Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen [1 ed.] 9783428551828, 9783428151820

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Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen [1 ed.]
 9783428551828, 9783428151820

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Schriften zur Rechtsgeschichte Band 180

Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen Von

Oskar Vurgun

Duncker & Humblot · Berlin

OSKAR VURGUN

Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Schriften zur Rechtsgeschichte Band 180

Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen Von

Oskar Vurgun

Duncker & Humblot · Berlin

Die Drucklegung erfolgte mit freundlicher Unterstützung durch den Landschaftsverband Rheinland

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Paris-Lodron Universität Salzburg hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-15182-0 (Print) ISBN 978-3-428-55182-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-85182-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinem Vater Ercan Vurgun (†) Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an Dich denke.

Geleitwort Juristische Veröffentlichungen, die sich mit Fragen der Justiz des nationalsozialistischen Deutschlands befassen, sind zwischenzeitlich in einer beachtlichen Anzahl erschienen. Thematische Schwerpunkte bilden ganz überwiegend Rechtsprechung und Richterschaft, insbesondere auf dem Feld der Strafjustiz. So widmen sich zahlreiche Arbeiten der Urteilspraxis diverser Sondergerichte und der Biographie der betreffenden Richter, während die diesbezügliche Arbeit der Staatsanwaltschaften und die Lebens- und Berufswege der zuständigen Staatsanwälte vielfach nur am Rande erörtert werden. Die vorliegende Publikation, die als Dissertation entstanden ist, betritt dagegen gewissermaßen Neuland, indem sie die Arbeit einer konkreten Staatsanwaltschaft und die beruflichen Wege der dort handelnden Staatsanwälte als Untersuchungsgegenstände wählt, die im Detail und unter Nutzung aller heute verfügbaren Quellen durchleuchtet werden. Forschungsobjekt ist die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen, das 1941 errichtet worden war. Inhaltlich geht es folglich vor allem um das Kriegsstrafrecht in seinen Auswüchsen. Der Verfasser hat dabei nicht nur alle noch vorhandenen Verfahrensakten gesichtet und ausgewertet, die mit 680 Einzelverfahren etwa 70 % des geschätzten Gesamtbestandes ausmachen; er hat auch in erheblichem Umfang weitere Primärquellen herangezogen, wie das Quellenverzeichnis und der Anmerkungsapparat zeigen, vor allem aber die faktengesättigte Untersuchung eindrucksvoll belegt. Die breite Quellenbasis, die sich auch im Umfang der Arbeit dokumentiert (618 Textseiten sowie zahlreiche Tabellen und Abbildungen), untermauert die getroffenen Aussagen in ihrer Werthaltigkeit. Die Forschungsfragen, die sich der Autor gestellt hat, basieren auf dem Verständnis der Staatsanwaltschaft im Dritten Reich als eines unmittelbaren Organs der politischen Führung (Georg Dahm). Für die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen untersucht die Arbeit, inwieweit eine Instrumentalisierung als politische Steuerungsinstanz im Arbeitsalltag stattgefunden hat, die gegebenenfalls auch als politische Selbstinstrumentalisierung einzuordnen ist. Maßgebende Gesichtspunkte sind die Auswirkungen der einschlägigen Gesetzgebung, die politische Zuverlässigkeit der agierenden Staatsanwälte, das Zusammenspiel mit den vorgesetzten Behörden und dem Sondergericht sowie die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis der Staatsanwaltschaft.

8 Geleitwort

Die Beantwortung der Fragen basiert auf besonders gründlichen Recherchen und sorgfältig differenzierenden Bewertungen. Hervorzuheben ist dabei die Darstellung der beruflichen Tätigkeit der betroffenen Staatsanwälte. In ihrem Rahmen werden die einzelnen Verfahren dem jeweiligen Sachbearbeiter zugeordnet und dessen Verfahrensbearbeitung – soweit möglich – im Detail untersucht, was einen tiefer gehenden Einblick in das Rollenverständnis der fraglichen Staatsanwälte ermöglicht. Ebenso erhellend ist die umfassende Analyse der Verfahren, in denen die besonderen Rechtsmittel des NS-Strafprozessrechts (Außerordentlicher Einspruch und Nichtigkeitsbeschwerde) erwogen oder tatsächlich eingesetzt wurden, sowie derjenigen, in denen Todesurteile ergingen. Die Aufbereitung des umfangreichen Stoffs erfolgt in nur zwei Hauptteilen, die aber jeweils mit detaillierten Untergliederungen versehen sind, was inhaltlich dem Leser die Orientierung erleichtert und es ihm darüber hinaus erlaubt, bei der Lektüre ohne Weiteres eigene Schwerpunkte zu setzen. Die Dissertation, die mit zwei Preisen ausgezeichnet wurde, kann daher auch als ein rechtshistorisches Sachbuch verstanden werden, das dem Leser zu einzelnen Stichworten und Themenbereichen vertiefte Informationen bietet. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass ein renommierter Verlag diese Arbeit in sein Programm aufgenommen hat. Gerhard Fieberg Präsident des Bundesamts für Justiz a. D.

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Mai 2014 von der Universität Salzburg als Dissertation angenommen. Mein Dank gilt an erster Stelle meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Dr. Gerhard Ammerer für das enge Betreuungsverhältnis, seinen persönlichen Einsatz und das aufrichtige Interesse an der Arbeit, welches Ansporn für mich war. In gleichem Maße danke ich Herrn Prof. Dr. Alfred Rinnerthaler, der die Arbeit betreute, stets konstruktive Impulse gab, mich auf Fördermöglichkeiten aufmerksam machte und damit wesentlich zum Erfolg der Dissertation – auch über die Veröffentlichung hinaus – beitrug. Mit der von Professionalität und Warmherzigkeit geprägten Betreuung trugen beide Herren maßgeblich zu meiner akademischen Prägung und stets währenden, inneren Verbundenheit zur Universität Salzburg bei. Danken möchte ich Herrn Prof. Dr. Gerald Kohl für die Übernahme der Begutachtung der Arbeit sowie die Möglichkeit, bis heute am wissenschaftlichen Austausch um die Rolle der Staatsanwaltschaft im rechtshistorischen Kontext teilnehmen zu können. Danken möchte ich der Universität Salzburg und ihrem Rektor, Herrn Prof. Dr. Heinrich Schmidinger, für die finanzielle Unterstützung bei der Drucklegung. Für die Gewährung eines Druckkostenstipendiums danke ich dem Landschaftsverband Rheinland und seiner Direktorin, Frau Ulrike Lubek, sowie dem Leiter des Fachbereiches für regionale Kulturarbeit a. D., Herrn Dr. Norbert Kühn. Für die Verleihung des Irma Rosenberg-Preises für die Erforschung der Geschichte des Nationalsozialismus danke ich Frau Prof. Dr. Sybille Steinbacher vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, dem Präsidenten der Österreichischen Gesellschaft für Zeitgeschichte, Herrn Univ.-Doz. Dr. Bertrand Perz, Herrn Bundesminister Reinhold Mitterlehner sowie der Leiterin der Kulturabteilung der Stadt Wien, Frau Anita Zemlyak. Der Regierungspräsidentin des Regierungsbezirks Köln, Frau Gisela Wals­ken, dem Leiter des Historischen Instituts der RWTH Aachen, Herrn Prof. Dr. Dr. Armin Heinen, Herrn Prof. Dr. Frank Pohle und dem Präsidenten des AKV Aachen, Herrn Rechtsanwalt Dr. Werner Pfeil, danke ich für die Verleihung des Helmut A. Crous-Geschichtspreises der Region Aachen.

10 Vorwort

Da die Arbeit zu einem großen Teil von Archivarbeit geprägt war, danke ich allen Mitarbeitern des Landesarchivs NRW sowie dessen Leiter, Herrn Dr. Frank Bischoff, sowie Herrn Maik Rost, der sich dafür einsetzte, mir alle erforderlichen Aktenstücke zur Verfügung zu stellen. Mein Dank gilt den Mitarbeitern des Bundesarchivs der Zweigstelle Berlin-Lichterfelde und dessen Leiter, Herrn Dr. Michael Hollmann, sowie den Mitarbeitern und dem Direktor des Landesarchivs Berlin, Herrn Uwe Schaper. Dem Leitenden Rechtsberater der Streitkräftebasis im Bundesministerium der Verteidigung a. D., Herrn Direktor a. D. Dr. Alexander Poretschkin, danke ich für meine erste wissenschaftliche Veröffentlichung und seinen persönlichen Einsatz um meine Person zu Beginn der Dissertation. Danken möchte ich dem Präsidenten des Bundesamtes für Justiz a. D., Herrn Gerhard Fieberg, für inspirierende Gespräche und Einblicke in die rechtshistorische Aufarbeitung des Nationalsozialismus durch die Bundesrepublik Deutschland. Mein ganz besonderer Dank gilt meinem Freund, Herrn Rechtsanwalt Dr. Thomas Bichat, für den fachlichen Austausch und unsere stets währende Freundschaft und Verbundenheit zueinander. Ich danke meinem Freund Herrn Christopher Ross, der mit großem Fleiß die Korrekturlektüre der Arbeit vorgenommen hat. Meinem Freund Guido Schmitz danke ich für die IT-Unterstützung, insbesondere für die Konzipierung der Datenbank, die der Arbeit zugrunde liegt. Mein besonderer Dank gilt Herrn Ministerialrat Heinz-Ulrich Lüttger, Frau Rechtsanwältin Gabriele Lüttger und Frau Christine Lüttger für die Ermöglichung meines Forschungsaufenthalts in Berlin, die Korrekturlektüre, den fachlichen Austausch und die gemeinsame Zeit. Ich danke meiner Großmutter Frau Marga Scheins, die als Aachenerin und Zeitzeugin den Krieg miterlebte, für ihre Erzählungen und Erinnerungen an ihren Bruder, Herrn Siegfried Müller, der als Soldat an der Ostfront sein Leben ließ. Mein Dank gilt meiner Mutter, Frau Sixta Vurgun, für ihre Liebe, finanzielle Unterstützung während meiner gesamten akademischen Ausbildung und Vorbildfunktion, die sie nach dem Tod meines Vaters alleine ausgefüllt hat. Ich danke meinem verstorbenen Vater, der in Gedanken und meinem Herzen stets bei mir ist, für seine Liebe, sein Wesen und Charisma, die mich jeden Tag motivieren und inspirieren. Potsdam, im März 2017

Oskar G. Vurgun

Inhaltsübersicht A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I. Ziel und methodischer Ansatz der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 III. Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 IV. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 V. Quellenlage und Quellenwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen und ihre Rolle im Justizverwaltungsapparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 I. Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen der staatsanwaltschaftlichen Arbeitspraxis am Standort Aachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung für die Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 III. Die Personalpflege auf Reichsebene und ihre Umsetzung und Auswirkung bei der Staatsanwaltschaft Aachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen – Akteure und Lenkungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis der Staatsanwaltschaft Aachen, dargestellt anhand der Verfahrensakten der Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 I. Ermittlungs- und Anklagepraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 III. Weitere Entwicklung der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I. Ziel und methodischer Ansatz der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 III. Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 IV. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 V. Quellenlage und Quellenwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen und ihre Rolle im Justizverwaltungsapparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 I. Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungender staatsanwaltschaftlichen Arbeitspraxis am Standort Aachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Rechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 a) Nationalsozialistische Rechtsideologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 aa) Das Führerprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 bb) Das Prinzip der Volksgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 b) Die intendierte Stellung der Staatsanwaltschaft im NS-Regime . 50 c) Grundlagen nationalsozialistischer Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . 52 aa) Formelle Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 bb) Materielle Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2. Faktische Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 a) Die fingierte „Justizkrise“ – Gründe, Urheber und Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Der Einfluss des Krieges auf den Standort Aachen . . . . . . . . . . . 61 aa) Eckdaten zum Kriegsverlauf in Aachen . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 bb) Bedeutung des Krieges für die Behördenorganisation . . . . . . 63 cc) Der Kriegseinfluss auf die Bevölkerung und Konsequenzen für die Arbeit der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 (1) Kriegsbedingte Zerstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 (2) Versorgungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 (3) Das Zusammenleben mit ausländischen und jüdischen Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 c) Die staatsanwaltschaftliche Wirkungsstätte: Das Sondergericht Aachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 aa) Die Entwicklung der Sondergerichtsbarkeit bis 1933 . . . . . . 74 bb) Errichtung und Personal des Sondergerichts Aachen . . . . . . . 77 cc) Überlieferter Geschäftsanfall  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung für die Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

14 Inhaltsverzeichnis 1. Die Gesetzgebung auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts . . . . 80 2. Die Gesetzgebung auf dem Gebiet des formellen Strafrechts . . . . . . 82 a) Abschaffung des Analogieverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 b) Gerichtliche Voruntersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 c) Durchbrechung des Legalitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 d) Weitere Änderungen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens . . . . 89 e) Zugang zum Sondergericht durch Wahlzuständigkeit . . . . . . . . . . 91 f) Besondere Rechtsmittel – der außerordentliche Einspruch . . . . . 97 aa) Entstehung, Anwendungsbereich und abstrakte Relevanz . . . 97 bb) Konkrete Relevanz des außerordentlichen Einspruchs für die Staatsanwaltschaft Aachen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 cc) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 g) Besondere Rechtsmittel – die Nichtigkeitsbeschwerde  . . . . . . . . 110 aa) Entstehung, Anwendungsbereich und abstrakte Relevanz . . . 110 bb) Konkrete Relevanz der Nichtigkeitsbeschwerde für die Staatsanwaltschaft Aachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 (1) Die Fälle erwogener Nichtigkeitsbeschwerden . . . . . . . . 116 (a) Fall 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (b) Fall 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 (c) Fall 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (2) Die Fälle angeregter Nichtigkeitsbeschwerden . . . . . . . . 122 (a) Fall 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 (b) Fall 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (c) Fall 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (3) Die Fälle eingelegter Nichtigkeitsbeschwerden . . . . . . . 128 (a) Fall 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 (b) Fall 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 (4) Die Fälle erfolgreicher Nichtigkeitsbeschwerden . . . . . . 132 (a) Fall 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 (b) Fall 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (c) Fall 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (d) Fall 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (e) Fall 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 (f) Fall 14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 (g) Fall 15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (h) Fall 16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 cc) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 h) Strafvollstreckung und Begnadigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 3. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 III. Die Personalpflege auf Reichsebeneund ihre Umsetzung und Auswirkung bei der Staatsanwaltschaft Aachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1. Personalpflege auf Reichsebene: Personelle „Reinigung“ der Justizverwaltung und Personalpolitik im NS-Regime . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

Inhaltsverzeichnis15 a) Die Reformation des Beamtenapparates und ihre gesetzlichen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 b) Einwirkungen der NSDAP auf dem Personalsektor – der Staatsanwalt zwischen Staatstreue und Parteitreue . . . . . . . . . . . . . . . . 164 c) Die Mitgliedschaft in der Partei als Voraussetzung für die Beamtenlaufbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2. Die Umsetzung der Personalpflege auf Bezirksebene: Aufbau und Akteure der Staatsanwaltschaft Aachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 a) Einordnung und Aufbau der Staatsanwaltschaft Aachen im Gefüge der Justizverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) Die Akteure der Staatsanwaltschaft Aachen und ihre politische Instrumentalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 aa) Die Definition des Begriffs der „politischen Selbstinstrumen­ talisierung“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 bb) Die Akteure der Staatsanwaltschaft Aachen . . . . . . . . . . . . . . 179 (1) LOStA Karl Friedrich Hans Führer . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (a) Tätigkeitsprofil und Parteiaktivität . . . . . . . . . . . . . . 179 (b) Relevanz der staatsanwaltlichen Tätigkeit vor dem Sondergericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (2) EStA Carl Ackermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (a) Tätigkeitsprofil und Parteiaktivität . . . . . . . . . . . . . . 188 (b) Relevanz der staatsanwaltlichen Tätigkeit vor dem Sondergericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (3) Dezernatsleiter für Sondergerichtssachen: StA Dr. Konrad Bruno Höher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (a) Tätigkeitsprofil und Parteiaktivität . . . . . . . . . . . . . . 195 (b) Relevanz der staatsanwaltlichen Tätigkeit vor dem Sondergericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (4) StA Rolf Venator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 (a) Tätigkeitsprofil und Parteiaktivität . . . . . . . . . . . . . . 202 (b) Relevanz der staatsanwaltlichen Tätigkeit vor dem Sondergericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (5) StA Dr. Gerhard Marx . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (a) Tätigkeitsprofil und Parteiaktivität . . . . . . . . . . . . . . 205 (b) Relevanz der staatsanwaltlichen Tätigkeit vor dem Sondergericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (6) StA Hans Wickmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 (a) Tätigkeitsprofil und Parteiaktivität . . . . . . . . . . . . . . 210 (b) Relevanz der staatsanwaltlichen Tätigkeit vor dem Sondergericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (7) StA Paul Friedrich Wilhelm Zimmerath . . . . . . . . . . . . . 215 (a) Tätigkeitsprofil und Parteiaktivität . . . . . . . . . . . . . . 215 (b) Relevanz der staatsanwaltlichen Tätigkeit vor dem Sondergericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 c) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

16 Inhaltsverzeichnis 3. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen – Akteure und Lenkungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1. Die oberste Justizbehörde: Das Reichsjustizministerium in Berlin . . 234 a) Behördlicher Aufbau und sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . 234 b) Relevante Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 aa) Staatssekretär Dr. Dr. hc Franz Schlegelberger . . . . . . . . . . . 236 bb) Reichsminister Dr. Otto Georg Thierack . . . . . . . . . . . . . . . . 240 cc) Staatssekretär Dr. Roland Freisler  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 dd) Staatssekretär Dr. Curt Ferdinand Rothenberger . . . . . . . . . . 247 ee) Staatssekretär Herbert Klemm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 ff) Ministerialrat Karl Günther Joel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 c) Die ministeriellen Lenkungsinstrumente und ihre Bedeutung für die Staatsanwaltschaft Aachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 aa) Mitteilungs- und Berichtspflichten an das Reichsjustizministerium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 bb) Verpflichtung zur Erstattung politischer Lageberichte . . . . . . 258 cc) Einzelweisungen des Reichsjustizministeriums an die Staatsanwaltschaft Aachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 dd) Weitere Arten von Verwaltungsbestimmungen mit Bindungswirkung für die Staatsanwaltschaft – Richtlinien, Rundverfügungen und Allgemeinverfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 ee) Besprechungen und Tagungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Die Generalstaatsanwaltschaft Köln – Bindeglied zwischen Reichsjustizministerium und Staatsanwaltschaft Aachen . . . . . . . . . . . . . . . 275 a) Stellung und sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 b) Relevante Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 aa) OStA Dr. Dr. Otto Osterkamp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 bb) GStA Willy Rahmel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 cc) Sonderreferent bei der Generalstaatsanwaltschaft: EStA Arnold . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 c) Lenkungsinstrumente auf Provinzialebene und ihre Bedeutung für die Staatsanwaltschaft Aachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 aa) Berichts- und Mitteilungspflichten an den Generalstaats­ anwalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 bb) Politische Lageberichte an die Generalstaatsanwaltschaft . . . 284 cc) Einzelweisungen der Generalstaatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . 288 3. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis der Staatsanwaltschaft Aachen, dargestellt anhand der Verfahrensakten der Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 I. Ermittlungs- und Anklagepraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 1. Die Ermittlungs- und Anklagepraxis im Lichte der jeweiligen Deliktsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

Inhaltsverzeichnis17 a) Delikte nach dem Heimtückegesetz (HG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 aa) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 (1) § 1 HG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 (2) § 2 HG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 cc) Ermittlungsspezifische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 dd) Der Erfolg der Anklagepraxis, gemessen anhand der Gegenüberstellung von beantragtem und verhängtem Strafmaß . . . 305 b) Delikte nach der Kriegswirtschaftsverordnung (KrWVO) . . . . . . 305 aa) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 (1) § 1 Abs. 1 KrWVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 (2) Sonstiger Anwendungsbereich der KrWVO . . . . . . . . . . 313 bb) Ermittlungsspezifische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 cc) Anklagespezifische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 dd) Der Erfolg der Anklagepraxis, gemessen anhand der Gegenüberstellung von beantragtem und verhängtem Strafmaß . . . 317 c) Delikte nach der Volksschädlingsverordnung (VVO) . . . . . . . . . . 318 aa) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 (1) Systematische Einordnung der §§ 2 und 4 VVO . . . . . . 320 (2) Anwendungsbereich des § 2 VVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 (a) Taugliche „Grunddelikte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 (b) Ausnutzung von Fliegerabwehrmaßnahmen . . . . . . . 325 (c) Voraussetzung des Tätertypen als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 (3) § 4 VVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 (a) Die „sonstige Straftat“ als „Grunddelikt“ . . . . . . . . . 334 (b) Die Ausnutzung „außergewöhnlicher Verhältnisse“ . 336 (c) Die Verwerflichkeitsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 bb) Anklagespezifische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 cc) Der Erfolg der Anklagepraxis, gemessen anhand der Gegenüberstellung von beantragtem und verhängtem Strafmaß . . . 343 d) Delikte nach der Rundfunkverordnung (RundfunkVO) . . . . . . . . 344 aa) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 (1) § 1 RundfunkVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 (2) § 2 RundfunkVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 bb) Ermittlungsspezifische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 cc) Anklagespezifische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 dd) Der Erfolg der Anklagepraxis, gemessen anhand der Gegenüberstellung von beantragtem und verhängtem Strafmaß . . . 354 2. Die Ermittlungs- und Anklagepraxis im Lichte unterschiedlicher Personengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 a) Die Ermittlungspraxis gegen den Sonderreferenten der Generalstaatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 b) Ermittlungs- und Anklagepraxis gegen Angehörige der NSDAP . 357

18 Inhaltsverzeichnis aa) Verfahren gegen führende Persönlichkeiten der NSDAP auf Provinzialebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 bb) Verfahren gegen sonstige Angehörige der NSDAP . . . . . . . . 362 c) Verfahrenspraxis bei Ausländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 3. Verfahrenspraxis bei Todesurteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 a) Der Fall Raymond D.  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 aa) Täterprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 bb) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 cc) Spruchpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 b) Der Fall Josef K.  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 aa) Täterprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 bb) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 cc) Spruchpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 c) Der Fall Wilhelm M.  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 aa) Täterprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 bb) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 cc) Spruchpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 d) Der Fall Philipp L.  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 aa) Täterprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 bb) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 cc) Spruchpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 e) Der Fall Hubert B.  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 aa) Täterprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 bb) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 cc) Spruchpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 f) Der Fall Wilhelm O.  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 aa) Täterprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 bb) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 cc) Spruchpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 g) Der Fall Heinrich W.  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 aa) Täterprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402

Inhaltsverzeichnis19 bb) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 cc) Spruchpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 h) Der Fall Hans K.  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 aa) Täterprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 bb) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 cc) Spruchpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 i) Der Fall Paul S.  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 aa) Täterprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 bb) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 cc) Spruchpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 j) Der Fall Wilhelm L., Albert L., Heinrich H. und Karl S.  . . . . . 420 aa) Täterprofile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 bb) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 cc) Spruchpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 k) Der Fall Mathias P.  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 aa) Täterprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 bb) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 cc) Spruchpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 5. Auswirkungen der VereinfachungsVO vom 29. Mai 1943 für die Ermittlungs- und Anklagepraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 6. Fachärztliche Begutachtungen des Geisteszustandes . . . . . . . . . . . . . 427 a) Voraussetzungen und staatsanwaltschaftliche Intention . . . . . . . . 428 b) Aufbau und inhaltliche Ausgestaltung der Gutachten . . . . . . . . . 429 c) Prozessuale Relevanz und Bindungswirkung der Gutachten . . . . 431 7. Verfahrenseinstellungen, Verwarnungen und Freisprechungs­ anträge – Motive und Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 8. Schlussfolgerungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 1. Grundlagen zum Strafvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 a) Ideologische Grundlagen des Strafvollzugs seit der Machtübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 b) Zielrichtungen und normative Entwicklung des Strafvollzugs von der Weimarer Republik bis zur Strafvollzugsordnung vom 22. Juli 1940 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449

20 Inhaltsverzeichnis aa) Reichsratsgrundsätze vom 7. Juni 1923 . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 bb) Strafvollzugsordnung vom 14. Mai 1934 . . . . . . . . . . . . . . . . 450 cc) Strafvollzugsordnung vom 22. Juli 1940 . . . . . . . . . . . . . . . . 452 2. Vollstreckungspraxis bei Urteilen des Sondergerichts Aachen . . . . . 454 a) Aufgaben der Staatsanwaltschaft als Strafvollstreckungsbehörde . 454 b) Vollstreckungsorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 c) Durchführung und Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 aa) Geldstrafen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 bb) Freiheitsstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 (1) Gefängnisstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 (2) Zuchthausstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 (3) Lagervollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 cc) Vollstreckung von Todesstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 (1) Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen  . . . . . 463 (2) Konkreter Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 3. Gnadenpraxis der Staatsanwaltschaft Aachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 a) Normative Rahmenbedingungen des Gnadenverfahrens . . . . . . . . 471 b) Umsetzung durch die Staatsanwaltschaft Aachen . . . . . . . . . . . . . 474 aa) Bedingte Strafaussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 (1) Privilegierte Personen- und Berufsgruppen . . . . . . . . . . . 475 (2) Auflagen und Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 bb) „Bewährung an der Front“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 cc) Bedeutung von Stellungnahmen der NSDAP . . . . . . . . . . . . . 480 dd) Gnadenpraxis in Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 4. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 III. Weitere Entwicklung der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 1. Kriegsverlauf und Konsequenzen für die Staatsanwaltschaft . . . . . . 486 2. Zukunft der Staatsanwälte nach Kriegsende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 3. Vorwürfe in der Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616

Tabellenverzeichnis Tabelle   1: Anträge und Entscheidungen zu den Angeklagten, die Gegenstand des außerordentlichen Einspruchs waren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Tabelle  2: Anzahl eingelegter Nichtigkeitsbeschwerden in den Geschäftsjahren 1941–1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Tabelle  3: Ausgang und Merkmale von Verfahren vor dem Sondergericht ­Aachen, die im Zusammenhang mit Nichtigkeitsbeschwerden stehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Tabelle   4: Sitzungsvertretungen des LOStA Führer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Tabelle  5: Durchschnittliche Höhe beantragter Freiheitsstrafen durch LOStA Führer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Tabelle   6: Sitzungsvertretungen des EStA Ackermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Tabelle  7: Durchschnittliche Höhe beantragter Freiheitsstrafen durch EStA Ackermann, aufgeschlüsselt nach Deliktsgruppen . . . . . . . . . . . . . . 192 Tabelle  8: Anzahl der Sitzungsvertretungen von StA Höher, aufgeschlüsselt nach Deliktsgruppen und antragsgemäßen Urteilen . . . . . . . . . . . . . 197 Tabelle   9: Sitzungsvertretungen des StA Venator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Tabelle 10: Durchschnittliche Höhe beantragter Freiheitsstrafen durch StA Venator, aufgeschlüsselt nach Deliktsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Tabelle 11: Anzahl der Sitzungsvertretungen des StA Marx, aufgeschlüsselt nach Deliktsgruppen und antragsgemäßen Urteilen . . . . . . . . . . . . . 207 Tabelle 12: Durchschnittliche Höhe beantragter Freiheitsstrafen durch StA Marx, aufgeschlüsselt nach Deliktsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Tabelle 13: Anzahl der Sitzungsvertretungen von StA Wickmann, aufgeschlüsselt nach Deliktsgruppen und antragsgemäßen Urteilen . . . . . . . . . 212 Tabelle 14: Durchschnittliche Höhe beantragter Freiheitsstrafen durch StA Wickmann, aufgeschlüsselt nach Deliktsgruppen . . . . . . . . . . . . . . 213 Tabelle 15: Anzahl der Sitzungsvertretungen von StA Zimmerath, aufgeschlüsselt nach Deliktsgruppen und antragsgemäßen Urteilen . . . . . . . . . 217 Tabelle 16: Durchschnittliche Höhe beantragter Freiheitsstrafen durch StA Zimmerath, aufgeschlüsselt nach Deliktsgruppen . . . . . . . . . . . . . . 219 Tabelle 17: Gegenüberstellung durchschnittlich beantragter und verhängter Freiheitsstrafen gegen Parteimitglieder und die Gesamtheit aller Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366

22 Tabellenverzeichnis Tabelle 18: Vergleich der durchschnittlichen Höhe der Strafanträge in Monaten, nach Deliktsgruppen, Angeklagtengruppen und Strafart . . . . . 373 Tabelle 19: Verfahren mit anschließendem Todesurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Tabelle 20: Anzahl dokumentierter Todesurteile durch Sondergerichte im Rheinland und in Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Tabelle 21: Verfahren, in denen fachärztliche Gutachten eingeholt wurden . . . 432 Tabelle 22: Verfahrensanzahl beantragter Freisprüche, forcierter Einstellungen sowie Verwarnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 Tabelle 23: Verfahrensverteilung über die Jahre 1941–1945 nach Vergehen und Verbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 Tabelle 24: Gesamtverteilung der einzelnen Delikte nach Anzahl und Prozentpunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 Tabelle 25: NS-Verfahrenssignaturen mit jeweils höchster fortlaufender Nummer pro Jahr, unterteilt in Vergehen und Verbrechen . . . . . . . . . . . 508 Tabelle 26: Eingelegte Nichtigkeitsbeschwerden beim dritten Strafsenat des Reichsgerichts aus der Sphäre der StA Aachen . . . . . . . . . . . . . . . . 509 Tabelle 27: Synopse der Strafen im Ausgangsverfahren und Korrekturverfahren von erfolgreich eingelegten Nichtigkeitsbeschwerden . . . . . . . 509 Tabelle 28: Sondergerichtsverfahren, in denen das Gerichtsurteil vom beantragten Strafmaß zuungunsten der Angeklagten abwich . . . . . . . . . 510 Tabelle 29: Durchschnittliche Strafhöhe verhängter Freiheitsstrafen, dargestellt anhand der jeweiligen Deliktsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 Tabelle 30: Durchschnittliche Höhe beantragter Freiheitsstrafen durch StA ­Höher nach Deliktsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 Tabelle 31: Heimtückeverfahren bei Sitzungsvertretung durch StA Höher, ­deren Urteile antragsgemäß ergingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 Tabelle 32: Verstöße gegen die KrWVO bei Sitzungsvertretung durch StA ­Höher, deren Urteile antragsgemäß ergingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 Tabelle 33: Verstöße gegen die VVO bei Sitzungsvertretung durch StA Höher, deren Urteile antragsgemäß ergingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 Tabelle 34: Verstöße gegen die RundfunkVO bei Sitzungsvertretung durch StA Höher, deren Urteile antragsgemäß ergingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 Tabelle 35: Anzahl der Sitzungsvertretungen aller Staatsanwälte nach Deliktsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 Tabelle 36: Beantragtes und verhängtes Strafmaß in Verfahren gegen Mitglieder der NSDAP bei Sitzungsvertretung durch StA Zimmerath nach Deliktsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 Tabelle 37: Durchschnittliche Höhe beantragter Freiheitsstrafen durch StA Zimmerath bei Mitgliedern der NSDAP nach Deliktsgruppen . . . . 523 Tabelle 38: Vertikale Behördenstruktur des RJM, Stand von April 1941 . . . . . 524

Tabellenverzeichnis23 Tabelle 39: Sachliche Zuständigkeit und Referatsleiter der Abteilung III nachgeordneten Referate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 Tabelle 40: Die Sachreferate der Abteilung III unterstellten Unterabteilungen  . 527 Tabelle 41: Vertikale Behördenstruktur des RJM ab der Übernahme Thieracks im August 1942 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 Tabelle 42: Sondergerichtsverfahren, die im Rahmen der ministeriellen Berichtspflicht als „mild“ bezeichnet wurden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 Tabelle 43: Erfolgte Verfahrensberichte der StA Aachen an das Sonderreferat nach Deliktsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 Tabelle 44: Fundstellen zu Verstößen gegen das Sammlungsgesetz von Geistlichen, die vor dem AG Aachen im Ordnungswege erledigt wurden .  534 Tabelle 45: Vorsitzende Richter und jeweilig anteilige Verfahrensanzahl beim Sondergericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 Tabelle 46: Synopse von Strafantrag und verhängtem Strafmaß in Heim­ tückeverfahren nach personenbezogener Strafanzahl, Summe der Strafen in Monaten und durchschnittlicher Strafdauer in Monaten.   536 Tabelle 47: Synopse von Strafantrag und verhängtem Strafmaß in KrWVOVerfahren nach personenbezogener Strafanzahl, Summe der Strafen in Monaten und durchschnittlicher Strafdauer in Monaten . . . . . . . 537 Tabelle 48: Synopse von Strafantrag und verhängtem Strafmaß in VVO-Verfahren nach personenbezogener Strafanzahl, Summe der Strafen in Monaten und durchschnittlicher Strafdauer in Monaten . . . . . . . . . 538 Tabelle 49: Synopse von Strafantrag und verhängtem Strafmaß in RundfunkVO-Verfahren nach personenbezogener Strafanzahl, Summe der Strafen in Monaten und durchschnittlicher Strafdauer in Monaten . 539 Tabelle 50: Synopse von Strafantrag und verhängtem Strafmaß gegen Mitglieder der NSDAP nach Deliktsgruppen, personenbezogener Strafanzahl, Summe der Strafen in Monaten und durchschnittlicher Strafdauer in Monaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 Tabelle 51: Verfahren gegen Ausländer nach Delikten, Nationalitäten, Angeklagtenzahl und Verfahrensanzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 Tabelle 52: Synopse von Strafantrag und verhängtem Strafmaß gegen ausländische Angeklagte nach Deliktsgruppen, personenbezogener Strafanzahl, Summe der Strafen in Monaten und durchschnittlicher Strafdauer in Monaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 Tabelle 53: Verfahren, in denen fachärztliche Gutachten eingeholt wurden . . . 544 Tabelle 54: Anzahl beantragter Freisprüche in Verfahren gegen ausländische Staatsangehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 Tabelle 55: Inhaltliche Änderungen des Vollzugsplans für die StA Aachen durch den GStA in Köln im Zeitraum von 1942–1943 nach Datum der Verfügung und geändertem Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547

24 Tabellenverzeichnis Tabelle 56: Synopse von Strafantrag und verhängtem Strafmaß nach sämtlich relevanten Deliktsgruppen, Summe der Strafen in Monaten, Anzahl der Strafen und durchschnittlicher Strafdauer in Monaten . . . . . . . 550 Tabelle 57: Verteilung der verurteilten Personen auf die jeweiligen Vollzugs­ standorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552

Abbildungverzeichnis Abbildung  1: Diagramm zur anteiligen Verfahrensverteilung auf die jeweiligen Vorsitzenden Richter, aufgeschlüsselt nach Namen . . . . . . 78 Abbildung   2: Diagramm zum Vergleich der beantragten Strafhöhe bezüglich der allgemeinen Angeklagtengruppe gegenüber Mitgliedern der NSDAP und dem durchschnittlich verhängten Strafmaß des Sondergerichts bei der allgemeinen Angeklagtengruppe durch StA Zimmerath . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Abbildung  3: Diagramm zur durchschnittlichen Höhe verhängter und beantragter Freiheitsstrafen in Monaten, aufgeschlüsselt nach Deliktsgruppen und Staatsanwälten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Abbildung  4: Diagramm zur prozentualen Verteilung erfolgter Berichte auf die jeweiligen Deliktsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Abbildung   5: Diagramm zur Verhältnisverteilung der Nationalitäten ausländischer Angeklagter vor dem Sondergericht Aachen . . . . . . . . . . 369 Abbildung  6: Diagramm zur verhältnismäßigen Verteilung erteilter Gnadengewähren auf die jeweiligen Deliktsgruppen unter Zugrundelegung der gesamten Verfahrensanzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 Abbildung   7: Diagramm zur Verfahrensverteilung des Sondergerichts Aachen über die Jahre 1941–1945 in %, differenziert nach Vergehen und Verbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 Abbildung   8: Diagramm zur prozentualen Verhältnisverteilung der jeweiligen Deliktsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 Abbildung  9: Diagramm zum prozentualen Anteil getätigter Sitzungsvertretungen, dargestellt anhand der jeweiligen Staatsanwälte . . . . . . 519 Abbildung 10: Diagramm zur Anzahl getätigter Sitzungsvertretungen, aufgeschlüsselt in Deliktsgruppen und Staatsanwälte . . . . . . . . . . . . 519 Abbildung 11: Fragebogen des LOStA Führer zur Person . . . . . . . . . . . . . . . . 554 Abbildung 12: Anzeige des LOStA Führer zum Kirchenaustritt . . . . . . . . . . . . 558 Abbildung 13: Durchsuchungsbericht der Gestapo nach Beschlagnahme eines Radios . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 Abbildung 14: Deckblatt der Ermittlungsakte nach Einlieferungsanzeige bei der Gestapo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560 Abbildung 15: Personalbogen eines Beschuldigten im Ermittlungsverfahren . . 561

26 Abbildungsverzeichnis Abbildung 16: Aktendeckel einer sondergerichtlichen Verfahrensakte mit dem Vermerk „Ausländer“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 Abbildung 17: Aufruf an Bauern und Landwirte zur Abgabe von Getreide . . 566 Abbildung 18: Anweisung des LOStA an die Kriminalpolizei zur Angabe von Informationen zur Täterpersönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 Abbildung 19: Blankoformular eines Fragebogens zur Abstammung für die StA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568 Abbildung 20: Schreiben des GStA an den LOStA bezüglich erforderlicher Angaben zur Erbringung des Nachweises arischer Abstammung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 Abbildung 21: Brief des Reichsministers des Innern an den Regierungspräsidenten in Aachen bezüglich der Annektierung des belgischen Gebiets samt Kartographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 Abbildung 22: Ausgefülltes Exemplar der Erbringung des Nachweises arischer Abstammung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 Abbildung 23: Befürwortende Verfügung bedingter Strafaussetzung . . . . . . . . 581 Abbildung 24: Mitteilung des ORA bezüglich der Terminierung des Verfahrens des außerordentlichen Einspruchs vor dem Besonderen Senat beim RG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 Abbildung 25: Übertragung der Strafvollstreckungskompetenz des ORA an den LOStA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 Abbildung 26: Übersendung einer Urteilsausfertigung zum außerordentlichen Einspruch durch den ORA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 Abbildung 27: Gnadengesuch der Tochter des verurteilten Josef K.. . . . . . . . . 587 Abbildung 28: Karte zur Ermittlung der Beleuchtungsverhältnisse im Fall Hans K. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 Abbildung 29: Mitteilung des Nichtgebrauchs des Begnadigungsrechts durch den RMJ im Verfahren gegen Wilhelm M. . . . . . . . . . . . . . . . . 590 Abbildung 30: Von der StA vorgegebener Text zur Veröffentlichung im Rahmen einer Pressenotiz nach der Vollstreckung eines Todes­ urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 Abbildung 31: Bekanntmachung über die Hinrichtung des zum Tode verurteilten Raymond D. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 Abbildung 32: Presseartikel des Stern-Magazins vom 15.04.1987, Heft Nr. 17, Bl. 1–2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593

Abkürzungsverzeichnis Abs. Absatz Akademie des Deutschen Rechts ADR AG Amtsgericht AGR Amtsgerichtsrat Anm. Anmerkung AV Allgemeinverfügung BArch Bundesarchiv Berlin BBG Berufsbeamtengesetz Bürgerliches Gesetzbuch BGB BMJ Bundesministerium der Justiz Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen BNSDJ BzR Beiträge zur Rechtserneuerung DAF Deutsche Arbeiter Front Deutsches Beamtengesetz DBG DJ Deutsche Justiz Deutsche Juristen-Zeitung DJZ DNVP Deutschnationale Volkspartei Deutsches Recht DR DRiZ Deutsche Richterzeitung Deutsches Strafrecht DStrR DVerwBl Deutsche Verwaltungsblätter ebd. ebenda EK Eisernes Kreuz EStA Erster Staatsanwalt FS Festschrift GA Goltdammer’s Archiv Ger. Gericht / Gerichte Geheime Staatspolizei Gestapo gez. gezeichnet GS Der Gerichtssaal GStA Generalstaatsanwalt / -schaft GVG Gerichtsverfassungsgesetz HG Heimtückegesetz

28 Abkürzungsverzeichnis HJ Hitlerjugend HRR

Höchstrichterliche Rechtsprechung

i. d. F.

in der Fassung

i. S. d.

im Sinne der / des

i. S. v.

im Sinne von

JAO Juristenausbildungsordnung JMBl. Justizministerialblatt JPA Justizprüfungsamt JuS

Juristische Schulung

JVA Justizvollzugsanstalt JW

Juristische Wochenschrift

JZ Juristenzeitung KdF

Kanzlei des Führers

KGR Kammergerichtsrat KrWVO Kriegswirtschaftsverordnung KSSVO Kriegssonderstrafrechtsverordnung LAV NRW R

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland ­(Düsseldorf)

LG Landgericht LGD Landgerichtsdirektor LGP Landgerichtspräsident LGR Landgerichtsrat LMJ

Landesminister der Justiz NRW

LOStA

Leitender Oberstaatsanwalt

MinDir Ministerialdirektor MinRat Ministerialrat NS Nationalsozialismus NSDAP

Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

NSFK

Nationalsozialistisches Fliegerkorps

NSKK

Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps

NSRB

Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund

NSV

Nationalsozialistische Volkswohlfahrt

OKW

Oberkommando der Wehrmacht

OLG Oberlandesgericht OLGPräs. Oberlandesgerichtspräsident OLGR Oberlandesgerichtsrat ORA Oberreichsanwalt ORR Oberregierungsrat

Abkürzungsverzeichnis29 OStA Oberstaatsanwalt OT

Organisation Todt

o. V.

ohne Vornamen (Vorname nicht angegeben)

OVG Oberverwaltungsgericht Pg. Parteigenosse PrJM

Preußischer Justizminister

PrJMBl.

Preußisches Justizministerialblatt

RA Rechtsanwalt RAD Reichsarbeitsdienst RBG Reichsbürgergesetz RDB

Reichsbund der Deutschen Beamten

RdErl. Runderlass RegPräs. Regierungspräsident Rep. Repositur rev. reverso RG Reichsgericht RGBl. Reichsgesetzblatt RGSt

Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

RJM Reichsjustizministerium RKB Reichskolonialbund RLB Reichsluftschutzbund RM Reichsmark RMBl. Reichministerialblatt RMI

Reichminister des Innern

RMJ

Reichsminister der Justiz

RPAPräs. Reichspatentamtspräsident RR Regierungsrat RSHA Reichssicherheitshauptamt RStGB Reichsstrafgesetzbuch RuPrJM

Reichs- und Preußischer Justizminister

RuPrMdI

Reichs- und Preußischer Minister des Innern

RuPrMdJ

Reichs- und Preußischer Minister der Justiz

RV Rundverfügung RVerwBl. Reichsverwaltungsblatt RVK Reichsverteidigungskommissar SD

Sicherheitsdienst des Reichsführers SS

SG Sondergericht Sign. Signatur

30 Abkürzungsverzeichnis SJZ Süddeutsche Juristenzeitung Sp. Spalte Sozialdemokratische Partei Deutschlands SPD SS Schutzstaffel der NSDAP StA Staatsanwalt Stellvertreter des Führers StdF StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung StS Staatssekretär StVO Strafvollstreckungsordnung UStS Unterstaatssekretär VDA Verein für Deutsche Kulturbeziehungen im Ausland Verw. Verwaltung VfZ Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte VGH Volksgerichtshof VO Verordnung VVO Volksschädlingsverordnung WRV Weimarer Reichsverfassung ZAGV Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins ZAkDr Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft ZSW Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zu den übrigen verwendeten Abkürzungen sei verwiesen auf Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache. Zur Zitierweise: Die Verfahrens- und Personalakten des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf sowie des Bundesarchivs Berlin gliedern sich in Bestände, Aktensignaturen und Blattzahlen, sodass bei der Zitierweise diese Merkmale in entsprechender Chronologie zitiert wurden, exemplarisch: –  LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 9. –  BArch, R 3001, Nr. 72951, Bl. 2. Bei Akten, die keine fortlaufende Nummerierung aufweisen, wurde die Blattzahl jeweils mit dem Vermerk „nicht angegeben“ versehen. Wörtliche Zitate wurden bei entsprechender Notwendigkeit an die aktuelle Rechtschreibung angepasst.

A. Einleitung Nach über 80 Jahren, die seit dem Zeitpunkt der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 21. März 1933 vergangen sind, ist das interdisziplinäre Forschungsinteresse am zwölfjährigen Existenzzeitraum des Dritten Reiches trotz – oder gerade aufgrund – verheerender politischer, gesellschaftlicher und nicht zuletzt juristischer Entwicklungen ungebrochen1. Die Bestrebungen wissenschaftlicher Untersuchungen reichen dabei vom Bereich allgemeiner Justizgeschichte bis hin zu einzelnen Gerichtszweigen, Institutionen, Biographien und Prozessorganen. Die Staatsanwaltschaft spielt als ein solches Prozessorgan im Rahmen nationalsozialistischer Strafjustizgeschichte eine tragende Rolle im zeitgenössischen Strafverfahren, da sie als „unmittelbares Organ der politischen Führung“2 angesehen wurde und über sie die Interessen der damaligen Machthaber in den Strafprozess eingebracht werden sollten3. So wurde die Staatsanwaltschaft zur „gegebenen Lenkungsbehörde“ auserkoren4. Auf diese Weise konnte das Regime formal am Prinzip richterlicher Unabhängigkeit festhalten und den Schein äußerer Legitimität wahren. Trotz der Funktion der Staatsanwaltschaft als „Nadelöhr“ für die Machthaber, politische Interessen in den Strafprozess einfließen zu lassen, finden sich bis heute allenfalls vereinzelt Forschungen, die den Untersuchungsschwerpunkt auf die Institution „Staatsanwaltschaft“ legen5. Soweit dies der Fall ist, handelt es sich um abstrakte, verallgemeinernde Darstellungen, deren Anknüpfungspunkt die einschlägige gesetzliche Entwicklung ist6. Untersuchungen zu einer konkreten Anklagebehörde existieren demgegenüber bislang noch nicht, was vor dem Hintergrund eines enormen Anstiegs von Lokalstudien etwa zu einzelnen Sondergerichten, die zunehmend mit der Aburteilung politischer Straftaten betraut wurden, überraschend ist. Eine Analyse, inwieweit politische Einflüsse durch die Staatsanwaltschaft gerade vor dem Sondergericht Einzug hielten, bietet sich an, da ein Großteil 1  Siehe hierzu die Systematische Übersicht bei Rüping, Bibliographie zum Strafrecht im Nationalsozialismus, S. 7. 2  Dahm, Der Staatsanwalt, in: DStrR 1935, S. 264. 3  Schumacher, Staatsanwaltschaft, S. 58. 4  Rüping/Jerouschek, Strafrechtsgeschichte, S. 126. 5  So etwa Schumacher, Staatsanwaltschaft; Schumacher, Kontinuität; Rüping, Provinzialjustizverwaltung. 6  Auf den aktuellen Forschungsstand wird im Folgenden eingegangen, siehe unten, S. 34.

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A. Einleitung

strafprozessualer und materieller Novellierungen zugunsten der Anklagebehörde7 auf dem Gebiet der Sondergerichtsbarkeit erlassen wurde und teilweise ausschließlich für diesen Gerichtszweig galt8. Das Erfordernis einer solchen Untersuchung ergibt sich aus der Erwägung, dass die Normierung von Lenkungsmechanismen und die Feststellung einer politischen Lenkungsintention durch die Obrigkeit allein nicht geeignet sind, verlässliche Auskunft darüber zu geben, ob und wieweit diese Lenkung an der „Basis“ tatsächlich angenommen und umgesetzt wurde9. Der Standort Aachen bietet sich für eine nähere Betrachtung an, weil zum Sondergericht Aachen anders als zu anderen Sondergerichten des seinerzeitigen Gaues Rheinland bislang keine zusammenhängenden empirischen Auswertungen vorliegen10. Zudem wurde das Sondergericht im Februar 1941 errichtet11, zu einem Zeitpunkt, 7  Innerhalb der Verfahrensnovellierungen zur Sondergerichtsbarkeit wird neben dem Begriff der „Staatsanwaltschaft“ auch der Terminus „Anklagebehörde“ verwendet. Dieser Begriff ist in personeller Hinsicht deckungsgleich mit dem Begriff der Staatsanwaltschaft, wie § 5 SondergerichtsVO zeigt (RGBl. 1933 I, S. 136): „Die Vertreter der Anklagebehörde werden von der Justizverwaltung aus der Zahl der zum Richteramt befähigten Beamten der Staatsanwaltschaft berufen.“ Auch § 12 „Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften“ (RGBl. 1940 I, S. 406) zeigt, dass Anklagebehörde vor dem Sondergericht die Staatsanwaltschaft ist: „Anklagebehörde ist die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht, in dessen Bezirk das Sondergericht seinen Sitz hat.“ Einziger Unterschied zwischen beiden Begrifflichkeiten besteht in sachlicher Hinsicht insoweit, als der Staatsanwaltschaft als leitende Anklagebehörde im Sondergerichtsverfahren teilweise zusätzliche Kompetenzen zukamen, welche die Staatsanwaltschaft im ordentlichen Strafverfahren nicht inne hatte. Hierzu im Einzelnen unten. Im Übrigen wird die Anklagebehörde vor dem Sondergericht aber auch als Staatsanwaltschaft bezeichnet, wie Artikel IV, V Abs. 1 „Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Gebieten“ (RGBl. 1941 I, S. 759) zeigt. „Der Staatsanwalt verfolgt Straftaten von Polen und Juden (…). Abgeurteilt werden Polen und Juden von dem Sondergericht oder dem Amtsrichter.“ 8  Auf die einzelnen Gesetzesnovellierungen wird nachfolgend vertieft eingegangen werden. 9  Der Begriff „Basis“ soll hier verwendet werden als Synonym für die Staatsanwaltschaften in den jeweiligen Landgerichtsbezirken. 10  Publikationen zu Sondergerichten im Gebiet des damaligen Gaues Rheinland existieren für die Standorte Düsseldorf, Duisburg, Wuppertal und Koblenz. Zur Rechtsprechungspraxis des Sondergerichts Köln findet sich ein wissenschaftlicher Aufsatz, siehe im Einzelnen unten. Zur mangelnden zusammenhängenden Auswertung der Daten zum Sondergericht Aachen konstatiert auch Birmanns, dass die Akten zum Sondergericht Aachen noch nicht untersucht worden sei, obwohl „die Aktenlage im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf und im Bundesarchiv in Berlin nunmehr eine gründliche Aufarbeitung möglich machen dürfte“, Birmanns, Aachener Justiz, S. 229. 11  AV vom 10.2.1941, DJ 1941, S. 223; siehe auch LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 21.



I. Ziel und methodischer Ansatz der Untersuchung 33

an dem sich das staatsanwaltschaftliche Tätigkeitsfeld auf das sogenannte „Kriegsstrafrecht“ erstreckte12.

I. Ziel und methodischer Ansatz der Untersuchung Die Untersuchung verfolgt das Ziel, die Bedeutung und Tätigkeitspraxis der Staatsanwaltschaft Aachen unter dem Gesichtspunkt einer politischen Instrumentalisierung abschließend inhaltlich und empirisch auszuwerten. Um dieses Ziel zu erreichen, wird die Institution Staatsanwaltschaft in den Kontext des nationalsozialistischen Justizverwaltungsgefüges eingebettet, die lokale Tätigkeitspraxis beleuchtet und in einen statistischen Kontext zur Rechtsprechung des Sondergerichts Aachen gesetzt. Die Staatsanwaltschaft bildet das zentrale Strukturelement der vorliegenden Untersuchung, sodass der Arbeit ein institutionengeschichtlicher Ansatz zugrunde liegt. Dabei besitzt das Vorhaben im Schwerpunkt rechtshistorischen Charakter mit Bezügen zum zeitgenössischen materiellen Strafrecht und Strafprozessrecht. Die Dominanz der Rechtsgeschichte gegenüber dem Strafrecht ergibt sich dabei aus der ratio des Vorhabens, die nicht etwa in der Erforschung oder Deutung strafrechtsdogmatischer Fragestellungen, sondern den Schwerpunkt auf Bedeutung, Wesen, Lenkung und Arbeitspraxis der Staatsanwaltschaft setzt. Gleichwohl ist eine vereinzelte dogmatische Auseinandersetzung mit spezifischen Straftatbeständen unerlässlich, um die Gesetzesanwendung der Anklagebehörde in einen entsprechenden Kontext zu betten. Im Übrigen lässt sich auch ein interdisziplinärer Charakter der Untersuchung nicht leugnen: Im Hinblick auf Instrumentalisierung und konkrete Lenkung werden insbesondere politische, gesellschaftliche und ideologische Faktoren eine wesentliche Rolle spielen, etwa bezüglich konkreter Einzelweisungen durch das RJM oder persönlicher Motivationen der Staatsanwälte. Im Rahmen der Analyse staatsanwaltschaftlicher Verfahrensakten ist die Arbeit geprägt von der Darstellung und Auswertung statistisch auswertbarer Informationen13. Insoweit wird ein quantitativer mit einem qualitativen Ansatz kombiniert, da die empirische Erhebung der Daten inhaltliche Rückschlüsse auf Lenkung und Arbeit der Staatsanwaltschaft zulässt.

12  Freisler/Grau/Krug/Rietzsch,

Deutsches Strafrecht, S. 6 f. statistische Auswertung erfolgt mit Hilfe eines elektronischen Datenverarbeitungsprogramms. 13  Die

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A. Einleitung

II. Forschungsstand In der Nachkriegsliteratur, die sich mit Justiz und Justizverwaltung des Nationalsozialismus auseinandersetzt, ist die Einschätzung der Staatsanwaltschaft als instrumentalisierte, gelenkte Behörde unstreitig14. Die übereinstimmende Haltung bezieht sich, soweit ein entsprechender Diskurs erfolgt, gleichermaßen auf Umfang und abstrakte Wirkung einzelner Lenkungsmechanismen, die der Gesetzgeber schuf15. Unterschiede bei der Darstellung bestehen einzig in verschiedenartigen Schwerpunktsetzungen, individuellen Forschungsfragen sowie divergierenden Anknüpfungspunkten, die zum Anlass einer Darstellung staatsanwaltschaftlicher Lenkung genommen werden. So ist grundsätzlich zwischen Literatur, die sich einer abstrakt deskriptiven Darstellung bedient, und Lokalstudien, die sich auf einen konkreten Kontext beziehen, zu unterscheiden. Eine umfassende abstrakte Darstellung zu Justizverwaltung, Rechtspflege und politischer Lenkung gibt Gruchmann16. Der „Lenkung der Rechtspflege“17 widmet er ein gesondertes Teilkapitel, in welchem der Fokus auf verschiedene Lenkungsmittel, namentlich Berichtspflichten, Verfügungen und Tagungen, gelegt wird. Zudem findet der besondere Zusammenhang zwischen Sondergerichtsbarkeit und Lenkung der Staatsanwaltschaft in Ansätzen seinen Niederschlag, indem etwa detaillierte Verläufe einer Tagung dargestellt werden, die der Lenkung der Sonderrechtsprechung diente und zu welcher das gesamte richterliche und staatsanwaltschaftliche Personal geladen wurde18. Das Merkmal der zentralen, verobjektivierten Lenkung bildet das wesentliche Strukturelement von Gruchmanns Darstellung. Sein methodischer Ansatzpunkt ist auf der Ebene des Reichsjustizministeriums anzusiedeln. Schmidt konstatiert im Rahmen seiner Darstellung zur Entwicklung des Strafverfahrensrechts im Nationalsozialismus, dass die Justiz „in möglichst weitgehende Abhängigkeit von der Verwaltung gebracht wurde“, was sich im Rahmen des Strafverfahrensrechts „in dem gewaltigen Anwachsen der Macht des Staatsanwalts gegenüber dem Beschuldigten wie auch gegen14  Siehe etwa Rüping/Jerouschek, Strafrechtsgeschichte, S. 195; Boberach, Richterbriefe, S. 5  ff. Johe, Gleichgeschaltete Justiz, S. 65; Michelberger, Justiz des Dritten Reiches, S. 292 ff.; Gruchmann, Justiz, S. 1102 ff.; Stirken, Kölner Justizalltag, S. 43 f.; Schumacher, Staatsanwaltschaft, S. 58, 71; Herbers, Organisationen, S. 184. 15  Mit den einzelnen Mechanismen setzt sich insbesondere Gruchmann dezidierter als andere Autoren auseinander, Gruchmann, S. 1091–1112. 16  Gruchmann, Justiz. 17  Der Begriff wird von Thierack in Bezug auf die Herausgabe von Richter- und Rechtsanwaltsbriefen verwendet, RV des RJM vom 11.3.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 42, Bl. 10. 18  Gruchmann, Justiz, S. 1102 ff.



II. Forschungsstand35

über dem Gericht19“ niederschlug. Auch Majer kommt zu dem Ergebnis, dass die Staatsanwaltschaft „in hohem Maße zentral vom Reichsjustizministerium mit dem Ziel der unmittelbaren ,Einflussnahme auf die Ermittlungen und Anklagen‘ gesteuert war“20. Schumacher qualifiziert in seiner Publikation die Staatsanwaltschaft im Rahmen der Verreichlichung der Justiz als der Generalstaatsanwaltschaft unmittelbar unterstehende und weisungsabhängige Behörde, die im Einzelfall den Anweisungen des RJM Folge zu leisten hatte21. Ausgekleidet als Lokalstudie schildert Rüping die Situation der Generalstaatsanwaltschaft innerhalb der Provinizialjustizverwaltung im Oberlandesgerichtsbezirk Celle22. Bezüglich einer Instrumentalisierung vertritt er die These eines äußeren Machtzuwachses aufgrund abstrakter Gesetzesnovellierungen23. Insbesondere geht Rüping soweit, die nachgeordnete Staatsanwaltschaft als „Kontrolleur der Rechtspflege“ zu bezeichnen24, indem er nachweist, dass Sitzungsvertreter vereinzelt zu Beginn einer Verhandlung offen erklärten, dass sie „vom Ministerium angewiesen“ seien, „die Todesstrafe zu beantragen“25, um auf diese Weise ihrer Forderung gegenüber dem Richter Nachdruck zu verleihen. Korrelierend zu der äußeren Machtsteigerung der Staatsanwaltschaft sieht er einen inneren Machtverlust durch zunehmende fremdbehördliche Einflussnahme26. Rüping orientiert sich bei seiner Darstellung an persönlichen Notizen der Generalstaatsanwaltschaft aus Besprechungen und Telefonaten, sowie an – teils überregionalen – Geheimverfügungen. Stirken, der den Kölner Justizalltag während des Zweiten Weltkriegs beleuchtet, geht ebenfalls von einer durch die Staatsanwaltschaft gelenkten Strafjustiz aus27. Einen Fokus auf Auswirkungen des Krieges richtend, beschreibt er kriegsbedingte Ortswechsel des Sondergerichts Aachen und deren Folgen. Methodisch orientieren sich Darstellung wie Schlussfolgerungen überwiegend an den allgemeinen Lageberichten des Oberlandesgerichtspräsidenten und den politi19  Schmidt,

Deutsche Strafrechtspflege, S. 441. Staatsanwaltschaft und Polizei, in: Reifner/Sonnen, Strafjustiz, S. 137. Auch Rohrer konstatiert aufgrund Einzelweisungen, die „in politischen Strafsachen sogar zur Regel wurden“, eine gesteigerte Lenkung der Rechtsprechung durch die Staatsanwaltschaft, Rohrer, Strafjustiz, S. 199. 21  Schumacher, Staatsanwaltschaft, S. 71. 22  Rüping, Provinzialjustizverwaltung. 23  Ebd., S.  128 ff. 24  Ebd., S. 144. 25  Ebd., S. 146. 26  Rüping spricht in diesem Zusammenhang von einer „ungeahnten Steigerung“ der Position der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren einerseits sowie einer „weitgehenden Selbstanpassung“ andererseits, ebd., S. 170, 173. 27  Stirken, Kölner Justizalltag, S. 43 f. 20  Majer,

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A. Einleitung

schen Lageberichten des Generalstaatsanwalts in Köln28. Eine eingehende Darstellung zu Rolle und Arbeitspraxis der Aachener Justiz während der NS-Zeit liefert Birmanns, der den „rechtsgeschichtlichen Zeitgeist“ in Aachen anhand einzelner Lebensläufe und konkreter Fallbeispiele in der Zeit zwischen 1933 und 1945 darstellt29. Die Ausführungen bilden einen inhaltlichen Querschnitt allgemeiner Strafrechtspflege vom Erbgesundheitsgericht bis hin zur Zulassung jüdischer Rechtsanwälte und hervorzuhebender Sachverhalte von 1933–1945. Während das Personal der Staatsanwaltschaft keiner eingehenden Schilderung unterzogen wird30, geht Birmanns näher auf neun Sachverhalte ein, die vom Sondergericht Aachen mit Todesurteil beschieden wurden31. Schließlich ist eine aktuelle Monographie von Herbers für den derzeitigen Forschungsstand der Aachener Judikatur im Nationalsozialismus erwähnenswert. Im Rahmen einer Untersuchung zur Organisationsstruktur des Justizverwaltungsapparates des OLG-Bezirks Köln gelangt Herbers zu dem Ergebnis einer abstrakten Lenkung der Staatsanwaltschaft, insbesondere durch installierte Berichtspflichten, die der Anklagebehörde auferlegt wurden32. Herbers unterscheidet hinsichtlich der Lenkungsqualität drei Stufen: eine „beratende“ überbehördliche Kommentierung, eine „etwas schärfer formulierte Kritik, sowie einen „Antrag zur Nichtigkeitsbeschwerde oder einem außerordentlichen Einspruch“ durch GStA oder ORA33. Eine partielle Auswertung von Urteilen und Anklageschriften der Kölner Generalakten zugrunde legend, kommt Herbers zu dem Ergebnis, dass überbehördliche Kommentierungen zu Urteilen und Anklageschriften in 27 % der von ihm untersuchten Fälle vorliegen, von denen wiederum 27 % den LG-Bezirk Aachen betreffen34. Wie diese Kommentierungen der Aachener Urteile und Anklageschriften anhand des selbst gewählten Abstufungssystems qualitativ einzuordnen sind, bleibt offen35. Zudem sind im Anhang aus Registerbänden erstellte Übersichten zu be28  Der Titel der Monographie impliziert, dass es vom Autor offensichtlich auch beabsichtigt war, sich maßgeblich auf die Lageberichte zu stützen. 29  Birmanns, Aachener Justiz, S. 209. 30  Ebd., S.  217 f. 31  Ebd., S. 246; Birmanns’ Aufzählung zu den Todesurteilen ist jedoch unvollständig, da bei der Durchsicht der Verfahrensakten fünf weitere vollstreckte Todesurteile gefunden wurden, die von Birmanns nicht erfasst sind. 32  Herbers, Organisationen, S. 183 f. 33  Ebd., S. 185. 34  Ebd. 35  Ergänzend sei zu diesem Aspekt angemerkt, dass die Lenkung der Staatsanwaltschaft in der Monographie Herbers’ vor dem Hintergrund der weiten Themenstellung nicht zu Unrecht keine zentrale Rolle einnehmen kann und die Staatsanwaltschaft Köln gegenüber der Staatsanwaltschaft Aachen insoweit ohnehin im erhöhten Fokus des Bearbeiters steht, siehe ebd., S. 183–188. Gleichwohl handelt es sich bei der Mo-



II. Forschungsstand37

schäftigten Staatsanwälten im Oberlandesgerichtsbezirk Köln sowie ein Geschäftsanfall von Sondergerichtssachen im Oberlandesgerichtsbezirk aufgeführt36. Einen deutlichen literarischen Zuwachs hat die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit nationalsozialistischer Sondergerichtsbarkeit in den letzten zehn Jahren erfahren, wenngleich eine Studie zum Sondergericht Aachen bislang noch nicht erfolgte. Einige Landesregierungen, insbesondere deren Landesjustizministerien, zeigten für die Thematik ein gesteigertes Interesse und publizierten Schriften zur Rechtsprechung im Dritten Reich37. Anlässlich eines Symposiums zum Thema nationalsozialistischer Sondergerichtsbarkeit veröffentlichte das Justizministerium Nordrhein-Westfalen ein Werk, in welchem lokaler Justizterror, Kriegsstrafrecht und Sondergerichtsrechtsprechung behandelt werden, um ein „tieferes Verständnis“ vom „richten“ im zeitgenössischen Kontext zu vermitteln38. So stellt etwa Dörner im Schwerpunkt auf den Verfahrensgang ab, welcher bei der Verfolgung politischer Straftaten durchlaufen wurde und wie Staatsanwaltschaft, NSDAP und Gestapo zusammenarbeiteten, um unerwünschte Regimegegner unschädlich zu machen39. Im Rahmen dieser Schriftenreihe ist zudem ein Beitrag Brehmers zur Rechtsprechungspraxis des Sondergerichts Köln hervorzuheben40. Die Verfasserin widmet sich einer umfänglichen Datenanalyse und -auswertung, die sich aus Akten des Bundesarchivs Berlin und des Landesarchivs Düsseldorf zusammensetzt und auf die Rechtsprechungspraxis des Sondergerichts Köln bezieht41. Abhandlungen zur Rechtsprechungspraxis von Sondergerichten existieren über das Sondergericht Köln42 hinaus nographie Herbers’ um den ersten Beitrag, der sich zumindest in Ansätzen empirisch auch mit den Vorgängen am Landgerichtsbezirk Aachen auseinandersetzt. 36  Ebd., S. 394, 413. Allerdings ist zu bemerken, dass die Auflistung der Generalakten, aus denen der Bearbeiter die Informationen erhält, sowohl das Personal als auch die den Geschäftsanfall betreffenden Zahlen unvollständig sind. Siehe zum Vergleich Tabelle 24, Anhang, S. 505. 37  So beispielsweise die Justizministerien Nordrhein-Westfalen und RheinlandPfalz. 38  Daubach, Einleitung, in: Justizministerium Nordrhein-Westfalen (Hg.), Sondergerichtsbarkeit, S. 7. 39  Dörner in: Justizministerium Nordrhein-Westfalen (Hg.), Sondergerichtsbarkeit, S. 8. 40  Brehmer in: Justizministerium Nordrhein-Westfalen (Hg.), Sondergerichtsbarkeit, S. 73. 41  Der Beitrag bietet einen Ausblick auf die künftige Veröffentlichung einer bislang noch nicht erschienenen Dissertation. 42  Neben Brehmer behandelt Bothien das Wirken des Sondergerichts Köln gegenüber Bürgern Bonns, siehe Bothien, Bonnerinnen und Bonner vor dem Sondergericht Köln.

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A. Einleitung

für die Standorte Altona43, Bayreuth44, Berlin45, Bielefeld46, Braunschweig47, Bremen48, Bromberg49, Chemnitz50, Duisburg51, Düsseldorf52, Essen53, Frankfurt am Main54, Freiberg55, Freiburg56, Hannover57, Innsbruck58, Kiel59, Leipzig60, Litzmannstadt61, Mannheim62, München63, Prag64, Salzburg65, Saarbrücken66, Stuttgart67, Trier68 und Zweibrücken69. Die überwiegende Zahl sondergerichtlicher Lokalstudien behandelt die Erforschung der Rechtsprechungspraxis, indem das Augenmerk auf das Gericht selbst und dessen Akteure gelegt wird70. Die Bedeutung der Staatsanwaltschaft für die konkrete Rechtsprechung wird demgegenüber allenfalls marginal behandelt. 43  Bohn/Danker, Sondergericht Altona/Kiel; Bozyakali, Sondergericht am hanseatischen Oberlandesgericht. 44  Paulus, Sondergericht Bayreuth. 45  Schimmler, Sondergericht Berlin. 46  Knobelsdorf, Politische Strafjustiz. 47  Ludewig/Kuessner, Sondergericht Braunschweig. 48  Wrobel, Sondergericht Bremen. 49  Weckbecker, Sondergericht Frankfurt/Bromberg. 50  Lahrtz, Sondergerichtsbarkeit in Sachsen. 51  Keldungs, Sondergericht Duisburg. 52  Schmidt, Sondergerichtsbarkeit in Düsseldorf. 53  Roeser, Sondergericht Essen. 54  Weckbecker, Sondergericht Frankfurt/Bromberg. 55  Zeidler, Sondergericht Freiberg. 56  Hensle, Sondergericht Freiburg. 57  Reiter, Sondergericht Hannover. 58  Staudinger, Politische Justiz. 59  Bohn/Danker, Sondergericht Altona/Kiel. 60  Lahrtz, Sondergerichtsbarkeit in Sachsen. 61  Schlüter, Sondergericht Litzmannstadt. 62  Oehler, Sondergericht Mannheim. 63  Hüttenberger, Sondergericht München; Bentz, Rechtsprechungspraxis München. 64  Vodicka, Verbrecher in Richterroben. 65  Hanisch, in: Weinzierl/Stadtler, Justiz und Zeitgeschichte. 66  Müller, in: Leonardy, 150 Jahre Landgericht Saarbrücken. 67  Streim, in: Schnabel, Widerstand. 68  Justizministerium Rheinland-Pfalz, Justiz im Dritten Reich, Teil 3. 69  Justizministerium Rheinland-Pfalz, Justiz im Dritten Reich, Teil 2. 70  Insoweit verdient die Publikation Oehlers besondere Aufmerksamkeit, die sich ebenfalls einer empirischen Erfassung der Tätigkeit eines Sondergerichts widmet, jedoch insbesondere die Rolle der Staatsanwaltschaft im Rahmen der statistischen Auswertung in den Kontext zu Strafart und Strafmaß setzt und damit der Staatsanwaltschaft erhöhte Berücksichtigung schenkt, Oehler, Sondergericht Mannheim, S. 255–260.



IV. Gang der Darstellung39

III. Forschungsfragen Vor dem Hintergrund der geschilderten Zielsetzung und des aktuellen Forschungsstands werden im Rahmen der vorliegenden Untersuchung folgende Fragen aufgeworfen: – Inwieweit fand eine Instrumentalisierung der Staatsanwaltschaft als politische Steuerungsinstanz am Beispiel der Staatsanwaltschaft Aachen statt? – Welche Bedeutung ist der Gesetzgebung im Hinblick auf eine Instrumentalisierung beizumessen? – Handelt es sich bei dem in Aachen beschäftigten Personal um linientreue Mitarbeiter, durch welche eine Instrumentalisierung gefördert wurde? – In welchem Kräfteverhältnis befand sich die Staatsanwaltschaft zu ihren vorgesetzten Dienstbehörden, welcher Lenkungsmittel bedienten sich diese und wie ist deren Effizienz zu bewerten? – Mit welchem prozessualen Erfolg agierte die Staatsanwaltschaft gegenüber dem Sondergericht? – Inwieweit manifestiert sich eine politische Instrumentalisierung anhand Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis?

IV. Gang der Darstellung In Konsequenz zur Fragestellung gliedert sich die Untersuchung in vier Teile (A.–D.), in deren Hauptteilen (B. und C.) die aufgeworfenen Fragen in chronologischer Reihenfolge bearbeitet werden: Einleitung (A.), zwei Hauptteile (B. und C.) und eine zusammenfassende Würdigung (D.). Der erste Hauptteil (B.) ist in vier Abschnitte (I.–IV.) unterteilt und widmet sich der Bedeutung der Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen innerhalb des Justizverwaltungsapparates. Im ersten Abschnitt (I.) werden rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen für die Arbeitspraxis der Staatsanwaltschaft Aachen dargestellt, welche der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft über sämtliche Stadien des Strafverfahrens inhärent und daher bereits eingangs zu thematisieren sind. Im zweiten Abschnitt (II.) wird der Bedeutung der strafrechtlichen Gesetzgebung für die staatsanwaltschaftlichen Kompetenzen nachgegangen, wobei ein besonderer Fokus auf die geschaffenen Instrumente der Nichtigkeitsbeschwerde und des außerordentlichen Einspruchs gelegt wird. Der dritte Abschnitt (III.) setzt sich mit der Erneuerung der Personalstruktur, gesetzlichen Grundlagen sowie Kompetenzen von Behörden und politischen Stellen bei Neubesetzungen von Stellen im Justizdienst auseinander. Hierbei werden besonders die Umsetzung am Standort Aachen und die personelle Besetzung der lokalen Anklagebe-

40

A. Einleitung

hörde betrachtet. Im vierten Abschnitt (IV.) werden die der Staatsanwaltschaft Aachen vorgesetzten Dienstbehörden Generalstaatsanwaltschaft und RJM, die von diesen verwendeten Lenkungsinstrumente sowie deren konkrete Bedeutung für die lokale Behörde eruiert. Basierend auf den Erkenntnissen zur Stellung der Staatsanwaltschaft im Gefüge der Justizverwaltung wird im zweiten Hauptteil (C.) – welcher in drei Abschnitte (I.– III.) unterteilt ist – die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis der Staatsanwaltschaft anhand des Bestands aller überlieferten Verfahrensakten inhaltlich und quantitativ ausgewertet. Ermittlungs- und Anklagepraxis werden im ersten Abschnitt (I.) im Lichte der maßgeblichen Deliktsgruppen und unterschiedlichen Personengruppen beleuchtet. Die im zweiten Abschnitt (II.) dargestellte Vollstreckungspraxis orientiert sich an den verschiedenen, gesetzlich normierten Vollzugs- und Vollstreckungsarten und soll klären, inwieweit die Staatsanwaltschaft auf diesem Gebiet „nach Vorschrift“ agierte, wobei der Darstellung der Vollstreckung von Todesurteilen erhöhte Relevanz zukommt. Die ebenfalls im zweiten Abschnitt (II.) behandelte Gnadenpraxis soll im Kontext zum normativen Fundament der Gnadenordnung Aufschluss darüber geben, inwieweit und aufgrund welcher Motive Gnadenerlasse gewährt wurden. Im dritten Abschnitt (III.) wird die weitere Entwicklung der Staatsanwaltschaft Aachen und ihrer Akteure nach Beendigung des Krieges eingegangen. Schließlich werden im Rahmen der Zusammenfassung (D.) die gefunden Ergebnisse abschließend dargestellt.

V. Quellenlage und Quellenwert Der Arbeit liegt die Auswertung verschiedener Primärquellen aus den Beständen des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf und dessen Zweigstelle Schloss Kalkum, des Bundesarchivs Berlin-Lichterfelde sowie des Landesarchivs Berlin-Reinickendorf zugrunde. Thematisch lassen sich die verwendeten Quellen in sondergerichtliche Verfahrensakten der Staatsanwaltschaft, Personalakten, Justizverwaltungsakten des Sondergerichts, der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft sowie Akten des Reichsjustizministeriums untergliedern71. Den Verfahrensakten ist insoweit die höchste Relevanz beizumessen, da sie das empirische Fundament bilden, auf dessen Basis eine Vielzahl von Ergebnissen im Rahmen der Untersuchung beruht. Soweit eine Verfahrensakte das Merkmal der Vollständigkeit für sich beanspruchen kann, setzt sie sich – eine Verurteilung unterstellt – aus vier Einzelakten zusammen: der Handakte der Staatsanwaltschaft, der Ermittlungs71  Die Zuordnung einzelner Akten und Bestände zu den jeweiligen Standorten ergibt sich aus dem Quellenverzeichnis.



V. Quellenlage und Quellenwert41

akte, dem Vollstreckungsheft sowie dem Gnadenheft. Die Handakte beinhaltet wesentliche Ermittlungsergebnisse, Anklageschrift, Urteilsausfertigung mitsamt Entscheidungsgründen sowie handschriftliche Notizen auf dem Aktenrücken zu dem in der Sitzung gestellten Strafantrag und dem Urteil zugrundeliegenden Strafmaß. Zudem sind sämtliche Schriftstücke der Staatsanwaltschaft als Durchschlag inkludiert, welche im Rahmen der obliegenden Berichtskorrespondenz an das Reichsjustizministerium, nachrichtlich durch den Generalstaatsanwalt, gesendet wurden. Bisweilen sind diese Berichte mit persönlichen Stellungnahmen oder Urteilskritiken versehen72. Die Ermittlungs- oder Hauptakte wurde regelmäßig in zeitlicher Chronologie sortiert und enthält Schriftstücke nachgeordneter Ermittlungsbehörden wie Strafanzeige, Vernehmungsprotokolle, Ermittlungsergebnisse, Personalbögen und bei politischen Delikten Stellungnahmen örtlicher NSDAP-Verbände oder ihrer Untergliederungen zum Delinquenten. Weiterhin beinhaltet sie Schriftstücke der Justizverwaltung wie Postzustellungsurkunden, Kostenrechnungen, Strafregisterauszüge, Anordnungen von Untersuchungshaft und Anträge der Verteidigung. Darüber hinaus enthält sie das Sitzungsprotokoll und eine Ausfertigung des Urteils sowie eine Bestätigung über Inhaftierung und Entlassung seitens der jeweiligen Justizvollzugsanstalt, sofern kein gesondertes Vollstreckungsheft vorhanden ist. Das Gnadenheft wurde für Anträge auf Strafaussetzung bzw. Straferlass erstellt. Neben den meist handschriftlich verfassten persönlichen Gnadengesuchen verurteilter Personen oder ihrer Angehörigen an Staatsanwaltschaft, Führerhauptamt, Kanzlei des Führers oder sonstige NSDAP-Stellen beinhaltet es in vielen Fällen Entscheidungsempfehlungen seitens der Justizvollzugsanstalt und anderer Stellen sowie eine abschließende Entscheidung durch den Behördenleiter der Staatsanwaltschaft. Um eine mangelnde Repräsentativität der gefundenen Ergebnisse auszuschließen, wurden die Verfahrensakten einer Vollauswertung unterzogen, welche alle überlieferten bzw. auffindbaren Aktenstücke umfasst. Die Erfassung erfolgte durch Aufnahme relevanter Daten in ein elektronisches Datenverarbeitungsprogramm, welches eine Auswertung verschiedenster Gesichtspunkte ermöglicht73. Insgesamt beinhaltet die Datenbank 719 Einträge zu insgesamt 680 überlieferten Einzelverfahren. Die Divergenz zwischen beiden 72  Siehe

hierzu ebd. den fundstellenbezogenen Quellenangaben wie Verfahrenssignaturen und Archivierungsnummern handelt es sich bei den ausgewählten Merkmalen um folgende Rubriken: Name des/der Beschuldigten/Angeklagten, Beruf, Wohnort, angeklagtes Delikt, Urteil/Tenor, Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, beantragtes Strafmaß der Staatsanwaltschaft, Ort des Strafvollzugs, Gnadenpraxis, besondere Anmerkungen, vorläufiger Haftbefehl, Name des Vorsitzenden Richters, Mitgliedschaft des/der Angeklagten in der NSDAP. 73  Neben

42

A. Einleitung

Zahlen ist dem Umstand uneinheitlicher Archivierungsmethodik sowie einer teilweisen Nichtauffindbarkeit formal existierender Akten zuzuschreiben74. Um im Lichte der vorgefundenen Verfahrensanzahl zu einer qualifizierten Einschätzung zu gelangen, inwieweit der Aktenumfang Vollständigkeit im Hinblick auf die Gesamtzahl aller tatsächlich verhandelten Prozesse für sich beanspruchen kann, wurde die jeweilige Aktensignatur als Indikator herangezogen. Jede Verfahrensakte ist mit einem individuellen Aktenzeichen versehen75. Dieses setzt sich aus einer Buchstaben- und Zahlenfolge zusammen. Exemplarisch hält die Verfahrensakte mit der Signatur „S Ls 22–41“ folgende Informationen bereit: „S“ steht für Sondergerichtssache, die Buchstabenfolge „Ls“ bedeutet Verbrechen („Ms“ bedeutet Vergehen), die Ziffer „22“ stellt die Verfahrenszahl des laufenden Geschäftsjahres und die Ziffer „41“ das Geschäftsjahr selbst dar, sodass es sich um das 22. Verbrechen handelt, welches im Jahre 1941 beim Sondergericht anhängig war. Bei Addition der jeweils höchsten Verfahrenszahlen für die jeweiligen Geschäftsjahre gelangt man auf insgesamt 967 Verfahren, welche beim Sondergericht

74  Ausweislich der Angaben des LAV NRW R erstreckt sich der Bestand an regulären Verfahrensakten des Sondergerichts Aachen auf 619 Einheiten (Aktenkonvolut zu einem in sich abgeschlossenen Verfahren), siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113. Tatsächlich handelt es sich jedoch nach Durchsicht um lediglich 610 Einheiten, da neun Signaturen im Bestand nicht existieren (es handelt sich hierbei um die folgenden Signaturen: LAV NRW R, Ger. Rep. 113 Nr. 126, 128, 130, 145, 181, 439, 456, 605, 606. Von diesen neun nicht existenten Signaturen in LAV NRW R, Ger. Rep. 113 fanden sich nach Abgleichung der entsprechenden NS-Signaturen fünf Akten im Bestand der Verfahren mit anschließendem Todesurteil: LAV NRW R Ger. Rep. 113, Akte 126 entspricht LAV NRW R, NW 174, Akte 195, LAV NRW R Ger. Rep. 113, Akte 145 entspricht LAV NRW R, NW 174, Akte 196, LAV NRW R Ger. Rep. 113, Akte 456 entspricht LAV NRW R, NW 174, Akte 194, LAV NRW R Ger. Rep. 113, Akte 605 entspricht LAV NRW R, NW 174, Akte 193, LAV NRW R Ger. Rep. 113, Akte 606 entspricht LAV NRW R, NW 174, Akte 193. Diese wurden bei der Anzahl der Verfahren mit anschließendem Todesurteil entsprechend berücksichtigt. Vier Signaturen blieben unauffindbar). Acht Einheiten, die mit Todesurteil endeten, sind in einem gesonderten Bestand – LAV NRW R, NW 174 – archiviert. Aufgrund der irregulären Archivierungsmethode von Fortsetzungsbänden zu Verfahrensakten (diese werden innerhalb des Bestands Ger. Rep. 113 in 30 Fällen als eigene Einheit archiviert), sowie aufgrund des Umstands, dass durch teilweise vorgenommene Verfahrenstrennungen eine archivierte Einheit zum Teil mehrere Verfahren mit gesonderten Urteilen enthält, korreliert die Anzahl archivierter Einheiten nicht mit der vorgefundenen Verfahrensanzahl, die sich auf insgesamt 599 Verfahren beläuft. Die im BArch vorgefundene und ausgewertete Anzahl an Verfahrensakten beläuft sich auf 81 Verfahren, sodass es sich um insgesamt 680 Verfahren handelt. 75  Die vorgefundenen Akten sind ergo mit zwei verschiedenen Signaturen gekennzeichnet: der zeitgenössischen Signatur der Staatsanwaltschaft Aachen sowie der Archivierungssignatur des LAV NRW R.



V. Quellenlage und Quellenwert43

anhängig gewesen sind76. Fingiert man diese Anzahl als tatsächliche Verfahrenshöchstzahl, gelangt man zu dem Ergebnis, dass das Aktenmaterial zu 70,3  % erhalten geblieben ist. Als Verlustfaktor ist neben allgemeinen Kriegseinwirkungen zudem von gezielten Aktenvernichtungen auszugehen. So teilte der Gauleiter des Gaues Köln-Aachen dem GStA in einer vertraulichen Nachricht mit, dass bei einer Gauleiterbesprechung in Siegen im November des Jahres 1944 verfügt worden sei, dass „im Falle einer überraschenden Feindbesetzung von Teilen des Reichsgebiets nur die Behörden der inneren Verwaltung zurück bleiben“ sollten. „Alle übrigen Behörden, insbesondere auch die Justiz, gehen vollständig zurück. Alle Akten sind zu vernichten, insbesondere auch solche, die zur Erfassung der Bevölkerung durch die feindliche Besatzungsmacht dienen könnten“77. Für Köln ist der Vernichtungsakt durch Ausführungen des GStA dokumentiert: „In dem Schloss Brühl waren sämtliche weggelegten Akten der Staatsanwaltschaft in Köln einschließlich der Anklagebehörde bei dem Sondergericht untergebracht. Es handelt sich, wie mir berichtet worden ist, um etwa 40.000 Akten. Alle geschichtlich wertvollen Akten, insbesondere auch solche, die führende Persönlichkeiten aus Partei und Staat betrafen, sind bereits im Sommer 1944 ausgesondert und in das rechtsrheinische Gebiet verlagert worden. Eine vollständige Vernichtung konnte indes nicht durchgeführt werden, weil die Vernichtung einer derart großen Aktenanzahl naturgemäß eine längere Zeit erforderte, zumal die Bewohner von Brühl gegen die Entfachung eines größeren Feuers wegen der Luftgefährdung protestierten“78. Vor diesem Hintergrund ist der Umfang des dokumentierten Erhalts der Aachener Sondergerichtsakten verhältnismäßig hoch und geeignet, repräsentative statistische Ergebnisse liefern zu können. Weitere wesentliche Erkenntnisse wurden aus der Einsichtnahme von Justizverwaltungsdokumenten gezogen. Diese enthalten unter anderem politische Lageberichte des LOStA Führer an die Generalstaatsanwaltschaft in Köln, welche bis einschließlich 15. Mai 1944 vorhanden sind. Auch die Lageberichte des GStA an das Reichsjustizministerium sind bis einschließlich März 1945 dokumentiert und lassen Rückschlüsse auf die Relevanz der Aachener Vorgänge und deren Beurteilung durch die vorgesetzte Dienstbe76  Die tatsächliche Verfahrensanzahl ist nicht verbindlich, da die jeweils vorhandene höchste Ordnungszahl nicht zwingend die tatsächlich höchste Ordnungszahl ist. Zur Ermittlung der Anzahl von 888 Verfahrensakten siehe Anhang, Tabelle 25, S. 508. 77  Vermerk des GStA vom 14.11.1944, Stellungnahme des LOStA in Aachen zu geplanten Vereinfachungsmaßnahmen auf dem Sektor der Strafrechtspflege vom 8.8.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 158. 78  Schreiben Rahmels an die Gauleitung der NSDAP Köln Aachen vom 25.3.1945, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 211 b.

44

A. Einleitung

hörde zu. Für die Untersuchung wurden zudem Geschäftsverteilungspläne der Staatsanwaltschaft Aachen, Rundverfügungen und sonstige behördliche Weisungen, die sich auf alle Stadien des staatsanwaltschaftlichen Verfahrensganges bis hin zur Vollstreckungs- und Gnadenpraxis erstrecken, gesichtet und – soweit relevant – ausgewertet. Zuletzt sind zu allen Sachbearbeitern der Staatsanwaltschaft Aachen sowie zu Mitarbeitern, die bei vorgesetzten Dienstbehörden mit den Vorgängen aus Aachen betraut waren, Personalakten vorhanden. Insgesamt sind Quellenlage und Quellenwert insoweit als sehr umfang- und aufschlussreich zu qualifizieren.

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen und ihre Rolle im Justizverwaltungsapparat I. Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen der staatsanwaltschaftlichen Arbeitspraxis am Standort Aachen 1. Rechtliche Rahmenbedingungen a) Nationalsozialistische Rechtsideologie1 aa) Das Führerprinzip Das Führerprinzip bildete das Kernstück nationalsozialistischer Rechtsideologie, indem es, seinem Wortsinn entsprechend, bereits die argumentative Basis einer „Führung“, „Lenkung“ „Steuerung“ oder „Instrumentalisie1  Der hier verwendete Begriff der „Rechtsideologie“ impliziert seinem Wortlaut gemäß einen existenten Einfluss der NS-Ideologie auf das „Recht“. Diese Einschätzung ist in der Wissenschaft vereinzelt nicht unumstritten. So gehen Buchheim und Jäger von einem dualistischen Alternativverhältnis zwischen Recht und Ideologie aus. Ausgangspunkt dieser Schlussfolgerung bildet eine vermeintlich strikte Trennung von Weisungen in Dienstsachen durch behördliche Organe und Befehlen in weltanschaulichen Belangen innerhalb des Parteiapparates. Auch Jäger versteht die NS-Doktrin als Gegensatz zur alleine aus der staatlichen Sphäre herzuleitenden Gesetzesordnung und abstrahiert „ideologische Linientreue“ und Gesetzesbefolgung als gegensätzliche Pole, siehe Buchheim, Befehl, S. 219 f., 263 f., Jäger, Verbrechen, S. 197. Trotz Anerkennung einer vereinzelten Vermengung von Ideologie und Gesetzesnormen halten beide unter Zuhilfenahme eines theoretischen Konstrukts an dem dualistischen Gedanken fest, indem in Grenzfällen für eine Abgrenzung allein darauf abzustellen sei, ob die jeweilige Norm im Schwerpunkt normativen oder nicht-normativen Charakter hatte, Buchheim, Befehl, S. 271. Trotz einiger Verflechtungen bestehe die Trennung beider Komponenten grundsätzlich fort. Werle kritisiert an diesen Ausführungen zu Recht, dass ihre Richtigkeit von der Frage abhängen, wie häufig Verflechtungen von Recht und Ideologie tatsächlich stattfanden, Werle, Justiz-Strafrecht, S. 32. Auch reicht für die Beurteilung einer ideologischen Einfärbung von Gesetzen nicht allein ein Abstellen auf den abstrakten Wortlaut der Norm, sondern bedarf zudem einer Beurteilung der konkreten Anwendung. Einen dualistischen Gedanken rechtsgebietsübergreifend anzunehmen kann darüber hinaus schlechterdings den individuellen Zielrichtungen einzelner Rechtsgebiete, insbesondere dem (politischen) Strafrecht, gerecht werden. Im Übrigen verkennen die Verfechter eines dualistischen Gedankens die Zunahme einer systematischen Verwendung von Generalklauseln in materiellem Strafrecht (hierzu unten, S.  56) sowie eine auch im Verwaltungsrecht er-

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

rung“ des Volkes und des gesamten Verwaltungs- und Staatsapparates bot. Seine gesetzliche Manifestation erhielt das Führerprinzip im Zuge von Hitlers Übernahme der Befugnisse des Reichspräsidenten, indem das Amt des Reichskanzlers und -präsidenten fortan in Personalunion geführt und Hitler erstmalig mit dem Titel des „Führers und Reichskanzlers“ bezeichnet wurde2. Nach zeitgenössischer Doktrin erschöpfte sich die Bedeutung des „Führergrundsatzes“ nicht in einer individuellen Art der Staatsführung, sondern sollte vielmehr „das gesamte Leben beherrschen“3. Er wurde damit zu einer Weltanschauung stilisiert, in welcher das Prinzip eines autokrat regierten Staates einzig an die Person Hitlers und nicht etwa an das staatsorganisationsrechtlich geschaffene Amt geknüpft wurde. So führte Heckel aus: „Die Amtsgewalt des Führers ist keine Kompetenz. Nicht den Führer macht das Amt, sondern der Führer gestaltet das Amt nach seiner Mission“4. Die Notwendigkeit, im zeitgenössischen verfassungsrechtlichen Diskurs hervorzuheben, die „totale“ Amtsgewalt des Führers beschränke sich auf die „Gebiete des weltlichen Gemeinlebens“ und beanspruche „für sich keine religiöse Aufgabe“, indiziert dabei die Tragweite dieses Lebensgrundsatzes5. Praktisch verschwammen die Grenzen hin zu religiösen Ausmaßen allerdings deutlich stärker als in der Rechtstheorie kommuniziert wurde, indem sich die nationalsozialistische Gesinnungsgemeinschaft in einem strengen Alternativverhältnis zur Religion positionierte. So trat im April 1934 der bis dato römisch-katholischer Konfession angehörige Behördenleiter der Aachener Staatsanwaltschaft aus der Kirche aus und bekannte sich stattdessen zur „nationalsozialistischen Weltanschauungsgemeinschaft“6. Im April 1937 tat Aachens EStA Ackermann durch Einreichung einer identischen Formvorlage gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft ebenfalls seinen Kirchenaustritt kund7. Sofern derartige Loyalitätsbekundungen zum kennbare

immanente Zielrichtung der Gestaltung und Bindung des Beamtenapparates an ein nationalsozialistisches Staatsgepräge, hierzu unten, S. 170. 2  § 1 „Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs“ vom 1.8.1934, RGBl. 1934 I, S. 747. 3  Töwe, Führertum, in: DRiZ 1935, S. 226. 4  Heckel, Führerrede, in: DVerwBl 1937, S. 61. 5  Zitiert nach Heckel, Führerrede, in: DVerwBl 1937, S. 61. So im Ergebnis auch Huber, Verfassung, S. 315. 6  Anzeige von LOStA Führer an den GStA in Köln vom 8.4.1937, LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte des OLG Köln, Bl. 80. Siehe zur entsprechenden Ablichtung Abbildung 12, Anhang, S. 558. 7  LAV NRW R, NW Pe 3631, Akte Justizministerium, Bl. 26. Thomik bezeichnet die nationalsozialistische Ideologie unter Zugrundelegung der Inhalte zweier nationalsozialistischer Printmedien unverblümt als „Ersatzreligion“, Thomik, Ersatzreligion, S. 14. Mit weiteren Nachweisen zu Kollisionen insbesondere mit dem Christentum ebd., S. 210.



I. Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen47

„neuen Staat“ nicht überliefert sind, dokumentierte auf dem Gebiet der Justizverwaltung die Ersetzung des zu leistenden Verfassungseides der Beamtenschaft zugunsten eines Treuegelöbnisses auf den Führer künftig das neue personenbezogene weltliche Bekenntnis8. Personen, die im Staatsdienst beschäftigt worden waren und fortan nicht mehr konform mit der neuen Weltanschauung liefen, wurden kurzerhand ihrer beruflichen Position enthoben. Die Bindung der Justiz an Recht und Gesetz sowie die Unabhängigkeit des Richters – wesentliche und mit dem Führerprinzip nicht in Konkordanz zu bringende Rechtsinstitute – wurden zunehmend beschnitten und gipfelten schließlich in der sogenannten „Justizkrise“9. Verfassungsrechtliche Bedeutung manifestierte das Führerprinzip neben der Bündelung der gesamten staatlichen Gewalt in der Unabsetzbarkeit Hitlers sowie in der hiermit einhergehenden Argumentation, jegliche „Verantwortlichkeit des Reichskanzlers gegenüber dem Reichstage“ abzulehnen10. Für die gesamte Strafrechtspflege bedeutete die Zugrundelegung einer „Inhaltsgleichheit von Führerwillen und Recht“11 ein verstärktes und rigoroses Vorgehen gegen alle Individuen, die sich mit ihrem Verhalten außerhalb der „Volksgemeinschaft“ positionierten. Da Gesetze – und damit auch materielles Strafrecht – „nur einzelne Ausprägungen eines höheren einheitlichen Prinzips“12 waren, galt es, bei der Rechtsanwendung weniger auf den Buchstaben des Gesetzes abzustellen, sondern zunehmend den in – ideologisch konnotierten – Generalklauseln enthaltenen mutmaßlichen Führerwillen extensiv auszulegen und damit dem Führerprinzip in jedem Strafverfahren zur Geltung zu verhelfen. bb) Das Prinzip der Volksgemeinschaft Mit dem Volksgemeinschaftsprinzip wurde das Gegenstück zum herrschaftsideologischen Führerprinzip geschaffen. Die Volksgemeinschaft stellte das passive Korrelat zu Hitler dar. Während für den Begriff „Gemeinschaft“ abschließende Begriffsdefinitionen ausblieben, setzte sich seine Bedeutung vielmehr aus einem interdisziplinären Kontext zusammen, der soziologische, ethnische und juristische Elemente enthielt und sich 8  So lautete der Diensteid für Beamte: „Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflicht gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe“, § 2 Nr. 1 „Gesetz über die Vereidigung der Beamten und der Soldaten der Wehrmacht“ vom 20.8.1934, RGBl. 1934 I, S. 785. 9  Hirsch/Majer/Meinck, Recht, S. 169, 170. 10  Vgl. Lammers, Staatsführung, in: DJ 1934, S. 1296, 1297. 11  Lange, Gesetzesstaat, in: Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, S. 37. 12  Heckel, Führerrede, in: DVerwBl 1937, S. 61.

48

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

durch integrative als auch repressive Wesensmerkmale auszeichnete13. Konstitutives und nicht disponibles Merkmal der Volksgenosseneigenschaft war zunächst die „Deutschblütigkeit“14. Konfessionelle, soziale und gesellschaftliche Unterschiede, die zu einer Aufteilung des Volksganzen führten, sollten innerhalb des homogenen Gemeinschaftsbildideals überwunden werden15. Das integrative Privileg eines Volksgenossen bestand in der Trägerschaft staatsbürgerlicher Rechte. Da aber rechtsphilosophische Ansätze zur Rechtfertigung von Individual- bzw. Grundrechten des Einzelnen gegenüber dem Staat als mit dem Nationalsozialismus nicht zu vereinbarendes Misstrauen gewertet wurden, sollte unter „Rechtsfähigkeit (…) nicht mehr die Fähigkeit verstanden werden, subjektive Rechte zu haben, sondern nur die Fähigkeit, in bestimmten Rechtsstellungen zu stehen“, die sich in der Wahrnehmung „zielgebundener und pflichtbestimmter Befugnisse“ zugunsten der Gemeinschaft erschöpften16. Der Volksgenosse sollte nicht als Individuum, sondern als Glied innerhalb des Gemeinschaftskörpers das Recht besitzen, seine uneingeschränkten Pflichten zum Dienst in und für die Volksgemeinschaft wahrnehmen zu dürfen. Umgekehrt drückte sich der repressive Charakter des Volksgemeinschaftsprinzips in einer bis zur völligen Entrechtung gehenden Ausgrenzung solcher Personengruppen aus, die als „Artfremde“ nicht der Volksgemeinschaft angehörten17. In der staatsanwaltschaftlichen Verwaltungspraxis manifestierte sich ein diskriminierender Charakter gegenüber allen nicht-deutschen Angeklagten regelmäßig in der Kennzeichnung von Aktendeckeln mit vorgefertigten Aufklebern, welche die Angeklagten als „Ausländer“ oder „Polen“ brandmarkten18. Unter „Gemeinschaftsfremde“ oder „Artfremde“ wurden neben Menschen, die aufgrund ihrer ethnischen Abstammung bereits auszuschließen waren, auch jene Personen subsumiert, die den der Volksgemeinschaft immanenten Wertekodex durch ihre „innere Haltung“ ablehnten19. In ei13  Stolleis,

Gemeinschaft, in: VfZ 1972, S. 20. Stolleis, der ausführt: „Es wird daher in der nationalsozialistischen Literatur immer wieder versichert, die Unterordnung des Einzelnen unter die (Volks-) Gemeinschaft sei kein Akt äußeren Zwanges, vielmehr folge man hierbei dem wieder geweckten Ruf des Blutes, das zur Gemeinschaft hindränge“, Stolleis, Gemeinschaft, in: VfZ 1972, S. 36. 15  Stolleis, Gemeinschaft, in: VfZ 1972, S. 38. 16  Larenz, Rechtsperson, in: Dahm, Grundfragen, S. 241, 242. 17  Larenz geht soweit, die Eigenschaft einer „konkreten Persönlichkeit“ nicht an das Mensch-Sein, sondern an die Volksgenosseneigenschaft zu knüpfen, Larenz, Rechtsperson, in: Dahm, Grundfragen, S. 241. 18  Siehe hierzu exemplarisch LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 85, Deckblatt, Abbildung 16, Anhang, S. 565. 19  Dies ergibt sich etwa aus dem Umkehrschluss der Ausführungen Scheuners, Gleichheitsgedanke, in ZSW 1939, S. 276. 14  Vgl.



I. Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen49

nem nicht mehr zur Verkündung gekommenen Gesetzesentwurf wurde das Merkmal der Gemeinschaftsfremdheit legaldefiniert. Dieses umfasste Personen, die „nach Persönlichkeit und Lebensführung, insbesondere wegen außergewöhnlicher Mängel des Verstandes oder des Charakters außerstande“ waren, „aus eigener Kraft den Mindestanforderungen der Volksgemeinschaft zu genügen“20. Durch die Möglichkeit einer verhaltensbezogenen Aberkennung der Volksgenosseneigenschaft aufgrund rechtlicher Verfehlungen war die sogenannte Tätertypenlehre spezieller strafrechtlicher Ausfluss des Volksgemeinschaftsprinzips. Mithilfe einer Verlagerung der strafrechtlichen Bewertung von objektiven Tatbestandsmerkmalen hin zu einer subjektiven „gemeinschaftsschädlichen“ Gesinnung wurden Straftaten zunehmend personalisiert21. Die Einbeziehung des Tätervorlebens und persönlicher Eigenschaften ermöglichte die Grundlage einer schärferen Sanktionierungsmöglichkeit für „Volksschädlinge“, „Plünderer“, „Nörgler“, „Gewohnheitsverbrecher“ oder „Kriegswirtschaftsverbrecher“22. Die kriegsbedingte Forderung einer harten Sanktionierungspraxis wurde im Übrigen unter Berufung auf die Theorie der „negativen Auslese“ seitens Hitlers und führender Parteijuristen im Justizministerium offen propagiert: Während der Volksgenosse sein Leben an der Front lasse, könne der Verbrecher durch eine Freiheitsstrafe den lebensgefährlichen Folgen des Krieges entgehen, was zu einer qualitativen Schwächung des deutschen Volkes führe23. Um dieser Entwicklung strafrechtlich vorzubeugen, sollten „härteste“ Strafen und Haftbedingungen verhängt werden24. Grundvorausset20  Art. 1 § 1 Entwurf des Gesetzes über die Behandlung Gemeinschaftsfremder: „Gemeinschaftsfremd ist: 1. wer sich nach Persönlichkeit und Lebensführung, insbesondere wegen außergewöhnlicher Mängel des Verstandes oder des Charakters außerstande zeigt, aus eigener Kraft den Mindestanforderungen der Volksgemeinschaft zu genügen, 2. wer a) aus Arbeitsscheu oder Liederlichkeit ein nichtsnutzes, unwirtschaftliches oder ungeordnetes Leben führt und dadurch andere oder die Allgemeinheit belastet oder gefährdet oder einen Hang oder eine Neigung zum Betteln oder Landstreichen, zu Arbeitsbummelei, Diebereien, Betrügereien oder anderen nicht ernsten Straftaten oder zu Ausschreitungen in der Trunkenheit betätigt oder aus solchen Gründen Unterhaltspflichten gröblich verletzt oder b) aus Unverträglichkeit oder Streitlust den Frieden der Allgemeinheit hartnäckig stört, oder 3. wer nach seiner Persönlichkeit und Lebensführung erkennen lässt, dass seine Sinnesart auf die Begehung von ernsten Straftaten gerichtet ist (gemeinschaftsfeindlicher Verbrecher oder Neigungsverbrecher)“, BArch R 18 Nr. 3386 zitiert nach Hirsch/Majer/Meinck, Recht, S. 536. Zur Ausgrenzung und Tötung von Menschen mit geistigen Defiziten in Aachen siehe Seipold, Euthanasie. 21  Roth, Verbrechensbekämpfung, S. 57. 22  Ebd. 23  Heim/Jochmann, Monologe, S. 348. 24  Schädler, Justizkrise, S. 23, mit weiteren Nachweisen zu Äußerungen Hitlers, Thieracks und Rothenbergers zur Sanktionspraxis, ebd.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

zung für die Umsetzung einer solchen Sanktionierungspraxis war eine abstrakte Machtsteigerung des hierfür zuständigen Prozessorgans, der Staatsanwaltschaft. b) Die intendierte Stellung der Staatsanwaltschaft im NS-Regime Während auf politischer Ebene durch die Machtergreifung die Grundlage zur Errichtung eines Führerstaates gelegt wurde, galt es fortan, durch eine Verzahnung politischer Interessen mit dem Justizsektor die Beibehaltung politischer Macht und die rechtliche Umsetzung ideologischer Vorstellungen zu gewährleisten25. Die Einflussnahme auf die Justiz drängte sich geradezu auf, da eine nur an geltendes Recht gebundene Strafrechtspflege eine unkontrollierbare Variable für die weitere Machtsicherung bedeutete. Von einer Abschaffung der richterlichen Unabhängigkeit – die konsequenteste Umsetzung politischer Einflussnahme – distanzierte man sich jedoch, da selbst aus den Reihen führender Nationalsozialisten eine grundsätzliche Achtung vor der fundamentalen judikativen Garantie der richterlichen Unabhängigkeit bestehen geblieben war26. Zudem hätte die offene Abkehr vom Grundsatz einer unabhängigen Richterschaft zu einer unkalkulierbaren Resonanz in der Bevölkerung geführt, deren Vertrauen in eine unabhängige Justiz ebenfalls erhalten geblieben war27. Um die Doppelfunktion einer politischen Einflussnahme – volle Instrumentalisierbarkeit bei gleichzeitiger Wahrung einer rechtmäßigen Fassade28 – effektiv gewährleisten zu können, bediente man sich der Staatsanwaltschaft, deren Eigenschaft als „gegebene Lenkungsbehörde“ durch das bestehende normative Fundament der Weisungsabhängigkeit gemäß §§ 146, 147 GVG ohnehin nahe lag. Es galt die durch die Reichsjustizgesetze vom 1. September 1879 empfundene prozessuale Schwächung der Staatsanwaltschaft zu revidieren und ihr gegenüber der

25  Rapsch geht noch weiter, indem er die „Funktionsfähigkeit eines jeden Staates“ von der Umsetzung von „Leitvorstellungen in Form von Gesetzen“ durch die politische Führung abhängig macht, Rapsch, Gesetzgebung, in: Salje, Unrecht, S. 138. 26  Stirken, Justizalltag, S. 41. Die Unabhängigkeit der Richterschaft blieb – zumindest formell – bis zum Zusammenbruch des Dritten Reiches durch § 1 GVG in Kraft. 27  Ebd. Wie uneingeschränkt führende Juristen von der vermeintlich tatsächlichen richterlichen Unabhängigkeit selbst während der „Justizkrise“ waren, zeigen die Ausführungen des 1942 im RJM beschäftigten UStS Hueber: „Warum hat er (Hitler) z. B. die Trennung von Justiz und Verwaltung und die Unabhängigkeit der Richter nicht aufgehoben? Etwa aus Energiemangel? (…) Wenn der Führer etwas tut oder nicht tut, so vermutlich deshalb, weil er das eine für richtig und das andere für falsch hält“, Hueber, Führerstaat, in: DJ 1942, S. 9. 28  Schumacher, Staatsanwaltschaft, S. 56.



I. Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen51

Richterschaft „die führende und aktive Stellung“ zukommen zu lassen29. Die Anpassung des Stärkeverhältnisses zwischen Richterschaft und Staatsanwaltschaft wurde im zeitgenössischen rechtswissenschaftlichen Diskurs mit einer Abkehr vom Parteigedanken der beteiligten Prozessorgane gerechtfertigt. Wenn die Anklagebehörde „unmittelbares Organ der politischen Führung30“ sei, stellte die Annahme eines Parteienprozesses die politische Führung faktisch auf eine Schwelle mit dem Delinquenten, der lediglich „Objekt“ des Prozesses sei31. Vielmehr sei die Staatsanwaltschaft – anders als im zivilrechtlichen Parteienprozess – vom Amts wegen dazu verpflichtet, gleichermaßen Entlastungsmomente zugunsten des Beschuldigten zu ermitteln und damit zur Objektivität und nicht zur Parteilichkeit beizutragen32. Im Übrigen fehle es an der für die Parteilichkeit konstitutiven selbstständigen Verfügung über den Verfahrensgegenstand33, da die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens grundsätzlich von Amts wegen zu erfolgen hatte. Die Verpflichtung der Anklagebehörde zur Objektivität sollte konsequenterweise ein Subordinationsverhältnis der Staatsanwaltschaft unter die Richterschaft und mit ihr einhergehende Mechanismen richterlicher Kontrolle ausschlie29  Rohling, Stellung des Staatsanwalts, in: DJZ 1935, Sp. 1348. So fand seinerzeit erstmals das Recht auf den gesetzlichen Richter in § 16 GVG seine Ausprägung. Die Staatsanwaltschaft konnte damit nicht mehr darüber disponieren, bei welchem Gericht sie ein Verfahren anhängig machte. Vielmehr richtete sich die sachliche Zuständigkeit von Strafgerichten fortan ausschließlich nach dem GVG. Zur Wahrung prozessualer Neutralität war darüber hinaus eine gerichtliche Voruntersuchung zwingend vorgesehen bei allen erstinstanzlichen Strafsachen vor dem Reichsgericht. Bei Verfahren vor Schwur- oder Landgerichten fand eine solche Voruntersuchung auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder der Beschuldigten statt. Hierdurch wurde gewährleistet, dass das Gericht überprüfen konnte, inwieweit die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft tatsächlich für die Eröffnung eines Hauptverfahrens tauglich erschienen. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens waren Zwangsmaßnahmen wie Verhaftung, Durchsuchung von Wohnungen, Beschlagnahme und Eingriffe in das Postgeheimnis nur noch aufgrund vorheriger richterlicher Anordnung zulässig. Die hieraus resultierende Abhängigkeit der Staatsanwaltschaft von der Richterschaft und deren zusätzliche Aufwertung durch Ernennung auf Lebenszeit führte zu einem Subordinationsverhältnis bei der Kräfteverteilung zwischen Gericht und Anklagebehörde. 30  Dahm, Der Staatsanwalt, in: DStrR 1935, S. 264. 31  So vertreten von Gürtner, Strafprozessreform, in: DJ 1934, S. 722; Freisler, Grundzüge des Strafverfahrensrechts, in: DStrR 1935, S. 233–234; Schmidt, Staatsanwalt und Gericht, S. 287. Zur Kritik an einer Parteienstellung der Staatsanwaltschaft auch Rohling, Staatsanwalt, in: DJ 1935 II, S. 1185; Becker, Voruntersuchung, in: GS 1937, S. 178; Gürtner, Strafprozessreform, in: DJ 1934, S. 722. Zum zitierten Begriff des „Objekts“ Freisler, Grundzüge des Strafverfahrensrechts, in: DStrR 1935, S. 233. 32  Henkel, Der Parteigedanke, in: DStrR 1935, S. 135. 33  Ebd., S. 137.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

ßen34. Dass sich auch der Behördenleiter Aachens einer gestärkten Position seiner Behörde bewusst war, verdeutlicht ein Briefwechsel mit dem GStA in Köln zur Frage einer künftigen Kompetenzverschiebung auf dem Gebiet der Gefangenenüberwachung zugunsten der Staatsanwaltschaft: „Wenn gemäß § 116 Abs. 5 StPO der Brief- und Besuchsverkehr dem Richter übertragen ist, so wird dafür nicht zuletzt ein gewisses Misstrauen gegen den Staatsanwalt als Ausfluss eines übertriebenen Schutzes des Rechtsbrechers maßgebend gewesen sein. Dass dieses Misstrauen völlig unbegründet und mit den jetzt herrschenden Auffassungen von der Stellung des Staatsanwalts nicht in Einklang zu bringen ist, bedarf keiner näheren Begründung“35. c) Grundlagen nationalsozialistischer Gesetzgebung aa) Formelle Gesetzgebung Intendierte machtsteigernde Einflussnahmen machten vor dem Gebiet formeller und materieller Gesetzgebung nicht halt. Die nationalsozialistische Gesetzgebung basierte zunächst auf Notverordnungen, deren Erlass auf der Grundlage von Art. 48 Abs. 2 WRV ermöglicht wurde. Durch das Ermächtigungsgesetz, welches als Fundament für die weitere Strafgesetzgebung diente, wurde die Mitsprache beteiligter Organe am Gesetzgebungsverfahren zugunsten einer alleinigen Entscheidungskompetenz Hitlers beseitigt36. Die bis zum Kriegsausbruch mehrheitlich als „Reichsregierungsgesetze“ ausgefertigten Legislativakte suggerierten dabei nur ihrem Namen nach eine Mitwirkung der Regierung37. Tatsächlich handelte es sich bereits zu diesem Zeitpunkt um „Führer-Gesetze“, da keine Beschlussfassung stattfand, son34  Gürtner,

Strafprozessreform, in: DJ 1934, S. 722. des LOStA an den GStA vom 9.8.1940 betr. die Überwachung des Brief- und Besuchsverkehrs der Untersuchungsgefangenen im Vorverfahren, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 53, Bl. 99. 36  So bestimmt Art. 1 „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ vom 24.3.1933: „Reichsgesetze können außer in dem in der Reichsverfassung vorgesehenen Verfahren auch durch die Reichsregierung beschlossen werden“, RGBl. 1933 I, S. 141. 37  Einzige Ausnahme war bis 1935 das Blutschutzgesetz, welches als Reichstagsgesetz ausgefertigt wurde, siehe hierzu eingehend Werle, Justiz-Strafrecht, S. 59, 63–64. Bis einschließlich 1939 stellten die „Reichsregierungsgesetze weiterhin das Gros der formalen Gesetzesausgestaltung dar, Besonderheiten ergaben sich jedoch durch eine souveräne zusätzliche Gesetzgebungsbefugnis Görings, zu der er von Hitler bevollmächtigt worden war und vereinzelt umsetzte, siehe hierzu eingehend Werle, Justiz-Strafrecht, S. 193–194, 203. Die Bevollmächtigung ergibt sich aus der „Verordnung zur Durchführung des Vierjahresplans“ vom 18.10.1936, RGBl. 1936 I, S. 887. 35  Schreiben



I. Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen53

dern eine alleinige Entscheidung Hitlers nach „Beratung und Aussprache“ zustande kam38. Die Regierung wurde zum bloßen „Führerrat“ degradiert, der beratend und unterstützend tätig wurde39. Die Gesetzesinitiative lag bei Hitler, wurde aber unter Vorbehalt auch den Reichsministern zugestanden40. Fertige Gesetzesentwürfe wurden vom zuständigen Ressort an die Reichskanzlei gesandt und nach einem „Kabinettsbeschluss“ oder „Umlaufverfahren“ durch Hitlers Unterschrift ausgefertigt41. Die Beteiligung der zuständigen Minister bei der Unterzeichnung hatte dabei keinen konstitutiven Charakter, sondern sollte deren deklaratorisches Einstehen für die sachliche Richtigkeit gegenüber Hitler symbolisieren42. Ab 1939 ergingen neben den Reichsregierungsgesetzen Verordnungen, die abweichend von ihrer Bezeichnung die Wirkung eines Gesetzes entfalteten43. Ihre zahlenmäßige Dominanz gegenüber den vormals mehrheitlich erlassenen Reichsregierungsgesetzen auf dem Gebiet materiellen Strafrechts verdeutlicht die exemplarische Aufzählung der wesentlichen Straftatbestände für die Staatsanwaltschaft bei den 38  Werle, Justiz-Strafrecht, S. 61; Hoche, Reichsgesetze, S. 66. Zur alleinigen Entscheidungskompetenz auch Rapsch, Gesetzgebung, in: Salje, Unrecht, S. 145. 39  Hoche, Reichsgesetze, S. 66. 40  So konnte Hitler, auch nach Beauftragung der jeweiligen Ressorts jederzeit den Abbruch der Arbeit an Gesetzesentwürfen anordnen und bei wichtigen Regelungsgebieten die abweichende ministerielle Gesetzesinitiative von seinem Einverständnis abhängig machen, Huber, Verfassung, S. 241. 41  Werle, Justiz-Strafrecht, S. 62. Siehe zur detaillierten Schilderung des Ablaufs des Beschlussverfahrens ebd. Während der Kabinettsbeschluss in der bereits geschilderten Form stattfand, wurde im Umlaufverfahren der Entwurf allen Mitgliedern des Reichstages schriftlich zugesandt und bei mangelndem Widerspruch das Einverständnis angenommen. Bei Widersprüchen wurde nach erfolgloser Verhandlung mit dem Ministerium über den Weg des Kabinettsentschlusses entschieden, ebd. 42  Hoche, Reichsgesetze, S. 66. 43  Werle begründet diese Sichtweise schlüssig mit dem Argument, dass im Verordnungswege mehrfach das RStGB selbst geändert wurde, ein Akt, der bei Minderwertigkeit der Verordnung formalrechtlich zur Unwirksamkeit führen würde, siehe Werle, Justiz-Strafrecht, S. 203. Müller hingegen spricht den nationalsozialistischen Strafrechtsverordnungen im formellen Sinne ihre Gesetzeseigenschaft ab, da es sich um bloße „Verwaltungsdekrete“ handelte. Materiell verneint er selbige mit dem Argument, dass der normative Wortlaut einer Vielzahl von Gesetzen „die Grenze zwischen straflos und strafbar meist bewusst im Unklaren“ ließen, siehe Müller, Niedergang, in: NS-Strafjustiz, S. 12. Trotz gegensätzlichen Ergebnisses sind beide Ansichten jedoch nicht widersprüchlich, da beide Thesen an unterschiedlichen Maßstäben gemessen werden. Während Werle sich bei seinem Ergebnis auf die zeitgenössische Einordnung unter Zugrundelegung der Intention und Anwendung durch den nationalsozialistischen Gesetzgeber bezieht, misst Müller den rechtlichen Charakter der NS-Verordnungen an heutigem Recht und verneint in Bezug auf die heute wiederauflebenden rechtsstaatlichen Grundsätze gleichermaßen zu Recht ihre Eigenschaft als Gesetze.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Sondergerichten, wie die KSSVO, die RundfunkVO, die KrWVO, die VVO, die GewaltverbrecherVO, sowie die WehrkraftVO44. Am Vortag des Krieges erweiterte Hitler die Gesetzgebungskompetenz mittels Führererlass auf den Ministerrat für die Reichsverteidigung. Die im Ministerrat erfolgte Bündelung von sechs Ressorts, dem Vierjahresplan, dem Stellvertreter des Führers, der Reichsverwaltung, der Wirtschaft, dem Chef der Reichskanzlei sowie dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, sollte einer Entlastung Hitlers dienen, indem – anders als beim Gesetzgebungsverfahren der Reichsregierung – die Rechtssetzung auch ohne eine Mitwirkung des Führers ermöglicht wurde45. Formal blieb das Gremium jedoch Hitler unterstellt46. Die Angelegenheiten der Justiz wurden im Rahmen des Ministerrats der Reichsverwaltung untergliedert47. Neben dem Ministerrat wurde für den Verteidigungsfall ab 1938 zudem das „Dreierkollegium“ geschaffen, welches sich sachlich dem Erlass von Regelungen im Zusammenhang mit der Reichsverteidigung widmen sollte, jedoch teilweise über diese sachliche Eingrenzung hinaus agierte48. Mit Keitel, Frick und Funk bestand das Kollegium zunächst aus drei Akteuren, die gleichermaßen dem Ministerrat angehörten49. Die Tätigkeit des Dreierkollegiums während des Krieges blieb zahlenmäßig jedoch hinter der Aktivität des Ministerrates zurück50. Durch besondere Führervollmachten wurde die Gesetzgebungskompetenz schließ44  Zur quantitativen Relevanz der Normen für die Arbeit der Staatsanwaltschaft Aachen siehe Tabelle 24, Anhang, S. 505. 45  Mertens, Rechtsetzung, S. 21. 46  Ebd. 47  Werle, Justiz-Strafrecht, S. 204. 48  Mertens, Rechtsetzung, S. 25. Nicht zuletzt aufgrund der hieraus resultierenden Kompetenzüberschneidung geht Rapsch davon aus, „Sinn und Zweck“ des Dreierkollegiums blieben „im Dunkeln“, Rapsch, Gesetzgebung, in: Salje, Recht und Unrecht, S. 145. Ebenso Kirschenmann, der den Sinn des Dreierkollegiums als „unbegreiflich“ qualifiziert, Kirschenmann, Gesetz, S. 117. Frick dagegen sieht den Zweck des Gremiums in einer „vereinfachten Rechtsetzung“ durch eine geringere Verfahrensdauer, die mit der geringeren personellen Zusammensetzung in Zusammenhang stehen sollte, Frick, Maßnahmen, in: RVerwBl 1940, S. 126. So mutmaßt im Ergebnis dann auch Rapsch, ebd. 49  Nach Mertens sah das nicht veröffentlichte Reichsverteidigungsgesetz vom 4.9.1938 – welches die konstitutive Grundlage für das „Dreierkollegium“ darstellte, die Einbeziehung des Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung, für die Wirtschaft sowie den Chef des OKW vor. Im August 1943 endete die Personalidentität, indem Himmler Frick ablöste, siehe Mertens, Rechtsetzung, S. 23, 24. 50  Nach Mertens erstreckte sich die Zahl an Verordnungen, die durch den Ministerrat erlassen wurden, für die Jahre 1939–1945 auf je 61, 54, 24, 27, 20, 14 und 1, für das „Dreierkollegium“ auf 31, 15, 10, 10, 7, 10 und 0 unter Zugrundelegung auf die im RGBl. veröffentlichten Verordnungen, siehe Mertens, Rechtsetzung, S. 161.



I. Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen55

lich vereinzelt an gewisse Sachgebiete gekoppelt und einzelnen Ministern übertragen51. Insbesondere der „Führererlass über besondere Vollmachten des Reichsministers der Justiz“ vom 20.8.1942, mit dem Hitler unmittelbar nach der Amtseinführung Thieracks sein Vertrauen zum neuen Justizminister bekundete, stellte seinem Wortlaut entsprechend eine „Blankettermächtigung“ dar52. Thierack war fortan befugt, alle „erforderlichen Maßnahmen“ zur Schaffung einer nationalsozialistischen Rechtspflege zu treffen und bei Bedarf von „bestehendem Recht abzuweichen“53. Die Macht des Justizressorts nahm schlagartig zu, da sich die Kompetenzen fortan nicht bloß auf die Vollziehung, sondern auf die Schaffung von Gesetzen erstreckte54. Die ausschließliche Gesetzgebungsmacht Hitlers und dessen Bevollmächtigter tangierte alle Behörden und Organe, die mit Exekutivaufgaben betraut waren. Auf dem Gebiet des Strafrechts betraf die formelle Gesetzgebung – nicht zuletzt aufgrund des weitreichenden Führererlasses zugunsten Thieracks – die Staatsanwaltschaft am unmittelbarsten, da sie die Rolle des zentralen Adressaten des erlassenen Strafprozessrechts und zugleich des Exekutivorgans materiellen Strafrechts durch ihre Anklagetätigkeit wahrnahm. Diese Unmittelbarkeit wurde im Innenverhältnis intensiviert durch eine Bindung der Staatsanwaltschaft an das mit umfangreichen Kompetenzen ausgestattete RJM55. Im Außenverhältnis stellte die Staatsanwaltschaft als Organ der Strafrechtspflege und direkte Schnittstelle zwischen Justizverwaltungsapparat und dem unmittelbar betroffenen Personenkreis aus den Reihen der Bevölkerung das repräsentative Ausführungsorgan autokrater Gesetzgebung in der strafprozessualen Wirklichkeit dar56.

51  Eine exemplarische Aufstellung prägnanter Ermächtigungen dieser Art gibt Mertens, Rechtsetzung, S. 30, 31. 52  Ebd., S. 30. 53  „Erlass des Führers über besondere Vollmachten des Reichsministers der Justiz vom 20. August 1942“, RGBl. 1942 I, S. 535. 54  Einschränkend ist zu sagen, dass Thierack zur wirksamen Rechtsetzung des Einvernehmens von Lammers und Bormanns bedurfte, siehe Broszat, Staat Hitlers, S. 394. Auch sofern die Rechtsetzung andere Ressorts, insbesondere die Polizei tangierte, war Thierack auf Individualabsprachen mit anderen Akteuren angewiesen, siehe Werle, Justiz-Strafrecht, S. 208. 55  Siehe insoweit § 146 GVG, abgedruckt in Dörner, Reichsstrafprozessordnung, S. 31. 56  Auch die Richterschaft kann nicht als unmittelbarere Verkörperung der Umsetzung Hitlers Legislativwillens im Strafprozess gesehen werden, da zumindest formal bis zuletzt an der Unabhängigkeit der Richter gem. § 1 GVG festgehalten wurde, während die Staatsanwaltschaft bereits durch die normierte Weisungsgebundenheit in § 146 GVG ein enges Bindungsverhältnis an die Umsetzung des gesetzgeberischen Willens prägte.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

bb) Materielle Gesetzgebung57 Die inhaltliche Umgestaltung formellen und materiellen Strafrechts stand unter dem Leitmotiv ns-ideologischer Prägung, die durch einen Bruch mit sämtlichen „christlich-abendländischen“ Rechtsprinzipien hin zu einem „neuheidnischen Rechtsgebilde“ vollzogen werden sollte und wurde58. Für statische, diese Ziele einschränkende Rechtsinstitute, wie dem „nulla poena sine lege“-Grundsatz und allen auf ihm basierenden Ableitungen wie dem Rückwirkungsverbot, Analogieverbot und Bestimmtheitsgrundsatz, war fortan kein Raum mehr: „Heute wird jeder den Satz ,Kein Verbrechen ohne Strafe‘ (…) gegenüber dem Satz: ,Keine Strafe ohne Gesetz‘ (…) als die höhere und stärkere Rechtswahrheit empfinden“59. Die Intention nationalsozialistischer Gesetzgebung verfolgte das Ziel, „die Erkennbarkeit des Gesetzes und die Berechenbarkeit der Rechtsfolgen aufzuheben60“, um einen umfangreichen normativen Radius für die strafrechtliche Ahndung von Taten zu haben, die mit nationalsozialistischer Weltanschauung unvereinbar waren61. Es sollte verhindert werden, dass die „Statik der Gesetzgebung“ die politische, „revolutionäre Dynamik“ hemmt62. Das Verfassen von Gesetzen mit abschließendem Wortlaut wurde fortan als „Normativismus“ verschrien, welches einer „wahren“ Gerechtigkeit aufgrund von „Volksfremdheit“ und „undeutscher Abstraktheit“ im Wege stand63. Eine norm- und tatbestandsübergreifende Verwendung verklausulierter, teils „völkisch“ geprägter Begriffe, wie das „gesunde Volksempfinden“, „die Allgemeinheit erregende Straffälle“, ein „im Volke wurzelndes gesundes Rechtsempfinden“, eine „verwerfliche Gesinnung“ sowie „Böswilligkeit“ erhielten verstärkten Ein57  Eingehend zur konkreten Ausgestaltung der für die Staatsanwaltschaft relevanten Normen prozessualen und sachlichen Strafrechts unten, S. 79. 58  Schorn, Gesetzgebung, S. 18. 59  Schmitt, Juristen, in: DJZ 1934, Sp. 693. 60  Henkel, Strafrichter, S. 37. 61  Dass die generelle Verwässerung des Wortlautes strafrechtlicher Tatbestände durch die Abkehr juristischer Fachbegriffe hin zu wertausfüllenden Begriffen kein Zufall war, schlägt sich spätestens in der gesetzlichen Aufhebung des Analogieverbots nieder, indem § 2 StGB bestimmte: „Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für Strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient. Findet auf die Tat kein bestimmtes Strafgesetz unmittelbar Anwendung, so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie am besten zutrifft, Art. 1 § 2 „Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs“ vom 28.6.1935, RGBl. 1935 I, S. 839. Zur Aufhebung des Analogieverbots eingehend unten, S. 82. 62  Johe, Justiz, S. 19. 63  Müller, Niedergang, in: NS-Strafjustiz, S. 11; Fürst, Politisches Strafrecht, S. 18; Stolleis, Gemeinschaft, in: VfZ 1972, S. 18.



I. Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen57

zug in der Rechtsterminologie64. Sie fungierten als „Einbruchstellen (…), durch die das neue Rechtsdenken das alte Rechtsleben überfluten“ sollte65. Praktisch bedeutete die auf diesem Wege verstärkte politische Steuerungsmöglichkeit der Strafrechtspflege jedoch nicht nur Rechtsunsicherheit für den Kreis der Angeklagten, sondern gleichermaßen für die Staatsanwaltschaft, indem die Voraussetzungen der Einschlägigkeit von Generalklauseln konturenlos blieb. Diese Ausgangslage bildete fortan Fundament und Rechtfertigung normkonkretisierender Anweisungen durch das Ministerium, welche sich – sofern die reichsweite Praxis verallgemeinerungsfähige Sachverhalte und Anwendungsprobleme hervorgebracht hatte – in unzähligen Ausführungsbestimmungen und Rundverfügungen niederschlugen66. Sofern es sich um nicht verallgemeinerungsfähige Einzelfälle handelte, bei denen die „richtige“ Rechtsanwendung fraglich war, blieb dem Ministerium durch individuelle Stellungnahmen zu Gesetzesanwendung und Strafmaßvorstellungen Raum für Einflussnahmen, deren Möglichkeit durch zusätzlich installierte Berichtspflichten unterstrichen wurde67. Die praktische Relevanz der Auslegung unbestimmter Tatbestandsmerkmale durch die Staatsanwaltschaft Aachen und durch das Sondergericht schlägt sich in nahezu allen überlieferten Verfahren mit anschließendem Todesurteil nieder, in denen die tatbestandliche Verwirklichung eines „besonders schweren Falles“ oder die subjektive „Volksschädlingseigenschaft“ zu eruieren war68. 2. Faktische Rahmenbedingungen a) Die fingierte „Justizkrise“ – Gründe, Urheber und Auswirkungen In den Jahren zwischen 1940 und 1942 sah sich der Justizapparat zunehmendem Unmut seitens führender Parteifunktionäre ausgeliefert. Wesentliche Kritik wurde an einer vermeintlich „volksfremden“ Justiz geübt, die sich durch Verhängung milder Urteile niederschlug und nicht dem Willen des Volkes entsprach69. Diese Behauptung wurde maßgeblich gestützt durch eine seitens der NSDAP angeführte Unzufriedenheit von Frontsoldaten über 64  Art.  1 § 2 „Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs“ vom 28.6.1935, RGBl. 1935 I, S. 839; AV des RJM vom 13.4.1935, Nr. 4, 137 Abs. 1, 411 Abs. 4, abgedruckt in Krug/Schäfer/Stolzenburg, S. 50, 111, 255. 65  Lange, Generalklauseln, in: JW 1933, S. 2859. 66  Die Zahllosigkeit konkretisierender Bestimmungen nimmt auch Rüping an, siehe Rüping, Justizlenkung, in: FS Grünwald, S. 570. 67  Siehe hierzu eingehend unten, S. 250. 68  Siehe eingehend zu den Verfahren mit anschließendem Todesurteil unten, S. 374. 69  Schädler, Justizkrise, S. 21.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

den milden Umgang mit Kriminellen in der Heimat70. Während Soldaten im Krieg ihr Leben ließen – so die Argumentation –, erwarte Rechtsbrecher im eigenen Land durch Verhängung von Gefängnis- und Zuchthausstrafen eine deutlich mildere Konsequenz71. Dass diese Haltung nicht der Realität entsprach, sondern fingiertes Propagandamittel seitens der Partei zum Zwecke einer Umstrukturierung der Justiz war, belegt die tatsächliche Resonanz von Frontsoldaten, deren Angehörige vom Sondergericht Aachen verurteilt worden waren. In einem Bericht des Sommers 1942, zu einem Zeitpunkt, an dem die „Krise“ ihren Höhenpunkt erreicht hatte, berichtete LOStA Führer dem GStA in Köln: „In letzter Zeit mehren sich die Fälle, in denen Soldaten für ihre verurteilten Angehörigen um bedingte Strafaussetzung mit Bewährungsfrist nachsuchen und zur Begründung anführen, sie fühlten sich in ihrer Einsatzfreudigkeit beeinträchtigt, wenn sie einen ihrer Angehörigen im Gefängnis wüssten (…)“72. Die eingegangene Korrespondenz von Soldaten beim Aachener Behördenleiter beweist über die mangelnde Belegbarkeit des zentralen Argumentes der NSDAP hinaus, dass die tatsächliche Empfindung betroffener Soldaten gerade dem Gegenteil der Kritik führender Parteifunktionäre entsprach73. Kritik richtete sich außerdem gegen das richterliche Personal, welches man wegen dessen formaler Rechtstreue und der hieraus resultierenden „statischen“ Gesetzesanwendung kritisierte74. Tatsächlich fühlte sich die Mehrheit der Richterschaft gerade zu Beginn des NS-Regimes zunächst der Einhaltung geltenden Rechts verpflichtet, was sich in einem geringen Parteieintritt von Richtern kurz nach der Machtübernahme manifestierte75. Nach den Vorstellungen Hitlers, die in der Folge auch Thierack 70  Ebd.,

S. 10. Heim/Jochmann, Monologe, S. 272, 348. 72  Politischer Lagebericht LOStA Führer vom 16.7.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 86. Die kritischen Ausführungen von LOStA Führer zu der Tatsache, dass durch die befürwortenden Stellungnahmen der vorgesetzten militärischen Behörden Druck auf die zivilen Strafbehörden ausgesetzt werde, zeigt darüber hinaus, dass gerade keine unreflektierende Befürwortung und damit „milde“ Gnadenpraxis – wie aber durch das Regime behauptet – angewendet wurde: „In allen Fällen pflege ich die Gesuchsteller nicht formularmäßig, sondern ungeachtet der damit verbundenen erheblichen Mehrarbeit mit einem persönlich gehaltenen, auf die einzelnen Punkte des Gesuchs sorgfältig eingehenden Schreiben zu bescheiden“, ebd., Bl. 87. Die zeitliche Nähe des Lageberichts zum Zeitpunkt der geäußerten Kritik Himmlers belegt zusätzlich, dass es sich bei der „Justizkrise“ um eine Inszenierung handelte. 73  Dieser Sachverhalt geht somit noch über die von Schädler aufgestellte richtige Vermutung, es gebe keine Belege für eine derartige Missbilligung der Urteilspraxis in der Bevölkerung, hinaus, indem sich Frontsoldaten nachweisbar gerade für eine milde Urteilspraxis aussprachen. 74  Zum Begriff siehe Dikoff, Statisches Recht, in: ZAkDR 1943, S. 125. 75  Schädler, Justizkrise, S. 27. Erklärungsansatz für diese anfängliche Distanzierung von einem Beitritt ist nach Ansicht Schädlers sowie Grimms die Zurückhaltung 71  Vgl.



I. Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen59

und Rothenberger übernahmen, sollte jedoch eine primäre Bindung zunächst an die nationalsozialistische Weltanschauung bestehen, hinter der geltendes Recht im Zweifel zurückzutreten hatte76. Auch Hitlers persönliche Abneigung gegen Juristen schürte Angriffe gegen die Rechtspflege77. Wiederholt äußerte der „Juristenhasser“ Hitler seine Rechtsaversionen in gesellschaftlichem Rahmen, indem er ausführte, „der Beruf des Rechtsanwalts“ sei „ein schmutziger Beruf“, und „die Juristen“ hegten „die Unterwelt“78. Ihren Höhepunkt fand die Kritik schließlich in der letzten Rede Hitlers vor dem Reichstag am 26.4.1942, die für die Arbeit des Kölner Generalstaatsanwalts wegweisend wurde79. Neben Hitler war Himmler und der ihm unterstellte SS-Apparat wesentlicher Agitator der „Justizkrise“80. So wurden Urteilskritiken und Einmischungen der SS in laufende Verfahren durch Publikationen im „Schwarzen Korps“ aktiv gefördert81. Neben dem Symbolcharakter einer Solidaritätsbekundung zur Kritik Hitlers verfolgte der Chef der Polizei und bei politischen Aussagen, um nicht im Ruf einer Voreingenommenheit bei der Pflichtenerfüllung zu stehen, siehe ebd., S. 27, sowie Grimm, Dienst am Recht, S. 125. Schädler führt zudem schlüssig aus, dass die mangelnde Bereitschaft eines breiten Parteieintritts sich durch die vormals instabile Lage bei einer abweichenden Entwicklung karrierehemmend hätte gestalten können, ebd., S. 28. Diese Einschätzung wird bekräftigt durch das Mitgliedsverfahren Rothenbergers, dem zunächst von einem Parteieintritt abgeraten worden war, da sich dieser für sein weiteres berufliches Fortkommen zu diesem Zeitpunkt als Nachteil hätte erweisen können, siehe hierzu unten, S. 247. 76  Ausdruck dieser Haltung Hitlers findet auch ihren Niederschlag in der Reichstagsrede vom 26.4.1942, in der Hitler ausführt: „Ebenso erwarte ich, dass die deutsche Justiz versteht, dass nicht die Nation ihretwegen, sondern sie der Nation wegen da ist, dass heißt, dass nicht die Welt zugrunde gehen darf, in der auch Deutschland eingeschlossen ist, damit ein formales Recht lebt, sondern dass Deutschland leben muss, ganz gleich, wie immer auch formale Auffassungen der Justiz dem widersprechen mögen“, Rede Hitlers vom 26.4.1942 in Verhandlungen des Reichstags, Stenographische Berichte der Wahlperiode 1939–1942, Band 460, zitiert nach Domarus, Hitler, S. 1874. 77  Schädler, Justizkrise, S. 33, 34. 78  Ausführungen Hitlers vom 16.11.1941 im Rahmen eines Abendessens, Picker, Tischgespräche, S. 141. Zum zitierten Begriff siehe Schädler, Justizkrise, S. 33, sowie Angermund, Richterschaft, S. 249, Hattenhauer, Deutsches Recht, in: JuS 1986, S. 680, Schmid, Erinnerungen, in: JZ 1954, S. 264. 79  So äußerte Rahmel bei seinem Amtsantritt, bei dem unter anderem StS Rothenberger zugegen war, die Worte des Führers in dessen letzter Rede vor dem Reichstag seien für Rahmel „richtungsweisend“ und „geradezu Programm“, Wiedergabe der Worte Rahmels im Artikel „Amtseinführung des Generalstaatsanwalts Rahmel in Köln“ der Deutschen Justiz, in: DJ 1943, S. 542. 80  Schädler, Justizkrise, S. 332. 81  Zeck, Das Schwarze Korps, S. 242. Anm.: Das „Schwarze Korps“ ist ein von 1935–1945 wöchentlich erschienenes Wochenblatt der SS, siehe Zeck, Das Schwarze Korps, S. 2.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Reichsführer SS durch das Aufdecken vermeintlicher Missstände in der Justiz den Zweck, eine weitestgehende Eingliederung juristischer Kompetenzen in das Polizeiressort zu rechtfertigen. So sollten insbesondere Juristenausbildung sowie Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft nach dem Willen des Reichsführers SS gänzlich auf die Polizei übergehen82. An einer Umverteilung justizieller Kompetenzen hatte auch die NSDAP ein reges Interesse83. Mit einer Übernahme staatsanwaltschaftlicher Kompetenzen durch den Reichsführer SS hätten die auf Regionalebene fungierenden Gauleiter der NSDAP Kompetenzkollisionen mit der Staatsanwaltschaft, wie Mitspracherechte auf dem Personal- und Berichtssektor, zu ihren Gunsten beeinflussen können84. Das Ausmaß der Diskussion um die Unzulänglichkeiten der deutschen Justiz wurde nicht zuletzt durch eine bis in persönliche Feindseligkeit mündende Zwietracht zwischen den führenden Parteijuristen Schlegelberger, Thierack, Freisler und Rothenberger, forciert85. Resultat war ein Wettkampf um individuellen Machtzuwachs sowie ein Aufgreifen des Krisengedankens, um sich durch Reformvorschläge profilieren zu können. So kritisierte Rothenberger, dem solche Reformvorschläge den Posten des Staatssekretärs eingebracht hatten, noch nach seiner Beförderung milde Urteile als Ausfluss der „Kleinstaaterei des 19. Jahrhunderts“ und als „weltfremd“86. Auf personellem Sektor war neben Rothenbergers Beförderung die Ernennung Thieracks zum RMJ und dessen Betrauung mit dem Aufbau einer „nationalsozialistischen Rechtspflege“ direkte Folge der „Justizkrise“87. Sachlich sollte durch sie die Lenkung der Justiz vorangetrieben werden. Während sich eine Verdrängung der Staatsanwaltschaft als Anklagebehörde durch Himmlers Ressort auf Einzelfälle beschränkte88, intensivierte die Einführung von Richterbriefen, Urteilsvor- und Nachschauen, 82  Dies geht hervor aus einem Besprechungsprotokoll Thieracks mit Himmler vom 18.9.1942, BArch R 3001, Nr. 4062, entnommen Schädler, Justizkrise, S. 10. 83  Es wurde bisweilen sogar über eine gänzliche Abschaffung des Justizressorts und die Aufteilung der sachlichen Zuständigkeit auf andere Stellen diskutiert, Schädler, Justizkrise, S. 12. 84  Schädler, Justizkrise, S. 12. Zum Mitspracherecht der NSDAP auf dem Personalsektor siehe eingehend unten, S. 164. 85  So i. E. Schädler, Justizkrise, S. 331, 332. 86  Rothenberger, Maßnahmen, in: DJ 1943, S. 66, 68. 87  „Erlass des Führers über besondere Vollmachten des Reichsministers der Justiz“ vom 20.8.1942, RGBl. 1942 I, S. 535. 88  Prägnantestes Verfahren bildete der Fall gegen den tschechoslowakischen Armeegeneral Alois Elias, in welchem Thierack und Heydrich unter Missachtung der Gerichtsverfassung vor dem VGH beschlossen hatten, die Gestapo als Anklagevertreterin einzusetzen, da man eine zeitliche Verzögerung des Prozesses durch Arbeitsüberlastung der Reichsanwaltschaft verhindern wollte, Heiber, Elias, in: VfZ, S. 282. Eingehend zu Gesamtschilderung und -kontext des Falles ebd., S. 275–295.



I. Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen61

Berichtspflichten, Weisungen und Tagungen die Überwachung und Steuerung der Strafrechtspflege. Durch den auf die Reichstagsrede folgenden Beschluss, Hitler zum obersten Gerichtsherrn auszurufen, wurde schließlich die Abschaffung richterlicher Unabhängigkeit besiegelt, da Hitler nunmehr aufgrund gesetzlicher Handhabe missliebige Richter entfernen konnte89. Staatsanwaltschaftliche Rechenschaftsberichte und Mitteilungen gegenüber vorgesetzten Dienstbehörden waren dagegen bereits zuvor eingeführt worden, sodass die „Krise“ für die in § 146 GVG geregelte abstrakte Weisungsgebundenheit der Anklagevertretung keine zusätzliche Bedeutung entfaltete90. Auch rechtskraftdurchbrechende Mechanismen – wie Nichtigkeitsbeschwerde und außerordentlicher Einspruch – waren bereits vor dem Jahre 1942 verankert worden. Jedoch legte man spätestens seit der Amtsübernahme Thieracks in Bedarfsfällen verstärkten Wert auf eine unnachgiebige Strafrechtsprechung sowie zunehmende Anwendung rechtskraftdurchbrechender Mechanismen91. Der Anstieg von Todesurteilen indiziert vor diesem Hintergrund den Erfolg der inszenierten Krise: Waren im Geschäftsjahr 1939 noch 99 Todesurteile verhängt worden, stieg ihre Zahl vier Jahre später auf über 5.330 Urteile an92. b) Der Einfluss des Krieges auf den Standort Aachen aa) Eckdaten zum Kriegsverlauf in Aachen Am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg geographisch an der entgegengesetzten Reichsgrenze. Dennoch entfalteten sich seine Folgen noch am selben Tag für Aachen, der westlichsten Großstadt im Deutschen Reich. Um 5.53 Uhr erfolgte ein Aufruf des zivilen Luftschutzes, der sich mit Vorbereitungen einer Räumung der Stadt befasste93. In den folgenden Tagen erhielten kasernierte Soldaten den kriegsbedingten Marschbefehl, 89  Nach den Diskussionen um die Unabhängigkeit des Richters galt die Begrifflichkeit des unabhängigen Richters als politisch nicht mehr opportun, sodass sie von Rothenberger im Rahmen einer Publikation durch den terminus der „Weisungsfreiheit“ ersetzt wurde, siehe Rothenberger, Richter, S. 60. Die formale Aufrechterhaltung des § 1 GVG, der die richterliche Unabhängigkeit garantierte, änderte an seiner faktischen inhaltlichen Verdrängung durch den Beschluss des Großdeutschen Reichstags von 26.4.1942 nichts. 90  Siehe zu den Rechenschaftsberichten der Staatsanwaltschaft gegenüber dem RJM eingehend unten, S. 250. 91  Zur Umsetzung rechtskraftdurchbrechender Maßnahmen in Aachen siehe eingehend die besonderen Rechtsmittel des außerordentlichen Einspruchs und der Nichtigkeitsbeschwerde, ab S. 97. 92  Mommsen, Dokumente, in: Mommsen, Herrschaftsalltag, S. 372, 373. 93  Poll, Geschichte Aachens, S. 359.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

städtische Krankenhäuser wurden zu Reservelazaretten umgewandelt, die Bevölkerung erhielt Marschbefehle für den Evakuierungsfall ins Bergische Land und das gesamte Gebiet des Aachener Waldes wurde aufgrund der dort stationierten deutschen Truppen bis zum Juli 1940 für die Zivilbevölkerung gesperrt94. Ab Mai 1940 wurde Aachen Ausgangspunkt der Koordinierung des Vormarschs der Heeresgruppe B nach Belgien und die Niederlande, am 11. Mai überquerte das erste englische Kampfflugzeug die Stadt, am Folgetag kam durch einen alliierten Luftangriff mit neun Sprengbomben am Hasselholzer Weg ein Mensch ums Leben95. Die Eingliederung der benachbarten belgischen Gebiete Eupen, Malmedy und Moresnet ins Deutsche Reich erfolgte aufgrund des Führererlasses vom 23. Mai 1940 hin96. Am 10. Juli 1941 wurde der 100. Fliegeralarm, am 17. Juni 1942 bereits der 200. Fliegeralarm ausgelöst97. Neben unzähligen Luftangriffen wurde Aachen ab Juli 1941 insgesamt bei drei Gelegenheiten Ziel von Großangriffen aus der Luft, bei denen jeweils zwischen 60 und 1.525 Tote verzeichnet wurden98. Am 10. September 1944 begann die finale Bodenoffensive amerikanischer Streitkräfte. Nachdem alliierte Truppen die im belgischen Raum vorgelagerte Verteidigungslinie durchbrochen hatten, verkündete Himmler bei einem persönlichen Besuch vor Ort: „Aachen wird nicht geräumt“99. Tatsächlich befanden sich zu diesem Zeitpunkt nur noch schätzungsweise 30.000 Einwohner im Stadtgebiet. Nachdem sich der kommandierende Befehlshaber am 21. Oktober 1944 infolge des Einrückens amerikanischer Streitkräfte in das Stadtzentrum, in dem sich noch 6.000 Aachener befanden, ergeben hatte, blieb Aachen unter Bildung einer neuen Stadtverwaltung bis zum Kriegsende unter amerikanischer Besatzung100. Aachen war damit die erste Großstadt, die kapitulierte.

94  Ebd.,

S. 360. S. 361. 96  § 1 des Führererlasses zur Durchführung der Wiedervereinigung der Gebiete von Eupen Malmedy und Moresnet mit dem Deutschen Reich vom 23.5.1940, RGBl. 1940 I, S. 803. Mittels Schnellbrief an den OLG-Präsidenten und GStA in Köln hatte RMI Frick die neuen Reichsgrenzen festgelegt, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 20, Bl. 193. Siehe zur entsprechenden Ablichtung Abbildung 21, Anhang, S. 572. 97  Poll, Geschichte Aachens, S. 364, 365. Bis einschließlich 12.9.1944 wurden 739 Fliegeralarme mit einer Gesamtdauer von 1.064 Stunden ausgelöst, ebd., S. 360. 98  Großangriff vom 10.7.1941, 30 Flugzeuge, 60 Tote, Großangriff vom 14.7.1943, 200 Flugzeuge, über 100.000 Bomben, 294 Tote, Großangriff vom 11.4.1944, 350 Flugzeuge und 1.525 Tote, Poll, Geschichte Aachens, S. 364, 367, 370. 99  Zitat entnommen Küsters, Zweiter Weltkrieg, S. 9; ebenso Poll, Geschichte Aachens, S. 371. 100  Poll, Geschichte Aachens, S. 375, 376. 95  Ebd.,



I. Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen63

bb) Bedeutung des Krieges für die Behördenorganisation Die Verschiebung der Kriegsfront in das Dreiländereck und in den Raum Aachens ab September 1944 blieb auch für die örtliche Unterbringung der Staatsanwaltschaft und des Sondergerichts, welches vormals in der Kongreßstraße 11 in Aachens Innenstadt gelegen war, nicht folgenlos101. Im Zuge des am 11. September von Hitler erlassenen Räumungsbefehls für die Stadt sowie Teile des Landkreises Aachen, der Kreise Monschau und Geilenkirchen wurden Landgericht, Sondergericht und Staatsanwaltschaft gezwungen, ihren Sitz in die 30 km entfernte Stadt Düren zu verlegen102. Dort sollte die Aachener Sonderinstanz in einer Entfernung von zehn km von der Kampflinie als „frontnahes Gericht“ verbleiben103. Durch die sukzessive Annäherung amerikanischer Truppen stellten die dem LG-Bezirk Aachen zugeordneten Amtsgerichte Aachen, Büllingen, Eupen, Herbesthal, Malmedy, Monschau, Moresnet, Weismes, St. Vith, Eschweiler, Stolberg und Geilenkirchen ihre Tätigkeit noch im selben Monat ein104. Trotz wiederholten Artilleriebeschusses gegen Düren am 26.9.1944, bei welchem auch das dortige Gerichtsgefängnis getroffen wurde, äußerten der Aachener LOStA Führer sowie der Vorsitzende des LG ihre Absicht gegenüber dem GStA, in Düren verbleiben zu wollen105. Ein abermaliger, „besonders schwerer Luftangriff“ auf das Sondergericht, bei dem der Aachener Behördenleiter schließlich sein Leben verlor, beendete die Tätigkeit vor Ort und zwang Staatsanwaltschaft und Sondergericht am 16.11.1944 zur Verlegung nach Bergheim unter der kommissarischen Leitung des EStA Ackermann106. Die uneinheitliche Verlegung Aachener Justizstellen, die mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiteten, erschwerte den „gewohnten“ Gang des strafjustiziellen Alltags zusätzlich. Neben der Unterbringung der zuständigen Justizverwaltung für das LG Aachen nach Gummersbach lähmte insbesondere 101  Politischer Lagebericht des GStA vom 30.9.1944, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 145. 102  Nach Angaben des GStA wurde die Räumung auf Anordnung des Reichsverteidigungskommissars durchgeführt, nach Angabe Polls ordnete der Kreisleiter Aachens die Räumung an, siehe Politischer Lagebericht des GStA vom 30.9.1944, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 145 sowie Poll, Geschichte Aachens, S. 371. 103  Politischer Lagebericht des GStA vom 30.9.1944, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 145. 104  Ebd. 105  Ebd., Bl. 145 rev. 106  Bericht über die Allgemeine Lage des OLG-Präsidenten Köln vom 1.12.1944, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 155, 156. Anhand einschlägiger Verfahrensakten ist zudem eine zumindest vorübergehende Belegenheit des Sondergerichts Aachen in Köln sowie in Siegburg dokumentiert, siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 199, 638 sowie BArch, R 3001, Nr. 172761.

64

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

die Schließung verschiedener Haftanstalten durch alliiertes Vorrücken einen ordentlichen Verfahrensablauf107. Nach der Evakuierung der Haftanstalt Aachen folgte die Räumung linksrheinischer Strafanstalten im Kölner Oberlandesgerichtsbezirk und die Verlegung „gefährlicher“ und „ausländischer“ Häftlinge108. Der hierdurch bedingte Abtransport von Untersuchungsgefangenen brachte einen wesentlichen Rückgang der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen mit sich, da Hauptverhandlungen ohne die persönliche Anwesenheit der Angeklagten vertagt werden mussten109. Ab November 1944 fanden durchschnittlich nur noch zwei Sitzungen pro Woche statt110. Der Anfall neuer Sachen war zudem gering, da wegen der Kriegsverhältnisse die Zahl eingehender Strafanzeigen und vollständiger Ermittlungsergebnisse rückläufig waren111. Diese Entwicklung korreliert mit den einschlägigen Verfahrensakten der Staatsanwaltschaft Aachen, indem für den entsprechenden Zeitraum in insgesamt 24 Fällen Vertagungsbeschlüsse ergingen oder Verhandlungsprotokolle gänzlich fehlen112. Auch mit Blick auf die Gesamtentwicklung der Verfahrensverteilung über die laufenden Geschäftsjahre zeigt sich, dass durchgeführte Hauptverhandlungen nach September 1944 für die Folgezeit die Ausnahme darstellen113. Die noch in der Haftanstalt Köln verbliebenen Gefangenen waren überwiegend von der Gestapo eingeliefert worden und sollten den Sondergerichten Aachen und Köln zur zeitnahen Aburteilung zugeführt werden. Jedoch scheiterte dieses Vorhaben durch einen Luftangriff auf Köln vom 27.9.1944, der nach Angaben des GStA einen der schwersten Angriffe darstellte, den Köln bis dato erlitten hatte114. 107  Siehe zur Verlegung nach Gummersbach den Bericht über die Allgemeine Lage des OLG-Präsidenten Köln vom 1.12.1944, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 155. 108  Politischer Lagebericht des GStA vom 30.9.1944, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 145 rev. 109  Ebd., Bl. 144 rev., 145, 145 rev. 110  Vermerk des GStA über die Lage des Sondergerichts Aachen in Düren vom 14.11.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 160. 111  Ebd. Bereits zu Beginn des Krieges hatte LOStA Führer eine verzögerte Erledigung des Geschäftsanfalls aufgrund „äußerer Umstände (…) seit Kriegsbeginn“ festgestellt, Schreiben des LOStA an den GStA vom 5.10.1940 betr. die Schnelle Bearbeitung von Strafsachen, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 48, Bl. 62. 112  Siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 199, 269, 270, 372, 376, 377, 378, 380, 381, 382, 384, 385, 386, 387, 388, 390, 393, 397, 398, 399, 400, 401, 402, 675. 113  Siehe insoweit die rückläufige Verfahrensanzahl des Geschäftsjahres 1944 gegenüber den beiden Vorjahren, Tabelle 23 und Abbildung 7, Anhang, S. 504; 505. 114  Politischer Lagebericht des GStA vom 30.9.1944, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 146, 146 rev.



I. Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen65

Dem Oberlandesgerichtsbezirk Köln blieben rege personelle Ausfälle und Fluktuationen im Justizdienst nicht erspart. Einberufungen zur Wehrmacht und zur Geheimen Feldpolizei führten zu personeller Ausdünnung und zur abnehmenden Qualität polizeilicher Ermittlungen115. Auch das Personal der Kölner Anklagebehörde beim dortigen Sondergericht unterlag vermehrten Personalwechseln116. Insbesondere sollten bereits kurz nach Beginn des Krieges zum Aufbau der Strafgerichtsbarkeit in den besetzten Ostgebieten verstärkt „besonders leistungsfähige, körperlich voll rüstige Beamte“ durch den GStA in Köln benannt werden, die geeignet waren, „für das Deutschtum im Osten tätig einzutreten“117. Die Besetzung sachbearbeitender Staatsanwälte für Sondergerichtssachen in Aachen blieb dagegen bis zuletzt nahezu unverändert. Diese Entwicklung war jedoch gegenläufig zur allgemeinen Beamtensituation vor Ort, da bereits seit 1940 das Personalkontingent infolge von Einberufungen sukzessive geschrumpft war118. Im Jahre 1943 nahmen Personalengpässe derart drastische Ausmaße an, dass sich die Bezirksregierung Aachens mit Überlegungen trug, die eigene Verwaltung einzustellen119. Dokumentiert sind lediglich die Versetzung des nur kurzfristig beschäftigten StA Venator im Jahre 1942 sowie die Abordnung des StA Zimmerath zur Generalstaatsanwaltschaft nach Prag zum 1.3.1944120. Zudem erfolgte nach dem Umzug der Staatsanwaltschaft nach Düren die Versetzung StA Höhers zum VGH ab dem 1. November 1944121. Im Unterschied zur Personalfluktuation in Köln war für die Personalreduktion in Aachen grundsätzlich nicht eine zunehmende Einberufung in die Wehrmacht oder einer anderweitigen kriegsbedingten Ersatzverwendung, sondern eine 115  Siehe hierzu Bericht des Kölner OStA vom 17.3.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 231, Akte 979, zitiert nach Roth, Verbrechensbekämpfung, S. 125. 116  Mit weiteren Nachweisen Roth, Verbrechensbekämpfung, S. 125. 117  RV des RJM durch Freisler an die OLG-Präsidenten und Generalstaatsanwaltschaften betr. den Kräfteeinsatz in den besetzten Ostgebieten vom 13.10.1939, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 20, Bl. 42. 118  So wurde bereits nach dahingehender Anfrage Freislers StA Harst aus Aachen, der nicht mit Sondergerichtssachen beschäftigt war, zur Versetzung nach Posen vorgeschlagen, siehe Anlage zum Bericht des GStA vom 17.10.1939, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 20, Bl. 47. Inwieweit sich die 1944 vollzogenen Ortswechsel der Staatsanwaltschaft Aachen auf die Beschäftigungsmöglichkeit aller Sachbearbeiter auswirkte, ist nicht dokumentiert. Jedoch legt das Einzelschicksal StA Höhers die Vermutung nahe, dass aufgrund mangelnden Arbeitsanfalls die Notwendigkeit der weiteren Beschäftigung sämtlicher Sachbearbeiter zunehmend obsolet wurde. Zur Personalentwicklung der Aachener Verwaltung im Jahre 1940 mit weiteren Nachweisen Gasten, Aachen, S. 155. 119  Ebd., S. 156. So auch Romeyk, Verwaltungs- und Behördengeschichte, S. 191. 120  LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 164. 121  Schreiben des RMJ an den ORA beim VGH und den GStA in Köln vom 24.10.1944, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 66.

66

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

mangelnde weitere Verwendungsmöglichkeit aufgrund zuletzt eingeschränkten Geschäftsanfalls ursächlich122. Auch für die Erhaltung staatsanwaltschaftlicher Akten blieben die Kriegseinwirkungen nicht ohne Folgen. Eine Aktenvernichtung aus eigenen Reihen wurde zunächst nicht als zu erwägende Option in Betracht gezogen. Noch im Juli 1943 hatte Thierack angeordnet, „im Hinblick auf die Gefahren, denen die Justizbehörden in den von feindlichen Luftangriffen besonders betroffenen Städten im Westen des Reiches ausgesetzt“ waren, „wertvolles Schriftgut“ – insbesondere Strafregister und Personallisten – aus dem OLG Bezirk Köln in den OLG Bezirk Bamberg transportieren zu lassen123. Nur 14 Monate später brüstete sich der Kölner Provinzialchef gegenüber dem RJM mit der Erfolgsmeldung einer gelungenen „Zurückführung eines wesentlichen Teiles wichtiger Akten der Staatsanwaltschaft aus Aachen (…). Soweit die Zurückführung nicht möglich war, sind die Geheim- und politisch wichtigen Akten vernichtet worden“124. Die hier dokumentierte Eigenvernichtung und der Wandel im Umgang mit nicht zu transportierenden Akten wurde jedoch nicht eigenmächtig von dem Kölner GStA angeordnet. Vielmehr wurde er in einer vertraulichen Mitteilung durch den Gauleiter des Gaues Köln-Aachen Grohé darüber informiert, dass bei einer Gauleiterbesprechung in Siegen im November des Jahres 1944 verfügt worden sei, dass „im Falle einer überraschenden Feindbesetzung von Teilen des Reichsgebiets nur die Behörden der inneren Verwaltung zurück bleiben“ sollten: „Alle übrigen Behörden, insbesondere auch die Justiz, gehen vollständig zurück. Alle Akten sind zu vernichten, insbesondere auch solche, die zur Erfassung der Bevölkerung durch die feindliche Besatzungsmacht dienen könnten“125. Die Dringlichkeit und Latenz dieser Anordnung belegt ein im gleichen Monat unternommener, erneuter Versuch einer Aktenrückführung. Dieser scheiterte jedoch am überraschenden Rückzug deutscher Truppen und mangelnder Transportmöglichkeiten durch Eisenbahnwagen sowie durch Lastwagen, die nach vorheriger Zu122  Siehe zur mangelnden Beschäftigungsmöglichkeit das Vernehmungsprotokoll der Staatsanwaltschaft Berlin mit Höher vom 2.11.1983, LAB, B Rep. 058, Nr. 6818, Bl. 86. In Düren arbeiteten nachweislich einer dahingehenden Übersicht in den Kölner Generalakten LOStA Führer, EStA Ackermann sowie die StA Wickmann, Marx und Höher, wobei Letzterer nach Köln abgeordnet war, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 46, Bl. 134. Siehe zu den jeweiligen Einzelschicksalen aller Aachener Sachbearbeiter nach Kriegsende unten, S. 487. 123  LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 70, 70 rev. 124  Politischer Lagebericht des GStA vom 30.9.1944, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 145 rev. 125  Vermerk des GStA vom 14.11.1944, Stellungnahme des LOStA in Aachen zu geplanten Vereinfachungsmaßnahmen auf dem Sektor der Strafrechtspflege vom 8.8.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 158.



I. Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen67

sage infolge eines Angriffs auf Köln nicht mehr verfügbar gemacht werden konnten126. cc) Der Kriegseinfluss auf die Bevölkerung und Konsequenzen für die Arbeit der Staatsanwaltschaft Verstöße gegen die VVO, KrWVO und das HG machen einen Anteil von 81,7 % gemessen am gesamten überlieferten Geschäftsanfall der Staatsanwaltschaft Aachen beim Sondergericht aus127. Faktisch handelt es sich bei den hierunter subsumierten Sachverhalten ausnahmslos um Eigentums-, Vermögens- und Äußerungsdelikte. Die große Bedeutung gerade dieser Deliktsgruppen ist kein Zufall, sondern steht – wenn auch in ihrer Unmittelbarkeit für jeden Einzelfall variierend – stets im Zusammenhang mit dem Einfluss des Krieges auf die Bevölkerung. Kriegseinflüsse schlugen sich neben Tod, Verwundung, Verzweiflung und allgemeinen materiellen Entbehrungen konkret in kriegsbedingter Zerstörung, einer prekären Versorgungslage sowie dem Zusammenleben der Aachener Bevölkerung mit ausländischen Menschen nieder. (1) Kriegsbedingte Zerstörungen Bei nahezu jedem Angriff auf das Reichsgebiet wurden Stadt und Landkreis Aachen von alliierten Streitkräften überflogen, was die enorme Anzahl von 1.484 Luftalarmen seit Ausbruch des Krieges bis einschließlich 12. September 1944 erklärt128. Neben dem Tod von 6.700 Einwohnern wurden über 62 % öffentlicher Einrichtungen und Wohnungen zerstört129. In einem Bericht des Sicherheitsdienstes der SS wurden die Existenzumstände in Aachen als „Momente eines frontkriegsnahen Lebens“ geschildert, „von dem man im Übrigen Reich keine Ahnung habe“130. Bereits nach dem ersten Luftangriff war bei der Aachener Stadtverwaltung das Kriegsschädenamt eingerichtet worden. Es war dem Rechtsamt angegliedert und leistete materielle Entschädigung in Form von Geldleistungen für Fliegergeschädigte. Nachdem die Haftung für kriegsbedingte Zerstörungen zunächst noch in vollem Umfang – und damit auch für Wohn- und Gebäudeschäden – übernommen 126  Bericht über die allgemeine Lage des OLG-Präsidenten Köln vom 1.12.1944, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 156, 156 rev. 127  Zur Zusammensetzung dieser Zahl siehe Tabelle 24, Anhang, S. 505. 128  Gasten, Aachen, S. 268. 129  Poll, Geschichte Aachens, S. 379. 130  Lagebericht des SD der SS zur Situation in Aachen vom 22.7.1943, abgedruckt in Boberach, Meldungen, S. 5515.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

worden war, überstiegen bereits nach dem ersten Großangriff auf Aachen am 10. Juli 1941 die tatsächlichen Schäden die finanziellen Kapazitäten der Behörde, sodass sich künftige Ausgleichszahlungen auf die Neuanschaffung notwendigster Haushaltsgegenstände sowie Bekleidung beschränkten131. In fünf Verfahren befasste sich die Staatsanwaltschaft Aachen mit Betrugsfällen gegenüber dem Kriegsschädenamt, nachdem sich nicht berechtigte Personen mangels Schadens einen Ausweis für Fliegergeschädigte hatten ausstellen lassen, um Geldzahlungen zu erhalten, ein kriegsbedingter Schaden nicht vorgelegen hatte oder die angegebene Schadensaufstellung zerstörter Gegenstände nicht der wahren Sachlage entsprochen hatte132. Betrugsfälle zulasten des Kriegsschädenamtes wurden von der Staatsanwaltschaft – unabhängig von der Höhe des täuschungsbedingten Schadens – regelmäßig nicht als einfaches Vermögensdelikt qualifiziert, sondern unter den strafschärfenden Tatbestand des § 4 VVO subsumiert, da die Taten „unter Ausnutzung der durch den Kriegszustand verursachten außergewöhnlichen Verhältnisse“ begangen wurden133. Den auf diese Weise zu „Volksschädlingen“ gebrandmarkten Personen drohten regelmäßig empfindliche Strafanträge zwischen 18 und 21 Monaten Zuchthausstrafe134. Auch die gegenüber den Anträgen der Staatsanwaltschaft tendenziell gemäßigtere Rechtsprechung des Aachener Sondergerichts verdeutlichte den Stellenwert des beurteilten Unrechtsgehalts, indem das Sondergericht in einem Fall im Strafmaß sogar über den Antrag des Sitzungsvertreters hinausging135. Die Diskrepanz zwischen flächenmäßiger Zerstörung und verhältnismäßig geringer Ver­ fahrensanzahl derartiger Betrugsfälle kann dabei auf zwei Faktoren zurückgeführt werden: Zum einen gestaltete sich die Beweisführung eines nur vorgetäuschten Schadensfalles und der zu führende Nachweis einer Nichtzerstörung von angegebenen Vermögensgegenständen seitens der Staatsanwaltschaft regelmäßig schwierig. Einzige Anhaltspunkte, die neben „Denunzianten“ zum Erfolg der Staatsanwaltschaft beitragen konnten, waren dokumentierte Bombenabwürfe. Nur soweit ein Angriff für ein entsprechendes Gebiet verbindlich ausgeschlossen werden konnte, lag der Verdacht eines 131  Gasten,

Aachen, S. 154. unberechtigten Bezug des Fliegergeschädigtenausweises siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 273, zum Nichtvorliegen eines Schadens LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 372, zu sonstigen gefälschten Schadensaufstellungen LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 375, 379, 397. 133  Zum dogmatischen Rechtscharakter der Norm eingehend unten, S. 320. 134  Siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 273, 375. In zwei Fällen sind Strafanträge und Urteile nicht überliefert, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 372, 298. In einem Fall gegen zwei Angeklagte ergingen antragsgemäße Freisprüche, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 379. 135  Siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 375. 132  Zum



I. Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen69

Betrugsfalles nahe136. Zum anderen stellte die Veröffentlichung scharfer Anklage- und Sanktionspraxis ein geeignetes Mittel negativer Generalprävention durch abschreckende Wirkung in der Bevölkerung dar. Sofern Schadensersatz durch das Kriegsschädenamt geleistet wurde, bestand für Kriegsgeschädigte die weitere Hürde in der Wiederbeschaffung. Neben nur eingeschränkten Transportkapazitäten hatte die Industrie in der Region ihre Tätigkeit nämlich von Verbrauchs- auf Rüstungsproduktion umgestellt. Selbst die in Aachen während der Kriegszeit intakte Textilindustrie produzierte in der Hauptsache militärspezifische Produkte, sodass selbst die Beschaffung von Kleidung für die Zivilbevölkerung nicht garantiert werden konnte137. Versorgungsknappheit und Versagen der zuständigen Behörden nach Fliegerangriffen sowie diesbezügliche Darstellungen in der Presse veursachten zudem Unmut in der Bevölkerung. Ein prägnantes Beispiel bot die erste Nacht des Großangriffs auf Aachen im Juli 1941, in der die Stadt ohne Flakschutz und Hilfsmaßnahmen durch die Feuerwehr auskommen musste. Die örtliche Presse verlautbarte am Folgetag des Angriffs, es habe eine erfolgreiche Brandbekämpfung stattgefunden138. Der Vorfall blieb auch von LOStA Führer gegenüber dem GStA nicht unkommentiert139. Großangriffen war zudem stets ein temporärer Anstieg von Verstößen gegen die VVO, insbesondere wegen Plünderns, inhärent. So wurde alleine für den Berichtszeitraum von Juli bis August 1943 – in dem ein Großangriff auf Aachen erfolgte – eine Gesamtzahl von 200 eingegangenen VVO-Verstößen verzeichnet, während deren Anzahl in der Vorberichtszeit, in der kein Großangriff erfolgt war, bei 91 Verstößen lag140.

136  So geschehen im Verfahren gegen Martin R. u. a., LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 375. 137  Gasten, Aachen, S. 271. 138  Politischer Lagebericht des LOStA Führer vom 19.7.1941 in Bezug auf einen Artikel des Westdeutschen Beobachters vom 11.7.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 77. Erneute diesbezügliche Kritik an einem Aufsatz des Westdeutschen Beobachters vom 5.9.1941, der „nur des Lobes voll“ war, in politischem Lagebericht des LOStA Führer vom 17.9.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 78, 78 rev. 139  Ebd. 140  Politischer Lagebericht LOStA Führer vom 9.9.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 91. Der Großangriff erfolgte am 14.7.1943, Poll, Geschichte Aachens, S. 367. Ein sehr nachhaltiges Beispiel, welches die These einer solchen Entwicklung zusätzlich stützt ist das im Anschluss an den ersten Großangriff geführte Verfahren gegen Männer des RAD, welches in der Folge Gegenstand eines außerordentlichen Einspruchs werden sollte. Zu diesem Verfahren eingehend unten, S. 100.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

(2) Versorgungslage Die Versorgung mit Lebensmitteln und sonstigen lebenswichtigen Verbrauchsgütern zählte zu den „wichtigsten stimmungsbildenden Faktoren“ in Aachen141. Bereits mit dem Bau des Westwalls gingen erste Verluste von Acker- und Anbaugebieten einher, Manöverschäden durch die ab 1940 stationierten Soldaten führten zu zusätzlichen Ernteausfällen auf dem verbliebenen Ackerland142. Durch die zusätzliche Beschäftigung ortsfremder oder ausländischer Arbeiter wurde bereits 1938 die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln wie Kartoffeln, Eiern, Butter und Käse kritisch. Metzgereien und Fleischlieferanten konnten den damaligen Bedarf in der Bevölkerung nur noch zu rund 40 % abdecken143. Am 27. August 1939 wurde die Bezugsscheinpflicht eingeführt, die sich auf 133 Zuteilungsperioden erstrecken und erst in der Nachkriegszeit allmählich wieder abgebaut werden sollte144. Zunächst waren Lebensmittel wie Brot, Fleisch, Milch, Fett und Zucker mit Lebensmittelmarken reglementiert worden145. Ab November des gleichen Jahres wurden entsprechende „Reichskleiderkarten“ eingeführt146. Trotz Kontingentierung blieb eine Verbrauchsgüterknappheit in der Aachener Region bestehen, da die erforderlichen Ressourcen teilweise nicht lieferbar waren147. Sofern Lieferungen erfolgten, wurde eine Verknappung durch die Belegung des Aachener Regierungsbezirks mit Wehrmachtssoldaten, deren Zahl im Mai 1940 mit 40.000 beziffert wurde, zusätzlich forciert, da deren Nahrungsbedarf, der nicht durch separate Zuteilungen erfolgte, das Warenangebot der Zivilbevölkerung zusätzlich reduzierte148. Im November 1941 141  So

Jaud, Landkreis Aachen, S. 719. Aachen, S. 268. 143  Gross, Westwall, S. 286. Im September 1941 arbeiteten im Landkreis Aachen 5.374 ausländische Kräfte aus insgesamt 16 Nationen, die sich vornehmlich aus Ostarbeitern, Kriegsgefangenen und Grenzgängern rekrutierten und in verschiedensten Industriebranchen, vornehmlich jedoch in der Rüstungsindustrie arbeiteten, bei deren Großunternehmen sie zum Teil bis zu 65 % der Belegschaft ausmachten. 1943 stieg ihre Zahl dann auf weit über 7.000 Beschäftigte an, siehe Monatsberichte der Kreisleitung Aachen-Land vom 30.9.1941 sowie 30.10.1942, zitiert nach Jaud, Landkreis Aachen, S. 705. Zur Belegschaftsrelation siehe Deutzmann, Kriegschronik, S. 51. 144  Jaud, Landkreis Aachen, S. 719. 145  Ebd. 146  Ebd. 147  Gasten, Aachen, S. 268. Hierfür war neben sonstigen logistischen Engpässen zusätzlich der vorherrschende Treibstoffmangel mitursächlich, Jaud, Landkreis Aachen, S. 721. 148  Jaud, Landkreis Aachen, S. 720. Ebenso Gasten, Aachen, S. 267. Zur Anzahl der Wehrmachtssoldaten ebd., S. 153. 142  Gasten,



I. Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen71

stockte die Kartoffelversorgung149. Der tägliche Bedarf an Kartoffeln für Aachen lag bei 2.300 Zentnern pro Tag, die Versorgungslage erlaubte jedoch durchschnittlich eine gleichnamige Zulieferungsmenge für die Region pro Woche150. Die hierdurch bedingte „sehr niedergedrückte“ Stimmung war Auslöser „zahlreicher Unmutsäußerungen, die vielfach in einer solchen Form gehalten waren, dass sie den Tatbestand des § 2 H.G.“ erfüllten151. Im Mai 1943 wurde die Fleischration von 350 g auf 250 g herabgestuft152. Durch eine auch qualitativ verschlechterte Lebensmittellage im Frühjahr 1942 durch Beimischung von Ersatzstoffen in Lebensmittel steigerten sich Magendarmkrankheiten. Verknappungen von Waschmittel und Seife führten zu hygienischen Krankheiten bei Kindern153. Auch wenn punktuelle Anstiege von Kriegswirtschaftsverbrechen aufgrund einschneidender Versorgungsengpässe wie im Winter des Jahres 1941 durch steigende Zahlen von Schwarzschlachtungen zu verzeichnen sind, so dokumentiert die dominierende Anzahl der Kriegswirtschaftsverbrechen in ihrer Gesamtheit die konstante und in Aachen früh einsetzende Knappheit an Nahrungsmitteln154. Preissteigerungen auf nahezu alle wichtigen Verbrauchsgüter hatten Verstöße gegen die KrWVO und Zunahmen von Tauschgeschäften zwischen Personen zur Folge155, die diese aufgrund äquivalenter Gegenleistung tätigen konnten oder mit Geschäftsinhabern bekannt waren156. Selbst innerhalb staatlicher Behörden wurde ein solches Vorgehen praktiziert, indem das Wirtschaftsamt in Geilenkirchen einen Verkauf von Wollsachen und anderen beschlagnahmten Gütern nur bestimmten Personenkreisen und ausgewählten Behörden ankündigte und an diese veräußerte, statt sie fliegergeschädigten Bürgern zukommen zu lassen157. Auch GStA Rahmel machte persönliche 149  Politischer Lagebericht LOStA Führer vom 18.11.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 79. 150  Gasten, Aachen, S. 267, 268. 151  Politischer Lagebericht des LOStA Führer vom 19.7.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 76. 152  Jaud, Landkreis Aachen, S. 720. 153  Monatsbericht der Kreisleitung vom 29.9.1942, zitiert nach Jaud, Landkreis Aachen, S. 721. 154  Politischer Lagebericht LOStA Führer vom 16.1.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 81. 155  Ebd., Bl. 81 rev. 156  Politischer Lagebericht LOStA Führer vom 18.11.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 79. Zur einzelnen Aufschlüsselung von verwirklichten Verstößen, die unter den Tatbestand der KrWVO subsumiert wurden, siehe eingehend unten, S. 305. 157  Siehe Schreiben des AG Heinsberg an LOStA Führer vom 10.1.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 82. Zur besonders angespannten Situation im Grenzgebiet Aachen aufgrund von Warenknappheit auch der GStA, Politischer La-

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Erfahrungen, indem ihm ein Hutmacher den Verkauf eines Hutes wahrheitswidrig mit dem Hinweis verneinte, er habe die entsprechende Größe nicht vorrätig. Als GStA Rahmel jedoch auf seinen telefonischen Anruf verwies, bei welchem er seine Berufsbezeichnung angegeben hatte, wurden ihm diverse Hüte in seiner Größe angeboten158. Mit der Zuspitzung des finalen Kampfes um Aachen und der mit ihm einhergehenden Evakuierung waren schließlich sämtliche Versorgungswege blockiert. Die tatsächliche Not der circa 13.000–15.000 Menschen, die dem Räumungsbefehl keine Folge leisteten, korrelierte mit härtester Anklagepraxis seitens der Staatsanwaltschaft Aachen, indem Personen, die in Trümmern nach Nahrung suchten, als todeswürdige Plünderer qualifiziert wurden159. So berichtete der GStA im September 1944: „Da das wirtschaftliche und geschäftliche Leben infolge der Räumung vollkommen zum Erliegen gekommen ist, suchen die Zurückgebliebenen ihr Leben damit zu fristen, dass sie sich das aneignen, was sie an Lebensmitteln noch vorfinden160“. Eine erfolgreiche Verurteilung zurückgebliebener Personen scheiterte jedoch in dieser Phase des Krieges in aller Regel, da die Beweislage regelmäßig derart dürftig war, dass eine Verurteilung nur durch Geständnis möglich schien161. Nur in einem Fall war ein Zeuge für eine dokumentierte Plünderung angegeben worden, der jedoch aufgrund eines Einsatzes an der Front nicht zu erreichen war162. (3) Das Zusammenleben mit ausländischen und jüdischen Menschen Aufgrund des hohen Rohstoffvorkommens in der Region des Landkreises Aachen hatte die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte, insbesondere im Bergbau, eine „lange Tradition“, die bis vor die Zeit des ersten Weltkrieges zurückreichte, sodass der Übergang auf die Beschäftigung von Kriegsgefangenen und Zivilarbeitern bei Beginn des Krieges fließend verlief163. gebericht vom 4.2.1942, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 63 rev.; Anm.: Geilenkirchen liegt im LG-Bezirk Aachens. 158  Politischer Lagebericht des GStA vom 11.6.1944, BArch, R 3001, Akte 23374, Bl. 133 rev. 159  So vertrat LOStA Führer die Auffassung, dass gegen „gewissenlose Elemente“, sie sich „die Not und Verwirrung der durch die feindliche Einwirkung betroffenen Volksgenossen zunutze gemacht und geplündert“ haben, „mit aller Schärfe“ vorgegangen werden müsse, Politischer Lagebericht des LOStA Führer vom 19.7.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 77, 77 rev.; zum Räumungsbefehl siehe Politischer Lagebericht des GStA Köln vom 30.9.1944, BArch R 3001, Akte 23374, Bl. 145. 160  Ebd., Bl. 145 rev. 161  Ebd. 162  Ebd. 163  Jaud, Landkreis Aachen, S. 702, 703.



I. Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen73

Bis Oktober 1942 wuchs die Zahl ausländischer Beschäftigter infolge des Einsatzes französischer Kriegsgefangener und Ostarbeiter auf über 7.000 Personen an164. Die Kreisleitung Aachen-Land achtete penibel auf die Trennung zwischen ausländischen Mitarbeitern und heimischer Bevölkerung durch eine Unterbringung von Kriegsgefangenen in gesonderten Lagern, die von der Wehrmacht bewacht wurden165. Um „Rasseschande“-Delikten vorzubeugen, wurden für Arbeiter polnischer Herkunft, die mit einem „P“ an der Kleidung gekennzeichnet wurden, Bordelle eingerichtet166. Jedoch ließ sich die konsequente Trennung der Bevölkerungsgruppen praktisch nicht umsetzen, da spätestens am Arbeitsplatz eine Kontaktaufnahme erfolgte und auch in der arbeitsfreien Zeit ein striktes Umgangsverbot nicht gewährleistet werden konnte167. Die Staatsanwaltschaft hatte insgesamt fünf Fälle eines nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 KSSVO mit Strafe bedrohten Umgangs mit Kriegsgefangenen zu verhandeln, wobei sich die Anklage in zwei Fällen gegen belgische Arbeiterinnen und in einem Fall gegen einen belgischen Pfarrer richtete168. Die strafrechtlichee Relevanz einer „Fraternisierung“ hielt sich damit zumindest vor dem Sondergericht Aachen in engen Grenzen. Neben den Folgen der Reichskristallnacht, die auch vor Aachen nicht haltmachte, war die generelle Akzeptanz in der Aachener Bevölkerung für antisemitische Maßnahmen der NSDAP nach Einschätzung der örtlichen Gestapo sehr gering. Es wurde beanstandet, dass Juden zunächst in ihrer Eigenschaft als „Mensch“ gesehen würden, statt sie einer Beurteilung vom „rassenpolitischen Standpunkt aus“ zu unterwerfen169. Ab dem 1. April 1940 erfolgte eine kategorische Trennung der jüdischen von der nichtjüdischen Bevölkerung durch Unterbringung in sogenannten „Judenhäusern“ an fünf Standorten im Stadtgebiet Aachen170. Deportationen, bei denen jeweils zwischen 300 und 400 Aachener jüdischen Glaubens nach Lublin in Polen sowie in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurden, erfolgten am 22. März, 15. Juni sowie 25. Juli 1942171. Diese Deportationen 164  Ebd.,

S. 705. S. 706. 166  Ebd., S. 708. 167  Ebd., S. 709. 168  Siehe LAV NRW R. Ger. Rep. 113, Akten 324, 515, 564, 570, BArch, R 3001, Nr. 176521. 169  Zu Bränden von Synagogen im Landkreis Aachen Jaud, Landkreis Aachen, S. 668, sowie Faust, Kristallnacht, S. 73–79. Zu Synagogenbränden in der Innenstadt siehe Arntz, Judenverfolgung, S. 489, 491. Lagebericht der Gestapo vom 7.10.1935, abgedruckt bei Vollmer, Gestapo- und Regierungsberichte, S. 291. 170  Poll, Geschichte Aachens, S. 363. 171  Ebd., S. 365. Mit LGD Rosenthal, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, wurde im Dezember 1943 der letzte Jude nach Theresienstadt deportiert, ebd., S. 368. 165  Ebd.,

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

werden zumindest als mitursächlich für die geringe Verfahrensanzahl von insgesamt vier überlieferten Fällen gegen Juden zu qualifizieren sein, die sich auf das laufende Geschäftsjahr 1941 beschränkten172. Die 13. VO zum Reichsbürgergesetz ist als Erklärungsansatz für den geringen Geschäftsanfall dagegen aufgrund ihres Erlasszeitpunktes nicht ursächlich für die geringe Anzahl173. Dass die Staatsanwaltschaft Aachen nur vier Juden vor dem Sondergericht anklagte, hatte somit primär faktische und nicht strafverfahrensrechtliche Gründe174. c) Die staatsanwaltschaftliche Wirkungsstätte: Das Sondergericht Aachen aa) Die Entwicklung der Sondergerichtsbarkeit bis 1933 Die Sondergerichtsbarkeit war keine originäre Erfindung der Nationalsozialisten175. Erstmalig wurden sondergerichtsähnliche Instanzen im Zuge des Erlasses des preußischen Gesetzes über den Belagerungszustand vom 4. Juni 1851 errichtet176, um außergewöhnlichen Lebensumständen justiziell begegnen zu können177. So konnte im Kriegsfall sowie bei Aufruhr in Friedenszeiten der Belagerungszustand ausgerufen werden. Hierdurch wurde Art. 7 der preußischen Verfassung, welcher die ordentliche Gerichtsbarkeit garantierte, außer Kraft gesetzt178. Die Zuständigkeit ordentlicher Strafgerichte ging auf Kriegsgerichte über, deren Bestand erst mit der Aufhebung des 172  Es handelt sich um die Verfahren gegen die Hausfrau Hilde K., den Kraftfahrer Otto H., den Metzger Benno Israel H. sowie die Witwe Rosa S, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 30, 34, 37, 44. 173  Siehe §§ 1 und 4 der „Dreizehnten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 1.7.1943, nach welchem die VO am siebten Tag nach ihrer Verkündung in Kraft tritt, RGBl. 1943 I, S. 173: „Strafbare Handlungen von Juden werden durch die Polizei geahndet. (…) Diese Verordnung tritt am siebenten Tage nach ihrer Verkündung in Kraft“. 174  Auf die Verfolgung anderer Minderheiten wird aufgrund mangelnder Relevanz für die staatsanwaltliche Arbeitspraxis im Weiteren nicht eingegangen. Zur Vertreibung von Zigeunern in Aachen sei jedoch verwiesen auf Frings, Vertreibungspolitik, in: Zigeunerverfolgung, S. 75–88. 175  Hensle, Rundfunkverbrechen, S. 88. 176  Weckbecker, Zwischen Freispruch und Todesstrafe, S. 26. 177  Dies gilt uneingeschränkt für Sondergerichte in der Weimarer Republik, die aufgrund der Notverordnung des § 48 Abs. 2 WRV errichtet wurden. Für nationalsozialistische Sondergerichte war zwar die Möglichkeit ihrer Auflösung vorgesehen, jedoch nicht an spezielle Bedingungen geknüpft, § 18 ZuständigkeitsVO, RGBl. 1933 I, S. 137. 178  §§ 1, 2, 5 Belagerungszustandsgesetz, abgedruckt in Huber, Verfassungsdokumente, S. 451.



I. Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen75

Belagerungszustands endete179. Während der Weimarer Republik besaß der Reichspräsident gemäß Art. 48 Abs. 2 WRV die Kompetenz, bei Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die „nötigen Maßnahmen zu treffen“180. Der offene Gesetzeswortlaut ermöglichte einen Handlungsrahmen, der den Erlass von Notverordnungen nach sich zog. So legitimierte die VO vom 6. Oktober 1931 die Weimarer Reichsregierung zur Bildung von Sondergerichten und zum Erlass von Verordnungen über deren Zusammensetzung, Zuständigkeit und Verfahren181. Die hierauf fußende und in der Folge erlassene „Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete der Rechtspflege und der Verwaltung“ vom 14. Juni 1932 regelte die Einschränkung von Rechtsmitteln und die Abschaffung des Beweisrechts der Parteien182. Um den zunehmenden politischen Unruhen entgegenzuwirken, machte die Regierung Papen erneut Gebrauch von Art. 48 Abs. 2 WRV, indem sie im August 1932 die Notwendigkeit der Errichtung vereinzelter Sondergerichte an spezielle Straftatbestände koppelte183. Die im Rahmen des NS-Regimes erlassene VO zur Bildung von Sondergerichten lehnte sich systematisch an den Vorgänger der Weimarer Regierung an, da die sachliche Zuständigkeit der Sonderinstanzen ebenfalls an politische Delikte gekoppelt war184. Im Unterschied zu den vormals gebildeten Ausnahmegerichten war der Fortbestand nationalsozialistischer Sondergerichte jedoch an keine Bedingungen geknüpft. So normierte § 18 Abs. 1 SondergerichtsVO185 lediglich: „Endet die Tätigkeit des Sondergerichts, so gehen die bei ihm anhängigen Sachen in das ordentliche Verfahren über“186. Die SondergerichtsVO187 beinhaltete jedoch strafprozessuale Besonderheiten, die auch künftig charakteristisch für den Gang des Verfahrens bleiben sollten und wesentliche Rechtsbeschneidungen der Angeklagten zur Folge hatten. Die sachliche Zuständigkeit der Sondergerichte wurde durch entsprechende Verordnungen in der Folgezeit stetig erweitert. Auch die Kompetenzen der Staatsanwaltschaft wurden auf Kosten 179  § 14

Belagerungszustandsgesetz, ebd. Abs.  2 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8.1919, RGBl. 1919 II, S. 1392. 181  6. Teil, Kapitel 2 der Dritten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 6.10.1931, RGBl. 1931 I, S. 565. 182  Müller, Strafprozessrecht, in: Reifner/Sonnen, Strafjustiz, S. 60. Siehe zur Verordnung, RGBl. 1932 I, S. 285. 183  „Verordnung der Reichsregierung über die Bildung von Sondergerichten vom 9.8.1932“, RGBl. 1932 I, S. 404. 184  „Verordnung der Regierung über die Bildung von Sondergerichten vom 21.3.1933“, RGBl. 1933 I, S. 136–138. 185  Ebd., S. 137. 186  Ebd. 187  Ebd., S. 136–138. 180  Art.  48

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

der Angeklagten zunehmend erweitert188. RMJ Gürtner beschrieb in einer schriftlichen Korrespondenz an die OLG-Präsidenten und die Generalstaatsanwaltschaften den Prozessablauf vor dem Sondergericht treffend als „besonders schnelles und rechtsmittelloses Verfahren“189. Auch der Richterschaft blieb die besondere Stellung der Sondergerichte innerhalb der Gerichtsverfassung und ihre Wahrnehmung in der Bevölkerung nicht verborgen. In einem Schreiben an Staatssekretär Freisler bezüglich der Notwendigkeit der Errichtung eines Sondergerichts in Aachen führte der Aachener LGD Losenhausen aus: „Schließlich dürfte die Errichtung eines eigenen Sondergerichts auch zur Hebung des Ansehens der örtlichen Gerichtsbehörden beitragen. Es bestätigt sich nämlich immer wieder, dass seit der Einrichtung der Sondergerichte das Ansehen der ordentlichen Strafgerichte sowohl bei der Verwaltung bis zu den Ortspolizeibehörden herunter wie auch bei der Bevölkerung zurückgegangen ist; denn wegen der Bedeutung der politischen Strafsachen sieht man die volle Macht der Gerichtsbarkeit nur noch in dem für den Oberlandesgerichtsbezirk zuständigen Sondergericht verkörpert190“. Von der originären Errichtung der Sondergerichte im Jahre 1933 war der Standort Aachen jedoch zunächst nicht tangiert191. Mit der zunächst eingeschränkten sachlichen Zuständigkeit korrelierend, blieb die Zahl der Sondergerichte anfangs auf ein Gericht für jeden der seinerzeitigen 26 OLG-Bezirke beschränkt192. Für den Gau Rheinland, dem Aachen angehörte, wurde am 22. März 1933 durch Weisung des Preußischen Justizministers das Sondergericht beim Landgericht Köln errichtet193.

188  Zur

sachlichen Zuständigkeit von Sondergerichten eingehend unten, S. 91. Gürtners an die Generalstaatsanwaltschaften und OLG-Präsidenten von November 1938, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 143, Bl. 7. 190  Stellungnahme des LGD Losenhausen an Freisler auf dahingehende Anfrage nach der Notwendigkeit einer Errichtung eines Sondergerichts am Standort Aachen, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 9. 191  Zur quantitativen Reglementierung der Errichtung von Sondergerichten § 1 Abs. 1 ZuständigkeitsVO, RGBl. 1933 I, S. 136. 192  § 1 Abs. 1 SondergerichtsVO, RGBl. 1933 I, S. 136. Bis zum Februar 1941 wuchs die Anzahl der Sondergerichte reichsweit auf eine Zahl von 63 an, ab 1942 existierten im gesamten Deutschen Reich mitsamt okkupierten Gebieten insgesamt 74 Sondergerichte, Wagner, Umgestaltung, S. 245. Ab 1939 konnten auch für die Bezirke der Landgerichte Sondergerichte errichtet werden, § 18 RechtspflegeVO, RGBl. 1939 I, S. 1659. 193  Brehmer, Rechtsprechungspraxis, S. 85. 189  Schreiben



I. Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen77

bb) Errichtung und Personal des Sondergerichts Aachen Mit der sachlichen Zuständigkeitserweiterung von Sondergerichten korrelierte ein Mehrbedarf entsprechender Instanzen194. Auf der Grundlage von § 18 GerichtsverfassungsVO konnten ab September 1939 Sondergerichte auch auf Landgerichtsebene errichtet werden195. Für freigemachte Gebiete sollte die Errichtung mit sofortiger Wirkung, hilfsweise ab dem Zeitpunkt der Freimachung erfolgen196. Bereits zum Ende des gleichen Monats hatte der OLG-Präsident in Köln „die erforderlichen Maßnahmen197“ zur Errichtung eines künftigen Sondergerichts in Aachen vorbereitet und bat um Benennung von Staatsanwälten für die Anklagevertretung. Da der LG-Bezirk Aachen zu diesem Zeitpunkt von der Freimachung jedoch nicht betroffen war, wurde zunächst von einer Errichtung abgesehen, wenngleich sich der Aachener LGP für eine solche aussprach198. Letztlich wurde das Sondergericht nach dahingehender AV des RMJ mit Wirkung vom 10.2.1941 beim Landgericht Aachen errichtet199. Primäres Ziel der Installation war die Entlastung des mittlerweile arbeitsmäßig überforderten Sondergerichts Köln200. Die personelle Besetzung erstreckte sich auf einen Vorsitzenden Richter, zwei Beisitzer, einen Staatsanwalt als Anklagevertreter sowie gegebenenfalls einen Rechtsanwalt für die Verteidigung. Für das richterliche Personal, dessen Mitglieder fest angestellte Richter des Bezirkes sein mussten, wurde für den Fall ihrer Verhinderung zusätzlich ein Vertreter bestimmt201. Berufung und Geschäftsverteilung erfolgten durch das Präsidium des LG, welches mit Verfügung vom 27.2.1941 für das laufende Geschäftsjahr LGD Hoffmann als Vorsitzenden Richter und LGD van Wersch als dessen Stellvertreter bestimmte202. Als ständige Mitglieder wurden AGR Küster und LGR Erbel berufen, vertreten durch LGR Dr. von der Weiden und LGR

194  RMJ Thierack begründet in einer RV des Jahres 1943 eine Errichtung neuer Sondergerichte mit „verstärktem Arbeitsanfall“ aufgrund der bis dato erfolgten ZuständigkeitsVO, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 46. 195  § 18 der Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung und der Rechtspflege vom 1. September 1939, RGBl. 1939 I, S. 1659. 196  Verfügung des RJM durch Freisler vom 19.9.1939, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 2. 197  LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 1. 198  Ebd., Bl. 9. 199  AV vom 10.2.1941, DJ 1941, S. 223; Siehe auch LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 21. 200  Klein, Strafvollzug, S. 533. LAV NRW R, NW 174, Nr. 193, Band II, Bl. 283. 201  § 4 Abs. 1, 2 SondergerichtsVO, RGBl. 1933 I, S. 136. 202  § 4 Abs. 3 SondergerichtsVO, RGBl. 1933 I, S. 136. Zur Besetzung durch den Aachener LGP siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 158, Bl. 15.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen Fritz Hellbach Hoffmann Howahrde Küster Losenhausen Noessel Quester Schauergans Scheins Schwengers van Wersch Wilbert Wirtz k.A. sonstige

Abbildung 1: Diagramm zur anteiligen Verfahrensverteilung auf die jeweiligen Vorsitzenden Richter, aufgeschlüsselt nach Namen203

Paulus im Falle von deren Verhinderung204. Während des Bestehens des Sondergerichts führten insgesamt 14 unterschiedliche Richter den Vorsitz bei den Hauptverhandlungen. cc) Überlieferter Geschäftsanfall Die Arbeitsüberlastung der Kölner Anklagebehörde wird dokumentiert durch einen Bericht des LOStA Führer, nach dessen Ausführungen alleine im ersten Monat seit Errichtung der neuen Instanz in Aachen 53 Aktenstücke in laufenden Verfahren vom LOStA in Köln abgegeben worden waren, darunter zwei Kriegswirtschaftssachen mit 23 Beschuldigten und 19 Beschuldigten. Am 15. März 1941, circa einen Monat nach Errichtung, betrug die Anzahl der Sondergerichtssachen bereits 93, von denen alleine 69 aus Köln abgegeben worden waren. Bis dato waren hiervon neun Sachen durch Anklage, elf durch Einstellung und drei durch Abgabe erledigt worden, 203  Siehe zur zugrundeliegenden Statistik Tabelle 45, Anhang, S. 534; unter die Rubrik „sonstige“ werden die drei Vorsitzenden Richter abweichender Gerichte subsumiert, die im Zuge von erfolgreich eingelegten Nichtigkeitsbeschwerden mit Aachener Ausgangsurteilen befasst gewesen sind, siehe Tabelle 45, Anhang, S. 534. Zu den erfolgreich eingelegten Nichtigkeitsbeschwerden im Einzelnen unten, S. 132. Sofern nicht abweichend geregelt, schlägt sich die Chronologie der Legenden in Abbildungen stets entgegen dem Uhrzeigersinn in den Graphiken nieder. 204  LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 158, Bl. 15.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 79

sodass die Anzahl der verbliebenen anhängigen Verfahren noch immer 70 betrug205. Der enorme Arbeitsumfang wird verdeutlicht durch die Einschäzung des RJM, welches eine Überlastung von Sondergerichten und eine hieraus resultierende Notwendigkeit von Neuerrichtungen regelmäßig annahm, „wenn monatlich im Durchschnitt mehr als 40 neue Anklagen erhoben“ wurden, was den enormen Arbeitsumfang verdeutlicht206. Der nachweisbare Gesamtanfall an Sondergerichtssachen, mit dem die Staatsanwaltschaft Aachen in den Jahren 1941–1945 betraut wurde, beläuft sich auf 680 Verfahren207. Betrachtet man den Geschäftsanfall beim Sondergericht Aachen verteilt auf die Jahre seiner Existenz, so ergibt sich für das Jahr 1941 ein Geschäftsanfall von 18,7 %, für das Jahr 1942 29,1 %, für das Jahr 1943 27,8 %, für das Jahr 1944 17,8 % und für das Geschäftsjahr 1945 schließlich 0,7 %208. In 72,5 % aller verhandelten Verstöße handelte es sich um die Aburteilung von Verbrechen, in 21,6 % um die Aburteilung von Vergehen209. Hierbei stellen die Deliktsgruppen der Kriegswirtschaftdelikte mit 40 %, der Verstöße gegen die VVO mit 22,8 % sowie der Äußerungsdelikte mit 20,7 % den Hauptanteil abgeurteilter Verfahren dar210. Verfahrenseinstellungen erfolgten in insgesamt 19 Fällen, von denen in vier Fällen aufgrund einer Angeklagtenhäufung eine nur teilweise Einstellung erfolgte211. Die Einstellungsgründe basieren dabei auf einem Mangel an Beweisen, vorzeitigem Tod oder geistiger Unzurechnungsfähigkeit der Angeklagten, Verjährung der Tat oder Geringfügigkeit. In insgesamt 72 Verfahren ergingen Freisprüche.

II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung für die Staatsanwaltschaft Auf dem Gebiet des Strafrechts war die Fülle an Gesetzesnovellierungen in Relation zur Bestandszeit des Dritten Reiches in wohl keiner anderen 205  LAV

NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 25. vom 25.9.1939 des RMJ durch Freisler an die OLG Präsidenten und Generalstaatsanwälte betr. Berichtspflicht für Delikte, die nicht mehr beschleunigt vor dem Sondergericht abgeurteilt werden können, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 143, Bl. 14. 207  Zur Hypothese des fingierten „tatsächlichen“ Geschäftsanfalls sei nochmals verwiesen auf die Ausführungen zur Quellenlage, oben, S. 40. 208  5,9 % entfallen auf Verfahren ohne entsprechende Angabe. Siehe im Übrigen Tabelle 23, Anhang, S. 504. 209  Siehe Tabelle 23 und Abbildung 7, Anhang, S. 504; 505. 210  Siehe zur ausführlichen Statistik Tabelle 24 und Abbildung 8, Anhang, S. 505, 508. 211  Sofern die Verfahren teilweise eingestellt wurden, handelt es sich um vier Verfahren gegen jeweils mehrere Angeklagte, in welchen das Verfahren gegen je einen Angeklagten eingestellt worden war. 206  RV

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Epoche vergleichbar dicht. Dies veranschaulicht das auszugsweise Studium entsprechender Jahrgänge der Reichsgesetzblattsammlung von 1933–1944 sowie des Amtsblatts des Reichsjustizministeriums, der „Deutschen Justiz“. Die Neuerung des Strafrechts vollzog sich nicht durch eine einheitliche Reform des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordnung. Vielmehr flankierte und ergänzte der nationalsozialistische Gesetzgeber StGB und StPO unzusammenhängend in Einzelfragmenten, die Ausfluss verschiedener, jedoch nicht umgesetzter Strafrechtsreformen gewesen waren. Vor diesem Hintergrund ist eine abschließende Auflistung aller Regelungen, auch sofern sie lediglich die Staatsanwaltschaft betrafen, nicht beabsichtigt, da eine solche den quantitativen Rahmen der Arbeit sprengen und das deklarierte Forschungsziel verfehlen würde. Vielmehr beschränkt sich die nachfolgende Darstellung auf die wesentlichsten Novellierungen, die symptomatisch für die staatsrechtliche Auffassung des NS-Regimes sind und der Mehrheit aller sonst erlassenen Normen wenigstens immanent zugrunde liegen212. Diese zugrundeliegende ratio bestand in der vom NS-Regime beabsichtigten Abschaffung liberaler Verfahrenselemente, welche die Staatsanwaltschaft als Prozessorgan vormals in ein System regulierender Machtausübung eingebettet hatte. Fortan sollte sich die Anklagebehörde jedoch emanzipieren und auf sämtlichen Verfahrensstufen von den spezifischen „Fesseln213“ liberalen Prozessrechts lösen. Insbesondere gegenüber dem Gericht sollte ein Verhältnis auf Augenhöhe hergestellt werden, auf dem Sektor des Vorverfahrens gar der richterliche Einfluss zur Gänze schwinden, um die Staatsanwaltschaft wieder zur uneingeschränkten „Herrin des Vorverfahrens“ zu machen. Im Fokus der Darstellung steht insoweit die normative Entwicklung anhand der prägnantesten Gesetzesnovellierungen der jeweiligen Verfahrensetappen. Neben einer reichsweiten Entwicklung soll die praktische Umsetzung und der Grad der Wirkungsweise der abstrakten Novellierungen am Beispiel der Staatsanwaltschaft Aachen herausgearbeitet werden. Die Gegenüberstellung der abstrakten und konkreten Komponente dient der Erkenntnis der tatsächlichen Machtmodalitäten an der Basis und ihrer Ursachen für den Standort Aachen. 1. Die Gesetzgebung auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts Ihren primären Kompetenzzuwachs erfuhr die Staatsanwaltschaft durch umfangreiche Gesetzesnovellierungen auf dem Sektor des Strafverfahrensrechts, indem sie durch eine Vielzahl unabhängig voneinander erlassener Gesetze und Verordnungen über sämtliche Etappen des Verfahrenslaufes 212  Siehe

insoweit nochmals oben, S. 52. Der neue Strafprozess, in: DJZ 1935, S. 925.

213  Schwarz,



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 81

gestärkt wurde. Insbesondere durch die ab 1940 geregelte Wahlzuständigkeit, mit der annähernd jedes Delikt durch die Staatsanwaltschaft vor das Sondergericht gebracht werden konnte, kam den einzelnen Straftatbeständen nominell eine untergeordnete Bedeutung für eine deliktspezifische Machtsteigerung der Anklagebehörde zu. Einzige Ausnahme bildeten die Tatbestände solcher Gesetze und Verordnungen, die speziell entwickelt und erlassen worden waren, um die ausschließliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft als Anklagebehörde bei dem Sondergericht zu begründen. Dieser Normenkatalog wurde im Jahr 1940 abschließend durch § 13 ZuständigkeitsVO214 geregelt. Er umfasste sämtliche Tatbestände des Heimtückegesetzes215, des Autofallengesetzes216, von Rundfunkverbrechen217, Delikte nach der KrWVO218 und der VVO219, der GewaltverbrecherVO220, §§ 134 a, b StGB sowie § 239 a StGB. Nahezu allen Delikten war eine brandmarkende Konnotation gemein, die den Täter als besonderes „Subjekt“ außerhalb der Volksgemeinschaft stellte und so den „sonderrechtlichen“ Aspekt zum Ausdruck brachte. Die gebräuchliche Verwendung von termini wie Volksschädling, Plünderer, Kriegswirtschaftsverbrecher oder Gewaltverbrecher war der Höhepunkt einer konsequenten Ausrichtung der Strafbarkeit an der Persönlichkeit des Täters221, deren Entwicklung bereits Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt hatte. Anders als bei Gewohnheits- und Gewaltverbrechern, deren Qualifikation maßgeblich an das kriminelle Vorleben des Täters anknüpfte, orientierten sich die im Rahmen des Kriegsstrafrechts gefundenen Begriffe des Volksschädlings und des Kriegswirtschaftsverbrechers an der durch die konkrete Tat zum Ausdruck gebrachten Gesinnung222. Diese speziell auf die Sondergerichtsbarkeit zugeschnittenen Tatbestände 214  § 13 Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften vom 21.2.1940, RGBl. 1940 I, S. 407. 215  Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20.12.1934, RGBl. 1934 I, S. 1269. 216  Gesetz gegen Straßenraub mittels Autofallen vom 22.6.1938, RGBl. 1938 I, S. 651. 217  Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1683. 218  Kriegswirtschaftsverordnung vom 4.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1609. 219  Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1679. 220  Verordnung gegen Gewaltverbrecher vom 5.12.1939, RGBl. 1939 I, S. 2378. 221  Rüping, Strafjustiz, in: GA 1984, S. 301. Besonders Freisler bediente sich der Wortwahl, die den Ausgangspunkt eines Täterstrafrechts klar zum Ausdruck brachte. Exemplarisch sprach er im Rahmen des Erlasses der VVO von „gewissenlosen Schädlingen“, „Ausrottung“, „verächtlichem Verbrechertyp“, Freisler, Volksschädlinge, in: DJ 1939, S. 1450. 222  Roth, Verbrechensbekämpfung, S. 298.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

spielen in der Aachener Justizpraxis eine überragende Rolle. Alleine die Deliktsgruppen der KrWVO, der VVO und des Heimtückegesetzes machen mit 81,7 % den wesentlichen Anteil des gesamten Verfahrensanfalls der Staatsanwaltschaft Aachen aus223. 2. Die Gesetzgebung auf dem Gebiet des formellen Strafrechts a) Abschaffung des Analogieverbots Leitgedanke der politischen Machthaber bei den Reformen auf dem Sektor des Strafprozessrechts war die Abschaffung liberaler Verfahrenselemente der Weimarer Republik224, um die Rechtspflegeorgane, insbesondere die Staatsanwaltschaft, „von den Fesseln des bisherigen Rechts zu befreien“225. Diese Intention schlug sich in der Überschrift der Änderungsnovelle des Jahres 1935, „Freiere Stellung der Staatsanwaltschaft“226, nieder. Unter dieser Prämisse war die gesetzlich normierte Abschaffung des Analogieverbots bereits zwei Jahre nach Machtergreifung eine der wesentlichsten Kompetenzbereicherungen für die Strafjustizbehörden, die auch von der zeitgenössischen Rechtslehre als „Revolution“ begriffen wurde227. Durch § 170 a StPO, eingeführt durch das Änderungsgesetz vom 28. Juni 1935, wurde die Staatsanwaltschaft zur Prüfung angehalten, ob auf eine Tat, „die nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient (…)“, jedoch gesetzlich nicht ausdrücklich strafbewährt war, „der Grundgedanke eines Strafgesetzes zutrifft und (…) durch entsprechende Anwendung (…) der Gerechtigkeit zum Siege“228 verholfen werden konnte. Ziel der Neuregelung sollte fortan nicht „die Sicherheit des Verbrechers vor verdienter Strafe, sondern die Sicherung der Volksgemeinschaft gegen jeden verbre223  Die detaillierte Auswertung der Deliktsverteilung, gemessen am Gesamtbestand der überlieferten Akten, findet sich im Anhang, Tabelle 24, S. 505. Eingehend zu den einzelnen Deliktsgruppen unten, S. 295, 305, 318. 224  Götte, Jugendstrafvollzug, S. 80. Die Abkehr von Rechtssätzen aus der „liberalistischen Zeit“ – gemeint war die Weimarer Republik – präferierte auch Schäfer, Novellen zum Strafrecht, in: RVerwBl. 1935, S. 870. 225  Schwarz, Der neue Strafprozess, in: DJZ 1935, S. 925. 226  Art. 4 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Strafverfahrens und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 28.6.1935, RGBl. 1935 I, S. 846. 227  Peters, Volksempfinden, in: DStR 1938, S. 337. 228  § 170 a StPO, eingeführt durch das „Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafverfahrens und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 28.6.1935“, RGBl. 1935 I, S. 844. So in der Folgezeit auch aufgenommen in die Reichsstrafprozessordnung, exemplarisch Dörner, Reichsstrafprozessordnung, § 170 a StPO, S. 107.



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cherischen Angriff sein“229, indem die Gesetzgebung künftig nicht mehr der Kriminalität „nachhinken“ sollte230. Der Rechtssatz nullum crimen sine lege wurde damit ersetzt durch das credo nullum crimen sine poena231. Die Machtsteigerung gegenüber dem Gericht bestand dabei in der Möglichkeit, eine staatsanwaltschaftliche Revision einer richterlichen Entscheidung vor dem Reichsgericht zu erwirken, falls das Gericht – welches über § 267 a StPO ebenfalls zur Analogieprüfung angehalten war – aus Sicht der Anklage zu Unrecht Gebrauch oder Nichtgebrauch von einer entsprechenden Rechtsanwendung machte232. Da gegen sondergerichtliche Entscheidungen ordentliche Rechtsmittel grundsätzlich unstatthaft waren233, spielt die Revision vor dem Reichsgericht keine Rolle. Die nachträgliche Überprüfbarkeit mangelnder analoger Rechtsanwendung durch das Sondergericht konnte dagegen durch außerordentliche Rechtsmitteleinlegung, insbesondere der Nichtigkeitsbeschwerde, einer nachträglichen Überprüfung unterzogen werden234. Die Arbeitspraxis der Aachener Anklagebehörde verdeutlichte, dass man dem Grundsatz des Sanktionierungswillens eines als verwerflich empfundenen Verhaltens auch ohne Gesetzesgrundlage durchaus nachkam. Neben einer tendenziell extensiven Rechtsauslegung, welche die Staatsanwaltschaft insbesondere bei Verfahren betrieb, die vermeintliche Verstöße gegen die Volksschädlingsverordnung235 zum Gegenstand hatten, zeigte ein Verfahren wegen Vergehens gegen die Kriegswirtschaftsverordnung236 die Relevanz des eingeführten Analogiegesetzes: Ein Kaufmann, der sich geweigert hatte, einen Emailleeimer zu verkaufen, wurde wegen Gefährdung der Bedarfsdeckung bezugsbeschränkter Erzeugnisse von der Staatsanwaltschaft angeklagt, obwohl bereits der objektive Tatbestand mangels tauglichen Tat­ objekts ausschied. Bemerkenswert war die anschließende Stellungnahme des GStA, der einräumte: „Die Anklage aus § 1 KrWVO erscheint mir nicht unbedenklich, da eine Gefährdung der Bedarfsdeckung bei Nicht-Abgabe eines Eimers wohl kaum anzunehmen, zum mindesten aber das Bewusstsein einer solchen nur sehr schwer nachzuweisen sein dürfte. Offenbar ist die Anklage auch lediglich deshalb aus § 1 KrWVO erfolgt, weil 229  Amtliche Begründung zum Änderungsgesetz, S. 27, auszugsweise abgedruckt in Werle, Justiz-Strafrecht, S. 161. 230  Kadecka, Gesundes Volksempfinden, in: ZStW 1944, S. 1. 231  Schäfer, Novellen zum Strafrecht, in: RVerwBl. 1935, S. 870. 232  Art. I Nr. 1 lit. b Änderungsgesetz, RGBl. 1935 I, S. 844. 233  § 16 VO der Reichsregierung über die Bildung von Sondergerichten vom 21.3.1933, RGBl. 1933 I, S. 137. 234  Siehe hierzu Nichtigkeitsbeschwerde, Fall 5, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 15, S. 124. 235  Siehe im Einzelnen unten, S. 318. 236  Siehe hierzu Nichtigkeitsbeschwerde, Fall 5, ebd., S. 124.

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das Verhalten des Angeklagten als sehr verwerflich zu bezeichnen, die Verbrauchsregelungs-Strafverordnung aber nicht anwendbar ist, da Eimer nicht zu den bezugsbeschränkten Erzeugnissen gehören“237. Die Tragweite der gesetzlichen Regelung bestand in dem Umstand, dass sie der Staatsanwaltschaft als normative Grundlage für extensive und sogar fehlerhafte Rechtsanwendung diente, mit der annähernd jedes tatbestandliche Anklagedefizit gerechtfertigt werden konnte. b) Gerichtliche Voruntersuchung Die gerichtliche Voruntersuchung war eine Errungenschaft der teilweisen Übernahme des Code d’instruction Criminelle in die Strafprozessordnung vom 1. Februar 1877 gewesen. Sie wurde in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. März 1924 weiterhin als Regelfall zugrundegelegt und sollte die Verteidigungsgarantien des Beschuldigten erweitern und die Befugnisse der Staatsanwaltschaft gegenüber den anderen am Prozess beteiligten Organen einschränken. Daher wurde die Voruntersuchung als Vorzeigebeispiel richterlicher Kontrollmöglichkeit über die Staatsanwaltschaft angesehen und sollte als „Denkungsweise einer vergangenen Epoche“ überwunden werden238. Während in ordentlichen Strafverfahren die Regelungen zunächst unverändert geblieben waren239, wurde in Anlehnung an die SondergerichtsVO aus der Weimarer Zeit240 mit § 11 SondergerichtsVO241 die gerichtliche Voruntersuchung für sämtliche Verfahren vor den nationalsozialistischen Sondergerichten ausnahmslos gestrichen242. So war es der Anklage237  Nicht datierte Stellungnahme des GStA an das RJM, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 15, Bl. 8 rev. 238  Rohling, Staatsanwalt, in: DJ 1935 II, S. 1185. 239  Erst durch § 178 StPO im Rahmen des Änderungsgesetzes wurde die obligatorische gerichtliche Voruntersuchung fakultativ auf Antrag der Staatsanwaltschaft durchgeführt, RGBl. 1935 I, S. 846. Für den gesamten Wegfall der gerichtlichen Voruntersuchung argumentierte ein breiter Teil im Schrifttum, so unter anderem Becker, Voruntersuchung, in: GS 1937, S. 176; Gürtner, Strafprozeßreform, in: DJ 1934 I, S. 722; Freisler, Strafgerichtsorganisation, in: DStrR 1936, S. 305; Exner, Staatsanwalt, in: ZStW 1935, S. 11; Siegert, Staatsanwalt, in: ZStW 1935, S. 21, Henkel, Staatsanwalt, in: ZStW 1935, S. 37; Niederreuther, Strafverfahren, in: DJ 1936 I, S. 771; Dahm, Staatsanwalt, in: DStrR 1935, S. 264; Schäfer, Auflockerung, in: DStrR 1935, S. 249; Peters, Strafverfahren, in: ZStW 1936, S. 40. 240  § 12 der Verordnung der Reichsregierung über die Bildung von Sondergerichten vom 9.8.1932, RGBl. 1932 I, S. 404. 241  RGBl. 1933 I, S. 137. 242  In den ordentlichen Strafverfahren vor dem Amtsgericht fand die Voruntersuchung hingegen statt auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder auf Antrag des Angeschuldigten, wenn dieser erhebliche Gründe für die Notwendigkeit geltend machen konnte, vgl. RGBl. 1924 I, S. 19.



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behörde fortan möglich, alleine durch die Anklageerhebung die Eröffnung der Hauptverhandlung herbeizuführen243. Die Abschaffung diente wie der Wegfall der mündlichen Verhandlung über den Haftbefehl der Prozessökonomie244, um in den zunächst nur politischen Fällen „ein straffes und schnelles Verfahren zu gewährleisten und die Sühne der Tat unmittelbar folgen zu lassen“245. Sie war zudem ein offenkundiges Zeichen des Regimes, die Staatsanwaltschaft zu emanzipieren und wieder zur „unbedingten Herrin des Vorverfahrens“ machen zu wollen246. c) Durchbrechung des Legalitätsprinzips Auch die Durchbrechung des Instituts des Legalitätsprinzips trug einen wesentlichen Teil zur intendierten Herrschaftsstellung der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren bei. In der historischen Entwicklung sind im Verlauf des 20. Jahrhunderts verschiedentlich Ausnahmen von der Pflicht zur Strafverfolgung zugunsten des Opportunitätsprinzips zugelassen worden247. Während der NS-Zeit war jedoch der Grad der Abweichung von der Strafverfolgungspflicht – besonders nach Beginn des Zweiten Weltkriegs – sowie dessen staatsrechtliche Begründung bemerkenswert. Während die Reformbestrebungen in der Weimarer Republik, insbesondere mit der Emminger Verordnung, nur vereinzelt umgesetzt wurden, um die kritisierte „Viel­ straferei“248 einzudämmen und der Überlastung der Strafverfolgungsbehörden mit Blick auf die wirtschaftliche Notlage Einhalt zu gebieten249, sah man im nationalsozialistischen Schrifttum das Legalitätsprinzip zum Teil als gänzlich überflüssig an250. Dennoch hielt das überwiegende Schrifttum im rechtstheoretischen Diskurs am Erfordernis des Legalitätsprinzips unter Zugrundelegung eines neuen Inhalts zunächst formal fest: Während zuvor der Schutz des Einzelnen vor Staatswillkür als ratio legis im Vordergrund gestanden hatte, betrachtete man nun das Legalitätsprinzip als Grundlage für eine Umsetzung verbindlicher Anweisungen der politischen Führung 243  Diese Erwägung wird verstärkt durch die Abschaffung eines Eröffnungsbeschlusses zugunsten einer beantragten Anordnung der Staatsanwaltschaft auf Eröffnung des Hauptverfahrens, § 12 SondergerichtsVO, RGBl. 1933 I, S. 137. 244  Allgemeinverfügung des PrJM vom 16. Januar 1934, DJ 1934, S. 84. 245  Becker, Voruntersuchung, in: GS 1937, S. 176. 246  Rohling, Staatsanwalt, in: DJ 1935 II, S. 1185. 247  So auch Töwe für den Zeitraum vor der Machtergreifung, Töwe, Legalität, in: GS 1936, S. 148. 248  Hierzu Deiters, Legalitätsprinzip, S. 10. 249  Schürer, Entwicklung, S. 52. 250  So Siegert, Staatsanwalt, in: ZStW 1935, S. 25.

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durch die Staatsanwaltschaft zum allgemeinen Staatswohl251. Trotz Neudefinition wurde ab 1940 die Durchbrechung der Legalität bis hin zu deren völliger Abschaffung forciert252. Über die StrafrechtsVO vom 6. Mai 1940 wurde zunächst § 153 a StPO eingeführt, nach welchem eine im Ausland begangene Tat eines Deutschen nicht verfolgt werden musste, wenn sie „vom Standpunkt der Volksgemeinschaft aus nicht geboten oder unverhältnismäßig schwierig wäre“253. Durch die Zweite VereinfachungsVO, die § 152 StPO durch einen dritten Absatz ergänzte, stand die Strafverfolgung von Antragsdelikten künftig im Ermessen der Staatsanwaltschaft254. Zudem wurde die Zustimmung des Amtsrichters zur Einstellung des Verfahrens beseitigt255. Ab Mitte des Jahres 1943 konnte die Staatsanwaltschaft Strafverfahren einstellen oder von bedingter Strafaussetzung Gebrauch machen, wenn es sich um einen Sachverhalt von „minderer Bedeutung während des Krieges“ handelte256. Bereits 1939 verfügte das Justizministerium, dass im Falle eines übermäßigen Arbeitsanfalls aufgrund des Kriegszustands bei der Verfahrenseinstellung grundsätzlich großzügig zu verfahren sei257. In Aachen erfolgten Einstellungen aufgrund dieser Regelung lediglich auf dem Gebiet des allgemeinen Strafrechts, sofern es sich um fahrlässige Vergehen handelte. Vergehen, welche die Staatsanwaltschaft am Sondergericht anhängig machte, wurden hingegen regelmäßig als „so bedeutungsvoll“ gewertet, „dass sich eine Einstellung nach § 153 StPO von selbst“ verbat258. Selbst in leichtesten Fällen von Beihilfehandlungen wie dem Kochen des Wassers zum Brühen eines schwarz geschlachteten Schweins, „die einer Einstellung an sich gemäß“ waren, vertrat der Behördenleiter unter Berufung auf den Verbrechenscharakter eine rigorose Sanktionierungslinie259. Der Vergleich der Handhabung durch die Behördenleiter in Köln, Bonn, Koblenz, Trier 251  Oetker, Legalität, in: GS 1935, S. 370. Ebenso Freisler, Strafverfahrensrecht, in: DStrR 1935, S. 232; Schaffstein, Strafverfahren, in: DR 1935, S. 520; Schäfer, Auflockerung, in: DStrR 1935, S. 251; Niederreuther, Strafverfahrenserneuerung, in: GS 1939, S. 205. 252  Die Darstellung beschränkt sich auf die prägnantesten Gesetzesnovellierungen. Zur Gesamtentwicklung detailliert Marquardt, Entwicklung, S. 126–134. 253  Artikel II der Verordnung über den Geltungsbereich des Strafrechts vom 6.5.1940, RGBl. 1940 I, S. 754. 254  Art. 9 § 2 Abs. 1 der Verordnung zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 13.8.1942, RGBl. 1942 I, S. 510. 255  Ebd. 256  Rundverfügung vom 12.6.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 57. 257  Erlass des RJM an die Generalstaatsanwaltschaften vom 29.8.1939, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 226, Bl. 14. 258  Bericht des LOStA in Aachen an den GStA Köln vom 1.12.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 53. 259  Ebd.



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und Luxemburg zeigt, dass eine kategorische Nichtanwendung von § 153 StPO auf Sondergerichtsverfahren einzig vom Aachener Behördenleiter praktiziert wurde. Die Anwendungsmodalitäten der übrigen Behörden richteten sich nicht notwendigerweise nach speziellen Deliktsgruppen, sondern vielmehr nach der empfundenen Schwere der Tat260. Der kommissarische Leiter der Staatsanwaltschaft in Luxemburg stellte exemplarisch Verfahren wegen verbotenen Waffenbesitzes, Eigentumsdelikten und Vergehen gegen die VerbrauchsregelungsstrafVO ein, ein Vorgang, der in Aachen undenkbar war261. Die generelle Verpflichtung zur Verfolgung von Straftaten wurde schließlich durch § 8 Abs. 1 der Vierten VereinfachungsVO aufgehoben262. Die Regelung legitimierte den StA, unabhängig vom Vergehens- oder Verbrechenscharakter eines Verstoßes von der Klageerhebung abzusehen, „wenn die Verfolgung im Kriege zum Schutz des Volkes nicht erforderlich“ war263. Die Beurteilung einer Sanktionierungswürdigkeit wurde damit im Ergebnis ins alleinige Belieben der Anklagebehörde gestellt. Allen genannten Gesetzesnovellierungen zur Abkehr vom Legalitätsgrundsatz ist die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe gemein. Diese bildeten das Fundament, um einen unbeschränkten Handlungsspielraum zu ermöglichen und den Staatsanwalt als „unmittelbares politisches Organ264“ frei von verfahrensrechtlichen Schranken instruieren zu können. Durch Absehen weiterer Strafverfolgung konnte die Anklagebehörde eine unbeschränkte Filterung von Verfahren betreiben, indem Erledigungen nicht durch gerichtliche Entscheidung, sondern im Vorfeld durch Verfahrenseinstellungen herbeigeführt werden konnten265. Durch Ausschluss richterlichen Mitspracherechts wurde eine opportune Ermittlungspraxis zusätzlich gestärkt. Vor dem Hintergrund nationalsozialistischer Rechtslehre war die Diskussion um Legalität und Opportunität auf einen rein dogmatischen Diskurs reduziert worden, der sich in der Praxis nicht auswirkte, da beide Prinzipien nach nationalsozialistischem Verständnis der Umsetzung des Willens der politischen Machthaber dienen sollten. Während bei der Legalität nach NS-Definition eine statisch festgelegte politische Linie unaufgefordert umgesetzt werden sollte, ermöglichte 260  Vgl. Berichte der Behördenleiter in Bonn, Koblenz, Köln, Trier und Luxemburg, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 54–58. 261  Bericht des Chefs der Zivilverwaltung in Luxemburg und Kommissar für die Staatsanwaltschaft an den GStA in Köln vom 13.12.1932, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 58. 262  Verordnung zur weiteren Anpassung der Strafrechtspflege an die Erfordernisse des totalen Krieges vom 13. Dezember 1944, RGBl. 1944 I, S. 341. 263  § 8 Abs. 1 Verordnung zur weiteren Anpassung der Strafrechtspflege an die Erfordernisse des totalen Krieges vom 13.12.1944, RGBl. 1944 I, S. 341. 264  Dahm, Der Staatsanwalt, in: DStrR 1935, S. 264. 265  Roth, Verbrechensbekämpfung, S. 299.

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die Abkehr hin zur Opportunität eine flexiblere Handhabung des Rechts, durch welche die politische Führungsriege bei Bedarf Ausnahmen von der propagierten Strafjustizpolitik machen konnte. Für eine qualifizierte Beantwortung der Frage nach dem Stellenwert der Abkehr vom Legalitätsprinzip für die Aachener Anklagebehörde beim Sondergericht sind somit einzig diejenigen 19 Ermittlungssachen relevant, die mit einer Einstellungsverfügung endeten. Motive für eine Verfahrenseinstellung bestanden jedoch nicht in mangelnder Erforderlichkeit der Strafverfolgung zum Schutz des Volkes, sondern hatten praktische Ursachen wie mangelnde Ermittlung eines Tatverdächtigen, ärztliche Attestierung geistiger Unzurechnungsfähigkeit, Tod eines zur Wehrmacht eingezogenen Beschuldigten im Krieg, Flucht des Beschuldigten oder entlastende Gegenbeweise zum Gegenstand266. Lediglich in einem Fall, in dem ein belgischer Bauer sich nach dem Ermittlungsergebnis staatsfeindlicher Äußerungen strafbar gemacht hatte, beantragte die Staatsanwalt keinen Termin zur Hauptverhandlung, da die für Heimtückedelikte erforderliche Anordnung zur weiteren Strafverfolgung gemäß § 2 Abs. 3 HG durch das Ministerium unterblieben war267. Anhaltspunkte für eine Verfahrenseinstellung aus politischen Gründen existieren hingegen nicht. Auch im Falle mangelnder Verfolgungsanordnung durch das Ministerium lassen sich politische Motive für eine Einstellung, wie etwa eine Parteimitgliedschaft, nicht finden. Bemerkenswert ist im Lichte dieses Resultats der Vergleich zur „großen Schwester“, der Staatsanwaltschaft Köln, bei welcher die Verfahrenseinstellungen quantitativ wie inhaltlich eine weitaus bedeutendere Rolle spielen. So enden ca. 85 % des überlieferten Aktenmaterials mit einer dem Prozess vorverlagerten staatsanwaltschaftlichen Einstellungsverfügung nach dem Ermittlungsverfahren268. In Köln gibt es im Gegensatz zu Aachen zudem eine erhöhte Anzahl von Verfahrenseinstellungen, die auf staatspolitischen Gründen fußen269.

266  Siehe hierzu exemplarisch die Verfahren LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 2, 4, 5, 114, 705, 371, 180. 267  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 193; das Anordnungserfordernis war geregelt in § 2 Abs. 3 Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20.12.1934, RGBl. 1934 I, S. 1270. 268  Johnson, Nazi Terror, S. 357; ebenso Roth, Verbrechensbekämpfung, S. 299. 269  Roth spricht insoweit von einem „besonderen Ausmaß staatlicher Amnestien“, Roth, ebd.



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d) Weitere Änderungen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Neben den bereits dargestellten Gesetzesnovellen wurde der Staatsanwaltschaft mit der Einführung der §§ 81 a, b RStPO270 ermöglicht, bei Gefahr im Verzug ohne richterliche Verfügung selbstständig körperliche Untersuchungen und körperliche Eingriffe wie das Entnehmen von Blutproben durchzuführen. Durch § 9 Abs. 1 SondergerichtsVO271 lockerte der Gesetzgeber 1933 die Regelungen über den Haftbefehl dahingehend, dass zunächst die mündliche Verhandlung über dessen Verhängung wegfiel, um dem erklärten Ziel der „Schlagkraft“272 der Sondergerichte im Wege der Prozessökonomie Rechnung zu tragen. Ab 1944 erhielt die Staatsanwaltschaft schließlich die Kompetenz, Haftbefehle gänzlich ohne Mitwirkung des Haftrichters herbeizuführen273. Der Beschuldigte konnte eine Haftanordnung durch gerichtliche Entscheidung überprüfen lassen274. Von einer Beschwerde gegen die Untersuchungshaft wurde allerdings – ausweislich der Aachener Ermittlungsakten – in lediglich zwei Fällen und zudem ohne Erfolg Gebrauch gemacht275. Dies wird einerseits dem Umstand geschuldet sein, dass die Einschätzung der Staatsanwaltschaft vom Erfordernis der Verhängung der Untersuchungshaft wie Flucht- oder Verdunkelungsgefahr seitens des Gerichts regelmäßig schwer widerlegbar war. Andererseits machte eine Beschwerde auch in zeitlicher Hinsicht wenig Sinn, da zwischen dem Zeitpunkt der Anordnung der Untersuchungshaft und der Verurteilung nach ministeriellem Willen in der Regel nicht mehr als 14 Tage vergehen sollten276, auch wenn diese Zeitvorgabe in der Aachener Praxis nur selten umgesetzt wurde. Im Übrigen wurde die Untersuchungshaft vom Sondergericht Aachen grundsätzlich auf die Haftstrafe angerechnet. Aus270  Art. 2 Nr. 4 Ausführungsgesetz zum Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über die Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933, RGBl. 1933 I, S. 1000. 271  Verordnung der Reichsregierung über die Bildung von Sondergerichten vom 21.3.1933, RGBl. 1933 I, S. 136. 272  LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 23. 273  § 5 Verordnung zur weiteren Anpassung der Strafrechtspflege an die Erfordernisse des totalen Krieges vom 13.12.1944, RGBl. 1944 I, S. 340. 274  Art. II, § 5 III, RGBl. 1944 I, S. 339. 275  Der erste Fall betraf ein anschließendes Verfahren wegen Schwarzschlachtung gem. § 1 Abs. 1 KrWVO, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 84, Bl. nicht angegeben, der zweite Fall betraf ein Verfahren wegen verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen gem. § 4 WehrkraftVO und vorheriger Untersuchungshaft durch die Gestapo, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 299, Bl. 30. 276  AV Freislers an die Generalstaatsanwaltschaften, weitergeleitet vom Generalstaatsanwalt Köln an den LOStA in Aachen, Ger. Rep. 270, 143, Bl. 4.

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nahmen bildeten lediglich Fälle, in welchen das Gericht zu dem Schluss kam, dass der Verurteilte auch während der Hauptverhandlung vorsätzlich die Unwahrheit sagte oder durch sonstiges verfahrenshinderndes Verhalten das Privileg einer Haftanrechnung verwirkt hatte. Solche Fälle bildeten jedoch die Ausnahme. Insgesamt wurde in rund 63 % aller Verfahren die Untersuchungshaft angeordnet, wobei es sich in 24 % der Fälle mit angeordneter Untersuchungshaft um Vergehen und in 73 % um Verbrechen handelte277. Die für Vergehenstatbestände hohe Anzahl an Haftanordnungen lag in dem Umstand begründet, dass es sich in knapp 79 % dieser Sachverhalte um Heimtückedelikte handelte, in welchen eine vorläufige Festnahme durch die Gestapo erfolgt war. Ab dem Jahr 1944 konnte die Staatsanwaltschaft außerdem Durchsuchungen und Beschlagnahmen ohne das Erfordernis einer Gefahr im Verzug anordnen278. Deren praktische Anwendung beschränkte sich in Aachen bei Wohnungsdurchsuchungen und Kassation von Gegenständen auf die regelmäßige Beschlagnahme von Radiogeräten, die benutzt worden waren, um ausländische Radiosender zu empfangen sowie auf die Einziehung schwarzgeschlachteter Fleischerzeugnisse, die Gegenstand von Ermittlungen wegen Vergehens gegen die KrWVO waren. Allerdings fanden sämtliche Sicherstellungen vor Erlass der AnpassungsVO279 statt. Für eine Einziehung von Fleisch bestand die gesetzliche Legitimation in der Spezialvorschrift des § 1 c Ergänzungsverordnung280 sowie § 9 Abs. 1 VerbrauchsregelungsVO281. Für die eingezogenen Radiogeräte war § 1 S. 2 RundfunkVO282 lex specialis, sodass sich die AnpassungsVO – insbesondere aufgrund des Zeitpunkts ihres Erlasses, an dem die Staatsanwaltschaft aufgrund der Kriegsereignisse nur noch bedingt ihrer Arbeit nachkommen konnte – vor Ort faktisch nicht auswirkte. Im Zuge der Schaffung weiterer Vereinfachungen des Strafprozesses wurde die Staatsanwaltschaft ab 1943 von ihrer Pflicht entbunden, das wesentliche Ermittlungsergebnis in die Anklageschrift aufzunehmen283. Im gesamten OLG Bezirk Köln wurde von 277  In den verbliebenen 3 % gab die Signatur keinen Aufschluss über Vergehensoder Verbrechenscharakter. 278  § 6 Verordnung zur weiteren Anpassung der Strafrechtspflege an die Erfordernisse des totalen Krieges vom 13.12.1944, RGBl. 1944 I, S. 340. 279  Ebd. 280  §  1 lit. c der Verordnung zur Ergänzung der KriegswirtschaftsVO vom 25.3.1942, RGBl. 1942 I, S. 147. 281  § 9 Abs. 1 der Verordnung über Strafen und Strafverfahren bei Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften auf dem Gebiet der Bewirtschaftung bezugsbeschränkter Erzeugnisse i. d. F. Vom 26.11.1941, RGBl. 1941 I, S. 736. 282  § 1 Satz 2 der Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1683. 283  § 200 Abs. 2 StPO i. d. F. des Art. 2 der Dritten Verordnung zur Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 29.5.1943, RGBl. 1943 I, S. 343.



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dieser Regelung ausgiebig Gebrauch gemacht284. Für den Bereich der Sondergerichtsbarkeit galt jedoch trotz der Prämisse äußerster Beschleunigung weiterhin die Inkludierung der wesentlichen Ermittlungsergebnisse in die Anklageschrift285. Im Zuge geplanter weiterer Vereinfachungsmaßnahmen im August 1944 sprach sich der Behördenleiter der Staatsanwaltschaft Köln dafür aus, auch für Sondergerichtssachen künftig auf die Darstellung des wesentlichen Ermittlungsergebnisses zu verzichten286. LOStA Führer sah hingegen keine zusätzlichen Spielräume mehr, wesentliche Vereinfachungen für die Tätigkeit seiner Behörde herbeizuführen. Insbesondere sprach er sich gegen den Wegfall der Mitteilung des Ermittlungsergebnisses mit dem Argument aus, dass eine solche Maßnahme auf der Kehrseite eine nicht unwesentliche Mehrarbeit bedeute, da der Sitzungsvertreter auf diese Weise zu einem längeren und genaueren Aktenstudium genötigt werde287. Dieses Vorbringen war durchaus begründet, zumal Sitzungsvertretung und Sachbearbeitung nicht notwendigerweise in Personalunion erfolgten. Während die Staatsanwaltschaft im ordentlichen Strafverfahren von der Abkürzung „in sehr zahlreichen Fällen Gebrauch gemacht“ hatte, wiesen die sondergerichtlichen Anklageschriften, die je nach Verfahrensgegenstand in ihrer Ausführlichkeit divergierten, auch nach Verordnungserlass weiterhin ausnahmslos das Ermittlungsergebnis aus288. e) Zugang zum Sondergericht durch Wahlzuständigkeit289 Während die Frage der Einleitung eines Strafverfahrens durch die Abschaffung des Legalitätsprinzips zuletzt ausschließlich dem Herrschaftsbereich der Staatsanwaltschaft zugeordnet worden war, rückte auch die Frage 284  Bericht des GStA an das RJM vom 30.12.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 49. 285  Korrespondenz zwischen OStA Köln und GStA Köln vom 16.12.1943 betr. die Verordnung zur Vereinfachung der Strafrechtspflege, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 39; ebenso Bericht des GStA, ebd., Bl. 49 rev. 286  Stellungnahme des LOStA in Köln zu geplanten Vereinfachungsmaßnahmen auf dem Sektor der Strafrechtspflege vom 29.7.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 128. 287  Stellungnahme des LOStA in Aachen zu geplanten Vereinfachungsmaßnahmen auf dem Sektor der Strafrechtspflege vom 8.8.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 125. 288  Schreiben des LOStA in Aachen an den GStA in Köln vom 11.12.1943 betr. Vereinfachungsmaßnahmen, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 41. 289  Die nachfolgende Auflistung ist nicht abschließend. Insbesondere Gesetzesnovellierungen, die eine Kompetenzerweiterung der Staatsanwaltschaft in den besetzten Gebieten zur Folge hatten, wurden bewusst nicht aufgeführt, da diese für die Aachener Anklagebehörde nicht von praktischer Relevanz waren.

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der konkreten Ausgestaltung der Hauptverhandlung durch die Wahl des Spruchkörpers zunehmend in den Einflussbereich der Anklagebehörde290. Die originäre sachliche Zuständigkeit von Sondergerichten war ursprünglich nicht disponibel gewesen und hatte sich im Zuge der ErrichtungsVO291 zunächst auf die Aburteilung von Delikten, die Gegenstand der ReichstagsbrandVO292 und der HeimtückeVO293 gewesen waren, beschränkt. Durch die ErgänzungsVO konnte die Staatsanwaltschaft in Fällen geringer Bedeutung oder im Falle der Jugendlichkeit des Beschuldigten die Strafsache abweichend im ordentlichen Strafverfahren weiter verfolgen294. Die ZuständigkeitsVO vom 20. Dezember 1934295 erweiterte den Anwendungsbereich des „Sonderrechts“ auf das im gleichen Jahr eingeführte Heimtückegesetz, welches die HeimtückeVO ablöste und staatsfeindliche Äußerungen sowie unbefugtes Tragen von Parteiuniformen und Abzeichen sanktionierte296. In der Folge inkludierte der Gesetzgeber zudem die §§ 134 a, b StGB als staatsabträgliche Äußerungen in den ausschließlichen Zuständigkeitsbereich297. Einen ersten wesentlichen Schritt hin zur Wahlzuständigkeit des Sondergerichts stellte Art. I ErweiterungsVO298 dar, nach welchem ab 1938 „bei Verbrechen, die zur Zuständigkeit des Schwurgerichts oder eines niedrigeren Gerichts gehören, (…) die Anklagebehörde Anklage vor dem Sondergericht erheben“ konnte, „wenn sie der Auffassung (war,) dass mit 290  Eine detaillierte, unkommentierte Rezitierung der RGBl., die sich der sachlichen Zuständigkeit von Sondergerichten widmen, gibt Buschmann, Gesetzgebung, S. 203–220; eine Kurzdarstellung der gesetzlichen Entwicklung auch Schäfer, in: Löwe-Rosenberg, Strafprozessordnung, Einleitung Kapitel 3, Rn. 23. 291  § 2 Verordnung der Reichsregierung über die Bildung von Sondergerichten vom 21.3.1933, RGBl. 1933 I, S. 136. 292  Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28.2.1933, RGBl. 1933 I, S. 83. Nach § 5 der VO wurden insbesondere Delikte wie Hochverrat, Giftbeibringung, Explosion, Überschwemmungen und Attentate auf Mitglieder der Reichsregierung umfasst. 293  Verordnung des Reichspräsidenten zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung vom 21.3.1933, RGBl. 1933 I, S. 135. 294  Art. 1 § 3 a Verordnung der Reichsregierung über die Zuständigkeit der Sondergerichte vom 6.5.1933, RGBl. 1933 I, S. 259. 295  Verordnung der Reichsregierung über die Zuständigkeit der Sondergerichte vom 20.12.1934, RGBl. 1935 I, S. 4. 296  §§ 1–5 Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20.12.1934, RGBl. 1934 I, S. 1269, 1270. Die Außer-Kraft-Tretung der HeimtückeVO vom 21.3.1933 wurde geregelt in Art. 3 § 9 Heimtückegesetz, RGBl. 1934 I, S. 1271. 297  Rubrik I. der Verordnung der Reichsregierung über die Zuständigkeit der Sondergerichte vom 5.2.1936, RGBl. 1936 I, S. 97. 298  „Verordnung der Erweiterung der Zuständigkeit der Sondergerichte vom 20.11.1938“, RGBl. 1938 I, S. 1632.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 93

Rücksicht auf die Schwere oder die Verwerflichkeit der Tat oder die in der Öffentlichkeit hervorgerufene Erregung die sofortige Aburteilung durch das Sondergericht geboten“ war299. Mit Beginn des Krieges am 1.9.1939 wurde die Wahlzuständigkeit der Staatsanwaltschaft weiter ausgedehnt, indem fortan sämtliche Vergehen vor Sondergerichten verhandelt werden konnten, wenn „durch die Tat die öffentliche Ordnung und Sicherheit besonders schwer gefährdet wurde“300. Den Höhepunkt staatsanwaltlicher Wahl der Gerichtsinstanz stellte die ZuständigkeitsVO des Jahres 1940 dar301. Ihr maßgeblicher Zweck bestand in der Bündelung sämtlicher Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit, die bis zu diesem Zeitpunkt in verschiedenen Gesetzen unabhängig voneinander kodifiziert worden waren302. Darüber hinaus enthielt die Novellierung mit § 14 ZuständigkeitsVO eine Norm, welche die Wahlkompetenz der Staatsanwaltschaft abermals erweiterte, indem fortan Verbrechen und Vergehen – unabhängig von der jeweiligen Instanzenzugehörigkeit – beim Sondergericht anhängig gemacht werden konnten, „wenn die Anklagebehörde der Auffassung“ war, „dass die sofortige Aburteilung durch das Sondergericht mit Rücksicht auf die Schwere oder die Verwerflichkeit der Tat, wegen der in der in der Öffentlichkeit hervorgerufenen Erregung oder wegen ernster Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit geboten“ war303. Bis auf den Tatbestandskatalog, der in die ausschließliche Zuständigkeit des Volksgerichtshofs und der Oberlandesgerichte fiel und damit dem Gang vor das Sondergericht vorenthalten blieb, begründete § 14 ZuständigkeitsVO eine grundsätzliche Allzuständigkeit von Sondergerichten, deren Begründung ausschließlich im Ermessen der Staatsanwaltschaft stand. Die Anklagebehörde konnte im Vorfeld auf den Verfahrensgang maßgeblichen Einfluss nehmen, da die Sondergerichte

299  RGBl. 1938 I, S. 1632. Gemäß Artikel II Abs. 1 „Verordnung über die Erweiterung der Zuständigkeit der Sondergerichte vom 20.11.1938“ galt gleiches Ermessen für die Anklagebehörde Österreichs: „Unter denselben Voraussetzungen kann im Lande Österreich und in den sudetendeutschen Gebieten die Anklagebehörde bei Verbrechen, die nach dem dort geltenden Recht zur Zuständigkeit des Geschworenengerichts oder eines niedrigeren Gerichts gehören, die Anklage vor dem Oberlandesgericht erheben“, RGBl. 1938 I, S. 1632. 300  § 19 der Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung und der Rechtspflege vom 1.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1658, 1660. 301  Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften vom 21.2.1940, RGBl,1940 I, S. 405– 411. 302  Swoboda, Strafverfahren, S. 489. 303  § 14 Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften vom 21.2.1940, RGBl. 1940 I, S. 407.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

im Ruf einer „Panzertruppe der Rechtspflege“304 standen und grundsätzlich eine scharfe Sanktionierung zu erwarten war. Einzige Schranke staatsanwaltlicher Ermessensausübung bildete der Lenkungswille des RJM. So wurden Generalstaatsanwälte und Oberstaatsanwälte von Reichsjustizminister Gürtner in einer Rundverfügung angehalten, „darauf zu achten, dass weder Taten, die zwar einen schweren oder verwerflichen Charakter tragen, aber nicht aus dem gewöhnlichen Rahmen solcher Verbrechen herausragen, noch Taten, deren Aburteilung besondere Beweisschwierigkeiten in der Hauptverhandlung erwarten lässt, vor das Sondergericht zu bringen sind. Zur Aburteilung durch das Sondergericht eignen sich daher namentlich Fälle, in denen der Täter geständig ist oder der Beweis offen zutage liegt“305. Neben den Vorsitzenden Richtern war es an den Staatsanwälten, vor dem Sondergericht „denselben Drang und dieselbe Fähigkeit zu haben, den Feind aufzusuchen, zu finden und zu stellen und (…) die gleiche durchschlagende Treff- und Vernichtungssicherheit gegenüber dem erkannten Feind“ durchzusetzen306. Wie schnell der Leiter des Sondergerichtsdezernats in Aachen, Dr. Höher, dieses Credo verinnerlichte, offenbarte ein Schreiben an den GStA vom 7. März 1941, in welchem StA Höher die „Erhöhung der Schnelligkeit und damit der Schlagkraft der Strafjustiz“307 als wesentliches Ziel der Sondergerichtsbarkeit in seinem Bezirk hervorhebt. Da die Regelung der Wahlzuständigkeit ein Jahr vor Errichtung des Sondergerichts erlassen wurde, ist ihr abstrakt eine erhöhte Bedeutung beizumessen. Für ihre konkrete Relevanz ist jedoch ausschlaggebend, wie hoch der Anteil derjenigen Delikte ist, welche in die konkurrierende Zuständigkeit fielen und wie hoch die Zahl der Delikte ist, welche der ausschließlichen sachlichen Sondergerichtszuständigkeit zuzuordnen sind. Eine hohe Anzahl an Wahlzuständigkeitsdelikten hätte entsprechend positiv mit einer erhöhten Relevanz von § 14 ZuständigkeitsVO korreliert. Tatsächlich zeigt jedoch der Geschäftsanfall der Staatsanwaltschaft Aachen, dass 88,5 %308 aller vor das Sondergericht gebrachten Verfahren Delikte betreffen, die der Anklageschrift entsprechend in die ausschließliche sondergerichtliche Zuständigkeit gemäß 304  Tagungsprotokoll der Tagung der Sondergerichtsvorsitzenden und Sachbearbeiter für die Sondergerichtsstrafsachen bei den Generalstaatsanwälten im RJM vom 24.10.1939, BArch R 3001, Akte 24158. 305  LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 143, Bl. 7. 306  Tagungsprotokoll der Tagung der Sondergerichtsvorsitzenden und Sachbearbeiter für die Sondergerichtsstrafsachen bei den Generalstaatsanwälten im RJM vom 24.10.1939, BArch R 3001, Akte 24158. Vgl. auch Wüllenweber, Sondergerichte im Dritten Reich, S. 18. 307  LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 23. 308  Die nachfolgenden prozentualen Angaben beziehen sich auf die Gesamtzahl aller angefallenen Verfahren.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 95

§ 13 ZuständigkeitsVO fielen309. So handelt es sich in alleine 39,3 % der Strafsachen um Verstöße gegen die KrWVO, in 22,8 % um Verstöße gegen die VVO, und in 19,6 % um Verstöße gegen das Heimtückegesetz310. Mit 11,5 % konkurrierender Delikte hat die Wahlzuständigkeit eine eklatant geringe Bedeutung gemessen an ihrer abstrakten Tragweite. Alleine in 4,4 % handelt es sich um Verfahren wegen Beihilfe zur Wehrdienstentziehung und Fahnenflucht gemäß § 5 Abs. 1 KSSVO311. Die ursprünglich in der ausschließlichen Wehrmachtsgerichtsbarkeit stehenden Delikte der KSSVO312 wurden ab 1940 der allgemeinen Gerichtsbarkeit zugeordnet313 und in Aachen über § 14 ZuständigkeitsVO vor das Sondergericht gebracht. Durch die Verbindung von Militär und Politik, welche der Durchsetzung des politischen Willens diente, konnten Verstöße gegen die KSSVO als politische Delikte qualifiziert werden. Bereits die Auslegungsfähigkeit als „politische“ Tat genügte regelmäßig, um eine über übliches Unrecht hinausgehende Tragweite zu unterstellen, die der Staatsanwaltschaft ermöglichte, von der Wahlzuständigkeit Gebrauch zu machen. Ziel war es, durch die Anklage vor dem Sondergericht in den Fällen der sogenannten Wehrkraftzersetzung gem. § 5 KSSVO eine Prangerwirkung zu erreichen, um den Anreiz künftiger Nachahmungen einzudämmen. Vor dem Hintergrund einfacher Äußerungsdelikte, die als politische Heimtückedelikte angeklagt wurden, war die Qualifikation zur politischen Tat im Falle einer Wehrkraftzersetzung nicht überraschend. Durch den originären wehrrechtlichen Hintergrund wurde die Zuständigkeitsbegründung vor dem Sondergericht zusätzlich erleichtert, da der Regelungscharakter der Norm Kriegsrecht, Wehrrecht und ordentliches Strafrecht in sich vereinte und deshalb der Status eines „Sonderrechts“ nahe lag. Die verbliebenen 7,1 % stellen Delikte dar, die einer erhöhten öffentli309  Der Deliktskatalog, welcher der ausschließlichen Zuständigkeit von Sondergerichten zugeordnet war, wurde abschließend geregelt in § 13 ZuständigkeitsVO, RGBl. 1940 I, S. 407. 310  Siehe detailliert Anhang, Tabelle 24 und Abbildung 8, S. 505; 508. 311  § 5 Verordnung über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz (Kriegssonderstrafrechtsverordnung) vom 17.8.1938, RGBl. 1939 I, S. 1456. 312  § 2 Ziffer 4 Verordnung über das militärische Strafverfahren im Kriege und bei besonderem Einsatz (Kriegsstrafverfahrensordnung – KStPO) vom 17.8.1938, RGBl. 1939 I, S. 1458. 313  Art. I Ziffer 1 Siebente Verordnung zur Durchführung und Ergänzung der Verordnung über das militärische Strafverfahren im Kriege und bei besonderem Einsatz vom 18.5.1940, RGBl. 1940 I, S. 787. Anfang 1943 wurde der Tatbestand der öffentlichen Wehrkraftzersetzung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 8, 9 und Abs. 2 KSSVO der ausschließlichen Zuständigkeit des VGH unterstellt, Verordnung zur Ergänzung und Änderung der Zuständigkeitsverordnung vom 29.1.1943, RGBl. 1943 I, S. 76. Sämtliche Fälle von Verstößen gegen die KSSVO in Aachen betrafen jedoch ausschließlich Fälle von § 5 Abs. 1 Nr. 3 KSSVO, sodass diese Zuständigkeitsänderung für die Aachener Staatsanwaltschaft keine Relevanz entfaltete.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

chen Wahrnehmung aufgrund der Schwere der Tat314 bzw. durch Presseberichte unterlagen315, oder aber vor einer breiteren Öffentlichkeit begangen wurden316. Die Staatsanwaltschaft machte sich den Ruf des Sondergerichts als Instanz mit „standgerichtlicher Schlagkraft“317 zunutze, um die Glaubwürdigkeit der eigenen Behörde und ein hartes Durchgreifen unter Beweis zu stellen und auf diese Weise eine negative Generalprävention in der Bevölkerung zu bedingen. Ein weiterer Grund für die geringe Bedeutung der Wahlzuständigkeit in Aachen lag in der Gesetzessystematik selbst begründet. Fallgruppen, die aufgrund der konkreten Tatumstände als „schwer“, „verwerflich“ oder „ernstlich gefährdend“ qualifiziert werden konnten und aufgrund dieser Besonderheit der Wahlzuständigkeit, § 14 ZuständigkeitsVO, zugeordnet werden konnten, erfüllten in aller Regel gleichzeitig Voraussetzungen der Tatbestände, die ohnehin unter die ausschließliche Zuständigkeit fielen. Dies zeigt sich insbesondere bei Betrugs- und Diebstahlsdelikten, die, gemessen an der Aachener Strafpraxis, regelmäßig dann erschwerenden Charakter erhielten, wenn die Tat mit Bezug zu den Kriegsverhältnissen begangen worden war318. In diesem Fall war stets der Anwendungsbereich der VVO eröffnet, sodass für die in § 14 formulierten Auffangmerkmale nur noch wenig Raum verblieb. Durch den weit auslegbaren und ausgelegten Wortlaut sonderrechtlicher „Kriegsgesetzgebung“319 und tatsächlich vorherrschende Kriegsumstände in Aachen während des gesamten Zeitraums der Existenz des Sondergerichts lief die Regelung der Wahlzuständigkeit notwendigerweise weitestgehend leer.

314  So zum Beispiel die Mordsache R., die jedoch im weiteren Verlauf mangels Täterermittlung eingestellt wurde, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 5; Fall einer Körperverletzung, Ger. Rep. 113, Akte 206. 315  So zum Beispiel der einzige vor dem Sondergericht verhandelte Fall des Kanzelmissbrauchs durch einen Geistlichen, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 102. 316  So insbesondere ein Fall einer Störung des Arbeitsablaufs durch unentschuldigtes Fernbleiben, Ger. Rep. 113, Akte 249. 317  Freisler, Gedanken, in: DJ 1939, S. 1452. 318  Bereits vor Erlass der ZuständigkeitsVO legte auch Best dar, dass im Falle von verwirklichten Delikten mit Kriegsbezug – am Beispiel der VVO – regelmäßig auch eine „besondere Schwere“ anzunehmen sein dürfte, vgl. Best, Kriegsrecht, in: DR 1939, S. 1699. 319  Gemeint sind die im Rahmen der ausschließlichen Zuständigkeit aufgezählten Tatbestände mit Kriegsbezug wie VVO, KRWVO und das Heimtückegesetz. Der Begriff wird zudem verwendet von Best, ebd., S. 1697.



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f) Besondere Rechtsmittel – der außerordentliche Einspruch aa) Entstehung, Anwendungsbereich und abstrakte Relevanz Der außerordentliche Einspruch wurde im Rahmen des „Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des allgemeinen Strafverfahrens, des Wehrmachtstrafverfahrens und des Strafgesetzbuchs320“ eingeführt und sollte seiner ratio entsprechend „im Dienst der Verwirklichung wahrer Gerechtigkeit321“ stehen. Er war Ausfluss des Entwurfs einer neuen Strafverfahrensordnung aus dem Jahr 1939322 und wurde als einer von zahlreichen Einzelfragmenten schließlich im Rahmen der Kriegsgesetzgebung realisiert323. Neben der Nichtigkeitsbeschwerde324 wurde mit ihm ein Instrument geschaffen, welches die Durchbrechung der Rechtskraft zur Folge hatte. Bereits der bloße Akt der Einlegung führte zur Aufhebung der Ursprungsentscheidung325. Die hierdurch bedingte abstrakte Machtsteigerung der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Gericht konnte an dem Umstand gemessen werden, dass eine bis dato existente Rechtssicherheit, die ein rechtskräftiges Urteil geboten hatte, nicht mehr gewährleistet war und es einzig der Sphäre der Justizverwaltung, namentlich dem ORA als oberster Anklagebehörde, oblag, von dem Einspruch Gebrauch zu machen326. Vor dem Sondergericht erhielt dies zusätzliche Relevanz, da Rechtsmittel in sondergerichtlichen Verfahren unstatthaft waren327. Wenn die Einlegung des außerordentlichen Einspruchs nicht bereits aus dem Justizministerium erfolgte, hatte der ORA mit diesem vor Einspruchseinlegung nochmals Fühlung zu nehmen328. Formal richtete sich der Einspruch gegen Strafurteile und Beschlüsse aller Instanzen329. Voraussetzung waren 320  „Gesetz zur Änderung von Vorschriften des allgemeinen Strafverfahrens, der Wehrmachtstrafverfahrens und des Strafgesetzbuches“ vom 16.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1841–1843. 321  Tegtmeyer, Außerordentlicher Einspruch, in: DR 1939 II. S. 2058. 322  Geregelt war der außerordentliche Einspruch erstmals im Entwurf einer Strafverfahrensordnung und einer Friedensrichter- und Schiedsmannordnung vom 1.5.1939, §§ 370, 373, siehe Schubert, Quellen, Band 1, S. 346 f., 378. 323  Hanne, Rechtskraftdurchbrechungen, S. 71. 324  Zur Nichtigkeitsbeschwerde eingehend unten, ab S. 110. 325  Art. 2 § 3 Abs. 2 Änderungsgesetz, RGBl. 1939 I, S. 1842; Freisler, Das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des allgemeinen Strafverfahrens, DJ 1939, S. 1572. 326  § 3 Abs. 1 ÄnderungsG, RGBl. 1939 I, S. 1842. 327  § 16 VO der Reichsregierung über die Bildung von Sondergerichten vom 21.3.1933, RGBl. 1933 I, S. 137. 328  Gruchmann, Justiz, S. 1079. 329  § 3 Abs. 1, 3 ÄnderungsG, RGBl. 1939 I, S. 1842. Daneben konnte sich der außerordentliche Einspruch auch gegen Entscheidungen des RG und des VGH richten, ebd.

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neben Einhaltung der Jahresfrist ab Bestandskraft der gerichtlichen Entscheidung „schwerwiegende Bedenken gegen die Richtigkeit des Urteils“, aufgrund derer der ORA „eine neue Verhandlung und Entscheidung in der Sache für notwendig“ erachtete330. Der Einspruch erfreute sich daher einer materiell unbeschränkten Anwendbarkeit auf die Art der Rechtsanwendung, die Ausübung des richterlichen Ermessens, auf Verfahrensfehler sowie Strafzumessung. Zuständig für die erneute Sachentscheidung war der „Besondere Senat“331 beim Reichsgericht, der sich aus dessen Präsidenten oder Vizepräsidenten, einem Berufsrichter und drei ehrenamtlichen Mitgliedern des RG zusammensetzte332. Durch die umfassende sachliche Anwendungsmöglichkeit, gepaart mit einseitig normierter Anwendungskompetenz durch die oberste Anklagebehörde, erweiterten sich die Einflussmöglichkeiten auch der Staatsanwaltschaft auf den Ausgang des Strafverfahrens, da letztlich jedes Urteil durch die Initiative einer Einspruchsanregung seitens der Staatsanwaltschaft oder des RJM beim ORA revidiert werden konnte. Die Erfolgsaussichten des Einspruchs wurden durch die Personalauswahl des Besonderen Senats, dessen Mitglieder auf Vorschlag des Reichsministers der Justiz durch den Führer ernannt wurden, zusätzlich erhöht333. Da ein vom Justizministerium persönlich ausgewähltes Gremium über ein Anliegen entschied, welches vom ORA als ministeriellem Beamten mit oberster Billigung oder gar Forcierung vorgebracht worden war, wurde lediglich der objektive Schein eines unabhängigen Verfahrens gewahrt. Staatsrechtlich wurde die Aushebelung der Rechtskraft mit dem Führerprinzip begründet334: Da Hitler das Amt des obersten Richters bekleidete, bedurfte grundsätzlich jedes Strafurteil seiner Bestätigung335. Aufgrund der Flut von Entscheidungen in Strafsachen und 330  § 3

Änderungsgesetz, RGBl. 1939 I, S. 1842. Abs. 2 Änderungsgesetz, ebd. 332  Wagner, Volksgerichtshof, S. 817, in: Weinkauff, Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus, Band 3. Zu unterscheiden ist zwischen dem Besonderen Senat beim RG und beim VGH. Bei Letzterem bestanden die Mitglieder jeweils in entsprechender Besetzung aus Richtern des VGH. Sachlich zuständig war dieser Senat für die Neuentscheidung von Urteilen des VGH selbst, § 3 Abs. 3 ÄnderungsG, RGBl. 1939 I, S. 1842. Im Falle eines Einspruchs im Rahmen der Wehrmachtgerichtsbarkeit entschied ein Sondersenat des Reichskriegsgerichts, Art. 2 § 3 Abs. 4 Änderungsgesetz, ebd., § 410 b Militärstrafgerichtsordnung. Insoweit war der außerordentliche Einspruch beim VGH und Reichskriegsgericht für Sondergerichtssachen nicht von Bedeutung. 333  § 4 Abs. 3 ÄnderungsG, RGBl. 1939 I, S. 1842; dies gilt für beide Besonderen Senate. Der tatsächliche Erfolg des Einspruchs in der Praxis wird zudem belegt durch die entsprechenden Zahlen, siehe unten, S. 99. 334  Ausführlich zum ideologischen Unterbau des außerordentlichen Einspruchs Riehle, Staatsanwaltschaft, S. 146–149. Zum Führerprinzip siehe im Übrigen oben, S. 45. 335  Tegtmeyer, Außerordentlicher Einspruch, in: DR 1939 II. S. 2058. 331  § 3



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der mit ihr einhergehenden faktischen Unmöglichkeit eines solchen Bestätigungsaktes für jede Einzelentscheidung wurde die Existenz des außerordentlichen Einspruchs als Ausprägung eines konkludenten Einverständnisses Hitlers mit Strafgerichtsentscheidungen qualifiziert336. Wenn Einspruch eingelegt wurde, war dies auf der Kehrseite die Ausformung des negativen Bestätigungsrechts Hitlers, welches „als Teil des Imperiums auch ohne gesetzliche Anerkennung“ Bestand hatte337. Daher sollte auch der aus dem Bestätigungsrecht resultierende außerordentliche Einspruch im Zweifel nicht einmal seinen weit formulierten normativen Voraussetzungen unterliegen338. Da dem ORA nur die formale Ausführungskompetenz des originär dem Führer zustehenden Einspruchsrechts zukam339, wurde die Vermengung von Politik, Ideologie und Justiz auf dem Sektor der Strafrechtspflege offen propagiert: Der ORA sollte als weisungsgebundenes Organ in seiner Rolle als staatsanwaltschaftliches Oberhaupt als Hitlers Sprachrohr im Strafprozess fungieren, was nichts anderes bedeutete als die politische Gleichschaltung der Staatsanwaltschaft an der höchsten Schnittstelle zwischen Politik und Anklagebehörde. Entgegen seiner staatsrechtlichen Tragweite und der seinerzeitigen qualitativen Wertung seiner Verfahren als Grundsatzentscheidungen340, nahm der außerordentliche Einspruch in der Praxis quantitativ eine sehr geringe Bedeutung ein. Die restriktive Handhabung war indes beabsichtigt, um dem Ausnahmecharakter des Einspruchs Rechnung tragen und die Entscheidungen des Besonderen Senats als Grundsatzentscheidungen glaubwürdig rechtfertigen zu können. Auch in der Korrespondenz mit der Aachener Anklagebehörde signalisierte das Ministerium, dass der Einspruch ein „nur für Ausnahmefälle gedachter Rechtsbehelf“ sei341. Nach bestehender Aktenlage verhandelte der Besondere Senat im Einspruchswege reichsweit insgesamt nur 19 Verfahren, von denen 18 Verfahren überliefert sind342. Eines dieser 336  Freisler, Das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des allgemeinen Strafverfahrens, DJ 1939, S. 1570. 337  Ebd. 338  Gemeint waren hiermit insbesondere verfahrensrechtliche Schranken wie die Einhaltung der Jahresfrist, siehe hierzu Freisler, Das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des allgemeinen Strafverfahrens, DJ 1939, S. 1572. Zu dieser Interpretation des Passus aus Freislers Beitrag gelangt Im Übrigen auch Riehle, Staatsanwaltschaft, S. 149. 339  Freisler, Das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des allgemeinen Strafverfahrens, DJ 1939, S. 1571, Riehle, Staatsanwaltschaft, S. 148; Tegtmeyer, Außerordentlicher Einspruch, in: DR 1939 II, S. 2058. 340  Kaul, Reichsgericht, S. 181. 341  Schreiben des RMJ an den GStA vom 14.3.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 339, Bl. 58. 342  Kaul, Reichsgericht, S. 181; Kolbe, Reichsgerichtspräsident, S. 304; Hanne, Rechtskraftdurchbrechungen, S. 72. Die Durchsicht der chronologisch angelegten

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Verfahren hatte ein Ausgangsurteil des Sondergerichts Aachen zum Gegenstand. In zwölf von 16 durch Urteil abgeschlossenen Verfahren verhängte der Besondere Senat gegen 14 Angeklagte das Todesurteil, hiervon eines gegen den Aachener Angeklagten H.343. Bei einer Gesamtanzahl von 38 Personen, die der Besondere Senat im Rahmen aller Verfahren verurteilte, wurde in lediglich einem Verfahren das im Ausgangsurteil verhängte Strafmaß von zwölf Jahren Zuchthaus aufrechterhalten. Reichsweit erfolgte die Einspruchseinlegung zugunsten eines Angeklagten in nur einem Fall. Insgesamt wich das erkennende Gremium im Strafmaß nur zweimal strafmildernd von der Ausgangsentscheidung ab, in einem Fall zugunsten des Schlossers B., der ebenfalls Gegenstand des „Aachener Einspruchs“ gewesen war. In allen übrigen Fällen erfolgte eine nachträgliche Urteilskorrektur zuungunsten der Angeklagten. Setzt man die Gesamtzahl aller ergangenen Strafurteile und Beschlüsse sämtlicher Strafinstanzen seit Einführung dieses Rechtsmittels im Jahre 1939 bis zum Ende des NS-Regimes in Relation zur Gesamtanzahl eingelegter außerordentlicher Einsprüche, handelt es sich um einen statistischen Zufall, dass ein außerordentlicher Einspruch durch ein vorgeschaltetes Aachener Sondergerichtsverfahren für die Staatsanwaltschaft Aachen konkrete Relevanz entfaltete. bb) Konkrete Relevanz des außerordentlichen Einspruchs für die Staatsanwaltschaft Aachen Das Ausgangsverfahren, welches dem außerordentlichen Einspruch zugrunde lag, war mit einer Gesamtanzahl von 46 Angeklagten die personell umfangreichste Strafsache, die von der Staatsanwaltschaft Aachen vor das Sondergericht gebracht worden war344. Der außerordentliche Einspruch, den der ORA nach dahingehender Anregung durch den Aachener Behördenleiter bei dem Besonderen Senat des RG345 eingelegt hatte, betraf die beim Reichsarbeitsdienst tätigen Arbeiter und Hauptangeklagten H., G., F.G., B., Aktenzeichen des Reichsgerichts zeigte, dass es sich mindestens um 19 Verfahren gehandelt haben muss, da die Verfahrenssignatur BStS 5/42 nicht überliefert ist, jedoch im Lichte der fortlaufenden Nummerierung existiert haben musste. Vgl. zur chronologischen Auflistung der Verfahren Kolbe, Reichsgericht, S. 184, 185. Darüber hinaus wurde ein Verfahren durch direkte Anklage des ORA von dem Besonderen Senat gemäß Art. 3 § 8 ÄnderungsG (RGBl. 1939 I, S. 1842) entschieden, welchem kein außerordentlicher Einspruch voranging. 343  Urteil des Besonderen Senats des RG, RG BStS 2/242, Ger. Rep. 113, Akte 322, Bl. 17. 344  Diese Aussage bezieht sich auf die überlieferte Aktenlage. 345  Die Besetzung des Besonderen Senats war wie folgt: Bumke, Rohde, Schae­ fer, Schnitger, Castner, Urteil des Besonderen Senats vom 19.3.1942, RG BStS 2/242, Ger. Rep. 113, Akte 321, Bl.  15.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 101

W. und S.346. In der Nacht vom 9. Juli 1941 wurde durch britische Kampfflugzeuge ein Luftangriff auf Aachen geflogen, bei dem zahlreiche Gebäude in der Innenstadt zerstört oder beschädigt wurden347. Bei Aufräumarbeiten entwendeten die Angeklagten Wertgegenstände verschiedenster Art348. Dem Angeklagten H. oblag die Leitung und Beaufsichtigung der übrigen Angeklagten sowie die Aufbewahrung der zu ihm verbrachten Gegenstände. Stattdessen behielt H. einen Teil der ihm übergebenen Gegenstände ein. Unter anderem forderte er einen ihm unterstellten Arbeiter auf, ein Schmuckstück zu übergeben, um „eine schöne Garnitur für seine Frau“349 zu erstehen. Der Angeklagte G. entnahm während des Einsatzes aus einer zur Sicherung von Wertgegenständen gedachten Decke ein silbernes Zigarettenetui sowie einen goldenen Ring350. Eine im Zuge weiterer Bergungsarbeiten gefundene Tischuhr behielt er ebenfalls ein, nachdem die vermeintliche Eigentümerin diese nicht entgegen nehmen wollte351. Als G. mit F.G. und B. zusammentraf, stiegen sie in ein Wohnhaus ein, in welchem G. Zigarren entnahm352. B. hatte sich indes bei einem vorigen Einsatz in dem Geschäftsgebäude des Westdeutschen Beobachters Tabakutensilien, eine Halskette353, Schreibutensilien und eine Puderdose angeeignet354. F.G. entwendete im Verlaufe der Arbeiten einen Kamm, zwei Puderdosen, mehrere Dosen Zigaretten sowie Stifte355, W. entnahm in einem Zigarrengeschäft 24 Zigaretten, brach in einer Wohnung mittels einer von ihm mitgeführten Axt zwei Schränke auf, öffnete eine im Schrank befindliche Likörflasche und trank 346  Da der Fokus dieser Darstellung auf der Besonderheit des außerordentlichen Einspruches liegt, wird auf eine dezidierte Darstellung des Schicksals der übrigen 40 Angeklagten Personen verzichtet. Sofern nachfolgend von „den Angeklagten“ die Rede ist, sind ausschließlich diejenigen Personen gemeint, die Gegenstand des außerordentlichen Einspruchs gewesen waren. 347  Die von der Staatsanwaltschaft Aachen und vom Besonderen Senat ermittelten Sachverhalte weichen stark voneinander ab, hierzu im Einzelnen unten. Da dem vom Besonderen Senat in weiten Teilen ermittelte Sachverhalt eine tätergünstigere Version zugrunde liegt und durch Zeugenaussagen in der letztinstanzlichen Hauptverhandlung bekräftigt wurde, ist bei Abweichungen vorliegend der als tätergünstigere Sachverhalt geschildert. 348  Anklageschrift vom 8.9.1941, Ger. Rep. 113, Akte 319, Bl. 37. 349  Anklageschrift, ebd.; Urteil des Besonderen Senats vom 19.3.1942, RG BStS 2/242, Ger. Rep. 113, Akte 321, Bl.  20. 350  Urteil des Besonderen Senats des RG, RG BStS 2/242, Ger. Rep. 113, Akte 322, Bl. 21. 351  Ebd. 352  Urteil des Besonderen Senats des RG, ebd., Bl. 21 rev. 353  Anklageschrift, ebd., Bl. 42. 354  Urteil des Besonderen Senats des RG, RG BStS 2/242, Ger. Rep. 113, Akte 322, Bl. 23 rev., 24. 355  Anklageschrift, ebd., Bl. 42, 43.

102

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen Tabelle 1 Anträge und Entscheidungen zu den Angeklagten, die Gegenstand des außerordentlichen Einspruchs waren

Angeklagte Person

Strafantrag der Staatsanwaltschaft Aachen

Urteil des Sondergerichts356

Urteil des ­Besonderen Senats

H.

Todesstrafe

12 Jahre Zuchthaus

Todesstrafe

G.

Todesstrafe

4 Jahre Zuchthaus

5,5 Jahre Zuchthaus

Fritz G.

9 Jahre Zuchthaus

2,5 Jahre Zuchthaus 3 Jahre Gefängnis

B.

9 Jahre Zuchthaus

2,5 Jahre Zuchthaus 2 Jahre Gefängnis

W.

7 Jahre Zuchthaus

2 Jahre Zuchthaus

S.

8,5 Jahre Zuchthaus 3 Jahre Zuchthaus

4 Jahre Gefängnis 5,5 Jahre Zuchthaus

hieraus. Bei gleicher Gelegenheit eignete er sich ein Opernglas, eine Taschenuhr sowie einen Füllfederhalter an357. Im Lager des RAD kaufte W. dem F.G. eine gestohlene Puderdose ab358. Der Angeklagte S. entwendete vier Zigarettendosen, einen Geldbetrag von ca. 1.300 RM, ein Damenarmband im Wert von 550 RM sowie ein Paar Ohrringe und Seife. Zudem kaufte er G. zwei gestohlene Puderdosen ab359. In seinem Urteil vom 1. Oktober 1941 verurteilte das Sondergericht sämtliche Angeklagten wegen Verbrechens gegen die Volksschädlingsverordnung zu Zuchthausstrafen360. Die wesentlichen Abweichungen zwischen gefordertem Strafmaß der Staatsanwaltschaft und Tenor des Sondergerichts fußten auf divergierenden Auffassungen bezüglich der Anwendbarkeit von § 2 VVO. Während die Staatsanwaltschaft sämtliche Grundtatbestände unter § 2 VVO subsumiert hatte361, schloss das Gericht den Tatbestand der Hehlerei aus dem Anwen356  Urteilsausfertigung des Sondergerichts Aachen vom 1.10.1941, Ger. Rep. 113, Akte 319, Bl. nicht angegeben. 357  Urteil des Besonderen Senats des RG, ebd., Bl. 23. 358  Ebd. 359  Ebd. 360  Verurteilung gemäß § 2 VVO iVm §§ 242, 243 StGB sowie § 4 VVO iVm § 259 StGB. Die Angeklagten H. und S. wurden als Einzige nicht iVm § 243 StGB verurteilt, siehe Urteil des Sondergerichts Aachen 1.10 1941, Ger. Rep. 113, Akte 322, Vollstreckungsheft Fey, Bl. 5, 5 rev. 361  Anklageschrift, ebd., Ger. Rep. 113, Akte 319, Bl. 55.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 103

dungsbereich der Norm aus362, da die Angeklagten erst nach Beendigung des Hilfseinsatzes die gestohlenen Gegenstände von anderen Personen angenommen hatten und somit zeitlich eine Ausnutzung von Fliegerabwehrmaßnahmen ausschied363. Sofern es die Qualifikation eines besonders schweren Falles betraf, der grundsätzlich die Todesstrafe rechtfertigte, bedurfte es aus Sicht der Staatsanwaltschaft „bei dem Angeklagten H. keiner Frage, dass die von ihm verübten Verbrechen als besonders schwer im Sinne des Gesetzes angesehen werden“ mussten, da er als verantwortlicher Zugführer ein schlechtes Beispiel für die ihm unterstellten Helfer abgegeben und diese durch sein Verhalten sogar noch ermutigt habe, Straftaten zu begehen364. Das Gericht erachtete H. der ihm anvertrauten Stellung für nicht gewachsen, sodass an ihn nicht dasselbe Maß zu legen sei, „als an den, der nun nach seiner ganzen Persönlichkeit wirklich Führer ist“365. Zudem sei zu erwarten, dass er noch ein „brauchbares Glied der Volksgemeinschaft“ werde366. Zugunsten der übrigen Angeklagten wurde das noch jugendliche Alter zum Zeitpunkt der Tatbegehung strafmildernd gewürdigt367. Das korrigierende Urteil des Besonderen Senats erging aus Sicht der Anklagebehörde lediglich im Fall H. antragsgemäß. Grund für die sonstige Divergenz zwischen Strafantrag und Tenor war nach Ausführung des Besonderen Senats, dass „die Hauptverhandlung (…) einen Sachverhalt ergeben“ hatte, „der von den Annahmen der Anklage (…) in zahlreichen und wichtigen Punkten“ abwich368. Da H. seine Garantenstellung nicht zur Straftatprävention, sondern zur Animierung nutzte, um sich von seinen Untergebenen Diebesgut zutragen zu lassen, wurde er zum Tode verurteilt369. Die Qualifikation des G. und des S. als Volksschädling erfolgte aufgrund der durch die Tat zum Ausdruck gebrachten „hässlichen Gesinnung“370 sowie des wirtschaftlichen Wertes des erbeuteten Diebesguts. Hierdurch sei eine „große verbrecherische Energie“371 zum Ausdruck gekommen. Bei den üb362  Urteilsausfertigung des Sondergerichts Aachen vom 1.10.1941, Ger. Rep. 113, Akte 322, Vollstreckungsheft F., Bl. 25. 363  Diese Annahme äußerte der Sitzungsvertreter StA Zimmerath nach Angaben der Urteilsausfertigung, vgl. ebd. 364  Anklageschrift, ebd., Ger. Rep. 113, Akte 319, Bl. 55. 365  Urteilsausfertigung des Sondergerichts Aachen vom 1.10.1941, ebd., Bl. 27. 366  Ebd. 367  Ebd. Sämtliche Angeklagte hatten im Zeitpunkt der Tatbegehung erst das 19. oder 20. Lebensjahr vollendet. 368  Urteil des Besonderen Senats, RG BStS 2/42, Ger. Rep. 113, Akte 322, Bl. 17 rev. 369  Ebd., Bl. 24, 26. 370  Ebd., Bl. 28. 371  Ebd.

104

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

rigen Angeklagten wurde erneut das jugendliche Alter strafmildernd berücksichtigt372. Wenngleich der erfolgreich angeregte Einspruch zunächst einen Teilerfolg bedeutete373, waren beide Urteile sowohl in ihren Ergebnissen, als auch in deren – teilweiser abgeschwächter – Gesamtwürdigung für die Staatsanwaltschaft ein justizieller und rechtspolitischer Schlag ins Gesicht. Die Strafanträge wichen empfindlich von beiden Entscheidungen ab. Selbst der als regimetreu geltende Besondere Strafsenat blieb weit hinter den geforderten Strafanträgen zurück374. Die rechtspolitische Tragweite dieses Umstände bestand in der Tatsache, dass der außerordentliche Einspruch sowohl seiner Konzeption, als auch seiner tatsächlich erfolgten Anwendung entsprechend nur für solche Einzelfälle gedacht war, die großes Aufsehen innerhalb der Bevölkerung erregt hatten und deren nachträgliche Korrektur grundsätzlich geboten war, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz zu gewährleisten. Dadurch, dass man den Aachener Fall auf Reichsebene verlagert hatte, erlangte die Arbeitsweise der Aachener Anklagebehörde eine erhöhte Wahrnehmung, insbesondere in Bezug auf die fehlerhafte Arbeitsweise. So stellte der Besondere Senat bereits eingangs in seinen Urteilsgründen fest, dass das eigene Ergebnis „von den Annahmen der Anklage (…) in zahlreichen und wichtigen Punkten“ abgewichen war375. Die Unzulänglichkeit behördlicher Ermittlungsarbeit in Aachen ließ sich in diesem Fall somit nicht mehr verheimlichen. Die Fehlerhaftigkeit bestand dabei, wie noch gezeigt werden wird, vornehmlich in der Ermittlungspraxis, einer hieraus resultierenden falschen Sachverhaltsannahme, welche durch die Anklageschrift dokumentiert ist, sowie eine unvertretbare rechtliche Würdigung dieses fehlerhaften Sachverhalts zuungunsten der Angeklagten376. Zudem offenbarte man die Unfähigkeit, nach ergangenem ersten Urteil die eigene Arbeitsweise einer reflektierenden Nachbereitung und erneuter Würdigung zu unterziehen377. Die Einlegung des außerordentlichen Einspruchs suggerierte vielmehr, dass 372  Ebd.

373  Siehe zur in Vorschlag gebrachten Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde Bericht vom 4.11.1941 an das RJM z. Hd. des Sonderreferenten Dr. Joel, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 319, Bl. 108. 374  Auch Kaul geht von einer erhöhten Regimetreue der Instanz aus, indem er den Besonderen Senat als „willfährig gegenüber der Naziführung“ bezeichnet, siehe Kaul, Reichsgericht, S. 182. 375  Urteil des Besonderen Senats des RG, ebd., Bl. 17 rev. 376  Hierzu im Einzelnen unten, ab S. 107. 377  Dies wird dokumentiert durch den Bericht Zimmeraths an den RMJ vom 4.11.1941, in welchem die Ausführungen in der Anklageschrift unmodifiziert übernommen wurden und die Urteilsgründe in ihrer Gesamtheit als nicht tragbar dargestellt wurden, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 319, Bl. 101–108.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 105

man von der Richtigkeit eigener rechtlicher Sicht- und Arbeitsweise uneingeschränkt überzeugt gewesen war. Ihren Unmut über die Entscheidung des Sondergerichts tat die Staatsanwaltschaft bereits in ihrem ersten Bericht an den Sonderreferenten im RJM kund, noch bevor die Urteilsausfertigung mitsamt Urteilsgründen vorlag. StA Zimmerath, Sachbearbeiter und zugleich Berichtsverfasser des Verfahrens, sprach von „außergewöhnlicher Milde“ den Tenor betreffend378. Durch die tätergünstige Abweichung im Strafmaß sah man den Zweck der geforderten hohen Strafanträge – die „gewünschte Abschreckungswirkung“ – als nicht mehr realisierbar an379. Ihr Erfordernis wurde aber mit der Erwägung gerechtfertigt, dass sich im Falle weiterer alliierter Angriffe ähnliche Vorfälle erneut hätten ereignen können und hierdurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz gesunken wäre. Nach den Ausführungen des Sachbearbeiters hatte „das Gericht, bei dessen Mitgliedern teilweise Neigung zu milden Strafen besteht, sich in dem Verfahren (…) von dem jammernden Verhalten der Angeklagten in einem nach der Sachlage nicht gerechtfertigten Maße (…) beeindrucken lassen“380. Der Staatsanwalt zeigte sich umso verwunderter über die Höhe der Abweichung, da in der im Anschluss an die Beweisaufnahme erfolgten Besprechung mit dem Vorsitzenden Richter Einigkeit über die von der Anklage gefundenen Ergebnisse und Rechtsfolgen bestanden hatte381. Die als Wortbruch dargestellte abweichende Rechtsprechung war nach Ansicht der Staatsanwaltschaft durch LGR Erbel zu verantworten gewesen: „M. E. ist der Berichterstatter, Herr Amtsgerichtsrat Küster, in der Beratung durch Einwirkung des anderen Beisitzers, Herrn Landgerichtsrat Erbel überstimmt worden. Es entspricht auch der Erfahrung der Staatsanwaltschaft in anderen Sachen, dass die bisher ergangenen äußerst milden Urteile des Sondergerichts nicht zuletzt auf die Einflussnahme des genannten Beisitzers zurückzuführen sind“382. Die Konnotation dieser Berichtspassage impliziert das behördliche Selbstverständnis, welches man von sich im Verhältnis zum Gericht hatte: Die Abweichung des Urteils wurde nicht als legitime Ausübung richterlicher Unabhängigkeit, sondern als Affront eines untergeordneten Gremiums aufgefasst, dem man sich nicht beugen wollte. Im Urteilsbericht wurden neben der teilweisen Nichtanwendung der VVO383 vermeintlich 378  Bericht vom 2.10.1941 an das RJM z. Hd. des Sonderreferenten Dr. Joel, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 319, Bl. 87. 379  Bericht vom 4.11.1941 an das RJM z. Hd. des Sonderreferenten Dr. Joel, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 319, Bl. 88. 380  Ebd., Bl. 105. 381  Ebd., Bl. 88. 382  Ebd., Bl. 92 rev. 383  Ebd., Bl. 101,102.

106

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

fehlerhafte Sachfeststellungen384 und ein übermäßig mildes Strafmaß moniert385. Anzeichen einer scharfen Linie, die man im Anschluss an das Urteil vertrat, hatten sich bereits im Rahmen des Ermittlungsverfahrens abgezeichnet. Handakten und Verfahrensakten wurden regelmäßig handschriftlich mit Namen von Angeklagten, sowie einschlägigen Deliktsbezeichnungen versehen. Vorliegend ermittelte die Staatsanwaltschaft ausweislich der jeweiligen Vermerke auf den Aktendeckeln nicht wegen Verstoßes gemäß §§ 2, 4 VVO, sondern „wegen Plünderns“386. Der Tatbestand des Plünderns war jedoch terminus technicus und als solcher abschließend in der zwingend mit dem Tode sanktionierten Norm des § 1 VVO geregelt. Diese Norm war jedoch zu keiner Zeit Ermittlungsgegenstand gewesen. Da die Staatsanwaltschaft sämtliche Aktenhefte mit der Falschbeschriftung versehen hatte und tatsächlich in nur einem anderen Verfahren Ermittlungsarbeiten wegen eines Verstoßes gegen § 1 VVO aufgenommen hatte387, hätte dieser Formfehler spätestens bei Überprüfung durch den Behördenleiter auffallen müssen. Unabhängig von einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Falschbezeichnung brachte man aufgrund des Ausnahmecharakters der Norm und dessen abstrakter Strafandrohung durch die Beschriftung jedenfalls unmissverständlich zum Ausdruck, welche verbrecherische Qualität man dem Fall behördenintern beigemessen hatte und auf welches Strafmaß man hinarbeitete. Dass auch der Besondere Senat die Falschbeschriftung nicht übersah, zeige seine Feststellungen: „Unter die Strafvorschrift des § 1 VolksschädlingsVO fällt die Wegnahme der Sachen aus den von dem Luftangriff betroffenen Häusern (…) schon deshalb nicht, weil die dazu eingesetzten öffentlichen Ordnungsorgane, insbesondere die Polizei, soweit die Bewohner in einzelnen Häusern zeitweise abwesend waren, den Schutz ihres Eigentums übernommen haben. Der Zweck des § 1 der genannten Verordnung ist es aber gerade, einen fehlenden Sicherheitsschutz durch eine außerordentliche Strafdrohung zu ersetzen. Dass die Schutzmaßnahmen der Eigentümer oder der öffentlichen Ordnungsorgane im einzelnen Fall nicht voll wirksam waren, macht die Vorschrift des § 1 ebd. nicht anwendbar“388. Mit dieser Feststellung wies der ansonsten regimetreue Besondere Senat die Staatsanwaltschaft angesichts ihrer extensiven Rechtsansichten in die Schranken „nationalsozialisti384  Ebd.,

Bl. 105. Bl. 107. 386  Siehe Aktendeckel der Ermittlungs- und Handakten: LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 119, 120, 121. 387  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 369. Die Verurteilung erfolgte jedoch im Ergebnis abweichend gem. § 4 VVO. 388  Urteil des Besonderen Senats vom 19.3.1942, ebd., Bl. 24 rev. 385  Ebd.,



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 107

scher Rechtsstaatlichkeit“ und unterstreicht das Ausmaß übertriebener Strafmaßwünsche der Staatsanwaltschaft umso deutlicher. Die Defizite bei der Sachverhaltsermittlung waren von unterschiedlicher Qualität. Einzig die ermittelten Ergebnisse zu F.G. deckten sich mit den Feststellungen des Besonderen Senats. Im Übrigen fielen sämtliche Abweichungen zuungunsten der Angeklagten aus. So wurden vereinzelt bloße Spekulationen als strafwürdiges factum herangezogen: „Vermutlich entwendete er (G.) dann auch (…) weitere Gegenstände“389. Zudem wurden ein nicht nachweisbarer Mehrumfang an erbeutetem Diebesgut unterstellt390, falsche Tatortangaben gemacht391 und konstruierte Sachverhalte geschaffen, um der VVO zur Geltung zu verhelfen392. Im Rahmen rechtlicher Würdigung bestand das schwerwiegendste Defizit im Umgang mit den Anwendungsfallgruppen der VVO. Dabei ist zunächst eine fehlerhafte Subsumtion unter einschlägige Normen der VVO festzustellen. Dies ergibt sich neben der bereits erwähnten Falschbeschriftung von Aktendeckeln aus der Erwägung, dass die Hehlerei allenfalls den objektiven Tatbestand des § 4 VVO verwirklichte393, die Staatsanwaltschaft § 259 StGB jedoch unter den mit höherer Strafandrohung versehenen § 2 VVO subsumierte394. Zudem widersprach das in der Hauptverhandlung vom Sitzungsvertreter geforderte Strafmaß im Fall G. der Anklageschrift, indem die Todesstrafe in der mündlichen Verhandlung aus § 2 VVO abgeleitet worden war. Das Gesetz sah vor, dass die Todesstrafe nur in einem besonders schweren Fall gefordert werden konnte. Einen solchen hatte die Staatsanwaltschaft in ihrer 389  Anklageschrift,

ebd., Ger. Rep. 113, Akte 319, Bl. 41. H. vgl. Urteil des Besonderen Senats vom 19.3.1942, RG BStS 2/242, Ger. Rep. 113, Akte 321, Bl. 20, 20 rev. mit Anklageschrift, ebd., Ger. Rep. 113, Akte 319, Bl. 38. Im Falle des G, Puderdosen, Haaröl und Frisiercreme, Anklageschrift, ebd., Ger. Rep. 113, Akte 319, Bl. 41; im Falle des W. handelte es sich bei der von der Staatsanwaltschaft Aachen zugrundegelegten Menge um vier Dosen Zigaretten, was etwa einer Menge von ca. 100 Zigaretten entsprach, mithin mehr als die vierfache der tatsächlich nachweisbaren Menge, vgl, Anklageschrift, ebd., Ger. Rep. 113, Akte 319, Bl. 43 mit dem Urteil des Besonderen Senats vom 19.3.1942, RG BStS 2/242, Ger. Rep. 113, Akte 321, Bl.  22. 391  Die Anklage verwechselte das Gebäude des Westdeutschen Beobachters mit einem in der Innenstadt befindlichen Wohnhaus, vgl. insoweit die Version des Urteil des Besonderen Senats mit den Ausführungen der Anklageschrift, Urteil des Besonderen Senats vom 19.3.1942, ebd., Bl. 21; Anklageschrift, ebd., Ger. Rep. 113, Akte 319, Bl. 42. 392  Urteil des Besonderen Senats vom 19.3.1942, ebd., Bl. 20, 21. 393  An der Verwirklichung des § 4 VVO scheiterte es bei den Angeklagten B., G. und W. am Vorliegen des subjektiven Tatbestands aufgrund deren Alters zum Zeitpunkt der Tatbegehung, Urteil des Besonderen Senats vom 19.3.1942, ebd., Bl. 28. 394  Bericht vom 4.11.1941 an das RJM z. Hd. des Sonderreferenten Dr. Joel, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 319, Bl. 102. 390  Für

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Anklageschrift jedoch bereits im Vorfeld ausgeschlossen, indem sie zu dem Ergebnis gelangte, dass die „Taten“ des „Angeklagten G. (…) an sich als besonders schwer angesehen werden, wenn nicht die Jugend (…) in gewisser Weise einen wenn auch schwachen Entschuldigungsgrund bilden würde“395. Evident war auch die konstante Missachtung des in dubio pro reo-Grundsatzes die sich auf die Beweisbarkeit von Straftaten und Einschätzungen medizinischer Sachverständiger erstreckte. Ärztliche Gutachten, die drei der sechs in Rede stehenden Angeklagten wesentlich entlasteten, wurden zwar wahrgenommen, jedoch nicht entsprechend gewürdigt. Der untersuchende Arzt hatte festgestellt, dass es sich aufgrund des Alters in Verbindung mit den verwirklichten Taten bei B., F. G. und W. um „innerlich noch nicht ausgereifte junge Menschen handelt, die eine Festigung ihres sittliches Haltes und ihres Charakters im Reichsarbeitsdienst und in der Wehrmacht finden sollten.“ Da „auf sie die Ereignisse der Unglücksnacht naturgemäß stärker gewirkt“ hatten, wurde die subjektive Volksschädlingseigenschaft aus medizinischer Seite verneint396. Die Staatsanwaltschaft folgerte hieraus dagegen, dass die medizinischen Ergebnisse einen besonders schweren Fall ausschlossen, ohne die grundsätzliche Volksschädlingseigenschaft in Abrede zu stellen397. Die Missachtung der in den fachärztlichen Gutachten enthaltenen Ergebnissen sollte kein Einzelfall bleiben398. cc) Schlussfolgerung Bis auf eine Ausnahme hatte der außerordentliche Einspruch im Strafmaß eine härtere Urteilskorrektur zur Folge. Der dogmatische Unterbau, Hitler habe als oberster Gerichtsherr das originäre Recht zur Ausübung des Einspruchs inne gehabt, hatte mit der Aachener Verfahrenspraxis nichts zu tun. Es existieren keine Hinweise, die auf eine Korrespondenz mit Hitler selbst hindeuten. Auch in den übrigen Einspruchssachen war eine direkte Weisung durch Hitler nur von bedingter Relevanz399. Vielmehr war es das Justizministerium, welches durch die informative Einbindung, die Weisungsbefugnis gegenüber ORA Brettle und die Hoheit über die Personalauswahl des Besonderen Senats die praktische Umsetzung des außerordentlichen Einspruchs maßgeblich beeinflusste. Vorliegend besteht eine Besonderheit in dem Um395  Anklageschrift, 396  Auszug

ebd., Ger. Rep. 113, Akte 319, Bl. 55. aus den Urteilsgründen, Urteil des Besonderen Senats vom 19.3.1942,

ebd., Bl. 28. 397  Vgl. Anklageschrift, ebd., Ger. Rep. 113, Akte 319, Bl. 55. 398  Siehe etwa Verfahren gegen Hans K. sowie Wilhelm M., unten, S. 385, 389. 399  So zum Beispiel im Fall S., BStS 3/42, Kaul, Reichsgericht, S. 184; Gruchmann, Justiz, S. 1078.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 109

stand, dass die Anregung zum Einspruch originär von der Staatsanwaltschaft ausging und sich der Steuerungsfaktor des RJM insoweit beschränkte. Ihre Rolle erschöpfte sich nicht in der bloßen Ausführungsfunktion, auf ministerielles Geheiß den außerordentlichen Einspruch beim ORA anzuregen. Vielmehr hatte man aktiv auf die Beseitigung des als zu mild empfundenen Sondergerichtsurteils hingewirkt und signalisiert, dass man sich des normativen Instrumentes des außerordentlichen Einspruchs und dessen Gestaltungsmöglichkeiten durchaus bewusst war. An dieser Stelle wird zugleich die Tragweite der Berichtspflicht deutlich: Obschon diese als Mittel diente, die untergeordneten Behörden in ein enges Bindungsverhältnis zu den vorgesetzten Behörden einzuspannen, um eine effektive Umsetzung des zentralisierten Justizverwaltungsapparates zu gewährleisten, funktionierten die Berichte umgekehrt gleichfalls als Plattform für die Anklagebehörde, eigene Auffassungen und Ansichten kundzutun und weitere rechtliche Schritte anzuregen. Durch die Einspruchsanregung bewies man zudem linientreue scharfe Strafmaßvorstellungen, da keine Scheu bestand, eine maximale Strafandrohung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln durchzusetzen, trotz beträchtlicher Zuchthausstrafen im Ausgangsurteil. Zwar wurden, wie insbesondere die Fälle der Nichtigkeitsbeschwerde zeigen400, sämtliche Berichte einer akribischen überbehördlichen Durchsicht unterzogen und nicht unreflektiert übernommen, dennoch konnte scharfe Urteilskritik erfolgreich Impulse im Sonderreferat in Berlin wecken, um einer autonom getroffenen Willensentscheidung der Staatsanwaltschaft bei der Umsetzung gewünschter justizieller Resultate zu praktischer Geltung zu verhelfen. Im Verhältnis zum Sondergericht realisiert sich die Einschätzung abstrakter Machtsteigerung der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Gericht deutlich am konkreten Lokalbeispiel. Mit der Einspruchseinlegung durch ORA Brettle wurde die sondergerichtliche Entscheidung und damit die verfahrensabschließende Entscheidungsmacht des Gerichts obsolet. Bemerkenswert ist das behördliche Selbstverständnis, welches durch die Korrespondenz mit dem RJM zum Ausdruck kam. Im Kontext zur als Wortbruch empfundenen Strafmaßabweichung suggeriert der maßregelnde Wortlaut des Sachbearbeiters Zimmerath, „die bisher ergangenen äußerst milden Urteile des Sondergerichts“ seien „nicht zuletzt auf die Einflussnahme des genannten Beisitzers zurückzuführen“, dass dem Institut richterlicher Unabhängigkeit kein praktischer Stellenwert mehr beigemessen wurde401. Die Berichterstattung war vor diesem Hintergrund eine Demonstration der Macht, zur Durchsetzung eigener Strafvorstellungen nicht auf die Gunst des Gerichts angewiesen zu 400  Hierzu

eingehend unten, ab S. 115. vom 4.11.1941 an das RJM z. Hd. des Sonderreferenten Dr. Joel, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 319, Bl. 92 rev. 401  Bericht

110

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

sein. Man signalisierte die Absicht, bei wohlwollenden Urteilen auf dem Gebiet des Kriegsrechts harte Strafen fordern und durchsetzen zu wollen. Unabhängig von der einstimmigen überbehördlichen Zustimmung war das staatsanwaltliche Vorbringen, es habe sich bei dem in Rede stehenden Verfahren um ein solches von staatspolitischer Tragweite mit Blick auf eine Wiederholungsgefahr gehandelt, durchaus nicht unbegründet402: Nach dem Luftangriff der gegenständlichen Tatnacht erfolgten alleine bis Ende des Jahres 1941 mindestens vier weitere Luftangriffe auf Aachen, mit insgesamt wenigstens 14 Sprengbomben und 159 Brandbomben403. Die Gesamtschau der Delikte, mit denen die Staatsanwaltschaft betraut war404, zeigt zudem, dass Eigentums- und Vermögensdelikte quantitativ in der Tat eine wesentliche Rolle spielten405. g) Besondere Rechtsmittel – die Nichtigkeitsbeschwerde aa) Entstehung, Anwendungsbereich und abstrakte Relevanz Ebenso wie der außerordentliche Einspruch lag die Nichtigkeitsbeschwerde im Spannungsverhältnis zwischen dem Institut der Rechtskraft und dem Begriff „konkreter Gerechtigkeit406“. Wenngleich das Reichsgericht im Zusammenhang mit dem ne bis in idem-Grundsatz in ständiger Rechtsprechung seit der Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik bis in die Zeit des Dritten Reiches die Unabdingbarkeit der Rechtskraft immer wieder betont hatte407, war die Notwendigkeit eines außerordentlichen Rechtsbehelfs gegen rechtskräftige richterliche Entscheidungen bereits vor der Machtübernahme diskutiert worden und somit keine originär nationalsozialistisch geprägte Überlegung gewesen408. Gedanken zur Schaffung 402  Ebd.,

Bl. 88. Aachen in Daten, S. 365. 404  Siehe hierzu Tabelle 24, Anhang, S. 505. 405  Zu tatsächlichen Umständen, die sich am Standort Aachen auf die Strafrechtspflege auswirkten, sei nochmals nach oben verwiesen, siehe S. 61. 406  Freisler, Nichtigkeitsbeschwerde, in: DJ 1940, S. 343. 407  So RGSt 56, S. 324; RGSt 61, S. 225; RGSt 66, S. 54, 130; RGSt 70, S. 26, 30, 58, 60 f.; RGSt 72, 257 f.; RGSt 73, S. 198 f. 408  Zu den historischen Ursprüngen und der geschichtlichen Entwicklung der Nichtigkeitsbeschwerde eingehend Hanne, Rechtskraftdurchbrechungen, S. 24–37. Bis zur gesetzlichen Normierung im Jahr 1940 wurden sämtliche Entwürfe zur Umsetzung eines Instrumentes mit einer Wirkung der späteren Nichtigkeitsbeschwerde nicht umgesetzt. Zum Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetz von 1929 und 1930, siehe Schubert, Quellen, Abt. 1, Band 5, S. 207 ff.; S. 641. Zum Versuch der Durchsetzung einer neuen Strafverfahrensordnung von 1939, siehe Schubert, Quellen, Abt. 3, Band 1, S. 378. 403  Poll,



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 111

eines außerordentlichen Rechtsbehelfs hatte es bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegeben, da die Reichsstrafprozeßordnung vom 1. Februar 1877409 außer dem Wiederaufnahmeverfahren nach den §§ 359 ff. RStPO kein außerordentliches Rechtsmittel kannte, um rechtskräftige richterliche Entscheidungen nachträglich beseitigen zu können. Die Diskussion um die Notwendigkeit eines derartigen Rechtsmittels hatte sich in dieser Zeit an der Frage der Existenz sogenannter „absolut nichtiger Urteile“ orientiert, die durch grobe sachliche oder prozessuale Fehler zwar in formelle, nicht aber in materielle Rechtskraft erwachsen sollten410. Im Jahr 1928 hatte der 35. Juristentag vorgeschlagen, sich am österreichischen Vorbild der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gemäß den §§ 292, 362 öStPO zu orientieren411. Dieser Gedanke wurde 1939 von ORA Brettle erneut aufgegriffen, um „zur Wahrung der Rechtseinheit (…) wenigstens in den Fällen, in denen heute das Sondergericht (…) zu entscheiden hat, die Möglichkeit einer Anrufung des Reichsgerichts zu schaffen“412. Das Motiv dieser Überlegung gründete in einem Kompetenzerweiterungswunsch des Reichsgerichts, um insbesondere bei Sondergerichtsverfahren ein Mitspracherecht für die Reichsanwaltschaft zu erwirken413. Tatsächlich entfaltete die Nichtigkeitsbeschwerde im Sondergerichtsverfahren große praktische Relevanz, da eine Einlegung ordentlicher Rechtsmittel gegen sondergerichtliche Entscheidungen nicht statthaft war414. Auch Freisler sprach sich für das Erfordernis des besagten Rechtsmittels mit dem Argument aus, dass „das letzte Wort“415, die rechtskräftige Entscheidung, keinem Selbstzweck dienen dürfe, sondern unter allen Umständen das „Gerechtigkeitsstreben“416 befriedigen 409  RGBl. 1877

I, S. 253 ff. politischen Diskurs einer Reformierung der StPO ab dem Jahr 1885, welcher maßgeblich von der Motivation getragen wurde, das Rechtmittel der Berufung gegen Strafkammerurteile einzuführen, siehe ausführlich Kern, Gerichtsverfassungsrecht, S. 128. Der zitierte Begriff wird verwendet von Freisler, Nichtigkeitsbeschwerde, in: DJ 1940, S. 342. 411  Suchomel, Nichtigkeitsbeschwerde, in: Festschrift Bumke, S. 135–153; Hanne, Rechtskraftdurchbrechungen, S. 67. 412  Brettle, Reichsanwaltschaft und Reichsgericht, in: Festschrift Bumke, S. 188. Auch die Nichtigkeitsbeschwerde war wie der außerordentliche Einspruch Ausfluss des Entwurfs einer Strafverfahrensordnung vom 1.5.1939, dort geregelt in § 370, siehe Schubert, Quellen, Band 1, S. 346, 347, 378. 413  Kaul, Reichsgericht, S. 219. 414  § 16 Abs. 1 VO der Reichsregierung über die Bildung von Sondergerichten vom 21.3.1933, RGBl. 1933 I, S. 137. Die Anwendbarkeit der Nichtigkeitsbeschwerde auf die Sondergerichtsrechtsprechung ergab sich aus § 34 Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige verfahrensrechtliche Vorschriften, RGBl. 1940 I, S. 410. 415  Freisler, Nichtigkeitsbeschwerde, in: DJ 1940, S. 342. 416  Ebd., S. 341. 410  Zum

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

müsse. Abweichend vom Regelungscharakter der vorgeschobenen österreichischen Nichtigkeitsbeschwerde sollte die im Jahre 1940 normierte Nichtigkeitsbeschwerde417 jedoch auch zuungunsten von Verurteilten eingelegt werden können418. Zudem stand der Leitgedanke des deutschen Ablegers nicht unter der Prämisse der Sicherung der Rechtseinheit, sondern der Gewährleistung „konkreter Gerechtigkeit“419, wobei dieser als Generalklausel formulierte Begriff nationalsozialistisch konnotiert war. Denn wie Gerechtigkeit nach „gesundem Volksempfinden420“ ausgestaltet sein sollte, war keine juristische, sondern eine politische Frage. Die Einlegung oblag alleine dem ORA, der im Gefüge des nationalsozialistischen Justizverwaltungsapparates faktisch dem RJM unterstand. Die formelle Schnittstelle zwischen Politik und Justiz, die durch den Reichsjustizminister und dessen Ressort verkörpert wurde, sicherte den nationalsozialistischen Machthabern ihre Einflussmöglichkeiten, unerwünschte Urteile nachträglich beseitigen zu können und damit die eigenen Interessen in den Strafprozess einfließen zu lassen. Sofern es das Gebrauchsmonopol und das rechtskraftdurchbrechende Resultat betraf, waren außerordentlicher Einspruch und Nichtigkeitsbeschwerde identisch421. Das Erfordernis eines zusätzlichen Korrekturinstrumentes in Form der Nichtigkeitsbeschwerde wurde vor diesem Hintergrund mit einer andersartigen Zielsetzung begründet. Während von dem außerordentlichen Einspruch „nur in politisch besonders bedeutsamen Sachen Gebrauch gemacht werden“ sollte422, diente die Nichtigkeitsbeschwerde der Abänderung sonstiger rechtskräftiger Entscheidungen ohne staatspolitische Tragweite. In Bezug auf den materiellen Anwendungsbereich konnte indes zwischen beiden Instrumenten – was auch die seinerzeitige Handhabung in Aachen bestätigt423 – zuletzt keine Abgrenzung mehr erfolgen, da der Wort417  § 34 VO über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften vom 21.2.1940, RGBl. 1940 I, S. 410. 418  Siehe hierzu insbesondere die Ausführungen von Freisler, Nichtigkeitsbeschwerde, in: DJ 1940, S. 344. 419  Freisler, Nichtigkeitsbeschwerde, in: DJ 1940, S. 343. 420  Begriff entnommen und hierzu eingehend Kadecka, Volksempfinden, in: ZStW 1944, S. 1; Peters, Volksempfinden, in: DStR 1938, S. 337. 421  Der einzige Unterschied bestand in zeitlicher Hinsicht darin, dass der bloße Akt der Einlegung des außerordentlichen Einspruchs bereits zur Nichtigkeit des Ausgangsurteils führte, während bei der Nichtigkeitsbeschwerde diese Wirkung erst mit dem Urteilsspruch des RG bzw. im Falle der Rückverweisung durch die Neuentscheidung dieser Instanz eintrat. 422  Schreiben Gürtners an den Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung vom 22.1.1940, BArch, R 3001, Akte 21039. 423  Dass eine sachliche Unterscheidung auch seinerzeit nicht gemacht werden konnte, sondern ausschließlich von der subjektiven Empfindung der politischen Tragweite eines Verfahrens abhing, bestätigt Fall 14, S. 141. Dort schlug LOStA Führer dem Ministerium aus staatspolitischen Gründen die Anregung des außeror-



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 113

laut beider Institute umfassend durch wertende Rechtsbegriffe424 ausgefüllt wurde und alleine durch das Ermessen des ORA und der Justizbehörden beschränkt war425. Der Anwendungsbereich der Nichtigkeitsbeschwerde war eröffnet, wenn ein rechtskräftiges Urteil eines Sondergerichts vorlag, dieses „wegen eines Fehlers bei der Anwendung des Rechts auf die festgestellten Tatsachen ungerecht“ war und der ORA die Jahresfrist – beginnend mit Eintritt der Rechtskraft – bei der Einlegung einhielt426. Zuständige Instanz für die Entscheidung über eine eingelegte Nichtigkeitsbeschwerde war ein ordentlicher Strafsenat beim Reichsgericht. Im Falle der Aufhebung des angefochtenen Urteils wurde an das Gericht zurückverwiesen, welches zuvor in der Sache entschieden hatte, mit der Maßgabe, dass dieses an die rechtliche Beurteilung des Reichsgerichts gebunden war427. Sofern die Feststellungen in der Hauptverhandlung des Reichsgerichts ausreichten, konnte es in der Sache auch selbst entscheiden428. Der ORA konnte zudem die Neuverhandlung vor einem anderen Sondergericht beantragen429, sowie seine Kompetenz zur Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde an eine örtlich zuständige Generalstaatsanwaltschaft abtreten, sodass vor einem Oberlandentlichen Einspruchs vor, während dieses das Urteil für „nicht in einem Maße verfehlt“ hielt, „dass die Einlegung dieses nur für Ausnahmefälle gedachten Rechtsbehelfs geboten wäre“, Schreiben des RMJ an den GStA vom 14.3.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 339, Bl. 58. 424  Beim außerordentlichen Einspruch war von „schwerwiegenden Bedenken gegen die Richtigkeit des Urteils“ die Rede, während bei der Nichtigkeitsbeschwerde das Urteil durch einen Fehler bei der Rechtsanwendung „ungerecht“ scheinen musste, vgl. Art. 2 § 3 Abs. 1, RGBl. 1939 I, S. 1842 und Art. V § 34, RGBl. 1940 I, S. 410. Tatsächlich erstreckte sich das Anwendungsgebiet der Nichtigkeitsbeschwerde ausweislich des Wortlauts damit zunächst anders als beim außerordentlichen Einspruch nur auf Fehler bei der Anwendung materiellen Strafrechts (Fränkel, DR 1941 II, S. 2307), nicht jedoch auf Tatsachenfeststellungen oder Verfahrensfehler. Im Zuge des Art. 7 § 2 VO zur weiteren Vereinfachung der Rechtspflege vom 13.8.1942, RGBl. 1942 I, S. 508, wurde dies jedoch geändert: „ (…) oder wenn erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der in der Entscheidung festgestellten Tatsachen oder gegen den Strafausspruch bestehen.“ Vor diesem Hintergrund ist die Einordnung der Nichtigkeitsbeschwerde als „revisionsrechtliche Nachprüfung“ nicht ganz treffend. So aber Rüping, Provinzialjustizverwaltung, S. 133. 425  Nach der Ansicht Freislers, die allerdings aufgrund des entgegenstehenden Wortlauts der Norm keinen Halt fand, beschränkte sich das Ermessen des ORA lediglich auf die Beurteilung eines ungerechten Urteils. Sofern ein solches vom ORA bejaht wurde, erfolgte nach seiner Sicht eine Ermessensreduzierung auf Null mit dem Resultat, dass anschließend die Pflicht zur Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde bestand, Freisler, Nichtigkeitsbeschwerde, in: DJ 1940, S. 348. 426  § 34 ZuständigkeitsVO, RGBl. 1940 I, S. 410. 427  § 36 ZuständigkeitsVO, ebd. 428  § 35 Abs. 4 ZuständigkeitsVO, ebd. 429  Brettle, Nichtigkeitsbescherde, in: DJ 1941, S. 570.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

desgericht verhandelt und entschieden wurde430. Anders als ordentliche Rechtsmittel hemmte die bloße Anregung zur Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde nicht den Vollzug des Ausgangsurteils. Besonders gravierend war dies in Fällen, in denen die Ausgangsinstanz ein Todesurteil ausgesprochen hatte und der verteidigende Rechtsanwalt nach einer Anregung vergeblich auf eine Entscheidung des ORA wartete431. Soweit es die praktische Umsetzung der Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde für Verfahren im Landgerichtsbezirk Aachen betrifft, zog der ORA mit Ausnahme eines Falles die in Betracht kommenden Verfahren nicht eigeninitiativ an sich432. Vielmehr kommunizierten im Wege der Berichtskorrespondenz Staatsanwaltschaft, Generalstaatsanwaltschaft und RJM, inwieweit ein Interesse daran bestand, gegenüber der Reichsanwaltschaft eine Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde anzuregen. Auch der Rechtsanwaltschaft war eine solche Anregung vorbehalten433. Allerdings war in diesen Fällen auch die Staatsanwaltschaft zwischengeschaltet, wenngleich sie lediglich als Bote gegenüber dem ORA fungierte434. Auf Berichte an das RJM verzichtete sie aber auch in dieser Konstellation nicht. Allgemein versinnbildlichte das Instrument der Nichtigkeitsbeschwerde den organisatorischen Einflusszuwachs nicht nur der Justizverwaltung, sondern insbesondere auch der Staatsanwaltschaft435. Reichsweit hatte die Nichtigkeitsbeschwerde im Vergleich zum außerordentlichen Einspruch eine höhere praktische Bedeutung. Alleine bis Juli 1942 wurden beim Reichsgericht 627 Nichtigkeitsbeschwerden anhängig gemacht436, während in der gesamten Zeit des Dritten Reiches nur 19 au430  Siehe Art. 7 § 2 der VO zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 13.8.1942, RGBl. 1942 I, S. 508. 431  So geschehen im OLG Bezirk Köln. Im betreffenden Schreiben des GStA an den Präsidenten der Rechtsanwaltskammer schilderte der GStA, dass der bei der Vollstreckung anwesende StA kurz vor der Hinrichtung erstmals von der Anregung Kenntnis erlangte. Um durch die dargestellte Unwissenheit den Eindruck gegenüber dem Verurteilten zu vermeiden, „dass ein ihm zustehender Rechtsbehelf nicht völlig ausgeschöpft sei“, wurde in Zukunft um eine Benachrichtigung der Anregung an die StA gebeten, Schreiben des GStA vom 8.4.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 54, Bl. 16. 432  Siehe Fall 14, S. 141. 433  Freisler prognostizierte kurz nach Inkrafttreten, dass „sicher die deutschen Verteidiger wesentlich mitarbeiten“ würden an dem „an Umfang und Bedeutung nicht unwesentlichen Material“, welches dem ORA zugehen würde, Freisler, Nichtigkeitsbeschwerde in: DJ 1940, S. 351. 434  Siehe Fall 5, S. 124. 435  So Gruchmann, Justiz, S. 1045; Hanne, Rechtskraftdurchbrechungen, S. 70; Riehle, Staatsanwaltschaft, S. 146. 436  Eine aufgeschlüsselte Tabelle zur Verteilung der eingelegten Nichtigkeitsbeschwerden auf die jeweiligen Abteilungen und entsprechenden Strafsenate findet sich bei Kaul, Reichsgericht, S. 222.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 115 Tabelle 2 Anzahl eingelegter Nichtigkeitsbeschwerden in den Geschäftsjahren 1941–1945 Geschäftsjahr

eingelegte Nichtigkeitsbeschwerden beim dritten Strafsenat des Reichsgerichts reichsweit437

hiervon aus Aachen438

1941

 54

 3

1942

117

 2

1943

118

 5

1944

 78

 –

1945

 35

 –

gesamt

402

10

ßerordentliche Einsprüche verhandelt wurden439. Im Lichte aller eingelegten Nichtigkeitsbeschwerden beim für den Landgerichtsbezirk Aachen zuständigen dritten Strafsenat des RG440 machten die Aachener Beschwerden 2,5 % des reichsweiten Gesamtanfalls aus. bb) Konkrete Relevanz der Nichtigkeitsbeschwerde für die Staatsanwaltschaft Aachen Auch für den Standort Aachen kam der Nichtigkeitsbeschwerde verglichen zum außerordentlichen Einspruch statistisch eine größere Relevanz zu. So befasste sich die Staatsanwaltschaft in insgesamt 16 Sondergerichtsverfahren und damit 2,4 % des gesamten sondergerichtlichen Geschäftsanfalls mit einer Beschwerdeeinlegung. Ihr Erfolg hing neben den bereits geschilderten gesetzlichen Erfordernissen von vier praktischen Voraussetzungen ab, die kumulativ und in entsprechend zeitlicher Abfolge erfüllt sein mussten: Zunächst musste aus der Sphäre der Anklagebehörde oder der Verteidigung überhaupt erwogen worden sein, die gerichtliche Entscheidung nachträglich anzugrei437  Siehe 438  Siehe

zu den nachfolgend zugrundegelegten Zahlen Kaul, S. 222. zu den nachfolgend zugrundegelegten Zahlen Tabelle 26 im Anhang,

S. 509. 439  Kaul, Reichsgericht, S. 181. 440  Zur sachlichen und örtlichen Zuständigkeit der insgesamt sechs Strafsenate für die Nichtigkeitsbeschwerde eingehend Kaul, Reichsgericht, S. 220.

116

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

fen. Soweit diese Erwägung positiv ausfiel, übermittelte die Staatsanwaltschaft die Anregung zur Nichtigkeitsbeschwerde dem ORA. Unter Ausübung eigenen Ermessens konnte dieser die Anregung gegenüber der antragstellenden Partei ablehnend bescheiden oder Beschwerde beim Reichsgericht einlegen. Erst wenn die für Aachen zuständige Dritte Strafkammer des Reichsgerichts441 der Beschwerde nach Einlegung wenigstens teilweise stattgab, wurde die Ausgangsentscheidung des Sondergerichts Aachen in entsprechendem Umfang obsolet442. In drei Fällen blieb es bei der Erwägung der Rechtsmitteleinlegung, in drei weiteren Verfahren wurde die Nichtigkeitsbeschwerde angeregt, jedoch vom ORA ablehnend beschieden und in zehn Fällen erfolgte eine Beschwerdeeinlegung, die in acht Fällen Erfolg hatte. Alleine die Zäsur in die oben genannten Stadien der Nichtigkeitsbeschwerde ist geeignet, um qualifiziert festzustellen, wie die Machtstrukturen der Staatsanwaltschaft bei einer Rechtskraftdurchbrechung ausgestaltet waren und welcher Lenkungsintensität und -faktoren sie auf den jeweiligen Ebenen unterlag. Konkret ist zu ermitteln, inwieweit die Erwägung einer Nichtigkeitsbeschwerde zunächst auf einer autonomen Entscheidung der Staatsanwaltschaft fußte, welche Rolle fremdbehördliche Vorstellungen bei Beschwerdeerwägung und -anregung spielten und inwieweit eine Lenkung der Staatsanwaltschaft durch Agieren von Generalstaatsanwaltschaft und RJM gefördert oder eingeschränkt wurde. Zuletzt soll geklärt werden, inwieweit mit Blick auf den Ausgang der Beschwerdeverfahren eine tatsächliche Machtsteigerung der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Sondergericht verzeichnet werden kann. (1) Die Fälle erwogener Nichtigkeitsbeschwerden (a) Fall 1443 Der erste Fall einer erwogenen Nichtigkeitsbeschwerde hatte eine Angeklagtengruppe von insgesamt sieben Personen zum Gegenstand, die nach Art und Umfang jeweils unterschiedliche Tatbeiträge geleistet hatten, um 441  Die Zuständigkeit der insgesamt sechs Strafsenate beim RG wurde bei der Bearbeitung der Nichtigkeitsbeschwerde territorial und nicht sachlich festgelegt, siehe Kaul, Reichsgericht, S. 220, 222. Für den Landgerichtsbezirk Aachen war ausweislich der bearbeiteten Akten ausschließlich der dritte Strafsenat des RG zuständig. 442  Der ORA war bezüglich der Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde nicht von einer Anregung seitens der Strafverfolgungsbehörde abhängig. Vielmehr konnte er die Verfahren bei entsprechender Kenntnis originär an sich ziehen. Faktisch war er jedoch aus prozessökonomischen Gründen auf die Mitarbeit der untergeordneten Anklagebehörden und des RJM angewiesen, wie die im Folgenden dargestellten Fälle zeigen. 443  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 503.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 117

Hühnereier und Schlachthühner illegal zu verkaufen. Im Betrieb des ersten Hauptangeklagten E. wurde eine staatliche Eiersammelstelle eingerichtet, bei welcher umliegende Erzeuger produzierte Eier abliefern mussten, sodass diese gegen entsprechende Abgabe von Lebensmittelmarken der Bevölkerung zugeführt werden konnten. Von den auf diese Weise in Besitz genommenen Eiern verkaufte E. rund 6.000 Stück illegal weiter444. Der zweite Hauptangeklagte D. besaß eine Eiererfassungsstelle, die den Eierbestand der Sammelstellen erfassen sollte. D. unterschlug und veräußerte bei dieser Gelegenheit circa 10.000 Eier445. Die übrigen Angeklagten stellten ihre Geschäftsräume für den Schwarzverkauf zur Verfügung oder beteiligten sich durch Fahrten oder Verkäufe am illegalen Vertrieb. Die Staatsanwaltschaft klagte E. und D. wegen Verstoßes gegen §§ 4 VVO, 1 Abs. 2 KrWVO an446. Das Sondergericht blieb gemessen am geforderten Strafmaß der Staatsanwaltschaft weit hinter deren Vorstellungen zurück447. Der Urteilstenor bildete den einzigen Kritikpunkt des Behördenleiters in dessen Urteilsbericht an das Ministerium, indem er „sämtliche ausgeworfene Strafen für viel zu milde“ hielt448. Es war der Generalstaatsanwalt in Köln, der dem Ministerium vorschlug, die Nichtigkeitsbeschwerde anzuregen. Er rügte, dass „das Gericht bezüglich der Beihilfetätigkeit“ eines „Angeklagten zu den Tatbeständen des § 4 VVO – offenbar in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Sitzungsvertreters – übersehen hatte, dass der Strafrahmen des § 4 VVO auch für die Teilnahmehandlungen gilt“449. Hinsichtlich des Strafmaßes schloss sich der Generalstaatsanwalt den Aachener Ausführungen an, stellte aber klar, dass er diesbezüglich die Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde für aussichtslos hielt, „da die Festsetzung der Strafen im wesentlichen Sache des Tatrichters ist“ und „die Strafen (…) auch innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens“ lägen450. Das Reichsjustizministerium lehnte die Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde dagegen gänzlich 444  Da das Urteil des Sondergerichts Aachen nicht überliefert ist, wird der in der Anklageschrift ermittelte Sachverhalt hilfsweise zugrunde gelegt, Anklageschrift vom 6.5.1942, Handakte, LAV NRW R D, Ger. Rep. 113, Akte 503, Bl. 6 rev. 445  Anklageschrift vom 6.5.1942, Handakte, LAV NRW R D, Ger. Rep. 113, Akte 503, Bl. 6 rev. 446  Ebd., Bl. 4, 4 rev, 5, 5 rev. 447  Bericht vom 3.8.1942, Handakte, LAV NRW R D, Ger. Rep. 113, Akte 503, Bl. 16. Das Urteil des Sondergerichts Aachen ist nicht mehr vorhanden, sodass auf eine eingehende Darstellung der Urteilsgründe verzichtet werden muss. 448  Bericht vom 3.8.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 503, Bl. 16. 449  Schreiben des GStA Köln an den LOStA Aachen vom 29.8.1942, in dem dieser seine Stellungnahme an das RJM vom 3.8.1942 zitierte, Handakte, LAV NRW R D, Ger. Rep. 113, Akte 503, Bl. nicht angegeben. 450  Ebd., Bl. nicht angegeben.

118

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

ab, da möglicherweise „die Volksschädlingseingenschaft zu verneinen“ gewesen wäre „und daher das Urteil in seinem Ergebnis tragbar“ erschien451. Der Fall verdeutlicht, dass sich die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Berichte einer standardisierten Formulierung bediente, um Urteilskritik zu üben. Die abstrakte Ausführung, das Urteil sei „zu milde“, konnte jedoch nicht als fundierte Kritik verstanden werden. Rechtliche Erwägungen, insbesondere eine Falschanwendung der VVO durch das Gericht, wurden nicht erkannt452. So verwundert es nicht, das auch in der Anklageschrift die Sanktionierung der Beihilfehandlung nicht aus § 4 VVO hergeleitet worden war453. Dass diese tätergünstige Abweichung durch die Anklage nicht intendiert worden war, bestätigte die anschließende Beanstandung des Urteilstenors durch den Behördenleiter. Stellt man auf die konkrete Lenkung der Staatsanwaltschaft im vorliegenden Fall ab, so erlangt die Formulierung, das Urteil sei „zu milde“, eine besondere Qualität454. Dadurch, dass man sich einer abstrakten Formulierung ohne argumentatives Fundament bediente, gab man weitere Einflussmöglichkeiten auf den Verfahrenslauf bewusst aus der Hand. Auch wenn die vorgesetzten Dienstbehörden an die berichteten Ausführungen nicht gebunden waren, implizierte eine nicht näher begründete Kritik zum gerichtlichen Strafmaß, dass man keinen Wert darauf legte, Einfluss nehmen zu wollen. Mit genereller Kritik an einer tätergünstigen Rechtsprechung konnte sich die Staatsanwaltschaft umgekehrt in Sicherheit wähnen, nicht im Rufe einer Behörde zu stehen, die bei politischen Delikten vom Kurs der Machthaber abwich. So mangelte es bisweilen entweder an Entschlusskraft oder juristischem Handwerk, Kritik argumentativ zu untermauern und sich damit klar zu positionieren. Letztlich war der im konkreten Fall eingeschlagene opportune Weg ein gutes Beispiel für den Idealfall einer politischen Instrumentalisierung: Die Staatsanwaltschaft traf eine politisch opportune Feststellung, um die weitere Entscheidung den vorgesetzten Behörden zu überlassen und sie im Anschluss willfährig umzusetzen.

451  Schreiben des RMJ an den GStA in Köln vom 24.8.1942, Handakte, LAV NRW R D, Ger. Rep. 113, Akte 503, Bl. nicht angegeben. 452  Vgl. insoweit eine Entscheidung des RG, in welcher entschieden worden war, dass der Strafrahmen des § 4 VVO auch für Teilnahmehandlungen galt, RGSt. 74, S.  98 ff. 453  Anklageschrift vom 6.5.1942, Handakte, LAV NRW R D, Ger. Rep. 113, Akte 503, Bl. 5. 454  Bericht vom 3.8.1942, Handakte, LAV NRW R D, Ger. Rep. 113, Akte 503, Bl. 16.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 119

(b) Fall 2455 Gegenstand des zweiten Verfahrens war ein Angeklagter, der im Wartesaal der Aachener Bahnhofsvorhalle dort befindliche Herrenschuhe entwendet hatte, welche er in einem Pfandhaus für vier RM verpfändete. Die Straßenbeleuchtung in der Stadt war zu dem Zeitpunkt, als B. sich zum Pfandhaus begab, infolge von kriegsbedingten Verdunkelungsmaßnahmen ausgeschaltet456. Das Sondergericht Aachen verurteilte B. wegen einfachen Diebstahls zu einer Gefängnisstrafe von vier Monaten457. Gegen dieses Urteil äußerte der Behördenleiter in seinem Bericht an das RJM schwere Bedenken458. Die Anklageschrift hatte eine Bestrafung gem. § 2 VVO iVm § 242 StGB vorgesehen, da es aufgrund der Beleuchtungsverhältnisse als erwiesen galt, dass B. den Diebstahl unter Ausnutzung von Verdunkelungsmaßnahmen begangen hatte459. Im anschließenden Urteilsbericht schlug LOStA Führer vor, die Nichtigkeitsbeschwerde anzuregen460. Er hielt die Strafe für „zu milde“461 und das „Urteil rechtlich für unzutreffend“462 da das Tatbestandsmerkmal der Ausnutzung der Verdunkelung vom Sondergericht zu eng ausgelegt worden sei463. Bezogen auf die subjektive Volksschädlingseigenschaft räumte LOStA Führer ein, dass das Vorleben des B. diesen zwar nicht als Volksschädling brandmarke, die Tat aber „derart verwerflich“ sei, „dass das gesunde Volksempfinden die härtere Bestrafung nach der Volksschädlingsverordnung“ erfordere464. Generalstaatsanwaltschaft und 455  LAV

NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 8. des Sondergerichts Aachen vom 20.3.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 8, Bl. 26. 457  Ebd., Bl. 25. 458  Berichte des LOStA Aachen an das RMJ vom 22.3.1941 und vom 4.4.1941, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 8, Bl. 10, 11. 459  Anklageschrift vom 11.2.1941, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 8, Bl. 3, 4. Die Anklage wurde, da das Sondergericht in Aachen zu diesem Zeitpunkt noch nicht errichtet worden war, von der Kölner Staatsanwaltschaft beim dortigen Sondergericht anhängig gemacht, jedoch gemäß Weisung des RMJ vom 10.2.1941 schließlich an die Aachener Anklagebehörde abgegeben, vgl. Weisung 3234 – I a – 46, in: DJ 1941, S. 223. Die inhaltliche Zurechnung der Anklageschrift ist unproblematisch der Staatsanwaltschaft Aachen zuzurechnen, da sie mit identischem Inhalt übernommen und beim Sondergericht Aachen anhängig gemacht worden war, siehe Schreiben LOStA Aachen an das RMJ vom 3.3.1941, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 8, Bl. 9. 460  Bericht des LOStA Aachen an das RMJ vom 4.4.1941, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 8, Bl. 13. 461  Ebd., Bl. 10. 462  Ebd., Bl. 12. 463  Ebd. 464  Ebd., Bl. 13. 456  Urteil

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

RJM schlossen sich dieser Sichtweise an, wiesen jedoch die Aachener Anklagebehörde an, von der Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde abzusehen, da mit Blick auf das Vorleben des Täters keine Bedenken gegen die Verneinung der subjektiven Volksschädlingseigenschaft erhoben werden465. Die Staatsanwaltschaft legte einen geradezu manischen Ehrgeiz an den Tag, um eine Bestrafung des B. nach der VVO zu erreichen, was durch eine fehlerhafte Interpretation der VVO verursacht wurde. So ergaben die Ermittlungen, dass der Tatort – unabhängig von kriegsbedingten Verdunkelungsmaßnahmen – zur Tatzeit stets schlecht beleuchtet gewesen war466. Auch das Abstellen auf verdunkelte Straßen, durch welche sich der B. begab, konnte eine Bestrafung nach § 2 VVO nicht begründen, da der Täter diese Verhältnisse bei Begehung der Tat nicht bewusst ausgenutzt467, sondern vielmehr lediglich den kürzesten Fluchtweg gewählt hatte, was die Anwendbarkeit der VVO bereits tatbestandlich ausschloss468. Wie überzogen und fehlgeleitet die Staatsanwaltschaft Aachen im Fall B. agierte, zeigt die Reaktion der Generalstaatsanwaltschaft, die klarstellte, dass schon in Anbetracht der Persönlichkeit und des Vorlebens des B. eine Volksschädlingseigenschaft offensichtlich auszuscheiden hatte469. Die Erwägung der Staatsanwaltschaft, die Tat sei „derart verwerflich“470, dass sie den Täter per se zum Volksschädling qualifiziere, wirkt vor diesem Hintergrund sachfremd. Bemerkenswert ist die Reaktion aus dem RJM: So begründete MinRat Crohne das Absehen einer Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde nicht mit einer Falschanwendung der VVO, sondern damit, dass „die Sache von zu geringer Bedeutung ist und es immerhin zweifelhaft sein kann, ob der Verurteilte der Typ des Volksschädlings“ sei471. Nach dem Studium der Kölner Stellungnahme konnte dem Ministerium die defizitäre Arbeitsweise der Staats465  Bericht des GStA an den RMJ vom 26.3.1941, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 8, Bl. 18. 466  Bericht des LOStA Führer an das RMJ vom 4.4.1941, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 8, Bl. 12. 467  Siehe Wortlaut §  2 Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1679. 468  Insbesondere überzeugte das dahingehende Argument des Sondergerichts, dass andernfalls „jede in einem hellen Raum begangene Straftat schon dann als unter den erschwerenden Umständen des § 2 Volksschädlingsverordnung begangen zu erachten (sei), wenn der Täter nachher durch die abgedunkelten Straßen fortginge“, Urteil des Sondergerichts vom 20.3.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 8, Bl. 26. 469  Schreiben des GStA an den LOStA Aachen vom 7.5.1941, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 8, Bl. 18. 470  Bericht des LOStA Führer an das RMJ vom 4.4.1941, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 8, Bl. 13. 471  Weisung des RMJ durch MinRat Crohne vom 28.4.1941, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 8, Bl. 17, 17 rev.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 121

anwaltschaft aber nicht verborgen bleiben. Das bloße Abstellen auf die vermeintliche geringe Bedeutung des Prozesses setzte das Ministerium offenbar als taktisches Mittel ein, um zu suggerieren, dass man eine extensive Auslegung der VVO seitens der Anklagebehörde in Aachen durchaus befürwortete und insoweit eine Falschanwendung gegenüber einer Nichtanwendung der VVO klar präferierte. Man wollte gerade zu Beginn der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft vor dem Sondergericht keine restriktive Handhabung der VVO fördern. Vielmehr sollte die Staatsanwaltschaft in Zukunft weiter auf dem politisch gewollten Kurs gehalten werden, indem man ihr nicht die Fehlerhaftigkeit im konkreten Fall vorhielt, sondern sie konkludent bestärkte, mit bisheriger Härte fortzufahren. (c) Fall 3472 In einem Verfahren wegen Vergehens gegen § 2 Heimtückegesetz wurde der Angeklagten S. vorgehalten, gegenüber dem ihr angestellten 14-jährigen Zeugen M. kritische Äußerungen über das NS-Regime gemacht zu haben. So soll S. nach den staatsanwaltschaftlichen Erkenntnissen unter anderem geäußert haben, „man soll Adolf Hitler auf offener Straße den Hals abschneiden“473. Das Sondergericht hatte Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Anzeigenden und Zeugen M., da seine Einlassungen ergaben, dass er S. bewusst zu politischen Gesprächen herausgefordert und zu kritischen Äußerungen provoziert hatte474. Insbesondere war der Anzeige die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Zeugen seitens der S. vorangegangen, weshalb das Gericht zu der Erkenntnis gelangte, dass eine überzogene Darstellung des M., um eine Kündigung zu provozieren, nicht auszuschließen sei475. Insbesondere die negative Beleumundung der Familie des Zeugen durch die NSDAP-Kreisleitung sowie eine gemäßigte Einschätzung der S., nach der diese „mehr aus Klatschsucht als aus Boshaftigkeit“476 rede, ­veranlassten das Sondergericht zum Freispruch477. Noch bevor der Staatsan472  LAV

NRW R, Ger. Rep. 113, Akte, 48. vom 12.4.1941, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte

473  Anklageschrift

48, Bl. 11. 474  Urteil des Sondergerichts Aachen vom 15.5.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 48, Bl. 42. 475  So hatte der M. im Vorfeld gegenüber Familienangehörigen geäußert, dass er nicht weiter auf dem Hof der S. arbeiten wolle, siehe Urteil des Sondergerichts Aachen vom 15.5.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 48, Bl. 42. 476  Politisches Gutachten der NSDAP Kreisleitung Geilenkirchen an die Gestapo in Heinsberg vom 21.10.1940, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 48, Bl. 15. 477  Urteil des Sondergerichts Aachen vom 15.5.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 48, Bl. 40, 42.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

waltschaft die Entscheidungsgründe zugegangen waren, äußerte sie gegenüber dem RJM Bedenken, da das Urteil „für sachlich und rechtlich unrichtig“ gehalten wurde478. Zunächst hatte man die Option einer Beschwerdeanregung nicht ausgeschlossen479. Da die anschließend zugestellten Ent­ scheidungsgründe jedoch keinen Raum für nachträgliche Korrekturen boten, distanzierte sich LOStA Führer schließlich von der Anregung zu einer Nichtigkeitsbeschwerde480. Mit seiner Entscheidung korrigierte das Sondergericht letztlich Fehler der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsarbeit. Die Zusammenhänge der Entlassung des Belastungszeugen aus dem Arbeitsverhältnis, sowie die dahingehenden Einlassungen des M., er habe die S. bewusst provoziert, hätten der Staatsanwaltschaft Zweifel an einem hinreichenden Tatverdacht und damit den Erfolgsaussichten der Hauptverhandlung geben müssen. Die vorschnelle Beurteilung der vermeintlichen Unrichtigkeit des Urteils war damit eher als Trotzreaktion gegenüber dem Gericht zu verstehen, da die vom Sitzungsvertreter eingebrachten Vorstellungen zum Strafmaß im Urteilstenor unberücksichtigt geblieben waren481. Auch das durch die NSDAP-Kreisleitung erstellte und die S. entlastende Gutachten fand bei der Anklagepraxis offenkundig keine Berücksichtigung. Die Nichtreaktion der Generalstaatsanwaltschaft und des RJM auf die Empfehlung der Staatsanwaltschaft, eine Nichtigkeitsbeschwerde einzulegen, zeigt, dass sich von dortiger Seite ein Absehen von weiteren Maßnahmen von selbst verstand. (2) Die Fälle angeregter Nichtigkeitsbeschwerden (a) Fall 4482 Gegenstand des Verfahrens gegen den zum Zeitpunkt der Anklage bereits 12-fach vorbestraften D. war eine Anklage wegen Einbruchdiebstahls in sechs Fällen, bei denen er unter anderem in drei Fällen in Keller eingestiegen und sich in zwei Fällen Zugang zu einer Garage verschafft hatte, indem er über ein Hoftor geklettert war483. In einem Fall hatte D. zuvor in Erfah478  Bericht des LOStA Aachen vom 16.5.1941, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 48, Bl. 15. 479  Ebd. 480  Ebd., Bl. 18. 481  Zimmerath hatte in der öffentlichen Sitzung eine sechsmonatige Gefängnisstrafe gefordert, siehe Sitzungsprotokoll vom 15.5.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 48, Bl. 39. 482  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 449. 483  Urteil des Sondergerichts vom 23.12.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 449, Bl. 136.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 123

rung bringen können, dass das Opfer einen großen Teil an Wäsche und Lebensmitteln in die Garage verbracht hatte, da diese aufgrund eines Betondaches besser gegen Fliegergefahr geschützt war als das Wohnhaus484. Das Sondergericht verurteilte D. wegen schweren Diebstahls als Volksschädling und gefährlichen Gewohnheitsverbrecher gemäß § 2 VVO iVm § 243 Abs. 1 Nr. 2, 20 a StGB zu einer Gesamtstrafe von sechs Jahren Zuchthaus und anschließender Sicherungsverwahrung485. Bezüglich der konkreten Anwendung der VVO486 und des Strafmaßes stimmten die bereits vor der Verhandlung kommunizierten Vorstellungen des Leiters der Staatsanwaltschaft mit der Entscheidung der Gerichts überein487. Entsprechend berichtete der Aachener Behördenleiter in seinem Urteilsbericht an das RJM, das Urteil sei sach- und antragsgemäß ergangen. In seinem Antwortschreiben kritisierte das RJM jedoch eine ausgebliebene Todesstrafe. Das Sondergericht hatte zuvor ausgeführt, die Straftaten des D. erschienen nicht so schwer, dass sie nur mit dem Tod gesühnt werden könnten. Auch „der Schutz der Volksgemeinschaft“ erfordere „noch nicht den Tod des Angeklagten“488, wenngleich er als „haltloser, asozialer Verbrecher“ anzusehen sei489. Der ORA beschied die anschließende Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde durch LOStA Führer ablehnend mit der Begründung490, dass die abgeurteilten Diebstähle „nicht so schwer“ wögen, „dass mit dem Erfolg (…) gerechnet werden könnte“491. Die Ablehnung der Nichtigkeitsbeschwerde seitens des ORA lag im konkreten Fall nicht die rechtliche Fehlerhaftigkeit des Urteils, sondern vielmehr der Tenor zugrunde, dass durch das Urteil dem „Schutz und Sühnebedürfnis“ genüge getan war492. Der ORA entschied sich bei seiner Abwägung zwischen den divergierenden 484  Ebd.,

Bl. 138 rev. Bl. 136, 136 rev. 486  Dies ergibt sich aus den dahingehenden Ausführungen im Urteil, welches auf die Einigkeit mit der Staatsanwaltschaft expressis verbis Bezug nimmt, Urteil des Sondergerichts vom 23.12.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 449, Bl. 140 rev. 487  So hatte der Aachener Behördenleiter im Zuge der Übersendung der Anklageschrift seine Absicht kundgetan, eine Strafe von sechs Jahren Zuchthaus beantragen zu wollen, Bericht des LOStA Aachen an das RMJ vom 19.11.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 449, Bl. 2. 488  Urteil des Sondergerichts vom 23.12.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 449, Bl. 140 rev. 489  Ebd., Bl. 139 rev. 490  Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde vom 1.3.1944, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 449, Bl. 20. 491  Bescheid des ORA vom 10.3.1944, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 449, Bl. 21. 492  Ebd. 485  Ebd.,

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Standpunkten des RJM und des Aachener Sondergerichts erstmals gegen die ministerielle Einschätzung. Die Entscheidung der Reichsanwaltschaft zeigt, dass strafmaßbezogene Übereinstimmung zwischen Staatsanwaltschaft und Sondergericht einen positiven Indikator darstellte, um die Ausgangsentscheidung aufrecht zu erhalten. (b) Fall 5493 Im Fokus des fünften Verfahrens stand der Betreiber eines Eisenwarenladens M., der sich geweigert hatte, der Belastungszeugin O. einen Emailleeimer zu verkaufen. Nachdem der Angeklagte ausgeführt hatte, dass er aufgrund der Knappheit solcher Artikel nicht verkaufen müsse, schlug er der Zeugin vor, den Eimer im Tausch gegen Speck abzugeben. Als die O. verneinte und im Begriff war, das Ladenlokal zu verlassen, erklärte M. sich schließlich zum Verkauf bereit494. O. lehnte jedoch ab und verließ das Geschäftslokal. Das Sondergericht verurteilte den M. wegen Vergehens gegen § 1 Abs. 2 KrWVO zu einer bereits durch die Untersuchungshaft verwirkten Gefängnisstrafe von sechs Wochen sowie einer Geldstrafe von 500 RM495. Es begründete seine Entscheidung damit, dass es sich bei dem Eimer um ein lebenswichtiges Erzeugnis handelte, dessen Zurückhaltung die Bedarfsdeckung der „weit überwiegenden Bevölkerungskreise“ gefährde496. Zwar erkannte das Gericht an, dass M. nicht wahllos verkaufen müsse, erkannte aber in der Aufforderung zum Tauschhandel letztlich die Strafbarkeit497. Das Urteil des Sondergerichts Aachen erging erneut antragsgemäß498. Der GStA kritisierte in seiner Stellungnahme an das RJM hingegen: „Die Anklage aus § 1 KrWVO erscheint mir nicht unbedenklich, da eine Gefährdung der Bedarfsdeckung bei Nicht-Abgabe eines Eimers wohl kaum anzunehmen, zum mindesten aber das Bewusstsein einer solchen nur sehr schwer nachzuwei493  LAV

NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 15. des Sondergerichts Aachen vom 15.5.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 15, Bl. 19. 495  Ebd., Bl. 18. 496  Ebd., Bl. 20. 497  Ebd., Bl. 19. 498  Auch der Sitzungsvertreter hatte sich für eine sechswöchige Gefängnisstrafe ausgesprochen, sah aber neben einer Tatverwirklichung gem. § 1 KrWVO zudem eine versuchte Erpressung als gegeben an, die das Sondergericht jedoch verneinte, siehe Sitzungsprotokoll vom 15.5.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 15, Bl. 17 sowie Urteil des Sondergerichts Aachen vom 15.5.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 15, Bl. 20. 494  Urteil



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 125

sen sein dürfte“499. Das RJM schloss sich den Ausführungen des GStA an, riet aber von einer Beschwerdeanregung ab, „da das Urteil im Ergebnis“ als „zutreffend“ qualifiziert wurde500. Die Staatsanwaltschaft übersandte den Vorgang in der Folge nicht aufgrund etwaiger behördlicher Weisung an den ORA, sondern weil der Verteidiger des M., RA Eidens, beantragt hatte, die Akten zur Beschwerdeprüfung nach Berlin zu senden501. Der ORA beschied die Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde allerdings negativ502. Nach überlieferter Aktenlage bildet der vorliegende Fall die einzige Konstellation, in welcher die Nichtigkeitsbeschwerde zugunsten eines Verurteilten angeregt worden war. Allerdings wurde auch in diesem Fall die Staatsanwaltschaft nur als Übermittler des Antrags tätig und gab nicht aufgrund eigener Erwägungen die Sache an den ORA weiter. Rechtlich wäre die Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde schlüssig gewesen. So war es in der Tat – wie der GStA annahm – äußerst bedenklich, bei einer Nichtabgabe eines Eimers den objektiven Tatbestand einer Bedarfsgefährdung zu bejahen503. Selbst bei einer solchen Annahme wäre jedenfalls die erforderliche subjektive Böswilligkeit des M. schwierig nachzuweisen gewesen504.

499  Nicht datierte Stellungnahme des GStA an das RJM, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 15, Bl. 8 rev. 500  Schreiben des RMJ vom 24.6.1941, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 15, Bl. 8 rev. 501  Schreiben des LOStA in Aachen an den ORA bzgl. Übersendung des Vorgangs zur Prüfung der Einlegung einer Nichtigkeitsbeschwerde vom 17.10.1941, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 15, Bl. 11. 502  In dem entsprechenden Bericht des LOStA Aachen wird dem GStA lediglich mitgeteilt, dass in der Anlage die Entscheidung des ORA übersandt wurde. Die Entscheidung selbst ist in der Akte allerdings nicht vorhanden. In der Verfahrensakte wurde keine Reichsgerichtsgerichtsentscheidung abgeheftet, was aber üblich war, wenn der ORA Nichtigkeitsbeschwerde eingelegt hatte. Der Bericht aus Aachen vom stammt vom 12.5.1942. Der ORA hatte seine Entscheidung bereits am 18.11.1941 mitgeteilt. Da in der Zwischenzeit keine weiteren Ereignisse stattgefunden hatten und insbesondere innerhalb von sieben Monaten nach hypothetischem Eingang der Nichtigkeitsbeschwerde durch den ORA beim RG mit einer Entscheidung zu rechnen gewesen wäre, ist davon auszugehen, dass es sich bei der Entscheidung des ORA um eine abschließende gehandelt hat. Aus diesen Gesamtumständen kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit geschlossen werden, dass der Antrag auf Nichtigkeitsbeschwerde negativ beschieden worden war. Siehe zur Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde das Schreiben des LOStA Aachen vom 17.10.1941, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 614, Bl. 11 sowie zur späteren Information an die Generalstaatsanwaltschaft Bericht des LOStA Aachen vom 12.5.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 614, Bl. 15. 503  Nicht datierte Stellungnahme des GStA an das RJM, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 15, Bl. 8 rev. 504  Ebd.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Die Korrespondenz zwischen Generalstaatsanwaltschaft und RJM gibt tiefe Einblicke in das behördliche Selbstverständnis. Aus den Ausführungen des GStA wird deutlich, dass man sich keinesfalls von der Theorie des Parteigedankens, den das NS-Regime nach außen propagierte, entfernt hatte. So räumte der GStA ein, dass die Anklage nur aufgrund einer konstruierten Anklage auf § 1 KrWVO fußte, obwohl kein Straftatbestand durch die Handlung des M. erfüllt worden war. Dies war das einzige Mittel gewesen, eine Verurteilung herbeiführen zu können. Trotz erheblicher rechtlicher Defizite, die von der vorgesetzten Behörde gesehen wurden, unterließ man es, eine Nichtigkeitsbeschwerde anzuregen, weil diese nach dortiger Begründung zwingend eine mildere Bestrafung bzw. einen Freispruch zur Folge gehabt hätte. Auch für das RJM, das gleichermaßen die Fehlerhaftigkeit der Anklageschrift bemerkt hatte, bot ein fehlerhaftes, täterungünstiges Urteil keinen Grund zur Korrektur, da dieses „im Ergebnis zutreffend war“505. Für die der Staatsanwaltschaft Aachen vorgesetzten Dienstbehörden bleibt festzuhalten, dass eine nicht normenorientierte, sondern ausschließlich ergebnisorientierte Motivation bestand, die Nichtigkeitsbeschwerde zu forcieren, allerdings nur für solche Fallkonstellationen, in denen eine härtere Betsrafung zu erwarten war. Die Arbeit der Staatsanwaltschaft verdeutlicht erneut, dass eine intendierte Verurteilung um jeden Preis vorangetrieben wurde. Selbst eine offensichtliche Nichtanwendbarkeit strafrechtlicher Normen stand einer Anklage nicht entgegen. (c) Fall 6506 Im Fokus eines weiteren Verfahrens stand ein holländischer Beschäftigter, der sich wegen Diebstahls verantworten musste. Im Zuge von Räumungsarbeiten nach einem Luftangriff hatte M. eine Uhr an sich genommen, die später in dessen Manteltasche gefunden wurde. Obwohl er bestritt, die Uhr in seine Tasche gesteckt zu haben, gestand er gleichwohl, dass er die Absicht gehabt hatte, sich die Uhr anzueignen507. Das Sondergericht verurteilte M. wegen einfachen Diebstahls zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr, da dem Angeklagten als niederländischem Staatsbürger „der Begriff der Volksgemeinschaft, wie er Allgemeingut aller deutschen Volksgenossen geworden ist, unbekannt“ sei. Ihm sei „daher auch die Vorstellung fremd, dass es in besonderem Maße verwerflich ist, das 505  Schreiben des RMJ vom 24.6.1941, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 15, Bl. 8, 8 rev. 506  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 39. 507  Urteil des Sondergerichts Aachen vom 22.1.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 39, Bl. 24 a rev.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 127

unverschuldete Unglück eines Volksgenossen dadurch zu erhöhen, dass man sich an dem Letzten, was ihm noch verblieben ist, vergreift“508. Urteil und gefordertes Strafmaß wichen beträchtlich voneinander ab. Im Vorfeld zur Einreichung der Anklageschrift hatte LOStA Führer in Aussicht gestellt, gegen M. gemäß § 4 VVO eine Zuchthausstrafe von fünf Jahren beantragen zu wollen509. Der GStA erhob Bedenken gegen die Ausführungen des Sondergerichts, denen von Seiten des Ministeriums entsprochen wurde510. Infolgedessen regte die Staatsanwaltschaft unter wortgleicher Übernahme der überbehördlichen Ausführungen die Nichtigkeitsbeschwerde an511. Die Reichsanwaltschaft sah jedoch von einer Nichtigkeitsbeschwerde ab, da das Urteil im Hinblick auf die sonstige Führung und die Gesamtumstände der Tat „nicht als so fehlerhaft und im Strafausspruch unbefriedigend erschien, dass es als ungerecht aufgehoben werden müsste“512. Die Beurteilung des Sachverhaltes durch den ORA war wesentlich milder als die der Staatsanwaltschaft und der ihr vorgesetzten Behörden. Die Ablehnung begründete er unter anderem mit der Rechtsprechungspraxis des RG, das selbst in schweren Diebstahlsfällen die Anwendung der VVO in der Vergangenheit abgelehnt hatte. Diese Einschätzung korrelierte negativ mit einem nahezu utopisch hohen Strafantrag der Basis in Aachen. Selbst bei Bejahung der VVO war die ursprünglich geforderte Freiheitsstrafe von fünf Jahren Zuchthaus mit Blick auf die Geringwertigkeit der Sache und der sonst tadellosen Lebensführung des M., wie auch das Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft bestätigt, nicht zu rechtfertigen. Dass der Aachener Behördenleiter bei der Weiterleitunng des Urteils auf kritische Ausführungen verzichtete, war indes nicht als stillschweigende Konformität mit dem Tenor zu deuten, was sich neben dem ursprünglich avisierten Strafantrag durch die Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde manifestiert, indem sich LOStA Führer die kritischen Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft und des RJM wortgleich zu eigen machte. 508  Ebd.,

Bl. 24 b. des LOStA Führer an den RMJ, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 39, Bl. 3. 510  Bericht des GStA an den RMJ vom 27.2.1942, der in Kopie zur Kenntnisnahme an den LOStA in Aachen versendet wurde, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 39, Bl. 10. 511  Vergleiche das Schreiben des LOStA Führer vom 14.5.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 39, Bl. 15, mit den Ausführungen des GStA im ­Schreiben vom 27.2.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 39, Bl. 10 und den Ausführungen des RMJ vom 21.2.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 39, Bl. 10 rev. 512  Bescheid des ORA an den LOStA in Aachen vom 20.6.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 39, Bl. 16. 509  Bericht

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

(3) Die Fälle eingelegter Nichtigkeitsbeschwerden (a) Fall 7513 Im folgenden Verfahren erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen neun Personen, die Kaffee in Holland und Belgien einkauften, einschwärzten und im Inland weiterverkauften. Insgesamt handelte es sich um eine Warenmenge von etwa 55 Zentnern514. Zwei der Angeklagten nutzten ihre Dienstgeschäfte innerhalb der Organisation Todt in den besetzten Gebieten, um den Warenschmuggel durchzuführen und Zollbeamte zu bestechen515. Abweichend von der Anklageschrift, in der aufgrund der Tatausführung der Rückschluss eines volksschädlichen Persönlichkeitscharakters der Angeklagten gezogen worden war, verurteilte das Sondergericht beide Angeklagten nicht gemäß § 4 VVO, sondern wegen gewerbsmäßigen Bandenschmuggels, Untreue und Bestechung516 zu einer Gefängnissstrafe von einmal drei Jahren und einmal 20 Monaten517. Zwar seien objektiv „die durch den Kriegszustand verursachten Verhältnisse ausgenutzt“518 worden, da beide Personen nur aufgrund des Krieges die Möglichkeit hatten, mit Kraftwagen der OT ins Ausland zu fahren und den Kaffee aufgrund der erhöhten Nachfrage während des Krieges zu erhöhten Preisen abzusetzen. Die subjektive Volksschädlingseigenschaft verneinte das Sondergericht jedoch mit dem Argument, dass die Bestechung der Zollbeamten nicht als Kriterium zur Qualifikation der persönlichen Volksschädlingseigenschaft herangezogen werden dürfe, da die Angeklagten wegen des Tatbestands der Bestechung gesondert

513  LAV

NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 485. des Sondergerichts Aachen vom 23.4.1942, Vollstreckungsheft Groten, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 485, Bl. 6 rev. 515  Bei den übrigen Angeklagten handelte es sich um in den Fall involvierte Zollbeamte, sowie Personen, die in sonstiger Weise bei Einfuhr und Absatz behilflich waren. 516  Urteil des Sondergerichts Aachen vom 23.4.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 485, Bl. 25 rev. Verurteilung gem.§ 12 VO über den Warenverkehr i. d. F. vom 18. August 1939, RGBl. 1939 I, S. 1432, §§ 396, 401 b Abs. 1 Abs. 2 RAO, §§ 266, 267, 359 StGB und §§ 1 Abs. 1, 5 Verordnung über Strafen und Strafverfahren bei Zuwiderhandlung gegen Preisvorschriften vom 3.6.1939, RGBl. 1939 I, S. 999 f. 517  Urteil des Sondergerichts Aachen vom 23.4.1942, Vollstreckungsheft Groten, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 485, Bl. 19, 19 rev. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Zuchthausstrafe von fünf Jahren im ersten Fall und von drei Jahren im zweiten Fall angestrebt, Urteil des Sondergerichts Aachen vom 23.4.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 485, Bl. 55. 518  Urteil des Sondergerichts Aachen vom 23.4.1942, Vollstreckungsheft Groten, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 485, Bl. 15. 514  Urteil



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 129

zu bestrafen gewesen seien“519. Die Anklagebehörde hielt die vom Gericht vertretene Auffassung für „irrig“520, da das Gericht die Bestechungshandlung als Bewertungsgrundlage ausgeschlossen habe521. Auch der GStA vertrat die Ansicht, dass das Sondergericht „bei Bewertung der Persönlichkeit dieser Angeklagten zur Volksschädlingsfrage (…) die Gesamtpersönlichkeit der Angeklagten, wie sie sich auf Grund der gesamten Straftaten darstellte“, hätte „zugrunde legen müssen“522, woraufhin der Sonderreferent im RJM die Weisung an den Aachener Behördenleiter erteilte, die Nichtigkeitsbeschwerde anzuregen523. Tatsächlich legte der ORA im August 1942 die Nichtigkeitsbeschwerde ein524. Dabei übernahm er die Ausführungen der Staatsanwaltschaft zur Frage der Bewertungsgrundlage zur subjektiven Volksschädlingseigenschaft525. Allerdings ging die Nichtigkeitsbeschwerde sowohl in personellem, als auch im Begründungsumfang über den Antrag des Aachener Behördenleiters hinaus. Gegenstand der Beschwerde waren letztlich fünf statt der ursprünglich umfassten zwei Angeklagten. Insbesondere rügte man die Falschanwendung von Tateinheit und -mehrheit, die tatbestandlichen Konkurrenzverhältnisse sowie die Nichtprüfung weiterer einschlägiger Tatbestände526. Sechs Monate nach Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde wurde selbige im Einvernehmen mit dem RJM durch ORA Brettle „aus Zweckmäßigkeitsgründen“ zurückgenommen, weil ein Großteil der Angeklagten zur Wehrmacht einberufen worden war und sich die Verhandlung auf unbestimmte Zeit verzögert hätte527. Unter Zugrundelegung der gängigen Rechtsauffassung zu Kriterien, die als Grundlage zur Bemessung der subjektiven Volksschädlingseigenschaft herangezogen wurden, war die staatsanwaltschaftliche Einschätzung zur

519  Urteil des Sondergerichts Aachen vom 23.4.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 485, Bl. 15 rev. 520  Bericht des EStA an den RMJ vom 15.6.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 485, Bl. 65. 521  Ebd., Bl. 65 rev. 522  Schreiben des GStA Köln an den LOStA Aachen vom 15.6.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 485, Bl. 65 rev. 523  Schreiben des RMJ an die Generalstaatsanwaltschaft Köln vom 1.7.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 485, Bl. 66. 524  Benachrichtigung des ORA an den LOStA vom 18.8.1942, Handakte, Ger. Rep. 113, Akte 485, Bl. 75. 525  Zur subjektiven Volksschädlingseigenschaft bzw. zur „Wesensart eines Volksschädlings“ siehe RGSt. 74, S. 239, 321. 526  Nichtigkeitsbeschwerde vom 18.8.1942, Handakte, Ger. Rep. 113, Akte 485, Bl. 76 rev., 77, 78 rev., 79. 527  Schreiben des ORA an den RMJ vom 23.2.1943, Handakte, Ger. Rep. 113, Akte 485, Bl. 81.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Einschlägigkeit subjektiver Volksschädlingseigenschaft vertretbar528. Dies ergibt sich im Wege eines argumentum a fortiori: Wenn im Rahmen der VVO sogar tatfremde Persönlichkeitseinschätzungen, die sich aus dem Vorleben des Täters ergaben, zur Bewertungsgrundlage gemacht werden konnten, mussten erst recht eine auf die gegenständlichen Straftat bezogene Persönlichkeitseinschätzung „rechtmäßig“ sein529. Auch wenn die Anregung zur Nichtigkeitsbeschwerde auf ausdrückliche Weisung des RJM erfolgte, war die dem Aachener Verfahrensbericht zugrundeliegende Unmutsäußerung conditio sine qua non für diese Weisung. Der Staatsanwaltschaft kam insoweit die Rolle eines doppelten Instrumentes zu: Faktisch wirkte sie bei der Übermittlung der Beschwerdeanregung erneut als Exekutivwerkzeug. Auf der anderen Seite instrumentalisierte sie sich jedoch im Rahmen ihres eigenen Ermessensspielraumes innerhalb der Berichtspflicht insoweit selbst, als dass sie das ihr überlassene autonome Betätigungsfeld der Berichtspflicht nutzte, um sich eine Plattform der Urteilskritik zu schaffen und so aktiv auf die Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde hinwirken zu können. (b) Fall 8530 Im Jahre 1943 verhandelte das Sondergericht Aachen gegen insgesamt neun Angeklagte, von denen im Anschluss vier Personen Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde wurden531. F., Len. und Lej. hatten sich zu einer Bande zusammengeschlossen, um Einbruchsdiebstähle im belgischen Teil des Landkreises Aachen zu begehen und das Diebesgut im Anschluss weiter zu veräußern. F. wurde in 36 Fällen, Len. in 31 Fällen und Lej. in 14 Fällen eines Einbruchsdiebstahls für schuldig befunden532. Das Sonder528  Zur subjektiven Tatbestandskomponente im Rahmen von § 4 VVO siehe unten, S. 339. 529  Dies wurde neben der gängigen Argumentationsführung und der teilweisen Urteilspraxis des Sondergerichts Aachen im Übrigen bekräftigt durch die Ausführungen Suhrs: „Diejenigen Merkmale, die auch sonst straferschwerend wirken, wie Vorstrafen, besonders verbrecherische Energie, kommt natürlich auch bei Volksschädlingssachen die gleiche Bedeutung zu“, Suhr, Strafzumessungsprobleme, in: DR 1940, S. 483. 530  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 213. 531  Da es sich bei der Darstellung um die Besonderheiten der Nichtigkeitsbeschwerde handelt, und Ausführungen zu den übrigen Angeklagten diesbezüglich keine bemerkenswerten Erkenntnisse zutage brachten, wird auf die fünf Angeklagten, die nicht Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde waren, nicht näher eingegangen. 532  Urteil des Sondergerichts vom 5.6.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 213, Bl. 4 rev., 5.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 131

gericht verurteilte sie als gefährliche Gewohnheitsverbrecher533 zu Gesamtzuchthausstrafen von je zehn, drei und sechs Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung534. C. hatte von den drei Angeklagten gestohlene Lebensmittel angekauft und diese weiterveräußert535. Sie wurde vom Sondergericht wegen Verbrechens gemäß § 1 Abs. 1 KrWVO in Tateinheit mit Vergehen gegen § 1 Abs. 1 PreisstrafrechtsVO zu einer achtmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt536. Obschon das Sondergericht F. und Lej. als „Prototypen des Schwerverbrechers“ charakterisierte, die es „auszumerzen“ gelte, sah es von einer Verhängung der Todesstrafe mit der Begründung ab, dass es sich bei den Angeklagten um Belgier handelte, die erst seit kurzer Zeit Deutsche auf Widerruf waren und deshalb noch keine ausreichende Gelegenheit hatten, sich mit nationalsozialistischem Gedankengut und der entsprechenden Strafrechtspflege vertraut zu machen537. Trotz der Höhe der verhängten Zuchthausstrafen schlug LOStA Führer in seinem Bericht an das RJM vor, die Nichtigkeitsbeschwerde anzuregen. So monierte er bezüglich der Strafen des F. und Len., dass § 1 AbänderungsG538 zur Anwendung hätte kommen müssen, welcher für Gewohnheitsverbrecher die Todesstrafe vorsah. Im Übrigen richtete sich seine Kritik gegen das Argument des Sondergerichts, die Angeklagten hätten sich mit NS-Gedankengut noch nicht ausreichend vertraut machen können, indem er die in den annektierten Gebieten „fortgesetzte angestrengte Erziehungs- und Aufklärungsarbeit über den Schutz der Volksgemeinschaft“ hervorhob539. In Bezug auf das Strafmaß stand der Aachener Behördenleiter auf dem Standpunkt, dass sämtliche Strafen dem Unrechtsgehalt der jeweiligen Taten nicht gerecht geworden seien540. Auf entsprechende Anordnung des RJM541 regte die Staatsanwaltschaft schließlich beim ORA die Nichtigkeitsbeschwerde 533  Verurteilung gemäß § 20 a StGB iVm § 4 VVO, § 243 Abs. 1, § 1 Abs. 1, 2 KrWVO, § 1 Abs. 1, 5 PreisstrafrechtsVO, RGBl. 1939 I, S. 999 f. 534  Urteil des Sondergerichts vom 5.6.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 213, Bl. 4 rev., 5. 535  Ebd., Bl. 11, 12. 536  Ebd., Bl. 5, 5 rev; RGBl. 1939 I, S. 999. 537  Ebd., Bl. 18 rev. 538  § 1 Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuchs vom 4. September 1941: „Der gefährliche Gewohnheitsverbrecher (§ 20 a des Strafgesetzbuchs) und der Sittlichkeitsverbrecher (§§ 176 bis 168 des Strafgesetzbuchs) verfallen der Todesstrafe, wenn der Schutz der Volksgemeinschaft oder das Bedürfnis nach gerechter Sühne es erfordern“, RGBl. 1941 I, S. 549. 539  Urteilsbericht vom 12.7.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 213, Bl. 2 rev. 540  Ebd. 541  Weisung des RMJ an den LOStA Aachen vom 3.9.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 213, Bl. 1.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

an542. Ohne selbst in der Sache weiter zu verfahren, trat diese den Vorgang zur weiteren Bearbeitung dem GStA in Köln ab543, der gegen das Sondergerichtsurteil die Nichtigkeitsbeschwerde beim Oberlandesgericht Köln einlegte544. Er forderte für die Angeklagten F., Len. und Lej. unter Anwendung von § 1 ÄnderungsG die Verhängung der Todesstrafe, da „die Angeklagten durch ihre Straftaten den Unwert ihrer Persönlichkeit derart eindringlich unter Beweis gestellt und sich mit einer so schweren sittlichen Schuld belastet“ hätten, dass „ihre Ausmerzung gefordert werden muss“545. Nach zweimaliger Verlegung der mündlichen Verhandlung wurde die Sitzung am 9. September 1944 zuletzt auf unbestimmte Zeit vertagt, nachdem Vorsitzender und Berichterstatter kriegsbedingt zu anderweitigen Arbeiten eingesetzt worden waren546. Der Vorschlag zur Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde kam im vorliegenden Fall erneut aus der Sphäre der Staatsanwaltschaft. Art und Umfang des entsprechenden Berichts des Aachener Behördenleiters waren ausnahmsweise sehr ausführlich begründet. (4) Die Fälle erfolgreicher Nichtigkeitsbeschwerden (a) Fall 9547 Gegenstand des Verfahrens waren drei Personen, die sich wegen Verbrechens gemäß § 1 Abs. 1 KrWVO in Verbindung mit §§ 1 Abs. 1, 5 PreisstrafrechtsVO strafbar gemacht hatten548, wobei auf alle Angeklagten unter Anwendung von § 27 b StPO auf eine Geldstrafe erkannt worden war, da die Angeklagten nach den Feststellungen des Sondergerichts „bisher unbestraft“ gewesen waren549. Das Reichsgericht berichtigte in seinem Urteil den Tenor des Sondergerichts dahingehend, dass § 27 b StGB auf Verbrechen nicht anwendbar war550, sodass es unter Aufhebung des Urteils zur Neuent542  Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde vom 30.9.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 213, Bl. 28, 28 rev. 543  Postkarte des Sekretariats der Reichsanwaltschaft vom 3.1.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 213, Bl. nicht angegeben. 544  Nichtigkeitsbeschwerde vom 10.2.1944 durch GStA Rahmel, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 213, Bl. 32–37. 545  Ebd., Bl. 35. 546  Siehe handschriftlicher Aktenvermerk Rahmels vom 11.9.1944, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 213, Bl. 47 rev. 547  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 614. 548  Aufgehobenes Urteil des Sondergerichts Aachen vom 6.12.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 614, Bl. 88; RGBl. 1939 I, S. 999. 549  Ebd., Bl. 92. 550  Urteil des RG vom 2.7.1942, 3 StS 44/42, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 614, Bl. 116 rev.



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scheidung zurückverwies551. Den Verurteilten oblag die gesetzliche Verpflichtung, produzierte Hühnereier bei Eiersammelstellen abzuliefern. Stattdessen verkauften sie über einen Zeitraum von zwei Monaten insgesamt 2.400 Eier aus ihrem Bestand an Privatpersonen. Die Staatsanwaltschaft Aachen hatte Freiheitsstrafen von je sieben, vier und drei Monaten Gefängnis beantragt552. Obwohl Gericht wie auch Anklagebehörde das verhängte Strafmaß als mild qualifizierten553, bezeichnete der Behördenleiter es dennoch „im Interesse der gleichmäßigen Behandlung aller Beteiligten als angemessen.554“ Dieser Einschätzung ging der Umstand voraus, dass die Staatsanwaltschaft Köln in einem zeitlich vorgelagerten Ermittlungsverfahren die Sache im Ordnungsstrafverfahren an die nachgeordnete Preisbehörde abgegeben hatte, welche die Abnehmer der in Rede stehenden Eier ebenfalls zu Geldstrafen verurteilt hatte555. Da nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft und des Sondergerichts Aachen die Schuld von Anbietern und Abnehmern als gleichwertig qualifiziert werden musste556, konnte aus dortiger Sicht im Sinne der Rechtseinheit kein anderes Ergebnis erzielt werden. Diese Ansicht wurde in Berlin nicht geteilt. Das Ministerium – welches die Initiative zur Beschwerdeanregung gab557 – lehnte eine Gleichwertigkeit der Schuld zuungunsten der Angeklagten ab, da diese den „wucherischen Gewinn“558 gehabt hätten. Das Reichsgericht schloss sich durch die Aufhebung des Urteils im Ergebnis der Einschätzung MinRat Crohnes – die vom Sondergericht Aachen vertretene Theorie zum gleichen Unrechtsgehalt von Anbietern und Abnehmern sei nicht zutreffend gewesen – an559. Im Ergebnis wurden die Angeklagten vom Sondergericht Aachen schließlich zu je zweieinhalbmonatigen Gefängnisstrafen verurteilt560. Die Anklagebehörde verkannte die materielle Fehlerhaftigkeit des Ausgangsurteils. Obwohl sie 551  Ebd.,

Bl. 115, 115 rev. des LOStA Aachen an RMJ z. Hd. Dr. Joel vom 23.12.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 614, Bl. 22. 553  Für das Sondergericht ergibt sich dies ausdrücklich aus den Urteilsgründen des aufgehobenen Urteils, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 614, Bl. 91. Für die Staatsanwaltschaft Aachen ergibt sich diese Einschätzung aus ihrem Bericht an das RJM vom 23.12.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 614, Bl. 22 rev. 554  Bericht des LOStA Aachen an RMJ z. Hd. Dr. Joel vom 23.12.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 614, Bl. 22 rev. 555  Ebd. 556  Ebd. 557  Schreiben RJM an den LOStA Aachen vom 22.1.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 614, Bl. 25. 558  Ebd. 559  Ebd. 560  Urteil des Sondergerichts Aachen vom 18.8.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 614, Bl. 129 rev. 552  Bericht

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

dennoch das zunächst verhängte Strafmaß als nicht dem Unrechtsgehalt der Tat entsprechend ansah, unterblieb eine Anregung zur Urteilskorrektur, um zwischenbehördliche Unstimmigkeiten mit der Kölner Staatsanwaltschaft zu vermeiden. Ähnlich wie im ersten Fall verhielt sich die Staatsanwaltschaft im Anschluss an das Ausgangsurteil passiv, um einen etwaigen Konflikt mit den vorgesetzten Dienstbehörden zu umgehen und sich auf diese Weise schadlos zu halten. (b) Fall 10561 Im Dezember 1943 verurteilte das Sondergericht die Angeklagte J. wegen Diebstahls in vier Fällen gemäß § 242 StGB, § 1 Abs. 2 KrWVO zu einer Gesamtgefängnisstrafe von 20 Monaten562. J. hatte einem Ehepaar aus Köln, nachdem dieses aufgrund eines Fliegerangriffs auf Köln obdachlos geworden war, zwei Zimmer in ihrer Wohnung zur Verfügung gestellt563. Bei verschiedenen Gelegenheiten entwendete J. Geldnoten und Lebensmittelmarken564. Während das Sondergericht bei der Entwendung der Lebensmittelmarken über Brot und Butter, die sich auf eine geringe Menge zum unmittelbaren Verzehr beschränkte565, § 1 Abs. 2 KrWVO als einschlägig erachtete, da „sie (…) Bescheinigungen über eine Bezugsberechtigung beiseite geschafft“ hatte, verneinte es entgegen den Ausführungen der Anklagebehörde die Anwendbarkeit von § 4 VVO566. Die Richter führten aus, dass nicht der Kriegszustand, sondern der leichtfertige Umgang567 der Geschädigten mit den Wert561  LAV

NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 269. des Sondergerichts Aachen vom 7.12.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 269, Bl. 57, 64. 563  Ebd., Bl. 57. 564  Ebd., Bl. 58 f. 565  Nach Angaben der Geschädigten handelte es sich um Marken für 2 Pfund Brot und für 62,5 Gramm Butter, siehe Anzeige der Geschädigten vom 14.8.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 269, Bl. 1. 566  Urteil des Sondergerichts Aachen vom 7.12.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 269, Bl. 62. 567  Diese Einschätzung ist als gegeben vorauszusetzen, da insbesondere das Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft mit der Einschätzung korreliert. So zählte die Geschädigte im Beisein der J. das ihr verbliebene Geld und ließ dieses nach Verlassen der Wohnung an gleicher Stelle liegen. Ebenso legte sich im Beisein der J. die beiden in Rede stehenden Butter- und Brotmarken auf den Tisch, bevor sie den Raum verließ, siehe Anklageschrift, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 269, Bl. 42. Auch die mündliche Verhandlung ergab, dass die Geschädigte von ihrem Ehemann wegen ihres leichtfertigen Verhaltens bereits wiederholt lautstark ermahnt worden war, Urteil des Sondergerichts Aachen vom 7.12.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 269, Bl. 62. 562  Urteil



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 135

gegenständen die Tat erleichtert hätten568. Obwohl der Sitzungsvertreter unter Zugrundelegung von § 4 VVO eine Gesamtzuchthausstrafe von drei Jahren und sechs Monaten beantragt hatte, und damit Strafantrag wie auch Begründung beträchtlich vom Urteilstenor abwichen, erschien dem Aachener Behördenleiter die richterliche Auffassung „nicht unbedenklich, jedoch immerhin vertretbar“569. Die Weisung zur Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde, welche die Staatsanwaltschaft Aachen vollzog570, stammte aus der Sphäre des GStA in Köln571. Er argumentierte, die Geschädigten seien nur aufgrund des Fliegerangriffs bei der Verurteilten untergekommen. Diese habe somit die durch den Kriegszustand verursachten außergewöhnlichen Verhältnisse ausgenutzt572. Das Urteil des dritten Strafsenats des RG entsprach dieser Rechtsauffassung und bejahte die Anwendbarkeit der VVO573. Sofern es Tätigkeit und Rechtsansicht betraf, bot die Arbeit der Staatsanwaltschaft ausnahmsweise keinen Anlass zu grundsätzlicher Kritik574. Auch wenn die Anklageschrift zunächst ein Verbrechen gemäß § 4 VVO unterstellt hatte575, ließ man sich zurecht von der Argumentation des Sondergerichts, welche in diesem Fall zu bevorzugen war, überzeugen. Es bestand behördenund instanzenübergreifende Einigkeit über den leichtfertigen Umgang der Geschädigten mit den Wertgegenständen576. Diese leichtfertige Handhabung war es auch, welche von der J. konkret ausgenutzt worden war. Die Argumentation, mit der die VVO vom GStA, vom RJM und letztlich auch vom RG einheitlich angenommen wurde, war hingegen unvertretbar577. Nach dor568  Ebd.

569  Bericht an den RMJ vom 20.12.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 269, Bl. 16. 570  Schreiben an den ORA vom 9.3.1944, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 269, Bl. 25. 571  Schreiben des GStA Köln an den LOStA in Aachen vom 3.3.1944, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 269, Bl. 19. 572  Ebd. 573  Urteil des RG vom 5.6.1944, 3 StS 34/44, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 269, Bl. 82. 574  Ausgenommen ist die Falschanwendung von § 1 Abs. 2 KrWVO, die aufgrund ihrer abstrakten Strafandrohung der Todesstrafe bei derart geringwertigen Diebstählen evident nicht einschlägig war. 575  Vgl. Anklageschrift, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 269, Bl. 41. 576  Vgl. für die Staatsanwaltschaft, Anklageschrift, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 269, Bl. 42 f., für Generalstaatsanwaltschaft und RJM konkludent durch die Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 269, Bl. 19 sowie für das RG, Urteil des RG vom 5.6.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 269, Bl. 82. 577  Vgl. Urteil des RG vom 5.6.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 269, Bl. 81, für den GStA Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 269, Bl. 19 sowie für das RJM Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 269, Bl. 19 rev.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

tiger Ansicht genügte für ihre Anwendbarkeit bereits der Umstand, dass der Fliegerangriff conditio sine qua non für die Wohnraumsituation war, welche die Straftat überhaupt ermöglicht hatte. Ein bloßer Kausalzusammenhang reichte aber nach dem Wortlaut von § 4 VVO für dessen Anwendbarkeit evident nicht aus, da gerade ein Ausnutzen im technischen Sinne vorausgesetzt wurde. Im vorliegenden Fall beschränkte sich die Staatsanwaltschaft bei der Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde auf die Rolle eines ausführenden Werkzeugs für Generalstaatsanwaltschaft und RJM. Bei der Korrespondenz mit dem ORA gab sie gerade nicht die eigene Rechtsüberzeugung wieder. Vielmehr empfand man das Ausgangsurteil trotz der Abweichung von der Anklageschrift als angemessen. Der Staatsanwaltschaft kam damit vorliegend die bloße Funktion eines zwischen den Dienststellen vermittelnden Sprachrohres zu, welches einzig zwischengeschaltet worden war, um den ordentlichen Dienstweg zu wahren. (c) Fall 11578 Am 19. November 1942 wurde der Getreidehändler P. wegen heimtückischer Äußerungen gemäß § 1 HG zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten verurteilt579. P. hatte geäußert, die deutsche Kriegsberichterstattung würde zu Propagandazwecken verfälscht, um deutsche Soldaten gegen die Sowjetunion aufzuwiegeln. Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Sondergericht zugunsten des P. dessen Vergangenheit als Frontsoldat und seinen Einsatz für den „Stahlhelm“ unmittelbar vor der Machtübernahme580. Das Urteil erging aus Sicht der Staatsanwaltschaft sachgemäß581. Der Generalstaatsanwalt empfand jedoch mit Blick auf die „ungeheuerliche Verunglimpfung der Deutschen Wehrmacht (…) auch unter Berücksichtigung der zugunsten des Verurteilten sprechenden (…) Strafzumessungsgründe“ das Urteil als ungerecht582. Da eine entgegenstehende Reaktion aus dem 578  LAV

NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 352. des Sondergerichts vom 19.11.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 352, Bl. 16. 580  Ebd., Bl. 17. Anm: „Der Stahlhelm“ stellte einen militärisch organisierten Wehrverband während der Weimarer Republik dar, welcher der DNVP zugerechnet wurde. 581  Bericht LOStA Führer vom 14.1.1943 an den RMJ, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 352, Bl. 15. 582  Stellungnahme des GStA an das RJM vom 14.1.1943, zitiert im Schreiben des GStA an den LOStA in Aachen vom 28.5.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 352, Bl. 19. 579  Urteil



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RJM ausblieb, wies der GStA die Aachener Behörde an, beim ORA die Nichtigkeitsbeschwerde anzuregen583. Ohne in der Sache selbst zu entscheiden, gab der ORA die Sache zur weiteren Entscheidung an den GStA ab584. Der Strafsenat des OLG Köln verurteilte P. schließlich wegen Vergehens gegen § 1 HG zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr585. Erstaunlicherweise blieb die Staatsanwaltschaft ihrer Sichtweise bis zuletzt treu. Dem ORA wurde offen kundgetan, dass man mit der Rechtsauffassung des GStA nicht in Einklang stand, indem LOStA Führer erklärte: „Die Vorlage der Akten erfolgt auf Grund des abschriftlich beigefügten Antrags des Herrn Generalstaatsanwalts in Köln (…). Meine eigene Stellungnahme zu dem Urteil habe ich ebenfalls abschriftlich beigefügt“586. Auf Reichsebene vertrat man damit offen das ursprünglich propagierte mildere Strafmaß weiter. Dies zeigt, dass die Staatsanwaltschaft in Ausnahmefällen Bereitschaft signalisierte, sich von den vorgesetzten Dienstbehörden abzugrenzen, ohne hierdurch jedoch eine faktische Wirkung erreicht zu haben. Bemerkenswert ist zudem der Grad der Willkür, welcher man seitens der Generalstaatsanwaltschaft ausgeliefert war: Die Machtverteilung zwischen Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft tritt in diesem Verfahren offen zutage. (d) Fall 12587 Wegen Schwarzschlachtens und Handels mit bezugsbeschränkten Lebensmitteln verurteilte das Sondergericht D. zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren Zuchthaus und einer Geldstrafe von 1.500 RM588 sowie G. zu einer Gefängnisstrafe von 15 Monaten und einer Geldstrafe von 300 RM589. D. hatte im Zeitraum von Sommer 1940 bis März 1943 zwei Schweine, 583  Schreiben des GStA an den LOStA in Aachen vom 28.5.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 352, Bl. 19. 584  Vgl. Bericht des LOStA Aachen an den RMJ vom 22.9.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 352, Bl. 26. 585  Urteil des Strafsenats des OLG Köln vom 19.11.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 352, Bl. nicht angegeben. 586  Schreiben an den ORA vom 4.6.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 352, Bl. 21 f. LOStA Führer verwies sowohl auf die Weisung des GStA als auch auf seinen Bericht, in dem er das Urteil als sachgemäß qualifizierte. 587  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 410. 588  Urteil des Sondergerichts vom 13.5.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 410, Bl. 75; Verurteilung gemäß § 1 Abs. 1 KrWVO, § 1 Abs. 5 PreisstrafrechtsVO, RGBl. 1939 I, S. 999 f. 589  Ebd., Bl. 75 rev.; Verurteilung gemäß § 1 Abs. 1 KrWVO, § 1 Abs. 1 PreisstrafrechtsVO, RGBl. 1939 I, S. 999, 1000.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

ein Kalb, sowie Fleisch und Eier illegal angekauft oder im Tauschhandel erworben590, während das gegenständliche Kalb von G. verkauft worden war.591. Tenor und Entscheidungsgründe deckten sich mit Erkenntnissen und Ansichten der Anklagebehörde. Im Zuge der Übersendung der Anklageschrift an das RJM hatte der Behördenleiter in Aussicht gestellt, gegen D. eine Strafe von vier Jahren Zuchthaus und gegen G. von einem Jahr Zuchthaus zu beantragen592. Der Antrag des Sitzungsvertreters Ackermann in der öffentlichen Verhandlung, eine Zuchthausstrafe von sechs Jahren zu verhängen593, hatte den Strafmaßvorstellungen der GStA entsprochen594. Während der Behördenleiter „das Urteil für vertretbar“ hielt595, empfahl die Kölner Behörde dem RMJ nach Einsichtnahme, die Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde zu erwägen596, woraufhin das Justizministerium entsprechende Weisung erteilte597. Neben der als zu mild erachteten Strafe rügte man in rechtlicher Hinsicht die Nichtanwendung von § 1 a KrWVO, obwohl das Sondergericht festgestellt hatte, dass der Angeklagte D. seine berufliche Stellung als Installateur in einigen Fällen ausgenutzt habe, um sich in den Besitz des Fleisches zu bringen598. Das Reichsgericht ging in seiner Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde, die der Aachener Behördenlei-

590  Urteil des Sondergerichts vom 14.3.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 410, Bl. 146. 591  Urteil des Sondergerichts vom 13.5.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 410, Bl. 75. 592  Bericht des LOStA Aachen an das RJM vom 19.4.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 410, Bl. 2. 593  Sitzungsprotokoll des Sondergerichts Aachen vom 13.5.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 410, Bl. 72 rev. 594  In seinem Schreiben vom 27.4.1943 brachte der GStA, vertreten durch Dr. Osterkamp, zum Ausdruck, dass D. „offenbar der Typ des gewissen Kriegsschiebers ist“ und mit Blick auf dessen „kriegsschädliches Verhalten“ eine Zuchthausstrafe von mindestens sechs Jahren zu beantragen sei, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 410, Bl. 9. 595  Schreiben des LOStA in Aachen an das RJM vom 31.5.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 410, Bl. 10. 596  Schreiben des GStA an das RJM vom 31.5.1943, zitiert in seinem Antwortschreiben an den LOStA Aachen vom 21.6.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 410, Bl. 22 rev. 597  Schreiben des RMJ an den GStA vom 17.6.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 410, Bl. 22 rev. 598  Vgl. Schreiben des GStA vom 21.6.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 410, Bl. 22, der sich auf Feststellungen beruft, die sich tatsächlich aus dem Ausgangsurteil des Sondergerichts ableiten lassen, vgl. Urteil des Sondergerichts vom 14.3.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 410, Bl. 82–85.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 139

ter mit entsprechendem Schreiben zuvor beim ORA angeregt hatte599, sogar hinaus. Es schloss sich der Ansicht an, das Sondergericht habe übersehen, § 1 a KrWVO anzuwenden. Zugleich forderte es das Sondergericht unter Rückverweisung und gleichzeitiger Neuentscheidung auf, zu prüfen, ob sich D. gemäß § 4 VVO strafbar gemacht haben könnte, da die Geschäftskunden des D. auf den Tauschhandel mit Fleisch angewiesen waren, weil ihnen „infolge der Kriegsverhältnisse kein anderer Installateur zu Verfügung“ gestanden habe600. Die Nichtigkeitsbeschwerde gegen G. wurde indes als unbegründet verworfen601. Im Ergebnis beantragte die Staatsanwaltschaft Aachen wie bereits im Ausgangsverfahren gegen D. eine Zuchthausstrafe von sechs Jahren, das Sondergericht entschied trotz Nichtigkeitsbeschwerde wiederholt nicht antragsgemäß und verurteilte D. zu einer fünfjährigen Zuchthausstrafe602. Die Staatsanwaltschaft Aachen war damit im vorliegenden Fall abermals zum bloßen Exekutivinstrument eines übergeordneten Rechtswillens seitens des GStA herabgewüdigt worden. Die Weisung zur Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde richtete sich aber mit Blick auf das von Sitzungsvertreter Ackermann geforderte Strafmaß nicht gegen eine vermeintlich linienwidrige Umsetzung durch die Staatsanwaltschaft, sondern vielmehr gegen den Urteilstenor. Die Nichtanwendung von § 1 a KrWVO war zwar in der Sache formal beanstandungsfähig, hatte aber im Ergebnis nicht die Qualität, das Strafmaß zu erhöhen. Insoweit ist das Vorbringen des GStA ein Mittel gewesen, um das Sondergericht durch höchstrichterliche Rechtsprechung konkludent zu einer schärferen Verurteilung zu nötigen. Dass die Staatsanwaltschaft bereits das aufgehobene Urteil für vertretbar hielt, spielte erneut keine Rolle. (e) Fall 13603 In einem weiteren Fall einer erfolgreich eingelegten Nichtigkeitsbeschwerde hatte der bereits sechsfach vorbestrafte Bergmann S. wahrheitswidrig beim Kriegsschädenamt einen Antrag auf Entschädigung eingereicht, in welchem er Kostenersatz für Gegenstände verlangte, die durch Bomben 599  Schreiben an den ORA vom 7.7.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 410, Bl. 24. 600  Urteil des 3. Strafsenats beim Reichsgericht vom 2.9.1943, 3 StS 81/43, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 410, Bl. 111. 601  Ebd., Bl. 110. 602  Urteil des Sondergerichts vom 14.3.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 410, Bl. 147. 603  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 444.

140

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

zerstört worden seien604. Entgegen der Anklageschrift, die eine Bestrafung aus § 4 VVO, § 263 StGB vorgesehen hatte, verurteilte das Sondergericht den S. lediglich wegen einfachen Betrugs zu einer Gefängnisstrafe von zehn Monaten605. Zwar wurde der objektive Tatbestand des § 4 VVO als gegeben erachtet, „da durch die feindlichen Fliegerangriffe (…) die Situation überhaupt geschaffen worden“ war, „die dem Angeklagten Anlass zur Tat gab“, und dem S. auch die Überlastung der Kriegsschädenämter und die hiermit verbundene eingeschränkte Überprüfbarkeit der angegebenen Ersetzungsposten bekannt war606. Allerdings distanzierten sich Sondergericht und Sitzungsvertreter von der subjektiven Volksschädlingseigenschaft, da die Vorstrafen nach dortiger Ansicht bereits zu lange zurücklagen607. Ein Urteilsbericht gegenüber Generalstaatsanwaltschaft und RJM blieb von Aachener Seite aus. Es war GStA Rahmel, der – ohne das es einen Nachweis einer entsprechenden Genehmigung durch das RJM gibt – LOStA Führer im Dezember anwies, die Nichtigkeitsbeschwerde anzuregen608. Er rügte dabei die sowohl vom Sitzungsvertreter beantragte als auch vom Gericht ausgesprochene Strafe sowie die Nichtanwendung von § 4 VVO. Aus der Sicht Rahmels hätten die Vorstrafen des S. bei der Bewertung des Angeklagten nicht unberücksichtigt bleiben dürfen609. Vielmehr habe „schon die Art der Straftat zur Anwendung der Volksschädlingsverordnung“ gezwungen, „denn wer derart pflichtvergessen und gemeinschaftswidrig handelt (…) stempelt sich selbst zum Volksschädling“610. Nach weisungsgemäßer Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde beim ORA verfügte dieser die Abgabe der Sache an den GStA, der beim OLG Köln die Nichtigkeitsbeschwerde einlegte611. Unter Aufhebung des Urteils des Sondergerichts ver604  Urteil des Sondergerichts vom 15.11.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 444, Bl. 23. 605  Die Übereinkunft beschränkte sich auf die Nichtanwendbarkeit der VVO, nicht hingegen auf das Strafmaß, da StA Zimmerath insoweit eine Gefängnisstrafe von einem Jahr beantragt hatte, siehe Sitzungsprotokoll, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 444, Bl. 21 rev. 606  Urteil des Sondergerichts vom 15.11.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 444, Bl. 23 rev. 607  Ebd., Bl. 23 rev. 608  Schreiben des GStA an den LOStA in Aachen vom 13.12.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 444, Bl. 6, 6 rev. 609  Ebd., Bl. 6. 610  Nichtigkeitsbeschwerde des GStA vom 21.1.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 444, Bl. 31 rev. 611  Die Möglichkeit der Abgabe der Kompetenz zur Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde durch den ORA an den GStA ergibt sich aus Artikel 7 § 2 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 13.8.1942,



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 141

urteilte das OLG Köln den S. gemäß § 4 VVO, § 263 StGB zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr612. Erneut ging die Initiative zur Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde vom GStA aus. In der Anregung seitens des Aachener Behördenleiters fällt allerdings auf, dass die Begründung des GStA wörtlich übernommen wurde613, ohne die Ausführungen als Zitat kenntlich zu machen. Dass dieses Vorgehen nicht gängige Verwaltungspraxis gewesen war, zeigt der Vergleich zu Fall 3614. Dort hatte der Behördenleiter ausgeführt, dass die Anregung aufgrund der Weisung des GStA erfolgte und bezüglich der Begründung auf dessen Ausführungen verwiesen. Vorliegend stellte LOStA Führer jedoch die rechtlichen Erwägungen des GStA als die eigenen dar, was eine Bereitschaft suggerierte, sich dem Willen des GStA zu fügen. Dieses Vorgehen bekräftigt die bereits genannte staatsanwaltliche Motivation einer bewussten Konfliktvermeidung zu den vorgesetzten Dienstbehörden. (f) Fall 14615 Alleine aufgrund der Anzahl der angeklagten Personen stellte die folgende causa „ein besonders bedeutungsvolles Verfahren“ dar616. So umfasste die Anklageschrift eine Gesamtzahl von 21 Personen617, die in Form von mittäterschaftlichen Tatbeiträgen oder Teilnahmehandlungen an Schwarzschlachtungen beteiligt gewesen waren. Die fünf Hauptangeklagten RGBl. 1942 I, S. 508. Schreiben des LOStA Aachen an den ORA vom 21.12.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 444, Bl. 8, 8 rev. 612  Anm.: Das Urteil des OLG Köln war in seiner Begründung höchst bedenklich. Ebenso wie das aufgehobene Sondergerichtsurteil bejahte es die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen, ging aber auf das entscheidende Tatbestandsmerkmal, welches letztlich alleine die Verurteilung gem. § 4 VVO rechtfertigen konnte, und gegen welches sich Rahmel im Ausgangsurteil des Sondergerichts Aachen gewehrt hatte, nämlich die subjektive Volksschädlingseigenschaft des S., überhaupt nicht ein. Damit lieferte das eigene Urteil in seiner Begründung letztlich keine Rechtsgrundlage für eine Verurteilung aus § 4 VVO, siehe insoweit Urteil des OLG Köln vom 18.3.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 444, Bl. 49, 50. 613  Vgl. zur in Teilen wortgleichen Übernahme der Ausführungen des GStA das Schreiben LOStA Führer vom 21.12.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 444, Bl. 8, mit dem Schreiben des GStA vom 13.12.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 444, Bl. 6. 614  Siehe nochmals oben S. 121. 615  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 339, 340; ebenso BArch R 3001, Nr. 153533. 616  LOStA Führer selbst bewertete das Verfahren unter Verwendung des obigen terminus in seiner Mitteilung an das RJM vom 18.12.1941, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 31. 617  Anklageschrift vom 20.10.1941, BArch R 3001, Nr. 153533, Bl. 3 f.

142

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

R., W., G., S. und B. betrieben in ihrem jeweiligen Ortskreis Fleischereien und hatten miteinander im Zeitraum von Juni 1940 bis April 1941 organisierte Schwarzschlachtungen in großem Umfang durchgeführt618. Das schwarzgeschlachtete Fleisch wurde der Kundschaft bei ihren Einkäufen ohne entsprechende Lebensmittelmarken überlassen, um so durch Mundpropaganda den eigenen Kundenkreis erweitern zu können619. In seinem Ausgangsurteil verurteilte das Sondergericht die fünf Angeklagten wegen Verbrechens gegen § 1 Abs. 1 KrWVO zu je fünf, dreieinhalb, dreieinhalb, drei, und zweieinhalb Jahren Zuchthaus und Geldstrafen. Dabei verneinte das Sondergericht trotz des Umfangs der Schlachtungen einen besonders schweren Fall620. Abweichend vom gerichtlichen Ergebnis hatte LOStA Führer im Vorfeld der Hauptverhandlung in Aussicht gestellt, gegen R., W., G. und S. die Todesstrafe zu beantragen und gegen B. eine Zuchthausstrafe von zwölf Jahren zu fordern, falls sich die nach dem Ermittlungsergebnis festgestellten Schlachtzahlen bewahrheiteten621. Da die Anklageschrift hinsichtlich aller Personen von einem besonders schweren Fall ausgegangen war, und das tatsächlich verhängte Strafmaß eklatant von den Vorstellungen der Staatsanwaltschaft abwich622, verwunderte es nicht, dass sich der Aachener Behördenleiter in seinem Schlussbericht zu der Bemerkung hinreißen ließ, das Gericht habe „bei der Strafzumessung (…) völlig versagt“623. Auch aus 618  Nach dem Ergebnis der Sitzung des Sondergerichts vom 16.4.1943, welches abweichend vom staatsanwaltschaftlichen Ermitttlungsergebnis eine erhöhte Schwarzschlachtungsanzahl annahm, gliederten sich die Schlachtungen wie folgt: R: 19 Stück Großvieh, 5 Kälber, 27 Schweine, 25 Schafe; W.: 13 Stück Großvieh, 5 Kälber, 7 Schweine, 1 Schaf; G.: 15 Stück Großvieh; S.: 10 Stück Großvieh, 8 Kälber, 7 Schweine; B.: 9 Stück Großvieh, 4 Kälber, 7 Schweine, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 340, Bl. 387. 619  Urteil des Sondergerichts vom 16.4.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 340, Bl. 380, sowie Ausführungen im Urteil des RG, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 340, Bl. 312. 620  Urteil des Sondergerichts Aachen vom 17.1.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 340, Bl. 285. 621  Bericht LOStA Führer an den RMJ vom 20.10.1941, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 339, Bl. 29. 622  Tatsächlich hatte der Sitzungsvertreter seinen Strafantrag an die Schlachtmenge anpassen müssen, die das Gericht in der mündlichen Verhandlung zugunsten der Angeklagten zugrunde gelegt hatte, sodass er für R. weiterhin die Todesstrafe, für W. eine Zuchthausstrafe von 12 Jahren, für G. eine Zuchthausstrafe von 11 Jahren, für S. eine Zuchthausstrafe von 13 Jahren und für B. eine solche von 10 Jahren gefordert hatte, Urteilsbericht von LOStA Führer an das RJM vom 20.1.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 339, Bl. 52. 623  Urteilsbericht des LOStA Führer an das RJM vom 20.1.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 339, Bl. 53 rev.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 143

staatspolitischen Gründen hielt er ein Vorgehen gegen die sondergerichtliche Entscheidung für erforderlich, da bei einer derartigen Rechtsprechung eine Abschreckungswirkung in ähnlich gelagerten Fällen nicht erreicht werden könne624. Dabei ging seine Empfehlung über die bloße Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde hinaus, indem er dem RJM empfahl, bezüglich der Hauptangeklagten den außerordentlichen Einspruch einzulegen625. Auch bei Generalstaatsanwaltschaft und RJM telte man die Auffassung, dass die Strafen zumindest bezüglich der Hauptangeklagten „sehr milde“626 ausgefallen waren und „in etwa der doppelten Höhe der tatsächlich erkannten“ Strafe hätten verhängt werden müssen627. Indes wurde vom Ministerium von der Einlegung des außerordentlichen Einspruchs abgesehen, „da das Urteil nicht in einem Maße verfehlt“ erschien, „dass die Einlegung dieses nur für Ausnahmefälle gedachten Rechtsbehelfs geboten wäre“628. Tatsächlich war es der bürokratische Aufwand, der den ORA zunächst von der Einlegung des außerordentlichen Einspruchs abhielt629. Folglich interpretierte man die Entscheidung des ORA dahingehend, von jedweder Urteilskorrektur absehen zu wollen, da im Anschluss eine ministerielle Weisung zur Beschwerdeanregung ausblieb. Der Vorgang wurde schließlich auf persönliche Anfrage des ORA – was für die Aachener Vorgänge eine Einmaligkeit darstellte – übersandt630. Es war auch der ORA, der schließlich eine Nichtigkeitsbeschwerde einlegte. Der dritte Strafsenat des Reichsgerichts unter Vorsitz von Erwin Bumke verhalf dieser zum Erfolg, indem es das Ausgangsurteil aufhob und zur 624  Ebd.,

Bl. 54. Bl. 54. 626  Schreiben des RMJ an den GStA vom 14.3.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 339, Bl. 58. 627  Stellungnahme des GStA an den RMJ vom 4.3.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 339, Bl. 58 rev. 628  Schreiben des RMJ an den GStA vom 14.3.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 339, Bl. 58. 629  Siehe insoweit die Ausführungen des ORA Brettle an Freisler: „Was aber im besonderen Maße gegen den außerordentlichen Einspruch spricht, ist der Kräfteaufwand, der eine Verhandlung vor dem Besonderen Senat erfordern würde. Die Hauptverhandlung vor dem Sondergericht hat neun Tage gedauert, es sind 36 Zeugen vernommen worden. (…) Bei der Peinlichkeit und Genauigkeit, mit der der Besondere Senat die Beweisaufnahme erledigt, wäre eine Verhandlung zu erwarten, die einen außergewöhnlichen Umfang hätte“, Schreiben des ORA Brettle an StS Freisler vom 20.6.1942, BArch R 3001, Nr. 153533, Bl. 59. 630  Bericht des LOStA an den GStA vom 7.7.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 339, Bl. 66. Die tatsächliche Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde erfolgte schließlich am 27.10.1942, Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde durch den ORA beim Präsidenten des 3. Strafsenats beim RG, BArch R 3001, Nr. 153533, Bl. 64. 625  Ebd.,

144

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Neuentscheidung zurückverwies. Das RG hielt die Todesstrafe für die Hauptangeklagten für durchaus vertretbar, indem es herausfordernd in Aussicht stellte: „Soweit der Tatrichter auch bei erneuter Prüfung wieder auf Freiheitsstrafe erkennt, wird zu erwägen sein, ob die bisher verhängte Zuchthausstrafe der Höhe nach dem Unrechtsgehalt der Taten entspricht“631. Die Staatsanwaltschaft war diejenige Behörde, welche mit ihren beabsichtigten Todesurteilen voliegend die härtesten Sanktionen für die Angeklagten gefordert hatte, während der ORA es als „nicht angebracht“ empfand, „auch nur über einen der Angeklagten die Todesstrafe zu verhängen“632. (g) Fall 15633 In einen Wehrdienstentziehungsverfahren hatte H., ein römisch-katholischer Pfarrer belgischer Staatsangehörigkeit, einem deutschen Staatsangehörigen geholfen, sich dem Wehrdienst zu entziehen. Er hatte den gemusterten P. an einen befreundeten Notar verwiesen, der die Einziehung des P. zum Wehrdienst vereitelte634. In einem weiteren Fall hatte H. vorübergehend zwei französische Kriegsgefangene bei sich beherbergt und schickte sie anschließend ebenfalls zu dem Notar635. Das Sondergericht Aachen verurteilte H. wegen verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 KSSVO636 zu einer Gefängnisstrafe von 15 Monaten637. Da das Sondergericht lediglich sechs Monate hinter dem vom Sitzungsvertreter gestellten Antrag zurückgeblieben war, beurteilte der Aachener Behördenleiter das Urteil als sachgemäß, ohne die 631  Urteil des RG vom 16.11.1942, 3 StS 47/42, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 340, Bl. 312 rev. 632  Schreiben des ORA Brettle an StS Freisler vom 20.6.1942, BArch R 3001, Nr. 153533, Bl. 59. 633  BArch R 3001, Nr. 176521. 634  Aufgehobenes Urteil des Sondergerichts Aachen vom 15.9.1942, BArch R 3001, Nr. 176521, Bl. 9. Obwohl das Urteil in der Folge aufgehoben wurde, wird der dort zugrundegelegte Sachverhalt bei der Darstellung als gegeben herangezogen, da die Aufhebung des Urteils nicht auf fehlerhaften Tatsachenfeststellungen, sondern fehlerhafter rechtlicher Würdigung beanstandet worden war, siehe Urteil des 3. Strafsenats beim RG vom 1.3.1943, BArch R 3001, Nr. 176521, Bl. 17. 635  Aufgehobenes Urteil des Sondergerichts Aachen vom 15.9.1942, BArch R 3001, Nr. 176521, Bl. 10. 636  § 5 Abs. 1 Nr. 3 Verordnung über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz (Kriegssonderstrafrechtsverordnung) vom 26.8.1939, RGBl. 1939 I, S. 1456. 637  Aufgehobenes Urteil des Sondergerichts Aachen vom 15.9.1942, BArch R 3001, Nr. 176521, Bl. 7.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 145

Anregung einer Nichtigkeitsbeschwerde zu erwägen638. Trotz der Rüge eines Fehlers bei der rechtlichen Beurteilung des Sondergerichts durch das Absehen von einer Bestrafung wegen Gefangenenbefreiung gemäß § 120 StGB empfahl der Generalstaatsanwalt mit Blick auf die aus seiner Sicht angemessene Strafe auf die Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde zu verzichten639. Entgegen dieser Empfehlungen verfügte das RJM die Beschwerdeanregung640. Das Reichsgericht korrigierte in der Folge das Urteil des Sondergerichts lediglich bezüglich der Bestrafung im Rahmen des zweiten Tatkomplexes dahingehend, dass auch gemäß § 120 StGB zu bestrafen sei, während es die konkrete Ausgestaltung des Strafrahmens unter Rückverweisung dem Sondergericht Aachen überließ641. Dem Antrag der Staatsanwaltschaft entsprechend verurteilte dieses den H. schließlich wegen verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen in einem besonders schweren Fall gemäß § 4 Wehrkraftschutzverordnung642 in Tateinheit mit Vergehen nach § 120 StGB zu einer Zuchthausstrafe von 20 Monaten643. Die Aktivität der Staatsanwaltschaft in diesem Fall ist vergleichsweise zurückhaltend. Ergebnisorientiert hatte sie das Urteil als sachgemäß qualifiziert644. Dass diese unkritische Stellungnahme insbesondere mit Blick auf die rechtlich zu beanstandende Nichtanwendung645 des § 120 StGB aus einem vermeintlichen Nichterkennen dieses Fehlers seitens der Anklagebehörde resultierte, wird dadurch ausgeschlossen, dass der Anklageschrift die Forderung nach Bestrafung aus § 120 StGB zugrunde lag646. 638  Bericht des LOStA in Aachen an das RJM vom 12.11.1942, BArch R 3001, Nr. 176521, Bl. 6. 639  § 120 StGB: „Wer einen Gefangenen aus der Gefangenenanstalt oder aus der Gewalt der bewaffneten Macht, des Beamten oder desjenigen, unter dessen Beaufsichtigung, Begleitung oder Bewachung er sich befindet, vorsätzlich befreit oder ihm zur Selbstbefreiung vorsätzlich behilflich ist, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar“, Schönke, StGB, § 120, S. 277. 640  Verfügung des RJM an den GStA in Köln vom 6.1.1943, BArch R 3001, Nr. 176521, Bl. 12. 641  Urteil des 3. Strafsenats beim RG vom 1.3.1943, BArch R 3001, Nr. 176521, Bl. 17. 642  § 4 Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des Deutschen Volkes vom 25. November 1939, RGBl. 1939 I, S. 2319. 643  Urteil des Sondergerichts Aachen vom 13.4.1943, BArch R 3001, Nr. 176521, Bl. 14. 644  Bericht des LOStA in Aachen an das RJM vom 12.11.1942, BArch R 3001, Nr. 176521, Bl. 6. 645  Dass § 120 StGB auch für die hier einschlägige Hilfeleistung einschlägig gewesen war, ergab sich aus der entsprechenden Gesetzeskommentierung, Schönke, StGB, § 120, Nr. II, S. 278. 646  Siehe Anklageschrift vom 21.8.1942, BArch R 3001, Nr. 176521, Bl. 2.

146

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

(h) Fall 16647 In der Nacht vom 2. September 1943 überflogen alliierte Flugzeuge den Luftraum über Aachen und warfen gefälschte Lebensmittelmarken ab648. Die Angeklagte K. fand solche Marken über eine Fleischmenge von insgesamt rund sieben Kilogramm Fleisch. In der Folge beschaffte sie sich in verschiedenen Metzgereien Fleisch649. Das Sondergericht verurteilte K. wegen Vergehens gemäß § 2 Abs. 1, 4 VerbrauchsregelungsstrafVO650 zu einer Geldstrafe von 250 RM651. Die Staatsanwaltschaft hatte die Tat abweichend als Verbrechen gemäß § 1 Abs. 2 KrWVO qualifiziert, indem sie unterstellte, die K. habe gewusst, dass es sich bei den Marken um solche der alliierten Streitkräfte gehandelt habe. In seinem ausführlichen Urteilsbericht an das RJM kritisierte der Behördenleiter das Urteil sowohl in rechtlicher Hinsicht wie auch mit Blick auf die tatsächlichen Feststellungen als „nicht tragbar“652. In Bezug auf die Sachverhaltsfeststellungen entschied das Sondergericht einmal mehr in dubio pro reo, indem es ausführte, dass K. ein Wissen um die Falschheit der Marken nicht nachgewiesen werden konnte und sie ein solches Wissen insbesondere aufgrund fehlender medialer Bekanntmachungen auch nicht haben musste653. Hiergegen brachte LOStA Führer vor, dass alleine das Verhalten der K., in drei verschiedenen Geschäften einkaufen zu gehen, Indiz ihres schlechten Gewissens gewesen sei. Insbesondere berief er sich zur richterlichen Einschätzung mangelnder Bekanntmachung auf eine Ausgabe des Westdeutschen Beobachters vom Tag des Abwurfes, in welchem gewarnt worden war, dass britische Flieger Lebensmittelmarken abwerfen würden654. Aufgrund dieser Bedenken sprach sich die Staatsanwaltschaft für 647  BArch 648  Urteil

R 3001, Nr. 163218. des Sondergerichts Aachen vom 8.10.1943, BArch R 3001, Nr. 163218,

649  Ebd.,

Bl. 8 rev.

Bl. 8.

650  „Bekanntmachung

der neuen Fassung der Verordnung über Strafen und Strafverfahren bei Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften auf dem Gebiet der Bewirtschaftung bezugsbeschränkter Erzeugnisse (Verbrauchsregelungs-Strafverordnung)“ vom 26.11.1941, RGBl. 1941 I, S. 735. 651  Urteil des Sondergerichts Aachen vom 8.10.1943, BArch R 3001, Nr. 163218, Bl. 8. 652  Bericht des LOStA Führer an das RJM vom 29.10.1943, BArch R 3001, Nr. 163218, Bl. 5. 653  Urteil des Sondergerichts Aachen vom 8.10.1943, BArch R 3001, Nr. 163218, Bl. 9 rev. 654  Ausgabe des Westdeutschen Beobachters vom 1.9.1943, BArch R 3001, Nr. 163218, Bl. 4.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 147

die Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde aus, welche auch von der Generalstaatsanwaltschaft begrüßt wurde655. Das RG, welches sich den Kritikpunkten anschloss656, verwies die causa unter Aufhebung des Urteils zur Neuverhandlung an das Sondergericht Köln657, welches K. schließlich wegen Vergehens gegen § 1 Abs. 2, 3 KrWVO – allerdings unter Ablehnung der Anwendung der VVO – zu einer Gefängnisstrafe von acht Monaten verurteilte658. Stellt man auf die Rolle der Staatsanwaltschaft Aachen im Verfahrensverlauf gegen K. ab, so ergeben sich im Vergleich zu den übrigen Fällen von erwogenen und erfolgreichen Nichtigkeitsbeschwerden einige Einzigartigkeiten. Zunächst ist ihr ausnahmsweise keine offensichtlich täterungünstige Abweichung bei der Ermittlungsarbeit vorzuwerfen. Im Gegenteil war die Kritik zu den rechtlichen und tatsächlichen Bedenken zum Urteil eines Beweises zugänglich. So konnte die Fehleinschätzung des Sondergerichts, die K. habe keine Kenntnis von den Abwürfen haben können, durch einen entsprechenden Zeitungsartikel in der Region widerlegt werden. Auch die Vorwürfe mangelnder Kooperationsfreudigkeit der K. waren begründet, da die Vernehmungsprotokolle ergaben, dass K. auf wiederholte Anfragen den Fund der Marken in Abrede gestellt hatte. Ein weiteres novum bestand in dem augenscheinlichen Machtpotential, welches die Staatsanwaltschaft bei der Durchsetzung eigener Rechtsinteressen entfaltete. So entschied das Reichsgericht in seinem Urteil, entgegen der gesetzlichen Normierung zur Nichtigkeitsbeschwerde, die Sache nicht an die Aachener Ausgangsinstanz zurück zu verweisen, sondern das Sondergericht Köln mit der Neuverhandlung zu betrauen659. Diese für den Standort Aachen einzigartige Abweichung von der sonstigen Verwaltungspraxis war allerdings keine originäre Idee des dritten Strafsenats des Reichsgerichts gewesen, sondern bereits im Vorfeld vom Aachener Behördenleiter in Vorschlag gebracht worden: „Im Falle der Aufhebung des Urteils auf Nichtigkeitsbeschwerde hin dürfte es im Hinblick auf die von dem Sondergericht in Aachen im Urteil zum Ausdruck gebrachte Einstellung zweckmäßig sein, an ein anderes benachbartes Son655  Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Köln vom 9.11.1943, BArch R 3001, Nr. 163218, Bl. 7 rev. 656  Dies betraf insbesondere die Einschätzung der Einschlägigkeit von § 1 Abs. 2 KrWVO, die Bedenken bezüglich der vermeintlich nicht möglichen Kenntnisnahme der K. von den Abwürfen sowie die Einschlägigkeit von § 4 VVO, 657  Urteil des dritten Strafsenats des RG vom 6.3.1944, BArch R 3001, Nr. 163218, Bl. 24 rev., 25. 658  Urteil des Sondergerichts Köln vom 19.5.1944, BArch R 3001, Nr. 163218, Bl. 12. 659  Urteil des 3. Strafsenats des RG vom 6.3.1944, BArch R 3001, Nr. 163218, Bl. 25 rev.

148

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

dergericht zu verweisen“660. In keinem anderen Fall nutzte die Staatsanwaltschaft die Plattform der Berichtspflicht zur Einflussnahme auf den Prozessfortgang derart effektiv wie im vorliegenden Fall. So schloss sich das Reichsgericht nicht nur den rechtlichen und tatsächlichen Bedenken der Staatsanwaltschaft Aachen nahezu umfassend an, sondern ging sogar auf den dortigen Vorschlag ein, entgegen der gesetzlichen Normierungen die örtliche Zuständigkeit abweichend zu bestimmen661. Damit wurde die Initiativfunktion der ersten Stellungnahme nicht bloß genutzt, um die unerwünschte milde Rechtsprechung des Sondergerichts korrigieren, sondern vollständig und erfolgreich durch anderweitige örtliche Zuständigkeit aushebeln und die richterliche Unabhängigkeit umgehen zu können. Die wirksame Entfaltung des dargestellten Machtpotentials hing zwar im Ergebnis maßgeblich von der Zustimmung der vorgesetzten Dienstbehörden ab. Es bestätigt sich jedoch das der Berichtspflicht inne wohnende abstrakte Machtpotential der Staatsanwaltschaft durch gezielte Einflussnahme auf den Verfahrensfortgang. cc) Schlussfolgerung Von den Darstellungen Freislers zur Nichtigkeitsbeschwerde, deren vornehmstes Ziel es gewesen war, „konkrete Gerechtigkeit“ herbeizuführen, sodass sich die Beschwerdemöglichkeit „nicht nur (!) zugunsten, sondern auch zuungusten des Verurteilten auswirken“ konnte, weicht die Aachener Justizverwaltungspraxis eklatant ab662. Das formulierte Regel-AusnahmePrinzip der Beschwerdeeinlegung zugunsten des Angeklagten wurde in der Aachener Praxis in sein Gegenteil verkehrt. Lediglich in einem von 16 Fällen wurde dem ORA ein Verfahren zur Prüfung vorgelegt, welches zugunsten des Verurteilten korrigiert werden sollte. Auch den vom ORA veröffentlichten Statistiken aus dem Geschäftsjahr 1941, in welchem von allen eingegangenen Anregungen die Hälfte aus der Sphäre der Justizbehörden stammten, und lediglich 15 % zuungunsten von Verurteilten erfolgten663, stehen die hiesigen Zahlen mit 92 % der Anregungen aus der Sphäre der Justizbehörden und ebenfalls 92 % zuungunsten der Angeklagten konträr bzw. diametral gegenüber664. Bis auf eine nicht mehr erfolgte Neuverhand660  Bericht des LOStA Führer an das RJM vom 29.10.1943, BArch R 3001, Nr. 163218, Bl. 7. 661  Urteil des 3. Strafsenats des RG vom 6.3.1944, BArch R 3001, Nr. 163218, Bl. 25 rev. 662  Freisler, Nichtigkeitsbeschwerde, in: DJ 1940, S. 343. 663  Brettle, Nichtigkeitsbeschwerde, in: DJ 1941, S. 568. 664  Diese Zahlen beziehen sich allerdings auf die Geschäftsjahre 1941 bis 1944.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 149 Tabelle 3 Ausgang und Merkmale von Verfahren vor dem Sondergericht Aachen, die im Zusammenhang mit Nichtigkeitsbeschwerden stehen Anzahl

zuungunsten des Angekl.

Initiative der Staatsanwaltschaft

Initiative der General staatsanwalt­schaft

erwogene Nichtigkeitsbeschwerde

 3

3

2

1

0

0

angeregte Nichtigkeitsbeschwerde

 3

2

0

0

2

2665

eingelegte Nichtigkeitsbeschwerde

 2

2

1

0

1

0

erfolgreiche Nichtigkeitsbeschwerde

 8

8

2

4

2

5

gesamt

16

15

5

5

5

7

Initiative Konformität des RJM der Staatsanwaltschaft mit Ausgangsurteil

lung hatten alle Urteilskorrekturen ein schärferes Strafmaß zur Folge666. Insgesamt erwog die Staatsanwaltschaft in keinem Fall eine Beschwerdeanregung zugunsten des Verurteilten. Die Intention, die Nichtigkeitsbeschwerde als originären Rechtsbehelf des Oberreichsanwaltes alleine in dessen Ermessen zu stellen, indem dieser auch „Zweifelsfälle erfahren“ müsse, „um sie prüfen zu können“667, wurde durch die praktische Handhabung ausgehebelt. Durch die behördeninterne Korrespondenz bezüglich der Erwägung einer Nichtigkeitsbeschwerde zwischen der Staatsanwaltschaft, der Generalstaatsanwaltschaft und dem RJM erfolgte eine Selektion der Informationen, die 665  In einem Fall erfolgte die Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde durch den verteidigenden Rechtsanwalt, siehe Nichtigkeitsbeschwerden Fall 5, oben, S. 124. 666  Siehe insoweit Tabelle 27, Anhang, S. 509. 667  Freisler, Nichtigkeitsbeschwerde, in: DJ 1940, S. 351.

150

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

dem ORA übersandt wurde. Denn die Beurteilung eines Zweifelsfalls wurde im Vorfeld einzig von der Staatsanwaltschaft und deren vorgesetzten Dienstbehörden vorgenommen. Dabei reichte die alleinige Beurteilung der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft grundsätzlich nicht aus, um eine Aktenvorlage beim ORA zu erwirken668. Soweit keine ausdrückliche Weisung durch das Ministerium zur Beschwerdeanregung erging, blieb eine Aktenübersendung und eine hiermit verbundene Kenntnisnahme des ORA, was durch die drei Fälle einer propagierten, aber nicht angeregten Nichtigkeitsbeschwerde belegt wird, aus. Rechtlich war es dem ORA zwar unbenommen, auch ohne eine etwaige Mitwirkung der Strafverfolgungsbehörden Verfahren zwecks Prüfung der Nichtigkeitsbeschwerde an sich zu ziehen, was auch in einem Fall erfolgte669. Aufgrund des enormen quantitativen Anfalls reichsweiter Strafverfahren war er jedoch auf die entsprechende Vorarbeit der Strafverfolgungsbehörden angewiesen, da er schlechterdings sämtlich verhandelte Strafverfahren einer persönlichen Prüfung unterziehen konnte. Wenn auch die endgültige Entscheidung über das „ob“ einer Einlegung letztlich dem ORA vorenthalten blieb, konnten die Strafverfolgungsbehörden dennoch durch unterlassende Mitteilungen maßgeblich steuern, in welchen Verfahren die Nichtigkeitsbeschwerde unterbleiben sollte. Insoweit wurde ihre Anwendung faktisch ins Belieben der Strafverfolgungsbehörden gestellt670. Die Erkenntnisse für Aachen zeigen, dass die Machtverhältnisse bei der Rechtsmittelanregung unter den jeweils beteiligten Behörden divergierten. 668  Ausnahmen hierzu bilden die Fälle 11 und 13 insoweit, als dass keine schriftliche Weisung des RJM vorlag. Es konnte aber im Lichte der übrigen Verwaltungspraxis nicht ausgeschlossen werden, dass die Weisung durch den GStA in diesen Fällen mit dem RJM fernmündlich kommuniziert worden war, da der Kölner Sonderreferent gegenüber dem Sonderreferent auf Reichsebene weisungsabhängig war. Gruchmanns Ausführungen auf Reichsebene weichen dagegen von der Aachener Verwaltungspraxis ab. Er führt aus, dass in Zweifelsfällen der OStA durch den GStA – der seine entsprechende Stellungnahme beifügte – an den ORA berichtete, Gruchmann, Justiz, S. 1085. 669  Siehe Fall 14, S. 141. 670  Dieses Ergebnis wurde von Freisler zumindest in der Theorie als nicht dem Sinn der Nichtigkeitsbeschwerde entsprechend in Abrede gestellt, Freisler, Nichtigkeitsbeschwerde in : DJ 1940, S. 351. Einzige Ausnahme blieb eine Übersendung der Akten nach dahingehender Aufforderung durch den ORA. Allerdings hatten bereits zuvor Staatsanwaltschaft und die vorgesetzten Dienstbehörden gleichermaßen die Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde befürwortet, Bericht des LOStA an den GStA vom 7.7.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 339, Bl. 66. Die tatsächliche Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde erfolgte schließlich am 27.10.1942, Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde durch den ORA beim Präsidenten des 3. Strafsenats beim RG, BArch R 3001, Nr. 153533, Bl. 64.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 151

Die These, die Nichtigkeitsbeschwerde habe zu einer Machtsteigerung der Staatsanwaltschaft geführt, lässt sich derart verallgemeinernd am Beispiel Aachens nicht aufrechterhalten671. Denn dies würde voraussetzen, dass die Staatsanwaltschaft als ein gleichberechtigtes Organ innerhalb der Strafjustizverwaltung hätte agieren können. Die Fälle, in denen die Anregung einer Nichtigkeitsbeschwerde erwogen worden waren, jedoch nicht erfolgten, verdeutlichen vielmehr, dass die tatsächliche Anregung von einer Weisung des RJM bzw. der Generalstaatsanwaltschaft abhing. Damit war die Entscheidung über eine Rechtsmittelanregung dem Herrschaftsbereich der Staatsanwaltschaft grundsätzlich entzogen672. Das bereits in der Theorie bestehende Subordinationsverhältnis durch überbehördliche Weisungsmacht wurde in der Praxis entsprechend umgesetzt. Von einer Wahrnehmung echter Kompetenzen durch die Staatsanwaltschaft konnte daher im „außerordentlichen Rechtsmittelverfahren“ keine Rede sein. Ihre Rolle erschöpfte sich vielmehr in zwei Funktionen: der eines unverbindlichen Beraters für das RJM einerseits und eines Sprachrohrs bei der Ausführungshandlung einer Beschwerdeanregung andererseits. Die Unverbindlichkeit der Beratungstätigkeit folgt aus dem Umstand, dass die Urteilsberichte, in denen man sich für eine Anregung ausgesprochen hatte, inhaltlich für Generalstaatsanwaltschaft und RJM ohne jegliche Bindungswirkung waren. Umgekehrt gewährleistete die normierte Berichtspflicht den laufenden Informationsfluss und die Detailkenntnis der vorgesetzten Behörden. Die mangelnde Kompetenz der Staatsanwaltschaft, eigene Entscheidungen ohne vorherige Absprache umzusetzen, korreliert insoweit negativ mit der unbedingten Verpflichtung zur Stellungnahme, was die praktische Umsetzung der Behördenhierarchie zusätzlich verstärkte und die Staatsanwaltschaft zum informellen Zuarbeiter des Ministeriums degradierte. Von insgesamt zehn eingelegten Nichtigkeitsbeschwerden sind vormals lediglich drei von der Staatsanwaltschaft propagiert worden. Generalstaatsanwaltschaft und RJM hingegen trieben zehn Beschwerdeverfahren voran, deren Ausgangsurteile die Staatsanwaltschaft in sieben Fällen abweichend als tragbar beurteilt hatte. Umgekehrt waren zwei von der Basis gerügte Urteile vom RJM nicht weiter beanstandet worden. Somit hatte die Aachener Anklagebehörde zu 60 % Weisungen zu bearbeiten, die der eigenen Auffassung entgegenstanden673. 671  Anders Hanne, Rechtskraftdurchbrechungen, S. 70; Riehle, Staatsanwaltschaft, S. 146; Schumacher, Strafverfahrensrecht, S. 31, Gruchmann, Justiz, S. 1135. 672  Die undifferenzierte Feststellung Schumachers (Schumacher, Strafverfahrensrecht, S. 31.), die Machtsteigerung der Staatsanwaltschaft sei durch die Einführung der Nichtigkeitsbeschwerde komplettiert worden, trifft insoweit nicht zu. 673  Der Rechnung liegen 15 erwogene Nichtigkeitsbeschwerden aus der Sphäre der Justizverwaltung zugrunde. In zwei Fällen wurde eine Anregung unterlassen, obwohl diese von der Staatsanwaltschaft gewünscht war. In sieben Fällen erfolgte

152

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Umgekehrt gelang es ihr in nur 20 % potentieller Beschwerdeverfahren, die Nichtigkeitsbeschwerde aufgrund eigener Initiative tatsächlich anzuregen674. In sämtlichen Fällen angeregter Nichtigkeitsbeschwerden war es die Staatsanwaltschaft, welche die Korrespondenz mit dem ORA führte und so als Überbringer der ministeriellen Entscheidung gegenüber diesem auftrat675. Durch den Akt der Beschwerdeanregung repräsentierte die Anklagebehörde nach außen formal eine Kompetenz zur Mitsprache. Tatsächlich erfolgte diese jedoch unabhängig von der eigenen Rechtsauffassung auf entsprechendes ministerielles Geheiß, um stellvertretend eine fremdbehördliche Rechtsauffassung nach außen zu vertreten. Einzige Möglichkeit einer eigenständigen Einflussnahme auf den Verfahrensgang war die konkrete Ausgestaltung der jeweiligen Berichte, um die Erfolgsaussichten auf die Umsetzung eigener Vorstellungen zu verstärken. Durch kritische Auseinandersetzung der vorgesetzten Behörden mit sämtlichen Stellungnahmen waren der Einflussnahme jedoch enge Grenzen gesetzt. Immerhin zeigen sich dezidierte Ausführungen zur Bekräftigung eigener Standpunkte sowie eine ausgewählte Sprachwahl als Indikatoren, welche die Chancen einer gezielten Einflussnahme erhöhen oder im Falle ihres Unterlassens verringern konnten. Dass die Berichterstattung durchaus als Plattform zur Durchsetzung eigener prozessualer Vorstellungen geeignet war, zeigt das Verfahren Lej.676 Den wesentlichen Erfolgsnachweis einer schlüssigen und detaillierten Kritik bildet jedoch der Urteilsbericht im Verfahren gegen K., in welchem neben der Beschwerdeanregung sogar das Resultat erzielt wurde, die Neuentscheidung einem anderen Sondergericht zu überlassen, um die als zu mild empfundene Aachener Rechtsprechung zu umgehen677. Diese Initiative hatte nicht bloß eine Urteilskorrektur, sondern sogar eine Entbindung des Sondergerichts von eine Anregung, obwohl diese unter Verweis auf die Tragbarkeit des Ausgangsurteils nicht gewünscht wurde. Siehe Tabelle 3, oben, S. 149. 674  Ausgehend von 15 Nichtigkeitsbeschwerden erfolgte in drei Fällen – einem Fall der Einlegung durch den ORA und zwei Fällen einer erfolgreichen Einlegung – die vorherige Anregung mit Willen der Staatsanwaltschaft, siehe Tabelle 3, oben, S. 149. 675  Insoweit sind die Ausführungen Kauls nicht differenziert, der die Meinung vertritt, RJM oder GStA „kamen für diese Anregungen in Frage“, Kaul, Reichsgericht, S. 220. Tatsächlich oblag zumindest für Aachen die formale Anregung alleine der Staatsanwaltschaft. Die Weisungsmacht zur Anregung oblag dem RJM. Der Generalstaatsanwaltschaft oblag weder die formale Anregung, noch – bis auf die Ausnahmen in Fall 11 und Fall 13 – die Weisungsmacht zur Anregung gegenüber der Staatsanwaltschaft. 676  Siehe Urteilsbericht Führers vom 12.7.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 213, Bl. 2 rev. und die zustimmende Weisung des RMJ vom 3.9.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 213, Bl. 1. 677  Siehe oben, Fall 16, S. 146, Bericht des LOStA Führer an das RJM vom 29.10.1943, BArch R 3001, Nr. 163218, Bl. 7.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 153

dessen Spruchkompetenz zur Folge. Fehlerfreie, fundierte oder erfolgreiche Urteilsberichte stellen im Ergebnis jedoch die Ausnahme dar. Im Gegenzug beraubte man sich durch verklausulierte Stellungnahmen, die eine gerichtliche Entscheidung ohne argumentatives Fundament als „zu milde“678 bezeichneten, verbliebener Einflussmöglichkeiten auf den weiteren Verfahrenslauf. So resultierte in nicht differenzierten Ausführungen eine bewusste Selbstinstrumentalisierung, indem man nicht nur die Entscheidung, sondern den gesamten Entscheidungsfindungsprozess billigend an an die übergeordneten Dienstbehörden abtrat und je nach Ausgang der dort gefunden Entscheidung agierte, um potentielle Konflikte mit Generalstaatsanwaltschaft oder RJM zu vermeiden. Die Unterwerfung unter den überbehördlichen Willen gipfelte in Beschwerdeanregungen, in denen die Staatsanwaltschaft die Ausführungen Kölner und Berliner Sonderreferenten wortgleich übernahm und diese gegenüber dem ORA als eigene Willensentschlüsse präsentierte679. Der Grund für eine derartige Selbstentmachtung kann sowohl in mangelnder juristischer Fähigkeit680, in einer Zurschaustellung unbedingter Willfährigkeit gegenüber dem Ministerium sowie in arbeitsökonomischen Motiven gesehen werden. Denn durch eine nicht näher ausgeführte Generalkritik an zu milder Rechtsprechung konnte man sich jedenfalls in Sicherheit wähnen, die eigene Behörde schadlos auf dem politisch gewünschten Kurs rigorosen Durchgreifens zu halten681. Neben der allgemeinen Einschätzung Freislers, der mit Sondergerichtssachen betraute Personenkreis stelle die „Panzertruppe der Rechtspflege“682 dar und habe hart 678  Bericht vom 3.8.1942, Handakte, LAV NRW R D, Ger. Rep. 113, Akte 503, Bl. 16. 679  Vergleiche das Schreiben LOStA Führer vom 14.5.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 39, Bl. 15, mit den Ausführungen des GStA im Schreiben vom 27.2.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 39, Bl. 10 und des Ausführungen des RMJ vom 21.2.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 39, Bl. 10 rev.; vgl. darüber hinaus das Schreiben Führers an den ORA vom 21.12.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 444, Bl. 8, mit dem Schreiben des GStA vom 13.12.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 444, Bl. 6. 680  In 18,8 % aller potentieller Beschwerdeverfahren unterliefen der Staatsanwaltschaft evidente materielle Fehler, siehe die Ausführungen zu Fall 1, 2, 4. S. 116, 119, 122. 681  Alleine in 44 Urteilsberichten wurde die Rechtsprechung des Sondergerichts Aachen explizit als „zu milde“ bezeichnet, siehe Urteilsberichte zu Ger. Rep, 113, Akten 8, 9, 15, 22, 50, 53, 55, 71, 72, 76, 89, 90, 107, 169, 202, 210, 228, 275, 302, 305, 307, 339, 352, 368, 369, 416, 431, 457, 470, 475, 485, 499, 501, 515, 560, 612, 659, 679, 683, 688, 690, 702, 717, 718. 682  Tagungsprotokoll der Tagung der Sondergerichtsvorsitzenden und Sachbearbeiter für die Sondergerichtsstrafsachen bei den Generalstaatsanwälten im RJM vom 24.10.1939, BArch R 3001, Akte 24158.

154

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

durchzugreifen683, ließ sich die propagierte Linie auch aus dem offenbarten Selbstverständnis des RJM ableiten. Im Falle einer erkannten rechtswidrigen Abweichung zuungunsten des Täters bei der Anklagepraxis unterließ das RJM die Beschwerdeanregung mit der Begründung einer zu befürchtenden tätergünstigen Bestrafung684. Man betrachtete sich also nicht als objektive Behörde, sondern als dem Angeklagten entgegenstehende Partei685. Auch die individuelle Begründungsstrategie gegenüber der Aachener Anklagebehörde suggeriert, dass eine extensive Anklagepraxis erwünscht war, selbst um den Preis der Rechtswidrigkeit. So kritisierte das RJM bei einer fehlerhaften Einschätzung eines Verurteilten als „Volksschädling“ – anders als die Generalstaatsanwaltschaft – nicht etwa eine defizitäre Gesetzesauslegung der Staatsanwaltschaft, sondern begründete das Absehen weiterer Maßnahmen mit einer „Geringwertigkeit des Prozesses“686. Auf diese Weise wurde sichergestellt, dass der Aachener Behördenleiter der ministeriellen Stellungnahme den intendierten Erklärungswert beimaß, dass man in Berlin eine Falschanwendung gegenüber einer Nichtanwendung der VVO den Vorzug einräumte. Diese Methode verfehlte ihre Wirkung nicht, was anhand des fast schon chronischen Beschwerdeverhaltens der Staatsanwaltschaft über eine Vielzahl sondergerichtlicher Entscheidungen bewiesen wird687. Der Vergleich zwischen beantragtem Strafmaß und Urteilstenören in den jeweiligen Ausgangsverfahren zeigt, dass die Staatsanwaltschaft aus freien Stücken eine scharfe Anklagepraxis verfolgte688. Andererseits veranschaulicht die Korrespondenz mit der Oberreichsanwaltschaft, dass man sich im Einzelfall bei divergierender Rechtsanschauung nicht davor scheute, die Anregung ausschließlich als übergeordnete Weisung zu deklarieren, um sich so von der überbehördlichen Sichtweise zu distanzieren689. Der Willfährigkeit der Basis waren ergo dort Grenzen gesetzt, wo das Ausgangsurteil antrags683  Ebd.

684  Schreiben des RMJ vom 24.6.1941, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 15, Bl. 8, 8 rev. 685  Siehe zur Theorie des Parteigedankens nochmals oben S. 50; siehe hierzu insbesondere nochmals Ausführungen zu Fall 5, oben, S. 124. 686  Siehe Fall 2, S. 119 sowie die Weisung des RMJ durch MinRat Crohne vom 28.4.1941, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 8, Bl. 17, 17 rev. 687  Im Rahmen der Beschwerdeverfahren äußerte sich LOStA Führer in alleine drei Verfahren ausdrücklich dahingehend, dass das Urteil „zu milde“ sei, siehe Fälle 1, 2 und 9, S. 116, 119, 132. In zwei weiteren Fällen war die Kritik zu milden Strafmaßes jedenfalls konkludent gegeben, siehe Fälle 8 und 14, S. 130, 141. 688  Bis auf die Fälle 4 und 11, in denen das Urteil antragsgemäß ergangen war, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 352, 449, blieb das Urteil des Sondergerichts bezüglich der Personengruppen, die von der Nichtigkeitsbeschwerde betroffen waren, ausnahmslos hinter den geforderten Strafanträgen zurück. 689  Siehe Fall 11, S. 136; Schreiben an den ORA vom 4.6.1943, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113., Akte 352, Bl. 21, 22.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 155

gemäß ergangen war und Kritik aus Köln oder Berlin entgegengenommen werden musste. Die offenkundige Distanzierung überbehördlicher Rechtsauffassung blieb jedoch die Ausnahme. Sofern die Staatsanwaltschaft mit dem Ausgangsurteil konform war, stellte dies einen positiven Indikator dar, um die Entscheidung des ORA zu eigenen Gunsten zu beeinflussen und eine vom Ministerium präferierte Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde abzuwenden. Denn in der praktischen Handhabung orientierte sich die tatsächliche Einlegung des Einspruchs nicht primär am Merkmal materieller Fehlerhaftigkeit des Urteils bei der Anwendung des Gesetzes, sondern vielmehr am verhängten Strafmaß690. Soweit diesbezüglich Einigkeit zwischen Staatsanwaltschaft und Sondergericht herrschte, musste die Fehlerhaftigkeit des Urteils oder die Bedeutung des Verfahrens gravierend sein, um die Reichsanwaltschaft im Lichte der Prozessökonomie von der Notwendigkeit einer Beschwerdeeinlegung überzeugen zu können691. Im relativen Verhältnis zum Sondergericht war die Nichtigkeitsbeschwerde abstrakt geeignet, die Rechtsprechung auszuhebeln und über den Umweg einer reichsgerichtlichen Entscheidung das Sondergericht bei der Neuverhandlung zu schärferen Urteilen zu bewegen. Konkret kann für die Staatsanwaltschaft jedoch nur in zwölf Prozent aller potentiellen Beschwerdeverfahren von wirklicher Machtsteigerung die Rede sein, da im Ergebnis nur zwei von der Staatsanwaltschaft initiierte Nichtigkeitsbeschwerden zum Erfolg führten692. Insoweit liegt im Verhältnis zum Sondergericht eine allenfalls bedingte Machtsteigerung vor. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens stellt sich die Staatsanwaltschaft ergo als Behörde mit äußerst beschränkter Selbstständigkeit dar693. Die Nichtigkeitsbeschwerde war kein Instrumentarium, welches primär ihrer eigenen Machtsteigerung, sondern der des Ministeriums und damit der politischen Machthaber diente. In 80 % der Verfahren, in welchen das RJM der Staatsanwaltschaft die Weisung zur Beschwerdeanregung erteilt hatte, hatte die Nichtigkeitsbeschwerde Erfolg694. Für die Aachener Anklagebehörde 690  Exemplarisch: Bescheid des ORA vom 10.3.1944, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 449, Bl. 21; Bescheid des ORA an den LOStA in Aachen vom 20.6.1942, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 39, Bl. 16. 691  Zur Relevanz des Motivs der Prozessökonomie siehe nochmals Fall 14, S. 141. Schreiben des ORA Brettle an StS Freisler vom 20.6.1942, BArch R 3001, Nr. 153533, Bl. 59. 692  Siehe Tabelle 3, oben, S. 149. 693  Anders Schumacher, Strafverfahrensrecht, S. 31. 694  Siehe hierzu Tabelle 3, oben, S. 149. Da die beiden nicht erfolgreichen Beschwerden auf einer kriegsbedingten Rücknahme oder Vertagung und nicht auf einer Beschwerdeverwerfung durch das Reichsgericht beruhten, hatten letztlich alle vom dritten Strafsenat entschiedenen Nichtigkeitsbeschwerden mit Ausnahme des Angeklagten G. (siehe Fall 12, S. 137) Erfolg, was die Effizienz des Beschwerdeinstruments zusätzlich untermauerte. Verglichen zur reichsweiten Erfolgsquote verwarf der

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

bedeutete das Instrument der Nichtigkeitsbeschwerde eine der wesentlichsten Kompetenzbeschneidungen und eine damit verbundene Degradierung zu einem ausführenden Werkzeug, wenngleich sich diese mit 2,4 % des gesamten Verfahrensanfalls quantitativ in überschaubaren Grenzen hält. Trotz der Werkzeugeigenschaft darf die Staatsanwaltschaft jedoch nicht als Opfer eines ihr oktroyierten Fremdwillens angesehen werden. Vielmehr trat sie ein ihr verbliebenes Mitspracherecht teilweise bewusst an die GStA und das RJM ab. Nur ausnahmsweise wurde erfolgreich versucht, sich die Nichtigkeitsbeschwerde zunutze zu machen, um gerichtliche Kompetenzen einzuschränken. Dass man sich zusätzlich mit der von justizpolitischer Seite propagierten scharfen Anklagepraxis aus autonomen Motiven identifizierte, zeigt sich neben den kommunizierten Strafmaßvorstellungen und der teilweise geäußerten nazistischen Rechtsauffassung695 insbesondere im Vergleich zwischen beantragtem Strafmaß und Urteilstenor im Rahmen der Ausgangsverfahren, da der Staatsanwaltschaft auf diesem Gebiet eine ungleich größere Selbstständigkeit bei ihrer Aufgabenausführung verblieb. h) Strafvollstreckung und Begnadigung Auch auf dem Sektor der Strafvollstreckung und der Begnadigung erhielt die Staatsanwaltschaft dem eigenen Selbstverständnis entsprechend die ihr ursprünglich zustehenden Rechte zurück696. Nachdem zuvor die Gnadenzuständigkeit bei der Richterschaft gelegen hatte und die Gefängnisaufsicht den Strafvollzugsämtern zugeordnet worden war697, wurde in Sondergerichtssachen ab Dezember 1935 der Oberstaatsanwalt beim Landgericht als Vollstreckungsbehörde für seinen jeweiligen Landgerichtssprengel auserkoren698. Da gemäß § 4 Gnadenordnung699 die Vollstreckungsbehörde zugleich Gnadenbehörde war, wurde die Staatsanwaltschaft zugleich zuständige Stelle für die Bearbeitung von Gnadensachen. Hingegen war die Ausübung dritte Strafsenat ab 1941 8,7 % aller Beschwerdeanregungen, siehe hierzu die in Kaul zugrundegelegten Statistiken, Reichsgericht, S. 222. 695  Siehe exemplarisch Fälle 2, 6, 8 und 14. 696  Rüping, Provinzialjustizverwaltung, S. 133. 697  Zu den Gnadenbeauftragten siehe Ziffer I Nr. 1 Allgemeine Verfügung vom 19. Juni 1919 über die Zuständigkeit und das Verfahren in Gnadensachen, PrJMBl. 1919, S. 341. Zu den Strafvollzugsämtern siehe Verordnung des Preußischen Staatsministeriums vom 8.12.1922, PrJMBl. 1922, S. 560. 698  Nr. 15 der AV des RJM vom 9.12.1935, DJ 1935, S. 1813. Für ordentliche Strafsachen ging die Kompetenz der Strafvollstreckung bereits zwei Tage zuvor auf die Staatsanwaltschaft über, vgl. § 2 Nr. 5 der AV des RJM vom 7.12.1935, DJ 1935, S. 1800. 699  § 4 der Gnadenordnung vom 6.2.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 813.



II. Die strafrechtliche Gesetzgebung und ihre Bedeutung 157

des Gnadenrechts, insbesondere sofern es Todesstrafen, Hochverratssachen und Fälle betraf, in denen dieses ausdrücklich vorbehalten war, Hitler selbst, in allen sonstigen für das Sondergericht relevanten Fällen dem RJM als zuständige Ausübungsinstanz zugeordnet700. Die Vollzugskompetenz der Aachener Anklagebehörde erstreckte sich in der Praxis im wesentlichen auf die Verteilung der Verurteilten auf die entsprechenden Vollzugsanstalten und Zuchthäuser im Landgerichtsbezirk Aachen, sowie auf einen in Umfang und Dokumentation erweiterten Aufgabenkreis im Rahmen der Vollstreckung von Todesurteilen701. Mit insgesamt 25,3 % aller Sondergerichtsverfahren, in denen Gnadengesuche bewilligt worden waren, spielt auch ihre Aufgabe als Gnadenbehörde eine nicht unwesentliche Rolle702. 3. Schlussfolgerung Die Betrachtung der Gesetzesnovellierungen, die der nationalsozialistische Gesetzgeber schuf, zeigt, dass der Leitgedanke der Abschaffung eines Systems gegenseitiger Machtregulierung unter den beteiligten Organen im Strafprozess erfolgreich umgesetzt worden war. Die normativen Neuerungen bedingten konsequent eine abstrakte Machtsteigerung der Staatsanwaltschaft. Durch Abschaffung der gerichtlichen Voruntersuchung, der Durchbrechung des Legalitätsprinzips, Änderungen im Ermittlungsverfahren wie den Kompetenzen bezüglich des Erlasses eines Haftbefehls und einer expandierenden Wahlzuständigkeit, wurden im gleichen Zuge die richterlichen Einflusskompetenzen beschnitten oder verworfen. Die Abschaffung des Analogieverbots trieb die Schwächung des Beschuldigtenkreises gegenüber der Anklagebehörde wesentlich voran, da die Rechtssicherheit, die der nulla poena sine lege-Grundsatz bot, fortan der subjektiven Beurteilung einer Sanktionswürdigkeit durch die Staatsanwaltschaft gewichen war. Nichtigkeitsbeschwerde und außerordentlicher Einspruch stellten Instrumente dar, die zum Einsatz kamen, wenn selbst die umfangreichen Gesetzesänderungen nicht das gewünschte Resultat „wahrer Gerechtigkeit“ erzielten703, wobei dem außerordentlichen Einspruch quantitativ auf der Reichsebene verschwindend geringe Relevanz zukommt. Formell stellten die außerordentlichen Rechtsbehelfe keine die Staatsanwaltschaft unmittelbar fördernden, sondern dem ORA 700  Siehe zu den Fallgruppen des Gnadenrechts durch Hitler § 1 Abs. 2 Nr. 1 Gnadenordnung, DJ 1935, S. 203, zu den Fallgruppen des Gnadenrechts durch den Reichsminister der Justiz § 1 Abs. 3 Nr. 1 Gnadenordnung, DJ 1935, S. 203. 701  Zum Ablauf und zur praktischen Umsetzung der Ausübung der Strafvollstreckung siehe unten, S. 454. 702  Zum eingehenden Ablauf und zur praktischen Umsetzung der Ausübung der Begnadigung siehe unten, S. 471. 703  Tegtmeyer, Außerordentlicher Einspruch, in: DR 1939 II. S. 2058.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

zustehenden Instrumente dar. Dennoch sollten sie der Staatsanwaltschaft als „kleinem Bruder“ mittelbar zugute kommen. Auch die Neuschaffung materiell-rechtlicher Straftatbestände nach Kriegsausbruch erweiterte die Einflussmöglichkeiten der Anklagebehörde, wenngleich die materielle Strafgesetzgebung mit Blick auf das Analogiegebot dogmatisch keine originäre Machtsteigerung mehr bedeutete. Die Staatsanwaltschaft war mit Abschluss der vorgestellten Novellierungen nicht bloß zur „Herrin des Vorverfahrens“, sondern zur Herrin des gesamten Strafprozesses innerhalb der Grenzen des jeweiligen Landgerichtbezirks geworden. Die konkrete Betrachtung praktischer Umsetzung und Wirkungsweise der abstrakten Machtpotenzierung ergibt jedoch ein differenzierteres und teilweise abweichendes Bild. Analogiegebot und Wahlzuständigkeit spielen praktisch keine gewichtige Rolle, da ihr Anwendungsbereich durch den weit auslegbaren und ausgelegten Wortlaut der im Kriege erlassenen sonderrechtlichen Spezialnormen obsolet wurde. Letztere waren aufgrund der latent vorherrschenden Kriegssituation in Aachen schon ab 1941 mit 88,5 % aller überlieferten Verfahren von überwältigender Bedeutung, sodass die materielle Gesetzgebung durch Schaffung der VVO, der KrWVO und des Heimtückegesetzes praktisch höchst relevant war. Dieses von der abstrakten Darstellung eklatant abweichende Ergebnis wird durch den Umstand gefördert, dass die Anklagebehörde beim Sondergericht Aachen erst nach Kriegsausbruch, am 17. Februar 1941, errichtet worden war. Änderungen, wie der selbstständige Erlass von Haftbefehlen, entfalten keine Bedeutung, da zum Zeitpunkt ihres Erlasses zum Ende des Jahres 1944 die Stadt Aachen bereits durch alliierte Streitkräfte besetzt worden war und die Anklagebehörde ihrer Arbeit auch durch örtliche Umzüge nur sehr eingeschränkt nachkommen konnte704. Auch eine politisierte Gebrauchsmöglichkeit des Legalitätsprinzips durch Absehen weiterer Ermittlungsarbeit gegen etwaige Parteigenossen oder sonstige Funktionäre oder „Günstlinge“ ist grundsätzlich nicht ersichtlich705. Überraschenderweise entfaltet das reichsweit so restriktiv angewendete Instrument des außerordentlichen Einspruchs für die Staatsanwaltschaft Aachen eine gewichtige Bedeutung. Der vom Behördenleiter initiierte Einspruch erlangte in sachlicher Hinsicht eine außerordentliche Tragweite. Alleine durch seinen kritisch verfassten Bericht wurde das gerichtliche Urteil über den Umweg der Einspruchsanregung bei der Reichsanwaltschaft nichtig und verhalf der Staatsanwaltschaft teilweise zu der „Gerechtigkeit“, die ihr in diesem Verfahren vorschwebte. Die quantitativ 704  Siehe

oben, S. 67. Ausnahme stellt das Verfahren gegen Kreisleiter Schubert u. a. dar. Hierzu eingehend unten ab S. 357. Zu Verfahren gegen Mitglieder der NSDAP siehe unten, ab S. 362. 705  Einzige



III. Die Personalpflege auf Reichsebene159

bedeutsamere Nichtigkeitsbeschwerde, bis heute ein Synomym staatsanwaltschaftlichen Kompetenzzuwachses, repräsentierte einen Machtzuwachs lediglich formal nach außen. Der Unterbau des Geflechts justizwaltungsrechtlicher Berichtskorrespondenz verrät abweichend, dass der Entscheidungsprozess – unabhängig vom ORA, der die Beschwerde letztlich einlegte – im Vorfeld ministerieller Zuständigkeit unterlag. Das RJM stand damit als „Graue Eminenz“ hinter der Staatsanwaltschaft, die je nach gefundener Entscheidung als Bote angewiesen wurde, sodass die Anklagebehörde nur den äußeren Schein einer Entscheidungskompetenz repräsentierte. Dennoch darf dieser Mechanismus keinesfalls als Generalexkulpation verstanden werden, die Basis im Justizgefüge als Opfer zu definieren. Vielmehr machte sich die Staatsanwaltschaft teilweise erfolglos für strafverschärfende Urteilskorrekturen beim Ministerium stark, teilweise verzichtete sie bewusst auf detaillierte Stellungnahmen, um sich bei divergierenden innerbehördlichen Auffassungen selbst schadlos zu halten. Im Übrigen offenbarte die Staatsanwaltschaft an vielen Stellen, dass sie die von den Machthabern geforderte scharfe Sanktionierungslinie durchaus verinnerlicht hatte. Insgesamt war die Staatsanwaltschaft in ihrer Tätigkeit insoweit autonom, als keine entgegenstehenden ministeriellen Weisungen an sie ergingen. Durch Darstellungen in Ermittlungs- und Urteilsberichten konnte sie ihrerseits im Einzelfall auch die ihr vorgesetzten Behörden lenken. Jedoch waren dieser umgekehrten Lenkung enge Grenzen gesetzt durch das akribische Studium der Berichte und sonstigen Aktenstücke durch das ministerielle Sonderreferat. Die Kriegsgesetzgebung ermöglichte durch die einschlägigen Tatbestände ein hohes Maß an Autonomie, was originäre Anklagepraxis und Strafmaßvorstellungen betraf. Insbesondere am Beispiel der Nichtigkeitsbeschwerde kann aber der Beweis geführt werden, dass diese Autonomie stets eine ministeriell abgesegnete oder zumindest geduldete gewesen war. Sofern von den Instrumenten zur Urteilskorrektur, die quantitativ mit 2,5 % die Ausnahme bilden, kein Gebrauch gemacht wurde, verblieb es bei der Kompetenz des Gerichts gegenüber der Staatsanwaltschaft, abschließend zu entscheiden. Auf dem Sektor des Strafvollzugs und der Gnadenkompetenz korreliert die abstrakte Kompetenzbereicherung mit der konkreten Umsetzung am Standort Aachen.

III. Die Personalpflege auf Reichsebeneund ihre Umsetzung und Auswirkung bei der Staatsanwaltschaft Aachen Nach dem Willen und Verständnis des NS-Regimes sollte zwischen Verwaltungsapparat und politischer Führung ein Subordinationsverhältnis zugunsten der NSDAP bestehen. Die propagierte Vorherrschaft über den Staatsapparat schlug sich bereits im Jahr der Machtergreifung in § 1 des

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Gesetzes zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat nieder: „Nach dem Sieg der nationalsozialistischen Revolution ist die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei die Trägerin des Deutschen Staatsgedankens und mit dem Staat unlöslich verbunden“706. Knotenpunkt der Verflechtung von Staat und Verwaltung stellte das RJM dar, durch welches politische Führung und Verwaltungsführung in Personalunion durch den Justizminister repräsentiert wurde707. Die Besonderheit im Dritten Reich bestand darin, den gesamten Verwaltungsapparat „politisieren“708 zu wollen, indem nicht nur die Führungsriege des Justizressorts, sondern der gesamte nachgeordnete Behördenapparat möglichst umfänglich politisch besetzt werden sollte. Im Fokus des folgenden Kapitels steht daher zunächst die Darstellung der wesentlichen personellen Reformen auf dem Sektor der Justizverwaltung sowie ihrer gesetzlichen Grundlagen. Es gilt zu erörtern, welcher normative und tatsächliche Nährboden geschaffen wurde, um die Justizverwaltung personell nationalsozialistisch auszurichten. In einem zweiten Schritt soll im Lichte der reichsweiten Entwicklung geklärt werden, ob und inwieweit Kontinuitäten und Diskontinuitäten zur Entwicklung auf der Bezirksebene zu erblicken sind, um feststellen zu können, mit welchem Erfolg die konstituierten Standards in Aachen umgesetzt wurden. Bei der zweiten, regionalen Darstellung liegt der Schwerpunkt auf der Auseinandersetzung mit dem bei der Staatsanwaltschaft Aachen beschäftigten Personal, welches ausschlaggebend für die Frage der Eignung der Staatsanwaltschaft Aachen zur politisch lenkbaren Behörde ist. Sofern festgestellt werden kann, dass das Personal der Staatsanwaltschaft Aachen die formalen Einstellungskriterien erfüllte, kann der Frage des konkreten Ausmaßes einer politischen Instrumentalisierung qualifiziert nachgegangen werden. Dies folgt aus der Erwägung, dass sich eine wirksame Instrumentalisierung trotz der grundsätzlichen Weisungsgebundenheit der Anklagebehörde nicht auf eine fremdbehördliche Einflussnahme reduzieren lässt, sondern gleichermaßen eines tauglichen Lenkungsobjekts bedarf. Neben der Steuerungstauglichkeit des Organs „Staatsanwaltschaft Aachen“ soll geklärt werden, inwieweit dem Personal durch Nutzung verbliebener Ermessensspielräume eine Doppelrolle nicht nur als „gelenktem Faktor“, sondern auch als „lenkendem Faktor“ durch eine „Selbstinstrumentalisierung“ zukam.

706  RGBl. 1933

I, S. 1016. Der Staat Hitlers, S. 328. 708  Majer, Fremdvölkische im Dritten Reich, S. 66. 707  Broszat,



III. Die Personalpflege auf Reichsebene161

1. Personalpflege auf Reichsebene: Personelle „Reinigung“ der Justizverwaltung und Personalpolitik im NS-Regime a) Die Reformation des Beamtenapparates und ihre gesetzlichen Grundlagen Das am 7. April 1933 erlassene Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums bildete den gesetzlichen Ausgangspunkt von in der Folge erlassenen Gesetzen und Durchführungsverordnungen, welche auf dem personellen Sektor die Gleichschaltung der Justizverwaltung und die Durchsetzung rassisch-ideologischer Vorstellungen bewirken sollten709. Erreicht wurde die „Säuberung“ des Beamtentums unter anderem durch Entlassung von Beamten „nicht-arischer“ Abstammung sowie politisch unzuverlässiger Staatsbediensteter710. § 1 BBG bestimmte, dass „zur Wiederherstellung eines nationalen Berufsbeamtentums und zur Vereinfachung der Verwaltung“ Beamte entlassen werden konnten, „auch wenn die nach dem geltenden Recht hierfür erforderlichen Voraussetzungen“ nicht vorlagen711. Hiervon ausgenommen waren zunächst die sogenannten Altbeamten, die vor dem 1. August 1914 in das Beamtenverhältnis aufgenommen worden waren sowie „Frontprivilegierte“, die im ersten Weltkrieg für das Deutsche Reich gekämpft oder Angehörige verloren hatten. Jedoch konnten auch sie entlassen werden, wenn die „Vereinfachung der Verwaltung“712 dies gebot. Durch den Erlass der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz wurde schließlich erreicht, dass nur noch „Reichsdeutsche“ in den Beamtenstatus übernommen oder in diesem belassen werden konnten, sodass verbliebene jüdische Altbeamte und Kriegsteilnehmer, die vormals nicht durch das Raster des BBG gefallen waren, nunmehr entlassen wurden713. Die obligatorischen Dokumente, welche die Beamten der Staatsanwaltschaft beim Behördenleiter einzureichen hatten, setzten sich zusammen aus einem Nachweis arischer Abstammung durch Vorlage von Geburts- und Heiratsurkunden der Eltern und Großeltern, deren Taufscheinen sowie eines ausgefüllten Fragebogens zur politischen Betätigung714. Bereits eine vormalige 709  Eingehend zur gesetzlichen Gesamtentwicklung von BBG hin zu DBG in Neef, Beamtengesetz, S. 37–65. 710  §§ 3, 4 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933, RGBl. 1933 I, S. 175. 711  § 1 BBG, ebd., S. 175. 712  § 6 BBG, ebd., S. 176. 713  §§ 3, 4 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935, RGBl. 1935 I, S. 1333. 714  Das Muster des Fragebogens fand sich in der Anlage zur Dritten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom

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Mitgliedschaft in einer demokratischen Partei, im „Reichsbanner SchwarzRot-Gold“, im republikanischen Richter- oder Beamtenbund, in der Liga für Menschenrechte oder in einer Freimaurerloge führte zur Entlassung oder Nichtaufnahme in den Staatsdienst715. Der Behördenleiter leitete die Dokumente an den Generalstaatsanwalt weiter, der für den der oben genannten Ausnahmegruppe zugehörigen Personenkreis die Zwangsbeurlaubung aufheben ließ und im Falle ausscheidender Beamter über die Festsetzung des Ruhegeldes auf der Grundlage des BBG entschied. Der GStA achtete penibel auf eine restlose Vorlage aller zum Nachweis geeigneter und erforderlicher Urkunden. In einem Schreiben an LOStA Führer wurden, nachdem vereinzelt Unterlagen unvollständig eingereicht worden waren, in 17 Punkten alle vorzulegenden Dokumente abschließend aufgezählt716. Die Kölner Behörde leitete sodann die Personenverzeichnisse dem Justizministerium weiter717. Die bereits 1935 bei der Staatsanwaltschaft Aachen beschäftigten Staatsanwälte Führer, Ackermann und Wickmann legten ausweislich des Aachener Verzeichnisses dem GStA alle Unterlagen vollständig vor718. Zum 3. November 1938 hatten sämtliche Beamten der Staatsanwaltschaft und Amtsanwaltschaft Aachen ihre „Deutschblütigkeit“ nachgewiesen719. Während im April 1933, bei Erlass des BBG, von 45.181 planmäßigen Justizbeamten 1.704 Personen jüdischen Glaubens gewesen waren, belief sich ihre Anzahl im März 1934 lediglich auf 331 Personen720. Im Oberlandesgerichtsbezirk Köln wurde ein jüdischer Staatsanwalt aufgrund § 3 BBG entlassen, ein weiterer OStA schied aufgrund § 3 RBGVO bis zum 31. Dezember 1935 aus721. Mit Ende des Jah6.5.1933, RGBl. 1993 I, S. 253–256; eine Ablichtung des Musters, welches durch Erlass Freislers ab Dezember 1935 verwendet werden sollte, findet sich im Anhang, Abbildung 19, S. 568. 715  Siehe RdErl. des RuPrMdI vom 2.9.1936, DJ 1936, S. 1428, RdErl. des RuPrMdI vom 7.12.1936, DJ 1936, S. 1910, RdErl. des RuPrMdI vom 22.4.1937, abgedruckt in: Nadler/Wittland, Beamtenrechtliche Gesetze, S. 166–167. Siehe exem­ plarisch LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte des OLG Köln, Bl. 51, 64, in welchem alle Fragen verneint wurden. 716  Schreiben des GStA an den LOStA vom 24.12.1935, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 146, Bl. 10. Eine Ablichtung des Schreibens findet sich im Anhang, Abbildung 20, S. 570. 717  Erlass Freislers an den RGPräs., den ORA, den RPAPräs. sowie an die OLGPräs. und die Generalstaatsanwaltschaften vom 26.3.1938, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 80, Bl. 17. 718  Internes Verzeichnis der Generalstaatsanwaltschaft vom 6.9.1936, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 146, Bl. nicht angegeben. 719  Schreiben des LOStA an den GStA in Köln vom 3.11.1938, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 146, Bl. 91. 720  Lorenzen, Juden und Justiz, S. 182. 721  Lorenzen, Eindringen der Juden, in: DJ 1939, S. 965; die von Lorenzen zugrundegelegten Zahlen divergieren mit den Angaben des GStA zu den Zahlen be-



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res 1935 war der „Entjudungsprozess“ abgeschlossen722. Während bis zum 30. Januar 1933 noch 22 jüdische Personen als Richter und Staatsanwälte im OLG Bezirk Köln gearbeitet hatten, befanden sich im Oktober keine „Nichtarier“ mehr im höheren Justizverwaltungsdienst723. Bereits die Tätigkeitswahrnehmung des staatsanwaltschaftlichen Personals in Aachen ab Februar 1941 dokumentiert, dass die Voraussetzungen der „personellen Auslese“ erfüllt worden waren724. Im Zuge der Kriegsumstände wurde zur Beschleunigung des Einstellungsverfahrens ab 1943 auf die Vorlage von Abstammungsnachweisen verzichtet. Es genügte fortan eine Versicherung des Behördenleiters, dass keine Anhaltspunkte vorlagen, die die Annahme einer „jüdischen Herkunft“ eines Beamten oder dessen Ehegatten rechtfertigten725. Das 1937 erlassene Deutsche Beamtengesetz hatte für den Vorgang der personellen „Säuberung“ allenfalls deklaratorische Bedeutung, nachdem mit dem BBG und dem RBG die wesentlichen Umstrukturierungen abgeschlossen worden waren. Gleichwohl verdeutlichte bereits der Inhalt der Präambel des DBG, dass die Machthaber von der Beamtenschaft eine besondere Verbundenheit mit der Politik verlangten. Der Beamte sollte als ein „im deutschen Volk wurzelndes, von nationalsozialistischer Weltanschauung durchdrungenes“ Individuum darstellen, welches als behördlicher „Vollstrecker des Willens der NSDAP“726 zu agieren hatte. Wie weit die geforderte Diensttreue reichen sollte, verdeutlichte Thierack in einem Mahnschreiben an sämtliche Justizbehörden, in welchem er den „restlosen Einsatz unter Hintansetzung persönlicher Belange“727 einforderte. Faktoren wie Kriegsbeschädigungen des Gerichtsgebäudes, der Eigenheime sowie körperliche schäftigter Juden im Beamtenverhältnis auf Anfrage des RJM. Am 30.1.1933 waren 22 jüdische Personen und „Nicht-Arier“ im richterlichen Dienst und lediglich eine jüdische Person im staatsanwaltlichen Dienst tätig, Angaben des GStA vom 13.10.1936, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 80, Bl. 4. Es werden dennoch die Zahlen der ministereillen Veröffentlichung durch Lorenzen zugrunde gelegt, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine nachträgliche Korrektur der Angaben durch den GStA erfolgte. Dass es sich bei den Angaben von Lorenzen um ein redaktionelles Versehen handelte, ist insofern auszuschließen, als dass die von ihm genannte Anzahl der Staatsanwälte wiederholt zugrunde gelegt wird. 722  Lorenzen, Eindringen der Juden, in: DJ 1939, S. 964. 723  Angaben des GStA vom 13.10.1936, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 80, Bl. 5. Zur reichsweiten Entwicklung der Diskriminierung des jüdischen Juristenstandes unmittelbar nach der Machtübernahme siehe Göppinger, Juristen, S. 56–65. 724  Siehe zur entsprechenden Ablichtung des Fragebogens von LOStA Führer Abbildung 11, Anhang, S. 554. 725  AV des RJM vom 12.10.1943, DJ 1943, S. 487. 726  Präambel und § 2 Deutsches Beamtengesetzes, RGBl. 1937 I, S. 41. 727  Vgl. Schreiben Thieracks an die höheren Justizbehörden des Reichs vom 15.3.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 91.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Verletzungen stellten hiernach keinen zwingenden Grund dar, der Arbeit fernzubleiben, ohne sich der Gefahr dienststrafrechtlicher Sanktionen auszusetzen. b) Einwirkungen der NSDAP auf dem Personalsektor – der Staatsanwalt zwischen Staatstreue und Parteitreue In dem Wortlaut der Präambel des DBG schlägt sich zugleich die wesentliche Problemstellung nieder, mit der die Beamtenschaft konfrontiert wurde, indem ihr eine doppelte Verpflichtung auferlegt wurde: die Treue gegenüber dem Staat, die sich aus dem Beamtenstatus selbst ableitete, sowie die unbedingte nationalsozialistische Willensvollstreckung und die hiermit verbundene Treue zur Partei728. Von politischer Seite sah man keine Reibungspunkte zwischen der Institution des Staates, dem die Aufgabe der Verwaltung zukommen, und dem Institut der Partei, welche die Menschen „führen“ und „erziehen“ sollte729. Die Gleichschaltung des Justizsektors konnte das Problem einer „doppelten Loyalität“730 nicht schmälern, da eine Interessenskollision zwischen eidlich geschworener Achtung der Gesetze731 und dem „unbedingten Gehorsam“732 Hitler gegenüber bestehen blieb. Für den Sektor der Justizverwaltung und die Staatsanwaltschaft im Besonderen spielte dieser Spagat eine im Vergleich zu anderen Ressorts ungleich größere Rolle, da sonderrechtliche Straftatbestände aufgrund ihres offenen Wortlauts einen weiten Ermessensspielraum zwischen gemäßigter und ns-orientierter Strafrechtspflege boten. Zudem schadete eine praktizierte Strafverfolgung gegen Parteigenossen dem Ruf der NSDAP, sodass die Sicherung politischer Einflussmöglichkeiten der Partei auf das Personal der Staatsanwaltschaft besondere Relevanz hatte. Sofern eine parteiinterne Erledigung unter Umgehung der Anklagebehörde nicht möglich war, bestand seitens der NSDAP folglich ein reges Interesse an einer weiten Befugnis bei Auswahl-, Informationsund Weisungskompetenz gegenüber den Staatsanwälten, um die Modalitäten 728  Die ambivalente Verpflichtung schlug sich zudem in dem Diensteid nieder, welchen die Beamtenschaft künftig zu leisten hatte: „Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reichs und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe“, § 4 DBG, RGBl. 1937 I, S. 42. 729  Sommer, Partei und Staat, in: DJZ 1936, S. 593. Auch Wacke sieht in der erkannten Treue gegenüber Staat und Führer eine unproblematische „Bindung (des Beamten) an das Gesamtwohl“, Wacke, Beamtenrecht, S. 7. 730  Gruchmann, Justiz, S. 206. 731  §  2 des Gesetzes über die Vereidigung der Beamten vom 20.8.1934, RGBl. 1934 I, S. 785; so auch § 4 DBG vom 27.1.1937, RGBl. 1937 I, S. 42. 732  Gruchmann, Justiz, S. 206.



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der Strafverfolgung oder zumindest des Vollzugs beeinflussen zu können. Die „Sonderstellung“ des Staatsanwalts als „politischer Beamter“733 und damit personeller Schnittstelle zwischen Strafjustiz und Politik legte das Gesetz in § 44 DBG im Übrigen ausdrücklich zugrunde734. Die personalpolitische Ausprägung des DBG fiel im Lichte unterschiedlicher gesetzgeberischer Vorstellungen bei der Frage nach konkreter Ausgestaltung des Umfangs personalpolitischer Mitwirkungsrechte der Partei zugunsten der Staatsverwaltung aus, was sich wesentlich in den Merkmalen der Amtsverschwiegenheit und der Gehorsamspflicht gemäß §§ 7 und 8 DBG ausdrückte735. Um den Informationsfluss bezüglich parteischädigender Vorgänge innerhalb der Staatsanwaltschaft zu ermöglichen, hatte Heß sich bei den Verhandlungen im Vorfeld der Gesetzgebung zum DBG dafür ausgesprochen, dass Beamte den Parteistellen parteischädigende Vorgänge unter Umgehung des ordentlichen Dienstweges melden konnten736. Die Umsetzung scheiterte jedoch am Argument der Autoritätsuntergrabung des behördlichen Vorgesetzten, da bei einer solchen Handhabung der meldende Beamte und nicht der Vorgesetzte die Einschätzung eines schädlichen Verhaltens getroffen hätte737. § 42 DBG regelte daher zum Nachteil der Partei, dass bei Meldung dienstlicher Vorgänge auch zulasten der NSDAP der Dienstweg eingehalten werden musste738. Die von Heß propagierte unmittelbare Meldung an die Kanzlei des Führers hätte dagegen einen Verstoß gegen § 7 733  Ausführungen Rahmels an das OVG Münster vom 2.12.1952, LAV NRW R, NW Pe 1013, Bl. 49; den Ausführungen ging ein Streit zwischen dem Justizminister und Rahmel voraus, der die Besoldung des sich im Ruhestand befindlichen GStA Rahmel betraf. Der damalige GStA setzte im Einvernehmen mit dem Justizminister von Nordrhein-Westfalen die Bezüge Rahmels gem. § 5 der 1. Spar-VO herab, weil nach dortiger Ansicht nicht festgestellt werden konnte, dass die Beförderung Rahmels erkennbar nicht aus politischen Rücksichten erfolgt sei, vgl. LAV NRW R, NW Pe 1013, Bl. 15–17. Rahmel legt in seinem hier zitierten Plädoyer dar, warum das Amt des GStA nach seiner Auffassung der regelmäßigen Laufbahn entspreche und die Beförderung in dieses Amt nicht aufgrund besonderer politischer Berücksichtigung erfolgte. In seinem Urteil vom 26.6.1952 gab das Landesverwaltungsgericht Rahmel Recht, LAV NRW R, NW Pe 1013, Bl. 22–35, im Berufungsverfahren wurde die Klage jedoch schließlich durch das OVG Münster abgewiesen, LAV NRW R, NW Pe 1013, Bl. 89. 734  Neben Staatssekretären, Regierungspräsidenten und anderen Beamten mit besonderem politischen Bezug konnte Hitler auch Staatsanwälte jederzeit in den Wartestand versetzen, während dies für reguläre Beamte nur innerhalb von drei Monaten nach der Auflösung einer Behörde geschehen konnte, §§ 43, 44 Abs. 7 DBG, RGBl. 1937 I, S. 48. 735  Deutsches Beamtengesetz vom 27. Januar 1937, RGBl. 1937 I, S. 42. 736  Mommsen, Beamtentum, S. 99. 737  Ebd. 738  Alternativ konnte eine Meldung sowohl unmittelbar an den Justizminister sowie an Hitler erfolgen, § 42 DBG vom 27.1.1937, RGBl. 1937 I, S. 47.

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DBG bedeutet. Von der Amtsverschwiegenheit wurde in politischen Sachen in der Folge eine Ausnahme zugelassen, sofern nicht „dringende staatliche Belange“ entgegenstanden739. Auch diese Ausnahmeregelung führte jedoch nicht den von der NSDAP gewünschten Umfang der Informationsgewinnung herbei. Vielmehr gingen bei dem Chef der Reichskanzlei in „übergroßer Zahl“740 Benachrichtigungen persönlicher Art wie Wünsche auf Beförderungen und Versetzungen ein, für die jedoch weiterhin der ordentliche Dienstweg einzuhalten war. Soweit es die Gehorsamspflicht betraf, waren die Staatsanwälte nur ihren behördlichen Vorgesetzten oder „den kraft besonderer Vorschrift (…) zur Erteilung von Weisungen berechtigten Personen“741 verpflichtet. Zu diesem Personenkreis zählten jedoch gemäß der entsprechenden DurchführungsVO nicht die Amtsträger der NSDAP oder ihrer Untergliederungen742. Vielmehr hatte der Staatsanwalt, sofern er Parteimitglied war und eine von der Partei entgegenstehende Anordnung erhalten hatte, ausnahmslos der behördlichen Weisung Folge zu leisten. Bei Interessenskollisionen zwischen Partei und Verwaltung oblag es dem Behördenleiter, angeregte Belange der Partei im Wege praktischer Konkordanz mit eigenen Anweisungen in Einklang zu bringen. Falls dies nicht möglich war, hatte er mit der entsprechenden Parteistelle Rücksprache zu halten. Sofern etwaige Unstimmigkeiten nicht ausgeräumt werden konnten, wurde der Vorgang an die Generalstaatsanwaltschaft weitergeleitet. Die schwebende Unstimmigkeit hemmte dabei jedoch nicht die Bindungswirkung der Staatsanwaltschaft an die behördliche Anordnung743. Die besondere Schwierigkeit für den StA bestand darin, dass er sich im Fall einer Interessenskollision durch die Befolgung behördlicher Gehorsamspflicht zum Nachteil der NSDAP dem Risiko eines Parteiverfahrens auslieferte, sofern die NSDAP zu der Einschätzung gelangte, dass sich durch die behördliche Weisungsumsetzung der Beamte eines parteischädlichen Verhaltens schuldig gemacht hatte744. Hitler hatte sich die Frage der 739  § 26 Nr. 3 der Verordnung zur Durchführung des Deutschen Beamtengesetzes vom 29.6.1937, RGBl. 1937 I, S. 672. Die allgemeinen Informations- und Auskunftspflichten der Staatsanwaltschaft gegenüber den NSDAP-Parteistellen blieben von dieser Regelung jedoch unberührt, siehe AV des RJM vom 23.1.1938, DJ 1938, S. 130. 740  Nadler/Wittland, Beamtenrechtliche Gesetze, Ergänzungsband, S. 41. 741  § 7 Abs. 3 DBG vom 27.1.1937, RGBl. 1937 I, S. 42. 742  Verordnung zur Durchführung des Deutschen Beamtengesetzes vom 30.6.1937 zu § 7, RGBl. 1937 I, S. 670. 743  Ebd. 744  Dieser Konflikt wird auch von Brand nicht verkannt: „Der Beamte, der Mitglied der NSDAP ist, kann insofern in einen Konflikt geraten, als er nicht nur seinen dienstlichen Vorgesetzten, sondern auch seinem Parteivorgesetzten zum Gehorsam verpflichtet ist. (…) Die Art und Weise, in der die – an sich gerechtfertigte – Wei-



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Zulässigkeit eines solchen Parteiverfahrens durch einen angekündigten Erlass – der jedoch nie umgesetzt wurde – persönlich vorbehalten745. Schließlich wurden die Zulässigkeitsvoraussetzungen von entsprechenden Anordnungen des Obersten Parteigerichts abhängig gemacht746. Die Befolgung des Gesetzes bot dem Staatsanwalt im Ergebnis jedoch nicht die Sicherheit, sich durch Befolgung seiner Amtspflicht disziplinarisch schadlos zu halten, was die Inkompatibilität von Staats- und Parteitreue belegt. StA Zimmerath betraf die Unvereinbarkeit geltenden Rechts mit den Interessen der Partei unmittelbar, nachdem die NSDAP erfolglos versucht hatte, in dem Strafverfahren gegen NSDAP-Ortsgruppenleiter Paul S. rechtsbeugend tätig zu werden. S. hatte sich zuvor eines Verbrechens gegen § 1 Abs. 1 KrWVO strafbar gemacht747. Bereits mit Abschluss des Ermittlungsverfahrens war StA Zimmerath, der neben der Sachbearbeitung auch die Sitzungsvertretung übernommen hatte, gemeinsam mit dem Kölner GStA im RJM vorstellig geworden, um das Ermittlungsergebnis MinDir Crohne und StS Freisler persönlich vorzutragen748. Der Aachener Behördenleiter hatte bereits zu diesem Zeitpunkt seine Absicht kundgetan, die Todesstrafe beantragen zu wollen749. Die NSDAP-Leitung Aachens hatte dagegen im laufenden Hauptverfahren versucht, Zimmerath durch Drohung mit einem Parteiverfahren von dem Antrag der Todesstrafe abzuhalten. So hatte der Gaupropagandaleiter gegenüber dem GStA den Vorwurf erhoben, StA Zimmerath habe durch die Offenlegung der Korruption weiter Parteikreise die Anklage „tendenziös und gegen die Partei“ gerichtet750. Während des mündlichen Verhandlungsgerung des Untergebenen sich betätigt, kann zum disziplinarischen Einschreiten Anlass bieten“, Brand, Beamtengesetz, S. 151. Auch unabhängig vom tatsächlichen Prozessrisiko musste die strenge Überwachung der NSDAP beigetretenen Beamten durch die internen Parteiengerichte die Drucksituation der Staatsanwälte erhöhen, allseitig befriedigende Ergebnisse zu finden. Zur Überwachung durch die Parteigerichte McKale, Parteigerichtsbarkeit, in: Rebentisch/Teppe, Verwaltung, S. 242. 745  Kalle, Parteigerichtsbarkeit, in: DJ 1938, S. 1556. Das Ausbleiben entsprechender Führererlasse dokumentiert auch Neef, Beamtengesetz, S. 258. 746  Kalle, Parteigerichtsbarkeit, in: DJ 1938, S. 1556. 747  Siehe hierzu im Einzelnen unten, S. 411. Der seinerzeitige OLG-Präsident in Köln beschrieb in einem außerordentlichen Schreiben an das RJM den Vorgang als „die umfangreichsten und wohl schwersten Verbrechen gegen die Kriegswirtschaftsordnung (…), die in meinem Bezirk bisher zur gerichtlichen Verhandlung gekommen sind“, Schreiben des Oberlandesgerichtspräsidenten Bergmann an das RJM vom 31.10.1942, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 149, 149 rev. 748  Siehe Notiz Freislers vom 9.6.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 28. 749  Bericht des LOStA Aachen an das RJM vom 17.7.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 31. 750  Aussagen Zimmeraths im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band I, Bl. 275. Anm: Die Inhalte der Aussage Zimmeraths werden – soweit hier dargestellt – als gegeben vorausgesetzt, da sie insoweit

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termins hatte auch der Kreisleiter der NSDAP für den Bereich Aachen-Land durch scharfe Angriffe gegen die Staatsanwaltschaft versucht, rechtswidrig Einfluss auf den Verfahrenslauf zu nehmen751. Nachdem das Sondergericht antragsgemäß auf Todesstrafe erkannt hatte, wurde Zimmerath mehrfach zu Gauleiter Grohé befohlen, welcher den StA vergeblich zu einer Begnadigung des nach seiner Ansicht zu Unrecht verurteilten S. bewegen wollte. Abweichend von der Gauleitung genoss der Sachbearbeiter jedoch die Rückendeckung des Behördenleiters, der in der dienstlichen Beurteilung Zimmeraths dessen „geradezu verbissenen Eifer und (…) unermüdlichen Fleiß“ sowie „den erfolgreichen Abschluß“752 und die „unbeirrbar gerade Linie“753 in der Strafsache S. gelobt hatte. Die Kontroversen bezüglich der Gnadenfrage waren schließlich nach divergierendem Diskurs zwischen Gau- und Behördenleiter, der einen Gnadenerweis weiter ablehnte754, auf Reichsebene verlagert worden. Dort hatten die Unstimmigkeiten zwischen Justizministerium und Parteistellen fortbestanden, bis schließlich ein „Kompromiss“ geschlossen wurde755. StA Zimmerath betrieb anschließend gegen den Willen des Gauleiters das Verfahren gegen den Kreisleiter des Bereichs AachenLand weiter, welches im Zusammenhang mit der causa S. stand. GStA Rahmel ließ StA Zimmerath daraufhin auf entsprechendes Verlangen der Gauleitung durch EStA Arnold mitteilen, dass es sowohl von Seiten der Gauleitung als auch seitens der Generalstaatsanwaltschaft der ausdrückliche Wunsch wäre, das Verfahren gegen den mittlerweile in den Gaustab versetzten beschuldigten Kreisleiter „zum Zwecke der Rehabilitierung“ einzustellen756. Nachdem sich StA Zimmerath auch diesem Wunsch verschlossen hatte, teilte GStA Rahmel dem Sachbearbeiter in einer letztmaligen mündlichen Besprechung im Aachener Hotel Quellenhof dessen Versetzung nach schlüssig durch andere Dokumente komplementiert wurden. So wurde in zahlreichen Bescheinigungen, deren Zuverlässigkeit zum Teil jedenfalls nicht in Zweifel gezogen werden kann, bestätigt, dass Zimmerath sich gegen erhebliche Widerstände seitens der Partei hat durchsetzen müssen, Bericht des OStA Aachen Dr. R. an den GStA Köln bzgl. der Wiederaufnahme Zimmeraths in den Justizdienst vom 14.9.1949, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 175, 176. 751  Aussagen Zimmeraths im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band I, Bl. 275. 752  Dienstliche Beurteilung von LOStA Führer aus dem Jahr 1943, Datum nicht angegeben, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 156 rev. 753  Dienstliche Beurteilung von LOStA Führer vom 3.3.1944, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 163. 754  Bericht des LOStA an das RJM vom 10.11.1942, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 161. 755  Siehe hierzu ausführlich die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft im Verfahren Paul S., S. 415. 756  LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band I, Bl. 275.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene169

Prag mit. Zur Begründung führte er aus, „die Luft im Gau Köln-Aachen“ sei für Zimmeraths weiteres berufliches „Fortkommen nicht förderlich“757. Das Verfahren gegen den versetzten Kreisleiter wurde schließlich auf Weisung des GStA unter Berücksichtigung vermeintlicher Frontverdienste wegen Geringfügigkeit eingestellt758. Die Partei entfaltete damit, wie das Schicksal StA Zimmeraths verdeutlicht, durch ihr Mitspracherecht bei Ernennungen, Beförderungen und Versetzungen der Staatsanwälte ein wesentliches Machtpotential759. Nach § 26 Nr. 2 DurchführungsVO760 war vor Einstellung oder Beförderung stets bei einem zur Begutachtung befugten Hoheitsträger der NSDAP eine Stellungnahme zur politischen Zuverlässigkeit des Bewerbers einzuholen761. Das Verfahren vollzog sich dergestalt, dass der GStA als für die Einstellung von Staatsanwälten in Aachen zuständige Justizbehörde beim Gauleiter Köln-Aachen eine Stellungnahme über die politische Zuverlässigkeit einholte. In dem Vordruck sollten etwaige Bedenken gegen eine Ernennung zum Ausdruck gebracht werden. Sofern nach drei Wochen keine Nachricht oder eine zustimmende Stellungnahme einging, wurde die Ernennung mitsamt Personal- und Befähigungsnachweis an das RJM weitergeleitet. Dieses sendete dem StdF die entsprechenden Unterlagen zu, um ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben762. Im Falle der Zustimmung sandte das RJM den vom Minister unterschriebenen Ernennungsvorschlag mit entsprechendem Vermerk des StdF zur Unterschrift Hitlers an des Chef der Präsidialkanzlei763. Verneinte der Gauleiter, musste die Justizbehörde dem Ministerium berichten. Dieses kommunizierte anschließend auf Reichsebene mit dem StdF. Solange die Zustimmung der Partei zur Ernennung des Beamten ausblieb, erfolgte keine Vorlage des Ernennungsvorschlags an Hitler764. Dieser hatte sich Ernennungen, Beförderungen und Versetzungen ab der Besoldungsgruppe A 2 c aufwärts, die sämtliche Staatsanwälte beim LG, Erste Staatsanwälte und Oberstaatsanwälte inkludierte, persönlich vorbehalten765. 757  Ebd.; siehe zudem Versetzungsverfügung durch den GStA vom 23.2.1944, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band I, Bl. 335. 758  LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band I, Bl. 275 f. 759  Sommer, Partei und Staat, in: DJZ 1936, S. 595. 760  § 26 Verordnung zur Durchführung des Deutschen Beamtengesetzes vom 29.6.1937, RGBl. 1937 I, S. 672. 761  Bei einer Versetzung war die Einholung der Äußerung des Gauleiters dagegen entbehrlich, AV des RJM vom 14.11.1935, DJ 1935, S. 1656. 762  Nr. IV Abs. 4 der Durchführungsvorschriften über die Ernennung der Beamten und die Beendigung des Beamtenverhältnisses vom 12.7.1937, RGBl. 1937 I, S. 773. 763  Ebd. 764  AV des RJM vom 14.11.1935, DJ 1935, S. 1657. 765  Nr. I des Erlasses des Führers und Reichskanzlers über die Ernennung und Entlassung der Reichsbeamten vom 1.2.1935, RGBl. 1935 I, S. 74, sowie deklarato-

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Ab Oktober 1940 entfiel die vorgeschaltete Stellungnahme des Gauleiters766. Da der StdF eine qualifizierte Einschätzung jedoch nur durch entsprechende Informationen des regionalen politischen Unterbaus treffen konnte, blieb die Rolle des Gauleiters und der ihm unterstellten Gaurechtsämter, Kreisleiter und Ortsgruppenleiter faktisch weiterhin relevant. c) Die Mitgliedschaft in der Partei als Voraussetzung für die Beamtenlaufbahn Für die Frage, ob und inwieweit die Beamtenlaufbahn konstitutiv die Mitgliedschaft in der NSDAP voraussetzte, bedarf es einer sachlichen Differenzierung zwischen der Personengruppe der Neubewerber ab März 1939 und jener Staatsanwälte, die zu diesem Zeitpunkt bereits die Beamtenlaufbahn eingeschlagen hatten. Allein für den erstgenannten Personenkreis war festgelegt worden, dass künftig alle Bewerber der NSDAP oder einer ihr nachgeordneten Gliederung angehören mussten767. Für die Juristen bedeutete dies, dass für die Zulassung in den juristischen Vorbereitungsdienst der Nachweis einer Mitgliedschaft in der NSDAP, der SA, der SS, dem NSKK oder der HJ zu erbringen war. Die gesetzliche Verankerung dieses Kriteriums war Resultat einer Entwicklung gewesen, die sich bereits in der JAO des Jahres 1934 niedergeschlagen hatte, indem der Kandidat der ersten juristischen Staatsprüfung durch „Bescheinigungen geeigneter Stellen“ den Nachweis zu erbringen hatte, wie er „die Verbundenheit mit anderen Volksgruppen gepflegt“ hatte768. Flankiert wurde diese Regelung durch die Vorgabe, dass alle Kandidaten vor der mündlichen Prüfung des Zweiten Staatsexamens einen zweimonatigen Aufenthalt in einer Lagergemeinschaft zu absolvieren hatten, in der sie zu Befehl und Gehorsam ausgebildet werden sollten. Bezeichnenderweise diente die sechswöchige Internierung nicht der „unmittelbaren (…) Examensvorbereitung“769. Vielmehr sollte die Erziehung zur „wahren Volksgemeinschaft“ erreicht werden, indem eine „enge Kamerisch der Erlass des Führers und Reichskanzlers über die Ernennung der Beamten und die Beendigung des Beamtenverhältnisses vom 10.7.1937, RGBl. 1937 I, S. 769 iVm Anlage zum Gesetz über die Einunddreißigste Änderung des Besoldungsgesetzes vom 9.12.1937, RGBl. 1937 I, S. 1360. 766  RV des RJM vom 11.10.1940, BArch, R 3001, Akte 21500, Bl. nicht angegeben. 767  § 2 der Verordnung über die Vorbildung und die Laufbahnen der deutschen Beamten vom 28.2.1939, RGBl. 1939 I, S. 371. 768  § 2 Abs. 3 Juristenausbildungsordnung vom 22.7.1934, RGBl. 1934 I, S. 727. Faktisch handelte es sich damit um einen Betätigungsnachweis in der NSDAP oder ihrer Gliederungen, vgl. Gruchmann, Justiz, S. 300. 769  Freisler, Gemeinschaftslager, S. 10.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene171

radschaft mit (…) der örtlichen SA“ gehalten wurde. Durch die Zusammensetzung des Führerpersonals und diese Berührung mit anderen Volkskreisen“ sollte „Sorge dafür getragen“ werden, „dass der alte echte SA-Geist, d. h. also nationalsozialistische Weltanschauung, auf die Referendare übertragen wird und in ihnen erhalten bleibt“770. Den „Erfolg“ dieser Maßnahme belegt die Beurteilung von StA Marx, der als einziger der Aachener Sachbearbeiter im Rahmen seines Vorbereitungsdienstes im Winter 1934 an einer Lagerübung im Gemeinschaftslager „Hanns Kerrl“ in Jüterbog teilgenommen hatte. Vom dortigen Lagerkommandanten wurde besonders dessen Fähigkeit hervorgehoben, sich „völlig unterordnen“ zu können aber dennoch die Energie aufzubringen, sich anderen Kameraden gegenüber bei dienstlichen Aufträgen durchzusetzen771. Für die übrigen Staatsanwälte, die ihren Dienst bereits vor dem Stichtag aufgenommen hatten, blieb es bei den durch das DBG festgesetzten Kriterien zur Einstellung. Wenngleich damit die formale Voraussetzung einer Parteimitgliedschaft entfiel, kam dieser dennoch eine gesteigerte praktische Bedeutung zu, da im Zuge von dienstlichen Beurteilungen, die unter anderem für Beförderungen ausschlaggebend waren, stets zur politischen Zuverlässigkeit Stellung zu nehmen war. So konnte ein Beamter nur befördert werden, wenn er „unter Berücksichtigung seiner früheren politischen Einstellung die unbedingte Gewähr dafür bietet und seit dem 30. Januar 1933 bewiesen hat, dass er jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat eintritt und ihn wirksam vertritt“772. Umgekehrt verblieb dem Behördenleiter bei seiner Stellungnahme durch das fakultativ formulierte Kriterium der Mitgliedschaft ein Bewertungsspielraum. Dieser wurde im geschlossenen Kreis der Justizbeamten genutzt, um der ministeriellen Bevorzugung des Leistungsprinzips gegenüber der Parteiaktivität im Zweifel bei einer Einstellung leistungsstarker Anwärter ohne Parteimitgliedschaft Rechnung tragen zu können773. Dies zeigte sich besonders bei StA Höher, der von allen Aachener Staatsanwälten die besten Examensresultate erzielt hatte774 und vor seiner Abordnung zur Staatsanwaltschaft Aachen von seinem Vorgesetzten in Trier, OStA Dr. Hofmann, 770  Ebd.,

S. 12. NRW R, NW Pe 6765, Personalakte Justizministerium, Bl. 4. Das Gemeinschaftslager verlor mit Kriegsbegin jedoch drastisch an Bedeutung. Während im Jahre 1939 die zwischenzeitlich nach Jüterborg verlegten mündlichen Prüfungen eine Zahl von 3.811 erreichten, wurden ab Januar 1941 mehr als 77 % der Referendare zur Wehrmacht eingezogen, sodass das Lager bis zum Kriegsende an Bedeutung verlor, Klein/Schmitz, „Hanns-Kerrl-Lager“, S. 558. 772  § 8 lit. a) der Reichsgrundsätze über Einstellung, Anstellung und Beförderung der Reichs- und Landesbeamten vom 14.10.1936, RGBl. 1936 I, S. 894. 773  Gruchmann, Justiz, S. 214. 774  Siehe Personlichkeitsprofil Höher, unten, S. 195. 771  LAV

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

als „politisch durchaus zuverlässig“775 qualifiziert worden war, obwohl Höher erst im Jahre 1940 der NSDAP beigetreten war776 und sich ab April 1933 bis zu deren Selbstauflösung sogar bei der DNVP betätigt hatte777. Auch die Äußerungen des GStA bezüglich einer Anstellung Höhers als planmäßiger Staatsanwalt waren trotz mäßiger politischer Referenzen wohlwollend778. Der passus der „politischen Bewährung“ bot dem StdF vor diesem Hintergrund als Korrelat zum behördlichen Spielraum eine geeignete Handhabe, gegen Einstellungen oder Beförderungen Einspruch zu erheben, sofern er den Beamten in spe für politisch nicht ausreichend qualifiziert hielt779. Im Falle der Ernennung Höhers hemmte die Partei die gesetzlich vorgeschriebene Frist von vier Wochen zur endgültigen Begutachtung Höhers dadurch, dass eine vorläufige Nicht-Zustimmung erfolgte, bis die Ermittlungen abgeschlossen waren780. Obwohl die Ernennungsurkunde bereits am 26. Oktober 1937 ausgestellt und zugegangen war781, wurde sie erst Ende November durch die NSDAP widerrufen, „da die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen“ waren782. Zum Ende des Jahres wurde die Ernennung durch die NSDAP schließlich bestätigt783. Unstimmigkeiten zwischen Partei und Ministerium über Kompetenzüberschreitungen des StdF, der vereinzelt die Parteimitgliedschaft entgegen gesetzlicher Normierung784 intern als Voraussetzung einer Beförderung ge775  Dienstliche Beurteilung aus dem Jahr 1937, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 29. 776  Personalbögen aus den Jahren 1939 und LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 777  Personalbogen Höhers aus dem Jahre 1939, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 778  Dienstliche Beurteilung des GStA Köln Windhausen aus dem Jahr 1937, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 44; Stellungnahme der NSDAP Gauleitung Koblenz-Trier vom 31.8.1937, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 45. 779  Mommsen, Beamtentum, S. 79. 780  Siehe zur Fristenregelung Nr. IV Abs. 4 der Durchführungsvorschriften über die Ernennung der Beamten und die Beendigung des Beamtenverhältnisses vom 12.7.1937, RGBl. 1937 I, S. 773. 781  Ernennungsurkunde vom 26.10.1937, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 47. 782  Widerruf der NSDAP durch den Stellvertreter des Führers vom 26.11.1937, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 48. Die Umgehung der Frist durch eine vorläufige „Nicht-Zustimmung“ war kein Einzelfall, sondern durchaus gängige Verwaltungspraxis auch auf Reichsebene, siehe Gruchmann, Justiz, S. 212. 783  Zustimmung der NSDAP durch den Stellvertreter des Führers vom 29.12.1937, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 58. 784  § 8 lit. a), ebd., RGBl. 1936 I, S. 894.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene173

macht hatte785, konnten die Aachener Staatsanwälte nicht tangieren, da diese zum Zeitpunkt ihrer Tätigkeit in Aachen ausnahmslos der NSDAP angehörten. Darüber hinaus bekleideten fünf der sieben Staatsanwälte zusätzliche Ämter innerhalb der Partei oder ihrer Gliederungen, wie das eines „Amtswalters“ des BNSDJ786, eines „Gaugruppenwalters“ der Untergruppe Staatsanwälte787, eines NSRB-Abschnittsführers788, eines SA-Truppführers789, eines NSDAP-Blockhelfers790, eines NSV-Blockhelfers791 oder eines Politischen Leiters einer NSDAP-Ortsgruppe792. Dies verdeutlicht für den Standort Aachen, dass sich der Einfluss der politischen Machthaber auf dem Personalsektor bereits vor Einführung einer gesetzlich vorgeschrieben Parteimitgliedschaft erheblich auf den Eintritt der Staatsanwälte in die NSDAP ausgewirkt hatte. 2. Die Umsetzung der Personalpflege auf Bezirksebene: Aufbau und Akteure der Staatsanwaltschaft Aachen a) Einordnung und Aufbau der Staatsanwaltschaft Aachen im Gefüge der Justizverwaltung Die Strafjustizverwaltung gliederte sich im Zuge der Verreichlichung des Justizapparates durch das dritte Überleitungsgesetz ab 1. April 1935 in ein dreistufiges System793. In der hierarchischen Reihenfolge absteigend stand das RJM an oberster Stelle. Als unterstellte Mittelinstanz war die General785  Siehe

hierzu eingehend Mommsen, Beamtentum, S. 82. LOStA Führer, LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte des OLG Köln, Bl. 61. Anm.: Der BNSDJ wurde ab Mai 1936 zum NSRB. 787  LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte des OLG Köln, Bl. 79. 788  Personalakte Ackermann, LAV NRW R, NW Pe 3631, Akte Justizministerium, Bl. 39. 789  Ebd., Bl. 36. 790  Schreiben des GStA an das RMJ vom 19.1.1939, dass Höher seine Blockhelfereigenschaft beim GStA angezeigt hat, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 53. 791  Personalakte Venator, LAV NRW R, BR Pe 19560, Bl. 11. 792  Dies geht hervor aus einem Loseblatt, welches sich in einer Verfahrensakte des Sondergerichts befindet. Das Loseblatt diente offensichtlich als Notizzettel für die umseitig getätigten handschriftlichen Vermerke zum entsprechenden Verfahren. Die rückseitige maschinell erstellte Information zur Person Zimmeraths hatte dagegen mit dem Verfahren nichts zu tun, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 503, Bl. nicht angegeben. Die vermehrte – formal fakultativ ausgestaltete – Einbindung von Beamten korrelierte allgemein mit einem schrittweisen Verbot von Betätigungen in nicht nsuntergliederten Organisationen, siehe Mühl-Benninghaus, Beamtentum, S. 117, 118. 793  Hierzu eingehend Gruchmann, S. 115 f. 786  Personalakte

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

staatsanwaltschaft Köln zugleich oberste Behörde im Gefüge der Provinzialjustizverwaltung im Rheinland und damit direkter Vorgesetzter der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Aachen. Letztere fungierte zunächst ausschließlich als Anklagebehörde beim dortigen Landgericht während für Strafsachen vor dem Amtsgericht die der Staatsanwaltschaft nachgeordnete Amtsanwaltschaft sachlich zuständig war. Ab Februar 1941 erweiterte sich die sachliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Aachen auf die Sondergerichtsbarkeit. Die späte Zuständigkeitserweiterung, welche der Errichtung des Sondergerichts in Aachen inhärent war, resultierte aus dem Umstand, das 1933 für jeden der 26 Oberlandesgerichtsbezirke je ein Sondergericht gebildet worden war794. Damit war zunächst die Staatsanwaltschaft beim LG Köln für Sondergerichtssachen des LG-Bezirks Aachen ausschließlich sachlich zuständig. Erst ab 1939 konnten auf Bezirksebene Sondergerichte errichtet werden, was der Entlastung sämtlicher Sondergerichte der Oberlandesgerichtsbezirke im Reichsgebiet infolge eines zunehmenden Arbeitsanfalls Rechnung tragen sollte795. Im Zuge der Umsetzung von § 18 GerichtsverfassungsVO796 wies der Oberlandesgerichtspräsident in Köln den LOStA in Aachen Ende September 1939 an, Staatsanwälte für die Besetzung der Anklagebehörde zu benennen797. Aufgrund eines zu diesem Zeitpunkt mangelnden Erfordernisses eines Sondergerichts blieb eine Tätigkeit der ursprünglich vorgesehenen StA Dr. Nellessen und StA Harst, die neben dem LOStA als Sachbearbeiter für Sondergerichtssachen fungieren sollten, aus798. Mit der Errichtung des Sondergerichts Aachen durch AV des RJM mit Wirkung vom 10. Februar 1941799 ging die sonderrechtliche Strafverfolgungskompetenz für den Aachener Bezirk von der Staatsanwaltschaft Köln schließlich auf die Staatsanwaltschaft Aachen über. Die Staatsanwaltschaft gliederte sich nach sachlichen Schwerpunkten wie Jugendstrafsachen, Brandsachen, Verkehrsstrafsachen und Münzsachen in insgesamt neun Dezernate800. Eine zusätzliche Gliederung erfolgte nach 794  § 1 Abs. 1 ZuständigkeitsVO, RGBl. 1933 I, S. 136. Für den Oberlandesgerichtsbezirk Köln war das Sondergericht 1933 ebenda errichtet worden. 795  Den erhöhten Arbeitsanfall dokumentiert ein Schreiben des RJM an die OLGPräsidenten und die GStAe vom 5.7.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 46. Zur gesetzlichen Grundlage erweiterter Errichtungsmöglichkeiten siehe § 18 der „Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung und der Rechtspflege“, RGBl. 1939 I, S. 1659. 796  RGBl. 1939 I, S. 1658. 797  LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 2. 798  Ebd., Bl. 3. 799  AV vom 10.2.1941, DJ 1941, S. 223. Ebenso LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 21. 800  Ab dem 19.1.1942 wurde infolge einer verfügten Kräfteeinsparung die Anzahl der Dezernate in Aachen auf sieben reduziert, Schreiben des LOStA an den GStA



III. Die Personalpflege auf Reichsebene175

örtlichen Zuständigkeiten für das Stadt- und Landgebiet Aachens. Besondere Bedeutung kam Dezernat Zwei zu: Das von StA Höher geleitete Ressort bearbeitete politische Strafsachen, Pressestrafsachen und ausländische Rechtshilfeersuchen. Mit Verfügung durch LOStA Führer vom 21. Februar 1941 übernahm das Dezernat künftig sämtliche Sondergerichtssachen801. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Jahres 1941 wurden „als Anklagevertreter bei der Anklagebehörde des Sondergerichts in Aachen (…) Staatsanwalt Dr. Höher und als dessen Vertreter Staatsanwalt Dr. Zimmerath sowie als Sachbearbeiter der vor das Sondergericht zu bringenden Kriegswirtschaftssachen Staatsanwalt Dr. Marx und als dessen Vertreter Staatsanwalt Dr. Höher“ bestimmt802. Die Anzahl der Dezernate sowie deren sachliche Zuständigkeiten wurden in der Folge verschiedentlich den wechselnden Erfordernissen des Geschäftsanfalls angepasst. Das von StA Höher geleitete politische Dezernat beanspruchte hingegen durchgängig seine sachliche Zuständigkeit in Sondergerichtssachen. Insgesamt waren bis zur Auflösung der Behörde sieben Staatsanwälte mit der Übernahme von Tätigkeiten im Rahmen sondergerichtlicher Verfahren betraut803. b) Die Akteure der Staatsanwaltschaft Aachen und ihre politische Instrumentalisierung804 Anhand der nachfolgenden Profildarstellungen der einzelnen Staatsanwälte soll erörtert werden, inwieweit sich die auf Reichsebene vollzogene Personalrechtspflege für den Standort Aachen fortsetzt oder abweicht. Im Fokus steht zunächst die Darstellung des Tätigkeitsprofils der einzelnen Sachbearbeiter unter Berücksichtigung ihrer beruflichen Laufbahn und Parteiaktivität. Es soll veranschaulicht werden, inwieweit die existenten Aktenstücke eine Bindung der einzelnen Staatsanwälte an die Partei belegen. Auf diesen Erkenntnissen basierend, folgt die Behandlung der Frage, wie sich das festgestellte Verhältnis der Staatsanwälte zu Partei und Politik konkret betr. die Kräfteeinsparung durch Verfügung vom 3.1.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 85, Bl. 92. 801  LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 142, Bl. 92. 802  LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 21. Anm.: Die Betitelung Zimmeraths als „Dr.“ ist ein redaktionelles Versehen, da Zimmerath tatsächlich nicht promoviert war. 803  Hierzu im einzelnen unten, ab S. 175. 804  Anm.: Mit den nachfolgenden Ausführungen ist keine retrospektive Prangerwirkung intendiert, indem ein Werturteil über die Privatpersönlichkeiten des betroffenen Personenkreises getroffen werden soll. Sämtliche Ausführungen sind berufsbezogen und orientieren sich ausnahmslos an Quellen und Inhalten, die mit der beruflichen Eigenschaft der Personen in Zusammenhang stehen.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

in der Wahrnehmung staatsanwaltschaftlicher Tätigkeit niederschlägt und den Schluss auf eine politische Instrumentalisierbarkeit der einzelnen Akteure zulässt. Die Relevanz dieser Erkenntnisse für die Frage der politischen Lenkung der Staatsanwaltschaft ergibt sich aus der Erwägung, dass eine wirksame Steuerung sowohl von einer geeigneten Lenkung, als auch von einer geeigneten Lenkbarkeit abhängt. Dabei lässt sich die Rolle der Staatsanwaltschaft nicht auf die eines gelenkten Prozessorgans reduzieren. Vielmehr kommt ihr eine Doppelfunktion auch als lenkender Faktor zu, da die Staatsanwaltschaft als ein Justizverwaltungsorgan geeignet war, durch seine Akteure von innen heraus eigendynamisch politisch zu steuern, wenngleich sich eine solche Selbstinstrumentalisierung durch die Schranken überbehördlicher Weisungsabhängigkeit nicht uferlos entfalten konnte. Abgrenzungskriterium zwischen Instrumentalisierung und Selbstinstrumentalisierung bildet folglich die Existenz einer bindenden fremdbehörlichen Einflussnahme. Um zu einem qualifizierten und wissenschaftlich messbaren Resultat einer „politischen Selbstinstrumentalisierung“805 zu gelangen, muss im Vorfeld der personellen Einzeldarstellung der diesbezügliche Begriff im konkreten Zusammenhang hinreichend definiert werden. aa) Die Definition des Begriffs der „politischen Selbstinstrumentalisierung“ Es gilt zu eruieren, an welchem Maßstab sich eine „politische Selbstinstrumentalisierung“ der Staatsanwaltschaft messen lässt. Zur Beantwortung dieser Frage bieten sich drei Lösungsansätze: Legt man den Begriff extensiv aus, so ist unter politischer Selbstinstrumentalisierung jede Anwendung ideologisch konnotierter Strafgesetze – unabhängig von einer politischen oder rechtlichen Anwendungsmotivation seitens der Sacharbeiter – zu subsumieren. Dieser Ansatz trägt dem Umstand Rechnung, dass letztlich jeder weisungsunabhängigen Anwendung von NS-Strafgesetzen die Anerkennung nationalsozialistischer Rechtspflege zugrunde liegt. Rechtsfolge dieser Sichtweise wäre, dass bereits die bloße Arbeit mit wertausfüllenden Straf­ tatbeständen – soweit nicht ministeriell ausdrücklich angeordnet – eine Selbstinstrumentalisierung darstellt. Legt man den Begriff restriktiv aus, darf nur diejenige Rechtsanwendung als politische Selbstinstrumentalisierung angesehen werden, die ausschließ805  Der Begriff wird interdisziplinär in verschiedenen anderen Zusammenhängen verwendet, z. B. Eckel, Hans Rothfels, S. 314; Lehmann/Oexle, Nationalsozialismus, S. 567; Weger, „Völkische“ Wissenschaft, S. 177, Jarausch, Zeitgeschichte, S. 4. Eine im Zusammenhang mit der Staatsanwaltschaft im Nationalsozialismus stehende Begriffsverwendung oder -definition ist bislang jedoch nicht erfolgt.



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lich auf dokumentierten politischen Motiven beruht. Solche Fälle sind insbesondere anzunehmen, wenn staatsanwaltschaftliche Verwaltungsinterna den behördlichen Vorsatz der Herbeiführung eines politischen Urteils belegen oder sich der politische Charakter in einem Verfahren durch eine abwegige rechtliche Würdigung oder ein völlig unverhältnismäßiges Strafmaß nach außen manifestiert, sodass auf eine Prangerwirkung oder eine Diskriminierung bestimmter Personengruppen geschlossen werden kann. Dieser Sichtweise liegt die Erwägung einer konsequenten Trennung von Politik und Verwaltung zugrunde, sodass einer bloßen Gesetzesanwendung ohne erschwerende Indizien ein reiner Vollzugscharakter zugesprochen werden muss. Die „reguläre“ Anwendung von Strafgesetzen würde insoweit lediglich als Erfüllung einer rein beamtenrechtlichen Dienstobliegenheit zu qualifizieren sein. Nach einem erweiterten restriktiven Ansatz806 ist eine politische Selbstinstrumentalisierung stets für Fallkonstellationen des restriktiven Ansatzes als verwirklicht anzusehen. Für die Fälle extensiver Begriffsauslegung wird die Bejahung der Selbstinstrumentalisierung einschränkend an zusätzliche Bedingungen geknüpft: Es müsste sich ein überwiegend politisches momentum bei einer Entscheidungsfindung bzw. -umsetzung manifestieren oder einzelne Verfahrensmerkmale den begründeten Schluss einer überwiegend politischen Motivation zulassen. Für die Auswertung statistischer Verfahrensergebnisse kann insoweit auf die Anwendung einer „Je-destoFormel“ zurückgegriffen werden: Je rigoroser ein originärer NS-Tatbestand mit politischem Einschlag angewendet wurde, desto eher ist von einer politischen Selbstinstrumentalisierung auszugehen. Diese Schlussfolgerung basiert auf der Tatsache, dass die scharfe Anwendung von Sonderrecht den Wünschen der politischen Machthaber entsprach. Die Rechtsfolge des vermittelnden Ansatzes geht somit dahin, eine politische Selbstinstrumentalisierung anzunehmen, soweit die Aachener Sachbearbeiter innerhalb des ihnen verbliebenen Ermessensspielraumes Entscheidungen von reinen oder überwiegend politischen Motiven abhängig machten. Je rigoroser sich die Anwendung von Tatbeständen mit politischem Einschlag vollzog, desto 806  Anm.: Der Grund den vermittelnden Ansatz als „erweiterte restriktive Auslegung“ und nicht als „eingeschränkte extensive Auslegung“ zu bezeichnen, basiert auf der Erwägung, dass in den nachfolgenden Ausführungen – wie auch der übrigen Arbeit – bei Ergebnisfindung und -darstellung der in dubio pro reo Grundsatz seinen Niederschlag finden muss. Der Bezeichnung einer eingeschränkten extensiven Auslegung wäre hingegen eine Umkehrung des Regel-Ausnahme-Prinzips dahingehend immanent, dass grundsätzlich von einer extensiven Begriffsauslegung auszugehen wäre, welche die Akteure ggf. vorschnell als politisch instrumentalisiert qualifizieren würde, ohne den spezifisch nationalsozialistischen Instrumentalisierungsmechanismen gerecht zu werden.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

überwiegender ist von einer politischen Selbstinstrumentalisierung auszugehen807. Gegen die Anwendung des extensiven Ansatzes spricht dessen statisches Gefüge, welches dem Konflikt zwischen Staats- und Parteiinteressen, der sich auf der Ebene der Gesetzesauslegung fortsetzt, nicht gerecht wird808. So entscheidet gerade die konkrete Auslegung von Gesetzen über eine politisch oder rechtlich ausgerichtete Strafrechtspflege. Darüber hinaus wäre eine differenzierte Forschung zum Thema der Selbstinstrumentalisierung im Ergebnis obsolet, da unabhängig von individuellen Verfahrensmerkmalen eine politische Selbststeuerung stets zu bejahen wäre. Der extensive Ansatz wird zudem nicht den tatsächlichen Lebens- und Arbeitsumständen der Staatsanwaltschaft im Nationalsozialismus gerecht. So hätte eine kategorische Nichtanwendung von NS-Strafrecht – als einzige Möglichkeit der Verneinung einer Selbstinstrumentalisierung – zur Entlassung aus dem Beamtenverhältnis geführt. Alleine aufgrund dieses Umstands kann im Umkehrschluss in der reinen Anwendung ns-konnotierter Gesetze keine aktiv betriebene politische Instrumentalisierung der Anklagebehörde durch ihre eigenen Sachbearbeiter gesehen werden. Zuletzt ist zu berücksichtigen, dass die inhaltliche Ausgestaltung materiellen Rechts bis heute den legislativen Ausfluss politischer Vorstellungen der jeweiligen Regierungen darstellt. Würde man alleine in der Umsetzung geltenden Rechts eine politische Selbstinstrumentalisierung durch die Staatsanwaltschaft erblicken, würde man den Besonderheiten während des NS-Regimes nicht gerecht werden. Der extensive Ansatz ist mithin abzulehnen. Der restriktive Ansatz begegnet indes praktischen Bedenken, da die Auswertung der staatsanwaltschaftlichen Verfahrensakten zeigt, dass Verwaltungsinterna, welche eine politische Motivation zweifelsfrei belegen, in nur wenigen Ausnahmefällen überliefert sind. Das Merkmal politischer Selbststeuerung an die Bedingung einer dahingehenden Beweisbarkeit durch dokumentierte Aussagen zu knüpfen könnte alleine deshalb zu keinem repräsentativen Ergebnis führen, da erwiesenermaßen eine Vernichtung politisch brisanter Akten und Schriftstücke forciert wurde809. Zuletzt wäre es reiner Formalismus, eine politische Selbstinstrumentalisierung mangels eindeutiger Beweise verneinen zu wollen, wenn die Gesamtumstände eine solche indizieren. 807  Die Subsumierung der obigen Deliktsgruppen unter Tatbestände mit „politischem Einschlag“ folgt bereits aus dem Umstand, dass RJM und GStA die genannten Delikte im Rahmen der politischen Lageberichte als solche qualifizierten, siehe Verfügungsformblatt für politische Lageberichte des LOStA vom 5.5.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 94. 808  Siehe hierzu oben, S. 164. 809  Siehe oben, S. 40.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene179

Allein der vermittelnde Ansatz ist geeignet, durch den restriktiven Ausgangspunkt den Schwerpunkt der vorzunehmenden Würdigung auf den nsspezifischen Besonderheiten der Instrumentalisierung zu belassen. Gleichwohl werden durch die Erweiterung auch solche Verfahrensumstände berücksichtigt, die durch kumulatives Zusammenwirken eine Selbstinstrumentalisierung indizieren. Bei der Auswertung verfahrensrechtlicher Statistiken stellt die „Jedesto-Formel“ ein adäquates Beurteilungsmittel dar, da scharfen Sanktionen bei Verstößen gegen das Sonderrecht grundsätzlich eine entsprechende rechtsideologische Begründung immanent war. Sofern daher eine Anwendung von Sonderrecht über das „reguläre“ Maß hinaus vorliegt, ist hierin grundsätzlich auch eine gesteigerte Umsetzung eines politischen Willens und einer gesteigerten nationalsozialistisch geprägten Strafrechtspflege zu erblicken. bb) Die Akteure der Staatsanwaltschaft Aachen (1) LOStA Karl Friedrich Hans Führer810 (a) Tätigkeitsprofil und Parteiaktivität LOStA Karl Friedrich Hans Führer stellte als Leiter der Staatsanwaltschaft als Anklagebehörde beim Sondergericht Aachen bereits aufgrund seiner Dienststellung eine Schlüsselfigur dar. Neben staatsanwaltschaftlichen Kernaufgaben oblag dem Behördenleiter die Wahrnehmung verwaltungsrechtlicher Tätigkeiten innerhalb der Behörde wie die Erstellung von Dienstplänen, das Verfassen dienstlicher Beurteilungen sowie die Korrespondenz mit anderen Behörden und Stellen, die in den Ablauf des Strafverfahrens zu involvieren waren811. Zudem oblag ihm die Verantwortung für den Inhalt sämtlicher Anklageschriften sowie die Zuständigkeit für politische Lageberichte und Berichte in laufenden Sondergerichtssachen812. Er führte die Dienstaufsicht und Leitung über die übrigen bei der Staatsanwaltschaft Aachen beschäftigten Staats- und Amtsanwälte813. Durch diese – qua Dienststellung – wahrgenommenen Kompetenzen stellte der LOStA in Aachen das personelle Bindeglied zwischen Justizverwaltung und Anklagebehörde dar. Der am 19. Feb810  LAV

NRW R, BR Pe 7577. der Verordnung zur einheitlichen Regelung der Gerichtsverfassung vom 20.3.1935, RGBl. 1935 I, S. 405, sowie § 12 der Dritten Allgemeinen Verfügung des Reichsjustizministers zur Durchführung des Zweiten Gesetzes zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich: Vereinheitlichung der Staatsanwaltschaft vom 18.12.1934, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 30. 812  Siehe hierzu eingehend unten, S. 250, 257. 813  § 14 Abs. 1 Nr. 6 der Verordnung zur einheitlichen Regelung der Gerichtsverfassung vom 20.3.1935, RGBl. 1935 I, S. 405. 811  § 13

180

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

ruar 1881 in Aachen geborene LOStA Führer bestimmte wesentlich die konkrete Umsetzung von Gesetzen, Verordnungen und Weisungen und prägte das behördliche Selbstverständnis. Die für das Amt eines Behördenleiters erforderlichen abstrakten Referenzen bestanden neben der fachlichen Eignung und der Berufserfahrung in einer außerordentlichen politischen Zuverlässigkeit. Der in der Nachkriegszeit vereinzelt geäußerte Vorwurf, bei den Einstellungen hätten politische gegenüber fachlichen Gesichtspunkten überwogen, sodass nur solche Beamte in bedeutendere Stellungen berufen wurden, die sich „blindlings und ohne Vorbehalte den Weisungen und Wünschen der politischen Machthaber fügen würden“814, ist anhand der Ernennung des LOStA Führer nachvollziehbar: Nachdem er im Juni 1903 das erste juristische Staatsexamen in Köln mit der Gesamtnote „ausreichend“ abgelegt hatte815, folgte am 4.3.1908 in Berlin das Assessorexamen mit der Note „aus­ reichend“816. Den allenfalls durchschnittlichen fachlichen Referenzen stand eine frühzeitige NSDAP-Mitgliedschaft und rege Parteiaktivität gegenüber817. So war LOStA Führer am 1. Januar 1932 Mitglied der NSDAP geworden und dort aktiv als Gaumitarbeiter tätig gewesen818, hatte darüber hinaus den Posten eines Amtswalters des BNSDJ bekleidet819, als Gaugruppenwalter der Untergruppe „Staatsanwälte“ innerhalb des NSRB seit April 1933 fungiert und eine Mitgliedschaft im NSV seit August 1934 inne gehabt820. Der GStA bescheinigte LOStA Führer die Leitung der Staatsanwaltschaft Aachen „mit Festigkeit, Wohlwollen und großem sozialen Verständnis im nationalsozialistischen Geiste“821. Er pflegte zudem „gute Beziehungen zu anderen Behörden, insbesondere auch zur NSDAP“822 und vertrat „die Belange nationalsozialistischer Rechtspflege (…) mit Festigkeit“823. Im April 1934 trat der bis 814  Berufungsbegründung des Justizministers Nordrhein-Westfalen in der Verwaltungsgerichtssache über die Festsetzung des Ruhegehalts Rahmels an das OVG Münster vom 26.9.1952, LAV NRW R, NW Pe 1013, Bl. 42. 815  LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte des OLG Köln, Bl. nicht angegeben. 816  Ebd. 817  Anm.: Die Feststellung maßt sich kein abschließendes Urteil über die fachlichen Referenzen des nachfolgend dargestellten Personenkreises an, da die Fähigkeiten sich schlechterdings auf die Resultate der Staatsexamina reduzieren ließen. Gleichwohl wurden sie als Indikatoren für eine tendenzielle Befähigung herangezogen, da sie – neben den Dienstbeurteilungen – in der Retrospektive den empirisch zuverlässigsten Anhaltspunkt für eine fachliche Einschätzung boten. 818  LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte des OLG Köln, Bl. 79. 819  Ebd., Bl. 61. 820  Ebd., Bl. 79. 821  Ebd., Bl. 63. 822  Ebd., Bl. 63. 823  Dienstliche Beurteilung durch den GStA Köln Windhausen aus dem Jahr 1939, LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte des OLG Köln, Bl. 83 rev.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene181

dato römisch-katholischer Konfession angehörige LOStA Führer aus der Kirche aus und bekannte sich zur „nationalsozialistischen Weltanschauungsgemein­ schaft“824. Der frühe Parteibeitritt indiziert, dass nicht opportune oder heteronome Motive, sondern vielmehr eine gewisse innere Überzeugung, die mit den politischen Ansichten der NSDAP übereinstimmte, für die Parteimitgliedschaft ursächlich war. Die Hypothese erhöhter Relevanz politischer Referenzen bei der personellen Besetzung des LOStA Führer fand zusätzlichen Halt in der Erwägung, dass der Behördenleiter von Mai 1908 bis einschließlich Juli 1933 ausschließlich als Rechtsanwalt gearbeitet hatte825. Er wurde damit ohne Vorkenntnisse auf dem Gebiet der Justizverwaltung sofort zum Oberstaatsanwalt ernannt und im August mit der Leitung betraut826, obwohl das Überspringen von Besoldungsgruppen – spätestens ab 1936 – unzulässig war827. Auch vor der entsprechenden gesetzlichen Normierung hatte eine „Sprungbeförderung“ bei Ersteinstellung Ausnahmecharakter und stellte nicht den gängigen Karriereverlauf dar828. Im Lichte dieser Gesamtumstände kann das Einstellungsmotiv zur Ernennung des LOStA Führer nicht in hervorragenden fachlichen Kompetenzen gesehen werden. Dass neben den juristischen Mindestvoraussetzungen vornehmlich die politische Haltung für eine Einstellung ausschlaggebend gewesen war, belegt schließlich der Umstand, dass das übrige Personal die ordnungsgemäße Laufbahn durchlief und fachlich keineswegs weniger qualifiziert war als der Aachener Behördenleiter. Vielmehr befand sich dieser im Lichte seiner Examensprüfungen im Vergleich mit den ihm unterstellten Staatsanwälten im unteren Leistungsspekt-

824  Anzeige des LOStA Führer an den GStA in Köln vom 8.4.1937, LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte des OLG Köln, Bl. 80. 825  Siehe dahingehendes Gesuch des LOStA Führer an den Vorsitzenden der Anwaltskammer in Köln vom 9.5.1908, LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte des OLG Köln, Bl. 25. 826  Zur Einstellung als OStA siehe Verfügung des Preußischen Justizministers durch Freisler an LOStA Führer vom 22.7.1933, LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte des OLG Köln, Bl. 35. Zur Betrauung mit der Leitung der Staatsanwaltschaft siehe Dienstliche Beurteilung des GStA Köln, nicht datiert, LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte des OLG Köln, Bl. 63. Am 11.9.1934 wurde LOStA Führer zum OStA vereidigt, LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte des OLG Köln, Bl. 62. 827  § 3 der Reichsgrundsätze über Einstellung, Anstellung und Beförderung der Reichs- und Landesbeamten vom 14. Oktober 1936, RGBl. 1936 I, S. 893. 828  Dies ergibt sich für den OLG Bezirk Köln konkludent aus den Ausführungen Rahmels an das OVG Münster vom 2.12.1952, LAV NRW R, NW Pe 1013, Bl. 50. In der schriftlichen Korrespondenz äußerte sich Rahmel unter anderem zur politischen Sonderstellung des Staatsanwaltes. Den Ausführungen ging ein Streit zwischen dem Justizminister und Rahmel voraus, der die Besoldung des sich im Ruhestand befindlichen GStA Rahmel betraf.

182

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

rum829. Eine entsprechende politische Verwurzelung bei der NSDAP war demnach ein gewichtiges Kriterium für eine Karriere bei der Staatsanwaltschaft und konnte überdurchschnittliche Rechtskenntnisse und sonstige Qualifikationen kompensieren. Zwar darf als Indikator für abweichende Einstellungsmotive der Aachener Staatsanwälte zum Behördenleiter der Zeitpunkt des Erlasses der entsprechenden Reichsgrundsätze nicht außer Acht gelassen werden830, die bei der Einstellung der übrigen Aachener Staatsanwälte bereits in Kraft waren831. Allerdings können diese Grundsätze nicht als finaler Umstand angesehen werden, um die Aachener Einstellungspraxis zu erklären, da selbst nach Erlass der Laufbahnverordnung von dem „Sprungbeförderungsverbot“ in Einzelfällen abgewichen werden konnte, sofern dies von Hitler persönlich angeordnet wurde832. Eine potentielle „Sprungbeförderung“ bei der Staatsanwaltschaft war damit aufgrund der normierten Ausnahmeregelung auch nach 1936 grundsätzlich weiter möglich. Insoweit vermag die zeitliche Korrelation der Reichsgrundsätze mit den konkreten Einstellungszeiträumen der Aachener Staatsanwaltschaft die außerordentliche Wichtigkeit des Einstellungskriteriums der politischen Zuverlässigkeit nicht zu entkräften. Die auch von OStA R. vertretene These, „Oberstaatsanwalt Führer ist (…) durch seine Zugehörigkeit zur NSDAP Oberstaatsanwalt in Aachen geworden“833, findet insoweit seine Bestätigung.

829  Vgl. insoweit die Examensleistungen in den jeweiligen Personalakten, LOStA Führer, LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte des OLG Köln, Bl. nicht angegeben, LAV NRW R, Ackermann, NW Pe 3631, Bl. nicht angegeben, LAV NRW R, NW Pe 3711, Höher, Personalakte Justizministerium, Bl. nicht angegeben, Venator, LAV NRW R, BR Pe 19560, Bl. nicht angegeben, Marx, LAV NRW R, NW Pe 6765, Personalakte Justizministerium, Bl. nicht angegeben, Wickmann, LAV NRW R, NW Pe 6190, Zeugnisheft, Bl. 3, Zimmerath, LAV NRW R, Pe 15279, Band II, Bl. nicht angegeben, 830  § 3 der Reichsgrundsätze über Einstellung, Anstellung und Beförderung der Reichs- und Landesbeamten vom 14.10.1936, RGBl. 1936 I, S. 893. 831  Einzige Ausnahme hierzu ist der Erste Staatsanwalt Ackermann, der bereits 1931 eine Anstellung für das Amt des Staatsanwalts in Aachen erhielt, Dienstliche Beurteilung mitsamt Personalblatt vom 1.2.1943, LAV NRW R, NW Pe 3631, Akte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 832  § 17 Abs. 1 Reichsgrundsätze über Einstellung, Anstellung und Beförderung der Reichs- und Landesbeamten vom 14.10.1936, RGBl. 1936 I, S. 893, 895. 833  Schreiben von OStA Dr. R. an den GStA in Köln vom 30.5.1952 betr. Versorgungsbezüge der Ehefrau des LOStA Führer, LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte LG Aachen, Bl. 23.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene183

(b) Relevanz der staatsanwaltlichen Tätigkeit vor dem Sondergericht Die Beurteilung eines überwiegend politischen Einstellungsmotivs, welches LOStA Führer in das Amt des Behördenleiters hob, ist von der Frage, inwieweit politische Überzeugungen in die konkrete Tätigkeitswahrnehmung als Beamter und Behördenleiter einflossen, zu abstrahieren. Für eine diesbezügliche Einschätzung ist vielmehr auf Indizien und Umstände abzustellen, die aus der Wahrnehmung der behördlichen Aufgaben selbst resultieren, wie Sitzungsdienst, Ausführungen in Anklage- und Urteilsberichten sowie politische Lageberichte und sonstige geeignete Nachweise. Tabelle 4 Sitzungsvertretungen des LOStA Führer Verhandlungsjahr

Delikt

Vorsitzender Richter

Angeklagter NSDAPMitglied

Urteil

beantragte Strafe

1941

Diebstahl

Hoffmann

k. A.

10 Monate Gefängnis

15 Monate Zuchthaus

1941

Diebstahl

Hoffmann

k. A.

4 Monate Gefängnis

18 Monate Zuchthaus

1942

§ 1 HG

Howahrde



1 Jahr Gefängnis

14 Monate Gefängnis

1942

§ 4 VVO

Küster



4 Jahre Zuchthaus; 6 Monate Gefängnis

6 Jahre Zuchthaus; 2 Jahre Gefängnis;

1942

§ 1 Abs. 1 KrWVO

Howahrde

k. A.

15 Monate Gefängnis; 19 Monate Gefängnis; 12 Monate Gefängnis

14 Monate Gefängnis; 12 Monate Gefängnis; gleich Urteil

1941

§ 2 HG

Hoffmann

k. A.

6 Monate Gefängnis

12 Monate Gefängnis

k. A.

§ 1 Abs. 1 KrWVO

Howahrde

k. A.

12 Monate Gefängnis

18 Monate Gefängnis

Mit sieben erfolgten Sitzungsvertretungen und damit 1 % des gesamten Verfahrensanfalls war die persönliche Präsenz und die damit verbundene direkte Mitwirkung des LOStA auf den Verfahrensausgang innerhalb der Hauptverhandlung auf ein Minimum beschränkt. Mangels kontinuierlicher Verfahrensmerkmale, die Rückschlüsse auf ein spezifisches Verhaltensmus-

184

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen Tabelle 5 Durchschnittliche Höhe beantragter Freiheitsstrafen durch LOStA Führer834

Deliktsgruppe

Anzahl beantragter Summe beantragter Freiheitsstrafen834 Freiheitsstrafen in Monaten835

Durchschnittswert in Monaten

VVO

2

96

48

KrWVO

4

56

14

Heimtückegesetz

2

26

13

RundfunkVO

0

 0

 0

ter gegeben hätten, kann ausgeschlossen werden, dass LOStA Führer sich eine persönliche Sitzungsvertretung beim Vorliegen bestimmter Kriterien wie der Art des Tatbestands, der zu erwartenden Strafhöhe, des Vorsitzenden Richters oder einer Parteimitgliedschaft oder Staatsangehörigkeit des Angeklagten vorbehalten hatte. Einzige Gemeinsamkeit aller gegenständlichen Strafprozesse sind die Verhandlungsjahre, die sich vorbehaltlich eines Verfahrens auf die Jahre 1941 und 1942 beschränkten. Im Vergleich zum gesamten Geschäftsanfall kann seine Sitzungsaktivität – gemessen an einer Gegenüberstellung des beantragten Strafmaßes zum entsprechenden Urteil – als erfolgreich qualifiziert werden837. So erreichte er in einem Verfahren mit drei Angeklagten eine antragsgemäße Verurteilung und zwei Schuldsprüche, die über das beantragte Strafmaß hinausgingen – ein Resultat, das für die 834  Die nachfolgende Darstellung unterscheidet mangels inhaltlichen Erfordernisses und zum Zwecke der Übersichtlichkeit nicht zwischen Gefängnis- und Zuchthausstrafen. Freisprüche, Verfahrenseinstellungen, Geldstrafen, Todesurteile, Strafen nichtiger Urteile aufgrund von Nichtigkeitsbeschwerden und außerordentlichem Einspruch sowie Strafen von Verfahren mit unbekanntem Ausgang sind nicht berücksichtigt. Eine personenbezogene Aufschlüsselung nach Gefängnis- und Zuchthausstrafen im Rahmen der jeweiligen Deliktsgruppen befindet sich allerdings im Anhang, Tabellen 46–49, S. 536; 537; 538; 539. 835  Die Ermittlung der Anzahl aller verhängten Freiheitsstrafen erfolgte unter Zugrundelegung der Freiheitsstrafen gegen sämtliche Angeklagte. Da einzelne Sondergerichtsverfahren teilweise eine Mehrzahl von Angeklagten beinhalteten, bzw. in einigen Verfahren das Strafmaß nicht ersichtlich war, weicht die nachfolgende Angabe notwendigerweise von der jeweiligen Verfahrensanzahl ab. 836  Die Summierung verhängter Freiheitsstrafen ist nach Monaten aufgeschlüsselt. 837  Vgl. hierzu die Gegenüberstellung von beantragtem Strafmaß und Urteil gemessen an der Gesamtzahl der Aachener Sondergerichtsverfahren, Tabelle 56, Anhang, S. 550.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene185

Aachener Rechtsprechungspraxis den Ausnahmefall darstellt838. Der Grund für den selten wahrgenommenen Sitzungsdienst ist insoweit weniger in den individuellen Kompetenzen im Sitzungsdienst, als vielmehr in der Beanspruchung des Behördenleiters für Aufgaben verwaltungsrechtlicher Natur zu erblicken, die einen vermehrten Sitzungsdienst zeitlich ausschlossen. Insbesondere der Verdacht einer politisch motivierten, begünstigenden Sitzungsvertretung bei Prozessen gegen NSDAP-Mitglieder erweist sich als nicht haltbar. Dabei impliziert die Tatsache, dass in fünf von sieben Verfahren die Akten keine Angaben zu einer Parteimitgliedschaft enthalten, ausnahmsweise eine Untermauerung dieses Schlusses: Sofern Angeklagte Mitglieder der NSDAP waren, findet sich im Anschluss an das Urteil regelmäßig Korrespondenz mit Parteistellen, die um vorläufige Überlassung der Verfahrensakten baten. Zudem wurde spätestens im Gnadenverfahren von der zuständigen Kreisleitung eine Stellungnahme zur Gnadenfrage eingeholt. Sofern sich in den Akten keine Hinweise auf eine derartige Korrespondenz finden, impliziert dies im Zweifel daher eine mangelnde Mitgliedschaft in der Partei839. Im Übrigen belegt der Umstand, dass bis auf ein Verfahren sämtliche geforderten Strafanträge über das tatsächlich verhängte Strafmaß hinausgingen, dass LOStA Führer im Prozess gerade nicht wohlwollend für den Personenkreis der Angeklagten agierte840. Für die Frage, wie der Behördenleiter mit einer Diskrepanz zwischen Staats- und Parteiinteressen umzugehen pflegte, eignet sich der Fall Paul S. aufgrund der offenen Divergenzen zwischen den verschiedenen Stellen, sowie seiner Folgen als wegweisender Indikator841. Indem der Behördenleiter im Rahmen einer dienstlichen Beurteilung des sachbearbeitenden StA 838  In lediglich 3,2 % aller Fälle wich das Urteil zuungunsten der Angeklagten von dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft Aachen ab. Siehe zum genannten Verfahren des LOStA Führer, Tabelle 4, S. 183. 839  Anm.: Diese Einschätzung gilt jedenfalls für solche Akten, die im Lichte der zeitgenössischen Blattnummerierung als vollständig erachtet werden durften oder deren Vollständigkeit sich aus dem inhaltlichen Gesamtkontext ergab. 840  Aufgrund der Weisungsbefugnis gegenüber den übrigen Staatsanwälten müssten LOStA Führer konsequenterweise jedenfalls mittelbar auch Ergebnisse und Auffälligkeiten der Verfahren zugerechnet werden, in denen die Sitzungsvertretung und Bearbeitung durch einen der anderen Staatsanwälte erfolgte. Da aber im Nachhinein nicht zweifelsfrei geklärt werden kann, wie groß der Ermessensspielraum der Sachbearbeiter und Sitzungsvertreter bei den jeweiligen Verfahren gewesen ist, wird auf eine pauschalierte Zurechnung verzichtet, sodass sich die hiesige Darstellung auf eine unmittelbare Involvierung des LOStA Führer beschränkt. Zu den verfahrensrechtlichen Besonderheiten im Lichte einzelner Tatbestands- und Personengruppen siehe insoweit unten, S. 295, 355. 841  Siehe zu den personalpolitischen Konsequenzen im Fall S. für StA Zimmerath nochmals oben, S. 168. Zur Ermittlungs- und Anklagepraxis im Fall S. siehe unten, S. 415.

186

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Zimmerath den „erfolgreichen Abschluss“842 des Falles durch die vollzogene Todesstrafe würdigte, positionierte er sich bei strengem Alternativverhältnis zwischen Verwaltungs- und Parteiinteressen auf der Seite der Staatsverwaltung. Durch eigene aktive Handlung bekräftigte er diese Positionierung durch die bereits zu Anfang des Verfahrens an das RJM angetragene Intention, die Todesstrafe gegen den Parteifunktionär S. beantragen zu wollen843. Dieser Linie blieb er auch im Rahmen des Gnadenverfahrens treu, indem er entgegen den Wünschen der Gauleitung Köln-Aachen die Erteilung eines Gnadenerweises wiederholt ablehnte844. Zwar hatte die erhöhte öffentliche Wahrnehmung und Empörung in der Bevölkerung über den korrupten Ortsgruppenleiter S. zu einer Kräfteverschiebung zwischen den involvierten Behörden zuungunsten der für S. eintretenden Parteistellen geführt, sodass das RJM letztlich genötigt war, die Todesstrafe zu akzeptieren. Die dahingehende Entscheidungsmotivation des LOStA muss ihm jedoch aufgrund seiner frühzeitigen Äußerung als autonome Willensentscheidung, und nicht als bloßer Akt der Unterwerfung unter einen fremdbehördlichen Willens zugerechnet werden. Die anschließenden personellen Konsequenzen für StA Zimmerath zeigen auf der Kehrseite, dass der GStA in Köln als direkter Vorgesetzter des LOStA für parteiliche Belange empfänglicher schien als der Behördenleiter in Aachen, was die Bedeutung seiner Positionierung zuungunsten der Partei unterstreicht. Die Distanzierung von direkten politischen Belangen, die mit der Rechtslage kollidierten, setzt sich schlüssig in vereinzelten kritischen Äußerungen gegenüber der regionalen Parteiaktivität fort. So beklagte LOStA Führer offen, dass von der Partei eingesetzte Kräfte nach einem Bombenangriff auf Aachen „in zahlreichen Fällen (…) versagt“845 hatten. Daher qualifizierte er geschönte Presseartikel, „die nur des Lobes voll sind, für fehl am Platze, da sie geeignet sind, das Vertrauen des Volkes zur Partei zu erschüttern“846. Dies stärkt die These, dass LOStA Führer bei Befolgung einer rigorosen Verwirklichung von „Gerechtigkeit“ an die Partei und deren Angehörige die gleichen Maßstäbe setzte wie an den übrigen Personenkreis und dass er sich – wie im Fall Paul S. – unabhängig von der Meinung anderer Behörden originär parteikritisch positionierte, soweit dies nach seiner Ansicht geboten 842  Dienstliche Beurteilung des LOStA Führer aus dem Jahr 1943, Datum nicht angegeben, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 156 rev. 843  Bericht des LOStA Aachen an das RJM vom 17.7.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 31. 844  Bericht des LOStA an das RJM vom 10.11.1942, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 161. 845  Politischer Lagebericht des LOStA Führer an GStA Windhausen vom 17.9.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 108. 846  Ebd., Bl. 109.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene187

schien. Von der grundsätzlich unnachgiebigen Sanktionierungslinie von Straftatbeständen mit politischem Einschlag sah er in Fällen ab, in denen die Bevölkerung aufgrund von Bombenangriffen ihrem Unmut freien Lauf gelassen hatte. So führte der Behördenleiter am 19. Juli 1941 in einem Schreiben an den GStA aus: „Alles in allem genommen bin ich der Auffassung, dass gegen die Plünderer mit aller Schärfe vorgegangen werden muss, während gegenüber Personen, die sich in der allgemeinen Aufregung und in dem Entsetzen über den hinterhältigen Angriff heimtückischer Äußerungen schuldig gemacht haben, große Nachsicht am Platze ist“847. Der Behördenleiter verfolgte damit die scharfe Sanktionslinie nicht aus einem bloßen Selbstzweck heraus, sondern passte im Falle konkreter Kriegsumstände einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt strafmildernd an den Ausnahmezustand des Krieges an. Er stellte sich damit keineswegs als „blinder Parteieiferer“ dar, sondern ließ innerhalb einer persönlichen Abwägung der Verhältnismäßigkeit den abstrakt zu schützenden Ruf der NSDAP hinter den tatsächlichen, kriegsbedingten Befindlichkeiten der Aachener Bevölkerung ausnahmsweise zurücktreten, soweit es sich um Äußerungsdelikte handelte. Die Eindeutigkeit, mit welcher der Nachfolger des LOStA ausführte, sein Vorgänger habe „sein Amt korrekt geführt“848, kann hingegen nicht derart unreflektiert übernommen werden, da es aufgrund der teilweise nicht überlieferten Aktenbestände und Schriftstücke an einer vollumfänglichen Bewertungsgrundlage für eine solche Aussage fehlt. Weisungen aus dem RJM, die insbesondere im Strafmaß und ihrer sonstigen Rechtsfolge – wie die vereinzelten Nichtigkeitsbeschwerden – täterungüstig von Erkenntnissen und Vorstellungen der Staatsanwaltschaft abwichen, hatten durchaus politischen Charakter. Die Umsetzung einer solchen intendierten nachträglichen Strafschärfung bestand insoweit weniger in dem Willen einer angemessenen Sanktionierung, als vielmehr in der Statuierung von Exempeln, um der Schärfe nationalsozialistischer Strafrechtspolitik zusätzlichen Nachdruck zu verleihen849. Der Einschätzung, LOStA Führer sei „nicht das Werkzeug einer parteigebundenen Willkürjustiz gewesen“850, muss insoweit widerspro847  Politischer Lagebericht des LOStA Führer an GStA Windhausen vom 19.7.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 78. 848  Schreiben von OStA Dr. R. an den GStA in Köln vom 30.5.1952 betr. Versorgungsbezüge der Ehefrau des LOStA Führer, LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte LG Aachen, Bl. 23. 849  Siehe zu den einschlägigen Fällen der Nichtigkeitsbeschwerde, in denen die Staatsanwaltschaft Aachen entgegen eigenen Vorstellungen fremdbehördlichen Willen umsetzten, nochmals oben, Tabelle 3, S. 149. 850  Schreiben von OStA Dr. R. an den GStA in Köln vom 30.5.1952 betr. Versorgungsbezüge der Ehefrau des LOStA Führer, LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte LG Aachen, Bl. 23.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

chen werden. Da der Behördenleiter im Rahmen seiner Beamtenpflicht gleichwohl zur Umsetzung ministerieller Weisung verpflichtet war und der Grad der Intensität politischer Einflussnahme von Seiten des Ministeriums und NSDAP-Stellen verschiedenen Ausmaßes war, erscheint die Beschränkung des Begriffs „parteigebundener Willkürjustiz“ auf offensichtliche seinerzeitige Rechtsbrüche zugunsten parteilicher Interessen im engeren Sinne gerechtfertigt851. In diesem Licht lässt sich sagen, dass sich der Aachener Behördenleiter von Parteistellen bei seiner Aufgabenwahrnehmung nicht grundsätzlich bestimmen ließ und keine außergewöhnlichen Merkmale festzustellen sind, welche die Einschätzung einer initiierten evidenten Rechtsbeugung zugunsten von Parteistellen rechtfertigen. Die Umsetzung einer verstärkt politisierten Strafrechtspflege durch den LOStA erfolgte vielmehr eigeninitiativ als Ausfluss einer originär übernommenen ns-orientierten Rechtspflege. Dies versinnbildlichen besonders die Verfahren mit nachträglicher Urteilskorrektur, die dem Behördenleiter unstreitig zurechenbar sind. Insbesondere dessen Engagement im Falle des außerordentlichen Einspruchs sprengt die Grenzen des bloßen Ausflusses eines „ambitionierten“ Gerechtigkeitssinns. Gerade in diesem Fall war die Motivation zur nachträglichen Korrekturanregung – dies zeigte sich bereits im verwendeten Wortlaut des Berichts – über alle Maßen politischer Natur gewesen852. (2) EStA Carl Ackermann853 (a) Tätigkeitsprofil und Parteiaktivität Carl Ackermann wurde am 5. September 1897 in Aachen geboren854. Seine erste juristische Staatsprüfung legte er am 24. Juli 1922 in Köln mit der Gesamtnote „ausreichend“ ab, die Absolvierung des Zweiten Staatsexamens folgte am 26. Mai 1926 in Berlin mit der Benotung „ausreichend“855. Ab April 1928 war Ackermann als ständiger Hilfsarbeiter bei den Staatsan851  Parteiliche Interessen konnten dabei selbstverständlich auch in der Vollziehung nationalsozialistischer Rechts- und Rassenideologie auf dem Gebiet der Strafrechtspflege bestehen, sodass grundsätzlich auch die Untersuchung von Kontinuitäten und Diskontinuitäten bei Ermittlungs-, Anklage- und Vollzugspraxis im Lichte jeweiliger Tatbestands- und Personengruppen relevant ist. Da jedoch – wie bereits oben ausgeführt – eine pauschalierte Zurechnung nicht vorgenommen wird und sich dieses Kapitel direkter Interessenskollisionen zwischen Partei und Justizverwaltung widmet, wurden hierüber hinausgehende Aspekte zur Ermittlungs-, Anklage- und Vollzugspraxis an dieser Stelle nicht berücksichtigt. 852  Siehe nochmals oben, S. 100. 853  LAV NRW R, NW Pe 3631. 854  Ebd., Bl. nicht angegeben. 855  Ebd.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene189

waltschaften Trier und Köln tätig, bis er schließlich zum Staatsanwaltschaftsrat ernannt wurde und ab Mai 1931 als planmäßiger Staatsanwalt in Aachen arbeitete856. Bereits im Jahr 1936 hatte Ackermann fünf Monate lang stellvertretend die Geschäfte des Abteilungsleiters wahrgenommen und übergangsweise den EStA vertreten857. Nach dem Tode des LOStA Führer am 16. November 1944 übernahm er kommissarisch dessen Amt858. Im Vorfeld seiner Ernennung zum EStA in Aachen hatte Ackermann gegenüber GStA Windhausen im April 1937 angezeigt, dass er und seine Frau noch im gleichen Monat aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten seien und sich fortan zur „nationalsozialistischen Weltanschauungsgemeinschaft859“ bekannten. Durch Verfügung und vorherige Empfehlung des GStA860 wurde Ackermann schließlich im März 1938 zum EStA befördert861. Auch der obligatorische Nachweis arischer Abstammung wurde erbracht862. Seine politische Aktivität lässt sich als rege bezeichnen: So wurde er im April 1933 Mitglied der NSDAP, im August und Oktober desselben Jahres folgten Beitritte zum NSRB – bei welchem er im Dezember 1941 zum Abschnittsführer der Kreisgruppe Aachen-Stadt befördert wurde863 – sowie zur NSV. Im Jahre 1934 folgte der Beitritt zum Luftschutzbund, sowie die Eingliederung in den Reichskolonialbund im November 1936864. Darüber hinaus war Ackermann seit April 1933 Mitglied der SA im Range eines Scharführers. Nach Beförderung zum Oberscharführer wurde er zu Beginn des Jahres 1939 zum SA-Truppführer befördert865. Auch der Gauleiter der NSDAPGauleitung Köln-Aachen versicherte dem GStA in Köln auf dortige Anfage hin völlige Bedenkenlosigkeit bezüglich Ackermanns politischer Zuverlässigkeit866. GStA Windhausen führte aus: „Seine politische Haltung charak856  Dienstliche Beurteilung mitsamt Personalblatt vom 1.2.1943, LAV NRW R, NW Pe 3631, Akte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 857  Dienstliche Beurteilung aus dem Jahr 1938, Verfasser und Datum nicht angegeben, LAV NRW R, NW Pe 3631, Akte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 858  Siehe handschriftlichen Brief Ackermanns an den GStA Köln vom 17.11.1944, der unter dem Briefkopf des OStA Aachen zeichnete und bekannt gab, dass er vorläufig die Dienstgeschäfte des LOStA übernehmen würde, LAV NRW R, BR Pe 7577, Bl. 115. 859  LAV NRW R, NW Pe 3631, Akte Justizministerium, Bl. 26. 860  Personal- und Befähigungsnachweis vom 26.1.1938, LAV NRW R, NW Pe 3631, Akte Justizministerium, Bl. 28, 28 rev. 861  LAV NRW R, NW Pe 3631, Akte Justizministerium, Bl. 34. 862  Ebd., Bl. 21. 863  Ebd., Bl. 39. 864  Ebd., Bl. I. 865  Ebd., Bl. 36. 866  Schreiben des Gauleiters Schneider vom 23.5.1936 an den GStA in Köln, LAV NRW R, NW Pe 3631, Akte Justizministerium, Bl. 29.

190

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

terisiert sich durch starke Anteilnahme an allen politischen Vorgängen und echte Begeisterung für das große Geschehen im neuen Staat. Am Dienste der SA nimmt er mit Begeisterung teil. Ackermann wird demnächst zur vorzugsweisen Beförderung zum Ersten Staatsanwalt in Vorschlag gebracht werden“867. Auch vom LOStA wurde Ackermann als „überzeugter Anhänger des neuen Staates“ charakterisiert, „der ständig bemüht ist, sich durch eifriges Studium nationalsozialistischen Schrifttums weltanschaulich zu schulen und in die geistigen Grundlagen des Nationalsozialismus immer tiefer einzudringen“868. In Bezug auf seine dienstlichen Leistungen lobte der Aachener Behördenleiter die „anerkennenswerte Entschlusskraft“ Ackermanns, sein überzeugendes Auftreten vor Gericht sowie dessen Eigenschaften als „zielbewusster Beamter“869 bei der Zusammenarbeit mit anderen Behörden. Negativ bemerkte LOStA Führer in seiner Beurteilung allerdings die psychische Konstitution Ackermanns, welche aus seiner Sicht „größeren Strapazen nicht immer gewachsen“ schien870. Diese Einschätzung korreliert mit einem ärztlichen Zeugnis aus dem Jahre 1928, in welchem Ackermann nach eigenen Angaben über nervöse Beschwerden, „Schlaflosigkeit, Mangel an Konzentrationsgefühl, Angstgefühlen, Herzklopfen mit Depression und Zwangsgedanken“871 litt, die jedoch zuletzt seinem Vorgesetzten zu Bedenken keinen Anlass mehr gaben872. Stellt man auf die Referenzen ab, die für die Beförderung Ackermanns in das Amt des Ersten Staatsanwalts ursächlich waren, so ist – wie im Falle des LOStA Führer – von einer großen Wahrscheinlichkeit überwiegender politischer Einstellungsmotive auszugehen. Für Ackermann gilt diese Vermutung aufgrund der Diskrepanz zwischen fachlichen und persönlichen Referenzen auf der einen Seite und politischen Referenzen auf der anderen Seite umso mehr. Mit zwei ausreichenden Staatsexamina und einer vom Behördenleiter in der Dienstbeurteilung geäußerten bedingten Belastbarkeit in Stresssituationen, die sogar vom Amtsarzt attestiert wurde, wirkte Ackermann objektiv nicht prädestiniert für einen hervorgehobenen Posten innerhalb der Behörde. Andererseits implizierte die Konnotation der Ausführungen des GStA ein besonderes Wohlwollen diesem gegenüber und dessen reger politischer Aktivität. 867  Personal- und Befähigungsnachweis vom 26.1.1938, LAV NRW R, NW Pe 3631, Akte Justizministerium, Bl. 28, 28 rev. 868  Dienstliche Beurteilung des LOStA Führer vom 29.12.1934, LAV NRW R, NW Pe 3631, Akte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 869  Dienstliche Beurteilung des LOStA Führer vom 28.1.1939, LAV NRW R, NW Pe 3631, Akte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 870  Ebd. 871  Dienstliche Beurteilung des LOStA Führer vom 1.1.1937, LAV NRW R, NW Pe 3631, Akte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 872  Dienstliche Beurteilung aus dem Jahr 1938, Verfasser und Datum nicht angegeben, LAV NRW R, NW Pe 3631, Akte Justizministerium, Bl. nicht angegeben.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene191

(b) Relevanz der staatsanwaltlichen Tätigkeit vor dem Sondergericht Tabelle 6 Sitzungsvertretungen des EStA Ackermann Verhandlungsjahr

Delikt

Vorsitzender Richter

Angeklagter NSDAPMitglied

Urteil

beantragte Strafe

1943

§ 2 HG

Losen­ hausen



18 Monate Gefängnis

gleich Urteil

1944

§ 2 HG

Schwengers



1 Jahr 2 Wochen Gefängnis

gleich Urteil

1943

Diebstahl

Fritz



1 Jahr Gefängnis

15 Monate Gefängnis

1943

§ 1 Abs. 1 KrWVO

Howahrde



Freispruch

2 Monate Gefängnis

4 Monate Gefängnis

gleich Urteil

1943

§ 4 VVO

Howahrde



1 Monat Gefängnis; Geldstrafe 50 RM

Freisprechung; Geldstrafe 120 RM

1943

§ 1 Abs. 1 KrWVO

Howahrde



4 Monate Gefängnis

6 Monate Gefängnis

1943

§ 4 VVO

Howahrde



6 Jahre Zuchthaus

gleich Urteil

1942

§ 4 VVO

Losen­ hausen



6 Jahre Zuchthaus

gleich Urteil

1943

§ 4 VVO

Howahrde

k. A.

36 Monate Zuchthaus; 18 Monate Zuchthaus

42 Monate Zuchthaus; 24 Monate Zuchthaus

1944

§ 1 VVO

Fritz

+

Todesstrafe

gleich Urteil

1943

§ 2 HG

Fritz



9 Monate Gefängnis

12 Monate Gefängnis

1943

§ 1 Abs. 1,2 KrWVO

Schwengers

k. A.

24 Monate Zuchthaus

gleich Urteil

192

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Tabelle 7 Durchschnittliche Höhe beantragter Freiheitsstrafen durch EStA Ackermann, aufgeschlüsselt nach Deliktsgruppen873 Deliktsgruppe

Anzahl beantragter Summe beantragter Freiheitsstrafen874 Freiheitsstrafen in Monaten875

Durchschnittswert in Monaten

VVO

4

210

52,5

KrWVO

4

 36

9

Heimtückegesetz

3

42,5

14,2

RundfunkVO

0

  0

0

Mit insgesamt zwölf getätigten Sitzungsvertretungen und damit rund 1,8 % der Gesamtzahl an Verfahren hielt sich die persönliche Mitwirkung Ackermanns im Rahmen der Hauptverhandlung in engen Grenzen. Bis auf drei Verfahren beschränkte sich seine persönliche Präsenz im Prozess auf das Geschäftsjahr 1943. Die geringe persönliche Mitwirkung vor Gericht wird maßgeblich auf den Umstand zurückzuführen sein, dass Ackermann als EStA neben Ermittlungs- und Anklagetätigkeit mit verwaltungsrechtlichen Aufgaben als Vertreter des LOStA beschäftigt war. Inwieweit seine nach dem Krieg geäußerte Ablehnung, „vor dem Sondergericht aufzutreten“876 für die geringe Anzahl an Sizungsvertretungen ursächlich war, kann nicht abschließend geklärt werden. In Folge des Geschäftsanfalls in Relation zu den vorhandenen Arbeitskräften ist jedoch nicht anzunehmen, dass sich der EStA weisungswidrig einer Mehrzahl an Sitzungsvertretungen verschlossen hatte, ohne seine Stellung zu riskieren, sodass dieses geäußerte Motiv als 873  Die nachfolgende Darstellung unterscheidet mangels inhaltlichen Erfordernisses und zum Zwecke der Übersichtlichkeit nicht zwischen Gefängnis- und Zuchthausstrafen. Freisprüche, Verfahrenseinstellungen, Geldstrafen, Todesurteile, Strafen nichtiger Urteile aufgrund Nichtigkeitsbeschwerde und außerordentlichem Einspruch sowie Strafen von Verfahren mit unbekanntem Ausgang sind nicht berücksichtigt. Eine personenbezogene Aufschlüsselung nach Gefängnis- und Zuchthausstrafen im Rahmen der jeweiligen Deliktsgruppen befindet sich allerdings im Anhang, Tabellen 46–49, S. 536; 537; 538; 539. 874  Die Ermittlung der Anzahl aller verhängten Freiheitsstrafen erfolgte unter Zugrundelegung der Freiheitsstrafen gegen sämtliche Angeklagte. Da einzelne Sondergerichtsverfahren teilweise eine Mehrzahl von Angeklagten beinhalteten, bzw. in einigen Verfahren das Strafmaß nicht ersichtlich war, weicht die nachfolgende Angabe notwendigerweise von der jeweiligen Verfahrensanzahl ab. 875  Die Summierung verhängter Freiheitsstrafen ist nach Monaten aufgeschlüsselt. 876  LAV NRW R, NW Pe 3631, Bescheinigung im Rahmen der Entnazifizierung vom 14.11.1948 durch OStA M., Akte Justizministerium, Bl. 12.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene193

von untergeordneter Gewichtung zu bewerten ist877. Ein alle Verfahren verbindendes Kriterium, welches Rückschlüsse auf eine spezielle Motivation zur Sitzungsvertretung gegeben hätte, existiert ausweislich der Akten nicht, wenngleich bis auf einen Fall sämtliche Verfahren wegen Verstößen gegen die VVO, die KrWVO und das HG betrieben wurden. Da aber im Lichte der Gesamtzahlen aller verhandelten Verfahren die vorstehenden Tatbestände mit einer überwältigenden Mehrheit von 81,7 % ins Gewicht fallen, ist in diesem Merkmal keine Auffälligkeit zu erblicken878. Überdurchschnittlich ist jedoch Ackermanns persönliche Statistik antragsgemäß erwirkter Urteile. Während eine Kongruenz von Strafantrag und Tenor im Hinblick auf die Verfahrensgesamtzahl einen Schnitt von 37,4  % ausmachen879, erreichte Ackermann in 58,3 % seiner Sitzungsvertretungen antragsgemäße Urteile880. Zugleich führte er das einzige Verfahren, in welchem sich das Sondergericht einem von der Staatsanwaltschaft beantragten Freispruch nicht anschloss, sondern die Angeklagte abweichend zu einer Gefängnisstrafe von einem Monat verurteilte. Dieses Ergebnis ist im Lichte der durch den Behördenleiter vielfach geäußerten Kritik der milden Rechtsprechung des Aachener Gremiums beachtenswert. Allerdings handelte es sich in diesem Fall, in welchem die Angeklagte von alliierten abgeworfenen Lebensmittelmarken für 500 g Fett an sich nahm und verschenkte, evident nicht um einen politisch motivierten Antrag auf Freisprechung. Auch im Übrigen ließ sich die persönliche Anwesenheit Ackermanns nicht auf eine vermeintliche Mitgliedschaft der Angeklagtengruppen in der NSDAP zurückführen. Trotz seiner in Relation zum übrigen Kollegium überdurchschnittlichen politischen Aktivität wurde Ackermann im Rahmen der Entnazifizierung in die gleiche Kategorie eingestuft wie seine Kollegen. Diese Tatsache ist mit den Beleumundungen zu erklären, die ihm diese nach Kriegsende erteil877  Für diese Erwägung spricht insbesondere ein Schreiben des RJM an die ­ StAe vom 29.8.1939, in welchem das RJM davon ausgeht, dass den StaatsanwaltG schaften aufgrund der Kriegsverhältnisse „nur eine beschränkte Zahl von Arbeitskräften zur Verfügung“ stünde, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 226, Bl. 14. Auch LOStA Führer spricht in seinem politischen Lagebericht vom 20.3.1941, also bereits einen Monat nach Errichtung des Sondergerichts Aachen, von einer „fühlbaren Mehrbelastung des Dienstbetriebes“, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 73. 878  Die detaillierte Auswertung der Deliktsverteilung, gemessen am Gesamtbestand der überlieferten Akten, findet sich im Anhang, Tabelle 24, S. 505. Eingehend zu den einzelnen Deliktsgruppen unten, ab S. 295. 879  Anm.: Diese Anzahl ist nicht personen-, sondern verfahrensbezogen. Dies bedeutet, dass auch solche Verfahren berücksichtigt wurden, in welchen bei einer mehrköpfigen Angeklagtengruppe nur teilweise ein antragsgemäßes Urteil erfolgte. Soweit in einem Verfahren mehrere antragsgemäße Urteile erfolgten, wurden diese rechnerisch mit 1 vom Hundert berücksichtigt. 880  Anm.: Für diese Zahl gilt oben Gesagtes entsprechend, ebd.

194

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

ten881. Der in der Nachkriegszeit als Richter am Obersten Gerichtshof für die Britische Zone tätige B., welcher Ackermann im Jahre 1938 als Probeassesssor in Aachen unterstellt gewesen war, führte aus, dass er stets den Eindruck hatte, Ackermann habe „seine Aufgaben als Staatsanwalt unbeeinflusst von den Parolen der NSDAP zu erfüllen versucht“882. Insbesondere habe Ackermann B. nie nach dessen „politischer Überzeugung befragt und auch nie nach den Gründen geforscht“, warum dieser „weder der NSDAP noch einer ihrer Gliederungen angehörte“883. Vielmehr berichtete B. sogar von eigenen politischen Schwierigkeiten, welche ihm durch seine mangelnde politische Aktivität entstanden und welche er im Vertrauen Ackermann gegenüber geschildert habe, der dann seinerseits versucht hatte, ihn bei dienstlichen Beurteilungen entsprechend zu decken. Auch in Bezug auf seine Tätigkeit als Ankläger bei politischen Delikten wurden ihm „weitgehendes Verständnis“884 und milde Strafanträge attestiert. Vergleicht man die von Ackermann beantragten Strafen bei Verstößen gegen die VVO mit den übrigen geforderten Strafen gemäß VVO durch andere Sitzungsvertreter, lässt sich die Einschätzung milder Strafanträge nicht aufrechterhalten. Vielmehr liegen die geforderten Strafhöhen von sechs Jahren Zuchthaus über dem Durchschnitt885. Auch die beiden 18-monatigen Strafanträge für Verstöße gegen das HG sowie die geforderte zweijährige Zuchthausstrafe wegen § 1 Abs. 1, 2 KrWVO sind überdurchschnittlich886. Zwar führte der Amtsvorgänger des LOStA Führer, OStA M., aus, Ackermann habe sich „aus innerer Überzeugung mit Geschick“ dem Nationalsozialismus entgegengestellt und es sei ihm „in der Hauptsache zu verdanken, wenn der Einfluss der Partei auf die Rechtsprechung in Aachen sich in verhältnismäßig erträglichen Grenzen hielt“887. Solche aktiven, die Parteiinteressen hemmenden Einflüsse durch den EStA lassen sich jedoch anhand der Akten nicht belegen. Lässt man – mangels Beweises – eine sonstige Einflussnahme Ackermanns auf andere Verfahren konsequenterweise außer Betracht, ist die Einschätzung forcierter milder Strafanträge bei politischen Delikten durch den EStA damit nicht haltbar. 881  LAV

NRW R, NW Pe 3631, Akte Justizministerium, Bl. 9–14. NRW R, NW Pe 3631, Bescheinigung im Rahmen der Entnazifizierung vom 14.11.1948 durch Dr. Hans Berger, Akte Justizministerium, Bl. 11. 883  Ebd. 884  Ebd. 885  Sofern hier der Durchschnitt zugrundegelegt ist, bezieht sich dieser auf eine Gesamtschau aller Strafanträge im Rahmen der jeweiligen Tatbestandsgruppen, siehe Abbildung 3, unten, S. 225. 886  LAV NRW R, NW Pe 3631, Bescheinigung im Rahmen der Entnazifizierung vom 14.11.1948 durch OStA M., Akte Justizministerium, Bl. 12. 887  Ebd. 882  LAV



III. Die Personalpflege auf Reichsebene195

Auf den Einschätzungen der Kollegen Ackermanns basierend kommt der zuständige Sachbearbeiter des nordrhein-westfälischen Justizministers zu dem Schluss, Ackermann habe „niemals den Pfad von Recht und Gesetz verlassen (…) und die nationalsozialistische Schreckensherrschaft vollständig abgelehnt.888“ In Relation zur außergewöhnlich regen politischen Aktivität, für welche die Personalakte Ackermann Zeugnis ablegt, gibt es keine Indizien, die auf ein übermäßiges politisches Selbstverständnis seines Berufsstandes schließen lassen, aus denen außerordentliche Rechtsbrüche zugunsten politischer Überzeugungen und Ideologien resultierten. Dennoch schönte gerade die Nachkriegsbeurteilung im Rahmen der Entnazifizierung, der EStA habe den „Pfad von Recht und Gesetz“ nicht verlassen, die tatsächlichen Umstände. Es kommt darin nicht zum Ausdruck, dass der vom EStA beschrittene Pfad nationalsozialistische Rechts- und Gesetzesanwendung zum Gegenstand hatte und sich Ackermanns angeblich so eindeutig formulierte Abneigung gegen den Nationalsozialismus nicht in entsprechendem Maße in seiner praktischen Tätigkeit widerspiegelt. Die Strafmaßvorstellungen Ackermanns bei VVO-Delikten indizieren zudem, dass es ihm auf eine überdurchschnittlich harte Verurteilung und damit politisch geprägter Auslegung dieses Tatbestands über das durchschnittliche Maß hinaus ankam889. (3) D  ezernatsleiter für Sondergerichtssachen: StA Dr. Konrad Bruno Höher890 (a) Tätigkeitsprofil und Parteiaktivität891 Konrad Höher wurde am 9. Mai 1905 in Ehrenbreitstein geboren. Höhers fachliche Referenzen waren verglichen zu denen seiner Kollegen überdurchschnittlich. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Köln legte er 1927 die erste Staatsprüfung mit dem Prädikat „vollbefriedi888  Sinngemäße Übersetzung des in englischer Sprache verfassten Gutachtens an das Justizministerium Nordrhein-Westfalen vom 8.12.1948, LAV NRW R, NW Pe 3631, Akte Justizministerium, Bl. 11: „(…) Ackermann never left the way of justice and law and that he fully refused the Nazi terror.“ 889  Siehe hierzu Tabellen 6 und 7, oben S. 191, 192 sowie zum durchschnittlich verhängten Strafmaß bei VVO-Delikten durch das Sondergericht Aachen Tabelle 56, Anhang, S. 550. 890  LAV NRW R, NW Pe 3711. 891  Die Personalakten, die im Rahmen seiner Tätigkeit beim VGH angelegt worden waren, sind nach damaligem Kenntnisstand des GStA Köln aus dem Jahr 1949 sowie dahingehender Bestätigungen Höhers kurz vor dem Zusammenbruch in der Dienststelle des ORA beim VGH verbrannt worden, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. nicht angegeben.

196

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

gend“ ab, die große Staatsprüfung bestand er nach einem Verbesserungsversuch mit der Gesamtnote „befriedigend“892. Promoviert wurde Höher von der juristischen Fakultät der Universität Köln im Jahre 1929 mit der Beurteilung „gut“893. In der Folge wurde er als Anwärter in den Justizdienst aufgenommen und zunächst dem Amtsgericht Köln zur unentgeltlichen Beschäftigung zugewiesen, später als Hilfskraft am AG Köln verwendet, 1935 als Hilfsrichter beim LG Köln eingesetzt und ab 1936 als Hilfsarbeiter bei der Staatsanwaltschaft Trier beschäftigt. Nach der Beförderung zum Staatsanwaltschaftsrat arbeitete er ab dem 1. Februar 1938 als planmäßiger Staatsanwalt in Trier894. Ab September 1939 wurde er zur Staatsanwaltschaft Aachen versetzt und dort sofort als Dezernatsleiter für politische Strafsachen verwendet895. Selbigem Dezernat wurden anderthalb Jahre später bei Errichtung des Aachener Sondergerichts sämtliche Sondergerichtssachen zugeteilt896. Die Leitung des Dezernats sowie die Bearbeitung von Sondergerichtssachen897 übernahm Höher bis zu seiner Abberufung zum ORA beim Volksgerichtshof im November 1944898. Im Vergleich zum übrigen Kollegium bei der Staatsanwaltschaft ist die politische Betätigung Höhers ungewöhnlich. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten schloss er sich zunächst nicht der NSDAP an, sondern gehörte von Ende April 1933 der DNVP bis zu deren Selbstauf­ lösung an. Erst allmählich nahm seine nationalsozialistische Betätigung zu. So wurde er 1934 Mitglied im NSRB mit der Funktion eines Zellenleiters, 1936 Mitglied in der NSV sowie im Opferring der NSDAP, bei welchem er das Amt eines Blockhelfers inne hatte899. Ferner war er Mitglied im Reichskolonialbund und Reichsluftbund seit 1936900. Erst im Jahre 1940 folgte nach 892  LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 893  Ebd., Bl. 79. 894  Personalbögen aus den Jahren 1937 und 1939, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 895  LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 896  Dienstliche Beurteilung vom 1.2.1943, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 897  Siehe diesbezüglich Verfügung des GStA vom 17.2.1941, in welcher Höher als Anklagevertreter der Anklagebehörde des Sondergerichts in Aachen bestellt wurde, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 149. 898  Schreiben des RMJ an den ORA beim VGH und den GStA in Köln vom 24.10.1944, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 66. 899  Schreiben des GStA an das RMJ vom 19.1.1939, dass Höher seine Blockhelfereigenschaft beim GStA angezeigt hat, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 53. 900  LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 27, i. Ü. nicht angegeben.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene197

zweijähriger Parteianwärterschaft die Aufnahme als Mitglied bei der NSDAP901, bei der er zeitweise das Amt eines kommissarischen Zellenleiters übernommen hatte902. Vor seiner Abordnung zur Staatsanwaltschaft Aachen wurde er in Trier von seinem dortigen Vorgesetzten OStA Dr. Hofmann als „politisch durchaus zuverlässig903“ qualifiziert. Seine Arbeit in Aachen charakterisierte sich nach Ansicht des GStA durch „fruchtbringende“ Zusammenarbeit mit der Aachener Richterschaft und gute Zusammenarbeit mit der Gestapo904. In politischer Hinsicht wurde Höher für fachliche und „vertrauensvolle“ Zusammenarbeit mit den Parteidienststellen sowie die Übernahme von Amtswalteraufgaben, die er zeitgleich für die NSDAP der Ortsgruppe Aachen übernommen hatte, gelobt905. (b) Relevanz der staatsanwaltlichen Tätigkeit vor dem Sondergericht Tabelle 8 Anzahl der Sitzungsvertretungen von StA Höher, aufgeschlüsselt nach Deliktsgruppen und antragsgemäßen Urteilen906 Anzahl

Anzahl in %

antragsgemäße Urteile

antragsgemäße Urteile in %

Heimtückegesetz

 43

  22,30 %

 7

  11,50 %

KrWVO

 81

  42,00 %

27

  44,30 %

RundfunkVO

  9

  4,60 %

 1

  1,60 %

VVO

 36

  18,70 %

17

  27,90 %

Sonstige

 24

  12,40 %

 9

  14,80 %

Gesamt

193

100,00 %

61

100,00 %

Deliktsgruppe

901  Personalbögen aus den Jahren 1939 und LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 902  Mitteilung des GStA Köln an den RJM vom 4.10.1940, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 58. 903  Dienstliche Beurteilung aus dem Jahr 1937, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 29. 904  Dienstliche Beurteilung des GStA Köln vom 20.9.1944, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 905  Dienstliche Beurteilung des GStA Köln vom 20.9.1944, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 906  Anm.: Sitzungsvertretungen durch Nichtigkeitsbeschwerden oder außerordentlichen Einspruch aufgehobener Ausgangsurteile werden bei den folgenden Statistiken nicht berücksichtigt.

198

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Mit insgesamt 193 Sitzungsvertretungen und damit rund 28,4 % aller vor dem Sondergericht verhandelten Verfahren verzeichnet der bei der Rechtsanwaltschaft mit dem Ruf eines „scharfen Staatsanwaltes“907 behaftete Höher die höchste Anzahl an Sitzungsvertretungen innerhalb des Aachener Kollegiums. Die dominierende Anzahl von Verhandlungen wegen Verstößen gegen die KrWVO korreliert mit der Gesamtstatistik, bei welcher selbige mit 39,3 % ebenfalls den Hauptanteil ausmachen908. Insgesamt erreichte Höher in 31,6 % seiner Verfahren antragsgemäße Urteile. Bei Kriegswirtschafts- und Volksschädlings-Delikten verbuchte der Dezernatsleiter für politische Strafsachen mit 72,2 % antragsgemäßer Urteile den wesentlichen Teil selbiger nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ, da beide Tatbestände mit der abstrakt normierten Strafandrohung der Todesstrafe die formal schwerwiegendsten Delikte darstellten909. Die Anzahl der Strafanträge, welchen durch Urteil entsprochen wurde, ließ mit Blick auf die Frage, inwieweit politische Einflüsse bei der Aufgabenwahrnehmung durch Höher eine Rolle spielten, zwei Schlussfolgerungen zu, die – abhängig von der jeweiligen Motivation zur Erreichung antragsgemäßer Urteile – in einem Alternativverhältnis zueinander stehen: Sofern die antragsgemäßen Urteile Höhers eine auffallend tätergünstige Tendenz aufweisen, kann hieraus geschlossen werden, dass die hohe Zahl antragsgemäßer Urteile dem Umstand geschuldet sind, dass Höher selbst auf eine milde Strafe hinarbeitete und daher für das Sondergericht – evtl. sogar nach dahingehender vorheriger Absprache mit Höher – kein Bedürfnis bestand, der gängigen Rechtsprechungspraxis zu folgen und mit dem Strafmaß hinter der Forderung der Staatsanwaltschaft zurück zu bleiben. Die Einschätzung des Z., eines seinerzeitigen Kollegen Höhers bei der Staatsanwaltschaft, war geeignet, diese These zu untermauern, indem er ausführte: „In seiner Tätigkeit als Sachbearbeiter für Sondergerichtssachen hat Herr Dr. Höher übersetzte Strafanträge, wie sie von der übergeordneten Strafverfolgungsbehörde verlangt wurden, nach Kräften bekämpft. Ich hatte den Eindruck, dass er sich stets für ein gerechtes Strafmaß einsetzte. Ich habe es als besonders glücklich empfunden, dass solche Leute zur Milderung der Schrecken des Sondergerichts in Aachen tätig sein konnten.“910 907  Stellungnahme Meckers zu StA Höher vom 18.8.1949, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 14 rev. 908  Siehe insoweit Tabelle 24, Anhang, S. 505. 909  §§ 1, 2, 4 der Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1679, § 1 Abs. 1 S. 2 der Kriegswirtschaftverordnung vom 4.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1609. 910  Erklärung durch Dr. Z. zur Person Höhers vom 29.8.1949, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 9. Z. war von Januar 1943 bis Dezember 1943 sowie im Sommer 1944 als beauftragter Staatsanwalt bei der Staaatsanwaltschaft beim LG in Aachen tätig.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene199

Im Lichte der als „mild“911 bezeichneten Rechtsprechung könnte jedoch andererseits der Schluss gezogen werden, Höher habe sich mit Vehemenz und Überzeugungskraft dafür eingesetzt, die aus der Sphäre der Staatsanwaltschaft stammenden Strafmaßvorstellungen – Weisungen vorgesetzter Dienstbehörden, des Behördenleiters sowie eigene Strafmaßvorstellungen – regimetreu umzusetzen, sodass sich das Gericht von den Ausführungen Höhers tendenziell häufiger überzeugen ließ und schärferen Strafmaßvorstellungen der Staatsanwaltschaft Folge leistete. So führte ein weiterer ehemaliger Kollege Höhers im Rahmen des späteren Entnazifizierungsverfahrens aus, Höhers „Standpunkt ging dahin, die Gesetze restlos zur Durchführung und Geltung zu bringen. Für Wortlaut und Inhalt der Gesetze fühlte er sich nicht verantwortlich und betrachtete sich nur als ausführendes Organ, dies umso mehr, als für alle wichtigeren Sachen seines Dezernates genaue Anweisungen der vorgesetzten Dienststellen ergingen. (…) Es lag in seinem Charakter und seiner Auffassung von der Aufgabe eines Staatsanwalts, daß er zu Kompromissen nicht geneigt war, und es ablehnte, auch einmal 5 gerade sein zu lassen.“912 Die Heranziehung der Synopse von Strafantrag und entsprechendem Urteil indiziert die Einschlägigkeit letzterer These. In sieben Fällen, in welchen Höher die Freisprechung des Angeklagten beantragte, war nicht alleine aufgrund dieser Rechtsfolge eine tätergünstige Anklagepraxis zu unterstellen. Vielmehr waren die Anträge mangels belastender Beweisumstände oder entlastender Beweise zwingend geboten, sodass sich im jeweiligen Freisprechungsantrag per se keine tätergünstige Anklagepraxis manifestierte. Betrachtet man die Gesamtheit der übrigen in Rede stehenden Verfahren gemessen am Strafmaß, so weichen die von Höher erwirkten antragsgemäßen Urteile im Strafmaß in keiner Weise tätergünstig vom Durchschnitt ab913. Vielmehr sind die gerichtlichen Entscheidungen – gemessen an der eigenen Rechtsprechungspraxis – als tendenziell überdurchschnittlich täterungünstig zu bewerten: Für die Heimtückedelikte liegen die Strafen in 42,9 % über dem Durchschnitt914, für KrWVO Delikte liegen die Schuldsprüche in 18,5 % über dem Durchschnitt, in weiteren 18,5 % befinden sie sich im Durchschnitt915, die Urteile bei Ver911  Stellungnahme Meckers zu StA Höher vom 18.8.1949, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 14. 912  Stellungnahme des OStA M. über StA Höher im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens vom 18.8.1949, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 14 rev. 913  Vergleiche den jeweiligen Durchschnitt in den Tabellen 29 und 30, Anhang, S. 513; 514. 914  Diese Zahl bemisst sich aus der jeweiligen Verfahrensanzahl. Siehe Tabelle 31, Anhang S. 514. 915  Siehe Tabelle 32, Anhang, S. 515.

200

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

stößen gegen die VVO liegen zu 24,9 % über dem Durchschnitt, wobei in einem Verfahren dem Strafantrag von 120 Monaten Zuchthaus gefolgt wurde, während der durchschnittlich verhängte Freiheitsentzug sich auf 26,6 Monate beläuft916. Auch das antragsgemäße Urteil wegen Verstoßes gegen die RundfunkVO liegt mit einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten Zuchthaus acht Monate über dem Durchschnitt917. Lässt man Freisprüche und Verfahrenseinstellungen aus obigen Erwägungen außer Betracht, so kann in der Anklagepraxis Höhers kein begünstigendes Tätigwerden zugunsten der Angeklagten gesehen werden. Die Statistik bekräftigt die These, dass Höher auch bei antragsgemäßen Urteilen nicht kompromissbereiter war als bei Verhandlungen, in denen das Gericht hinter den Strafmaßvorstellungen Höhers zurückblieb. Insofern findet auch die Einschätzung des M., Höher sei „sehr redegewandt, bestimmt und daher in der Hauptverhandlung gefürchtet“918 gewesen, als Erklärungsansatz für das hohe Maß erfolgreicher Strafanträge seinen Halt. Schließlich belegt auch die von Höher reflektierte Arbeitsauffassung, dass er weisungswidriges Verhalten in jedweder Form ablehnte: „Bei allen meinen Entscheidungen habe ich mich von der Erwägung leiten lassen, dass ich meine persönlichen Gefühle gegenüber dem NS-Staat zurückzustellen und zunächst die Pflicht hatte, den Staat und seine Politik zu vertreten. Das betrachtete ich als meine Dienstpflicht. Trotzdem habe ich nicht blindlings gehorcht, sondern habe dem Staat die Gefolgschaft da versagt, wo er nach meiner Überzeugung etwas forderte, was zu fordern er nicht berechtigt war. Die Grenze zu finden, wo Recht sich von Unrecht unterschied, hat mir viele und schwere Gewissenskonflikte gebracht“919. Auffällig war in Anbetracht der hohen Anzahl an Sitzungsvertretungen, dass Höher keinem Verfahren als Sitzungsvertreter beiwohnte, welches mit Todesurteil endete, was die Manifestation der von ihm geäußerten Grenzziehung von Recht und Unrecht schlüssig unterstreicht920. Das Beispiel von StA Höher versinnbildlicht geradezu die Interessenskollision und Unvereinbarkeit von Staatstreue und Parteitreue. Der Dezernatslei916  Siehe

Tabelle 33, Anhang, S. 517. Tabelle 34, Anhang, S. 518. 918  Stellungnahme des M. zu StA Höher vom 18.8.1949, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 14. 919  Ausführungen Höhers im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens und einer erhofften Wiedereinstellung, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 14. 920  Die Glaubwürdigkeit der von Höher geäußerten Gewissenskonflikte wurde durch die bisweilen kritischen Ausführungen durch OStA M. bekräftigt: „Daß er innerlich nicht immer mit Ziel und Sinn dieser Gesetze und Anweisungen konform ging, ist mir aus mancher Unterhaltung mit ihm bekannt geworden“, Stellungnahme Meckers zu StA Höher vom 18.8.1949, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 14. 917  Siehe



III. Die Personalpflege auf Reichsebene201

ter sah sich selbst im Lichte eines Staatsdieners, dessen Selbstverständnis von fehlerfreier Aufgabenwahrnehmung durch unreflektierte Umsetzung geprägt war. Hierdurch machte er sich jedoch dort zum Werkzeug politischer Interessen, wo die Entscheidungen der Strafrechtspflege nicht nach rechtlichen, sondern politischen Gesichtspunkten getroffen wurden. Da es sich aber gerade bei den Sondertatbeständen der KrWVO, VVO sowie des HG um spezifisches „nationalsozialistisches“ Recht gehandelt hatte, waren Grenzen und Abgrenzungskriterien für die Frage einer politischen Motivation – nicht nur in der causa Höher – fließend. Die Instrumentalisierung der eigenen Person als werkzeugähnliches Anklageorgan spiegelt sich tendenziell in den über dem Durchschnitt der tatsächlichen Strafhöhe liegenden Strafanträgen bei Verstößen gegen die VVO wider. Während sich der durchschnittliche durch das Sondergericht verhängte Freiheitsentzug auf diesem Gebiet auf 26,6 Monate erstreckte, liegt die durchschnitlliche Strafmaßforderung Höhers bei 32,8 Monaten921. Dennoch kann Höher – trotz seiner späteren Mitgliedschaft in der NSDAP und der formal dokumentierten Parteiaktivität – nicht als überzeugter Nationalsozialist oder Karrierist unter dem Banner des Hakenkreuzes qualifiziert werden. Dies belegen seine ursprüngliche Mitgliedschaft in der später aufgelösten DNVP, der verhältnismäßig späte Beitritt zur NSDAP sowie der Behördenwechsel von Trier nach Aachen, der nach dessen Ausführungen von den dortigen Schikanen aufgrund mangelnder Parteimitgliedschaft verursacht war922. Dass mit dem Beitritt zur Partei die Eindämmung von Schikanen und nicht etwa eine Beförderung intendiert war, zeigt die zeitliche Korrelation von NSDAP-Aufnahmeantrag und Behördenwechsel sowie die Tatsache, dass Höher zum Zeitpunkt des Aufnahmeantrags im Jahre 1939 erst eineinhalb Jahre StA gewesen war und somit eine Beförderung in absehbarer Zeit unter keinen Umständen in Betracht kam923. Für die 921  Siehe

Tabellen 29 und 30, Anhang, S. 513; 514. Höhers im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens und einer erhofften Wiedereinstellung, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 14. 923  Auch AGR S. am AG Aachen schilderte diese Einschätzung bekräftigend: „Herr Dr. Höher war stets der damaligen überaus schwierigen Verhältnisse ehrlich bemüht, die ihm unterbreiteten Strafsachen, auch politischer Art, objektiv zu beurteilen“, handschriftliche Stellungnahme des AGR S. vom 16.8.1949, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 11 rev. Auch bekräftigend Dr. Z.: „Aus häufigen Besprechungen dienstlicher und privater Art erfuhr ich, dass Herr Dr. Höher die Auswüchse der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft missbilligte. (…) Bezüglich seiner Tätigkeit in der Partei, äusserte Herr Dr. Höher, dass er so etwas nur aus Zwang tue oder tun würde“, Erklärung durch RA Zorn zur Person Höhers vom 29.8.1949, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 9. Die direkte Verwendung als Dezernatsleiter für politische Strafsachen und Wirtschaftsstrafsachen resultierte aus dem Umstand, dass sich freiwillig niemand zur Übernahme bereit erklärte und Höher daher von LOStA Führer zur Übernahme be922  Ausführungen

202

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Einschätzung, dass Höher rechtsbeugend zugunsten der Partei tätig geworden wäre, finden sich keine Anhaltspunkte. (4) StA Rolf Venator924 (a) Tätigkeitsprofil und Parteiaktivität Rolf Venator wurde am 15. Januar 1910 in Köln geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen, Berlin und Köln legte er im Januar 1933 in Köln die erste juristische Staatsprüfung mit der Gesamtnote „vollbefriedigend“ ab925. Am 10. November 1936 absolvierte er das Assessorexamen in Düsseldorf mit der Beurteilung „gut“926. Von 1937 bis 1940 nahm Venator seine Arbeit als Gerichtsassessor in den Oberlandesgerichtsbezirken Köln und Karlsruhe auf927. Vom 1. September 1940 an bis Kriegsende folgte die Arbeit als Staatsanwalt in einer Planstelle der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Köln928. Nach eigenen Angaben hatte sich Venator im Anschluss an das Zweite Staatsexamen zunächst um eine Rechtsanwaltszulassung bemüht, den Antrag aber aufgrund fehlender Parteizugehörigkeit und daraus resultierender mangelnder Erfolgsaussichten vorläufig zurückgezogen, bis er „im Justizdienst (…) Mitte 1937 dem scharfen Druck nachgegeben“ habe, „Parteianwärter zu werden“929. Mit Verfügung des RJM wurde Venator im Februar 1945 mit sofortiger Wirkung zur weiteren Verwendung an die Reichsanwaltschaft beim Volksgerichtshof in Berlin abgeordnet930. Ausweislich der erhobenen Daten befand sich Venator lediglich zu Beginn des Jahres 1942 vorübergehend bei der Staatsanwaltschaft Aachen931. stimmt worden war, siehe Ausführungen Höhers im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens und einer erhofften Wiedereinstellung, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 14. 924  LAV NRW R, BR Pe 19560. 925  Ebd., Bl. nicht angegeben. 926  Ebd. 927  Ebd., Personalbogen, Bl. nicht angegeben. 928  Ebd., Bl. nicht angegeben. 929  Eigene Aussage im Rahmen seines Wiedereinstellungsantrags an den Justizminister Nordrhein-Westfalen vom 9.1.1951, LAV NRW R, BR Pe 19560, Zulassungsantrag, Bl. 36 rev. 930  Schreiben Willers im Namen des RMJ an den GStA in Köln vom 22.2.1945, LAV NRW R, BR Pe 19560, Bl. 1. 931  Die Geschäftsverteilungspläne und sonstigen Verwaltungsdokumente konnten keine verlässlichen Angaben über den exakten Zeitraum des Verbleibs Venators in Aachen treffen. Die Signaturen der Sitzungsvertretungen, die er führte, zeigen jedoch, dass er maximal einen Monat lang und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Januar 1942 vorübergehend zur Staatsanwaltschaft Aachen abgeordnet wurde.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene203

Ab dem Jahr 1937 wurde er als Mitglied der NSDAP geführt und hatte dort die Stellung als Blockhelfer inne, darüber hinaus bestanden Mitgliedschaften bei der SA von 1934–1935, im NSRB sowie eine Aktivität als Blockhelfer bei der NSV932. (b) Relevanz der staatsanwaltlichen Tätigkeit vor dem Sondergericht Tabelle 9 Sitzungsvertretungen des StA Venator Verhandlungsjahr

Delikt

Vorsitzender Richter

Angeklagter NSDAPMitglied

Urteil

beantragte Strafe

1942

§ 1 Abs. 1 KrWVO

Howahrde

k. A.

4 Monate Gefängnis

6 Monate Gefängnis

1942

§ 4 VVO

Howahrde



2 Jahre Gefängnis

2 Jahre Zuchthaus

1942

§ 2 VVO

Howahrde

k. A.

1 Jahr Gefängnis

2 Jahre Zuchthaus

1942

§ 2 VVO

Howahrde

k. A.

10 Monate Gefängnis

gleich Urteil

9 Monate Gefängnis Geldstrafe 1942

§ 2 HG

Howahrde

k. A.

9 Monate Gefängnis

gleich Urteil

1942

§ 1 Abs. 1 KrWVO

van Wersch



6 Monate Gefängnis

10 Monate Gefängnis;

1942

§ 1 Abs. 1 KrWVO

3 Monate Gefängnis

Howahrde



6 Monate Gefängnis 4 Monate Gefängnis 4 Monate Gefängnis

7 Monate Gefängnis; 5 Monate Gefängnis; 3 Monate Gefängnis; gleich Urteil

1942

§ 2 HG

Howahrde

k. A.

10 Monate Gefängnis

gleich Urteil

1942

§ 134 b StGB

Howahrde

-

9 Monate Gefängnis

12 Monate Gefängnis

932  LAV

NRW R, BR Pe 19560, Bl. 11.

204

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Tabelle 10 Durchschnittliche Höhe beantragter Freiheitsstrafen durch StA Venator, aufgeschlüsselt nach Deliktsgruppen933 Deliktsgruppe

Anzahl beantragter Summe beantragter Freiheitsstrafen934 Freiheitsstrafen in Monaten935

Durchschnittswert in Monaten

VVO

4

67

16,8

KrWVO

6

35

 5,8

Heimtückegesetz

2

19

 9,5

RundfunkVO

0

 0

0

Auffälligkeiten bei der Analyse der Sitzungsvertretungen durch StA Venator ergeben sich dahingehend, dass sämtliche Verhandlungen, denen Venator persönlich beiwohnte, ausweislich der fortlaufenden Gerichtssignatur zu Anfang des Jahres 1942 abgehalten wurden936. Die in einem engen Zeitraum erfolgten Sitzungsvertretungen lassen auf einen entsprechenden Geschäftsverteilugsplan auch bei den Vorsitzenden Richtern schließen, was erklärt, dass in acht von neun Verfahren der identische Richter den Vorsitz inne hatte. Ein von der Staatsanwaltschaft intendiertes besonderes Zusammenwirken von Venator und LGR Howahrde ist damit auszuschließen. Die von Venator verhandelten Deliktsgruppen korrelieren in ihrer relativen Verhältnismäßigkeit zueinander tendenziell mit der gesamten Verfahrensverteilung: Während Venator in 33,3 % Verstöße gegen die KrWVO, in 33,3 % Verstöße gegen die VVO, in 22,2 % Verstöße gegen das HG und in 11,1 % 933  Die nachfolgende Darstellung unterscheidet mangels inhaltlichen Erfordernisses und zum Zwecke der Übersichtlichkeit nicht zwischen Gefängnis- und Zuchthausstrafen. Freisprüche, Verfahrenseinstellungen, Geldstrafen, Todesurteile, Strafen nichtiger Urteile aufgrund Nichtigkeitsbeschwerde und außerordentlichem Einspruch sowie Strafen von Verfahren mit unbekanntem Ausgang sind nicht berücksichtigt. Eine personenbezogene Aufschlüsselung nach Gefängnis- und Zuchthausstrafen im Rahmen der jeweiligen Deliktsgruppen befindet sich allerdings im Anhang, Tabellen 46–49, S. 536; 537; 538; 539. 934  Die Ermittlung der Anzahl aller verhängten Freiheitsstrafen erfolgte unter Zugrundelegung der Freiheitsstrafen gegen sämtliche Angeklagte. Da einzelne Sondergerichtsverfahren teilweise eine Mehrzahl von Angeklagten beinhalteten, bzw. in einigen Verfahren das Strafmaß nicht ersichtlich war, weicht die nachfolgende Angabe notwendigerweise von der jeweiligen Verfahrensanzahl ab. 935  Die Summierung verhängter Freiheitsstrafen ist nach Monaten aufgeschlüsselt 936  Die Signaturen lauteten wie folgt: S Ls 2-42, S Ls 4-42, S Ls 6-42, S Ls 11-42, S Ms 5-42, S Ls 5-42, S Ls 10-42, S Ms 2-42, S Ms 1-42. Zum Informa­ tionswert der Verfahrenssignaturen siehe oben, S. 40.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene205

Verstöße gegen § 134 b StGB verhandelte, beläuft sich die Gesamtverteilung auf 39,3 % KrWVO-Delikte, 22,8 % VVO-Delikte, 19,6 % HG-Delikte sowie 1 % Verstöße gegen § 134 b StGB937. Somit ist auch eine besondere Verwendung Venators aufgrund spezieller Deliktsgruppen auszuschließen. Da in keinem Fall Verfahren gegen Anhänger der NSDAP verhandelt wurden, bieten sich auch keine Indizien für eine parteiliche Einflussnahme Venators während seiner Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft Aachen. Trotz der Erreichung antragsgemäßer Urteile in 44,4 % der Verfahren zeigte sich, dass die strafrechtlichen Beurteilungen zur Einschlägigkeit der VVO zwischen Sondergericht und Staatsanwaltschaft sachlich enorm divergieren. In sämtlichen VVO Verfahren Venators rückte das Sondergericht von der in der Anklageschrift getroffenen Feststellung der Einschlägigkeit der VVO ab, was sich in der Verhängung von Gefängnisstrafen niederschlägt, während Verurteilungen wegen Verstößen gegen die VVO regelmäßig mit Zuchthausstrafen geahndet wurden. Insofern stellt auch das antragsgemäße VVO-Urteil Venators keinen staatsanwaltlichen Erfolg, sondern Beleg für das Durchsetzungsvermögen des Sondergerichts gegenüber der von Venator vertretenen Anklagebehörde dar. (5) StA Dr. Gerhard Marx938 (a) Tätigkeitsprofil und Parteiaktivität Gerhard Marx wurde am 16. Dezember 1906 in Inden geboren939. Seine erste juristische Staatsprüfung legte er am 3. Januar 1931 in Köln mit der Gesamtnote „ausreichend“ ab, im Januar 1935 absolvierte er die zweite juristische Staatsprüfung mit der Gesamtnote „befriedigend“940. Der Grad eines Doktors der Rechte wurde ihm am 18. Februar 1935 von der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn verliehen941. Marx arbeitete ab 1935 als Gerichtsassessor am Amtsgericht Jülich, bevor er ab Mai 1936 als Hilfsarbeiter im höheren Dienst für die Staatsanwaltschaften Koblenz und Aachen fungierte942. Nachdem ihm am 1. August 1938 der Status eines Anwärters für die Laufbahn des Richters und Staatsanwaltes verliehen worden war, wurde er schließlich ab 1. Juni 1939 zum Staatsanwalt in Aachen berufen943. Bereits kurz nach der Errichtung des 937  Vergleiche

Tabellen 10 und 24, S. 204 sowie Anhang, S. 505. NRW R, NW Pe 6765. 939  Ebd., Bl. 7. 940  Ebd., Personalakte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 941  Ebd., Bl. 9. 942  Ebd., Bl. III. 943  Ebd., Bl. II rev. 938  LAV

206

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Sondergerichts wurde er aufgrund dahingehender Verfügung als Sachbearbeiter für Kriegswirtschaftssachen eingesetzt944. Den für den Staatsdienst obligatorischen Nachweis arischer Abstammung erbrachte Marx durch Fragebögen sowie Urkunden945. Darüber hinaus wurde auch der von der Staatsanwaltschaft ausgestellte Fragebogen zur Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge negativ beantwortet946. Im Rahmen des juristischen Vorbereitungsdienstes hatte Marx im Winter 1934 an einer Lagerübung für preußische Referendare im Gemeinschaftslager Hanns Kerrl in Jüterbog teilgenommen. Von dem dortigen Lagerkommandanten wurde Marx als als ehrgeizig, aber körperlich benachteiligt beschrieben, bedingt durch körperliche Schwäche und starke Kurzsichtigkeit, aufgrund derer es „ihm mitunter (an) Selbstvertrauen“ fehlte947. Besonders hervorgehoben wurde seine Fähigkeit, sich völlig unterordnen, aber dennoch anderen Kameraden gegenüber bei dienstlichen Aufträgen durchsetzen zu können948. Marx war seit dem 1. Mai 1937 Mitglied in der NSDAP, sowie SA-Mann der „Standarte Jülich“949 seit November 1933, Mitglied im BNSDJ ab Juni 1933, Mitglied des NSRB ab Januar 1934, Mitglied in der NSV ab Januar 1937950 sowie im Reichkolonialbund seit Oktober 1936951. Die politische Beurteilung, welche durch das Gaupersonalamt der Gauleitung Köln-Aachen zugestellt und auf dortige Anfrage an die Generalstaatsanwaltschaft weitergeleitet worden war, wies Marx als aktiven Teilnehmer in der SA aus, über den nichts „charakterlich oder politisch Nachteiliges952“ vorlag. Von Parteiseite bestanden insoweit gegen die Übertragung einer Staatsanwaltsstelle keine Bedenken953. Diese Feststellung deckt sich mit den Beurteilungen von GStA Windhausen, der Marx als „überzeugten Nationalsozialisten“ mit „großer Entschlusskraft“ charakterisiert, der es auch innerhalb der Sitzungsvertretung verstand, „die Interessen der Anklagebehörde gewandt und nach944  Siehe diesbezüglich Verfügung des GStA vom 17.2.1941, in welcher Marx als Sachbearbeiter für die KrWVO der Anklagebehörde des Sondergerichts in Aachen bestellt wurde, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 149. 945  LAV NRW R, NW Pe 6765, Personalakte Justizministerium, Bl. 15–20. 946  Ebd., Bl. 11. Dem Fragebogen lagen die Fragen zugrunde, ob der Adressat Mitglied einer Freimaurerloge gewesen ist, bejahendenfalls welcher Loge und in welchem Zeitraum, welches Amt in der Freimaurerloge bekleidet worden ist und welcher Freimaurergrad erreicht wurde. 947  LAV NRW R, NW Pe 6765, Personalakte Justizministerium, Bl. 4. 948  Ebd. 949  Ebd., Bl. 14. 950  Ebd., Bl. II. 951  Ebd., Bl. nicht angegeben. 952  Ebd., Bl. 24. 953  Ebd.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene207

drücklich zu vertreten“954. Auch LOStA Führer äußerte sich in seinen dienstlichen Beurteilungen über Marx durchweg positiv. So wurde dieser als „charakterlich wertvoller Mensch mit bescheidenem, freundlichen Wesen“955 bezeichnet, der „vorbehaltlos zum neuen Staat“ stand956. Speziell in Bezug auf seine sondergerichtliche Anklagetätigkeit hob der Aachener Behördenleiter Marx als Experten für Kriegswirtschaftsverbrechen hervor, der als „Sachbearbeiter (…) für Kriegswirtschaftsverbrechen (…) ein praktisch so gut wie lückenloses Wissen auf diesem im hiesigen Grenzgebiet und im rückgegliederten Gebiet so wichtigen Wissenszweig erworben“ hatte957. (b) Relevanz der staatsanwaltlichen Tätigkeit vor dem Sondergericht Tabelle 11 Anzahl der Sitzungsvertretungen des StA Marx, aufgeschlüsselt nach Deliktsgruppen und antragsgemäßen Urteilen958 Deliktsgruppe

Anzahl

Anzahl in %

antragsgemäße Urteile

antragsgemäße Urteile in %

Heimtückegesetz

14

  16,70 %

 9

  19,10 %

KrWVO

35

  41,60 %

18

  38,30 %

RundfunkVO

 1

  1,20 %

 0

  0,00 %

VVO

22

  26,20 %

14

  29,80 %

Sonstige

12

  14,30 %

 6

  12,80 %

Gesamt

84

100,00 %

47

100,00 %

Der vom Behördenleiter gelobte Wissensfundus des StA auf dem Gebiet der KrWVO korreliert mit der relativen Verteilung der Sitzungsvertretungen auf die jeweiligen Deliktsgruppen, bei welchen die Verstöße gegen die Kriegswirtschaft mit 35 Verfahren den größten Anteil ausmachen. Allerdings wirkte sich Marx’ Wissensvorsprung faktisch nur bedingt aus, da auch bei 954  Ebd.,

Bl. 23. Bl. II rev. 956  Dienstliche Beurteilung des LOStA Führer vom 1.1.1937, LAV NRW R, NW Pe 6765, Personalakte Justizministerium, Bl. I. 957  Letzte vorliegende dienstliche Beurteilung des LOStA Führer vom 28.1.1943, LAV NRW R, NW Pe 6765, Personalakte Justizministerium, Bl. II rev. 958  Anm.: Sitzungsvertretungen durch Nichtigkeitsbeschwerden oder außerordentlichen Einspruch aufgehobener Ausgangsurteile werden bei den folgenden Statistiken nicht berücksichtigt. 955  Ebd.,

208

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

den anderen sachbearbeitenden Staatsanwälten Verstöße gegen die KrWVO tendenziell häufigster Verhandlungsgegenstand war959. Gleichwohl erreichte Marx in über 38 % dieser Verhandlungen antragsgemäße Urteile960. Tabelle 12 Durchschnittliche Höhe beantragter Freiheitsstrafen durch StA Marx, aufgeschlüsselt nach Deliktsgruppen961 Deliktsgruppe

Anzahl beantragter Summe beantragter Freiheitsstrafen962 Freiheitsstrafen in Monaten963

Durchschnittswert in Monaten

VVO

25

600

24

KrWVO

61

843

13,8

Heimtückegesetz

13

159

12,2

RundfunkVO

 1

 18

18

Für die Frage, inwieweit diese Übereinstimmung962963 von Antrag und Urteilstenor als spezifisch staatsanwaltschaftlicher Erfolg zu interpretieren ist, ist der Vergleich des Durchschnittswerts verhängter Freiheitsstrafen durch das Sondergericht mit den Strafmaßvorstellungen Marx’ zu vergleichen. Hierbei zeigt sich, dass Marx lediglich 0,6 Monate über den gerichtlichen Sanktionen lag964. Da sich die These einer im Verhältnis zu den Vorstellungen der Staatsanwaltschaft „milden“ Rechtsprechung deliktsgruppenübergreifend auch statistisch niederschlägt, ist diese Annäherung nicht 959  Siehe

hierzu Tabelle 35, Anhang, S. 518. Tabelle 11, oben, S. 207. 961  Die nachfolgende Darstellung unterscheidet mangels inhaltlichen Erfordernisses und zum Zwecke der Übersichtlichkeit nicht zwischen Gefängnis- und Zuchthausstrafen. Freisprüche, Verfahrenseinstellungen, Geldstrafen, Todesurteile, Strafen nichtiger Urteile aufgrund Nichtigkeitsbeschwerde und außerordentlichem Einspruch sowie Strafen von Verfahren mit unbekanntem Ausgang sind nicht berücksichtigt. Eine personenbezogene Aufschlüsselung nach Gefängnis- und Zuchthausstrafen im Rahmen der jeweiligen Deliktsgruppen befindet sich im Anhang, Tabellen 46–49, S. 536; 537; 538; 539. 962  Die Ermittlung der Anzahl aller verhängten Freiheitsstrafen erfolgte unter Zugrundelegung der Freiheitsstrafen gegen sämtliche Angeklagte. Da einzelne Sondergerichtsverfahren teilweise eine Mehrzahl von Angeklagten beinhalteten, bzw. in einigen Verfahren das Strafmaß nicht ersichtlich war, weicht die nachfolgende Angabe notwendigerweise von der jeweiligen Verfahrensanzahl ab. 963  Die Summierung verhängter Freiheitsstrafen ist nach Monaten aufgeschlüsselt. 964  Siehe zum Vergleich Tabelle 12, S. 208 und Tabelle 29, Anhang, S. 513. 960  Siehe



III. Die Personalpflege auf Reichsebene209

als besondere Fertigkeit von Marx zu qualifizieren, das Sondergericht im Strafmaß auf die Linie der Staatsanwaltschaft zu bringen, sondern vielmehr Ausfluss eines von vornherein angepassten Strafantrags auf das zu erwartende Urteil. Dies belegt auch ein Vergleich mit den Strafanträgen Zimmeraths, der mit einem Antrag von durchschnittlich über 20 Monaten die Vorstellungen der Staatsanwaltschaft wesentlich offensiver vertrat965. Mit insgesamt 84 Hauptverhandlungen, denen Marx beiwohnte, liegt er quantitativ im unteren Mittelfeld der Aktivität. Auffälligkeiten rechtsbeugender Wahrnehmung seiner Dienstobliegenheiten zugunsten der NSDAP können bei ihm nicht festgestellt werden. Bemerkenswert ist allerdings die Anklagepraxis von Marx im Verfahren gegen O., bei welchem er sowohl hinsichtlich des zur Last gelegten Delikts als auch hinsichtlich der Strafmaßvorstellungen eklatant von der Anklageschrift abwich: Während Marx in der Hauptverhandlung die Todesstrafe auf Grundlage eines angenommenen besonders schweren Falles gemäß § 2 VVO iVm § 242, 243 StGB966 forderte, hatte die Anklageschrift keinen Verstoß gegen § 2 VVO, sondern lediglich gegen § 4 VVO zugrunde gelegt. Auch in den Strafmaßvorstellungen des Behördenleiters schlug sich dieser Unterschied nieder, indem LOStA Führer nicht die Todesstrafe propagierte, sondern nach dessen Dafürhaltens die öffentliche Sicherheit im Falle des O. „neben der Strafe auch die Anordnung der Sicherungsverwahrung“ erforderte967, was zwingend auf die Intention der Verhängung einer Freiheitsstrafe schließen lässt. Das abweichende Verhalten von StA Marx in diesem Fall ist vielmehr der konträren Einschätzung des GStA geschuldet gewesen, der sowohl wegen des „Schutzes der Volksgemeinschaft“ als auch wegen des Bedürfnisses „nach gerechter Sühne die Todesstrafe“968 für erforderlich hielt. Die Verhandlungspraxis des StA Marx in diesem Fall verdeutlicht, dass er Weisungen bedingungslos umsetzte, auch wenn diese wie im dargestellten Fall mit den vorher getätigten Ermittlungen divergierten und sogar der Anklageschrift widersprachen. Da aber auch der LOStA geplant hatte, den Weisungen aus Köln Folge zu leisten969, stellt die Umsetzung durch Marx keinen selbstbestimmten Entscheidungsprozess innerhalb der Hauptverhandlung zuungunsten des O. dar. Vielmehr setzte er nur die vom Behördenleiter entsprechend weitergegebene Weisung auf Beantragung der Todesstrafe um. Am Beispiel Marx’ verdeutlicht sich der fließende Übergang 965  Siehe

zum Vergleich Tabelle 16, unten, S. 219. NRW R, NW 174, Nr. 195, Band III, Bl. 8. 967  Ebd., Band IV, Bl. 21. 968  Ebd., Bl. 22. 969  Mitteilung des LOStA Führer bzgl. der Verhandlungsterminierung an den Generalstaatsanwalt in Köln vom 12.2.1943, LAV NRW R, NW 174, Nr. 195, Band IV, Bl. 24. 966  LAV

210

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

einer normorientierten Umsetzung nationalsozialistischen Rechts zu einer Vollziehung einer politischen Selbstinstrumentalisierung970. Ob Marx wissentlich oder willentlich bei der Umsetzung agierte, kann für das Ergebnis einer objektiv gegebenen Selbstinstrumentalisierung dahinstehen. Der inhaltlich offene – weil weit auslegbare – Wortlaut der VVO ermöglichte jedenfalls eine kurzfristige Abkehr vom ursprünglichen Ermittlungsergebnisses durch die Subsumtion eines Sachverhaltes unter einen schärfer sanktionierten Tatbestand innerhalb der VVO. Der Unterschied zwischen rechtlicher und politischer Willensumsetzung bestand damit letztlich allein in der Motivation des GStA zur Verhängung der Todesstrafe. (6) StA Hans Wickmann971 (a) Tätigkeitsprofil und Parteiaktivität Wickmann wurde am 12. Dezember 1901 in Aachen geboren. Nachdem er im Juli 1923 die erste juristische Staatsprüfung in Hamm mit der Gesamtbeurteilung „ausreichend“ absolviert hatte, legte am 8. Juni 1928 nach einem Wiederholungsversuch die große juristische Staatsprüfung in Berlin ebenfalls mit der Note „ausreichend“ ab972. Auf die Tätigkeit als Hilfsarbeiter ab August 1928 bei der Staatsanwaltschaft Aachen973 folgte ab März 1931 die dauerhafte Verwendung im staatsanwaltschaftlichen Dienst974. Die endgültige Ernennung zum Staatsanwaltschaftsrat erfolgte fünfeinhalb Jahre später975. In der Zwischenzeit vollzog sich Wickmanns politische Ausrichtung, indem er ab dem 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP wurde, von September 1933 bis Mai 1935 der SA angehörte976 und sich im Jahre 1933 dem NSRB sowie der NSV im Jahre 1934 anschloss977. Vom GStA wurde Wickmann als „einwandfrei“, und „eifrig tätig“ qualifiziert978. Diese Stellung970  Hier kann nur von bedingter politischer Instrumentalisierung gesprochen werden, da die Motive des GStA nicht abschließend geklärt werden können. Zur Begriffsdefinition der politischen Selbstinstrumentalisierung nochmals oben, S. 176. 971  LAV NRW R, NW Pe 6190. 972  Ebd., Zeugnisheft, Bl. 3. 973  Ebd., Akte Justizministerium, Bl. 7. 974  Ebd., Bl. 8. 975  Siehe Ernennungsurkunde der RMJ vom 27.10.1936, LAV NRW R, NW Pe 6190, Akte Justizministerium, Bl. 36. 976  Siehe Personal- und Befähigungsnachweis, LAV NRW R, NW Pe 6190, Akte Justizministerium, Bl. 26. 977  Beurteilung aus dem Jahre 1943, LAV NRW R, NW Pe 6190, Akte Justizministerium, Bl. 18. 978  Antragsformblatt auf Übernahme als Staatsanwaltsanwärter des RJM an den Bezirkspersonalreferenten betr. die Übernahme von Gerichtsassessoren (alter Art)



III. Die Personalpflege auf Reichsebene211

nahme deckt sich mit der Einschätzung der NSDAP-Gauleitung KölnAachen, die sich ebenfalls bedenkenlos hinsichtlich Wickmanns politischer Zuverlässigkeit äußerte979. Der Nachweis über die arische Abstammung Wickmanns, die conditio sine qua non für die Einstellung in die Beamtenlaufbahn war980, zog sich im Falle Wickmanns über einen Zeitraum von ca. zwölf Monaten hin, da es ihm erst nach mehreren Versuchen möglich war, die Tauf- und Geburtsurkunden seiner Großeltern zu beschaffen981. Der Aachener Behördenleiter attestierte Wickmann zudem eine „unzweifelhaft positive politische Haltung, begründet auf innerer Überzeugung“982. Diese „positive Einstellung zum neuen Staat“983 sowie die „eifrige Teilnahme am SA-Dienst“984 nahm LOStA Führer wiederholt zum Anlass, ihn zum Vertreter des politischen Dezernenten in seiner Behörde vorzuschlagen985. Auch fachlich wurden ihm zuletzt – trotz anfänglicher Bedenken wegen des Wiederholungsversuchs im Assessorexamen – „völlig ausreichende Rechtskenntnisse“, gepaart mit Fleiß, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Entschlusskraft und der Jahrgänge 1928 und früher (§ 8 VO vom 29.3.1935, RGBl. 1935 I, S. 487, § 14 VO vom 26.6.1935, RGBl. 1935 I, S. 812, AV vom 31.3.1935, DJ 1935, S. 948) vom 19.12.1935, LAV NRW R, NW Pe 6190, Akte Justizministerium, Bl. 24. 979  Antwortschreiben der NSDAP Gauleitung Köln-Aachen vom 9.6.1935 an den GStA Köln, LAV NRW R, NW Pe 6190, Akte Justizministerium, Bl. 28. 980  Unabhängig von den gesetzlichen Regelungen, die dieses Erfordernis unabdingbar machten, folgte dies für Wickmann konkret aus einem Schreiben des GStA Köln an den RMJ betr. restloser Erbringung des Nachweises vom 25.7.1936, LAV NRW R, NW Pe 6190, Akte Justizministerium, Bl. 34 und den Ernennungsvorschlag des RMJ an den Stellvertreter des Führers vom 2.8.1936, LAV NRW R, NW Pe 6190, Akte Justizministerium, Bl. 35, 35 rev. 981  Vgl. insoweit die Datierung des erstmalig ausgefüllten Fragebogens zur Abstammung vom 1.8.1935, LAV NRW R, NW Pe 6190, Akte Justizministerium, Bl. 16–19 und die Bestätigung über die Vollständigkeit durch den GStA Köln vom 25.7.1936, LAV NRW R, NW Pe 6190, Akte Justizministerium, Bl. 18. Zu den mehrmaligen Beschaffungsbemühungen Wickmanns bzgl. der Urkunden siehe Korrespondenz zwischen der Geschäftsstelle für Verwaltungsssachen beim OLG Köln und der Kalkulatur des RJM, LAV NRW R, NW Pe 6190, Akte Justizministerium, Bl. 30–34. Die obligatorische Anzeige nicht arischer Abstammung hatte zu erfolgen aufgrund Nr. 3 der AV vom 18.4.1934, DJ 1934, S. 500. Siehe zur Ablichtung des Fragebogens von StA Wickmann sowie der Beurteilung des GStA im Anhang, Abbildung 22, S. 575. 982  Dienstliche Beurteilung aus dem Jahre 1943, LAV NRW R, NW Pe 6190, Akte Justizministerium, Bl. 1 lit. g rev. 983  Ebd., Bl. 1 lit. e rev. 984  Äußerung des OStA aus dem Verzeichnis der höheren Beamten der Staatsanwaltschaft Aachen aus dem Jahre 1934, LAV NRW R, NW Pe 6190, Akte Justizministerium, Bl. 15. 985  Dienstliche Beurteilung aus dem Jahre 1934 und 1937, LAV NRW R, NW Pe 6190, Akte Justizministerium, Bl. 1 lit. d rev., 1 lit. e rev.

212

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

auch verständnisvoller Arbeit als Jugendstaatsanwalt zugesprochen986. Vergleicht man die fachlichen und politischen Referenzen Wickmanns mit seinem Kollegen StA Marx, so zeigt sich in dieser Relation gemessen an den Resultaten der Examina, dass Marx fachlich eine höhere Eignung als Wickmann zu unterstellen ist. Diese Einschätzung bestätigt sich anhand der anfänglichen Bedenken des LOStA Führer zur Eignung Wickmanns. Wenn dieser trotzdem bevorzugt für den Posten des Vertreters von StA Höher in Vorschlag gebracht wurde, so kann dies einzig dem Umstand geschuldet sein, dass auf dem Sektor politischer Aktivität eine höhere Gewichtung zugunsten Wickmanns bestand und im konkreten Fall die Motivation des Behördenleiters zu einer innerbehördlichen Beförderung politischer Natur war. (b) Relevanz der staatsanwaltlichen Tätigkeit vor dem Sondergericht Tabelle 13 Anzahl der Sitzungsvertretungen von StA Wickmann, aufgeschlüsselt nach Deliktsgruppen und antragsgemäßen Urteilen987 Deliktsgruppe

Anzahl

Anzahl in %

antragsgemäße Urteile

antragsgemäße Urteile in %

Heimtückegesetz

 20

  18,50 %

 7

  14,30 %

KrWVO

 44

  40,70 %

25

  51,00 %

RundfunkVO

  8

  7,40 %

 1

  2,00 %

VVO

 24

  22,20 %

11

  22,50 %

Sonstige

 12

  11,10 %

 5

  10,20 %

Gesamt

108

100,00 %

49

100,00 %

Nach StA Dr. Höher und StA Zimmerath verbucht StA Wickmann mit einer Anzahl von 108 getätigten Sitzungsvertretungen die höchste Zahl an persönlichen Anwesenheiten in den sondergerichtlichen Hauptverhandlungen für sich988. Auch die Verteilung auf die jeweiligen Deliktsgruppen der VVO, 986  Dienstliche Beurteilung aus dem Jahre 1943, LAV NRW R, NW Pe 6190, Akte Justizministerium, Bl. 1 lit. g rev. 987  Anm.: Sitzungsvertretungen durch Nichtigkeitsbeschwerden oder außerordentlichen Einspruch aufgehobener Ausgangsurteile werden bei den folgenden Statistiken nicht berücksichtigt. 988  Siehe zum direkten Vergleich mit dem übrigen Personal der Aachener Staatsanwaltschaft Tabelle 35, Anhang, S. 518.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene213

KrWVO, des HG und der RundfunkVO korreliert mit der Gesamtverteilung der Delikte989, sodass eine spezielle deliktsbezogene Sitzungsaktivität nicht zu erkennen ist. Beachtlich ist hingegen die Anzahl erreichter antragsgemäßer Urteile bei Verfahren, die Verstöße gegen die KrWVO zum Gegenstand hatten. So entsprechen 25 Strafanträge Wickmanns in insgesamt 44 Verfahren dem Urteilstenor. Allerdings ist auch an dieser Stelle für die Frage, ob sich dieses Ergebnis als staatsanwaltschaftlicher Erfolg verbuchen lässt, auf den Vergleich von beantragtem Strafmaß und durchschnittlich verhängtem Strafmaß durch das Sondergericht bei KrWVO-Delikten abzustellen. Tabelle 14 Durchschnittliche Höhe beantragter Freiheitsstrafen durch StA Wickmann, aufgeschlüsselt nach Deliktsgruppen990 Deliktsgruppe

Anzahl beantragter Summe beantragter Freiheitsstrafen991 Freiheitsstrafen in Monaten992

Durchschnittswert in Monaten

VVO

33

1.107

33,5

KrWVO

74

  772

10,4

Heimtückegesetz

19

  233

12,3

RundfunkVO

 8

  124

15,5

Hier zeigt sich, dass Wickmann durchschnittlich 2,8 Monate hinter dem vom Sondergericht verhängten Strafmaß zurückblieb, was bestätigt, dass eine hohe Zahl antragsgemäßer Urteile nicht notwendig staatsanwaltschaft989  Einzig bei den sonstigen Delikten teilte sich Wickmann mit 12 Verfahren den dritthöchsten Verfahrensanfall mit StA Dr. Marx, der auf diesem Gebiet die gleiche Sitzungsanzahl für sich verbuchte, siehe Tabelle 35, Anhang, S. 518. 990  Die nachfolgende Darstellung unterscheidet mangels inhaltlichen Erfordernisses und zum Zwecke der Übersichtlichkeit nicht zwischen Gefängnis- und Zuchthausstrafen. Freisprüche, Verfahrenseinstellungen, Geldstrafen, Todesurteile, Strafen nichtiger Urteile aufgrund Nichtigkeitsbeschwerde und außerordentlichem Einspruch sowie Strafen von Verfahren mit unbekanntem Ausgang sind nicht berücksichtigt. Eine personenbezogene Aufschlüsselung nach Gefängnis- und Zuchthausstrafen im Rahmen der jeweiligen Deliktsgruppen befindet sich im Anhang, Tabellen 46–49, S. 536; 537; 538; 539. 991  Die Ermittlung der Anzahl aller verhängten Freiheitsstrafen erfolgte unter Zugrundelegung der Freiheitsstrafen gegen sämtliche Angeklagte. Da einzelne Sondergerichtsverfahren teilweise eine Mehrzahl von Angeklagten beinhalteten, bzw. in einigen Verfahren das Strafmaß nicht ersichtlich war, weicht die nachfolgende Angabe notwendigerweise von der jeweiligen Verfahrensanzahl ab. 992  Die Summierung verhängter Freiheitsstrafen ist nach Monaten aufgeschlüsselt.

214

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

lichen Erfolg zu implizieren vermag993. Das Ergebnis ist umso bemerkenswerter vor dem Hintergrund, dass unter dem gerichtlich verhängten Freiheitsentzug liegende Strafanträge tatsächlich die Ausnahme darstellen, wenngleich bei den KrWVO-Delikten auch der EStA sowie StA Venator hinter dem durchschnittlich verhängten Freiheitsentzug zurückblieben. Auf dem vom Behördenleiter als außergewöhnlich bedeutend bezeichneten Sektor der Kriegswirtschaftsverstöße konterkariert Wickmann daher das Bild, welches die isolierte Betrachtung seiner politischen Aktivität bietet. Auch bei Verstößen gegen die RundfunkVO bleiben Wickmanns Anträge – wenn auch nur mit 0,5 Monaten – hinter den entsprechenden Sondergerichtsentscheidungen zurück994. Andererseits zeigen die Strafmaßvorstellungen von 37,7 Monaten bei VVO-Delikten, die mit 11,1 Monaten beträchtlich über den Vorstellungen des Sondergerichts lagen und nur vom LOStA und dem EStA übertroffen wurden, dass die Tendenz gemäßigter Strafanträge Wickmanns nicht für die ebenfalls sehr politisch konnotierten VVO-Delikte gilt. Im Ergebnis übertrafen dessen Vorstellungen sogar die des „scharfen Staatsanwaltes“995 Dr. Höher, der gerade bei den politisch behafteten Deliktsgruppen mehr als jeder anderer seiner Kollegen als besonders kompromisslos eingeschätzt wurde. Nicht nur im Durchschnitt, sondern auch in Einzelfällen schlägt sich eine „überambitionierte“ Strafmaßvorstellung Wickmanns nieder: Im Verfahren gegen die K., die wegen einer Entwendung von drei Kartons mit Porzellan gemäß § 4 VVO zu einer späteren Zuchthausstrafe von zehn Jahren verurteilt wurde, hatte Wickmann zunächst die Todesstrafe beantragt996, die vom Sondergericht durch entsprechendes Urteil zunächst bestätigt worden war. Erst im Gnadenverfahren wurde die Todesstrafe aufgrund höchstpersönlicher Verfügung Thieracks in eine Zuchthausstrafe umgewandelt – ein Vorgang, der für den Standort Aachen eine Einmaligkeit darstellte und zugleich die Unverhältnismäßigkeit von Tat und Sanktionierung selbst am Maßstab nationalsozialistischer Rechstanwendung offen zutage treten lässt. Vergleicht man das Verfahren der K. mit anderen Verfahren, die wegen Verstößen gegen § 4 VVO geführt wurden, so kann dem Antrag auf Verhängung der Todesstrafe nur eine über das durchschnittliche Maß hinausgehende politische Motivation zugrunde gelegt werden, da diese Forderung unmöglich mit der Entwendung von drei Porzellankartons gerechtfertigt werden kann. Auch wenn das konkrete Motiv in der Retrospektive nicht zu ermitteln ist, so hinterlässt die Tätigkeit Wickmanns gerade 993  Vgl.

994  Ebd.

Tabelle 14, oben, S. 213, mit Tabelle 29, Anhang, S. 513.

995  Stellungnahme Meckers zu StA Höher vom 18.8.1949, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 14 rev. 996  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 205, Bl. 13.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene215

auf dem Sektor der VVO einen Eindruck, welcher sich mit der vom LOStA beschriebenen politischen „inneren Überzeugung“997 Wickmanns deckt998. (7) StA Paul Friedrich Wilhelm Zimmerath999 (a) Tätigkeitsprofil und Parteiaktivität Wilhelm Zimmerath wurde am 16. August 1908 in Aachen geboren. Er legte am 16. April 1931 seine erste juristische Staatsprüfung mit der Beurteilung „ausreichend“ ab, im Oktober 1934 bestand er das zweite Staatsexamen mit der Gesamtnote „befriedigend“1000. Im Mai 1931 hatte er den juristischen Ausbildungsdienst beim Amtsgericht in Geilenkirchen angetreten1001, mit dessen Vollendung er im Jahre 1934 als Gerichtsassessor der Staatsanwaltschaft Aachen zur Einarbeitung in die staatsanwaltschaftlichen Geschäfte überlassen wurde1002. Nach zwischenzeitlicher Hilfstätigkeit bei der Staatsanwaltschaft in Trier1003 wurde Zimmerath im Mai 1939 zum Staatsanwaltsrat ernannt und nahm seine Tätigkeit bei der Aachener Behörde auf1004. Bereits fünf Tage nach Errichtung des Aachener Sondergerichts bestimmte der GStA ihn zum dortigen Anklagevertreter1005. Als solcher arbeitete er fortan unterbrechungsfrei, bis er im März 1944 zur Generalstaatsanwaltschaft nach Prag abgeordnet wurde1006. 997  Dienstliche Beurteilung aus dem Jahre 1943, LAV NRW R, NW Pe 6190, Akte Justizministerium, Bl. 1 lit. g rev. 998  Wickmann hatte zudem die Sitzungsvertretung im einzigen Verfahren inne, in welchem wegen § 1 VVO verhandelt wurde. Auch dieses Verfahren endete mit einem antragsgemäßen Todesurteil. Wenngleich auch dies für den Standort Aachen ebenfalls eine Einzigartigkeit aufgrund des verwirklichten Delikts darstellte, wäre die Heranziehung dieses Einzelfalls für die Darstellung der Tätigkeit Wickmanns nur bedingt geeignet gewesen, da die Forderung der Todesstrafe in diesem Fall evident auf der Weisung des LOStA Führer beruhte, der im Vorfeld sogar ausführte, dass der von ihm in Aussicht genommene Strafantrag der Todesstrafe vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 wegen vorherigen Alkoholgenusses des Angeklagten „nicht berührt werde (!)“, LAV NRW R, NW 174, Akte 199, Band I, Handakte, Bl. 14. 999  LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band I–V. 1000  Ebd., Band II, Bl. nicht angegeben. 1001  Ebd., Band I, Bl. 1. 1002  Ebd., Bl. 4, 5. 1003  Ebd., Bl. 13. 1004  Schreiben des RMJ vom 24.5.1939, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band I, Bl. 20. 1005  Verfügung des GStA aufgrund AV vom 10.2.1941, 3234-Ia-4-6, vom 17.2.1941, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 149. 1006  Verfügung des RMJ vom 22.2.1944, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band I, Bl. 267.

216

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Seine politische Aktivität begann im Zuge der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Zimmerath wurde 1933 Mitglied in der NSDAP, bei welcher er im Jahr 1938 vorübergehend als Helfer des Blockleiters1007 in Trier fungierte. Über einen nicht mehr nachweisbaren Zeitraum war er Politischer Leiter der NSDAP-Ortsgruppe Trier1008. Seit 1933 bestanden Mitgliedschaften im NSRB und in der NSV, sowie seit 1935 im RLB1009. Zwischenzeitlich war er von November 1933 bis Juni 1934 Anwärter bei der SA, bei welcher jedoch eine endgültige Mitgliedschaft ausblieb1010. Grund hierfür war die personelle Reduzierung der SA infolge des „Röhmputsches“, wodurch der Anwärter Zimmerath, nachdem er sich seit Mai 1934 in der Examensvorbereitung befunden hatte, als SA-Anwärter gestrichen worden war1011. Den Nachweis arischer Abstammung erbrachte er mittels entsprechender Urkunden und des obligatorischen Fragebogens1012. Zimmeraths politische Zuverlässigkeit wurde ihm uneingeschränkt bescheinigt. Besonders seine Tätigkeit in dem Verfahren gegen den Ortsgruppenleiter S., welches mit Todesurteil abgeschlossen worden war, konnte seitens des Aachener Behördenleiters zu keiner abweichenden Einschätzung führen: „Er (Zimmerath) zeigte in der Bearbeitung dieser Sache einen geradezu verbissenen Eifer und einen unermüdlichen Fleiß, und er führte die Sache, die das besondere Interesse der Öffentlichkeit hervorgerufen hatte, fast nur in eigener Ermittlungstätigkeit auf der ganzen Linie erfolgreich zum Abschluß. Bei der wochenlangen Dauer der Hauptverhandlung (…) hat er, der das umfangreiche Material bis in die kleinsten Einzelheiten beherrschte, im Hin und Her der Verhandlung wie beim Schlußvortrag infolge seines sachgemäßen und eindrucksvollen Auftretens die Belange der Anklagebehörde in beson1007  Im Rahmen der Entnazifizierung war zunächst umstritten, ob Zimmerath sogar als Blockleiter fungierte. Dieser Schluss ergab sich zunächst aus dem Personalbogen Zimmeraths vom 13.12.1938, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 122, wurde aber im Rahmen der Entnazifizierung widerlegt, siehe eidesstattliche Versicherung Zimmeraths vom 30.12.1946, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band I, Bl. 330 sowie eidesstattliche Versicherung diesbezüglich durch StA Höher und andere Kollegen, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band I, Bl. 335. 1008  Dies geht hervor aus einem Loseblatt, welches sich in einer Verfahrensakte des Sondergerichts befand. Das Loseblatt diente offensichtlich als Notizzettel für die umseitig getätigten handschriftlichen Vermerke zum entsprechenden Verfahren. Die rückseitige maschinell erstellte Information zur Person Zimmeraths hatte dagegen mit dem Verfahren nichts zu tun, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 503, Bl. nicht angegeben. 1009  Personalbogen aus dem Jahr 1944, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 162. 1010  LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 175. 1011  LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band I, Bl. 335. 1012  Ebd., Bl. 264.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene217

ders anzuerkennender Weise wahrgenommen“1013. Auch in übrigen Sondergerichtssachen mit politischem und kriegswirtschaftlichem Einsatz zeigte Zimmerath „eine unbeirrbare gerade Linie“1014. (b) Relevanz der staatsanwaltlichen Tätigkeit vor dem Sondergericht Von sämtlichen Staatsanwälten, die vor dem Sondergericht Aachen agierten, tritt die Person Zimmeraths im Lichte einer Gesamtbetrachtung am auffälligsten in Erscheinung. Dieser Umstand ist zwei Faktoren zuzuschreiben: Mit dem Verfahren gegen den NSDAP-Ortsgruppenleiter Paul S. vertrat Zimmerath das spektakulärste Verfahren, dass vor dem Sondergericht Aachen jemals verhandelt worden war und sogar im Bezirk des OLG-Köln während des Bestands des NS-Regimes nach Einschätzung des seinerzeitigen OLG-Präsidenten in Art und Umfang seinesgleichen suchte1015. Dabei war nicht nur das Verfahren an sich, sondern die durch den Prozess bedingten Konflikte zwischen der Justizverwaltung und der NSDAP am Rande des eigentlichen Verfahrens aussagekräftig für das berufliche Selbstverständnis Zimmeraths1016. Der zweite prägnante Faktor besteht im quantitativen Umfang von Zimmeraths Ermittlungs- und Anklagepraxis. Tabelle 15 Anzahl der Sitzungsvertretungen von StA Zimmerath, aufgeschlüsselt nach Deliktsgruppen und antragsgemäßen Urteilen1017 Deliktsgruppe

Anzahl

Anzahl in %

antragsgemäße Urteile

antragsgemäße Urteile in %

Heimtückegesetz

 32

  17,70 %

13

  16,60 %

KrWVO

 79

  43,90 %

36

  46,20 %

RundfunkVO

 17

  9,40 %

 3

  3,80 % (Fortsetzung nächste Seite)

1013  Dienstliche Beurteilung des LOStA Führer aus dem Jahr 1943, Datum nicht angegeben, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 156 rev. 1014  Dienstliche Beurteilung des LOStA Führer vom 3.3.1944, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 163. 1015  Schreiben des OLG-Präsidenten Bergmann an das RJM vom 31.10.1942, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 149 rev. Zum gesamten Verfahren gegen Paul S. siehe unten S. 411. 1016  Hierzu eingehend unten, S. 415. 1017  Anm.: Sitzungsvertretungen durch Nichtigkeitsbeschwerden oder außerordentlichen Einspruchs aufgehobener Ausgangsurteile werden bei den folgenden Statistiken nicht berücksichtigt.

218

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

(Fortsetzung Tabelle 15) Anzahl

Anzahl in %

antragsgemäße Urteile

antragsgemäße Urteile in %

VVO

 37

  20,60 %

19

  24,40 %

Sonstige

 15

  8,30 %

 7

  9,00 %

Gesamt

180

100,00 %

78

100,00 %

Deliktsgruppe

Zimmerath agierte in insgesamt 180 Fällen als Sitzungsvertreter und verzeichnet hinter StA Höher die zweithöchste bewältigte Verfahrensanzahl. Bei VVO-Delikten und Verstößen gegen die RundfunkVO führte er sogar den größten Anteil der Hauptverhandlungen durch, bei allen übrigen Deliktsgruppen wurde er in der Anzahl nur vom Leiter des Politischen Dezernates übertroffen1018. Ähnlich wie StA Wickmann liegt auch bei Zimmerath auf dem Gebiet der KrWVO eine überdurchschnittlich hohe Kongruenz von Strafantrag und Urteilstenor des Sondergerichts vor. Anders als bei seinem Kollegen stellt sich diese Kongruenz im Lichte eines Vergleiches durchschnittlich beantragter und verhängter Strafhöhen jedoch als Erfolg der Staatsanwaltschaft dar: Während das Sondergericht für Verstöße gegen die KrWVO eine durchschnittliche Freiheitsstrafe von 13,2 Monaten verhängte, forderte Zimmerath im Schnitt 21,7 Monate Freiheitsentzug1019, sodass sich in den getätigten Sitzungsvertretungen wegen Verstößen gegen die KrWVO das Strafmaß in 46,2 % der in Rede stehenden Verfahren tendenziell nachteilig für die Angeklagten auswirkte1020. Auch bei den übrigen Deliktsgruppen lagen die Strafvorstellungen Zimmeraths stets über dem aus den Urteilen resultierenden Durchschnitt des Freiheitsentzugs1021. Entscheidend ist vor diesem Hintergrund, inwieweit die von Zimmerath praktizierte scharfe Anklagetätigkeit unter Berücksichtigung der bereits besprochenen Definition politischer Selbstinstrumentalisierung1022 lediglich Ausfluss einer „preußischen Auffassung von der Staatsräson“1023 gewesen ist oder hierin vielmehr eine „betont nazistische Rechtspflege“1024 zu erblicken war. 1018  Siehe

Tabelle 35 und Abbildung 9, Anhang, S. 518; 519. Tabelle 16, oben, S. 219, mit Tabelle 29, Anhang, S. 513. 1020  Siehe Tabelle 15, oben, S. 217. 1021  Siehe vergleichend Tabelle 16, oben, S.  219, mit Tabelle 29, Anhang, S. 513. 1022  Siehe oben, S. 176. 1023  Bericht des OStA Aachen Dr. R. an den GStA Köln bzgl. der Wiederaufnahme Zimmeraths in den Justizdienst vom 14.9.1949, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 175. 1019  Vgl.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene219 Tabelle 16 Durchschnittliche Höhe beantragter Freiheitsstrafen durch StA Zimmerath, aufgeschlüsselt nach Deliktsgruppen1025 Deliktsgruppe

Anzahl beantragter Summe beantragter Freiheitsstrafen1026 Freiheitsstrafen in Monaten1027

Durchschnittswert in Monaten

VVO

108

3.555

32,9

KrWVO

186

4.026

21,7

Heimtückegesetz

28

  266

 9,5

RundfunkVO

 15

  363

24,2

Folgt man den Einschätzungen des Entnazifizierungs-Revisionsausschusses der Stadt Aachen, so gehörte StA Zimmerath zu den wenigen Persönlichkeiten, „die für die nat. soz. Terrorisierung der Rechtspflege im Aachener Bezirk in besonders starkem Maße verantwortlich“1028 waren. Auch der Nachfolger des Aachener Behördenleiters schildert seine Eindrücke nach Erkundigungen in den Aachener Anwalts- und Beamtenkreisen dahingehend, „daß Zimmerath in gleicher Weise wie Staatsanwalt Dr. Höher vorbehaltlos die Strafrechtspolitik des Dritten Reiches unterstützt hat“1029. Wenngleich 1024  Ebd.,

Bl. 176. nachfolgende Darstellung unterscheidet mangels inhaltlichen Erfordernisses und zum Zwecke der Übersichtlichkeit nicht zwischen Gefängnis- und Zuchthausstrafen. Freisprüche, Verfahrenseinstellungen, Geldstrafen, Todesurteile, Strafen nichtiger Urteile aufgrund Nichtigkeitsbeschwerde und außerordentlichem Einspruch sowie Strafen von Verfahren mit unbekanntem Ausgang sind nicht berücksichtigt. Eine personenbezogene Aufschlüsselung nach Gefängnis- und Zuchthausstrafen im Rahmen der jeweiligen Deliktsgruppen befindet sich im Anhang, Tabellen 46–49, S. 536; 537; 538; 539. 1026  Die Ermittlung der Anzahl aller verhängten Freiheitsstrafen erfolgte unter Zugrundelegung der Freiheitsstrafen gegen sämtliche Angeklagte. Da einzelne Sondergerichtsverfahren teilweise eine Mehrzahl von Angeklagten beinhalteten, bzw. in einigen Verfahren das Strafmaß nicht ersichtlich war, weicht die nachfolgende Angabe notwendigerweise von der jeweiligen Verfahrensanzahl ab. 1027  Die Summierung verhängter Freiheitsstrafen ist nach Monaten aufgeschlüsselt. 1028  Inhaltliche Wiedergabe des Aachener OStA Dr. R. in einem Schreiben an den GStA Köln bzgl. der Wiederaufnahme Zimmeraths in den Justizdienst vom 14.9.1949, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 175, 176. 1029  Bericht des OStA Dr. R. an den GStA Köln bzgl. der Wiederaufnahme Zimmeraths in den Justizdienst vom 14.9.1949, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 176. 1025  Die

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen 35 30 25 20 15 10 5 0

Verhängtes Strafmaß des SG Zimmerath allgemein Zimmerath bei NSDAP Mitgliedern

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Strafmaß in Monaten

220

Deliktsgruppe

Abbildung 2: Diagramm zum Vergleich der beantragten Strafhöhe bezüglich der allgemeinen Angeklagtengruppe gegenüber Mitgliedern der NSDAP und dem durchschnittlich verhängten Strafmaß des Sondergerichts bei der allgemeinen Angeklagtengruppe durch StA Zimmerath

weder OStA Dr. R. noch der Aachener Revisionsausschuss ihre Einschätzungen mit weitergehenden Ausführungen versahen, so ist diese Sichtweise vor dem Hintergrund der bereits gezeigten Synopse von Strafantrag und Urteil durchaus vertretbar, da die scharfe Ahndung von Straftatbeständen insbesondere mit politischem Einschlag dem Willen des nationalsozialistischen Gesetzgebers entsprach. Die wesentliche Untermauerung obiger These folgt jedoch aus einer Gegenüberstellung der Anträge Zimmeraths gegen Parteigenossen und gegen die Gesamtheit aller Angeklagten. Bis auf die Deliktsgruppe der KrWVO blieben die geforderten Strafanträge Zimmeraths bei Parteigenossen deutlich hinter den Straßmaßvorstellungen für die gesamte Angeklagtengruppe1030 zurück: Für Verstöße gegen die VVO ergibt sich zugunsten der NSDAP-Mitglieder eine Reduktion des Strafantrags von durchschnittlich 6,1 Monaten, bei Heimtückedelikten von 2,8 Monaten und bei Verstößen gegen die RundfunkVO von 6,2 Monaten1031. Bei Heimtückedelikten wirkt sich die Reduktion sogar dergestalt aus, dass das durchschnittlich verhängte „milde“ Strafmaß des Sondergerichts nachteiliger für die Delinquenten als der Antrag des Anklagevetreters 1030  Anm.: Bei der Personenengruppe aller Angeklagten wurden die NSDAPMitglieder inkludiert, sodass es sich unabhängig von der politischen Ausrichtung der Angeklagten um die gesamte Personengruppe handelt, gegen die ein Freiheitsentzug verhängt werden sollte und/oder verhängt wurde. 1031  Siehe Tabelle 16, oben, S. 219 und Tabelle 37, Anhang, S. 523.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene221

gewesen ist. Obwohl OStA Dr. R. ausführt, Zimmerath müsse „zugute gehalten werden“, dass er „gegen straffällige Nationalsozialisten, die sich des besonderen Schutzes der Partei erfreuten, mit gleicher Schärfe vorgegangen ist wie gegen Gegner des nationalsozialistischen Systems“1032, lässt sich diese Einschätzung mit Ausnahme des Verfahrens gegen S. sowie der Deliktsgruppe der KrWVO nicht aufrecht erhalten. Eine auf dem Ergebnis der Sanktionspraxis basierende Besserstellung von Parteigenossen, bedingt durch die Verhandlungsaktivität Zimmeraths, lässt sich nicht leugnen und den Standpunkt einer nazistisch orientierten Rechtspflege nachvollziehbar vertreten. Anders als das Entnazifizierungsgremium in Aachen bewertete der Berufungsausschuss für den Stadtkreis Köln in einem Wiederaufnahmeverfahren die Beurteilung durch den Revisionsausschuss Aachen als zu hart. Es verneinte die Frage, ob Zimmerath durch seine Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft Aachen den Nationalsozialismus wesentlich gefördert und gefestigt hat1033. Eine weitergehende argumentative Untermauerung dieser Einschätzung ist auch an dieser Stelle nicht vorhanden. Für diese Einschätzung spricht gleichwohl die Tatsache, dass gerade bei KrWVO-Delikten Mitglieder der NSDAP im Durchschnitt ein schärferes Strafmaß durch den Anklagevertreter zu erwarten hatten als die übrige Angeklagtengruppe1034. Der Aufschlag von durchschnittlich 3,1 Monaten im geforderten Strafmaß erhält zusätzliche Relevanz durch den praktischen Stellenwert der KrWVO, die mit einer Anzahl von 79 verhandelten Fällen – und damit 43,8 % des Verfahrensanfalls von Zimmerath – die mit Abstand höchste praktische Relevanz politischer Delikte für sich verbuchte1035. Insgesamt waren bei den Verhandlungen gegen NSDAP-Mitglieder 22 Personen – und damit 53,6 % aller Parteigenossen, gegen die Zimmerath verhandelte – von dem durchschnittlich schärferen Strafantrag bei KrWVO-Delikten betroffen, während die übrigen begünstigten Deliktsgruppen zusammen nur eine Angeklagtenzahl von 19 Personen umfasste1036. Dies widerlegt jedenfalls die Unterstellung einer kategorischen Besserstellung von Parteigenossen vor dem Sondergericht durch StA Zimmerath, sodass die Einschätzung einer unreflektierten Begünstigung von Parteibuchinhabern alleine aufgrund deren politischer Gesinnung insoweit widerlegt ist. Für die Einschätzung Zimmeraths 1032  Bericht des OStA Dr. R. an den GStA Köln bzgl. der Wiederaufnahme Zimmeraths in den Justizdienst vom 14.9.1949, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 175, 176. 1033  Ebd. 1034  Siehe Abbildung 2, oben, S. 220. 1035  Siehe Tabelle 16, oben, S. 219. 1036  Siehe Tabelle 36, Anhang, S. 520.

222

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

als „Gesetzesfanatiker“1037 mehr denn als „politischer Fanatiker“1038 spricht letztlich dessen Positionierung im Fall S., in welchem Zimmerath bereits im Ermittlungsverfahren gegen eine Verfahrensverschleppung durch die Staatspolizeistelle Aachen zu kämpfen hatte, da diese die zuvor von der Staatsanwaltschaft übersandten Akten zurückbehalten hatte1039. In der Folge entband die Aachener Anklagebehörde die Stapo von ihrer weiteren Ermittlungstätigkeit gegen S., um das von der Staatsanwaltschaft und insbesondere von Zimmerath forcierte Ziel der Verhängung der Todesstrafe verwirklichen zu können1040. Der in der Nachkriegszeit geäußerte Vorwurf, dass ihm die Leistung im Verfahren gegen den NSDAP-Ortsgruppenleiter nicht als herausragend zugute gehalten werden kann, da Zimmerath „selbst als angesehener Nazi im Einvernehmen mit anderen angesehenen Nazis diesen Kampf gegen die Korruption führte, und gerade dieser Kampf eine gute Propaganda für die angeblich innere Sauberkeit der NSDAP darstellen sollte“1041, erweist sich als nicht haltbar: Wenn auch im Ergebnis zwischen allen involvierten Behörden und Parteistellen Einigkeit bezüglich des Vollzugs der Todesstrafe bestand, so ist Zimmerath kein Gehorsam gegenüber den Parteistellen zu unterstellen, da der finalen Einigung eine erhebliche Kontroverse voranging, bei welcher sich insbesondere die Parteizentrale in München sowie die Gauleitung Köln-Aachen gegen die von Zimmerath intendierte Verurteilung des S. stark gemacht hatte. Obwohl der damalige Gauleiter Grohé Zimmerath mehrfach zu sich befohlen hatte, um diesen zu einem Gnadenerweis für S. zu bewegen, hielt Zimmerath an seinem Standpunkt fest1042. Dass er einem vermeintlichen Willen der Partei folgte, um einen von dort inszenierten Schauprozess zu führen, kann daher ausgeschlossen werden. Dass es Zimmerath auch im Übrigen nicht auf eine positive Propaganda für die NSDAP bei der Verfolgung von Straftaten ankam, verdeutlicht das Verfahren gegen Kreisleiter S.1043. In diesem Verfahren widersetzte sich der Staatsanwalt erneut dem Willen des Gauleiters: „Als der Gauleiter in einer Besprechung mit Generalstaatsanwalt Rahmel verlangte, dass das Verfahren zum Zwecke der Rehabilitierung des inzwischen 1037  Bericht des OStA Dr. R. an den GStA Köln bzgl. der Wiederaufnahme Zimmeraths in den Justizdienst vom 14.9.1949, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 176. 1038  Ebd. 1039  Bericht des Behördenleiters Aachen an das RJM von Ende Januar 1941, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 5 rev. 1040  Zum Ganzen siehe unten, S. 415. 1041  Schreiben OStA Heitzer an den GStA vom 6.8.1946, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band I, Bl. 298. 1042  LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band I, Bl. 275 f. 1043  Siehe hierzu unten, ab S. 357.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene223

in den Gaustab versetzten und zum Gauleiter von Köln-Land ernannten Kreisleiters Schubert mangels Nachweises einer strafbaren Handlung eingestellt würde und mir der Wunsch des Gauleiters durch den Ersten Staatsanwalt Arnold in Köln fernmündlich – auch als Wunsch des Generalstaatsanwalts übermittelt wurde, habe ich mich diesem Ansinnen ausdrücklich als mit meinem Gewissen unvereinbar widersetzt und in einer schriftlichen Vorlage an den Oberstaatsanwalt in Aachen gegebenenfalls um meine Enthebung als Sachbearbeiter gebeten“1044. In Konsequenz zur Unbeirrbarkeit Zimmeraths hatte dieser schließlich die Versetzung nach Prag hinzunehmen, da „die Luft im Gau Köln-Aachen“ nach der Einschätzung GStA Rahmels für Zimmeraths berufliches „Fortkommen nicht förderlich sei“1045. Für die Einschätzung, dass Zimmerath politisch motivierte Willkürmaßnahmen durchgeführt oder gefördert hat, bieten sich mithin keine Anhaltspunkte. Im Ergebnis ist Zimmerath insoweit als politisch instrumentalisiert anzusehen, als er sich durch überdurchschnittlich hohe Strafanträge für eine scharfe – und damit der politischen Linie entsprechenden – Umsetzung nationalsozialistischen Rechts einsetzte. Dadurch, dass den in Rede stehenden Deliktsgruppen der VVO, der KrWVO, des HG und der RundfunkVO eine besondere politische Konnotation und ein eigener Unterbau nationalsozialistischer Rechtsideologie immanent war1046, wurde dieses Resultat zusätzlich verstärkt. Entsprechend muss sich Zimmerath vereinzelt bei unverhältnismäßig hohen Strafanträgen objektiv eine Überschreitung der Grenze vom bloßen „Gesetzesfanatiker“1047 hin zu einer „nazistisch orientierten Rechtspflege“1048 gefallen lassen. Dies umso mehr, als bei allen Deliktsgruppen mit Ausnahme der KrWVO Parteigenossen mildere Strafanträge erwartete als die übrigen Angeklagten. Dass die scharfe Strafrechtspflege jedoch nicht auf einer originären politischen Überzeugung Zimmeraths beruhte, sondern vielmehr Ausfluss seines beruflichen Selbstverständnisses einer ehrgeizigen – wenn auch unreflektierten – Umsetzung seiner staatsdienerischen Pflichten war, zeigt die Weigerung Zimmeraths, sich unmittelbaren Einflüssen von Parteistellen auf die Ausübung seiner Aufgabenwahrnehmung zu beugen. Die allenfalls billigend in Kauf genommene Umsetzung 1044  Ebd.; dieser Umstand kann belegt werden durch entsprechende Schriftstücke, die sich in der Handakte des Verfahrens gegen den Kreisleiter S. befinden – Signatur S Js 242/42. Die Akte ist jedoch im Bestand des LAV NRW R nicht mehr vorhanden. 1045  Ebd. 1046  Siehe hierzu eingehend unten, S. 295, 305, 318, 344. 1047  Bericht des OStA Aachen Dr. R. an den GStA Köln bzgl. der Wiederaufnahme Zimmeraths in den Justizdienst vom 14.9.1949, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 176. 1048  Ebd., Bl. 175.

224

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

nationalsozialistischer Rechtspflege durch die teilweise Verstrickung von Staats- und Parteiinteressen bei der Anwendung von „Sonderrecht“1049 fand dort ihre Grenzen, wo die Partei von Zimmerath durch die Anstiftung zur Rechtsbeugung oder Begünstigung einen Bruch mit der Staatstreue von ihm verlangte. Zimmerath war damit Staatsdiener, dessen übertriebener Eifer wenigstens teilweise die Erfüllung politischer Zielvorgaben als notwendige Folge nach sich zog und nicht Diener der NSDAP, der sich den Justizverwaltungsapparat für politische Zwecke zunutze machte. c) Schlussfolgerung Die Gesamtbetrachtung der Tätigkeitsprofile und politischen Aktivität der Aachener Staatsanwälte offenbart, dass alle Sachbearbeiter spätestens mit Aufnahme ihrer Arbeit in Sondergerichtssachen Mitglieder der NSDAP gewesen sind und sich damit jedenfalls formal zur Partei bekannten. Darüber hinaus bestanden bei allen Staatsanwälten zusätzliche Mitgliedschaften in verschieden nationalsozialistischen Untergliederungen wie dem NSRB, dem RLB, der NSV und teilweise der SA. Die politische Betätigung ist gegenüber den fachlichen Leistungen auch als wesentliches Einstellungskriterium zu qualifizieren: So korrelieren die fachlichen Referenzen – gemessen an den Examensleistungen – nicht mit einem entsprechenden Dienstposten innerhalb der Behörde. Umgekehrt liegen die fachlichen Referenzen des LOStA sowie des EStA mit je zwei ausreichenden Examina sogar im untersten relativen Leistungsspektrum. Insbesondere die „Sprungbeförderung“ des LOStA Führer verdeutlicht, dass eine frühe Mitgliedschaft in der NSDAP zur Behördenleitung führen konnte, obwohl dieser infolge seiner vorherigen ausschließlichen Tätigkeit als Rechtsanwalt keinerlei fachliche Vorkenntnisse auf dem Sektor der Justizverwaltung einbringen konnte1050. Bei der personellen Besetzung der Stelle des EStA müssen ebenfalls politische Motive, namentlich die besondere Begeisterung Ackermanns beim Dienst innerhalb der SA sowie der frühe Beitritt in die Partei als primäres Einstellungsmotiv gesehen werden, da dessen sonstige Qualifikationen ihn 1049  Gemeint sind die in die ausschließliche Zuständigkeit des Sondergerichts fallenden Deliktsgruppen, insbesondere die der VVO, KrWVO, des HG sowie der RundfunkVO. Siehe § 13 ZuständigkeitsVO, RGBl. 1940 I, S. 407. 1050  Zur Einstellung als OStA siehe Verfügung des Preußischen Justizministers durch Freisler an LOStA Führer vom 22.7.1933, LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte des OLG Köln, Bl. 35. Zur Betrauung mit der Leitung der Staatsanwaltschaft siehe Dienstliche Beurteilung des GStA Köln, nicht datiert, LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte des OLG Köln, Bl. 63. Am 11.9.1934 wurde LOStA Führer zum OStA vereidigt, LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte des OLG Köln, Bl. 62.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene225 Verhängtes Strafmaß des SG Ackermann

50 40 30

Venator

20

Wickmann

10

Führer

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Höher

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Zimmerath

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Strafmaß in Monaten

60

Deliktsgruppe

Abbildung 3: Diagramm zur durchschnittlichen Höhe verhängter und beantragter Freiheitsstrafen in Monaten, aufgeschlüsselt nach Deliktsgruppen und Staatsanwälten

nicht für eine besondere Stellung prädestinierten. Neben den mäßigen fachlichen Leistungen beanstandete LOStA Führer insbesondere den durch ärztlichen Attest belegten Umstand einer nur bedingten psychischen Belastbarkeit seines EStA1051. Das formale Bekenntnis zur Partei, welches für alle Sachbearbeiter dokumentiert ist, lässt jedoch nicht den undifferenzierten Schluss einer generellen eigeninitiativen politischen Erfüllung staatsanwaltschaftlicher Aufgaben zu. Dies zeigen bereits die parteikritischen Äußerungen des Behördenleiters innerhalb der politischen Lageberichte, obwohl dieser seine Funktion maßgeblich seiner frühen Mitgliedschaft in der NSDAP zu verdanken hatte1052. Hierdurch bestätigt sich die obige These, dass für die Beurteilung einer politischen Selbstinstrumentalisierung zwischen bloß formaler Parteimitgliedschaft und konkreter Aufgabenumsetzung zu abstrahieren ist und beide Umstände nicht notwendigerweise positiv miteinander korrelieren. Vielmehr setzt sich eine Beurteilung politischer Selbstinstrumentalisierung aus der Gesamtbetrachtung unterschiedlicher Einzelfaktoren wie Dokumenten von Entnazifizierungsverfahren, besonderen Einzelverfahren sowie Verfahrensstatistiken zusammen. Hierdurch ergibt sich ein differenziertes Bild der Selbstinstrumentalisierung der Aachener Anklagebehörde. Dabei existieren für die beiden leitenden Akteure besondere Merkmale. 1051  Dienstliche Beurteilung des LOStA Führer vom 28.1.1939, LAV NRW R, NW Pe 3631, Akte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 1052  Siehe oben, S. 179.

226

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Zunächst ist festzustellen, dass sich die getätigten Sitzungsvertretungen des LOStA und EStA quantitativ auf ein Minimum reduzieren, wodurch sich auch deren unmittelbarer Einfluss auf die Urteilspraxis des Sondergerichts in Grenzen hielt. Dieser Umstand ist mit den zusätzlichen verwaltungsspezifischen Aufgaben zu erklären, mit welchen beide qua Dienststellung betraut waren1053. Der reduzierte persönliche Einfluss innerhalb der Hauptverhandlung und die hierdurch bedingte geringere direkte Außenwirkung wird jedoch relativiert durch die von beiden propagierten, überdurchschnittlich hohen Strafmaßforderungen sowie durch das grundsätzliche Weisungsrecht des LOStA Führer bezüglich sämtlicher Strafanträge. Insbesondere bei Verfahren gegen „Volksschädlinge“ setzen sich beide mit durchschnittlichen Strafmaßvorstellungen von 48 Monaten und 52,5 Monaten nicht nur deutlich vom verhängten Strafmaß des Sondergerichts, sondern auch vom übrigen Kollegium ab1054. Durch die seltenen, aber hervorzuhebenden Auftritte beider Akteure im Prozess kommt den geforderten Strafanträgen bei VVO-Delikten wegweisender Symbolcharakter zu, der die übrigen Sachbearbeiter auf den gewollten kompromisslosen Sanktionierungswillen einschwören und dem Sondergericht die Intention harten Durchgreifens vermitteln sollte. Hiermit leisteten beide einer herausgehobenen Umsetzung nationalsozialistisch orientierter Strafrechtspflege Vorschub und trugen insoweit maßgeblich zu einer Selbstinstrumentalisierung der Aachener Anklagebehörde bei. Ein weiterer Faktor zur Förderung der Instrumentalisierung besteht in der scharf praktizierten Urteilskritik des LOStA, die insbesondere in Fällen vorgeschlagener Einlegung außerordentlicher Rechtsmittel wie der Nichtigkeitsbeschwerde und des außerordentlichen Einspruchs konkludent ein schärferes und damit regimetreueres Urteil intendierte1055. Die Sachbearbeiter Zimmerath und Höher, die den größten Verfahrensanfall in Form von Sitzungsvertretungen bewältigten, liegen mit ihren Strafmaßforderungen ebenfalls relativ konstant über dem Durchschnitt des verhängten Strafmaßes. Die auf dem Gebiet der KrWVO von beiden erzielte überdurchschnittlich hohe Anzahl antragsgemäßer Urteile zeigt, dass sich die Sitzungserfahrung vorteilhaft für die Erzielung von Urteilen auswirkte, die auch dem Willen der Anklagebehörde entsprachen1056. Bei Verstößen gegen die VVO 1053  § 13 der Verordnung zur einheitlichen Regelung der Gerichtsverfassung vom 20. März 1935: „Die Präsidenten der Gerichte, die aufsichtsführenden Amtsrichter, der ORA, die Leiter der Staatsanwaltschaften und die Vorsteher der Gefangenenanstalten haben nach näherer Anordnung des Reichsministers der Justiz die ihnen zugewiesenen Geschäfte der Justizverwaltung zu erledigen.“, RGBl. 1935 I, S. 405. 1054  Siehe Tabellen 5 und 7, oben, S. 184, 192. 1055  Siehe zu außerordentlichem Einspruch und Nichtigkeitsbeschwerde nochmals oben, S. 97, 110. 1056  Siehe Tabelle 30, Anhang, S. 514 sowie Tabelle 16, oben, S. 219.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene227

und die RundfunkVO manifestiert sich ein gesteigerter Ehrgeiz Höhers und Zimmeraths, eine scharfe Sanktionslinie durch individuelle Fertigkeiten umzusetzen. Die Ausmaße der Strafanträge von StA Venator und Marx, die quantitativ den geringsten Teil des prozessualen Geschäftsanfalls erledigten, halten sich durchschnittlich in engeren Grenzen1057. Unter Zugrundelegung des erweiterten restriktiven Begriffes politischer Selbstinstrumentalisierung bleibt damit festzuhalten1058, dass insbesondere der LOStA, der EStA sowie StA Höher und Zimmerath aufgrund ihrer Dienststellung bzw. ihrer praktischen Fähigkeiten in der Hauptverhandlung deliktsgruppenspezifisch eine politische Selbstinstrumentalisierung der Staatsanwaltschaft Aachen durch die konkreten Strafanträge förderten. Das von StA Marx geführte Verfahren gegen K., in welchem der im Übrigen weniger auffällige Sachbearbeiter abweichend von der Anklageschrift die Todesstrafe forderte, zeigt jedoch auf der Kehrseite, dass geäußerte Strafanträge der Sitzungsvertreter, insbesondere in Fällen von herausgehobener Bedeutung, mit dem Behördenleiter oder mit den vorgesetzten Dienstbehörden abgestimmt wurden und sich daher im Strafantrag nicht notwendig die individuelle geistige Haltung des jeweiligen Anklagevertreters verwirklichte. Für die Beurteilung der objektiv vorliegenden politischen Selbstinstrumentalisierung im beschriebenen Umfang kann die subjektive Motivation der einzelnen Sachbearbeiter bei der Durchführung zwar dahinstehen, Relevanz entfaltet die persönliche Motivation jedoch für die Beantwortung der Frage, in welchen Grenzen sich eine politische Selbstinstrumentalisierung und eine Bereitschaft hierzu vollzog. Diese beschränkt sich in Aachen auf extensive Strafmaßvorstellungen, Anregungen zu Urteilskorrekturen sowie Umsetzungen von Weisungen aus der Sphäre der Justizverwaltung. Hingegen instrumentalisierte sich die Aachener Anklagebehörde nicht im rein restriktiven Sinne durch die Umsetzung von direkten Wünschen der Gauleitung oder ihr nachgeordneter Stellen. Ebenso finden sich keine Anhaltspunkte, die auf eine Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft hindeuten, die Ausfluss einer reinen politischen Überzeugung war. Die Staatsanwaltschaft agierte damit in dem behördlichen Bewusstsein, die staatlichen Interessen der Strafrechtspflege umzusetzen. Durch diese nicht reflektierende und blinde Umsetzung überschritt man durch unkritischen Gehorsam und übertriebenen Arbeitseifer bisweilen die Schwelle staatlicher Interessen hin zu einer „betont nazistischen Rechts­ pflege“1059 und instrumentalisierte sich insoweit selbst. Die Bereitschaft zur 1057  Siehe

Tabellen 10 und 12, oben, S. 204, 208. Auseinandersetzung mit der Begriffsdefinition der „erweiterten restriktiven Auslegung“ siehe nochmals oben, S. 177. 1059  Bericht des OStA Dr. R. an den GStA Köln bzgl. der Wiederaufnahme Zimmeraths in den Justizdienst vom 14.9.1949, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 176. 1058  Zur

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Selbstinstrumentalisierung wurde aber dort verweigert, wo sich eine offene Kollision von Staats- und Parteiinteressen anbahnte und von der Staatsanwaltschaft rechtswidrige Handlungen gefordert wurden, was sich am Beispiel des Verfahrens gegen den Ortsgruppenleiter S. eindrucksvoll zeigt. Auch der Vergleich zwischen Verfahren gegen NSDAP-Mitglieder und Verfahren gegen sonstige Personengruppen belegt, dass keiner der Aachener Sachbearbeiter einer kategorischen Begünstigung von Parteimitgliedern im Strafprozess Vorschub leistete1060. Die Einschätzung des späteren Aachener Behördenleiters Dr. R. über StA Höher, dieser habe seine Aufgabe darin gesehen, „die Gesetze restlos zur Durchführung und Geltung zu bringen“, sich „für Wortlaut und Inhalt der Gesetze (…) nicht verantwortlich“ gefühlt und sich „nur als ausführendes Organ“1061 betrachtet, lässt sich im Ergebnis auf die Arbeitsweise aller Akteure und das vermittelte behördliche Selbstverständnis der Staatsanwaltschaft Aachen übertragen. Im Ergebnis hält sich die politische Selbstinstrumentalisierung in den – wenn auch weiten – Grenzen formaler Rechtmäßigkeit. Zu einem Bruch mit geltendem Recht zugunsten politischer Interessen im engen Sinne ließ sich die Staatsanwaltschaft Aachen dagegen nicht hinreißen. 3. Schlussfolgerung Durch die Einführung des BBG im April 1933 wurde binnen kürzester Zeit die Ausgliederung aller „nicht-arischen“ Beamten aus dem Verwaltungsapparat erreicht. Die verbliebene Personengruppe, welche unter den Ausnahmetatbestand der „Frontprivilegierten“ fiel, wurde zunächst auf Veranlassung Hindenburgs auf ihren Dienstposten belassen. Mit Umsetzung der Ersten VO des RBG wurde das BBG jedoch von einer weiteren Normierung flankiert, welche zur Ausscheidung auch des verbliebenen, betroffenen Personalbestands führte. Der gesamte Prozess personeller Rationalisierung beschränkte sich auf einen Zeitraum von etwa zweieinhalb Jahren. Reichsweit wurden 1.704 Personen jüdischen Glaubens aus der Justizverwaltung entfernt1062, im Oberlandesgerichtsbezirk Köln wurden 22 jüdische Richter und Staatsanwälte entlassen1063. Die Aachener Staatsanwälte beim Sondergericht blieben von der personellen „Reinigung“ hingegen verschont, da die bis 1935 vor Ort tätigen sowie die nach 1935 dort angestellten Staatsanwälte 1060  Ebd.

1061  Stellungnahme des OStA M. über StA Höher im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens vom 18.8.1949, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 14 rev. 1062  Lorenzen, Juden und Justiz, S. 182. 1063  Angaben des GStA vom 13.10.1936, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 80, Bl. 5.



III. Die Personalpflege auf Reichsebene229

ausnahmslos den erforderlichen Nachweis arischer Abstammung erbringen konnten. Innerhalb der Justizverwaltung sind die Staatsanwaltschaften das wesentliche Organ zur Umsetzung einer Strafrechtspflege im „nationalsozialistischen Geiste“ gewesen. Als solche waren sie besonders betroffen von der gelegentlichen Kollision zwischen Staatstreue und Parteitreue, die sich im 1937 normierten DBG niederschlug. Die erhöhte Einflussnahme von Parteiseite auf die Beamten der Staatsanwaltschaft, um einen größeren Einfluss auf die Lenkung der Strafjustiz ausüben zu können, sollte über entsprechende gesetzliche Ausformungen wie der Amtsverschwiegenheit sowie der Gehorsamspflicht realisiert werden. Diese blieben in der Praxis jedoch aus. Vielmehr regelte das DBG zugunsten der Staatsverwaltung, dass auch bei parteiabträglichen Verdachtsmomenten eine Meldung grundsätzlich innerhalb des behördlichen Dienstweges zu erfolgen hatte, um die Autorität des Dienstvorgesetzten nicht zu verwässern1064. Ihr eigentliches Machtpotential entfaltete die Partei hingegen auf dem Gebiet der Personalauswahl: So waren bis 1940 Gauleiter sowie StdF, ab Oktober 1940 nur noch Letzterer, bei Beamtenernennungen sowie Beförderungen regelmäßig zu involvieren1065. Die Beleumunden der NSDAP-Kreisleitungen und Gauleitungen für die in Aachen tätigen Staatsanwälte fielen – bis auf die Ausnahme Dr. Höhers – unproblematisch zugunsten der Sachbearbeiter aus. Bei Höher gestaltete sich die Unbedenklichkeitsbescheinigung aller Wahrscheinlichkeit nach aufgrund seiner vormaligen Mitgliedschaft in der DNVP als langwieriger. Jedoch wurde auch ihm schließlich die politische Zuverlässigkeit bescheinigt1066. Welcher Stellenwert dem Mitspracherecht der NSDAP bei der Einstellung und Beförderung von Beamten zukam, zeigt sich bei LOStA Führer sowie EStA Ackermann, bei deren Dienstpostenvergabe die politischen Gesichtspunkte gegenüber den fachlichen hervorstachen. Prägnantestes Beispiel des parteilichen Einflusses auf den personellen Auswahlprozess zuungusten eines Staatsanwaltes stellt die Versetzung Zimmeraths nach Prag dar, die von dem damaligen Gauleiter Grohé inszeniert worden war und von GStA Rahmel in der Folge umgesetzt wurde1067. Die Versetzung Zimmeraths – Ausfluss der Kollision staatlicher Pflichtenerfüllung mit den Interessen der regionalen NSDAP-Leitung – liefert für den Standort Aachen den konkreten Beweis der Unvereinbarkeit von Staats- und Parteitreue. 1064  § 42

DBG vom 27.1.1937, RGBl. 1937 I, S. 47. Verordnung zur Durchführung des Deutschen Beamtengesetzes vom 29. Juni 1937, RGBl. 1937 I, S. 672. 1066  Zustimmung der NSDAP durch den Stellvertreter des Führers vom 29.12.1937, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 58. 1067  LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band I, Bl. 275, sowie Versetzungsverfügung durch den GStA vom 23.2.1944, ebd., Bl. 335. 1065  § 26

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Die Mitgliedschaft in der NSDAP war für alle Staatsanwälte, die eine Aufnahme ihrer Tätigkeit ab dem Jahr 1939 anstrebten, verpflichtend1068. Für alle vor diesem Stichtag eingestellten Staatsanwälte blieb dieses Kriterium formal zwar fakultativ. Tatsächlich war jedoch bereits die JAO aus dem Jahre 1934 mit dem Kriterium versehen worden, dass der Rechtskandidat der ersten juristischen Staatsprüfung durch „Bescheinigungen geeigneter Stellen“ den Nachweis zu erbringen hatte, wie er „die Verbundenheit mit anderen Volksgruppen gepflegt hat“1069. Im Übrigen waren im Rahmen von Dienstbeurteilungen des vorgesetzten Behördenleiters in einer eigens hierfür vorgesehenen Rubrik Stellungnahmen zur politischen Zuverlässigkeit abzugeben. Eine mangelnde Mitgliedschaft in der NSDAP verursachte Zweifel an einer Zuverlässigkeit und konnte sich nachteilig für die betreffende Person auswirken, sodass auch für den Personenkreis der vor 1939 tätig gewordenen Staatsanwälte die Mitgliedschaft keinesfalls zur freien Disposition stand. Dementsprechend waren sämtliche Sachbearbeiter der Aachener Anklagebehörde Mitglied in der NSDAP sowie in verschiedenen Untergliederungen. Somit setzten sich die dargestellten personellen Reformmaximen auf Reichsebene sämtlich am Standort Aachen fort. Jedoch lässt sich alleine aus der Feststellung dieser Kontinuität für die Staatsanwaltschaft Aachen kein verallgemeinernder Schluss als politisch instrumentalisierte Behörde ziehen. Für diese Einschätzung ist vielmehr auf die konkrete Tätigkeitswahrnehmung der Aachener Staatsanwälte abzustellen. Diese ergibt ein differenziertes Bild einer politischen Instrumentalisierung bzw. Selbstinstrumentalisierung unter Zugrundelegung des erweiterten restriktiven Begriffs. Neben der Anregung besonderer Rechtsmittel wie der Nichtigkeitsbeschwerde und dem außerordentlichen Einspruch1070, die auf originäre Initiative des Behördenleiters vollzogen wurden, bewahrheitet sich eine politische Selbstinstrumentalisierung vor allem in der extensiven Anwendung der nationalsozialistisch konnotierten Sonderstraftatbestände der VVO, der KrWVO, des HG sowie der RundfunkVO. Die extensive Anwendung manifestiert sich nach außen durch auffällig hohe Strafanträge innerhalb der verschiedenen Deliktsgruppen. Der Vergleich der Höhe der Strafanträge untereinander sowie zum Durchschnitt des tatsächlich verhängten Strafmaßes zeigt, dass insbesondere die beiden quantitativ aktivsten Staatsanwälte Höher und Zimmerath sowie der Behördenleiter und sein Stellvertreter mit ihren Strafmaßvorstellungen zuungusten der Angeklagten hervorstachen, was den Schluss einer politi1068  § 2 der Verordnung über die Vorbildung und die Laufbahnen der deutschen Beamten vom 28.2.1939, RGBl. 1939 I, S. 371. 1069  § 2 Abs. 3 Juristenausbildungsordnung vom 22.7.1934, RGBl. 1934 I, S. 727. 1070  Siehe oben, S. 97, 110.



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 231

schen Selbstinstrumentalisierung insoweit zulässt1071. Umgekehrt hatte eine solche dort ihre Grenzen, wo direkte Kollisionen von Staatsinteressen und Parteiinteressen bestanden. So zeigt insbesondere der Fall Paul S., dass die Staatsanwaltschaft weitestgehend resistent gegenüber politisch motivierten Anliegen war, die aus der Sphäre der NSDAP herrührten1072. Auch eine kategorische Begünstigung von NSDAP-Mitgliedern im Strafprozess wurde unter Befolgung dieser Prämisse nicht gefördert. Damit stellt sich die Staatsanwaltschaft Aachen als Behörde dar, die sich durch unkritische Umsetzung nationalsozialistischen Rechts sowie Befolgung behördlicher Weisungen politisch lenken ließ. Durch teils übertriebene Strafmaßvorstellungen trieb sie die eigene politische Selbstinstrumentalisierung von innen heraus voran, ohne sich jedoch umgekehrt als direkter Handlanger politischer Stellen missbrauchen zu lassen.

IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen – Akteure und Lenkungsinstrumente Neben der politischen Selbstinstrumentalisierung war die „Lenkung der Rechtspflege“1073 durch externe Stellen die zweite wesentliche Komponente, politische Einflüsse des Regimes im Rahmen des Strafprozesses zu gewährleisten. Thierack selbst sprach von einer vom Justizministerium ausgehenden „einheitlichen Führung und Lenkung der Rechtspflege“1074. Für das NS-Regime war die Kontrolle über den Justizapparat zur Verwirklichung eines absoluten Führerstaates von ausnehmender Wichtigkeit, da eine unabhängige Justizverwaltung, Rechtspflege und Rechtsprechung einen Mangel an Kontrollierbarkeit und eine damit verbundene erhebliche Gefährdung für das Regime mit sich gebracht hätte. Konsequenterweise hätte der gesamte Justizsektor – gemessen am organisatorischen Staatsaufbau des Dritten Reiches – einer direkten politischen Leitung unterstellt und die Rechtsprechung derart reformiert werden müssen, dass zwischen politischer Führung und Richterschaft ein Subordinationsverhältnis geschaffen worden wäre, bei dem jeder 1071  Siehe

Abbildung 3, oben, S. 225. oben, S. 216, sowie unten, S. 415. Dieses Ergebnis lässt sich auch mit Blick auf das Verfahren gegen Kreisleiter S. aufrechterhalten, da hier die Gesamtumstände eine Einflussnahme des GStA auf die Staatsanwaltschaft indizieren, der ein ausdrückliches Interesse an der Verfahrenseinstellung kommunizierte, siehe S. 357. 1073  Der Begriff wird von Thierack in Bezug auf die Herausgabe von Richterund Rechtsanwaltsbriefen verwendet, RV des RJM vom 11.3.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 42, Bl. 10. 1074  Ebd. 1072  Siehe

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Richter gegenüber dem Ministerium in einer Weisungsabhängigkeit gestanden hätte1075. Der Umstand, dass sich die Mehrheit des richterlichen Personals primär geltendem Recht, und nur sekundär ideologischen Gesichtspunkten verpflichtet fühlte, rechtfertigte solche Überlegungen zusätzlich1076. Hitler hatte sich mit derart drastischen Umstrukturierungen tatsächlich auseinandergesetzt, indem er die Richterschaft bis auf einen Anteil von zehn Prozent aus der Justizverwaltung entfernen wollte1077. Gegen die Umsetzung dieser Überlegungen sprach jedoch ein weiter bestehendes Vertrauen der Bevölkerung und auch einer breiten Masse an Parteimitgliedern in eine unabhängige Justiz und die Grundpfeiler der Rechtsstaatlichkeit1078. Eine offenkundige und direkte Abkehr von grundsätzlichen judikativen Errungenschaften hätte zu nicht kalkulierbaren Irritationen in der Bevölkerung und zu kritischen Auseinandersetzungen auch innerhalb der Parteiriege geführt1079. Aus diesem Grunde hielt man formal an einer justiziellen Unabhängigkeit insbesondere der Richterschaft fest. Ein zweiter Grund zur Beibehaltung einer „unabhängigen“ Justiz lag in dem Umstand begründet, dass eine Relativierung der richterlichen Freiheit durch die Verzahnung vorhandener Mechanismen mit weniger aufsehenerregenden Neuerungen auf indirektem Wege ohne einen offenkundigen Rechtsbruch erreicht werden konnte: über den Weg einer Einflussnahme auf die Staatsanwaltschaft. Die Anklagebehörde befand sich gegenüber dem RJM gemäß §§ 146, 147 GVG bereits in einem Verhältnis der Weisungsabhängigkeit, da dem Ministerium die Dienstaufsicht und die Leitung über die Staatsanwaltschaft oblag. Folglich stand es dem RJM grundsätzlich zu, die Anklagebehörde bezüglich weiterer prozessualer Handlungen und deren Modalitäten, insbesondere im Hinblick auf die Frage des Erfordernisses einer Anklageerhebung oder bezüglich Strafzumessungen in Einzelfällen, zu instruieren. Durch die – abstrakt unbedenkliche – Korrespondenz zwischen Staatsanwälten und Richtern, die später als „Fühlungnahmen“ Verbindlichkeitscharakter entfalten sollten, erlangten die „unabhängigen“ Richter von ministeriellen Vorstellungen zu Gesetzesauslegung, -anwendung und Strafzumessungswünschen Kenntnis1080. Auch wenn dieser 1075  Stirken, 1076  Ebd.

1077  Rüthers,

Justizalltag, S. 41.

Betriebsverfassung, S. 106. Justizalltag, S. 41. 1079  Dies belegt die Reaktion der rheinländischen Bevölkerung auf die Rede Hitlers vom 26.4.1942. GStA Osterkamp berichtet bezüglich der Reaktionen in der Bevölkerung, dass die Rede „von den Volksgenossen vielfach als die Ankündigung einer Zeit der weisungsgebunden Rechtsprechung gewertet“ wurde, Politischer Lage­bericht des GStA an den RMJ vom 30.5.1942, LAV NRW R, NW 21, Akte 239, Bl. 77. 1080  Zu sonstigen ministeriellen Steuerungsmechanismen der Rechtsprechung durch Einwirkung auf die Richterschaft sind insbesondere die sogenannten Richter1078  Stirken,



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 233

Verwaltungsusus die Entscheidungsfreiheit des Richters formal nicht tangierte, hatte die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, bei nicht wunschgemäßen rechtsprechenden Abweichungen von der ministeriellen Haltung Bericht hierüber zu erstatten. Bei fortwährenden Unstimmigkeiten zwischen Anklage- und Rechtsprechungsorgan konnte dies zu ministerieller Korrespondenz mit den LGP führen, die sich für die Spruchpraxis der Richter zu rechtfertigen hatten, wodurch jedenfalls eine indirekte Drucksituation hervorgerufen wurde, sich ministeriellen Wünschen anzupassen. Zudem hatte die Richterschaft Kenntnis über die der Staatsanwaltschaft zur Verfügung stehenden Mittel, im Falle von eklatanten Abweichungen in der Rechtsfindung nachträgliche „Urteilskorrekturen“ mittels der Nichtigkeitsbeschwerde oder außerordentlichen Einspruchs vornehmen zu lassen, was die Motivation zu einer freien, nur dem Gewissen unterliegenden Rechtsprechung zusätzlich senkte1081. Spätestens ab April 1942 wurde die indirekte Einflussnahme auf Strafverfahren durch die Staatsanwaltschaft von dem „schwersten Eingriff“ in die richterliche Unabhängigkeit flankiert, indem Hitler bei nicht gewünschter Pflichtenerfüllung jeden Richter seines Amtes entheben konnte1082. Die folgende Darstellung soll einen Überblick über die wesentlichen Lenkungsinstrumente und deren Effektivität geben, derer sich die vorgesetzten Dienstbehörden bedienten, um die Staatsanwaltschaft zu instrumentalisieren. Hierbei soll geklärt werden, welche Bindungswirkung die Lekungsinstrumente abstrakt und – gemessen am Beispiel Aachens – konkret entfalteten. Für die Frage nach der Bindungswirkung ist dabei wesentlich auf die Umsetzung ministeriellen Willens durch die lokale Anklagebehörde abzubriefe, die von Thierack installierten Vor- und Nachschauen, sowie Urteilskritiken anderer Stellen zu zählen. Zur Wirkung der Richterbriefe äußerte sich der seinerzeitige Präsident des OLG-Köln wie folgt: „Die Richterbriefe erfreuen sich ganz allgemein grosser Beliebtheit. Sie werden von den Richtern mit grösstem Interesse gelesen und als eine außerordentlich willkommene Verbindung zwischen Staatsführung und Rechtsprechung begrüsst. Die Stellungnahme des Ministeriums wird fast durchweg gebilligt. Es ist jedenfalls festzustellen, dass durch die Richterbriefe eine Lenkung der Rechtspflege möglich ist, ohne dass diese für den Einzelfall als Weisung empfunden wird“, Bericht des OLG-Präsidenten Köln an das RJM vom 1.4.1944, BA, Signatur R 3001, Nr. 23374. Auf eine eingehende Darstellung dieser Mechanismen wird aufgrund mangelnder aktiver Involvierung der Staatsanwaltschaft verzichtet. Weiterführend zu den o. g. Mechanismen Boberach, Richterbriefe; Köckritz, Oberlandesgerichtspräsidenten, S. 22 sowie Gruchmann, Justiz, S. 658. 1081  Siehe zum außerordentlichen Einspruch und zur Nichtigkeitsbeschwerde nochmals oben, S. 97, 110. 1082  Beschluss des Großdeutschen Reichtags vom 26.4.1942, RGBl. 1942 I, S. 247. Zur zitierten Wertung als „schwerster Eingriff“ siehe Schorn, Gesetzgebung, S. 69. Jedoch hatte es bereits vor dem Beschluss des Reichstages, der Hitler zum obersten Gerichtsherrn machte, punktuell verstärkte Entlassungen gegeben, siehe exemplarisch Kregel, Personalpolitik, in: Recht und Justiz, S. 235.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

stellen1083. Darüber hinaus werden die Akteure der jeweiligen Dienstaufsichtsbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen, RJM und die Generalstaatsanwaltschaft Köln, vorgestellt. Anhand ihrer Darstellung soll geklärt werden, welche individuellen Einflüsse die jeweiligen Persönlichkeiten auf eine Lenkung der Staatsanwaltschaft Aachen entfalteten und welche Rolle ihnen konkret für die Arbeitspraxis der Aachener Anklagebehörde zukommt. 1. Die oberste Justizbehörde: Das Reichsjustizministerium in Berlin a) Behördlicher Aufbau und sachliche Zuständigkeit Ebenso wie der Entwicklungsprozess der obersten Justizbehörde vom Reichs- und Preußischen Justizministerium zum RJM durch den Abschluss der Verreichlichung der Justiz am 1. April 19351084 war auch die Organisationsstruktur des Justizministeriums kein statisches Gebilde, sondern veränderte sich zunächst mit der Verreichlichung sowie mit Beginn des Krieges und der Übernahme der Behörde durch RMJ Thierack im August 1942. Im April 1941, zwei Monate nach Errichtung des Sondergerichts in Aachen und der staatsanwaltschaftlichen Arbeitsaufnahme, gliederte sich sich das RJM in einen vierstufigen Vertikalaufbau1085. Das Ministeramt, mit dessen kommissarischer Geschäftsführung nach dem Tod Gürtners im Januar des gleichen Jahres StS Dr. Franz Schlegelberger betraut worden war, stellte den höchsten Dienstposten dar1086. Dem Minister unterstanden zwei Staatssekretäre, StS Freisler und UStS Hueber, deren Geschäftsbereiche sich in unterschiedlichem Umfang und inhaltlichem Schwerpunkt auf die nachgeordneten sieben Abteilungen erstreckten1087. Die Abteilungen unterteilten sich ihrerseits in insgesamt 127 Referate, die mit individuellen Arbeitsgebieten betraut waren1088. 1083  Soweit es die Frage betrifft, mit welchem Erfolg die Lenkungsinstrumente im Ergebnis angewendet wurden, ist die Umsetzung durch die Staatsanwaltschaft der Rechtsprechung des Sondergerichts Aachen gegenüberzustellen. Siehe diesbezüglich für die wesentlichen Deliktsgruppen eingehend unten, S. 305, 315, 343, 354. 1084  Zum Prozess der Verreichlichung des RJM siehe Gruchmann, Justiz, S. 117– 123. 1085  Da für die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen alleine die Behördenstruktur seit ihrer Arbeitsaufnahme relevant ist, wird an dieser Stelle auf eine Darstellung der strukturellen Entwicklung seit der Machtergreifung verzichtet. 1086  Eine veranschaulichende Übersicht zur vertikalen Behördenstruktur des RJM mit Stand von April 1941 findet sich im Anhang, Tabelle 38, S. 524. 1087  Ebd. 1088  Ebd.



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 235

Sachlich deckte das Ministerium Öffentliches Recht, Bürgerliches Recht, Strafrecht sowie die jeweiligen Teilrechtsgebiete vollumfänglich ab. Die faktische Tätigkeit bestand in der Wahrnehmung von Personal- und Organisationssachen der eigenen Behörde sowie sämtlicher nachgeordneter Instanzen und Behörden in den Oberlandesgerichtsbezirken, der bürgerlichen Rechtspflege, zivilrechtlicher Einzelsachen, Haushaltssachen und der Juristenausbildung. Zu einem wesentlichen Teil widmete sich die Personalabteilung den Staatsanwaltschaften: Zum Zeitpunkt der Verreichlichung unterstanden dem RJM neben Reichsgericht, Volksgerichtshof und Reichspatentamt insgesamt 2.576 Gerichte und Staatsanwaltschaften sowie 177 Vollzugsanstalten, 90.000 Beamte, Angestellte und Arbeiter1089. Daneben waren zwei der insgesamt sieben Abteilungen alleine dem Strafrecht vorbehalten. Abteilung II deckte dabei die gesamte Strafgesetzgebung auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts, des Strafprozessrechts, des Strafvollzugs, der strafrechtlichen Nebengesetze, der Gerichtsverfassung, des Gnadenrechts, des Militärstrafrechts und des Jugendstrafrechts ab. Auch die Gesetzgebung für annektierte und eingegliederte Gebiete wie Österreich, Elsaß, Lothringen, die besetzten niederländischen Gebiete, Belgien, sowie die Ostgebiete unterlag der ausschließlichen Zuständigkeit dieser Abteilung. Aufgrund ihrer abstrakten Gesetzgebungstätigkeit entfaltete Abteilung II Bedeutung für die Staatsanwaltschaften insoweit, als das dort konzipierte Strafrecht bei der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit zur Anwendung kam. Die konkreten Anwendungsmodalitäten formellen und materiellen Strafrechts, mithin die Frage konkreter Umsetzung im Einzelfall, oblag dagegen Abteilung III. Die von MinDir Dr. Crohne geleitete Strafrechtspflegeabteilung gliederte sich – in Ausnahme zu allen übrigen Abteilungen – zunächst in acht dem Abteilungsleiter unmittelbar unterstellte Referate sowie vier weitere Unterabteilungen1090. Neben der allgemeinen Zuständigkeit des Generalreferates für Angelegenheiten des materiellen Strafrechts, Strafverfahrensrechts, der Strafvollstreckung sowie des Gnadenwesens bearbeiteten die Referate Hochverratssachen, Landesverratssachen, Strafsachen wegen Wehrmittelbeschädigung1091 und Todesurteilssachen. Zudem waren eigene Referate eingerichtet worden, die mit der Verbindungsführung zur SA und der Sichtung und Beurteilung geschichtlich bedeutsamer Akten betraut waren. Den für die Staatsanwaltschaft Aachen bedeutsamsten Anlaufpunkt stellte Referat Fünf dar. Das von OStA Joel geleitete „Sonderreferat“1092 1089  Gruchmann,

Justiz, S. 117. zur jeweiligen Zuständigkeit der acht unmittelbar unterstellten Referate sowie zur Zuständigkeit der Unterabteilungen im Anhang Tabellen 39 und 40, S. 526; 527. 1091  §§ 1, 2 der VO vom 25.11.1939, RGBl. 1939 I, S. 2319. 1092  Dieser Begriff wird im Geschäftsverteilungsplan des RJM mit Stand vom April 1941 nicht ausdrücklich verwendet, leitet seine Berechtigung jedoch gleich1090  Siehe

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

war mit sämtlichen Sondergerichtssachen innerhalb des Deutschen Reiches sowie den eingegliederten Ostgebieten betraut. Ihm oblag zudem die Verbindungsführung zu den Staatsanwaltschaften, zur SS sowie dem Sicherheitsdienst der SS und der Gestapo1093. Mit der kombinierten Koordinierung der Strafgesetzgebung durch Abteilung II und der Strafrechtspflege durch die Abteilung Crohnes hatte das RJM damit auf dem Gebiet des Strafrechts formal alle relevanten Faktoren in seinem Einflussbereich, um sowohl abstrakt als auch konkret richtungsweisend auf die Tätigkeit der Staatsanwaltschaften einwirken zu können. b) Relevante Akteure1094 aa) Staatssekretär Dr. Dr. hc Franz Schlegelberger1095 Franz Schlegelberger war gemessen am Errichtungszeitpunkt der Staatsanwaltschaft beim Sondergerichtsgericht Aachen der erste Leiter des Justizministeriums. Er wurde am 23. Oktober 1876 in Königsberg geboren1096. Das Studium der Rechtswissenschaften beendete er mit „ausreichendem“ ersten Staatsexamen im Jahr 18971097. Im Dezember 1899 wurde Schlegelberger mit dem Prädikat „cum laude“ die Doktorwürde verliehen1098. Nach vierjährigem juristischem Ausbildungsdienst legte er das Assessorexamen mit der Benotung „gut“ ab1099. Am 21. Dezember 1901 trat er als Gerichtsassessor in den Justizdienst ein. Es folgten richterliche Tätigkeiten beim AG und LG Königsberg, beim LG in Lyck, beim LG Berlin I und schließlich die Bestellung zum KGR beim Berliner Kammergericht1100. Am 1. April 1918 wurde Schlegelberger zum Reichsjustizamt versetzt1101. In der Folge wohl von der sachlichen Zuständigkeit des Referates, sowie von der Tatsache ab, dass die gesamte aus Aachen an das Ministerium gerichtete Korrespondenz in den einschlägigen Fällen an den „Sonderreferenten im RJM“ adressiert wurde. 1093  Zur Person des Günther Joel s. unten, S. 250. 1094  Die Reihenfolge der nachfolgenden Personendarstellungen orientiert sich in zeitlicher Chronologie an einer absteigenden Postenhierarchie innerhalb des RJM. Da auch die Darstellung der personellen Besetzung des RJM mit Bezug zur Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen erfolgt, wurde auf eine Schilderung Gürtners verzichtet. Siehe zur Person Gürtners ausführlich Reitter, Franz Gürtner. 1095  BArch, R 3001, Nr. 74179–74182; Nr. 74186–74189. 1096  Personalblatt Schlegelberger, BArch, R 3001, Nr. 74180, Bl. nicht angegeben. 1097  Braun, Thierack, S. 128. 1098  Wulff, Schlegelberger, S. 16. 1099  Ebd., S. 17. 1100  Ebd., S. 19–22. 1101  Ebd., S. 23.



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 237

profilierte er sich außerbehördlich durch die Veröffentlichung von Gesetzessammlungen und anderen Publikationen, die in der Verleihung einer Honorarprofessur und Ehrendoktorwürde mündeten. Innerbehördlich stieg er als Ministerialrat zunächst zum Abteilungsleiter mit Schwerpunkttätigkeit im Wirtschaftsrecht auf. Im Oktober 1931 folgte auf Vorschlag des seinerzeitigen Justizministers Curt Joel – nach vorheriger Versetzung ins RJM – die Ernennung zum Staatssekretär1102. Nach dem Tod Gürtners im Januar 1941 beauftragte Hitler Schlegelberger mit der kommissarischen Leitung des Ministeriums1103, bis er am 20. August 1942 von Thierack abgelöst und in den Ruhestand versetzt wurde. Am 30. Januar 1938 war Schlegelberger der NSDAP beigetreten1104. Es bestanden weitere Mitgliedschaften im NSRB seit dem 28. September 1933, im RLB seit dem 1. April 1936 sowie der NSV seit dem 1. September 19361105. Soweit es die tatsächliche politische Ausrichtung Schlegelbergers betrifft, wird er nicht zuletzt aufgrund fremdinitiativer Aufnahme in die Partei als „unpolitischer Fachjurist“ bezeichnet1106. Gegenüber Hitler legte er ein unterwürfiges Verhalten an den Tag, um seine Dienststellung zu erhalten1107. Zudem sah er sich Anfeindungen der Partei ausgesetzt, die Schlegelberger vorwarf, zu sehr dem Recht und zu wenig der NSDAP nahezustehen1108. 1102  Hierzu

eingehend Wulff, Schlegelberger, S. 23–30. Turbulenz, S. 57. 1104  Personalblatt Schlegelberger, BArch, R 3001, Nr. 74180, Bl. nicht angegeben. 1105  Personalblatt Schlegelberger, BArch, R 3001, Nr. 74180, Bl. nicht angegeben. 1106  Köckritz, Oberlandesgerichtspräsidenten, S. 19; Brozat, Staat Hitlers, S. 304, 305; Stirken, Justizalltag, S. 22. Zu dem Ergebnis, das parteipolitische Eigenschaften auch für Schlegelberger selbst in seiner Funktion als kommissarischer Leiter des RJM eine untergeordnete Rolle spielten, kommt auch Hupperschwiller, der von 1936–1942 im RJM als Referent tätig war: „Betonen möchte ich noch, dass in der Zeit, in der Herr Rahmel zum Generalstaatsanwalt in Braunschweig ernannt wurde, das Reichsjustizministerium von Herrn Staatssekretär Dr. Schlegelberger geleitet wurde, der ebenfalls als hervorragende Fachkraft galt und keineswegs Exponent der NSDAP war. Zum Beweise dafür, dass unter der Leitung des Herrn Staatssekretär Dr. Schlegelberger parteipolitische Gesichtspunkte in der Führung der Strafjustiz keineswegs die entscheidende Rolle spielten, möchte ich noch darauf hinweisen, dass damals alle 4 Ministerialdirigenten der Strafrechtsabteilung des Reichsjustizministeriums, die Herren Dr. Mettgenberg, Geheimrat Schäfer, Dr. Marx und Dr. Suchomel, nicht einmal Mitglieder der NSDAP waren“, Erklärung Dr. Hupperschwillers vom 12.11.1955 an das OVG Münster bzgl. der Gründe, die zur Beförderung Rahmels zum GStA in Braunschweig geführt haben, LAV NRW R, NW Pe 1013, Klageakte, Bl. 87. 1107  Förster, Jurist, S. 56. 1108  Wulff, Schlegelberger, S. 54. Ebenso im Ergebnis Stirken, Justizalltag, S. 21. 1103  Heintzeler,

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Diese Einschätzung deckt sich mit Äußerungen Goebbels, der Schlegelberger als hemmend empfand, da sich dieser bei Aufforderungen zum Tätigwerden wiederholt auf fehlende Gesetzesgrundlagen berief1109. Auch Hitler selbst, der Schlegelberger während seiner kommissarischen Leitung niemals eine persönliche Audienz gewährte, machte aus seiner Abneigung gegenüber Schlegelberger kein Geheimnis1110. Die kritisierte mangelnde politische Ausrichtung seiner Person ist – gemessen an dessen Amtsführung – dahingehend zu verstehen, dass Schlegelberger keine originären nationalsozialistischen Einflüsse in die Leitung des RJM einbrachte. Im Übrigen bemühte er sich um die Gunst Hitlers und eine damit verbundene Pflichtenerfüllung im Sinne der politischen Führung1111. Wie weit seine Unterwerfung unter die politischen Vorstellungen einer nationalsozialistisch orientierten Strafrechtspflege gingen, belegt neben Einzelfällen der Strafverfolgung gegen Juden vor allem die in Kooperation mit Freisler ausgearbeitete Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten1112. Als Leiter des RJM war Schlegelberger oberster behördlicher Dienstherr der Staatsanwaltschaft Aachen beim Sondergericht Aachen in den ersten anderthalb Jahren seit Bestehen gewesen. Eine direkte Korrespondenz zur Aachener Anklagebehörde hielt sich jedoch – nicht zuletzt aufgrund des ordentlichen Dienstweges, der die Zwischenschaltung des Sonderreferenten als grundsätzlichen ministeriellen Ansprechpartner der Anklagebehörde vorsah – in engen Grenzen. In den Fällen dokumentierter direkter Einwirkung setzt sich die Charakterisierung Schlegelbergers als untertäniger Erfüllungsgehilfe innerhalb der Schranken des geltenden Rechts fort. So war Schlegelberger an insgesamt drei der zehn eingelegten Nichtigkeitsbeschwerden, die ein Ausgangsurteil des Sondergerichts Aachen zum Gegenstand hatten und von denen zwei zum Erfolg führten, mit seiner Zustimmung zur Einlegung direkt beteiligt1113. 1109  Goebbels,

Tagebücher, S. 1771. soll Hitler im Zuge einer abendlichen Veranstaltung am 29.3.1942 zu Tisch gesagt haben, Schlegelberger sei so, wie er ausschaue, und wenn man ihn nur einmal sehe, genüge dies für immer, siehe Picker, Tischgespräche, S. 221. Warum Hitler ihn vor diesem Hintergrund überhaupt mit der Leitung des RJM beauftragt hatte, ist nicht abschließend geklärt. Spekulative Erklärungsansätze finden sich jedoch in Förster, Jurist, S. 54, 55, sowie Wulff, Schlegelberger, S. 51, 52. 1111  Förster, Jurist, S. 56, 57. 1112  Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten vom 4.12.1941, RGBl. 1941 I, S. 759–761; darüber hinaus veranlasste Schlegelberger exemplarisch die Überstellung eines jüdschen Bürgers an die Gestapo „zur Exekution“, nachdem dieser wegen Eierhortens zu 30 Monaten Gefängnis verurteilt worden war, sowie die Zustimmung an Lammers, „Halbjuden“ sterilisieren zu lassen, siehe hierzu Peschel-Gutzeit, Juristen-Urteil, S. 89, 145. 1113  LAV NRW R, Gerichte Rep. 113, Akte 485, Bl. 66. Siehe Nichtigkeitsbeschwerde-Fall 7, oben, S. 128; LAV NRW R, Gerichte Rep. 113, Akte 614, Bl. 25. 1110  So



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 239

Auch die ministerielle Zustimmung zur Anregung des außerordentlichen Einspruchs wurde während seiner Leitungstätigkeit vorgenommen1114. Im Rahmen von zwei der insgesamt elf vom Sondergericht Aachen verhängten Todesurteile wirkte er zudem im Rahmen des Gnadenverfahrens mit1115. Im Verfahren gegen Hans K. kam die Besonderheit hinzu, dass die Generalstaatsanwaltschaft im Anschluss an das Todesurteil in Vorschlag brachte, eine Nichtigkeitsbeschwerde zugunsten des Verurteilten anzuregen, was die Staatsanwaltschaft Aachen jedoch ignorierte und auch Schlegelberger, der hier eigenhändig zeichnete, nicht weiter aufgriff1116. Die Tatsache, dass er gerade in vereinzelten Ausnahmefällen wie angeregten oder zustimmenden Todesurteilen versuchte, sich die Gunst Hitlers zu sichern, setzt sich im Gnadenverfahren gegen K. fort1117. Im konkreten Fall waren die vorgetragenen rechtlichen Erwägungen für eine Nichtigkeitsbeschwerde schlüssig von der Generalstaatsanwaltschaft Köln kommuniziert worden. Eine vom Regime nicht gewünschte Milde im „Rechtsmittelverfahren“ durch eine tätergünstige Abweichung vom Ausgangsurteil führte dazu, dass der kommissarische Ministeriumsleiter das Kölner Vorbringen letztlich ignorierte.

Siehe Nichtigkeitsbeschwerde-Fall 9, oben, S. 132; LAV NRW R, Gerichte Rep. 113, Akte 339, Bl. 58. Siehe Nichtigkeitsbeschwerde-Fall 14, oben, S. 141. 1114  Ein eigenhändiges Antwortschreiben Schlegelbergers ist nicht überliefert. Eine Kenntnisnahme in den einschlägigen Fällen war jedoch gängige Verwaltungspraxis, siehe insoweit causa Schlitt, dargestellt in Kolbe, Reichsgerichtspräsident, S. 337–353. Zum gleichen Verfahren und der Kenntnisnahme durch Schlegelberger siehe Johe, Gleichgeschaltete Justiz, S. 173. Die Kenntnisnahme des Leiters des RJM ergibt sich im Übrigen aus der ratio des außerordentlichen Einspruchs selbst als Ausfluss des sog. negativen Bestätigungsrechts, Freisler, Das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des allgemeinen Strafverfahrens, DJ 1939, S. 1570. Siehe oben, S. 99. 1115  Eine Mitwirkung bestand im Fall Heinrich W., LAV NRW R, NW 174, Nr. 194, Band IV, Bl. 43, 44 sowie im Fall Hans K., LAV NRW R, NW 174, Nr. 193, Band V, Bl. 20. Siehe zu beiden eingehend unten, S. 380, 407. 1116  Siehe zum Ganzen unten, S. 405. 1117  Auf Veranlassung Schlegelbergers wurde Hitler mit ständigen Meldungen über verhängte Todesstrafen informiert, Wulff, Schlegelberger, S. 55, 56. Im Fall eines außerordentlichen Einspruchs gegen Schlitt schrieb Schlegelberger am 24.3.1942 an Hitler: „Mein Führer! Bei der Übernahme meines Amtes, bat ich sie mich zu verständigen, wenn ein Urteil nicht ihre Billigung findet, um mir Gelegenheit zur Abhilfe zu geben. Ich bitte den Anruf vom Sonntag, den 22.3. in der Wilhelmshavener Sache gegen Schlitt als Erfüllung dieser Bitte auffassen zu dürfen und spreche hierfür meinen gehorsamsten Dank aus“, zit. nach Kolbe, Reichsgerichtspräsident, S. 347.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

bb) Reichsminister Dr. Otto Georg Thierack1118 Mit der Ernennung zum Reichsjustizminister am 20. August 1942 löste Thierack Schlegelberger in der Leitung des Justizministeriums ab. Die formale Besserstellung Thieracks gegenüber seinem geschäftsführenden Vorgänger als Minister und nicht als Staatssekretär drückte sich auch faktisch in einer aktiveren Amtsausübung aus1119. Thierack wurde am 19. April 1889 in Wurzen geboren1120. Nach dem Abitur im Jahr 1910 studierte er Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Marburg und Leipzig und legte sein erstes juristisches Staatsexamen im Jahre 1913 mit befriedigender Leistung ab1121. Am 1. August 1913 wurde er zum Referendar ernannt1122. Für das verzögerte Ablegen des Assessorexamens im April 1920 waren sein freiwilliger Eintritt in den Wehrdienst sowie der erste Weltkrieg ursächlich1123. Thierack schlug im Anschluss eine Laufbahn im höheren Justizdienst ein. So war er als zunächst als Staatsanwaltschaftsrat am LG Leipzig eingestellt worden, bis er 1926 als Staatsanwalt an das OLG Dresden versetzt wurde1124. Bereits bei dort anhängigen Strafprozessen mit politischem Einschlag leistete er als Anklagevertreter der nationalsozialistischen Bewegung „wertvolle Dienste“, wie der Völkische Beobachter feststellte1125. Thieracks politische Aktivität begann schon vor der Machtergreifung mit einer NSDAP-Mitgliedschaft im Jahr 1932. Darüber hinaus war er der SA – zuletzt im Range eines Brigadeführers – seit den Zwanzigerjahren zugehörig, Mitglied im NSFK, im NSRB, im RKB sowie im RLB1126. Zudem führte er bei der SS den Rang eines Gruppenführers1127. Mit diesen formalen „Loyalitätsbekundungen“ ausgestattet, begann für Thierack unmittelbar nach der Machtergreifung der politische Aufstieg: Im Mai 1933, nach zweimonatiger Beauftragung mit der Geschäftsführung des sächsischen Justizministeriums, wurde er zum Staatsminister der Justiz in Sachsen ernannt1128. Ab 1935 fungierte er zeitgleich als Beauftragter des RJM zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich1129. Ab 1118  BArch,

R 3001, Nr. 78253. hierzu unten, S. 242. 1120  Personalakte Thierack, BArch, R 3001, Nr. 78253, Bl. 19. 1121  Braun, Thierack, S. 23. 1122  Ebd. 1123  Ebd., S. 25. Eine spezifische Benotung wurde nicht vorgenommen. Es wurde lediglich festgestellt, ob die Prüfung bestanden oder nicht bestanden wurde, ebd. 1124  Personalakte Thierack, BArch, R 3001, Nr. 78253, Bl. 21. 1125  Völkischer Beobachter, Ausgabe vom 23.4.1939. 1126  Personalakte Thierack, BArch, R 3001, Nr. 78253, Bl. 21. 1127  Klee, Personenlexikon, S. 623. 1128  Personalakte Thierack, BArch, R 3001, Nr. 78253, Bl. 21. 1129  Weiß, Biographisches Lexikon, S. 458. 1119  Siehe



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 241

dem 1. April des gleichen Jahres folgte die Beförderung zum Vizepräsidenten des RG sowie 13 Monate später die Präsidentschaft beim VGH1130. Nach zwei weiteren Wehrdienstzeiten in den Jahren 1939–1940 und 1941 folgte am 20. August 1942 schließlich die Ernennung zum Minister1131, einhergehend mit der Ernennung zum Oberbefehlsleiter der NSDAP am selben Tag und der Verleihung des goldenen Ehrenzeichens der NSDAP am 30. Januar 19431132. Thierack bekleidete in der Folge das Präsidentenamt der Akademie für Deutsches Recht und übernahm die Leitung des Rechtsamtes der NSDAP sowie des NSRB1133. Seiner tatsächlichen politischen Einstellung nach gilt Thierack in der einschlägigen Literatur als überzeugter Nationalsozialist, der seine Treue insbesondere seit der Übernahme des Vorsitzes des VGH bekräftigt hatte1134. Die Anerkennung dieses Treueverhältnis schlug sich im „Erlaß des Führers über besondere Vollmachten des Reichsministers der Justiz“1135 nieder, welcher noch am Tage der Amtsernennung in Kraft gesetzt wurde und die zentrale Ermächtigungsnorm für den neuen Minister und dessen Lenkungsmaßnahmen werden sollte. Zum Zwecke des „Aufbaus einer nationalsozialistischen Rechtspflege“ wurde Thierack gestattet, „von bestehendem Recht abzuweichen“1136. Die Bedeutung der Ermächtigung für die Arbeitspraxis des RMJ manifestiert sich in der autokraten „Linie Thierack1137“, durch welche der Minister insbesondere das Gebiet der Strafrechtspflege alleine unter sich stellte, ohne seine Staatssekretäre zu beteiligen1138. Das Strafrecht wurde generell zur „Chefsache“ erklärt, was auch die überlieferte Aktenlage der Aachener Vorgänge belegt. So sollte weder dem aus Thieracks Sicht missliebigen StS Rothenberger noch seinem Freund und späteren StS Klemm ausweislich der Aachener Ministeriumskorrespondenz eine abstrakte oder einzelfallbezogene Einflussmöglichkeit zufallen. Die Schwächung seiner 1130  Personalakte

Thierack, BArch, R 3001, Nr. 78253, Bl. 21. Rothenberger, S. 121. 1132  Braun, Thierack, S. 130, 131. 1133  Weiß, Biographisches Lexikon, S. 458. 1134  Weinkauff, Justiz, S. 150; Wulff, Schlegelberger, S. 61; ähnlich Köckritz, Oberlandesgerichtspräsidenten, S. 19; Stirken, Justizalltag, S. 23. 1135  „Erlass des Führers über besondere Vollmachten des Reichsministers der Justiz“ vom 20.8.1942, RGBl. 1942 I, S. 535. 1136  Ebd. 1137  Der Begriff fand im späteren Nürnberger Juristenprozess Verwendung und sollte die Entscheidungspraxis des RMJ charakterisieren. Nachdem sich Thierack in allen wichtigen Angelegenheiten eine Entscheidung unter Verzicht auf die Hinzuziehung von Vorschlägen der Abteilungsleiter vorbehalten hatte, bildete sich aufgrund mehrerer Präzedenzentscheidungen eine entsprechende „Linie“ heraus, welche die Mitarbeiter in neuen, ähnlich gelagerten Fällen aufzugreifen hatten. Siehe hierzu eingehend Braun mit weiteren Nachweisen, S. 161–163. 1138  Aussage Rothenbergers, zit. nach Braun, Thierack, S. 164. 1131  Schott,

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Staatssekretäre korreliert mit einer erhöhten persönlichen Aktivität Thieracks in laufenden Strafverfahren. Neben den in der Folge eingeführten abstrakten Lenkungsmaßnahmen wie Richterbriefen, den sogenannten Vor- und Nachschauen und vorgeschriebenen „Fühlungnahmen“ zwischen Staatsanwaltund Richterschaft waren auch Einzelfälle direkten Eingreifens symbolträchtig für die tiefe Verbundenheit des Ministers zum Regime. In einem Strafverfahren gegen einen Essener Gastwirt, dem vorgeworfen worden war, Wachhunde auf Schulkinder gehetzt zu haben, regte Thierack persönlich beim ORA Nichtigkeitsbeschwerde an, nachdem ihm von Bormann mitgeteilt worden war, dass der Führer das Ausgangsurteil mit einem Strafmaß von anderthalb Jahren für zu milde erachte1139. Nachdem die Ausgangsinstanz nach erfolgreicher Rückverweisung durch das RG auf eine einjährige Gefängnisstrafe entschieden hatte, regte Thierack außerordentlichen Einspruch mit dem Erfolg einer dreijährigen Gefängnisstrafe an1140. Zuvor hatte er erwogen, sich von Hitler zum obersten Reichsrichter ernennen zu lassen, und den Fall selbst zu verhandeln, dieses Vorhaben jedoch im Anschluss wieder zurückgezogen1141. Die befürwortende Haltung Thieracks gegenüber rechtskraftdurchbrechenden Maßnahmen und die von ihm propagierte unnachgiebige Strafrechtspflege zuungunsten des verurteilten Personenkreises setzt sich bei Heranziehung einschlägiger Aachener Verfahren fort. In alleine fünf von 16 Nichtigkeitsbeschwerden aus Aachen ging die Initiative zur schärferen Urteilsabänderung von Thierack aus1142. In Fällen der Initiative zur täternachteiligen Urteilsabänderung durch den GStA, die Staatsanwaltschaft Aachen oder den ORA erfolgte eine Zustimmung durch den Minister1143. Während sich diese Maßnahmen noch in den – wenn auch ausgeuferten – Grenzen nationalsozialistischen Rechts bewegten, schreckte der Justizminister nicht davor zurück, von der Befugnis, „von bestehendem Recht abweichen1144“ zu dürfen, bei Verfahren gegen Parteigenossen Gebrauch zu machen. So soll der hörige „Parteisoldat1145“ Thierack in Strafverfahren gegen Parteigenossen seine Entscheidungen wiederholt ausschließlich von dem Willen justizfremder Parteistellen abhängig gemacht haben1146. Diese Einschätzung bestätigt sich uneingeschränkt, wenn man auf seine Aktivität im Gnadenverfahren des zum Tode verurteilten NSDAP-Funktionärs Paul S. abstellt1147. Im Anschluss an das 1139  Hierzu 1140  Ebd.

1141  Ebd.,

1142  Siehe 1143  Ebd.

eingehend Braun, Thierack, S. 234.

S. 235. nochmals Tabelle 3, oben S. 149.

1144  RGBl. 1942

I, S. 535. Justizverbrechen, S. 125. 1146  Braun, Thierack, S. 169. 1147  Siehe zur detaillierten Verfahrensschilderung unten, S. 411. 1145  Bästlein,



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 243

gegen S. verhängte Todesurteil entbrannten zunächst regionale Divergenzen zur Frage eines Gnadenerweises. Nachdem sich die befürwortende Gauleitung und die ablehnenden Justizbehörden, insbesondere die Staatsanwaltschaft Aachen nicht einigen konnten, wurde die Frage auf Reichsebene verlagert. Für Thierack ergab sich nun die Besonderheit, dass innerhalb der höchsten Behörden Unstimmigkeit herrschte. Während die KdF zunächst einen Gnadenerweis nicht von vornherein ausschloss, sah die Partei-Kanzlei in München ein Gnadengewähren als ausgeschlossen an1148. Der Reichsjustizminister begegnete dieser Situation mit abwartender Haltung, bis eine abschließende und einstimmige Stellungnahme erfolgte, indem letztlich auch die KdF einem Gnadengesuch ablehnend gegenüberstand1149. Dieser Entschluss, den Thierack in der Folge übernahm, war jedoch keineswegs aufgrund autonomer rechtlicher Erwägungen – welche Parteistellen und auch RJM vom Vorwurf der Parteilichkeit exkulpiert hätte – erfolgt. Vielmehr beabsichtigte Thierack eine Vollstreckung der Todesstrafe wegen der „erheblichen Breitenwirkung1150“ in der Bevölkerung, der man andernfalls unverblümt den Eindruck einer justiziellen Privilegierung von hochrangigen Parteifunktionären vermittelt hätte. Eine Hörigkeit des Ministers gegenüber der KdF bestätigte sich endgültig im Rahmen persönlicher Verhandlungen über die Art der Vollstreckung des Todesurteils. Während die Gnadenordnung den Vollzug der Todesstrafe einzig durch Fallbeil vorsah, machte Thierack gegenüber Gauleiter Grohé das Zugeständnis, das Urteil durch Erschießen zu vollstrecken, um S. einen ehrenhaften Tod zu ermöglichen1151. Diese von der KdF originär in Vorschlag gebrachte Vollstreckungsvariante stellte einen offenen Bruch mit geltendem Recht dar1152. Die in der einschlägigen Literatur zu findende Meinung, Thierack habe „offensichtlich keinerlei Bedenken“ gehegt, zugunsten einer „nationalsozialistischen Führung der deutschen Justiz 1148  Schreiben des Dienststellenleiters der Partei-Kanzlei an das RJM vom 23.12.1942, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 219. 1149  Schreiben der Kanzlei des Führers an den RJM vom 12.3.1943, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 261. Diesen Ausführungen schloss sich, nachdem sie bereits zuvor ihre Ablehnung erklärt hatte, dann nochmals formell die Partei-Kanzlei ohne weitere Begründung an, Vermerk Thieracks vom 2.4.1943, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 271. 1150  Schreiben Thieracks an die Partei-Kanzlei betr. die persönliche Besprechung mit dem Gauleiter Köln-Aachen vom 15.3.1943, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 262. 1151  Ebd. 1152  Zur Äußerung der KdF siehe Schreiben der Kanzlei des Führers an den RJM vom 12.3.1943, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 261. § 1 der RV des RJM vom 22.10.1935 (LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 3) sowie § 2 des Gesetzes vom 29.3.1933 (RGBl. 1993 I, S. 151) sahen den Vollzug der Todesstrafe ausschließlich durch Guillotinierung oder Erhängen vor.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

selbst von den grundlegendsten Prinzipien1153“ abzuweichen, findet im Fall Paul S. eine uneingeschränkte Bestätigung. cc) Staatssekretär Dr. Roland Freisler1154 Kaum eine andere Persönlichkeit versinnbildlicht bis in die heutige Zeit hinein das Porträt des fanatischen NS-Juristen dergestalt wie Roland Freisler. Dieser Umstand ist wesentlich an dessen zuletzt ausgeübter Tätigkeit, dem Präsidentenamt beim VGH, geknüpft1155. Wenngleich Freisler für die Staatsanwaltschaft Aachen in dieser Eigenschaft keine maßgebliche Bedeutung entfaltete, so war sein abstrakter und vereinzelt konkreter Einfluss als Staatsekretär im RJM für die lokale Anklagebehörde nicht ohne Bedeutung. Freisler wurde am 30. Oktober 1893 in Celle geboren1156. Nach Beendigung der schulischen Laufbahn an Gymnasien in Aachen ab 1903 und Kassel ab 1908 folgte nach Ablegung des Abiturs das Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Jena1157. Nach zwei Jahren unterbrach er das Studium und meldete sich am 4. August 1914 als Kriegsfreiwilliger an die Ostfront, wo er am 18. Oktober 1914 in russische Kriegsgefangenschaft geriet1158. Auf die Rückkehr nach Kassel am 23. Juli 1920 folgte die erneute Aufnahme des Studiums, die Absolvierung des ersten Staatsexamens sowie seine anschließende Promotion im Jahre 19211159. Nach der Zulassung zum Referendar beim LG Zierenberg wurde Freisler 1923 nach bestandenem zweiten Staatsexamen Gerichtsassessor beim LG Kassel, bis er sich ab 1924 als Rechtsanwalt in der Funktion eines Strafverteidigers mit Zulassung beim RG niederließ1160. Im Februar 1933 wurde Freisler als MinDir im Preußischen Justizministerium eingestellt. Bereits ab 1. Juni 1933 nahm er die Funktion eines Staatssekretärs wahr, welche er auch nach der Verreichlichung der Justiz und der mit ihr einhergehenden Umbenennung des Ressorts behielt. Mit der Ernennung Thieracks zum Minister wurde Freisler schließlich am 20. August 1942 zum Präsidenten des Volksgerichtshofs ernannt1161. Das Interesse des als ehrgeizig und intelligent charakterisierten Freisler am 1153  Braun,

Thierack, S. 235. R 3001, Nr. 56247, 56248. 1155  Vertiefend zu verschiedenen Aspekten des VGH sei verwiesen auf Schlüter, Urteilspraxis; Koch, Volksgerichtshof; Wieland, Volksgerichtshof. 1156  Personalblatt Freisler, BArch, R 3001, Nr. 56247, Bl. nicht angegeben. 1157  Ortner, Hinrichter, S. 317. 1158  Ebd. 1159  Ebd. 1160  Personalblatt Freisler, BArch, R 3001, Nr. 56247, Bl. nicht angegeben. 1161  Personalblatt Freisler, BArch, R 3001, Nr. 56247, Bl. nicht angegeben. Als ursächliches Indiz für die zeitgleiche Versetzung Freislers mit Thieracks Ernennung 1154  BArch,



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 245

politischen Geschehen war bereits in russischer Kriegsgefangenschaft geweckt worden1162. Neben Erlernen der russischen Sprache setzte er sich während seiner Internierung intensiv mit den Lehren des Marxismus auseinander und stand diesen sehr aufgeschlossen gegenüber, sodass er mit allmählicher Auflösung der Lager bolschewistischer Lebensmittelkommissar wurde1163. In Kassel wurde er 1924 Stadtverordneter für den völkisch-sozialen Block und Mitglied des Preußischen Landtags1164. Ein Jahr später wechselte er zur größeren NSDAP, bei welcher er die Mitgliedsnummer 9679 erhielt1165. Vor dem Hintergrund, dass Freisler sich wenigstens bis zu seiner Assessorzeit als „überzeugter Kommunist“1166 gab, was Hitler mit Abneigung betrachtete1167, waren Beitritt und Karriere innerhalb der NSDAP beachtlich. Mitgliedschaften bestanden zudem beim RLB, NSFK, NSKK, RKB sowie NSRB1168. Sein vormaliger strafrechtlicher Tätigkeitsschwerpunkt setzte sich mit Beginn seiner Karriere in der Justizverwaltung fort. Bereits 1933 war er vom damaligen Justizminister Hanns Kerrl federführend mit der Reformierung des Strafrechts beauftragt worden1169. Auch mit Übernahme der kommissarischen Leitung des Ministeriums durch Schlegelberger hatte sich Freisler sämtliche Kompetenzen über die mit Strafrecht befassten Abteilungen sowie Organisations- und Personalsachen nachgeordneter Strafjustizbehörden persönlich vorbehalten1170. Die Vereinnahmung dieses Rechtsgebiets drückte sich nicht nur im relativen Verhältnis zu Schlegelberger aus, der im Rahmen des Nürnberger Juristenprozesses ausführte: „Natürlich war meine Stellung Freisler gegenüber schwächer als die Gürtners. Ich führte zwar das Ministerium, aber nur als rangältester Staatssekretär. Wir standen im Rang einander gleich. Die Möglichkeit der Einwirkung auf ihn und gegen ihn war für mich sehr beschränkt (…)“1171. Auch mit Blick auf die behördliche Korrespondenz mit der Staatsanwaltschaft Aachen bestätigt sich, dass Freisler gegenüber dem nur sehr vereinzelt persönlich agierenden Schlegelberger die faktische Weisungsbefugnis gegenüber der Aachener Anklagebehörde inne hatte. Die Allgegenwärtigkeit stellt Braun mit weiteren Nachweisen auf ein gespanntes persönliches Verhältnis Thieracks zu Freisler ab, siehe hierzu Braun, Thierack, S. 170–174. 1162  Buchheit, Richter, S. 16. 1163  Ebd., S. 16, 17. 1164  Ebd., S. 19. 1165  Ebd. 1166  Ebd., S. 16. 1167  Picker, Tischgespräche, S. 212. 1168  Personalblatt Freisler, BArch, R 3001, Nr. 56247, Bl. nicht angegeben. 1169  Ortner, Hinrichter, S. 86. 1170  Gruchmann, Justiz, S. 1170. 1171  Zitiert nach Wulff, Schlegelberger, S. 53.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Freislers zeigt sich anhand verschiedenster Einflussnahmen. So gab er in einem Rundschreiben an die Generalstaatsanwälte, welches zur Weiterleitung an die Staatsanwaltschaft Aachen gesendet wurde, detaillierte Anweisungen zu den Modalitäten der Strafverfolgung, der Strafvollstreckung, der Gnadenpraxis und auch der Berichterstattungspflichten in Sondergerichtssachen1172. Aufgrund gerügter milder Rechtsprechung der Sondergerichtsinstanzen im Reich bei Delikten gegen die VVO war es ebenfalls Freisler, der die Vorsitzenden Richter und alle mit Sondergerichtssachen betrauten Staatsanwälte im Jahre 1939 im RJM empfing, um in einer Kampfrede die Beamten darauf einzuschwören, dass eine Anklage- und Verurteilungspraxis erreicht werden müsse, „die vor dem Härtesten nicht zurückschreckt“1173. In einem Fall einer eingelegten Nichtigkeitsbeschwerde, welche ein Ausgangsurteil des Sondergerichts Aachen zum Gegenstand hatte, war ebenfalls Freisler der direkte Ansprechpartner des ORA gewesen, als dieser sein weiteres Vorgehen in der Strafsache beim Ministerium rechtfertigte1174. Auch für den grundsätzlichen Entschluss zur Errichtung des Aachener Sondergerichts sprach sich der seinerzeitige LGD Dr. Losenhausen in einem persönlichen Schreiben an Freisler für diese Notwendigkeit und die damit verbundenen Vorteile aus, da ein Sondergericht „zur Hebung des Ansehens der örtlichen Gerichtsbehörden“1175 beitragen würde. Neben weiteren Allgemeinverfügungen und Rundschreiben Freislers, welche die Staatsanwaltschaft Aachen tangierten1176, verdeutlicht erneut das Verfahren gegen Paul S. 1172  Verfügung des RJM vom 29.8.1939, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 226, Bl. 14–17. 1173  Tagungsprotokoll der Tagung der Sondergerichtsvorsitzenden und Sachbearbeiter für die Sondergerichtsstrafsachen bei den Generalstaatsanwälten im RJM vom 24.10.1939, BArch R 3001, Akte 24158, Bl. nicht angegeben. 1174  Siehe insoweit die Ausführungen des ORA Brettle an Freisler: „Was aber im besonderen Maße gegen den außerordentlichen Einspruch spricht, ist der Kräfteaufwand, der eine Verhandlung vor dem Besonderen Senat erfordern würde, Die Hauptverhandlung vor dem Sondergericht hat neun Tage gedauert, es sind 36 Zeugen vernommen worden. (…) Bei der Peinlichkeit und Genauigkeit, mit der der Besondere Senat die Beweisaufnahme erledigt, wäre eine Verhandlung zu erwarten, die einen außergewöhnlichen Umfang hätte“, Schreiben des ORA Brettle an StS Freisler vom 20.6.1942, BArch R 3001, Nr. 153533, Bl. 59. Siehe NichtigkeitsbeschwerdeFall 14, oben, S. 141. 1175  LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 9. 1176  RV Freislers an sämtliche Generalstaatsanwaltschaften vom 17.1.1942, betreffend die Wichtigkeit eines beschleunigten Verfahrens vor den Sondergerichten innerhalb von 14 Tagen nach Eingang der Anklage, weitergeleitet an den LOStA in Aachen, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 37; RV Freislers betr. die grundsätzliche Hinwirkung auf Freiheitsstrafen bei Milchfälschungsdelikten gem. § 1 Abs. 1 KrWVO, RV des RJM vom 27.1.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 230, Bl. 71; Mitteilung Freislers an die Staatsanwaltschaft betr. die Herausgabe von



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die faktische oberste Dienstherreneigenschaft Freislers. So war es nicht etwa der während des Ermittlungsverfahrens noch kommissarische Leiter Schlegelberger, der sich der Angelegenheit annahm, sondern Freisler, der nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens den Fall in seinen Kompetenzbereich zog und StA Zimmerath in Berlin empfing, um sich von diesem das Ermittlungsergebnis und die in Aussicht genommene Todesstrafe vortragen zu lassen1177. dd) Staatssekretär Dr. Curt Ferdinand Rothenberger1178 Der am 30. Juni 1896 in Cuxhaven geborene Curt Rothenberger bekleidete als Nachfolger Freislers die Position eines Staatssekretärs1179. Die Stelle des zweiten Staatssekretärs blieb dagegen unbesetzt, bis sie kurze Zeit später endgültig gestrichen wurde1180. Nach dem Abitur im Jahre 1914 folgte das Jurastudium an den Universitäten Berlin, Kiel und Hamburg, welches er 1920 – nach Teilnahme am ersten Weltrieg von 1915–1918 – mit „gutem“ ersten Staatsexamen abschloss1181. Auf Promotion und Referendariat in Hamburg folgte 1922 das zweite Staatsexamen und eine anschließende hilfsrichterliche Tätigkeit beim AG Hamburg1182. Drei Jahre später wurde er Richter am dortigen LG. 1928 erfolgte schließlich der Wechsel in die Verwaltung, nachdem Rothenberger im Jahre 1927 ein Posten als Regierungsrat bei der Hamburger Senatskommission für die Justizverwaltung angeboten worden war1183. In den Jahren 1929 und 1931 folgten weitere Wechsel und Beförderungen zum Oberregierungsrat in der Gesundheitsbehörde und der Landesjustizverwaltung, sowie die Versetzung Rothenbergers zur großen Strafkammer1184. 1933 wurde Rothenberger – mittlerweile Mitglied in der NSDAP – im Alter von 37 Jahren zum Hamburger Justizsenator ernannt1185. Fortan bekleidete er außerdem die politischen Ämter des GauRadiogeräten nach Straffälligkeit gem. RundfunkVO vom 8.10.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 168, Bl. 13. 1177  Siehe Notiz Freislers vom 9.6.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 28. 1178  BArch, R 3001, Nr. 72946–72951. 1179  Die Ernennungsurkunde ist auf den 20. August 1942 datiert, BArch, R 3001, Nr. 72946, Bl. nicht angegeben. 1180  Schott, Rothenberger, S. 119. 1181  Weiß, Lexikon, S. 386. 1182  Personalblatt Rothenberger, BArch, R 3001, Nr. 72951, Bl. 2. 1183  Ebd. 1184  Ebd. 1185  Nach dem Personalblatt Rothenbergers im RJM wurde die Mitgliedschaft abweichend vom offiziellen Datum auf den 1.12.1931 datiert, Personalblatt Rothenberger, BArch, R 3001, Nr. 72951, Bl. 1. Tatsächlich hatte er zu diesem Zeitpunkt

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amtsleiters sowie des Gauführers des NSRB für Hamburg1186. Ab 1935 wurde er schließlich Präsident des Hanseatischen OLG1187, des OVG sowie Vorsitzender des Reichsoberseeamts und deutscher Vertreter am internationalen Schiedsgerichtshof im Jahr 19371188, bis er 1942 zum Staatssekretär ernannt wurde1189. Die Beförderung in das RJM hatte Rothenberger eigenen Anstrengungen zu verdanken, nachdem er durch eine Denkschrift zu einer nationalsozialistischen Justizreform die Aufmerksamkeit Hitlers auf sich gelenkt hatte1190. Bezüglich der direkten Einflussnahmen auf die reichsweite Strafrechtspflege hatte Rothenberger – nicht zuletzt aufgrund der bereits angesprochenen autokraten Arbeitsweise Thieracks – jedoch keinen maßgeblichen Einfluss, nachdem die Arbeitsteilung zwischen beiden dahingehend geregelt worden war, dass sämtliche strafrechtlichen Bereiche Thierack unterstanden, während Rothenberger an der Justizreform arbeiten und die zivilrechtlichen Abteilungen im RJM übernehmen sollte1191. Auch auf spätere Bitten Rothenbergers, in strafrechtliche Vorgänge involviert zu werden, soll Thierack dieses Anliegen mit der Begründung verweigert haben, „dass Rothenberger politisch nicht genügend versiert“ gewesen sei1192. In der Arbeit der Staatsanwaltschaft Aachen bestätigt sich diese Ausgrenzung Rothenbergers, da er innerhalb der gesamten überlieferten Korrespondenz zwischen Aachener Anklagebehörde und RJM keine Erwähnung findet. Das von Beginn an schwierige Verhältnis zwischen Thierack und Rothenberger gipfelte schließlich in seiner systematischen Entmachtung, in Plagiatsvorwürfen und einer hieraus resultierenden Amtsenthebung Rothenbergers am 21. Dezember 19431193. einen Aufnahmeantrag abgeben wollen, diesen aber auf Anraten des damaligen Gauleiters nicht eingereicht, da eine „öffentliche Bekundung“ zur NSDAP zu dieser Zeit „unerwünscht“ war. Die Rückdatierung war wesentlich, da sich die nach 1933 vergebenen Mitgliedsnummern von den vorherigen unterschieden, um „Mitläufer“ von überzeugten Anhängern der Bewegung unterscheiden zu können, siehe hierzu detailliert Schott, Rothenberger, S. 63, 64. 1186  Personalblatt Rothenberger, BArch, R 3001, Nr. 72951, Bl. 1. 1187  Ebd., Bl. 2. 1188  Weiß, Lexikon, S. 386. 1189  BArch, R 3001, Nr. 72946, Bl. nicht angegeben. 1190  Siehe zur Justizreform Rothenbergers Schott, Rothenberger, S. 108–110, 11, 112–114. 1191  Aussage Rothenbergers, zitiert nach Braun, Thierack, S. 164. 1192  Ebd. 1193  Schott, Rothenberger, S. 150, 155. Siehe zum Ganzen eingehend Schott, Rothenberger, S. 148–156. Nach Schilderung Rothenbergers, auf die sich Braun bezieht, seien die Plagiatsvorwürde allerdings nur die „äußere Veranlassung“ der Versetzung in den Wartestand gewesen, während tatsächlich Thierack gegenüber Ro-



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ee) Staatssekretär Herbert Klemm1194 Am 1. Januar 1944 trat Herbert Klemm die Nachfolge Rothenbergers im Amt des Staatssekretärs an1195. Klemm wurde nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Leipzig und Göttingen und dem Referendariat mit zwei „befriedigenden“ Examina Assessor in Dresden1196. Klemm war Thieracks eigentlicher Wunschkandidat für die Besetzung der Stelle des Staatssekretärs gewesen, nachdem dieser den Ministerposten übernommen hatte1197. Durch die Eigenwerbung Rothenbergers mit seiner Veröffentlichung „Der Deutsche Richter“ hatte dieser jedoch das Amt zunächst für sich erwerben können. Die enge Verbundenheit Thieracks zu Klemm war Ausfluss einer bereits früheren engen Zusammenarbeit gewesen. Nach einer beruflichen Station als Staatsanwalt in Dresden von 1929 bis 1933 folgte ab März desselben Jahres die Tätigkeit als Personalreferent für den zu dieser Zeit noch „kommissarischen“ sächsischen Justizminister Thierack1198. Mit dessen Beförderung zum Vizepräsidenten des RG wurde Klemm 1935 in das RJM versetzt und im April 1939 dort zum MinRat befördert1199. Ab Juli 1940 wurde er für den Reichskommissar für die das besetzte Gebiet der Niederlande tätig, bevor er ab März 1941 zur Partei-Kanzlei versetzt wurde1200. Nach einer Beförderung zum MinDir im Jahre 1942 folgte schließlich seine Ernennung zum Staatssekretär1201. Klemm galt politisch als „Alter Kämpfer“ der NSDAP, deren Mitgliedschaft ergänzt wurde durch Zugehörigkeiten zur SA, zum Kameradschaftsbund, dem NSRB, der NSV, dem RKV sowie dem RDB1202. Wenngleich Klemm im Zuge seiner Ernennung sämtliche Kompetenzen erhielt, die Rothenberger auf dem Gebiet des Strafrechts vorenthalten geblieben waren1203, so kam Klemm dennoch – gemessen an den Vorgängen in der Aachener Anklagebehörde – keine maßgebliche Bedeutung zu. thenberger dessen mäßiges Verhältnis zu den NS-Parteistellen als ursächlich kommuniziert habe, siehe Braun, Thierack, S. 167. 1194  BArch R 3001, Akte 63487–63489. 1195  Neliba, Staatssekretäre, S. 230; Stirken, Justizalltag, S. 25. 1196  BArch R 3001, Akte 63487, Bl. nicht angegeben. Schädler, Justizkrise, S. 151. 1197  Braun, Thierack, S. 168. 1198  BArch R 3001, Akte 63487, Bl. nicht angegeben. Zur zeitlichen Korrelation mit Thieracks beruflichem Lebenslauf siehe nochmals oben, S. 240. 1199  BArch R 3001, Akte 63487, Bl. nicht angegeben. 1200  Ebd. 1201  Ebd. 1202  Ebd.; zitiert nach Schädler, Justizkrise, S. 152. 1203  Schott, Rothenberger, S. 156.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

ff) Ministerialrat Karl Günther Joel Joel wurde am 19. April 1903 in Kassel geboren. Das Studium der Rechtswissenschaften absolvierte er im Mai 1927 mit bestandenem Ersten Staatsexamen, welchem eine Promotion folgte. Ab 1930 war Joel bei der Staatsanwaltschaft Kassel beschäftigt, bis er 1933 Staatsanwaltsrat wurde. Mit dem Wechsel in das RJM im August des gleichen Jahres legte er das Fundament für seine weitere berufliche Karriere. Der im Mai 1933 der NSDAP und dem NSRB beigetretene Joel bearbeitete im Ministerium in den ersten Monaten Amnestie- und Niederschlagungsfälle1204, bevor er im November neben Werner von Haacke die Leitung der von Freisler gegründeten Zentralstaatsanwaltschaft im RJM übernahm1205, bei der seine Zuständigkeit Parteikorruption sowie rechtswidrige Übergriffe von NSDAP-Mitgliedern und Angehöriger ihrer Untergliederungen umfasste. Ab Dezember 1937 wurde Joel ministerieller Verbindungsmann zur SS, dem SD sowie zur Gestapo, weshalb er 1938 in die SS aufgenommen wurde1206. 1941 wurde Joel zum MinRat befördert. In der Folge erweiterte sich dessen Zuständigkeit um die Aufgaben, die dem Sonderreferat zufielen, welches er fortan leitete. Als Anerkennung für seine leitende Tätigkeit im Sonderreferat wurde Joel eine „politische“ Beförderung zuteil, indem er zum SS-Obersturmbannführer aufstieg1207. Von August 1943 bis zum Kriegsende fungierte er als GStA in Hamm1208. c) Die ministeriellen Lenkungsinstrumente und ihre Bedeutung für die Staatsanwaltschaft Aachen aa) Mitteilungs- und Berichtspflichten an das Reichsjustizministerium Mit der Fülle an Gesetzesnovellierungen, die das Strafrecht prozessual und materiell reformierten, wurde der Staatsanwaltschaft das abstrakte juristische Werkzeug gereicht, mit welchem sie fortan arbeiten sollte1209. Die flexible Konzeption des Wortlauts nahezu aller seit der Machtergreifung eingeführter Straftatbestände hatte durch Verwendung unbestimmter Rechts1204  Siehe zur Berufseigenschaft des Vaters den Lebenslauf Joels in: Joel, Rechtsverhältnisse, S. 35. 1205  Siehe Geschäftsverteilungsplan vom 22.10.1934, Gruchmann, Justiz, S. 1151. 1206  Die bis hierin geschilderten Daten zu Joel sind entnommen aus Weiß, Lexikon, S. 242, 243. 1207  Weiß, Lexikon, S. 243; Joel wurde in seiner Funktion als Sonderreferent in der Folgezeit abgelöst durch OStA Franke, siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 597, Bl. 75. 1208  Weiß, Lexikon, S. 243. 1209  Gruchmann, Justiz, S. 1091.



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 251

begriffe und wertausfüllender Tatbestandsmerkmale1210 den Vorteil einer extensiven Auslegungsmöglichkeit, barg aber aufgrund der mit ihr einhergehenden Unverbindlichkeit die Gefahr für die Machthaber einer restriktiven, also milden Gesetzesanwendung durch die Organe der Strafrechtspflege. Damit hing die Effektivität des gegebenen normativen Instrumentariums wesentlich von linientreuer Anwendung ab, was das Ministerium dazu veranlasste, die geltenden Gesetze im Wege von Allgemeinverfügungen, Rundverfügungen und Einzelweisungen zu konkretisieren und damit lenkend auf die Strafrechtspflege, insbesondere die Anklagebehörde, einzuwirken1211. Voraussetzung für eine effektive Ausführung eines Weisungsrechts war jedoch die Kenntnis des Reichsjustizministeriums über die Vorgänge bei der Staatsanwaltschaft1212. Diese Kenntnis sollte im Wege von Berichts- und Mitteilungspflichten garantiert werden1213. Das von MinRat Joel geleitete und im Oktober 1939 errichtete Sonderreferat bildete dabei den ministeriellen Knotenpunkt, um den enormen Umfang eingehender Berichte in Sondergerichtssachen zu bündeln1214. Bereits vor Errichtung des Sonderreferats war die Staatsanwaltschaft im Jahr 1934 im Wege einer geheimen Rundverfügung verpflichtet worden, in allen Hochverrats- und Landesverratssachen die Verfahrenseinleitungen mitzuteilen und beglaubigte Ablichtungen der Anklageschrift und des Urteils an das Reichsjustizministerium zu übersenden1215. Im Dezember 1934 folgte eine Mitteilungspflicht bei Zuwiderhandlungen gegen das Heimtückegesetz1216. Erstmals wurden die Pflichten zu 1210  Siehe

oben, S. 56. detaillierten Überblick über die Vielzahl normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften gibt Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften. 1212  Gruchmann, Justiz, S. 1091. 1213  In den nationalsozialistischen Verwaltungsvorschriften wird sowohl der terminus „Mitteilungspflicht“ als auch „Berichtspflicht“ verwendet. Faktisch handelt es sich bei beiden Instituten um Dokumente, welchen identische Vorgaben zur darzulegenden Sachinformation zugrundeliegen und die zu identischen Zeitpunkten während des Strafverfahrens übersandt wurden. Der formale Unterschied besteht darin, dass der terminus „Berichtspflicht“ an Tatbestände gekoppelt ist, die der Bearbeitung des Sonderreferates unterliegen. Die als „Mitteilungspflichten“ deklarierten Obliegenheiten waren dagegen geknüpft an tatbezogene, täterbezogene und behördliche Voraussetzungen, die nicht der Zuständigkeit des Sonderreferates unterfielen. Vergleiche hierzu RV des RJM vom 26.8.1941 betr. die Berichtspflichten in Sondergerichtssachen  – 3234 IIIa4 1187/41  – und AV des RJM vom 21.5.1935 betr. die Mitteilungen in Strafsachen  – III a 18 355/35 –, abgedruckt in Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 21, 22, 549–604. 1214  Zum Errichtungszeitpunkt siehe entsprechende RV des RJM vom 16.10.1939 – 3234 III a4 1190  – betr. die Einrichtung eines Sonderreferats, abgedruckt in: Krug/ Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 21. 1215  Gruchmann, Justiz, S. 1091. 1216  AV des RuPrJMvom 28.12.1934, DJ 1934, S. 1608. Zum Zustimmungserfordernis des StdF bei Verstößen gegen das HG sowie sonstige Voraussetzungen bezüg1211  Einen

252

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

„Mitteilungen in Strafsachen“ zusammenhängend durch Allgemeinverfügung des RJM vom 21. Mai 1935 geregelt1217. Diese hatten unabhängig von der sachlichen Zuständigkeit des Sondergerichts sowohl tat- als auch täterbezogen zu erfolgen. So sollten Mitteilungen bei Verfahren gegen Beamte, Geistliche, Rechtsanwälte, Bauern und Bauernführer, Lehrer, Ärzte, Wehrmachtsangehörige, Mitglieder der NSDAP und ihrer Untergliederungen sowie gegen Zigeuner und Ausländer erfolgen1218. Darüber hinaus waren ­ Mitteilungen in Verfahren wegen Abtreibung, Brandsachen, Betrug, Devisenvergehen, Pressesachen und Vergehen gegen das Sammlungswesen vorgesehen1219. Nachdem auch in Rundfunksachen eine Berichtspflicht vorgeschrieben worden war1220, erweiterte sich die Pflicht schließlich auf Verstöße gegen § 1 KrWVO, §§ 1, 2 der GewaltverbrecherVO, Strafsachen gemäß der VO zum Schutz der Metallsammlung sowie auf die §§ 1–4 der VVO1221. Die Priorität und Dringlichkeit der Mitteilungspflichten in Verfahren gegen „Volksschädlinge“ brachte Freisler in einer gesonderten Allgemeinverfügung an die Generalstaatsanwaltschaften zum Ausdruck: „In den Fällen des § 1 Verordnung gegen Volksschädlinge ist mir über die Anklageerhebung und das Urteil jeweils sofort und unmittelbar durch den Oberstaatsanwalt (auch nachts) fernmündlich zu berichten. Dem Bericht über ein Todesurteil ist das Votum des Oberstaatsanwalts und des Gerichts fernmündlich beizufügen. Den wesentlichen Inhalt der Anklage und des Urteils bitte ich fernmündlich von 8–20 Uhr der Diktataufnahme, von 20–8 Uhr der Geheimen Kanzlei lich der Mitteilungen siehe „Anpassung der ,Richtlinien für das Strafverfahren‘ und der ,Mitteilungen in Strafsachen‘ an die Gesetze zur Änderung des Strafgesetzbuchs und zur Änderung von Vorschriften des Strafverfahrens und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 28.6.1935, DJ 1935, S. 114, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 1125, 1126. 1217  AV des RJM vom 21.5.1935  – IIIa 18 355/35  – betr. Mitteilungen in Strafsachen, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 549– 604. 1218  §§ 18–29, § 33, § 38, § 40 und § 41 der AV des RJM vom 21.5.1935 betr. Mitteilungen in Strafsachen, abgedr. In: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 562–569, 573, 576 f. 1219  § 46 a, § 48, § 51 und § 61 der AV des RJM vom 21.5.1935 betr. Mitteilungen in Strafsachen, abgedr. in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 582 f., 585; Vergehen gegen das Sammlungsgesetz erfolgten in Aachen, soweit es die entsprechenden Akten des RJM belegen, ausschließlich gegen Geistliche und wurden gegen Auferlergung eines Bußgeldes vor dem AG Aachen verhandelt. Siehe mit weiteren Nachweisen Tabelle 44, Anhang, S. 534. 1220  Siehe zu Mitteilungen in Rundfunksachen Verweis in Ziffer 3 der RV des RJM vom 26.8.1941 – 3234 III a4 1187/41 betr. Berichtspflichten in Sondergerichtssachen, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 22. 1221  Ziffer 1 RV des RJM vom 16.8.1941 – 3234 III a4 1187/41 – betr. Berichtspflichten in Sondergerichtssachen, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 21.



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 253

des Reichsjustizministeriums jeweils sofort durchzusagen. Die Entscheidung über die Vollstreckung und ihre Art werde ich jeweils schnellstens mitteilen. Zu ihrer Entgegennahme muss die Staatsanwaltschaft auch zur Nachtzeit entsprechend besetzt sein. Abschriften aller aufgrund der §§ 1–4 der VO gegen Volksschädlinge ergehenden Urteile sind mir jeweils sofort in zwei Ausfertigungen zuzusenden. (…)“1222. In den übrigen Sondergerichtssachen bedurfte es einer Unterrichtung des Sonderreferats lediglich, „wenn es in besonders wichtigen Verfahren geboten“ erschien1223. Die Zuständigkeit für Nichtigkeitsbeschwerden sowie für Rundfunkverbrechen, Delikte gemäß KSSVO und Verfahren gegen Ausländer waren in Beteiligungsreferate ausgegliedert, die formal nicht dem Sonderreferat unterstanden, wenngleich die Bearbeitung dieser Vorgänge zumindest teilweise durch Joel erfolgte1224. Selbst im Zuge der kriegsbedingt erlassenen VereinfachungsVO1225 wurde die Berichterstattung in Sondergerichtssachen in vollem Umfang aufrecht erhalten1226. Mitteilungen in Strafsachen waren dagegen grundsätzlich nur noch insoweit vorgesehen, „als sie im Einzelfall geboten und durchführbar“ erschienen1227. Soweit es den tatsächlichen Verfahrensablauf in Aachen betrifft, erfolgte keine Ausgliederung der Korrespondenz an die genannten Beteiligungsreferate. Vielmehr wurden in nahezu allen Sondergerichtssachen die Schriftstücke an den Sonderreferenten im RJM übersandt, wobei auch die formal anderen Referaten und Sachbearbeitern zugeteilten sachlichen Zuständigkeiten für Delikte wegen Zersetzung der Wehrkraft, Verfahren 1222  AV vom 12.9.1939 des RMJ durch Freisler an die Generalstaatsanwaltschaften, weitergeleitet an die Oberreichsanwälte beim Reichsgericht und VGH und die Oberstaatsanwälte, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 143, Bl. 10. 1223  LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 28. Ebenso Ziffer 3 der RV des RJM vom 26.8.1941 betr. Berichtspflichten in Sondergerichtssachen, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 22. 1224  So bearbeitete Joel Delikte wegen verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen gem. § 5 KSSVO. Klosterprozesse sowie Kriegsverbrechen, die vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit anhängig gemacht wurden, siehe Gruchmann, Justiz, S. 1187. 1225  RGBl. 1939 I, S. 1658. 1226  Ziffer 6 lit. b) der RV des RJM vom 29.8.1939, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 226, Bl. 15. 1227  Ziffer 4 der RV des RJM vom 29.8.1939, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 226, Bl. 15. Für Mitteilungen in Strafsachen von besonderer Bedeutung, Mitteilungen zur polizeilichen Strafliste, der Polizeiaufsicht, Strafsachen gegen Beamte, Geistliche, Rechtsanwälte, Bauernführer, Wehrmachtsangehörige, Versorgungsberechtigte, Angehörige des RAD, Zigeuner, Ausländer, Gewohnheitsverbrecher und Verfahren mit ausgesetzter Sicherungsverwahrung blieb jedoch auch hier in bisherigem Umfang die Mitteilungspflicht erhalten, siehe Ziffer 4 Satz 2 RV des RJM vom 29.8.1939, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 226, Bl. 15 iVm der hierauf bezugnehmenden AV des RJM vom 21.5.1935 betr. Mitteilungen in Strafsachen, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 549–604.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

gegen Ausländer und Nichtigkeitsbeschwerden zunächst bei Joel lagen1228. In der dokumentierten Verwaltungspraxis erfolgte damit keine abweichende ministerielle Zuständigkeitsaufteilung nach vereinzelten Deliktsgruppen. Wenn die Staatsanwaltschaft Aachen als Anklagebehörde vor dem Sondergericht tätig wurde, existiert eine ministerielle Korrespondenz deliktsgruppenunabhängig in der Hauptsache mit dem Sonderreferat. Lediglich sofern es die Anordnung der Strafverfolgung nach dem Heimtückegesetz als Antragsdelikt1229 sowie Entscheidungen in Gnadensachen betrifft, wurde das Schreiben nicht an den Sonderreferenten persönlich, sondern allgemein an das RJM adressiert. Technisch hatten die Berichte dergestalt zu erfolgen, dass „(…) in allen Strafsachen, die zur Zuständigkeit des (…) Sonderreferats gehören, (…) die Anklageschrift so rechtzeitig dem Sonderreferenten des Reichsjustizministeriums (…) zu übersenden“ war, „dass dieser in der Lage ist, vor Urteilsfällung mit dem Anklagevertreter Fühlung zu nehmen“1230. Für Berichterstattungen in Strafverfahren von besonderer Bedeutung, die „politische Kreise beschäftigen oder für die Staatsführung von Wichtigkeit sind“, wurde der Behördenleiter automatisch zur Veranlassung seines geplanten und berichteten Vorgehens ermächtigt, wenn innerhalb von 14 Tagen keine anderweitige Weisung des RJM erging1231. Der Zeitpunkt der Berichterstattung war an verschiedene Verfahrensstadien geknüpft, wobei die Vorgabe der Rechtzeitigkeit sich auf alle Berichte und Mitteilungen vor Abschluss der mündlichen Verhandlung erstreckte1232. Es erfolgte eine erste Korrespondenz als 1228  Die deliktsübergreifende Bearbeitung durch das Sonderreferat wird insbesondere dokumentiert durch Abbildung 4, unten, S. 257. Die Berichterstattung in Sondergerichtssachen leitet sich zudem von einer Verfügung des RJM vom 29.8.1939 ab, in welcher er auf Abschnitt VI Abs. 1. der RV vom 16.12.1934 – IIIa 25371, verweist, LAV NRW R, Gerichte Rep. 270, Akte 226, Bl. 14, 15. 1229  Jedoch wurde auch in Heimtückesachen auf die Berichterstattung an das Sonderreferat nicht verzichtet, siehe Abbildung 4, unten, S. 257. Das Antragserfordernis durch den RMJ und die bedingte Mitwirkung des StdF ergeben sich aus § 2 Abs. 3 HG, RGBl. 1934 I, S. 1270. 1230  RV vom 18.10.1939 des RMJ durch Dr. Crohne an den GStA in Köln, weitergeleitet an den LOStA Aachen, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 143, Bl. 12. So im Übrigen auch Ziffer 2 der RV des RJM vom 26.8.1941 – 3234 III a4 1187/41  – abgedruckt in Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 21. 1231  § 7 Abs. 1 der AV des RJM vom 21.5.1935  – III a 18 355/35  – betr. Mitteilungen in Strafsachen, abgedruckt in Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 554, 555. 1232  Bästleins abstrakte Ausführung, „die Akten mit den Berichten der Staatsanwaltschaften zu den sondergerichtlichen und politischen Verfahren finden sich nicht bei den Prozessakten vor Ort (…)“, trifft für die Ablagepraxis der Dokumente durch die Staatsanwaltschaft Aachen insoweit nicht zu, Bästlein, Justizterror, in: Festschrift Roggemann, S. 578. Vielmehr wurden die übersandten Berichte und Mitteilungen



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 255

Anlage zum Entwurf der Anklageschrift, die regelmäßig übersendet wurde. Sofern es sich um sondergerichtliche „Fälle von Bedeutung“ handelte, beinhalteten die Schriftstücke des Behördenleiters, vorwiegend bei angestrebten Todesurteilen, eine dahingehende schriftlich dokumentierte Information über die von der Staatsanwaltschaft in Aussicht genommenen Strafanträge1233. Im Übrigen wurde in der Mitteilung regelmäßig auf die anliegende Anklageschrift hingewiesen sowie eine weitere Mitteilung nach Festlegung des Termins der Hauptverhandlung in Aussicht gestellt. Unmittelbar nach Kenntnisnahme der Terminierung der mündlichen Verhandlung berichtete die Staatsanwaltschaft erneut an das Sonderreferat zwecks Übermittlung des Verhandlungstermins. In einigen Verfahren fielen die Berichte nach Erstellung der Anlageschrift mit den Terminmitteilungen zusammen, sofern der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits feststand. Mit Abschluss der Hauptverhandlung wurde die wesentliche Phase der Berichterstattung eingeleitet. Neben Kerninhalten des Urteils wurde zu jeder verurteilten Person das vom Sondergericht verhängte Strafmaß und der vom Sitzungsvertreter geforderte Strafantrag mitgeteilt. Je nach Eklatanz der Abweichung des Urteilstenors von den Vorstellungen der Anklagebehörde fügte LOStA Führer eine persönliche Einschätzung zum Gerechtigkeitsgrad der richterlichen Entscheidung bei, indem er den Richterspruch als angemessen, bedenklich oder nicht unbedenklich qualifizierte. In insgesamt 33 Fällen rügten Staatsanwaltschaft bzw. Generalstaatsanwaltschaft – die lediglich in fünf Fällen alleinige Kritik übte – die Entscheidungen des Sondergerichts Aachen als zu milde1234. Insbesondere nutzte der Aachener Behördenleiter in diesem Stadium die Berichts- und Mitteilungspflicht nicht ausschließlich zur konkreten Beanstandung des Urteils, sondern äußerte seinen Unmut über die generelle Urteilspraxis des Sondergerichts, nachdem dieses wegen der Entwendung einer Geldbörse einen Angeklagten zu zwei Jahren statt der be­ antragten Strafe von vier Jahren Zuchthaus verurteilt hatte: „Das Urteil entspricht der zu milden Strafen neigenden Einstellung des hiesigen Sondergerichts“1235. Die klare Positionierung der Staatsanwaltschaft, durch welche die rechtliche Würdigung des Sachverhalts durch das Gericht offen gerügt wurde, signalisiert, dass die Anklagebehörde weitere rechtskraftdurchbrechende Maßnahmen gegen „milde“ Urteile nicht ausschloss und ein sowie entsprechende ministerielle Anordnungen grundsätzlich in den Handakten der jeweiligen Verfahrensakten abgelegt. 1233  Siehe zur dahingehenden Verpflichtung die RV des RJM vom 20.3.1940, wiederholt am 3.9.1940  – III g 10 a 5000/39  – betr. Berichterstattung in Sondergerichtssachen, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 22. 1234  Siehe hierzu mit weiteren Nachweisen Tabelle 42, Anhang, S. 529. 1235  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, 76, Bl. 10.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

erhöhtes Augenmerk auf die jeweiligen Urteilsausfertigungen gerichtet sein würde. Überraschenderweise wurde in der Folge jedoch nur in zwei der insgesamt 33 Verfahren eine Nichtigkeitsbeschwerde erwogen und in weiteren drei Fällen tatsächlich angeregt, wobei nur eine Nichtigkeitsbeschwerde Erfolg hatte1236. Die Ursache für die hierdurch dokumentierte niedrige Erfolgsquote tatsächlich erfolgter „Entscheidungskorrekturen“ bei „milden“ Urteilen kann in dem geringen – insbesondere politischen – Stellenwert der in Rede stehenden Verfahren und in unangreifbar ausgefertigten Entscheidungsgründen des Urteils gesehen werden. Wesentlicher ist jedoch die Erkenntnis, dass Rechtskorrekturen nach Zugang der Urteilsausfertigung bei lediglich 15,2 % „milder“ Urteile weiter diskutiert wurden1237. Dies zeigt, dass die Bemühungen des Aachener Behördenleiters, sich für kommende Korrekturabsichten bereits im Vorfeld die Gunst der vorgesetzten Dienstbehörden zu sichern, in diesem Berichtsstadium ineffektiv waren. So ließen sich weder Generalstaatsanwaltschaft noch RJM von „Stimmungsberichten“ des LOStA beeinflussen, soweit es die konkrete Veranlassung weiterer Maßnahmen betraf. Selbst nach Zusendung der Urteile schien das Sonderreferat die einschlägigen Fälle im Lichte der Schilderungen des Behördenleiters nicht voreingenommen zu begutachten, sondern die Entscheidung bezüglich weiterer Maßnahmen alleine nach dem Gesichtspunkt der Erfolgsaussichten – basierend auf den konkreten Urteilsgründen – zu beurteilen. Sofern Fragen der Begnadigung nicht in die Zuständigkeit des Ministers fielen, stellen Berichte und Mitteilungen, die der Urteilsausfertigung beigefügt waren, die abschließende Korrespondenz mit dem Ministerium dar. Abermals hing der Umfang der dortigen Ausführungen wesentlich von divergierenden Strafmaßvorstellungen ab. Sofern der Schuldspruch bereits zuvor als „angemessen“ qualifiziert worden war, begnügte sich der Aachener Behördenleiter regelmäßig mit einem kurzen Verweis auf das beiliegende Urteil. Sofern der Verlauf der Hauptverhandlung allerdings in entscheidenden Punkten von der Linie des Sitzungsvertreters abgewichen war, wurde – soweit die Urteilsgründe Angriffsfläche boten und die Staatsanwaltschaft diese erkannte – bereits geäußerte Kritik aufrecht erhalten. Insgesamt stellen jedoch Fälle schlüssiger Kritik, wie die Quote von außerordentlichen Einsprüchen und Nichtigkeitsbeschwerden belegt, die Ausnahme dar1238. In Verfahren mit besonderem politischen Einschlag oder bedeutendem sachlichen und personellen Umfang konnte sich die Berichtspflicht zusätzlich auf das Ermittlungsverfahren ausdehnen, wobei der Umfang der in diesen Fällen getätigten Korrespondenz von den spezifischen Eigenheiten des Verfahrens 1236  Siehe 1237  Ebd.

Tabelle 42, Anhang, S. 529.

1238  Siehe zu den Zahlen der Nichtigkeitsbeschwerde und des außerordentlichen Einspruchs nochmals Tabellen 1, 2 und 3, oben, S. 102, 115, 149.



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 257

Äußerungsdelikte Delikte gegen RundfunkVO Delikte gegen WehrkraftVO (Kriegs-) Wirtschaftsdelikte Delikte gegen die VVO Sonstige (politische) Straftaten Allgemeine Straftaten

Abbildung 4: Diagramm zur prozentualen Verteilung erfolgter Berichte auf die jeweiligen Deliktsgruppen1239

abhing und nicht auf eine fixe Anzahl an Berichten beschränkt war. Insbesondere bei mit Todesurteil endenden Verfahren und nachträglichen Korrekturen zeigt sich während des gesamten Verfahrensablaufs eine tendenziell engere und häufigere Korrespondenz als in den übrigen Verfahren1240. Insgesamt ist eine Berichterstattung an das Sonderreferat in 67,6 % aller überlieferten Verfahren durch entsprechende Ablichtungen in den Handakten dokumentiert1241: Mit 37,9  % machen die Berichte bei Kriegswirtschaftsverfahren den größten Anteil überlieferter Berichte aus. Auf Äußerungsdelikte entfallen 27,3 %, auf Berichte in Verfahren gemäß VVO 23,5 %, auf Mitteilungen in Rundfunksachen 5,1 %, auf Berichte in allgemeinen Strafsachen 3,1 %, auf Berichte in sonstigen politischen Strafsachen 2,1 % und auf Berichte wegen Verstößen gegen die WehrkraftVO 1 %. Für insgesamt elf Verfahren wegen Landesverrats, Abtreibung, Begünstigung, Betrug, illegalen Grenzübertritts, Mord, Störung des Arbeitsablaufs sowie Verstoßes gegen die GewaltverbrecherVO sind Mitteilungen aus Aachen allerdings nicht überliefert1242. 1239  Siehe

S. 531.

zu den der Abbildung zugrundeliegenden Zahlen Tabelle 43, Anhang,

1240  Zu den Todesurteilen siehe eingehend unten, S. 374. Diese Handhabung trug insbesondere den erweiterten Berichtspflichten in „besonders bedeutungsvollen Verfahren“ Rechnung, siehe Ziffer 2 Satz 2 RV des RJM vom 26.8.1941 – 3234 III a4 1187/41  –, sowie RV des RJM vom 3.9.1940 -III g 10a 5000/39, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 21, 22. 1241  Siehe insoweit Tabelle 43, Anhang, S. 531. 1242  Kategorisch fehlende Berichterstattungen in den einschlägigen Betrugs- und Abtreibungsverfahren sind insbesondere auf die fakultative Mitteilungspflicht auf-

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

bb) Verpflichtung zur Erstattung politischer Lageberichte Durch mündlichen Auftrag vom 23. September 1935 sowie einem entsprechenden schriftlichen Erlass vom 25. November 1935 wurden die Generalstaatsanwaltschaften verpflichtet, fortan in zweimonatigem Turnus politische Lageberichte an das RJM zu übersenden1243. Ab November 1942 wurde der Berichtszeitraum in viermonatige Abstände gegliedert1244. Die Berichte basieren im Falle des Generalstaatsanwaltschaft Köln auf politischen Lageberichten, welche die Behördenleiter der Staatsanwaltschaften Aachen, Köln, Bonn, Koblenz und Trier auf Weisung des Provinzialchefs jeden zweiten Monat zu verfassen hatten, um dem GStA die Erstattung seiner Berichte „zu erleichtern“1245. Inhaltlich stand bei den zwischen drei bis elf Seiten umfassenden Berichten – anders als bei Mitteilungs- und Berichtspflichten – nicht die rechtsdogmatische Schilderung prozessrelevanter Informationen von Einzelfällen im Vordergrund. Vielmehr sollten sie über die Zusammenarbeit „zwischen StA und Polizei, StA und Partei, über die Wirkung aufsehen erregender Strafsachen auf die Stimmung in der Bevölkerung und über die Auswirkung aller Maßnahmen der Rechtspflege auf grund entsprechender RV zurückzuführen, siehe Ziffer 4 der RV des RJM vom 29.8.1939, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 226, Bl. 15. Soweit es die Landesverrats-, Mord- und Gewaltverbrecherverfahren betrifft, war eine Berichtspflicht grundsätzlich auch zu Kriegszeiten vorgesehen, vgl. für Verfahren gegen Gewaltverbrecher Ziffer 1 lit c) der RV des RJM vom 26.8.1941 betr. Berichtspflichten in Sondergerichtssachen, abgedruckt in Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 21, für Verfahren wegen Landesverrats siehe geheime RV in: Gruchmann, Justiz, S. 1091 sowie für Verfahren wegen Mordes Ziffer 3 der RV des RJM vom 26.8.1941 betr. Berichtspflichten in Sondergerichtssachen, abgedruckt in: Krug/ Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 22. Es kann in diesen sowie den übrigen Verfahren, in denen eine Berichtspflicht vorgeschrieben war und ausblieb, nicht ausgeschlossen werden, dass eine solche fernmündlich erfolgte und lediglich durch nicht angelegte oder abhandengekommene Gesprächsnotizen nicht dokumentiert sind. Die Verfahrensanzahl für Aachen ist detailliert dokumentiert in Tabelle 24, Anhang, S. 505. Die anteilige Berichtsüberlieferung bei den jeweiligen Delikten ergibt sich aus Spalte 3 der Tabelle 43, Anhang, S. 531. 1243  Siehe dahingehenden Verweis im Betreff des politischen Lageberichts des GStA in Köln vom 1.2.1941, Erlass III a 19663/35, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 41, sowie aus den Datierungen der politischen Lageberichte des GStA an das RJM ab dem 28.1.1943, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 93, 94. 1244  Dies ergibt sich konkludent aus der hieraus entsprechenden – durch den GStA Köln festgelegten – Änderung der jeweiligen Berichtszeiträume für den Behördenleiter der Staatsanwaltschaft Aachen, siehe Verfügung des GStA Köln vom 6.11.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 115. 1245  Auszug aus der Besprechung der Oberstaatsanwälte des Bezirks vom 6.11.1935, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 7.



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 259

das Volksempfinden“ Aufschluss geben1246. Die Lageberichte sind grundsätzlich in die Rubriken „Entwicklung der Kriminalität“ und „Haltung der Bevölkerung“ aufgeteilt, wobei sich die Inhalte zur letztgenannten Rubrik in der Anfangszeit auf ein Minimum beschränken1247. Die Schilderung der Kriminalitätsentwicklung orientierte sich prozentual an den Ausführungen in der jeweiligen Vorberichtszeit, wobei sich die gesamte Kriminalitätsrate nach den Ausführungen des GStA – einzelne Abweichungen in den jeweiligen Deliktsgruppen wurden nicht berücksichtigt – ab 1941 auf einem konstanten Level bewegte, dessen Intervall von Zu- und Abnahmen der Gesamtkriminalität im Bereich von ca. 15 % lag. Zudem wurde auf deliktspezifische Kriminalitätsentwicklungen eingegangen und ihre Entwicklung mit tatsächlichen Lebensumständen der rheinländischen Bevölkerung in Zusammenhang gebracht. Exemplarisch wurde ein vorübergehender Rückgang von Verstößen gegen die VVO mit der Jahreszeit und mit ihr einhergehenden zunehmenden Sonnenbeleuchtung erklärt, wodurch die Einschlägigkeit des Tatbestandsmerkmals der Verdunkelung gemäß § 2 VVO reduziert wurde1248. Umgekehrt wurde die Zunahme auf vermehrte Luftangriffe in der Region sowie auf eine tatbestandsmäßige Verlagerung der Eigentumsdelikte hin zur VVO zurückgeführt1249. Bei Heimtückedelikten rechtfertigte der mit der Geschäftsführung der Generalstaatsanwaltschaft beauftragte OStA Oster1246  Auszug aus der Besprechung der Oberstaatsanwälte des Bezirks vom 6.11.1935, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 7. 1247  Siehe insoweit die Lageberichte bis einschließlich 28.1.1944, in welchen sich die Ausführung zur Haltung der Bevölkerung auf wenige Zeilen beschränkt, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 41–124. 1248  Politischer Lagebericht des GStA an den RMJ vom 30.5.1941, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 48. Dass Eingänge von „Verdunkelungsverbrechen“ (§ 2 VVO) umgekehrt in den Wintermonaten zunehmen, zeigt der politische Lagebericht des GStA an den RMJ vom 28.1.1943, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 93. 1249  Politischer Lagebericht des GStA an den RMJ vom 31.7.1942, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 81, 81 rev. Für die Ursächlichkeit von Luftangriffen für die Zunahme der Verfahren ebenso politischer Lagebericht des GStA an den RMJ vom 10.10.1942, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 85. Ebenso politischer Lagebericht des GStA an den RMJ vom 28.1.1944, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 121 rev. Anm.: Die letztgenannte Begründung kann eine relative Zunahme der VVO-Delikte im Vergleich zur den Vorberichtszeit während des Krieges nicht schlüssig rechtfertigen. Zwar liegen der VVO in der Tat ausschließlich Eigentumsdelikte zugrunde. Jedoch gilt die Verlagerung der rechtlichen Einordnung von Eigentumsdelikten als VVODelikte spätestens seit Kriegsbeginn für alle Berichtszeiträume, sodass ein relativer Anstieg von Verstößen gegen die VVO bei einem Vergleich zweier Berichtszeiträume während des Krieges keine Erklärung für eine Zunahme darstellt. Die angesprochene Verlagerung der rechtlichen Einordnung schlägt sich insbesondere bei der Aachener Statistik zur Deliktsverteilung nieder, in welcher VVO-Delikte eine Zahl von 155 Verfahren, Delikte wegen einfachen Diebstahls hingegen lediglich 11 Verfahren ausmachen, siehe Anhang, Tabelle 24, S. 505.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

kamp im April 1942 eine eklatant rückläufige statistische Entwicklung um Zweidrittel im Vergleich zur Vorberichtszeit mit einer vertraulichen Information eines Stapo-Beamten an einen Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft in Köln. Hiernach seien Stapo-Stellen von höheren Behörden angewiesen worden, „die minder wichtigen Verfahren wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz nach Möglichkeit nach eigenem Ermessen selbstständig zu erledigen“1250. Ein Anstieg staatsabträglicher Äußerungen resultierte am Anfang des Jahres 1944 nach Meinung des GStA hingegen aus der Enttäuschung über Rückschläge im Krieg sowie einem vermehrten Einsatz ausländischer Arbeitskräfte1251. Für Verstöße gegen die RundfunkVO durch das Abhören feindlicher Sender nahm der GStA eine erhöhte Dunkelziffer an Verstößen an, da das Abhören insbesondere in ländlichen Gebieten weiter verbreitet sei als im Stadtgebiet, da dort ein „ungestörtes Abhören eher möglich“ war1252. Auf dem Gebiet der Kriegswirtschaftsdelikte zeichnete sich in der Berichtszeit von Februar und März des Jahres 1942 ein Anstieg von Schwarzschlachtungen ab, die in in zunehmendem Maße von Bauern aus der Region Aachen verübt worden waren. Dieses Phänomen erklärte sich Osterkamp – indem er die diesbezüglichen Schilderungen des LOStA Führer fast wortgleich übernommen hatte – mit dem Umstand mangelnden Verständnisses der Landwirte gegenüber den Lebensmittelrationierungen1253. Zudem gingen die Bauern nach staatsanwaltschaftlicher Einschätzung aufgrund des Arbeitermangels sowie der knappen Ernährungslage davon aus, dass eine Strafvollstreckung gegen sie allenfalls eingeschränkt durchgeführt werde, was sich durch die begünstigenden Stellungnahmen der Kreisbauernschaften in den einschlägigen Gnadenverfahren offenbar bestätigte1254. Ausführungen zur Zusammenarbeit mit anderen Stellen wurden grundsätzlich als Rubrik innerhalb der Kriminalitätsentwicklung berücksichtigt, jedoch nur insoweit thematisiert, als es Anlass zu Beanstandungen gab. So finden sich im Lagebericht von Februar 1942 Ausführungen zur „nicht reibungslosen Zusammenarbeit“1255 der Staatsanwaltschaft Aachen mit den 1250  Politischer Lagebericht des GStA an den RMJ vom 2.4.1941, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 44. 1251  Politischer Lagebericht des GStA an den RMJ vom 28.1.1944, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 121 rev. 1252  Politischer Lagebericht des GStA an den RMJ, nicht datiert, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. nicht angegeben. 1253  Politischer Lagebericht des GStA an den RMJ vom 30.3.1942, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 73. 1254  Ebd. Zur dahingehenden Entwicklung im LG-Bezirk Aachen wird an anderer Stelle eingehend eingegangen, siehe unten, S. 475. 1255  Politischer Lagebericht des GStA an den RMJ vom 4.2.1942, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 63 rev.



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 261

örtlichen Polizeibehörden im bereits an anderer Stelle aufgegriffenen Fall des Ortsgruppenleiters Paul S.1256. Auf der Grundlage des Aachener Lageberichts schilderte Osterkamp, dass die Kripo der Anklagebehörde Beweismaterial im laufenden Verfahren vorenthalten habe und auf dortige Nachfrage erklärt wurde, „dass der Leiter der Kriminalpolizeistelle nach Berlin gereist sei und Auftrag gegeben habe, der Staatsanwaltschaft kein Material auszuhändigen“, obwohl selbiges „in ausdrücklichem Auftrag der Staatsanwaltschaft sichergestellt worden“ war1257. Insgesamt bilden Berichte des GStA über derartige behördliche Unstimmigkeiten jedoch die Ausnahme1258. Ab Juni 1944 erfolgte eine inhaltliche Verlagerung von der Darstellung der Kriminalitätsentwicklung hin zu den tatsächlichen Kriegsumständen und ihrer Bedeutung für die Bevölkerung und die ansässige Justizverwaltung1259. Fortan rückten die Geschehnisse aus Aachen, die bis dahin von untergeordneter Bedeutung gewesen waren, zunehmend in den Vordergrund. Im Bericht von September 1944 erwähnt GStA Rahmel den Räumungsbefehl der Stadt Aachen durch Hitler am 11. September, der auch die Evakuierung der dort gelegenen Haftanstalt zur Folge hatte1260. Zugleich verlegten Sondergericht und Staatsanwaltschaft ihren Sitz nach Düren. Durch die lediglich zehn km entfernte Kampffront, die westlich von Düren verlief, war die Arbeit der Staatsanwaltschaft bereits zu diesem Zeitpunkt durch vereinzelte Bombenangriffe eingeschränkt worden1261. Daneben sind insbesondere die Äußerungen Rahmels zum logistischen Verfahren mit den staatsanwaltschaftlichen Akten relevant, die eine gezielte Vernichtung dokumentieren: „Nicht unerwähnt darf ich lassen, dass die Zurückführung eines wesentliches Teiles wichtiger Akten der Staatsanwaltschaft aus Aachen gelungen ist. Soweit eine Zurückführung nicht möglich war, sind die Geheim- und politisch wichtigen Akten vernichtet worden“1262. GStA Rahmel vermittelte der 1256  Zum

gesamten Verfahren gegen Paul S. unten, S. 411. Lagebericht des GStA an den RMJ vom 4.2.1942, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 64. 1258  So etwa der Umstand, dass Parteigerichte wiederholt um Übersendung von Verfahrensakten „zum Zwecke der Rechtshilfe“ gebeten hatten, obwohl es sich nicht um einen Fall von Rechtshilfe im technischen Sinne handelte, Allgemeiner Lagebericht des OLG-Präsidenten an den RMJ von 1943, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 97. 1259  Vergleiche insoweit die politischen Lageberichte ab dem 11.6.1944, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 132–158, mit den vorangegangenen Lageberichten, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 41–124. 1260  Politischer Lagebericht des GStA an den RMJ vom 21.9.1944, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 145. 1261  Ebd., Bl. 145 rev. So auch politischer Lagebericht des GStA an den RMJ vom 22.10.1944, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 150 rev. 1262  Politischer Lagebericht des GStA an den RMJ vom 21.9.1944, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 145 rev. 1257  Politischer

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Obrigkeit bis zuletzt ein verzerrtes Bild einer positiven Zukunftsprognose für die weitere Kriegsentwicklung im Rheinland: „Die Lage an den Fronten an den Westgrenzen des Rheinlandes wird an zuständiger Stelle zuversichtlich beurteilt. Der am Sonnabend eingetretene Verlust der Stadt Aachen hat eine Änderung in dieser Beurteilung nicht eintreten lassen“1263. Inwieweit die politischen Lageberichte dem Ministerium Anlass zu Weisungen und Verfügungen gegeben haben, ist unklar. Soweit es überlieferte behördliche Anordnungen seitens des Ministeriums oder des GStA an die Staatsanwaltschaft Aachen betrifft, wurde deren Notwendigkeit jedoch in keinem Fall mit einem Verweis auf Inhalte politischer Lageberichte begründet. Gleichwohl kann nicht ausgeschlossen werden, dass reichsweite Tendenzen zur Kriminalitätsentwicklung und andere Merkmale, die sich aus der Gesamtschau eingehender Lageberichte sämtlicher Generalstaatsanwaltschaften ergaben, zur ministeriellen Grundlage weiterer Regelungen gemacht wurden. Dies belegen wiederholte Anregungen der Generalstaatsanwaltschaft Köln zur Veranlassung von Gesetzesänderungen. So sprach sich Osterkamp nach wiederholten Luftangriffen auf Köln und damit verbundenen Diebstählen dafür aus, die normative Strafzumessung der §§ 2 und 4 VVO im Wege einer Gesetzesänderung auf eine „absolute Todesstrafe“ auszuweiten1264. cc) Einzelweisungen des Reichsjustizministeriums an die Staatsanwaltschaft Aachen1265 Die verfahrensbezogenen Einzelweisungen an die Staatsanwaltschaft konkretisierten ministerielle Vorstellungen von Rechtsanwendung und Strafzumessung und bildeten Bezugspunkt für übersandte Berichte und Mitteilun1263  Politischer Lagebericht des GStA an den RMJ vom 22.10.1944, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 151. 1264  Politischer Lagebericht des GStA an den RMJ vom 30.5.1942, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 76. Anm.: §§ 2 und 4 VVO sahen bereits bei „besonders schweren Fällen“ oder „besonderer Verwerflichkeit“ die Verhängung der Todesstrafe vor, siehe Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5.9.1939, RGBl 1939 I, S. 1679. Mit dem Begriff der „absoluten Todesstrafe“ ist vor diesem Hintergrund die Strafverschärfung dahingehend angeregt worden, keine qualitative Abstufung der Strafzumessung entsprechend dem Unrechtsgehalt der Tat vorzunehmen, sondern wie bei § 1 VVO die Todesstrafe als einzige Sanktion für sämtliche Diebstähle zu fordern, die sich unter die Tatbestände der §§ 2, 4 VVO subsumieren ließen. Zu einer gesetzlichen Umsetzung dieses Vorschlags seitens des Kölner GStA kam es jedoch nicht. 1265  In den nachfolgenden Darstellungen sind bloße ministerielle Meinungsäußerungen und nicht verbindlich formulierte – das heißt mit Verfügungscharakter versehene – Schriftstücke nicht als Weisungen berücksichtigt.



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 263

gen1266. Sie dienten neben der Einzelfallregelung dem Zweck, eine einheitliche Rechtsprechung bei vergleichbaren Fällen zu gewährleisten1267. Trotz formal zwischengeschalteter Generalstaatsanwaltschaft erfolgten ministerielle Anordnungen in Sondergerichtssachen unmittelbar gegenüber der lokalen Staatsanwaltschaft1268. Allerdings korrelierte nicht mit jedem Bericht aus Aachen eine entsprechende ministerielle Anordnung oder gar ein Antwortschreiben. Nur in Fällen, in welchen seitens des Ministeriums Korrekturbedarf bestand, erfolgten entsprechende Stellungnahmen. Sofern eine solche seitens des Sonderreferenten ausblieb1269, konnte dies als konkludente Zustimmung zu dem berichteten Inhalt gewertet werden. Einzige Ausnahme bildeten Berichte bei Antragsdelikten1270. Sofern Anordnungen zur Strafverfolgung ausblieben, wurde das Verfahren eingestellt1271. Abstrakt stellten Einzelweisungen das unmittelbarste und schwerwiegendste Mittel zu Lenkung der Staatsanwaltschaft dar, da sie konkret-individuellen Regelungscharakter entfalteten, indem sie einen spezifischen Sachverhalt für eine Einzelperson oder einen eingrenzbaren Personenkreis abschließend regelten. Die detaillierte Einflussnahme durch punktuelle Anordnungen bewirkte eine Bindungsintensität an zu stellende Anträge und Gesetzesanwendungen, die 1266  Verwaltungsbezogene Einzelweisungen werden aufgrund des lediglich administrativen Inhalts in der nachfolgenden Darstellung nicht berücksichtigt. Hierunter fielen insbesondere solche ministeriellen Mitteilungen, in welchen um eine aktualisierte Mitteilung gebeten wurde oder der aktuelle Stand des Verfahrens erfragt wurde. 1267  Schreiben StS Freislers an Generalstaatsanwaltschaft in Hamm vom 6.2.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 49, Bl. 49 c). 1268  Rüping, Provinzialjustizverwaltung, S. 29. 1269  Soweit es etwaige Fristen betrifft, in welchen ein ministerielles Antwortschreiben der Anklagebehörde zuzugehen hatte, ergab sich eine solche jedenfalls aus der RV Freislers an sämtliche Generalstaatsanwaltschaften vom 17.1.1942, in welcher er die Wichtigkeit eines beschleunigten Verfahrens vor den Sondergerichten binnen 14 Tagen nach Eingang der Anklage hervorhob, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 37. 1270  Siehe exemplarisch für die Anordnung der Strafverfolgung durch das RJM Verfahren Karl W. wegen Abhörens feindlicher Sender gem. § 1 RundfunkVO, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 6; Verfahren Edmund W. und andere wegen staatsfeindlicher Äußerungen gem. § 1 Abs. 2 HG, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 101; Verfahren Heinrich Z. wegen Kanzelmissbrauchs gem. § 130 a StGB, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 102; Verfahren Johann W. und andere wegen Abhörens feindlicher Sender gem. § 1 RundfunkVO, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 133. 1271  In einem abgeschlossenen Ermittlungsverfahren gegen den Landwirt Jakob J. wegen staatsfeindlicher Äußerungen gem. § 2 HG blieb eine Anordnung des RJM auf entsprechende Anfrage der Staatsanwaltschaft aus, sodass das Verfahren in der Folge eingestellt wurde, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 193. Ebenso im Verfahren gegen den Rentner Josef W. wegen Verstoßes gegen § 2 HG, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 655.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

den staatsanwaltschaftlichen Ermessensspielraum für das weitere Vorgehen grundsätzlich auf Null reduzierte. Die entzogene Ermessensprärogative barg jedoch das Problem, dass die Staatsanwaltschaft, die aufgrund der Sachbearbeitung eine erhöhte sachliche und örtliche Nähe zum Verfahren und zu den übrigen Strafrechtspflegeorganen hatte, nicht mehr flexibel auf unerwartete Verfahrensverläufe reagieren konnte. So wurde bei einer Besprechung mit sämtlichen Generalstaatsanwaltschaften im Zusammenhang mit ministeriellen Weisungen zum Strafmaß bemerkt, dass solch verbindliche Anweisungen erhebliche Beunruhigung geschaffen hätten, da insbesondere die Beantragung der Todesstrafe wiederholt nicht durchzusetzen gewesen sei und die örtlichen Staatsanwaltschaften in Schwierigkeiten gebracht hätten1272. Nach Aufforderung zur Stellungnahme über etwaige „Schwierigkeiten“ für die Staatsanwaltschaft Aachen führte EStA Ackermann im Oktober 1941 aus, dass „nach Äußerungen der hiesigen Sachbearbeiter für Sondergerichtssachen (…) Anweisungen des Reichsministers der Justiz zur Stellung bestimmter Strafanträge (…) nicht erfolgt“ seien. Es sei jedoch „mehrfach vom Justizministerium zum Ausdruck gebracht worden, dass die von hier aus vorgeschlagenen Strafanträge zu gering erschienen. Derartige Hinweise sind – soweit heute noch feststellbar – nur dann erfolgt, wenn eine entsprechende Stellungnahme des dortigen Sonderreferenten vorlag. Die Sachbearbeiter sind in diesen Fällen bemüht gewesen, den Gesichtspunkten des Ministeriums Rechnung zu tragen. Lediglich in der Sache W. u. a. – 2 S Ls 45 / 41 – hat das Ministerium dem hiesigen Sachbearbeiter gegenüber unmittelbar die Auffassung vertreten, dass bei den Angeklagten W. und S. wohl auch die Beantragung der Todesstrafe erwogen werden müsse. Nach Darlegung der sachlichen Gründe, die gegen einen derartigen Antrag sprachen, hat das Ministerium seinen Standpunkt nicht aufrecht erhalten und dem Sachbearbeiter die Entscheidung überlassen (fernmündlicher Anruf vom 24.9.1941)1273. Es kann daher (…) keine Rede davon sein, dass durch Anweisungen des Reichsjustizministeriums zum Strafmaß Beunruhigung hervorgerufen worden ist. Soweit die beantragten Strafen beim Gericht nicht zu erzielen waren, beruht dies lediglich auf der verschiedenen Beurteilung seitens der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft einerseits und des Gerichts andererseits“1274. In der Folgezeit 1272  Schreiben des RJM an die Generalstaatsanwaltschaften in Dresden, Celle, Düsseldorf, Köln, Kassel und Hamm vom 2.10.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 49, Bl. 44. 1273  Anm. d. Verfassers: Tatsächlich folgte der Sachbearbeiter jedoch der ursprünglichen Auffassung des Ministeriums und beantragte für die beiden Hauptangeklagten, die Gegenstand des außerordentlichen Einspruchs waren, die Todesstrafe. Siehe oben, S. 100. 1274  Schreiben des EStA in Aachen an den GStA vom 15.10.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 49, Bl. 46. Anm. d. Verfassers: Die im Zitat genannten Namen wurden vom Verfasser anonymisiert.



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 265

blieb jedoch der Fall W. nicht das einzige Verfahren, in welchem die Lenkung des RJM für den Antrag auf Todesstrafe beweiskräftig dokumentiert ist. In einem Fall wegen Viehschmuggels gegen vier Angeklagte gem. § 1 Abs. 1 KrWVO im Jahre 1942 teilte der Behördenleiter dem Sonderreferenten seine Absicht mit, gegen den Hauptangeklagten Landwirt Peter B. eine Zuchthausstrafe in Höhe von zehn Jahren beantragen zu wollen. Das Sonderreferat erwiderte diesen Bericht mit dem Hinweis, von dortiger Seite werde mit Blick auf den geschilderten Sachverhalt vielmehr die Todesstrafe für angemessen erachtet1275. Trotz dieser Maßgabe erstreckte sich der Strafantrag des Sitzungsvertreters Wickmann lediglich auf eine 36-monatige Zuchthausstrafe. Diese Abweichung lässt sich mit dem Umstand erklären, dass der Viehschmuggel in der Hauptverhandlung nur zu einem verhältnismäßig geringen Teil hatte nachgewiesen werden können1276. Das Selbstbewusstsein zur Abweichung Wickmanns von der ministeriellen Vorgabe wird nicht zuletzt auf eine Stellungnahme Freislers zurück zu führen sein, die der Staatsanwaltschaft zu Anfang des gleichen Jahres nachrichtlich zuging. Hierin stellte Freisler klar, „dass die seitens des RJM ergehenden Weisungen stets von dem Sachverhalt ausgehen, wie er sich aus der Anklage ergibt, und dass sie daher, wenn nicht im Einzelfall ausnahmsweise aus besonderen Gründen einmal ausdrücklich das Gegenteil gesagt sein sollte, nicht als bindend aufzufassen sind, wenn sich der Sachverhalt in der Hauptverhandlung als wesentlich anders als in der Anklage angenommen herausstellt“1277. Mit Blick auf diejenigen elf Strafverfahren, die tatsächlich mit Todesurteil beschieden wurden, geht in sieben Verfahren erwiesenermaßen die Initiative zur Beantragung der Todesstrafe von der Staatsanwaltschaft aus, nachdem der Behördenleiter seine dahingehende Intention im Berichtswege kundgetan hatte1278. In einem weiteren Verfahren kann eine Lenkung durch das RJM durch Vorgabe der Todesstrafe nicht nachgewiesen oder indiziert wer1275  LAV

NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 228, Handakte, Bl. 22. Bl. 29. 1277  Schreiben StS Freislers an Generalstaatsanwaltschaft in Hamm vom 6.2.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 49, Bl. 49 b) rev., 49 c). 1278  Fall Raymond D., unten, S. 379, dokumentiert durch Bericht an RJM vom 29.9.1944, LAV NRW R, NW 174, Nr. 200, Bl. 2.; Fall Josef K., unten S. 382, dokumentiert durch Schreiben des LOStA Führer an Joel unter Beifügung eines Anklageentwurfs, LAV NRW R, NW 174, Nr. 199, Band VII, Bl. 4; Fall Wilhelm M., siehe unten, S. 386; Fall Heinrich W., siehe unten, S. 402, dokumentiert durch Schreiben des LOStA Führer an Joel vom 10.12.1941, LAV NRW R, NW 174, Nr. 194, Band III, Bl. 7a; Fall Paul S., siehe unten, S. 411, dokumentiert durch Bericht des LOStA Aachen an das RJM vom 17.7.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 31; Fall Wilhelm Lemmens u. a., siehe unten, S. 420, dokumentiert durch Bericht zur Anklageübersendung an das Sonderreferat, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Nr. 179, Handakte, Bl. 2 rev; Fall Mathias P., siehe unten, S. 423, dokumentiert 1276  Ebd.,

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

den1279. In drei Verfahren mit anschließendem Todesurteil finden sich – wenn auch keine Beweise – jedenfalls Indizien, die eine Mitwirkung oder eine Lenkung des RJM nahelegen. Im Verfahren gegen Hubert B. forcierte der sachbearbeitende StA Zimmerath die Ermittlungen in eine einseitige Richtung, indem er ohne zwingende Anhaltspunkte versuchte, einen strafverschärfenden Sachverhalt zu konstruieren, um ein Todesurteil gegen B. erwirken zu können. Zudem hielt Zimmerath nach dem Abschluss des Ermittlungsverfahrens persönlich Rücksprache mit MinRat Crohne und StS Freisler, was die Einschätzung einer Abstimmung zwischen beiden Behörden verstärkt1280. Im zweiten Verfahren propagierte GStA Osterkamp die Beantragung der Todesstrafe gegen Wilhelm O., nachdem sich LOStA Führer im vorgeschalteten Bericht an das Sonderreferat ausdrücklich vom Antrag auf Todesstrafe distanziert hatte. Wenngleich der GStA tätig wurde, ist dies dennoch auch dem RJM zuzurechnen, da dieses wenigstens sein konkludentes Einverständnis gegeben hatte, die Entscheidung dem GStA zu überlassen1281. Im Verfahren gegen Hans K. ist das Lenkungsindiz in einer Vertagung der Hauptverhandlung zu erblicken, nachdem der Sitzungsvertreter nach dem Gang des Verfahrens die Aussichtlosigkeit eines erfolgreichen Todesurteils erkannt hatte. In seinem Bericht an den Sonderreferenten erklärt LOStA Führer rechtfertigend, dass nach den Erkenntnissen der Hauptverhandlung eine Todesstrafe nicht hätte erreicht werden können. Die Vertagung – trotz Anwesenheit aller Angeklagten und Zeugen – stellte eine Einmaligkeit dar. Dass LOStA Führer das Verfahren nicht zu Ende führte1282, sondern verschieben ließ, indiziert, dass das Anliegen der Erreichung der Todesstrafe nicht eigeninitiativ, sondern aufgrund überbehördlicher Weisung

durch Bericht des LOStA Aachen an das RJM vom 13.3.1943, BArch R 3001, Nr. 162245, Bl. 1. 1279  Fall Philipp L., siehe unten, S. 390. 1280  Fall Hubert B, siehe unten, S. 393. Die Veranlassung auf das Hinwirken eines Todesurteils wurde in diesem Fall durch ein konstruiertes Ermittlungsergebnis, welches nicht objektiv geführt zu sein schien, als auch durch die Tatsache indiziert, dass StA Zimmerath bereits nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens persönlich Rücksprache mit Dr. Crohne und Freisler hielt, siehe unten, S. 415. 1281  Zum ganzen Fall Wilhelm O., siehe unten, S. 397. Die Einflussnahme des RJM wird indiziert durch die Stellungnahme GStA Osterkamps, der die Todesstrafe propagiert (Bericht vom 5.2.1943, LAV NRW R, NW 174, Nr. 195, Band IV, Bl. 22), nachdem LOStA Führer in seinem vorherigen Bericht an den Sonderreferenten, welcher dem GStA nachrichtlich zuging, von der Todesstrafe ausdrücklich Abstand genommen hatte, LAV NRW R, NW 174, Nr. 195, Band IV, Bl. 3 f. 1282  So wie jedenfalls im Fall des außerordentlichen Einspruchs geschehen, indem ebenfalls die Todesstrafe von der Staatsanwaltschaft intendiert worden war und das Sondergericht diesem Wunsch nicht entsprach. Siehe zu diesem Verfahren nochmals oben, S. 100.



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 267

forciert worden war. Diese Einschätzung wird verstärkt durch den entschuldigenden Wortlaut des einschlägigen Verfahrensberichts1283. Neben Einzelweisungen zu Nichtigkeitsbeschwerden1284 bewahrheiten sich Ackermanns Ausführungen auch nicht dahingehend, keine Weisungen zum Strafmaß erhalten zu haben. In zwei Verfahren dokumentieren Schriftstücke eine konkrete Einflussnahme auf das in Aussicht genommene Strafmaß. In einem Verfahren gegen H. wegen Abhörens ausländischer Sender gemäß § 1 RundfunkVO schlug LOStA Führer gegenüber dem Ministerium eine Zuchthausstrafe in Höhe von 30 Monaten vor. Dieses hielt die avisierte Strafe jedoch für unverhältnismäßig und ordnete einen Strafantrag von 18 Monaten Zuchthaus an, der vom Sitzungsvertreter in der Folge weisungsgemäß eingebracht wurde1285. Im Verfahren gegen S. und zwei weitere Angeklagte wegen Verstoßes gegen § 1 Abs. 1 KrWVO hielt der Sonderreferent die erwogenen Strafen dagegen für zu milde und regte für den Hauptangeklagten einen Strafantrag von mindestens fünf Jahren Zuchthaus an1286. StA Zimmerath beantragte jedoch abweichend eine Freiheitsstrafe von lediglich vier Jahren Zuchthaus. Die Missachtung der Weisung kann aufgrund des unmissverständlichen Schreibens aus Berlin einzig mit der bereits geschilderten Situation erklärt werden, dass der Sitzungsvertreter im Laufe der Verhandlung erkannte, dass mit Blick auf den Verlauf der Hauptverhandlung und die Beweiswürdigung des Sondergerichts die ministerielle Vorgabe undurchführbar erschien. Hierfür spricht, dass das Sondergericht mit der Verhängung einer dreijährigen Zuchthausstrafe immerhin noch zwölf Monate hinter dem geforderten Strafantrag Zimmeraths zurückblieb. Auch für Zimmerath muss – wie für Wickmann im o. g. Verfahren – berücksichtigt werden, dass das Schreiben Freislers zur Bindungswirkung von Einzelweisungen im Zweifelsfall stärkend auf das Selbstbewusstsein Zimmeraths zur getätigten Abweichung wirkte. Soweit es die konkrete Rechtsanwendung und -auslegung betraf, nahm das RJM in zwei Fällen im Weisungswege Einfluss auf die weitere staatsanwaltschaftliche Arbeit. Nachdem die Anklagebehörde einen Kabelarbeiter 1283  Siehe zum ganzen Fall Hans K., unten, S.405, dokumentiert durch Bericht des LOStA Führer an das RJM vom 14.5.1941, LAV NRW R, NW 174, Nr. 193, Band VI, Bl. 32, indem LOStA Führer die vom Sitzungsvertreter beantragte Vertagung vor dem Sonderreferenten damit rechtfertigt, dass nach den Erkenntnissen des Hauptverhandlungstermins eine Todesstrafe nicht erreicht werden konnte. 1284  Siehe sowohl die Fälle, in welchen die Initiative zur Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde vom RJM ausging, als auch diejenigen Verfahren, in welchen auf Geheiß des Ministeriums von der beabsichtigten Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde abgesehen wurde, Tabelle 3, oben, S. 149. 1285  Siehe Schreiben des RJM, LAV NRW R Ger. Rep. 113, Akte 18, Bl. 11. 1286  Siehe Schreiben des RJM, LAV NRW R Ger. Rep. 113, Akte 202, Bl. 17.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

wegen Verstoßes gegen § 1 Abs. 1 KrWVO angeklagt hatte, prüfte das RJM über die Ermittlungen hinaus, ob der Angeklagte, der Nesselstoff bei sich führte, abweichend vorrangig gem. § 143 a Abs. 1 StGB angeklagt werden sollte, sofern Nesselstoff ein Wehrmittel iSd Gesetzes dargestellt hätte. Dies verneinte das OKW nach dahingehender ministerieller Anfrage jedoch, sodass es bei der ursprünglichen Anklage blieb1287. In einem zweiten Verfahren sah die Staatsanwaltschaft aufgrund eines Diebstahls die objektiven Tatbestandsmerkmale von § 1 VVO verwirklicht. MinDir Crohne wies den Aachener Behördenleiter nach übersandter Anklageschrift in einer ausführlichen Stellungnahme – unter Ablehnung einer Anklage gemäß § 1 VVO – auf die abstrakten Fallkonstellationen für die Anwendung der §§ 1 und 4 VVO hin, sodass die Anklage schließlich auf § 4 VVO umgestellt wurde1288. Die abstrakte Intensität von Einzelweisungen aufgrund ihres konkret-individuellen Regelungscharakters setzte sich im Ergebnis bei einer Betrachtung über ihre Wirkungsweise für die Staatsanwaltschaft Aachen nicht fort. Ihre abgeschwächte Wirkung hat sowohl quantitative wie qualitative Ursachen: Setzt man die neun Nichtigkeitsbeschwerde-Verfahren, in welchen Einzelanordnungen des Sonderreferenten nachweislich dokumentiert sind1289, in Beziehung zu den dargestellten beiden Fällen direkter Lenkung in Verfahren mit anschließendem Todesurteil, den beiden Einflussnahmen zum Strafmaß sowie den beiden dokumentierten Verfahren vorgegebener Rechtsanwendung, machen Einzelweisungen gemessen an der Gesamtzahl aller dokumentierten Verfahren lediglich einen Anteil von 2,2 % aus1290. Selbst bei Gegenüberstellung der Verfahrensanzahl mit ergangenen Einzelweisungen zur Verfahrensanzahl, in welchen eine sonstige Berichtskorrespondenz mit dem RJM dokumentiert ist, machen Einzelweisungen lediglich einen Anteil von 3,1 % aus1291. Auch qualitativ wurde die Bindungswirkung bereits durch die Aus1287  Verfahren 1288  Verfahren

gegen Heinrich M., LAV NRW R Ger. Rep. 113, Akte 431, Bl. 9. gegen Hubert A., LAV NRW R Ger. Rep. 113, Akte 608, Hand-

akte, Bl. 17. 1289  Verfahren, in denen das RJM der Staatsanwaltschaft Aachen bezüglich der Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde eine ablehnende Einzelanordnung erteilte: Fälle 1, 2, 5, siehe nochmals oben, S. 116, 119, 124. Verfahren, in denen das RJM der Staatsanwaltschaft die Weisung zur Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde erteilte: Fälle 6, 7, 8, 9, 12, 15, siehe nochmals oben, S. 126, 128, 130, 132, 137, 144. 1290  Zur Gesamtanzahl aller Verfahren siehe Tabelle 24, Anhang, S. 505. 1291  Zur Gesamtanzahl der Verfahren, in welchen Berichte seitens der Staatsanwaltschaft erfolgten siehe Tabelle 43, Anhang, S. 531. Ein Grund für den geringen Anteil an Einzelweisungen zum Strafmaß könnte in ihrer Wirkung auf die Sachbearbeiter selbst gelegen haben. Aus der Arbeitsüberlastung der Staatsanwaltschaft, die eine persönliche Vernehmung der Angeklagten aus zeitlichen Gründen oft unmöglich machte, resultierten nach Aussagen des Kölner Behördenleiters der Staatsanwalt-



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 269

führungen Freislers beträchtlich relativiert1292, da die abstrakte Wahrscheinlichkeit, die Erkenntnisse der Hauptverhandlung könnten in ihrer Darstellung und Bewertung von der Anklageschrift abweichen, latent vorlag. Betrachtet man die konkrete Umsetzung erfolgter Einzelanordnungen durch die Sachbearbeiter, so erfolgte eine weisungskonforme Ausführung lediglich in vier von sechs Verfahren. Bemisst man demnach den konkreten Erfolg ministerieller Lenkung der Staatsanwaltschaft Aachen im Wege von Einzelverfügungen, so erfolgte eine umfängliche Instrumentalisierung, bei welcher die Anklagebehörde zum reinen Exekutivwerkzeug des RJM durch weisungskonforme Umsetzung degradiert wurde, in lediglich 0,6 % aller Verfahren. dd) Weitere Arten von Verwaltungsbestimmungen mit Bindungswirkung für die Staatsanwaltschaft – Richtlinien, Rundverfügungen und Allgemeinverfügungen Sofern es sich um keine punktuelle, einzelfallbezogene Lenkungsmaßnahme handelte, sondern ein in sich abgeschlossener Sachbereich für eine Vielzahl von Behörden mit Verwaltungsbestimmungen unterlegt werden sollte, nutzte das Ministerium Richtlinien, Rundverfügungen und Allgemeinverfügungen1293. Diese konkretisierten in Anlehnung an Gesetze oder Rechtsfolgen das weitere administrative Vorgehen der Behörden. So existieren Richtlinien exemplarisch für die Amtstracht, für die Tätigkeit von Justizpressestellen, zu Maßnahmen aus Anlass von Todesurteilen, zur Verordnung einer weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege und zum Gesetz über die Änderung von Vorschriften des allgemeinen Strafverfahrens, des Wehrmachtstrafverfahrens und des Strafgesetzbuchs1294. Im Verfügungswege schaft oftmals erhebliche Divergenzen zwischen dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft und der Auffassung der Gerichts. Unter Verweis auf diese Problematik sei es nach dortiger Auffassung „wohl wünschenswert, dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft nur in den wirklich erforderlichen Fällen bestimmte Anweisungen zur Frage des Strafmaßes zu erteilen, zumal das Verantwortungsbewusstsein und die Arbeitsfreudigkeit der Sachbearbeiter allgemein durch Bindungen an Weisungen solcher Art nicht gestärkt werden“, politischer Lagebericht des LOStA Köln vom 17.3.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 231, Akte 979, S. 107, 108. 1292  Siehe zur Stellungnahme Freislers nochmals oben, S. 265. 1293  Formal handelt es sich bei diesen Richtlinien um Verfügungen, siehe Rüping, Justizverwaltung, S. 35. Obschon sie teilweise als AV und RV deklariert sind, werden sie gesondert dargestellt, da ihr Anknüpfungspunkt im Gegensatz zu den sonstigen AV und RV kein Einzelfall ist, auf dessen Basis verallgemeinerungsfähige Bestimmungen formuliert werden, sondern einen geschlossenen Sachbereich umfasst, der wiederum aus einer Vielzahl an Einzelbestimmungen besteht. 1294  Die aufgeführten Beispiele sind angelehnt an die Auflistung von Richtlinien nach Rüping, Provinizialjustizverwaltung, S. 210, dort mit weiteren Nachweisen.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

wurden zudem verwaltungsrechtliche Strafvorschriften wie die Vereinheitlichung der Staatsanwaltschaft, die Geschäftsverteilungen, Abteilungs- und Zweigstellenbildung sowie die Aufgaben der Staatsanwaltschaft im Landgerichtsbezirk erlassen1295. Auch die konkrete Handhabung von materiellen Strafrechtsnormen wurde vereinzelt auf dem Wege von Verwaltungsbestimmungen konkretisiert1296. Die für die Anklagebehörde wesentlichen Bestimmungen stellten jedoch neben den „Mitteilungen in Strafsachen“1297 die „Richtlinien für das Strafverfahren“1298 dar. Durch ihr Inkrafttreten wurden sämtliche bis dato erlassenen Bestimmungen zur Behandlung von Strafsachen oder zur Verfolgung von Verstößen gegen Reichsgesetze hinfällig1299. Formal gliedert sich der Richtlinienkatalog in zwei Teile. Im ersten, allgemeinen Teil, der insgesamt 305 Bestimmungen beinhaltete und sich in sei1295  Dritte AV des RMJ zur Durchführung des Zweiten Gesetzes zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich: Vereinheitlichung der Staatsanwaltschaft, vom 18.12.1934, in: DJ 1934, S. 1608; RV zur Geschäftsverteilung zwischen Staatsanwaltschaft und Amtsanwaltschaft vom 23.10.1939, abgedruckt in: Krug/Schäfer/ Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 36; RV des RMJ zur Bildung von Abteilungen vom 2.12.1937, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 41; Erlass des RMJ zu Zweigstellen der Staatsanwaltschaft vom 29.12.1934, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 42; AV des RJM zu Aufgaben und Einrichtung der landgerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Zweigstellen in den sudetendeutschen Gebieten vom 27.11.1938, in: DJ 1938, S. 1897. 1296  So gab Reichsjustizminister Gürtner exemplarisch in einer an die Staatsanwaltschaft Aachen weitergeleiteten Rundverfügung vertiefende Erläuterungen zur Verordnung über die Erweiterung der Zuständigkeit der Sondergerichte, wonach „mehrere die Öffentlichkeit stark beschäftigende Mord- und Raubfälle (…) das Bedürfnis nach sofortiger Aburteilung (…) in einem besonders schnellen und rechtsmittellosen Verfahren offenbart haben“, RV des RMJ an die Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte, weitergeleitet an den LOStA Aachen betr. VO über die Erweiterung der Zuständigkeit der Sondergerichte vom 20. November 1938, RGBl. 1938 I, S. 1632, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 143, Bl. 7. In den in der Verordnung einschlägigen Tatbeständen formuliert Gürtner etwa ungeschriebene Fallgruppen, bei deren Vorliegen die Anklagebehörde zwingend tätig werden soll, obwohl das Gesetz ausdrücklich Ermessen vorsieht. Nach dem Wortlaut des Art. I ErweiterungsVO (RGBl. 1938 I, S. 1632) kann die Anklagebehörde bei Verbrechen unter den einschlägigen Voraussetzungen Anklage vor dem Sondergericht erheben. Nach Gürtner soll sie aber Anklage vor dem Sondergericht erheben, „wenn die unvermeidliche Verzögerung der Aburteilung im ordentlichen Strafverfahren unerwünscht ist“, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 143, Bl. 7. 1297  AV des RJM vom 21.5.1935  – III a 18 355/35  –, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 549–604. 1298  AV des RJM vom 13.4.1935, Amtliche Sonderveröffentlichung der Deutschen Justiz Nr. 7, abgedruckt in Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 49–274. 1299  Schlussbemerkung der AV des RJM vom 13.4.1935, abgedruckt in: Krug/ Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 274.



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 271

nem Aufbau an den chronologischen Verfahrensstadien eines ordentlichen Strafverfahrens orientierte, wurden Bestimmungen für das Vorverfahren, die Anklageerhebung, das Hauptverfahren, Rechtsmittel, Wiederaufnahme des Verfahrens, besondere Verfahrensarten, Strafsachen gegen Wehrmachtsangehörige und ausländische Rechtshilfeersuchen formuliert. Der zweite, besondere Teil enthielt 136 Bestimmungen, die an spezielle Delikte und Deliktsgruppen geknüpft waren, wie Sittlichkeitsdelikte, Beleidigung, Körperverletzung, Abtreibung, Diebstahl und das Heimtückegesetz1300. Für die Staatsanwaltschaft hatten die Richtlinien, insbesondere soweit es die Bestimmungen des allgemeinen Teils betrifft, eine eingeschränkte Geltung, da für sondergerichtliche Verfahren weder eine Voruntersuchung vorgesehen noch Rechtsmittel statthaft waren, sodass der allgemeine Teil partiell ohne nennenswerte Bedeutung für die Anklagebehörde beim Sondergericht blieb1301. Für ihre Geltung bei Sondergerichtsverfahren zeigten die Richtlinien allerdings in weiten Teilen Parallelen zur nationalsozialistischen Strafgesetzgebung auf, indem systematisch Generalklauseln und wertausfüllende Rechtsbegriffe verwendet werden1302. Der zweite wesentliche Richtlinienkatalog, die „Mitteilungen in Straf­ sachen“1303, gliederte sich in drei Abschnitte: Allgemeine Bestimmungen, einzelne Mitteilungspflichten und Schlussvorschriften. Der erste Abschnitt widmet sich in sechs Paragraphen formalen Kriterien wie dem Inhalt und der Form von Mitteilungen sowie der Aufzählung mitteilungspflichtiger Stellen. Der zweite Abschnitt, der inhaltlich und quantitativ den Hauptteil der Allgemeinverfügung darstellte, umfasste 97 Paragraphen, welche unter insgesamt sechs Rubriken subsumiert wurden und normierten, unter welchen Voraussetzungen eine Mitteilung zu erfolgen hatte. So war die Staatsanwaltschaft verpflichtet, in Strafsachen von „besonderer Bedeutung“, bei personenbezogenen Voraussetzungen des Täters oder sonstiger Personen 1300  Da die Richtlinie eine allgemeine Bestimmung darstellt und daher keinen für die Staatsanwaltschaft Aachen gegenüber anderen Anklagebehörden spezifischen Regelungscharakter entfaltet, wird an dieser Stelle auf eine eingehende Darstellung der konkreten Regelungsinhalte verzichtet. Einen Überblick über die prägnanten Regelungsmerkmale innerhalb des Verfahrensablaufes gibt Hornhardt, Strafjustiz, S. 57–68. 1301  §§ 11, 16 Abs. 1 VO der Reichsregierung über die Bildung von Sondergerichten vom 21.3.1933, RGBl. 1933 I, S. 137. 1302  Exemplarisch für wertausfüllende Rechtsbegriffe, die der Staatsanwaltschaft Anlass zu weiteren Handlungen geben, sind Formulierungen wie „die Allgemeinheit erregende Straffälle“, „im Volke wurzelndes gesundes Rechtsempfinden“, „verwerfliche Gesinnung“ und Böswilligkeit“, AV des RJM vom 13.4.1935, Nr. 4, 137 Abs. 1, 411 Abs. 4, abgedruckt in Krug/Schäfer/Stolzenburg, S. 50, 111, 255. 1303  AV des RJM vom 21.5.1935  – III a 18 355/35 –, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 549–604.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

sowie bei Verletzung spezifischer Strafgesetze zu berichten. Eine Gegenüberstellung der vor dem Sondergericht Aachen anhängigen Delikte zum Deliktskatalog von Abschnitt II D zeigt, dass auch die dortigen Mitteilungspflichten nur von eingeschränkter Relevanz waren. Von den in den §§ 44–93 genannten Tatbeständen der Richtlinie kamen alleine den §§ 46 a, 51, 61 und 68 konkrete Bedeutung zu1304. Soweit es personenbezogene Mitteilungspflichten betrifft, wurde im Zuge der kriegsbedingten Vereinfachungsmaßnahmen eine grundsätzliche Mitteilungspflicht nur noch in eingeschränktem Umfang aufrecht erhalten, während in den übrigen Fällen eine Mitteilung nur noch erfolgen sollte, soweit diese „im Einzelfall geboten und durchführbar erschien“1305. Insbesondere in Verfahren gegen Beamte, Angestellte des Staates, Bauernführer, Angehörige der Wehrmacht, des Arbeitsdienstes sowie Zigeuner und Ausländer änderte sich an der Mitteilungsobligation nichts. So verfasste die Staatsanwaltschaft in insgesamt 117 Verfahren gegen ausländische Staatsbürger in immerhin 88 Fällen Mitteilungen. Gegen insgesamt acht Beamte in sieben Verfahren erfolgten in fünf Fällen Mitteilungen. Sonstige Angestellte des Staates, insbesondere bei Post und Eisenbahn, bei denen Mitteilungen gemäß § 21 ebenfalls zu erfolgten hatten, machten eine Gesamtzahl von 14 Personen in 13 Verfahren aus. In diesen Strafsachen wurde dem Ministerium in neun Fällen Mitteilung gemacht1306. Mitteilungen und Richtlinien entfalteten im Ergebnis nicht disponible Bindungswirkung und unterschieden sich insoweit nicht von Einzelverfügungen. Umgekehrt existieren Dokumente, wie eine einschränkende Stellungnahme Freislers bei Einzelverfügungen, für oben genannte Bestimmungen nicht, sodass eine maximale Bindungswirkung erzielt wurde, da sie wie bei Gesetzen und Verordnungen abschließend war. Die Lenkungsintensität durch „Richtlinien in Strafverfahren“ ist insoweit jedoch als abgeschwächt zu beurteilen, als der Staatsanwaltschaft ein Ermessensspielraum bezüglich Strafmaß und konkreter Rechtsanwendung in Einzelfällen verblieb. Dies gilt für die Staatsanwaltschaft Aachen umso mehr, da weisungskonform ausgeführte Einzelverfügungen tatsächlich die Ausnahme darstellten1307. Um­ 1304  Vergleiche Tabelle 43, Anhang, S. 531, mit der Auflistung normgebundener Mitteilungspflichten der AV des RJM vom 21.5.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/ Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 579–598. 1305  Ziffer 4 Verfügung des RJM vom 29.8.1939, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 226, Bl. 15. 1306  Für die Nichtüberlieferung von Mitteilungen in den übrigen Fällen ist die zum Teil nur fragmentarisch überlieferte Aktenlage in den einschlägigen Fällen ursächlich. In den übrigen Fällen ist nicht auszuschließen, dass Mitteilungen fernmündlich erfolgten und durch Nichtanfertigung, anderweitige Ablage oder Verlust von entsprechenden Gesprächsnotizen nicht dokumentiert werden kann. 1307  Siehe oben, S. 262.



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 273

gekehrt regelten die Richtlinien das administrative Vorgehen in Bezug auf prozessuales und materielles Strafrecht derart lückenlos, dass die Arbeit der Anklagebehörde in genau vorgegebenen Bahnen verlief. Tatsächlich folgt auch die gängige Praxis der Staatsanwaltschaft Aachen bei Betrachtung des regelmäßigen Verfahrensablaufs grundsätzlich den Richtlinien für das Strafverfahren sowie der Allgemeinverfügung bezüglich der Mitteilungs­ pflichten1308. ee) Besprechungen und Tagungen Die Steuerung der Rechtspflege beschränkte sich indes nicht auf Einzelweisungen und Verwaltungsvorschriften, sondern wurde von Besprechungen und Tagungen, die fortbildenden Charakter hatten und einen interbehördlichen Erfahrungsaustausch bewirken sollten, flankiert. Auf Provinzialebene fanden Besprechungen für Generalstaatsanwälte im Reichsjustizministerium statt. Diese hatten regelmäßig Ausführungen bezüglich des Strafmaßes für spezifische Delikts- und Tätergruppen zum Inhalt1309. Darüber hinaus wurden einzelne von der Obrigkeit kritisierte Urteile und Verfahrensabläufe besprochen, um Defizite zu eruieren und den judikativen Willen des Ministeriums zu veranschaulichen. Der Inhalt der Besprechungen wurde auf dem Dienstweg, soweit sie die Behördenleiter betrafen, weitergeleitet. Anlässlich einer zu milden Rechtsprechung der Sondergerichte bei Verbrechen gegen die Volksschädlingsverordnung fanden sich im Oktober 1939 sämtliche Vorsitzenden Richter aller Sondergerichte sowie Sacharbeiter für Sondergerichtssachen aus den Generalstaatsanwaltschaften im Reichsjustizministerium ein. Im Rahmen dieser Besprechung forderte Freisler, dass bezüglich des Strafmaßes „eine Härte erreicht werden muss (…), die vor dem Härtesten nicht zurückschreckt. (…) Wo die Besten als Soldaten ihr Leben für das Volk einsetzen“, müsse „der, der gegen das Volk 1308  Dies lässt sich anhand der wiederkehrenden und vergleichbaren, deliktsimmanenten Verfahrensabläufe beurteilen. Zudem sind einige Richtlinien flankiert worden von entsprechenden Formvorlagen. So werden von der Staatsanwaltschaft Aachen beispielsweise im Ermittlungsverfahren für alle Verfahren identische Vordrucke für personenbezogene Daten der Beschuldigten und Zeugen verwendet, deren informationelle Notwendigkeit sich aus Nummer 18 der Richtlinie für das Strafverfahren ableitet, abgedruckt in Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 55, 56 iVm AV des RJM vom 22.8.1936 betr. die Nachprüfung von Angaben Beschuldigter über ihre Zugehörigkeit zur NSDAP und deren Gliederungen, DJ 1936, S. 1282. 1309  So wurden in einer Besprechung im September 1935 die Generalstaatsanwälte darauf hingewiesen, dass gegen die sog. internationalen Bibelforscher sowie in Fällen von Abtreibung die antragsgemäße Strafe zu milde sei, Akte RJM, BArch R 3001, Akte 24277; Gruchmann, Justiz, S. 1100.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

arbeitet, sein Leben ebenfalls riskieren“1310. Auf Bezirksebene fanden gesonderte Besprechungen für die Oberstaatsanwälte beim Generalstaatsanwalt statt. Exemplarisch erhielt LOStA Führer im Januar 1942 eine Einladung von OStA Osterkamp, welche eine „Aussprache (…) zum Strafmaß im Allgemeinen, zum Strafmaß bei Verstoß gegen die Kriegswirtschaftsverorordnung, Strafmaß bei Schwarzschlachtung und bei Heimtückevergehen“ und zur Auslegung von Tatbestandsmerkmalen einzelner Straftatbestände zum Gegenstand hatte. So sollte der Begriff des „Verbreitens“ gemäß § 2 d RundfunkVO, die Grenze eines „schweren Falles“ im verbotenen Umgang mit Kriegsgefangenen oder das Verhältnis von § 1 Änderungsgesetz1311 zu denjenigen Delikten, bei denen die Todesstrafe absolut angeordnet ist, eruiert werden1312. Die Teilnahme der Aachener Sachbearbeiter an dieser Besprechung wird belegt durch entsprechende Reisekostenabrechnungen1313. Für das Jahr 1944 sind in den Generalakten darüber hinaus Dokumente von Tagungen für die Staatsanwaltschaft erhalten geblieben. Arbeitstagungen erstreckten sich grundsätzlich über einen Zeitraum von drei bis vier Tagen und wurden zentral durch das Ministeramt im RJM, welches mit der Leitung der Arbeitstagungen betraut war, organisiert. Sämtliche Tagungen, zumindest im Jahr 1944, fanden auf der Reichsburg Kochem statt. Sachlich widmeten sie sich einer „Kriminologischen Schulung“1314, einer Arbeitstagung für „Nachwuchskräfte“, für „Personalreferenten“ sowie für die „Vorsitzenden der Sondergerichte“ und die „Oberstaatsanwälte bei den Sondergerichten“1315. Die Tagungen hatten in organisatorischer Hinsicht militärischen Charakter. Der Tagesablauf war minutiös festgelegt und begann nach dem Wecken um 6:30 Uhr zunächst mit Frühsport um 6:35 Uhr und dem Flaggenhissen. Zwischen zwölf und 14:00 Uhr fanden Mittagessen und Mittagsruhe statt, nach dem Abendessen um 19:00 Uhr war ab 22:30 Uhr „Burgruhe“ vorgeschrieben. In der Zwischenzeit wurden von ausgewählten Dozenten Vorträge zu „leitenden Gedanken der nat. soz. Rechts1310  Akte

RJM, BArch R 3001, Nr. 24158; Gruchmann, Justiz, S. 1102 ff. des Gesetzes zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuchs vom 4.9.1941, RGBl. 1941 I, S. 549. 1312  Rundschreiben der GStA durch Dr. Osterkamp an den Leiter der Anklagebehörde bei dem Sondergericht in Aachen vom 13.1.1942, betr. Veranstaltung einer „Tagung der Sondergerichte“ am 24.1.1942 im Plenarsaal des Justizgebäudes am Reichenspergerplatz in Köln; LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 29. 1313  Für den LOStA Führer, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 31; für StA Höher, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 32; für StA Zimmerath, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 33. 1314  Schreiben des Ministeramtes in RJM an die OLG-Präsidenten und Generalstaatsanwaltschaften vom 6.7.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 26, Bl. 26. 1315  Schreiben des Ministeramtes in RJM an die OLG-Präsidenten und Generalstaatsanwaltschaften vom 11.4.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 26, Bl. 29. 1311  § 1



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und Verfahrenserneuerung“, zu „Grenzen des Justizanspruchs im Kriege“, dem Verhältnis von Justiz und Partei, zur Zusammenarbeit mit Partei und Behördenstellen, Richtern und Staatsanwälten als „politische Leiter“, dem „Führerprinzip“ in der Rechtspflege, zu „Volkstumsfragen im Recht während des Krieges“ und zur Strafzumessung gehalten1316. Neben einer inhaltlichen Vermittlung sollte durch die bewusste örtliche Abschottung das Gemeinschaftsgefühl unter den führenden Juristen auf regionaler Ebene im nationalsozialistischen Geist gefestigt und die Verinnerlichung nationalsozialistischer Weltansschauung für die Strafrechtspflege gefördert werden. 2. Die Generalstaatsanwaltschaft Köln – Bindeglied zwischen ­Reichsjustizministerium und Staatsanwaltschaft Aachen a) Stellung und sachliche Zuständigkeit Die Generalstaatsanwaltschaft stellt in der vertikalen und dreigliedrig aufgebauten Behördenstruktur des Reiches die Mittelinstanz dar. Sie stand gegenüber dem Reichsjustizministerium ebenso wie die Staatsanwaltschaft in den ihr zugeteilten Bezirken in einem Verhältnis der Weisungsabhängigkeit1317, war dem Ministerium jedoch durch die Verreichlichung der Justiz unmittelbar unterstellt worden1318. Im Verhältnis zu den nachgeordneten Anklagebehörden, und damit ebenfalls gegenüber der Staatsanwaltschaft Aachen, war sie die vorgesetzte Dienstbehörde1319. Da gegen Sondergerichtsverfahren kein Rechtsmittel zulässig war, kam der Generalstaatsanwaltschaft als prozessualer Akteurin vor dem OLG keine nennenswerte Bedeutung zu1320. Einzig, sofern der ORA im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde seine Kompetenz zur weiteren Bearbeitung an den GStA abrat, entfaltete die Mittelbehörde als Anklagevertreter Relevanz1321. Ihre Kern1316  Programm der Arbeitstagung für Nachwuchskräfte vom 18.4.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 26, Bl. 30–32. An der Tagung für Nachwuchskräfte nahmen ausweislich der Teilnehmerliste jedoch keine Staatsanwälte oder Richter aus Aachen teil, ebd., S. 33 f. 1317  § 9 Dritte AV des RJM zur Durchführung des Zweiten Gesetzes zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich, Vereinheitlichung der Staatsanwaltschaft vom 18.12.1934, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, S. 29. 1318  So im Ergebnis Frank, Reichseinheit, in: JW 1935, S. 2 f. 1319  § 10 Dritte AV des RJM zur Durchführung des Zweiten Gesetzes zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich, Vereinheitlichung der Staatsanwaltschaft vom 18.12.1934, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, S. 29. 1320  Siehe zur mangelnden Statthaftigkeit von Rechtsmitteln, § 16 Abs. 1 VO der Reichsregierung über die Bildung von Sondergerichten, RGBl. 1933 I, S. 137. 1321  Siehe zum an den GStA abgetretenen Verfahren im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde nochmals oben, Fall 8 der Nichtigkeitsbeschwerde, S. 130.

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aufgabe erstreckte sich jedoch auf die Bewältigung verwaltungsrechtlicher Aufgaben, namentlich der Aufsicht und Leitung der unterstellten Staatsanwaltschaften sowie der Geschäftsverteilung im Bezirk1322. Exemplarisch verfügte der GStA im Februar 1941 die Festlegung der Anklagevertreter und Sachbearbeiter für in Aachen zu bearbeitende Sondergerichtssachen1323. Auch die Überwachung einer „genauen Befolgung der gesetzlichen und dienstlichen Vorschriften“ sowie „eine schleunige und gleichmäßige Erledigung der Geschäfte (…) bei den (…) unterstehenden Staatsanwaltschaften“ fielen in ihren sachlichen Zuständigkeitsbereich1324. In besonders bedeutungsvollen Strafsachen wurde der Provinzialchef – neben der seit 1935 bestehenden Pflicht zur Anfertigung politischer Lageberichte – außerdem verpflichtet, dem Ministerium unaufgefordert über die Sachlage und wichtige Maßnahmen zu berichten1325. Unter diese Fallkonstellation fielen mit Blick auf die Tätigkeit der Generalstaatsanwaltschaft Köln neben Stellungnahmen zu Todesurteilen die Ausführungen zu Aachener Sondergerichtsverfahren, die im Zusammenhang mit anzuregenden oder eingelegten Nichtigkeitsbeschwerden standen. Sonstige Stellungnahmen zu Einzelverfahren, denen keine erhöhte Bedeutung beizumessen war, finden sich nur ausnahmsweise und beziehen sich regelmäßig auf ein vom Gericht verhängtes oder von der Staatsanwaltschaft beantragtes Strafmaß1326. Aufgrund der 1322  Siehe §§ 9–11, 23 Dritte AV des RJM zur Durchführung des Zweiten Gesetzes zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich, Vereinheitlichung der Staatsanwaltschaft vom 18.12.1934, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, S. 29, 30, 34. 1323  Verfügung des GStA vom 17.2.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 158, Bl. 13. 1324  § 10 Dritte AV des RJM zur Durchführung des Zweiten Gesetzes zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich, Vereinheitlichung der Staatsanwaltschaft vom 18.12.1934, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, S. 29. 1325  § 11 Dritte AV des RJM zur Durchführung des Zweiten Gesetzes zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich, Vereinheitlichung der Staatsanwaltschaft vom 18.12.1934, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, S. 30. 1326  In fünf Verfahren qualifiziert der GStA Köln die vom Sondergericht Aachen verhängten Strafen zu milde, Verfahren gegen V. und O. gem. § 2 HG, Stellungnahme vom 23.1.1942, BArch R 3001, Nr. 165316, Bl. 8, 8 rev.; Verfahren gegen V. gem. § 2 HG, Stellungnahme vom 16.3.1942, BArch R 3001, Nr. 185377, Bl. 9 rev.; Verfahren gegen W. gem. § 1 HG, Stellungnahme vom 24.11.1941, BArch R 3001, Nr. 185862, Bl. 6 rev.; Verfahren gegen L. gem. § 2 HG, Stellungnahme vom 30.10.1941, BArch R 3001, Nr. 106320, Bl. 5 rev.; Verfahren gegen L. und W. gem. § 1 RundfunkVO, Stellungnahme vom 16.12.1941, BArch R 3001, Nr. 106404, Bl. 2. In einem Fall wegen Beleidigung der Wehrmacht gem. § 134 a StGB bemängelt GStA Windhausen die vom Sitzungsvertreter beantragte Freiheitsstrafe von sieben Wochen als zu gering, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 169, Bl. 11. Im Anschluss an das Heimtückeverfahren gegen den Korbwarenhändler S, in dem die Staatsanwaltschaft Aachen eine viermonatige Freiheitsstrafe wegen staatsfeindlicher Äußerungen gefordert hatte, verteidigte der GStA den vom Sondergericht Aachen



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 277

weisungsgebundenen Aufgabenausführung nahm die Mittelbehörde weitestgehend die Funktion „als notwendige Verteilerin von Weisungen“ des RJM einerseits, sowie der Weiterleitung von Berichten der Unterinstanzen an das Ministerium andererseits, ein1327. Originäre Verfügungen des GStA gegenüber der Anklagebehörde stellten dagegen die Ausnahme dar1328. Sofern sie in den Vorgängen dokumentiert sind, kommt ihnen zumeist nur eine die ministeriellen Anordnungen wiederholende oder konkretisierende Bedeutung zu. So gab der Behördenchef in Köln exemplarisch Erläuterungen zu einer durch das Justizministerium übersandten Ablichtung eines im Reichsgesetzblatt veröffentlichten Gesetzes, in welcher er den wesentlichen normativen Inhalt in abgeänderter Formulierung und anhand einschlägiger Fallkonstellationen wiedergab1329. b) Relevante Akteure aa) OStA Dr. Dr. Otto Osterkamp Otto Osterkamp wurde am 27. Mai 1881 bei Saarbrücken geboren. Nach der Absolvierung des ersten Staatsexamens im Juni 1913 mit der Gesamtbenotung „ausreichend“ wurde sein weiterer juristischer Werdegang durch die Teilnahme am ersten Weltkrieg zunächst unterbrochen, bevor er das zweite Staatsexamen am 1. September 1920 – ebenfalls mit der Benotung „ausreichend“ – ablegte1330. Der vorläufigen Verwendung als unentgeltlicher Mitarbeiter bei der Staatsanwaltschaft Köln folgte im September 1927 die Ernennung zum Staatsanwaltschaftsrat. Nach der Beförderung und Abordnung als EStA an die Generalstaatsanwaltschaft Köln am 1. März 1933 wurde Osterkamp schließlich am 1. August 1938 zum OStA ernannt1331. Ab August 1939 betraute man ihn mit der kommissarischen Leitung der GStA Köln, nachdem der bis dato amtierende GStA Windhausen zur Wehrmacht eingezogen worden war1332. Einer entsprechenden Beförderung im Dienstbeschlossenen Freispruch, in dem er die von der Anklagebehörde zugrundegelegten „Tatsachenbehauptungen“ als bloße straffreie Werturteile qualifizierte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 113, Bl. 6, 8. 1327  Rüping, Provinzialjustizverwaltung, S. 23. 1328  Insoweit setzen sich die diesbezüglichen Erkenntnisse Rüpings zur Generalstaatsanwaltschaft in Celle für das Verhältnis zwischen dem Kölner Provinzialchef und der Staatsanwaltschaft Aachen fort, siehe Rüping, Provinzialjustizverwaltung, S. 25. 1329  LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 143. 1330  LAV NRW R, NW-PE 692, Bl. nicht angegeben. 1331  Ebd. 1332  Ebd.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

rang stand die ministerielle Einschätzung entgegen, es handele sich bei Osterkamp um „keine überragende Persönlichkeit“ und keinen „GStATyp“1333. Osterkamps Eintritt in die NSDAP erfolgte am 1. Mai 19331334. Er führte die Geschäfte bis zu seiner Ablösung durch GStA Rahmel im November 1943 fort1335. Gegenüber der ihm unterstehenden Aachener Anklagebehörde blieb OStA Osterkamp als persönlicher Akteur nach dokumentierter Aktenlage unauffällig. In den von ihm verfassten politischen Lageberichten wurden Vorgänge der Staatsanwaltschaft Aachen lediglich an zwei Stellen aufgegriffen, nämlich als die Polizeistelle in Aachen Ermittlungsakten vorenthalten hatte und als es zum Anstieg von Schwarzschlachtungen durch Landwirte im Landkreis Aachen gekommen war1336. Obwohl 75 % derjenigen Verfahren, bei denen eine Nichtigkeitsbeschwerde in Rede stand, in den Zeitraum unter Osterkamps Leitung fielen, wirkte dieser in lediglich drei Fällen – hiervon zweimal erfolgreich – aktiv an einer Rechtskraftdurchbrechung mit1337. Der Anteil ergangener Einzelverfügungen an die Staatsanwaltschaft während seiner Amtszeit machte insgesamt 63,7 % aus1338. Sonstige erwähnenswerte Besonderheiten in seiner Eigenschaft als Dienstvorgesetzter für die Anklagebehörde sind nicht dokumentiert.

1333  Vermerk

vom 10.3.1943, LAV NRW R, NW-PE 692, Bl. nicht angegeben. Justizalltag, S. 39. 1335  Osterkamp wurde in der Folge zum Senatspräsidenten am OLG Köln befördert, erkrankte aber im Jahre 1944 und wurde schließlich 1948 in den Ruhestand versetzt, LAV NRW R, NW-PE 692, Bl. nicht angegeben. Auf eine Darstellung des Persönlichkeitsprofils Paul Anton Windhausens wird an dieser Stelle verzichtet, da dieser aufgrund seiner Einberufung zur Wehrmacht keinen persönlichen Einfluss auf die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen entfaltete. Ausführungen zu Windhausen finden sich in Stirken, Justizalltag, S. 34, 35. 1336  Zur Zusammenarbeit mit der Aachener Polizeidienststelle: Politischer Lagebericht des GStA an den RMJ vom 4.2.1942, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 64. Zu den Schwarzschlachtungen: Politischer Lagebericht an den RMJ vom 30.3.1942, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 73, 73 rev. Die Ausführungen zu den Aachener Vorgängen wurden wortgleich übernommen, vgl. insoweit politischen Lagebericht des LOStA Führer an den GStA vom 16.3.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 83, 84. Siehe oben, S. 258. 1337  Es handelte sich um die Nichtigkeitsbeschwerde-Verfahren Fall 1–3, 5–7, 9, 11, 12 und 14–16. Lediglich in Fall 1, 11 und 12 erfolgte eine aktive Mitwirkung. Siehe zum Ganzen mit Verweis auf die Datierungen der entsprechenden Korrespondenz nochmals oben, S. 116, 119, 121, 124, 126, 128, 132, 136, 137, 141, 144, 146. 1338  Es handelt sich um insgesamt sieben von 11 gegenständlichen Verfahren, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 309, 519, 560, 22, 307, 325 und 418. Siehe zum Inhalt der jeweiligen Einzelverfügungen eingehend unten, S. 288. 1334  Stirken,



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 279

bb) GStA Willy Rahmel Willy Rahmel wurde am 28. Februar 1882 in Groß-Jenznick geboren. Die erste juristische Staatsprüfung legte er im September 1907 mit der Gesamtnote ausreichend ab, die große Staatsprüfung bestand er im März 1913 ebenfalls mit der Benotung ausreichend1339. Im Zeitraum zwischen 1914 und 1918 nahm Rahmel am ersten Weltkrieg teil, wurde mit dem Eisernen Kreuz II. und I. Klasse ausgezeichnet und schied aus dem aktiven Militärdienst im Range eines Hauptmannes der Reserve aus1340. Nach Kriegende wurde er im Jahr 1920 zunächst als ständiger Hilfsarbeiter bei der Staatsanwaltschaft in Schneidemühl beschäftigt, bei welcher er ein Jahr später zum Staatsanwaltschaftsrat ernannt wurde. Es folgten Beförderungen zum EStA bei der Generalstaatsanwaltschaft Marienwerder, zum OStA bei der Staatsanwaltschaft in Glogau sowie in Magdeburg ab 19381341. Bei dienstlichen Beurteilungen wurde hervorgehoben, dass Rahmel es „versteht (…), mit allen Stellen der Bewegung und allen Behörden in Fühlung zu bleiben und bei allem Entgegenkommen seinen Standpunkt zu wahren und sich durchzusetzen“1342. Der Naumburger GStA attestierte Rahmel umfassende Allgemein- und Fachkenntnisse und sah ihn als „aufrechten deutschen Mann (…) fest im Volk“ verwurzelt und „mit unbedingter Zuverlässigkeit treu hinter dem Führer“ stehend1343. Im Jahre 1942 bat der Reichsjustizminister erfolgreich um Zustimmung der Partei1344, Rahmel bei Hitler als Generalstaatsanwalt beim OLG Braunschweig vorzuschlagen, unter anderem aufgrund der Erwägung, dass dieser seine ausgeübte Funktion „mit großer Tatkraft und Umsicht geleitet hat“ und er „die Gewähr dafür bietet, dass er sich jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einsetzt und ihn wirksam vertritt“1345. Ab dem 12. November 1943 wurde Rahmel

1339  Personalbogen

geben.

1340  Stirken, 1341  Ebd.

vom 10.1.1939, LAV NRW R, NW Pe 1013, Bl. nicht ange-

Justizalltag, S. 35.

1342  Dienstliche Beurteilung vom 25.4.1934 durch den GStA in Breslau, LAV NRW R, NW Pe 1013, Bl. nicht angegeben. 1343  Dienstliche Beurteilung vom 8.2.1937 durch den GStA in Naumburg/Saale, LAV NRW R, NW Pe 1013, Bl. nicht angegeben. 1344  Das Zustimmungserfordernis der übrigen Stellen ergibt sich aus § 18 Nr. 2 c des Erlasses über die Änderung der Geschäftsordnung der Reichsregierung vom 6.4.1935, RMBl. 1935 I, S. 423. 1345  Schreiben des RMJ an den Reichsminister des Innern, den Reichsminister der Finanzen, nachrichtlich an den Leiter der Parteikanzlei sowie den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei vom 5.2.1942, LAV NRW R, NW Pe 1013, Personalakte Justizministerium, Bl. 50, 50 rev. Siehe zur positiven Stellungnahme der Parteikanz-

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

schließlich durch den RMJ als GStA im OLG Bezirk Köln eingesetzt1346, nachdem der Reichsverteidigungskommissar in Hannover zuvor erfolglos versucht hatte, Rahmel in seinem Bezirk zu belassen, da die „Zusammenarbeit mit Generalstaatsanwalt Rahmel“ so positiv sei, „wie man sie selten bei Justizbehörden“ fände1347. Dass die intensive Zusammenarbeit mit der politischen Leitung nicht auf den OLG Bezirk Celle beschränkt blieb, zeigt sich durch die im Rahmen von Verfahren gegen politische Funktionäre bedingte Versetzung des Aachener Sachbearbeiters Zimmerath, an der Rahmel maßgeblich beteiligt war1348. Bei seiner Amtseinführung in Köln, der unter anderem StS Rothenberger, der Gauleiter des Gaus Köln-Aachen Grohé sowie Vertreter von Partei, Staat und Wehrmacht beiwohnten, interpretierte der neue GStA Rahmel seine künftige Aufgabe als ihm „übertragenen Kampf gegen Volksschädlinge, die noch glaubten, sich aus der Gemeinschaft ausschließen zu können“1349. Für die Aufgabe im „neuen Wirkungskreis“ seien die Worte des Führers in dessen letzter Rede „richtungsweisend“ und „geradezu Programm“1350. Rahmels formal dokumentierte Nähe zur Partei korreliert mit den vorstehenden politisch konnotierten Äußerungen bei dessen Amtseinführung in Köln: So trat er ab dem 1. Mai 1933 der NSDAP sowie dem NSRB bei, bei welchem er zuletzt das Amt eines Kreisabschnittsführers im Gau Magdeburg-Anhalt bekleidete. Weitere Mitgliedschaften bestanden zum NSV, dem RDB, dem RLB, dem VDA, dem Reichskolonialbund sowie dem NS-Altherrenbund1351. Darüber hinaus wurde er 1943 als SS-Anwärter vermerkt1352. Aussagen des Landesministers der Justiz nach Kriegsende sowie entsprechende Einlassungen Rahmels belegen auch tatsächliche Parteiaktivitäten durch Teilnahme an Kameradschaftsabenden der SS sowie einem Gauparteitag im Jahre 1935. Zudem war Rahmel als Amtswalter in einem Schulungslager des NSRB tätig und im Jahre 1939 als Kreisabschnittsführer des NSRB an einer Arbeitstagung und einem Schulungslager des Gaurechtsamts der NSDAP sowie des NSRB aktiv gelei sowie zur Ernennung Rahmels zum GStA in Braunschweig, LAV NRW R, NW Pe 1013, Personalakte Justizministerium, Bl. 57, 58. 1346  Siehe Verfügung des RMJ vom 4.11.1943, LAV NRW R, NW Pe 1013, Personalakte Justizministerium, Bl. 81. 1347  Schreiben des Gauleiters Lauterbach in Hannover an den RMJ vom 20.4.1943, LAV NRW R, NW Pe 1013, Bl. 73. 1348  Siehe oben, S. 223. 1349  Wiedergabe der Worte Rahmels im Artikel „Amtseinführung des Generalstaatsanwalts Rahmel in Köln“ der Deutschen Justiz, in: DJ 1943, S. 542. 1350  Ebd. Anm.: Gemeint ist die Rede Hitlers im Reichstag vom 26.4.1942. 1351  Personalbogen aus dem Jahr 1943, Datum nicht angegeben, LAV NRW R, NW Pe 1013, Personalakte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 1352  Ebd.



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 281

wesen1353. Das OVG Münster gelangte in einem späteren Pensionsanspruchsverfahren gegen Rahmel zur Einschätzung eines „Überwiegens politischer Rücksichten bei den beiden Ernennungen zum Generalstaatsanwalt“1354. Rahmel bekleidete sein Amt bis zum Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes. Mit Blick auf seine einflussnehmende Tätigkeit auf die Staatsanwaltschaft Aachen hinterlässt Rahmel einen nachhaltigeren Eindruck als sein Amtsvorgänger Osterkamp. Diese Einschätzung gründet sich nicht auf die quantitative, sondern die qualitative Einflussnahme. Der Akt der initiierten Versetzung des Aachener StA Zimmerath nach Prag aufgrund der nicht erwünschten Ermittlungspraxis gegen Parteifunktionäre im Gau KölnAachen stellt dabei die ausschlaggebende Handlung dar, die in ihrer politischen Gewichtung und personellen Tragweite für die Tätigkeit der Aachener Anklagebehörde ihresgleichen sucht1355. Auch durch den Besuch der Staatsanwaltschaft Aachen am Standort Düren im Jahre 1944 sowie durch Ausführungen zu Kriegsauswirkungen in Aachen zeigte Rahmel einen intensiveren persönlichen Bezug zu der ihm unterstehenden Staatsanwaltschaft1356. Mit seiner späten Ernennung zum GStA in Köln korreliert ein verminderter Umfang an Nichtigkeitsbeschwerde-Verfahren, die in seiner Zeit durchgeführt wurden. Dennoch wirkte er an insgesamt zwei der vier gegenständlichen Verfahren während seiner Amtszeit aktiv mit, in einem Fall sogar durch persönliche Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde bei dem OLG Köln nach dahingehender Kompetenzübertragung durch ORA Brettle1357. Im 1353  Siehe insoweit die Ausführungen des Landesministers der Justiz an das Landesverwaltungsgericht Düsseldorf vom 6.11.1951, LAV NRW R, NW Pe 1013, Klageakte, Bl. 9 rev., sowie die eigene dahingehende Einlassung im Schreiben Rahmels an das Landesverwaltungsgericht vom 26.11.1951, LAV NRW R, NW Pe 1013, Klageakte, Bl. 13 rev. Rahmel betonte in seiner hierauf erfolgten Stellungnahme die Berufsbezogenheit aller Veranstaltungen und die Vorstellung, „dass man den Belangen der Rechtspflege besonders diene, wenn man sich nicht abseits stelle, sondern mit den Personen, die auf den Gang der Rechtspflege Einfluß zu nehmen bestrebt waren, Fühlung halte, um von dort drohenden Angriffen in der Rechtspflege von vornherein vorzubeugen“, Schreiben Rahmels an das Landesverwaltungsgericht vom 26.11.1951, LAV NRW R, NW Pe 1013, Klageakte, Bl. 13, 14. 1354  Berufungsurteil des OVG Münster zu den Pensionsansprüchen Rahmels vom 24. November 1955, LAV NRW R, NW Pe 1013, Klageakte, Bl. 89. 1355  Siehe oben, S. 168. 1356  Politischer Lagebericht des GStA an den RMJ vom 21.9.1944, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 145 rev., sowie politischer Lagebericht des GStA an den RMJ vom 22.10.1944, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 150 rev. 1357  Es handelt sich um die oben geschilderten Nichtigkeitsbeschwerde-Fälle 4, 8, 10 und 13, wobei in Letzterem die aktive Mitwirkung erfolgte. Siehe zur Beschwerdeeinlegung Rahmels Fall 13, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 44, Bl. 39. Siehe oben, S. 122, 130, 134, 139. Die Möglichkeit der Kompetenzübertragung ermöglichte Artikel 7 § 2 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 13.8.1942, RGBl. 1942 I, S. 508.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Übrigen wurden 36,4 % aller verfahrensbezogenen Einzelverfügungen gegenüber der Staatsanwaltschaft während seiner Tätigkeit erlassen1358. cc) Sonderreferent bei der Generalstaatsanwaltschaft: EStA Arnold Georg Wilhelm Arnold wurde am 30. Juni 1902 geboren. Im Dezember 1924 legte er seine erste juristische Staatsprüfung mit der Gesamtnote „genügend“ ab, im November des Jahres 1928 bestand er das Assessorexamen in Berlin mit der Beurteilung „vollbefriedigend“, woraufhin er vom Preußischen Justizministerium zum Gerichtsassessor ernannt wurde1359. Er arbeitete zunächst beim AG Limburg und bei der Staatsanwaltschaft Limburg als unentgeltliche Hilfskraft. Ab 1. Januar 1931 wurde er ständiger Hilfsarbeiter sowie Leiter der dortigen Amtsanwaltschaft1360. Im August 1934 erfolgte schließlich seine Beförderung zum Staatsanwaltschaftsrat bei der Staatsanwaltschaft in Koblenz, ab November 1940 wurde er nach Köln versetzt. Schließlich folgte die Ernennung zum EStA bei der Generalstaatsanwaltschaft, bei welcher er ab Oktober 1942 bis zum Kriegsende als Sonderdezernent für Sondergerichtsverfahren arbeitete1361. Seit April 1933 war Arnold Mitglied in der NSDAP und hatte dort das Parteiamt eines kommissarischen Blockleiters, eines Rottenführers sowie des Pressewartes bei einer NS-Motorradstaffel inne1362. Zudem war er seit Juli 1933 Mitglied des NSKK und dort als Rottenführer und Fürsorgereferent aktiv. Darüber hinaus besaß er eine Mitgliedschaft im RLB seit 1933, im NSRB seit 1934, im NSV seit 1935 sowie im RKB seit 19371363. Bereits in den Anfangsjahren als Hilfsarbeiter bei der Staatsanwaltschaft in Limburg fiel Arnold durch seine politische Gesinnung auf: „Politisch steht Arnold auf dem Boden der nationalen Regierung und der nationalsozialistischen Weltanschauung. (…) Arnold dürfte (…) Gewähr dafür bieten, dass er auf Grund seiner Verwurzelung im deutschen Volk und seiner Verbundenheit mit dem Wesen und den Zielen des neuen Staates geeignet ist, die Rechtspflege im Sinne desselben auszu1358  Es handelt sich um insgesamt vier von elf dokumentierten verfahrensbezogenen Einzelweisungen, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 194, 238, 257 sowie 360. Siehe zum Inhalt der Verfügungen im Einzelnen unten, S. 288. 1359  LAV NRW R, NW Pe 3633, Personalbogen RJM, Akte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 1360  Personalbogen zur Dienstlichen Beurteilung des OStA in Koblenz aus dem Jahr 1937, LAV NRW R, NW Pe 3633, Akte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 1361  Personalbogen zur Dienstlichen Beurteilung des GStA in Köln aus dem Jahr 1943, LAV NRW R, NW Pe 3633, Akte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 1362  Ebd., sowie Dienstliche Beurteilung des GStA in Frankfurt vom 8.3.1934, LAV NRW R, NW Pe 3633, Akte Justizministerium, Bl. 21. 1363  Ebd., Bl. nicht angegeben.



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 283

üben und Träger des Gedankenguts dieses Staates zu sein“1364. Die politische Einschätzung Arnolds seitens seiner Vorgesetzten blieb bis zuletzt äußerst positiv; so wurde Arnold wahrgenommen als „opferbereiter Na­ ­ tionalsozialist“1365 und „unbedingt zuverlässiger Anhänger des nationalsozialistischen Staates“1366. Neben seiner formalen Eigenschaft als Empfänger und Verteiler der Berichte zu den Aachener Sondergerichtsvorgängen trat Arnold lediglich im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde gegen den S. als Sitzungsvertreter vor dem OLG-Köln in Erscheinung, nachdem GStA Rahmel selbige gegen das Aachener Ausgangsurteil eingelegt hatte1367. c) Lenkungsinstrumente auf Provinzialebene und ihre Bedeutung für die Staatsanwaltschaft Aachen aa) Berichts- und Mitteilungspflichten an den Generalstaatsanwalt Originäre Berichts- und Mitteilungspflichten gegenüber dem GStA in Köln in laufenden Sondergerichtsverfahren existierten nicht1368. Vielmehr wurden die an das RJM zu sendenden Reporte auf dem Dienstweg über den GStA weitergeleitet, sodass dieser von den Schriftstücken grundsätzlich entsprechende Ablichtungen erhielt1369. Da sich der normierte Zuwachs an Mitteilungspflichten entsprechend auf der zwischengeschalteten Ebene des Provinzialchefs auswirkte1370, wurden die Generalstaatsanwälte durch RV von September 1939 angewiesen, entsprechend der Errichtung des Sonderreferats im RJM auch für ihren Geschäftsbereich ein Sonderdezernat einzurichten, um den hinzu kommenden Umfang an Berichten in Sondergerichts1364  Dienstliche Beurteilung des GStA in Frankfurt vom 8.3.1934, LAV NRW R, NW Pe 3633, Akte Justizministerium, Bl. 20, 21. 1365  Dienstliche Beurteilung des OStA in Koblenz vom 8.12.1938, LAV NRW R, NW Pe 3633, Akte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 1366  Dienstliche Beurteilung des GStA in Köln vom 4.1.1943, LAV NRW R, NW Pe 3633, Akte Justizministerium, Bl. nicht angegeben. 1367  Arnold beantragte nach aufgehobener zehmonatiger Gefängnisstrafe wegen Verstoßes gegen § 4 VVO eine 15-monatige Zuchthausstrafe gegen S, LAV NRW R, Ger. Rep. 444, Sitzungsprotokoll, Bl. nicht angegeben. 1368  Insoweit wird umfänglich auf die zu den Berichts- und Mitteilungspflichten an das RJM gemachten Ausführungen verwiesen, siehe oben, S. 250. 1369  Das normative Erfordernis dieser in Aachen praktizierten ständigen Verwaltungsübung ergibt sich aus § 3 Abs. 5 der AV des RJM vom 21.5.1935 – III a 18 355/35 – betr. Mitteilungen in Strafsachen, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 552, 553. 1370  Der GStA in Köln erhielt Berichte und Mitteilungen der Behördenleiter aus Aachen, Köln, Bonn, Koblenz und Trier.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

verfahren bewältigen zu können1371. Nachdem der bis zum 28. Februar 1941 für das Sondergericht Aachen zuständige Sonderreferent in Köln, Dr. Haag, nach Kattowitz abberufen worden war, wurde mit Verfügung vom 8. März 1941 EStA Arnold zum neuen Sonderreferenten für die Strafsachen des Sondergerichts Aachen berufen1372. bb) Politische Lageberichte an die Generalstaatsanwaltschaft Um dem GStA seine Obliegenheit zur politischen Berichterstattung dem Ministerium gegenüber zu erleichtern, wurde der LOStA Führer in einer Besprechung vom 6. November 1935 ersucht, für den Landgerichtsbezirk Aachen „eine kurze Darstellung dieser Art alle 2 Monate einzureichen“1373. Anhand der Berichte aller Oberstaatsanwälte im Bezirk, die vertraulich zu behandeln waren1374, verfasste der Provinzialchef schließlich seine Fassung an das Reichsjustizministerium. Die Schriftstücke des LOStA Führer beschränken sich auf einen Umfang von ein bis drei Seiten pro Einheit und fallen damit im Vergleich zu den Berichten der Staatsanwaltschaft Köln vergleichsweise kompakt aus1375. Die Überlieferung der Schriftstücke umfasst den Zeitraum vom 25. November 1935 bis einschließlich 15. Mai 19441376. Die Vorgaben aus Köln bezüglich des zu berichtenden Inhalts erstrecken sich dabei auf zwei Komponenten: Zum einen hatte die Darstellung einen „Gesamtüberblick“ über die politische Lage im Bezirk zu enthalten, welcher die Zusammenarbeit mit anderen Behörden und die Stimmung der 1371  Rundverfügung des RMJ betr. Einrichtung eines Sonderreferats beim RJM vom 16.10.1939 – 3234 IIIa4 1190 – durch Dr. Crohne an den GStA Köln, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 143, Bl. 11, ebenso abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 21. 1372  Der EStA Arnold war neben den Sondergerichtssachen für Aachen außerdem zuständig für das Sondergericht Koblenz, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 231, Bl. 26. 1373  Auszug aus der Besprechung der Oberstaatsanwälte des Bezirks vom 6.11.1935, Ger. Rep. 270, 155, Bl. 7. 1374  Schreiben des GStA an den LOStA in Aachen vom 5.8.1938, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 156, Bl. 42. 1375  Vergleiche hierzu sämtliche politischen Lageberichte der Staatsanwaltschaft Aachen ab dem 13.1.1941, LAV NRW R, Ger. Rep 270, Akte 155, Bl. 70–127 mit einem exemplarischen Lagebericht der Staatsanwaltschaft Köln vom 17.3.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 231, Akte 979, Bl. 106–110. 1376  Die Verfahrensakten des Sondergerichts belegen, dass die Strafrechtspflege noch bis wenigstens Februar 1945 intakt war. Gründe für den begrenzten Überlieferungszeitraum politischer Lageberichte der Staatsanwaltschaft Aachen bis lediglich Mai 1944 können sowohl kriegsbedingte Nichtanfertigung als auch ein Abhandenkommen der Schriftstücke sein. Indizien, die eine eindeutige Erklärung rechtfertigten, sind allerdings nicht vorhanden.



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 285

Bevölkerung bezüglich der Rechtspflege und im Allgemeinen wiedergeben sollte1377, zum anderen oblag dem Aachener Behördenleiter aufgrund wiederkehrender Verfügungen die Anfertigung einer zahlenmäßigen Gegenüberstellung der Eingänge von Strafsachen gegenüber der jeweiligen Vorberichtszeit, aufgeschlüsselt in Heimtückedelikte, Verstöße gegen die GewaltverbrecherVO, VVO, KrWVO und RundfunkVO1378. Wiederholt betonte der Generalstaatsanwalt, dass behördeninterne Befindlichkeiten sowie Einzelfalldarstellungen – soweit es nicht „Aufsehen erregende Strafsachen“ betraf – außen vor zu bleiben hatten1379. Von diesen formulierten Vorgaben wich LOStA Führer nur ausnahmsweise ab, indem er beispielsweise „eine fühlbare Mehrbelastung des Dienstbetriebes“ durch die Errichtung des Sondergerichts Aachen bemängelte1380. Bis auf die Berichte von Januar und März des Jahres 1941 enthalten dagegen sämtliche Reporte aus Aachen die geforderte Gegenüberstellung der Eingänge neuer Strafverfahren. Ausnahmslos sind zudem geforderte Informationen zur zahlenmäßigen Entwicklung von VVO-Verfahren, in welchen der Täter nicht ermittelt werden konnte, inkludiert. Persönliche Stellungnahmen des Behördenleiters zu Ursachen von Zu- und Abnahme deliktspezifischer Kriminalitätsentwicklung finden sich lediglich in vier der insgesamt 16 gegenständlichen Berichten und bilden damit die Ausnahme1381. Es wird jedoch deutlich, dass ein temporärer quantitativer Anstieg von deliktspezifischen Verstößen stets mit kriegsbedingten oder besonderen politischen Umständen in Zusammenhang stand. So begründet LOStA Führer einen Anstieg des Abhörens feindlicher Sender gemäß § 5 RundfunkVO durch Teile der Bevölkerung in den Monaten Juni und Juli des Jahres 1941 mit dem Flug von Rudolf Heß nach Großbri1377  Siehe Auszug aus der Besprechung der Oberstaatsanwälte des Bezirks vom 6.11.1935, sowie Verfügung des GStA vom 6.11.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 7. 1378  Vergleiche die inhaltlich identischen Formvorlagen der Verfügung, die jeweils zum 5. des Monates im Vorfeld zu den anzufertigenden Lageberichten durch den GStA zugestellt wurden, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 94, 97, 99, 119 (bei dieser Beschriftung muss es sich um ein redaktionelles Versehen handeln, da das Blatt an der Stelle der Blattnummer 78 eingeordnet ist), 103, 105, 110, 108, 113, 116, 119, 121, 123, 93. 1379  Siehe Auszug aus der Besprechung der Oberstaatsanwälte des Bezirks vom 6.11.1935, sowie Verfügung des GStA vom 6.11.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 7, 115. 1380  Politischer Lagebericht vom 20.3.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 73. 1381  Hierbei handelt es sich um die politischen Lageberichte des 19.7.1941, 16.1.1942, 16.3.1942 sowie 9.9.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 76–77 rev, 81–84, 91, 91 rev.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

tannien, der ein erhöhtes mediales Interesse hervorgerufen hatte1382. Vermehrte Unmutsäußerungen im gleichen Zeitraum, die zum Teil als staatsabträgliche Äußerungen i. S. d. § 2 HG zu qualifizieren waren, wurden von ihm wesentlich auf eine vorherrschende Lebensmittelknappheit sowie das Ausbleiben von Schutz- und Hilfsmaßnahmen nach wiederholten nächtlichen Luftangriffen von alliierten Kampfflugzeugen zurückgeführt. So hatte die Bevölkerung beklagt, „dass eine Stadt von über 160.000 Einwohnern, die in der letzten Zeit fast jede Nacht von feindlichen Fliegern überflogen worden ist, ohne jeden Flakschutz war“ und durch das „Fehlen der Feuerwehr, die nach Köln abgeordnet war (…) die Brandschäden einen bedeutend größeren Umfang annahmen“1383. Auch vorübergehende Anstiege von Plünderungen und Diebstählen wurden als Folge kriegerischer Angriffe auf die Stadt qualifziert1384. Besonders nachhaltigen Eindruck auf den GStA machten Ausführungen zu einem über einen längeren Zeitraum beobachteten Anstieg von Schwarzschlachtungen, die vermehrt von Landwirten begangen wurden. So übernahm GStA Osterkamp die von LOStA Führer gegebene Begründung dieses Phänomens nahezu wortgleich in dessen Bericht an das RJM1385. Eine konkrete Schilderung von Einzelfällen, die einem erhöhten Aufsehen unterlagen, erfolgte in lediglich zwei Fällen. So wurde kurz vor Errichtung des Sondergerichts in einem Nachtrag über ein Ermittlungsverfahren gegen eine große illegale kommunistische Organisation berichtet, in welches 89 Beschuldigte verwickelt und nach Abschluss der Ermittlungen mit einer Anzahl von etwa 140 Beschuldigten gerechnet wurde1386. Das zweite Verfahren, auf welches in zwei aufeinanderfolgenden Lageberichten eingegan1382  Politischer Lagebericht vom 19.7.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 76. 1383  Ebd., Bl. 76 f. 1384  So werden im Bericht vom 9.9.1943 insgesamt 124 Verstöße gegen die VVO zugrundelegt, in denen der Täter nicht ermittelt werden konnte und die im Zusammenhang mit einem Bombenangriff vom 14.7.1943 stehen, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 91. Ebenso politischer Lagebericht vom 19.7.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 77. 1385  Zur übernommenen Begründung siehe nochmals die politischen Lageberichte des GStA an das RJM, oben, S. 258. Die Begründung der mangelnden Einsicht der Landwirte aufgrund ihres Selbstverständnisses und die von der Kreisbauernschaft im Gnadenverfahren praktizierte wohlwollende Haltung in diesen Fällen schildert LOStA Führer im politischen Lagebericht vom 16.3.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 83, 84. Vergleiche zur nahezu wortgleichen Übernahme der Aachener Schilderung durch GStA Osterkamp dessen politischen Lagebericht an den RMJ vom 30.3.1942, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 73, 73 rev. 1386  Nachtrag zum politischen Lagebericht vom 23.1.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 71, 72. Das Verfahren ist im überlieferten Bestand der Verfahrensakten nicht inkludiert, wofür eine Abgabe des Verfahrens an den ORA



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 287

gen wurde, stellte das Verfahren gegen Arbeitsmänner des RAD dar, welches anschließend Gegenstand des erfolgreich eingelegten außerordentlichen Einspruchs werden sollte1387. Im Hinblick auf den qualitativen Wert der politischen Lageberichte aus Aachen als Grundlage für ministerielle Weisungen gelten die Ausführungen zur Bedeutung der Lageberichte des Provinzialchefs entsprechend, mit der Besonderheit, dass die Bedeutung vorliegender Berichte zusätzlich durch zwei Umstände geschmälert wird1388: Zum einen gelangten die Aachener Berichte lediglich an den GStA und nicht zur Vorlage beim RJM, sodass mit einer ministeriellen Einflussnahme auf geschilderte Belange – was allerdings für alle LG-Bezirke reichsweit galt – abstrakt nicht zu rechnen war. Konkret zeigt die Arbeitsweise des GStA Köln bei der Anfertigung der Lageberichte zwar, dass teilweise Passagen aus den Lageberichten aus Aachen wortgleich übernommen wurden. Da sich die geschilderten Vorgänge aus Aachen in den Kölner Lageberichten nur in wenigen Einzelfällen wiederfinden, geht es auch konkret eine nur geringe Berücksichtigung der Aachener Vorgänge in den Berichten an das Ministerium. Dies wird nicht zuletzt auf teils wenig ergiebige Ausführungen des LOStA zurückzuführen sein. Einzige dokumentierte Grundlage für eine konkrete ministerielle Handlung bildete eine Beschwerde des Behördenleiters über die Behandlung strafrechtlicher Verstöße durch die Kreisleitung in Geilenkirchen, die Strafverfahren aufgrund der Entgegennahme von Geldzahlungen an die NSDAP einstellte, ohne hierzu befugt zu sein. Aufgrund dieser Handhabung hielt der RMJ persönlich Rücksprache mit der Parteikanzlei, „um das Erforderliche“ zu veranlassen1389. Auch soweit es den Wert der Lageberichte als Handlungsfundament des GStA gegenüber der Staatsanwaltschaft betrifft, sind keine Nachweise ersichtlich, die die Annahme rechtfertigen, dass einzelne Lenkungsmaßnahmen aufgrund von Lageberichten herbeigeführt worden sind. Damit ist den Reporten aus Aachen als antizipierte Grundlage für weitere Lenkungsmaßnahmen durch die weisungsbefugten Behörden im Ergebnis eine nur sehr untergeordnete Bedeutung beizumessen. beim VGH ursächlich ist, vgl. Äußerung des LOStA Führer im Nachtrag zum politischen Lagebericht vom 23.1.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 72. 1387  Dies ergibt sich durch explizite Namensnennung der Beschuldigten im Lagebericht des 17.9.1941, sowie aus der zeitlichen Korrelation der Tat mit dem Lagebericht des 19.7.1941 und der dort gemachten Ausführungen zu einer Plünderung, an welcher Hilfsarbeiter des RAD beteiligt waren, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 77, 78, 78 rev. 1388  Siehe insoweit nochmals oben, S. 52, 284. 1389  Erlass des RMJ vom 12.6.1941, mitgeteilt durch vertrauliches Schreiben des GStA an den LOStA Aachen vom 16.6.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 75.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

cc) Einzelweisungen der Generalstaatsanwaltschaft Die Zahl ergangener – insbesondere verfahrensbezogener – Einzelweisungen der Generalstaatsanwaltschaft an die Anklagebehörde in Aachen hält sich in engen Grenzen. So finden sich Anordnungen oder sonstige Ausführungen, denen ein rechtsverbindlicher Charakter zuzurechnen ist, in lediglich elf Verfahren1390. Das geringe Einflussspektrum auf diesem Feld ergibt sich zunächst aus der abstrakt normierten Stellung der Mittelbehörde innerhalb der Justizverwaltung und des mit ihr einhergehenden Kompetenzradius1391. So hatte der GStA die Leitung über die unterstellten Staatsanwaltschaften ausschließlich nach den Weisungen des RJM zu führen1392. Sofern es Berichte und Mitteilungen in laufenden Sondergerichtsverfahren aus Aachen betrifft, erfolgten hierauf basierende Verfügungen des RJM unmittelbar gegenüber der örtlichen Staatsanwaltschaft1393. Da diese Dokumente den nahezu ausschließlichen Anteil der Korrespondenz ausmachen, war der Spielraum für originäre generalstaatsanwaltschaftliche Anordnungen entsprechend gering. So wurde der Behördenleiter in einem Heimtückeverfahren angewiesen, mit dem Leiter der vernehmenden Dienststelle Verbindung aufzunehmen, nachdem sich Ausführungen des Angeklagten und des vernehmenden Polizisten bezüglich der polizeilichen Aussage widersprochen hatten1394. In den übrigen Fällen bezogen sich Anordnungen der Kölner Behörde ausschließlich auf das Maß zu stellender Strafanträge sowie auf die Anwendung materiellen Rechts durch Einflussnahme auf die konkrete inhaltliche Ausgestaltung der Anklageschrift. Mit Blick auf die durch sondergerichtliches Urteil einsetzende Rechtskraft waren grundsätzlich nur vor dem Urteil ergehende Ausführungen zum Strafmaß geeignet, weitere Außenwirkung zu entfalten. So widersprach der GStA einem von LOStA Führer avisierten Strafantrag einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe wegen Beleidi1390  In diese Anzahl sind nicht die bereits oben erwähnten Stellungnahmen des GStA inkludiert, in welchen Ausführungen zum Strafmaß im Anschluss an das Urteil erfolgte, da aufgrund der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Rechtskraft des sondergerichtlichen Urteils den Ausführungen grundsätzlich die Qualität einer unverbindlichen Meinungsäußerung gleichkam. Siehe zur Aufzählung der einschlägigen Verfahren nochmals oben, S. 278, 282. Ebenfalls nicht inkludiert sind solche auf das Urteil folgende Stellungnahmen, die in Bezug auf erwogene Nichtigkeitsbeschwerden ausnahmsweise Bindungswirkung entfalteten. Siehe oben, S. 278. 1391  Siehe oben, S. 275. 1392  § 9 Dritte AV des RJM zur Durchführung des Zweiten Gesetzes zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich, Vereinheitlichung der Staatsanwaltschaft vom 18.12.1934, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, S. 29. 1393  Rüping, Provinzialjustizverwaltung, S. 29. 1394  Verfahren gegen W. gem. § 2 HG, LAV NRW R Ger. Rep. 113, Akte 309, Bl. 8.



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 289

gung „angesichts der niederträchtigen und jedem völkischen Empfinden hohnsprechenden Äußerungen“ und forderte abweichend eine 18-monatige Gefängnisstrafe, die in der Hauptverhandlung auch umgesetzt wurde1395. Die Einflussnahmen des Kölner Provinzialchefs wirkten jedoch nicht ausschließlich strafschärfend. In einem Verfahren gegen einen Postbeamten, der Feldpostsendungen entwendet hatte, sprach sich der GStA abweichend von der aus Aachen propagierten Verhängung der Todesstrafe in Anbetracht des Alters des Angeklagten für eine empfindliche Zuchthausstrafe aus, welchem Auftrag der Sitzungsvertreter durch einen Strafantrag über eine achtjährige Zuchthausstrafe ebenfalls nachkam1396. In den verbleibenden drei dokumentierten Verfahren forderte der Provinzialchef jedoch stets eine härtere Sanktionierung, als sie von der Anklagebehörde in Aussicht genommen worden war. Erstaunlicherweise wurde dem Anliegen der vorgesetzten Dienstbehörde allerdings in keinem Falle nachgekommen1397. Ob der behördliche Ungehorsam von Aachener Seite bloßer Eigenmächtigkeit oder einer Anpassung an die tatsächlichen prozessualen Gegebenheiten im Einzelfall geschuldet war, lässt sich nicht klären. Während auf dem Gebiet der Strafanträge sämtliche Abweichungen von vorgesetzten Dienstbehörden ungerügt blieben, schienen sie dennoch nicht unbeobachtet geblieben zu sein. Als LOStA Führer schließlich auf dem Gebiet des Strafvollzugs seine Kompetenzen überschritt, blieb dies nicht folgenlos. Nach einem Luftangriff auf Aachen am 14. Juli 1943 hatte sich der Behördenleiter eigenmächtig zu einer Haftentlassung der Verurteilten Len., Lej., sowie B. entschieden, da aufgrund eines durch den Angriff ausgebrochenen Brandes in der Haftanstalt Aachen akuter Platzmangel herrschte. Die Strafaussetzung erlangte zusätzliche Brisanz durch den Umstand, dass gegen Len. und Lej. im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde vor dem OLG Köln zuvor erneut verhandelt worden war, und der GStA als Anklagevertreter gegen beide Personen 1395  Verfahren gegen W. gem. § 189 StGB, LAV NRW R Ger. Rep. 113, Akte 194, Bl. 1, 6. 1396  Verfahren gegen S. gem. § 4 VVO, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 519, Bl. 11. 1397  Verfahren gegen F. und K. gem. §§ 1, 2 HG, in welchem der GStA die Strafe für zu niedrig hält, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 238, Bl. 5; Verfahren gegen W. wegen Beihilfe zur Fahnenflucht gem. § 5 Abs. 1 Nr. 3 KSSVO, in welchem eine sechsmonatige Gefängnisstrafe beantragt wird, nachdem der GStA ausführte: „Der versehene Strafantrag scheint mir zu gering. Ich halte eine Gefängnisstrafe von mindestens 1 Jahr für angemessen“, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 257, Bl. 5; Verfahren gegen D. wegen Schwarzhandels mit Lebensmitteln gem. § 1 Abs. 1 KrWVO. Nachdem LOStA Führer eine Gefängnisstrafe von 9 Monaten avisiert und der GStA den Behördenleiter ersucht „in der Hauptverhandlung eine höhere Strafe zu beantragen“, wird in der Hauptverhandlung lediglich ein sechsmonatiger Freiheitsentzug beantragt, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 560, Bl. 13.

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B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

die Todesstrafe gefordert hatte1398. Das RJM wies daraufhin den GStA an, den Aachener Behördenleiter zu instruieren, eine derartige Eigenmächtigkeit ohne vorherige Absprache künftig zu unterlassen1399. Soweit es Weisungen bezüglich der Anwendung materiellen Rechts betrifft, wurde der GStA durch Einflussnahme auf die Ausgestaltung der Anklageschrift lenkend tätig. In insgesamt vier der fünf gegenständlichen Verfahren bezogen sich seine Änderungswünsche auf eine die Angeklagtengruppe benachteiligende Rechtsanwendung durch eine gewünschte Verwendung von Normen mit abstrakt höherer Strafandrohung1400. In einem Verfahren wurden diese Änderungswünsche sogar wörtlich in der Anklageschrift inkludiert1401. Soweit es die weisungskonforme Umsetzung der strafschärfenden Vorschläge betrifft, kam die Staatsanwaltschaft diesen in lediglich einem Fall nach1402. In allen übrigen Fällen setzte sie ihre ursprünglich verfolgte Anklagepraxis fort1403. 3. Schlussfolgerung Durch die Bündelung sachlicher Zuständigkeit für die Strafgesetzgebung sowie die Strafrechtspflege vereinte das RJM alle wesentlichen Kompeten1398  Siehe

Nichtigkeitsbeschwerde-Fall 8, oben, S. 130. gegen F. und andere gem. § 4 VVO, LAV NRW R Ger. Rep. 113, Akte 213, Bl. 39. 1400  Einzig im Verfahren gegen den Landwirt Z. wegen Milchfälschung gem. § 1 Abs. 1 KrWVO hält der GStA ein von der Staatsanwaltschaft Aachen zugrundegelegtes strafschärfendes Tatbestandsmerkmal für nicht nachweisbar und rät zur entsprechenden Abänderung der Anklageschrift, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 22, Bl. 7. 1401  Verfahren gegen K. gemäß §§ 1, 2 HG, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 307, Bl. 6. 1402  Ebd. 1403  Verfahren gegen M. gemäß § 2 HG, in welchem der GStA die Staatsanwaltschaft anweist, die Anklage auf § 5 Abs. 1 KSSVO abzuändern, da Osterkamp die Äußerung des Angeklagten „nun sei doch mal vernünftig, wenn wir das Ding gewinnen, gibt es keine Gerechtigkeit mehr“ als Aussage qualifiziert, „den Willen des deutschen Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen oder zu zersetzen“, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 325, Bl. 5; Verfahren gegen F. gem. § 1 Abs. 1 KrWVO, in dem die Generalstaatsanwaltschaft die Staatsanwaltschaft anweist zu prüfen, ob § 4 VVO einschlägig sein könnte, da der Angeklagte nach Auffassung des GStA eine vermeintliche „den Krieg bedingte mangelhafte Besetzung des Ernährungsamtes bei der Erschleichung“ eines Überbrückungsscheines ausgenutzt hatte, LAV NRW R Ger. Rep. 113, Akte 360, Bl. 15; Verfahren gegen S. und W. gem. § 1 Abs. 1 KrWVO, in dessen Vorfeld der GStA anregt zu prüfen, ob aufgrund der Dunkelheit bei Tatbegehung § 2 VVO einschlägig sei, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 418, Bl. 9. 1399  Verfahren



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 291

zen in seinem Einflussbereich, um die Ausprägung des Strafrechts sowie dessen Anwendungsmodalitäten maßgeblich zu gestalten und zu kontrollieren. Die auf dem Gebiet der Strafrechtspflege installierten Lenkungsinstrumente verfolgten dabei einzig den Zweck, eine politisch angepasste Rechtsanwendung durch die lokale Staatsanwaltschaft zu gewährleisten. Während allen Lenkungsmechanismen die abstrakte Verbindlichkeit zur Umsetzung immanent war, unterschieden sie sich hinsichtlich zweier Merkmale: ihrer Wirkungsweise und ihrer konkreten Bindungsintensität, gemessen an der Umsetzung durch die Staatsanwaltschaft Aachen. Die installierten Berichtsund Mitteilungspflichten sowie die Obliegenheit zur Erstellung politischer Lageberichte wirkten als antizipierte Instrumente, auf deren Grundlage in einem zweiten Schritt weitere Einflussnahmen fußen sollten. Da die Informationspflichten nicht notwendigerweise mit einer Anweisung korrelierten, stellten sie für die Anklagebehörde abstrakt weniger eine Einschränkung von Kompetenzen, als vielmehr einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand dar. Die nahezu lückenlose Dokumentation der überlieferten Lageberichte sowie die Anzahl an Berichten in 67,6 % aller überlieferten Verfahren zeigt, dass die nicht disponible Bindungswirkung der zugrundeliegenden Verfügungen auch in der Praxis durch die Staatsanwaltschaft umgesetzt wurde1404. Inwieweit die politischen Lageberichte aus Aachen tatsächlich zur Grundlage weiterer ministerieller Maßnahmen gemacht wurden, ist nicht nachvollziehbar. Die nur vereinzelt erfolgten Ausführungen des GStA in Köln über Vorgänge in Aachen gegenüber dem RJM sind jedoch ein starkes Indiz für eine äußerst untergeordnete Relevanz der Berichte als weitere Handlungsgrundlage für die Berliner Justizbehörde. Soweit es die Verfahrensberichte betrifft, stellt Kritik des Behördenleiters wegen zu milder Urteile keinen Erfolgsgaranten für intendierte rechtskraftdurchbrechende Maßnahmen dar. So wurden in lediglich fünf der 33 gegenständlichen Verfahren Nichtigkeitsbeschwerden erwogen und angeregt, was angesichts des propagierten scharfen Sanktionierungswillens durch das Regime beachtlich ist1405. Anders als Informationspflichten entfalteten hierauf basierende Einzelverfügungen durch ihren konkret-individuellen Regelungscharakter abstrakt die höchste Eingriffsintensität. Dieses Ergebnis setzt sich allerdings mit Blick auf ihre konkrete Relevanz und Umsetzung nicht fort, was sowohl quantitativen wie qualitativen Umständen geschuldet ist. Praktisch wurde von Einzelweisungen nur ausnahmsweise Gebrauch gemacht, indem selbige gegenüber der Staatsanwaltschaft in lediglich 2,2 % aller überlieferten Verfahren dokumentiert sind1406. Eine weisungskonforme Umsetzung erfolgte in lediglich vier 1404  Siehe

insoweit Tabelle 43, Anhang, S. 531. Tabelle 42, Anhang, S. 529. 1406  Siehe oben, S. 268. 1405  Siehe

292

B. Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen

Fällen, was mit der diesbezüglichen relativierenden Stellungnahme Freislers sowie mit staatsanwaltlicher Handlungsadaption auf konkrete Gegebenheiten und Abweichungen in der Hauptverhandlung erklärt werden muss1407. Mit insgesamt 0,6 % erfolgreicher Einzelweisungen ist dieser ministerielle Lenkungsfaktor im Ergebnis damit ebenfalls nur von untergeordneter Bedeutung1408. Sonstige Verwaltungsbestimmungen mit Bindungswirkung wie Richtlinien, Rundverfügungen und Allgemeinverfügungen stellten abstrakt einen weniger schwerwiegenden Eingriff aufgrund eines verbliebenen Ermessensspielraums der Anklagebehörde dar, wurden jedoch – wie die Berichtspflichten und „Richtlinien für das Strafverfahren“ verdeutlichen – grundsätzlich von der Staatsanwaltschaft befolgt. Sie stellen damit neben normiertem materiellen Recht die effektivste Grundlage zur Instrumentalisierung der Anklagebehörde dar. Anhand dieser Tendenzen lässt sich für die fremdbehördliche Lenkung der Staatsanwaltschaft Aachen eine Formel ableiten, in welcher Ermessensprärogative und Lenkungserfolg in einem Verhältnis positiver Korrelation stehen: Je stärker eine Ermessensreduzierung durch konkreten Einfluss vorgenommen wurde, desto eher reduzierte sich der entsprechende Lenkungserfolg, da man der Aachener Anklagebehörde die Fähigkeit nahm, flexibel auf neue Tatsachen in der Hauptverhandlung einzugehen1409. Umgekehrt erhöhte ein gesteigertes Ermessen – im Rahmen normkonkretisierender Vorgaben zur Rechtsanwendung – eine regimekonforme Anwendung formellen und materiellen Rechts1410. Sofern im Einzelfall Urteile oder Anklagepraxis zu nicht hinnehmbaren Resultaten führten, blieben dem Ministerium das Mittel einer „Urteilskorrektur“ sowie Stellungnahmen zur Verbesserung der staatsanwaltschaftlichen Arbeit unbenommen. Originäre Lenkungsmechanismen der GStA gegenüber der Staatsanwaltschaft existieren nicht. Durch ihre Funktion als „notwendiger Verteiler“1411 der Korrespondenz zwischen Staatsanwaltschaft und RJM sowie der Unmittelbarkeit ministerieller Weisungen in Sondergerichtsverfahren 1407  Siehe zu den einschlägigen vier Fällen nochmals oben, S. 269; Schreiben StS Freisler an Generalstaatsanwaltschaft in Hamm vom 6.2.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 49, Bl. 49 b) rev., 49 c). 1408  Dies gilt nicht für rechtskraftdurchbrechende Einzelweisungen. Siehe oben, Tabelle 3, S. 149. 1409  Auch von dieser Formel sind die Einzelweisungen zur Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde zu trennen, was sich bereits aus dem Wortlaut der Formel ergibt, da sich bei Anregungen der Nichtigkeitsbeschwerde durch regelmäßig abgeschlossene Hauptverhandlung das Problem einer flexiblen Handhabung auf abweichende Verfahrensmomente durch die Staatsanwaltschaft per se erübrigte. 1410  Dies zeigt die sich im geforderten Strafmaß auswirkende Ermessensausübung der Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft Aachen, hierzu Anhang, Tabelle 56, S. 550. 1411  Rüping, Provinzialjustizverwaltung, S. 23.



IV. Die vorgesetzten Dienstbehörden der Staatsanwaltschaft Aachen 293

wird die Relevanz der Kölner Mittelbehörde zusätzlich geschmälert. Dennoch liegt die Anzahl an Einzelweisungen an die Anklagebehörde in elf dokumentierten Fällen nur unwesentlich hinter der Anzahl ministerieller Einzelverfügungen1412. Da jedoch auch in diesen Fällen die Kölner Ausführungen wenigstens stillschweigend ministeriell gebilligt wurden, kommt der Generalstaatsanwaltschaft insgesamt gegenüber dem RJM nicht nur abstrakt eine wesentlich schwächere Position zu. Soweit es eine direkte persönliche Einflussnahme einzelner Akteure auf das verfahrens- und verwaltungsbezogene Arbeitsgeschehen der Anklagebehörde betrifft, waren es die Behördenleiter RMJ Thierack und GStA Rahmel, die durch persönliches, rechtsbeugendes Eingreifen in ein Gnadenverfahren sowie eine Versetzung eines Sachbearbeiters aufgrund unlauterer Motive die Arbeit der Staatsanwaltschaft übergingen und zur Hinnahme der Folgen zwangen1413.

1412  Siehe

zu dieser Anzahl nochmals oben, S. 288. zur Handlung Thieracks im Fall Paul S. nochmals oben, S. 243, sowie zum Mitwirken Rahmels an der Versetzung Zimmeraths oben, S. 223. 1413  Siehe

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis der Staatsanwaltschaft Aachen, dargestellt anhand der Verfahrensakten der Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen I. Ermittlungs- und Anklagepraxis Die Ermittlungs- und Anklagetätigkeit stellt bis heute die Kernkompetenz und zugleich den sachlichen Schwerpunkt staatsanwaltschaftlicher Arbeit dar, wodurch eine gesteigerte Berücksichtigung auf der Basis der erhobenen statistischen Werte gerechtfertigt erscheint. Ziel der nachfolgenden Darstellung ist die Beantwortung der Frage, welche spezifischen Eigenheiten der lokalen Ermittlungstätigkeit, den verfassten Anklageschriften und dem sonstigen Prozessverhalten der Staatsanwaltschaft zu entnehmen sind. Inwieweit folgte die lokale Anklagebehörde bei der Umsetzung formellen und materiellen Rechts den normativen Vorgaben? Inwieweit bestehen Kontinuitäten und Diskontinuitäten zu zeitgenössischer gängiger Rechtsanwendung und herrschenden Rechtsauffassungen? Mit welchem messbaren Erfolg setzte die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungs- und Anklagepraxis prozessual gegenüber dem Sondergericht um? Existierten normative oder faktische Besonderheiten, welche die Arbeit der Staatsanwaltschaft zusätzlich beeinflussten? Folgten Verfahrenseinstellungen und Sanktionsverzichte einer inneren Systematik? Um die aufgeworfenen Fragestellungen zu beantworten, orientiert sich die Beleuchtung der Arbeitspraxis im Rahmen der nachfolgenden Darstellung am Strukturelement der Delikts- und Personengruppen, einer eingehenden Darstellung der Verfahren mit anschließendem Todesurteil, der Praxis von Sanktionsverzichten sowie sonstigen besonderen Verfahrensumständen. Die Auswahl der dargestellten Deliktsgruppen – HG, KrWVO, VVO und RundfunkVO – erfolgte anhand inhaltlicher und quantitativer Erheblichkeit der Normen auf Reichs- und Lokalebene1. Gerade in diesen – formal dem Nebenstrafrecht zuzuordnenden Normierungen – manifestierte sich ein wesentlicher Teil nationalsozialistischer Weltanschauung2. Die Darstellung unterschiedlicher Personengruppen widmet 1  Siehe zur quantitativen Relevanz der vorgenannten Deliktsgruppen für den Standort Aachen Grafik 31, Anhang, S. 505. 2  Schmitzberger, Nebenstrafrecht, Vorwort, S. V.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis295

sich ei­ner Auseinandersetzung mit der Verfahrenspraxis gegenüber ausländischen Staatsangehörigen sowie Angehörigen der NSDAP. In einem dritten Abschnitt wird dezidiert auf die Rolle und die Haltung der Anklagebehörde im Rahmen von Verfahren mit anschließendem Todesurteil eingegangen, wobei diese in Kontext zu Täterprofil, zugrundegelegtem Sachverhalt sowie Spruchpraxis des Sondergerichts gesetzt wird. Zuletzt werden erfolgte Sanktionsverzichte durch Verfahrenseinstellungen, beantragte Freisprechungen sowie Verwarnungen näher beleuchtet. Um den lokalen Besonderheiten im Rahmen aller dargestellten Teilaspekte zu einer adäquaten Berücksichtigung zu verhelfen, werden diese – soweit erforderlich – in einen abstrakten Gesamtkontext eingebettet, der reichsweite Rechtsentwicklungen, -handhabungen und -auffassungen der lokalen Tätigkeit gegenüberstellt. 1. Die Ermittlungs- und Anklagepraxis im Lichte der jeweiligen Deliktsgruppen a) Delikte nach dem Heimtückegesetz (HG) aa) Anwendungsbereich Das Heimtückegesetz ersetzte die auf strafrechtlicher Notverordnung basierende HeimtückeVO des Jahres 19333. Ratio legis war die Gewährleistung des Schutzes des Vertrauens der Bevölkerung auf die nationalsozialistische Führung4. Entsprechend sollten regimekritische Äußerungen sämtlicher Ausdrucksformen als „heimtückische Angriffe“ auf den Staatsapparat unterbunden werden. Der auch für die Aachener Anklagepraxis relevante § 1 HG sollte der Sanktionierung sogenannter „Greuelpropaganda“ dienen, indem mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft wurde, „wer vorsätzlich eine unwahre oder gröblich entstellte Behauptung tatsächlicher Art aufstellte oder verbreitete, die geeignet war, das Wohl des Reichs oder das Ansehen der Reichsregierung oder das der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei oder ihrer Gliederungen schwer zu schädigen“5.

3  VO des Reichspräsidenten zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung vom 21.3.1933, RGBl. 1933 I, S. 135. 4  Werle, Justiz-Strafrecht, S. 141. 5  Art. 1 § 1 Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20.12.1934, RGBl. 1934 I, S. 1269.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

(1) § 1 HG Der innerhalb des HG als „gravierendste“6 Norm gewertete § 1 HG zeichnete sich neben einer Vielzahl beleidigungsfähiger Tatobjekte durch eine Zusammensetzung verschiedener unbestimmter Tatbestandsmerkmale aus. Einzig dem Merkmal der erforderlichen Tatsachenbehauptung kam abschließender und verbindlicher Rechtscharakter zu. Im Übrigen oblag es nach dem Abschluss der Ermittlungstätigkeit dem staatsanwaltschaftlichen Ermessensspielraum, wahre von „gröblich entstellten“ Behauptungen abzugrenzen, „Wohl“ und „Ansehen“ zu definieren und die konkrete Eignung einer Schädigung des Regimes festzustellen. Die Beweisbarkeit einer Schädigungseignung oder des Wahrheitsgehaltes einer Aussage bildete indes kein die Ermittlungs- und Anklagepraxis einschränkendes Element7. So klagte die Staatsanwaltschaft Aachen einen Korbwarenhändler an, der wiederholt geäußert haben soll, dass es „Zeit werde, dass der Krieg zu Ende“ gehe, da sich „in den Städten (…) revolutionäre Stimmen bemerkbar“ machten, „weil die Leute schon verhungerten“8. Eine Prüfung des Wahrheitsgehalts oder der an sich zu erbringende Gegenbeweis dieser Aussage waren zu keiner Zeit Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen gewesen, obwohl das RJM bereits 1934 in Bezug auf Äußerungen zum sogenannten „Röhm-Putsch“ empfohlen hatte, „in Fällen, in denen Zweifel über die Wahrheit aufgestellter Behauptungen“ bestanden, „vor Anklageerhebung (…) zu berichten“9. Obschon Verstößen gegen das Heimtückegesetz im Allgemeinen eine brandmarkende Wirkung des Tätertyps als „Hetzer“ zukam, war unumstritten, dass die Anwendbarkeit von § 1 HG nicht an die Bedingung besonderer täterspezifischer Persönlichkeitsmerkmale geknüpft war. Für die Anwendbarkeit war keine Zurechenbarkeit der geistigen Urheberschaft des wiedergegebenen Inhalts erforderlich. Vielmehr genügte die bloße „Wiedergabe“ von Tatsachen „als Gegenstand fremder Mitteilung“, um ein „Verbreiten“ im Sinne der Norm zu bejahen, selbst wenn der Äußernde mit „Zeichen größter Entrüstung zu Erkennen“ gab, dass er den Inhalt für unwahr hielt10. So reichte die Staatsanwaltschaft Aachen eine Anklageschrift beim Sondergericht gegen eine Person ein, die von dritter Seite bei Gelegenheit erfahren hatte, dass ein Reichsleiter der besetzten Ostgebiete „zu den Bolschewiken“ übergelaufen sei11. Dass der Angeklagte diese Behauptung lediglich an eine weitere Person weitergetra6  Schröder,

Schutz, S. 154. Justiz-Strafrecht, S. 72. 8  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 113, Bl. 22. 9  Schreiben des RJM an den GStA vom 7.7.1934, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 21, Bl. 486. 10  Dreher, Bedeutung der Rechtsprechung, in: JW 1935, S. 899. 11  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 101, Handakte, Bl. 13. 7  Werle,



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gen hatte, war für die Anklagebehörde korrelierend zur gängigen Rechtsauffassung kein anklagehemmender Umstand, da ein Verbreiten bereits dann angenommen wurde, wenn es sich um eine „vertrauliche, nur für eine (…) Person bestimmte Weitergabe“ handelte12. Sofern sich die Behauptung „ausschließlich gegen das Ansehen der NSDAP oder ihrer Gliederungen“ richtete, wurde die Tat nur mit Zustimmung des StdF von der Staatsanwaltschaft verfolgt13. Diese Regelung sollte jedoch weniger einer aktiven Steuerung der Staatsanwaltschaft durch Parteistellen Rechnung tragen, sondern vielmehr im Wege der Prozessökonomie die Möglichkeit schaffen, die Staatsanwälte von zusätzlicher Arbeit zu entlasten, wenn der NSDAP am Verfahren „nichts gelegen“ war oder dem „Ansehen der Partei nichts nützte“14. Im Falle eines belgischen Landwirts wurde das Verfahren noch vor Eröffnung der Hauptverhandlung eingestellt, da nach Dafürhalten der Staatsanwaltschaft die erlittene Untersuchungshaft als „ausreichende Sühne“ für S. angesehen worden war15. Im Verfahren gegen den Steuerberater B. beließ es die Staatsanwaltschaft mit Blick auf den schlechten Gesundheitszustand des Angeklagten einvernehmlich mit dem Sondergericht bei einer Verwarnung. Beide Verfahren stellen die einzigen Fälle dar, in denen eine substanzielle Sanktionierung wegen Verstoßes gegen § 1 HG ausblieb. Die Staatsanwaltschaft Aachen klagte in insgesamt 23 Fällen gemäß § 1 HG an. Der relative Anteil von Anklagen wegen „Greuelpropaganda“ zu den übrigen Heimtücketatbeständen beläuft sich damit auf 17,3 %. (2) § 2 HG Materiell war neben dem Zustimmungserfordernis der NSDAP gemäß § 1 Abs. 3 HG die Schaffung von § 2 HG eine der wesentlichsten Neuerungen. Die ausschließliche Anwendungsmöglichkeit der vormaligen HeimtückeVO auf Tatsachenbehauptungen hatte in der Strafrechtspflege zu dem Problem geführt, dass Staatsanwaltschaften und Sondergerichte den Willen des NSGesetzgebers zur Sanktionierung staatsabträglicher Äußerungen regelmäßig nicht umsetzen konnten, wenn sich der Äußernde bei seinen Verlautbarungen eines Werturteils bediente. Exemplarisch hatte das RG den heimtückischen Charakter der Äußerung, SA und SS bestünden aus „lauter Lumpen“, verneinen müssen, da die Behauptung so „unsinnig“ gewesen war, dass sie 12  Dreher, Bedeutung der Rechtsprechung, in: JW 1935, S. 899. Siehe auch RGEntscheidung vom 16.1.1934, abgedr. in: JW 1934, S. 767. 13  Art. 1 § 1 Abs. 3 Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20.12.1934, RGBl. 1934 I, S. 1269. 14  Amtliche Begründung zu dem Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen, abgedruckt in: DJ 1935, S. 42. 15  Bericht des LOStA vom 6.3.1941, BArch, R 3001, Nr. 165286, Bl. 2.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

nicht als Tatsache qualifiziert werden konnte16. Diese Gesetzeslücke wurde geschlossen, indem fortan alle öffentlich getätigten „gehässigen, hetzerischen oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates oder der NSDAP, über ihre Anordnungen oder die von ihnen geschaffenen Einrichtungen (…), die geeignet sind, das Vertrauen des Volkes in die politische Führung zu untergraben“, sanktioniert werden sollten17. Die damalige Befürchtung Haidns, § 2 HG „erleide“ eine „starke Einschränkung“, weil zwingend der Bezug zu einer leitenden Persönlichkeit vorausgesetzt werde, stellte sich sowohl dogmatisch, als auch faktisch als unbegründet heraus18. Sofern sich Kritik nicht gegen leitende Persönlichkeiten richtete, bestand immer noch die Möglichkeit einer Anklage gemäß § 1 HG, da das Vorliegen eines Werturteils die Anwendung von § 1 HG dann nicht ausschloss, wenn die Meinung mit einer Tatsachenbehauptung verknüpft war. Zudem war die den leitenden Personenkreis konkretisierende DurchführungsVO inhaltlich so gestaltet, dass sie alle Persönlichkeiten bis in die regionale Ebene abdeckte, die aufgrund ihres Bekanntheitsgrades überhaupt Ziel einer werturteilenden Äußerung ohne konkreten Tatsachenbezug sein konnten19. Da die inhaltliche Ausgestaltung des HG auch den „Wünschen der Partei“ Rechnung trug, und „die neue Waffe nicht abgestumpft“ werden sollte, lag es gerade im Sinne des Gesetzgebers, nur nach § 2 HG anzuklagen, „wenn die Straflosigkeit im Interesse (…) des Ansehens von Staat und Partei nicht tragbar wäre“20. Auch die tatsächlichen Anwendungsgruppen und die praktische Handhabung von § 2 HG – gemessen am Beispiel Aachens – widerlegten die Befürchtung Haidns: Das Gros der reinen Beleidigungen beschränkte sich stets auf Hitler und den unmittelbaren Personenkreis seiner Minister. Leitende Persönlichkeiten auf regionaler Ebene waren indes nicht Gegenstand Aachener Ermittlungspraxis, was den ausreichenden Definitionsradius des „leitenden 16  RGSt 68, S. 120, abgedruckt in: JW 1934, S. 2072. Ein Werturteil konnte vor Erlass des HG nur dann als heimtückische Äußerungen sanktioniert werden, „wenn sie äußerlich erkennbar zu bestimmten Tatsachen in Verbindung gesetzt“ wurden, Dreher, Bedeutung der Rechtsprechung, in: JW 1935, S. 899. 17  Art. 1 § 2 Abs. 1 Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20.12.1934, RGBl. 1934 I, S. 1269. 18  Haidn, Gesetz gegen heimtückische Angriffe, in: JW 1935, S. 897. 19  In den Personenkreis fielen Hitler, die Reichsminister, Statthalter, Vorsitzende und Mitglieder der Landesregierungen, StS des Reiches und der Länder, die preußischen Oberpräsidenten, der Staatskommissar Berlins sowie sämtliche Reichs- und Gauleiter der NSDAP, siehe Zweite VO zur Durchführung des Gesetzes gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 22.2.1935, RGBl. 1935 I, S. 276. 20  Amtliche Begründung zu dem Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen, abgedruckt in: DJ 1935, S. 42.



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Personenkreises“ im Zuge der erlassenen DurchführungsVO bestätigte. Die Bezeichnungen Hitlers als „Lump“21, „Schuft“22, „Hurenbengel“23 und Kriegsschuldigen24, der „mit seinem Krieg ganz Europa“25 vernichte, bildeten die gängigen personenbezogenen Äußerungen. Zusätzliche Relevanz entfaltete der Anwendungsbereich von § 2 HG aufgrund des Umstands, dass er sich nicht bloß auf Werturteile beschränkte, sondern auch wahre Tatsachenbehauptungen inkludierte, wenn diese in einer hetzerischen Form geäußert wurden26. Über diese abstrakte Anwendungsmöglichkeit hinaus ist der Grad extensiver Auslegung des § 2 HG durch die Staatsanwaltschaft Aachen bemerkenswert. Unter Verkennung des Erfordernisses der Personenbezogenheit interpretierte die Staatsanwaltschaft nach ihrem Ermessen mitunter folgende Äußerungen als hetzerisch und strafbewährt: „Wir sind schuld am Kriege“27; „Wenn es nur einmal mit den feindlichen Einflügen aufhören würde, egal ob wir den Krieg gewinnen oder verlieren“28. Dass insbesondere die erstgenannte Aussage nicht als unwahre Tatsachenbehauptung angeklagt wurde, zeigt die vereinzelte Überforderung der Aachener Anklagebehörde bei der Sachverhaltssubsumtion und im Umgang mit ihrem Ermessensspielraum. Selbst bei der Auslegung des Begriffs der „Äußerung“ scheute man sich nicht, von einer bis in die Ermessensüberschreitung mündende extensive Handhabung Gebrauch zu machen, indem man einen Nachtwächter wegen Beleidigung Hitlers gemäß § 2 HG anklagte, nachdem dieser in seinem Haus über der Toilette ein Hitlerporträt aufgehängt hatte29. Für das auch in diesem Fall fragwürdige Vorliegen des Tatbestandsmerkmals der Öffentlichkeit spielte es nach gängiger Anklagepraxis keine Rolle, ob die Äußerungen in der Öffentlichkeit gemacht wurden, sondern vielmehr, 21  LAV

NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 43, Handakte, Bl. 11. NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 42, Handakte, Bl. 10. 23  Anklageschrift vom 21.3.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 52, Bl. 3, 3 rev. 24  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 310, Handakte, Bl. 2. 25  Anklageschrift vom 21.3.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 52, Bl. 3, 3 rev. 26  Dreher, Konkurrenzverhältnisse, in: DJ 1940, S.  1189. Aufgrund der sich hieraus ergebenden Wesensverschiedenheit und der von Dreher vermuteten höheren praktischen Relevanz von § 2 lehnt er die Annahme eines Subsidiaritätsverhältnisses von § 2 zu § 1 HG ab, ebd. Anders insoweit Crohne, der Subsidiarität annimmt, jedoch die dogmatisch vom Wortlaut gedeckte Fallkonstellation einer wahren Tatsachenbehauptung in hetzerischer Form offenbar übersieht und daher nicht überzeugt, Crohne, Streitfragen, in: DJ 1935, S. 1406. Zur Irrelevanz von Wahrheit und Unwahrheit der Äußerung zustimmend Haidn, Gesetz, in: JW 1935, S. 897. 27  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 170, Ermittlungsakte, Bl. 2. 28  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 171, Ermittlungsakte, Bl. 3. 29  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 41, Handakte, Bl. 9. 22  LAV

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

ob der Angeklagte damit rechnen musste, dass seine Äußerungen in die Öffentlichkeit dringen würden30. Dies nahm die Staatsanwaltschaft in den Fällen an, in denen der Gesprächspartner zum Äußernden in „keiner näheren Beziehung“ stand31. Nachbarn, Bekannte und Freunde gehörten insoweit nach Ansicht der Anklagebehörde nicht zum geschützten Personenkreis32. Nach § 2 Abs. 3 HG hing die Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft von einer positiven Anordnung durch das RJM für jeden Einzelfall ab. Soweit sich die Tat gegen eine leitende Persönlichkeit der NSDAP richtete, hatte sich der Justizminister für die Frage der Strafverfolgung mit dem StdF zu verständigen. Hierdurch sollte gewährleistet werden, dass die Auslegung der inkludierten Wertbegriffe zentral und einheitlich durch das RJM erfolgte33, wodurch der Ermessensspielraum der lokalen Anklagebehörde abstrakt eingeschränkt wurde. Das Anordnungserfordernis wurde von der Staatsanwaltschaft auch berücksichtigt und in nahezu allen Fällen durch entsprechende ministerielle Erlasse dokumentiert, die ohne eingehende Begründung die Strafverfolgung anordneten. Konkret stellte sich die staatsanwaltschaftliche Rücksprache mit dem Ministerium jedoch nicht als Einschränkung bei der Strafverfolgung dar. Eine „erhebliche Beschränkung“34 in der Anwendbarkeit durch mäßigende Einwirkung des RJM, um die „Waffe“ des § 2 HG „nicht abzustumpfen“35, ist in der Aachener Anklagepraxis nicht feststellbar. Die vom MinDir Crohne zugrundegelegten Zahlen zum repressiv wirkenden Handeln des Ministeriums stehen im krassen Gegensatz zu den Aachener Ergebnissen. So hatte das RJM in den ersten acht Monaten nach Erlass des HG „in etwa 50 % der mitgeteilten Fälle eine Strafverfolgung abgelehnt, (…) in weiteren etwa 15 %“ versagte der StdF seine Zustimmung36. Die Staatsanwaltschaft Aachen sah dagegen in ledig30  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 52, Bl. 4. Diese Handhabung entsprach jedoch dem gesetzlichen Wortlaut von § 2 Abs. 2 HG, der in diesen Fällen öffentlichen Äußerungen nicht öffentlichen Äußerungen gleichstellte, soweit sie „böswillig“ waren, Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20.12.1934, RGBl. 1934 I, S. 1269. 31  Im gegenständlichen Verfahren hatte eine Blockwartin der NS-Frauenschaft gegenüber drei Zeuginnen geäußert, Hitler sei ein „Massenmörder, Verbrecher, Halunke und Lujäger“, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 171, Handakte, Bl. 4. 32  Diese Handhabung korreliert mit der Auffassung, dass § 2 HG nur dann abzulehnen war, wenn es sich um ein Gespräch im intimsten Familienkreis handelte oder Angaben gegenüber einer zur Amtsverschwiegenheit verpflichteten Person handelte, Hennerici, Strafgesetze, in: GS 1939, S. 15 f. 33  Amtliche Begründung zu dem Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen, abgedruckt in: DJ 1935, S. 42. 34  Ebd. 35  Haidn, Gesetz, S. 897. 36  Crohne, Streitfragen, in: DJ 1935, S. 1406.



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lich 4,6 % aller gegenständlichen Verstöße gegen § 2 HG von einer Sanktionierung aufgrund ausgebliebener ministerieller Anordnung ab37. An einem etwaigen Zustimmungserfordernis des StdF scheiterte keines der Verfahren gemäß § 2 HG. Die von Werle und Dreher angenommene größere Relevanz von § 2 HG im relativen Vergleich zu den übrigen Heimtückeparagraphen bestätigt sich für den Aachener Geschäftsanfall38, für welchen § 2 HG mit einer Anzahl von 109 Verfahren 82 % der Heimtückesachen ausmachte39. cc) Ermittlungsspezifische Besonderheiten Im Rahmen der Ermittlungspraxis der Staatsanwaltschaft bei Verstößen gegen das HG ergaben sich einige Besonderheiten, welche die Ermittlungspraxis von anderen Delikten abgrenzten. Die erste Besonderheit bezieht sich ausschließlich auf Fälle der „Greuelpropaganda“ nach § 1 HG. In der überwiegenden Anzahl, in denen kritische Äußerungen zu Einschätzungen des Krieges, insbesondere zu Siegesaussichten gemacht worden waren, oder Gerüchte im Zusammenhang mit der Wehrmacht Gegenstand der Ermittlungen gewesen waren, erstattete die Staatsanwaltschaft dem ORA beim VGH Bericht zwecks Prüfung, ob die Äußerung den Tatbestand der Wehrkraftzersetzung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 KSSVO verwirklichte. In den Berichten erfolgte eine kurze Sachverhaltsdarstellung oder eine Übersendung der wesentlichen Dokumente, die den Tathergang wiedergaben40. Wegen Zersetzung der Wehrkraft wurde regelmäßig mit dem Tode bestraft, wer „öffentlich den Willen des deutschen oder verbündeten Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen oder zu zersetzen“ suchte41. Die Qualifikation einer 37  Eine Einstellung des Verfahrens aufgrund ausgebliebener Anordnung des RJM ist in fünf Verfahren dokumentiert: LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 193; BArch R 3001, Nr. 172743, 141601, 141385 sowie 141637. In drei dieser Verfahren erfolgte das Ausbleiben der ministeriellen Anordnung zur Strafverfolgung aufgrund dahingehenden vorherigen Vorschlags der Staatsanwaltschaft Aachen, siehe BArch R 3001, Nr. 141601, 141385, 141637. Siehe exemplarisch zur formalen Ausgestaltung einer Verordnung zur Strafverfolgung den Erlass des RJM vom 14.1.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 42, Handakte, Bl. 18 f. 38  Werle, Justiz-Strafrecht, S. 139; Dreher, Konkurrenzverhältnisse, in: DJ 1940, S. 1189. 39  Die verbleibenden 0,7 % fallen auf ein Verfahren wegen unbefugten Tragens eines Parteiabzeichens gemäß § 5 Abs. 2 HG, RGBl. 1934 I, S. 1270. 40  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 195, Bl. 2; LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 219, Handakte, Bl. 2; LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 245, Handakte, Bl. 2; LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 476, Handakte, Bl. 3. 41  § 5 Abs. 1 Nr. 3 Verordnung über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz (Kriegssonderstrafrechtsverordnung) vom 17.8.1938, RGBl. 1939 I, S. 1456.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Äußerung als Wehrkraftzersetzung hing alleine von der inhaltlichen Ausgestaltung der Äußerung sowie mit der von ihr verfolgten Intention des Täters ab. Da nach herrschender Meinung im Schrifttum allen verbalen Angriffen auf die Staatsführung auch ein mittelbarer Angriff auf die Wehrkraft inhärent war42, verwundert die häufige Berichterstattung der Staatsanwaltschaft an den ORA nicht. Nur soweit festgestellt werden konnte, dass die Äußerung „lediglich oder überwiegend den Wehrwillen des Volkes treffen“ sollte, war eine eindeutige Zuordnung zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 KSSVO möglich. Die Übersendung von Berichten in allen Verfahren, in denen nur die entfernte Möglichkeit einer Verwirklichung von § 5 KSSVO bestand, zeigt, dass die Staatsanwaltschaft bei der konkreten Bewertung ihren Ermessensspielraum auf Null reduzierte, um die Begehung eines gravierenden Verfahrensfehlers auszuschließen43. Jedoch gab der ORA in sämtlichen dokumentierten Verfahren, welche zur Vorlage überreicht worden waren, die Strafverfolgung an die Staatsanwaltschaft Aachen ab, was verdeutlicht, dass bei der Subsumierung von Sachverhalten unter § 5 Abs. 1 Nr. 1 KSSVO sehr restriktiv von Seiten des ORA verfahren wurde. Die Anklagebehörde pflegte dagegen eine Berichterstattung aus formalen Gründen, um sich verwaltungsrechtlich schadlos zu halten. Die Tatsache, dass die Anklagebehörde in den entsprechenden Verfahren stets die Ermittlungen weiter führte und ausnahmslos gemäß § 1 HG anklagte, obwohl formal die Abgabe an den GStA in Köln zu erfolgen hatte44, spricht dafür, dass der Provinzialchef diesen Verfahrensusus unter Verzicht auf die eigene Ermittlungskompetenz zuvor im Weisungswege festgelegt hatte45. 42  Grau/Krug/Rietzsch,

Deutsches Strafrecht, S. 16. vom Regime in die Norm interpretierte politische Tragweite schlug sich in der zwingenden Bestrafung mit dem Tod nieder, siehe § 5 Abs. 1 Nr. 1 KSSVO, RGBl. 1939 I, S. 1456. 44  Die Abgabe an die Staatsanwaltschaft Aachen fußte ausweislich der Antwortschreiben des ORA auf § 5 Abs. 2 der VO vom 21.2.1940 in der Fassung vom 29.1.1943. Hiernach konnte „bei Taten, die nach den §§ 82, 83, 90 b bis 90 f, 91 b, 92 des Reichsstrafgesetzbuchs oder nach § 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung vom 17. August 1938 strafbar sind, (…) der ORA beim Volksgerichtshof die Strafverfolgung an den Generalstaatsanwalt abgeben“, Verordnung zur Ergänzung und Änderung der Zuständigkeitsverordnung vom 29. Januar 1943, RGBl. 1943 I, S. 76. 45  Bei der Subsumierung von Äußerungsdelikten unter § 5 Abs. 1 Nr. 1 KSSVO zeigte sich die Staatsanwaltschaft in ihrer Ermessensausübung überraschend eindeutig und restriktiv. So ist kein Verfahren überliefert, in welchem die Staatsanwaltschaft ein Äußerungsdelikt als Wehrkraftzersetzung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 KSSVO qualifizierte. In einem Fall, in dem ein Grubenarbeiter behauptet hatte, nach dem Verlust des Krieges würden in der Tschechei „die Kommunisten aus der Erde wachsen“, erließ der Haftrichter Haftbefehl wegen Vorbereitung zum Hochverrat. Die Staatsanwaltschaft sprach der Äußerung jedoch die Qualität, „innenpolitisch den 43  Die



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Eine weitere Besonderheit bestand in der Beteiligung und den umfangreichen Kompetenzen der Gestapo bei Heimtückesachen, die regelmäßig die polizeilichen Ermittlungen bei in Betracht kommenden Verstößen gegen §§ 1 und 2 HG übernahm und Schutzhaft anordnete, ohne die Staatsanwaltschaft beteiligen zu müssen46. Die Ermittlungsakte der Gestapo ist in den überlieferten Fällen innerhalb der Verfahrensakte verortet. Sie setzt sich zusammen aus der Einlieferungsanzeige, welche meist von anonymer Seite oder von örtlichen Polizeistellen getätigt wurde47, Zeugenvernehmungen zur Sache, dem Personalbogen zum Beschuldigten48, ggf. Durchsuchungsberichten49, Beschuldigtenvernehmungen mitsamt Formbogen zu den erforderlichen Personenangaben50, Stellungnahmen der jeweiligen NSDAPKreisleitungen zur politischen Zuverlässigkeit des Beschuldigten, Stellungnahmen des Sicherheitsdienstes der SS und der Landräte zu nachteiligen Informationen bezüglich der Beschuldigten sowie einem zusammenfassenden Abschlussbericht. Auf dem Deckblatt der Einlieferungsanzeige war in den entsprechenden Feldern durch den ermittelnden Gestapobeamten anzugeben, gegen wen sich die Anzeige richtete, welchen Verstoßes er bezichtigt wurde, gegen welches Strafgesetz verstoßen worden war, ob Beweismaterial sichergestellt wurde und ob und zu welchem Zeitpunkt eine Festnahme vollzogen worden war. Insbesondere die Angaben bezüglich des strafrechtlichen „Verstoßes gegen §§“ entsprachen nur in den wenigsten Fällen der späteren Anklageschrift. Die Angaben erstreckten sich von nicht existenten organisatorischen Zusammenhalt einer verbotenen Partei aufrecht zu erhalten“, ab. Auch einen Verstoß gegen § 5 KSSVO verneinte sie mit der Begründung, dass die Äußerung in ihrer Begründung „so kindisch“ gewesen sei, dass sie nicht den „Willen des deutschen Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung lähmen“ konnte, siehe Anklageschrift vom 22.10.1941 und Bericht an den RMJ vom 26.8.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 64, Bl. 2, 2 rev., 5, 5 rev. 46  Zur gesetzlichen Normierung der selbstständigen Kompetenz der Gestapo zur Anordnung der Schutzhaft siehe AV vom 15.3.1934, in: DJ 1934, S. 341. 47  Informationen zur Person des Anzeigenden blieben auch der Staatsanwaltschaft verwehrt. 48  Auf den Personalbögen, deren Formvorlage von den der Staatsanwaltschaft unterstehenden Ermittlungsbehörden übergreifend verwendet wurden, waren in 18 Punkten die als relevant erachteten peronenbezogenen Auskünfte zu geben: Name, Beruf, Geburt, Wohnort, Staatsangehörigkeit, Religion, Familienstand, Kinder, Angaben zu Eltern, ggf. Vormund, sonstige Ausweise und Berechtigungsdokumente, Verbindung zu ehremamtlicher juristischer Tätigkeit, Zugehörigkeit zu einer Wirtschaftskammer, Mitgliedschaft in der NSDAP, RAD, Wehrdienstverhältnis, Orden sowie zu Vorstrafen. 49  Durchsuchungsberichte liegen nur vor, soweit Wohnungsdurchsuchungen erfolgten. Für Heimtückedelikte wurden Wohnungsdurchsuchungen durch die Gestapo grundsätzlich mit dem Verdacht des Vorfindens von „Hetzschriften“ oder sonstigen regimekritischen Unterlagen gerechtfertigt. 50  Siehe exemplarisch Ablichtung Abbildung 15, Anhang, S. 561.

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Straftatbeständen wie „kommunistischer Umtriebe“51 über die Subsumtion unter nicht einschlägige Straftatbestände bis hin zur Angabe mehrerer in Betracht kommender Tatbestände52. Die dritte Besonderheit stellt die Hinzuziehung von Parteistellen dar, indem NSDAP-Kreisstellen im Aachener Landgerichtsbezirk unabhängig von der Parteimitgliedschaft eines Beschuldigten grundsätzlich um eine Stellungnahme zur „politischen Zuverlässigkeit“ gebeten wurden. Diese beschränkten sich in den meisten Fällen auf nicht mit der Tat im Zusammenhang stehende Werturteile53. Positive Beleumundungen von Beschuldigten stellen die Ausnahme dar. Sofern sie erfolgten, bestanden positiv berücksichtigte Indikatoren in einer Mitgliedschaft in der NSDAP oder ihrer Untergliederungen, Beteiligungen an Parteispenden, der Anwesenheit bei Kundgebungen und sonstigen Verdiensten und Aktivitäten zugunsten der Partei54. Die faktische Relevanz der Stellungnahmen der NSDAP für die Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft schlug sich in einer grundsätzlichen Erwähnung selbiger in den Berichten an das RJM nieder, in welchen sich die Ausführungen der Parteistelle teilweise zitiert wiederfanden55, um ein Profil zur Gesamtpersönlichkeit des Täters anhand der kumulativen Stellungnahmen der involvierten Stellen und Behörden zu erstellen. Wie ausschlaggebend die Stellungnahme der NSDAP war, hing vom Einzelfall, insbesondere der Stichhaltigkeit der dortigen Ausführungen ab. Jedenfalls beschränkte sich die Stellungnahme allenfalls auf eine strafverschärfende 51  Deckblatt der Einlieferungsanzeige der Gestapo vom 8.7.1941, Ermittlungsakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 64, Bl. 5. 52  Exemplarisch lag einer Anklage und Verurteilung wegen Verstoßes gegen § 1 HG eine Einlieferungsanzeige der Gestapo wegen „Verbreitung von falschen Gerüchten“ gemäß „§ 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung vom 17.8.38“ zugrunde, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 101, Verfahrensakte, Bl. 1. Der Kölner GStA hatte im Übrigen bereits im Mai 1941 die mangelhafte kriminalpolizeiliche Ermittlungsarbeit bei Verstößen gegen das HG moniert, die dadurch verstärkt worden waren, dass „die Staatspolizeistellen die Ermittlungen in schwierigen Heimtückesachen den örtlichen Polizeiverwaltungen übertragen“ hatten, Antwortschreiben des RJM vom 7.5.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 9, Bl. 88. 53  Exemplarisch äußert sich die Kreisleitung Aachen-Land im Verfahren gegen den Schweinehändler M. folgendermaßen: „M. gilt als unzufriedener Mensch. Was er heute lobt, beschimpft er morgen. Sein wirklicher Charakter ist schwer zu ergründen, da er seine Ansicht fast stündlich wechselt“, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 52, Ermittlungsakte, Bl. 16. 54  Siehe exemplarisch Stellungnahme der NSDAP-Kreisleitung Geilenkirchen über S., LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 195, Bl. 12. 55  Siehe exemplarisch LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 43, Handakte, Bl. 3, 3 rev; LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 170, Handakte, Bl. 5; LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 238, Bl. 2 a; LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 245, Handakte, Bl. 5.



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Wirkung, während ihr kein strafkonstituierender Charakter zukam. Dies ergibt sich aus einer Entscheidung des RG, mit welcher dieses den Streit in der Lehre zur Frage, ob die Anwendbarkeit des § 2 HG eine dem Tätertyp eines „Hetzers“ entsprechende Gesamtpersönlichkeit voraussetze, negativ entschieden hatte56. dd) Der Erfolg der Anklagepraxis, gemessen anhand der Gegenüberstellung von beantragtem und verhängtem Strafmaß57 Die Staatsanwaltschaft beantragte gegen insgesamt 112 Personen Gefängnisstrafen, die sich durchschnittlich auf eine Dauer von 10,4 Monaten erstreckten. Demgegenüber verurteilte das Sondergericht Aachen insgesamt 102 Personen zu einer durchschnittlichen Freiheitsentziehung von 8,9 Monaten. Die zwischen den Vorstellungen der Anklagebehörde und den Urteilen des Sondergerichts liegende Diskrepanz von 1,5 Monaten stellt bei Gefängnisstrafen im Vergleich zu den Deliktsgruppen der KrWVO, VVO und der RundfunkVO die zweithöchste dar. Gegen insgesamt zehn Personen ergingen – abweichend vom Strafantrag der Staatsanwaltschaft – Freisprüche, Geldstrafen oder Verwarnungen, die für die Diskrepanz im Strafmaß mitursächlich waren. Gegen insgesamt 45 Angeklagte – und damit rund 40,2 % aller nach Heimtückegesetz angeklagten Personen – ergingen antragsgemäße Urteile. Sondergerichtsurteile, die im Strafmaß zuungunsten der Angeklagten vom Antrag der Staatsanwaltschaft abwichen, sind nicht überliefert. Anträge und Verurteilungen, die auf Zuchthausstrafe lauteten, existieren – entsprechend dem gesetzlich vorgeschriebenen Strafrahmen – nicht. b) Delikte nach der Kriegswirtschaftsverordnung (KrWVO)58 aa) Anwendungsbereich Die Auseinandersetzung mit Verstößen gegen die Kriegswirtschaftsverordnung stellte für die Arbeitspraxis der Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen eine Kernaufgabe dar. Mit 267 Verfahren und einem relativen Anteil von 39,3 % am gesamten Geschäftsanfall kommt den KrWVO-Delik56  RGSt

250, S. 250 f. zur grafischen Veranschaulichung der nachfolgend aufgeführten statistischen Werte Tabelle 46, Anhang, S. 536. 58  Nachfolgend wird bei der Tatbestandsbezeichnung die Kriegswirtschaftsverordnung vom 4.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1609, in der Fassung der Verordnung zur Ergänzung der Kriegswirtschaftsverordnung vom 25.3.1942, RGBl. 1942 I, S. 147 zugrundegelegt. 57  Siehe

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ten quantitativ die mit Abstand bedeutendste Rolle zu59. Schwarzschlachtungen, Milchfälschungen, Fälschungen und unbefugte Nutzung von Lebensmittelmarken sowie dem Fiskus vorenthaltenes Geldvermögen stellten die praktischen Handlungsmodalitäten dar, welche die Staatsanwaltschaft regelmäßig unter die KrWVO subsumierte. Die in der Präambel der Norm inkludierte ratio legis – Gewährleistung der „Fortführung eines geregelten Wirtschaftslebens“60 – wurde in ihrer Bedeutung durch eine Verwendung eines militärischen, kriegsbezogenen Kontextes intensiviert. So wurde eine unmittelbare Schicksalsgemeinschaft zwischen Zivilbevölkerung und kämpfender Truppe an der Front heraufbeschworen, um an die Moral des Volkes zu appellieren: Während die Soldaten im Krieg ihr Leben für die Heimat riskierten, sollte die Zivilbevölkerung durch materielle Entbehrungen ihren Beitrag dazu leisten, den „Bedarf der Wehrmacht unter allen Umständen“ sicherzustellen, sowie für eine gerechte Verteilung knapper Verbrauchsgüter auch in Inland einzustehen61. Die Last des Krieges sollte damit von jedem Volksgenossen auch an der „inneren Front“ getragen werden62. Wer die Bereitschaft hierzu durch entsprechende Manifestation strafbewährten Verhaltens ablehnte, stellte sich außerhalb der Volksgemeinschaft und lieferte sich einem abstrakten Strafrahmen aus, der selbst die Todesstrafe nicht ausschloss63. Der innere Zusammenhang zwischen allen tatbestandlichen Handlungen bestand in einer Entziehung von Verbrauchsgütern aus dem regulären Wirtschaftsverkehr64. (1) § 1 Abs. 1 KrWVO Verstößen gegen § 1 Abs. 1 KrWVO kommt im relativen Vergleich zu den übrigen Tatbestandsmodalitäten mit einem Anteil von 87,6 % eine überra59  Siehe vergleichend zur quantitativen Relevanz anderer Delikte Tabelle 24, Anhang, S. 505. Zu den lokalen Besonderheiten, die als Erklärungsansatz für die erhöhte Relevanz von Wirtschaftsdelikten in Aachen herangezogen werden können, sei nochmals auf die obige Darstellung der Kriegsauswirkungen verwiesen, S. 70. 60  Präambel der Kriegswirtschaftsverordnung vom 4.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1609. 61  Rietzsch/Peren/Schneider, Verbrauchsregelung, S. 208. Der Getreideverband Rheinland rechtfertigte auf Flublättern die restlose Abgabe von Getreide folgendermaßen: „Ebenso entscheidend wie der Einsatz der Armee und der Industrie ist der Einsatz der Landwirtschaft für die Kriegsentscheidung“, Anordnung des Getreidewirtschaftsverbands Rheinland vom 7.4.1942, abgedruckt in LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 92, Bl. 15. 62  Der terminus wird in diesem Zusammenhang verwendet von Nagler, Kriegsstrafrecht, in: GS 1940, S. 133. 63  § 1 Abs. 1 Satz 2 KrWVO, RGBl. 1942 I, S. 147. 64  Urteil des Ersten Strafsenats beim RG vom 14.2.1941, RGSt 75, S. 134.



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gende Bedeutung zu65. Hiernach wurde mit Zuchthaus oder Gefängnis bestraft, „wer Rohstoffe oder Erzeugnisse, die zum lebenswichtigen Bedarf der Bevölkerung gehören, vernichtet, beiseiteschafft oder zurückhält und dadurch böswillig die Deckung dieses Bedarfs gefährdet“66. Unter Rohstoffe und Erzeugnisse wurden dabei „Ur- und Grundstoffe“ sowie „alle Produkte der Landwirtschaft und der gewerblichen Wirtschaft“ subsumiert67. Da die Definition der Tatobjekte weit auszulegen war, war für die Qualifikation einer Sache zu einem tauglichen Tatobjekt irrelevant, ob sich diese zum Zeitpunkt der Tathandlung bereits in fertigem Zustand oder auf einer sonstigen Entwicklungsstufe befand68. Das Tatbestandsmerkmal des „lebenswichtigen Bedarfs“ bildete dabei keineswegs ein einschränkendes Korrelat zur weiten Fassung der Tatobjekte, da unter „lebensnotwendige“ und „lebenswichtige“ Güter nicht nur Nahrung und Bekleidung, sondern auch Kulturgüter wie Bücher, Zeitungen und Radiogeräte fielen69. Zur Gruppe der „minderwichtigen“ und damit ausnahmsweise nicht von der KrWVO umfassten Güter fielen dagegen alleine Gegenstände, die ausschließlich „Luxusbedürfnissen“ dienten, wie Schmuck, Edelsteine und Kunst70. Die weite Auslegung von Tatobjekten entfaltete keine nennenswerte praktische Relevanz am Standort Aachen, da sich die überragende Mehrheit von der Wirtschaft entzogenen Gütern im Raum Aachen auf Nahrungsmittel und Erzeugnisse von Nahrungsmitteln wie Fleisch, tierische Erzeugnisse und Getreide erstreckte. Während die Tathandlung des Vernichtens in Aachen nahezu bedeutungslos blieb, bildete das „Beiseiteschaffen“ bereits durch die Subsumtion aller Schwarzschlachtungen, die innerhalb von § 1 Abs. 1 KrWVO einen Anteil von 49,8 % ausmachen, die zentrale Handlungsmodalität71. Das „Beiseiteschaffen“ definierte sich in kriegsspezifischem Kontext als ein „dauerndes Herausziehen“ lebenswichtiger Güter aus dem staatlich regulierten „Verteilungsgang und Verbrauch“72. Unter Schwarzschlachtungen verstand man indes „die Schlachtungen von Vieh ohne Einhalten der für sie bestehenden gesetzlichen Bestimmungen“73, insbesondere der Einholung der Genehmigung der bewirt65  So legte die Anklage in allen 267 überlieferten Verfahren wegen Verstößen gegen die KrWVO in 234 Verfahren ein Vergehen bzw. Verbrechen gemäß § 1 Abs. 1 KrWVO in der Anklageschrift zugrunde. 66  § 1 Abs. 1 Satz 1 KrWVO, RGBl. 1942 I, S. 147. 67  Rietzsch/Peren/Schneider, Verbrauchsregelung, S. 214. 68  Ebd. 69  Ebd. S. 215. 70  Ebd. 71  In 117 von insgesamt 235 Verstößen gegen § 1 Abs. 1 KrWVO handelte es sich um Schwarzschlachtungen. 72  Rietzsch/Peren/Schneider, Verbrauchsregelung, S. 216. 73  Nüse, Schwarzschlachtungen, in: DJ 1940, S. 958.

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schaftenden Stellen, für Aachen des Viehwirtschaftsverbands Rheinland74. Um festzustellen, ob es sich bei einem Fleischbestand um schwarzgeschlachtetes Vieh handelte, oder eine genehmigte Hausschlachtung erfolgt war, wurde das eingezogene Fleisch auf Stempel des regionalen Fleischbeschauers überprüft, bei deren Fehlen regelmäßig von einer Schwarzschlachtung ausgegangen wurde75. Für die Subsumtion von Schwarzschlachtungen war irrelevant, ob das Fleisch zum Eigenverzehr oder zur Weitergabe an Dritte bestimmt war. Selbst eine Abgabe gegen Marken war strafbewährt, da das Fleisch auch in diesen Fällen der gesetzlich vorgeschriebenen „Disposition und Kontrolle der bewirtschaftenden Stellen“ entzogen wurde76. Auch soweit ein Angeklagter nicht unmittelbar an der Schwarzschlachtung beteiligt war, sondern als Strohmann zum Einkauf von Tieren zwischengeschaltet worden war, um einen Verkauf von Vieh zu vermitteln, erfolgte eine Anklage gemäß § 1 Abs. 1 KrWVO. Dass dem Angeklagten die tatsächliche – zumindest vorübergehende – Übernahme einer Milchkuh und eines Rindes nicht nachgewiesen werden konnte und er auch keinen geldwerten Vorteil hierfür erlangte, war für eine Anklage und anschließende Bestrafung gemäß § 1 Abs. 1 KrWVO unbeachtlich77. Alleine in der „Besichtigung der Tiere, Erfragung des Preises, der Unterrichtung des Hauptangeklagten und der zumindest vorgenommenen Einleitung der Kaufverhandlung“ hatte die Staatsanwaltschaft Aachen einen relevanten Tatbeitrag erblickt78. Weitere Handlungsmodalität eines „Beiseitschaffens“ stellte die Milchfälschung dar79. Hierbei wurde Vollmilch durch den Zusatz von Magermilch bzw. Magermilch durch den Zusatz von Wasser verdünnt. Eine weitere Möglichkeit der Milchfälschung bestand in der sogenannten Entrahmung von Milch, bei welcher der Fettgehalt reduziert wurde80. Um die Tat nachweisen zu können, beauftragte die Staatsan74  Rietzsch/Peren/Schneider,

Verbrauchsregelung, S. 228 f. exemplarisch Verfahren gegen den Landwirt E., Anklageschrift vom 22.10.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 36, Handakte Bl. 8. 76  Rietzsch/Peren/Schneider, Verbrauchsregelung, S. 229. Unter Beiseiteschaffen wurden im Lichte von Schwarzschlachtungen alle Handlungen vom Einkauf des schwarz zu schlachtenden Viehs bis zum Absatz des Fleisches subsumiert, siehe Nüse, Schwarzschlachtungen, S. 959. So auch Rietzsch/Peren/Schneider, Verbrauchsregelung, ebd. 77  Urteil gegen V. vom 7.2.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 38, Bl. 38 rev., 40. 78  Ebd., Bl. 40. 79  Die Milchfälschung machte im relativen Vergleich zu den übrigen Verstößen gegen die KrWVO mit vier Verfahren einen Anteil von 1,5 % aus. Soweit Milchfälschung und Schwarzschlachtung tateinheitlich begangen wurden, sind die entsprechenden Verfahren statistisch bei den Schwarzschlachtungen berücksichtigt. 80  So im Verfahren gegen den Landwirt Z. von der Staatsanwaltschaft zur Last gelegt, siehe Anklageschrift vom 19.7.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 22, Handakte, Bl. 5. So auch im Verfahren gegen den Milchverteiler J., siehe Anklage75  Siehe



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waltschaft oder die ihr unterstehenden Ermittlungsbehörden regelmäßig Sachverständige des Chemischen Untersuchungsamtes in Aachen, welches die Milch einer Kontrolle unterzog81. Anlass zur Prüfung der bäuerlichen Betriebe gaben der Lebensmittelpolizei regelmäßig Beschwerden der Kundschaft. In einem Rundschreiben wies Freisler stellvertretend für das RJM sämtliche Generalstaatsanwaltschaften und OLG-Präsidenten an, in Fällen von Milchfälschung „auf Strafen hinzuwirken, die dem hohen Unrechtsgehalt solcher Taten entsprechen; grundsätzlich also auf Freiheitsstrafen“82. Freisler beurteilte die Milchfälschungen als besonders verwerflich, da Vollmilch vorwiegend Kranken, Säuglingen und werdenden Müttern vorbehalten war. Auch der GStA mahnte den LOStA in Aachen zu einem „scharfen Zugreifen der Strafverfolgungsbehörden“, da „die Verhängung von Geldstrafen in der Regel nicht der Schwere der Tat“ entspreche83. Der Weisung aus Köln kam die Staatsanwaltschaft Aachen ausnahmslos nach, indem sie in sämtlichen Verfahren Freiheitsstrafen beantragte und erfolgreich erwirkte84. Der Vorschlag des Kölner OLG-Präsidenten, bei Milchfälschungen von einer Anwendung von § 4 VVO i. V. m. § 263 StGB Gebrauch zu machen, wurde hingegen in der Praxis nicht umgesetzt85. Weitere Anwendungsgruppen von § 1 Abs. 1 KrWVO, mit denen sich die Staatsanwaltschaft auseinanderzusetzen hatte, waren Schwarzbuttern, sonstiges Beiseiteschaffen von Lebensmitteln und Textilwaren sowie Viehschmuggel. schrift vom 24.10.1940 durch die Staatsanwaltschaft Köln, in der Folge abgegeben an die Staatsanwaltschaft Aachen, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 594, Handakte Bl. 2. 81  Siehe exemplarisch die Stellungnahme des Chemischen Untersuchungsamtes Aachen im Verfahren gegen den Milchhändler P. vom 27.3.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 27, Ermittlungsakte, Bl. 2. 82  RV des RJM vom 27.1.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 230, Bl. 71. 83  Schreiben des GStA an den LOStA in Aachen vom 30.9.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 230, Bl. 90. 84  Insgesamt handelt es sich um 5 Verfahren wegen Milchfälschung, von denen eines tateinheitlich mit einer Schwarzschlachtung begangen wurde, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 22, 27, 159, 594. Die in Tateinheit begangene Milchfälschung, bei der gleichermaßen auf Freiheitsstrafe erkannt wurde, wird statistisch den Verfahren wegen Schwarzschlachtung zugeordnet, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 586. 85  Der OLG-Präsident bezog sich bei seinen Ausführungen auf eine Verfügung des RJM, mit der vornehmlich der „Notwendigkeit“ einer Verhängung „scharfer Strafen“ gewährleistet werden sollte, siehe Urteilskritik des OLG-Präsidenten Köln an milden Urteilen des LG Bonn vom 16.10.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 9, Bl. 159. Die Erwägung einer abweichenden Subsumtion ergebnisorientiert von der gewünschten Strafzumessung abhängig zu machen, war neben der dogmatischen Fragwürdigkeit überdies ohnehin nicht nötig, da § 1 Abs. 1 Satz 2 KrWVO in „besonders schweren Fällen“ die Möglichkeit der Verhängung der Todesstrafe bereithielt, RGBl. 1942 I, S. 147.

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Anlass zu divergierenden Meinungen in der Lehre sowie uneinheitlicher Handhabung in der Praxis gab das Erfordernis des Vorliegens einer „Bedarfsgefährdung“. Da keine konkrete Gefährdung erforderlich war, sondern die abstrakte Eignung einer Handlung zur Gefährdung genügen sollte86, wurden unterschiedliche Voraussetzungen an die Bejahung des Merkmals geknüpft, die sich zwischen dem nicht zu deckenden „Bedarf einer größeren Zahl von Volksgenossen für eine gewisse Zeit“87 und einer „fühlbaren Beeinträchtigung“ des Kundenkreises eines „Einzelgeschäfts“ bewegten88. Freisler ging unter Bezugnahme auf ein Essener Sondergerichtsurteil so weit, die Bedarfsgefährdung von einer quantitativen Erwägung zu lösen und maßgeblich auf die „Virulität der Ansteckungskeime solchen Verhaltens“ abzustellen89. Auch die Anregungen des Vorsitzenden des Viehwirtschaftsverbands Rheinland an den GStA propagierten diese Sichtweise, zumindest in Bezug auf Personen, die bei der Ausübung ihres Berufes Schwarzschlachtungen vornahmen: „Die Tatsache, dass sog. Schwarzschlachtungen in erschreckendem Umfang zunehmen sowie der Umstand, dass die Versorgungslage im Fleischsektor harten Belastungsproben ausgesetzt ist, geben mir zu der Anregung Veranlassung, in allen Fällen gegen diejenigen Personen, welche in Ausübung eines Gewerbes oder Berufes auch nur eine Schwarzschlachtung vornehmen, Anklage wegen Verbrechens gegen § 1 KrWVO (…) zu erheben. Die Kriegswirtschaftsverordnung will den mit ihrer Schärfe treffen, der sich durch ein aus verwerflichen Beweggründen geborenes, den Durchhaltewillen des Deutschen Volkes gefährdendes Verhalten bewusst außerhalb der Volksgemeinschaft stellt. (…) Ich bitte daher, meiner Anregung zu entsprechen und jede Schwarzschlachtung in dem gekennzeichneten Umfang vor das Sondergericht zu bringen, wobei in leichteren Fällen zumindest auf eine Gefängnisstrafe zu erkennen sein dürfte“90. Die vom Viehwirtschaftsverband formulierte Einschränkung der Berufsbezogenheit entfaltete für den Standort Aachen nur bedingte Wirkung, da alleine 66,7 % aller geahndeten Schwarzschlachtungen von Landwirten und Metzgern getätigt wurden91. Die Anklagepraxis der Staatsanwaltschaft Aa86  Rietzsch/Peren/Schneider, 87  Ebd. 88  So

Verbrauchsregelung, S. 223.

Nüse, Schwarzschlachtung, in: DJ 1940, S. 959. Kriegswirtschaftsverordnung, in: DJ 1940, S. 1231. 90  Schreiben des Vorsitzenden des Viehwirtschaftsverbandes Rheinland an den GStA in Köln vom 20.6.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 50, Bl. 43, 45. 91  Von insgesamt 117 Verfahren wegen Schwarzschlachtung erfolgten 65 alleinoder mittäterschaftlich durch Landwirte und 12 durch Metzger. Anm.: Sofern Metzger und Landwirte in den gegenständlichen fünf Verfahren mittäterschaftlich tätig wurden, wurden diese Verfahren statistisch den Landwirten zugerechnet, siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 29, 422, 583 sowie BArch, R 3001, Nr. 123579 und 153533. 89  Freisler,



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chen folgte im Ergebnis – unabhängig von Berufsgruppen, Schlachtmengen und Schlachtumfang – der extensiven Auffassung Freislers, was die zur Anklage gebrachten Sachverhalte und die mangelnde abwägende Haltung innerhalb der Anklageschriften erkennen lassen92. Das Sondergericht berücksichtige hingegen die Umstände des Einzelfalls, wenngleich nur ausnahmsweise – mit Rücksicht auf das jeweilige Schlachtgewicht – ein Verstoß gegen § 1 Abs. 1 KrWVO abgelehnt wurde. Verneint wurde die Bedarfsgefährdung und damit eine Anwendbarkeit von § 1 Abs. 1 KrWVO etwa im Falle der Schlachtung eines Schafes unter Bezugnahme auf das Gewicht des Tieres von 50 Pfund93, wohingegen bei der Schlachtung einer Milchkuh und einem Rind die Instanz eine Bedarfsgefährdung bejaht wurde94. Dass sich das Gewicht eines geschlachteten Tieres nicht nur strafkonstitutiv, sondern nach Auffassung der Staatsanwaltschaft auch in der Höhe des Strafmaßes niederschlagen sollte, belegen Ausführungen des LOStA, der in einem Urteilsbericht an das RJM das geringe Strafmaß kritisierte und ausgeführte, dass das Gericht bei der Strafbemessung den Fokus auf das Gewicht des geschlachteten Tieres hätte legen müssen95. Sofern es sich nicht um Schwarzschlachtungen handelte und das Tatbestandsmerkmal der Bedarfsgefährdung von der Staatsanwaltschaft nicht zweifelsfrei bejaht werden konnte, wurden – insbesondere im Falle der Zurückhaltung von Milch, Getreide und Kartoffeln – ein Gutachten der jeweiligen Ernährungsstelle eingeholt, um eine Gefährdung der Bedarfsdeckung zu klären96. Von dortiger Seite war eine Bedarfsgefährdung mit der Begründung „der äußerst schwierigen Versorgungslage“ grundsätzlich „ohne 92  Exemplarisch begründete die Staatsanwaltschaft im Verfahren gegen die K. eine Bedarfsgefährdung damit, dass die Angeklagte aus „eigensüchtigen Beweggründen üblen Missbrauch mit ihrer Stellung im Wirtschaftsleben getrieben“ hatte. „Es bedarf keiner Erörterung, dass allein schon diese Einstellung der Angeklagten geeignet ist, die Bedarfsdeckung der Bevölkerung zu gefährden“, Anklageschrift gegen die K. vom 12.11.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 574, Handakte Bl. 5. 93  Sofern in diesem Fall die Annahme der KrWVO scheiterte, wurden diese Fälle jedoch als besonders schwerer Fall im Sinne des § 2 Abs. 3 VerbrauchsregelungsstrafVO qualifiziert. 94  Urteil gegen V. vom 7.2.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 38, Bl. 38, 39 rev. In einem weiteren Verfahren nahm das Sondergericht Aachen bei einem Schlachtgewicht von 200 kg eine Bedarfsgefährdung an, Urteil des Sondergerichts Aachen vom 20.8.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 36, Bl. 267. 95  Bericht des LOStA an das RJM vom 10.9.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 36, Handakte, Bl. 27. Das Sondergericht hatte nach der Schlachtung eines 200 kg schweren Schweines eine Gefängnisstrafe von 18 Monaten beantragt, während das Sondergericht eine sechsmonatige Gefängnisstrafe verhängte, ebd., sowie Urteil des Sondergerichts Aachen vom 20.8.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 36, Bl. 263. 96  Siehe exemplarisch Gutachten des Ernährungsamtes Geilenkirchen an den LOStA vom 24.8.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 92, Bl. 13 f.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

weiteres“ zu bejahen97. So ordnete der Getreidewirtschaftsverband für die Bauern im Landkreis Aachen an, Brotgetreide „restlos“ bei den staatlichen Stellen abzuliefern, „soweit es nicht im eigenen landwirtschaftlichen Betriebe zur menschlichen Ernährung oder zu Saatzwecken“ diente98. Die Zurückhaltung von sechs Zentnern Roggen und Weizen wurde in diesem Licht vom zuständigen Ernährungsamt als derart „krasser Fall“ eines Wirtschaftsverstoßes gesehen, dass die Staatsanwaltschaft gebeten wurde, dass Urteil im Landkreis zu veröffentlichen, um die entsprechende „erzieherische Wirkung“ bei den Landwirten zu gewährleisten99. Für den subjektiven Tatbestand war neben eines bedingten Vorsatzes hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale das zusätzliche Merkmal der „Böswilligkeit“ durch den Gesetzgeber normiert worden. Die Auslegungen des unbestimmten Rechtsbegriffs hatten im Intervall zwischen einer „absichtlichen feindseligen Schädigung“100 und einem „besonders verwerflichen Beweggrund“101 rangiert, bis Freisler in einem für die Rechtsprechung richtungsweisenden Aufsatz eine Böswilligkeit annahm, wenn dem Handelnden in Kriegszeiten seine „Schlechtigkeit“ bewusst war und infolgedessen auf die „innere Haltung“ des Täters geschlossen werden konnte102. Im Ergebnis war damit jede bewusste Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs. 1 KrWVO auch als böswillig zu qualifizieren103, sodass die Existenz dieses 97  Siehe zur Formulierung das Gutachten des Ernährungsamtes Geilenkirchen an den LOStA vom 24.8.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 92, Bl. 13 f. Ein über diesen Einzelfall hinausgehender Rückschluss einer grundsätzlichen Haltung der Ernährungsämter in dieser Form lässt sich aufgrund der Erwägung konstatieren, dass in keinem überlieferten Verfahren die Stellungnahme eines Ernährungsamtes eine Bedarfsgefährdung verneinte und die angespannte Versorgungslage in Aachen keiner zeitlichen Begrenzung innerhalb der Kriegsjahre unterlag. Siehe zur Versorgungslage in Aachen während des Zweiten Weltkriegs nochmals oben, S. 70. 98  Anordnung des Getreidewirtschaftsverbands Rheinland vom 7.4.1942, abgedruckt in: LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 92, Bl. 15, basierend auf der VO zur Sicherstellung des Brotgetreidebedarfs vom 22.7.1937, RGBl. 1937 I, S. 829. Siehe zur entsprechenden Ablichtung Abbildung 17, Anhang, S. 566. 99  Gutachten des Ernährungsamtes Geilenkirchen an den LOStA vom 24.8.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 92, Bl. 14. 100  Entscheidung des RG vom 2.7.1940, in: DJ 1940, S. 940. 101  Urteil des Zweiten Strafsenats des RG vom 19.9.1940, RGSt 74, S. 289. 102  Freisler, Kriegswirtschaftsverordnung, in: DJ 1940, S. 1233. Eine wertende und zutreffende Zusammenfassung gibt Werle, Justiz-Strafrecht, S. 228 f. Das Merkmal bereitete in der Anklage- und Rechtsprechungspraxis in Aachen keinerlei Probleme, so dass auf weitergehende Ausführungen zur Begriffsdefinition an dieser Stelle verzichtet wird. Siehe eingehend zur Böswilligkeit Rietzsch/Peren/Schneider, Verbrauchsregelung, S. 226–228, Freisler, Kriegswirtschaftsverordnung, in: DJ 1940, S. 1233 f. sowie Werle, Justiz-Strafrecht, S. 227–231. 103  So auch Werle, Justiz-Strafrecht, S. 229.



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zusätzlichen subjektiven Merkmals als einschränkendes Korrelat obsolet wurde104. Entsprechend stellten Staatsanwaltschaft und Sondergericht darauf ab, ob sich der Täter bewusst war, „dass zur Durchhaltung des uns aufgezwungenen Kampfes um die Gestaltung der Zukunft unseres Volkes die geordnete Besorgung unter allen Umständen gewährleistet werden muss“ und dass Verstöße gegen die KrWVO „dieses Ziel gefährden“105. Es genügte, wenn der Täter wusste, „dass wir Deutsche den uns aufgezwungenen Kampf nur durchhalten und siegreich beendigen können, wenn unsere Versorgungslage gesichert ist (…) und dass dieses Ziel“ durch Verstöße gegen die wirtschaftlichen Reglementierungen „gefährdet wird“106. Das Erfordernis eines gewissen Tätertyps – wie etwa bei der VVO – wurde in entsprechender Konsequenz zur extensiven Auslegung der Böswilligkeit von der damals herrschenden Meinung abgelehnt und auch von der Praxis nicht berücksichtigt107. Sofern Begriffe wie „Kriegsschädling“ vereinzelt in Ermittlungsakten Erwähnung finden, werden diese ausschließlich im Rahmen von Stellungnahmen durch andere Stellen verwendet, sodass ihnen auch in der Aachener Anklagepraxis nur deklaratorischer und nicht in strafkonstitutiver Charakter beigemessen wurde108. Von der Staatsanwaltschaft blieben im Zusammenhang mit der KrWVO stehende, brandmarkende Tätertypbezeichnungen indes aus. (2) Sonstiger Anwendungsbereich der KrWVO Für die sonstigen Anwendungsfälle der KrWVO in Aachen, insbesondere für § 1 Abs. 2 KrWVO, waren Bedarfsgefährdungen oder eine Böswilligkeit irrelevant109. So wurde in Strafmaßanalogie zum ersten Absatz bestraft, „wer Bescheinigungen über eine Bezugsberechtigung oder Vordrucke hierfür beiseiteschafft, nachmacht oder nachgemachte Bescheinigungen oder 104  Diese Schlussfolgerung ergibt sich aus der Erwägung, dass bei dieser Tatbestandsauslegung einzig eine Unzurechnungsfähigkeit eine bewusste Verwirklichung ausschließen konnte, wodurch jedoch § 51 Abs. 1 StGB zur Anwendung gekommen wäre und eine Strafbarkeit nach der KrWVO ohnehin ausgeschlossen hätte. 105  Urteil gegen V. vom 7.2.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 38, Bl. 39 rev. 106  Urteil gegen E. vom 20.8.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 36, Bl. 26. 107  Rietzsch/Peren/Schneider, Verbrauchsregelung, S. 232. 108  So etwa in einem Gutachten des Viehwirtschaftsverbands Rheinland vom 30.9.1941, das den Angeklagten H. als „Kriegsschädling“ qualifizierte, weil dieser wiederholt wegen kriegswirtschaftlicher Delikte straffällig geworden war, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 29, Bl. 65. 109  Rietzsch/Peren/Schneider, Verbrauchsregelung, S. 239.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Vordrucke in den Verkehr bringt oder sich verschafft“110. § 1 Abs. 2 KrWVO diente damit der Lückenschließung, um einer Gefährdung des geregelten Wirtschaftslebens über den Umweg von irregulären Bezugsmarken vorzubeugen. Von der Norm umfasst waren der unberechtigte Bezug von Lebensmittel- und Kleiderkarten, die Fälschung sowie die Benutzung ungültiger Marken. So wurde exemplarisch ein Grubenarbeiter angeklagt, nachdem dieser unberechtigterweise sogenannte Schwerstarbeiterkarten durch einen Mitarbeiter der Vergabestelle erhalten hatte, obwohl ihm lediglich Schwerarbeiterkarten zustanden111. In einem weiteren Verfahren hatten bei einem Druckereibetrieb beschäftigte Schriftsetzer und Buchbinder kumulative Tatbeiträge geleistet, um Lebensmittelmarken zu fälschen. Die Angeklagten S. und andere hatten speziell für Lebensmittelkarten verwendetes Papier, welches in dem Druckereibetrieb unverschlossen gelagert gewesen war, benutzt, um mit den entsprechenden Druckplatten, die ebenfalls unverschlossen aufbewahrt worden waren, das Papier zu bedrucken. Auf diese Weise stellten die Angeklagten etwa zwölf bis 15 Kuchen-, Brot-, Fett- und Fleischkarten her, weshalb Freiheitsstrafen von bis zu 30 Monaten Zuchthaus verhängt wurden112. Verstößen gegen § 1 Abs. 2 KrWVO kam im relativen Vergleich zu § 1 Abs. 1 KrWVO mit einem quantitativen Anteil von 10,5 % nur eine untergeordnete Rolle zu113. bb) Ermittlungsspezifische Besonderheiten Vor dem Hintergrund der bereits erwähnten Unbeachtlichkeit der Tätertypenlehre für Ermittlungs- und Anklagepraxis bei Verstößen gegen die KrWVO stellt es eine Besonderheit dar, dass der LOStA in einem Verfahren das zuständige Polizeipräsidium unter Verwendung eines Formblattes er110  § 1 Abs. 2 VO zur Ergänzung der Kriegswirtschaftsverordnung, RGBl. 1942 I, S. 147. 111  Siehe Anklageschrift im Verfahren gegen B. vom 14.6.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 185, Bl. 2. Im gleichen Unternehmen wurden in der Folge Mitarbeiter wegen Unterschlagung solcher Schwer- und Schwerstarbeiterkarten angeklagt, siehe die Anklageschrift gegen Magazinverwalter P. vom 13.6.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 277, Bl. 7, sowie die Anklageschrift gegen den kaufmännischen Angestellten M. vom 13.6.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 279, Bl. 2. 112  Anklageschrift gegen S. u. a. vom 20.1.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 406, Handakte, Bl. 3 f. 113  Der übrige Anteil von Verstößen gegen die KrWVO fiel mit einem Verfahren und damit 0,4 % auf verbotenen Warentausch in Ausübung eines Gewerbes gemäß § 1 a KrWVO sowie mit vier Verfahren und einem Anteil von 1,5 % auf die verbotene Geldhortung gemäß § 1 d KrWVO. Soweit Verstöße gegen § 1 Abs. 1 und § 1 a KrWVO tateinheitlich begangen wurden, sind diese Verfahren statistisch bei § 1 Abs. 1 KrWVO berücksichtigt.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis315

suchte, zu den Persönlichkeiten der Angeklagten Stellung zu nehmen. Konkret sollten „das Vorleben des Täters und seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zur Zeit der Tat, (…) das Maß seiner Einsicht und der Einfluss krankhafter oder sonstiger Störungen, (…) die Beweggründe und der Anreiz zur Tat, der Zweck, den er verfolgt und die Mittel, die er angewendet hat“ geschildert werden. Zudem sollte „das Verhalten des Täters nach der Tat (…) und seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse“ dargelegt werden114. In der Anklageschrift wurden zum Persönlichkeitsprofil der betroffenen Personen im Sinne einer Tätertypisierung oder einer verbalen Brandmarkung durch Begriffe wie „Kriegsschädling“ keinerlei Ausführungen gemacht, sodass die Zielrichtung dieser Maßnahme im Lichte prozessualer Relevanz unklar ist. cc) Anklagespezifische Besonderheiten Die Anklageschriften begnügten sich bei den KrWVO-Delikten mit einer grundsätzlich sehr kurz gehaltenen Darstellung der wesentlichen Ergebnisse der Ermittlungen. Dieser Umstand ist nicht zuletzt auf die Umsetzung einer dahingehenden VereinfachungsVO vom 29. Mai 1943 zurückzuführen, nach welcher der Staatsanwaltschaft durch eine abgekürzte Anklageschrift unter prozessökonomischen Gesichtspunkten die Arbeit vereinfacht werden sollte115. Folge der verkürzten Anklageschriften war, dass die Anklagebehörde regelmäßig keine eingehenden Begründungen zu zugrundegelegten Tatbestandsmerkmalen lieferte, sodass deren Anwendungsspektrum einzig den Ausführungen der jeweiligen Urteilsgründe entnommen werden konnte. Zudem ging die beschleunigte Handhabung der Anklagepraxis vereinzelt mit im Prozess nicht haltbaren Mutmaßungen – insbesondere bezüglich der subjektiven Tatseite – einher, deren mangelnde Beweisbarkeit sich bereits im Ermittlungsverfahren abzeichnete, von der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Anklageschrift aber dennoch als gegeben zugrundegelegt wurden. So hatte die Staatsanwaltschaft im Verfahren gegen V. unterstellt, dieser habe stellvertretend für den Hauptangeklgaten ein Rind und eine Milchkuh gekauft, wenngleich die Hauptverhandlung bereits einen Kaufabschluss als nicht erwiesen verwarf. Auch im Rahmen eines unberechtigten Bezugs von Wurstwaren durch den Hauptangeklagten ging die Staatsanwaltschaft bei der Veranschlagung der Menge über die tatsächlich nachzuweisenden Men114  Anfrage des LOStA an das ermittelnde Polizeipräsidium zur Persönlichkeit des S. unter Verwendung einer Formvorlage vom 21.1.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 406, Bl. 129. Siehe zur entsprechenden Ablichtung Abbildung 18, Anhang, S. 566. 115  Siehe hierzu eingehend unten, S. 426.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

gen und Gewichte aufgrund von Hypothesen hinaus116. In einem weiteren Fall missachtete sie die mangelnde Anwendbarkeit der KrWVO, indem sie dem Angeklagten zu Last gelegt hatte, Schweinefleisch aus einer genehmigten Hausschlachtung bezogen zu haben117. Der GStA korrigierte die Staatsanwaltschaft, indem er klarstellte, dass der Bezug von Fleisch aus genehmigten Hausschlachtungen im Dezember 1940 aufgrund dahingehender Anordnung des Reichsministers für Ernährung nicht strafbar und die Anklage daher „bedenklich“ war118. Im Falle eines unrechtmäßigen Bezuges von Schwerstarbeiterkarten sprach das Sondergericht nach Anklage gemäß § 1 Abs. 2 KrWVO den Angeklagten frei, da dieser infolge eines Erlaubnis­ irrtums aufgrund getätigter Überstunden davon ausgegangen war, eine Bezugsberechtigung zu haben119. Die Arbeit der Staatsanwaltschaft verdeutlicht, dass nicht nur die Schriftsätze einer Kürzung unterlagen, sondern zugleich die Ermittlungen und die hieraus resultierenden Fakten der Anklageschrift bisweilen oberflächlich und zuungunsten der Angeklagten erarbeitet wurden. Diese Oberflächlichkeit wirkte sich sowohl auf die Anwendbarkeit von Straftatbeständen als auch auf die Höhe des beantragten Strafmaßes aus. Einzig eine dezidierte Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt durch 116  Vgl. Anklageschrift gegen V. vom 20.10.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 38, Bl. 18 und entsprechendes Urteil des Sondergerichts Aachen vom 7.2.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 38, Bl. 38. So auch im Verfahren gegen W., in dem diesem die Schlachtung eines 150 Pfund schweren Schweines in der Anklageschrift zur Last gelegt wurde, die Erkenntnisse der Hauptverhandlung jedoch lediglich ein Gewicht von 50–60 Pfund zutage führten, Urteil des Sondergerichts Aachen vom 12.4.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 131, Bl. 167. Im Verfahren gegen eine Ladeninhaberin, die aufgrund einer Geschäftsschließung Textilwaren unterschlagen hatte, beschlagnahmte die Polizei unrechtmäßig auch sämtliche im Eigentum der Angeklagten stehenden Stoffe, die in der Folge Gegenstand der Anklageschrift wurden. Siehe Stellungnahme des RA S. zur Anklageschrift, in der dieser dezidiert darlegt, dass ein Großteil der von der Staatsanwaltschaft aufgeführten Gegenstände im Privateigentum der Angeklagten stand, die im Übrigen aufgrund ihrer belgischen Herkunft und der daher zunächst nicht betroffenen wirtschaftlichen Einschränkungen über einen verhältnismäßig größeren Bestand an Textilwaren verfügte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 139, Handakte, Bl. nicht angegeben. Auch das Sondergericht ging bei seiner Entscheidung von einem eingeschränkteren beiseitegeschafften Warenbestand aus, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 139, Handakte, Bl. nicht angegeben. 117  Anklageschrift gegen M. vom 6.5.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 509, Handakte, Bl. 3. 118  Stellungnahme des GStA vom 12.6.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 509, Bl. 7. Siehe zur entsprechenden RG-Entscheidung, auf der die Anordnung fußte DR 1941, S. 2186–2188. Die Anordnung wurde veröffentlicht im Deutschen Reichsanzeiger vom 28.10.1940. 119  Siehe Urteil des Sondergerichts Aachen vom 6.7.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 185, Bl. 14.



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das Sondergericht war geeignet, diese Anklagepraxis für den betroffenen Personenkreis in einigen Fällen zu deren Gunsten zu kompensieren. dd) Der Erfolg der Anklagepraxis, gemessen anhand der Gegenüberstellung von beantragtem und verhängtem Strafmaß120 Die Staatsanwaltschaft Aachen beantragte bei Verfahren wegen Verstoßes gegen die KrWVO gegen insgesamt 467 Personen Freiheitsstrafen. Da das abstrakt normierte Strafmaß ohne die Erfüllung zusätzlicher Tatbestandsmerkmale grundsätzlich auch die Verhängung von Zuchthausstrafen ermöglichte, spiegelt sich in dahingehenden Strafanträgen grundsätzlich der von der Staatsanwaltschaft beigemessene konkrete Unrechtsgehalt der Tat wider. Insoweit ist erwähnenswert, dass die Anklagebehörde gegen insgesamt 81,6 % aller Angeklagten eine Gefängnisstrafe und gegen 18,4 % Zuchthausstrafen beantragte121. Einschränkend zu diesem statistischen Ergebnis muss jedoch gesagt werden, dass sich in Verfahren mit mehreren Angeklagten grundsätzlich eine Abstufung des beigemessenen Unrechtsgehalts sowohl im beantragten als auch verhängten Strafmaß dahingehend niederschlug, dass lediglich die Haupttäter eine Zuchthausstrafe erhielten, was für die eindeutige Verhältnisverteilung als mitursächlich zu berücksichtigen ist. Mit einem durchschnittlich beantragten Strafmaß von 9,2 Monaten und einem vom Sondergericht verhängten Strafmaß von 8,5 Monaten lagen die Vorstellungen der Staatsanwaltschaft bei Gefängnisstrafen nur 0,7 Monate über dem sondergerichtlichen Tenor und stellten damit die niedrigste Diskrepanz zuungunsten der Anklagebehörde dar. Bei beantragten Zuchthausstrafen lagen die Strafmaßvorstellungen mit durchschnittlich 41,4 Monaten 3,9 Monate über den Entscheidungen des Sondergerichts und stellten damit die zweithöchste Diskrepanz dar. Soweit es also den beizumessenden Unrechtsgehalt von Taten gegen Hauptangeklagte oder umfangreichere Verstöße betraf, hatte die Staatsanwaltschaft ein deutlich kompromissloseres Verständnis als das Sondergericht. In Relation zu den übrigen Deliktsgruppen ist die erfolgreiche Umsetzung staatsanwaltschaftlicher Vorstellungen bei Zuchthausstrafen insoweit als mäßig zu beurteilen. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass in 115 Verfahren gegen insgesamt 163 Personen – mithin gegen 34,9 % aller Angeklagten – antragsgemäße Urteile ergingen. Insbesondere mit Blick auf die quantitative Relevanz von KrWVO-Verfahren in Aachen ist dieses 120  Siehe zur grafischen Veranschaulichung der nachfolgend aufgeführten statistischen Werte Tabelle 47, Anhang, S. 537. 121  So wurden gegen 363 Personen Gefängnisstrafen und gegen 104 Personen Zuchthausstrafen beantragt, siehe hierzu auch Tabelle 47, Anhang, S. 537.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Ergebnis durchaus als Erfolg der Anklagebehörde zu qualifizieren. In 13 Verfahren gegen insgesamt 18 Angeklagte übertraf das gerichtlich verhängte Strafmaß sogar den entsprechenden Antrag der Anklagebehörde122. c) Delikte nach der Volksschädlingsverordnung (VVO) aa) Anwendungsbereich Die am 5. September 1939 erlassene Verordnung gegen Volksschädlinge vervollständigte neben der KrWVO und der RundfunkVO das „Kerngebiet“ nationalsozialistischer Kriegsgesetzgebung und wurde als „Mittelpunkt“ oder „Kernstück“ innerhalb dieser zentralen Verordnungen des Kriegsstrafrechts hervorgehoben123. Ebenso wie KrWVO und RundfunkVO war die Schaffung der VVO durch Erlass innerhalb der ersten Woche nach Kriegsausbruch unmittelbar an die Kriegsereignisse geknüpft124. Die Sonderstellung der VVO manifestierte sich, anders als bei den übrigen Normierungen, bereits in dem in der Überschrift verwendeten ideologisierten terminus des „Volksschädlings“, dem die gesetzgeberische Intention einer tätertyporientierten Anklageund Sanktionspraxis begrifflich inhärent war125. Die zeitgenössische Einschätzung, die VVO habe im Rahmen aller Kriegsstrafrechtsverordnungen die „weitaus größte Bedeutung (…) erlangt“, setzt sich unter quantitativen Gesichtspunkten für den Standort Aachen zwar nicht fort126, gleichwohl stellt sie mit einem Gesamtanteil von 22,8 % aller überlieferter Anklagen vor dem Sondergericht Aachen nach der KrWVO die quantitativ relevanteste Norm dar127. Auch qualitativ zeichnet sich die VVO neben ihrer dominierenden Rolle innerhalb der mit Todesurteil endenden Verfahren durch ein weites Anwendungsspektrum aus, welches sich nicht alleine aus dem originären Wortlaut und dessen Auslegung in der Praxis, sondern zudem aus der einzigartigen systematischen Bedeutung der Norm ableitet128. 122  Siehe

hierzu Tabelle 28, Anhang, S. 510. gegen Volksschädlinge vom 5.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1679. Zu den zitierten Begriffen siehe Freisler/Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 6 f.; Mittelbach, Übersicht, in: DR 1942, S. 13. 124  Vergleiche Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1683 sowie die Kriegswirtschaftsverordnung vom 4.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1609. 125  Freisler selbst sieht in der Verwendung dieses Begriffes eine „plastischbildhafte“ Beschreibung, die als solche von „charakteristisch-nationalsozialistischer Prägung“ ist, Freisler, Volksschädlinge, in: DJ 1939, S. 1451. 126  Schwarz, Rechtsprechung, in: ZAkDR 1941, S. 106. 127  Siehe vergleichend zur quantitativen Relevanz gegenüber den anderen Delikten und Deliktsgruppen Tabelle 24, Anhang, S. 505. 128  Hierauf wird nachfolgend näher eingegangen. 123  Verordnung



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Die ratio legis der VVO bezweckte, „dass die innere Front fest, unerschütterlich, wie aus einem Guss dasteht und stehen bleibt“129. Handlungen, die den Abwehrwillen und das Durchhaltevermögen der Zivilbevölkerung schwächen und damit die Unerschütterlichkeit gefährden konnten, sollten im Wege der Generalprävention unterbunden werden. Dem abschreckenden Charakter der Norm wurde neben der verwandten Kasuistik zusätzlicher Nachdruck durch pathologische Assoziationen verliehen, die sich vereinzelt im Schrifttum wiederfinden: Der Krankheitserreger „Volksschädling“ sollte mithilfe des „Heilmittels“ der VVO „ausgelöscht“130 oder „ausgerottet“131 werden, um eine „Reinigung des Volkskörpers“132 zu erzielen. Entsprechend sollten alle Taten, denen eine spezifische Ausnutzung der Kriegsverhältnisse zuzuordnen war, grundsätzlich als „Sabotage des nationalen Abwehrkampfes oder als Ausbeutung der Kriegsnotlage zu eigennützigen Zwecken“ unter die VVO subsumiert werden133. In chronologischer Folge der §§ 1–4 VVO sollten konkret die Verbrechertypen des „Plünderers“, des „feigen Meintäters“, des „gemeingefährlichen Saboteurs“ sowie des „Wirtschaftssaboteurs“ erfasst werden134. Mit Rücksicht auf die tatsächliche Relevanz der jeweiligen Tatbestände für den Standort Aachen – die insoweit mit der reichsweiten Relevanz korrelieren135 – beschränkt sich die nachfolgende Darstellung auf den Anwendungsbereich der §§ 2 und 4 VVO. Verfahren wegen einer nach § 3 VVO sanktionierten Brandstiftung oder eines „sonstigen gemeingefährlichen Verbrechens“ sind nicht überliefert, sodass auf dahingehende Ausführungen im Weiteren verzichtet wird136. Fälle von Plünderungen im „frei gemachten Gebiet“ wurden von der Staatsanwaltschaft lediglich viermal zur Anklage gebracht137. Da die „erfolgreich“ angeklagten Verfahren aufgrund der gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Verhängung der Todesstrafe bei Verfahren mit anschließendem Todesurteil berücksichtigt sind, wird auf eine eingehende Darstellung zum Anwendungsbereich des § 1 VVO an dieser Stelle ebenfalls verzichtet138. 129  Freisler/Grau/Krug/Rietzsch,

Deutsches Strafrecht, S. 7. S. 22. 131  Werle, Justiz-Strafrecht, S. 236. 132  Freisler/Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 23. 133  Mezger/Gallas, Tatstrafe, in: ZStW 1941, S. 401. 134  Freisler, Volksschädlinge, in: DJ 1939, S. 1450. 135  Schwarz, Rechtsprechung, in: ZAkDR 1941, S. 106. 136  § 3 Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1679. 137  Siehe Verfahren gegen L. der jedoch nicht gemäß § 1 VVO, sondern gemäß § 1 VVO verurteilt wurde, Verfahren L. und andere, dessen weiterer Verlauf nicht überliefert ist, BArch R 3001, Nr. 172761, sowie die Verfahren gegen K., LAV NRW R, NW 174, Akte 199 und gegen D., LAV NRW R, NW 174, Akte 200. 138  Siehe diesbezüglich die Tätigkeitspraxis der Staatsanwaltschaft Aachen in den beiden dargestellten Verfahren gegen Raymond D. und Josef K. unten, S. 380, 384. Siehe im Übrigen zu § 1 VVO Werle, Justiz-Strafrecht, S. 259–363. 130  Ebd.,

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Von Relevanz für die nachfolgende Darstellung sind damit namentlich Fälle, in denen der Täter „unter Ausnutzung der zur Abwehr von Fliegergefahr getroffenen Maßnahmen ein Verbrechen gegen Leib, Leben oder Eigentum“ oder „unter Ausnutzung der durch den Kriegszustand verursachten außergewöhnlichen Verhältnisse eine sonstige Straftat“ beging139. (1) Systematische Einordnung der §§ 2 und 4 VVO Die erhöhte quantitative Relevanz der §§ 2 und 4 VVO für die Anklagepraxis in Aachen ist unmittelbarer Ausfluss der systematischen Einordnung der Normen, die aufgrund des damaligen Meinungsstreits über die Deliktsnatur beider Tatbestände unterschiedlich vorgenommen wurde. Konkret war umstritten, ob es sich bei den §§ 2 und 4 VVO um Qualifikationen bzw. Strafzumessungsregeln, oder um Tatbestände sui generis handelt140. Bei Verneinung eines eigenständigen Deliktscharakters hätten sich die VVODelikte bereits im Rahmen statistischer Erhebungen nicht in entsprechendem Umfang manifestieren können, eine Erwägung, die nicht alleine für die hier vorgenommenen, sondern auch vom RJM erstellten Erhebungen praktische Relevanz entfaltet hätte141. Insbesondere Nagler stellt sich auf den Standpunkt, dass sowohl § 2 als auch § 4 VVO bereits aufgrund ihres Wortlauts und der Systematik die Voraussetzungen einer tatbestandlichen Qualifikation erfüllen142. Durch die strafkonstituierende Bedingung eines Verbrechens gegen Leib, Leben oder Eigentum, habe der Gesetzgeber zumindest formal die Anwendbarkeit von § 2 VVO ausdrücklich von Grunddelikten gegen die aufgeführten Rechtsgüter abhängig gemacht. Die Addition eines zusätzlichen Tatbestandsmerkmals neben dem Grunddeliktsverweis spreche zweifelsfrei für die Deliktsnatur eines Qualifikationstatbestandes. Dagegen sug139  §§ 2 und 4 der Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1679. 140  Werle stellt den Meinungsstreit sehr ausführlich dar und rechtfertigt die umfangreiche Schilderung primär aufgrund der zustimmungswürdigen These, dass die Behandlung dieses Problemfelds das „Grundverständnis“ der VVO betraf und es sich bei dem wissenschaftlichen Diskurs um einen „Kampf gegensätzlicher strafrechtsmethodischer Prinzipien handelte“, Werle, Justiz-Strafrecht, S. 238. Da die hier vorgenommene Darstellung primär aufgrund ihrer praktischen Bedeutung für die Staatsanwaltschaft Aachen vorgenommen wird, erfolgt sie komprimiert, sodass für eine weitergehende, rechtstheoretische Schilderung auf die mit weiteren Nachweisen versehene Darstellung Werles verwiesen wird, ebd., S. 237–241. 141  Siehe zum Nachweis der Anfertigung solcher Erhebungen im RJM Schreiben des RMJ an die Generalstaatsanwaltschaften und OLG-Präsidenten betr. der Erwähnung des Grunddelikts bei Verurteilungen aus § 2 und § 4 VVO vom 20.11.1940, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 20, Bl. 225. 142  Nagler, Verbrechen, in: ZAkDr 1940, S. 383.



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geriere der Wortlaut von § 4 VVO die Natur einer reinen Strafzumessungsregel, indem jede „sonstige Straftat“ unter Ausnutzung des Kriegsverhältnisse unter „Überschreitung des regelmäßigen Strafrahmens“ sanktioniert werden sollte143. Der Bestand eines regelmäßigen Strafrahmens setze jedoch einen verwirklichten Straftatbestand voraus, da andernfalls die Existenz eines Strafrahmens, den es innerhalb von § 4 VVO zu überschreiten gelte, verneint werden müsse144. Zuletzt ließe die Überschrift der Norm „Ausnutzung des Kriegszustandes als Strafschärfung“ grundsätzlich keine Zweifel am zugedachten gesetzgeberischen Deliktscharakter. Rechtsfolge dieser Ansicht wäre gewesen, dass lediglich versuchte Grunddelikte – und zwar unabhängig von ihrer Subsumtion unter § 2 oder § 4 VVO – nicht als vollendete Verstöße gegen die VVO hätten qualifiziert werden können. Zudem wären, so Nagler, all diejenigen Normen aus dem Anwendungsbereich des § 4 VVO exkludiert gewesen, deren abstrakt normierter Strafrahmen durch § 4 VVO nicht mehr überschritten werden konnte145. Die herrschende Meinung hingegen betrachtete §§ 2 und 4 VVO als eigenständige „Sonderdelikte“146. Insbesondere Freisler erkannte unter „theoretisch-rechtsdogmatischen“ und „rechtssystematischen“ Gesichtspunkten die mangelnde Stichhaltigkeit der von ihm propagierten These zwar an, stellte aber in der für ihn symptomatischen Argumentationsweise zunächst ergebnisorientiert fest, dass bei einer engen Wortauslegung „die Rechtsprechung nicht zu der erforderlichen Strafmaßhärte gekommen wäre“ und folgerte bereits aus der bis dato erfolgten gängigen praktischen Handhabung der Norm ihren Charakter als eigenständigen Tatbestand147. Für die Auslegung des Wortlautes gelte es ohnehin, sich von der „zivilistischen Denkweise“ und der mit ihr einhergehenden „Begriffsseligkeit der Tatbestandsauslegung“ zu lösen und die strafrechtliche Wertung der Lebensvorgänge auf die „Kriegsnotwendigkeiten“ zu adaptieren148. Konsequenterweise richteten sich die Volksschädlingsdelikte – anders als das „Friedensstrafrecht“ – nicht 143  § 4 der Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1679. 144  Nagler, Verbrechen, in ZAkDR 1940, S. 383. 145  Ebd. 146  Freisler/Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 44, 108; Mittelbach, Übersicht, in: DR 1942, S. 14; Niederreuther, Volksschädlingsverordnung, in: DJ 1941, S. 392; Schwarz, Rechtsprechung, in: ZAkDR 1941, S. 106. Der Begriff des Sonderdelikts ist übernommen von Schwarz, ebd. 147  Freisler, Entscheidende Rechtsfrage, in: DJ 1940, S. 887, 889; auch Mittelbach bezeichnete §§ 2 und 4 VVO als „neue Strafgesetze“ im Sinne originärer, von anderen Tatbeständen unabhängige Delikte, da die Volksschädlingstat in ihrer „Angriffsrichtung gegen die innere Front“ und nicht gegen das Individuum hervortrete, Mittelbach, Übersicht, in: DR 1942, S. 14. 148  Freisler, Entscheidende Rechtsfrage, in: DJ 1940, S. 886.

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primär gegen Individualrechtsgüter wie Leib, Leben und Eigentum, sondern gegen die „innere Front“149. Da insoweit durch die §§ 2 und 4 VVO nicht nur eine strengere, sondern andersartige Unrechtswertung erfolge, die den ordinären Unrechtscharakter des übrigen Strafrechts übertreffe und den Schwerpunkt der Tat verlagere150, wurde beiden Tatbeständen die Qualität eigenständiger Delikte zugesprochen151. Auch das RG übernahm in der Folge – zunächst uneinheitlich152, dann jedoch ebenfalls für beide Tatbestände – die rechtliche Einordnung von §§ 2 und 4 VVO als „neues Gesetz mit selbstständiger Straftbestimmung“, bzw. als „besonderen Tatbestand“153. Rechtsfolge der von h. M. und Rechtsprechung vertretenen Auffassung war, dass ein Verstoß insbesondere gegen § 4 VVO – ungeachtet der Qualität des „Grundtatbestands“154 als Vergehen oder Verbrechen – stets ein Verbrechen, ein versuchter Grundtatbestand ein vollendetes Verbrechen darstellte und ein antragsgebundenes „Grunddelikt“ im Rahmen von § 4 VVO auch ohne Antrag strafrechtlich verfolgt werden konnte155. Die reichsgerichtliche und vom überwiegenden Schrifttum vertretene Einschätzung zur Handhabung der beiden Tatbestände setzte sich – gemessen an der Anklage- und Rechtsprechungspraxis – in Aachen entsprechend fort, wenngleich sich die dogmatische Unsauberkeit der Begründung eines Sonderdelikts in Aachen durch einige formale Unregelmäßigkeiten in der Arbeitspraxis wiederfindet: So wurde zwar unproblematisch ein versuchter Betrug und Diebstahl unter § 4 VVO subsumiert156. Jedoch fiel die zitierte Normenkette, aus der die systematische Einordnung der Norm durch die Staatsanwaltschaft evident hätte 149  Ebd., S. 887; zur „Angriffsrichtung gegen die „innere Front“ siehe Mittelbach, Übersicht, in: DR 1942, S. 14. 150  Ebd., S. 888. 151  Ebd., S. 889. 152  Das RG hatte § 4 VVO zunächst unmissverständlich auf die Bedeutung einer Strafzumessungsregel reduziert, Entscheidung des RG vom 18.12.1939, abgedruckt in: DR 1940, S. 318. 153  RG-Entscheidung vom 18.12.1939, abgedruckt in: DR 1940, S. 318: RGEntscheidung vom 26.2.1940, RGSt 74, S. 98; RG-Entscheidung vom 20.5.1940, RGSt 74, S. 203. 154  Der Begriff wird in diesem Kontext mit Anführungszeichen versehen, da alleine dessen Verwendung als terminus technicus begrifflich die Annahme eines eigenständigen Deliktes ausschließt. 155  Niederreuther, Volksschädlingsverordnung, in: DJ 1941, S. 392. 156  So hatte eine Angeklagte ein Kriegsschädenantrag eingereicht, der den tatsächlichen Verlustwert überstieg, während es zu einer Auszahlung durch Mitteilung des Sachverhalts einer dritten Personen nicht mehr gekommen war, Anklageschrift gegen die M. vom 17.5.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 224, Bl. 6. In einem weiteren Verfahren hatte ein Angeklagter im Zuge von Aufräumarbeiten ein Paar Damenschuhe aus einem vernagelten Schrank entwendet und in der Wohnung des Eigentümers hinterlegt, um diese zu einem anderen Zeitpunkt abzuholen, Ankla-



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hervortreten müssen, uneinheitlich aus. So wurde teilweise wegen „Verbrechens und Vergehens gegen § 4 VVO in Verbindung mit“157 einem anderen Straftatbestand angeklagt, was den Schluss der Behandlung als Sonderdelikt nahelegte158. In anderen Verfahren jedoch wurden Angeklagte wegen „Verbrechens gegen § 242 StGB in Verbindung mit § 2 VVO“ angeklagt, was formal auf die Handhabung einer Qualifikation oder Strafzumessungsregel schließen lässt159. Dass auch das RJM eine eindeutige Linie bei der systematischen Einordnung der §§ 2 und 4 VVO vermissen ließ, zeigen Wortlaut und Inhalt einer weitergeleiteten Korrespondenz durch den GStA an den Behördenleiter der Staatsanwaltschaft Aachen: „Nicht selten lässt sich bei Bestrafungen auf der VO gegen Volksschädlinge vom 5. September 1939 das Grunddelikt aus dem Urteilstenor nicht feststellen. Ich bitte daher, durch entsprechende Formulierung der Sitzungsanträge darauf hinzuwirken, dass bei Verurteilungen aus § 2 und 4 VVO das Grunddelikt im Urteilstenor erscheint, da dessen Vormerkung im Strafregister erwünscht ist und bei rückfallbegründenden Straftaten sogar notwendig ist“160. Sofern die Normen als eigene Tatbestände qualifiziert wurden, wäre die ministerielle Forderung nicht nur paradox, sondern fehlerhaft gewesen, da sich § 4 VVO nach damaliger Ansicht aufgrund originärer, andersartiger Angriffsrichtung gerade als eigenes Delikt darstellte und somit eine alleinige Nennung im Urteilstenor ausreichend und richtig gewesen wäre. Während dieser zur herrschenden Meinung formale Widerspruch im Ergebnis folgenlos blieb, berührt die Einordnung von §§ 2 und 4 VVO als originäre Tatbestände die für Aachen zugrundeliegenden statistischen Erhebungen unmittelbar, da die versuchten und verwirklichten „Grunddelikte“ statistisch ausnahmslos als Verstöße gegen die VVO berücksichtigt sind161. geschrift gegen den J. vom 16.10.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 491, Handakte, Bl. 3. 157  Siehe exemplarisch Anklageschrift gegen W. und andere vom 13.1.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 180, Bl. 2. 158  Eine weitere dogmatische Unsauberkeit stellte bei konsequenter Befolgung der h. M. die Qualifikation eines Verstoßes gegen § 4 VVO als „Vergehen“ dar, da nach Freisler jeder Verstoß gegen die VVO automatisch „Verbrechen“ war, Freisler/ Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 51, 113. 159  Siehe exemplarisch Anklageschrift gegen R. vom 24.9.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 153, Bl. 2. 160  Schreiben des RMJ an die Generalstaatsanwaltschaften und OLG-Präsidenten betr. der Erwähnung des Grunddelikts bei Verurteilungen aus § 2 und § 4 VVO vom 20.11.1940, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 20, Bl. 225. 161  Siehe Tabelle 24, Anhang, S. 505. Diese Handhabung trägt dem Umstand Rechnung, dass mit den Ausführungen keine strafrechtsdogmatische Auseinandersetzung intendiert ist, sondern der Fokus auf einer deskriptiven Aufarbeitung liegt, die den tatsächlichen zeitgenösssischen Handhabungen Rechnung trägt.

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(2) Anwendungsbereich des § 2 VVO Verstöße gegen § 2 VVO machen im relativen Vergleich zu den übrigen Tatbeständen innerhalb der VVO, mit deren Anwendung die Staatsanwaltschaft Aachen befasst war, mit 45 Verfahren einen Anteil von 29 % aus162. Nach dem Wortlaut des § 2 VVO wurde mit Zuchthaus bis zu 15 Jahren oder lebenslangem Zuchthaus, in besonders schweren Fällen sogar mit dem Tode bestraft, „wer unter Ausnutzung der zur Abwehr von Fliegergefahr getroffenen Maßnahmen ein Verbrechen oder Vergehen gegen Leib, Leben oder Eigentum“ beging163. (a) Taugliche „Grunddelikte“ In den abstrakten Anwendungsbereich fielen verstärkt Delikte wie Körperverletzung, Totschlag, Raub und Diebstahl. Das Reichsgericht dehnte die Reichweite zu inkludierender Tatbestände über die deliktsystematische Bedeutung hinaus auf Delikte aus, die einen anderen Schutzzweck verfolgten, soweit ihre Angriffsrichtung im konkreten Einzelfall zumindest auch gegen Leib, Leben oder Eigentum ging. So wurden bisweilen Nötigungen, Sittlichkeitsverbrechen sowie Widerstand gegen die Staatsgewalt als von § 2 VVO erfasst angesehen164. Unter quantitativen Gesichtspunkten entfaltete die sachliche Anwendungserweiterung im Wege höchstrichterlicher Rechtsprechung in Aachen mit nur einem Verfahren eine schwindend geringe Bedeutung, während die qualitative Bedeutung des einschlägigen Verfahrens, welchem eine Vergewaltigung zugrunde lag, mit antragsgemäß ergangener Todesstrafe bemerkenswert ist165. Im Übrigen betrafen sämtliche Anklagen gemäß § 2 VVO lediglich Eigentumsdelikte, und zwar in 11,1 % Unterschlagungen oder Diebstähle von (Feld-)Postpaketen166 und in 86,7 % Diebstähle sonstiger Gegenstände167. 162  Sofern in einem Verfahren tateinheitlich oder tatmehrheitlich zugleich § 4 VVO verwirklicht wurde, sind diese Verfahren statistisch innerhalb des spezielleren § 2 VVO berücksichtigt. 163  § 2 Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1679. 164  Werle, Justiz-Strafrecht, S. 242. 165  Siehe hierzu eingehend Verfahren Hubert B., S. 393. 166  Aufgrund der Gewahrsamsverhältnisse im Einzelfall erfolgte eine uneinheitliche rechtliche Würdigung der Ausgangstaten als Unterschlagung oder Diebstahl, die im Ergebnis durch die Subsumtion unter § 2 VVO jedoch grundsätzlich irrelevant ist. Siehe zu Verfahren wegen der Entwendung von Feldpostpäckchen LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 265, 409, 466, 489, 585. 167  Die verbleibenden 2,2 % fielen auf das Verfahren gegen B. wegen Vergewaltigung, siehe hierzu eingehend bei den Todesurteilen unten, S. 393.



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Diebstähle von Feldpostpaketen oder sonstigen Postsendungen fielen grundsätzlich unter den Anwendungsbereich von § 4 VVO, da das strafkonstitutive Belastungsmoment regelmäßig in der Installation des Feldpostdienstes selbst bzw. mit dem am Arbeitsplatz vorherrschenden, kriegsbedingten Personalmangel begründet wurde. Ausnahmsweise konnte jedoch jeder Postdiebstahl unter § 2 VVO subsumiert werden, wenn im Zeitpunkt der Tatbegehung Dunkelheit herrschte168 oder die konkreten Lichtverhältnisse als taugliche Verdunkelungsmaßnahmen qualifiziert wurden169. Die mangelnde Anwendbarkeit des § 2 VVO auf bloße Übertretungen, die aufgrund des Erfordernisses eines Verbrechens oder Vergehens aufrechterhalten wurde und zum praktischen Abgrenzungsproblem zwischen Mundraub und Diebstahl führte, gab im Rahmen eines mit Todesurteil endenden Verfahrens Anlass zu Kritik an der staatsanwaltschaftlichen Anklagepraxis170. (b) Ausnutzung von Fliegerabwehrmaßnahmen Neben die Verwirklichung des „Grunddelikts“ musste eine objektive Ausnutzung von Fliegerabwehrmaßnahmen treten, welcher sich der Täter subjektiv zumindest bewusst sein musste. Als Abwehrmaßnahmen wurden nicht nur behördliche, sondern auch von der Zivilbevölkerung faktisch getroffene Maßnahmen subsumiert171. Dieser Auffassung folgten auch Staatsanwaltschaft und Sondergericht, welches in einem Urteil diese Rechtsauffassung ausdrücklich kommunizierte: Dem von der Stadt Aachen Angeklagten Z. 168  So im Verfahren gegen J. und L., die nach dem Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft während ihrer Frühschicht an einem Rangierbahnhof ein Postpaket während vorherrschender Dunkelheit entwendet hatten, Anklageschrift vom 3.10.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 489, Bl. 3. Ebenso Verfahren gegen J. und D., die ebenfalls am gleichen Tatort während einer Nachtschicht Pakete und Gepäckstücke entwendeten, Urteil vom 25.3.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 265, Bl. 2 f. Ebenso Verfahren gegen C., Anklageschrift vom 17.1.1941 der Staatsanwaltschaft Köln und dann an die Staatsanwaltschaft Aachen abgegeben, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 585, Bl. 3. Zur Qualität der Dunkelheit als tatbestandliche Fliegerabwehrmaßnahme siehe unten, S. 327. 169  So etwa im Verfahren gegen den angeklagten Bahnunterhaltungsarbeiter F., der während seiner Arbeitsschicht Postsendungen öffnete. Obwohl die Deckenlampen brannten, wurde § 2 VVO angenommen, da die Beleuchtung „mittels grauem Papier so abgedunkelt“ war, „ dass der Lichtscheim nur spärlich“ an den Tatort fiel, Anklageschrift gegen den F. vom 20.1.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 409, Bl. 4. 170  Siehe hierzu Verfahren gegen K. unten, S. 410. Im Übrigen wurde selbst bei einem Diebstahl von einem Liter Fett, der erwiesenermaßen aus Krankheitsgründen und einer nahrungsbedingten Notlage heraus entwendet worden war, die Anwendbarkeit eines Mundraubes thematisiert, siehe Urteil gegen die R. vom 27.7.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 417, Bl. 24. 171  Freisler/Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 66.

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war die Obhut über das Ponttor übertragen worden, welches bei Fliegeralarm gelegentlich von der Bevölkerung als Luftschutzraum genutzt wurde. Z. hatte auf dahingehende Bitten der Opfer eingewilligt, deren Wertgegenstände in einem Raum des Ponttors in Verwahrung zu nehmen172, verkaufte jedoch einige Tage nach Lagerung den Großteil der Gegenstände173. Das Sondergericht begründete die Stigmatisierung des Z. zum Volksschädling damit, dass „die Anwendbarkeit des § 2 VVO (…) in der Rechtsprechung längst nicht mehr beschränkt“ werde „auf Vorgänge, die sich in behördlich eingerichteten Luftschutzräumen abspielen. Vielmehr ist § 2 VVO auch dann anzuwenden, wenn es sich um zwar private, aber doch behördlich empfohlene Maßnahmen handelt. Eine solche ist aber gegeben, wenn vorliegend die Zeuginnen einen Teil ihrer Wäsche und Kleidungsstücke mit Erlaubnis des Angeklagten in einem Raum des festungsartig ausgebauten Ponttores unterstellen, weil sie glaubten, auf diese Weise der Vernichtung (…) wirksam begegnen zu können“174. Neben (Einbruchs-)Diebstählen aus Luftschutzkellern bildeten die gängigen praktischen Anwendungsfälle ausgenutzter Abwehrmaßnahmen sonstige Diebstähle von Gegenständen, die zum Zwecke der Sicherung von Fliegerangriffen an andere Orte verbracht werden sollten175, Einbrüche in reguläre Kellerräume, Delikte bei gegebenem Fliegeralarm sowie Tatbegehungen in angriffsbedingt vorübergehend unbeaufsichtigten Räumlichkeiten176. Zeitlich konnte sich das Tatbestandsmerkmal des Ausnutzens über sämtliche Stadien der Tathandlung erstrecken und betraf somit jede Tatförderung von bloßen Vorbereitungshandlungen bis hin zur Flucht und Beutesicherung177. Eine latente Fliegergefahr war mit 172  Anm.: Das Ponttor ist eine mittelalterliche Befestigungsanlage, die als Teil der historischen Mauer- und Toranlagen das Innenstadtgebiet Aachens eingrenzte und bis heute existiert. 173  Anklageschrift gegen Z., LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 425, Bl. 7. 174  Urteil gegen Z. vom 11.10.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 425, Bl. 49 rev. 175  So geschehen in einem Fall eines Diebstahls von Nesseltuch im Rahmen der beruflichen Tätigkeit, da die Angeklagten aus Luftschutzgründen einen Teil des Vorrats des Rüstungsbetriebes in ein Ausweichlager verbringen sollten, Anklageschrift gegen D. und P. vom 1.10.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 429, Bl. 6. 176  Dass alleine ein ausgelöster Fliegeralarm zum Tatzeitpunkt ausreichte, um die Annahme des § 2 VVO zu rechtfertigen, zeigt die Anklage und das mit ihr inhaltlich korrelierende Urteil gegen den V. Wenngleich nicht näher festgestellt werden konnte „unter welchen näheren Umständen der Kofferdiebstahl vor sich gegangen ist“, sah das Sondergericht jedenfalls den Ausnutzungstatbestand in dem erwiesenen Umstand als verwirklicht an, dass zum Zeitpunkt des Diebstahls Fliegeralarm gegeben wurde, der Angeklagte daher keine Verfolgung befürchten musste und er insoweit Fliegerabwehrmaßnahmen ausgenutzt hatte, Urteil gegen V. vom 20.11.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 591, Bl. 40. 177  Vgl. Freisler/Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 70.



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Blick auf getroffene Abwehrmaßnahmen nicht erforderlich178. Die für die Aachener Anklagepraxis relevanteste Fliegerabwehrmaßnahme stellte die behördlich angeordnete Verdunkelung dar. Eine entsprechende Verordnung regelte die Art und Weise vorzunehmender Verdunkelungsmaßnahmen sowie ihren sachlichen und zeitlichen Geltungsbereich179. Insbesondere für Straßen-, Wege-, Platz- und Verkehrsbeleuchtungen, die für die in Aachen gegenständlichen Sachverhalte von Relevanz waren, galt dabei eine grundsätzliche Außerbetriebsetzung ab dem Zeitpunkt des Sonnenuntergangs bis zum Sonnenaufgang180. Die vereinzelt beschränkten Verdunkelungen durch Abblendungen oder verminderte Stromzufuhr stellten tatbestandlich gleichermaßen eine Verdunkelung dar181. Die Annahme des Ausnutzungstatbestands sollte nicht derart restriktiv erfolgen, dass die Verdunkelungsmaßnahmen condito-sine-qua-non für die Tatausführung sein mussten, jedoch auch nicht so extensiv ausgelegt werden, dass ein Ausnutzen angenommen werden durfte, wenn die Tat lediglich im „Zonenbereich“ einer Verdunkelung erfolgte182. Ein bloßes Erleichtern der Tat, dessen sich der Täter bewusst war, genügte indes für die Bejahung einer Ausnutzung183. Jedoch reichte die natürliche Dunkelheit unstreitig – selbst für den örtlich überragend relevanten städtischen Bereich184 – zur Anwendung von § 2 VVO nicht aus185. Mit Blick auf den sowohl städtisch als auch ländlich geprägten Zuständigkeits178  Siehe Verfahren gegen R. der ein Sakko aus einem Lagerraum eines Kinos entwendet hatte, obwohl der Fliegerangriff, zu dessen Zweck die Lagerung erfolgte, bereits einige Tage zurücklag, Anklageschrift gegen den R. vom 24.9.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 153, Bl. 3. 179  Achte Durchführungsverordnung zum Luftschutzgesetz (Verdunkelungsverordnung) vom 23.5.1939, RGBl. 1939 I, S. 965–970. 180  § 16 der 8. Durchführungsverordnung zum Luftschutzgesetz (Verdunkelungsverordnung) vom 23.5.1939, RGBl. 1939 I, S. 967. Zum zeitlichen Geltungsbereich siehe AV des RJM vom 8.5.1940, abgedruckt in: DJ 1940, S. 571. In einem Verfahren holte die Staatsanwaltschaft Aachen zur Klärung der Frage einer Ausnutzung der Dunkelheit ein Gutachten des Meteorologischen Observatoriums des Reichsamts für Wetterdienst ein, um festzustellen, dass die Tatbegehung im konkreten Verfahren nach dem Sonnenuntergang erfolgte, siehe Anklageschrift gegen W. und D. wegen Diebstahls von Postsendungen vom 6.11.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 466, Bl. 10. 181  Freisler/Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 67. 182  Ebd. 183  Ebd., S. 68. 184  So bemerkte Freisler mit Blick auf die Systematik der Norm zutreffend, dass Verdunkelungsverbrechen „im wesentlichen ein Verbrechen der Städte“ sei, nachdem ein GStA mit Verweis auf seinen ländlich geprägten Gerichtsbezirk geäußert hatte, dass es aufgrund mangelnder Beleuchtungen auch zu Friedenszeiten keine Verdunkelungsverbrechen innerhalb seiner örtlichen Zuständigkeit gegeben habe, Freisler, Verdunkelung, in: DJ 1939, S. 1706. 185  Werle, Justiz-Strafrecht, S. 243.

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bereich der Staatsanwaltschaft Aachen ist es bemerkenswert, dass im Rahmen der Ermittlungs- und Anklagepraxis in keinem Verfahren eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Abgrenzungsproblematik zwischen „Verdunkelung“ und natürlicher Dunkelheit erfolgte. Umgekehrt wurde sogar regelmäßig, auch für vermeintliche Verbrechen nach § 2 VVO im Landkreis Aachen, die Ausnutzung einer Verdunkelungsmaßnahme mit dem Verweis auf die Beleuchtungsverhältnisse zu Friedenszeiten widerlegbar vermutet. Während entlastende Beleuchtungsverhältnisse im Stadtgebiet zu keiner Zeit im Ermittlungswege berücksichtigt wurden, wurde bei Delikten im Landkreis vereinzelt die Annahme belastender Beleuchtungsverhältnisse ohne substantiierte Begründung oder konkret nachgewiesener Lichtverhältnisse vermutet186. Die Staatsanwaltschaft legte damit bei ihrer Anklagepraxis bisweilen eine Tatbestandsauslegung an den Tag, deren Reichweite selbst nach herrschender Ansicht in Schrifttum und Rechtsprechung grenzwertig war187. Dass die rechtlichen Bewertungen einer vermeintlichen Verdunkelung wiederholt nicht auf Fakten, sondern auf unsubstantiierten Vermutungen basierte, suggerieren Urteile des Sondergerichts, in denen ausdrücklich auf ein Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft eingegangen wird, von der ursprünglichen Anwendungsintention der VVO absehen zu wollen188. Von Seiten der Anklagebehörde agierte man damit im Vorfeld der Hauptverhandlung durch die Unterstellung einer Verdunkelung im Zweifel gegen den Angeklagten, um dem sorgfältiger arbeitenden Sondergericht im Rahmen der Hauptver186  So kam das Sondergericht in einem Verfahren gegen drei Angeklagte, die wiederholt im Landkreis Aachen Einbruchsdiebstähle verübt hatten und über unbeleuchtete Landwege in das Stadtgebiet zurückkehrten, zu dem Ergebnis, dass sich die von der Staatsanwaltschaft konstatierte Anwendbarkeit § 2 VVO „in keinem der vielen Fälle ergeben“ hatte, Urteil des Sondergerichts Aachen vom 5.6.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 180, Vollstreckungsheft, Bl. 35 rev. Die Ablehnung folgte aus der Erwägung, dass sämtliche Diebstähle in ländlichen Wohnhäusern und allein liegenden Häusern ländlicher Dörfer erfolgten, in denen „nachts auch in Friedenszeiten keine Laternen auf den Straßen brannten“, Urteil des Sondergerichts Aachen vom 5.6.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 180, Vollstreckungsheft, Bl. 35 rev. Dieses Ergebnis ist im geschilderten Fall umso dramatischer, da es sich um eine Vielzahl von Diebstählen gehandelt hatte und der Staatsanwaltschaft ihre mangelhaften Anklageerwägungen durch wiederholende falsche Unterstellungen bewusst sein musste. Entsprechend ist hier auch nicht von einem handwerklichen Faux-pas, sondern von einer systematischen Oberflächlichkiet auszugehen, die alleine dem Zweck dienen sollte, die als „volksschädlich“ empfundene Tat unter die entsprechende Normierung subsumieren zu können. 187  Siehe die Erwägung einstimmiger Ablehnung natürlicher Dunkelheit im „Zonenbereich“, oben, S. 327. 188  Siehe exemplarisch das Verfahren gegen F. und andere, Urteil vom 23.10.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 146, Bl. nicht angegeben.



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handlung die tatsächliche Sachverhaltsermittlung und rechtliche Einordnung zu überlassen. So hatte die Staatsanwaltschaft im Verfahren gegen H. und F. pauschal ausgeführt: „In Friedenszeiten ist der Tatort die ganze Nacht hindurch taghell erleuchtet. Die Angeklagten haben sich daher die Verdunkelung zunutze gemacht, ohne die die Tat nicht oder nur unter bedeutend schwierigeren Umständen hätte durchgeführt werden können“189. Das Sondergericht führte dagegen aus, dass sich diese Feststellung nicht aufrechterhalten ließ. Zwar wurden die zugrundegelegten Lichtverhältnisse in Friedenzeiten nicht in Abrede gestellt, jedoch führte die Hauptverhandlung zu der Erkenntnis, dass auch zum Tatzeitpunkt die Beleuchtung am Tatort auf dem Zechengelände aktiv war, wenn auch nur „mit halber Spannung“. Diese Lichtverhältnisse reichten nach Erkenntnis des Gerichts jedoch aus, „dass die Täter von dem ganzen Zechenvorplatz und auch von der Straße aus beobachtet werden konnten. Gleiches galt für den eingeschlagenen Fluchtweg190. In einem Verfahren wegen entwendeter Postpakete in der Gepäckabfertigung der Reichsbahn hatte die Staatsanwaltschaft eine Anklage gleichermaßen auf § 2 VVO gestützt, da die Glasscheiben des Tatortes „blau gestrichen wurden, um zu verhüten, dass Licht nach außen fällt“191. Jedoch ergab die Hauptverhandlung, dass die Fenster bereits vor dem Krieg undurchsichtig gewesen waren, da Zeugenaussagen bestätigten, dass diese regelmäßig mit Plakaten abgeklebt waren, sodass eine kriegsbedingte Ausnutzung seitens des Sondergerichts konsequenterweise abgelehnt wurde192. Eine gutachterliche oder höchstpersönliche Nachprüfung der Lichtverhältnisse seitens der Staatsanwaltschaft blieb grundsätzlich aus193. Nur soweit die Beantragung einer Todesstrafe in Betracht kam, befasste man sich vereinzelt mit eingehenderen Ermittlungen zu den konkreten Beleuchtungsverhältnissen194. So wurde in einem Verfahren zum Zwecke der Beweisauf189  Anklageschrift gegen H. und andere vom 2.6.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 334, Bl. 2 rev. 190  Urteil gegen H. und andere vom 22.6.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 334, Bl. 44. 191  Urteil gegen J. und D. vom 25.3.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 265, Bl. 4. 192  Ebd. 193  Nur ausnahmsweise, insbesondere in Verfahren, in denen die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung zum Tode propagierte, fanden eingehende und substantiierte Ermittlungen insbesondere auch bezüglich der Lichtverhältnisse statt, so etwa im Verfahren gegen den J., in welchem Fotografien und Skizzen zu einem getätigten Einbruch in der Ermittlungsakte dokumentiert sind, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 472, Briefumschlag Bl. 46. 194  So etwa im Verfahren gegen Hans K., siehe unten, S. 407. Siehe zudem die entsprechende Ablichtung der Anfertigung eines entsprechenden kartographischen Lageplans im Anhang, Abbildung 28, S. 589.

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nahme eine „informatorische Besichtigung“ des Tatortes durch das Sondergericht vorgenommen, um die Frage der Lichtverhältnisse zu klären195.  oraussetzung des Tätertypen als ungeschriebenes (c) V Tatbestandsmerkmal Da aufgrund der abstrakten Reichweite des Tatbestands, insbesondere durch ein nicht „zu enges“ Verständnis einer Verdunkelung, bereits einfachste Körperverletzungen sowie Unterschlagungen von geringstem materiellen Wert unter § 2 VVO fielen, bildete das RG mit dem Erfordernis des Merkmals des Tätertyps ein den Tatbestand einschränkendes ungeschriebenes Korrelat, um unverhältnismäßige und vom Gesetzgeber nicht gewollte Sanktionierungen zu vermeiden196. Mit Verweis auf die Überschrift der Verordnung rechtfertigte das RG seine Auffassung, dass die VVO ausschließlich den Tätertypen des „Volksschädlings“ treffen wolle197. Zur Beurteilung eines solchen zog es sowohl ein tatbezogenes, als auch ein täterbezogenes Beurteilungsmoment heran. Dabei bildete die tatbezogene Komponente den Ausgangspunkt der Beurteilung, indem im Wege eines Regel-Ausnahme-Prinzips durch die Verwirklichung des objektiven Tatbestands regelmäßig eine „feindliche Gesinnung“ gegenüber der „Volksgemeinschaft“ impliziert wurde198, selbst wenn der Täter „im Übrigen keine Verbrecherpersönlichkeit“ war. In einer anschließend entwickelten Formel legte das RG zur Bestimmung der Volksschädlingseigenschaft bekräftigend fest, dass sich diese bereits alternativ „aus der Art der Straftat oder aus einer Würdigung der Persönlichkeit des Täters“ wie Vorleben, Vorstrafen sowie Motive der Tat ergeben könne199. Rechtsfolge dieser Formel war, dass bereits die erstmalige Strafbarkeit für die Stigmatisierung zum Volksschädling geeignet war und dass – anders als beim Gewohnheitsverbrechergesetz200 – nicht zwingend auf ein verbrecherisches Vorleben abzustellen war201. Das Erfordernis der täterbezogenen Beur195  Urteil vom 23.10.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 146, Bl. nicht angegeben. 196  Werle, Justiz-Strafrecht, S. 244. 197  RGSt 74, S. 202 f. 198  Werle, Justiz-Strafrecht, S. 245. 199  RG-Entscheidung vom 30.5.1940, abgedruckt in: DR 1940, S. 1422. 200  Siehe zum Erfordernis von Vorstrafen für die Beurteilung des Tätertyps „Gewohnheitsverbrecher“ Art. I, § 20 a) Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933, RGBl. 1933 I, S. 995. 201  Damit handelte es sich nach kommentierenden Stimmen im Schrifttum im Rahmen von § 2 VVO um das Erfordernis eines „normativen“ und nicht „kriminologischen“ Tätertyps. Der kriminologische Täterbegriff bezieht sich auf einen „indi-



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teilung bildete damit kein zwingend zusätzlich zu erfüllendes, von der Tat zu abstrahierendes Merkmal. Vielmehr genügte es, wenn bereits eine der beiden Komponenten die Volksschädlingseigenschaft unzweifelhaft nahelegte. Lediglich soweit keine dahingehende Eindeutigkeit existierte, wurden beide Komponenten anhand ihres konkreten relativen Zusammenwirkens einer Gesamtbetrachtung unterzogen202, indem eine leichtere objektive Straftat durch erschwerende persönliche Merkmale sowie eine schwere Straftat durch erhöhte Irrelevanz günstiger Tätermerkmale zur Anwendbarkeit von § 2 VVO führen konnte203. Die vom RG entwickelte Formel zur Berücksichtigung des Tätertypens eines „Volksschädlings“ setzte sich mit Blick auf die Rechtsprechungspraxis in Aachen grundsätzlich fort. Die isolierte Betrachtung der Anklagepraxis der Staatsanwaltschaft Aachen zeigt allerdings, dass eine rechtliche Einordnung als „volksschädlich“ mehrheitlich allein aus der objektiven Tatbestandsverwirklichung abgeleitet wurde. So enthalten Anklageschriften in zahlreichen Fällen keinerlei Ausführungen zur Bewertung der Täterpersönlichkeit, insbesondere dann, wenn der zur Last gelegte Sachverhalt derart umfangreich und eindeutig die Tatbestandsmerkmale des § 2 VVO dokumentierte, dass sich konkludent aus dem Tatumfang sowie aus den objektiven Tatumständen bereits eine volksschädliche Eigenschaft ableiten ließ204. Dass die Staatsanwaltschaft gleichwohl um die strafkonstitutive Bedeutung des Tätertypenmerkmals wusste, beweisen vereinzelte Stellungnahmen zur Person der Angeklagten in der Anklageschrift, die vornehmlich erfolgten, soweit die abstrakte Betrachtung der Persönlichkeit eine Qualifikation zum Volksschädling an sich ausschloss. So erkannte die Anklagebehörde in einem Verfahren gegen eine Hausfrau, die einen Topf mit Fett entwendet und später zurückgegeben hatte, deren bis dato „unbestrafte und sonst hilfsbereite“ Persönlichkeit an. Da die Angeklagte aber durch die konkrete Tatausführung einen Diebstahl von dritter Seite fingiert hatte, um den Verdacht viduellen Tätertypus“, das heißt ausschließlich auf seine von der Tat zu abstrahierende Persönlichkeit, wohingegen der „tatbestandliche Tätertypus“ im Kontext der Verwirklichung eines bestimmten Tatbestands abgeleitet wurde, siehe Mezger/Gallas, Tatstrafe, in: ZStW 1941, S. 356, 399. Siehe zum im Schrifttum geführten Meinungsstreit über die Frage einer reichsgerichtlichen Anerkennung der Lehre vom normativen Tätertyp ebd., S. 399 f. 202  Freisler greift das Relationsverhältnis zwar im Rahmen von § 4 VVO auf, verweist jedoch bezüglich der Geltung seines Inhalts gleichermaßen auf § 2 VVO, siehe Freisler/Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 133. 203  So Gleispach, zitiert nach Freisler: „Je schwerer die Tat und der auf sie bezogene Vorsatz wiegen, (…) desto geringer kann die Belastung des Täters (…) sein, (…) und umgekehrt“, Freisler/Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 133. 204  So etwa in der Anklageschrift gegen B. vom 30.10.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 332, Akte 491, Bl. 7–13. So auch im Verfahren gegen H. und andere, die ein strafrechtlich nicht zu beanstandendes Vorleben geführt hatten, Anklageschrift gegen H. und andere vom 2.6.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 334, Bl. 5 f.

332

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

von sich abzulenken, unterstellte die Staatsanwaltschaft der R. eine „derartige Durchtriebenheit“, welche die Anwendung der VVO rechtfertigen sollte205. Insbesondere Fahrraddiebstähle wurden in Regel bereits durch die Verwirklichung des objektiven Tatbestands als so schwerwiegend empfunden, dass das Merkmal der Persönlichkeitsstruktur regelmäßig irrelevant war: „Der Fahrraddiebstahl muss in der Kriegszeit als besonders verwerflich gelten. Das Fahrrad ist für viele Volksgenossen zum unentbehrlichen Beförderungsmittel geworden. Ein jeder weiß, wie schwer es ist und wieviel Mühe es kostet, sich für ein gestohlenes Rad Ersatz zu beschaffen“206. Während die Anklagebehörde grundsätzlich den durch den objektiven Tatbestand zum Ausdruck kommenden „volksschädlichen“ Charakter der Tat für die Annahme einer Qualifikation nach § 2 VVO als ausreichend erachtete, stellte das Sondergericht umgekehrt regelmäßig auf die Täterpersönlichkeit ab, und zwar sowohl in Fällen, in denen die Persönlichkeit des Angeklagten für die konstitutive Begründung der Strafbarkeit nach § 2 VVO ausschlaggebend war, als auch in Fällen, in denen das Persönlichkeitsprofil des Täters – in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft – mit der objektiven Tat korrelierte. So führte das Sondergericht in einem Fall wegen sechsfachen Kaninchendiebstahls deklaratorisch aus: „Vor allen Dingen werden die Diebstähle besonders durch die Persönlichkeit des Angeklagten als Volksschädlingstaten charakterisiert. Er hat in seinem Leben noch keine rechte Arbeit geleistet, sondern sich aufs Faulenzen verlegt und sich bereits in seinen jungen Jahren mit schlechten Weibern herumgetrieben. Die Vorstrafen sind auf ihn ohne irgendwelchen Einfluss gewesen“207. In einem weiteren Verfahren, in welchem der Angeklagte fortgesetzt Hilfsarbeiten dazu ausnutzte, Diebstähle aus Hauskellern zu begehen, kam das Sondergericht ebenfalls unproblematisch zu der Einschätzung, dass der Angeklagte als „asozialer Mensch, der in seinem Leben noch keiner geregelten Arbeit nachgegangen und häufig, wenn auch nicht erheblich, bestraft worden ist“, ohne weiteres als Volksschädling anzusehen war208. Selbst eine fachärztlich festgestellte verminderte Zurechnungsfähigkeit konnte einen Angeklagten grundsätzlich nicht davor schützen, als Volksschädling qualifiziert zu werden. Sowohl nach Ansicht der Staatsanwaltschaft als auch des Sondergerichts stand gerade bei der VVO „das 205  R. hatte die Kellertüren des Hauses unter dem Vorwand üblen Kanalgeruchs zwei Tage offen gelassen und eigene im Keller befindliche Gegenstände in Unordnung gebracht, um einen fremd getätigten Diebstahl vorzutäuschen, Anklageschrift gegen die R. vom 30.6.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 417, Bl. 9. 206  Urteil gegen M. vom 23.3.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 262, Bl. 48 rev. 207  Urteil gegen B. vom 15.4.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 251, Bl. 80 rev. 208  Urteil gegen V. vom 20.11.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 591, Bl. 40.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis333

Schutzbedürfnis der Volksgemeinschaft besonders stark im Vordergrund“, sodass dieses „gegenüber einem Täter, der wie der Angeklagte seinen Willen nur vermindert in gemeinschaftstreuer Richtung zu lenken“ vermochte, „keinesfalls geringer“ war209. Ausnahmen ließ das Sondergericht wiederholt zu, wenn die Hauptverhandlung zu der Erkenntnis führte, dass der Angeklagte aus einer gewissen Notsituation heraus gehandelt hatte. Bemerkenswerterweise maß das Sondergericht damit dem eigentlichen Tatmotiv – gegenläufig zur herrschenden Auffassung, die bereits „regelmäßig“ die Tatbegehung als wesentliches Anwendungsindiz verstand210 – eine erhöhte Bedeutung bei. So verneinte es im Falle des gestohlenen Topfes mit Fett die Anwendbarkeit des § 2 VVO, da die Hauptverhandlung ergeben hatte, dass der Ehemann unter Tuberkulose litt und sich lauthals und wiederholt über das Essen seiner angeklagten Ehefrau beschwert hatte, sodass das Sondergericht nicht ausschließen konnte, dass R. aus einer „gewissen seelischen Not“ heraus gehandelt hatte211. Die Berücksichtigung des Tatmotivs ging vereinzelt so weit, dass selbst bei der Bejahung der objektiven und subjektiven Volksschädlingskomponenten ausnahmsweise von einer Anwendung der VVO abgesehen wurde. So war ein bereits einschlägig vorbestrafter Hochofenarbeiter nach dem Diebstahl eines Damenfahrrads trotz Ausnutzung der Verdunkelungsmaßnahmen – welche auch das Sondergericht anerkannte – aufgrund seiner Persönlichkeit nicht nach § 2 VVO zu bestrafen, da „zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt werden“ musste, „dass er sich nach seiner unwiderlegbaren Darstellung in unglücklichen Familienverhältnissen befand und von seinem Vater aus dem Hause gewiesen worden war, sodass er mittellos auf der Straße stand. Der noch im jugendlichen Alter stehende Angeklagte wusste nicht mehr ein noch aus und war daher, zumal er auch seine Verwandten nicht antraf und von diesen kein Geld für die Rückreise erhalten konnte, leichter als unter normalen Umständen geneigt, sich an fremdem Gut zu vergreifen, um seinen Plan der Rückreise durchzuführen. Die Tat ist daher – das muss zum mindesten mangels gegenteiliger Anhaltspunkte zu Gunsten des Angeklagten eingeräumt werden – nicht so sehr aus einer verbrecherischen Gesinnung als aus der besonders schwierigen Lage, in der sich der Angeklagte befand, entsprungen“212. Im Ergebnis lässt sich damit festhalten, dass das als einschränkendes Korrektiv konstruierte Merkmal des „Tätertyps“, welches ein „Sicherheits209  Urteil gegen Z. vom 11.10.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 425, Bl. 50. 210  Siehe nochmals oben, S. 330. 211  Urteil gegen die R. vom 27.7.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 417, Bl. 24. 212  Urteil gegen T. vom 3.2.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 429, Bl. 36.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

ventil“ zur verhältnismäßigen Anwendung bilden sollte213, grundsätzlich nicht von der Staatsanwaltschaft berücksichtigt wurde. Diese orientierte sich vielmehr an den ausdrücklich normierten Tatbestandsvoraussetzungen. Die verhältnismäßige Anwendung von § 2 VVO bedurfte neben der theoretischen Normierung eines „Sicherheitsventils“ auch einer praktischen Regulierungsinstanz, deren Rolle in Aachen jedoch ausschließlich das Sondergericht und nicht die Staatsanwaltschaft erfüllte. Die Arbeitspraxis der Anklagebehörde verdeutlichte vielmehr, dass man im Zweifel von einem den Angeklagten benachteiligenden Sachverhalt ausging und im Selbstverständnis arbeitete, dass fehlerhafte Ermittlungen und Anklagen durch die Hauptverhandlung und die sondergerichtliche Würdigung kompensiert würden. Ein Indiz für dieses zu unterstellende Selbstverständnis stellt nicht zuletzt die wiederholte Bemängelung zu „milder“ Urteile dar, die als staatsanwaltschaftliches Motiv angesehen werden können, im Vorfeld bewusst als „täterungünstiges“ Prozessorgan zu agiert zu haben, um die nachsichtige Rechtsprechung des Sondergerichts im Voraus zu kompensieren. (3) § 4 VVO § 4 VVO diente innerhalb des Normenkatalogs als Auffangtatbestand zu den §§ 1–3 VVO und sanktionierte denjenigen mit Zuchthaus bis zu 15 Jahren, lebenslangem Zuchthaus oder mit der Todesstrafe, der „vorsätzlich unter Ausnutzung der durch den Kriegszustand verursachten außergewöhnlichen Verhältnisse eine sonstige Straftat“ beging, soweit „das gesunde Volksempfinden wegen der besonderen Verwerflichkeit der Straftat“ die Anwendung der VVO erforderte214. Mit insgesamt 106 Verfahren, in denen nach § 4 VVO angeklagt wurde, kommt der Norm im relativen Vergleich zu den übrigen Tatbeständen der VVO ein Anteil von 68,4 % zu215. (a) Die „sonstige Straftat“ als „Grunddelikt“ Der Anwendungsbereich von § 4 VVO umfasste über die ohnehin weite Auslegung der „Grunddelikte“ im Rahmen von § 2 VVO jede Straftat, unabhängig von ihrer Schutzrichtung und ihrer Qualität als Verbrechen, Ver213  Freisler/Grau/Krug/Rietzsch, 214  § 4

Deutsches Strafrecht, S. 82. der Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5.9.1939, RGBl. 1939 I,

S. 1679. 215  Sofern neben § 4 VVO die Anklage auf leges speciales, namentlich den §§ 1 und 2 VVO fußte, sind diese Verfahren im Rahmen der speziellen Tatbestände berücksichtigt. § 4 VVO wird mit Verweis auf die oben dargestellte zeitgenössische systematische Einordnung nachfolgend als eigener Tatbestand behandelt und bezeichnet.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis335

gehen oder bloßer Übertretung216. Auch Antragsdelikte waren – ohne das Erfordernis einer tatsächlichen Antragsstellung – unter die Bestimmung zu subsumieren217. Diese Praxis wurde mit der Erwägung begründet, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 VVO dem Antragsdelikt ein neuer Unrechtsgehalt zugewiesen wurde, der das „etwaige Interesse des unmittelbar betroffenen Einzelnen an der Nichtverfolgung gegenüber dem Schutzinteresse der Allgemeinheit“ zurücktreten ließ218. Ebenso wie im Rahmen von § 2 VVO konnte auch das versuchte Grunddelikt als vollendeter Verstoß gegen § 4 VVO gewertet, sowie Teilnahmehandlungen subsumiert werden219. Auszuschließen vom Anwendungsbereich einer „sonstigen Straftat“ waren lediglich die Gruppe der Fahrlässigkeitsdelikte – bei denen eine Ausnutzung kategorisch verneint werden musste – der §§ 1–3 VVO sowie Taten, die eine „Metamorphose“ bzw. Steigerung zur Volksschädlingstat aufgrund ihres abstrakten Strafrahmens nicht vollziehen konnten220. Hierunter fielen neben die Tatbestände, welche die absolute Todesstrafe androhten, diejenigen Normen, die – gemessen an ihrem abstrakten Strafrahmen – die „gleiche Gewichtung“ wie die VVO hatten221. Vor diesem Hintergrund ist es verwunderlich, dass Staatsanwaltschaft und Sondergericht in einem Verfahren als taugliche Tathandlung einen Verstoß gegen § 1 Abs. 1 und 2 KrWVO annahmen, nachdem der Angeklagte B. sich unrechtmäßig Lebensmittelmarken für insgesamt 612 Pfund Brot beschafft, diese Marken anschließend für drei bis fünf RM pro drei Pfund weiterveräußert und so Überpreise von 1000 % über dem Normalwert erzielt hatte222. Wenngleich aufgrund der systematischen Erwägung ein Verstoß gegen § 1 KrWVO tatbestandlich unproblematisch auch unter § 4 VVO subsumiert werden konnte, lassen sich in der Anklage- und Rechtsprechungspraxis in diesem Fall keine Anhaltspunkte finden, welche die zusammenfallende Anwendung beider Normen erklären kann. Dagegen konnten Verstöße gegen die VerbrauchsregelungstrafVO grundsätzlich unproblematisch unter die VVO subsumiert 216  Mittelbach, 217  Ebd.

Entscheidungen, in: DR 1940, S. 1231.

218  Freisler/Grau/Krug/Rietzsch,

Deutsches Strafrecht, S. 118. S. 121. 220  Ebd., S. 120. 221  Ebd. 222  Anklageschrift gegen den B. vom 8.12.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 562, Handakte, Bl. 5. Auch im Verfahren gegen M. und andere hatte die Staatsanwaltschaft ein Verbrechen wegen § 1 Abs. 1 KrWVO iVm § 4 VVO angenommen, ohne in der Anklageschrift Ausführungen bezüglich § 4 VVO zu machen, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 557, Bl. 62–65. Anm.: Soweit KrWVO- und VVO-Delikte tateinheitlich begangen wurden, wurden diese Verfahren entsprechend der geläufigen Anklage- und Urteilspraxis statistisch bei den VVO-Delikten berücksichtigt. 219  Ebd.,

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

werden223. Die praktischen Anwendungsfälle in Aachen hatten ausnahmslos Vermögensdelikte zum Gegenstand. Die gängigen Fallgruppen bildeten Diebstähle von Nahrung und Wertgegenständen224, Diebstähle von Postund Feldpostpäckchen225, Betrugsfälle zulasten des Kriegsschädenamtes226 sowie die Verwendung abgeworfener Lebensmittelmarken durch alliierte Streitkräfte. (b) Die Ausnutzung „außergewöhnlicher Verhältnisse“ Soweit es das Merkmal des Ausnutzens betrifft, ergeben sich zu § 2 VVO keine Abweichungen227. Allerdings erfuhr § 4 VVO durch das Merkmal „außergewöhnlicher Verhältnisse“ einen enormen Anwendungszuwachs. Während die Fliegerabwehrmaßnahmen ein konkretes, zweckbezogenes, menschliches Handeln voraussetzten, war für § 4 VVO ein vorheriges Tätigkeitwerden, welches in der Folge durch den Delinquenten ausgenutzt wurde, entbehrlich. Vielmehr genügte ein tatsächlicher Zustand, der nicht mit der konkreten Tat in unmittelbarem Zusammenhang stehen musste. Abstrakt definierte sich das Tatbestandsmerkmal als „merkbare Abweichung“ von Friedenszuständen228. Damit wurden die tatsächlichen Lebensverhältnisse der im Krieg lebenden Zivilbevölkerung als strafkonstitutives Tatbestandsmerkmal normiert, sodass nahezu jeder denkbare, auch nur mittelbar mit dem Krieg zusammenhängende andere Umstand als kriegsursächlich konstruiert werden konnte. In einer nicht abschließenden Aufzählung gibt Leopold einen Überblick praktischer Anwendungsfälle, welcher das weite Verständnis außergewöhnlicher Zustände dokumentiert229. Alleine das Einrücken von Ehemännern in die Wehrmacht und alle hieraus abzuleitenden Folgen wie Personalengpässe auf dem zivilen Sektor, verstärkte Besetzung von Arbeitsplätzen mit Frauen, Schließung und Einschränkung von Betrieben sowie die Sorge um Angehörige erfüllte das in Rede stehende Tatbestandsmerkmal230. Im Wege der Rechtsprechung wurden die abstrakten 223  Siehe

exemplarisch Urteil des RG vom 23.9.1940, RGSt 74, S. 295. exemplarisch die Anklageschrift gegen W. und andere vom 13.1.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 180, Bl. 2, 2 rev. 225  Siehe exemplarisch die Anklageschrift gegen B. vom 10.7.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 522, Handakte, Bl. 4. Siehe im Übrigen zu Verfahren wegen Feldpostdiebstahls LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 533, 542, 561, 611, 616. 226  Siehe exemplarisch die Anklageschrift gegen die Eheleute K. vom 7.1.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 224, Bl. 2. 227  Siehe nochmals oben, S. 325. 228  Freisler/Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 127. 229  Leopold, Sondergerichte, wiedergegeben nach Freisler/Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 127. 230  Freisler/Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 127. 224  Siehe



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis337

Anwendungsgruppen weiter ausgedehnt auf verminderten Kraftwagen- und Straßenverkehr, Spendenbetrugsfälle zugunsten der Wehrmacht, jegliche Straftaten zulasten eines Soldaten sowie das Ausnutzen „herrschender Erregung und Nervenanspannung der Bevölkerung“231. Die Begründung der Annahme außergewöhnlicher Verhältnisse erfolgte seitens der Staatsanwaltschaft entsprechend der nahezu unbegrenzten Subsumtionsmöglichkeit regelmäßig mit kurzem Verweis auf die bloße objektive Tatbestandsverwirklichung. Die gegenständlichen Anwendungsfälle, welche die Anklagebehörde vor Ort beschäftigten, waren unberechtigte Antragstellungen beim Kriegsschädenamt232, der Personalmangel von Polizeistreifen am Tatort und der unmittelbaren Umgebung, ohne dass es auf ein dahingehendes Wissen der Täter ankam233, die Hehlerei mit Lebensmitteln, da nach Ansicht der Staatsanwaltschaft gestohlene Lebensmittel durch die kriegsbedingte Lebensmittelverknappung einfacher abzusetzen waren als in Friedenszeiten und höhere Preise im Zuge eines Weiterverkaufs erzielten234, sowie das „Durcheinander infolge der Brandeinwirkungen“ in einem Wohnhaus und die hierdurch bedingte mangelnde Aufsichtsmöglichkeit235. Die bereits im Rahmen von § 2 VVO geschilderte Ermittlungs- und Anklagepraxis setzte sich im Rahmen von § 4 VVO fort. Soweit man – insbesondere tatortbezogene – Umstände erblickte, die geeignet waren, eine Subsumtion herzuleiten, ging die Behörde vereinzelt dazu über, ohne sachliche Gegenüberstellung der konkreten Situation zur Lage in Friedenszeiten täternachteilige Umstände zu unterstellen236. So kam die Staatsanwaltschaft in einem Verfahren, dem ein Diebstahl 231  Ebd.,

S.  128 f. gegen die Eheleute K. vom 3.2.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 224, Bl. 34. 233  So etwa im Urteil gegen F. und andere, in dem das Sondergericht Aachen zu dem Ergebnis kam, dass nach Zeugenaussagen von Polizeibeamten der polizeiliche Sicherungsdienst im Bezirk des Tatorts nach der Eingliederung des Gebiets „stark vermehrt“ worden sei, und zwar auch in der Nachtzeit, sodass umgekehrt seit Kriegsbeginn von einer regeren polizeilichen Aktivität auszugehen gewesen war, Urteil des Sondergerichts Aachen vom 5.6.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 213, Vollstreckungsheft, Bl. 35 rev. 234  Urteil des Sondergerichts Aachen vom 5.6.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 213, Vollstreckungsheft, Bl. 36. 235  Anklageschrift gegen J. vom 16.10.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 491, Akte 213, Handakte, Bl. 4. 236  Solche den Täter benachteiligende Ermittlungsergebnisse konnten gleichwohl auch tatbezogen sein, insbesondere, soweit es den Umfang des zugrundegelegten Diebesguts betraf. So ging die Staatsanwaltschaft in einem Verfahren wegen Feldpostdiebstahls gegen den Postarbeiter B. davon aus, dass es sich insgesamt um 15 Postsendungen handelte, die dieser gestohlen hatte, während die Hauptverhandlung ergab, dass ein Diebstahl lediglich von fünf Feldpostpäckchen nachweisbar war, vgl. Anklageschrift gegen B. vom 10.7.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 522, 232  Urteil

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

im eingegliederten Gebiet Belgiens zugrunde lag, zu dem Ergebnis, dass der vermeintliche Personalmangel von Polizeibeamten vor Ort ein außergewöhnliches Kriegsverhältnis dargestellt habe. Tatsächlich förderten Zeugenaussagen von Polizeibeamten im Rahmen der Hauptverhandlung zutage, dass der polizeiliche Sicherungsdienst im Bezirk des Tatorts nach der Eingliederung des Gebiets sogar „stark vermehrt“ worden war und zwar auch in der Nachtzeit, sodass umgekehrt seit Kriegsbeginn von einer regeren polizeilichen Aktivität auszugehen gewesen war237. In einem weiteren Diebstahlsverfahren, in welchem der angeklagte Kraftfahrer Handelswaren des ihn beschäftigenden Betriebes entwendet hatte, stützte die Staatsanwaltschaft eine Anklage auf § 4 VVO mit der Begründung eines vermeintlichen Personalmangels. Die konkreten Tatumstände boten jedoch bei einer vom Sondergericht getätigten Vergleichsbetrachtung zu Friedenszeiten „keine Gesichtspunkte“, die Rückschlüsse auf kriegsbedingte außergewöhnliche Verhältnisse zuließen238. Selbst in Fallkonstellationen, in denen im Wege gefestigter Rechtsprechung unabhängig von konkreten Tatumständen aufgrund des entwendeten Tatobjekts auf die Anwendbarkeit von § 4 VVO geschlossen wurde, war es das Sondergericht, welches durch eine entsprechende Urteilsbegründung eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt ermöglichte. So begründete die erkennende Instanz im Falle eines mehrfachen Diebstahls von Feldpostpäckchen die Verurteilung nach § 4 VVO damit, dass die „Einrichtung der Feldpost (…) an sich schon eine aus dem Kriegszustand heraus begründete Einrichtung der Post“ war. Da durch häufige Standortwechsel der Soldaten an der Front und hierdurch bedingte Umleitungen und Rücksendungen von Feldpost vielfach Pakete verloren gegangen waren, den Empfänger dauerhaft nicht erreichten oder sogar durch Feindeinwirkung zerstört wurden, unterlagen nicht zugestellte Feldpostpäckchen nach Ansicht des Gerichts erfahrungsgemäß einer weniger akribischen Nachforschung, was dem Angeklagten als besonderes Ausnutzungsmerkmal zum Nachteil gereichte239. Auffällig ist, dass die StaatsHandakte, Bl. 3 rev. und Urteil gegen B. vom 25.8.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 522, Bl. 70. 237  So etwa im Urteil gegen F. und andere, in dem das Sondergericht Aachen zu dem Ergebnis kam, dass nach Zeugenaussagen von Polizeibeamten der polizeiliche Sicherungsdienst im Bezirk des Tatorts nach der Eingliederung des Gebiets „stark vermehrt“ worden sei, und zwar auch in der Nachtzeit, sodass umgekehrt seit Kriegsbeginn von einer regeren polizeilichen Aktivität auszugehen gewesen war, Urteil des Sondergerichts Aachen vom 5.6.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 213, Vollstreckungsheft, Bl. 35 rev. 238  Anklageschrift vom 24.7.1942 und Urteil vom 25.1.1943 gegen den T., LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 571, Handakte Bl. 6. sowie Ermittlungsakte, Bl. 107. 239  Urteil des Sondergerichts Aachen gegen B. vom 25.8.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 522, Bl. 72. So argumentierte im Ergebnis auch die Staatsan-



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anwaltschaft offenbar die vom Sondergericht angenommenen gängigen Ausnahmetatbestände, die nach dortiger Ansicht regelmäßig zum Ausschluss der Anwendbarkeit der VVO führten240, wiederholt in der Anklageschrift antizipierte und somit dem Gericht signalisieren wollte, dass man sich im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung mit den entlastenden Umständen vereinzelt auseinandergesetzt hatte. Insbesondere die Erkenntnis einer mangelnden wirtschaftlichen Notlage wurde dabei offenbar wiederholt als entscheidendes strafkonstitutives Merkmal angesehen, an dem eine Verurteilung aus Sicht der Staatsanwaltschaft vereinzelt zu scheitern drohte241. (c) Die Verwerflichkeitsklausel Die Verwerflichkeitsklausel bildete ein die Anwendung des § 4 VVO einschränkendes Korrektiv, sodass trotz Vorliegens aller übrigen Tatbestandsmerkmale § 4 VVO zu verneinen war, wenn nach „gesundem Volksempfinden“ die „besondere Verwerflichkeit“ nicht festgestellt werden konnte242. Insoweit stellte die Verwerflichkeitsklausel das normative Gegenstück zum vom RG konstruierten Tätertypenerfordernis dar, mit dem Unterschied, dass es sich um ein echtes Tatbestandsmerkmal handelte. Trotz des Wortlauts der Norm, welcher die Verwerflichkeit ausdrücklich an die „Straftat“ knüpfte, herrschte Einigkeit darüber, hierin nicht irrigerweise eine vom Gesetzgeber intendierte „Rückkehr zum reinen Tatstrafrecht“ zu sehen, sondern die Verwerflichkeit gleichermaßen an die Täterpersönlichkeit knüpfen zu können243. Ebenso wie das Tätertypenerfordernis war für die Beurwaltschaft im Rahmen eines anderen Verfahrens wegen Feldpostdiebstahls: „Hierbei hat der Angeklagte den Umstand bewusst ausgenutzt, dass die Angehörigen des Soldaten infolge der durch den Kriegszustand verursachten räumlichen Trennung gezwungen sind, ihre Liebesgaben der Feldpost anzuvertrauen. Auch hat er sich offenbar darauf verlassen, dass es infolge der Kriegsverhältnisse unmöglich sein würde festzustellen, wo die Päckchen abhanden gekommen waren“, Anklageschrift gegen gegen S. vom 20.11.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 542, Handakte, Bl. 8. Ebenso Anklageschrift gegen K. vom 10.7.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 616, Bl. 5. 240  Insoweit gelten die zu § 2 VVO gemachten Ausführungen entsprechend, siehe oben, S. 330. 241  So wurde exemplarisch das „vorgerückte Alter“ und mangelnde Vorstrafen des Angeklagten B. gewürdigt, jedoch die mangelnde finanzielle Notlage und die der objektiven Tat inhärente Verwerflichkeit gegenübergestellt, siehe Anklageschrift gegen B. vom 10.7.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 522, Bl. 4. Zu einer mangelnden wirtschaftlichen Notlage auch Anklageschrift gegen K. vom 8.8.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 533, Bl. 9. 242  § 4 Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1679. 243  Freisler/Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 133. Es herrschte ein dogmatischer Meinungsstreit zu der Frage, ob sich die Berücksichtigung der täter-

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teilung der Verwerflichkeit das relative Zusammenwirken von tat- und täterbezogenen Komponenten möglich244. Im Übrigen beschränkte sich die Prüfung der Klausel nicht alleine auf die Verhängung der Todesstrafe, sondern strafmaßunabhängig auf sämtliche Sachverhalte, die den Tatbestand des § 4 VVO erfüllten245. In der praktischen Umsetzung der grundsätzlich möglichen kumulativen Berücksichtigung beider Komponenten ergaben sich gegenüber der Anklagepraxis im Rahmen des § 2 VVO keine nennenswerten Abweichungen. Vielmehr folgerte die Staatsanwaltschaft auch im Rahmen von § 4 VVO regelmäßig aus einer objektiven Tatbestandsverwirklichung einen derartigen Unrechtsgehalt, der ein Abstellen auf die sonstige Persönlichkeit des Angeklagten auf ein Minimum reduzierte. Nur soweit – wie im Rahmen von § 2 VVO – die Persönlichkeitsmerkmale des Angeklagten nicht zu beanstanden waren, griff die Staatsanwaltschaft bisweilen diesen Umstand auf, um zu dokumentieren, dass personenenbezogene Feststellungen in die Interessensabwägung eingeflossen waren. So klagte der Behördenleiter eine fliegerschädigte Person gemäß § 4 VVO wegen Betrugs am Kriegsschädenamt mit folgender Begründung an: „Wenn sie auch nicht vorbestraft ist und auch sonst (…) ihr nichts Nachteiliges nachzusagen ist, so ist sie doch schon allein wegen ihrer Tat als Volksschädling zu kennzeichnen“246. Bisweilen wurde gänzlich auf die Feststellung einer besonderen Verwerflichkeit der konkreten Tat verzichtet247. Die hierfür ursächbezogenen Komponente gesetzlicher Ausfluss der originären Begründung der Tätertypenlehre war, ob die Berücksichtigung des Tätertyps nach dem Willen des Gesetzgebers incidenter von dem Begriff der „Verwerflichkeit der Straftat umfasst war, so insbesondere Mittelbach: „Gleichzeitig weist aber die Prüfung, ob das gesunde Volksempfinden diese schwere Bestrafung erfordert, auf die Person des Täters hin“, Mittelbach, Tätertyp, in DR 1940, S. 241. Der Streit entfaltete jedoch keine nennenswerten praktischen Unterschiede, da die Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit nach beiden Auffassungen zu bejahen war. 244  Freisler/Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 133. 245  RGSt. 74, S. 239. 246  Anklageschrift gegen die M. vom 17.5.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 273, Bl. 6, 6 rev. So auch im Verfahren gegen B. und andere, die einem mit Altpapier gefüllten Sack abgelaufene Kleiderkarten entnahmen und einen Teil hiervon weiterveräußerten. Sämtliche Angeklagten waren Kriegsteilnehmer, mit militärischen Orden dekoriert, unbestraft, und auch sonst ohne Verfehlungen. Die Tat wurde jedoch als „so verwerflich“ qualifiziert, „dass die Angeklagten trotz ihrer bisherigen einwandfreien Führung und trotz ihrer teilweise vorhandenen Verdienste um die Volksgemeinschaft als Volksschädlinge anzusprechen sind und nach gesundem Volksempfinden eine besonders harte Strafe verdienen“, Anklageschrift gegen B. und andere vom 10.6.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 545, Bl. 3 rev. Ebenso Anklageschrift gegen den J. vom 16.10.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 491, Handakte, Bl. 4. 247  So geschehen durch Anklageschrift gegen die Eheleute K, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 224, Bl. 2, 2 rev.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis341

lichen Gründe sind – wie bereits im Rahmen von anderen Delikten ausgeführt – nicht zuletzt in der gesetzlich normierten Anklageschriftverkürzung zu sehen248. Auch die Rolle des Sondergerichts entsprach derjenigen, die sie bereits im Rahmen der rechtlichen Würdigung von Verstößen gegen § 2 VVO einnahm. Für die Qualifikation der täterbezogenen Verwerflichkeit, welche die Angeklagten „auch ihrer Persönlichkeit nach als Volksschädlinge“ brandmarkten, wurde unter anderem maßgeblich auf das Vorleben des Täters abgestellt, insbesondere auf etwaige Vorstrafen und des Nachgehens einer geregelten Arbeit. Sofern das Gesamtbild einen negativen Eindruck hinterließ, bediente sich das Sondergericht grundsätzlich gängiger Ausdrucksformen wie der eines „völlig haltlosen und asozialen“ Menschen249. Jedoch ließ auch das Sondergericht die täterbezogene Komponente zunehmend unberücksichtigt, soweit die objektive Tatbestandsverwirklichung einen gängigen Anwendungsfall von § 4 VVO widerspiegelte, dem die „Volksschädlichkeit“ unstreitig inhärent war. So verurteilte das Sondergericht eine Wagenschaffnerin wegen versuchten Betruges des Kriegsschädenamts nach § 4 VVO, obwohl die Angeklagte nicht vorbestraft und auch sonst nichts Nachteiliges zu ihr vorlag. Das Gericht begründete seine Entscheidung lediglich unter Verweis auf die objektive Tatseite: „Wer so handelt wie die Angeklagte und damit dazu beiträgt, dass die in Frage kommenden Amtsstellen dazu übergehen müssen, die ihnen gemachten Angaben genauer zu prüfen, und daher den Betroffenen nicht so schnell wie erwünscht und erforderlich helfen zu können, stellt sich außerhalb der Volksgemeinschaft, und das gesunde Volksempfinden verlangt eine entsprechende Bestrafung“250. Umgekehrt wurden im Fall einer Unterschlagung von Postsendungen, die keine Feldpost gewesen war, sowohl die objektiven als auch die subjektiven VVO-Voraussetzungen mit der bemerkenswerten Begründung verneint, dass andernfalls die Norm „ins Uferlose verallgemeinert“ würde. „Denn letzthin spielt sich das ganze Leben des Volkes zur Zeit unter 248  Siehe

hierzu eingehend unten, S. 426. exemplarisch Urteil des Sondergerichts Aachen vom 5.6.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 213, Vollstreckungsheft, Bl. 36, 36 rev. 250  Urteil gegen die M. vom 17.8.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 273, Bl. 45. So im Ergebnis auch im Urteil gegen eine weitere Angeklagte M., die nicht vorbestraft war und auch im Übrigen keinen Verfehlungen in ihrer Vergangenheit unterlegen gewesen war, Urteil des Sondergerichts Aachen vom 21.10.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 369, Bl. 83 rev. So im Ergebnis auch im Urteil gegen die nur unwesentlich vorbestrafte K., bei deren Verurteilung ebenfalls die subjektive Verwerflichkeit außer Acht blieb, indem das Gericht feststellte: „Im vorliegenden Fall ergibt aber schon die Schwere der Einzeltat, dass sie der Wesensart eines Volksschädlings entsprungen ist“, Urteil gegen K. vom 11.8.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 86, Bl. 78. Im konkreten Fall hatte sich K. eines versuchten Betrugs iHv ca. 3.000 RM schuldig gemacht, ebd., Bl. 74, 77. 249  Siehe

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den durch Kriegszustand bedingten außergewöhnlichen Verhältnissen ab und im gegenwärtigen 5. Kriegsjahr gibt es wohl auf keinem Lebensgebiet mehr friedensmäßige Verhältnisse“251. Im Übrigen galten im Rahmen der lokalen Rechtsprechungspraxis auch die für § 2 VVO geltenden entschuldigenden Motive, die ausnahmsweise eine Anwendung des § 4 VVO ausschlossen. Praktische Fälle bildeten Tatbegehungen aufgrund eines tatsächlichen Bedürfnisses für Kinder252, Arbeitslosigkeit, einer hieraus resultierenden finanziellen Notlage, Krankheit253, jugendlicher Leichtsinn254 sowie die Sorge um die Aufrechterhaltung des eigenen Betriebes255. Im Ergebnis gilt auch im Rahmen des § 4 VVO, dass die Staatsanwaltschaft die Volksschädlingseigenschaft primär aus dem objektiven Tatbestand herleitete, jedoch die Rechtsfolge – anders als bei § 2 VVO – vermehrt täterbezogen formulierte, indem festgestellt wurde, dass der Angeklagte als Volksschädling handelte. Auch im Rahmen von § 4 VVO stellte das Sondergericht die regulierende Behörde dar, die das normative Anwendungskorrektiv der Verwerflichkeit im Zweifel in der Praxis berücksichtigte256. bb) Anklagespezifische Besonderheiten Im Rahmen von Verfahren wegen Verstoßes gegen § 4 VVO, in welchen Angeklagte gefälschte und von den Alliierten abgeworfene Lebensmittelmarken benutzt hatten, begegnete die Anklage der besonderen Schwierigkeit, dass Angeklagte vielfach die „Schutzbehauptung“ aufstellten, es habe sich „bei den von ihnen verwandten Lebensmittelmarken nicht um solche“ gehandelt, „die von feindlichen Fliegern abgeworfen worden waren, sondern 251  Urteil

rev.

gegen N. vom 8.2.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 227, Bl. 3

252  Urteil gegen die Eheleute K. vom 3.2.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 224, Bl. 34. 253  Urteil gegen B. und andere vom 18.7.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 545, Bl. 74. 254  Ebd. Dabei konnte – ähnlich wie bei der lokalen Rechtsprechung im Rahmen von § 2 VVO – das entschuldigende Motiv so schwer wiegen, dass selbst bei illegalem Bezug über 50 Kleidungsstücke sowie 200 m Textilstoff die Anwendbarkeit aufgrund des jugendlichen Alters ausnahmsweise scheiterte, siehe Urteil gegen M. vom 4.12.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 557, Bl. 91–93, 98. 255  Im gegenständlichen Verfahren hatte der Angeklagte Maispulver im Tauschhandel erworben. Das Sondergericht begründete das Absehen einer Bestrafung nach § 4 VVO damit, dass „der Beweggrund für seine verbotswidrigen Geschäfte (…) hauptsächlich (…) in der Sorge um die Aufrechterhaltung seines noch jungen Konditoreibetriebes“ zu suchen war, Urteil gegen H. und andere vom 11.2.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 566, Bl. 142. 256  Im Übrigen gelten für die hier gefundenen Ergebnisse die zum Tätertypen­ erfordernis gemachten Ausführungen entsprechend, siehe oben, S. 330.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis343

sie hätten diese von Soldaten oder sonst aus dritter, nicht mehr zu ermittelnder Hand erhalten“257. Da eine Widerlegung der Schutzbehauptung regelmäßig nicht möglich war, die Verwendung von falschen Lebensmittelmarken aber „mit allen Mitteln“ bekämpft werden sollte, wurden die Gauleiter vom Propagandaministerium angewiesen, bei Abwürfen in ihrem Gebiet durch Radiomitteilung auf die Strafbarkeit der Nutzung dieser Marken hinzuweisen, sodass die Annahme von § 4 VVO in diesen Fällen selbst unter dem Vorbringen des Nichtwissens vermutet werden konnte258. Ungeachtet der Vermutungswirkung, welche die Staatsanwaltschaft bei den gegenständlichen Anklageschriften entsprechend zugrundelegte, prüfte das Sondergericht die Gesamtumstände konkret auf ergangene Warnhinweise in Funk und Presse259. cc) Der Erfolg der Anklagepraxis, gemessen anhand der Gegenüberstellung von beantragtem und verhängtem Strafmaß Die Staatsanwaltschaft Aachen beantragte gegen insgesamt 177 Personen und damit 73,4 % aller Personen, die im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen die VVO angeklagt worden waren, Zuchthausstrafen, während das Sondergericht lediglich 134 Personen zu selbigen verurteilte. Aufgrund der gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Verhängung von Zuchthausstrafen bei der Bejahung der Voraussetzungen der VVO zeigt die Diskrepanz zwischen gerichtlicher und staatsanwaltschaftlicher Strafanzahl, dass das Son% potentieller dergericht bei insgesamt 43 Personen – und damit 24,3  Volksschädlinge – von der Anwendung der VVO abgesehen hatte. Zusätzlich fallen unter diese Anzahl nicht jene Personen, bei welchen die Staatsanwaltschaft im Einvernehmen mit dem Sondergericht von der Anwendung der VVO abgesehen hatte, da in diesen Fällen auch die Staatsanwaltschaft Gefängnisstrafen beantragt hatte, sodass sich die Anklagebehörde bei etwa jeder vierten als Volksschädling qualifizierten Person der abweichenden Einschätzung des Sondergerichts fügen musste. Sofern Anklagebehörde und erkennende Instanz gleichermaßen die Anwendbarkeit der VVO annahmen, weicht die Strafmaßvorstellung der Staatsanwaltschaft mit einer durch257  Schreiben des Interministeriellen Luftkriegsschädenausschusses im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda an die Gauleiter vom 2.11.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 168. 258  Ebd. 259  So etwa im Verfahren gegen Elisabeth M. und Magdalene S., nach der Verwendung von Lebensmittelmarken, die zuvor von der englischen Luftwaffe über dem Raum Aachen abgeworfen worden waren, siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 441.

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schnittlichen Höhe von 41,1 Monaten lediglich 1,2 Monate zuungunsten des Täters gegenüber der erkannten Strafe ab. Diese Diskrepanz stellt verglichen zu den übrigen Delikten im Rahmen der Zuchthausstrafen die geringste dar. Bei Gefängnisstrafen, die im Zusammenhang mit Verfahren wegen Verstößen gegen die VVO beantragt und verhängt wurden, liegt eine Einzigartigkeit im Umstand begründet, dass das durchschnittlich verhängte Strafmaß des Sondergerichts die Anträge der Staatsanwaltschaft, die 9,8 Monate betrugen, um 1,6 Monate übertraf. Allerdings ist diese Statistik – aufgrund des bereits erwähnten gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Zuchthauserfordernisses – nicht als uneingeschränkter prozessualer Erfolg der Staatsanwaltschaft zu qualifizieren. Denn soweit das Sondergericht die Anwendbarkeit der VVO entgegen des Antrags der Staatsanwaltschaft verneinte, konnte das Gericht die jeweiligen konkreten Tatumstände bei den betroffenen Angeklagten durch Verhängung einer höheren Gefängnisstrafe berücksichtigen, ohne das diese mit einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft korrelierten260. Soweit es Anträge der Anklagebehörde zu Verhängung einer Gefängnisstrafe betrifft, wurden diese in der überwiegenden Zahl von Fällen gegen diejenigen Personen beantragt, die nicht als Haupttäter des jeweiligen Verfahrens angeklagt worden waren, sondern sich einer Teilnahmehandlung oder einer sonstigen, milder zu qualifizierenden Tat strafbar gemacht hatten und aufgrund Sachzusammenhangs mitangeklagt wurden. In insgesamt 74 Verfahren gegen 86 Personen erzielte die Staatsanwaltschaft antragsgemäße Urteile, in weiteren neun Verfahren gegen insgesamt elf Personen übertraf das verhängte Strafmaß sogar den entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft261. d) Delikte nach der Rundfunkverordnung (RundfunkVO) aa) Anwendungsbereich Der Zeitpunkt des Erlasses der VO über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen am 1. September 1939 war nicht zufällig gewählt, sondern hing untrennbar mit dem vom Gesetzgeber kommunizierten Gesetzeszweck zusammen262. Da sich die Führung eines „modernen Kriegs“ nicht auf die Konfrontation „von der Armee, der Luftwaffe und der Marine“ beschränkte, 260  Für diese Personen lagen Anträge der Staatsanwaltschaft insoweit lediglich zur Verhängung von Zuchthausstrafen vor. So beantragte die Staatsanwaltschaft gegen lediglich 64 Personen eine Gefängnisstrafe, während das Sondergericht eine solche gegen 118 Personen aussprach, siehe Tabelle 48, Anhang, S. 538. 261  Siehe hierzu Tabelle 28, Anhang, S. 510. 262  Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1683.



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sondern auch die „innere Einheit“ der Bevölkerung schwächen wollte, schuf der Gesetzgeber mit der RundfunkVO ein Mittel negativer Generalprävention263. Die Gesetzesbegründung heuchelte als Rechtfertigung zum Erlass der Norm die staatliche Fürsorge gegenüber der Bevölkerung vor, indem hervorgehoben wurde, dass „keineswegs ein Misstrauen gegen die innere Haltung des Volkes, sondern einer natürlichen Vorsorge“ Rechnung getragen wurde: „Ebenso wie man auch beim gesündesten Körper dafür sorgen wird, dass keine Giftstoffe in ihn hineinkommen, nicht weil man ihm misstraut, sondern weil man eine Beeinträchtigung seiner Funktion vermeiden will, ebenso ist es beim Rundfunk“264. Als Tatmodalitäten wurden dabei das „absichtliche Abhören ausländischer Sender“ sowie das vorsätzliche Verbreiten ausländischer Nachrichten gemäß §§ 1 und 2 RundfunkVO mit Zuchthaus, in schweren Fällen gar mit der Todesstrafe sank­ tioniert265. (1) § 1 RundfunkVO Im überwiegenden Teil der zur Anklage gekommen Verstöße gegen § 1 RundfunkVO, die mit 32 Verfahren 86,5 % des Gesamtanfalls der Verstöße gegen Rundfunkdelikte repräsentieren, waren englische Nachrichtensender in deutscher Sprache abgehört worden. Die Anzeigen erfolgten mehrheitlich durch Personen, denen abgehörte Nachrichten durch die späteren Angeklagten bei Gelegenheit mitgeteilt wurden. Ausnahmsweise erfolgten Anzeigen, nachdem Angeklagte auf frischer Tat angetroffen worden waren. So hatte ein SS-Sturmmann nach Informationen eines Zeugen die Wohnung des späteren Angeklagten aufgesucht und die abgehörten Nachrichten bereits im Treppenhaus vernehmen können266. Obwohl der Wortlaut des § 1 RundfunkVO ausnahmsweise nicht mit Generalklauseln versehen worden war, stellte Freisler für das subjektive Tatbestandsmerkmal der „Absicht“ klar, dass es sich hierbei nicht um Absicht im technischen Sinne, sondern vielmehr um einen „modifizierten Vorsatz“ handelte, der „theoretisch auch dolus eventualis“ nicht ausschloss267. Dieser dogmatisch nicht zu rechtfertigenden 263  Grau/Krug/Rietzsch, 264  Ebd.

Deutsches Strafrecht, S. 25.

265  Todesstrafen, die auf § 2 RundfunkVO basierten, wurden von der Staatsanwaltschaft Aachen nach überlieferter Aktenlage indes nicht gefordert. 266  Anklageschrift gegen F. vom 26.9.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 28, Bl. 7. 267  Freisler, Rundfunkmaßnahmen, in: DJ 1940, S. 106. So auch Grau/Krug/ Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 29, der die Verwendung des Wortlauts auf stilistische Gründe reduziert, „weil die VO volkstümlich gefasst sein muss und absichtlich in diesem Sinne prägnanter ist“, ebd., S. 28. Freislers extensive Anwendungs-

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Anwendungserweiterung lag die praktische Erwägung zugrunde, prozessualen Beweisproblemen für Staatsanwaltschaft und Gericht im Falle von Schutzbehauptungen vorzubeugen, sofern die Beschuldigten vorgaben, beim Verstellen einer Frequenz zufällig oder irrtümlich einen ausländischen Sender empfangen zu haben268. Entgegen der ratio legis, die den Rückschluss zuließ, dass nur das Abhören politischer Beiträge und Nachrichten geeignet sei, den Straftatbestand zu erfüllen, galt das Verbot gemäß § 1 RundfunkVO „absolut“ und erstreckte sich damit auch auf Musik, Wetterberichte und Werbung269. Gerechtfertigt wurde die inhaltsunabhängige Anwendbarkeit mit der Befürchtung, dass feindliche Propaganda subtil und unerwartet in vermeintlich ungefährliche Beiträge eingebaut werden konnte270. Nur vor dem Hintergrund dieser Tatbestandsauslegungen lässt sich eine gegen die Arbeiterin O. erhobene Anklage rechtfertigen, die beim Suchen eines Senders mit „Tanzmusik“ während der Arbeit auf einen englischen Sender stieß, ohne dass Nachrichten gehört worden waren271. Zu weiteren Divergenzen zwischen gesetzgeberischem Willen und Rechtsprechung führte die Frage, ob und inwieweit die RundfunkVO auf Ausländer anwendbar war. Auslöser der Unsicherheit war der in der Präambel der VO verwendete Wortlaut gewesen: „Die Reichsregierung weiß, dass das deutsche Volk diese Gefahr kennt, und erwartet daher, dass jeder Deutsche aus Verantwortungsbewusstsein heraus es zur Anstandspflicht erhebt, grundsätzlich das Abhören ausländischer Sender zu unterlassen“272. Wegen dieses passus hatte sich ein angevorstellungen gingen so weit, dass er via negationis „Vorsatz“ alleine für die Fallkonstellation verneinte, in der „von einem deutschen Sender auf einen anderen deutschen Sender über ausländische Sender hinweggegleitet“ werde, „sodass diese vielleicht für eine Sekunde mithörbar werden“, ebd. Anders Pridat-Guzatis, der Absicht als Vorsatz definiert, Pridat-Guzatis, Rundfunkregelung, in: RVerwBl. 1940, S. 458. Best setzt dagegen Absicht im technischen Sinne voraus, indem er für die Bewertung der Absicht auf weitere Indizien wie Dauer, Wiederholung und Gesamtpersönlichkeit des Täters abstellt, Best, Kriegsrecht, in: DR 1939, S. 1698. 268  RGSt 74, S. 272. 269  Best, Kriegsrecht, in: DR 1939, S. 1697. Da ausländische Radiostationen die für den deutschen Raum bestimmten Sendungen grundsätzlich auf deutsch vertonten, veröffentlichte das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda in regelmäßigen Abständen eine Liste von Sendern, die abgehört werden durften, um Missverständnissen vorzubeugen, siehe exemplarisch die Liste vom 27.10.1941, abgedruckt in Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 30. 270  Ebd., S. 25. 271  Zwar wurde O. weiter angeklagt, in der Folge wiederholt auch Nachrichten gehört zu haben, die Staatsanwaltschaft hielt jedoch bereits die beschriebene Ersttat für strafbewährt, siehe Anklageschrift vom 30.5.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 85, Handakte Bl. 2. 272  Präambel der Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1683.



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klagter Ausländer auf seine Herkunft berufen und hieraus seine Straflosigkeit abgeleitet273. Den Wortlaut konterkarierend wurden jedoch gleichermaßen Ausländer in den Anwendungsbereich inkludiert, da sie „die selbstverständliche Verpflichtung“ hatten, „nichts zu tun, was eine Schädigung des deutschen Volkes herbeiführen“ konnte274. Auch mittelbares Abhören durch Dritte wurde unter Hinzuziehung von § 2 StGB sanktioniert, soweit die abhörende Person die Inhalte „regelmäßig einem bestimmten Kreis“, wie etwa innerhalb eines Stammtischs, weitergegeben hatte275. (2) § 2 RundfunkVO § 2 RundfunkVO zielte in seiner Schutzrichtung, anders als § 1 RundfunkVO, nicht auf die Verhinderung des Eindringens ausländischer Meldungen ab, sondern sollte die Breitenwirkung einer ausländischen Meldung durch „zersetzende Flüsterpropaganda“ verhindern, die insoweit als gefährlichere Tathandlung aufgefasst wurde. Daher konnte in schweren Fällen, in denen ausländische Nachrichten, deren Verbreitung „geeignet war, die Widerstandskraft des deutschen Volkes zu gefährden“, mit der Todesstrafe geahndet werden276. Während § 2 RundfunkVO mit fünf Verfahren und damit lediglich 13,5 % aller Verstöße gegen die RundfunkVO eine quantitativ untergeordnete Bedeutung zukam, erfreute sie sich einer vergleichbar extensiven Begriffsauslegung und Anwendung wie das Abhören277. So war für die Qualifikation einer Meldung als „Nachricht“ weder auf den dargestellten Lebensbereich, den Wahrheitsgehalt oder die konkrete Ausformung 273  Unbekanntes Urteil, wiedergegeben nach Freisler, Rundfunkmaßnahmen, in: DJ 1940, S. 105. Mit Blick auf das ideologische Konstrukt der Volksgemeinschaft, der man als Ausländer bereits per se nicht angehörte, konnte man an sich selbst auch nicht die strafbewährte „seelische Selbstzerstümmelung“ an der eigenen Personen durch Abhören ausländischer Sender vornehmen, sodass das Vorbringen dogmatisch schlüssig war. Siehe zum verwandten terminus „Selbstzerstümmelung“ Freisler, ebd., S. 107. 274  Freisler, Rundfunkmaßnahmen, in: DJ 1940, S.  106. Einzige Ausnahme hierzu bildete das Abhören italienischer Radiosender durch Italiener sowie die Weitergabe entsprechender Inhalte an andere Italiener im Zuge der Dritten DurchführungsVO vom 20.9.1940, RGBl. 1940 I, S. 1255. 275  Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 28. So auch Dreher, Rundfunkverordnung, in: DJ 1940, S. 1419. 276  Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 34; § 2 RundfunkVO, RGBl. 1939 I, S. 1683. 277  Soweit §§ 1 und 2 RundfunkVO in Tateinheit oder Tatmehrheit verwirklicht und zur Anklage gebracht wurden, werden die entsprechenden Verfahren statistisch bei dem mit höherer abstrakter Strafandrohung versehenen § 2 RundfunkVO berücksichtigt.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

als Tatsachenbehauptung oder Werturteil abzustellen278. Diese extensive Begriffsauslegung wurde von der Staatsanwaltschaft Aachen, soweit es sich um reine Wiedergaben eines nachrichtlichen Werturteils handelte, auch übernommen. So klagte die Staatsanwaltschaft einen niederländischen Arbeiter gemäß § 2 RundfunkVO an, nachdem er entsprechend einer zuvor vernommenen Nachrichtenmeldung eines englischen Senders wiedergegeben hatte, der deutsche Rundfunk verbreite nur „Lügen“279. In einem anderen Verfahren hatte ein Angeklagter bei der Weitergabe den Wortlaut der Nachrichten übernommen, indem er geäußert hatte, dass Hitler, der „nationalsozialistische Bluthund“ den Krieg heraufbeschworen habe und die Schuld dafür trage, dass Soldaten „meterhoch als Leichen auf den Schlachtfeldern liegen“280. In der Anklagepraxis ergab sich die Besonderheit, dass sich durch die Inkludierung von Werturteilen in die Begriffsdefinition der „Nachricht“ Schnittstellen zu § 2 HG ergaben, somit beide Delikte in Tateinheit verwirklicht worden waren281. Sofern der wiedergegebene Inhalt mitgehörter ausländischer Nachrichten bei der Weitergabe nicht ein zitiertes Werturteil enthielt, sondern mit einem eigenen Werturteil versehen worden war, war regelmäßig auch der Tatbestand des § 2 HG in Tateinheit mit § 2 RundfunkVO verwirklicht282. So hatte die Angeklagte B. nach Abhörens eines englischen Radiosenders bei ihrer Arbeit den Inhalt mit den Worten wiedergegeben, „die ganze Straße ,Unter den Linden‘ “ sei „wegrasiert“ worden und bei dieser Gelegenheit ihre Meinung, „die Engländer sollten doch ganz Berlin in Schutt und Asche legen“, 278  Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 28. Für die Inkludierung eines Werturteils Dreher, Rundfunkverordnung, in: DJ 1940, S. 1419, der eine weite Auslegung dahingehend propagiert, „alle gedanklichen Äußerungen jeder Art“ zu umschließen, ebd. 279  Anklageschrift gegen M. vom 24.11.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 160, Bl. 8. 280  Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Köln gegen K. vom 9.1.1941, übernommen von der Staatsanwaltschaft Aachen, dokumentiert durch dahingehenden Bericht an das RJM, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 9, Ermittlungsakte Bl. 2 rev., 9. 281  So beispielsweise in den Verfahren gegen F., B. und M., LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 28, 26, 160. Sofern die Verbreitung von Nachrichten und das Werturteil nicht in unmittelbarem Zusammenhang standen, wurde wegen beider Delikte in Tatmehrheit angeklagt, siehe exemplarisch LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 133, Bl. 6. 282  Bei Tatmehrheit war gemäß § 74 StGB eine Gesamtstrafe zu bilden, siehe Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 44. Anm. des Verfassers: Soweit in einem Verfahren sowohl wegen Verstoßes gegen Rundfunkmaßnahmen als auch gegen das HG angeklagt wurde, wurden diese Verfahren mit Blick auf die statistische Auswertung der Arbeit unter Berücksichtigung der Konkurrenzverhältnisse unter die Verstöße gegen die RundfunkVO subsumiert.



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kundgetan283. Einschränkendes Korrelat zur Strafbarkeit nach § 2 RundfunkVO sollte die Geeignetheit zur Gefährdung der deutschen Widerstandskraft darstellen. Aufgrund der weiten Begriffsdefinition unter Zugrundelegung einer bloß abstrakten Gefährdungseignung der Handlung oblag der Staatsanwaltschaft nicht die Verpflichtung, eine konkrete Gefährdung im Prozess nachweisen zu müssen284. Vielmehr waren Nachrichten bereits dann tatbestandlich, wenn sie geeignet waren, „den Glauben an den Sieg zu beeinträchtigen oder auch nur (…) die Stimmung“ in der Bevölkerung absinken zu lassen285. Entsprechend ist für die Tätigkeit der Anklagebehörde kein Fall dokumentiert, in dem eine Anklage am Merkmal der abstrakten Gefährdungseignung der Handlung scheiterte und dieses seine vermeintlich einschränkende Wirkung entfaltete286. Zu Abweichungen von der Rechtsprechung des RG führte allerdings die staatsanwaltschaftliche Auslegung des „Verbreitens“. Während hierunter unstreitig Mitteilungen des gehörten Inhalts an Dritte zu subsumieren waren, entschied das RG nach zunächst uneinheitlicher Rechtsprechung schließlich, dass auch die Schaffung der Möglichkeit, dritte Personen mithören zu lassen, den Tatbestand des Verbreitens erfüllte287. Dieser Handhabung folgte die Staatsanwaltschaft Aachen – wenn auch durch zu vermutendes Versehen – nicht. So hatte ein Angeklagter vor Ausbruch des Krieges „Hetznachrichten ausländischer Sender“ abgehört und hierbei „bei offenem Fenster demonstrativ seinen Rundfunkapparat so laut“ eingestellt, „dass die Nachrichten in der ganzen Nachbarschaft verstanden werden konnten“288. Obwohl im Ab283  Urteil des Sondergerichts Aachen gegen B. vom 9.10.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 26, Handakte Bl. nicht angegeben. 284  Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 35 f. 285  Ebd., S. 35. 286  Jedoch lehnte der GStA in einer Anklageberichtigung die Geeignetheit ab, ohne dass die Anklage ganzheitlich scheiterte, da der konkrete Nachrichteninhalt nicht nachgewiesen werden konnte, Stellungnahme des GStA an den LOStA vom 16.9.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 28, Bl. 7. Im Lichte der gängigen Rechtsauffassung, die eine Geeignetheit nur ausnahmsweise scheitern ließ, wenn bewiesen werden konnte, dass es sich um Nachrichten handelte, „die mit den deutschen Nachrichten übereinstimmen“ oder „der deutschen Sache günstig“ waren, zeigte die Generalstaatsanwaltschaft ausnahmsweise durch Wahrung des in dubio pro reo-Grundsatzes eine tätergünstige Herangehensweise. 287  RG vom 15.11.1940, abgedruckt in: Deutsche Justiz 1941, S. 69. Diese Meinung setzte sich auch in Schrifttum und übriger Rechtsprechung durch, vgl. Preiser, Rundfunkmaßnahmen, in: DJ 1940, S. 1415; Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 39; Entscheidungen der Sondergerichte Leoben vom 5.4.1940 und Jena vom 28.3.1940 sowie vom OLG Kassel vom 5.4.1940, abgedruckt in: DJ 1940, S. 799. 288  Anklageschrift gegen F. vom 26.9.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 28, Bl. 7.

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schlussbericht der Gestapo ausdrücklich der Verdacht einer „Verbreitung“ dargelegt wurde, klagte die Staatsanwaltschaft lediglich gemäß § 1 RundfunkVO an. Aus diesem Grund schaltete sich der GStA ein und korrigierte die Anklagebehörde insoweit, als er in Tateinheit zu § 1 RundfunkVO zumindest ein versuchtes Verbreiten gemäß § 2 RundfunkVO erblickte, da die Nachrichten aufgrund ihrer Lautstärke durch Zeugen als vernehmbar qualifiziert wurden, jedoch „die Akten keine Anhaltspunkte dafür ergaben, dass die in Gegenwart der Genannten abgehörten Nachrichten im Sinne des § 2 (…) geeignet waren, die Widerstandskraft des deutschen Volkes zu gefährden“289. Dass die Staatsanwaltschaft bewusst von einer Anklage gemäß § 2 RundfunkVO absah, scheint unwahrscheinlich, da die Vernehmbarkeit des Radios ausdrücklich und von verschiedenen Zeugen belegt wurde290. bb) Ermittlungsspezifische Besonderheiten Wie für das Heimtückegesetz ergab sich auch im Rahmen von § 2 RundfunkVO durch das Verbreiten ausländischer Nachrichten die Möglichkeit einer gleichzeitigen Verwirklichung einer Wehrkraftzersetzung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 KSSVO291. Ob der wehrkraftzersetzende Charakter in einer gesonderten originären Äußerung des Täters liegen musste, oder es bereits ausreichte, wenn der wiedergegebene Nachrichteninhalt „wehrkraftzersetzend“ war, ist in der zeitgenössischen Literatur nicht eruiert worden. Aus der Ermittlungspraxis der Staatsanwaltschaft Aachen lässt sich aufgrund der gegenständlichen Verfahren jedoch der Schluss ziehen, dass es bereits ausreichte, wenn der Nachricht wehrkraftzersetzende Inhalte innewohnten. So wurde ein aus den Niederlanden stammender „Grenzgänger“292 angeklagt, nachdem er bei der Arbeit einen mitgehörten Nachrichteninhalt wiedergab: „Alles, was die deutschen Sender bringen ist eine Lüge. Die deutschen Verluste durch die feindlichen Fliegerangriffe“ seien „bedeutend höher“. Der Krieg sei bereits für England gewonnen293. Die Beurteilung eines tatsächlichen Verstoßes hing hingegen von der zusätzlichen Beurteilung der inneren Willensrichtung des Täters ab, durch die Verbreitung der Nachrich289  Stellungnahme

des GStA an den LOStA vom 16.9.1941, ebd. hierzu Gesamtvorgang zu F: innerhalb der Gestapo-Akte, Ermittlungsakte, S. 1–22. 291  Siehe oben, S. 301. 292  Mit „Grenzgänger“ wurde im Ermittlungsjargon ein Person bezeichnet, die aufgrund ihres Arbeitsverhältnisses in Deutschland autorisiert war, sich legal und fortgesetzt über die Reichsgrenzen zu bewegen. 293  Siehe Bericht des LOStA an den ORA beim VGH vom 6.9.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 160, Ermittlungsakte Bl. 3. 290  Siehe



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis351

ten vorsätzlich den „Wehrwillen des Volkes treffen“ zu wollen. Dass der ORA in keinem der gegenständlichen Verfahren seine sachliche Zuständigkeit erklärte, beweist, wie bereits bei den Heimtückesachen, dass auch bei einer vermeintlich tateinheitlichen Begehung mit § 2 RundfunkVO die Handhabung von § 5 KSSVO äußerst restriktiv erfolgte. Eine weitere ermittlungsspezifische Besonderheit im Rahmen von Verstößen gegen die RundfunkVO stellte die Rolle der Gestapo dar. Durch das in § 5 RundfunkVO gesetzlich normierte und für die Strafverfolgung konstitutive Antragserfordernis durch die Gestapo war der Einfluss dieser Polizeibehörde im Ermittlungsverfahren ungleich größer als bei Heimtückedelikten. Da die Strafverfolgung „nur auf Antrag der Staatspolizeistellen“ stattfinden konnte, vollzog sich sogar eine Verschiebung staatsanwaltlicher Kernkompetenzen zur Staatspolizei, indem die Offizialmaxime für Rundfunkdelikte auf die Gestapo überging. Da es sich bei dem Antrag der Gestapo nicht um einen Strafantrag im Sinne von § 61 StGB, sondern um eine „politische Willensbetätigung“ mit Anordnungscharakter handelte294, hatte die Staatsanwaltschaft mithin keinerlei Ermessen bezüglich einer weiteren Strafverfolgung und wurde formal zum justiziellen Werkzeug der Gestapo degradiert. Ob eine Strafverfolgung angezeigt schien, ermittelte die Gestapo im Vorfeld eines etwaigen, keinen Fristen unterliegenden Antrags295. Die zeitgenössische Einschätzung von Best, gegen Verstöße in Fällen von § 2 RundfunkVO müsse „im allgemeinen scharf vorgegangen und in den meisten Fällen Antrag auf Strafverfolgung gestellt werden“, setzt sich mit Blick auf die lokale Ermittlungspraxis jedenfalls im Sinne „quantitativer Schärfe“ fort, indem grundsätzlich die objektive Verwirklichung der Tat ausreichte, um dem Angeklagten „jedes Verantwortungsbewusstsein“ abzusprechen und hieraus eine Strafwürdigkeit zu folgern296. Soweit der Begriff eines „scharfen“ Vorgehens über seinen Aussagegehalt einer verstärkten Antragsstellung hinaus eine Einflussnahme der Gestapo auf die Anklagemodalitäten – besonders das Strafmaß – suggeriert, bestätigt sich dies im Lichte der lokalen Ermittlungspraxis in Aachen nicht. Nach dem zum Ausdruck gebrachten Sanktionierungswillen durch Einreichung des Antrags der Gestapo oblagen die weiteren Verfahrensmodalitäten alleine der Staatsanwaltschaft. Indizien für eine weitergehende Einflussnahme der Gestapo auf die Anklagebehörde finden sich hingegen nicht. Innerhalb von § 1 RundfunkVO lässt sich im Ergebnis eine verminderte Anzahl von Anträgen im Vergleich zu § 2 Rund294  Freisler, Kriegsstrafrecht, in: DJ 1939, S. 1849; Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 46. 295  Ebd. 296  Abschlussbericht der Gestapo gegen B. vom 29.5.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 26, Ermittlungsakte Bl. 10.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

funkVO nicht feststellen. Um die RundfunkVO als „Abwehrmittel“ nicht „abzustumpfen“297, wurde jedoch bei einem Verstoß wegen Abhörens im polizeilichen Abschlussbericht eine Abwägung eines Antragserfordernisses vollzogen, indem zusätzliche Tatumstände für die Beurteilung herangezogen wurden. So wurde auf die Art des abgehörten Senders, die Regelmäßigkeit, die Lautstärke oder besondere Umstände wie Mitschriften, Geständnisse und das Wissen des Täters um die Rechtswidrigkeit der Tat bei der Abwägung abgestellt298. Der Antrag der Gestapo erging regelmäßig an das Amtsgericht Aachen299. Sofern die Gestapo das formelle Erfordernis einer Antragstellung einmal nicht erfüllte, wurde die Staatsanwaltschaft nicht weiter tätig, sondern hielt mit der Gestapo-Stelle Rücksprache und machte ihr weiteres Vorgehen vom Eingang eines Antrags bei Gericht abhängig300. Die gesteigerte Relevanz der Gestapo auf dem Sachgebiet der RundfunkVO korreliert mit einer qualitativen Steigerung der Ermittlungsarbeit. Während diese bei den Äußerungsdelikten von juristischer Ungenauigkeit gekennzeichnet waren, hinterließ die Gestapo bei Rundfunkdelikten einen deutlich rechtskundigeren Eindruck. Dieser manifestierte sich bereits in der Deliktsbezeichnung auf dem Aktendeckel der Ermittlungsakte unter der entsprechenden Rubrik „Verstoß gegen §§“, der eine weitgehend zutreffende Subsumtion des Sachverhalts unter den entsprechenden Tatbestand der RundfunkVO dokumentierte. Dass der GStA in einem Fall die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Aachen unter Berufung auf den Abschlussbericht der Gestapo korrigierte, verstärkt diese Einschätzung301. Zudem stellten Durchsuchungen anders als im Rahmen des Heimtückegesetzes den Regelfall dar302. Auf dem Deckblatt der Ermittlungsakte wurde die Typenbezeichnung beschlagnahmter Rundfunkgeräte sowie die entsprechende Seriennummer vermerkt303. Die Einziehung von Radiogeräten war jedoch nach ministeriellem Willen höchst unerwünscht, da „während des Krieges (…) der Rundfunk in besonderem Maße ein bedeutsames Mittel zur Führung und Unterrichtung der Volksgenossen“ war. „Da Rundfunkempfangsgeräte im freien Handel kaum zu erwerben“ 297  Best,

Rundfunkmaßnahmen, in: DR 1939, S. 1698. Abschlussbericht der Gestapo gegen F. vom 13.6.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 28, Ermittlungsakte Bl. 22 rev. 299  Siehe exemplarisch LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 28, Ermittlungsakte Bl. 23, Akte 26, Ermittlungsakte, Bl. 10 rev., Akte 85, Ermittlungsakte Bl. 9 rev., Akte 149, Ermittlungsakte, Bl. 28. 300  Siehe Anfrage des LOStA im Verfahren gegen K. an die Gestapo vom 9.8.1940, sowie den nachgereichten Strafantrag vom 23.8.1940, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 9, Ermittlungsakte Bl. 21, 24. 301  Stellungnahme des GStA an den LOStA vom 16.9.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 28, Bl. 7. 302  Siehe exemplarisch Abbildung 13, Anhang, S. 559. 303  Siehe exemplarisch Abbildung 14, Anhang, S. 560. 298  Siehe



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis353

waren, wurde „der mit der Einziehung (…) bestrafte Schwarzhöhrer praktisch dieser Einwirkungsmöglichkeit entzogen“304. Trotz der ministeriellen Positionierung hielt sich die Gestapo an den in § 1 RundfunkVO normierten Einzug von Radiogeräten305. Die Beteiligung der NSDAP sowie die inhaltliche Gestaltung der von ihr im Rahmen des Ermittlungsverfahrens abgegebenen Stellungnahmen weichen indes im Vergleich zur Tätigkeit im Rahmen des Heimtückegesetzes nicht ab. cc) Anklagespezifische Besonderheiten Wie bereits bei den Heimtückedelikten bilden eingeholte Stellungnahmen von anderen Behörden und Stellen über den Angeklagten ein Konglomerat an Äußerungen, welches der Erstellung eines Profils zur Gesamtpersönlichkeit des Täters dienlich sein sollte und regelmäßig im Bericht an den GStA berücksichtigt wurde. Positiv hervorgehobene Merkmale bildeten insbesondere Kriegsteilnahmen und Ordensauszeichnungen, die jedoch regelmäßig in ihrer Gewichtung hinter einer abweichenden politischen Gesinnung zurücktraten306. Bei der Zusammenstellung der Information verfuhr die Staatsanwaltschaft vereinzelt dergestalt, dass sie nicht bloß die prägnantesten Informationen zusammenfasste, sondern gleichermaßen tätergünstige Ausführungen anderer Stellen bewusst unerwähnt ließ307. Sofern über den Angeklagten nach Mitteilungen der NSDAP-Stellen in politischer Hinsicht nichts Nachteiliges in Erfahrung gebracht werden konnte308, sah die Staatsanwaltschaft 304  Schreiben Freislers betreffend der im Gnadenwege zu überlassenden Rundfunkgeräte bei Vergehen gegen die RundfunkVO während des Krieges vom 8.10.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 168, Bl. 13. 305  Siehe entsprechende Durchsuchungsberichte, welche die Beschlagnahme dokumentieren, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 28, Ermittlungsakte Bl. 6, Akte 26, Bl. 9, Akte 6, Ermittlungsakte, Bl. 47. 306  Siehe exemplarisch den Bericht des LOStA an den GStA über den ehemaligen KPD-Angehörigen F., LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 28, Bl. 3, 3 rev.: „Wenn der Beschuldigte auch im Weltkrieg seine Pflicht getan hat, so erscheint doch angesichts seiner staatsfeindlichen Einstellung, obwohl er die Wohltaten der nationalsozialistischen Einrichtungen genoss, (…) erforderlich“, ebd., Bl. 3 rev. 307  So führte die NSDAP-Kreisleitung im Fall S. aus, drei seiner Kinder gehörten den NS-Jugendverbänden an, F. sei der einzige Ernährer der Familie und die wirtschaftliche Lage der Familie sei als schlecht zu bezeichnen. Statt diese grundsätzlich strafmilderungsfähigen Umstände anzuführen, beschränkte sich der LOStA bei seinem Bericht an den RJM auf den Teil der Stellungnahme, die den F. als „unbelehrbar“ und seiner „alten roten Gesinnung“ folgend charakterisierte, vgl. Bericht des LOStA an den GStA, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 28, Handakte, Bl. 3 rev., Ermittlungsakte Bl. 27. 308  Siehe Stellungnahme der NSDAP-Kreisleitung Aachen-Stadt gegen B. vom 4.7.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 26, Ermittlungsakte Bl. 20, in der es

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

vereinzelt die Persönlichkeit des Angeklagten als „durch die Tat hinreichend gekennzeichnet“ an309. Der Vergleich von Abschlussberichten der Gestapo und Anklageschriften der Staatsanwaltschaft zeigt eine nahezu ausnahmslose inhaltliche Kongruenz und Schwerpunktsetzung bei der Darstellung und Wertung. Dieser Umstand war jedoch nicht einer ausnahmslos fehlerfreien Anwendung des formellen und materiellen Strafrechts seitens beider Behörden geschuldet. Vielmehr verließ sich die Staatsanwaltschaft bisweilen ohne Überprüfung des Abschlussberichts auf die Ergebnisse der Gestapo. So modifizierte die Staatsanwaltschaft eine im Ermittlungsverfahren nicht bewiesene Einschätzung – es handele sich bei dem Angeklagten F. „vermutlich“ um ein ehemaliges Mitglied der KPD – dergestalt, dass sich die Anklage auf den entsprechend fehlerhaften Abschlussbericht des Gestapobeamten stützte310. dd) Der Erfolg der Anklagepraxis, gemessen anhand der Gegenüberstellung von beantragtem und verhängtem Strafmaß Die Staatsanwaltschaft Aachen beantragte gegen insgesamt 34 Personen Freiheitsstrafen wegen Verstößen gegen die RundfunkVO311. Vor dem Hintergrund, dass im Rahmen von § 1 RundfunkVO abhängig von der bewerteten Schwere der Tat sowohl Zuchthaus- als auch Gefängnisstrafen beantragt werden konnten, zeigt die Statistik ein grundsätzlich ausgeglichenes Ergebnis. So wurden gegen 14 Angeklagte Gefängnisstrafen und gegen 20 Personen Zuchthausstrafen beantragt, was eine leichte Tendenz der lokalen Anklagebehörde zur schärferen Unrechtsbewertung von Rundfunkverstößen impliziert. Mit einem durchschnittlich beantragten Strafmaß von 13 Monaten übertrafen die Anträge zur Verhängung von Gefängnisstrafen im Rahmen der RundfunkVO die aller übrigen Delikte des Kriegsstrafrechts. Hiermit korreliert jedoch auch die entsprechend größte Diskrepanz zwischen durchschnittlich beantragten und verhängten Gefängnisstrafen, die sich auf durchlediglich hieß: „Über die Obengenannte ist bisher Nachteiliges in politischer Beziehung nicht bekannt geworden“, ebd. 309  Bericht des LOStA an den GStA im Verfahren gegen B. vom 30.6.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 26, Handakte Bl. 2. 310  Vgl. Mutmaßung eines anzeigenden SS-Sturmmanns, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 28, Ermittlungsakte Bl. 5, zur entsprechenden Anklageschrift, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 28, Handakte Bl. 6. Zum Abschlussbericht der Gestapo siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 28, Ermittlungsakte Bl. 22. 311  Die quantitative Diskrepanz dieser Anzahl zur Verfahrensanzahl ist dem Umstand geschuldet, dass in zwei Verfahren der Antrag der Staatsanwaltschaft nicht überliefert ist und Anträge der Staatsanwaltschaft zur Freisprechung ebenfalls nicht berücksichtigt sind.



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schnittlich 2,6 Monate beläuft312. Die sich im Strafmaß ausdrückende andersartige Bewertung des Unrechts zwischen beiden Prozessorganen setzte sich bei Zuchthausstrafen in noch eklantanterer Weise fort: Während der Staatsanwaltschaft im Schnitt eine verschärfte Freiheitsentziehung in der Dauer von 27 Monaten vorschwebte, verhängte das Sondergericht durchschnittlich Strafen von 20,7 Monaten, sodass sich eine Divergenz von 6,3 Monaten ergab. Urteile, die im Strafmaß über den Antrag der Anklagebehörde hinausgingen, existieren dagegen nicht. In fünf Verfahren gegen fünf Angeklagte ergingen antragsgemäße Urteile. 2. Die Ermittlungs- und Anklagepraxis im Lichte unterschiedlicher Personengruppen a) Die Ermittlungspraxis gegen den Sonderreferenten der Generalstaatsanwaltschaft Das Ermittlungsverfahren gegen EStA Arnold wurde nicht von der Staatsanwaltschaft Aachen betrieben. Da das Verfahren jedoch den für Aachen zuständigen Sonderreferenten betraf und die Rolle der Generalstaatsanwaltschaft Köln im konkreten Verfahren Aufschluss über deren Einflussmöglichkeiten gibt, wird die causa Arnold nachfolgend geschildert. Gegen die Schwiegereltern des EStA Arnold, die Inhaber eines Textilgeschäfts gewesen waren, war ein Strafverfahren eingeleitet und Anklage gemäß § 1 Abs. 1 KrWVO erhoben worden, nachdem die Eheleute ihrem Schwiegersohn sechs Schlafanzüge aus den Beständen ihrer Firma hatten zukommen lassen, ohne entsprechende Kleiderkarten erhalten zu haben. Aufgrund der Entgegennahme dieser Schlafanzüge wurde im Juni 1940 gegen Arnold ein Ermittlungsverfahren anhängig gemacht, allerdings nicht wegen Vergehens gemäß KrWVO, sondern vielmehr wegen einer Übertretung gemäß § 2 Abs. 1 VerbrauchsregelungsstrafVO313. Nach den eigenen Aussagen Arnolds kam es ihm nicht darauf an, Waren ohne Bezugsschein zu erwerben. Der kommissarische Leiter der Generalstaatsanwaltschaft, Osterkamp, schenkte den Ausführungen Arnolds unbedingten Glauben, indem er sich auf den Standpunkt stellte, dieser habe „mehr aus Entgegenkommen gegenüber der Firma Albert die Ware abgenommen (…), weil diese nach der ihm von seiner Schwiegermutter gegebe312  So betrug das vom Sondergericht durchschnittlich verhängte Strafmaß 10,4 Monate, siehe Tabelle 49, Anhang S. 539. 313  Verordnung über Strafen und Strafverfahren bei Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften auf dem Gebiet der Bewirtschaftung bezugsbeschränkter Erzeugnisse (Verbrauchsregelungs-Strafverordnung) vom 6.4.1940, RGBl. 1940 I, S. 610.

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nen Darstellung für die Firma unverkäuflich war. Sein Verschulden erscheint danach gering. Auch sind bei dieser Sachlage die Folgen der Tat unbedeutend. (…) Staatsanwalt Arnold ist ein besonders (…) pflichtbewusster und korrekter Beamter (…) mit vorzüglicher Beurteilung“314. Diese vom GStA kommunizierte Einschätzung führte schließlich zur Einstellung des Verfahrens315. Die erste Besonderheit im geschilderten Vorgang besteht zunächst in der von der Staatsanwaltschaft Köln zugrundegelegten Einschätzung einer bloßen Übertretung nach § 2 Abs. 1 VerbrauchsregelungsstrafVO, nachdem die Schwiegereltern wegen desselben Sachverhalts nach der deutlich schwerwiegenderen Norm der KrWVO angeklagt worden waren. Eine Rechtfertigung dieser sachlichen Ungleichbehandlung der Eheleute A. und des Sonderreferenten kann insoweit nicht auf den objektiven Tatbestandsmerkmalen des § 1 Abs. 1 KrWVO beruhen, als das Tatobjekt – sechs Schlafanzüge – bei beiden Verfahren identisch war316. Auch die im Vergleich zu den Eheleuten abweichende Tathandlung des Beziehens kann keine Verneinung der KrWVO rechtfertigen, da das „Beziehen“ iSv § 2 Abs. 1 Nr. 1 VerbrauchsregelungsstrafVO regelmäßig die Handlungsmodalität des „Beiseiteschaffens“ iSv § 1 Abs. 1 KrWVO erfüllte317. Endlich kann auch mit Blick auf die bereits geschilderte weite Auslegung der Merkmale einer Bedarfsgefährdung sowie einer Böswilligkeit eine Nichtanwendung der KrWVO nicht gerechtfertigt werden318. Insbesondere hinsichtlich des letzteren Merkmals muss Arnold erschwerend vorgehalten werden, dass er sich gerade in seiner beruflichen Eigenschaft als StA über die strafrechtli314  Schreiben des GStA Köln an den RMJ vom 24.6.1940, LAV NRW R, NW Pe 3633, Akte Justizministerium, Bl. 31 rev. 315  Antwortschreiben des RMJ an den GStA bzgl. der causa Arnold vom 8.7.1940, LAV NRW R, NW Pe 3633, Akte Justizministerium, Bl. 33. 316  Anm: § 2 Abs. 1 Nr. 1 VerbrauchsregelungsstrafVO lautete: „Mit Geldstrafe bis zu 150 RM oder mit Haft wird bestraft, wer, ohne in Ausübung eines Gewerbes oder Berufs zu handeln, bezugsbeschränkte Erzeugnisse ohne Bezugsberechtigung bezieht, eine ihm nicht zustehende Bezugsberechtigung für sich ausnutzt oder die Verfügung über eine Bezugsberechtigung sich gegen Entgelt verschafft oder in der Absicht, sich zu bereichern, einem anderen überlässt (…)“, Verordnung über Strafen und Strafverfahren bei Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften auf dem Gebiet der Bewirtschaftung bezugsbeschränkter Erzeugnisse (Verbrauchsregelungs-Strafverordnung) vom 6.4.1940, RGBl. 1940 I, S. 610. Die tatbestandlichen Unterschiede zu § 1 Abs. 1 KrWVO bestanden insoweit in den Merkmalen des „lebenswichtigen Bedarfs“, der Tathandlungen des „Vernichtens“, „Beiseiteschaffens“ oder „Zurückhaltens“, einer „Bedarfsgefährdung“ sowie einer subjektiven „Böswilligkeit“, siehe § 1 Abs. 1 Verordnung zur Ergänzung der Kriegswirtschaftsverordnung vom 25.3.1942, RGBl. 1942 I, S. 147. 317  Rietzsch/Peren/Schneider, Verbrauchsregelung, S. 218. 318  Siehe zu den diesbezüglichen Anwendungsmodalitäten der KrWVO im sonstigen Verfahren nochmals oben, S. 305.



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chen Konsequenzen eines solchen Verhaltens bewusst gewesen sein musste, sodass die vom GStA getätigten Ausführungen zum sonstigen beruflichen Verhalten Arnolds nicht geeignet waren, exkulpierende Wirkung zu entfalten. Nach der auch von der Rechtsprechung umgesetzten Definition Freislers, nach welcher die Böswilligkeit zu bejahen war, wenn sich der Täter der „Schlechtigkeit“ seines Handelns bewusst war, erscheint eine Verneinung dieses Merkmals bei Arnold daher sehr fragwürdig. Die gesamte Verfahrenseinstellung aufgrund vermeintlicher „Unbedeutsamkeit“ der Tat ist umso weniger nachzuvollziehen, wenn man auf die seinerzeitig vorherrschende Knappheit von Textilwaren im Rheinland abstellt319. Der Fall verdeutlicht, dass eine Rechtsanwendung seitens der vorgesetzten Dienstbehörde Aachens bei eigenen Mitarbeitern mit abweichendem juristischem Maßstab erfolgte. Die Tatsache, dass der Provinzialchef die causa Arnold trotz objektiv vorliegendem hinreichenden Tatverdachts durch Verfahrenseinstellung ohne richterliche Mitwirkung intern erledigen konnte, beweist das abstrakte Machtpotential des GStA bezüglich der Lenkung der Strafrechtspflege. b) Ermittlungs- und Anklagepraxis gegen Angehörige der NSDAP aa) Verfahren gegen führende Persönlichkeiten der NSDAP auf Provinzialebene Im Zusammenhang mit dem Strafverfahren gegen den damaligen NSDAPOrtsgruppenleiter Paul S. wurde von der Staatsanwaltschaft Aachen ein Ermittlungsverfahren gegen eine Vielzahl lokaler NSDAP-Funktionäre wegen Verstoßes gegen die KrWVO geführt320. Erste Verdachtsmomente zu Verstrickungen führender lokaler Persönlichkeiten, insbesondere des Kreisleiters in Geilenkirchen, des Gauinspekteurs der Gauleitung Köln-Aachen sowie der Ehefrau des Kreisleiters des Landkreises Aachen hatten sich bereits im Ermittlungsverfahren gegen S. ergeben321. Konkrete Verdachtsmomente gegen einen Verbandsleiter, Revisor, Ministerialrat, Kreisamtsleiter, sowie 319  Siehe den internen Weiterverkauf von Textilwaren vom Wirtschaftsamt beim Landratsamt in Geilenkirchen, über dessen Vorgehensweise ein AGR beim AG Heinsberg bei LOStA Führer schriftlich Klage führte, Schreiben des AG Heinsberg an LOStA Führer vom 10.1.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 155, Bl. 82. Zur besonders angespannten Situation im Grenzgebiet Aachen aufgrund von Warenknappheit auch der GStA, politischer Lagebericht vom 4.2.1942, BArch, R 3001, Nr. 23374, Bl. 63 rev. Anm.: Geilenkirchen befindet sich im LG-Bezirk Aachen. 320  Zum Verfahren gegen Paul S. siehe unten, S. 411. 321  Bericht des LOStA an das RJM von Ende Januar, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 4 rev.

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den Kreisleiter „Aachen-Land“, Sch., erhärteten sich in der Folgezeit322. Nach Abschluss der Ermittlungen übersandte die Anklagebehörde das wesentliche Ermittlungsergebnis, nach welchem zehn Parteifunktionäre durch illegalen Bezug nicht unerheblicher Mengen von Lebensmitteln durch S. gemäß § 1 Abs. 1 KrWVO hinreichend tatverdächtig waren, an das RJM323. Obschon die illegal bezogenen Warenmengen mit den von S. veruntreuten Verbrauchsgütern exakt korrelierten, wurden in der Folge die Verfahren gegen sämtliche Beschuldigte unter Berufung auf Geringfügigkeit, Verjährung, eines Mangels an Beweisen oder aufgrund vermeintlich verwaltungsbezogener Hindernisse eingestellt oder an andere Stellen abgegeben324. 322  Bericht des EStA Ackermann an das RJM vom 6.3.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 18. 323  Undatierter Bericht Zimmeraths an das RJM, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 26, 27. Freisler übersandte in der Folge eine Auflistung mit den Beschuldigten und den ihnen zuzuordnenden Warenmengen an das Propagandaministerium: Gauinspekteur S.: von November 1939 bis Anfang 1942 60 Lieferungen, 112 Pfund Butter, 720 Eier, 60 Pfund Käse, 23 Pfund Kaffee, 139 Pfund Fleisch im Zeitraum von November 1939 bis Anfang 1942 im Rahmen von 60 Lieferungen markenfrei bezogen; Gauamtsleiter B.: 5 Pfund Butter, siebeneinhalb Pfund Speck, siebeneinhalb Pfund Wurst, 180 Pfund Fleisch; Revisor der Gauamtsleitung M.: sechs bis sieben Pfund Butter, 50 Eier, sechs Pfund Fleisch; Kanzleileiter der Gauleitung S.: 13 Pfund Butter, 95 Eier, zwei Pfund Käse, ein Pfund Kaffee, drei Pfund Margarine, 21 Pfund Fleisch; Kreisleiter des Landkreises Aachen Sch.: Neuneinhalb Pfund Butter, 60 Eier, eineinhalb Pfund Käse, ein halbes Pfund Kaffee, dreiviertel Liter Speiseöl, sieben Pfund Fleisch, 2.735 Liter Benzin ohne Tankkarten sowie ein Einbau eine illegal bezogenen Radios über 400 RM in einen privaten PKW; Kreisleiter des Kreises Geilenkirchen V.: Vier Pfund Butter, drei Pfund Käse, eineinhalb Pfund Wurst; Ortsgruppenleiter des Stadtteils Eilendorf K.: Eineinhalb Pfund Butter; Kreisamtsleiter L.: zwei Pfund Butter, 2 Pfund Wurst, 10 Eier, drei Zentner Kartoffeln; Kreisamtsleiter G.: 500 Printen und 100 Stück Rasierseife; Kreisamtsleiter Gr.: Drei bis fünf Buttercremekuchen, siehe Schreiben Freislers an das Propagandaministerium vom 11.6.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 29, 29 rev. 324  „Danach ist das Verfahren gegen den Kreisamtsleiter L., den Ortsgruppenleiter K., den Kreisamtsleiter G., den Kreisamtsleiter Gr. und den Min. Direktor Rudolf S. aus § 153 StPO, wegen Verjährung der Strafverfolgung oder mangels Beweises eingestellt worden. In all diesen Verfahren – ebenso wie bei dem Kreisleiter V. und dem Gaurevisor M. (…) – handelt es sich nur um gelegentliche kleine Bezüge. Ich beabsichtige daher auch, das Verfahren gegen M. und V. ebenfalls einzustellen. Die Verfahren gegen den Gauamtsleiter B. und den Gauhauptstellenleiter Christian S. konnten nicht gefördert werden, da die Akten S. nicht vorliegen und auch die Belege fortlaufend zu anderen Verfahren benötigt wurden. (…) Das Verfahren gegen den Gauinspektor S., der als größter Bezieher anzusprechen ist, (…) habe ich an das Kriegsgericht der Einheit der Waffen-SS, zu der S. eingezogen worden ist, zuständigkeitshalber abgegeben. Über die weitere Behandlung des Verfahrens ist hier nichts mehr bekannt geworden. Das Verfahren gegen den Kreisleiter Sch. ist in den Ermittlungen abgeschlossen. Durch die Ermittlungen konnte nicht eindeutig der Nachweis geführt werden, dass die unberechtigte Benzinentnahme in Höhe von 2.735 Litern



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Einzig gegen Kreisleiter Sch. wurde der Tatvorwurf zunächst teilweise aufrechterhalten, indem LOStA Führer einen Bezug von 500–600 Eiern und zehn Pfund Butter als erwiesen betrachtete, das Verfahren jedoch durch „außergerichtlichen Strafbefehl durch Zahlung von 700 RM zu erledigen beabsichtigte“325. In der Folge wurde das Ermittlungsverfahren wegen der ursprünglichen Belastungsmomente, insbesondere wegen des in Rede stehenden illegalen Bezugs von über 2.000 Litern Benzin jedoch erneut aufgegriffen326. So wurde nachgewiesen, dass die entsprechenden Einlassungen des Kreisleiters Sch. nicht der Wahrheit entsprachen und es „als feststehend angesehen werden“ musste, dass Sch. „das aus den Beständen der Genossenschaft erhaltene Benzin wenigstens teilweise nicht im Interesse der Genossenschaft, sondern für andere Zwecke verbraucht hatte“ und „kaum anzunehmen“ war, dass Sch. „von dem ungesetzlichen Benzinbezug aus Beständen der Genossenschaft nichts gewusst hat“327. Insgesamt handelte es sich nach den Erkenntnissen der Anklagebehörde um eine Benzinentnahme von 1.348 Litern. Der Direktor der Wasserwerke in Aachen hatte diesen Sachverhalt dem zuständigen Landrat angezeigt, ohne dass dieser in der Folge – „anscheinend aus Furcht vor Nachteilen“ – weitere Maßnahmen zur Aufklärung ergriffen hatte328. Die Staatsanwaltschaft forcierte schließlich eine Vernehmung des Landrats, der als Hauptbelastungszeuge angesehen wurde und dessen Aussage von der Genehmigung Gauleiter Grohés abdurch Schubert selbst oder mit dessen Wissen und Billigung veranlasst worden ist, da feststeht, dass das Benzin zum weitaus größten Teil von dem Chauffeur der Kreisleitung aufgrund einer Abmachung entnommen wurde, die angeblich zwischen S. und diesem persönlich getroffen worden ist. Die vernommenen Zeugen wollen nicht wissen, ob Sch. von dieser Abmachung Kenntnis hatte. Soweit der Benzinbezug in Frage kommt, habe ich daher das Verfahren mangels Beweises eingestellt. Auch der Bezug der (…) angegebenen Lebensmittel konnte dem Kreisleiter Sch. nur zum geringsten Teil nachgewiesen werden, da angeblich – auch nach den neusten Zeugenaussagen – der Bezug der Lebensmittel durch die Ehefrau Sch. veranlasst worden sein soll“, Schreiben des LOStA Führer an das RJM vom 17.12.1942, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 214, 215. Anm.: Die namentlichen Nennungen wurden vom Bearbeiter anonymisiert. 325  Ebd., Bl. 215. Die Ermittlungsakten der StA Aachen gegen Sch. wurden vorzeitig, bevor weitere Schritte unternommen worden waren, offenbar dem RJM überlassen, Schreiben des StS Klemm an den RMJ vom 15.1.1943, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 245. Allerdings wurde der Strafbefehl in der Folge nicht erlassen. Vielmehr beschränkte sich das Ermittlungsverfahren mangels „anderer (…) Weisung“ in der Folge lediglich auf den Bezug des Benzins, Schreiben des LOStA Führer an das RJM vom 3.4.1943, BArch, R 3001, Nr. 163396, Bl. 277 rev. 326  Schreiben des LOStA Führer an das RJM vom 30.1.1943, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 251 rev. 327  Schreiben des LOStA Führer an das RJM vom 3.4.1943, BArch, R 3001, Nr. 163396, Bl. 276 rev. 328  Ebd., Bl. 277.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

hing329. Kurz nach Erteilung dieser Aussagegenehmigung – noch bevor die Staatsanwaltschaft eine Zeugenvernehmung durchführen konnte – verstarb Landrat Claßen jedoch an einer nicht dokumentierten Todesursache330, sodass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Sch. am 17. Februar 1944 vollumfänglich einstellte331. Die Einstellung des Verfahrens gegen den zwischenzeitlich zum Gauleiter „Köln-Land“ beförderten Beschuldigten war im Übrigen bereits zuvor als ausdrücklicher Wunsch des Gauleiters Grohé sowie des GStA Rahmel und EStA Arnold an die Staatsanwaltschaft herangetragen worden332. Betrachtet man den Gang des Verfahrens hinsichtlich sämtlicher Beschuldigter im Gesamtkontext zur sonstigen Ermittlungs- und Anklagepraxis der Staatsanwaltschaft, bei welcher Strafverfahren mit weit weniger substantiierten Feststellungen zur Anklage gebracht wurden, muss man zu dem Ergebnis gelangen, dass die Anklagebehörde bewusst weitere Ermittlungen unterlassen hatte. Hierfür sprechen eine Vielzahl von Erwägungen: Unabhängig von der statistischen Unwahrscheinlichkeit, gegen einen Beschuldigtenkreis von zehn Personen aufgrund der konkret dokumentierten Beweislage keinerlei verwertbare Indizien zu finden, hätte alleine die erfolgreiche Anklage gegen S., die das diametrale Gegenstück zum gegenständlichen Verfahren darstellte, notwendigerweise im Rahmen potentieller Indizienprozesse zu weiteren Verurteilungen führen müssen. Zudem erhärteten sich nach Beginn des Ermittlungsverfahrens gerade die belastenden Umstände gegen die Angeklagten, sodass eine plötzliche Abkehr von weiteren Ermittlungen in der Folge grundsätzlich nur aufgrund einer beweisbaren Alternativentwicklung durch abweichende Verdachtsmomente schlüssig gewesen wäre. Insbesondere die Einschätzung einer „Geringfügigkeit“ durch den Behördenleiter steht in eklatantem Widerspruch zur sonstigen Anwendungs329  Die Qualität des Landrats Claßen als Hauptbelastungszeuge ergibt sich insoweit aus den Ausführungen LOStA Führer, der ausführte: „Eine völlige Klärung kann hier nur durch die Vernehmung des Landrats Claßen herbeigeführt werden“, Schreiben des LOStA Führer an das RJM vom 3.4.1943, BArch, R 3001, Nr. 163396, Bl. 277. 330  Claßen verstarb am 8.2.1944, siehe Abschlussbericht Zimmeraths vom 17.2.1944 z. Hd. des LOStA Führer und in Kopie an die Gauleitung der NSDAP in Köln, BArch, R 3001, Nr. 163396, Bl. 328. 331  Schreiben des LOStA Führer an das RJM vom 17.2.1944.1943, BArch, R 3001, Nr. 163396, Bl. 324. 332  Stellungnahme Zimmeraths im Rahmen eines Entnazifizierungsverfahrens, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band I, Bl. 275 f. Anm.: Mit Blick auf die Konsequenz der in dieser Stellungnahme geschilderten Versetzung sowie der weiteren Nachweise in den Ausführungen Zimmeraths, bestätigender Zeugenaussagen, Dokumenten und dem Gesamtkontext der causa werden die dahingehenden Ausführungen des StA Zimmerath als zutreffend zugrundegelegt.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis361

praxis dieser wertausfüllenden Generalklausel, deren Anwendbarkeit bei sondergerichtlichen Verfahren nach Einschätzung des LOStA kategorisch zu verneinen war333. Auch der zeitliche Zusammenfall vom ungeklärten Tod des Landrats kurz nach Erteilung der Aussagegenehmigung seitens der Behörde, die belastet worden wäre, sowie die hierauf folgende Untätigkeit der Staatsanwaltschaft – offenbar im Einvernehmen mit dem RJM – ist bemerkenswert. Für eine politisch motivierte Verfahrenseinstellung spricht zudem die Erwägung, dass die Staatsanwaltschaft zunächst die Erkenntnis gewonnen hatte, dass Landrat Claßen aus „Furcht“ von weiteren Maßnahmen gegen Sch. abgesehen hatte334. In der Einstellungsbegründung wurde hingegen in plötzlicher Abkehr zu dieser Einschätzung ausgeführt, dass die Benzinentnahme mit Wissen und Billigung des Landrates erfolgte, sodass „anzunehmen“ sei, „dass die dortigen Entnahmen nicht zu beanstanden waren“335. Somit folgerte die Staatsanwaltschaft aus der bloßen Untätigkeit des Landrats die Rechtmäßigkeit der Tat, wodurch die Staatsanwaltschaft ihrer Pflicht zur erschöpfenden Ermittlungstätigkeit nicht nachkam. Nachdem eine Verfahrenseinstellung unter juristischen Gesichtspunkten nicht nachvollziehbar ist, bleibt zu klären, inwieweit die Staatsanwaltschaft zum Instrument fremdbehördlichen Willens herabgestuft wurde oder sich herabstufen ließ. In diesem Zusammenhang ist ein expliziter Vermerk StA Zimmeraths in seinem Abschlussbericht an den Behördenleiter auffällig, indem dieser darum bittet, der Gauleitung ausrichten zu dürfen, dass das Verfahren gegen Sch. „mangels Nachweises eines Verschuldens, im Übrigen wegen Geringfügigkeit“, eingestellt wurde336. Dieser Hinweis indiziert jedenfalls ein gesteigertes Interesse der Gauleitung an diesem Verfahrensausgang und korreliert insoweit mit den Ausführungen Zimmeraths zu einer vom GStA erzeugten, ergebnisabhängigen Drucksituation in Bezug auf das berufliche Schicksal Zimmeraths337. Dass die Staatsanwaltschaft dem regionalen Parteikader eigeninitiativ durch die Verfahrenseinstellungen eine politische Gefälligkeit erwies, erscheint vor dem Hintergrund, dass das Verfahren ge333  Siehe insoweit auch die Ausführungen des LOStA Führer zu Einstellungspraxis nach § 153 StPO, unten, S. 434. 334  Schreiben des LOStA Führer an das RJM vom 3.4.1943, BArch, R 3001, Nr. 163396, Bl. 277. 335  Abschlussbericht Zimmeraths vom 17.2.1944 z. Hd. des LOStA Führer und in Kopie an die Gauleitung der NSDAP in Köln, BArch, R 3001, Nr. 163396, Bl. 327 rev. 336  Abschlussbericht Zimmeraths vom 17.2.1944 z. Hd. des LOStA Führer und in Kopie an die Gauleitung der NSDAP in Köln, BArch, R 3001, Nr. 163396, Bl. 328 rev. 337  Siehe zum geschilderten Treffen Zimmeraths mit GStA Rahmel im Hotel Quellenhof, bei dessen Gelegenheit der Provinzialchef unter Verweis auf das gegenständliche Verfahren die Versetzung Zimmeraths nach Prag bekanntgab, oben, S. 223.

362

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

gen Kreisleiter Sch. erneut aufgegriffen wurde und sogar die entscheidende belastende Zeugenvernehmung durchgeführt werden sollte, unwahrscheinlich. Gegen eine autonome Entscheidung einer bevorzugten Behandlung hochrangiger Parteifunktionäre aus reiner Parteitreue spricht zudem die Haltung des Behördenleiters im Verfahren gegen Paul S.338. Die Gesamtschau legt mithin eine fremdgesteuerte Instrumentalisierung der Staatsanwaltschaft nahe, der sich diese beugen musste. bb) Verfahren gegen sonstige Angehörige der NSDAP Das Ermittlungsverfahren gegen Kreisleiter Sch. und die übrigen regionalen Parteifunktionäre wirft die Frage auf, inwieweit sich gegenüber den sonstigen Ermittlungsverfahren und Anklageerhebungen gegen NSDAPMitglieder Kontinuitäten und Diskontinuitäten zur geschilderten Handhabung ergaben. Neben dem bereits geschilderten Ermittlungsverfahren war die Staatsanwaltschaft Aachen mit 91 Verfahren gegen insgesamt 109 Angehörige der NSDAP betraut gewesen. In drei Verfahren erfolgte eine Anklage gegen höherrangige Amtsträger, namentlich gegen einen politischen Leiter einer Aachener Ortsgruppe, einen kommissarischen sowie einen ordentlichen Ortsgruppenleiter339. Gegen drei NSDAP-Mitglieder ergingen zudem antragsgemäße Todesurteile340. Die gegenständlichen Deliktsgruppen umfassen Verstöße gegen das HG, die KrWVO, die VVO, die RundfunkVO sowie die WehrkraftVO341. Soweit es Fälle von Verstößen gegen die VVO betrifft, die mit 25 Verfahren einen Anteil von 27,5 % ausmachen, zeigte es sich, dass die Parteimitgliedschaft einen Umstand darstellte, der für die Beurteilung der subjektiven Volksschädlingseigenschaft grundsätzlich keine positive Berücksichtigung fand. So qualifizierte die Staatsanwaltschaft einen Angeklagten, welcher der NSDAP bereits 1933 beigetretenen war, als volksschädliche Persönlichkeit mit einer „asozialen Gesinnung“, nachdem der vorbestrafte R. zwei Fahrräder und ein Radio entwendet hatte342. Auch das beantragte Strafmaß von 30 Monaten Zuchthaus indiziert, dass sich bei der 338  Siehe

oben, S. 186. Verfahren gegen K., gegen J. und gegen S., LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 533, 592 sowie BArch R 3001, Nr. 163394. 340  Siehe Verfahren gegen L., D. und S., LAV NRW R, NW 174, Akten 197 und 200 sowie BArch R 3001, Nr. 163394. 341  Ein Verfahren wegen Verstoßes gegen die WehrkraftVO gegen Parteiangehörige ist nur in einem Fall überliefert und macht damit einen quantitativen Anteil von 1,1 % aus. 342  Anklageschrift gegen R. vom 26.1.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 407, Bl. 7. Siehe zur Parteimitgliedschaft Personalbogen, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 407, Bl. 9 rev. 339  Siehe



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis363

Sanktionierung die Parteimitgliedschaft nicht generell begünstigend auswirkte343. Dass die Sanktionierung im konkreten Fall nicht alleine auf Vorstrafen zurückzuführen war, sondern gleichermaßen auf nicht vorbestrafte Parteimitglieder angewendet wurde, verdeutlicht ein Verfahren gegen einen Postsekretär, der seit 1939 NSDAP-Mitglied war. Obwohl dieser stets gute Arbeitszeugnisse, ein unbestraftes Vorleben, die Kriegsteilnahme im Ersten Weltkrieg sowie militärische Auszeichnungen vorzuweisen hatte, qualifizierte die Staatsanwaltschaft M. ohne weitergehende Ausführungen als Volksschädling und beantragte eine 15-monatige Zuchthausstrafe344, nachdem dieser fünf Zigaretten und zwei Zigarren aus einer beschädigten Postsendung entwendet hatte345. Auch die Ermittlungspraxis bezüglich lokaler Amtsträger offenbart keine strafrechtliche Sonderbehandlung. So wurde gegen einen politischen Leiter einer Aachener Ortsgruppe, der vier Feldpostsendungen geöffnet und ebenfalls Zigaretten aus diesen entwendet hatte346, eine Zuchthausstrafe von 42 Monaten beantragt347. In keinem der vorgenannten Fälle fand die NSDAP-Mitgliedschaft im Rahmen der Anklageschrift eine begünstigende Berücksichtigung. Bemerkenswert ist allerdings die Ermittlungspraxis in einem Verfahren gegen zwei Angehörige der HJ, die im Kreis Düren einen Arbeitseinsatz hatten. Die beiden 17 und 18 Jahre alten Personen hatten sich unerlaubt von ihrer Arbeitsstelle entfernt und waren anschließend in eine Schreinerei in einem freigemachten Gebiet eingebrochen. Dort entwendeten sie Lebensmittel, Füllfederhalter, eine Geldbörse und ein Wandgemälde348. Nachdem der Behördenleiter „Fühlung“ mit der HJ-Gebietsführung genommen hatte, gelangte er zu der Einschätzung, dass die beiden Jugendlichen „keinen ungünstigen Eindruck“ machten. Da anzunehmen sei, dass sie sich „der Tragweite ihrer offenbar nicht planmäßig begangenen Tat nicht voll bewusst gewesen“ waren349, wurde von einer 343  Siehe Aktenrücken der Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 407, Bl. nicht angegeben. 344  Sitzungsprotokoll vom 25.7.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 288, Bl. 26. 345  Anklageschrift gegen den M. vom 12.6.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 288, Bl. 16–18. 346  Siehe Anklageschrift gegen K. vom 8.8.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 533, Bl. 9. Siehe zur Eigenschaft als politischer Leiter einer NSDAP-Ortsgruppe das Vernehmungsprotokoll des Beschuldigten sowie den Personalbogen, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 533, Bl. 4 f. 347  Handschriftlicher Vermerk des Sachbearbeiters auf dem Rücken der Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 533, Bl. nicht angegeben. 348  Bericht des LOStA an den RJM vom 11.10.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 50, Bl. 93. 349  Bericht des LOStA an den RJM vom 19.10.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 50, Bl. 97.

364

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Anklage wegen Plünderns abgesehen und das Verfahren nicht wie ursprünglich geplant beim Sondergericht, sondern bei der Jugendkammer anhängig gemacht, welche die Angeklagten schließlich zu einer Gefängnisstrafe von drei und neun Monaten verurteilte350. Die atypische Ermittlungspraxis im vorliegenden Fall manifestierte sich anhand mehrerer Umstände. So stellte bereits die bloße Kontaktaufnahme mit der Gebietsführung der Hitlerjugend eine Einmaligkeit dar351. Die Korrespondenz mit einer externen Stelle ist dabei umso verwunderlicher, da nach Einschätzung des Behördenleiters die Tatbestandsvoraussetzungen von § 1 VVO unstreitig erfüllt waren, und es im Rahmen der Norm – anders als etwa bei den §§ 2 und 4 VVO – gerade nicht auf das zusätzliche Tatbestandsmerkmal einer täterbezogenen Volksschädlingseigenschaft ankam. Der persönliche Eindruck, den die Angeklagten auf den Behördenleiter machten, hatte somit formalrechtlich für die Subsumtion unter die VVO unbeachtlich zu bleiben. Auch die Jugendlichkeit der Täter stellte weder normativ, noch im Lichte der lokalen Anklagepraxis ein zwingendes Hindernis für eine Anwendbarkeit der VVO dar. Dass im Übrigen weder der Umfang des Diebesguts, noch die Jugendlichkeit der Angeklagten den Ausschlag für ein Absehen einer Anklage gemäß § 1 VVO darstellten, beweist der Vergleich zur Anklagepraxis gegen die noch Jugendlichen F.G., B. und W., deren Beute sich auf einen vergleichbaren Umfang erstreckte352. Trotz eines verhängten Strafmaßes zwischen 24 und 30 Monaten Zuchthaus regte der Behördenleiter in diesem Fall den außerordentlichen Einspruch an, während die HJ-Angehörigen nach Aktenlage den Diebstahl sogar unter den verschärften Voraussetzungen des § 1 VVO begangen hatten und damit als „Plünderer“ zum Tode hätten verurteilt werden müssen. Insbesondere hinsichtlich der erfolgten Korrespondenz mit der Parteistelle stellte sich die Zugehörigkeit zu einer Untergliederung der Partei mithin als wesentliches Merkmal dar, um die andersartige Anklagepraxis im konkreten Fall erklären zu können. Soweit es Verstöße gegen das Heimtückegesetz betrifft, offenbart die Arbeit der Staatsanwaltschaft keine nennenswerten Abweichungen zur allgemeinen Personengruppe. Insbesondere die bereits erwähnte Vorgehensweise, bisweilen nicht auf entlastende Tatumstände abzustellen, setzt sich teilweise auch gegen Parteiangehörige fort. So hatte die Anklagebehörde wegen § 1 HG angeklagt, nachdem der Angeklagte in einer Wirtschaft geäußert hatte, der zu diesem Zeitpunkt eben erst verstorbene Generaloberst 350  Urteilsbericht vom 27.10.44, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 50, Bl. 102, sowie Urteil der Jugendkammer vom 24.10.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 50, Bl. 102. 351  Diese These bezieht sich ausschließlich auf die überlieferten sondergerichtlichen Dokumente. 352  Siehe die Sachverhaltsschilderung zum außerordentlichen Einspruch, S. 100.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis365

Udet sei homosexuell gewesen353. Das Sondergericht stellte hingegen fest, dass der Angeklagte bei Tatbegehung alleine mit der Belastungszeugin war, sodass eine Verurteilung gemäß § 1 HG am Tatbestandsmerkmal der Öffentlichkeit scheiterte354. Auch ein alkoholisierter Zustand bei Tatbegehung vermochte sich selbst bei einer etwaigen Zugehörigkeit zur NSDAP nicht strafmildernd auszuwirken355. Bisweilen konnte eine politische Betätigung sogar nachteilig wirken, indem die Staatsanwaltschaft aus der Zugehörigkeit zur NSDAP in einem Verfahren gegen einen ehemaligen Zellenleiter ein erhöhtes Unrechtsbewusstsein der Tat folgerte356. Die formale Mitgliedschaft zur Partei nahm die Staatsanwaltschaft auch nicht zum Anlass, auf eine obligatorische Einholung von Stellungnahmen zur politischen Zuverlässigkeit zu verzichten357. Quantitativ kam Äußerungsdelikten gegen Parteiangehörige mit sieben Verfahren ein relativer Anteil von 7,2 % – gemessen an von Parteimitgliedern verwirklichten Delikten – zu. Eine abweichende Gesetzesanwendung bei Verstößen gegen die KrWVO, die mit 57 Verfahren 58,7 % der verwirklichten Delikte durch Parteimitglieder ausmachte, sowie gegen die RundfunkVO können ebenfalls nicht festgestellt werden358. Während die materielle Gesetzesanwendung insoweit grundsätzlich keine abweichende Handhabung in der materiellen Gesetzesanwendung aufweist, zeigt die statistische Gegenüberstellung der durchschnittlich beantragten Strafhöhe gegen NSDAP-Mitglieder und der gesamten Angeklagten einige Abweichungen und Diskontinuitäten. 353  Anklageschrift gegen G. vom 22.1.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 103, Bl. 5. 354  Urteil gegen G. vom 30.6.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 103, Bl. 47. 355  Anklageschrift gegen R. vom 10.6.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 471, Bl. 7–9. 356  Nachdem der Angeklagte R. auf seiner Toilette ein Portrait von Hitler aufgehängt hatte, klagte die Staatsanwaltschaft gemäß § 2 HG an und folgerte aus der Mitgliedschaft in der NSDAP straferschwerend, „dass sich der Angeklagte als Parteigenosse und früherer Zellenleiter der NSDAP der Tragweite seines Verhaltens besonders bewusst sein musste“, Anklageschrift gegen R. vom 6.3.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 41, Bl. 9. 357  Exemplarisch zeigte sich im Verfahren gegen W., dass eine formale Mitgliedschaft – unabhängig von der Tatbegehung – nicht notwendigerweise ein positives Gutachten mit sich brachte, indem die zuständige NSDAP-Kreisleitung ausführte, W. stehe dem Nationalsozialismus „ohne Interesse“ gegenüber, nachdem dieser geäußert hatte, dass das Militär nach dem Krieg die Staatsführung übernehmen werde und die „Partei ausgespielt“ habe, siehe Gutachten der NSDAP-Kreisleitung Geilenkirchen vom 15.11.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 99, Bl. 15 sowie Anklageschrift gegen W. vom 17.2.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 99, Bl. 8. 358  Es handelte sich um lediglich ein Verfahren wegen Verstoßes gegen die RundfunkVO, welches somit einen Anteil von 1,1 % ausmachte. Siehe zur Anzahl verwirklichter Delikte durch Parteiangehörige Tabelle 50, S. 540.

366

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis Tabelle 17 Gegenüberstellung durchschnittlich beantragter und verhängter ­Freiheitsstrafen gegen Parteimitglieder und die Gesamtheit aller Angeklagten359

Delikt

Strafantrag Staatsanwaltschaft

Urteil Sondergericht

Gefängnisstrafen

Zuchthausstrafen

Gefängnisstrafen

Zuchthausstrafen

Parteimitglieder

gesamte Angeklagtengruppe

Parteimitglieder

gesamte Angeklagtengruppe

Parteimitglieder

gesamte Angeklagtengruppe

Parteimitglieder

gesamte Angeklagtengruppe

HG

 4,1

10,4





5,4

 8,9





KrWVO

10,1

 9,2

39,5

41,4

8,8

 8,5

35,5

37,5

VVO

14,3

 9,8

37

41,1

14

11,4

32,2

39,9



13

18

27



10,4



20,7

RundfunkVO

Zieht man zunächst einen Vergleich zwischen der durchschnittlich beantragten Strafhöhe und dem verhängten Strafmaß bei Gefängnisstrafen, ergeben sich im Lichte der jeweiligen Deliktsgruppen unterschiedliche Ergebnisse. Während im Rahmen der VVO Strafanträge gegen NSDAP-Mitglieder die sonstigen Anträge der Sitzungsvertreter um viereinhalb Monate überschreiten und innerhalb der KrWVO die Anträge gegen Parteibuchinhaber immerhin noch 0,9 Monate über den sonstigen Durchschnitt liegen, ergibt sich bei Verstößen gegen das Heimtückegesetz eine begünstigende Abweichung von 6,3 Monaten. Die letztgenannte Divergenz in der beantragten Strafhöhe lässt sich nicht mit einer gegenüber den sonstigen Verfahren abweichenden erleichterten Tatschwere erklären, da die Äußerungen objektiv einen regelmäßig vergleichbaren Charakter hatten und bei „Hetzereien“ von NSDAP-Mitgliedern keine erkennbaren inhaltlichen Unterschiede bestanden, die eine derartige Abweichung zu erklären vermögen360. Auch setzte sich die oben geschilderte Argumentation der Staatsanwaltschaft hinsichtlich eines fingierten erhöhten Unrechtsbewusstseins von NSDAP-Mitgliedern bei hetzerischen Äußerungen im beantragten Strafmaß nicht fort. Aufgrund der mangelnden Relevanz kann auch die Komponente der Zuchthausstrafen nicht als mitursächlicher Umstand für die festgestellte quantitative Divergenz herangezogen werden, sodass bei Verstößen gegen das Heimtückegesetz im Ergebnis eine echte Begünstigung von Anhängern der NSDAP zu 359  Anm.: Mit der gesamten Angeklagtengruppe ist die Gesamtheit aller Angeklagten inklusive der Personengruppe angeklagter NSDAP-Mitglieder gemeint. 360  Siehe zur inhaltlichen Vergleichbarkeit nochmals oben, S. 297.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis367

erblicken ist, die sich auch im verhängten Strafmaß in vergleichbarer Tendenz fortsetzte. Umgekehrt wurde Verstößen gegen die VVO im Rahmen von zu beantragenden Gefängnisstrafen ein wesentlich höherer Unrechtsgehalt beigemessen. Relativierend muss jedoch eingeräumt werden, dass auf diesem Gebiet vermehrt Strafanträge von bis zu 30 Monaten beantragt wurden, eine Handhabung, die im Vergleich zu anderen Delikts- und Personengruppen die Ausnahme darstellt, da dort insbesondere ab einer Strafdauer von 24 Monaten selbige regelmäßig mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einer beantragten Zuchthausstrafe korrelierte361. Insoweit stellte ein Antrag auf Verhängung einer höheren Gefängnisstrafe grundsätzlich ein taugliches Mittel dar, um eine im Vollzug wesentlich härtere Zuchthausstrafe zu umgehen. Dieser Umstand relativierte zumindest den Umfang der Abweichung, sodass alleine aus der statistischen Gegenüberstellung keine substanzielle Benachteiligung von Parteimitgliedern zu folgern ist, was im Übrigen durch die umgekehrte Abweichung von beantragten Zuchthausstrafen zugunsten Parteiangehöriger auf dem Gebiet der VVO impliziert wird. Für Verstöße gegen die KrWVO beträgt die quantitative Abweichung 0,9 Monate zuungunsten NSDAP-Angehöriger, für Zuchthausstrafen 1,9 Monate zugunsten von Parteimitgliedern. Beide Abweichungen befinden sich in einem zeitlichen Intervall, der ebenfalls eine substantielle Begünstigung oder Benachteiligung, die alleine auf eine etwaige Mitgliedschaft in der NSDAP zurückzuführen wäre, ausschließt362. In insgesamt 37 Verfahren gegen 38 Parteimitglieder ergingen antragsgemäße Urteile363, in einem Verfahren gegen einen Angeklagten übertraf das verhängte Strafmaß sogar den Antrag der Anklagebehörde. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass Ermittlungsakten und Anklageschriften grundsätzlich keinerlei Indizien aufweisen, die auf systematische Begünstigungen von NSDAP-Mitgliedern bei den einschlägigen Deliktsgruppen hinweisen. Der statistische Vergleich zwischen beantragtem und verhängtem Strafmaß belegt jedoch insgesamt eine für Parteimitglieder begünstigende Anklagetendenz, die sich insbesondere in der Divergenz der Höhe von Gefängnisstrafen im Rahmen des Heimtückegesetzes, sowie von Zuchthausstrafen im Rahmen der VVO manifestiert. Die Divergenzen im Strafantrag korrelieren tendenziell mit den verhängten Strafen des Sondergerichts. 361  Dies wird bewiesen durch die deliktsübergreifende Divergenz zwischen Gefängnis- und Zuchthausstrafen, die sowohl für den Antrag der Staatsanwaltschaft, als auch für das vom Sondergericht verhängte Strafmaß gilt, siehe Anhang, Tabellen 46–49, S. 536; 537; 538; 539. 362  Insbesondere sind bei Abweichungen dieser Größenordnung grundsätzlich auch die konkreten Tatumstände des Einzelfalls als maßgebliche Ursache zu berücksichtigen. 363  Somit ergingen gegen 34,9 % aller Parteimitglieder antragsgemäße Urteile.

368

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

c) Verfahrenspraxis bei Ausländern Vor dem Hintergrund des Prinzips der Volksgemeinschaft drängt sich die Frage auf, inwieweit sich rassische bzw. staatliche Nichtzugehörigkeit zur Volksgemeinschaft auf die lokale Ermittlungs- und Anklagepraxis in Aachen auswirkte364. Diese Frage rechtfertigt eine isolierte Betrachtung der angeklagten Personengruppe, die ausländischer Herkunft ist. Insgesamt war die Staatsanwaltschaft Aachen mit 110 Verfahren gegen insgesamt 140 ausländische Personen betraut. Wie bereits im Rahmen der Statistik zur Gesamtverteilung der einzelnen Delikte gemessen an sämtlichen Verfahrensakten365, stellen auch bei Verfahren gegen Ausländer Verstöße gegen die KrWVO, die VVO, das HG sowie die RundfunkVO mit 83,6 % den wesentlichen Anteil dar366. Die ausländische Angeklagtengruppe setzte sich dabei alleine zu 50 % aus belgischen Staatsangehörigen, bzw. sogenannten „Deutschen auf Widerruf“ sowie zu 30,7 % aus niederländischen Staatsangehörigen zusammen. Die verbleibenden 19,3  % fallen auf sonstige Nationalitäten. Von Strafverfahren waren zudem fünf jüdische Personen betroffen. Soweit es Verstöße gegen das HG betrifft, die mit 42 Fällen und damit 38,2 % den größten Anteil gegenständlicher Verstöße ausmachen, unterscheiden sich diese in Bezug auf die Verwirklichung von § 1 als auch von § 2 HG inhaltlich nicht von den als strafbewährt qualifizierten Äußerungsdelikten der übrigen Angeklagtengruppen. Vereinzelt wich jedoch das beantragte Strafmaß bei vergleichbaren Äußerungen zulasten ausländischer Staatsbürger ab. So hatte ein polnischer Aushilfsarbeiter der Anklageschrift entsprechend schlechte Arbeitsleitungen auf dem ihn beschäftigenden Bauernhof erbracht und gegenüber den dortigen Familienmitgliedern geäußert: „Deutschland nichts Schuh, nichts Kleider, nur Kanonen bauen, in zwei Monaten wir mehr wissen. England nicht kaputt, England viel Geld, Polen noch mal so groß“367. Der Behördenleiter bezeichnete die Äußerungen als „maßlos gehässig“368, ging davon aus, dass diese geeignet seien, „dass Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben“369, und beantragte 364  Siehe

S. 47.

365  Siehe

zur Relevanz des Prinzips der Volksgemeinschaft nochmals oben,

hierzu Tabelle 24, S. 505. zur detaillierten statistischen Aufschlüsselung nach Delikten, Nationalitäten, Verfahrens- sowie Personenanzahlen Tabelle 51, Anhang, S. 541. 367  Anklageschrift gegen K. vom 25.8.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 56, Handakte, Bl. 10 rev. 368  Anklageschriftentwurf vom 25.6.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 56, Handakte, Bl. 9. 369  Anklageschrift gegen K. vom 25.8.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 56, Handakte, Bl. 10 rev. 366  Siehe



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis369 Belgien Niederlande Luxemburg Polen Frankreich Tschechoslowakei Italien Schweiz Jugoslawien Kroatien Juden

Abbildung 5: Diagramm zur Verhältnisverteilung der Nationalitäten ausländischer Angeklagter vor dem Sondergericht Aachen370

eine 18-monatige Gefängnisstrafe371. Umgekehrt zeigt sich, dass die Anklagebehörde mit Blick auf die polizeilichen Ermittlungen und Einschätzungen der Haftrichter nicht zwingend einer vorgegebenen Subsumtion unter einen schwereren Tatbestand folgte. So schloss sie sich im Verfahren gegen den Grubenarbeiter H. nicht der der Einschätzung des Haftrichters an, der zuvor Haftbefehl wegen Vorbereitung zum Hochverrat erlassen hatte372. Die Staatsanwaltschaft hielt „diese Rechtsauffassung“ mit Blick auf die getätigten Äußerungen vielmehr für „verfehlt“373 und klagte abweichend gemäß § 2 HG an, nachdem H. geäußert hatte, Deutschland könne den Krieg nicht gewinnen, weil es kein Gold besäße, während England und Amerika wirtschaftlich besser stünden. Auffällig ist die Anklagepraxis gegen den niederländischen Arbeiter K. wegen Vergehens gegen § 1 HG, nachdem dieser geäußert hatte, dass deutsche Soldaten in Holland abtransportiert worden seien, da diese desertieren wollten und drei holländische Kampfpiloten Verluste bei der deutschen Luftwaffe herbeigeführt hätten374. Diesbezüglich 370  Siehe zur zugrundegelegten zahlenmäßigen Aufschlüsselung Tabelle 51, Anhang, S. 541. 371  Bericht des LOStA an den GStA vom 6.5.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 56, Handakte, Bl. 3 rev. Siehe vergleichend zur durchschnittlichen Höhe des beantragten Strafmaßes, die bei Verstößen gegen das HG durch ausländische Angeklagte Tabelle 18, unten, S. 373. 372  Haftbefehl des AG Essen vom 11.7.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 64, Bl. 10. 373  Bericht des LOStA an den RJM vom 26.8.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 64, Handakte, Bl. 1. 374  Anklageschrift gegen K. vom 19.4.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 49, Handakte, Bl. 9 rev.

370

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

hatte der Aachener Behördenleiter per Bericht an das RJM angekündigt, von einer Anklage absehen zu wollen, da die Äußerung in der Gegenwart von drei Arbeitskameraden zunächst nicht das Tatbestandsmerkmal der Öffentlichkeit gemäß § 134a StGB erfüllt, und zudem die Äußerungen mit Blick auf das HG zwar „feindliche Propagandalüge“ seien, jedoch „dadurch das Wohl des Reichs und das Ansehen der Reichsregierung nicht geschädigt und ebensowenig das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung untergraben“ habe375. Noch am gleichen Tag verfasste LOStA Führer jedoch abweichend eine auf § 1 HG basierende Anklageschrift, da die Äußerungen plötzlich geeignet waren, das „Ansehen des deutschen Soldaten in gemeinster Weise herabzusetzen und damit das Wohl des Reichs und das Ansehen der Reichsregierung schwer zu schädigen“376. Im Lichte des zeitlichen Zusammenfalls des Verfassens der Anklageschrift trotz ausdrücklich kommunizierter mangelnder strafrechtlicher Erheblichkeit vom gleichen Tage kann einzig eine ministerielle Weisung zur Betreibung der Anklage als tauglicher Erklärungsansatz für das paradoxe Anklageverhalten herangezogen werden. Auch bei Anzeigen gegen Ausländer wegen Verstoßes gegen das HG wurde grundsätzlich auf Anhaltspunkte von Denunziantentum abgestellt, sofern eine dahingehende Erwägung nicht grundsätzlich ausgeschlossen schien377. Im Rahmen von Verstößen gegen die VVO hatte sich die Staatsanwaltschaft in einem Verfahren gegen einen belgischen Staatsangehörigen mit der Frage der Anwendbarkeit von § 1 VVO auseinanderzusetzen, nachdem sich die polizeilichen Ermittlungen auf eine „Plünderung“ festgelegt hatten. Der Angeklagte hatte aus einer vorübergehend verlassenen Wohnung einen Heizofen, ein Radiogerät und einen Handkoffer entwendet. Im Vergleich zur sonstigen Ermittlungspraxis war die dezidierte rechtliche Betrachtung und die gezogene Rechtsfolge der Staatsanwaltschaft, von einer Anklage gemäß § 1 VVO absehen zu wollen, „da die Diebstähle erst mehrere Wochen nach dem Terrorangriff (…) begangen worden sind“ und „die Angeklagten weniger die Hilflosigkeit“ der betroffenen Eheleute, sondern vielmehr die „mit dem Angriff in keinem Zusammenhang stehende Abwesenheit“ der Betroffenen ausgenutzt hatten, beachtlich378. Der sich aus der Ideologie der Volksgemeinschaft ergebende Verdacht einer verstärkt politisch bzw. ideologisch konnotierten Ausgestaltung der Anklageschrift als verstärkendes Diskriminierungsmoment bei ausländischen Angeklagten bewahrheitet sich im Lich375  Bericht des LOStA an den RJM vom 19.4.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 64, Handakte, Bl. 7. 376  Ebd. 377  Siehe zur Erwägung von Defiatismus exemplarisch Bericht im Verfahren gegen G. vom 11.12.1940, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 42, Handakte, Bl. 3. 378  Bericht des LOStA an den RJM vom 26.11.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 451, Handakte, Bl. 2.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis371

te eines Vergleichs der Anklageschriften nicht. Sofern täterbezogene Ausführungen gemacht wurden, beschränken sich diese grundsätzlich auf standardisierte, vom Personenkreis unabhängige Formulierungen, die etwa lauteten: „Der Angeklagte hat den kriegsbedingten Zustand (…) bewusst ausgenutzt. Durch seine Tat hat er sich als Volksschädling gekennzeichnet“379. Umgekehrt führte die Erwägung, dass ein Angeklagter ausländischer Staatsangehörigkeit keine „Erziehung zur Volksgemeinschaft“ hatte, nicht zur mangelnden Anwendbarkeit der VVO380. Im Hinblick auf Verstöße gegen die KrWVO sowie die RundfunkVO sind gegenüber der allgemeinen Handhabung keine Auffälligkeiten zu verzeichnen. Im Rahmen von Ermittlungsverfahren gegen ausländische Beschuldigte bestand eine ermittlungsspezifische Besonderheit in einer gesteigerten Involvierung polizeilicher Ermittlungsbehörden, mit der sich die Staatsanwaltschaft auseinanderzusetzen hatte. Im Verfahren gegen einen polnischen Arbeiter stand neben einem Verstoß gegen das Heimtückegesetz aufgrund gerügter Arbeitsleistungen eine Strafverfolgung wegen Arbeitsvertragsbruchs im Raum. Da K. jedoch nicht Arbeitsverpflichteter im Sinne von § 1 der Verordnung zur Sicherung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolizeilicher Bedeutung vom 13. Februar 1939 in Verbindung mit der Verordnung zur Durchführung des Vierjahresplanes vom 5. November 1936 gewesen war, und auch sonst keine Norm Anwendung fand, die aufgrund der gerügten Arbeitsleistung eine strafrechtliche Konsequenz gehabt hätte, berief sich die Stapo Aachen als sachlich zuständige Ermittlungsbehörde auf einen Erlass Görings und Himmlers vom 8. März 1940, demzufolge „derartige Delikte durch staatspolizeiliche Maßnahmen zu ahnden“ waren381. Insoweit erließ die Stapo Aachen Schutzhaft gegen den K. bis zur Verhandlung. Als Rechtsgrundlage hatte man sich zunächst auf einen Verstoß gegen § 2 HG berufen, dies jedoch korrigiert, nachdem die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungshoheit im Rahmen von Verstößen gegen das HG geltend gemacht hatte382. Wenngleich dieser Akt ohne praktische Rechtsfolgen blieb, da der Haftbefehl aufrechterhalten wurde, verdeutlicht er, dass die Staatsanwaltschaft penibel darauf achtete, ihren sachlichen Zuständigkeitsbereich gegenüber den Polizeibehörden auf lokaler Ebene zu behaupten. Bemer379  Siehe exemplarisch Anklageschrift gegen B. vom 8.7.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 292, Handakte, Bl. nicht angegeben. Vergleichbar in der Formulierung etwa auch Anklageschrift gegen G. vom 26.11.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 451, Bl. 7. So auch Anklageschrift gegen die belgischen Eheleute W. vom 8.9.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 150, Handakte, Bl. nicht angegeben. 380  Ebd., Bl. 21 rev., 22. 381  Bericht des LOStA an den GStA vom 6.5.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 56, Handakte, Bl. 3 rev. 382  Ebd., Bl. 3 rev., 4.

372

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

kenswert ist zudem der besondere Umgang mit jüdischen Angeklagten. So wurde in einem Fall, in welchem mehrere Täter wegen mittäterschaftlichen Verstoßes gegen § 1 Abs. 1 KrWVO durch Schwarzschlachtung angeklagt worden waren, das Verfahren gegen einen jüdischen Mittäter abgetrennt, „um zu vermeiden, dass gegen den jüdischen Angeklagten und die übrigen arischen Teilnehmer gemeinschaftlich verhandelt“ wurde383. Eine weitere Auffälligkeit bestand in selbigem Verfahren in dem Umstand, dass der jüdische H. ohne Begründung freigesprochen wurde und auch die Staatsanwaltschaft das Urteil schlicht für sachgemäß erklärte384. Die Erklärung dieses unkritischen Berichts wird mit der Rechtsfolge zu erklären sein, dass H. trotz Freispruchs in ein Arbeitslager verbracht wurde385. Auch für andere ausländische Untersuchungshäftlinge offenbarte sich vereinzelt eine Ungleichbehandlung gegenüber sogenannten „Reichsdeutschen“. So berichtete StA Höher in einem Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen § 1 VVO gegen 49 Personen, unter denen sich „zwei Ostarbeiter und ein französischer Zivilarbeiter“386 befanden, dass eine Möglichkeit, die Einlassung der Beschuldigten nachzuprüfen nicht bestanden hatte387. Nach dahingehender einvernehmlicher Rücksprache mit der Stapo entließ StA Höher „sämtliche Beschuldigte deutscher Staatsangehörigkeit“, während die „ausländischen Arbeiter (…) der Staatspolizeistelle zur Verfügung gestellt“ wurden388. Die dargestellten, vereinzelten Ungleichbehandlungen zum Nachteil ausländischer Staatsangehöriger setzen sich jedoch mit Blick auf die statistische Erhebung der durchschnittlichen Höhe des beantragten Strafmaßes gegen Ausländer nicht fort. Im Gegenteil veranschaulicht die Synopse der durchschnittlichen Strafmaßforderungen zu den bereits dargestellten unterschiedlichen Personengruppen, dass ausländische Staatsangehörige teilweise in der durchschnittlichen Höhe nicht nur unter dem allgemeinen Durchschnitt blieben, sondern dass diese zum Teil auch ein geringeres Strafmaß als Parteimitglieder erwartete. 383  Bericht des LOStA an den GStA vom 22.10.1941 im Verfahren gegen H., LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 37, Handakte, Bl. 2. 384  Bericht des LOStA an den RJM vom 24.2.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 37, Handakte, Bl. nicht angegeben. 385  Dies ergibt sich aus einem im Anschluss an das Urteil erfolgten Beschluss des Sondergerichts vom 7.2.1942 zur Frage eines Entschädigungsanspruchs für H. aufgrund unschuldig erlittener Untersuchungshaft, in welchem der aktuelle Aufenthaltsort des H. ein Arbeitslager war, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 37, Handakte, Bl. nicht angegeben. 386  Ebd., Bl. 90. 387  Bericht StA Höher an den RJM vom 7.10.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 50, Bl. 90 rev. 388  Ebd., Bl. 91.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis373 Tabelle 18 Vergleich der durchschnittlichen Höhe der Strafanträge in Monaten, nach Deliktsgruppen, Angeklagtengruppen und Strafart Durchschnittlich beantragtes Strafmaß der Staatsanwaltschaft

Gefängnisstrafen

Zuchthausstrafen

Deliktsgruppe

gesamte Angeklagtengruppe

Partei­ mitglieder

Ausländer

Heimtückegesetz

10,4

 4,1

11

KrWVO

 9,2

10,1

9,5

VVO

 9,8

14,3

8,5

RundfunkVO

13



14

Heimtückegesetz







KrWVO

41,4

39,5

19,8

VVO

41,1

37

38,7

RundfunkVO

27

18

26

Einzig bei beantragten Gefängnisstrafen wegen Verstoßes gegen das Heimtückegesetz sowie RundfunkVO übertraf der Strafantrag sowohl die allgemeine, wie auch die gegen Parteimitglieder beantragte Strafdauer. Die Abweichung bei den Heimtückedelikten hatten aufgrund ihres relativen Verfahrensanteils von 38,2 % eine erhöhte Bedeutung. Jedoch hält sich die täterungünstige Abweichung mit 0,6 Monaten bei Heimtückedelikten und 1 Monat bei Rundfunkverbrechen in einem quantitativen Bereich, der einen Rückschluss auf eine ethnisch bedingte Benachteiligung nicht zulässt. Bemerkenswert ist die Diskrepanz verhängter Zuchthausstrafen im Rahmen von Verstößen gegen die KrWVO, die für die ausländische Angeklagtengruppe 21,6 Monate betrug und damit um 52,2 % unter dem allgemeinen Durchschnitt und zudem 19,7 Monate unter dem durchschnittlich beantragten Strafmaß gegen Parteimitglieder lag. Ein wesentlicher Grund für die Eklatanz der Abweichung wird in den konkreten Tatmodaliäten und dem sich auch aus dem Umfang der Taten ergebenden Unrechtsgehalt zu finden sein. In neun von insgesamt 19 Verstößen gegen die KrWVO handelte es sich um Schwarschlachtungen, die sich in einem eigenbedarfsbezogenen Umfang hielten. Da Schwarzschlachtungen zum Eigenbedarf jedoch in nicht unerheblichem Umfang auch von der allgemeinen Angeklagtengruppe verwirklicht wurden, ändert dieser Umstand nichts an dem Ergebnis einer günstigen Anklagepraxis für ausländische Angeklagte auf diesem Gebiet.

374

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Für die verstärkt politisch konnotierte VVO setzt sich das Ergebnis mangelnder Abweichung in der sachlichen Anwendungspraxis der Norm gegenüber den übrigen Personengruppen auch statistisch fort. Während das durchschnittliche Strafmaß 2,4 Monate unter dem Allgemeindurchschnitt blieb, lag es 1,7 Monate über der Antragshöhe gegenüber Mitgliedern der NSDAP. Insoweit lässt sich auch für die VVO keine Handhabe einer rassisch, bzw. ethnisch motivierten Ungleichbehandlung finden. 3. Verfahrenspraxis bei Todesurteilen Während des nationalsozialistischen Regimes wurden mehr als 17.000 Todesurteile gefällt, wobei Erhebungen zur Kriegsgerichtsbarkeit in dieser Kalkulation nicht inkludiert sind389. Genaue Angaben oder zumindest fundierte Schätzungen über die reichsweite Anzahl erfolgter und vollstreckter Todesurteile durch Sondergerichte, die unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten verwertbar wären, existieren bis heute nicht390. Auf der für Aachen relevanten Provinzialebene des OLG-Bezirks Köln lassen sich zumindest aufgrund überlieferter Sammelakten und Archivbestände Einschätzungen vornehmen, die mit den Quantifizierungen des Sondergerichts Aachen in Zusammenhang gebracht werden können. Ausgehend von Akten der Gefängnisverwaltung des Gefängnisses Köln-Klingelpütz, in welchem auch die durch das Sondergericht Aachen verhängten Todesurteile vollstreckt wurden391, geht Thiesen für das Jahr 1941 von 54 Hinrichtungen, für das Jahr 1942 von 194 Hinrichtungen und für das Jahr 1943 / 1944 von 134 Hinrichtungen an der Richtstätte des Kölner Gefängnisses aus392. Die Anzahl ver389  Die Schätzungen zur Anzahl der Todesurteile divergieren. Wachsmannn geht unter Zugrundelegung geheimer Aufstellungen des RJM und anderweitiger Schätzungen von einer Zahl von 17.426 von 1933–1945 aus, Wachsmann, Gefangen unter Hitler, S. 451. Dencker geht von einer Anzahl von über 30.000 Todesurteilen aus, Dencker, Strafrechtliche Beurteilung, in: Salje, Recht und Unrecht, S. 294. Müller geht an anderer Stelle von 80.000 verhängten Todesurteilen aus, Müller, Niedergang, in: Ostendorf/Danker, NS-Strafjustiz, S. 9. Hirsch/Majer/Meinck gehen von „mindestens 40.000 bis 50.000 Todesurteilen deutscher Gerichte“ aus, „von denen mindestens 30.000 bis 40.000 vollstreckt sein dürften“, Hirsch/Majer/Meinck, Recht, S. 547. 390  Statistische Vollerhebungen, die etwa der Arbeit Weckbeckers zum Sondergericht Frankfurt am Main und Bromberg zugrundeliegen, bilden die bis heute hervorzuhebende Ausnahme. 391  Ausnahmen zu dieser Verfahrenspraxis bilden alleine die Vollzugsverfahren gegen Paul S., der in Aachen hingerichtet wurde, sowie gegen Raymond D., siehe eingehend S. 379. 392  Die Angaben Thiesens sind an dieser Stelle insoweit missverständlich, als dass sich die letztgenannte Zahl nach Angaben des Fließtextes auf das Geschäftsjahr 1944, nach der entsprechenden Fußnote jedoch auf einen Zeitraum im Jahre 1943 beziehen, Thiesen, Strafvollzug, S. 187. Zudem wurde nicht berücksichtigt, dass



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis375 Tabelle 19 Verfahren mit anschließendem Todesurteil393 Fundstelle

Jahr des Vollzugs

Name des /  der Angeklagten

Angeklagtes Delikt394

LAV NRW R, NW 174, Akte 200

1944

Raymond D.

§ 1 VVO

LAV NRW R, NW 174, Akte 199

1944

Josef K.

§ 1 VVO

LAV NRW R, NW 174, Akte 198

1944

Wilhelm M.

§ 4 VVO

LAV NRW R, NW 174, Akte 197

1943

Philipp L.

§ 4 VVO

LAV NRW R, NW 174, Akte 196

1943

Hubert B.

§ 2 VVO

LAV NRW R, NW 174, Akte 195

1943

Wilhelm O.

§ 2 VVO

LAV NRW R, NW 174, Akte 194

1942

Heinrich W.

§ 2 VVO

LAV NRW R, NW 174, Akte 193

1941

Hans K.

§ 2 VVO

BArch, R 3001, Nr. 163394

1943

Paul S.

§ 1 Abs. 1 KrWVO

LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 179

1944

Wilhelm L. /  Albert L. /  Heinrich H. /  Gerhard D.

§ 4 VVO

BArch, R 3001, Nr. 162245

1943

Mathias P.

§ 1 ErweiterungsVO

neben den Todesurteilen der Sondergerichte Köln, Koblenz, Trier, Luxemburg, Düsseldorf, Duisburg und teilweise Dortmund auch die Todesurteile des Sondergerichts Aachen in Klingelpütz vollstreckt wurden, wobei dieser Umstand an den Erhebungen Thiesens statistisch keine Änderung bedeuten würden, ebd., S. 178, 187. 393  Entsprechend zu den übrigen statistischen Erhebungen zu Delikten und Deliktsgruppen, wird bei der nachfolgenden Abbildung auf die der Anklageschrift und nicht dem Urteil zugrundeliegenden Delikte abgestellt. 394  Sofern die Anklage aufgrund mehrerer Delikte erfolgte, wird nachfolgend auf denjenigen Grundtatbestand abgestellt, der im Rahmen der jeweiligen Normenketten den höchsten abstrakten Strafrahmen normierte. Strafschärfungen, insbesondere das

376

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

hängter und vollstreckter Todesurteile des Sondergerichts Aachen verteilt sich – abweichend von der im Landesarchiv Düsseldorf dokumentierten Anzahl von acht Verfahren – auf elf Verfahren gegen insgesamt 14 Angeklagte, wobei im Errichtungsjahr des Sondergerichts sowie im Folgejahr jeweils nur ein Todesurteil überliefert ist395. Für das Jahr 1943 erreicht die Anzahl mit fünf Urteilen ihr Maximum, für das Geschäftsjahr 1944 sind vier Todesurteile überliefert396. Setzt man diese Zahl in Relation zur Anzahl überlieferter Todesurteile benachbarter Sondergerichtsinstanzen, so liegt die quantitative Relevanz des Standorts Aachen im unteren Mittelfeld. Lediglich die Standorte Koblenz, Bielefeld, Trier und Hagen unterschreiten die Anzahl der in Aachen verhängten Todesurteile. Mit jeweils 155 bzw. 107 verhängten Todesurteilen setzen sich die Sondergerichte in Dortmund und Köln dagegen deutlich von den übrigen Standorten ab. Inwieweit die für Aachen überlieferte Anzahl ergangener Todesurteile als vollständig qualifiziert werden kann, lässt sich nicht aufklären. Auf der Grundlage eines relativen Vergleichs des Verhältnisses zwischen gesamtem Geschäftsanfall und ergangenen Todesurteilen in Bezug auf andere Sondergerichtsinstanzen kann das Ergebnis für Aachen jedoch in einen quantitativen Kontext eingebettet werden397. Während die Todesurteile für den Geschäftsanfall der Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen einen verhältnismäßigen Anteil von 1,6 % ausmachen, ist nach den Ausführungen Weckbeckers für das Sondergericht in Frankfurt am Main ein Anteil von Gewohnheitsverbrechergesetz,

welches für die Sanktionierung zum Tode entscheidende Bedeutung entfalten konnte, werden indes im Rahmen der jeweiligen Spruchpraxis berücksichtigt. 395  Die Akten der Sondergerichte des OLG-Bezirks Köln zu sondergerichtlichen Todesurteilen gelangten in zwei Ablieferungen an das LAV NRW R. Der Großteil wurde im Oktober 1972 durch das Justizministerium Nordrhein-Westfalen abgegeben, zu welchem die Akten vormals – vermutlich im Jahre 1958 – aus den jeweiligen Landgerichten über die OLG-Präsidenten gelangt waren. Nachdem aufgrund eines Archivierungsmissverständnisses bekannt wurde, dass entsprechende Nebenund Beiakten parallel in verschiedenen Archiven innerhalb Nordrhein-Westfalens abgelegt wurden, veranlasste der Justizminister im Mai 1978 schließlich die einheitliche Aufbewahrung im LAV NRW R, siehe zum Ganzen die einleitenden Ausführungen in LAV NRW R, Findbuch 320.07.00, S. 4. 396  Abgestellt wird auf den Zeitpunkt des Vollzugs der Todesstrafe. 397  Selbstverständlich lässt sich bereits aufgrund lokaler Eigenheiten eines jeden Standortes, an welchem zuletzt ein Sondergericht errichtet wurde, nicht zwingend auf ein quantitatives Defizit von Todesurteilen in Aachen schließen. Der nachfolgenden Gegenüberstellung ist vor diesem Hintergrund deskriptiver Charakter beizumessen, der trotz etwaiger Tendenzen keine verlässlichen Auskünfte über die konkrete Lage für das Sondergericht Aachen geben kann.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis377 Tabelle 20 Anzahl dokumentierter Todesurteile durch Sondergerichte im Rheinland und in Westfalen398 Sondergericht

Anzahl ergangener Todesurteile

Dortmund

155

Köln399

107

Essen400

 65

Düsseldorf

 51

Duisburg

 26

Wuppertal

 18

Aachen401

 11

398  Siehe zu den Angaben die Katalogisierung in LAV NRW R, Findbuch 320.07.00, S. 6–51 (Sondergericht Düsseldorf), S. 52–71 (Sondergericht Duisburg), S. 72–80 (Sondergericht Wuppertal), S. 81–85 (Sondergericht Bielefeld), S. 86–199 (Sondergericht Dortmund), S. 200 f. (Sondergericht Hagen), S. 202–242 (Sondergericht Essen), S. 243–248 (Sondergericht Aachen), S. 249–308 (Sondergericht Köln), S. 309–314 (Sondergericht Koblenz), S. 315–317 (Sondergericht Trier). Die Auflistung, die an dieser Stelle wiedergegeben wird, erhebt jedoch nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Alleine die Katalogisierung für Aachen zeigt, dass unabhängig von dem Verfahren im Zuge des außerordentlichen Einspruchs lediglich acht von 11 Todesurteile dokumentiert sind. Ob auch für Aachen die tatsächliche Anzahl ergangener Todesurteile die hier dokumentierte Anzahl übersteigt, kann nicht ausgeschlossen werden. 399  Nach einer amtlich aufgestellten Liste aus dem Jahr 1947, auf die sich Klein bezieht, belief sich die Anzahl der Todesurteile des Sondergerichts Köln auf insgesamt 120, davon drei im Jahre 1939, 10 im Jahre 1940, 15 im Jahre 1941, 31 im Jahre 1942, 39 im Jahre 1943 und 22 im Jahre 1944, Klein, Strafvollzug, S. 534. Die Aachener Todesurteile sind in dieser Statistik nicht berücksichtigt worden. Zwar nimmt Klein zuvor auf die Errichtung eines Sondergerichts „im Februar 1941“ Bezug, meint jedoch hiermit die Errichtung einer Kammer des Sondergerichts Köln: „Praktisch handelte es sich um die Einrichtung von Sondergerichtskammern“, ebd., S. 533. Siehe zur Errichtung dieses sogenannten „Sondergerichts II“ auch Laum/ Pamp, Oberlandesgericht Köln, S. 659 sowie Klein, Hundert Jahre, S. 165. Dass hiermit nicht die Aachener Instanz gemeint ist, ergibt sich aus Ausführungen an anderer Stelle, an der von der Errichtung des Sondergerichts Aachen „im Jahre 1940“ ausgegangen wird, siehe Klein, Hundert Jahre, S. 165. 400  Nach Roeser sind abweichend für das Sondergericht Essen 93 Todesurteile dokumentiert, Roeser, Sondergericht Essen, S. 141. 401  An dieser Stelle wird von der formal im entsprechenden Bestand dokumentierten Anzahl, die sich auf lediglich acht Verfahren beläuft, zugunsten der tatsächlich überlieferten Anzahl abgewichen.

378

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis Sondergericht

Anzahl ergangener Todesurteile

Koblenz

  9

Bielefeld

  6

Trier

  3

Hagen

  2

2,7 %402, für das Sondergericht Bromberg von 31,5 %403 sowie nach einer punktuellen Erhebung Oehlers für das Sondergericht Mannheim ein Anteil von 1 % dokumentiert404. Im regionalen Vergleich ergibt sich für das Sondergericht Düsseldorf eine Quote an Todesurteilen von 0,6 %, für das Sondergericht Köln von 0,6 %, für das Sondergericht Duisburg von fünf Prozent sowie für das Sondergericht Essen von 13,2 %405. Da die gegenständlichen Verfahren allein aufgrund der Rechtsfolge der Todesstrafe eine Besonderheit darstellen, werden die Anklagepraxis und das sonstige Tätigwerden der Staatsanwaltschaft nachfolgend im Gesamtkontext zum jeweiligen Sachverhalt und der Tätigkeit des Sondergerichts dargestellt, um der Frage nachzugehen, welche Umstände die Anklagebehörde dazu bewogen, eine Sanktionierung mit ultima ratio-Charakter zu forcieren.

402  Nach den Angaben Weckbeckers wurden in 49 Verfahren insgesamt 55 Angeklagte zum Tode verurteilt, während hiervon 46 Vollstreckungen dokumentiert sind. Als Berechnungsgrundlage wird entsprechend den Ausführungen für Aachen lediglich die Anzahl der Todesurteile in Relation zum überlieferten Gesamtanfall von Verfahren, die sich für Frankfurt am Main auf 1.797 beläuft, gesetzt. Die hypothetische Hochrechnung der vermeintlichen Gesamtanzahl aller Verfahren ist für die hier zugrundegelegte Erhebung unbeachtlich. Siehe zu den Werten Weckbecker, Freispruch, S. 8, 403. 403  Für Bromberg wird eine überlieferte Verfahrensanzahl von 1.074 festgelegt, während 338 Todesurteile verhängt wurden, Weckbecker, Freispruch, S. 8, 750. 404  Oehler nimmt eine punktuelle Auswertung anhand einer 20-prozentigen Stichprobe vor, indem per Zufallsprinzip jede fünfte Akte einer Auswertung unterzogen wurde. Bei einer überlieferten Gesamtverfahrensanzahl von 3.431 Verfahren, bei denen die Bearbeiterin 51 Verfahren aus dem Jahr 1945 mangels erfolgten Urteils unberücksichtigt ließ, liegen ihrer Auswertung 486 Verfahren zugrunde. Dokumentiert sind in dem erhobenen Rahmen insgesamt fünf Todesurteile, Oehler, Sondergericht Mannheim, S. 127 f., 242. 405  Den Angaben liegen die Informationen des LAV NRW R zur dort überlieferten Verfahrensanzahl der jeweiligen Sondergerichte zugrunde, die sich für das Sondergericht Düsseldorf auf 8.599 Verfahren, für das Sondergericht Duisburg auf 525 Verfahren, für das Sondergericht Essen auf 492 Verfahren sowie für das Sondergericht Köln auf 19.047 Verfahren belaufen.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis379

a) Der Fall Raymond D.406 aa) Täterprofil Das Täterprofil des zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung 55-jährigen Angeklagten D. unterscheidet sich deutlich von den übrigen Angeklagten, die von der Staatsanwaltschaft Aachen als Volksschädlinge deklariert wurden. Der nicht vorbestrafte D. hatte nach Absolvierung der Volksschule zunächst in einem Sägewerk und anschließend in einer Papier- und Lederfabrik gearbeitet, bis er 1911 zur Marine einberufen wurde und dort den Wehrdienst absolvierte. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges diente er bis 1917 weiter in der Marine und wurde mit dem Ehrenkreuz für Frontkämpfer ausgezeichnet. Seit 1920 arbeitete er in einer Möbelfabrik in Köln als Werkmeister, war seit 1940 Mitglied der NSDAP und dort als Blockleiter und militärischer Ausbilder einer größeren Anzahl Ortsgruppenleiter tätig. Im Zuge von Hilfeleistungen nach Luftangriffen wurde ihm das Kriegsverdienstkreuz mit Schwertern zweiter Klasse verliehen. Mit Bekanntwerden der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe wurde er aus der NSDAP ausgeschlossen407. bb) Sachverhalt Am 25. September 1944 erhielt D. als Vertreter der NSDAP-Ortsgruppe Köln-Bickendorf den Auftrag, mit dem Ortsgruppenleiter Z. in dem bereits zu großen Teilen geräumten Aachener Stadtteil Laurensberg „Vieh abzutreiben und (…) die mit dem Abtreiben des Viehs beauftragten Hitlerjungen gegen die Bauern zu schützen“408. Infolge einer Autopanne bat D. den Z., den Wagen verlassen zu dürfen, um seine Notdurft zu verrichten. Bei dieser Gelegenheit suchte der Angeklagte das in der Nähe befindliche Haus des kommissarischen Ortsbürgermeisters Quadflieg auf und urinierte in den Kellereingang. Hierbei bemerkte er die offene Kellertüre des Hauses, trat ein und entwendete aus einem in dem Keller befindlichen Koffer einen Trauring, einen Brillantring, zwei goldene Uhren, zwei goldene Ketten, eine Silber- und Platinkette sowie zwei Damenbroschen. Als ihn die Ehefrau antraf, trat er mit der Erklärung, seine Notdurft verrichtet zu haben, die 406  LAV

NRW R, NW 174, Nr. 200. Bl. 21. 408  Ebd. Zuvor war die Freimachung des Gebiets angeordnet worden, welches dem Westwall vorgelagert war bzw. im Westwall selbst lag. Die Räumung von ­Aachen wurde per Anordnung vom 11.9.1944 in Vollzug gesetzt, siehe LAV NRW R, NW 174, Nr. 200, Bl. 1. 407  Ebd.,

380

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Flucht an, ohne seine abgelegte Koppel mit der daran befestigten Waffe an sich zu nehmen. Zwischenzeitlich bemerkte die Ehefrau den Diebstahl und stellte D. zur Rede. Nach mehrfachem Leugnen entgegnete ihm die Geschädigte, dass D. seine Koppel samt Schusswaffe in ihrem Keller habe liegen lassen. Bei dieser Gelegenheit zog D. zum Beweis seiner vermeintlichen Unschuld die Innenseiten seiner Taschen hervor, wobei der goldene Trauring herausfiel. Das übrige Diebesgut hatte der spätere Angeklagte bei seiner zwischenzeitlichen Rückkehr im Fußraum des Fahrzeugs deponiert. Nachdem der Trauring aus seiner Tasche gefallen war, baute er sich mit Drohgebärden vor der Geschädigten und seinem Kollegen Z. auf, wobei er die mittlerweile wieder an sich genommene Schusswaffe in der Hand hielt. Z. entwaffnete D. und hielt ihn bis zum Eintreffen der Polizei im Wagen fest. cc) Spruchpraxis Das Sondergericht in der Besetzung mit LGD Fritz als Vorsitzendem, AGR Popp und Kaefer als beisitzenden Richtern verurteilte D. am 10. Oktober 1944 gemäß § 1 VVO wegen Plünderns im freigemachten Gebiet zum Tode. Die Einlassungen des Angeklagten, er habe die erbeuteten Wertgegenstände lediglich an sich genommen, um sie vor den „Hunden“ zu schützen, bewertete das Sondergericht als unglaubwürdig, indem es auf die zu diesem Zeitpunkt statische Frontlinie abstellte und argumentierte, dass der Angeklagte sich in diesem Fall zunächst hätte versichern müssen, dass der Eigentümer tatsächlich außer Haus ist409. Jedenfalls war nicht ersichtlich, warum er sich im Falle des Schützens fremden Eigentums nur einige Wertgegenstände angeeignet habe, anstatt einfach den gesamten Koffer an sich zu nehmen, in welchem sich das Diebesgut befand. Auch die Selbsteinschätzung des D., eine „Untat“ begangen zu haben, konterkarierte nach Ansicht des Sondergerichts das vermeintliche Motiv einer Schutzhandlung. Im Hinblick auf die Anwendbarkeit von § 1 VVO nahm das Gericht an, dass es unschädlich für die Anwendbarkeit der Norm sei, wenn sich im Einzelfall in einem als freigemacht deklarierten Gebiet tatsächlich noch eine Person befände410. dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft Bereits mit Übersendung der Anklageschrift an das Reichsjustizministerium tat LOStA Führer seine Absicht kund, die Todesstrafe beantragen zu 409  Ebd., 410  Ebd.,

Bl. 19; gemeint war die Amerikanische Armee. Bl. 3.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis381

wollen411. Als Grundlage der Beweisführung dienten das Geständnis des Angeklagten und die Zeugenaussage des anwesenden Ortsgruppenleiters Z. Unter dem handschriftlichen Vermerk „Eilt sehr“ nahm der GStA wie folgt Stellung: „Ich trage erhebliche Bedenken, ob die Voraussetzungen des § 1 VVO objektiv vorliegen; nach der Sachdarstellung im Ermittlungsergebnis hat es den Anschein, als ob das Haus mindestens noch unter Aufsicht der Ehefrau des kommissarischen Bürgermeisters gestanden habe. Den Oberstaatsanwalt in Aachen habe ich hierauf fernmündlich und schriftlich darauf hingewiesen und ihn um erneute sorgfältige Prüfung der Frage ersucht. Ein Urteil ist noch nicht ergangen. Der Angeklagte wird auf seinen Geisteszustand untersucht. Die Untersuchung hat bereits ergeben, dass er Syphilitiker ist412. Das endgültige Untersuchungsergebnis steht noch aus“413. Tatsächlich war die Tatbestandssubsumtion durch den LOStA selbst im Lichte zeitgenössischer Rechtsprechung sowie herrschender Meinung im Schrifttum nicht vertretbar. So hatte das Sondergericht Trier die Anwendbarkeit von § 1 VVO in einem anderen Verfahren verneint und ausgeführt, dass eine Freimachung von dem Erfordernis abhängt, „dass die Tat nicht nur im frei gemachten Gebiet begangen“ wird, sondern „eine Räumung in dem Maße erfolgt ist, dass die zurückgelassene Habe ohne ausreichende Beaufsichtigung bleibt“414, was im gegenständlichen Verfahren gerade nicht der Fall gewesen war. Selbst nach der ansonsten als extensiv zu qualifizierenden Rechtsauffassung Freislers sollte der Tatbestand des § 1 VVO beim „Verlassen aller Räume des Hauses durch seine Bewohner bei Aufsuchen des Luftschutzkellers“ zu verneinen sein415. Im Wege eines argumentum a fortiori musste diese Rechtsfolge konsequenterweise erst recht für Fallkonstellationen angenommen werden, in denen die Geschädigten den Tatort gar nicht erst verlassen hatten416. Obschon das Ermittlungsergebnis in diesem Punkt unstreitig blieb, beharrte der Behördenleiter auf seinem originär in411  Bericht des LOStA an den RJM vom 29.9.1944, LAV NRW R, NW 174, Nr. 200, Bl. 2. 412  Die endgültige Untersuchung ergab, dass D. trotz seiner Erkrankung als voll verantwortlich anzusehen war, da die Krankheit nicht auf das zentrale Nervensystem überging, LAV NRW R, NW 174, Nr. 200, Bl. 20. 413  Ebd., Bl. 3. 414  Urteil des Sondergerichts Trier vom 11.12.1939, in: DJ 1940, S. 515. 415  Freisler/Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 31. Siehe zur sonstigen Auffassung Freislers zur Rechtsauslegung im Rahmen der VVO nochmals oben, S. 318. 416  Dass im konkreten Fall der Diebstahl nicht beendet wurde und insoweit grundsätzlich als Versuch qualifiziert werden musste, änderte nach unstreitiger zeitgenössischer Rechtsauffasssung an der strafrechtlichen Behandlung von § 1 VVO nichts, siehe Freisler/Grau/Krug/Rietzsch, Deutsches Strafrecht, S. 28. Insoweit ergeben sich für § 1 VVO keine Besonderheiten in der Anwendung gegenüber den

382

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

tendierten Strafantrag und überzeugte schließlich auch den Kölner Behördenleiter, der gegenüber dem Ministerium ausführte: „Ich halte das Urteil für zutreffend und einen Gnadenerweis nicht für angebracht“417. Ob neben der Kommunikation des LOStA mit dem GStA auch andere Faktoren für den plötzlichen Sinneswandel des Provinzialchefs ursächlich sind, kann nicht geklärt werden. Dass sich das RJM trotz der an sich unstreitigen – und auch als solchen erkannten – Unanwendbarkeit von § 1 VVO den Ausführungen der Staatsanwaltschaft Aachen anschloss, ist bemerkenswert. So äußerte man sich in einer handschriftlichen Notiz zu dem eingegangenen Bericht aus Aachen gegenüber dem GStA in Köln wie folgt: „Bestätige Eingang Bericht Oberstaatsanwalt Aachen vom 11.10. Bei echten (!) Plünderungsfällen schärfstes Durchgreifen und schnellste Vollstreckung. Bekanntmachung am Tatort und in freigemachten Dörfern“418. Mit Schreiben vom 3. November 1944 ordnete Thierack die Vollstreckung des Urteils an419. Da sich diese jedoch kriegsbedingt420 im Landgerichtsbezirk Aachen nicht durchführen ließ421, wurde D. schließlich am 12. Dezember 1944 im Strafgefängnis Frankfurt am Main-Preungesheim hingerichtet422. b) Der Fall Josef K.423 aa) Täterprofil Nach Absolvierung der Volksschule hatte Josef K. eine Ausbildung zum Schlosserlehrling in der Eisengießerei Rödinghausen absolviert und im An§§ 2 und 4 VVO, siehe zum Verhältnis des versuchten Eigentumsdelikts zum vollendeten VVO-Delikt nochmals oben, S. 322. 417  Behördeninterner Bericht zur Weiterleitung an das RJM vom 24.10.1944, LAV NRW R, NW 174, Nr. 200, Bl. 11; dem Gausachbearbeiter für Gnadensachen bei der Gauleitung der NSDAP Köln-Aachen wurde eine Urteilsausfertigung mit der Bitte zugesandt, Stellung zu einem etwaigen Gnadenerweis zu nehmen, LAV NRW R, NW 174, Nr. 200, Bl. 11, da aber die Hauptakte nicht vorliegt, und auch nach Angeben Ackermanns bei der Staatsanwaltschaft Aachen nicht mehr eingegangen sind (LAV NRW R, NW 174, Nr. 200, Bl. 16), kann an dieser Stelle über die weitere Korrespondenz der Staatsanwaltschaft mit der NSDAP nicht näher eingegangen werden. 418  LAV NRW R, NW 174, Nr. 200, Bl. 19. 419  Ebd., Bl. 13. 420  Verspätung im Verwaltungsverkehr und in der sonstigen Kommunikation werden auf feindliche Fliegerangriffe zurückgeführt, ebd., Bl. 16. 421  Ebd., Bl. 15. 422  Vollstreckungsbericht des Oberstaatsanwalts beim Landgericht Frankfurt an den RMJ durch den LOStA Aachen vom 13.12.1944, LAV NRW R, NW 174, Nr. 200, Bl. 17. 423  LAV NRW R, NW 174, Nr. 199, Band I–VII; neben K. wurden die Eheleute Alex und Christine M. wegen Begünstigung zur Haupttat gem. § 257 zu je 15 Mo-



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis383

schluss in einer Metallwarenfabrik gearbeitet, bis er im Oktober 1940 in die Wehrmacht einberufen wurde. Nach Kriegseinsätzen in Frankreich sowie an der Ostfront hielt sich K. infolge einer Verwundung zwischenzeitlich in einem Lazarett in Aachen auf. Im März 1943 wurde er als dienstuntauglich aus der Wehrmacht entlassen und mit dem Verwundetenabzeichen dritter Klasse und dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse ausgezeichnet. Der nicht vorbestrafte K. arbeitete schließlich als Filmvorführgehilfe im Capitoltheater in Dortmund, sowie im Ufa-Capitol in Aachen. bb) Sachverhalt In der Nacht vom 5. Mai 1943 wurde in Dortmund das Capitoltheater, infolge eines Fliegerangriffs völlig zerstört424, Bei dieser Gelegenheit entwendete K. ein Radiogerät und einen Handkoffer mit Damenbekleidung, der in einer in der Nähe befindlichen Straße von fliegergeschädigten Personen abgestellt worden war. Nachdem Aachen am 14. Juli 1943 von einem alliierten Fliegerangriff betroffen und mehrere Häuser um das Ufa-Capitol herum in Brand geraten waren, stellten die Anwohner verbliebene Habseligkeiten auf der Straße oder im Gebäude des Capitols ab, in welchem K. zwei Wohnräume bezogen hatte. K. entwendete einen erheblichen Bestand425 dieser Gegenstände und transportierte das Diebesgut bei verschiedenen Gelegenheiten in die Wohnung seiner Verlobten und Eltern. cc) Spruchpraxis Neben dem Verfahren gegen D. stellt die causa K. das einzig überlieferte Verfahren dar, in welchem gemäß § 1 VVO angeklagt und verurteilt wurde426. In der Besetzung mit LGD Losenhausen, LGR Schauergans und AGR Ropohl verurteilte das Sondergericht K. nach dahingehendem Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 1 VVO, §§ 259, 47, 74 in Verbindung mit § 4 VVO zum Tode427. Erneut dokumentieren die Verfahrensakten, dass der naten Gefängnisstrafe verurteilt, LAV NRW R, NW 174, Nr. 199, Band IV, Bl. 1. Die Staatsanwaltschaft forderte in ihrem Antrag in der Hauptverhandlung eine Gefängnisstrafe von je 17 Monaten, LAV NRW R, NW 174, Nr. 199, Band I, Bl. 124. 424  LAV NRW R, NW 174, Nr. 199, Band I, Bl. 84. 425  Insgesamt handelt es sich bei dem Diebstahl um circa 200 Einzelposten wie Bekleidung, Haushaltsgegenstände, Nahrung, Schmuck, Alkohol etc., siehe im Einzelnen LAV NRW R, NW 174, Nr. 199, Band I, Bl. 84–86; der Diebstahl in Dortmund erfasst 35 Einzelposten (LAV NRW R, NW 174, Nr. 199, Band I, Bl. 51), welche in der obigen Zahl bereits inkludiert sind. 426  Siehe zum Verfahren gegen Raymond D. nochmals oben, S. 379. 427  LAV NRW R, NW 174, Nr. 199, Band I, Bl. 83, 125.

384

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Tatbestand des Plünderns nicht zweifelsfrei angenommen werden konnte. So rechtfertigte das Sondergericht die Anwendbarkeit hilfsweise „im Wege der Rechtsschöpfung nach gesundem Volksempfinden gemäß § 2 StGB“ für den Fall, dass die Urteilsgründe hinsichtlich der Anwendbarkeit von § 1 VVO einer höherinstanzlichen Überprüfung nicht standhalten würden. Unter Außerachtlassung des Tatbestandsmerkmals des freigemachten Gebiets stellte das Sondergericht im Rahmen seiner Argumentation maßgeblich auf die Schutzlosigkeit des späteren Diebesguts ab. Diese Schutzlosigkeit sei aber, so das Gericht, nicht nur bei Diebstählen in verlassenen Gebäuden, sondern ebenfalls bei Aneignungen von Gegenständen zu sehen, welche die Bewohner zum Schutz auf Straßen oder an öffentlich zugängliche Orte verbrachten. „Würde man dies nicht tun, so würden gerade die hauptsächlich vorkommenden Fälle von Angriffen auf das schutzlos gewordene Eigentum fliegergeschädigter Personen nach Terrorangriffen, die in den Augen des Volkes echte Plünderungen sind, nur auf dem Umwege über § 4 VVO erfaßt werden können“428. Unabhängig von der völligen Ignoranz des strafkonstitutiven Merkmals eines „freigemachten Gebiets“, stehen sowohl Urteil als auch entsprechende richterliche Begründung in eklatantem Widerspruch zu anderen, vergleichbaren Sachverhalten, mit denen das Gericht betraut wurde. So wurde etwa im Fall des außerordentlichen Einspruchs, in dem gleichermaßen Wertgegenstände von Straßen nach einem Bombenangriff gestohlen wurden, die Anwendbarkeit von § 1 VVO nicht in Erwägung gezogen. Vielmehr stellte der Besondere Senat deklaratorisch fest, dass in Fällen von Eigentumsdelikten auf offener Straße nach Bombenangriffen bereits aufgrund der abstrakten Präsenz einer Vielzahl von Hilfspersonal das besondere Ausnutzungsmoment einer Plünderung regelmäßig zu verneinen war429. Die rechtsfolgenorientierte Argumentation unter Zuhilfenahme der Analogienorm des § 2 StGB dokumentiert das Bewusstsein des Sondergerichts um die juristische Unzulänglichkeit der eigenen Ausführungen und ist ein unbedingter Indikator für die Tatsache, dass man im Fall K. ein politisches Urteil mit Abschreckungswirkung konstruieren wollte. dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft Der Anfangsverdacht fiel auf K. aufgrund einer Anzeige einer Geschädigten, die erfahren hatte, dass diverse Habseligkeiten in der Vorführloge des Kinos durch Putzkräfte aufgefunden worden waren. Die Anklageschrift basierte auf den wesentlichen Ermittlungsergebnissen der örtlichen Polizeibe428  Ebd., 429  LAV

Bl. 133. NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 322, Vollstreckungsheft S., Bl. 17.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis385

hörde sowie den gesammelten Zeugenaussagen und dem späteren Geständnis des K. Im Rahmen eines staatsanwaltschaftlich angedeuteten Ermessens berücksichtigte LOStA Führer zwar zugunsten des K. dessen Wehrdienst und die erlittene Verwundung im Krieg, durch die er „dem Vaterland ein hoch zu veranschlagendes Opfer gebracht“ habe430. Die wiederholte Tatbegehung, der Beuteumfang sowie der Sachwert des Diebesguts überwogen jedoch im Ergebnis die getätigte Abwägung. Bereits im Vorfeld der Anklageeinreichung beim Sondergericht kommunizierte der Behördenleiter gegenüber dem RJM, gegen K. die Todesstrafe beantragen zu wollen431. Bemerkenswert ist der Umgang mit dem fachärztlichen Gutachten über den Geisteszustand des K., welches auf Anregung des Vorsitzenden Richters erstellt worden war. In diesem wurde ein Alkoholeinfluss bei Tatbegehung für möglich erachtet und festgestellt, dass es sich bei K. um einen „etwas primitiven, nicht ausgereiften Menschen“ handelt432. Beide Feststellungen führten zur Einschätzung einer für möglich gehaltenen verminderten Zurechnungsfähigkeit433. Verstärkt wurden diese Erwägungen durch ein Schreiben des Verteidigers, in welchem auf die erwiesene Geisteskrankheit des Großvaters verwiesen wurde434. Trotz dieser Indizien führte der Behördenleiter in einem Schreiben an Sonderreferenten Joel aus, dass der in Aussicht genommene Strafantrag gegen den Angeklagten durch die Feststellungen des Arztes nicht berührt werden werde435. Wie die Staatsanwaltschaft Aachen eine Anwendbarkeit von § 1 VVO mit Blick auf die fragwürdige Verwirklichung des objektiven Tatbestandsmerkmals des freigemachten Gebiets rechtfertigte, geht aus der Anklageschrift nicht hervor. Letztere wurde im konkreten Fall jedoch offensichtlich genutzt, um dem Sondergericht bereits im Vorfeld auch die subjektive Haltung 430  LAV

NRW R, NW 174, Nr. 199, Band I, Bl. 84. des LOStA Führer an den Sonderreferenten im RJM Dr. Joel unter Beifügung eines Anklageentwurfs, LAV NRW R, NW 174, Nr. 199, Band VII, Bl. 4. 432  Ebd., Band I, Bl. 103. 433  Ebd. 434  Ebd., Bl. 106. 435  Ebd., Band VII, Bl. 12. Dass der Umstand einer verminderten Schuldfähigkeit auch in der Hauptverhandlung offensichtlich nicht ausreichend gewürdigt wurde, zeigt neben dem Tenor auch der Antrag des Verteidigers, der sich lediglich dahingehend äußert, aus § 4 VVO zu bestrafen, statt sich auf eine veminderte Schuldfähigkeit zu berufen und beispielsweise Haftverbüßung in der Heilsanstalt Düren zu beantragen, siehe LAV NRW R, NW 174, Nr. 199, Band I, Bl. 124. In der Urteilsformel wird kurz Stellung zum vermeintlichen Alkoholeinfluss genommen, indem entschieden wird, dass jedenfalls das hervorragende Erinnerungsvermögen an die Tat gegen eine verminderte Schuldfähigkeit spreche, LAV NRW R, NW 174, Nr. 199, Band I, Bl. 134. 431  Schreiben

386

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

der Behörde zum Geschehen zu signalisieren, indem LOStA Führer die Tat des Angeklagten als „im höchsten Maße verabscheuungswürdig“ qualifizierte436. Durch diese Äußerung erfolgte eine behördliche Vorverurteilung, um das Gericht im Vorfeld zur mündlichen Verhandlung auf die vertretene Rechtsauffassung einzustimmen um eine Drucksituation in Bezug auf die Spruchtätigkeit zu generieren. Mit Schreiben vom 1. Februar 1944 hatte Thierack angekündigt, von dem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch machen zu wollen437, „sondern der Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen“438. Auf der Richtstätte im Innenhof des Gefängnisses in Köln wurde K. schließlich am 11. Februar 1944 um 15.03 Uhr mittels Fallbeil hingerichtet439. c) Der Fall Wilhelm M.440 aa) Täterprofil M. entstammte einer angesehenen Aachener Beamtenfamilie. Nachdem er als mittelmäßiger Schüler die Volksschule beendet hatte, machte er eine Lehre zum Schreiner und schloss diese mit der Gesellenprüfung ab. In der Folgezeit nahm er eine Tätigkeit als Erntehelfer in verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben an, bis er zuletzt einer Beschäftigung bei der Gepäckträgergemeinschaft441 des Hauptbahnhofs Aachen als Kraftfahrer nachging. Gegen den verheirateten M. sind bis auf eine durch das Hauptzollamt verhängte Geldstrafe in Höhe von 20 RM keine Vorstrafen dokumentiert442.

436  Ebd.,

Bl. 84. Band III, Bl. 15. 438  Hinrichtungsprotokoll, ebd., Band III, Bl. 26. 439  Ebd., Band VI, Bl. 25. 440  LAV NRW R, NW 174, Nr. 198, Band I–III; neben M. wurden in derselben öffentlichen Sitzung verurteilt: Josefine K. zu gem. § 1 KrWVO zu 24 Monaten Zuchthaus, Margarethe K. und Anna H. wegen Verstoßes gegen die Verbrauchsregelungs-StrafVO zu je 5 Monaten Gefängnis, Peter K. wegen Verstoßes gegen die Verbrauchsregelungs-StrafVO zu 3 Monaten Gefängnis, LAV NRW R, NW 174, Nr. 198, Band I, Bl. 167. Die Staatsanwaltschaft forderte in ihrem Antrag in der Hauptverhandlung 36 Monate Zuchthaus, 6 Monate Gefängnis, 9 Monate Gefängnis und 9 Monate Gefängnis obiger Reihenfolge entsprechend, LAV NRW R, NW 174, Nr. 198, Band I, Bl. 166. 441  Die Gepäckträgergemeinschaft war ein Privatunternehmen, welches von der Reichsbahn in Aachen mit der Aufgabe betraut wurde, Gepäcksendungen in Empfang zu nehmen und diese den Empfängern zuzustellen, siehe auch LAV NRW R, NW 174, Nr. 198, Band I, Bl. 169. 442  Ebd., Band IV, Bl. 2. 437  Ebd.,



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis387

bb) Sachverhalt Im Zuge seiner beruflichen Pflichten oblag es M., Postsendungen aus dem Frachtraum des Hauptbahnhofs unter Aufsicht in ein Kraftfahrzeug zu verladen, mit welchem er die Post ausfahren sollte. Nachdem wiederholt Wurstsendungen abhanden gekommen waren, erhärtete sich der Verdacht gegen M., der bei einer nicht genehmigten Verladung zusätzlicher Pakete ohne entsprechende Quittierung beobachtet wurde. Während sich der Diebstahl zunächst darauf beschränkte, dass vereinzelte Sendungen geöffnet, Wurst- und Lebensmittelwaren entwendet und die Pakete wieder verschlossen wurden, entwendete er in der Folgezeit ganze Postsendungen mit Fleischwaren und sonstigen Verbrauchsgütern. Insgesamt handelte es sich nach dem Ermittlungsergebnis um einen Diebstahl in mindestens 30 Fällen443 von über 400 Pfund Fleisch, 32 Meter Handtuchstoff, 113 Meter Hemdenstoff und 40 Strängen Strickwolle444. Die Waren verkaufte M. zu großen Teilen an einen späteren Mitangeklagten. Mit Beschluss des Sondergerichts Aachen vom 1. November 1943 wurde M. schließlich in Untersuchungshaft genommen445. cc) Spruchpraxis Das Sondergericht verurteilte M. in der öffentlichen Sitzung vom 29. November 1943 gemäß § 4 VVO, § 1 Abs. 1 KrWVO, §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 VerbrauchsregelungsstrafVO sowie §§ 242, 259, 260, 348, 349, 113, 47, 49, 73 StGB. Ausschlaggebend für „die Strafe des Todes als verdiente Strafe446“ war die Qualifikation als Volksschädling. Diesbezüglich argumentierte das Gericht, M. habe bei der Ausführung seiner Taten wissentlich und willentlich die außergewöhnlichen Kriegsverhältnisse ausgenutzt. Aufgrund der beschränkten Anzahl von Bahnmitarbeitern als direkte Folge des Krieges sei es nicht mehr möglich gewesen, jedes Paket mit entsprechenden Begleitpapieren auszustatten. Auf deren Entwendung hatte es M. indes gezielt abgesehen, da er wusste, dass der Verlust solcher Sendungen schwieriger nachzuweisen war, weil eine Kontrolle mangels existenter Begleitpapiere regelmäßig nicht möglich war447. Obwohl die Urteilsgründe erkennen lassen, 443  Ebd., Band I, Bl. 72; hinzu kamen nach dem Abschluss der Ermittlungen etwa 40 Fälle, in denen M. Gegenstände aus Sendungen entnommen hat und diese dann wieder verschlossen und zugestellt hat, LAV NRW R, NW 174, Nr. 198, Band I, Bl. 52. 444  Ebd., Bl. 174. 445  Ebd., Bl. 148. 446  Ebd., Bl. 177. 447  Ebd., Bl. 142.

388

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

dass das Gremium beim Strafmaß zwischen Todesstrafe und lebenslanger Zuchthausstrafe abgewogen hatte, entschied sich das Gericht aufgrund des Umfangs der Diebesbeute sowie der charakterlichen Eigenschaften des Angeklagten gegen eine Zuchthausstrafe. Die Erwägung des Vorsitzenden, die Fleischmenge von 400 Pfund habe ausgereicht, um etwa 200 Personen für einen Zuteilungszeitraum mit Fleisch zu versorgen, konnte nicht widerlegt werden und wurde als Grund herangezogen, dem angeklagten „Marder“ nach „gesundem Empfinden des Volkes auch eine Ausnahmebehandlung im Strafmaß“ zukommen zu lassen448. Charakterlich war M. nach Meinung des erkennenden Gremiums „schon stark angefault und als asoziales Element zu werten“, da die Diebstähle die Versandsicherheit innerhalb der Deutschen Reichsbahn gefährdeten und damit zu einer „Schwächung der inneren Front“ führten, während sich „andere Volksgenossen (…) im Felde für den Fortbestand des Volkes“ hergeben mussten449. Im Dezember 1943 verurteilte das Sondergericht M. zum Tode. dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft450 Aufgrund fehlender, jedoch als eingegangen deklarierter Postsendungen hatte M. bereits unter „scharfer Überwachung“ der Fahndungsstelle der Reichsbahndirektion Köln gestanden451, welche gleichzeitig Anzeige erstattet und den Beschuldigten in dieser Angelegenheit vernommen hatte. Im Zuge der Übertragung der weiteren Ermittlungen an die Fahndungsstelle erteilte die Staatsanwaltschaft die Weisung, gezielt herauszuarbeiten, ob der Diebstahl der Postsendungen durch die Kriegsverhältnisse begünstigt worden sei. Diese Feststellung sollte nach dem Wunsch der Anklagebehörde durch eine Gegenüberstellung der Tatumstände zu Friedens- und zu Kriegszeiten erfolgen452. Eine solche Synopse fehlt allerdings im Abschlussbericht des leitenden Ermittlungsbeamten der Fahndungsstelle der Reichsbahn. Stattdessen wurde ausgeführt, dass seit Beginn des Krieges gegenüber der Vorkriegszeit die Aufsicht bei der Gepäckabfertigung am Aachener Hauptbahnhof unverändert geblieben sei453. Dem Abschlussbericht entsprechend beging M. die Diebstähle grundsätzlich in den sonntäglichen Morgenstun448  Ebd.,

Bl. 177. Bl. 142. 450  Die Handakte der Staatsanwaltschaft ist nicht vorhanden, sodass zur Korres­ pondenz mit dem Reichsjustizministerium keine Stellung genommen werden kann. 451  LAV NRW R, NW 174, Nr. 198, Band I, Bl. 2. 452  Ebd., Bl. 14. 453  Ebd., Bl. 52. 449  Ebd.,



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den, einem Zeitpunkt, der sowohl in Friedens- wie auch in Kriegsverhältnissen unter Aufsicht erfolgte. Indizien oder Anhaltspunkte, die ein Ausnutzen außergewöhnlicher Kriegsverhältnisse nahelegen, weist der Abschlussbericht indes an keiner Stelle auf. Dieses Ermittlungsergebnisse konterkarierend, stellte die Anklageschrift bereits Eingangs einen vermeintlich wesentlichen Unterschied zu Friedenszeiten fest: Während im Friedensfall Expressgutsendungen mit Begleitpapieren übernommen worden seien, wurde das Fehlen von Begleitpapieren mit einer mutmaßlich kriegsbedingten Überlastung der Reichsbahn erklärt, wodurch ein Verlust von Postsendungen nicht wahrgenommen werden konnte. Alleine diese, im Abschlussbericht der Fahndungsstelle nicht kommunizierte, Erwägung ermöglichte der Anklagebehörde die Anwendbarkeit von § 4 VVO und die Schaffung der normativen Grundlage für die Forderung der Todesstrafe. Sowohl die gegenüber der Fahndungsstelle ergangene Weisung, als auch die vorgeschlagene Methodik einer abstrakten Gegenüberstellung der Tatumstände legen den Verdacht einer ergebnisorientierten Beeinflussung der Ermittlungen nahe. So war die der Methotik inhärente Fokussierung auf „strafschärfende“ Merkmale geeignet, eine faktische Grundlage für eine bereits im Vorfeld gefasste Intention einer Anklage nach § 4 VVO zu schaffen454. Dass seitens der Anklagebehörde die Erzielung eines gewünschten Ermittlungsergebnisses bewusst forciert wurde, belegt letztlich das vom Abschlussbericht nicht umfasste und konstruierte Argument einer abstrakten kriegsbedingten Personalüberlastung, für die sich im konkreten Sachverhalt keine Anhaltspunkte finden455. Die im Rahmen des in Auftrag gegebenen ärztlichen Gutachtens getätigte Einschätzung, dass es sich bei M. um einen „harmlosen Menschen“ handele456, 454  Der Begriff der Strafschärfung wird hier in Anführungszeichen gesetzt, da es sich nach zeitgenössischem normativem Verständnis von § 4 VVO dem Grunde nach nicht um eine Strafschärfung, sondern um einen eigenständigen Tatbestand handelte. 455  Diese These wird verstärkt durch den Umstand, dass der sachbearbeitende StA Zimmerath dem Hilfsbeamten der Fahndungsstelle im Rahmen der Weisung sogar explizite Fallbeispiele nennt, welche eine Strafschärfung rechtfertigten: „Ich bitte hierbei (bei den weiteren Ermittlungen) insbesondere eingehend festzustellen, ob die Entwendungen aus dem Reichsbahngewahrsam durch die Kriegsverhältnisse (weniger Personal, mangelnde Aufsicht usw.) begünstigt worden sind. Zu diesem Zwecke sind die Friedensverhältnisse und die jetzigen Verhältnisse gegenüberzustellen“, Schreiben StA Zimmerath an den Hilfsbeamten der Fahndungsstelle, LAV NRW R, NW 174, Nr. 198, Band I, Bl. 14. Gegen eine Anwendbarkeit von § 4 VVO spricht im Übrigen die unwiderlegbar festgestellte Tatsache, dass eine grundsätz­liche Überwachung auch zum Tatzeitpunkt bestand. Alleine die Tatsache, dass die Aufsicht des diensthabenden B. an Sonntagen „manches zu wünschen übrig“ ließ, konnte unter keinen Umständen eine tatbestandliche Ausnutzung des Kriegszustandes bedeuten. So jedoch das Sondergericht Aachen in seinem Urteil, LAV NRW R, NW 174, Nr. 198, Band I, Bl. 169. 456  LAV NRW R, NW 174, Nr. 198, Band I, Bl. 178.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

der sich „in Zukunft nicht mehr in dieser Weise strafbar machen wird, zumal er seine Taten ernsthaft bereut457“, blieben von der Staatsanwaltschaft unberücksichtigt. Dem Willen des Behördenleiters entsprechend, wurde M. am 18. Januar 1944 um 15 Uhr in Anwesenheit von StA Marx im Gefängnis Köln-Klingelpütz hingerichtet458. d) Der Fall Philipp L.459 aa) Täterprofil Der am 26. März 1896 in Jülich geborene L. arbeitete nach Vollendung der Volksschule zunächst als Fabrikarbeiter und im Anschluss als Bahnarbeiter. Ab 1915 wurde er zum Heeresdienst einberufen und leistete seinen Militärdienst bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Während seiner aktiven Dienstzeit wurde er mit dem Eisernen Kreuz zweiter und erster Klasse, dem Verwundetenabzeichen in Schwarz, der thüringischen Tapferkeitsmedaille und dem Ehrenkreuz für Frontkämpfer ausgezeichnet. Nach seiner Wiedereinstellung bei der Reichsbahn erhielt L. zunächst den Posten eines Hilfsschaffners, bis er 1929 zum Zugschaffner und zuletzt zum Zugführer befördert wurde. Für seine langjährige zuverlässige Tätigkeit erhielt L. 1939 das Treuedienstehrenzeichen der Reichsbahn in Silber. Seit 1933 war er Mitglied bei der NSDAP-Ortsgruppe Jülich460. bb) Sachverhalt In seiner Eigenschaft als Zugführer oblag L. neben der Betreuung der Passagiere auf den Zugfahrten die Entgegennahme von Reisegepäck und Expresspost, sowie deren Ablieferung am jeweiligen Bestimmungsort. Da L. mit nur einer ihm unterstellten Kraft die anfallenden Pflichten bewältigen musste, kümmerte er sich ausschließlich um die Entgegennahme und Ablieferung von Gepäckstücken. Als einzige Person im Packwagen öffnete er im Zeitraum zwischen 1942 und 1943 in mehreren Fällen beschädigte und unbeschädigte Sendungen und eignete sich Lebensmittel und Kleidungsstücke an. In der Folgezeit ging L. dazu über, ganze Postsendungen zu entwenden, indem er sie in einen mitgebrachten Sack steckte, während er sich der Verpackungen und etwaigen Begleitpapiere auf der Zugfahrt entledigte461. Teil457  Ebd.,

Bl. 142. Band III, Bl. 35. 459  LAV NRW R, NW 174, Nr. 197, Band I–III. 460  Ebd., Band I, Bl. 4. 461  Ebd., Bl. 43. 458  Ebd.,



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis391

weise ging er dazu über, Postsendungen auf der Höhe seines Grundstückes, welches in nur drei Meter Entfernung zur Bahnstrecke gelegen war, aus dem Zug herauszuwerfen, sodass diese von seiner Frau gesichert werden konnten. Auf der Grundlage seines Geständnisses ging die Staatsanwaltschaft von einem fortgesetzten Diebstahl in circa 50 bis 60 Fällen aus462. Das gestohlene Diebesgut, welches im Haus des L. und bei dessen Abnehmern aufgefunden wurde, hatte einen wirtschaftlichen Gesamtwert von etwa 20.000 RM463. cc) Spruchpraxis Das Sondergericht verurteilte L. mit Urteil vom 19. Oktober 1943 gemäß § 4 VVO in Verbindung mit §§ 242, 243 Abs. 1 Nr. 4, 133, 348 Abs. 2 StGB zum Tode464. Etwaige Milderungsgründe durch ein in Auftrag gegebenes ärztliches Gutachten465 kamen nicht in Betracht466. Zu dem Ergebnis des Diebstahls in einem besonders schweren Fall gelangte das Gericht, da L. in seiner Zugführereigenschaft als Beamter angesehen wurde und er sich als solcher eines Verwahrungsbruchs strafbar gemacht hatte. Bei der Beurteilung des Vorliegens des entscheidenden Tatbestandsmerkmals eines Ausnutzens von Kriegsverhältnissen im Rahmen von § 4 VVO gelangte das Gericht zu der Überzeugung, dass es nach Schilderung des Sachverhalts keiner weiteren Eruierung hinsichtlich der Verwirklichung des objektiven Tatbestands bedurfte467. So wurde die Sichtweise der Staatsanwaltschaft übernommen, aufgrund kriegsbedingten Personalmangels und „notdürftig geschulter Aushilfskräfte468“ sowie einer höheren Anzahl von Postsendungen sei die „Übernahme und Ablieferung durch den Zugführer (…) nicht mehr mit der bisherigen Sorgfalt und Genauigkeit“ erfolgt, „sodass eine sichere Kontrolle über den Verbleib des einzelnen Gutes nicht mehr möglich“ gewesen war. Nach den Erkenntnissen der Hauptverhandlung reichte die Aufenthaltszeit des Zuges gerade für eine Beladung aus, sodass auf eine Ausstellung und Übergabe von Begleitpapieren aus Zeitmangel verzichtet werden musste469. Damit war nach Einschätzung des Sondergerichts eine mangelnde Kontrollmöglichkeit das ausschlaggebende Kriterium zur Annahme der Ausnutzung der Kriegsverhältnisse. Tatbestandsmäßig ging L. 462  Ebd., 463  Ebd., 464  Ebd., 465  Ebd., 466  Ebd., 467  Ebd., 468  Ebd., 469  Ebd.,

Band II, Bl. 5. Band I, Bl. 110. Bl. 108. Bl. 77–91. Bl. 91. Bl. 112. Bl. 109. Bl. 109.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

bei seinen Diebstählen aber regelmäßig dergestalt vor, dass er nach der Entwendung ganzer Lieferungen Verpackungsmaterial und Begleitscheine noch während der Zugfahrt vernichtet hatte470. In diesen Fällen wurde der Diebstahl insoweit nicht durch mangelhafte oder fehlende Begleitscheine begünstigt, sondern die Kontrollmöglichkeit über Postsendungen wäre sowohl in Friedens- wie in Kriegszeiten gleichermaßen schwierig gewesen471. Im Rahmen der Verwerflichkeitsklausel folgerte das Sondergericht bereits aus der Verwirklichung des objektiven Tatbestands die subjektive Volksschädlingseigenschaft des L., während dessen Verdienste im Krieg und um die Reichsbahn keine Berücksichtigung fanden. Diese traten vielmehr hinter der „Geldgier“ des Angeklagten zurück, sodass L. nach Ansicht des Sondergerichts „für die Volksgemeinschaft nicht mehr tragbar“ war und „ausgemerzt werden“ sollte472. dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft Das Ermittlungsverfahren nahm seinen Anfang durch eine von der Fahndungsstelle der Reichsbahninspektion verfasste Anzeige, nachdem wiederholt Verlustmeldungen für die Bahnstrecke eingegangen waren, auf welcher L. tätig gewesen war. Erst durch die Zusendung eines aufgefundenen und zerissenen Begleitscheines durch einen Bahnhofsmitarbeiter fiel der Verdacht auf L.473. Im Zuge der Übertragung der weiteren Ermittlungen an die Fahndungsstelle wies die Staatsanwaltschaft diese erneut an, Umstände herauszuarbeiten, „die durch die Kriegsverhältnisse bedingt sind und die Taten begünstigten474“. Erneut forcierte somit die Anklagebehörde eine einseitig 470  LAV

NRW R, NW 174, Nr. 197, Band I, Bl. 110. In Kriegszeiten korrespondierten die Pakete aufgrund von Nachlässigkeit und Zeitknappheit nicht denknotwendig mit einem Begleitpapier. Sofern vorhanden, wurden diese in das Zugführerabteil hineingelegt oder gebündelt unter die Verschnürung eines Paketes gesteckt. Bei ordnungsgemäßer Paketabfertigung zu Friedenszeiten wurde der Beladungsvorgang durch den Zugführer überwacht und die Begleitpapiere dem Zugführer im Packwagen übergeben, siehe LAV NRW R, NW 174, Nr. 197, Band I, Bl. 28. Selbst in diesem Falle hätte der L. in seiner Eigenschaft als Zugführer Gewahrsam an den Begleitscheinen gehabt und sie daher unter den gleichen Umständen zerstören können wie zu Friedenszeiten. 472  LAV NRW R, NW 174, Nr. 197, Band I, Bl. 114. 473  Ebd., Bl. 2; auch die Tatsache, dass L. erst mithilfe eines zerstörten Begleitscheines überführt werden konnte, bestätigt die obigen Ausführungen, dass durch die Vernichtung der Begleitscheine die Kontrollmöglichkeit unabhängig von Kriegsoder Friedenszeiten gleichermaßen erschwert wurde. Denn es ist nicht ersichtlich, inwieweit die Aufklärung oder Kontrolle der Taten in Friedenszeiten effektiver gewährleistet worden wäre. 474  Ebd., Bl. 11. 471  Anm.:



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis393

orientierte Ermittlungspraxis durch die nachgeordnete Behörde, indem die Existenz von VVO-Merkmalen konkludent vorausgesetzt wurde, obschon nach den bis dato vorhandenen Ermittlungsergebnissen keine Hinweise auf eine Ausnutzung kriegsbedingter Umstände existierten475. Die These eines intendierten Ergebniswunsches impliziert schließlich der angefügte Zusatz Zimmeraths im Schreiben an den Hilfsbeamten: „Evtl. bitte ich um fernmündliche Rücksprache476“. Diese sollte offensichtlich dazu dienen, etwaiger Missverständnisse bezüglich einer unbedingten Anwendung von § 4 VVO vorzubeugen. Dass die Anweisung ihre Wirkung nicht verfehlte belegt die Behauptung des Polizeibeamten, der Täter bestätige „ausdrücklich, die durch den Krieg bedingten Umstände, die Diebstähle und Beraubungen außergewöhnlich begünstigten, ausgenützt zu haben“477. Entsprechend dem gesteuerten Ermittlungsergebnis stützten sich die Ausführungen in der Anklageschrift auf die Ausnutzung des Kriegszustandes, da eine Rückverfolgung der abhanden gekommenen Poststücke kriegsbedingt „ohne den Vergleich mit den dazugehörigen Begleitpapieren“ unmöglich sei, was L. nach Sicht der Anklagebehörde wusste und ausgenutzt habe478. Dass auch zu Friedenszeiten bei der Vorgehensweise des L. durch die Zerstörung der Begleitpapiere eine Rückverfolgung nicht möglich gewesen wäre, wollte nicht erkannt werden. Am 30. November 1943 um 15.30 Uhr wurde L. auf der Richtstätte des Gefängnisses Köln-Klingelpütz hingerichtet. e) Der Fall Hubert B.479 aa) Täterprofil Der zunächst als Berg- und Hilfsarbeiter beschäftigte B. hatte bis zu seiner Verwendung in der Organisation Todt bei Arbeiten am Westwall ab dem Jahr 1937 verschiedene Gelegenheitsarbeiten verrichtet. Ab Januar 475  Dies ergibt sich aus der Durchsicht der bis zu dem Anschreiben existierenden Ermittlungsschriftstücke, die im Wesentlichen aus Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung bestehen, ebd., Bl. 1–10. 476  Ebd., Bl. 11. 477  Ebd., Bl. 44. Tatsächlich schilderte L. im Rahmen dieser Vernehmung lediglich, dass Sendungen ohne Begleitpapiere und umgekehrt während des Krieges im Umlauf waren, was zu Friedenszeiten nicht der Fall gewesen sei. Im Übrigen fänden sich an manchen Bahnhöfen keine Zugführer mehr, die den Beladungsvorgang überwachten. Einlasssungen dahingehend, dass sich L. diese abstrakten Feststellungen konkret zunutze machte, ist dem Vernehmungsprotokoll indes nicht zu entnehmen, ebd., Bl. 28. 478  Ebd., Band II, Bl. 63. 479  LAV NRW R, NW 174, Nr. 196, Band I–V.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

1941 wurde er zunächst in die Wehrmacht einberufen, aufgrund eines festgestellten Augenleidens jedoch entlassen, sodass er ab November 1942 arbeitslos wurde480. Bis zum in Rede stehenden Verfahren wurde B. insgesamt achtmal rechtskräftig wegen Schmuggel, Diebstahl, Körperverletzung und Dienstpflichtverletzung beim Militär verurteilt481. Das auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft erstattete fachärztliche Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass B. „ein leicht schwachsinniger, affekterregbarer, zu Diebstählen neigender, moralisch minderwertiger Psychopath“ und gemeingefährlich sei482. Die Voraussetzungen von Strafausschluss- oder Strafmilderungsgründen nach § 51 Abs. 1 oder Abs. 2 wurden indes verneint483. bb) Sachverhalt Nach seiner Entlassung bei der Organisation Todt hatte sich B. in die öffentliche Parkanlage in Aachen am Ehrenmal begeben und dort gegen ein Uhr morgens den Zeuginnen Br. und P. aufgelauert, die sich in Begleitung von zwei Soldaten befunden hatten. Unter dem Vorwand, Beamter der Gestapo zu sein, forderte er die Anwesenden zunächst auf, sich auszuweisen, da sie verbotener Weise auf einer Bank gesessen hätten. Nach einer Weile forderte er die beiden Soldaten auf, zu gehen und drohte den Frauen mit der Verbringung in ein Straflager. Im Anschluss hielt B. die beiden Frauen bis circa fünf Uhr gegen ihren Willen in dem Park fest, bis er schließlich die Br. gehen ließ. Als diese drohte, sie werde schreien, kündigte B. an, von seiner mitgeführten Schusswaffe Gebrauch zu machen und die P. zu töten. Auf diese Weise eingeschüchtert, vergewaltigte B. die P. und ließ sie gegen sechs Uhr gehen484. Etwa zwei Wochen später traf er gleichen Orts erneut die Zeugin Br. mit einem Soldaten an, und hielt beide Personen unter dem Vorwand fest, er sei Kriminalbeamter. Als B. jedoch bemerkte, dass der begleitende Soldat wiederholt auf eine Ausweisung des B. insistierte und die vorgezeigten Papiere einsehen wollte, erkannte B. die Aussichtslosigkeit seines Tatplans und ließ beide Personen gehen. Am 14. November 1942 stellte B. erneut zwei Personen am Ehrenmal, diesmal unter dem Vorwand, Aufseher der Parkanlage zu sein. Nachdem er sich ausgewiesen hatte, drohte er dem begleitenden Soldaten und der Zeugin H. mit schweren Strafen. Nachdem der Soldat der Aufforderung des B., zu gehen, nachgekommen war485, vergewal480  Vgl.

LAV NRW R, NW 174, Nr. 196, Band V, Bl. 7. Bl. 7 f. 482  Ebd., Band I, Bl. 126. 483  Ebd., Bl. 126. 484  Ebd., Bl. 130. 485  Ebd., Bl. 130. 481  Ebd.,



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis395

tigte B. die Zeugin H. ebenfalls unter vorheriger Drohung, andernfalls von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. cc) Spruchpraxis Das Sondergericht verurteilte B. gemäß §§ 177486, 74 StGB, § 1 ErweiterungsVO487 und § 1 Änderungsgesetz488 als „todeswürdigen Sittlichkeitsverbrecher“ zum Tode489. Ausschlaggebend für die Verhängung der Todesstrafe war § 1 ErweiterungsVO, der die übrigen Tatbestände im Wege gesetzlicher Konkurrenz verdrängte bzw. konsumierte. Das Gericht sah den Tatbestand nach dem Gang der öffentlichen Verhandlung als erfüllt an, da sich B. bei Begehung der Freiheitsberaubungen und Vergewaltigungen einer Amtsanmaßung schuldig gemacht hatte. Im Falle der H. sah das Gericht § 1 Änderungsgesetz als verwirklicht an, „da der Angeklagte als Sittlichkeitsverbrecher eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit“ darstelle490. Die Urteilsbegründung suggeriert, dass das Gericht die Möglichkeit anderer Strafoptionen wie einer Entmannung oder Sicherungsverwahrung erkannte491. Mit Verweis auf die Anzahl der Vorstrafen und das ärztliche Gutachten wurden diese jedoch aufgrund der „Persönlichkeit des Angeklagten“ sowie dessen „verbrecherischer Energie“ als ungeeignet qualifiziert492. Bemerkenswert ist, dass das Sondergericht in seinem Urteil, anders als in der Anklageschrift gefordert, die Anwendung von § 2 VVO ablehnte. Diese war von der Staatsanwaltschaft aufgrund der Erwägung ins Feld geführt worden, da die Parkanlage in Friedenszeiten durch in der Nähe befindliche Straßenlaternen zumindest schwach beleuchtet wurde, während zu Kriegszeiten eine Beleuchtung nicht erfolgte. Nach Ansicht des Gerichts konnte eine Ausnutzung vermeintlicher Verdunkelungsmaßnahmen indes nicht nachgewiesen werden, da nach dem Ermittlungsergebnis im Fall der Vergewaltigung der P. der Tatort durch den Mondschein außerordentlich hell erleuchtet gewesen sei. Im Fall H. argumentierte das Gericht, dass die entsprechende Parkbank innerhalb der Anlage so gelegen war, dass auch bei Friedenszeiten das Licht der Straßenlaternen nicht zum Tatort durchgedrungen wäre und insoweit zur Friedenszeit identische Lichtverhältnisse anzunehmen seien. 486  Tatbestand

der Notzucht. der Verordnung zur Erweiterung und Verschärfung des strafrechtlichen Schutzes gegen Amtsanmaßung vom 9.4.1942, RGBl. 1942 I, S. 174. 488  Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuchs vom 4.9.1941, RGBl. 1941 I, S. 549. 489  LAV NRW R, NW 174, Nr. 196, Band I, Bl. 148. 490  Ebd., Band V, Bl. 21. 491  Ebd., Bl. 22. 492  Ebd. 487  § 1

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft Aufgrund der Strafanzeige vom 18. November 1942 bei der Kriminalpolizei in Aachen durch die geschädigte H. fiel der Tatverdacht auf B.493. Fortan wurde der Tatort überwacht und der spätere Angeklagte in der Folge gestellt494. Bei einer Gegenüberstellung wurde er von der H. einwandfrei erkannt495. Die Ermittlungen wegen Vergewaltigung der Br. wurden aufgrund widersprüchlicher Angaben des B. aufgenommen und durch eine spätere Anzeige der Geschädigten weiter betrieben496. Anders als bei den durch die Kriminalpolizei durchgeführten Ermittlungen im Fall Br., bei denen keine Auffälligkeiten zu verzeichnen waren, war das Ermittlungsergebnis zur Vergewaltigung der H. in Bezug auf eine ausgenutzte Verdunkelungsmaßnahme fragwüdig. Der Kriminalbeamte äußerte sich lediglich dahingehend, dass B. keine anderen „Spinxer in seinem Revier“ duldete, um seine Taten unerkannt ausführen zu können497. Erst im letzten Teil des Abschlussberichtes verwies der Verfasser auf eine Angabe der Stadtwerke Aachen, welche bestätigt, dass die dem Park nahegelegene Straßenbeleuchtung kriegsbedingt erloschen war, was den Beamten zu der Schlussfolgerung veranlasste, dass zu Friedenszeiten die „Stelle des ersten Zusammentreffens hell beleuchtet gewesen“ sei498. Tatsächlich befand sich der Tatort jedoch an einer nahegelegenen Parkbank, die auch zu Friedenszeiten weder von direkter noch indirekter Beleuchtung erfasst wurde499. Vor dem Hintergrund, dass der Berichtsverfasser zuvor persönlich eine Tatortbegehung mit dem Opfer durchgeführt hatte, erscheint die pauschale Einschätzung des Abschlussberichts befremdlich500. Mit Abschluss des Ermittlungsverfahrens wurde Zimmerath, der neben der Sachbearbeitung auch die Sitzungsvertretung übernommen hatte, gemeinsam mit dem GStA im RJM vorstellig und trug das Ermittlungsergebnis MinDir Crohne und StS Freisler persönlich vor. Die unzulängliche Ermittlungsarbeit bei der Qualifikation als Volksschädling setzt sich in der Anklagepraxis der Staatsanwaltschaft entsprechend fort, indem EStA Ackermann zur Verwirklichung von § 2 VVO lapi493  LAV

494  Ebd., 495  Ebd.

496  Ebd., 497  Ebd., 498  Ebd.

NRW R, NW 174, Nr. 196, Band I, Bl. 2. Bl. 3. Bl. 10. Bl. 15.

499  Dies ergibt sich bereits aus den entsprechend gezeichneten Lageplänen der Stadt Aachen vom Tatort, LAV NRW R, NW 174, Nr. 196, Band I, Loseblatt zwischen Bl. 174 und Bl. 175. 500  Ebd., Bl. 15.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis397

dar feststellt: „Die Taten selbst hat er unter Ausnutzung der Verdunkelung begangen. Die Anlagen am Ehrenmal sind in Friedenszeiten beleuchtet“501. Die konkreten Beleuchtungsverhältnisse und der Aspekt, dass es sich bei den Taten gegen die Br. und die H. um unterschiedliche Tatorte gehandelt hatte, blieben vom EStA unberücksichtigt. Ein weiteres Defizit im Rahmen der Anklageschrift bestand in der Darstellung der Täteridentifizierung. So hatte die P., die nach fachärztlichem Gutachten als „schwachsinnig“ eingestuft wurde502, bei der Gegenüberstellung den B. zunächst nicht erkannt und anschließend einen Polizeibeamten als vermeintlichen Täter identifiziert503. Wenn auch bei der Gesamtschau der Ermittlungsakten keine Anhaltspunkte bestehen504, die Zweifel an der Tätereigenschaft des B. an den Vergewaltigungen aufkommen lassen, so zeigt das Studium der Anklageschrift im Fall B., dass das Ermittlungsergebnis eindeutiger dargestellt wurde, als dies tatsächlich der Fall war, soweit die Anklageschrift von einer „Zuverlässigkeit des Erkennens“ ausgeht505. Die materiell nicht zu beanstandende Spruchtätigkeit des Gerichts im Fall B. korreliert insoweit negativ mit der mangelhaften Anklagepraxis seitens der Staatsanwaltschaft. Entsprechend der Ansicht des Behördenleiters, „der Gerechtigkeit freien Lauf“ lassen zu wollen506, wurde B. am 26. Oktober 1943 in Anwesenheit von StA Höher an der Richtstätte des Gefängnisses Köln-Klingelpütz mittels Fallbeil hingerichtet507. f) Der Fall Wilhelm O.508 aa) Täterprofil Zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung war der 1915 geborene Wilhelm O. 27 Jahre alt. Nach Absolvierung der Volksschule hatte er eine Lehre als 501  Ebd.,

Bl. 132. Bl. 42. 503  Ebd., Bl. 3. 504  Die Vernehmungen aller Beteiligten und deren Inhaltsabgleichung lassen nach bestehender Aktenlage einen anderen Schluss nicht zu, wenngleich B. bis zuletzt seine Unschuld beteuert hatte. 505  LAV NRW R, NW 174, Nr. 196, Band I, Bl. 132. 506  Ebd., Band V, Bl. 14. 507  Ebd., Band III, Bl. 18. 508  LAV NRW R, NW 174, Nr. 195, Band I–V; Band I: Ermittlungsakte ist zwar im LAV NRW R als existent erfasst, allerdings nicht an ihrem vorgesehenen Belegenheitsort. Da nicht nachvollzogen werden kann, wo sich die Akte aktuell befindet, konnte keine Einsicht genommen werden. Die nachfolgende Darstellung fußt daher ausschließlich auf Erkenntnissen aus den Beiakten. 502  Ebd.,

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Sandformer begonnen, bei seinem Vater gelebt und mehrfach den Arbeitgeber gewechselt. Zuletzt war er arbeitslos gewesen und hatte nur noch Gelegenheitsarbeiten wahrgenommen. Bis zu seiner Verurteilung war O. 17-fach vorbestraft gewesen, unter anderem wegen Diebstahl, Betrug, Unterschlagung sowie Bettelei509. bb) Sachverhalt Nachdem der Angeklagte seine letzte Haftstrafe verbüßt hatte, wurde er vom Arbeitsamt zum Dienst in einer Zuckerfabrik eingeteilt und blieb nach einiger Zeit der Arbeit unentschuldigt fern. Am 7. September 1942 schloss er Bekanntschaft mit W., die in Düren als Schrankenwärterin gearbeitet hatte. Er gab vor, dieser gegen Bezahlung vom 15 RM ein paar Damenstiefel besorgen zu können. Nachdem sie ihm das Geld übereignet hatte, bat O. um ein Darlehen in Höhe von 23 RM, was sie ihm ebenfalls gewährte und bezahlte zudem 50 RM für versprochene drei Pfund Kaffee. Die Gegenleistungen und Darlehensrückzahlungen blieben indes aus510. Am 17. September 1942 gab O. gegenüber dem Schrankenwärter Wo. wahrheitswidrig vor, gegen Bezahlung von 47 RM ein Fahrrad sowie Bekleidung verschaffen zu können. Bei dieser Gelegenheit eignete er sich zudem die Aktentasche des Schrankenwärters E. an511. Am 20. September 1942 täuschte O. den E. unter gleichem Vorwand und erschlich sich 50 RM512. Von Düren aus begab sich der Angeklagte in der Folge nach Aachen, verschaffte sich rechtswidrig eine Armbanduhr und die Ziehharmonika der R. und verpfändete diese Gegenstände. Infolge eines Fliegeralarms vom 2. Oktober 1942 entwendete O. aus einem Luftschutzkeller Gepäckstücke und Bekleidung. Am 8. Oktober 1942 erschlich er sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in Koblenz ein Fahrrad und veräußerte dieses für 40 RM. cc) Spruchpraxis Mit Urteil vom 17. Mai 1943 verurteilte das Sondergericht den O. gemäß §§ 2 und 4 VVO in Verbindung mit §§ 263, 264, 242, 244, 245, 20 a StGB, §§ sowie § 2 LohngestaltungsVO zum Tode513. Hinsichtlich der Diebstähle und Betrugshandlungen nahm das Gericht einen Fortsetzungszusammenhang 509  Ebd.,

Band II, Bl. 2. Band III, Bl. 3. 511  Ebd., Bl. 4. 512  Ebd., Bl. 4 f. 513  Ebd., Bl. 1, 7 rev., 15. Mit der LohngestaltungsVO ist die Verordnung über die Lohngestaltung vom 25.6.1938, RGBl. 1938 I, S. 691, gemeint. 510  Ebd.,



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis399

mit der Begründung an, der Täter habe von vornherein beabsichtigt, nicht mehr arbeiten gehen zu wollen und sich durch die Straftaten einen Lebensunterhalt zu verschaffen versucht514. In Verbindung mit dem fortgesetzten Betrug erklärte das Gericht § 4 VVO für gegeben, da die Taten gegenüber den Geschädigten W., Wo. und E. „allein durch die außerordentliche Verknappung und die entsprechende Begierde nach diesen Mangelwaren bedingt gewesen“ seien515. Zur Einschätzung der Volksschädlichkeit gelangte das Sondergericht, da O. „falsche Vorstellungen der Bevölkerung über noch mögliche Deckung des Bedarfs“ erweckt und damit eine „Beunruhigung und einen gefährlichen Bedarfsstrudel“ erzeugt hatte. Solches Verhalten schüre, so das Gericht, „allgemein den Eindruck, dass gewisse Kreise der Bevölkerung über mehr Gebrauchsgüter verfügen, als ihnen behördlich zugeteilt wird, woraus dann der Schluss gezogen wird, dass diejenigen, die über das erforderliche Geld verfügen an den allgemeinen Opfern nicht teilnehmen brauchen“516. Die subjektive Volksschädlingseigenschaft sah das Sondergericht incident durch die Eigenschaft des O. als „gefährlicher Gewohnheitsverbrecher“ verwirklicht an517. Einen besonders schweren Fall gemäß § 4 VVO lehnte die erkennende Instanz für die Betrugsfälle indes ab, da sich diese „weder hinsichtlich des Umfangs noch der Art der Ausführung518“ von vergleichbaren Fallgruppen abhoben. Die für die Todesstrafe ausschlaggebende Verurteilung erfolgte gemäß § 2 VVO iVm § 242, 243 StGB, indem der Diebstahl im Luftschutzkeller als besonders schwerer Fall eingestuft wurde519. Die Strafschärfung sah das Sondergericht zunächst unter Verweis auf die Opfersituation als verwirklicht an, da die siebenköpfige Familie ihre gesamte Habe in den Luftschutzkeller verbracht hatte, was der Angeklagte wusste520. Zum anderen stellte es auf die Art und Weise der Tatbegehung ab, die als besonders „gerissen521“ bewertet wurde, da O. am Abend vor Tatbegehung das Angebot des Opfers zur Übernachtung im Haus ausgenutzt hatte. Als „asoziales Element, das keine Gefühlsregungen gelten lässt522“, wurde O. daher mit Urteil vom 17. Mai 1943 zum Tode verurteilt523. 514  LAV

515  Ebd., 516  Ebd. 517  Ebd.

518  Ebd.,

NRW R, NW 174, Nr. 195, Band IV, Bl. 20. Band III, Bl. 7.

Bl. 8. Bl. 7. 520  Ebd., Bl. 8. 521  Ebd. 522  Ebd., Bl. 7. 523  Begründet wurde die Wiederaufnahme mit dem Vorbringen, O. habe im Falle Merzenich nicht alle die ihm zur Last gelegten gestohlenen Gegenstände weggenommen, sondern lediglich ein Teil hiervon. Das Gericht wies den Antrag mit Schreiben 519  Ebd.,

400

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft524 Ein bemerkenswerter Aspekt ist in der Abweichung des Strafantrages der Staatsanwaltschaft zur Anklageschrift zu erblicken. Während der Sitzungsvertreter in der Hauptverhandlung für die Anwendung eines besonders schweren Falles gemäß § 2 VVO iVm § 242, 243 StGB plädierte525, war die ursprüngliche Anklage auf § 4 VVO gestützt worden, ohne dass § 2 VVO Erwähnung fand oder eine die Todesstrafe rechtfertigende Verwerflichkeit der Tat festgestellt wurde526. Umgekehrt folgerte der Behördenleiter aus der Eigenschaft des O. als „unverbesserlicher Gewohnheitsverbrecher527“ nicht die abstrakt von der Norm gedeckte Verhängung der Todesstrafe, sondern sprach sich vielmehr neben einer zu verhängenden Strafe für „die Anordnung der Sicherungsverwahrung“ aus528, eine Empfehlung, die sich im Hinblick auf eine intendierte Todesstrafe erübrigt hätte. Dass das Motiv abweichender Antragstellung nicht einer Erkenntnisabweichung im Rahmen der Hauptverhandlung, sondern einer gezielten Einflussnahme durch den GStA geschuldet ist, beweist die zeitliche Korrelation des verwaltungsrechtlichen Verfahrensgangs sowie die Inhalte der Korrespondenz mit dem Provinzialchef. Nachdem die Anklageschrift am 29. Januar 1943 beim Sondergericht Aachen eingereicht und am gleichen Tag die Berichterstattung an Generalstaatsanwaltschaft und RJM unter Beifügung einer beglaubigten Abschrift der Anklageschrift erfolgt war529, erging am 5. Februar 1943 – zwölf Tage vor Beginn der Hauptverhandlung530 – das Antwortschreiben der Generalstaatsanwaltschaft an die Staatsanwaltschaft531. Im Bericht an das vom 16. Juni 1943 mit der Begründung zurück, selbst bei unterstellter Richtigkeit würde dies am Vorliegen eines besonders schweren Falls iSv § 2 VVO nichts ändern, ebd., Band II, Bl. 22. 524  Aufgrund mangelnden Vorliegens der Ermittlungsakte im Bestand des LAV NRW R muss an dieser Stelle auf eingehende Ausführungen zur Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft und der ihr nachgeordneten Ermittlungsbehörden verzichtet werden. 525  Ebd., Band III, Bl. 8. 526  Ebd., Band IV, Bl. 21. Der Vergleich zu anderen Anklageschriften, in denen die Staatsanwaltschaft eine Todesstrafe propagierte, zeigt, dass sich die Anklagebehörde bisweilen Begriffen wie einer „Todeswürdigkeit“ im Rahmen der Anklageschrift bediente, um ihre Strafmaßintentionen im Vorfeld zu manifestieren. So etwa in der Anklageschrift gegen Hubert B., LAV NRW R, NW 174, Nr. 196, Band I, Bl. 148. 527  Ebd., Band IV, Bl. 21. 528  Ebd., Band I, Bl. 148. 529  Ebd., Band IV, Bl. 3. 530  Ebd., Bl. 35. 531  Ebd., Bl. 22.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis401

RJM hatte sich LOStA Führer ausdrücklich für „eine Gesamtzuchthausstrafe von 6–8 Jahren und die Anordnung der Sicherungsverwahrung“ ausgesprochen. Dass die Beantragung der Todesstrafe von der Staatsanwaltschaft als unverhältnismäßige Sanktionierung empfunden wurde, zeigt die Begründung des Behördenleiters zum vorgeschlagenen Strafmaß: „Gerade die Erziehung ohne feste Vaterhand hat den Angeklagten zu einem haltlosen Menschen und rückfälligen Verbrecher gemacht. Wenn er nunmehr zu einer längeren Zuchthausstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt wird, so glaube ich, zumal er bisher zu Zuchthausstrafen nicht verurteilt worden ist, dass diese Strafe auf ihn den erforderlichen Eindruck hinterlassen und er noch nicht endgültig für die Volksgemeinschaft verloren ist. Aus diesen Gründen habe ich von der Anklageerhebung nach § 1 des Gesetzes zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuches vom 4.9.1941532 Abstand genom­ men“533. Die Verfassung der Anklage erfolgte damit rechtsfolgenorientiert, um die Anwendbarkeit der Todesstrafe auszuschließen. In diametraler Gegenauffassung vertrat der GStA, dass „sowohl der Schutz der Volksgemeinschaft als auch das Bedürfnis nach gerechter Sühne die Todesstrafe erfordern“534. Als Begründung wurde angeführt, dass bereits die Betrugstatbestände unter Ausnutzung des Kriegszustandes erfolgt und als solche „außerordentlich verwerflich“ gewesen seien. Jedenfalls stelle der Diebstahl der Gegenstände aus dem Luftschutzkeller einen besonders schweren Fall gemäß § 2 VVO dar. Ohne weitere Begründung konstatierte Osterkamp zuletzt, dass jedenfalls die Anwendbarkeit von § 1 Änderungsgesetz als geboten erscheine, da die Vorstrafen keinen Eindruck auf den Angeklagten gemacht hätten, „den man im Übrigen bisher wohl viel zu milde angefasst“ hätte535. Wenngleich sich das Schreiben an LOStA Führer seinem Wortlaut nach wie eine unverbindliche Empfehlung liest, so besteht – wie der Strafantrag beweist – am Weisungscharakter der Ausführungen kein Zweifel. Eine autonome Übernahme der Staatsanwaltschaft von Erwägungen, die die Todesstrafe rechtfertigten, kann ausgeschlossen werden, da der Provinzialchef keine neuen Aspekte im rechtlichen wie im tatsächlichen Sinne ins Felde führte, welche eine abweichende rechtliche Beurteilung gerechtfertigt hätten. Dass es sich um eine echte fremdbehördliche Steuerung der Staatsanwaltschaft durch den Provinzialchef handelte, versinnbildlicht schließlich die Mitteilung an den GStA zur Termininierung der Hauptverhandlung, welche die Initiativfunktion der Generalstaatsanwaltschaft zweifelsfrei dokumentiert: „Ich teile diesen Termin mit, da aufgrund der dortigen Stellung532  § 1 des Gesetzes zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuchs vom 4.9.1941, RGBl. 1941 I, S. 549. 533  LAV NRW R, NW 174, Nr. 195, Band IV, Bl. 3 f. 534  Ebd., Bl. 22. 535  Ebd.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

nahme vom 5. Februar die Todesstrafe beantragt werden soll“536. Die Hinrichtung erfolgte am 31. August 1943 um 18:12 Uhr im Beisein von StA Marx auf der Richtstätte des Gefängnisses Köln-Klingelpütz537. g) Der Fall Heinrich W.538 aa) Täterprofil Der am 13. August 1900 geborene und gelernte Bauarbeiter Heinrich W. war bereits in früher Jugend straffällig geworden, nachdem er im Dezember 1915 seinen ersten Einbruchdiebstahl begangen hatte und im Februar 1916 vom Landgericht Aachen zu einer Gefängnisstrafe von einem Monat verurteilt worden war539. Bis zur gegenständlichen Anklage vor dem Sondergericht Aachen war W. 14-fach vorbestraft gewesen, darunter alleine in zwölf Fällen wegen Diebstahls und Einbruchsdiebstahls540. Nach Verbüßung der letzten Haftstrafe wurde er ab 1934 auf Anordnung des Preußischen Ministers des Innern wegen seiner zahlreichen Vorstrafen als Berufsverbrecher in polizeiliche Vorbeugungshaft genommen. Diese verbrachte er bis zu seiner Entlassung im Mai 1939 im Konzentrationslager541. Während seiner Inhaftierung unternahm er zwei erfolgreiche Fluchtversuche542. Nach seiner Entlassung fand er beruflichen Anschluss bei einer Tiefbaugesellschaft543. bb) Sachverhalt Gegenstand der Anklage gegen W. waren zwölf Diebstähle, die im Zeitraum von Oktober 1940 bis August 1941 begangen worden waren. Zur Ausführung sämtlicher Taten nutzte W. wahlweise ein Fahrrad, die Straßenbahn oder Fernlastzüge, bei welchen er um Mitnahme gebeten hatte. Bei der Wahl der Tatorte beschränkte er sich auf Dörfer und vermied große Städte, um eine erhöhte Polizeipräsenz zu umgehen. Die Ausführung folgte einer 536  Mitteilung des LOStA Führer bzgl. der Verhandlungsterminierung an den Generalstaatsanwalt in Köln vom 12.2.1943, LAV NRW R, NW 174, Nr. 195, Band IV, Bl. 24. 537  Ebd., Band III, Bl. 22. 538  LAV NRW R, NW 174, Nr. 194, Band I–IV. 539  Ebd., Band III, Bl. 13. 540  Ebd., Bl. 12. 541  Ebd., Bl. 34. 542  Ebd., Band I, Bl. 146. 543  Ebd., Band IV, Bl. 31. Im Übrigen ist auch kein fachärztliches Gutachten über den Geisteszustand des W. in Auftrag gegeben worden.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis403

steten Systematik, nach welcher er zunächst durch die Straßen lief, um offene Fenster oder Eingänge zu sichten. Sofern vorhanden, drückte er diese auf und wartete eine gewisse Zeit, um sicher zu gehen, dass er unbeobachtet war. Im Anschluss verschaffte er sich durch die gefundenen Öffnungen Zugang zu Häusern und Wohnungen und entwendete Gegenstände, die er im Anschluss in Köln, Düsseldorf und Mönchengladbach in diversen Hehlerkreisen absetzte544. Bei der Diebesbeute handelte es sich um 50 RM, zwei Sparkassenbücher und eine Damenuhr zulasten der S., zwei RM, eine Armbanduhr und ein Paar Gummistiefel zulasten des Si., einen Koffer mit diversen Bekleidungsstücken für Damen zulasten des A., 40 RM, Uhren und Damenbekleidung zulasten der B., vier RM zulasten der S., 772 RM, eine Brieftasche und Fettmarken zulasten des J., sowie 170 RM zulasten der Th.545. Bei letzter Gelegenheit stieg W. durch ein nicht verschlossenes Fenster ein, welches das Opfer aufgrund einer Anordnung des dortigen Luftschutzmeisters offengelassen hatte. Bis einschließlich 12. August 1941 verübte W. Einbruchdiebstähle in fünf weiteren Fällen zum Nachteil der Geschädigten M., C., H., Ja. und K.546. cc) Spruchpraxis Das Sondergericht Aachen verurteilte W. in der öffentlichen Sitzung vom 12. Februar 1942 gemäß §§ 242, 243 Abs. 1 Nr. 2, 244, 20 a StGB, § 2 VVO und §§ 1 und 10 Änderungsgesetz wegen schweren Rückfalldiebstahls zur Todesstrafe547. Das Gericht folgte in seinem Urteil jedoch nur bedingt den Ausführungen der Staatsanwaltschaft, die angenommen hatte, dass W. in vier der zwölf in Rede stehenden Fälle die „Straftaten unter Ausnutzung der zur Abwehr von Fliegergefahr getroffenen Maßnahmen begangen“ habe548. So räumte die erkennende Instanz zwar ein, dass im Falle der Geschädigten B. zu Friedenszeiten der Tatort die ganze Nacht hindurch beleuchtet worden sei, dem Angeklagten bezüglich dieser Umstände jedoch kein Wissen unterstellt werden konnte, sodass das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals des Ausnutzens iRv § 2 VVO verneint wurde549. Im Falle 544  Ebd.,

Band I, Bl. 142. Bl. 144. 546  Ebd., Bl. 142, 143. 547  Ebd., Bl. 138. W. wurde nach dem Tenor des Sondergerichts somit für jeden Diebstahl gesondert zum Tode verurteilt, damit zu zwölffacher Todesstrafe, siehe auch die vollstreckbare Ausfertigung des Todesurteils im Vollstreckungsheft, ebd., Band II, Bl. 2. Mit Änderungsgesetz ist das Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuchs vom 4.9.1941, RGBl. 1941 I, S. 549, gemeint. 548  Ebd., Band I, Bl. 144. 549  Ebd. 545  Ebd.,

404

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

M. scheiterte die Anwendbarkeit von § 2 VVO, da der Einbruchdiebstahl erst nach Beendigung des Fliegeralarms ausgeführt worden war550. Anders als die Staatsanwaltschaft verneinte das Gericht die Annahme, dass nach einem Fliegeralarm die betroffenen Personen verdächtigen Geräuschen nicht die sonst übliche Aufmerksamkeit schenkten, „da sie durch die Unterbrechung der Nachtruhe besonders ruhebedürftig“ seien und hierdurch der Ausnutzungstatbestand verwirklicht sei551. Auch in Bezug auf den Diebstahl zum Nachteil der Th., die ihr Fenster auf Anordnung offen gelassen hatte, scheiterte die Anwendbarkeit von § 2 VVO mangels dahingehender Kenntnis des W.552. Aufgrund der Vorstrafenanzahl qualifizierte das Gericht W. gleichwohl als gefährlichen Gewohnheitsverbrecher gemäß § 20 a StGB, der für die Verhängung der Todesstrafe in diesem Fall konstitutiv war, da der „verbrecherische Hang“ des W. auch durch die „Unterbringung in einem Konzentrationslager (…) nicht gebrochen werden konnte“553. dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft Insgesamt führte W. von April 1940 bis zu seiner Festnahme im September 1941 85 vollendete und teils versuchte Diebstähle aus. Die Absicht, gegen W. die Todesstrafe beantragen zu wollen, kommunizierte der Behördenleiter kurz vor Abschluss des Ermittlungsverfahrens gegenüber dem RJM554. Erneut dokumentiert die Verfahrensakte, dass die Staatsanwaltschaft über die Ermittlungsergebnisse der nachgeordneten Polizeibehörden hinaus ein gesteigertes Interesse an der Feststellung hatte, inwieweit die jeweiligen Tatorte zu Friedenszeiten eine andere Beleuchtung aufwiesen als zu Kriegszeiten. Trotz eines Vermerks des ermittelnden Kriminalkommissars, W. könne ein „Verstoß gegen die Volksschädlingsverordnung nicht nachgewiesen werden“555, fokussierte man eine Anwendbarkeit der VVO. Dies belegen diverse Stellungnahmen unterschiedlicher nachgeordneter Ermittlungsbehörden an die Anklagebehörde zur Frage abweichender Beleuchtungsverhältnisse556. Während sowohl im Falle Br. wie auch im Fall S. eine Beleuchtung in Friedenszeiten zu den Tatzeitpunkten durch Gaslaternen in 550  Ebd. 551  Ebd.

552  Ebd.,

Bl. 145. Bl. 146. 554  Schreiben des LOStA Führer an Dr. Joel als Sonderreferenten im RJM vom 10.12.1941, ebd., Band III, Bl. 7a. 555  Vermerk des ermittelnden Kriminalkommissars Heinemann vom 2.10.1941, ebd., Band I, Bl. 21, 20. 556  Ebd., Bl. 20–25, 60–64. 553  Ebd.,



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis405

unterschiedlicher Entfernung festgestellt werden konnte557, blieben Ermittlungen oder Ausführungen in der Anklageschrift zu dem Aspekt, inwieweit W. diesbezüglich Wissen unterstellt werden konnte, unberücksichtigt. Auch in den übrigen Fällen wurde auf eine Berücksichtigung des Wissens um die Beleuchtungsverhältnisse kategorisch verzichtet. Die zeitliche Ausdehnung der Anwendbarkeit von § 2 VVO über die Beendigung einer tatbestandlichen Abwehrmaßnahme hinaus begründete die Anklagebehörde mit dem Argument, dass „nach einem Fliegeralarm jeder durch die Unterbrechung der Nachtruhe und das längere Verweilen außerhalb des Betts besonders ruhebedürftig ist und infolgedessen verdächtigen Geräuschen nicht die sonst übliche Aufmerksamkeit schenkt“558. Unabhängig von der vom Wortlaut nicht mehr gedeckten Anwendung von § 2 VVO durch die Staatsanwaltschaft erscheint die gegebene Begründung fragwürdig. Vielmehr liegt es nahe, dass sich die Betroffenen in einem emotionalen Ausnahmezustand befanden und aufgrund der besonderen Umstände gerade nicht sorglos einschlafen konnten, sondern in Bezug auf atypische Geräuschkulissen besonders sensibilisiert waren559. Für eine Feststellung, dass Ermittlungs- und Anklagepraxis im Hinblick auf eine Verurteilung nach VVO durch die Generalstaatsanwaltschaft zusätzlich forciert wurde, finden sich keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil wurde die richterliche Ablehnung des § 2 VVO als sachgemäß empfunden560. Am 10. April 1942 um fünf Uhr morgens wurde W. im Gefängnis Klingelpütz mittels Fallbeil hingerichtet561. h) Der Fall Hans K.562 aa) Täterprofil Der unverheirate und am 8. April 1916 geborene Melker K. war bereits im Vorfeld der gegenständlichen Anklage im Zeitraum von 1931 bis 1934 in sechs Fällen wegen Schmuggels und drei Fällen wegen Diebstahls einschlägig vorbestraft563. Im Zeitraum zwischen 1932 und 1934 wurde er auf 557  Ebd.,

Bl. 21, 107. Bl. 21, 108. 559  Dies wird auch gedeckt durch die überzeugende Ausführung des Gerichts, dass „die Verhandlung zu anderen Diebstählen ergeben“ habe, „dass die Bewohner gerade infolge der Störung durch Fliegeralarm nicht mehr eingeschlafen sind“, LAV NRW R, NW 174, Nr. 194, Band I, Bl. 21, 145, 146. 560  Antwortschreiben des Generalstaatsanwalts auf den Urteilsbericht vom 27.2.1942, LAV NRW R, NW 174, Nr. 194, Band IV, Bl. 42. 561  Vollstreckungsprotokoll vom 10.4.1941, ebd., Band II, Bl. 38. 562  LAV NRW R, NW 174, Nr. 193, Band I–IX. 563  Ebd., Band I, Bl. 140. 558  Ebd.,

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

dahingehenden Beschluss des Landgerichts Aachen in der Erziehungsanstalt „Rheinlanden“ untergebracht564. Das fachärztliche Gutachten, welches von der Anklagebehörde in Auftrag gegeben worden war, weist K. als nicht „erheblich vermindert zurechnungsfähig“ aus565, obgleich Vater und Mutter an Nervenanfällen litten, der Bruder des K. an „Gehirnerweichung“ verstorben war und K. im Verlaufe der Untersuchung Ausfallerscheinungen wie Desorientierung und Pseudodemenz aufgewiesen hatte566. bb) Sachverhalt Am Morgen des 23. September 1940 gegen 4:30 Uhr stieg K. in die Wohnung seines früheren Arbeitgebers B. ein und entwendete Geld, Kleidung und Lebensmittel im Gesamtwert von circa 150 RM567. In der Nacht zum 6. Oktober 1940 suchte K. den Bauernhof des Geschädigten S. auf, bei dem er zuvor als Melker tätig gewesen war. Nachdem er sich über eine nicht verschlossene Hintertür Zugang verschafft hatte, entwendete er kurz vor Einbruch der Dunkelheit Bekleidungsstücke im Gesamtwert von etwa 500 RM568. Nach Einbruch der Dunkelheit verließ er den Tatort mitsamt des Diebesgutes und verbrachte es in zwei Koffern zur Wohnung seiner Schwester. Aufgrund von Verdunkelungsmaßnahmen lagen die Straßen und Ortschaften, die K. durchquerte, im Dunkeln569. Im Zeitraum vom 20. Oktober 1940 bis einschließlich 30. Oktober 1940 verschaffte sich K. durch offene Kellerlöcher und Fenster Zugang in die Kellerräume und Wohnräume der Geschädigten Sch., D., R. und Kr. und entwendete dort Lebensmittel, Bekleidung und Schmuck. Am Abend des 31. Oktober 1940 stieg K. erneut durch offene Kellerfenster und einen Kohleschacht in die Wohnungen der geschädigten Ri., L. und F. ein und entwendete Lebensmittel sowie Spirituosen im Gesamtwert von etwa 50 RM. Die Einstiegsstelle sowie die Häuserfronten der drei Tatorte wurden in Friedenszeiten durch auf dem gegenüberliegenden Zechengelände befindliche Lampen die ganze Nacht hindurch beleuchtet. Aufgrund der Abwehrmaßnahmen in Kriegszeiten lagen die Tatorte jedoch bei Tatbegehung nach dem Ergebnis der polizeilichen Ermittlugen im Dunkeln570. Zuletzt stieg K. am 4. November 1940 erneut durch ein offenes Kellerfenster in die Wohnung des Geschädigten Br. ein und entwendete Lebensmittel. 564  Ebd., 565  Ebd., 566  Ebd., 567  Ebd., 568  Ebd., 569  Ebd., 570  Ebd.,

Band IX, Bl. 33 rev. Band I, Bl. 200. Bl. 198. Bl. 293. Bl. 294. Bl. 295. Bl. 296.



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cc) Spruchpraxis In der Hauptverhandlung vom 4. Juli 1941 verurteilte das Sondergericht K. gemäß § 2 VVO in Verbindung mit §§ 242, 243 I Nr. 2 StGB zum Tode571. Hinsichtlich des Diebstahls zulasten des S. unterstellte das Gericht, K. habe bereits bei der Begehung der Tat den Vorsatz gehabt, die Koffer mit dem Diebesgut zu seiner Schwester zu verbringen. Hieraus lasse sich die Absicht ableiten, Verdunkelungsmaßnahmen bei der Beutesicherung gewollt ausgenutzt zu haben572. In den Fällen Ri., L. und F. nahm das Gericht eine besondere Ortskundigkeit an, welche die Kenntnis des Angeklagten um die konkreten Beleuchtungsverhältnisse inkludiert573. Diese Einschätzung wurde aus dem fachärztlichen Gutachten abgeleitet, in welchem K. vermeintlich erklärt hatte, die Verdunkelung ausgenutzt zu haben, obwohl dies „seinen Kopf kosten“ würde574. In allen genannten Fällen nahm das Gericht an, dass es sich um einen besonders schweren Fall gemäß § 2 VVO handele, da die entwendeten Lebensmittel im Lichte der kriegsbedingten Rationierung „besonders wertvoll“ gewesen seien575, sodass die Erwägung eines bloßen Mundraubes gem. § 370 Abs. 1 Ziffer 5 ausschied576. Mit Blick auf die übrigen Diebstahlsfälle577 folgte das Sondergericht nicht den Ausführungen der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift, welche auch hier § 2 VVO als gegeben erachtete, da nach den Erkenntnissen der Hauptverhandlung zur Tatzeit an sämtlichen Tatorten und umliegenden Ortschaften auch zu Friedenszeiten keine Beleuchtung existiert habe578. dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft Die Staatsanwaltschaft hatte im Verlauf der Hauptverhandlung ebenfalls von einer Verwirklichung des § 2 VVO in den entsprechenden Fällen Abstand genommen579, was ein konkludentes Anerkenntnis mangelhafter Er571  Ebd., 572  Ebd., 573  Ebd.

Bl. 288 rev. Bl. 297.

574  Ebd., Bl. 298. Das entsprechende Zitat des K., auf welches im Urteil verwiesen wird, findet sich im fachärztlichen Gutachten wie folgt: „Ich weiß ganz genau, was mir bevorsteht, da ich mehrere Diebstähle in der Dunkelheit begangen habe und weiß, dass es meinen Kopf kostet“, LAV NRW R, NW 174, Nr. 193, Band I, Bl. 190. 575  Ebd., Band IX, Bl. 43. 576  Ebd., Bl. 41 rev. 577  Zu den Fällen B., Sch., D., R., K. und Br., siehe oben, S. 406. 578  Ebd., Band II, Bl. 298. 579  Dies geht hervor aus einer dahingehenden Bemerkung des Gerichts in den Urteilsgründen, ebd., Band I, Bl. 298.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

mittlungsarbeit entspricht. Selbige beruhte jedoch auf einer vorherigen Tätigkeit der Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Köln, die originär mit den Ermittlungen betraut gewesen war580 und deren Anklageschrift in unveränderter Fassung von der Staatsanwaltschaft Aachen übernommen worden war581. Insoweit ist auch die mangelhafte Arbeit der Staatsanwaltschaft Köln der lokalen Anklagebehörde als eigene Unzulänglichkeit zurechenbar. Die Anklageschrift hatte zunächst unter Einstellung der übrigen Diebstähle gemäß § 154 StPO lediglich die Tathandlungen zulasten B., S., K. und R. angeklagt582. Im Fall K. forderte StA Zimmerath die Kriminalpolizeistelle auf, die dortigen Beleuchtungsverhältnisse erneut zu überprüfen583. Vor dem Hintergrund, dass diese Überprüfung keine dokumentierten neuen Erkenntnisse brachte, ist fragwürdig, aus welchem Grund dennoch zulasten des K. von einer Ausnutzung von Verdunkelungsmaßnahmen ausgegangen wurde584. Eine Einzigartigkeit stellt der Umstand dar, dass die Hauptverhandlung im Rahmen eines Verfahrens auf dahingehenden Antrag der Staatsanwaltschaft auf unbestimmte Zeit vertagt wurde, „um der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zu geben, die vom Angeklagten eingestandenen Straftaten aufzuklären und eine Nachtragsanklage einzureichen“585. Wie sich aus den Verfahrensakten ergibt, sollte diese Vertagung jedoch nicht primär einer Optimierung bisheriger Anklagepunkte, sondern vielmehr einer Erweiterung auf zusätzliche Anklagepunkte dienen, um eine Sanktionierung nach der VVO zu gewährleisten. Aus diesem Grunde sollten die zunächst eingestellten Verfahren, die ebenfalls eine Aussicht auf die Todesstrafe boten, nochmals aufgegriffen werden. Dies belegt ein Bericht des Behördenleiters an das RJM, in dem ausgeführt wurde: „Im Hauptverhandlungstermin vom 13. Mai 1941 ist auf Antrag der Staatsanwaltschaft Vertagung eingetreten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ergaben sich hinsichtlich der Fälle 1–3 der Anklageschrift Zweifel darüber, ob die Taten unter Ausnutzung der Verdunkelung 580  Siehe Bericht des Oberstaatsanwalts Köln an Sonderreferent Joel vom 5.12.1940, ebd., Band VI, Bl. 1. 581  Schreiben des Oberstaatsanwalts Köln an Sonderreferent Joel, in welchem die Abgabe des Verfahrens aufgrund Allgemeiner Verfügung vom 10.3.1941 durch den RMJ angezeigt wird, ebd., Band IX, Bl. 15. Siehe zur unveränderten Übernahme der Anklageschrift das Bestätigungsschreiben von LOStA Führer vom 15.4.1941 an Joel, in welchem die Übernahme des Verfahrens angezeigt wurde, ebd., Bl. 16. 582  Ebd., Band IX, Bl. 5. 583  Handschriftliche Notiz Zimmeraths vom 19.5.1941 nach einem Telefonat mit dem ermittelnden KK Metzger, ebd., Band I, Bl. 229. 584  Diese Fehlerhaftigkeit wurde jedoch durch das Sondergericht im Rahmen der Urteilsgründe korrigiert, ebd., Band II, Bl. 298. 585  Handschriftlicher Vermerk auf dem Sitzungsprotokoll von LGD Hoffmann, ebd., Band I, Bl. 225.



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ausgeführt worden waren. Nach Lage der Dinge war nicht damit zu rechnen, dass das Gericht in seiner derzeitigen Besetzung in dem verbleibenden 4. Fall zu einem Todesurteil gekommen wäre, das angesichts der Persönlichkeit des Angeklagten, seiner verbrecherischen Energie und seiner Gemeingefährlichkeit allein angebracht gewesen wäre. Nach den Akten hat der Angeklagte außer in den angeklagten Fällen noch in einer Reihe weiterer Fälle die Verdunkelung ausgenutzt. Diese Fälle waren gem. § 154 StPO eingestellt. Ich werde angesichts des Ergebnisses der Beweisaufnahme diese Fälle aufgreifen und eine Nachtragsanklage beim Sondergericht einreichen“586. Die anschließenden Ermittlungen umfassten die Diebstähle zum Nachteil der Geschädigten Sch., D., R., L. und F., waren jedoch von nur mäßigem Erfolg587. Lediglich für die Tatorte der Diebstähle bei L. und F. forderte die Staatsanwaltschaft Skizzen zum Tatort an, welche die Beleuchtungsverhältnisse dokumentieren sollten588. Für die übrigen Diebstähle ergaben sich keine neuen Belastungsmomente, während in zwei Fällen ein Ausnutzungstatbestand sogar zweifelsfrei widerlegt wurde589. Dass die nachträgliche Anklageschrift dennoch ausnahmslos § 2 VVO als verwirklicht qualifizierte, wurde mit der fragwürdigen Argumentation begründet, dass „nicht nur die Ausführung der Tat als solche unter dem Gesichtswinkel des § 2 VSchVO“, sondern „der gesamte Geschehensablauf, wie er sich in natürlicher Betrachtungsweise als Tat darstellt“, zu betrachten sei590. Die Staatsanwaltschaft fingierte mithin trotz zeitlicher Zäsur zwischen den Einzeltaten einen tateinheitlichen Geschehensablauf aufgrund vergleichbarer Vorgehensweise, der die Anwendbarkeit von § 2 VVO auf sämtliche Taten erstrecken sollte591. 586  Bericht des LOStA Führer an das RJM vom 14.5.1941, ebd., Band VI, Bl. 32. 587  Ebd., Band II, Bl. 242; die Erfolgseinschätzung ergibt sich aus dem Aspekt, dass das Gericht von den sechs in der Nachtragsanklageschrift aufgeführten Fällen nur in zwei Fällen die Verdunkelung als verwirklicht ansah, vgl. die Anklageschrift, ebd., Band VI, Bl. 35 und Urteil, ebd., Band I, Bl. 298. 588  Es befinden sich zwei Planskizzen der Häuser L., F. und R. in der Ermittlungsakte, ebd., Band I, Bl. 234, sowie die entsprechenden Vernehmungen, ebd., Band I, Bl. 230–233, 235. Siehe zur Ablichtung dieser Skizze Anhang, Abbildung 28, S. 589. 589  Die nochmaligen Ermittlungen in den Fällen zu Sch. und B. ergaben, dass die dortige Straßenbeleuchtung zu Friedenszeiten „in keinem Falle (…) länger als bis 23 Uhr eingeschaltet war“, während aber nach Zeugenaussagen feststeht, dass K. die Diebstähle nach 23 Uhr begangen hatte, ebd., Band I, Bl. 235 rev. sowie ebd., Band IX, Bl. 235. 590  Ebd., Bl. 244. 591  Ebd., Band II, Bl. 244; die Staatsanwaltschaft beruft sich insoweit auf eine Reichsgerichtsentscheidung aus dem Jahre 1940, RGSt 74, 246.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Während des Verfahrenslaufes nahmen weder Generalstaatsanwaltschaft noch RJM Stellung zu den Berichten und offenkundigen Arbeitsmängeln der Staatsanwaltschaft. Umso bemerkenswerter ist die Stellungnahme des Provinzialchefs an den Sonderreferenten bezüglich des sondergerichtlichen Urteils, in welcher schwerwiegende Bedenken zugunsten des Angeklagten erhoben und die Einlegung der Nichtigkeitsbeschwerde vorgeschlagen wurde, da das Urteil „ungerecht“ schien592. So wurde die Ablehnung eines Mundraubes in den Fällen S., R., L. und F. bereits im Hinblick auf die geringe Menge der Lebensmittel als „kaum vertretbar“ erachtet593. Insbesondere sei K. tatsächlich mangels Einkommens auf den direkten Verzehr der erbeuteten Gegenstände angewiesen gewesen594. Wenn aber der Mundraub das Vorliegen des Einbruchsdiebstahls bereits ausgeschlossen hätte, so der GStA, müsse „wohl erst recht die Annahme eines besonders schweren Falles i. S. des § 2 VVO zu Bedenken Anlass geben“595. Die empfohlene Betreibung der Nichtigkeitsbeschwerde wurde indes nicht aufgegriffen. Vielmehr empfahl der Behördenleiter, „der Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen596“, nachdem K. auf das Verfassen eines Gnadengesuchs verzichtet hatte597. Mit Verfügung vom 4. August 1941 schloss sich das RJM der Staatsanwaltschaft Aachen an598. Die Gesamtumstände legen nahe, dass die Forcierung eines Todesurteils nicht auf eine gezielte fremdbehördliche Lenkung, sondern vielmehr auf einen originären Willensentschluss des Behördenleiters zurückzuführen ist. Dass das RJM die Entscheidung der Todesstrafe nachträglich billigte, indem sie einen Gnadenerweis ablehnte599, kann an dieser Feststellung nichts ändern, weil keine Anhaltspunkte dokumentiert sind, die eine lenkende Einflussnahme auf die Anklagebehörde nahelegen. Am 19. August 1941 wurde Hans K. auf der Richtstätte des Gefängnisses Köln mittels Fallbeils hingerichtet600. 592  Ebd.,

Band IX, Bl. 47. Bl. 44 f. Anm.: Die vier genannten Fälle stellen diejenigen Sachverhalte dar, welche das Sondergericht als besonders schwere Fälle im Rahmen von § 2 VVO qualifizierte. Dass die Einschätzung des Sondergerichts, die Nahrungsmittel seien besonders wertvoll gewesen, nicht vertretbar war, belegt der GStA mit Verweis auf eine entsprechende RG-Entscheidung, die besagt, dass der besondere Wert, den ein Gegenstand durch kriegsbedingte Rationierung erfährt, keine Berücksichtigung finden darf, ebd., Band IX, Bl. 44. Zur zitierten RG Entscheidung siehe Urteil des RG vom 16.12.1940  – 2 D 574/40 –, auszugsweise abgedruckt in: HRR 1941, Nr. 514. 594  Ebd., Band IX, Bl. 45. 595  Ebd. 596  Ebd., Band VI, Bl. 44 rev. 597  Ebd., Bl. 44. 598  Ebd., Band V, Bl. 20. 599  Ebd. 600  Ebd., Bl. 45. 593  Ebd.,



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i) Der Fall Paul S.601 aa) Täterprofil S. wurde am 8. November 1902 in Würselen bei Aachen geboren602. Nach der Volksschulausbildung war er im elterlichen Gastwirtschaftsbetrieb tätig, den er nach dem Tode der Eltern leitete603. Im Jahr 1931 ernannten NSDAP und SA die Gastwirtschaft zum politischen Verkehrslokal, während S. noch im gleichen Jahr der Partei beitrat und nach kurzer Zeit zum Stützpunktleiter und anschließend Ortsgruppenleiter in Würselen befördert wurde. Drei Jahre später wurde er Beauftragter und Vorsitzender der DAF auf Regionalebene sowie Geschäftsführer der Verbrauchergenossenschaft Würselen, um den Betrieb im „nationalsozialistischen Sinne“ auszurichten und wirtschaftlich zu verwalten604. Der Verbrauchergenossenschaft unterstanden 77 Lebensmittelgeschäfte, 14 Textil- und Schuhwarenläden, acht Fleischverteilungsstellen, eine Geflügelfarm, eine Metzgerei, eine Konditorei sowie eine Kaffeerösterei605. Mit einem Jahresumsatz vom circa sechseinhalb Millionen RM gehörte die Verbrauchergenossenschaft Würselen zu den reichsweit größten und umsatzstärksten Verbänden606. Zum Zeitpunkt der Festnahme des Angeklagten war die gesamte Verbrauchergenossenschaft heruntergewirtschaftet607. S. war bereits 1931 strafrechtlich in Erscheinung getreten, nachdem er wegen Diebstahls zu drei Wochen Gefängnis verurteilt worden war608. Bis zu seiner Verurteilung unterhielt S., der in der einheimischen Bevölkerung wegen seiner Rücksichtslosigkeit auch „Stalin von Würselen“609 genannt wurde, inten601  BArch, R 3001, Nr. 163394–163396. Die gesamten Akten sind bis auf vereinzelte Blätter am oberen linken Seitenrand durch eine Brandeinwirkung teilweise zerstört worden. Diese Zerstörung wirkt sich für die folgenden Quellenangaben dergestalt aus, dass in vielen Fällen die Datierungen von Dokumenten nicht angegeben werden können. Hilfsweise wird, soweit ersichtlich, eine ungefähre Datierung vorgenommen. Die Akten wurden in der Nachkriegszeit verloren bzw. zerstört geglaubt, siehe Bericht des LOStA Aachen Dr. R. an den GStA Köln bzgl. Wiederaufnahme Zimmeraths in den Justizdienst vom 14.9.1949, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 175. 602  Anklageschrift vom 17.7.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 33. 603  Urteil des Sondergerichts Aachen vom 16.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 121 rev. 604  Ebd., Bl. 122. 605  Ebd. 606  Ebd. 607  Ebd. 608  Anklageschrift vom 17.7.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 42. 609  Zeugenaussage des Zeugen K. in einem undatierten vertraulichen ministeriellen Bericht, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 225.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

sive Kontakte zu den regionalen politischen Persönlichkeiten wie dem Gauinspekteur der Gauleitung Köln-Aachen, den Kreisleitern der NSDAP der Kreise Geilenkirchen und Würselen, dem Bürgermeister Würselens610 sowie sieben weiteren Gauamts-, Kreisamts- und hochrangigen Parteifunktionären in der Region Aachen611. bb) Sachverhalt Der vom Sondergericht Aachen als erwiesen zugrundegelegte Sachverhalt hatte insgesamt 23 separate Tatkomplexe zum Gegenstand und wurde vom seinerzeitigen OLG-Präsidenten Bergmann als das „wohl schwerste Verbrechen gegen die Kriegswirtschaftsordnung“ qualifiziert, das in dessen „Bezirk bisher zur gerichtlichen Verhandlung gekommen“ war612. So wurden während des gesamten Zeitraumes der geschäftsführenden Tätigkeit des S. mit dessen Wissen und Wollen bezugsbeschränkte Lebensmittel in erheblichem Umfang ohne die Entgegennahme von Lebensmittelmarken veräußert, illegale Fleischlieferungen an Gastronomiebetriebe getätigt, Metzgereibetriebe zur Herstellung untersagter Produkte angewiesen, Falschangaben gegenüber dem Ernährungsamt gemacht, Schwarzlieferungen durchgeführt, der Verbrauchsgenossenschaft zugeteilte Sachgüter und Dienstleistungen für private Zwecke entfremdet und Gelder veruntreut. In einem weiteren Fall nahm S. sexuelle Handlungen an seiner auszubildenden Sekretärin vor und machte sich in einem weiteren Fall einer Erpressung schuldig613. 610  Bericht des LOStA Führer von Ende Januar 1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 2 rev. Das genaue Datum kann aufgrund der teilweisen Zerstörung des Dokumentes nicht angegeben werden. 611  Undatierte Niederschrift Zimmeraths, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 26, 27; so auch Schreiben des RMJ an den Reichminister für Propaganda Goebbels vom 13.6.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 29, 29 rev. 612  Schreiben des OLG-Präsidenten Bergmann an das RJM vom 31.10.1942, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 149, 149 rev. 613  Die Sachverhaltsdarstellung orientiert sich aufgrund einer erhöhten Stichhaltigkeit an dem vom Sondergericht Aachen ermittelten – tätergünstigeren – Sachverhalt.  1) Nach Einführung der Kriegsbewirtschaftung wurden unter der Führung des S. in der Verbrauchsgenossenschaft Würselen bis zur Verhaftung des S. Anfang 1942 bezugsbeschränkte Lebensmittel in erheblichem Umfang ohne entsprechende Marken verkauft, unter anderem etwa 6.000 kg Fleisch, 5.000 kg Butter und 270.000 kg Mehl. Trotz Kenntnis dieses Sachverhalts und entsprechender Rundverfügungen hatte es der Angeklagte unterlassen, geeignete Kontrollen zur Verhinderung weiterer daraus resultierender Fehlbestände einzuführen. 2)  Fortgesetzte Fleischlieferungen des Verteilers an Restaurant ohne Marken. 3) Vorsätzlicher Verkauf von Fleisch ohne Marken durch entsprechende Anweisungen an die Filialleiter der Verteilungsstellen, da erhebliche Vorverteilung erfolgt



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis413

cc) Spruchpraxis Das Sondergericht verurteilte S. wegen eines besonders schweren Falls gemäß § 1 Abs. 1 KrWVO in Tateinheit mit schwerer Untreue gemäß § 266

war und ein Teil des Bestandes drohte, schlecht zu werden, da die Auslastung der Kühlhäuser erreicht war. 4) Anweisung des S. zur Herstellung billiger Blutwurst, die ohne Marken verkauft werden sollte, da S. von diesem Procedere in ihm nicht unterstehenden Metzgereien Kenntnis erlangt hatte. 5) Vorsätzliche Bestimmung von Filialleiterinnen, bei der Abgabe von Nährmitteln wie Haferflocken „großzügig“ zu sein – also auch ohne Marken zu verkaufen, da diese in den Lagern teilweise die Haltbarkeit überschritten hatten. 6) Falsche Angaben bei einem Antrag ans Ernährungsamt auf Überbrückungsscheine für Butter. S. hatte angegeben, 5.000 kg Fehlmenge seien aufgrund „unvermeidbaren und unverschuldeten Schwunds“ entstanden, obwohl er wusste, dass hierfür die Abgabe ohne Marken ursächlich war. Der Lieferant hatte sich zuvor geweigert, weitere Butter wegen der Bezugsscheinschulden des S. zu liefern. 7)  Gebilligte Schwarzlieferung von Butter iHv 1.150 kg im Dezember 1940. 8) Antrag auf Sonderbezugsschein über 90.000 kg Mehl im August 1940, nachdem bei dem Mehllieferanten eine Bezugsscheinschuld iHv 100.000 kg Mehl festgestellt worden war. 9) Bestimmung des Mehllieferanten durch S.  zu einer Schwarzlieferung iHv 5.000 kg im Dezember 1940. 10)  Unrechtmäßiger Bezug von circa 203.000 Eiern der Genossenschaft durch die von S. betriebene Geflügelfarm, was der Angeklagte auch wusste. 11) Unberechtigte Nutzung von Weidegrund, Futtermittel und Personal der Genossenschaft für den eigenen Pferdehandel, ohne die Posten der Genossenschaft zu vergüten. 12)  Anweisung an die Bäckerei der Genossenschaft, die entstandenen Brotenden, die an sich eingeweicht und erneut gebacken werden mussten, seinen Pferden und Schweinen zuzuführen. 13) Verkauf bezugsbeschränkter Waren des S. an Angehörige und Parteifreunde. Bei rund 450 Einzellieferungen wurden an den Personenkreis ohne Marken etwa 400 Pfund Butter, 2.100 Eier, 135 Pfund Käse, 160 Pfund Bohnenkaffee, 2.900 Pfund Fleischwaren, 26 Liter Öl sowie 2.900 Pfund Zucker verkauft. Darüber hinaus entnahm er aus dem Lager der Genossenschaft zum eigenen Verbrauch und zur Bewirtung von Freunden Rauchwaren, Spirituosen und Lebensmittel im Gesamtwert von etwa 2.900 RM, ohne diese zu bezahlen. In eigener Person oder durch Überlassung an Freunde verbrauchte er unberechtigt mindestens 6.620 Liter Benzin. 14) Unterschlagung und Veruntreuung von Geldern, die im Zuge des Verkaufs bezugsbeschränkter Lebensmittel an Freunde und Verwandte eingenommen worden waren iHv ca. 5.100 RM. 15) Veruntreuung von etwa 2.900 RM, die durch eine nicht in Rechnungen aufgeführte und auf Drängen des S. gewährte Rabattierung durch den Mehlhändler erfolgte, der die Rabattierung persönlich bar in regelmäßigen Abständen bei S. oder seiner Sekretärin ablieferte. 16)  Veruntreuung von 960 RM, die aus einer unzulässigen Rabattierung des Hefehändlers zugunsten der Genossenschaft resultierten. Der Rabatt wurde duch den

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

StGB614, drei vollendeter und eines versuchten Kriegswirtschaftverbrechens gemäß § 1 Abs. 1 KrWVO615, vier vorsätzlicher und eines fahrlässigen Vergehens nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 VRStVO616, fünf Fällen der Untreue in Tateinheit mit Unterschlagung gemäß §§ 266, 246617 sowie eines Sittlichkeitsverbrechens nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB618 zum Tode619. Während für alle Taten eine Gesamtzuchthausstrafe von zehn Jahren gebildet worden war, Hefehändler

persönlich und in bar bei der Sekretärin des S., der H., ausgezahlt. Von diesem Betrag hatte der S. bis auf 40 RM die Summe an sich genommen. 17) Veruntreuung von Benzingeld bei der Abrechnung mit dem Angestellten W. iHv insgesamt mindestens 1.225 RM. 18)  Veruntreuung eine Geldsumme von 120 RM, die sich aus einer Frachtvergütung einer Brauerei ergab, die mit der Genossenschaft geschäftliche Kontakte pflegte. Auch diese Summe wurde bei der Sekretärin H. in bar hinterlegt, woraufhin sich S. das Geld aneignete. 19) Unrechtmäßige Abgabe von Benzin an den Verbandsrevisor gegen Bezahlung. 20)  Bezahlung von betriebsfremden Kosten zulasten der Genossenschaft von jewels 833 RM zugunsten des Kreisleiters Schubert für einen Ausflug seines Stabes an den Rhein, sowie 400 RM für Kauf und EInbau eines Radios in den Betriebswagen des Kreisleiters. 21)  Entnahme von Fleisch und anderen Waren aus den Kühlräumen der Metzgerei und dem verschlossenen Lager der Genossenschaft, sowie Diebstähle von Spirituosen aus dem Lager der Genossenschaft in den Jahren 1938 bis 1940. 22)  Unzüchtige Handlungen an dem von ihm beschäftigten Lehrmädchen in mindestens zehn Fällen vorgenommen. 23) Erpressung eines Fuhrunternehmers von 500 RM, der es in einem Fall versäumt hatte, einen Wagen zu entladen. Der S. drohte dem Geschädigten B. daraufhin an, ihn aus der Partei werfen zu lassen, es sei, denn er würde den Betrag von 500 RM entrichten. Siehe zum Ganzen Urteil des Sondergerichts Aachen vom 16.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 123–142. 614  Tatkomplexe 12 und 13, siehe Urteil des Sondergerichts Aachen vom 16.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 145. Tatkomplex 11 wurde in Tateinheit mit Tatkomplex 12 gewertet, Tatkomplexe 6, 7, 9 und 10, siehe Urteil des Sondergerichts Aachen vom 16.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 143 rev. 615  Tatkomplexe 6, 7, 9 und 10, siehe Urteil des Sondergerichts Aachen vom 16.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 143. 616  Tatkomplexe 1, 2, 3, 4 und 5, siehe Urteil des Sondergerichts Aachen vom 16.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 142 rev. 617  Tatkomplexe 14, 15, 16, 17 und 18, siehe Urteil des Sondergerichts Aachen vom 16.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 144. 618  Tatkomplex 22, siehe Urteil des Sondergerichts Aachen vom 16.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 144 rev. 619  Urteil des Sondergerichts Aachen vom 16.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 121. In den Übrigen Fällen erkannte das Sondergericht auf Freispruch mangels Beweises. Im einzelnen: Für Tatkomplex 8, 19, 20, 21, Urteil des Sondergerichts Aachen vom 16.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 144, 144 rev., sowie zur Erpressung, Tatkomplex 23, Urteil des Sondergerichts Aachen vom 16.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 142.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis415

wurden die Verfütterung von 70 Zentnern Brotresten an Vieh sowie die Unterschlagung und der illegale Verkauf regulierter Lebensmittel an Parteimitglieder als die schwerwiegendsten und die Todesstrafe rechtfertigenden Taten qualifiziert620. In der Begründung führte das Sondergericht aus, dass der Angeklagte das ihm übertragene Vertrauensverhältnis als Geschäftsführer in „hässlicher Weise“ für eigene Zwecke ausgenutzt habe, um die Lebensmittel „ohne jedes Gemeinschaftsgefühl“ an sich zu bringen, mit dem Ziel, „selbst friedensmäßig“ weiterleben und ausgewählte Parteifreunde berücksichtigen zu können621. Durch seine politische Stellung habe er zudem das „denkbar schlechteste Vorbild“ gegeben und die „innere Front“ gefährdet622. dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft In keiner anderen Sondergerichtssache, mit der die Staatsanwaltschaft betraut gewesen war, ist die zwischenbehördliche Korrespondenz derart lückenlos und umfangreich dokumentiert wie im gegenständlichen Verfahren. Dieser Umstand ist neben dem Umfang der Tat und der Bekanntheit des Angeklagten insbesondere der Konnexität zu einer Mehrzahl involvierter regionaler politischer Persönlichkeiten geschuldet, die in das Verfahren verstrickt waren623. Die Anzahl beteiligter Behörden beschränkte sich zudem nicht auf die übliche Kontaktachse zwischen Staatsanwaltschaft und RJM, sondern inkludierte das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, die Partei-Kanzlei in München, die Kanzlei des Führers in Berlin, den Gauleiter des Gaues Köln-Aachen sowie den Sondergerichtsvorsitzenden und den Haftanstaltsvorsteher. Die außerordentliche Brisanz um den Fall S. wird durch die Absicht des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, das „Urteil im Reichsmaßstabe“ veröffentlichen zu wollen, evident624. Bereits mit Abschluss des Ermittlungsverfahrens wurde der mit dem Fall betraute Sachbearbeiter Zimmerath, der anschließend auch die Sitzungsvertretung übernehmen sollte, gemeinsam mit GStA Osterkamp im RJM vorstellig und trug das Ermittlungsergebnis MinDir Crohne und StS 620  Siehe Tatkomplexe 12 und 13; soweit das Sondergericht diese beiden Komplexe als schwerste Taten ansah, siehe Urteil des Sondergerichts Aachen vom 16.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 145. 621  Ebd. 622  Ebd., Bl. 145 rev. 623  Siehe die Ausführungen zum Ermittlungsverfahren gegen Kreisleiter Sch. und andere, oben, S. 357. 624  Schreiben des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, Dr. Hoffmann an das RJM vom 21.12.1942, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 237.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Freisler vor625. Der Aachener Behördenleiter avisierte im Vorfeld der Hauptverhandlung, die Todesstrafe beantragen zu wollen626. Wenngleich durch das ausgesprochene Todesurteil dem Sanktionswillen der Anklagebehörde entsprochen wurde, offenbaren sich mit Blick auf die Herleitung der Todesstrafe zwischen Staatsanwaltschaft und Sondergericht Unterschiede. So hatte das Sondergericht die Todesstrafe wegen tateinheitlicher Verwirklichung von § 1 Abs. 1 KrWVO verhängt, während der Sitzungsvertreter die Todesstrafe in insgesamt drei Fällen beantragt hatte627. So kritisierte man von Seiten der Anklagebehörde, dass trotz der Vergabe beschränkter Lebensmittel ohne entsprechende Entgegennahme von Marken, bzw. der Abgabe oder des Verkaufs an Parteifreunde und der Verfütterung an eigenes Vieh die Anwendung von § 4 VVO verneint worden war628. Vereinzelte Abweichungen des Ermittlungsergebnisses von den Erkenntnissen der Hauptverhandlung suggerieren eine unsaubere Ermittlungspraxis, die sich vereinzelt in nicht belegbaren Mutmaßungen zum Tatvorsatz629, in Zurechnungsproblemen630 sowie in durch Zeugenaussagen wiederlegten Tatbestandsmerkmalen manifestierten631, und offenbaren erneut Arbeitsdefizite der Anklagebehörde. 625  Siehe

Notiz Freislers vom 9.6.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 28. des LOStA Aachen an das RJM vom 17.7.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 31. 627  Bericht des LOStA Aachen an das RJM vom 17.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 107. 628  Die Anklage legte ein Verbrechen gegen § 4 VVO zugrunde, Anklageschrift vom 17.7.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 33, während das Sondergericht die Anwendbarkeit von § 4 VVO gänzlich ablehnte, siehe Urteil des Sondergerichts Aachen vom 16.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 143, 144. 629  In Bezug auf vereinzelte illegale Weitergaben bezugsbeschränkter Lebensmittel unterstellte die Staatsanwaltschaft die Intention einer „Steigerung des Umsatzes“, während ein Rundschreiben dokumentiert, dass S. bezüglich des konkreten Tatvorwurfs auf die genaue Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen verwiesen hatte und bei einer Gelegenheit sogar eine Verwarnung ausgesprochen hatte, Anklageschrift vom 17.7.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 48 sowie Urteil des Sondergerichts Aachen vom 16.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 125 rev. Im Falle der Beantragung eines Sonderbezugsscheins über 90.000 kg Mehl, den der S. beantragt hatte, unterstellte die Staatsanwaltschaft, S. habe diesen Bezugsschein erschlichen, obwohl die weitestgehende Sachgemäßheit der gemachten Angaben bewiesen werden konnte, Anklageschrift vom 17.7.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 68 f. sowie Urteil des Sondergerichts Aachen vom 16.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 129. 630  Den Diebstahl von Lebensmitteln in der Metzgerei des Verbandes sowie im angegliederten Lagerraum rechnete die Staatsanwaltschaft dem S. umfänglich zu, obwohl dieser nach Zeugenaussagen und konkreten Umständen für einen Teil der Taten offensichtlich nicht in Betracht kommen konnte, siehe Anklageschrift vom 17.7.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 95 f. sowie Urteil des Sondergerichts Aachen vom 16.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 138 rev., 139 rev. 631  In einem Fall der Benzinabgabe an verbandsfremde Personen klagte die Staatsanwaltschaft S. unter anderem an, an einen Verbandsrevisor Benzin verkauft 626  Bericht



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Einen Schwerpunkt staatsanwaltschaftlicher Tätigkeit bildete im konkreten Verfahren die umfangreiche Korrespondenz mit unterschiedlichen Stellen im Rahmen des Gnadenverfahrens. Neben Gnadengesuchen durch Angehörige äußerte der Rechtsanwalt des S. zum Gang des Verfahrens in einzelnen Punkten die Kritik, die Verhängung der Todesstrafe sei zu hart gewesen632. Das Motiv der empfundenen unbilligten Härte folgerte der Verteidiger aus der Einschätzung, der Angeklagte sei als „Ortsgruppenleiter bei der Bevölkerung nicht beliebt“ gewesen. Das Volk wolle „den Kopf des S.“ sehen und „die Staatsanwaltschaft und anscheinend auch das Gericht“ hätten „dieser Forderung der Bevölkerung nachgegeben“633. Mit Ausnahme der Gauleitung Köln-Aachen äußerten sich sämtliche Stellen bezüglich der Erteilung eines Gnadenerweises ablehnend, so unter anderem der stellvertretende Vorsitzende des Sondergerichts Aachen634, der GStA, der den S. als „todeswürdig635“ qualifizierte sowie der Leiter der Haftanstalt, der anmerkte, dass der mittlerweile Verurteilte während der Untersuchungshaft „in der ihm eigenen Großspurigkeit“ versucht hatte, sich durch eine weitere Verfügung über bezugsbeschränkte Lebensmittel Freundschaften zu verschaffen636. Entgegen dieser Übereinstimmung zum Vollzug der Todesstrafe sprach sich der Gausachbearbeiter für Gnadensachen energisch für einen Gnadenerweis aus637, da S. „nicht als als ein Krimineller im eigentlichen Sinne des Wortes zu betrachten“ sei, sondern „durch äußere Umstände bedingt zum ersten Mal zu haben, und dieses im Anschluss für sich behalten zu haben. Die Buchführung der Sekretärin zeigte allerdings, dass die Beträge von der Sekretärin der Kasse zugeführt und auch verbucht worden waren, siehe Anklageschrift vom 17.7.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 91 sowie Urteil des Sondergerichts Aachen vom 16.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 129. Für den Fall der Erpressung verneinte das Sondergericht die Unterstellung einer rechtswidrigen Verschaffungsabsicht eines rechtswidrigen Vermögensvorteils, da der Angeklagte sich die Zahlung nachweislich der Hauptverhandlung quittieren ließ und der gegenständliche Geldbetrag auf dem Konto der WHV Ortsgruppe Würselen gutgeschrieben wurde, siehe Anklageschrift vom 17.7.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 100 sowie Urteil des Sondergerichts Aachen vom 16.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 142. 632  Gnadengesuch der Ehefrau S. vom 28.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 110, der Schwiegermutter des S. Vom 26.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 115 sowie der Nachbarin V. vom 27.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 117. 633  Stellungnahme des RA und Verteidigers des S. vom 28.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 115. 634  Schreiben AGR Küster an den LOStA in Aachen vom 30.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 196. 635  Stellungnahme des GStA an den RJM vom 24.11.1942, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 163. 636  Schreiben des Haftanstaltsleiters an den LOStA in Aachen vom 30.9.1942, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 197. 637  Schreiben des Gausachbearbeiters für Gnadensachen Dr. Luyken an den LOStA Aachen vom 19.10.1942, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 199.

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gegen das Gesetz verstoßen und sich dann in weiteren Rechtsbrüchen verirrt“ habe638. Nach dortiger Ansicht sei zudem die Parteizugehörigkeit des S. zur NSDAP als straferschwerendes Tatbestandsmerkmal gewertet worden639. Der Vorsitzende Richter bediente sich bemerkenswert klarer Worte bei seiner Kritikerwiderung, indem der ausführte, dass „ein deutsches Gericht zu Ungunsten eines Angeklagten nichts unterstelle“ und er sich „des Eindrucks nicht erwehren“ könne, dass die Stellungnahme der Gauleitung „einseitig und wunschbetont“ sei640. LOStA Führer verteidigte die Ausführungen des Landgerichtsdirektors gegenüber der Gauleitung uneingeschränkt und stellte bekräftigend fest, dass sich das Sondergericht im Gegenteil von „einer ganz besonderen Vorsicht“ habe leiten lassen und Tatsachen nur dann als erwiesen angesehen hat, wenn diese (…) unzweifelhaft erschienen“641. Die Unstimmigkeiten in der Gnadenfrage wurden in der Folgezeit auf die Reichsebene verlagert. So kam aus Sicht der Partei-Kanzlei der NSDAP in München eine Begnadigung des S. nach Einsichtnahme in die Akten nicht in Frage642. Nachdem die Partei-Kanzlei bei der KdF aufgrund der politischen Brisanz des Falles um Überlassung der Bearbeitung der Gnadensache ge­ beten hatte, verweigerte Letztere unter Ablehnung einer „überragend politischen Bedeutung“ die Abgabe der Sache und begründete vielmehr ihre ­eigene Zuständigkeit643. Trotz der Verlautbarung, die NSDAP werde „einheitlich für Vollstreckung eintreten644“, erfolgte die einen Gnadenerweis ablehnende Stellungnahme der KdF erst nach einer zweiwöchigen Bearbeitungszeit645. Diese verhältnismäßig lange Dauer indiziert, dass man nach 638  Ebd.,

Bl. 200. Bl. 204. 640  Schreiben Howahrdes an den LOStA Aachen vom 6.11.1942, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 207. 641  Bericht des LOStA Führer an das RJM vom 10.11.1942, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 158 rev. 642  Schreiben des Dienststellenleiter der Partei-Kanzlei an das RJM vom 23.12.1942, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 219. 643  Schreiben des Chefs der Kanzlei des Führers, Bouhler, an das RJM vom 22.1.1943, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 247 f. 644  Notiz aus dem Reichsjustizministerium vom 24.2.1943, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 257. Anm: Der Bericht ist datiert auf den „24.2.42“. Insbesondere aus den geschilderten Vorgängen des Vermerks, wie auch auf das Urteil vom 16.9.1942, auf welches unter Angabe auch dieses Datums eingegangen wird, handelt es sich bei der Angabe der Jahreszahl um ein redaktionelles Versehen des Verfassers der Notiz. 645  Siehe insoweit der vergangene Zeitraum zwischen Notiz aus dem Reichsjustizministerium vom 24.2.1943, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 257 und Schreiben der Kanzlei des Führers an den RJM vom 12.3.1943, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 261. Schreiben der Kanzlei des Führers an den RJM vom 12.3.1943, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 261. Diesen Ausführungen schloss sich, nachdem sie bereits zuvor ihre Ablehnung erklärt hatte, dann nochmals formell die Partei-Kanzlei ohne 639  Ebd.,



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Kompromissen suchte, um für die Gauleitung annehmbare Vollzugsmodalitäten zu schaffen. Eine Lösung der Unstimmigkeiten brachte der für den Standort Aachen einzigartige und als Privilegierung empfundene Vorschlag Thieracks, die Todesstrafe durch Erschießen zu vollstrecken646. Nachdem sich die KdF diesem Vorschlag gegenüber aufgeschlossen gezeigt hatte647, kam Thierack mit Gauleiter Grohé, der die abweichende Hinrichtungsmethode gleichermaßen begrüßte, entsprechend überein648. Indizien, die den Vorwurf einer fremdbehördlichen Lenkung des Entschlusses zur Beantragung der Todesstrafe rechtfertigen, sind trotz der umfangreichen Involvierung anderer Stellen nicht zu erblicken, da sich die Staatsanwaltschaft bereits frühzeitig auf diese Sanktion festgelegt hatte. Gleichwohl kann nicht verkannt werden, dass sich der gesamte Justizverwaltungsapparat mit der Drucksituation einer zu befürchtenden Rufabträglichkeit für Staatsanwaltschaft, Justiz und Partei konfrontiert sah: So wurde kurz nach der Urteilsverkündung in einem vertraulichen Ministeriumsbericht geschildert, dass der Fall über die Grenzen des Regierungsbezirks Aachen hinaus Bekanntheit erlangt hatte649 und „die Öffentlichkeit an keinem Prozess so leidenschaftlich Anteil genommen hat wie an diesem Verfahren“650. Dass hierdurch gesteigerter Handlungsbedarf für die Staatsanwaltschaft entstanden war, zeigt ein Schreiben des Behördenleiters, der die Gefahr der Rufabträglichkeit bereits während des Ermittlungsverfahren unter Verweis auf Gerüchte geäußert hatte, nach denen „das Verfahren durch die Staatsanwaltschaft doch nicht durchgeführt werde“651 und es S. gelänge, straflos zu bleiben652. Selbst Thierack kündigte aufgrund dieser Entwicklung an, das Urteil aufgrund der weitere Begründung an, Vermerk Thieracks vom 2.4.1943, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 271. 646  Siehe insoweit Schreiben Thieracks betr. die persönliche Besprechung mit dem Gauleiter Köln-Aachen vom 15.3.1943, indem dieser dem Gauleiter nach eigenen Angaben dieses „Zugeständnis“ machte, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 262. 647  Schreiben der Kanzlei des Führers an den RJM vom 12.3.1943, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 261. 648  Schreiben Thieracks betr. die persönliche Besprechung mit dem Gauleiter Köln-Aachen vom 15.3.1943, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 262. 649  So auch der Präsident des OLG Köln in einem außerordentlichen Bericht an das RJM vom 24.10.1942, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 149, 149 rev. 650  Ministerieller vertraulicher Bericht ohne Datumsangabe, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 221. Dies wird im Übrigen bestätigt durch ein Schreiben des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda an das RJM vom 21.12.1942, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 237 rev. 651  Bericht des LOStA Führer an das RJM von Ende Januar 1942, BArch, R 3001, Nr. 163394, Bl. 5 rev. 652  Ebd. sowie Bericht des EStA Ackermann an das RJM vom 6.3.1942, ebd., Bl. 18 rev.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

„erheblichen Breitenwirkung“653 vollstrecken lassen zu wollen. Am 13. April 1943 um 6:54 Uhr wurde S. auf dem Schießstand Aachen-Forst im Beisein des Behördenleiters durch ein Polizeikommando hingerichtet654. j) Der Fall Wilhelm L., Albert L., Heinrich H. und Karl S.655 aa) Täterprofile Die Brüder Wilhelm und Albert L. hatten bis zu ihrer Verurteilung als Landwirtschaftsgehilfen im elterlichen Betrieb gearbeitet und in den Jahren 1933–1934 sowie 1936–1937 im belgischen Heer gedient. Aufgrund der StaatsangehörigkeitsVO hatten beide Angeklagten die deutsche Staatsbürgerschaft auf Widerruf inne656. Der zum Zeitpunkt der Verurteilung 25 Jahre alte Heinrich H. war ebenfalls als Landwirtschaftsgehilfe in einem angrenzenden landwirtschaftlichen Betrieb tätig gewesen und besaß die belgische Staatsangehörigkeit657. Der Angeklagte S. hatte seit August 1941 bis zu seiner Entlassung im November 1943 als Hilfszollassistent gearbeitet. Der Kontakt zu den Brüdern L. und H. ergab sich aufgrund sporadischer Unterhaltungen während der Zollstreifen und wurde vertieft, als die Ehefrau des S. während ihrer Ferienzeit für den Zeitraum ihres Besuches am Hof der Familie L. übernachtet hatte658. Vorstrafen oder Informationen 653  Schreiben Thieracks an die Partei-Kanzlei der NSDAP betr. die persönliche Besprechung mit dem Gauleiter Köln-Aachen vom 15.3.1943, BArch, R 3001, Nr. 163395, Bl. 262. 654  Vollstreckungsbericht vom 13.4.1943, BArch, R 3001, Nr. 163396, Bl. 285. 655  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Nr. 179; neben L., L. und H. wurden noch vier weitere Personen angeklagt, hiervon drei Personen verurteilt. Das in Rede stehende Verfahren wird vom LAV NRW R fälschlicherweise nicht im Katalog der übrigen Todesurteile in Aachen geführt, sondern bei den regulären Verfahrensakten. Grund hierfür kann lediglich ein redaktionelles Versehen sein. Auf diese Weise lässt sich auch erklären, warum Birmanns in seinem Beitrag auf lediglich neun, statt tatsächlich 13 vom Sondergericht Aachen verhängte Todesurteile gelangt, Birmanns, Aachener Justiz in: ZAGV 1997, S. 247–259. Die Ermittlungsakte ist zudem nicht vollständig überliefert. So fehlen Personalbögen, Zeugenvernehmungen und sämtliche sonstige Justizverwaltungsdokumente. Einem stark beschädigten Dokument zufolge, welches sich in der Ermitttlungsakte befindet, waren ursprünglich wenigstens 12 Beschuldigtenvernehmungen, fünf Zeugenvernehmungen, sieben Polizeiberichte und zwei Haftbefehle inkludiert, die jedoch sämtlich fehlen, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Nr. 179, Bl. nicht angegeben. 656  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Nr. 179, Bl. 1. Mit StaatsangehörigkeitsVO ist an dieser Stelle die Verordnung über die Staatsangehörigkeit der Bewohner von Eupen, Malmedy und Moresnet vom 23.9.1941, RGBl. 1941 I, S. 584 f., gemeint. 657  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Nr. 179, Bl. 4. 658  Ebd., Bl. 5.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis421

zu Parteizugehörigkeit oder pathologischen Zuständen der Angeklagten sind nicht dokumentiert. bb) Sachverhalt Aufgrund der kriegsbedingten Verknappung von Lebensmitteln bestand im belgischen Grenzgebiet eine erhöhte Nachfrage an Vieh. Im Herbst 1943 wurde den dort ansässigen Landwirtschaftsbetrieben von der Bauernschaft aufgegeben, überschüssiges Vieh an den Staat abzugeben und dem Schlachtmarkt zuzuführen. Da sich durch den Verkauf an Schmuggler jedoch höhere Gewinne erzielen ließen und die Kaufpreise für Vieh in Belgien vergleichsweise hoch waren, wurde vermehrt illegaler Handel betrieben659. Vor diesem Hintergrund schlosen sich die Angeklagten zusammen und gingen arbeitsteilig wie folgt vor: Nachdem das Vieh bei grenznahen Bauernhöfen durch die Brüder L. aufgekauft worden war, wurde es auf den Hof eines Mitangeklagten auf deutscher Seite und von dort über Feldwege auf ein belgisches Gehöft getrieben. S. kam den Brüdern L. kurz vor der Grenze entgegen und eskortierte die Angeklagten. Aufgrund seiner Eigenschaft als Hilfszollassistent koordinierte er die Zeitpunkte des Schmuggels dergestalt, dass das Aufspüren durch andere Zollstreifen erschwert wurde. In einigen Fällen beteiligte sich H. am Viehschmuggel, während dessen Kernaufgabe im Übrigen in der Vermittlung des Viehs an belgische Abnehmer bestand660. Im Zeitraum von August bis Oktober 1943 verbrachten die Angeklagten auf diese Weise 44 Kühe und Stiere über die Grenze nach Belgien661. cc) Spruchpraxis Das Sondergericht verurteilte die Angeklagten am 15. Februar 1944 wegen Begehung eines Kriegswirtschaftsverbrechens in einem besonders schweren Fall gem. § 4 VVO und § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 KrWVO zum Tode662. Bei der Entziehung des Viehs seien nicht nur Erzeugnisse wie Milch und Fett, sondern insbesondere der enthaltene Fleischwert der Ernährungsgrundlage für das Deutsche Reich entzogen worden, welcher „die 659  Ebd.,

Bl. 6. Bl. 7, 8. 661  Der Sachverhalt wurde auf dahingehende Einlassung der Angeklagten in der Hauptverhandlung bestätigt ebd., Bl. 9. 662  Ebd., Bl. 5; darüber hinaus wurden L., L. und S. auch eines Devisenvergehens gem §§ 46 Nr. 1, 48 Gesetz über die Devisenbewirtschaftung für schuldig befunden, Zudem wurde S. in Tateinheit mit den übrigen Straftaten gem. § 332 RStGB wegen Bestechlichkeit im Amt für schuldig befunden, ebd., Nr. 179, Bl. 23. 660  Ebd.,

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Bedürfnisse eines wesentlichen Teils der Bevölkerung zu befriedigen“ vermocht hätte663. Die Erwägung eines besonderes schweren Falles basierte indes auf der „hoch aus der gewöhnlichen Ebene einer Straftat“ hinausgehenden Anzahl geschmuggelter Tiere664. Mitursächlich für die Verhängung der Todesstrafe war eine erkannte Verwirklichung von § 4 VVO. Dabei wurden die strafkonstitutiven außergewöhnlichen Verhältnisse unter Verweis auf die gängige Begründungsvariante latenten Personalmangels, in diesem Fall an der deutsch-belgischen Grenze, angenommen665. Darüber hinaus habe die kriegsbedingte Verknappung des Viehbestandes in Belgien die erheblichen Überpreise sowie eine Abnahme belgischer Käufer gewährleistet666. Die besondere Verwerflichkeit der Tat wurde abgeleitet aus einer Relation der festgestellten hohen Menge geschmuggelten Viehs zum vergleichsweise kurzen Tatzeitraum von maximal sieben Wochen, sowie der Planmäßigkeit des Vorgehens, obwohl „die Gefährdung der Versorgungslage des deutschen Volkes gleichbedeutend mit einer Gefährdung des Endsieges“ war667. Die Tatsache, dass die strafverschärfende Relationsabwägung für S. aufgrund des nur gelegentlichen Tatbeitrags nicht zutraf, wurde nach Ansicht des Sondergerichts durch dessen Eigenschaft als Zollbeamter kompensiert, indem ihm „eine tiefere Einsicht in die Belange der Volksgemeinschaft“ als den Mitangeklagten unterstellt wurde668. Die subjektive Volksschädlingseigenschaft folgerte das Sondergericht aus der bloßen Verwirklichung des objektiven Tatbestands durch die Sabotage der Ernährungslage669. dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft Die Beantragung der Todesstrafe hatte sich nach entsprechender Willensäußerung des Behördenleiters über die Verurteilten hinaus auch auf den zu 663  Ebd.,

Bl. 21. Bl. 22. 665  Ebd., Bl. 24. Die These, die Angeklagten haben diesen Umstand auch gekannt und ausgenutzt wird untermauert durch eine dahingehende Einlassung des S. während eines Verhörs im Rahmen der polizeilichen Ermittlung, auf welche sich das Sondergericht beruft, ebd. 666  Ebd., Bl. 25. Die Aussagen und sichergestellten Geldnoten ergaben einen Geldfund bei Wilhelm L. iHv 49.360 belgischen Francs, zudem 20.000 belgische Francs, die an H. verliehen wurden. Nach Aussage des Albert L. habe er 60.000 belgische Francs erhalten, Vieh wurde für 600 bis 1.400 RM eingekauft und für 16.000 (1.280 RM) bis 20.000 (1.600 RM) belgische Francs weiterveräußert. S. hat 13.500 belgische Francs erhalten (damaliger Umrechnungskurs 1 RM= 0,08 belgische Francs), ebd., Bl. 13, 15. 667  Ebd., Bl. 26. 668  Ebd., Bl. 25. 669  Ebd. 664  Ebd.,



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis423

Zuchthaus verurteilten D. erstreckt670. D. hatte den Angeklagten eine ihm gehörige Wiese zur vorübergehenden Unterbringung des zu verkaufenden Viehs zur Verfügung gestellt und 15 Rinder aus dem eigenen Bestand veräußert671. Während die Staatsanwaltschaft diese Handlung als täterschaftlich und daher „todeswürdig“ qualifizierte672, kam das Sondergericht zu dem Ergebnis einer bloßen Beihilfehandlung673, da D., trotz späterer Kenntnis, kein eigenes Interesse an der Verschiebung des Viehs ins Ausland mangels entsprechender Gewinnbeteiligung gehabt habe. Die Erwägungen, die das Gericht in seiner Begründung bezüglich des D. anstellte, ließ die Anklageschrift gänzlich vermissen, sodass das Sondergericht erneut die Tatsachenermittlungen in einem Umfang übernommen hatte, der in den sachlichen Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft gefallen wäre. Trotz der Abweichung in der rechtlichen Würdigung des D. als Teilnehmer hielt der Behördenleiter das Urteil ohne weitergehende Ausführungen für „sach­ gemäß“674. Stellungnahmen der Generalstaatsanwaltschaft sowie des RJM blieben aus. Nachdem Thierack entschieden hatte, von dem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch zu machen675, wurden H., S. und die Brüder L. am 20. April 1944 ab 15 Uhr in fünfminütigen Abständen auf der Richtstätte des Gefängnisses Köln Klingelpütz hingerichtet676. k) Der Fall Mathias P.677 aa) Täterprofil Der am 14. Januar 1913 geborene Angeklagte P. hatte nach seiner Schulentlassung die Lehre zum Weber angetreten und in der Folge unregelmäßig in verschiedenen Tuchfabriken gearbeitet. Bis zu seiner Verurteilung zum Tod war P. bereits viermal vorbestraft gewesen. So hatte er erstmals als 15-Jähriger versucht, den Opferstock einer Kirche mit Hammer und Meißel 670  Ebd.,

Handakte, Bl. 2 rev. Handakte, Bl. 5rev. 672  Ebd., Handakte, Bl. 2 rev. 673  Ebd., Ermittlungsakte, Bl. 2. 674  Ebd., Handakte, Bl. 19. 675  Ebd., Vollstreckungsheft H., Bl. 18 rev. 676  Vollstreckungsbericht H., ebd., Vollstreckungsheft H., Bl. 19; Vollstreckungsbericht Wilhelm L., ebd., Vollstreckungsheft Wilhelm L., Bl. 32; Vollstreckungsbericht S., ebd., Vollstreckungsheft S., Bl. 19; Vollstreckungsheft und -bericht von Albert L. fehlen, seine Hinrichtung geht aber aus dem dahingehenden Schlussbericht der Staatsanwaltschaft Aachen an Dr. Francke im RJM vom 27. April 1944 hervor, indem die Hinrichtung S.s nochmals explizit genannt wird, ebd., Handakte, Bl. 38. 677  BArch R 3001, Nr. 162245. 671  Ebd.,

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

zu öffnen, um an das darin befindliche Geld zu gelangen. Im Frühjahr 1933 zündete er willkürlich Gras an, wodurch insgesamt 65 Hektar Land im Waldgebiet „Hohes Venn“ bei Aachen vernichtet wurden. Zwei Jahre später entwendete er bei seinem damaligen Arbeitgeber Webspulen mit Garn und versuchte, diese zu verkaufen. Zuletzt trat er 1941 wegen Betruges strafrechtlich in Erscheinung678. bb) Sachverhalt Im Zeitraum zwischen September und Oktober 1942 hatte sich P. in über 15 Fällen als Kriminalbeamter, wahlweise als Zollbeamter ausgegeben, um unter diesem Vorwand Durchsuchungen bei ausländischen Hilfsarbeitern vorzunehmen und Lebensmittel und Spirituosen zu entwenden679. Dabei trug der P. nach eigenen Einlassungen unberechtigerweise ein Parteiabzeichen oder eine weiße Marke mit Initialen, um eine Berechtigung zu fingieren680. In mindestens einem Fall drohte P. seinem Opfer, es der Zollfahndungsstelle zu übergeben, falls es sich weigere, ihm Geld zu überlassen681. cc) Spruchpraxis Das Sondergericht Aachen verurteilte P. gemäß § 1 ErweiterungsVO682, § 4 VVO, §§ 132, 253, 263 StGB sowie § 3 HG zum Tode683. Für die Verhängung der Todesstrafe wurde im Rahmen von § 1 ErweiterungsVO maßgeblich auf die Gefahr der Rufabträglichkeit für Polizei, Zoll und Partei bei ausländischen Hilfsarbeitern abgestellt, indem P. unter Vortäuschens einer Amtseigenschaft suggerierte, dass bei Ermittlungsbehörden und Partei „korrupte Zustände“ herrschten684. Die Ausnutzung außergewöhnlicher Kriegsumstände im Rahmen von § 4 VVO sah das Sondergericht aufgrund der abstrakten Notwendigkeit zur Beschäftigung ausländischer Hilfsarbeiter in der Kriegszeit sowie deren Unkenntnis von „deutschen Verhältnissen“ als verwirklicht an685.

678  Ebd.,

Bl. 32. des Sondergerichts Aachen vom 30.3.1943, ebd., Bl. 30 rev. 680  Ebd., Bl. 29, 30. 681  Ebd., Bl. 29 rev. 682  Verordnung zur Erweiterung und Verschärfung des strafrechtlichen Schutzes gegen Amtsanmaßung vom 9.4.1942, RGBl. 1942 I, S. 174. 683  Urteil des Sondergerichts Aachen vom 30.3.1943, ebd., Bl. 27. 684  Ebd., Bl. 21. 685  Ebd., Bl. 20 rev., 21. 679  Urteil



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis425

dd) Anklagepraxis und sonstiges Tätigwerden der Staatsanwaltschaft Die Anklageschrift deckte sich sowohl hinsichtlich des ermittelten Sachverhalts wie auch dessen rechtlicher Würdigung mit den im Urteil des Sondergerichts Aachen zugrundegelegten Erwägungen686. Insbesondere sah man, wie auch das erkennende Gericht – neben der Verwirklichung von § 1 Abs. 1 ErweiterungsVO – durch die amtsanmaßenden Handlungen § 4 VVO als gegeben an687. Die kommunizierte Intention der Beantragung der Todesstrafe wurde vom GStA als sachgemäß empfunden688. Zusätzlich wurde der Aachener Behördenleiter angewiesen, in der Hauptverhandlung zu prüfen, „ob der Angeklagte nicht als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher anzusehen“ sei689. Inwieweit der Sitzungsvertreter dieser Weisung tatsächlich nachkam, ist nicht dokumentiert. Mangelnde diesbezügliche Ausführungen im Urteil legen jedoch die Schlussfolgerung nahe, dass jedenfalls kein eingehender Diskurs über die Anwendbarkeit von § 20 a StGB im Rahmen der Hauptverhandlung stattfand690. Ein Gnadenerweis schied nach den entsprechenden Gutachten des Aachener Behördenleiters691, des Haftanstaltvorstehers692, sowie des Vorsitzenden der Heimatpolizeibehörde des P. aus693. Am 11. Mai 1943 um 20.49 Uhr wurde P. auf der Richtstätte des Gefängnisses Köln-Klingelpütz mittels Fallbeils hingerichtet694.

686  Da die Ermittlungsdokumente wie Zeugenvernehmungen und sonstige Beweismittel in der Akte nicht enthalten sind, muss aufgrund der wesentlichen Deckungsgleichheit der Erwägungen in Anklageschrift und Urteil davon ausgegangen werden, dass der Anklageschrift keine nennenswerten Defizite zugrunde liegen. 687  Anklageschrift vom 13.3.1943, BArch R 3001, Nr. 162245, Bl. 4,11. 688  Siehe Bericht des LOStA Aachen an das RJM vom 13.3.1943, BArch R 3001, Nr. 162245, Bl. 1 sowie die Stellungnahme des GStA vom 22.3.1943, BArch R 3001, Nr. 162245, Bl. 1 rev. 689  Ebd. 690  Dieser Rückschluss erlaubt sich aufgrund des Vergleiches zu anderen Sondergerichtsurteilen. Sofern abweichend von Anklageschriften oder Schlussanträgen der Staatsanwaltschaft im Falle einer divergierenden Meinung über die Anwendbarkeit einer Norm deren Ablehnung erfolgte, wurde dies im Rahmen des Urteils in aller Regel wenigstens kurz begründet. 691  Stellungnahme des LOStA Führer an das RJM vom 9.4.1943, BArch R 3001, Nr. 162245, Bl. 23, 24. 692  Stellungnahme des Haftanstaltsvorstehers vom 2.4.1943, BArch R 3001, Nr. 162245, Bl. 25. 693  Ebd., Bl. 26. 694  Vollzugsprotokoll vom 11.5.1943, BArch R 3001, Nr. 162245, Bl. 37.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

5. Auswirkungen der VereinfachungsVO vom 29. Mai 1943 für die Ermittlungs- und Anklagepraxis Von praktischer Relevanz für die lokale Anklagepraxis war Artikel 2 der im Mai 1943 erlassenen Dritten VO zur Vereinfachung der Strafrechtspflege. Dieser ergänzte § 200 Abs. 2 StPO dahingehend, dass die Staatsanwaltschaft von der Darstellung des wesentlichen Ermittlungsergebnisses in der Anklageschrift absehen konnte, wenn diese „zur Vorbereitung der Hauptverhandlung nicht erforderlich“ war695. Der primäre Zweck dieser Maßnahme, der auch vom Aachener Behördenleiter positiv hervorgehoben wurde, bestand in einer „erheblichen Ersparnis an Schreibarbeit“, wodurch sich die Verordnung auf lokaler Ebene bereits „bewährt“ hatte696. Zu Problemen konnte die verkürzte Anklageschrift führen, sofern den Angeschuldigten der vorgeworfene Sachverhalt nicht hinreichend bekannt gegeben und eine ordnungsgemäße Verteidigung nicht gewährleistet werden konnte. Der Verzicht auf die Darstellung des wesentlichen Ermittlungsergebnisses barg zudem die Gefahr von Vertagungen der Hauptverhandlung, soweit die sonstigen Ausführungen der Staatsanwaltschaft in der mündlichen Verhandlung für eine Verurteilung nicht ausreichten. Auf Anfrage des GStA zur Wirkung und Anwendung der VereinfachungsVO führte der Behördenleiter aus, von dieser Möglichkeit „in sehr zahlreichen Fällen Gebrauch gemacht“ zu haben697. Der Gefahr mangelnder Verteidigungsmöglichkeit begegnete man durch eine umfängliche Vernehmung im Ermittlungsverfahren, bei welcher Gelegenheit dem Beschuldigten anschließend alle vorliegenden belastenden Beweise und Verdachtsgründe vorgehalten wurden. Fälle einer mangelnden Verteidigungsmöglichkeit sowie einer auf der verkürzten Anklageschrift basierenden Vertagung der Hauptverhandlung existieren weder nach Ausführungen des LOStA Führer698, noch nach überlieferter Aktenlage. Es ist allerdings zu bemerken, dass die Verkürzung der Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft regelmäßig nicht unter gänzlichem Verzicht auf die Darstellung des wesentlichen Ermittlungsergebnisses erfolgte, sondern das Ermittlungsergebnis inhaltlich und umfangmäßig vielmehr auf ein Minimum reduziert wurde. Die Verkürzung erfolgte deliktsübergreifend und hatte, soweit sie zur Anwendung kam, zur Folge, dass insbesondere täterbezogene 695  Art. 2 der Dritten Verordnung zur Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 29.5.1943, RGBl. 1943 I, S. 342. Ein Muster einer Anklageschrift, an welchem sich auch die von der Staatsanwaltschaft Aachen eingereichten Anklagen orientieren, findet sich in Henkel, Strafverfahren, S. 500. 696  Schreiben des LOStA an den GStA vom 11.12.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Nr. 28, Bl. 41. 697  Ebd. 698  Ebd.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis427

Ausführungen oder sonstige wertende Anknüpfungspunkte, die Aufschluss über Haltung, Motive und strafrechtliche Wertvorstellungen gegeben hätten, durch diese Reduktion nicht überliefert sind. Umgekehrt zeigt aber die sowohl delikts- als auch personenbezogene Immanenz der Anwendung der VereinfachungsVO ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses, dass Verkürzungen nicht systematisch angewendet wurden, um einen verminderten oder zusätzlichen Unrechtsgehalt zu suggerieren. In Strafsachen, denen komplexe Sachverhaltskonstellationen oder Beweis- und Rechtsfragen zugrunde lagen, wurde indes auf eine ausführliche Darstellung des wesentlichen Ermittlungsergebnisses grundsätzlich nicht verzichtet699. 6. Fachärztliche Begutachtungen des Geisteszustandes Die Einholung fachärztlicher Gutachten stellte im Rahmen der Ermittlungs- und Anklagepraxis ein besonderes Element dar, indem neben der Staatsanwaltschaft eine externe Stelle aktiv in das Ermittlungsverfahren involviert wurde. Die abstrakte Erheblichkeit dieser Beteiligung manifestiert sich einerseits in einer umfänglichen Aktenüberlassung durch die Anklagebehörde, welche die medizinische Stelle auf einen vergleichbaren Stand ermittlungsspezifischer Erkenntnisse brachte. Zum anderen war der ärztlichen Begutachtung rechtserheblicher Charakter beizumessen, da sich der medizinische Sachverständige verbindlich zum Vorliegen strafausschließender, strafmildernder oder maßregelnder Voraussetzungen gemäß §§ 51 Abs. 1 und 2 sowie den §§ 42 lit. a-n StGB äußerte700. Die nachfolgende Darstellung soll Aufschluss über die konkrete Relevanz und lokale Umsetzung der Begutachtung sowie die Zusammenarbeit mit der begutachtenden Stelle geben. Es soll geklärt werden, welche konkrete Bindungswirkung fachärztlichen Gutachten für die rechtliche Beurteilung von Zurechnungsfähigkeit, Unzurechnungsfähigkeit und Maßregeln der Sicherung und Besserung durch die Staatsanwaltschaft beizumessen ist.

699  Ebd.

700  Die normativen Vorgaben zur strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit und zu den §§ 42 a-n StGB wurden im Zuge des Erlasses des Gesetzes gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933 reformiert, RGBl. 1933 I, S. 996 f., 998. Neu war im Rahmen des § 51 der eingefügte Abs. 2, der erstmals die verminderte Zurechnungsfähigkeit regelte: „War die Fähigkeit, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder nach Einsicht zu handeln, zur Zeit der Tat (…) erheblich vermindert, so kann die Strafe nach den Vorschriften über die Bestrafung des Versuchs gemildert werden“, RGBl. 1933 I, S. 998.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

a) Voraussetzungen und staatsanwaltschaftliche Intention Die Modalitäten der Einholung von fachärztlichen Gutachten regeln die Nummern 84–87 der Richtlinien für das Strafverfahren701. Hiernach sollte der StA auf eine mit der Erstellung eines fachärztlichen Gutachtens einhergehende ärztliche Beobachtung nur hinwirken, wenn diese „zu der Bedeutung der Strafsache in angemessenem Verhältnis steht, insbesondere wenn mit der Anordnung einer (…) Maßregel der Sicherung und Besserung (…) zu rechnen ist, oder wenn ein dringendes öffentliches Interesse an der Klärung der Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten“ bestand702. Sofern diese Voraussetzungen vorlagen oder von der Staatsanwaltschaft als gegeben qualifiziert wurden, stellte sie dem ärztlichen Sachverständigen die gesamten Verfahrensakten, Dokumente von Justizvollzugsanstalten, medizinische Gutachten sowie Dokumente kriminalbiologischer Stellen zur Verfügung703. Die zu erstellenden Gutachten dienten regelmäßig zur Erörterung der Frage, ob bei den Angeklagten bei Tatbegehung eine die Strafbarkeit ausschließende Unzurechnungsfähigkeit gemäß § 51 Abs. 1 StGB oder eine verminderte Zurechnungsfähigkeit gemäß § 51 Abs. 2 StGB anzunehmen war. Darüber hinaus hatten sich die Gutachten je nach Einzelfall mit dem Erfordernis der Verhängung einer Maßregel zur Sicherung und Besserung gemäß §§ 42 lit. a–n StGB zu befassen, die durch Unterbringung in Pflegeanstalten, Trinkerheilanstalten, Arbeitshäusern, einer anzuordnenden Sicherungsverwahrung oder einer Entmannung zu vollziehen waren704. Für minderjährige Angeklagte sollte das medizinische Gutachten zudem Auskunft darüber geben, ob diese ihrer „geistigen und sittlichen Entwicklung“ entsprechend einer über 18 Jahre alten Person gleichzusetzen waren705 oder ob die Haftfähigkeit der Angeklagten gewährleistet war706. Soweit sich nicht bereits aus konkreten Tatumständen, wie einer Qualifikation zum gefährlichen Gewohnheitsverbrecher oder eines Alkoholeinflusses bei Tatbegehung, die Einholung ei701  Nummern 84–87 der Richtlinien für das Strafverfahren, AV des RJM vom 13.4.1935, Amtliche Sonderveröffentlichung der DJ Nr. 7, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 90 f. 702  Nr.  84 Abs. 2 der Richtlinien für das Strafverfahren, AV des RJM vom 13.4.1935, Amtliche Sonderveröffentlichung der DJ Nr. 7, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 90. 703  Nr.  85 Abs. 2 der Richtlinien für das Strafverfahren, AV des RJM vom 13.4.1935, Amtliche Sonderveröffentlichung der DJ Nr. 7, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 90. 704  Vgl. § 42 a StGB, abgedruckt in: RGBl. 1933 I, S. 996. 705  Siehe fachärztliche Gutachten zu B. und M., LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 332, Bl. 84–92 sowie 94–99. 706  Fachärztliches Gutachten zu B. bezüglich der Prüfung der Haftfähigkeit vom 22.4.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 562, Bl. 55.



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ner ärztlichen Begutachtung ergab, beinhalten die polizeilichen Ermittlungsakten vereinzelt Hinweise, die eine ärztliche Untersuchung originär begründeten. So eigneten sich bereits unverbindlichste Einschätzungen örtlicher Polizeistellen, der Angeklagte habe sich bei seiner Vernehmung „dumm und dämlich“ gestellt oder in dessen Familie befänden sich „schwachsinnige Familienmitglieder“, zu einer gutachterlichen Einschaltung707. Anderweitige in „angemessenem Verhältnis“ zur „Bedeutung der Sache“ stehende Umstände, die neben zu erwartenden Maßregeln der Sicherung und Besserung eine Einholung eines ärztlichen Gutachtens durch die Staatsanwaltschaft Aachen bedingten, sind nicht überliefert. Die für Aachen erstellten Gutachten wurden ausnahmslos auf dahingehendes Ersuchen des LOStA durch die Rheinische-Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in Düren erstellt, nachdem das Ermittlungsverfahren im Wesentlichen abgeschlossen war708. b) Aufbau und inhaltliche Ausgestaltung der Gutachten Das fachärztliche Gutachten des zuständigen Medizinalrats der Heil- und Pflegeanstalt in Düren gliedert sich in drei Teile, den sogenannten „Aktenauszug“, die eigentliche Untersuchung, die sich in einen physischen und psychischen Befund unterteilt, sowie die abschließende Begutachtung. Im einleitenden Teil des „Aktenauszugs“ wurde zunächst eine auf den zur Verfügung gestellten Verfahrensakten basierende inhaltliche Zusammenfassung des wesentlichen Ermittlungsergebnisses der Strafverfolgungsbehörden gegeben. Diese Zusammenfassung setzte sich konkret aus den Inhalten von Zeugenvernehmungen, polizeilichen Berichten, sonstiger Korrespondenz, verhängter Vorstrafen sowie – falls vorhanden – vormaligen Ausführungen ärztlicher und kriminalbiologischer Stellen wie des Erbgerichtshofs zusammen. Der Aktenauszug dokumentierte insoweit die Sachfeststellungen, die dem eigentlichen Gutachten zugrundegelegt wurden und erfüllte zudem eine Garantiefunktion, dass nämlich der Sachverständige die wesentlichen Ermittlungsergebnisse berücksichtigt und gewürdigt habe. Dieser Teil machte quantitativ circa ein Fünftel des gesamten Gutachtens aus und bildet die inhaltliche Grundlage des späteren Untersuchungsgesprächs. Im zweiten Teil des Gutachtens wurden die Untersuchungsergebnisse dokumentiert, wobei der psychische Befund nicht nur inhaltlich, sondern auch quantitativ regelmäßig dominierte. Bei der Erstellung des psychischen Befundes wurde 707  Bericht der Gendarmerie Hellenthal vom 18.8.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 196, Bl. 16. 708  Dies lässt sich aus den entsprechenden Datierungen der Dokumente sowie der chronologischen Heftung der Dokumente durch die Staatsanwaltschaft folgern. Das fachärztliche Gutachten stellte, soweit erforderlich, regelmäßig den finalen Ermittlungsakt vor Erstellung der Anklageschrift dar.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

der Beschuldigte zunächst aufgefordert, Angaben zu seiner Familie und zur eigenen Person zu machen. Im Anschluss begann die Befragung, welche sich auf Lebensverhältnisse sowie auf konkrete strafrechtliche Vorwürfe bezog. Je nach Abweichung der vom Beschuldigten gemachten Ausführungen vom objektiven Ermittlungsergebnis forderte der Sachverständige in bisweilen harschem Ton zur wahrheitsgemäßen Aussage auf. Auch im Gespräch bediente sich der Sachverständige teils wertender Ausführungen, indem er beispielsweise äußerte: „Ich glaube, Sie flunkern mir hier was vor und wissen nicht, wie Sie sich herausreden sollen!“709. Weitere Fragen bezogen sich auf schulisch erworbenes Allgemeinwissen, den Kriegsverlauf, gängige Abkürzungen von Untergliederungen der NSDAP, Zeitangaben zu Feiertagen, den Grund von Feiertagen, politische Personen des öffentlichen Lebens, Abfragen mathematischer Grundkenntnisse, Fragen zu allgemeinem Lebenswissen, Unterschiedsfragen, Satzbildungsaufgaben, Erläuterungsaufgaben zu Sprichworten, Fragen zu sittlichen Allgemeinvorstellungen, die Definition abstrakter Begriffe sowie auf Gedächtnis- und Merkfähigkeitsübungen. Auf Grundlage dieser Untersuchung folgte die abschließende Beurteilung des Beschuldigten zur Frage eines Vorliegens von Geisteskrankheit, Schwachsinn oder anderen pathologischen Geisteszuständen, die von strafrechtlicher Relevanz sein konnten. Zudem wurde regelmäßig zur Frage der Geeignetheit und der Folgen einer längeren Strafhaft für den Beschuldigten Stellung bezogen. Im Rahmen dieser Gesamtwürdigung nahm der Sachverständige bisweilen juristische Einschätzungen vor, die über das eigentlich medizinische Kerngebiet hinausgingen710. Zusammenfassend wurde in drei Punkten eine wertende Ausführung zum Charakter des Beschuldigten gegeben, wie etwa bei der Einschätzung, dieser sei ein „haltloser, moralisch minderwertiger Psychopath“711, eine „reichlich beschränkte, sexuell gespannte und triebhafte Persönlichkeit“712, ein „affekterregbarer, geltungssüchtiger, pseudologistischer, asozialer Psychopath“713 oder ein „charakter709  Fachärztliches Gutachten für K. vom 19.2.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 196, Bl. 59. 710  So etwa in der abschließenden Beurteilung des B., dem Medizinalrat Stillgen eine „Neigung zu Eigentumsdelikten“ attestierte, die B. zu einer „großen Gefahr“ für die Öffentlichkeit machte, siehe fachärztliches Gutachten zu B. vom 11.5.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 188, Bl. 70. 711  So etwa fachärztliches Gutachten zu K. vom 19.2.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 196, Bl. 67 rev.; Gutachten zu B. vom 11.5.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 188, Bl. 73 rev.; ähnlich auch Beurteilung des G. vom 28.1.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 228, Bl. 255. 712  Fachärztliches Gutachten zu G. vom 3.3.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 218, Bl. 25 rev. 713  Fachärztliches Gutachten zu P. vom 29.10.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 219, Bl. 70.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis431

lich abnormer Mensch“714. Schließlich folgte die entscheidende Einschätzung eines Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 oder 2 StGB sowie des Vorliegens der Voraussetzungen, welche Maßregeln der Sicherung und Besserung eventuell gerechtfertigt wären. Aus den Textmarkierungen der Staatsanwaltschaft geht hervor, dass sich die Durchsicht der Anklagebehörde grundsätzlich auf diese finale Beurteilung des Beschuldigten, sowie die in den drei Punkten zusammengefasste rechtliche Würdigung beschränkte. c) Prozessuale Relevanz und Bindungswirkung der Gutachten LOStA Führer holte in insgesamt 45 Verfahren gegen 49 Beschuldigte deliktsübergreifend ärztliche Gutachten der Heil- und Pflegeanstalt in Düren ein715. In den Gutachten zu insgesamt drei Personen war eine Unzurechnungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Tatbegehung von ärztlicher Seite nicht auszuschließen gewesen, während in einem Fall die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 StGB zweifelsfrei festgestellt wurden. Bis auf ein Verfahren, in welchem eine Unzurechnungsfähigkeit nicht auszuschließen gewesen war, würdigte die Staatsanwaltschaft ärztliche Erkenntnisse befürwortend oder neutral in den jeweiligen Anklageschriften. Bei insgesamt 20 Beschuldigten wurden die Voraussetzungen einer verminderten Zurechnungsfähigkeit durch den Sachverständigen bejaht. In acht dieser Fälle wurde die festgestellte Einschränkung in Bezug auf die konkrete Tatbegehung jedoch als nicht relevant qualifiziert. Für derartige Beurteilungen stellte die Anklagebehörde aufgrund der Akten regelmäßig auf die Frage ab, ob es dem Beschuldigten zum Zeitpunkt der Tatbegehung möglich war, das von ihm begangene Unrecht zu reflektieren und ein dahingehendes Unrechtsbewusstsein zu haben. In der praktischen Umsetzung verneinte die Staatsanwaltschaft eine Relevanz einer festgestellten verminderten Zurechnungsfähigkeit nicht bloß bei erhöhtem Alkoholeinfluss, sondern bisweilen sogar dann, wenn für die beschränkte Einsichtsfähigkeit „mittelgradiger angeborener Schwachsinn“ ursächlich war716. Im Rahmen eines Verstoßes gegen die VVO konterkarierte 714  Fachärztliches Gutachten zu K. vom 2.2.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 206, Bl. 82. 715  Verfahren, in denen ein ärztliches Gutachten eingeholt wurde, stellten mithin 6,3 % des gesamten Verfahrensanfalls bei der Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen dar. 716  Fachärztliches Gutachten gegen B. vom 11.10.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 213, Bl. 174. So auch in der Anklageschrift gegen F. und andere vom 22.4.1943 von der Staatsanwaltschaft übernommen, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 213, Vollstreckungsheft Bl. 23.

432

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis Tabelle 21 Verfahren, in denen fachärztliche Gutachten eingeholt wurden

Deliktsgruppe

Anzahl

Prozentualer Anteil

Heimtückegesetz

 8

  17,80 %

KrWVO

10

  22,22 %

VVO

19

  42,22 %

RundfunkVO

 2

  4,44 %

WehrkraftVO

 3

  6,66 %

KSSVO

 1

  2,22 %

Körperverletzung

 1

  2,22 %

Diebstahl

 1

  2,22 %

Gesamt

45

100,00 %

die Anklagebehörde argumentativ die ärztliche Einschätzung verminderter Zurechnungsfähigkeit, indem sie im Wege eines argumentum a fortiori aus dem pathologischen Zustand des Angeklagten ein gesteigertes Indiz für dessen subjektive Volksschädlingseigenschaft ableitete: „Die Tatsache, dass der Angeklagte nach dem Gutachten des Sachverständigen infolge seiner intellektuellen Minderwertigkeit und geistigen Abnormität nicht die nötige Einsicht in sein Tun hat und willensmäßig äußerst hemmungslos ist, kann ihn für die Volksgemeinschaft nur noch umso gefährlicher erscheinen lassen“717. Stellt man auf die Bindungswirkung der ärztlichen Gutachten für die Staatsanwaltschaft ab, so zeigt sich mit Ausnahme des Gutachtens, in welchem die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 StGB positiv festgestellt wurden, dass die ärztliche Meinung nur eine Komponente für die Gesamtbeurteilung durch die Staatsanwaltschaft bildete und diese – entsprechend dem Wortlaut von § 51 Abs. 2 StGB – nicht zwingend übernommen werden musste718. 717  Anklageschrift der Staatsanwaltschaft gegen K. vom 5.3.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 206, Bl. 100. Auch in der Anklage gegen P. konnte die medizinisch festgestellte verminderte Zurechnungsfähigkeit gemäß § 51 Abs. 2 StGB die Staatsanwaltschaft nicht davon abbringen, den P. aufgrund der Schwere der Tat und der ihn getriebenen Beweggründe als Volksschädling zu qualifizieren, siehe Anklageschrift gegen P. vom 28.4.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 333, Bl. 49. 718  Siehe zum Wortlaut der Norm nochmals RGBl. 1933 I, S. 998. Die gesetzlich normierte, nicht fakultative Bindungswirkung bei Vorliegen der Voraussetzungen von



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis433

Der Umstand, dass eine verminderte Schuldfähigkeit nicht auszuschließen war, entfaltete indes regelmäßig keine tätergünstige Vermutungswirkung, sondern wurde vielmehr zum Anlass genommen, einen Strafmilderungsgrund grundsätzlich abzulehnen. Selbst in Verfahren mit anschließendem Todesurteil, in denen festgestellt wurde, dass „möglicherweise“ die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 erfüllt waren719, wurde von dieser Anklagepraxis kein Abstand genommen, wie ein dahingehender Bericht des LOStA an das RJM verdeutlicht: „Der Sachverständige vertritt die Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 StGB gegeben sein könnten, falls die Angaben des Angeklagten über den Alkoholgenuss richtig sein sollten. Der von mir in Aussicht genommene Strafantrag (…) wird, soweit voraussehbar, durch die Feststellungen des Sachverständigen nicht berührt werden“720. Dass die Anwendbarkeit von § 51 Abs. 2 StGB durch das Gericht nur fakultative Wirkung hatte, zeigt das Verfahren gegen die K., bei welchem trotz positiv diagnostizierter verminderter Zurechnungsfähigkeit von der Anwendung des § 51 Abs. 2 StGB abgesehen wurde, weil er nach Auffassung des Sondergerichts „nur durch eine nachträgliche Strafe dazu gebracht werden kann, in Zukunft derartige Straftaten zu unterlassen“721. Soweit es die Feststellung und Anregung von Maßregeln der Sicherung und Besserung betrifft, wurden dahingehende Voraussetzungen in acht Fällen durch die Heil- und Pflegeanstalt für erforderlich gehalten, während sich die Staatsanwaltschaft in lediglich einem Fall der dahingehenden ärztlichen Empfehlung verschloss. Die im Vergleich zu § 51 Abs. 2 StGB vorliegende geringe Diskrepanz zwischen ärztlichem Gutachten und Befolgung durch die Staatsanwaltschaft im Rahmen zu beantragender Maßnahmen gemäß §§ 42 a-n StGB ist anhand des Umstands erklärbar, dass Maßregeln grundsätzlich neben die Strafe traten und somit den Einfluss der Anklagebehörde auf Strafhöhe und anschließenden Vollzug nach Beendigung der Maßregel nicht tangierten722.

§ 51 Abs. 1 StGB bestand insoweit auch im Hinblick auf die Umsetzung der Staatsanwaltschaft Aachen fort. 719  Fachärztliches Gutachten zu K. vom 16.11.1943, LAV NRW R, NW 174, Akte 199, Bl. 103. 720  Bericht des LOStA an den RJM vom 19.11.1943, LAV NRW R, NW 174, Akte 199, Handakte, Bl. 15. 721  Urteil des Sondergerichts gegen K. vom 10.6.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 276, Bl. 79 rev. So im Ergebnis auch Urteil des Sondergerichts gegen Z. vom 13.10.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 425, Bl. 49 rev. 722  Dies gilt jedenfalls hinsichtlich der für die Anklagepraxis in Aachen relevanten Normen der §§ 42 a und b StGB.

434

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

7. Verfahrenseinstellungen, Verwarnungen und Freisprechungsanträge – Motive und Ursachen Die Rechtsfolge intendierter justizieller Straflosigkeit723, welche Verfahrenseinstellungen und Freisprechungsanträgen gemein war, führt zu der Frage, inwieweit die in Aachen praktizierte Politik eines behördlichen Sanktionsverzichts einer inneren Systematik folgte, aus der sich heute kontinuierliche Motive und Ursachen eines Bestrafungsverzichts ableiten ­ lassen. Abstrakt kamen Verfahrenseinstellungen und den von ihnen umfassten Verwarnungen eine wesentliche Bedeutung zu, da sie probate Mittel darstellten, den Ausgang eines Strafverfahrens weitestgehend ohne richterliche Mitwirkung zu entscheiden724. Strafprozessuale Novellierungen nach Ausbruch des Krieges erweiterten diese staatsanwaltschaftliche Kompetenz auf ein Ausmaß, welches faktisch die Aufhebung des Legalitätsprinzips zugunsten des Opportunitätsprinzips zur Folge hatte, indem zuletzt jede Straftat – unabhängig von ihrem Vergehens- oder Verbrechenscharakter – nach staatsanwaltschaftlichem Ermessen ungesühnt bleiben konnte725. Diese gesetzlich normierte Machtsteigerung der Anklagebehörde zur „selbstständigen Er­ ledigungsinstanz“726 manifestiert sich in der verstärkten Verwendung verklausulierter Wertbegriffe in den einschlägigen Normierungen, sodass die Einschätzung, wann der „Schutz des Volkes“727 oder das „öffentliche Inte­ 723  Die Straflosigkeit wird an dieser Stelle an den justiziellen Charakter geknüpft, da sich die nachfolgenden Ausführungen aussschließlich am Strukturelement der Staatsanwaltschaft orientieren. Präjudizielle, oder „urteilskorrigierende“ Maßnahmen durch Polizeistellen werden von den nachfolgenden Ausführungen nicht mitumfasst. 724  Zuletzt war eine richterliche Mitwirkung nur noch erforderlich, soweit die Klage von Seiten der Staatsanwaltschaft bereits erhoben worden war, § 8 Abs. 2 der Verordnung zur weiteren Anpassung der Strafrechtspflege an die Erfordernisse des totalen Krieges (Vierte Verordnung zur Vereinfachung der Strafrechtspflege) vom 13.12.1944, RGBl. 1944 I, S. 341. Zur Auswirkung von in der Vorkriegszeit erlassenen Gesetzen, welche die Straffreiheit normierten, wird aufgrund mangelnder Relevanz für die hiesige Untersuchung verzichtet. Einen Überblick über diesbezügliche Normierungen liefert hingegen Menschell, Gnadenrecht, S. 245–332. 725  Siehe § 8 Abs. 1 der Verordnung zur weiteren Anpassung der Strafrechtspflege an die Erfordernisse des totalen Krieges (Vierte Verordnung zur Vereinfachung der Strafrechtspflege) vom 13.12.1944: „Der Staatsanwalt kann von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen, wenn die Verfolgung im Kriege zum Schutze des Volkes nicht erforderlich ist“, RGBl. 1944 I, S. 341. 726  Begriffszitat nach Albrecht, Kriminologie, S. 185. 727  § 8 Abs. 1 der Verordnung zur weiteren Anpassung der Strafrechtspflege an die Erfordernisse des totalen Krieges (Vierte Verordnung zur Vereinfachung der Strafrechtspflege) vom 13.12.1944, RGBl. 1944 I, S. 341.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis435

resse“728 tangiert, die „Schuld des Täters gering“ oder die „Folgen der Tat unbedeutend“ waren, alleine der Staatsanwaltschaft oblag729. Die in Rede stehenden Reformen sollten nach dem Willen des Gesetzgebers prozess- und arbeitsökonomischen Gesichtspunkten Rechnung tragen730, sodass die Anklagebehörde in Fällen „mittlerer und leichter Kriminalität“ tendenziell regen Gebrauch von einer Verfahrenseinstellung machen sollte, um den „Mittelpunkt der Strafrechtspflege“ auf die Fälle „schwerer und schwerster Kriegskriminalität“ zu legen731. Wenngleich sich Fälle mittlerer und leichter Kriminalität an objektiven Merkmalen wie einer abstrakten Strafandrohung von unter drei Monaten, Deliktsgruppen außerhalb des Kriegsstrafrechts sowie an der Unbescholtenheit des Täters orientierten, sollte umgekehrt keine kategorische Einstellungspraxis in allen diesen Fällen erfolgen, um nicht den Eindruck einer „verweichlichten“ Strafrechtspflege nach außen zu vermitteln732. Auch dem Begriff der „Kriegsstraftat“ sollte keine kasuistische Bedeutung dergestalt zufallen, dass sich bereits durch die Verwirklichung einer Norm des Kriegsstrafrechts automatisch eine Verfahrenseinstellung verbot, wenngleich auf diesem Gebiet nach ministeriellem Willen eine gesteigerte Zurückhaltung bei Sanktionsverzichten geboten war733. Die Umsetzung einer „großzügigen“ Einstellungspraxis durch die Staatsanwaltschaft Aachen, die bereits im Sommer des Jahres 1943 durch das RJM für Fälle „minderer Bedeutung“ kommuniziert worden war734, erfolgte für sondergerichtliche Strafsachen deutlich restriktiver als vom Ministerium vorgeschlagen. Soweit eine Einstellung aufgrund „geringer Bedeutung“ gemäß § 153 StPO in Betracht kam, wirkte sich deren Relevanz nahezu ausschließlich auf Abteilungen aus, deren sachliche Zuständigkeit sich auf allgemeines Strafrecht erstreckte. In Sondergerichtssachen scheiterte eine Einstellung hingegen in den meisten Fällen an dem „Verbrechenscharakter der Straftaten, auch wenn es sich um geringfügige, einer Einstellung an sich gemäße Beihilfehandlungen“, wie „das Kochen des Wassers zum Brühen des schwarz geschlachteten Schweins“, handelte735. Soweit es Vergehen 728  Nr. 146 der Richtlinien für das Strafverfahren, AV des RJM vom 13.4.1935, abgedruckt in: Grau/Krug/Rietzsch, Verwaltungsvorschriften, S. 116. 729  Ebd. 730  Löffelsender, Verfolgung, S. 94. 731  Stellungnahme des RJM im Rahmen des Richterbriefs Nr. 18 vom 1.8.1944, abgedruckt in Boberach, Richterbriefe, S. 318. 732  Ebd., S. 321, 323. 733  Ebd., S. 323. 734  RV des RJM vom 12.6.1943  – 9133/2-IV-a4-821, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 51. 735  Schreiben des LOStA an den GStA betr. die Behandlung von Strafsachen minderer Bedeutung während des Krieges vom 1.12.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 53.

436

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis Tabelle 22 Verfahrensanzahl beantragter Freisprüche, forcierter Einstellungen sowie Verwarnungen Verfahrensanzahl beantragter Freisprüche

Verfahrensanzahl forcierter Einstellungen737

Verfahrensanzahl ausgesprochener Verwarnungen738

Heimtückegesetz

 9

 9

 2

KrWVO

22

 4

 2

VVO

10

 3

 –

RundfunkVO

 5

 –

 –

KSSVO

 2

 –

 –

Gesamt

48

16

 4

Deliktsgruppe

gegen sondergerichtliche Tatbestände betrifft, wurden diese kategorisch als „so bedeutungsvoll“ qualifiziert, „dass sich eine Einstellung nach § 153 StPO von selbst“ verbat738. Von zwischenzeitlichen Irritationen zur Qualifikation eines Falles von „geringer Bedeutung“ konnte beim Aachener Behördenleiter, anders als beim Kollegium der Staatsanwaltschaft Köln, keine Rede sein739. Der restriktive Anwendung der §§ 153 ff. StPO für sämtliche Verstöße gegen sonderrechtliche Normen schlägt sich auch in der statistischen Erhebung getätigter Verfahrenseinstellungen nieder. So erfolgten selbige in lediglich 20 Fällen und machten im Vergleich zur Gesamtzahl der Verfahren einen Anteil von lediglich 2,9 % aus. Soweit es sich um Verfahrenseinstellungen handelte, in denen eine Verwarnung ausblieb, erfolgten diese deliktsübergreifend und ausschließlich aus einem Mangel an Beweisen, aufgrund nachgewiesenen krankheits- oder kriegsbedingten Todes des Beschuldigten oder einer Flucht der Beschuldigten. Verfahrenseinstellungen nach § 153 StPO sind für Sondergerichtssachen lediglich in vier Fällen überliefert. Soweit von einem Sanktionsverzicht auf dem Gebiet von Verstößen gegen das Heimtückegesetz Gebrauch gemacht wurde, 736  Unter dieser Rubrik wird nicht zwischen getätigten Einstellungsanträgen im Rahmen der Hauptverhandlung und eingestellten Verfahren im Rahmen des Ermittlungsverfahrens ohne richterliche Mitwirkung unterschieden. 737  Für die Rubrik der Verwarnungen gelten die zu den Verfahrenseinstellungen gemachten Ausführungen entsprechend. 738  Ebd. 739  Siehe zum Umgang der Staatsanwaltschaft Köln mit § 153 StPO Löffelsender, Verfolgung, S. 96.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis437

erfolgte dieser entweder aufgrund des fortgeschrittenen Alters oder der Jugend der jeweiligen Angeklagten740. Bei den im Rahmen von Verstößen gegen die KrWVO getätigten Einstellungsverfügungen handelte es sich in beiden Fällen um Beihilfehandlungen, die mit der gegenständlichen Schwarzschlachtung in nicht mehr ursächlichem Zusammenhang standen741. Betrachtet man die Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaft, so bewahrheitet sich, dass auf lokaler Ebene eine Konzentration des strafrechtlichen Fokus – wie vom RJM kommuniziert – auf die Verfolgung der Kriegskriminalität, den „Mittelpunkt der Strafrechtspflege“, erfolgte, indem Verfahrenseinstellungen in Sondergerichtssachen aus prozessökonomischen Gesichtspunkten die Ausnahme bildeten. Diese Konzentration wurde verstärkt durch eine grundsätzliche Unbeachtlichkeit der konkreten Tatmodalitäten aufgrund der abstrakten Qualifikation als Verstoß gegen das Kriegsstrafrecht. Aufgrund der geringen Anzahl getätigter Einstellungen kann auf eine der Einstellungspraxis immanente Systematik nicht geschlossen werden. Für Sondergerichtssachen erfolgte eine solche vielmehr aufgrund faktischer und nicht juristischer Umstände, die eine Einstellungsverfügung zwingend erforderten. Anders als bei den Einstellungsverfügungen kam der Staatsanwaltschaft bei Verfahren, in welchen Anträge auf Freisprechungen gestellt wurden, keine selbstständige Erledigungsfunktion zu, da die Entscheidungsprärogative über den Ausgang des Verfahrens mit der Eröffnung der Hauptverhandlung auf die erkennende Instanz übergegangen war. Da die Einreichung der Anklageschrift in den gegenständlichen Verfahren regelmäßig den konkludenten Willen der Staatsanwaltschaft nach strafrechtlicher Sühne der Tat implizierte, ist an dieser Stelle nicht nach Motiven eines originären Sank­ tionsverzichts der Anklagebehörde zu suchen, sondern vielmehr der Frage nachzugehen, welche Umstände für eine Abkehr des ursprünglichen Sank­ tionswillens der Anklagebehörde im Rahmen der Hauptverhandlung ursächlich waren. Die überlieferte Aktenlage lässt den Schluss zu, dass sich die Mehrheit aller Freisprechungsanträge auf die staatsanwaltschaftliche Erkenntnis abweichender Sachfeststellungen in der Hauptverhandlung oder einen Mangel an Beweisbarkeit hinsichtlich des der Anklageschrift zugrundegelegten Sachverhalts zurückführen lässt. Soweit es Beweismängel betrifft, bezogen sich diese regelmäßig auf objektive Tatbestandselemente. In einem Verfahren gab jedoch der subjektive Tatbestand den entscheidenden Anlass zur Beantragung der Freisprechung, nachdem die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung zu der Erkenntnis gelangt war, dass der angeklagte 740  Siehe 741  Siehe

Nr. 153533.

LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 1 sowie BArch, R 3001, Nr. 141637. LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 339 sowie BArch, R 3001,

438

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Verlademeister B., der unberechtigt Lebensmittelkarten für Schwerstarbeiter empfangen hatte, nach glaubhafter Schilderung irrtümlich davon ausgegangen war, dass ihm diese aufgrund seiner konkret abgeleisteten Arbeitszeit tatsächlich zustanden742. Delikts- oder personenbezogene Privilegierungen bei der Beantragung einer Freisprechung sind nicht zu verzeichnen. In fünf Verfahren wurden ebensoviele Mitglieder der NSDAP freigesprochen743, in insgesamt acht Verfahren bezog sich die Freisprechung auf insgesamt elf Personen ausländischer Staatsangehörigkeit, wobei es sich um vermeintliche Verstöße gegen die RundfunkVO, das HG und die KrWVO handelte744. In lediglich einem Verfahren, in welchem die Angeklagte von Alliierten abgeworfene Lebensmittelmarken verschenkt hatte, verhängte das Sondergericht abweichend eine Gefängnisstrafe von einem Monat745. 8. Schlussfolgerungen Bei isolierter Betrachtung der deliktspezifischen Ermittlungs- und Anklagepraxis der Staatsanwaltschaft Aachen kristallisieren sich einige Merkmale heraus, welche die Arbeit der Anklagebehörde tatbestandsimmanent prägten. So vollzog sich in Aachen eine grundsätzlich extensive Auslegung von Tatbestandsmerkmalen, um eine Vielzahl von Sachverhalten – insgesamt 87,1 % der überlieferten Verfahrensanzahl – unter die Normen subsumieren zu können, die das Kerngebiet des Kriegsstrafrechts ausmachten. Entsprechend blieben etwa im Rahmen von Verstößen gegen § 1 HG Ermittlungen 742  Siehe

Verfahren gegen B., LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 185. handelt sich um die Verfahren gegen B., B., D., K. und S., LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 140, 185, 252, 500 und 625. 744  Siehe zur Aufschlüsselung von Freisprechungen mit weiteren Nachweisen Tabelle 54, Anhang, S. 546. Vor dem Hintergrund polizeilicher „Urteilskorrekturen“ und dem Umstand, dass der jüdische H. nach ergangenem Freispruch in ein Arbeitslager deportiert wurde, ist fraglich, inwieweit es sich bei dem zweiten antragsgemäßen Freispruch gegen den jüdischen O.H. um einen echten Sanktionsverzicht handelte, oder eine zwischenbehördliche Abmachung einer Zuständigkeitsabtretung erfolgte. Dieser Verdacht liegt nahe, da im Ermittlungsverfahren die Gestapo bereits maßgeblich involviert worden war. Da jedoch weitergehende Indizien, die eine urteilskorrigierende Maßnahme nahelegen würden, nicht vorhanden sind und eine gesetzlich normierte ausschließliche Zuständigkeit der Polizei bei strafbaren Handlungen von Juden erst ab 1.7.1943 in Kraft trat, können zu einer Einschätzung eines fingierten Freispruchs an dieser Stelle keine weiteren Ausführungen gemacht werden. Siehe zur Zuständigkeitsverlagerung § 1 Abs. 1 der Dreizehnten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 1.7.1943, RGBl. 1943 I, S. 372. Siehe zu den Verfahren gegen die jüdischen Angeklagten H. und O.H. jeweils LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 34 und 37. Zu den bereits gemachten Ausführungen zum Verfahren gegen H. siehe nochmals oben, S. 372. 745  Siehe Verfahren gegen die B., LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 441. 743  Es



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis439

zum Wahrheitsgehalt einer Aussage grundsätzlich aus. Maßgebliches Beurteilungselement war vielmehr das Merkmal unterstellter politischer Kritik oder Regimeabträglichkeit, ohne dass es auf eine Widerlegbarkeit der konkreten Aussage ankam. Auch das Tatbestandsmerkmal der „Öffentlichkeit“ wurde selbst dann als verwirklicht eingestuft, wenn es sich erwiesenermaßen um vertrauliche Aussagen gegenüber nur einer Person gehandelt hatte. „Äußerungen“ nach § 2 HG wurden derart ausgelegt, dass neben verbalen „Entgleisungen“ auch konkludente Handlungen als taugliche Tatmodalitäten qualifiziert wurden, wenn diesen nach subjektivem Verständnis der Staatsanwaltschaft ein „hetzerischer“ Charakter beigemessen werden konnte. Die extensive Rechtsauslegung setzte sich im Rahmen der KrWVO fort, indem etwa für die Frage einer aus der Tat resultierenden „Bedarfsgefährdung“ nicht auf konkret eingetretene, sondern vielmehr auf abstrakt mögliche Gefährdungslagen abgestellt wurde. Innerhalb der VVO manifestiert sich eine über den Wortlaut der Norm hinausgehende Rechtsanwendung exemplarisch in der Subsumtion einer Vergewaltigung unter den Tatbestand von § 2 VVO, obwohl die Anwendbarkeit der Norm expressis verbis von einem verwirklichten Delikt gegen Leib, Leben und Eigentum ausging746. Dass diese Handhabung ein Einzelfall blieb, ist nicht einer ansonsten restriktiven Praxis der Anklagebehörde, sondern alleine dem tatsächlichen Geschäftsanfall geschuldet, der die Staatsanwaltschaft im Übrigen ausnahmslos mit Eigentumsdelikten im Rahmen von § 2 VVO konfrontierte. Sofern eine extensive Auslegungsmöglichkeit einzelner Tatbestandsmerkmale nicht mehr möglich war, sorgte die Anklagebehörde Aachen für eine Anwendbarkeit von § 2 VVO – wie bereits im Rahmen von § 1 HG – durch nicht erwiesene Unterstellungen vermeintlich verwirklichter Tatbestandsmerkmale. Dies gilt insbesondere für die Annahme von „Verdunkelungsmaßnahmen“, deren Vorliegen wiederholt sogar unter nachträglicher Zustimmung der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung vom Sondergericht verworfen wurde, da sich die Staatsanwaltschaft regelmäßig nicht mit den konkreten Beleuchtungsverhältnissen am Tatort auseinandergesetzt hatte. Im Rahmen verwirklichter „außergewöhnlicher Verhältnisse“ wurde unter Verweis auf die Kriegslage den tatsächlichen Lebensverhältnissen, Sorgen und wirtschaftlichen Engpässen im Ergebnis strafkonstitutiver Charakter beigemessen, sodass unter Umkehrung eines beweisrechtlichen Regel-Ausnahme-Prinzips grundsätzlich von einer Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals ausgegangen wurde. Sich aus dem Wortlaut ergebende oder systematische Korrektive, welche eine uferlose Handhabung der VVO einschränken sollten, fanden indes keine entsprechende Berücksichtigung. So genügte für die 746  Die Notzucht besaß formal die Schutzwirkung der Sittlichkeit. Zum Wortlaut von § 2 VVO siehe Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1679.

440

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Annahme eines Ausnutzens im Rahmen von § 4 VVO bereits bedingter Vorsatz, während begünstigende, täterbezogene Persönlichkeitsmerkmale, die im Rahmen der Tätertypenlehre und der Verwerflichkeitsklausel beachtlich waren, durch grundsätzlich ausschließliche Würdigung des objektiven Tatbestands unberücksichtigt blieben. Selbst für den Fall erkannter „Volksunschädlichkeit“ folgerte die Staatsanwaltschaft mehrheitlich bereits aus der Schwere der objektiven Tatbegehung das Erfordernis verschärfter Sanktionierung nach der VVO. Indizien oder Dokumente, die den Schluss auf eine weisungsgebundene Umsetzung dieser grundsätzlich extensiven Rechtsanwendung zulassen, sind nicht ersichtlich. Jedoch manifestieren sich in der deliktsübergreifenden Handhabung durchaus die von der herrschenden Meinung kommunizierten Rechtsauffassungen und Anwendungsmodalitäten. Insbesondere die von Freisler zu verschiedensten Delikten geäußerten Rechtsmeinungen fanden in der Arbeitspraxis der Staatsanwaltschaft Aachen ihren Niederschlag. Diese Tatsache ist vor dem Hintergrund, dass die gegenständlichen Veröffentlichungen, insbesondere im Rahmen des Amtsblatts des RJM, für die Staatsanwaltschaft keine formale Bindungswirkung entfalteten, umso bemerkenswerter. Eine Grenze extensiver Rechtsanwendung ist jedoch in Bezug auf den Vorschlag des Präsidenten des OLG-Köln zu erblicken, dessen Anregung, in Fällen von Milchfälschung statt § 1 Abs. 1 KrWVO § 4 VVO in Verbindung mit § 263 StGB anzuwenden, von der Anklagebehörde konsequent unbeachtet blieb747. Zudem finden sich vereinzelte Verfahrenspraktiken, die sich gegenläufig zur geschilderten extensiven und bisweilen auf Mutmaßungen basierenden Arbeit der Staatsanwaltschaft verhielten. So zog die Staatsanwaltschaft in Einzelfällen Gutachten externer Stellen heran, die beurteilen sollten, ob es sich bei einer Beiseiteschaffung bezugsbeschränkter Lebensmittel dem Umfang nach um eine Bedarfsgefährdung handelte. Eine weitere restriktive Abweichung war in der – wenn auch einmaligen – Handhabung zu erblicken, dass die Tatmodalität eines Verbreitens gemäß § 2 RundfunkVO entgegen ständiger Rechtsauffassung verneint wurde, obwohl der Beschuldigte dem Ermittlungsergebnis entsprechend die Lautstärke seines Radios so eingestellt hatte, dass die Inhalte für dritte Personen vernehmbar waren748. Soweit es die Umsetzung strafrechtlicher Verwaltungsvorschriften betrifft, wurde penibel auf deren Einhaltung geachtet. Abweichungen – auch versehentlicher Natur – sind nicht dokumentiert. So wurde im Vorfeld einer Anklage wegen staatsabträglicher Äußerungen grundsätzlich die Anordnung zur weiteren Strafverfolgung durch den Justizminister gemäß § 2 Abs. 3 HG abgewartet, wenngleich sich der Zweck dieser formalen Vorgabe – maßvolle 747  Siehe 748  Siehe

oben, S. 309. oben, S. 349.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis441

Anwendung der Norm – für den Standort Aachen nicht fortsetzte. Auch für das im Rahmen der RundfunkVO erforderliche Antragserfordernis durch die Gestapo ist kein Fall überliefert, in welchem die Anklagebehörde ohne entsprechende Weisung agierte. Umgekehrt versicherte sich der Behördenleiter bei mangelndem Vorliegen des förmlichen Antrags der Gestapo, ob ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungs- und Anklageverfahren von dortiger Seite gewünscht wurde749. Korrelierend zu dieser formalen Kompetenzverlagerung zugunsten der Gestapo übernahm die Staatsanwaltschaft Aachen die Erkenntnisse des abschließenden Ermittlungsberichts der Gestapo regelmäßig nahezu inhaltsgleich als eigenes Ergebnis, ohne dieses nochmals einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Trotz eines durchaus sachkundigen Umgangs der Gestapo bei Rundfunkdelikten – anders als bei Verstößen gegen das HG – zeigt die Auswertung, dass die Anklagebehörde nicht unreflektiert auf die Ausführungen der politischen Polizei vertrauen konnte und durfte. Beschlagnahmungen von Radiogeräten durch die Gestapo, welche das RJM mit Blick auf propagandistische Intentionen als ausdrücklich unerwünscht kommunizierte, bildeten in Aachen entgegen des ministeriellen Wunsches den Regelfall. Soweit es eine nur abstrakte Möglichkeit einer mit § 1 HG oder § 2 RundfunkVO tateinheitlich begangenen Wehrkraftzersetzung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 KSSVO betraf, leitete die Staatsanwaltschaft die Vorgänge regelmäßig zur Kenntnisnahme an den ORA weiter, um sich mit Blick auf einen etwaigen Ermessensfehlgebrauch diesem gegenüber schadlos zu halten. Wie penibel die Anklagebehörde auch hier ihren förmlichen Berichtspflichten entsprach, dokumentiert die Tatsache, dass der ORA in keinem der gegenständlichen Fälle das Verfahren an sich zog. Neben deliktspezifischer Korrespondenz und Beteiligung anderer Stellen stellt die Einholung von Gutachten zur politischen Zuverlässigkeit durch Parteistellen bei Verstößen gegen das HG eine nennenswerte ermittlungsspezifische Besonderheit dar. Die Einschätzungen der NSDAP nutzte die Staatsanwaltschaft ausschließlich als Mittel, um eine intendierte Strafwürdigkeit zu untermauern oder Strafverschärfungen zu rechtfertigen. Sofern politische Gutachten keine nachteiligen Sachverhalte feststellten, wurde dies umgekehrt regelmäßig nicht als tätergünstiges momentum gegenüber vorgesetzten Dienstbehörden oder im Rahmen der Anklageschriften berücksichtigt. Letztere fielen insbesondere bei Verfahren wegen Verstößen gegen die KrWVO und die VVO mehrheitlich stark verkürzt aus. Folge dieser auf die entsprechende DurchführungsVO zurückzuführenden Handhabung waren Ausführungen, die sich wiederholt als nicht haltbar erwiesen oder die auf die Berücksichtigung strafkonstitutiver Tatbestandsmerkmale, wie etwa die Verwerflichkeitsklausel gemäß § 4 VVO, verzichteten. 749  Siehe

oben, S. 352.

442

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Betrachtet man die quantitative Relevanz einzelner Tatbestände innerhalb der untersuchten Deliktsgruppen, so bestätigt sich die bezüglich des HG erfolgte zeitgenössische Einschätzung Drehers sowie die von Werle getätigte These einer größeren Relevanz des § 2 HG gegenüber § 1 HG mit einem relativen Anteil von 82 % für den Standort Aachen. Innerhalb der KrWVO dominierten indes Verstöße gegen § 1 Abs. 1 KrWVO mit einem relativen Anteil von 87,6 % und entfalteten im Rahmen der Kriegswirtschaftsdelikte die größte Relevanz, wobei die gängigsten Sachverhalte das Beiseiteschaffen von Fleisch, tierischen Erzeugnissen und Getreide darstellten. Verstößen gegen § 1 Abs. 2 KrWVO kam mit 10,5 % eine nur untergeordnete Bedeutung zu. Delikte nach der VVO entfalteten mit 22,8 % aller Verfahren nur die zweitgrößte quantitative Relevanz. Vor dem Hintergrund der systematischen Besonderheiten der Norm sowie der Tatsache, dass 81,8 % aller überlieferten Todesurteile eine Anklage gemäß VVO zugrunde lag, entfaltete diese Norm wesentliche qualitative Relevanz. Anklagen nach § 4 VVO machten einen relativen Anteil von 68,4 %, solche nach § 2 VVO von 29 % aus. Innerhalb der RundfunkVO ergab sich eine quantitative Gewichtung zugunsten des § 1 RundfunkVO von 86,5  % gegenüber der schwerwiegenderen Norm des § 2 RundfunkVO mit 13,5 %. Da das verhängte Strafmaß einer empirischen Messbarkeit zugänglich ist, stellt eine Gegenüberstellung von Strafantrag und verhängtem Urteilstenor einen tauglichen Indikator dar, der Aussagekraft hinsichtlich des prozessualen Erfolgs der Anklagebehörde besitzt: Je größer die Deckungsgleichheit von Strafantrag und Strafmaß ist, desto erfolgreicher wird man die staatsanwaltschaftliche Tätigkeit zu qualifizieren haben, während eine erhöhte Diskrepanz zwischen beiden Faktoren grundsätzlich eine zunehmende Erfolglosigkeit indizieren wird. Einzig für Fälle, in denen das verhängte Strafmaß zuungunsten des Angeklagten vom Strafantrag abweicht, ist hierin ein positiver Erfolgsindikator zu erblicken. Diese Einschätzung ergibt sich aus der Erwägung, dass insbesondere vor Sondergerichten eine scharfe Sanktionierungspraxis durch das Regime gewünscht wurde, deren Verwirklichung dem Ruf der Staatsanwaltschaft nur förderlich sein konnte750. Die von Schünemann formulierte kriminologische Hypothese, nach welcher sich der Strafantrag der Staatsanwaltschaft und deren Wirken während der Hauptverhandlung systematisch auf die richterliche Entscheidung zum Strafmaß niederschlägt751, bewahrheitet sich für die Interaktion beider Organe in 750  Diese Erwägung ergibt sich letztlich auch aus den konkret überlieferten Verfahrensakten, indem kein Verfahren dokumentiert ist, in dem die Staatsanwaltschaft oder vorgesetzte Dienstbehörden ein sondergerichtliches Urteil wegen unverhältnismäßiger Härte monierten. 751  Schünemann, Hypothesen, in: Kaiser/Kury/Albrecht, Kriminologische Forschung, S. 267.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis443

Aachen dergestalt, dass die Diskrepanz zwischen Antrag und Strafmaß deliktsimmanent durchschnittlich 6,3 Monate nicht überschreitet. Im Verhältnis zwischen Strafantrag und Strafmaß jedoch einen Maßstab für den Erfolg einer „Steuerung der Staatsanwaltschaft“ zu sehen752, muss für Aachen zwingend verneint werden, da in der überwältigenden Mehrzahl aller Verfahren keine direkten Weisungen zum Strafmaß dokumentiert sind753. Die weitere Einschätzung Schünemanns, das Unabhängigkeitsbedürfnis der Sondergerichte manifestiere sich in einer regelmäßigen Abweichung des Urteils vom Strafantrag „nach unten“, bestätigt sich für den Standort Aachen grundsätzlich754. Einzig bei Gefängnisstrafen gemäß der VVO lag die durchschnittlich verhängte Strafhöhe 1,6 Monate über den Anträgen der Staatsanwaltschaft755. Im Rahmen von Verstößen gegen das Heimtückegesetz ergingen gegen 40,2 % aller Angeklagten antragsgemäße Urteile, bei KrWVO-Verfahren erfolgten gegen 34,9 % aller Angeklagten antragsgemäße Urteile. Für VVO-Verfahren beläuft sich die Anzahl auf 35,7 %, während bei Rundfunkverstößen lediglich gegen 14,7 % aller Angeklagten antragsgemäße Urteile ergingen. Mit Ausnahme beantragter Zuchthausstrafen in KrWVO-Verfahren und RundfunkVO-Verfahren muss die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft Aachen aufgrund der verhältnismäßig geringen Diskrepanz im Strafmaß von durchschnittlich nur 2,6 Monaten als durchaus erfolgreich qualifiziert werden756. Die Betrachtung personenbezogener Ermittlungs- und Anklagepraxis beweist eine echte Privilegierung in vereinzelten Verfahren gegen führende politische Persönlichkeiten auf regionaler Ebene und gegen Beschäftigte in 752  So

Oehler, Sondergericht Mannheim, S. 256. Dies gilt jedenfalls, wenn man unter „Steuerung“ lediglich direkte, im Weisungswege erfolgte, fremdbehördliche Lenkungsmaßnahmen versteht. Unabhängig von der Begriffsdefinition der „Steuerung“ oder „Lenkung“ ist die Theorie Oehlers auch im Übrigen unschlüssig: Die Verhältnismäßigkeit zwischen Strafantrag und Strafmaß stellt keinen tauglichen Messindikator für eine überbehördliche Lenkung dar, da eine solche lediglich im Innenverhältnis zwischen Staatsanwaltschaft und vorgesetzten Dienstbehörden wirkte. Die Frage, mit welchem Erfolg diese Lenkung im Prozess umgesetzt wurde, ist daher von der richterlichen Entscheidung unabhängig. Wollte man die erfolgreiche Lenkung der Staatsanwaltschaft dennoch an dem gerichtlichen Urteil messen, so könnte alleine die relative Gegenüberstellung einer konkreten ministeriellen Weisung zur Strafhöhe zum verhängten Strafmaß Aufschluss geben. Eine Gegenüberstellung von Strafantrag und Strafmaß vermag durch seine relative Wirkung insoweit nur über den isolierten Erfolg des staatsanwaltschaftlichen Antrags selbst, und nicht über eine weitergehende Lenkung Aufschluss zu geben. 754  Schünemann, Hypothesen, in: Kaiser/Kury/Albrecht, Kriminologische Forschung, S. 268. 755  Siehe Tabelle 48, Anhang, S. 538. 756  Siehe Tabellen 46–49, Anhang, S. 536; 537; 538; 539. 753  Anm:

444

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

den eigenen Reihen. Das Ermittlungsverfahren gegen den Sonderreferenten EStA Arnold und die vom GStA veranlasste Einstellung des Verfahrens signalisieren dabei das abstrakte Machtpotential und die grundsätzliche Bereitschaft der vorgesetzten Dienstbehörde in Köln, in Einzelfällen rechtswidrige Privilegierungen vorzunehmen757. Die Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft Aachen im Verfahren gegen Kreisleiter Sch. und andere hochrangige Parteifunktionäre legt im Lichte des gesamten Vorgangs ebenfalls den Verdacht nahe, dass die umfängliche Einstellung nicht juristisch, sondern politisch motiviert war758. Die Kommunikationsvorgänge mit anderen Behörden legen insoweit jedoch keine autonome, sondern vielmehr eine fremdbehördliche, gelenkte Einstellung nahe, welche die Anklagebehörde im konkreten Verfahren zum gesteuerten Werkzeug degradierte. Der sich hieraus ergebende Verdacht einer systematischen Privilegierung von NSDAP-Mitgliedern im Strafverfahren lässt sich jedoch nicht aufrecht erhalten. So erfolgten alleine in drei Verfahren mit anschließendem Todesurteil entsprechende Strafanträge gegen NSDAP-Mitglieder, unter anderem gegen den sehr einflussreichen Parteifunktionär S.759. Sieht man von einem Verfahren gegen zwei Jugendliche HJ-Angehörige ab, deren Verfahren abweichend zur sonstigen Praxis vor einer Jugendkammer anhängig gemacht wurde, entfaltet die Parteizugehörigkeit tatbestandsübergreifend keine privilegierenden Auswirkungen bei der materiellen Gesetzesanwendung. Diese Tatsache wird insbesondere bewiesen durch die erfolgte Einholung politischer Gutachten bei Parteistellen in HG-Verfahren und die mangelnde Berücksichtigung der Parteizugehörigkeit bei der subjektiven Volksschädlingseigenschaft im Rahmen der §§ 2 und 4 VVO. Im Lichte einer statistischen Gegenüberstellung gestellter Strafanträge gegen NSDAP-Mitglieder und gegen sonstige Personen ergeben sich jedoch Abweichungen. Während bei Gefängnisstrafen wegen Verstößen gegen KrWVO und VVO die beantragte Strafhöhe gegen Parteimitglieder diejenige gegen die allgemeine Personengruppe eklatant übersteigt, kristallisiert sich für Zuchthausstrafen ein durchweg milderer Strafantrag heraus, sodass im Ergebnis von einer tendenziellen Privilegierung auszugehen ist, die sich jedoch in einem Rahmen bewegt, der eine diesbezügliche systematische Arbeitsweise der Staatsanwaltschaft eher ausschließt. Diese Einschätzung wird untermauert durch eine Gegenüberstellung des durchschnittlich beantragten Strafmaßes gegen ausländische Staatsangehörige zu demjenigen gegen Parteimitglieder760. Während das Prinzip der Volksgemeinschaft grundsätzlich den Verdacht einer extensiven 757  Siehe

oben, oben, 759  Siehe oben, 760  Siehe oben, 758  Siehe

S. 355. S. 357. S. 411. Tabelle 18, S. 373.



I. Ermittlungs- und Anklagepraxis445

Strafmaßforderung rechtfertigen könnte, zeigt der direkte Vergleich zu den übrigen Angeklagtengruppen, dass das beantragte Strafmaß gegen Ausländer im Rahmen von Gefängnisstrafen wegen Verstößen gegen die KrWVO und die VVO sowie Zuchthausstrafen wegen Verstößen gegen die KrWVO hinter denen für Parteimitglieder zurückblieb761. Einzig bei Gefängnisstrafen in HG- und RundfunkVO-Verfahren wurden gegen ausländische Staatsangehörige durchschnittlich höhere Strafanträge gestellt. Insoweit muss auch für diese Personengruppe der Verdacht einer sich im Strafmaß niederschlagenden generellen Benachteiligung verneint werden. Auch im Rahmen der Anwendung materiellen Strafrechts war deliktsübergreifend keine benachteiligende Praxis zu erblicken. Diskriminierende Besonderheiten im Umgang mit ausländischen Beschuldigten schlugen sich indes in der strafrechtlichen Verwaltungspraxis nieder, indem bisweilen Verfahrensabtrennungen vorgenommen wurden, um eine gemeinsame Verhandlung von jüdischen und „arischen“ Beschuldigten zu vermeiden. Auffallend war zudem die dokumentierte Ungleichbehandlung von im Ermittlungsverfahren nicht hinreichend tatverdächtigen ausländischen Beschuldigten. Während „arische“ Personen, gegen die sich ein Tatverdacht nicht weiter erhärtete, umgehend aus der Untersuchungshaft entlassen wurden, überstellte die Staatsanwaltschaft ausländische Personen, denen gleichermaßen der Tatvorwurf nicht nachgewiesen werden konnte, vereinzelt an die Stapo zu weiteren Behandlung. Betrachtet man die materiellrechtliche Gesetzesanwendung der Staatsanwaltschaft im Rahmen von Verfahren mit anschließendem Todesurteil, so setzen sich die Ergebnisse der sonstigen Handhabung der VVO grundsätzlich fort. Bemerkenswert war in diesem Zusammenhang die besonders extensive Auslegung im Rahmen von § 1 VVO, die in ihrem konkreten Ausmaß sogar das zeitgenössische, weite Anwendungsverständnis eklatant überschritt. So erhob der GStA im Verfahren gegen D. schwere Bedenken gegen die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft, nachdem diese dem Angeklagten eine Plünderung vorgeworfen hatte, obwohl die Eigentümer bei Tatbegehung unstreitig persönlich anwesend gewesen waren762. Auch im Verfahren gegen Josef K. basierte die Anklageschrift auf dem Vorwurf der Plünderung im freigemachten Gebiet, obwohl nach höchstrichterlicher Rechtsprechung aufgrund der erhöhten Präsenz von Sicherheits- und Räumungskräften in vergleichbaren Sachverhaltskonstellationen das konstitutive, besondere Ausnutzungsmoment ausschied763. Die bereits im Rahmen von § 2 VVO aufgezeigte unsubstantiierte Auseinandersetzung der Staatsan761  Ebd.

762  Siehe 763  Siehe

oben, S. 381. oben, S. 381.

446

C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

waltschaft mit dem Aspekt der Verdunkelungsmaßnahmen setzte sich für Verfahren mit anschließendem Todesurteil gleichermaßen fort. Ursächlich für die konkreten Mißbräuche bei der Anwendung war, dass man fehlerhafte Schlussfolgerungen der Polizei unreflektiert übernahm, ohne die getätigten Ermittlungen nochmals einer Prüfung zu unterziehen764; so suchte man eine Anwednung von § 2 VVO über die erkannte Beendigung einer Fliegerabwehrmaßnahme hinaus zu erstrecken765, schlechte Beleuchtungsverhältnisse am Tatort zuungunsten der Angeklagten ohne konkrete Nachprüfung zu unterstellen766 und alle Aspekte einer subjektiven Kenntnis des Täters um begünstigende Beleuchtungsverhältnisse unberücksichtigt zu lassen767. Auch für § 4 VVO ist eine extensive Handhabung durch eine sich manifestierende Ignoranz gegenüber konkreten Tatumständen festzustellen. Die Handhabung der Staatsanwaltschaft belegt, dass in den Verfahren gegen M. und L. die nachgeordnete Polizeibehörde sogar dahingehend gelenkt wurde, den ermittlungsspezifischen Schwerpunkt auf Umstände zu verlagern, welche die Ausnutzung kriegsbedingter Umstände rechtfertigten768. Für den Fall, dass das Ergebnis nicht der erhofften Verwirklichung des Tatbestandmerkmals Vorschub leistete, ging die Staatsanwaltschaft sogar dazu über, einen abstrakten, dem Ermittlungsergebnis widersprechenden Umstand zu fingieren, um die Anwendbarkeit von § 4 VVO zu ermöglichen769. Auch die Behandlung der Verwerflichkeitsklausel durch eine Vernachlässigung der subjektiven Volksschädlingskomponente und alleiniges Abstellen auf den objektiven Tatbestand setzt sich entsprechend zu sonstigen Verfahren bei § 4 VVO fort770. Soweit es die Frage nach einer fremdbehördlichen Instrumentalisierung der Staatsanwaltschaft Aachen bei Verfahren mit anschließendem Todesurteil betrifft, ist eine solche einzig für das Verfahren gegen O. zweifelsfrei dokumentiert, indem der GStA in diametraler Auffassung zu LOStA Führer die Todesstrafe für geboten hielt und die Anklage nach § 4 VVO nicht dem späteren Antrag des Sitzungsvertreters zur Verhängung der Todesstrafe gemäß § 2 VVO entsprach771. Wenngleich sich im Verfahren gegen Paul S. eine politische Drucksituation, da ein Todesurteil für das Regime wünschenswert erschien, nicht leugnen lässt, ist besonders mit Blick auf die früh geäußerte Intention des Behördenleiters zur Verhängung der Todesstrafe 764  Siehe

insoweit Verfahren gegen Hubert B., oben, S. 396. insoweit Verfahren gegen Heinrich W., oben, S. 402. 766  Siehe insoweit Verfahren gegen Hans K. oben, S. 405. 767  Siehe insoweit Verfahren gegen Heinrich W., oben, S. 402. 768  Siehe insoweit Verfahren gegen Wilhelm M. und Phillip L., oben, S. 388, 392. 769  Siehe insoweit Verfahren gegen Wilhelm M., oben, S. 388. 770  Siehe insoweit Verfahren gegen Phillip L., oben, S. 392. 771  Siehe insoweit Verfahren gegen Wilhelm O., oben, S. 400. 765  Siehe



II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis447

nicht von einer Instrumentalisierung im Rahmen der Ermittlungs- und Anklagepraxis auszugehen. Alle übrigen Verfahren mit anschließendem Todesurteil, insbesondere gegen Raymond D. und Hans K., in welchen die Staatsanwaltschaft entgegen der tätergünstigen und gerechtfertigten Bedenken des Provinzialchefs ihre Intention zur Beantragung der Todesstrafe durchsetzte, dokumentieren, dass die Arbeit der Staatsanwaltschaft grundsätzlich von einem weiten Ermessensspielraum geprägt war772. Bei einem Blick auf die Bindungswirkung ärztlicher Gutachten zeigt sich, dass selbige lediglich eine Komponente für die Gesamtbeurteilung bildeten und sich die Staatsanwaltschaft dem ärztlichen Ergebnis – soweit es sich nicht um die positive Feststellung einer Unzurechnungsfähigkeit gemäß § 51 Abs. 1 StGB handelte – nicht notwendigerweise anschloss. Einstellungs- und Freisprechungspraxis folgen nach überlieferter Aktenlage keiner personenbezogenen oder politisch motivierten Systematik. Die vom Behördenleiter zum Ausdruck gebrachte restriktive Einstellungsmotivation setzt sich mit 20 gegenständlichen Verfahren auch statistisch fort, wobei die konkreten Einstellungsverfügungen grundsätzlich aufgrund faktischer und nicht juristischer Erwägungen ergingen. Die Mehrheit aller Freisprechungsanträge erfolgte aufgrund abweichender Sachfeststellungen in der Hauptverhandlung oder Beweismangels hinsichtlich des in der Anklageschrift zugrundegelegten Sachverhalts.

II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis 1. Grundlagen zum Strafvollzug a) Ideologische Grundlagen des Strafvollzugs seit der Machtübernahme Anders als die Reformbestrebungen auf dem Gebiet prozessualen und materiellen Strafrechts zur Stärkung der Stellung der Staatsanwaltschaft773, stand die Umstrukturierung des Strafvollzugs zunächst nicht im zentralen Fokus nationalsozialistischer Justizpolitik774. Als Teilgebiet der anfänglich als „Sorgenkind“775 bezeichneten Strafrechtspflege sollte der Strafvollzug als fühlbares Resultat des Strafprozesses dennoch ebenfalls einer gesetzli772  Siehe

405.

773  Siehe

insoweit Verfahren gegen Raymond D. und Hans K., oben, S. 379 u.

oben, S. 80, 82. Strafvollzug, in: Jung/Müller-Dietz, Strafvollzug, S. 17. 775  Crohne, Strafrechtspflege, in: DJ 1936, S. 6. 774  Möhler,

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

chen Neubearbeitung unterzogen werden776. Das Erfordernis einer solchen Überarbeitung wurde wie die übrigen Reformbestrebungen mit den Unzulänglichkeiten liberaler Ausflüsse der Strafrechtspolitik während der Weimarer Republik gerechtfertigt. Das wesentliche Defizit der Weimarer Strafvollzugsordnung erblickte man in Bezug auf die Resozialisierung der Verurteilten777. Diese habe, so etwa Schmidt, mit ihrer „pädagogischen Schwarmgeisterei“ den inhaftierten Personenkreis „zu optimistisch gewertet“, da sie davon ausgehe, dass der Verurteilte grundsätzlich den Willen besäße, auf den „rechten Weg“ zurückkehren zu wollen778. Im Übrigen liefen die für die Weimarer Zeit prägenden „Weichheiten“ und „Überspannungen“ des Strafvollzugs dem „deutschen Wesen zuwider“779. Da die Weimarer Regierung die Ursächlichkeit der Straffälligkeit im gesellschaftlichen Milieu und den biologischen Anlagen des Täters sah780, fehle den „allermeisten“ Inhaftierten bereits die Einsicht und das Verantwortungsbewusstsein für begangenes Unrecht781. Ein weiteres Defizit wurde in der politischen Neigung gesehen, vollzugsspezifische Fehlentwicklungen und Misserfolge auf mangelhafte Erziehungsmethoden zurückzuführen, statt die Ursächlichkeit in der Persönlichkeit des Täters zu suchen. Insgesamt seien durch die Abkehr vom autoritären Strafvollzug hin zu liberaler Vollstreckung die Gefängnisse in den Ruf von Heilanstalten gekommen, in welchen es den Gefangenen besser gehe als den von Arbeitslosigkeit, Hunger und materiellen Entbehrungen betroffenen „anständigen Volksgenossen“782. Künftig sollten daher die Individualinteressen des und am Inhaftierten hinter den Belangen der Volksgemeinschaft zurücktreten, der Strafvollzug wieder vom Gedanken „sühnender Vergeltung“ getragen und der Vollzug als „empfindliches Übel“ ausgestaltet werden783.

776  Freisler,

Kongress, in: DStrR 1935, S. 225. insoweit § 48 der Grundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen vom 7.6.1923: „Durch den Vollzug der Freiheitsstrafe sollen die Gefangenen, soweit es erforderlich ist, an Ordnung und Arbeit gewöhnt und sittlich so gefestigt werden, dass sie nicht wieder rückfällig werden“, RGBl. 1923 II, S. 268. 778  Schmidt, Strafvollzug, in: DJZ 1933, Sp. 1077. 779  Hauptvogel, Zielrichtung, in: DStrR 1935, S. 329. 780  Eichler, Wandlung, in: DRiZ 1934, S. 67. 781  Schmidt, Strafvollzug, in: DJZ 1933, Sp. 1077. 782  Freisler, Strafvollzug, in: BzR 1936, S. 72. Zu den verschiedenen Strafvollzugskonzeptionen während des 19. Jahrhunderts siehe Wachsmann, Justizterror, S. 20–24. 783  So Eichler, Wandlung, in: DRiZ 1934, S. 67. Zu den Zitaten siehe Schmidt, Strafvollzug, in: DJZ 1933, Sp. 1077, 1079. 777  Siehe



II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis449

b) Zielrichtungen und normative Entwicklung des Strafvollzugs von der Weimarer Republik bis zur Strafvollzugsordnung vom 22. Juli 1940784 aa) Reichsratsgrundsätze vom 7. Juni 1923 Die Vollzugsprämisse der Erziehung und Besserung des Täters, die nicht zuletzt durch den politischen Klimawandel der neu errichteten Demokratie der Weimarer Republik bedingt war785 – fand ihren normativen Niederschlag in den sogenannten „Reichsratsgrundsätzen“ vom 7. Juni 1923786. Der als Verwaltungsvorschrift konzipierte, 233 Paragraphen umfassende Normenkatalog regelte die Organisationsstruktur der Strafanstalten, Aufnahme, Behandlung und Verhalten von Gefangenen sowie spezielle Vorschriften für spezifische Strafarten und gewisse Personenkreise, wie etwa Minderjährige. Das den gesamten Reichsratsgrundsätzen immanent zugrunde liegende Ziel einer für den Inhaftierten vorteilhaften Umerziehung hin zur Resozialisierung kam in den §§ 48 und 49 zum Ausdruck, laut denen die Gefangenen während der Haft „an Ordnung und Arbeit gewöhnt und sittlich so gefestigt werden“ sollten, dass sie „nicht wieder rückfällig“ wurden787. Daher sollte der Umgang des Vollzugspersonals mit den Inhaftierten „ernst, gerecht und menschlich“ erfolgen, sodass das „Ehrgefühl“ geschont und gestärkt wurde788. Die Gewährleistung einer solchen Behandlung sollte für jugendliche Gefangene wie auch für den „gewohnheitsmäßigen“ Delinquenten gelten, da auch bei diesem die Rückkehr in ein geordnetes Leben als nicht ausgeschlossen galt789. So fand insbesondere bei längeren Haftstrafen ein „Stufenstrafvollzug“ Anwendung. Dieser sollte die „sittliche Hebung“ des Gefangenen dadurch herbeiführen, dass Ziele gesetzt wurden, „die es ihm lohnend erscheinen lassen, seinen Willen anzuspannen oder zu beherrschen“790. Je nach Fortschritt der „inneren Wandlung“ sollte der Vollzug durch Vergünstigungen in Etappen „seiner Strenge entkleidet“ werden791. Exemplarisch konnten sich günstigere 784  Eine Darstellung zur Entwicklung eines einheitlichen Strafvollzuges im Deutschen Kaiserreich gibt Thiesen, Strafvollzug, S. 18–22. 785  Laubenthal. Strafvollzug, S. 58. 786  Grundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen vom 7.6.1923, RGBl. 1923 II, S. 263–282. 787  §  48 Grundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen vom 7.6.1923, RGBl. 1923 II, S. 268. 788  § 49 ebd. 789  Thiesen, Strafvollzug, S. 24. 790  §  130 Grundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen vom 7.6.1923, RGBl. 1923 II, S. 275. 791  Ebd.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Umstände in einer Verkürzung der Arbeitszeit, einer Erhöhung des Arbeitsentgelts, einer besseren Verpflegung, einer optimierten Gestaltung der Gefängniszelle oder einem erhöhten Maß an Verkehr mit der Außenwelt manifestieren792. bb) Strafvollzugsordnung vom 14. Mai 1934 Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten fand zunächst eine nur punktuelle Änderung der grundsätzlich weiter geltenden Reichsratsgrundsätze statt. Lediglich solche Regelungen, die mit den ideologischen Grundlagen des Regimes absolut unvereinbar waren, wurden reformiert, indem etwa die Privilegierung politisch motivierter Straftäter abgeschafft wurde und diametral eine Besserbehandlung von „ns-motivierten“ Straftaten durch eine entsprechende Amestieregelung umgesetzt wurde793. Auch die Geltung des Stufenvollzugs für alle Personengruppen wurde frühzeitig dahingehend eingeschränkt, dass „gewohnheitsmäßigen“ Verbrechern durch die neu eingeführte Sicherungsverwahrung künftig die Aussicht einer Resozialisierung kategorisch abgeschnitten wurde794. Die Konzeption eines abgeschlossenen Strafvollzugsgesetzes blieb – wie auch auf dem Gebiet des materiellen Rechts795 – aus796. Dennoch kam es in der Folgezeit zu zwei relevanten Novellierungen auf dem Gebiet des Strafvollzugs. Mit der im Jahre 1934 erlassenen Verordnung über den Vollzug von Freiheitsstrafen, die ebenfalls nur eine Übergangslösung bis zum prognostizierten Erlass eines Vollzugsgesetzes darstellte, sollte eine erste fragmentarische Novellierung stattfinden, indem es inhaltlich das „Notwendigste (…) auszumerzen“ galt, was mit dem neuen Staat unvereinbar schien797. Die Prämisse des Erziehungsgedan792  Mayer, Strafvollzug in Stufen, S. 22. Weitergehende Beispiele liefert Hauptvogel, Zielrichtung, in: DStrR 1935, S. 323. 793  So wurde § 52 der Reichsratsgrundsätze, der sämtliche Vergünstigungen im Strafvollzug für politische Überzeugungstäter vorsah, gestrichen, siehe Bekanntmachung einer Vereinbarung über die Beseitigung der Sonderbehandlung der Überzeugungstäter im Strafvollzug vom 25.4.1933, RGBl. 1933 I, S. 232. Siehe zur Anmestierung für „Straftaten, die im Kampfe für die nationale Erhebung des Deutschen Volkes, zu ihrer Vorbereitung oder im Kampfe für die deutsche Scholle begangen sind“, Verordnung des Reichspräsidenten über die Gewährung von Straffreiheit vom 21.3.1933, RGBl. 1933 I, S. 134. 794  § 42 a RStGB, eingeführt durch Artikel 2, Abschnitt 1 a) des Gesetzes gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933, RGBl. 1933 I, S. 996. 795  Zur fragmentarischen Reformierung des Strafgesetzes im Verordnungswege sei auf die obigen Ausführungen verwiesen, S. 79. 796  Zur zitierten Begrifflichkeit siehe Hauptvogel, Zielrichtung, in: DStrR 1935, S. 326. 797  Hauptvogel, Zielrichtung, in: DStrR 1935, S. 329.



II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis451

kens war weiter Bestandteil des neuen Vollzugs, wurde jedoch in ihrer Bedeutung relativiert durch die neu formulierte Sühnefunktion und die entsprechende Zielrichtung, dass der Vollzug ein „empfindliches Übel“ darstellen sollte und gegenüber nicht erziehbaren Inhaftierten generalpräventive Wirkung entfalten sollte798. Die Strafanstaltsbeiräte, die vormals eine zivile Kontrollfunktion über den Ablauf des Strafvollzugs erfüllten, fielen weg799. Die Formulierung der Pflicht der Vollzugsbeamten zu „menschlichem“ Umgang mit den Gefangenen, wie sie in § 49 der Reichsratsgrundsätze festgelegt worden war, wurde gestrichen800. Die ehemals nicht disponible Pflicht zur Unterrichtserteilung für alle Gefangenen, die eine Strafe von über drei Monaten zu verbüßen hatten, wurde fortan in das Ermessen der Anstaltsleitung gestellt und sollte sich allenfalls auf Personen erstrecken, die mindestens eine sechsmonatige Haftstrafe zu verbüßen hatten801. Während vormals die „geistigen Fähigkeiten“ und „beruflichen Kenntnisse“ angeregt werden sollten, stand künftig die Unterrichtung bzw. die Erziehung zu „vaterländischer und rechtlicher Gesinnung“ im Vordergrund802. Zur Verfügung gestellte Lektüre wurde nach dem Merkmal der „Deutschheit“ gefiltert, sodass alle „undeutschen“ und die „Volksgemeinschaft zersetzenden“ Schriften ausgeschlossen waren803. Zudem wurde der Schriftverkehr der Gefangenen, der vormals als Vergünstigung erweiterungsfähig gewesen war804, eingeschränkt, um das „Beschwerdeunwesen“ aus der „Systemzeit“ einzudämmen805. Für Zuchthausstrafen führte man die Modalität eines strengen Arrestes ein, bei welchem dem Adressaten Arbeit, Bewegung im Freien und ein Bett gänzlich vorenthalten blieben und die Nahrung auf Wasser und 798  § 48 Reichsratsgrundsätze in der Fassung des Art. 2 Abs. 2 der Verordnung über den Vollzug von Freiheitsstrafen und von Maßregeln der Sicherung und Besserung, die mit Freiheitsentziehung verbunden sind, vom 14.5.1934, RGBl. 1934 I, S. 383. 799  Vgl. § 17 Reichsratsgrundsätze vom 27.6.1923, RGBl. 1923 II, S. 265, zu Artikel 2 Abs. 1 VollzugsVO vom 14.5.1934, RGBl. 1934 I, S. 383. 800  Vgl. § 49 Reichsratsgrundsätze vom 27.6.1923, RGBl. 1923 II, S. 268, zu § 49 Reichsratsgrundsätze in der Fassung des Artikels 2 Abs. 2 VollzugsVO vom 14.5.1934, RGBl. 1934 I, S. 383. 801  Vgl. § 106 Reichsratsgrundsätze vom 27.6.1923, RGBl. 1923 II, S. 272, zu § 106 Reichsratsgrundsätze in der Fassung des Artikels 2 Abs. 3 VollzugsVO vom 14.5.1934, RGBl. 1934 I, S. 384. 802  Ebd. 803  § 106 Reichsratsgrundsätze in der Fassung des Art. 2 Abs. 3 VollzugsVO vom 14.5.1934, RGBl. 1934 I, S. 384. 804  § 113 der Reichsratsgrundsätze vom 27.6.1923, RGBl. 1923 II, S. 273. 805  §§ 119 Abs. 1 und 123 der Reichsratsgrundsätze in der Fassung des Art. 2 Abs. 4 VollzugsVO vom 14.5.1934, RGBl. 1934 I, S. 384. Zur zitierten Begrifflichkeit Hauptvogel, Zielrichtung, in: DStrR 1935, S. 329.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Brot beschränkt wurde806. Damit zeichnete sich bereits ab 1934 ein grundlegendes Neuverständnis des Verhältnisses zwischen Staat und inhaftiertem Bürger ab: Nachdem der Staat vormals als regulierender „Helfer“ agiert hatte, wurde nun ein klares Subordinationsverhältnis hergestellt, welches den Gefangenen in eine Objektstellung mit beschnittenen Rechten und schärferen Vollzugsmodalitäten drängte. cc) Strafvollzugsordnung vom 22. Juli 1940 Da trotz zwischenzeitlicher Verreichlichung der Justiz ab 1935 die Durchführungsbestimmungen zum Vollzug weiter Ländersache blieben und die zwischenzeitliche Eingliederung Österreichs sowie der sonstigen besetzten Gebiete einer uneinheitlichen Vollzugshandhabung Vorschub leisteten807, erließ das RJM eine neue gesetzliche „Zwischenlösung“ mit der Strafvollzugsordnung vom 22. Juli 1940808, welche die letzte Novellierung des Strafvollzugs im Dritten Reich sein sollte und Geltung für alle Vollzugsanstalten der Reichsjustizverwaltung entfaltete809. Die Normierung gliederte sich in 218 Punkte und vier Abschnitte, die Regelungen zu Anstalten, Behörden und Beamten, Vollzug von Freiheitsstrafen, Vollzug von Maßnahmen der Sicherung und Besserung sowie Schlussvorschriften umfassten. Die bereits schrittweise erfolgte Abkehr von den Reichsratsgrundsätzen aus dem Jahr 1923 setzte sich nun konsequent fort. Die Erziehungsprämisse war künftig nicht mehr erklärtes Ziel des Strafvollzugs. Im Fokus stand fortan die Schutzerwägung der Volksgemeinschaft vor dem Inhaftierten, während der Sühnegedanke sowie die ratio negativer Generalprävention aufrecht erhalten wurde810. Die Volksgemeinschaft wurde das den Strafvollzug prägende Strukturelement. Die Gefangenen sollten an „Zucht und Ordnung“ gewöhnt und derart „ertüchtigt“ werden, dass sie sich im Anschluss als „brauchbare Glieder in die Volksgemeinschaft einfügen“ konnten811. Die Kriterien der Arbeitsbeschaffung orientierten sich nicht mehr primär nach 806  § 143 der Reichsratsgrundsätze in der Fassung des Art. 2 Abs. 5 VollzugsVO vom 14.5.1934, RGBl. 1934 I, S. 385. 807  Eine Darstellung zu den jeweiligen Ausführungsbestimmungen im Vorfeld der Vollzugsordnung von 1934 gibt Hauptvogel, Zielrichtung, in: DStrR 1935, S.  327 f. 808  Vereinheitlichung der Dienst- und Vollzugsvorschriften für den Strafvollzug im Bereich der Reichsjustizverwaltung (Strafvollzugsordnung) vom 22.7.1940, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 694–761. 809  Möhler, Strafvollzug, S. 49. 810  Nr. 48 Abs. 1 Strafvollzugsordnung vom 22.7.1940, abgedruckt in: Krug/ Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 712. 811  Nr. 48 Abs. 2 ebd.



II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis453

Gesichtspunkten der Rücksichtnahme individueller Neigungen des Inhaftierten, sondern nach der Nützlichkeit für die Belange der „Volksgemeinschaft“812. Auch der Unterricht sollte die „Bereitschaft des Gefangenen (…) zur Einordnung in die Volksgemeinschaft wecken und stärken“, indem der Lernstoff auf die „Kunde von deutschem Volkstum, deutscher Geschichte und Landschaft sowie deutscher Kultur und Wirtschaft“ ausgerichtet wurde813. Auch die Objektstellung des Gefangenen und das mit ihr einhergehende Subordinationsverhältnis verschärften sich nochmals drastisch. Die Änderungen werden bereits durch eine andersartige Semantik der Normen deutlich: Während sich der Gefangene der Hausordnung vormals lediglich zu „fügen“ hatte814, wurde nunmehr eine „Unterwerfung“ unter selbige verlangt815. Anordnungen von Anstaltsbeamten waren – ungeachtet ihrer Rechtmäßigkeit – „ohne Widerrede“ auszuführen816, die Kommunikation mit dem Gefängnispersonal war nur auf ausdrückliche Aufforderung gestattet, das Personal war stets durch das Abnehmen der Kopfbedeckung zu grüßen, wobei der Gruß nur auf Aufforderung des Personals erfolgen durfte817. Sofern ein Beamter einen Haftraum betrat, hatten die Inhaftierten zudem ihre Arbeit zu unterbrechen, sich zu erheben und eine „gerade Haltung“ anzunehmen818. Auch die Rassenzugehörigkeit entfaltete erstmals Auswirkungen auf den Strafvollzug, indem Gefangene, die nicht „artgleichen oder artverwandten Blutes“ waren, nicht in gemeinsamer Haft zusammengebracht werden sollten819. Soweit es die neueingeführten Arten des Sondervollzugs820, insbesondere den sogenannten Erstvollzug betraf, wurden dessen Privilegierungen lediglich Inhaftierten „deutschen oder artverwandten Blutes“ zuteil821. Bei einer länger als sechs Wochen andauernden Vollzugsdauer sollten „Gestrauchelte“, denen keine verbrecherische Persönlichkeit unterstellt wurde, davor bewahrt werden, in das Verbrechertum abzugleiten. Daher sollten sie in ihrem Ehrgefühl besonders geschont, ihnen Hilfestellung beim Aufbau eines 812  Nr. 68 ebd., S. 717. Allerdings sollte die Gefangenen, „soweit angängig“, in ihren erlernten Berufen beschäftigt werden, § 74 Abs. 2 ebd., S. 720. 813  Nr. 86 ebd., S. 723. 814  Nr. 126 der Reichsratsgrundsätze vom 27.6.1923, RGBl. 1923 II, S. 275. 815  Nr. 57 Strafvollzugsordnung vom 22.7.1940, abgedruckt in: Krug/Schäfer/ Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 715. 816  Ebd. 817  Ebd. 818  Ebd. 819  Nr. 56 ebd., S. 714. 820  Siehe zu den Sondervollzugsarten Nr. 49 Abs. 5, 156–161 sowie Nr. 165 Strafvollzugsordnung vom 22.7.1940, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 712, 743–746. 821  Nr. 156 Strafvollzugsordnung vom 22.7.1940, abgedruckt in: Krug/Schäfer/ Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 743.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

neuen Lebens gegeben, keine strengeren Vollzugsmodalitäten während des Anfangsvollzugs auferlegt sowie eine besondere Förderung und die Möglichkeit zur Selbstbeschäftigung statt Arbeit zuteil werden822. Letzte Ausflüsse des Stufenvollzugssystems verblieben neben dieser Privilegierung durch eine strengere Ausgestaltung des Anfangsvollzugs bestehen, indem während der ersten drei Monate ein strengerer Vollzug als in der Anschlusszeit zu erfolgen hatte, der durch Einzelhaft, mangelnde Leistungsbelohnung, Ausschluss von der Unterrichtsteilnahme und restriktiver Besuchs- und Schriftverkehrserlaubnis umgesetzt wurde823. Im Wege von Allgemeinverfügungen wurde die Strafvollzugsordnung bis zum Kriegsende punktuell ergänzt, soweit es den Arrest, die seelsorgerische Betreuung, den Jugendstrafvollzug, den Erstvollzug und Anstalten für einen verschärften Vollzug betraf824. 2. Vollstreckungspraxis bei Urteilen des Sondergerichts Aachen a) Aufgaben der Staatsanwaltschaft als Strafvollstreckungsbehörde Nach § 2 Vollstreckungsordnung fungierte der LOStA beim Sondergericht Aachen als zuständige Vollstreckungsbehörde des Landgerichtsbezirks825. Als solche oblagen ihm Überwachung und Kontrolle der nach Art und Dauer ordnungsgemäß zu vollziehenden Strafhaft826. Sobald der Vollzug beendet war, erhielt die Staatsanwaltschaft durch die jeweilige Vollzugsanstalt eine entsprechende Mitteilung827. Eine verwaltungsrechtliche Kernaufgabe im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens stellte die Anlegung eines Vollstreckungsheftes dar. Dieses beinhaltete regelmäßig eine beglaubigte Abschrift der Urteilsformel, die für die Strafberechnung maßgeblichen Angaben sowie Korrespondenz und Verfügungen zur Strafvollstreckung828. 822  Nr. 156,

157, 159 ebd., S. 743 f. Nr. 153 und 155 ebd., S. 742 f. 824  Siehe AV des RJM vom 5.2.1941, vom 11.6.1941, vom 28.7.1941, vom 17.11.1942, vom 22.12.1942 sowie vom 2.6.1944, in dieser Reihenfolge abgedruckt in: DJ 1941, S. 222, 708, 810; DJ 1942, S. 751; DJ 1943, S. 22; DJ 1944, S. 185. 825  § 2 Abs. 1 Nr. 1 Vollstreckungsordnung vom 7.12.1935, abgedruckt in: Krug/ Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 606. 826  § 20 ebd., S. 617. Die Kontrollfunktion bestand vornehmlich in der formalen Anzeigepflicht der Vollzugsbehörde an die Staatsanwaltschaft über die vollzogene Aufnahme des Verurteilten, indem die Vollzugsbehörde eine zweite Ausfertigung des Aufnahmeersuchens mit den entsprechenden Vermerken zurücksendete, § 19 Vollstreckungsordnung vom 7.12.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 616. 827  § 33 ebd., S. 623. 828  § 8 Abs. 2 ebd., S. 609. 823  Siehe



II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis455

Sofern anderweitige Stellen oder Behörden im Rahmen der Vollstreckung zu beteiligen waren, sollte das Vollstreckungsheft erst dann anderen Stellen zur Verfügung gestellt werden, wenn die erforderlichen Maßnahmen, insbesondere die Unterbringung, in die Wege geleitet worden war829. Die konkrete örtliche Zuweisung an die Vollzugsanstalten innerhalb des Landgerichtssprengels regelte der Strafvollstreckungsplan, dessen Ausarbeitung dem GStA oblag830. Auch die Zuweisung auf dem Gebiet der Sondergerichtsbarkeit richtete sich nach diesem Plan und wurde mangels besonderer Strafanstalten ebenfalls in den ordentlichen Vollzugsanstalten vollzogen831. Dem Behördenleiter oblag insoweit die Pflicht zur Vollstreckungshilfe gegenüber dem Gerichtsherrn, indem er regelmäßig das Aufnahmeersuchen an die jeweils im Bezirk in Betracht kommenden Vollzugsanstalten richtete. Die Staatsanwaltschaft Aachen bediente sich hinsichtlich dieser Pflichtenerfüllung eines Formvordrucks, welcher die Bezeichnung der zu adressierenden Vollzugsanstalt, des Verurteilten, des Tages des Urteils, des Aktenzeichens sowie die zu verbüßende Strafzeit beinhaltete832. Bei Haftstrafen ab dreimonatiger Höhe war dem Ersuchen zudem eine Abschrift des Urteils beizufügen833. Bei ausländischen Verurteilten fand sich ein Vermerk zur Staatsangehörigkeit834. Über den Formvordruck hinausgehende Mitteilungen, die zu berücksichtigende „seelische oder geistige Abartigkeit“, Selbstmordgefahr oder Homosexualität dokumentierten, sind für den Standort Aachen nicht überliefert835. Eine weitere Aufgabe der Staatsanwaltschaft bestand in der Obliegenheit, die privilegierenden Voraussetzungen des „Erstvollzugs“ unter Zugrundelegung der Täterpersönlichkeit und der konkreten Tatumstände vorzunehmen836. Aufgrund der vorgesehenen Trennung der Inhaftierten des Erstvollzugs vom übrigen Gefangenenkreis entfaltete dieses Kriterium für die Frage der konkreten örtlichen Unterbringung Relevanz837. Aufgrund der 829  § 8

Abs. 1 ebd. ebd., S. 610, i.  V. m. Nr. 8 der Strafvollzugsordnung vom 22.7.1940, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 700. 831  RV des RJM vom 9.1.1940, betr. die Strafvollstreckung aus Urteilen auf dem Gebiete der Sondergerichtsbarkeit in Strafsachen, für Angehörige der SS und für die Angehörigen der Polizeiverbände bei besonderem Einsatz, abgedruckt in: Krug/ Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 660. 832  Siehe zu den gesetzlich vorgesehenen essentialia negotii eines Aufnahmeersuchens § 15 Vollstreckungsordnung vom 7.12.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/ Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 614. 833  § 15 Abs. 3 a) ebd., S. 615. 834  § 15 Abs. 4 ebd., S. 615. 835  Siehe zu diesem Erfordernis § 15 Abs. 4 ebd., S. 615. 836  § 12 c) Abs. 1 ebd., S. 611 f. 837  Schreiben des LOStA an den GStA vom 21.6.1941 betr. die beschleunigte Betreibung der Strafvollstreckung, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 53, Bl. 147. 830  § 12

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

abstrakt geltenden Prozessmaxime einer möglichsten Beschleunigung von Sondergerichtsverfahren wies der RJM durch Erlass vom 19. August 1940 auf die Notwendigkeit hin, während des Krieges auf eine beschleunigte Betreibung der Strafvollstreckung bei der Überführung von verurteilten Untersuchungsgefangenen in die Strafhaft hinzuwirken838. Die Staatsanwaltschaft Aachen verwirklichte den Dienstauftrag, indem die für die Haftmodalitäten ausschlaggebenden Voraussetzungen bereits im Ermittlungsverfahren festgestellt und in einem entsprechenden Formblatt an die jeweilige Haftanstalt vermerkt wurden839. Mit Blick auf eine divergierende und zum Teil als unproduktiv qualifizierte Umsetzung durch die übrigen Staatsanwaltschaften im Oberlandesgerichtsbezirk würdigte der GStA die Vorgehensweise in Aachen als in „zweckentsprechender Form“ geschehend840. Aufgrund einer Verordnung des Ministerrats sollte ab dem Sommer des Jahres 1940 wegen einer „während des Krieges begangenen Tat“ bei Zuchthausstrafen die Vollzugszeit, die in die Zeit des Krieges fiel, grundsätzlich nicht mehr angerechnet werden841. Die Verordnung sollte eine Bevorzugung von Straftätern verhindern, die aufgrund der Verurteilung keinen Frontdienst leisten mussten842. Die Prüfung einer Ausnahme von der Verordnung, welche für weibliche Verurteilte, Protektoratsangehörige, Ausländer, nicht wehrpflichtige oder wehrunfähige Personen galt, oblag ebenfalls der Staatsanwaltschaft843. Für den Standort Aachen entfaltete diese Anordnung örtliche Relevanz, indem Verurteilte ohne Vollzugsanrechnung in das Strafgefangenenlager Rodgau in Dieburg zu verbringen waren, während die von der Ausnahme betroffenen Personen die Strafe im Zuchthaus Rheinbach zu verbüßen hatten844. Neben der Vollstreckung von Urteilen des Sonderge838  Erlass des RJM vom 19.8.1940  – 4 104/1-IIIa4-662.40  – in Rundverfügung des GStA an die Oberstaatsanwälte im Bezirk vom 17.6.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 53, Bl. 146. 839  Schreiben des LOStA an den GStA vom 21.6.1941 betr. die beschleunigte Betreibung der Strafvollstreckung, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 53, Bl. 147. 840  Bei der Staatsanwaltschaft in Köln zeigte sich der GStA über die Gewährleistungsmaßnahmen unzufriedener, sodass mit dem dortigen Behördenleiter Rücksprache gehalten worden war, Regelungen zu treffen, „die der Aachener Regelung entspricht“, Vermerk des GStA vom 12.9.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 53, Bl. 156. 841  RV des RJM vom 27.6.1940 betreffend die VO über die Vollstreckung von Freiheitsstrafen wegen einer während des Krieges begangenen Tat, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungvorschriften, S. 655 f. 842  Weckbecker, Todesstrafe, S. 373. 843  RV des RJM vom 27.6.1940 betreffend die VO über die Vollstreckung von Freiheitsstrafen wegen einer während des Krieges begangenen Tat, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungvorschriften, S. 656. 844  Schreiben des LOStA an den GStA vom 21.6.1941 betr. die beschleunigte Betreibung der Strafvollstreckung, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 53, Bl. 147.



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richts Aachen war auch eine Vollstreckungsübertragung im Rechtswege möglich. Praktische Relevanz für Aachen erlangte auch §  3 Durch­ führungsVO, nach welchem der ORA die Vollstreckung eines Urteils des Besonderen Senats an jene Behörde abgeben konnte, deren sachliche ­Zuständigkeit im Rahmen des Ausgangsurteils bestanden hatte845. Trotz erfolgter Kompetenzabtretung im Zuge des außerordentlichen Einspruchs hatte die Staatsanwaltschaft Aachen dennoch Mitteilungspflichten gegenüber dem ORA in Bezug auf die Auswahl der entsprechenden Strafanstalten zu erfüllen846. b) Vollstreckungsorte Die Vollstreckungsorte für Urteile des Sondergerichts Aachen bestimmten sich nach dem Vollstreckungsplan des GStA in Köln, welcher vom RJM zu bestätigen war847. Häufige Änderungen des Vollstreckungsplans, eine vorzunehmende Trennung der Inhaftierten nach ethnischen, altersbedingten, „charakterlichen“ und geschlechtlichen Unterschieden sowie die Berücksichtigung kriegsbedingter Umstände führten in Aachen zur Unterbringung in zahlreichen verschiedenen Vollzugsanstalten848. Dem Verzeichnis der Vollzugsanstalten im Oberlandesgerichtsbezirk Köln entsprechend, waren als Vollzugsanstalten die Gefängnisse in Aachen, Bonn, Koblenz und Köln sowie die Zuchthäuser Rheinbach, Siegburg und das Straf- und Jugendgefängnis in Wittlich aufgeführt849. Daneben existierten Gerichtsgefängnisse in Neuwied und Trier mit einer Kapazität für über 50 Personen sowie 44 weitere Gerichtsgefängnisse mit einer Kapazität für maximal 50 Gefangene, 845  § 3 Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des allgemeinen Strafverfahrens, des Wehrmachtstrafverfahrens und des Strafgesetzbuchs vom 17.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1847. 846  Schreiben des Oberreichsanwalts an den LOStA in Aachen vom 25.3.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 319, Bl. nicht angegeben. Selbstverständlich konnte der ORA die Überführung von Verurteilten aufgrund Urteils des Besonderen Senats auch eigenhändig veranlassen. Siehe insoweit die eigentätige Überführung vereinzelter Verurteilter des gleichen Verfahrens, Schreiben des ORA an den LOStA vom 25.3.1942, Vollstreckungsheft Hoffmann, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 322, Bl. 6. 847  Siehe § 12 Strafvollstreckungsordnung vom 7.12.1935 i. d. F. vom 30.1.1942 iVm Nr. 8, 9 der Strafvollzugsordnung vom 22.7.1940, abgedruckt in: Krug/Schäfer/ Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 610, 700. 848  Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird für eine detaillierte chronologische Übersicht zu den Änderungen des Vollzugsplans auf Tabelle 55 im Anhang verwiesen, S. 547. 849  Eine umfangreiche empirische Darstellung zur Rolle des Strafgefängnisses Wittlich während der gesamten Zeit des Nationalsozialismus gibt Petry, Wittlich, in: 100 Jahre Justizvollzugsanstalt Wittlich, S. 40–50.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

unter anderem in Düren, Eschweiler und Rheinbach850. Tatsächlich wurden die durch das Sondergericht Aachen verurteilten Personen zum Strafvollzug in die Zuchthäuser Rheinbach, Rodgau in Dieburg, Remscheid-Lüttringhausen, Butzbach, Siegburg sowie das Gefangenenlager Oberems verbracht. Zur Vollstreckung von Gefängnisstrafen erfolgten Überweisungen an die Strafgefängnisse Zweibrücken, Wittlich, Bochum, Plötzensee, Köln, die Gerichtsgefängnisse Düren, Hanau, Eschweiler, Prüm und Geilenkirchen, die Gefängnisse Euskirchen und Düsseldorf, das Wehrmachtsgefängnis Anklam, das Kriegswehrmachtsgefängnis Paris sowie die Haftanstalten Glatz und Aachen. Die für weibliche Verurteilte relevanten Zuchthäuser waren die Standorte Anrath, Flussbach sowie Berlin851. c) Durchführung und Statistik aa) Geldstrafen Die Vollstreckung der Strafe hatte der Rechtskraft des Urteils nach dem Willen des Gesetzgebers „auf dem Fuße zu folgen“852. Geldstrafen und die im Falle der Nichteintreibbarkeit zu verhängenden Freiheitsstrafen waren von diesem Grundsatz mitumfasst853. Allerdings hatte die Staatsanwaltschaft auf die konkreten wirtschaftlichen Umstände des Verurteilten Rücksicht zu nehmen und im Falle schwacher Einkommensverhältnisse grundsätzlich von der zeitnahen Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe abzusehen, indem die Möglichkeit zur Teilzahlung gegeben werden sollte. Diese wurde ihrer Höhe entsprechend so bemessen, dass ihre Erfüllung dem Verurteilten möglich war, andererseits jedoch die Fühlbarkeit des Ernstes der Strafe gewährleistet wurde854. Die Anklagebehörde beantragte in 24 Verfahren gegen 41 Angeklagte die Verhängung von Geldstrafen. Gegen 16 Personen ergingen gerichtliche Entscheidungen zur Verhängung von Geldstrafen antragsgemäß, in drei dieser Fälle wurden Geldstrafen mit der Verhängung 850  Undatiertes Verzeichnis der Vollzugsanstalten im OLG Bezirk Köln, LAV NRW R, Ger. Rep. 21, Akte 610, Bl. nicht angegeben. 851  Sofern es sich nicht um Zuchthausstrafen handelte, waren Frauen im Übrigen in den genannten Gefängnissen untergebracht. Eine kartographische Übersicht der auch für den Standort Aachen relevanten Vollzugsanstalten findet sich in Wachsmann, Gefangen unter Hitler, S. 4 f. 852  § 36 Abs. 1 Strafvollstreckungsordnung vom 7.12.1935, abgedruckt in: Krug/ Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 625. 853  Siehe zur gesetzlichen Regelung der Ersatzfreiheitsstrafen § 38 Strafvollstreckungsordnung vom 7.12.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 626. 854  § 36 Abs. 2 Strafvollstreckungsordnung vom 7.12.1935, abgedruckt in: Krug/ Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 625.



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einer Freiheitsstrafe verknüpft. Das Sondergericht entschied demgegenüber in 48 Verfahren gegen insgesamt 71 Personen auf Geldstrafe. Die Höhe der beantragten und verhängten Strafsumme bewegte sich zwischen 50 und 15.000 RM, wobei es sich in der überwiegenden Anzahl um zu entrichtende Geldsummen von unter 1.000 RM handelte. Sofern Beträge von mehreren Hundert RM abzugelten waren, machte die Staatsanwaltschaft von der Möglichkeit einer Teilzahlungsvereinbarung regelmäßigen Gebrauch. Fälle verhängter Ersatzfreiheitsstrafen aufgrund Nichtzahlung sind nicht dokumentiert. bb) Freiheitsstrafen (1) Gefängnisstrafen Der Regelvollzug von Gefängnisstrafen war geprägt von einem mindestens neunstündigen Arbeitstag855. Die einzig gewährten Privilegien bestanden in der Teilnahme am Gefängnisunterricht sowie einem Gesangschor. Besucherempfang wurde den Inhaftierten nur in zweimonatigen Abständen gewährt. Nach Ermessen des Anstaltsleiters konnte Gefangenen ausnahmsweise im Wege einer Leistungsbelohnung gewährt werden, ein Schreibheft zu führen, in welchem Auszüge aus Büchern sowie berufliche Kenntnisse vermerkt werden durften856. Für die ersten drei Monate der Strafverbüßung war – selbst für den Fall einer Strafhaft von unter drei Monaten – ein strenger Vollzug durchzuführen, den der Gefangene zwingend in Einzelhaft zu verbringen hatte857. Die Gewährung von Leistungsbelohnungen sowie die Teilnahme am Gefängnisunterricht schieden während des Anfangsvollzugs kategorisch aus. Eine Besuchserlaubnis wurde nur in dringenden Fällen gewährt858. Insbesondere ab 1942 hatten sich die im Rheinland gelegenen Vollzugsanstalten wiederholt mit Überbelegungen auseinanderzusetzen. Auf dem Sektor des Jugendstrafvollzuges wollte das RJM jedoch trotz Platzmangels die unbedingte Einhaltung einer Einzelhaft bei Jugendlichen gewährleistet wissen, da das wesentliche Ziel der Haft – „eine Selbstbesinnung, wie sie nur in der Einzelunterbringung möglich ist“ – durch eine gemeinsame Unterbringung konterkariert würde859. Das von der Staatsanwaltschaft durchschnittlich, deliktsübergreifend beantragte Strafmaß bei 855  Nr. 154 Abs. 1 Strafvollzugsordnung vom 22.7.1940, abgedruckt in: Krug/ Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 743. 856  Nr. 154 Abs. 5 ebd. 857  Nr. 155 ebd. 858  Nr. 155 ebd. 859  Schreiben des RJM an den GStA in Köln vom 27.11.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 229, Bl. 48.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Gefängnisstrafen betrug 9,7 Monate, während sich die durchschnittlich verhängte Dauer der Freiheitsentziehung durch das Sondergericht auf 9,3 Monate belief860. Die Staatsanwaltschaft richtete hinsichtlich 217 Verurteilter und damit in 48,9 % der Fälle ihrer Vollstreckungsersuchen an die Haftanstalt Aachen, wodurch dem lokalen Vollzugsstandort die bedeutendste Rolle zukam. Mit 36,3 % der Vollstreckungsersuchen fiel der Strafanstalt Wittlich die zweithöchste Relevanz zu, gefolgt von den Standorten Köln und Düren mit je 8,6 % und 2,9 %. Den übrigen Haft- und Gefängnisanstalten kamen mit einem Vollzugsanteil zwischen 0,2 % und 0,5 % lediglich untergeordnete Bedeutungen zu861. (2) Zuchthausstrafen Der Alltag von Zuchthausgefangenen unterschied sich vom regulären Gefängnisvollzug durch in Art und Ausmaß verschärfte Haftbedingungen. So betrug die reguläre Arbeitszeit mindestens zehn Stunden täglich862. Der Gefangenenunterricht, der im Rahmen des Regelvollzugs grundsätzlich allen Inhaftierten bis zum vollendeten 30. Lebensjahr zu gewähren war863, wurde nur „ausgewählten“ Zuchthausgefangenen zuteil864. Besuch durften die Inhaftierten nur im zeitlichen Abstand von drei Monaten empfangen, das Verfassen von Briefen an Privatpersonen wurde unter ausdrücklicher Bittstellung des Inhaftierten jeweils nach Verstreichen einer sechswöchigen Sperrfrist gewährt865. Für Zuchthausstrafen galt – entsprechend zum Regelvollzug der Gefängnisstrafen – ein strengerer Anfangsvollzug, bei welchem der Betroffene die ersten sechs Monate in Einzelhaft verbrachte866. Wie im Rahmen der Gefängnisstrafen wurden keine Leistungsbelohnungen zuerkannt, die Teilnahme am Zuchthausunterricht wurde versagt und Besuchsempfang oder Schriftverkehr wurde nur ausnahmsweise gewährt867. Der deliktsübergreifende, durchschnittliche Strafantrag der Staatsanwaltschaft zur Verhängung von Zuchthausstrafen belief sich auf 39,7 Monate, während der entsprechende Durchschnitt des gerichtlich verhängten Strafmaßes 36,5 860  Siehe zur detailllierten und vollständigen Auflistung des durchschnittlichen Strafantrages und Strafmaßes nach Delikten Tabelle 56, Anhang, S. 550. 861  Siehe zur Verteilung der durch das Sondergericht verurteilten Personen auf die jeweiligen Vollzugsstandorte detailliert Tabelle 57, Anhang, S. 552. 862  Nr. 152 Abs. 1 Strafvollzugsordnung vom 22.7.1940, abgedruckt in: Krug/ Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 742. 863  Nr. 154 Abs. 2 ebd., S. 743. 864  Nr. 152 Abs. 2 ebd., S. 742. 865  Nr. 152 Abs. 4 ebd. 866  Nr. 153 ebd. 867  Nr. 153 ebd.



II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis461

Monate betrug868. Mit insgesamt 53 dokumentierten Überstellungen und einem entsprechenden Anteil von 37,9 % aller staatsanwaltschaftlichen Ersuchen an Zuchthäuser stellte der Standort Rheinbach die relevanteste Anlaufstelle dar, gefolgt von den Zuchthäusern Remscheid-Lüttringhausen und Butzbach mit einem Anteil von 25,7 % und 20,7 %. Für weibliche Verurteilte stellte das Frauenzuchthaus Anrath, in welches 82,2 % aller verurteilten Frauen überstellt wurden, die wichtigste Vollzugsanstalt dar. Dem Frauenstraflager Flussbach wurden die übrigen 17,8 % der Verurteilten zugewiesen869. (3) Lagervollzug Als dritte Modalität zum Vollzug von Freiheitsstrafen konnte eine Unterbringung in Strafgefangenenlagern erfolgen. Insgesamt existierten im nationalsozialistischen Deutschland sieben Gefangenenlager mit einer Aufnahmekapazität von bis zu 1.000 Personen, acht zusätzliche Lager dienten nach Ausbruch des Krieges als weitere Kriegsgefangenenlager870. Im Unterschied zu Zuchthaus- und Gefängnisstrafen diente der Lagervollzug neben der Sühne der Strafe der Verfolgung eines „gemeinnützigen“ Zwecks, indem etwa die Kultivierung von Ödlandflächen, das „deutsche Aufbauwerk im Osten“ oder die Kriegswirtschaft gefördert werden sollten871. Entsprechend war der Alltag für die Inhaftierten geprägt von Außenarbeiten, sodass nur körperlich taugliche Verurteilte für den Lagervollzug in Betracht kamen. Körperbehinderte, unter Krankheit leidende, besonders fluchtverdächtige, ausländische, jüdische sowie wegen Hoch- oder Landesverrats verurteilte Gefangene waren dagegen zwingend vom Lagervollzug ausgeschlossen872. Dagegen war die sachliche Ausgestaltung der sondergerichtlichen Entscheidung als Gefängnis- oder Zuchthausstrafe für die potentielle Vollstreckung der Strafe in Gefangenenlagern grundsätzlich unbeachtlich873. Besonderhei868  Siehe zur detaillierten und vollständigen Auflistung des durchschnittlichen Strafantrages und Strafmaßes nach Delikten Tabelle 56, Anhang, S. 550. 869  Siehe zur Verteilung der durch das Sondergericht verurteilten Personen auf die jeweiligen Vollzugsstandorte detailliert Tabelle 57, Anhang, S. 552. 870  Möhler, Strafvollzug, in: Jung/Müller-Dietz, Strafvollzug, S. 83. 871  AV des RJM vom 7.1.1942 betr. die Polenvollzugsordnung, abgedruckt in: DJ 1942, S. 35; Möhler, Strafvollzug, in: Jung/Müller-Dietz, Strafvollzug, S. 82. 872  Möhler, Strafvollzug, in: Jung/Müller-Dietz, Strafvollzug, S. 84. 873  Einzige Einschränkung war eine zeitliche Komponente, indem nach ministeriellem Willen lediglich Gefangene mit einer zu verbüßenden Reststrafe von mindestens sechs Monaten rekrutiert werden sollten, siehe Möhler, Strafvollzug, in: Jung/ Müller-Dietz, Strafvollzug, S. 85. Ein Grund für die Unbeachtlichkeit der sondergerichtlichen Ausgangsentscheidung wird nicht zuletzt in dem Umstand zu erblicken sein, dass der zeitgenössische Diskurs zur Frage, ob der Lagervollzug eine Privile-

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

ten bestanden jedoch hinsichtlich der Ausgestaltung des Lagervollzugs nach der Polenvollzugsordnung, deren Adressaten ausschließlich polnische Staatsangehörige und jüdische Menschen waren874. Die Mindestarbeitszeit belief sich auf elf Stunden pro Tag, eine Arbeitsbelohnung wurde nicht gewährt. Als Disziplinarstrafen konnten Nahrungsbeschränkungen auf Wasser und Brot für einen Zeitraum von bis zu zwei Wochen verhängt werden875. Alternativ konnte ein verschärfter Lagervollzug zwischen einem und sechs Monaten angeordnet werden, bei dem „besonders schwere Arbeit“ geleistet werden musste und bei dem die Mindestarbeitszeit auf zwölf Stunden pro Tag festgesetzt war876. Zusätzlich wurde an einem Sonntag im Monat „hartes Lager“ angeordnet, bei dem die Nahrung auf Wasser und Brot beschränkt wurde877. Für die Vollstreckung von Urteilen des Sondergerichts Aachen durch die Staatsanwaltschaft entfalteten lediglich zwei Gefangenenlager konkrete Relevanz. So wurden in drei Verfahren insgesamt drei Personen in das Strafgefangenenlager Oberems überstellt878. Die als „Kultivierung des Emslands“ proklamierten und dort vollzogenen Außenarbeiten sollten die Trockenlegung und natürliche Kultivierung des 50.000 Hektar großen Gebiets des emsländischen Moores innerhalb von zwölf Jahren bewirken, um neuen Nutzraum für bis zu 2.300 Menschen zu schaffen879. Obwohl wegen der erhöhten Bedeutung dieses Projektes die Kriterien der personellen „Moorfähigkeit“ dahingehend aufgeweicht wurden, dass fortan sogar Sicherungsverwahrte ins Emsland überstellt werden konnten, wies der zuständige MinRat Marx die Generalstaatsanwaltschaften wiederholt an, keine ausländischen oder jüdischen Gefangenen zu überstellen. Im Vergleich zu den rund 69.000 Justiz- und Wehrmachtsgefangenen, die zwischen 1934 und 1945 in den Emslandlagern beschäftigt waren, fiel die Zahl der von der Staatsanwaltschaft überstellten Verurteilten nicht ins Gewicht. Auch mit Blick auf die relative Verteilung der Verurteilten des Sondergerichts Aachen auf die jeweiligen Vollzugsstandorte kam dem Lager Oberems mit 0,4 % eine nur untergeordnete Bedeutung zu880. Von größerer Relevanz war dagegen das Gefangenenlager Rodgau im hessischen Dieburg. Mit einer Kapaziät für bis zu 8.380 Personen sollten die dort Inhaftierten ein 13.000 Hektar großes Sumpfgelände zwischen Darmstadt und Aschafgierung oder eine zusätzliche Benachteiligung darstellte, nicht abschließend geklärt wurde. 874  Nr. 1 und 7 der Polenvollzugsordnung, abgedruckt in: DJ 1942, S. 35. 875  Nr. 5 ebd. 876  Nr. 6 ebd. 877  Ebd. 878  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 56, 191 und 204. 879  Marx, Kultivierung, in: DJ 1934, S. 732 f. 880  Siehe Tabelle 57, Anhang, S. 552.



II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis463

fenburg kultivieren881. In das Gefangenenlager Rodgau wurden von der Staatsanwaltschaft Aachen 31 Verurteilte – unter denen sich vier Ausländer befanden882 – überstellt, was einem dokumentierten Vollzugsanteil von 4,5 % entsprach883. cc) Vollstreckung von Todesstrafen (1) Rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen Die Todesstrafe wurde grundsätzlich durch Enthaupten vollzogen, sofern nicht im Einzelfall eine Hinrichtung durch Erhängen angeordnet wurde, um der besonderen Verwerflichkeit der Tat Rechnung zu tragen884. Die Wahl des Vollstreckungswerkzeugs war bis zur Verreichlichung der Justiz zunächst nach den jeweiligen Vorschriften der Landesjustizbehörden vorzunehmen gewesen885, sodass eine uneinheitliche Durchführung stattfand: Während in einigen Ländern die Vollstreckung durch ein Handbeil vorgenommen wurde, bediente man sich andernorts eines Fallbeilgeräts. Obwohl gerade im Rheinland die Guillotine durch die Einführung durch napoleonische Behörden auf eine lange Vergangenheit zurückblicken konnte, wurde sie vereinzelt als „artfremde“ Vollstreckungsmethode kritisiert886. Die stetige Zunahme von Todesurteilen und die mit ihr einhergehenden Hemmungen der Scharfrichter bei der Nutzung des Handbeils führten jedoch letztlich dazu887, dass das RJM mittels Rundverfügung im Dezember 1936 festlegte, die Todesstrafe künftig im gesamten Reichsgebiet mittels des Fallbeilgeräts zu vollziehen888. An der für die Urteile des Sondergerichts Aachen zuständigen Richtstätte des Gefängnisses Köln-Klingelpütz leistete noch bis zum Jahre 1938 die aus napoleonischer Zeit stammende Guillotine Dienst, bis 881  Kosthorst/Walter,

Emsland, S. 1384. handelte sich um einen Polen, einen Niederländer, einen Franzosen und einen Belgier, siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 268, 286, 292 und 451. 883  Siehe Tabelle 57, Anhang, S. 552. 884  § 1 RV des RJM vom 22.10.1935 betr. die Vollziehung der Todesstrafe, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 3. Eine normative Grundlage zur Voll­ streckung mittels Erhängens bildete etwa §  2 des Gesetzes vom 29.3.1933, RGBl. 1933 I, S. 151. 885  § 1 Abs. 2 RV des RJM vom 22.10.1935 betr. die Vollziehung der Todesstrafe, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 3. 886  Thiesen, Strafvollzug, S. 179. 887  Die Zuständigkeit der Scharfrichter zur Durchführung der Hinrichtung ergibt sich aus § 3 RV des RJM vom 22.10.1935 betr. die Vollziehung der Todesstrafe, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 3. 888  RV des RJM an den ORA beim VGH und die Generalstaatsanwaltschaften vom 28.12.1936, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 7. 882  Es

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

schließlich ein umschlossener Richtraum gefertigt und das mittlerweile defekte Fallbeilgerät durch ein neues Modell ersetzt wurde889. Die in den OLG Bezirken Köln, Düsseldorf und Hamm angefallenen Hinrichtungen wurden mit Ausnahme der Landgerichtsbezirke Bielefeld und Paderborn sämtlich im Gefängnis Köln-Klingelpütz zu vollzogen890. Insgesamt wird die Zahl der in Klingelpütz aufgrund gerichtlichen Urteils hingerichteten Personen auf etwa 750 geschätzt891. Die Richtlinien für die ausführenden Scharfrichter sahen vor, dass diese im ganzen Reichsgebiet ihren Dienst zu verrichten, jederzeit zur Verfügung zu stehen, pünktlich zu sein, „strengstes Stillschweigen“ zu bewahren, sich ordnungsgemäß zu verhalten sowie die Gerätschaften auf ihre Funktionsfähigkeit zu überprüfen und zu säubern hatten892. Aufgrund der ständigen Zunahme von Todesurteilen seit Kriegsausbruch wirkten zuletzt zehn Scharfrichter an insgesamt 21 Hinrichtungsstätten893. Um dem zusätzlichen Arbeitsanfall unter prozessökonomischen 889  Siehe Schreiben des RJM an den GStA vom 26.4.1938 sowie vom 3.5.1938, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 82, 94. Das zwingende Erfordernis der Hinrichtungsvornahme in einer Vollzugsanstalt der Justizverwaltung ergibt sich aus § 2 RV des RJM vom 22.10.1935 betr. die Vollziehung der Todesstrafe, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 3. 890  Weisung des RJM an die Generalstaatsanwaltschaften in Köln, Düsseldorf und Hamm vom 20.6.1938, sowie Nr. 2 Abs. 2 lit g) der Änderung der RV vom 19.2.1939  – 4417-IIIa4-318/39 i. d. F. vom 12.6.1940, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 179 rev. 891  Thiesen, Strafvollzug, S. 188. Kritik wurde gegenüber dem GStA in Köln auch von Freisler geäußert, nachdem aus dem Kölner Gefängnis über eine hohe Belastung der Beamtenschaft aufgrund der Vielzahl von Todesurteilen geklagt wurde. Freisler äußerte sich hierzu wie folgt: „Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie alles daran setzen würden, um die Bearbeitung der Vollstreckungssachen bzw. der Gnadenfrage bei Todesurteilen auf das Möglichste zu beschleunigen. Das ist die Art, wie man die Arbeit der bei der Bewachung und Vollstreckung beteiligten Beamten erleichtern kann“, Schreiben Freislers an den GStA vom 27.5.1941, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 201 rev. 892  Siehe §§ 1, 2, 4, 5 und 6 der Richtlinien für Scharfrichter, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 115 f. 893  Es handelte sich um die Vollstreckungsorte Berlin-Plötzensee, BrandenburgGörden, Breslau, Bruchsal, Danzig, Dortmund, Dreibergen-Bützow, Dresden, Frankfurt-Preungesheim, Graz, Halle, Kattowitz, Köln, Königsberg, München-Stadelheim, Prag-Pankratz, Posen, Stuttgart, Weimar, Wien, Wolfenbüttel, siehe tabellarische Auflistung bei Möhler, Strafvollzug, in: Jung/Müller-Dietz, Strafvollzug, S. 60 f. Thiesen und Wachsmann gehen dagegen von zuletzt 22 Hinrichtungsstätten aus, Thiesen, Strafvollzug, S. 178 sowie Wachsmann, Gefangen unter Hitler, S. 350. Der exponentielle Anstieg der Anzahl der Todesurteile zeigt sich bereits durch einen Vergleich zu einem Schreiben des RJM aus dem Jahr 1937, in welchem insgesamt drei Scharfrichter für das in drei Bezirke aufgeteilte Reichsgebiet zuständig waren, siehe Schreiben des RJM an den ORA beim VGH und die Generalstaatsanwaltschaft vom 25.8.1937, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 113.



II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis465

Gesichtspunkten Rechnung zu tragen, konnte die Vollstreckung der Todesurteile ab dem Jahr 1942 zu jeder Zeit am Tag und in der Nacht sowie an Sonn- und Feiertagen durchgeführt werden894. Die Ausdehnung des zulässigen Vollstreckungszeitraumes entfaltete für die Hinrichtungen der Verurteilten des Sondergerichts Aachen jedoch keine konkrete Relevanz. Die Hinrichtungen, die bis auf die Verurteilten Paul S. und Raymond D. sämtlich in Klingelpütz mittels Fallbeilgeräts durchgeführt wurden, fanden regelmäßig an Werktagen im Zeitraum zwischen fünf bis 5.30 Uhr sowie zwischen 15 bis 15.30 Uhr statt895. Thierack forderte für die von Bombenangriffen betroffenen Vollzugsstandorte – zu denen auch Köln zählte – „größte Beschleunigung“ bei der Vollstreckung der Todesurteile896. Dieser Prämisse kam die Staatsanwaltschaft Aachen nur bedingt nach, da der Zeitraum zwischen ergangenem Urteil und Vollstreckung zwischen drei Wochen und zwei Monaten betrug897. Ergab sich aus Gnadenersuchen oder sonstigen Umständen, dass Angehörige eine eigene Bestattung des Verurteilten wünschten, hatte die Vollstreckungsbehörde bereits nach Eingang des Gna894  Möhler, Strafvollzug, in: Jung/Müller-Dietz, Strafvollzug, S. 61. Dies war zuvor nicht möglich gewesen, siehe § 7 Abs. 1 und 2 der RV vom 22.10.1935, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 4. 895  Paul S. wurde im Stadtteil Aachen-Forst von einem örtlichen Polizeikommando erschossen. Nach einem Rundschreiben des RJM konnte ab dem 17.1.1945 die Vollstreckung offiziell durch ein Erschießungskommando der Polizei oder Wehrmacht erfolgen, wenn „die Vollstreckung durch Enthaupten Schwierigkeiten bereitet oder Verzögerungen mit sich bringt“, RV des RJM an die Generalstaatsanwaltschaft vom 17.1.1945, zitiert nach Möhler, Strafvollzug, in: Jung/Müller-Dietz, Strafvollzug, S. 62. Das Beispiel Paul S. beweist jedoch, dass von Erschießungen bereits vor der offiziellen Verfügung Gebrauch gemacht wurde und die zugrundeliegenden Motive nicht ausschließlich prozessökonomischer, sondern politischer Natur sein konnten. Raymond D. wurde aufgrund von nicht näher ausgeführten Durchführungsschwierigkeiten abweichend in Frankfurt-Preungesheim hingerichtet, Siehe Protokoll der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 13.12.1944, LAV NRW R, NW 174, Akte 200, Bl. 17. Im Übrigen wurden die Hinrichtungen – soweit überliefert, von Hans. K um 5.30 Uhr, von Heinrich W. um 5 Uhr, von Wilhelm M. und Josef K. um 15 Uhr sowie von Hubert B. und Phillip M. um 15.30 Uhr vorgenommen, siehe die entsprechenden Hinrichtungsprotokolle in NW 174, Akten 193, 194, 196–199. 896  RV des RJM vom 27.8.1943, BArch R 3001, Nr. 21317, zitiert nach Möhler, Strafvollzug, in: Jung/Müller-Dietz, Strafvollzug, S. 62. Letztlich handelte es sich bei dieser RV lediglich um eine Wiederholung der in § 1 Strafvollstreckungsordnung bereits normierten Prämisse „möglichster Beschleunigung“ bei der Vollstreckung, § 1 Strafvollstreckungsordnung vom 7.12.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 804. 897  Die einzelnen dokumentierten Zeiträume belaufen sich auf die wie folgt dargestellten Höhen: Hans K.: 4.7.–19.8; Heinrich W.: 12.2.–10.4.1942; Hubert B.: 26.8.–26.10.1943; Raymond D.: 10.10.–12.12.1944; Phillip L.:19.10.–30.11.1943; Wilhelm M.: 4.12.1943–18.1.1944; Josef K.:17.1.–11.2.1944. Siehe die entsprechenden Hinrichtungsprotokolle in NW 174, Akten 193, 194, 196–199.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

dengesuchs die Angehörigen dahingehend zu befragen und auf das entsprechende Antragsverfahren hinzuweisen898. Bei einem Antrag der Angehörigen war der Leichnam in einem Sarg an die jeweilige Polizeibehörde zur weiteren Veranlassung zu überführen und den Angehörigen unter der Auflage auszuhändigen, auf eine feierliche Zeremonie zu verzichten899. Andernfalls wurde der Leichnam dem nächstgelegenen oder einem vom Justizminister bestimmten Anatomischen Institut zu medizinischen Zwecken zur Verfügung gestellt900. Im Rahmen der in dieser Arbeit behandelten Hinrichtungen erfolgte eine Übergabe an Angehörige lediglich an die Ehefrau des Wilhelm M.901, während in allen übrigen dokumentierten Fällen eine Überlassung an die Anatomischen Institute in Köln und Bonn erfolgte902. Sofern das bedachte Anatomische Institut auf Überlassung verzichtete, wurde der Leichnam der Polizei zur Beisetzung übergeben903. Über Vorbereitung und Verlauf der Hinrichtung hatte der Behördenleiter dem RJM Bericht zu erstatten. In diesem war das Verhalten des Scharfrichters und seiner Gehilfen, der Verbleib des Leichnams und hierüber erfolgte Pressemeldungen zu inkludieren904. Nach Ausbruch des Krieges wurde der Inhalt der Berichtspflicht reduziert auf die bloße Meldung der Hinrichtung, ihren Zeitpunkt, ihre Dauer sowie etwaige Zwischenfälle oder Ereignisse von besonderer Bedeu898  § 4

rev.

der RV vom 22.10.1935, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 3

899  § 19

rev.

der RV vom 22.10.1935, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 5

900  § 20 Abs. 1 der RV vom 22.10.1935, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 5 rev. 901  Korrespondenz des Polizeipräsidenten Köln mit der Ehefrau vom 10.12.1943, LAV NRW R, NW 174, Akte 198 Band 3, Bl. 18 a). 902  Die Leichname des Phillip L. und Wilhelm O. wurden dem Institut in Köln zur Verfügung gestellt, LAV NRW R, NW 174, Nr. 197, Band 2, Bl. 20, Nr. 195, Band 5, Bl. 32. Im Fall Josef K. und Hubert B. wurde die Universität Bonn berücksichtigt, vgl. die Schreiben des LOStA an den Leiter des Anatomischen Instituts in Bonn vom 7.2.1944 sowie an den Polizeipräsidenten in Aachen vom 22.10.1943, LAV NRW R, NW 174, Akte 199 Band 3, Bl. 17 sowie Akte 196, Band 3, Bl. 15. In den Fällen Wilhelm L, Albert L., Heinrich H. verzichteten die Angehörigen auf die Überlassung, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Nr. 179, Vollstreckungsheft Wilhelm L., Bl. 28. In den Fällen Heinrich W. und des H. erfolgten Anfragen von Seiten der Staatsanwaltschaft Aachen, deren Antwort jedoch ausblieb oder nicht dokumentiert ist, siehe Verfügung des LOStA Führer an die Ehefrau vom 21.2.1942 sowie eine Anfrage vom 15.5.1942 an die Ehefrau H., Vollstreckungsheft H., LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 322, Bl. 33 sowie NW 174, Akte 194, Band 1–4, Vollstreckungsheft, Bl. 1, 16. 903  § 20 Abs. 3 der RV vom 22.10.1935, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 6. 904  § 23 der RV vom 22.10.1935, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 6, 6 rev.



II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis467

tung, wie Wiederaufnahmeanträge, Beanstandung des Scharfrichters, Ablehnungen letzter Wünsche oder persönliche Erklärungen des Verurteilten zur Tat905. Die Staatsanwaltschaft kam dieser Berichtspflicht ausnahmslos nach. Die erfolgte Hinrichtung wurde schließlich am Tatort, am Ort des erkennenden Gerichts sowie am Vollstreckungsort „in gemeinverständlicher Sprache“ durch rote Plakate bekanntgegeben906. (2) Konkreter Verfahrensablauf Der Staatsanwaltschaft kam als zuständige Vollstreckungsbehörde im Rahmen der Todesurteile während des gesamten Vollstreckungsverfahrens die maßgebliche und aufsichtsführende Rolle zu907. Sobald das verhängte Todesurteil in Rechtskraft erwachsen war, was bei sondergerichtlichen Entscheidungen mit dem Zeitpunkt der Verkündung der Fall war, wurde der Verurteilte in eine nahegelegene Vollzugsanstalt oder bereits in die Vollstreckungsanstalt selbst überführt908. Die Möglichkeit eines Gnadengesuchs blieben Verurteiltem und Angehörigen unbenommen. Abweichend zu Freiheitsstrafen, bei denen die Staatsanwaltschaft zuständige Gnadenbehörde war, hatte sich Hitler bei Todesurteilen die Entscheidung in Gnadensachen jedoch persönlich vorbehalten909. Tatsächlich entschied – zumindest soweit es die vollstreckten Todesurteile in Aachen betraf – der Justizminister mit Bevollmächtigung Hitlers über Gnadengesuche, die jedoch sämtlich abgelehnt wurden910. Im Rahmen des Gnadenverfahrens ergab sich die Beson905  Nr. 3 der RV des RJM betr. Maßnahmen aus Anlass von Todesurteilen vom 13.2.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 216 rev. 906  Siehe zum gesetzlichen Erfordernis der Bekanntmachung § 22 der RV vom 22.10.1935, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 6. Die tatsächliche Umsetzung durch die Staatsanwaltschaft Aachen wird – soweit sich kein Plakat in der Verfahrensakte befindet – dokumentiert durch entsprechende Rechnungen, siehe exemplarisch Rechnung über 100 Plakate durch die Buchdruckerei Siemes im Fall Hans. K. vom 9.9.1941 sowie im Fall Wilhelm M., LAV NRW R, NW 174, Akte 193 Band 2, Vollstreckungsheft, Bl. 47 sowie LAV NRW R, NW 174, Nr. 198, Band III, Bl. 27. Siehe exemplarisch Ablichtung Abbildung 31, Anhang, S. 592. 907  RV des RJM an den ORA beim VGH und die Generalstaatsanwaltschaft vom 28.12.1936, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 8. 908  Nr. 3 der RV des RJM an den ORA beim VGH und die Generalstaatsanwaltschaft vom 28.12.1936, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 7 rev. Dogmatisch war die Rechtsgrundlage dieser Anschlussinhaftierung nicht eindeutig. Siehe zur Rechtfertigung Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S.  654 f. 909  § 1 der Gnadenordnung vom 6.2.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 804. 910  Einschränkend sei angemerkt, dass das Sondergericht Aachen im Fall der Johanna K. ein Todesurteil verhängte, dieses aber nachträglich zu einer Zuchthaus-

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

derheit, dass die Vollstreckung des Urteils erst erfolgen durfte, sobald die Gnadenbehörde entschieden hatte, von ihrem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch machen zu wollen. Diese Maßgabe galt selbst für den Fall, dass aus der Späre des Verurteilten keinerlei Gnadengesuche eingingen911. Sobald die ablehnende Entscheidung zugegangen war, hatte die Staatsanwaltschaft unverzüglich mit dem zuständigen Scharfrichter Kontakt aufzunehmen und die erforderlichen Maßnahmen wie den Transport des Richtgeräts ins Gefängnis Klingelpütz zu veranlassen912. Darüber hinaus wurde mit dem Leiter der Vollzugsanstalt ein Termin zur Hinrichtung festgelegt913. Bei der Vorbereitung wie bei der Vollstreckung konnte der LOStA Amtshilfe des Behördenleiters in Anspruch nehmen, in dessen Bezirk die Vollstreckung fiel. Sowohl die Verlesung der Entschließung Hitlers zur Vollstreckung als auch die gesamte Leitung vor Ort durften hingegen zunächst nicht an dritte Behörden übertragen werden914. Auch der Sachbearbeiter hatte grundsätzlich neben dem Leiter der Staatsanwaltschaft vor Ort zu erscheinen, um diesem „jederzeit zur Verfügung“ stehen zu können915. Ab 1942 konnte sich der LOStA jedoch durch den stellvertretenden Behördenleiter oder einen anderen in seiner Behörde beschäftigten StA vertreten lassen916. Sogar die gesamte Leitung der Vollstreckung konnte, sofern die persönliche Anreise aus prozessökonomischen Gründen unverhältnismäßig war, auf die ortsansässige Staatsanwaltschaft übertragen werden917. Von der Abordnung eines Beamten der Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft Köln wurde regelmäßig Gebrauch gemacht918. Der Behördenleiter hatte während des gesamten Verstrafe von zehn Jahren umgewandelt wurde. Dies ergibt sich jedoch lediglich aus einem behördlichen Dokument der Nachkriegszeit. Inwieweit Hitler, der RJM oder die Staatsanwaltschaft Aachen bei der Umwandlung der Todesstrafe beteiligt waren oder welche Motive und Ursachen der Umwandlung zugrunde lagen, ist mangels entsprechender Dokumente in der Akte nicht nachzuvollziehen. Siehe zum Verfahren gegen Johanna K. LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 205. Siehe exemplarisch zu einer Verfügung der Ablehnung eines ministeriellen Gnadenerweises Ablichtung Abbildung 29, Anhang, S. 590. 911  § 453 StPO iVm § 13 Abs. 1 Gnadenordnung vom 6.2.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 828. 912  § 6 Abs. 1 der RV vom 22.10.1935, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 4. 913  § 4 der RV des RJM an den ORA beim VGH und die Generalstaatsanwaltschaft vom 28.12.1936, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 8. 914  § 5 Abs. 1 ebd. 915  § 5 Abs. 2 ebd. 916  Nr. 2 lit. a) der RV des RJM betr. Maßnahmen aus Anlass von Todesurteilen vom 13.2.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 216. 917  Nr. 2 lit. b) ebd. 918  Schreiben des LOStA Führer an LOStA Meissner in Köln vom 12.8.1941, LAV NRW R, NW 174, Akte 193 Band 2, Bl. 23.



II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis469

fahrenslaufes dafür Sorge zu tragen, dass über die bevorstehende Hinrichtung sowie die Entschließung Hitlers bezüglich der Ablehnung des Gnadenerweises „strengstes Stillschweigen“ zu wahren war. Telegramme und Ferngespräche waren, soweit sie sich nicht vermeiden ließen, möglichst unauffällig zu halten919. So beauftragte die Staatsanwaltschaft im Fall Wilhelm M. ein Privatunternehmen zum Druck von Flugblättern unter Nutzung des Kennworts „Wilhelm“920. Die informierten Bedienstenen wurden bei diesen Gelegenheiten regelmäßig und ausdrücklich zur Geheimhaltung auch innerhalb des Unternehmens verpflichtet921. Sobald der Termin zur Hinrichtung feststand, begaben sich LOStA Führer, ein Sachbearbeiter, der Vorsteher der Strafanstalt, der Gefängnispfarrer und ein Gefängnisarzt zum Verurteilten922. Dieser wurde von zwei Gefängnisbeamten vorgeführt und durch den Behördenleiter gefragt, ob er die vom Sondergericht verurteilte Person sei. Daraufhin wurde unter Mitteilung des Hinrichtungstermins am Folgetag bekanntgegeben, dass der von Hitler ermächtigte Reichsminister der Justiz beschlossen hatte, von dem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch zu machen, „sondern der Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen“923. Anschließend wurde der Verurteilte gefragt, ob er noch eine Erklärung abgeben wollte. Wünsche, wie etwa ein letztmaliges – auch telefonisches – Gespräch mit Angehörigen, wurden von der Staatsanwaltschaft regelmäßig nicht gewährt924. Nach der Bekanntgabe wurden, je nach Einschätzung der Selbstmordgefährdung, besondere Maßnahmen wie permanente Fesselung, Er919  § 5 Abs. 1 der RV vom 22.10.1935, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 3 rev. 920  LAV NRW R, NW 174, Nr. 198, Band III, Bl. 27. 921  § 5 Abs. 2 der RV vom 22.10.1935, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 3 rev. 922  Siehe exemplarisch Protokoll der Staatsanwaltschaft Aachen im Verfahren Hans K. vom 18.8.1941, LAV NRW R, NW 174, Akte 193 Band 2, Bl. 33. Siehe zur normativen Festlegung der anwesenheitspflichtigen Personen § 9 der RV vom 22.10.1935, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 4 rev. Nach Beschwerden des katholischen Pfarres in Klingelpütz über die Nichtanwesenheit eines Arztes und des Geistlichen bei der Bekanntgabe regte der GStA mit Schreiben vom 12.3.1938 beim RJM an, den einschlägigen § 9 der Vollzugsordnung der Todesstrafe um den Zusatz zu ergänzen, dass in Einzelfällen die Hinzuziehung gestattet werden konnte. Das RJM schloss sich diesem Anliegen mit einem Verweis auf den nicht als abschließend zu interpretierenden Wortlaut der Norm an und äußerte gegen die Hinzuziehung keine Bedenken, siehe Schreiben des Pfarrers vom 4.1.1938, Schreiben des GStA an den RJM vom 12.3.1938 sowie das Schreiben des RJ an den GStA vom 25.3.1938, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 51–54. 923  Zur Formulierung, die in einem Formblatt standardisiert war, exemplarisch Protokoll der Staatsanwaltschaft Aachen im Verfahren Hans K. vom 18.8.1941, LAV NRW R, NW 174, Akte 193 Band 2, Bl. 33. 924  Siehe etwa Protokoll der Staatsanwaltschaft Aachen im Verfahren Hans K. vom 18.8.1941, LAV NRW R, NW 174, Akte 193 Band 2, Bl. 33 rev. So auch im

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

leuchtung der Zelle zur Nachtzeit, strenge Beobachtung, Wegnahme von Wäsche und Kleidern sowie Essbesteck aus Papiermachee angeordnet925. Ab diesem Zeitpunkt wurde der Verurteilte auf eigenen Wunsch von einem Geistlichen betreut, der mit dem Betroffenen Gebete sprach und diesem etwa beim Verfassen von Abschiedsbriefen an Angehörige behilflich war926. Eine Durchschrift dieser Briefe behielt die Staatsanwaltschaft für die Vollstreckungsakte ein. Am Tag der Hinrichtung hatte sich der LOStA zu vergewissern, dass die Richtstätte während der Hinrichtung den Blicken unbeteiligter Zuschauer entzogen und das Fallbeilgerät funktionstüchtig war927. Entsprechend waren die Beamten der Staatsanwaltschaft Aachen regelmäßig 15 Minuten vor der eigentlichen Hinrichtung vor Ort. Neben dem Verurteilten fanden sich regelmäßig der LOStA oder ein Vertreter, vereinzelt ein zweiter Beamter der Staatsanwaltschaft, der Anstaltsvorsteher, ein Pfarrer, ein Arzt sowie ein Beamter der Geschäftstelle der Staatsanwaltschaft Köln ein928. Die Vollstreckung erfolgte in einem geschlossenen, überdachten Raum auf dem Gefängnishof, in welchem sich der Richtblock befand, der den Blicken von Zuschauern entzogen war. Am gegenüberliegenden Ende wurde ein schwarz behangener Tisch mit zwei brennenden Kerzen und einem Kruzifix hergerichtet. Auf Anordnung des Vollstreckungsleiters führten drei Gefängnisbeamte den Verurteilten vor, dem nochmals der Tenor des sondergerichtlichen Urteils und die Ablehnung des Begnadigungsrechts wörtlich durch den LOStA vorgelesen wurde. Nach Vorzeigen der Vollstreckungsurkunde mit der inkludierten Gnadenablehnung wurde dem Scharfrichter schließlich der Auftrag zur Vollstreckung erteilt, deren Dauer von der

Fall Hubert B., siehe Protokoll zum Gnadenverzicht vom 26.10.1943, LAV NRW R, NW 174, Akte 196, Band 3, Bl. 17 rev. 925  LAV NRW R, NW 174, Nr. 197, Band II, Bl. 2; Akte 194, Band. 1–4, Vollstreckungsheft, Bl. 22; Akte 197 Band 2, Bl. 2. Die Frage der Rechtsgrundlage zur Haft nach einer Verurteilung zur Todesstrafe ergab sich nicht ohne weiteres. Siehe hierzu eingehend RV des RJM vom 30.10.1936, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Verwaltungsvorschriften, S. 654. 926  § 11 Abs. 1 der RV vom 22.10.1935, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 4 rev. 927  § 13 der RV vom 22.10.1935, LAV NRW R, Ger. Rep. 245, Akte 345, Bl. 5. Zum Funktionstest Thiesen, Strafvollzug, S. 185. 928  Bis auf den Beamten der Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft Köln, den Gefängnisarzt und den Anstaltsleiter wechselten die Besetzungen bei den Hinrichtungsterminen regelmäßig. So war der LOStA lediglich im Fall Hans. K. persönlich mit StA Höher anwesend. Im Fall Heinrich W. leitete der EStA Ackermann in Begleitung von StA Höher die Vollstreckung. In den Fällen Hubert B., Phillip L., Wilhelm M. und Josef K. waren jeweils nur StA Zimmerath, Marx und Wickmann als Vollstreckungsleiter ohne einen zweiten Beamten der Staatsanwaltschaft Aachen zugegen.



II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis471

Staatsanwaltschaft mittels einer Stoppuhr festgehalten und im Vollstreckungsprotokoll vermerkt werden musste929. 3. Gnadenpraxis der Staatsanwaltschaft Aachen a) Normative Rahmenbedingungen des Gnadenverfahrens Der Erlass des Führers vom 1. Februar 1935 normierte den Grundsatz, dass die Ausübung des Gnadenrechts – unabhängig vom Spruchkörper oder Teilrechtsgebiet, aus dessen Sphäre das Urteil stammte – in die ausschließliche sachliche Zuständigkeit Hitlers fiel930. § 2 der Gnadenordnung erstreckte diese Regelung gleichermaßen auf den Bereich der Sondergerichtsbarkeit931. Abgesehen von Begnadigungsfragen bei Todesstrafen, Verurteilungen wegen Hoch- und Landesverrats, Strafen gegen Soldaten oder Wehrmachtsbeamte sowie in ausdrücklichen Einzelfällen übertrug Hitler die Entscheidungsprärogative bei Verurteilungen durch Strafgerichte dem RMJ932. Dieser wurde befugt, die Kompetenz zur Erteilung wohlwollender oder ablehnender Entscheidungen seinerseits zu übertragen933. Für sondergerichtliche Verfahren regelte § 4 der Gnadenordnung konkretisierend, dass 929  Anm: Der Staatsanwaltschaft kam in diesem Stadium des Verfahrens die Pflicht zu, etwaige kurzfristige Anträge des Verurteilten auf Wiederaufnahme des Verfahrens auf schnellstem Wege dem zuständigen Gericht zuzuleiten. Sofern dies nicht gelang, hatte sie nach eigenem „pflichtgemäßen Ermessen“ über eine Aufschiebung oder eine Durchführung der Vollstreckung zu entscheiden, siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 321, Akte 873, Bl. 53, zitiert nach Thiesen, Strafvollzug, S. 53. Fälle solcher an den persönlich anwesenden StA gerichteten Anträge sind jedoch nicht dokumentiert. Auch im Übrigen ist kein Fall überliefert, in welchem eine Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde zugunsten einer kurzfristigen Verschiebung der Hinrichtung ausfiel. Der Fall der Johanna K. muss an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben, da nicht abschließend geklärt werden kann, auf welchem Wege die vorgenommene Umwandlung der Todesstrafe in eine Zuchthausstrafe erfolgte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 205. 930  Dies ergibt sich aus Nr. I und II des Erlasses des Führers und Reichskanzlers über die Ausübung des Gnadenrechts vom 1.2.1935, RGBl. 1935 I, S. 74. 931  § 2 Gnadenordnung vom 6.2.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 810. 932  Nr. II des Erlasses des Führers und Reichskanzlers über die Ausübung des Gnadenrechts vom 1.2.1935, RGBl. 1935 I, S. 74, sowie § 1 Abs. 3 Nr. 1 Gnadenordnung vom 6.2.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 808. 933  Nr. II des Erlasses des Führers und Reichskanzlers über die Ausübung des Gnadenrechts vom 1.2.1935, RGBl. 1935 I, S. 74. So – wenn auch ohne Bezugnahme auf die oben genannte Normierung – auch Vorbemerkung zum Gnadenwesen, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 810.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

die zuständige Vollstreckungsbehörde zugleich als Gnadenbehörde fungieren sollte, wodurch die Staatsanwaltschaft Aachen grundsätzlich zur „Herrin des Gnadenverfahrens“ wurde934. Dem Gnadengesuch kam regelmäßig keine vollstreckungshemmende Wirkung zu935. Nur in Ausnahmefällen sollte die Vollstreckung vorläufig aufgeschoben werden, soweit dem Adressaten anderenfalls ein „unwiederbringlicher Schaden“ entstünde936. Der Hauptanwendungsfall dieses verklausulierten Begriffes betraf gerichtlich angeordnete Entmannungen. In diesen Fällen lag es im Ermessen der Staatsanwaltschaft, einen Aufschub bis zur Gnadenentscheidung anzuordnen937. Nach dem Willen des RJM setzte ein Aufschub jedoch die Existenz „ganz gewichtiger Gnadengründe“ voraus938. Motiv dieser Ermessensbeschränkung war die Befürchtung einer Interessenskollision mit dem Schutz der Volksgemeinschaft: Während die wohlwollende Entscheidung der Gnadenfrage im Rahmen von Geld- und Freiheitsstrafen lediglich privilegierende Wirkung für den konkreten Adressaten entfaltete, konterkarierte bereits das nur vorübergehende Absehen der Vollstreckung von Maßnahmen der Sicherung und Besserung den Zweck des Schutzes der Allgemeinheit, hinter dem der Individualschutz zurückzutreten hatte. Entsprechend sollte nur bei evidenten Fehlurteilen oder einem nachträglichen Wegfall des Sicherungsgrundes von einer Vollstreckung abgesehen werden939. Die zu vollziehende Hinrichtung bei Todesurteilen war hingegen nicht unter die Anwendungsgruppe der „unwiederbringlichen Schäden“ zu subsumieren. Vielmehr unterlag diese einer gesonderten Regelung, welche eine hemmende Wirkung – sogar ohne gestelltes Gnadengesuch – bis zur Entschließung der zuständigen Gnadenbehörde vorsah940. Bei der Beurteilung einer Gnadenentscheidung hatte die Staatsanwaltschaft regelmäßig dem Sondergericht sowie der Gefangenenanstalt, in welcher die Strafe vollzogen wurde, Gelegenheit zur Stellungnahme zu ge934  § 4 der Gnadenordnung vom 6.2.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 813. Zur Eigenschaft der Staatsanwaltschaft Aachen als Vollstreckungsbehörde siehe § 2 Abs. 1 Nr. 1 Strafvollstreckungsordnung vom 7.12.1935, in welchem der OStA beim Landgericht grundsätzlich zur Vollstreckungsbehörde bestimmt wurde, abgedruckt in: Krug/Schäfer/ Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 804. 935  § 6 Abs. 1 der Gnadenordnung vom 6.2.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/ Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 815. 936  § 6 Abs. 2 ebd. 937  Erlass des RJM vom 28.5.1935 –  III a 15 718/35  –, abgedruckt in: Krug/ Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 815. 938  Ebd. 939  § 3 Abs. 2 der Gnadenordnung vom 6.2.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/ Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 813. 940  § 13 Abs. 1 und 2 ebd., S. 828.



II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis473

ben941. Soweit der Verurteilte der NSDAP oder einer Untergliederung angehörte und der konkrete Vorgang für die Partei von besonderem Interesse war, wurde der gesamte Vorgang an die KdF übersandt, um dieser Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben942. Ein besonderes Interesse wurde regelmäßig bejaht, soweit es sich bei dem verurteilten Personenkreis um politische Leiter oder sonstige Amtsinhaber innerhalb der NSDAP handelte oder die gegen ein NSDAP-Mitglied verhängte Freiheitsstrafe einen Zeitraum von drei Monaten überstieg943. Mit Beginn des Krieges trat der Chef der Kanzlei des Führers bei Freiheits- und Restfreiheitsstrafen bis zu einem Jahr sein Recht zur Stellungnahme den nachgeordneten Gausachbearbeitern mit der Verpflichtung zur Berichterstattung ab944. Auch der Staatsanwaltschaft waren im Rahmen des Gnadenverfahrens Berichtspflichten an das Ministerium auferlegt, wenngleich sich diese im Vergleich zum laufenden Verfahren in ungleich engeren Grenzen hielten. Lediglich in Verfahren mit anschließendem Todesurteil, in Fällen eines Entschließungsvorbehalts durch Hitler, einer ausdrücklichen Berichtsanforderung durch das Ministerium sowie bei divergierenden Meinungen über die Erteilung eines Gnadenerweises hatte die Staatsanwaltschaft einer Informationspflicht nachzukommen945. Im Zusammenhang mit einer eingelegten und an den GStA zur weiteren Bearbeitung abgetretenen Nichtichtigkeitsbeschwerde wies der Provinzialchef den LOStA Führer zurecht, weil dieser zwischenzeitlich eigenmächtig für drei der Verurteilten bedingte Strafaussetzung befürwortet hatte, obwohl die Begünstigten nach dem Willen des GStA Gegenstand eines Beschwerdeverfahrens vor dem OLG-Köln werden sollten. Da eine Rücknahme der Gnadenentscheidung Abstimmungsschwierigkeiten und Arbeitsdefizite zwischen den Behörden offenbart hätte, musste GStA Rahmel letztlich von einer Nichtigkeitsbeschwerde absehen. Eine plötzliche Kehrtwende in Ange941  § 8

Abs. 1 und 3 ebd., S. 816. a) ebd., S. 819 f. 943  Nr. II der RV des RJM vom 31.1.1940, – 4253 III a 4 1403/39 –, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 824. 944  Verfügung betr. die Zuständigkeit der Gausachbearbeiter in Gnadensachen während des Krieges vom 15.11.1939, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 821. 945  §§ 10 und 13 Abs. 2 der Gnadenordnung vom 6.2.1935, abgedruckt in: Krug/ Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 827 f. Vor der Errichtung des Sondergerichts hatte der GStA in Köln die Form der Berichterstattung in Gnadensachen gerügt. Diese seien „nicht mit der nötigen Sorgfalt“ bearbeitet worden, da wiederholt wesentliche Angaben ungenau oder unrichtig verfasst worden seien oder zum Teil gänzlich gefehlt hätten, siehe Schreiben des GStA an den LOStA vom 4.6.1940, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 168, Bl. 14. Für Gnadensachen in Sondergerichtssachen sind indes keine Beanstandungen seitens des GStA oder des RJM überliefert. 942  § 8

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

legenheit der Gnadenentscheidung des LOStA wäre nämlich für das „Ansehen der Justiz nicht zuträglich“ gewesen946. Das nicht abgestimmte Agieren der Staatsanwaltschaft Aachen mit dem GStA quittierte dieser mit der Bemerkung, er werde veranlassen, dass in Zukunft jegliche „Maßnahmen, die mit der Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde in Widerspruch stehen, solange unterbleiben“947, bis über selbige durch die vorgesetzten Stellen entschieden worden sei. Auch das Ministerium stellte nochmals klar, dass man von Aachener Seite in Zukunft mit dem GStA „Fühlung nehmen“ solle, bevor eigenständige Gnadenmaßnahmen im Zusammenhang mit einer Nichtigkeitsbeschwerde durchgeführt werden948. Eine Mitteilung der endgültigen Entscheidung über ein Gnadengesuch war dem Gesuchsteller regelmäßig bekanntzugeben. Soweit der Gesuchsteller nicht zugleich der Verurteilte war, hatte eine Mitteilung an den Verurteilten nur dann zu erfolgen, wenn ein Gnadenerweis gewährt wurde949. Die der Staatsanwaltschaft zustehenden Handlungsmodalitäten bei einer Begnadigung erstreckten sich auf die Möglichkeiten, Strafen zu reduzieren, umzuwandeln, auszusetzen oder zu erlassen950. Darüber hinaus konnte noch vor einer rechtskräftigen Verurteilung von einem Niederschlagungsrecht mit der Folge Gebrauch gemacht werden, dass von der Strafverfolgung im Weiteren abgesehen wurde951. b) Umsetzung durch die Staatsanwaltschaft Aachen aa) Bedingte Strafaussetzung Für die Arbeitspraxis der Staatsanwaltschaft Aachen als Gnadenbehörde entfaltete weder das Niederschlagungsrecht, noch der Straferlass praktische Relevanz. Auch eine nachträgliche Reduktion des Strafmaßes ist nicht dokumentiert. Dagegen stellte die bedingte Strafaussetzung die häufigste durch 946  Schreiben des GStA vom 10.2.1944, Handakte, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 213, Bl. 38 rev. 947  Ebd. 948  Schreiben des RMJ vom 25.2.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 213, Bl. 39. Siehe Fall 8 der Nichtigkeitsbeschwerden, oben, S. 130. 949  § 19 Abs. 1 der Gnadenordnung vom 6.2.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/ Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 834. § 19 Abs. 4 der Gnadenordnung legte den jeweils zu verwendenden Wortlaut der bekanntzugebenden Mitteilungen fest, siehe Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 835. Ein Muster einer ausgefüllten, von der Staatsanwaltschaft Aachen verwendeten Formvorlage findet sich im Anhang, Abbildung 23, S. 581. 950  § 3 Abs. 1 der Gnadenordnung vom 6.2.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/ Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 811 f. 951  § 3 Abs. 1 der Gnadenordnung vom 6.2.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/ Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 811 f.



II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis475

die Gnadenbehörde vorgenommene Handlungsmodalität dar. So führte der Behördenleiter in einem Bericht an den GStA im Dezember 1943 aus: „Die bedingte Strafaussetzung ist vielfach und in Strafsachen aller Art gewährt worden, sofern dies nach der Persönlichkeit des Verurteilten und der Höhe der Strafe vertretbar erschien“952. Nachdem sich die Ermächtigung zur Strafaussetzung zunächst nicht auf Sondergerichtsurteile erstreckt hatte, hatte der RJM im März 1941 die vollumfängliche Ausdehnung der Strafaussetzung auf die Sondergerichtsbarkeit verfügt953. Nunmehr konnten Freiheitsstrafen und Restfreiheitsstrafen bis zu einem Jahr künftig unter Auflagen ausgesetzt werden954. Nach dem Willen des Gesetzgebers hatte die Anordnung einer Strafaussetzung jedoch nur „ausnahmsweise“ unter sorgfältigster Prüfung der Sachvoraussetzungen zu erfolgen. Soweit das Tatmotiv in einer „Verdorbenheit“ oder „verbrecherischen Neigung“ des Verurteilten erblickt wurde, sollte regelmäßig eine ablehnende Bescheidung ergehen, während bei durch „Leichtsinn, Unerfahrenheit“ oder durch Not hervorgerufenen Straftaten eine Aussetzung grundsätzlich möglich war955. In jedem Falle hatte die Staatsanwaltschaft zu der sicheren Überzeugung einer positiven Zukunftsprognose hinsichtlich der Persönlichkeitsentwicklung des Adressaten zu gelangen, welche eine künftig zu erwartende Straffreiheit zu inkludieren hatte956. Nur soweit der Strafzweck durch die Aussetzung nicht vereitelt wurde, sollte die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit der Aussetzung in Erwägung ziehen957. (1) Privilegierte Personen- und Berufsgruppen Faktisch bewirkten kriegsbedingte Zerstörungen und Schäden an Vollzugsanstalten sowie ein latenter Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft eine ministeriell angeordnete „wohlwollende“ Handhabung der Gnadenfrage958. Für Landwirte und deren Angehörige wies das RJM sämtliche 952  Schreiben des LOStA in Aachen an den GStA in Köln vom 1.12.1943 betr. Behandlung von Strafsachen minderer Bedeutung während des Krieges, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 53. 953  RV des RJM vom 18.3.1941, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 836. 954  Verfügung des RMJ vom 29.8.1939, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 226, Bl. 16. 955  § 21 Abs. 2 der Gnadenordnung vom 6.2.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/ Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 838. 956  Ebd. 957  § 21 Abs. 1 § 21 Abs. 2 ebd., S. 837 f. 958  Schreiben des RJM an die Generalstaatsanwaltschaft vom 12.6.1940, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 60, Bl. 91.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Generalstaatsanwälte per Rundverfügung an, im Hinblick auf den gegebenen Personalmangel in der Landwirtschaft Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten entgegen der ratio der Gnadenordnung ausnahmsweise nur dann zu vollziehen, wenn „die Strafvollstreckung im Öffentlichen Interesse“ lag959. Auch sonstige in der Landwirtschaft tätige Personen, deren Reststrafe nicht mehr als sechs Monate betrug, sollten der Strafaussetzung grundsätzlich teilhaftig werden960. Damit konterkarierte das RJM die eigenen Richtlinienvorgaben innerhalb der Gnadenordnung961. Die Staatsanwaltschaft Aachen hatte in einigen Fällen gegen die sofortige Vollstreckung einer Freiheitsstrafe gegen Landwirte zusätzliche Bedenken geäußert, nachdem örtliche Kreisbauernschaften und Innungen die Gefährdung der lokalen Versorgungslage angezeigt hatten. Da aus Sicht des Viehwirtschaftsverbandes Rheinland die Beurteilungen der örtlichen Stellen „vielfach aus einem zu engen Gesichtskreis und (…) sachlich nicht immer gerechtfertigt“ erschienen962, wies der GStA nach dahingehender Anregung durch den Viehwirtschaftsverband den Behördenleiter in Aachen an, in solchen Fällen die Einholung einer Stellungnahme des Viehwirtschaftsverbands Rheinland oder des Reichsnährstandes einzuholen963. Insgesamt verhandelte die Staatsanwaltschaft Aachen in 126 Verfahren gegen 175 Landwirte und Personen, deren Tätigkeitsbereich der Sphäre landwirtschaftlicher Arbeit zuzuordnen war, wie etwa Melker, Hausschlächter, Gehilfen sowie auf dem Hof beschäftigte Ehefrauen. 42 Personen und damit 24 % aller Personen mit landwirtschaftlichem Berufsbild erteilte die Staatsanwaltschaft Aachen positive Gnadenentscheidungen, indem bedingte Strafaussetzung, Strafaufschub, Strafunterbrechung oder Umwandlung in eine Geldstrafe gewährt wurde964. Stellungnahmen des Reichsnährstands in Gnadenverfahren gegen Landwirte und landwirtschaftliche Hilfs959  Ebd.

960  Runderlass

Bl. 9.

des RJM vom 19.7.1939, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 168,

961  § 21 Abs. 1 § 21 Abs. 2 der Gnadenordnung vom 6.2.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 837 f. 962  Schreiben des Viehwirtschaftsverbands Rheinland vom 2.3.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 228, Bl. 68. 963  Weisung des GStA vom 12.5.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 228, Bl. 68. 964  Die bezeichneten Handlungsformen stellten Varianten innerhalb des sogenannten Strafausstandes gemäß § 34 der Gnadenordnung dar. Im Unterschied zur bedingten Strafaussetzung war der Strafausstand unabhängig von der zivilen Führung des Verurteilten von lediglich vorübergehender Natur. Ein gewährter Strafausstand konnte vor Beginn des Vollzugs als sogenannter Strafaufschub oder nach Beginn des Vollzugs als Strafunterbrechung gewährt werden, siehe § 34 Abs. 2 der Gnadenordnung vom 6.2.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 844.



II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis477

kräfte sind in 24 Fällen dokumentiert, in welchen für 20 Personen die Erteilung eines Gnadenerweises und für vier Verurteilte eine ablehnende Entscheidung durch die Staatsanwaltschaft dokumentiert sind965. Die qualitative Relevanz der Stellungnahme des Reichsnährstands für die Entscheidung der Gnadenbehörde schlägt sich in der verhältnismäßig geringen Anzahl von Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden Stellen nieder. So fiel die Entscheidung der Staatsanwaltschaft trotz befürwortender Stellungnahme des Reichsnährstands nur gegen zwei Personen ablehnend aus966, während eine Erteilung eines Gnadenerweises trotz negativer Stellungnahme der Ernährungsstelle in lediglich einem Fall überliefert ist967. Einen weiteren Personenkreis, auf den nach ministerieller Weisung bei der Vollstreckung von Freiheits- und Geldstrafen besondere Rücksicht zu nehmen war, stellten bombengeschädigte Verurteilte dar. Im Rahmen des Gnadenverfahrens sollte diese Gelegenheit zur Sicherung des Eigentums und zum Wiederaufbau der Wohnungen gegeben werden. Dabei hing die Entscheidung einer bedingten Strafaussetzung vom Einzelfall ab, konkret der Schwere des Schadens durch den Bombenangriff, der Persönlichkeit des Täters, der Tat sowie der Höhe der Strafe. Je stärker die Verurteilten betroffen waren, desto eher sollte die Staatsanwaltschaft zu einer bedingten Strafaussetzung tendieren968. Nach einem Bombenangriff auf Aachen im Juli 1943 ordnete der Behördenleiter entsprechend an, Gnadengesuche Geschädigter oder deren Angehöriger auf Entlassung „unter Wahrung der grundsätzlichen Belange des Kriegsstrafrechts wohlwollend“ zu bescheiden969. Insbesondere, soweit die ausgesprochenen Strafen nicht „allzu hoch“ waren oder der Strafrest geringfügig war, sollte „regelmäßig“ eine Entlassung oder eine Beurlaubung auf unbestimmte Zeit erfolgen, soweit sich der Verurteilte bis dato im Strafvollzug gut geführt hatte970. Soweit ein angemessener Zeitraum verstrichen war, sollte nach Anordnung des Behördenleiters von Amts wegen zu prüfen sein, ob die Lebensverhältnisse des Adressaten die Voraussetzungen einer bedingten Aussetzung des Strafrestes rechtfertigten971. 965  In fünf Verfahren ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach positiver Stellungnahme des Reichsnährstands nicht überliefert, siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 351, 356, 405, 496 und 595. In einem weiteren Verfahren ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach negativer Stellungnahme des Reichsnährstands nicht überliefert, siehe Siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 368. 966  Siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 495 und 525. 967  Siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 501. 968  RV des RMJ vom 22.10.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 228, Bl. 73. 969  Verfügung des LOStA vom 15.7.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 228, Bl. 83. 970  Ebd. 971  Ebd.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

(2) Auflagen und Bedingungen Die mit der Strafaussetzung zu verknüpfenden Auflagen erstreckten sich nach Wahl der Staatsanwaltschaft abstrakt auf eine Unterbringung in einer Lehr- oder Arbeitsstelle, eine Schutzaufsicht durch einschlägige Behörden wie eine Trinkerheilanstalt oder das Jungendamt sowie die Leistung von Schadensersatz und Bußgeld972. Die Gnadenbehörde machte konkret von der Zahlung von Geldbußen zu gemeinnützigen Zwecken, Abgaben von Ehrenerklärungen, Wiedergutmachung eines angerichteten Schadens, Weiterbeschäftigung an der bisherigen Arbeitsstelle, Arbeit in der Landwirtschaft, Vertretung von in der Kriegswirtschaft tätigen Müttern, und bei Landwirten von einer restlosen Erfüllung der Erzeugungs- und Ablieferungspflichten von landwirtschaftlichen Erzeugnissen Gebrauch. Dabei achtete der Behördenleiter nach eigenen Ausführungen darauf, dass die gestellten Bedingungen nach Art und Ausmaß als „Sühne“ für begangenes Unrecht empfunden werden. Ebenso wie bei der Vollstreckung von Geldstrafen gewährte die Staatsanwaltschaft Aachen bei Bußgeldauflagen den Adressaten regelmäßig Ratenzahlungen, da die Bußgelder ihrer Höhe entsprechend in den wenigsten Fällen sofort beglichen werden konnten973. Der Behördenleiter bezeichnete die Erfahrungen, die er mit der verfolgten Gnadenpraxis bei Strafaussetzungen und Strafausständen bis einschließlich 1943 gemacht hatte, als „günstig“974. bb) „Bewährung an der Front“ Eine besondere Art der Strafaussetzung stellte die „Frontbewährung“ nach § 9 des „Gnadenerlasses des Führers und Reichskanzlers für die Wehrmacht“ dar975. Hiernach konnte die Strafvollstreckung unter der besonderen Bedingung ausgesetzt werden, den Adressaten Gelegenheit zur gesellschaftlichen Rehabilitierung durch eine Verwendung in der kämpfenden Truppe zu geben. Im Falle einer Frontverwendung, bei welcher sich der Verurteilte durch „Tapferkeit vor dem Feinde“ seinen „ehrenvollen Platz in der Volks972  §§ 22 und 23 der Gnadenordnung vom 6.2.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 838 f. 973  Die gesetzliche Legitimation zur Vereinbarung einer Ratenzahlung ergibt sich aus § 23 der Gnadenordnung vom 6.2.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 839. 974  Schreiben des LOStA in Aachen an den GStA in Köln vom 1.12.1943 betr. Behandlung von Strafsachen minderer Bedeutung während des Krieges, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 53. 975  § 9 des Gnadenerlasses des Führers und Reichskanzlers für die Wehrmacht vom 1.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1551.



II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis479

gemeinschaft“ zurückerworben hatte, wurde die Kriegszeit auf den zu verbüßenden Strafrest angerechnet976. Die endgültige Entscheidung über eine nachfolgende Strafaussetzung zur Bewährung blieb der Gnadenbehörde jedoch unbenommen. Entgegen dem Wortlaut der Überschrift betraf der personelle Anwendungsbereich des Erlasses nicht alleine Wehrmachtsangehörige oder von der Wehrmachtsgerichtsbarkeit verurteilte Personen, sondern erstreckte sich ebenfalls auf Zivilisten977. Voraussetzung für die Möglichkeit der Frontbewährung war das wehrfähige Alter eines Verurteilten, eine ärztlich zu bestätigende konkrete Verwendungstauglichkeit, ein Antrag des Adressaten an das jeweilige Wehrbezirkskommando und ein von dortiger Stelle veranlasstes Ersuchen zur Strafaussetzung an die Staatsanwaltschaft978. Obwohl die Norm ihrem Wortlaut entsprechend suggerierte, dass bei einem Ersuchen der zuständigen militärischen Stelle an die Staatsanwaltschaft die Vollstreckung zwingend auszusetzen war979, stellte sich die konkrete Korrespondenz zwischen dem Wehrbezirkskommando und der Gnadenbehörde als Anfrage dar, in der eine wohlwollende Entscheidung erbeten wurde, soweit von der Staatsanwaltschaft keine gravierenden Bedenken erhoben wurden. Damit blieb es zumindest für die einschlägigen Verfahren in Aachen bezüglich einer zu gewährenden Frontbewährung bei der formalen Entscheidungsprärogative der Gnadenbehörde980. Soweit diese den Verurteilten antragsgemäß beschied, erfolgte eine direkte Überstellung des Verurteilten an die Militärbehörden und eine Eingliederung in spezielle Bewährungsbataillone981. Insgesamt waren Anträge auf „Frontbewährung“ in acht Verfahren gegen zwölf Verurteilte Gegenstand einer staatsanwaltschaftlichen Gnadenentscheidung982. Bis auf zwei Fälle, in denen eine ablehnende Entscheidung der Staatsanwaltschaft erfolgte oder der Ausgang nicht dokumentiert ist984, wurde sämtlichen Anträgen des Wehrbezirkskommandos Aachen durch die Staatsanwaltschaft entsprochen. 976  Protokolle einer Arbeitstagung der Strafrechtspflegeabteilung des RJM vom 19. und 20.10.1943, zitiert nach Weckbecker, Todesstrafe, S. 391. 977  Siehe § 9 des Gnadenerlasses des Führers und Reichskanzlers für die Wehrmacht vom 1.9.1939, RGBl. 1939 I, S. 1551. 978  Ebd. 979  § 9 des Gnadenerlasses des Führers und Reichskanzlers für die Wehrmacht vom 1.9.1939: „Soweit ein Straferlass oder eine Aussetzung nach den §§ 1 bis 8 nicht eintritt, ist der Vollzug von Freiheitsstrafen (…) auf Ersuchen der zuständigen militärischen Dienststelle bis auf weiteres auszusetzen“, RGBl. 1939 I, S. 1551. 980  Dies wird zudem belegt durch das Gnadenverfahren gegen G., in welchem der Antrag des Wehrbezirkskommandos abgelehnt wurde, siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 479, Gnadenheft G. 981  Weckbecker, Todesstrafe, S. 391; Baumann/Koch, Wehrmacht, S. 190. 982  Siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 467, 479 (fünf Personen), 500, 525, 530, 551, 566 und 576.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

cc) Bedeutung von Stellungnahmen der NSDAP Eine Besonderheit im Rahmen des lokalen Gnadenverfahrens stellt die wiederholte Beteiligung von NSDAP-Stellen bei der Gnadenfrage dar. Eine Beteiligung politischer Stellen, namentlich der Kanzlei des Führers sowie der regionalen Gausachbearbeiter, kam lediglich für solche Verfahren in Betracht, in denen der Verurteilte der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen angehörte und die Strafsache von besonderer Schwere oder sonstigem besonderen Interesse für die Partei war984. In der Mehrzahl gegenständlicher Verfahren betraf die Stellungnahme der Partei jedoch keine Parteigenossen985. Ob die Stellungnahmen von der Staatsanwaltschaft erbeten oder die NSDAP-Stellen, bei denen es sich regelmäßig um Orts- oder Kreisstellen handelte, von dritter Seite zu einer Einschätzung veranlasst wurden, lässt sich in der Mehrzahl der Fälle nicht feststellen986. Die Kongruenz zwischen parteiseitigen Einschätzungen und Entscheidungen der Gnadenbehörde zeigt, dass den Stellungnahmen der NSDAP ein nicht zu unterschätzendes qualitatives Gewicht beizumessen ist. In 59,1 % von insgesamt 22 Fällen sprach sich die Staatsanwaltschaft Aachen nach positiver Stellungnahme der NSDAP für die Erteilung eines Gnadenerweises aus987, darunter in drei Fällen für Parteimitglieder988. In weiteren 18,2 % lehnte die Staatsanwaltschaft in Übereinstimmung mit der Partei einen Gnadenerweis ab989, wobei sich die Ablehnung in einem Fall gegen einen Parteigenossen richtete990. In 9,1 % der Fälle entschied sich die Gnadenbehörde trotz ablehnender Entscheidung der Partei für einen Gnadenerweis991, während in weiteren 9,1 % die Staatsanwaltschaft einen Gnadenerweis trotz befürwortender Haltung der NSDAP ablehnte993. 983  Siehe Verfahren Gnadenverfahren G. zur ablehnenden Entscheidung und Verfahren P. zum nicht dokumentierten Ausgang, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 479, Gnadenhefte G. und P. 984  § 8 a) der der Gnadenordnung vom 6.2.1935, abgedruckt in: Krug/Schäfer/ Stolzenburg, Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften, S. 819 f. 985  Lediglich in 5 von insgesamt 22 Fällen betraf die Stellungnahme Parteimitglieder, siehe Verfahren gegen C., H., L., K. und J., LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 327, 423, 496, 500 und 592. 986  Verfahren gegen die K., LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 174, Bl. nicht angegeben. 987  Siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 174, 238, 327, 349, 424, 435, 450, 469, 500, 539, 554, 581 und 592. Anm.: Für die Subsumtion wurde auf die zeitlich zuletzt erfolgte staatsanwaltschaftliche Entscheidung abgestellt, sodass auch Fälle berücksichtigt sind, in welchen gegebenenfalls zunächst eine ablehnende Entscheidung der Staatsanwaltschaft erfolgt war. 988  Siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 327, 500 und 592. 989  Siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 259, 423, 444 und 604. 990  Siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 423. 991  Siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 538 und 612.



II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis481

dd) Gnadenpraxis in Zahlen In insgesamt 169 Verfahren und damit in 24,9 % aller überlieferten Verfahren wurden Gnadenerweise erteilt, die sich nahezu ausschließlich als bedingte Strafaussetzungen manifestieren. Die Gnadenentscheidungen betrafen dabei 220 Verurteilte, was einem personellen Gesamtanteil von 23,6 % entspricht. Betrachtet man die relative Verteilung der Gnadenentscheidungen auf Delikte, so gewährte die Staatsanwaltschaft in 116 Verfahren wegen Verstößen gegen die KrWVO die mit Abstand meisten Gnadenerweise, gefolgt von Verfahren wegen Verstoßes gegen die VVO mit insgesamt 27 Verfahren, zwölf Heimtückeverfahren, acht Rundfunkverfahren, drei Verfahren wegen Verstoßes gegen die WehrkraftVO und je ein Verfahren wegen Verstoßes gegen die KSSVO, wegen eines begangenen Diebstahls sowie eines Betrugs.

KrWVO VVO Heimtückegesetz RundfunkVO WehrkraftVO KSSVO Diebstahl Betrug

Abbildung 6: Diagramm zur verhältnismäßigen Verteilung erteilter Gnadengewähren auf die jeweiligen Deliktsgruppen unter Zugrundelegung der gesamten Verfahrensanzahl Anmerkung 1 zu Abbildung 6: In einigen Fällen erfolgte die Verurteilung aufgrund kumulativen Vorliegens unterschiedlicher Straftatbestände. In solchen Fällen erfolgte die Zuteilung zur entsprechenden Gruppe anhand der Norm mit dem im Vergleich gesetzlich vorgesehenen höheren Strafmaß. Anmerkung 2 zu Abbildung 6: Im Rahmen der Deliktsgruppen der RundfunkVO, WehrkraftVO, VVO sowie der Delikte gegen Heimtückegesetz, RundfunkVO, KrWVO und KSSVO wurde aus Gründen der Übersicht darauf verzichtet, nochmals nach den jeweils einschlägigen Normen zu unterscheiden. 992  Siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akten 317 und 536. In einem weiteren Fall gegen ein Parteimitglied ist die staatsanwaltschaftliche Entscheidung trotz positiven Gutachtens der NSDAP nicht überliefert, siehe LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 496.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Anmerkung 3 zu Abbildung 6: (1) Äußerungsdelikte: Unter die Kategorie der Äußerungsdelikte werden Äußerungen sowohl mündlicher als auch schriftlicher Art subsumiert. Insbesondere fallen hierunter die Straftatbestände gem. Heimtückegesetz993, Beleidigungen gemäß § 134 b StPO und Verstöße gegen den sog. „Kanzelparagraphen“, § 130 a StGB. (2) Delikte gegen RundfunkVO: Die Rubrik der Rundfunkverbrechen umfasst ausschließlich Verstöße gegen die Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen994, wie das Abhören ausländischer Sender oder das Verbreiten von Nachrichten ausländischer Sender. (3) Delikte gegen WehrkraftVO Hierunter fallen Delikte gemäß § 4 der „Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des Deutschen Volkes vom 25.11.1939“995. Sanktioniert wurde die Gefangenenbefreiung und der sonstige Umgang mit Kriegsgefangenen jeglicher Art von mündlicher Korrespondenz bis hin zum Geschlechtsverkehr. (4) (Kriegs-)Wirtschaftsdelikte Unter diese Gruppe wurden sämtliche Verstöße gegen die Kriegswirtschaftsverordnung996 subsumiert, wie beispielsweise Schwarzschlachtung, Schwarzbuttern oder Milchfälschung. Zudem wurden sonstige Wirtschaftsdelikte wie Devisenvergehen997, Vergehen gegen Preisstrafrecht998, Preiswucher und Nichtanmeldung jüdischen Vermögens999 inkludiert. (5) Delikte gegen die VVO Bei den Delikten gegen die Volksschädlingsverordnung handelt es sich um die §§ 1, 2, 4 VolkschädlingsVO1000, insbesondere Diebstähle, welche im Zusammenhang mit frei gemachten Gebieten oder Häusern standen oder unter Ausnutzung einer Verdunkelung ausgeführt worden sind. (6) Sonstige (politische) Straftaten Unter die sonstigen politischen Straftaten wird ein Fall von Landesverrat subsumiert. 27 Delikte gegen Kriegssonderstrafrecht1001 werden in dieser Gruppe als sonstige – nicht ausschließlich politische – Straftaten aufgenommen, da die KSSVO sowohl Normen mit Bezug zum politischen- wie auch zum Militärstrafrecht enthält1002. Die gesamten 27 Fälle der KSSVO, mit denen das Sondergericht Aachen betraut gewesen ist, betreffen ausschließlich Beihilfe zur Fahnenflucht oder Wehrdienstentziehung. (7) Allgemeine Straftaten Unter die Allgemeinen Straftaten fallen alle sonstigen Delikte ohne politischen Einschlag, beispielsweise Mord, Abtreibung, Körperverletzung, Urkundenfälschung, Diebstahl, Hehlerei etc. 993  RGBl. 1934

I, S. 1269. I, S. 1683. 995  RGBl. 1939 I, S. 2319. 996  RGBl. 1939 I, S. 1609 ff. 997  RGBl. 1933 I, S. 360 ff. 998  RGBl. 1939 I, S. 999. 999  RGBl. 1938 I, S. 414 f. 1000  RGBl. 1939 I,S. 1679. 1001  RGBl. 1939 I, S. 1455 ff. 1002  Nach seinem sachlichen Anwendungsbereich bezieht sich die KSSVO primär auf den Personenkreis von Soldaten bzw. Wehrmachtsangehörigen. Gleichermaßen sanktioniert § 5 Abs. 1 KSSVO Äußerungsdelikte, unter welche sich auch politische Äußerungen Wehrmachtsangehöriger subsumieren ließen. 994  RGBl. 1939



II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis483

4. Schlussfolgerung Obwohl die Reform der Strafvollstreckung nicht im zentralen Fokus der Nationalsozialisten gestanden hatte, sah das Regime gleichwohl Handlungsbedarf bei der Überarbeitung des Vollstreckungsrechts. Als spürbares Resultat des Strafverfahrens sollte eine grundlegende Abkehr von einem auf dem Erziehungsgedanken ruhenden Vollzug hin zu „sühnender Vergeltung“ vollzogen werden. Während die Strafvollzugsordnung aus dem Jahr 1934 in ihrem Fundament – abgesehen von als „untragbar“ empfundenen Normierungen wie der regelmäßigen Privilegierung von politisch motivierten Straftätern – weiter an die Reichsratsgrundsätze der Weimarer Zeit angelehnt blieb, wurde mit der 1940 erlassenen Strafvollzugsordnung der endgültige ideologische und normative Bruch mit den Reichsratsgrundsätzen vollzogen. Neben den Sühnegedanken trat als prägendes Strukturelement das Prinzip der Volksgemeinschaft. Der Vollzug erfüllte nach dem Willen des Gesetzgebers fortan eine Schutzfunktion der Volksgemeinschaft vor Delinquenten. Die Einflussnahme auf letztere sollte bewirken, dass die Inhaftierten wieder zu brauchbaren Gliedern der Volksgemeinschaft wurden und ihre Arbeitskraft dem Wohle der Gemeinschaft zur Verfügung stellten. Individualisierte Strafhaft durch Rücksichtnahme auf konkrete Neigungen oder zu gewährende Privilegierungen wichen zugunsten eines Subordinationsverhältnisses, in welchem der Inhaftierte zum bloßen „Objekt“ herabgestuft wurde. Im Rahmen der Vollstreckung entfaltete die Staatsanwaltschaft als zuständige Vollstreckungsbehörde die höchste Relevanz, indem sie alle für den Vollzug vorbereitenden Maßnahmen zu treffen hatte, die Korrespondenz mit den Vollzugsanstalten und sonstigen zu beteiligenden Stellen übernahm, besondere Vollzugsvoraussetzungen prüfte, Verwaltungsdokumente anlegte und den Vollzug aufsichtsführend begleitete. Die Staatsanwaltschaft Aachen erfüllte ihre diesbezüglichen Aufgaben normgemäß und wurde unter positiver Würdigung des Provinzialchefs der – auch für den Vollzug geltenden – Beschleunigungsprämisse gerecht. Auch der ORA betraute die Staatsanwaltschaft im Wege konkreter Kompetenzabtretung mit der Vollstreckung des Urteils des Besonderen Senats. Verfahrensrügen vorgesetzter Dienstbehörden oder anderweitige von der Strafvollzugsordnung abweichende Handhabungen durch die Staatsanwaltschaft sind dagegen nicht überliefert. Bei Geldstrafen hielt sich die Staatsanwaltschaft penibel an die vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit einer zu vereinbarenden Teilzahlung. Fälle, in denen aufgrund einer Nichtbeibringung der Geldstrafe nachträglich eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt wurde, sind nicht dokumentiert. Bei sämtlichen Freiheitsstrafen befolgte die Staatsanwaltschaft die mehrfach geänderten Vollstreckungspläne, welche an die Kriegsgeschehnisse im Rheinland angepasst wurden. Im Rahmen von Gefängnisstrafen wurden 48,9 % aller Vollstre-

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

ckungsersuchen an die Haftanstalt Aachen gerichtet, sodass der lokalen Vollzugsanstalt die tragende Rolle zukam. Die Verteilung der Vollstreckungsersuchen bei zu Zuchthausstrafen verurteilten Personen stellt sich im Vergleich zu Gefängnisstrafen ausgewogener dar, wenngleich auch auf diesem Gebiet die örtliche Nähe zum Standort des Spruchkörpers bzw. der Vollstreckungsbehörde dominierte, indem an das Zuchthaus in Rheinbach immerhin 37,9  % aller Vollstreckungsersuchen gerichtet wurden1003. Im Rahmen der Todesurteile wich die Handhabung der Staatsanwaltschaft in nur wenigen Ausnahmefällen von den normierten Vorgaben ab, wobei nicht auf eine Eigenmächtigkeit der Vollstreckungsbehörde, sondern auf heteronome Umstände oder auf ausdrückliche ministerielle Weisung hin agiert wurde. So erfolgte die Hinrichtung des Raymond D. in der Vollzugsanstalt Frankfurt-Preungesheim, nachdem eine Hinrichtung aus nicht bekannten organisatorischen Hindernissen in Köln nicht möglich war. Die Hinrichtung des Paul S. im Stadtteil Aachen-Forst durch ein Erschießungskommando der Schutzpolizei erfolgte weder örtlich noch sachlich normgemäß. Allerdings hatte Thierack im Falle des hinzurichtenden Ortsgruppenleiters die Abweichung höchstpersönlich angeordnet, sodass die Staatsanwaltschaft – wenn auch normabweichend – weisungsgemäß handelte. Bei der personellen Besetzung vor Ort sowie aller in die Wege zu leitender Benachrichtigungen und Verwaltungsmaßnahmen kam die Staatsanwaltschaft ihren Pflichten auch bei der Vollstreckung von Todesurteilen ausnahmslos nach. Auch im Rahmen des Gnadenverfahrens stellt sie sich als Behörde mit nahezu umfänglichem Kompetenzmonopol dar. Bis auf wenige Ausnahmen, in denen sich Hitler die Gnadenentscheidung vorbehalten hatte, kam der Staatsanwaltschaft die Funktion als Gnadenbehörde zu. Bei grundsätzlich normgemäßer Handhabung der Verfahrenspraxis überschritt der Behördenleiter in einem Fall einer an den GStA abgetretenen Einleitung einer Nichtigkeitsbeschwerde seine Kompetenzen, indem er drei Verurteilten bedingte Strafaussetzung gewährte, obwohl der Provinzialchef die Adressaten zum Gegenstand des Beschwerdeverfahrens machen wollte. Sowohl Generalstaatsanwaltschaft als auch RJM äußerten offene Kritik an dem eigenmächtigen Handeln der Staatsanwaltschaft und machten deutlich, dass ein solcher Alleingang im Rahmen des Gnadenverfahrens künftig nicht mehr geduldet werde. Die Tatsache, dass dieses Vorgehen ein Einzelfall blieb, legt die Vermutung nahe, dass es sich bei der Gewährung einer bedingten Strafaussetzung im konkreten Fall um einen nicht vorsätzlich begangenen Fehler handelte. Die Modalitäten des Niederschlagungsrechts oder des Straferlasses entfalteten keine praktische Relevanz. Hingegen machte die Staatsan1003  Siehe zur Verteilung der durch das Sondergericht verurteilten Personen auf die jeweiligen Vollzugsstandorte detailliert Tabelle 57, Anhang, S. 552.



II. Strafvollstreckungs- und Gnadenpraxis485

waltschaft nach eigenen Angaben in zahlreichen Verfahren aller Deliktsund Personengruppen Gebrauch von der bedingten Strafaussetzung, die als Handlungsmodalität eines zu gewährenden Gnadenerweises den Regelfall darstellte. Obwohl ein Gnadenerweis formal nur in Ausnahmefällen erfolgen sollte, übernahm die Gnadenbehörde die im Innenverhältnis durch das RJM angeordnete und das Gesetz konterkarierende Anordnung einer „wohlwollenden“ Gnadenpraxis, um kriegsbedingten Zerstörungen und einem Arbeitskräftemangel, insbesondere in der Landwirtschaft, entgegenzuwirken1004. Entsprechend erfolgte eine privilegierte Behandlung von mit der Landwirtschaft im Zusammenhang stehenden Berufsgruppen sowie Personen, deren Häuser und Wohnungen stark beschädigt oder zerstört worden waren. Im Rahmen der speziellen Gnadenmodalität der „Frontbewährung“ legte das Gesetz seinem Wortlaut entsprechend eine Kompentenzbeschneidung der Staatsanwaltschaft als Gnadenbehörde fest, indem Ersuchen der Wehrbezirkskomandos auf Einziehung verurteilter Personen zur Wehrmacht zu entsprechen war. Erstaunlicherweise zeigt jedoch die konkrete Umsetzung dieser Regelung, dass das Wehrbezirkskommando bei seiner Anfrage an die Staatsanwaltschaft regelmäßig um die Einziehung bat, sofern die Gnadenbehörde nicht Gründe gegen eine Einberufung vorzubringen hatte. Die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft in zwei Fällen tatsächlich eine Einberufung ablehnte, zeigt, dass es sich bei der Ausgestaltung des Schreibens der militärischen Dienststelle als Anfrage nicht um eine bloß deklaratorische Höflichkeitsformel gegenüber der Staatsanwaltschaft handelte1005. Eine weitere, mit den normativen Vorgaben nicht zu erklärende Besonderheit, stellt die teilweise Hinzuziehung lokaler NSDAP-Stellen im Rahmen des Gnadenverfahrens dar. Insbesondere handelte es sich in der Mehrzahl der betroffenen Verurteilten nicht um Parteimitglieder, die eine Involvierung der Parteistellen über § 8a der Gnadenordnung nahegelegt hätte. Wenngleich die Ursachen der Präsenz der NSDAP im Gnadenverfahren nicht abschließend zu bestimmen sind, so zeigt sich dennoch ihr enormer Einfluss auf die von der Staatsanwaltschaft zu treffenden Gnadenentscheidungen, indem die Stellungnahme der NSDAP und die Entscheidungen der Gnadenbehörde in 77,3 % der gegenständlichen Verfahren im Ergebnis kongruent waren.

1004  Schreiben des RJM an die Generalstaatsanwaltschaft vom 12.6.1940, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 60, Bl. 91. 1005  Siehe Gnadenverfahren G. zur ablehnenden Entscheidung und Verfahren P. zum nicht dokumentierten Ausgang, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 479, Gnadenhefte G. und P.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

III. Weitere Entwicklung der Staatsanwaltschaft 1. Kriegsverlauf und Konsequenzen für die Staatsanwaltschaft Bereits im Dezember 1943 erwähnte der Aachener Behördenleiter im Zusammenhang mit strafrechtlichen Vereinfachungsmaßnahmen, die dem Kriegszustand Rechnung tragen sollten, dass die Staatsanwaltschaft Aachen infolge alliierter Fliegerangriffe häufig ihren Aufenthaltsplatz wechseln musste1006. Am 13. April 1944 ging ein erneuter Bericht beim GStA ein, in dem berichtet wurde: „Die Folgen des Terrorangriffes vom 11. zum 12. haben sich, soweit das Justizgebäude in Frage kommt, als ziemlich erheblich herausgestellt. Eine schwere Bombe hat die Stelle der Verbindung zwischen Alt- und Neubau durchschlagen, es sind von der Staatsanwaltschaft die Räume von den Sachbearbeitern und Geschäftsstellen von drei Dezernaten vernichtet worden“1007. Gleichwohl verblieb die Behörde zunächst vor Ort, bis die Stadt ab dem 13. September 1944 durch die alliierten Streitkräfte eingeschlossen wurde und die Anklagebehörde ihre Dienststelle zusammen mit der des Landgerichts auf Weisung des Provinzialchefs nach Düren verlegte, um die Rechtspflege für die noch nicht besetzten Teile des Gerichtssprengels aufrecht erhalten zu können1008. Noch am 14. November 1944 hielt der GStA in einem Vermerk zum Besuch der Anklagebehörde und des Sondergerichts in Düren vom 6. November 1944 fest: „Der Feind sei vor einigen Tagen auf Schmidt und Bergstein vorgestoßen, ein Gegenangriff sei im Gange. Bei Vossenack habe eine Abteilung von 30 feindlichen Panzern ein Bataillon eingeschlossen. Man rechne mit einem Vorstoß des Feindes aus Gegend Stolberg auf Eschweiler. (…) Die Frage, ob unter den gegebenen Umständen eine geregelte Rechtspflege möglich sei, wurde bejaht. Das Sondergericht und die Staatsanwaltschaft werden solange in Düren verbleiben, bis der zuständige Kreisleiter den Befehl zur Räumung geben wird. (…) Da in dem Dienstgebäude des Amtsgerichts in Siegburg, wie eine Besichtigung am 9. November ergeben hat, hinreichender Raum zur Verfügung steht, der im Falle der Nichtbelegung möglicher Weise von anderen Dienststellen belegt werden würde, erscheint es angebracht, das Amtsgericht in Siegburg als Ausweichort des Sondergerichts und

1006  Schreiben des LOStA in Aachen an den GStA in Köln vom 11.12.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 41. 1007  Schreiben des LOStA in Aachen an den GStA vom 13.4.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 87. 1008  Bericht des GStA Köln zum Tod des LOStA Führer an den RMJ vom 25.11.1944, LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte des OLG Köln, Bl. 116.



III. Weitere Entwicklung der Staatsanwaltschaft487

der Staatsanwaltschaft in Aachen zu bestimmen“1009. Nachdem die Stadt nur zwei Tage nach dem Bericht des GStA zwischen 15.30 und 16.15 Uhr durch Luftangriffe im Stadtkern völlig zerstört worden war1010, zog das Sondergericht mitsamt der Staatsanwaltschaft im Dezember 1944 letztmalig nach Siegburg um1011. Ab diesem Zeitpunkt ist die Tätigkeit der Anklagebehörde nur noch fragmentarisch dokumentiert. Das letzte überlieferte Schriftstück ist mit 30. Januar 1945 datiert1012. 2. Zukunft der Staatsanwälte nach Kriegsende Nach Beendigung des Krieges wurde das gesamte Personal der Staatsanwaltschaft Aachen zur möglichen Wiederverwendung bzw. zum endgültigen Ausscheiden aus dem Dienst einem Einreihungsverfahren im Rahmen der Entnazifizierung unterzogen, welches über die künftige Eignung der Staatsanwälte im Justizdienst entscheiden sollte1013. Allgemein sollte die Entnazifizierung die personelle „Säuberung“ relevanter Dienstposten und Ämter in Gesellschaft, Staat und Wirtschaft durch Amtsentlassungen und entsprechende Neubesetzungen mit zuverlässigem Personal herbeiführen1014. Um zu einer Entscheidungsfindung zu gelangen, bediente man sich in der britischen Besatzungszone eines Skalierungssystems, welches eine Einstufung der Adressaten in fünf Kategorien vorsah: Hauptschuldige (Ka1009  Vermerk des GStA Rahmel vom 14.11.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 160, 160 rev. Bereits im handschriftlichen Vermerk hielt GStA Rahmel fest, dass nach dem Bombenangriff auf Düren ein Verbleib für das Sondergericht Aachen und die Staatsanwaltschaft nicht möglich war und ordnete eine Verlegung nach Erft an. Da eine solche aber offenbar nicht möglich war, zog die Staatsanwaltschaft ebenfalls auf Vorschlag des GStA nach Siegburg um, handschr. Vermerk GStA Rahmel vom 21.11.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 162 rev., 163. 1010  Bericht des GStA Köln zum Tod des LOStA Führer an den RMJ vom 25.11.1944, LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte des OLG Köln, Bl. 116. 1011  Handschriftlicher Vermerk Rahmels vom 2.12.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 161. 1012  LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 240. 1013  Zur Konnexität zwischen Entnazifizierung und Demokratisierung siehe Taylor, Krieg und Frieden, S. 355 f. 1014  Wember, Umerziehung, S. 25. Nach der amtlichen Definition der Kontrollrats-Direktive Nr. 24 ist unter Entnazifizierung zu verstehen: „Die Entfernung aller Mitglieder der nationalsozialistischen Partei, die ihr aktiv und nicht nur nominell angehört haben und aller derjenigen Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen, aus allen öffentlichen und halböffentlichen Ämtern und aus verantwortlichen Stellungen in bedeutenden privaten Unternehmen“, Kontrollrats-Direktive Nr. 24 vom 12.1.1946, abgedruckt in: Amtsblatt des Kontrollrates, S. 98, zitiert nach Wember, Umerziehung, S. 23.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

tegorie I), Belastete (Kategorie II), Minderbelastete (Kategorie III), Mitläufer (Kategorie IV) und Entlastete (Kategorie V)1015. Vor Ort lag die Überprüfungskompetenz des jeweiligen Falles – mit Ausnahme der Kategorien I und II, welche für die Staatsanwaltschaft ohnehin keine Relevanz entfalteten – bei deutschen Entnazifizierungsausschüssen, die als Kreisbehörde tätig waren und der Militärregierung sachverständig zuarbeiteten. Letzterer oblag als regionaler Aufsichtsbehörde die abschließende Entscheidung über die vorgeschlagene Kategorisierung1016. Der Entnazifizierungsausschuss für den Stadtkreis Aachen bestand aus den Juristen Dr. Heitzer, Lambertz, Dr. Boos, Justizinspektor Heck sowie dem seinerzeitigen Strafverteidiger für Sondergerichtssachen, Dr. Lauber1017. Die zur Rechtfertigung der Einordnung herangezogenen Gründe bestanden neben der Parteizugehörigkeit in sonstigen parteipolitischen, gesellschaftlichen oder beruflichen Aktivitäten, die als den Nationalsozialismus begünstigend eingestuft wurden1018. Gegen einen erlassenen Einreihungsbescheid konnte Berufung durch den Adressaten binnen zwei Wochen ab Zugang eingelegt werden. Das Berufungsverfahren barg allerdings einige Besonderheiten, die an dem ihm zugedachten Zweck einer objektiven Entscheidungsüberprüng von dritter Seite Zweifel aufkommen ließen. So herrschte in dem für Aachen relevanten Verfahren gegen StA Zimmerath zwischen Überprüfungs- und Ausgangsinstanz Personalunion. Zudem waren alleine zwei der dem Aachener Ausschuss angehörigen Personen, die damaligen Rechtsanwälte Heitzer und Lauber, mehrfach als Verteidiger in Sondergerichtssachen tätig gewesen, was einer objektiven und leidenschaftlosen Bewertung zusätzlich entgegenstehen konnte1019. Sachlicher Gegenstand der Überprüfung konnten ausschließlich Rügen gegen die im Bescheid gemachten „Tatsachenfeststellungen“ sein1020. 1015  Siehe zur Bezeichnung der jeweiligen Kategorien Taylor, Krieg und Frieden, S. 356. Nach dem Diskurs innerhalb des Heyman-Plans, in dessen Rahmen die Skalierungen erstmals provisorisch vorgenommen wurden, galten als Hauptschuldige lediglich Personen, die als Kriegsverbrecher einzuschätzen waren. Unter die „Belasteten“ fielen diejenigen, welche von einer Internierung und anderen Sanktionen betroffen wurden, wie höhere Offiziere oder der Generalstab des Militärs. Unter die Minderbelasteten fielen hingegen die aus der Internierung entlassenen Personen, die jedoch Auflagen in ihrem gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Leben unterworfen wurden, siehe Wember, Umerziehung, S. 146. 1016  Taylor, Krieg und Frieden, S. 356. 1017  Siehe exemplarisch die Gegenzeichnung im Sitzungsprotokoll des Entnazifizierungsausschusses im Fall Zimmerath vom 2.5.1946, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Bd I, Bl. 282. 1018  LAV NRW R, HSA Pe 15279, Bd I, Bl. 302. 1019  Heitzer war im Übrigen nach Kriegsende als Oberstaatsanwalt in Aachen eingesetzt worden, siehe Schreiben Heitzers mit Gegenzeichnung als OStA vom 6.8.1946, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Bd I, Bl. 298, 298 rev. 1020  LAV NRW R, HSA Pe 15279, Bd I, Bl. 302 rev.



III. Weitere Entwicklung der Staatsanwaltschaft489

Da jedoch die subjektive Handhabung, insbesondere die aus den Tatsachen resultierenden rechtlichen Würdigungen nicht überprüfbar waren, entfaltete das Verfahren einen nur eingeschränkten Handlungsspielraum für den Betroffenen1021. Zuletzt hatte der Überprüfungsausschuss die Befugnis, der Militärregierung eine nachträgliche Einreihung in eine höhere Kategorie vorzuschlagen1022, wodurch der Adressat im Wege einer möglichen reformatio in peius einem zusätzlichen Risiko bei einer geltendgemachten Rüge ausgeliefert wurde. Die erfolgten Kategorisierungen, in welche die Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft eingereiht wurden, entsprachen dem Proporz der generellen Praxis des Vorgehens der britischen Militärregierung für Nordrhein-Westfalen, indem die deutliche Mehrheit aller Betroffenen in die Kategorie IV eingestuft wurde1023. Für den Behördenleiter der Staatsanwaltschaft Aachen entfaltete die Kategorisierung indes keine Relevanz. Nachdem die Stadt Düren am 16. November 1944 vom einem Bombenangriff heimgesucht worden war, starb Hans Führer im Keller des gegenüber dem Amtsgericht gelegenen Elisabethstifts, in welchem er wegen des Bombardements Schutz gesucht hatte1024. Ackermann war bis zur Einstellung der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft als planmäßiger EStA und nach dem Tod des LOStA als kommissarischer Behördenleiter tätig1025. Im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens wurde er in die Kategorie IV eingestuft1026. Der Ausschuss ging bei der Beurteilung davon aus, dass Ackermann nationalsozialistisches Gedankengut innerlich abgelehnt und nie für die Partei in propagandistischer Art und Weise 1021  Anders ist nicht erklärbar, wie StA Zimmerath ausschließlich aufgrund seiner Mitgliedschaften in der NSDAP, SA (als Anwärter), NSV, NSRB und RLB als einziger StA in Kategorie III eingestuft wurde, während das übrige Kollegium der Behörde gleichermaßen Mitgliedschaften in der Partei sowie deren Untergliederungen aufwies, siehe oben, S. 179, 188, 202, 205, 210. 1022  LAV NRW R, HSA Pe 15279, Bd I, Bl. 302 rev. 1023  Siehe Fürstenau, Entnazifizierung, S. 227. 1024  Schreiben der Ehefrau des LOStA Führer an den Justizminister NordrheinWestfalen betr. einer Beschwerde wegen Versorgungsausgleichs, LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte LG Aachen, Bl. 15 rev.; Stellungnahme des Justizoberin­ spektors Beck vom 15. Dezember 1951, der mit LOStA Führer am Tag des Todes zusammengearbeitet hatte und diesen später tot aufgefunden hatte, LAV NRW R, BR Pe 7577, Personalakte LG Aachen, Bl. 17; ebenso handschriftlicher Vermerk des GStA Rahmel vom 21.11.1944, LAV NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 28, Bl. 162 rev. 1025  LAV NRW R, NW Pe 3631, Personalakte Ackermann, Bl. 32. 1026  Einreihungsbescheid des Sonderbeauftragten für Entnazifizierung in Nordrhein-Westfalen vom 7.6.1948, NW Pe 3631, Personalakte Ackermann, Bl. 4.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

tätig geworden war1027. Sein späterer Vorgesetzter bei der Staatsanwaltschaft Köln, OStA Kother, begründete Ackermanns gesteigerte Aktivitäten bei der SA als Ausfluss eines dienstlichen Drucks, dem er sich zu beugen hatte, da er aufgrund der zuletzt ausgeübten Behördenleitung automatisch auch im Rang der politischen Untergliederungen aufgestiegen war1028. Ab dem 1. Juli 1948 trat Ackermann bei der Staatsanwaltschaft Köln seinen Dienst an, wobei sich seine Tätigkeiten zunächst auf Aushilfsdienste beschränkten1029. Ab Oktober 1949 wurde er wieder mit voller Befugnis und Pflichtenübernahme betraut1030. Im Juni 1955 wurde er zum EStA bei der Staatsanwaltschaft Köln ernannt. Ackermann arbeitete schließlich in dieser Position bis zu seinem Tod im Jahre 19611031. Höher wurde – nachdem das Sondergericht Aachen nach Düren verlegt worden war – am 1. November 1944 zunächst zur Staatsanwaltschaft Köln abgeordnet1032, ab dem 9. November 1944 als Hilfsarbeiter bei der Oberreichsanwaltschaft beim Volksgerichtshof eingesetzt und dort bis zum Kriegsende weiterbeschäftigt1033. Aufgrund seiner parteipolitischen Betätigung sowie seiner Funktion als Sonderdezernent bei der Staatsanwaltschaft Aachen wurde er durch den Einreihungsbescheid des Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung in Nordrhein-Westfalen in die Kategorie IV eingestuft1034. Im Gegensatz zum übrigen Kollegium hatte Höher erhebliche Probleme, seine Wiedereinstellung in den Justizdienst zu erwirken. Trotz umfangreicher und schlüssiger Eigenangaben sowie positiver Stellungnah1027  Dienstliche Beurteilung aus dem Jahre 1951, die sich auf den sachlichen Inhalt der Entnazifizierungsakte (welche nicht vorliegt) stützt, NW Pe 3631, Zeugnisheft Ackermann, Bl. 1 rev. 1028  Dienstliche Beurteilung aus dem Jahre 1951, NW Pe 3631, Zeugnisheft Ackermann, Bl. 1 rev. Im Hinblick auf die Ausführungen der politischen Ämter Ackermanns siehe oben, ebd. 1029  Verfügung des GStA Köln vom 1.7.1948, NW Pe 3631, Personalakte Ackermann, Bl. 2. 1030  Verfügung des GStA Köln vom 11.10.1949, NW Pe 3631, Personalakte Ackermann, Bl. 25. 1031  Ernennungsurkunde des Justizministers Nordrhein-Westfalen vom 30.7.1955, NW Pe 3631, Personalakte Ackermann, Bl. 42. 1032  Vernehmungsprotokoll der Staatsanwaltschaft Berlin mit Höher vom 2.11.1983, LAB, B Rep. 058, Nr. 6818, Bl. 86. 1033  Schreiben der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Berlin an Höher vom 22.9.1982, LAB, B Rep. 058, Nr. 6818, Bl. 51. Dass Höher dort bis Kriegsende tätig war, ergibt sich insoweit aus seiner eigenen Aussage im Rahmen eines ärzt­ lichen Gutachtens zur Frage seiner Verhandlungs- und Vernehmungsfähigkeit vom 10.12.1984, LAB, B Rep. 058, Nr. 6818, Bl. 156. 1034  Einreihungsbescheid vom 8.2.1949, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 5.



III. Weitere Entwicklung der Staatsanwaltschaft491

men von ehemaligen Kollegen wurde ihm bis Juni 1950 die Wiederaufnahme in den Justizdienst verweigert. Diese Entscheidung wurde mit einer Wahrnehmung von Parteiämtern vor dem Erwerb der Parteimitgliedschaft begründet. Zudem habe es „heftige Angriffe (…) von mehreren Aachener Rechtsanwälten“ aufgrund Höhers „langjähriger Tätigkeit bei dem Sondergericht in Aachen“ gegeben, mit der die Verweigerung der Zulassung zum Justizdienst gerechtfertigt wurde1035. Zudem sah man Höher aufgrund der zuletzt wahrgenommen Tätigkeit beim VGH zunächst als „politisch nicht tragbar“ an1036. Ab 1950 erfolgte schließlich die Einsetzung als beauftragter Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Köln. Ab März 1954 wurde ihm eine Planstelle bei selbiger Behörde zugewiesen, bei der er bis zu seinem Ruhestand weiterarbeitete1037. Aufgrund seiner überdurchschnittlichen Rechtskenntnisse wurde Höher zur Mitarbeit am Entwurf des nach dem Kriege überarbeiteten Strafgesetzbuches in einer entsprechenden Kommission im Bundesministerium der Justiz herangezogen1038. Nach entsprechendem Gesuch wurde Höher mit Ablauf des 31. Mai 1964 schließlich in den Ruhestand versetzt1039. Zimmerath verließ die Staatsanwaltschaft Aachen zum 1. März 1944 auf Abordnung des Provinzialchefs zur Generalstaatsanwaltschaft nach Prag und verrichtete dort seinen Dienst bis zum 5. Mai 19451040, wobei er ausschließlich Beschwerde- und Eheanfechtungssachen vor dem Zivilsenat bearbeitete1041. Als einziger von allen mit Sondergerichtssachen betrauten 1035  Verfügung Justizminister Nordrhein-Westfalen vom 18.11.1949 bzgl. der Wiedereinstellung Höhers, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 19; siehe hierzu eingehend die Verwertung der Stellungnahmen und der übrigen Korrespondenz im Rahmen der eigenen Stellungnahme zu Höher, ebd. 1036  Ebd.; zur konkreten Tätigkeit Höhers als Sachbearbeiter bei der Reichsanwaltschaft beim VGH vgl. eigene Aussagen Höhers in einem Schreiben an den Justizminister Nordrhein-Westfalen vom 12.6.1962, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 75–81. 1037  Personalbogen aus dem Jahr 1960, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 8; Pensionsurkunde und Beschluss vom 11.2.1964, nach welcher Höher mit Wirkung zum 1.6.1964 in den Ruhestand versetzt wurde, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 96. 1038  Dienstliche Beurteilung vom 22.10.1962, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 10 rev. 1039  Schreiben Höhers an den Justizminister Nordrhein-Westfalen betr. Gesuch um Versetzung in den Ruhestand vom 19.11.1963, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 90; Verfügung durch den Justizminister Nordrhein-Westfalen vom 11.2.1964, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 96. 1040  LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 164. 1041  LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band IV, Bl. 80.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

Staatsanwälten aus Aachen wurde Zimmerath von der Militärregierung zunächst in die Kategorie III eingestuft und hatte erhebliche Schwierigkeiten, den ihm zugeteilten Status zu seinen Gunsten abändern zu lassen. Die Einstufung hatte zunächst die dauerhafte Entlassung aus der Stellung eines Staatsanwalts und eine Einstellungsmöglichkeit „nicht höher als im Range eines Assessors“ zur Folge1042. Nachdem Zimmerath gegen die Einreihung Berufung eingelegt hatte, wurde im Wege einer reformatio in peius der Ausgangsbescheid zu seinem Nachteil dahingehend abgeändert, dass er nunmehr in die Kategorie III B1 eingereiht wurde und ihm nunmehr gänzlich untersagt wurde, „irgendeine politische oder beaufsichtigende Stellung zu bekleiden, die die Einstellung oder Entlassung von Personal in öffentlichen oder halböffentlichen Stellungen“ zum Inhalt hatte1043. Eine erneute Eingabe an den Sonderbeauftragten für Entnazifizierung in NordrheinWestfalen hatte schließlich die Aufhebung der Entscheidungen des Aachener Ausschusses und die Betrauung des Berufungsausschuss für den Stadtkreis Köln zur Folge1044. Dieser beschied Zimmerath mit Schreiben vom 5. Juli 1948 positiv und reihte ihn in Kategorie IV ohne Beschränkungen ein1045. In seiner Begründung verneinte der Kölner Ausschuss die Festellung der Ausschusskollegen aus Aachen, Zimmerath habe durch seine Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft „den Nationalsozialismus wesentlich gefördert oder gefestigt“1046. Nach Abschluss des Entnazifizierungsverfahrens stellte Zim1042  Einreihungsbescheid vom 13.10.1947, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Bd I, Bl. 302. 1043  LAV NRW R, HSA Pe 15279, Bd I, Bl. 315. 1044  Ebd., Bl. 332 rev. 1045  Ebd., Bl. 326, 327. 1046  Stellungnahme OStA R. aus Aachen betr. Wiedereinstellung Zimmeraths an den GStA Köln vom 14.9.1949, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Bd I, Bl. 351 rev. Die abschließende Einstufung beruhte sowohl auf teilweise falsch zugrundegelegten Tatsachenfeststellungen als auch auf fragwürdiger rechtlicher Würdigung durch den Aachener Unterausschuss: So wurde Zimmerath als Grund zur entsprechenden vorigen Kategorisierung bekanntgegeben, dass dieser von LOStA Führer in seinen Dienstlichen Beurteilungen stets als politisch zuverlässig eingestuft wurde, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Bd I, Bl. 284. Diese Beurteilung wurde jedoch auch sämtlichen anderen Staatsanwälten zuteil, die in Aachen für Sondergerichtssachen tätig gewesen waren. Darüber hinaus wurde Zimmerath vorgehalten, er sei sechs Wochen lang als Blockleiter tätig gewesen, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Bd I, Bl. 283 rev. Auch diese Feststellung kann selbst bei kumulativem Vorliegen mit der „politischen Zuverlässigkeit“ nicht als maßgebliches Kriterium der Einstufung in die Kategorie III gesehen werden, da mit Blick auf die Personalakten der übrigen Aachener Staatsanwälte auch diese zumindest zum Teil politisch aktiv gewesen waren. Auch in formeller Hinsicht war das Einreihungsverfahren, welches dem Ausgangsbescheid zugrunde lag, im Fall Zimmerath nicht ordnungsgemäß verlaufen. So erfolgte die Bekanntgabe der Verhandlung am Verhandlungstag selbst, sodass Zimmerath der Sitzung nicht beiwohnen konnte, Schreiben an den GStA vom 11.7.1946, LAV NRW



III. Weitere Entwicklung der Staatsanwaltschaft493

merath ein Gesuch auf Wiederaufnahme in den Justizdienst beim GStA Köln1047. Eine Beschäftigung bei der Staatsanwaltschaft Aachen kam indes nicht in Betracht, weil die vormalige Tätigkeit als Anklagevertreter für einen nachhaltigen Ruf im Bezirk gesorgt hatte, welcher „Angriffe auf ihn persönlich und auf die Justiz“ unvermeidbar gemacht hätte1048. Nach anfänglicher Aushilfsbesetzung bei der Staatsanwaltschaft Bonn wurde Zimmerath schließlich mit Wirkung vom 1. Februar 1951 erneut als Staatsanwalt in Köln tätig1049. Im Dezember 1955 wurde er schließlich zum EStA ernannt und nahm seine Tätigkeit erneut in Bonn auf1050, bis er zum September 1973 in den Ruhestand versetzt wurde1051. Gerhard Marx wurde im Rahmen der Vorgänge der Entnazifizierung in Kategorie IV eingestuft1052. Er arbeitete bereits ab dem 20. Dezember 1945 als Hilfsrichter beim AG Stolberg und ab dem 4. Januar 1946 als Hilfsrichter beim AG Eschweiler1053, bis er am 29. Januar 1946 von der Militärregierung in Aachen endgültig als Richter zugelassen wurde1054. Nach seiner R, HSA Pe 15279, Bd I, Bl. 283. Die erste Berufung vor der Ausgangsinstanz wurde von selbiger „einstimmig abgelehnt, da alle Gesichtspunkte eingehend gewürdigt wurden“, obwohl Zimmerath nachweislich die der Entscheidung zugrundegelegten Tatsachenfestellungen zum Teil widerlegte, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Bd I, Bl. 298. Anders als seine Kollegen hatte Zimmerath zudem das einzige Todesurteil gegen den hochrangigen Parteifunktionär Paul S. vertreten, welches er trotz anderweitiger parteilicher und behördlicher „Empfehlungen“ durchsetzte, siehe oben, S. 223. Diese Tatsache fiel jedoch für Heitzer weniger ins Gewicht als die grundsätzliche Untragbarkeit Zimmeraths, weil dieser „in Aachen neben StA Höher als der radikalste und rücksichtsloseste Verfechter nationalsozialistischer Anschauungen“ galt, siehe Schreiben des OStA Aachen Heitzer an den GStA Köln vom 6.8.1946, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Bd I, Bl. 302 rev. Diese Äußerung Heitzers wurde indes durch Zeugenaussagen und schriftliche Eingaben des RA Dr. Zorn, sowie der damaligen Vorsitzenden Sonderrichter Fritz und Howahrde widerlegt, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Bd I, Bl. 328, 328 rev. 1047  LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 170. 1048  Stellungnahme von OStA Dr. R. an den GStA Köln bzgl. Wiederaufnahme Zimmeraths in den Justizdienst vom 14.9.1949, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 176 rev. 1049  LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band II, Bl. 208. 1050  Verfügung durch den Justizminister Nordrhein-Westfalen vom 16.12.1955, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band IV, Bl. 26, sowie Erennungsurkunde vom 16.12.1955, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band IV, Bl. 27. 1051  Verfügung des Justizministers Nordrhein-Westfalen sowie Entlassungsurkunde vom 16.7.1973, LAV NRW R, HSA Pe 15279, Band IV, Bl. 160, 161. 1052  LAV NRW R, NW Pe 6765, Personalakte Justizministerium, Zeugnisheft, Bl. 8 rev. 1053  Ebd., Bl. nicht angegeben. 1054  Ebd.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

zwischenzeitlichen Ernennung zum Oberamtsgerichtsrat folgte schließlich die Beförderung zum Amtsgerichtsdirektor am AG Jülich im Juni 19611055. In dieser Position verblieb Marx bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand mit 31. Dezember 19711056. Venator wurde in Kategorie V eingestuft1057. Mit Kriegsende endete auch dessen Justiztätigkeit1058. In den Jahren 1946–1947 betätigte er sich zunächst in kaufmännischer Eigenschaft als Treuhänder einer Papiergroßhandlung und seit 1946 als Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter der Kölner Buch- und Graphikauktionen. Im Jahre 1949 stellte Venator erstmals beim Landesministerium der Justiz einen Antrag auf Wiedereinstellung in den Justizdienst1059. Er wurde schließlich mit Wirkung vom 5. April 1951 als Rechtsanwalt zugelassen und arbeitete als solcher bis zu seinem Ruhestand im Dezember 19801060. Nach Kriegsende wurde Wickmann als erster der Aachener Staatsanwälte wieder in den aktiven Dienst gestellt und arbeitete zunächst von August bis September 1945 als Hilfsarbeiter bei der Staatsanwaltschaft Aachen, bis er ab November 1946 wieder in den regulären staatsanwaltschaftlichen Dienst übernommen wurde1061. Im Juli 1947 wurde die Wiederzulassung als Staatsanwalt in Aachen durch die vorläufige Militärregierung, vertreten durch den Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen, offiziell bestätigt. Nachdem Wickmann zunächst in die Kategorie IV eingestuft worden war, folgte im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens die Ein1055  Der exakte Zeitpunkt dieser Beförderung kann nicht ermittelt werden, da die Beförderung nicht in der Rubrik „Dienstlaufbahn innerhalb des Personalbogens aufgeführt ist. Es ist aber eine dahingehende Bewerbung von Marx vom 26.9.1949 aktenkundig, siehe LAV NRW R, NW Pe 6765, Personalakte Justizministerium, Bewerbungsunterlagen Bl. 13. 1056  LAV NRW R, NW Pe 6765, Personalakte Justizministerium, Zeugnisheft, Bl. nicht angegeben. 1057  LAV NRW R, BR Pe 19560, Bl. 13 a). 1058  Lebenslauf Venators vom 9.1.1951, eingereicht betreffend einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, LAV NRW R, BR Pe 19560, Bl. 36. 1059  Ablehnende Verfügung des Generalstaatsanwalts Köln vom 18.10.1949, LAV NRW R, BR Pe 19560, Bl. 7, sowie endgültige Verfügung des GStA Köln vom 13.9.1950, LAV NRW R, BR Pe 19560, Bl. 14, 14 rev. 1060  Siehe zum Antrag LAV NRW R, BR Pe 19560, Bl. 28; Verfügung des Landesjustizministers Nordrhein-Westfalen durch den Oberlandesgerichtspräsidenten vom 5.4.1951, LAV NRW R, BR Pe 19560, Bl. 37, 38; der Zeitpunkt des Ruhestands ergibt sich aus einem Antrag auf Rücknahme der Rechtsanwaltszulassung aus Altersgründen vom 5.12.1980, LAV NRW R, BR Pe 19560, Bl. 47, sowie der Zulassungsrücknahme des OLG-Präsidenten Köln vom 19.12.1980, LAV NRW R, BR Pe 19560, Bl. 50. 1061  LAV NRW R, NW Pe 6190, Personalakte, Bl. 3.



III. Weitere Entwicklung der Staatsanwaltschaft495

reihung in Kategorie V1062, da sich herausstellte, dass Wickmann „erhebliche Differenzen mit der Partei hatte“1063. Im August 1952 wurde er zum EStA in Aachen befördert1064. Im Januar 1955 folgte die Ernennung zum Oberstaatsanwalt1065. Am 16. Dezember 1965 wurde er zum Vertreter des Leiters der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Aachen ernannt1066. Mit Ablauf des Jahres 1966 trat er schließlich in den Ruhestand1067. 3. Vorwürfe in der Nachkriegszeit In einem Schreiben an das Justizministerium Nordrhein-Westfalens, welches durch den Bundesminister der Justiz weitergeleitet wurde, erhob ein anonymer Absender Vorwürfe gegen Richter und Staatsanwälte, die beim Sondergericht Aachen tätig gewesen waren1068. Das Schreiben, welches am 1. Juni 1967 verfasst und an die Redaktion der Tageszeitung „Aachener Nachrichten“ gesendet worden war, kritisierte Beteiligungen an Todesurteilen und richtete sich gegen die seinerzeitigen Tätigkeiten des zwischenzeitlich zum Amtsgerichtsdirektor beförderten Dr. Marx sowie gegen OStA Wickmann1069. Im Rahmen einer später gebildeten Kommission, die sich der Aufarbeitung von Todesurteilen widmete, fand auch eine Prüfung der Tätigkeit EStA Ackermanns statt. Die Staatsanwaltschaft Berlin leitete im Jahre 1980 zudem ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes gegen StA Höher ein. Im Falle Marx konstatierte das Bundesjustizministerium: „Der Richter ist von 1939 bis Kriegsende als Staatsanwalt in Aachen tätig gewesen. Die RJM- und Hausakte enthalten keine Hinweise auf eine Tätigkeit als Anklagevertreter bei dem Sondergericht Aachen. In einer in RJMAkten befindlichen Personal- und Befähigungsnachweisung vom 28.7.1943 1062  Beschlussausfertigung des Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung im Land Nordrhein-Westfalen vom 12.6.1950, LAV NRW R, NW Pe 6190, Personalakte, Bl. 6. 1063  Ebd. So wurde er am 26.2.1935 wegen widersetzlichen Verhaltens – nach erteilten Uniformverbots – zur Bestrafung gemeldet, ebd. 1064  Ernennungsurkunde des Landesjustizministers Nordrhein-Westfalen vom 5.8.1952, LAV NRW R, NW Pe 6190, Personalakte, Bl. 10. 1065  Ebd., Bl. 17. 1066  Bestätigungsschreiben der GStA Köln an das RJM über den Vermerk der Beförderung vom 16.12.1965, LAV NRW R, NW Pe 6190, Personalakte, Bl. 38. 1067  Personalbogen, LAV NRW R, NW Pe 6190, Personalakte, Bl. nicht angegeben. 1068  Verfügung des Landesministers der Justiz zur Kenntnisnahme vom 8.11.1967, LAV NRW R, NW Pe 6765, Personalakte Justizministerium, Zeugnisheft, Bl. 37–41. Das Anschreiben sowie die Ablichtung des Briefes an die Redaktion der Aachener Nachrichten, worauf sich in der Verfügung bezogen wird, liegen nicht vor. 1069  Verfügung des Landesjustizministeriums zur Kenntnisnahme vom 8.11.1967, LAV NRW R, NW Pe 6190, Personalakte, Bl. 43–47.

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C. Die Ermittlungs-, Anklage-, Vollstreckungs- und Gnadenpraxis

(…) ist eine solche Tätigkeit nicht erwähnt. Bei den wiederholten Prüfungen von Todesurteilen des Sondergerichts Aachen im Hause ist der Richter nicht in Erscheinung getreten. Die Angaben des Einsenders sind zu pauschal, um Anlass zu Nachforschungen über die staatsanwaltschaftliche Tätigkeit des Richters zu geben“1070. Zu Wickmann äußerte sich das Bundesministerium der Justiz wie folgt: „Die Tätigkeit des Beamten bei dem Sondergericht Aachen ist hier bekannt und hat zu Maßnahmen keinen Anlass gegeben“1071. Tatsächlich wurde bereits 1960 in einer speziell gebildeten Kommission das Todesurteil gegen Josef K. durch den OLG-Präsidenten in Köln vorgelegt, der das Urteil – in welchem Wickmann als Sitzungsvertreter agiert hatte – als „prüfungsbedürftig“ ansah1072. Die Kommission beanstandete zwar die rechtliche Begründung, mit der das Gericht § 1 VVO entgegen der ständigen Rechtsprechung des RG angewendet hatte1073. Dennoch sah man keinen Grund zur Veranlassung weiterer Maßnahmen1074, da der Antrag Wickmanns auf die Verhängung der Todesstrafe hilfsweise auch aus § 4 VVO entnommen werden konnte, worauf das Sondergericht in der gleichnamigen Entscheidung auch hingewiesen hatte1075. Selbst die Kommission erachtete das „Schutzbedürfnis der Bombengeschädigten“ als derartig hoch, dass die „Anwendung der Höchststrafe nicht übermäßig hart“ erschien1076. Auch die Prüfung der Tätigkeit des EStA Ackermann durch die Kommission führte zu dem Ergebnis, dass zu dienstrechtlichen oder sonstigen Maßnahmen nach dem Stand der dortigen Erkenntnisse kein Anlass bestand1077. Im Jahre 1980 leitete die Staatsanwaltschaft bei dem LG Berlin im Zuge wiederaufgenommener Sammelverfahren gegen Richter, ehrenamtliche Richter und Staatsanwälte, die beim VGH tätig gewesen waren, ein Ermittlungsverfahren gegen StA Höher wegen Mordes ein1078. Dem Verfahren war die Anzeige eines Rechtsanwaltes 1070  LAV

Bl. 38.

NRW R, NW Pe 6765, Personalakte Justizministerium, Zeugnisheft,

1071  Verfügung Landesminister der Justiz vom 8.11.1967, LAV NRW R, NW Pe 6190, Personalakte, Bl. 46. 1072  Verfügung des Abteilungsleiters I im Landesjustizministerium vom 15.12.1960, LAV NRW R, NW Pe 6190, Personalakte, Bl. 29. 1073  LAV NRW R, NW Pe 6190, Personalakte, Bl. 30. 1074  Ebd., Bl. 31. 1075  Ebd., Bl. 30. 1076  Ebd. 1077  Verfügung Landesminister der Justiz vom 17.12.1960, LAV NRW R, NW Pe 3631, Personalakte Ackermann, Bl. 61. 1078  Anschreiben der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin an den Justizminister Nordrhein-Westfalen vom 30.7.1980, LAV NRW R, NW Pe 3711, Personalakte Justizministerium, Bl. 103. Die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Berlin wegen Mordes gegen Höher umfasst insgesamt drei Bände, 3 P



III. Weitere Entwicklung der Staatsanwaltschaft497

vorausgegangen, der unter Hinweis auf den Film „Verräter vor dem Volksgerichtshof“ Strafanzeige gegen sämtliche Richter und Anklagevertreter beim VGH gestellt hatte, die mit Verfahren mit anschließendem Todesurteil betraut gewesen waren1079. Nach den Recherchen der Staatsanwaltschaft Berlin war Höher an vier Verfahren vor dem VGH als Sitzungsvertreter beteiligt gewesen, durch welche vier Angeklagte zum Tode, zehn Angeklagte zu Freiheitsstrafen verurteilt sowie zwei weitere Angeklagte freigesprochen worden waren1080. Obwohl die Ermittlungsergebnisse ergaben, dass Höher in den entsprechenden Verfahren tatsächlich die Todesstrafe beantragt hatte, konnte dargelegt werde, dass der Antrag lediglich auf Weisung des ORA gestellt wurde1081, in der Beantragung der Todesstrafe keine niedrigen Beweggründe zu erkennen waren1082 oder das Urteil hinter dem gestellten Antrag zurückblieb1083. In den übrigen Verfahren entfiel der Vorwurf bereits aufgrund eines Mangels an Beweisen bezüglich einer Antragstellung zur Verhängung der Todesstrafe1084. Im Februar 1985 stellte die (K) Js 6/79; 3 (P) K Js 5/85, LAB, B Rep. 058, Nr. 6818–6820. Dabei stellt die Akte 6818 die eigentliche Ermittlungsakte dar, Akte 6819 ist ein Ermittlungssonderheft, welches die Personalakte Höhers in Kopie enthält und mit den entsprechenden Personalakten im LAV NRW R identisch ist. Die Akte 6820 enthält die Handakte der Staatsanwaltschaft. 1079  Auftrag des GStA bei dem Kammergericht Berlin vom 7.11.1979, LAB, B Rep. 058, Nr. 6818, Bl. 2, 3. 1080  Bericht des ermittelnden Staatsanwalts vom 11.2.1985, LAB, B Rep. 058, Nr. 6818, Bl. 210. Zu einem abweichenden Ergebnis gelangt Schwarberg, der feststellt, Höher habe „als Staatsanwalt beim ORA des Volksgerichtshofes in zahlreichen Fällen Todesurteile beantragt“ sowie an insgesamt „5 Todesurteilen“ mitgewirkt, siehe Schwarberg, Unrecht, in: Stern vom 15.4.1987, Nr. 17, Bl. 2, Ablichtung des Artikels im Anhang, Abbildung 32, S. 593. Tatsächlich führte der ermittelnde Staatsanwalt fünf Verfahren auf, von denen allerdings nur vier Urteile auf die Verhängung der Todesstrafe lauteten, siehe Ausführungen des Berichts zum Urteil des 2. Senats des VGH vom 5.12.1944, Urteil des 2. Senats des VGH vom 5.12.1944 (Anschlusssitzung vom gleichen Tag), Urteil des 1. Senats des VGH vom 14.12.1944 sowie Urteil des 1. Senats vom 2.2.1945, LAB, B Rep. 058, Nr. 6818, Bl. 212, 213, 214, 215. Eines dieser vier Urteile wurde im Gnadenwege zu einer Freiheitsstrafe umgewandelt, siehe Urteil des 2. Senats des VGH vom 5.12.1944, LAB, B Rep. 058, Nr. 6818, Bl. 213. Das fünfte Verfahren, an welchem Höher als Sitzungsvertreter beteiligt war, lautete auf Freiheitsstrafe, Urteil des 2. Senats des VGH vom 6.2.1945, LAB, B Rep. 058, Nr. 6818, Bl. 215. 1081  Urteil des 2. Senats des VGH vom 5.12.1944, LAB, B Rep. 058, Nr. 6818, Bl. 212. 1082  Ebd., Bl. 213 f. 1083  Urteil des 2. Senats des VGH vom 6.2.1945, LAB, B Rep. 058, Nr. 6818, Bl. 215. 1084  In diesen Fällen ist lediglich ein Urteilsabdruck überliefert und keine belastenden Sitzungsprotokolle oder Zeugenaussagen vorhanden, siehe Urteil des 1. Se-

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Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen Höher gemäß § 170 StPO ein1085.

nats des VGH vom 14.12.1944, LAB, B Rep. 058, Nr. 6818, Bl. 214; Urteil des 1. Senats vom 2.2.1945, LAB, B Rep. 058, Nr. 6818, Bl. 215. 1085  Bericht des ermittelnden Staatsanwalts an den Berliner Senator für Justiz vom 19.2.1985, LAB, B Rep. 058, Nr. 6820, Bl. 26. Anm. d. Verfassers: Die Darstellung des geschilderten Komplexes erfolgte stark verkürzt, da diese den Rahmen der Arbeit, gemessen an ihrem thematischen Schwerpunkt, sprengen würde. Dennoch sei gesagt, dass die Staatsanwaltschaft beim LG Berlin entgegen zynischer Vorhaltungen seitens eines Pressevertreters – jedenfalls soweit es die causa Höher betrifft – ihre Entscheidung der Einstellung des Verfahrens vertretbar begründete. Insbesondere orientierte sich die Ermittlungstätigkeit in dem Sammelverfahren gegen Angehörige des VGH an einem eigens hierfür erstellten 13-seitigen Gutachten, welches im Verfügungswege Bindungswirkung für die Staatsanwaltschaft beim LG Berlin entfaltete. So wurde unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie einschlägiger Gesetzeskommentierungen der Rahmen geschaffen für die Voraussetzungen, die eine Strafbarkeit von Staatsanwälten beim VGH wegen Mordes oder Beteiligung hieran begründen konnten, siehe Verfügung vom 18.2.1982, LAB, B Rep. 058, Nr. 6818, Bl. 41–47. Kritische Äußerungen im Zusammenhang mit dem geschilderten Verfahren erfolgten von einem Mitarbeiter des Stern, siehe Brief an die Staatsanwaltschaft vom 29.5.1987, LAB, B Rep. 058, Nr. 6818, Bl. 237.

D. Zusammenfassung Mit Blick auf die aufgeworfenen Forschungsfragen lässt sich das Ergebnis der Untersuchung folgendermaßen festhalten: Durch die Novellierung des materiellen Strafrechts und Strafprozessrechts wurde das normative Fundament für eine Machtsteigerung der Staatsanwaltschaft im nationalsozialistischen Justizverwaltungsgefüge geschaffen. Besonders die Abschaffung und Durchbrechung einzelner Prozessmaximen sowie die Neuschaffung rechtskraftdurchbrechender Instrumente führten dazu, dass das Machtpotential der Anklagebehörde eine abstrakte Steigerung erfuhr. Die konkrete Relevanz der Gesetzesänderungen, die sich anhand der lokalen Umsetzung der Staatsanwaltschaft Aachen ermitteln lässt, zeigt jedoch, dass gerade die Verwässerung der Prozessmaximen, insbesondere die Aufhebung des Analogieverbots, tatsächlich von untergeordneter Bedeutung waren. Von ungleich höherer Relevanz war die Schaffung der KriegswirtschaftsVO, der VolksschädlingsVO, des HG sowie der RundfunkVO, welche die Arbeit der Staatsanwaltschaft quantitativ und qualitativ bestimmten. Die Handhabung rechtskraftdurchbrechender Maßnahmen durch die Anklagebehörde offenbart, dass Nichtigkeitsbeschwerde und außerordentlicher Einspruch keineswegs unreflektiert als machtsteigernde Instrumente der Staatsanwaltschaft qualifiziert werden können. Die enge Korrespondenz mit dem RJM in Berlin – insbesondere in den gegenständlichen Verfahren – verdeutlicht, dass die Staatsanwaltschaft nicht originär Urteilskorrekturen beim Oberreichsanwalt anregte, sondern nur unter der Bedingung einer entsprechenden Weisung agierte. Unabhängig vom geäußerten Willen des Behördenleiters, ein Sondergerichtsurteil im Einzelfall nicht aufrecht erhalten zu wollen, stellt sich der Verfahrensablauf bei Nichtigkeitsbeschwerden und dem außerordentlichen Einspruch als Musterbeispiel einer politischen Instrumentalisierung der Staatsanwaltschaft dar. Denn die Anklagebehörde wurde je nach autokrater Entscheidung der vorgesetzten Dienstbehörden angewiesen, beim ORA eine Maßnahme anzuregen oder hiervon abzusehen. Eine eigene Ermessensprärogative bestand für die lokale Anklagebehörde insoweit nicht. Die von den Machthabern intendierte und auf Reichsebene erfolgreich umgesetzte Besetzung von Beamtenposten in der Justiz mit Parteigenossen setzte sich auch am Standort Aachen fort. Von personellen Auswechslungen, die BerufsbeamtenG und ReichsbürgerG ermöglichten, waren die Aachener

500

D. Zusammenfassung

Sachbearbeiter aufgrund der ausnahmslosen Erbringung des Nachweises arischer Abstammung nicht betroffen. Sämtliche Sachbearbeiter, sowie der Behördenleiter und sein Stellvertreter, waren Mitglieder in der NSDAP und ihren verschiedenen Untergliederungen, wobei das Ausmaß formal dokumentierter Ausübung politischer Aktivität divergiert. Damit ist festzuhalten, dass sich das Personal zumindest formal als politisch linientreu qualifizieren lässt. Für die Beantwortung der Frage tatsächlicher personeller Linientreue sind die Anwendungsmodalitäten der Tatbestände des Kriegsstrafrechts heranzuziehen, insbesondere durch eine Auswertung der Höhe des jeweils durchschnittlich beantragten Strafmaßes durch den jeweiligen Sachbearbeiter. Je höher dieses ausfällt, desto eher ist von einer extensiven und damit linientreuen Umsetzung auszugehen. Besonders bei LOStA Führer, EStA Ackermann und den StA Höher und Zimmerath sind signifikante Strafmaßvorstellungen zu verzeichnen, sodass bei diesen Personen – bezogen auf die einschlägigen Deliktsgruppen – durchaus von einer politischen Selbstinstrumentalisierung gesprochen werden kann. Der Umstand eigener Instrumentalisierung ergibt sich in diesem Zusammenhang aus der Erwägung, dass konkrete überbehördliche Weisungen zur Stellung konkreter Strafanträge nur ausnahmsweise dokumentiert sind. Die Selbstinstrumentalisierung hatte jedoch ihre Grenzen dort, wo Staatsinteressen – wenn auch nationalsozialistisch konnotiert – mit Parteiinteressen kollidierten. Dies wird insbesondere deutlich anhand des Fallbeispiels des Ortsgruppenleiters Paul S. Andererseits zeigt die causa des Kreisleiters Sch., dass sich die Staatsanwaltschaft unbedingten überbehördlichen „Wünschen“ einer privilegierten Behandlung von führenden regionalen Parteimitgliedern nicht zu widersetzen vermochte. Insgesamt stellt sich die Anklagebehörde hinsichtlich ihrer personellen Aufstellung damit als Behörde dar, die sich vor allem durch die unkritische Umsetzung nationalsozialistischen, materiellen Strafrechts sowie im Ausnahmefall nach dahingehender behördlicher Anweisung politisch lenken ließ. Durch Vereinigung der sachlichen Zuständigkeit für die gesamte Strafgesetzgebung sowie die Strafrechtspflege war das RJM die zentrale Instanz zur Lenkung des reichsweiten strafrechtlichen Geschehens. Flankiert wurde diese Allzuständigkeit durch die Installierung zusätzlicher Lenkungsmechanismen, die den ministeriellen Informationsfluss durch Berichte der nachgeordneten Behörden gewährleisten sollte. Hier zeigt sich, dass die Staatsanwaltschaft Aachen den ihr obliegenden Pflichten zur Erstattung politischer Lageberichte und Berichten in laufenden Verfahren vorschriftsmäßig nachkam. Allerdings wirkten die Berichtspflichten lediglich als antizipierte Instrumente, da sie die Grundlage weiterer potentieller Einzelweisungen bildeten und somit in erster Linie eine verwaltungsmäßige Obliegenheit darstellten. Konkrete Einzelweisungen erfolgten dagegen in lediglich 2,2 % aller



D. Zusammenfassung501

überlieferten Verfahren, was beweist, dass der Staatsanwaltschaft Aachen ein hohes Maß an Selbstständigkeit im Rahmen ihrer Anklagetätigkeit verblieb. Sie war damit in der Mehrzahl aller dokumentierten Verfahren nicht fremdgesteuerte Lenkungsinstanz, sondern – wenn auch im Rahmen einer Einbettung in ein nationalsozialistisches Justizverwaltungsgefüge und nationalsozialistisches Strafrecht – weitgehend autonom. Die Rolle der Generalstaatsanwaltschaft, der keine originären Lenkungsmechanismen zustanden, erschöpfte sich im Verhältnis zur Staatsanwaltschaft bis auf wenige Einzelweisungen in der Funktion einer notwendigen Durchgangsbehörde für die Korrespondenz zwischen Aachen und Berlin. Soweit jedoch RMJ Thierack bzw. GStA Rahmel konkret von ihrer dienstrechtlichen Stellung durch Anweisungen Gebrauch machten, wurden diese jedenfalls von der Staatsanwaltschaft weitestgehend umgesetzt. Das abstrakte Machtpotential beider Personen bzw. Behörden manifestierte sich besonders plastisch in der Sonderbehandlung des Paul S. im Rahmen der Vollstreckung der Todesstrafe sowie der Versetzung Zimmeraths nach Prag. Die Ermittlungs- und Anklagepraxis offenbart eine extensive Auslegung von Tatbestandsmerkmalen, die sich auf die Gesamtheit der untersuchten Deliktsgruppen des Kriegsstrafrechts – die 87,1 % der überlieferten Verfahrensanzahl ausmachen – erstrecken. Dass die Staatsanwaltschaft hierbei offensichtlich in dem Selbstverständnis agierte, sich einer normkonformen Auslegung zu bedienen, belegt der weitgehende Nichtgebrauch von § 2 StGB, der im Wege der Analogie hilfsweise jeder Auslegung den Schein der Rechtmäßigkeit verliehen hätte. Soweit eine extensive Auslegung aufgrund konkreter Tatumstände nicht mehr möglich war, ging die Behörde wiederholt dazu über, Tatbestandsmerkmale zu unterstellen, ohne deren Existenz darlegen oder gar beweisen zu können, was insbesondere im Rahmen der VVO zu prüfenden „Verdunkelungsmaßnahmen“ wiederholt der Fall war. Vom Gesetzgeber oder der Rechtsprechung im Einzelfall vorgesehene Korrektive, die eine uferlose Anwendung der VVO verhindern sollten – wie die Tätertypenlehre und die Verwerflichkeitsklausel – wurden mehrheitlich durch die Anklagebehörde ignoriert. Nur vereinzelt offenbarte sie Verfahrenspraktiken, die sich gegenläufig zu dem grundsätzlich extensiven Arbeitscharakter erwiesen, etwa indem Gutachten externer Stellen herangezogen wurden, die Aufschluss über das Vorliegen eines strafbewährten Tatbestandes geben sollten. Insgesamt gilt auch für die gesamte Ermittlungs- und Anklagepraxis, dass die Staatsanwaltschaft Aachen eine extensive Arbeitspraxis grundsätzlich nicht auf fremdbehördliches Geheiß ausführte, sondern innerhalb eines ihr zugestandenen Spielraumes eigenverantwortlich vornahm, was dem bereits erwähnten Ergebnis einer Selbstinstrumentalisierung zusätzlichen Vorschub leistet. Betrachtet man die empirische Gegenüberstellung von beantragtem und verhängtem Strafmaß mit Ausnahme der

502

D. Zusammenfassung

Zuchthausstrafen im Rahmen von KrWVO-Verfahren sowie der Strafen aufgrund der RundfunkVO, so ergibt sich eine durchschnittliche Diskrepanz zwischen beiden Faktoren von durchschnittlich 2,6 Monaten. Dies lässt den Schluss zu, dass die Staatsanwaltschaft bei der Umsetzung ihrer Strafmaßvorstellungen durchaus erfolgreich war, insbesondere, wenn man mit Schünemann davon ausgeht, dass das Sondergericht regelmäßig hinter den Strafmaßvorstellungen der Staatsanwaltschaft zurückblieb, um seine Unabhängigkeit zu manifestieren1. Die Betrachtung der Ermittlungs- und Anklagepraxis im Lichte unterschiedlicher Personengruppen offenbart eine echte Privilegierung von führenden politischen Persönlichkeiten auf regionaler Ebene. Diese Privilegierungen erfolgten, sofern die Staatsanwaltschaft Aachen als Behörde unmittelbar involviert war, ausnahmslos auf fremdbehördliche Weisung, sodass in diesen Fällen eine reine Werkzeugfunktion erfüllt wurde und insoweit eine klassische Konstellation politischer Instrumentalisierung vorliegt. Soweit die Anklagebehörde ohne die Einschaltung vorgesetzter Dienstbehörden gegen Mitglieder der NSDAP tätig wurde, entfaltet die reine Parteizugehörigkeit keine privilegierende Wirkung. Auch die statistische Gegenüberstellung beantragten Strafmaßes zu anderen Personengruppen vermag den Schluss auf eine intendierte systematische Besserstellung von NSDAP-Mitgliedern nicht zu rechtfertigen. Entsprechend lässt sich – was aufgrund des Prinzips der Volksgemeinschaft und der Rassenideologie zu vermuten wäre – eine Benachteiligung ausländischer Beschuldigter bzw. Angeklagter empirisch nicht nachweisen. Diskriminierende Verfahrenspraktiken gegenüber ausländischen Personen zeigen sich jedoch im Rahmen strafrechtlicher Verwaltungspraxis, indem etwa Verfahrensabtrennungen vorgenommen wurden, um eine gemeinsame Verhandlung mit „arischen“ Angeklagten zu verhindern oder die Überstellung an andere Stellen aus der Untersuchungshaft heraus erfolgte, selbst wenn sich ein Tatverdacht nicht weiter aufrechterhalten ließ. Wie in allen übrigen Stadien des Strafverfahrens hielt sich die Staatsanwaltschaft auch im Rahmen der Ermittlungs- und Anklagepraxis an die akribische Einhaltung strafrechtlicher Verwaltungsvorschriften, indem etwa im Rahmen von Verstößen gegen das HG die Anordnung zur weiteren Strafverfolgung durch das RJM eingeholt, im Rahmen der RundfunkVO ein Antrag der Gestapo zur weiteren Strafverfolgung abgewartet wurde oder Berichterstattung an den ORA erfolgte, wenn die Wahrscheinlichkeit einer begangenen Wehrkraftzersetzung möglich schien. Sämtliche Ergebnisse der Ermittlungs- und Anklagepraxis setzen sich bei den Verfahren mit anschließendem Todesurteil entsprechend fort. 1  Schünemann, Hypothesen, in: Kaiser/Kury/Albrecht, Kriminologische Forschung, S. 267.



D. Zusammenfassung503

Einstellungs- und Freisprechungspraxis folgten entsprechend der überlieferten Aktenlage keiner personenbezogenen oder sonstigen politisch motivierten, inneren Systematik, sodass für diesen Bereich eine politische Instrumentalisierung zwingend verneint werden muss. Im Rahmen von Vollstreckungs- und Gnadenpraxis kam der Staatsanwaltschaft innerhalb ihres Gerichtssprengels die tragende und entscheidende Rolle zu. Auch hier kristallisiert sich – von einer dokumentierten Ausnahme abgesehen – die Einhaltung strafrechtlicher Verwaltungsvorschriften heraus. Dabei setzte die Behörde die im Rahmen ministerieller Verfügungen geforderten Maßnahmen, wie etwa wohlwollende Gnadenpraxis bei kriegsgeschädigten Personen und in der Landwirtschaft tätigen Menschen, um. Eine politische Instrumentalisierung scheidet jedoch auf diesem Gebiet mangels Weisungen mit politischem Charakter aus. Sofern normkonkretisierende oder vom Gesetz abweichende Verfügungen ergingen, trugen diese, soweit dokumentiert, ausschließlich kriegsbedingten Umständen und der Aufrechterhaltung der Ernährungswirtschaft Rechnung. Insgesamt stellt sich die Staatsanwaltschaft Aachen damit als Behörde dar, die weitestgehend frei von konkreten überbehördlichen Weisungen agieren konnte. Innerhalb dieser ihr gewährten „Freiheit“ zeichnete sich ihre Arbeitspraxis durch eine strikte Einhaltung strafrechtlicher Verwaltungsvorschriften sowie einer extensiv orientierten und unreflektierten Anwendung materiellen Strafrechts aus. Insoweit lässt sich, insbesondere mit Blick auf das bisweilen geforderte Strafmaß und einen Teil des beschäftigten Personals durchaus von einer politischen Selbstinstrumentalisierung sprechen. Soweit eine Einflussnahme vorgesetzter Dienstbehörden ausblieb, zeigt sich, dass die Staatsanwaltschaft Aachen die Grenze dieser politischen Selbstinstrumentalisierung dort zog, wo die Interessen der Staatsverwaltung mit Parteiinteressen kollidierten. Soweit jedoch überbehördliche Einzelweisungen erfolgten, offenbart sich ein intaktes hierarchisches Machtgefüge, in welchem die Anklagebehörde den Wünschen der vorgesetzten Dienstbehörde nachzukommen hatte und grundsätzlich auch nachkam. Die reine Werkzeugfunktion, welche die Behörde bei der Ausführung fremdbehördlichen Willens einnahm, schlägt sich im Rahmen der außerordentlichen Rechtsbehelfe, sowie in Einzelverfahren gegen führende regionale Parteipersönlichkeiten, nieder.

Anhang Tabelle 23 Verfahrensverteilung über die Jahre 1941-1945 nach Vergehen und Verbrechen S Ms (Vergehen)

S Ls (Verbrechen)

Gesamt

1941

53 7,8 %

74 10,9 %

127 18,7 %

1942

34 5 %

164 24,1 %

198 29,1 %

1943

38 5,6 %

151 22,2 %

189 27,8 %

1944

22 3,2 %

99 14,6 %

121 17,8 %

1945

0 0 %

51 0,7

5 0,7 % 402 5,9 %

keine Angabe Gesamt

147 21,6 %

493 72,5 %

680 100 %

1  Hierunter wurde in einem Fall eine Signatur aus dem Jahr 1946 subsumiert. Ob es sich bei der Anlegung um ein redaktionelles Versehen gehandelt hatte, kann nicht geklärt werden. Da jedoch das Sondergericht zu diesem Zeitpunkt nicht mehr existierte, wurde das Verfahren hilfsweise zu den Verbrechen des Jahres 1945 addiert. 2  Unter die nichtüberlieferten Verfahrenssignaturen wurden sowohl Verfahren subsumiert, deren Signatur gänzlich fehlte, als auch solche, die nur die Ermittlungssignatur trugen. Da letztere nicht zwischen ordentlichen Strafsachen und Sondergerichtssachen unterschied, und auch die Jahreszahl nicht notwendigerweise mit der ab Rechtshängigkeit angelegten Sondergerichtssignatur übereinstimmte, wurden auch diese Verfahren im Sinne der Einheitlichkeit und zum Ausschluss von Spekulationen sämtlich unter die Rubrik „keine Angabe“ subsumiert.

Anhang505 30

25

Prozentpunkte

20

15

Vergehen in % Verbrechen in %

10

5

0

Jahr 1941

Jahr 1942

Jahr 1943

Jahr 1944

Jahr 1945

Geschäftsjahr

Abbildung 7: Diagramm zur Verfahrensverteilung des Sondergerichts Aachen über die Jahre 1941–1945 in %, differenziert nach Vergehen und Verbrechen3

Tabelle 24 Gesamtverteilung der einzelnen Delikte nach Anzahl und Prozentpunkten Deliktsgruppe

Delikt

Anzahl

Prozent zahl

Beleidigung gemäß §§ 134 a, b StGB

  7

  1,00 %

§ 130 a StGB

  1

  0,20 %

Verstoß gegen Heimtückegesetz

133

19,60 %

Anzahl gesamt

Prozentzahl

141

20,70 %

Äußerungsdelikte

(Fortsetzung nächste Seite)

3  Die Verfahren ohne Signaturangabe wurden in dieser Abbildung nicht berücksichtigt.

506 Anhang (Fortsetzung Tabelle 24) Deliktsgruppe

Delikt

Anzahl

Prozent zahl

 37

  5,40 %

Anzahl gesamt

Prozentzahl

 37

  5,40 %

 16

  2,40 %

272

40,00 %

155

22,80 %

 31

  4,60 %

Delikte gegen RundfunkVO Verstoß gegen RundfunkVO

Delikte gegen WehrkraftVO Verstoß gegen WehrkraftVO

 16

  2,40 %

(Kriegs-)Wirtschaftsdelikte Verstoß gegen KrWVO

267

39,30 %

VerbrauchsregelungsStrafVO

  3

  0,40 %

Preiswucher

  1

  0,20 %

Nichtanmeldung jüd. Vermögens

  1

  0,20 %

Delikte gegen die VVO Verstoß gegen die VVO

155

22,80 %

Sonstige (politische) Straftaten Verstoß gegen KSSVO

 30

  4,40 %

Landesverrat

  1

  0,20 %

Anhang507 Deliktsgruppe

Delikt

Anzahl

Prozent zahl

Abtreibung

  2

  0,30 %

ErweiterungsVO

  1

  0,20 %

Begünstigung

  1

  0,20 %

Betrug

  3

  0,40 %

Diebstahl

11

  1,60 %

Illegaler Grenz­ übertritt

  1

  0,20 %

Fernbleiben vom Arbeitsplatz

  1

  0,20 %

Körperverletzung

 1

  0,20 %

Mord

  1

  0,20 %

Störung des Arbeitsablaufs

  1

  0,20 %

§ 189 StGB

  1

  0,20 %

§ 330 a StGB

  2

  0,30 %

AutofallenG4

  1

  0,20 %

GewaltverbrecherVO5

  1

  0,20 %

Anzahl gesamt

Prozentzahl

 28

  4,10 %

680

100,00 %

Allgemeine Straftaten

Gesamt

680

100,00 %

4  Gesetz gegen Straßenraub mittels Autofallen von 22.6.1938, RGBl. 1938 I, S. 651. 5  RGBl. 1938 I, S. 651.

508 Anhang

Äußerungsdelikte Delikte gegen RundfunkVO Delikte gegen WehrkraftVO (Kriegs-) Wirtschaftsdelikte Delikte gegen die VVO Sonstige (politische) Straftaten Allgemeine Straftaten

Abbildung 8: Diagramm zur prozentualen Verhältnisverteilung der jeweiligen Deliktsgruppen6

Tabelle 25 NS-Verfahrenssignaturen mit jeweils höchster fortlaufender Nummer pro Jahr, unterteilt in Vergehen und Verbrechen Jahr

Vergehen

Verbrechen

1941

S Ms 58-41

S Ls 139-41

1942

S Ms 35-42

S Ls 246-42

1943

S Ms 43-43

S Ls 262-43

1944

S Ms 29-44

S Ls 138-44

1945



S Ls 17-45

165

802

Gesamt: (967)

6  Die relative Dominanz der KrWVO-Delikte stellte offenbar keine Ausnahme dar. Für das Sondergericht Köln gibt Zierenberg an, dass in der Kriegszeit von ca. 4.000 überlieferten Fällen 510 Verfahren Verstöße gegen die KrWVO zum Gegenstand hatten und der Anstieg der KrWVO-Delikte besonders im Jahr 1941 mit einer drastischen Kürzung der Fleischrationen im Sommer des gleichen Jahres zusammenhing, was einem überregionalen Trend entspreche, Zierenberg, Kriminelle Alltage, S. 118.

Anhang509 Tabelle 26 Eingelegte Nichtigkeitsbeschwerden beim dritten Strafsenat des Reichsgerichts aus der Sphäre der StA Aachen ID

Signatur NS

Delikt

485

S Ls 17-42

§ 4 VVO

213

S Ls 98-43

§ 4 VVO

269

S Ls 223-43

§ 4 VVO

339

S Ls 71-41

Schwarzschlachtung, § 1 Abs. 1 KrWVO

352

S Ms 31-42

Staatsfeindliche Äußerungen, § 1 HG

410

S Ls 87-43

Schwarzschlachtung § 1 Abs. 1 KrWVO

444

S Ls 217-43

§ 4 VVO

614

S Ls 42-41

Schwarzhandel, § 1 Abs. 1 KrWVO

676

S Ls 133-42

Verbotener Umgang mit Kriegsgefangenen, § 5 Abs. 1 Nr. 3 KriegssonderstrafrechtsVO

684

S Ls 171-43

Unterschlagung und Verwendung gefälschter Fleischmarken, § 1 Abs, 2 KrWVO

Tabelle 27 Synopse der Strafen im Ausgangsverfahren und Korrekturverfahren von erfolgreich eingelegten Nichtigkeitsbeschwerden Fall (Verfahrenssignatur)

Strafen Ausgangsverfahren

Urteilskorrektur

S Ls 223-43

20 Monate Gefängnis

nicht mehr neu verhandelt worden.

S Ls 71-41

5 Jahre Zuchthaus

8 Jahre Zuchthaus

42 Monate Zuchthaus

7 Jahre Zuchthaus

42 Monate Zuchthaus

7 Jahre Zuchthaus

3 Jahre Zuchthaus

6 Jahre Zuchthaus

30 Monate Zuchthaus

4 Jahre Zuchthaus

S Ms 31-42

6 Monate Gefängnis

12 Monate Gefängnis

S Ls 87-43

51 Monate Zuchthaus

60 Monate Zuchthaus (Fortsetzung nächste Seite)

510 Anhang (Fortsetzung Tabelle 27) Fall (Verfahrenssignatur)

Strafen Ausgangsverfahren

Urteilskorrektur

S Ls 217-43

10 Monate Gefängnis

12 Monate Zuchthaus

S Ls 42-41

Geldstrafe

10 Wochen Gefängnis

Geldstrafe

10 Wochen Gefängnis

Geldstrafe

10 Wochen Gefängnis

S Ls 133-42

15 Monate Gefängnis

20 Monate Zuchthaus

S Ls 171-43

Geldstrafe

8 Monate Gefängnis

Tabelle 28 Sondergerichtsverfahren, in denen das Gerichtsurteil vom beantragten Strafmaß zuungunsten der Angeklagten abwich7 NS-Signatur

Delikt

Strafantrag Staatsanwaltschaft

Urteil

Sitzungsvertreter

Richter

Angeklagte/-r Mitglied der NSDAP

S Ls 34-44

§ 2 VVO

42 Monate Zuchthaus

4 Jahre Zuchthaus

Höher

Noessel



S Ls 100-43

§ 4 VVO

4 Jahre Zuchthaus; 3 Jahre Zuchthaus

5 Jahre Zuchthaus; 4 Jahre Zuchthaus

Zimmerath

Fritz



S Ls 11-43

§ 1 Abs. 1 KrWVO

5 Monate Gefängnis

6 Monate Gefängnis

Zimmerath

Küster



S Ls 252-43

§ 1 Abs. 1 KrWVO

18 Monate Gefängnis

22 Monate Gefängnis

Marx

Noessel



S Ls 120-43

§ 1 Abs. 1 KrWVO

10 Monate Gefängnis

1 Jahr Gefängnis

Marx

Küster



7  Sofern die nachfolgenden Verfahren eine Mehrzahl an Angeklagten enthielten, wurde die Darstellung der Relation und Strafmaß auf denjenigen Personenkreis beschränkt, bei dem der Urteilsspruch ungünstig vom Antrag der Staatsanwaltschaft abwich.

Anhang511 NS-Signatur

Delikt

Strafantrag Staatsanwaltschaft

Urteil

Sitzungsvertreter

Richter

Angeklagte/-r Mitglied der NSDAP

S Ls 122-43

§ 1 Abs. 1 KrWVO

1 Jahr Gefängnis; 8 Monate Gefängnis

15 Monate Gefängnis; 9 Monate Gefängnis

Zimmerath

Küster



S Ls 142-43

§ 1 Abs. 1 KrWVO

4 Monate Gefängnis; 4 Monate Gefängnis

6 Monate Gefängnis; 6 Monate Gefängnis

Zimmerath

Fritz



S Ls 50-44

§ 4 VVO

1 Jahr Zuchthaus; 21 Monate Zuchthaus

15 Monate Zuchthaus; 24 Monate Zuchthaus

Kuhnert8

Schwengers

S Ls 224-43

§ 4 VVO

4 Jahre Zuchthaus und Geldstrafe

5 Jahre Zuchthaus und Geldstrafe

Zimmerath

Küster



S Ls 213-43

§ 4 VVO

Freisprechung 1 Monat Gefängnis

Ackermann

Howahrde



S Ls 253-43

§ 4 VVO

10 Monate Gefängnis

12 Monate Gefängnis

Marx

Howahrde



S Ls 17-42

§ 4 VVO

4 Monate Gefängnis

6 Monate Gefängnis und 200 RM Geldstrafe

Zimmerath

Howahrde

+

S Ls 117-42

§ 1 Abs. 1 KrWVO

Geldstrafe 150 RM

6 Wochen Gefängnis

Höher

Wilbert



S Ls 76-42

§ 1 Abs. 1 KrWVO

6 Monate Gefängnis

8 Monate Gefängnis

Höher

Howahrde



k. A.

(Fortsetzung nächste Seite)

8  In diesem Verfahren übernahm die Sitzungsvertretung der am Landgericht Aachen beschäftigte LGR Kuhnert. Die Sitzungsvertretung durch nicht bei der Staatsanwaltschaft Aachen beschäftigtes Personal war die Ausnahme. Ursächlich für eine solche Praxis waren mit einiger Wahrscheinlichkeit kurzfristige personelle Engpässe bei der Staatsanwaltschaft, während die Prämisse größtmöglicher Beschleunigung sondergerichtlicher Verfahren bestehen blieb.

512 Anhang NS-Signatur

Delikt

Strafantrag Staatsanwaltschaft

Urteil

Sitzungsvertreter

Richter

S Ls 88-42

§ 1 Abs. 1 KrWVO

14 Monate Gefängnis; 12 Monate Gefängnis

15 Monate Gefängnis; 19 Monate Gefängnis

Führer

Howahrde

S Ls 234-42

§ 4 VVO

3 Jahre Zuchthaus

4 Jahre Zuchthaus

Wickmann

Losenhausen

+

S Ls 66-42

§ 1 Abs. 1 KrWVO

6 Monate Gefängnis

8 Monate Gefängnis

Zimmerath

van Wersch

+

S Ls 200-42

§ 1 Abs. 1 KrWVO

12 Monate Gefängnis; 7 Monate Gefängnis

19 Monate Gefängnis; 9 Monate Gefängnis

Höher

k. A.9

S Ls 178-42

§ 1 Abs. 1 KrWVO

18 Monate Gefängnis; 9 Monate Gefängnis

21 Monate Zuchthaus; 12 Monate Gefängnis

Zimmerath

Howahrde



S Ls 43-41

§ 4 VVO

3 Monate Gefängnis

5 Monate Gefängnis

Höher

Hoffmann

k. A.

S Ls 40-41

§ 1 Abs. 1 KrWVO

Einstellung des Verfahrens nach § 153 StPO

Geldstrafe

Höher

Hoffmann

k. A.

S Ls 42-41

§ 1 Abs. 1 KrWVO

8 Wochen Gefängnis

10 Wochen Wickmann Gefängnis

van Wersch

Angeklagte/-r Mitglied der NSDAP k. A.

k. A.

+

9  Die Akten geben ausnahmsweise keinen Aufschluss über den Vorsitzenden Richter.

Anhang513 Tabelle 29 Durchschnittliche Strafhöhe verhängter Freiheitsstrafen, dargestellt anhand der Deliktsgruppen10 Deliktsgruppe

Anzahl verhängter Freiheitsstrafen11

Summe verhängter Freiheitsstrafen in Monaten12

Durchschnittswert in Monaten

VVO

252

6691,5

26,6

KrWVO

456

6038

13,2

Heimtückegesetz

102

 903

 8,9

RundfunkVO

 39

 622

16

10  Die nachfolgende Darstellung unterscheidet mangels inhaltlichen Erfordernisses und zum Zwecke der Übersichtlichkeit nicht zwischen Gefängnis- und Zuchthausstrafen. Freisprüche, Verfahrenseinstellungen, Geldstrafen, Todesurteile, Strafen nichtiger Urteile aufgrund Nichtigkeitsbeschwerde und außerordentlichem Einspruch sowie Strafen von Verfahren mit unbekanntem Ausgang sind nicht berücksichtigt. Eine Aufschlüsselung nach Gefängnis- und Zuchthausstrafen im Rahmen der jeweiligen Deliktsgruppen befindet sich im Anhang, Tabellen 46–49, S. 536; 537; 538; 539. 11  Die Ermittlung der Anzahl aller verhängten Freiheitsstrafen erfolgte unter Zugrundelegung der Freiheitsstrafen gegen sämtliche Angeklagte. Da einzelne Sondergerichtsverfahren teilweise eine Mehrzahl von Angeklagten beinhalteten bzw. in einigen Verfahren das Strafmaß nicht ersichtlich war, weicht die nachfolgende Angabe notwendigerweise von der jeweiligen Verfahrensanzahl ab. 12  Die Summierung verhängter Freiheitsstrafen ist nach Monaten aufgeschlüsselt.

514 Anhang Tabelle 30 Durchschnittliche Höhe beantragter Freiheitsstrafen durch StA Höher nach Deliktsgruppen13 Deliktsgruppe

Anzahl beantragter Summe beantragter Freiheitsstrafen14 Freiheitsstrafen in Monaten15

Durchschnittswert in Monaten

VVO

65

2129

32,8

KrWVO

132

1855

14,1

Heimtückegesetz

 45

 421

 9,4

RundfunkVO

 10

 217

21,7

Tabelle 31 Heimtückeverfahren bei Sitzungsvertretung durch StA Höher, deren Urteile antragsgemäß ergingen16 Jahreszahl

Urteil/Tenor

1941

Geldstrafe

1944

9 Monate Gefängnis

1941

3 Monate Gefängnis

13  Die nachfolgende Darstellung unterscheidet mangels inhaltlichen Erfordernisses und zum Zwecke der Übersichtlichkeit nicht zwischen Gefängnis- und Zuchthausstrafen. Freisprüche, Verfahrenseinstellungen, Geldstrafen, Todesurteile, Strafen nichtiger Urteile aufgrund Nichtigkeitsbeschwerde und außerordentlichem Einspruch sowie Strafen von Verfahren mit unbekanntem Ausgang sind nicht berücksichtigt. Eine personenbezogene Aufschlüsselung nach Gefängnis- und Zuchthausstrafen im Rahmen der jeweiligen Deliktsgruppen befindet sich im Anhang, Tabellen 46–49, S. 536; 537; 538; 539. 14  Die Ermittlung der Anzahl aller verhängten Freiheitsstrafen erfolgte unter Zugrundelegung der Freiheitsstrafen gegen sämtliche Angeklagte. Da einzelne Sondergerichtsverfahren teilweise eine Mehrzahl von Angeklagten beinhalteten bzw. in einigen Verfahren das Strafmaß nicht ersichtlich war, weicht die nachfolgende Angabe notwendigerweise von der jeweiligen Verfahrensanzahl ab. 15  Die Summierung verhängter Freiheitsstrafen ist nach Monaten aufgeschlüsselt. 16  Sofern die nachfolgenden Verfahren eine Mehrzahl an Angeklagten enthielten, wurde die Darstellung auf denjenigen Personenkreis beschränkt, bei dem das Urteil antragsgemäß erging. Über dem durchschnittlichen Strafmaß liegende Urteile sind unterlegt.

Anhang515 Jahreszahl

Urteil/Tenor

1941

2 Monate Gefängnis

1941

12 Monate Gefängnis

1942

Freispruch

1943

36 Monate Gefängnis

Tabelle 32 Verstöße gegen die KrWVO bei Sitzungsvertretung durch StA Höher, deren Urteile antragsgemäß ergingen17 Jahreszahl

Urteil/Tenor

1943

Geldstrafe

1943

Freispruch

1944

6 Monate Gefängnis

1944

6 Monate Gefängnis

1943

8 Monate Gefängnis

1943

5 Monate Gefängnis

1943

12 Monate Gefängnis 12 Monate Gefängnis 3 Monate Gefängnis

1943

6 Monate Gefängnis

1943

3 Monate Gefängnis

1942

15 Monate Gefängnis 15 Monate Gefängnis Geldstrafe

1942

1 Monat Gefängnis

1942

18 Monate Gefängnis

1942

8 Monate Gefängnis (Fortsetzung nächste Seite)

17  s. o.

516 Anhang (Fortsetzung Tabelle 32) Jahreszahl

Urteil/Tenor

1942

5 Monate Gefängnis

1942

15 Monate Gefängnis

1942

36 Monate Zuchthaus Freispruch

1942

12 Monate Gefängnis

1942

30 Monate Zuchthaus

1941

6 Monate Gefängnis

1941

Freispruch Freispruch

1941

12 Monate Gefängnis

1941

6 Monate Gefängnis

1943

12 Monate Gefängnis

1942

Freispruch

1942

12 Monate Gefängnis 12 Monate Gefängnis 6 Wochen Gefängnis

1942

6 Monate Gefängnis 3 Monate Gefängnis 3 Monate Gefängnis

1942

9 Monate Gefängnis 6 Monate Gefängnis

Anhang517 Tabelle 33 Verstöße gegen die VVO bei Sitzungsvertretung durch StA Höher, deren Urteile antragsgemäß ergingen18

18  s. o.

Jahreszahl

Urteil / Tenor

1943

18 Monate Zuchthaus

1943

Freispruch

1944

Einstellung des Verfahrens

1944

Freispruch

1943

72 Monate Zuchthaus

1943

72 Monate Zuchthaus

1943

120 Monate Zuchthaus

1943

60 Monate Zuchthaus

1942

26 Monate Zuchthaus 24 Monate Zuchthaus

1942

36 Monate Zuchthaus

1942

18 Monate Zuchthaus

1942

3 Monate Gefängnis

1942

18 Monate Zuchthaus

1942

18 Monate Zuchthaus

1941

8 Monate Gefängnis Geldstrafe 6 Monate Gefängnis Geldstrafe Geldstrafe Geldstrafe Geldstrafe Geldstrafe Einstellung des Verfahrens

1941

24 Monate Zuchthaus

1941

6 Monate Gefängnis

518 Anhang Tabelle 34 Verstöße gegen die RundfunkVO bei Sitzungsvertretung durch StA Höher, deren Urteile antragsgemäß ergingen19 Jahreszahl

Urteil/Tenor

1944

24 Monate Zuchthaus

Tabelle 35 Anzahl der Sitzungsvertretungen aller Staatsanwälte nach Deliktsgruppen Deliktsgruppe/ StA

Heimtücke­gesetz

KrWVO

RundfunkVO

VVO

Sonstige

Gesamt

Führer

2 (0,3 %)

2 (0,3 %)

0 (0 %)

1 (0,2 %)

2 (0,3 %)

7 (1 %)

Ackermann

3 (0,4 %)

3 (0,4 %)

0 (0 %)

5 (0,7 %)

1 (0,2 %)

12 (1,8 %)

Höher

43 (6,3 %)

81 (11,9 %)

9 (1,3 %)

36 (5,3 %)

24 (3,6 %)

193 (28,4 %)

Marx

14 (2,1 %)

35 (5,2 %)

1 (0,2 %)

22 (3,2 %)

12 (1,8 %)

84 (12,4 %)

Wickmann

20 (2,9 %)

44 (6,5 %)

8 (1,2 %)

24 (3,6 %)

12 (1,8 %)

108 (15,9 %)

Venator

2 (0,3 %)

3 (0,4 %)

0 (0 %)

3 (0,4 %)

1 (0,2 %)

9 (1,3 %)

Zimmerath

32 (4,7 %)

79 (11,6 %)

17 (2,5 %)

37 (5,4 %)

15 (2,2 %)

180 (26,5 %)

Sonstige20

17 (2,5 %)

20 (3 %)

2 (0,3 %)

27 (4 %)

21 (3,1 %)

87 (12,8 %)

Gesamt

133 (19,6 %)

267 (39,3 %)

37 (5,4 %)

155 (22,8 %)

88 (12,9 %)

680 (100 %)

19  s. o.

20  In dieser Rubrik wurden Hauptverhandlungen berücksichtigt, in denen die Person des Sitzungsvertreters nicht bestimmt werden konnte oder von dem Gericht zur Verfügung gestellt wurde. Vereinzelt übernahmen Richter die Sitzungsvertretung für die Staatsanwaltschaft. Dieser Umstand ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorübergehenden personellen Engpässen der Staatsanwaltschaft geschuldet gewesen.

Anhang519

Führer Ackermann Höher Marx Wickmann Venator Zimmerath Sonstige

90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

Führer Ackermann Höher Venator Marx Wickmann Zimmerath

O

So

ns

tig

e

O V fu nd Ru

H

ei

m tü c

K

ke

nk

ge

rW

se

V

tz

O

V V

Anzahl der Sitzungsvertretungen

Abbildung 9: Diagramm zum prozentualen Anteil getätigter Sitzungsvertretungen, dargestellt anhand der jeweiligen Staatsanwälte

Deliktsgruppe

Abbildung 10: Diagramm zur Anzahl getätigter Sitzungsvertretungen, aufgeschlüsselt in Deliktsgruppen und Staatsanwälte

520 Anhang Tabelle 36 Beantragtes und verhängtes Strafmaß in Verfahren gegen Mitglieder der NSDAP bei Sitzungsvertretung durch StA Zimmerath nach Deliktsgruppen21 ID22

Signatur NS

Delikt

beantragte Strafe

Urteil

15

S Ls 16-41

§ 1 KrWVO

6 Wochen Gefängnis

Geldstrafe 500 RM

94

S Ls 202-42

Beiseiteschaffen von Brot, § 1 KrWVO

15 Monate Gefängnis

6 Monate Gefängnis

252

S Ls 1-44

Schwarzschlachtung § 1 KrWVO

Freispruch

Freispruch

296

S Ls 50-43

Schwarzbezug von Zucker § 1 KrWVO

4 Monate Gefängnis

3 Monate Gefängnis

308

S Ls 5-43

Schwarzschlachtung § 1 KrWVO

1 Jahr Gefängnis

10 Monate Gefängnis

315

S Ls 17-43

Schwarzschlachtung § 1 KrWVO

2 Jahre Gefängnis 14 Monate Gefängnis

3 Monate Gefängnis 5 Monate Gefängnis

328

S Ls 86-43

§ 1 Abs. 2 KrWVO

6 Jahre Zuchthaus

6 Jahre Zuchthaus

403

S Ls 3-43

Schwarzschlachtung § 1 Abs. 1 KrWVO

8 Monate Gefängnis

6 Monate Gefängnis

404

S Ls 7-43

Schwarzschlachtung § 1 Abs. 1 KrWVO

10 Monate Gefängnis

10 Monate Gefängnis

405

S Ls 20-43

Schwarzbuttern § 1 Abs. 1 KrWVO

3 Monate Gefängnis

Geldstrafe 100 RM;

418

S Ls 127-43

§ 1 Abs. 1 KrWVO

45 Monate Zuchthaus

45 Monate Zuchthaus

21  Anm.: Sofern die aufgeführten Verfahren eine Mehrzahl von Angeklagten inkludieren, beschränkt sich die Darstellung der Übersichtlichkeit halber auf den Personenkreis der NSDAP-Mitglieder. Durch Nichtigkeitsbeschwerde aufgehobene Urteile werden nicht berücksichtigt. Urteile, die über den Antrag hinausgehen, sind hellgrau markiert, antragsgemäße Urteile sind dunkelgrau markiert. 22  Die Rubrik „ID“ kennzeichnet die die jeweilige Akte innerhalb der Fundstelle. Die Akten finden sich an folgender Stelle: LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte entsprechend „ID“.

Anhang521 ID

Signatur NS

Delikt

beantragte Strafe

Urteil

423

S Ls 179-43

§ 1 Abs. 1 KrWVO

2 Jahre Zuchthaus

30 Monate Gefängnis

496

S Ls 50-42

Schwarzschlachtung § 1 Abs. 1 KrWVO

3 Jahre Zuchthaus 42 Monate Zuchthaus

30 Monate Zuchthaus 30 Monate Zuchthaus

505

S Ls 31-42

Schwarzschlachtung § 1 Abs. 1 KrWVO

3 Monate und 2 Wochen Gefängnis

6 Wochen Gefängnis

510

S Ls 79-42

Schwarzschlachtung § 1 Abs. 1 KrWVO

7 Monate Gefängnis

7 Monate Gefängnis

546

S Ls 66-42

Schwarzschlachtung § 1 Abs. 1 KrWVO

3 Jahre Zuchthaus   6 Monate 0Gefängnis

2 Jahre Zuchthaus 00   8 Monate 0Gefängnis

00 

589

S Ls 55-41

Schwarzhandel, § 1 Abs. 1 KrWVO

21 Monate Gefängnis

21 Monate Gefängnis

629

S Ls 21-41

Schwarzhandel, § 1 Abs. 1 KrWVO

auf unbestimmte Zeit vertagt

auf unbestimmte Zeit vertagt

639

S Ls 113-42

Kriegswirtschafts­ verbrechen § 1 Abs. 1 KrWVO

Todesstrafe

Todesurteil

479

S Ls 17-42

§ 4 VVO

5 Jahre Zuchthaus 24 Monate Zuchthaus 33 Monate Zuchthaus 18 Monate Gefängnis   4 Monate 0Gefängnis 33 Monate Zuchthaus 27 Monate Gefängnis 12 Monate Gefängnis

3 Jahre Gefängnis und 9000 RM Geldstrafe 20 Monate Gefängnis und 5000 RM Geldstrafe 30 Monate Gefängnis und 00  3000 RM Geldstrafe 12 Monate Gefängnis und 700 RM Geldstrafe   6 Monate 00  0Gefängnis und    200 RM   Geldstrafe

(Fortsetzung nächste Seite)

522 Anhang (Fortsetzung Tabelle 36) ID

Signatur NS

Delikt

beantragte Strafe

Urteil 24 Monate Gefängnis und 2000 RM Geldstrafe 24 Monate Gefängnis und 2000 RM Geldstrafe 10 Monate Gefängnis und 500 RM Geldstrafe

489

S Ls 188-42

§§ 2, 4 VVO

3 Jahre Zuchthaus

30 Monate Zuchthaus

501

S Ls 85-42

§ 4 VVO

36 Monate Zuchthaus

18 Monate Zuchthaus

566

S Ls 205-42

§ 4 VVO

36 Monate Zuchthaus 15 Monate Gefängnis 3 Monate Gefängnis

21 Monate Gefängnis 6 Monate Gefängnis Geldstrafe 500 RM

573

S Ls 230-42

§ 4 VVO

36 Monate Zuchthaus

24 Monate Zuchthaus

635

S Ls 147-43

§ 4 VVO

Todesstrafe

Todesurteil

325

S Ms 17-43

Heimtückegesetz (staatsfeindliche ­Äußerungen), § 2 HG

4 Monate Gefängnis

3 Monate Gefängnis

471

S Ms 20-42

Heimtückegesetz (staatsfeindliche ­Äußerungen), § 2 HG

8 Monate Gefängnis

8 Monate Gefängnis

714

S Ms 56-41

Heimtückegesetz, § 2 HG

8 Wochen Gefängnis

6 Wochen Gefängnis

18

S Ls 29-41

Abhören ausländischer Sender, § 1 RundfunkVO

18 Monate Zuchthaus

Freispruch

Anhang523 Tabelle 37 Durchschnittliche Höhe beantragter Freiheitsstrafen durch StA Zimmerath bei Mitgliedern der NSDAP nach Deliktsgruppen23 Deliktsgruppe

Anzahl beantragter Summe beantragter Durchschnittswert Freiheitsstrafen24 Freiheitsstrafen in Monaten in Monaten25

VVO

14

373

26,6

KrWVO

19

472

24,8

Heimtückegesetz

 3

 20

 6,7

RundfunkVO

 1

 18

18

23  Die nachfolgende Darstellung unterscheidet nicht zwischen Gefängnis- und Zuchthausstrafen. Freisprüche, Verfahrenseinstellungen, Geldstrafen, Todesurteile, Strafen nichtiger Urteile aufgrund Nichtigkeitsbeschwerde und außerordentlichem Einspruch sowie Strafen von Verfahren mit unbekanntem Ausgang sind nicht berücksichtigt. 24  Die Ermittlung der Anzahl aller verhängten Freiheitsstrafen erfolgt unter Zugrundelegung der Freiheitsstrafen gegen sämtliche Angeklagte. Da einzelne Sondergerichtsverfahren teilweise eine Mehrzahl von Angeklagten beinhalteten bzw. in einigen Verfahren das Strafmaß nicht ersichtlich war, weicht die nachfolgende Angabe notwendigerweise von der jeweiligen Verfahrensanzahl ab. 25  Die Summierung verhängter Freiheitsstrafen ist nach Monaten aufgeschlüsselt.

Leiter: MinDir Dr. Crohne

Leiter: MinDir E. Schäfer

Zuständigkeit: Zuständigkeit: StrafgesetzgeStrafrechtsbung (Strafrecht, pflege Strafprozessrecht, Strafvollzug, Auslieferungsrecht, Rechtshilfe in Strafsachen); bäuerliches Recht

Leiter: MinDir Dr. Nadler

Zuständigkeit: Personal- und Organisationssachen Zuständigkeit: Bürgerliches Recht; bürger­ liche Rechts­ pflege; zivilrechtliche Einzelsachen

Leiter: MinDir Dr. Volkmar

Abteilung IV:

Zuständigkeit: Handelsrecht, Verkehrsrecht, Wirtschaftsrecht, Vereinsrecht, öffent­ liches Recht, Völkerrecht

Leiter: MinDir Quassowski

Abteilung V:

Zuständigkeit: Haushaltssachen

Leiter: MinDir Schneller

Abteilung VI:

UStS: Dr. Hueber

Zuständigkeit: Ausbildung

Leiter: Präsident Dr. Palandt

Abteilung VII:

26  Die Darstellung erfolgte aufgrund des tatsächlichen Umfangs des RJM vereinfacht. Zum gesamten, die relevanten Informationen enthaltenden Geschäftsverteilungsplan innerhalb des RJM siehe BArch R 3001, Nr. 20056, 20057, 20058. Eine detaillierte Auflistung zu sämtlichen sachlichen Zuständigkeiten, der jeweiligen Referate, der personellen Besetzung sowie des Geschäftsverteilungsplanes findet sich in Gruchmann, Justiz, S. 1170–1210. Hieran lehnen sich zudem die Tabellen 39–41 an.

Abteilung III:

Abteilung II:

Abteilung I:

StS: Dr. Freisler

Minister: Vertreter der Geschäftsführung: StS Dr. Dr. Schlegelberger

Tabelle 38 Vertikale Behördenstruktur des RJM, Stand von April 194126 524 Anhang

untergliedert in 32 Referate

untergliedert in 18 Referate

Unterabteilung III D

Unterabteilung III C

Unterabteilung III B

Unterabteilung III A

untergliedert in untergliedert in acht Referate, 26 Referate sowie vier Unterabteilun­ gen: untergliedert in 20 Referate

untergliedert in 18 Referate

untergliedert in fünf Referate sowie das angegliederte JPA

Anhang525

526 Anhang Tabelle 39 Sachliche Zuständigkeit und Referatsleiter der Abteilung III nachgeordneten Referate Referat

Referatsleiter

Generalreferat für Straf- und Strafverfahrensrecht

ORR Mielke

Hochverratssachen, einschließlich dazugehöriger Todesurteile und Gnadensachen

OLGR v. Schroeter

Strafsachen wegen Wehrmittelbeschädigung

OLGR v. Schroeter

Landesverratssachen einschließlich dazugehöriger Todesurteile und Gnadensachen

EStA Jaeger

1) Kriegsverbrechen vor den Sondergerichten a) Strafsachen gemäß § 1 KrWVO vom 4.9.1939 (RGBl. 1939 I, S. 1609) b) Strafsachen gemäß §§ 1–4 VVO vom 5.9.1939 (RGBl. 1939 I, S. 1679) c) Strafsachen gemäß §§ 1, 2 GewaltverbrecherVO vom 5.12.1939 (RGBl. 1939 I, S. 2378) d) Strafsachen aus der VO zum Schutz der Metallsammlung des Deutschen Volkes vom 29.3.1940 (RGBl. 1940 I, S. 565) 2) Sondergerichtssachen aus den eingegliederten Ostgebieten 3) Sonderbehandlungen 4) Verbindungsführung zur SS einschließlich SD und zur Gestapo

OStA Joel

Verbindungsführung zur SA

StA Ehrhardt

Sichtung der geschichtlich bedeutsamen Akten

MinRat Krug

Todesurteilssachen

MinRat Altmeyer /  KGR Dr. Hupperschwiller

Anhang527 Tabelle 40 Die Sachreferate der Abteilung III unterstellten Unterabteilungen Unterabteilung

Sachreferate

Unterabteilung III A

1. Kirchenpolitische Strafsachen 2.a) Generalreferat für zwischenstaatliches Straf- und Strafverfahrensrecht, Auslieferungsrecht und Rechtshilfe 2. b) Allgemeine Fragen des Generalgouvernementsund der tschechischen Protektoratsgerichtsbarkeit 3. Rechtsprechung in Auslieferungsssachen 4. Internationale Einzelsachen 5. Strafrechtliche Fortbildung der Staatsanwälte und Richter

Unterabteilung III B

1. Strafregistereinzelsachen (ausgenommen Ostmark) 2. Entschädigungssachen wegen unschuldig erlittener Untersuchungs- oder Strafhaft (ausgenommen Ostmark) 3. Devisenstrafsachen (ausgenommen Ostmark) 4. Verkehrsstrafsachen (ausgenommen Ostmark)

Unterabteilung III C

1. Generalreferat für Straf- und Strafverfahrensrecht, Gnadensachen und Strafvollstreckung in den Reichs­ gauen der Ostmark 2. Todesurteilssachen aus den österreichischen Bezirken Innsbruck, Linz, Wien und Graz 3. Strafregistereinzelsachen aus der Ostmark 4. Entschädigungssachen wegen unschuldig erlittener Untersuchungs- oder Strafhaft aus der Ostmark 5. Devisenstrafsachen aus der Ostmark 6. Verkehrsstrafsachen aus der Ostmark

Unterabteilung III D

1. Allgemeine und Bezirksangelegenheiten der JVA 2. Generalreferat für Vollzug / Sonderreferat für Jugendstrafvollzug 3. Referat für Arbeitswesen und Arbeitseinsatz 4. Bauwesen der JVA 5. Allgemeine Besoldungssachen 6. Ausbildung, Fortbildung Dienstkleidung und Bewaffnung der Strafvollzugsbeamten 7. Hauswirtschaftssachen der JVA 8. Transportwesen 9. Einzelsachen des Frauenstrafvollzugs

Strafgesetzgebung

Ausbildung und Fort­bildung

Personalund Organisationssachen

Strafrechtspflege

Zuständigkeit:

Abteilung IV:

Strafvollzug

Zuständigkeit:

Abteilung V:

Bürgerliches Recht, bürgerl. Rechtspflege, Bäuerliches Recht

Zuständigkeit:

Abteilung VI: Zuständigkeit:

Abteilung VIII:

HausHandels-, Verkehrs-, haltssachen Wirtschafts-, Vereins-, Völker- und öff. Recht

Zuständigkeit:

Abteilung VII:

28  Neliba,

Ganzen eingehend Geschäftsverteilungsplan des RJM, BArch R 3001, Akte 22735, Bl. 2. Vier Staatssekretäre, S. 230.

Zuständigkeit:

Zuständigkeit:

Zuständigkeit:

27  Zum

Abteilung III:

Abteilung II:

Abteilung I:

StS: Curt Rothenberger (ab 1.1.1944 Herbert Klemm28)

Minister: Dr. Otto Georg Thierack

Angelegenheiten des NSRB, Sonderaufträge, Angelegenheiten der ADR, Richterbriefe, Persönliche Eingaben

Zuständigkeit:

Ministeramt:

Tabelle 41 Vertikale Behördenstruktur des RJM ab der Übernahme Thieracks im August 194227

Sondereinsatz von Strafgefan­genen

Zuständigkeit:

Abteilung XV:

528 Anhang

Anhang529 Tabelle 42 Sondergerichtsverfahren, die im Rahmen der ministeriellen Berichtspflicht als „mild“ bezeichnet wurden Fundstelle, Ger. Rep. 113, Akte29:

Delikt

Kritikübende Behörde

Nichtigkeitsbeschwerde Gegenstand der Korrespondenz

8, Bl. 10.

Diebstahl

Staatsanwaltschaft

+ (erwogen)



9, Bl. 13.

Abhören ausländischer Sender § 1 RundfunkVO

Staatsanwaltschaft





15

§ 1 KrWVO

Staatsanwaltschaft

+ (angeregt)



50

Heimtückegesetz (staatsfeindliche Äußerungen)

Staatsanwaltschaft





53

Heimtückegesetz (Beleidigung des WHW)

Staatsanwaltschaft





55

Heimtückegesetz (staatsfeindliche Äußerungen)

Staatsanwaltschaft





71, Bl. 9.

Schwarzschlachtung § 1 KrWVO

Staatsanwaltschaft





72

§ 2 VVO

Staatsanwaltschaft





76, Bl. 10.

§ 4 VVO

Staatsanwaltschaft





89, Bl. 9.

Heimtückegesetz (staatsfeindliche Äußerungen)

Staatsanwaltschaft





90, Bl. 8.

§ 1 KrWVO

Staatsanwaltschaft





107, Bl. 1.

Heimtückegesetz (staatsfeindliche Äußerungen)

Staatsanwaltschaft





210, Bl. 12.

§ 1 KrWVO

Staatsanwaltschaft





228, Bl. 15.

§ 4 VVO

Staatsanwaltschaft





Nichtigkeitsbeschwerde erfolgreich

(Fortsetzung nächste Seite) 29  Die Blattzahlen beziehen sich – soweit angegeben – immer auf die Handakte der jeweils unter „Fundstelle“ angegebenen Verfahrensakte.

530 Anhang (Fortsetzung Tabelle 42) Fundstelle, Ger. Rep. 113, Akte:

Delikt

Kritikübende Behörde

Nichtigkeitsbeschwerde Gegenstand der Korrespondenz

Nichtigkeitsbeschwerde erfolgreich

352, Bl. 49

Heimtückegesetz (staatsfeindliche Äußerungen); § 1 HG

Generalstaatsanwaltschaft

+

+

368

Schwarzschlachtung § 1 KrWVO

Staatsanwaltschaft





431, Bl. 6.

§ 1 Abs. 1 KrWVO

Staatsanwaltschaft

457, Bl. 13.

Abgabe von Fleisch ohne entsprechende Fleischmarken, § 1 KrWVO

Staatsanwaltschaft





470, Bl. 47.

§ 4 VVO

Staatsanwaltschaft





475, Bl. 10.

Tausch und Abgabe von Waren ohne Bezugsberechtigung, § 1 Abs. 1 KrWVO

Staatsanwaltschaft





485, Bl. 64.

§ 4 VVO Gleiches Verfahren

Staatsanwaltschaft

+ (angeregt)



499, Bl. 13.

Schwarzschlachtung § 1 Abs. 1 KrWVO

Staatsanwaltschaft





503, Bl. 1.

§ 4 VVO

Staatsanwaltschaft

+ (erwogen)



515

§ 5 Abs. 1 Nr. 3 KriegssonderstrafrechtsVO

Staatsanwaltschaft





560, Bl. 13.

Schwarzhandel § 1 Abs. 1 KrWVO

Generalstaatsanwaltschaft

659, Bl. 9.

Heimtückegesetz, § 2 HG

Staatsanwaltschaft





679, Bl. 8, 8 rev.

Heimtückegesetz, § 2 Abs. 1,2 HG

Staatsanwaltschaft / Generalstaatsanwaltschaft





683, Bl. 8.

Heimtückegesetz, § 2 Abs. 1 HG

Staatsanwaltschaft





688, Bl. 9 rev.

Heimtückegesetz, § 2 HG

Generalstaatsanwaltschaft





Anhang531 Fundstelle, Ger. Rep. 113, Akte:

Delikt

Kritikübende Behörde

690, Bl. 6 rev.

Heimtückegesetz, § 1 HG

Generalstaatsanwaltschaft





702, Bl. 5.

Heimtückegesetz, § 2 HG

Staatsanwaltschaft





717, Bl. 5 rev.

Heimtückegesetz, § 2 Abs. 1 HG

Generalstaatsanwaltschaft





Staatsanwaltschaft / Generalstaatsanwaltschaft





718, Bl. 1,2. § 1 RundfunkVO

Nichtigkeitsbeschwerde Gegenstand der Korrespondenz

Nichtigkeitsbeschwerde erfolgreich

Tabelle 43 Erfolgte Verfahrensberichte der StA Aachen an das Sonderreferat nach Deliktsgruppen Deliktsgruppe

Anzahl erfolgter Berichte

Relativer Anteil an Berichten, gemessen an der Gesamt­ anzahl an Berichten in %

Anteil vorhandener Berichte gemessen an der Gesamt­ anzahl der jeweiligen Verfahren in %30

Beleidigung gemäß §§ 134 a, b StGB

4

0,8

57,1

§ 130 a StGB

1

0,2

100

128

26,3

96,2

[133]

[27,3]

-------------------

Delikt

Äußerungsdelikte

Verstoß gegen Heimtückegesetz (gesamt)

(Fortsetzung nächste Seite) 30  Siehe zur Gesamtanzahl der Verfahren der jeweiligen Deliktsgruppen nochmals Anhang, Tabelle 2, S. 115.

532 Anhang (Fortsetzung Tabelle 43) Deliktsgruppe

Anzahl erfolgter Berichte

Relativer Anteil an Berichten, gemessen an der Gesamt­ anzahl an Berichten in %

Anteil vorhandener Berichte gemessen an der Gesamt­ anzahl der jeweiligen Verfahren in %30

25

5,1

67,6

[25]

[5,1]

-------------------

5

1

31,3

[5]

[1]

-------------------

179

36,8

67

Verbrauchsregelungs-StrafVO

3

0,6

100

Preiswucher

1

0,2

100

Nichtanmeldung jüd. Vermögens

1

0,2

100

[184]

[37,9]

-------------------

114

23,5

73,6

[114]

[23,5]

-------------------

10

2,1

33,3

-

-

0

[10]

[2,1]

-------------------

Delikt

Delikte gegen RundfunkVO Verstoß gegen RundfunkVO (gesamt) Delikte gegen WehrkraftVO Verstoß gegen WehrkraftVO (gesamt) (Kriegs-)Wirtschaftsdelikte Verstoß gegen KrWVO

(gesamt) Delikte gegen die VVO Verstoß gegen die VVO (gesamt) Sonstige (politische) Straftaten Verstoß gegen KSSVO Landesverrat (gesamt)

Anhang533 Deliktsgruppe

Anzahl erfolgter Berichte

Relativer Anteil an Berichten, gemessen an der Gesamt­ anzahl an Berichten in %

Anteil vorhandener Berichte gemessen an der Gesamt­ anzahl der jeweiligen Verfahren in %30

Abtreibung





0

ErweiterungsVO

1

0,2

100

Begünstigung





0

Betrug





0

Diebstahl

8

1,7

72,7

Illegaler Grenz­ übertritt





0

Fernbleiben vom Arbeitsplatz

1

0,2

100

Körperverletzung

1

0,2

100

Mord





0

Störung des Arbeitsablaufs





0

§ 189 StGB

1

0,2

100

§ 330 a StGB

2

0,4

100

AutofallenG (RGBl. 1938 I, S. 651)

1

0,2

100

GewaltverbrecherVO





0

[15]

[3,1]

-------------------

486

100

-------------------

Delikt

Allgemeine Straftaten

(gesamt) Gesamt

534 Anhang Tabelle 44 Fundstellen zu Verstößen gegen das Sammlungsgesetz von Geistlichen, die vor dem AG Aachen im Ordnungswege erledigt wurden Bestandssignatur

Aktennummer

R 3001

127711

R 3001

127864

R 3001

127876

R 3001

176117

R 3001

127815

R 3001

127856

R 3001

127857

R 3001

176681

R 3001

177315

R 3001

178028

Tabelle 45 Vorsitzende Richter und jeweilig anteilige Verfahrensanzahl beim Sondergericht31 Name

Verfahrensanzahl

Verfahrensanzahl in %

Fritz

 62

 9,1

Hellbach

 20

 2,9

Hoffmann

 98

14,4

Howahrde

178

26,2

Küster

 65

 9,6

Losenhausen

 44

 6,5

Noessel

 29

 4,3

Quester

  1

  0,15

31  Soweit es sich um Nichtigkeitsbeschwerden handelt, richtet sich die Zuteilung des Verfahrens ausschließlich nach der Besetzung in der Neuverhandlung.

Anhang535 Name

Verfahrensanzahl

Verfahrensanzahl in %

Schauergans

  1

0,15

Scheins

  2

0,3

Schwengers

 63

9,3

van Wersch

 22

3,2

Wilbert

 21

3,1

Wirtz

  1

0,15

k. A.

 70

10,3

(Deuster32)

  1

0,15

(Greeven33)

  1

0,15

(Eich34)

  1

0,15

Gesamt

680

100

32  Deuster war nicht Vorsitzender am Sondergericht Aachen, sondern verhandelte ein am 7.9.1944 vor dem Sondergericht Aachen vertagtes Verfahren im Jahre 1948, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 385. 33  Greeven war Vorsitzender Richter im Nichtigkeitsbeschwerde-Verfahren, welches vor dem OLG Köln verhandelt wurde, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 444, Bl. 45. Eine Darstellung zu LGD Greeven geben Laum/Pamp, OLG-Köln, in: Laum/ Klein/Strauch, Rheinische Justiz, S. 652, 653. 34  Eich war Vorsitzender Richter im Nichtigkeitsbeschwerde-Verfahren, welches vor dem Sondergericht Köln erneut verhandelt wurde, LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 684. Eine Darstellung zu LGD Eich geben Laum/Pamp, OLG-Köln, in: Laum/ Klein/Strauch, Rheinische Justiz, S. 655, 656.

536 Anhang Tabelle 46 Synopse von Strafantrag und verhängtem Strafmaß in Heimtückeverfahren nach personenbezogener Strafanzahl, Summe der Strafen in Monaten und durchschnittlicher Strafdauer in Monaten Strafantrag Staatsanwaltschaft Sachbearbeiter Gefängnisstrafen

Zuchthausstrafen

Strafmaß Sondergericht

Anzahl

Summe

Durchschnitt

Anzahl

Summe

Durchschnitt

Höher

 45

 421

 9,4







Marx

 13

 159

12,2







Wickmann

 19

 233

12,3







Zimmerath

 28

 266

 9,5







Venator

  2

  19

 9,5







Führer

  2

  26

13







Ackermann

  3

  42,5

14,2







Gesamt

112

1166,5

10,4

102

903

8,9

Höher













Marx













Wickmann













Zimmerath













Venator













Führer













Ackermann













Gesamt













Anhang537 Tabelle 47 Synopse von Strafantrag und verhängtem Strafmaß in KrWVO-Verfahren nach personenbezogener Strafanzahl, Summe der Strafen in Monaten und durchschnittlicher Strafdauer in Monaten Strafantrag Staatsanwaltschaft Anzahl

Summe

Durchschnitt

Anzahl

Summe

Durchschnitt

Höher

107

 953

 8,9







Marx

 47

 376

 8







Wickmann

 63

 513

 8,1







Zimmerath

133

1378

10,4







Venator

  6

  35

 5,8







Führer

  4

  56

 14







Ackermann

  3

  12

 4







Gesamt

363

3323

 9,2

381

3229

 8,5

Höher

 25

 902

36,1







Marx

 14

 467

33,4







Wickmann

 11

 259

23,6







Zimmerath

 53

2648

50







Venator













Führer













Ackermann

  1

  24

24







Gesamt

104

4300

41,4

 75

2809

37,5

Sachbearbeiter Gefängnisstrafen

Zuchthausstrafen

Strafmaß Sondergericht

538 Anhang Tabelle 48 Synopse von Strafantrag und verhängtem Strafmaß in VVO-Verfahren nach personenbezogener Strafanzahl, Summe der Strafen in Monaten und durchschnittlicher Strafdauer in Monaten Strafantrag Staatsanwaltschaft Anzahl

Summe

Durchschnitt

Anzahl

Summe

Durchschnitt

Höher

 17

 142

 8,4







Marx

 10

  72

 7,2







Wickmann

  8

 114

14,3







Zimmerath

 27

 282

10,4







Venator

  2

  19

 9,5







Führer













Ackermann













Gesamt

 64

 629

 9,8

118

1349,5

11,4

Höher

 48

1987

41,4







Marx

 15

 528

35,2







Wickmann

 25

1130

45,2







Zimmerath

 81

3273

40,4







Venator

  2

  48

 24







Führer

  2

  96

 48







Ackermann

  4

 210

52,5







Gesamt

177

7272

41,1

134

Sachbearbeiter Gefängnisstrafen

Zuchthausstrafen

Strafmaß Sondergericht

5342

39,9

Anhang539 Tabelle 49 Synopse von Strafantrag und verhängtem Strafmaß in RundfunkVO-Verfahren nach personenbezogener Strafanzahl, Summe der Strafen in Monaten und durchschnittlicher Strafdauer in Monaten Strafantrag Staatsanwaltschaft Anzahl

Summe

Durchschnitt

Anzahl

Summe

Durchschnitt

Höher

 4

 43

10,8







Marx

 1

 18

18







Wickmann

 4

 46

11,5







Zimmerath

 5

 75

15







Venator













Führer













Ackermann













Gesamt

14

182

13

18

187

10,4

Höher

 6

174

29







Marx













Wickmann

 4

 78

19,5







Zimmerath

10

288

28,8







Venator













Führer













Ackermann













Gesamt

20

540

27

21

435

20,7

Sachbearbeiter Gefängnisstrafen

Zuchthausstrafen

Strafmaß Sondergericht

540 Anhang Tabelle 50 Synopse von Strafantrag und verhängtem Strafmaß gegen Mitglieder der NSDAP nach Deliktsgruppen, personenbezogener Strafanzahl, Summe der Strafen in Monaten und durchschnittlicher Strafdauer in Monaten35 Strafantrag Staatsanwaltschaft Deliktsgruppe Gefängnisstrafen

Zuchthausstrafen

Strafmaß Sondergericht Anzahl

Summe

Durchschnitt

Anzahl

Summe

Durchschnitt

Heimtücke­ gesetz

 7

  29

 4,1

 5

 27

 5,4

KrWVO

43

 435,5

10,1

43

379

 8,8

VVO

 8

 114

14,3

12

168

14

RundfunkVO













Gesamt

58

 578,5

10

60

574

9,6

Heimtücke­ gesetz













KrWVO

15

 593

39,5

12

427

35,5

VVO

23

 852

37

17

548

32,2

RundfunkVO

 1

  18

18







Gesamt

39

1463

37,5

29

975

33,6

35  Sofern in Strafverfahren neben Mitgliedern der NSDAP weitere Personen angeklagt wurden, die nicht der NSDAP angehörten, werden lediglich die statistischen Erhebungen zu den angeklagten NSDAP-Mitgliedern berücksichtigt. Zudem sind in der statistischen Erhebung auch diejenigen Personen inkludiert, die Parteianwärter waren.

Anhang541 Tabelle 51 Verfahren gegen Ausländer nach Delikten, Nationalitäten, Angeklagtenzahl und Verfahrensanzahl Delikt

Nationalität

Angeklagtenzahl

Verfahrensanzahl

Heimtückegesetz Belgier

25

Niederländer

10

Polen

 6

Franzosen

 2

Italiener

 1

Tschechoslowaken

 1

(gesamt)

45

42

KrWVO Belgier

21

Niederländer

10

Polen

 1

Italiener

 1

Schweizer

 1

Juden

 2

(gesamt)

36

19

VVO

(gesamt)

Belgier

10

Niederländer

13

Luxembuger

 1

Polen

 1

Franzosen

 2

Jugoslawen

 1

Kroaten

 1 29

21 (Fortsetzung nächste Seite)

542 Anhang (Fortsetzung Tabelle 51) Delikt

Nationalität

Angeklagtenzahl

Verfahrensanzahl

RundfunkVO Belgier

 3

Niederländer

 6

Juden

 2 11

(gesamt)

10

KSSVO Belgier (gesamt)

 5  5

 5

WehrkraftVO Belgier

 1

Franzose

 2

(gesamt)

 3

 3

WehrkraftergänzungsVO Niederländer (gesamt)

 1  1

 1

§ 330 a StGB Belgier

 1  1

(gesamt)

 1

§ 134 a StGB Belgier

 4

Niederländer

 1

(gesamt)

 5

 4

Diebstahl Niederländer (gesamt)

 2  2

 2

Anhang543 Delikt

Nationalität

Angeklagtenzahl

Verfahrensanzahl

Nichtanmeldung jüd. Vermögens Juden

  1   1

(gesamt)

  1

Beihilfe zum illegalen Grenzübertritt Franzosen

  1

(gesamt)

  1

  1

Gesamt

140

110

Tabelle 52 Synopse von Strafantrag und verhängtem Strafmaß gegen ausländische Angeklagte nach Deliktsgruppen, personenbezogener Strafanzahl, Summe der Strafen in Monaten und durchschnittlicher Strafdauer in Monaten36 Strafantrag Staatsanwaltschaft Deliktsgruppe Gefängnisstrafen

Strafmaß Sondergericht Anzahl

Summe

Heimtücke­gesetz

38

419

KrWVO

22

VVO RundfunkVO

Durchschnitt

Anzahl

Summe

Durchschnitt

11

37

297,5

 8

209

 9,5

24

239,5

10

 4

 34

 8,5

 5

 37

 7,4

 2

 28

14

 3

 38

12,7

Heimtücke­gesetz













KrWVO

 5

 99

19,8

 2

 30

15

VVO

11

426

38,7

13

475

36,5

RundfunkVO

 3

 78

26

 5

120

24

Gesamt Zuchthausstrafen

Gesamt

36  Sofern in Strafverfahren neben ausländischen Angeklagten weitere Personen angeklagt wurden, werden lediglich die statistischen Erhebungen zu den angeklagten Ausländern berücksichtigt.

544 Anhang Tabelle 53 Verfahren, in denen fachärztliche Gutachten eingeholt wurden37 Verfahrenssignatur38

Gutachtenanzahl

Voraus­ setzungen des § 51 Abs. 1 StGB festgestellt

Voraus­ setzungen des § 51 Abs. 2 StGB festgestellt

Voraus­ setzungen der §§ 42 lit. a)–n) StGB festgestellt (alternativ)

Würdigung durch die Staatsanwaltschaft

1

1



+



+

135

1



+





152

1







0

188

1



+

+

+

196

1



+

+

+

206

2

–;–

+;–

–;–

–;–

213

1







0

218

1







0

219

1



+

+

+

228

1







0

239

1



+



+

248

1

+





+

250

1



+



+

258

1







0

262

1







0

276

1



+





302

1







0

37  Anm.: Mit einer Berücksichtigug durch die Staatsanwaltschaft ist die zustimmende oder neutrale Würdigung des gutachterlichen Ergebnisses durch die Staatsanwaltschaft im Rahmen der Anklageschrift gemeint. Die mit „0“ gekennzeichneten Felder entsprechen einer fehlenden staatsanwaltschaftlichen Würdigung mangels positiven fachärztlichen Befunds. Die mit „+“ gekennzeichneten Felder entsprechen einem positiven ärztlichen Befund bzw. einer staatsanwaltschaftlichen Würdigung. Die mit „-“ gekennzeichneten Felder entsprechen einem negativen Befund bzw. einer mangelnden staatsanwaltschaftlichen Würdigung. 38  Sofern nicht abweichend gekennzeichnet, handelt es sich bei den Verfahrenssignaturen um solche des LAV NRW R, Ger. Rep. 113, wobei lediglich die einschlägige Akte aufgeführt wird.

Anhang545 Verfahrenssignatur

Gutachtenanzahl

Voraus­ setzungen des § 51 Abs. 1 StGB festgestellt

Voraus­ setzungen des § 51 Abs. 2 StGB festgestellt

Voraus­ setzungen der §§ 42 lit. a)–n) StGB festgestellt (alternativ)

Würdigung durch die Staatsanwaltschaft

328

1







0

332

2

–;–

–;–

–;–

0;0

333

1



+





345

1



+



+

348

1







0

368

2

–;–

+;–

–;–

+;0

369

1







0

386

1



+

+

+

418

1



+



+

425

1



+





427

1



+





434

2

–;+

–;–

–;–

0;–

448

1





+

+

470

1



+

+



471

1

+





+

473

1



+

+

+

488

1







0

508

1







0

512

1







0

526

1







0

562

1







0

611

1







0

619

1



+



+

LAV NRW R, NW 174, 196

1





+

+

(Fortsetzung nächste Seite)

546 Anhang (Fortsetzung Tabelle 53) Verfahrenssignatur

Gutachtenanzahl

Voraus­ setzungen des § 51 Abs. 1 StGB festgestellt

Voraus­ setzungen des § 51 Abs. 2 StGB festgestellt

Voraus­ setzungen der §§ 42 lit. a)–n) StGB festgestellt (alternativ)

Würdigung durch die Staatsanwaltschaft

LAV NRW R, NW 174, 197

1







0

LAV NRW R, NW 174, 198

1







0

LAV NRW R, NW 174, 199

1



+





BArch, R 3001, Nr. 162292

1

+





+

Gesamt (+):

49

4

20

8

17

Gesamt (–):

49

45

29

41

10

-







22

Gesamt („0“):

Tabelle 54 Anzahl beantragter Freisprüche in Verfahren gegen ausländische Staatsangehörige Signatur

Delikt

StaatsPersonenangehörigkeit anzahl

LAV NRW R Ger. Rep. 113, Akte 34

RundfunkVO

Jude

1

LAV NRW R Ger. Rep. 113, Akte 37

KrWVO

Jude

1

LAV NRW R Ger. Rep. 113, Akte 85

RundfunkVO

Niederländer

1

BArch R 3001, Nr. 185657

HG

Belgier

1

BArch R 3001, Nr. 141408

HG

Belgier

2

BArch R 3001, Nr. 141441

HG

Belgier

1

BArch R 3001, Nr. 124346

KrWVO

Belgier

3

BArch R 3001, Nr. 106404

RundfunkVO

Niederländer

1

Gesamt:

11

Anhang547 Tabelle 55 Inhaltliche Änderungen des Vollzugsplans für die StA Aachen durch den GStA in Köln im Zeitraum von 1942–1943 nach Datum der Verfügung und geändertem Inhalt Datierung des Inhalt Erlasses des GStA 10.02.194239

– Belegung des Strafgefängnis Siegburg ab Ende des Jahres 1941 für die Kriegsdauer mit Zuchthausgefangenen –  Zuständigkeit für vorbestrafte männliche Gefängnisinsassen fortan Strafgefängnis Anrath.

11.4.194240

– Zuständigkeit für männliche Verurteilte, die dem Polenstraf­ vollzug unterlagen: 1)  Strafgefängnis Wittlich bei Strafen bis zu sechs Monaten 2)  Straflager Gladbeck bei Strafen von sechs Monaten bis zu drei Jahren 3)  Gefangenenlager Rodgau in Dieburg (Hessen) bei Strafen von über drei Jahren Zuständigkeit für weibliche Verurteilte nach dem Polen–  strafvollzug blieb die Bestimmung eines Stammlagers der Staatsanwaltschaft vorbehalten – Zuständigkeit für polnische Arbeitsverweigerer: 1)  Gefängnisstrafe in Strafgefängnis Wittlich, 2)  Zuchthausstrafe in Strafgefängnis Siegburg.

24.4.194241

– Zuständigkeit für männliche, erstbestrafte Gefängnisgefangene im LG-Bezirk Aachen bei Haftstrafe über sechs Wochen: Strafgefängnis Wittlich – Zuständigkeit für vorbestrafte Verurteilte bei Freiheitsstrafe zwischen zwei Wochen und sechs Monaten im LG-Bezirk Aachen: Haftanstalt Aachen – Zuständigkeit für vorbestrafte Verurteilte bei Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten: Strafgefängnis Anrath (Fortsetzung nächste Seite)

39  Nachrichtliche Rundverfügung des GStA Köln vom 10.2.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 229, Bl. 1. 40  Nachrichtlicher Runderlass des RJM durch den GStA in Köln vom 11.4.1942, Erlass vom 3.2.1942 – III s 3 205, LAV NRW R Ger. Rep. 270, Akte 229, Bl. 8. 41  Rundverfügung des GStA vom 24.4.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 229, Bl. 12.

548 Anhang (Fortsetzung Tabelle 55) Datierung des Inhalt Erlasses des GStA 13.6.194242

– Zuständigkeit für Verurteilte nach Polenstrafrecht mit anschließender Sicherungsverwahrung: Strafgefangenenlager Emsland – Zuständigkeit für Verurteilte nach Polenstrafrecht bis zum vollendeten 21. Lebensjahr: Gefangenenlager Rodgau in Dieburg.

20.10.194243

– Männliche Zuchthausgefangene mit anschließender Sicherungsverwahrung waren nach Verbüßung ihrer Strafzeit nicht in die Sicherungsanstalten zu überführen, sondern zunächst vorläufig in den Zuchthäusern zu belassen, in denen sie ihre Strafe bis dato verbüßt hatten. – Zuständigkeit bei Zuchthausstrafen gegen männliche Verurteilte bis zu acht Jahren ohne Sicherungsverwahrung: Zuchthaus Butzbach

5.11.194244

– Zuständigkeit bei Zuchthausstrafen gegen männliche Verurteilte von über acht Jahren oder mit anschließender Sicherungsverwahrung: Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen

12.01.194345

– Zuständigkeit für Zuchthausstrafen gegen männliche Verurteilte bis zu acht Jahren ohne Sicherungsverwahrung: Strafgefängnis Diez

13.1.194346

–  Zuständigkeit für Zuchthausstrafen gegen erstbestrafte Frauen: Frauenzuchthaus Anrath -Zuständigkeit für Zuchthausstrafen gegen vorbestrafte Frauen oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe: Zuchthaus Lübeck-Lauerhof –  Zuständigkeit für Zuchthausstrafen gegen erstbetrafte, nicht das 21. Lebensjahr vollendete männliche Verurteilte: Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen – Zuständigkeit für Zuchthausstrafen gegen sonstige erstbetrafte, männliche Verurteilte: Zuchthaus Butzbach – Zuständigkeit fürVorbestrafte sowie Gefangene mit lebenslanger Strafe: Zuchthaus Ensisheim

42  RV

des RJM vom 13.6.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 229, Bl. 30 rev. des GStA vom 20.10.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 229, Bl. 41. 44  RV des GStA vom 5.11.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 229, Bl. 47. 45  Änderung des Vollstreckungsplans durch den GStA vom 12.1.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 229, Bl. 60. 46  Änderung des Vollstreckungsplans durch den RJM, mitgeteilt durch nachrichtliches Schreiben des GStA in Köln vom 13.1.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 229, Bl. 61. 43  RV

Anhang549 Datierung des Inhalt Erlasses des GStA 15.1.194347

– Ab Juni 1942: Zuständigkeit für männliche Verurteilte, die dem Polenstrafvollzug unterlagen: Strafgefängnis Siegburg bei Zuchthausstrafen bis zu drei Jahren

23.1.194348

– Haftanstalt Aachen als Zwischenstelle für Landeseinwohner aus Belgien und Frankreich, die durch Wehrmachtsgerichte verurteilt worden waren. Vollstreckung in diesen Fällen nicht der Staatsanwaltschaft, sondern den Feldkriegsgerichten zugeordnet

5.2.194349

– Zuständigkeit für gestrauchelte, männliche Verurteilte sowie Gefängnisstrafen unter drei Monaten: Strafgefängnis Wittlich – Ab März 1943 auf Weisung des RJM alle Polen, die dem Polenstrafvollzug überführt worden waren, in den ordentlichen Strafvollzug überführt, da das OKW mit Blick auf das Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen50 Bedenken am Polenstrafvollzug geäußert hatte51

1.4.194352

– Zuständigkeit bei Polenstrafvollzug an Frauen: 1)  Groß-Rohrheim im Gefangenenlager Rodgau in Dieburg für Strafen über 6 Monate bis zu drei Jahren ohne anschließende Sicherungsverwahrung, soweit „außenarbeitsfähig“ 2) Frauenstammlager Neuenhof bei Remscheid-Lüttringhausen für Strafen über 6 Monate bis zu 5 Jahren sowie mangelnder „Außenarbeitsfähigkeit“

21.04.194353

– Zuständigkeit für männliche, erstbestrafte Zuchthausgefangene bis zum vollendeten 21. Lebensjahr, sowie sonstige Erstbestrafte: Remscheid-Lüttringhausen, – Zuständigkeit für männliche, vorbestrafte Gefangene sowie solche mit lebenslanger Strafe: Zuchthaus Siegburg

47   Rezitierter Erlass des RJM in einer RV des GStA vom 15.1.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 229, Bl. 62. 48  Mitteilung des GStA an den LOStA in Aachen vom 23.1.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 229, Bl. 56. 49  Erlass des RJM, inkludiert in entsprechender RV des GStA vom 5.2.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 229, Bl. 69. 50  Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen vom 27.7.1929, RGBl. 1934 II, S. 227. 51  Weisung des RJM vom 2.3.1942, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 229, Bl. 74. 52   57. Änderung des Vollstreckungsplans durch den RJM in der entsprechenden RV des GStA vom 1.4.1943, LAV NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 229, Bl. 81. 53  Ebd., Bl. 86.

550 Anhang Tabelle 56 Synopse von Strafantrag und verhängtem Strafmaß nach sämtlich relevanten Deliktsgruppen, Summe der Strafen in Monaten, Anzahl der Strafen und durchschnittlicher Strafdauer in Monaten54 Strafantrag Staatsanwaltschaft Delikt(-sgruppe) Gefängnisstrafen

Strafmaß Sondergericht Anzahl

Summe

Durchschnitt

Anzahl

Summe

Durchschnitt

HG

112

1166,5

10,4

102

903

8,9

KrWVO

363

3323

9,2

381

3229

8,5

VVO

64

629

9,8

118

1349,5

11,4

RundfunkVO

14

182

13

18

187

10,4

§§ 134 a, b StGB

7

68

9,7

7

56

8

§ 130 a StGB

1

15

15

1

12

12

WehrkraftVO

7

77

11

7

70

10

VRStVO

3

9

3

2

9

4,5

Preiswucher













Nichtanmeldung jüd. Vermögens

1

6

6







KSSVO

13

137

10,5

13

123

9,5

Landesverrat













Abstreibung













ErweiterungsVO













Begünstigung

1

6

6

1

6

6

Betrug

2

14

7

3

24

8

Diebstahl

13

147,5

11,4

11

135

12,3

Illegaler Grenzübertritt

1

6

6

1

4

4

Fernbleiben vom Arbeitsplatz

1

18

18

1

18

18

Körperverletzung

1

48

48

1

48

48

54  Soweit es sich um Einstellungen, Freisprüche, Todesstrafen oder Geldstrafen handelt, finden diese nachfolgend keine quantitative Berücksichtigung.

Anhang551 Strafantrag Staatsanwaltschaft Delikt(-sgruppe)

Anzahl

Summe

Durchschnitt

Anzahl

Summe

Durchschnitt

Mord













Störung des Arbeitsablaufs

1

12

12

1

10

10

§ 189 StGB

1

18

18







§ 330 a StGB

2

36

18

2

21

10,5

AutofallenG













GewaltverbrecherVO













608

5918

9,7

670

6204,5

9,3













KrWVO

104

4300

41,4

75

2809

37,5

VVO

177

7272

41,1

134

5342

39,9

RundfunkVO

20

540

27

21

435

20,7

§§ 134 a, b StGB













§ 130 a StGB













WehrkraftVO

11

276

25,1

10

240

24

VRStVO













Preiswucher













Nichtanmeldung jüd. Vermögens













KSSVO

6

191

31,8

7

179

25,6

Landesverrat













Abtreibung

1

84

84

1

84

84

ErweiterungsVO













Begünstigung

1

15

15

1

15

15

Betrug













Diebstahl

6

255

42,5

3

96

32

Gesamt Zuchthausstrafen

Strafmaß Sondergericht

HG

(Fortsetzung nächste Seite)

552 Anhang (Fortsetzung Tabelle 56) Strafantrag Staatsanwaltschaft Delikt(-sgruppe)

Strafmaß Sondergericht Anzahl

Summe

Durchschnitt

Anzahl

Summe

Durchschnitt

Illegaler Grenzübertritt













Fernbleiben vom Arbeitsplatz













Körperverletzung













Mord













Störung des Arbeitsablaufs













§ 189 StGB













§ 330 a StGB













AutofallenG













GewaltverbrecherVO













326

12933

39,7

252

9200

36,5

Gesamt

Tabelle 57 Verteilung der verurteilten Personen auf die jeweiligen Vollzugsstandorte55 Anzahl

Vollzugsform­ interner Anteil in %

relativer Gesamtanteil

Rheinbach

 53

37,9

 7,7

Remscheid-Lüttringhausen

 36

25,7

 5,2

Butzbach

 29

20,7

 4,2

Siegburg

 22

15,7

 3,2

(Gesamt)

140

100

20,3

Standort

Zuchthaus

55  In vielen Fällen sind dahingehende Angaben nicht dokumentiert, sodass sich die nachfolgende Erhebung auf den Aktenbestand bezieht, der überliefert ist.

Anhang553 Anzahl

Vollzugsform­ interner Anteil in %

relativer Gesamtanteil

Oberems

  3

 8,8

 0,4

Rodgau, Diebung

 31

91,2

 4,5

(Gesamt)

  34

100

  4,9

Anrath

 60

82,2

 8,7

Flussbach

 13

17,8

 1,9

(Gesamt)

  73

100

10,6

Zweibrücken

  2

 0,5

 0,3

Wittlich

161

36,3

Bochum

  1

 0,2

 0,2

Plötzensee

  1

 0,2

 0,2

Frauengefängnis Berlin Nr. 18

  1

 0,2

 0,2

Köln

 38

 8,6

 5,5

Düren

 13

 2,9

 1,9

Hanau

  1

 0,2

 0,2

Eschweiler

  1

 0,2

 0,2

Prüm

  1

 0,2

 0,2

Geilenkirchen

  2

 0,5

 0,3

Euskirchen

  1

 0,2

 0,2

Düsseldorf

  1

 0,2

 0,2

Anklam

  1

 0,2

 0,2

Paris

  1

 0,2

 0,2

Glatz

  1

 0,2

 0,2

Aachen

217

48,9

31,4

(Gesamt)

444

100

64,3

Gesamt

691



100

Standort

Strafgefangenenlager

Frauenzuchthaus

Gefängnisse und Haftanstalten

554 Anhang

Abbildung 11: Fragebogen des LOStA Führer zur Person56 56  LAV

NRW R, BR Pe 7577, Personalakte des OLG Köln, Bl. 70–71 rev.

Anhang555

556 Anhang

Anhang557

558 Anhang

Abbildung 12: Anzeige des LOStA Führer zum Kirchenaustritt57 57  LAV

NRW R, BR Pe 7577, Personalakte des OLG Köln, Bl. 80.

Anhang559

Abbildung 13: Durchsuchungsbericht der Gestapo nach Beschlagnahme eines Radios58 58  LAV

NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 26, Ermittlungsakte, Bl. 9.

560 Anhang

Abbildung 14: Deckblatt der Ermittlungsakte nach Einlieferungsanzeige bei der Gestapo59 59  LAV

NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 28, Ermittlungsakte, Bl. 1.

Anhang561

Abbildung 15: Personalbogen eines Beschuldigten im Ermittlungsverfahren60 60  LAV

NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 52, Ermittlungsakte, Bl. 7–8 rev.

562 Anhang

Anhang563

564 Anhang

Anhang565

Abbildung 16: Aktendeckel einer sondergerichtlichen Verfahrensakte mit dem Vermerk „Ausländer“61 61  LAV

NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 85, Aktendeckel.

566 Anhang

Abbildung 17: Aufruf an Bauern und Landwirte zur Abgabe von Getreide62 62  LAV

NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 92, Ermittlungsakte, Bl. 15.

Anhang567

Abbildung 18: Anweisung des LOStA an die Kriminalpolizei zur Angabe von Informationen zur Täterpersönlichkeit63 63  LAV

NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 406, Bl. 129.

568 Anhang

Abbildung 19: Blankoformular eines Fragebogens zur Abstammung für die StA64

64  LAV

NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 146, Bl. 4, 5.

Anhang569

570 Anhang

Abbildung 20: Schreiben des GStA an den LOStA bezüglich erforderlicher Angaben zur Erbringung des Nachweises arischer Abstammung65 65  LAV

NRW R, Ger. Rep. 270, Akte 146, Bl. 10 und 10 rev.

Anhang571

572 Anhang

Abbildung 21: Brief des Reichsministers des Innern an den Regierungspräsidenten in Aachen bezüglich der Annektierung des belgischen Gebiets samt Kartographie66 66  LAV

NRW R, Ger. Rep. 449, Akte 20, Bl. 193.

Anhang573

574 Anhang

Anhang575

Abbildung 22: Ausgefülltes Exemplar der Erbringung des Nachweises arischer Abstammung67 67  LAV

NRW R, NW Pe 6190, Akte Justizministerium, Bl. 16–19, 24.

576 Anhang

Anhang577

578 Anhang

Anhang579

580 Anhang

Anhang581

Abbildung 23: Befürwortende Verfügung bedingter Strafaussetzung68 68  LAV

NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 261, Gnadenheft, Bl. 6.

582 Anhang

Abbildung 24: Mitteilung des ORA bezüglich der Terminierung des Verfahrens des außerordentlichen Einspruchs vor dem Besonderen Senat beim RG69

69  LAV

NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 319, Handakte W./G., Bl. nicht angegeben.

Anhang583

Abbildung 25: Übertragung der Strafvollstreckungskompetenz des ORA an den LOStA70

70  LAV

NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 321, Bl. nicht angegeben.

584 Anhang

Abbildung 26: Übersendung einer Urteilsausfertigung zum außerordentlichen Einspruch durch den ORA71

71  LAV NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 322, Bl. nicht angegeben sowie Akte 319, Handakte W./G., Bl.  14, 15.

Anhang585

586 Anhang

Anhang587

Abbildung 27: Gnadengesuch der Tochter des verurteilten Josef K.72

72  LAV

NRW R, Ger. Rep. 113, Akte 435, Gnadenheft, Bl. 28 f.

588 Anhang

Anhang589

Abbildung 28: Karte zur Ermittlung der Beleuchtungsverhältnisse im Fall Hans K.73 73  LAV

NRW R, NW 174, Nr. 193, Band. I, Bl. 234.

590 Anhang

Abbildung 29: Mitteilung des Nichtgebrauchs des Begnadigungsrechts durch den RMJ im Verfahren gegen Wilhelm M.74 74  LAV

NRW R, NW 174, Akte 198, Band III, Bl. 23.

Anhang591

Abbildung 30: Von der StA vorgegebener Text zur Veröffentlichung im Rahmen einer Pressenotiz nach der Vollstreckung eines Todesurteils75

75  LAV

NRW R, NW 174, Akte 198, Band III, Bl. 24.

592 Anhang

Abbildung 31: Bekanntmachung über die Hinrichtung des zum Tode verurteilten Raymond D.76 76  LAV

NRW R, NW 174, Akte 200, Bl. nicht angegeben.

Anhang593

Abbildung 32: Presseartikel des Stern-Magazins vom 15.04.1987 Heft Nr. 17, Bl. 1–277

77  Anm.: Die Ablichtung des Artikels wurde freundlicherweise von der Redaktion des Stern-Archivs in Hamburg zur Verfügung gestellt. Die angegebenen Blattzahlen beziehen sich auf ebendiese archivalische Fundstelle und können insoweit von der Seitenanzahlangabe in der veröffentlichten Druckausgabe abweichen.

594 Anhang

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610 Literaturverzeichnis Zeck, Mario: Das Schwarze Korps: Geschichte und Gestalt des Organs der Reichsführung SS, Tübingen 2002. Zeidler, Manfred: Das Sondergericht Freiberg. Zu Justiz und Repression in Sachsen 1933–1940, Dresden 1998. Zierenberg, Malte: Kriminelle Alltage. „Schieber“ vor dem Sondergericht Köln 1939–1945, in: Joachim Arntz / Hans-Peter Haferkamp / Margit Szöllösi-Janze (Hg.): Justiz im Nationalsozialismus, S. 105–126, Hamburg 2006.

Quellenverzeichnis I. Unveröffentlichte Quellen 1. Landesarchiv Düsseldorf, Abteilung Rheinland Verfahrensakten des Sondergerichts Aachen Bestand Gerichte Rep. 113 Akten 1–125 Akte 127 Akte 129 Akten 131–144 Akten 146–180

Akten Akten Akten Akten

182–438 440–455 457–604 607–619

Bestand NW 174 (Todesurteile) Akten 193–200 Personalakten Bestand BR Pe Akte 7577

Akte 19560

Bestand NW Pe Akte 1013 Akte 3631 Akte 3633

Akte 3711 Akte 6765 Akte 6190

Bestand HSA Pe Akte 15279 Staatsanwaltschaft Aachen vor 1945 (ordentliche Strafverfahren) Bestand Ger. Rep. 89 Akte 205 Akte 206

Akte 207

612 Quellenverzeichnis Sondergericht/Staatsanwaltschaft/GStA/Justizverwaltungsakten Bestand Ger. Rep. 245 Akte 345 Bestand Ger. Rep. 270 Akte Akte Akte Akte Akte Akte

142 143 146 155 156 158

Akte Akte Akte Akte Akte Akte

168 226 228 229 230 231

Bestand RW 32 Akte 4 Bestand Ger. Rep. 21 Akte 486

Akte 610

Bestand Ger. Rep. 449 Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte

Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte

9 20 26 28 42 46 48 49

53 50 54 60 80 83 85

2. Landesarchiv Berlin (Reinickendorf) Personalakten Bestand B Rep. 058 Akte 6818

Quellenverzeichnis613

3. Bundesarchiv Berlin (Lichterfelde) Akten des Reichsjustizministeriums Bestand R 3001 Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte

21039 21500 23374 24158 56247 56248 62050 62051 63487–63489 72946–72951 74179–74189 78253 100499 105668 105814 105817 105820 105975 106002 106015 106131 106144 106250 106263 106279 106298 106320 106404–106406 106425 106440 110657 114034 114192 114300 123443 123500

Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte

123579 124212 141637 141721 144590 145809 160726 160789 161036 162802 163039 163131 163218 127790 127815 127830 127856 127857 172864 127873 127876 127900 138599 141385 141408 141441 141452 141493 141497 141507 141522 141533 141601 141605 176681 161076

614 Quellenverzeichnis Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte

161226–161229 161311 161580 162245 162292 177315 177339 177362 177605 177645 177694 177754 177831 178028 178130 178250 178260 163322 163353 163354 163394–163396 163421 165257 165286 165289 165308 165312 165314 165316 165319 172713 172724 172737 172743 172749 172757 172761 176117

Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte Akte

176169 176235 176352 176521 176545 124250 124288 124346 124349 124431 126597 127113 127634 127647 127654 127659 127689 127711 127788 178370 178611 180657 181439 181522 181637 183560 184616 184866 185377 185657 185862 186242 186585 186594 186600 186693 186697 186814

Quellenverzeichnis615 Bestand R 3003 Akte C 65/17 Bestand R 3017 Akte 1886

II. Veröffentlichte Quellen / Periodica Arbeit und Recht, Zeitschrift für Arbeitsrechtspraxis, 1970 Beiträge zur Rechtserneuerung 1936 Der Gerichtssaal 1935–1937, 1939, 1940 Deutsche Juristenzeitung 1935, 1936 Deutsche Justiz, Rechtspflege und Rechtspolitik – Amtliches Blatt der Deutschen Rechtspflege 1934–1944 Deutsche Richterzeitung 1935 Deutsches Recht 1935, 1939–1942, 1944 Deutsches Strafrecht 1935, 1936, 1938 Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen, 1922 (Bd. 56), 1927 (Bd. 60), 1928 (Bd. 61), 1933 (Bd. 66), 1937 (Bd. 70), 1939 (Bd. 72), 1940, (Bd. 73), 1941 (Bd. 74) Goltdammer’s Archiv für Strafrecht, Jahrgang 1984, Band 131 Höchstrichterliche Rechtsprechung 1941 Jahrbuch des öffentlichen Rechts 1937 Juristische Schulung 1986 Juristische Wochenschrift 1933–1935 Juristenzeitung 1954 Justiz-Ministerial-Blatt für die preußische Gesetzgebung und Rechtspflege 1926 Reichsgesetzblatt 1877, Teil I, 1919 Teil II, 1923 Teil II, 1924, Teil 1, 1932 Teil I-1944, Teil I, 1934, Teil II Reichsministerialblatt 1935 Reichsverwaltungsblatt 1935, 1940 Süddeutsche Juristenzeitung 1948 Stern Heft 17, Jahrgang 1987 Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1955, 1972 Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht 1940, 1941 Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 1997 / 1998 Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 1939 Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 1935, 1936, 1941, 1944

Stichwortverzeichnis Allgemeinverfügung  246, 251, 252, 269 ff., 271, 273, 292, 454 Amtsgericht  63, 174, 196, 205, 215, 352, 486, 489 Analogieverbot  56, 82, 157, 499 Anklagepraxis  40, 72, 122, 154, 156, 159, 199 f., 209, 217, 290, 292, 294 ff., 299 f., 305, 310, 313, 317, 320, 325, 327 f., 331, 337, 340, 343, 348, 354 f., 357, 360, 364, 368 f., 373, 378, 380, 384, 388, 392, 396 f., 400, 404 f., 407, 415, 422, 425 ff., 433, 438, 443, 447, 501 f. Außerordentlicher Einspruch  8, 61, 97 ff., 100, 104, 108, 110, 112, 157, 499 Berichtspflicht  34, 36, 57, 61, 109, 130, 148, 151, 250, 252, 256, 258, 292, 441, 466 f., 473, 500, 529 Besprechungen  35, 43, 66, 105, 168, 222, 264, 273 ff., 284 Bundesministerium der Justiz (BMJ)  491, 496 Deutsche Arbeiter Front (DAF)  411 Deutschnationale Volkspartei (DNVP)  172, 196, 201, 229 Einstellung  78 f., 86 f., 88, 147, 160, 163, 169, 171 ff., 180 ff., 190, 200, 211, 224, 229, 231, 241, 255, 294 ff., 301, 311, 353, 356 f., 360 f., 390, 408, 434 ff., 444, 447, 489 f., 492, 494, 503 Ermittlungspraxis  87, 104, 281, 298, 301, 350 f., 355, 363 f., 370, 393, 416 Ermittlungsverfahren  51, 85, 88 ff., 106, 133, 157, 167, 222, 247, 256, 266, 286, 315, 351, 353 ff., 357,

359 f., 362, 371 f., 392, 396, 404, 418 f. 426 f., 429, 444 f., 456, 495 f., 498 Freispruch  79, 121, 126, 193, 200, 305, 372, 436 Führerprinzip  45 ff., 98, 275 Generalstaatsanwaltschaft  35, 40, 43, 46, 65, 76, 113 f., 116, 119 f., 122, 126 f., 136 f., 140, 140, 143, 147, 149 ff., 166, 168, 206, 215, 234, 239, 252, 255 f., 258 f., 262 ff., 273, 275 ff., 279, 282, 284, 288, 293, 309, 355, 400 f., 405, 410, 423, 462, 484, 491, 501 Gerichtliche Voruntersuchung  84 Gesetzgebung  7, 35, 52, 54 ff., 79 f., 82 f., 85, 96 f., 158 f., 165, 235 f., 271, 290, 318, 500 – formelle  52, 55 – materielle  56, 158 Gestapo  37, 64, 73, 90, 197, 236, 250, 303, 350 ff., 394, 441, 502 Gnadenpraxis  39 f., 44, 246, 294, 447, 471, 478, 481, 485, 503 Justizkrise  47, 57, 59 f. Kanzlei des Führers (KdF)  41, 165, 243, 415, 418 f., 473, 480 Lagebericht  35 f., 43, 179, 183, 225, 258 f., 260 ff., 276, 278, 284, 286 f., 291, 500 Landgericht  63, 76 f., 105, 156, 174, 202, 402, 406, 486, 495 Legalitätsprinzip  85, 88, 91, 157 ff., 434

Stichwortverzeichnis617 Lenkungsinstrument  40, 231, 233, 250, 283, 291 Machtübernahme  31, 58, 110, 136, 447, 450 Mitteilungspflicht  251 f., 255, 271 ff., 283, 291, 457 Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP)  37, 41, 57 f., 60, 73, 121 f., 159, 163 ff., 172 f., 180 ff., 185, 187 ff., 191, 193 f., 196 f., 201, 203, 205 f., 209 ff., 316 f., 320 ff., 224 f., 228 ff., 237, 240 ff., 245, 247, 249 f., 252, 278, 280, 282, 287, 295, 297 ff., 300, 303 f. 353, 357, 360, 362 f., 365 ff., 374, 379, 382, 390, 411 f., 418, 420, 430, 438, 441, 444, 473, 480, 485, 489 f., 502 Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV)  173, 180, 189, 196, 203, 206, 210, 216, 224, 237, 249, 280, 282 Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund (NSRB)  173, 180, 189, 196, 203, 206, 210, 216, 224, 237, 240 f., 245, 248 ff., 280, 282, 489 Nationalsozialistisches Fliegerkorps (NSFK)  240, 245 Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps (NSKK)  170, 245, 282 Nichtigkeitsbeschwerde  36, 39, 61, 83, 97, 109 ff., 119 f., 122 f., 125 ff., 135 ff., 143, 145, 147 ff., 155 ff., 159, 187, 226, 230, 233, 239 f., 242, 246, 253 f., 256, 267 f., 275 f., 278, 281, 283, 289, 291, 410, 473 f., 484, 499, 509 Oberkommando der Wehrmacht (OKW)  268 Oberlandesgericht (OLG)  36, 66, 76 f., 90, 93, 132, 137, 140 f., 163, 217, 240, 275, 279 ff., 283, 289, 309, 374, 412, 440, 464, 473, 496 Oberreichsanwalt (ORA)  36, 97 ff., 108 f., 111 ff., 116, 123, 125, 127, 129, 131, 136 f., 139 f., 143 f., 148 ff.,

152 f., 155, 157, 159, 196, 242, 246, 275, 281, 301 f., 351, 441, 457, 483, 497, 499, 502, 582 Oberverwaltungsgericht (OVG)  248, 281 Organisation Todt (OT)  128, 393 f. Personalpflege  159, 161, 173 Politische Instrumentalisierung  39, 175, 178, 503 Reichsarbeitsdienst (RAD)  100, 102, 108, 287 Reichsbund der Deutschen Beamten (RDB)  249, 280 Reichsgericht (RG)  83, 98, 110 f., 113 ff., 127, 132 f., 135, 138, 143 ff., 147 f., 155, 235, 241 f. 244, 249, 297, 305, 322, 324, 330 f., 336, 349, 496 Reichsjustizministerium (RJM)  33 ff., 40 ff., 43, 55, 66, 79 f., 94, 98, 105, 109, 112, 114, 116 f., 119 f., 122 ff., 129 ff., 135 ff., 140, 143, 145 f., 148 f., 151, 153 ff., 159 f., 166 f., 169, 173 f., 186 f., 202, 232 ff., 240, 243 f., 246, 248 ff., 252 ff., 256, 258, 262, 264 ff., 273 ff., 283 f., 277, 286 ff., 290 ff., 296, 300 ff., 304, 309, 311, 320, 323, 358, 361, 370, 380, 382, 386, 396, 400 f., 404, 408, 410 Reichskolonialbund (RKB)  189, 196, 240, 245, 280, 282 Reichsluftschutzbund (RLB)  216, 224, 237, 240, 245, 280, 282 Schutzstaffel (SS)  59 f., 67, 170, 236, 240, 250, 280, 297, 303, 345 Strafvollstreckung  156, 235, 246, 260, 447, 454 ff., 476, 478, 483 Strafvollzug  156, 159, 235, 289, 447 ff., 477, 483 Tagungen  34, 61, 273 f., 426 Todesstrafe  35, 102 f., 107, 123, 131 f., 142, 144, 157, 167 f., 186, 191, 198, 209 f., 214, 222, 227, 243, 247, 262,

618 Stichwortverzeichnis 264 ff., 274, 289 ff., 306, 319, 324, 329, 334 f., 340, 345, 347, 378, 380, 285, 288 f., 395, 399 ff., 408, 410, 415 ff., 419, 422, 424 f., 446 f., 463, 471, 496 f., 501

Volksgerichtshof (VGH)  65, 93, 196, 202, 235, 241, 244, 301, 490 f., 497 f. Wahlzuständigkeit  81, 91 ff., 157 ff.