habe ihn „sehr getroffen“, erklärte Brandner, „dass ein Eugen Sänger in die Knie geht vor einem israelitischen [sic] Reporter […]“. Und bevor er noch mitteilte, bald hoffentlich Großvater zu werden, schloss er sein Schreiben mit den Sätzen: „Ich war immer für 287

Archiv des Deutschen Museums, München, NL 230, 1858, Schreiben Sänger-Bredts an Ferdinand Brandner vom 3. September 1962.

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Offenheit, deshalb dieser Brief. Ich bin Euch nicht etwa böse, bedaure nur Eure Knieweichheit, die ich aufgrund Eures Ansehens in der Welt nicht verstehen kann. Ich bin jedenfalls überzeugt, dass Ihr diesen Kniefall nicht nötig hattet“288.

Israelische Kundschafter made in Germany: Wolfgang Lotz und Horst J. Andel Hassan Sayed Kamil und Mahmoud Khalil blieben bei ihren Erkundungs- und Einkaufstouren in Mitteleuropa nicht unbeobachtet. Obwohl der israelische Geheimdienst Mossad grundsätzliche Skepsis hinsichtlich der Frage hegte, ob die Ägypter überhaupt in der Lage wären, eine Rakete zu bauen, entsandte er doch Beobachtungsteams nach Frankreich und in die Bundesrepublik, darüber hinaus Spione nach Ägypten, von denen drei einen deutschen Hintergrund hatten.289 Der israelische Enthüllungsjournalist Ronen Bergman berichtet in seinem 2018 erschienenen Buch „Der Schattenkrieg“ über erfolgreiche Versuche israelischer Agenten, in Büros der United Arab Airlines einzubrechen, um dort Dokumente zu fotografieren.290 In Zürich gelang es dem Mossad demnach, einen Schweizer Angestellten der dortigen UAA-Niederlassung anzuwerben. Es war dem israelischen Dienst bekannt, dass die UAA-Niederlassungen überall in Europa gleichzeitig Filialen des ägyptischen Geheimdienstes waren – dies traf natürlich auch auf die für die Raketenexperten wichtigen Filialen in Stuttgart, Frankfurt am Main und München zu. Nach Bergman ermöglichte der Schweizer es den Israelis, zweimal pro Woche nachts die Postsäcke aus dem Zürcher UAA-Büro zu holen und sie in eine konspirative Wohnung zu bringen, wo sie geöffnet und für wichtig erachtete Teile ihres Inhalts fotokopiert wurden. Anschließend wurden die Säcke wieder sorgfältig verschlossen und in die Geschäftsräume der Fluglinie zurückgebracht. Schon nach recht kurzer Zeit habe der Mossad, so Bergman, erste Einblicke in das ägyptische Raketenprojekt „und seine Führungsriege“ gewonnen. 288

289

290

Ebd. Ein Brief Brandners aus Kairo an Irene Sänger-Bredt vom 14. Oktober 1962 war dann wieder versöhnlich gehalten. Die „Hetze der Juden sei enorm“, schrieb er jetzt, und unter dem Eindruck des erst vor wenigen Wochen verschwundenen Heinz Krug meinte er, er sei „überzeugt, dass K. [Krug, A. H.] doppelt spielte“ und dass „das Vertrauen in ihn auch hier“ in Kairo „erschüttert“ sei. Ebd. Einem der drei, dem Judaistik-Studenten Frowald Gil Hüttenmeister, den die Israelis an der Universität Köln rekrutiert hatten, soll hier wegen seiner relativ geringen Wirksamkeit keine weitere Beachtung geschenkt werden. Hüttenmeister flog schon bald nach dem Beginn seiner Spionagetätigkeit in Kairo auf, wurde 1964 zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt und Ende November 1965 von Präsident Nasser anlässlich des Besuches von Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier in Ägypten begnadigt. An einem Interview mit dem Verfasser hatte Hüttenmeister laut einem Schreiben vom 9. November 2020 kein Interesse. Bergman, Schattenkrieg, S. 91.

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Kapitel III: „[…] ein zeitgemäß geschliffenes Schwert zu schmieden“

Peter Malkin als Angehöriger des Mossad hatte sich einen Namen mit der Festnahme und Entführung Adolf Eichmanns aus Argentinien gemacht. In seinen Erinnerungen erwähnt er kurz, dass der Mossad Informationen über die Anwerbetätigkeit Ferdinand Brandners besessen habe, die u. a. zur Anheuerung Eugen Sängers und Wolfgang Pilz’ nach Ägypten geführt hätte. Träfe dies zu, widerspräche es dem, was über die Tätigkeit Bruno Eckerts und Mahmoud Khalils in und um Stuttgart bekannt und hier dargestellt worden ist. Malkins Version wird in der Literatur oder anderen Quellen nirgends gestützt. Malkin schildert auch einen angeblich von ihm durchgeführten Einsatz gegen den Triebwerksspezialisten Pilz in Köln. Seine Darstellung ist dabei jedoch höchst ungenau, als Datum der Aktion kann aus seinem Text das späte Jahr 1959 oder Anfang 1960 rückgeschlossen werden – möglicherweise kurz nachdem Pilz seinen Vertrag mit den Ägyptern abgeschlossen hatte. Folgt man Peter Malkin, brach dieser zunächst in die Wohnung von Pilz in Köln ein, während sich seine Kollegen andere „Forschungsstätten“ zur Raketenentwicklung in der Bundesrepublik auf ähnliche Weise vornahmen. Der Einbruch in Pilz’ Wohnung habe zu keinem Ergebnis geführt, schreibt Malkin; ein zweiter Versuch einige Tage später in dessen Kölner Labor habe dann „Blaupausen von Raketen mit Flüssigkeitsantrieb“ zu Tage gefördert.291 Sollte der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Vertragsabschluss durch Pilz und dem Einbruch in dessen angebliches Kölner Labor zutreffen, so bedeutete dies, wie Owen L. Sirrs hervorhebt, dass der Mossad extrem effektiv die Bewegungen des ägyptischen Rekrutierungsteams seit den frühesten Tagen der nasserschen Raketenprojekte verfolgte. Tatsächlich jedoch ist über eine Kölner Tätigkeit von Wolfgang Pilz nach seiner Zeit in Frankreich nichts bekannt; auch die Industrie- und Handelskammer zu Köln bzw. die Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln konnte auf Anfrage keinen Hinweis auf Pilz und sein angebliches Labor erbringen. Sowohl die relevanten Meldeunterlagen der Stadt Köln als auch das Kölner Adressbuch enthalten für den fraglichen Zeitraum ebenfalls keinen entsprechenden Eintrag.292 In den Unterlagen des BND findet sich die Kopie einer „Erklärung zu den Pressemeldungen im Falle Dr. Krug“ von Wolfgang Pilz, datiert auf den 28. September 1962, also gut zwei Wochen nach dem Verschwinden Heinz Krugs in München. Pilz sah sich zu dieser Erklärung genötigt, weil in der deutschsprachigen Presse spekuliert worden war, auch er, Pilz sei verschwunden. Nachdem Pilz in seiner Erklärung diese Spekulationen zurückgewiesen hatte, machte er noch einige allgemeine Angaben zu seiner Person und seiner Tätigkeit. Danach war er im Jahre 1958 aufgrund „ministerieller Zusagen über gesicherte Arbeitsmöglichkeiten“ mit seinen

291 292

Ebd. sowie Peter Z. Malkin, Ich jagte Eichmann, München (2) 1994, S. 97 und 124. Email des wissenschaftlichen Mitarbeiters des Wirtschaftsarchivs, Dr. Christian Hillen, im Auftrag der IHK an den Verfasser vom 4. Januar 2021. Email des Historischen Archivs der Stadt Köln an den Verfasser vom 30. Juni 2021. Den Mitarbeitern beider Archive gilt der Dank des Verfassers.

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Mitarbeitern aus Frankreich nach Deutschland zurückgekehrt. Von einer Tätigkeit in Köln ist keine Rede. Stattdessen erwähnt er seine Enttäuschung darüber, dass die „Versprechungen nicht eingehalten“ worden seien – „wir wurden beruflich auf Eis gelegt“. Wenn Pilz anschließend ein fünfseitiges Memorandum erwähnt, das er den Bundesministern Erhard, Seebohm und Strauß sowie Wirtschaftsminister Leuze (Baden-Württemberg) vorgelegt habe, wird aus diesem Adressatenkreis deutlich, dass Pilz damit nur die bekannten Unstimmigkeiten am Stuttgarter FPS angesprochen haben konnte, und er seinerzeit ganz offensichtlich direkt aus Frankreich nach Stuttgart gekommen war.293 Im Übrigen nutzte Pilz seine Erklärung, um sich an deren Schluss gegen Vorwürfe zu verteidigen, die Raketenforschung in Ägypten sei militärisch ausgerichtet. Freilich könnten Raketen ähnlich wie „das Auto, das Flugzeug“ und auch Schiffe „zivil und militärisch“ genutzt werden. Außerdem warf er seinen und seiner Kollegen Kritikern vor, dass man zwar sie angreife, nicht jedoch die „deutschen Raketenkonstrukteure, die nach dem Kriege in England, USA, Frankreich und Russland gearbeitet“ hätten. Offensichtlich fehlte dem Triebwerksspezialisten jegliches Sensorium für das eben unvergleichbare Verhältnis Deutschlands und der Deutschen zu Israel und den Juden. Erneut ließe sich der notorische Elefant im Raum bemühen. Die Einheit 131 des Nachrichtendienstes der israelischen Streitkräfte platzierte einen ihrer hoffnungsvollsten Informationsbeschaffer mitten hinein in Kairos abgeschirmte und dabei ständig wachsende deutsch-österreichische Gemeinde. Unter seinem echten Namen Wolfgang Lotz war dieser Kundschafter für seine Mission besonders geeignet. Ähnlich wie der bereits erwähnte Avri El-Ad alias Seidenwerg hatte auch Lotz einen deutschen Hintergrund und besaß Kriegserfahrung. Geboren 1921 in Mannheim als Sohn einer jüdischen Schauspielerin und eines Theaterintendanten, war diese Herkunft nach Lotz’ eigenem Bekunden ideal, um ihm im Kreise der Deutschen und Österreicher am Nil die Rolle eines Bonvivant und geistreichen Unterhalters zu ermöglichen. 294 Er sei nicht religiös erzogen und auch nicht beschnitten worden, schreibt Lotz in seinen Erinnerungen, ein Umstand, der seiner Tarnung als Spion sehr zugute gekommen sei und ihm nach seiner Verhaftung vermutlich das Leben gerettet habe.295 Im Jahre 1933 emigrierte die inzwischen geschiedene Mutter von Lotz mit ihrem Sohn nach Palästina. Während sie sich mit dem ungewohnten Pionierdasein in der neuen Heimat schwertat, passte sich Wolfgang schnell den Verhältnissen an. Nicht nur änderte er seinen Namen zu Ze‘ev Gur-Aryeh, er trat auch mit 16 der jüdischen Untergrundorganisation

293 294 295

Archiv des BND, Akte 100614_OT, 089f. Vgl. Lotz, Champagnerspion, S. 12 und Sirrs, Nasser, S. 38. Bei Sirrs fehlen diese doch nicht ganz unwichtigen Angaben, im Übrigen Lotz, Champagnerspion, S. 12.

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Haganah bei. Lotz besuchte eine Landwirtschaftsschule, lernte dort Reiten und entdeckte seine Liebe zu den Pferden – ohne zu ahnen, welche Rolle Pferde in seinem künftigen Leben spielen würden. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ging Lotz zur britischen Armee und absolvierte dort ein Kommandotraining. Aufgrund seiner Sprachgewandtheit – er konnte Arabisch, Deutsch, Englisch und Hebräisch – versetzte man ihn als Verhörspezialisten auf den nordafrikanischen Kriegsschauplatz, genauer: nach Ägypten. Nach Kriegsende kehrte er nach Palästina und zur Haganah zurück und kämpfte im israelischen Unabhängigkeitskrieg von 1948/49 gegen die Araber. Lotz blieb nach dem Ende der Kampfhandlungen in der israelischen Armee und diente ihr im Suezkrieg von 1956 im Rang eines Majors. Nach Suez, zwei Ehen und zwei Scheidungen wurde Wolfgang Lotz von der Einheit 131 rekrutiert. In der englischsprachigen Ausgabe seiner Erinnerungen begründet er ziemlich farbig, weshalb er für den Geheimdienst ein guter Fang gewesen sei.296 Hier die Übersetzung ins Deutsche: „Wegen meines deutschen Hintergrundes konnte ich leicht als Deutscher durchgehen. Ich war blond, stämmig und durch und durch teutonisch in Gestik, Auftreten und Aussehen. Ich war ein guter Trinker und der Inbegriff eines ehemaligen deutschen Offiziers“. In der deutschsprachigen Ausgabe erscheint diese Charakterisierung leicht abgespeckt, wenn Lotz sich selber während einer Rekrutierungsbefragung durch israelische Offiziere sagen lässt: „Ich könnte mich leicht als Deutscher ausgeben […] Teutonisch genug sehe ich aus und Deutsch ist schließlich meine Muttersprache“297. Nachdem er von der Einheit 131 aufgenommen worden war, unterzog sich Lotz einem soliden Geheimdiensttraining. Er lernte sein neues Handwerk schnell: den Umgang mit toten Briefkästen, das Abschütteln klebriger Beobachter, die Kommunikation mit Codes sowie die Anwerbung potenzieller Spione. Darüber hinaus machte er sich mit den Interna der ägyptischen Politik vertraut, denn es stellte sich bald heraus, dass das Land der Pharaonen sein künftiges Einsatzgebiet sein würde. Gegen Ende seiner Ausbildung konstruierte die Einheit  131 eine Legende für Lotz, der zufolge er 1933 nicht nach Palästina ausgewandert, sondern in Deutschland geblieben war und dann an Rommels Afrika-Feldzug teilgenommen hatte. Das war eine kluge Entscheidung, denn Lotz kannte sich aufgrund seiner Verhörtätigkeit für die Briten im Krieg mit dem Afrika-Korps gut aus. Weiterhin unter seinem Klarnamen Lotz emigrierte der „legendäre“ Lotz nach Kriegsende nach Australien, wo er ein erfolgreicher Züchter von Vollblutpferden wurde. Doch die deutsche Heimat ließ ihn nicht los, und so kehrte er trotz seines beruflichen Erfolges „Down Under“ wieder nach Deutschland zurück. Im realen Leben ließ er sich in West-Berlin nieder, trat einem Reitclub am Wannsee bei und feilte an 296 297

Zitiert bei Sirrs, Nasser, S. 38. Lotz, Champagnerspion, S. 15.

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seiner imaginierten Karriere als ehemaliger Wehrmachtsoffizier. Möglicherweise war diese etwa einjährige Eingewöhnungszeit in das westdeutsche Leben mit dem Bundesnachrichtendienst koordiniert, der ebenfalls Interesse an der Tätigkeit der deutschen Flugzeug- und Raketenexperten am Nil hatte.298 Im Dezember 1960 machte sich Lotz über die Alpenroute auf den Weg nach Genua, wo er sich als Tourist nach Alexandria einschiffte. Gemäß seinem Auftrag von der Einheit 131 sollte er sich zunächst einige Monate in Ägypten aufhalten, das Land kennenlernen und vor allem versuchen, Kontakte zu knüpfen. Seine berufliche Legende sah die Pferdezucht im Mittelpunkt. Einen „Pferdezüchter comme il faut“ nannte ihn später, nachdem er längst seinem Spionageauftrag nachkam, der Pferdeexperte Franz Rudolf Bissinger. Er hatte Lotz im Rahmen einer Informationsreise nach Ägypten auf seinem Gestüt im Nildelta besucht und ihn dann mit lobenden Worten in einem Beitrag für die Fachzeitschrift „Reiter Revue International“ erwähnt – ohne freilich die wahre Identität des Pferdefachmannes zu ahnen.299 Dass auch zwei Fotos mit Lotz in dem Beitrag erschienen waren, trug dem „Champagnerspion“ Lotz eine gehörige Kopfwäsche durch seinen Vorgesetzten ein, als dieser sich in Paris mit Lotz traf und ihm die Mai-Ausgabe der Zeitschrift samt Bebilderung präsentierte. Zu leicht wäre Lotz auf diese Weise zu enttarnen gewesen.300

298

299

300

So etwa Dan Raviv und Yossi Melman, Every Spy a Prince, Boston 1990, S. 148. Für E. H. Cookridge ist die Ausbildung von Lotz beim BND in Pullach bei München eine Tatsache. Vgl. Cookridge, Gehlen, S. 423. Vgl. Franz Rudolf Bissinger, Araber am Nil, in: „Reiter Revue International“, Ausgabe Mai 1963, S. 300. Vgl. Lotz, Champagnerspion, S. 98.

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Abb. 16: Der israelische Spion Wolfgang Lotz als Springreiter Es gelang ihm recht bald, in den Reitclub von Gezirah eingeführt zu werden, einer der prominentesten sozialen Institutionen der ägyptischen Militärkaste und de-facto-Zweitwohnsitz so mancher Offiziere. Lotz sah sich problemlos in die Kreise der ägyptischen Militärs aufgenommen und fand bald Wege, wichtige Kontakte zu pflegen, etwa, indem er bestimmte Offiziere mit ausgesuchten Geschenken erfreute. Strategisch bedeutsam wurde die Freundschaft zu General Fouad Osman, einem Offizier des militärischen Nachrichtendienstes und damit auch mit verantwortlich für das ballistische Raketenprogramm Ägyptens. Gelegentlich würde General Osman seinem neuen deutschen Freund später völlig arglos ein paar Details des Raketenprojektes anvertrauen, die dieser dann nachts über einen in einer Badezimmerwaage versteckten Sender nach Israel übermittelte. Wolfgang Lotz machte während seines Schnupperaufenthaltes am Nil auch bereits die Bekanntschaft mit dem „Mukhabarat“, dem allgegenwärtigen ägyptischen Geheimdienst. Nach seinen Schilderungen müssen ihm die Mukhabarat-Leute gehörig auf die Nerven gegangen sein, eine schier unermessliche Zahl kleiner und größerer Zuträger, „der Hausdiener, jeder Türsteher, Ladenbesitzer, Schuhputzer, Taxifahrer ist notgedrungen ein

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Polizeispitzel“301 – nicht selten aus purer Armut. Der ägyptische Inlandsgeheimdienst war und sei „einer der aktivsten und skrupellosesten der Welt“, urteilte Lotz später. Für Owen L. Sirrs Gelegenheit, wieder einmal das Allmachtsgespenst der angeblich zahllosen Ex-Nazis am Nil wiederzubeatmen. „Vielleicht“, spekulierte er, „zeichneten Skorzenys und Gehlens frühere SS- und Gestapo-Offiziere teilweise für diesen Ruf verantwortlich“302. Im Mai 1961 reiste Lotz nach Paris, dem damaligen Zentrum israelischer Geheimdienstaktivitäten in Europa, um dort seinen Vorgesetzten zu treffen. Im Gepäck hatte er einige Fotografien und Dokumente, im Gegenzug erhielt er Lob für sein bisheriges Verhalten, mehr Geld, einen Code, der in einem Fachbuch für Pferdezucht versteckt war sowie ein winziges Funkgerät, das zunächst in einem Reitstiefelabsatz deponiert wurde. Seine Aufgaben, denen er sich nun künftig in Ägypten widmen sollte, sahen, so Lotz, Folgendes vor: „Ägyptische Militärinstallationen, hauptsächlich in der Umgebung von Kairo und in der Suezkanalzone, ausfindig machen und sie in näheren Augenschein zu nehmen sowie die Ausbildung und Einsatzbereitschaft der dort stationierten Infanterie- und Panzereinheiten zu beurteilen. Gleichzeitig sollte ich die Ankunft deutscher und österreichischer Flugzeug- und Raketenkonstrukteure überwachen. Über all das wäre laufend Bericht zu erstatten“303.

Die Rückkehr aus Frankreich nach Ägypten startete Lotz auf dem Schienenweg, indem er zunächst mit dem Orient-Express von Paris in Richtung München aufbrach. Er hatte sich vor seinem Dienstantritt am Nil noch einige Tage Urlaub ausbedungen, die er in Oberbayern zu verbringen gedachte. Um es kurz zu machen: Im Zug verliebte sich der angehende Spion in eine Deutsche namens Waltraud Neumann, kontaktierte sie von München aus mehrfach in ihrer Heimatstadt Heilbronn, verbrachte ein paar entspannte Tage mit ihr an einem der oberbayerischen Seen und heiratete sie kurzentschlossen. Das war eigentlich ein eklatanter Verstoß gegen die Regeln seines Arbeitgebers, obendrein hatte er Waltraud offenbart, dass er Jude und dazu noch Mitarbeiter des Mossad sei. Lotz hatte kalkuliert, dass seine dritte Frau gut zu seiner gesellschaftlichen Rolle bei den Pyramiden passen würde – vor allem als charmante Gastgeberin bei den zahlreichen Partys des Pferdezüchters, die nicht zuletzt dazu dienten, neue Beziehungen zu knüpfen und Informationen abzuschöpfen. Unter den Deutschen in Kairo war es insbesondere das Ehepaar Nadja und Franz Kiesow, mit dem sich die Lotzens anfreundeten. Sie war eine koptische Ägypterin, er Vertreter des 301 302 303

Ebd., S. 37. Sirrs, Nasser, S. 39. Lotz, Champagnerspion, S. 42.

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Mannesmann-Konzerns vor Ort. Ein weiterer Deutscher, Gerhard Bauch, gehörte zwar auch zum gesellschaftlichen Orbit des Pferdezüchterpaares, doch schreibt Lotz in seinen Erinnerungen von einer gewissen Distanz, die Bauch ausgestrahlt habe. Ferner habe dieser für einen Geschäftsmann – Bauch behauptete, für den Quandt-Konzern in Kairo zu sein – auffallend viel Zeit gehabt. Tatsächlich war Bauch der Vertreter des Bundesnachrichtendienstes in Kairo. Doch nicht nur als deutscher Champagnerspion kam Lotz seinen Aufgaben nach. Er war häufiger Gast einer Pferderennbahn in Heliopolis, die nicht nur vorteilhaft in der Nähe einer wichtigen Militärbasis gelegen war, sondern auch den Vorzug hatte, über einen rund fünf Meter hohen, frei zugänglichen Beobachtungsturm zu verfügen. Von hier aus war der israelische Spion in der Lage, Panzerbewegungen und Bewegungen anderer Militärfahrzeuge in der nahegelegenen Basis auszukundschaften. Es gelang ihm darüber hinaus, einige Offiziere dazu zu bringen, dass er seine Vollblüter nahe der Abbacia-Kasernen unterbringen konnte, einer anderen militärischen Einrichtung. Schließlich rundete er sein Vorgehen mit der Pacht eines kompletten Gestütes ab, das, außerhalb von Kairo im Nildelta gelegen, nicht nur zu einem beliebten Treffpunkt prominenter Ägypter und Deutscher wurde, sondern in Reichweite eines besonderen Objektes der Begierde des israelischen Geheimdienstes lag: Hinter den Sanddünen der Pferderennbahn befand sich im Wadi al-Natrun das Raketentestgelände.304 Außer Wolfgang Lotz spionierte Anfang der sechziger Jahre der ebenfalls aus Deutschland stammende Israeli Horst J. Andel in Ägypten. Beide unterhielten am Nil keinen besonders engen Kontakt. Andel, 1933 in Wiesbaden geboren, verließ als Dreijähriger zusammen mit seinen Großeltern und Eltern Deutschland in Richtung Palästina. In seinen etwas chaotisch und romanesk geschriebenen Erinnerungen  – er veröffentlichte sie unter seinem jüdischen Namen Aharon Moshel305 – schildert Moshel alias Andel seine Kindheit in der neuen Umgebung ähnlich wie Lotz: Während die Großeltern am Überkommenen ihrer hessischen Sprache und Heimat festzuhalten versuchten, fand sich der Junge mit Gleichaltrigen schnell zurecht und lernte im Spiel mit diesen Arabisch, Englisch und Hebräisch. Wenige Wochen nach der

304 305

Ebd., hier nach Sirrs, Nasser, S. 40. Moshel, Viper. Seit Mai 1962 war die „Viper“ der Deckname des Spions Andel. Das Buch Moshels soll hier als Quelle mit aller gebotenen Vorsicht Verwendung finden. „Ein Thriller aus der Wirklichkeit“, lautete sein Untertitel. Zahlreiche Details – etwa über städtebauliche und andere örtliche Gegebenheiten in Andels Heimatstadt Wiesbaden sowie im Taunus und im Lahngebiet – halten einer Überprüfung stand. Ähnliches gilt für Personen, mit denen Andel alias Moshel in seiner Eigenschaft als Spion in Kairo befasst war. David Andel, der Sohn Horst J. Andels, teilte dem Verfasser per Email vom 30. November 2019 zum Quellenwert der „Viper“ mit: „(Sie) ist gewiss keine Tatsachenbeschreibung, nichtsdestotrotz sind manche Elemente zutreffend. Es war ein Fehler, das Buch überhaupt zu veröffentlichen“. Ich danke Herrn Andel für diese Information.

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Staatsgründung Israels habe ihn der spätere Mossad-Chef Isser Harel306, so Moshel in seinen Erinnerungen, als 16-Jährigen beiseite genommen und ihn ermuntert, für eine noch zu gründende Geheimorganisation tätig zu werden, die sich vor allem mit den arabischen Feindstaaten ringsum befassen werde. Ähnlich wie im Fall Lotz scheint Harel das spezifisch Deutsche an dem jungen Horst Andel als das für dessen künftige Aufgaben Prädestinierende erkannt zu haben. Moshel lässt Harel ihm gegenüber erklären: „Blutjunge Leute“ bräuchte man, „denen möglichst niemand nachweisen kann, daß sie zu uns gehören; die nicht nur echt wirken, sondern echt sind, Russen, Polen, Engländer, Franzosen, was weiß ich, und vor allem Deutsche. Du bist Deutscher, du bist getaufter Protestant, deine Mutter ist Katholikin. Auf die Idee, du seiest und bliebest Jude, kamen nur die Nazis – und wir. Du bist echt. Deine Echtheit lässt sich zurückverfolgen bis ins siebzehnte Jahrhundert. Und für alles andere sorgen wir“. Auf die direkte Frage Harels, ob er bereit sei, für den neuen Staat Israel zu arbeiten, antwortete Andel seinerzeit mit „Ja“ und willigte darüber hinaus ein, zunächst als „Schläfer“ nach Deutschland zurückzukehren, einen Beruf zu erlernen und auf einen Anruf eines fernen Tages zu warten. Zurück in seiner Heimatstadt Wiesbaden begann Andel eine Schriftsetzerlehre, die er aber offenbar nicht beendete. Stattdessen entdeckte er sein Faible fürs Schreiben und nahm auf Vermittlung des Chefs des Brockhaus Verlages Kontakt zu den beiden Literaturnobelpreisträgern Knut Hamsun und Hermann Hesse auf, in dessen Folge sich ein reger Briefwechsel entspann. Die wie ihr 1952 verstorbener Ehemann stark mit dem Nationalsozialismus liebäugelnde Witwe Hamsuns, Marie Hamsun, war auch Gast bei Andel in Wiesbaden. Wo immer er sich später auf Frau Hamsun berufen habe, schreibt Moshel, hätten sich ihm die Türen geöffnet. Marie Hamsun habe damals noch als überzeugte Nationalsozialistin gegolten, und „NS-Überlebende“, so Moshel, seien nach einigen Jahren seine ersten „Kunden“ in seiner Eigenschaft als Spion geworden – womit fraglos Teile der deutschen Gemeinde in Kairo gemeint waren.307 Vor allem die Tatsache, dass sich der Wiesbadener Pastor Gerhard Hagel für den weiteren Lebensweg seines ehemaligen Konfirmanden interessierte, ebnete Andel über evangelische Presseorgane den Weg in den Journalismus. Hagel sorgte dafür, dass Andel Artikel in der von Martin Niemöller herausgegebenen Halbmonatsschrift „Stimme der Gemeinde“ veröffentlichen konnte. Niemöller wurde im Laufe der Zeit so etwas wie ein väterlicher Freund Andels („Onkel Martin“), und der Mitbegründer des ehemaligen Pfarrernotbundes und Widerstandskämpfers im „Dritten Reich“ ist diejenige von zahlreichen deutschen Persönlichkeiten, die Aharon Moshel in seinen Erinnerungen mit Abstand am vorteilhaftesten gezeichnet hat. 306

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Moshel nennt Harel zwar nicht beim Namen, aus dem Zusammenhang ergibt sich dieser aber zwingend. Vgl. ebd., S. 71. Ebd., S. 78.

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Andel schrieb aus einer politisch linken Perspektive und wandte sich dabei häufig dem Nahen Osten und speziell Israel zu. „Israel freundlich gesinnt zu sein, galt damals noch nicht als Makel für einen Linken“, hielt er in seinen Memoiren fest. Über die Stimme der Gemeinde gelangte er u. a. auch zu den von der DDR mitfinanzierten „Blättern für deutsche und internationale Politik“ aus dem Hause des Kölner Pahl-Rugenstein Verlages. Niemöllers „politische Gesinnungsgenossin“ Renate Riemeck, die Ziehmutter von Ulrike Meinhof, verhalf Andel sodann zu einem Intermezzo bei dem Hamburger Studentenblatt „Konkret“. Die Ehefrau des Konkret-Herausgebers Klaus-Rainer Röhl, Ulrike Meinhof, habe in ihren Leitartikeln „die politische Situation der damaligen Zeit glasklar“ geschildert, urteilte Moshel rückblickend. Von Hamburg aus führte Andels beruflicher Weg zunächst weiter nach Kronberg im Taunus, wo ihn eines Tages der Chefredakteur der linken, von der DDR finanzierten, „Deutschen Woche“ aufsuchte und ihm, mittlerweile mit „Miriam“ verheiratet, ein Beschäftigungsangebot machte. Dessen finanzielle Ausstattung konnte er nicht ausschlagen, es machte allerdings auch einen Umzug nach München erforderlich. Einer seiner Kollegen bei der Deutschen Woche war, wie Moshel berichtet, der spätere Gründer der rechtskonservativen Partei „Die Republikaner“, Franz Schönhuber, der für das Blatt Sportreportagen schrieb und damals politisch den Münchner Sozialdemokraten nahestand. Diese frühe Bekanntschaft mit Schönhuber sollte viele Jahre später, nach Andels Spionagetätigkeit in Ägypten, zu einem bizarren Nachspiel führen. Schönhuber lud Andel 1983 zum Gründungsparteitag der Republikaner nach München ein, wo er quasi als Alibijude auftreten sollte. Dass Andel längst dabei war, die rechte und rechtsextreme Szene in der Bundesrepublik für den Mossad zu observieren, war Schönhuber natürlich entgangen.308 Coburg wurde die letzte berufliche Station Andels in Deutschland. Als Chef vom Dienst und Ressortleiter für Politik trat er in die Redaktion des „Coburger Tageblatts“ ein, just am Tag des 308

Vgl. Leo A. Müller, Republikaner, NPD, DVU, Liste D…, Göttingen 1989, S. 32. Müller bezeichnet hier Andel als ehemaligen Mossad-Agenten, er habe sich inzwischen jedoch zu einem „schillernden Neofaschisten“ gewandelt. Befragt, ob sein Vater tatsächlich Neofaschist geworden sei, antwortete dessen Sohn David Andel dem Autor mit Email vom 30. November 2019, dass dies nicht zutreffe. Jedoch habe er „zahlreiche Personen aus diesen Kreisen gekannt“ und es habe ihm „großen Spaß bereitet, mit jenen Spielchen zu treiben, die besonders dumm waren – die Auswahl gestaltete sich unkompliziert“. Auch der Herausgeber der Deutschen National-Zeitung, Gerhard Frey, wurde offensichtlich von Andel geleimt. Frey stand in dem Ruf, ein außerordentlich umfangreiches Personenarchiv zu besitzen. Für einschlägige Recherchen entsandte er 1982 auch Horst Andel in das damals von den Amerikanern verwaltete und inzwischen in das Bundesarchiv integrierte Berlin Document Center, das vor allem Personalinformationen über Mitgliedschaften in der NSDAP und nachgeordneten NS-Organisationen vorhält. Andel damals zur Süddeutschen Zeitung: „Ich habe die Frey-Liste fotografiert und meinen Leuten gegeben“. „Meine Leute“ – das war der Mossad. Vgl. Müller, Republikaner., S. 71.

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Mauerbaus, dem 13. August 1961. Doch nach nicht einmal einem Jahr wurde er „geweckt“. Ein Brief von einer in Paris erscheinenden Zeitschrift war ihm von Coburg nach Wiesbaden nachgeschickt worden, wo er gerade mit seiner Frau Urlaub machte. Es ging um ein neues Jobangebot und in diesem Zusammenhang wurde Andel zu mehreren Treffen nach Nürnberg und Frankfurt am Main gebeten, wo ihm klargemacht wurde, dass ihm ein Einsatz für den Mossad (Andel: das „Institut“) bevorstand. Gemäß seiner vor Jahren in Tel Aviv gegebenen Einwilligung unterzog sich Andel nun der notwendigen handwerklichen Ausbildung zum Spion in Ägypten. Ähnlich wie Wolfgang Lotz hielt sich Andel anschließend vorübergehend am Nil auf, um sich mit Land und Leuten vertraut zu machen. Am 15. Mai 1962, dem vierzehnten Gründungsjahrestag des Staates Israel, flog das Ehepaar Andel nach Kairo. Der Auftrag für Horst Andel: Er sollte sich dort für den Mossad der deutschen und österreichischen Flugzeug- und Raketenexperten annehmen. Als Tarnung diente ihm die Tätigkeit als Journalist für linke Blätter in der Bundesrepublik, in denen künftig seine Berichte zur Lage im Nahen Osten erschienen. Die Texte für seine israelischen Auftraggeber gingen auf präpariertem Spezialpapier an eine „Tante“ in Köln. In Kairo bezog Andel mit seiner Frau und dem dort 1964 geborenen Sohn David Quartier nicht – wie sonst üblich bei Ausländern – in einem der Nobelvororte, sondern in der „Pensione Roma“ inmitten der belebten Kairoer Innenstadt. Aus einem als provisorisch gedachten Logis wurden dann volle drei Jahre. Für Andels Spionageambitionen bot die Lage der Pension einen einmaligen Vorteil: Sie befand sich direkt neben dem zentralen Telegrafenamt, von dem tagsüber pausenlos Funksprüche in alle Welt gingen, so dass Andels eigener Sender extrem schwer zu orten war. Allerdings: Mit Hilfe ihrer „deutschen Fachleute“ seien ihm die Ägypter häufig dicht auf den Fersen gewesen, „ihre Peilwagen umkreisten mehrfach den Häuserblock“, so Moshel in seinen Memoiren. Doch nicht nur per Funk und Post an die „Tante“ am Rhein informierte Andel das Institut über seine Erkenntnisse. Nachdem Andel Martin Niemöller, der inzwischen als Chef des Kirchlichen Außenamtes der EKD ständig in der Welt unterwegs war – Moshel vergleicht ihn in dieser Hinsicht mit dem ehemaligen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher – anlässlich eines Zwischenstopps in Kairo auf der Rückreise von Addis Abeba über seine wahre Tätigkeit am Nil aufgeklärt hatte, fand der Kirchenmann nichts dabei, für das „Institut“ brisante Dokumente samt Filmmaterial nach Europa zu schmuggeln. Martin Niemöller und seine Nichte Inge Niemöller, die am Kairoer Goethe-Institut die Bibliothek leitete, wurden, schreibt Aharon Moshel, „die ersten beiden Mitglieder meines über Ägypten weit hinaus reichenden Agentenringes, im Dienst des ‚Instituts‘. Sie warben zwei weitere Mitglieder, und sie erwarteten und erhielten dafür nie Geld. Ich schulde ihnen großen Dank“309. Möglicherweise 309

Moshel, Viper, S. 156.

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war Martin Niemöllers durchaus mutige Hilfsbereitschaft der praktische Ausdruck seines Sinneswandels hinsichtlich des Antisemitismus’, wie er ihn gegenüber Horst Andel eingeräumt haben soll: „Die Niemöllers sind eigentlich immer Antisemiten gewesen“, so der Theologe, doch habe er „inzwischen viel hinzulernen müssen, und wenn er mir irgendwann einmal behilflich sein könne, sei er jederzeit da, für mich und meine Leute“310. Über seine Beobachtung der Flugzeug- und Raketenexperten berichtet Moshel in seinen Erinnerungen über die ganze „Viper“ verstreut. Wenn man ihm glauben darf, hatte Moshel einen ersten Erfolg hinsichtlich der Expertenausforschung einem Zufall zu verdanken. In seiner Heimatstadt Wiesbaden war der Ingenieur Hermann Standhaft von demselben Pastor Hagel konfirmiert worden, wie Horst Andel. Auf eine der uns bereits bekannten Zeitungsanzeigen hin hatte sich Standhaft auf eine Stelle bei den Flugzeugbauern in Heluan beworben.311 Moshel beschreibt Standhaft als einen Charakter, der seinem Namen alle Ehre gemacht habe und dem die braunen Sprüche seiner Kollegen in Heluan ebenso auf die Nerven gegangen seien wie deren Herbeisehnen der „Endlösung der Judenfrage in der Wüste“. Doch da er in Ägypten mittlerweile Geheimnisträger geworden sei und auch ordentlich Geld verdiente, sei ihm der Absprung schwergefallen, so Standhaft. Er beriet sich mit Pastor Hagel, der wiederum Martin Niemöller ins Vertrauen zog. Niemöller empfahl Standhaft den Kontakt mit Horst Andel in Kairo. Bei dessen gelegentlichen Besuchen im Haus des Ehepaares Standhaft in der betongrauen Expertensiedlung von Heluan konnte der Ingenieur dann sein Herz ausschütten. Während Hermann Standhaft Andel zwar reichlich Klatsch aus der Gruppe der Flugzeugkonstrukteure erzählte, aber nicht ahnte, wer sein Gegenüber wirklich war, sei es dessen Ehefrau gewesen, die ihm, Andel, auf den Kopf zu gesagt habe, er sei ein israelischer Agent. „Ich konnte nur hilflos nicken“, so Moshel in seinen Memoiren. Solchermaßen aufgeklärt, gingen Standhaft und Andel gemeinsam daran, ihr Wissen über den ägyptischen Flugzeugbau zu systematisieren. Moshel dazu:

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311

Zitiert nach Michael Heymel, Ein Zerrbild gezeichnet, Zeitzeichen Juni 2020. Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft, zeitzeichen.net, heruntergeladen am 23. Juni 2020. Ich danke Michael Heymel für den Hinweis auf diesen Text. In einer Email an den Verfasser vom 3. April 2020 teilte Heymel diesem mit, dass er das Buch „Die Viper“ von Aharon Moshel alias Horst J. Andel kenne. Was dieser über Niemöller schreibe, „dürfte ziemlich glaubwürdig sein“, es stimme „überein mit dem, was von Niemöller verlässlich dokumentiert ist“. Die Eigentümervertreter der Familie Niemöller verweigerten dem Verfasser die Einsichtnahme in den Nachlass Martin Niemöllers, der sich im Archiv der Evangelischen Kirche von Hessen-Nassau in Darmstadt befindet. Vgl. Email „im Auftrag“ des Archivs von Natalia Alekseeva an den Verfasser vom 3. März 2020. Moshel, Viper, S. 178. Moshel schreibt irrtümlich von der „Militärfabrik 333“, die sich tatsächlich in Heliopolis befand und dem Raketenbau diente. Er meinte jedoch die Fabriken 36 und 135 in Heluan.

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Raketen made in Egypt „die Zweite“: „Ägypten beginnt in Stuttgart“ „Ich erbat gezielte Fragen von der Zentrale  – er [Standhaft, A.  H.] gab entsprechende Antworten. So entstand vor unser aller Augen ein detailgetreues Panoramabild eines der beiden damals wichtigsten ägyptischen Rüstungsprojekte gegen Israel. Willy Messerschmitts antisemitischer Nachkriegsehrgeiz bedeutete freilich, wie wir bald herausfanden, für uns keine Gefahr. Nichts klappte bei dieser sonderbaren Flugzeugproduktion. Es fehlte an den nötigen Devisen und somit an den noch nötigeren und zu importierenden Zubehörteilen für die anspruchsvolle Konstruktion“312.

Einmal war der „deutsche Journalist“ Andel Gast in der Privatwohnung des neuen Presseattachés an der deutschen Botschaft, Rüdiger Freiherr von Pachelbel. Der Hausherr hatte auch andere Deutsche eingeladen, natürlich weder Andels wahre Identität noch dessen besonderes Interesse an den anderen Gästen ahnend. Es gelang Andel bei dieser Gelegenheit und unter Verkostung eines respektablen Quantums Whisky Gesprächsfetzen der sich unterhaltenden Deutschen aufzuschnappen. Soweit er es mitbekam, echauffierten sich diese über das „miserable Betriebsklima unter den Flugzeug- und Raketenkonstrukteuren sowie über eine Anzahl grotesker Fehler“. Die Herren, so Moshel, „waren sich offensichtlich vollständig darüber einig, daß nichts von dem, was sie da zusammenbastelten, jemals einsatzfähig würde“. Weitere Lauschangriffe Andels beendete jedoch ein heftiger Schluckauf, der ihn zwang, das informative Beisammensein fluchtartig zu verlassen. Moshel berichtet über angeblich mehrfache Einladungen an den Radikalantisemiten Johann von Leers durch den deutschen Botschafter in Kairo, Walter Weber, zu Besuchen in dessen Residenz und in Wohnungen der Botschaftsattachés. Dort sei auch er, Moshel, mit von Leers zusammengetroffen. Unvermittelt gelangte Moshel dann zu folgendem Urteil: „Die Bonner Botschaft war jedenfalls jeden Augenblick genauestens im Bilde über Tätigkeit und Absicht der braunen Techniker am Nil, und diese verkehrten ganz offen in der deutschen Botschaft und privat mit den Botschaftsangehörigen. Dieser Skandal ist bis heute praktisch unbekannt“313. Auch an anderer Stelle seiner Erinnerungen weist Moshel darauf hin, dass man in Bonn durchaus über das Treiben der deutschen Fachleute am Nil informiert gewesen sein muss. Sonst um konkrete Namensnennungen und mitunter scharf gewürzte Charakterisierungen der Genannten nicht verlegen, deutet er nur an, dass es dem BND in den sechziger Jahren gelungen sei, „einen Agenten“ mit vorzüglichen Arabischkenntnissen bei der Presseabteilung der deutschen Botschaft in Kairo zu platzieren.314 Seine Aufgabe habe in der mehr oder weniger offenen

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Ebd., S. 182. Ebd., S. 188. Möglicherweise handelte es sich dabei um den gelernten Journalisten Hermann Ziock, der uns bereits früher begegnet ist.

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Kapitel III: „[…] ein zeitgemäß geschliffenes Schwert zu schmieden“

Kontaktpflege zu den deutschen Experten bestanden. In Bonn habe man deshalb „genau Bescheid“ gewusst über die Kairoer Rüstungsvorhaben, und daher habe man in der Bundesrepublik „seinerzeit auch so gelassen“ auf einen empörten Auftritt der israelischen Außenministerin Golda Meir in der Knesset reagiert. Regelrecht abgearbeitet hat sich Aharon Moshel in seinen Erinnerungen an Wolfgang Pilz. Nur wenigen seiner zahlreich aufgeführten Personen der deutschen und österreichischen Gemeinde Kairos widmet er so viele Zeilen wie ihm. Dabei beginnt er seine Schilderung der Persönlichkeit von Pilz, den er auf dem abendlichen Abschiedsempfang für den scheidenden Botschafter Weber persönlich kennenlernte, mit ein paar anerkennenden Worten: „Pilz war zweifelsohne“, so Moshel, „ein Herr  – vielleicht  – auch ein Genie in seinem Fach. Ich halte ihn sogar  – innerhalb seiner Grenzen – noch heute für einen hochanständigen Mann. Immerhin heiratete er seine durch eine unserer tückischen Briefbomben erblindete Sekretärin Hannelore Wendt [gemeint Wende, A. H.]. Die Bombe hatte ihm gegolten“315.

Nach diesem Entree folgt eine überaus engagierte Darstellung des angeblichen Judenhasses von Pilz, der man anmerkt, dass dieser Hass den israelischen Spion ins Mark getroffen haben muss. U. a. schreibt Moshel: „Ein Pilz, bis zur Blindheit verblendet – nicht durch die damals noch gar nicht abgesandte israelische Briefbombe, sondern durch seinen grenzenlosen und irrationalen Haß auf die Juden, die ihm nie etwas getan hatten und von denen er wohl keinen persönlich kannte außer, ohne es zu wissen, mich, dieser Pilz paßte nirgendwo anders hin als in dieses Kairo […] Dieser Pilz, den seine Wissenschaft offenbar weniger interessierte als sein Haß, erzählte mir an diesem Abend die tragikomische Geschichte des Scheiterns der ägyptischen Raketenproduktion und nannte mir den Namen des Schuldigen, ohne daß ich auch nur zu fragen brauchte. Es kroch mir damals eiskalt über den Rücken: Die Deutschen, so schien mir, hassen alles, was nicht so aussieht, wie sie selbst zu sein meinen, darunter neben den Juden vor allem auch die ihnen genauso wesensverwandten Österreicher. Herr Pilz beschimpfte jedenfalls die Österreicher an jenem Abend ebenso grenzenlos wie, nebenbei bemerkt, die ihm unterstellten Ägypter. Nur zwei nahm er davon aus, den Österreicher Adolf Hitler und den Ägypter Gamal Abdel Nasser“316.

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Auf diesen Vorgang wird weiter unten eingegangen. Zumindest die von Moshel behauptete Abneigung Pilz’ gegenüber Österreichern wird man bezweifeln dürfen. Zum einen spricht seine böhmische Heimat dagegen, die ihn landsmannschaftlich

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Raketen made in Egypt „die Zweite“: „Ägypten beginnt in Stuttgart“

Pilz sei ihm ziemlich verrückt vorgekommen, so Moshel, „seine Obsessionen, die mir unerklärlich schienen, beschenkten mich jedenfalls mit dem heißersehnten Namen des Schuldigen: Der Teufel, der angeblich verhinderte, was man sich so sehr ersehnte, die Endlösung der Judenfrage in der Wüste, die Vernichtung Israels, war – ein Österreicher! Professor Doktor Otto Golling hieß er, Österreicher war er in der Tat, und, ich schwöre es, ich kannte zwar viele Antisemiten, aber er war der unbelehrbarste von allen. Und ausgerechnet er machte sich hochverdient um den jüdischen Staat“317.

Gemäß des oben angedeuteten Puzzlecharakters seiner Memoiren wird an dieser Stelle nicht deutlich, worin das „Verdienst“ Gollings bestanden haben soll, denn Moshel wendet sich über Golling sofort wieder dem Verbalantisemiten Johann von Leers zu. Erst gegen Ende seines Buches, als er über seine neue, ihm vom Mossad ermöglichte, Heimat Luxemburg berichtet, kommt Moshel noch einmal auf Otto Golling und dessen angeblich brachialen Antisemitismus zurück. Profi, der er war, wollte Moshel den Österreicher, der Ägypten inzwischen verlassen und in Frankfurt Quartier bezogen hatte, zu den inzwischen in Schwierigkeiten befindlichen Raketenplänen aushorchen. Golling, folgt man Moshel, schien nur allzu bereit, sich dem Erstbesten zu offenbaren, der seine Geschichte hören wollte. Der Österreicher zog bei einem von Andel in Luxemburg arrangierten Treffen über alles und jeden her, über die Juden zu allererst, dann über die Ägypter und – last but not least – über die ehemaligen Expertenkollegen in der Factory 333 von Heliopolis. Deren einigendes Band am Fuße der Pyramiden sei allein ihr Judenhass gewesen. Golling taucht sowohl in den Primärquellen als auch in der Literatur zu unserem Thema so gut wie nicht auf, so dass beim informierten Leser der Memoiren Moshels Zweifel an der Existenz dieser Person aufkommen. In den Unterlagen des BND findet sich jedoch ein eindeutiger Hinweis auf diesen in Heliopolis. Der Elektronikexperte Hans Kleinwächter schrieb in einem undatierten Brief – vermutlich vom Oktober 1964 nach seiner endgültigen Rückkehr aus Ägypten – an einen Professor Magnus an der TH Aachen, dass er sich mit diesem Schreiben „vor allem eines Auftrages entledigen“ wolle, den er vor seiner Abreise (aus Kairo, A. H.) „von Herrn Prof. Dr. Otto Golling“ erhalten habe. In dem beigefügten Brief Gollings ging es, so die Wiedergabe des Inhalts durch den BND, um Gollings „Bitte an Magnus“, er möge ihm

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vermutlich eher Österreich nahestehen ließ, als dem preußisch geprägten Deutschland, zum anderen gilt es zu bedenken, dass sich Pilz nach seiner Rückkehr aus Ägypten im österreichischen Kärnten niederließ. Moshel, Viper, S. 173.

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Kapitel III: „[…] ein zeitgemäß geschliffenes Schwert zu schmieden“

„Sonderdrucke und wissenschaftliche Arbeiten zu bestimmten technischen Problemen, etwa Torpedoberechnungen, überlassen.318 Gollings angedeutetes Verdienst um den Staat Israel bestand offenbar darin, versteht man Moshel richtig, dass dieser zwar Spezialist für Raketensteuerungen war und es nach eigener Behauptung auch geschafft hatte, „eine verhältnismäßig zielgenaue“ Rakete zu entwickeln. Doch die, so Moshel Golling wiedergebend, „konnte nicht gebaut werden“, weil es an Geld und erforderlichen Ersatzteilen gefehlt habe. Stattdessen musste man mit der bekannten Seilzugsteuerung Vorlieb nehmen inklusive der notorischen Zielungenauigkeit. „Die Raketen hätten“ – und Moshel brachte dieser Gedanke nach eigenem Bekunden „auch heute noch zum Lachen“ – wenn man sie „abgeschossen hätte, vermutlich überall eingeschlagen – nur nicht in Israel“319.

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Vgl. Archiv des BND, Akte 22564_OT, Betreff Dr. H. Kleinwächter, z. Zt. Lörrach, meldedienstliche Verschlußsache, Absendedatum 2. November 1964, Bl. 246f. Moshel, Viper, S. 315.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma Die ägyptischen Raketenstarts und die Militärparade mitsamt den – als solche damals nicht sofort erkannten – Raketenattrappen zum Jahrestag der Revolution im Juli 1962 riefen in Israel unterschiedliche Reaktionen hervor. Anfangs gespielte Gelassenheit nach außen, im weiteren Verlauf dann Einschüchterungen und Mordversuche durch die Geheimdienste und schließlich eine nahezu hysterisch antideutsche Pressekampagne.1 Die Aktivität der israelischen Geheimdienstler löste eine innenpolitische Krise in Israel aus und führte zu Spannungen des jüdischen Staates mit der Bundesrepublik und der Schweiz. Die israelische Politik nutzte das Wissen um das ägyptische Raketenprogramm für die Arbeit an einer eigenen Atomwaffe, und es begründete Ambitionen auf ballistische Flugkörper. Im Nachgang zu den Ereignissen vom Juli 1962 entwickelte sich die ägyptische Raketenfrage von einem eher lokalen Problem mit periodisch wiederkehrendem israelischen Interesse zu einem solchen mit internationalen Dimensionen. Tel Aviv drängte vor allem die Bonner, aber auch die amerikanische Regierung, sich des ägyptischen Raketenprogramms anzunehmen. Aus israelischer Perspektive war aus einem Wettlauf um die erste Rakete – man erinnere sich der Shavit II – eine Auseinandersetzung mit zunehmend unheimlichen Nebentönen geworden. Der damalige stellvertretende israelische Verteidigungsminister, Shimon Peres, formulierte es so: „Die Raketen, die die Ägypter gestartet haben, stellen eine ernste Bedrohung Israels dar. Sie haben im Nahen Osten eine neue Ära eröffnet. Die Ankunft dieser modernen Waffen hat die Natur der Gefahr radikal verändert, die uns bevorsteht, sowie die von uns zu ergreifenden Maßnahmen, um uns vor ihr zu schützen“2. In der Tat: Was als spärlich getarnter Versuch Ägyptens zur Erlangung von Raketen begonnen hatte, stand nun im Mittelpunkt einer kleinen Krise, als Israel daran ging, die Anti-Raketen-Kampagne hochzufahren. Während man nach außen hin eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber den Vorgängen vom Juli 1962 an den Tag legte, entbrannten hinter den Kulissen hitzige Diskussionen. Die Sicherheitsorgane des Landes übten sich in den folgenden Wochen im Fingerzeigen auf andere und entschiedener Zurückweisung von Verantwortung. Nach Meinung von Owen L. Sirrs lag ein Teil des Problems in israelischer Selbstgefälligkeit. Unter 1 2

Vgl. dazu Sirrs, Nasser, S. 57ff. Übersetzt und zitiert nach ebd.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

Rückgriff auf die Analyse der Journalistin Inge Deutschkron stellt er fest, dass sich die israelischen Nachrichtendienste einfach nicht vorstellen konnten, dass „Nassers Teilzeit- und ‚No-name‘-Wissenschaftler“ aus Deutschland nennenswerte Resultate liefern könnten. Keiner der Männer habe internationales Renommee, was allein schon dadurch bestätigt werde, dass keinem von ihnen Posten in fortgeschritteneren und wohlhabenderen Ländern angeboten worden seien. Andere Beobachter kamen zu dem Schluss, dass das Problem nicht in der Sammlung nahezu endlos vieler Informationen, sondern in deren Bewertung lag. Die israelischen Nachrichtendienstler hatten längst eine Fülle an Informationen zusammengetragen, sei es durch die Berichte von Peter Malkin, Wolfgang Lotz, Horst J. Andel oder anderen. Anscheinend hatte man in Tel Aviv noch keinen Analysten damit beauftragt, die einzelnen Mosaiksteinchen zu einem schlüssigen Bild zusammenzufügen – bis endlich die Starts vom Juli 1962 ein genaueres Hinsehen erzwangen. Nur wenige konnten damals dem Chef des Mossad, Isser Harel, vorwerfen, er ignoriere die zahllosen Bedrohungen, die sich über dem Staate Israel türmten. In Wahrheit hatte er seine Karriere mit der Identifizierung und Ausschaltung von Gegnern Israels gemacht. Geboren 1912 im seinerzeit russischen Witebsk als Isser Halperin, hatte er wie so viele andere Einwanderer nach Palästina seinen Namen dort geändert. Als Mitglied der Haganah begann Harel seine Laufbahn mit der Informationsbeschaffung aus dem Lager der orthodoxen Juden. Später, nach der Gründung des Staates Israel, nutzte er seine Erfahrungen aus der Beobachtung der heimischen jüdischen und arabischen Gemeinden als Direktor des Shin Beth, des israelischen Inlandsgeheimdienstes. Im Jahre 1952 beförderte Premierminister Ben-Gurion Harel zum stellvertretenden Direktor des Mossad. Seit jenem Jahr bis zu Harels Rücktritt im März 1963 sollte der Mossad einige seiner größten Erfolge verzeichnen, gekrönt durch die Festnahme Adolf Eichmanns. Doch als ägyptische Raketen die Titelseiten der israelischen Zeitungen beherrschten und im Kabinett für erregte Debatten sorgten, gerieten all diese Erfolge zeitweilig in Vergessenheit. Aber der israelische Geheimdienst bewegte sich rasch. Nur wenige Tage nach der Kairoer Militärparade, Ende Juli 1962, gründete Isser Harel eine Spezialeinheit innerhalb seiner Dienststelle, die sich mit den ägyptischen Raketen beschäftigen sollte. Der militärische Geheimdienst seinerseits forderte Wolfgang Lotz auf, sein Wissen über Nassers Raketen zu bewerten. Er wurde auch beauftragt, detaillierte Listen mit Namen und Adressen aller deutschen und sonstigen ausländischen Experten aufzustellen, die an ägyptischen Militärprojekten arbeiteten. Lotz machte sich auf den Weg nach Paris, im Gepäck zwei Dokumente, die entscheidende Informationen über den Stand des Raketenprojektes lieferten. Das Erste enthielt Mikrofilmdetails über ägyptische Steuerungssysteme für ballistische Raketen. Zu ihrer nicht

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

geringen Erleichterung erfuhren die Israelis auf diese Weise, welche Probleme die Ägypter mit einem zuverlässigen Steuerungssystem hatten.

Abb. 17: Mossad-Chef Isser Harel im Jahre 1970 Das zweite Dokument sollte sich als noch weit wichtiger herausstellen und knapp ein Jahr später als Beweismittel in einem Basler Gerichtssaal Verwendung finden. Es handelte 337

Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

sich um einen auf den 24.  März datierten Brief von Wolfgang Pilz an Kamil Azzab, den ägyptischen Direktor der Factory 333. 3 In diesem Brief erbat Pilz von der ägyptischen Regierung den Betrag von 3,7  Millionen Schweizer Franken, um Teile und Ausrüstung für insgesamt 900  Raketen zweier verschiedener Typen kaufen zu können. Der Enthüllungsjournalist Ronen Bergman schließt sich der Meinung früherer Autoren an, wonach Harel dieses Schreiben während eines Treffens mit Premierminister Ben-Gurion am 16.  August 1962 benutzt habe. Es sei ihm darum gegangen, die außerordentlichen Qualitäten des Mossad unter Beweis zu stellen.4 Während der Unterredung mit Ben-Gurion machte sich Harel, der für Deutschland und die Deutschen nichts übrig hatte und des Premierministers These von einem neuen, „besseren“ Deutschland nicht teilte, für eine sofortige Aktion gegen die deutschen Wissenschaftler in Kairo stark. Er empfahl Ben-Gurion, er möge persönlich von Bundeskanzler Adenauer den Rückruf der Deutschen vom Nil fordern. Doch der Premier zögerte. Im Gegensatz zu seinem Geheimdienstchef, der keinen Moment daran zweifelte, dass die Deutschen abermals die Auslöschung der Juden ins Werk zu setzen versuchten, hielt er sich zurück; er wollte die fragilen Beziehungen zu Bonn, die nicht zuletzt durch die geheimen Waffenlieferungen der Bundesrepublik an Israel unterfüttert waren, wegen der in Ägypten tätigen Experten nicht riskieren. Mit Ben-Gurions Segen sandte Shimon Peres am 17. August 1962 ein Telegramm an die israelische Handelsmission in Köln – diplomatische Beziehungen bestanden noch nicht  – dessen Inhalt Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß mündlich mitgeteilt wurde. Der Text hob Israels Besorgnis wegen der Fachleute in Ägypten hervor und meldete Zweifel an, dass man in Bonn von deren Treiben am Nil nichts gewusst haben wolle. Peres wies ferner darauf hin, dass die Expertentätigkeit der Politik der Bundesregierung zuwiderlaufe, die doch auf die Schaffung engerer Beziehungen zu Israel setze. Er schloss die Botschaft mit dem Ausdruck der Hoffnung, dass die Bundesregierung etwas gegen die Tätigkeit ihrer Staatsbürger in Ägypten unternehmen werde. Die Antwort von Strauß fiel ausführlich hinsichtlich vager Versprechen und knapp im konkreten Detail aus. Ganz allgemein sicherte der Minister zu, sich um eine Beendigung der Arbeit von Deutschen an Nassers Waffen kümmern zu wollen. Um seinen israelischen Gast zu beruhigen, gab Strauß noch sein persönliches Urteil über die fachlichen Qualitäten von Wolfgang Pilz ab. Dieser sei absolut unter den gegenwärtigen Standards seines Arbeitsgebietes tätig.5 Die offenkundige deutsche Unlust, sich die israelischen

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Vgl. Bergman, Schattenkrieg, S. 92. Eine schlecht lesbare Kopie des Briefes von Pilz in französischer Sprache findet sich in: ETH Zürich, AfZ, NL Georges Brunschvig/57, Beweismittel von Georges Brunschvig, 1961–1964, Nr. 14. Bergman, Schattenkrieg, S. 92 und Sirrs, Nasser, S. 59. Deutschkron, Israel, S. 236. Unklar bleibt, worauf Strauß sein Urteil über Pilz stützte.

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Raketen made in Egypt „die Zweite“: „Ägypten beginnt in Stuttgart“

Sorgen energisch zu eigen zu machen, gepaart mit Tel Avivs Furcht vor Fortschritten bei der ägyptischen Waffenentwicklung, trug dazu bei, dass nun in Israel die Überzeugung an Boden gewann, man müsse eine beherztere Strategie entwickeln, um „Nassers Deutsche“ zur Räson zu bringen. Bereits am 27. August 1962 hatte sich Israels Außenministerin Golda Meir bei einem Treffen in Florida an den amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy in der Expertenfrage gewandt. Frau Meir konfrontierte den Präsidenten dabei auch mit den höchstwahrscheinlich auf Otto Joklik zurückgehenden, unbewiesenen Informationen über eine künftig drohende radiologische Kontamination der Atmosphäre über Israel infolge ägyptischen Raketenbeschusses. Die USA hörten auf diese Weise erstmals über entsprechende, angeblich in Vorbereitung befindliche Waffen. Ihre Reaktion muss, so Owen L. Sirrs, eine Mischung aus Verwunderung und Besorgnis gewesen sein. Auf jeden Fall benötigte Washington Zeit, um die Informationen der israelischen Außenministerin zu prüfen.6 Aus den ersten Tagen des Jahres 1963 liegen inzwischen freigegebene Dokumente der CIA und der amerikanischen „Defence Intelligence Agency“ (DIA), also des Verteidigungsnachrichtendienstes, vor, die sich mit dem Stand der ägyptischen Raketenentwicklung zu jener Zeit befassten und die möglicherweise das Ergebnis der Mitteilungen Frau Meirs an Präsident Kennedy waren.7 Die CIA kam in ihrer Beurteilung der „UAR Delivery Capabilities for Nuclear, Biological, and Chemical Weapons“ vom 8. Januar 1963 zu dem Schluss, dass Ägypten bis 1964 „ein paar“ (a few) ballistische Raketen entwickeln „könnte“, vorausgesetzt, das Land erhalte Teilelieferungen aus dem Ausland und dass die deutschen Wissenschaftler ihre Arbeit für Nasser fortsetzten. Auf Ministerin Meirs Behauptungen eingehend, bekräftigte die CIA in dem Bericht, dass Ägypten nicht die Infrastruktur zur Herstellung atomarer Waffen und „nahezu“ keine Kapazität zur Herstellung biologischer Waffen habe. Die Einschätzung des Geheimdienstes deutete an, dass Kairo einen kleinen Vorrat „toxischer“ Chemiemunition aus einer Quelle des sowjetischen Blocks besitze, ohne jedoch die Art dieser Waffe zu spezifizieren. Die CIA, so Owen L. Sirrs, machte keine Angaben darüber, ob Ägypten noch im Besitz von Beständen chemischer Stoffe sei, die von den Briten zurückgelassen worden sein könnten. Die DIA legte am 24. Januar im Weißen Haus einen von ihr erbetenen Bericht über Ägyptens Fähigkeiten zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen vor. Dieser Bericht wich kaum von den CIA-Erkenntnissen ab. Er hob die Tatsache hervor, dass das Raketenprogramm entscheidend von den deutschen Experten hinsichtlich Entwurf und Konstruktion abhing, während die wesentlichen Baukomponenten aus dem Ausland bezogen würden. Die DIA glaubte nicht, dass Ägypten die Kapazität besitze, einen atomaren Sprengkopf für die El 6 7

Sirrs, Nasser, S. 106. Das Folgende nach ebd., S. 106f.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

Zafir bzw. El Kahir zu konstruieren. Zwar habe das Land einen kleinen Reaktor mit einem zugehörigen Forschungsprogramm, doch beide seien so begrenzt, dass jegliches Potenzial für die Entwicklung nuklearer Waffen ausgeschlossen sei. Weder Kairos Raketen noch sein Atomforschungsprogramm werde einen signifikanten Effekt auf das rein militärische Gleichgewicht im Nahen Osten haben. Während Ägypten wahrscheinlich eine „kleine Anzahl“ an Raketen bis 1964 entwickeln könne, sei diese Zahl zu gering, um irgendwelche militärischen Konsequenzen zu zeitigen. Das Fehlen von Nuklearwaffen auf Seiten Ägyptens werde die Effektivität seiner Raketen „streng begrenzen“, meinte die DIA. Jedoch billigte sie Nassers Projektilen einen gewissen Wert sowohl für Propaganda als auch für „psychologische Kriegsführung“ zu. Außenministerin Golda Meir sprach auch den CDU-Politiker Franz Böhm bei seinem Besuch in Israel aus Anlass des zehnten Jahrestages des Luxemburger Abkommens am 30. August 1962 auf das Expertenproblem an.8 Sie bezeichnete es als einen „furchtbaren Gedanken“, dass „sich so bald nach der Katastrophe der nationalsozialistischen Judenverfolgung schon wieder Deutsche danach drängten, an einem Plan der Tötung von Juden und der Zerstörung jüdischer Städte und jüdischen Lebens teilzunehmen“; sie ersuchte den Gast deshalb, sich dafür einzusetzen, dass sich Bonn von den Wissenschaftlern und Technikern öffentlich distanziere und das gesetzlich Erforderliche zur Unterbindung ihrer Aktivitäten am Nil unternehme.9 Inzwischen hatte Wolfgang Lotz auf seinem Posten in Kairo alles darangesetzt, Klarheit über Namen und Funktionen der deutschen Experten in Erfahrung zu bringen, und so machte er sich im September 1962 mit entsprechenden Listen erneut auf den Weg nach Paris. Die Identifizierung jedes einzelnen Fachmannes war nun Teil der verstärkten Anstrengungen, um das „wahre Gravitationszentrum“ (Sirrs) in dem ägyptischen Raketenprogramm auszuschalten – eben jene deutschen Experten. Mit der Neutralisierung der wichtigsten dieser Fachleute glaubte man beim Mossad, dem ägyptischen Programm den Boden entziehen zu können, denn der Ausfall eines jeden von ihnen würde durch Kairo nicht so leicht zu ersetzen sein: „Wissenschaftler wachsen nicht auf Bäumen“10. Indessen ist es durchaus denkbar, dass Wolfgang Lotz unwissentlich oder aber vorsätzlich seine Erkenntnisse über das ägyptische Raketenprogramm gegenüber der Zentrale in Israel in zu drastischen Farben gemalt und damit den Falken im Mossad in die Hände gespielt hatte  – unwissentlich, weil er möglicherweise

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Bundeskanzler Adenauer hatte seinerzeit, wie bereits erwähnt, Böhm zum Leiter der deutschen Delegation bei den „Wiedergutmachungsverhandlungen“ ernannt. Zur Zeit seines Israel-Besuches im Jahre 1962 war er Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Vgl. Hansen, Schatten, S. 639. So ein israelischer Geheimdienstler, hier zitiert nach Sirrs, Nasser, S. 60.

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Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt

die Angeberei seiner deutschen Gäste auf seinen Partys allzu sehr für bare Münze genommen hatte, vorsätzlich vielleicht insofern, als er durch die von ihm aufgebaute Raketen-Drohkulisse immer größere Zuwendungen von seinen Dienstherren zwecks Finanzierung seines aufwändigen Lebensstils locker machen konnte.11 Wahrscheinlich verzögerte Premierminister Ben-Gurion seine Autorisierung jener israelischen Geheimdienstaktionen in Europa, die gemeinhin unter dem Begriff Operation „Damokles“ subsummiert werden. Er wollte zunächst noch eine Reaktion Bonns auf den Vorstoß von Shimon Peres bei Franz Josef Strauß abwarten. Als diese nicht in befriedigender Weise erfolgte, gab er grünes Licht für eine Kampagne gegen die Experten am Nil. General Meir Amit als Chef des militärischen Geheimdienstes erhob keine Bedenken, obwohl er vermutlich der Auffassung war, dass der Mossad die Bedrohung durch die Raketen übertreibe. Unterstützung fand Isser Harel hingegen bei Außenministerin Meir, die sich keine Illusionen über die Projektile machte und, ähnlich wie Harel, von einem neuen, besseren Deutschland nichts wissen wollte. Folglich rief sie zum „totalen Krieg gegen die Wissenschaftler“ auf, so, „als wenn diese durch und durch Nazis wären“12. Nachdem er Ben-Gurions Zustimmung hatte, flog Isser Harel nach Paris, um diejenigen Einsatzkräfte zu treffen, die die Operation „Damokles“ durchführen sollten. Zu diesen Kräften gehörte auch das ehemalige Mitglied der sog. Stern-Gang aus der Kampfzeit gegen die Briten in Palästina und künftige Premierminister, Yitzhak Shamir. Harel behielt sich die persönliche Kontrolle der Operation von wechselnden europäischen Quartieren aus vor.

Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt Es lassen sich mehrere Ereignisse unterscheiden, die in der wissenschaftlichen, aber auch in der belletristischen, Literatur – hier sei an Forsyths Bestseller „Die Akte Odessa“ erinnert – sowie in staatlichen Veröffentlichungen der Operation Damokles zugeordnet werden. Bis auf eines, der Nötigungsversuch an den Geschwistern Goercke in Basel, gelten alle bis heute als ungeklärt. Sie sind darüber hinaus, mal mehr und mal weniger, von üppig wuchernden Gerüchten umrankt.

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So jedenfalls die Argumentation von Roger Howard, Operation Damocles. Israel’s War Against Hitler‘s Scientists, 1951–1967, New York 2013, S. 173. Ebd.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

Der Flugzeugabsturz am Teutoburger Wald Das erste der fraglichen Ereignisse, der im Prolog skizzierte Flugzeugabsturz vom 7. Juli 1962 nahe Riesenbeck im Münsterland, bei dem der Pilot sowie die Gattin des Industrielobbyisten und Waffenhändlers Hassan Sayed Kamil, Herzogin Helene zu Mecklenburg, ums Leben kamen, wird heute eher selten der Operation Damokles zugeordnet. Ronen Bergman verliert in seinem „Schattenkrieg“ keine Silbe darüber. Frühere Autoren, wie etwa Inge Deutschkron, Zwy Aldouby und Jerrold Ballinger sowie Roger Howard, suggerieren zumindest, dass der Mossad bei dem Absturz mit von der Partie war.13 In jüngster Zeit waren es die Geschwister Beate Soller-Krug und Kaj Rüdiger Krug, die ihn noch einmal in die Nähe einer israelischen Geheimdienstaktion rückten.14 Quelle für diejenigen älteren Publikationen, die die Havarie der „Twin Bonanza“ mit einem israelischen Geheimdienst in Verbindung brachten, war zumeist der „Spiegel“-Artikel „Heidi und die Detektive“ vom 27. März 1963, in dem Israel wenig überzeugend für den Absturz verantwortlich gemacht wurde. Denn die Absturzursache wird hier zu Recht als „ungeklärt“ bezeichnet; allein ausgehend von der Vermutung, dass eigentlich Hassan Sayed Kamil der mutmaßliche Anschlag gegolten haben soll, wird in dem Artikel auf eine israelische Täterschaft rückgeschlossen. Sechs Wochen nach diesem Artikel machte der Spiegel dann konkret den israelischen Inlandsgeheimdienst Shin Beth – warum gerade den Inlandsgeheimdienst? – für den Absturz verantwortlich.15 Drei Tage vor dem Spiegel-Beitrag vom 27. März 1963 hatte die Hamburger Illustrierte „Stern“ einen reich bebilderten Artikel über „Attentate auf deutsche Raketenbauer“ in Ägypten gebracht, in dem auch der Flugzeugabsturz in Westfalen als Folge eines Anschlages gedeutet wurde. Es fällt auf, dass dieser im Tenor eher ägyptenfreundliche Beitrag Israel so gut wie nicht erwähnt, nur an entlegener Stelle einmal im Ton eines hanseatischen Understatements einräumt, dass man im jüdischen Staat die ägyptischen Raketen „besonders ungern“ sehe.16 Doch auch die damalige Bundesregierung rückte den Absturz zumindest in die Nähe israelischer Verantwortlichkeit. In einer Aufzeichnung über eine ausführliche Ressortbesprechung im Bundeskanzleramt vom 26.  März

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Deutschkron, Israel, S.  238; Aldouby/Ballinger, Silence, S.  267f.; Howard, Operation Damocles, S. 164. Klaus Offenberg aus Hörstel-Riesenbeck verarbeitete das Ereignis in seiner Heimat in einem Kriminalroman. Vgl. Klaus Offenberg, Unternehmen „Aasgeier“, Münster 2016. Ich danke Herrn Offenberg für zahlreiche Hinweise. Dank für Informationen zu dem Flugzeugabsturz schulde ich auch den Herren Echelmeyer und Werthmöller vom Heimatverein Riesenbeck e. V. Vgl. Soller-Krug/Krug, Ufer, S. 81. Der Spiegel Nr. 19 vom 8. Mai 1963, „36, 135 und 333“. Vgl. Stern, Heft Nr. 12 vom 24. März 1963, insbesondere S. 17. Der Artikel stammte von dem uns bereits bekannten Wolfgang Löhde, der, wie ebenfalls bereits erwähnt, ein Freund von Wolfgang Pilz war. Beide trafen sich wiederholt in Kairo.

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Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt

196317, in der es um eine israelische Parlamentsresolution „im Zusammenhang mit der Tätigkeit deutscher Raketenfachleute in der VAR“ ging, hieß es gleich zu Beginn: „Staatssekretär Globke erwähnte […] Straftaten, bei denen der Verdacht einer Beteiligung des israelischen Geheimdienstes vorliegt: 7.7.62, Absturz eines Flugzeuges in Westfalen, das von dem ägyptischen Rüstungsindustriellen Kamil gechartert worden war […]“18. Eine Variante des Verdachts lieferte der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Wienand. In einem Schreiben an NRW-Justizminister Josef Neuberger vom 31. Januar 1967 – immerhin mehr als vier Jahre nach dem Absturz – äußerte sich der Politiker wie folgt: „Mich interessiert weniger der Tod der Herzogin als der Tod des Piloten Tinnefeld. Je länger ich mich mit der Sache befasse, umso größer wird bei mir die Gewißheit, daß hier Nachrichtendienste am Werke waren, um es konkreter zu sagen, Herr Kamil selbst seine Finger im Spiel hatte“. In seiner Antwort an Wienand vom 28. Februar 1967 schrieb Minister Neuberger u. a.: „Zur Frage, ob der Flugzeugabsturz mit der Tätigkeit von Nachrichtendiensten in Zusammenhang steht, hatte der Generalbundesanwalt in Karlsruhe die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten angefordert. Er ist, wie er unter dem 17.7.1963 mitgeteilt hat, zu dem Ergebnis gelangt, daß die Auswertung der Akten keine Hinweise ergeben haben, die seine Zuständigkeit begründen könnten“19. Die deutsche, aber auch die internationale, Presse hatte sich seinerzeit nur deshalb so intensiv mit dem Flugzeugabsturz beschäftigt, weil Hassan Sayed Kamil darin involviert war. Doch spätestens da beginnen die Probleme. Während in der Rückschau vor allem Kamils wichtige Rolle bei der Düsenjägerentwicklung in Ägypten scheinbar zwangsläufig zu einem israelischen Geheimdienst als Drahtzieher zu führen scheint, sahen einige Zeitgenossen möglicherweise andere Täter am Werk: Kamils häufige Reisen nach Frankreich brachten sie in Verbindung mit dem Algerienkrieg und diesbezüglichem Waffenhandel. Auch wenn dieser Krieg zum Zeitpunkt des Twin Bonanza-Absturzes offiziell als beendet galt, war doch ein Racheakt nicht ganz auszuschließen. Dass möglicherweise eine Spur nach Frankreich führen könnte, äußerte

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Also fast auf den Tag genau zeitlich übereinstimmend mit der ersten Spiegel-Veröffentlichung über den angeblich von Israel zu verantwortenden Absturz. Vgl. AAPD, 1963, Bd. I, München 1994, Nr. 133. Die unkritische Qualifizierung des Absturzes als Folge einer „Straftat“ – von wem auch immer verursacht – überrascht hier insofern, als alle an dem Fall Interessierten Ende März 1963, also Monate nach dem Ereignis, wissen mussten, dass die Absturzursache letztlich ungeklärt geblieben war. Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland, Duisburg, Akte NW 377, Nr. 5960, 1962–1967. Bei Karl Wienand handelte es sich um den ehemaligen Agenten des Staatssicherheitsdienstes der DDR und Beteiligten an Skandalen in der Bundesrepublik, u. a. an der sog. Steiner-Wienand-Affäre im Zusammenhang mit dem Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt 1972. Wienand war von Rolf Sirch, dem Schwager des bei dem Absturz ums Leben gekommenen Piloten Hans Tinnefeld, um Mithilfe bei der Aufklärung des Falles gebeten worden. Im Sinne Sirchs regte Wienand bei Neuberger an, dieser möge sich doch einmal mit Rolf Sirch treffen.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

damals der Leitende Oberstaatsanwalt bei dem Landgericht Münster in einem Schreiben an Minister Neuberger vom 16. Dezember 1963.20 Zwei Todesanzeigen für „Helene Kamil, Herzogin zu Mecklenburg“ bzw. „Helene Kamilvon Mecklenburg“ erschienen umgehend am 10.  Juli in der „Neuen Zürcher Zeitung“ und nannten übereinstimmend ein „tragisches Flugzeugunglück“ als Todesursache.21 Hassan Kamil, der wahrscheinlich die Texte der Anzeigen entworfen hatte, trug schwer an einer Erfahrung mit einem anderen Flugzeugabsturz. Seine erste Frau, geborene Lott, war 1953 bei dem Absturz einer Linienmaschine der belgischen Fluglinie „Sabena“ auf dem Flughafen Zürich-Kloten ums Leben gekommen. Er selber hatte das Unglück überlebt, seine Gattin verstarb jedoch im Krankenhaus infolge einer Embolie. Mit seiner zweiten Frau, der Herzogin zu Mecklenburg, hatte Kamil die Abmachung getroffen, dass sie beide mit Blick auf ihre Kinder niemals zusammen fliegen würden. Unterstellt man, dass im Münsterland tatsächlich ein von wem auch immer geplantes Attentat vorlag, das sich prima facie gegen den Waffenhändler Hassan Kamil und nicht gegen seine Gattin richtete, hätte es irrtümlicherweise und tatsächlich „tragischerweise“ die Falsche getroffen, weil Kamil plötzlich und unerwartet seinen Flug von Westerland nach Düsseldorf abgesagt und spontan seine Ehefrau statt seiner hätte fliegen lassen, während er in dem gemeinsamen Ferienhaus in Kampen auf Sylt zurückblieb.22 Dem widersprechen jedoch die „abschließenden Untersuchungen der Sachverständigen“, welche der Leitende Oberstaatsanwalt bei dem Landgericht Münster mit Datum vom 7. Dezember 1962 an den NRW-Justizminister sandte. Darin heißt es u. a., dass Hassan Kamil das Charterflugzeug am Tag vor dem Absturz nach Westerland angefordert hatte, um an dem 7.  Juli mit der Maschine allein seine Ehefrau nach Düsseldorf bringen zu lassen. Von dort hätte sie am nächsten Tag, Sonntag, den 8. Juli, nach Aachen weiterreisen sollen, um dort am selben Tag an einer Taufe im Hause des Grafen StolbergStolberg teilnehmen zu können. Für die Nacht vom 7. auf den 8. Juli war im Düsseldorfer Hotel „Breidenbacher Hof“ „bereits ein Zimmer bestellt“, so der Untersuchungsbericht.23 Einer, der Hassan Kamil von Kairo her persönlich kannte, der spätere Leibwächter des Elektronikexperten Hans Kleinwächter, Hermann Valentin, lieferte 1973 in der bereits erwähnten Zeitungsserie über die deutschen Fachleute am Nil eine andere Erklärung dafür, dass Herzogin

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Ebd. Die von der Familie Kamils aufgegebene Anzeige nahm etwa ein Viertel einer NZZ-Seite ein, eine kleinere stammte von der Bekleidungsfirma Cosma, „Costumes et Manteaux S. A.“, deren Vizepräsidentin des Verwaltungsrates Helene Kamil der Anzeige zufolge offenbar gewesen war. Die Version des vermeintlich kurzfristig vorgenommenen Passagiertausches liefert z.  B. auch der „Stern“-Reporter Wolfgang Löhde in dem bereits erwähnten Stern-Bericht vom 24. März 1963. Vgl. Staatsarchiv Münster, Q 211, Generalstaatsanwaltschaft Hamm, Nr. 649, Bl. 3. Das Düsseldorfer Hotel teilte dem Verfasser auf Anfrage mit, dass aus der fraglichen Zeit keine Meldeunterlagen mehr existierten.

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Helene statt Kamil die Bonanza bestiegen hatte: Demnach hatte Kamil auf Sylt einen plötzlichen Anruf erhalten und eigentlich daraufhin in einer dringenden Angelegenheit umgehend nach Düsseldorf reisen müssen. Es sei ihm jedoch gelungen, seine Frau mit der Sache zu betrauen, worauf hin sie statt seiner den Flug angetreten habe.24 Unterstellt man, dass Valentin diese Version nur von Kamil persönlich mitgeteilt worden sein kann, bliebe ein unauflösbarer Widerspruch zwischen dem angeblichen „plötzlichen Anruf“ und dem seit längerem geplanten Besuch der Herzogin in Aachen. Der Untersuchungsbericht des Landgerichts Münster spricht von einer „augenscheinlich glücklichen Ehe“ Hassan Kamils mit seiner Frau und vermerkt eine Umarmung sowie einen Abschiedskuss, den Kamil ihr am startbereiten Flugzeug in Westerland gegeben habe. Abgesehen möglicherweise von dem nach Sylt mitgenommenen Hauspersonal war Kamil auf Sylt mit einiger Sicherheit der Einzige, der von dem Termin seiner Gattin in Aachen wusste. Um so mysteriöser wirkt dann eine „sinngemäß“25 wiedergegebene Frage Kamils am Tag nach dem Absturz an der Absturzstelle gegenüber den ermittelnden Beamten, ob ein Sprengstoffanschlag vorliege. Denn er habe ursprünglich selber anstelle seiner Frau mit der Maschine fliegen wollen, und, so Kamil vor Ort, es könne durchaus sein, dass „ihm jemand etwas in das Flugzeug“ habe legen wollen. Man ist geneigt zu fragen: Wer wollte denn nun zur Taufe nach Aachen, Kamil oder seine Gattin? Denn gemeinsam wollten sie absprachegemäß bekanntlich niemals fliegen. Noch am Nachmittag des Absturztages bat Kamil von Sylt aus einen eng befreundeten Düsseldorfer Juwelier, sich umgehend auf den Weg zur Absturzstelle zu machen, damit dieser in dem Wrack nach einer Schmuckkassette mit Preziosen im Wert von mehreren hunderttausend DM suche. Der Juwelier tat wie ihm geheißen, doch stellte sich Kamils Befürchtung als Fehlalarm heraus, denn die fragliche Kassette war auf Sylt geblieben. Es fand sich Schmuck im Wert von „einigen 10 000 DM“, den die Herzogin gewöhnlich trug. Den Trauring der Herzogin im Wert von 18 [sic] DM – „ein liebes Erinnerungsstück Kamils“26 – fand ein Bundeswehrsoldat. Zu den Merkwürdigkeiten der Havarie gehört auch der staatsanwaltschaftlich gesicherte Befund, dass Hassan Kamil noch am Tag zuvor die Jahresprämie in Höhe von 36 000 Schweizer Franken für die Lebensversicherung auf den Todesfall seiner Frau Helene „bei Unfalltod“ bei

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Scherer/Valentin, „Raketen, Forscher und Agenten“, Teil IV, in: Die Rheinpfalz, 4. Oktober 1973. „Sinngemäß“, so Rolf Sirch in einem Schreiben an Bundesjustizminister Ewald Bucher vom 12. Oktober 1963. Sirch schloss noch die Frage an, ob durch Kamils Äußerung vor Ort nicht noch weitere Ermittlungen „in eine bestimmte Richtung geboten“ gewesen wären. Am Vortag, dem 11. Oktober, hatte eine Unterredung zwischen dem Minister und Sirch stattgefunden. Vgl. Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland, Duisburg, Akte NW 377, Nr. 5960, 1962–1967. Vgl. Westfälische Rundschau vom 13. Juli 1962 sowie Tecklenburger Landbote vom 18. Juli 1962.

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der Vita Lebensversicherung gezahlt hatte. Bei anderen Lebensversicherungen waren darüber hinaus für diesen Fall insgesamt 3,2 Millionen Franken fällig.27 Auch der Umstand, dass Kamil alles daran setzte, unmittelbar nach Bekanntwerden des Absturzes sämtliche Trümmerteile und verkohlte Leichenreste mit Hilfe eines Baggers der Bundeswehr an Ort und Stelle in großer Tiefe zu versenken, nimmt sich verstörend aus.28 Allerdings verhinderte ein Polizeibeamter in letzter Minute diese Aktion, mit der Kamil den Abtransport des Wracks zu näheren Untersuchungen nach Köln-Wahn verhindern wollte, so dass er nur das Reisegepäck seiner Frau in drei Metern Tiefe vergraben lassen konnte. Das Landgericht Münster stellte zu dem ursprünglichen Vorhaben Kamils fest, dieser habe wahrscheinlich unter „Schockeinwirkung“ gestanden, als er die kompletten Trümmerteile „überstürzt habe einscharren“ lassen wollen. Der erwähnte Untersuchungsbericht formulierte es als Tatsache, dass Kamil das Absturzgelände „binnen weniger Stunden käuflich erworben hatte“. Es handelte sich dabei um ein ca. 2000 qm großes Wiesenareal. Es ist rückblickend kaum begreiflich, dass die ermittelnden Behörden offenbar nie den Versuch gemacht haben, den angeblichen „Blitz“-Landkauf zu prüfen. Denn der hat in Wahrheit wohl nie stattgefunden. Die örtliche Lokalzeitung „Tecklenburger Landbote“ vom 12. Juli 1962 – also fünf Tage nach dem Absturz – berichtete, dass das Braunschweiger Luftfahrtbundesamt den Kauf vereitelt habe. Der Neffe des damals angeblich verkaufenden Landwirtes, Ludwig Rohmann, teilte dem Verfasser auf Anfrage mit, „nie und nimmer“ hätte sein Onkel „so etwas ohne Berücksichtigung der Vorerben und ohne Grundbucheintrag plus Beglaubigung gemacht“29. Das für das Wiesengelände des Bauern Rohmann zuständige Vermessungs- und Katasteramt des Kreises Steinfurt mailte dem Verfasser am 28.  Juni 2021, dass es 1962 „keine Möglichkeit ohne notariellen Kaufvertrag gegeben habe, ein Grundstück zu erwerben“. Im Liegenschaftsbuch des Bauern Rohmann seien auch „keine Grundstücksabgänge verzeichnet“.30 Man könnte den angeblichen Blitzkauf Kamils als eines von mehreren Gerüchten rund um den Absturz der Bonanza abtun. Doch steht zweifelsfrei fest, dass Kamil das Gelände zumindest hatte erwerben wollen. Für eine halbe Million DM plante er dort die Errichtung eines Denkmals für seine getötete Ehefrau. Der Entwurf war

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Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland, Duisburg, Akte NW 377, Nr.  5960, 1962–1967 sowie Staatsarchiv Münster, Generalstaatsanwaltschaft Hamm, Nr. 649, Bericht des Leitenden Oberstaatanwalts bei dem Landgericht Münster an den Justizminister des Landes NRW vom 11. Juli 1962. Ein Mitglied des örtlichen Luftsportvereins hatte die Bundeswehr im benachbarten Rheine unbürokratisch um Hilfe gebeten, nachdem ihn der diesbezügliche, dringende Wunsch Kamils erreicht hatte. Ich danke Herrn Rohmann für diese Mitteilung vom 18. Dezember 2019. Der Verfasser dankt Herrn Frank Kötterheinrich für diese Information.

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bereits eingereicht, aber Riesenbecks Bürgermeister machte diverse Auflagen für den Bau, die Kamil nicht zu erfüllen gedachte.31 Soweit die zugänglichen Akten dazu etwas hergeben, ist Hassan Kamil offenbar nie ernsthaft eines Anschlages auf seine Frau verdächtigt worden. Gerüchte in dieser Richtung gab es jedoch, denn der Vater der Herzogin, Herzog Georg zu Mecklenburg, wies seinerzeit entsprechende Verdächtigungen gegenüber der Presse als „völlig haltlos“ zurück.32 Als Herzog Georg im Jahre 1963 auf den Tag genau ein Jahr nach dem Tode seiner Tochter starb, erinnerte die „Rheinische Post“ auch an den seinerzeitigen „Mordverdacht“ gegen dessen Schwiegersohn Hassan Kamil. Auf die technischen Details der vom Bundeskriminalamt und dem Luftfahrtbundesamt durchgeführten Untersuchungen zur Absturzursache kann hier nicht eingegangen werden. Nur so viel:33 Es wurde festgestellt, dass der rechte Motor der Bonanza völlig zerstört, der linke hingegen „gut erhalten“ geblieben war. Jedoch ließ sich nicht zweifelsfrei klären, ob der intakte Motor schon vor dem Absturz ausgefallen war. Nach dem Gutachten des Luftfahrtbundesamtes erfolgte die Havarie durch „Unterschreiten der Mindestfluggeschwindigkeit“. Warum es zu dieser Unterschreitung gekommen war, blieb ungeklärt. Die Einwirkung von Sprengstoffen o. ä. konnte nicht nachgewiesen werden, ebenso wurde Sabotage ausgeschlossen. An den Leichenresten konnten keine Spuren von Fremd- und auch keine Gifteinwirkung verifiziert werden. Allerdings wollte der Untersuchungsbericht Gift nicht restlos ausschließen, da die Leichen in den brennenden Trümmern zeitweilig gekocht hätten und somit entsprechende Spuren nicht mehr nachweisbar gewesen seien. Auffallend breiten Raum nimmt in dem Bericht die Person des ausgesprochen routinierten Piloten Tinnefeld ein, der jedoch mit dem fraglichen Flugzeugtyp nur neuneinhalb Stunden Flugerfahrung besaß. Mit dieser Tatsache war auch vermutlich die telefonische Verabschiedung Hans Tinnefelds von seiner Frau kurz vor dem Start in Westerland zu erklären, die auch die Bitte des Piloten einschloss: „Bete für mich, damit ich wieder heimkomme!“34 Frau Tinnefeld machte diese Aussage vor der Staatsanwaltschaft. Ungeklärt blieb dem Untersuchungsbericht zufolge auch die Frage, ob Tinnefeld bei dem klaren Wetter eine Notlandung versucht hatte, zumal das Gelände dafür günstig und darüber hinaus sogar eine kleine Privatlandebahn in Absturznähe vorhanden war. Ein zu Beginn unserer Geschichte im Prolog erwähnter Zeuge des Geschehens hatte beobachtet, dass die Bonanza 31

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Eine Skizze des geplanten Denkmals findet sich in dem Aufsatz von Klaus Offenberg, Mysteriöses Unglück mit prominentem Opfer, in: Unser Kreis (Steinfurt, A. H.), Bd. 26, 2013, S. 241. Vgl. „Westfälischer Anzeiger und Kurier“, Hamm, vom 13.  Juli 1962, „Immer phantastischere Gerüchte“. Das Folgende nach dem zitierten Untersuchungsbericht des Landgerichts Münster. Vgl. Westfälische Rundschau, Dortmund, 13. Juli 1962.

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kurz vor der Erdberührung unvermittelt eine fast rechtwinklige Kurve in Richtung der Landebahn gezogen hatte. Diese Beobachtung führte später zu der Überlegung, dass der Pilot von einem plötzlichen Unwohlsein übermannt worden sein könnte35 und nun doch versuchte, eine Notlandung auf der Landebahn einzuleiten. Der Merkwürdigkeiten rund um den Absturz der Bonanza war kein Ende. In der Ibbenbürener Leichenhalle, wo die Herzogin vor ihrer Überführung in die Familiengruft Inzigkofen bei Sigmaringen aufgebahrt war, stand Hassan Kamil mit einem ledernen Gewehretui am Sarg. Noch in der Absturznacht hatte er ein Charterflugzeug (andere berichteten von zwei) nach Zürich fliegen lassen, wo aus seinem Haus in der Restelbergstraße das Gewehr samt Munition geholt und anschließend nach Ibbenbüren gebracht worden war. Die Munition stellte die Polizei sicher. Die Frankfurter Allgemeine vom 12. Juli 1962 schrieb, diese Aktion sei „möglicherweise der Mentalität“ des hinterbliebenen Ehemannes geschuldet. Denkbar ist aber auch, dass Hassan Kamil mit einem Attentat auf sich rechnete. Von den Flugzeug- und Raketenbauern in Ägypten hat sich offenbar nur der Triebwerksspezialist Ferdinand Brandner öffentlich zu dem Absturz der Bonanza im Münsterland geäußert. In seinen Erinnerungen widmet er ihm immerhin fast eine ganze Seite, wobei sein Interesse vor allem darin zu bestehen scheint, seinen ehemaligen Geschäftspartner Hassan Kamil und dessen getötete Ehefrau in günstigem Licht erscheinen zu lassen.36 Erstmals sei, so Brandner, bei der Causa Helene zu Mecklenburg der Verdacht aufgekommen, dass der „israelische Geheimdienst seine Hände im Spiel gehabt“ habe. Zutreffend fügt er aber hinzu, dass der Absturz von den zuständigen Stellen nie aufgeklärt werden konnte. Apodiktisch heißt es bei ihm jedoch auch: „Fest stand, daß das Flugzeug ursprünglich für Kamil gechartert worden und seine Frau erst im letzten Augenblick an seine Stelle getreten war“. Genau das aber war und ist die große Frage, wie wir gesehen haben. Ferner hebt Brandner hervor, dass „monatelang gegen Kamil der Verdacht eines vorsätzlichen Mordes zum Zweck eines Versicherungsbetruges geschürt“ worden sei. Dass dieser Verdacht sich allen Beteiligten geradezu aufgedrängt hatte, nachdem bekannt geworden war, dass Kamil eine wichtige Versicherungsprämie erst am Tage vor dem Flug seiner Gattin gezahlt hatte, erwähnt Brandner nicht, er dürfte es aber aufgrund der Presseberichterstattung gewusst haben. Ob Kamil ihm die Terminierung der Prämienzahlung einmal gesteckt hat, wüsste man gerne. Immerhin arbeiteten Brandner und Kamil über die Zürcher Meco nach dem Absturz noch viele Monate zusammen. Der Österreicher schließt diesen Abschnitt seiner Erinnerungen mit dem Fazit: „Die Bösartigkeit der Gerüchte machten Kamil menschenfeindlich und gereizt“.

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Vgl. Offenberg, Unglück, S. 241. Brandner, Leben, S. 325f.

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Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt

Fasst man die Erkenntnisse über den Flugzeugabsturz am Teutoburger Wald zusammen, bleibt als dessen Auslöser die vom Luftfahrtbundesamt ermittelte Ursache, ohne dass damit geklärt wäre, warum die Mindestfluggeschwindigkeit unterschritten wurde. Für die Beteiligung eines israelischen Geheimdienstes fand sich kein Hinweis, und so bleibt der Eindruck, dass etwa der Spiegel mit seiner zunächst nicht konkretisierten Behauptung in der Ausgabe vom 27.  März 1963, der „Geheimdienst Israels“ habe hier eine entscheidende Rolle gespielt, den zweifellos mysteriösen Vorgang einfach anderen, ungeklärten Ereignissen rund um die Raketenexperten am Nil des Herbstes 1962 und des Frühjahres 1963 zugeschlagen hat. Mit Hassan Kamil als einem der Hauptprotagonisten im ägyptischen Flugzeugbau drängte sich seine Verknüpfung mit dem Absturz geradezu auf. Ähnlich dürfte die Bundesregierung bei der erwähnten Ressortbesprechung am 26. März 1963 und damit einige Wochen vor der konkretisierten Shin-Beth-These des Spiegels in seiner Ausgabe vom 8. Mai verfahren sein. Gegen die Involvierung eines israelischen Dienstes – und hier käme doch wohl vor allem der Mossad in Frage – spricht eindeutig das Datum des Flugzeugabsturzes. Der 7. Juli 1962 lag noch fast zwei Wochen vor dem für Israel so entscheidenden ägyptischen Raketenspektakel vom 21. Juli und der martialischen Militärparade in Kairo kurz darauf, zwei Ereignisse, die, wie wir gesehen haben, einen Mann wie Isser Harel erst in Fahrt gebracht hatten. Bis dahin hatte man in Israel die Flugzeug- und Raketenbauer am Nil wohl auf dem Schirm, man hätte sich Anfang Juli aber wahrscheinlich noch nicht zu einer derart blutigen Aktion wie jener über dem Münsterland entschlossen, die immerhin auch den völlig unbeteiligten Hans Tinnefeld in den Tod gerissen hatte. Ronen Bergman berichtet in seinem „Schattenkrieg“ zwar über diverse Tötungsaktionen des Mossad – deren Sinn sei es gewesen, für die meist sorgfältig definierten Opfer „Treffen mit Gott zu arrangieren“37 – er hebt aber wiederholt auch hervor, dass dieser immer versucht habe, unschuldige Opfer nach Möglichkeit zu vermeiden.

Das Verschwinden von Heinz Krug und der Seitenwechsel Otto F. Jokliks War schon der Bonanza-Absturz am Teutoburger Wald ein höchst rätselhaftes Ereignis, stellte wenige Wochen später das Verschwinden des Intra-Chefs Heinz Krug in München ein noch größeres Arkanum dar. Krug ist seither nicht wieder aufgetaucht. Inzwischen wird sein Verschwinden überwiegend mit einer Mossad-Operation „Vitamin C“ im Rahmen von „Damokles“ in Verbindung gebracht. Während der „Spiegel“ rund drei Wochen nach dem Verschwinden die Meinung „deutscher und israelischer Kriminalisten“ referierte, wonach Krug von den 37

Bergman, Schattenkrieg, Inhaltsverzeichnis, Kapitel 3.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

Ägyptern gekidnappt worden sei38, fügte die bereits mehrfach hier zitierte Ressortbesprechung im Bundeskanzleramt vom 26. März 1963 das Verschwinden in die Reihe jener „Straftaten“ ein, für deren Urheberschaft „der israelische Geheimdienst“ verdächtigt wurde. Unmittelbar nach dem Ereignis tauchten verschiedene Thesen zu seiner Erklärung auf, die hier z. T. später ausführlicher dargestellt werden sollen. In Stichworten an dieser Stelle nur so viel: Abgesehen von der „ägyptischen These“39 hieß es etwa, Krug sei von einer unabhängig operierenden jüdischen Organisation nach Österreich verschleppt worden. Krug, so eine andere Version, habe sich  – aus welchen Gründen auch immer  – freiwillig abgesetzt, höchstwahrscheinlich nach Österreich. Und die angesehene israelische Zeitung „Haaretz“ landete schließlich einen echten Scoop, als sie im März 2016 behauptete, es sei Otto Skorzeny gewesen, der Krug im Auftrag des Mossad entführt, getötet, seinen Leichnam mit Säure übergossen und damit unauffindbar gemacht habe. Um es vorwegzunehmen: Auch dieser Text klärt den Fall Krug nicht, regt jedoch möglicherweise an, in bestimmte Richtungen weiterzuforschen.40 Das Jahr 2018 könnte man geradezu als ein „Jahr des Falls Krug“ bezeichnen. Nachdem das Thema jahrzehntelang vor sich hingeschlummert, die Staatsanwaltschaft München jedoch zumindest bis Februar 2018 die Akten des damals immerhin 56 Jahre zurückliegenden Falls noch nicht geschlossen hatte41, eröffnete zu Beginn jenes Jahres der bereits hier mehrfach bemühte israelische Journalist Ronen Bergman mit seinem „Schattenkrieg“42 eine neue publizistische Debatte um das Verschwinden Heinz Krugs. Die Veröffentlichung der deutschen Ausgabe des Buches von Bergman flankierend, strahlte die ARD am 22. Januar 2018 zu später Stunde das 38 39

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Der Spiegel Nr. 40 vom 2. Oktober 1962, „Freunde der Braut“. Jürgen Kleinwächter, der Sohn des Elektronikexperten Hans Kleinwächter, teilte dem Verfasser am 20. November 2020 telefonisch mit, dass Frau Krug, die Gattin von Heinz Krug, kurz nach dem Verschwinden ihres Mannes einen Brief erhalten haben soll, der den Ehering von Heinz Krug sowie den abgewandelten Goebbels-Spruch „Qui mange des juifs, en meurt“ – zu deutsch etwa: Wer Juden isst, stirbt an ihnen“ enthalten haben soll. Für diese Information findet sich sonst nirgends ein Beleg. Auf den ersten Blick scheint der französische Spruch eine Warnung vor den Juden darzustellen, d. h., Krug könnte von ägyptischer Seite gekidnappt worden sein, weil er möglicherweise zu den Israelis überlaufen wollte. Denkbar ist aber auch, dass dieser Spruch von israelischer Seite lanciert wurde, gerade um die Ägypter als verantwortlich dastehen zu lassen. Laut dem Buch von Beate Soller-Krug und Kaj Rüdiger Krug waren die Krugs seinerzeit mit der Familie Kleinwächter befreundet. Vgl. Soller-Krug/Krug, Ufer, S. 82. Eine Anfrage des Verfassers vom 14. November 2019 beim ZDF ergab, dass der Fall Krug in der seit 1967 ausgestrahlten Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“ etwa als „Cold Case“ niemals thematisiert worden ist. Ob es Überlegungen in der zuständigen Redaktion dazu gegeben hat, lässt sich nach Auskunft des ZDF nicht mehr klären. Ich danke Herrn Dr. Veit Scheller vom ZDF für entsprechende Mitteilungen. Vgl. Soller-Krug/Krug, Ufer, S. 253. Es sei darauf hingewiesen, dass themenbedingt der Fall Krug nur ganze drei des über 800 Seiten starken Werkes einnimmt.

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Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt

Feature „Geschichte im Ersten: Der Mossad, die Nazis und die Raketen“ von Ronen Bergman und Kersten Schüssler aus.43 Am Tag zuvor hatte sich bereits das ARD-Kulturmagazin „Titel, Thesen, Temperamente“ („ttt“) mit dem Thema beschäftigt. Binnen weniger Tage folgte der Bayerische Rundfunk mit der Sendung „Verschleppt, verhört, erschossen: War der Mossad verantwortlich für das Verschwinden des Geschäftsmannes Heinz Krug?“ Dem schloss sich ein Auftritt der Geschwister Soller-Krug und Krug in der TV-Sendung „SWR 2-Nachtcafe“ mit dem Titel „Vermisst, verschollen, verschwunden“ an. Jetzt endlich konnte auch das Buch der Geschwister, das hier bereits wiederholt herangezogen worden ist, auf den Markt gebracht werden, nachdem der „Münchner Merkur“ zuvor auf dessen Vorabdruck verzichtet hatte. Ronen Bergman steuerte ein Vorwort zu dem Buch „Am Ufer des Nils“ der Geschwister bei, in dem er u. a. die Entführung und Verschleppung Heinz Krugs nach Israel als Tatsache darstellt, Krugs Tötung durch einen Mann des Mossad hier aber nicht erwähnt, bestenfalls andeutet. Krug sei nie wieder gesehen worden, und der Grund dafür finde sich in seinem, Bergmans, Buch.44 Im Folgenden soll zunächst die derzeit aktuelle Version des Falls Krug, eben jene von Ronen Bergman gelieferte, skizziert und anschließend um ein paar wichtige Fakten ergänzt werden, die Bergman, aus welchen Gründen auch immer, nicht präsentiert, die aber heute unstrittig sind. Schließlich sollen mit Blick auf Bergmans Darstellung einige Fragen formuliert und Ungereimtheiten aufgezeigt werden. Entsprechend der oben dargestellten Reaktion in Israel auf neue und beunruhigende Details zum ägyptischen Raketenprogramm, beschloss Mossad-Chef Isser Harel in seinem europäischen Hauptquartier Paris, die deutschen Experten „entweder zu entführen oder zu eliminieren“45. Heinz Krug sei dann sozusagen seine zweite Wahl gewesen, weil man die eigentliche Zielperson, Wolfgang Pilz, nicht habe ausfindig machen können. Am Montag, dem 10.  September 1962, habe gegen 17.30  Uhr bei Krug zuhause in München-Laim ein Mann angerufen, so Bergman, der sich als Saleh Qaher – in anderen Texten auch Saleh al-Kaher – vorgestellt habe. Er sagte, er spreche im Auftrag von Oberst Said Nadim, der rechten Hand 43

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Ich danke Kersten Schüssler für diverse Informationen. Für das Folgende vgl.: Susanne Benöhr-Laqueur, Im Fadenkreuz, http://www.hagalil.com/2018/08/causa-krug/print/, heruntergeladen am 12. April 2019. Soller-Krug/Krug, Ufer, S.  10. Offenbar war Bergman der vollständige Text des Buches der Geschwister nicht bekannt, sonst hätte ihm an dessen Ende ein nicht unerhebliches Missverständnis auffallen müssen. Dort findet sich angesichts der Enthüllungen Bergmans in seinem „Schattenkrieg“ die rhetorische Frage: „Warum ist der Mossad plötzlich so erpicht darauf, die Hosen runterzulassen? […] Der Mossad, ein Meister der Desinformation, soll nun plötzlich reuevoll und ehrlich agieren?“ Ebd., S. 255. Bergman hatte im Vorwort zu seinem Buch ausdrücklich betont, dass der Mossad eben nicht mit ihm kooperierte, ihm und seinen Informanten bei ihren Recherchen vielmehr Schwierigkeiten aller Art gemacht hatte. Bergman, Schattenkrieg, S. 93. Das Folgende nach ebd., S. 93–95.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

Mahmoud Khalils in Kairo. Nadim bitte um ein Treffen mit Krug in München in einer dringenden Angelegenheit und dies möglichst sofort. Krug habe Nadim gut gekannt, schreibt Bergman zutreffend. Nadim lasse ihn grüßen, ließ Qaher „mit überaus freundlicher Stimme“ Krug wissen. Er, Qaher, sei im Münchner Hotel „Ambassador“ abgestiegen und warte dort auf ihn. Die Sache, um die es gehe, fuhr Qaher fort, sei geschäftlich, und es werde ein ordentlicher Gewinn für Krug dabei herausspringen. Die Hintergründe seien jedoch „etwas speziell“ und könnten deshalb keinesfalls im Büro der Intra besprochen werden. Krug habe daran nichts Verdächtiges geargwöhnt und die Einladung zum Treffen mit Qaher, dessen Existenz mit anderer Schreibweise auch in anderen Darstellungen bezeugt ist, in dem Hotel für den Abend angenommen. Qaher war laut Ronen Bergman in Wahrheit ein langjähriger Mitarbeiter des Mossad namens Oded. Im Irak geboren, hatte er sich dort dem zionistischen Untergrund angeschlossen und 1949 das Land in Richtung des neuen Staates Israel verlassen. Während seiner Zeit in Bagdad hatte er zusammen mit arabischen Kindern die Schule besucht und ging ohne Weiteres als Araber durch. Seit vielen Jahren arbeitete er inzwischen für den Mossad gegen arabische Ziele. Oded alias Qaher traf sich mit Heinz Krug in der Lobby des Ambassador. Dort habe Qaher dem Deutschen erklärt, Oberst Nadim brauche ihn „für eine wichtige Aufgabe“, schreibt Bergman. Am nächsten Tag, dem 11. September, kam Qaher zum Büro der Intra, um Krug zu einer Villa außerhalb der Stadt abzuholen. Krug habe sich erfreut gezeigt und ihn den Mitarbeitern seiner Firma vorgestellt. Völlig arglos habe er gewirkt. Mit dem neuem Mercedes der Intra, der üblicherweise von Krug gesteuert wurde, ging die Fahrt dann zum Treffpunkt. Die Chemie zwischen ihm und Krug habe während der Fahrt gestimmt, berichtete Oded Bergman in einem Interview. An der Villa angekommen, habe eine Frau die Tür geöffnet. Krug sei eingetreten, während Oded wie geplant draußen blieb, als sich die Tür hinter Krug schloss. Drei Agenten hätten sich im Haus über Krug hergemacht, ihn mit wenigen Hieben niedergestreckt, gefesselt und geknebelt. Kurzzeitig ohne Bewusstsein, untersuchte ihn ein Arzt, ein angeworbener französischer Jude. Er riet von Beruhigungsspritzen ab, da das Opfer unter leichtem Schock stehe. Als er wieder halbwegs bei Bewusstsein war, wurde Krug seine Lage klargemacht, als Gefangener bezeichnet, und bei Renitenz mit dem Tode bedroht. Krug versprach zu gehorchen. Anschließend brachte man ihn in einen „geheimen Raum“, der in einem VWBus installiert worden war. Mit mehreren Fahrzeugen fuhr die ganze Mannschaft einschließlich Isser Harels in „Richtung französische Grenze“, Ziel: Marseille. Kurz vor Erreichen der Grenze erklärte Harel dem Gefangenen, dass auf Knopfdruck tödliches Gas freigesetzt werde, wenn er beim Grenzübertritt einen Laut von sich gebe. Dann geht es bei Bergman sehr schnell. Entgegen ärztlichem Rat habe man Krug starke Beruhigungsmittel verabreicht, und bei der Ankunft in Marseille sei er dann in eine El-Al-Maschine „gesteckt“ worden, die eigentlich 352

Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt

jüdische Einwanderer aus Nordafrika nach Israel bringen sollte. Gegenüber den französischen Behörden hätten die Mossad-Leute Krug als erkrankten Israel-Immigranten ausgegeben, so Bergman. Parallel zu dem Kidnapping startete der Mossad laut Bergman eine Desinformationskampagne, der zufolge Heinz Krug mit Ägypten gebrochen und sich mit viel Geld in Richtung Südamerika aus dem Staub gemacht habe. Zusätzlich ließ der Mossad gegenüber den Medien die Behauptung durchsickern, dass Krug mit Mahmoud Khalil und seinen Leuten Streit gehabt habe und offenbar von Männern aus deren Umgebung entführt und ermordet worden war. In Israel angekommen, sah sich Krug Bergman zufolge „in einer geheimen Mossad-Anlage inhaftiert und harten Verhörmethoden unterzogen“. Zuerst habe er geschwiegen, doch im Verlauf mehrerer Monate habe er „üppige Früchte“ getragen, wie ein Mossad-Bericht wisse, schreibt Bergman. Krug habe ein gutes Gedächtnis gehabt und sei über „sämtliche organisatorisch-administrative Einzelheiten des Raketenprojekts“ im Bilde gewesen. Zusätzlich hätten sich Dokumente in seiner Brieftasche als „hilfreich“ erwiesen, so dass am Ende ein „ganzes Lexikon von Informationen“ entstanden sei. Offensichtlich um seinen Kopf zu retten, bot sich Krug als Mossad-Agent in München an. Die Israelis schwankten ob dieser Offerte, entschieden sich aber dagegen, weil sie einen Verrat Krugs fürchteten, sobald er wieder auf deutschem Boden wäre. Isser Harel, schreibt Bergman, „entschied sich für den leichteren Ausweg. Er befahl S. G., einem seiner Männer, Krug an einen verlassenen Ort nördlich von Tel Aviv zu bringen und zu erschießen. Ein Flugzeug der Luftwaffe holte den Leichnam ab und warf ihn ins Meer“. Nach Bergman fand die Tötung Krugs nicht die ungeteilte Zustimmung derjenigen Mossad-Leute, die von ihr wussten. Diese Tat sei „unverzeihlich, ein Schandfleck, der an uns allen haften blieb“, habe sich einer geäußert, der später ein erbitterter Gegner Harels werden sollte. „Typisch Isser“, kommentierte ein anderer, der sich nicht vorstellen konnte, dass sich Harel das Einverständnis Ben-Gurions für diese Aktion geholt haben könnte. Soweit die Darstellung Ronen Bergmans. Sie leuchtet insofern ein, als sie sich in Grundzügen mit der Mossad-Aktion in Argentinien gegen Adolf Eichmann nur zwei Jahre zuvor deckt, jedoch mit dem Hauptunterschied, dass das kritische Transportmittel im Fall Krug zunächst ein VW-Bus und kein den Atlantik überquerendes Flugzeug war. Die Geschwister Krug bescheinigen in ihrem Buch Ronen Bergman, dass dieser in seinem „titanischen Werk der Zeitgeschichte“46 den Entführungsfall Heinz Krug in „allen Einzelheiten zur Sprache“ gebracht habe. Das war wohl ein wenig übertrieben, wie die Krugs selber gewusst haben dürften. Man muss Bergman freilich zugutehalten, dass er dem Fall Krug angesichts der viel umfassenderen Thematik seines „Schattenkrieges“ nur sehr begrenzt Raum

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Soller-Krug/Krug, Ufer, S. 255.

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widmen konnte. Nun zu einigen Punkten, die Bergman in seiner Version nicht erwähnt, die sich aber in anderen Quellen finden. Bei dem abendlichen Anruf Qahers in der krugschen Wohnung am 10. September hatte sich Heinz Krug erstaunt darüber gezeigt, dass der Anrufer seine Telefonnummer kannte, obwohl sie nicht im Telefonbuch stand. Jemand musste Qaher offenbar eingeweiht haben. Nach Darstellung der beiden Rheinpfalz-Autoren Scherer und Valentin zeigte sich Heinz Krug beim Verlassen des Intra-Büros zusammen mit Qaher einen Moment unschlüssig, ob er das Angebot seines Mitarbeiters, Michael Erasmus, ihn mit Qaher zu begleiten, nicht doch annehmen sollte. Er verzichtete dann darauf, wies Erasmus aber ausdrücklich an, auf seine zurückgelassene schwarze Aktentasche besonders achtzugeben.47 Die Tasche sollte noch eine besondere Rolle spielen. Von Bergman nicht genannte Fakten betreffen beispielsweise auch den zweifellos auffälligen Mercedes 300 SE der Intra, mit dem Krug in Begleitung Qahers am Vormittag des 11.  September vom Büro der Intra in den südlichen Münchner Vorort Solln gefahren war. Solln war als Treffpunkt mit Nadim angegeben worden. Krug soll seiner skeptischen Ehefrau und den Mitarbeitern der Intra beim Verlassen des Büros versprochen haben, ausschließlich nach Solln zu fahren und spätestens nach zwei Stunden wieder zurückzukehren. Die Münchner Ausgabe der „Bild“ berichtete dann in ihrer Ausgabe vom 15. September, dass der Mercedes zwei Tage später stark verschmutzt in Solln aufgefunden worden sei. In dem Wagen fand die Polizei nach der Darstellung der Geschwister Krug den Reisepass von Heinz Krug sowie Landkarten, über deren thematische Gegenstände jedoch nichts bekannt wurde.48 Der mit der ägyptischen Raketenproblematik eng vertraute „Stern“-Reporter Wolfgang Löhde fertigte auf Konzeptpapier des „Sterns“ einen „Vorläufigen Ermittlungsbericht“ zum „Thema Dr. Krug“ an, in dem u. a. Details um den Mercedes deutlich abweichend von dem soeben Geschilderten erscheinen.49 Löhde hatte offenbar Zugang zu polizeilichen Ermittlungsergebnissen. Nach seinen Recherchen wurde das Fahrzeug gegen Mitternacht des 12. September vor dem Haus Gollierstraße 15 im Münchner Westend „abgestellt“, also vermutlich von Solln dorthin gefahren. Am 15. September wurde Löhde zufolge in der Münchner „Ettstraße“50

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Scherer/Valentin, Raketen, Forscher und Agenten, VI, in: Die Rheinpfalz, 6. Oktober 1973. Es darf vermutet werden, dass der Ko-Autor Hermann Valentin aufgrund seiner Tätigkeit für die deutschen Raketenexperten nach dem Verschwinden Heinz Krugs eigene Recherchen angestellt und wahrscheinlich dabei auch Erasmus befragt hat. Soller-Krug/Krug, Ufer, S. 44. Eine Nachfrage des Verfassers bei Frau Soller-Krug wegen der Landkartenthematik blieb unbeantwortet. Archiv des BND, Akte 100614_OT, Bl.  198ff., Bericht „angefangen München, den 25.  9.  1962, beendet München, den 3.  10.  1962“, Hamburg, 17.  Oktober 1962, künftig zitiert „Vorläufiger Ermittlungsbericht“. Synonym für den Sitz des Münchner Polizeipräsidiums.

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der Tachometer des Mercedes ausgelesen mit dem „aktenkundig niedergelegten“ Ergebnis, dass dieser am Tag des Verschwindens von Heinz Krug genau 21 km gefahren worden war, was, so Löhde, der Strecke „von München nach Solln und zurück“ in die Gollierstraße „mit Umwegen“ entspräche. Der Ermittlungsbericht Löhdes weiß weder etwas von einer starken Verschmutzung des Fahrzeugs noch von Landkarten sowie einem Reisepass in seinem Inneren, wovon die Geschwister Krug berichten. Sollten sich diese Gegenstände dennoch in dem Wagen befunden haben, dürfte damit versucht worden sein, falsche Spuren zu legen, so wie dies ein paar Monate später bei einem Anschlag auf den Elektronikexperten Hans Kleinwächter in Lörrach der Fall sein wird. Gelegentlich taucht in Berichten über den Fall Krug ein Anrufer bei der Polizei auf, der zwei Tage nach dem Verschwinden des Geschäftsmannes dessen Tod mitgeteilt habe.51 Der Stern-Reporter Wolfgang Löhde behauptet, vier Tage nach dem Verschwinden Heinz Krugs habe ein Unbekannter dessen Gattin in der Wohnung der Familie Krug aufgesucht und die baldige Rückkehr ihres Mannes angekündigt.52 Auch ist häufig die Rede von einem Brief Oberst Said Nadims, mit dem dieser sich über Qaher bei Krug habe einführen wollen53, eine Version, die aufgrund der gut dokumentierten, persönlichen Nähe der Familie Krug – dazu weiter unten mehr – zu Nadim wenig überzeugend klingt. Nur die Geschwister Krug erwähnen in ihrem Buch, so will es scheinen, eine Briefbombe, die vier Tage nach dem Verschwinden Heinz Krugs in der Wohnung seiner Familie eingetroffen sei und rechtzeitig von der Polizei entschärft werden konnte. Wenige Tage später, so die Geschwister, fand die Polizei dann im Lüftungsschacht der krugschen Wohnungstoilette noch eine Bombe, die ebenfalls unschädlich gemacht wurde. Auch dieser Vorgang findet sich nur in dem Buch „Am Ufer des Nils“. Ronen Bergmans Version, der zufolge Heinz Krug vom Mossad entführt und ermordet wurde, hat in der deutschen Medienlandschaft bei Erscheinen seines „Schattenkrieges“ weithin Zustimmung gefunden.54 Bei einem Urteil über seine Darstellung gilt es aber zu bedenken, dass er einen eindeutigen Beweis für die Täterschaft des Mossad nicht vorlegt und die von ihm herangezogenen Quellen nicht oder nur schwer überprüfbar sind.55 Wie erwähnt, reiste Isser 51 52 53 54

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Sirrs, Nasser, S. 61, der sich wiederum auf verschiedene israelische Autoren stützt. Archiv des BND, Akte 100614_OT, Bl. 293. Deutschkron, Israel, S. 238, die aber auch nur von einem „angeblichen“ Brief Nadims schreibt. Vgl. z.  B. Willi Winkler, Die gezielte Tötung des Heinz Krug, Süddeutsche.de, https://www. sueddeutsche.de/politik/geheimdienste-gezielte-toetung-1.3835879, heruntergeladen am 10.  Januar 2019 sowie Spiegel online, „Raketenkrug“. Mordauftrag vom Mossad-Chef, von Marcel Rosenbach, http://www.spiegel.de/einestages/mossad-chef-gab-mordauftrag-so-starb-1962-der-geschaeftsmannheinz-krug-a-1188698.html, heruntergeladen am 24. Dezember 2018. Eher kritisch hingegen BenöhrLaqueur, Fadenkreuz. Bergman führt für den Fall Krug und die gesamte deutsche Expertenproblematik in Ägypten sehr oft als Quelle ein „Mossad German Scientists Dossier“ an, das er von „Toblerone“ erhalten habe

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Harel Bergman zufolge vor dem Verschwinden Heinz Krugs am 11. September 1962 bereits im August jenes Jahres nach Paris. In ihrem Standardwerk zu den israelischen Geheimdiensten schreiben die Autoren Ian Black und Benny Morris, dass sich Harel jedoch erst am 7. Oktober nach Europa begeben habe, er also die Operation Vitamin C gegen Heinz Krug vor Ort gar nicht hätte leiten können. Black und Morris stützen sich bei der Datierung auf ein hebräisch geschriebenes Buch von Isser Harel aus dem Jahre 1982.56 Selbst wenn man unterstellt, dass Harel vor dem 11.  September in Europa war, bleibt die Frage, warum er ursprünglich, wie Bergman schreibt, Wolfgang Pilz als erstes Opfer ausersehen hatte, diesen aber nicht hatte lokalisieren können. Dem Mossad musste zu jener Zeit bekannt sein, dass sich Pilz im Sommer 1962 ganz überwiegend in Ägypten aufhielt, und seine gelegentlichen Kurzbesuche in der Bundesrepublik hätten sich kaum für eine sorgfältig geplante Attacke auf ihn geeignet – von der Frage seines Aufenthaltsortes in Westdeutschland einmal ganz abgesehen. Eine weitere Frage ergibt sich, wie schon angedeutet, im Zusammenhang mit der Person des Obersten Said Nadim, der Krug außerhalb Münchens unbedingt habe sprechen wollen. Nebenbei bemerkt: Einige Autoren wollen von einem Brief Nadims wissen, den Qaher Krug im Hotel Ambassador übergeben habe. Krug habe nach Überfliegen des Briefinhalts angesichts des Anfangsbuchstabens „N“ in der Unterschrift Nadims ein wenig gestutzt und sich vorgenommen, zuhause einen Vergleich mit früherer Weihnachtspost Nadims vorzunehmen.57 Zwar schreibt Bergman, wie ebenfalls erwähnt, dass Nadim und Krug gut miteinander bekannt gewesen seien. Diese Charakterisierung des Verhältnisses der beiden zueinander erscheint doch ein wenig blass. Nach allem, was über das Verhältnis der ganzen Familie Krug zu Nadim bekannt ist, kann einem die Reaktion Heinz Krugs auf die über Oded alias Qaher übermittelte Bitte Nadims nach einem Gespräch mit Krug in der Villa bei München nur befremdlich vorkommen. Die Geschwister Krug widmen in ihrem Buch Oberst Nadim breiten Raum; Kaj Rüdigers Schwester Beate berichtet nicht nur von gemeinsamen Unternehmungen Nadims mit ihrer Familie in Ägypten einschließlich eines Helikopterfluges in das Gebiet des Assuan-Staudamms, sondern sie bekennt auch freimütig, für den gutaussehenden Ägypter „geschwärmt“ zu haben, ja in ihn „verknallt“ gewesen zu sein.58 Überdies sei Nadim wiederholt bei der Familie Krug in München zu Besuch gewesen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Förmlichkeit Nadims gegenüber Heinz Krug in München – mit oder ohne Brief – mehr als merkwürdig. Umgekehrt

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und das sich in seinem Archiv befinde. Vgl. Bergman, Schattenkrieg, S. 754, Endnote 13 des vierten Kapitels. Black/Morris, Mossad S. 296. Scherer/Valentin, Menschenraub in München, in: Die Rheinpfalz, VI, 6. Oktober 1973. Soller-Krug/Krug, Ufer, S. 103.

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hätte es Krug stutzig machen müssen, dass Nadim angeblich Qaher vorschickte, um das Treffen zu vereinbaren. Nachdenklich stimmt in Bergmans Schilderung darüber hinaus die von Harel angeblich gewählte Entführungsroute in die französische Hafenstadt Marseille. Leichtes Grübeln überkommt einen bereits, wenn man bei Bergman liest, dass Harel Ende August in Europa eingetroffen sei, angeblich zunächst mehr oder weniger verzweifelt mit seinen Leuten nach Wolfgang Pilz gesucht habe und dann bereits rund 10 Tage später ein mit einem Geheimraum für einen 180 cm großen Mann präparierter VW-Camper zur Verfügung gestanden habe. Das Grübeln verstärkt sich beim Blick auf die Landkarte: Mit der rund 1000  km langen, damals weitgehend autobahnfreien, Strecke wäre damit ein sehr langwieriger und risikoreicher Weg gewählt worden, der mit der höchstwahrscheinlich notwendigen Querung des Rheins etwa bei Kehl kaum die Möglichkeit einer Einreise nach Frankreich über die „grüne Grenze“ geboten hätte, es sei denn, man hätte eine Route über die Pfalz mit nicht unbedeutendem Umweg oder aber über die Schweiz mit zwei Grenzübergängen gewählt. Zudem erscheint eine enge Abstimmung zwischen dem Mossad und französischen Geheimdiensten zwecks „geräuschloser“ Überquerung der Rheingrenze im Jahre 1962 nicht (mehr) sehr wahrscheinlich, da Frankreich seit dem Amtsantritt von Präsident Charles de Gaulle im Jahre 1958 die bis dahin außerordentlich enge französisch-israelische Kooperation in ihrer Intensität deutlich heruntergefahren hatte. Wenn schon eine Entführung ins Ausland, warum dann nicht von München in das nahe gelegene Österreich? Nach vorheriger Auskundschaftung hätte sich hier vermutlich ein Weg über die grüne Grenze in die Alpenrepublik finden lassen, was auch die starke Verschmutzung des aufgefundenen Mercedes erklären könnte.59 Dass der Mossad, wenn es denn unbedingt hätte sein müssen, auch eine Transportmöglichkeit für Heinz Krug von Österreich nach Israel gefunden hätte, darf man nach der Entführung Eichmanns aus Argentinien wohl annehmen. Das Stichwort „Österreich“ soll uns von Ronen Bergmans Deutung des Falls Krug weg- und zu anderen Erklärungsversuchen hinführen. Die Raketenexperten in Ägypten unterhielten zeitweilig auch Geschäftsbeziehungen zu der Zürcher Firma „Patvag AG für Chemie und Elektrizität“, die u. a. Flugabwehrraketen im Angebot hatte. Auch Napalm-Brandbomben konnte sie grundsätzlich liefern, für ein 25-Tonnen-Geschäft mit Kairo schaltete sie jedoch aufgrund des schweizerischen Exportverbots für derartiges Material in den Nahen Osten die deutsche Firma „Dimex“ mit Sitz in KarlsruheWeingarten zwischen, die es unter der Bezeichnung „Opalm“ gemäß deutscher Gesetzgebung 59

Diese Erklärung widerspräche jedoch, das sei eingeräumt, den Rechercheergebnissen von Wolfgang Löhde, der wie erwähnt, von einer starken Verschmutzung des Fahrzeugs nichts berichtet. Ferner: Sollte die Fahrt mit dem Mercedes nach Österreich erfolgt sein, widerspräche dies dem ermittelten Kilometerstand des Fahrzeuges. Allerdings könnte Krug in Solln in ein weiteres Fahrzeug umgestiegen sein.

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nach Ägypten ausführen konnte. Vermittler dieses Geschäftes war kein Geringerer als Waldemar Pabst, jener Rechtsextremist der Weimarer Republik, der mit Rückendeckung von Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) im Januar 1919 die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg geleitet hatte.60 Die israelische Zeitung „Ma‘ariv“ führte im März 1963 ein Interview mit dem damaligen Patvag-Direktor Erwin Widmer. Der Schweizer erklärte darin, dass die „Leibwächter“ der in Ägypten tätigen deutschen Experten „ehemalige Nazis“ seien. Er selber kenne Sänger, Pilz, Goercke, Krug und Kleinwächter. Widmer teilte Ma‘ariv ferner mit, dass Pilz im Dezember 1962 in Ägypten bei Verhandlungen mit ihm ein Lieferangebot der Patvag über Flugabwehrraketen diese als „Spielzeug“ abgetan habe. Ägypten, so Widmer weiter, suche vor allem Fachleute für „Atomsprengköpfe“. Er habe Kairo zwei deutsche Wissenschaftler dafür empfohlen, die jedoch beide abgelehnt hätten.61 Als Tatsache formulierte er in dem Gespräch, dass sich der „verschwundene Krug in Österreich befinde, nachdem er Ägypten um 700 000 Schweizer Franken betrogen“ habe. Hingegen findet sich in Prozessunterlagen des Schweizer Rechtsanwaltes Georges Brunschvig eine knappe, undatierte Aufzeichnung, die wahrscheinlich auf einen Artikel der Journalistin Inge Deutschkron zurückgeht, und in der es heißt: „Nach genauesten Untersuchungen stellte es sich heraus, dass der deutsche Raketenexperte Dr. Heinz Krug […] sich nicht in Österreich befindet ‚Die Generalstaatsanwaltschaft Bayerns hat jedoch bis jetzt keine Spuren von ihm‘, sagte gestern in München Generalstaatsanwalt Dr. Bader“62. Zu den Widrigkeiten unserer Thematik gehört der Umstand, dass für einige wichtige Begebenheiten wenig belastbares, schriftliches Quellenmaterial vorliegt, und darüber hinaus in diesem Wenigen durchaus zwielichtigen Personen bedeutende Rollen zukommen. Das gilt zum einen für Otto F. Joklik und zum anderen für den bereits mehrfach erwähnten Hermann Valentin, der ehedem im Amt VI S des Reichssicherheitshauptamts als SS-Unterscharführer unter Otto Skorzeny tätig gewesen war.63 Beide, Joklik und Valentin, über ihre Tätigkeit in Ägypten miteinander verbunden, wurden im Zusammenhang mit dem Verschwinden Heinz Krugs erbitterte Feinde, da Valentin Joklik beschuldigte, in den Fall Krug verwickelt zu sein.

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Paul Kellner, Eine deutsch-schweizerische Zeitreise. Was Christoph Blocher mit dem Mord an Rosa Luxemburg zu tun hatte, in: Untergrund-Blättle 2019. https://www.untergrund-blättle.ch/politik/ schweiz/waldemar_pabst_ermordung_rosa_luxemburg_karl_liebknecht_5236.html. Nach „Der Bund“, Bern, 26. März 1963, Morgenausgabe. ETH Zürich, AfZ, NL Georges Brunschvig/58, Notizen und Arbeitsentwürfe, 1962–1964. Man fragt sich, woher die bayerische Generalstaatsanwaltschaft ihre Gewissheit im Hinblick auf Krugs Abwesenheit von Österreich bezog. Bundesarchiv, Berlin, Bestand R 9361-III, Archivnr. 212568, „Rasse- und Siedlungshauptamt-Fragebogen der SS“ von 1944, Valentin, Hermann, geboren 1913 in Kiel sowie ein handgeschriebener Lebenslauf Hermann Valentins ebd.

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Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt

Valentin stand mit dieser Vermutung nicht allein. So sagte der deutsche Raketenexperte der „ersten Stunde“ in Ägypten, Rolf Engel, vor der Landespolizei-Abteilung Freudenstadt des LKA Baden-Württemberg auf Vorladung Anfang April 1963 ausführlich über Otto Joklik aus, den er im Frühjahr 1961 in Rom kennengelernt hatte. Unter anderem hatte Engel von dem Stern-Reporter Wolfgang Löhde erfahren, dass Joklik die Hotelrechnung für den „Ägypter“ Qaher im Münchner Ambassador bezahlt hatte. Engel weiter: „Als ich von Löhde den Namen Joklik erfuhr, war mir sofort klar, daß er zu den Schlüsselfiguren des Verschwindens von Dr. Krug gehören müsse. Joklik hatte während seines Aufenthaltes in Rom auf mich einen äußerst ungünstigen Eindruck gemacht“. Auf die direkte Frage des Vernehmungsbeamten hinsichtlich seiner Meinung über die „Entführung“ Heinz Krugs antwortete Engel: „Ich bin heute davon überzeugt, daß der israelische Nachrichtendienst bei der Entführung von Dr. Krug die Hand im Spiel hatte. Gesprächsweise habe ich gehört, daß Dr. Krug nicht mehr am Leben sein soll. Ich glaube, diese Information habe ich von einem Angehörigen der Firma Bölkow“. Am Ende seiner Vernehmung wurde Engel nach möglichen Kontakten Krugs zu israelischen Stellen befragt. In seiner Antwort kam er auf seine Begegnung mit jenem nicht identifizierten Israeli zu sprechen, von dem bereits oben die Rede war und der seinerzeit von Engel hatte wissen wollen, ob Paul Goercke und Wolfgang Pilz „vertragstreu“ seien, d. h., ob sie ggf. zu den Israelis überlaufen würden. Ihm sei von einer Kontaktaufnahme Krugs mit israelischen Stellen nichts bekannt, meinte Engel, doch sei ihm erst „nach der Entführung des Krug der Gedanke gekommen“, dass der anonyme Israeli seinerzeit auf Dr. Krug angespielt hatte. „Beweise für eine Kontaktaufnahme zwischen den Israelis und Dr. Krug habe er jedoch nicht“64, hielt die Vernehmungsniederschrift über Engels Aussage fest. Doch auch von Otto Joklik sind Notizen überliefert. Sie beschäftigen sich mit Hermann Valentin. Unter dem Datum des 9. Juni 1963 fertigte Joklik einen Aktenvermerk „betreffend Valentin, Remscheid“, an.65 Inhalt des Vermerks waren  – glaubt man der Darstellung Jokliks  – „Erklärungen“ Valentins gegenüber dem Direktor der Abteilung Stahl der Firma Hugo Stinnes in Mülheim an der Ruhr, Esser, am 27. November 1962. Unklar bleibt, auf welchem Wege die Erklärungen zu Joklik gelangt sind. Unter Punkt 2 des Vermerks heißt es, „Valentin [hier stillschweigend korrigiert aus dem wohl irrtümlich eingesetzten Namen Esser, A. H.] stellte sich […] Herrn Dir. Esser als derzeitiger Angestellter der ägyptischen Regierung vor und erklärte, er sei von der ägyptischen Regierung beauftragt, zusammen mit der deutschen Polizei das Verschwinden des Dr. Heinz Krug aus München […], von

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Archiv des BND, Akte 22564_OT, LKA Baden-Württemberg, Vernehmungsniederschrift (Kopie), 1. April 1963. Faksimile des Vermerks bei Soller-Krug/Krug, Ufer, S. 87f.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma dem man annimmt, er sei von einem ausländischen Nachrichtendienst entführt worden, zu untersuchen und aufzuklären“.

Unter Punkt 3 findet sich die Aussage Valentins, er sei von den Ägyptern auch beauftragt, eine Untersuchung gegen Prof. Dr. Joklik durchzuführen, gegen den der Verdacht bestehe, über das Verschwinden von Heinz Krug mehr zu wissen, als er vorgebe und der mit der Sache zu tun habe. Valentin, so Punkt 4, „erkundigte sich in diesem Zusammenhang bei Dir. Esser, ob Prof. Dr. Joklik am 11. September 1962 bei der Fa. Stinnes und Dir. Esser gewesen sei“. Valentin erklärte außerdem, heißt es unter Punkt 5, er sei „von der ägyptischen Regierung beauftragt, die ägyptischen Bestellungen bei der Fa. Stinnes (Stahlrohre in Spezialausführung) abzuwickeln, die die Firma mit Mahmoud Khalil im Auftrag der Raketenexperten Pilz und Goercke vertraglich geregelt habe“.

Unter 7. „bestätigte Valentin schließlich, daß Prof. Joklik seinerzeit die volle Berechtigung und Befugnis hatte, das gegenständliche Material bei der Fa. Stinnes zu bestellen“. Otto Joklik ergänzte diese Informationen um Einzelheiten eines Gespräches bei der Firma EVAUGE in Gießen am 7. Januar 1963, in dem es um Fahrzeuglieferungen der Gießener nach Ägypten gegangen sei. Der EVAUGE-Geschäftsführer habe bei dieser Gelegenheit erklärt, „die Ägypter hätten seit einiger Zeit einen ehemaligen SD-Mann und Angehörigen des Reichssicherheitshauptamtes namens Valentin aus Remscheid angeheuert, um als Leibwächter für Besuche aus Ägypten zu fungieren“66. In dem mit „Kommentar“ überschriebenen Abschnitt seines Vermerkes bezeichnete Joklik Valentins Verdächtigungen als „ungeheuerliche Verleumdung und grenzenlose Unverschämtheit“, die in dem Abschnitt „Konsequenzen“ Jokliks Absicht nach sich zogen, entsprechende Strafanzeigen gegen Valentin bei der zuständigen Staatsanwaltschaft bzw. bei der „Bundesanwaltschaft Karlsruhe“ u. a. wegen dessen „Tätigkeit für einen ausländischen Geheimdienst“ zu stellen. Hermann Valentins Rolle als Leibwächter wurde auch bei dem Basler Prozess gegen Otto Joklik und den israelischen Agenten Ben-Gal im Juni 1963 offenbar. Hier trat er ungeniert revolvertragend im Gerichtssaal auf und wurde dort vom Verteidiger Joseph Ben-Gals, Rechtsanwalt Georges Brunschvig, „begrüßt“, was jener sich erhebend und „grinsend“ mit den Worten „Hier bin ich“ quittierte.67 Valentin hatte es damals nicht weit bis Basel: Im benachbarten 66

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Diese Information bestätigte Wolfgang Pilz in einem Schreiben vom 2. Februar 1963 an Wolfgang Löhde in Hamburg. Vgl. Archiv des BND, Akte 100614_OT, Bl. 288. Vgl. den Prozessbericht aus Basel im „Schwäbischen Tagblatt“ vom 15. Juni 1963.

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Lörrach schützte er bereits seit Monaten den Elektronikfachmann Kleinwächter und hatte zu diesem Zweck seinen Wohnsitz von Remscheid an den Oberrhein verlegt.68 Von all den genannten Punkten der Aufzeichnung Otto Jokliks verdient im Zusammenhang mit dem Verschwinden Heinz Krugs insbesondere der vierte Beachtung, denn hinsichtlich der in ihr behaupteten Nachforschung Hermann Valentins bei der Firma Stinnes wegen eines Besuches von Joklik dort am Tage des Verschwindens am 11. September 1962 gibt es eine bemerkenswerte Variante. Ein Aktenvermerk des LKA Baden-Württemberg vom 19. April 1963 hielt Folgendes fest: „Die Rolle, welche Joklik beim Verschwinden Dr. Krugs gespielt hat, ist äußerst merkwürdig. Dies geht aus den Akten Krugs deutlich hervor. U. a. fällt auf, dass er [Joklik, A. H.] auf den 12. 9. 1962 zum Osnabrücker Kupfer- und Drahtwerk bestellt war, jedoch bereits am 11. 9. 1962 dort entgegen der Verabredung erschienen war und von dort aus bei der Firma Intra in München anrief und sich nach Dr. Krug erkundigte. Dieser ist seit dem 11. 9. 1962 spurlos verschwunden. Es könnte daraus gefolgert werden, dass Joklik bereits zuvor Verbindungen zum israelischen Geheimdienst unterhielt und über die geplante Entführung Dr. Krugs informiert war. Um sein eigenes Wirken nicht deutlich werden zu lassen, beschaffte er sich ein entsprechendes ALIBI [sic], indem er nach Osnabrück fuhr, und gleichzeitig rief er bei Intra an, um sich zu erkundigen, ob die Entführung auch erfolgreich verlaufen war“69.

Egon W. Scherer und Hermann Valentin lassen Joklik in ihrer Rheinpfalz-Serie über die Raketenbauer in Ägypten am Abend des 10. September von München aus den Nachtzug nach Düsseldorf nehmen, von wo aus er aller Wahrscheinlichkeit nach anschließend Osnabrück angesteuert haben dürfte, um beim OKD vorzusprechen. Den beiden Autoren zufolge war es 68

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In einem Telefonat vom 11. November 2020 mit dem Verfasser bestätigte der Sohn Hans Kleinwächters, Jürgen Kleinwächter, diesen Sachverhalt und äußerte sich bei dieser Gelegenheit flüchtig unvorteilhaft über Valentin. Archiv des BND, Akte 22564_OT, Durchschrift des Aktenvermerks, Bl.  183. Die Geschäftsbeziehung des Osnabrücker Kupfer- und Drahtwerkes (OKD) mit Joklik geht auch aus einer Proforma-Rechnung des OKD an „Herrn Prof. Otto F. Joklik, Scientific Consultant, Salzburg“ usw. über 235 000 DM für acht „Schutzrohre in Spezialausführung“ hervor. Die Rechnung trug das Datum des 29. August 1962, also ca. zwei Wochen vor dem Verschwinden Heinz Krugs. In einem auf Englisch geschriebenen Brief des OKD an Mahmoud Khalil in Kairo vom 1. Oktober 1962 nahm die Firma Bezug auf einen kürzlich stattgefundenen Besuch von „Professor Joklik“ in Osnabrück, bei dem es um die Bestellung weiterer acht Kupfer-Cadmiumrohre ging. Zugleich wiesen die Osnabrücker Khalil darauf hin, dass das Geschäft nur dann zustande komme, wenn das OKD von der „Egyptian Black List“ gestrichen würde – offenbar ein Hinweis auf Geschäftsbeziehungen des OKD mit Israel. Vgl. ETH Zürich, AfZ, NL Georges Brunschvig/58, Notizen und Arbeitsentwürfe, 1962–1964 (Kopien).

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Heinz Krug gewesen, der Joklik zum Münchner Hauptbahnhof chauffiert hatte. Der anschließende apodiktische Satz der beiden Autoren: „Otto Joklik ist am 11. September nicht in München“ befremdet zunächst, doch stand hinter dem Satz wahrscheinlich die bejahende Auskunft von Direktor Esser von der Stinnes AG auf die Frage Hermann Valentins, ob Joklik am 11. September in Essen gewesen sei.70 Joklik selber hatte in seinem hier ausführlich erwähnten Aktenvermerk vom 9. Januar 1963 zwar die Frage Valentins nach seinem Besuch notiert, nicht jedoch Essers Antwort. Doch es sind noch mehr der Merkwürdigkeiten um Otto Joklik und Heinz Krug. Nimmt man an, dass Joklik tatsächlich am 11. September 1962 in Osnabrück gewesen war, muss er von dort mit schnellster Zugverbindung – der Flughafen Münster/Osnabrück wurde erst zehn Jahre später eröffnet – zurück nach München geeilt sein. Denn zwei Quellen berichten in einem Abstand von rund zehn Jahren über ein plötzliches Auftauchen Jokliks im Münchner IntraBüro am frühen Morgen des 12. September 1962. Die eine Quelle ist der soeben zitierte Aktenvermerk des LKA Baden-Württemberg vom 19. April 1963, die andere ein Teil der bereits mehrfach herangezogenen Artikelserie in der Rheinpfalz aus dem Jahre 1973. Der LKA-Aktenvermerk beschäftigt sich u. a. mit „Lichtbildern“ vom Raketenabschuss in Ägypten am 21. Juli 1962, bei denen es sich um jenes Material gehandelt haben dürfte, das Rolf Engel, wie oben erwähnt, von seinem israelischen Kollegen Jaron gezeigt bekommen hatte. Der Vermerk enthielt nun die Vermutung, dass die Israelis in den Besitz von Abzügen der Fotos gekommen sein könnten: als Lieferant käme Otto Joklik oder aber Heinz Krug in Frage, der den „Film“ [sic] im Bunker des Abschussgeländes gemacht hatte. Dies unter der Voraussetzung, dass Krug als einziger im Bunker gefilmt hatte. Für Joklik als Lieferant der Israelis spräche laut dem Vermerk, dass aus den Akten Krugs hervorgehe, dass Joklik am Tage nach dem Verschwinden Krugs im Büro der Intra und in der Wohnung Krugs „umhergesucht“ habe, u. a. auch in der „Aktentasche von Dr. Krug. Er könnte dabei den fraglichen Film gefunden und den Israelis zugespielt haben. Der Film ist seit dem Verschwinden Dr. Krugs unauffindbar“71. Dieser Sachverhalt, der in der Aufzeichnung des LKA nur knapp geschildert wird, wird in der Rheinpfalz ausführlich dargestellt und soll hier vollständig wiedergegeben werden. Unter der Überschrift „Mutmaßungen über Joklik“ heißt es im siebten Teil der Serie, die am 9. Oktober 1973 erschien: „Als am Morgen des 12. September das Ehepaar Erasmus“ – Michael Erasmus arbeitete als Bürovorsteher, seine Gattin als Sekretärin bei der Intra –

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Vgl. Scherer/Valentin, Die Rheinpfalz, VI, 6. Oktober 1973. Archiv des BND, Akte 22564_OT, Bl. 184.

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Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt „die Treppe zu den Büroräumen hochsteigt, steht vor der verschlossenen Tür schon – Otto Joklik. Kurze Begrüßung und schon verschwindet Joklik in Krugs Zimmer. Die Tür bleibt offen. In ihrer glänzenden Schleiflacklackierung spiegelt sich wider, was im Raum geschieht. So kann Frau Erasmus von ihrem Schreibtisch aus beobachten, daß Joklik Schreibtisch und Schrank durchsucht, im Schrank schließlich Krugs schwarze Aktentasche findet, sie dann zum Schreibtisch trägt und dort gründlich unter die Lupe nimmt. Frau Erasmus wird unruhig. Man weiß ja, daß ‚Professor‘ Joklik viele Privilegien im Hause genießt, aber hat Dr. Krug nicht gestern noch besonders auf diese Aktentasche aufmerksam gemacht? Sie geht in Krugs Büro und fragt: ‚Suchen Sie etwas Bestimmtes, Herr Professor?‘ Joklik schlagfertig: ‚Ja, das Schreiben von Nadim!‘ Ein Joklik lässt sich nicht in Verlegenheit bringen, auch wenn er nicht wissen kann, daß er in der spiegelnden Tür beobachtet wird. Frau Erasmus läßt Joklik gewähren, ebenso ihr Mann. Joklik bleibt bis 17 Uhr in Krugs Büro sitzen, telefoniert, gibt Telegramme auf, beherrscht völlig die Lage“.

Zu diesem Zeitpunkt steigt bei Heinz Krugs Frau und den minderjährigen Kindern die Sorge über seinen Verbleib. Noch um 1 Uhr früh am 12. September hatte Frau Krug erstmals bei der Münchner Polizei wegen des Verbleibs ihres Mannes angerufen und um Hilfe gebeten, war jedoch von dem diensthabenden Beamten abgewimmelt worden. Egon W. Scherer und Hermann Valentin fahren im siebten Teil ihrer Rheinpfalz-Serie fort: „In Krugs schwarzer Aktentasche befanden sich mit Sicherheit der Film vom Raketenstart in der ägyptischen Wüste […], ein Scheck über 209 300 Schweizer Franken, ausgestellt von Mahmoud Khalil […], und bestimmt zur Erstfinanzierung einer neuen Handelsgesellschaft, die Dr. Krug nach dem Muster seiner Intra in Österreich gründen sollte, sowie ein weiterer Scheck über ca. 60 000 DM. Alle diese gewichtigen Dinge, die in der Tasche gewesen sein müssen, weil Krug stets seine kostbarste Habe mit sich führte, waren später verschwunden  – und nur einer hatte sich an der Tasche zu schaffen gemacht. Die ominöse Aktentasche Krugs überreicht Otto Joklik am Abend des 12. September höchstpersönlich Frau Krug, bei der er in Begleitung des Herrn Erasmus und des UAA-Direktors für Deutschland, Mohamed Hafez, erscheint. Die Tasche wolle er selber übergeben, hatte er Erasmus zu verstehen gegeben.72 Zur Überraschung der Frau Krug

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Eine „meldedienstliche Verschlußsache“ des BND notierte unter dem 27. März 1963 unter der Vorgangsbezeichnung „Waren GmbH“, dass die Aktentasche „gefunden“ worden sei. Sie habe eine „höhere Geldsumme (52 000 oder 152 000 DM)“ enthalten. Frau Krug beanspruche Tasche und Inhalt für sich, „nachweislich“ gehöre beides jedoch der Intra. Vgl. Archiv des BND, Akte 100615, Bl. 088.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma benimmt sich Joklik sehr autoritär, erklärt der verängstigten Frau, deren Sorge um den verschwundenen Gatten ständig wächst, unter den gegebenen Umständen könne er sie nicht allein lassen und habe deshalb beschlossen, im Arbeitszimmer Krugs zu nächtigen. Frau Krug willigt verschüchtert ein, Mohamed Hafez warnt sie noch, raunt ihr zu: ‚Seien Sie vorsichtig, ich traue Joklik nicht‘ – wenige Tage später ist Hafez, merkwürdig genug, ein toter Mann, Herzinfarkt. Um 3 Uhr morgens gibt Joklik plötzlich seine Beschützerrolle auf, verläßt so früh schon das selbstgewählte Quartier“.

Die Autoren Scherer und Valentin schließen diesen Teil ihrer Serie mit Spekulationen über Joklik und Krug. „Der Verdacht“, so meinen sie, „drängt sich auf: Joklik arbeitete damals schon für die Israelis und ließ für sie wichtige Unterlagen mitgehen, die Dr. Krug bei seinem plötzlichen Verschwinden zurückgelassen hatte. Das läßt die Deutung zu, daß auch Joklik, der möglicherweise mit Krug über dessen Übertritt ins israelische Lager verhandelte, von Krugs Verschwinden überrascht war und schnell noch rettete, was zu retten war. Demnach hätten die Ägypter den Dr. Krug gekidnappt. Es kann aber auch ebenso gut sein, daß doch die Israelis die Entführer waren, und Joklik in Krugs Büro und Wohnung nur ‚nachkarrte‘[sic], nachdem er selbst die Entführung inszeniert hatte. Vieles bleibt merkwürdig bei diesem ‚Menschenraub in München‘, nicht zuletzt Dr. Krugs Verhalten selbst. Warum nur ist dieser intelligente Mann auf jenes plumpe – gefälschte, wie sich erwies – Schreiben hereingefallen, das al Kaher ihm als Empfehlung von Nadim vorwies? Warum rief er Nadim, den er schon aus weit geringfügigerem Anlaß bemüht hatte, nicht kurzerhand in Kairo an und fragte nach der Richtigkeit? Verschwand der Dr. Krug am Ende höchst freiwillig zu den Israelis, nachdem schon eine Spur gelegt war, die den ägyptischen Geheimdienst belastete? Fragen, auf die es keine Antwort gibt“.

Gäbe es nicht die grundsätzliche Bestätigung dieser Vorgänge in den Unterlagen des BND, könnte man an einen fantasievollen Racheakt Hermann Valentins in der Rheinpfalz an Joklik denken, falls dieser seine Drohung mehrfacher Klagen gegen Valentin wahrgemacht haben sollte.73 Der in den BND-Papieren befindliche und hier herangezogene Aktenvermerk vom 73

Soller-Krug/Krug, Ufer. Die Geschwister erwähnen zwar mehrfach Joklik in ihrem Text, doch in anderen Zusammenhängen. Als Kinder scheinen sie ursprünglich Vertrauen zu Joklik gehabt zu haben, er sei ein Freund der Familie gewesen. Umso größer war dann die Enttäuschung, als sich Jokliks Tätigkeit für die Israelis offenbarte. Vgl. ebd., S. 85, 105 und 131. Die für die gesamte Operation „Damokles“ doch nicht unwichtige Figur des Otto Joklik erwähnt Ronen Bergman in seinem „Schattenkrieg“ mit keinem Wort. Eine entsprechende Anfrage des Verfassers blieb unbeantwortet.

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Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt

19. April 1963 nennt keine Quelle für die dort enthaltenen Ermittlungsergebnisse hinsichtlich Jokliks Verhalten am 12.  September 1962, abgesehen von den summarisch so bezeichneten „Akten Dr. Krugs“, womit vermutlich die von den Behörden geführten Akten zum Fall Krug gemeint waren. Es ist daher nicht auszuschließen, dass Hermann Valentin von den Behördenvertretern als Zeuge befragt worden war, und dieser bei jener Gelegenheit die Geschichte von den besagten Aufenthalten Jokliks erzählte, die er dann zehn Jahre später in der Rheinpfalz-Serie erneut auftischte, und er somit in Wahrheit die einzige Quelle für die beiden hier geschilderten Varianten war. Wolfgang Löhde als einer der seinerzeit vermutlich besten Kenner des Falles Krug erwähnt in seinen einschlägigen Texten ebenfalls keinen längeren Aufenthalt Otto Jokliks in den Räumlichkeiten der Intra bzw. in der krugschen Wohnung nach dem Verschwinden des Kaufmanns und Juristen. Löhde schreibt, dass sich Joklik, nachdem er das Hotelzimmer für Saleh al Kaher im Ambassador bezahlt hatte, umgehend nach Hause in Richtung Salzburg begeben habe. Da Joklik einer der Letzten gewesen war, der mit Heinz Krug zusammen gewesen war, vernahm ihn die österreichische Polizei auf Wunsch ihrer Münchner Kollegen in seiner Salzburger Wohnung, worüber er äußerst „erbost“ gewesen sein soll. Am 17. September habe Joklik Briefe an das Hessische LKA in Wiesbaden, das Münchner Polizeipräsidium und sogar an das State Department in Washington geschrieben. Nach Löhde beschwerte er sich gegenüber den Amerikanern wegen der Nichtverlängerung seines US-Visums mit der Bemerkung, es handle sich dabei um einen „dirty Jewish trick“.74 Lassen sich die Geschwister Krug in ihrem Werk nur spärlich über die Aktivitäten Otto Jokliks aus, findet andrerseits eine wichtige Person bei ihnen Erwähnung, die in anderen Texten über das Verschwinden Heinz Krugs nicht vorkommt – eine Person, die wie eine graue Eminenz hinter dem Treiben der Raketenexperten in Ägypten wirkt. Es handelt sich dabei um den Rechtsanwalt, CSU-Landtagsabgeordneten und zeitweiligen bayerischen Staatsminister des Innern, Dr. Alfred Seidl. Seidl hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg bei den Nürnberger Prozessen einen Namen als Verteidiger von Rudolf Heß75 und Hans Frank76 gemacht. Nach dem Verschwinden ihres Vaters lassen ihn die Geschwister Krug in ihrem Buch unvermittelt in ihrer damaligen Wohnung in München-Laim „auftauchen“, wo ihre Mutter den Fremden als Bundesbruder ihres Mannes aus Breslauer Studienjahren und Freund der Familie vorgestellt habe. Die Schilderung der Person Seidls in der Erinnerung der Kinder gerät durchweg unvorteilhaft, zumal offenbar zwischen ihm und Frau Krug eine Auseinandersetzung um die Vormundschaft für die Kinder nach dem Verschwinden des Vaters stattgefunden hatte. Das 74 75 76

Archiv des BND, Akte 100614_OT, Bl. 295. Rudolf Heß (1894–1987) war „Stellvertreter des Führers“ Adolf Hitler. Hans Frank (1900–1946) war seit dem 25. Oktober 1939 Generalgouverneur im besetzten Polen.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

Verhältnis der Familie zu Seidl zerbrach dann endgültig, als klar wurde, dass die Staatsanwaltschaft dem Rechtsanwalt freie Hand über die krugschen Vermögensverhältnisse gegeben hatte. Im weiteren Verlauf unserer Geschichte wird uns Alfred Seidl noch einige Male begegnen, gelegentlich wird es dann auch um Leben und Tod gehen. Der siebte Teil der Rheinpfalz-Serie enthält die ansonsten nur sporadisch auftauchende Information, wonach Heinz Krug nach dem Vorbild der Intra eine weitere Handelsgesellschaft in Österreich gründen „sollte“. Dabei bleibt unklar, wie das Wort „sollte“ zu verstehen ist. Sollte er die Gründung auf Geheiß der Ägypter oder gar der Israelis vornehmen? Dass es höchstwahrscheinlich die Ägypter waren, geht aus einer englischsprachigen Aufzeichnung – datiert auf München, den 12.  Juni 1962  – hervor, die vermutlich von Otto Joklik stammt und die in dem erwähnten Basler Prozess Verwendung fand. Sie ist mit dem handschriftlichen Zusatz von Rechtsanwalt Georges Brunschvig überschrieben: „Lieferübersicht v. Joklik für Mahmoud“77. Es handelt sich bei dieser Übersicht um insgesamt 18 verschiedene Einkaufsposten von Material, Gerätschaften und Fahrzeugen im Rahmen des „Ibis“-Raketenprogramms – mehr dazu weiter unten – einschließlich genauer Rechnungsnummern. Am Kopf der Aufstellung findet sich der handschriftliche Zusatz „already in Cairo“, wahrscheinlich von Joklik. Zusätzlich sind in der Übersicht in Einzelfällen Transportwege und Teilnehmer von Einkaufsgesprächen angegeben. So nennt etwa Punkt 13 genaue Mengen von Kobalt, Goldperlen und Ammoniumsulfat78, die mit der United Arab Airlines von Frankfurt als Luftfracht an eine Kairoer Tarnadresse Mahmoud Khalils gesandt werden sollte. Punkt 5 führt diverse Messinstrumente im Wert von rund 15 600 DM auf, die durch „Colonel Nadim“ in dessen Reisegepäck mit der UAA von Frankfurt nach Kairo zu bringen waren. Ein Postscriptum zu der Aufstellung erwähnt eine Besprechung in den Münchner Räumen der Intra vom 27. August 1962, an der „Col. Mahmoud Khalil, Prof. Pilz, Prof. Joklik and Dr. Krug“ teilnahmen, ein weiteres nennt eine Verkaufsverhandlung bei der Gießener EVAUGE am 4. September 1962, bei der auf Seiten der EVAUGE die Herren Schubert und Krausser und „for the buyers“ dieselben Personen wie bei der Intra-Besprechung zugegen waren. Am Ende der Aufstellung findet sich folgende, nicht ganz schlüssige Bemerkung in englischer Sprache: „Alle […] genannten Lieferungen hätten durch eine neue Firma Austra GmbH & Co KG, Villach, Österreich, erfolgen sollen, die umgehend von Dr. Krug zu gründen war“79. Die Bemerkung 77

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ETH Zürich, AfZ, NL Georges Brunschvig/58, Notizen und Arbeitsentwürfe, 1962–1964. Am Fuße jedes Blattes der Lieferübersicht findet sich die mutmaßliche Paraphe Otto Jokliks („Jo“) mit dem Datum des 29. Oktobers 1962. Kobalt möglicherweise für die Verarbeitung in Batterien und für Speziallegierungen, Goldperlen für den Einbau in elektronische Bauteile und Ammoniumsulfat vermutlich für Feuerlöschgeräte. Vgl. ETH Zürich, AfZ, NL Georges Brunschvig/58, Notizen und Arbeitsentwürfe, 1962–1964. Für die Übersetzung danke ich Katrin Mrugalla.

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Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt

irritiert in ihrer sprachlichen Gestalt insofern, als die Liste den erwähnten Vermerk „already in Cairo“ trägt. Vermutlich war geplant, die Lieferungen tatsächlich über die von Krug zu gründende Firma Austra laufen zu lassen. Dazu kam es aber aufgrund seines Verschwindens offenbar nicht mehr, so dass die Lieferungen auf den bislang üblichen Wegen, etwa via UAA Frankfurt, erfolgten, wie dies in der Aufstellung auch wiederholt angemerkt ist. Auch eine weitere Proforma-Rechnung an „Herrn Prof. Dr. Otto Joklik“ in Salzburg, ausgestellt fünf Tage vor dem Verschwinden Heinz Krugs am 11. September 1962, nennt unter dem Punkt „Kommerzielle Abwicklung“ die Firma Austra in Villach, Hauptplatz, Hausnummer unleserlich. Für den Betrag von 240  000  DM sollte die Firma Brenntag in Mülheim an der Ruhr „10 Anordnungen Versuchssprengvorrichtungen für Bergbau“ an das „Institute of Advanced Technology, Dir. Prof. O. Joklik […] Cairo“ liefern80. Das LKA Baden-Württemberg hielt in einem Aktenvermerk vom 19. März 1963 fest, dass Joklik am 28.  September 1962 bei dem Osnabrücker Kupfer- und Drahtwerk einen Scheck über 11 400 DM verlangt und auch erhalten haben soll. Joklik habe argumentiert, er müsse diese Summe der Firma Austra [hier stillschweigend aus fälschlich Austria korrigiert, A. H.] in Villach überbringen. Joklik soll aber, so der Vermerk weiter, „diesen Betrag für sich behalten haben“. Die Ermittlungen in dieser Sache wegen Betruges zum Nachteil des OKD bzw. wegen Unterschlagung zum Nachteil der Austra seien noch nicht abgeschlossen.81 Soweit ersichtlich, taucht die Austra in der einschlägigen Literatur bislang nur in dem Buch der beiden Journalisten Michael Ben-Zohar und Nissim Mischal über den Mossad auf, die im Übrigen Otto Joklik für einen äußerst gefährlichen Mann halten, „vielleicht sogar der gefährlichste von allen Wissenschaftlern, die für Ägypten arbeiteten“82. Es heißt bei ihnen,

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Vgl. ETH Zürich, AfZ, NL Georges Brunschvig/58, Notizen und Arbeitsentwürfe, 1962–1964. Hier findet sich auch die Kopie eines auf den 28.  August 1962 datierten Lieferscheins der in Fellbach bei Stuttgart ansässigen Buchhandlung Harry Rytina an die Intra in München über folgende, in Kurzform genannte, Buchtitel mit abgekürzten Autorennamen: Reinhard: Atomwaffen, Braunbek: Forscher, Beyerle: Gaszentrifugen, Schrader: Kernexplosionen, Laurence: Menschen und Atome, Riezler: Kerntechnik sowie Miksche: Atomwaffen, jeweils ein Exemplar. Die Kopie lässt deutlich die Paraphe Otto Jokliks samt Datum des 11. September 1962 erkennen. Archiv des BND, Akte 22564_OT, Bl. 78. In einem Nachtrag zu diesem Aktenvermerk heißt es unter dem Datum des 21.  März 1963, dass sich das OKD nicht durch Joklik geschädigt fühle. Der von einem Kriminalmeister Textor angefertigte Nachtrag regte jedoch an, es müsse über die Intra „bei ägyptischen Stellen“ wegen des Verbleibs der 11 400 DM nachgeforscht werden. Michael Ben-Zohar und Nissim Mischal, Mossad. Missionen des israelischen Geheimdienstes, Köln 2016, S. 175f. Hier findet sich auch die Darstellung, der zufolge Mossad-Chef Isser Harel seinen Untergebenen Rafi Eitan dazu gebracht habe, wichtige elektronische Geräte, die für die Operationen gegen die deutschen Experten als unerlässlich angesehen wurden, über einen Kontakt mit dem jüdischen Gangsterboss von Miami, Meyer Lansky, in Chicago zu beschaffen. Die Geräte hätten bei ihrem Einsatz gegen die deutschen Fachleute „gute Dienste geleistet“, so Eitan später laut Ben-Zohar

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

Joklik sei ein österreichischer Physiker gewesen, „der sich auf radioaktive Strahlung spezialisiert hatte. Angeblich hatten die Ägypter ihn für ein streng geheimes Projekt angeheuert, das dem Land in Rekordzeit zu Atomwaffen verhelfen sollte. Sie planten, in Österreich eine Scheinfirma namens ‚Austra‘ zu gründen, deren Aufgabe es war, radioaktives Material für Jokliks Projekt anzukaufen und nach Ägypten zu liefern. Um eine Untersuchung durch die westdeutschen Behörden zu vermeiden, würde die Villacher Austra von der Intra strikt getrennt werden. Joklik sollte für Ägypten zwei Kerntests durchführen und mehrere, für die Sprengköpfe der neuen Raketen geeignete, Atombomben herstellen“83. „Ibis“ und „Cleopatra“ waren zwei geheime Projekte, mit denen Otto Joklik befasst war. Ibis galt dabei als sog. Abfallbombe, die mit radioaktiven Resten befüllt werden sollte. Ursprünglich sollte Joklik in diesem Zusammenhang weltweit nach Kobalt  60 Ausschau halten. Für den vorgenannten Basler Strafprozess gegen Joklik und den Israeli Ben-Gal ließ die Verteidigung Ben-Gals Proforma-Rechnungen eines kanadischen Lieferanten auswerten. Der Gutachter, Professor Walter Minder von der Universität Bern, kam zu dem Ergebnis, dass zwar eine Reihe der Substanzen, die unter Jokliks Federführung im Ausland für Kairo erworben werden sollten, eigentlich nur für medizinische Zwecke geeignet sei.84 Hinsichtlich einer einzigen Kobalt60-Bombe hielt er jedoch fest, dass deren Freisetzung von 156 000 Curie ausreichen würde, die Atmosphäre über ganz Israel zu vergiften. Das Cleopatra-Programm sah die Konstruktion einer Atombombe mit hochangereichertem Uran vor, das aus niederländischen und deutschen Zentrifugen bezogen werden sollte.85 Villach in Kärnten kommt auch in dem Buch der Geschwister Krug vor, jedoch hier im Detail erneut abweichend von anderen Darstellungen. Beate Soller-Krug berichtet, sie sei seinerzeit über das Gebaren des Rechtsanwaltes Alfred Seidl in den Finanzfragen ihrer Familie so erbost gewesen, dass sie sich – mit ca. 15 Jahren immerhin kaum dem Kindesalter entwachsen – entschlossen habe, zusammen mit einer Freundin etwas für ihren verschwundenen Vater zu unternehmen. Beide wollten sie zunächst mit ihren bescheidenen Ersparnissen Hilfe bei Otto Joklik in Salzburg suchen und anschließend zu Tante und Onkel nach Villach weiterreisen, wo sie sich Unterstützung durch eine örtliche Bank erhofften. Die Expedition der beiden Teenager endete jedoch bereits an der österreichischen Grenze bei Salzburg.86

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und Mischal. Vgl. ebd., S. 174f. Um welche Geräte es sich handelte, wird nicht deutlich. Das Buch der beiden Autoren kommt mit nur sehr allgemein gehaltenen Quellennachweisen aus. Ebd., S. 175. Trotz intensiver Recherche bei zuständigen Ämtern und Behörden in Villach sowie in der Kärntner Landeshauptstadt Klagenfurt konnte die Existenz einer Firma Austra GmbH im fraglichen Zeitraum nicht verifiziert werden. ETH Zürich, AfZ, NL Georges Brunschvig/58, Notizen und Arbeitsentwürfe, 1962–1964. Sirrs, Nasser, S. 63. Vgl. Soller-Krug/Krug, Ufer, S. 97.

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Auch in dem „Vorläufigen Ermittlungsbericht“ Wolfgang Löhdes taucht die Stadt Villach im Zusammenhang mit dem Verschwinden Heinz Krugs auf. Doch hier ist von engen Verwandten der Krugs in Kärnten keine Rede. Löhde berichtet, dass nach seinen bzw. polizeilichen Recherchen Heinz Krug am Morgen des 7. September 1962, also vier Tage vor seinem Verschwinden, allein eine Reise mit dem Mercedes der Intra nach Österreich, Norditalien und wieder zurück nach Österreich unternommen habe, auf die sogleich zurückzukommen sein wird. Am Abend des 7. September habe sich Krug bei seinem alten Schulfreund, dem Zahnarzt A. Barsch, in Sattendorf bei Villach zur Übernachtung einquartiert.87 Ob Heinz Krug keine Lust auf eine Übernachtung bei der Verwandtschaft hatte? Kannte Beate Krug den Schulfreund ihres Vaters nicht, oder hatten sie und ihre Freundin Angst vor einem Zahnarzt? Aber kehren wir noch einmal zur undurchsichtigen Rolle Otto Jokliks im Zusammenhang mit dem Verschwinden Heinz Krugs zurück. Das LKA Baden-Württemberg, das sich in dem hier bereits mehrfach bemühten Aktenvermerk vom 19. April 1963 ausführlich mit diesem Komplex beschäftigte, hielt unter einem Punkt 2 d auch fest, dass Joklik es nach LKA-Recherchen trotz mehrfacher Aufforderung seitens Kairos abgelehnt habe, zu geschäftlichen Besprechungen an den Nil zu kommen. Dies gehe aus den „Akten Krug, der Vernehmung Hermann Valentins“ und eines gewissen „Schubert“ hervor, bei dem es sich um den Gießener EVAUGE-Geschäftsführer gehandelt haben dürfte. Es wäre möglich, spekulierte man beim LKA in Stuttgart, „daß Joklik ab dem Verschwinden Dr. Krugs Bedenken hatte, nochmals nach Ägypten zu gehen, da dort vielleicht aus seiner merkwürdigen Rolle, welche er in der Sache Dr. Krug spielte und aus seinen Verbindungen zum israelischen Geheimdienst nachteilige Konsequenzen für ihn gezogen worden wären“. Allerdings sei es auch möglich, dass er einen Bogen um Ägypten mache, weil er im September 1962 ägyptische Stellen um einen Betrag von 87 000 DM betrogen habe.88 Zu den bisher skizzierten Versionen zum Verschwinden Heinz Krugs gibt es noch eine, in der Literatur bislang offenbar nicht berücksichtigte. In ihr tritt neben die zuvor erwähnten Personen eine weitere, vermutlich nicht unbedeutende Figur. Ihr Name: Allan H. Blair. Einzige 87

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Archiv des BND, Akte 100614_OT, Vorläufiger Ermittlungsbericht, Bl. 213. Die Existenz des Zahnarztes Dr. Barsch in dem etwas über 100 Seelen zählenden Ort Sattendorf am Ossiacher See im Jahre 1962 bestätigte die in Sattendorf lebende Familie Fleischhacker per Email vom 17. Juli 2021 gegenüber dem Verfasser. Die Praxis habe Dr. Barsch jedoch im nahen Villach betrieben. Ich danke Familie Fleischhacker für diese Informationen. Zum letztgenannten Punkt lag dem LKA eine Anzeige Kurt Schuberts von der EVAUGE vom 17. April 1963 vor. Vgl. Archiv des BND, Akte 22564_OT, Bl. 151. Die Wiener „Arbeiter-Zeitung“ vom 6. November 1964 meldete die Verbringung Otto Jokliks in Salzburger Untersuchungshaft wegen der mutmaßlichen Unterschlagung genau dieses Betrages aus einem Geschäft einer Essener Firma [Stinnes? A. H.] mit Ägypten. Auch die „Salzburger Nachrichten“ brachten am selben Tag einen Bericht unter der Überschrift „Dr. Joklik betrog Ägypten“.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

Quelle für diese Variante ist der „Stern“-Reporter Wolfgang Löhde mit seiner Nebentätigkeit für den BND und seinen – nach eigener Aussage – „besten Beziehungen“ zu Mahmoud Khalil.89 Bevor Löhde in einem offensichtlich als Entwurf für einen Stern-Artikel konzipierten Text auf Blair zu sprechen kommt, schildert er die bereits angesprochene Fahrt Heinz Krugs, die ihn zunächst nach Villach, dann für eine weitere Übernachtung nach Lido di Jesolo bei Venedig und schließlich in die Lagunenstadt selbst führte. Dort hatte er sich, Löhde zufolge, von Prof. Pilz, Major Nadin [sic] und Colonel Mahmud [sic] verabschiedet, die offenbar von Venedig aus mit dem Schiff nach Alexandria zu fahren im Begriff waren. Mit einem Scheck über 200 000 DM von Mahmoud Khalil ausgestattet, machte sich Krug von Venedig aus zurück auf den Weg nach Österreich, wo er in Großgmain bei Salzburg Otto Joklik von zuhause abholte. Gemeinsam fuhren die beiden Männer nach München, wo sie am 10. September, also am Tag vor Krugs Verschwinden, in der Wohnung Krugs eintrafen.90 Vorausgesetzt, dass sich hinter „Major Nadin“ kein anderer als der viel zitierte ägyptische Freund der Familie, Major Nadim, verbarg, stellt sich unwillkürlich die Frage, warum Heinz Krug am 10. September in München nicht stutzte, als ihm der Anrufer Qaher am Telefon mitteilte, Nadim wolle ihn am nächsten Tag unbedingt in einer Villa außerhalb der Stadt sprechen, denn er hatte sich doch gerade erst von Nadim in Venedig verabschiedet, und der Ägypter befand sich zum Zeitpunkt des Telefonats höchstwahrscheinlich auf einer Fähre nach Alexandria. Dieser Widerspruch ist derzeit nicht zu klären. Nach der Schilderung von Krugs Fahrt nach Österreich und Italien wirft Löhde in seinem Textentwurf recht unvermittelt einen Blick in das Leben Otto Jokliks. Er notiert u. a., dass Joklik während einer beruflichen Tätigkeit in Rom bei der italienischen Polizei wegen „Betrügereien“ aktenkundig geworden sei.91 Löhde schreibt ferner, dass es Irene Sänger-Bredt gewesen sei – Löhde: „Sie gilt als absolut integre Persönlichkeit“ – die Joklik in den Kreis der für Ägypten tätigen Experten eingeführt habe. Rom war für den Stern-Reporter offenbar ein wichtiger Ort im Fall Krug. Denn „ebenfalls in Rom ist dann auch der Mann zu

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Archiv des BND, Akte 28152_OT, Bl. 207. Archiv des BND, Akte 100614_OT, Bl. 293 und 213. Die Schreibweisen Nadin und Mahmud deuten darauf hin, dass Löhde den Text nicht selber getippt hatte, ihm mussten die richtigen bzw. üblichen Schreibweisen „Nadim“ und „Mahmoud“ geläufig gewesen sein. Auch die Autoren der RheinpfalzSerie, Scherer und Valentin, erwähnen im sechsten Teil, der am 9. Oktober 1973 erschien, eine Fahrt Krugs nach Venedig und Salzburg im fraglichen Zeitraum, wo dieser Joklik für seine Rückreise nach München abgeholt habe. Dieser Sachverhalt wird durch ein Schreiben von Professor Siegmundt Schmidt vom „Centro Italiano Ricerche Elettroniche Nucleari Roma“ vom 20.10.1962 aus Terracina an Wolfgang Löhde bestätigt. Der Briefkopf des Schreibens wies Schmidt auch als „praktischen Arzt“ für „Naturheilverfahren“ in Bad Rothenfelde aus. Löhde hatte Schmidt zu Otto Joklik befragt. Schmidt teilte nun mit, dass Joklik vom Direktor des Centro geholt worden sei, wo er „Lehrmaterial für Atomenergie“ beschaffen sollte. Joklik habe dafür „mehrere Millionen Lire“ erhalten und nichts besorgt. Vgl. ebd., Bl. 196.

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Hause“, fährt er fort, „der Frau Krug am Sonnabend, dem 15. September, besuchte und ihr versprach: ‚Am Donnerstag, dem 20. 9., ist Ihr Mann wieder zuhaus‘. Dieser Mann war Allan Blair, wohnhaft in Rom, Via Archimedes“92. Hauptberuflich, so Wolfgang Löhde, sei Allan Blair Vizepräsident der im kalifornischen San Diego ansässigen Cubic Corporation, nebenberuflich „Dreigroschen-Agent eines amerikanischen Geheimdienstes, der sich von seiner einstigen Zeit als CIC-Offizier der US-Streitkräfte in Sonthofen etwas versprochen habe. Die Cubic aber hatte den Ägyptern mit US-Exportlizenz sechs sog. Zuni-Raketen verkauft (Länge 1, 5 m, Luft-Boden-Rakete)“. Diese Raketen, fährt Löhde fort, kosteten im Einkauf 150 Dollar pro Stück, im Verkauf 5000 Dollar. Sein Fazit: „Ein Geschäft, das sich gelohnt hat“. Colonel Mahmoud habe sich so über die Raketen geäußert: „Diese Dinger liegen völlig verrostet auf unserem Flugplatz, geflogen sind sie nie“93. Es gibt vermutlich nur ein zugängliches Dokument, aus dem andeutungsweise Näheres über das Verhältnis von Blair und Heinz Krug hervorgeht. Dabei handelt es sich um einen Brief Wolfgang Löhdes an Wolfgang Pilz in Kairo vom 24. Oktober 1962, in dem Löhde von seiner kürzlichen Begegnung mit Frau Krug berichtet.94 Darin heißt es, Krug habe kurz vor Weihnachten [gemeint wohl Weihnachten 1961, A. H.] „mit Blair, in dessen Adern israelitisches [sic] Blut fließt, über eine Cubic-Niederlassung in München verhandelt. Blair wollte, daß Krug in Cubic statt in Intra macht. Krug hat zuhause davon erzählt. Krug hat seiner Frau gegenüber erwähnt, daß dies eine Möglichkeit wäre, um mal dahinter zu kommen, welche Geschäfte Blair macht. Krug war zuhause sehr abweisend, meinte jedoch, im Interesse Kairos evtl. einmal hineinleuchten zu müssen. Frau Krug erzählte das so nebenbei, ohne zu ahnen, wie wertvoll diese Information ist“.

Löhde fügte dann noch ein paar persönliche Anmerkungen über den Umgang deutscher Geschäftspartner mit Ägypten an. „Grundsätzlich“, so der Journalist zu Pilz, „finde ich, daß

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Ebd., Bl. 293. Zumindest damals scheint die Welt der Raketenbauer überschaubar gewesen zu sein. Denn ausgerechnet bei Blair in Rom brachte Rolf Engel seine zweite Ehefrau für fünf Monate als Sekretärin unter, nachdem er 1957 von Ägypten nach Rom übergesiedelt war. Nach einer VS-vertraulichen Aufzeichnung des BND bat Engel jedoch seine Frau wenig später, ihre Arbeit bei Blair wieder aufzugeben, nachdem diese ihm von Blairs „unseriösen Geschäften, insbesondere Devisenmanipulationen“ berichtet hatte. Engel zog über die amerikanische Firma Lockheed „vertrauliche Auskunft über Blair ein“, die für diesen „äusserst ungünstig“ ausgefallen sei. Seither, so die Aufzeichnung, habe Engel den Kontakt zu Blair stark eingeschränkt. Vgl. Archiv des BND, Akte 28152_OT, Bl. 207. Ebd., Akte 100614_OT, Bl. 293. Ebd., Kopie, Bl. 222.

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Kairo mit Blair und Joklik95 schlecht bedient ist. Es wäre an der Zeit, diesem Staat anständige Geschäftspartner zu vermitteln“. Und dann direkt: „Wenn Ihr den Wunsch habt, ein sauberes kaufmännisches Büro in Deutschland zu besetzen, das über alle Zweifel erhaben ausschließlich nach alten, ehrlichen Grundsätzen fachmännisch einwandfreie Käufe tätigt, so kann ich auf Grund meiner vielen Verbindungen eine solche Sache in die Wege leiten. Selbstverständlich sind die in Frage kommenden Männer nicht arbeitslos. Sie alle sitzen bei großen Firmen als Einkäufer usw. (Krupp etc.) in führenden Positionen. Ich bin aber sicher, daß diese Männer ihre Stellungen aufgeben würden, wenn man ihnen sagt, worum es geht“.

In einem Postscriptum zu diesem Schreiben kam Löhde dann noch einmal auf den (angeblichen) Besuch Allan Blairs bei Frau Krug zurück. Blair habe ihr gesagt, ihr verschwundener Mann sitze zwar nicht so weich auf dem Sofa wie sie, aber es gehe ihm gut, er habe zu essen, sie brauche sich nicht zu sorgen. Und: „Denken Sie mal daran, was die Deutschen im letzten Krieg mit den Juden gemacht haben“. Wolfgang Löhde zufolge hatte Otto Joklik in seiner Salzburger Vernehmung durch österreichische Beamte „durchblicken“ lassen, dass Krug mit einer „jüdisch-italienischen Firma“, eben der Cubic, „Verkaufsverhandlungen hinsichtlich der Intra geführt habe“96. Zu Recht weist Löhde darauf hin, dass Krug dies aber kaum hätte machen können, weil „seine Mitgesellschafter Goercke und Pilz nie verkauft hätten“. Aber, so der Stern-Journalist weiter, „mit dieser Aussage verschob sich das Bild weiter zu Ungunsten von Kairo“. Prompt habe sich auch Tel Aviv gemeldet und verbreitet, dass „die Ägypter Krug geholt hätten, weil er seine Intra verkaufen wollte“. Dieses Gerücht hielt sich, so Löhde, „und wurde durch deutsche Blätter verbreitet. Münchner Abendzeitung: Ägypter entführen Raketenhändler Krug, die Blätter des Springer-Konzerns: Raketen-Kaufmann Krug doch in Ägypten, auch Pilz und Goercke nach Ägypten entführt usw.“ Nach Löhde führte diese Berichterstattung, der sich auch der „Spiegel“ angeschlossen hatte97, dazu, dass die Münchner Kripo „unter diesen Voraussetzungen nur 95

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Es fällt auf, dass Löhde hier Otto Joklik zu diesem Zeitpunkt immer noch an der Seite Ägyptens wähnt, wo doch Joklik sich seit dem Verschwinden Heinz Krugs beharrlich geweigert hatte, an den Nil zu reisen und außerdem seine Verwicklung in den Fall Krug – möglicherweise auf Seiten Tel Avivs – nicht unwahrscheinlich schien. Dies und das Folgende nach ebd., Bl. 295ff. Eine AP-Meldung in der Frankfurter Allgemeinen vom 24.  September berichtete, dass „Interpol-Dienststellen“ der Ansicht seien, Krug sei nach Ägypten verschleppt worden, weil er die Intra an eine „italienisch-jüdische Gesellschaft“ verkaufen wolle. „Zuständige Stellen“ hätten darauf hingewiesen, dass Dementis der Ägypter wenig Gewicht besäßen, denn die Ägypter hätten auch den Aufenthalt des KZ-Arztes Hans Eisele in Kairo geleugnet. Vgl. Der Spiegel Nr. 40 vom 2. Oktober 1962, „Freunde der Braut“.

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noch sehr eingeschränkt“ weiter ermittelt habe. Andrerseits sei Frau Krug „öfters aus Tel Aviv“ angerufen worden, um zu erfahren, was sie wisse. „Alle diese Dinge“, resümiert Löhde, würden „jetzt in Kairo besprochen“. Er selber habe „mit Major Nadin [sic] und Col. Mahmud“ [sic] geredet und sei in München, Rom und Kairo gewesen. Bei der Intra lache man „über den Blödsinn, den die Zeitungen“ schrieben. Dort wisse man, dass Krug „mit einem Telefongespräch nach Kairo hätte geholt werden können, denn er pendelte ständig hin und her“. In der deutschen Botschaft in Rom wisse man, dass „zwei Tage nach der Entführung von Dr. Krug der Chef des israelischen Geheimdienstes“ in der Ewigen Stadt gewesen sei und „abends mit seinen Freunden eine feucht-fröhliche Party gefeiert hatte, bei der man sich zuprostete: ‚Saleh el Kaher, der Siegreiche‘. Das aber war der Name der ägyptischen Rakete, und das war der Name des Mannes, der sich bei Dr. Krug einführte“98.

Wolfgang Löhde schließt seinen Text mit aufschlussreichen Ausführungen, die von Major Nadim 99 stammen sollen. So schreibt er: „Major Nadim: Die Stillegung des Intra-Büros interessierte nur die Israelis, denn so wie sich Krug immer gebrüstet hatte, mussten sie annehmen, dass er die ganze Armee versorgt. So hat er allen gegenüber getan, obwohl das nicht der Fall war. Die Israelis hörten von unserem Start am 21. Juli und plötzlich wusste die ganze Welt, dass Ägypten nun Raketen hat, die 4mal so weit fliegen, wie die Raketen der Israelis. Schnell haben sie versucht, festzustellen, wer die Teile geliefert hat. Sie stießen auf die Intra in München, und sie überschätzten Krugs Tätigkeit, besonders deswegen, weil er ja vorher als Geschäftsführer im FPS bei Prof. Sänger gearbeitet hatte. In der Eile konnte man nicht mehr feststellen, dass er lediglich Kaufmann ist. So schlachteten sie den falschen Fisch. Wenn nun alle Welt glaubt, dass Krug in Kairo ist, werden wir ihn nie wieder sehen. Wenn man aber den Finger auf Tel Aviv hält, wird plötzlich irgendein privater Gangsterstreich daraus gemacht, und Krug ist wieder da. Das werden sie erleben. Schade ist

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Nur zur Erinnerung: Ronen Bergman zufolge war Heinz Krug mit einem umgebauten VW-Bus über die lange Strecke von München nach Marseille gebracht und dort in ein Flugzeug nach Israel verfrachtet worden. Dass bereits zwei Tage nach Krugs „Entführung“ die Israelis den „erfolgreichen“ Abschluss ihrer Operation „Vitamin C“ in Rom gefeiert haben sollen, scheint mehr als fraglich. Zu dem Zeitpunkt hätte der Transfer nach Marseille noch misslingen können; denkbar ist natürlich auch, dass die Zeitangabe „zwei Tage“, von wem auch immer, unbedacht ungenau im Sinne von „wenig später“ erfolgte. Im Folgenden schreibt Löhde orthografisch richtig „Nadim“.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma nur, dass die Polizei aufgibt und all den Aussagen glaubt, die darauf hindeuten, dass er in Kairo sein soll“.

An anderer Stelle lässt Löhde Nadin [sic] sagen: „Die gelegten Spuren und sogar der Name des letzten Besuchers [Saleh al Kaher, A. H.] deuten alle auf Ägypten, und so widersinnig es ist, man scheint dumm genug zu sein, darauf hereinzufallen. Aber Krug ging lange genug zu Nasser, nur diesmal nicht“100. Dass die Ägypter vermutlich nicht hinter dem Verschwinden Heinz Krugs standen, geht auch aus dem Umstand hervor, dass Mahmoud Khalil aus eigener Tasche eine Belohnung von 100 000 DM für Hinweise auf dessen Schicksal aussetzte. Fünf Tage nach dem Verschwinden informierten Wolfgang Pilz und seine engsten Mitarbeiter in Kairo den Intra-Bürovorsteher Erasmus über dieses Angebot per Brief, ergänzt um die Bitte, es Frau Krug zu unterbreiten. Es sei, so Pilz in einem Schreiben an Wolfgang Löhde vom 8. Oktober, von Seiten Khalils „eine ganz private Tat von Freund zu Freund“. Bis zum Datum dieses Briefes an Löhde habe Frau Krug noch nicht auf die Offerte reagiert, so Pilz.101 Irgendwann nach dem Verschwinden Heinz Krugs wurde die Intra abgewickelt. Bis dahin musste jedoch ein neuer Einkäufer für das ägyptische Raketenprogramm gefunden werden. Nach den Erkenntnissen des BND, ermittelt wahrscheinlich durch Wolfgang Löhde, übernahm diese Rolle der Waffenhändler Dr. Heinrich Gompf aus Lampertheim.102 Nach den Recherchen Löhdes soll Gompf direkt dem ägyptischen Feldmarschall Amer unterstanden haben und sich statt seines Vornamens Heinrich des Pseudonyms „Helarion“ (griech. „der Fröhliche“) bedient haben. Gompf, so der „Stern“-Reporter, habe „bisher nicht völlig geklärte Verbindungen“ zu den Waffenhändlern Puchert103 und Heck unterhalten. Gompf werde von der Kripo Karlsruhe in der Mordsache Heck als Zeuge gesucht, da er der Letzte gewesen sein soll, mit dem Heck vor dem auf ihn verübten Mordanschlag im Juni 1961 gesprochen habe104.

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Archiv des BND, Akte 100614_OT, Bl. 296. Ebd., Bl. 222, Kopie. In dem bereits erwähnten Brief Löhdes an Pilz vom 24. Oktober 1962 schreibt dieser, dass Frau Krug ihm erzählt habe, dass die United Arab Airlines das Monatsgehalt für ihren Mann – als Leiter des UAA-Büros in München – in Höhe von 1800 DM einbehalten habe, weil dieser nicht mehr arbeite. Löhde fand dies „etwas merkwürdig“ angesichts der Bereitschaft Mahmoud Khalils, 100 000 DM „auswerfen“ zu wollen. Archiv des BND, Akte 100615_OT, Bl. 310ff., „Entwurf betr. Wissenschaftler, Techniker und andere Personen in der VAR-Ägypten“, undatiert. Am Kopf des umfangreichen Papiers findet sich die handschriftliche Notiz „Entwurf stammt von Wolfgang L.“, womit nur Löhde gemeint sein konnte. Georg Puchert lieferte der algerischen Widerstandsbewegung FLN Waffen und Sprengstoffe und wurde Anfang März 1959 durch einen Anschlag getötet. Walther Heck war Eigentümer der uns bereits bekannten Karlsruher Firma Dimex, die ebenfalls der FLN Flammenwerfer lieferte. Heck erlag Ende Juni 1961 in Karlsruhe den Folgen eines Pistolenattentates.

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Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt

Unmittelbar nach diesem Anschlag habe „Gompf das Bundesgebiet verlassen. Er reiste über Zürich […] nach Kairo weiter, wohin er später sogar seinen Wagen nachkommen ließ“. Nach Löhde war bereits zur Zeit des Anschlages auf Walther Heck „bekannt“, dass Gompf „Flammenwerfer nach Syrien und Kairo vermittelt“ habe. Zwischen dem 12. September, also dem Tag nach dem Verschwinden Krugs, und dem 18. September wurde der Intra-Bürovorsteher „Erasmus vom Leiter des Entwicklungslaboratoriums, Dr. Kleinwächter, aufgefordert, nach Zürich zu kommen, um sich dort mit Dr. Gompf zu treffen, der Nachrichten aus Kairo habe. Herr Erasmus, der Gompf nicht kannte, lehnte ab“. Am 18. September folgte Michael Erasmus dann doch einer dringenden Bitte Kleinwächters, er möge Gompf gegen 17.50 Uhr am Münchner Flughafen treffen, wo dieser aus Zürich kommend mit einer „Weisung von Prof. Pilz“ landen werde. Erasmus, fährt Löhde fort, bat die Polizei, seine Begegnung mit Gompf zu beobachten, was diese jedoch nicht tat, sondern Gompf zum Münchner Polizeipräsidium brachte. Erasmus hatte zunächst keine Gelegenheit mit Gompf zu sprechen, erst als die Polizei diesen zu seinem Weiterflug nach Kairo zum Flughafen nach München-Riem brachte, wechselten beide ein paar Sätze, über deren Inhalt jedoch nichts bekannt wurde. Löhde schließt seine Bemerkungen über Gompf mit der Information, dass Gompf Erasmus eine Ausgabe der ägyptischen Zeitung „Al Akhbar“ vom 17. September „überbracht habe“, in der die Behauptung enthalten gewesen sei, Heinz Krug befinde sich in Händen des israelischen Geheimdienstes.105 Die in den Unterlagen des BND archivierten Kopien des Briefwechsels zwischen Wolfgang Löhde und Wolfgang Pilz liefern hier und da noch einige interessante Informationen im Zusammenhang mit dem Fall Krug. So teilte Löhde dem „Lieben Wolfgang“ in Kairo unter dem 7. November 1962 mit, dass „in Sachen Dr. Krug“ der dringende Verdacht eines Verbrechens vorliege. In München habe sich „noch nichts Neues ergeben“. Entschuldigend wies der Journalist darauf hin, dass man „zur Zeit mit der Spiegel-Affäre beide Hände voll zu tun habe“. Mit Datum vom 19. November 1962 antwortete Pilz aus Kairo Löhde in Hamburg „c/o Verlag Henri Nannen GmbH“ und bedankte sich für dessen Briefe. In seinem Schreiben ging es dann fast ausschließlich um Heinz Krug. In den im Folgenden wiedergegebenen Passagen des pilzschen Briefes sind die Personen, um die es Pilz ging, nur mit dem großen Anfangsbuchstaben erwähnt, Wolfgang Löhde hat dann nach dem Erhalt des Briefes die offenbaren Namen mit feinem handschriftlichen Zusatz vervollständigt.106 Pilz fasste seine Deutung vom Verschwinden Krugs wie folgt zusammen:

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Archiv des BND, Akte 100615_OT, Bl. 323. Archiv des BND, Akte 100614_OT, Bl. 225, Kopie.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma „Krug hat die finanziellen Möglichkeiten der Intra überschätzt, die Intra in München gegen unseren Willen zu gross aufgezogen, den Apparat überzogen (Der Mercedes SE z. B. ist nicht Krugs Privateigentum, sondern – wie wir erst neuerdings wissen – Intra-Eigentum!). Die Einsicht über die überspannte Lage kam ihm später, er musste nach Einkünften, die ausserhalb der Intra lagen, sich umsehen. Ob ihm hierbei die Zusammenarbeit oder Gegnerschaft anderer zum Verhängnis geworden ist, ist nicht klar. Nachzuforschen wäre: 1. Blair (General manager), 2. Blair107, 3. Joklik (evtl. als Werkzeug von Blair), 4. H. Müller108 oder Schubert109. Letztere lediglich verdächtig dadurch, dass sie sich wiederholt in Widersprüche verwickelt haben. Welches Interesse können sie z. B. haben an der Behauptung, dass Joklik seit 25. 10. ‚sitzt‘? Im übrigen ist Schubert ein Surplus-Händler, der viel verspricht und wenig hält – wohl mit dem Ziel, Ramschmaterial für neu zu verkaufen.110 Zu 1. und 2. z. B.: Krug sagt zu seiner Frau, ‚Wenn Mr. Mahmoud wüsste, dass Blair Jude ist!‘. Blair zu Frau Krug: ‚Ihr Mann weiss zu viel und spricht zu viel!‘ Aber auch andere Motive sind vorhanden. Krug war u. a. auf Einladung von Blair im Frühjahr 62 in San Diego ohne für uns sichtbare Gründe. Im übrigen hat Krug zwei meiner besten und längsten Mitarbeiter – noch von Peenemünde her – im Juni 62 verlockende Angebote hinter meinem Rücken gemacht. Es war die Rede von einer Firma in Österreich [Austra? A. H.] mit doppeltem Gehalt (sie sind hier als Spezialisten nicht schlecht bezahlt!)“.

Gegen Ende seines Briefes schob Pilz „noch eine Kleinigkeit“ nach:

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Warum Blair zweimal genannt wird bzw. ob es sich um einen zweiten Mann dieses Namens handelt, bleibt unklar. Gemeint ist wahrscheinlich ein damals bekannter Waffenhändler namens Helmut H. Müller. Gemeint ist höchstwahrscheinlich der EVAUGE-Geschäftsführer Kurt Schubert. Vor der Gießener Kriminalpolizei sagte am 10. April 1963 Helmut Krausser von der EVAUGE über Otto Joklik, Kurt Schubert, Helmut H. Müller und seinen EVAUGE-Kollegen Ernst Dinslage aus. Danach hätten Schubert und Dinslage mit Ägypten ein illegales Waffengeschäft durchgeführt. Aus Geschäftsbeziehungen mit Ägypten, die Joklik angeknüpft habe, habe Schubert einen Nebenauftrag erhalten, dem zufolge er für Ägypten eine Sonderausfertigung des Revolvers „Smith & Wesson“ besorgen sollte. Schubert habe Helmut H. Müller eingeweiht, der ihm zugesagt habe, solche Revolver zu besorgen. Müller sei dann zu diesem Zweck nach Berlin geflogen und habe eine Kiste mit Revolvern von 2–3000 Stück nach Frankfurt am Main geholt. Auf oder am Flughafen in Frankfurt habe Müller die Kiste Dinslage übergeben, der sie dann nach Kairo gebracht habe, wo er von Schubert am dortigen Flughafen abgeholt worden sei. Vgl. Archiv des BND, Akte 100615_OT, Aktenvermerk vom 29. April 1963, Bl. 123. Pilz meinte möglicherweise den Handel Schuberts mit gebrauchtem Militärmaterial der etwa in Gießen und anderen Orten stationierten amerikanischen Streitkräfte.

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Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt „Am 31. 8. (Freitag)“, also zwölf Tage vor dem Verschwinden Heinz Krugs, hatte Krug Mr. Mahmoud, H.111 und mich zum Abendessen eingeladen, in der ‚Kanne‘ in München, kleiner Nebenraum mit zwei Tischen, beide reserviert, einer für uns von Dr. Krug. Am anderen fanden sich später sechs Ausländer ein, sie sprachen englisch und französisch über Mr. Mahmoud und ‚Pilz‘! Weshalb Mr. Mahmoud zu sofortigem Aufbruch und Lokalwechsel drängte. Mr. Mahmoud glaubt heute, in dem einen der Beschreibung nach Mr. Saleh wiederzuerkennen. (Dabei muss ich Dich aber darauf aufmerksam machen, dass der Mann zwar Saleh el-Kaher hiess, die beiden hiesigen Instrumente [Raketen, A. H.] aber El-Zafer und El-Kaher genannt sind!)“.

Einmal angenommen, diese „Kleinigkeit“ von Wolfgang Pilz stimme im Wesentlichen, frappiert vor allem das „zufällige“ Zusammentreffen der beiden Gruppen zum Abendessen im selben Lokal an reservierten Tischen zu fast identischen Uhrzeiten. Es liegt mehr als nahe, anzunehmen, dass Otto Joklik, der sich in München oft in der Nähe Heinz Krugs aufgehalten hatte, von dem abendlichen Termin Krugs und seiner Entourage in der „Kanne“ Kenntnis erhalten und seine – israelischen – Kollegen darauf aufmerksam gemacht hatte. Wohlweislich sprachen die „sechs Ausländer“ nicht hebräisch.112 Bei dem angeblichen „Mr. Saleh“ könnte es sich um den Mossad-Mann Oded gemäß der Schilderung Ronen Bergmans in seinem „Schattenkrieg“ gehandelt haben. Ohne bis dahin von Löhde eine Antwort auf seine Briefe erhalten zu haben, wandte sich Wolfgang Pilz am 17. Dezember 1962 erneut an seinen Freund beim Stern in Hamburg.113 In diesem Schreiben ging es im Wesentlichen um im Sande verlaufene „Millionengeschäfte“ der Herren Müller und Schubert mit den Ägyptern, an denen auch er, Pilz, beteiligt werden sollte und die schließlich zu großem Ärger auf Seiten der Deutschen geführt hätten. Eine neue Qualität erreichte dann eine weitere Mitteilung von Pilz: Er habe am 22. November Helmut Müller sein Bedauern über die Unzuverlässigkeit der Versprechen von Schubert brieflich zum Ausdruck gebracht, mit Kopie an Schubert. „Beide haben übrigens in der 111 112

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Die Identität ist unklar, von Löhde auch nicht handschriftlich ergänzt. „Noch eine Information“ teilte Pilz Löhde in seinem Brief mit: Auf der Rückfahrt von Venedig nach Alexandria mit dem Schiff „Agamemnon“ sei er kurz nach der Landung in Piräus „dreimal durch das Schiffstelefon aufgerufen“ worden, obwohl er offiziell gar nicht auf der Passagierliste gestanden habe. Er habe sich daher auch nicht gemeldet. „Dies geschah 7 Stunden nach dem Verschwinden von Krug“, so Pilz. Die Frage stellt sich, von welchem genauen Zeitpunkt Pilz die sieben Stunden an berechnete, denn Frau Krug war bekanntlich bei ihrer ersten Vermisstenmeldung mitten in der Nacht von der Münchner Polizei vertröstet worden. Immerhin bestätigte der Triebwerksspezialist somit in seinem Schreiben an Löhde die hier zuvor geschilderte Verabschiedung Heinz Krugs von Pilz – und damit wohl auch von Major Nadim und „Mr. Mahmoud“ – in Venedig am Tag vor Krugs Verschwinden. Archiv des BND, Akte 100614_OT, Bl. 228, Kopie.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

Krug-Angelegenheit Mr. Mahmoud Angebote gemacht, über akute Beseitigung irgend welcher Personen, wenn er es wünsche“.114 In seiner Antwort an Pilz in Kairo vom 21. Dezember 1962, die, wie alle Schreiben aus Deutschland an Pilz über Major Nadims Schreibtisch ging, kam Löhde auch auf das „Beseitigungsangebot“ der Herren Müller und Schubert zu sprechen.115 „Das Angebot, Menschen zu beseitigen, halte ich für eine sehr ernste Angelegenheit“, schrieb Löhde und fuhr fort, „und darüber bitte ich Dich, gleich ein Gedächtnisprotokoll niederzulegen und mir zuzusenden: Es könnte sein, daß hier mehr dahinter steckt, als es im Moment für Dich den Anschein hat“. Den überwiegenden Teil seines Briefes nutzte Löhde dann, um Pilz, Goercke und die anderen Experten am Nil eindringlich vor Anschlägen zu warnen, sie sollten sehr gut auf sich aufpassen. Seine eigenen Ermittlungen gingen dahin, dass „nicht Israel direkt, sondern höchstens indirekt über eine skrupellose Gruppe“ hinter allen diesen Dingen steht.116 Diese Gruppe rekrutiert ihre Mitarbeiter aus Kreisen, wie sie in Algerien, Frankreich und überall immer wieder bekannt werden.117 Es handelt sich um skrupellose Geldverdiener, die ihre Millionengeschäfte auf alle Fälle machen wollen. Selbstverständlich könnte es sein, daß indirekte Drahtzieher in Tel Aviv sitzen“. Gegen Ende seines Briefes jonglierte Löhde gegenüber Pilz mit drei zu „M.“ abgekürzten Namen. Die erste so bezeichnete Person lässt sich eindeutig als jenen Helmut Müller identifizieren, die zweite „Mr. M.“ war Mr. Mahmoud, doch die dritte bleibt unklar. Es könnte sich dabei um den uns bereits bekannten Waffenhändler Gerhard Mertins handeln, den Löhde gut kannte und den er häufig traf. Ob Pilz seinerseits diesen „M.“ zuordnen konnte, wüsste man gern. Jedenfalls schrieb Löhde über diesen: „M. erzählte mir, daß Krug [im Brief abgekürzt Kr., A. H.] in Österreich in der Nähe des Mondsees sein solle. Dies Gespräch führte ich vor zwei Wochen. M. will versuchen, weitere Einzelheiten in Erfahrung zu bringen. Sobald ich mehr weiß, bin ich natürlich am Mondsee, versteht sich“, versicherte Löhde. Der Mondsee taucht noch ein weiteres Mal in den Unterlagen des BND auf. Pilz äußerte gegenüber Löhde in einem Brief vom 2. Februar 1963 ein paar Gedanken zum Verschwinden Heinz Krugs. „Mr. M.“ [Mahmoud, A. H.] habe Frau K. [Krug, A. H.] eingeladen, mit ihren Kindern nach

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Der letzte Satz ist in der BND-Kopie am Rande schwarz und im Text rot unterstrichen. Ebd., Bl. 231. Zum Zeitpunkt dieses Briefes war nicht nur Heinz Krug nicht wieder aufgetaucht, sondern es hatte auch diverse Attentate auf die Experten gegeben, auf die im nächsten Abschnitt eingegangen wird. Ebenfalls am 21. Dezember schrieb Löhde an einen Inspektor Baumer im Polizeipräsidium München – ein Beamter gleichen Namens aus der Ettstraße ermittelte auch im Fall Krug – und wies ihn auf beigefügte, „versprochene Unterlagen“ hin, die sich jedoch in der BND-Akte nicht finden. Wenn er, Baumer, demnächst nach Frankfurt komme, so Löhde, könne er im dortigen 1. Kommissariat mit dem „damaligen Sachbearbeiter der ‚Roten Hand‘ Rücksprache“ nehmen. Ebd., Bl. 230.

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Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt

Ägypten zu kommen, schrieb er. Er habe ihr „standesgemäßes Dasein bis an ihr Lebensende bzw. Ausbildungsende der Kinder garantiert“. Sie habe jedoch abgelehnt „mit der Anfrage, ob man ihr diese Unterstützung nicht in Deutschland zuteil lassen werden könne […] ! Es wäre interessant gewesen, wenn man Frau K. Weihnachten beobachtet hätte. Vielleicht machte sie eine kleine Reise nach [sic] Mondsee? Oder etwa nach Zürich? – Mr. M. sagte, K. sei in Zürich frei einherspazierend gesehen worden. Weißt Du etwas Neues?“118

Weniger das neue Gerücht über einen angeblichen Aufenthaltsort Heinz Krugs, eben Zürich, macht diese Zeilen recht interessant, als vielmehr ihr ironischer Ton, der zumindest wenig Mitgefühl von Pilz für das Schicksal der Familie Krug, eher schon Skepsis gegenüber der üblichen Entführungsthese erkennen lässt. In seinem Antwortschreiben an Pilz nahm Löhde, der mit Frau Krug „gerade telefoniert“ hatte, diese in Schutz und erklärte, „dass das ganze Gerede um Frau Krug dummes Zeug“ sei. Sie werde umgehend an ihn, Pilz, selber einen Brief schreiben und auch zu einer gründlichen Aussprache bald nach Kairo kommen. Der Brief Löhdes lässt am Ende erkennen, dass der Intra „blödsinnige Rechtsstreitigkeiten“ gedroht hätten, zu deren rechtzeitiger Beilegung er, Löhde, offensichtlich beigetragen hatte. Und ungewohnt kühl fiel der Schluss des Briefes aus: „Meiner Ansicht nach können sich normale Menschen auch normal unterhalten. In diesem Sinne bis zum nächsten Mal, Dein“ (folgt im Original vermutlich Unterschrift).119 Wenden wir uns abschließend noch einmal Otto Jokliks Verhältnis zum Kreis der Raketenexperten und ihrer Angehörigen in der Bundesrepublik zu. Unter demselben Datum des 9. Januar 1963, unter dem er auch seinen oben ausführlich dargestellten Aktenvermerk über Hermann Valentin formuliert hatte, sandte Joklik ein Schreiben an die „sehr geehrte, gnädige Frau Krug“, in welchem er diese von den Unterstellungen Valentins unterrichtete, sie ausdrücklich vor diesem warnte und daran erinnerte, „wie nahe mir und meiner Frau Ihr Schicksal gegangen ist, und welchen Anteil ich an dieser Angelegenheit nahm“120. Unter „keinen Umständen“ dürfe sie angesichts der Machenschaften Valentins, dessen Taten nur „dem minderwertigen Gehirn eines verbrecherischen Gestapo-Schergen“ hätten entspringen können, nach Kairo gehen. Nach allem, was heute über Joklik bekannt ist, vertraute er dem Brief noch eine kleine Flunkerei an. Er habe, so Joklik, dem Botschafter der VAR in Bonn, Sabri, mitgeteilt, dass er wegen des Verhaltens von Valentin nicht mehr als Berater 118 119 120

Archiv des BND, Akte 100614_OT, Bl. 288. Ebd., Bl. 289f. Das Datum ist in der Kopie des Briefes nicht erkennbar. Faksimile des Briefes in Soller-Krug/Krug, Ufer, S. 86.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

für die Regierung in Kairo tätig sein könne. In Wahrheit arbeitete Joklik schon seit geraumer Zeit für die Israelis, auch wenn das genaue Datum unbekannt ist. Auch das Motiv für seinen Seitenwechsel sah anders aus. In der Literatur wird dieser Wechsel Otto Jokliks zumeist mit dessen angeblichen Gewissensqualen ob seiner Beteiligung an ägyptischen Waffenentwicklungen im Rahmen der Ibis- und Cleopatra-Projekte erklärt.121 Nach dieser Version hatte er sich an die israelische Botschaft in Wien gewandt, dort seine Aufgabe in Ägypten im Rahmen dieser Projekte erläutert und war daraufhin in Tel Aviv einer eingehenden Prüfung unterzogen worden.122 Die Mossad-Kenner Michael Bar-Zohar und Nissim Mischal wagen sich sogar mit einem exakten Datum des Seitenwechsels hervor, bleiben hingegen hinsichtlich seines Ortes vage: Am 23. Oktober 1962 – und damit deutlich nach dem Verschwinden Heinz Krugs – habe Joklik am Eingang einer israelischen Botschaft „in Europa“ „geklingelt“ und den zuständigen Sicherheitsoffizier zu sprechen verlangt. Zwei Wochen später lassen die beiden Autoren Joklik „unter allerhöchster Geheimhaltung in Israel landen“.123 Überzeugt, einen echten Überläufer vor sich zu haben, hätten die Israelis ihn anschließend – womöglich zusammen mit dem bereits mehrfach erwähnten israelischen Agenten Joseph Ben-Gal – wieder nach Deutschland zurückgeschickt, wo er nun den Auftrag gehabt habe, Angehörige der für Ägypten tätigen Experten zu bearbeiten, auch einzuschüchtern mit dem Ziel, dass die Fachleute ihre Tätigkeit am Nil einstellten. Unter Berufung auf „europäische Reporter“ argumentieren Bar-Zohar und Mischal, dass Joklik nach dem Verschwinden Heinz Krugs „in Panik geraten“ sei. Außer Wolfgang Pilz, Heinz Krug und ihm selber sei niemand in das Ibis- und CleopatraProgramm eingeweiht gewesen, und so habe er gefürchtet, von Krug verraten zu werden, falls die Israelis ihn entführt und in die Mangel genommen hätten. Das wäre gleichbedeutend mit seinem Todesurteil gewesen.124 Diese Deutung des joklikschen Verhaltens würde bedeuten, dass dieser, entgegen den hier vielfach angedeuteten Vermutungen, nichts mit dem Verschwinden Krugs zumindest auf Betreiben der Israelis zu tun hatte. Denn Jokliks Seitenwechsel wäre dann erst als Konsequenz des Verschwindens von Krug erfolgt. Unerklärlich blieben dann etwa auch sein Alibi-Anruf am 11. September bei der Intra von Osnabrück aus sowie die von ihm vorgenommene Begleichung der Hotelrechnung im Münchner Ambassador für Saleh al Kaher alias Oded – um nur einige Ungereimtheiten in Erinnerung zu rufen. Wenn Joklik am 121

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So z. B. immer noch Sirrs, Nasser, S. 63, der sich wiederum auf verschiedene israelische und angloamerikanische Autoren wie etwa J. Tadmor, The Silent Warriors, Toronto 1969, S. 144 und Bar-Zohar, Spies, S.  270, stützt. Vgl. auch Terence Prittie, Bomb Shop in the Nile: Target Israel, in: The Atlantic, No. 2, 214 (1964), S. 39. Vgl. Sirrs, Nassser, S. 63. Mit einer Variante des Motivs für seinen Seitenwechsel Black/Morris, Mossad, S. 295, denen zufolge ein „enttäuschter“ Joklik zu den Israelis übergelaufen sei. Bar-Zohar/Mischal, Mossad, S. 176. Ebd.

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11. September tatsächlich immer noch für die Ägypter gearbeitet haben sollte, käme wieder die ursprüngliche These von der ägyptischen Urheberschaft an Krugs Verschwinden in Betracht. Das aber widerspräche der Darstellung Ronen Bergmans in seinem „Schattenkrieg“.

Mysteriöse Besuche und Anrufe Immerhin: Dokumente des BND sind geeignet, Otto Jokliks Gewissensnöte gegen Ende des Jahres 1962 in Zweifel zu ziehen. Sie belegen, dass offenbar eine jüdische Geheimorganisation – wahrscheinlich, aber nicht notwendigerweise, der Mossad125 – Ende 1962, Anfang 1963 in der Bundesrepublik mit dem Ziel operierte, die deutschen Experten am Nil zur Aufgabe zu zwingen. Joklik war demnach ein „umgedrehter“ Agent, der in diesem Sinne arbeitete. Soweit heute erkennbar, begann Joklik seine Beeinflussungs- und Überredungsversuche im Interesse Israels bei Angehörigen der Raketenfachleute mit einem Besuch bei Hildegard Pilz, der von ihrem Mann in Berlin-Charlottenburg getrennt lebenden Ehefrau von Wolfgang Pilz.126 In ihrer Aussage vor der Berliner Kriminalpolizei berichtete Frau Pilz von einem unangemeldeten Besuch eines fremden Mannes in ihrer Charlottenburger Wohnung am 16. Februar 1963. Dieser habe sich als Professor Dr. Otto Joklik aus Salzburg vorgestellt. Für unseren Zusammenhang ist folgende Passage des Vernehmungsprotokolls entscheidend: Hildegard Pilz erklärte, dass sich die eigentliche Unterhaltung, die sie mit Joklik in ihrer Wohnung führte, darum drehte, dass sie sich vor einer rätselhaften Organisation in Deutschland in Acht nehmen solle. Er selber sei, so Joklik, bis vor einiger Zeit „in der Nähe“ von Wolfgang Pilz „in Kairo tätig gewesen, jedoch aus Gründen der persönlichen Sicherheit und einer Warnung von israelischer Seite von seiner Tätigkeit in Ägypten zurückgetreten“. Seinerzeit, so Frau Pilz weiter, „sollen seine Familienangehörigen auch gewarnt worden sein, woraufhin er seinen Wohnsitz mehrmals gewechselt habe“. Dem Protokoll zufolge scheint Joklik in dem Gespräch nicht direkt darauf gedrungen zu haben, dass Wolfgang Pilz seine Arbeit in Kairo beende, sondern, 125

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Michael Bar-Zohar berichtet in seinem Buch „The Avengers“ [dt. die Rächer, A. H.] von den Aktivitäten solcher Gruppen unabhängig vom Mossad, allerdings wird bei ihm deutlich, dass 1962 damit längst Schluss gewesen sein muss. In den ersten Nachkriegsjahren töteten jüdische KZ-Überlebende laut Bar-Zohar ziemlich wahllos ehemalige Nationalsozialisten im österreichisch-italienischen Grenzgebiet und es gab ferner Pläne, aus Rache für die millionenfach getöteten Juden das Trinkwasser in deutschen Großstädten zu vergiften. Auch der ehemalige israelische Botschafter in Bonn, Avi Primor, berichtet von einer Geheimorganisation namens „Die Rächer“, die gleich nach dem Ende des Krieges Giftanschläge in Deutschland geplant und in Nürnberg auch durchgeführt habe. Vgl. Primor, „… mit Ausnahme“, S. 45. Archiv des BND, Akte 22564_OT, Aktenvermerk der Berliner Kriminalpolizei vom 25. März 1963 (Kopie), Bl. 132ff.

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im Gegenteil, Joklik riet Frau Pilz, sich zunächst bei ihrem Noch-Ehemann in Ägypten in Sicherheit zu bringen. Hildegard Pilz schrieb ihrem Gatten von ihrer Begegnung mit Otto Joklik, woraufhin dieser sie einlud, umgehend nach Ägypten zu kommen. Er werde für sie sorgen, was aber nicht die Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft bedeute. Träfe das aus dem Protokoll ersichtliche Motiv für Jokliks Seitenwechsel zu, hätte er wohl weniger mit einem schweren Gewissenskonflikt als viel mehr mit blanker Angst infolge israelischen Besuches bei sich zuhause gerungen. Nur drei Tage nach seiner Mission in Berlin tauchte Joklik nach vorherigem Anruf am 19. Februar in Freiburg i. Breisgau bei der Gerichtsassessorin Heidi Goercke, der Tochter des Radarexperten Paul Goercke, auf. Über diesen Besuch liegt in den Unterlagen des BND die Kopie eines Aktenvermerks des LKA Baden-Württemberg vom 19. April 1963 vor.127 Nachdem er ihr versichert hatte, dass er ihren Vater von Ägypten her gut kenne, schilderte Joklik Heidi Goercke den Besuch „von einigen Herren bei ihm in Salzburg“ im August 1962. Sie hätten ihm erklärt, einer „privaten israelischen Organisation“ anzugehören und ihre Schlagkraft mit der Entführung Adolf Eichmanns aus Argentinien unter Beweis gestellt. Ihr Ziel, so hätten die Besucher ihm deutlich gemacht, „sei der Kampf gegen die Politik Nassers. Dieser habe bekanntlich gedroht, Israel zu vernichten“. Die Organisation, die über unbegrenzte finanzielle Mittel verfüge, sei „entschlossen, die Atomrüstung Ägyptens, welche dem Völkermord diene und in erster Linie gegen Israel gerichtet sei, zu verhindern. Zu diesem Zweck sei ihr jedes Mittel recht“. Dem Vermerk des LKA zufolge habe Joklik gegenüber Heidi Goercke geäußert, dass ihn die Unterredung mit den unbekannten Israelis dermaßen beeindruckte, dass er sich entschlossen habe, seine Tätigkeit für Ägypten aufzugeben. Die Macht dieser Geheimorganisation sei ihm auch durch Vorlage von Dokumenten klargemacht worden. Die Israelis hätten die deutsche Polizei und die Bundesregierung als ihnen gegenüber machtlos bezeichnet. Auf die entsprechende Frage der angehenden Juristin, „erklärte Joklik, dass die Unterredung mit den Israelis vier Tage nach dem Verschwinden Dr. Krugs stattgefunden habe“. Den drei Kriminalkommissaren, die den Aktenvermerk unterzeichneten, war der Widerspruch aufgefallen, den Joklik mit den beiden Zeitpunkten hervorgerufen hatte, an dem er erstmals von den Israelis in Salzburg kontaktiert worden sein wollte. Es heißt dazu in dem Vermerk: „Aus seiner ersten Äusserung gegenüber Heidi Goercke, er sei im August 1962 in Salzburg von Angehörigen einer israelischen Geheimorganisation aufgesucht worden, kann gefolgert werden, dass er mindestens ab diesem Zeitpunkt für die Israelis tätig wurde

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Archiv des BND, Akte 22564_OT, Kopie, Bl. 185. In dem Aktenvermerk ist der Name Heidi Goerckes durchgehend geschwärzt, ihre Identität ergibt sich jedoch zwingend aus dem Textzusammenhang.

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Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt und bereits beim Verschwinden Dr. Krugs auf israelischer Seite stand. Dann wäre sein Verhalten im Zusammenhang mit dem Verschwinden Dr. Krugs eher erklärbar. Seine verschiedenen Reisen nach München, Osnabrück, Mülheim/Ruhr, Frankfurt am Main, Berlin, Freiburg, Basel und Zürich dürften demzufolge vom israelischen Geheimdienst finanziert worden sein, da er selbst keiner geregelten bezahlten Beschäftigung nachging“128.

Jokliks zweite Zeitangabe – eine Begegnung mit den Israelis vier Tage nach Beginn des Falles Krug – kommentierte der Vermerk nicht weiter. Otto Joklik bat Heidi Goercke in ihrer Freiburger Wohnung, ihm eine Unterredung mit ihrem Vater zu vermitteln, in der er diesen auf die Lebensgefahr hinweisen wolle, in der er schwebe, wenn er weiter für Ägypten arbeite. Es gehe ihm, Joklik, um „rein menschliche Beweggründe und seine hohe Wertschätzung für Prof. Goercke“. Mit Blick auf seine neue Position an der Seite Israels könne er aus Sicherheitsgründen selber nicht nach Kairo reisen. Stattdessen fragte er Frau Goercke, ob sie nicht auf seine Kosten an den Nil fliegen könne – für die Stuttgarter Kommissare ein erneutes Indiz für die Finanzierung Jokliks durch die Israelis – um mit ihrem Vater zu sprechen. Brieflich, und damit bricht der Vermerk über dieses Treffen ab, sei in Ägypten nichts zu machen, „weil die Post ja bekanntlich vom ägyptischen Geheimdienst kontrolliert werde“. Dass dies nicht die letzte Begegnung der Gerichtsassessorin mit Otto Joklik war, wird zu zeigen sein. Auch den „Nazijäger“ Simon Wiesenthal kontaktierte Otto Joklik nach seinem Wechsel auf die israelische Seite. In einem Brief an Wolfgang Pilz aus dem Jahre 1974 teilte Wiesenthal diesem mit, dass er „vor etwa 12 Jahren einmal einen Anruf aus Salzburg eines gewissen „Herrn Joklik oder Yoclic“ bekommen habe, in dem dieser Herr mich über Raketen im Nahen Osten informieren wollte. Ich habe abgelehnt, ihn als Besucher zu empfangen, da diese Sache nicht in meinem Interessengebiet liegt und ich übrigens auch nichts davon verstehe“129. Bedauerlich die Entscheidung Wiesenthals, möchte man im Rückblick meinen, denn vielleicht hätte Joklik

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Ebd., Bl. 187. VWI-SWA, I. 1., Mappe Ägypten (E), Schreiben Wiesenthals vom 25. April 1974 an eine Adresse Pilz’ im württembergischen Nellingen auf den Fildern. Damals unterhielten die Amerikaner dort einen Heeresfliegerstützpunkt. Möglicherweise hatte Pilz dort nach seinem Ägypten-Engagement beruflich Anschluss gefunden. Nellingen war aber auch die Heimat seines Kollegen Walter Schuran in Ägypten. Nicht weit von dem Ort befand sich ferner das Gelände des ehemaligen FPS in Echterdingen. Das Schreiben Simon Wiesenthals an Pilz erfolgte als Reaktion Wiesenthals auf die Veröffentlichung eines langen Leserbriefes von Pilz in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 25. April 1974 unter der Überschrift „Der Auftrag der deutschen Raketenbauer in Ägypten“.

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ihm bei einer persönlichen Begegnung Interessantes aus Ägypten zu erzählen gehabt. Doch nicht nur Hildegard Pilz in Berlin und Heidi Goercke in Freiburg erhielten im Winter 1963 ungebetenen Herrenbesuch. Auch andere Angehörige der Experten am Nil und z. T. diese selber mussten sich spätestens seit dem Sommer 1962 mit plötzlichen Auftritten und Telefonanrufen Unbekannter auseinandersetzen. Es sind fast ausschließlich Dokumente des BND, welche diese Vorgänge belegen. Eine wichtige Quelle in diesem Zusammenhang ist Wolfgang Pilz, der in der fraglichen Zeit einen, wie wir bereits gesehen haben, regen Briefwechsel mit dem BND-Mitarbeiter Wolfgang Löhde unterhielt. Der Informationsaustausch der beiden kreiste dabei nicht nur, wie gezeigt, um Heinz Krug, es ging auch um das, was Pilz einmal zusammenfassend „Bedrohungsbesuche“ bei Angehörigen und Kollegen nannte. Einmal übersandte er Löhde eine ganze Liste solcher Vorgänge, die zum Zeitpunkt ihrer Abfassung die Visite Otto Jokliks bei seiner Ehefrau nicht berücksichtigen konnte.130 Es würde zu weit führen, sämtliche Vorkommnisse der pilzschen Aufstellung hier wiederzugeben, einige müssen genügen. Pilz selber reihte zu Beginn der Liste eine an ihn ergangene Einladung eines ihm unbekannten Syrers im Sporting Club Heliopolis am 16. August 1962 zu einem gemeinsamen Abend in Kairo in die Vorgänge ein, denn er sei diesem Mann nie vorher oder nachher begegnet. Auch die bereits erwähnte und für ihn unerklärbare Ausrufung seines Namens auf dem Schiff „Agamemnon“ im Hafen von Piräus wenige Stunden nach dem Verschwinden Heinz Krugs am 11. September zählte Wolfgang Pilz zu den „Bedrohungsbesuchen“. Am 16. Oktober 1962 fragte ein junger Unbekannter in Stuttgart bei den Eltern des in Kairo tätigen Ingenieurs Manfred Heidele nach dessen Aufenthaltsort, anschließend wandte er sich mit derselben Frage an die ebenfalls in Stuttgart ansässigen Eltern von Heideles Braut. Als der in Ägypten tätige Ingenieur Walter Schuran zuhause in Nellingen Urlaub machte, bekam er laut Pilz am 3. oder 4.  November Besuch von einer „grossen blonden Dame“, die durch eine „besonders grosse Nase“ aufgefallen sei und sich als „holländische Journalistin“ ausgegeben habe. Sie erbat Auskunft über Schurans Tätigkeit in Ägypten und warf ihm vor, dass er dort für den Krieg mit biologischen Kampfstoffen gegen Israel arbeite. „Um die Fragerei abzubrechen, fragte Schuran nach dem Schicksal von Dr. Krug. Antwort: Dr. Krug hat Kontakt mit Israel aufgenommen und wurde deswegen von den Ägyptern festgenommen“. Am 20. November 1962 rief bei Michael Erasmus im Münchner Intra-Büro eine Frau Deutschmann an, die sich als Mitarbeiterin der Israelischen Mission in Köln vorstellte. Sie fragte, ob die

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Archiv des BND, Akte 100614_OT, Schreiben von Pilz an Löhde („Lieber Löhde!“) aus Kairo vom 2. Februar 1963, Kopie. Eine solche Liste findet sich in dieser Akte auf den Blättern 264–69; es dürfte sich um eine Kopie der Arbeit von Pilz handeln. Die nachfolgend aufgeführten Fälle beruhen auf dieser Aufstellung.

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Intra weiterhin Material usw. an Ägypten liefere. Die Liste von Pilz fährt in der nächsten Zeile fort: „(Frl. Deutschmann, Deutschkraut?) hatte nach dem Verschwinden Dr. Krugs auch Frau Krug angerufen und sich als Journalistin einer israelischen Tageszeitung ausgegeben“. Bei der fraglichen Person handelte es sich wahrscheinlich um die Journalistin Inge Deutschkron. Auch der Vater der einzigen bislang bekannten Expertin am Nil, die für Paul Goercke tätige Chemikerin Mathilde Rosenfelder, bekam Besuch, und zwar in seinem Haus in Heidenheim. Wieder war es eine „grosse blonde Dame mit einer besonders grossen Nase“, die sich als Journalistin einführte und vorgab, an der Arbeit seiner Tochter in Ägypten interessiert zu sein. Sie bat um die Adresse von Frau Rosenfelder am Nil, weil sie ihr am 19. Dezember einen Besuch abstatten wollte. Am 15. Dezember war es erneut eine Dame mit den uns inzwischen bekannten physiognomischen Eigenschaften, die nun bei Frau Marta an Voort in Riegel am Kaiserstuhl vorsprach. Frau an Voort war laut Pilz eine „alte Bekannte und Freundin“ des in Ägypten tätigen Ingenieurs Hüttenberger. Die Besucherin teilte ihr mit, sie möge auf Hüttenberger einwirken, dass er seine Arbeit am Nil, „d. h. die Vorbereitungen zu einem ‚B-Krieg‘ [Krieg mit biologischen Kampfstoffen, A. H.] gegen Israel noch vor dem 15. Januar 1963 aufgeben“ solle. Wenn dies nicht passiere, würde ihn das gleiche Schicksal wie Adolf Eichmann treffen, die (das nächste Wort ist unleserlich) werde ab Ende Januar alle Deutschen dieses Programms verschwinden lassen. Die Liste nennt noch weitere sechs mysteriöse Kontaktversuche. Auch an anderen Stellen der BND-Unterlagen finden sich entsprechende Hinweise. Relativ breiten Raum in der Überlieferung nimmt der Fall des uns bereits bekannten Gymnasiallehrers und Freizeitexperten am Nil, Reinhold Strobel aus Esslingen am Neckar, ein. Nachdem Strobel nach dem Verschwinden Heinz Krugs von dem Intra-Bürovorsteher Erasmus vor Kontakten mit Fremden eindringlich gewarnt worden war und sich auch Wolfgang Pilz ihm gegenüber brieflich auf die gleiche Weise geäußert hatte, wandte sich der Physiklehrer an das Stuttgarter LKA.131 Bei der dortigen Vernehmung erklärte er, er sei im November 1962 an zwei Tagen von einem C. D. Livingston aufgesucht worden, der sich als freier Mitarbeiter der Hearst Presse in New York vorgestellt habe. Bei dem zweiten Treffen, das an Strobels Arbeitsstätte, dem Esslinger Schelztor-Gymnasium stattfand, habe sich Livingston über die Tätigkeit der Deutschen in Ägypten beklagt, die dort an biologischen Waffen gegen Israel arbeiteten. Die Juden auf der ganzen Welt müssten zusammenhalten und Israel beistehen. Livingston bejahte laut Strobel dessen Frage, ob er selber Jude sei. Sein Besucher sei „ziemlich gut“ über seine Lebensverhältnisse informiert gewesen, bis hin zu Kleinigkeiten, sagte Strobel den Kriminalbeamten Haberstroh und Kollischon vom LKA. 131

Ebd., Akte 22564_OT, Aktenvermerk. VS-Nur für den Dienstgebrauch, Stuttgart, 20.  März 1963, Bl. 87ff.

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Livingston erkundigte sich nach einer etwaigen NS-Vergangenheit von Pilz, Goercke und Walter Schuran, was Strobel in Abrede stellte. Der Besucher drohte schließlich damit, dass eine Zeitung des Hearst-Konzerns eine „Pressekampagne gegen Ägypten und die dort tätigen deutschen Wissenschaftler starten“ könne, in der auch Strobels Name als „Prominenter“ auftauchen würde. Er machte dem Gymnasiallehrer sodann den Vorschlag, auf seine, Livingstons, Kosten nach Zürich zu fahren, um dort einem „Techniker“ über die Rakete zu berichten, an der er in Kairo gearbeitet habe. Dies lehnte Strobel mit dem Hinweis ab, er sei bloß Theoretiker.132 Er werde in den nächsten fünf Jahren auch keine Vorlesung mehr in Ägypten halten, da seine Schulbehörde ihm dies untersagt habe. Livingston zeigte noch Interesse an Wolfgang Pilz und wollte wissen, ob er diesen wenigstens für eine Stunde treffen könne, was Strobel verneinte. Livingston revanchierte sich für diese Antwort, indem er seinerseits die Frage des Lehrers nach dem Aufenthaltsort von Heinz Krug verneinte. Im LKA legte man Strobel abschließend zwölf Lichtbilder vor und bat ihn, zu sagen, ob er auf einem der Bilder den angeblichen Mr. Livingston wiedererkenne. „Nach kurzem Blick auf die Lichtbilder“, heißt es in dem Aktenvermerk des LKA, deutete Strobel spontan auf das Foto von Joseph Ben-Gal aus dem Basler Prozess. Es war am 3. März 1963 vom Polizeikommando Zürich nach der Verhaftung Ben-Gals aufgenommen worden.133 Dass die Israelis die Bedrohung durch atomar und biologisch bestückte Raketen durchaus ernstnahmen, zeigt sich auch in dem Einsatz eines prominenten französischen Widerstandskämpfers aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Es handelte sich dabei um den gebürtigen Juden und zum Katholizismus konvertierten Abbé Glasberg.134 Am 4.  März 1963 traf sich Glasberg nach einer vorherigen telefonischen Verabredung mit Otto Kraehe, einem beim

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Im Jahre 1963 erschien im renommierten Springer Wissenschaftsverlag ein Standardwerk zur Ballistik, an dem Strobel beteiligt war: Hellmuth Molitz und Reinhold Strobel, Äußere Ballistik, Berlin. Auch die Gattin von Walter Schuran machte die Bekanntschaft Ben-Gals. Sie wurde im Dezember 1962 von einem Unbekannten in ihrer Nellinger Wohnung aufgesucht und dahingehend bearbeitet, dass ihr Mann seine „gefährliche Arbeit in Ägypten“ aufgeben solle, andernfalls ihm das gleiche Schicksal wie Adolf Eichmann „beschieden sei“. Immerhin bot der Unbekannte sowohl „Geld als auch Arbeitsmöglichkeiten für Herrn Schuran an“. Nach der von Frau Schuran abgegebenen Personenbeschreibung kamen Beamte des LKA Baden-Württemberg zu dem Schluss, dass der Unbekannte Joseph Ben-Gal gewesen sein musste. Vgl. Archiv des BND, Akte 22564_OT, Aktenvermerk vom 19. April 1963, Bl. 177. Das Folgende nach ebd., Aktenvermerk des LKA Baden-Württemberg vom 20. März 1963 (Kopie), Bl. 84ff. Geboren 1902 im ukrainischen Shitomir, hatte sich Abbé Glasberg einen Namen mit der Rettung jüdischer Kinder im Vichy-Frankreich gemacht. Nach dem Krieg half er dem Mossad bei dem Transfer von Juden nach Palästina. Wahrscheinlich führte er auch die hier beschriebene Mission in Stuttgart im Dienste des Mossad aus. Vgl. Lucien Lazare, The Mission of Abbé Glasberg in the French Resistance during WW II, Amsterdam 1990.

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Stuttgarter FPS135 beschäftigten Ingenieur, im Hotel „Schloßgarten“ der württembergischen Metropole. Glasberg informierte den wie Walter Schuran und später Wolfgang Pilz in Nellingen wohnhaften Kraehe korrekt über seinen Arbeitgeber, die katholische Sozialfürsorge in Paris. Dort hätten jüdische Freunde sich an ihn mit der Bitte gewandt, ihnen hinsichtlich der deutschen Raketenfachleute in Ägypten zu helfen.136 Dabei sei auch der Name Kraehe gefallen. Glasberg erwies sich in dem auf Französisch geführten Gespräch im Schloßgarten als gut über sein Gegenüber informiert – über seine zweite Ehe mit einer Französin, die Zahl seiner Kinder und auch über seine Peenemünder Jahre sowie die anschließende Zeit in Vernon bei Paris. Der Besucher zielte auf Wolfgang Pilz ab, mit dem Kraehe zusammengearbeitet hatte. Er bat Kraehe inständig, auf Pilz einzuwirken, damit es nicht zum Abschuss einer Rakete mit radioaktivem Material auf Israel komme. Allerdings, so Glasberg, verbiete sich eine briefliche Kontaktaufnahme mit Pilz, es müsse zu einem persönlichen Gespräch kommen. Geld spiele keine Rolle, und ein Treffen könne in Deutschland, der Schweiz, Italien, Algerien oder auch in Kairo erfolgen. Es müsse das Schlimmste verhindert werden, „es gebe überall Fanatiker, die zum Äußersten entschlossen seien“. Kraehe machte deutlich, dass er mit Blick auf seine Familie nichts mit der Sache zu tun haben wolle, wofür Glasberg Verständnis zeigte. Der Franzose fragte nun, an wen er sich sonst wenden könne. Kraehe empfahl ihm, „den Hebel doch in Bonn“, bei der Bundesregierung anzusetzen, „wo man Herrn Pilz ein günstiges Angebot machen könne“. Darüber könne man später sprechen, entgegnete Glasberg, im Übrigen müsse Pilz ja nicht unbedingt nach Deutschland zurückkehren, Frankreich würde ihm auch etwas bieten. Ihm zufolge sah man in Israel Pilz als strategisch wichtigste Figur unter den Experten in Ägypten. Zöge sich dieser zurück, bräche das Raketenprogramm bei den Pyramiden zusammen. Auch ein zweites Gespräch am selben Ort am nächsten Tag brachte substanziell nichts Neues. Glasberg lockte noch mit einer Mittelmeerreise für das Ehepaar Kraehe, bei der eine Begegnung mit Wolfgang Pilz arrangiert werden könne. Kraehe wies dieses Angebot zurück und informierte Glasberg auf dessen entsprechende Frage darüber, dass zwei Brüder von Pilz in Frankreich bzw. Deutschland lebten. Adressen wurden nicht verlangt und nicht gegeben. Kraehe verneinte die Frage Glasbergs nach möglichen Charakterschwächen von Pilz bzw. einer etwaigen Empfänglichkeit für Geld. Damit war die Begegnung beendet. Otto Kraehe unterrichtete anschließend den in der Bundesrepublik lebenden Bruder von Wolfgang Pilz über das Treffen mit Glasberg und bat ihn, sich wegen Details mit ihm in Verbindung zu setzen.

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So jedenfalls die Angabe in dem Aktenvermerk. Streng genommen war das FPS seit Anfang der sechziger Jahre im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) aufgegangen. Es darf vermutet werden, dass sich hinter den „jüdischen Freunden“ der Mossad verbarg.

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Doch es blieb nicht bei Bedrohungsbesuchen und Telefonanrufen in der Bundesrepublik. In Ägypten selber sahen sich die Experten und die Menschen in ihrer nächsten Umgebung auch mit physischer Gewalt konfrontiert.

Sprengstoffattentate in Kairo Es war der 27. November 1962. Noch immer rätselte man unter den Raketenexperten in Heliopolis, wie das Verschwinden von Intra-Chef Heinz Krug zu erklären sei. In der Military Factory 333 war gerade die Post verteilt worden, darunter, wie immer, Anfragen, Angebote und technische Informationen. Hannelore Wende, die Sekretärin und Geliebte von Wolfgang Pilz, griff nach einem auffallend dicken und etwas schweren Brief im DIN-A5-Format, der an Pilz persönlich adressiert war. „Privat“ stand darauf und „Bitte an neue Anschrift nachsenden“. Als angeblicher Absender trat ein Rechtsanwalt Handtke in Hamburg auf und adressiert war der Brief zunächst an Pilz’ frühere Wirkungsstätte, das Stuttgarter FPS. Frau Wende machte sich an die Öffnung des Briefes. Nicht nur besaß sie eine absolute Vertrauensstellung bei ihrem Chef, die ihr auch das Öffnen von dessen privater Post erlaubte; sie war neugierig – der Absender ein Hamburger Rechtsanwalt? Das, so ihr Gedanke, konnten die Scheidungsunterlagen sein, auf die man wartete. Der Triebwerksexperte wollte sich von seiner Ehefrau Hildegard in Berlin scheiden lassen und seine Sekretärin heiraten. Eine ohrenbetäubende Detonation warf Frau Wende zu Boden. In dem Kuvert war Plastiksprengstoff explodiert und verletzte die Sekretärin im Gesicht so schwer, dass sie ein Auge verlor und für immer entstellt blieb. Auch ihre Hände wurden verstümmelt. Im Kairoer Militärkrankenhaus konnten die Ärzte ihr Leben gerade noch retten. Hannelore Wende war Opfer eines Attentates geworden, das eigentlich ihrem Chef gegolten hatte. Die Ermittlungen der Hamburger Polizei ergaben später, dass es keinen Rechtsanwalt mit dem Namen Handtke in der Hansestadt gab. Der wahre Absender des Briefes wusste offenbar nichts über den tatsächlichen Aufenthaltsort von Pilz Ende November 1962, was den unbestimmten Nachsendeauftrag erklärt. Aufgeklärt wurde der Anschlag nie. Die ägyptischen Behörden taten alles, um Informationen über das Attentat nicht nach außen dringen zu lassen. Sie wollten den Israelis – und aus ihrer Sicht kamen nur sie als Urheber der Tat in Frage – keinen Beweis für ihren „Erfolg“ gönnen. So erklärt sich auch die in dürren Worten formulierte Erwähnung des Anschlages in einem Brief von Wolfgang Pilz an Wolfgang Löhde vom 17. Dezember 1962. Er habe am 27. November einen Brief von einem Rechtsanwalt Handtke aus Hamburg mit einem „Plastikinhalt“ erhalten, schrieb Pilz aus Kairo. Dieser „hätte gereicht, mich zu beseitigen“. Kein Wort von der Verstümmelung Hannelore Wendes, dafür aber die Bitte an Löhde, „diese Affäre vertraulich zu behandeln, sie auf gar keinen Fall 388

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in die Öffentlichkeit zu bringen“. Und für Pilz kamen auch nicht – jedenfalls seinem Schreiben zufolge – die Israelis als Attentäter in Frage, sondern, so Pilz, „man sagt, dass die Machart an ‚Rote Hand‘ bzw. OAS erinnert, was meinst Du?“137 Ob Pilz tatsächlich nicht der Gedanke gekommen war, dass Israel für den Anschlag verantwortlich sein könnte? Oder wollte er nicht riskieren, das Wort Israel bzw. israelisch in einem aus Ägypten abgehenden Brief zu schreiben? Von dem bereits mehrfach erwähnten Geschäftsführer der Gießener EVAUGE, Kurt Schubert, stammt eine bemerkenswerte Aussage, die er in seiner Vernehmung durch die Gießener Kripo tätigte und deren Inhalt sich sonst nirgends findet. Schubert erklärte bei dieser Gelegenheit, dass der „angebliche Rechtsanwalt Wende aus Berlin, Vater der Sekretärin von Dipl.Ing. Pilz, Hannelore Wende, verheiratete Vogel“, ein „wichtiger Vertrauensmann des General Mahmoud“ sei. Vater Wende halte sich viel in Kairo auf. „Er wohne in Berlin und sei dort Kontaktmann für die Beschaffung illegalen Materials“138. Möglicherweise war Rechtsanwalt Wende auch in den geschilderten Kauf mehrerer tausend „Smith & Wesson“-Waffen in Berlin und deren Transfer mit der UAA nach Kairo via Frankfurt am Main involviert. Nur einen Tag nach der Explosion der Briefbombe im Vorzimmer von Wolfgang Pilz, am 28.  November 1962, wurde im Stadtbüro der Lufthansa in Hamburg ein Paket aufgegeben. Als Inhalt nannte der Luftfrachtbrief Bücher. Absender: die Stuttgarter Buchhandlung Konrad Winter, Adressat: die „Military Factory 333 (INTRA)“139 in Kairo. Die ziemlich unleserliche Unterschrift unter dem Brief wurde später als „Ed. Höfer“ entziffert, das eingefügte c/o besagte, dass der Absender des Paketes im Stuttgarter Hotel „Rapp“ Quartier bezogen hatte. Laut Stempel wurde das Paket am 28. November vom Zollamt am Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel abgefertigt und mit einer Maschine der Lufthansa über Frankfurt nach Kairo geflogen. Dort dauerte es dann noch einen Monat bis zum 30. Dezember, bis das Paket vor einer Kommission zur Begutachtung seines Inhaltes im Post Office der Factory 333 lag. So die Aussage eines Zeugen „X“ – dabei handelte es sich zweifelsfrei um Wolfgang Löhde – laut einem Bericht der Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes vom 28. Februar 1963.140 Die Ägypter waren seit der Detonation der Briefbombe vorsichtig geworden – ob vorsichtig genug, würde sich bald erweisen. Vor der Öffnung des Paketes suchte man vergeblich nach dessen Besteller, andrerseits hatten die deutschen Experten schon früher Bücher über die Stuttgarter Buchhandlung 137 138 139 140

Archiv des BND, Akte 100614_OT, Bl. 259 (Kopie). Ebd., Akte 100615_OT, Aktenvermerk „betr. Waffenhandel nach Ägypten“ vom 29. April 1963. Archiv des BND, Akte 100614_OT, Kopie des Luftfrachtbriefes, Bl. 274. Ebd., Akte 100615_O, Bl. 008. Dort heißt es, der Zeuge X habe sich aus „journalistischen Gründen vom 19. 2. bis 26. 2. in Kairo aufgehalten“ und sei dort mit einem ehemaligen Mitarbeiter des „Dr. Krug und Angehörigen des Abwehrdienstes der VAR zusammengekommen“. Bei diesem Mitarbeiter handle es sich um Wolfgang Pilz. Zwischen dem Zeugen X und Pilz bestehe, so der Bericht, „eine jahrelange Freundschaft und ein echtes Vertrauensverhältnis“.

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bezogen, so dass sich das Misstrauen in Grenzen hielt. Bei der Öffnung des Paketes am 30. Dezember explodierte dann eine Sprengladung, die zwischen den Büchern versteckt worden war. Fünf unmittelbar Getötete und sechs Schwerverletzte waren zu beklagen, dazu kam ein erheblicher Gebäudeschaden.141 „Die Leichen“, fährt der Bericht der BKA-Sicherungsgruppe fort, „waren bis zur Unkenntlichkeit zerstückelt. Körperteile und Gliedmaßen waren in den Wandputz eingedrungen. Die Schwerverletzten wurden im Heliopolis-Hospital untergebracht“, zwei von ihnen seien wenig später verstorben. Als eine Konsequenz aus dem neuerlichen Anschlag händigten die Ägypter den deutschen und österreichischen Fachleuten nun Pistolen aus, die sie selbst während ihrer Vorlesungen vor ihren Studenten trugen.142 In die umfangreichen Ermittlungen zur Aufklärung des Paketbombenattentats schalteten sich außer den ägyptischen Behörden auch deutsche Experten vor allem in Hamburg ein, letztlich ohne Erfolg. Dabei tauchte auch ein alter Bekannter in Hamburg wieder auf: Hermann Valentin gab sich im dortigen Stadtbüro der Lufthansa als „Sicherheitsbeauftragter des ägyptischen Staates“ aus. Tatsächlich hatte Mr. Mahmoud Valentin zur Aufklärung des jüngsten Anschlages in die Bundesrepublik geschickt, er konnte jedoch ebenfalls keinen Beitrag zur Lösung des Falles leisten. Dafür war er rund zehn Jahre später in der Lage, zusammen mit seinem Ko-Autor Egon W. Scherer in der Rheinpfalz-Serie einen mittelbar Schuldigen für die Toten und Verletzten zu benennen. Ein „schwer wiegendes Versäumnis im Zusammenhang mit der Paketdetonation“ gehe, so Scherer und Valentin, „auf das Konto von El-Sayed Nadim, dem inzwischen beförderten ägyptischen Offizier, der für die Sicherheit der Raketenbauer in Heliopolis verantwortlich war“. Jener Nadim, dessen Name im Fall Krug wiederholt gefallen war, hatte den Rheinpfalz-Autoren zufolge „sogleich nach der Explosion des Sprengstoffbriefes, der Frau Wendes Gesicht verwüstete, die Anweisung erhalten, ein Röntgengerät zu beschaffen, damit der gesamte Posteingang künftig genau untersucht werden könnte. Doch Nadim hatte sich nicht bemüht“143. Und ein drittes Mal gelangte ein Sprengstoffpaket ins Post Office der Factory 333, diesmal adressiert an deren ägyptischen Direktor, „Mr. Brig. Engineer Kamel Azzab“, aufgegeben in 141

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Die oben wiederholt herangezogene Ressortbesprechung im Bundeskanzleramt vom 26. März 1963 ging irrtümlich davon aus, dass Hannelore Wende bei der Paketöffnung schwer verletzt worden war. Die an Wolfgang Pilz adressierte Briefbombe taucht in der Zusammenstellung der mutmaßlichen „Straftaten“, derer der „israelische Geheimdienst“ verdächtigt wurde, nicht eigens auf, sie war in Bonn bis zum Tage der Ressortbesprechung offenbar unbekannt geblieben. Vgl. AAPD, 1963, Bd. I, München 1994, Nr. 133. Die Pistole am Gürtel von Paul Goercke ist etwa auf dem Foto deutlich zu erkennen, das der „Stern“ in seiner Ausgabe Nr. 5 vom 31. Januar 1965 veröffentlichte und das den Radarfachmann inmitten seiner ägyptischen Studenten zeigt. Die Rheinpfalz, Teil IX der Serie, 11. Oktober 1973. Woher wusste Hermann Valentin, dass Nadim sich nicht einmal „bemüht“ hatte?

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Hamburg am 29. November 1962, also einen Tag, nachdem das erste Paket expediert worden war und zum Jahresende insgesamt sieben Todesopfer gefordert hatte. Als Absender zeichnete die Buchhandlung Hugo Blanck in Stuttgart. Erneut ließ man die Sendung liegen, vor allem, weil der Adressat es nicht bestellt hatte. Ein mittlerweile beschafftes Röntgengerät erbrachte den Nachweis, dass sich sieben Bücher in ihr befanden und davon drei zusammen mit Sprengstoff in einer Kassette steckten. Hermann Valentin und Egon W. Scherer zufolge wagten sich die Ägypter nicht an die Entschärfung des Paketinhaltes, weil ihnen die erforderlichen Fachkräfte fehlten.144 Mahmoud Khalil wandte sich am 18.  Februar 1963 an Wolfgang Löhde in Hamburg und bat ihn umgehend nach Kairo zu kommen, was dieser bereits am nächsten Tag tat. Es dauerte dann noch mehr als ein Jahr, bis Mitte 1964 Sprengstoffspezialisten des BKA in streng geheimer Mission an den Nil reisten und das Paket entschärften. Der zeitliche Verzug war, glaubt man Scherer und Valentin, dem Desinteresse und Unwillen der zuständigen deutschen Behörden geschuldet, sich der Sache konsequent anzunehmen. Schließlich war es der Münchner Rechtsanwalt Alfred Seidl, zu dessen Mandanten auch Wolfgang Pilz zählte, der die Justizbehörden schriftlich darauf hinwies, dass „ihr Nichtstun einer Begünstigung im Amt (§ 346 StGB) gleichkomme“. Prompt bekamen die BKA-Fachleute „Marschbefehl“ in Richtung Kairo. Auf dem Hof der Anlage 333 erfolgte dann die Entschärfung einer Zwei-Kilo-Bombe durch die Wiesbadener Spezialisten.145 Auch dieser dritte Anschlag ist nie aufgeklärt worden.146 Im weiteren Umfeld der Sprengstoffattentate spielte Rechtsanwalt Seidl dann noch eine höchst zwielichtige Rolle. Es ging dabei um das Kairoer Strafverfahren vom Juli 1965 gegen den „Champagnerspion“ Wolfgang Lotz und seine Ehefrau Waltraud sowie einige andere Personen, nachdem Lotz enttarnt und am 22. Februar 1965 verhaftet worden war. Lotz hatte als Ergebnis seines Prozesses zumindest mit einer langen Haftstrafe zu rechnen. Wäre seine israelische Staatsangehörigkeit aufgeflogen, wäre aller Wahrscheinlichkeit nach die Todesstrafe gegen ihn verhängt worden. Zu Beginn der unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefundenen Verhandlung gegen das Ehepaar Lotz legte Generalstaatsanwalt Samit Nagy „mit dramatischer 144 145

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Ebd., Teil X der Serie, 12. Oktober 1973. Ebd. Die Darstellung in der Rheinpfalz wird grundsätzlich bestätigt durch den Bericht der Sicherungsgruppe des BKA vom 28. Februar 1963, Bl. 034. In den Berichten der deutschen Ermittler zu den genannten Sprengstoffattentaten, die z. B. in den Akten des BND in Kopieform vorliegen, wird merkwürdigerweise nicht der Umstand thematisiert, dass sämtliche Sprengstoffsendungen in Hamburg aufgegeben worden waren, eine Stadt, die ansonsten keine erkennbar wichtige Rolle für die Flugzeug- und Raketenbauer in Ägypten gespielt hatte – im Gegensatz zu Frankfurt, Stuttgart und München allein schon durch die dortigen UAA-Büros. Möglicherweise wollten die Absender des Briefes an Wolfgang Pilz und der Pakete selbst das kleinste Risiko einer zufälligen Begegnung etwa mit Mitarbeitern der Intra in München oder auf den Flughäfen mit UAA-Vertretern ausschließen. Hamburg mit seinem Flughafen war sozusagen ein „weißer Fleck“ für die deutschen Experten am Nil und ihre Zuarbeiter in der Bundesrepublik.

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Geste“ – so Lotz in seinen Erinnerungen – einen Brief aus der Bundesrepublik vor. Er stammte von Rechtsanwalt Alfred Seidl.147 Ein wenig verschleiernd heißt es zu Beginn des Briefes: „An den Generalstaatsanwalt, Kairo. Vor einigen Wochen sprachen wir mit Professor Pilz über den Fall Lotz, und ich bin davon in Kenntnis gesetzt worden, daß Lotz neben seiner deutschen Staatsangehörigkeit auch die israelische besitzt“.

Wer genau ihn „in Kenntnis gesetzt“ hatte, schreibt Seidl nicht. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hatte Pilz die wahre Identität von Lotz durch Wolfgang Löhde erfahren, dem diese durch seine Nebentätigkeit beim BND bekannt geworden sein dürfte. Mit seinem Wissen über Lotz hatte er dessen Leben sozusagen in seiner Hand. Seidl nennt dann ein paar Lebensdaten von Lotz und erwähnt dessen Offiziersrang in der israelischen Armee. Gegen Ende seines Briefes forderte er, dass nun Lotz endlich dazu gebracht werden müsse, „die Identität der Leute zu enthüllen, die Sprengstoffbriefe von Deutschland aus an die Sekretärin von Dr. Pilz und eine Reihe von Ägyptern geschickt haben“. Mit diesem Schreiben durch Nagy vor Gericht konfrontiert, stand der Angeklagte Lotz nach eigenem Bekunden kurz unter Schock. Doch durch die mimische Unterstützung seines deutschen Anwalts Krahl-Urban fing er sich wieder und bat darum, sich das Dokument ansehen zu dürfen, was ihm auch gestattet wurde. Dabei erkannte er auf dem Briefkopf Name und Adresse von Rechtsanwalt Seidl. Befragt, was er von dem Inhalt des Schreibens halte, qualifizierte Lotz diesen als „kompletten Unsinn“ ab, abgesehen von den spärlichen Angaben zu seinem Geburtsort und -jahr. Nach einigem Hin und Her beschloss das Gericht, den Brief Seidls nicht als Beweismittel zuzulassen, wodurch Lotz seinen Kopf aus der Schlinge bekam. Dennoch wollte der Vorsitzende Richter von ihm wissen, wer ihn nach seiner Meinung mit welcher Absicht geschrieben haben könne. „Es ist ein eindeutiger Versuch, mich an den Galgen zu bringen“, erwiderte der Angeklagte, und weiter: „Die einzigen, die etwas davon hätten, sind die Pilz-Gruppe und die Juden. Pilz will sich an mir rächen, weil ich beweisen konnte, daß sein Raketenprogramm ein Fiasko ist; außerdem glaubt er, ich hätte mit den Sprengstoffsendungen aus Deutschland etwas zu tun, was aber erwiesenermaßen nicht der Fall ist. Die Israelis wiederum wollen einen Agenten loswerden, der für sie wertlos geworden ist und jetzt mit den ägyptischen Behörden zusammenarbeitet. Das sind die einzigen Erklärungen, die ich habe“148.

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Vollständiger Abdruck des Briefes bei Lotz, Fünftausend für Lotz, Frankfurt am Main 1972, S. 178f. und Wiederabdruck in Lotz., Champagnerspion, S. 206f. Lotz, Champagnerspion, S. 210.

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Abb. 18: Wolfgang Lotz erklärt vor Gericht in Kairo seine Sendetechnik Damit hatte Lotz hinsichtlich der Sprengstoffattentate bei Gericht ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit gewählt. Wohl traf es zu, dass er mit den Sendungen aus der Bundesrepublik nichts zu tun hatte, doch auch er hatte mit Sprengstoff gefüllte Briefe von weit auseinanderliegenden Briefkästen Kairos aus an ausgewählte deutsche Experten in Ägypten verschickt. Er hatte die verschlossenen und bereits adressierten Briefe in zwei Reisetaschen aus Europa mitgebracht und wartete in Kairo auf ein Funksignal, auf das hin er die Briefe verschicken würde. Bei der Öffnung eines von diesen gab es Verletzungen bei einem Briefzensor auf einem Postamt. Danach durchleuchtete man sämtliche an die Experten gerichteten Sendungen und entdeckte dabei noch vier weitere Briefbomben. Ausgerechnet der mit Wolfgang Lotz befreundete General Youssef Ghorab überbrachte dem Champagnerspion diese Information.149 149

Ebd., S. 136ff.

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Ob Lotz auch versuchte, die Fachleute am Nil durch reine Drohbriefe von ihrer Tätigkeit am Nil abzubringen, steht dahin. Er selber schreibt im „Champagnerspion“ nur von mit ein wenig Sprengstoff gefüllten Briefen, die unter den Adressaten lediglich Panik verursachen sollten150 und die er in Kairo auf den Postweg gebracht habe. Zwei angebliche „Originalwortlaute“  – d.  h. vom Original abgeschriebene  – solcher von Lotz versandter Drohbriefe sind als Anhänge 1 und 2 einer umfangreichen Materialsammlung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR angefügt, die als Grundlage für ein Filmprojekt des MfS zum Fall Lotz dienen sollte. Das MfS versäumte nicht darauf hinzuweisen, dass das schlechte Deutsch in den Briefen auf „israelische Verfasser“ schließen lasse. Eine in der Sammlung befindliche alphabetische Namensliste der deutschen und österreichischen Experten in Ägypten weist bei den Namen der beiden Briefempfänger stichwortartig darauf hin, sie hätten „Drohbrief erhalten“, was die Möglichkeit andeutet, dass diese beiden Schreiben über einen anderen Experten vor Ort, der mit dem MfS in Kontakt stand, ihren Weg nach Ost-Berlin gefunden hatten. Als Beispiel sei hier ein Auszug aus einem Brief an den Experten Heisig zitiert (Anlage 1). Dem österreichischen Raketeningenieur Heisig teilte der von Lotz abgeschickte, jedoch nicht von ihm selber geschriebene Brief mit, dass er auf „unserer ‚Schwarzen Liste‘“ stehe. Diese Liste enthalte „Namen der Leute, die Ägypten bei der Entwicklung von Vernichtungswaffen behilflich sind“. Detailkenntnisse über Heisigs Familie andeutend, schrieb der Unbekannte ferner: „Wir dachten Ihre Nazi-Vergangenheit und Ihre Erfahrung in der russischen Gefangenschaft wären genügend, um Ihnen die Augen zu öffnen und Sie vor allen weiteren Tätigkeiten in der Kriegsindustrie fernzuhalten. Anscheinend aber, mit einem Mann wie Sie muß anders gehandelt werden […] Es wäre auch ratsam, daß Sie an die Zukunft Ihrer Frau Ruth und Töchter Inge und Gitta denken. Wäre es nicht viel angenehmer für Sie, in Bad Aussee zu wohnen und in der kühlen Gegend zu arbeiten?“

Unterzeichnet war der Brief mit „The Gideonites“151. Folgt man Lotz in seinen Erinnerungen, waren die „Resultate unserer Aktion“ erst „nach einigen Monaten zu spüren“, letztlich

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Ebd., S. 137. BStU, MfS, ZIAG, Nr. 9639, Bd. 1, Bl. 95. Die von dem DDR-Journalisten, Buchautor und MfS-Offizier Julius Mader angelegte Sammlung entstand unter dem Arbeitstitel „Der Fall Lotz. Der Spion in Kairo“ (1968). Über die Zielsetzung des Projektes, das offenbar nie realisiert wurde, hieß es bei Mader, es könnte „im Sinne der antiimperialistischen Solidarität dazu beitragen, in den arabischen und anderen jungen Nationalstaaten die (oft noch mangelhafte) Massenwachsamkeit der Bevölkerung zu verschärfen und effektvoll auf das Problem des antinationalen Zusammenwirkens ausländischer imperialistischer Kräfte mit den inneren konterrevolutionären Kreisen (Abwertung durch filmische

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aber doch wohl als erfolgreich zu verbuchen. Demgegenüber gibt es jedoch auch eine andere Darstellung vom Ende der deutschen Expertentätigkeit, in der noch einmal der SSObersturmbannführer Otto Skorzeny eine entscheidende Rolle spielt und die am Schluss unserer Geschichte zur Sprache kommt. Doch hier zunächst in aller Kürze die Version von Wolfgang Lotz: Als unmittelbare Folge „unserer Aktion“, so Lotz, hätten einige Flugzeug- und Raketenbauer ihre Familien nach Hause in Sicherheit gebracht, anschließend hätten manche von ihnen gekündigt, woraufhin sie von ihren ägyptischen Chefs „schikaniert“ worden seien. Ausstehende Gehaltszahlungen seien verweigert, Kosten für Flug- und Schiffspassagen nicht beglichen und die Fachleute selber bei der Ausreise „von den Zollbeamten regelrecht auseinandergenommen“ worden. Die nächsten „Auswanderer“ hätten es geschickter angestellt: Sie verkauften heimlich ihre Einrichtung in Kairo und kehrten von ihrem Sommerurlaub in Deutschland nicht mehr zurück. „Das Personalproblem in der Rüstungsindustrie“, so Lotz, „wurde akut, und die Produktion war so gut wie lahmgelegt. In Jerusalem atmete man auf “152 . Alfred Seidl hatte in seinem Brief an das Kairoer Gericht noch angemerkt, dass nach seinen Informationen „vor einigen Tagen ein hoher israelischer Beamter in Hamburg eingetroffen“ sei, um die Veröffentlichung der Tatsache der israelischen Staatsangehörigkeit von Wolfgang Lotz „durch eine deutsche Illustrierte“ – gemeint war der Stern – „zu verhindern“. Tatsächlich hatte Wolfgang Löhde, wie erwähnt, vermutlich die wahre Identität von Lotz aufgedeckt.153 „Zu meinem Glück“, so Lotz in seinen Erinnerungen, erklärte sich der Chefredakteur des Stern auf die israelische Bitte hin bereit, „die Geschichte bis zu meiner Entlassung aus dem Gefängnis nicht zu veröffentlichen, um damit mein Leben zu retten“154.

152 153

154

Demonstration exotisch-parasitären Lebens in Nacht- und Reitklubs, Partys usw.) hinzulenken“. Vgl. ebd., Anm. 150. Zu dem DDR-Filmprojekt vgl. auch Riegler, Agenten, S. 70, Anm. 143. „The Gideonites“ war vermutlich eine Anspielung auf den Richter Gideon im Alten Testament. Lotz, Champagnerspion, S. 141. Unter der Überschrift „Pardon für einen falschen Deutschen. Der von Ägypten freigelassene Agent Wolfgang Lotz ist in Wirklichkeit ein Israeli“ in der Ausgabe Nr. 7 des Stern vom 18. Februar 1968 klärte Wolfgang Löhde unmittelbar nach der Haftentlassung von Lotz die Leserschaft der Illustrierten über dessen wahre Identität auf. Lotz, Champagnerspion, S. 207, Asterisk. Lotz hatte eine lebenslange Freiheitsstrafe, seine Ehefrau wegen Beihilfe zur Spionage drei Jahre Zuchthaus erhalten. Nach dem Ende des Sechs-Tage-Krieges von 1967 und langwierigen Verhandlungen erfolgte dann ein Gefangenenaustausch zwischen Ägypten und Israel: Gegen das Ehepaar Lotz, zwei israelische Piloten und sechs israelische Froschmänner in ägyptischem Gewahrsam ließ Israel knapp 5000 ägyptische Gefangene frei. Beim Flug von Kairo nach München am 4. Februar 1968 nutzte das Ehepaar Lotz die Gelegenheit einer Zwischenlandung in Athen, um ohne ihr Gepäck die Maschine zu verlassen und nach Israel weiterzureisen. In der Bundesrepublik hatte die Sicherungsgruppe des BKA inzwischen die Akten zu den Sprengstoffattentaten

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

Abb. 19: Mossad-Chef Meir Amit, links am Bildrand, und das Ehepaar Lotz, Bildmitte, nach seiner Freilassung und Ankunft in Israel Doch nicht nur am Nil gab es Attacken auf die Raketenfachleute und ihre nächste Umgebung. Auch die Bundesrepublik erlebte ein knappes halbes Jahr nach dem Verschwinden von Heinz Krug einen spektakulären Anschlag.

Der Angriff auf Hans Kleinwächter in Lörrach Nur wenn dies für seine Tätigkeit im Rahmen des ägyptischen Raketenprogramms erforderlich war, reiste der Elektronikfachmann Hans Kleinwächter – mittlerweile zum Professor an der Universität Kairo ernannt  – für eine begrenzte Zeit von Lörrach an den Nil, wo er ein eigenes Mitarbeiterteam hatte. Sein Labor in Lörrach, das zunächst provisorisch in einer Wohnung untergebracht war, kooperierte mit der Intra in München. Schon kurze Zeit nach dem Verschwinden Heinz Krugs wurde dann auch der Hinweis auf die Intra im Firmenschild des Labors in der Lörracher Luisenstraße entfernt. Kleinwächters Hauptaufgabe in Ägypten bestand ursprünglich in der Telemetrie, also der Entfernungsmessung, doch bald wurde die Entwicklung von Steuerungskreiseln für die Raketentypen El Zafir und El Kaher vorrangig.

wieder hervorgeholt, was für die Lotzens eine Landung auf einem deutschen Flughafen zum damaligen Zeitpunkt wenig attraktiv erscheinen ließ. Ebd.

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Mahmoud Khalil, dem der Experte im Südbadischen aus Sicherheitsgründen mittlerweile zu weit weg vom Schuss war, machte Kleinwächter den Vorschlag, nach Kairo überzusiedeln. Doch dieser lehnte dankend ab mit der Begründung, dass er in Lörrach besser arbeiten könne. Es ging ihm aber wohl auch darum, sich die Grundlagen für eine eigenständige Existenz in der Bundesrepublik zu schaffen und sich nicht völlig in die Abhängigkeit der Ägypter zu begeben. Ende Januar 1963 flog er wieder einmal nach Kairo und hatte dort auch Gelegenheit, die Auswirkungen des Sprengstoffanschlags auf das Post Office der Factory 333 in Augenschein zu nehmen. Bei seiner Rückkehr nach Lörrach am 12. Februar hatte er für sein Labor eine Fülle neuer Aufgaben im Gepäck, die ihn und seine Mitarbeiter aufs höchste forderte. Der Chef, so hieß es damals in seiner Umgebung, entfalte eine „wahre Arbeitswut“, die ihn abends als Letzten sein Labor verlassen ließ.155 Nicht anders war es auch am Abend des 20. Februar 1963 – also genau ein Tag, nachdem sich Otto Joklik in Freiburg Heidi Goercke offenbart und ihr von seinem Seitenwechsel zu den Israelis erzählt hatte. Hans Kleinwächter fuhr gegen 21.40  Uhr mit seinem Wagen in Richtung Peripherie der Stadt, genauer: hinauf zum Tüllinger Berg, wo im dortigen Lettenweg sein gerade fertiggestelltes Haus lag. Als er in den Lettenweg einbog, fand er die schmale Straße durch ein anderes Fahrzeug versperrt. Aus dem fremden Wagen stieg ein Mann und trat an Kleinwächters Fahrerfenster, das dieser ein Stück herunterkurbelte. Der Unbekannte fragte Kleinwächter, ob er Dr. Schlüter sei.156 Als Kleinwächter gerade verneinen wollte, erkannte er plötzlich unter dem angehobenen Mantel des Mannes einen auf ihn gerichteten Pistolenlauf – und schon fiel ein Schuss. Die Kugel zertrümmerte das Fahrerfenster, durchlöcherte aber nur Kleinwächters Halstuch. Geistesgegenwärtig griff Kleinwächter blitzschnell mit der linken Hand durch das halboffene Fenster nach der Waffe des Fremden, drehte den Lauf seitwärts ab und schrie den Angreifer an. Gleichzeitig langte er mit der Rechten nach seiner eigenen Waffe, die er in seiner Hüfttasche stecken hatte, bekam sie jedoch in der Hektik nicht sogleich in die Hand. Der Schütze zerrte an seiner Pistole, die Kleinwächter jedoch eisern umklammerte. Durch das Gerangel gab es eine Ladehemmung in der Waffe des Unbekannten, der sie schließlich in den matschigen Schnee fallen ließ. Sein Pech erkennend, gab der Angreifer auf und rannte, gefolgt von zwei Begleitern, die aus dem fremden Fahrzeug gesprungen waren, in langen Sätzen den Berg hinunter. Am Fuß des Berges stürzten die drei Männer in einen 155

156

Dies und das Folgende im Wesentlichen nach den Teilen XI und XII der Serie in der Rheinpfalz vom 13. und 16. Oktober 1973. Der Inhalt dieser Teile stimmt über weite Strecken wörtlich überein mit einer Erklärung, die Hans Kleinwächter über die Ereignisse vom Abend des 20. Februar 1963 gegenüber dem in Lörrach erscheinenden „Oberbadischen Volksblatt“ abgegeben hatte, und die diese Zeitung in ihrer Ausgabe vom 17. Mai 1963 veröffentlichte. Im Schrifttum über diesen Vorfall finden sich Namensvarianten zu Dr. Schlüter bzw. zu der Frage des Fremden, wo dieser wohne.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

bereitstehenden Fluchtwagen, der vor einem Hotel geparkt war und fuhren mit rasanter Geschwindigkeit in Richtung Stadt. Hans Kleinwächter lief den steilen Weg zum Hotel hinunter und rief von dort die Polizei an, die nach zwölf Minuten mit einem Streifenwagen eintraf. Sie konnte das Fahrzeug der Attentäter im Lettenweg sicherstellen, und auch das Fluchtfahrzeug vom Hotel fand sich noch, und zwar vor dem Gebäude der Deutschen Bank. Vermutlich war das Trio dort in einen dritten Wagen umgestiegen und in die nahe Schweiz geflüchtet. BlitzFernschreiben der Polizei Lörrach an alle nahe gelegenen Grenzübergänge blieben ebenso wirkungslos wie die Überprüfung aller Hotels und Gaststätten in Lörrach und Umgebung. Die Hinterlassenschaft der Geflohenen war beachtlich, so dass schon bald der Verdacht aufkam, es sollten mit ihr falsche Spuren gelegt werden. Die beteiligten Fahrzeuge waren in Stuttgart angemietet worden, und in einem Fall hatte sich der Mieter mit Führerschein und Personalausweis als in Wien lebender Österreicher legitimiert, in den beiden anderen Fällen – das Fluchtfahrzeug vom Hotel zur Deutschen Bank und ein weiterer Wagen zur Flucht in Richtung Basel – waren Personen mit ägyptischen Pässen als Mieter aufgetreten. Leicht auffindbar lagen in einem der benutzten Autos Reste von Pässen und Passbildern, die auf ägyptische Eigentümer hinzudeuten schienen. Insgesamt waren offensichtlich vier Personen an der Aktion in Lörrach beteiligt gewesen, drei „Ägypter“ und der österreichische Fahrer. Durch Vermittlung von Wolfgang Pilz in Kairo konnten die „ägyptischen Pässe“ angeblich als Fälschungen entlarvt werden. Details auf den Dokumentenresten schienen auf eine syrische bzw. libanesische Fälscherarbeit hinzudeuten. Allerdings gilt es zu bedenken, dass für des Arabischen nicht kundige Ermittler die aus Kairo mittels Pilz gelieferten Fälschungsbeweise ihrerseits nur schwer zu überprüfen waren. Die Rolle von Wolfgang Pilz musste dabei besonderes Misstrauen hervorrufen, da er wegen der Verstümmelung seiner Geliebten ein besonderes Interesse daran gehabt haben dürfte, einen israelischen Hintergrund des Geschehens in Lörrach „nachzuweisen“ bzw. zu insinuieren. Die Israelis hätten demnach mit Hilfe der „arabischen“ Hinterlassenschaft am Tatort von ihrer Urheberschaft ablenken wollen. Ganz offensichtlich sollte auch die bei der Rangelei zu Boden gefallene Pistole – ein italienisches Fabrikat157 – die Ermittler auf einen Geheimdienst lenken, womöglich auf den ägyptischen. Über die wahre Identität des beteiligten Österreichers wurde nichts bekannt. Nimmt man die Schilderung des Falles Kleinwächter in Ronen Bergmans „Schattenkrieg“ als derzeit aktuellste Version des Geschehens, so hatte Mossad-Chef Isser Harel mit der Operation „Igel“ ursprünglich die Entführung des Lörracher Elektronikexperten nach Israel geplant. Falls diese nicht gelingen sollte, sei Kleinwächter „umzubringen“. Doch erwähnt Bergman eine geplante Entführung des Fachmanns in seinem Buch nur einmal, wenige Zeilen später lässt er 157

So die polizeilichen Ermittlungsergebnisse.

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Harel in seinem angeblich unweit Lörrachs gelegenen Quartier im elsässischen Mulhouse zu dem Chef der vor Ort anwesenden „Tsiporim“ („Vögel“), der Einsatzgruppe des Geheimdienstes Shin Beth, Rafi Eitan, in Bezug auf Kleinwächter erregt, aber doch an dieser Stelle auch unmotiviert, sagen: „Das ist die Zielperson, geh los und töte sie“158. Von Entführung kein Wort mehr. Bergman zufolge kam es dann in Mulhouse zu Differenzen zwischen Harel und Eitan mit dem Ergebnis, dass Harel die Vögel nach Hause schickte und statt ihrer eine Mossad-Einheit für gezielte Tötungen, anforderte. Harel als Chef der Operation Igel habe, so Bergman, den aus Frankfurt an der Oder stammenden und deutsch sprechenden Zvi Acharoni als denjenigen bestimmt, der Kleinwächter an dessen Wagenfenster nach Dr. Schlüter fragen sollte. Acharoni selber sollte jedoch nicht schießen, dies erledigte, so die Version von Bergman, ein weiterer Mossad-Mann namens Akiwa Cohen, der sich von hinten anschlich, während Acharoni am heruntergelassenen Wagenfenster mit Kleinwächter sprach. Cohen habe dann mit dem bekannten Ergebnis geschossen. Diese Darstellung vermag insofern nicht recht zu überzeugen, als Kleinwächter mit Sicherheit gemerkt hätte, dass sich zwei Personen in unmittelbarer Nähe seines Wagenfensters aufhielten und dass der Pistolenschuss nicht von der Person abgefeuert wurde, die ihn angesprochen hatte. Bei keiner Gelegenheit hat Kleinwächter etwas über eine zweite Person berichtet. Als Folge des Angriffs auf Hans Kleinwächter übernahm die Staatsanwaltschaft Freiburg die Ermittlungen. Haus und Labor des Elektronikexperten standen fortab unter ständiger polizeilicher Überwachung. Zu den Schutzmaßnahmen für Kleinwächter und seine Familie gehörte auch die Telefonüberwachung für beide Objekte, damals mit Hilfe eines Tonbandgerätes. Zwei Tage nach dem Anschlag erhielt Hans Kleinwächter einen in Marburg an der Lahn aufgegebenen anonymen Drohbrief, in dem mit Schreibmaschine der bereits erwähnte, abgewandelte Goebbels-Spruch geschrieben stand: „Qui mange des juifs, en meurt!“, „Wer Juden isst, stirbt an ihnen!“ Kleinwächter brachte das französische Zitat in einem Artikel für die rechtsextreme Deutsche National Zeitung und Soldaten-Zeitung mit der Überschrift „Es geht um die Gesetze der Humanität“ unter, zu dem er sich offenbar durch den Drohbrief veranlasst gesehen hatte.159 Der Artikel ist eines der äußerst raren Dokumente, aus denen Einstellungen der in Ägypten tätigen Experten gegenüber Juden und dem Staat Israel hervorgehen. Daher soll aus ihm etwas ausführlicher zitiert werden. Kleinwächter schrieb u. a., dass man ihm etwas Falsches unterstelle, und er fuhr dann fort:

158

159

Bergman Schattenkrieg, S. 94. Als Quelle nennt Bergman ein Interview mit Isser Harel vom August sowie mit dem Mossad-Agenten Zvi Acharoni vom Juli 1998. Acharoni gilt als der Mossad-Agent, der Adolf Eichmann in Buenos Aires identifiziert hatte. Ferner taucht als Quelle erneut das ominöse „Mossad German Scientists Dossier“ auf. DNSZ Nr. 21 vom 24. Mai 1963.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma „Ich bin nicht ein Mensch, der Juden frisst. Für mich ist nicht die Rassenzugehörigkeit eines Menschen maßgebend, sondern ausschließlich der Umstand, ob er die Gesetze der Humanität respektiert, oder ob er der verbrecherischen Minderheit angehört, die, wo immer sie kann, die Menschenrechte mit Füßen tritt. Meine Toleranz gegenüber jüdischen Mitmenschen habe ich dadurch bewiesen, daß ich während meines Studiums an der Technischen Hochschule in Prag in den Jahren 1936 bis 1938 in Vorbereitungskursen für Physik und Mathematik wohl an die hundert jüdische Kollegen und Kolleginnen auf die Prüfungen vorbereitete und mich anläßlich meiner Diplomprüfung im November 1938 bei der Prüfungskommission [Vorsitzender Prof. Dr. Niethammer160] dafür einsetzte, daß ca. sechs jüdische Kandidaten doch noch zur Prüfung zugelassen wurden, nachdem dies zu dieser Zeit an keiner deutschen Hochschule mehr möglich war. Die Gefahr, in die sich nicht nur die Prüfungskommission, sondern auch ich mich begab, war nicht geringer als beim Überfall durch die drei israelitischen [sic] Kriminellen […] Die feigen, brutalen Mord- und Entführungsanschläge, die auf mich und meine Kollegen von israelischen Staatsorganen angeordnet und sogar verteidigt wurden, z. B. von der israelischen Außenministerin, zeigen mir, daß die bedauernswerten Juden, die den Schrecken des letzten Krieges entkamen und jetzt in Israel leben, z. T. von unmenschlichen Politikern regiert werden. Nicht die der Weltraumforschung dienenden ägypt. Raketen bedrohen die in Israel lebenden Juden, sondern die Folgen der Unmenschlichkeiten, die seine zuständigen politischen Führer bei der Gründung des israelitischen [sic] Staates im Jahre 1948 begingen, indem rücksichtslos zweieinhalb Millionen Araber bettelarm von ihrem ererbten Grund und Boden vertrieben wurden. Für die Gefühle dieser sinnlos geschädigten Flüchtlinge habe ich umso mehr Verständnis, da meinen drei Millionen sudetendeutschen Landsleuten dasselbe Unrecht 1945 angetan wurde“.

Bedenkt man, dass, wie oben gezeigt, fast alle leitenden Raketenexperten in Ägypten einen sudetendeutschen Hintergrund hatten, dürften in dieser Gruppe die Sympathien für die arabische Sache ausgeprägt gewesen sein. Sein damaliges Verhältnis zu den Juden pflegte Kleinwächter in die Formel zu kleiden, er sei kein Antisemit, wohl aber Antizionist.161 Für die in Israel lebenden Juden mochte dies ein schwacher Trost sein, denn Antizionisten in aller 160

161

Der Maschinenbauingenieur Friedrich Niethammer (1874–1947) war auch Rektor der Technischen Hochschule Prag. Archiv des BND, Akte 22563_OT, Lagebericht vom 18. April 1965, Bl. 97. In derselben Akte findet sich eine undatierte Aufzeichnung, die mit „Angaben zur Tätigkeit deutscher Kreiselspezialisten in der VAR: Dr. Kleinwächter/Baumgart“ überschrieben ist und in der es u. a. heißt: „Kleinwächter ist als Antisemit anzusehen, wenn er auch selbst immer wieder versucht, den Tenor auf Antizionismus zu legen“. Ebd., Bl. 256.

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Welt – und zumal in der arabischen – setzten seinerzeit den Kampf gegen den Zionismus mit dem Kampf gegen Israel gleich. In einem Entwurf zu seinem Artikel hatte Kleinwächter noch eine ganz praktische Konsequenz angekündigt, die dann aber in der Veröffentlichung fehlte: „Die Bundesrepublik hat“, hieß es in dem Entwurf, „wenn auch unbeabsichtigt, mit zu den jetzigen Schwierigkeiten Israels beigetragen, indem sie die Wiedergutmachungsgelder nicht den Opfern der Verfolgung oder deren Hinterbliebenen ausgezahlt und diesen so ein sorgloses Leben als freie Bürger in jedem beliebigen Land der Welt gesichert hätte, sondern diese Gelder einem radikalen Staatsapparat zuführte, der damit zum Teil Angriffskriege finanzierte! Nach all dem Vorgefallenen muß ich es in Zukunft ablehnen, mit meinen Steuergeldern zu der sogenannten Wiedergutmachung beizutragen, wenn sie nicht den jüdischen Opfern, sondern dem jüdischen Staat gegeben werden. Man kann von niemandem erwarten, daß er damit einverstanden ist, daß mit seinen Steuergeldern die sehr kostspieligen Mord- und Entführungsversuche an ihm selbst finanziert werden“162.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Freiburg im Fall Kleinwächter konzentrierten sich auch auf Otto Joklik, nachdem Gerüchte über seine mögliche Verwicklung in den Fall Krug vom Vorjahr nie recht hatten verstummen wollen. Und tatsächlich: Joklik trat in Erscheinung. Am 27. Februar, also genau eine Woche nach dem Pistolenattentat, rief Joklik – nach eigenem Bekunden gesundheitlich angeschlagen – in Kleinwächters Labor an. Das von der Polizei aufgezeichnete Gespräch wurde im vierzehnten Teil der Rheinpfalz-Serie vom 18. Oktober 1973 in großen Teilen wörtlich abgedruckt. Demgegenüber fasste Hans Kleinwächter in seiner im Oberbadischen Volksblatt vom 17. Mai 1963 veröffentlichten „Erklärung“ den Inhalt des Gespräches mit Joklik in einem knappen Absatz zusammen. Auch wegen seiner Kürze soll dieser Absatz hier nahezu vollständig zitiert werden. Kleinwächter erklärte demnach: „Am 27. Februar rief mich […] Joklik aus der Schweiz an und versuchte mir die Aussage zu entlocken, daß es sich bei dem Anschlag auf mich nur um eine ‚Warnung‘ gehandelt habe. Dabei sprach er z. T. sehr erregt und gebrauchte Fachausdrücke, wie sie nur in der Verbrechersprache üblich sind. Auch sprach er mehrmals von den Attentaten in der 1. Person. Er kündigte seinen persönlichen Besuch bei mir in 10 Tagen

162

Stadtarchiv Lörrach, Bestand AföO 2632. Mit dem „Angriffskrieg“ dürfte Kleinwächter wohl den von Israel begonnenen Suezkrieg von 1956 gemeint haben.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma an. Bei diesem Telefongespräch erkannte ich in seiner Stimme die Stimme des Verbrechers, der, bevor er auf mich schoß163, nach der Adresse von Dr. Schlüter gefragt hatte“164.

Hans Kleinwächters Behauptung, er habe Jokliks Stimme als die Stimme desjenigen wiedererkannt, der auf ihn am Lettenweg geschossen hatte, berührt insofern merkwürdig, als er nur rund eine Woche nach dem Telefonat eine Zeugenaussage machte, bei der die Stimme der fraglichen Person keine Rolle spielte, sondern plötzlich die „harte Sprechweise des Dr. Joklik“ das eindeutige Identifikationsmerkmal bildete. Kleinwächter wurde am 6. März 1963 als Zeuge in der „Strafsache gegen Bengal, Josef und Otto Joklik wegen versuchten Mordes“ von dem Freiburger Amtsgerichtsdirektor Freiherr von Locquenghien vernommen.165 Hintergrund der Einvernahme Kleinwächters war die Verhaftung der beiden Verdächtigen in der Schweiz nach ihrem Nötigungsversuch an Heidi Goercke in Basel am 2.  März, auf den im nächsten Abschnitt einzugehen sein wird. Die Freiburger Staatsanwaltschaft verdächtigte nun auch Ben-Gal und Joklik des Mordversuches an Hans Kleinwächter und betrieb ein Auslieferungsersuchen gegenüber den Schweizer Behörden. Als Zeuge berichtete der Elektronikexperte nun, dass er Otto Joklik seit einem gemeinsamen Flug von München nach Kairo im Mai 1962 kenne. Heinz Krug habe ihm seinerzeit Joklik am Flughafen München-Riem vorgestellt. In einem Kairoer Hotel habe er sich dann mit Joklik unterhalten, wobei ihm dessen Akzent aufgefallen sei. Später habe er erfahren, dass „Joklik Angehöriger des tschechischen Geheimdienstes war“. „Der Mann“, so Kleinwächter in seiner Freiburger Aussage, „der am Abend des 20. Februar 1963 an meinen Wagenschlag trat, und mich um Auskunft bat, wo Dr. Schlüter wohne [sic], hatte dieselbe Sprechweise wie Dr. Joklik. Er sprach zwar ein gutes Deutsch, aber mit hartem Akzent“. Es fragt sich, warum Kleinwächter dieses nicht unwichtige Detail, die besondere „Sprechweise“, wenn es denn stimmte, nicht schon früher publik gemacht, sondern lediglich die Wiedererkennung von Jokliks Stimme behauptet hatte. Mit dieser neuen Aussage Kleinwächters mochte sich die Situation Jokliks in der Schweizer Haft nicht unwesentlich verschlechtern. Dass Kleinwächter jedoch möglicherweise die Unwahrheit über den Sprecher und seinen Akzent an dem Wagenfenster gesagt hatte, wird durch den Umstand erhärtet, dass Jokliks Frau Ida ihrem Mann in einer eidesstattlichen Erklärung vom 9. April 1963 ein 163

164

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Hier wird noch einmal deutlich, dass, entgegen der Darstellung bei Ronen Bergman, Kleinwächter nur eine Person an seinem Wagenfenster bemerkt hatte: Der Schütze und der Auskunft Erbittende waren ganz offensichtlich ein und dieselbe Person. Man beachte hier die Diskrepanz zur Darstellung Scherers und Valentins in der Rheinpfalz, wo Kleinwächter angeblich nur gefragt worden war, ob er Dr. Schlüter sei. Dessen Adresse spielte dort keine Rolle. Vgl. ETH Zürich, AfZ, NL Georges Brunschvig/59, Offizielle Dokumente, 1963–1964.

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„lückenloses Alibi“ – so Jokliks Basler Verteidiger Rechtsanwalt Karl Senn – gab. Darin stellte sie fest, dass Otto Joklik „die Nacht vom 20. auf den 21. Februar 1963“ und darauf noch zwei Tage „grippekrank“ zuhause in Großgmain bei Salzburg verbracht habe.166 Offenbar ungefragt fügte Kleinwächter in seiner Zeugenaussage noch an, dass er „auch der Auffassung“ sei, „daß Dr. Joklik mit dem Verschwinden von Herrn Dr. Krug in Zusammenhang steht“. Gegen Ende seiner Einlassung vor dem Amtsgerichtsdirektor betonte Kleinwächter, dass er sich „überhaupt keine sachlichen Gründe zurechtlegen“ könne, warum man ihn offenbar zu „vernichten“ trachte, da doch seine „Tätigkeit für die ägyptische Regierung absolut friedlichen Zwecken“ diene. Dies sei „schon seit Jahren der deutschen Regierung bekannt und geht auch aus mehrfachen Berichten des Leiters des deutschen Teams, Herrn Prof. Pilz, an verschiedene deutsche Ministerien eindeutig hervor“. Kleinwächter schloss mit der Erklärung, dass er sich noch nie in seinem „Leben an judenfeindlichen Handlungen beteiligt“ oder sich jemals „zu judenfeindlichen Äußerungen hergegeben“ habe. Das in der Rheinpfalz abgedruckte Telefonat zwischen Kleinwächter und Joklik kann hier nicht in voller Länge wiedergegeben werden. Stattdessen sei auf drei Ungereimtheiten des Gespräches verwiesen. Zunächst zum Punkt der „Warnung“ und ob Joklik Kleinwächter etwas Entsprechendes habe „entlocken“ wollen. In der Rheinpfalz-Wiedergabe des Telefonates weist Joklik die These von der Warnung eindeutig zurück, indem er sagt: „[…] und wenn es eine Warnung sein sollte, dann ist mir der Aufwand wieder viel zu groß dafür […]. Denn, logisch gesehen, wenn jemand Sie hätte warnen wollen, hätte er es durch einen Anruf oder einen Besuch viel billiger haben können, als wie mit dem ganzen Klimbim“. Joklik fährt dann in dem Telefonat einige Sätze weiter fort: „Sagen Sie, ich wollte Ihnen nur eines, ich bin noch gar nicht auf dem Damm, aber es hätte mich interessiert, halten Sie einen Prozentsatz der Wahrscheinlichkeit, daß die Leute in Kairo es selbst hätten sein können? Kleinwächter: Das halte ich für unwahrscheinlich, für Nonsens, daß sie ihre Professoren im Ausland erschießen lassen! Joklik: Na ja, vielleicht war das gar nicht die Absicht! Kleinwächter: Nun ja, das sah aber schon ziemlich genau so aus!“

Man kann Jokliks Fragen in diesem Abschnitt des Gespräches tatsächlich als Versuch deuten, Kleinwächter etwas zu entlocken, so, als habe Joklik unlautere Hintergedanken gehegt.

166

Vgl. ebd., NL Georges Brunschvig/62, Korrespondenz, 1963–1968, Schreiben Senns an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, Bern, vom 20. April 1963.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

Denkbar ist aber natürlich auch, dass er einfach neugierig war, zu erfahren, wie Kleinwächter den Anschlag deutete. In dem Basler Prozess gegen Joklik und Ben-Gal äußerten die beiden Angeklagten später ihre Auffassung, der „Überfall auf den Lörracher Wissenschaftler sei stümperhaft und unfachmännisch ausgeführt worden“. Die Primitivität des Vorgehens lasse darauf schließen, daß Kleinwächter in Wirklichkeit nicht getötet werden sollte. Offensichtlich habe man es mit einer Warnung ‚zweiten Grades‘ des ägyptischen Geheimdienstes an den Techniker zu tun. Kairo habe vermutlich den ‚Absprung‘ des deutschen Wissenschaftlers befürchtet und rechtzeitig vorbeugen wollen, schrieb das „Schwäbische Tagblatt“ am 15. Juni 1963 und fügte noch hinzu: „Besonders Joklik, der früher selbst für Nasser arbeitete, vertrat diese Version“. Wir erinnern uns: Mahmoud Khalil hatte Kleinwächter geraten, aus Sicherheitsgründen nach Kairo überzusiedeln. Legt man die Annahme einer ägyptischen Täterschaft zugrunde, wären die in einem der am Lettenweg beteiligten Fahrzeuge aufgefundenen Reste eines angeblich gefälschten ägyptischen Ausweispapiers am Ende womöglich doch nicht Teil einer von Israelis gelegten, falschen Spur. Dass sich Joklik, so unser zweiter Punkt, in dem Telefonat mit Hans Kleinwächter einer Art „Verbrechersprache“ bedient hätte, gibt der in der Rheinpfalz wiedergegebene Text nicht her. Einzig das Wort Klimbim will nicht so recht in den bei einem Professor zu erwartenden Wortschatz passen, es wurde und wird aber auch von unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern zuweilen benutzt. Schließlich, drittens, noch ein wichtiger Blick auf die von Joklik in dem Telefongespräch benutzten Personalpronomen. In der Textwiedergabe der Rheinpfalz benutzt Joklik nur einmal die erste Person Plural – „wir“ – und nicht „mehrmals“, wie Kleinwächter in seiner Erklärung behauptete. Dieses „wir“ gibt in der Tat zu denken, Joklik könnte sich dadurch als Mittäter bzw. Mitwisser des Anschlages verraten haben. Der fragliche Satz lautet im Gesprächszusammenhang wie folgt: „Kleinwächter: Nee, nee, das war reiner Zufall gewesen, daß es nicht geglückt ist. Joklik: Ja, ja, ich kann mir gar nicht vorstellen, daß die, die anderen, die da ein Interesse daran gehabt hätten, daß wir so einen stümperhaften und schlecht vorbereiteten Versuch machen würden, mit untauglichen Mitteln praktisch. Das ist das, was mir zu denken gegeben hat (wiederholter Hustenanfall Jokliks)“167.

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Scherer und Valentin fügten vor dieser Passage die Zwischenüberschrift „Joklik Eigentor: ‚Wir‘“ ein. Im Text setzen sie hinter das Wort „wir“ Klammern, die sie mit drei Ausrufezeichen füllen.

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Wenn man keine unfreiwillige Enttarnung Jokliks durch diese Äußerung annehmen will, bliebe nur ein Versprecher als Erklärung für das „wir“. Am Ende des von der Rheinpfalz abgedruckten Telefonates beklagt sich Joklik bei Kleinwächter, dass er „ja auch in die ganze Geschichte mit dem armen Krug hineingezogen“ worden sei, „wie die Jungfrau zum Kind“. Das war Anlass für Kleinwächter, Joklik zu fragen, ob er wisse, wo Krug stecke, und ob er noch lebe. Es entstand in dem Gespräch laut Tonbandaufzeichnung eine „große Pause“, dann teilte Joklik Kleinwächter mit, dass er annehme, dass Krug noch lebe, so genau wisse er es aber auch nicht. Joklik lenkte dann auf ein anderes Thema und bald darauf erfolgte dann die gegenseitige Verabschiedung. Geklärt wurde der Fall Kleinwächter nie. Ronen Bergman widmet ihm in seinem „Schattenkrieg“ immerhin zwei Seiten, die deutlich machen sollen, dass eine Mossad-Spezialeinheit für gezielte Tötungen für das Attentat verantwortlich war. Von kleineren Fehlern – z. B. spielen die Vorgänge bei Bergman in Lorch statt in Lörrach, was vermutlich auf sprachliche Übertragungsfehler zurückzuführen ist – und einer gravierenden Abweichung von anderen Darstellungen des Anschlages – dass eben ein zweiter Mann nahe dem Wagenfenster geschossen haben soll  – entspricht die von Bergman gebotene Version des Tatherganges den heute als gesichert geltenden Abläufen. Warum es am Wagenfenster Kleinwächters nicht zu einem zweiten Schuss – von welchem Schützen auch immer – gekommen war, wird auch von Bergman nicht erklärt, er widmet diesem Umstand aber ein paar Zeilen. Insgesamt, resümiert Bergman, sei die israelische Aktion in Lörrach „hektisch und dilettantisch“ abgelaufen und: die „ganze Operation war ein peinlicher Misserfolg“168. Nicht 10  Tage nach ihrem Telefongespräch, wie Joklik Kleinwächter gegenüber bei dieser Gelegenheit angeblich angekündigt hatte, sondern bereits drei Tage später, am 2. März, stand Otto Joklik um 17 Uhr vor der Haustür des Elektronikexperten am Lörracher Lettenweg. Da Hans Kleinwächter selber nicht anwesend war, und seine Frau das Verhalten Jokliks „verdächtig“ fand, wurde er nicht hineingebeten; er versprach aber, in zwei Stunden wiederkommen zu wollen. Daraus wurde jedoch nichts, stattdessen nahm Joklik im nahen Basel den Zug nach Zürich, wo er noch am selben Abend verhaftet wurde.169 Für Hans Kleinwächters Sicherheit sorgte in dessen unmittelbarer Umgebung seit dem Mai 1963 der spätere Rheinpfalz-Autor Hermann Valentin. Nicht allzu weit von Kleinwächters Haus im Lörracher Lettenweg entfernt,

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Bergman, Schattenkrieg, S. 99f. So Hans Kleinwächter in seiner Erklärung im Oberbadischen Volksblatt. Die Redaktion der Zeitung schloss an diese Erklärung die Frage an, warum Joklik „bei seinem Auftauchen am Haus Kleinwächters“ am Abend des 2. März „nicht festgehalten wurde“, da doch Kleinwächters Bewachung dort und an seinem Labor allgemein bekannt gewesen sei.

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bezog Valentin mit Frau und Tochter aus Remscheid kommend eine Wohnung im nördlichen Lörracher Stadtteil Haagen.170

Der Nötigungsversuch in Basel Nicht nur rief Otto Joklik am 27. Februar 1963 in Kleinwächters Lörracher Labor an, er stattete an diesem Tage auch Paul Goerckes Tochter Heidi in Freiburg einen zweiten Besuch ab. Wichtigster Punkt ihrer Unterredung war Heidi Goerckes Zustimmung zu dem Vorschlag Jokliks, gemeinsam „auf neutralem Boden“ in Basel eine „kompetente Persönlichkeit aus der erwähnten israelischen Organisation“ zu treffen.171 Joklik seinerseits akzeptierte den Wunsch von Frau Goercke, nicht allein zu der Begegnung nach Basel kommen zu müssen. So fand dann am 2. März 1963 um 13 Uhr in dem altehrwürdigen Hotel „Drei Könige“172 zunächst ein Treffen Jokliks mit Heidi Goercke – sie war damals 24 Jahre alt – ferner ihrem 21-jährigen Bruder Rainer sowie einer Verwandten der Goerckes aus Zürich namens Doris Amiguet statt. Der Bitte Jokliks um strenges Stillschweigen hatte die angehende Juristin Heidi nicht entsprochen. Bevor sich die Geschwister Goercke auf den Weg nach Basel machten, informierten sie die deutsche Polizei, die ihrerseits die schweizerischen Kollegen in Kenntnis setzte. Der deutschen Kriminalpolizei war das brisante Rendezvous auf eidgenössischem Boden gerade recht, weil man jenseits der Grenze einen Joklik besser dingfest machen konnte als in Deutschland. In der Bundesrepublik schien es fraglich, ob man Joklik mit dem vorliegenden Beweismaterial – es ging immer noch um den Fall Krug – über den vorgeschriebenen Haftprüfungstermin hinaus würde festhalten können. Die Basler Polizei hatte hingegen einen triftigen Grund zur Festnahme: Joklik hätte im Moment des Grenzübertritts ein schon vor vier Jahren ausgesprochenes Einreiseverbot in die Schweiz missachtet. Also gab der Freiburger Oberstaatsanwalt Schorpp aufgrund des bestehenden Rechtshilfeabkommens zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik den Kollegen jenseits des Rheins einen „heißen Tipp“. Die Basler Kollegen reagierten prompt. Sie stellten Joklik und seinem geheimnisvollen Israeli eine Falle, die aus einem Krimi hätte stammen können. Der Treffpunkt in dem Hotel wurde mit allen damals möglichen

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Mitteilungen des Stadtarchivs Remscheid vom 18. Dezember 2019 sowie der Stadtverwaltung Lörrach vom 5. März 2020 an den Verfasser. Zum Folgenden vgl. Teil XVII der Serie in der Rheinpfalz mit dem Titel „Falle im Hotel ‚Drei Könige‘“ vom 22. Oktober 1973 sowie Der Spiegel Nr. 13 vom 27. März 1963, „Heidi und die Detektive“. Die Wahl dieses Treffpunktes für die Begegnung durch die israelische Seite war wohl nicht ohne Hintersinn erfolgt. Das Hotel hatte in der Geschichte des Zionismus eine gewisse Rolle gespielt. Während des 1. Internationalen Zionistenkongresses im August 1897 logierte hier der maßgebliche Begründer des Zionismus, Theodor Herzl.

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kriminaltechnischen Finessen präpariert. In der Wandlampe über dem Tisch am Speisesaal, zu dem man das Quartett – bestehend aus dem Israeli, Joklik und den Geschwistern Goercke, Frau Amiguet säße etwas abseits an einem eigenen Tisch – bugsieren würde, steckte ein Mikrofon, das mit einem Tonbandgerät verbunden war. Kurz vor Mittag besetzten als Gäste getarnte Kriminalbeamte sämtliche noch freien Tische im Raum, außer den beiden reservierten. Kripobeamte saßen auch im Büro des Hoteldirektors, in der Garderobe und in der Lobby. Um das Hotel herum wurden Kriminalisten und Polizisten in Zivil postiert, in Nebenstraßen warteten drei Funkstreifen mit laufendem Motor, denn auch eine Entführung war nicht ganz auszuschließen. Um 12 Uhr erschien zunächst Otto Joklik in den „Drei Königen“. Wenig später nahm er in der Hotelhalle die Geschwister Goercke und Frau Amiguet in Empfang. Gemeinsam betrat man den Speisesaal, wo Otto Joklik zum Mittagessen einlud. Beim Betreten des Saales wies ein als Kellner verkleideter Polizist die neuen Gäste zu den beiden freien Tischen. In diesem Moment spielte der Zufall der Basler Kripo einen bösen Streich: Einige der wenigen echten Gäste erhoben sich von ihren Plätzen und machten damit einen weiteren, von der Polizei nicht präparierten Tisch frei, der sofort von Joklik und seinen Begleitern angesteuert wurde. Während Joklik mit erkennbarem Appetit seine Mahlzeit genoss, stocherten die GoerckeKinder verlegen auf ihren Tellern herum. Der Small Talk quälte sich um den heißen Brei, bis endlich um 14.30 Uhr der Nachzügler erschien: der israelische Agent, der sich als solcher natürlich nicht zu erkennen gab und sich zunächst nur als Ben-Gal vorstellte. Ben-Gal übernahm nun die Gesprächsführung am Tisch, während Joklik so gut wie kein Wort mehr sagte. Der Inhalt der Unterredung musste später im Basler Prozess gegen Ben-Gal und Joklik mit Hilfe der Zeugen Heidi und Rainer Goercke mühsam rekonstruiert werden, da an dem so spontan gewählten Tisch keine Tonbandaufnahme möglich gewesen war. Die Anklageschrift hielt als Ergebnis der Rekonstruktion Folgendes fest: „Nachdem er sich den Geschwistern Goercke als offizieller Beauftragter der israelischen Regierung vorgestellt hatte, sprach Ben-Gal einleitend über die Judenverfolgung im Dritten Reich und die neuerliche Bedrohung des Staates Israel durch Ägypten. Dieses entwickle Raketen mit atomaren, chemischen und biologischen Sprengköpfen, die zur Vernichtung Israels bestimmt seien. Maßgeblich beteiligt an diesem Raketenprogramm seien deutsche Forscher, darunter auch ihr Vater, Professor Goercke. Das Ziel seiner Regierung und der Organisation, der er angehöre, sei, diese Forscher mit allen Mitteln, auch mit Gewalt, an der Ausübung ihrer Tätigkeit zu hindern. Seine Organisation bestehe aus ehemaligen KZ-Häftlingen, die durch die erlittenen Grausamkeiten fanatisch geworden seien und vor nichts zurückschreckten, selbst nicht vor Morden, Sprengstoffanschlägen und Entführungen. Wegen ihrer Beteiligung an dem von Ägypten geplanten Völkermord

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma müßten die deutschen Forscher ohne Rücksicht beseitigt werden. Da jedoch, wie Ben-Gal weiter ausführte, Professor Goercke kein ‚Nazi‘ sei, wolle man ihm eine Chance geben. Bis jetzt habe man ihn aus diesem Grunde in Ruhe gelassen, im Gegensatz zu Professor Pilz, gegen den die Sprengstoffanschläge (Ende November 1962) gerichtet gewesen seien, und Dr. Kleinwächter, den man durch das Attentat vom 20. Februar 1963 habe warnen wollen. Hierauf forderte er Frl. Goercke auf, innerhalb drei Tagen nach Ägypten zu fahren, ihrem Vater den Ernst der Lage klarzumachen und ihn zu bestimmen, bis spätestens Ende März 1963 seine Arbeit aufzugeben und nach Deutschland zurückzukehren. Diese kurze Frist begründete Ben-Gal damit, daß die Entwicklung des Raketenprogramms in wenigen Monaten abgeschlossen sei, da die neuen Waffen anläßlich des ägyptischen Nationalfeiertages, am 23. Juli 1963, der Öffentlichkeit vorgestellt werden sollten. Falls Prof. Goercke bis Ende März 1963 nicht nach Deutschland zurückgekehrt sei, könne er, Ben-Gal, für nichts garantieren. Auch für die ganze Familie Goercke könne ein solches Verhalten schlimme Folgen haben. Seine Organisation habe durchaus die Möglichkeit, in Ägypten an Prof. Goercke heranzukommen. Dies sei lediglich eine Frage der Zeit. Wenn er aber auf sein Angebot eingehe und zurückkomme, hätten die Israelis kein Interesse mehr an ihm, womit seine Sicherheit nicht mehr gefährdet sei. Als Frl. Goercke einwandte, sie müsse an ihrem Arbeitsort in Freiburg erst um Urlaub bitten, erklärte sich Ben-Gal mit einer Frist von 14 Tagen bis zu ihrer Abreise einverstanden, stellte ihr und ihrer Familie indessen schwere Nachteile in Aussicht für den Fall, daß sie die Reise nach Ägypten nicht unternehmen würde. Schließlich kündigte Ben-Gal an, er werde am 5. oder 6. März 1963 Frl. Goercke anrufen, um mit ihr die Einzelheiten der Reise zu besprechen. Sie und ihr Bruder sollten über die geführte Unterhaltung strengstes Stillschweigen bewahren, ansonsten es für alle Beteiligten schwere Folgen haben könne“173.

Soweit die Anklageschrift. Auch ein Aktenvermerk des LKA Baden-Württemberg vom 19. April 1963 hielt wesentliche Gesprächsgegenstände vom Mittagessen in den „Drei Königen“ fest174. Über weite Strecken deckt sich der Inhalt des Vermerks mit den Ausführungen in der zuvor zitierten Anklageschrift, wie sie in der Rheinpfalz auszugsweise wiedergegeben worden war. Offenbar lag dem LKA die komplette Anklageschrift vor. Dem Vermerk zufolge hielt Heidi Goercke Ben-Gal entgegen, dass Aktionen wie die Sprengstoffanschläge in Kairo und „die Entführung von Dr. 173

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Zitiert nach dem Teil XVIII der Serie in der Rheinpfalz mit dem Titel „Eine dramatische Unterredung“ vom 24. Oktober 1973. Archiv des BND, Akte 22564_OT, „Aktenvermerk. Betrifft: Belastungspunkte, welche für eine mittelbare bzw. unmittelbare Täterschaft des (Name geschwärzt) und Otto Joklik an dem Mordversuch auf Dr. Kleinwächter und ihre Betätigung für den israelischen Geheimdienst sprechen“, Bl. 179f.

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Krug“ sowie der „Mordversuch [sic] auf Dr. Kleinwächter“ kontraproduktiv seien, dazu beitrügen, dass eigentlich rückkehrwillige deutsche Experten lieber in Ägypten blieben. Ben-Gal erwiderte darauf, dass Heidi Goercke hinsichtlich Dr. Krugs „einen Namen genannt habe, über den er nicht befugt sei, Auskunft zu geben“.175 Frau Goercke erklärte daraufhin, „dass sie keine Auskunft haben wolle, sondern dies nur erwähnt habe, weil das Verschwinden von Dr. Krug dazu beitrug, dass ihr Vater noch nicht nach Deutschland zurückgekehrt sei. Diese Absicht habe er vordem gehabt“. Ben-Gal äußerte sich differenziert über die Raketenexperten. Während Goercke, wie bereits geschildert, von seinen Leuten nicht als „Nazi“ eingestuft wurde, bekamen Kleinwächter, Pilz und Reinhold Strobel „schlechte Noten“. Kleinwächter „sei ein ganz gemeiner Spion“, der für Ägypten spioniere und der „sich voll bewusst sei, was er mache. Für ihn gebe es kein Pardon“. Heidi Goercke (Name geschwärzt, die Identität ergibt sich jedoch zwingend) widersprach Ben-Gal offensichtlich in dem Punkt, dass der Schuss auf Kleinwächter lediglich eine „zweite Warnung“ gewesen sei, die dritte werde tödlich ausfallen.176 Frau Goercke solle nicht denken, so Ben-Gal auf deren Einwurf, „dass 4 Leute einen Auftrag zur Tötung eines Opfers nicht ausführen könnten. Ein einziger Attentäter mit einer Sprengstoffladung, etwa einer Handgranate, genüge bereits hierzu. Die Attentäter im Falle Dr. Kleinwächters seien ehemalige KZ-Häftlinge gewesen“. Wolfgang Pilz und Reinhold Strobel seien ehemalige „Nazis“, so Ben-Gal, und von diesen beiden habe „insbesondere Pilz keinerlei moralische Skrupel. Beide müssten auf alle Fälle beseitigt werden“. Eigentümlich berührt in dem Vermerk eine Passage, gemäß der Ben-Gal Heidi Goercke offenbar gefragt hatte, wie viele Personen bei den Sprengstoffanschlägen im Herbst des vergangenen Jahres „verletzt“ worden seien. Frau Goercke zeigte sich ob dieser Frage verwirrt und meinte, dass „müsste er ihr, nicht aber sie ihm sagen können“. Ben-Gal entgegnete darauf: „Wir direkt wissen nichts, wir geben das nur unseren Leuten weiter und überlassen denen die Mittel zur Ausführung nach Belieben“. Im Übrigen hätten sich diese Anschläge auch nicht gegen ihren Vater, Prof. Goercke, sondern „gegen Herrn Pilz“ gerichtet. Frau Amiguet, im Speisesaal ein ganzes Stück abseits sitzend, hatte nur ein paar Gesprächsfetzen mitbekommen. So habe Ben-Gal, der anfangs Englisch und dann im weiteren Verlauf der Unterhaltung am Tisch recht gut Deutsch gesprochen habe, u. a. erklärt: „Wir sind keine Gangster oder Verbrecher!“ sowie: „Dann werden eben mehr als ein Menschenleben

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Diese Formulierung Ben-Gals lässt indirekt eine Involvierung der israelischen Seite in den Fall Krug schließen. Er hätte auch jede Kenntnis von der Causa Krug bestreiten können. Ben-Gal erklärte, Kleinwächter sei zuvor mündlich und schriftlich gewarnt worden, dies sei die zweite Warnung gewesen.

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draufgehen“.177 Auf die Frage, wer die Reisekosten für Paul Goercke nach Europa übernehmen werde, habe Ben Gal entgegnet: „Was ist schon dieses Reisegeld? Bedenken Sie, dass uns ein Attentat eine halbe Million kostet!“178 In den an der Garderobe des Hotels abgegebenen Mänteln der beiden Agenten stellten Kripobeamte Pistolen fest. Immerhin war es aber doch nicht zu einer von der Polizei befürchteten Entführung gekommen, so dass sie Ben-Gal und Joklik nicht schon in Basel festnahm. Dies geschah erst am Abend des Tages der Begegnung in den „Drei Königen“, dem 2. März, in Zürich, wo Joklik aus Lörrach kommend eintraf, nachdem er vergeblich versucht hatte, Hans Kleinwächter in seinem Haus zu sprechen. Als Ben-Gal und Joklik mit dem Zug aus Basel bzw. Lörrach in Zürich wieder zusammentrafen, schlug die Zürcher Polizei zu und verhaftete die beiden. Die Begründung für diesen Schritt lautete: Verdacht auf verbotene Handlungen für einen fremden Staat auf Schweizer Boden. Mangels Beweisen musste die Schweizerische Bundesanwaltschaft die Klage wegen Spionagetätigkeit jedoch fallenlassen. Das bedeutete indessen nicht die Freilassung, denn inzwischen hatte sich der Basler Staatsanwalt Hans Wieland eingeschaltet, um den Israeli Ben-Gal wegen des Verdachts der Nötigung von Heidi Goercke anzuklagen.179 Die Staatsanwaltschaft Freiburg nutzte die Nachricht von der Verhaftung Jokliks und Ben-Gals, um nach einigen Tagen von den Schweizer Behörden, wie oben bereits geschildert, die Auslieferung Ben-Gals und Jokliks zu verlangen. Sie vermutete ihre Beteiligung an dem Attentat in Lörrach und hatte Joklik nach wie vor wegen des Verschwindens von Heinz Krug im Visier. Zuvor hatte die israelische Mission in Köln bei der Bundesregierung vergeblich interveniert, um das Auslieferungsersuchen bezüglich Ben-Gals zu verhindern. Die Schweizer Behörden lehnten schließlich das Freiburger Auslieferungsersuchen vom 8. Mai 1963 für beide Personen ab, weil die deutsche Seite keinerlei Beweise für ein strafbares Verhalten der Verdächtigten vorlegen konnte.180 Die Verhaftung von Joseph Ben-Gal und Otto Joklik in Zürich war nach ihrer Verlautbarung durch die Basler Staatsanwaltschaft Mitte März 1963 eine Sensation für die Weltpresse. Dass man in der Schweiz zweier leibhaftiger israelischer Agenten habhaft geworden war, die man auf frischer Tat bei der Nötigung eines Kindes prominenter deutscher Wissenschaftler in ägyptischen Diensten ertappen konnte, warf erstmals ein grelles Licht auf die mysteriöse Kette von Aktionen gegen die deutschen Raketenbauer Präsident Nassers  – mindestens seit dem Verschwinden Heinz Krugs, vielleicht auch schon seit dem Absturz der Twin Bonanza über Westfalen Anfang Juli 1962.

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Die Rheinpfalz, Teil XVIII der Serie vom 24. Oktober 1973. Zitiert nach Einhaus, Recht, S. 216. Vgl. ebd., S. 209. Irrig in diesem Punkt Bergman, Schattenkrieg, S. 101, der die Schweizer Ben-Gal in die Bundesrepublik ausliefern lässt, wo dieser dann eine kurze Haftstrafe verbüßt habe.

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In den Redaktionen der Tages- und Wochenzeitungen sowie der Presseagenturen begann ein emsiges Recherchieren, das zu spaltenlangen und seitenfüllenden Berichten führte, in denen sich im Eifer des Gefechtes vielfach auch Dichtung und Wahrheit mischten. Die Schweizer Verhaftungen rückten aber auch die umstrittene Tätigkeit der Raketenfachleute selber ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit, sie führten zu hitzigen Diskussionen um das Für und Wider dieses Engagements und zeitigten schon bald diplomatische Verwicklungen. Die zunehmende Dramatik der Schlagzeilen reflektierte dabei im weiteren Verlauf die Eskalation des Kriminalfalls zum großen Politikum. Noch zurückhaltend meldete beispielsweise am 18. März 1963 das Oberbadische Volksblatt: „Neue Affäre um ägyptische Raketenforschung: Zwei Verhaftungen in der Schweiz“. Der Zürcher „Blick“ als Blatt des Boulevards stieg da schon forscher ein und berichtete am selben Tag in großer Aufmachung unter den Überschriften „Internationale Drähte laufen heiß um die Zürcher Agenten-Verhaftung – Scharfe israelische Kritik an der Schweiz – Hat Heidi Goercke die Falle gestellt?“ Am nächsten Tag setzte das Blatt mit dem Aufmacher „Bern schweigt zum Agenten-Krieg – Israel droht mit Enthüllungen“ nach, damit den politischen Akzent der Affäre noch einmal betonend. Der Artikel basierte auf einer Meldung der amerikanischen Nachrichtenagentur UPI aus Jerusalem, der zufolge informierte israelische Kreise mit „erschütternden Enthüllungen“ über die Tätigkeit ausländischer – und auch schweizerischer – Mitarbeiter in der ägyptischen Waffenproduktion gedroht hätten, falls der israelische Staatsbürger Ben-Gal vor Gericht gestellt werde. Der „Blick“ weiter: „Die israelischen Behörden scheinen eine Großkampagne vorzubereiten, um die Arbeit ausländischer Waffenexperten in Ägypten ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit zu rücken“. Nun ging es Schlag auf Schlag und zugleich fiel Raureif auf die noch zarte Pflanze der deutschisraelischen Beziehungen, die damals noch nicht einmal bis zum Botschafteraustausch gediehen waren. Hier die dramatische politische Entwicklung zwischen Tel Aviv und Bonn, gespiegelt in den Überschriften zu Berichten und Meldungen deutscher Tageszeitungen: „Israel über deutsche Raketenforscher empört“ (Pforzheimer Kurier, 20. März 1963), „Israel appelliert an Bonn – Resolution gegen deutsche Raketenforscher“ (Rheinpfalz, 22. März), „Bonn prüft israelische Beschuldigungen“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. März), „Bonn: keine rechtliche Handhabe“ (Die Welt, 23. März), „Israel sieht seine Existenz bedroht“ (Stuttgarter Zeitung, 23. März), „Im Streit um Kairos Raketenpläne – Israel wird jetzt deutlich“, (Bild am Sonntag, 24. März), „Jerusalem über Bonn befremdet“ (Süddeutsche Zeitung, 25. März), „Israel fordert Eingreifen Bonns“, (FAZ, 25. März), „Bonn sorgt sich um Israel – Kanzler läßt sich nach Cadenabbia181 berichten“, (Rheinpfalz, 26.  März), „Deutsche Experten weisen Beschuldigungen zurück“, (Die Welt, 27.  März), „Bonn drängt auf Rückkehr der Techniker aus Ägypten“ (FAZ, 28. März), „Kabinett verurteilt deutsche Mithilfe an ägyptischer Waffenproduktion“, (Stuttgarter Zeitung, 28. März). 181

Cadenabbia am Comer See in Oberitalien war das bevorzugte Urlaubsziel Kanzler Adenauers.

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In dieser Flut von Artikeln über das angespannte Verhältnis zwischen Israel und der Bundesrepublik ging eine Meldung fast unter, obgleich sie der Thematik entsprungen und sensationell genug war: Sie wurde am 1. April 1963 von der Agentur AP verbreitet, war kein Aprilscherz und lautete: „Chef des Geheimdienstes in Israel zurückgetreten“182. Isser Harels Vorgehensweise gegen die Raketenfachleute war auch von dem Verlangen getrieben gewesen, das ihm so verhasste Deutschland bloßzustellen. Zu diesem Zweck lancierte er in Israel eine Medienkampagne. Drei ausgewählte Journalisten schleuste er in den Mossad ein, schickte sie auf dessen Kosten nach Europa, wo sie Informationen über die Hintergründe der ägyptischen Rüstungsprojekte sammeln sollten. Dazu zählten bekanntlich die schweizerischen Firmen Meco und MTP AG ebenso wie die Intra in München. Ronen Bergman zufolge löste Harels Kampagne in Israel eine „schleichende Panik“ aus. Vergeblich versuchte Ministerpräsident Ben-Gurion ihn zu beruhigen. „Ich hatte das Gefühl, dass er in dieser Hinsicht nicht ganz zurechnungsfähig war“, zitiert Bergman den damaligen Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Amos Manor. „Es ging sehr viel tiefer als ein Spleen. Man konnte mit ihm darüber kein vernünftiges Gespräch führen“183. Harels verdeckte Öffentlichkeitsarbeit, die Zeitungsberichte über Hitlers angebliche Peenemünder Lakaien, die am Nil aus der Versenkung krochen, schadeten Ben-Gurion in erheblichem Maße. Man warf dem Ministerpräsidenten vor allem auf dem rechten politischen Spektrum vor, dass er nicht genug unternommen hatte, um die Bedrohung zu beenden, die von den in Ägypten tätigen deutschen Experten auszugehen schien. Auch dass er Israel zu einer Aussöhnung mit Westdeutschland geführt hatte, nahm man Ben-Gurion übel, denn nun sah es so aus, als wäre ebendiese Bundesrepublik zumindest indirekt verantwortlich für eine Neuauflage der „Endlösung“ – diesmal in den Wüsten des Nahen Ostens. Allerdings gab es auch gewichtige Gegenstimmen zur Haltung Harels in der Expertenfrage. Meir Amit, der damalige Chef des militärischen Geheimdienstes, bezweifelte das Horrorszenario seines Kollegen vom Mossad. Seine Leute kamen nach eigenen Recherchen zu einem anderen Urteil. Amit zog für sich den Schluss, dass „die ganze Geschichte von den Medien aufgeblasen worden“ sei. Es sei nichts Ernsthaftes daran. Nach Aussage Amits gegenüber dem Historiker Michael Bar-Zohar, war es ihm ausgerechnet mit Hilfe Otto Skorzenys gelungen, den Sicherheitsbeauftragten der deutschen Fachleute – es dürfte sich dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit um Hermann Valentin gehandelt haben – für die israelische Sache zu gewinnen und dadurch erstklassige Informationen über die Arbeit der Deutschen in der Factory 333 zu

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Vgl. zur Presseberichterstattung den Teil XIX der Serie in der Rheinpfalz vom 25. Oktober 1973. Bergman, Schattenkrieg, S. 103f.

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erlangen.184 Amits Recherchen ergaben, dass es keinen Hinweis auf Aktivitäten der Deutschen mit dem Ziel einer Herstellung chemischer oder biologischer Waffen gab. Die Geschichten über „Waffen des Jüngsten Gerichts“, so Bar-Zohar, hätten von Baron Münchhausen stammen können. Der stellvertretende Verteidigungsminister Shimon Peres und Meir Amit berichteten Ben-Gurion, dass die Panik, die das Land in den letzten Wochen aufgewühlt hatte, unbegründet gewesen sei. Nach wie vor gab es bei den Raketen am Nil gravierende Steuerungsprobleme, deren Lösung zudem in naher Zukunft nicht zu erwarten war.185 Dies mochte auch daran liegen, dass Kairo nach Meinung der Weltraumkoryphäe Wernher von Braun ein Team mittelmäßiger Wissenschaftler angeheuert habe, die veraltete Raketen bauten.186 Am 25. März 1963 rief Ben-Gurion Harel in sein Büro und verlangte von ihm eine Erklärung für eine Reihe von Maßnahmen gegenüber nationalen und internationalen Medien, die Harel ohne seine Zustimmung durchgeführt hatte. Das Gespräch artete in eine erbitterte Auseinandersetzung darüber aus, welche Haltung die israelische Regierung gegenüber Bonn einnehmen solle, das zu dieser Zeit immerhin Militärausrüstung zu günstigen Konditionen an den jüdischen Staat lieferte. Der Ministerpräsident erinnerte Harel daran, dass dieser die Regierungspolitik lediglich auszuführen, sie aber nicht zu bestimmen habe. Von dieser Zurechtweisung verletzt, bot Isser Harel seinen Rücktritt an – kalkulierend, dass „der Alte“ ohne ihn nicht zurechtkommen und ihn bitten würde, weiterzumachen. Doch Ben-Gurion sah das nicht so. Er akzeptierte den Rücktritt des Mossad-Chefs auf der Stelle. Harels einst so glänzende Karriere endete damit durch einen misslungenen Bluff und in einer vernichtenden Niederlage. Seine Ablösung durch Meir Amit, den Chef des militärischen Geheimdienstes Aman, erfolgte umgehend. Der heftige Streit – auch innerhalb der von ihm geführten Regierung – um die israelische Politik gegenüber der Bundesrepublik vor dem Hintergrund der aufgeheizten Atmosphäre im Lande war zwar nicht der einzige, vermutlich aber doch ein nicht ganz unwesentlicher Grund für den Rücktritt David Ben-Gurions am 16. Juni 1963.187 Ihm folgte Levi Eschkol im Amt des Ministerpräsidenten. Doch kehren wir nach Europa zurück. Während der 2. März 1963 für Joseph Ben-Gal und Otto Joklik mit ihrer Verhaftung in Zürich endete, hatten die Goercke-Kinder das Hotel Drei Könige in Richtung Freiburg verlassen. Heidi Goercke bereitete sich in den nächsten Tagen auf ihren Flug nach Kairo vor, auf dem sie von ihren zwei Brüdern – nur 184

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Vgl. Michael Bar-Zohar, Phoenix. Shimon Peres and the Secret History of Israel, Tel AviV 2016, S. 283. Das Engagement Skorzenys und Valentins auf israelischer Seite wird weiter unten thematisiert. Sirrs, Nasser, S. 59, hier den Historiker Stephen Stewart aus dessen Buch „The Spymasters of Israel“, New York 1980, zitierend. So von Braun in einem Interview mit Michael Bar-Zohar: Bar-Zohar, Phoenix, S. 283 und Endnote 12, S. 553. Vgl. Deutschkron, Israel, S. 248.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

Rainer hatte an der Unterredung in den Drei Königen teilgenommen – begleitet werden würde. Eine Aufzeichnung des BND vermerkte, dass die „Schweizer Polizeibehörden die Zeugenaussage der Heidi Goercke für die polizeilichen Ermittlungen“ benötige. Wie der namentlich nicht in Erscheinung tretende Verfasser der Aufzeichnung notierte, sei ihm „gestern bekannt“ geworden, dass „Frau Goercke am 8. März 63 auf eigene Kosten nach Kairo geflogen“ sei. Die Beweggründe hierfür seien „Gewissensbisse und Sorge um ihren in Ägypten tätigen Vater, dem sie alles, was sich hier zugetragen hat, berichten will, damit er ggf. danach seine Entschlüsse fassen kann. Auf jeden Fall ist Heidi Goercke nicht nach Kairo geflogen, um ihren Vater dazu zu bewegen, nach Deutschland zurückzukehren“. Der Verfasser bat um Klärung, ob der BND sich in Kairo mit Heidi Goercke in Verbindung setzen könne, um ihre Rückreise wegen der Zeugenaussage zu erwirken. Es werde gebeten, diesen „Vermittlungsversuch ohne Einschaltung des Diplomatischen Dienstes zu unternehmen“188. Es war dann der Münchner Rechtsanwalt Alfred Seidl, der die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt mit Schreiben vom 19. April 1963 davon in Kenntnis setzte, dass „Fräulein Goercke“ und ihr Bruder Rainer ihm anlässlich seines Besuches in Kairo an Ostern mitgeteilt hätten, zwischen „dem 6. und 10. Mai 1963 zur Zeugeneinvernahme in Basel erscheinen“ zu wollen. Professor Goercke und die Geschwister Goercke hätten ihm ihre anwaltschaftliche Vertretung übertragen“189. Bevor jedoch Heidi und Rainer Goercke ihre Rückreise nach Europa antraten, wartete zumindest auf Heidi noch ein ganz besonderer Termin. Am 3. April 1963 erfuhr die ägyptische Öffentlichkeit erstmals Genaueres über die deutschen Raketenexperten am Nil, nachdem diese jahrelang unter strenger Geheimhaltung gearbeitet hatten. Das staatliche Fernsehen strahlte ein Interview mit Wolfgang Pilz, Paul Goercke, Heidi Goercke und Hans Kleinwächter aus. Die Sitzordnung im Studio, wie sie dem ägyptischen Fernsehpublikum präsentiert wurde, zeigte sowohl die ägyptische Moderatorin des Interviews mit der Hälfte ihres Gesichtes als auch, neben ihr sitzend, Wolfgang Pilz, der Kamera zugewandt. Mit dem Rücken zur Kamera saßen auf einem Sofa Vater und Tochter Goercke sowie Hans Kleinwächter. Pilz war ein in Kairo zu bekannter Ausländer, als dass sich ein Versuch gelohnt hätte, ihn unerkannt auftreten zu lassen. Anders sah es mit den drei anderen Deutschen aus, die ihre Enttarnung aus Angst vor Entführung und Mord fürchteten. Wolfgang Weber, ein Journalist bei der damals in Köln erscheinenden „Neuen Illustrierten“, war in Kairo dabei, als das Interview im Fernsehen gezeigt wurde. Einige Tage nach der 188

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Archiv des BND, Akte 22564_OT, Bl. 88f. Auch hier ergibt sich die Identität Heidi Goerckes in dem Dokument trotz Schwärzung zweifelsfrei. ETH Zürich, AfZ, NL Georges Brunschvig/59, Offizielle Dokumente, 1963–1964.

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Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt

Ausstrahlung versuchte Weber im Fotolabor der Kairoer Zeitung „Al Ahram“ die fragliche Szene mit der Sitzordnung in die Hand zu bekommen, die das Blatt als Foto veröffentlicht hatte. Dies wurde ihm jedoch vom Leiter des Labors, einem mutmaßlichen Briten, der nur „Mr. Yps“ genannt werden wollte, verweigert. Erst auf Webers Insistieren hin zeigte ihm der Laborchef das in der Zeitung veröffentlichte Bild. Zu Webers Überraschung war bei diesem Foto die Gesichtshälfte der Moderatorin wegretuschiert worden. Später erklärte ihm der Laborleiter, dass die Ägypter fürchteten, die Moderatorin könne entführt werden, da sie die Gesichter der deutschen Wissenschaftler kenne. Mittlerweile an der Bar des Hilton Hotels angekommen, drehte sich die Unterhaltung Webers mit Mr. Yps dann um die Frage, die damals so gut wie alle Ausländer in Kairo beschäftigte: Wer steckte hinter den Aktionen gegen die Experten, beginnend mit dem Verschwinden Heinz Krugs? Anhand der Ausgabe vom 1. Mai 1963 der damals von der Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn herausgegebenen Wochenzeitung „Das Parlament“, in der an leicht zu übersehender Stelle auch ganz knapp über „Attentate auf Raketenspezialisten“ berichtet wurde, versuchte Mr. Yps seinem deutschen Gegenüber seine Deutung zur Urheberschaft der Anschlagsserie nahezubringen. Entscheidend war für ihn die Tatsache, dass keine der Taten bisher aufgeklärt worden war. Seine Schlussfolgerung: In Bonn habe man gar kein Interesse an einer Aufklärung, deshalb auch die höchst marginale Erwähnung der Thematik in einer regierungsnahen Publikation wie dem „Parlament“. Und Mr. Yps weiter: „Ich glaube, daß Ihre Regierung das alles aus politischen Gründen vertuscht. Das ist ein Verbrechen, noch größer als die Attentate selber“190. An anderer Stelle seines Berichtes über seine Unterhaltung mit Mr. Yps referierte Weber dessen Meinung über die Auswirkungen der Attentate. Sechs Monate, so der Fotolaborleiter von Al Ahram, hätten diese das ägyptische Raketenprogramm zurückgeworfen. Auf Webers Nachfrage, ob er das beweisen könne, entgegnete Mr. Yps: „Ich nenne ihnen zwei Namen. Da können Sie ja nochmals nachfragen, ohne etwas von unserem Gespräch zu sagen. Einen davon kennen Sie selbst […]“. Weber darauf in seinem Artikel: „Um es vorwegzunehmen: Das mit den sechs Monaten stimmte genau“. Die Nervosität, die Angst unter den Wissenschaftlern und unter ihren Ehefrauen vor Ort in Kairo hätten derartige Ausmaße angenommen, dass normales Arbeiten kaum möglich sei. Ob der von den Attentaten erzwungene Zeitverzug, so er denn stimmt, zusammen mit anderen kleineren und größeren Problemen bei der Raketenentwicklung in Ägypten dazu beigetragen hat, dass im Sechs-Tage-Krieg von 1967 keine ägyptischen Raketen aufstiegen, mag fraglich sein, auszuschließen ist es aber nicht. In dem Kairoer Fernsehinterview ging es, wenig überraschend, um die mutmaßlichen Anschläge der Israelis auf die Wissenschaftler in Ägypten und in der Bundesrepublik 190

Neue Illustrierte vom 25. August 1963, „Arabisches Karussell“.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

sowie insbesondere um den Nötigungsversuch in Basel. Dass Heidi Goercke bei dieser Gelegenheit die Wahrheit über den Inhalt des Gespräches mit Ben-Gal in dem Basler Hotel ein wenig strapazierte, indem sie vor der Kamera behauptete, Ben-Gal habe sie und ihre Familie dort mit dem Tode bedroht, führte Monate später im Basler Prozess gegen Otto Joklik und Joseph Ben-Gal zu ihrem nicht geringen Glaubwürdigkeitsverlust.191 Und auch Hans Kleinwächter, von dessen Ausführungen im ägyptischen Fernsehen Ben-Gals Anwalt Georges Brunschvig einen wörtlichen Ausschnitt – eine „Übersetzung in schlechtem Englisch“ – im Basler Verfahren als Beweismittel nutzte, legte vor der ägyptischen Kamera Ben-Gal Dinge in den Mund, die dieser in den Drei Königen nie gesagt hatte. Ben-Gal angeblich Kleinwächter zufolge: „Ich bin ein hoher Beamter der Israel-Regierung. Wir sind sehr mächtig, und wir haben nichts zu befürchten. 80 % der amerikanischen Presse ist von uns bewältigt und 50 % des Weltkapitals ist in jüdischen Händen. Wir gaben den Auftrag zur Sendung (der) Sprengstoffe, die aus Deutschland per Post gesandt wurden. Es war mein schlechtes Glück, dass Prof. Pilz nicht getötet wurde. Zweimal warnten wir Kleinwächter und das dritte Mal wird er es mit dem Leben bezahlen. In der Angelegenheit dieser drei Professoren zusammen werden wir nicht zögern, sie so schnell wie möglich loszuwerden“192 . Es war diese Interviewpassage, die den Zürcher „Tages-Anzeiger“ in seiner Ausgabe vom 13. Juni 1963 zu dem Urteil brachte, Kleinwächter habe im Fernsehstudio Äußerungen „im Stile des Stürmers“, also der antisemitischen Wochenzeitung der Nationalsozialisten, von sich gegeben. Ungeachtet der Drohungen und Anschläge zogen es Wolfgang Pilz und Paul Goercke vor, ihre Arbeit bei den Pyramiden bis auf weiteres fortzusetzen, und auch Hans Kleinwächter behielt seinen Rhythmus aus vorwiegend stationärer Laborarbeit in Lörrach und gelegentlichen Flügen nach Kairo bei. Ob sich die Drei von den bisherigen Geschehnissen und der nachdrücklichen Warnung Ben-Gals und Jokliks unbeeindruckt zeigten, oder ob sie sich in Kairo bzw. Kleinwächter in Lörrach mit seinem Leibwächter Hermann Valentin am sichersten fühlten – eine eindeutige Antwort fällt schwer. Oder gab es noch ein anderes Motiv für ihr „weiter so“?

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Rechtsanwalt Brunschvig, der Verteidiger Ben-Gals, erklärte Ungenauigkeiten in den Aussagen Heidi Goerckes mit deren Angst und Nervosität, oder, wie Brunschvig es auf Schweizerdeutsch formulierte, sie habe „Chrut und Rübli dürenand“ gebracht. Bei allem Verständnis für ihre Situation reiche dies jedoch nicht, Ben-Gal wegen Nötigung zu verurteilen. Vgl. Einhaus, Recht, S. 217. Als noch sehr junger Anwalt war Brunschvig vor dem Zweiten Weltkrieg als Strafverteidiger in dem oben erwähnten „Berner Prozess“ aufgetreten, in dem es wesentlich um die gefälschten „Protokolle der Weisen von Zion“ gegangen war. Neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt präsidierte Brunschvig seit 1946 auch dem „Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund“. Vgl. ebd., S. 41f. ETH Zürich, AfZ, NL Georges Brunschvig/57, Beweismittel von Georges Brunschvig, 1961–1964.

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Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt

Es war der britische Journalist, Bestsellerautor und Deutschlandkenner Terence Prittie, der in seiner Biografie über Ministerpräsident Levi Eschkol eine, wie man heute sagen würde, „steile These“ riskierte. Angesichts der zu Beginn des Jahres 1963 nach wie vor ungelösten Steuerungsproblemen bei den von den deutschen Experten konstruierten Raketen, warf er die Frage auf, ob diese Experten ihre ägyptischen Chefs möglicherweise an der Nase herumführten, indem sie ihre Kenntnisse zur Steuerungsproblematik absichtlich zurückhielten. Die führenden Köpfe unter ihnen – also zumindest Pilz, Goercke und wahrscheinlich auch Kleinwächter neben dem einen oder anderen – verdienten damals am Nil wahrscheinlich ebenso viel, wie das Führungspersonal rund um Ferdinand Brandner unter den Flugzeugkonstrukteuren in Heluan, nämlich ca. 7000 Schweizer Franken monatlich, von denen die Hälfte direkt auf Bankkonten in der Schweiz ging.193 Das war ein Betrag, den kaum einer von ihnen damals in der Bundesrepublik hätte erzielen können. Ob zusätzliche Provisionen im Zuge der Materialbeschaffung über die Intra flossen, steht dahin, weniger, dass günstig erworbene ägyptische Antiquitäten den Wohlstand zusätzlich mehrten.194 Auf jeden Fall, so Prittie, hätten die Fachleute durchaus ein materielles Interesse gehabt, durch Verzögern in der Lenksystemfrage ihr „luxuriöses Leben im goldenen Ghetto“ von Heliopolis und Maadi so lange wie möglich fortzuführen.195 Nicht auszuschließen ist auch eine Kombination dieses Motivs mit dem Sicherheitsaspekt: Das Leben in Kairo versprach bei größtmöglicher Umsicht Sicherheit sowie einen ungefährdeten Wohn- und Arbeitsplatz plus kommodem Lebensstil in exotischer Umgebung. So oder so: Israels Sicherheit profitierte von den tatsächlichen oder vorgetäuschten Steuerungskalamitäten der Experten, wie bereits die Änderung des österreichischen Fachmanns Otto Golling angedeutet hatte. Damit kommen wir wieder zurück in die Schweiz und zum mehrfach angeklungenen Basler Prozess, der an dieser Stelle jedoch nicht in allen Einzelheiten aufgerollt werden soll. In dem dreitägigen Verfahren vor dem Basler Strafgericht Mitte Juni 1963 ging es vor allem um den Vorwurf der versuchten Nötigung gegen Joseph Ben-Gal und Otto Joklik zum Nachteil von Heidi Goercke. Joklik hatte sich zudem wegen des wiederholten Verstoßes gegen ein gegen ihn verhängtes Einreiseverbot in die Schweiz sowie gegen den schweizerischen „Bundesratsbeschluß über das Kriegsmaterial“ zu verantworten. 193 194

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Der Spiegel Nr. 19 vom 8. Mai 1963, „36, 135 und 333“. Letzteres bestätigten jene Spiegel-Redakteure, die Ferdinand Brandner in seiner „mit altägyptischen Kunstschätzen gefüllten Millionärs-Villa in Salzburg“ zum Interview aufsuchten, in der Einleitung zu dem Gespräch. Vgl. Der Spiegel Nr. 38 vom 11. September 1967, „Wir bauen weiter, aber gebremst“. Vgl. Terence Prittie, Eshkol of Israel: The Man and the Nation, London 1969, hier nach Hansen, Schatten, S. 644.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

Abb. 20: Pressefotografen und Bildreporter bekommen keinen Zutritt zum Basler Gerichtsgebäude In der Verhandlung selber stand insbesondere die Frage im Mittelpunkt, ob Ben-Gal, wie die Anklage argumentierte, Heidi Goercke zu einem bestimmten Verhalten gegenüber ihrem Vater zu nötigen versucht hatte, oder aber, so Anwalt Georges Brunschvig als sein Verteidiger, ob der Israeli lediglich mit Nachdruck eine Warnung hatte aussprechen wollen. Brunschvig, der in seinen Prozessunterlagen von den Raketenexperten gerne als den „Ägypten-Germanen“ schrieb, verdeutlichte seine Position mit einer Analogie aus dem Straßenverkehr: Wenn jemand einen anderen an einer roten Fußgängerampel dazu auffordere, stehenzubleiben und zu warten, so Brunschvig, sei dies keine Nötigung, sondern eindeutig eine Warnung. So ähnlich müsse man Ben-Gals Vorhaltungen gegenüber Heidi Goercke deuten.

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Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt

Abb. 21: Joseph Ben-Gal, links, und ein Polizeibeamter verlassen am ersten Prozesstag das Gerichtsgebäude Am 12. Juni ergingen nach über siebenstündiger Beratungszeit, die von allen Beteiligten und Beobachtern als ungewöhnlich lang empfunden wurde, die Urteile des Gerichtes. Beide Angeklagte wurden der Nötigung für schuldig gesprochen, beide erhielten zwei Monate „unbedingt“, was im deutschen Strafrecht „ohne Bewährung“ entsprach, obwohl sogar der Ankläger lediglich „bedingt“, also „auf Bewährung“, gefordert hatte. Die Strafen galten in beiden Fällen als durch die Untersuchungs- und Sicherheitshaft abgegolten. In Jokliks Strafmaß waren seine illegalen Einreisen enthalten, hingegen der Vorwurf im Zusammenhang mit dem erwähnten Bundesratsbeschluss fallengelassen worden. 419

Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

Richter Emil Häberli drückte sein Unbehagen über den Prozess und seinen Ausgang mit den Worten aus, es sei nur die Spitze eines Eisbergs zutage getreten, acht Zehntel all dessen, was hinter dem Nötigungsvorwurf stecke, bleibe im Dunklen. Beide Anwälte, Georges Brunschvig und Karl Senn, erklärten noch im Gerichtssaal die „Appellation“ für ihre Mandanten, also den Gang in die Berufung. Ben-Gal widerrief jedoch seine Appellation wenig später, ließ sich von Richter Häberli seinen auf den Namen Ben-Gal lautenden Pass aushändigen und verließ die Schweiz mit einem Fahrzeug über die französische Grenze. Sein Rechtsanwalt Brunschvig traf den Agenten namens Ben-Gal später wiederholt in Israel, dessen wahre Identität hat er indessen nie erfahren.196 Das Appellationsgericht bestätigte später im Falle Otto Jokliks das erstinstanzliche Urteil und erkannte erneut auf Nötigung. Gerichtspräsident Blocher erklärte dazu, das Strafmaß „im jetzigen Urteil“ sei nicht überhöht. Denn nach dem Verschulden Jokliks müsste die Strafe eigentlich höher ausfallen. Was geschehen sei, gehöre zum „großen Kampf, den die Agenten der ganzen Welt führen“, und könne deshalb auch nicht ganz harmlos sein. Das solche „Machenschaften auf Schweizer Boden“ stattfänden, dürfe „nicht zugelassen“ werden.197 Immerhin: Otto Franz Joklik verließ für immer die Bühne, auf der das Drama um die Raketenexperten am Nil aufgeführt wurde.198 196

197 198

Vgl. Einhaus, Recht, S. 219. Dem Investigativjournalist Egmont R. Koch zufolge lautete der Klarname Ben-Gals Baruch Presher. Vgl. Egmont R. Koch, Lizenz zum Töten, Berlin 2013, S. 141 und 152. Eine Quelle für den Klarnamen nennt Koch nicht. Scherer/Valentin stellen in ihrer Rheinpfalz-Serie sogar die These in den Raum, die Person, die schließlich in Basel verurteilt wurde, sei möglicherweise nicht identisch mit der am 2. März in Zürich festgenommenen. Als Beleg führen sie ein verändertes körperliches Erscheinungsbild des Verurteilten sowie dessen fehlende Barttracht bei Prozesseröffnung an. Vgl. Scherer/Valentin, „Der falsche Angeklagte?“, in Die Rheinpfalz, Teil XXII der Serie, 30. Oktober 1973. Auf einen Verwechslungsfall im Zusammenhang mit Ben-Gal weist Hannah Einhaus hin. Nach ihren Recherchen ist es denkbar, dass sich der Mossad der Identität eines in Neuss am Rhein lebenden Mannes, der früher Joseph Ben-Gal hieß, heute aber Joseph Krause heißt, bedient hatte. Außer dem gleichen Geburtsjahr 1932 hätten beide „Ben-Gals“ eine „ganze Reihe von Eigenschaften gemein“ gehabt. Vgl. Einhaus, Recht, Endnote 49, S. 295. Vgl. Neue Zürcher Zeitung vom 8. Mai 1964. Im Jahre 1971 machte Joklik die Behörden ein letztes Mal in negativer Hinsicht auf sich aufmerksam, und zwar als mutmaßlicher Technologieschmuggler. Er hatte verbotene „Laserwaren“ aus den USA bezogen – unter der Versicherung, diese seien für den Verbleib in Österreich bestimmt. Stattdessen ließ er sie durch ein Wiener Speditionsunternehmen an eine Moskauer Firma versenden. Das entsprechende Verfahren gegen ihn wurde schließlich ebenso eingestellt wie ein anderes wegen Devisenvergehen. Danach, so Joklik-Kenner Thomas Riegler, sei das Leben Jokliks „in respektableren Bahnen“ verlaufen: Im Jahre 1996 erhielt er das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse – „für seine langjährige humanitäre Tätigkeit“ als Entwicklungsberater bei der UN-Unterorganisation für Industrielle Entwicklung. Insbesondere habe er sich dadurch Verdienste erworben, dass er Trinkwasseraufbereitungsanlagen der österreichischen Caritas zur Verfügung gestellt sowie großzügig Medikamente für Krisengebiete beschafft habe. Vgl. Riegler, Agenten, S. 66.

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Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt

Insbesondere durch die Aufmerksamkeit in der damaligen Presseberichterstattung  – die Gazetten bezeichneten das Gerichtsurteil zuweilen mit Horaz als Mäuslein, das der kreißende Berg geboren habe – kam es nicht nur in Israel und der Schweiz199 zu politischen Kontroversen über die Arbeit der deutschen Raketenfachleute in Ägypten, sondern auch in der Bundesrepublik wurde zeitweilig heftig und intensiv darüber diskutiert. Vor allem aber sah sich das eben erst aufkeimende deutsch-israelische Verhältnis weiterer, ernsthafter Belastung ausgesetzt.

Operation Damokles, die Raketen und das israelische Nuklearprogramm Die Literatur über die Operation Damokles und die mit ihr verbundenen tatsächlichen oder vermeintlichen Einzelaktionen des israelischen Mossad gegen die Experten in Ägypten ist sich weitgehend darin einig, dass Israel damit versuchte, eine geografisch nicht genau definierte Bedrohung des Landes und seiner Bewohner durch die entstehenden Raketen zu verhindern. Vor allem in älteren Arbeiten taucht der israelische Atomreaktor von Dimona in der Negev-Wüste und das Nuklearprogramm Israels in diesem Zusammenhang nicht auf. Jüngere Beiträge zu unserer Thematik, die sich u. a. auf inzwischen freigegebene amerikanische Dokumente stützen, nähren indes die Vermutung, dass es einen engen Konnex zwischen der ägyptischen Raketenentwicklung und der Anlage von Dimona gab.200 Insbesondere die Erweiterung der Perspektive auf die Entscheidungsträger der amerikanischen Politik führt dabei zu aufschlussreichen Erkenntnissen.201 Eng verknüpft mit Diskussionen in der Regierung Präsident Kennedys über ägyptische Raketen und unkonventionelle Waffen waren Geheimdiensthinweise, wonach Israel beabsichtigte, Atomwaffen zu bekommen. Solche Bestrebungen datierten beinahe bis in die Gründungszeit des Staates Israel. In der israelischen Presse wurden seit den späten fünfziger Jahren der Besitz von Nuklearwaffen und eine Sicherheitsallianz mit einer oder mehreren westlichen Mächten diskutiert. Es war schließlich Frankreich, das aus verschiedenen Gründen zum Partner der Israelis in diesen Fragen wurde. Im Jahre 1956, am Vorabend des Suezkrieges, gelang es Shimon Peres, die französische Unterstützung für einen kleinen Atomreaktor zu

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200

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Hier rückten nun als unmittelbare Folge des Prozesses der Waffenhändler Hassan Sayed Kamil und die Rolle der schweizerischen Industrie beim Rüstungsexport in den Vordergrund. Vgl. z. B. Aronson, Israelische Atomwaffen sowie Sirrs, Nasser, insbesondere das Kapitel „Washington mediates“, S. 102ff. Das Folgende im Wesentlichen nach Sirrs, Nasser, S. 107f.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

gewinnen, der in der Nähe Tel Avis gebaut werden sollte. Ein Jahr darauf schlossen die Israelis ein Abkommen mit Paris, das den Bau eines deutlich größeren Plutonium-Reaktors mit einer unterirdischen Anlage zur Spaltung von Plutonium vorsah. Diese Anlage war entscheidend für die israelischen Ambitionen auf Atomwaffen, denn sie erlaubte die Produktion notwendiger Bestandteile für eine solche Waffe. Französische Unternehmer begannen mit den Arbeiten an einer abgelegenen Ecke der Negev-Wüste, die der Welt unter dem Namen Dimona bekannt geworden ist. Bis zum Ende der Regierungszeit Präsident Eisenhowers im Januar 1961 blieben die amerikanischen Erkenntnisse über das Bauvorhaben im Negev, die auf Aufklärungsflügen beruhten, insgesamt vage. Man vermutete zwar die Errichtung eines Reaktors, stufte die entsprechenden Erkenntnisse jedoch als einen „special case“ in den amerikanisch-israelischen Beziehungen und für die amerikanische Politik zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen ein. Während die Administration unter Dwight D. Eisenhower wenig Interesse an Dimona zeigte, wertete Präsident Kennedy seit seinem Amtsantritt Ende Januar 1961 den „israelischen Fall“ zu einer Art Musterbeispiel für seine Politik der Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen auf. Er und seine Regierung waren optimistisch, dass Israel dafür eine gute Gelegenheit bot, weil die Beziehungen zwischen beiden Ländern sehr eng waren. Tatsächlich erlangten die Vereinigten Staaten nach langwierigen Verhandlungen von Tel Aviv das Zugeständnis, begrenzte Inspektionen in Dimona durchzuführen, jedoch blieb ihnen der Zugang zu den empfindlichsten Teilen verwehrt. Damit begann ein langer, komplexer „Tanz“, der sich bis gut in die späten sechziger Jahre hinzog, bei dem Tel Aviv Washington in Dimona zeigte, was die Amerikaner sehen sollten bei gleichzeitiger Leugnung jeglichen Interesses an Atomwaffen. Die Regierung Kennedy empörte sich über die Beschränkungen, die ihrem Inspektionsteam auferlegt wurden, hielt aber die Fassade von „Inspektionen“ aufrecht, bis diese von der nachfolgenden Regierung Johnson fallengelassen wurden. Zu jener Zeit, als die ägyptischen Raketen ein wichtiger Punkt in den amerikanisch-israelischen Beziehungen wurden, lief das Dimona-Projekt auf vollen Touren. Konfrontiert mit der israelischen Verweigerungshaltung bezüglich des Sinns und Zwecks von Dimona, erkannte Washington das Raketenprogramm Präsident Nassers und die von diesem in Israel erzeugten Reaktionen als Chance, das israelische Nuklearwaffenprogramm zu beenden. Das amerikanische Kalkül sah dabei vor, dass man regionale Waffenkontrollen vorschlagen werde, um dem „israelischen Rummel wegen der unkonventionellen Waffen Ägyptens“ den Boden zu entziehen. Robert W. Komer, ein damals 40-jähriger Harvard-Absolvent und anschließender CIAAnalyst mit Schwerpunkt Naher Osten, wurde 1961 dem National Security Council Präsident Kennedys als Mitglied der Abteilung für Nahost-Fragen zugeordnet. Er war einer jener Spitzenbeamten, die einen neuen Plan für die Rüstungskontrolle im Nahen Osten entwickeln 422

Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt

sollten. Später, seit 1967, vertrat er in der Regierung von Lyndon B. Johnson eine harte Haltung der USA gegenüber dem Vietcong im Vietnam-Krieg. Am 9. Februar 1963 unterbreitete Komer Präsident Kennedy die Ergebnisse einer politischen Arbeitsgruppe des Außenministeriums. Auf dem Deckblatt seines Berichtes empfahl Komer ein behutsames amerikanisches Vorgehen gegenüber Kairo und Tel Aviv, um herauszufinden, ob einer von beiden bereit sei, in eine „stillschweigende“ US-unterstützte Initiative zur Waffenkontrolle einzuwilligen. Der Erfolg der Initiative würde vergrößert durch die von Israel und Ägypten geäußerten Besorgnisse über die Verbreitung fortgeschrittener Waffen im Nahen Osten. In den Worten Komers: „Israel beschwerte sich bei uns über VAR-Waffen und radiologische Kriegsführung, während Nasser sich über biologische Waffen Israels und seinen Atomreaktor beunruhigt zeigte“.202 Erst am 23.  März legte Komer dem Präsidenten ein weiteres Memorandum über israelische Nuklearwaffen und ballistische Raketen Ägyptens vor. Dieses Memorandum war ohne Zweifel inspiriert von der Knesset-Resolution vom 20. März203, in der die Tätigkeit deutscher Experten in Kairo und Isser Harels Enthüllungen über das ägyptische Ibis- und Cleopatra-Programm verurteilt worden waren. In diesem Memo, so Owen L. Sirrs, erklärte Robert Komer die jüngsten Ereignisse in Israel, indem er die Operation Damokles mit dem verdeckten Nuklearprogramm Tel Avivs verknüpfte: „Israels gegenwärtige Kampagne, in der deutsche technische Hilfe für die VAR öffentlich gemacht wird, legt nicht nur echte israelische Besorgnis nahe“, so Komer, sondern auch, dass Israel (1) seine Agentenoperationen in Europa, etwa das dortige Treiben Otto F. Jokliks, zu rechtfertigen versucht „und (2) versuchen könnte, eine Rechtfertigung für die Fortführung seines eigenen Nuklearprogramms zu schaffen“. Komer informierte Präsident Kennedy darüber, dass die Ägypter Boden-Boden-Raketen entwickelten, schränkte aber zugleich ein, dass diese „weit weniger gefährlich seien“, als die Israelis behaupteten. Er hob auch das Fehlen jeglicher Geheimdienstinformation hervor, die israelische Vorwürfe stützen könnten, denen zufolge die Ägypter beabsichtigten, ihre Raketen mit Kobalt oder Strontium 90-Sprengköpfen auszurüsten. Komers Memorandum schloss mit der Empfehlung, dass der Plan des Außenministeriums für eine „stillschweigende Waffenkontrolle“ die besten Mittel böte, um ein ägyptisch-israelisches Wettrüsten bei unkonventionellen Waffen zu verhindern. Kennedy reagierte positiv auf Robert Komers Empfehlungen. Am 26.  März veröffentlichte seine Regierung ein Memorandum, das darauf abzielte, die Entwicklung fortgeschrittener Waffen im Nahen Osten einzudämmen. Drei Punkte standen dabei im Vordergrund: Es sollte zuerst darum gehen, die Verbreitung nuklearer Waffen im Nahen Osten zu verhindern,

202 203

Sirrs zitiert Komer nach freigegebenen Akten der „Foreign Relations of the United States“ (FRUS). Auf die Knessetdebatte und die Resolution wird im nächsten Abschnitt zurückzukommen sein.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

zweitens müsse den israelischen Sorgen wegen der ägyptischen Projektile Rechnung getragen und schließlich, drittens, sollten die fragilen Beziehungen zu Kairo aufrechterhalten werden. Auf einer Pressekonferenz am 3. April 1963 nahm Kennedy zu den einzelnen Punkten Stellung. In Beantwortung einer Frage nach der Rolle der deutschen Fachleute in Ägypten, machte der Präsident deutlich, dass diese Experten ohne Zweifel an „Raketen, Flugzeugtriebwerken und Flugzeugzellen“ arbeiteten und dass diese Tätigkeiten „die Spannungen im Nahen Osten“ beeinflussten. Mit einer Warnung an Israel erneuerte der Präsident seine „feste Opposition gegen die Einführung oder Herstellung nuklearer Waffen“ in der Region. In seinen Ausführungen bekräftigte Kennedy nicht nur seine Verpflichtung zu atomarer Nichtweiterverbreitung, sondern er bot eine explizite Verknüpfung zwischen den ägyptischen Raketen und Atomwaffen an. Diese Verknüpfung stehe, so der Präsident, im Zentrum der Initiative des amerikanischen Außenministeriums zur Waffenkontrolle. Zwei Tage später traf Israels stellvertretender Verteidigungsminister Shimon Peres zu einem Besuch in Washington ein, bei dem es um letzte Einzelheiten eines Vertrages über die Lieferung amerikanischer Boden-Boden-Raketen vom Typ „Hawk“ an Israel ging. Völlig überraschend sah sich Peres bei seinem Besuch auch Präsident Kennedy gegenüber. Während ein erstes Treffen nicht über den Austausch von Nettigkeiten hinauskam, konfrontierte Kennedy seinen Gast bei ihrer zweiten Begegnung mit der Frage, ob die Sorgen Tel Avivs wegen der deutschen Wissenschaftler echt seien, dabei andeutend, dass Israel die Experten womöglich nutzen könne, um Propagandapunkte gegen seine Feinde zu erzielen. Kennedy hakte nach, indem er Peres fragte, ob die Raketen das eigentliche Problem seien oder die Sprengköpfe, die sie transportieren könnten. Peres räumte daraufhin ein, dass ballistische Raketen ohne Sprengköpfe von „zweifelhaftem Wert“ seien, fügte aber hinzu, dass im Kontext des Nahen Ostens konventionelle Sprengköpfe „höchst zerstörerisch“ sein könnten. Die Ägypter, so Peres, sähen diese Raketen wahrscheinlich als ihre „Rettung, denn letzten Endes sei eine Rakete ein Bomben transportierendes Flugzeug ohne Pilot“. Die Interpretation der Gefahr, die von den ägyptischen Raketen ausging, sollte noch für längere Zeit die Diskussionen zwischen Washington und Tel Aviv hinsichtlich der Friedenssicherung im Nahen Osten bestimmen. Aus dem Kongress meldeten sich wiederholt Stimmen, die den amerikanischen Präsidenten aufforderten, sich gegenüber Bonn für den Rückzug der deutschen Experten stark zu machen.204 Auf eine dieser Stimmen hin – sie kam vom Repräsentanten des Staates New York – entwarf der Undersecretary of State for Political Affairs, Averell Harriman, eine Antwort, die wenig später in der New York Times veröffentlicht wurde. Harriman spielte darin die deutsche Aktivität am Nil herunter, indem er von „10 oder so“ Personen 204

Nach Sirrs waren solche Initiativen „wahrscheinlich auf israelische Lobby-Arbeit“ im Kongress und Isser Harels Pressekampagne zurückzuführen. Vgl. Sirrs, Nasser, S. 111.

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schrieb, die in Ägypten tätig seien. Diese würden selbstverständlich das Land verlassen, wenn man ihnen dies anordne. Sollten die deutschen Wissenschaftler gehen, warnte Harriman, könnten sie durch Experten des Ostblocks ersetzt werden, die in gleicher Weise qualifiziert seien, um Kairos Raketenansprüche zu erfüllen. Darüber hinaus könnte erhöhter Druck in der Expertenfrage dazu führen, dass sich die Ägypter „in größere Abhängigkeit zur Sowjetunion“ begäben. Harriman nutzte die Gelegenheit seiner Antwort auch dazu, Israel zu kritisieren, das seinerseits Raketen entwickle. Angesichts der Kritik durch den Kongress zuhause und eines nervösen Israels in der Ferne, entschied sich die Regierung Kennedy zu einem weiteren Schritt in ihrer diskreten Politik der Waffenkontrolle im Nahen Osten. Mitte April 1963 reiste Robert Komer nach Kairo, um zum einen die ägyptische Perspektive auf das regionale Wettrüsten auszuloten und zum anderen abzuschätzen, ob Präsident Nasser sich mit dem Gedanken an eine Waffenkontrolle anfreunden könne. Komer und der amerikanische Botschafter in Kairo, John S. Badeau205, eröffneten die Diskussion mit Nasser mit dem Hinweis auf Präsident Kennedys „große Sorge“ wegen eines eskalierenden Rüstungswettlaufes zwischen Israel und den arabischen Staaten. Komer suchte Nasser zu beruhigen wegen dessen Misstrauen bezüglich der kürzlichen israelischen Attacken auf die deutschen Experten im Rahmen der Operation Damokles. Unter Bezugnahme auf den in der New York Times veröffentlichten Brief von Averell Harriman betonte Komer Washingtons Interesse an einem ausgeglichenen („evenhanded“) Vorgehen angesichts der regionalen Spannungen. Die Vereinigten Staaten wollten dazu beitragen, dass der Nahe Osten „neue und nicht voraussagbare“ Entwicklungen wie ballistische Raketen und Atomwaffen vermeide. Nasser antwortete mit einem Rückblick auf die ägyptisch-israelischen Beziehungen seit 1948 bis hin zum Suezkrieg von 1956, den Israel begonnen hatte. Israel könne man nicht trauen, so der Präsident, und auch Komers Beteuerung der Unparteilichkeit Washingtons stellte er mit dem Hinweis auf das allseits bekannte enge Verhältnis zwischen Washington und Tel Aviv in Frage. Ägyptens „legitimes“ Sicherheitsbedürfnis mache einen regionalen Rüstungswettlauf „unausweichlich“. Hinsichtlich der von Komer erwähnten fortgeschrittenen Waffen, informierte Nasser seine Besucher, dass Israels Aufrüstung Ägypten gezwungen habe, ähnlich zu verfahren: Wenn Israel ein Labor für biologische Kriegsführung betreibe, müsse Ägypten zwei besitzen. Wenn Israel einen Raketentest durchführe, müsse Kairo dasselbe tun. Obwohl er nicht leugnete, dass in Ägypten an radiologischen Bomben geforscht werde, bestand Nasser darauf, dass Israel plane, „radiologische Produkte“ in Raketensprengköpfen zu nutzen. Israels Nuklearwaffenentwicklung war ihm ebenfalls nicht

205

Badeau war ein ausgebildeter Missionar der Niederländisch-Reformierten Kirche, der vor dem Zweiten Weltkrieg in Mossul und Bagdad gewirkt und islamische Philosophie studiert hatte sowie fließend Arabisch sprach. Vgl. Wikipedia, Stichwort „John S. Badeau“, aufgerufen am 24. August 2021.

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entgangen: mit dem Hinweis auf Dimona erklärte Nasser, dass er sich im Klaren sei über „eine nicht spezifizierte israelische Nuklearinstallation“.206 Da Israel an atomaren Waffen arbeite, müsse auch Ägypten in dieser Richtung tätig sein, so Nasser. In einem kurzen Monolog bot er einen Fingerzeig hinsichtlich seiner Motivation zur Entwicklung von Langstreckenraketen (long-range missiles): Israels „Aggression“, so sein Argument, zwinge Kairo zur Entwicklung eines Abschreckungsmittels, das in der Lage sei, einen harten Vergeltungsschlag zu führen. Er deutete an, dass Israels vermutetes Nuklearwaffenprogramm seine eigene Aufrüstung vorantreibe, einschließlich Raketen. Wie Nasser Komer mitteilte, könnte Ägypten in Selbstverteidigung angreifen müssen, falls Israel Nuklearfähigkeit erreiche. Er warnte, dass Kairo sogar die Negev-Wüste besetzen würde – und vermutlich die Einrichtungen von Dimona – falls dies erforderlich sein sollte. Am 15. Juni 1963 richtete Präsident Kennedy Schreiben sowohl an Ben-Gurion als auch an Präsident Nasser. In ihnen rief er mit Nachdruck zu einer Beendigung des Wettrüstens im Nahen Osten auf, andernfalls auch Nuklearwaffen in nicht allzu ferner Zukunft eine Option seien. Kennedy informierte Nasser nicht darüber, dass Israel Atomwaffen entwickle, doch liege dies im Bereich des Möglichen, falls es zu keiner Begrenzung des Rüstungswettlaufes komme. Aufgrund seiner „unvergleichlichen Erfahrung auf dem Felde der Rüstungskontrolle“ entsandte Kennedy Ende Juni den ehemaligen Hochkommissar in Deutschland, John J. McCloy, zu Gesprächen mit der ägyptischen Regierung nach Kairo.207 Für unseren Zusammenhang enthielt die Unterredung zwischen McCloy und Präsident Nasser am 27.  Juni folgende wichtige Gesichtspunkte: Zunächst musste der amerikanische Emissär seinem ägyptischen Gesprächspartner nahebringen, dass die israelische Anlage in Dimona auch in der Lage sein werde, atomwaffenfähiges Material zu produzieren, denn bis dahin hatte Washington immer argumentiert, Dimona diene ausschließlich friedlichen Zwecken. Einmal vollständig ins Bild gesetzt, sah sich Präsident Nasser mit dem Angebot McCloys konfrontiert, die Amerikaner könnten Unterstützung bei Kontrollinspektionen in Dimona leisten, um gegenseitiges

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Unter Rückgriff auf eine Arbeit Shyam Bhatias stellt Avner Cohen fest, dass die Ägypter seit 1959 über israelische Arbeiten an einer nuklearen Waffe informiert waren. Damals habe ein ägyptischer Physiker am Argonne National Laboratory in Illinois mitbekommen, dass zwei dort ebenfalls forschende Israelis sich für die Plutoniumaufbereitung interessiert hätten. Er habe seine Beobachtung an die ägyptische Regierung weitergeleitet. Hingegen erscheint Cohens unkommentierte Wiedergabe einer Äußerung von Nassers engem Freund Mohammed Heikal aus dem Jahre 1992, Ägypten habe bereits 1957 vom Beginn eines israelischen Atomwaffenprogramms gewusst, recht unkritisch. Die politischen Entscheidungen zwischen Paris und Tel Aviv zunächst zur Errichtung eines Reaktors in der Negev-Wüste fielen, wie gezeigt, erst 1956/57. Vgl. Avner Cohen, Israel and the Bomb, New York 1988, S. 406, Endnote 1. McCloy hatte mit der Sowjetunion ein Abkommen zur Rüstungsbegrenzung ausgehandelt. Das Folgende nach Cohen, Israel, S. 247ff.

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Misstrauen zwischen Ägypten und Israel abbauen zu helfen. McCloy verknüpfte sodann Israels Nuklear- mit dem ägyptischen Raketenprogramm. Er erinnerte Nasser an die „energische Reaktion“ in Israel auf Berichte über die ägyptische Beschäftigung deutscher Experten und wies darauf hin, „daß, falls weitere Anstrengungen in dieser Richtung unternommen würden, dies eine Situation in Israel schaffen könne, in der die Versuchung, Material für Nuklearwaffen herzustellen, sehr groß werde“. Damit erklärte McCloy das ägyptische Raketenprogramm zum Auslöser für eine Änderung der Natur des israelischen Nuklearprogramms. Wenn Nasser an einer Kontrolle des israelischen Atomprogramms interessiert sei, müsse er sein eigenes Raketenprogramm aufgeben. Noch einmal kam das Gespräch auf die ägyptischen Raketen zurück. Nasser erklärte, diese seien dafür ausgelegt, hochexplosive Stoffe zu transportieren. Er hob hervor, dass er erfolglos versucht habe, etwas Stärkeres als den Sprengstoff TNT zu finden, doch habe er nichts zwischen TNT und einem nuklearen Sprengstoff ausfindig machen können. Die ägyptischen Raketen könnten zwischen einer und zwei Tonnen TNT transportieren – eine Behauptung, die die Experten um Wolfgang Pilz vermutlich vehement bestritten hätten – doch ihr Steuerungssystem sei „sehr einfach“. Nasser ergänzte, dass die Sowjetunion Ägypten einen kleinen nuklearen Forschungsreaktor geliefert habe, der jedoch kein waffenfähiges Material herstellen könne, weshalb sich Inspektionen erübrigten. Auch in einer zweiten Gesprächsrunde am 30. Juni, zu der McCloy seinen Assistenten, den Diplomaten Hermann F. Eilts, hinzuzog, ging es erneut um die ägyptischen Raketen. Eilts berichtete später dem Historiker Avner Cohen, dass Nasser bei diesem Treffen deutlich negativ gestimmt aufgetreten sei. Eilts äußerte seine Vermutung, dass Nasser möglicherweise verärgert über McCloys Timing der Gespräche mit ihm gewesen sei, die unter dem Eindruck der israelischen Propaganda wegen der Raketen stattgefunden hätten. Nun, bei der Unterredung am 30.  Juni, habe Nasser vor allem die propagandistische Bedeutung des Raketenprojektes betont, die darauf abziele, die nationale Moral und das Prestige des Landes aufzubauen. Dahinter stünden militärische Absichten zurück. Nach Auffassung von Eilts machte dieser Begründungszusammenhang es noch schwieriger, Nasser zu Konzessionen in der Raketenfrage zu bewegen. John McCloys Mission in Kairo blieb ohne konkretes Ergebnis, jedenfalls ohne eines, das seine Weiterreise nach Israel hätte lohnend erscheinen lassen. Robert Komer zeigte sich in einer Note an Präsident Kennedy vom 3. Juli 1963 enttäuscht über McCloys Auftritt in Kairo, indem er McCloy vorwarf, gegenüber den Ägyptern in zwei Punkten unklar geblieben zu sein: es sei nicht deutlich geworden, dass die amerikanische Initiative zur Rüstungsbegrenzung nicht das Ergebnis israelischen Drucks war, sondern eine, die Israel auf nuklearem Gebiet in Schranken zu halten beabsichtige und die darüber hinaus für die VAR „reale Vorteile“ mit sich bringe

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„aus dem einfachen Grund, weil Israel auf diesem Gebiet weit voraus sei“208. Präsident Kennedy richtete am 7. Juli ein Telegramm an seinen Botschafter in Kairo mit der Bitte, Badeau möge die von McCloy nicht hinreichend dargelegten Punkte den Ägyptern erläutern. Mit dem Blick auf die Raketen verknüpfte das Kabel erneut diese mit der israelischen Nuklearpolitik: Das ägyptische Raketenprogramm liefere den Israelis die Rechtfertigung für ihre Weiterarbeit an atomaren Waffen. Hier liege der Grund für die amerikanische Initiative. Die Nützlichkeit der Raketen als Transportmittel für nukleare Waffen habe die größte Bedeutung. Ägypten müsse begreifen, dass seine ballistischen Raketen auch ohne eigenes Atomprogramm im Kontext mit Atomwaffen beurteilt würden. Die Vereinigten Staaten, so das Telegramm, hätten Anlass zur Sorge, „dass Israel seine eigenen Anstrengungen im Bereich der Raketen als Antwort auf die VAR-Raketen beschleunigen werde. Wir wissen nicht, wohin das führen wird“. Nasser müsse auch Kontrollen des ägyptischen Reaktors zulassen, allein schon deshalb, um den Israelis keinen Vorwand für eine Weigerung ihrerseits in dieser Frage zu liefern.209 Der Text nahm auch Bezug auf Nassers Drohung mit einem vorbeugenden Krieg, um Dimona auszuschalten. Ein solcher Krieg, hieß es in dem Kabel, sei keine Lösung, sondern eine letzte Zuflucht, und zwar eine, die für die VAR weit teurer werde und weit weniger erfolgversprechend sei, als der Ansatz, den die amerikanische Regierung verfolge. Insgesamt war der Text eine Bitte an Präsident Nasser, die Vereinigten Staaten dabei zu unterstützen, Ägypten zu helfen, Israels Drang zum Besitz von Nuklearwaffen zu stoppen. Avner Cohen zufolge begriff Nasser nicht die Dringlichkeit der Situation. Der ägyptische Präsident misstraute den amerikanischen Bemühungen und schien darüber hinaus nicht übermäßig besorgt wegen der nuklearen Ambitionen Tel Avivs. Botschafter Badeau informierte Nasser bei einer Begegnung am 11. Juli 1963 über den Inhalt des Telegramms. Nach Rücksprache mit seinen Kollegen, so der ägyptische Präsident gegenüber dem Botschafter, sei man übereingekommen, dass Inspektionen auf ägyptischem Boden für die VAR schwierig zu akzeptieren seien, da sie „westliche Kontrollen“ wieder einführen würden. Damit fand der erste und ernsthafteste Versuch der Vereinigten Staaten, die Einführung und Verbreitung von Kernwaffen im Nahen Osten zu verhindern, ein Ende. 208

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Zitat von Hermann F. Eilts nach dessen Interview durch Avner Cohen; meine Übersetzung aus dem Englischen, A. H. Bis hier hin deckt sich der Text des Kabels weitgehend inhaltlich mit einer angeblichen „Verbalnote“ Präsident Kennedys an Präsident Nasser vom September 1962. Die Note wurde von Nassers engem Vertrauten, dem Journalisten Mohammed Heikal, in dessen Buch „Das Kairo-Dossier. Aus den Geheimpapieren des Gamal Abdel Nasser“, Wien 1972, S. 202, veröffentlicht. Es erscheint indes fraglich, ob eine Note diesen Inhalts bereits in so kurzer Zeit nach dem Start der ägyptischen Raketen im Juli 1962 überreicht wurde. Nach Heikal habe Kennedy offenbar versucht, mit seinem Schritt Schwung in den amerikanisch-ägyptischen Dialog zu bringen, der dann jedoch infolge der Kuba-Krise vom Oktober 1962 zum Erliegen gekommen sei.

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Die israelische Operation „Damokles“ – und was man dafür hielt

Die weitere zähe Entwicklung des Aktion-Reaktion-Mechanismus’ im rüstungspolitischen Wettlauf zwischen Israel und Ägypten kann hier nicht nachgezeichnet werden. Stattdessen soll der Blick auf ein Dokument geworfen werden, das offensichtlich am 12. Dezember 1964 im amerikanischen Committee on Nuclear Proliferation (Ausschuss über Verbreitung von Kernwaffen) angefertigt worden war und sich in den Papieren des Nachfolgers von Präsident Kennedy, Lyndon B. Johnsons, befindet.210 Die Aufzeichnung gibt einen kleinen Eindruck von der möglichen Wirkungsweise einer von Israel gezündeten Atombombe auf ägyptischem Gebiet.211 Dem Dokument zufolge hatten sich israelische Politiker und Beamte nicht nur über das israelische Nuklearprogramm allgemein, sondern auch über Nuklearraketen und deren Ziele ziemlich offen geäußert. Nach Shlomo Aronson sprachen „relativ niedrigrangige“ Beamte recht unverblümt über Israels Strategie gegenüber Ägypten, so etwa über auf das Nil-Delta gerichtete Boden-Boden-Raketen sowie die Fähigkeit, den Assuan-Damm zu bombardieren und die hinter ihm gestauten Wassermassen freizusetzen. Dabei würde die Zerstörung des Assuan-Damms einen Nuklearsprengkopf erfordern. Wörtlich heißt es dann in dem Papier in deutscher Übersetzung:212 „Von allen Ländern des Nahen Ostens ist die VAR am verwundbarsten gegen einen Atomangriff. Eine einzige richtig placierte Bombe würde eine 140 Meter hohe Wasserwand auf das enge Niltal hereinbrechen lassen, wo die gesamte ägyptische Bevölkerung konzentriert ist. Israel ist auch verwundbar, aber angesichts der Besonderheiten seiner Grenzen würde ein Nuklearangriff die benachbarten arabischen Staaten fast ebenso stark in Mitleidenschaft ziehen. Daher sieht die VAR wahrscheinlich Vorteile darin, die Anwendung von Nuklearwaffen zu verhindern, mithin schon ihre Einführung in die Region“.

Das letztgenannte Argument erhielt auch dadurch Gewicht, dass der amerikanische Botschafter Badeau Anfang April 1964, kurz vor der Aufgabe seines Kairoer Postens, nach Washington kabelte, „die einzige Situation, in der die Ägypter dazu veranlasst sein könnten, einen Überraschungsangriff auf Israel auch nur in Erwägung zu ziehen, wäre dann gegeben, wenn

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211 212

„Background Paper on Factors Which Could Influence National Decisions Concerning Acquisition of Nuclear Weapons“, in: Lyndon B. Johnson Library, Austin, Texas, National Security Files, hier nach Aronson, Atomwaffen. Das Folgende nach ebd., S. 254. Übersetzt von Hermann Graml vom Münchner Institut für Zeitgeschichte.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma eindeutig klar werden sollte, daß die Israelis Nuklearwaffen besitzen oder bald besitzen werden. In einem solchen Fall bestünde das ägyptische Ziel darin, die israelischen Anlagen so schnell und so vollständig wie möglich zu zerstören und dann hinter die Grenze zurückzugehen, in der Erwartung, daß die internationale öffentliche Meinung und internationaler Druck die Israelis daran hindern würden, zurückzuschlagen. Dabei würden die Ägypter aus defensiven und nicht aus aggressiven Motiven handeln“ 213.

Nur am Rande sei vermerkt, dass Präsident Nasser in dem zuvor skizzierten Gespräch mit Robert Komer und Botschafter John Badeau wie selbstverständlich von den ägyptischen Raketen als Waffen gesprochen hatte, eine Qualifizierung, welche die an ihrer Entwicklung maßgeblich beteiligten deutschen Experten um Wolfgang Pilz weit von sich gewiesen hätten. Und damit kommen wir wieder zum Streit um die Expertentätigkeit zwischen der Bundesrepublik und Israel zurück.

Spannungen zwischen Bonn und Tel Aviv und Rechtfertigungsversuche der Experten Wenden wir uns zunächst den innenpolitischen Querelen in der Bundesrepublik wegen der Raketenfachleute zu. Man kann sie sinnvollerweise mit der Rückkehr des CDU-Politikers Franz Böhm von seiner bereits erwähnten Israel-Reise Ende August 1962 beginnen lassen. Wie erinnerlich, hatte Außenministerin Golda Meir den deutschen Gast nachdrücklich auf die ihrer Meinung nach drohende Gefahr durch die Tätigkeit der deutschen Experten in Ägypten für die Menschen in Israel hingewiesen und gefordert, Bonn möge gesetzgeberisch aktiv werden, um die Arbeit der Deutschen am Nil zu unterbinden.214 Franz Böhm wandte sich in diesem Sinne umgehend an den seit Ende 1961 amtierenden Außenminister Gerhard Schröder (CDU) und an Kanzler Konrad Adenauer. Der Bundeskanzler teilte ihm Mitte Oktober 1962 mit, die bestehenden Gesetze böten leider keine Handhabe, doch werde man die Experten beobachten. Diese Haltung erinnerte an die Antwort Adenauers an den britischen Hohen Kommissar Sir Ivone Kirkpatrick Anfang der fünfziger Jahre, als es um britische Besorgnis wegen der vermeintlichen Guerillaausbildung ägyptischer Freischärler in der Suezkanalzone durch ehemalige Wehrmachtsangehörige ging.

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Zitiert nach ebd., S. 254. Vgl. zum Folgenden vor allem Hansen, Schatten, S. 639ff.

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Spannungen zwischen Bonn und Tel Aviv und Rechtfertigungsversuche der Experten

Doch Böhm ließ nicht locker. Nach eigenen Recherchen fertigte er im Blick auf den bevorstehenden Israel-Besuch von Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier eine ausführliche Denkschrift an, in der er die Fakten darlegte und konkrete, gesetzgeberische Möglichkeiten aufzeigte sowie eine „Aktivierung der Beschäftigungsmöglichkeiten“ für die Raketenfachleute „im eigenen Lande anregte“215. Sollte auf verteidigungspolitischem Gebiet hierfür keine Möglichkeit bestehen, so Böhm, „dann könnte man trotzdem das Geld auf Verlustkonto abbuchen, wenn man wirklich erreichen will, daß die Raketenbauer nicht auf die Walze gehen müssen wie in früheren Zeiten die Graubündener mit ihren Murmeltieren“. Einigen Aufwand verwandte Böhm in seiner Denkschrift auf die Frage, weshalb Ägypten überhaupt Raketen baue. Dabei verlor er kein einziges Wort über die von den Experten bei Gelegenheit wiederholte Behauptung, sie forschten ausschließlich an Höhensonden zu zivilen Zwecken. Für Böhm lohnte sich eine Auseinandersetzung mit dieser Behauptung offenbar nicht. Er kam in seinen Ausführungen sogleich auf den militärstrategischen Unterschied zwischen den ägyptischen Raketen mit einer Reichweite von ca. 560 km („jeder Ort südlich von Beirut“) und jenen mit geringerer Reichweite, nämlich ca. 280 km, zu sprechen. Im Gegensatz zu manch anderem Kommentator fand er die Projektile mit der kürzeren Reichweite „interessanter“, denn nur sie könnten unter militärischen Gesichtspunkten ausschließlich gegenüber Israel Verwendung finden. Eingedenk des Umstandes, dass die Kuba-Krise vom Oktober 1962 im Gedächtnis der politisch Verantwortlichen noch höchst präsent sein musste, riskierte Böhm hinsichtlich der Raketen mit längerer Reichweite auch einen naheliegenden Vergleich. Für Israel, schrieb er, sei die Errichtung ägyptischer216 Abschussrampen für Kurzstreckenraketen von 560 km Reichweite nicht weniger lebensbedrohend wie für die USA die Errichtung sowjetischer Abschussrampen für Mittelstreckenraketen auf Kuba. „Wie der amerikanische Präsident reagiert hat, wissen wir“, fügte Böhm hinzu. Er hätte an dieser Stelle, möchte man ergänzen, die kontrafaktische Frage formulieren können, wie denn die Bundesregierung reagiert hätte, wenn auf den kubanischen Abschussrampen vor bzw. während der Krise deutsche Experten identifiziert worden wären, und die amerikanische Regierung Bonn zum Handeln aufgerufen hätte. Ob Bonn dann auch keine Handlungsmöglichkeit gesehen hätte? Böhm machte in seiner Denkschrift auch auf die Asymmetrie in der Behandlung Israels einerseits und der arabischen Staaten andrerseits durch den Bundeskanzler und das Auswärtige Amt aufmerksam. Diese Asymmetrie sei das Resultat des Fehlens diplomatischer Beziehungen zu Tel Aviv. Bis vor kurzem habe sich die Bundesregierung noch an den Leiter der israelischen Handelsmission in Köln, Felix E. Shinnar, halten können, dem die Bundesregierung im 215

216

Abdruck der auf den 16. November 1962 datierten Denkschrift bei: Rolf Vogel (Hg.), Der deutsch-israelische Dialog, München 1987, S. 228–240. Hier stillschweigend korrigiert aus offensichtlich irrtümlich „israelischer“, A. H.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

Luxemburger Vertrag von 1952 diplomatischen Status im Rang eines Botschafters eingeräumt hatte. Shinnar werde aber von einer Reise nach Israel nicht mehr in die Bundesrepublik zurückkehren217, weil die Regierung in Tel Aviv in mehrfacher Hinsicht über Bonn enttäuscht sei. Böhm stellte fest, dass im „Auswärtigen Amt überhaupt keine Israel-Politik gemacht wird“. Ein Parteikollege Böhms, der CDU-Bundestagsabgeordnete und niedersächsische Unternehmer Rudolf Werner, gelangte in einem Gespräch mit Franz Böhm zu einem ähnlichen Urteil, nachdem er wieder einmal von einer Nahost-Reise zurückgekehrt war. Böhm notierte aus der Unterredung die folgende Erkenntnis Werners: „Es sei leider eben so, daß es weder eine deutsche Israel-Politik noch eine deutsche Nahost-Politik gebe. In den in Frage kommenden Ressorts des AA gehe man offenbar von der Ansicht aus, daß man dort unten überhaupt nichts zu tun brauche, d. h., daß man es auf unabsehbar lange Zeit bei dem beziehungslosen Zustand mit Israel bewenden lassen könne und daß unsere diplomatische Kunst darin bestehen müsse, an dieser Tatsache nichts zu ändern“218

Vor allem den „unteren Ebenen“ im Bonner Außenministerium fehle es an routinemäßigen Kontakten zu israelischen Regierungsvertretern und Beamten, so Böhm in seiner Denkschrift. Dass diesem Sachverhalt eine reiche Tradition araberfreundlicher Einstellungen im AA gegenüberstand, die sich vom Kaiserreich über die Weimarer Republik und die Zeit des „Dritten Reiches“ bis in die Bundesrepublik hinüberzog, ist bereits eingangs dargestellt worden. Und so überraschen manche überlieferten Äußerungen von Vertretern des AA in der Raketenfrage nicht, die sich durch eine gewisse Dickfelligkeit gegenüber Wünschen und Forderungen Tel Avivs auszeichneten. Die bereits wiederholt herangezogene Ressortbesprechung auf Staatssekretärsebene im Bundeskanzleramt vom 26. März 1963219 war die Reaktion auf die Knessetdebatte vom 20. März sowie ein Reflex auf sämtliche tatsächliche oder vermeintliche Aktionen der von Israel gestarteten Operation Damokles, ohne dass dieses Codewort damals den Beteiligten bekannt gewesen wäre. Nachdem die Einzelaktionen der Operation aufgelistet waren, kamen die Anwesenden der Besprechung laut Protokoll u. a. zu dem Schluss, dass die kürzlich in der Knesset stattgefundene Debatte offenbar benutzt worden sei, um mit dem Hinweis auf die Tätigkeit der

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219

Mit dieser Prognose lag Böhm indessen falsch. ACDP, NL Franz Böhm, I-200-006/5 G V., Aktennotiz vom 8.  März 1963. Vgl. auch Blasius, Geschäftsfreundschaft, S. 167, Anm. 69. AAPD, 1963, I, München 1994, Nr. 133.

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Spannungen zwischen Bonn und Tel Aviv und Rechtfertigungsversuche der Experten

Deutschen in Ägypten die allgemeine Aufmerksamkeit von den aufgeführten Einzelaktionen „abzulenken“. Bevor wir uns den Ergebnissen der Ressortbesprechung näher zuwenden, soll ein kurzer Blick auf die fragliche Knessetdebatte geworfen werden.220 In Abwesenheit des israelischen Ministerpräsidenten Ben-Gurion von der Mapai, der israelischen Arbeiterpartei, ergriff seine Parteikollegin und Außenministerin Golda Meir das Wort und erklärte: „Nach dem Fall des Hitler-Regimes, das die Vernichtung von Millionen von Juden verursacht hat, treten heute wieder Angehörige dieses Volkes mit Aktionen in Erscheinung, die dazu bestimmt sind, den Staat Israel zu vernichten“. Die nunmehr auch seitens der Mapai immer stärker kritisierte Deutschlandpolitik Ben-Gurions nahm die Außenministerin mit keinem Wort in Schutz. Menachim Begin als Chef des konservativ-nationalistischen Cherut, beschuldigte den Ministerpräsidenten, „Deutschland ein Alibi zu liefern“. „Sie laden Bildungsexperten hierher ein, und die Deutschen schicken Todesexperten zu Nasser. Sie nähen Uniformen für die deutsche Armee, und die Deutschen liefern Ägypten ihr Know-how über das Gas, das sie gegen das jüdische Volk einsetzen können. Sie schicken unsere Uzis221 nach Deutschland, und die Deutschen versorgen dafür unsere Feinde mit Bakterien […] Wie lange wollen Sie dieses System der Sklaverei, diese unbegreifliche Freundschaft noch aufrechterhalten?“ Der den Linkszionisten angehörende Yigal Allon verkündete als amtierender Arbeitsminister: „Die Überlebenden der deutschen Todeslager werden nicht tatenlos zusehen, wie deutsche Neonazis im Dienste des Diktators von Kairo die Vernichtung Israels vorbereiten“. Zum ersten Mal in der jungen Geschichte Israels verständigten sich in der Knesset Mapai und Cherut auf eine einstimmig gefasste Entschließung: „Das deutsche Volk kann sich nicht von einer Verantwortung für die Fortsetzung dieser verbrecherischen Tätigkeit befreien. Die Knesset appelliert an die aufgeklärte Weltöffentlichkeit, unverzüglich ihren Einfluß darauf auszuüben, daß dieser Tätigkeit deutscher Fachleute ein Ende bereitet wird, deren Ziel es ist, Israel, in dem die Überlebenden unseres Volkes, die der Nazi-Hölle entronnen sind, eine gemeinsame Zufluchtstätte gefunden haben, der Gefahr der Vernichtung auszusetzen“222.

Bei der Übergabe dieser Resolution an den Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Rolf Lahr, durch den israelischen Botschaftsrat in Köln, Savir, meinte Lahr, das deutsche Volk könne

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222

Das Folgende nach Hansen, Schatten, S. 647f. Die nach seinem Erfinder Uzi Gal benannte kompakte Maschinenpistole wurde seit 1959 auch von der Bundeswehr verwendet. Vgl. Wikipedia, Stichwort Uzi, aufgerufen am 6. August 2021. Zitiert nach Hansen, Schatten, S. 648.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

keine Verantwortung für die Aktivitäten der deutschen Wissenschaftler in Ägypten tragen. Savir entgegnete daraufhin, dass der Text „wohl nur emotional, nicht rational zu verstehen“ sei. Vermutlich in Unkenntnis der Knessetdebatte vom 20. März 1963 schrieb Franz Böhm am folgenden Tag einen „geharnischten Brief“ an Außenminister Schröder, in dem er sich „aufs Tiefste enttäuscht und entmutigt über den Mangel an amtlicher Resonanz während der letzten vier Monate“ zeigte.223 Am 22. März gab Regierungssprecher Karl-Günther von Hase eine Erklärung ab, mit welcher er die Tätigkeit der Fachkräfte in Ägypten missbilligte, jedoch darauf hinwies, man habe keine Möglichkeit, die Ausreise von deutschen Staatsangehörigen zu verhindern. Kehren wir noch einmal zu der Ressortbesprechung im Kanzleramt zurück. In vier knapp gehaltenen Einzelpunkten fasste das Protokoll die Besprechungsergebnisse zusammen. In der Tendenz lassen die Formulierungen das Bestreben erkennen, die israelische Erregung herunterzuspielen bzw. zu relativieren. Die Punkte im Einzelnen: a)  Eine Beteiligung Deutscher an der Herstellung von ABC-Waffen könne ausgeschlossen werden, b) An der Herstellung von Boden-Boden-Raketen ohne nukleare Sprengköpfe arbeiteten ca. zehn deutsche Wissenschaftler und Techniker, die israelische Zahl von 30 bis 40 sei sicher übertrieben, im Übrigen sei Israel seit Jahren im Besitz ähnlicher Raketen, c) Im ägyptischen Düsenflugzeugbau – Maschinen, die andere Staaten ebenfalls entwickelt hätten – arbeiteten sehr viele Österreicher und SBZ-Angehörige und schließlich d) Deutsche Untersuchungen bei der Intra hätten keine Anhaltspunkte für Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz oder andere Bestimmungen ergeben. Das Protokoll hielt dann noch Wesentliches von Wortbeiträgen verschiedener Teilnehmer der Besprechung fest. So gab es recht ausführlich den Bericht von Staatssekretär Volkmar Hopf vom Bundesverteidigungsministerium über seine kürzlich durchgeführte Privatreise nach Israel wieder, bei der er auch von Außenministerin Meir empfangen worden war und die ihn erneut auf die große israelische Besorgnis über die deutsche Expertentätigkeit am Nil aufmerksam gemacht hatte. Offenbar sah man sich damals im Bundesverteidigungsministerium noch am ehesten als Sachwalter israelischer Interessen im Vergleich zu anderen Ministerien  – dies ging möglicherweise auf das gute persönliche Verhältnis zwischen dem stellvertretenden israelischen Verteidigungsminister Shimon Peres und dem ehemaligen Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß sowie auf persönliche Kontakte zwischen israelischen Offizieren und Bundeswehrangehörigen an der Flakschule in Rendsburg zurück. Das Protokoll vermerkte jedenfalls einen „Angriff“ von Staatssekretär Hopf auf die bereits erwähnte Presseerklärung des bei der Besprechung ebenfalls anwesenden Regierungssprechers von Hase. Von Hases Erklärung habe in Israel „wie eine Bombe 223

Ebd.

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Spannungen zwischen Bonn und Tel Aviv und Rechtfertigungsversuche der Experten

eingeschlagen“ wegen der angeblichen deutschen Unmöglichkeit, die Ausreise deutscher Staatsangehöriger zu verhindern. Staatssekretär Globke als Leiter der Besprechung versuchte die Wogen zu glätten, indem er darum bat, „nicht generelle Fragen in den Vordergrund zu rücken“, sondern zu überlegen, was im Augenblick getan werden könne. Staatssekretär von Hase schlug daraufhin vor, „wir sollten eine […] Erklärung abgeben mit der Zurückweisung der israelischen Behauptungen, sie aber mit der Anerkennung verbinden, daß wir die israelischen Besorgnisse verstünden und die Vorfälle zum Anlaß einer sorgfältigen Überprüfung unserer Gesetzgebung machten. Eine Erklärung, die sowohl die Israelis befriedigt als auch die Ägypter nicht verstimmt und die deutsche Öffentlichkeit befriedigt, sei die Quadratur des Zirkels“.

Globke machte sich noch einmal dafür stark, zunächst einmal die „Tatsachen richtigzustellen“. Dann aber solle man versuchen, die Deutschen zurückzuholen, gleichwie die Reaktion der Araber sei. Dieser letzte Vorschlag rief den Leiter der Politischen Abteilung I – dazu gehörten die arabischen Länder und Nordafrika  – Ministerialdirektor Josef Jansen auf den Plan, der erklärte, man müsse „solche Versuche behutsam in die Wege leiten, um nicht die arabischen Staaten ungebührlich zu verstimmen und ihre Haltung in der Deutschlandfrage nachhaltig zu beeinflussen“. Erneut setzte sich dann Staatssekretär Hopf für das deutsch-israelische Verhältnis ein. Es ging nun um eine für den nächsten Tag erwartete parlamentarische Anfrage des SPD-Bundestagsabgeordneten Walter Faller zu den Hintergründen des Anschlages auf Hans Kleinwächter. Staatssekretär Römer vom Bundesjustizministerium erklärte, man werde hinsichtlich der Beantwortung so argumentieren, dass man bei dem „derzeitigen Stand des Verfahrens nichts“ über die Verwicklung „amtlicher israelischer Stellen“ sagen könne, dass der Minister aber bereit sei, „dem zuständigen Ausschuß vertrauliche Mitteilungen zukommen zu lassen“. Hopf wiederum befürchtete durch dieses Vorgehen „eine weitere Beeinträchtigung unserer Beziehungen zu Israel“. Es sei besser, eine entsprechende „Frage nicht zu beantworten oder den Abgeordneten Faller zur Zurücknahme seiner Anfrage zu bringen“224. Gegenüber dem badenwürttembergischen CDU-Bundestagsabgeordneten Paul Bausch hatte sich Hopf wenige Tage vor der Ressortbesprechung, am 21. März, unzweideutig über die Bedrohung Israels geäußert. Bausch zufolge hatte Hopf ihm erklärt,

224

Faller stellte dann zwar die Anfrage im Bundestag, gab sich dann aber mit einer allgemein gehaltenen schriftlichen Antwort der Bundesregierung zufrieden. Vgl. ebd., S. 641.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma „er zweifle nicht im geringsten daran, daß die Ägypter im Bunde mit anderen Staaten den Plan verfolgten, die Juden radikal auszurotten. Nach seiner Auffassung sollte der Bundestag unverzüglich ein Gesetz verabschieden, das deutschen Staatsbürgern verbietet, an der Verfolgung solcher Pläne mitzuwirken“225.

Die Besprechung im Kanzleramt endete mit der Erörterung eines Wunsches von Botschaftsrat Savir von der israelischen Mission in Köln, den Globke vorgetragen hatte. Savir hatte darum gebeten, dass deutscherseits „keine weitere zusammenhängende Erklärung“ in der Frage einer gesetzlichen Regelung der Expertentätigkeit in Ägypten abgegeben werden solle, bevor der Gesamtkomplex nicht mit Israel weiter abgeklärt worden sei. Jansen von der Politischen Abteilung I des AA griff diesen Wunsch Savirs auf, der, so der Ministerialdirektor, „ohnehin bezwecke, die Sache herunterzuspielen. Wir sollten dazu beitragen“, schloss er seinen Wortbeitrag. „Am Ende der Sitzung“, so das Protokoll, „war man sich darüber klar, daß der Bitte des Botschaftsrates Savir entsprochen, daß also im gegenwärtigen Zeitpunkt keine weitere Erklärung zu diesem Fragenkomplex abgegeben werden sollte“. Es war gewiss ein Zufall, dass exakt am Tag der wichtigen Ressortbesprechung in Bonn, also am 26. März 1963, die deutschen Experten am Nil mit einer Presseerklärung an die Öffentlichkeit traten. In ihr bezeichneten sie alle Berichte über ihre angebliche Mitwirkung an der Entwicklung atomarer und bakteriologischer Waffen in Ägypten als eine „himmelschreiende Lüge“. Ihre Arbeit beschränke sich auf die Unterweisung ägyptischer Ingenieure in der Raketentechnik. Sie und ihre Familien würden in einer verbrecherischen und teuflischen Weise bedroht, und es würden Märchen über ihre Tätigkeit verbreitet, „um diese verbrecherischen Akte zu rechtfertigen“. Dank ihrer Arbeit sei Ägypten in die Lage versetzt worden, „sich aus eigener Kraft in die Reihe der raumforschenden Staaten einzugliedern“. Die Ergebnisse dieser Raumforschung könnten für die Entwicklung zahlreicher Industrien entscheidend sein.226 Am 5. April 1963 kam es zu einem Gespräch zwischen Botschafter Felix Shinnar und Außenminister Schröder, um das der Chef der israelischen Mission nachgesucht hatte.227 Shinnar übergab dem Außenminister eine vorbereitete Vier-Punkte-Erklärung zu der Raketenthematik, die er nach eigener Aussage zuvor bereits Wirtschaftsminister Ludwig Erhard zugänglich

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ACDP, NL Franz Böhm, I-200-006/5 G V., Schreiben Bauschs an Böhm vom 21. März 1963. Hopfs proisraelische bzw. projüdische Einlassungen sind insofern bemerkenswert, als das ehemalige NSDAP-Mitglied ein Duzfreund des Geschäftsführers der Euthanasie-Zentrale T 4, Dietrich Allers, gewesen war. Das „Führerlexikon“ hatte Hopf eine „rein arische Abstammung“ bescheinigt. Wegen seiner Verwicklung in die Spiegel-Affäre wurde Hopf im Oktober 1962 vorübergehend beurlaubt. Vgl. Klee, Personenlexikon, S. 269. Vgl. Deutschkron, Israel, S. 244. AAPD, 1963, I, München 1994, Nr. 142.

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Spannungen zwischen Bonn und Tel Aviv und Rechtfertigungsversuche der Experten

gemacht hatte. Über den Inhalt der Erklärung vermerkte das Protokoll des Gespräches nichts, Shinnar machte aber deutlich, dass ihre Abgabe seitens der Bundesregierung einen „günstigen Eindruck“ auf die kommende israelische Parlamentssitzung machen und möglicherweise eine Regierungskrise verhindern werde. Das israelische Volk, meinte Shinnar, sei „ernstlich besorgt, daß seine Existenz durch die ägyptische Waffenentwicklung gefährdet werde. Nassers vielfach erklärtes Ziel sei die Vernichtung Israels“. Minister Schröder, dessen Gattin zum Zeitpunkt ihrer Eheschließung im Jahre 1941 nach den Nürnberger Gesetzen als „Mischling ersten Grades“ gegolten hatte228, reagierte auf Shinnars Darlegungen gereizt. Die „Bundesregierung und die deutsche Bevölkerung fühlen sich durch die Erklärungen des israelischen Parlamentes ganz und gar zu Unrecht angegriffen“. Die Bundesregierung „habe seit Jahren ihren guten Willen Israel gegenüber bewiesen. An der Haltung der Bundesregierung Israel gegenüber könne nicht gezweifelt werden“. Dann machte er Shinnar darauf aufmerksam, dass die Bundesrepublik ein „Staat mit der freiesten Verfassung der Welt geworden sei“. Die „Rechte des Einzelnen seien sehr stark ausgestaltet“. Dies war in der Tat eine bittere Pointe für den Israeli: Als eine zentrale Lehre aus der Zeit des Nationalsozialismus hatte das Bonner Grundgesetz die individuellen Freiheitsrechte stark betont. Nun drohte sich die Garantie dieser Rechte gegen die israelischen Forderungen nach gesetzlichen und sonstigen Maßnahmen zu wenden, denn von Bonner Seite hob man gern hervor, dass man eben aufgrund dieser Garantie nichts gegen die persönlichen Entscheidungen der Experten unternehmen könne. Schröder kam Shinnar in dem Gespräch insofern entgegen, als er meinte, man könne die „Einführung einer Genehmigungspflicht“ für die Tätigkeit der Deutschen im Ausland prüfen, er fügte aber sogleich hinzu, es bestünden „sicherlich große Schwierigkeiten durch die sehr ausgedehnte Verwaltungsrechtsprechung“. Botschafter Shinnar erklärte sodann, dass Israel im Besitz von Informationen sei, wonach deutsche Experten an ABC-Waffen arbeiteten, aus Gründen des Quellenschutzes könne man die Beweise jedoch nicht öffentlich machen. Schröder konfrontierte seinen Gast mit der süffisanten Gegenfrage, wie weit denn die israelische Raketenentwicklung gediehen sei. Nach kurzem Stutzen antwortete Shinnar, diese diene „nur friedlichen Zwecken, insbesondere der Weltraumforschung“. Schröder nahm zu der ihm übergebenen Erklärung nicht weiter Stellung; man müsse „in dieser Sache zu einem vorsichtig abgewogenen Urteil kommen“, meinte er. Was im „Rahmen des rechtlich Möglichen geschehen könne, werde getan werden“. Das Gespräch wurde an dieser Stelle zunächst beendet, da Schröder zum Flughafen musste, um den mexikanischen Staatspräsidenten zu empfangen. Shinnar begleitete den Außenminister auf dem Weg dorthin und nutzte laut Protokoll die Gelegenheit, um das Thema der Aufnahme diplomatischer 228

Vgl. Wikipedia, Stichwort „Brigitte Schröder“, aufgerufen am 31. Juli 2022.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

Beziehungen anzuschneiden. Er, Shinnar, schätze das „Risiko der Bundesrepublik bei der Aufnahme“ solcher Beziehungen mit Israel  – gemeint war die von Bonn gefürchtete Anerkennung der DDR durch arabische Staaten  – „als nicht ins Gewicht fallend“ ein. Dem widersprach Schröder umgehend, „die Risiken würden von deutscher Seite ganz anders bewertet“. Der Minister, schloss das Protokoll, „ließ deutlich durchblicken, daß im Augenblick nicht der Zeitpunkt gekommen sei, um über eine Änderung des bestehenden Zustandes zu sprechen“. Nur fünf Tage nach diesem Treffen war Schröder zu Gast bei seinem amerikanischen Amtskollegen Dean Rusk in der amerikanischen Botschaft in Paris. Das über das Gespräch der beiden angefertigte Gedächtnisprotokoll zeigt, dass Israel betreffende Fragen nur am Rande berührt wurden. Wenn er auch zur Anerkennung Israels durch die Bundesrepublik „nicht weiter Stellung nehmen“ wolle, ließ Rusk Schröder dennoch wissen, dass er „die Gefahr einer Anerkennung Pankows229 durch Ägypten nicht für so groß“ halte. Zur Raketenproblematik äußerte der Amerikaner, dass die USA besorgt seien wegen einer möglichen atomaren Rüstung sowohl in Israel als auch in Ägypten. Schröder verwies auf die Schwierigkeiten, Deutschen die Arbeit im Ausland zu verbieten. Im Übrigen „glaube er nicht, daß die deutschen Professoren sehr viel zu der Entwicklung nuklearer Waffen beitragen könnten“230. Setzte man im Auswärtigen Amt in der Raketenfrage auf einen insgesamt hinhaltend-beschwichtigenden Kurs, ließ sich dies über die Beurteilung des Düsenflugzeugbaus am Nil nicht in gleicher Weise sagen. In einer Aufzeichnung vom 30. Januar 1963231 spielte der Vortragende Legationsrat I. Klasse, Schirmer, zunächst die militärische Bedeutung der in Ägypten entwickelten Raketen herunter, da vor allem deren Steuerungsmechanismus wirkungslos sei. Hingegen sollte der Wert der „von der Meco entwickelten VAR-Flugzeuge nicht zu gering eingeschätzt werden“, da sie „eindeutig für eine militärische Verwendung bestimmt“ seien. Die Mitwirkung deutscher Ingenieure stelle eine „direkte Beteiligung an dem – vornehmlich gegen Israel – gerichteten Rüstungsprogramm der VAR“ dar und sei daher kritisch zu bewerten. Dies gelte insbesondere für den Fall, dass die Bundesregierung eine Unbedenklichkeitserklärung für die in der VAR arbeitenden deutschen Ingenieure ausstellen“ würde. Die Bemühungen der Bundesregierung, sich aus den militärischen Konflikten „des Mittleren Ostens herauszuhalten, würden sehr erschwert“. Darüber hinaus müsste das Bekanntwerden einer solchen Erklärung „unsere Beziehungen zu Israel schwer belasten“. Abschließend resümierte Schirmer: „Wenn – ähnlich wie im Falle der Raketenspezialisten – offenbar eine rechtliche Handhabe nicht gegeben ist, die Tätigkeit deutscher Ingenieure in der ägyptischen Rüstungsindustrie zu

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Der Ost-Berliner Stadtteil Pankow – das „Regierungsstädtchen“ – galt während des Kalten Krieges im Westen als Synonym für die DDR. AADP, 1963, I, Nr. 145. Ebd., Nr. 66.

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Spannungen zwischen Bonn und Tel Aviv und Rechtfertigungsversuche der Experten

verhindern, so sollte doch alles unterlassen werden, was als amtliche Förderung dieser Arbeiten ausgelegt werden könnte“. Am 10. April hatte Schirmer in Kairo eine vierzigminütige Unterredung mit Staatschef Nasser, in der es u. a. auch um die deutschen Experten ging. Der ägyptische Präsident habe zu diesem Punkt „jede Dramatisierung“ vermieden, so Schirmer in seiner Aufzeichnung zu dem Gespräch, zugleich jedoch seine Besorgnis wegen der mit dem „Kidnapping“ Heinz Krugs begonnenen „Kampagne Israels“, deren „mögliche Auswirkungen in der Bundesrepublik“ auch das deutsch-arabische Verhältnis berühren könnten, zum Ausdruck gebracht. Nach Schirmer spielte Nasser dann die sowjetische Karte aus, indem er die Möglichkeit andeutete, sich in der Frage des Flugzeugbaus an Moskau zu wenden, auch wenn er gerade mit deutscher Hilfe versuche, von den Russen unabhängig zu bleiben. Im Übrigen sei er jederzeit bereit, den Experten die ägyptische Staatsangehörigkeit zu verleihen, „wenn hierdurch ihre Weiterarbeit erleichtert werden könne“232. Zu dieser Zeit, Anfang April 1963, schaltete sich auch Simon Segal vom American Jewish Committee in die Diskussion um die deutschen Experten ein.233 Segal erbat von Max Horkheimer, dem jüdischen Philosophen, Begründer der „Frankfurter Schule“ und intimen Kenner des Bonner Grundgesetzes, ein Urteil zu der Frage, welche gesetzgeberischen Möglichkeiten es in der Bundesrepublik gegen die Arbeit der Fachleute in Ägypten gebe. Horkheimer winkte ab. Ihm habe die Basler Agentenaffäre um Otto Joklik und Joseph Ben-Gal ebenso missfallen wie der Umstand, dass nach seiner Auffassung etwa die Schweiz und andere Staaten noch stärker mit Ägypten kooperierten als die Bundesrepublik. Als sozialpsychologischer Experte für kollektive Vorurteile veranlasste Horkheimer für das Committee jedoch eine kleine, selbstverständlich nicht repräsentative, Umfrage unter Bundesbürgern. Dabei sei, so Horkheimer, u. a. herausgekommen, dass die befragten Deutschen zwar Verständnis für die Forderung Israels zeigten, die Bundesrepublik solle etwas gegen die Deutschen am Nil unternehmen, doch hätten sie sich zugleich wegen der tatsächlichen oder vermeintlichen Geheimdienstaktionen Israels in der Bundesrepublik und der Schweiz gegen ein spezifisch proisraelisches Gesetz ausgesprochen. Mit Schreiben vom 22. April 1963 machte Horkheimer Segal auf einen Ägypten betreffenden Artikel in der „Welt am Sonntag“ vom Vortag aufmerksam, in dem der Verfasser u. a. Präsident Kennedy als prominenten Zeugen für eine politische Linie bemüht habe, die darauf abziele, den ägyptischen Präsidenten „zufriedenzustellen“. Ein solcher Nasser „wäre eher dazu geneigt, sich mit Israel zu verständigen, als ein Nasser, dem vor lauter Problemen fast nur Verzweiflungshandlungen blieben“. Horkheimer

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Ebd., Nr. 146. Zum Folgenden vgl. Hansen, Schatten, S. 609ff.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

hatte damit signalisiert, dass er es wahrscheinlich für unklug hielt, die deutschen Wissenschaftler überstürzt aus Ägypten abzuziehen. Auch in Israel machte sich um diese Zeit eine prominente Stimme der Mäßigung gegenüber der Bundesrepublik bemerkbar. Moshe Dayan, damals israelischer Landwirtschaftsminister, schrieb in der Zeitung Ma‘ariv: „Ich möchte mit allem Nachdruck betonen: Man darf keineswegs die RaketenforscherGruppe Pilz mit dem deutschen Volk und seiner Regierung identifizieren […]. Nicht das deutsche Volk wendet sich gegen uns, sondern der Diktator Ägyptens […]. Wir sollten nicht vergessen, daß hier nicht von der Bundeswehr die Rede ist, sondern von der ägyptischen Armee, die von einer Gruppe von Ausländern unterstützt wird: von Deutschen und anderen“234.

Franz Böhm hatte sich inzwischen für gesetzliche Regelungen gegen die Tätigkeit der Experten starkgemacht und richtete dabei sein Augenmerk vor allem auf den Artikel 26, Absatz 2, des Grundgesetzes, der bestimmte, dass zur Kriegsführung bestimmte Waffen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert oder in Verkehr gebracht werden dürfen. Böhm fand einen Gesinnungsgenossen in dem hessischen SPD-Bundestagsabgeordneten Heinrich Ritzel. In einem Schreiben an seine Bundestagsfraktion vom 25. März 1963 nutzte Ritzel die Gelegenheit, um mit dem Auswärtigen Amt ins Gericht zu gehen. Das AA „macht sich seine ablehnende Haltung“ – gegen gesetzliche Regelungen in der Expertenfrage – „sehr leicht“, schrieb er, und fuhr fort: „Diese Haltung entspricht der Mentalität maßgeblicher Herren im Auswärtigen Amt, die Nasser-freundlich und Israel-feindlich ist“235. Ritzel fügte ein paar allgemeine Gedanken zum deutsch-israelischen Verhältnis und zum Bonner Alleinvertretungsanspruch gegenüber Ägypten an: „Ich finde es überhaupt an der Zeit, […], den derzeitigen Zustand zu wenden, wonach alle notwendigen diplomatischen und sonstigen Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik quasi unter dem Ladentisch abgehandelt werden. Das deutsche Volk sollte endlich dazu erzogen werden, die Israelis und ihren Staat nicht schlechter zu behandeln als die arabischen Nationalisten. Die Behauptung des Auswärtigen Amtes, Nasser würde im Falle der Aufnahme diplomatischer Beziehungen 234 235

Zitiert nach Der Spiegel Nr. 19 vom 8. Mai 1963, „36, 135 und 333“. Zitiert nach Yeshayahu A. Jelinek, Zwischen Moral und Realpolitik. Deutsch-israelische Beziehungen 1945-1965. Eine Dokumentensammlung, Gerlingen 1997, S. 604. Ritzel war seit 1962 Ehrensenator des israelischen Weizmann-Institutes. Vgl. Wikipedia, Stichwort „Heinrich Ritzel“, aufgerufen am 23. Februar 2021.

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Spannungen zwischen Bonn und Tel Aviv und Rechtfertigungsversuche der Experten zu Israel Pankow anerkennen, kann nicht als absolut zutreffend bezeichnet werden. Ägypten und die übrigen arabischen Staaten werden nach meiner Überzeugung nicht bereit sein, auf die großen Beträge aus der bundesdeutschen Entwicklungshilfe zu verzichten“.

Am 27. März erklärte die Bundesregierung, dass sie sich bemühen werde, die deutschen Staatsbürger, deren Tätigkeit im Ausland zu einer Zunahme der politischen Spannungen beitragen könnte, zur Rückkehr zu bewegen, und dass sie gegenwärtig prüfe, wie solche Vorgänge durch gesetzliche und administrative Maßnahmen verhindert werden könnten.236 In radikalen Kreisen Israels, die einen unverminderten Hass auf Deutschland und die Deutschen hegten, interpretierte man diese Erklärung dahingehend, dass Bonn zwar die Möglichkeit, nicht aber den Willen habe, die Experten zurückzurufen. Mitglieder aller drei im Bundestag vertretenen Fraktionen – CDU/CSU, SPD und FDP – verlangten in einem Beschluss vom 2. April 1963 die Rückrufung aller deutschen Fachleute aus Ägypten, soweit sie dort an der Flugzeug- und Raketenentwicklung arbeiteten. Sie verpflichteten sich außerdem, die gesetzliche Grundlage für ein Verbot solcher Tätigkeit zu schaffen. Scharfer Wind wehte nun den Befürwortern einer gesetzlichen Regelung aus dem Auswärtigen Amt entgegen. Der gelernte Journalist und diplomatische Quereinsteiger Ministerialdirigent Alexander Böker fertigte unter dem Datum des 10. April 1963 eine umfangreiche Aufzeichnung betreffend „gesetzgeberische oder administrative Maßnahmen gegen deutsche Experten in Ägypten“ an, die wenige Tage später Ministerialdirektor Jansen und Staatssekretär Karl Carstens vom Auswärtigen Amt vorgelegt wurde.237 Er „habe soeben erfahren“, begann Böker seine Aufzeichnung, „daß entgegen bisher mir gegebenen Hinweisen hinsichtlich unseres politischen Verhaltens in dieser Frage nunmehr doch Weisung ergangen sei, daß innerhalb der Bundesressorts ein Gesetzentwurf vorbereitet werden soll, der die Tätigkeit deutscher Rüstungsexperten im Ausland generell verbieten und unter Strafe stellen würde. In Ausnahmefällen soll eine derartige Tätigkeit durch besondere Genehmigung seitens der Bundesregierung erlaubt werden“. Bevor Böker in fünf Einzelpunkten seine Bedenken darlegte, räumte er ein, dass es sehr wohl „schwerwiegende Gründe für“ entsprechende Maßnahmen gegen die Experten gebe. Dann jedoch führte er im Einzelnen aus: 1. Eine gesetzliche Regelung werde seiner Meinung nach „sehr wenig wirksam“ sein und zu „zahllosen Prozessen vor Verwaltungs- und Strafgerichten“ 236 237

Dies und das Folgende nach Deutschkron, Israel, S. 243ff. AAPD, 1963, I, Nr.  147. Zur Person Bökers und seiner inneren Distanz zum diplomatischen Corps seiner Zeit und insbesondere zu den „alten Wilhelmstraßenleuten“ vgl. Conze/Frei/Hayes/ Zimmermann, Das Amt, S. 518. Die Berliner Wilhelmstraße war der ehemalige Sitz des Auswärtigen Amtes.

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führen, deren Ausgang „nach Ansicht der zuständigen Ressorts mehr als zweifelhaft wäre“. 2. Unabhängig von der Formulierung des Gesetzes werde Ägypten „und mit ihm die arabische Welt insgesamt darin eine diskriminatorische Maßnahme sehen, die unter dem Druck Israels zustande gekommen“ sei. Eine „sehr schwere Belastung unserer Beziehungen zu den arabischen Staaten“ erwartete Böker durch „mögliche Auswirkungen auf die Stellung der SBZ im arabischen Raum“. 3. Präsident Nasser werde sich durch „unsere Maßnahmen, soweit sie ihn überhaupt praktisch treffen, nicht von der Durchführung seiner Projekte abhalten lassen. Abgezogene deutsche Experten würden „einfach durch Experten aus anderen Ländern, insbesondere aus dem Sowjetblock“ ersetzt werden, zumal bereits jetzt unter den deutschen Experten „zahlreiche Fachleute aus der SBZ sind. Für die Sowjetunion werde „diese Verstärkung ihrer Position im Mittleren Osten sehr willkommen sein“. 4. Da das „ins Auge gefaßte Gesetz notwendigerweise in seiner Anwendbarkeit nicht auf einzelne Regionen beschränkt werden“ könne, könne man sich mit ihm in „den verschiedensten Weltgegenden“ politische Schwierigkeiten einhandeln. Als Beispiel erwähnte Böker die Arbeit von „Prof. Tank“ und seiner Mitarbeiter beim „Aufbau der Luftwaffe“ Indiens, die man im Falle eines Gesetzes entweder zurückrufen oder aber mit einer „Sondergenehmigung“ ausstatten müsse. Gegen eine solche Genehmigung werde „ohne Zweifel die pakistanische Regierung scharfen Einspruch erheben und dabei darauf hinweisen, daß Pakistan durch den CENTO-Pakt238 mit dem Westen verbündet ist, während Indien eine neutralistische Politik“ verfolge. Vor ähnliche „unangenehme Entscheidungen werden wir laufend in Afrika und andernorts gestellt werden“, mutmaßte der Ministerialdirektor. 5. Wenn infolge eines Gesetzes das Flugzeugprojekt im ägyptischen Heluan zu Fall käme oder doch wesentlich verzögert würde, hätte dies auch Konsequenzen für den indischen Düsenflugzeugbau, da eine Kooperation im Triebwerksbereich – wie oben dargestellt – zwischen Heluan und der indischen Produktion verabredet sei. Böker riet abschließend dringend dazu, dass im Falle des Zustandekommens eines Gesetzes alles unternommen werden müsse, um die von ihm aufgeführten negativen Auswirkungen „abzuschwächen“. Mitten hinein in die politischen Diskussionen um gesetzliche Maßnahmen gegen die deutschen Wissenschaftler in Ägypten, meldeten sich auch einige von diesen zu Wort. Sogar Eugen Sänger trat wieder an die Öffentlichkeit, indem er Ende März 1963 der israelischen Zeitung Ma‘ariv ein Interview gewährte.239 Sänger erklärte darin, dass die Ägypter der Raketenentwicklung „oberste Priorität eingeräumt“ hätten, und sie arbeiteten „mit völlig unorientalischer Energie daran“. Sänger, so die Zeitung laut PPP, sei für den Entwurf der Flüssigkeitsrakete verantwortlich. Er habe aber bestritten, dass diese Rakete „militärisch sonderlich 238

239

Die Central Treaty Organization, ursprünglich Bagdad-Pakt genannt, bestand aus Großbritannien, der Türkei dem Iran, Pakistan und Irak. Die USA besaßen einen Beobachterstatus. Parlamentarisch-Politischer Pressedienst (PPP), Bonn, 2. April 1963.

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wirksam sein könne, bei einer Reichweite von 300 km könne sie 500 kg Sprengstoff tragen, besitze aber kein Leitsystem, so daß die Streuung 50  km betragen könne“. Der Körper der Rakete sei aus der deutschen V  2 entwickelt worden, das von Wolfgang Pilz konstruierte Triebwerk ähnele jenem der französischen Véronique. Es werde, ergänzte Sänger, „mehrere Jahre zusätzlicher Entwicklung“ bedürfen, um das Navigationssystem fertigzustellen. Pilz und Goercke fühlten sich „in Kairo nicht glücklich“, behauptete Sänger, allerdings hätten sie dort gute Arbeitsbedingungen. Im Übrigen trage die Bundesregierung die Schuld daran, dass die Experten nun am Nil tätig seien. Ihr seinerzeitiger Rauswurf aus dem Stuttgarter FPS sei maßgeblich dafür. Auch er selber habe seinen Posten in Kairo erst „auf energische Vorstellungen der Bundesregierung hin aufgegeben“. Sänger bestätigte die Vermutung, dass die „hohen ägyptischen Offiziere von der israelischen Shavit-2-Rakete sehr beeindruckt“ gewesen seien, die über „ausgezeichnete Flugeigenschaften“ verfügt habe und außerdem mit festem Brennstoff angetrieben werde. Abschließend hieß es in dem Ma‘ariv-Artikel dem PPP zufolge, dass Sänger in dem Interview immer wieder beteuert habe, dass es ihm nur um eine „Wetterrakete“ gegangen sei. „Er räumte aber ein, daß es zur militärischen Verwendung nur ein kleiner Schritt sei“. Am 26. April 1963, also gut drei Wochen nach dem ägyptischen Fernsehinterview mit Heidi Goercke, Hans Kleinwächter und Wolfgang Pilz, machte die Deutsche National Zeitung und Soldaten-Zeitung mit einem großen Interview ihres Herausgebers Gerhard Frey auf. Frey hatte in Kairo Wolfgang Pilz und Hans Kleinwächter zum Gespräch gebeten und das Ergebnis unter der anzüglichen Überschrift „Wir fordern Wiedergutmachung von Israel“ auf der Titelseite veröffentlicht. Auch Johann von Leers und Hans Eisele hatte der Herausgeber einen Besuch abgestattet. Gleich auf die erste Frage Freys reagierten die beiden Raketenexperten mit einer Räuberpistole. Pilz meinte, er könne sich nicht an einen „Kollegen“ namens Leers [sic] erinnern, ob der sich etwa auch mit der Weltraumfahrt beschäftige? Kleinwächter behauptete, er habe jetzt zum ersten Mal von der Existenz der fraglichen Person erfahren. Dass weder Pilz noch Kleinwächter nach mehrjährigem Zusammenleben mit diesem Prominenten in der deutschen Gemeinde Kairos jemals von diesem gehört haben wollten, darf man wohl ein starkes Stück nennen. Wie einstudiert und nahezu wortgleich wiederholte Wolfgang Pilz die längere und unzutreffende Einlassung Hans Kleinwächters aus dem ägyptischen Fernsehinterview, in der es u. a. um Ben-Gals angebliche Äußerung über den achtzigprozentigen jüdischen Besitz an der amerikanischen Presse gegangen war und die der Zürcher Tages-Anzeiger als an den „Stürmer“ erinnernd bezeichnet hatte. Diese Äußerung Ben-Gals, so Pilz gegenüber Frey, sei „auch in dem Bericht der deutschen Polizei festgehalten“. Es bleibt ein Rätsel, wie Pilz über „den Bericht“ informiert sein wollte. Frey ließ dem abgedruckten Interviewtext zufolge Zweifel an den angeblichen, von Pilz wiedergegebenen, Äußerungen Ben-Gals erkennen. 443

Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

Pilz präsentierte sich in dem Gespräch als der eigentlich unpolitische Forscher: „Ich war immer unpolitisch“, meinte er. Erst seit er von Mördern verfolgt werde – eine Anspielung auf die Briefbombe, die seine Sekretärin schwer verletzt hatte – kümmere er sich um Politik. „Diese Mordanschläge, Herr Frey, das sind doch Methoden wie bei einem Verbrecherstaat, einem Staat“, so Pilz, „der Mörder ausschickt, um andere zu töten“.240 Ohne Umschweife bat Frey die Experten darum, ihm ihre Meinung über die Verantwortlichen für die „Morde und Mordanschläge“ zu nennen. „Israel“, antwortete Kleinwächter darauf mit nur einem Wort. Ob es ein Versäumnis oder ein Desinteresse auf Seiten Freys oder aber das Ergebnis einer vorherigen Absprache zwischen ihm und den Interviewteilnehmern war: das Verschwinden Heinz Krugs wurde in dem Gespräch nicht eigens thematisiert. Frey versuchte den beiden Experten auch eine Aussage über die geplante Verwendung der von ihnen entwickelten Geschosse zu entlocken: „Nun sagen aber die Israelis, diese Raketen könnten auch als Angriffswaffen dienen“. Darauf Kleinwächter: „Das kann man von allem sagen. Wenn ich Schuhsohlen herstelle, so können diese doch auch für einen kriegerischen Zweck verwendet werden“. Herausgeber Frey konterte: „Wenn Sie beide Professoren für Schuhsohlenherstellung wären, wäre den Israelis aber vielleicht doch wohler“. Hans Kleinwächter hatte übrigens einen vorübergehenden „offenen Streit“ mit seinem damals rund 18-jährigen Sohn Jürgen auszuhalten, der anlässlich eines Besuches bei seinem Vater in Kairo die „hohen Militärs in der Forschungsanlage“ registriert hatte und angesichts dessen seinem Vater „kein Wort“ über die „zivile Raumfahrt“ in Ägypten glauben wollte.241 Auch die in der Bundesrepublik aktuell laufenden Diskussionen um gesetzliche Maßnahmen gegen die Expertentätigkeit in Ägypten spielten in dem Frey-Interview eine, wenn auch keine prominente, Rolle. Der Gesprächsausschnitt im Wortlaut: „Dr. Frey: Setzen wir einmal den Fall, die Bundesrepublik wird Ihnen die deutsche Staatsangehörigkeit nun wirklich entziehen. Prof. Pilz: Das will ich nicht glauben, ich glaube nämlich immer noch an den Rechtsstaat in Deutschland. Prof. Kleinwächter: Wenn Deutschland ein Rechtsstaat ist, und auch ich weigere mich, das Gegenteil anzunehmen, dann kann es zu diesem Gesetz nie kommen. Frey: Wenn aber eine Bundestagsmehrheit den Rechtsstaat eben, sagen wir, ‚modifiziert‘? Wir haben da ein häßliches Vorbild, nämlich den Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit für die Emigranten des Dritten Reiches. Prof. Pilz: Dann werden wir bis zur letzten Instanz jedes legale Mittel 240

241

Die von Pilz angedeutete Nähe des Staates Israel zu einem „Verbrecherstaat“ wurde von zahlreichen Zeitungen des In- und Auslandes aufgespießt, die sich dem DNSZ-Interview widmeten. Vgl. Sebastian Drescher, Ein Leben für die Solarkraft. Der Erfinder Jürgen Kleinwächter tüftelt seit Jahrzehnten an Solarkraftwerken für den globalen Süden. Jetzt soll endlich der Durchbruch gelingen, in: Elektrizitätswerke Schönau (Hg.), Energiewende-Magazin, 31. März 2020, S. 1–9.

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Spannungen zwischen Bonn und Tel Aviv und Rechtfertigungsversuche der Experten anwenden. Wir werden bis zum Bundesverfassungsgericht erbittert fechten, weil wir wissen, daß diese Schlacht über den Rechtsstaat entscheidet“.

Auf die Frage Freys, wann er voraussichtlich wieder in sein Lörracher Labor zurückkehre, meinte Kleinwächter, einen genauen Termin könne er nicht sagen, außerdem fühle er sich in Kairo sicherer. Er fügte hinzu: „Daß mich die deutschen Behörden gegen die angedrohte Ermordung schützen, kann ich beim besten Willen nicht behaupten. Und dann wird man vielleicht sogar Strafgesetze schaffen, um uns, nicht die uns bedrohenden Verbrecher, einzusperren. O mein Gott, was ist das für ein Vaterland!“242 Im Frühsommer 1963 ging der Bundestag daran, gesetzliche Wege zu finden, um der Expertentätigkeit am Nil ein Ende zu bereiten. Möglicherweise war dafür auch eine bis dahin ausgebliebene Stellungnahme der amerikanischen Regierung zumindest mitverantwortlich. Vor der Presse hatte Präsident Kennedy am 3. April, wie erwähnt, erklärt, dass die deutschen Wissenschaftler in Ägypten mit ihrer Arbeit zur Spannung im Nahen Osten beitrügen. Dem Korrespondenten der FAZ in Washington, Jan Reifenberg, zufolge hatte Kennedy bei dieser Pressekonferenz „durchblicken“ lassen, „daß auch die Vereinigten Staaten in Bonn wegen dieser Frage vorstellig geworden“ seien. Apropos Präsident Kennedy: An keinen Geringeren als den Präsidenten der Vereinigten Staaten hatte Hans Kleinwächter einen Offenen Brief gerichtet, der zusammen mit ähnlich abgefassten Offenen Briefen Kleinwächters an Bundeskanzler Adenauer und Vizekanzler Erhard in der Deutschen National Zeitung und Soldaten Zeitung vom 17. Mai 1963 publiziert wurde.243 An Kennedy gewandt, klagte Kleinwächter über einen „Großteil der US-Presse“, der „völlig zu Unrecht“ behaupte, er und seine Kollegen in Ägypten arbeiteten an der Herstellung von gegen Israel gerichteten ABC-Waffen. Nicht ihre Tätigkeit am Nil sei die Ursache für die „Spannung zwischen Israel und den sich vereinigenden arabischen Völkern“, sondern diese liege „viel mehr in der gewaltsamen Vertreibung von zirka zwei Millionen Arabern bei der Gründung des israelitischen [sic] Staates 1948 und in dem Überfall auf Ägypten bei der Suezkrise 1956“. Es war dann ebenjene DNSZ, die im folgenden Jahr in ihrer Ausgabe Nr. 18 vom 1. Mai 1964 ein Interview von Herausgeber Gerhard Frey mit dem ägyptischen Präsidenten Nasser brachte, und in dem sich der Präsident recht eindeutig über die Zukunft Israels äußerte. „Krieg mit 242

243

Die DNSZ illustrierte das Interview mit einer Karikatur aus der, wie sie erläuterte, „in New York erscheinenden deutschsprachigen jüdischen Zeitung ‚Aufbau‘“. Die Zeichnung zeigt einen Hitler in den Wolken, der auf stramm marschierende und den Hitlergruß entbietende „Nazi-Wissenschaftler“ auf der Erde herabblickt. Ihre mitgeführte Flagge zeigt einen Halbmond auf dunklem Grund. Bildunterschrift: „Heute gehört uns Ägypten, morgen die ganze Welt“. In seiner Einleitung zu den Offenen Briefen stellte Kleinwächter die „Verschleppung“ Heinz Krugs als Tat der Israelis dar.

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Israel ist unvermeidbar“, lautete bereits der Aufmacher zu der Ausgabe. Auf die Frage Freys, ob er, Nasser, eine „friedliche Lösung des Israel-Problems für möglich“ halte, kam die knappe Antwort: „Ganz sicher nicht“. Frey daraufhin: „Exzellenz, erlauben Sie mir ganz brutal zu fragen: Werden Sie Israel erdrücken?“ Die Antwort des Präsidenten erfolgte kurz und bündig: „Das hoffe ich“. Doch kommen wir noch einmal auf die politischen Versuche in der Bundesrepublik zurück, gesetzliche Regelungen gegen die Arbeit der deutschen Experten am Nil zu finden. Ein Ausschuss, gebildet aus den drei Bundestagsfraktionen unter Leitung von Franz Böhm, legte Anfang Mai 1963 einen Gesetzentwurf vor, der die Arbeit Deutscher an ABC-Waffen und Raketen im Ausland von einer Genehmigung des Auswärtigen Amtes abhängig machen wollte und eine Bestrafung derjenigen vorsah, die eine solche Genehmigung nicht eingeholt hatten. Wer bereits an Raketenprojekten im Ausland arbeitete, sollte die Genehmigung innerhalb von sechs Monaten nachholen, widrigenfalls er beim Betreten der Bundesrepublik mit seiner Verhaftung rechnen musste. Man kann in diesem Entwurf die Handschrift Ministerialdirektor Alexander Bökers erkennen, da er offensichtlich dessen Bedenken wegen deutscher Hilfe beim Flugzeugbau etwa in Indien berücksichtigt und diesen Bereich ganz ausgeklammert hatte. Einzig die Entwicklung von ABC-Waffen und Raketen im Ausland sollten künftig sanktioniert werden. Böhm erfreute sich besonderer Unterstützung durch Bundestagsvizepräsident Thomas Dehler von der FDP und Gerhard Jahn von der SPD. Auch Franz Josef Strauß, der sich im Mai/Juni in Israel aufhielt, begrüßte schließlich den böhmschen Gesetzentwurf, obwohl er eigentlich der Auffassung war, dass die Arbeit der deutschen Fachleute an den Kräfteverhältnissen im Nahen Osten „bisher nichts verändert“ hätte und deren „Kenntnisse und Methoden“ längst überholt seien.244 Der Gesetzentwurf scheiterte an den Einwänden der CDU/CSU-Fraktion, die ihn offiziell als unzureichend bezeichnete. Präzisere Stimmen lehnten ihn ab, weil er das im Grundgesetz garantierte Recht auf Freizügigkeit einschränke. Wieder andere fürchteten, wie zu erwarten, die negative Auswirkung eines solchen Gesetzes auf die Beziehungen der Bundesrepublik zur arabischen Welt. Da der Ausschuss keine Verbesserungsvorschläge vorlegen konnte, ließ man 244

Vgl. Hansen, Schatten, S. 652. Während Strauß nach seinem Rücktritt als Verteidigungsminister im Zuge der Spiegel-Affäre Israel als Privatier besucht hatte, erfreute sich Ägypten zu jener Zeit regen Besuches aus Bonner Regierungskreisen. Anfang April hielt sich Bundesschatzminister Werner Dollinger am Nil auf und führte mit Präsident Nasser ein Gespräch, bei dem es auch um die Raketenexperten ging. Vgl. FAZ vom 9. April 1963. Mitte des Monats kam der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Walter Scheel, zu einem längeren Aufenthalt nach Ägypten. Mit dem Vizepräsidenten des Landes, Hussein, wurde auch die Raketenfrage erörtert, wobei Hussein bestritt, dass „die deutschen Wissenschaftler an der Produktion von atomaren, biologischen oder chemischen Waffen arbeiteten“. Vgl. FAZ vom 17. April 1963.

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den Entwurf kurzerhand fallen. Statt dessen wurde am 28. Juni in einem einstimmig angenommenen Antrag der drei Bundestagsfraktionen nunmehr die Bundesregierung mit der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes beauftragt. Mit dieser politischen Geste in Richtung Israel begaben sich die Bonner Abgeordneten in die parlamentarischen Sommerferien. Die israelische Regierung reagierte enttäuscht. Außenministerin Golda Meir gab diesem Empfinden vor der Knesset Ausdruck: Es sei zu hoffen gewesen, dass die Bundesregierung in dieser Frage „schneller handeln“ würde. Immerhin räumte sie ein, dass die Deutschen Verständnis für die israelischen Ängste gezeigt hatten.245 Nach der Sommerpause richtete die Bundesregierung einen interministeriellen Ausschuss aus Vertretern des AA, sowie der Ministerien für Justiz, Inneres und Wirtschaft sowie des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit ein. Dieser Ausschuss sah sich jedoch bald ähnlichen Problemen gegenüber wie das vorherige parlamentarische Gremium. Welche Maßnahmen auch immer ins Auge gefasst wurden, gerieten sie nach Ansicht der Ausschussmitglieder in Widerspruch zu dem grundgesetzlich garantierten Recht auf Freizügigkeit. Einen Entwurf ähnlichen Inhaltes wie jenen der Parlamentskommission vorzulegen, hätte wenig praktischen Nutzen gehabt. Ein deutscher Experte konnte sehr wohl das Verbot Bonns umgehen, indem er aus einem anderen europäischen Land in einen arabischen Staat einreiste. Er konnte auch, um seiner Verhaftung in der Bundesrepublik zu entgehen, die Staatsangehörigkeit eines arabischen Landes annehmen – eine entsprechende Offerte Nassers lag bekanntlich vor. Und auch ein Klassiker unter den Problemen wollte nicht weichen: Im Zweifelsfall war es schwierig zu definieren, was beispielsweise als Beitrag zu einem militärischen Projekt zu bezeichnen war, oder wann Atomforschung friedlichen oder militärischen Zwecken diente. Wahrscheinlich hätten sich Männer wie Paul Goercke und Wolfgang Pilz auch durch die Einführung eines entsprechenden Gesetzes nicht zur Rückkehr zwingen lassen. Pilz hatte ja in dem Interview mit Gerhard Frey hervorgehoben, dass er bereit war, durch alle gerichtlichen Instanzen seine Sicht der Dinge durchzukämpfen. Vielleicht hätte ein Gesetz aber jungen Forschern zum Bewusstsein bringen können, dass sie in diesem besonderen Fall der Arbeit für Ägypten oder einen anderen Nachbarstaat Israels nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch eine besondere politische und moralische Verantwortung trugen. Daran erinnerte auch Israels Ministerpräsident Levi Eschkol die Deutschen, als er am 16. August 1963 im Deutschen Fernsehen erklärte: „Wer den Feinden Israels hilft, ihre Pläne zur Vernichtung anderer Staaten zu verwirklichen, macht sich der Teilnahme an einem Verbrechen schuldig. Wenn aber Söhne des deutschen Volkes dies tun, auf dem die Verantwortung

245

Knesset-Protokolle, Juli 1963, hier nach Deutschkron, Israel, S. 249.

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für den Mord an sechs Millionen Juden lastet, dann ist dies Verbrechen noch unendlich schwerer“246. Auch die juristische Fachliteratur in der Bundesrepublik widmete der Arbeit der deutschen Raketenbauer in Ägypten eine gewisse Aufmerksamkeit. In der angesehenen „Neuen Juristischen Wochenschrift“ lotete der Schweinfurter Amtsgerichtsdirektor Gerhard Potrykus das Für und Wider gesetzgeberischer Schritte gegen die Experten am Nil aus. Im Ergebnis sah Potrykus kaum zu überwindende Schwierigkeiten bei der praktischen Anwendung neuer gesetzlicher Maßnahmen. In der Diskussion werde im Übrigen „meist übersehen“, dass das Gesetz vom 20. April 1961 „über die Kontrolle von Kriegswaffen“ durchaus eine gewisse Handhabe biete. Dieses Gesetz, erinnerte der Autor, sei seinerzeit „in erster Linie zur Verhütung illegalen Waffenhandels bei der Unterstützung algerischer Aufständischer erlassen“ worden.247 Aber noch einmal zurück in den Bonner Politikbetrieb. Schließlich legte der interministerielle Ausschuss dem Bonner Regierungskabinett zwei Vorschläge vor. Zum einen einen Gesetzentwurf, der die Tätigkeit Deutscher im Ausland untersagen sollte, wenn das Endprodukt ihrer Arbeit militärischen Charakter besäße. Zum anderen einen Ergänzungsentwurf zum Passgesetz, dem zufolge deutschen Staatsbürgern, die im Ausland an militärischen Projekten arbeiteten, die Pässe entzogen werden sollten. In seiner Sitzung vom 11. Dezember 1963 beauftragte das Kabinett den Innenminister, entsprechende Ergänzungen zum Passgesetz auszuarbeiten. Der Entwurf sah das „Recht auf Rückberufung“ von Personen vor, die am Bau militärischer Objekte im Ausland beteiligt waren; ihnen drohte der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit sowie Strafe. Schon bald sah er sich einem ähnlichen Trommelfeuer der Kritik ausgesetzt, wie der vorangegangene Entwurf. Je länger das Hin und Her über dieses Gesetz anhielt, desto aktiver wurde die arabische Lobby in Bonn, wie die linksgerichtete britische Zeitung „The Guardian“ am 5. Mai 1964 festhielt. Die sehr einflussreiche Interessengruppe wurde dabei, so das Blatt weiter, von der westdeutschen Schwerindustrie unterstützt, die um ihre Geschäftsinteressen in der arabischen Welt fürchtete.248 Die Bundesregierung hatte inzwischen versucht, ihre gesetzgeberische Rat- bzw. Entschlusslosigkeit dadurch zu verbergen, dass sie die Bedeutung der ganzen Angelegenheit herunterspielte. In einer Pressekonferenz am 3. Dezember 1963 hatte der neue Bundeskanzler Ludwig Erhard auf die Frage eines Journalisten, ob die Bundesregierung das Gesetz gegen die 246 247

248

Ebd., Stenogramm der Autorin. Gerhard Potrykus, Zur rechtlichen Würdigung der Tätigkeit deutscher Waffenfachleute in Ägypten, in: Neue Juristische Wochenschrift, 1963, Heft 21, S. 941–943, hier S. 942. Potrykus hob in seinem Beitrag hervor, dass sowohl die Flugzeug- als auch die Raketenkonstrukteure mit militärischer Zielsetzung arbeiteten. Ob sie jedoch auch an der Herstellung von ABC-Waffen arbeiteten, hielt er für „mehr als zweifelhaft“. Ebd. Nach Deutschkron, Israel, S. 250.

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Tätigkeit deutscher Wissenschaftler bei der Entwicklung von Angriffswaffen in der nächsten Zeit verabschieden werde, geantwortet: „Wir haben hier deutlich gemacht, daß es der Bundesregierung und dem Parlament im höchsten Maße unerwünscht wäre, wenn deutsche Fachkräfte auf diesem Gebiet in anderen Ländern tätig werden würden […], aber ich glaube, das Gewicht dieser Sache ist nicht so groß, als daß es sich wirklich verlohnte, daraus eine große politische Aktion werden zu lassen“249.

Am 22. April 1964 erklärte der Regierungssprecher, das Kabinett habe den Entwurf zum Ergänzungsgesetz abgelehnt, da er das verfassungsmäßig garantierte Recht auf Freizügigkeit verletze. Weite Kreise der CDU und die Mehrheit der FDP sprachen sich daraufhin ebenfalls gegen den Entwurf aus. Selbst die Sozialdemokraten, die eine solche Gesetzgebung am aktivsten befürwortet hatten, lehnten ihn ab aus Besorgnis, dass er von einer Regierung missbraucht werden könne, um politische Gegner aus dem Ausland zurückzuholen. Damit war der Passus über das „Recht auf Rückberufung“ erledigt. Am 29.  April 1964, gut ein Jahr nach dem Beschluss aller drei Fraktionen des Bundestages, gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen, erklärte sich Innenminister Hermann Höcherl im Parlament für die Bundesregierung aufgrund juristischer Schwierigkeiten außerstande, einen neuen Gesetzentwurf vorzulegen. Es waren dann die oppositionellen Sozialdemokraten, die schließlich noch einen dritten Versuch unternahmen. Am 15. Juni 1964 legten sie einen Entwurf zur Ergänzung von Artikel 26, Abs. 2 GG vor. Nach den Vorstellungen der SPD sollte es Deutschen verboten sein, irgendwo in der Welt „zur Kriegführung bestimmte Waffen zu entwickeln, herzustellen, an ihrer Herstellung mitzuwirken oder in den Verkehr zu bringen“. Ausnahmegenehmigungen sollte die Bundesregierung nach sorgfältiger Prüfung nur für solche Länder erteilen, „mit denen die Bundesrepublik 250 sich in einem Verteidigungsbündnis befindet“. Der Entwurf passierte zwar die erste Lesung am 25. Juni, aber kaum ein Abgeordneter glaubte, dass er je die übrigen Hürden nehmen würde, da er sich nur wenig vom ersten, zurückgewiesenen Vorschlag unterschied. Tatsächlich traf ihn dann auch das gleiche Schicksal wie sein Vorgänger. Niemand war daher wirklich überrascht, als Kanzler Erhard in einer Pressekonferenz am 25. September mitteilte, dass er keine Hoffnung mehr auf Einführung eines wirksamen Gesetzes habe. „Und nur ein Gesetz zur Schau zu stellen, ist meiner Ansicht nach eine mißliche Sache“251, meinte er. 249 250 251

Nach ebd., Stenogramm der Autorin. Hier stillschweigend aus wohl irrtümlich „Bundesregierung“ korrigiert, A. H. Ebd., S. 251, nach Stenogramm der Autorin.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

Drei Wochen später, am 15. Oktober, versicherte Erhard der israelischen Regierung in einer Erklärung vor dem Bundestag, dass die Bundesregierung alles in ihrer Macht Stehende tun wolle, um dem israelischen Volk das Gefühl zu nehmen, von Deutschen bedroht zu sein. Wie dies geschehen sollte, sagte er dabei nicht. Dieser Botschaft an Israel war drei Tage zuvor, am 12. Oktober, eine „Erinnerung“ Ministerpräsident Eschkols in der Knesset in Richtung Bundesrepublik vorausgegangen. Dabei hatte er zunächst lobend hervorgehoben, dass der Kanzler und weite Teile der deutschen Öffentlichkeit die Tätigkeit der Wissenschaftler in ägyptischen Diensten ablehnten, bedauerte aber dann die offensichtliche Unfähigkeit „eines bedeutenden Staates, legislative und konkrete Mittel zu finden, um seiner erklärten ablehnenden Haltung […] Ausdruck zu verleihen“. Eschkol führte als Hauptgrund für die bestehende antideutsche Animosität in Israel „die durch unauslöschliche Erinnerungen bedingte Erschütterung“ an, „die wir bei der Wortverbindung ‚Deutsche‘ und ‚gegen uns gerichtete Gewaltmaßnahmen‘ verspüren. Die Zerstörung des europäischen Judentums durch Deutschland […] wird immer ein Teil unseres kollektiven und persönlichen Bewußtseins bleiben“. Doch insgesamt fiel die Rede Eschkols, so der Referatsleiter Nordafrika und Naher Osten im AA, Schirmer, „in der Diktion ausgesprochen gemäßigt“ aus. Es sei zugegeben worden, dass die Zahl der deutschen Experten gering sei und „diese nicht zur ersten Garnitur“ gehörten.252 Die halbamtliche „Jerusalem Post“ vom 11.  Oktober 1964 bezeichnete das Verhalten der Bundesregierung in der Gesetzesfrage als „doppelzüngig“. Zusicherungen, dass etwas getan werde, wechselten sich ab mit Hinweisen auf verfassungspolitische Schwierigkeiten. Wenn endlich ein Gesetzentwurf vorliege, hielte der Kanzler es für nötig, zu sagen, dass jedes Gesetz nutzlos sei. In der auf Kanzler Erhards Regierungserklärung vom 15.  Oktober folgenden Debatte im Bundestag beschwor SPD-Fraktionschef Fritz Erler die Regierung noch einmal, die Sache nicht auf sich beruhen zu lassen. Sie müsse klar zu verstehen geben, dass die Tätigkeit Deutscher in der Waffenproduktion gegen Israel unvereinbar mit den Lebensinteressen des deutschen Volkes sei. Deutlicher stieg tags darauf sein Parteifreund Herbert Wehner ein. Er nannte Informationen Minister Höcherls, man versuche die Wissenschaftler mit dem Angebot besser bezahlter Stellungen aus Ägypten „fortzulocken“, eine „inadäquate Art des Herangehens an dieses scheußliche Problem“. Vor allem einem Volk gegenüber sei es unangemessen, „dem wir so viel angetan haben, nicht mehr sagen zu können als: Wir haben versucht, sie anderswo unterzubringen, aber sie sind nicht darauf eingegangen“. Worauf Wehner hier anspielte, war schon am 2.  August 1963 im Berliner „Tagesspiegel“ erwähnt worden. Dort hatte es geheißen, andere Wege seien gefunden worden, um das Problem zu lösen. Der Bundesminister für Wissenschaft

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AAPD, 1964, Nr. 276, hier zitiert nach Hansen, Schatten, S. 661.

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und Forschung verfolge einen Plan, die Experten nach Deutschland zurückzuholen.253 Um die Araber nicht vor den Kopf zu stoßen, bemühte man sich in Bonn, eine Abwerbekampagne geheim zu halten oder sie doch so weit wie möglich herunterzuspielen. Aus diesem Grunde erklärte Innenminister Höcherl am 22. Oktober 1964 vor der Presse in Bonn, es würden von vielen Seiten Anstrengungen unternommen, um die deutschen Fachleute zurückzuholen, bisher jedoch „mit sehr geringem Erfolg“. Doch Ende des Monats gab das Auswärtige Amt bekannt, dass Hunderte von Deutschen Ägypten verließen, um wieder in der Bundesrepublik zu arbeiten. In politischen Kreisen wurde gemunkelt, dass ihre Verträge wegen ägyptischen Geldmangels nicht verlängert würden. Von Paul Goercke stammt die Bemerkung, dass „Nasser […] seine Helfer nicht mehr“ brauche, die „Federführung bei den Raketendingen“ hätten inzwischen „die Russen“ übernommen.254 Der damalige Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier berichtet in seinen Erinnerungen darüber, dass Bundeskanzler Ludwig Erhard ihn vor seinem Besuch bei Staatspräsident Nasser Ende November 1964 schriftlich über den Stand der Dinge in der Expertenfrage unterrichtet habe. Es hätten sich Erhard zufolge „erhebliche rechtliche, nicht politische Bedenken“ hinsichtlich der Rückführung der Fachleute per Gesetz ergeben. Neu war in dem Schreiben die Information, wonach „Nasser aus freien Stücken“ auf deren Weiterbeschäftigung verzichten solle. Gerstenmaier weiter das Schreiben wiedergebend: „Die Bundesregierung werde ihrerseits bemüht sein, auf dem Wege der Kapitalhilfe und so weiter der Vereinigten Arabischen Republik bei ihrem industriellen Aufbau weiterhin nach Kräften zu helfen“.255 Da in der Bundesrepublik inzwischen ein Mangel an Fachkräften herrschte, boten deutsche Firmen gut dotierte Posten an, die den Experten am Nil zudem Aufstiegschancen und ein Leben in Sicherheit garantierten. Gerüchte machten die Runde, wonach auch Paul Goercke wieder im Lande sei und bei Messerschmitt in Augsburg angefangen habe. Tatsächlich war Goercke zusammen mit Walter Schuran bei der 1962 gegründeten European Launcher Development Organisation (ELDO) untergekommen, die an der Entwicklung einer europäischen Trägerrakete arbeitete.256 Hans Kleinwächter konzentrierte sich ganz auf sein Labor in Lörrach, für das er auch Aufträge von Bundesministerien einwerben konnte. Wolfgang Pilz hingegen, so ein Sprecher des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung, habe von möglichen deutschen Arbeitgebern ein so exorbitantes Gehalt gefordert, dass man zu keiner Einigung habe kommen können, zumal er außerdem Sicherheitsgarantien gegen mögliche israelische

253 254 255 256

Vgl. Deutschkron, Israel, S. 252. Zitiert nach Der Spiegel Nr. 30 vom 21. Juli 1965, „Heimkehr vom Nil“. Vgl. Eugen Gerstenmaier, Streit und Friede hat seine Zeit. Ein Lebensbericht, Frankfurt 1981, S. 499. Vgl. Riegler, Agenten, S. 65.

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Attacken verlangt habe.257 Der Anwalt von Pilz, vermutlich Alfred Seidl in München, teilte dem „Spiegel“ auf Anfrage im Sommer 1965 mit, er wisse auch nichts Genaues über den Aufenthaltsort von Pilz, „alle paar Tage“ erhalte er einen Anruf aus Österreich oder aus Deutschland. Zumindest vorübergehend lebten Wolfgang Pilz und Hannelore Wende in einem „Kärntner Fischerhaus zu Trebesing, im Tal der Lieser gelegen“, wie der Spiegel herausfand.258 Infolge aufkommender Meldungen über die deutschen Waffenlieferungen an Israel und den damit einhergehenden Debatten in der Öffentlichkeit, geriet die Expertenfrage vorübergehend in den Hintergrund. Als dann aber im Mai 1965 Israels Ministerpräsident Eschkol und Bundeskanzler Erhard in einem Briefwechsel ihren Willen zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen bekundeten, kam das leidige Thema erneut auf die Tagesordnung. Erhard versicherte Eschkol, dass in den letzten Monaten viele deutsche Fachleute, die in Ländern außerhalb der NATO gearbeitet hätten, in die Bundesrepublik zurückgekommen seien. Die Bundesregierung habe Grund zu der Annahme, dass auch die am ägyptischen Raketenbau beteiligten Deutschen ebenfalls die Absicht hätten, die Koffer zu packen. Der Kanzler erklärte ferner, dass gegen Personen, die deutsche Staatsangehörige zur Aufnahme einer wissenschaftlichen oder technischen Tätigkeit auf militärischem Gebiet im Ausland veranlassten, gesetzliche Maßnahmen ergriffen würden. Der israelische Ministerpräsident brachte in seiner Antwort die Hoffnung zum Ausdruck, dass „die Haltung und die in Ihrem Brief ausgesprochenen Absichten […] bald zu einer Beendigung der Angelegenheit führen werden“259. Bevor wir uns noch einmal einem alten, ursprünglich österreichischen, Bekannten in unserer Geschichte zuwenden, soll ein kurzer Blick auf den Wiener Umgang mit der Tätigkeit österreichischer Flugzeugbauer – Raketenexperten waren aus der Alpenrepublik kaum an den Nil gekommen, sieht man etwa von dem nur schemenhaft wirkenden Ingenieur Golling einmal ab – geworfen werden.260 Im Verhältnis zu Israel befand sich Österreich insofern in einer anderen Situation als die Bundesrepublik, als dass Israel die Moskauer Deklaration der Alliierten von 1943 akzeptiert hatte, wonach Österreich „das erste freie Land“ gewesen sei, das durch den „Anschluss“ an das „Dritte Reich“ im Jahre 1938 „der Nazi-Aggression zum Opfer fiel“. Dem zufolge erkannte man in Wien zunächst keinerlei „Wiedergutmachungs- oder Reparationspflicht“ gegenüber jüdischen Organisationen an, wohl aber später einen Willen zur „Entschädigung“, nachdem die Vereinigten Staaten Druck ausgeübt hatten. Konsularische Beziehungen zwischen Tel Aviv 257 258 259 260

Deutschkron, Israel, S. 253. Der Spiegel Nr. 30 vom 21. Juli 1965, „Heimkehr vom Nil“. Kommuniqué der Bundesregierung vom 12. Mai 1965, hier nach Deutschkron, Israel., S. 254. Das Folgende nach Riegler, Agenten.

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Spannungen zwischen Bonn und Tel Aviv und Rechtfertigungsversuche der Experten

und Wien bestanden bereits seit 1950, und 1959 einigten sich beide Seiten auf den Botschafteraustausch. Österreich war für Israel als „Tor ins gelobte Land“ wichtig, da viele osteuropäische Juden über Österreich nach Israel emigrierten. Im Gefolge des Eichmann-Prozesses im Jahre 1961 richtete die israelische Presse zusehends kritische Blicke auf die Verfolgung österreichischer Naziverbrecher durch die österreichische Justiz, der man Saumseligkeit und unverständliche Milde attestierte. Vor allem aus wirtschaftlichen Erwägungen maß man in Wien dem Ausbau der Beziehungen zu den arabischen Staaten größere Bedeutung zu, als der Intensivierung des Verhältnisses zum jüdischen Staat. Außenminister Kreisky hatte im Zuge der Loslösung Algeriens von Frankreich erste Kontakte mit arabischen Ländern aufgenommen, um bei den Vereinten Nationen deren Unterstützung in der Südtirolfrage261 zu gewinnen. Dem Ägypten Gamal Abdel Nassers maß man am Wiener Ballhausplatz, dem Sitz der Bundesregierung, in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu, auch wenn sich der österreichische Botschafter in Kairo wenig schmeichelhaft über die „Diktatur übelster Sorte“ am Nil einschließlich ihrer „megalomanen Rüstungs- und Wirtschaftspolitik“ äußerte. Im März 1964 holte Außenminister Kreisky einen bereits länger geplanten Besuch in Kairo nach, wobei es auch zu einer Begegnung mit den beiden österreichischen Flugzeugfachleuten Hans Schönbaumsfeld und, wie erwähnt, Ferdinand Brandner kam. Während Kreisky an der Arbeit seiner Landsleute im Schatten der Pyramiden wenig zu beanstanden hatte, sah sich der österreichische Geschäftsträger in Tel Aviv heftigen Vorwürfen der israelischen Außenministerin Golda Meir ausgesetzt. Verglichen selbst mit der Zahl deutscher Techniker in Heluan, wo sich die Flugzeugwerke befanden, sei die Zahl von 350 Österreichern – „vor allem Steirer“ – „erschreckend“ hoch, so der Geschäftsträger Frau Meir wiedergebend. Das Wiener Außenministerium instruierte seinen Missionschef in Israel in einer Weise, die der Bonner Argumentation im Raketenstreit mit Tel Aviv glich: Das Recht auf Freizügigkeit sei ein in Österreich verfassungsmäßig verankertes Recht, die österreichische Bundesregierung habe daher keine rechtliche Handhabe gegenüber dem Treiben ihrer Landsleute am Nil. In einem anderen Papier hieß es, Österreich müsse sich hüten, seine Neutralitätspolitik im OstWest-Konflikt auf seine Staatsbürger auszuweiten. Da österreichische Flugzeugtechniker in der Heimat keine entsprechenden Beschäftigungsmöglichkeiten finden könnten, dürfe man ihnen eine adäquate Arbeitsaufnahme im Ausland nicht verwehren. Außenminister Kreisky wolle jedoch „erwägen“, die österreichische Industrie „anzuregen, zu prüfen“, ob man den Österreichern in Ägypten nicht daheim „verlockende Angebote“ machen könne. Bei anderer Gelegenheit hatte Kreisky, wie erwähnt, auch steuerliche Überlegungen für Ägypten-Heimkehrer 261

Bei dieser Frage ging es im weitesten Sinne um die Autonomie Südtirols innerhalb des italienischen Staatsverbandes und damit um die Rechte der deutschsprachigen Bevölkerungsgruppe Südtirols.

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Kapitel IV: Tel Aviv in Rage und Bonn im Dilemma

ins Spiel gebracht. Gesetzliche Maßnahmen gegen die Techniker am Nil lehnte Kreisky in einem Gespräch mit „Ma‘ariv“ ab, und hinsichtlich der Raketenentwicklung stellte er fest, dass, „soweit mir bekannt“, österreichische Fachleute daran nicht beteiligt seien. Im Frühjahr 1965 wich dann die harte Haltung der israelischen Regierung gegenüber den österreichischen Flugzeugbauern der bereits dargestellten, gelasseneren Einstellung zumindest einiger ihrer Mitglieder, der zufolge Präsident Nasser ruhig seine Millionen zum Fenster hinauswerfen, und man die gegenwärtig in Heluan tätigen, offenbar nicht allzu fähigen, Ingenieure dort gegenüber solchen vorziehen solle, die etwa aus der DDR nachrücken würden. Zu dieser Zeit befanden sich die österreichischen und deutschen Expertenteams bereits in Auflösung, auch wenn es Ferdinand Brandner noch bis zum Sommer 1969 bei den Pyramiden hielt.

Otto Skorzeny im Dienste Israels – sein letzter Coup? Das elektronische Lexikon Wikipedia erwähnt unter dem Stichwort „Otto Skorzeny“ eine kaum glaubhafte Tätigkeit von Hitlers einstigem Star für den israelischen Mossad. Es gebe darüber, heißt es in dem Eintrag, verschiedene Versionen, die bis zu einer Veröffentlichung aus dem Jahre 1969 zurückreichten.262 Im World Wide Web finden sich zudem diverse Zeitungsartikel zu Skorzenys möglicherweise letzter „Heldentat“, die in der Regel auf den im Zusammenhang mit dem Verschwinden Heinz Krugs bereits erwähnten Beitrag des israelisch-amerikanischen Journalistenduos Dan Raviv und Yossi Melman in der israelischen Zeitung „Haaretz“ vom März 2016 zurückgehen. Eine in Teilen abweichende Variante der Darstellung Ravivs und Melmans bietet Ronen Bergman in seinem „Schattenkrieg“. Da Bergmans Version die z. Zt. aktuellste ist, soll sie hier vorgestellt werden, allerdings aus Platzgründen in Verbindung mit deren verkürzter Variante, die sich bei dem Skorzeny-Biografen Stuart Smith findet.263 262 263

Wikipedia, Stichwort „Otto Skorzeny“, aufgerufen am 9. März 2021. Vgl. Smith, Skorzeny, S. 311ff. Bergman, dessen „Schattenkrieg“ rund zwei Jahre nach dem HaaretzArtikel erschien, erwähnt diesen und dessen Autoren nicht. Auch eine weitere, frühere Version der Skorzeny-Aktion, die von Michael Bar-Zohar und Nissim Mischal in der amerikanischen Originalausgabe ihres Buches „Mossad“ bereits 2012 knapp dargelegt worden war, findet bei Bergman keine Erwähnung. Vgl. die deutschsprachige Ausgabe von Bar-Zohar und Mischal, Mossad, S. 185f. Bergman stützt sich auf das „Mossad German Scientists Dossier“ sowie auf Interviews mit ehemaligen israelischen Beteiligten an der Skorzeny-Aktion. „Zeit-online“ brachte am 7. April 2016 eine „leicht gekürzte“ Version des Haaretz-Beitrages von Raviv und Melman, die inzwischen jedoch  – Stand 10. Februar 2022 – um Informationen aus Bergmans „Schattenkrieg“ aktualisiert worden ist: https:// www.zeit.de/2016/16/geheimdienste-otto-skorzeny-geschichte. Der ansonsten gut informierte Owen L. Sirrs hatte zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Werkes „Nasser“ im Jahre 2006 offenbar noch keine Kenntnis von der Rolle Skorzenys beim Mossad. Bei ihm spielt Wolfgang Lotz die maßgebliche Rolle bei der Ausforschung der deutschen Experten am Nil und ihrer auch gewaltsamen

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Otto Skorzeny im Dienste Israels – sein letzter Coup?

Bevor Experten wie Paul Goercke und Wolfgang Pilz im Jahre 1965 endlich Ägypten verließen, hatte sich für den Mossad angesichts des Ausbleibens eines durchschlagenden Erfolges seiner Maßnahmen gegen die deutschen Fachleute am Nil die Frage nach einer neuen Vorgehensweise gestellt. Da Sprengstoffattentate ihre Wirkung verfehlt – und hier weicht die Analyse des Mossad von der von Wolfgang Lotz oben dargestellten ab – bzw. mit Hannelore Wende und den ägyptischen Sicherheitskräften im Post Office der Military Factory 333 die Falschen getroffen hatte, wollte man nun unmittelbar an die Wissenschaftler heranzukommen versuchen. Nach Auffassung des Mossad bildete Hermann Valentin als Hauptverantwortlicher für die Sicherheit der Experten die zentrale Figur, die es zu konfrontieren galt. Es war dann der Vertreter des Mossad in der Bundesrepublik, Avraham Ahituv, der im Mai 1964 Rafi Eitan in Paris eine originelle Idee unterbreitete.264 Man müsse zunächst versuchen, so Ahituv, Valentins ehemaligen Vorgesetzten im Reichssicherheitshauptamt, Otto Skorzeny, zu gewinnen. Eitan reagierte erwartungsgemäß auf diesen Vorschlag, indem er Ahituv mit Sarkasmus überzog: „Und diesen Otto willst du anwerben?“, habe Eitan gefragt, und ergänzt: „Ach so, und noch eine Kleinigkeit, er war überzeugter Nazi und Mitglied der SS“265. Im Jahre 1960, erzählte Ahituv Eitan, hatte Isser Harel der Amal, der Spezialeinheit für die Jagd auf NS-Verbrecher, den Auftrag erteilt, möglichst viele Informationen über Skorzeny zu sammeln. Ziel war es damals, ihn vor Gericht zu bringen oder zu töten. Weniger Skorzenys Teilnahme an der Befreiung Mussolinis als Skorzenys Rolle in der Reichspogromnacht 1938 in Wien und bei anderen Taten mit spezifisch jüdischem Bezug hätten Harel interessiert. Rafi Eitan war der Meinung, dass Skorzenys Bekanntschaft mit einigen der deutschen Experten in Ägypten, vor allem aber sein ehemaliges Dienstverhältnis zu Hermann Valentin, den „gefährlichsten Mann Europas“ zum optimalen Partner für ein neuerliches Vorgehen gegen die Experten qualifiziere. Eitan war kein Holocaust-Überlebender und hatte daher geringere Berührungsängste gegenüber dem Österreicher Skorzeny als so manch anderer Mossad-Mitarbeiter. Im Gegenzug für seine Kooperation würden die Israelis Skorzeny durchaus etwas bieten, nämlich ein „Leben ohne Angst“. Der Mossad hatte herausgefunden, dass Otto Skorzeny mit seiner Frau, der geborenen Ilse von Finckenstein, eine kinderlose und dazu offene Ehe führte. Eitan und Ahituv beschlossen, diese Konstellation kreativ zu nutzen. Eine Falle sollte der attraktiven Mitvierzigerin in Gestalt

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Zurückdrängung von dort seit 1964. Er greift dabei fast ausschließlich auf die Erinnerungen von Lotz in dessen „Champagnerspion“ zurück. Vgl. Sirrs, Nasser, S. 91ff. Eitan war im April 1964 als Vertreter des Mossad in die französische Hauptstadt entsandt worden. Zitiert nach Bergman, Schattenkrieg, S. 107.

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einer „honey trap“ gestellt werden. Ein gutaussehender gebürtiger Deutscher in Diensten des Mossad namens Raphi Medan machte sich im Juli 1964 auf den Weg nach Irland, wo die Skorzenys das traditionsreiche Anwesen Martinstown House gekauft hatten. Medans Ziel war es, Ilse für ein Investment in ein Immobilienprojekt auf den Bahamas zu interessieren, an dem sie beteiligt war. Um es kurz zu machen: Wie von seinen Auftraggebern erwartet, verliebte sich Ilse in Medan, lud ihn zu einer Party in Martinstown House ein und teilte dort schließlich das Laken mit ihrem israelischen Herzensbrecher, ohne bis dahin etwas von seiner wahren Identität zu ahnen. Gemeinsam zogen Raphi Medan und Ilse Skorzeny einige Zeit durch die Clubs Europas, während Otto Skorzeny rund um den Globus seinen Geschäften nachging. Anlässlich eines Aufenthaltes in Madrid, wo das Ehepaar Skorzeny ein Haus besaß, lüftete Medan am 7. September gegenüber der Gräfin den Schleier um seine Identität. Ein Freund aus dem israelischen Verteidigungsministerium – es handelte sich um Avraham Ahituv – halte sich in Europa auf, so Medan, und wünsche Otto Skorzeny in einer sehr wichtigen Angelegenheit zu sprechen. Da Skorzeny mit dem Wissen um das Schicksal Adolf Eichmanns um sein Leben fürchtete, fiel es Ilse nicht allzu schwer, ihre Kooperationsbereitschaft zu signalisieren. Nachdem sie mit ihrem Mann gesprochen und dessen grundsätzliches Einverständnis zu einem Treffen mit dem Fremden eingeholt hatte, beorderte Medan Ahituv nach Madrid, wo man sich abends zu viert in einer Hotellobby traf. Ilse Skorzeny und Raphi Medan zogen sich zu einem „geschäftlichen Gespräch“ zurück, während Otto Skorzeny und Ahituv zur Sache kamen. Ronen Bergman zufolge lässt der Abschlussbericht des Mossad zu der Skorzeny-Aktion erkennen, dass Ahituv enorme innere Widerstände gegen die Unterredung mit dem prominenten Nationalsozialisten zu meistern hatte. Ahituv selber fertigte laut Bergman unter dem Datum des 14. September 1964 einen Bericht über sein Gespräch mit Skorzeny an, in dem dieser nicht ohne die klischeehaften Züge eines „typischen Nazis“ gezeichnet wird. „Die Riesenhaftigkeit“ Skorzenys, beeindruckte Ahituv, ferner „die Narbe, das wütende Starren: Er sah aus wie der vollendete Nazi“. Und „plötzlich“, heißt es in dem Bericht an anderer Stelle, in der es um einen gemeinsamen Restaurantbesuch nach der Unterredung ging, „kam ein Mann an unseren Tisch, schlug laut die Hacken zusammen und sprach Skorzeny auf Deutsch mit ‚Mein General‘266 an“. Skorzeny erklärte Ahituv, dass der Mann der Besitzer des Restaurants sei, er sei „hier in der Gegend einer der führenden Nazis gewesen […]“.267

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Vgl. Bergman, Schattenkrieg, S. 110. In anderen Quellen „Herr Hauptmann“. Vgl. z. B. „MallorcaZeitung“ vom 17. Januar 2008. Zitiert nach Bergman, Schattenkrieg, S. 110. Bei dem Unbekannten handelte es sich um den ehemaligen Prominentengastronomen Otto Horcher, der in Berlin ein kleines, aber feines Restaurant betrieben hatte, in dem auch einige Größen des „Dritten Reiches“ verkehrten. Im Jahre 1944 lagerte

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Laut seinem Bericht machte sich Ahituv „keine Illusionen“ über Skorzenys „eigentliche Ansichten. Nicht einmal seine Frau versuchte ihn zu entlasten. Sie betonte lediglich, dass er nicht in den Holocaust verwickelt gewesen war […]“. Das Gespräch zwischen Ahituv und dem ehemaligen SS-Obersturmbannführer drohte sich an der Frage festzufahren, ob Skorzeny an den Vorgängen in der Wiener Reichspogromnacht beteiligt gewesen war, was dieser vehement bestritt; Ahituv jedoch meinte dies mit einem mitgebrachten Dokument belegen zu können. Beide interpretierten eine Markierung auf dem Papier, das aus dem Archiv Simon Wiesenthals stammte, unterschiedlich. Ahituv beschloss, diese Diskussion zunächst auf sich beruhen zu lassen, da sich sein Gegenüber zusehends unwillig zeigte. Auf dessen Frage, was er, Ahituv, eigentlich beruflich mache, legte der Israeli die Karten auf den Tisch und bekannte sich zu seiner Tätigkeit für den Mossad. Skorzeny zeigte sich ob dieses Geständnisses nicht allzu beeindruckt, er habe in seinem Leben schon mit unterschiedlichen Leuten aus unterschiedlichen Ländern zu tun gehabt. Er sei durchaus „mit uns zu einem Meinungsaustausch“ bereit. „Meinungsaustausch“ war, erläutert Ronen Bergman, Skorzenys eigenwilliger Ausdruck dafür, dass er in eine vollständige und umfassende Kooperation mit Israel einwilligte. Allerdings verlangte Skorzeny Gegenleistungen. Dazu zählten ein gültiger österreichischer Pass, ausgestellt auf seinen richtigen Namen, ferner eine von Ministerpräsident Eschkol unterschriebene Verfügung, die ihm Immunität bis an sein Lebensende garantierte. Außer Geld forderte er schließlich noch die Streichung seines Namens von der Wiesenthal-Liste der meistgesuchten NS-Kriegsverbrecher. Innerhalb des Mossad gab es unterschiedliche Reaktionen auf Skorzenys Forderungen, doch grundsätzliche Zustimmung fanden sie bei Avraham Ahituv, bei dem pragmatischen Mossad-Chef Meir Amit und vor allem bei Ministerpräsident Eschkol. Letzterer zeigte sich damit einverstanden, das man Skorzeny Geld und „einen Pass“ gab sowie die Immunität versprach. Auch seine Streichung von der Wiesenthal-Liste befürwortete Eschkol, konnte dies jedoch nicht entscheiden, weil Simon Wiesenthal kein israelischer Staatsbürger war, auch wenn er enge Beziehungen zum Mossad unterhielt. Im Oktober 1964 traf sich Raphi Medan mit Wiesenthal, um ihm zu erklären, warum Skorzeny von der berühmten Liste gestrichen werden müsse. Zu seinem „großen Erstaunen“, so Medan später, habe Wiesenthal Skorzenys Ansinnen rundweg abgelehnt, er werde Skorzeny niemals von der Liste nehmen. Skorzeny reagierte enttäuscht auf den abschlägigen Bescheid Wiesenthals, erklärte sich aber dennoch bereit, für die Israelis und gegen die deutschen Raketenbauer tätig zu werden. Bis heute wird über seine Entscheidung gerätselt: Waren es die Zugeständnisse Eschkols oder aber Reste von Abenteuerlust? Das Geld – eine Summe ist nie bekannt geworden – dürfte vermutlich Horcher sein Restaurant nach Madrid aus, wo es noch heute existiert. In den sechziger Jahren unterhielt Otto Skorzeny dort auch ein informelles Büro. Vgl. Smith, Skorzeny, S. 373, Endnote 21.

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am wenigsten gewirkt haben, Skorzeny war kein armer Mann. Wie auch immer: Mit seiner Zusage an den Mossad trat einer der wohl „ungewöhnlichsten und unwahrscheinlichsten Agenten“268 seinen Einsatz für den jüdischen Staat an. Otto Skorzenys zeitweilige Arbeit für den Mossad wird bislang allein durch die Darstellung Ronen Bergmans deutlich. Sie soll der Vollständigkeit halber hier in groben Zügen wiedergegeben werden, auch wenn stellenweise erhebliche Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit bleiben. Bergmans Recherchen zufolge ging Skorzeny zunächst daran, seine „Freunde unter den Wissenschaftlern in Ägypten wissen zu lassen, dass er im Begriff sei, ein Netzwerk aus Waffen-SS- und Wehrmachtsveteranen wiederzubeleben“. Sein Ziel sei es, die Grundlagen für ein „Viertes Reich“ zu schaffen, und zu diesem Zweck mussten die Experten gemäß ihrem Wehrmachtseid ihr Wissen um ihre Forschungen am Nil „Skorzenys Phantom-Organisation“ zur Verfügung stellen, damit es von der neu zu entstehenden deutschen Militärmacht genutzt werden könnte.269 Parallel zu diesem Vorgehen machten sich Skorzeny und Ahituv daran, Hermann Valentin zu gewinnen, um ihm Informationen über das Raketenprogramm zu entlocken. Dass, wie Bergman schreibt, Valentin „alles über das Raketenprogramm“ gewusst habe, dürfte unzutreffend sein. Der ehemalige SS-Unterscharführer war erst recht spät zur deutschen Expertengemeinde an den Pyramiden gestoßen und verfügte über keinerlei fachspezifische Kenntnisse. Auch dass die wirklichen Fachleute wie Pilz, Goercke, Schuran und Kleinwächter ihm, der zu ihrem und besonders Kleinwächters Schutz engagiert worden war, tiefe Einblicke in ihre technisch-wissenschaftliche Arbeit gewährt haben sollen, erscheint wenig wahrscheinlich.270 Folgt man Ronen Bergman, brachte Otto Skorzeny mit Hilfe einer List Valentin dazu, an seiner Seite für den Mossad zu arbeiten. Valentin wurde nach Madrid eingeladen, wo Skorzeny ihm eröffnete, er wolle ihm einen Offizier des britischen Auslandsgeheimdienstes MI 6 vorstellen, der etwas über die Dinge in Ägypten zu erfahren wünsche. Valentin zeigte sich misstrauisch und ließ gegenüber Skorzeny seinen Argwohn hinsichtlich eines möglichen israelischen Intrigenspiels durchblicken. Darauf reagierte Skorzeny so, wie routinierte Kinogänger

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Vgl. Bar-Zohar/Mischal, Mossad, S. 190. Vgl. Bergman, Schattenkrieg, S. 113. Hier stellt sich u. a. die Frage, wie viele der deutschen Wissenschaftler sich von Otto Skorzeny tatsächlich angesprochen gefühlt haben dürften. Die Begeisterung unter den ehemaligen Wehrmachtsangehörigen für ein Zusammengehen mit den SS-Überbleibseln vom Schlage Skorzenys dürfte überschaubar gewesen sein. Wolfgang Pilz bestritt in seinem langen, hier bereits herangezogenen, Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung vom 25. April 1974, dass Valentin nennenswerte Einblicke in das Raketenprogramm gehabt habe. Gerade dieser Umstand sei Anlass für ihn gewesen, mittels des Leserbriefes die RheinpfalzSerie von Scherer/Valentin zu attackieren.

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das Verhalten eines hohen SS-Offiziers aus Hollywoodstreifen kennen. „Stehen Sie stramm, wenn man mit Ihnen spricht und entschuldigen Sie sich!“, habe Skorzeny geschnauzt, und: „Wie können Sie es wagen, so mit einem Vorgesetzten zu sprechen!“ Natürlich tat Valentin, wie ihm geheißen und entschuldigte sich. Er zeigte sich zu einer Begegnung mit dem neuen „Freund“ Skorzenys bereit, bei dem es sich in Wahrheit um einen in Australien geborenen Mossad-Agenten namens Harry Barak handelte. Valentin war jedoch nicht zu einer Zusammenarbeit mit dem Mann bereit, so dass ihre Unterredung zu nichts führte. Angeblich sei Skorzeny aber für sein nächstes Treffen mit Valentin in der spanischen Hauptstadt ein neuer Trick eingefallen, so Bergman. Der „MI  6-Mann“ habe ihn daran erinnert, erklärte Skorzeny gegenüber Valentin, dass eine noch kurz vor Kriegsende per Telegramm ausgesprochene Beförderung Valentins weder bei ihm, Skorzeny, noch beim „Generalstab“ angekommen sei, er sie aber jetzt mit einem schriftlichen Dokument nachträglich vollziehen wolle. Wenn auch die Beförderung nur noch symbolischen Wert besaß, hätten Valentins Augen aufgeleuchtet, er habe sofort den Hitlergruß entboten und sich „überschwänglich bei Skorzeny bedankt“. Und weiter: „Aus Dankbarkeit für die Informationen, die er zur Verfügung gestellt hatte, willigte Valentin ein, seinem neuen Freund vom britischen Geheimdienst zu helfen, wann immer es nötig war“. Laut Bergman lud Skorzeny nach und nach „ehemalige Wehrmachtsoffiziere, die an dem Raketenprojekt beteiligt waren, nach Madrid ein, wo sie, ohne es zu ahnen, auf Kosten des israelischen Steuerzahlers“ in seinem Haus Partys gefeiert und die Nächte lang gemacht hätten. Im Ergebnis habe der Mossad durch die Informationen Skorzenys, Valentins und der Partygäste „fast alle Wissenlücken“ in Bezug auf das Raketenprogramm der Ägypter schließen und mit „parallel angewandten Methoden das Raketenprojekt von innen zersetzen“ können. Einige Punkte der Darstellung Bergmans bedürfen der näheren Betrachtung. Problematisch erscheint zunächst die Terminierung dieser „Methoden“, die, nach dem dürren Zeitgerüst in seinem „Schattenkrieg“ zu schließen, vermutlich Ende Oktober/Anfang November 1964 angewandt worden sein müssen. Wolfgang Lotz schreibt in seinem „Champagnerspion“ präzise, dass er bereits am 20. September zusammen mit seiner Ehefrau Waltraud begonnen habe, von seinen Vorgesetzten mit geringen Mengen des Sprengstoffs TNT gefüllte und vollständig adressierte Briefe in weit auseinanderliegende Briefkästen Kairos zu deponieren. Und bereits im „Frühjahr 1964“ hatte Lotz nach eigenem Bekunden diese Briefe in Paris von seinem dortigen Mossad-Führungsoffizier271 „Yaacov“ in zwei sorgfältig präparierten Reisetaschen mit dem Hinweis überreicht bekommen, er solle für die Briefeinwürfe in Kairo auf ein bestimmtes Codewort warten, das ihm per Funk zugehen würde. So kam es dann auch, wie oben dargestellt 271

Lotz’ ursprüngliche Dienststelle, die „Einheit 131“ des militärischen Nachrichtendienstes Israels war im Jahre 1963 dem Mossad zugeordnet worden. Vgl. Sirrs, Nasser, S. 91.

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worden ist. Lotz vergaß in seinen Erinnerungen nicht, zu erwähnen, dass er selber es gewesen war, der seine Zentrale in Israel mit den Adressen versorgt hatte, die nun die Sprengstoffbriefe zierten.272 Kein Wort im „Champagnerspion“ von Otto Skorzeny, Hermann Valentin oder gar in Spanien sich vergnügenden Raketenfachleuten als Lieferanten der Adressen. Denkbar ist natürlich, dass Lotz aus einer gewissen Eitelkeit heraus die Namen dieser beiden Männer und ihre von Ronen Bergman herausgestellte Bedeutung bei der Informationsbeschaffung seinem Lesepublikum vorenthalten wollte, um sich allein als Held beim Piesacken der Fachleute am Nil sonnen zu können. Schließlich bleiben die leicht unterschiedlichen Unterzeichnergruppen der Drohschreiben ein Rätsel – „Die Gideons“ bei Bergman bzw. „The Gideons“ im amerikanischen Original des „Schattenkriegs“  – und „The Gideonites“ in der MfS-Materialsammlung. „The Gideonites“ als Unterzeichnergruppe findet sich auch erst bei den Autoren Dennis Eisenberg, Uri Dan und Eli Landau im Jahre 1978, so dass es ausgeschlossen ist, dass der MfS-Offizier Julius Mader für die erwähnte, im Jahre 1968 angelegte, Film-Materialsammlung auf deren Buch273 hätte zurückgreifen können. Es kann daher vermutet werden, dass Mader zwei echte Drohbriefe vorgelegen haben. Die Verkürzung der Unterzeichnergruppe bei Ronen Bergman zu „The Gideons“ bzw. „Die Gideons“ ist vermutlich mit Nachlässigkeit bzw. Zeitdruck bei der Endfassung des Manuskriptes von Bergmans „Rise and Kill First“ zu erklären, denn es finden sich, wie bereits im Falle der Stadt Lörrach (Schattenkrieg: Lorch) angedeutet, weitere Fehler bzw. Abweichungen. Zu ihnen gehört etwa auch die konsequente Falschschreibung des Namens Vallentin statt Valentin. Allesamt haben es diese kleinen Fehler auch in die deutsche Übersetzung „Der Schattenkrieg“ geschafft. Äußerst unwahrscheinlich erscheint endlich auch die Möglichkeit, dass es damals zwei verschiedene Unterzeichnergruppen gab, die sich beide auf den alttestamentarischen Richter Gideon berufen hätten. Kehren wir zur Darstellung Ronen Bergmans zurück. Angeblich aufgrund von Informationen Hermann Valentins wurde der Mossad auf die damalige Freiburger Elektronikfirma Hellige aufmerksam, die gerade im Begriff war, Mitarbeiter zu entlassen. Ein Teil von ihnen plante einen beruflichen Neuanfang in Ägypten, was der israelische Geheimdienst mit allen Mitteln zu vereiteln trachtete. Am 9. Dezember 1964 flogen Shimon Peres und der MossadMann Raphi Medan nach Deutschland, wo sie den ehemaligen Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß trafen. Während eines sechsstündigen Trinkgelages – anders kann man die Schilderung des Zusammenseins bei Bergman nicht nennen – präsentierten die israelischen

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Die Informationen zur Rolle von Wolfgang Lotz bei der Briefversendung in Kairo finden sich verstreut im „Champagnerspion“ auf den Seiten 96, 101f. sowie 135ff. The Mossad – Inside Stories, New York. Der Hinweis auf dieses Werk, das einen Drohbrief in englischer Übersetzung auszugsweise enthält, findet sich bei Sirrs, Nasser, S. 62.

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Gäste dem Bayern jede Menge hochbrisante Dokumente zur Tätigkeit der deutschen Experten, von denen Strauß fürchtete, dass sie der Bundesregierung allerlei Ungemach bereiten könnten, wenn sie der Presse zugespielt würden. Bergman zufolge versprach Strauß einzuschreiten. Dazu nutzte der CSU-Politiker seine Kontakte zu Ludwig Bölkow, einer wichtigen Figur in der aufstrebenden deutschen Luftfahrtindustrie und bat ihn um Hilfe. Bölkow entsandte zwei Bevollmächtigte zu Hellige nach Freiburg und ließ denjenigen Forschern und Entwicklern der Firma, die versprachen, nicht nach Ägypten zu gehen, attraktive Arbeitsplätze in seinen Werken zusagen. Der Großteil der Hellige-Gruppe verzichtete tatsächlich auf die Ausreise an den Nil, wodurch die dortige Situation bei der Entwicklung eines zuverlässigen Steuerungssystems für die Raketen kaum mehr beherrschbar und „das Projekt schließlich komplett lahmgelegt wurde“. Der „Todesstoß kam“, formuliert Bergman, „als ein Bevollmächtigter von Bölkow nach Ägypten reiste, um die Wissenschaftler zur Rückkehr zu überreden“. Nach Bergman blieb Otto Skorzeny dem Mossad bis zu seinem Tod im Jahre 1975 verbunden. Er „half dem Dienst auch dann noch, als die Affäre um die Wissenschaftler vorbei war“. Auch Hermann Valentin diente dem Mossad noch viele Jahre, wie Bergman schreibt. Im Jahre 1969 soll Harry Barak ihn um seine Zustimmung dafür gebeten haben, dass er vom britischen MI 6 zum Mossad „verlegt“ werde, obwohl er bereits die ganze Zeit von dem israelischen Dienst gesteuert wurde. Über Valentins Reaktion auf die Bitte Baraks berichtet Ronen Bergman nichts.274

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Vgl. Bergman, Schattenkrieg, S. 757, Endnote 52.

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Kapitel V: Das Ende der Expertentätigkeit oder von unechten und echten Peking-Enten Das frühe Jahr 1965 führte die Bonner Diplomatie und mit ihr auch die Arbeit der deutschen Experten am Nil in schwere Wasser. Fast auf den Tag genau fiel der Staatsbesuch des Staatsratsvorsitzenden der DDR, Walter Ulbricht, in Kairo – Beginn 24. Februar – mit der Verhaftung des „deutschen“ Spions Wolfgang Lotz und seiner Ehefrau sowie des BND-Residenten Gerhard Bauch1  – am 22.  Februar  – zusammen.2 Der Besuch Ulbrichts und damit eines Vasallen der Herrscher im Kreml bedeutete fraglos eine Niederlage für die Bonner Nahost-Politik, welche die Wochenzeitung „Christ und Welt“ als ein „Stalingrad am Nil“ bezeichnete.3 Über die Duplizität der Ereignisse ist viel spekuliert worden. Der Gedanke liegt nahe, dass Präsident Nasser das Interesse Bonns an der Fortführung der diplomatischen Beziehungen zu Kairo und damit der weiteren Gewährung stattlicher Entwicklungshilfe trotz des Ulbricht-Besuches durch dessen zeitliche Verquickung mit den Verhaftungen aufrechterhalten wollte. Wie erwähnt, hatte Präsident Nasser gegenüber einem Besucher aus der Bundesrepublik behauptet, Ulbricht allein wegen der bekannt gewordenen geheimen Waffenlieferungen Bonns an Israel eingeladen zu haben. Dennoch machte auch die zunehmende Ersetzung der deutschen und österreichischen Fachleute durch sowjetische Experten deutlich, dass das politische Gewicht Moskaus und seiner Verbündeten am Nil zunahm und jenes des Westens zumindest vorübergehend im Schwinden begriffen war.

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Bauch kam recht bald wieder auf freien Fuß. Zum Ulbricht-Besuch vgl. Der Spiegel Nr. 10 vom 3. März 1965, „Du Lotte, der konnte nachts die Pyramiden sehn“. Geradezu diebisch freute sich Lotte Ulbricht, die mitreisende Ehefrau Walter Ulbrichts, in ihrem zu einem schmalen Büchlein geronnenen Bericht über die „verzweifelten und oft grotesken Bemühungen der Bonner Regierung“ den Staatsbesuch ihres Gatten zu verhindern. Dadurch habe der Besuch eine die „ganze Welt“ umfassende Aufmerksamkeit erhalten „So gut hätten wir das mit der besten Propaganda nicht geschafft“. Vgl. Lotte Ulbricht, Eine unvergeßliche Reise. Nach einem Exklusivbericht in „Für Dich“, Illustrierte Zeitschrift für die Frau, Leipzig o. J. (1965), S. 5. Hier nach Hans-Peter Schwarz, Adenauer. Band 2. Der Staatsmann 1952–1967, München 1994, S. 900.

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Noch einmal aber versuchten es die Ägypter auch mit einem Deutschen: Aus dem NASARaketenzentrum Huntsville im amerikanischen Bundesstaat Alabama ließ sich 1966 der ehemalige Peenemünder Helmut Höppner an den Nil verpflichten. Im Gegensatz zu den führenden Raketenexperten im Dienste Kairos, die den vorliegenden Text über weite Strecken bestimmt haben, liegen ausgerechnet über den mutmaßlich „Letzten“, nämlich Höppner, einige Informationen über seine Peenemünder Zeit vor. Sie finden sich verstreut in dem bereits im Zusammenhang mit dem Ingenieur Reinhold Strobel herangezogenen Erlebnisbericht von dessen Peenemünder Kollegen Willi Walther.4 Walther zufolge hatte Höppner in Chemnitz Maschinenbau studiert. Er sei ein hervorragender Vollblutingenieur gewesen, wie er, Walther, in seinem langen Berufsleben keinen zweiten kennengelernt habe. Höppner sei nie als großer Redner aufgefallen, sondern er blieb verschlossen und dabei völlig unpolitisch. Dieses Urteil widerspricht jedoch weiteren Details zu Höppner aus Walthers Feder: „Er hasste alle, die für den Krieg waren und an den Sieg glaubten. Wenn er mit ihm in Peenemünde zum Kasino gegangen sei,“ erinnerte sich Walther, „begegneten uns oft Offiziere. Die grüßte ich so laut mit ‚Heil Hitler‘, daß der Höppner leise ‚Leck mich am Arsch‘ sagen konnte. Das war für ihn eine gewisse Entlastung, wofür ich auch gern laut grüßte“. Unter vier Augen habe ihm Höppner seine Zweifel am Ausgang des Krieges offenbart, man komme mit dem Projekt Aggregat 4, also der V 2, zu spät. Flugzeuge bräuchte man, habe Höppner gesagt, und „keine Reißbrettrakete“. Wernher von Braun, so Höppner angeblich zu Walther, wisse das, sei aber klug genug, es nicht laut zu sagen. Von Braun wolle „in Wirklichkeit keine Kriegsrakete bauen, sondern Raum-Fluggeräte. In der A 4 hatte er das richtige Projekt“. Mit der A 4, den ganzen technischen Einrichtungen und der „Unzahl erstklassiger Mitarbeiter“ in Peenemünde probiere von Braun Dinge aus, die nach dem Krieg richtungsweisend würden. Das sei „eine geniale Strategie. Damit bescheißt er den Hitler und die Kriegstreiber, das gefällt mir an dem Dr. von Braun“, so Höppner laut Willi Walther. Höppner, ergänzte Walther, habe früher bei einer Flugzeugfirma in Sindelfingen gearbeitet und sich dann in Peenemünde in seiner Freizeit mit einem „Flugzeugobjekt“ beschäftigt. Im Mai 1942 sei er von der Ostsee fort- und zu Messerschmitt nach Augsburg gegangen. Über Höppners kurzes Gastspiel am Nil liegt eine knappe Schilderung der Illustrierten „Quick“ aus dem Jahre 1967 vor.5 Der Flugzeug- bzw. Raketenexperte, so Quick, „stoppte alle Versuche, konstruierte die Rakete in entscheidenden Teilen neu – und nun endlich begann sich Erfolg abzuzeichnen“. Aber Höppner habe alsbald mit seinen ägyptischen Vorgesetzten über Kreuz gelegen. Er habe gute Raketen bauen wollen, während jene immer nur ihre Schweizer Konten mit Provisionen aus immer neuen Materialkäufen zu füllen trachteten. 4 5

Walther, Zeit. Quick Nr. 40 vom 27. September 1967, „Deutsche ließen Nassers Hoffnung platzen“.

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Kapitel V: Das Ende der Expertentätigkeit oder von unechten und echten Peking-Enten

Höppner hätten Bleistifte und Papier am Reißbrett ausgereicht und sei mit dem Vorhandenen ausgekommen. Ergebnis: Nach nicht einmal einem Jahr musste er wieder gehen, noch ehe die Raketen auch nur annähernd einsatzbereit waren. Das von der Illustrierten gezeichnete Bild Höppners und seiner Tätigkeit am Nil erscheint doch ein wenig idealisiert, vor allem aber drängt sich auch bei ihm, dem angeblichen Kriegsgegner, die Frage auf, was er unter einer „guten Rakete“ verstand, ob sie tatsächlich nur das ewig gleiche Wetter über der ägyptischen Wüste hätte erkunden sollen. Die Rückkehr des „öffentlichkeitsscheuen Spätheimkehrers“ (Der Spiegel) Wolfgang Pilz im Sommer 1965 nahm das Hamburger Nachrichtenmagazin zum Anlass, noch einmal an die Episode des Flugzeug- und Raketenbaus in Ägypten zu erinnern.6 Dabei hob das Blatt die Zweiteilung der Expertentätigkeit bei den Raketen hervor. Anfangs sei es darum gegangen, eine ägyptische Höhensonde nach dem Vorbild der wesentlich von Pilz entwickelten Véronique zu konstruieren, später sei man zu den militärisch verwendbaren Geschossen El Zafir und El Kahir übergegangen  – dies eine Qualifizierung der beiden letztgenannten Projektile, die Pilz, Goercke und Kleinwächter auch nach ihrer Rückkehr nach Deutschland strikt leugneten. Offenbar auf Anfrage des Spiegel bei Pilz in seinem vorübergehenden Quartier in Kärnten, lehnte der Befragte „sphinxhaft“ jede Aussage ab: „Alles ist so hochpolitisch“, ließ Pilz nur wissen, „so diffizil, daß ich mich in keiner Weise äußern möchte“. Ganz so öffentlichkeitsscheu, wie der Spiegel Wolfgang Pilz seiner Leserschaft präsentierte, war der Triebwerksexperte indessen doch nicht. Im Herbst 1967, also wenige Monate nach dem für die arabischen Länder katastrophalen Sechs-Tage-Krieg gegen Israel, gaben Pilz und Paul Goercke aus Klagenfurt sowie Hans Kleinwächter aus Lörrach dem „Stern“ ein gemeinsames, längeres Interview.7 Das Gespräch führte der alte Pilz-Spezi Wolfgang Löhde, der aber bei seinen Fragen an Pilz persönliche Distanz vortäuschend auf die Anrede „Herr Professor Pilz“ zurückgriff. Die erste Frage Löhdes bezog sich auf den Aufenthaltsort von „Professor Pilz“ während der letzten drei Monate. Antwort Pilz: „Aha, Sie spielen auf die ‚Newsweek‘-Ente an. Ich kann Sie beruhigen. Ich war die ganze Zeit in Stuttgart und am Wörthersee; ich war ganz bestimmt nicht in China“. Das amerikanische Nachrichtenmagazin Newsweek hatte in seiner Ausgabe vom 2. Oktober gemeldet, Wolfgang Pilz halte „sich in Rotchina auf, um bei der Entwicklung ballistischer Raketen mitzuhelfen“.8 Diese „Peking-Ente à la Newsweek“ sei, so der Stern, nicht die erste Geschichte, die sich um Pilz und seine Kollegen ranke.

6 7 8

Der Spiegel Nr. 30 vom 21. Juli 1965, „Heimkehr vom Nil“. Stern Nr. 43 vom 22. Oktober 1967, „Der große Bluff am Nil“. Martin A. Lee lässt Pilz in der Tat nach seinem Ägypten-Engagement in der Volksrepublik China arbeiten. Vgl. Lee., Beast, S. 152.

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Otto Skorzeny im Dienste Israels – sein letzter Coup?

In der Einleitung zu dem Interview hatte sich Löhde bemüht, eine weitere angebliche Legende um die Raketenbauer zu zerlegen, nämlich den militärischen Charakter ihrer Tätigkeit. Nicht die Behauptung, die Raketen seien wegen erheblicher Steuerungsprobleme im Juni-Krieg gegen Israel nicht zum Einsatz gekommen, beweise ihre rein friedliche Nutzung in spe, sondern weit mehr die Tatsache, dass die Israelis in diesem Krieg das Raketenstartgelände in Ägypten gar nicht erst angegriffen hätten. Die Israelis seien vom zivilen Charakter der Konstruktionen überzeugt gewesen.9 Löhde schrieb vom „großen Bluff am Nil“: Die Bundesregierung habe „genau gewußt“, dass „die Fachleute in Kairo nur eine zivile Höhenrakete bauten“. Damit folgte der Stern-Reporter exakt der Linie seines Freundes Pilz, die aber selbst von Präsident Nasser, wie gezeigt worden ist, nicht geteilt wurde. Interessant ist, dass auch der ehemalige stellvertretende israelische Verteidigungsminister Shimon Peres viele Jahre nach dem Engagement der Experten am Nil in einem Interview von „einem großen Bluff“ sprach. Er jedoch hob ausdrücklich auf die Steuerungsprobleme der Raketen ab sowie auf den Umstand, dass sie keine Sprengköpfe gehabt hätten. Aus diesen Gründen hätten die Projektile Israel niemals gefährlich werden können.10 Ohne dem ehemaligen Minister zu nahe treten zu wollen, sei doch daran erinnert, dass sich ein Bluff durch eine bewusste Irreführung auszeichnet. Peres dürfte aber wohl gemeint haben, dass die Raketenexperten einfach fachlich nicht in der Lage gewesen waren, die Steuerungsproblematik bis zum JuniKrieg von 1967 in den Griff zu bekommen.11 Und bevor dies nicht der Fall war, hätte sich die Frage nach den adäquaten Sprengköpfen gar nicht gestellt. Oder wollte Peres zwei andere Möglichkeiten insinuieren, dass nämlich die Fachleute heimlich für Israel arbeiteten und deshalb die Fertigstellung des Lenkungssystems hintertrieben oder aber, Terence Prittie folgend, sie die Ägypter aus purem Eigennutz hinters Licht führten, um ihr angenehmes Leben möglichst lange weiterführen zu können? In dem Interview machte Peres keinerlei Andeutung in eine der beiden Richtungen.

9

10

11

Die von Löhde konstatierte militärische Zurückhaltung der Israelis mochte aber auch daher rühren, dass man in Tel Aviv mögliche Verwicklungen mit der Sowjetunion scheute, deren auf dem Gelände mittlerweile möglicherweise beschäftigte Staatsbürger bei einem Angriff vermutlich zu Schaden gekommen wären. Der Mossad, die Nazis und die Raketen. Ein Film von Ronen Bergman und Kersten Schüssler (https://www.phoenix.de/sendungen/dokumentationen/der-mossad-die-nazis-und-die-raketena-156097.html.). Möglicherweise war es auch dieses Wissen auf israelischer Seite, das die israelische Luftwaffe davon abgehalten hatte, die Forschungsanlagen in Heliopolis zu bombardieren, „was sie zweifellos gekonnt hätte“, wie Randolph S. Churchill und Winston S. Churchill schrieben. Doch sie zitieren auch einen „ranghohen israelischen Luftwaffenoffizier“ mit den Worten: „Das war eine Entscheidung, die wir vielleicht noch zu unseren Lebzeiten bereuen werden“. Vgl. Churchill/Churchill, …  und siegten, S. 96.

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Kapitel V: Das Ende der Expertentätigkeit oder von unechten und echten Peking-Enten

Um auf Löhdes großes Interview zurückzukommen: Man muss ihm konzedieren, dass er Pilz im Verlauf des Gespräches durchaus auf den Zahn fühlte. So konfrontierte er ihn mit dem berüchtigten Ausspruch Nassers anlässlich der Raketenstarts im Juli 1962, wonach die abgefeuerten Projektile bis südlich von Beirut fliegen könnten und also ganz Israel bedrohten. Pilz konterte, indem er, wie berichtet, behauptete, der fragliche Satz stamme gar nicht von Nasser, sondern von dem inzwischen unter ungeklärten Umständen verstorbenen Kriegsminister Marschall Amer. Mit dieser Zuschreibung des Zitates steht Pilz allerdings allein. Doch Pilz ging noch weiter und zieh nun die Ägypter des Bluffs. Sie selber, die Raketenkonstrukteure, seien über diesen Satz „genauso entrüstet“ gewesen wie über die Taufe der beiden Projektile auf „Der Sieger“ und „Der Eroberer“. Erst dadurch sei in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, „daß wir militärische Raketen bauen würden. Die Ägypter haben geblufft!“ Löhde wollte ferner Pilz’ Meinung darüber erfahren, wieso die Israelis die Droh- und Mordaktionen gegen die Raketenexperten und ihre Familien gestartet hätten, wenn sie von der ausschließlich friedlichen Nutzung der Raketen gewusst hätten. Pilz blieb eine direkte Antwort darauf schuldig und erklärte wenig überzeugend, dass die Israelis darüber im Bilde gewesen seien, dass man mit den ägyptischen Flüssigkeitsraketen militärisch wenig anfangen könne, heute nutze man dafür Feststoffraketen. Löhde hätte hier einwerfen können, dass auch die deutschen „V  2“ des Zweiten Weltkrieges  – und Pilz nur allzu vertraut  – Flüssigkeitsraketen gewesen waren und die bekannten schweren Schäden bei den Kriegsgegnern im Westen angerichtet hatten. Triebwerksspezialist Pilz führte dann noch die bekannte These aus, der zufolge es Präsident Nasser allein um den Start eines ersten ägyptischen Satelliten gegangen sei, der den Einheitsbestrebungen in der arabischen Welt unter seiner Führung gewaltigen Schub verliehen hätte. „Ich glaube“, schloss er diesen Gedanken, „darin haben die Israelis die große Bedrohung gesehen“. Löhde ließ hier nicht locker und hakte nach: „Wollen Sie damit sagen, daß die Ägypter beim Raketenbau lediglich an einen politischen Weltraumerfolg und nicht an den Krieg dachten?“ Hier lenkte Pilz ein: „Keinesfalls“ habe er das sagen wollen, und dann: „Die wollten das Raketen-Einmaleins lernen, um daraus dann ihre Vorteile zu ziehen. Natürlich ist es klar, daß ein einmal ausgebildeter Raketenfachmann auch militärische Raketen bauen könnte“. Mit dem Hinweis, dass immer noch 28 von Pilz ausgebildete ägyptische Ingenieure an den Raketen arbeiteten und diese doch „wohl fähig“ seien, „selbständig Raketen zu bauen“, suchte der Stern-Reporter Pilz weiter in die Enge zu treiben. „Die theoretischen Fähigkeiten haben diese Techniker und Ingenieure“, gab Pilz zurück, aber: „Sie dürfen nicht vergessen, dass dafür auch eine entsprechend organisierte Industrie hinter ihnen stehen muß, die Ägypten noch nicht besitzt. Ganz so einfach ist das auch wieder nicht“. Paul Goercke schloss sich in dem Interview mit seinen Ausführungen nahtlos an die Argumentation seines früheren Chefs Pilz an. Im Übrigen habe es Steuerungsprobleme bei den Raketen nicht gegeben, die habe der Kollege Kleinwächter schon 1962 in den Griff bekommen – eine 466

Otto Skorzeny im Dienste Israels – sein letzter Coup?

Behauptung, die damals von allen Beobachtern und Kennern der Raketenszene in Ägypten wohl vehement bestritten worden wäre. Nur der Tatsache, dass sie eben keine militärischen Raketen gebaut hätten, sei es zu verdanken, dass ihre Konstruktionen nicht gegen Israel zum Einsatz gekommen seien. Löhde konfrontierte auch Goercke mit der Peking-Ente: „Würden Sie einen chinesischen Auftrag übernehmen?“ Goercke darauf: „Auf gar keinen Fall. Weder einen chinesischen noch sonst einen. Ich habe mich jetzt endgültig zur Ruhe gesetzt. Ich will endlich meine Ruhe haben“. Auch Hans Kleinwächter bewegte sich auf Befragen Löhdes auf der gleichen Argumentationslinie wie seine beiden Kollegen, so dass diese hier nicht noch einmal wiederholt werden muss. Gegen eine militärische Verwendung „ihrer“ Raketen habe darüber hinaus gesprochen, dass in ihnen kein Raum für Sprengstoff gewesen sei, alles habe er voller „elektronischer Instrumente“ gesteckt. „Sollten die Ägypter“, so Kleinwächter rhetorisch zu Löhde, „Meßinstrumente nach Tel Aviv schicken? Für Sprengstoff war gar kein Platz“. Gegen Ende des Interviews machte Kleinwächter ein paar Angaben zu seiner aktuellen beruflichen Situation. Er arbeite in Lörrach in seinem Entwicklungslabor für das Bonner Wissenschaftsministerium an meteorologischen Sonden. Ob denn die Chinesen an ihn herangetreten seien, wollte Löhde abschließend wissen. Kleinwächter: „Ach ja, da waren einige geheimnisvolle Anrufe. Ich weiß nicht, ob sie echt waren, oder ob sie von interessierter Seite fingiert wurden, um eine Art von ‚Peking-Ente‘ aufflattern zu lassen. Ich habe mich jedenfalls gar nicht gemeldet. Ich bleibe jetzt auf alle Fälle in Deutschland“. Im Gegensatz zu Pilz, Goercke und Kleinwächter gab es doch immerhin einen Fachmann, der im Anschluss an Ägypten in den Genuss echter Peking-Enten kam – Ferdinand Brandner, der Experte für Flugzeugtriebwerke. Nach seiner späten Rückkehr aus dem Land der Pharaonen in seine österreichische Heimat im August 1969 dauerte es genau drei Jahre, bis er ein letztes, zeitlich eng begrenztes Auslandsabenteuer in Angriff nahm.12 Durch die Vermittlung eines angeheirateten Neffen knüpfte er Kontakt zur Botschaft der Volksrepublik China in Wien, wo man ihn zunächst zu einem Informationsbesuch ins Reich der Mitte einlud. Brandner schildert in seinen Erinnerungen Eindrücke von dieser Reise, die ihn zu touristischen Höhepunkten, aber auch zu bedeutenden Industrieanlagen geführt habe. Brandner zufolge ermunterte ihn der Präsident der chinesischen Akademie der Wissenschaften vor seinem Heimflug ausdrücklich, ihm offen und kritisch über seine Eindrücke zu berichten. Zurück in Wien, handelte der Triebwerksexperte dann mit der chinesischen Botschaft einen Vertrag über Gastvorlesungen am Pekinger Luftfahrtinstitut ab dem April 1973 aus, die dann im Juni desselben Jahres ihr planmäßiges Ende fanden.

12

Vgl. dazu Brandner, Leben, S. 343ff.

467

Bilanz Insbesondere mit Blick auf die eingangs formulierte Frage, was denn die deutschen und österreichischen Experten bewogen haben mochte, nur wenige Jahre nach der Shoah den erbitterten Feinden des Staates Israel im Nahen Osten mit im weiteren und engeren Sinne militärischer Expertise zu Diensten zu sein, ergibt sich das nachfolgende Bild. Zunächst ist festzustellen, dass diese Frage vor allem deshalb nicht leicht zu beantworten ist, weil es an aussagekräftigen Selbstzeugnissen der Beteiligten weithin fehlt. Ausnahmen bilden Veröffentlichungen Wilhelm Fahrmbachers, die in Buchform vorliegenden Lebenserinnerungen des österreichischen Triebwerkskonstrukteurs Ferdinand Brandner sowie gelegentliche Presseinterviews mit den Protagonisten. Nach den Erkenntnissen von Zeugen vor Ort  – man denke an die Recherchen der Journalisten Cropp und Elten in Syrien Anfang der fünfziger Jahre – ging es beispielsweise den ehemaligen Fliegern der Luftwaffe offenbar vor allem um das Fliegen, darum, den geradezu geliebten Beruf ausüben zu können, was nach den Bestimmungen der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges in Deutschland vorerst nicht möglich war. Unter den anderen ehemaligen Wehrmachtsangehörigen, die bereits in den späten vierziger Jahren in Syrien beratend tätig waren, hat es wohl einige gegeben, die mit offenkundiger Leidenschaft in der umkämpften Zone zwischen Syrien und dem soeben erst entstandenen Staat Israel auf Seiten Syriens aktiv waren – erinnert sei an die Aufstellung einer sog. Totenkopf-Kompanie durch einen nicht näher identifizierten Lehmann. Deutsche Militärs sahen sich jedoch in Syrien nicht nur gegen Israel eingesetzt, sondern neben allgemeiner Ausbildungstätigkeit fand ihre Fachkenntnis auch in Grenzkonflikten Syriens mit der Türkei sowie mit Jordanien Verwendung. Während unter den westlichen Verbündeten der Bundesrepublik das deutsche militärische Engagement in Syrien insgesamt augenzwinkernd mit dem Hinweis auf das Fernhalten sowjetischer Experten in dem Land hingenommen wurde, sah man namentlich in Großbritannien die Tätigkeit ehemaliger deutscher Wehrmachtsangehöriger in Ägypten vor allem anfangs außerordentlich kritisch. In London wurde geargwöhnt, deutsche Militärs betrieben im Verbund mit ehemaligen SS-Kräften die Ausbildung von Freischärlern in der Suezkanalzone. Schwierig zu deuten sind tatsächliche oder angebliche antijüdische Äußerungen der Fachleute. Ferdinand Brandner wurden solche Äußerungen attestiert, die jedoch nicht nachprüfbar sind, ähnlich verhält es sich mit Zeugenaussagen, denen zufolge er sich für den in Kairo untergetauchten ehemaligen KZ-Arzt Hans Eisele beim Medikamenteneinkauf in der Schweiz 468

Bilanz

verwendet haben soll. Andrerseits zeigt Brandners Korrespondenz mit Irene Sänger-Bredt eindeutig, dass er zumindest Verachtung gegenüber Juden empfunden hat. Brandner ist auch ein eindrucksvolles Beispiel für die Einstellung jener Experten in Syrien und Ägypten, welche die Existenz Israels in nächster Nähe zu ihren Wirkungsstätten konsequent verdrängten. Eine geistige Auseinandersetzung mit ihrer weltweit moralisch einmalig prekären Situation als Helfer jener Regime, die die Vernichtung des jüdischen Staates betrieben, fand offenbar kaum statt. Vielleicht zeugen die dürren Tagebucheintragungen von Albrecht Cropp über „Judentalk“ unter den deutschen Militärberatern in Syrien von einer derartigen Auseinandersetzung. Allein die Wiedergabe einer judenfeindlichen Bemerkung des Ballistikexperten Reinhold Strobel, so sie denn tatsächlich gefallen ist, anlässlich der Raketenstarts im Jahre 1962 in einer französischen Tageszeitung gibt allenfalls einen Hinweis auf die Gedankenwelt dieses schwäbischen Freizeitforschers, sie verbietet jedoch weitergehende Verallgemeinerungen. Auch der angeblich hasserfüllte Antisemitismus des Triebwerksspezialisten Wolfgang Pilz, gegen den sich die Tiraden des israelischen Spions am Nil, Horst J. Andel, richteten, findet in anderen Dokumenten keine direkte Bestätigung, bestenfalls zeigen sich Andeutungen etwa in den einschlägigen Beschuldigungen Pilz’ durch den israelischen Agenten Joseph Ben-Gal während seiner Unterredung mit den Goercke-Kindern in Basel. Keine Beachtung hat in der Forschung bislang die Tatsache gefunden, dass nicht wenige der Raketenfachleute am Nil einen sudetendeutschen Hintergrund hatten. Zumindest der Elektronikexperte Hans Kleinwächter bekannte sich öffentlich zu seinen Sympathien für die Palästinenser, denen aufgrund der Staatsgründung Israels im Jahre 1948 und dem daraufhin ausbrechenden arabisch-israelischen Krieg mit Flucht und Vertreibung ein ähnliches Schicksal zuteil geworden sei wie seinen Landsleuten am Ende des Zweiten Weltkrieges. Es darf vermutet werden, dass ihre sudetendeutsche Herkunft bei den betroffenen Raketenwissenschaftlern kaum ein Gefühl der Empathie für den jüdischen Staat hat aufkommen lassen, wohl aber für die palästinensische Sache. Wie gezeigt, bezeichnete sich Hans Kleinwächter als Antizionist, was im damaligen Sprachgebrauch einem Feinde Israels entsprach. Die Arbeit der Fachleute in Ägypten vollzog sich in einem sozialen und politischen Umfeld, das seinerzeit vor allem in Teilen von Politik und Publizistik der Vereinigten Staaten grob übertreibend als von ehemaligen „Nazis“ und SS-Schergen dominiert dargestellt wurde. Aufgabe dieser Ewiggestrigen sei zum einen der persönliche Schutz Präsident Nassers „mit Gestapo-Methoden“ gewesen und zum anderen die Errichtung einer ägyptischen Staatsstruktur, die in nächster Nachbarschaft zu Israel Züge des untergegangenen „Dritten Reiches“ hätte tragen sollen. Viele der in diesem Zusammenhang genannten deutschen Namen und Dienstgrade waren frei erfunden und haben durch unkritische Übernahme von späteren Autoren weite Verbreitung gefunden. Richtig ist indessen auch, dass mit Aribert Heim und Hans Eisele zwei besonders übel beleumundete KZ-Ärzte einen sicheren Hafen in Kairo fanden und Eisele die 469

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Rolle eines Betriebsarztes für die Flugzeugkonstrukteure um Ferdinand Brandner übernahm. Damit dokumentierte Brandner nach Meinung einiger Flugzeugbauer vor Ort seine geistigideologische Nähe zum Nationalsozialismus. Mit Johann von Leers schließlich fand ein Theoretiker des nazistischen Antisemitismus eine neue Wirkungsstätte am Nil, während der radikale Praktiker der Judenverfolgung, Alois Brunner, nur vorübergehend dort Station machte, bevor es ihn nach Damaskus weiterzog, wo er sich u. a. zeitweilig dem dortigen Geheimdienst verpflichtete. Bei der Suche nach der Motivation der Fachleute, als Militärberater, Flugzeug- oder Raketenexperte nach Syrien bzw. nach Ägypten zu gehen, stößt man unweigerlich auf die damaligen Verdienstmöglichkeiten dort nebst sonstiger materieller Vorteile. Dieses Motiv scheint alle anderen in den Schatten gestellt zu haben, einschließlich des erwähnten Wunsches mancher der Protagonisten, unbedingt im erlernten Beruf tätig sein zu wollen. Man wird der Wahrheit wohl am nächsten kommen, wenn man in vielen Fällen eine Verquickung der materiellen Anreize mit der gebotenen Möglichkeit, seine Profession ausüben zu können, unterstellt. Wolfgang Lotz, der israelische „Champagnerspion“ am Nil, sei in diesem Zusammenhang ein letztes Mal zitiert. Auf die Frage seiner Frau Waltraud vor Ort, ob die Experten in Ägypten „wirklich solche Antisemiten“ seien, erinnerte sich Lotz wie folgt: „Ich mußte lachen. ‚Manche von ihnen sind es – besonders die Älteren – aber das ist nicht ausschlaggebend. Die eigentliche Motivation dieser Leute ist wieder einmal das liebe Geld. Die Gehälter der deutschen Experten sind etwa dreimal so hoch als [sic] woanders. Dazu kommt, daß sie hier leben wie die Fürsten. Sie haben elegante Villen, deutsche und amerikanische Straßenkreuzer, Dienerschaft  – und das alles für ein Ei und ein Butterbrot. Und wenn man in Urlaub fährt, reist man erster Klasse auf Kosten der ägyptischen Brötchengeber. Für all das kann man schon mal die Stimme des Gewissens überhören‘“.1

Das von den Fachleuten seinerzeit wiederholt vorgebrachte Argument, die Bundesrepublik habe ihnen keine adäquate Beschäftigung geboten, ist nicht völlig von der Hand zu weisen. Als der internationale Druck – und hier ist vor allem jener Israels zu nennen – auf die Bundesregierung wuchs, etwas gegen die Expertentätigkeit namentlich im ägyptischen Raketenbau zu unternehmen, fanden sich plötzlich mit Unterstützung deutscher Politiker Beschäftigungsmöglichkeiten etwa bei Bölkow in München. Allerdings waren inzwischen auch die alliierten Restriktionen gegen den deutschen Flugzeugbau und gegen die Raketenforschung gelockert worden. 1

Lotz, Champagnerspion, S. 138.

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Schwer zu ermessen ist die Wirkung, welche die israelischen Aktionen gegen die Experten im Rahmen der Operation Damokles hervorriefen, die darauf abzielten, diese aus Ägypten zu vertreiben. Zu den Aktionen zählten zweifellos Drohanrufe und Besuche bei Angehörigen der Fachleute in der Bundesrepublik, ferner Sprengstoffangriffe in Ägypten, ein Nötigungsversuch gegenüber Heidi Goercke, möglicherweise auch die Entführung Heinz Krugs und das Schusswaffenattentat auf Hans Kleinwächter. Behauptete die israelische Seite gelegentlich den Erfolg der Operation im Sinne ihres Auftrages, gibt es andrerseits auch Hinweise der Adressaten selber, dass sie sich in Ägypten aus Sicherheitsgründen eingeigelt und von eigentlich längst gefassten Ausreiseplänen in Richtung Deutschland Abstand genommen hätten. Während die Fachleute im ägyptischen Flugzeugbau rund um Willy Messerschmitt und Ferdinand Brandner eindeutig mit militärischer Zielsetzung tätig waren, stellt sich die Situation bei den Raketenexperten differenziert dar. Mitte der fünfziger Jahre konstruierten Kurt Hermann Füllner und Rolf Engel ausschließlich militärisch verwendbare, wenn auch recht kleine, Projektile. Über die Haltung beider Fachleute und ihrer deutschen und österreichischen Mitarbeiter gegenüber Israel ist nichts bekannt geworden; dass ihre Tätigkeit grundsätzlich eine Bedrohung für den jüdischen Staat darstellte, scheint sie jedoch nicht irritiert zu haben. Andrerseits: Immerhin hatte das ehemalige SS-Mitglied Rolf Engel auch keinerlei Berührungsängste gegenüber israelischen Kollegen, die er z. B. in Rom traf und sich mit ihnen austauschte. Eugen Sängers kurzfristige Lehrtätigkeit in Kairo seit 1960 galt offenbar der Entwicklung einer Höhensonde zum Zwecke der zivilen Nutzung. Nach seinem alsbaldigen, unfreiwilligen Abschied vom Nil haben sich seine Kollegen vom Stuttgarter Forschungsinstitut für die Physik der Strahlantriebe, die mit ihm nach Ägypten gegangen waren, dort dauerhaft eingerichtet und unter Leitung von Wolfgang Pilz an Raketen geforscht, denen die französische Véronique und damit letztlich die deutsche V 2 zugrunde lag. Zumindest schlossen diese die Option für eine militärische Nutzung nicht aus. In seinen Gesprächen mit Vertretern der Regierung Kennedy im Jahre 1963 stellte der ägyptische Präsident Nasser „seine“ Raketen wie selbstverständlich als potenzielle militärische Instrumente im Rüstungswettlauf mit Israel dar. Einen wichtigen technischen Aspekt der Raketenentwicklung in Ägypten bildete das in Publizistik und Literatur immer wieder thematisierte Steuerungsproblem bei den von den Deutschen konzipierten Projektilen. Während Paul Goercke in der Rückschau die recht einsame Position vertrat, das Problem sei in Wahrheit zum Zeitpunkt des Abzuges der Deutschen und ihres Ersatzes durch sowjetische Experten längst gelöst gewesen, dominierten hingegen anderslautende Äußerungen, die bis zum Schluss der deutschen Tätigkeit in Heliopolis das Gegenteil erklärten. Etwas irreführend war auch von einem „Bluff“ der Experten die Rede. Als im Sechstagekrieg von 1967 keine ägyptischen Raketen aufgestiegen waren, habe Israel seinen

471

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Schutz vor diesen Geschossen gerade der Unfähigkeit der deutschen Ingenieure bei der Entwicklung eines zuverlässigen Lenkungssystems zu verdanken gehabt. Einen gewissen Charme darf schließlich die – freilich unbewiesene – These des zeitgenössischen Journalisten Terence Prittie beanspruchen, der zufolge die Raketenfachleute die Ägypter getäuscht und absichtlich die Lösung der Steuerungsproblematik hinausgezögert hätten, um weiterhin ein komfortables Leben am Nil ad calendas graecas führen zu können.

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Dank Ein Text wie der vorliegende kommt nicht ohne die Hilfe anderer zustande, so dass es mir eine Freude ist, ihnen allen meinen herzlichen Dank auszusprechen. Zunächst meinem Sohn Christian für unerlässlichen IT-Support und klagloses Korrekturlesen, sodann meinen Freunden seit Schulzeiten, Katrin Mrugalla und Gunter Tomasczewski, ebenfalls für intensives Korrekturlesen. Wichtige Hilfen verdanke ich den Teams zahlreicher Archive und Bibliotheken, vor allem aber jenem der Lippischen Landesbibliothek in Detmold. Informationen, Hinweise und Anregungen gaben David Andel, Jochen Barwind, Franz-Georg Freiherr von Bechtolsheim, Joel Beinin, Jochen Bender, Elke von Berkholz, Rene Bienert, Ralf Bülow, Michael Burgenmeister, Anne und Albrecht Cropp, Jörg Echelmeyer, Familie Fleischhacker, Volker-Markus Gehring, Michael Heymel, Alfred Hottenträger, Elmar Hugger, Jan-Holger Kirsch, Jürgen Kleinwächter, Frank Kötterheinrich, Christopher Kopper, Anna Lindenblatt, Jan Lipinsky, Wiebke Lutze, Viola Meike, Stefan Meining, Miriam Mende, Klaus Offenberg, Ute Pothmann, Oliver Rathkolb, Thomas Riegler, Ludwig Rohmann, Karla Rommel, Jürgen Schaser, Veit Scheller, Egon W. Scherer, Kersten Schüßler, Beate Soller-Krug, Barbara Tuczek, Heike Wälde, Edwin Ernst Weber, Bernd Wedemeyer-Kolwe, Angelika Weiss, Gregor Werthmöller und Franz Wörndle. Ihnen allen sei ebenfalls herzlich gedankt. Für verbliebene Unzulänglichkeiten und Fehler trage ich die alleinige Verantwortung.

473

Abkürzungen AA

Auswärtiges Amt

AAPD

Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland

ABC-Waffen

Atomare, biologische und chemische Waffen

ACDP

Archiv für Christlich-Demokratische Politik

ADAC

Allgemeiner Deutscher Automobil-Club

ADN

Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst

AEG

Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft

AfZ

Archiv für Zeitgeschichte

AföO

Amt für öffentliche Ordnung

AG

Aktiengesellschaft

AP

Associated Press

ARÄ

Arabische Republik Ägypten

ARD

Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands

AUA

Austrian Airlines

BfV

Bundesamt für Verfassungsschutz

BKA

Bundeskriminalamt

BMV

Bundesministerium für Verkehr (Abkürzung gültig im Berichtszeitraum)

BMVtg.

Bundesministerium der Verteidigung (Abkürzung gültig im Berichtszeitraum)

BMW

Bayerische Motorenwerke

BND

Bundesnachrichtendienst

B.P.

Basses Pyrénées

BRD

Bundesrepublik Deutschland

BStU

Der Bundesbeauftrage für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR

BV

Bezirksverwaltung

CDU

Christlich Demokratische Union Deutschlands

CENTO

Central Treaty Organization

CERVA

Compagnie des Engines à Réactions à Vol Accéléres

CHF

Schweizer Franken

CIA

Central Intelligence Agency

474

Abkürzungen CIC

Counter Intelligence Corps

CSU

Christlich-Soziale Union in Bayern e. V.

DDR

Deutsche Demokratische Republik

Degussa

Deutsche Gold- und Silber-Scheide-Anstalt

DEMAG

Deutsche Maschinenbau-Aktiengesellschaft

DGRR

Deutsche Gesellschaft für Raketentechnik und Raumfahrt e. V.

DIA

Defence Intelligence Agency

DLR

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt

DM

Deutsche Mark

DNSZ

Deutsche National Zeitung und Soldatenzeitung (wechselnde Titel)

DPA

Deutsche Presse-Agentur

DVL

Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt

EGAO

Egyptian General Aero Organization

EKD

Evangelische Kirche in Deutschland

ELDO

European Launcher Development Organisation

ETH

Eidgenössische Technische Hochschule

EVAUGE

Erfassungs- und Verkaufsgesellschaft mbH & Co. KG, Gießen

EVG

Europäische Verteidigungsgemeinschaft

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

FDP

Freie Demokratische Partei

FIAT

Fabbrica Italiana Automobili Torino

FLN

Front de Libération Nationale

FOIA

Freedom of Information Act

FPÖ

Freiheitliche Partei Österreichs

FPS

Forschungsinstitut für die Physik der Strahlantriebe e. V.

FR

Frankfurter Rundschau

FWHD

Friedrich-Wilhelm-Heinz-Dienst

GDR

German Democratic Republic

Gestapo

Geheime Staatspolizei

GG

Grundgesetz

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

HA

Hispano Aviación, später Heluani Aircraft

HJ

Hitlerjugend

HVA

Hauptverwaltung Aufklärung

HWA

Heereswirtschaftsamt

475

Abkürzungen IHK

Industrie- und Handelskammer

IKRK

Internationales Komitee vom Roten Kreuz

Intra

International Trade Agency

JUNA

Jüdische Nachrichtenagentur (des SIG)

KAS

Konrad-Adenauer-Stiftung

KNA

Katholische Nachrichtenagentur

KZ

Konzentrationslager

LKA

Landeskriminalamt

MAAG

Max-Maag-Zahnräderfabrik

Meco

Mechanical Corporation

MENA

Middle East News Agency

Merex

Mertins-Export

MfS

Ministerium für Staatssicherheit

MG

Maschinengewehr

MiG

Mikojan i Gurewitsch

M/R

Missiles and Rockets

MTP AG

Maschinen, Turbinen und Pumpen AG

NASA

National Aeronautics and Space Administration

NATO

North Atlantic Treaty Organization

ND

Nachrichtendienst

NISH

Niedersächsisches Institut für Sportgeschichte e. V., Hannover

NL

Nachlass

NRW

Nordrhein-Westfalen

NS

Nationalsozialismus

NSDAP

Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

NZZ

Neue Zürcher Zeitung

OAS

Organisation de l’armée secrète

ODESSA

Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen

OKD

Osnabrücker Kupfer- und Drahtwerk

OKW

Oberkommando der Wehrmacht

ONERA

Office National d’Études et de Recherches Aérospatiales

Org.

Organisation Gehlen

OSS

Office of Strategic Studies

PAG

Physikalische Arbeitsgemeinschaft

Patvag

Gesellschaft für Patente und Verwaltungen AG

476

Abkürzungen PPP

Parlamentarisch-Politischer Pressedienst

RAF

Rote Armee Fraktion

RSHA

Reichssicherheitshauptamt

SA

Sturmabteilung

SABENA

Société Anonyme Belge d’Exploitation de la Navigation Aérienne

SAIDE

Services Aériens Internationeaux d’Égypte

SBZ

Sowjetische Besatzungszone

SD

Sicherheitsdienst

SDECE

Service de Documentation Extérieure et de Contre-Espionage

SED

Sozialistische Einheitspartei Deutschlands

SFB

Sender Freies Berlin

SIG

Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

SRP

Sozialistische Reichspartei

SS

Schutzstaffel

SSC

State Security Cadre

SU

Sowjetunion

SWR

Südwestrundfunk

TASS

Telegrafnoje Agentstwo Sowetskogo Sojusa (Sowjetische Nachrichtenagentur)

TH

Technische Hochschule

TNT

Trinitrotoluol

TU

Technische Universität

UAA

United Arab Airlines

UAR

United Arab Republic

UdSSR

Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken

Ufa

Universum-Film AG

U. I. R. D.

Union International de la Résistance et de la Déportation

UN

United Nations

UPI

United Press International

V 1, 2

Vergeltungswaffe 1, 2

VA

Versuchsanstalt

VAR

Vereinigte Arabische Republik

VDI

Verein Deutscher Ingenieure

VfZ

Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte

VW

Volkswagen

477

Abkürzungen VWI-SWA

Vienna Wiesenthal Institute-Simon Wiesenthal Archiv

WamS

Welt am Sonntag

WGL

Wissenschaftliche Gesellschaft für Luftfahrt

ZDF

Zweites Deutsches Fernsehen

ZfG

Zeitschrift für Geschichtswissenschaft

478

Quellen- und Literaturverzeichnis Ungedruckte Quellen Archiv des Bundesnachrichtendienstes, Berlin Akten Nr. 22562, 22563, 22564, 24881, 28152, 28153, 30212, 100614, 100615 Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP), St. Augustin Nachlass Franz Böhm, I-200-006/5 G V Archiv des Deutschen Museums, München Nachlass 230 Eugen Sänger, vorläufige Nummern 1068/2, 1853/2, 1857, 1858, 1859, 2180, 2647 sowie die Nummern 1418/1 und 1425 Archiv der Familie Cropp, Murnau/Oberbayern Tagebuchaufzeichnungen des Revue-Reporters Albrecht Cropp aus Syrien Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn Nachlass Carlo Schmid Archiv für Zeitgeschichte (AfZ) der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH), Zürich Nachlass Georges Brunschvig/57/58/59/62 IB JUNA-Archiv/1878, Hassan Sayed Kamil, Gerichtsunterlagen, 1963–1964 IB SIG-Archiv/804, Fall Hassan Sayed Kamil, Akten Georges Brunschvig, 1964 Bundesarchiv, Berlin Bestand R 9361-III, Sammlung Berlin Document Center (BDC), Archivnr. 212568, Titel: Hermann Valentin Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), jetzt Bundesarchiv MfS – Sekr. d. Min., Nr. 1993 Teil 2 von 2; MfS ZAIG Nr. 9639 Bd. 2; MfS ZIAG 38708; MfS HA XX Nr. 3764; MfS BV KMSt AOP 88/58; MfS HVA Nr. 1039 (Gentil, Mentegassi, Oltramare, Deumling), MfS HVA Nr. 221 (Engel); MfS HVA 227 Central Intelligence Agency Diverse Dokumente im Internet nach dem Freedom of Information Act (FOIA) Institut für Zeitgeschichte, München Gs 05.40 Klage Gesine von Leers’ ZS-3084-4, Leers, Gesine von Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland, Duisburg Akte NW 377, Nr. 5960, 1962–1967 Landesarchiv NRW, Abteilung Westfalen, Münster Q 211, Generalstaatsanwaltschaft Hamm, Nr. 649

479

Quellen- und Literaturverzeichnis Landesarchiv Salzburg, Salzburg LAD 1967 d 1340: Verfahrensakt F. O. [sic] Joklik, Teil I Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen Adresskarte Homsy André Akram Tabarra Niedersächsisches Institut für Sportgeschichte e. V. (NISH), Hannover Nachlass Heinz Heigl, Mappen I und III Kopien aus dem Carl und Liselott Diem-Archiv in der Deutschen Sporthochschule Köln, Korrespondenzen, Mappe 553, Film 11, Briefwechsel Carl Diem/Heinz Heigl, 1950–1958 Österreichisches Staatsarchiv, Kriegsarchiv, Wien Nachlass Otto Skorzeny, Mappen „Ägypten (Pressekonferenz)“, „Artikel etc“, „Anti-Komintern“ und „Zusammenarbeit mit Durst“ Schweizerisches Bundesarchiv, Bern E 4320 B # 1990/266 # 6979, Kamil Hassan Sayed, 1918 E 4320 C # 1994/120 # 690, Kamil Hassan Sayed, 1960–1963 E 4320 C # 1994/120 # 691, Kamil Hassan Sayed, 1964 Stadtarchiv Lörrach Bestand AföO, 2632 Vienna Wiesenthal Institute, Simon Wiesenthal Archiv (VWI-SWA), Wien I.1., Mappen Ägypten, A – E; Mappe Syrien; Akte Rauff, Walter (1) und (2)

Gedruckte Quellen Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland (AAPD) Jahre 1949 bis 1967 Deutscher Bundestag, 18. Wahlperiode, Drucksache 18/3777. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jan Korte, Sevim Dagdelen, Ulla Jelpke und weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 18/3599 – Suche nach dem Kriegsverbrecher Alois Brunner U. S. Congress, 85th Congress, Congressional Record-Appendix, Vol.  103, 1957, A 1622, Committee Prints Washington, 1957 (Internet) U. S. Congress, 88th Congress, 1st Session; Committee Prints, Washington 1963 (Internet)

Wiederholt benutzte Zeitschriften und Zeitungen (z. T. auch online-Ausgaben) Aktuell. Deutsches Wochenmagazin Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland Arbeiter-Zeitung, Wien Bunte

480

Literatur Christ und Welt Deutsche National Zeitung und Soldatenzeitung (Titel wechselnd) Flugwelt international Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurter Illustrierte Frankfurter Rundschau Neue Illustrierte Neue Zürcher Zeitung Quick Revue Die Rheinpfalz Der Spiegel Stern Süddeutsche Zeitung Tecklenburger Landbote Welt am Sonntag Wiener Library Bulletin Die Zeit

Literatur Achcar, Gilbert, Die Araber und der Holocaust. Der arabisch-israelische Krieg der Geschichtsschreibungen, Hamburg 2012. Ägyptische Raketen im nächsten Jahr. Prof. Sänger gab Interview an israelische Zeitung, in: PPP, Nr. 4, 14. Jg., 2. April 1964. Aldouby, Zvi/Ballinger, Jerrold, The Shattered Silence. The Eli Cohen Affair, New York 1971. Allardt, Helmut, Politik vor und hinter den Kulissen. Erfahrungen eines Diplomaten zwischen Ost und West, Düsseldorf 1979. Aronson, Shlomo, Israelische Atomwaffen und der Sechs-Tage-Krieg von 1967, in: VfZ 52, 2004, S. 245–279. as-Sadat, Anwar, Geheimtagebuch der ägyptischen Revolution, Düsseldorf 1957. Asseburg, Muriel/Busse, Jan, Der Nahostkonflikt. Geschichte, Positionen, Perspektiven, München (2) 2018. Atek, Wageh, Probleme der ägyptisch-deutschen Beziehungen 1952–1965, Phil. Diss. Essen 1983. Ders., Der Standpunkt Ägyptens zur westdeutschen Wiedergutmachung an Israel, in: Orient, Vol. 24, 1983, S. 470–485.

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Bildnachweis Abb. 1: akg-images / IAM / World History Archive Abb. 2: akg-images / Imagno Abb. 3: akg images

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Quellen- und Literaturverzeichnis Abb. 4, 5, 6: Seegerpress Abb. 7: akg-images / IMAGNO/Votava Abb. 8, 9: akg-images Abb. 10: akg-images / Keystone / STR Abb. 11: High Contrast, CC BY 3.0 DE , via Wikimedia Commons Abb. 12: akg-images / brandstaetter images / Votava Abb. 13: picture Alliance / dpa / A0009 Abb. 14: By Anonymous, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12773518 Abb. 15: By Eric Salard  - Fusée VERONIQUE, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/ index.php?curid=30804922 Abb. 16: Max Scheler/Süddeutsche Zeitung Photo Abb. 17: akg-images / WHA / World History Archive Abb. 18: UPI/Süddeutsche Zeitung Photo Abb. 19: By Unknown author  – https://kotar.cet.ac.il/KotarApp/Viewer.aspx?nBookID=94839360#37.4966.8.none, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=79182328 Abb. 20, 21: akg-images / Keystone / JOHANNES BRUELL Der Autor und die Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, danken allen Rechteinhabern für die Abdruckgenehmigungen.

Personenregister Vorbemerkung: Das Register nennt teilweise nur die Familiennamen, da die zugehörigen Vornamen nicht zu ermitteln waren. Die Aufnahme allein der Familiennamen nebst militärischem Dienstgrad bzw. Funktion oder Berufsangabe – soweit bekannt – in diesen Fällen erscheint gerechtfertigt, um künftige Recherchen zu ermöglichen bzw. erleichtern. Die tatsächliche Existenz einiger nachfolgend aufgeführter Personen mit deutschem bzw. österreichischem Familiennamen einschließlich ihrer Aliasnamen muss, wie im Text angedeutet, bezweifelt werden. Die Annahme eines jüdischen Namens in Palästina bzw. Israel durch in Europa geborene Juden mit ursprünglich etwa deutschem Namen wird mit „auch“ gekennzeichnet.

Abdel Hakim Amer, Mohammed 268

ad-Dauq, Ahmad 43

Abs, Hermann-Josef 40 Acharoni, Zvi 399

Adenauer, Konrad 27, 38f., 42f., 87, 96, 107, 110, 116f., 119, 123, 132f., 137, 183, 187, 300, 338, 430, 445

Acis, Sidky 261

Ahituv, Avraham 455–457

496

Personenregister Aldouby, Zvi 91, 342

Barsch, A. 369

al-Gindi 191f.

Bartel 167

al-Hamawi, Mamun 41

Bar-Zohar, Michael 56f., 163f., 380, 412f.

al-Hinnawi, Sami 73

Bauch, Gerhard 62, 188, 326, 462

al-Husseini, Mohammed Amin 19, 50, 56, 66, 122, 125, 176, 186

Bausch, Paul 435

Ali, Hussein Ibn 19 al-Kaher, Saleh (bzw. Saleh Qaher, d. i. Oded) 351 al-Kuwatli, Shukri 34

Beck, Fritz 203 Beethoven, Ludwig van 31 Begin, Menachim 433

Allardt, Helmut 96, 131, 133, 135

Beissner, Wilhelm 15, 123–125, 128, 215

Allon, Yigal 27, 433

Bella, Ahmed Ben 258

Alten, Erich (alias Ali Bella) 163

Bender 151, 156–158, 160, 168

Amiguet, Doris 406f., 409

Ben-Gal, Joseph 190, 283, 360, 368, 380, 386, 402, 404, 407–411, 413, 416–418, 420, 439, 443, 469

Amit, Meir 341, 412f., 457 Andel, David 473 Andel, Horst J. (auch Aharon Moshel) 8, 27, 179, 319, 326, 336, 469 Andersson, Per Olaf 162

Bechtolsheim, Theodor von 104f., 111, 149

Ben-Gurion, David 20f., 38f., 57, 75, 117, 182, 207, 308, 336, 338, 341, 353, 412f., 426, 433 Bennett, Max 152

Apithy, Sourou-Migan 313f.

Bergman, Ronen 319, 338, 342, 349–353, 357, 377, 381, 398, 405, 412, 454, 456–458, 460f.

Appel, Reinhard 303f.

Bernardi, Guido 59

Appler 167

Bernert, Philippe 207

Aronson, Shlomo 268

Bernhardt, Johannes 56

as-Sadat, Anwar 25, 217

Bertholdt, Heinz 146

Atek, Wageh 41f.

Bezold, von, Meteorologe 81

Azzab, Kamil 338, 390

Bilharz, Theodor 141

Azzam, Abdel Rahman 50

Birgel 167 Birnbaum, Nathan 18

Bacravan, General 169

Bisanz, Alfred 52

Badeau, John S. 425, 428–430

Bismarck, Otto von 36, 76, 182

Bader, Generalstaatsanwalt 358

Bissinger, Franz R. 323

Balfour, Arthur J. 19

Black, Ian 90, 356

Ballinger, Jerrold 91, 342

Blair, Allan H. 369–372

Banout, syrischer Generalstabschef 77–80

Blankenhorn, Herbert 107, 130

Barak, Harry 459, 461

Blocher, Fritz 420

Barrymaine, Norman 106, 150

Bodamer, Ulrich 251

497

Quellen- und Literaturverzeichnis Böckler 167

Chichakly, Adib 34, 36f., 78, 87, 89, 91

Bödewadt, Uwe T. 190, 202, 205–207, 209

Chomeini, Ruhollah 27

Böhm, Franz 340, 430, 432, 434, 440, 446

Christmann, Kurt 175

Böker, Alexander 441, 446

Chruschtschow, Nikita S. 267

Bölkow, Ludwig 88, 212, 461

Churchill, Winston S. 19, 109–111, 133

Boemert, Herbert 100

Cohen, Akiwa 399

Börner 167

Cohen, Avner 427f.

Bollmann 167

Cohen, Eli 187

Bonin, Bogislaw von 96, 111

Cookridge, E. H. 116

Bormann, Martin 16, 54, 142

Copeland, Miles 70f., 114, 116, 121

Brandner, Ferdinand 8, 140, 237–242, 245, 247f., 251f., 254, 256–258, 260, 263, 266, 269, 310, 317f., 320, 348, 417, 454, 467f., 470f.

Creswell, Michael J. 110, 134f.

Braun, Wernher von 12, 65, 192f., 199f., 203, 220, 276, 286, 413, 463 Bremer, Gerhard 56 Brentano, Heinrich von 183, 298

Cropp, Albrecht 49f., 57, 63–70, 77–80, 86–91, 468f., 473 Cross, Edmond 75 Czarnecki, Stefan Graf 206f., 209, 215 Dadieu, Armin 278–280, 285, 294

Brinckmann, Hans-Heinrich 15

Dadieu, Renate 279

Brockdorff, Werner 16

Dan, Uri 460

Brümm, Max 227 Brunner, Alois (alias Alois Schmaldienst, alias Georg Fischer) 7, 15, 184–186, 188f., 470

Dayan, Moshe 440

Brunner, Anton 184

Deligdisch, Jekutiel 148

Brunschvig, Georges 7, 15, 184–186, 188f., 470

Deumling, Joachim 161, 168

Buble (alias Amman) 151, 155, 158, 160

Deutschkron, Inge 130, 148, 295, 336, 342, 358, 385

Bührle, Emil (Bührle-Oerlikon) 193, 214, 226, 229–231, 234, 251, 265

Dehler, Thomas 446

Devi, Savitri 176

Bünsche 167

Diem, Carl 83

Buntrock, Georg 121

Dirks, Walter 38

Bunzel 167

Dirlewanger, Oskar (alias Hassan Souliman) 16, 52, 163f., 168f.

Caffery, Jefferson 129

Dollmann 53

Canaris, Wilhelm 220

Dornberger, Walter 200

Carstens, Karl 441

Dorril, Stephen 53f., 138

Cerny, Otto 88

Dulles, Allen W. 114

Chiang Kai-schek 79

Dulles, John F. 109

498

Personenregister Eban, Abba 2 54, 316

Fehler, Johann-Heinrich 64–68

Ebert, Hauptmann 68

Fehrer (oder Fahrer), Techniker 285

Eckert, Bruno 238, 269, 273f., 288, 292, 295–299, 301, 320

Ferchl, Kurt (?), Oberst 131

Eden, Anthony 109

Finkenberger, Martin 180, 183 Fitzner, Büro-Offizier 81

Ehrensperger, Karl 192f.

Fleig, Hans 251, 260

Eichborn, Reinhart von 301 Eichmann, Adolf 11, 53, 55f., 77, 175, 182f., 185, 187, 353, 385 Eilts, Hermann F. 427 Eisele, Hans 7, 15, 140f., 143, 169, 246, 251, 443, 468f.

Foertsch, Volker 188 Forsyth, Frederick 14, 53f., 341 Franco, Francisco 11, 56, 112, 225 Francois-Poncet, André 87 Frank, Hans 365 Frank, Paul (auch Avri El-Ad, geboren als Avri Seidenwerg) 103–105, 111, 210f.

Eisenberg, Dennis 460 Eisenhower, Dwight D. 422

Freemantle, Brian 169

Eitan, Rafi 399, 455 El-Ad, Avri (alias Paul Frank, geboren als Avri Seidenwerg) 103, 111, 145, 148, 321

Frey, Gerhard 141, 180, 443–447 Friede, Willy 61

Elger, Herbert 192, 194

Friedrich der Große 76

Elten, Jörg Andrees 49, 87, 91, 468

Fritsch, Eberhard 175

Elzer, Herbert 129

Früngel, Frank 201f.

Engel, Rolf 8, 93f., 97, 120, 190f., 193f., 196–217, 219, 222, 241, 268–270, 273, 293f., 314, 359, 362, 471

Fuad, König von Ägypten 24

Erasmus, Michael 354, 362, 375, 384 Erhard, Ludwig 96, 321, 436, 445, 448–450, 451f.

Füllner, Kurt Hermann 8, 190–196, 205f., 268, 272f., 471 Gabrielli, Giuseppe 260

Erler, Fritz 450

Gaitanides, Johannes 165, 274, 278, 287f.

Esch, Hansjoachim von der 47

Galal, Hadi 214

Eschkol, Levi 413, 417, 447, 450, 452, 457

Gartmayr, Georg 80

Esser, Direktor Fa. Hugo Stinnes 359f.

Gaulle, Charles de 357 Gehlen, Reinhard 61, 113f., 116–121, 188, 325

Fadl, Kemal Abdul 231 Fahrmbacher, Wilhelm 94, 98–104, 106-110, 123, 133f., 136, 148f., 168, 195, 468 Faqusa, Vertreter der Arabischen Liga in Bonn 45 Farago, Ladislas 53f. Faruk, König von Ägypten 24, 62, 94f., 104, 114, 124, 150, 208, 273

Geisenheyner, Stefan 256 Genscher, Hans-Dietrich 329 Gerich, Werner 264 Gerlach, Ministerialrat 276 Germani, Hans 189 Gerstenmaier, Eugen 10, 165, 431, 451

499

Quellen- und Literaturverzeichnis Ghader Owdeh, Faisal Abdul 168

Hagel, Gerhard 327, 330

Ghorab, Youssef 393

Hahn, Otto 192

Glasberg, Alexandre (genannt Abbé) 386

Halim, Abbas 124

Gleim, Leopold (alias al-Nacher) 151, 155, 157f., 160, 165f., 168f.

Halin, Hubert 10, 166

Globke, Hans 119, 132, 277, 343, 435f.

Hallstein, Walter 41, 43, 45f., 94, 96, 130, 132f., 137, 165

Goebbels, Joseph 12, 147, 171, 174, 182, 301, 399

Halperin, Isser (auch Isser Harel) 336

Goepfert 261

Hamid, Kamal Abdel 131

Goercke, Heidi 382-384, 397, 402, 406, 408-411, 413f., 416–418, 471

Hamsun, Knut 327

Goercke, Paul J. 190–193, 210, 212, 273f., 278, 281, 283, 286, 292–294, 296f., 305f., 307, 309, 358, 360, 372, 378, 382, 385f., 406f., 408–410, 414, 416f., 443, 447, 450f., 455, 458, 464, 466f., 471

Hanisch, Kurt 190, 205–207, 209

Goercke, Rainer 406f., 414

Harder, von 167

Goldmann, Nahum 39, 77, 187

Hardt, Oberst 67f.

Golling, Otto 333f., 417, 452

Harel, Isser (auch Isser Halperin) 187, 327, 336, 338, 341, 349, 351–353, 356f., 398f., 412f., 423, 455

Gompf, Heinrich 374f. Göring, Hermann 92f., 96

Heck, Walther 374f.

Greilinger, Berater an der Sportschule im syrischen Qatana 81

Gronau, Karl-Heinz (Heinrich) 247 Gruber, Otto 72, 74

Hardenberg, Hans Graf 146

Hase, Karl-Günther von 434f.

Grasser, Hartmann 78f.

Gromyko, Andrei A. 119

Hansen, Niels 45

Harriman, Averell 424f.

Göthert, Bernhard H. 302

Gresh, Alain 75

Handrick, Gotthard 82

Heidele, Manfred 285, 384 Heiden, Louis (alias Louis al-Haj) 120, 155, 167 Heigl, Heinz 15, 80, 82–86 Heigl, Irmhild 82f., 85 Heikal, Mohammed 28

Gruening, Ernest 162f.

Heim, Aribert (alias Tarik Hussein Farid) 56, 144, 170, 469

Gur-Aryeh, Ze‘ev (auch Wolfgang Lotz) 321

Heim, Rüdiger 144f. Heinemann, Monsignore 62

Häberli, Emil 420

Heinkel, Ernst 8, 217, 219–222, 225–227, 275

Habermeyer, Elisabeth 289f.

Heinkel, Karl-Ernst August 221

Haberstroh, Kriminalbeamter 385

Heinkel, Lisa 221

Hackl 261

Heisig, Ingenieur 394

Hafez, Mohamed 363f.

Heitmann, Hans 64–67

Hafner, Georg M. 187

Held 261

500

Personenregister Helmensdorfer, Erich 105, 143, 169f.

Jarschel, Alfred 16

Hensel, Legationsrat I. Klasse 315f.

Jarschel, Friedrich 16

Hentzen, Fritz 246

Johnson, Lyndon B. 422f., 429

Hermsdorf, Hans 296f.

Joklik, Otto F. (alias Reinhard) 8, 190, 283–285, 292, 296, 306, 339, 349, 358–370, 372, 376f., 379– 384, 397, 401–407, 410, 413, 416f., 419f., 423, 439

Hertslet, Joachim 123, 126, 129f., 133 Herzl, Theodor 18

Jünger, Ernst 173

Heß, Rudolf 365 Hesse, Hermann 327

Kallas, Ewald 264

Heuss, Theodor 43 Heydte, Friedrich-August von der 102

Kamil, Hassan Sayed 8, 17, 88, 227–235, 238, 242– 245, 248–252, 256, 259f., 269, 319, 338, 342–349

Himmler, Heinrich 50, 76, 92, 171, 201, 203

Kammerer 93

Hithofer, Franz 169

Kammler 50

Hitler, Adolf 10, 16, 20, 26, 36, 70, 76, 90, 108, 120, 153f., 160, 166, 169, 175f., 200, 246, 251f., 279, 300, 332, 412, 433, 454, 463

Karch, Adolf 304

Höcherl, Hermann 449–451 Holm, (alias Haddad, alias Martin), Fallschirmjäger 78f. Hopf, Volkmar 434f. Höppner, Helmut 463f. Horeis, Heinz 197, 199, 201, 204, 207, 209f., 212, 216

Howard, Roger 342 Hudal, Alois 55 Huizinga, Johan 171 Hussein, König von Jordanien 31

Kempner, Robert M. W. 180 Kennedy, John F. 339, 42–429, 439, 445, 471 Khalil, Mahmoud 231, 234, 238, 256, 269, 277f., 285, 289, 291, 293, 295, 302, 315, 319f., 352f., 360, 363, 366, 370, 374, 391, 397, 404

Holzhausen, Rudolf 184

Horty, Miklos 111

Katzmann, Fritz 52 Keil, Siegfried 49f.

Höfer, Werner 303

Horkheimer, Max 439

Karun, israelischer Raketenexperte 210f.

Kiesow, Franz 325 Kiesow, Nadja 325 Kirkpatrick, Ivone 107, 430 Kleinwächter, Hans 8, 280f., 293, 296, 305f., 309, 333, 344, 355, 358, 361, 375, 396–406, 408–410, 414, 416f., 435, 443–445, 451, 458, 464, 466f., 469, 471 Klutznick, Philip M. 158 Koeferli, Walter 258

Hüttenberger, Ingenieur 385

Kogon, Eugen 38

Irving, David 117

Komer, Robert W. 422f., 425–427, 430

Kollischon, Kriminalbeamter 385 Kordt, Theodor 132

Jahn, Gerhard 446

Kostroun 100, 137

Jansen, Josef 299, 314, 435f., 441

Kräftner, Dolmetscher 80

501

Quellen- und Literaturverzeichnis Krähe, Otto 386f.

Liebknecht, Kal 358

Krahl-Urban, Anwalt 39

Lindbergh, Charles 204, 278

Krauß, Julius 226

Lipkau, Oberleutnant 70, 73

Krausser, Helmut 366

Livingston, Journalist 283, 385f.

Kreipe, Werner 298

Lloyd, Selwyn 137

Kreisky, Bruno 252–254

Locquenghien, Theodor Freiherr von 402

Kretzschmar, Walter 263

Loewenthal, Enrico 168f.

Kriebel, Hermann 79

Löhde, Wolfgang 197, 199f., 204, 354f., 359, 365, 369–375, 377–379, 384, 388f., 391f., 395, 464–467

Kriebel, Rainer 79f., 82–87, 90f., 236f., 246f., 262, 299, 315f.

Lott, Hans 242f., 252

Krolikowski, Werner 262f.

Lott, Ottilie 243

Krug, Heinz 211, 286–290, 293–296, 305f., 314, 320, 349–363, 366f., 369–371, 374f., 377–380, 384–386, 388, 396, 402, 410, 415, 439, 444, 454, 471

Lotz, Waltraud 141, 325, 391

Krug, Kaj Rüdiger 286, 288f., 342, 356

Louk, Mordechai 168

Kuhn, Manfred 229

Lucian, Fahrer von Rolf Engel 204

Lotz, Wolfgang (auch Ze‘ev Gur-Aryeh) 8, 141– 143, 179, 183, 319, 321f., 324–327, 329, 336, 340, 391–395, 455, 459f., 462, 470

Luder 167 Lahan 186

Lumumba, Patrice 31

Lahr, Rolf 433

Luther, Martin 76

Landau, Eli 460

Luxemburg, Rosa 358

Lauterbacher, Hartmann 15, 124, 214 Lavison, Comte de 207

MacMahon, Henry 19

Ledward, R. T. D. 108

Mader, Julius 112, 460

Lee, Martin A. 138

Mahrad, Ahmad 145

Leers, Gesine („Geschi“) von 183

Makella, Ingenieur 240, 261, 263f.

Leers, Gesine von 142f., 173, 184

Malkin, Peter Z. 320, 336

Leers, Johann von (alias Felix Schwarzenborn, alias Omar Amin, alias Hans A. Euler, alias NaziEmi, alias Hannes) 7, 15, 120, 123, 142, 151, 161, 171–184, 186, 279, 333, 443, 470

Mallet, Guillermo F. 225, 231 Manor, Amos 412 March, Werner 85

Lehmann, Chef einer „Totenkopf“-Einheit in Syrien 63, 74, 90, 468

Markert, Rolf 262f.

Lessing, Theodor 163

McCloy, John J. 426–428

Leuze, Eduard 303, 321

McNamara, Robert 253

Ley, Robert 96

Meade, Stephen J. 70f.

Lie, Trygve 51

Mebus, Hans Georg 88

Martell, Karl 178

502

Personenregister Moshel, Aharon (auch Andel, Horst J.) 326–334

Mecklenburg, Herzog Georg 347 Mecklenburg, Herzog Georg Alexander zu 242 Mecklenburg, Herzogin Helene zu 17, 242, 342, 344f., 348

179f.,

Moszkowicz, Imo 279f. Moszkowicz, Martin 279f.

Medan, Raphi 456f., 460

Motke, Mordechai Ben-Zur 148f.

Meinhof, Ingeborg 172

Müller, Hans (alias Hanak Hassim Bey) 95

Meinhof, Ulrike 172, 328

Müller, Heinrich 167

Meinhof, Wienke 172

Müller, Helmut 377 Münchhausen, Baron 413

Meir, Golda 169, 332, 339f., 430, 433, 447, 453

Munzel, Oskar 107, 133

Melman, Yossi 454 Mendelssohn-Bartholdy, Felix 83

Nadim, Said 351f., 354–357, 362–364, 366, 370, 373, 378, 390

Mendl 53 Mengele, Josef 55, 175, 187

Naef, Willi 140, 248, 251f.

Mentegazzi, Antonio 162

Naftali, Timothy 121f.

Mertins, Gerhard 15, 101f., 105, 111, 122, 135, 378

Nagel, Günter 201

Messerer, Heeresbauberater 80 Messerschmitt, Ferdinand 223 Messerschmitt, Willy 8, 219, 222–228, 231–233, 235–238, 244f., 248, 252–255, 257–260, 262, 268, 275, 317, 331, 451, 463, 471

Nagib, Muhammad 25, 36, 44, 47, 52, 95f., 105, 108f., 115, 124–126, 129, 131, 138, 148, 150, 153, 207, 219 Nagy, Samit 391

Mildenstein, Leopold von 12

Nasser, Gamal Abdel 7f., 10, 12f., 16, 23–34, 37, 45, 95, 105, 114, 118f., 121, 124–128, 131, 136–138, 148–154, 156–166, 169, 179, 182, 210, 217, 222, 227f., 231f., 234–236, 242, 245f., 248, 251, 254, 257–262, 267–269, 285, 296, 302, 304, 307, 309– 312, 316f., 320, 332, 336, 338–340, 374, 382, 404, 410, 422–428, 430, 433, 437, 439f., 442, 445–447, 451, 453f., 462, 465f., 469, 471

Minder, Walter 368

Nasser, Tahia Abdel 31

Minelli, Ludwig A. 261

Naumann, Techniker 285

Mischal, Nissim 367, 380

Nauschütz, Peter 88

Miska, Peter 231, 233–235, 245

Nebel, Rudolf 199

Mohammed, der Prophet 76

Neeser, Johann 229, 247f.

Mohieddine, Zakaria 256

Nehru, Jawaharlal 28

Möhr, Hans 81f.

Neuberger, Josef 343f.

Morris, Benny 90, 356

Neumann, Waltraud 325

Moser, Alois (alias Nalisman) 151, 155f., 158, 160, 165, 167

Niemöller, Inge 329

Meyer-Ranke, Peter 30f. Michel-Raulino, Lilly von 224 Mielke, Erich 199, 262f. Milch, Erich 224, 261

Neurath, Konstantin Freiherr von 175

503

Quellen- und Literaturverzeichnis Niemöller, Martin 327–330

Pitzken, Hermann 196, 203, 208

Niethammer, Friedrich 340

Polenz, Walter 246

Nimz, Mineraloge 80

Politi, Elie 157

Nohinec 137

Porat, Ben 291

Noske, Gustav 358

Pothmann, Ute 93, 473

Nuri, Osman 214

Potrykus, Gerhard 448 Prantel 137

Oberth, Hermann 199, 275

Priester, Karl-Heinz 183

Oded, (alias Saleh al-Kaher), Mossad-Veteran 352, 356, 377, 380

Primor, Avi 313f.

Ohain, Hans von 220

Pripolzew, Valentin A. 303 Prittie, Terence 417, 465, 472

Oltramare, Georges (alias Dieudonné) 162

Prittwitz, von 53

Oppenheimer, Robert 64f.

Pröll, Wilhelm 439

Osman, Fouad 324

Puchert, Georg 374 Purucker 93

Pabst, Waldemar 358 Pachelbel, Rüdiger Freiherr von 331

Rademacher, Franz 15, 167

Pahlevi, Reza 114

Rademacher 261

Papen, Franz von 251

Raedel, Schreibkraft 285

Pascha, Abud 209

Rafael, Gideon 21

Pascha, Mohammed Mahmud 192

Ramadan, Oberst 227

Pascha, Nahas 191

Ramzi, Ezzadin 214

Pascha, Nosret 194

Rathenau, Walther 184

Paulgerg, von, technischer Zeichner 81 Pawelke, Günther 42, 44, 47, 99, 107–110, 122, 128–133, 138 Peres, Shimon 39, 45, 138, 335, 338, 341, 413, 421, 424, 434, 460, 465

Rauf, Abdullah 71 Rauff, Walther (alias Alf) 7, 11, 61–63, 69–77 Rauschning, Hermann 189 Ravenstein, Johann T. von 53

Peron, Eva 184

Raviv, Dan 454

Peron, Juan 175, 279

Reifenberg, Jan 445

Perret-Gentil, Daniel 162f.

Reitsch, Hanna 300

Pilz, Hildegard 381f., 384, 388

Remer, Otto-Ernst 15, 122–125, 167

Pilz, Wolfgang 205, 211f., 276–278, 280–282, 286, 290, 293–298, 305–308, 310, 314, 317, 319–321, 332f., 338, 351, 356–360, 366, 370–372, 374–389, 391f., 398, 403, 408f., 414, 416f., 427, 430, 440, 443f., 447, 452, 455, 458, 464–467, 469, 471

Rhoden, Joachim von 285 Richter 167 Riemeck, Renate 172, 328 Rimski-Korsakow, Nikolai A. 31

504

Personenregister Ritter von Srbik, Hans-Heinrich 225, 231f.

Schacht, Gerhard 58

Ritzel, Heinrich 440

Schacht, Hjalmar 40, 96, 113–116, 275

Röhl, Klaus-Rainer 328

Schäfer, Edwin 301

Rohmann, Ludwig 346, 473

Schaefer, Hermann 189

Romain, Karl (alias Captain Carol) 62f., 68f.

Schalfejew, Eduard 94

Römer, Staatssekretär 435

Scheel, Gustav Adolf 201

Rommel, Erwin 11, 26, 51, 82–84, 98, 102, 179, 286, 322

Scheidt, Heinz 285, 296, 305

Roosevelt, Eleonore 158

Schellenberg, Walter 201 Schellhorn, Waldemar 235f., 244f.

Roosevelt, Franklin D. 158

Scherer, Egon W. 354, 361, 363f., 390f., 473

Roosevelt, James 158

Schirmer, Hans 438f., 450

Roosevelt, Kermit („Kim“) 113

Schlange-Schöningen, Hans 108–110

Roosevelt, Theodore 113

Schleu, Alfred 194f.

Rosenberg, Alfred 176, 181

Schmid, Carlo 38

Rosenfelder, Mathilde 15, 285, 385

Schmidt-Eenboom, Erich 84

Röstel, Franz 77–80, 86, 90

Schmid, Werner 248

Rothe, Leo S. 244

Schmitt, Carl 251

Rothschild, Lionel Walter 19

Schneeweiss, Rudolf 187

Rückerl, Adalbert 166, 168

Schönbaumsfeld, Hans 239, 248, 254, 453

Rudel, Hans-Ulrich 175

Schönhuber, Franz 328

Rusk, Dean 253, 438

Schorpp, Franz 406 Schreiber, Ingenieur 80, 90

Sabri, Ali 208

Schreyer, Elektroniker 296

Sabri, Hussein 379

Schröder, Gerhard, Außenminister 436–438

Sabry, Omar 104 Salama, ägyptischer Journalist 304

430, 434,

Schubert, Kurt 291f., 366, 369, 376–379

Saleh, Mahmoud 176 Sänger, Eugen 8, 165, 211, 215, 269–281, 285, 288– 290, 292–305, 317f., 320, 358, 370, 373, 442f., 469, 471

Schuran, Walter 285, 305, 384, 386f., 451, 458 Schürenberg, Mineraloge 80 Schütz, Peter 285

Sänger, Hartmut E. 300f.

Sedow, Leonid I. 275

Sänger-Bredt (auch Bredt), Irene 270–274, 292, 302, 318, 370, 469

Seebohm, Hans-Christoph 298, 321

Sarradsch, Abdel Hamid 37 Sauvant, Oberst 80

Seidenwerg, Avri (auch Avri El-Ad, alias Paul Frank) 321

Savir, Leo 433–435

Seidl, Alfred 365f., 368, 391f., 395, 414, 452

Segal, Simon 439

505

Quellen- und Literaturverzeichnis Seiermann, Ludwig 301

Stevenson, Ralph 114

Seipel 167

Stevenson, William 175

Sellmann (alias Hamis Suleiman) 158, 160, 167

Stines, George H. 316

Sellwood, Arthur V. 65–67

Stippberger, Emanuel 213

Senn, Karl 403, 420

Stohr, Jagdflieger 58, 60, 68

Shaker, Farid Sherif 231, 238, 282f.

Stolberg-Stolberg, Graf 344

Shamir, Yitzhak 341

Stowasser, Karl, Dolmetscher 81

Shapira, Esther 187

Strachwitz von Groß-Zeuche und Camminetz, Hyazinth Graf 64f., 67–69, 72f., 80, 86, 90, 161

Sharett, Moshe 27, 39, 152

Strang, William 109

Sharpley, Anne 176

Stratton, Samuel J. 253

Shinnar, Felix E. 147f., 431f., 436–438

Strauß, Franz Josef 39, 45, 96, 102, 245, 247, 321, 338, 341, 434, 446, 460f.

Sidky, Ahmed 208, 247, 256 Sidky, Mohammed 228

Strobel, Reinhold 281–283, 293f., 385f., 409, 463, 469

Sieberger, Drogist 196 Silverstein, Ken 62, 188 Simpson, Christopher 116

Tabarrah, Akram (bzw. Homsy, Homsi, Hamsy) 58f., 61

Skorzeny, Ilse 455f.

Tank, Kurt 258, 260–262, 442

Skorzeny, Otto (alias Rolf Steinbauer, alias Hanna Effendi Khoury) 8, 13, 100f., 111–116, 120–122, 125–128, 133, 145, 147, 150, 173, 350, 358, 395, 454–459, 461

Tauber, Kurt P. 151, 170

Smith, Stuart 126, 292, 454 Soliman, Omar 128, 160 Soller-Krug, Beate 342, 351, 368, 473 Speer, Albert 194, 202f. Spieß, Chefingenieur 246 Springer, Ernst-Wilhelm 15, 124, 167 Stalin, Josef W. 272 Standhaft, Hermann 330f. Stangl, Franz 15, 56, 64 Stärker, Rudi 135, 261 Stechow, Johann Karl von 237 Steinbrunner, Rudolf 285 Steiner, Ferdinand 143 Steuck, Ernst 264

Theveßen, Elmar 144 Thiemann 167 Tiefenbacher, Josef (Sepp) 99 Tinnefeld, Hans 17, 343, 347, 349 Tito, Josip B. 220 Todt, Fritz 200, 224 Toepfer, Sprengstoffchemiker 194 Tokajew, Grigorij 272 Truman, Harry S. 51, 71 Tucholsky, Kurt 182 Tzschaschel, Joachim 80 Ulbricht, Lotte 263 Ulbricht, Walter 263, 462 Valentin, Hermann 345, 354, 358–361, 363–365, 379, 390f., 406, 412, 416, 455, 458–460

506

Personenregister Valleser, Chefberater an der syrischen Infanterieschule 80

Wessel, Wilhelm 88

Vielain, Heinz 101

Wiesenthal, Simon 11, 16, 51, 57f., 77, 166–168, 383, 457

Vogel, von, Chefberater an der syrischen Kriegsschule 80

Wiegels, Renate 194, 196

Vogel, Hannelore 277, 285

Willermann, Heinrich (alias Naam Fahum) 157, 161, 167, 169

Voigt, Heinz 298

Winkler, Johannes 199

Voigt, Hermann 46

Wirsing, Giselher 301

Voort, Marta an 385

Wittfogel, Karl August 173f.

Voss, Wilhelm 7, 53, 92–100, 105, 108, 111, 122f., 126–131, 133f., 136–138, 148, 167, 196, 207f., 215

Wolf, Oberleutnant 240 Wolff, Hubertus Freiherr von 127f. Wolff, Karl 52

Wächter, Otto Freiherr von 70

Wolfmann, Journalist 247

Wagner, Franz 274, 288

Wollweber, Ernst 159f.

Wagner, Gustav 77

Wormser, Fregattenkapitän 104

Walberg, Janos 75 Waldschmidt, Herbert 43

Yaacov 459

Walther, Willi 281 Weber, Walter W. 46, 332

Yaron (bzw. Jaron), israelischer Raketenexperte 210, 212

Weber, Wolfgang 414f.

Yps, Mr. 415

Wehner, Herbert 450 Weinberg 53

Za‘im, Husny 34, 58f., 63, 68–75, 77f.

Weiner, Tim 70f., 138

Zaugg, Ernie 75–77

Weiss, Alfred 285

Zborowski, Helmut von 204, 241, 270

Weiss, Angelika 473

Zech-Nenntwich, Hans-Walter 15

Weiß, Walter 58, 60–63, 68, 81

Zhou Enlai 28

Wende, Hannelore (verheiratete Vogel) 285, 332, 388–390, 452, 455

Zimmermann, Diplomingenieur 205

Wende (Vater von Hannelore, Rechtsanwalt) 389

Ziock, Hermann 53, 95

Wenzel 68

Zweig, Gunter 93

Zind, Ludwig P. 177f., 279

Werner, Rudolf 432 Wesemann 167

507

Albrecht Hagemann, geboren 1954 in Detmold, studierte Sozialwissenschaften, Geschichte und Ev. Religionslehre in München und Bielefeld, 1989 erreichte er seine Promotion zum Doktor phil. an der Universität Bielefeld. Er arbeitete als Gymnasiallehrer in Herford und ist Autor mehrerer Sachbücher.

www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-40724-8

Albrecht Hagemann Die Straße der Störche

Nur wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des nationalsozialistischen Massenmords an dem europäischen Judentum widmeten sich deutsche und österreichische Militärexperten in Syrien und Ägypten der militärischen Ausbildung sowie der Entwicklung von Raketen und Jagdflugzeugen. Dies geschah in unmittelbarer Nähe zum jungen Staat Israel, der auch zur Heimat von HolocaustÜberlebenden wurde. Was waren die Motive dieser Fachleute? Dieser Frage geht der vorliegende Band ebenso nach wie der z. T. blutigen Reaktion auf das Treiben der Experten im Rahmen der israelischen Operation „Damokles“.

Albrecht Hagemann

Die Straße der Störche Deutsche und österreichische Militärexpertise in Syrien und Ägypten und die Antwort Israels (1947–1967)