Die Soziale Sicherung bei Zünften und Gesellenverbänden: Darstellung, Analyse, Vergleich [1 ed.] 9783428436491, 9783428036493

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Die Soziale Sicherung bei Zünften und Gesellenverbänden: Darstellung, Analyse, Vergleich [1 ed.]
 9783428436491, 9783428036493

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SIGRID

FRÖHLICH

Die Soziale Sicherung bei Zünften und Gesellen verbänden

Sozialpolitische Schriften H e f t 38

Die Soziale Sicherung bei Zünften und Gesellenverbänden

Darstellung, Analyse, Vergleich

Von

Dr. Sigrid Fröhlich

DUNCKER

& HUMBLOT

/

BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Fröhlich, Sigrid Die Soziale Sicherung bei Zünften u n d Gesellenverbänden: Darst., Analyse, Vergi. — 1. Aufl. — B e r l i n : Duncker u n d Humblot, 1976. (Sozialpolitische Schriften; H. 38) I S B N 3-428-03649-2

Alle Rechte vorbehalten © 1976 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1976 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany I S B N 3 428 03649 2

Vorwort Die Anregung zu dieser Arbeit erhielt ich als Mitarbeiterin i m Forschungsinstitut für Einkommenspolitik und Soziale Sicherung an der Universität zu Köln. Professor Dr. Philipp Herder-Dorneich, damals Leiter und später neben Professor Dr. W i l f r i d Schreiber Mit-Direktor des Instituts hatte i n einer umfassenden Analyse des heutigen Systems der gesetzlichen Krankenversicherung ein Instrumentarium entwickelt, das es ermöglicht, verschiedene soziale Systeme i n Aufbau und Funktion miteinander zu vergleichen. Vor diesem Hintergrund gab er die Anregung zu einer Reihe wissenschaftlicher Arbeiten, die die soziale Sicherung, vor allem die Krankensicherung, i n vergangenen Epochen zum Gegenstand haben. Teil dieser Reihe ist die vorliegende Arbeit über die soziale Sicherung bei Zünften und Gesellenverbänden. A m Beginn dieser Untersuchung steht eine Bestandsaufnahme: Welche sozialen Leistungen erbrachten die Zünfte und Gesellenverbände, unter welchen Voraussetzungen, m i t welchen Mitteln? Tausende von Zunftordnungen und Urkunden aus dem gesamten deutschsprachigen Raum und aus fast acht Jahrhunderten wurden gesichtet und ausgewertet. Die Beschaffung der Unterlagen war oft schwierig und zeitraubend. U m die Materialsuche nicht noch mehr zu erschweren, wurden — m i t Ausnahme einiger handschriftlicher Quellen aus dem Kölner Stadtarchiv — nur veröffentlichte Urkunden herangezogen. Die Abschnitte aus den Urkunden, auf die ich mich i m Text beziehe, wurden photokopiert und i n einem gesonderten Quellenband zusammengestellt. Der Hinweis „Qu. . . . " i n Text und Fußnoten bezeichnet die entsprechende Nummer i n diesem Quellenband, der aus finanziellen Gründen leider nicht gedruckt werden konnte. Der interessierte Leser kann i h n aber jederzeit bei m i r oder i m Seminar für Sozialpolitik an der Universität zu K ö l n einsehen. Der Darstellung der sozialen Sicherung bei Zünften und Gesellenverbänden i m ersten Teil der Arbeit folgt eine Analyse m i t Hilfe des von Professor Dr. Herder-Dorneich entwickelten Instrumentariums sowie ein Vergleich m i t Leistungen und Struktur des heutigen Systems. Eine Analyse der Entwicklung zeigt die Linien auf, die vom System der sozialen Sicherung bei den Zünften und Gesellenverbänden zum heutigen System der Sozialversicherung führen. Die vorliegende Arbeit

6

Vorwort

ist i n erster Linie sozialpolitisch orientiert, doch mußten zur sinnvollen Behandlung des Themas auch Nachbardisziplinen — Versicherungswissenschaft, Soziologie und vor allem Wirtschaftsgeschichte — herangezogen werden. Dabei treten Interessenkonflikte auf. Besonders der Wirtschaftshistoriker mag h i n und wieder enttäuscht sein, daß sicherlich interessante Aspekte i n der Betrachtung außer acht gelassen w u r den. Doch mußte ich mich m i t Blick auf die theoretische Analyse auf die dafür notwendigen Gesichtspunkte beschränken. Ich kann die Historiker nur u m verständnisvolle Nachsicht bitten. Allen, die mich bei der Entstehung der Untersuchung unterstützt haben, möchte ich hier meinen ganz herzlichen Dank aussprechen: A n erster Stelle Herrn Professor Dr. W i l f r i d Schreiber, der als geduldiger und kritischer Ratgeber die Arbeit betreute und stets Verständnis für auftauchende Schwierigkeiten und Verzögerungen bei der Fertigstellung zeigte; Herrn Professor Dr. Philipp Herder-Dorneich für die Anregung und Betreuung bis zu seiner Berufung nach Innsbruck; Herrn Professor Dr. Friedrich Seidel, der wertvolle Hinweise und Ratschläge — besonders für den ersten Teil der Arbeit — gab; Frau Dr. Marina-Elisabeth Küppers, die aus eigener Erfahrung auf viele Klippen aufmerksam machte, die sich dem Nicht-Historiker bei der Behandlung eines sozialpolitisch-wirtschaftshistorischen Themas stellen und nicht zuletzt meinem Mann, der logische Unstimmigkeiten aufspürte und i n vielen Diskussionen wichtige Anregungen gab und neue Aspekte aufzeigte. Für die finanzielle Unterstützung bei der Veröffentlichung möchte ich dem Zentralverband des Deutschen Handwerks und besonders der A r beitsgemeinschaft berufsständisch orientierter Versicherungsgesellschaften danken. Sigrid

Fröhlich

Inhaltsverzeichnis Einleitung

13 Erster Teil Darstellung der sozialen Sicherung bei Zünften und Gesellenverbänden

A. Einführung

in die Geschichte der Zünfte

und Gesellenverbände

I. Zünfte

15 15

1. Definition

15

2. Entstehungsursachen 3. Entstehungszeit 4. Entstehungsort

17 21 23

5. Zunftmitglieder

23

6. Politischer Einfluß der Zünfte

25

7. Stellung der Zünfte i n der Gemeinde

27

8. Niedergang der Zünfte

29

I I . Gesellenverbände

31

1. Definition

31

2. Gründungsursachen

32

3. Entstehungszeit u n d Entwicklung der Gesellenverbände bis zum Niedergang

35

B. Soziale Sicherung

bei den Zünften

I. Grundlage der sozialen Maßnahmen der Zünfte I I . Finanzierung der sozialen Sicherung 1. 2. 3. 4. 5.

Vorbemerkung Eintrittsgelder u n d sonstige Gebühren Strafen Ständige Beiträge Sonstige Einnahmen

I I I . Sicherung gegen A r m u t 1. Vorbeugende Maßnahmen zur Verhütung v o n A r m u t a) Reglementierung des Handwerksbetriebs b) Anlegen eines Roggenvorrats

38 38 39 39 41 45 48 50 52 52 52 57

8

Inhaltsverzeichnis 2. Direkte Unterstützung verarmter Zunftgenossen a) Unterstützung verarmter Meister b) Unterstützung armer Gesellen I V . Sicherung bei Arbeitslosigkeit

60 60 62 63

1. Vorkehrungen gegen Auftragsrückgang bei den Meistern

63

2. Unterstützung arbeitsloser Gesellen a) Sicherung des Arbeitsplatzes b) Indirekte Arbeitslosenfürsorge: Kurzfristige Arbeitsbeschaffung, Gewährung v o n U n t e r k u n f t u n d Verpflegung . . c) Direkte Arbeitslosenfürsorge: Finanzielle Unterstützung . .

64 64

d) Exkurs: „Geschenkte" u n d „ungeschenkte" Handwerke . . . e) Eigene Kassen zur Arbeitslosenunterstützung

69 71

V. Sicherung der erwerbslosen Phasen Jugend u n d A l t e r 1. Soziale Sicherung i n K i n d h e i t u n d Jugend a) Organisatorische Maßnahmen b) Naturalleistungen u n d Barleistungen c) Ausbildungshilfe

65 67

72 73 74 74 76

2. Soziale Sicherung i m A l t e r 77 a) Unterstützung durch Naturalleistungen u n d durch Stellung eines Gesellen 77 b) Unterbringung i n Hospitälern 79 c) Zahlung einer Rente 79 V I . Sicherung bei U n f a l l u n d K r a n k h e i t

81

1. Unterstützung der Meister a) Stellung eines Gesellen b) Gewährung v o n Darlehen c) Wochengeld d) Eigene Krankenkassen e) Krankenpflege, Unterbringung i m Hospital, eigene Hospitäler f) Hilfe bei K r a n k h e i t auf Reisen

81 81 82 85 86

2. Unterstützung der Gesellen u n d Lehrlinge a) Gesundheitsvorsorge b) Gewährung v o n Darlehen c) Mehrmalige Zahlungen d) Eigene Gesellenladen innerhalb der Z u n f t e) Pflege, Unterbringung i m Hospital

91 93 94 96 97 98

3. „Familienmitversicherung"

99

88 91

Inhaltsverzeichnis V I I . Sicherung i m Todesfall

101

1. Sorge f ü r das Begräbnis

101

a) Pflicht zur Teilnahme am Begräbnis, seelsorgerische L e i stungen 101 b) Stellung v o n Leichengerät u n d Kerzen, zunfteigene Begräbnisstätten 104 c) Übernahme der Begräbniskosten 105 d) Begräbnis- oder Sterbekassen (Totenladen)

106

2. Versorgung der Meisterwitwen

108

a) Erlaubnis zur Weiterführung des Handwerks b) Erleichterung der Wiederheirat c) Stellung eines Gesellen

108 111 112

3. Weitere Ausbildung des Lehrlings

113

C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

115

I . Finanzierung der sozialen Sicherung

116

1. Eintrittsgelder u n d sonstige Gebühren

116

2. Strafen

118

3. Ständige Beiträge

121

I I . Sicherung bei Arbeitslosigkeit

123

1. Umfang der Gesellenwanderungen u n d der Arbeitslosigkeit . . 124 2. Arbeitsvermittlung a) V e r m i t t l u n g einer Dauerstellung b) Kurzfristige Arbeitsbeschaffung

128 129 131

3. Gewährung v o n U n t e r k u n f t u n d Verpflegung

132

4. Finanzielle Zehrgeld

Unterstützung

der

wandernden

Gesellen:

I I I . Sicherung bei U n f a l l u n d K r a n k h e i t

das

133 136

1. Finanzielle Unterstützung a) Gewährung v o n Darlehen b) Zahlung eines regelmäßigen Krankengeldes c) Eigene Gesellen-Krankenkassen

136 137 142 143

2. Krankenpflege a) Krankenwache durch die Gesellen b) Krankenpflege beim Herbergsvater c) Verträge m i t Apothekern, Ärzten u n d Hospitälern

150 151 152 154

3. Das Problem der k r a n k zuwandernden Gesellen u n d das A b schieben k r a n k e r Gesellen 160

Inhaltsverzeichnis

10

I V . Sicherung i m Todesfall

165

1. Teilnahmepflicht am Begräbnis, seelsorgerische Leistungen . . 165 2. Stellung von Leichengerät, eigene Begräbnisstätten

168

3. Übernahme der Beerdigungskosten

170

4. Eigene Totenladen

171 Zweiter

Teil

Analyse der sozialen Sicherung der Zünfte und Gesellenverbände; Vergleich mit dem heutigen System A. Einführung

173

I. Der Ansatz Herder-Dorneichs I I . Der Gang der Untersuchung B. Analyse und Vergleich

der Elemente

I. Analyse u n d Vergleich der Aggregate

173 174 176 176

1. Die Versicherten 177 a) Die Versicherten i m heutigen System der sozialen Sicherung 177 b) Die Versicherten bei den Zünften 181 c) Die Versicherten bei den Gesellenverbänden 186 2. Die Heilberufe a) b) c) d) e) f)

Die Apotheker Die Ärzte Die Bader u n d Barbiere Die Hebammen Die Krankenpfleger(innen) Organisierte Gruppen

3. Die Hospitäler a) Die Aufgaben der Hospitäler b) Gründer u n d Träger der Hospitäler, Spitalverwaltung I I . Analyse u n d Vergleich der Leistungen 1. Materielle Sicherung a) Risikoausgleich b) Einkommensumverteilung c) Bereitstellung v o n Sachleistungen

187 187 188 191 192 193 194 196 196 198 204 205 206 209 219

2. Exkurs: Konzeptionen der Gewährung sozialer Leistungen . . . 223 3. Immaterielle Sicherung I I I . Z u r Analyse der Steuerungselemente

228 238

Inhaltsverzeichnis C. Analyse und Vergleich

der Struktur

I . Die Beziehungen zwischen Mitgliedern u n d Kassen

242 242

1. Vertrauens- u n d Zwangsbeziehungen

242

2. K o n t r o l l e n

246

3. Wahlen

248

I I . Die Beziehungen zwischen „Versicherten" u n d Ärzten

250

1. Vertrauen u n d A u t o r i t ä t

250

2. Marktbeziehungen

253

I I I . Die Beziehungen zwischen Zünften bzw. Gesellenverbänden u n d Hospitälern 255 1. Einführung

255

2. Z u r Lage auf dem M a r k t f ü r Krankenhausleistungen

256

3. Z u den Gruppenverhandlungen

258

D. Z u r Analyse

der Entwicklung

I . V o n den Zünften zu den Gesellenverbänden

261 261

I I . V o n den allgemeinen Z u n f t - u n d Gesellenkassen zu eigenständigen K r a n k e n - u n d Totenladen 263 I I I . V o n den selbständigen Z u n f t - u n d Gesellenkassen zur allgemeinen gesetzlichen Krankenversicherung 265 Schluß

267

Literaturverzeichnis

271

Einleitung Entsprechend dem stets vorhandenen Bedürfnis nach Existenzsicherung — wesentlicher Charakterzug des wirtschaftenden Menschen — wurden zu jeder Zeit Systeme der sozialen Sicherung entwickelt 1 , die auf die Bedingungen der jeweiligen Gesellschaften abgestellt und nicht ohne weiteres auf andere Zeiten oder Gesellschaften übertragbar waren. Bereits i n der griechischen Antike übernahmen Selbsthilfeeinrichtungen (z.B. die Eranosgesellschaften, die i n Notfällen Darlehen vergaben), staatliche Institutionen (besonders Invalidensicherung) und religiöse Kultstätten (Asklepioskult) — wenn auch noch recht unsystematisch und wenig organisiert — die Deckung oder Uberbrückung der Risiken Krankheit, Invalidität, Erwerbslosigkeit, Verarmung und Alter. Die „Collegia tenuiorum" (Selbsthilfeeinrichtungen, die als Begräbniskassen fungierten), private und staatliche Valetudinarien, die für die Krankenpflege sorgten und vielfältige staatliche Spenden, die i n Form von Geld- und Naturalleistungen fallweise A r m u t und die erwerbslosen Lebensphasen der Kindheit, der Jugend und des Alters überbrücken halfen, zeigen, daß auch die römische Antike Ansätze zu einer sozialen Sicherung hervorgebracht hat 2 . Religiöse Motive waren i m frühen Christentum die Grundlage der sozialen Hilfe. Die christlichen Gemeinden gewährten Unterstützung bei Krankheit, Invalidität und Armut, sie waren bemüht, Arbeitslosen Beschäftigung zu vermitteln und sorgten für Witwen und Waisen und ein christliches Begräbnis der Verstorbenen. Für die formlose und freiwillige Unterstützung gab es weder eine Satzung noch einen besonderen Fonds. Die M i t t e l wurden durch großzügige Gaben der Gemeindemitglieder aufgebracht 3 . 1 Vgl. Beutin, L u d w i g , Neubearbeitung v o n Hermann Kellenbenz: „ W i r t schaftsgeschichte", i n : Handbuch der Wirtschaftswissenschaften, Bd. 2, 2. Aufl., K ö l n — Opladen 1966, S. 518; Weisser, Gerhard: Soziale Sicherheit f ü r alle, i n : Wo ist Sicherheit? Eine Sendereihe des Süddeutschen Rundfunks, Kröners Taschenausgabe, Bd. 322, Stuttgart I960, S. 53. 2 Vgl. Pfeffer, M a r i n a Elisabeth: Einrichtungen der sozialen Sicherung i n der griechischen u n d römischen A n t i k e unter besonderer Berücksichtigung der Sicherung bei K r a n k h e i t , B e r l i n 1968. 3 Vgl. Schirbel, Eugen: Geschichte der sozialen Krankenversorgung v o m A l t e r t u m bis zur Gegenwart, Bd. 1, B e r l i n 1929, S. 41 - 42. Eine Dissertation, die sich ausführlich m i t der sozialen Sicherung i m frühen Christentum befaßt, wurde i m Seminar f ü r Sozialpolitik an der Universität zu K ö l n an Brigitte L ü e r vergeben.

14

Einleitung

I m Mittelalter waren neben den städtischen Berufsverbänden vor allem Klöster, Ritter- und Spitalorden und städtische Anstalten Träger der sozialen Sicherung 4 . Darüber hinaus fand der einzelne Fürsorge und Hilfe innerhalb der Großfamilie, und auch die Grund- und Dienstherrschaft sorgte nach Sitte und Gewohnheit für Hörige und Gesinde 5 . I n der — mindestens drei Generationen umfassenden — Großfamilie garantierte ein stillschweigend geschlossener Solidarvertrag, daß die jeweils mittlere, erwerbstätige Generation die Kinder und Greise unterhielt 6 . Aufgabe dieser Arbeit ist es, die soziale Sicherung bei den Zünften und Gesellen v e r b ä n d e n — städtischen Beruf sverbänden — zu untersuchen. Grundlage für das Verständnis der Hilfsmaßnahmen dieser Gemeinschaften ist die Kenntnis ihrer Gründungsmotive, ihrer Organisation, ihrer politischen und sozialen Stellung i n der Stadt. Daher soll der Darstellung der sozialen Sicherung ein allgemeiner Überblick über Entwicklung und Wesen der Zünfte und Gesellenverbände vorausgeschickt werden.

4 Vgl. Steynitz, Jesko von: Mittelalterliche Hospitäler der Orden u n d Städte als Einrichtungen der Sozialen Sicherung, B e r l i n 1970. 5 Vgl. Brusatti, Alois, W i l h e l m Haas u n d Walter Pollak, Hrsg.: Geschichte der Sozialpolitik m i t Dokumenten, Wien — L i n z — München 1962, S. 9. 6 Vgl. Schreiber, W i l f r i d : „Sozialpolitik", i n : Handbuch der Wirtschaftswissenschaften, Bd. 2, 2. Aufl., K ö l n — Opladen 1966, S. 276.

Erster Teil

Darstellung der sozialen Sicherung bei Zünften und Gesellenverbänden A . Einführung i n die Geschichte der Zünfte und Gesellenverbände I m Rahmen dieser Arbeit kann eine Einführung i n die Geschichte der Zünfte und Gesellenverbände nur i n Form eines groben Abrisses vermittelt werden. Sie soll einen allgemeinen Bezugsrahmen für die Details der folgenden Kapitel abgeben. I. Zünfte 1. Definition Die Zunft des Mittelalters war ein obrigkeitlich anerkannter Zwangsverband innerhalb einer Gemeinde 1 . Sie sicherte ihren Angehörigen das Recht zur Ausübung eines bestimmten Gewerbes, auf das sie sie gleichzeitig beschränkte, und vertrat alle gemeinsamen Interessen eines Berufszweiges 2 . Gleichbedeutend m i t „ Z u n f t " wurden die Bezeichnungen „Gilde", „ A m t " (vorwiegend i n Norddeutschland, wo das Wort Zunft bis ins 16. Jahrhundert unbekannt war 3 ), „Innung", „Einung", „Brüderschaft" (in K ö l n und Trier bis weit ins 14. Jahrhundert i m Sinne von Zunft gebraucht 4 ), „Gaffel" (am Niederrhein 5 ), „Zeche" (Bayern, Österreich, 1 Es kommen selten auch zunftartige Verbände vor, die Meister mehrerer Gemeinden umfassen. Vgl. Blümcke, Otto: Handwerkszünfte i m m i t t e l a l t e r lichen Stettin, Stettin 1884, S. 153. 2 Vgl. Below , Georg von: „Zünfte", i n : Wörterbuch der Volkswirtschaft, Bd. 2, 3. Aufl., Jena 1911, S. 1484; Loesch, Heinrich von: Die K ö l n e r Z u n f t urkunden nebst anderen Gewerbeurkunden bis zum Jahre 1500, Publikationen der Gesellschaft f ü r Rheinische Geschichtskunde X X I I , Bd. 1, Bonn 1907, S. 4 2 + ; Zorn, Wolf gang: „Zünfte", i n : Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 12, S. 484. 3 Vgl. Wehrmann, C.: Die älteren Lübeckischen Zunftrollen, Lübeck 1864, S. 24. 4 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 42 + . 5 Die Gaffel w a r jedoch keine gewerbliche, sondern eine politische Zunft. I n K ö l n verlangte der Rat der Stadt 1400, daß jeder Bürger binnen 14 Tagen

16

1. Teil, Α. Einführung in die Geschichte

Schlesien) verwendet 8 . Der Bezeichnung „Brüderschaft" kommt — neben der synonymen Verwendung m i t Zunft — eine besondere Bedeutung zu, da sie allgemein neben oder innerhalb von Zünften und Gesellenverbänden bestehende Vereinigungen bezeichnete, die ausschließlich religiöse Funktionen hatten und caritative Aufgaben übernahmen 7 . Eine recht übersichtliche systematische Einteilung der Zünfte und Handwerke erstellte E. J. Kulenkamp 8 , die von Huber-Liebenau (ohne Hinweis auf das ältere Werk von Kulenkamp) fast wörtlich übernommen wurde. Er geht allerdings einen kleinen Schritt weiter, indem er die Gruppen Kulenkamps unter die fünf Kriterien: Verfassung, Wohnort, Umfang, Verhältnis der verschiedenen Gewerbe zueinander, politische Bedeutung, unterordnet. Für diese Arbeit ist lediglich die Einteilung nach der Verfassung interessant, die w i r daher i m Wortlaut wiedergeben wollen: „1) freie oder zünftige Gewerbe, je nachdem i n gewissem Umkreise das Gewerbe ohne besondere Erlaubniß oder nur i n einer obrigkeitlich bestätigten Genossenschaft betrieben werden durfte; 2) geschlossene und ungeschlossene Zünfte, je nachdem sie nur eine bestimmte Anzahl von Meistern aufnahmen oder nicht; 3) ungesperrte oder zur Stadt geschworene und gesperrte, je nachdem Auswärtige zugelassen wurden und Wanderschaft gestattet war oder nicht; einer Gaffel beizutreten habe. Vgl. Dörner, Robert: Das Sarworter- u n d das Schwertfegeramt i n K ö l n v o n den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1550, Diss. Freiburg, K ö l n 1915, S. 29; vgl. auch Rörig, Fritz: Die europäische Stadt u n d die K u l t u r des Bürgertums i m Mittelalter, hrsg. v o n Luise Rörig, 2. Aufl., Göttingen 1959, S. 106, der allerdings als Jahreszahl 1396 nennt. β Vgl. Below , Georg von: Das ältere deutsche Städtewesen u n d Bürgertum, i n : Monographien zur Weltgeschichte, Bd. 6, 2. Aufl., Bielefeld — Leipzig 1905, S. 124; bisweilen scheint zwischen einzelnen dieser Bezeichnungen ein Rangunterschied gemacht worden zu sein, der jedoch f ü r diese A r b e i t unbedeutend ist. Vgl. dazu Hausherr, Hans: Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit v o m Ende des 14. bis zur Höhe des 19. Jahrhunderts, 3. Aufl., K ö l n — Graz 1960, S. 14; Lütge, F.: Deutsche Sozial- u n d Wirtschaftsgeschichte. E i n Überblick, 3. Aufl., B e r l i n — Heidelberg — N e w Y o r k 1966, S. 175 - 176; Scheschkewitz, Ulrich: Das Zunftwesen der Stadt Lüneburg v o n den Anfängen bis zur Änderung der Stadtverfassung i m Jahre 1639, Diss. H a m b u r g 1966, S. 10 ff. 7 Vgl. Knoll, Alexander: Handwerksgesellen u n d Lehrlinge i m Mittelalter, B e r l i n 1931, S. 15. 8 „Geschlossene u n d ungeschlossene; gesperrte u n d ungesperrte; einfache u n d zusammengesetzte; verwandte u n d nicht verwandte; H a u p t - u n d Nebenhandwerke; übersetzte u n d nicht übersetzte; geschenkte u n d ungeschenkte; Stadt- u n d Dorfhandwerke; große, mittelmäßige u n d kleine; L a n d - u n d Ortszünfte; Handwerke u m Tagelohn, u m Handwerkslohn, zum feilen Verkauf; Handwerke, die gegebene u n d solche, die eigene Materialien verarbeiten". Kulenkamp, E. J.: Das Recht der Handwerker u n d Zünfte, M a r b u r g 1807, S. 46 - 60.

I . Zünfte 4) einfache

u n d zusammengesetzte,

17

j e n a c h d e m sie blos e i n u n d das-

selbe oder v e r w a n d t e G e w e r b e b e t r i e b e n ; 5) übersetzte

u n d nicht

übersetzte,

j e n a c h d e m die Z a h l der L e h r l i n g e

b e s c h r ä n k t w a r oder n i c h t " 9 ; a n z u f ü g e n w ä r e noch: 6) geschenkte

u n d ungeschenkte

Handwerke10.

2. Entstehungsursachen M i t d e n E n t s t e h u n g s u r s a c h e n d e r Z ü n f t e befassen sich verschiedene T h e o r i e n 1 1 , v o n d e n e n h i e r i n g r o b e n Z ü g e n n u r die w i c h t i g s t e n genannt werden. D i e A n s i c h t , die Z ü n f t e seien aus d e n a l t r ö m i s c h e n c o l l e g i a h e r v o r gegangen 1 2 , ist w e i t g e h e n d aufgegeben 1 3 , w i r d jedoch h e u t e noch h i n u n d w i e d e r v e r t r e t e n 1 4 . V e r b r e i t e t e r i s t die A u f f a s s u n g v o m U r s p r u n g der 9 Huber-Liebenau, Theodor von: Das deutsche Zunftwesen i m Mittelalter, i n : Rud. Virchow u n d Fr. v. Holtzendorff, Hrsg.: Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge, X I I I . Serie, Heft 312, B e r l i n 1879, S. 21. 10 Z u r Definition vgl. T e i l 1, Β I V 2 d: E x k u r s : „Geschenkte" u n d „ u n geschenkte" Handwerke. 11 I n der Geschichtswissenschaft gibt u n d k a n n es keine Theorien geben. Wenn dieses W o r t gleichwohl verwendet w i r d , so folgt die Verfasserin dem allgemeinen Sprachgebrauch. Der Historiker spricht an solchen Stellen v o n Thesen. 12 Vgl. Heineccius, Joh. Gottlieb: Opera, Tom. 2, Opusculorum v a r i o r u m Sylloge I, Exercitatio I X , De collegiis et corporibus opificum: „ S i v l l a i n re Germani vetera Romanorum instituta adoptarunt, factum i d certe i n collegiis & corporibus opificum instituendis", Genf 1746, S. 404; Mone, F. J.: Zunftorganisation v o m 13.-16. Jahrhundert i n der Schweiz, Baden, Elsaß, Bayern u n d Hessen, i n : Zeitschrift f ü r die Geschichte des Oberrheins, Bd. 15, Karlsruhe 1863, S. 1; Hartmann, L u d o M.: Z u r Geschichte der Zünfte i m frühen Mittelalter, i n : Zeitschrift f ü r Social- u n d Wirtschaftsgeschichte, Bd. 3, Weimar 1895, S. 120 - 121; M i c k w i t z zeigt die Möglichkeit einer Entwicklungslinie v o n den antiken Berufsvereinen über die Korporationen v o n Byzanz zu den abendländischen Zünften auf. Vgl. Mickwitz, Gunnar: Die K a r t e l l f u n k t i o nen der Zünfte u n d ihre Bedeutung bei der Entstehung des Zunftwesens, i n : Commentationes H u m a n a r u m Litterarum, Bd. 8, Heft 3, Helsingfors 1936. 13 Vgl. Stieda, W i l h e l m : Z u r Entstehung des deutschen Zunftwesens, i n : Jahrbücher f ü r Nationalökonomie u n d Statistik, Bd. 27, Jena 1876, S. I f f . ; Below, Georg von: „Zünfte", S. 1486; Wilda, W i l h e l m Eduard: Das Gildenwesen i m Mittelalter, Halle 1831, S. 292; Maurer, Georg L u d w i g von: Geschichte der Städteverfassung i n Deutschland, Bd. 2, Erlangen 1870, S. 321 f.; Rodbertus: Untersuchungen auf dem Gebiete der Nationalökonomie des klassischen A l t e r t h u m s ; Z u r Geschichte der römischen Tributsteuern seit Augustus, i n : Jahrbücher f ü r Nationalökonomie u n d Statistik, Bd. 5, Jena 1865, A n m . 74, S. 301 - 302. 14 Vgl. z . B . Burghardt, A n t o n : Lehrbuch der allgemeinen Sozialpolitik, B e r l i n 1966, S. 81; ebenso Mumford, Lewis: Die Stadt. Geschichte u n d A u s blick, K ö l n 1963, S. 315 u n d 316. Vgl. auch Dopsch, Alfons: Wirtschaftliche u n d soziale Grundlagen der europäischen K u l t u r e n t w i c k l u n g aus der Zeit v o n Cäsar bis auf K a r l den Großen, 2. Teil, Wien 1920, S. 423 ff.

2 Fröhlich

18

1. Teil, Α. Einführung in die Geschichte

Zünfte i n germanisch-heidnischen Bräuchen 15 . Die hofrechtliche Theorie sieht i n den Amtseinrichtungen und Genossenschaften der Fronhöfe die Vorläufer und Vorbilder der städtischen Handwerkszünfte 18 . 15 A l s „ G i l d e " w u r d e n i m nordischen A l t e r t u m feierliche Opfergelage bezeichnet. Das W o r t „Gilde" wurde von der Verpflichtung der Teilnehmer zur Zahlung eines Betrages abgeleitet (gelten = zahlen). Vgl. Kleeis, Friedrich, S. 23; diese A b l e i t u n g der Gilden aus heidnischen Opfergelagen lehnen Meister u n d H a r t w i g ab. Vgl. Meister, Aloys: Die Anfänge des Gildewesens, i n : Hermann Grauert zur Vollendung des 60. Lebensjahres, Festgabe zum 7.10. 1910, Freiburg i. Br. 1910, S. 3 0 - 4 1 ; Hartwig, O.: Untersuchungen über die ersten Anfänge des Gildewesens, i n : Forschungen zur Deutschen Geschichte, Bd. 1, Heft 1, Göttingen 1860, S. 154. Vertreter der genannten Theorie sind: Wilda, W i l h e l m Eduard: vgl. S.26, S. 307 ff., S. 314: Brentano, L u j o : Die Arbeitergilden der Gegenwart, Bd. 1 : Z u r Geschichte der englischen Gewerkvereine, Leipzig 1871, S. 36 ff.; Hegel, K a r l von: Städte u n d Gilden der germanischen Völker i m Mittelalter, Bd. 1, Leipzig 1891, S. 254; Müllenhoff, Karl: Deutsche Altertumskunde, Bd. 4, B e r l i n 1900, S. 216 u n d S. 340; Wernet, W i l helm: Soziale Handwerksordnung, A u f r i ß einer deutschen Handwerksgeschichte i m Hinblick auf die Sozialtätigkeit der handwerklichen Berufsorganisationen, Berlin-Lichterfelde 1939, S. 42; Winzer, J.: Die deutschen Brüderschaften des Mittelalters, insbesondere der B u n d der deutschen Steinmetzen u n d dessen U m w a n d l u n g zum Freimaurerbund, Gießen 1859, S. 46; Goldschmidt, L . : Handbuch des Handelsrechts, Bd. 1, 3. Aufl., Stuttgart 1891, S.114. 16 Extremster Vertreter dieser Theorie w a r Nitzsch. Vgl. Nitzsch, K a r l W i l h e l m : Vorarbeiten zur Geschichte der staufischen Periode, Bd. 1: Ministerialität u n d Bürgertum i m 11. u n d 12. Jahrhundert, Leipzig 1859, S. 351 ff.; i n neuer F o r m wurde sie vorgetragen v o n Eber Stadt, Rudolph: Magisterium u n d Fraternitas. Eine verwaltungsgeschichtliche Darstellung der Entstehung des Zunftwesens, i n : Staats- u n d socialwissenschaftliche Forschungen, Bd. 15, Heft 2, Leipzig 1897; ders.: Der Ursprung des Zunftwesens u n d die älteren Handwerksverbände des Mittelalters, 2. Aufl., München — Leipzig 1915, S. 292; ebenso Heyne, M o r i t z : Das altdeutsche Handwerk, Straßburg 1908, S. 130; ferner i n modifizierter F o r m v o n Bücher. Vgl. Bücher, K a r l : Die E n t stehung der V o l k s w i r t s c h a f t , Sechs Vorträge, Tübingen 1893, S. 58 ff.; ders.: „Gewerbe", i n : Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 3, Jena 1892, S. 931 f.; vgl. ferner Stieda, W i l h e l m : Z u r Entstehung des deutschen Z u n f t wesens, S. 46 ff.; Schmoller, Gustav: Straßburg zur Zeit der Zunftkämpfe u n d die Reform seiner Verfassung u n d V e r w a l t u n g i m X V . Jahrhundert, Quellen u n d Forschungen zur Sprach- u n d Culturgeschichte der germanischen Völker, Bd. 11, Straßburg 1875, S. 6 ff.; Müller, Walter: Z u r Frage des Ursprungs der mittelalterlichen Zünfte, Leipziger historische Abhandlungen, Heft 22, Leipzig 1910, S. 66 f.; Böhmert, V i c t o r : Beiträge zur Geschichte des Zunftwesens, Leipzig 1862, S. 2; Eichhorn, C. F.: Über den Ursprung der städtischen V e r fassung, i n : Zeitschrift f ü r geschichtliche Rechtswissenschaft, Bd. 1, B e r l i n 1815, S. 243, u n d Bd. 2, B e r l i n 1816, S. 220. Gegner dieser Theorie w a r vor allem von Below, der i n seinem Aufsatz „ Z u r Entstehung der deutschen Stadtverfassung", i n : Historische Zeitschrift, Bd. 58, München — Leipzig 1887, gegen Nitzsch auf S. 193 ff. u n d gegen Stieda auf S. 213 ff. Stellung n i m m t . Büchers Überlegungen widerlegt er i n seinem Aufsatz „Die Entstehung des Handwerks i n Deutschland", i n : Zeitschrift f ü r Social- u n d Wirtschaftsgeschichte, Bd. 5, Weimar 1897, S. 124 - 164 u n d S. 225 - 247, ferner i n seinem Buch: T e r r i t o r i u m u n d Stadt, Aufsätze zur deutschen Verfassungs-, Verwaltungs- u n d Wirtschaftsgeschichte, Historische Bibliothek, Bd. 11, München — Leipzig 1900, S. 303 ff.; vgl. ferner Below, Georg von: K r i t i k zu Bücher: Entstehung der V o l k s w i r t s c h a f t , i n : Historische Zeitschrift, Bd. 90, München — B e r l i n 1903, S. 101 ff.; ders.: Über Theorien der w i r t s c h a f t l i c h e n Entwicklung der

I . Zünfte

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K e u t g e n v e r t r i t t die A n s i c h t , die ä l t e r e n deutschen Z ü n f t e seien eine W e i t e r e n t w i c k l u n g d e r v o n der O b r i g k e i t z u r M a r k t - u n d G e w e r b e a u f sicht geschaffenen „ Ä m t e r " ( Ä m t e r t h e o r i e ) 1 7 . D i e a l l e n gemeinsame Schwäche dieser T h e o r i e n ist i h r e E i n s e i t i g k e i t . Gerade soziale E r s c h e i n u n g e n lassen sich m i t m o n o k a u s a l e n E r k l ä r u n g e n k a u m erfassen. So m u ß auch f ü r das E n t s t e h e n der h a n d w e r k l i c h e n V e r e i n i g u n g e n eine „ b u n t e F ü l l e v o n B e w e g g r ü n d e n " a n g e n o m m e n w e r d e n 1 8 , d a r u n t e r religiöse M o t i v e u n d w i r t s c h a f t l i c h e N o t w e n d i g k e i t 1 9 . D i e H a n d w e r k e r schlossen sich aus e i n e m a l l g e m e i n e m p f u n d e n e n B e d ü r f n i s u n d aus eigener I n i t i a t i v e z u s a m m e n , u m sich e i n e r K i r c h e anzuschließen, z u m Schutz i h r e s E i g e n t u m s u n d i h r e r F a m i l i e , z u r w i r t schaftlichen u n d m o r a l i s c h e n K o n t r o l l e i h r e r M i t g l i e d e r , z u r A b w e h r v o n F ä l s c h e r n u n d B e t r ü g e r n , die das A n s e h e n des H a n d w e r k s schmäl e r n konnten, zur Überwachung der A u s b i l d u n g u n d nicht zuletzt, u m f ü r W i t w e n , Waisen, A l t e u n d K r a n k e aus i h r e r M i t t e z u sorgen. D a b e i m ö g e n a l l e r d i n g s Ü b e r n a h m e u n d N a c h a h m u n g b e r e i t s bestehender I n s t i t u t i o n e n eine gewisse R o l l e gespielt h a b e n 2 0 . So o r g a n i s i e r t e n sich die Z ü n f t e nach d e m M u s t e r d e r i h n e n z e i t l i c h v o r a u f g e g a n g e n e n K a u f manns-Gilden. Völker, m i t besonderer Rücksicht auf die Stadtwirthschaft des deutschen Mittelalters, i n : Historische Zeitschrift, Bd. 86, München — Leipzig 1901, S. 58 f.; ders.: Z u r Geschichte des Handwerks u n d der Gilden, i n : Historische Zeitschrift, Bd. 106, München — B e r l i n 1911, S. 282. A r n o l d w i r d i m allgemeinen zu den Gegnern der hofrechtlichen Theorie gezählt, weicht aber nicht wesentlich v o n i h r ab. Vgl. Arnold, W i l h e l m : Das A u f k o m m e n des H a n d werkerstandes i m Mittelalter, Basel 1861, S. 19 ff. u n d S. 27 ff.; ders.: V e r fassungsgeschichte der Stadt Worms, Bd. 1, H a m b u r g — Gotha 1854, S. 250 f. 17 Vgl. Keutgen, Friedrich: Ä m t e r u n d Zünfte. Z u r Entstehung- des Zunftwesens, Jena 1903, S. 137 u n d S. 184; Rietschel, Siegfried, Referat zu Keutgen, F.: Ä m t e r u n d Zünfte, i n : Vierteljahresschrift f ü r Social- u n d Wirtschaftsgeschichte, Bd. 2, Leipzig 1904, S. 329 ff.; Beyerle, K . : K r i t i k zu Keutgen, F.: Ä m t e r u n d Zünfte, i n : Zeitschrift der Savigny-Stiftung f ü r Rechtsgeschichte, Bd. 24, germ. Abt., Weimar 1903, S. 451; Oppermann, Otto: Allgemeine deutsche Geschichte, Deutsche Verfassungs- u n d W i r t s c h a f t s geschichte bis u m 1500, i n : Jahresberichte der Geschichtswissenschaft, Bd. 27, 1.Hälfte, Jahrg. 1904, B e r l i n 1906, S . I I , S.476f.; gegen Keutgens Ä m t e r theorie haben v o r allem v o n Loesch u n d v o n Below Stellung genommen. Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 3 9 + ; Below, Georg von: K r i t i k zu Keutgen, F.: Ä m t e r u n d Zünfte, i n : Historische Viertel jahresschrift, 7. Jahrg., Leipzig 1904, S. 552 ff.; vgl. auch Dopsch, Alfons: Beiträge zur Sozial- u n d Wirtschaftsgeschichte, i n : Patzelt, Erna, Hrsg.: Alfons Dopsch — Gesammelte Aufsätze, Bd. 2, Wien 1938, S. 60. 18 Vgl. Potthoff, Ossip Demetrius: Kulturgeschichte des deutschen Handwerks m i t besonderer Berücksichtigung seiner Blütezeit, H a m b u r g 1938, S. 44. 19 Vgl. Bechtel, Heinrich: Wirtschaftsstil des deutschen Spätmittelalters. Der Ausdruck der Lebensform i n Wirtschaft, Gesellschaftsaufbau u n d K u n s t von 1350 bis u m 1500, München — Leipzig 1930, S. 54. Vgl. auch Maurer, Ernst: Z u n f t u n d Handwerker der alten Zeit. E i n volkssoziologischer Versuch, N ü r n berg 1940, S. 69 - 70. 20 Vgl. Below, Georg von: „Gilden", i n : Wörterbuch der Volkswirtschaft, Bd. 1, 3. Aufl., Jena 1911, S. 1162. 2*

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1. Teil, Α. Einführung in die Geschichte

U m diese Ziele zu erreichen bzw. u m die der Zunft zugewachsenen Funktionen 2 1 erfüllen zu können, mußte die Möglichkeit zur Erfassung aller Vertreter des betreffenden Handwerks gegeben sein. Und so war auch „das hauptsächlichste und spezielle Motiv, welches die gewerblichen Kreise zum Zusammenschluß i n Zünfte veranlaßte,... i n erster Linie die Ausübung des Zunftzwanges" 22 . Erst die Erlangung des Zunftzwanges gab den Zünften die Möglichkeit, ein Ziel zu erreichen, das bereits i n zwei der ältesten bekannten Urkunden (der Wormser Fischer und der Würzburger Schuster) anklang und später noch an Bedeutung gewann: die Kontrolle der Konkurrenzverhältnisse i m Innern, besonders aber nach außen hin. Die Ausdehnung oder Beschränkung der Zahl der Handwerksbetriebe und deren Größe lag i n der Macht der Zünfte 2 3 . Einkaufs- und Verkaufspreise, Löhne und Höhe der Produktion wurden von den Zünften weitgehend gleichgehalten 24 . Mickwitz weist i n seiner Untersuchung über die Kartellfunktionen der Zünfte besonders auf die — für die Städte schädlichen — Preisübereinkünfte hin und sieht hierin ein wesentliches Ziel der Zünfte 2 5 . Diese Maßnahmen tragen zweifellos kartellartige Züge, auch wenn sie von den meisten Forschern als Streben nach Brüderlichkeit und Gleichheit ausgelegt wurden 2 8 . Obwohl diese romantische Sicht der Zünfte ihrem Wesen wenig gerecht w i r d und sich die anfangs offenen Zünfte später zu kartellartigen Organisationen entwickelten, ist der Wunsch nach Kartellbildung jedoch nicht als Gründungsursache anzusehen: „Die Version, die Zünfte seien aus rein wirtschaftlichen Wünschen nach Verkaufspreissicherung (Kartelle) erwachsen, hat wenig Gewicht behalten 2 7 ." Die Gründung der Zünfte erfolgte i n der Regel von den Handwerkern selbst 28 . Dabei ist die Rolle der Obrigkeit unterschiedlich. Sie reicht von 21 Diese Funktionen w a r e n die berufs- u n d marktordnende, die j u r i s diktionale, die kirchliche, die soziale u n d die politische Funktion. 22 Below , Georg von: „Zünfte", S. 1486; vgl. auch Gierke , Otto: Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. 1, B e r l i n 1868, S. 249; Mummenhoff, Ernst: Der Handwerker i n der deutschen Vergangenheit, Leipzig 1901, S. 23; vgl. hingegen Philippi, F.: H a n d w e r k u n d Handel i m deutschen Mittelalter, i n : Mitteilungen des Instituts f ü r österreichische Geschichtsforschung, Bd. 25, Innsbruck 1904, S. 113, S. 120. 23 Vgl. Potthoff, Ossip Demetrius, S. 44 - 45. 24 Vgl. T e i l 1, Β I I I : Sicherung gegen A r m u t . 25 Vgl. Mickwitz, Gunnar, S. 130 ff.; vgl. auch Brinkmann, Carl: W i r t schafte· u n d Sozialgeschichte, 2. Aufl., Göttingen 1953, S. 74 f. 26 Vgl. Krefft, Helene: Kartelle u n d Zünfte. Tragen die mittelalterlichen Zünfte kartellartigen Charakter? Diss. Göttingen 1925, S. 225 ff. 27 Zorn, Wolfgang: „ Z ü n f t e " , S. 485; vgl. auch Lütge, Friedrich, S. 175, S. 256; Kulischer, Josef: Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters u n d der Neuzeit, Bd. 1, München — B e r l i n 1928, S. 193.

I . Zünfte

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b l o ß e r D u l d u n g ü b e r B e s t ä t i g u n g bis z u r A u s s t a t t u n g der Z ü n f t e m i t eigenen Hechten. D i e B i t t e der Z ü n f t e u m o b r i g k e i t l i c h e A n e r k e n n u n g b e t r a f i n erster L i n i e die E r l a n g u n g dieser Hechte: Z u n f t z w a n g u n d R e c h t s k r a f t der Zunftbeschlüsse gegenüber d e n Z u n f t m i t g l i e d e r n 2 9 . D i e B e w e g u n g des z ü n f t i g e n Zusammenschlusses erfaßte d e n gesamt e n abendländischen K u l t u r k r e i s 3 0 . D i e u n v e r k e n n b a r e Ä h n l i c h k e i t der Z u n f t e i n r i c h t u n g e n , selbst i n e n t f e r n t e n Gegenden, b e w e i s t , „ d a ß die I n n u n g e n aus e i n e m ü b e r a l l v e r b r e i t e t e n u n d ü b e r a l l gleichen B e d ü r f n i s hervorgingen" 31. 3. Entstehungszeit W ä h r e n d die M e i n u n g e n ü b e r die E n t s t e h u n g s u r s a c h e n der Z ü n f t e auseinandergehen, herrscht ü b e r die Z e i t i h r e r E n t s t e h u n g w e i t g e h e n d E i n i g k e i t . Z u d e n ä l t e s t e n u r k u n d l i c h nachgewiesenen Z ü n f t e n gehören die W e b e r i n M a i n z (1099) 32 , die Fischer i n W o r m s (1106) 33 , die S c h u h 28 Vgl. Blümcke, Otto, S. 53; Below , Georg von: Probleme der Wirtschaftsgeschichte, Eine Einführung i n das Studium der Wirtschaftsgeschichte, T ü b i n gen 1920, S. 271. 29 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 5 2 + ; Croon , Gustav: Z u r Entstehung des Zunftwesens, erläutert am Beispiel der U r k u n d e der K ö l n e r Bettziechenweber v o n 1149, Diss. M a r b u r g 1901, S. 6; vgl. auch Lappenberg, Johann M a r t i n : Geschichtsquellen des Erzstifts u n d der Stadt Bremen, Neudruck der Ausgabe 1841, Aalen 1967, S. 74 (Qu. 1). 30 Vgl. Dören, A l f r e d : E n t w i c k l u n g u n d Organisation der Florentiner Zünfte i m 13. u n d 14. Jahrhundert, i n : Schmollers Staats- u n d socialwissenschaftliche Forschungen, Bd. 15, Heft 3, Leipzig 1897, S. 95; ders.: Deutsche Handwerker u n d Handwerkerbruderschaften i m mittelalterlichen Italien, B e r l i n 1903, S. 62 ff.; ders.: Studien aus der Florentiner Wirtschaftsgeschichte, Bd. 2: Das Florentiner Zunftwesen v o m vierzehnten bis zum sechzehnten Jahrhundert, Stuttgart — B e r l i n 1908; Leonhard, R.: Über Handwerkergilden u n d Verbrüderungen i n Spanien, i n : Jahrbücher f ü r Nationalökonomie u n d Statistik, Bd. 92, Jena 1909, S. 742; Eulenburg, Franz: Das Wiener Zunftwesen, i n : Zeitschrift f ü r Social- u n d Wirtschaftsgeschichte, Bd. 1, Freiburg — Leipzig 1893, S. 316; Saint-Léon, Etienne M a r t i n : Histoire des corporations de métiers, 3. Aufl., Paris 1922, S. 83 ff.; Gehrig, Hans: Das Zunftwesen Konstantinopels i m 10. Jahrhundert. E i n Vortrag über „le l i v r e du préfet", i n : Jahrbücher f ü r Nationalökonomie u n d Statistik, Bd. 93, Jena 1909, S. 577 ff.; Gallion, W i l h e l m : Der Ursprung der Zünfte i n Paris; A b h a n d lungen zur mittleren u n d neueren Geschichte, Heft 24, B e r l i n — Leipzig 1910, S. 84 ff.; Nyrop, C.: Danmarks Gilde- og Lavskraaer Fra Middelalderen, Bd. 2, Kopenhagen 1895 - 1904; Popelka, Fritz: Geschichte des Handwerks i n Obersteiermark bis zum Jahre 1527, i n : Viertel jahresschrift f ü r Sozial- u n d W i r t schaftsgeschichte, Bd. 19, Stuttgart 1926, S. 110 ff. 31 Wehrmann, C., S. 10. 32 Vgl. Ioannis, Georg Christian: Rerum Moguntiacarum, Vol. I I , F r a n k f u r t 1722, S. 518 (Qu. 2). 33 Vgl. Schannat, Johann Friedrich: Historia Episcopatus Wormatiensis, Bd. 2: Codex probationum, F r a n k f u r t 1734, S. 62 (Qu. 3); auch gedruckt bei: Boos, Heinrich: Quellen zur Geschichte der Stadt Worms, l . T h e i l : U r k u n d e n buch der Stadt Worms, Bd. 1, B e r l i n 1886, S. 50.

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1. Teil, Α . Einführung i n die Geschichte

macher i n W ü r z b u r g (1128) 34 , die B e t t z i e c h e n w e b e r i n K ö l n (1149) 35 , die W o l l t u c h w e b e r i n K ö l n (1149) 36 , die Schuster i n M a g d e b u r g (1152 bis 1192) 37 u n d die Drechsler i n K ö l n ( u m 1180) 38 . V i e l e s d e u t e t d a r a u f h i n , daß die Z ü n f t e z u dieser Z e i t schon seit m e h r e r e n G e n e r a t i o n e n bestanden h a b e n 3 9 . H ä u f i g e r f o l g t e eine u r k u n d l i c h e N i e d e r l e g u n g des z ü n f t i g e n Zusammenschlusses b z w . der Z u n f t s t a t u t e n — n a c h d e m sie l a n g e Z e i t G e w o h n h e i t s r e c h t w a r e n — erst a u f i r g e n d e i n e n A n l a ß h i n , da i m a l l g e m e i n e n k e i n B e d ü r f n i s bestand, den Hegeln, die o h n e h i n b e f o l g t w u r d e n , d u r c h schriftliche F i x i e r u n g größere A u t o r i t ä t z u v e r l e i h e n . W ä h r e n d es bis 1150 n u r w e n i g e U r k u n d e n ü b e r z ü n f t i g e Z u s a m m e n schlüsse g i b t , v e r m e h r e n sich die Zeugnisse i h r e r E x i s t e n z zwischen 1150 u n d 1300 i n i m m e r s t ä r k e r e m Maße. N i c h t i m m e r d u l d e t e die O b r i g k e i t diese V e r e i n i g u n g e n . A u f d e m Reichstag z u Goslar erließ F r i e d r i c h I I 1219 e i n a l l g e m e i n e s V e r b o t der I n n u n g e n , das aber w o h l erfolglos b l i e b , d e n n es f o l g t e n w e i t e r e V e r b o t e 4 0 . 84 Vgl. Gramich , V.: Verfassung u n d V e r w a l t u n g der Stadt Würzburg, Würzburg 1882, S. 68/69 (Qu. 4). 35 Vgl. Lacomblet, Theodor Josef: Urkundenbuch f ü r die Geschichte des Niederrheins oder des Erzstiftes K ö l n , Bd. 1, Düsseldorf 1840, S. 251 - 252 (Qu. 5). 36 Vgl. Hoeniger, Robert: Kölner Schreinsurkunden des zwölften Jahrhunderts. Quellen zur Rechts- u n d Wirtschaftsgeschichte der Stadt Köln, Publikationen der Gesellschaft f ü r Rheinische Geschichtskunde, Bd. 1, Bonn 1884 - 1888, S. 43 (Qu. 6). 37 Vgl. Ludewig, Io. Peter: Reliquiae manuscriptorum omnis aevi diplom a t u m ac monumentorum ineditorum adhuc, Bd. 2, F r a n k f u r t 1720, S. 388 - 389 (Qu. 7); auch gedruckt bei Hertel, Gustav: Urkundenbuch der Stadt Magdeburg, Bd. 1, Halle 1892, S. 32; die Echtheit dieser Urkunde w i r d angezweifelt. Vgl. Keutgen, Friedrich: U r k u n d e n zur städtischen Verfassungsgeschichte, 1. Hälfte, i n : Below, Georg von, u n d Friedrich Keutgen, Hrsg.: Ausgewählte U r k u n d e n zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, B e r l i n 1899, S. 354. 38 Vgl. K ö l n e r Stadtarchiv, A b t . 1001, Bd. 17, S. 7 - 10. Es handelt sich u m ein Transsumpt (wörtliche Übertragung i n eine neue Urkunde), i n dem die frühere Urkunde enthalten ist. Z u r Datierung vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 34. Erstmals gedruckt wurde diese Urkunde v o n Knipping, Richard: Eine bisher unbekannte U r k u n d e der K ö l n e r Richerzeche, i n : Korrespondenzblatt der Westdeutschen Zeitschrift f ü r Geschichte u n d Kunst, Jahrg. X I , Nr. 5/6, T r i e r 1892, Sp. 117 - 118 (Qu. 8). Z u den ältesten bekannten U r k u n d e n gehören ferner die der Gewandschneider i n Magdeburg 1183 (vgl. Janicke, K . : Vier Magdeburger Innungsprivilegien, i n : Geschichtsblätter f ü r Stadt u n d L a n d Magdeburg, 4. Jahrg. 1869, Magdeburg 1870, S. 316; auch gedruckt bei Höhlbaum, Konstantin: H a n sisches Urkundenbuch, Bd. 1, Halle 1876, S. 19) u n d die der Goldschmiede i n Braunschweig 1231 (vgl. Hänselmann, L u d w i g : Urkundenbuch der Stadt Braunschweig, Bd. 1, Braunschweig 1873, S. 7 - 8). 39 So weist Loesch darauf hin, daß die genannten Kölner Zünfte als Nachzügler hinter der eigentlichen Kölner Gründungsepoche anzusehen sind, da sie nicht zu den i n anderen Städten zuerst organisierten Grundgewerben zählen. Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 47 + . 40 Vgl. Gierke, Otto, S. 247.

I. Zünfte

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1231 auf dem Reichstag zu Ravenna, „wurde allen deutschen Städten vom Kaiser verboten, eigenmächtig Stadträte und Bürgermeister einzusetzen, Innungen, Bruderschaften und Zünfte zu bilden, kurz, sich Selbstverwaltungsorgane zu schaffen" 41 . Auch dieses Verbot zeigte keine große Wirksamkeit, denn die Zünfte existierten weiter. Ende des 13. Jahrhunderts schließlich hatten sich die Innungen endgültig durchgesetzt 42 . 4. Entstehungsort

Zunftbildung war eine typisch städtische Erscheinung, auf dem Lande kam sie praktisch nicht vor. Die wenigen ländlichen Handwerker waren meist nebenher Bauern, und i n ihrer Eigenschaft als Handwerker organisierten sie sich nicht i n wirtschaftlichen Zusammenschlüssen 43 . Die Städte waren also der Boden für die Zunftbildung, aber nicht alle Städte begünstigten sie i n gleichem Maße. Jecht entwickelte eine Typologie der mittelalterlichen Stadt, i n der er zwischen der „Ackerbürgerstadt", der „mittelgroßen, allseitig entwickelten Stadt" und der „Exportgewerbeund Handelsstadt" unterscheidet 44 . Die besten Möglichkeiten für die Zünfte bot wohl der mittlere Typus der allseitig entwickelten Gewerbestadt, also die Städte, i n denen nicht ein einzelner Wirtschaftszweig dominierte — wie ζ. B. i n den großen, vorwiegend vom Handel beherrschten Seehäfen. Hier war vor allem die Chance größer, neben den Kaufleuten innerhalb der Stadt politischen Einfluß zu erlangen 45 . 5. Zunftmitglieder

Abgesehen von den zum Teil sehr unterschiedlichen Bedingungen für die Aufnahme i n eine bestimmte Zunft — Bestehen der Meisterprüfung, Vorhandensein eines kleinen Vermögens4® usw. — gab es eine Reihe per41 Grundmann, Herbert: Wahlkönigtum, T e r r i t o r i a l p o l i t i k u n d Ostbewegung i m 13. u n d 14. Jahrhundert, i n : Gebhard, Bruno, Hrsg.: Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 1 : Frühzeit u n d Mittelalter, 8. Aufl., Stuttgart 1954, 5. verbesserter Nachdruck 1960, S. 363. 42 Vgl. Stieda, W i l h e l m : Z u r Entstehung des deutschen Zunftwesens, S. 25 ff. 43 Vgl. Sjoberg, Gideon: The Preindustrial City, Past and Present, Glencoe, III., 1960, S. 187; Maurer, Georg L u d w i g von: Bd. 2, S.487f.; vgl. auch Brunner, Otto: Stadt u n d Bürgertum i n der europäischen Geschichte, i n : Geschichte i n Wissenschaft u n d Unterricht, Jg. 4, Stuttgart 1953, S. 534. 44 Vgl. Jecht, Horst: Studien zur gesellschaftlichen S t r u k t u r der m i t t e l alterlichen Städte, i n : Viertel jahresschrift f ü r Sozial- u n d Wirtschaftsgeschichte, Bd. 19, B e r l i n — Stuttgart — Leipzig 1926, S. 58 - 63. 45 Vgl. Thrupp, Sylvia L.: The Gilds, i n : The Cambridge Economic History of Europe, Bd. 3: Economic Organisation and Policies i n the Middle Ages, Cambridge 1963, S. 230 f . 46 Vgl. z . B . Rolle der Leineweber i n Wismar v o n 1415, i n : Burmeister, C. C. H.: A l t e r t h ü m e r des Wismarischen Stadtrechtes aus den ältesten bisher ungedruckten Stadtbüchern nebst den ältesten Zunftrollen aus dem v i e r zehnten Jahrhunderte, Hamburg 1838, S. 68 (Qu. 9).

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1. Teil, Α. Einführung in die Geschichte

sönlicher Eigenschaften, die jeder erfüllen mußte, der irgendwo i n eine Zunft aufgenommen werden wollte. Nach Kulenkamp wurde die Zunftfähigkeit bestimmt durch das Geschlecht, die freie Geburt, die eheliche Geburt, das ehrliche Herkommen, die Religion, ehrliche und ehrbare Aufführung 4 7 . Was das Geschlecht angeht, so waren — entgegen Kulenkamps A n sicht — zumindest i n der Frühzeit nicht überall nur Männer zunftfähig 48 . I n vielen Zunfturkunden w i r d die freie Geburt des Bewerbers verlangt, d.h. Leibeigene waren i n der Regel nicht zunftfähig. Vielfach wurde die „deutsche" Geburt verlangt, die m i t einem Geburtsbrief belegt werden mußte: Aus i h m mußte hervorgehen, daß die Bewerber „von keinem Wenden oder Kassuben, sondern vielmehr von untadelhaften Leuten herstammen, oder daß sie deutsch, nicht wendisch oder slavisch geboren wären" 4 9 . Unehelich Geborene waren nicht zunftfähig 50 . Nach dem „Reichsschluß wegen Abstellung der Unordnungen und Mißbräuche bey den Handwerkern" vom 16. August 1731 konnten sie jedoch legitimiert werden, sei es durch nachfolgende Heirat der Eltern oder durch landesherrliches Patent, worauf ihnen die Aufnahme i n die Zunft nicht mehr verweigert werden durfte 5 1 . Eine Reihe von Gewerben galt i m Mittelalter als anrüchig und ehrlos, so die Bader, Barbiere, Bettelvögte, Bachfeger, Gerichtsfrohnen, Leineweber, Müller, Schäfer, Pfeifer, Trompeter, Landgerichts- und Stadtknechte, Turm-, Holz- und Feldhüter, Totengräber, Nachtwächter, Gassenkehrer, Schweineschneider und Zöllner 5 2 . Angehörige dieser Gewerbe sowie deren Kinder konnten nicht i n Zünfte aufgenommen werden. Einige dieser Gewerbe — Bader, Barbiere, Leineweber, Müller — bildeten später eigene Zünfte. Eine Reihe von Reichsgesetzen versuchte, diese Vorurteile abzubauen — m i t unterschiedlichem Erfolg. Doch selbst i n dem bereits erwähnten Reichsschluß von 1731 wurden noch die Schinder 47

Vgl. Kulenkamp, E. J., S. 82 - 91. Vgl. T e i l 1, A 1 7 : Stellung der Zünfte i n der Gemeinde. 49 Berlepsch, H . A . : Chronik der Gewerke, Bd. 1: Deutsches Städtewesen u n d Bürgerthum, St. Gallen 1850, S. 61. 50 Vgl. Beier, A d r i a n : De collegiis opificum; V o n der Handwercks-Zuenfïte Wesen u n d sonderbarem Gerichts-Brauch, Jena 1688, S. 64 - 65. 51 Vgl. Reichs-Schluß wegen Abstellung der Unordnungen u n d M i ß bräuche bey den Handwerkern, § 11, gedruckt bei Ortloff, D. Johann Andreas: Corpus juris opificiarii, 2. Aufl., Erlangen 1820, S. 20 (Qu. 10); vgl. auch Ortloff, D. Johann Andreas: Das Recht der Handwerker, Erlangen 1803, S. 156; ferner Chursächsische General-Innungsartikel v o m 8. J u n i 1780, § 6, gedruckt bei Ortloff, D. Johann Andreas: Corpus j u r i s opificiarii, S. 157 (Qu. 11). 62 Vgl. Kulenkamp, E. J., S. 85; ebenso Berlepsch, H . A . : Bd. 1, S. 60. 48

I. Zünfte

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und ihre Nachkommen bis i n die zweite Generation als zunftunfähig erklärt 5 3 . Nach Kulenkamp mußte sich i m 16. Jahrhundert jeder, der i n eine Zunft aufgenommen werden wollte, zum Katholizismus oder Protestantismus bekennen. Die Juden waren i n vielen deutschen Ländern zunftunfähig 54 . Die vielfältigsten Vorschriften i n den Zunfturkunden fordern einen untadeligen Lebenswandel — sowohl der Bewerber als auch der bereits i n die Zunft Aufgenommenen. So durfte der Zunftgenosse nicht nur sich selbst nichts zuschulden kommen lassen, auch seine Ehefrau unterlag den gleichen strengen moralischen Anforderungen: „Die Aembter und Zünffte i n den Städten müssen so rein seyn, als wann sie von Tauben geiessen, item Was unehrlich können die Aembter nicht leiden 55 ." 6. Politischer Einfluß der Zünfte

Wie weit der politische Einfluß i n den verschiedenen Städten und zu den verschiedenen Zeiten reichte, soll hier nicht näher untersucht werden. Es sei nur folgendes kurz festgehalten: Die Zunfthoheit stand ursprünglich dem Stadtherrn zu. Von i h m mußte die Erlaubnis, ein Gewerbe zu betreiben, erkauft werden. I n der Regel ging dieses Recht später auf die Gemeinde über5®. Nach Erlangung des Zunftzwanges mußte jeder Handwerker neben der üblichen Kaufsumme ein Eintrittsgeld i n die Zunftkasse zahlen, das unter Umständen i n der Höhe unterschiedlich war, je nach dem Status des Bewerbers als Einheimischer oder Fremder 57 . Die von jedem Mitglied an die Stadt zu zahlende Abgabe wurde später durch eine jährliche Zahlung der Zunft als Ganzes ersetzt 58 . Das Verhältnis der Zünfte zum Rat der Stadt war i m Verlauf der Jahrhunderte und von Gemeinde zu Gemeinde sehr unterschiedlich 59 . 53

Vgl. R e i c h s - S c h l u ß . . § 4, gedruckt bei Ortloff, D. Johann Andreas: Corpus j u r i s opificiarii, S. 11 (Qu. 12). 54 Vgl. Kulenkamp, E. J., S. 89 - 91. 55 Hertius, Joannes Nicolaus: J C t i et Antecessoris Gisseni, commentation u m atque opusculorum de selectis et rarioribus ex jurisprudentia universali, publica, feudali et romana, nec non historia Germanica, argumentis, Bd. 3: Paroemiarium j u r i s Germanicarum l i b r i très, F r a n k f u r t / M a i n 1700, S. 417. 68 I n K ö l n wurde das Recht der Zunftverleihung spätestens seit 1149 u n unterbrochen durch Gemeindeorgane ausgeübt. Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 48 + . 57 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 20 u n d S. 36 (Qu. 13 u n d 14) u n d viele andere Urkunden. 58 Vgl. Wilda, W i l h e l m Eduard, S. 326. 59 Vgl. Schönberg, Gustav: Z u r w i r t s c h a f t l i c h e n Bedeutung des deutschen Zunftwesens i m Mittelalter, i n : Jahrbücher f ü r Nationalökonomie u n d Statistik, Bd. 9, Jena 1867, S. 6.

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1. Teil, Α . Einführung i n die Geschichte

Die Zunftrechte w u r d e n v o m Rat einmal erweitert, ein andermal stark beschnitten, m a n c h m a l sogar n i e g e w ä h r t : D e r N ü r n b e r g e r R a t d u l d e t e k e i n e Z ü n f t e u n d so h a b e n bis a u f die J a h r e 1348/49 d o r t n i e Z ü n f t e i m S i n n e a u t o n o m e r , sich selbst v e r w a l t e n d e r V e r b ä n d e bestanden 6 0 . I m 13. J a h r h u n d e r t m a c h t e n die S t a d t r e g i e r u n g e n i n i h r e r a l l g e m e i n e n V e r w a l t u n g s a r b e i t z u n e h m e n d G e b r a u c h v o n d e n Z ü n f t e n , i n d e m sie deren V o r s t ä n d e als „ q u a s i - ö f f e n t l i c h e B e a m t e " b e h a n d e l t e n 6 1 . O f t g e l a n g es d e n Z ü n f t e n — i n zahllosen F ä l l e n v o n der M i t t e des 13. bis z u m E n d e des 14. J a h r h u n d e r t s f r e i l i c h n u r d u r c h R e b e l l i o n e n , die b i s z u b l u t i g s t e n A u f s t ä n d e n f ü h r t e n 6 2 — eigene M i t g l i e d e r i n den R a t der S t a d t z u entsenden u n d so a n dessen E n t s c h e i d u n g e n m i t z u w i r k e n 6 3 , oder sie e r h i e l t e n das Recht, ü b e r Vorschläge des Rats a b z u s t i m men64. 60 Vgl. Schoenlank, B r u n o : Z u r Geschichte altnürnbergischen Gesellenwesens, i n : Jahrbücher f ü r Nationalökonomie u n d Statistik, Bd. 53, Jena 1889, S. 338 ff.; Baader, J.: Nürnberg's Gewerbe i m Mittelalter, i n : 38. Jahresbericht des historischen Vereins f ü r Mittelfranken, Beilage I V , Ansbach 1871/1872, S. 114; Mummenhoff, Ernst: Der Handwerker i n der deutschen Vergangenheit, Leipzig 1901, S. 68. 61 Vgl. Thrupp, Sylvia L., S. 232; Neuburg, C.: Zunftgerichtsbarkeit u n d Zunftverfassung i n der Zeit v o m 13. bis 16. Jahrhundert, Jena 1880, S. 157- 199; vgl. auch Philippi, F.: Die gewerblichen Gilden des Mittelalters, i n : Preußische Jahrbücher, Bd. 69, Heft 5, B e r l i n 1892, S. 663- 665; ebenso Welter, Julian: Studien zur Geschichte des hamburgischen Zunftwesens i m Mittelalter, Diss. B e r l i n 1895, S. 67 ff. Über die Bedeutung der Zünfte als wesentlicher T e i l der städtischen Verteidigungsmacht vgl. Potthoff, Ossip Demetrius, S. 4 8 - 5 5 ; Heinzen, Toni: Zunftkämpfe, Zunftherrschaft u n d Wehrverfassung i n K ö l n , Diss. K ö l n 1939, S. 43 ff.; Klapper, Hans: Das Zunftwesen der Stadt Guhrau, Breslau 1936, S. 4; Gerichtsbuch der Stadt Bamberg v o m Jahre 1306 bis 1333 N r . V - X I , gedruckt bei Zoepfl, Heinrich: Das alte B a m berger Recht als Quelle der Carolina, Heidelberg 1839, Urkundenbuch, S.144 - 145. 62 I n den Zunftkämpfen ging es f ü r die Handwerker nicht etwa — wie ζ. B. von Sohm behauptet — u m die Erringung des Bürgerrechts, sondern u m das Aufbrechen des Machtmonopols der Patrizier u n d u m Mitspracherecht. Vgl. Below, Georg von: Der Ursprung der deutschen Stadtverfassung, Düsseldorf 1892, S. 51; ders.: Stadtgemeinde, Landgemeinde u n d Gilde, i n : Vierteljahresschrift f ü r Social- u n d Wirtschaftsgeschichte, Bd. 7, B e r l i n — S t u t t gart — Leipzig 1909, S. 432; Winterfeld, Luise von: Gründung, M a r k t - u n d Ratsbildung deutscher Fernhandelsstädte. Untersuchungen zur Frage des Gründerkonsortiums vornehmlich am Beispiel Lübecks, i n : Westfalen — Hanse — Ostseeraum, Veröffentlichungen des Provinzialinstituts f ü r Westfälische Landes- u n d Volkskunde, Reihe I, Heft 7, S. 57. 63 I n Lübeck ζ. B. waren die Handwerker ursprünglich von der Regierung der Stadt durch Grundgesetz ausgeschlossen, nicht jedoch von der Teilnahme an bürgerlichen Verhandlungen. Später konnten sie f ü r eine kurze Periode mehr oder weniger ungesetzlich den Zugang zum Rat erkämpfen. Vgl. Wehrmann, C., S. 35 u n d S. 43. I n Bremen erreichten die Zünfte i m 14. u n d 15. Jahrhundert einen starken politischen Einfluß. Sie erhielten bereits 1308 die W a h l fähigkeit zum Rat. Vgl. Böhmert, Victor, S. 7 f.; i n K ö l n konnte i m 15. Jahrhundert jeder Handwerker als Vertreter seiner Zunft Ratsherr werden, sofern er das Bürgerrecht besaß. Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 31 + . I n N ü r n berg wurden die Kürschner u n d Metzger 1370 ratsfähig erklärt. Vgl. Das

I. Zünfte

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V i e l e Z ü n f t e verbesserten i n d e n A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n m i t d e m S t a d t r a t i h r e M a c h t p o s i t i o n s t ä n d i g 6 5 , u n d i m 14. u n d 15. J a h r h u n d e r t w a r e n sie v i e l f a c h die m ä c h t i g s t e n u n d einflußreichsten E l e m e n t e i n den Städten66. 7. Stellung der Zünfte in der Gemeinde I n d e n M i t t e l - u n d G r o ß s t ä d t e n m a c h t e n die z ü n f t i g e n H a n d w e r k e r schätzungsweise 50 P r o z e n t d e r B ü r g e r s c h a f t aus 6 7 , w ä h r e n d i h r A n t e i l i n d e n K l e i n s t ä d t e n w e s e n t l i c h n i e d r i g e r anzusetzen i s t 6 8 . I m 12., 13. u n d b e g i n n e n d e n 14. J a h r h u n d e r t w a r e n die Z u n f t g e n o s s e n i n der Regel H a u s b e s i t z e r 6 9 , die E i n k o m m e n s - u n d B e s i t z v e r h ä l t n i s s e i n den S t ä d t e n w a r e n w e i t g e h e n d gleich 7 0 . S e i t h e r verschlechterte sich die goldene Ehrenbuch der Gewerbe u n d Zünfte, Nürnberg 1834, o. S. I n Hildesheim befand sich bereits 1250 ein Kürschner unter den Ratsmitgliedern. U m 1300 gab der Rat den Gerbern u n d Schuhmachern eine Urkunde, daß er je vier Männer aus dem Rate u n d den Ä m t e r n eingesetzt habe, die das Stadtrecht aufzeichnen sollten; ebenso wurde das A m t des Vorstehers des Finanzwesens paritätisch m i t je einem Ratmann u n d einem Amtsangehörigen besetzt, Regelungen, die das starke Mitspracherecht der Ä m t e r i m öffentlichen Leben der Stadt dokumentieren. Vgl. Hartmann, Moritz: Geschichte der Handwerkerverbände der Stadt Hildesheim i m Mittelalter, i n : Beiträge f ü r die Geschichte Niedersachsens u n d Westfalens, Bd. 1, Heft 1, Hildesheim 1905, S. 35. I n Mainz w u r d e n i n der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts zunächst 12, dann 22 Zunftangehörige i n den Rat der Stadt aufgenommen. Vgl. Barthold, Friedrich W i l h e l m : Geschichte der deutschen Städte u n d des deutschen Bürgerthums, 3. Teil, Leipzig 1851, S. 273; über die Rechte der Zünfte i n Regensburg — M i t w i r k u n g an der W a h l des Bürgermeisters, an der Prüfung der Stadtrechnung — vgl. Heimpel, Hermann: Das Gewerbe der Stadt Regensburg i m Mittelalter, Beihefte zur Vier tel jahresschrift für Sozial- u n d W i r t schaftsgeschichte, Heft 9, Stuttgart 1926, S. 95. I n Augsburg führte die Z u n f t revolution v o n 1368 dazu, daß aus jeder Handwerkszunft mindestens ein V e r treter i n den Stadtrat entsandt wurde. Vgl. Zorn, Wolf gang: Augsburg. Geschichte einer deutschen Stadt, o. O., o. J., S. 132 ff. 64 Vgl. Blümcke, Otto, S. 24/25. 65 Vgl. Werner, K a r l : Urkundliche Geschichte der Iglauer TuchmacherZunft, Leipzig 1861, S. 9 - 10; Flemming, M a x : Die Dresdner Innungen von ihrer Entstehung bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts, i n : Mitteilungen des Vereins f ü r Geschichte Dresdens, 12. - 14. Heft, Dresden 1896, S. 2. ββ Vgl. Böhmert, Victor, S. 27; Kofier, Leo: Z u r Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, Versuch einer verstehenden Deutung der Neuzeit, Soziologische Texte, Bd. 38, Neuwied — B e r l i n 1966, S. 81; vgl. auch Maschke, Erich: Verfassung u n d soziale K r ä f t e i n der deutschen Stadt des späten Mittelalters, vornehmlich i n Oberdeutschland, i n : Viertel jahresschrift f ü r Sozial- u n d Wirtschaftsgeschichte, Bd. 46, Wiesbaden 1959, S. 292. 67 Vgl. Bücher, K a r l : Die Bevölkerung v o n F r a n k f u r t am M a i n i m X I V . u n d X V . Jahrhundert, Bd. 1, Tübingen 1886, S. 59 u n d S. 69. 88 Vgl. Bechtel, Heinrich: Wirtschafts- u n d Sozialgeschichte Deutschlands. Wirtschaftsstile u n d Lebensformen v o n der Vorzeit bis zur Gegenwart, München 1967, S. 150. 69 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 28 + u n d S. 30 + . 70 Vgl. Bechtel, Heinrich: Wirtschafts- u n d Sozialgeschichte, S. 51.

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1. Teil, Α . Einführung i n die Geschichte

L a g e der H a n d w e r k e r

zunehmend u n d i m

15. J a h r h u n d e r t

wohnte

bereits der größte T e i l z u r M i e t e 7 1 . W ä h r e n d sich i n d e n G r o ß s t ä d t e n eine b r e i t e r e A u f f ä c h e r u n g des H a n d w e r k s findet 72, i s t die Z a h l der H a n d w e r k s z w e i g e i n d e n M i t t e l u n d K l e i n s t ä d t e n b e d e u t e n d n i e d r i g e r . B e c h t e l g i b t f ü r das 14. J a h r h u n d e r t folgende Z a h l e n v o n Z ü n f t e n a n : B a s e l 15, S t r a ß b u r g 20, M a g d e b u r g 12, D a n z i g 16, L e i p z i g u n d K ö l n j e 26, U l m 17 7 3 . D i e e i n z e l n e n H a n d w e r k s b e t r i e b e w a r e n i n der R e g e l recht k l e i n . Selbst i n d e n g r ö ß t e n W e r k s t ä t t e n g i n g die Z a h l d e r d a u e r n d u n t e r V e r t r a g stehend e n L e h r l i n g e u n d Gesellen selten ü b e r v i e r h i n a u s 7 4 . I n v i e l e n Z u n f t r o l l e n w i r d die zulässige Z a h l der L e h r l i n g e u n d Gesellen a u f z w e i bis v i e r festgesetzt 7 5 . Z u r R o l l e der F r a u e n i n d e n Zünften 7 ®: V o m 12. bis z u m 16. J a h r h u n d e r t w a r e n i n d e r M e h r z a h l der Z ü n f t e F r a u e n zugelassen, oder zum i n d e s t w u r d e n i h n e n n u r b e s t i m m t e V e r r i c h t u n g e n i n n e r h a l b des H a n d w e r k s u n t e r s a g t 7 7 . So s t a n d e n i n e i n i g e n K ö l n e r Z ü n f t e n M ä n n e r 71

Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 30 + . Vgl. Bücher, K a r l : Die Berufe der Stadt F r a n k f u r t a . M . i m Mittelalter, i n : Abhandlungen der philologisch-historischen Klasse der Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, Bd. 30, Nr. 3, Leipzig 1914. 73 Vgl. Bechtel, Heinrich: Wirtschafts- u n d Sozialgeschichte, S. 151. Loesch gibt die Z a h l f ü r K ö l n f ü r die gleiche Zeit allerdings m i t 42 an. Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 45 + . Diese Differenz mag an einer Unterscheidung liegen, die auch Bücher trifft, indem er f ü r das Jahr 1367 i n F r a n k f u r t 20 Zünfte angibt, jedoch hinzufügt, daß dies n u r die Zünfte sind, die „öffentlich anerkannte politisch-militärische Unterabtheilungen der Bürgerschaft bildeten". Die tatsächliche Z a h l der Zünfte lag höher. Bücher, K a r l : Die Bevölkerung . . . , S. 68. Bautzen, i m 15. Jahrhundert ca. 5 500 Einwohner, zählte u m die gleiche Zeit 14 Handwerkerzünfte. Vgl. Aubin, Gustav: Die Berufe der Stadt Bautzen i n Handel u n d Gewerbe v o m 15. bis 18. Jahrhundert, i n : Vierteljahresschrift f ü r Sozial- u n d Wirtschaftsgeschichte, Bd. 15, B e r l i n — Stuttgart — Leipzig 1919, S. 241 u n d S. 248. 72

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Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 77 + . Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 4 (Qu. 15); Korn, Georg: Codex Diplomaticus Silesiae, Bd. 8: Schlesische U r k u n d e n zur Geschichte des Gewerberechts, insbesondere des Innungswesens aus der Zeit vor 1400, Breslau 1867, S. 100 (Qu. 16); Krause, Oskar, u n d K a r l Kunze: Die älteren Z u n f t urkunden der Stadt Greifswald, i n : Pommersche Jahrbücher, Bd. 1, Greifsw a l d 1900, S. 120 (Qu. 17); Ennen, Leonhard, u n d Gottfried Eckertz: Quellen zur Geschichte der Stadt K ö l n , Bd. 1, K ö l n 1860, S. 399 (Qu. 18). 75

78 Eine ausführlichere Darstellung dieses Themas bringt Dora Schuster: Die Stellung der Frau i n der Zunftverfassung, B e r l i n 1927. Über den A n t e i l der Frau am Erwerbsleben vgl. auch Bücher, K a r l : Die Berufe der Stadt F r a n k f u r t a.M., S. 1 8 - 1 9 ; Stahlmann, M a r t i n : Beiträge zur Geschichte der Gewerbe i n Braunschweig bis zum Ende des X I V . Jahrhunderts, Diss. Freiburg, Wernigerode a. H. 1907, S. 35. 77 Vgl. Stahl, Fr. W i l h e l m : Das deutsche Handwerk, Bd. 1, Gießen 1874, S. 70 ff.; vgl. hierzu auch Stieda, W i l h e l m : Zunftwesen, i n : Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 2. Aufl., Bd. 7, Jena 1901, S. 1017.

I. Zünfte

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und Frauen gleichberechtigt nebeneinander 78 . I n der Kürschnerzunft i n Basel (1226) waren Frauen ausdrücklich zugelassen79. Einige Kölner Zünfte hatten sogar nur weibliche Mitglieder, ζ. B. die Goldspinnerinnen, Garnbereiterinnen, Seidenweberinnen, Seidenspinnerinnen 80 . I m 15. Jahrhundert mehrten sich die Beschränkungen der Frauen auf bestimmte Arbeiten und i m 16. Jahrhundert setzte sich die Tendenz der Meister, die Frauen ganz zu verdrängen, stärker durch, bis Ende des 17. Jahrhunderts der Ausschluß vollkommen war 8 1 . Die i n einem Gutachten des Reichstags zu Regensburg am 15. 7.1771 aufgestellte Forderung, die Frauen zu den Handwerkern zuzulassen, wurde wörtlich i n das Kaiserliche Dekret vom 30. 4.1772 (Regensburg) übernommen, doch ist der Erfolg dieser Anordnung nur schwer prüfbar 8 2 . I n allen Gewerben finden w i r regelmäßig Frauen, wenn sie als Witwen m i t Hilfe eines Gesellen das Handwerk ihres Mannes für begrenzte oder unbegrenzte Zeit fortführten. Hierauf w i r d an späterer Stelle zurückzukommen sein. 8. Niedergang der Zünfte

Etwa seit der Mitte des 16. Jahrhunderts läßt sich ein langsamer, aber stetiger Niedergang der Zünfte feststellen. Durch den „ewigen Landfrieden" verloren sie ihre militärische Bedeutung. Die Reformation spaltete die Zünfte i n katholische und protestantische Parteien. Bedeutsamster Faktor i n dieser Entwicklung war jedoch die schwindende Bedeutung Deutschlands als wichtigste Handelsstraße, vor allem nach Süden, durch den immer bedeutsamer werdenden Seeverkehr. Die Exportmöglichkeiten sanken, und das Inland bot der ständig wachsenden Zahl von Handwerkern nur noch geringe Verdienstmöglichkeiten 83 . U m dieser Entwicklung entgegenzuwirken, versuchten die Zünfte, die Zahl ihrer Mitglieder — und damit die der Handwerker generell — möglichst niedrig zu halten, u m den Genossen ein ausreichendes Einkommen zu sichern. So artete i m 17. und 18. Jahrhundert das Zunftwesen zu einer Institution aus, die durch schikanöse Bestimmungen eine kleine Gruppe von Mitgliedern privilegierte. Hatte sich bereits i m 16. 78 Ζ. B. bei den Beutlern, Leinwebern, Gürtlern, Wolltuchwebern, Wappenstickern, Fleischern. Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 23 + . 79 Vgl. Wackernagel, Rudolf, u n d Rudolf Thommen: Urkundenbuch der Stadt Basel, Bd. 1, Basel 1890, S. 77 (Qu. 19). 80 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 91, S. 48, S. 163, Bd. 2, S. 418. 81 Vgl. Stahl, Fr. Wilhelm, S. 83, S. 91, S. 93. 82 Gutachten u n d Dekret gedruckt bei: Proesler, Hans: Das gesamtdeutsche Handwerk i m Spiegel der Reichsgesetzgebung v o n 1530-1806, B e r l i n 1954, S. 7 4 \ S. 78 + . 83 Vgl. Thilo, M a x : Zunftbräuche i m alten deutschen Reich, i n : Zeitschrift f ü r Handel u n d Gewerbe, 3. Jahrg., Nr. 2, Februar 1890, Sp. 19 - 20.

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1. Teil, Α. Einführung in die Geschichte

Jahrhundert die Tendenz bemerkbar gemacht, den Zugang zu einer Meisterstelle zu erschweren, so wurde es i n den folgenden Jahrhunderten für den Gesellen nahezu unmöglich, selbst Meister zu werden, es sei denn, er war der Sohn oder heiratete die Tochter oder Witwe eines Meisters. Der hemmungslose und kurzsichtige Egoismus der Meister wurde zum Hemmnis des gewerblichen Aufschwungs. Die Bemühungen, m i t verschiedenen Anordnungen i n den Reichsabschieden von 1530, 1548, 157784 den Mißbräuchen einen Riegel vorzuschieben, schlugen fehl. 1731 sah man sich gezwungen, den Zünften durch ein kaiserliches Dekret die vollständige Aufhebung anzudrohen, falls sie sich nicht den obrigkeitlichen Anordnungen fügten 85 . A m 30.4.1772 wurde die aufgestellte Ordnung durch ein weiteres kaiserliches Dekret bestätigt und ergänzt. Die „Reichszunftordnung" von 1731 (1772) stellt die erste allgemeine deutsche Gewerbeordnung überhaupt dar und bedeutet i n mehr als einer Hinsicht einen exemplarischen wirtschafts- und sozialpolitischen A k t : Den Landesherren als den einzigen Exekutivorganen des Reiches w i r d nahegelegt, die Autonomie der Zünfte, d. h. ihre Selbstverwaltung und eigene Gerichtsbarkeit, zu brechen und landeseigenes Recht, von der „einen" Obrigkeit gesetzt und überwacht, zu gründen und damit den „Staat i m Staate" aufzulösen. Der Reichsschluß von 1731 verschaffte den Landesherren die legale Handhabe, widerspenstige Zünfte innerhalb ihres lokalen Herrschaftsbereiches zu verbieten. Das Handwerk sollte von diesem Zeitpunkt an grundsätzlich jedem offenstehen. I m 19. Jahrhundert bildeten sich neben den zünftigen mehr und mehr freie Gewerbe aus, so daß die starre zünftige Ordnung fortschreitend ausgehöhlt wurde. Anlaß dazu gab i n allererster Linie die Proklamation der Gewerbefreiheit i n Preußen 1810/1811 i m Zuge der sogenannten Stein-Hardenbergschen Reformen. Freilich folgten diesem Prinzip des freien Marktes nur Nassau und Sachsen-Weimar. Erst i n der Hochzeit des ökonomischen Liberalismus (1860 -1870) bequemten sich alle deutschen Länder zur Einführung der Gewerbefreiheit. A m längsten erhielt sich das Zunftwesen i n seiner ganzen tödlichen Mittelalterlichkeit i n Mecklenburg und Lübeck (1866)86.

84

Vgl. Reichs-Schluß . . . , S. 4. Vgl. Reichs-Schluß..., S. 26/27. Vgl. auch Frensdorf, Ferdinand: Das Zunftrecht insbesondere Norddeutschlands u n d die Handwerkerehre, i n : Hansische Geschichtsblätter 1907, Heft 2, Leipzig 1907, S. 4 - 9. 86 Das Prinzip der totalen Gewerbefreiheit wurde erst m i t der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes v o n 1869 v e r w i r k l i c h t . Vgl. Hey de, L u d w i g : A b r i ß der Sozialpolitik, 10. Aufl., Heidelberg 1953, S. 39/40. 85

II. Gesellenverbände

31

II. Gesellenverbände 1. Definition Die Gesellenverbände, auch Brüderschaften, Gesellschaften, Sodalitäten, in Frankreich Compagnonnages genannt, waren Zwangsverbände der Gesellen zur Wahrnehmung ihrer religiösen, gesellschaftlichen und ökonomischen Interessen 87 . Von den weltlichen Gesellen verbänden m i t vorwiegend „gewerkschaftlichen" Zielen sind die kirchlichen Brüderschaften zu unterscheiden, die besonders religiöse und caritative Aufgaben wahrnahmen. Häufig entwickelten sich die weltlichen Gesellenschaften aus bereits bestehenden kirchlichen Brüderschaften, indem wirtschaftliche Ziele i n den Vordergrund rückten. Wo Zünfte und Gesellenverbände verboten waren (z. B. i n Nürnberg) verbarg sich hinter der kirchlichen Brüderschaft oft eine weltliche Interessengemeinschaft. Schoenlank nennt diesen Tatbestand „soziale M i m i k r y " 8 8 . Manchmal blieb der kirchliche neben dem weltlichen Verband bestehen (Doppelgenossenschaft) 80; andere Gesellenverbände dienten von Anfang an der Interessenpolitik der Gesellen gegenüber den i n den Zünften organisierten Meistern 90 . Vereinfachend können die Gesellenzusammenschlüsse wie folgt systematisiert werden: Genossenschaft

I

kirchlich

I

Brüderschaft

I

weltlich

I

Gesellenschaft

I

religiöse Ziele, Sorge f ü r Bedürftige, Kranke, Verstorbene

Ordnung des gesellschaftlichen Lebens, Vertretung der wirtschaftlichen Interessen

an der Spitze: Büchsenmeister

an der Spitze: Stubenmeister

I

87 Vgl. Biermer: „Gesellenverbände", i n : Wörterbuch der Volkswirtschaft, 3. Aufl., Bd. 1, Jena 1911, S. 1022. 88 Vgl. Schoenlank, Bruno: Z u r Geschichte altnürnbergischen Gesellenwesens, S. 363. 89 Die Doppelgenossenschaften hatten teils n u r einen, teils getrennte V o r stände, das gleiche gilt f ü r die Kassen. 90 Vgl. Schoenlank, Bruno: „Gesellenverbände", i n : Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 3, Jena 1892, S. 823.

32

1. Teil, Α. Einführung in die Geschichte

Praktisch sind die Formen der kirchlichen und der weltlichen sowie der Doppelgenossenschaft nur schwer zu trennen. Die Grenzen sind fließend, und vielfach t r i t t eine Verschmelzung der Funktionen beider Richtungen ein. 2. Gründungsursachen

Zu Beginn der Zunftgeschichte war der Handwerksgeselle (Knecht), ebenso wie der Lehrling, integriertes Mitglied des meisterlichen Betriebes und des Haushaltes, d. h. er war kein Fremder i m Hause, der täglich u m Lohn seine Arbeit verrichtete, i m übrigen aber seine eigenen Wege ging. Er fand i m Hause des Meisters Unterkunft und Verpflegung und galt als Familienmitglied 9 1 . Der Geselle war i n seiner Stellung durch die Zunftorganisation stark geschützt. Er und der Meister standen sich sozial nahe 92 . Das Verhältnis zwischen Meister und Knecht war ein patriarchalisches, das den Meister verpflichtete, seinem Gesellen eine ordentliche Ausbildung zu geben, für i h n i n allen Lebenslagen zu sorgen 93 und auf dessen gutes moralisches Verhalten zu achten. Der Knecht seinerseits schuldete dem Meister absoluten Gehorsam. Uber Rechte und Pflichten beider wachte die Zunft 9 4 . Der Geselle nahm diese nicht einfache Zeit der Unterwerfung unter den meisterlichen Willen gerne auf sich, denn sie war für i h n nur eine Periode des Ubergangs, nach der er selbst Vorteile und Verantwortung einer Meisterstelle übernehmen würde 9 5 . Hatte er i n der vorgeschriebenen Dienstzeit die nötigen Fähigkeiten erworben, so besaß er einen Rechtsanspruch auf die Aufnahme als Meister 96 . 91 Vgl. Hasemann, J.: „Geselle", i n : Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften u n d Künste, hrsg. v o n J. S. Ersch u n d J. G. Gruber, 1. Sekt., 63. Teil, Leipzig 1856, S. 375; Knebel, K o n r a d : Handwerksbräuche früherer Jahrhunderte insbesondere i n Freiberg, i n : Mitteilungen v o m Freiberger A l t e r tumsverein, Heft 23, Freiberg i . S . 1886, S. 78; Rumpf, M a x : Deutsches Handwerkerleben u n d der Aufstieg der Stadt, Stuttgart 1955, S. 75; Potthoff, Ossip Demetrius, S. 100; Parsons, Talcott, u n d N e i l J. Smelser: Economy and Society. A Study i n the Integration of Economic and Social Theory, 4. Aufl., London 1966, S. 82. 92 Vgl. Marx, K a r l : Das Kapital, K r i t i k der politischen Ökonomie, Bd. 1, Stuttgart 1962, S. 895. 93 „ D a n n hat er Ine gehalten i n n gesuntheit, so halt er Ine auch i n k r a n k nöthen." Ordnung der Penndergesellen i n Freiberg, 1511, vgl. Knebel, Konrad, S. 28. 94 Vgl. Stahl, Fr. Wilhelm, S. 171. Der Knecht w a r i n der Z u n f t nicht — w i e der Meister — Vollmitglied, sondern — w i e dessen Frau u n d K i n d e r u n d die Lehrlinge — Schutzgenosse. Die Zunftvorschriften waren f ü r i h n bindend, Stimmrecht hatte er nicht. Vgl. Bopp, H a r t w i g : Die E n t w i c k l u n g des deutschen Handwerksgesellentums i m 19. Jahrhundert unter dem Einfluß der Zeitströmungen, Paderborn 1932, S. 8; Stahl, W i l h e l m : Die Bedeutung der Arbeiterassociationen i n Vergangenheit u n d Gegenwart, Glessen 1867, S. 6 - 7. 95 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, Leipzig 1877, S. 3 ff. 98 Vgl. Gierke, Otto, S. 404.

II. Gesellenverbände

33

M i t steigendem Wohlstand und Einfluß der Handwerker wuchs auch deren Neigung, diese Erfolge dauernd zu sichern 97 . Durch eine ständig steigende Gesellenzahl drohte eine Übersetzung der Meisterstellen und damit ein sinkendes Einkommen der Meister. Dieser Entwicklung konnte man am einfachsten begegnen, indem man die Zahl der Konkurrenten niedrig hielt, also den Zugang zum Meisteramt erschwerte. Bereits beim A n t r i t t einer Lehrstelle wurde Mißbrauch getrieben m i t den Erfordernissen einer ehelichen Geburt und eines guten Rufes. Die Kinder bestimmter Berufsgruppen wurden von vorneherein ausgeschlossen98. Ein beliebtes Objekt der Manipulation durch die Zunftmeister war die Wanderzeit. Die ersten Zeugnisse über das (freiwillige) Wandern der Gesellen von einer Stadt zur andern finden sich i n Handwerksstatuten der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Wenn das Wandern u m diese Zeit auch schon beträchtlichen Umfang angenommen hatte und sich feste Gebräuche daran knüpften, so gab es doch noch keinen Wanderzwang 99 . Dieser setzte sich erst i m 15. Jahrhundert durch. Grund für die Einführung des Wanderzwangs war — wie so viele Vorschriften — die Furcht vor einer Übersetzung des Handwerks 1 0 0 , aber auch der Wunsch, die technischen Kenntnisse zu erweitern und die Handwerkskunst anderer Orte i n die eigene Stadt zu verpflanzen 101 . Die vorgeschriebene Wanderzeit, Bedingung zur Erlangung des Meisterrechts, wurde von den Meistern willkürlich verlängert und so ihren egoistischen Bestrebungen nutzbar gemacht. Sie schwankte schließlich zwischen einem und sechs Jahren, betrug i n der Regel drei bis vier Jahre 102 . Für Meisterkinder wurde dagegen häufig eine kürzere Wanderzeit angesetzt 103 . Die Erstellung des Meisterstücks wurde immer kostspieliger und zeitraubender 104 und für den Gesellen, dessen Lohn zudem niedrig gehalten wurde, immer schwieriger. Die Bestimmungen, eine bestimmte Zeit an dem Ort gedient zu haben, an dem die Meisterstelle erstrebt wurde 1 0 5 , ein 97

Vgl. Vgl. (Qu. 11). 99 Vgl. too v g l . 98

Schoenlank, B r u n o : „Gesellenverbände", S. 821. dazu Ortloff, D. Johann Andreas: Corpus j u r i s opificiarii, S. 11 Stahl, Fr. Wilhelm, S. 345 - 347. Potthoff, Ossip Demetrius, S. 202; Stahl, Fr. Wilhelm, S. 350 - 351.

101

Vgl. Stahl, Fr. Wilhelm, S. 349. Vgl. Stahl, Fr. Wilhelm, S. 360. los allgemein dieser Mißbrauch war, zeigen die Badischen Allgemeinen Z u n f t a r t i k e l v o n 1752. Vgl. Ortloff, D. Johann Andreas: Corpus juris opificiarii, S. 262 - 263 (Qu. 21). 102

104 Vgl. dazu Ortloff, D. Johann Andreas: Corpus j u r i s opificiarii, S. 21 - 22 (Qu. 22) u n d S. 273 - 275 (Qu. 23). 105 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 116 (Qu. 24).

3 Fröhlich

34

1. Teil, Α. Einführung in die Geschichte

bestimmtes Vermögen nachzuweisen und ein kostspieliges Meisteressen zu geben, bevorzugte bereits die Meistersöhne. Die Begünstigung der Meisterkinder wurde aber noch weiter getrieben: A n manchen Orten blieb das Handwerk allein den Söhnen und Töchtern der Meister vorbehalten. Dies geschah entweder offen durch entsprechende Bestimmungen i n den Zunftrollen 1 0 8 oder verdeckt, indem die Meisterkinder kein oder nur geringes Eintrittsgeld zu zahlen hatten oder indem man den Preis für den Erwerb des Amtes so hoch setzte, daß die meist armen Gesellen ihn nicht zahlen konnten 1 0 7 . Die nahezu vollständige Beseitigung jeden Wettbewerbs durch die Festsetzung einer bestimmten Zahl von Meisterstellen i n jeder Stadt i m 15. und 16. Jahrhundert war der letzte Schritt i n dieser Entwicklung 1 0 8 . Nur noch die wenigsten Gesellen konnten die Voraussetzungen zur Erlangung des Meisteramtes erfüllen. Dies und die Bevormundung i m täglichen Leben 109 , die — nicht mehr als Ubergangsstadium empfunden — vor allem für die älteren Gesellen unerträglich wurde, führte zu verschärften Spannungen zwischen Meistern und Gesellen. Die einstige Interessengemeinschaft zwischen ihnen wich einem offenen Interessenkonflikt. Die Gesellen drohten aus der bisherigen sozialen Ordnung ausgeschlossen zu werden 1 1 0 . Ihre gemeinsamen Interessen begreifend, schlossen sie sich schließlich i n eigenen Gesellenverbänden zusammen 111 . So sehr die Gründung der Gesellenverbände aus dem wirtschaftlichen Druck folgte, unter dem die Gesellen standen, so darf man bei einer Untersuchung der Ursachen doch nicht die Vielzahl der außerwirtschaftlichen Momente außer acht lassen, die diesen Zusammenschluß förderten: Das ungeschriebene Gesetz des Mittelalters, nach dem eine Existenz außerhalb einer der kleinen Genossenschaften, aus denen die mittelalterliche Gesellschaft bestand, undenkbar war, bildete — wie schon bei der Gründung der Zünfte — auch hier eine treibende K r a f t 1 1 2 . Der Glanz, den die Genossenschaften an Festtagen entfalteten, bot einen zusätzlichen Anreiz. Die Gründung der Gesellenbrüderschaften io« vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 14, Fußn. 2 - 3 . 107 vgL Arlt, Alfred: Geschichte der Trierer Wollindustrie, besonders der Wollweberzunft, i n : Trierer Heimatbuch, Festschrift zur Rheinischen Jahrtausendfeier 1925, T r i e r 1925, S. 163. 108

Vgl. unter anderem Kulischer, Josef: Bd. 2, S. 142 - 143. Vgl. ζ. B. die sehr häufig aufgeführte Bestimmung, kein Geselle dürfe ohne Erlaubnis seines Meisters die Nacht außerhalb des Hauses verbringen. A l s Beispiel vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 2, S. 347 (Qu. 25). 110 Vgl. Lütge, Friedrich, S. 260. 111 Vgl. Wäschke, Hermann: Die Zerbster Innungsbruderschaften, i n : Zerbster Jahrbuch, 1. Jahrg., Zerbst 1905, S. 2. 112 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 22. 109

II. Gesellenverbände

35

fand Unterstützung bei der Geistlichkeit 113 , die den Glanz ihrer Kirchenfeste vermehren konnte (und nebenbei eine schlagkräftige Streitmacht gewann) und vielfach beim Rat der Stadt, der i n den Gesellenvereinigungen ein willkommenes M i t t e l zur Schwächung der Zunftmacht sah 114 . Auch die Meister sahen die Gründung der Gesellenvereinigungen nicht ungern und unterstützten sie, solange die Tätigkeit der Genossenschaft auf religiöse Ziele und soziale Hilfsmaßnahmen beschränkt blieb: Sie entlastete die Meister, da sie sich so der Fürsorgepflicht für kranke und arme Gesellen enthoben sahen 115 . Die seit dem 15. Jahrhundert entstandene Wanderpflicht schließlich machte eine Organisation notwendig, die dem Gesellen i n einer fremden Stadt bei Arbeits- und Wohnungssuche behilflich war 1 1 6 . 3. Entstehungszeit und Entwicklung der Gesellenverbände bis zum Niedergang

Bereits i n der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts begannen die Gesellen, eine eigene Interessenpolitik zu betreiben und sich zusammenzuschließen 117 . Das gilt vor allem für die rheinischen Städte und die Hansestädte. I n anderen Gebieten, ζ. B. i m sächsischen Raum, begann diese Emanzipation erst zu Beginn des 15. Jahrhunderts 118 . Meist gelangten die Gesellen erst in den Besitz eigener Ordnungen, wenn die politische Macht der Zünfte gebrochen und diese der Obrigkeit untergeordnet waren. Solange die Zünfte weitreichende Autorität besaßen, weigerten sie sich — solange es sich nicht um rein religiöse Brüderschaften handelte —, selbständige Gesellenverbindungen anzuerkennen, die die Einheit der gewerblichen Genossenschaft gelockert und damit ihren eigenen Einfluß geschmälert hätten 1 1 9 . Die Zeit der Kämpfe um eine größere Selbständigkeit der Gesellen währte etwa bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts. Verbote 120 , Aufhebun113 v g l . Potthoff, Ossip Demetrius, S. 104. 114

Vgl. Mascher, H . A . : Das deutsche Gewerbewesen v o n der frühesten Zeit bis auf die Gegenwart, Potsdam 1866, S. 341. 115 Vgl. Knebel, Konrad, S. 80. 116 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 24 i L 117 Vgl. Eberstadt, Rudolf: Der U r s p r u n g . . . , S. 75; Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 27. Z u den ältesten Gesellenordnungen gehört die Rolle der Müllerknechte i n Danzig v o n 1365. Vgl. Mascher, Η . Α., S. 765 (Qu. 26). 118 Vgl. Knebel, Konrad, S. 81. 119 Vgl. Mascher, Η . Α., S. 341. 120 Vgl. Voigt, Johannes: Codex diplomaticus prussicus, Urkundensammlung zur älteren Geschichte Preussens, Bd. 3, Königsberg 1848, S. 35 - 36



36

1. Teil, Α. Einführung in die Geschichte

gen 121 , Ausweisungen 122 , Bündnisse der Meister gegen Gesellenverbände 123 , Bündnisse zwischen Stadtregierungen 124 und Abreden zwischen Zünften verschiedener Städte über die Behandlung der Gesellen 125 vermochten die Einungsbewegung der Gesellen insgesamt nicht aufzuhalten. Die Blütezeit der Gesellenorganisationen währte von der Mitte des 15. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Das Gesellenrecht wurde i n Gesellenordnungen schriftlich niedergelegt, und die Gesellenverbände wurden ein bedeutsamer wirtschaftlicher Faktor 1 2 6 . U m die Mitte des 16. Jahrhunderts nahmen die Meister unter dem Vorwand, Mißbräuche bei der Arbeitsvermittlung und der Eigengerichtsbarkeit der Gesellen beseitigen zu wollen, erneut den Kampf gegen die Institution der Gesellenverbände auf. Hierbei fanden die Zünfte Unterstützung bei den Landesregierungen, denen die Verbindungen der Gesellen gefährlich genug erschienen, mehrfache reichsgesetzliche und fürstliche Verbote zu rechtfertigen 127 . Nach mehreren fruchtlosen Reichsabschieden (1571, 1577, 1594) zur Unterdrückung der Gesellenverbände setzte das Reichsgutachten von 1672 unter anderem Strafen für Ausstand und Vertragsbruch fest und beseitigte die Gesellenverbände m i t eigener Gerichtsbarkeit. Allerdings wurde dieses Gutachten erst 1726 publiziert. Inzwischen wurden die Gesellenunruhen immer häufiger 128 , und Mißbräuche beim „Gesellen(Qu. 27); Mone, F. J.: Gewerbspolizei v o m 12. - 18. Jahrhundert i n der Schweiz, Baden, Wirtenberg, Zollern, Elsaß u n d Hessen, i n : Zeitschrift f ü r die Geschichte des Oberrheins, Bd. 13, Karlsruhe 1861, S. 155 (Qu. 28); Klose, Samuel Benjamin: Darstellung der inneren Verhältnisse der Stadt Breslau v o m Jahre 1458 bis zum Jahre 1526, Scriptores Rerum Silesiacarum, Bd. 3, Breslau 1847, S. 115 (Qu. 29). 121 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 174 (Qu. 30). 122 Vgl. Mone, F. J.: Z u n f t o r g a n i s a t i o n . . . , Bd. 15, Karlsruhe 1863, S.43 (Qu. 31). 123 Vgl. Korn, Georg, S. 15 (Qu. 32). 124 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 183 f. (Qu. 33). 125 Vgl. Böhmer, Johann Friedrich: Codex diplomaticus Moenofrancofurtanus, Urkundenbuch der Reichsstadt Frankfurt, l . T e i l , F r a n k f u r t / M a i n 1836, S. 625 - 627 (Qu. 34). 126 Vgl. Schoenlank, B r u n o : „Gesellenverbände", S. 829. Vgl. dagegen G. Albrecht, der die Ansicht v e r t r i t t , die Gesellenverbände hätten keine „übermäßige Bedeutung" erlangt. Albrecht, G.: Gesellenvereine, i n : Wörterbuch der Volkswirtschaft, 4. Aufl., Bd. 2, Jena 1932, S. 66. 127 Vgl. Gierke, Otto, S. 407. 128 A l s Beispiel sei n u r der Aufstand der Augsburger Schuhmachergesellen v o n 1726 genannt, der das Reichsgesetz v o n 1731 veranlaßte. Vgl. Schade, Oskar: V o m deutschen Handwerksleben i n Brauch, Spruch u n d Lied, i n : Weimarisches Jahrbuch f ü r deutsche Sprache, L i t e r a t u r u n d Kunst, Bd. 4, Heft 2, Hannover 1856, S. 333 ff., u n d Grimm, Jakob: „Gesellenleben", i n : A l t deutsche Wälder, Bd. 1, Cassel 1813, S. 85.

II. Gesellenverbände

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machen" und i n ihrem Sittengericht (Schelten, Verruf), Unduldsamkeit gegen verheiratete Gesellen, willkürliche Einführung von Feiertagen zeigten den Verfall des Gesellenstandes an 1 2 9 . Das Reichsgesetz vom 16. August 1731 nahm den Gesellenverbänden endgültig die eigene Gerichtsbarkeit und unterstellte sie durch Einführung eines obrigkeitlichen Führungszeugnisses einer so strengen Kontrolle, daß zumindest die weltlichen Verbände praktisch ihre Aufgabe verloren. Die preußische Handwerksordnung von 1733 verhängte schärfste Strafen auf den Verstoß gegen dieses Reichsgesetz; die Gesellenladen, Gesellenbriefe und -Siegel wurden beschlagnahmt 130 . Obrigkeitlich kontrolliert, verblieb den Gesellen lediglich die Herberge, die Arbeitsvermittlung und die Krankenpflege 131 . Andere Staaten folgten dem preußischen Beispiel und die Gesellenverbände hörten damit praktisch auf zu existieren.

129 Vgl. Stock, Ch. L.: Grundzüge der Verfassung des Gesellenwesens der deutschen Handwerker i n alter u n d neuer Zeit. E i n Beitrag zur Sittengeschichte, Magdeburg 1844, S. 103 f. 130 Vgl. Nigge, Franz: Die alten Gilden der Stadt L ü n e n ; E i n Beitrag zur Geschichte des westfälischen Gewerbes, Münster 1912, S. 118 (Qu. 35). 131 Vgl. Nigge, Franz, S. 119 - 120 (Qu. 36).

Β . Soziale Sicherung bei den Zünften Das Leben i n der Großfamilie oder i n der Hofgemeinschaft bot dem Landbewohner weitreichenden Schutz gegen alle möglichen Risiken. M i t dem Einzug i n die Stadt lockerte oder löste sich diese starke Bindung an Großfamilie oder Hof mit ihren wechselseitigen Verpflichtungen und wich einer verstärkten Eigenverantwortlichkeit. Der Stadtbewohner mußte die Wechselfälle des Lebens selbst meistern oder aber die aufgegebene Gefahrengemeinschaft durch eine neue ersetzen. Da der mittelalterliche Mensch als Individuum nichts galt und nur als A n gehöriger einer Gemeinschaft anerkannt war 1 , ist es verständlich, daß die Handwerker gleicher oder ähnlicher Berufe sich i n den Städten zu neuen „Großfamilien" zusammenschlossen2, den Zünften, die das gesamte wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben ihrer Mitglieder erfaßten und durch das Einstehen aller Mitglieder füreinander eine Gefahrengemeinschaft bildeten, die das Risiko des einzelnen erheblich zu mindern vermochte. Jedes Mitglied der Gemeinschaft — und die Mitgliedschaft war Voraussetzung für die Ausübung eines Handwerkes (Zwangsmitgliedschaft) — war verpflichtet, dem i n Not geratenen Zunftgenossen zu helfen 8 . Diese Unterstützung erfolgte nicht individuell, sondern über die Institution der Zunft als Mittler. I. Grundlage der sozialen Maßnahmen der Zünfte Eines der wesentlichsten Merkmale der zünftigen Organisation — wenn nicht das wesentlichste überhaupt — war die Solidarität. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit war die Grundlage der Zunftgründungen, und der Gemeinschaftsgedanke bildete die Basis der für 1 „ U m zu leben, mußte m a n einer Gemeinschaft angehören: Haushalt, Gutswirtschaft, Kloster oder Zunft." Mumford, Lewis, S. 315; vgl. auch Bopp, Hartwig, S. 1. 2 Vgl. Ranke: Zünfte = künstliche Familien, dazu geschaffen, Lieb u n d L e i d miteinander zu tragen. Nach Bechtel, Heinrich: Wirtschafts- u n d Sozialgeschichte, S. 152; vgl. ferner Schreiber, Georg: Gemeinschaften des M i t t e l alters, Recht u n d Verfassung, K u l t u n d Frömmigkeit, Münster 1948, S . V I ; ebenso Wernet, W i l h e l m : Soziale Handwerksordnung, S. 50; Kriegk, Georg L u d w i g : Frankfurter Bürgerzwiste u n d Zustände i m Mittelalter, F r a n k f u r t / M a i n 1862, S. 358 u n d S. 360. 3 Vgl. Kropotkin, Petr: M u t u a l A i d . A Factor of Evolution, London — Aylesbury 1939, S. 142.

II. Finanzierung der sozialen Sicherung

39

die damalige Zeit erstaunlich umfassenden sozialen Sicherung der Zunftgenossen. Bei Krankheit, Alter, Armut, Invalidität sprang die Zunft i m Notfall helfend ein. Aus dem Solidaritätsgedanken erwuchs die Pflicht, Witwe und Kinder eines Zunftmitgliedes zu unterstützen; die Zugehörigkeit von Lehrlingen und Gesellen zum Meisterhaushalt und ihre — wenn auch passive — Mitgliedschaft i n der Zunft gaben auch ihnen die Sicherheit, i n Zeiten von Krankheit und Arbeitslosigkeit Hilfe und Unterstützung zu finden. Das Bedürfnis nach sozialer Sicherung stellte i m Mittelalter eine Einheit dar und wurde nicht, wie heute, nach einzelnen Risiken getrennt. Die Zünfte boten ihren Mitgliedern eine Globalsicherung, die alle Wechselfälle des Lebens umfaßte 4 . Folgerichtig waren auch die einzelnen Unterstützungsmaßnahmen weder finanziell noch organisatorisch getrennt. Alle Zunfteinnahmen flössen i n der Regel i n eine Kasse, d. h., es fehlte eine Zweck-Mittel-Bindung. Ohne Rücksicht auf die spätere Verwendung der M i t t e l sollen daher zunächst die allgemein üblichen Finanzierungsquellen dargestellt werden. Nach Risiken getrennt, folgt eine Beschreibung der verschiedenen sozialen Leistungen und Vergünstigungen, der Bedingungen, unter denen sie gewährt wurden, sowie des Personenkreises, dem Hilfe zuteil wurde. II. Finanzierung der sozialen Sicherung 1. Vorbemerkung

I m folgenden Abschnitt werden vielfach Angaben über die Höhe der Eintrittsgelder, Strafen usw. bei verschiedenen Zünften gemacht werden. Leider sehen w i r keine Möglichkeit, diese Zahlen i n irgendeiner Weise vergleichbar zu machen. J . B . S a y verglich Untersuchungen über den Tauschwert des Geldes mit der Quadratur des Kreises 5 . Das mag übertrieben sein, doch zeigt dieser Vergleich recht eindrucksvoll, welche Schwierigkeiten die Materie birgt. Der Wert der Münzen wechselte sehr häufig, und selbst Münzen gleichen Namens waren sehr verschieden i m Wert, „und zwar oft i n einem und demselben Land zu einer und derselben Zeit"®. Die Geldwertschwankungen wurden u m so häufiger, je mehr sich das Territorialsystem geltend machte 7 . 4

Vgl. Wernet, W i l h e l m : Soziale Handwerksordnung, S. 50. Vgl. Luschin von Ebengreuth , Α.: Allgemeine Münzkunde u n d Geldgeschichte des Mittelalters u n d der neueren Zeit, 2. Aufl., München — B e r l i n 1926, S. 229. β Baader, Joseph: Nürnberger Polizeiordnungen aus dem X I I I . bis X V . Jahrhundert, Stuttgart 1861, S. 4; vgl. auch Mone, F. J.: Geldkurse v o m 12. bis 15. Jahrhundert; Geldkurse v o m 15. bis 17. Jahrhundert, i n : Zeitschrift f ü r die Geschichte des Oberrheins, Bd. 18, Karlsruhe 1865, S. 175 - 193 u n d S.323 - 338. 7 Vgl. Baader, Joseph: Nürnberger Polizeiordnungen..., S. 6. 5

40

1. Teil, Β. Soziale Sicherung bei den Zünften

Wie schwierig sich eine Umrechnung des Münzwertes selbst eines Gebietes gestaltet, zeigt der Versuch Blümckes für Pommern. Er stellt selbst fest, daß seine vierseitige Zusammenstellung dem Gegenstand nur wenig gerecht wird 8 . Ein Vergleich m i t Koggen- oder Weizenpreisen scheint zwar sinnvoll, doch ergeben sich auch hier erhebliche Schwierigkeiten, da i m Mittelalter fast jede Stadt i h r eigenes Maß hatte und die Preise auch hier erheblichen Schwankungen unterlagen 9 . Auch eine Gegenüberstellung zu einem Wochenlohn z.B. wäre nur dann sinnvoll, wenn dieser i n der gleichen Urkunde angegeben wäre. Das ist leider höchst selten der Fall. Zwar befassen sich zahlreiche Werke m i t den Münzwerten vergangener Jahrhunderte, doch würde eine Umrechnung auf eine Basis für die Zeit und den Raum, den diese Arbeit umspannt, den Rahmen unserer Untersuchung völlig sprengen. So lassen sich i m wesentlichen nur interne Vergleiche ziehen, ζ. B. wie stark die Gebühren zwischen Meistersöhnen und Fremden differenziert waren. Der Aussagewert der Zahlenangaben ist unter diesen Umständen sehr gering, und die Ausführungen müssen i n dieser Hinsicht unbefriedigend bleiben. Es ist jedoch nicht möglich, diesem Mißstand abzuhelfen. U m wenigstens einige Anhaltspunkte zu finden, soll versucht werden, h i n und wieder Umrechnungskurse anzugeben. Zur Deckung der anfallenden Kosten wurden Zunftkassen — auch Büchsen oder Laden — eingerichtet. Die darin angesammelten Mittel dienten nur zum Teil der sozialen Sicherung; m i t ihnen wurden z.B. Häuser und Landbesitz erworben oder gepachtet 10 , Leichengerät (Bahren, Tücher usw.) beschafft 11 , fromme Stiftungen (Altäre, Kapellen) gemacht 12 und große gemeinsame Essen veranstaltet 13 . Die Kassen wurden i m wesentlichen aus folgenden Quellen gespeist: 1. 2. 3. 4. 8

Eintrittsgelder und sonstige Gebühren Strafen ständige Beiträge sonstige Einnahmen.

Vgl. Β lümcke, Otto, S. 164 - 167. Vgl. Mascher, Η . Α., S. 281. 10 Die Wollenweber zu Stettin besaßen 1596 eine eigene Walkmühle. Vgl. Blümcke, Otto, S. 157; die Schmiede v o n Magdeburg pachteten 1333 zwei neben ihrem Gildehaus gelegene Höfe. Vgl. Hertel, Gustav: Bd. 1, S. 215 (Qu. 37). 11 Vgl. Stahl, Friedrich W i l h e l m , S. 188. 12 Vgl. Dalmer, Paul: Das Innungswesen der Stadt Zerbst bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, Diss. Halle 1910, S. 67 f. 13 Vgl. z. B. Wehrmann, C., S. 165 (Qu. 38). 9

II. Finanzierung der sozialen Sicherung

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2. Eintrittsgelder und sonstige Gebühren

Nachdem die Gilden den Zunftzwang durchgesetzt hatten, mußte jeder, der ein Handwerk betreiben wollte, eine Gebühr für die A u f nahme i n die Zunft zahlen. Uber diese Eintrittsgelder bieten die Zunftquellen aller Stände und Zeiten eine Fülle von Vorschriften verschiedenster Ausprägung. Ohne ihre Vielgestaltigkeit v o l l erfassen zu können, sollen bei der Darstellung folgende Fragen i n den Vordergrund gestellt werden: 1. Wer bestimmt die Höhe der Eintrittsgelder? 2. Wer ist zur Zahlung verpflichtet, und w o r i n besteht sein Beitrag? 3. Wohin fließen diese Einnahmen? 1. Die Festsetzung der Eintrittsgebühr konnte sowohl durch den Rat der Stadt erfolgen als auch den Zünften selbst überlassen bleiben. I m ersten Fall finden sich die entsprechenden Bestimmungen i n den den Zünften von der Stadt verliehenen Ordnungen 14 . Blieb die Regelung den Zünften selbst überlassen, so war auch hier eine genaue Festlegung des Betrags i n den Rollen die Regel. Das Recht, die Höhe der Aufnahmegebühr zu bestimmen, war für die Zünfte insofern bedeutungsvoll, als sie diese aus eigenem Beschluß jederzeit erhöhen konnten. Diese Möglichkeit entfiel zumindest kurzfristig, wenn der Rat sich die Entscheidung vorbehielt. Langfristig werden die Zünfte h i n und wieder auch hier eine Erhöhung erreicht haben. Aber die Zünfte fanden noch einen anderen Weg, die Aufnahmegebühren zu erhöhen: Sie hielten den von der Stadt festgelegten Satz formell bei, forderten zusätzlich jedoch ein Eintrittsgeld für die kirchliche Brüderschaft oder hohe Nebengebühren und Naturalleistungen. I n der Satzung der Gewandschneider vom Juni 1247 setzte die Richerzeche15 zu K ö l n die Eintrittsgebühr für die Wollengewandschneider auf 14 Wehrmann unterscheidet zwischen v o m Rat erlassenen Ordnungen, aus dem W i l l e n der Zünfte hervorgegangenen, v o m Rat bestätigten Rollen u n d Beliebungen, die Beschlüsse der Gewerbetreibenden ohne Bestätigung des Rats darstellten. Vgl. Wehrmann, C., S. 15 - 1 6 . Die gleiche Definition gibt Schönberg, Gustav, S. 11. Rüdiger schreibt dagegen, daß diese Einteilung f ü r Hamburg nicht zutreffe, so daß die obige Terminologie keine Allgemeingültigkeit besitzt. Vgl. Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Zunftrollen u n d Brüderschaftsstatuten, H a m b u r g 1874, S. X X I V Fußn. 1. Fest steht jedoch, daß es — abgesehen v o n den ihnen von Wehrmann zugeordneten Bezeichnungen „Ordnung", „Rolle", „Beliebung" — die oben gekennzeichneten drei A r t e n von Zunftstatuten gab. Dieling bezeichnet sie m i t „obrigkeitliche O r d nungen", „bestätigte W i l l k ü r e n " u n d „reine W i l l k ü r e n " . Vgl. Dieling, Friedrich: Zunftrecht. Eine Rechtsquellenstudie m i t besonderer Berücksichtigung des Schneiderhandwerks, Heidelberg 1932, S. 10 - 37. 15 „Zeche der Reichen u n d Mächtigen", die i n K ö l n an die Stelle der K a u f mannsgilde t r a t u n d die 1180 v o m Stadtherren als Stadtvertretung genehmigt wurde. Mitglieder waren alle Ratsherren u n d Schöffen. Planitz, Hans: Die

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1. Teil, Β. Soziale Sicherung bei den Zünften

2 Mark fest 1®. Zunächst mißbräuchlich, stellte die Zunft weitere Forderungen 17 , die dann i n der Satzung vom 5. Juni 1344 von der Richer zeche nachträglich sanktioniert wurden: Neben der Gebühr von 2 Mark mußte der Bewerber unter anderem ein Essen geben, sodann zusätzliche Beträge für Meister, Schreiber und die beiden Boten aufwenden 18 . 2. Zur Zahlung der Aufnahmegebühr waren an erster Stelle diejenigen verpflichtet, die als Meister Mitglied der Zunft werden wollten. Die Sätze waren aber durchaus nicht immer für alle Bewerber — wie 1397 bei den Kölner Böttchern und Schmieden 19 — einheitlich. Vielfach wurde nach Einheimischen und Fremden unterschieden; oft wurden den Meistersöhnen und den Gesellen, die eine Meistertochter oder -witwe heirateten, besondere Vergünstigungen eingeräumt. Dazu einige Beispiele: Bei den Webern i n Stendal zahlte der Meistersohn 1251 2 Schilling, andere Bewerber 3 Schilling 20 , bei den Kürschnern i n Basel 1226 der Meistersohn 3 Solidi, die übrigen 10 Solidi 2 1 . Die Bronzegießer i n K ö l n unterschieden 1330 zwischen Einheimischen, von denen 7 Solidi, und Fremden, von denen 1 Mark verlangt wurde 2 2 . Desgleichen die Kürschner i n Schweidnitz, die von einem Einheimischen 4,5 Scot, von einem Fremden 9 Scot und zwei Pfund Wachs forderten 23 . Die Gewandschneider i n Stendal hatten 1231 sogar eine dreifach gestaffelte Gebühr. Dort schuldete ein Meistersohn dem A m t 5 Solidi für die Gilde und 6 Denarien für die Meister, der Fremde 30 Solidi für die Gilde, 18 Denarien für die Meister und der Einheimische 1 Talent für die Gilde und 1 Solidum für die Meister 24 . Auch die Gürtelmacher i n K ö l n hatten 1327 diese dreifache Gliederung: Meistersöhne zahlten 9 Solidi, Einheimische 18 Solidi und V4 Wein, Fremde 2 Markt und 2 A Wein 2 5 . Bei einigen Zünften kannte man ein sogenanntes Einkaufsgeld, das der zahlen mußte, der kein Meisterstück verfertigte oder das Handwerk nicht erlernte, aber doch Zunftmitglied werden wollte2®. deutsche Stadt i m M i t t e l a l t e r v o n der Römerzeit bis zu den Zunftkämpfen, K ö l n 1954, S. 285. 18 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 51 (Qu. 39). 17 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 69 + . 18 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 61 (Qu. 40). 19 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 13 (Qu. 41) u n d S. 154 (Qu. 42). 20 Vgl. Riedel, A . F.: RiedePs codex diplomaticus Brandenburgensis, Samml u n g der Urkunden, Chroniken u n d sonstigen Geschichtsquellen f ü r die Geschichte der M a r k Brandenburg u n d ihrer Regenten, Hauptteil 1, Bd. 15, B e r l i n 1858, S. 13 (Qu. 43). 21 Vgl. Wackernagel, Rudolf, u n d Rudolf Thommen: Bd. 1, S. 77 (Qu. 44). 22 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 20 (Qu. 45). 23 Vgl. Korn, Georg, S. 29 (Qu. 46). 24 Vgl. Hertel, Gustav: Bd. 1, S. 48 (Qu. 47). 25 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 95 (Qu. 48).

II. Finanzierung der sozialen Sicherung

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Neben den Meistern waren zum Teil auch die Lehrlinge und Gesellen zur Zahlung eines Eintrittsgeldes verpflichtet. Wie schon bei den Meistern konnte auch hier der Beitrag i n Geld und/oder Naturalleistungen bestehen. Die Lehrlingsgebühr wurde entweder nur von diesem selbst gefordert oder sowohl vom Lehrling als auch vom Meister. Es kam auch vor, daß nur der Meister für die Einstellung eines Lehrjungen zahlen mußte. Einige Beispiele mögen das belegen: Der Glaserlehrling i n Hamburg (1375) schuldete der Gilde 2 Pfund Wachs 27 , der Drechslerlehrling i n Greifswald (1597) zahlte 2 Gulden und 1 Pfund Wachs 28 ; die Barbiere i n Lüneburg forderten 1557 3 Schilling fürs Einschreiben und 1 Mark i n die Büchse 29 . Bei den Müllern i n Württemberg galt 1729 folgende Regelung: War der neue Lehrling ein Meistersohn, so zahlte er 30 Kreuzer, der Meister, der ihn i n die Lehre nahm, ebenso; war er kein Meistersohn, betrug die Gebühr für beide je 1 Gulden 30 . I n Breslau (1424) hatte bei den Gürtlern nur der Meister eine Gebühr zu entrichten, und zwar V2 Virdung 3 1 . Bei den Kammachern i n Württemberg 1741 war es eine Frage der Abmachung zwischen Lehrling und Meister, wer die Eintrittsgebühr zu zahlen hatte 32 . Meisterkindern wurde diese Gebühr vielfach ganz — wie bei den Buntwörtern i n K ö l n 148533 — oder teilweise erlassen. Die Höhe dieser Abgaben kann nur verglichen werden bei den Zünften, die ausschließlich Geld verlangten. Dabei findet sich — wie Stahl feststellt —, daß überwiegend i n einer Stadt für alle Handwerke die gleiche Gebühr galt; sie betrug z.B. i n Lübeck i m 15. Jahrhundert 12 Schilling, i n Frankfurt zur gleichen Zeit etwa 10 Schilling 34 . I n zahlreichen Quellen finden sich Bestimmungen über die Eintrittsgelder der Gesellen. Vor Aufnahme einer Arbeit mußte ζ. B. i n K ö l n ein Gürtelmachergeselle 1327 der Zunft neben V4 Wein eine Gebühr von 1 Mark zahlen 35 . Vom Kölner Schreinergesellen forderte das dortige 26 Vgl. Weisser, Johann Fr. Chr.: Das Recht der Handwerker nach a l l gemeinen Grundsaezen u n d insbesondere nach den Herzogl. Wirtembergischen Gesezen, Stuttgart 1780, S. 51. 27 Vgl. Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S.90 (Qu. 49). 28 Vgl. Krause, Oskar, u n d K a r l Kunze: Bd. 1, S. 122 (Qu. 50). 29 Vgl. Bodemann, Eduard: Die älteren Z u n f t u r k u n d e n der Stadt L ü n e burg, Hannover 1883, S. 28 (Qu. 51). 30 Vgl. Weisser, Johann Fr. Chr., S. 443 - 444 (Qu. 52). 31 Vgl. Korn, Georg, S. 120 (Qu. 53). 32 Vgl. Weisser, Johann Fr. Chr., S. 452 (Qu. 54). 33 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 129 (Qu. 55). 34 Vgl. Stahl, Fr. Wilhelm, S. 189. 35 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 95 (Qu. 48).

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1. Teil, Β. Soziale Sicherung bei den Zünften

A m t 1397 1 Pfund, vom fremden Gesellen 2 Pfund Wachs 38 . Der nach Lübeck wandernde Decker oder Maurergeselle schuldete der Stadt um 1527 1 Gulden, dem A m t für 2 Schilling Wachs 37 . Zum Vergleich: Der Gesellenlohn bei den Goldschmieden betrug i n Lübeck 1511 maximal 8 Schilling wöchentlich 38 . 3. Dieses letzte Beispiel zeigt bereits, daß die Aufnahmegebühr nicht immer echte Einnahmequelle der Zunft war. I n manchen Städten fiel dieser Betrag i n voller Höhe an die Stadt, ζ. B. i n den schlesischen Städten Weidenau (1291), Wohlau (1292) und Namslau (1333)39. I n anderen Städten wurde die Summe aufgeteilt. So mußten die Weber in Wiener-Neustadt (1310) vom Gesamtbetrag von 1 Pfund Pfennig dem Richter 60 Pfennig, dem Nachrichter 12 Pfennig und dem Stadtschreiber 2 Pfennig zahlen 40 . I n Württemberg erhielten 1618 der Herzog und die Innung je 4 Gulden 41 , i n Schweidnitz mußten die Kürschner V3 dem Rat und Vs dem Erbvogt abführen 42 . Von der Gebühr der Magdeburger Schwertfeger (1244) fiel ein Teil an die Konsuln der Stadt, die diese zum Nutzen der Stadt verwenden sollten 43 . Die angeführten Beispiele stehen für viele andere Zunftordnungen und Zunftrollen mit gleichen oder ähnlichen Bestimmungen. Oft fehlen ausdrückliche Vorschriften über Eintrittsgebühren der Gesellen und Lehrlinge, was aber nicht bedeuten muß, daß diese von der Zahlung frei waren. Fehlende schriftliche Fixierung ist keineswegs ein Beweis der Nichtexistenz solcher Bestimmungen. Viele Regelungen wurden bei den Zünften ohne schriftliche Niederlegung gewohnheitsrechtlich befolgt. Wie dargelegt, bestanden die Aufnahmegebühren bei den Zünften aus Geld- und Naturalleistungen. Von den Geldbeträgen mußte zudem häufig ein Teil sofort abgeführt werden. Es erschien uns wichtig, dies genauer darzustellen, damit kein falscher Eindruck über die der Zunft aus dieser Quelle zufließenden M i t t e l entsteht. Nur ein Teil der Eintrittsgebühren stand der Zunft wirklich zur Verfügung und konnte gegebenenfalls zur Finanzierung sozialer Hilfsmaßnahmen verwendet werden. 36

Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 159 (Qu. 56). Vgl. Wehrmann, C., S. 335 - 336 (Qu. 57). 38 Vgl. Wehrmann, C., S. 120. 39 Vgl. Tzschoppe, Gustav Adolf, u n d Gustav A d o l f Stemel: U r k u n d e n sammlung zur Geschichte des Ursprungs der Städte u n d der Einführung u n d Verbreitung Deutscher Kolonisten u n d Rechte i n Schlesien u n d der OberLausitz, H a m b u r g 1832, S. 412 (Qu. 58), S. 417 - 418 (Qu. 59), S. 534 - 535 (Qu. 60). 40 Vgl. Winter, Gustav: Urkundliche Beiträge zur Rechtsgeschichte Oberu n d Niederösterreichischer Städte, M ä r k t e u n d Dörfer v o m zwölften bis zum fünfzehnten Jahrhunderte, Innsbruck 1877, S. 75 (Qu. 61). 41 Vgl. Weisser, Johann Fr. Chr., S. 457 (Qu. 62). 42 Vgl. Korn, Georg, S. 29 (Qu. 63). 43 Vgl. Hertel, Gustav: Bd. 1, S. 56 - 57 (Qu. 64). 37

II. Finanzierung der sozialen Sicherung

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I m folgenden sollen noch kurz die Gebühren behandelt werden, die für besondere Zunfthandlungen zu entrichten waren. Hier sind an erster Stelle die Ein- und Ausschreibgelder für das Aufdingen bzw. das Ledigsprechen eines Lehrjungen zu nennen. Die Einschreibgelder wurden bereits behandelt. Dabei ist der vom Lehrling gezahlte Betrag als Eintrittsgeld, die vom Meister entrichtete Summe jedoch als eine Gebühr für die Zunfthandlung der Aufnahme dieses Lehrlings anzusehen. Meist entsprach die Summe für das Ledigsprechen dem Einschreibgeld, ζ. B. bei den Schreinern i n Württemberg 4 4 . Auch für das Mieten eines Gesellen mußte der Zunft manchmal eine Gebühr entrichtet werden; so verlangten ζ. B. die Steinmetzen und Zimmerleute i n K ö l n 1397 2 Gulden 45 . Als besondere, gebührenpflichtige Zunfthandlung galt teilweise auch das Gericht. So bestimmt der 24. Zusatzbeschluß der Goldschmiede zu ihrer Satzung aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, daß die Unterliegenden bei Gerichtsverhandlungen 1 Mark zahlen müssen 46 . Bei den Kramern i n Tangermünde (1572) mußte derjenige, der die Gilde u m Vermittlung i n einem Streit anrief, 3 Schilling entrichten 47 . Die Glaser i n Greifswald verlangten 1592 eine Gebühr für das Benachrichtigen der Zunft: Ein Fremder schuldete dem A m t für diese Leistung 8 Schilling, ein Amtsmeister 2 Schilling, ein Geselle 4 Schilling 48 . 3. Strafen

Neben den Eintrittsgeldern bildeten die Strafen eine wichtige Einnahmequelle der Zünfte. I n nahezu jeder Zunfturkunde findet sich eine Reihe von Vorschriften, deren Nichtbefolgung mit einer mehr oder weniger hohen Strafe (Buße, Besserung) belegt wurde. W i r wollen untersuchen, wer Strafe zu zahlen hatte und aus welchem Grunde, ferner w o r i n die Strafe bestand. Wie bei den Eintrittsgebühren soll sodann festgestellt werden, wer die Strafen erhielt. Auch hier sind die Vorschriften so vielfältig, daß nur ein allgemeiner Überblick gegeben werden kann. Vollständigkeit ist weder möglich, noch w i r d sie erstrebt. Es soll lediglich belegt werden, wie mannigfaltig die Möglichkeiten der Zünfte waren, Einnahmen zu erzielen. A m häufigsten drohte den Meistern Strafe bei Verstößen gegen Regeln über die Führung des Gewerbes. Eine sehr ausführliche Liste 44

Vgl. Weisser, Johann Fr. Chr., S. 493. Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 176 (Qu. 65). Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 79 (Qu. 66). 47 Vgl. Zahn, W.: Die Tangermünder Gildebriefe, i n : Achtundzwanzigster Jahresbericht des Altmärkischen Vereins f ü r vaterländische Geschichte u n d Industrie zu Salzwedel, Magdeburg 1901, S. 89 (Qu. 67). 48 Vgl. Krause, Oskar, u n d K a r l Kunze: Bd. 1, S. 150 (Qu. 68). Vgl. auch Maurer, Georg L u d w i g von: Bd. 2, S. 905 (Qu. 69). 45

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1. Teil, Β. Soziale Sicherung bei den Zünften

der bei der Herstellung von Tuchen zu beachtenden Vorschriften mit den entsprechenden Strafen bei Mißachtung enthält die Gewerksordnung der Tuchmacher oder Weber zu K u l m aus dem Jahre 137949. Die Brauer i n Magdeburg (1510) durften nur zur vorgeschriebenen Zeit und nicht an Sonn- und Feiertagen brauen. Wer dagegen verstieß, schuldete der Innung V2 Mark 5 0 . Bei den Webern zu Speier (1298) waren unter anderem Gewicht, Länge und Breite der Tuche genau festgelegt. Wer die Maße nicht einhielt, mußte 8 Kreuzer Strafe zahlen 51 . I n K ö l n schrieben die Beutelmacher 1397 die Beschaffenheit verschiedener Beutelarten genau vor. Für jedes nicht nach diesen Vorschriften gearbeitete Teil forderte die Zunft 3 Solidi Strafe 52 . Eine große Zahl von Zünften verbot das Abwerben eines Gesellen 53 . Auch eine höhere Bezahlung des Gesellen als vorgeschrieben wurde bestraft 54 . Nahezu ebenso häufig wie Gewerbevorschriften finden sich Bestimmungen über das Verhalten bei den Zunftversammlungen (Morgensprachen). Unentschuldigtes Fernbleiben, Unpünktlichkeit und vorzeitiges Weggehen wurden mit einer Strafe belegt 55 . Bei den Morgensprachen durfte keiner unaufgefordert sprechen, einen Amtsbruder beleidigen, eine Waffe tragen usw. 56 . Ebenso wichtig wie das Erscheinen bei den Zunftversammlungen war die Teilnahme am Begräbnis eines verstorbenen Genossen oder eines Familienmitgliedes 57 . Auch für schlechtes Verhalten seiner Lehrlinge und Gesellen konnte der Meister zur Verantwortung gezogen werden. Zeugnis dafür gibt eine Bestimmung der Kölner Goldschmiede und Goldschläger von 1397: Der Lehr junge durfte außer einem Brotmesser kein weiteres mit sich führen, nicht außerhalb des Meisterhauses schlafen und nicht ohne Wissen des Meisters spielen. Duldete dieser eine Übertretung der Vorschriften, wurde er mit der gleichen Strafe belegt wie der Lehrling selbst, nämlich m i t 1 Mark 5 8 . Der Meister bei den 49

Vgl. Voigt, Johannes, S. 185 - 187 (Qu. 70). Vgl. Hertel, Gustav: Bd. 3, Halle 1896, S. 840 (Qu. 71). 51 Vgl. Mone, F. J.: Zunftorganisation, Bd. 15, S. 281 (Qu. 72). 52 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 11 - 12 (Qu. 73). 53 Vgl. Wehrmann, C., S. 205 (Qu. 74), u n d Brucker, J.: Strassburger Z u n f t u n d Polizei-Verordnungen des 14. u n d 15. Jahrhunderts, Straßburg 1889, S. 16 (Qu. 75). 54 Vgl. Wehrmann, C., S. 175 (Qu. 76). 55 Vgl. Bodemann, Eduard, S. 229 - 230 (Qu. 77). 56 Vgl. Korn, Georg, S. 100 (Qu. 78); Doebner, Richard: Urkundenbuch der Stadt Hildesheim, Bd. 8, Hildesheim 1901, S. 703 (Qu. 79); Wehrmann, C., S. 344 - 345 (Qu. 80). 57 Vgl. Hertel, Gustav: Bd. 3, S. 718 (Qu. 81); Krause, Oskar, u n d K a r l Kunze: Bd. 1, S. 125 f. (Qu. 82). 58 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 83 (Qu. 83). 50

II. Finanzierung der sozialen Sicherung

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Breslauer Täschnern, der seinem Gesellen erlaubte, an einem Arbeitstag zu feiern, büßte mit 2 Groschen 59 . Damit sind die wichtigsten Gruppen von Straftatbeständen bei den Meistern genannt. Gleichzeitig gibt die oben genannte Bestimmung bei den Kölner Goldschmieden ein Beispiel dafür, daß auch Lehrlinge bestraft wurden. Eine ganz ähnliche Vorschrift wie bei den Kölner Goldschlägern findet sich bei den Goldschmieden i n Lüneburg (um 1400). Auch hier war dem Lehr jungen während seiner vierjährigen Lehrzeit verboten, außerhalb des Hauses zu schlafen, zu spielen und lange Messer zu tragen 60 . Ein entlaufener Lehrjunge mußte bei den Reifem i n Lübeck (1390) 12 Schilling — die gleiche Summe wie die Eintrittsgebühr — zahlen 61 . Wie die Lehrlinge, so waren auch die Gesellen der Zunft zu Gehorsam verpflichtet und wurden bei Übertretungen m i t Strafe belegt. Eine allgemeine Bestimmung findet sich z.B. i m Zunftbuch der Schneider zu Mainz von 1394: Der straffällige Geselle mußte 10 Schilling oder mehr i n die Zunftkasse zahlen 62 . Die Lüneburger Bader-Ordnung von 1361 verbot den Gesellen zu würfeln oder zu kegeln bei einer Strafe von 6 Pfennig; weigerte er sich zu zahlen, büßte er dafür mit 3 Schilling 63 . Die Knochenhauer zu Greifswald verboten ihren Knechten 1418 bei einer Strafe von 1 Silbermark, innerhalb der Stadt zu kaufen oder zu verkaufen 64 . Bei den Radmachern zu Hildesheim (1583) durfte der wandernde Geselle sich nicht selbst Arbeit suchen. Ein Verstoß wurde mit V2 Gulden bestraft 65 . Wie hoch die Strafen sein konnten, zeigen die Bestimmungen der H u t macher i n Lüneburg vom 24. Februar 1574: Ein Geselle, der nach 10 Uhr nach Hause kam, mußte zur Strafe einen ganzen Wochenlohn (6 Schilling) i n die Kasse legen 66 . Die Strafhöhe für das gleiche Vergehen war nicht immer gleich. So zahlten die Tuchscherer i n Württemberg für das Nichterscheinen bei einer Zusammenkunft 1 Gulden 30 Kreuzer, die Weber dagegen nur 15 Kreuzer 1 Gulden 67 . Innerhalb der von der Ordnung gesetzten Grenzen war es wohl den Zunftmeistern überlassen, die Strafhöhe fallweise festzulegen. 59

Vgl. Vgl. 81 Vgl. 82 Vgl. (Qu. 87). 83 Vgl. 84 Vgl. 85 Vgl. 88 Vgl. 87 Vgl. 80

Korn, Georg, S. 123 (Qu. 84). Bodemann, Eduard, S. 97 (Qu. 85). Wehrmann, C., S. 385 (Qu. 86). Mone, F. J.: Gewerbspolizei v o m 12. - 18. Jahrhundert, Bd. 13, S. 155 Bodemann, Eduard, S. 23 (Qu. 88). Krause, Oskar, u n d K a r l Kunze: Bd. 1, S. 165 (Qu. 89). Doebner, Richard: Bd. 8, S. 826 (Qu. 90). Bodemann, Eduard, S. 114 - 115 (Qu. 91). Weisser, Johann Fr. Chr., S. 53, Fußn. k.

1. Teil, Β. Soziale Sicherung bei den Zünften

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Wie schon die Eintrittsgebühren flössen auch die Strafen teils i n voller Höhe i n die Zunftkassen, teils mußte der Stadt ein A n t e i l abgeführt werden. I n der Verordnung der Straßburger Schuster und Gerber wurde i m 15. Jahrhundert festgelegt, daß jeweils die Hälfte der Strafen der Zunft bzw. dem Rat der Stadt zustand 68 . Das gleiche galt bei den Gewandschneidern i n Frankfurt 137769. I n Lüneburg fiel der überwiegende Teil der Strafgelder an die Stadt. Ein Glaser, der schlechtes Blei oder schlechte Farben verwendete, zahlte einen halben Taler (1 Mark) an den Rat der Stadt, 1 Schilling an das A m t 7 0 . Ein Goldschmied, der falsche Steine usw. verarbeitete, schuldete dem Rat 60 Mark, der Zunft 3 Schilling (um 1400)71. Es kam auch vor, daß ein Teil der Strafen i n eine gesonderte Kasse abgeführt wurde, die der Hilfe für bedürftige Meister und Gesellen diente 72 . 4. Ständige Beiträge

I m Unterschied zu den Vorschriften über Eintrittsgebühren und Strafgelder, die w i r i m überwiegenden Teil der Zunfturkunden finden, gibt es relativ wenig Belege über die Forderung regelmäßiger Beitragsleistungen. So scheinen i n K ö l n Eintrittsgelder und Strafen die Hauptfinanzierungsquelle gewesen zu sein, wogegen regelmäßige Beiträge oder Umlagen nicht üblich waren 7 3 . I n den Urkunden der Stadt Greifswald w i r d nur bei 5 von 38 Zünften ein regelmäßiger Beitrag erwähnt. Doch scheint es uns wahrscheinlich, daß solche regelmäßigen Leistungen häufiger waren, als sich aus den Quellen ergibt. Viele Zünfte waren gleichzeitig religiöse Brüderschaften, denen i n bestimmten Abständen regelmäßige Zahlungen zu entrichten waren. So stellt Bodemann für Lüneburg fest: „jede erhob Beiträge zu kirchlichen und wohltätigen Zwecken" 7 4 und gleichzeitig bemerkt er, daß sich i n den Urkunden darüber nur wenige nähere A n gaben finden 75. Möglicherweise war die Situation i n anderen Städten ähnlich. Viele Urkunden enthalten vorwiegend Gewerbevorschriften, während die Angelegenheiten der Brüderschaft unerwähnt bleiben oder nur kurze Hinweise auf religiöse und soziale Betätigung schließen lassen. 68

Vgl. Brucker, J., S. 454 (Qu. 92). Vgl. Fromm, Emanuel: Frankfurts Textilgewerbe i m Mittelalter, Archiv f ü r Frankfurts Geschichte u n d Kunst, I I . Folge, Bd. 6, F r a n k f u r t 1899, S. 93 (Qu. 93). 70 Vgl. Bodemann, Eduard, S. 93 (Qu. 94). 71 Vgl. Bodemann, Eduard, S. 95 (Qu. 95). 72 Vgl. Doebner, Richard: Bd. 8, S. 827 (Qu. 96). 73 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 94 + . 74 Bodemann, Eduard, S. L X X I I . 75 Vgl. Bodemann, Eduard, S. L X X I V . 69

II. Finanzierung der sozialen Sicherung

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Wurden Beiträge (auch Leggeld, Tidgeld genannt) erhoben, so waren sie die sicherste, w e i l regelmäßig fließende und ihrem Umfang nach i m voraus zu berechnende Einnahmequelle. Soweit die Quellen Auskunft geben, soll i m folgenden kurz dargestellt werden, wer, i n welcher Höhe und wann Beiträge zu entrichten hatte. I n erster Linie waren die Meister zur Zahlung verpflichtet. So bestimmten die Kannengießer i n Lüneburg i n ihrer Rolle vom 31. Januar 1597, daß jeder Meister alle 14 Tage 6 Pfennig i n die Büchse legen müsse; bei Säumigkeit oder Zahlungsverweigerung soll er keinen Nutzen vom Zunftvermögen haben 76 . — Die Barbiere i n Lübeck (1480) hatten einen vierteljährlichen Beitrag von 1 Schilling zu leisten, der dem Kauf von Wachs zu Ehren der Schutzheiligen Cosmas und Damianus diente 77 . Ebenfalls vierteljährlich 1 Schilling zahlten die Glaser i n Greifswald 151178; bei den dortigen Tischlern (1562) entrichteten die Älterleute vierteljährlich 1 Schilling, die übrigen Amtsbrüder 2 Schilling 7 9 . Der Tageslohn betrug zu dieser Zeit 5 bis 6 Schilling, das heißt, der Jahresbeitrag entsprach nicht einmal 2 Tageslöhnen. I n Hildesheim legten die Bäcker 1543 fest, daß jeder Meister des Amtes jährlich 2 Schilling, zahlbar i n Vierteljahresraten, zur Unterstützung der armen Amtsbrüder und zum allgemeinen Nutzen der Zunft i n die Büchse legen sollte 80 . — 1741 betrug der jährliche Beitrag bei den Kammachern i n Württemberg 15 Kreuzer 8 1 . Weisser gibt noch für neun weitere Zünfte die jährlichen Leggelder an: Barbiere 30 Kreuzer, Dreher 15 Kreuzer, Färber 30 Kreuzer, Glaser 12 Kreuzer, Kübler 10 Kreuzer, Rothgerber 10 Kreuzer, Schreiner 20 Kreuzer, Sattler 10 Kreuzer, Strumpfstricker 12 Kreuzer 8 2 . Diese Aufstellung zeigt, daß der jährliche Beitrag durchaus nicht i n allen Zünften gleich war. Die Barbiere und die Färber zahlten das dreifache des Betrages, den ζ. B. die Sattler aufwenden mußten. Diese starke Differenzierung scheint allerdings früher nicht bestanden zu haben, wie die Beispiele weiter oben zeigen. Es kam wohl auch vor, daß die Beiträge eines Amtes unterschiedlich waren. Schmoller berichtet von der Straßburger Tucher- und Weberzunft, daß bei der Aufnahme m i t jedem einzelnen über den von i h m zu 78

Vgl. Bodemann, Eduard, S. 120 (Qu. 97). Vgl. Wehrmann, C., S. 166 (Qu. 98). 78 Vgl. Krause, Oskar, u n d K a r l Kunze: Bd. 1, S. 143 (Qu. 99). 79 Vgl. Krause, Oskar, u n d K a r l Kunze: Bd. 2, Greifswald 1901, S. 145 u n d S. 147 (Qu. 100). 80 Vgl. Doebner, Richard: Bd. 8, S. 702 (Qu. 101). 81 Vgl. Weisser, Johann Fr. Chr., S. 453 - 454 (Qu. 102). 82 Vgl. Weisser, Johann Fr. Chr., S. 488 - 493. 77

4 Fröhlich

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1. Teil, Β. Soziale Sicherung bei den Zünften

zahlenden Jahresbeitrag verhandelt wurde, der gemäß den Aufnahmeprotokollen 2, 4 oder 6 Schilling betrug 8 3 . Das jährliche Leggeld war i n Württemberg auch von den Meister witwen zu entrichten, die das Handwerk ihres Mannes fortführten 8 4 . I n anderen Quellen finden sich nur selten Hinweise darauf; doch ist es wahrscheinlich, daß die Meisterwitwe, sofern sie das A m t unbeschränkt fortführen durfte, mit den Rechten auch die Pflichten zu übernehmen hatte. Die Rolle der Kleinhändler i n Greifswald von 1499 scheint diese Vermutung zu bestätigen. Dort heißt es, sie müsse die Lasten des Amtes wie alle anderen tragen 85 . Das bezieht sich möglicherweise nur auf die Mühen, die der Beruf m i t sich bringt, kann sich aber ebensogut auf alle Amtspflichten erstrecken. Die Kannengießer zu Lüneburg forderten 1597 denn auch ausdrücklich, daß die Meisterwitwe, die i m A m t bleiben w i l l , „alle unplicht (Leistung, Abgabe) i m amte m i t stehen" solle 88 . Über einen Geseiienbeitrag berichtet die Rolle der Glaser zu Greifswald von 1511. Dem Gesellen, der arm verstirbt, wollen die Glaser aus der Büchse das Begräbnis zahlen, sofern er seinen Beitrag gezahlt hat 8 7 . — I n der württembergischen Müllerordnung von 1729 w i r d bestimmt, daß jeder von einem Müller eingestellte Haumeister, Malknecht und Gerber wöchentlich V2 Kreuzer i n die Zunftlade legen muß, zu Unterhalt und Unterstützung armer Handwerksgenossen 88 . Die Gesellen bei den Barbieren i n Zerbst mußten jeden Sonntag 1 Pfennig i m Fenster stecken lassen (Meister: 2 Pfennig), die ein dazu ausgewählter Geselle einsammelte 89 . Bei den Pantoffelmachern i n Lüneburg mußte 1525 jeder Knecht, der seine Lehre beendet hatte, alle 14 Tage 2 Pfennig i n die Büchse geben, der Lehrling, der ein Jahr i n der Lehre war, vierzehntägig 1 Pfennig 90 . Die Riemer i n Berlin und Cölln verlangten 1683 vom Lehrling monatlich 3 Pfennig 91 . 5. Sonstige Einnahmen

Innungen, deren Einnahmen die Ausgaben überstiegen, verliehen ihr Geld teilweise gegen Zins weiter. Zeugnis dafür gibt das Kassenbuch 83 Vgl. Schmoller, Gustav: Die Strassburger Tucher- u n d Weberzunft u n d die deutsche Weberei, Straßburg 1879, S. 52. 84 Vgl. Weisser, Johann Fr. Chr., S. 51. 85 Vgl. Krause, Oskar, u n d K a r l Kunze: Bd. 1, S. 159 (Qu. 103). 86 Vgl. Bodemann, Eduard, S. 120 (Qu. 104). 87 Vgl. Krause, Oskar, u n d K a r l Kunze: Bd. 1, S. 143 (Qu. 105). 88 Vgl. Weisser, Johann Fr. Chr., S. 445 (Qu. 106). 89 Vgl. Dalmer, Paul, S. 42, Fußn. 2. 90 Vgl. Bodemann, Eduard, S. 172 (Qu. 107). 91 Vgl. Meyer, Moritz: Geschichte der Preussischen Handwerkerpolitik, Bd. 1 : Die Handwerkerpolitik des Grossen Kurfürsten u n d K ö n i g Friedrich' s I (1640 - 1713), M i n d e n i. W. 1884, S. 351 (Qu. 108).

II. Finanzierung der sozialen Sicherung

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der Gewandschneider i n Zerbst. I m Jahre 1575 werden unter anderem Einnahmen von Kornpächten und von jährlichen Geldzinsen aufgeführt 92 . Geschenke — meist Naturalien — und Stiftungen vermehrten das Vermögen der Innungen. Bodemann veröffentlicht zwei Urkunden der Kramer aus dem 15. Jahrhundert, die Angaben über solche Geschenke enthalten 93 . — I n Hildesheim übergab ein Bürger 1453 den Gerbern und Schuhmachern sieben Ratspfandbriefe m i t der Verpflichtung zu bestimmten Gaben an zwei Klöster, Hospitäler, Hausarme und Gildegenossen 94 . Umlagen zur Deckung bestimmter Kosten werden i n den Quellen kaum erwähnt, sie scheinen aber nicht ausgeschlossen, vor allem, wenn man bedenkt, daß die Anforderungen an die Zunftkasse die verfügbaren M i t t e l durchaus auch überschreiten konnten 9 5 . Belegt ist eine Umlage bei den Gewandschneidern zu Greifswald: Sie beschlossen 1562, daß jeder von ihnen 15 Mark über den Betrag hinaus, den sie bereits bei der Gewinnung des Amtes erlegt hatten, zu zahlen habe9®. Die Pantoffelmacher i n Bremen bestimmten 1589, daß zur Schaffung eines Grundvermögens jeder 4 Bremer Mark erlegen solle 97 . Die Böttcher zu Flensburg (1488) brachten die M i t t e l zur Unterstützung eines erkrankten Gesellen durch eine Umlage von 1 Schilling je Meister auf 98 . U m noch einmal kurz zusammenzufassen: Die Zünfte bezogen Einnahmen aus Eintrittsgeldern und sonstigen Gebühren, Strafen, Beiträgen, Geschenken und Stiftungen, Zinserträgen und aus Umlagen. Die Eintrittsgebühren und Strafen mußten zum Teil an die Obrigkeit abgeführt werden, manchmal flöß ein Teil i n eine besondere Brüderschaftskasse, eine Regelung, die besonders für die Beiträge gilt. Diesen Einnahmen standen vielfältige Ausgaben gegenüber, unter denen die Unterstützung kranker oder i n Not geratener Brüder nur ein Posten war, allerdings der wichtigste: „Der Hauptzweck, wozu die Zunftgelder eigentlich verwendet werden sollen, ist die Verpflegung armer kranker Meister, W i t t w e n und Gesellen, und Unterstützung dürftiger ZunftGenossen99." 92 Vgl. Dalmer, Paul, S.40; vgl. ferner Weisser, Johann Fr. Chr., S. 54; Kulenkamp, E. J., S. 76. 93 Vgl. Bodemann, Eduard, S. 143 - 144 u n d S. 147 - 148. 94 Vgl. Doebner, Richard: Bd. 7, Hildesheim 1899, S. 72 - 75 (Qu. 109). Vgl. dazu auch Hartmann, Moritz, S. 87. 95 Vgl. Dalmer, Paul, S. 41. 96 Vgl. Krause, Oskar, u n d K a r l Kunze: Bd. 1, S. 139 (Qu. 110). 97 Vgl. Böhmert, Victor, S. 84 (Qu. 111). 98 Vgl. Peters, Horst: Die Geschichte der Sozialversicherung, B a d Godesberg 1959, S. 24 (Qu. 112). 99 Kulenkamp, E. J., S. 81.



1. Teil, Β. Soziale Sicherung bei den Zünften

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I I I . Sicherung gegen Armut Eine der Entstehungsursachen der Zünfte war das Bedürfnis der Handwerker nach wirtschaftlicher Sicherheit. „Unsere Vorfahren sind nicht Toren gewesen. Die Gilden sind zu dem Zwecke erfunden worden, dass Jeder durch sie sein tägliches Brot verdiene und Niemand ins Handwerk des Anderen übergreife. So w i r d die Welt ihr Elend los, und Jeder kann seinen Unterhalt finden" 100, d.h. jeder kann seiner „Nahrung" sicher sein 101 . So zeigten sich die Zünfte stets bemüht, ihre Mitglieder vor A r m u t zu bewahren und ihnen i n Notlagen beizustehen. Sie suchten dieses Ziel vorbeugend durch strenge Reglementierung des Handwerksbetriebes und aktiv durch finanzielle Unterstützung verarmter Genossen zu erreichen. 1. Vorbeugende Maßnahmen zur Verhütung von Armut

a) Reglementierung

des Handwerksbetriebs

102

Wie jeder Zunftgenosse ein Recht und eine Pflicht zur Arbeit hatte, so sollte auch jeder durch seine Arbeit ein standesgemäßes Einkommen erzielen. Die Zünfte strebten nicht nur ein ausreichendes, sondern ein möglichst gleiches Einkommen ihrer Handwerker an 1 0 3 . Z u diesem Zweck führten sie Beschränkungen ein, die den Ausdehnungsmöglichkeiten des einzelnen Handwerkes Grenzen setzen 104 . „Dem Ideal einer kleinbetrieblichen Demokratie m i t gleichen Startbedingungen und gleichen Erfolgschancen zuliebe schreckte man vor einschneidenden Maßnahmen nicht zurück 1 0 5 ." Sie suchten durch geeignete Maßnahmen die Produktionskosten, die Höhe der Produktion und die Absatzmöglichkeiten weitgehend gleichzuhalten10®. 100

Reformation Kaiser Sigmunds 1438, zit. nach Adler, Georg: Ueber die Epochen der Deutschen H a n d w e r k e r - P o l i t i k , Jena 1903, S. 1. 101 Z u r „Idee der Nahrung" vgl. Kuske, Bruno: Gewerbe, Handel u n d Verkehr, Sonderdruck aus: Gesellschaft f ü r Rheinische Geschichtskunde, Hrsg.: Das Rheinland v o n den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Essen 1922, S. 239; Rörig, Fritz, S. 104. 102 Eine sehr ausführliche Übersicht über die Reglementierung des zünftigen Handwerksbetriebs enthält Wege, Erich: Die Zünfte als Träger w i r t schaftlicher Kollektivmaßnahmen, Beiheft 20 zur Viertel jahresschrift f ü r Sozial- u n d Wirtschaftsgeschichte, Stuttgart 1930. loa V g L Wehrmann, C., S. 141. 104 Vgl. Fischer, Wolfram: Handwerksrecht u n d Handwerkswirtschaft u m 1800, B e r l i n 1955, S. 55 ff.; Rohrscheidt, K u r t von: V o m Zunftzwange zur Gewerbefreiheit, B e r l i n 1898, S. 69 ff. los Wernet, W i l h e l m : Kurzgefasste Geschichte des Handwerks i n Deutschland, D o r t m u n d 1953, S. 41. 106 Vgl. Weber, M a x : Wirtschaftsgeschichte, 2. Aufl., München — Leipzig 1924, S. 129 - 131 („Nahrungspolitik"); Sombart, Werner: Der moderne K a p i t a lismus, 2. Aufl., Bd. 1, München — Leipzig 1916, S. 34, S. 195 - 196; Kötzschke,

III. Sicherung gegen Armut

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„Der Drang nach Reichtum und wirtschaftlicher Macht (war) gebändigt durch die Idee einer gottgewollten, i m Jenseits verankerten ständischen Gliederung der Gesellschaft (Ordo-Gedanke) und durch eine religiös begründete Ethik, die die Wirtschaft nicht zum Selbstzweck werden ließ, sondern sie unter das Gebot der Gerechtigkeit und sozialer Ordnung stellte 1 0 7 ." U m eine gleiche Verteilung der Rohstoffe und möglichst gleiche Einkaufspreise für alle Handwerker zu erreichen, wurde der Einkauf vielfach zentral von der Zunft durchgeführt und durch die Älterleute besorgt, u m dann gleichmäßig an alle Zunftgenossen verteilt zu werden. Bei den Schreinern i n Frankfurt (1560) durften nur vier ausgewählte Personen das Holz für das gesamte Handwerk kaufen 1 0 8 . Die Älterleute der Schuhmacher i n Flensburg und Sonderburg kauften den gesamten Bedarf an Tran, Fetten usw.; Lohe durfte erst gekauft werden, wenn der Wagen der Verkäufer sich innerhalb der Stadttore befand 109 . Durch diese Maßnahmen wurde sichergestellt, daß alle sowohl i n Bezug auf die Menge als auch auf die Qualität der Rohstoffe gleichgestellt wurden. I n Lübeck mußten die Rußfärber (1500) alle eingekaufte Farbe und Waidteig gleichmäßig teilen, eine ähnliche Vorschrift galt bei den dortigen Haardeckenmachern (1443)110. Ebenso mußten die Nadler i n Breslau unter Androhung einer Strafe eingekauftes Horn miteinander teilen 1 1 1 . Diese Vorschriften, jeden Einkauf bzw. jeden größeren Rohstoffeinkauf m i t anderen zu teilen, hatte eine ganz ähnliche Wirkung wie der oben beschriebene gemeinschaftliche Einkauf. Durfte der einzelne Handwerker selbst einkaufen, was er benötigte, mußte er gegebenenfalls m i t anderen Zunftgenossen teilen, wenn diesen Rudolf: Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters, Jena 1924, S. 587-588; Adler, Georg, S. 6; Maschke, Erich, S.433; Potthoff, Ossip Demetrius, S. 7 1 - 7 6 ; vgl. hingegen Kelter, Ernst: Die Wirtschaftsgesinnung des mittelalterlichen Zünftlers, i n : Schmollers Jahrbuch, Bd. 56, 1932, S. 749 - 775, die K r i t i k an diesem Aufsatz v o n A d r i a a n v a n Vollenhoven: Die Wirtschaftsgesinnung des mittelalterlichen Zünftlers. Eine K r i t i k , i n : Schmollers J a h r buch, Bd. 59, 1935, S. 299 - 309, u n d die Erwiderung Kelters hierzu i n : Schmollers Jahrbuch, Bd. 59,1935, S. 311 - 316. 107 Bosl, K a r l : Staat, Gesellschaft, Wirtschaft i m deutschen Mittelalter, i n : Bruno Gebhard, Hrsg., S. 671. 108 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Frankfurter A m t s - u n d Z u n f t urkunden bis zum Jahre 1612, 1. Teil: Z u n f t u r k u n d e n bis zum Jahre 1612, Bd. 2, F r a n k f u r t 1914, S. 14 - 15 (Qu. 113). 109 Vgl. Schräder, Hans: Die Schleswiger Zünfte m i t besonderer Berücksichtigung der Flensburger Gilden u n d Brüderschaften bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts, Diss. Hannover 1913, S. 159 - 160 u n d S. 158, Fußn. 4 (Qu. 114). 110 Vgl. Wehrmann, C., S. 398 (Qu. 115) u n d S. 230 (Qu. 116). 111 Vgl. Eulenburg, Franz: Über Innungen der Stadt Breslau v o m 13. bis 15. Jahrhundert, Diss. B e r l i n 1892, S. 24 (Qu. 117).

1. Teil, Β. Soziale Sicherung bei den Zünften

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Rohstoffe fehlten. So schrieben die Kürschner i n Frankfurt 1355 vor, daß jeder, der einen Kauf abschloß und i h n nicht m i t anderen, die daran partizipieren wollten, teilte, eine Strafe auf sich nehmen mußte 1 1 2 . Die Böttcher Rigas mußten 1375 jeden Kauf dem A m t mitteilen 1 1 3 , und 1581 wurde diese Bestimmung dahingehend erweitert, daß jeder Meister sich an diesem Kauf beteiligen konnte 1 1 4 . I n einigen Fällen durfte eine geringe, festgelegte Menge von den Meistern frei gekauft werden; wurde diese Menge überschritten, mußte m i t anderen Meistern geteilt werden. Beispiele hierfür finden w i r i n der Rolle der Maler i n Frankfurt (1406)115 und bei den Kürschnern i n Riga 1397116. Auch bei den Balierern und Bohrern i n Freiburg und Waldkirch (1544) durfte kein Meister außerhalb eines 20-Meilen-Bezirks u m die Stadt Steine einkaufen, sie sollten frei i n der Stadt verkauft werden. Ging jedoch ein Meister auf Geschäftsreisen, mußte er dies allen m i t teilen, und jeder konnte i h m dann Geld übergeben, u m später Anteil an den eingekauften Steinen zu haben 117 . A u f Verlangen eines Mitmeisters mußte der Dortmunder Bäckermeister u m 1700 seinen Kornkauf mit diesem teilen 1 1 8 . Den Böttchern i n Lüneburg (1430 -1543) war es bei Strafe verboten, mehr als eine festgelegte Menge Holz einzukaufen, damit Arme wie Reiche die gleichen Chancen beim Einkauf hatten 1 1 9 . Das Bestreben, möglichst keine größeren Rohstoffmengen i n die Hand eines einzelnen Meisters gelangen zu lassen, führte 1417 i n Wismar sogar zu der Bestimmung, jeder einzelne Bürger dürfe sich an einem günstigen Kauf beteiligen 120 . Wie die Rohstoffpreise, so sollten auch die Lohnkosten möglichst gleich sein. Vielfach wurden daher die Löhne festgelegt. Bei den Schneidern i n Schweidnitz betrug der Gesellenlohn wöchentlich 1 Groschen, der Lehrlingslohn alle 3 Wochen 1 Scot 121 . Die Leuchtenmacher i n Hamburg legten 1548 i n einem Zusatz zur Rolle den Gesellenlohn auf höch112

Vgl. Böhmer, Joh. Friedrich, S. 639 (Qu. 118). Vgl. Stieda, Wilhelm, u n d Constantin Mettig: Schrägen der Gilden u n d Aemter der Stadt Riga bis 1621, Riga 1896, S. 262 (Qu. 119). 114 Vgl. Stieda, Wilhelm, u n d Constantin Mettig, S. 267 (Qu. 120). 116 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: 1. Teil, Bd. 1, S. 428 (Qu. 121). 116 Vgl. Bunge, Friedrich Georg von: L i v - , Esth- u n d Curländisches Urkundenbuch nebst Regesten, Bd. 4, Reval 1859, Sp. 195 (Qu. 122). 117 Vgl. Schragmüller, Elsbeth: Die Bruderschaft der Borer u n d Balierer v o n Freiburg u n d Waldkirch. Beitrag zur Gewerbegeschichte des Oberrheins, Karlsruhe i. B. 1914, S. 107 (Qu. 123). 118 Vgl. Fahne, A n t o n : Die Grafschaft u n d freie Reichsstadt Dortmund, Bd. 3, K ö l n — B o n n 1855, S. 250 (Qu. 124). 119 Vgl. Bodemann, Eduard, S. 34 (Qu. 125), S. 39 (Qu. 126) u n d S. 42 (Qu. 127). 120 Vgl. Burmeister, C. C. H., S. 72 (Qu. 128). Sehr ähnliche Bestimmungen sollten auch i n England die Höhe der Produktionskosten bei den Z u n f t mitgliedern gleichhalten. Vgl. Brentano, L u j o : Bd. 1, S. 53 - 54 (Qu. 128). 121 Vgl. Hasemann, J., S. 377. 113

III. Sicherung gegen Armut

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stens 8 Schilling fest 122 . Der Streik der Zerbster Leinewebergesellen u m 1500 wegen der Herabsetzung des festgelegten Lohnes zeugt ebenfalls von einem einheitlichen Lohn 1 2 3 . Manchmal wurde lediglich bestimmt, daß keiner höhere Löhne als der andere zahlen durfte, wie ζ. B. bei den Schiffern i n Lüneburg i n der Ordnung der Eichenführer vom 31. Mai 1576124. Es wurde also keineswegs — wie heute zum Schutze des Arbeitnehmers — ein Mindestlohn festgelegt, sondern i m Gegenteil ein Höchstlohn, der sehr wohl unterschritten, nicht aber überschritten werden durfte. Der Schutz dieser Maßnahme galt dem weniger begüterten Meister, der auf diese Weise gegen den Verlust seiner Arbeitskräfte durch Lohntreiberei seiner Konkurrenten gesichert war. Auch i n der Produktionsmenge wurde weitgehend Gleichheit angestrebt. Die Decklaken- und Scharzenweber i n K ö l n beschränkten die Produktion 1149 ausdrücklich auf 4 (Meister) bzw. 3 (Brüder) Stücke 125 . I n Lübeck galten ähnliche Beschränkungen z.B. bei den Lohgerbern (1454), die jährlich nicht mehr als 415 Rinderhäute, 520 Kalbfelle und 300 Ziegenfelle gerben durften (bei unverheirateten Meistern galt eine niedrigere Menge) und bei den Rußfärbern (1500), die — der Reiche wie der Arme — 32 Felle wöchentlich, nicht mehr, färben durften 1 2 6 . Damit der begüterte Zunftgenosse nicht die Möglichkeit hatte, m i t Hilfe vieler Gesellen mehr zu produzieren als andere, wurde i n anderen Zünften die Gesellenzahl beschränkt 127 . Ergänzt wurden diese Vorschriften durch ein strenges Verbot, anderen Zunftgenossen Gesellen abzuwerben 128 . Dem gleichen Ziele diente eine Festlegung der maximalen Arbeitszeit, die nicht überschritten werden durfte. So war es bei den Kisten- und Leuchtenmachern i n Hamburg 1515 verboten, samstags nach 18 Uhr zu arbeiten 129 . Die Brauer i n Gardelegen setzten 1643 die Arbeitszeit von 3 Uhr morgens bis 9 Uhr abends fest 180 . I n Lüneburg finden sich derartige Bestimmungen bei den Maurern (1570), Rothgießern (1573) und Zimmerleuten (1570)131. 122 Vgl. Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S. 167 - 168 (Qu. 129). 123 Vgl. Hertel, Gustav: Bd. 3, S. 659 (Qu. 130). 124 Vgl. Bodemann, Eduard, S. 200 (Qu. 131). 125 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 30 (Qu. 132). ΐ2β V g l > wehrmann, C., S. 314 - 315 (Qu. 133) u n d S. 398 (Qu. 134). 127

Vgl. Vgl. 129 Vgl. (Qu. 136). 130 Vgl. 128

auch T e i l I , A I 7: Stellung der Zünfte i n der Gemeinde. Ennen, Leonhard, u n d Gottfried Eckertz: Bd. 1, S. 403 (Qu. 135). Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S. 136 Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 217 (Qu. 137).

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1. Teil, Β. Soziale Sicherung bei den Zünften

I n der Niedergangszeit der Zünfte versuchten diese mit allen Mitteln, die Zahl der Meister an einem Ort festzulegen oder gar zu vermindern. Galt i n der Frühzeit das Prinzip, allen möglichst gleiche Chancen zu bieten, hieß später die Devise, einer möglichst kleinen Zahl Privilegierter ein möglichst großes Einkommen zu sichern. Versteckt wurde dieser ökonomische Egoismus hinter der scheinheiligen Beteuerung, nur dem Wohl der Bevölkerung dienen zu wollen. Dem „dynamischen Unternehmer" waren auch auf dem Gebiet des Absatzes Grenzen gesetzt. Konkurrenz i m heutigen Sinne als Wettstreit u m die Gunst des Kunden galt als unerwünscht, ja unmoralisch. Nur die eigene handwerkliche Geschicklichkeit war zugelassene Waffe i n diesem Kampfe. So durften nur i n der eigenen Werkstatt hergestellte Waren angeboten und verkauft werden. Die Hutmacher i n Hamburg bestimmten i n der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, daß keiner Filzhüte feilbieten dürfe, es sei denn, er stelle sie selbst her 1 3 2 ; die Schuster i n Lüneburg (1532) durften keine fertigen Schuhe kaufen und wieder verkaufen, ohne mit einer Strafe durch die Zunft rechnen zu müssen 133 . Eine ähnliche Vorschrift galt bei den Pantoffelmachern i n Bremen (1589)134. Werbung war nur i n sehr engen Grenzen gestattet. So durften ζ. B. die Seiler i n Lübeck (1390) ihre Waren nur zu einer Seite der Tür ausstellen, nicht zu beiden Seiten 1 3 5 ; ebenso wurde das Ansprechen eines Kunden, der noch vor den Auslagen eines Zunftbruders weilte, von den Zünften geahndet 138 . Die Kürschner i n Augsburg verboten 1368, Ware i n den Häusern anzubieten, wenn sie nicht von den Hausbewohnern dazu aufgefordert wurden 1 3 7 . Auch das Unterbieten des von einem „Konkurrenten" geforderten Preises war streng untersagt, wie das Privilegium der Brauergilde zu Gardelegen von 1643 zeigt 138 . Vielfach wurde der Preis der Ware einheitlich von den Zünften festgelegt. Bei den Schneidern i n Hermannstadt wurde der Absatz dergestalt eingeschränkt, daß keiner auf dem 181 Vgl. (Qu. 140). 132 Vgl. (Qu. 141). 183 Vgl. 184 Vgl. iss V g L

Bodemann, Rüdiger,

Eduard, S. 168 (Qu. 138), S. 187 - 188 (Qu. 139) u n d S. 259

Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S. 112

Bodemann, Eduard, S. 235 (Qu. 142). Böhmert, Victor, S. 84 (Qu. 143). wehrmann, C., S. 385 (Qu. 144).

136 Eine solche Vorschrift findet sich ζ. B. bei den Sattelmachern i n Lübeck. Vgl. Wehrmann, C., S. 401 (Qu. 145); ebenso Volbehr, Friedrich: Z u r Geschichte des Zunftwesens i n Schleswig-Holstein 1615 - 34, i n : Mitteilungen der Gesellschaft f ü r K i e l e r Stadtgeschichte, Heft 7, K i e l 1886, S. 39 (Qu. 146). 137 Vgl. Dirr, Pius: Studien zur Geschichte der Augsburger Zunftverfassung 1368 bis 1548, i n : Zeitschrift des Historischen Vereins f ü r Schwaben u n d Neuburg, Bd. 39, Augsburg 1913, S. 203 - 204 (Qu. 147). 138 Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 217 (Qu. 148).

III. Sicherung gegen Armut

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Wochenmarkt mehr als „acht grosse Stücke, zwei paar Hosen und vier paar Ä r m e l " feilhalten durfte; den dortigen Faßbindern war es verboten, mehr als eine Fuhre Ware auf die Jahrmärkte zu bringen 1 3 9 . Die Zunft „schützte die wirtschaftlich Schwachen und erschwerte übermäßige Bereicherung indirekt durch Beschränkung von Produktion und Verdienst . . . Sie formte die bürgerlichen Kräfte . . . und diente i m ganzen dem sozialen Ausgleich" 1 4 0 . b) Anlegen eines Roggenvorrats Für die einkommensschwachen Schichten stellten Mißernten und daraus resultierende Teuerungen eine ernste Gefahr dar. Während beispielsweise auf drei Gütern i n Schleswig-Holstein von 1725 bis 1750 durchschnittlich das fünf- bis siebenfache der Aussaat geerntet werden konnte, brachten schlechte Jahre nur das zwei- bis dreifache, gelegentlich sogar nur knapp oder nicht einmal die Aussaat. Solche Jahre — i n den Quellen oft als „grote, schwere, düre T i d t " bezeichnet — waren 1092-1093, 1145-1147, 1196-1197, 1433-1438, 1454, 1482, 1491, 1508, 1515, 1552, 1563, 1578, 1596-1598, 1622-1625, 1629, 1630, 1650, 1651141. Der Getreidepreis stieg dann u m ein Vielfaches und bedrohte alle, die bei normalen Lebenshaltungskosten ihr knappes Auskommen hatten, mit Verarmung und Not. I n München stieg beispielsweise der Roggenpreis von 453,5 Geldeinheiten (1550) auf 538 (1559 -1560), später auf 806,4 (1561 -1570) bis schließlich auf 1011,3 (1571 -1580) 142 . I n Thüringen schwankte der Preis für das Erfurter Malter Roggen i n der Zeit von 1500 bis 1574 zwischen 2 Gulden 9 Groschen (1533) und 20 Gulden 12 Groschen (1571), die dortigen Weizenpreise zwischen 5 Gulden 6 Groschen (1538-1539) und 20 Gulden 12 Groschen (1571), die Gerstepreise zwischen 2 Gulden 1 Groschen (1505) und 7 Gulden 16 Groschen (1561) und die Haferpreise zwischen 15 Groschen (1508) und 4 Gulden 6 Groschen (1562)143. 139 Vgl. Rosier , Rudolf: Beitrag zur Geschichte des Zunftwesens. Älteres Zunftwesen i n Hermannstadt bis zum Jahre 1526, Diss. Erlangen, Hermannstadt 1912, S. 79. 140 Bosl, K a r l , S. 672. 141 Vgl. Curschmann, Fritz: Hungersnöte i m Mittelalter; E i n Beitrag zur deutschen Wirtschaftsgeschichte des 8. bis 13. Jahrhunderts, Leipzig 1900, S. 2 5 - 2 8 ; Meyer, Peter: Studien über die Teuerungsepoche v o n 1433 bis 1438 insbesondere über die Hungersnot v o n 1437 - 38, Diss. Erlangen, Hannover 1914; Waschinski, E m i l : Währung, Preisentwicklung u n d K a u f k r a f t des Geldes i n Schleswig-Holstein v o n 1226 -1864, Bd. 1, Neumünster 1952, S. 93 u n d S. 95. 142 Vgl. Bechtel, Heinrich: Wirtschafts- u n d Sozialgeschichte Deutschlands, S. 225 - 226. 143 Vgl. Mascher , Η . Α., S. 282 - 284.

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1. Teil, Β. Soziale Sicherung bei den Zünften

Diese Zahlen (Preissteigerungen bis zu 1000 Prozent!) und die folgende Graphik über die Bewegung der Weizenpreise vom 13. bis zum 20. Jahrhundert machen deutlich, welch ein großes Risiko für den einzelnen i n diesen Preisbewegungen steckte.

Zwar betrafen die Mißernten meist nur kleinere Bezirke, doch war der Transport von Getreide zeitraubend und schwierig, so daß eine Preisregulierung durch Ankauf aus Uberschußgebieten nur beschränkt möglich war 1 4 5 . Die Hungersnöte waren hauptsächlich durch Getreidemangel gekennzeichnet, der oft Fleischmangel und entsprechende Preissteigerungen nach sich zog 146 . Daher schien es geraten, nach guten Ernten, wenn die Preise niedrig waren, einen Vorrat anzulegen, auf den man i n schlechten Zeiten zurückgreifen konnte. Die Landesherren verboten denn auch zeitweilig die Ausfuhr von Getreide, bis „der ausgeschriebene Vorrath zu den Magazinen angeschaffet worden" sei 147 . I n gewaltigen Speichern legten die deutschen Reichsstädte für Notund Kriegszeiten Getreidevorräte an 1 4 8 , die bei Bedarf zu einem Fest144 Abel, W i l h e l m : Agrarkrisen u n d A g r a r k o n j u n k t u r i n Mitteleuropa v o m 13. bis zum 19. Jahrhundert, B e r l i n 1935, S. 7. 145 Vgl. Waschinski, E m i l : Bd. 1, S. 96 - 97; Berlepsch , Η . Α.: Bd. 6, Chronik v o m ehrbaren Bäckergewerk, St. Gallen 1851, S. 30 - 32. 146 Vgl. Fischer, Alfons: Geschichte des deutschen Gesundheitswesens, Bd. 1, B e r l i n 1933, S. 220; Meyer, Peter, S. 26. 147 Verbot des dänischen Königs v o m 29. J u n i 1715. Nach Waschinski, E m i l : Bd. 1, S. 97. 148 Vgl. Hausherr, Hans, S. 21.

III. Sicherung gegen Armut

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preis an die Bevölkerung abgegeben wurden 1 4 9 . Solche Vorsichtsmaßnahmen wurden aber auch von kleineren Gemeinschaften getroffen. Einige Zünfte — vor allem i n Lüneburg — legten einen Koggenvorrat an, der i n schlechten Zeiten zu normalem Preis an die Zunftgenossen verkauft wurde. Roggengeld bzw. Roggenvorrat werden zwar nicht sehr häufig i n den Quellen genannt, doch scheint es durchaus möglich, daß ihre Existenz verbreiteter war, als die Erwähnungen i n den Urkunden vermuten lassen. I n der Rolle der Kannengießer zu Lüneburg vom 31. Januar 1597 wurde bestimmt, daß der Geselle, der Meister werden wollte, 10 Mark „zum roggengelde" geben solle, bzw. 5 Mark, wenn er eine Meisterwitwe oder -tochter heiratete, bzw. 2 Mark 8 Schilling, wenn er Sohn eines Meisters war 1 5 0 . — Der Lüneburger Böttcherknecht, der selbständig werden wollte, mußte 1543 12 Schilling Roggengeld aufbringen 151 , und bei den Barbieren i n Lüneburg (1557) schuldete der zum Ältermann Gewählte, der dieses A m t jedoch verweigerte, der Zunft 3 Mark, wovon 2 Mark i n die Büchse für den Roggenvorrat flössen 152. I n K i e l sollten gemäß landesherrlicher Verordnung die Ämter die anfallenden Strafgelder lediglich zum jährlichen Ankauf von Brotgetreide verwenden, das bei niedrigem Preis gespeichert und i n Teuerungszeiten an die Amtsgenossen verkauft werden sollte. Allerdings: „ K e i n A m t hat diese Bestimmung jemals praktisch durchgeführt 153 ." Einen weiteren Hinweis auf das Roggengeld enthält die Rolle der Pantoffelmacher i n Greifswald vom 19. September 1560: Die Älterleute sind gehalten, jährlich von den i n der Zunftkasse enthaltenen Mitteln K o r n einzukaufen 154 ; eine ähnliche Bestimmung findet sich i n den Bäckerstatuten von 1613 i n Bad Salzuflen 155 ; desgleichen bei den Tuchscherern i n Leipzig 158715®. Die Schneider i n Hermannstadt besaßen gemäß ihrem Zunftbuch 1526 einen Vorrat von „300 rempp" Korn, 1538 „98 rymp", 1539 „111 rymp", 149 So befahl der Rat der Stadt D o r t m u n d 1772, wegen der Teuerung Getreide aus dem Stadtmagazin an unbemittelte Bürger zu einem festen Preis abzugeben. Vgl. Fahne, A n t o n : Bd. 3, S. 185. Vgl. auch Seidel, Friedrich: Die soziale Frage i n der Deutschen Geschichte m i t besonderer Berücksichtigung des ehemaligen Fürstentums Waldeck-Pyrmont, Wiesbaden 1964, S. 248 ff. 150 Vgl. Bodemann, Eduard, S. 120 (Qu. 149). 151 Vgl. Bodemann, Eduard, S. 42 (Qu. 150). 152 Vgl. Bodemann, Eduard, S. 28 (Qu. 151). 153 Hähnsen, Fritz: Geschichte der K i e l e r Handwerksämter, K i e l 1920, S. 170. 154 Vgl. Krause, Oskar, u n d K a r l Kunze: Bd. 2, S. 127 (Qu. 152). 155 Vgl. Günther, Richard: Das Zunftwesen der Stadt B a d Salzuflen, Diss. Gießen 1930, S. 86 (Qu. 153). ΐ5β Vgl. Zöllner, Georg: Die Zunftverfassung i n Leipzig bis zum Jahre 1600, Diss. Leipzig, Halle 1915, S. 83.

1. Teil, Β. Soziale Sicherung bei den Zünften

60

1542 „500 r y m p " 1 5 7 . — Möglicherweise ist auch ein i n den Beliebungen der Hamburger Buchbinder vom 2. Januar 1559, vom 14. August 1575 und von 1592 enthaltener Passus als Hinweis auf gemeinsamen Roggenkauf zu sehen, i n dem es heißt: „ W i r wollen auch einträchtig miteinander teilen, was w i r aus der Lade einkaufen w e r d e n . . , 1 5 8 ." Über den Umfang der auf diese Weise angelegten Vorräte sind keine präzisen Angaben möglich. So ist auch kein Anhaltspunkt gegeben, ob und wie lange die gehorteten Getreidemengen zur Versorgung der Zunftgenossen ausreichten. Vor allem bei zwei oder drei aufeinander folgenden Mißernten w i r d der Vorrat bei weitem nicht genügt haben. Trotzdem scheint es eine sinnvolle Maßnahme gewesen zu sein, das Risiko der Verarmung — wenn auch nur i n bescheidenem Umfang — zu verringern. Natürlich ließen es die Zünfte nicht dabei bewenden, die Verarmung so weit als irgend möglich zu verhindern. Direkte Unterstützung ihrer Mitglieder machte die Sicherung gegen das Risiko „ A r m u t " erst vollständig und v o l l wirksam. I n welchem Umfange und wem diese Hilfe gewährt wurde, soll i m Folgenden gezeigt werden. 2. Direkte Unterstützung verarmter Zunftgenossen

a) Unterstützung

verarmter

Meister

Der Grundsatz der Solidarität gebot den Zunftgenossen seit jeher die gegenseitige Hilfe i n Notfällen. Daher ist es nicht verwunderlich, daß i n vielen Zunftrollen, Beliebungen usw. ausdrückliche Bestimmungen über die Behandlung verarmter Mitmeister fehlen. Unterstützung wurde i n jedem Falle gewährt, soweit es der Zunft als Institution bzw. den einzelnen Mitgliedern möglich war. Eine ganze Reihe von Quellen enthält jedoch konkrete Anweisungen, den Armen zu helfen. Nicht immer werden dabei genaue Angaben über die A r t der Unterstützung gemacht. U m „Gottes Lohn" zu erwerben, wollen die Schuhmacher i n Emden (1491) regelmäßig einen Beitrag von V2 Krummstert (15 Krummstert = 1 Arensgulden = V2 Rheinischer Gulden) leisten und mit Hilfe dieses Geldes den verarmten Amtsbrüdern „die Werke der Barmherzigkeit erweisen" 159 . — I m Privileg der Spielleute zu Cölln und Berlin vom 7. Dezember 1669 heißt es, daß die Strafgelder nicht zu Essen, Wein, Bier und Branntwein, sondern zur Hilfe notleidender Zunftgenossen 157

Vgl. Vgl. (Qu. 154). 159 Vgl. 1881, S. 334 158

Rosier, Rudolf, S. 95. Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S. 41 Friedlaender, (Qu. 155).

Ernst: Ostfriesisches Urkundenbuch, Bd. 2, Emden

III. Sicherung gegen Armut

61

verwandt werden sollten 1 6 0 . — Die Bäcker i n Hildesheim (1543) wollen aus einer gesammelten Summe den Armen des Handwerks Hilfe und Unterstützung gewähren 161 . Desgleichen bestimmten die Eisenschmiede i n Trier bereits 1285, daß verarmten Brüdern und Schwestern nach Vermögen geholfen werden sollte 162 . Die verarmten Mitglieder der Schiffergilde zu Emden (1495) sollen i n dem Umfang unterstützt werden, wie diese früher ihren armen Genossen geholfen haben 163 . Verglichen m i t den angeführten Beispielen waren die Zünfte, die eine eigene Armenkasse besaßen, aus der die Unterstützung finanziert wurde, i m Hinblick auf die Armenfürsorge organisatorisch einen Schritt weiter. Dies trifft z.B. für die Barbiere i n Lüneburg 1557 zu 1 6 4 . Eine ähnliche Einrichtung fand sich bei den Schmieden i n Lünen (1574)165 und den Kesselflickern i n Hamburg 1545166, ebenso bei den Bäckern i n Lübbecke (1800)167. Auch diese Quellen enthalten jedoch nur allgemeine Anordnungen, die Armen des Amtes zu unterstützen. Neben diesen mehr pauschalen Vorschriften finden sich i n anderen Quellen genauere Angaben über die A r t der zu leistenden Hilfe. Die Haken und Grützmacher i n Greifswald (1581) liehen den Zunftgenossen bei Bedarf Geld zu niedrigem Zins aus der Zunftkasse 168 , ebenso die Handwerker Hinterpommerns (17. Jahrhundert) 1 6 9 . Auch die Töpfer i n Halle 1685 gaben den verarmten Meistern einen Vorschuß aus der Kasse, den diese nach Vermögen zurückzahlen mußten 1 7 0 . Wenn ein Mitglied wegen Krankheit verarmte und die Bruderschaft u m Hilfe bat, sollten die vier Büchsenmeister der Schiffer-Brüderschaft i n Straßburg i m 15. Jahrundert zwei oder vier weitere Mitglieder hinzuziehen und gemeinsam beraten, wieviel dem verarmten Bruder aus der Büchse gegeben werden sollte. Dabei entschied die Meinung der Mehrheit 1 7 1 . 160

lei v

Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 293 (Qu. 156). g L Doebner, Richard: Bd. 8, S. 702 (Qu. 157).

162 Vgl. Lacomblet, Theodor Jos.: Archiv f ü r die Geschichte des Niederrheins, Bd. 1, Düsseldorf 1832, S. 270 - 271 (Qu. 158). les v g l . Friedlaender, Ernst: Bd. 2, S. 436 (Qu. 159). 184

Vgl. Bodemann, Eduard, S. 29 (Qu. 160). les v g l . Nigge, Franz, S. 90 (Qu. 161).

188 Vgl. (Qu. 162). 187 Vgl. 188 Vgl. 189 Vgl. 170 Vgl. 171 Vgl.

Rüdiger,

Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S. 133

Ortloff, D. Johann Andreas: Corpus j u r i s opificiarii, S. 553 (Qu. 163). Krause, Oskar, u n d K a r l Kunze: Bd. 1, S. 155 (Qu. 164). Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 158 (Qu. 165). Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 386 - 387 (Qu. 166), u n d Bd. 2, S. 368 (Qu. 167). Brucker, J., S. 439 (Qu. 168).

1. Teil, Β. Soziale Sicherung bei den Zünften

62

Das rückzahlbare Darlehen war die häufigste A r t der Unterstützung bei den Zünften, da auf diese Weise das Geld wieder i n die Zunftkasse zurückfioß, sobald sich die finanzielle Lage des Hilfsbedürftigen gebessert hatte. Daher w i r d man auch bei den Zünften, die nur allgemeine Bestimmungen zur Unterstützung verarmter Genossen schriftlich niedergelegt haben, meist diese Form der Hilfe annehmen müssen. Neben der Vergabe von Darlehen finden sich wöchentliche Geldzuwendungen i n festgelegter Höhe an bedürftige Zunftmitglieder. Die Kisten- und Leuchtenmacher i n Hamburg (1595) zahlten wöchentlich 2 Schilling 1 7 2 . Peters zitiert einen Auszug aus der Ordnung der Kistenmacher i n Lübeck aus dem 14. Jahrhundert, der i n seinem Wortlaut mit der vorgenannten Quelle identisch ist 1 7 3 . — I n Lübeck zahlte die Zunft der Rußfärber (1500) dem verarmten Meister, der sein Handwerk nicht mehr führen konnte oder wollte, wöchentlich 4 Schilling 1 7 4 . Aus dem Prinzip der Solidarität ergibt sich, daß den hilfsbedürftigen Meisterwitwen die gleiche Unterstützung zuteil wurde wie den Meistern selbst. Das gilt vor allem, soweit die W i t w e n das Handwerk ihres Mannes fortführten und zu den Zunftleistungen herangezogen wurden. Bei den oben bereits erwähnten Rußfärbern i n Lübeck wurde eine entsprechende Vorschrift i n die Zunftrolle aufgenommen 175 . b) Unterstützung

armer Gesellen

Als passive Mitglieder der Zunft hatten auch die Gesellen einen moralischen Anspruch auf Hilfe i n der Not, vor allem dann, wenn sie — wie die Meister — regelmäßige Beiträge i n die Zunftkasse zahlten. Einige (wenige) Quellen erwähnen eine solche Unterstützung ausdrücklich, ζ. B. das Privilegium der Kupferschmiede i n der Chur- und Mark Brandenburg vom 11. September 1645178. Die genannten Töpfer i n Halle (1685) gaben dem verarmten Gesellen — wie dem Meister — nach Vermögen der Kasse ein Darlehen 1 7 7 . I m Privilegium und Gildebrief des Tischler-, Zimmer-, Böttcher- und Drechsler-Gewerks i n Lünen vom 31. August 1736 ist mehrmals eine Gesellen-Armen-Kasse erwähnt, aus der arme und kranke Gesellen unterstützt wurden 1 7 8 . Es handelt sich u m eine eigene Kasse der Gesellen, 172 Vgl. Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S. 138 (Qu. 169). na V g l > peters, Horst, S. 23 (Qu. 170). 174

ITS 176

Vgl. Wehrmann, wehrmann,

V g L

C., S. 399 (Qu. 171). C., S. 399 (Qu. 172).

Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 213 (Qu. 173). Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 2: Die Handwerkerpolitik K ö n i g Friedrich Wilhelm's I (1713 - 1740), M i n d e n i. W. 1888, S. 368 (Qu. 167). 178 Vgl. Nigge, Franz, S. 108 (Qu. 174), S. 110 (Qu. 175) u n d S. 120 (Qu. 176). 177

I . Sicherung bei Arbeitslosigkeit

63

die innerhalb der Zunft, jedoch von Altmeister und Altgesellen gemeinsam, verwaltet wurde. Zusammenfassend ergibt sich: Die Zünfte bemühten sich zunächst mit Hilfe zahlreicher Bestimmungen zur Reglementierung des Handwerksbetriebs und durch Anlagen eines Roggenvorrats, die Verarmung ihrer Mitglieder zu verhüten 1 7 9 . Gelang dies nicht, erhielten verarmte Meister entweder ein einmaliges Darlehen aus der Kasse, das nach Vermögen zurückzuzahlen war, oder sie erhielten — solange sich ihre Lage nicht besserte — eine regelmäßige Zuwendung. Ähnlich war die Unterstützung der verarmten Gesellen geregelt. Daß die Zünfte nicht nur für ihre eigenen Mitglieder sorgten, sondern sich i m Sinne christlicher Nächstenliebe auch u m die Linderung der Not anderer bemühten, zeigt die Ordnung der Seilmacher zu K ö l n aus dem Jahre 1414: Ein Teil der Eintrittsgebühr (6 Schilling) flöß den Armen des Heiligengeisthauses zu 1 8 0 . Die Schiffer zu Oldenburg gaben den Armen nach glücklicher Rückkehr eine Tonne Fracht 1 8 1 . IV. Sicherung bei Arbeitslosigkeit Wie heute gab es auch i m Mittelalter jahreszeitlich bedingte (saisonale) und friktionelle Arbeitslosigkeit, die beim Wechsel der Stellung, also vorwiegend bei den wandernden Gesellen auftrat. I n beiden Fällen versuchten die Zünfte, soweit es i n ihrem Vermögen stand, die Gesellen vor ärgster Not zu bewahren. Doch auch bei den Meistern konnten die Aufträge ausbleiben. Zunächst soll daher kurz die Verhinderung von Auftragsrückgängen bei den Meistern behandelt werden. 1. Vorkehrungen gegen Auftragsrückgang bei den Meistern

Die Verhinderung von Auftragsrückgang ist identisch mit dem Bemühen, jedem Zunftmitglied ein ausreichendes Einkommen zu sichern. Das wurde vor allem m i t einer strengen Reglementierung des Handwerksbetriebs zu erreichen versucht. 179 F ü r die Zünfte der Stadt Hildesheim i m 18. Jahrhundert stellt K a u f h o l d allerdings fest, daß die zünftigen Beschränkungen f ü r die Masse der Meister nicht relevant waren, „da die tatsächlichen Verhältnisse v i e l ungünstiger waren, als sie es nach den Zunftbestimmungen sein konnten", der rechtliche Rahmen also meist nicht ausgeschöpft wurde. Kauf hold, K a r l Heinrich: Das Handwerk der Stadt Hildesheim i m 18. Jahrhundert. Eine wirtschaftsgeschichtliche Studie, Diss. Göttingen 1968, S. 282. 180 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 174 (Qu. 177). lei Vgl. Hemmen, Hans: Die Zünfte der Stadt Oldenburg i m Mittelalter, i n : Jahrbuch f ü r die Geschichte des Herzogtums Oldenburg, Bd. 18, Oldenburg 1910, S. 283 (Qu. 178). Z u r Unterstützung verarmter Mitbürger außerhalb der Z u n f t vgl. auch Tuckermann, Walther: Die Gewerbe der Stadt Hildesheim bis zur M i t t e des 15. Jahrhunderts, Diss. Tübingen, B e r l i n 1906, S. 83.

64

1. Teil,

. Soziale Sicherung bei den

nen

„ U m das Auskommen der Durchschnittshandwerker zu sichern, (wurden) den unternehmenderen und wohlhabenderen Beschränkungen mannigfacher A r t (auferlegt) 182 ." Es handelt sich vor allem u m Produktionsbeschränkungen, Regelung des Rohstoffeinkaufs, der Lohnkosten, insgesamt also u m Beschränkung der Konkurrenz. Somit wurde verhindert, daß sich einzelne Betriebe zu Großbetrieben entwickelten und daher billiger produzieren und größere Mengen absetzen konnten. Erreicht wurden weitgehend gleiche Preise und damit gleiche Absatzchancen. Eine gleichmäßige Verteilung der Aufträge von Seiten der Zunft machte das System vollends effizient. Einzelheiten über diese Zunftmaßnahmen wurden bereits i m vorigen Kapitel beschrieben, und auf eine ausführliche Darstellung kann daher an dieser Stelle verzichtet werden. Konnte ein zeitweiliges Ausbleiben von Aufträgen trotz aller Bemühungen nicht verhindert werden, und der betroffene Meister verarmte, kamen die Vorschriften zur Unterstützung armer, hilfsbedürftiger Genossen zum Tragen, die ebenfalls i m vorigen Kapitel bereits behandelt wurden. 2. Unterstützung arbeitsloser Gesellen

a) Sicherung des Arbeitsplatzes Für die Industriearbeiter des 19. Jahrhunderts bestand das größte Risiko i n der Gefahr, täglich oder sehr kurzfristig den Arbeitsplatz zu verlieren und damit ohne Einkommen zu sein. Daher bestand eine Hauptaufgabe der Gewerkschaften darin, längerfristige Arbeitsverträge zu erreichen, d. h. feste Kündigungsfristen einzuführen, die das Risiko des einzelnen erheblich herabminderten. Die Zünfte, selbst u m die Sicherung der Gesellen bemüht, gingen den gleichen Weg. Vielfach w u r den feste Kündigungsfristen vorgeschrieben. So mußten die Riemer i n Lübeck (1396) die Gesellen jeweils für ein halbes Jahr einstellen. Termine waren 14 Tage vor Michaelis und 14 Tage vor Ostern 183 . Diese beiden Daten werden i n vielen Rollen als einzig erlaubte Einstellungstermine genannt, und wenn auch die ausdrückliche Bestimmung fehlt, den Gesellen für mindestens ein halbes Jahr zu dingen, so darf man doch vermuten, daß diese beiden Tage auch gleichzeitig Kündigungstage waren, die nur bei Vorliegen wichtiger Gründe nicht eingehalten werden mußten. Ohne feste Anstellungsdaten zu nennen, legten die Schmiede i n Hamburg (1375) die Vertragsdauer auf mindestens ein halbes Jahr fest 184 . 182

Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 109 + . iss vgl. Wehrmann, C., S. 375 (Qu. 179). 184 Vgl. Rüdiger, (Qu. 180).

Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S. 250

I . Sicherung bei Arbeitslosigkeit

65

Die Goldspinnerinnen i n K ö l n (1397) bestimmten, daß jeder Dienstvertrag auf mindestens ein Jahr geschlossen werden mußte 1 8 5 , desgleichen die Böttcher i n Riga 137518®. Der Verpflichtung der Meister, den Gesellen für eine relativ lange Zeit Arbeit und Lohn zu sichern, entsprach die der Gesellen, die vereinbarte Zeit auch beim Meister zu bleiben 1 8 7 . Ein Verlassen des Arbeitsplatzes vor Ablauf der vereinbarten Zeit zog vielfach empfindliche Strafen nach sich. A u f eine „schwarze Liste" gesetzt, wurde der Name des Gesellen überall verbreitet, und er konnte — wenn überhaupt — nur sehr schwer eine neue Stelle finden. Uberall i m Land eilte i h m die Kunde voraus, daß er vor der Zeit oder i n Unfrieden von seinem Meister geschieden war. Den gleichen Zweck verfolgte auch die später eingeführte Kundschaft, die jeder Geselle m i t sich führen und vorzeigen mußte, wenn er irgendwo u m Arbeit nachsuchte. Besaß der Geselle dieses Führungszeugnis nicht, galt das als der sichere Beweis, daß er sich an seinem letzten Arbeitsplatz nicht einwandfrei geführt hatte. Das hatte zur Folge, daß er weder m i t Arbeit, noch m i t einem Geschenk, noch m i t einer anderen Unterstützung irgendeiner A r t rechnen konnte. b) Indirekte Arbeitslosenfürsorge: Kurzfristige Arbeitsbeschaffung, Gewährung von Unterkunft und Verpflegung Natürlich konnten die Maßnahmen zur Sicherung des Arbeitsplatzes eine zeitweilige Arbeitslosigkeit nicht verhindern. Sie konnten lediglich das Risiko mindern. Die freiwillige oder i n vielen Ä m t e r n vorgeschriebene Wanderschaft machte den Gesellen zwangsläufig zumindest kurzfristig zum Arbeitslosen, der auf eine Unterstützung seitens der Zünfte angewiesen war. Die Zünfte trugen diesem Bedürfnis Rechnung, indem sie dem Gesellen zu einer befristeten Arbeit verhalfen, durch die er die notwendigen M i t t e l für den nächsten Abschnitt seiner Wanderschaft verdienen konnte. Diese Hilfe für den wandernden Gesellen fiel natürlich nicht unter die Bestimmungen für feste Einstellungs- und K ü n d i gungstermine und für eine Mindestanstellungsdauer. So erhielt der Tischlergeselle i n Lüneburg 1498 14 Tage Arbeit 1 8 8 , desgleichen der Schiffbauer 1544 i n Hamburg 1 8 9 und der Maurergeselle 1527 i n Lübeck 190 . iss Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 93 (Qu. 181). 186 Vgl. Bunge, Friedrich Georg von, Sp. 309 (Qu. 182). 187 Vgl. ζ. B. die Rolle der Leineweber i n Greifswald. Krause, Oskar, u n d K a r l Kunze: Bd. 2, S. 115 (Qu. 183). Vgl. auch Stahl, Wilhelm, S. 7 - 8. 188 Vgl. Bodemann, Eduard, S. 240 (Qu. 184). 189 Vgl. Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S. 244 (Qu. 185). IM V g L wehrmann, C., S. 335 - 336 (Qu. 186). 5 Fröhlich

66

1. Teil,

. Soziale Sicherung bei den

nen

Die Arbeitsbeschaffung (das „Umgehen") wurde vielfach i n die Hände der Gesellen gelegt, die zusammen m i t dem Zugewanderten von Meister zu Meister gehen mußten, bis ein Arbeitsplatz gefunden war 1 9 1 . Nach dem Entstehen selbständiger Gesellenschaften mit eigenen Statuten ging die Arbeitsvermittlung sowie die Unterstützung wandernder Gesellen ganz i n deren Hände über 1 9 2 . Bei manchen Zünften war die Unterstützung alternativ geregelt: Entweder sie mußten dem wandernden Gesellen Arbeit beschaffen, oder sie mußten i h m Unterkunft und Verpflegung gewähren oder aber i h m einen Zehrpfennig mit auf den Weg geben 193 . I n Tangermünde galt 1555 bei den Kleinschmieden, Messerschmieden, Schwertfegern und Sattlern der Grundsatz, daß zunächst versucht werden sollte, dem Gesellen Arbeit zu beschaffen; gelang das nicht, mußte der erste Meister, an den er sich wandte, i h n beherbergen 194 . I n manchen Handwerken ging die Herbergspflicht reihum, z.B. bei den Freiberger Buchbindern 1582; später wurde die Pflicht der Beherbergung und Bewirtung der Wandergesellen teilweise den Jungmeistern aufgebürdet, so bei den Strumpfwirkern Freibergs 1759195. Die häufigste und praktisch überall verbreitete Form der Hilfe war die des kurzfristigen Beistands für den auf der Wanderschaft arbeitslosen Gesellen, der um so notwendiger wurde, je mehr sich die Wanderpflicht allgemein durchsetzte. K a m ein Geselle auf seiner Wanderschaft i n eine Stadt, i n der sein Gewerbe zünftig organisiert war, so bemühte sich sein A m t zunächst, i h m für die kommende Nacht Unterkunft und Verpflegung zu sichern. Das geschah i n der Form, daß jeder Meister der Reihe nach zur Aufnahme eines solchen Gesellen verpflichtet war 1 9 6 . 191 Vgl. Zusatz zur Rolle des Leuchtenmacheramts i n Hamburg v o m 29. September 1548. Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t rollen . . . , S. 167 (Qu. 187). 192 Über die Arbeitslosenfürsorge bei den Gesellenschaften vgl. T e i l 1, C I I : Sicherung bei Arbeitslosigkeit. 193 Vgl. Günther, Richard, S. 25. 194 Vgl. Zahn, W., S. 97 (Qu. 188). les v g l Knebel, Konrad, S. 68. Vgl. auch die Rescripte zum Mandat, die Abstellung verschiedener Innungsgebrechen betreffend v o m 7. Dezember 1810, Dresden, den 26. A p r i l 1811 (Qu. 189) u n d Dresden, den 29. J u n i 1813 (Qu. 190), gedruckt bei Herold, Georg Eduard: Die Rechte der Handwerker u n d ihrer Innungen, 2. Aufl., Leipzig 1841, S. 124 u n d S. 126. 198 vgl. ζ. B. das P r i v i l e g i u m der Seifensieder i n Magdeburg v o m 16. März 1670. Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 306 (Qu. 191). Vgl. auch: E n t w u r f einer Papiermüllerordnung f ü r die C h u r m a r k Brandenburg 1745, gedruckt bei Schreber, Daniel Gottfried: Beyträge zu den Nachrichten von Verbesserung der Papiermanufacturey i n Teutschland, i n : Sammlung verschiedener Schriften, welche i n die oeconomischen= policey* u n d camerale auch andere verwandte Wissenschaften einschlagen, 15. Theil, Halle 1765, S. 122 (Qu. 192).

IV. Sicherung bei Arbeitslosigkeit

67

Der Geselle seinerseits mußte sich m i t dem Gebotenen zufrieden geben und durfte sich nicht abfällig über die Beherbergung und Bew i r t u n g äußern; wie die Schneider i n Stettin es i n ihrer Rolle von 1535 ausdrücken: „dem Vader effte Müder nicht sehenden syn Bede want edder sin Spyse edder syn Husz 1 9 7 ." — Die Buchbinder i n größeren Städten zahlten für die Gesellen i n der Herberge eine bestimmte Summe ein, „wofür sie bei gehöriger Wirthlichkeit einen auch wohl zwei Tage leben konnten" 1 9 8 . Diese Form der Unterstützung war zweifellos wichtig und erleichterte dem Gesellen die Wanderschaft, die i h m ja vor allem i n der späteren Zeit vielfach vorgeschrieben war. Doch reichte diese Hilfe nicht aus. Sie mußte durch direkte finanzielle Unterstützung ergänzt werden. c) Direkte Arbeitslosenfürsorge:

Finanzielle

Unterstützung

Neben die bisher behandelte „indirekte" Arbeitslosenfürsorge trat daher die „direkte" finanzielle Hilfe. Diese Sitte des „Geschenkgebens" w i r d später bei den Gesellenschaften ebenfalls zu behandeln sein. Neben Aufnahme und Verpflegung erhielt der Geselle ein „Geschenk", das den Zweck hatte, i h m auf der Reise weiterzuhelfen, also als Wegzehrung gedacht war und vielfach den Namen „Viaticum" trug. Es wurde so bemessen, daß der Geselle m i t diesem Geldbetrag die nächste Stadt erreichen konnte, i n der er wieder ein Geschenk erwarten durfte 1 9 9 . Die finanzielle Hilfe wurde dem wandernden Gesellen auf verschiedene Weise gewährt. Teilweise hing es von der Tageszeit der A n k u n f t ab, ob der Geselle einen Geldbetrag zur Weiterreise (vormittags) oder aber Abendessen und Nachtlager (nach vier Uhr nachmittags) erhielt. Bei einigen Handwerken gingen die reisenden Gesellen von einem Meister zum anderen und holten dort den i n beliebiger Höhe gegebenen Zehrpfennig persönlich ab 2 0 0 . I n anderen Innungen war es üblich, das Viaticum aus der Innungskasse zu zahlen. So erhielt ζ. B. ein Kupferschmiedeknecht i n der Chur- und Mark Brandenburg 1645 1 Groschen 201 , der Tischler-, Zimmer-, Böttcher- und Drechsler-Geselle 1776 i n Lünen 4 Groschen aus der Gewerks-Lade 202 . Gemäß der Ordnung der Bäcker zu Lübbecke vom 27.1.1800 sollte dem wandernden Gesellen, der keine 197 Vgl. Blümcke, Otto, S. 69. Vgl. auch Reglement f ü r die Zünfte, Ä m t e r u n d Gilden, gegeben am 12. März 1688 von den Herzögen zu BraunschweigWolffenbüttel, gedruckt bei Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 306 (Qu. 193). 198 Stock, Ch. L., S. 47. 199 Vgl. Stahl, Fr. Wilhelm, S. 378 u n d S. 380. 200 Vgl. Stock, Ch. L., S. 47. 201 Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 210 (Qu. 194). 202 V g L Nigge, Franz, S. 110 (Qu. 195).

5*

68

1. Teil,

. Soziale Sicherung bei den

nen

Arbeit fand, aus der Lade ein Zehrpfennig von 4 g(uten?) Groschen gereicht werden 2 0 3 . — Der Buchbinder-Geselle i n Zerbst erhielt 3 bis 6 Groschen 204 . Die Steinmetzen erhielten i n alter Zeit einen üblichen Tagelohn als Geschenk, wenn sie vor Arbeitsschluß bei der Hütte ankamen: „Kompt ein wandergesell Ee man ruhe anschlegt, der verdient das taglon 2 0 5 ." Wie notwendig diese finanzielle Unterstützung und deren institutionelle Organisation war, zeigt die Stärke der Gesellenbewegung. A l l e i n i n Zerbst wanderten 1693 bis 1738 i m Durchschnitt 11 Buchbindergesellen zu, von denen durchschnittlich 4 jährlich eine Stellung erhielten, die restlichen 7 also eine Unterstützung benötigten. Das bedeutete für die Meisterlade unter Zugrundelegung einer Unterstützung von 3 Groschen eine durchschnittliche jährliche Belastung von 1 Taler 2 0 8 . Bedeutete das Wandern auf der einen Seite Arbeitslosigkeit, so darf man doch andererseits nicht verkennen, daß es auch ein M i t t e l gegen die Arbeitslosigkeit war. Fand der Geselle i n seiner Stadt keine Beschäftigung mehr, konnte er sich i n eine andere Stadt begeben und dort unter Umständen sogleich eine Anstellung bekommen. Die heute so oft geforderte größere Mobilität der Arbeitskräfte war damals bei den Gesellen der Handwerke i n hohem Maße gegeben. Die Ausweichmöglichkeit i n eine andere Stadt war allerdings i n den sogenannten „gesperrten" Handwerken verwehrt. I n diesen bestand nicht nur keine Wanderpflicht, sondern i m Gegenteil Wanderverbot. Dies war i m wesentlichen auf Nürnberg beschränkt und verfolgte den Zweck, die Handwerke nicht i n andere Städte zu verpflanzen, die Verfahren und Handwerksgeheimnisse an keinem anderen Ort aufkommen zu lassen, m i t anderen Worten: ein bestehendes Monopol zu erhalten 2 0 7 . Für die Gesellen dieser Handwerke war das Risiko der Arbeitslosigkeit besonders groß, da ihnen die Ausweichmöglichkeit genommen war. So bestimmte denn auch der Rat der Stadt Nürnberg 1561, daß die Gesellen der Messingschläger und Messingbrenner m i t Arbeit zu versorgen 203

Vgl. Ortloff, D. Johann Andreas: Corpus juris opificiarii, S. 559 (Qu. 196). Vgl. Wäschke, Hermann: Aus dem Gesellenbuch der Zerbster Buchb i n d e r · Innung, i n : Zerbster Jahrbuch, 6. Jahrg., Zerbst 1910, S. 42; Huth, Eugen: Die Wollenweberzunft i n Herborn; E i n Beitrag zur Geschichte des deutschen Zunftwesens, Diss. M a r b u r g 1910, S. 49. 205 Stieglitz, Kirche der heiligen Kunigunde, nach Stock, Ch. L., S. 47, Fußn. + + . 2oe Vgl. Wäschke, Hermann: Aus dem Gesellenbuch . . . , S. 42. 204

207 Vgl. Stahl, Fr. Wilhelm, S. 355. E i n generelles Verbot f ü r Meister u n d Knechte, außerhalb einer bestimmten Stadt das Handwerk auszuüben („Verbot der Produktionsverpflanzung") gab es auch i m Rheinland. Vgl. Klein, Gottfried: Die Aussenseiterpolitik der rheinischen Zünfte, Diss. K ö l n 1929, S. 9 ff.

I . Sicherung bei Arbeitslosigkeit

69

seien und den arbeitslosen (feiernden) Gesellen wöchentlich 1 Gulden „Feiergelts" zu geben sei. Allerdings müsse sich der Geselle auch m i t Nicht-Handwerksarbeit zufrieden geben 208 . d) Exkurs: „Geschenkte" und „ungeschenkte"

Handwerke

Die meisten Autoren sehen i n der Sitte, eine Wanderunterstützung zu gewähren, das K r i t e r i u m für eine Unterscheidung zwischen „geschenkten" und „ungeschenkten" Handwerken 2 0 9 . Stahl hingegen lehnt diese Definition ab. Er betont, daß diese Sitte i n allen Handwerken üblich war, i n denen Wanderpflicht bestand, und daß eine Reihe ungeschenkter Handwerke das Wandern vorschrieben und „damit auch die Notwendigkeit des Geschenkes bestand" 210 . Mummenhoff kommt insofern zum gleichen Ergebnis wie Stahl, als er die Handwerke m i t Wanderpflicht als die geschenkten definiert (die eine Wanderunterstützung gewährten), während die „ungewanderten" Handwerke den „ungeschenkten" gleichzusetzen seien, die wiederum i n zwei Gruppen zerfielen, nämlich die, die wandern durften und die gesperrten Handwerke m i t Wanderverbot. Allerdings ist i n seiner Definition kein Raum für die von Stahl zitierten ungeschenkten Handwerke mit Wanderpflicht 211 . Wisseil sieht den Unterschied darin, daß bei den geschenkten Handwerken „ein wirklicher Rechtsanspruch darauf (Wanderunterstützung) vorlag", während die ungeschenkten Handwerke die Zuwendungen gewohnheitsmäßig gaben 212 . Diese Deutung w i r d aber zumindest eingeschränkt durch ein Beispiel, das Wissell selbst anführt 2 1 3 : I n Nürnberg 208 v g l . Schoenlank, Bruno: Z u r Geschichte altnürnbergischen Gesellenwesens, S. 602 - 603 (Qu. 197). 209 Vgl. z.B. Proesler, Hans, S. 4 9 - 5 0 ; Beier, D. A d r i a n : Allgemeines Handlungs- K u n s t - Berg- u n d Handwercks-Lexikon, Jena 1722, S. 145; Hähnsen, Fritz, S. 446; Heitz, Friedrich Carl: Das Zunftwesen i n Straßburg; Geschichtliche Darstellung begleitet v o n U r k u n d e n u n d Aktenstücken, Straßburg 1856, S. 29 - 3 0 ; vgl. auch das Mandat, die Abstellung verschiedener Innungsgebrechen betreffend, Dresden, 7. Dezember 1810, Cap. I, § 4, gedruckt bei Herold, Georg Eduard, S. 3. 210 Stahl, Fr. Wilhelm, S. 378 -380; vgl. auch Wiest, Ekkehard: Die E n t w i c k l u n g des Nürnberger Gewerbes zwischen 1648 u n d 1806, Stuttgart 1968, S. 67, besonders Fußn. 69. 211 Vgl. Mummenhoff, Ernst, S. 81 - 82. Vgl. auch Düttmann, Augustin, u n d Bülow, Hrsg.: Die deutsche Sozialversicherung i n ihrem Entwicklungsgange, Düsseldorf 1926, S. 10. 212 Wissell, Rudolf: Der soziale Gedanke i m alten Handwerk, B e r l i n 1930, S. 73; Wissell, Rudolf: Des alten Handwerks Recht u n d Gewohnheit, Bd. 1, B e r l i n 1929, S. 159; vgl. ebenso Mummenhoff, Ernst, S. 68, der die U n t e r stützung, die ein ungeschenktes Handwerk m i t Wandererlaubnis gewährte, als Almosen bezeichnet, während sie dem Gesellen des geschenkten Handwerks „zustand". 213 Vgl. Wissell, Rudolf: Des alten Handwerks Recht u n d Gewohnheit, Bd. 1, S. 159.

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1. Teil,

. Soziale Sicherung bei den

nen

erhielt der Geselle eines nicht-geschenkten Handwerks eine Bescheinigung hierüber, die dazu diente, durch die Stadt eine Unterstützung zu erhalten 214 . Ähnlich wurde auch i n K i e l nach einer Bestimmung vom 31. Dezember 1794 allen Gesellen, deren Handwerk nicht geschenkt war oder durch keinen Meister am Ort vertreten war, ein Zehrpfennig von 3 Schilling i m Sommer und 4 Schilling i m Winter aus der Armenkasse gezahlt. Den Zimmerleuten und Schmieden, die von der Zunft nur 2 Schilling erhielten, wurde der Restbetrag von der Armenkasse nachgezahlt 215 . Dies ist ein Zeugnis dafür, daß zumindest nicht alle ungeschenkten Handwerke das „Geschenk immer gewohnheitsmäßig" gaben. Gegen Wissells Ansicht scheint auch zu sprechen, daß bei den Zünften nirgendwo ein wirklicher Rechtsanspruch auf Unterstützungsleistungen festgestellt werden konnte. Bei Bedarf wurde Hilfe nach Vermögen gewährt, nicht mehr. Eine einleuchtende Erklärung für die unterschiedliche Beurteilung „geschenkter" und „ungeschenkter" Handwerke und deren Brauch des „Geschenk-Gebens" bringt Stock: Die Verwirrung ist offensichtlich durch eine Doppelbedeutung entstanden, die das „Geschenk" bei den Handwerkszünften besaß. Die Zusammenkünfte der Gilden wurden auch „Schenke" genannt. „Das sichtbare Symbol des . . . Verbandes und der eröffneten Schenke war ein . . . Pokal, der Willkommen, welcher auch zuweilen das Geschenk genannt wird." Innungen, die ein Geschenk, also einen Willkommens-Pokal besaßen und die offizielle Schenke abhielten, standen i n besonders hoher Geltung, sie wurden geschenkte Handwerke genannt. Die ungeschenkten Handwerke kannten keine festen Bräuche der Schenke und standen i n geringerem Ansehen 216 . Sicherlich stimmte diese Definition für die Frühzeit. Allein, sie erklärt nicht die später fast durchgängig übliche Gleichsetzung von geschenktem Handwerk m i t dem Brauch der Wanderunterstützung. So kommt auch Schoenlack zu dem Ergebnis, daß sich mit der Ausbildung des Wanderzwangs die Bedeutung des Begriffs „geschenktes Handwerk" 214 Formular aus dem Jahre 1699: „Daß zeiger diß, . . . welcher aus der frembde anhero kommen u n d keine arbeit gefunden, auch kein geschenktes handwerk hat, dahero eines v i a t i c i vonnöthen, bezeuget h i e r m i t endsunterschriebener vatter des herberg obgedachten handwerks: den . . . anno 1699." Siehe auch ein ähnlich lautendes E d i k t v o m 11. M a i 1694. Vgl. Schoenlank , Bruno: Z u r Geschichte altnürnbergischen Gesellenwesens, S. 356 u n d S. 356 Fußn. 1. Vgl. hierzu auch Rüger, W i l l i : Mittelalterliches Almosenwesen. Die Almosenordnungen der Reichsstadt Nürnberg, Nürnberg 1932, Zeittafel S. V I I : „1522 Einführung . . . der Wanderfürsorge für Handwerksburschen." 215 Vgl. Hähnsen, Fritz, S. 446. 216 Stock, Ch. L., S. 38 - 39. Vgl. auch Wissell, Rudolf: Des alten Handwerks Recht u n d Gewohnheit, S. 158, u n d Schoenlank, Bruno: Z u r Geschichte a l t nürnbergischen Gesellenwesens, S. 356.

I . Sicherung bei Arbeitslosigkeit

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gewandelt hat. Bezeichnete er früher die Handwerke, die eine Schenke hielten, so trat nun die Unterstützung der wandernden Gesellen durch ein Viaticum i n den Vordergrund. Sie wurde K r i t e r i u m für die Bezeichnung „geschenktes Handwerk" und hob die i h m zugehörigen Gesellen „auf ein höheres Niveau gegenüber denjenigen, welche auf ein Almosen angewiesen waren" 2 1 7 . Der Versuch, durch Reichsgesetze den Unterschied zwischen geschenkten und ungeschenkten Handwerken zu beseitigen, mißlang 2 1 8 , denn beide Bezeichnungen kehrten i n späteren Polizeiordnungen immer wieder. Die Gesellen setzten sich erfolgreich zur Wehr, und so wich man i n der Sache zurück. Zunächst sollten sich die Gesellen m i t einem freiwillig gebotenen Geschenk begnügen 219 , später entschloß man sich, den Wert des Geschenks nach oben zu begrenzen 220 . I n Dresden versuchte man, den Unterschied dadurch aufzuheben, daß auch die ungeschenkten Handwerke angehalten wurden, eine Wanderunterstützung zu zahlen, die aber nach oben auf 6 Groschen beschränkt wurde 2 2 1 . e) Eigene Kassen zur

Arbeitslosenunterstützung

Die umfassendste Sicherung — gleichzeitig unserem heutigen System am nächsten kommend — boten die Zünfte, die eine eigene Kasse zur Unterstützung der Arbeitslosen unterhielten. Zu ihnen gehörten die Schiffer, Flößer und Schiffbauer i n Speyer (15. Jahrhundert), die zur Unterstützung der i m Winter arbeitslosen Gesellen eine eigene Lade eingerichtet hatten. I m Sommer mußten sowohl Meister als auch Gesellen hierzu regelmäßige Beiträge (Nikolausgeld) zahlen, und zwar die Schiffer bei jeder Fahrt 1 Denar, die Gesellen 1 Heller, die Schiffbauer, Flößer und Kercher alle Fronfasten 1 Denar. Aus den angesammelten M i t t e l n 217 Schoenlank, B r u n o : Z u r Geschichte altnürnbergischen Gesellenwesens, S. 356; Schoenlank, Bruno: „Gesellenverbände", S. 827. 218 Vgl. Der Römisch=Kayserlichen Majestät Ordnung u n d Reformation guter Policey, zu Beförderung des gemeinen Nutzens, 30. 6.1548, T i t . X X X V I I , § 2 - 5 , gedruckt bei Proesler, Hans, S. 9 + - 11 + (Qu. 198); Abschied des Reichs* Tages zu Augspurg (19. 8.1559), § 77, bei Proesler, Hans, S. 13 + - 14 + (Qu. 199), sowie Der Römischen Kayserl. Majestät reformirte u n d gebesserte PoliceyOrdnung v o m 9.11.1577, T i t . X X X V I I I , der aus der Ordnung v o n 1548 übernommen wurde. Vgl. Proesler, Hans, S. 24 + . 219 Vgl. das Gutachten des Reichstages zu Regensburg v o m 3.3.1672, 7., bei Proesler, Hans, S. 38 + (Qu. 200). 220 Vgl. Gutachten des Reichstages zu Regensburg v o m 14.8.1738, V I I . , bei Proesler, Hans, S. 62+ (Qu. 201). 221 Vgl. Mandat, die Abstellung verschiedener Innungsgebrechen betreffend, Dresden, 7. Dezember 1810, Cap. I, § 4, sowie verschiedene Rescripte zu diesem Mandat, gedruckt bei Herold, Georg Eduard, S. 3, S. 123 - 124, S. 125 - 126, S. 126 - 127.

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1. Teil,

. Soziale Sicherung bei den

nen

wurde den i m Winter arbeitslosen Gesellen ein Darlehen gegeben 222 . Daß diese Form der Arbeitslosenunterstützung i n Speyer schon sehr lange üblich war, beweist eine Quelle bei Hilgard von 1338, i n der bereits das Nikolausgeld erwähnt wird 2 2 3 . I n einer Reihe weiterer Urkunden findet sich ebenfalls die Bezeichnung Nikolausgeld, was darauf schließen läßt, daß es sich hier nicht u m eine auf Speyer beschränkte Regelung handelte. Allerdings war diese A r t der Arbeitslosenunterstützung nicht allgemein üblich und überall verbreitet. Zusammenfassend: Einige Zünfte kannten eine besondere Kasse, i n die regelmäßig Beiträge von Meistern und Gesellen eingezahlt wurden und die den Gesellen i n der arbeitslosen Zeit i n Form von Darlehen als Arbeitslosenunterstützung ausgezahlt wurden. Die verbreitetste A r t der Unterstützung war die Gewährung von Obdach und Verpflegung für einen Tag, die Arbeitsbeschaffung für eine kürzere Zeit (meist 14 Tage) und die Gewährung einer Wegzehrung (Geschenk). V. Sicherung der erwerbslosen Phasen Jugend und Alter Läßt man einmal das Einkommen aus Vermögen außer acht, so ist menschliches Leben durch drei Phasen gekennzeichnet: die beiden erwerbslosen Phasen Kindheit und Alter sowie die mittlere Phase des Erwerbslebens. Das Kind, das noch kein Einkommen erzielen kann, und der alte Mensch, der hierzu nicht mehr i n der Lage ist, sind unfähig, sich aus eigener Kraft zu ernähren. Hier ist eine teilweise Umschichtung des Einkommens aus der mittleren Phase i n die beiden anderen Lebensabschnitte notwendig (intertemporaler Einkommensausgleich). Die Unterhaltssicherung des Kindes kann nur durch eine Solidargemeinschaft erreicht werden: Das K i n d empfängt aus dem Fonds dieser Gemeinschaft Leistungen, die von einer früheren Generation erbracht wurden. Dadurch w i r d der Leistungsempfänger gleichzeitig verpflichtet, später ebenfalls einen Beitrag zu diesem Fonds zu leisten, aus dem dann die nachfolgende Generation unterhalten wird. Oberflächlich betrachtet spart jeder i n seinem Erwerbsleben für den Lebensunterhalt der Jugend der nächsten Generation, doch ist dieser Vorgang i m Grunde nichts anderes als vorweggenommener Konsum, für den i n einer späteren Zeit Konsumverzicht geleistet werden muß 2 2 4 . 222 Vgl. Kau, Georg: Die Regiments-Verfassung der freien Reichsstadt Speier, I I . Abth.: Zünfte, Rath u n d Richter i n Speier v o n 1349 - 1689, Speyer 1845, S. 9 (Qu. 202). 223 Vgl. Hilgard, A l f r e d : U r k u n d e n zur Geschichte der Stadt Speier, Straßb u r g 1885, S. 394 (Qu. 203). 224 Vgl. dazu Schreiber, W i l f r i d : Kindergeld i m sozio-ökonomischen Prozeß, K ö l n 1964, S. 68: „ K i n d e r g e l d ist ein Darlehen, das die Gesellschaft dem

V. Sicherung der erwerbslosen Phasen Jugend und Alter

73

Umgekehrt w i r d i m Alter nachträglich konsumiert, was früher gespart wurde. I m Gegensatz zur Kindheit und Jugend ist hier individuelles Sparen möglich, man ist nicht notwendigerweise auf die Vermittlung der Solidargemeinschaft angewiesen. Die Alterssicherung mit Hilfe einer Solidargemeinschaft ist nur insofern effizienter, als der einzelne zum Sparen gezwungen w i r d — er muß regelmäßig Beiträge zahlen — und so nicht der Versuchung erliegen kann, ohne Zukunftsvorsorge i n den Tag hinein zu leben. Darüber hinaus bietet diese A r t der sozialen Sicherung einen weiteren Vorteil: Wegen der Ungewißheit der Lebenserwartung kann der einzelne nicht i m voraus berechnen, wieviel er sparen muß, u m bis an sein Lebensende ausreichend versorgt zu sein. Die Solidargemeinschaft überwindet dieses Risiko des Sterbealters, da sie durch den Risikoausgleich (unterschiedliches Sterbealter der Mitglieder) i n der Lage ist, i n jedem Fall die Sicherung bis zum Tode zu übernehmen. Ist ein intertemporaler Einkommensausgleich — aus welchen Gründen auch immer — nicht oder nur beschränkt möglich, so ist der einzelne auf die Fürsorge seiner Mitmenschen angewiesen. Diese w i r d natürlich i n erster Linie von der eigenen Familie erwartet. Ist diese dazu nicht i n der Lage, muß eine andere Gemeinschaft einspringen, sei es die religiöse Gemeinde, sei es der Staat oder eine Solidargemeinschaft wie die Zunft. I m folgenden soll dargestellt werden, inwieweit die Zünfte ihren M i t gliedern i n Kindheit bzw. Jugend und Alter soziale Sicherung boten. 1. Soziale Sicherung in Kindheit und Jugend

Die Zünfte boten ihre Leistungen nur subsidiär an, d. h. der E i n t r i t t einer Notlage löste ihre Hilfe nicht automatisch aus, sondern sie sprangen erst ein, wenn der einzelne aus eigener K r a f t bzw. m i t Unterstützung seiner Familie die Notlage nicht meistern konnte. So versteht es sich von selbst, daß, solange die Eltern lebten, diese zum Unterhalt der Kinder verpflichtet waren und die Zünfte i n der Regel keine Hilfe gewährten. Waren die Eltern durch Krankheit oder A r m u t nicht i n der Lage, sich und die Kinder zu ernähren, erhielten sie wohl — i m Rahmen der Möglichkeiten der Zunft — finanzielle Unterstützung, die indirekt auch den Kindern zugute kam, doch wurde eine direkte Leistung an die Kinder nicht gewährt — zumindest fanden sich bei den Untersuchungen zur Arbeit keine derartigen Hinweise. Direkt angesprochen war die Zunft erst, wenn der Ernährer der Familie, der Handwerksmeister, verstarb. Aber auch hier war die noch nicht erwerbsfähigen K i n d gewährt, ein Investitionskredit, der später, sobald das K i n d herangewachsen u n d ins Erwerbsleben eingetreten ist, zurückgezahlt werden muß."

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1. Teil,

. Soziale Sicherung bei den

nen

Unterstützung der Kinder durch die Zünfte meist nur indirekter Natur, wie i m Folgenden gezeigt werden soll. a) Organisatorische

Maßnahmen

Der Unterhalt der Kinder des verstorbenen Meisters war in allen Fällen gesichert, i n denen ihre Mutter weiter mit Hilfe des Handwerks den Lebensunterhalt verdienen konnte. Viele Zünfte gaben den Meisterwitwen hierzu die Erlaubnis — entweder auf unbestimmte Zeit, meist jedoch auf ein Jahr befristet 225 . I n einigen Fällen wurde die Jahresfrist zur Fortführung des Amtes verlängert, wenn der Meister Kinder hinterließ. Meist geschah das allerdings ausdrücklich nur bei Söhnen 226 , manchmal aber auch generell, wie ζ. B. bei den Beutelmachern i n Lübeck (1459)227. Auch die Erleichterungen der Wiederheirat der Mutter minderten das Risiko der Kinder i n gewisser Weise 228 . Eine bescheidene Hilfe für Sohn oder Schwiegersohn eines Amtsbruders bedeuteten auch die Erleichterungen bei der Gewinnung des Amtes. Sie wurden allerdings unabhängig vom Tod des Vaters gewährt und kamen zudem erst zum Zuge, wenn die Kinder bereits erwachsen waren 2 2 9 . Die bisher aufgezeigten „Hilfsmaßnahmen" der Zünfte sind keineswegs als echte Leistungen zu bezeichnen, es sei denn, man wolle auch schon den Verzicht auf Privilegien (keine Frauen als Zunftmitglieder) oder rein organisatorische Maßnahmen (Erleichterung der Amtsgewinnung) als solche anerkennen. Zudem waren die oben angeführten Sonderregelungen nicht durchgehend üblich. Viele Zünfte verweigerten der Witwe die Fortführung des Amtes ganz oder schon nach kurzer Zeit oder dann, wenn sie nur Töchter hatte. So mußte die Sicherung der Kinder Stückwerk bleiben und konnte bestenfalls eine kurzfristige Erleichterung bringen. Über die oben angeführten rein organisatorischen Unterstützungen hinaus gaben die Quellen nur spärliche Hinweise auf eine weitergehende Versorgung der Meisterkinder. b) Naturalleistungen

und

Barleistungen

Nach der Rolle der Dichtbinder i n Lüneburg von 1578 mußte der junge Meister 30 Taler an die Zunft zahlen, die für den Sarg verstorbe225

Vgl. T e i l 1, Β V I I 2 a: Erlaubnis zur Weiterführung des Handwerks. Vgl. T e i l 1, Β V I I 2 a: Erlaubnis zur Weiterführung des Handwerks. 227 Vgl. Wehrmann, C., S. 187 (Qu. 204). 228 v g l . T e ü ι , Β V I I 2 b: Erleichterung der Wiederheirat. 226

229 Vgl. T e i l 1, A I I 2: Gründungsursachen u n d T e i l 1, Β I I 2: Eintrittsgelder u n d sonstige Gebühren.

V. Sicherung der erwerbslosen Phasen Jugend und Alter

75

ner Meister und Witwen sowie zum Unterhalt armer Witwen und Waisen verwandt werden sollten 230 . Eine allgemeine Vorschrift, die Witwe und die Kinder eines verstorbenen Meisters zu unterstützen, enthält auch die Ordnung der Brüderschaft der Korbmacher i n Hamburg von 1595: „ U n d wenn einer der Meister verstirbt, soll der Witwe und (den) Kindern von den anderen Mitbrüdern dieses Handwerks die Hand gereicht . . . werden 2 3 1 ." Zwar w i r d hinzugefügt, daß die Witwe m i t einem der tüchtigsten Gesellen wieder verheiratet werden solle, doch darf man w o h l annehmen, daß die Unterstützung auch i n kleineren Geldzuwendungen bestand, die gewährt wurden, soweit i n der Zunftkasse M i t t e l vorhanden waren, und auch eine Versorgung der Witwe und der Kinder mit Naturalien durch die Meister der Zunft ist sehr wahrscheinlich. Diese Vermutung hat insofern ihre Berechtigung, als die Zünfte unter anderem ausdrücklich als Gemeinschaften zum gegenseitigen Beistand gegründet wurden, der auch die Familie der Zunftgenossen umfaßte. Auch die i n der oben zitierten Quelle verwendete Bezeichnung der Zunftgenossen als „mitvorwante" (Mitbrüder) beweist das Selbstverständnis der Zünfte als erweiterte Familienverbände, i n denen jedes Mitglied für die Existenzsicherheit der anderen mitverantwortlich war. Es widerspräche dem Wesen der Zünfte, wollte man annehmen, daß ihre Hilfe für die Kinder verstorbener Meister ausschließlich i n organisatorischen — noch dazu unzulänglichen — Maßnahmen bestanden habe. Vorausgesetzt, daß die M i t t e l vorhanden waren, darf man wohl auch bei den Zünften, bei denen die Quellen keine nähere Auskunft geben, eine bescheidene finanzielle Unterstützung der Kinder vermuten. I n Erwartung und i m Bewußtsein dieser Leistung nach seinem Tode an die Kinder zahlte der Meister seine regelmäßigen Beiträge. N i m m t man an, daß die Kinder i n der Regel das Handwerk ihres Vaters erlernten und somit später zwangsläufig selbst zahlendes Mitglied der Zunft wurden (und damit die finanzielle Unterstützung der dann i n der Genossenschaft lebenden bedürftigen Kinder ermöglichten), so liegt hier eine echte Umschichtung des Einkommens von der Phase des Erwerbslebens i n die Phase der Kindheit und Jugend vor. Allerdings mit einer wesentlichen Einschränkung i m Vergleich zum heutigen System: Während i n den modernen Systemen sozialer Sicherung aus den regelmäßigen Beitragszahlungen ein rechtlicher Anspruch auf Unterstützung erwächst, bestand gegenüber den Zünften lediglich ein moralischer A n spruch, der seine Grenzen i n —oft beschränkten — finanziellen Möglich230

Nach Scheschkewitz, Ulrich, S. 196. Vgl. Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Zunftrollen . . . , S. 146 (Qu. 205). 231

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1. Teil,

. Soziale Sicherung bei den

nen

keiten fand. Ein Kindergeld i m heutigen Sinne, das bereits zu Lebzeiten der Eltern ausgezahlt wird, gab es nicht. Direkte Unterstützung durch die Zunft erhielten die Kinder erst beim Tode des Ernährers. c) Ausbildungshilfe Zum Abschluß noch einige Quellen, die besondere Anweisungen zur Hilfestellung für Meisterkinder enthalten, die sich allerdings vorwiegend auf Kinder i m Lehrlingsalter beziehen: I n der Schiffbauerordnung vom 24. Juni 1544 i n Hamburg ist die Unterstützung der Kinder wie folgt geregelt: Ist eines der Kinder i n der Lage, das Handwerk auszuüben, so soll es die Geschwister darin unterrichten und darf zur Hilfe wie ein Meister einen Gesellen einstellen. Sind die Kinder zu jung, soll ein anderer Meister sie zu sich i n die Lehre nehmen 232 . Friedrich der Große ordnete i n seinem 1776 den Tischlern, Zimmerleuten, Böttchern und Drechslern i n Lünen verliehenen Privilegium an, daß jeder Meister der Reihe nach den Sohn eines verstorbenen verarmten Mitmeisters unentgeltlich zu unterrichten habe 233 . Die Rolle des Pantoffelmacher-Amtes i n Bremen von 1589 bestimmt: Sind i m Handwerk arme, elternlose Kinder vorhanden, so sollen alte und junge Meister zwei von ihnen aufnehmen und sie das Handwerk lehren. Wollen sie nicht Pantoffelmacher werden, soll ihnen auf Zunftkosten eine andere Lehre ermöglicht und ihnen Unterstützung gewährt werden, bis sie ausgelernt haben und besonders auch des Lesens und Schreibens kundig sind. Auch sind alle Meister gehalten, dafür zu sorgen, daß arme Kinder ihres Handwerks der Gemeinde nicht mit Betteln zur Last fallen 2 3 4 . Diese Regelung scheint, was die Ausbildungshilfe betrifft, — verglichen mit den übrigen Quellen — ,vorbildlich zu sein. Soweit Informationen vorlagen, wurde i n keiner anderen Zunft Rücksicht auf die Berufswünsche der Kinder genommen. Die Ausbildung i m eigenen Handwerk brachte für die Zünfte kaum finanzielle Belastungen mit sich; erhielten die Kinder ihre Ausbildung jedoch i n einem anderen Handwerk, mußten Aufnahmegebühren und Lehrgeld bezahlt werden. Die letzte Bestimmung der obigen Urkunde zeigt ferner, daß die K i n der verstorbener Handwerker von den Zünften wohl keineswegs immer ausreichend versorgt waren. Wenn die M i t t e l der Zünfte nicht ausreichten, eine zufriedenstellende Versorgung der Kinder zu garantieren, 232

Vgl. Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S. 245 (Qu. 206). 233 V g l > Nigge, Franz, S. 115 (Qu. 207). 234

Vgl. Böhmert, Victor, S. 85 (Qu. 208).

V. Sicherung der erwerbslosen Phasen Jugend und Alter

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mußten diese versuchen, sich ihren Lebensunterhalt zu erbetteln; sie waren auf die christliche Nächstenliebe der Bürger, Klöster und Kirchen angewiesen. 2. Soziale Sicherung im Alter

a) Unterstützung durch Naturalleistungen durch Stellung eines Gesellen

und

Solange die Zünfte noch über verhältnismäßig wenig Geldmittel und Vermögen verfügten, dürfte ihre Hilfeleistung für alte, nicht mehr arbeitsfähige Meister — wie auch bei den anderen Risiken — vorwiegend i n Naturalleistungen bestanden haben, d.h. sie erhielten von den Mitmeistern Verpflegung und Bekleidung und — soweit notwendig — Pflege und Betreuung 2 3 5 . I n diesem Zusammenhang sei eine Quelle erwähnt, die zwar keine Auskunft über Maßnahmen der sozialen Sicherung gibt, deren Inhalt jedoch von einer gewissen Fürsorge für alte Meister zeugt: Der alte, nicht mehr arbeitsfähige Schuhmacher i n Riga (1375) durfte bei Zusammenkünften auf Kosten der Zunft trinken 23 ®. Uber Einzelheiten der sozialen Sicherung i m Alter geben die Quellen kaum Auskunft, einziger Anhaltspunkt sind meist allgemeine Verpflichtungen zum gegenseitigen Beistand i n Notlagen. „Unter den Wechselfällen des Lebens ist keiner von der Berücksichtigung ausgeschlossen, die Pflicht des sozialen Beistandes, die der Gemeinschaft obliegt, erstreckt sich auf alle 2 3 7 ." Die Konthurmacher i n Hamburg verankerten 1540 die Pflicht des Amtes zum Unterhalt der alten Handwerksmeister i n ihrer Rolle: „ . . . ein jeder Meister soll alle viertel Jahr einen Schilling i n die Handwerks-Lade geben, damit der Meister dieses Handwerks, der i n Not gerät oder mit Alter beladen ist und nichts verdienen kann, unterhalten werden möge .. . 2 3 8 ." I n der Rolle des Pantoffelmacheramtes zu Bremen vom 24. Mai 1598 heißt es: „Wenn alte arme Meister und Witwen, die nicht mehr arbeiten können und der Almosen bedürfen, vorhanden sind, sollen die Meister gehalten sein, diesen aus der Armenlade nach Bedarf und Vermögen der Lade die helfende Hand zu reichen 239 ." 235

Vgl. Wernet, W i l h e l m : Soziale Handwerksordnung, S. 54. Vgl. Stieda, Wilhelm, u n d C. Mettig, S. 532 u n d S. 542 (Qu. 209), ebenfalls gedruckt bei Bunge, Friedrich Georg von, Sp. 315. 237 v g l . Wernet, W i l h e l m : Soziale Handwerksordnung, S. 50. 236

238 Vgl. Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S. 150 (Qu. 210). 2se V g L Böhmert, Victor, S. 87 (Qu. 211).

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1. Teil,

. Soziale Sicherung bei den

nen

Zweierlei w i r d aus dieser Urkunde wiederum deutlich: 1. Den Witwen wurde die gleiche Unterstützung zuteil wie den Meistern. Zwar geht dies aus den Quellen nicht immer eindeutig hervor, doch darf man diese Gleichstellung wohl bei den meisten Zünften annehmen. 2. Die Höhe der Unterstützung richtet sich nach dem Bedürfnis und nach den finanziellen Möglichkeiten der Kasse. Waren diese ausgeschöpft, konnte die Zunft zwar über eine Umlage neue M i t t e l beschaffen, doch w i r d dieser Weg i n den Quellen kaum erwähnt. Blieb Hilfe von Seiten der Zunft aus, konnte der Betroffene nur auf eine — meist kümmerliche — Unterstützung der Stadt hoffen 240 . Wie später gezeigt werden wird, bestand ein Teil der sozialen Fürsorge für die Witwe eines Meisters i n der Stellung eines Gesellen, mit dessen Hilfe sie den Handwerksbetrieb ihres Mannes fortsetzen konnte 2 4 1 . Obwohl w i r i n den Quellen keine derartige Bestimmung finden konnten, liegt die Vermutung nahe, daß auch dem alten, nicht mehr arbeitsfähigen Meister auf diese Weise der Erwerb des eigenen Lebensunterhaltes ermöglicht wurde. Als Beweis für diese These mag ein Passus aus der Ordnung der Bohrer und Balierer zu Freiburg und Waldkirch von 1544 gelten, i n dem es heißt, daß ein Meister, der „ m i t seinem Leib nit mehr schleüffen (schleifen) oder bohren wollte", außer einem Knecht und einem Lehrjungen noch einen zusätzlichen Knecht einstellen dürfe 2 4 2 . Bestärkt w i r d diese Vermutung durch einen A r t i k e l der Böttcher i n Krakau (1644), nach dem bei Gesellenmangel die jüngeren Meister den alten Meistern Gesellen abzutreten hätten 2 4 3 . Vor allem, als die Zahl der Gesellen stark anstieg, dürfte diese A r t der Unterstützung für die Zünfte nicht allzu große Probleme aufgeworfen haben. Doch ist dabei zu berücksichtigen, daß der vom Gesellen — vielleicht noch unter Mithilfe des alten Meisters — geführte Handwerksbetrieb mindestens soviel abwerfen mußte, daß der Geselle entlohnt werden konnte und der Meister m i t seiner Familie ein ausreichendes Einkommen hatte. Konnte ein Einkommen i n dieser Höhe nicht erzielt werden, hätte die Stellung eines Gesellen eher eine Belastung als eine Unterstützung bedeutet, und zur wirksamen Hilfe für den alten Meister mußten andere Lösungen gefunden werden. Es waren vorwiegend zwei Wege, die von den Zünften beschritten wurden: Die Unterbringung i n Hospitälern und die Auszahlung einer regelmäßigen Rente — beide Lösungen erscheinen uns außerordentlich effizient und erstaunlich modern. 240

Vgl. Wissell, Rudolf: Der soziale G e d a n k e . . . , S. 88. Vgl. T e i l 1, Β V I I 2 c: Stellung eines Gesellen. 242 Vgl. Schragmüller, Elsbeth, S. 109 - 110 (Qu. 212). 243 v g l Bucher, Bruno: Die alten Z u n f t - u n d Verkehrs-Ordnungen der Stadt K r a k a u , W i e n 1889, S. 78 (Qu. 213). 241

V. Sicherung der erwerbslosen Phasen Jugend und Alter b) Unterbringung

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in Hospitälern

Zunächst vereinzelt, später i n größerem Umfange erhielten die arbeitsunfähigen, alten Mitglieder bis zu ihrem Tode Unterkunft und Verpflegung auf Kosten der Zunft i n einem städtischen oder kirchlichen Hospital 2 4 4 . U m die Unterbringung der alten Meister zu sichern, wurden Verträge m i t den Spitälern geschlossen, i n denen diese sich verpflichteten, die pflegebedürftigen Zunftangehörigen aufzunehmen. Diese Verträge umfaßten sowohl die alten wie die kranken Meister. Die Maßnahmen der sozialen Sicherung lassen sich hier folglich kaum nach Risiken trennen. I n der Regel übergab die Zunft ihr Hauptgut (Zinsbrief) dem Hospital und erhielt dafür das „ewige" Recht, die alten und kranken Meister dort pflegen zu lassen. Oder aber es wurde eine regelmäßige Zahlung der Zunft vorgesehen. I m Hospital erhielten die alten Meister ein eigenes Zimmer, für Bettwäsche usw. wurde gesorgt, die Verpflegung war gesichert. Besondere Wünsche wurden i m Rahmen des Möglichen erfüllt. Die enge Bindung der Zünfte an die Kirche und ihre Institutionen manifestierte sich i n zahlreichen Spenden und Zuwendungen. So machte sich das A m t der Schuhmacher zu Bremen besonders u m die Stiftung des dortigen Deutschordenshauses verdient. U m dieser Verdienste willen wurde ihnen 1240 vom Deutschmeister das Recht verliehen, ihre verarmten, durch Alter oder Krankheit arbeitsunfähig gewordenen Meister i m Hospital des Deutschordenshauses verpflegen zu lassen. Der Deutschmeister gab ihnen dieses Privileg i m Namen aller jetzigen und zukünftigen Brüder für alle Zeiten 2 4 5 . Diese zweifellos wirkungsvolle A r t der Alterssicherung durch Gewährung von Unterkunft und Verpflegung i n einem Hospital konnte also durch Vertrag m i t einem Spital oder durch ein der Zunft verliehenes Privileg erreicht werden. I m ersten Fall stehen Leistung und Gegenleistung i n unmittelbarem Zusammenhang, i m zweiten Fall sind sie voneinander losgelöst: Die Leistung (Spenden der Zunft an die Spitäler) w i r d nicht i n Erwartung einer Gegenleistung (Gewährung von Unterkunft für Alte und Kranke) erbracht, sie ruft diese nur indirekt hervor. c) Zahlung einer Rente Die ersten Ansätze unseres heutigen Systems der Alterssicherung finden sich i n den Zünften, die den alten, arbeitsunfähigen Mitgliedern 244 245

V g l

Peters, Horst, S. 22; Böhmert, Victor, S. 13.

Vgl. Ehmck, D. R., u n d W i l h e l m von Bippen: Bremisches U r k u n d e n buch, Bd. 1, Bremen 1873, S. 249 - 250 (Qu. 214), ebenfalls gedruckt bei Böhmert, Victor, S. 67, u n d Ehmck, D. R., u n d W i l h e l m von Bippen, Bd. 2, Bremen 1876, S. 93 (Qu. 215).

1. Teil,

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. Soziale Sicherung bei den

nen

regelmäßig einen festen Betrag auszahlten. Die Rußfärber i n Lübeck (1500) erhielten, wenn sie wegen Alters ihr A m t nicht mehr ausüben konnten oder wollten, wöchentlich 4 Schilling. Dafür sollten sich andere Färber untereinander einigen, seinen Teil mitzufärben 24 ®. Die gleiche Regelung galt für die W i t w e n des Amtes. I n K ö l n — hier gibt es sonst nur wenig Hinweise auf soziale Einrichtungen der Zünfte — gewährten die Böttcher ihren alten Genossen „eine auskömmliche, lebenslängliche Rente" 2 4 7 . Sie erhielten täglich „echt moirgin", d.h. 8 Mörchen = 16 Pfennig (14 Mark 6 Schilling 8 Pfennig jährlich) 2 4 8 . Die Sagerbrüderschaft i n Hamburg (1581 -1683) regelte die Alterssicherung wie folgt: I m ersten Jahr erhielt ein altes, unvermögendes Mitglied wöchentlich 1 Mark 8 Schilling, nach Ablauf des Jahres 1 Mark. Erkrankte er jedoch, wurde der Betrag wieder auf 1 Mark 8 Schilling erhöht 2 4 9 . Man berücksichtigte also bei der Festlegung der Rentenhöhe bereits die bei einer Krankheit anfallenden Kosten für ärztliche Behandlung und Medikamente. Ob die zusätzlichen 8 Schilling wöchentlich diese Kosten decken konnten, läßt sich nicht sagen. Doch selbst wenn der Betrag nicht ausreichte, war er sicherlich eine große Hilfe. Zusammenfassung: Die soziale Sicherung der Kinder und Jugendlichen war bei den Zünften nur unvollkommen geregelt. Sie beschränkte sich i m wesentlichen auf die Sicherung der Ausbildung und auf die Unterstützung der Mutter, die indirekt auch den Kindern zugute kam. Finanzielle und materielle Unterstützung wurden sicherlich teilweise gewährt, doch scheint es fraglich, ob i n erforderlichem Maße. Eine umfassende, zufriedenstellende soziale Sicherung w i r d meist die finanziellen Möglichkeiten der Zünfte überstiegen haben. Die Kinder mußten dann versuchen, sich auf irgendeine Weise durchzuschlagen und ihren Lebensunterhalt erbetteln. Insgesamt scheint die Alterssicherung hingegen besser organisiert gewesen zu sein. Die wichtigsten Maßnahmen waren die den Zünften vertraglich oder durch verliehenes Recht gewährte Unterbringung und Verpflegung der Genossen i n Hospitälern und die Gewährung einer regelmäßigen, i n der Höhe genau fixierten Rente, ergänzt durch Naturalleistungen der Zunft. 24β v g l . Wehrmann, C., S. 399 (Qu. 171 u n d 172). 4 Schilling entsprachen i n der damaligen Zeit 12 RM. 247

Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 133 + . Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 1, S. 14 - 15 (Qu. 216). 249 Vgl. Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S. 208 (Qu. 217). 248

VI. Sicherung bei Unfall und Krankheit

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VI. Sicherung bei Unfall und Krankheit Krankheit und Unfall sind i n ihren Ursachen zwar unterschiedlich, i n ihren Wirkungen auf den Betroffenen jedoch gleichartig. I n diesem Sinne wurden sie auch von den Zünften gleich behandelt, und eine Trennung gemäß unserer heutigen Sozialversicherung ist hier weder zweckmäßig noch möglich. Krankheit und Unfall bergen für den Betroffenen i m wesentlichen drei Risiken: die beiden einkommenswirksamen Risiken des Einkommensausfalls sowie der Aufbringung der Heilkosten — denn das Budget des Erkrankten w i r d doppelt belastet durch das Ausbleiben des Arbeitsverdienstes sowie durch die entstehenden Ausgaben für Medikamente, ärztliche und pflegerische Behandlung — und ferner durch das medizinische Risiko des Gesundwerdens. Der selbstauferlegten Fürsorgepflicht der Zünfte unterstanden Meister, Gesellen und Lehrlinge und auch die Familienangehörigen der Meister. I m folgenden soll aufgezeigt werden, i n welchem Maße es den Zünften gelang, die oben genannten drei Risiken abzudecken oder doch zu verkleinern. 1. Unterstützung der Meister

a) Stellung eines Gesellen Das Risiko des Einkommensausfalls durch Krankheit trugen zwar alle Meister, doch i n recht unterschiedlichem Maße. Den m i t zwei oder drei Gesellen arbeitenden Meister traf eine Krankheit weit weniger als den alleinstehenden, da ein solcher Handwerksbetrieb vermutlich auch bei Ausfall der Arbeitskraft des Meisters noch ein Einkommen erbrachte, das zumindest den Lebensunterhalt deckte, wenn es auch oft nicht für die Beschaffung der notwendigen Medikamente ausgereicht haben mag. Der ohne weitere Hilfe arbeitende Meister stand dagegen praktisch i n der gleichen Situation wie der Geselle, der lediglich durch seine eigene Arbeit Einkommen erzielen konnte — die gleiche Lage, i n der sich heute die Angehörigen der freien Berufe befinden 250 . Verunglückte oder erkrankte ein solcher Meister, riß der Einkommensfluß ab, und besaß er nicht ein kleines Vermögen, auf das er zurückgreifen konnte, war er auf die Unterstützung seiner Zunftgenossen angewiesen. Wie dem alten Meister und — wie w i r später sehen werden — der Witwe, halfen die Zünfte auch dem kranken Meister vielfach, indem sie i h m einen Gesellen zur Verfügung stellten, der i n der Lage war, den Handwerksbetrieb fortzuführen 251 . 250

Vgl. hierzu auch Weiß, Johann A d a m : Über das Zunftwesen u n d die Frage: Sind die Zünfte beizubehalten oder abzuschaffen?, F r a n k f u r t / M a i n 1798, S. 93 - 95. 251 Vgl. Zatschek, Heinz: Aus der Vergangenheit des deutschen Handwerks, i n : Archiv f ü r Kulturgeschichte, Bd. 37, Münster — K ö l n 1955, S. 5 4 - 5 5 ; Wissell, Rudolf: Des alten Handwerks Recht u n d Gewohnheit, S. 407 - 408. 6 Fröhlich

1. Teil,

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. Soziale Sicherung bei den

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So konnte i n Lübeck der kranke Goldschmied vor die Älterleute treten und sie um Hilfe bitten. Sie stellten ihm einen tüchtigen Gesellen zur Verfügung und wachten über dessen gute Arbeit. Zweimal jährlich mußte der Geselle den Älterleuten Rechenschaft ablegen und sich m i t ihnen über den Lohn einigen. War die Arbeit des Gesellen nicht zufriedenstellend, wurde — sofern der Meister nicht inzwischen wieder arbeitsfähig war — ein anderer Knecht an seine Stelle gesetzt 252 . Durch die strenge Aufsicht der Zunft konnte der kranke Meister also sicher sein, daß das Ansehen seines Betriebes nicht durch schlechte Arbeit oder Verwendung schlechten Materials litt. Die Seifensieder in Magdeburg bestimmten i n ihrem Privilegium vom 16. Mai 1670, daß einem erkrankten Meister oder einer Witwe — falls sie keinen Gesellen hatten — von einem anderen Meister der Zunft ein Geselle gestellt werden solle, um das Siedehaus solange zu versehen, bis ein fremder Geselle gewandert käme 2 5 3 . M i t dieser Maßnahme sicherten die Zünfte eine gewisse Stetigkeit des Einkommens. Doch mochte die Stellung eines Gesellen auch die schlimmste Not verhindern, ausreichend war sie sicherlich nur selten. Zwar konnte die Arbeit des Gesellen möglicherweise das gleiche Einkommen erzielen, das auch der Meister erreichte, doch scheint es fraglich, ob es immer hoch genug war, zusätzlich sowohl den Gesellenlohn als auch die Kosten für die Heilung zu decken. Die Formulierung: „und die Älterleute sollen sich m i t dem Knecht über den Lohn einigen, den er erhalten soll" i n der Rolle der Lübecker Goldschmiede vom 7. September 1492254 weist möglicherweise darauf hin, daß die Zunft die Entlohnung des Gesellen i n solchen Fällen übernahm, was natürlich eine finanzielle Entlastung für den erkrankten Meister bedeutet hätte. Bestehen blieben trotzdem die zusätzlichen Heilkosten, die zu decken waren. Das gilt nicht nur für den alleinstehenden, sondern ebenfalls — wenn auch i n geringerem Umfang — für den m i t mehreren Gesellen arbeitenden Meister. Besonders bei langwierigen Krankheiten, die kostspielige Medikamente erforderten, war eine finanzielle Unterstützung durch die Zunft, wollte sie ihren Mitgliedern Sicherheit vor Verarmung bieten, unumgänglich. b) Gewährung von Darlehen Erkrankte ein Meister und reichte sein Einkommen nicht mehr für seinen Lebensunterhalt oder den seiner Familie aus und/oder erlaubte 252

Vgl. Wehrmann, C., S. 218 - 219 (Qu. 218). Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 306 (Qu. 219). Vgl. auch Ruby, Franz: Das Iglauer Handwerk i n seinem T h u n u n d Treiben von der Begründung bis zur M i t t e des achtzehnten Jahrhunderts, B r u n n 1887, S. 166. 254 vgL Wehrmann, C., S. 218 - 219 (Qu. 218). 253

VI. Sicherung bei Unfall und Krankheit

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es nicht die Beschaffung der zur Heilung erforderlichen Medikamente, konnte i h m die Zunft ein Darlehen gewähren, das aus der Zunftkasse gezahlt wurde. Dies war die bei weitem häufigste Unterstützung bei jeder A r t von Notfällen. Sie kam wohl bei allen Zünften vor, auch wenn derartige Bestimmungen nicht ausdrücklich i n den Urkunden festgehalten sind. Der m i t den Zunftbräuchen einigermaßen vertraute Leser vermag aus mancherlei Anordnungen entsprechende Gewohnheiten abzuleiten. So bestimmten die Bader i n Lüneburg 1361 lediglich, daß der derzeitige Bewahrer der Zunftkasse unter Strafe von 3 Schilling keinem mehr als 2 Pfennig leihen dürfe 2 5 5 . Daraus geht hervor, daß die Zunft gelegentlich Geld aus der Kasse verlieh, die jeweilige Summe allerdings auf 2 Pfennig beschränkte. Es ist m i t ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß ein solches Darlehen auch dem erkrankten Meister gewährt wurde. I n dieser Hinsicht eindeutige Bestimmungen i n vielen anderen Urkunden erhärten dies. Die Bader i n Straßburg (1487) liehen dem Kranken auf Antrag gegen ein Pfand 3 Schilling aus der Büchse 256 . — Die Schneider Schleswigs (1415) legten fest, daß dem bedürftigen erkrankten Meister aus der Büchse „eine summe geldes" geliehen werden solle. Nach der Genesung war der Betrag zurückzuzahlen; starb der Meister, konnte sich die Zunft an seinem Nachlaß i n Höhe der Darlehenssumme schadlos halten, mußte jedoch auch für sein ehrliches Begräbnis Sorge tragen 257 . Eine sehr ähnliche Regelung galt bei den Bäckern i n Ziesar (1650): Wenn ein erkrankter Meister Geld benötigte, sollte i h m „auf sein ansuchen nach Vermögen auss der Lahde geholfen werden". Das Geld war nach der Genesung zurückzuzahlen, und zwar — wie es wörtlich heißt: „nach hechster mueglichkeit", d.h. also, soweit irgend möglich. Starb der Meister jedoch, hatten entweder die Angehörigen die geliehene Summe zurückzuzahlen oder sie wurde von seinem Nachlaß genommen 2 5 8 . Zwei Prinzipien werden aus diesen beiden Urkunden deutlich: Das Darlehen wurde nicht automatisch bei Krankheit (oder sonstigen Notfällen) gewährt, sondern mußte beantragt werden; außerdem mußte der Antragsteller bedürftig sein. Besaß er genügend eigene Mittel, wurde 255

256

Vgl. Bodemann, Eduard, S. 22 (Qu. 220). Brucker, J., S. 83 (Qu. 221).

V g L

257 Vgl. Nyrop, C.: Bd. 2, Kopenhagen 1895-1904, S . 2 8 - 2 9 (Qu. 222), auch gedruckt bei Peters, Horst, S. 24. 258 v g l . Meyer, M o r i t z : Bd. 1, S. 226 (Qu. 223); ebenso hielten es die Bader i n U l m . Vgl. Jäger, Carl: Ulms Verfassungs, bürgerliches u n d commercielles Leben i m Mittelalter, Stuttgart — Heilbronn 1831, S. 456.

6*

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1. Teil,

. Soziale Sicherung bei den

nen

sein Antrag von den Älterleuten abgelehnt. Der Erkrankte konnte das Darlehen nicht kraft eines Rechtsanspruchs fordern, sondern mußte es erbitten, und i n der Regel wurde es i h m gewährt, wenn die notwendigen M i t t e l i n der Zunftkasse zur Verfügung standen. Die Zunft war nicht rechtlich — i m Sinne von gerichtlich einklagbar — sondern lediglich kraft der selbst gegebenen Ordnung, d. h. moralisch, zur Hilfeleistung verpflichtet. Uber Gewährung oder Nicht-Gewährung eines Darlehens war sie lediglich sich selbst verantwortlich, keiner übergeordneten Instanz. I n der oben erwähnten Urkunde der Schneider Schleswigs w i r d die Höhe der Darlehenssumme nicht festgelegt. Sie w i r d sich nach den Bedürfnissen des Meisters und nach dem Vermögen der Zunftkasse gerichtet haben, eventuell auch nach der erwarteten Zahlungskraft des Meisters. Dies ist allerdings eine unbestätigte Vermutung und mag lediglich für die Verfallszeit der Zünfte zutreffen. Solange diese noch vom genossenschaftlichen Geist der gegenseitigen Hilfe getragen wurden, hat dieses K r i t e r i u m sicherlich keine Rolle gespielt. Das bestätigen eine Reihe von Urkunden, i n denen zwar die Rückzahlbarkeit des Darlehens Prinzip war, doch wurde die Schuld bei Zahlungsunfähigkeit des Meisters erlassen und das Darlehen wurde zum Almosen. Die Schuhmacher Rigas (1375) gewährtem dem armen kranken Meister dreimal je 6 Ore, die er — sofern er später dazu i n der Lage war — zurückzuzahlen hatte, andernfalls jedoch als Almosen galten 259 . Wie bereits erwähnt, scheint die Großzügigkeit der Zünfte i n Bezug auf die Darlehensrückzahlung i m Laufe der Zeit nachgelassen zu haben, denn am 12. März 1688 sahen sich die Herzöge zu Braunschweig-Wolffenbüttel genötigt, ein Schreiben „wegen Abschaffung der eingerissenen missbräuche bey denen handtwerkern" zu verfassen und gleichzeitig ein Reglement zu erlassen, i n dem unter anderem bestimmt wurde, daß dem bedürftigen Kranken aus der Lade Hilfe gewährt werden solle, die dieser oder seine Erben zurückzuzahlen hätten, doch daß ihnen diese Schuld erlassen werden solle, wenn sie die nötigen Mittel nicht aufbringen könnten 2 6 0 . Generell wurde also dem bedürftigen kranken Meister ein Darlehen gewährt, doch findet sich bei einigen Zünften noch eine interessante Einschränkung: Die Hilfe wurde dem verweigert, der sich die Krank259 Vgl. Bunge, Friedrich Georg von, Sp. 315 (Qu. 224); vgl. die gleiche Urkunde bei Stieda, Wilhelm, u n d Constantin Mettig, S. 531, u n d siehe S. 541 - 542 (Qu. 225). Diese Zunftordnung v o m 24. M a i 1615 beruht zum T e i l auf dem oben zitierten Schrägen aus dem 14. Jahrhundert u n d wurde fast wörtlich ins Hochdeutsche übersetzt, jedoch m i t den erforderlichen zeitgemäßen Änderungen u n d Streichungen. Statt jeweils 6 Ore sind jetzt 6 Marc als dreimalige Darlehenssumme angegeben. 260 Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 143 (Qu. 226).

VI. Sicherung bei Unfall und Krankheit

85

heit durch eigene Schuld zugezogen hatte bzw. der einen Unfall selbst zu verantworten hatte. So heißt es bei den Hamburger Wand- und Tuchmachern 1585: „Aber hiervon (von der Darlehensgewährung) sollen diejenigen, die durch ihre eigene Schuld und Verursachung ein Unglück erleiden und sich auf den Hals ziehen, solcher Hilfe nicht würdig erachtet sondern davon gänzlich ausgeschlossen sein 281 ." Zu den bereits genannten zwei Bedingungen für die Darlehensgewährung (Antrag und Bedürftigkeit) t r i t t also eine weitere hinzu, nämlich die Schuldlosigkeit. Die „Versicherungsgesellschaft" Zunft zahlte also nur bei „höherer Gewalt"; das die Zahlung durch die Zunft auslösende Ereignis durfte nicht schuldhaft oder fahrlässig mitverursacht, es mußte unabwendbar sein. c) Wochengeld Zweifelsohne war das Darlehen für die kranken Meister eine w i l l kommene Hilfe, doch muß völlig offenbleiben, inwieweit es ausreichte. Da es i n der Regel nur einmal gewährt wurde (bei den Schuhmachern Rigas höchstens dreimal) und zudem i n der Höhe vielfach begrenzt war, ist es zumindest wahrscheinlich, daß diese Unterstützung durch die Zunft oft nur „ein Tropfen auf dem heißen Stein" sein konnte. So schreiben auch Stieda/Mettig zu der erwähnten Regelung bei den Schustern i n Riga: „Was nachher aus dem armen Kranken wurde, ist nicht gesagt, so dass man auf die Annahme kommt, dass die Genossen ihn der öffentlichen Mildthätigkeit anheimfallen liessen 262 ." Einige Zünfte fanden denn auch einen Weg, der uns zur wirksamen Verhütung von Verarmung eher geeignet scheint, da er nicht einmalige, sondern bis zur Genesung ständige finanzielle Unterstützung gewährleistete. Die Rußfärber i n Lübeck (1500) zahlten dem wegen Alter oder Krankheit arbeitsunfähigen Meister wöchentlich 4 Schilling, den gleichen Betrag erhielt auch eine Witwe i m A m t 2 8 3 . Eine besonders sorgfältige Regelung der Unterstützung i m Krankheitsfall ist i n der Ordnung der Hamburger Sagerbrüderschaft vom 16. bis 17. Jahrhundert übermittelt. Bis zur Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit erhielt ein M i t glied der Brüderschaft wöchentlich 1 Mark 8 Schilling aus der Armenlade. Wie Rüdiger i n einer Fußnote bemerkt, wurde dieser Betrag später auf 2 Mark erhöht. Der Kranke stand unter der Aufsicht der Brüderschaft, die darüber wachte, daß der Unterstützte auch wirklich arbeitsunfähig war. Wer erst mittwochs erkrankte, erhielt gleichwohl das volle Krankengeld von 2 Mark. „Gehet er aber aus und gleich nicht arbeitet, 261

Vgl. Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S. 310 (Qu. 227). 262 Stieda, Wilhelm, u n d Constantin Mettig, S. 110. 2β3 V g L wehrmann, C., S. 399 (Qu. 171 u n d 172).

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1. Teil,

. Soziale Sicherung bei den

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so hat er die Woche nichts zu fordern." Auch die (vermutlich wegen Alters und/oder Invalidität) nicht mehr i n Arbeit stehenden Brüder erhielten, wenn sie „kranck und schwächlich" waren, die gleiche Unterstützung. Starb der Erkrankte am Montag oder während der Woche, so wurde die Summe für diese Woche gleichwohl noch ausgezahlt, und zwar an die Witwe des Verstorbenen 284 . Selbstverständlich konnte auch diese Form der Unterstützung von den Zünften nur so lange aufrecht erhalten werden, wie die M i t t e l i n der Kasse ausreichten. Gegebenenfalls wurde hier und da wohl durch Umlagen weiteres Geld aufgebracht. So heißt es i m Innungsbrief der Zerbster Strumpfwirker von 1769: „Wenn ein Meister i n hiesigen fürstlichen L a n d e n . . . m i t einer schweren langwierigen Krankheit befallen wurde, soll e r . . . wöchentlich einen Gulden aus der Lade bekommen, wozu die Meister alle 4 Wochen eine Auflage von einem Groschen machen 285 ." Hier wurde Wochengeld also nicht nur ausgezahlt, solange der Kassenvorrat reichte, sondern jeweils durch besondere Umlage erhoben. Ob dieses System aber auch i n Epidemiezeiten zufriedenstellend funktionierte, muß sehr fraglich erscheinen. So schreibt Hödel: „Über das Funktionieren der Einrichtung hören w i r wenig. Doch läßt uns das jeweilige Auftauchen von Bemerkungen i n Notzeiten einen Blick darauf werfen. Epidemien und Kriege, und wie oft hingegen beide zusammen, brachten diese Krankenkassenvorläufer rasch aus dem Gleichgewicht. Es gab eben noch keine staatlichen Subventionen oder Defizitgarantie 2 8 8 ." d) Eigene Krankenkassen I n der Regel wurde die Krankenunterstützung — sei es i n Form eines Darlehens oder als wöchentliche Zuwendung — aus der allgemeinen Zunftkasse gezahlt. Gelegentlich unterhielten die Zünfte und Brüderschaften jedoch auch eigene Krankenladen (vielfach gleichzeitig Armenladen). So wurde ζ. B. nach dem Reglement der Herzöge zu Braunschweig-Wolff enbüttel (1688) das Darlehen aus einer eigens für diese Zwecke unterhaltenen Lade gezahlt 207 . Konsequente Weiterentwicklung dieser Trennung war die Errichtung zunfteigener Krankenkassen, die als echte Vorläufer unserer heutigen Krankenkasse zu bezeichnen sind. 264 Vgl. Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Zunftrollen . . . , S. 208 (Qu. 228). 285 Dalmer, Paul, S. 73, Fußn. 3. 286 Hödel, Christian: Die Anfänge der Krankenversicherung i n Basel w ä h rend des 19. Jahrhunderts u n d ihre geschichtlichen Voraussetzungen, Basel — Stuttgart 1965, S. 34. 287 Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 143 (Qu. 226).

VI. Sicherung bei Unfall und Krankheit

87

1786 gestattete der Rat der Stadt K ö l n den dortigen Perückenmachern die Einrichtung einer besonderen Kasse zur Unterstützung i n Not geratener Zunftbrüder. A m 19. Januar 1787 bestätigte der Rat diese Erlaubnis und die folgende Satzung: Die eigens angeschaffte Kasse wurde von einem gewählten „Kastenmeister" aufbewahrt. Zur größeren Sicherheit erhielt die Kasse drei Schlösser, zu denen jeweils der Kastenmeister, der Vorsteher und ein Beisitzer einen Schlüssel erhielten. Vorsteher und Kastenmeister hatten über Einnahmen und Ausgaben genau Buch zu führen und ein Pedell forderte vierteljährlich die Beiträge ein und übergab sie nebst einer genauen Liste der gezahlten und noch ausstehenden Summen zu einem festgelegten Termin dem Kastenmeister. Da die Beiträge den Kranken und Bedürftigen zukommen sollten und hierbei Unregelmäßigkeiten („Unterschleif") befürchtet wurden, waren die Beisitzer gehalten, die krank Gemeldeten unvermutet zu besuchen und „ w o h l acht zu haben, daß es keine erdichtete Krankheit seie". I n Zweifelsfällen war ein Arzt zuzuziehen, dem für seine Bemühung 2 Reichstaler aus der Lade gezahlt wurden. Kastenmeister, Vorsteher und Pedell erhielten als „Aufwandsentschädigung" neben Beitragsfreiheit eine jährliche Summe von 4 Reichstalern bzw. 2 Reichstaler zu je 80 Albus. Der Beitrag war auf vierteljährlich 26 Albus = 2 Kölner Taler jährlich festgesetzt. Die Zahlung war freiwillig (im Gegensatz zum sonst üblichen Zunftzwang!), doch kam auch nur der in den Genuß der Unterstützung, der seinen Beitrag gezahlt hatte. „Damit die Cassa zu einigem Vorrath gelange", sollte jeder bei seinem Eintritt i n diese Unterstützungskasse einen Reichstaler zu 80 Albus zahlen. Soweit der Vorrat i n der Kasse es erlaubte, wurden jedem Kranken wöchentlich 36 Stüber, dem Bettlägrigen 50 Stüber ausgezahlt. Der Kranke hatte spätestens donnerstags abends beim Kastenmeister oder einem Beisitzer vorzusprechen, und wurde er wirklich für krank befunden, erhielt er die wöchentliche Unterstützungssumme. Zweimal jährlich, und zwar jeweils Dienstag vor Weihnachten und vor St. Johann Baptist (24. Juni), mußten Kastenmeister, Vorsteher und Beisitzer dem ältesten Gaffelherren über Einnahmen und Ausgaben Rechnung legen 268 . Diese Form der zünftigen Krankenunterstützung ist eine eindeutige Verbesserung und Erweiterung der vorher beschriebenen Regelungen. Der Beitritt zur Kasse war freiwillig, und die Beiträge wurden eigens zum Zweck einer späteren Unterstützung i m Krankheitsfalle gezahlt, nicht, wie früher bei den Zünften vorwiegend, zur Bestreitung der allgemeinen Zunftkosten, zu denen die Krankenunterstützung nur 268

Vgl. Kölner Stadtarchiv, Zunftakten 7, fol. 10v - 13v, fol. 15v (Qu. 229).

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1. Teil,

. Soziale Sicherung bei den

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unter anderem zählte. Zwar liefert die Zunftakte hierfür keinen direkten Anhaltspunkt, doch ist zu vermuten, daß der Kranke, der regelmäßig seine Beiträge gezahlt hat, einen durchsetzbaren Hechtsanspruch auf die wöchentliche Unterstützung besaß — m i t einer Einschränkung, die ausdrücklich festgehalten ist: Der Anspruch erlischt, wenn die Kasse leer ist: Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. e) Krankenpflege,

Unterbringung

im Hospital, eigene Hospitäler

Bisher wurde dargelegt, auf welche Weise die Zünfte versuchten, das finanzielle Risiko einer Krankheit zu mindern. I m folgenden w i r d zu zeigen sein, daß sich die Unterstützung keineswegs hierauf beschränkte. Auch die medizinische Seite des Risikos wurde gesehen, und die Zünfte versuchten auch hier helfend einzugreifen. Naturgemäß waren für die Pflege eines erkrankten Meisters i n erster Linie die Familienangehörigen zuständig. War dies aus irgendwelchen Gründen nicht möglich, ging diese Verpflichtung auf die Zunft — die „erweiterte Familie" — über. I n der Ordnung der Schmiede zu Riga vom 26. September 1578 w i r d dieses Prinzip sehr deutlich: Erkrankte ein Meister und hatte keine Angehörigen oder kein Gesinde, das ihn pflegen konnte, so mußten auf seinen Wunsch die vier jüngsten Meister umschichtig bei i h m wachen 269 . Auch bei den Zimmerleuten zu Neuen-Ruppin (1670) erhielt der Kranke aus dem Vorrat der Lade — „so einiger vorhanden" — Pflege. Nach der Genesung mußte die Hälfte der ausgegebenen Summe zurückgezahlt werden 2 7 0 . — Bei den Schlosser-, Sporer-, Büchsenmacher- und Uhrmachermeistern i n Riga (1593) war der Ältermann verpflichtet, für Krankenwache und Pflege zu sorgen. Wer zu diesem Dienst aufgefordert wurde und ihn verweigerte, wurde m i t 1 Taler Strafe belegt 271 . Ob die Pflege durch die Zunftangehörigen immer sinnvoll und ausreichend war, muß sehr i n Frage gestellt werden, denn immerhin waren es Laien, die — auch wenn sie nach den Anordnungen eines Arztes handelten — nicht über genügend Erfahrung i m Umgang m i t Kranken verfügten. Die Zünfte erkannten diesen Mangel und versuchten, die Krankenversorgung zu verbessern, indem sie m i t Ärzten und kirchlichen oder städtischen Hospitälern Verträge schlossen272. Wie bereits i m vorigen Kapitel ausgeführt, war i m Mittelalter die Pflege von Armen, A l t e n und Kranken eng verbunden und läßt sich 269 270 271 272

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Stieda, Wilhelm, u n d Constantin Mettig, S. 477 (Qu. 230). Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 296 (Qu. 231). Stieda, Wilhelm, u n d Constantin Mettig, S. 453 (Qu. 232). ζ. B. Schirbel, Eugen, S. 85; Popelka, Fritz, S. 135.

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kaum trennen 2 7 3 . So sicherten auch die Zünfte durch Verträge mit Spitälern gleichzeitig die Versorgung ihrer armen alten und kranken Genossen 274 . I n der Regel zahlten sie einmalig eine bestimmte Summe, übergaben ihr Hauptgut (Zinsbriefe) oder führten jährliche Beiträge ab. Sie sicherten sich damit „auf ewige Zeiten" entweder generell die Unterkunft pflegebedürftiger Zunftgenossen oder aber es stand der Zunft ständig eine bestimmte Anzahl von Betten zur Verfügung. Bereits i m vorigen Kapitel wurde eine solche Vereinbarung zwischen einer Zunft und einem Hospital über die Pflege ihrer Alten und Kranken erwähnt 2 7 5 . A n dieser Stelle sollen die Einzelheiten des Privilegs näher dargelegt werden. I n einem Dokument von 1240 beurkundete Hartmann, Comthur des deutschen Ordens i n Deutschland, daß er m i t Zustimmung seiner Brüder und i m Namen aller zukünftigen Ordensbrüder allen CorduanSchuhmachern der Stadt Bremen das Recht erteilt habe, i m Krankenhaus des deutschen Ordens i n Bremen aufgenommen und gepflegt zu werden, wenn sie arm und wegen Alters oder Krankheit oder aus sonstigen Gründen nicht mehr den eigenen Lebensunterhalt erwerben konnten 2 7 6 . I m Laufe der Jahrhunderte wurde dieses Vorrecht mehrmals bestätigt und ging 1388, als die Corduaner sich m i t dem Schuhmacheramte verbanden, auf das vereinigte A m t über. A m 23. Februar 1426 beurkundete der damalige Comthur, er habe sich mit den Schuhmachern geeinigt, da das Deutschordenshaus gegenwärtig selbst keine Pfründner i n Kost habe, daß er die Alten und Kranken des Schuhmacheramtes anderweitig untergebracht habe und pflegen lasse. Gleichzeitig verpflichtete er sich nochmals für sich und seine Nachfolger, die Pfründer des Schuhmacheramts so lange i n Kost halten zu lassen, bis der Deutschorden wieder selbst die Pflege übernehme. Sie sollten dann alle früheren Rechte auf Unterkunft und Verpflegung zurück erhalten. Auch ein kurz darauf ausgebrochener Streit zwischen Schuhmachern und den Comthurherren wurde am 7. Dezember 1429 i n diesem Sinne geschlichtet. Als 1583 nach dem Tode des letzten Comthurherrn die Güter des deutschen Ordens i n die Hand des Rats der Stadt Bremen übergingen, 273 Vgl. Fischer, Alfons, S. 133; Mone, F. J.: Ueber Krankenpflege v o m 13. bis 16. Jahrhundert i n Wirtenberg, Baden, der baier. Pfalz u n d Rheinpreußen, i n : Zeitschrift f ü r die Geschichte des Oberrheins, Bd. 2, Karlsruhe 1851, S. 257 ff. 274

Vgl. z. B. Otto, Eduard: Das deutsche H a n d w e r k i n seiner geschichtlichen Entwickelung, 4. Aufl., Leipzig 1913, S. 48. 275 v g l T e i l 1, Β V 2 b: Unterbringung i n Hospitälern. 276

Vgl. Ehmck, D. R., u n d W i l h e l m von Bippen:

kultur-

Bd. 1, S. 249 - 250 (Qu. 214).

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bestimmte dieser durch Beschluß vom 23. Dezember 1584 das St. Johanniskloster zum Aufenthalt und zur Unterhaltung verarmter, kranker Schuhmacher. A m 1. Dezember 1820 wurde das St. Johanniskloster aufgehoben, und die Verwaltung Schloß mit den Schuhmachern einen Vertrag, nach dem ihnen für ihre 1240 erworbenen Rechte eine einmalige Abfindungssumme von 4 500 Talern ausgezahlt wurde. Hiervon wurde eine vom Amte unabhängige Stiftung für bedürftige Genossen des Schuhmacheramtes gegründet 277 . Über diese respektable Zeitspanne von 580 Jahren hatten die Schuhmacher Bremens durch einen einzigen Vertrag ihren Armen, Alten und Kranken gesicherte Unterkunft und Pflege erworben und erhalten. Nach diesen 580 Jahren konnten sie sogar m i t dem aus dem Vertrag gewonnenen Kapital die Bedürftigen selbst versorgen. Einige Zünfte gelangten i m Laufe der Zeit zu solchem Reichtum, daß sie eigene Hospitäler unterhalten konnten 2 7 8 . 1454 errichtete die ausschließlich „Oberdeutsche" umfassende Florentiner Schusterbruderschaft (societas virginis Marie et sancte Katerine Teutonicorum calzolariorum Alamanie a l t e . . . ) ein kleines Spital für erkrankte Brüder 279 . I n Florenz besaßen ferner die Steinarbeiter, die Maler, Hufschmiede, Seidenweber und Wollkratzer eigene Spitäler 2 8 0 ; seit 1488 unterhielt die Bruderschaft der Wollschläger ein kleines Hospital mit 6 Betten bei Santa Maria degli Angioli; 1280 wurde ein Spital der Bruderschaft der Färber gegründet, das, durch zahlreiche Stiftungen unterstützt, an Ausdehnung gewann und lange Zeit erhalten blieb 2 8 1 . — Auch die Bruderschaft der Zimmerleute in Judenburg besaß gegen Ende des 15. Jahrhunderte ein eigenes Hospital 2 8 2 . I n Magdeburg verwalteten die Gewandschneider das Heilig-Geist Hospital. Sie quittierten Stiftungen, forderten Zinsen und verhandelten m i t dem Rat über dieses Hospital 2 8 3 . Desgleichen stand das Hospital St. Georg dort i m 15. Jahrhundert unter der Aufsicht der Seiden277

Vgl. Böhmert, Victor, S. 13 - 14. Vgl. Kleeis, Friedrich, S. 35; Popelka, Fritz, S. 135. 279 Vgl. Dören, A l f r e d : Deutsche Handwerker u n d Handwerkerbruderschaften . . . , S. 67 - 68. 280 v g l . Dören, Alfred: Studien aus der Florentiner Wirtschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 658. 278

281 Vgl. Dören, A l f r e d : Studien aus der Florentiner Wirtschaftsgeschichte, Bd. 1 : Die Florentiner Wollentuchindustrie v o m vierzehnten bis zum sechzehnten Jahrhundert, Stuttgart 1901, S. 243 - 244, S. 296 u n d S. 522 - 524. 282 Vgl. Zimmerleutebrüderschaft i n Judenburg, L A . Org. 1497, 18. Nov.: „de zymerleut bruderschaft spital", nach Popelka, Fritz, S. 135, Fußn. 2. 283 Vgl. ζ. B. Hertel, Gustav: Bd. 2, S. 576, S. 620, S. 683, S. 740 - 741 (Qu. 233), S. 766, S. 782 - 783 (Qu. 234); ebenso Hertel, Gustav: Bd. 3, S. 625.

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kramer 2 8 4 . Beide Innungen setzten für die Administration der Hospitäler einen „Speisemeister" ein 2 8 5 . — I m 15. Jahrhundert waren die Magdeburger Knochenhauer Vorsteher des Hospitals St. Elisabeth, und in Quedlinburg bestand ein St. Anna-Hospital unter Aufsicht der Gewandschneider 286 . Ähnlich verhielt es sich i n mehreren anderen Städten 287 . Ob die Innungen diese Anstalten gestiftet haben, oder ob ihnen lediglich deren Aufsicht übertragen wurde, läßt sich nicht mehr feststellen 288 . Da ihnen jedoch die Verwaltung der Hospitäler oblag, ist es sehr wahrscheinlich, daß sie dort auch ihre armen, alten und kranken Zunftbrüder pflegen ließen. f) Hilfe bei Krankheit

auf Reisen

Nur wenige Quellen geben Auskunft darüber, welche Hilfe dem auf Reisen erkrankten Zunftbruder zuteil wurde. Wenn mehrere Angehörige der Dortmunder Bäckergilde (um 1700) auf Reisen gingen und einer unterwegs erkrankte, so mußten die Reisegefährten zwei Tage bei ihm bleiben und für i h n sorgen. A u f Wunsch des Kranken sollten sie bis zu weiteren 10 Tagen bei i h m ausharren, dies jedoch auf seine Kosten 289 . Ähnlich lautet eine entsprechende Vorschrift bei den Krämern i n Stendal aus dem Jahre 1400: A u f Bitte des Kranken waren die Mitbrüder verpflichtet, einen Tag und eine Nacht bei ihm zu bleiben 290 . Das erscheint wenig und unzureichend, mag jedoch hinlänglich Zeit gewesen sein, den Kranken i n einem Hospital unterzubringen oder i h m sonstige Pflege zu besorgen. Traf ein Mitglied der St. Nikolaus-Gilde zu Flensburg (1446) einen Bruder außerhalb des Landes krank an, mußte er i h m 12 Schilling leihen, die der Kranke nach Genesung zurückzuzahlen hatte. Starb er, kamen seine Verwandten dafür auf; falls er keine Angehörigen hatte, die St. Nicolaus-Lade, also die Bruderschaft 291 . 2. Unterstützung der Gesellen und Lehrlinge

Häufiger als die Unterstützung erkrankter Meister ist die Hilfe für Gesellen — manchmal auch für Lehrlinge — i n den Zunfturkunden 284 Vgl. Stock: Die Gewerbsgilden, Innungen u n d Handwerksvereine v o m Mittelalter ab bis 1731, 1. Teil, i n : Neue Jahrbücher der Geschichte u n d Politik, Leipzig 1841, Bd. 2, S. 117. 285 Vgl. Stock: 2. Teil, Leipzig 1842, Bd. 2, S. 332. 288 Vgl. Stock: 1. Teil, S. 117. 287 Vgl. Stock: 3. Teil, Leipzig 1843, Bd. 1, S. 356. 288 Vgl. Stock: 1. Teil, S. 118. 289 Vgl. Fahne, A n t o n : Bd. 3, S. 250 (Qu. 235). 290 Vgl. Riedel, A . F., S. 192 (Qu. 236). 291 Vgl. Nyrop, C.: Bd. 1, Kopenhagen 1899 - 1900, S. 194 (Qu. 237).

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schriftlich fixiert. Das mag seinen Grund darin haben, daß der Beistand der Meister untereinander und der Zunft gegenüber den Meistern oft als so natürlich und zwangsläufig angesehen wurde, daß die ausdrückliche Niederlegung i n den Zunftordnungen unterblieb, während die Unterstützung erkrankter Gesellen nicht immer so selbstverständlich gewährt wurde und daher durch ausdrückliche Vorschriften gesichert werden mußte. Diese Bestimmungen folgten einem alten deutschen Rechtsgrundsatz: Wer einem Herrn dient, hat auch während einer Krankheit Anspruch auf Unterstützung. I m Hamburgischen Stadtrecht von 1270 wurde dieser Grundsatz folgendermaßen formuliert: „Is een man i n enes mannes deneste, vnde schut eme wat van vngelucke an syneme lyue ofte an siner sunt i n sines heren deneste, de here schal eme geuen syn vulle Ion, edder mer ofte he w i l 2 9 2 . " Die Unterscheidung „vngelucke an syneme lyue" und „an siner sunt" bedeutet wahrscheinlich die Trennung zwischen Unfall und Krankheit, die jedoch ohne Konsequenzen bleibt. Fast i n der gleichen Formulierung findet sich dieser Rechtssatz i m Hamburgischen Stadtrecht von 1292293 und von 1497294. Ebenso wurde er i n das Lübische Recht 295 und das Bremer Recht von 1303 und von 1428 aufgenommen 296 . Auch einige Zunftordnungen übernahmen diesen Grundsatz. So heißt es bei den Freiberger Böttchern 1511: „Dann hat er Ine gehalten inn gesuntheit, so halt er Ine auch i n kranknöthen 2 9 7 ," und die Ordnung der Schneider Rigas vom 16. März 1574 ordnete an: „ . . . w e n n ein Geselle von dem Allmächtigen m i t zufälliger Krankheit heimgesucht wird, soll er deswegen von seinem M e i s t e r . . . nicht aus dem Hause verstoßen werden 2 9 8 ." Ähnlich auch i n der Ordnung der Straßburger Zimmerleute (1478) die Vorschrift, der Meister müsse auch dem verunglückten Gesellen Essen 292 Vgl. Lappenberg, Johann M a r t i n : Die ältesten Stadt-, Schiff- u n d L a n d rechte Hamburgs, H a m b u r g 1845, Neudruck Aalen 1966, S. 48 (Qu. 238). 293 Vgl. Lappenberg, Johann M a r t i n : Die ältesten Stadt-, Schiff- u n d L a n d rechte . . . , S. 141 (Qu. 239). 294 Vgl. Lappenberg, Johann M a r t i n : Die ältesten Stadt-, Schiff- u n d L a n d rechte . . . , S. 234 (Qu. 240). 295 Vgl. Hach, Johann Friedrich: Das alte Lübische Recht, Lübeck 1839, S. 516 (Qu. 241). Anfang des 15. Jahrhunderts wurde „das ältere Hamburger Recht dem Lüb. R. hinzugefügt, u n d nicht lange nachher dem letzteren . . . grossen Theils einverleibt". Aus dieser Tatsache erklärt sich die fast v o l l ständige Identität der beiden Gesetzestexte. Hach, Johann Friedrich, S. 21. 296 Vgl. Oelrichs, Gerhard: Volstaendige Sammlung alter u n d neuer GesezBücher der Kaiserlichen u n d des Heil. Römischen Reichs Freien Stadt Bremen aus Original-Handschriften, Bremen 1771, S. 117 (Qu. 242) u n d S. 341 (Qu. 243). 297 Knebel, Konrad, S. 28. 298 Vgl. Stieda, Wilhelm, u n d Constantin Mettig, S. 493 (Qu. 244).

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und Trinken geben. Allerdings hatte der Knecht die arbeitsunfähigen Tage „nachzudienen" 299 . Möglicherweise erstreckte sich die Pflicht des Posamentiermeisters i n K ö l n (1760), seinen Lehrling so zu unterhalten, daß er nicht betteln müsse, auch auf den erkrankten Lehrjungen 3 0 0 . I n erster Linie waren bei den Zünften die Meister, Witwen, Gesellen und Lehrlinge selbst für die Aufbringung der M i t t e l bei Krankheit und anderen Notfällen verantwortlich. Wenn diese jedoch nicht mehr i n der Lage waren, sich selbst zu helfen, sprang die zunächst übergeordnete Instanz ein, d. h. bei den Meistern die Zunft, bei den Gesellen und Lehrlingen zunächst die Meister. Die Pflicht der Meister, auch den kranken Lehrjungen zu versorgen, ist allerdings nicht unbestritten und hat zumindest nicht immer und überall gegolten. I m Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 heißt es dazu: „Die Verpflegung eines kranken Lehrlings aus eigenen Mitteln, kann einem Meister, welcher dieselbe i m Vertrage nicht ausdrücklich übernommen hat, nicht zugemuthet werden 3 0 1 ." „Es müssen die Kosten von den Verwandten oder Vormündern des Lehrlings und allenfalls i n subsidium aus der Armencasse hergeschossen werden 3 0 2 ." Brauchte der Meister die Kosten nicht zu tragen, trat also die Armenkasse, d. h. die Zunft oder die örtliche Armenkasse i n diese Verantwortung ein und unterstützte den Erkrankten nach Vermögen. Diese Pflicht der Zunft — vor allem gegenüber den Gesellen — ist i n einer großen Zahl von Zunfturkunden niedergelegt. Die Arten der Hilfeleistung sind mannigfaltig und unterschiedlich i n ihrer Effizienz. Ihrer Darstellung gelten die folgenden Seiten. a) Gesundheitsvorsorge Wenn auch bei den Zünften von organisierter, systematischer Gesundheitsvorsorge noch keine Rede sein kann, so gab es doch i n der Frühzeit Ansätze dazu. Persönliche Sauberkeit ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Gesundheit, und darauf achteten auch die Meister bei ihren Gesellen und Lehrlingen. Aus diesem Grunde wurde 29β Vgl. Mone, F. J.: Zunftorganisation, i n : Zeitschrift f ü r die Geschichte des Oberrheins, Bd. 16, Karlsruhe 1864, S. 158 (Qu. 245). 300 Vgl. Kölner Stadtarchiv, Zunftakten Nr. 469 (Qu. 246). 301 Hattenhauer, Hans, Hrsg.: Allgemeines Landrecht f ü r die Preußischen Staaten v o n 1794, F r a n k f u r t — B e r l i n 1970, 2. Theil, Achter Titel, § 317, S. 462 (Qu. 247). 302 Kulenkamp, E. J., S. 245 - 246. Vgl. auch Fischer , I.: Historische Beiträge zur ärztlichen Standeskunde, Geschichte des Krankenkassenwesens, i n : M i t teilungen der Wiener Ärztekammer, Heft 6, Wien 1934, S. 86; Ponfick, Friedrich W i l h e l m : Geschichte der Sozialversicherung i m Zeitalter der Aufklärung, Diss. Dresden 1940, S. 33.

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i n vielen Zünften den Gesellen neben dem wöchentlichen Lohn ein Badegeld gewährt 3 0 3 . I n Leipzig erhielten bei den Riemern 1512 die Gesellen 14tägig, die Lehrlinge alle vier Wochen Badegeld. Die Sattler gewährten 1572 den Gesellen und Lehrlingen alle 14 Tage 3 Pfennig zu diesem Zweck 304 . — „ I n Nürnberg gingen die Zimmergesellen des städtischen Bauamtes 1425 alle 14 Tage eine Stunde vor der Zeit von der Arbeit zum Baden, ein Beispiel, das dann bei den Steinmetzen bald aber allgemeine Nachahmung fand 3 0 5 ." Einzelne Gewerke waren so sehr auf die Sauberkeit ihrer Gesellen bedacht, daß sie auf das Fernbleiben vom Bade eine Strafe von einem Wochenlohn setzten 306 . Vielfach war der bekannte „blaue Montag" unter anderem der Badetag der Gesellen 307 . Indes sanken i m Laufe der Zeit die Badegelder und wurden schließlich — wie auch der blaue Montag — gänzlich abgeschafft. Die bayerische Landesregierung verfügte diese Aufhebung 1533. Ganz allgemein schwand die Sitte des Badens i m 16. Jahrhundert immer mehr 3 0 8 , so daß dieser frühe Ansatz der Zünfte zu einer gewissen Gesundheitsvorsorge wieder verlorenging. b) Gewährung von Darlehen Meist wurde den Gesellen — wie auch den Meistern — materielle Hilfe durch die Zunft i n Form eines Darlehens gewährt. Dies geht allerdings nicht immer eindeutig aus dem Urkundentext hervor. So ordnete das Privilegium der Kupferschmiede der Chur- und Mark-Brandenburg (1645) lediglich an, die fälligen Strafen sollten nicht „unnutzlich angewendet, und verthan, sondern davon die Armen, wie auch nothurftige und krancke Gesellen bedacht, V n d ihnen etwass zue vnterhalt und pflegung gereicht werden, wie solches die Christliche Schuldigkeit erfordert und die billigkeit ist" 3 0 9 . 303 v g l Maurer, Ernst, S. 57; Düttmann, Heimpel , Hermann, S. 293. 304

Augustin, u n d Bülow, Hrsg., S. 10;

Vgl. Zöllner, Georg, S. 54. Mummenhoff, Ernst, S. 72 - 73. 306 Vgl. Zatschek, Heinz, S. 45. 307 Dieser vielumstrittene u n d hart umkämpfte freie Tag wurde i m 14. Jahrhundert noch m i t Lohnabzug u n d Kostentziehung seitens der Meister geahndet. I m 15. Jahrhundert setzte sich schließlich wöchentlich ein halber freier Tag oder vierzehntägig ein ganzer Tag mehr u n d mehr durch, u n d i m 16. Jahrhundert hatten sich die Gesellen den blauen Montag durchweg als ganzen oder wenigstens halben freien Tag als Recht erkämpft, dessen E i n haltung sogar durch den Gesellenverband erzwungen wurde. Vgl. Mummenhoff, Ernst, S. 7 0 - 7 1 ; zum „blauen Montag" vgl. auch Wissell, Rudolf: Des alten Handwerks Recht u n d Gewohnheit: Bd. 1, S. 378 - 390. 308 Vgl. Mummenhoff, Ernst, S. 73. 309 Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 213 (Qu. 173). 305

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Hier w i r d zwar gesagt, daß die kranken Gesellen eine Unterstützung erhalten sollen, jedoch nicht, i n welcher Form dies zu geschehen hat. Das gleiche gilt für eine entsprechende Bestimmung der Rade- und Stellmacherbrüderschaft i n Hamburg, i n deren Ordnung von 1599 es heißt: „Wenn ein Meister oder Geselle des Handwerks von Gott dem Allmächtigen ohne seine eigene Schuld m i t Krankheit heimgesucht wird, wollen w i r ihm nach Möglichkeit der Büchse helfen sofern er solche Hilfe begehrt 310 ." Theoretisch könnte es sich sowohl um ständige Leistungen (Wochengeld) als um einmalige Zahlungen i n Form eines Darlehens, als auch um Hilfe durch Naturalien handeln. Die Deutung, daß Darlehen gewährt wurden, ist zwar nicht mit Sicherheit richtig, jedoch sehr wahrscheinlich. Da i m weitaus überwiegenden Teil der Urkunden das Darlehen als Form der Unterstützung ausdrücklich gefordert wird, scheint ein solcher Analogieschluß erlaubt. So schreiben die Ordnungen der Straßburger Steinmetzen von 1459 und der Palierer von 1426 vor, den kranken Gesellen solle Hilfe aus der Büchse gewährt werden, die diese nach ihrer Genesung erstatten sollen 311 . Die Höhe des Darlehens blieb hier offen; sie w i r d sich nach den Bedürfnissen des Gesellen und nach dem Vermögen i n der Zunftkasse gerichtet haben. Das gleiche gilt für den entsprechenden Passus i m Privilegium der Müller zu Nauen und Cremmen. Wenn — wie es häufiger vorkam — ein Geselle bei der Arbeit verunglückte und für die Heilung nicht genügend Vermögen hatte, sollte i h m aus der Lade ein Vorschuß gegeben werden. Nach seiner Genesung mußte er sich beim Handwerk melden und sich m i t diesem über die Rückzahlung des Darlehens einigen. Nach Billigkeit wurde i h m die Erstattung ganz oder teilweise erlassen. Besaß er einiges Vermögen, so war er i n jedem Fall der Lade die Hälfte des erhaltenen Geldes schuldig 312 . Wie die Hilfeleistung von der Bedürftigkeit des Betroffenen abhing, so richtete sich also manchmal auch die Pflicht zur Rückzahlung des Darlehens nach dem Vermögen des Gesellen. Wenn w i r daher von Darlehen sprechen, so stimmt diese Bezeichnung zwar prinzipiell, doch wurde die Rückzahlungspflicht flexibel gehandhabt, und aus dem Darlehen konnte ein Almosen werden. I n den bisher genannten Quellen legte sich die Zunft nicht auf eine bestimmte Darlehenssumme fest, sondern entschied jeweils i m Einzel310 Vgl. Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S. 196 (Qu. 248). 311 Vgl. Heideloff, Carl: Die Bauhütte des Mittelalters i n Deutschland, Nürnberg 1844, S. 39 (Qu. 249) u n d S. 56 (Qu. 250), auch gedruckt bei Wissell, Rudolf: Des alten Handwerks Recht u n d Gewohnheit, Bd. 2, B e r l i n 1929, S. 691. 312 Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 456 (Qu. 251).

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fall, welche Summe dem Gesellen zur Verfügung gestellt werden konnte. Andere Zünfte nannten genaue Beträge oder legten eine Bandbreite fest, innerhalb deren sich das Darlehen bewegte. Der kranke Geselle der Pantoffelmacher-Zunft (1525) i n Lüneburg erhielt 4 bis 8 Schilling, rückzahlbar nach Genesung oder aus dem Nachlaß 313 . Wie bereits erwähnt, zahlten nicht nur die Meister, sondern teilweise auch die Gesellen ihre monatlichen Beiträge i n die Zunftkasse. Dadurch wurde ihre Berechtigung zu Unterstützungsforderungen noch untermauert. Da aber der Unterhaltspflicht und dem Unterhaltswillen der Zünfte oft durch die Höhe der vorhandenen M i t t e l Grenzen gesetzt waren, erhoben einige Zünfte bei Bedarf besondere Umlagen, damit der Unterhalt des oder der Kranken auf jeden Fall gesichert war. Eine solche Bestimmung findet sich ζ. B. i m Privileg der Zimmermeister von Havelberg (1668)314, ebenso bei den Böttchern i n Flensburg (1488), die 1 Schilling je Meister aufzubringen hatten. Starb der Geselle, wurde er von der Zunft begraben, und die Meister teilten diese Kosten 3 1 5 . c) Mehrmalige

Zahlungen

Die Sicherheit des Gesellen, überhaupt eine Unterstützung zu erhalten, war bei der Finanzierung durch Umlagen größer, da selbst reiche Zünfte nicht immer über ausreichende Barmittel verfügten. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß ein einmaliges Darlehen, selbst wenn es bestimmt gewährt wurde, bei langwierigen Krankheiten oft nicht ausreichte, den Gesellen vor Verarmung zu schützen. Die Wollenweber i n Konstanz trugen dem Rechnung, indem sie 1386 i n ihrer Ordnung festhielten: „Wenn ein Knecht krank wird, so sollen i h m die Meister auf sein Pfand 5 Schilling Pfennig aus der Büchse leihen; hat er kein Pfand, so sollen sie i h m das Versprechen abnehmen, daß er nicht aus der Stadt fahre, bevor er seine Schuld bezahlt hat. W i r d aber die Krankheit langwierig, so mögen sie i h m abermals 5 Schilling Pfennig m i t derselben Maßgabe leihen 3 1 6 ." Die Zunft baute also i n das Unterstützungssystem m i t Hilfe eines Darlehens gleich die Möglichkeit ein, bei langer Krankheit ein zweites Mal ein Darlehen zu gewähren. Einen Schritt weiter als die Wollenweber i n Konstanz gingen die Bender i n Frankfurt (1355). Das Darlehen i n Höhe von 3 Schilling 313

Vgl. Bodemann, Eduard, S. 172 (Qu. 252). Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 263 (Qu. 253). 315 Vgl. Nyrop, C.: Bd. 2, S. 417 (Qu. 254). 316 Vgl. Mone, F. J.: Die Weberei u n d ihre Beigewerbe i n Baden, Elsaß, Bayern u n d Rheinpreußen v o m 14. bis 16. Jahrhundert, i n : Zeitschrift f ü r die Geschichte des Oberrheins, Bd. 9, Karlsruhe 1858, S. 143 (Qu. 255). 314

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konnte so oft gewährt werden, bis eine Höchstsumme von 18 Schilling erreicht war, also insgesamt sechs mal 3 1 7 . Obgleich hier bereits eine bessere Krankensicherung vorliegt als bei der einmaligen Darlehensgewährung, bleibt doch auch diese Lösung unbefriedigend. Die höchste Stufe i m System der Sicherung gegen die einkommenswirksamen Risiken Krankheit und Unfall erreichte die Hamburger Bartscherer-Brüderschaft. Nach der Ordnung vom 14. Januar 1452 erhielt jeder kranke Knecht, der i n Not geriet und sein Geld nicht verspielt oder unnötig ausgegeben hatte, wöchentlich 4 Schilling aus der Büchse 318 . Hier ist keine Grenze mehr gesetzt. Dem Gesellen wurde eine regelmäßige Zuwendung gewährt, so lange er ihrer bedurfte. Eine Rückzahlungspflicht w i r d nicht erwähnt, sie kann jedoch nicht m i t Sicherheit ausgeschlossen werden. d) Eigene Gesellenladen innerhalb der Zunft Innerhalb einiger Zünfte und Brüderschaften hielten die Gesellen ihre eigene Büchse, i n die sie regelmäßige Beiträge zahlten und aus der dem Kranken aus ihrer Mitte geholfen wurde. Bei den Konthurmachern i n Hamburg erhob der Gesellen-Schaffer (Rechnungsführer) vierteljährlich 6 Pfennig „tho behoiff armer kranckenn gesellenn". Der Ältermann der Zunft und der Gesellen-Schaffer erhielten je einen Schlüssel, die beide zum öffnen der Lade gebraucht wurden. Bei Bedarf wurde dem kranken Gesellen eine Summe ausgezahlt, wobei der Ältermann darauf zu achten hatte, daß das Geld auch gut angewendet wurde 8 1 9 . Bei den Pantoffelmachern i n Bremen besaßen 1589 die Gesellen und Lehrjungen eine eigene Lade, i n die sie ihre Beiträge einbrachten und die für die Linderung der Not armer, kranker Knechte und Lehrjungen und für deren christliches Begräbnis bestimmt waren 3 2 0 . Ebenso sahen die Zimmerer, Tischler, Böttcher und Drechsler i n Lünen (1776) eigene Beiträge i n eine besondere Kasse unter Mitaufsicht der Meister vor 3 2 1 . Diese eigenen Gesellenladen innerhalb der Zunft waren entweder Vorläufer der vollends selbständigen Gesellenverbände oder die i n die Zunft zurückgegliederten Reste der vormals einflußreichen, zwangsweise aufgelösten Gesellenorganisationen. Dies gilt ζ. B. für die Urkunden aus Lünen 3 2 2 . 317

Vgl. Vgl. (Qu. 257). 319 Vgl. (Qu. 258). 320 Vgl. 321 Vgl. 318

7 Fröhlich

Böhmer, Joh. Friedrich, S. 648 (Qu. 256). Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , Rüdiger,

S.9

Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S. 153

Böhmert, Victor, S. 84 (Qu. 259). Nigge, Franz, S. 110 (Qu. 260) u n d S. 120 (Qu. 176).

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1 Teil,

. Soziale Sicherung bei den

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Die soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden werden w i r i m folgenden Teil dieser Arbeit gesondert behandeln. Hier sei noch eine weitere Zwischenstufe zwischen Zünften und Gesellenverbänden erwähnt: Brüderschaften, i n denen Meister und Gesellen gleichberechtigte Mitglieder waren. So hielten die Meister und Gesellen der Schmiede i n Hildesheim 1539 eine „Brüderschaft i n der Martinikirche". Aus der Büchse wurde kranken Gesellen ein Darlehen gegeben. Ferner wurde bestimmt, daß die Knechte nach altem Brauch bei dem Kranken wachen sollten 828 . e) Pflege, Unterbringung

im Hospital

Die Hildesheimer Urkunde zeigt, daß die Unterstützung der kranken Gesellen durch die Zünfte über die rein finanzielle Hilfe hinausging. Es wurden nicht nur Barleistungen, sondern auch Sachleistungen geboten, hier ζ. B. Krankenwache. Die Verpflichtung der Meister, den Gesellen auch bei Arbeitsunfähigkeit zu verpflegen, haben w i r bereits erwähnt 3 2 4 . Die Quellen 244 und 245 zeigen, daß die Meister ausdrücklich durch Zunftsatzung gehalten waren, den kranken Gesellen nicht nur nicht aus dem Hause zu schicken, sondern ihm weiterhin Unterkunft zu gewähren und ihn darüber hinaus zu ernähren hatten. Aus der Tatsache, daß eine schriftliche Fixierung dieses Grundsatzes für erforderlich gehalten wurde, geht hervor, daß ein solches Verhalten w o h l nicht selbstverständlich war. Ob der Geselle i m Meisterhaus auch Pflege erhielt, läßt sich nur schwer beurteilen. Quellen hierzu liegen leider nicht vor. Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, daß die Meisterfrau i h m ζ. B. Umschläge machte, Heiltees bereitete und kleinere Wunden verband, Handreichungen also, die auch vom Laien erbracht werden konnten und keine oder nur geringfügige Kosten verursachten. Sicherlich kam der Meister nicht für die Kosten intensiver Pflege durch Fachkräfte — etwa den Barbier — und Medikamente auf. Wenn der Geselle diese nicht selbst finanzieren konnte, sprang allenfalls die Zunft helfend ein. Bei den Maurern Revals (1762) sollen der Ältermann und die Beisitzer den unvermögenden Kranken (Meistern, Witwen, Gesellen und Lehrlingen) „Pflege und Wartung darreichen lassen und solches aus der Amtslade bezahlen". Aber auch hier waren die verursachten Kosten nach Genesung zu erstatten 825 . 322

Vgl. dazu Nigge, Franz, S. 107 - 108 (Qu. 261). Vgl. Doebner, Richard: Bd. 8, S. 683 (Qu. 262). 324 v g i # T e i l 1, Β V I 2: Unterstützung der Gesellen u n d Lehrlinge. 325 v g L Stadtarchiv Reval, Neue Abteilung, nach Wissell, Rudolf: soziale Gedanke . . . , S. 57 (Qu. 263). 323

Der

VI. Sicherung bei Unfall und Krankheit

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Die Zunft bot also zwar die Sachleistung „Pflege und Wartung" an, doch waren die Auswirkungen für den Gesellen gleich der Barleistung „Darlehen". Nach Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit mußte der Geselle versuchen, den von der Zunft vorgelegten Betrag aufzubringen. Der Unterschied bestand darin, daß dem Gesellen nicht lediglich eine bestimmte Geldsumme zur Verfügung gestellt wurde, m i t deren Hilfe er sich selbst u m ärztliche Behandlung, Medikamente usw. bemühen mußte, wobei nicht gewährleistet war, daß das Darlehen zur Finanzierung der Heilkosten ausreichte, sondern daß i h m die Pflege selbst gestellt wurde, deren Kosten sich erst i m nachhinein berechnen ließen. Damit wurde erreicht, daß das Risiko des Schwerkranken, der K r a n k heit zu erliegen, nicht zusätzlich aus finanziellen Gründen erhöht wurde. Eine weitere Reduzierung dieses Risikos erreichten einige Zünfte, indem sie besondere Krankenstuben i m Hospital hielten, i n die die Gesellen eingewiesen werden konnten 8 2 8 . Die größeren Heilchancen i m Hospital wurden von den Zünften zum Teil auch ohne feste Verträge genutzt. So bestimmten die Bader i n der Alten Mark und i n Prignitz 1669, daß der schwerkranke Geselle auf Zunftkosten i m Hospital oder wo er es sonst wünschte, gepflegt wurde. Doch auch hier galt der Grundsatz der Kostenerstattung durch den Gesellen, sofern sie i h m von der Innung nicht erlassen wurde 8 2 7 . I n Königsberg schlossen einige Gewerke einen Vertrag m i t dem Stadtchirurgen, der eine bestimmte Summe aus der Lade erhielt und als Gegenleistung die jeweils Kranken des Handwerks behandelte 828 . Hier bestand vermutlich keine Rückzahlungspflicht, da der Zunft nicht die Kosten einer bestimmten Behandlung i n Rechnung gestellt wurden, sondern der Arzt eine von seinen effektiven Leistungen unabhängige Pauschale erhielt. 3. „Familienmitversicherung"

I n den vorangegangenen Abschnitten haben w i r untersucht, ob und auf welche Weise die Zunft ihre Meister, Meisterwitwen, Gesellen und Lehrlinge gegen die Folgen des Risikos Krankheit sicherte. Bisher unerwähnt blieb, ob die „Fürsorgepflichtverordnung" 329 auch die Frau des Meisters und dessen Kinder einschloß, ob es also schon bei den Zünften Vorläufer der heutigen Familienmitversicherung gab. Aus dem Gründungsgedanken der Zünfte, Schutz- und Beistandsbündnis für alle 326 v g l . Baczko, L u d w i g von: Versuch einer Geschichte u n d Beschreibung Königsbergs, 2. Aufl., Königsberg 1804, S. 233. Z u den Verträgen zwischen Zünften u n d Hospitälern vgl. T e i l 1, Β V I 1 e: Krankenpflege, Unterbringung i m Hospital, eigene Hospitäler. 327 328 329



Vgl. Meyer, M o r i t z : Bd. 1, S. 290 (Qu. 264). Vgl. Baczko, L u d w i g von, S. 233. Wisseil, Rudolf: Der soziale G e d a n k e . . . , S. 56.

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. Soziale Sicherung bei den

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Mitglieder i n allen Notlagen des Lebens zu sein und „Freud und Leid" miteinander zu teilen, ließe sich diese Frage mit einem eindeutigen „ j a " beantworten, denn auch die Angehörigen der Meister waren — passive — Mitglieder der Zunft und unterlagen deren Moralkodex. Zu diesem Schluß kommen auch Schirbel 330 und Peters 331 , ohne es jedoch durch Quellen zu belegen. Eine grundsätzliche Familienmitversicherung durch Urkunden zu belegen, ist kaum möglich. Lediglich i m Privilegium der Fleischhauer i n Berlin und Cölln (1696) findet sich die Bestimmung, daß Meister, Meisterin und Geselle aus dem Vorrat der Lade gepflegt werden sollten 3 3 2 ; die Meisterkinder wurden i n keiner der gesichteten Urkunden i n diesem Zusammenhang erwähnt. Man bleibt also auf Vermutungen angewiesen. Wie bereits mehrfach betont, wurden keineswegs alle Zunftbräuche i n den Ordnungen schriftlich niedergelegt. Vieles wurde gewohnheitsmäßig gehalten. Dazu mag auch die Unterstützung bei Krankheit der Familienangehörigen zählen. I n jedem Fall erhielt aber der Meister, wenn er die Heilkosten für seine kranke Frau oder Kinder nicht aufbringen konnte, von der Zunft ein Darlehen, da er sich i n einer Notlage befand, aus der i h m die Innung half. Indirekt gab es also m i t Sicherheit auch eine finanzielle Unterstützung der Familienangehörigen. Ob sie auch i n die Sachleistungen der Zunft — Pflege und Unterbringung i m Hospital — eingeschlossen waren, muß offenbleiben. Ausgeschlossen ist es nicht. Fassen w i r zusammen: Das finanzielle Risiko von Krankheit und Unfall eines Meisters suchten die Zünfte durch Stellung eines Gesellen, der die Arbeit fortführte und/oder durch Gewährung von Darlehen zu mindern. Verbessert wurde das System bei einigen Innungen, die statt eines einmaligen Darlehens wöchentlich eine Summe an den Betroffenen auszahlten. Schließlich entwickelten sich zunfteigene Krankenkassen unter städtischer Kontrolle m i t freiwilligen Mitgliedern. Großes Handikap dieser Vorläufer unserer heutigen Krankenkassen blieb die fehlende Defizitdeckung durch übergeordnete, finanzstarke Organisationen (Stadt usw.). Den Gesundungsprozeß suchten die Zünfte durch eigene Krankenpflege (Krankenwache) und/oder durch Verträge m i t Hospitälern positiv zu beeinflussen; dort erhielten die Kranken Unterkunft und sachkundige Pflege; reiche Zünfte gründeten eigene Hospitäler. Die soziale Sicherung der Gesellen und Lehrlinge durch die Zünfte lehnte sich stark an die der Meister an. Es wurden einmalige Darlehen oder auch mehrfach bestimmte Summen zur Unterstützung und Über330

331 332

Vgl. Schirbel, Eugen, S. 85. Peters, Horst, S. 22.

V g l #

Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 489 (Qu. 265).

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brückung finanzieller Schwierigkeiten ausgezahlt. Teilweise kam es zur Gründung eigener Gesellenladen innerhalb der Zünfte. Wie die Meister erhielten auch kranke Gesellen Pflege durch die Zunft selbst oder i n Vertragshospitälern. Ob es bei den Innungen bereits Vorläufer der heutigen Familienmitversicherung gab, ist schwer zu beurteilen; die Quellen geben hierüber kaum Auskunft. M i t Sicherheit läßt sich nur sagen, daß der Meister selbst finanzielle Unterstützung durch die Zunft erhielt, wenn er wegen Krankheit oder Unfall eines Familienmitgliedes i n Geldnot geriet. V I I . Sicherung im Todesfall Der Tod eines Handwerksmeisters stellte der Zunft als sozialer Einrichtung folgende Aufgaben: 1. Sorge für das Begräbnis 2. Versorgung der Meisterwitwen 3. Weitere Ausbildung der Lehrlinge Ob und i n welcher Form die Zunft diesen Aufgaben gerecht wurde, soll nun untersucht werden 3 3 3 . 1. Sorge für das Begräbnis

a) Pflicht zur Teilnahme am Begräbnis, seelsorgerische Leistungen Die Verbundenheit der Zunftgenossen fand ihren letzten Ausdruck beim Tod eines Bruders. Für jedes Mitglied war die Teilnahme am Begräbnis eine ausdrücklich auferlegte Pflicht, deren Nichtbefolgung unter Strafe stand. Die ganze Zunft gab, vielfach einschließlich der Frauen und Kinder, dem Toten das letzte Geleit, so z. B. bei den Bendern zu Frankfurt 1355334, den Eisenschmieden zu Trier 3 3 5 , den Gärtnern (1260) und Spinnwettern (1271) zu Basel 336 , den Bäckern i n Hildesheim (1543)337 und den Barbieren i n K ö l n (1468)338. I n Basel (1438) folgten die Meister und „Sechs" aller Zünfte der Leiche eines Oberzunftmeisters und von jeder Zunft wurden ihm sechs 333 Die Sorge f ü r die K i n d e r eines verstorbenen Meisters wurde bereits i n T e i l 1, Β V 1: Soziale Sicherung i n K i n d h e i t u n d Jugend behandelt u n d entfällt daher i n diesem Abschnitt. 334 Vgl. Böhmer, Joh. Friedrich, S. 648 (Qu. 266). 335 Vgl. Lacomblet, Theodor Jos.: Archiv f ü r die Geschichte des Niederrheins, S. 270 (Qu. 267). 336 Vgl. Ochs, Peter: Geschichte der Stadt u n d Landschaft Basel, Bd. 1, B e r l i n — Leipzig 1786, S. 354 - 355 (Qu. 268) u n d S. 404 - 405 (Qu. 269). 337 Vgl. Doebner, Richard: Bd. 8, S. 703 (Qu. 270). 338 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 2, S. 42 - 43 (Qu. 271).

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Wachskerzen nachgetragen 339 . Bei den Krämern i n Lübeck (1501) sollten die jüngsten Brüder die Leiche zu Grabe tragen 340 . Eine ähnliche Bestimmung findet sich bei den Schneidern und Tuchscherern i n Frankfurt 1352: Die vier jüngsten Meister sollen die Leiche eines Erwachsenen, der jüngste die eines Kindes tragen 341 . I n Totenmessen wurde gemeinsam für das Seelenheil des Verstorbenen gebetet und geopfert. Die Bäcker i n Aachen ließen hundert Seelenmessen beim Tode eines Zunftbruders lesen 342 . Auch hier war die Teilnahme Pflicht, und sogar der Opferbetrag war vielfach genau bestimmt, so ζ. B. bei den Krämern i n Lüneburg um 1350, die jeder 2 Pfennig opfern mußten 3 4 3 . War die Teilnahme nicht für jeden Amtsgenossen vorgeschrieben, so mußte doch aus jedem Hause wenigstens eine Person i n der Messe sein 344 . Darüber hinaus wurde dem Priester der Kirche häufig ein jährlicher Betrag übergeben, damit er wöchentlich i n einer Messe aller Verstorbenen des Amtes gedenke. Sehr ausführliche Angaben hierüber enthält eine Urkunde der Krämer i n Lüneburg (1350): Der Priester erhielt jährlich 1 Mark, damit er jeden Donnerstag eine Messe für die Lebenden und jeden Montag für die Verstorbenen der Gilde halte, die „Brüder zu unserer lieben Frau" erhielten 4 Schilling zum Gedenken der lebenden und toten Brüder, der Kaplan zu St. Johann 8 Witte zu gleichem Zwecke. Der Küster zu St. Johann empfing 5 Witte, damit er die Kerzen besorge 345 . Gehören diese Zunftleistungen auch nicht zur sozialen Sicherung i m heutigen Sinne, so ist doch die Gewißheit, ein ehrenvolles Begräbnis und durch Messen und Gebete die Fürbitte der Brüder nach dem Tode zu erhalten, für den mittelalterlichen Menschen von weit größerer Bedeutung als i m allgemeinen für den heutigen Menschen. Zahlreiche fromme Stiftungen an Klöster und Kirchen unter der ausdrücklichen Bedingung, regelmäßig am Todestage Messen lesen zu lassen, zeugen von dieser Einstellung. Das Leben nach dem Tode war für den mittelalterlichen Menschen eine Realität: „Darum kann der Mensch auch nach dem Tode seiner Leibgegebenheit und nach Auflösung der bloß vegeta339 Vgl. Ochs, Peter: Bd. 3, Basel 1819, S. 538 (Qu. 272). 340 vgl. Wehrmann, C., S. 284 (Qu. 273). 341 Vgl. Böhmer, Joh. Friedrich, S. 624 (Qu. 274); vgl. auch Kriegk, Georg L u d w i g : Frankfurter B ü r g e r z w i s t e . . . , S. 368. 342 Vgl. Hermandung, A l e x : Das Zunftwesen der Stadt Aachen bis zum Jahre 1681, Diss. Münster, Aachen 1908, S. 89. 343 Vgl. Bodemann, Eduard, S. 134 (Qu. 275). 344 Vgl. Wehrmann, C., S. 284 (Qu. 276). 345 Vgl. Bodemann, Eduard, S. 134 (Qu. 277).

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tiven und animalischen Seele immer noch als Individualität in seiner puren Geistform existieren 346 ." Der Bezug zwischen diesseitigem und jenseitigem Leben lag i n der Möglichkeit, das Leben nach dem Tode durch einen den christlichen Glaubenssätzen entsprechenden Lebenswandel positiv zu gestalten. Durch Gebete und Messen konnten auch die Hinterbliebenen zu seinem Seelenheil beitragen 347 . Der Handwerksmeister entrichtete seine Eintrittsgebühr und seine regelmäßigen Beiträge nicht zuletzt auch i n Erwartung dieser Leistungen nach seinem Tode, was uns eine ausreichende Berechtigung erscheint, auch diese mehr seelsorgerischen Leistungen i n dieser Arbeit darzustellen. Zudem ist zu berücksichtigen, daß bei den i m Mittelalter häufigen Pesterkrankungen die Ansteckungsgefahr bei der Beerdigung eines solchen Toten groß war und seine Bestattung wohl häufig nicht gesichert gewesen wäre, hätte nicht die Verpflichtung dazu i n der Zunftordnung bestanden. Dieser Gesichtspunkt w i r d i n der Glaserordnung vom 29. Oktober 1511 i n Greifswald berücksichtigt 348 , und auch i n der Rolle der Sayenmacher i n Hamburg von 1613 w i r d die Pflicht, die Leiche zu Grabe zu tragen, ausdrücklich auch auf Pestzeiten ausgedehnt 349 . — Bei den Buchbindern i n Hamburg (1559 - 1592) müssen die jüngsten Meister, wollen sie wegen der schweren Krankheit des Verstorbenen die Leiche nicht tragen, andere ehrliche Leute an ihrer Statt besorgen 350 . Der Tod einer Meisterfrau oder eines Kindes, eines Gesellen oder Lehrlings legte den Zukunftsmitgliedern i n der Regel die gleiche Pflicht zu einer ehrenvollen Bestattung und zur Abhaltung der Vigilien auf 3 5 1 . Auch dem außerhalb der Stadt oder gar des Landes verstorbenen Meister wurde dieser letzte Dienst erwiesen. Wiederum können w i r hier die i n dieser Hinsicht sehr ausführliche Urkunde der Krämer i n Lüneburg zum Beleg heranziehen. Sie sagt: „Stirbt einer aus unserem Handwerke außerhalb des Landes, den wollen w i r m i t Vigilien und Seelenmessen begehen, als ob er anwesend wäre 3 5 2 ." 846 Rombach, Heinrich: Substanz, System, Struktur, Bd. 1, Freiburg — München 1965, S. 70. 347 Über die Bedeutung der eschatologischen Anschauungen i m Mittelalter auf die praktische P o l i t i k vgl. Bernheim, Ernst: Mittelalterliche Zeitanschauungen i n ihrem Einfluß auf die P o l i t i k u n d Geschichtschreibung, T e i l I : Die Zeitanschauungen, Tübingen 1918, S. 63 ff. 348 Vgl. Krause, Oskar, u n d K a r l Kunze: Bd. 1, S. 150 (Qu. 278). 349 Vgl. Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S.222 (Qu. 279). 350 Vgl. Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . S. 41 - 42 (Qu. 280). 351 Vgl. z. B. Hohmann, Josef: Das Zunftwesen der Stadt Fulda von seinen Anfängen bis zur M i t t e des 17. Jahrhunderts, Fulda 1909, S. 119. 352 Vgl. Bodemann, Eduard, S. 134 (Qu. 281).

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Die Ordnung der Maurer, Gipser, Zimmerleute, Faßbinder, Wagner, Wanner und Drechsler zu Basel vom 13. Dezember 1271 geht i n ihrer Bestimmung noch einen Schritt weiter: Verstarb ein Zunftgenosse innerhalb drei Meilen von Basel und war so arm, daß sein Nachlaß ein ehrenvolles Begräbnis nicht erlaubte, so überführte i h n die Zunft auf ihre Kosten i n die Stadt und beerdigte ihn, wie es üblich war 3 5 3 . Eine ähnliche Regelung galt bei den Fischern i n Riga 1829: Starb ein Fischer außerhalb 5 Meilen, wurde er auf Zunftkosten überführt, und auch die Begräbniskosten wurden getragen, wenn der Verstorbene zu arm war 3 5 4 . b) Stellung von Leichengerät und Kerzen, zunfteigene Begräbnisstätten Dieses letzte Beispiel zeigt, daß sich die Anteilnahme der Zunft keineswegs auf die Beteiligung am Begräbnis und auf die Seelsorge beschränkte. Die meisten Innungen besaßen eigenes Leichengerät, bestehend aus Bahren und Tüchern, die bei einem Begräbnis gestellt wurden 3 5 5 ; ebenso sorgte die Zunft vielfach für die bei Bestattung und Totenmesse nötigen Kerzen. Dies sind echte soziale Leistungen, da sie i m anderen Fall dem Zunftmeister bzw. dessen Angehörigen Kosten verursacht hätten. Häufig erwarben die Zünfte eine eigene Begräbnisstätte und enthoben den einzelnen auch dieser finanziellen Belastung. So hatte die St. Martinsbrüderschaft der Müller i n Hamburg 1456 einen eigenen Friedhof 35®. Eigene Grabstätten hatte auch die Brüderschaft St. Anna der Lederzurichter i n K ö l n (1516). A u f Wunsch wurde jeder Bruder oder jede Schwester dort begraben 357 . Ähnliches gilt für die Maler i n K ö l n 3 5 8 und die Schilder- und Glasmacher 359 . Von dem Erwerb einer Begräbnisstätte handelt auch die älteste deutsche Zunfturkunde der Mainzer Weber von 10993®0. 858 Vgl. Wackernagel, Rudolf, u n d Rudolf Thommen: Bd. 2, Basel 1893, S. 44 (Qu. 282). 854 Vgl. Bunge, Friedrich Georg von, Sp. 316 - 317 (Qu. 283). 855 Vgl. ζ. B. Baczko, L u d w i g von, S. 233. 3δβ Vgl. Rüdiger, Otto: Die ältestens Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S. 170 - 171 (Qu. 284). 857 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 2, S. 541 (Qu. 285). äse Ygi # Ennen, Leonhard: Geschichte der Stadt K ö l n meist aus den Quellen des Kölner Stadt-Archivs, Bd. 1, K ö l n — Neuß 1863, S. 742 (Qu. 286), u n d Aldenhoven, Carl: Geschichte der K ö l n e r Malerschule, Lübeck 1902, S. 363 A n m . 21. 859

Vgl. K ö l n e r Domblatt Nr. 172, K ö l n , den l . J u l i 1859, o.S. (Qu. 287), ferner gedruckt bei Kleinermanns, Joseph: Die Heiligen auf dem bischöflichen bezw. erzbischöflichen Stuhle v o n K ö l n , 1. Teil, K ö l n 1895, S. 42 (Qu. 288). 3βο v g l . ioannis, Georg Christian, S. 518-519 (Qu. 2). Vgl. auch Below, Georg von: Probleme der Wirtschaftsgeschichte, S. 289, u n d Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Zunftrollen . . . , S. X X X I I .

VII. Sicherung im Todesfall

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c) Übernahme der Begräbniskosten I n der Regel übernahm die Zunft die vollen Begräbniskosten, wenn die Hinterbliebenen des Verstorbenen sie nicht aufbringen konnten. Ausdrückliche Bestimmungen darüber finden sich z. B. bei den Gärtnern, Obstern und Händlern zu Basel (1260)361 und den Lakenwebern i n Osnabrück 1347362. Die Pantoffelmacher i n Bremer (1589) besorgten i m Notfall den Sarg auf ihre Kosten 3 6 3 , desgleichen i n Lüneburg die Bader 1361, die Kürschner und die Deckenmacher (1601)364. Für verstorbene Söhne und Töchter von Zunftmitgliedern der Sagerbrüderschaft i n Hamburg (1581-1683) zahlte diese für Kinder bis zu fünf Jahren 1 Reichstaler, von fünf bis zehn Jahren 2 Reichstaler und von zehn bis zum heiratsfähigen Alter 3 Reichstaler aus der Armenlade zum Begräbnis 365 . — Die Schusterinnung i n Würzburg Schloß 1169 einen Vertrag m i t dem Stift Neumünster, nach dem die Schuhmacher und deren Frauen gegen freiwillige Spenden an das Stift ein ehrenvolles Begräbnis erhielten. U m aber dem Pfarrer keinen Grund zum Tadel wegen eines allzu ungünstigen Vertrages zu geben, oder w e i l er übergangen worden sei, wurde zusätzlich eine Zahlung der Zunft an den Pfarrer und seinen Koadjutor von 30 Denaren je Begräbnis vereinbart 3 6 6 . Die Übernahme der Begräbniskosten bei A r m u t des Verstorbenen kann wohl bei den meisten Zünften als die Regel betrachtet werden, auch soweit die Quellen keine ausdrücklichen Bestimmungen hierüber enthalten. Schon allgemeine Formulierungen wie „Lieb und Leid miteinander tragen", „ i n Notfällen dem Bruder beistehen" und ähnliche lassen m i t ziemlicher Sicherheit auf diese Leistungen der Zunft schließen, allerdings immer unter der Voraussetzung, daß die finanziellen M i t t e l dazu ausreichten. Die Böttcher zu Flensburg besorgten auch das Begräbnis eines arm verstorbenen Gesellen auf Zunftkosten 3 6 7 , desgleichen die Fleischhauer i n Berlin (1696)368 und die Glaser i n Greifswald (1511)369. sei vgl. Wackernagel, Rudolf, u n d Rudolf Thommen: Bd. 1, S. 316 (Qu. 289); gleiche Urkunde i n etwas anderer Schreibweise vgl. Ochs, Peter: Bd. 1, S. 355 (Qu. 290). 382 Vgl. Philippi, F.: Die ältesten Osnabrückischen Gildeurkunden, Festschrift zur 19. Jahresversammlung des Hansischen Geschichtsvereins, Osnabrück 1890, S. 6 (Qu. 291). Vgl. dazu auch Hähnsen, Fritz, S. 58. 363 Vgl. Böhmert, Victor, S. 87 (Qu. 292). 364 Vgl. Scheschkewitz, Ulrich, S. 196. 3β5 ygi. Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S. 208 (Qu. 293). 3ββ Vgl. Gramich, V., S. 69 (Qu. 294). 3β7 V g L Peters, Horst, S. 24 (Qu. 112). 368 309

Vgl. Meyer, M o r i t z : Bd. 1, S. 489 (Qu. 265). Vgl. Krause, Oskar, u n d K a r l Kunze: Bd. 1, S. 143 (Qu. 295).

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1. Teil,

. Soziale Sicherung bei den

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Eine generelle Übernahme der Begräbniskosten durch die Zunft ist i n den von uns benutzten Quellen seltener überliefert, kommt jedoch ζ. B. bei den Badern in Lüneburg (1361) vor (wenn man das Fehlen einer einschränkenden Bestimmung bereits als Beweis ansehen kann) 3 7 0 . d) Begräbnis- oder Sterbekassen (Totenladen) I n der Regel wurde also m i t der Beitragszahlung kein allgemeiner Anspruch gegen die Zunft auf volle Übernahme der Begräbniskosten begründet — wie bei allen anderen Unterstützungsmaßnahmen war durchweg Bedürftigkeit Bedingung für die Gewährung. Trotz dieser Einschränkung finden w i r i n diesen Leistungen der Zunft eine frühe Quelle unserer heutigen Lebensversicherung 371 . Das w i r d noch deutlicher i n den Fällen, i n denen die Zünfte eigene Begräbnis- oder Sterbekassen einrichteten, die beim Tod eines Meisters oder seiner Frau eine bestimmte Summe auszahlen mußten. Schon bei den Badern i n Lüneburg fand sich die Bestimmung, daß man beim Tod eines Genossen neben dem Begräbnis auf Kosten der Zunft einen Schilling Pfennig auszahlen mußte, hier allerdings aus der allgemeinen Zunftkasse 372 . I n Mainz besaß die Schneiderzunft schon 1397 eine eigene Sterbekasse. Diese umfaßte nicht nur die Meister, sondern auch die Gesellen, bei deren Tod ebenfalls eine bestimmte Summe ausgezahlt wurde 3 7 3 . Nach der Reformation entwickelten sich eine Reihe von Brüderschaften zu sogenannten Totenladen oder Sterbekassen; oft blieben Amt, Brüderschaft und Totenlade miteinander verschmolzen 374 . I n K ö l n trat der Gedanke der Hilfe i n materieller Not erst i m 18. Jahrhundert i n größerem Umfang neben den des seelsorgerischen Beistandes 375 . Damit fand auch die Unterstützung i m Todesfall erst um diese Zeit größeren Beachtung, und es entwickelten sich eigene Begräbniskassen, die sogar häufig auf freiwilliger Basis bestanden — im Gegensatz zu dem in der Geschichte der Zünfte sonst überall geltenden Grundsatz der Zwangsmitgliedschaft. 370

Vgl. Bodemann, Eduard, S. 23 (Qu. 296). Vgl. Ehrenberg, Richard: Studien zur Entwicklungsgeschichte der V e r sicherung, i n : Zeitschrift f ü r die gesamte Versicherungswissenschaft, Bd. 2, B e r l i n 1902, S. 123; Büchner, Franz: Grundriß der Individualversicherung, 5. Aufl., Karlsruhe 1966, S. 23; Schevichaven, J. v a n : V o m Leben u n d Sterben. Das Gestern u n d Heute der Lebensversicherung, Leipzig — Wien 1898, S. 8 - 9. 372 Vgl. Bodemann, Eduard, S. 23 (Qu. 296). 373 Vgl. Mone, F. J.: Zunftorganisation, Bd. 17, S. 49 (Qu. 297). 374 Vgl. Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Zunftrollen . . . , S. X X X I I I . 375 Vgl. Arentz, L u d w i g : Die Zersetzung des Zunftgedankens, nachgewiesen an dem Wollenamte u n d der Wollenamtsgaffel i n K ö l n , K ö l n 1935, S. 74. 371

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So stellten die Posamentmeister am 29. März 1728 eine Begräbnisordnung auf, die der Rat 1733 bestätigte. Sie vereinbarten eine wöchentliche Zahlung von 2 Albus i n eine besondere Kasse, die bei ihrem Tode der Witwe 10 Reichstaler auszahlen mußte 3 7 6 . — A m 28. Juni 1737 verbot der Rat der Stadt Bremen die Errichtung einer Perrückenmacherzunft, gestand ihnen jedoch die Einrichtung einer „Noth- und Todtencasse" zu 3 7 7 . I m 18. Jahrhundert wurden von verschiedenen Kieler Handwerksämtern besondere Totenkassen gegründet, „die dem mittelalterlichen Charakter des Amtes als gemeinnütziger Brüderschaft eine neue Form gab(en)". Die erste besondere Totenkasse unterhielt wahrscheinlich das Schusteramt, i n dessen Akten sie am 21. A p r i l 1744 erwähnt wird. A m 13. Februar 1747 errichteten die Maurer-Meister sowie einheimische und fremde Gesellen eine Totenlade, deren Verwaltung jedoch von der Amtslade nicht getrennt war. Zu ihrer Unterhaltung wurde von den Meistern und Gesellen vierteljährlich eine Zulage von 2 Schilling, seit 1754 von 4 Schilling, zu dem ordentlichen Zeitgeld erhoben. Die Auszahlung des Totengeldes war auf die Amtsmitglieder und deren Frauen beschränkt. Eine Auszahlung sollte ferner nicht erfolgen, wenn in Pestzeiten ein christliches Begräbnis nicht möglich war. Für alle Mitglieder bestand die Verpflichtung, durch Umlage einen Zuschuß zu zahlen, wenn die Ansprüche an die Kasse die vorhandenen Mittel überstiegen. Die steigenden Auszahlungsquoten zeigen jedoch, daß eine solche Umlage wohl kaum jemals fällig war (von 1747 bis 1763 stieg die Quote fast um das dreifache). Das Kieler Schneideramt beschloß am 22. September 1772 die Gründung einer Totenkasse, die am 30. Oktober durch Bestätigung des Rats vollzogen wurde. I m Unterschied zur Kasse der Maurer war hier der Beitritt freiwillig, woraus sich zwangsläufig ergab, daß keine feste Summe ausgezahlt werden konnte, sondern die Höhe des Leichengeldes sich nach den Kassenverhältnissen richtete. Bei beiden Kassen „galt das Leichenrecht nur als eine Verpflichtung des Amtes für ein ordentliches Begräbnis, nicht als eine Lebensversicherung. Fand eine Beerdigung nicht statt oder konnte sie bei ansteckenden Krankheiten nicht i n hergebrachter Weise stattfinden, so unterblieb die Auszahlung des Sterbegeldes" 378 . Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der Totenkassen ständig, und schließlich blieben nur die kleineren Ämter der Weißgerber, Reepschläger, Töpfer, Buchbinder, Färber und Leineweber ohne diese Einrichtung 3 7 9 . 379 377 378 379

Vgl. Kölner Stadtarchiv, Zunftakten Nr. 469 (Qu. 298). Vgl. Böhmert, Victor, S. 37 - 38. Hähnsen, Fritz, S. 172 - 175. Vgl. Hähnsen, Fritz, S. 436.

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. Soziale Sicherung bei den

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I n Görlitz bestand die Begräbniskasse der Tuchmacherzunft noch um 1850; dies ist wohl als Indiz zu werten, daß solche Kassen entweder als eigenständige Institutionen oder i m Rahmen der allgemeinen Zunftkasse geführt wurden 3 8 0 . Baczko berichtet aus Königsberg, daß dort verschiedene Gewerke eine eigene Sterbekasse hatten, „von welcher, wenn ein Meister oder dessen Frau stirbt, eine gewisse Summe ausgezahlt w i r d " 3 8 1 . — Die Meister der Zerbster Innungen hielten ebenfalls meist eigene Begräbniskassen, aus denen die Kosten für die Beerdigung oder zumindest ein Teil davon beglichen wurde 3 8 2 . Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Zunft ihre erste Aufgabe beim Tod eines Meisters, die Sorge für das Begräbnis, recht gut erfüllte: Sie stellte Leichengerät und Kerzen, vielfach den Sarg, manchmal die Begräbnisstätte und übernahm in Notfällen oder sogar generell die gesamten anfallenden Kosten. I n späterer Zeit häufiger zu findende eigene Begräbniskassen zahlten eine bestimmte Summe an die Hinterbliebenen des Verstorbenen, sofern dieser regelmäßig Beiträge geleistet hatte, oder die Begräbniskasse finanzierte die Beerdigungskosten. 2. Versorgung der Meisterwitwen

Aus der Auffassung der Zunft als einer großen Familie — die Bezeichnungen Zunftbruder, Amtsverwandte weisen auf diesen Geist — erwuchs natürlicherweise auch die Pflicht, der Witwe eines Zunftmitgliedes nach Möglichkeit unter die Arme zu greifen, sofern ihr Lebenswandel untadelig war und den strengen moralischen Anforderungen, die die Zunft an ihre Mitglieder stellte, entsprach. a) Erlaubnis

zur Weiterführung

des

Handwerks

Hilfe für die Witwe eines verstorbenen Meisters wurde i n verschiedenem Umfange gewährt. A m häufigsten bestand die Versorgung darin, daß man ihr gestattete, das Handwerk ihres Mannes fortzuführen, und ihr so den Erwerb des eigenen Lebensunterhaltes ermöglichte. Nur i n Ausnahmefällen wurde ihr dieses Recht verweigert, wie bei den Schneidern i n Lüneburg, die 1552 m i t der früher auch bei ihnen üblichen Regelung brachen 383 und den Gewandschneidern i n Greifswald, bei denen die Älterleute seit 1504 der Witwe vier Wochen nach dem Tode ihres Mannes das Handwerk verbieten sollten 384 . 380 v g i # Neumann, C. G. Th.: Geschichte v o n Görlitz, Görlitz 1850, S. 262 u n d S. 600. 381 Baczko, L u d w i g von, S. 233. 382 Vgl. Dalmer, Paul, S. 74. 383 Vgl. Bodemann, Eduard, S. 226 (Qu. 299). 384 Vgl. Krause, Oskar, u n d K a r l Kunze: Bd. 1, S. 137 (Qu. 300).

VII. Sicherung im Todesfall

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I n diesen Fällen war der Lebensunterhalt der Witwe natürlich völlig ungesichert, sofern sie nicht über ein ausreichendes Vermögen verfügte; aber hier handelt es sich — wie gesagt — u m Ausnahmen. Abgesehen von diesen Randerscheinungen boten die Zünfte die geringste Fürsorge, die der Witwe nur die Beendigung begonnener Arbeit bzw. die Verarbeitung des vorhandenen Rohmaterials gestatteten — Regelungen, die freilich auch selten vorkamen. Sie finden sich z. B. bei den Pelzern i n Lüneburg (1450)385 und den Tuchfärbern i n Lübeck (1500)38®. Sehr häufig wurde der Witwe die Fortführung des Amtes auf bestimmte Zeit — i n der Regel ein Jahr — zuerkannt, so z.B. bei den Glasern i n Greifswald 1592387, den Goldschmieden i n Riga (1542)388, den Tuchmachern zu Köpenick (1644)389 und den Schlachtern i n Tangermünde (1311-1631), hier jedoch nur für drei Monate 390 . I n manchen Ämtern wurde diese Frist ausgedehnt bis zum Mündigwerden des Sohnes, wie die Rolle der Glaser von 1507 i n Lübeck zeigt 391 . Ansonsten wurde der Witwe oft die Wiederverheiratung innerhalb eines Jahres zur Auflage gemacht — und zwar eine zweite Ehe innerhalb des gleichen Handwerks; eine Ehe außerhalb des Amtes Schloß sie automatisch aus der Zunft ihres verstorbenen Mannes aus. Entsprechende Vorschriften enthalten beispielsweise die Rolle der Kramer i n Berlin (1690)392, der Schuhmacher i n Lübeck (1411)393, die der Hutmacher i n Greifswald (1562)394 und der Beschluß des Schuhmacheramtes über die Rechte der Meisterwitwen vom 16. Juni 1474 i n Osnabrück 395 . I n dieser letztgenannten Quelle w i r d zwar auch die Heirat innerhalb eines Jahres als die gewünschte Regel genannt, doch w i r d eingeräumt, daß die Witwe — w i l l sie aus Liebe zu ihrem verstorbenen Mann nicht wieder heiraten — gleichwohl i m A m t bleiben darf. Seit 1553 galt bei den Barbieren zu Stettin ebenfalls die Bedingung der Heirat innerhalb eines Jahres. Diese Anordnung wurde jedoch 1611 revidiert und der ses vgl. Bodemann, Eduard, S. 176 (Qu. 301). see v g l . Wehrmann, C., S. 485 (Qu. 302). 387

Vgl. Krause, Oskar, u n d K a r l Kunze: Bd. 1, S. 149 (Qu. 303). Vgl. Stieda, Wilhelm, u n d Constantin Mettig, S. 304 (Qu. 304). 389 Vgl. Meyer, M o r i t z : Bd. 1, S. 179 - 180 (Qu. 305). 390 Vgl. Zahn, W., S. 46 (Qu. 306), S. 50 u n d S. 56. 391 Vgl. Wehrmann, C., S. 200 - 201 (Qu. 307). 392 v g l . Mylius, Christian Otto, Hrsg.: Corpus Constitutionum carum, 6. Teil, 1. Abt., B e r l i n 1751, Sp. 601 (Qu. 308). 393 v g l . Wehrmann, C., S. 413 (Qu. 309). 388

Marchi-

394 Vgl. Krause, Oskar, u n d K a r l Kunze: Bd. 1, S. 164 (Qu. 310). 395 v g l . Philippi, F.: Die ältesten Osnabrückischen Gildeurkunden, S. 52 - 53 (Qu. 311).

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1. Teil,

. Soziale Sicherung bei den

nen

Witwe die Fortführung des Handwerks auf Lebenszeit gestattet m i t der Begründung „ w e i l matrimonia viel mehr sub dispositione divina alß voluntate humana beruhen, der w i t w e n andere ehe auch i m Trauerjahr geschehen bei erbaren leuten vorhasset und i m rechten straffbar geachtet wird" 39 ®. — Auch die Tischler i n Stettin erlaubten 1572 die Betreibung des Handwerks auf Lebenszeit, nachdem sie noch 1548 den zumindest moralischen Zwang, bei Gelegenheit wieder zu heiraten, aussprachen. Der Druck der Zunft auf die Witwe, wieder zu heiraten, mutet uns heute seltsam, ja unmoralisch an; doch darf man keinesfalls der Versuchung erliegen, heutige Wertvorstellungen auf die damalige Zeit zu übertragen. Der mittelalterliche Mensch w i r d solche Vorschriften keineswegs als unmoralisch empfunden oder sich daran gestoßen haben — wie ließen sich sonst derartige Bestimmungen ausgerechnet bei den Zünften erklären — die doch, abgesehen von der Zeit des Niedergangs, gestrenge Wächter von Sitte und Ordnung waren. Auch nahmen die Zünfte vielfach durchaus Rücksicht auf die besondere Lage der Witwe, wie bereits der oben erwähnte Beschluß der Schuhmacher i n Osnabrück gezeigt hat, und was durch weitere Quellen erhärtet werden soll: Bei den Kistenmachern i n Lübeck (1508) durfte die Witwe, war sie krank oder zu alt, noch einmal zu heiraten, m i t Hilfe eines Gesellen das Handwerk Zeit ihres Lebens fortführen, und sie brauchte nur ein Drittel der sonst üblichen Zunftabgaben zu leisten 397 . Ganz ähnlich lautet die Bestimmung bei den dortigen Radmachern (1508)398. Auch die Aachener Goldschmiedezunft erlaubte der Witwe, das A m t m i t Hilfe von Gesellen und Lehrlingen unbeschränkt fortzuführen 3 9 9 . Die relativ sicherste Versorgung hatten die Witwen i n den Ämtern, die eine unbefristete Fortführung des Handwerks gestatteten. Dies war ζ. B. bei den Barbieren (1493) und Drechslern (1597) i n Greifswald der Fall 4 0 0 und bei den Rotlöschern i n Lübeck (1471), die den Witwen allerdings auch die gleichen Pflichten wie den Meistern auferlegten 401 . Manchmal wurde die unbefristete Fortführung des Amtes an die Bedingung geknüpft, daß ein Sohn vorhanden war, so ζ. B. bei den Wollwebern i n Lüneburg (1432)402 und den Bäckern i n Hamburg (1375), die 398

Vgl. Blümcke, Otto, S. 94. Vgl. Wehrmann, C., S. 256 (Qu. 312). 398 V g l . wehrmann, C., S. 368 (Qu. 313). 399 vgl. Loersch, H.: Die Rolle der Aachener Goldschmiedezunft v o m 16. A p r i l 1573, i n : Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins, Bd. 13, Aachen 1891, S. 249 - 250 (Qu. 314). 397

400 Vgl. Krause, Oskar, u n d K a r l Kunze: Bd. 1, S. 111 (Qu. 315) u n d S. 125 (Qu. 316). 401 Vgl. Wehrmann, C., S. 393 (Qu. 317). 402 Vgl. Bodemann, Eduard, S. 252 (Qu. 318).

VII. Sicherung im Todesfall

111

aber die Möglichkeit offenließen, der Witwe, auch wenn sie keinen Sohn hatte, eine Sondererlaubnis zur Beibehaltung des Handwerks zu geben 403 . b) Erleichterung

der Wiederheirat

Eine zweite Ehe wurde der Witwe dadurch erleichtert, daß dem Ehekandidaten bei der Gewinnung des Amtes besondere Vergünstigungen eingeräumt wurden oder sogar die Einheirat ins A m t Bedingung für die Aufnahme als Meister war: Die Schuhmacher i n Greifswald bestimmten 1452 durch einen Zusatz zu ihrer Ordnung von 1418, daß der Geselle, der Meister werden wollte, drei Jahre innerhalb der Stadt gedient haben müsse, es sei denn, er nehme eine Witwe oder Tochter eines Schuhmachers zur Frau 4 0 4 . — Der Täschnerknecht i n Breslau, der eine Meisterwitwe heiratete, brauchte nur die halbe Eintrittsgebühr zu zahlen 4 0 5 , ebenso der Goldschmiedegeselle i n Emden 1411406. Diese Bedingungen können insofern als Erleichterung der Wiederheirat für die Witwen angesehen werden, als sie sonst teilweise kaum noch eine Chance gehabt hätten, wieder einen Ehemann zu finden. Dies gilt besonders für die älteren Witwen. Die Einheirat ins A m t als Bedingung fürs Meisteramt wurde i m Laufe der Zeit immer verbreiteter. So baten die Schneider i n Lüneburg den Rat u m eine entsprechende Änderung ihrer Ordnung, die auch am 30. September 1458 gewährt wurde. Viele andere Zünfte verhielten sich ebenso 407 . Erscheint uns diese Form der sozialen Sicherung durch Erleichterung der Heirat auch wenig zweckmäßig — engstirnig auf die Spitze getrieben und zum alleingültigen Prinzip erhoben hat diese „Inzucht" denn auch wesentlich zum Niedergang der Zünfte beigetragen — so scheint sie doch damals recht wirksam gewesen zu sein, wie die Bitte der Kieler Meister an den Rat der Stadt zeigt; sie fordern die Wiedererrichtung der 1615 aufgehobenen Zünfte, weil früher „kein fremder Handwerksgeselle außerhalb des Handwerks heiraten durfte und dadurch dann die Töchter armer Handwerksleute auch ohne ihren Brautschatz eine Chance erhielten; w e i l aber die Ämter nun i n einem solchen Zustande sind . . . bleiben diese bei den Eltern sitzen" 408 . 403 Vgl. Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S. 23 (Qu. 319). 404 Vgl. Krause, Oskar, u n d K a r l Kunze: Bd. 2, S. 142 (Qu. 320). 405 Vgl. Korn, Georg, S. 122 (Qu. 321). 4oe V g l . Friedlaender, Ernst: Bd. 2, S. 338 (Qu. 322). 407 v g l . Bodemann, Eduard, S. 209 (Qu. 323). 408

Vgl. Hähnsen, Fritz, S. 82 (Qu. 324).

112

1. Teil,

. Soziale Sicherung bei den

nen

c) Stellung eines Gesellen A l l e i n m i t der Erlaubnis, das Handwerk ihres Mannes fortzuführen, war der Witwe aber oft nicht gedient. Vielfach beherrschte sie das Handwerk gar nicht oder doch nur unvollkommen, so daß sie dringend der Hilfe eines tüchtigen Gesellen bedurfte. So war es denn auch oft eine Pflicht der Zunft, einen solchen Gesellen zu stellen, sofern der verstorbene Meister keinen eingestellt hatte 4 0 9 . Manchmal konnte die Witwe selbst einen tüchtigen Mann auswählen, wie ζ. B. bei den Radmachern und Stellmachern i n Hamburg (1599)410, oder aber die Älterleute besorgten ihn 4 1 1 . Der Meister, der diesen Gesellen zur Zeit angestellt hatte, mußte ihn ohne Widerspruch ziehen lassen 412 , und auch der Geselle durfte sich nicht weigern, bei der Witwe zu arbeiten 413 . Zum Abschluß seien noch zwei Quellen erwähnt, die eine über die bisher beschriebene soziale Sicherung der Witwe hinausgehende Regelung enthalten. Bei den Lohgerbern zu Lübeck (1454) sollte — wenn eine Witwe nicht mehr heiraten wollte — ein Meister des Amts sie zu sich nehmen und wöchentlich drei Felle für sie gerben, um sie davon auf Lebzeiten zu ernähren 414 . I n den von Loesch veröffentlichten Zunfturkunden findet sich die Quittung (1437) einer Goldschmiedewitwe über eine Leibrente. Aber hier scheint es sich u m Einzelfälle zu handeln, denn es fanden sich keine weiteren ähnlichen Belege 415 . H i n und wieder erhielt die Witwe wohl auch finanzielle Unterstützung aus der Innungskasse41®, doch das auch nur i m Rahmen der bei den Meistern üblichen Unterstützung bei A r mut 4 1 7 . Teilweise wurde wohl den alten und schwachen Witwen auch eine Unterkunft i m Hospital besorgt 418 . Selbstverständlich darf nicht ver409 Vgl. ζ. B. die Rollen des Schusteramtes i n Bremen v o n 1274, 1300, 1308 u n d 1388. Böhmert, Victor, S. 70 (Qu. 325); ferner der Gilde-Brief der Maleri n n u n g i n Königsberg v o m 11. November 1751, Rohrscheidt, K u r t von: Unter dem Zunftzwange i n Preussen während des 18. Jahrhunderts, i n : Jahrbücher f ü r Nationalökonomie u n d Statistik, 3. Folge, Bd. 5, Jena 1893, S. 343. 410 Vgl. Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S. 198-199 (Qu. 326); vgl. auch K ö l n e r Stadtarchiv, Zunftakten 7, fol. 15v (Qu. 327). 411 Vgl. den Gildebrief des Tischler- Z i m m e r - Böttcher- u n d DrechslerGewerks i n L ü n e n v o n 1776, Nigge, Franz, S. 113 - 114 (Qu. 328). 412 Vgl. ζ. B. Ordnung der Bechermacher i n Lübeck, Wehrmann, C., S. 171 (Qu. 329). 413 Vgl. Tischler i n Hamburg, Rüdiger, Otto: Die ältesten Hamburgischen Z u n f t r o l l e n . . . , S. 154 (Qu. 330). Vgl. auch Dannenberg, J. F. H.: Das deutsche Handwerk u n d die sociale Frage, Leipzig 1872, S. 14 - 15. 414 Vgl. Wehrmann, C., S. 316 (Qu. 331). 415 Vgl. Loesch, Heinrich von: Bd. 2, S. 226 - 227 (Qu. 332). 416 Vgl. Neumann, C. G. Th., S. 600; Scheschkewitz, Ulrich, S. 196. 417 Vgl. T e i l 1, Β I I I : Sicherung gegen A r m u t .

VII. Sicherung im Todesfall

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gessen werden, daß auch die Stellung von Leichengerät und Begräbnisstätten sowie die Übernahme der Begräbniskosten eine Unterstützung der finanzschwachen Witwen darstellte. 3. Weitere Ausbildung des Lehrlings

Zuletzt noch einige Worte zur Frage, was m i t dem Lehrjungen geschah, dessen Lehrherr verstarb. Nur wenige Quellen geben Auskunft über die Lösung dieses Problems. Die Kistenmacher i n Lübeck (1508) bestimmten, daß die Witwe den Lehrling halten müsse, bis die Lehrjahre abgeschlossen seien 419 . Bei den Küfern i n Straßburg (1395) war es den Meistern erlaubt, einen solchen Jungen — entgegen der allgemeinen Anordnung — auch schon vor Ablauf der halben, sechsjährigen Lehrzeit zu dingen 420 . — I n Lüneburg konnte der Junge bei der Witwe auslernen, sofern sie innerhalb des Handwerks wieder heiratete, sonst sorgten Witwe bzw. Zunft für einen neuen Lehrherrn, so z. B. bei den Goldschmieden (1400, 1587)421 und den Kannengießern (1597)422.

Die Sicherung i m Todesfall stellte sich bei den Zünften also wie folgt dar: Beim Tod eines Meisters war es für jedes Zunftmitglied selbstverständlich, am Begräbnis teilzunehmen, vielfach sogar aktiv, indem sie die Leiche zu Grabe tragen mußten — eine i n Seuchenzeiten besonders harte Pflicht. Ferner ließen die Zünfte regelmäßig Messen und Gebete für die Seelen der Verstorbenen lesen, seelsorgerische Leistungen der Innungen, die von den Mitgliedern erwartet und hochgeschätzt wurden. Ein Großteil der Zünfte war i m Besitz eigenen Leichengeräts, das den Mitgliedern i m Todesfall zur Verfügung gestellt wurde; andere Zünfte übernahmen die Begräbniskosten. I m Laufe der Zeit entwickelten sich vielerorts besondere Sterbekassen (Totenladen), aus denen der Witwe eine bestimmte Summe ausgezahlt wurde. 418

Vgl. Hogen, Georg: Erwerbsordnung u n d Unterstützungswesen i n Deutschland v o n den letzten Jahrhunderten des Mittelalters bis zum Dreißigjährigen Kriege, m i t besonderer Berücksichtigung der Zunftverfassung, Diss. Erlangen, Leipzig 1913, S. 62. 419 Vgl. Wehrmann, C., S. 257 (Qu. 333). 420 Vgl. Brucker, J., S. 317 (Qu. 334). 421 Vgl. Bodemann, Eduard, S. 97 (Qu. 335) u n d S. 101 (Qu. 336). 422 Vgl. Bodemann, Eduard, S. 120 (Qu. 337). Vgl. auch Nigge, Franz, S. 116 (Qu. 338); ferner Dirke, A r n o von: Die Rechtsverhältnisse der HandwerksLehrlinge u n d Gesellen nach den deutschen Stadtrechten u n d Zunftstatuten des Mittelalters, Diss. Jena, B e r l i n — Steglitz 1914, S. 39. Vgl. auch: Scheben, W i l h e l m : Bankrolle der ehemaligen Brauerzunft i n Köln, K ö l n 1880, S. 20 - 21 (Qu. 339), auch gedruckt bei Scheben, W i l h e l m : Die Z u n f t der Brauer i n K ö l n i n ihrem inneren Wesen u n d Wirken, K ö l n 1880, S. 132 - 133. 8 Fröhlich

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1. Teil,

. Soziale Sicherung bei den

nen

Die Versorgung der Meisterwitwe war ansonsten nur unzulänglich geregelt; sie mußte sich meist mit der Erlaubnis, das Handwerk auf begrenzte oder unbegrenzte Zeit fortzuführen, m i t der Erleichterung der Wiederheirat oder mit einem von der Zunft gestellten Gesellen bescheiden.

C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden Die Handwerksgesellen — großenteils von ihren Angehörigen getrennt lebend — fanden anfangs i m Meisterhaushalt eine „ErsatzFamilie", die sie i n Notfällen unterstützte, d. h. besonders bei K r a n k heit pflegte. Bei Arbeitslosigkeit sprang die Zunft helfend als Arbeitsvermittlerin ein und gewährte gegebenenfalls finanzielle Unterstützung (Zehrgeld) 1 ; i m Todesfall sorgte die Zunft vielfach für das Begräbnis 2 , und auch bei schweren Erkrankungen half die Zunft durch Gewährung von Darlehen und Unterbringung i m Hospital 3 — dies vor allem dann, wenn die Gesellen zu Beitragszahlungen i n die Zunftkasse herangezogen wurden. M i t fortschreitender Entfremdung zu den Meistern und deren Zünften schlossen sich die Gesellen schließlich i n eigenen Gesellenverbänden zusammen, die neben der Pflege des geselligen und religiösen Lebens auch die soziale Sicherung der Gesellen übernahmen. Während w i r bei den Zünften noch die Risiken Armut, Arbeitslosigkeit, Jugend und Alter, Unfall und Krankheit und Tod unterschieden, werden bei den Gesellenverbänden nur noch drei Risiken zu behandeln sein, nämlich Arbeitslosigkeit, Unfall und Krankheit sowie Tod. Waren schon bei den Zünften Krankheit und A r m u t weitgehend identisch, so gab es dort eine Fülle von Maßnahmen, die eine Verarmung der Meister verhindern sollten, und i n einer Reihe von Zunfturkunden wurden Hilfeleistungen für verarmte Meister festgelegt. Dies schien uns eine getrennte Behandlung zu rechtfertigen. Bei den Gesellenverbänden entfällt eine solche Trennung vollends: Krankenunterstützung und Arbeitslosenfürsorge sind identisch mit der Sicherung gegen das Risiko Armut. Eine Sicherung gegen die erwerbslosen Phasen Jugend und Alter scheidet bei den Gesellenverbänden ebenfalls aus, da das K i n d noch nicht, der alte Mann (in der Regel Meister geworden) nicht mehr Mitglied des Gesellenverbandes war und daher auch keinen Anspruch auf Unterstützungsleistungen aus der Gesellenbüchse hatte. Bevor w i r nun die Maßnahmen der sozialen Sicherung bei den Gesellenverbänden darstellen, möchten w i r — wie bei den Zünften — einen kurzen Blick auf deren Finanzierung werfen. 1 2 8

8*

Vgl. T e i l 1, Β I V 2: Unterstützung arbeitsloser Gesellen. Vgl. T e i l 1, Β V I I 1 c: Übernahme der Begräbniskosten. Vgl. T e i l 1, Β V I 2: Unterstützung der Gesellen u n d Lehrlinge.

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1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden I. Finanzierung der sozialen Sicherung

Bei der Einrichtung ihrer Kassen orientierten sich die Gesellen an den entsprechenden Organisationsformen der Zünfte. Die Kassen trugen gleichfalls den Namen Büchse oder Lade. Auch hier bildete die Trennung der M i t t e l nach ihrem Verwendungszweck die Ausnahme. Die i n der Büchse angesammelten Gelder wurden für gemeinsame Essen und Trinkgelage, für den Erwerb von Leichengerät, für fromme Stiftungen (Kerzen, Altäre usw.), für kostbares Silbergerät (Becher usw.) und für die finanzielle Unterstützung bedürftiger Gesellen verwandt. Die Einnahmen der Gesellenverbände bestanden i m wesentlichen aus Eintrittsgeldern und sonstigen Gebühren, Strafen und ständigen Beiträgen. Die Verwaltung der Büchse lag entweder i n den Händen der Meister, die den Gesellen zu bestimmten Zeiten Rechenschaft ablegen mußten 4 , oder aber die Gesellen verwalteten ihre Lade selbst, indem sie einen oder mehrere Büchsenmeister unter sich wählten, die dann ebenfalls i n bestimmten Abständen zur Rechnungslegung verpflichtet waren. 1. Eintrittsgelder und sonstige Gebühren

Während bei den Zünften die Höhe der Eintrittsgebühr gestaffelt war, je nachdem ob der Bewerber Einheimischer, Meistersohn oder Fremder war, erhielten die Meistersöhne bei den Gesellenverbänden und Brüderschaften keine Vergünstigung. Die Höhe des Einschreibgeldes variierte allerdings zwischen den Gesellenverbänden einer Stadt ebenso wie von Stadt zu Stadt. So zahlten in Frankfurt die Buchbindergesellen Ende des 16. Jahrhunderts 1 Batzen 5 , die Barchentweberknechte Ende des 15. Jahrhunderts 3 Heller®, Anfang des 17. Jahrhunderts 2 Batzen, also doppelt so viel wie etwa um die gleiche Zeit die Buchbindergesellen 7 . — Die Zimmer-Gesellen erhoben i n Berlin 1683 3 Groschen 8, die StrumpfwirkerGesellen dort 1725 1 Reichstaler 9 . Bei einigen Gesellenverbänden richtete sich die Eintrittsgebühr nach der Lohnhöhe 10 . So erhoben die Schmiedeknechte i n Schaff hausen 1467 4 Vgl. Schoenlank, Bruno: Z u r Geschichte altnürnbergischen Gesellenwesens, S. 592; Schoenlank, Bruno: Sociale Kämpfe v o r dreihundert Jahren, Leipzig 1894, S. 122. δ Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 277 (Qu. 340). β Vgl. Kriegk, Georg L u d w i g : Deutsches Bürgerthum i m Mittelalter, F r a n k f u r t / M a i n 1868, S. 190 (Qu. 341), auch gedruckt bei Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt, Bd. 2, S. 291. 7 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 296 (Qu. 342). 8 Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 342 (Qu. 343). 9 Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 2, S. 373 (Qu. 344). 10 Vgl. Stahl, Fr. Wilhelm, S. 404.

I. Finanzierung der sozialen Sicherung

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„ainen wochenlohn, w i e v i l des ist" 1 1 , die Seilergesellen i n Frankfurt 1609 den ersten Wochenlohn 12 , ebenso die dortigen Bäckerknechte 145113. M i t dieser Koppelung erzielten die Gesellenverbände eine automatische A n passung der Eintrittsgebühren an die jeweilige Lohnhöhe, die eine häufigere Änderung der Ordnungen unnötig machte. Einige Gesellenverbände unterschieden bei der Festsetzung der Eintrittsgebühren nach A l t - und Junggesellen. So definierten die Schuhmachergesellen i n Freiburg 1484: „Wer bei uns vorgenannten Schustergesellen zu Freiburg Geselle werden w i l l und wer wöchentlich einen Schilling Pfennig und mehr erhält, der ist ein Knecht; der gibt sechs Pfennig für Mitgliedschaft und Hausrecht der Gesellenschaft. Wer wöchentlich weniger als einen Schilling erhält, der ist ein Knabe; der gibt drei Pfennig der Gesellenschaft 14 ." Ähnlich hielten es die Augsburger Kürschnerknechte 1574: Der A l t oder Junggeselle, der erstmals nach Augsburg kam um zu arbeiten, zahlte 2 Kreuzer, der Junggeselle m i t weniger als einem halben Gesellenlohn nur 1 Kreuzer 1 5 . — Die Färbergesellen-Brüderschaft i n Hamburg forderte 1589 vom Lehrling, der nach Ablauf der Probezeit bei seinem Meister auslernen wollte, 8 Schilling Lubesch, nach Ablauf der Lehrzeit abermals 8 Schilling. Der von auswärts zuwandernde Geselle mußte 1 Gulden Lubesch i n die Büchse legen 16 . Eine entsprechende Staffelung der Eintrittsgelder erreichten die Brotbäckerknechte i n Freiburg 1465 durch Koppelung an den Wochenlohn: Gesellen und Lehrlinge gaben bei Gründung der Brüderschaft je einen halben Wochenlohn i n die Brüderschaftskasse; wer eine Stelle i n Freiburg antrat, mußte ebenfalls, sobald er gedungen war, einen halben Wochenlohn zahlen 17 . Neben der Einschreibgebühr bzw. dem Eintrittsgeld erhoben einige Gesellenverbände Gebühren für besondere Leistungen. So sollte bei den Frankfurter Bäckerknechten (1451) der Geselle, der mit einem anderen einen Streit auszutragen hatte, nicht zum Gericht gehen, sondern zunächst ein Gesellengebot machen lassen, das i n seiner Sache 11

Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 203 (Qu. 345). 12 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 347 (Qu. 346). 13 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 267 (Qu. 347). 14 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 224 (Qu. 348). 15 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 267 - 268 (Qu. 349). 16 Vgl. Rüdiger, Otto: Aeltere Hamburgische u n d Hansestädtische Handwerksgesellendocumente, i n : Zeitschrift des Vereins f ü r Hamburgische Geschichte, Bd. 6, Hamburg 1875, S. 548 (Qu. 350). 17 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 201 (Qu. 351).

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1. Teil,

. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

entscheiden sollte. Für dieses Gebot war eine Gebühr von 12 Pfennig zu erlegen 18 . Die Müllerknechte zu Freiburg hielten seit 1606 alle vier Wochen eine Versammlung (Gebot) ab. Verlangte ein Geselle darüber hinaus eine besondere Zusammenkunft, so hatte er 5 Schilling zu zahlen, worauf der Büchsenmeister verpflichtet war, die übrigen Gesellen zum Gebot zusammenzurufen 19 . Ähnlich handhabten es die Zimmergesellen i n Berlin (1683). Wer außerhalb der vierteljährlichen Zusammenkünfte gegen einen anderen Gesellen Beschwerde vor der Gesellenversammlung führen wollte, mußte zuvor 16 Groschen i n die Büchse legen. Wurde der Beklagte für schuldig befunden, mußte er dem Kläger dieses Geld erstatten 20 . Für das Ledigsprechen eines Lehrjungen erhoben die Maurergesellen i n Frankfurt 1604 6 Schilling 2 1 , die Zimmer-Gesellen i n Berlin 1 Taler 2 2 . 2. Strafen

Wie bei den Zünften, so nahmen auch i n den Ordnungen der Gesellenverbände die Verhaltensregeln, deren Nichtbefolgung m i t einer Strafe belegt wurde, einen breiten Raum ein. Die Vorschriften sind so vielfältig, daß hier i n groben Zügen nur die wichtigsten, immer wiederkehrenden genannt werden sollen, ergänzt u m einige, die besonders ausgefallen erscheinen. Die Strafen bestanden entweder i n Naturalien (Bier, Wein, Wachs) oder i n Geldbeträgen, konnten also nur teilweise der Finanzierung der sozialen Sicherung dienen. Die häufigste Strafe bei den Schmiedegesellen i n Flensburg bestand nach den Statuten des 15., 16. und 17. Jahrhunderts i n Bier und Wachs. Wer ζ. B. die angeordnete Wache bei einem Kranken versäumte, mußte 1 Tonne Bier und für 4 Mark Wachs geben 23 . Die gleiche Strafe traf den, der Waffen gegen den Genossen kehrte oder ihn verletzte 24 . Wie emp18

Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 266 (Qu. 352). Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 286 (Qu. 353). 20 Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 344 (Qu. 354); vgl. ebenso die Ordnung der Schlossergesellen i n Freiburg v o n 1544 nach einer Abschrift aus dem Jahre 1551 bei Hartfelder, K a r l : Die alten Zunftordnungen der Stadt Freiburg i. B., T e i l I, Beilage zum Programm des Gymnasiums zu Freiburg i. B., Freiburg i. B. 1879, S. 23 (Qu. 355). 21 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 350 (Qu. 356). 22 Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 346 (Qu. 357). 28 Vgl. Metger, Conrad: Die Statuten des Verbandes der Schmiedegesellen i n Flensburg aus dem 15., 16. u n d 17. Jahrhundert, i n : Jahresbericht des Königlichen Gymnasiums u n d Realgymnasiums zu Flensburg, Flensburg 1883, S. 13 (Qu. 358). 24 Vgl. Metger, Conrad, S. 14 (Qu. 359). 19

I. Finanzierung der sozialen Sicherung

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findlich diese Strafen den Gesellen trafen, erläutert Metger an einigen Zahlen: 1438 kostete 1 Tonne Bier 18 Schilling; ein Bäcker erhielt um 1450 8 Schilling wöchentlich. Metger errechnet, daß bei den obigen Vergehen bis zu zwei Wochenlöhnen und mehr zur Zahlung der Strafe aufgewandt werden mußten 25 . Die Mühlknechte i n Danzig belegten die verschiedenen Verstöße gegen die Ordnung fast ausschließlich m i t Bier-Strafen 2 ®; bei den M ü l ler« und Bäckerknechten i n Speyer (1410) bestand die Strafe auf alle Zuwiderhandlungen i n einem „halbe vierteyl wins" 2 7 . Sehr häufig wurden die Strafen aber nicht i n Wein, Bier oder Wachs, sondern i n Geld erhoben und bildeten damit eine nicht unbedeutende Einnahmequelle der Gesellenverbände bzw. Brüderschaften. I n fast allen Gesellenstatuten w i r d das Tragen von Waffen i n der Herberge, vor allem bei den regelmäßigen Versammlungen verboten. Die Strumpfwirker-Gesellen i n Berlin ζ. B. bestraften 1725 das Mitführen von Stökken oder Degen bei den Zusammenkünften m i t 6 Groschen, Schlägereien mit 12 Groschen 28 . Schimpfen und Fluchen bei offener Lade wurde ebenso unnachsichtig geahndet wie das Beleidigen von Mitgesellen. So büßte der Frankfurter Kürschnergeselle (1609), der den anderen vor offener Lade einen Lügner nannte, m i t einem vollen Wochenlohn 29 . Wie auf das Benehmen der Gesellen achteten die Gesellenverbände auch auf untadelige Kleidung. Die Schuhknechte zu Arnstadt forderten 1628 i n ihrer Satzung: „Wo sie bei einander versammelt sind, da sollen sie Strümpfe und Schule anhaben, ohne Entschuldigung der K r a n k heit; und ob es von Einem oder dem Andern nicht also befunden, der soll einen Groschen zur Buße g e b e n " . . . „Es soll auch Keiner über das dritte Haus, ohne Schuhe, Kragen und Mantel gehen, bei Busse 1 Groschen 30 ." Eine Vorschrift i n diesem Sinne nahmen auch die Frankfurter Bäckerknechte 1451 i n ihre Ordnung auf: „ . . . wenn man einen armen Sünder hinaus zum Gericht führt, so soll keiner i n den Backkleidern ohne seinen Rock hinaus laufen; als Strafe gilt ohne allen Nachlaß ein halbes viertel Wein; auch soll sonst an keinem Werktag oder Sonntag keiner 25

Vgl. Metger y Conrad, S. 5. Vgl. Hirsch, Theodor: Danzigs Handels- u n d Gewerbegeschichte unter der Herrschaft des Deutschen Ordens, Leipzig 1858, S. 331 (Qu. 360). 27 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 175 (Qu. 361). 28 Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 2, S. 370 (Qu. 362). 29 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 287 (Qu. 363). 30 Vgl. Berlepsch, H . A . : Chronik der Gewerke, B d . 4 : Chronik v o m ehrbaren Schuhmachergewerk, S. 69 - 70 (Qu. 364) ; vgl. auch Rohrscheidt, Kurt von: V o m Zunftzwange zur Gewerbefreiheit, S. 132. 26

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1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

über die Gassen gehen ohne einen Schurtz; wer dies übertritt, schuldet zwei Batzen; wer es gesehen hat und nicht anzeigt, schuldet ebenfalls zwei Batzen 31 ." Ein heute etwas ungewöhnlich anmutender Zwang war der, die Wahl zum Büchsen- oder Stubenmeister anzunehmen. Die Bäckerknechte i n Freiburg (1420) ahndeten die Weigerung, eine solche Wahl zu akzeptieren, m i t 5 Schilling Pfennig 32 , die Zimmer-Gesellen i n Berlin, Cölln, Friedrichswerder und Dorotheenstadt 1683 mit 1 Taler 3 3 , die Benderknechte i n Frankfurt 1559 m i t 6 Schilling Heller, außerdem mußte der Gewählte das A m t nichtsdestoweniger antreten 34 . Eine Vorschrift, die deutlich die Tendenz widerspiegelt, weibliche Konkurrenz aus dem Arbeitsmarkt auszuschließen, findet sich 1725 bei den Berliner Strumpfwirkern: K e i n Geselle sollte „bei oder neben einer Weibsperson arbeiten außer bei einer ehrlichen Meisterwitwe". Der Verstoß gegen diesen A r t i k e l wurde beim ersten M a l mit 1 Reichstaler, beim zweiten Mal m i t 2 Reichstalern und beim dritten Mal gar m i t dem Ausschluß aus dem Gesellenverband bestraft 35 . Diese explizite Frontstellung gegen die Frau i m Handwerk ist eine Ausnahme, wenn auch die dahinterstehende Haltung durchaus verbreitet war. W i r fanden i n den von uns benutzten Quellen keine weitere ähnliche Strafandrohung gegen den Gesellen, der zusammen m i t einer Frau i n der Werkstatt gearbeitet hatte. Während i n den bisher genannten Quellen die Strafe i n ihrer Höhe stets genau angegeben wurde, vermieden andere Gesellenverbände, sich dergestalt festzulegen. Die Leineweber-Gesellen i n Komotau sprachen i n ihrer Ordnung von 1492 lediglich von einer „ziemlichen Busse", der die Gesellen verfallen sollten, die die A r t i k e l der Ordnung nicht einhielten. Bei einer solchen Regelung lag die Strafhöhe i n der Entscheidung der Büchsenmeister oder i n der der „Vollversammlung" 3 8 . Sie hatte den Vorteil, daß das Strafmaß leichter erhöht oder erniedrigt werden konnte, da keine Änderung der Ordnung damit verbunden war. I m übrigen lag die Aufstellung der Gesellenordnungen keineswegs immer und ausschließlich i n den Händen der Gesellen selbst. Vielfach hatten die Meister-Zünfte ein gewichtiges Wort mitzureden und auch 31

Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 267 (Qu. 365). Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 188 (Qu. 366). 33 Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 344 (Qu. 367). 34 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 274 (Qu. 368). 35 Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 2, S. 370 (Qu. 369). 38 Vgl. Hübler, Franz: Beiträge zur Geschichte des deutschen Zunftwesens i n Böhmen, i n : Mitteilungen des Vereins f ü r Geschichte der Deutschen i n Böhmen, 52. Jahrg., Heft 3/4, Prag 1914, S. 444 - 445 (Qu. 370). 32

I. Finanzierung der sozialen Sicherung

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der Rat der Stadt behielt sich meist das letzte Wort vor, indem die Bestätigung oder Ablehnung der Gesellen-Artikel i n seinen Händen lag. Teilweise wurden den Gesellenverbänden die Ordnungen auch vom Magistrat der Stadt, vom Landes- oder Stadtherren verliehen. Auch über die Verwendung der Gelder konnten die Gesellen vor allem i n späterer Zeit nur beschränkt selbst entscheiden. Die Obrigkeit schrieb häufig vor, die Einnahmen seien nicht zu verschwenden, sondern für mildtätige Zwecke, zum Wohle der armen, notleidenden Gesellen zu verwenden. Auch gelangten die Strafgelder nicht immer i n voller Höhe i n die Gesellenlade, wie A r t i k e l 11 der Ordnung der Berliner Strumpfwirker von 1725 beweist: Ohne ordentlichen Abschied von seinem bisherigen Herrn durfte kein Geselle von einem anderen Meister i n Arbeit genommen werden, bei Strafe von 4 - 6 Reichstalern, zu zahlen sowohl vom Meister als auch vom Gesellen. Nur die Hälfte dieser Strafe fiel i n die Lade, die andere Hälfte mußte dem Magistrat abgeführt werden 37 . Bei den Schmiedegesellen i n Flensburg wurde die Strafe 1597 auf höchstens 8 - 1 2 Schilling festgelegt. Schlimmere Vergehen sollten vom A m t gestraft werden, wobei das fällige Bußgeld zur Hälfte dem Amte, zur anderen Hälfte den Gesellen zufiel 38 . 3. Ständige Beiträge

Neben die unregelmäßig fließenden Einnahmen aus Gebühren und Strafen traten die regelmäßigen Beiträge, die entweder wöchentlich, monatlich, vierteljährlich, halbjährlich oder jährlich erhoben wurden. Beitragspflichtig waren naturgemäß an erster Stelle die Gesellen, und zwar jeweils so lange, wie sie an dem betreffenden Ort i n Arbeit standen. Die Beitragshöhe wechselte von A m t zu A m t und von Stadt zu Stadt. Die Frankfurter Kürschnergesellen erhoben ζ. B. 1609 monatlich 4 Pfennig 39 , die dortigen Seiler i m gleichen Jahr monatlich 8 Pfennig, also doppelt soviel 40 . — Die Komotauer Leineweber-Gesellen verlangten 1492 wöchentlich 1 Pfennig 41 . Die Apen- und Grapengießer-Gesellen i n Hamburg zogen die Beiträge von 6 Pfennig 1541 vierteljährlich ein 42 , desgleichen die Strumpfwirker-Gesellen i n Berlin 172543. Die halbjähr37

Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 2, S. 371 (Qu. 371). Vgl. Metger, Conrad, S. 25 (Qu. 372). 39 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 286 (Qu. 373). 40 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 346 (Qu. 374). 41 Vgl. Hübler, Franz, S. 447 (Qu. 375). 42 Vgl. Rüdiger, Otto: Aeltere Hamburgische u n d Hansestädtische Handwerksgesellendocumente, S. 562 - 563 (Qu. 376). 43 Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 2, S. 369 (Qu. 377). 38

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1. Teil,

. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

liehe Zahlung war z.B. bei den Flensburger Schmiedegesellen 1597 üblich 44 . Die Brüderschaft der Roth- und Weißgerbergesellen zu Colmar erhob 1470 alle Fronfasten 2 Rappenpfennige, dazu wöchentlich 1 Pfennig 45 . I n einigen Gesellenverbänden war die Beitragshöhe nach dem Einkommen gestaffelt. Die Brüderschaft der Speyrer Müller- und Bäckerknechte verlangte von jedem Knecht, der 1 Schilling Wochenlohn erhielt, 1 Pfennig, vom weniger Verdienenden 1 Heller 4 8 . Die Barbierknechte i n Frankfurt hatten 1590 eine dreifache Abstufung entsprechend der Lohnstaffelung 47 . Außer den Gesellen wurden teilweise auch die Lehrjungen zur Beitragszahlung herangezogen. So zahlte bei den Kürschnergesellen i n Stendal der Meisterknecht vierteljährlich 2 Pfennig, der junge Knecht 1 Pfennig 48 . Bei den Freiburger Schneidergesellen (1525) mußte der Lehrling 14tägig 1 Hälbling zahlen 49 . Die Schuhmachergesellen i n Frankfurt verlangten 1469 vom Gesellen 3 Heller, vom Lehrjungen 2 Heller zu allen Fronfasten 50 . Da der Lehrling i n der Regel entweder keinen oder doch nur einen unbedeutenden Lohn erhielt, war eine solche Abstufung der Beiträge durchaus angebracht, doch wurde sie nicht immer gemacht. Die Schlosser- und Sporergesellen zu Straßburg ζ. B. forderten 1536 sowohl vom Gesellen als auch vom Lehrling den Wochenpfennig 51 . I n Einzelfällen wurden auch die Meister zur Beitragszahlung verpflichtet. I n Hamburg gründeten die Gesellen des Maler- und Glaseramtes 1473 eine Brüderschaft, aus deren Kasse kranke Gesellen finanzielle Unterstützung erhielten. Auch die Meister leisteten zu dieser Kasse regelmäßige Beiträge 52 . — Bei den Maurergesellen i n Frankfurt (1504) zahlte der Meister jährlich 2 Albus, der Geselle wöchentlich 1 Pfennig 53 . Ebenso erhoben die Papiermacher Prags von den Meistern jährlich 2 Gulden, von den Gesellen 52 Kreuzer 5 4 . 44

Vgl. Metger, Conrad, S. 26 (Qu. 378). Vgl. Mone, F. J.: Zunftorganisation, Bd. 18, S. 22 (Qu. 379). 46 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 177 (Qu. 380). 47 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 272 (Qu. 381). 48 Vgl. Riedel, A . F., S. 176 (Qu. 382). 40 Vgl. Knoll, Alexander, S. 57. δ0 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 335 (Qu. 383). 51 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 256 (Qu. 384). 52 Vgl. Wehrmann, C., S. 154. 53 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 350 (Qu. 385). 54 Vgl. Schreber, Daniel Gottfried: Kaiserlich königliches Patent, die Papiermacherkunst betreffend, de dato königliches Prager Schloss, den 5. M a i 45

II. Sicherung bei Arbeitslosigkeit

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Wenn man annimmt, daß diese Gelder vorwiegend oder doch zum Teil zur sozialen Sicherung der Gesellen verwandt wurden, so kann man i n diesen Meister-Beiträgen durchaus einen frühen Arbeitgeberanteil sehen. Es kam allerdings auch vor, daß die Meister sich weigerten, zur Kasse der Gesellen einen Beitrag zu leisten, wie z.B. 1529 i n Straßburg 5 5 . Meist fielen die Beiträge i n voller Höhe i n die Büchse, doch gab es auch abweichende Regelungen. Von den Beiträgen der Schlossergesellen i n Frankfurt (Ende des 16. Jahrhunderts) erhielt der Herbergsvater (Wirt des Gasthauses, i n dem die Gesellen ihre regelmäßigen Treffen abhielten, auch Krugvater genannt) die Hälfte, und nur der Rest kam i n die Gesellenlade 58 . Zum Abschluß sei noch eine besonders moderne A r t der Beitragserhebung erwähnt. Die Kieler Buchbindergesellen wandelten ihre Brüderschaft 1811 i n eine Krankenlade um. Damit die zwangsweise Beitragszahlung effektiver durchgeführt werden konnte, ging man 1841 dazu über, den Beitrag durch die Meister vom Gesellenlohn einbehalten zu lassen 57 . Ähnlich hielten es die Tischler. Bei anderen Gesellenverbänden wurde dieses Verfahren nur bei den Gesellen angewandt, die sich vor dem nächsten Beitragstermin auf Wanderschaft begaben. Hier behielt der Meister den betreffenden Betrag vom Lohn ein und führte ihn an die Gesellenkasse ab 58 . I I . Sicherung bei Arbeitslosigkeit Seit sich die Gesellen i n eigenen Verbänden zusammengeschlossen hatten, übernahmen sie auch weitgehend die Sicherung ihrer Genossen gegen das Risiko Arbeitslosigkeit — und das verständlicherweise durchaus m i t der Billigung der Meister und Zünfte, denn diese sahen sich dadurch von einer nicht unerheblichen Last befreit. Von Arbeitslosigkeit ansässiger Gesellen hören w i r so gut wie nichts. Das mag daran liegen, daß i n der frühen und der Blütezeit des Handwerks kaum Arbeitsplatzmangel bestanden hat. Später begaben sich die Gesellen, deren Arbeitsvertrag m i t einem Meister abgelaufen war, auf Wanderschaft und zogen i n einen anderen Ort, an dem sie neue Arbeit zu finden hofften. 1756, i n : Sammlung verschiedener Schriften, 8. Theil, Halle 1761, S. 267 (Qu. 386). Vgl. auch Scheschkewitz, Ulrich, S. 199. 65 Vgl. Baas, K . : Z u r Vorgeschichte der heutigen Krankenkassen, Beilage zur Allgemeinen Zeitung, München, 4. Januar 1907, S. 18. 86 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 314 (Qu. 387). 57 Vgl. Hähnsen, Fritz, S. 454. 58 Vgl. hierzu die Rolle der Maler-, Glaser- u n d Sattlergesellen i n Münster v o m Ende des 16. Jahrhunderts, Krumbholtz, Robert: Die Gewerbe der Stadt Münster bis zum Jahre 1661, Leipzig 1898, S. 344 - 345 (Qu. 388).

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1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

Somit stellte sich die Arbeitslosigkeit jener Zeit vorwiegend als Problem der wandernden Gesellen dar, die — falls sich am erwanderten Ziel keine freie Stelle für sie fand — der Unterstützung bedurften, um an den nächsten Ort weiterwandern zu können. Die Gesellenverbände übernahmen daher zunächst die Arbeitsvermittlung, sorgten sodann für Unterkunft und Verpflegung der durchreisenden Gesellen, denen sie schließlich ein Geschenk, den Zehrpfennig, mit auf den Weg gaben. So waren die Wandergesellen bis zur nächsten Stadt notdürftig versorgt, wo sie wiederum mit einer Arbeitsbeschaffung bzw. dem Zehrpfennig rechnen konnten. Bevor w i r die Leistungen der Gesellenverbände ausführlich beschreiben, wollen w i r zunächst einen kurzen Überblick über den Umfang der Gesellenwanderungen und der Arbeitslosigkeit geben. 1. Umfang der Gesellenwanderungen und der Arbeitslosigkeit

Ausdehnung und A r t der Gesellenwanderungen waren ein lange Zeit vernachlässigtes Gebiet der Forschung — zu Unrecht. Sie bildeten einen wesentlichen Faktor der mittelalterlichen Gewerbewirtschaft, und die Bedeutung der sozialen Sicherungsmaßnahmen durch die Zünfte und — auf dem Gebiet der Arbeitslosenhilfe — besonders der Gesellenverbände, kann erst durch bessere Kenntnis dieser umfassenden Wanderbewegung voll erfaßt werden 59 . Schanz machte als erster den Versuch, mit statistischen Methoden Licht in die Geschichte der Gesellenwanderungen zu bringen. Leider stand ihm geeignetes Material nur aus Konstanz zur Verfügung, so daß das vermittelte B i l d zwangsläufig unvollständig ist. Als früh entwickelte, i m Mittelalter bedeutende Stadt war Konstanz jedoch weithin bekannt und gehörte zu den Wanderzielen der Gesellen. Als Grenzstadt bietet sie zudem den Vorteil, ein Urteil über die bei den Wanderungen zurückgelegten Entfernungen zu gewinnen 60 . Das Untersuchungsmaterial umfaßt alle Handwerke in der Zeit von 1489 bis 1502 sowie von 1519 bis 1579 und enthält die Zahl der Gesellen, die während dieser Periode i n Konstanz Arbeit fanden. Auch Wissell widmete dem Umfang der Gesellenwanderungen ein Kapitel seines Buches „Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit". Seine Untersuchungen stützen sich auf Aufzeichnungen einzelner Gewerke, und zwar: Kürschner i n Straßburg: 15. Jahrhundert; Böttcher i n Nürnberg: 17. Jahrhundert; Glaser i n Nürnberg: Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts; Tischler i n Breslau: 1795; Böttcher i n Schwedt a. d. Oder: 1684 59 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der Gesellenwanderungen i m M i t t e l alter, i n : Jahrbücher f ü r Nationalökonomie u n d Statistik, Bd. 28, Jena 1877, S. 313. 60 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der Gesellenwanderungen, S. 314.

II. Sicherung bei Arbeitslosigkeit

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bis 1836; Glaser i n Kiel: 19. Jahrhundert; Buchbinder i n Kiel: 1666 bis 1865; Schlosser in Frankfurt: Anfang des 15. Jahrhunderts 01 . Da Wissell jedoch lediglich die Heimatorte der Gesellen angibt, ohne diese Zahlen statistisch auszuwerten, werden w i r uns i m wesentlichen an die Ergebnisse von Schanz halten, diese jedoch durch Wissells Angaben ergänzen; das erscheint vor allem deshalb nützlich, da sich die Untersuchungen Wissells meist auf eine spätere Zeit beziehen, i n der die Gesellenwanderungen sowohl dem Umfang als auch der zurückgelegten Entfernung nach ausgedehnter waren. Die Gesamtsumme der i n der von Schanz untersuchten Periode i n Konstanz eingestellten Gesellen betrug 3 406, das entspricht einem Jahresdurchschnitt von 48,6602. Bei weitem die meisten Gesellen stammten aus den nahegelegenen Provinzen, aber immerhin kamen 30 Gesellen aus dem Königreich Sachsen, 25 aus Schlesien, 12 aus SachsenAnhalt und 10 aus Westfalen, Braunschweig, Hannover und Holstein. Es wurden also durchaus beachtliche Strecken zurückgelegt 63 . Richtung und Ausdehnung der Wanderung hingen dabei einerseits vom Gewerbe des Gesellen ab, wandelten sich aber andererseits auch i m Laufe der Zeit. Die Zahl der aus ferneren Landesteilen stammenden Gesellen nahm i m Verlauf des 16. Jahrhunderts zu, ein „zahlenmäßiger Ausdruck für die Zunahme der Wanderextensität i m 16. Jahrhundert" 0 4 . Während das Wandergebiet Anfang des 15. Jahrhunderts nur den Norden und Süden der Rheinebene umfaßte, dehnte es sich als Folge des Wanderzwangs gegen Ende des Jahrhunderts bereits über den ganzen Osten aus. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts „scheint jenes unstäte, ungeordnete Wandern entstanden zu sein, m i t welchem der Terrorismus der Gesellen und die wachsende Unzufriedenheit der Meister über die schwierige Behandlung dieses leichtbeweglichen Völkchens Hand i n Hand ging. Vom fernsten Norden und tiefsten Süden kommen die Gesellen jetzt herangezogen und ein buntes Durcheinander hinsichtlich der Provinzgebürtigkeit desselben ist von nun an die Regel 05 ." Die Angaben Wissells können dieses Ergebnis nur bestätigen. Bei den Tischlern in Breslau arbeiteten 1795 unter anderem Gesellen aus Augsburg, Frankfurt, Hameln, Kopenhagen, Livland, Nürnberg, Osna61 Vgl. Wissell, Rudolf: Des alten Handwerks Recht u n d Gewohnheit, Bd. 1, S.163 - 164. 62 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der Gesellenwanderungen, S. 317. 63 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der Gesellenwanderungen, S. 326 327. 64 Schanz, Georg: Z u r Geschichte der GesellenWanderungen, S. 332. 65 Schanz, Georg: Z u r Geschichte der Gesellenwanderungen, S. 334 - 335.

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1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

brück, Rußland, Stuttgart, U l m und Ungarn® 6. — I m Kieler Glaseramt waren um die Wende zum 18. Jahrhundert Gesellen aus den skandinavischen Ländern, Finnland, Livland, Polen, Österreich, Ungarn, Elsaß, der Schweiz, Süddeutschland und Holland beschäftigt® 7. Obwohl also der größte Teil der zuwandernden Gesellen aus nahegelegenen Provinzen stammte, war doch die Verbindung zu fernen Landesteilen hinreichend groß, u m besonders i n der späteren Zeit eine gemeinsame Gesellenpolitik i m gesamten deutschsprachigen Raum, ja sogar darüber hinaus zu ermöglichen. Während die Gesellenkoalitionen m i t fortschreitender Wanderbewegung an Ausdehnung und Macht gewannen, nahm die Bedeutung der Meisterbündnisse, die ja vorwiegend einen enger begrenzten Raum erfaßten, kontinuierlich ab. „Durch Schaffung des Wanderzwangs haben somit die Meister ihren eigenen Interessen mehr geschadet als genützt®8." Aus dem Konstanzer Material ergab sich ferner, daß vorwiegend die bedeutenderen Städte ihre Gesellen austauschten und die Zuwanderer vom Lande fast vollständig vom Handwerk des späten Mittelalters ausgeschlossen waren® 9. Die Wanderzeit erstreckte sich über das ganze Jahr, erreichte aber i n den Monaten J u l i und August einen deutlichen Höhepunkt (40 Prozent) 70 . Die Untersuchung von Schanz erfaßt alle Gesellen, die während der genannten Periode i n Konstanz zuwanderten und den Eid leisteten 71 , also Arbeit fanden. Sie gibt damit gleichzeitig Auskunft darüber, wievielen Gesellen erfolgreich Arbeit vermittelt wurde, sei es durch die Zünfte, sei es durch die Gesellenverbände. Unbekannt bleibt hingegen die Zahl der Gesellen, die zwar bleiben wollten, aber keine Arbeit fanden und derer, die von vornherein Konstanz nur als Durchgangsort betrachteten. Der Umfang dieser Gruppe ist aber für die Beurteilung der sozialen Leistungen der Gesellenverbände mindestens ebenso wichtig, da ja gerade sie es waren, die auf Unterkunft und Verpflegung und ββ Vgl. Wissell, Rudolf: Des alten Handwerks Recht u n d Gewohnheit, Bd. 1, S. 165. 87 Vgl. Wissell, Rudolf: Des alten Handwerks Recht u n d Gewohnheit, Bd. 1, S.167 - 168. 68 Schanz, Georg: Z u r Geschichte der Gesellenwanderungen, S. 335. 69 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der Gesellenwanderungen, S. 339. Z u m K o m p l e x der Aufnahme v o n Bauernsöhnen i n Handwerkerzünfte vgl. auch Stock: Bd. 2, Leipzig 1841, S. 100 - 101. 70 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der Gesellenwanderungen, S. 342. 71 Der E i d w a r w o h l i n allen Städten üblich u n d auch inhaltlich meist der gleiche. E r enthielt das Versprechen des Gesellen, dem Nutzen der Stadt zu dienen u n d Schande v o n i h r fernzuhalten, i n Rechtsstreitigkeiten n u r die Stadtbehörde anzurufen u n d sich bei allgemeinem A u f r u f dem Bürgermeister sofort zur Verfügung zu stellen. Vgl. Sdtanz, Georg: Z u r Geschichte der Gesellenwanderungen, S. 315.

II. Sicherung bei Arbeitslosigkeit

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finanzielle Unterstützung für den nächsten Wanderabschnitt angewiesen waren. Bei den Nürnberger Glasergesellen erhielten laut Gesellenbuch (Ürtenbuch) vom 3.4.1699 bis 12.4.1700 130 fremde Gesellen, vom 13. 4.1700 bis 9.5.1701 80, vom 2. 5.1707 bis 2.4.1708 78, vom 3. 4.1708 bis 2.4.1709 63, vom 17.4.1719 bis 15.5.1720 171, vom 5.4.1728 bis 2. 5.1729 33 und von 1738 bis 20.4.1739 27 fremde Gesellen das Geschenk 72 . Die Zahl schwankte also i n den einzelnen Jahren beträchtlich (zwischen 27 und 171); ebenso unterschiedlich und unberechenbar war damit auch die finanzielle Belastung der Gesellenbrüderschaft. I m Kieler Glaseramt war die Schwankung sogar noch etwas stärker. Während i m Jahre 1814 nur 9 Gesellen das Geschenk erhielten, waren es 1824 70, die Büchse wurde also 1824 7,7mal so stark belastet wie zehn Jahre zuvor 73 .

Jahre

1666 - 70 71-75 76-80 81-85 86-90 91-95 96 - 1700 1700 - 05 06-10 11-15 16-20 21-25 26-30 31-35 36-40 41-45 46-50 51-55 56-60 61-65 a) b) C) d) e)

Gesamtzahl*) 34 32 15 23 25 36 22 23 24 29 48 33 31 52 74 62 43 23 39Φ 6

Arbeit erhielten 28 18 15 16 14 26 15 14 17 22 24 21 15 23 36 26 17 7 6 4

arbeitslos i n °/o

Jahre

1766 - 70 17 71-75 44 0 76-80 81-85 30 44 86-90 91-95 28 32 96 - 1800 \b) 37/ ' 1801 - 05 06-10 29 11-15 50/ ' 16-20 21-25 36 26-30 48 31-35 56 36-40 51 41-45 58 46-50 60 70 51-55 85 56-60 33 61-65

Gesamtzahl 22 50 43 45 78 84 89 121 108 96 67 191 222 236 269 403 424e) 381 356 290

Arbeit erhielten

arbeitslos i n °/o

9 7 25 20 22 11 15 12 23 16 4 13 28 18 43 43 66 66 45 80

59 69 42 56 72 87 83 90 79 83 94 88 87 92 84 89 84 83 96 72

Ohne die ausgeschriebenen Lehrburschen. Ohne Berücksichtigung der Jahre 1700 und 1701. v o n 1714 - 1719 = 52 ·/·. Von 1759 - 1768 = 22; von 1769 - 1778 = 89. 1847: 136; 1848: 52; 1849: 78; 1850: 44; 1851: 49; 1852: 103.

72 Vgl. Schoenlank, Bruno: Z u r Geschichte altnürnbergischen Gesellenwesens, S. 598, Fußn. 9. 73 Vgl. Wissell, Rudolf: Des alten Handwerks R e d i t u n d Gewohnheit, Bd. 1, S. 167.

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1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

Es wäre nun von größtem Interesse, etwas über das Verhältnis zwischen zuwandernden und Arbeit findenden Gesellen zu erfahren, da sich daraus die Arbeitslosenquote ergibt, die ihrerseits Auskunft über das Maß der notwendigen Arbeitslosenunterstützung gibt. Leider findet sich eine solche Aufstellung nur bei Hähnsen für die Kieler Buchbinder i n der Zeit von 1666 bis 1865, dessen Tabelle w i r hier übernehmen 74 . Lediglich i n den Jahren 1676 bis 1680 glichen sich Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften aus, es gab also keine Arbeitslosen. I n den übrigen 195 Jahren herrschte ein Überangebot, und zwar i n 65 Jahren unter 50 Prozent und i n 130 Jahren über 50 Prozent. Die Arbeitslosenquote betrug bis zu 96 Prozent i n den Jahren 1856 bis 1860. Tendenziell nahm die Arbeitslosigkeit ständig zu. Diese Zahlen sprechen eine beredte Sprache, wenn w i r uns auch vor Verallgemeinerungen hüten müssen. Das Kieler Buchbinderamt war ein sehr kleines Amt, das zeitweilig (1758) nur durch einen Meister vertreten war. Der Arbeitskräftebedarf war also von vorneherein gering. Das erklärt jedoch nicht, wieso — trotz des sonst so ausgezeichnet funktionierenden Informationsaustauschs der Gesellen auch über weite Strecken hinweg — über 200 Jahre ständig eine so große Überzahl an Gesellen nach K i e l wanderte. Hinzu kommt, daß K i e l an der Peripherie des Reichs zwar als Durchgangsort von und nach Skandinavien eine gewisse Bedeutung hatte, jedoch außerhalb der eigentlichen Verkehrs- und Wanderwege lag, was einen so starken Zustrom noch unerklärlicher macht. Der Wanderstrom muß i n den i n der Mitte des Reichs gelegenen Städten erheblich größer gewesen sein 75 . Es liegt also die Vermutung nahe, daß die Arbeitslosenquote bei den Buchbindern i m 17., 18. und 19. Jahrhundert allgemein mindestens genau so hoch, wenn nicht höher lag. Uber andere Handwerke und andere Zeitspannen liegen leider keine Unterlagen vor, so daß w i r uns m i t den obigen Angaben begnügen müssen. Aus den Darlegungen geht aber deutlich hervor, eine welch zentrale Bedeutung die Arbeitslosenfürsorge durch die Gesellenverbände für den wandernden Gesellen vor allem seit dem 16. Jahrhundert gewann. 2. Arbeitsvermittlung

Die Arbeitsvermittlung, zunächst i n den Händen der Zünfte, wurde nach dem Entstehen der Gesellenverbände praktisch ausschließlich von diesen übernommen. Meist war es den zuwandernden Gesellen sogar 74

Hähnsen, Fritz, S. 186. Vgl. Wissell, Rudolf: Des alten Handwerks Recht u n d Gewohnheit, Bd. 1, S. 166. 75

II. Sicherung bei Arbeitslosigkeit

129

ausdrücklich verboten, sich selbst u m eine neue Stelle zu bemühen und bei den Meistern vorzusprechen. Wie fast immer, gibt es aber auch hier die Ausnahme, die die Regel bestätigt. I n den vom Rat der Stadt Frankfurt den Hufschmiedegesellen gegebenen Statuten wurde es sowohl den Gesellen als auch den Meistern verboten, bei der Arbeitssuche vermittelnd tätig zu werden. Der Meister, der selbst oder durch Mittelsmänner um die Wandergesellen auf der Herberge warb, wurde sogar m i t einer Strafe bedroht. Der fremde Geselle sollte selbst dort um Arbeit bitten, wo es i h m gefiel 7®. Wie gesagt, handelt es sich hier u m eine Ausnahme, denn w i r fanden keinen weiteren Beleg für eine ähnliche Anordnung. I n der Regel versuchten die Gesellenverbände, für den Ankommenden entweder eine Dauerstellung zu finden, oder sie bemühten sich u m eine kurzfristige Arbeit, die es i h m ermöglichte, genügend M i t t e l für die Fortsetzung der Wanderschaft zu erarbeiten. a) Vermittlung

einer

Dauerstellung

Grundsätzlich erfolgte der Arbeitsnachweis auf zweierlei A r t . Entweder der Meister einer Stadt sandte ein Arbeitsangebot an einen Gesellen einer anderen Stadt (Laufschreiben). Es war ein für den Meister kostspieliges und zeitraubendes Verfahren, da er dem Boten die Reisekosten zu ersetzen hatte und das Reisen i n der damaligen Zeit umständlich und langwierig war; es hatte allerdings den Vorteil, daß der Meister auf diese Weise einen als gute, zuverlässige Arbeitskraft bekannten Gesellen i n seine Werkstatt ziehen konnte. Dennoch wurde nur eine Minderheit von Arbeitsplätzen auf diese A r t vermittelt. I m Kieler Buchbinderamt waren es i n der Zeit von 1666 bis 1740 nur 14 Prozent. Aber auch bei diesem Verfahren durfte der geworbene Geselle nicht geradewegs i n die Werkstatt seines neuen Meisters ziehen, sondern mußte zunächst i n der Gesellenherberge vorsprechen und auf den A l t gesellen warten, der ihn m i t einem Willkommenstrunk begrüßte und nach einem festen Zeremoniell befragte 77 . Der Zugereiste mußte den bei jedem Handwerk üblichen, genau festgelegten Gruß fehlerfrei hersagen und dabei eine bestimmte Haltung und Gebräuche einhalten. Nur die Kenntnis und Beherrschung dieses Grußes wiesen den zukünftigen Handwerksgesellen aus, der Anspruch auf Aufnahme i n den Kreis der ansässigen Gesellen hatte 7 8 . 76

Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 316 (Qu. 389). Vgl. Hähnsen, Fritz, S. 213. 78 Vgl. Wissell, Rudolf: Des alten Handwerks Recht u n d Gewohnheit, Bd. 1, S. 163. Z u m Wortlaut dieses Frage- u n d Antwort-Spiels u n d den zugehörigen Bräuchen bei den verschiedenen Handwerken vgl. Wissell, Rudolf: Des alten Handwerks Recht u n d Gewohnheit, Bd. 2. 77

9 Fröhlich

130

1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

Dem gleichen Zeremoniell mußten sich auch die übrigen zuwandernden Gesellen unterwerfen, die noch keinen festen Arbeitsplatz hatten und bei der Suche die Vermittlung des zuständigen Gesellenverbandes i n Anspruch nahmen. Diese zweite A r t des Arbeitsnachweises ist die Umschau, auch Zuschicken genannt. I n der Gesellen-Ordnung der Frankfurter Buchbinder vom Ende des 16. Jahrhunderts heißt es: „Es sollen die beiden Altgesellen, die zu Zeiten i m A m t sind, verpflichtet sein, allen den Gesellen, die i n ihren vierzehn Tagen herkommen, Arbeit zu suchen; und die, die keine Arbeit finden, wiederum hinaus begleiten; und die anderen Gesellen sollen nicht mitgehen müssen." Vor 3 Uhr nachmittags brauchte der Altgeselle keine Umschau zu halten, und wenn ein Geselle erst spät abends ankam, so wurde die Arbeitssuche auf den nächsten Tag verschoben. Wenn ein ankommender Geselle zu einem bestimmten Meister vermittelt werden wollte, so durften die Gesellen nur dann seinem Wunsche entsprechen, wenn jeder Meister m i t einem Gesellen versehen war. Gab es Meister ohne einen Gesellen, so mußten zunächst diesem die ankommenden Gesellen zugeschickt werden. Stand i n jeder Werkstatt ein Geselle i n Arbeit und der Ankommende äußerte keinen besonderen Wunsch, so gingen die Altgesellen nach der Ordnung um und fragten der Reihe nach vom ältesten bis zum jüngsten Meister nach 79 . I n manchen Handwerken oblag die Umschau nicht den gewählten Altgesellen, sondern allen Gesellen i n der Reihenfolge, wie sie bei den Meistern i n Arbeit getreten waren 8 0 . I n Arnstadt sollte der Geselle vom Herbergsvater „zum Meister eingebracht werden" 8 1 . Ansonsten aber war das Verfahren überall sehr ähnlich. Bei den Schlosser- und Sporergesellen i n Straßburg (1536) wurde i n der Gesellenherberge eine Tafel geführt, auf der die einen Gesellen suchenden Meister verzeichnet waren. Dem fremden Gesellen war es bei Strafe verboten, selbst Arbeit zu suchen. Der Urtengeselle (Herbergsgeselle, Zechmeister) mußte dem Fremden vielmehr diese Liste vorlesen und dann bei dem gewünschten Meister vorsprechen 82 . Sehr ähnlich verfuhren auch verschiedene Nürnberger Gewerke 83 . 79 Vgl. Bücher, K a r l : Frankfurter Buchbinder-Ordnungen v o m X V I . bis zum X I X . Jahrhundert, i n : Archiv f ü r Frankfurts Geschichte u n d Kunst, 3. Folge, Bd. 1, F r a n k f u r t 1888, S. 282 - 283 (Qu. 390). 80 Vgl. Stock, Ch. L . : Grundzüge der Verfassung des Gesellenwesens, S. 50. 81 Vgl. Berlepsch , Η . Α.: Bd. 4, S. 71 (Qu. 391). 82 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 252 (Qu. 392). Vgl. auch die Ordnungen der Frankfurter Kürschnergesellen v o m 8. J u l i 1609 u n d der dortigen Schlossergesellen v o n 1577, Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 287 (Qu. 393) u n d S. 309 (Qu. 394). 83 Vgl. Schoenlank, B r u n o : Z u r Geschichte altnürnbergischen Gesellenwesens, S. 597.

II. Sicherung bei Arbeitslosigkeit

131

Der Ürtengeselle der Schreiner i n Freiburg sollte auf Wunsch des zuwandernden Gesellen zunächst bei dem bevorzugten Meister u m Arbeit nachsuchen, aber nur, wenn dieser weniger als drei Gesellen bzw. zwei Gesellen und einen Lehrling beschäftigte. Ansonsten waren sie gehalten, alle Meister ohne jede Benachteiligung nach bestem Vermögen m i t Arbeitskräften zu versorgen. Auch den bereits i n Freiburg arbeitenden Gesellen war der Gesellenverband bei der Suche nach einer neuen Stelle behilflich, wenn die Rückfrage beim alten Meister ergeben hatte, daß beide das Arbeitsverhältnis i m Einvernehmen gelöst hatten 84 . Einige Gesellenverbände machten noch eine wichtige Einschränkung: Sie vermittelten nur dem Gesellen einen Arbeitsplatz, der sich verpflichtete, Mitglied der Brüderschaft zu werden. So heißt es 1484 bei den Straßburger Schlosser- und Sporerknechten: „Welcher Knecht auch i n die Stadt Straßburg kommt und arbeiten w i l l , den sollen die Büchsenmeister fragen, ob er auch i n der Brüderschaft dienen und Beiträge zahlen w i l l , und sofern er das zusagt, sollen i h n die Büchsenmeister zu einem Meister vermitteln; sonst sollen sie dazu nicht verpflichtet sein 85 ." I m Grunde war die schriftliche Fixierung dieser Einschränkung unnötig, denn praktisch überall bestand Zwangsmitgliedschaft i n den Gesellenverbänden und Brüderschaften. Wer sich weigerte, die Beiträge zu zahlen, hatte kaum eine Chance auf Arbeit. Der Meister konnte es sich nicht leisten, einen solchen Gesellen zu behalten, da er damit unter den Bann des Gesellenverbandes gefallen wäre m i t der Folge, keine Gesellen mehr zu bekommen. Auch i n anderen Städten konnte ein solcher Geselle nicht m i t Arbeit rechnen, da er für unredlich erklärt wurde und diese Kunde i h m überallhin vorauseilte oder folgte. Es blieb ihm also gar keine andere Wahl, als dem Verband beizutreten. b) Kurzfristige

Arbeitsbeschaffung

Nicht immer gelang es den Gesellenverbänden, den zuwandernden Gesellen Arbeit zu beschaffen. Wie w i r i m vorigen Abschnitt gesehen haben, war es oft nur eine Minderheit, die Arbeit erhielt. Die Gesellenverbände versuchten dann, ebenso wie es bereits die Zünfte handhabten, wenigstens eine Zwischenlösung zu finden, indem sie eine kurzfristige Arbeit — meist 14 Tage — vermittelten. Damit wurde es dem Gesellen ermöglicht, etwas Geld zu verdienen, um seine Wanderschaft fortsetzen zu können. Manchmal wurde er 14 Tage lang vom Herbergsvater beschäftigt 8®, ansonsten waren auch vielfach die Meister bereit, 84 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 260 - 261 (Qu. 395). 85 Vgl. Brucker, J., S. 442 (Qu. 396). 86 Vgl. Hähnsen, Fritz, S. 187.

9*

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1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

einen Gesellen für kurze Zeit einzustellen, auch wenn sie keine Möglichkeit oder Notwendigkeit sahen, einen Gesellen für längere Zeit zu beschäftigen 87 . U m einen zu starken Zustrom zu verhindern, wurde es solchen Gesellen meist verboten, innerhalb des nächsten Vierteljahres wieder i n der Stadt u m Arbeit vorzusprechen. Teilweise wurde diese Frist auch auf ein halbes Jahr ausgedehnt, wie z.B. bei den oben erwähnten Frankfurter Sattlergesellen 88 . Die kurzfristige Arbeit war i n den meisten Fällen auch insofern eine Zwischenlösung, als der Geselle erst nach Ablauf dieser Frist zur Mitgliedschaft und damit zu den Beitragszahlungen i m Gesellenverband herangezogen wurde. 3. Gewährung von Unterkunft und Verpflegung

Nicht immer gelang es, den Wandergesellen Arbeit zu verschaffen, und sei es auch nur kurzfristig. War es noch früh am Tag, so konnte der Geselle seine Wanderschaft fortsetzen. Da die Umschau i n der Regel jedoch nicht vor 3 Uhr nachmittags gehalten wurde und diese einige Zeit erforderte, w i r d es meist zur Weiterreise zu spät gewesen sein, und der Geselle mußte ein Nachtquartier suchen. Auch hier fand er Unterstützung durch den Gesellenverband. War es früher häufig Pflicht der Meister, die wandernden Gesellen zu beherbergen 89 , hatten die Gesellenverbände oft ihre eigene Herberge. Hier konnten die Gesellen, die keine Arbeit fanden, die Nacht verbringen, aber auch die nur durchreisenden Gesellen fanden hier Unterkunft 9 0 . Die Kosten für Nachtlager und Beköstigung wurden von den Gesellenverbänden getragen, wenn der Geselle sich vergeblich um Arbeit bemüht hatte 91 . I n Zerbst erhielt der Geselle, der keine Arbeit fand, freies Nachtlager 92 . I n K i e l konnte der Buchbindergeselle m i t Quartier und Verpflegung beim Gesellenvater rechnen, der Maurergeselle erhielt 4 Schilling Zehrgeld und ein freies Nachtlager i n der Herberge. Ähnlich hielt es eine ganze Reihe dortiger Gesellenverbände 93 . 87 Vgl. dazu Knebel, Konrad, S. 71, u n d die Ordnung der Sattlergesellen i n F r a n k f u r t (1549) bei Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 300 (Qu. 397). 88 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 300 (Qu. 397). 89 Vgl. T e i l 1, Β I V 2 b: Indirekte Arbeitslosenfürsorge. 90 Vgl. Schoenlank, Bruno: Gesellenverbände, S. 827; Ordnung der F r a n k furter Hufschmiedegesellen v o m 22. Oktober 1593 bei Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 316 (Qu. 389). 91 Vgl. Otto, Eduard, S. 45; Stahl, Fr. Wilhelm, S. 380. 92 Vgl. Dalmer, Paul, S. 78 u n d S. 86. 93 Vgl. Hähnsen, Fritz, S. 204.

II. Sicherung bei Arbeitslosigkeit

133

I n den Statuten der Flensburger Schmiedegesellen (1597) heißt es: „Wenn ein Geselle gewandert kommt, soll er ein freies Nachtlager i n der Herberge erhalten, wenn er keine Arbeit bekommt; wenn ein Geselle i n Flensburg Schaffer ist und i n Arbeit steht, und ein fremder Geselle gewandert kommt, soll der Schaffer dem fremden Gesellen eine Kanne Bier schenken, die i h m aus der Gesellenkasse ersetzt wird 9 4 ." Die durchwandernden Gesellen konnten zwar auch i n der Gesellenherberge absteigen, mußten teilweise die Kosten für Unterkunft und Verpflegung aber selbst tragen, ζ. B. bei den Nürnberger Badern 95 und den Berliner Zimmergesellen. I n der Ordnung von 1683 heißt es: „Diejenigen so nicht Lust zu Arbeiten haben, . . . müssen von den Ihrigen zehren und sollen hierüber den Krugvater keine molest erweisen." Aus den gleichen Statuten geht hervor, daß der Gesellenverband offenbar die Last der Beherbergung auf die Meister abwälzen konnte: Wer um Arbeit nachsuchte, erhielt vom Herbergsvater 2 Groschen Zehrung und ein freies Nachtlager. Die Kosten mußte der Meister, bei dem der Geselle i n Arbeit trat, dem Krugvater ersetzen. Fand der Geselle keine Stelle, sollten i h m die Meister so lange Geld vorstrecken, bis er Arbeit fand und das Darlehen abarbeiten konnte 96 . Die Kosten, die den Gesellenverbänden durch die Beherbergung und Bewirtung der wandernden Genossen entstanden, mögen i m einzelnen gering gewesen sein. Bei dem großen Umfang der Wanderbewegung und der ständig steigenden Zahl derer, die keine Arbeit fanden, w i r d die Belastung des Verbandes teilweise jedoch ganz erheblich gewesen sein 97 . 4. Finanzielle Unterstützung der wandernden Gesellen: das Zehrgeld

Bei den Zünften war es üblich, die wandernden Gesellen durch Darreichung eines „Geschenks" zu unterstützen. Es bestand aus der Gewährung von Unterkunft und Verpflegung und/oder dem „Zehrpfennig", der es den Gesellen ermöglichte, die Wanderschaft fortzusetzen 98 . Wie w i r bereits i m vorigen Abschnitt zeigten, übernahmen die Gesellen m i t der Arbeitsvermittlung auch die Unterbringung und Verpflegung der zuwandernden Gesellen. Auch den Brauch, einen Geldbetrag für die Weiterreise zur Verfügung zu stellen, führten die Gesellenverbände fort, ja sie brachten ihn erst zu voller Entfaltung. 94

Vgl. Metger, Conrad, S. 22 (Qu. 398), ebenso S. 25. Vgl. Schoenlank, B r u n o : Z u r Geschichte altnürnbergischen wesens, S. 597. 96 Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 342 (Qu. 399). 97 Vgl. Zatschek, Heinz, S. 52. 98 Vgl. T e i l 1, Β I V 2 c: Direkte Arbeitslosenfürsorge. 95

Gesellen-

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1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

Dieses Zehrgeld wurde teilweise neben freiem Nachtlager und Kost gewährt". Andere Gesellenverbände sorgten für die Unterkunft und gaben ein Zehrgeld, m i t dessen Hilfe der Geselle sein Essen selbst zahlen konnte und das gleichzeitig als Unterstützung für die Weiterreise galt. So hielten es beispielsweise die Kieler Maurergesellen und die Berliner Zimmergesellen, die bereits i m vorigen Abschnitt erwähnt wurden 1 0 0 . I n Nürnberg bekam der Leckküchnergeselle als Nachtzehrung 2 Kreuzer, der Nestlergeselle 1 Batzen. Der Badergeselle erhielt in der ersten Nacht 12 Kreuzer, allerdings nur, wenn er gewillt war, i n Nürnberg Arbeit anzunehmen 101 . Hier zeigt sich, daß die Höhe der Unterstützungszahlung selbst i n einer Stadt von Handwerk zu Handwerk unterschiedlich war. Es ist anzunehmen, daß ein enger Zusammenhang zwischen der Mitgliederzahl — und folglich dem Einkommen — des Verbandes und der Höhe des Zehrgeldes bestand. Leider enthält das benutzte Schrifttum nicht das Material, diese Vermutung zu bestätigen oder zu widerlegen. Bisweilen war die Gewährung des Zehrgeldes an die Bedingung geknüpft, daß der Geselle gewillt war zu arbeiten, am Ort jedoch keine Stelle fand. So hielten es — wie oben erwähnt — die Nürnberger Bader 102 . Diese Einschränkung findet sich auch in der Verordnung über das Gesellenwesen — die Frankfurter Buchbinder betreffend — vom 20. September 1810. Dort heißt es: „Findet der Gesell keine Arbeit, . . . hat der Geschworene gegen Bescheinigung auf sein Verlangen ein Zehrgeld von 40 kr. zu bezahlen. Außer diesem Zehrungsgeld aber hat niemand dem fremden Gesellen und dem Herbergsvater für den Gesellen weiter etwas zu bezahlen, und der zugewanderte Gesell hat auf seine eigene Kosten zu zehren 103 ." Laut Gesellen-Ordnung der Frankfurter Buchbinder vom Ende des 16. Jahrhunderts erhielt der Fremde vom Herbergsvater 2 Batzen zur Nachtzehrung, mußte diese aber zurückzahlen, wenn er Arbeit gefunden hatte 1 0 4 ; also galt schon damals die Einschränkung, daß nur der arbeitslos Gebliebene die Unterstützung erhielt. Die Nürnberger Sattlergesellen dekretierten: „Wenn einer deß handwerk von weiten orten herköme 99 Vgl. Stahl, Fr. Wilhelm, S. 380; Otto, Eduard, S. 45; Schoenlank, Bruno: Gesellenverbände, S. 827. 100 Vgl. auch Dalmer, Paul, S. 78 u n d S. 86. 101 Vgl. Schoenlank, B r u n o : Z u r Geschichte altnürnbergischen Gesellenwesens, S. 597. los y gì auch Dalmer, Paul, S. 78; die gleiche Einschränkung galt auch für die Gewährung v o n U n t e r k u n f t u n d Verpflegung i n einigen Verbänden. Vgl. den vorigen Abschnitt. 108 104

Bücher, K a r l : F r a n k f u r t e r Buchbinder-Ordnungen, S. 287 (Qu. 400). Vgl. Bücher, K a r l : Frankfurter Buchbinder-Ordnungen, S. 285 (Qu. 401).

II. Sicherung bei Arbeitslosigkeit

135

und sich ganz verzehret hette, auch nach dem umbschicken alhier keine arbeit finden könde, so soll ihme auß der Büchsen zum umbschicken sechzehn pfennig, da ihne aber die nacht überfiele, zur zehrung vier und zwainzig pfennig gegeben werden, und gleich wie dieses alles auß gutem willen geschiehet, also soll sich keiner gleichsam ob solches seyn müste, darauf verlaßen oder dem vater auf der herberg viel beschweren 105 ." Der letzte Satz weist sehr deutlich darauf hin, daß auch bei den Gesellenverbänden kein durchsetzbares „Recht" auf Unterstützung bestand. Diese wurde, soweit es die M i t t e l erlaubten, gewährt. Der Gesellenverband übernahm durch die entsprechenden A r t i k e l i n der Ordnung lediglich die moralische Pflicht zur Hilfeleistung, nicht eine juristisch

bindende

Verpflichtung.

Teilweise wurde nicht nur den Gesellen, die i n der Stadt vergeblich um Arbeit nachsuchten, die Unterstützungssumme gezahlt, sondern auch denen, die Arbeit fanden. So gaben i n Frankfurt am 14. September 1810 zwei Handwerksgeschworene über den Brauch bei den Buchbindergesellen zu Protokoll: „ . . . Dieser Irden-Gesell habe einem solchen Fremden demnächst 30 kr. als Geschenk aus seinen M i t t e l n gegeben, gleichviel ob er i n Arbeit gekommen oder nicht; es habe ein solcher Fremder auch noch 20 kr. von der Meisterschaft erhalten; jedoch dieses nur i n dem Fall, wenn er keine Arbeit erhalten.. . l o e . " Daß hier der Urtengeselle persönlich und nicht der Gesellenverband die Unterstützung zahlen mußte, erscheint uns sehr außergewöhnlich, denn es wurde uns kein anderer ähnlicher Fall bekannt 1 0 7 . Das Geschenk war nicht immer auf die Arbeitswilligen beschränkt, auch die Gesellen, die sich lediglich auf der Durchreise befanden, erhielten es bisweilen. Möglicherweise war dies i n der Frühzeit der Gesellenverbände sogar allgemeiner Brauch 108 . Da m i t dem Zehrpfennig wohl viel Mißbrauch getrieben wurde und die Sitte der Wanderunterstützung von „arbeitsscheuen Gesellen, die nur wanderten, u m die Welt zu sehen, nicht aber u m i n guten Werkstätten ihre Kenntnisse zu be105 Vgl. Schoenlank, Bruno: Z u r Geschichte altnürnbergischen Gesellenwesens, S. 597 (leider macht Schoenlank keine Angaben über die Zeit, aus der das Dokument stammt). 106 Vgl. Bücher, K a r l : Frankfurter Buchbinder-Ordnungen, S. 242 (Qu. 402). 107 Es besteht k a u m Zweifel, daß m i t „seinen M i t t e l n " nicht etwa die v o n i h m verwalteten Gelder des Gesellenverbandes gemeint waren, sondern t a t sächlich Privatmittel, denn i m Verlauf des Protokolls heißt es weiter: „Ausserdem, dass die Gesellen umwechselnd das I r d e n - A m t zu besorgen u n d die damit verbundene Ausgabe zu bestreiten gehabt, wäre v o n einem jeglichen Gesellen . . . auch noch v o n jeder Woche 1 kr. Gebot-Geld u n d 2 kr. i n die Armen-Büchse entrichtet w o r d e n . . . " . Vgl. Bücher, K a r l : Frankfurter Buchbinder-Ordnungen, S. 242 (Qu. 402). 108 Vgl. Stahl, Fr. Wilhelm, S. 380; Otto, Eduard, S. 45.

136

1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

reichern" 109 , weidlich ausgenutzt wurde, war eine Beschränkung der Zahlung auf die Arbeitswilligen wohl unumgänglich. Auch die Begrenzung der Summe, die gezahlt werden durfte, durch den Reichsschluß von 1731 (1771 neu bestätigt) ist auf den m i t dem Unterstützungswesen getriebenen Mißbrauch zurückzuführen: Jeder Geselle sollte „von einem Orte mehr nicht, denn höchstens 2 bis 10 Gr. oder 15 bis 20 kr., es sei nun gleich baar, oder stattdessen i n Essen und Trinken und auf der Herberg bekommen, hingegen des Betteins vor der Thüren sich gänzlich enthalten, wenn aber ein Geselle oder deren viele nur des Geschenkes halber von einem Orte zum andern laufen, eine angebotene Arbeit anzunehmen verweigern sollte, wäre i h m das Geschenk nicht zu halten 1 1 0 ." Der zunächst von den Zünften, später von den Gesellenverbänden gegebene Zehrpfennig ist, vor allem i n seiner späteren Ausprägung m i t der Beschränkung auf die, die trotz ihrer Bemühungen arbeitslos blieben, als ein echter Vorläufer der heutigen Arbeitslosenfürsorge zu betrachten 111 . Auch die Funktionen der heutigen Arbeitsämter wurden teilweise bereits von den Gesellenverbänden wahrgenommen. ΙΠ. Sicherung bei Unfall und Krankheit Die Maßnahmen der Gesellenverbände zur Sicherung ihrer Genossen i m Krankheitsfalle entsprachen weitgehend denen der Zünfte, denn sie traten auch i n diesem Bereich deren Nachfolge an. Es entsprach dabei dem wohlverstandenen Selbstinteresse der Gesellen, die Hilfeleistungen ihrer Brüderschaft gegenüber denen der Zünfte teilweise auszudehnen und zu verbessern. Kranksein bedeutet dreierlei, nämlich: den Wegfall des täglich zu erwerbenden Lebensunterhalts, die Notwendigkeit von Pflege und schließlich die Notwendigkeit, ärztliche Hilfe i n Anspruch zu nehmen 112 . Jedem dieser drei Punkte trugen die Gesellenverbände i n ihren Unterstützungsmaßnahmen Rechnung. 1. Finanzielle Unterstützung

U m den i m Krankheitsfall entstehenden Lohnausfall sowie die zusätzliche Belastung durch Heilkostenaufwand aufzufangen, stellten die Gesellenverbände — ebenso wie die Zünfte — finanzielle Hilfe zur Ver109

Berlepsch, Η . Α.: Bd. 4, S. 75. Vgl. Stahl, Fr. Wilhelm, S. 381 - 382. 111 Vgl. Cohn, Julius: Die E n t w i c k l u n g Deutschland, B e r l i n (1927), S. 6. 112 Vgl. Fischer, I.: Heft 5, S. 68. 110

der

Krankenversicherung

in

III. Sicherung bei Unfall und Krankheit

137

fügung. Eine vierzehntägige Lohnfortzahlung wurde bei den Badern und Barbieren i n Eger 1584 dadurch erreicht, daß die Mitgesellen des Erkrankten 14 Tage lang dessen Arbeit mit verrichteten und dieser dafür seinen üblichen vollen Lohn erhielt 1 1 3 . War diese A r t solidarischer Hilfe bei den Knappschaften durchaus verbreitet 1 1 4 , scheint sie i m Handwerk nicht üblich gewesen zu sein, denn i n den sehr zahlreichen Urkunden der Zünfte und Gesellenverbände, die uns vorgelegen haben, blieb diese Regelung bei den Egerer Barbieren ein Einzelfall. Immerhin scheint sie uns — besonders i m Hinblick auf eine Entlastung der Zunft- bzw. Gesellenbüchsen — ein recht brauchbarer Weg gewesen zu sein. Dennoch, ausreichend konnte diese Hilfe allein nicht sein. Schon ihre zeitliche Begrenzung auf zwei Wochen bedingte weitergehende Maßnahmen, sollte eine wirksame Krankensicherung gewährleistet sein. a) Gewährung

von

Darlehen

Die weitaus häufigste A r t der finanziellen Unterstützung kranker Gesellen war die Gewährung von Darlehen. Nicht aus allen Rollen geht eindeutig hervor, daß die gewährte Hilfe nach Genesung zurückzuzahlen war. So heißt es beispielsweise i n der Rolle der Maler-, Glaser- und Sattlergesellen i n Münster (Ende 16. Jahrhundert) lediglich, daß die Hälfte der Strafgelder zur Unterstützung kranker Gesellen verwendet werden solle; nähere Angaben über A r t und Umfang der Unterstützung fehlen 115 . Nichtsdestoweniger muß davon ausgegangen werden, daß es sich auch hier u m Darlehen handelte. Die meisten Rollen enthalten einen ausdrücklichen Hinweis auf diese A r t der Hilfe. I n der Ordnung der Freiburger Schreinergesellen (1539) wurde bestimmt: „ . . . wo etwa einer unter ihnen krank werde und keine Hilfe habe, möge man i h m aus der Lade Geld vorstrecken und wenn Gott i h m wieder aufhelfe, so sol er dies, solbald er mag und kann getreulich zurückerstatten 116 ." A u f ähnliche Weise legten auch die Frankfurter Sattlergesellen (1549)117 und viele andere Brüderschaften und Gesellenverbände das Darlehen als Form der finanziellen Unterstützung fest. Andere Verbände fixierten darüber hinaus auch die Höhe der zu gewährenden Hilfe i n ihren Rollen. Die Danziger Leinewebergesellen 113 Vgl. Siegl, K a r l : Die Egerer Zunftordnungen. E i n Beitrag zur Geschichte des Zunftwesens, Prag 1909, S. 23 (Qu. 403). 114 Vgl. z. B. Peters, Horst, S. 20; Schirbel, Eugen, S. 103. 115 Vgl. Krumbholtz, Robert, S. 344 (Qu. 404). 116 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 259 - 260 (Qu. 405). 117 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 301 - 302 (Qu. 406).

138

1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

(1447) wollten dem Erkrankten auf dessen Bitte h i n 1 oder 2 Firdung leihen 118 , die Müller- und Bäckerknechte i n Speyer (1410) 3V2 Schilling 1 1 9 . Daß die Darlehen i n ihrer Höhe i n Einzelfällen recht erheblich waren, zeigen zwei Eintragungen i m Zeitgeldbuch der Lüneburger Malergesellen, wonach 1619 an 2 Gesellen je 12 Schilling und 1633 an einen Gesellen sogar 20 Schilling gezahlt wurden 1 2 0 . I m allgemeinen bewegten sich die zur Verfügung gestellten Summen jedoch i n niedrigerem Rahmen. Man muß dabei davon ausgehen, daß vor allem bei längerer Krankheitsdauer dieses eine Darlehen nicht ausreichte. Dem trugen die Gesellenverbände teilweise Rechnung, indem sie für diesen Fall weitere finanzielle Hilfe i n Aussicht stellten. Die Kürschnergesellen i n Stendal (1372) vergaben i m Normalfall 5 Schilling als Darlehen. Benötigte der Knecht mehr, so waren die Meister und Knechte, die die Büchse i n Gewahrsam hielten, ermächtigt, nach Gutdünken weiteres Geld zur Verfügung zu stellen 121 . I n Frankfurt streckten die Bendergesellen (1559) dem Kranken zunächst 12 Schilling Heller vor. Erwies sich die Krankheit als langwierig, so konnten die Büchsenmeister m i t Wissen der beiden Zunftmeister des Handwerks nochmals V2 Gulden zulegen 122 . Die Frankfurter Schuhmacherknechte (1528) gaben zunächst einen Betrag von V2 Gulden, bei Bedarf konnte der Kranke jedoch ein weiteres Darlehen i n Anspruch nehmen 123 . Die Unserer-Lieben-Frauen-Brüderschaft der Schuhmacher- und Gerbergesellen zu Wernigerode (1458) lieh dem Bedürftigen 3 Schilling aus der Lade. Benötigte der Kranke weitere finanzielle Unterstützung, wurde sie durch eine Umlage von 1 Pfennig je Genösse, den die beiden Meisterknappen einsammelten, aufgebracht 124 . — Für den Bedarfsfall sahen die Schmiedegesellen i n Flensburg (15. Jahrhundert) gar ein viermaliges Darlehen i n gleichbleibender Höhe (4 Schilling) vor 1 2 5 . Jeder kranke Geselle, der ein Darlehen der Brüderschaft i n Anspruch nehmen wollte, mußte — abgesehen von der Pflicht der vorherigen Beitragszahlung — i n der Regel drei Vorbedingungen erfüllen. I m Gegensatz zu den heutigen Krankenkassen, i n denen die Beitragszahlung automatisch einen Leistungsanspruch bewirkt, mußte der 118

Vgl. Hirsch, Theodor, S. 332 (Qu. 407). Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte S. 177 (Qu. 408). 120 Vgl. Scheschkewitz, Ulrich, S. 199. 121 Vgl. Riedel, A . F., S. 176 (Qu. 409). 122 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: 123 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: 124 Vgl. Jacobs, Eduard: Urkundenbuch Jahre 1460, Halle 1891, S. 351 (Qu. 412). 125 Vgl. Metger, Conrad, S. 13 (Qu. 413). 119

der deutschen Gesellenverbände,

Bd. 2, S. 275 (Qu. 410). Bd. 2, S. 340 (Qu. 411). der Stadt Wernigerode bis zum

III. Sicherung bei Unfall und Krankheit

139

kranke Geselle seine Bedürftigkeit nachweisen. Nur wenn der Knecht die Krankheit finanziell nicht aus eigener K r a f t überbrücken konnte, sprang der Gesellenverband helfend ein. Sehr deutlich formulierten die Hamburger Apen- und Grapengießergesellen i n ihrer Rolle von 1541 diesen Grundsatz: „Wenn ein Geselle dieser beiden Ämter krank w i r d u n d bewiesen

werden

kann,

daß er nichts

zu verzehren

hat, s o l l m a n

i h m nach Vermögen aus der Büchse vorstrecken 128 ." I n ähnlicher Form findet sich diese Forderung i n fast allen Gesellendokumenten. Die zweite Vorbedigung: Der Geselle mußte der Unterstützung würdig sein. So heißt es bei den Nürnberger Schreinergesellen: „ . . . da es sich den begeben solte, daß ein gesell welcher sich gegen meister und gesellen

wohl

und fromm

gehalten,

k r a n k s e y n u n d a n die gesellen e i n

hülf begehren würde, soll ihme m i t wißen der geschwornen was auß der laden gelihen und für gestreckt w e r d e n . . . 1 2 7 ." Diese Forderung paßt zu dem strengen Verhaltenskodex, den die Gesellenverbände zu halten bemüht waren; und so w i r d die Frage nach der Würdigkeit häufig eine Rolle gespielt haben bei der Entscheidung, ob dem Kranken ein Darlehen zu gewähren sei, auch wenn dies i n den Rollen nur selten ausdrücklich als Bedingung genannt wird 1 2 8 . Die dritte wichtige Voraussetzung steht i n engem Zusammenhang mit der vorstehenden: Der Geselle durfte sich die Krankheit nicht durch eigene Schuld zugezogen haben. Die Hamburger Maler- und Glasergesellen: „Ferner wenn ein Geselle krank w i r d , . . . dem Gott die K r a n k h e i t geschickt u n d der sie sich nicht

selbst

durch

eigenen

Übermut

zu-

gezogen hat, diesem Gesellen soll man helfen, wenn er nichts zu verzehren hat, derweil er i m Krankenbett liegt 1 2 9 ." I n der Ordnung der Frankfurter Buchdruckergesellen (2. Hälfte des 16. Jahrhunderts) heißt es bündig: „Diejenige gesellen, so auß leichtfertigkeit feyern und etwan kranck werden, die sollen nichts auß den büchsen bekommen 130 ." Den Leistungsausschluß bei Krankheiten, die auf Trunksucht oder geschlechtliche Ausschweifung zurückzuführen waren, fanden w i r bereits bei den Zünften 1 3 1 ; selbst i n die frühen Vorschriften der Krankenversicherung fand er noch Eingang 132 . 126

Vgl. Rüdiger, Otto: Aeltere Hamburgische u n d Hansestädtische Handwerksgesellendocumente, S. 563 - 564 (Qu. 414). Hervorhebung durch den V e r fasser. 127 Schoenlank, Bruno: Z u r Geschichte altnürnbergischen Gesellenwesens, S. 593 - 594 (Qu. 415). Hervorhebung durch den Verfasser. 128 Vgl. auch Fischer , I., S. 70. 129 Vgl. Lappenberg, Johann M a r t i n : Beiträge zur älteren Kunstgeschichte Hamburgs, i n : Zeitschrift des Vereins f ü r hamburgische Geschichte, Bd. 5, Hamburg 1866, S. 324 (Qu. 416). Hervorhebung durch den Verfasser. 130 Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 282 (Qu. 417). 131 Vgl. T e i l 1, Β V I 1 b: Gewährung von Darlehen u n d Qu. 227. 132 Vgl. Woedtke, Erich von, Hrsg.: Das Reichsgesetz, betreffend die K r a n -

140

1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

Die Rückzahlung des Darlehens wurde i n der Regel dem Vermögen des Gesellen überlassen: „der Schuldner sollte diesfalls nicht ,vber hauv' (über die Maßen) gedrängt werden (Schmiede, 1550), auch war i h m die A r t der Rückzahlung freigestellt: ,soweitt er gereichen kan', sagten die Walker 1592 133 ." I n seltenen Fällen wurden feste Fristen gesetzt, so ζ. B. bei den Schuhmachern i n Arnstadt (1628) 8 bis 14 Tage 134 . Weigerte sich der Geselle jedoch, den geliehenen Betrag zu erstatten, drohten i h m Aussperrung und gesellschaftlicher Boykott: „ . . . m i t dem sol kein gesell noch niemans essen oder drinken, er habe dann solliches gelt wider geben oder geschickt 135 ." Empfindlicher noch als der gesellschaftliche Boykott mußte den Säumigen die Aussperung aus dem Handwerk treffen. Kein Meister durfte i n Stendal einem Kürschnergesellen Arbeit geben, der die Rückzahlung eines Darlehens verweigerte, es sei denn, der Meister zahlte selbst den ausstehenden Betrag 1 3 6 . Auch durch Fortwandern konnte der Geselle seiner Zahlungspflicht nicht entgehen, denn das ausgeprägte System der Verrufserklärung, des Nachschickens (Auftreiben) und später die notwendigen Kundschaftsbriefe sorgten dafür, daß ein solcher Knecht nirgends mit Arbeit, geschweige denn einer Unterstützung seitens der Gesellenverbände rechnen konnte, solange der geliehene Betrag nicht zurückgezahlt war. Ein zweifellos hoch wirksames Instrument der Kreditkontrolle! Dennoch ließen es nicht alle Gesellenverbände m i t dem Versprechen auf die Handwerksehre, das Darlehen zurückzuzahlen, bewenden; sie verlangten eine Sicherheit. Die Roth- und Weißgerbergesellen zu Colmar (1470) legten dem Kranken auf Treu und Glauben 5 Schilling vor, konnte er jedoch ein Pfand bieten, erhielt er dessen Wert entsprechend mehr. Wurde er i n der Rückzahlung säumig, verkaufte der Gesellenverband das Pfand 1 3 7 . Ähnlich hielten es die Straßburger Kürschnerknechte (1404): Sie vergaben zwar grundsätzlich ihre Darlehen nur gegen Pfand, wobei die Höhe vom Wert des Pfandes abhing; besaß der Kranke jedoch nichts, kenversicherung der Arbeiter. V o m 15. J u n i 1883, B e r l i n — Leipzig 1883, § 6, S. 51 - 58, u n d § 26, S. 98 - 104 (Qu. 418). 133 Ruby, Franz, S. 164. 134 Vgl. Berlepsch, H . A . : Bd. I V , S. 71 (Qu. 419). Vgl. hierzu auch Zatschek, Heinz, S. 52. 135 Bruderschaft der Straßburger Gerberknechte 1477. Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 215 - 216 (Qu. 420). 136 Vgl. Riedel, A . F., S. 176 (Qu. 421). Vgl. auch Reubold, W i l h e l m : Beiträge zur Geschichte der Krankenkassen v o n Würzburg, i n : Archiv des Historischen Vereins v o n Unterfranken u n d Aschaffenburg, Bd. 46, Würzburg 1904, S. 17. 137 Vgl. Mone, F. J.: Zunftorganisation, Bd. 18, S. 23 (Qu. 422).

III. Sicherung bei Unfall und Krankheit

141

was er als Sicherheit hätte stellen können, erhielt er dennoch finanzielle Hilfe, die allerdings auf 3 Schilling begrenzt wurde 1 3 8 . — I n der Ordnung der Frankfurter Schuhmachergesellen (1469) lautet die Regelung folgendermaßen: „Und geschehe es, daß ein Geselle i n unserer Brüderschaft krank würde und es nötig wäre, i h m etwas zu leihen und er das bei der Brüderschaft begehren würde, so soll und muß man i h m einen halben Gulden auf seine Ehrbarkeit und guten Glauben leihen und wenn er damit nicht genug hätte, so soll man i h m noch einen halben Gulden gegen gutes Pfand oder einen Bürgen leihen, damit er dies i n seiner Krankheit gebrauchen kann 1 3 9 ." Der Kranke erhielt also i n jedem Fall V2 Gulden, stellte er ein Pfand oder einen Bürgen, so konnte i h m der Gesellenverband einen weiteren halben Gulden zur Verfügung stellen. Bei einigen Gesellenverbänden wurde die Darlehensvergabe noch strenger gehandhabt. So wurde i n den A r t i k e l n der Straßburger Leinenweberknechte (1479) die Vergabe von Darlehen aus der Brüderschaftskasse ausdrücklich untersagt m i t der Einschränkung, daß kranken Bundesgenossen Geld geliehen werden dürfe, jedoch auch dies nur m i t Erlaubnis der Meister und gegen Hingabe eines Pfandes, dessen Wert die geliehene Summe übersteigen mußte 1 4 0 . Die Pfänder durften i n der Regel erst nach Ablauf eines Jahres verkauft werden 1 4 1 . War ein Geselle so arm, daß i h m die Rückzahlung des Darlehens unmöglich wurde und waren auch dessen Kleider als Pfand wertlos, so schenkte man i h m gelegentlich die geliehene Summe ganz oder teilweise: Aus dem Darlehen wurde ein Almosen 142 . Einige Gesellenverbände i n Lüneburg wandten ein besonderes Verfahren zur Unterstützung ihrer kranken Genossen an: Sie gaben den Meistern einen Geldbetrag, die dafür die Sorge u m die kranken Gesellen übernahmen. Die Riemergesellen hatten dem Meister Thomas Prediger 5 Mark übergeben, wovon dieser notleidenden Gesellen ein Darlehen auszahlte. 1572 hatten die Schneidergesellen den Meistern aus ihrer Lade eine Summe von 200 lübische Mark und 1583 eine weitere von 50 lübische Mark gegen eine Rente geliehen. Einen Teil der Rente verwandten die Meister zur Unterstützung kranker Gesellen. Da aber die Meister seit 1582 den Gesellen keine Rechnung mehr ablegten, forderten die Gesellen 1604 vor dem Rat von den Meistern die Rückzahlung 138 v g l Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 171 (Qu. 423). 139

Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 336 (Qu. 424). Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 219 (Qu. 425). 141 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 71. 142 Vgl. Hähnsen, Fritz, S. 59; Ruby, Franz, S. 164. 140

142

1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

des gesamten Schuldbetrages, der inzwischen einschließlich der Rente auf 460 Mark angewachsen war. Außerdem klagten die Gesellen, daß die Meister die Gesellenunterstützung vernachlässigt hätten. A m 5. März 1607 verurteilte der Rat die Meister zur Rückzahlung des Kapitals und verpflichtete gleichzeitig die Gesellen, die Unterstützung notleidender Genossen wieder selbst zu übernehmen 143 . b) Zahlung

eines regelmäßigen

Krankengeldes

Bedeutete die Möglichkeit, von der Gesellenbrüderschaft bei K r a n k heit ein Darlehen zu erhalten, zwar eine gewisse Minderung des K r a n k heitsrisikos, so kann man sie doch nicht als ausreichende Sicherung betrachten. Da ein solches Darlehen i n der Regel nur einmal, seltener ein weiteres M a l gewährt wurde und zudem i n der Höhe meist begrenzt war, blieb das Risiko des Gesellen, besonders bei langwierigen K r a n k heiten, immer noch recht erheblich. So muß es denn als ein Fortschritt betrachtet werden, wenn einige (wenige) Gesellenverbände zwar beim System der Darlehensgewährung blieben, dies jedoch nicht auf eine einmalige Summe beschränkten, sondern i n Form eines regelmäßigen Krankengeldes so lange zahlten, bis der Geselle genesen war. Die Kieler Maurergesellen erhielten seit 1753 aus der Lade ein wöchentliches Krankengeld von 1 Mark i m Winter und IV2 Mark i m Sommer. Ähnlich hielten es die dortigen Tischler, bei denen das Darlehen i n ebenfalls wöchentlichen Raten wieder abzutragen war 1 4 4 . Die Brüder- und Gesellschaftsordnung der Wollen-, Leinweber- und Hosenstrickergesellen zu Freiburg bestimmte 1591: „ . . . wenn unter den erwähnten Wollen- und Leinenknappen, Gesellen aus dem Hosenstrickerhandwerk einer während seines Dienstes erkranken sollte und i n ein Spital oder anderes Haus der Stadt Freiburg kommen sollte, demselben soll man aus der Brüderschafts- und Gesellschaftsbüchse, so lange er krank liegt, alle Woche sieben Pfennig zu geben schuldig sein." Machte die Krankheit eines Gesellen einen Krankenhausaufenthalt erforderlich, so erhielt er also aus der Brüderschaftskasse ein Unterstützungsdarlehen von wöchentlich 7 Pfennig. War er „ i n seyner hochbeschwerlichen krankheit etwas mehr bedürftig", so konnte das Darlehen nach Bedarf erhöht werden 1 4 5 . Die Straßburger Leinenwebergesellen zahlten 1479 dem Kranken, so lange er i m Spital lag, ein tägliches Krankengeld von 1 Pfennig 148 . 143

Vgl. Scheschkewitz, Ulrich, S. 200. Vgl. Hähnsen, Fritz, S. 203. 145 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 280 (Qu. 426). 148 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 221 (Qu. 427). 144

III. Sicherung bei Unfall und Krankheit c) Eigene

143

Gesellen-Krankenkassen

I n der Regel wurde die Krankenunterstützung aus der allgemeinen Kasse der Brüderschaft bzw. des Gesellenverbandes gezahlt, aus der unter anderem auch die Festessen, der Kauf von Silbergerät, Kerzen, Leichentüchern usw. finanziert wurde. Die Eintrittsgebühren, Beiträge und Strafgelder dienten also keineswegs ausschließlich der Krankenunterstützung. Einige Verbände verfügten hingegen ausdrücklich, daß die Kasse der Krankenunterstützung dienen sollte. So errichteten die Frankfurter Schreinergesellen am 12. J u l i 1565 „zu Erhaltung der kranken Gesellen eine allgemeine Geldkasse m i t zwei unterschiedlichen Schlössern versehen", i n die ein Eintrittsgeld von 3 Pfennig und ein monatlicher Beitrag von 2 Pfennig gezahlt wurden 1 4 7 . Auch die Büchse der Frankfurter Maurergesellen (1604), zu der jeder Meister jährlich 2 Albus, jeder Geselle wöchentlich 1 Pfennig beitrug, diente ausschließlich als Krankenund Sterbelade 148 . I n K ö l n errichteten die Tuchscherergesellen am 1. September 1747 einen Verband und gaben sich eine Ordnung. Die Büchse wurde i m Zunfthaus verwahrt, und der jeweilige Gildemeister sowie der Vorsteher der Gesellen besaßen je einen Schlüssel. Die anfallenden Strafgelder sollten „zum Besten der Gesellen als nämlich Bettlägerigen und durch ein Unglück an Hand und Fuß erlähmten angewendet, und jeder wöchentlich aus der Büchse 40 alb gegeben werden, dahingegen aber verbinden sich die gesunden und arbeitenden Gesellen ein jeder alle wochen zu diesem Behuff 2 alb. i n die Büchse zu legen" 1 4 9 . Offenbar wurde auch hier die Büchse zumindest vorwiegend zur Krankenunterstützung verwendet. Die genannten Ordnungen lassen erkennen, daß es sich noch keineswegs u m Verbände handelt, die zum Zwecke der gegenseitigen Unterstützung bei Krankheit und Tod gegründet wurden, sondern u m die üblichen Gesellenverbände bzw. -brüderschaften m i t ihren vielseitigen Bestimmungen zum Berufsleben. Auch die Kürschner i n Stendal gründeten 1372 unseres Erachtens eine normale Brüderschaft und nicht — wie der Herausgeber Riedel i n seiner Überschrift feststellt 150 und wie danach von mehreren anderen Autoren übernommen 151 — eine eigene Gesellenkrankenkasse. Solche besonderen Kassen, die ausschließlich der Krankenunterstützung und/oder als Sterbekassen dienten, wurden erst sehr viel später gegründet. 147

Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 331 - 332 (Qu. 428). Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 350 (Qu. 385). 149 Kölner Stadtarchiv: Z u n f t a k t e n Nr. 32, S. 170 (Qu. 429). 150 Vgl. Riedel, A . F., S. 176 - 177. 151 Vgl. z . B . Wernet, W i l h e l m : Entstehung u n d Werdegang der Innungskrankenkassen, i n : Die Krankenversicherung, Heft 3,1954, S. 83. 148

144

1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

Die Frankfurter Buchbindergesellen errichteten 1786 neben der bestehenden allgemeinen Kasse eine Krankenkasse, zu der bei den Geboten ein besonderer Beitrag erhoben wurde. I m Einschreibbuch des Altgesellen findet sich seit dieser Zeit ein jährlicher Betrag von 2V2 Gulden verzeichnet, der an das Spital abgeführt wurde und offensichtlich der Unterbringung kranker Gesellen diente 152 . Hier wurde die schon immer vorhandene Zweigleisigkeit der Brüderschaften und Gesellenverbände — Pflege des geselligen und religiösen Lebens sowie soziale Hilfeleistung — durch Gründung einer besonderen Kasse für soziale Leistungen betont. Durch diese Erhebung besonderer Kassenbeiträge innerhalb der alten Organisation der Brüderschaft wurde ein erster Schritt vollzogen, der schließlich m i t der Gründung von Zwangskrankenkassen zur Umwandlung der früheren Gesellenbrüderschaften i n reine Krankenladen der Gesellen führte. Die Zimmergesellen i n Eisenberg (Thüringen) gründeten am 30. Januar 1802 eine „Gesellschaft sowohl i n Ansehung ihrer HandwerksZusammenkünfte als auch insbesondere zur Errichtung einer armenund Krancken-Kasse" 153 . Zwar zeigen sich i n der Satzung noch die typischen Elemente der Gesellenverbände und -brüderschaften, doch wurde auch hier bereits eine besondere Kasse zur Kranken- und Armenunterstützung gegründet, i n die ein fester Teil der Einnahmen flöß. Der Kranke erhielt 4 Groschen wöchentlich aus der Armenkasse, der bei der Arbeit verletzte Geselle 6 Groschen wöchentlich und „sollte ferner ein Geselle das Unglück haben, zu stürzen, und der Fall so unglücklich sein, daß er Schaden genommen, und kann solches durch ein medizinisches Attestat bescheinigt werden, so erhält selbiger wöchentlich ebenfalls 8 gr. aus der Armen-Casse" 154 . Die Leistung der Kasse war i n zweifacher Hinsicht eingeschränkt. 1. N u r wer mindestens 1 Jahr Mitglied der Gesellschaft war, hatte Anspruch auf die Unterstützung, 2. die wöchentliche Zahlung beschränkte sich auf ein Vierteljahr, bei längerer K r a n k heitsdauer hatte der Geselle keine Ansprüche mehr gegen die Gesellschaft 155 . I n K i e l war die am 26. A p r i l 1799 gegründete sogenannte „freiwillige Krankenlade" der Zimmergesellen die erste besondere Krankenkasse 158 : Die Freiwilligkeit bezog sich allerdings nur auf den gemeinsam vereinbarten Gründungsbeschluß. Für heimische und fremde Gesellen be152

Vgl. Bücher, K a r l : Frankfurter Buchbinderordnungen, S. 241. 153 wissell, Rudolf: Die Geschichte der deutschen Sozialversicherung, i n : Die Reichsversicherung, 1. Jahrg., Heft 5, München 1927, S. 143 f. (Qu. 430). 154

Wissell, Rudolf: Die Geschichte der deutschen Sozialversicherung, S. 144. 155 wissell, Rudolf: Die Geschichte der deutschen Sozialversicherung, S. 143 - 144 (Qu. 430). 156

Vgl. hier u n d i m folgenden Hähnsen, Fritz, S. 452 u n d S. 453.

III. Sicherung bei Unfall und Krankheit

145

stand Beitrittspflicht — es war also eine Zwangskasse. Jeder Geselle zahlte bei Errichtung der Kasse 8 Schilling; das Einschreibgeld betrug bei der ersten Aufnahme 6 Schilling, bei wiederholter Aufnahme (etwa nach der Wanderschaft) 2 Schilling. Ferner mußte von jedem Mitglied ein Wochenbeitrag von 1 Schilling gezahlt werden. I m Unterschied zu den früheren Brüderschaften zahlte die Kasse nicht ein Darlehen, sondern ein festes Krankengeld, das „vorläufig bis zur Verbesserung der Lade" wöchentlich 1 Mark 8 Schilling i m Sommer und 1 Mark i m Winter betrug, später auf wöchentlich 1 Reichstaler festgesetzt wurde. E i n Jahr später, am 15. A p r i l 1800, wurde die Krankenkasse der Sattlergesellenbrüderschaft gegründet. Meister und Gesellen errichteten sie unter teilweiser Beibehaltung der bisherigen Organisation der Amtsbrüderschaft (Meister und Gesellen) durch Übernahme des Kassenbestandes von 24 Mark. Jeder neu ins A m t aufgenommene Meister sollte künftig 1 Reichstaler, jeder Geselle bei Lossprechung 1 Mark einzahlen. Daß es sich u m eine Gesellenkasse handelte w i r d dadurch deutlich, daß nur von den Gesellen monatliche Beiträge von 1 Schilling erhoben w u r den; auch hatte jeder neue Geselle eine Beitrittsgebühr von 4 Schilling zu entrichten. Hatten w i r zu den Brüderschaften kritisch anmerken müssen, daß eine ausreichende Krankenversorgung wegen der mangelnden Defizitdeckung nicht gewährleistet war, so wurde hier dieses Problem gelöst: Überstiegen die Ausgaben der Gesellenkasse deren Einnahmen, so übernahm das A m t die Deckung der Fehlbeträge. Ähnliche Zuschüsse leisteten i n K i e l auch die Ämter der Glaser, Buchbinder, Schlachter und Schuster 157 . Ein Krankengeld, wie bei den Zimmerleuten, wurde allerdings nicht gezahlt. Die Unterstützung bestand i n der Erstattung entstandener Unkosten für Verpflegung und ärztliche Behandlung. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde von den Kieler Ämtern allgemein das Schildgeld an die Brüderschaft i n einen Beitrag zur Krankenunterstützung umgewandelt. Es betrug bei den Buchbindern seit 1804 2 Reichstaler, bei den Bäckergesellen 1 Mark 8 Schilling. M i t Zustimmung des Amtes verkauften einige Gesellenschaften zum Zwecke der Krankenunterstützung Silber- und Zinngerät, so z.B. die Buchbindergesellen und die Schneidergesellen, denen durch Krankheiten und Todesfälle i n der Gesellenschaft Schulden i n Höhe von 366 Mark 5 Schilling entstanden waren. U m die Zwangszahlung der Beiträge wirksam durchführen zu können, beschloß die 1811 gegründete K r a n kenlade der Schneidergesellen, den Beitrag durch die Meister vom Gesellenlohn einbehalten zu lassen, ein Verfahren, das sich auch i n der heutigen Sozialversicherung noch bewährt 1 5 8 . 157 158

Z u r Defizitdeckung durch das A m t vgl. Rauert, S. 80, Fußn. Vgl. Hähnsen, Fritz, S. 453 - 454.

10 Fröhlich

146

1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

Die Berliner Maurergesellen gaben sich 1838 eine Satzung, die nur noch schwache Anklänge an die alte Gesellenbrüderschaft enthielt, i m wesentlichen jedoch ein Kassenstatut war. Z u t r i t t zu dieser Kasse hatten lediglich „fremde hier zugereiste und fremde sich hier verheiratende zünftige Gesellen" 159 . Das Krankengeld betrug vom 1. A p r i l bis Ende September wöchentlich 2 Taler, vom 1. Oktober bis Ende März wöchentlich 1 Taler. Die Krankheit mußte bescheinigt und bis spätestens m i t t wochs abends gemeldet sein, sonst verfiel der Anspruch für die laufende Woche. Ausgenommen von der Unterstützung waren „Krätzkranke und Venerische". K r a n k einwandernde Gesellen erhielten eine wöchentliche Unterstützung von 10 Silbergroschen, „jedoch nur auf die Dauer von höchstens drei Monaten". Von der Entrichtung der Beiträge für den laufenden Monat befreite eine mindestens 3 volle Wochen dauernde Krankheit, kürzere Krankheiten entbanden nicht von der Verpflichtung zu laufenden Beiträgen. I n K ö l n kam es bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts zur Gründung eigener Gesellenkrankenkassen, die sich zwar auch „Brüderschaft" nannten, deren einziger Zweck jedoch die Unterstützung i m Krankheitsund Todesfall war. Die Wollenweber gründeten am 10. A p r i l 1708 eine solche Brüderschaft 160 . I m Januar 1730 beschwerte sich der Wollenwebergeselle Peter Pauli beim Hat der Stadt und bat u m dessen Unterstützung. I n der Bruderschafts-Ordnung sei vereinbart, daß jeder Knecht alle 14 Tage 4 Albus i n die Brüderschaftskasse einzahle, aus der er bei Krankheit wöchentlich 1 h Reichstaler, bei Bettlägrigkeit 6 Schilling erhalten solle. Er habe nun schon 22 Jahre lang regelmäßig seinen Beitrag geleistet und die Brüderschaft weigere sich nun, da er krank und bettlägrig sei, ihren Verpflichtungen nachzukommen 161 . Offensichtlich legte die Brüderschaft dem Peter Pauli wegen dieser Bitte an den Rat eine Strafe auf, woraufhin sich dieser wiederum an den Rat wandte und nochmals darum bat, dieser möge sich dafür einsetzen, daß die Brüderschaft ihre Vereinbarungen einhielt 1 6 2 . A m 13. Februar 1730 erging der Spruch der Gaffelherren, wonach dem Peter Pauli die Strafe zu erlassen sei und es künftig bei der Ordnung verbleiben solle 163 . 159 Vgl. hier u n d i m folgenden Wissell, Rudolf: Die Geschichte der deutschen Sozialversicherung, S. 145 (Qu. 431). 160 v g l B i t t e der Brüderschaft an den Rat u m Bestätigung der Ordnung (26. M a i 1730), Kölner Stadtarchiv: Zunftakten Nr. 20, S. 237 (Qu. 432). 181 162 163

Vgl. K ö l n e r Stadtarchiv: Zunftakten Nr. 20, S. 229 - 232 (Qu. 433). Vgl. Kölner Stadtarchiv: Zunftakten Nr. 20, S. 233 - 234 (Qu. 434). Vgl. Kölner Stadtarchiv: Zunftakten Nr. 20, S. 235 (Qu. 435).

I I I . Sicherung bei Unfall und Krankheit

147

A m 23. J u l i 1736 baten die Großgezäugergesellen u m Bestätigung ihrer Brüderschaft. Der Vorstand bestand aus dem gewählten „Vater", 2 Provisoren sowie 2 Beisitzern. Ferner wurde ein Bote gewählt, der neben Beitragsfreiheit ein jährliches Entgelt von 2 Talern erhielt. Anscheinend handelt es sich hier u m eine w i r k l i c h freiwillige Kasse, denn es heißt i n der Ordnung: „ . . . alle, so i n diese Gesellschaft sich einschreiben lassen wollen..." (Hervorhebung durch den Verfasser) 184 . Die Eintrittsgebühr betrug 1 Taler zu 52 Albus, der vierzehntägige Beitrag 4 Albus. Die Leistungen der Kasse bestanden aus 40 Albus wöchentlich bei einer Krankheit, die den Gesellen zwar arbeitsunfähig, jedoch nicht bettlägrig machte. Brauchte der Kranke Medikamente oder w a r bettlägrig, erhielt er 60 Albus wöchentlich. Dabei wurden folgende Einschränkungen gemacht: Wurde ein Geselle i m ersten Vierteljahr nach Einschreibung krank, so w a r die Brüderschaft nicht zur Zahlung verpflichtet — eine Regelung, die der Wartezeit i n den heutigen privaten Krankenversicherungen entspricht. Ausgeschlossen von der Leistung w a r auch jeder Geselle, der m i t den Beiträgen 6 Wochen i m Rückstand war und trotz Mahnung nicht gezahlt hatte. Ferner sollten „ausdrücklich under diese K r a n k e n nicht gerechnet werden, noch etwaß i n solcher Zeit zu empfangen haben, welche durch von ihnen angefangenen v n n d gestiftete Schlägereyen, oder eigene Vnzulässige Verschuldung zur Krankheit, Verwundung v n n d Beschädigung deren Glieder selbst die Hauptursag gegeben und Schuld daran gewesen waren". V o n Gesellen, die sich i n Kriegsdienst begaben, sollte die Kasse weder weitere Beiträge annehmen, noch zu Leistungen i m Krankheitsfalle verpflichtet sein. Gesellen, die zum Meister wurden, durften Mitglied der Kasse bleiben, konnten jedoch nicht mehr zum Provisor oder Beisitzer gewählt werden. Eine Erkrankung mußte bis spätestens Dienstag gemeldet werden, ansonsten verfiel für diese Woche der Anspruch auf das wöchentliche Krankengeld. Auch für eine Krankenkontrolle w a r gesorgt: Die Provisoren waren gehalten, wenigstens einmal wöchentlich die Kranken zu besuchen und ihnen die Unterstützungssumme zu überbringen 1 8 5 . A m 22. M a i 1740 baten die Kölner Posamentierergesellen u m Bestätigung der Ordnung ihrer Kranken- u n d Sterbekasse. Beiträge zur Kasse (2 Albus wöchentlich) und deren Leistungen (40 bzw. 60 Albus wöchentlich) entsprachen denen der Großgezäugergesellen, ebenso der Leistungsausschluß bei selbstverschuldeten Erkrankungen. Darüber hinaus galt jedoch: „so einer m i t einem alten Schaden u n d Zustand be164 Vgl. hier und i m folgenden Kölner Stadtarchiv: Zunftakten Nr. 468, S. 1 - 6 (Qu. 436). 165 Kölner Stadtarchiv: Zunftakten Nr. 468, S. 1 - 6 (Qu. 436).

1*

148

1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

haftet, und sich hervor tue, daß von Tag zu Tag damitten schlimmer würde, soll ebenfalls nichts zu gewarten haben 186 ." Ein Anspruch auf Leistung der Kasse mußte bis spätestens Montag geltend gemacht werden, sonst wurde das Krankengeld erst von der folgenden Woche an gezahlt. Bei einem Beitragsrückstand von 4 Wochen erfolgte der Ausschluß aus der Kasse. Der Leistungsanspruch gegenüber der Kasse erlosch, wenn die Krankheitsdauer 1 Jahr und 6 Wochen überschritt. Wie die Großgezäugergesellen führten auch die Posamentierer eine regelmäßige Krankenkontrolle durch: Mindestens zweimal wöchentlich sollten die Vorsteher bei 12 Albus Strafe die Kranken besuchen. Wer krank gemeldet und von den Vorstehern nicht zu Hause angetroffen wurde, mußte 20 Albus Strafe zahlen, sofern sich herausstellte, daß die Krankheit erfunden war. Wer Krankengeld erhalten hatte, während dieser Zeit aber Geschäften nachging, mußte nicht allein die empfangene Summe zurückzahlen, sondern nochmals den gleichen Betrag zur Strafe. I m Gegensatz zur Ordnung der Großgezäuger sahen die Posamentierer eine Zulage von 1 oder 2 Albus je Mitglied vor, falls die Kasse i n Zahlungsschwierigkeiten geraten sollte 167 . Ganz eindeutig i m Vordergrund stand der Versicherungszweck i n den „Statuten des Zimmergesellen-Vereins zur Unterstützung kranker M i t glieder", die i m Oktober 1851 i n Mainz aufgestellt wurden. Der Beitritt zur Kasse war freiwillig und stand jedem Zimmergesellen unter 45 Jahren offen. Vor der Aufnahme mußte ein ärztliches Gesundheitszeugnis vorgelegt werden; die Eintrittsgebühr betrug 30 Kreuzer, der monatliche Beitrag wurde auf vorläufig 16 Kreuzer festgesetzt, wobei die Beitragspflicht für die Dauer einer Erkrankung aussetzte. Die tägliche Krankenunterstützung — ein halbes Jahr lang gezahlt — betrug 28 Kreuzer. Die Krankheit mußte vom Arzt bestätigt werden, wobei die Attestgebühren ebenfalls von der Kasse übernommen wurden 1 6 8 . Z u m Abschluß sei noch die Gründung der Würzburger Gesellenkrankenkasse dargestellt, die i m Vergleich zu den oben beschriebenen Krankenladen einige interessante Besonderheiten aufweist. Während i n vielen anderen deutschen Städten die Gesellenverbände bereits die Unterstützung kranker Genossen übernommen und durch Verträge mit den örtlichen Spitälern deren Unterbringung gesichert hatten, gab es i n Würzburg lange Zeit keine solche Regelung. Dies geht aus der Bitte des Hof-Hutmachermeisters Heidenreich hervor, der i m Namen der ιββ Y g i hier u n d i m folgenden K ö l n e r Stadtarchiv: Zunftakten Nr. 470, S. 219 - 231 (Qu. 437). 187 Vgl. Kölner Stadtarchiv: Z u n f t a k t e n Nr. 470, S. 219 - 231 (Qu. 437). 168 Vgl. Wissell, Rudolf: Die Geschichte der deutschen Sozialversicherung, S. 146 - 147 (Qu. 438).

III. Sicherung bei Unfall und Krankheit

149

Zünfte den Fürsten u m Anweisung eines Pflegeortes für kranke Gesellen ersucht 189 und aus einem ähnlichen Gesuch des Schreineramts von 1740170. Der Fürstbischof Franz L u d w i g von Erthal setzte sich schließlich persönlich für die Gründung einer Gesellenkrankenkasse ein, indem er 1782 zunächst von der zuständigen Behörde Auskunft über die Würzburger Zünfte verlangte, insbesondere „über die Anzahl von Meistern, Gesellen, Lehrjungen jeder einzelnen, über die Höhe der Beiträge zur Zunftlade und über deren Verwendung, insbesondere, ob sie für durchreisende oder erkrankte Gesellen dienten" 1 7 1 . I n einer weiteren Anfrage wurden die Zünfte u m Vorschläge zur Verpflegung kranker Gesellen gebeten und die Gesellen aufgefordert, über ihre Erfahrungen m i t solchen Einrichtungen i n anderen Städten zu berichten, wobei zutage trat, daß zwar vielerorts die Gesellen bestimmte Beiträge einzahlten und daß vielfach Verträge m i t Spitälern bestanden, daß aber nirgendwo eine landesherrliche Verordnung hierüber bestehe 172 . I m nächsten Schritt wurden nunmehr die Handwerker befragt, ob und wer freiwillig einem Institut zur Versorgung der kranken Handwerksgesellen beitreten wolle, und ob freiwilliger oder verbindlicher Beitritt angeordnet werden solle. Die Handwerker zeigten lebhaftes Interesse, da durch eine solche Institution tüchtige Gesellen nach Würzburg gezogen würden. 1785 schließlich wurden die Handwerksmeister und Gesellen vorgeladen und befragt, welche Beiträge sie zu leisten bereit seien. Die Gesellen wollten wöchentlich 1 Kreuzer zahlen, die Lehrjungen erklärten sich, da zu arm, außerstande, Beiträge zu leisten. Die Meister der meisten Zünfte waren nicht nur mit einem bestimmten monatlichen Beitrag zu der Lade einverstanden, sondern wollten auch für neueintretende Lehr jungen zahlen 173 . Nachdem mit dem Julierspital über die Aufnahme der kranken Gesellen verhandelt worden war und dieses sich bereit erklärte, zu einem Pflegesatz von 25 Kreuzer pro Tag die Kranken zu verpflegen, und auch Spitalärzte sich zur unentgeltlichen Behandlung bereitfanden, stand der Gründung des „Krankengesellen-Instituts" nichts mehr i m Wege. Die Gründung wurde am 19. Februar 1786 festlich begangen. Die Statuten beinhalteten unter anderem folgendes: „ . . . der Z u t r i t t ist zwar frei189

Vgl. Reubold, Wilhelm, S. 9. Vgl. Reubold, W i l h e l m , S. 18; vgl. auch T e i l 1, C I I I 2 b : Krankenpflege beim Herbergsvater. 171 Reubold, Wilhelm, S. 9 - 10. 172 Vgl. Reubold, Wilhelm, S. 9 - 10. 173 Vgl. Reubold, Wilhelm, S. 10 - 11. 170

150

1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

willig, wer jedoch beigetreten, darf nicht mehr austreten — die Geldbußen aus den Zunftladen sind auch künftig zu leisten — kranke Zureisende werden nicht aufgenommen — ebenso nicht Unheilbare, wie Epileptische, Krebsige usw., für welche andere Pflegen vorhanden sind, und mutwillig, i n Raufhändeln verletzte. — Wer Beiträge schuldig bleibt, erhält den ,Abschied 4 oder ,Kundschaftsbrief' nicht, — der Pflegesatz ist 25 Kreuzer auf den Tag — drei Zimmer . . . werden reserviert i m Julier-Spitale, — neu zureisende Gesellen sind dem Institut einzuverleiben, ebenso Lehrjungen, auch wenn niemand für sie zahlt. Die vertagten Kreuzer sind nach dem Auslernen nachzuzahlen 174 ." Dieses Würzburger „Krankengesellen-Institut" bestand erfolgreich bis zum Jahre 1883. I m Gegensatz zu den weiter oben erwähnten Gesellenkrankenkassen wurde es nicht von diesen selbst, sondern vom Landesherrn unter M i t w i r k u n g von Meistern und Gesellen ins Leben gerufen. Mitglieder waren nicht nur die Gesellen eines bestimmten Handwerks, sondern alle Gesellen schlechthin. Beitragspflichtig waren sowohl die Arbeitgeber (Zünfte) wie die Arbeitnehmer (Gesellen). Während die oben beschriebenen Krankenladen unter der Selbstverwaltung der Gesellen — zum Teil unter M i t w i r k u n g der Zunftmeister — standen, lag die Verwaltung des Würzburger Instituts bei der „vergesellschafteten Bürgerschaft" m i t einem fürstlichen Kommissar an der Spitze 175 . M i t der Gründung des Würzburger „Krankengesellen-Instituts" geht eine lange Entwicklung i n der Geschichte der Krankensicherung zu Ende. Sie begann bei der persönlichen Fürsorge des Meisters für seine Gesellen und führte über die Versorgung der Kranken durch die Zunft, später durch die Gesellenverbände, über die Gründung besonderer Kassen innerhalb der Brüderschaft zur Umwandlung der Gesellenverbände i n Gesellenkrankenkassen, die sich jedoch immer noch auf ein Handwerk beschränkten. Die Würzburger Krankenkasse umfaßte schließlich die Gesellen aller Handwerke und — auf den gleichen Grundsätzen aufgebaut — fügte sich nahtlos i n die 1883 allgemein i m Deutschen Reich gesetzlich eingeführte Krankenversicherung der Arbeitnehmer ein. 2. Krankenpflege

Wie die Zünfte beschränkten die Gesellenverbände sich nicht auf die Minderung des finanziellen Risikos einer Krankheit, sondern sie bemühten sich auch — und dies sogar stärker als die Zünfte — u m die medizinische Betreuung und Versorgung ihrer Genossen. 174 175

Reubold, Wilhelm, S. 12 - 13. Vgl. Reubold, Wilhelm, S. 13.

III. Sicherung bei Unfall und Krankheit a) Krankenwache

durch die

151

Gesellen

Erkrankte ein Geselle, so blieb er i n der Regel zunächst i n der Pflege des Meisters bzw. der Meisterin. Bei langwierigen Erkrankungen waren diese aber oft überfordert, und so sprangen denn die Mitgesellen helfend ein. I n vielen Ordnungen der Gesellenbrüderschaften und »verbände wurde jedem zur Auflage gemacht, i m Krankheitsfalle eines Mitgesellen Krankenpflege und Krankenwache zu übernehmen 178 . Diese Krankenpflege durch die Gesellen erfolgte entweder einzeln der Ordnung nach oder sogar zu zweien 177 . Bei den Kieler Schusterknechten (Anfang des 15. Jahrhunderts) mußten bei schwerer Krankheit i n der ersten Nacht die beiden Meisterknappen wachen, darauf abwechselnd je 2 andere Gesellen. Ein Versäumen der Nachtwache hatte eine Strafe von 6 Schilling zur Folge. Der Kranke hatte den Gesellen für ihren Dienst jede Nacht ein „stoveken" Kieler Bier zu geben 178 . I n Flensburg verordneten die Schmiedegesellen 1597, daß abwechselnd tagsüber 1 und des nachts 2 Mitgesellen die Krankenwache übernehmen sollten 179 . — Die Ordnung der Zimmergesellen von Berlin, Cölln, Friedrichswerder und Dorotheenstadt (1683) besagte: „Sollte ein Geselle mit grosser Kranckheit beladen sein, also dass man des Nachtes müste bey i h m wachen, So sollen von der gantzen Gesellschaft, wie die Nahmen nach einander verzeichnet sindt, alle Nacht ihrer Zwene bey i h m wachen, bey Verlust eines tagelohns, der sich solches wegert 1 8 0 ." Ähnlich auch die Regelung bei den Schuhmacher- und Gerbergcsellen i n Wernigerode (1458)181. Gelegentlich hatten die Gesellen die Möglichkeit, sich von der Pflicht zur Nachtwache zu befreien, indem sie auf ihre Kosten einen Stellvertreter besorgten, so z.B. die Tischler i n Iglau 1579182. Die Frankfurter Kürschnergesellen verlangten zwar grundsätzlich Tag- und Nachtwache durch die Mitgesellen; bei einer ansteckenden Krankheit sollte jedoch die Brüderschaft auf ihre Kosten eine Krankenwache bestellen: „ . . . es sei denn, es sei eine Krankheit, die abscheulich und zu 176 Vgl. Zatschek, Heinz, S. 51; Rauert: Ueber Gesellen-Brüderschaften u n d die Verpflichtung zur Verpflegung erkrankter Handwerksgesellen, i n : Archiv für Geschichte, Statistik, Kunde der V e r w a l t u n g u n d Landesrechte der Herzogthümer Schleswig, Holstein u n d Lauenburg, K i e l 1842, S. 80, Fußn.; Kaufhold, K a r l Heinrich, S. 126. 177 Vgl. Ruby , Franz, S. 164. 178 Vgl. Hähnsen, Fritz, S. 58. 179 Vgl. Metger, Conrad, S. 19 u n d S. 23 (Qu. 439 u n d Qu. 440). 180 Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 347 (Qu. 441). 181 Vgl. Jacobs, Eduard, S. 351 (Qu. 412). 182 Vgl. Ruby f Franz, S. 164 - 165.

152

1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

meiden wäre; dann soll die Brüderschaft jemanden gegen Lohn bestellen bei dem Kranken zu wachen 183 ." Seltener engagierte die Brüderschaft grundsätzlich eine Pflegerin. I m Schrägen der Schmiedegesellen Rigas von 1399 heißt es: Würde ein Bruder krank . . . „so soll i h m die Brüderschaft ein Weib halten, das i h n pflege" 184 . Daß die Überführung eines Kranken ins Hospital damals nicht sehr beliebt war und nach Möglichkeit vermieden wurde, zeigt eine Eingabe der Straßburger Kürschnergesellen wegen der Änderung der alten A r t i k e l durch die Meister (1529). Dort heißt es: „Auch haben die Meister uns ledige Gesellen ein Jahr lang getrieben, daß w i r unter einander eine Ordnung der kranken Gesellen halber, so hierher kommen oder unter uns krank werden, beschließen sollen, wobei sie uns zum Teil beistehen wollten. Dies haben w i r getan und einmütig beschlossen, alle Monat zusammen zu kommen und jeder einen Pfennig zu geben; auch ein Fremder, der erstmals herkommt, solle am Anfang zwei Pfennig geben; auch haben w i r besprochen unter uns ledigen Gesellen der Kürschner, die Gotteslästerung, Völlerei und öffentliche Hurerei bei jedem streng zu bestrafen, nachdem er ermahnet worden, und dieses Geld armen Kranken unter uns und anderen Bedürftigen zu reichen, damit werde

nicht ."

ein jeder

gleich

in das Spital

oder

Blatterhaus

geführet

185

b) Krankenpflege

beim

Herbergsvater

War der Meister willens und i n der Lage, den kranken Gesellen i m Hause zu behalten, so w a r durch die tätige Hilfe der Mitgesellen das wichtigste Problem der Unterkunft und Pflege des Kranken gelöst. Was aber geschah, wenn der Meister den Gesellen nicht oder nicht mehr pflegen konnte oder wollte? Für diese Fälle lagen i n der Regel Verträge m i t dem Herbergsvater vor 1 8 6 . I n Hildesheim verpflichteten sich die Schuhmacher- und Gerbergesellen 1789, dem Krugvater bei Aufnahme eines erkrankten Gesellen je Nacht 1 Mariengroschen 4 Pfennig, bei Nachtwache 4 Mariengroschen 4 Pfennig zu zahlen 187 . — Bei der Brüderschaft der Gesellen von neun Handwerken zu Freiburg i m Breisgau (Säckler, Nadler, Tessenmacher, Weißgerber, Ballierer, Ringler, Straeler, Spinler und Spengler) sollten alle oder der größte Teil der Gesellen dem Kranken, der nicht bei sei188

Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 289 (Qu. 442). Vgl. Stieda, Wilhelm, u n d Constantin Mettig, S. 462 (Qu. 443). 185 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 249 (Qu. 444). Hervorhebung durch den Verfasser. 18e Vgl. Zatschek, Heinz, S. 52; Kauert, S. 80. 187 Vgl. Kauf hold, K a r l Heinrich, S. 126, Fußn. 272. 184

III. Sicherung bei Unfall und Krankheit

153

nem Meister bleiben konnte, helfen, bei einem Wirt, i m Spital oder sonstwo Unterkunft zu finden (1415, nach einer älteren Urkunde aus dem 13. Jahrhundert) 1 8 8 . Hier lag offensichtlich kein fester Vertrag m i t einem bestimmten W i r t vor, sondern ein geeigneter W i r t wurde bei Bedarf gesucht. Die Leinen- und Barchentweber i n Nürnberg (o. J.) hingegen schlossen einen Vertrag m i t ihrem Herbergsvater, dem W i r t zum goldenen Herzen, i n dem es heißt: „zweitens, wenn ein kranker Geselle dergestalt bedürftig wäre, daß er wegen seines Zustandes nicht länger i n seines Meisters Hause zu bleiben vermöchte, so soll i h m auf der Herberge ein hierzu taugliches Zimmer eingeräumt werden; was aber die Arznei, Speise und Trank anbelangt, soll alles bar bezahlt werden; sollte aber eine confiszierte Krankheit dazukommen, w i r d eine ehrsame Brüderschaft für Wartung und Pflege selbst sorgen" 189 . Leider geht aus diesem Passus des Vertrages nicht hervor, ob der Kranke oder die Brüderschaft Arznei, Speise und Trank bezahlt, auch bleibt offen, welche Gegenleistung der W i r t für die Einräumung des Zimmers erhält 1 9 0 . Genauere Auskünfte über diesen letzten Punkt gibt die Rolle der Hamburger Fast- und Weißbäckergesellen von 1620 und 1650 (?). Der kranke oder krank zuwandernde Geselle sollte ein „gutes" Bett und Pflege vom Herbergsvater und der Herbergsmutter erhalten. Weiter war dem Krugvater „ m i t allem Fleiße anzubefehlen", wie er sich gegenüber diesem Knecht zu verhalten habe. Die Gesellen ihrerseits mußten sich quasi als Gegenleistung verpflichten, keine anderen Wirte aufzusuchen und nur bei diesem Herbergsvater einzukehren, damit dieser durch den Verzehr der Gesellen einen Ausgleich für seine Mühe erhalte 1 9 1 . Durch Verträge m i t den Herbergsvätern war zweifellos ein Fortschritt i n der Krankensicherung erzielt, denn sie boten dem kranken Gesellen die Gewißheit, nicht plötzlich ohne Unterkunft zu sein. Auch die Pflege w i r d nicht schlechter gewesen sein als i n so manchem Meisterhaushalt, da die gesamte Gesellenschaft ein wachsames Auge auf den W i r t hielt. Dennoch war die Herberge für die Krankenpflege wohl stets höchst mangelhaft eingerichtet, und so finden w i r früh das Bestreben 188

Vgl. Mone, F. J.: Zunftorganisation, Bd. 18, S. 16 - 17 (Qu. 445). 189 Vgl. Schoenlank, Bruno: Z u r Geschichte altnürnbergischen Gesellenwesens, S. 371, Fußn. 3 (Qu. 446). 190 Schoenlank druckt n u r diesen einen Passus des Vertrages ab. Leider w a r es uns nicht möglich, den ganzen Vertrag i m Wortlaut zu bekommen, der zweifellos die obigen Fragen geklärt u n d weitere interessante Aufschlüsse gegeben hätte. 191 Vgl. Rüdiger, Otto: Aeltere Hamburgische u n d Hansestädtische Handwerksgesellendocumente, S. 528 - 529 (Qu. 447).

154

1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

der Gesellenverbände, „einen besseren Ort zu suchen, wo eine K r a n k heit überdauert werden könnte" 1 9 2 . 1740 bat die Würzburger Schreinerzunft, „ihren kranken Gesellen einen Verpflegungs-Ort anzuweisen (wie dies i n den meisten Städten des Reiches schon angeordnet ist, daß i n einem Spital oder Pflege um eine von der Gesellen-Laden jährlich ausfallende leidliche GeldesErlegung dies der Fall sei), während i n Würzburg bis jetzt die Erkrankten auf der Herberg, i n einem Schildwirthshaus untergebracht werden gegen theuere Bezahlung von Verpflegung, Wärterin, Zimmer, Bett, Holz, Licht (bei gefährlichen und schlimmen Zuständen öfters gar nicht geduldet werden), und i n Schulden gerathen, weßhalb die Gesellen Würzburg ungern aufsuchen und dies dem Handwerk Schaden bringt" 1 9 3 . Es war also nicht nur i m Sinne der kranken Gesellen, sondern offenbar i m Interesse des ganzen Handwerks, wenn versucht wurde, bessere Pflege für die Kranken zu finden. c) Verträge

mit Apothekern,

Ärzten

und

Hospitälern

Rauert schreibt i n seinem Artikel: „Uber die Verpflegung erkrankter Gesellen werden gewöhnlich von der Brüderschaft . . . mit einem Arzte Contracte abgeschlossen194." Daß solche Verträge vorkamen, bestätigt Dalmers Untersuchung über das Zerbster Innungswesen: Die dortigen Schuhknechte „hatten ihren eigenen Arzt und Apotheker, mit dem sie wegen der Krankenpflege i n Verbindung standen" 195 . I n den gedruckten Quellen fanden w i r keinen solchen Vertrag; auch andere Untersuchungen über die Gesellenbrüderschaften enthalten keine Hinweise auf ähnliche Vereinbarungen. Dies ist zwar kein hinlänglicher Beweis, daß das obige Beispiel ein Einzelfall ist, dennoch erscheint es uns fraglich, ob — wie Rauert es darstellt — solche Verträge allgemein bei den Gesellenbrüderschaften üblich waren. Wie dem auch sei — bestanden feste Vereinbarungen mit einem Arzt über die medizinische Versorgung der Kranken und/oder mit einem Apotheker über die Bereitstellung von Medikamenten, so ist dies als wesentlicher Beitrag des Gesellenverbandes zur Sicherung seiner kranken Mitglieder anzusehen. So selten i n den gedruckten Quellen und i n der Sekundärliteratur Hinweise auf Verträge m i t Ärzten und Apothekern sind, so häufig sind 192

Reubold, Wilhelm, S. 17 - 18. Reubold, Wilhelm, S. 18. 194 Rauert, S.80. 195 Dalmer, Paul, S. 73. Vgl. auch das Dresdner Mandat v o n 1810, Herold, Georg Eduard, S. 9 - 11 (Qu. 448). 193

III. Sicherung bei Unfall und Krankheit

155

sie bezüglich der Vereinbarungen mit Hospitälern. Wenn man das Vorkommen solcher Verträge i n den veröffentlichten Quellen als Indiz werten kann, so machten die Gesellenverbände von dieser Möglichkeit der Krankensicherung wesentlich regeren Gebrauch als die Zünfte. Grundsätzlich sind zwei Arten von Verträgen mit den Spitälern zu unterscheiden. Die Brüderschaft erhielt gegen einmalige oder regelmäßige Zuwendungen an das Hospital das Recht, seine Kranken dort unterzubringen und pflegen zu lassen; oder die Brüderschaft kaufte ein oder mehrere Betten bzw. Zimmer i m Spital, die ihren Kranken zur Verfügung standen und die dort vom Personal der Anstalt gepflegt wurden 1 9 6 . I n Zerbst gaben die Brauerknechte dem Hospital jedes Quartal 1 Schilling zur Unterhaltung ihrer Franken, ebenso die Leinewebergesellen. Von den Tuchmachern erhielt das Spital jeweils den vierten Pfennig aus der Lade sowie ihnen zustehende Zinsen i n Höhe von etwa 8 Gulden jährlich. Die Schmiede- und Schneidergesellen gaben jeweils jährlich 1 Schock, die Schustergesellen vierteljährlich 1 Schock, also viermal so viel wie die Schmiede- und Schneidergesellen. Diese nicht unbeträchtlichen Unterschiede i n den Zahlungen an das Hospital mögen verwundern. Es zeigt sich jedoch, daß seinerzeit auch die Spitäler i n ihren Forderungen Rücksicht nahmen auf die Vermögensverhältnisse der Brüderschaften. Auch die armen Gesellenverbände brauchten nicht auf die Unterbringung ihrer Kranken i n Pflegeanstalten zu verzichten. Das zeigt besonders das Beispiel der Zerbster Bader. Da sie so unvermögend waren, daß sie sich nicht i n der Lage sahen, dem Hospital regelmäßige Zuwendungen zu machen, versprachen sie stattdessen, die Armen i m Hospital, wenn es von ihnen verlangt wurde, zu baden. Auch sie erhielten als Gegenleistung das Recht, ihre Kranken dort gesundpflegen zu lassen 197 . I n Schaffhausen schlossen die „gemain knecht nämlich hufschmid, hubenschmid, Clingen und messerschmid, kupferschmid, sporer, schlosser, nagler, harnascher, glogkengiesser, haffengiesser, kantengiesser, schwertfeger, schliffer, gurtler, Spengler, zimer, wagner, hafner und ziegler" 1524 einen Vertrag m i t dem dortigen Seelhaus. Sie übergaben das Hauptgut der Brüderschaft (Zinsbriefe), und die Pfleger versprachen als Gegenleistung, „auf ewig" alle Kranken der Brüderschaft aufzunehmen und sie mit Nahrung sowie aller notwendigen Pflege zu versehen. Die Gesellen behielten sich vor, die Betreuung zu überprüfen und gegebenenfalls dem Rat Mißstände mitzuteilen. 196

S. 78. 197

Vgl. Düttmann,

Augustin, u n d Bülow, Hrsg., S. 10; Mummenhoff,

Ernst,

A l l e Angaben vgl. Wäschke, H. : Die Zerbster Innungsbruderschaften, S. 6.

156

1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

Der Aufgenommene war dem Seelhaus nichts schuldig, freiwillige Gaben wurden jedoch gern entgegengenommen. Starb ein Geselle, so verblieb seine Hinterlassenschaft dem Seelhaus, es sei denn, seine Erben lösten es mit einem entsprechenden Geldbetrag aus 198 . Da das Seelhaus die Pflege nicht länger gegen die obigen Vergütungen durch die Brüderschaft aufrechterhalten konnte, wurde 1587 eine zusätzliche Vereinbarung getroffen: Die neu ankommenden Knechte hatten 2 Schilling zu zahlen, die der Meister, bei dem sie arbeiteten, einziehen oder vorstrecken mußte 1 9 9 . Auf „undertheniges Anhalten" wurden am 21. J u l i 1647 die Gesellen des Schreinerhandwerks i n die Brüderschaft aufgenommen und traten damit i n die vertraglichen Beziehungen zum Seelhaus ein 2 0 0 . Aus dem 15. Jahrhundert ist eine Verordnung der Straßburger Brotbäckerknechte erhalten, die sowohl die Pflichten des Spitals gegenüber den Kranken als auch die der Gesellen regelt 2 0 1 . Das Spital mußte jeden kranken Gesellen, der vom Büchsenmeister gebracht wurde, aufnehmen, ohne Rücksicht auf die A r t der Erkrankung. Dies muß deshalb hervorgehoben werden, weil i n anderen Verträgen vielfach — wie w i r noch sehen werden — bestimmte Erkrankungen ausgeschlossen waren. Die Knechte verlangten ferner ein sauberes Bett und das Wechseln der Laken nach Notwendigkeit und Gewohnheit des Spitals. Auch für Verpflegung mußte ausreichend gesorgt werden: „ein kennelin . . . vol wins, brots genug, ein gut schyssel m i t suppen oder gemüss und . . . fleisches eiger fisch kese oder was man züm gemüse git." Konnte einer wegen seiner Krankheit kein Fleisch, Fisch oder anderes essen, so war das Spital verpflichtet, i h m nach Wunsch bzw. der Krankheit entsprechend andere Speisen zu reichen. Der Kranke seinerseits durfte keine „üppige Gesellschaft" i m Spital empfangen, nur innerhalb des Spitals bzw. vor dessen Toren Spazierengehen und mußte sich dem Personal sowie den anderen Kranken gegenüber anständig verhalten. Die Einhaltung der beiderseitigen Pflichten wurde von der Brüderschaft überwacht, deren jeweiliger Vorstand gehalten war, bei Strafe dreimal wöchentlich das Spital zu besuchen, sofern Genossen dort aufgenommen waren, und nach dem Rechten zu sehen. Auch eine Krankenaufsicht war m i t diesen Kontrollgängen verbunden, denn der „knechtzknecht" hatte zu überprüfen, ob die Kranken 198 Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellen verbände, S. 244 - 245 (Qu. 449). 199 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 274 - 275 (Qu. 450). 200 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 204 - 205 (Qu. 451) u n d S. 274 - 275 (Qu. 450). 201 Vgl. i m folgenden: Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 234 - 236 (Qu. 452).

III. Sicherung bei Unfall und Krankheit

157

den Aufenthalt i m Spital noch benötigten und sie gegebenenfalls zu entlassen 202 . Während i n den bisher gezeigten Beispielen die Verbände lediglich einen Aufnahmevertrag mit den Spitälern schlossen, kauften andere Brüderschaften eine bestimmte Anzahl von Betten oder Kammern. I n Frankfurt sollte der kranke Bäckerknecht (1451) von den Büchsenmeistern gemäß dem Spitalbrief eingewiesen werden, wenn „das Bett leer steht i n dem Spital". Demnach besaßen sie ein eigenes Bett, die Aufnahme der Kranken war aber offensichtlich begrenzt, da zu einem Zeitpunkt nur einer ins Spital eingewiesen werden konnte 2 0 8 . — Die Nürnberger Messingschläger besaßen mit Sicherheit eine (unbekannte) Anzahl von Betten i m Hl. Geistspital, denn am 22. November 1443 verbot ihnen der Rat, untereinander Geld zu sammeln „zu den betten, die sie i m spital haben" 2 0 4 . — I n Hildesheim entstand 1756 zwischen den Meistern und Gesellen des Schneiderhandwerks ein Streit über ein Krankenzimmer i m Spital, das den Gesellen zugestanden haben soll 2 0 5 . Uber diese Quellen hinaus, die lediglich Zeugnis geben vom Vorhandensein eigener Betten und Kammern der Gesellenverbände i n den Spitälern, können w i r zahlreichen anderen Quellen genauere Vertragsmodalitäten entnehmen. 1492 schlossen die Leipziger Bäckergesellen einen Vertrag mit dem dortigen Predigerkloster, das ihnen auf Widerruf ein Haus zur Aufnahme erkrankter Gesellen überließ. Die Brüderschaft mußte sich jedoch verpflichten, dort keinen Gesellen unterzubringen, „der i n der zceit seiner müssigkgengereye i n krankheit gefallen ist" (gemeint sind Geschlechtskrankheiten), ebensowenig solche, die sich ihre Erkrankung durch Raufereien zugezogen hatten oder wegen begangener Vergehen Zuflucht suchten 206 . Die erste Einschränkung ist — wie w i r bereits sahen — häufig zu finden 207. M i t der zweiten Einschränkung sollte vermutlich verhindert werden, daß Verbrecher vom Asylrecht Gebrauch machten, das sie — solange sie sich i n einem Gotteshaus oder Kloster aufhielten — vor dem Zugriff der Obrigkeit schützte 208 . 202 vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 234 - 236 (Qu. 452). 203 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 267 - 268 (Qu. 453). 204 Schoenlank, Bruno: Z u r Geschichte altnürnbergischen Gesellenwesens, S.364 - 365. 205 Vgl. Kauf hold, K a r l Heinrich, S. 126, Fußn. 273. 206 Vgl. Knoll, Alexander, S. 55. 207 Vgl. T e i l 1, C I I I l a : Gewährung v o n Darlehen, ebenso Zatschek, Heinz, S. 52. 208 Vgl. Knoll, Alexander, S. 55.

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1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

I n Zerbst besaßen die Schmiedegesellen 1546 eine Kammer i m Hospital, zu deren Erhalt sie jährlich 1 Schock gaben, die Tischler hielten „ i m Sommer eine Kammer, i m Winter eine Stube für die kranken Gesellen" 2 0 9 . — Gemäß der Satzung der Bäcker- und MüllerknechteBrüderschaft i n Offenburg vom 5. J u l i 1406 hatten diese i m Spital „eine Bettstatt und ein Bett, zwei Kissen, ein Kopfkissen, zwei Laken", also ein Bett m i t zugehörigem Bettzeug gekauft, damit man dort kranke Knechte unterbringen konnte. Das Spital war verpflichtet, für unbrauchbar gewordene oder verlorengegangene Bettwäsche Ersatz zu leisten. Auch waren die Pfleger grundsätzlich gehalten, dieses Bett nur Angehörigen der Brüderschaft zur Verfügung zu stellen. Lediglich bei großem Platzmangel wurde dem Spital die Erlaubnis eingeräumt, auch das Stiftungsbett zu belegen, das jedoch bei Bedarf geräumt und m i t frischer Bettwäsche überzogen der Brüderschaft wieder zur Verfügung gestellt werden mußte 2 1 0 . 1498 stiftete die Brüderschaft der Bäcker zu Schlettstadt dem dortigen Spital neben Altarbild, Kerzenleuchter und Meßgerät auch „zwei Betten m i t allem Zubehör, damit, wenn einer ihrer Brüder krank würde, er darin liegen könne" 2 1 1 . Das Spital verpflichtete sich seinerseits, kranke Genossen aufzunehmen und auf Kosten des Spitals m i t aller nötigen Pflege zu versehen. War der Kranke nicht bettlägrig, wohl aber noch zu schwach zu arbeiten, so sollte er mit den anderen Pfründnern am Tisch essen. Auch mußte das Spital dem Rekonvaleszenten am Tag der Brüderschaftsversammlung einen Wagen leihen, damit auch er sich daran beteiligen konnte 2 1 2 . I n Basel hielten die Weberknechte bereits 1340 gegen eine jährliche Pauschale von 5 Pfund zwei Betten i m Spital an den Schwellen, ähnlich die Gärtner, die gegen eine jährliche Pauschale dort ein Bett unterhielten. Die Grautücher und Rebleute besaßen eine Bettstatt „ m i t einem Glasfenster oben daran", für das sie 23 Reliquien stifteten und das Bett ausstatteten 213 . Die Schneidergesellen i n Freiburg schlossen sich 1555 an das dortige Armenhospital an und schenkten diesem 40 Gulden Kapital mit 2 Gul209

Dalmer, Paul, S. 73 - 74. Vgl. Batzer, Ernst: Die Satzungen der Bäcker- u n d MüllerknechtBruderschaft i n Offenburg, i n : Alemannia, Bd. 34, Freiburg i . B . 1906- 1907, S. 97 - 98 (Qu. 454). 211 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 229. 212 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 229 - 232 (Qu. 455). 213 Fechter, Daniel A l b e r t : Topographie m i t Berücksichtigung der Cultur u n d Sittengeschichte, i n : Basler Historische Gesellschaft, Hrsg.: Basel i m vierzehnten Jahrhundert, Basel 1856, S. 31. 210

III. Sicherung bei Unfall und Krankheit

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den Zins. Der Stadtrat versprach dafür, wenn ein Schneidergeselle der Brüderschaft von der Pest befallen würde, solle er i n einer besonderen Kammer des Spitals bis zu seiner Genesung gepflegt werden. U m auch den anderen Kranken der Brüderschaft eine Unterkunft zu sichern, gab diese 1572 weitere 25 Gulden m i t dem Versprechen, auch dem größeren Spital nach Vermögen zu schenken, damit diese dort gepflegt wurden 2 1 4 . Als letztes Beispiel sei der Vertrag der Hamburger Schneidergesellen mit dem dortigen Armen-, Gast- und Krankenhause vom 13. Dezember 1643 genannt. Die Vorsteher des Hospitals verpflichteten sich, auf „ewige Zeiten" je zwei kranke Gesellen aus der Brüderschaft aufzunehmen und „dieselben Krancken m i t einer eigenen verschlossenen Cammer an der Süeder- und Westersüed stehend, von funfzehen Fuess lang und acht Fuess breit/: wozu jeder Zeit einer von den beyden Ambts-Schneidergesellen-Mahner den Schlüssel haben und behalten soll:/ m i t Betten und Laacken, m i t Speisz und Tranck, m i t nothwendigen Medicamenten, mit fleissiger Cur des Medici, auch nach Beschaffenheit der Kranckheit, des Balbierers, auch sonsten mit allerhand Pfleg und Warttung, dieses Hauses Ordenung und Gelegenheit nach, gleich anderen i m Hausze vorhandenen Patienten versehen und versorgen" zu lassen 215 . Von der A u f nahme ausgeschlossen waren allerdings alle Gesellen, die von einer ansteckenden Krankheit befallen waren. Die Brüderschaft zahlte als Gegenleistung 700 Reichstaler sowie je 2 Mark Lübsch für jeden eingewiesenen Kranken zur Beschaffung von Medikamenten 216 . Die Aufnahmeverweigerung der ansteckenden Kranken mag hart erscheinen, da doch gerade diese der besonderen Pflege und Wartung bedurften. Zum besseren Verständnis und zur richtigen Bewertung solcher Bestimmungen ist eine etwas genauere Kenntnis der mittelalterlichen Hospitäler erforderlich. Sie sind keineswegs m i t unseren heutigen Krankenanstalten zu vergleichen. Das mittelalterliche Hospital war weder ausschließlich noch vorzugsweise Krankenhaus, sondern hauptsächlich Pfründneranstalt, eine Stiftung für anspruchsberechtigte Bürger, für Pilger, Arme und Kranke 2 1 7 . Die ansteckenden Kranken (Sondersiechen) wurden stets i n besonderen Häusern (leprosorium, Gutleuthaus) untergebracht, die außerhalb der Orte lagen, oder sie wurden der Obhut ihrer Familie überlassen 218 . 214

Vgl. Mone, F. J.: Zunftorganisation, Bd. 15, S. 30 - 31. Rüdiger, Otto: Aeltere Hamburgische u n d Hansestädtische Handwerksgesellendocumente, S. 591. 216 Vgl. Rüdiger, Otto: Aeltere Hamburgische u n d Hansestädtische Handwerksgesellendocumente, S. 590 - 592 (Qu. 456). 217 Vgl. Fischer, Alfons, S. 134. 218 Vgl. Mone, F. J.: A r m e n - u n d Krankenpflege v o m 13. bis 16. Jahrhundert i n der Schweiz, Baden, Elsaß, Bayern, Hessen u n d Rheinpreußen, Bd. 12, Karlsruhe 1861, S. 25; Neumann, C. G. Th., S. 672. Über die Ordnung eines solchen Gutleuthauses i n Straßburg vgl. Brucker, J., S. 31-81. 215

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1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

Die Nichtaufnahme der m i t einer ansteckenden Krankheit Befallenen i n das Hospital ist also keineswegs als eine besondere Einschränkung des Vertrages anzusehen, sondern entsprach durchaus den damaligen Gepflogenheiten. Wie eng die Gesellenverbände oft m i t den Hospitälern verbunden waren, beweist die Tatsache, daß die Kirche zum Teil Gesellenvertretungen i n ihre Krankenhäuser berief 2 1 9 . I n gewisser Weise waren beide voneinander abhängig: die Gesellen von den Pflegediensten der Hospitäler, diese wiederum von den Spenden der Handwerksgesellen (und Zünfte). Einige Krankenhäuser wurden sogar nur durch diese getragen: 1739 wurde i n Landshut das „Liebesbund"-Krankenhaus durch Beiträge der Zünfte und Brüderschaften und durch wöchentliche Gaben der Handwerksgesellen errichtet 2 2 0 . Daß die Krankensicherung durch die Gesellenverbände und -brüderschaften zum Teil recht eindrucksvoll war, ist nicht zu leugnen. Darlehen, regelmäßiges Krankengeld, Krankenpflege beim Herbergsvater und i n Hospitälern mögen die schlimmste Not kranker Gesellen behoben haben. Was aber geschah mit den Invaliden, die zwar nicht mehr akut krank waren, aber dennoch arbeitsunfähig blieben? Die Quellen geben kaum Auskunft über ihr Schicksal. Z u m Teil mögen auch sie Unterkunft i m Hospital gefunden haben. Daß ihr Lebensunterhalt aber keineswegs immer gesichert war, zeigt sich bereits darin, daß vielfach die unheilbar Kranken von den Leistungen ausgeschlossen waren 2 2 1 . Ein Beschluß des Nürnberger Rats von 1488 gibt einen Hinweis auf ihr Schicksal: „Den Steinmetzen, der während der Arbeit i n der Stadt einen Unfall erlitten hat, als Bürger aufzunehmen und i h m das Bürgerrecht zu schenken; i h m auch ein Zeichen geben, daß er betteln darf 2 2 2 ." Dem Invaliden blieb also vielfach keine andere Möglichkeit, als den Lebensunterhalt mühsam durch Betteln zu erwerben, wozu i h m eigens die Erlaubnis der Stadt erteilt wurde. 3. Das Problem der krank zuwandernden Gesellen und das Abschieben kranker Gesellen

Sofern die Gesellen i n Arbeit standen und folglich als Mitglieder einer Brüderschaft oder eines Gesellenverbandes Beiträge leisteten, standen 219

Vgl. Cohn, Julius, S. 5. Vgl. Reubold, Wilhelm, S. 19. 221 Vgl. ζ. B. Ordnung der K ö l n e r Posamentierer-Gesellen, S. 147 f. (Qu. 437) ; Ordnung des Würzburger Krankengesellen-Instituts, S. 148 - 150 dieser A r b e i t ; Dresdner Mandat v o n 1810, Herold, Georg Eduard, S. 9 u n d S. 11 (Qu. 448). 222 Vgl. Hampe, Theodor: Nürnberger Ratsverlässe über K u n s t u n d K ü n s t ler i m Zeitalter der Spätgotik u n d Renaissance, Bd. 1, Wien — Leipzig 1904, S. 54, Nr. 378 (Qu. 457). 220

III. Sicherung bei Unfall und Krankheit

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ihnen auch deren Leistungen i m Krankheitsfalle zu. Unklar war hingegen die Situation der auf der Wanderschaft erkrankten Gesellen. Dem Geist der Solidarität entsprechend müßten auch oder gerade die krank zuwandernden Gesellen i n den Genuß der Unterstützung der jeweiligen Brüderschaft gekommen sein; das war aber keineswegs durchgehend der Fall. Sowohl Rauert als auch Zatschek betonen, daß gewöhnlich nur die am Ort angestellten Gesellen brüderschaftliche Hilfe erhielten 2 2 8 . Nach der Satzung der am 26. A p r i l 1799 von den Kieler Zimmergesellen gegründeten Krankenlade waren krank ankommende Gesellen und venerische Erkrankungen von deren Leistungen ausdrücklich ausgeschlossen224. I n den Ordnungen anderer Brüderschaften w i r d der Leistungseinschluß der krank zuwandernden Gesellen eigens betont, was auf die Besonderheit dieser Regelung schließen läßt. I n Preetz war die Schmiedezunft nach ihren Statuten verpflichtet, auch erkrankte reisende Gesellen zu verpflegen. Später ließen sie diese A r t i k e l jedoch dahingehend ändern, daß künftig nur die i n Arbeit stehenden Gesellen zu unterstützen waren 2 2 5 . I n Iglau mußte bei den Tischlern „ i m Falle, daß ein Geselle ,herkompt der krank ist oder alhie krank w i r d ' (sogleich nach seiner A n kunft, bevor er Arbeit gefunden), . . . i h n je nach der Wesenheit seiner Krankheit der Herbergsvater oder das städtische Spital i n seine Obsorge nehmen" 2 2 6 . Auch i n Eger wurden die krank ankommenden Gesellen ausdrücklich von den Brüderschaften i n ihre Leistungen einbezogen: „Wenn ein fremder Geselle krank herkäme oder aber hier bei der Arbeit erkrankt und die Mittel, wieder gesund zu werden nicht hat, so soll er aus der Gesellen-Büchse m i t ziemlicher und ausreichender Hilfe versehen werden 2 2 7 ." — Gemäß der Ordnung der Messerschmiede vom 15. J u l i 1609 waren die Beiträge neben dem Geschenk für den Herbergsvater eigens für krank ankommende Gesellen bestimmt 2 2 8 . Als letzte Beispiele seien die Hamburger Fast- und Weißbäckergesellen (1620) genannt, die ebenfalls die wandernden Gesellen i n die Betreuung und Pflege durch den Herbergsvater einschlossen 229 , sowie 223

Vgl. Rauert, S. 83; Zatschek, Heinz, S. 51. Vgl. Hähnsen, Fritz, S. 452 - 453. 225 Vgl. Rauert, S. 83. 226 Ruby, Franz, S. 165. 227 Ordnung der M ü l l e r v o m 16. Dezember 1584, vgl. Siegl, K a r l , S. 105 (Qu. 458). 228 Vgl. Siegl, K a r l , S. 91 (Qu. 459). 229 Vgl. Rüdiger, Otto: Aeltere Hamburgische u n d Hansestädtische Handwerksgesellendocumente, S. 528 - 529 (Qu. 447). 224

11 Fröhlich

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1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

die Riemer zu Berlin und Cölln (1683), die ihnen auch mit einem Darlehen halfen 2 3 0 . Es scheint also, von Ausnahmen abgesehen, m i t der Versorgung der auf der Wanderschaft erkrankten Gesellen nicht zum besten gestellt gewesen zu sein, wogegen die i n Arbeit stehenden Gesellen eine gewisse Krankensicherung genossen. I m 18. Jahrhundert scheint aber die so viel gerühmte Solidarität und gegenseitige Hilfsbereitschaft der Zünfte und Gesellenverbände nachgelassen zu haben. Offensichtlich war der Mißbrauch eingerissen, kranke Gesellen einfach auf Wanderschaft zu schicken und sich so der lästigen Pflicht der Krankenunterstützung zu entledigen. Zum Teil w i r d man die Gesellen zunächst eine Weile unterstützt haben, bevor man sie abschob. Wie dem auch sei: Die Hannoversche Regierung sah sich veranlaßt, am 17. Dezember 1729 folgendes Edikt zu erlassen: „ . . . W i r vernehmen, daß bey einigen Aemtern und Gilden die böse Gewohnheit sey, daß wenn bey ihnen Gesellen erkrancket, und solche selber nicht M i t t e l gehabt sich pflegen zu können, sie von einem Ort und Stadt zur andern als Steuer=Brüder verfahren werden, bis sie entweder genesen, oder gar gestorben. Nachdemmahlen aber es ein sehr unchristlich Werck ist, solchergestalt krancke elende Leute, von einem Orte zum andern, auch wohl zu harter Winters-Zeit zu transportieren, und wohl ohne alle Pflege ohnbarmhertziger Weise crepiren zu lassen; Z u geschweigen, daß auf die Maasse ansteckende Seuchen und Kranckheiten, von einer Stadt und Land ins andere geschleppet werden können: Als finden W i r Uns gemüßiget, solche Fortsendung derer sogenannten Steuer=Brüder, ernstlich und bei nahmhaffter Straffe zu verbieten: gestalt dann die Magistrats Personen hierm i t befehliget werden, die Vorsteher der Aemter und Gilden, bey welchen diese Gewohnheit sich findet, vorzufordern, und ihnen den Inhalt dieser Unser Verordnung kund zu machen, auch davon ein Exemplar zu zustellen, auch eines davon an die benachbarte auswärtige Städte zu senden, und solche zu requiriren, daß sie ihrer Orten kund machen, daß i n hiesigen Landen fernerhin dergleichen Steuer=Brüder nicht angenommen, sondern allenfalls sofort mit derselbigen Fuhr remittiret der Fuhrmann überdem i n Hafft genommen, und mit empfindlicher Straffe angesehen werden solle. Däfern aber ein dergleichen krancker Geselle nicht des Vermögens, sich selber zu verpflegen; alsdenn sind solche Kosten, aus der Amts-Lade herzugeben, immassen W i r dann denen Aemtern und Gilden dazu gewisse Einnahmen verwilliget; oder, da auch i n der Lade sich kein Vorrath befünde, Unser ausgelassenen Armen=Ordnung zu folgen, bey denen Vor230

Vgl. Meyer, Moritz: Bd. 1, S. 351 (Qu. 108).

III. Sicherung bei Unfall und Krankheit

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Stehern der Armen=Casse sich gebührend zu melden, und daselbst, was zu ohnentbehrlicher Verpflegung des Krancken gehöret wahrzunehmen 231 ." Es war wohl mehr aus Furcht vor eingeschleppten Krankheiten als aus menschlichen Erwägungen heraus, daß sich die Hannoversche Regierung weigerte, solche kranken Gesellen aufzunehmen; denn es wäre für die Kranken sicher dienlicher gewesen, sie aufzunehmen, als sie zurücktransportieren zu lassen. M i t dem Edikt wurde jedoch auch den Zünften und Gesellenverbänden des Regierungsbereichs auferlegt, die Erkrankten zu behalten und zu unterstützen. Wenn die Geldmittel der Ämter nicht ausreichten, sollte die örtliche Armenkasse einspringen. 1838 erließ die Hannoversche Regierung ein weiteres Gesetz, das allgemein die „Behandlung erkrankter der Gemeinde, w o r i n sie erkrankt sind, nicht angehörigen Armen" regelte. Es war insofern ein Fortschritt gegenüber dem Edikt von 1729, als es nun grundsätzlich verboten wurde, auf der Reise erkrankte Personen zurückzuweisen oder zur Fortsetzung ihrer Reise zu zwingen 2 3 2 . Auch die Preußische Regierung sah sich zum Eingreifen genötigt und erließ 1782 eine Verordnung, nach der die Handwerke sämtlicher Städte gezwungen wurden, die krank werdenden Gesellen, sie seien i n Arbeit oder auf der Wanderschaft, bis zur völligen Genesung oder mindestens bis zur Transportfähigkeit zu pflegen und zu unterhalten. U m eine Kontrolle über die Einhaltung dieser Verordnung zu erhalten, wurde verfügt, daß der Zunftmeister des Orts jeden Krankheitsfall bei 10 Reichstalern Strafe dem Bürgermeister anzuzeigen hatte, der „für Unterbringung, Verpflegung und Cur des Kranken mit Zuziehung des Stadtarztes oder Chirurgi" zu sorgen hatte. Für die K u r - und Pflegekosten mußte zunächst die örtliche Gesellenlade, bei deren Unvermögen die Gewerkslade und, erst wenn auch diese zahlungsunfähig war, die örtliche Armenkasse aufkommen 233 . I m Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten vom 1. Juni 1794 wurde die Verpflegung erkrankter Handwerksgesellen nach dem Muster der obigen Verordnung geregelt 2 3 4 . 231 Ebhardt, Christian Hermann: Sammlung der Verordnungen f ü r das Königreich Hannover aus der Zeit v o r dem Jahre 1813, Bd. 3, Hannover 1855, S. 222 - 223 (Qu. 460). 232 Vgl. Ebhardt, Christian Hermann: Bd. 7, Hannover 1840, S. 477-480 (Qu. 461). 233 N o v u m Corpus Constitutionum Prussico-Brandenburgensium, Bd. 7, B e r l i n 1786, Sp. 1967 -1970 (Qu. 462). Vgl. auch das „Mandat, die Abstellung verschiedener Innungsgebrechen betreffend Dresden, 7. Dezember 1810", gedruck bei Herold, Georg Eduard, S. 11 (Qu. 448). 234 Vgl. Hattenhauer, (Qu. 463).

11*

Hans, Hrsg.: 2. Theil, 8. Titel, §§ 353-355, S. 463

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1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

U m zu zeigen, wie notwendig diese Gesetze waren, sei zum Schluß noch ein Einzelschicksal geschildert: der Fall Georg Trummert. Gemäß einem Schreiben seines Meisters hatte Trummert 1771 einen Schlaganfall erlitten, der i h n gänzlich lähmte. Nachdem das Handwerk i h n ein Jahr lang gepflegt und für Medikamente usw. 80 Taler aufgebracht hatte, sah es sich nicht mehr i n der Lage, ihn weiter zu unterhalten und schickte i h n auf die Heise. I n dem Schreiben werden die Loh- und Rotgerbermeister sowie die Brüderschaften gebeten, dem Armen „von einem Ort zu dem andern beförderlich zu seyn, und sich seines elenden Zustand zu erbarmen" 2 8 5 . Das Schreiben ist datiert „Weissenburg am Rhein 6. A p r i l 1772". Anscheinend ging man auch die anderen Handwerke Weißenburgs u m (falsche) Kundschaft (Zeugnisse) an, so daß Trummert sich auf seiner Reise an alle Handwerke u m Unterstützung wenden konnte, deren Kundschaft er besaß. Daß Trummert selbst sich diese falschen K u n d schaften beschafft hätte, ist unwahrscheinlich wegen seiner schweren Krankheit, auch waren sie ordnungsgemäß ausgefertigt und mit dem Handwerkssiegel versehen. Aufgrund seiner Prüfung der Urkunden kommt Wissell zu dem Schluß, „daß entweder das Loh- und Rotgerberhandwerk i n Weißenburg oder die Stadt gar selbst, vielleicht beide gemeinsam dem Trummert die Kundschaften beschafft hat und er nun daraufhin seinen Elendszug in die Welt angetreten hat" 2 3 8 . Eineinviertel Jahr später, am 12.7.1773 berichtet ein Ratsprotokoll i n Reval, daß Trummert „falscher Kundschaften bei verschiedenen Gewerken und Aemtern sich bedienet, dadurch diesen Geld abbetrogen hätte und nunmehro hier inhafftiert" sei. Der darauf folgende Ratsbeschluß lautet: „Dem Georg Trummert bey seiner Kräncklichkeit nur m i t Stockschlägen bestraffen und, nach abgenommenen Kundschaften, von hier nach draussen m i t Schiffsgelegenheit überbringen, dabey aber i h m von dem vorräthig gefundenen Gelde, nach Abzug der hiesigen, Rigaischen und Pernauschen Schulden, etwas zu seinem Fortkommen zu lassen. Dem Herrn Gerichtsvogt wurde die Effectuierung dieses Schlusses empfohlen 237 ." Trummerts weiteres Schicksal ist unbekannt. Ohne Kundschaften, die i h m auf der Weiterreise nützlich gewesen wären, w i r d er i n seiner schweren Krankheit nicht weit gekommen sein. Man sollte sich nun hüten, die Schuld an solchen Schicksalen allein der Hartherzigkeit der Zünfte und Gesellenbrüderschaften zuzuschrei235 Reval, Stadtarchiv Β f, 1; nach Wissell, Rudolf: Der soziale Gedanke i m alten Handwerk, S. 64 - 65 (Qu. 464). 236 Wissell, Rudolf: Der soziale Gedanke i m alten Handwerk, S. 66. 237 Reval, Stadtarchiv A b, 211; nach Wissell, Rudolf: Der soziale Gedanke i m alten Handwerk, S. 66 (Qu. 465).

IV. Sicherung im Todesfall

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ben. Immerhin hatte das Handwerk, i n dem er zuletzt tätig war, ein Jahr lang für ihn gesorgt und eine nicht geringe Summe für i h n aufgebracht. Die Tatsache, daß sich die örtlichen Zünfte — die sonst jeden Mißbrauch strengstens ahndeten — offenbar selbst entschlossen, zugunsten des Kranken falsche Kundschaften auszustellen, spricht ebenfalls für ihr Mitgefühl. Auch die Handwerke, bei denen er unterwegs vorsprach, müssen i h n nach Kräften unterstützt haben — wie hätte er sonst bei seiner völligen Lähmung bis Reval kommen können? Die Ursache liegt vielmehr mindestens teilweise i m Wesen und i n der Organisation der Krankenunterstützung der Zünfte und Gesellenverbände. Meist waren die M i t t e l nicht zweckgebunden, sie wurden zum Teil — durchaus satzungsgemäß — für Prunk und für festliche Gelage ausgegeben; so konnte es nicht ausbleiben, daß häufig die notwendigen M i t t e l zur Krankenunterstützung fehlten. Zünfte und Gesellenverbände boten eben noch keine Krankenversicherung, sie trugen lediglich zur Minderung des Risikos „Krankheit" bei.

IV. Sicherung im Todesfall 1. Teilnahmepflicht am Begräbnis, seelsorgerische Leistungen

W i r haben bereits bei den Zünften darauf hingewiesen, daß die genannten Leistungen nicht eigentlich als Leistungen zur sozialen Sicherung i m Sinne der Sozialversicherung bezeichnet werden können, daß sie jedoch i n der damaligen Zeit ein wichtiges Bedürfnis nach Sicherheit befriedigten: das Bedürfnis nach der Gewißheit, ein ordentliches Begräbnis und Fürsprache i n Gebeten und Messen zu erhalten. I n den Gesellenverbänden war dieser Gedanke möglicherweise noch ausgeprägter. Während sich i n der Regel die am Ort wohnenden Angehörigen der Meister um deren Beerdigung kümmern konnten, lebten die Gesellen zum großen Teil getrennt von ihren Angehörigen i n einer entfernten Stadt. Die Gesellen suchten und erhielten durch die Gesellenbrüderschaft die Gewißheit, daß sie — auch wenn sie fern von ihren Familien starben — ein ordentliches Begräbnis und die Fürbitte ihrer Genossen erhielten. Nicht zuletzt aus diesem Grunde zahlten sie w i l l i g ihre Beiträge. Daher sollen diese Leistungen auch i n diese Zusammenstellung aufgenommen werden. Aus der engen Verbindung zwischen Gesellenbrüderschaften und -verbänden m i t der Kirche ergab sich automatisch, daß die Sorge um die Verstorbenen wesentlicher Bestandteil ihrer Aufgaben wurde. Wie bei den Zünften war es allgemein selbstverständliche Pflicht jedes Gesellen, einem toten Genossen das letzte Geleit zu geben. So verordneten beispielsweise die Frankfurter Kürschnergesellen 1609:

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1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

„ . . . wenn ein Geselle stirbt, sollen alle Gesellen m i t zur Leiche gehen.. ." 2 3 8 . — Die Brüderschafts- und Gesellschaftsordnung der Freiburger Woll- und Leinweber sowie der Hosenstricker gesellen von 1591 setzte 6 Pfennig als Strafe für das Fernbleiben bei einer Beerdigung fest 239 , die Rolle der Hamburger Maler- und Glasergesellen 2 Pfund Wachs 240 . Anfang des 15. Jahrhunderts mußten die Flensburger Schmiedegesellen einen Tag und eine Nacht Totenwache halten und dem Verstorbenen dann das letzte Geleit geben 241 . — Die Liste dieser Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen. I n den meisten Ordnungen ist ein entsprechender Passus enthalten; doch selbst wo er fehlt, kann man mit großer Sicherheit annehmen, daß der Brauch dort ebenfalls gehalten wurde: Bei selbstverständlichen Verpflichtungen und Gebräuchen wurde es häufig für unnötig erachtet, dies i n den Satzungen schriftlich zu fixieren. Meist ging die Verpflichtung der Gesellen über die bloße Teilnahme am Begräbnis hinaus: Zu ihren Aufgaben gehörte es auch, die Leiche selbst zu Grabe zu tragen 242 . Bei den Hamburger Färbergesellen (1589) war dies die Aufgabe der Schaffer 243 , bei den Frankfurter Buchbindern (Ende des 16. Jahrhunderts) war es die Pflicht der jüngsten Gesellen 244 . I n Frankfurt bestimmte der „Vorstand" der Schneidergesellen (15. Jahrhundert) die Leichenträger nach eigenem Ermessen aus der Mitte der Gesellen. Bei Strafe mußte jeder einer solchen Aufforderung nachkommen 2 4 5 . — I n Straßburg trugen bei den Schlosser- und Sporergesellen (1536) die beiden Urtengesellen sowie die beiden folgenden Gesellen die Toten zu Grabe. Sofern der Verstorbene Geld oder Wertsachen hinterließ, wurde davon ein „graberlon" genommen, der Rest für seine Verwandten ein Jahr lang aufgehoben. Meldeten die Erben sich nicht binnen dieser Jahresfrist, so wurden die Gegenstände verkauft und der 238 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 290 (Qu. 466). 239 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 280 (Qu. 467). 240 Vgl. Lappenberg, Johann M a r t i n : Beiträge zur älteren Kunstgeschichte Hamburgs, S. 324 (Qu. 468). Es handelt sich u m eine u m 1600 entstandene Kopie einer früheren Ordnung. Vgl. dort S. 326, Fußn. 1, sowie Rüdiger, Otto: Aeltere Hamburgische u n d Hansestädtische Handwerksgesellendocumente, S. 526. 241

Vgl. Metger t Conrad, S. 16 (Qu. 469). Vgl. Kriegk, Georg L u d w i g : Deutsches Bürgerthum i m Mittelalter, Neue Folge, F r a n k f u r t 1871, S. 152. 243 Vgl. Rüdiger, Otto: Aeltere Hamburgische u n d Hansestädtische Handwerksgesellendocumente, S. 549 (Qu. 470). 244 Vgl. Bücher, K a r l : Frankfurter Buchbinder-Ordnungen, S. 285 (Qu. 471). 245 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 323 - 324 (Qu. 472). 242

IV. Sicherung im Todesfall

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Erlös i n die Gesellenbüchse gelegt „und die armen, so den graber Ion nit haben, damit zu der erden" bestattet 246 . Besonders ausführliche Verhaltensregeln und -anweisungen für einen Todesfall enthält die Ordnung der Münsteraner Bäckergesellen von 1569: Der Tote wurde i m Sterbehaus abgeholt, wobei der jüngste Knecht das Kreuz, die übrigen Jungknechte Leichnam und Kerzen trugen. Die Träger mußten ein Fernbleiben mit 1 Pfund Wachs, die „Nachfolger" m i t 4 Schilling büßen. Erstaunlich ist, daß diese Strafe i n Pestzeiten sogar noch erhöht wurde: Die Leichenträger mußten 1,5 Mark, die übrigen 4 Schilling zahlen. Schickte ein Meister einen Lehrknecht aus der Stadt, der zu den Leichenträgern gehörte, so hatte der Meister entweder für Ersatz zu sorgen oder er selbst mußte die festgesetzte Strafe zahlen. Ferner empfahl die Ordnung, die Träger sollten „ m i t dem leichnamb nicht zu schnell nach dem kerkhofe eilen, damit die nachfolgere fein, samt sittenlich oder ordentlich nachfolgen können .. ," 2 4 7 . Zu den seelsorgerischen Leistungen der Gesellenverbände gehörten die für die Verstorbenen gelesenen Messen. Auch hier galt strenge Teilnahmepflicht. Die Brüderschaft der Roth- und Weißgerbergesellen zu Colmar ließ eine Seelenmesse und ein Jahrgedächtnis für die Verstorbenen lesen, an denen alle Mitglieder „ i n iren besten kleidern" teilnehmen und opfern mußten. Das Fernbleiben wurde m i t 6 Pfennig bestraft 2 4 8 . I n K i e l standen die Schuster gesellen seit 1434 i n enger Verbindung mit den Minoritenbrüdern. Täglich wurde auf dem Marienaltar von den Mönchen eine Messe für die Lebenden und Verstorbenen der Brüderschaft gelesen. I m Sterbefall mußten die Gesellen bei Strafe von 6 Pfennig an der Vigilie und den 30 auf Kosten der Brüderschaft gebeteten Messen teilnehmen 249 . — Gegen ein Entgelt von 2 Pfund Wachs gedachten die Frankfurter Barchentweberknechte auch der verstorbenen Eltern und Geschwister eines Genossen m i t Seelenmessen und Gebeten 2 5 0 . Eine weitere Leistung boten die Straßburger Gerberknechte. I n der Ordnung von 1477 beauftragten sie ihre Büchsenmeister, jeweils zu Allerheiligen 2 Kerzen auf jedem Grabe zu entzünden 251 . 246 Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 255 (Qu. 473). 247 Krumbholtz, Robert, S. 148 (Qu. 474). 248 Mone, F. J.: Zunftorganisation, Bd. 18, S. 21 - 22 (Qu. 475). 249 Vgl. Hähnsen, Fritz, S. 59. 250 Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 292 (Qu. 476). 251 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 217 (Qu. 477).

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1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

A u f Reisen verstorbene Gesellen konnten zwar nicht von ihren Brüdern zu Grabe getragen werden, doch durften sie sicher sein, daß ihrer i n Messen und Gebeten ebenso gedacht wurde, als wären sie am Ort verstorben 252 . So verordneten die Speyrer Müller- und Bäckerknechte 1410: „ . . . geschehe es, daß einer aus der Brüderschaft hier zu Speier anderswohin käme und da sterbe, was Gott lange verhüten möge, dessen Tod soll man begehen, als sei er hier gestorben 253 ." Sehr ähnlich lautet ein entsprechender Passus bei den Schmiedegesellen zu Schaffhausen 254 . Mone gibt eine Zusammenfassung dreier Urkunden einer Gesellenbrüderschaft von neun Handwerkern i n Freiburg (1415, 1460, 1510). Dort heißt es: Wer seinen Beitrag zur Büchse leistet, „stirbt der bevor er Meister wird, es sei wo es wolle, so bald uns oder den nach uns kommenden Knechten das bekannt wird, wollen w i r alle . . . unverzüglich ein Opfer halten als ob er hier gestorben wäre 2 5 5 ." 2. Stellung von Leichengerät, eigene Begräbnisstätten

Von den eingenommenen Eintrittsgeldern, Beiträgen und Strafgeldern schafften viele Gesellenbrüderschaften und -verbände eigenes Leichengerät an, i n der Regel aus Bahren, Tüchern und Kerzen bestehend. I n Stendal verabredeten die Kürschnergesellen 1372 m i t den Meistern des Amts, daß auch sie Kerzen und Totenlaken der Gilde benutzen konnten. Als Gegenleistung steuerten sie aus ihrer Büchse eine Summe bei, wenn Tücher oder Kerzen ausgebessert oder ersetzt werden mußten 256 . — I n Münster erhielten die Bäckerknechte 1569 Totentücher und Lichter, die bei Beerdigungen gestellt wurden 2 5 7 . Bei den Flensburger Schmiedegesellen sollten die Schaffer dem Toten „Bahre, Kerzen, Bahrtücher und was dazu gehört" zur Verfügung stellen 258 . Ob die Gesellenverbände auch Särge stellten, wie es teilweise bei den Zünften der Fall war, ließ sich aus den herangezogenen Quellen nicht ermitteln. Fest steht jedoch, daß viele eigene Begräbnisstätten besaßen, i n denen die verstorbenen Brüder beigesetzt wurden. „ I n unser grap zu den Bredigern" wollten die Straßburger Kürschnerknechte 1404 ihre Toten bestatten, es sei denn, Freunde wollten den Verstorbenen anders262

Vgl. Stahl, Fr. Wilhelm, S. 405. Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 178 (Qu. 478). 254 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 203 (Qu. 479). 255 Vgl. Mone, F. J.: Zunftorganisation, Bd. 18, S. 18 (Qu. 480). 256 Vgl. Riedel, A . F., S. 177 (Qu. 481). 267 Vgl. Krumbholtz, Robert, S. 148 (Qu. 474). 288 Vgl. Metger, Conrad, S. 16 (Qu. 482). 255

IV. Sicherung im Todesfall

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wo beerdigen, wogegen sie keine Einwände erhoben 259 . Der vierzehntägige Beitrag wurde von den Straßburger Schlosser- und Sporerknechten (1484) am Grabe der Brüderschaft bei St. Martin eingesammelt 280 . Die Geistlichkeit überließ den Gesellenverbänden und -brüderschaften diese Begräbnisstätten gern gegen fromme Stiftungen oder auch weil die Brüderschaften m i t ihrem festlichen Gepränge, Kerzen und Fahnen ihre Kirche und Prozessionen verschönten 281 . So hatten die Colmarer Roth- und Weißgerberknechte eine Grabstätte i m Kloster der Barfüßer (1470)282; die Brüderschaft der Straßburger Gerbergesellen kam 1477 überein, „unser gemein begrebde" bei den Augustinern zu halten. I n diesem Grab wurde auf Wunsch jeder Bruder bestattet 283 . Die Müller- und Bäckerknechte i n Speyer (1410) erhielten von den geistlichen Brüdern der Barfüßer, i n deren Kirche ihre Kerze hing, „ . . . eine Grabstätte i n ihrer Kirche hinten bei der letzten T ü r e . . ." 2 8 4 . — I m Jahre 1419 schlossen die Freiburger Brotbäckerknechte m i t den Pflegern des „Gotteshauses zu dem armen Spital" einen Vertrag. Sie hatten mit einer Spende zum Bau der Kirche beigetragen, und die Pfleger teilten ihnen deshalb für alle Zeiten zwei Gräber zu, i n denen sie und ihre Nachkommen i n der Brüderschaft bestattet werden sollten. Darüber hinaus kauften die Brotbäckerknechte für 10 Schilling ein weiteres Grab i m gleichen Gotteshaus sowie einen Stein. Die Pfleger verpflichteten sich, diesen Betrag unverzüglich zurückzuzahlen, wenn den Brotbäckern das Grab oder auch der Stein abgenommen würde 2 8 5 . Die geschworenen Meister des Handwerks veranlaßten 1643 die Brüderschaft der Nürnberger Schuhknechte zum Kauf einer Begräbnisstätte m i t dem Argument: „wie es so fein wer wenn siehe ein eichne begrebtnus heten, daß sihe nicht i n die gemeine gruben komen". 1650 erwarben sie noch eine zweite Grabstätte auf dem Johanniskirchhof. Auch die Nürnberger Schreinergesellen besaßen seit 1616 je eine Begräbnisstätte auf dem Johannis- und dem Rochusfriedhof. Sie führten zeitweilig sogar ein Verzeichnis der dort verstorbenen und begrabenen Schreinergesellen 288 . 259 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 170 (Qu. 483). 2βο v g l Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 222 (Qu. 484). 261 Vgl. Potthoff, Ossip Demetrius, S. 104. 2β2 Vgl. Mone, F. J.: Zunftorganisation, Bd. 18, S. 21 (Qu. 475). 263 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 212 u n d S. 214 (Qu. 485). 264 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 179 (Qu. 486). 2β5 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 186 - 187 (Qu. 487). 2ββ Schoenlank, Bruno: Z u r Geschichte altnürnbergischen Gesellenwesens, S.370 - 371.

170

1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden 3. Übernahme der Beerdigungskosten

Wie bereits erwähnt, konnten w i r i n den uns zur Verfügung stehenden Unterlagen keinen Beleg dafür finden, daß von den Gesellenverbänden bzw. -brüderschaften auch der Sarg gestellt wurde. Außerdem besaßen nicht alle Verbände eigenes Leichengerät; auch eigene Begräbnisstätten standen nur einem Teil zur Verfügung. I n jedem Fall blieb also ein Teil der Beerdigungskosten vom Gesellen selbst bzw. aus dessen Nachlaß zu decken. Das bedeutet, daß bei sehr armen Genossen eine finanzielle Lücke bestehen blieb, die nicht ohne Unterstützung durch den Gesellenverband zu schließen war. I n vielen Gesellenordnungen findet sich daher die Bestimmung, daß bei A r m u t des verstorbenen Gesellen das Begräbnis aus der Gesellenlade zu finanzieren sei 267 . Die Ordnung der Straßburger Schlosser- und Sporergesellen von 1536, nach der die arm verstorbenen Gesellen aus den Mitteln bestattet wurden, die aus dem Verkauf der Hinterlassenschaft anderer Gesellen stammten, wurde bereits i m vorigen Abschnitt erwähnt 2 6 8 . Die Frankfurter Kürschnergesellen (1609) beerdigten den arm Verstorbenen aus Büchsenmitteln, notierten die anfallenden Kosten genau und versuchten, die Auslagen von Verwandten oder Freunden des Verstorbenen zurückzuerhalten. Gelang dies nicht, so wurde — so weit möglich — der Nachlaß zur Kostenerstattung herangezogen 269 . Sehr ähnlich handelten die Frankfurter Benderknechte (1559)270. Der Nachlaß der Toten mag häufig nicht ausgereicht haben, die Kosten zu decken. Aber auch i n diesem Fall war den Verstorbenen ein ordentliches Begräbnis sicher. So verordneten die Straßburger Kürschnerknechte 1404: „Geschieht es auch, daß einer so arm ist, daß er nach seinem Tode nicht soviel hinterläßt, daß man ihn davon zu Grabe tragen kann, so sollen w i r so viel aus der Büchse nehmen, daß er zur Erde befohlen und begraben werde 2 7 1 ." Ebenso die Schuster i n Arnstadt (1628): „Da man aber an seiner Verlassenschaft oder seinen Freunden sich nicht erholen könnte, soll es aus der ganzen Brüderschaft bezahlt werden 2 7 2 ."

267 Vgl. Maurer, Georg L u d w i g von: Bd. 2, S.443; Berlepsch, H . A . : Bd. V I , S. 126. 2β8 y g i . T e i l 1, C I V 1: Teilnahmepflicht am Begräbnis, seelsorgische L e i stungen (Qu. 473). 269

Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 289 - 290 (Qu. 488). Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 275 (Qu. 489). 271 Vgl. Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 171 (Qu. 490). 272 Berlepsch , Η . Α.: Bd. I V , S. 71 - 72 (Qu. 491). 270

IV. Sicherung im Todesfall

171

Bei den Gesellenverbänden galt also ebenso wie bei den Zünften der Grundsatz, daß jeder zunächst für sich selbst verantwortlich war. Der Gesellenverband sprang erst dann unterstützend ein, wenn sich der Genösse aus eigener K r a f t nicht mehr helfen konnte. I n diesem Fall unternahm der Verband große Anstrengungen, um zu einer Lösung zu kommen. Besonders deutlich w i r d dies an einem Beispiel, das Hähnsen aus K i e l berichtet: 1760 versetzte die dortige Schustergesellenbrüderschaft ihr Silbergeschirr, weil das Geld i n der Lade zum würdigen Begräbnis eines Mitgesellen nicht ausreichte. Dies ist sicherlich ein Sonderfall, und es wurde den Gesellen für die Zukunft auch verboten, ihr Gerät leichtfertig und nur um des Prunkes bei Begräbnissen willen zu versetzen, da es nicht ihr Eigentum, sondern auch das der künftigen Brüderschaft sei. Nur i n echten Notfällen sollte es angegriffen werden 273 . Immerhin zeigt dieses Beispiel, daß i n Notfällen sogar das Sachvermögen der Brüderschaft versetzt wurde, um einzelne Genossen zu unterstützen. 4. Eigene Totenladen

Aus der Unterstützung i m Todesfall entwickelten sich bei einigen Gesellenverbänden besondere Laden, die ausschließlich als kombinierte Kranken-, Invaliden- und Sterbekassen fungierten. Die Maurergesellen in Frankfurt (1604) hatten bereits bestimmt, daß die Büchsengelder neben der Krankenpflege nur zur Bestattung armer Handwerksgesellen verwendet werden sollten 274 . — I n Hildesheim gründeten die Maurerund Steinhauergesellen 1768 eine eigene Totenlade 275 . Seit dem 10. A p r i l 1708 bestand die Brüderschaft der Wollenwebergesellen i n Köln, nach deren Statuten die Kasse 5 Reichstaler für das Begräbnis jedes Gesellen, der regelmäßig seine Beiträge geleistet hatte, auszahlen mußte. Da dieser Betrag zur Bestattung nicht mehr ausreichte, baten die Gesellen den Rat um Änderung der Ordnung und Erhöhung der Summe auf 6 Reichstaler, was ihnen am 21. August 1748 gewährt wurde 2 7 6 . Die Kölner Großgezäugergesellen schlugen 1736 eine Brüderschaftsordnung vor. Es handelte sich um einen freiwilligen Zusammenschluß, der auch hier eine kombinierte Kranken- und Sterbekasse war. Die Kasse zahlte i m Todesfall 5 Reichstaler zu je 80 Albus für das Begräb273

Vgl. Hähnsen, Fritz, S. 204. Vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: S. 350. 275 Einzelheiten über Organisation u n d Leistungen der Kasse sind leider nicht bekannt, da K a u f h o l d i n seiner Dissertation lediglich die Tatsache der Gründung berichtet. Vgl. Kauf hold, K a r l Heinrich, S. 126. 278 Vgl. Kölner Stadtarchiv: Zunftakten Nr. 20, S. 241 - 244 (Qu. 492). 274

172

1. Teil, C. Soziale Sicherung bei den Gesellenverbänden

nis. Alle Brüder hatten bei 4 Albus Strafe an der Beerdigung teilzunehmen. Ferner wurde vierteljährlich eine Messe für die Verstorbenen gelesen. Die Kasse war nicht zur Zahlung der 5 Reichstaler verpflichtet, sofern der Verstorbene weniger als ein Vierteljahr der Brüderschaft angehörte, oder wenn er sich ein Verbrechen hatte zuschulden kommen lassen, das ein Begräbnis an „geweihtem Ort" ausschloß. Verstarb ein Mitglied der Brüderschaft auf Reisen, so erlosch damit die Leistungspflicht der Kasse nur, wenn er mit den Beiträgen sechs Wochen i m Rückstand war; es entsprach dies der allgemeinen Regelung. Gesellen, die — nachdem sie Meister geworden waren — m i t der Beitragszahlung fortfuhren, behielten damit auch den Anspruch auf Zahlung der 5 Reichstaler bei ihrem Tode 277 . Eine ganz ähnliche Ordnung wurde den Posamentierergesellen am 3. Juni 1740 bestätigt. Die Leistungen der Brüderschaft bestanden aus 5 Reichstalern zum Begräbnis, Teilnahmepflicht der Brüder an der Beerdigung sowie an der vierteljährlich für die Verstorbenen gehaltenen Messe278. Gemäß den Statuten des Mainzer Zimmergesellen-Vereins (1851) wurde jedes Mitglied auf Kosten der Gesellschaft beerdigt. Verstarb ein ortsfremdes Mitglied i m Spital, so hatten dessen Eltern und Geschwister Anspruch auf die 21 Gulden betragenden Begräbniskosten sowie auf evtl. noch ausstehendes Krankengeld. Ferner erhielt jedes Mitglied beim Tode seiner Frau einen Begräbniskostenzuschuß von 5 Gulden 279 . Der wichtigste Unterschied dieser Totenladen zu den Unterstützungsmaßnahmen der Gesellenbrüderschaften bestand darin, daß nicht mehr lediglich arme Gesellen m i t der Übernahme der Begräbniskosten durch die Brüderschaft rechnen durften, sondern daß hier alle Gesellen einen echten Anspruch auf die vereinbarten Leistungen der Kasse erhielten, unabhängig von ihrer Vermögenslage. Damit sind diese Totenladen als echte Vorläufer der heutigen Lebensversicherung zu sehen.

277

Vgl. Kölner Stadtarchiv: Zunftakten Nr. 468 (Qu. 436). Vgl. K ö l n e r Stadtarchiv: Z u n f t a k t e n Nr. 470 (Qu. 437). 279 Vgl. Wissell, Rudolf: Die Geschichte der deutschen Sozialversicherung, S. 147 (Qu. 438). 278

Zweiter

Teil

Analyse der sozialen Sicherung der Zünfte und Gesellenverbände; Vergleich mit dem heutigen System A . Einführung Die Zünfte und Gesellenverbände haben ein System der sozialen Sicherung entwickelt, das i m folgenden analysiert und m i t unserem heutigen System verglichen werden soll. Fünf Methoden der Analyse bieten sich i m wesentlichen an. Sie liegen auf verschiedenen Abstraktionsebenen und ermöglichen jeweils einen anderen Zugang zum System: 1. die historisch-beschreibende Darstellung, 2. die Problemgeschichte, die einen Entwicklungsgang pointierend anhand wichtiger Einzelprobleme darstellt, 3. die Elementaranalyse, die die am System beteiligten sozialen Elemente durchleuchtet, 4. die Strukturanalyse, die sich den Beziehungen zwischen den Elementen widmet und schließlich 5. die dynamische Analyse, die durch Einbeziehung des Zeitfaktors typische Abläufe zu erfassen sucht und damit wieder zu den beiden Methoden der Problemgeschichte und der historisch-beschreibenden Darstellung führt 1 . I. Der Ansatz Herder-Dorneichs I n mehreren vorbereitenden Schriften 2 und schließlich i n seinem „Sozialökonomischen Grundriß der Gesetzlichen Krankenversicherung" 3 hat Herder-Dorneich eine umfassende Analyse der derzeitigen gesetzlichen Krankenversicherung i n Deutschland vorgelegt. Er wendet alle fünf der genannten sozialwissenschaftlichen Forschungsmethoden an, um „den i n den Sozialwissenschaften vielfach mit Hingabe und Vehemenz geführten Methodenstreit" zu umgehen. Er vermeidet so die Gefahr, bei der ausschließlichen Anwendung einer Methode sich entweder i n der Fülle der Einzelwahrnehmungen zu verlieren, oder die Verein1 Vgl. Herder-Domeich, P h i l i p p : Ansatzpunkte zu einer Sozialpolitiklehre der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 133 - 134. 2 Vgl. Herder-Dorneich, P h i l i p p : Analyse der gesetzlichen K r a n k e n versicherung; Drei Untersuchungen, B e r l i n 1965; ders.: Ansatzpunkte zu einer Sozialpolitiklehre der Gesetzlichen Krankenversicherung. 3 Herder-Dorneich, P h i l i p p : Sozialökonomischer Grundriß der Gesetzlichen Krankenversicherung, Stuttgart — B e r l i n — K ö l n — Mainz 1966.

2. Teil, Α. Einführung

174

fachung der Modelle zu verabsolutieren. Er hält dieses Verfahren aber vor allem deshalb für notwendig, weil nur die Betrachtung aus möglichst verschiedenen Blickwinkeln die Gewähr bietet, einen umfassenden Einblick in ein kompliziertes soziales System zu erhalten 4 . I n drei Analysen untersucht er die gesetzliche Krankenversicherung, wobei jeder Ansatz eine neue Dimension einbezieht. I n einer Elementaranalyse durchleuchtet er die beteiligten Aggregate, die vom System erbrachten Leistungen sowie die i m System wirkenden Steuerungselemente. Die Elemente erscheinen dabei als „isolierte, punktartige Gebilde und Kräftezentren" ohne „Ausdehnung i n Raum und Zeit" 5 . Die daran anschließende Strukturanalyse gibt Aufschluß über die Beziehungen zwischen den Elementen und stellt damit „die Verbindungen zwischen den Punkten i n der Dimension der Fläche"® her. I n einer Analyse der Entwicklung, die den Gang der Geschichte der Gesetzlichen Krankenversicherung verfolgt und Entwicklungsgesetze zu finden trachtet, w i r d schließlich die Dimension der Zeit eingefügt. Die Methoden der Elementaranalyse, der Strukturanalyse und der dynamischen Analyse erhalten damit in Herder-Dorneichs Untersuchung einen eigenständigen Platz; doch auch die beiden Methoden der historisch-beschreibenden Darstellung sowie der Problemgeschichte tragen ihren Teil zur Erhellung und Erkenntnis des sozialen Systems bei. Die historische Methode ist wesentlicher Bestandteil der der eigentlichen Untersuchung vorangehenden Studien und findet — ebenso wie die Problemgeschichte — Eingang i n die dynamische Analyse; denn sie ist nicht denkbar ohne fundierte historische Studien und ohne den Entwicklungsgang anhand wichtiger Einzelprobleme über einen längeren Zeitraum zurückzuverfolgen 7 . II. Der Gang der Untersuchung Diese Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, eine Analyse des Systems der sozialen Sicherung zu versuchen, wie es von den Zünften und Gesellenverbänden entwickelt wurde. Durch eine bewußt enge Anlehnung in Aufbau und Methoden an die Arbeit Herder-Dorneichs soll ein Vergleich mit unserem heutigen System erleichtert werden. HerderDorneich hat nur das System der gesetzlichen Krankenversicherung untersucht. 4 Vgl. Herder-Dorneich, lehre, S. 133. 5 Vgl. Herder-Dorneich, 6 Vgl. Herder-Dorneich, 7 Vgl. Herder-Dorneich,

P h i l i p p : Ansatzpunkte zu einer

Sozialpolitik-

Philipp: Sozialökonomischer Grundriß, S. 350. Philipp: Sozialökonomischer Grundriß, S. 350. P h i l i p p : Sozialökonomischer Grundriß, S. 16-17.

II. Der Gang der Untersuchung

175

Hier soll jedoch auch die Sicherung gegen die Risiken Jugend und Alter, Arbeitslosigkeit, A r m u t und Sterbefall einbezogen werden. Ähnliche Untersuchungen über die heutigen Formen der Sicherung gegen diese Risiken (Kindergeld, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Sozialhilfe 8 , Lebensversicherung 9 ), die den Ansatz HerderDorneichs verwenden, liegen nicht vor. Dennoch scheint uns die Anwendung des von ihm entwickelten und angewendeten Instrumentariums möglich und sinnvoll. Es ist nicht speziell auf die Gesetzliche Krankenversicherung zugeschnitten, sondern zur eingehenden Analyse jedes sozialen Systems geeignet. Durch seine Anwendung werden verschiedene soziale Systeme i n Aufbau und Funktion vergleichbar. Somit kann dieser Ansatz auch für den Vergleich der Arbeitslosensicherung, der Lebensversicherung usw. fruchtbar sein. Daß die Analyse der Krankensicherung i n dieser Arbeit den Schwerpunkt bildet, liegt an der Tatsache, daß die Sicherung gegen dieses Risiko bei den Zünften und Gesellenverbänden am stärksten ausgebildet war, während die Sicherung gegen die übrigen Risiken weniger differenziert war und zum Teil nur rudimentären Charakter trug. I m ersten Teil dieser Arbeit wurde mit Hilfe der historisch-beschreibenden Methode ein ausführlicher allgemeiner Überblick über die soziale Sicherung bei den Zünften und Gesellenverbänden gegeben. Durch eine Fülle von Einzelheiten wurde das B i l d verdeutlicht. Die folgenden Analysen werden Einzelheiten vernachlässigen und statt dessen versuchen, die jeweils typischen Aspekte herauszukristallisieren und m i t dem heutigen System zu vergleichen. I n einer Elementaranalyse werden zunächst die am sozialen System beteiligten Aggregate untersucht und verglichen; es folgen — getrennt nach Risiken — eine Gegenüberstellung der Güter und Leistungen und eine Analyse der Steuerungselemente. Die Strukturanalyse w i r d die Beziehungen zwischen den Aggregaten durchleuchten und auch hier Parallelen oder Abweichungen zum heutigen System aufzeigen. — I n einer Analyse der Entwicklung soll schließlich versucht werden, Entwicklungslinien zu verfolgen, die von den Anfängen der sozialen Sicherung bei den Zünften zum jetzigen System der sozialen Sicherung führen. 8 Unter der Bezeichnung „Sozialhilfe" werden die v o m Bundessozialhilfegesetz vorgesehenen Leistungen zusammengefaßt. Das Bundessozialhilfegesetz v o m 30. J u n i 1961 wurde am l . J u n i 1962 geltendes Recht, u n d seine Leistungen lösten die der „öffentlichen Fürsorge" ab. Vgl. Bangert, W i l h e l m : Die Sozialhilfe, i n : Bundesministerium f ü r A r b e i t u n d Sozialordnung, Hrsg.: Sozialpolitik i n Deutschland, Heft 44, Stuttgart 1964, S. 3. 9 Sicherung i m Todesfall bieten neben der privaten Lebensversicherung die gesetzliche Krankenversicherung (Bestattungskosten) u n d die gesetzliche Rentenversicherung (Hinterbliebenenrente).

Β. Analyse u n d Vergleich der Elemente I. Analyse und Vergleich der Aggregate Die Aggregatbildung als M i t t e l zur Analyse und modellhaften Darstellung gesellschaftlicher Phänomene hat einen festen Platz i n den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften gefunden. Während die MikroÖkonomik (Klassiker, Neoklassiker), vom Verhalten einzelner W i r t schaftssubjekte ausgehend, nach Gesetzmäßigkeiten und auf diese Weise den Zugang zum Untersuchungsobjekt „Wirtschaft" suchte, setzte die MakroÖkonomik bei großen Gruppen — Aggregaten — an, die in Bezug auf die jeweilige Fragestellung ein einheitliches Verhalten zeigten. Ebenso wie i n der ökonomischen Theorie haben sich auch i n der Soziologie die Wege der Mikrosoziologie und die der Makrosoziologie entwickelt. Gegenstand der Mikrosoziologie ist jedoch nicht das Individuum, sondern die Kleingruppe, die face-to-face group, die formal nicht organisierte, dabei jedoch strukturierte Gruppe 1 . Ihre Besonderheit liegt darin, daß ihre Mitglieder sich persönlich kennen, die Normen, die ihr Verhalten i m Rahmen der Gruppe regeln, selbst mitgestalten und damit das Ergebnis des Gruppenhandelns direkt beeinflussen können. Hingegen zählt man formal organisierte Gruppen, Kollektive und Verbände in den Bereich der Makrosoziologie. Deren Spezifikum ist es, daß hier die Individuen Verhaltensanweisungen, Normen und Werte vorfinden, daß Sozialstrukturen und Institutionen das Verhalten von Individuen bestimmen 2 . M i t der Bildung und Analyse der am System beteiligten Aggregate folgen w i r also i m Ansatz der MakroÖkonomik bzw. Teilen der Makrosoziologie. Die Aggregate der Versicherten und der Ärzte sind i m heutigen System der sozialen Sicherung durchaus „formal organisierte 1 Vgl. Francis, Emerich K . : Makrosoziologie, i n : Bernsdorff, Wilhelm, Hrsg.: Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1969, S. 656 - 660. 2 Die gebräuchliche Unterscheidung v o n M i k r o - u n d Makrosoziologie ist begrifflich u n d inhaltlich nicht genau festgelegt. Unsere Verwendung folgt dem angelsächsischen Sprachgebrauch, der nicht identisch ist m i t der A u f fassung v o n Georges Gurvitch (Mikrosoziologie, i n : Bernsdorff, Wilhelm, Hrsg., S. 692 - 695). Die Unterschiede zwischen beiden Auffassungen werden k l a r herausgearbeitet v o n Emerich K . Francis (Makrosoziologie, i n : Bernsdorff, Wilhelm, Hrsg., S. 656- 660). Vgl. dazu auch König, René: „Gesellschaft", i n : König, René, Hrsg.: Soziologie, Fischer-Lexikon, Bd. 10, Frankfurt 1967, S. 111.

I. Analyse und Vergleich der Aggregate

177

Gruppen" und i m System der Zünfte und Gesellenverbände waren sie — soweit nicht organisiert — doch organisierbar. 1. Die Versicherten

Gegenstand der ersten Untersuchung ist das zahlenmäßig größte der am sozialen System beteiligten Aggregate, die Versicherten. Obwohl noch zu klären sein wird, ob die Zünfte und Gesellenverbände bereits ein echtes Versicherungssystem entwickelt hatten und die Leistungsempfänger damit wirklich als „Versicherte" bezeichnet werden können, soll dieser Terminus verwendet werden, denn das Aggregat der bei den Zünften und Gesellenverbänden Gesicherten deckt sich i n Bezug auf das Ziel der Analyse mit dem der Versicherten i n heutigen System. a) Die Versicherten

im heutigen

System

der sozialen

Sicherung

Der Personenkreis der Versicherten i m heutigen System der sozialen Sicherung ist unterschiedlich je nach A r t des zu deckenden Risikos: Das Risiko Armut ist nicht Gegenstand einer Versicherung. Statt dessen bieten die Sozialhilfe (soziale Fürsorge) und die freie Wohlfahrtspflege Hilfe i n besonderen persönlichen Notfällen. Die Fürsorge ist nicht an einen bestimmten Personenkreis gebunden, der aufgrund von Vorleistungen anspruchsberechtigt ist, sie ist vielmehr auf den Notstand des einzelnen abgestellt und setzt ein, wenn der einzelne seine Lage nicht aus eigenen Kräften verbessern kann, und zwar unabhängig von einem Verschulden der Not 3 . Alle Personen, die vom Geltungsbereich des Bundessozialhilfegesetzes erfaßt werden, haben Anspruch auf Sozialhilfe. Demnach gibt es kein für die Analyse sinnvolles Aggregat der Versicherten. Es wäre allumfassend, d. h. es würde alle Personen beinhalten, die sich i n der Bundesrepublik und Westberlin aufhalten 4 . Die Sicherung der erwerbslosen Phasen Jugend und A l t e r ist unterschiedlich geregelt. Die erwerbslose Phase Jugend hat zwei Aspekte. Betrachtet man sie aus der Sicht der Familie, so sind Familien mit K i n dern einer stärkeren finanziellen Belastung ausgesetzt als kinderlose Ehepaare oder Junggesellen. Die Konsequenz ist eine finanzielle Unterstützung dieser Familien durch Zahlung einer bestimmten Summe, die den Eltern das Großziehen mehrerer Kinder erleichtern soll (Familienlastenausgleich), es w i r d ein Kindergeld gewährt 5 . 3 Vgl. Bundesministerium des Innern, Hrsg.: Die öffentliche Fürsorge, K ö l n 1956, S. 10 - 12. 4 Vgl. Bangert, Wilhelm, S. 8 - 9. 5 Vgl. Bundesminister f ü r A r b e i t u n d Sozialordnung, Hrsg.: Übersicht über die soziale Sicherung, 8. Aufl., B o n n 1970, S. 161; Steinwender, Klaus: Das Kindergeld, i n : Bundesministerium f ü r A r b e i t u n d Sozialordnung, Hrsg.: Sozialpolitik i n Deutschland, Heft 30, Stuttgart 1963, S. 3.

12 Fröhlich

178

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

Bei dieser Betrachtungsweise sind alle Eltern „Versicherte", d. h. Anspruchsberechtigte i m Sinne der Analyse®. Betrachtet man das Kindergeld hingegen als „spiegelbildliches Analogon zur Altersrente" (Wilfrid Schreiber), d.h. als i m vorhinein verbrauchte Teile des Einkommens aus der Erwerbsphase, die dem K i n d von der Gesellschaft als Darlehen gewährt werden und die es später i n monatlichen Tilgungsraten (Beiträgen zu einer „Kindergeldkasse") zurückzahlt, so sind nicht mehr die Erziehungsberechtigten, sondern die Kinder selbst die Versicherten 7 . Die erwerbslose Phase des Alters w i r d durch die Rentenversicherung gedeckt, die sich teilt i n die Arbeiterrenten-, Angestellten- und Knappschaftliche Rentenversicherung, die Rentenversicherung der Handwerker, die Rentenversicherung der Landwirte, die Alterssicherung der freien Berufe und die Beamtenversorgung. I n der Arbeiterrenten-, A n gestellten» und Knappschaftlichen Rentenversicherung gliedert sich der Kreis der Versicherten i n Pflichtversicherte und freiwillig Versicherte. Versicherungspflichtig sind alle wirtschaftlich unselbständigen Arbeitnehmer, bestimmte Gruppen Selbständiger sowie seit der Rentenreform 1972 alle übrigen Selbständigen, wenn sie innerhalb von zwei Jahren nach Aufnahme der selbständigen Erwerbstätigkeit oder dem Ende der Versicherungspflicht die Versicherung beantragen 8 . Befreiung von dieser Pflicht ist möglich bei bestimmten Nebenbeschäftigungen, für Ruhegehaltsempfänger, sowie Personen, die zwangsweise einer öffentlichrechtlichen Versicherung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe angehören. Freiwillig weiterversichern konnten sich bisher nur diejenigen, die nicht mehr versicherungspflichtig waren, jedoch innerhalb von zehn Jahren mindestens 60 Monate eine rentenversicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt haben. Seit dem 19.10.1972 ist die freiwillige Versicherung nicht mehr an eine vorangegangene Versicherungspflicht geknüpft. β Seit dem 1. Januar 1975 w i r d das Kindergeld v o n den Arbeitsämtern auf A n t r a g v o m ersten K i n d an gezahlt. F ü r dasselbe K i n d hat aber immer n u r eine Person Anspruch auf die Unterstützung, i n der Regel der Ehegatte, der gemeinsam als der Berechtigte bestimmt wurde. Fehlt eine solche Bestimmung, so erhält der Partner den Betrag, der das K i n d überwiegend unterhält. Steht einer geschiedenen M u t t e r das alleinige Sorgerecht zu, ist sie A n spruchsberechtigte. Vgl. Bundeskindergeldgesetz i n der Fassung des E i n kommensteuerreformgesetzes v o m 5. 8.1974, Bundesgesetzblatt 1974, I, S. 1769. Z u r Kindergeldregelung bis zum 31.12.1974 vgl. Bundesminister f ü r Arbeit u n d Sozialordnung, Hrsg.: Übersicht über die soziale Sicherung, S. 162; 3. Gesetz zur Ä n d e r u n g des Bundeskindergeldgesetzes v o m 13.12.1971, Bundesgesetzblatt 1971, I, S. 1969. 7 Schreiber, W i l f r i d : Kindergeld, S. 12 u n d S. 14; Soziale Sicherung i n der Bundesrepublik Deutschland, Sozialenquête, S. 311 ff. 8 Vgl. Bundesminister f ü r A r b e i t u n d Sozialordnung, Hrsg.: Übersicht über die soziale Sicherung, S. 53; Bundesversicherungsanstalt f ü r Angestellte, Hrsg.: Rentenreform '72, B e r l i n 1972, S. 10 - 11.

I. Analyse und Vergleich der Aggregate

179

Damit wurde der Personenkreis, der freiwillig Mitglied der Rentenversicherung werden kann, erheblich erweitert 9 . I n der Rentenversicherung der Handwerker sind alle i n die Handwerksrolle eingetragenen Handwerker versicherungspflichtig, solange sie weniger als 18 Jahre Beiträge geleistet haben. Eine freiwillige M i t gliedschaft ist — wie bei der Arbeiterrentenversicherung — möglich 10 . Die Versicherten i n der Rentenversicherung der Landwirte, der freien Berufe und der Beamten sollen hier vernachlässigt werden; sie zeigen i m wesentlichen keine andere Gliederung. Die Mitglieder der Arbeitslosenversicherung sind ausnahmslos Pflichtversicherte; ein freiwilliger Beitritt ist nicht möglich 11 . Der Kreis der Versicherten entspricht i m wesentlichen dem der gesetzlichen Krankenversicherung 12 . Bei der Sicherung im Todesfall ist zu unterscheiden zwischen den Bestattungskosten und der Versorgung der Hinterbliebenen. „Versichert" sind in jedem Fall die Hinterbliebenen. Sie sind i n dieser Eigenschaft nicht Mitglieder der Versicherung, da sie selbst keine Beiträge leisten, sondern lediglich Begünstigte. I n der Bundesrepublik werden die Bestattungskosten der Krankenversicherungsmitglieder von den Krankenversicherungen i n Form eines Sterbegeldes getragen. Die Sicherung der Hinterbliebenen obliegt der jeweiligen Rentenversicherung bzw. einer privaten Lebensversicherung. I n der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung teilen sich die Versicherten i n die Gruppe der Mitglieder und die der Begünstigten. Während die Mitglieder aktiv tätig werden, Beiträge zahlen und i n den Sozialwahlen ein aktives und passives Wahlrecht geltend machen können, erhalten die Begünstigten lediglich Versicherungsschutz, ohne bei der Gestaltung des Sozialsystems aktiv m i t w i r k e n zu können 13 . Zu den Versicherten, die nicht Mitglieder der Kasse sind, gehören i m wesentlichen die Familienmitversicherten 14 , aber auch aus der Ver9 Vgl. Jantz, K u r t , u n d Johann Zweng: Grundsatzfragen Sozialer Sicherheit — Rentenversicherung der Arbeiter u n d Angestellten, i n : Bundesminister i u m f ü r A r b e i t u n d Sozialordnung, Hrsg.: Sozialpolitik i n Deutschland, Heft 31, Stuttgart 1964, S. 18 ff.; Bundesminister f ü r A r b e i t u n d Sozialordnung, Hrsg.: Übersicht über die soziale Sicherung, S. 54 ff.; Bundesversicherungsanstalt f ü r Angestellte, Hrsg., S. 16 - 17. 10 Vgl. Bundesminister f ü r A r b e i t u n d Sozialordnung, Hrsg.: Übersicht über die soziale Sicherung, S. 92. 11 Vgl. Leder, Herbert: Arbeitslosenversicherung u n d Arbeitslosenhilfe, i n : Bundesministerium f ü r A r b e i t u n d Sozialordnung, Hrsg.: Sozialpolitik i n Deutschland, Heft 11, Stuttgart 1961, S. 5. 12 Vgl. Bundesminister f ü r A r b e i t u n d Sozialordnung, Hrsg.: Übersicht über die soziale Sicherung, S. 170. 13 Vgl. Herder-Dorneich, P h i l i p p : Sozialökonomischer Grundriß, S. 24. 14 1930 wurde die Familienhilfe Regelleistung aller Kassen.

12*

180

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

Sicherung ausgeschiedene Mitglieder, die noch 26 Wochen lang Ansprüche auf Versicherungsleistungen geltend machen können. I n der Gruppe der Mitglieder ist zwischen Zwangsmitgliedern (Pflichtversicherten) und freiwilligen Mitgliedern zu unterscheiden. I n der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung sind gegenwärtig alle Arbeiter unabhängig von der Einkommenshöhe pflichtversichert, ferner alle Arbeitslosen, sofern sie Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe beziehen, normalerweise alle Rentner der Arbeiter- und AngestelltenRentenversicherung, Schülerinnen bestimmter Berufsgruppen sowie arbeitnehmerähnlich tätige Selbständige 15 . Die Angestellten konnten sich zum Teil von der Versicherungspflicht freihalten. Sie fallen nur bis zu einem bestimmten Jahreseinkommen unter den Versicherungszwang. Alle Angestellten, deren Jahreseinkommen diese Versicherungspflichtgrenze übersteigt, sind zwar nicht mehr versicherungspflichtig, können jedoch freiwillig Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben. Diese m i t ihrem Einkommen aus der Versicherungspflicht herausgewachsenen Angestellten stellen das Hauptkontingent der freiwillig Versicherten. Eine wichtige Sondergruppe der Mitglieder bilden die Rentner, die ihre spezifischen Probleme i n das System tragen. Seit 1956 waren alle Rentner, die während der letzten 5 Jahre mindestens 52 Wochen bei einer Krankenkasse versichert waren, pflichtversichert. Die übrigen Rentner konnten der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig beitreten, sofern ihr gesamtes Jahreseinkommen die Versichertenpflichtgrenze nicht überstieg. Durch das Finanzänderungsgesetz vom 21. Dezember 1967 wurden alle Rentner der gesetzlichen Rentenversicherung krankenversicherungspflichtig 1 ®. Die Rentner bilden schon deshalb eine wichtige Sondergruppe, weil sie ihre Beiträge nicht selbst zahlen, sondern diese von ihrem Rentenversicherungsträger geleistet werden, und zwar i n Form eines vom Gesetzgeber festgelegten Pauschalbeitrags je Rentner. Neben diesen versicherungstechnisch-juristischen Gruppen lassen sich die Versicherten auch nach versicherungstechnisch-medizinischen Gruppen aufschlüsseln, was zu den Untergruppen der „Gesunden" und der „Kranken" führt. I m folgenden soll untersucht werden, ob sich die Versicherten bei den Zünften und Gesellenverbänden auf ähnliche Weise disaggregieren lassen und wenn ja, welche Untergruppen am System beteiligt sind. 15 Vgl. Bundesminister f ü r A r b e i t u n d Sozialordnung, Hrsg.: Übersicht über die soziale Sicherung, S. 124; Schmatz, Hans, u n d Heinz Matzke: Die gesetzliche Krankenversicherung, i n : Bundesministerium f ü r Arbeit u n d Sozialordnung, Hrsg.: Sozialpolitik i n Deutschland, Heft 37, Stuttgart 1961, S. 7 f. 16 Vgl. Bundesminister f ü r A r b e i t u n d Sozialordnung, Hrsg.: Sozialbericht 1970, Bonn 1970, S. 77.

I. Analyse und Vergleich der Aggregate b) Die Versicherten

bei den

181

Zünften

Während i m deutschen System der sozialen Sicherheit je nach Risiko andere Versicherungsträger zuständig sind und sich entsprechend auch der Kreis der Versicherten unterschiedlich zusammensetzt, gab es bei der sozialen Sicherung der Zünfte und der Gesellenverbände jeweils nur einen „Versicherungsträger", der alle Risiken zu decken suchte, und ebenso einen von der A r t des Risikos unabhängigen, gleichbleibenden Kreis der Versicherten. Wie in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung lassen sich auch bei den Zünften zunächst die wichtigen Untergruppen der versicherten Mitglieder und der versicherten Nicht-Mitglieder herauslösen. Alle Meister eines Handwerks waren Mitglieder der entsprechenden Zunft. Sie w i r k t e n aktiv an der Gestaltung der Zunftpolitik m i t ; sie zahlten regelmäßige Beiträge, übten ein aktives und passives Wahlrecht aus und wurden bei den Zunftversammlungen zu den anstehenden Problemen gehört. Die gleiche Stellung wie die Meister nahmen vielfach die Witwen verstorbener Meister ein. Ihnen wurde die Fortführung des Handwerks gestattet, und damit übernahmen sie auch die Rechte und Pflichten eines aktiven Zunftmitgliedes 17 . Versicherte Nicht-Mitglieder (passive Mitglieder der Zunft) waren vor allem die Angehörigen der aktiven Mitglieder sowie die Rentner. Sie zahlten keine Beiträge und waren vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen. Auch hatten sie nicht das Recht, auf den Zunftversammlungen eigene Stellung zu beziehen. A n den Leistungen der Zunft waren sie dennoch zumindest mittelbar beteiligt. Die Witwen von Zunftmeistern erhielten — sofern sie nicht das Handwerk fortführten — Unterstützung aus der Zunftkasse, auch wenn sie nicht M i t glieder geworden waren; beim Tode der Frauen, Söhne und Töchter eines Meisters erhielten diese ebenso das letzte Geleit wie die Zunftmeister, und auch sie waren i n die Fürbitten und Verstorbenenmessen eingeschlossen. Erkrankten Frau oder Kinder eines Zunftmeisters, so erhielt dieser i m Bedarfsfall ebenso eine Unterstützung als wäre er selbst erkrankt. Eine Zwitterstellung nahmen zum Teil die Gesellen ein. I n vielen Fällen waren sie weder beitragspflichtig noch teilten sie die Verantwortung der Meister für die Zunftbelange. Als Angehörige der Meisterfamilie und damit als Angehörige der Zunft genossen sie jedoch deren Schutz und Unterstützung. Diese Gesellen sind eindeutig der Gruppe der versicherten Nicht-Mitglieder zuzuzählen. Bei anderen Zünften wurden die Gesellen zur Beitragszahlung herangezogen, das aktive und 17

Vgl. T e i l 1, Β V I I 2 a: Erlaubnis zur Weiterführung des Handwerks.

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2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

passive Wahlrecht sowie die Möglichkeit der Mitsprache i n Zunftangelegenheiten wurden ihnen jedoch nicht gewährt. Gemessen am K r i t e r i u m der eigenen Beitragsleistung wären sie demnach der Gruppe der versicherten Mitglieder zuzuordnen. Zur echten Mitgliedschaft gehört jedoch auch die Möglichkeit der aktiven Gestaltung, die den Gesellen verwehrt war. Sie nehmen daher eine Stellung zwischen der Gruppe der Mitglieder und der der versicherten Nicht-Mitglieder ein, für die sich i m heutigen System keine Entsprechung findet. Während nur die Mitglieder an der Willensbildung direkt und unmittelbar beteiligt sind, üben alle Versicherten — also auch die Nicht-Mitglieder — einen indirekten Einfluß aus. Ihre Existenz und ihre möglichen Ansprüche gegenüber der Zunft bringen Sachzwänge i n das System ein, denen sich die Mitglieder bei der aktiven Willensbildung nicht entziehen können. — I n der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung hat sich die Relation Mitglieder — versicherte Nicht-Mitglieder ständig verschoben. Während 1885 noch 84,93 Prozent aller Versicherten Mitglieder waren und nur 15,7 Prozent versicherte Nicht-Mitglieder 18 , waren 1968 bereits 43,04 Prozent aller Versicherten Familienmitversicherte 19 . Durch die große Zahl der versicherten und beitragszahlenden Junggesellen ist das Verhältnis zwischen mitversicherten Familienangehörigen und den übrigen Versicherten bezogen auf alle Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung heute also ziemlich gleich. Leider lassen sich bei den Zünften keine entsprechenden Verhältniszahlen bilden, da die notwendigen Statistiken fehlen. Die Maßzahl muß bei den Zünften teilweise wesentlich ungünstiger gewesen sein, da vielfach nur verheiratete Meister Mitglieder der Zunft werden konnten 2 0 . N i m m t man an, daß die Zahl der zahlenden Witwen und der begünstigten Witwen annähernd gleich war, so entfiel auf jedes verheiratete Zunftmitglied mindestens ein versicherter Familienangehöriger, die Ehefrau, i n der Regel jedoch zusätzlich ein oder mehrere Kinder. Diese Maßzahl ist insofern von ausschlaggebender Bedeutung, als sie Aufschluß gibt über die Belastung der Kasse. Da die Familienangehörigen keinen eigenen Beitrag zahlten, trug die Gruppe der Mitglieder die Last ihrer Unterstützung mit. Je größer der Anteil der Familienmitversicherten an der Gesamtzahl ist, u m so stärker w i r d dementsprechend die Belastung der Kasse bzw. der Mitglieder. 18

Vgl. Herder-Dorneich, P h i l i p p : Sozialökonomischer Grundriß, S. 25. Die Z a h l wurde berechnet nach den Angaben i n : Bundesminister für A r b e i t u n d Sozialordnung, Hrsg.: Übersicht über die soziale Sicherung, S. 123; vgl. auch Bundesminister f ü r A r b e i t u n d Sozialordnung, Hrsg.: Sozialbericht 1970, S. 79. 20 Vgl. Maurer, Georg L u d w i g von, S. 458 - 459. 19

I. Analyse und Vergleich der Aggregate

183

I n der gesetzlichen Krankenversicherung ließ sich die Gruppe der Mitglieder weiter i n die Untergruppen der Pflichtversicherten und der freiwillig Versicherten disaggregieren. Bei den Zünften war die Versicherungspflicht allgemein und umfassend. Jeder Handwerker eines zünftigen Gewerbes unterlag dem Zwang der Zunftzugehörigkeit und war damit Pflichtmitglied einer zünftigen Kasse. Die M i t t e l der Zünfte, diesen Zwang durchzusetzen, waren vielfältig. Die mittelalterlichen Knappschaften enthielten denen, die den Beitrag nicht geleistet hatten, das Licht vor und verboten ihnen die Arbeit 2 1 . Nach obrigkeitlicher Anerkennung und Sanktionierung des Zunftzwangs hatten nicht-zünftige Meister i n den Städten praktisch keine Chance, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. So erhielten sie ζ. B. von den Städten keine Verkaufsstellen zugewiesen (Fleischbänke usw.), sie konnten keine Gesellen einstellen, da diese von den zünftigen Meistern später für alle Zeiten diskriminiert worden wären; da sich die Qualitätskontrolle der Zünfte nur auf die Produkte ihrer Mitglieder beschränkte, galt die Arbeit Unzünftiger vielfach als minderwertig, sie wurden als Pfuscher von den Kunden gemieden. Darüber hinaus erhielten die Zünfte vielfach das Recht, die Produkte unzünftiger Meister einzuziehen und zu vernichten. I n der Regel waren also alle Mitglieder der Zünfte Pflichtmitglieder. Da es keine freiwilligen Mitglieder gab, entfällt auch die Problematik der Versicherungsberechtigung: Wer versicherungsberechtigt, also zunftberechtigt war, war auch versicherungspflichtig 22 . Ausnahmen von der Zwangsmitgliedschaft waren i m wesentlichen folgende: Einige Zünfte nahmen unter bestimmten Voraussetzungen angesehene Persönlichkeiten als freiwillige Mitglieder in die Zunft auf. Die i m 18. Jahrhundert gegründeten eigenen Zunftkassen zur Unterstützung Kranker waren teilweise freiwillige Kassen, denen nicht automatisch jeder Zunftangehörige beitreten mußte. Die Mitglieder dieser Kassen waren also ausschließlich freiwillig Versicherte 23 . Während die Sondergruppe der Rentner i n der gesetzlichen Krankenversicherung dem Unteraggregat der versicherungspflichtigen Mitglieder zuzurechnen ist, zählten sie bei den Zünften i n Bezug auf das Risiko Krankheit entweder zu den versicherten Nicht-Mitgliedern oder sie 21 Vgl. Bergordnung des Rathes zu Goslar f ü r den Rammeisberg, entworfen Sonntag nach Reminiscere 1532, vollzogen Montag nach Nicolai 1538, publicirt Stephani 1539, i n : Wagner, Thomas: Corpus iuris metallici recentissimi et antiquionis. Sammlung der neuesten u n d aelterer Berggesetze, Leipzig 1791, Sp. 1047. 22 Über die Aufnahmebedingungen (Kriterien der Versicherungsberechtigung) siehe T e i l 1, A I 5: Zunftmitglieder. 23 Vgl. T e i l 1, Β V I 1 d: Eigene Krankenkassen.

184

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

waren ganz aus der zünftigen Krankensicherung ausgeschieden. Es gab bei den Zünften keine Altersschwelle, die einen Ubertritt vom Arbeitsleben i n das Rentnerdasein markierte. Jeder Meister arbeitete, solange seine Kräfte es gestatteten. War er nicht mehr i n der Lage, i n der Werkstatt zu stehen, so besorgten die Zünfte i h m einen Platz im Hospital, wo er seinen Lebensabend auf Kosten der Zunft verbrachte, oder sie zahlten ihm eine Rente aus. I n beiden Fällen leistete er keine Beiträge mehr zur Zunftkasse. Lebte der „Rentner" i m Hospital, so erhielt er dort auch i m Krankheitsfall die nötige Pflege und Medikamente; die Zunft brauchte ihn nicht weiter zu unterstützen. Erhielt er eine Rente, so war i m Krankheitsfalle möglicherweise weitere Hilfe von der Zunft notwendig, die diese dann i m Rahmen des Möglichen gewährte. Die versicherungstechnisch-medizinischen Gruppen der Gesunden und der Kranken lassen sich noch heute nur schwer erfassen 24 ; bei den Zünften ist eine Quantifizierung bzw. eine Maßzahlbildung dieser Gruppen infolge völlig fehlender statistischer Unterlagen unmöglich 25 . Dennoch lassen sich einige Aussagen zur Morbidität machen, die allerdings nicht empirisch nachgewiesen sind. Untersuchungen haben ergeben, daß sich i n Deutschland ein Morbiditätsgefälle von Süd nach Nord und von Südwest nach Ost nachweisen läßt, d. h. die Morbidität nimmt von einigen Ausnahmen abgesehen nach Norden und nach Osten hin ab2®. Ob es bereits zur Zeit der Zünfte ein solches Gefälle gab, ist nicht bekannt. Starke regionale Unterschiede der Morbidität müssen jedoch zu bestimmten Zeiten geherrscht haben. Hat die moderne Medizin Seuchen und Epidemien weitgehend i n den Griff bekommen, so waren solche, örtlich rasch u m sich greifenden Krankheiten damals noch häufig. Somit w i r d an den gleichen Orten zu verschiedenen Stichtagen eine völlig unterschiedliche Morbidität feststellbar sein, wie sie i n ähnlichem Umfange heute nicht mehr vorkommt. Die Interdependenz zwischen Morbidität und allgemeiner Wirtschaftslage w i r d sich bei den Zünften in geringerem Maße bemerkbar gemacht haben als i n der gesetzlichen Krankenversicherung; nicht zuletzt deshalb, weil es zwar auch i m Mittelalter durch Mißernten, Kriege und 24

Vgl. Herder-Dorneich, Philipp: Sozialökonomischer Grundriß, S. 38 - 43. Detaillierte Vorschläge zur Aufstellung v o n Morbiditätsstatistiken w u r den i n Deutschland bereits i m 17. Jahrhundert v o r allem von Leibnitz, dem Breslauer Pastor Caspar Neumann u n d dem A r z t Ramazzini gemacht, sie w u r d e n jedoch erst i m 18. Jahrhundert langsam i n die Tat umgesetzt. Vgl. Fischer, Alfons, S. 294 - 297. 26 Vgl. Reichert, F.: Landschaft, L o h n u n d K r a n k h e i t , B e r l i n 1936, S. 40 und Tabelle 1; Mannewitz, Rudolf: Morbidität u n d M o r t a l i t ä t i m Deutschen Reich, ihre zeitliche E n t w i c k l u n g u n d ihre räumlichen Unterschiede, Diss. Dresden 1941, S. 208; Decius, Klaus: Prävention u n d Rehabilitation i n der gesetzlichen K r a n k e n - u n d Arbeiterrentenversicherung, Diss. K ö l n 1966, S. 48 f. u n d S. 183. 25

I. Analyse und Vergleich der Aggregate

185

Seuchen bedingte Wirtschaftskrisen gab, diese jedoch wesentlich ein Merkmal des Industriezeitalters sind 27 . Zwischen Krankenstand und Konjunkturverlauf besteht i n der modernen Industriegesellschaft ein signifikanter Zusammenhang, der i n der mittelalterlichen Stadt jedoch kaum anzunehmen ist. Der einzelne Meister unterlag i m kleinen, überschaubaren Verband der Zunft einer stärkeren sozialen Kontrolle als der Arbeiter oder Angestellte i n der gesetzlichen Krankenversicherung; eine „Flucht i n die Krankheit" war für i h n wesentlich schwieriger. Auch hätte eine verstärkte Morbidität in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität die finanzielle K r a f t der Zunftkassen ebenso überstiegen wie in Seuchenzeiten. Die Gewißheit, daß die Kasse für den Unterhalt während der Krankheit sorgte, fehlte. Die bei der Disaggregation entstandenen Untergruppen der versicherten Mitglieder und der versicherten Nicht-Mitglieder, der Kranken und der Gesunden, sind nicht organisiert. Organisiert sind sie lediglich i n ihrer Gesamtheit als Versicherte, und zwar i n der Zunft entsprechend den heutigen Versicherten i n der Kasse. Herder-Dorneich unterscheidet die „Kasse i m weiteren Sinne" (Gesamtheit der Versicherten m i t Kassenorganen und Verwaltungseinrichtungen) und die „Kassen i m engeren Sinne" (Kasse als organisatorischer Apparat). Während die Kasse i m weiteren Sinne mit den Versicherten identisch ist, erscheint die Kasse i m engeren Sinne „als Widerpart der Versicherten, der Beiträge abverlangt und Leistungen gibt oder verweigert" 2 8 . Diese Unterscheidung ist zweifellos auch bei den Zünften gültig. Denoch bestehen wesentliche Unterschiede. Die Organisation der Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung ist — bedingt durch die Mitgliederzahlen — fraglos wesentlich komplizierter als bei den Zünften, die sich für ihre Mitglieder als ein völlig überschaubarer und in ihren Funktionen vom einzelnen kontrollierbarer Verband darstellen. Während i n den Verwaltungsorganen der Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung durchaus auch Nicht-Mitglieder tätig sein können, wurden alle Zunftorgane ausschließlich von Mitgliedern besetzt. Die Zunftorgane bestanden i m wesentlichen aus dem gewählten ein- oder mehrköpfigen Vorstand, dem teilweise ein Kassierer und/oder Bote zur Seite gestellt wurde, sowie der Vollversammlung. Dem i m heutigen System der gesetzlichen Krankenversicherung feststellbaren Kassenpluralismus entspricht eine ebensolche, wenn nicht größere Vielfalt bei den Zünften. Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung sind i m wesentlichen die Allgemeinen Ortskrankenkassen, 27 Vgl. Schmölders, S. 8 - 9. 28 Herder-Dorneich,

Günter: K o n j u n k t u r e n u n d Krisen, H a m b u r g 1955, P h i l i p p : Sozialökonomischer Grundriß, S. 53.

186

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

die Betriebskrankenkassen, die Innungskrankenkassen, die Knappschaftlichen Krankenkassen und die Ersatzkassen. Diese Kassen sind nach unten i n eine Vielzahl von unselbständigen Geschäftsstellen gegliedert, nach oben bildet jede Kassenart ihren eigenen Verband. Bei den Zünften sieht das B i l d anders aus. Jedes Handwerk bildete i n jeder Stadt eine eigene Zunft, also auch eine eigene Kasse zur sozialen Sicherung. Dabei war jede Zunft absolut unabhängig und autonom. Unselbständige Geschäftsstellen gab es nicht, ebensowenig übergeordnete Verbände, weder zwischen den Zünften einer Stadt noch zwischen den Zünften eines Handwerks (ζ. B. den Schreinern) i n mehreren Städten. Zwar kam es hin und wieder zu überregionalen Zusammenschlüssen zwischen den Meistern eines Handwerks verschiedener Städte 29 , jedoch war der Sinn dieser Zusammenschlüsse i m wesentlichen der, aufsässig gewordener Gesellen Herr zu werden und den mächtiger werdenden Gesellenverbänden mit ihrem starken überregionalen Zusammenhalt stärker und wirkungsvoller entgegentreten zu können. A u f das System der sozialen Sicherung hatten diese Koalitionen keinen Einfluß. Die Entscheidungsbefugnis jeder einzelnen Zunft blieb unangetastet. c) Die Versicherten

bei den

Gesellenverbänden

Während sich die große Gruppe der Versicherten i n der gesetzlichen Krankenversicherung i n die Untergruppen der Mitglieder und der versicherten Nicht-Mitglieder, der Pflichtversicherten und der freiwillig Versicherten, sowie die Sondergruppe der Rentner disaggregieren läßt, war bei den Zünften eine sinnvolle Unterscheidung nur zwischen M i t gliedern und versicherten Familienangehörigen möglich. Wegen des umfassenden Zunftzwangs schied eine Gliederung in Pflichtmitglieder und freiwillige Mitglieder aus. Bei den Gesellenverbänden entfällt nun auch die bei den Zünften noch mögliche Differenzierung zwischen Mitgliedern und versicherten Nicht-Mitgliedern. Alle i n den Gesellenverbänden Versicherten waren Zwangsmitglieder, also Pflichtversicherte. Und wenn auch den Gesellenverbänden zum Teil die obrigkeitliche Anerkennung dieses Zwangs verweigert wurde, so verfügten diese doch über genügend direkte (Nachschicken, Verruferklärung) und indirekte (Monopol der Arbeitsvermittlung, Zehrpfennig) Druckmittel, ihn wirkungsvoll durchzusetzen. Eine freiwillige Mitgliedschaft gab es — wie bei den Zünften — nur in 29

Ζ. B. 1381 unter den Schmieden v o n Mainz, Worms, Speyer, Frankfurt, Aschaffenburg, Bingen, Oppenheim, Kreuznach; vgl. Stahl, Fr. Wilhelm, S. 347; ferner 1352 zwischen den Bäckern v o n Bingen, Mainz, Worms, Speyer, Oppenheim, Frankfurt, Bacharach u n d Boppard; vgl. Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 359 - 362.

I. Analyse und Vergleich der

g

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187

den späteren selbständigen Kranken- und Totenladen. Waren diese keine Zwangsverbände, so bestanden ihre Mitglieder ausschließlich aus freiwillig Beigetretenen. Eine Mischung aus Pflicht- und freiwilligen Mitgliedern in einer Kasse gab es nicht. Die Organe des Gesellenverbandes wurden gebildet durch den gewählten Vorstand, dem meist ein Bote zur Seite stand, sowie die Vollversammlung. Je nach erlangtem Autonomiegrad saßen i m Vorstand nur Gesellenvertreter oder zusätzlich ein Vertreter der Meister, dem aber teilweise nur die Funktion des Beobachters zustand. Für den Pluralismus der Gesellenkassen gilt entsprechend, was bereits für die Zünfte festgestellt wurde: Jedes Handwerk besaß i n jeder Stadt seinen eigenen Verband, der völlig autonom über die Leistungen der sozialen Sicherung entscheiden konnte. 2. Die Heilberufe

Nach dem großen Aggregat der Versicherten gilt es nun, das zweite wichtige Aggregat zu untersuchen, nämlich das der Produzenten von Gesundheitsgütern. Hierzu gehören vor allem die Apotheker, die Ärzte, Wundärzte und Barbiere, die Hebammen und das Pflegepersonal. a) Die

Apotheker

Bevor die Apotheken existierten, bereiteten die Ärzte die Arzneien selbst und brachten diese den Kranken; anfangs waren also die Ärzte gleichzeitig Apotheker 3 0 . Vereinzelt bereits i m 13. Jahrhundert 3 1 , i n größerem Umfange jedoch i m 14. Jahrhundert übernahm in Deutschland ein eigener Stand die Zubereitung und Lieferung von Medikamenten: die Apotheker 3 2 . Etwa zur gleichen Zeit entstanden auch die ersten Apothekerordnungen, die vor allem dazu dienten, die Aufgabenbereiche der Ärzte und der Apotheker voneinander abzugrenzen, da es häufig zu unerwünschten Übergriffen zwischen beiden Berufszweigen kam 3 3 . Vielfach 30 Vgl. Baas, J. Hermann: Die geschichtliche Entwicklung des ärztlichen Standes u n d der medicinischen Wissenschaften, B e r l i n 1896, S. 145; Adlung, Alfred: Die ältesten deutschen Apothekerordnungen, M i t t e n w a l d 1931, S. 5. 31 Die frühesten i n Deutschland nachweisbaren Apotheken bestanden 1215 i n K ö l n , 1233 i n Wetzlar, 1241 i n Trier, 1248 i n Worms u n d Schweidnitz. Vgl. Baas, J. Hermann, S. 151; Fischer, Alfons, S. 82; Schelenz, Hermann: Geschichte der Pharmacie, B e r l i n 1904, S. 372. 32 Vgl. Peters, Hermann: Der A r z t u n d die Heilkunst i n der deutschen V e r gangenheit; Die deutschen Stände i n Einzeldarstellungen, Bd. 3, 2. Aufl., Jena 1924, S. 13. 33 Vgl. die erste deutsche Apothekerordnung v o n Basel (1271 - 1322) u n d spätere Medizinal- u n d Apothekerordnungen bei Adlung, Alfred, S. 13 ff., u n d

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2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

wurden die ersten Apotheken i n Deutschland von Klöstern, Fürsten und Städten betrieben. Die Vorsteher dieser Apotheken bezogen ein festes Gehalt, waren also Angestellte 34. Da die Niederlassung der Apotheker anfangs kaum einschränkenden Bedingungen unterworfen war, gab es i n den deutschen Städten bald eine große Anzahl freier Apotheker, zum Teil mehr, als dem Bedarf entsprach. A u f dem Reichstag zu Augsburg 1548 wurde daher beschlossen, das Apothekerwesen neu zu ordnen. Die Gewerbefreiheit wurde eingeschränkt, die Apotheker weitgehend der Kontrolle der Stadtärzte unterworfen. Angehende Apotheker mußten sich vor einem ärztlichen Ausschuß einer Prüfung unterziehen, und für die Apotheken selbst wurde eine mindestens einmalige jährliche Revision angeordnet 35 . b) Die

Ärzte

Das große Aggregat der Ärzte läßt sich i m heutigen System der gesetzlichen Krankenversicherung i n fünf ökonomisch relevante Untergruppen disaggregieren: die freien und die angestellten Ärzte, die praktischen und die Fachärzte sowie als Sondergruppe die Gerätemediziner. Die Unterscheidung zwischen freien und angestellten Ärzten bezieht sich hierbei nicht auf die medizinische Entscheidungsfreiheit, sondern einzig auf die wirtschaftliche Selbständigkeit. Das Verhältnis zwischen freien und angestellten Ärzten hat sich in den letzten Jahren zahlenmäßig zugunsten der letzteren verschoben. Während 1957 noch 59,6 Prozent der Ärzte frei praktizierte, waren es 1964 57,6 Prozent und 1972 nur noch 41,1 Prozent. — Die Unterscheidung zwischen praktischen Ärzten und Fachärzten ist sowohl medizinisch als auch ökonomisch relevant. Fachärzte erhalten zusätzlich zur allgemeinen eine Spezialausbildung, die sie auf bestimmten Gebieten zu besonderen medizinischen Leistungen befähigt. Entsprechend ihrem Spezialwissen werden sie auch besonders honoriert, erhalten also auch ökonomisch ein anderes Gewicht als Ärzte ohne Fachausbildung. Diese bilden zwar immer noch die größere Gruppe (1970: 58,2 Prozent), doch hat sich das Verhältnis von 1959 bis 1968 zugunsten der Fachärzte (1959: 39,7 Prozent; 1968: 43,7 Prozent) verschoben. Seither hat der Anteil der Fachärzte wieder leicht abgenommen (1969: 43,1 Prozent; 1970: 41,8 Prozent). Die Gerätemediziner bilden insofern eine Sondergruppe, als sich bei ihnen neben dem Einsatz von Arbeitskraft verstärkt der Einsatz von den Vertrag der Stadt Konstanz m i t dem Apotheker Johannes Mantz, 1454, gedruckt bei Mone, F. J.: A r m e n - u n d Krankenpflege, Bd. 12, S. 151 f. 34 Vgl. Peters, Hermann, S. 29; Schelenz, Hermann, S. 380. 35 Vgl. Peters, Hermann, S. 74 ff.; Schelenz, Hermann, S.420f., S.461 u n d S. 468.

I. Analyse und Vergleich der

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189

Kapital i n Form medizinischer Geräte durchsetzt. Ausschlaggebend für diese Entwicklung war vor allem die Einführung der Röntgendiagnostik und -therapie 38 . Welche beruflich und ökonomisch relevanten Untergruppen der Ärzte lassen sich nun zur Zeit der Zünfte nachweisen? — Eine erste Unterscheidung, die seit langem bedeutungslos geworden ist, zur Zeit der Zünfte hingegen noch eine Rolle spielte, ist die zwischen Kleriker- und Laienärzten. Da i m frühen Mittelalter vorwiegend die Geistlichkeit über ausreichende Bildung verfügte, stellte diese auch fast ausschließlich den Ärztestand. Wenn auch zahlreiche Mönchs- und Nonnenorden sowie Priester berufsmäßig als Ärzte tätig waren, so waren doch solche mit zeitgemäß-wissenschaftlicher Bildung bis ins 13. Jahrhnudert selten 37 . Die wenigen Ärzte mit medizinischem Studium waren ausschließlich Geistliche 38 , während die Mönche und Nonnen, die als Ärzte des Volkes tätig waren, nur über geringes ärztliches Wissen verfügten. Neben Volksmitteln verwandten sie vorwiegend die „geistlichen Gnadenmittel gegen Krankheiten" 3 9 {Gebete, Reliquienverehrung, Gelübde). Laienärzte fanden sich i m frühen Mittelalter nur unter den Juden, denen die Behandlung von Christen zwar untersagt war, die aber wegen ihrer Tüchtigkeit so großes Ansehen besaßen, daß sich selbst Päpste jüdische Leibärzte hielten 40 . Noch während der zweiten Hälfte des Mittelalters überwog die Zahl der geistlichen und jüdischen Ärzte die der Laien, die erst gegen Ende des Mittelalters infolge Universitätsgründungen langsam ein Übergewicht gewannen 41 . Die beiden Unteraggregate

der freien

Ärzte

u n d der

angestellten

Ärzte finden sich bereits i m Mittelalter. Die Zahl der Ärzte war insgesamt sehr gering. Daher lag es nahe, daß Fürsten und Städte sich darum 36 Vgl. Herder-Dorneich, Philipp: Sozialökonomischer Grundriß, S. 5 9 - 6 1 ; Wolff, Gerhard: Ärztenachwuchs bevorzugt weiterhin Krankenhaus, in: Deutsches Ärzteblatt, Heft 50, 1972, S. 3274; Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Hrsg.: Statistisches Jahrbuch f ü r die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart — M a i n z 1970, S. 66; 1971, S. 66; 1972, S. 66. 37 Vgl. Peters, Hermann, S. 12. 38 Haeser weist i n diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Trennung zwischen Geistlichen u n d Laien i n den frühen Jahrhunderten nicht so scharf war. Viele Laien ließen sich die niederen Weihen erteilen, u m i n den Genuß der Vorrechte der K l e r i k e r zu kommen; u n d selbst ohne diese Weihen w u r den Ärzten u n d Professoren geistliche Pfründen eingeräumt. Vgl. Haeser, Heinrich: Lehrbuch der Geschichte der Medizin u n d der epidemischen K r a n k heiten, 3. Bearb., Bd. 1, Jena 1875, S.831 - 832; vgl. auch Brunn, W. von: V o m ärztlichen Berufs- u n d Standesleben i m Mittelalter, i n : Ärztliche M i t t e i l u n gen, 26. Jahrg. (1925), Nr. 35, S. 48. 39 Baas, J. Hermann, S. 130 f. 40 Vgl. Haeser, Heinrich: Lehrbuch der Geschichte der Medizin, Bd. 1, S.836 - 837. 41 Vgl. Baas, J. Hermann, S. 143.

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2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

bemühten, Ärzte durch feste Anstellungsverträge heranzuziehen. So gab es neben den frei praktizierenden Ärzten Leib- und Hofärzte, Stadtund Heeresärzte, die entweder dauernd oder auf bestimmte Zeit angestellt wurden. Anfangs waren die ausgebildeten Ärzte i n der Regel Leib- oder Stadtärzte und erst später, als ihre Zahl erheblich gestiegen war, ließen sie sich auch als frei praktizierende Ärzte nieder 42 . Dennoch stand bis ins 17. Jahrhundert ein erheblicher Teil der w i r k lichen Ärzte i n einem festen Besoldungsverhältnis 43 . Wenn sich auch keine genaue Maßzahl bilden läßt, so steht doch fest, daß — i m Gegensatz zur heutigen Zeit — die angestellten Ärzte zur Zeit der Zünfte bei weitem überwogen. Das Gehalt der angestellten Ärzte bestand sowohl in Geld wie i n Naturalien; teilweise war es ihnen erlaubt, neben dem festen Anstellungsverhältnis frei zu praktizieren 44 . Aufgabe der Stadtärzte war die „Beratung der Behörden in Fragen der öffentlichen Hygiene, Seuchenabwehr und gerichtliche Medizin, die Beaufsichtigung der Apotheken, der Hebammen, des niederen Heilpersonals, der Bordelle, die unentgeltliche Behandlung der Armen" 4 3 . I m 14. Jahrhundert erhielten manche Stadtärzte den Auftrag, sich auch der Kranken i n den Spitälern anzunehmen. Anfang des 16. Jahrhunderts sind in Deutschland fest angestellte Hospitalärzte nachweisbar. Bis ins 17. Jahrhundert hinein übten die praktischen Ärzte i n der Regel nur die innere Medizin aus. Sie hießen deshalb auch Leibärzte oder Bauchärzte4®. Für äußere Leiden waren die Wund- oder Schneidärzte (Chirurgen) zuständig 47 . Anfangs waren dies i n der Regel keine ausgebildeten Ärzte, sondern Laien. Durch eine Reihe päpstlicher Verbote, vor allem an die Priester, chirurgisch tätig zu werden, blieb die Chirurgie lange Zeit ein Stiefkind der medizinischen Ausbildung und Praxis, ja mehr noch: Die Chirurgen galten als unehrlich 48 . Die Chirurgie und Wundbehandlung bewegte sich vor allem in Deutschland auf einem recht niedrigen Niveau 4 9 und blieb bis ins 16. 42

Vgl. Baas, J. Hermann, S. 143. Vgl. Meyer-Steineg, Th., u n d K . Sudhoff: Illustrierte Geschichte der Medizin, hrsg. v o n Robert Herrlinger u n d Fridolf Kudlien, 5. Aufl., Stuttgart 1965, S. 247. 44 Vgl. Baas, J. Hermann, S. 143-144; Peters, Hermann, S. 21; MeyerSteineg, Th., u n d K . Sudhoff, S. 247. 45 Diepgen, Paul: Geschichte der Medizin, Bd. 1, B e r l i n 1949, S. 247. Vgl. auch Goldhahn, Richard: Spital u n d A r z t v o n einst bis jetzt, Stuttgart 1940, S. 63. 48 Vgl. Baas, J. Hermann, S. 254; Peters, Hermann, S. 22. 47 Vgl. Fischer, Alfons, S. 123. 48 Vgl. Brunn, W. von: V o m ärztlichen Berufs- u n d Standesleben, S. 49. 43

49

Vgl. Hübotter, Franz: 3000 Jahre Medizin, Berlin 1920, S. 301.

I. Analyse und Vergleich der

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Jahrhundert weitgehend Aufgabe der Bader und Barbiere, auf die w i r weiter unten zurückkommen werden. Erst i m Verlaufe des 16. Jahrhunderts wurde die Chirurgie zu einem wichtigen Zweig der Medizin 50 , und i m 17. Jahrhundert finden sich geachtete und auch gebildete Wundärzte; die Städte und Höfe gingen dazu über, Chirurgen unter Vertrag zu nehmen und diese als Leib- oder Stadtchirurgen fest anzustellen 51 . Neben den praktischen Ärzten und den Wundärzten gab es bereits einige (wenige) Fachärzte: Augenärzte, Stein- und Bruchärzte, Zahnärzte, Blatternärzte, Badeärzte. Allerdings verdienten nur wenige von ihnen die Bezeichnung Arzt. Gerade bei den Augen- und Zahnärzten sowie bei den Stein- und Bruchschneidern wurde viel Kurpfuscherei betrieben. Sie zogen von Ort zu Ort und verschwanden aus guten Gründen oftmals gleich nach durchgeführter Operation 52 . Dennoch gab es unter ihnen auch wirkliche Spezialisten, die für ihre Zeit Großes leisteten 53 . Wie die Pfuscher führten auch sie oft ein Wanderleben; sie waren geachtet, und i n Städten, wo solche Spezialisten fehlten, war der Rat darauf bedacht, sie durch eine feste Besoldung für gewisse Zeiten des Jahres heranzuziehen 54 . Bei unglücklichem Ausgang der Operation erhielten sie zwar nur die Hälfte der festgesetzten Summe und riskierten sogar häufig nicht unerhebliche Strafen, dennoch erwies sich die Spezialisierung damals wie heute als außerordentlich einträglich 55 . Aus naheliegenden Gründen fehlt die heute immer mehr Bedeutung gewinnende Gruppe der Gerätemediziner zur Zeit der Zünfte völlig. Der Arzt war Dienstleistender, der — arbeitsorientiert, nicht kapitalorientiert — außer einigen Hilfsmitteln keine medizinischen Geräte in seiner Praxis einsetzte. c) Die Bader und

Barbiere

Die größte Gruppe der auf medizinischem Gebiet tätigen Nicht-Ärzte waren die Bader und Barbiere. Wie bereits erwähnt, war i n Deutschland lange Zeit die Chirurgie einzig ihre Aufgabe 56 , denn die Ärzte 50 Vgl. Königer, Ernst: Aus der Geschichte der Heilkunst. V o n Ärzten, Badern, Chirurgen, München 1958, S. 16. 51 Vgl. Meyer-Steineg, Th., u n d K . Sudhoff, S. 248; Diepgen, Paul, S. 227 ff. 52 Vgl. Diepgen, Paul, S.230; Meyer-Steineg, Th., u n d K. Sudhoff, S. 249 250. 53 Vgl. Meyer-Steineg, Th., u n d K . Sudhoff, S. 209, S. 211; Haeser, Heinrich: Lehrbuch der Geschichte der Medizin, Bd. 2, S. 201; Brunn, W. von: V o m ärztlichen Berufs- u n d Standesleben, S. 49. 54 Vgl. Peters, Hermann, S. 35. 55 Vgl. Baas, J. Hermann, S. 260. 56 Vgl. Brunn, W. von: V o n den Gilden der Barbiere u n d Chirurgen i n den Hansestädten, Leipzig 1921, S. 18; Peters, Hermann, S. 32 ff.

192

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

dünkten sich über diesen medizinischen Bereich erhaben und beschäftigten sich erst später und zögernd m i t diesem Spezialgebiet 67 . Es war vor allem die „niedere Chirurgie", die von den Badern und Barbieren gepflegt wurde: Entfernung von Warzen, Schröpfen, Aderlassen, das Anlegen von Verbänden bei Wunden, Knochenbrüchen und Verrenkungen, die Heilung von Hieb-, Stich- und Schuß wunden, von Geschwüren und Hautleiden 58 . Wie bei den Ärzten gab es auch unter den Badern und Barbieren angestellte Leib-, Hof-, Stadt- und Pestbarbiere, Hospitalbarbiere und an den Universitäten Universitätsbarbiere. Sie waren i n der Minderzahl — die frei Praktizierenden überwogen. „Als ,beamtete4 unter den geschworenen', d. h. auf die Zunftstatuten vereideten Barbieren genossen sie einer höheren socialen Achtung als die gewöhnlichen geschworenen' Barbierer 5 9 ." d) Die

Hebammen

Die Geburtshilfe und Frauenheilkunde lag bis ins 16. Jahrhundert ausschließlich i n Händen der Hebammen 60 . Zögernd, i m hohen Mittelalter beginnend, und dann i n verstärktem Maße vom späten Mittelalter an hatten sich angehende Hebammen Prüfungen zu unterziehen, und sie erhielten behördliche Ermächtigungen zur Ausübung ihres Berufes 61 . Städtische Hebammenordnungen, von denen die erste 1452 i n Regensburg nachweisbar ist, reglementierten das gesamte Hebammenwesen und stellten die Standesordnung dar 62 . Die Hebammen wurden i n der Ausübung ihres Berufes unter die Kontrolle des Stadtarztes gestellt. M i t der Hebung ihrer beruflichen Ausbildung wuchs auch ihr sozialer Status 63 . Wenn nötig, suchten die Behörden tüchtige Hebammen durch Zahlung eines Gehalts i n die Stadt zu ziehen oder dort zu halten 64 . Seit dem 14. Jahrhundert standen — wie bei Ärzten und Barbieren — neben dem freien Hebammenstand städtisch angestellte Hebammen. Letztere 57 Vgl. Haeser, Heinrich: Lehrbuch der Geschichte der Medizin, Bd. 1, S. 787; Brunn, W. von: V o m ärztlichen Berufs- u n d Standesleben, S. 49. 58 Vgl. Meyer-Steineg, Th., u n d K . Sudhoff, S. 249; Peters, Hermann, S. 35. 59 Baas, J. Hermann, S. 259. 60 Vgl. Meyer-Steineg, Th., u n d K . Sudhoff, S. 213; Diepgen, Paul, S. 198. 61 Vgl. Haberling, Elseluise: Beiträge zur Geschichte des Hebammenstandes, B e r l i n u n d Osterwieck 1940, S. 49 f.; Diepgen, Paul, S. 230. 62 Vgl. Fasbender, Heinrich: Geschichte der Geburtshilfe, Jena 1906, S. 80. 63 Vgl. Diepgen, Paul, S. 247. 64 Vgl. Konstanzer Stadtabrechnungen v o n 1448, nach Mone, F. J.: A r m e n u n d Krankenpflege, Bd. 12, S. 153.

I. Analyse und Vergleich der

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193

wurden vereidigt und traten als „Ratshebammen" i n ein beamtenähnliches Verhältnis zur Stadt 85 . e) Die

Krankenpfleger(innen)

Schließlich noch einige Worte zum Krankenpflegepersonal: Da i m Mittelalter die ärztliche Versorgung noch recht unzureichend war, häufig sogar gänzlich fehlte, kam der Krankenpflege eine ganz besondere Bedeutung zu. Sie wurde vorwiegend von verschiedenen Mönchs- und Nonnenorden ausgeübt, die sich neben der Pflege ihrer kranken M i t brüder und -schwestern bald auch der Kranken der Gemeinde annahmen 88 . Seit dem 11. Jahrhundert entwickelten sich zahlreiche Laiengenossenschaften, die sich der Krankenpflege widmeten: die Ritterorden (die Johanniter, die Lazaristen, die Deutschen Ritter) und seit dem 12. Jahrhundert bürgerliche Spitalgenossenschaften 87 . Sie übten stationäre Krankenpflege in den von ihnen gegründeten und geführten Spitälern. Die Vielzahl dieser Krankenpflegeorden wurde unter dem Sammelnamen der Hospitaliter und Hospitaliterinnen zusammengefaßt 88 . Die berufsmäßige ambulante Krankenpflege lag i m 13. und 14. Jahrhundert vorwiegend i n Händen der Beginen — einer weiblichen Genossenschaft, die von Flandern ausgehend sich bald zum Niederrhein, Mitteldeutschland und zum Oberrhein ausbreitete 89 . Die Beginen lebten i n gestifteten Häusern und begaben sich zur Krankenpflege i n die Wohnungen der Patienten 70 . Als m i t der Reformation das Beginenwesen i n Deutschland fast gänzlich beseitigt wurde 7 1 , entstand auf dem Gebiet der Krankenpflege eine empfindliche Lücke. Um diesem Mangel zu steuern, beschloß der Straßburger Rat 1534, an vier Stellen der Stadt je vier Personen für den Krankenpflegedienst anzustellen, und zwar je acht Männer und acht 65

Vgl. Haberling, Elseluise, S. 30 f. Vgl. Fischer, Alfons, S. 48 if. 67 Vgl. Haeser, Heinrich: Lehrbuch der Geschichte der Medizin, Bd. 1, S. 852 u n d S. 863. Vgl. auch Seymer, L u c y Ridgely: Geschichte der K r a n k e n pflege, Stuttgart 1936, S. 42. 68 Vgl. Craemer, U.: Das Hospital i m Mittelalter, 2. Teil, i n : Das K r a n k e n haus, Zeitschrift f ü r das gesamte Krankenhauswesen, 46. Jahrg., Heft 10, Stuttgart — K ö l n 1954, S. 390. 89 Vgl. Fischer, Alfons, S. 143 - 144; Seymer, L u c y Ridgely, S. 52 - 53. το v g l Peters, Hermann, S. 46 - 47. ββ

71 Vgl. Dietrich: Geschichtliche Entwicklung der Krankenpflege, i n : Liebe, Georg, u.a., Hrsg.: Handbuch der Krankenversorgung u n d Krankenpflege, Bd. 1, B e r l i n 1899, S. 33; Haeser, Heinrich: Geschichte christlicher K r a n k e n pflege u n d Pflegerschaften, B e r l i n 1857, S. 73.

13 Fröhlich

194

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

Frauen. Verlangt wurden lediglich „Eignung zur Krankenpflege", Gesundheit und ein ehrbarer Lebenswandel sowie von Männern, daß sie verheiratet, von den Frauen, daß sie verwitwet seien 72 . A n einer regelmäßigen Ausbildung des Krankenpflegepersonals mangelte es bis ins 19. Jahrhundert praktisch vollständig. Während i m hohen Mittelalter die Krankenpflege i n den Hospitälern von den geistlichen oder weltlichen Orden noch m i t Hingabe und Geschick betrieben wurde, sank das Versorgungsniveau bei Krankenhauspflegediensten mit dem Untergang dieser Krankenhausträger beträchtlich 73 . Größere Hospitäler stellten zwar „heruntergekommene Knechte und Mägde" als Pflegepersonal ein; dieses wurde jedoch i n der Regel bis ins 19. Jahrhundert aus den Insassen der Spitäler rekrutiert 7 4 . Die Nicht-Bettlägrigen oder Genesenden versahen die Schwerkranken mit den nötigen Handreichungen. Von einer echten Krankenpflege konnte zum Teil kaum noch die Rede sein. Organisierte

Gruppen

Nachdem i m Vorstehenden das historische Erscheinungsbild der Aggregate der Apotheker, Ärzte und anderer Heilberufe sowie einiger ökonomisch relevanter Untergruppen dargestellt wurde, sollen nun die organisierten Gruppen näher untersucht werden. Zur wirksamen Durchsetzung ihrer Interessen sind die an der gesetzlichen Krankenversicherung beteiligten Ärzte i n einer Vielzahl von Verbänden organisiert. Der Organisationsgrad ist hoch, und die Interessengruppen sind außerordentlich stark. Zusammenschlüsse zur Wahrung der Berufs- und Standesinteressen (ζ. B. Hartmann-Bund, Marburger Bund) stehen neben solchen zur Vertretung speziell auf die gesetzliche Krankenversicherung bezogener Interessen (Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands, Ärzteregreßschutz). Die Kassenärztlichen Vereinigungen fungieren als alleinige Vertragspartner der Krankenversicherungen und handeln nun — anstelle der früher üblichen Einzelverträge zwischen Ärzten und Kassen — Kollektivverträge aus 75 . Das Krankenpflegepersonal — vorwiegend Krankenschwestern — ist ebenso vielfältig organisiert. Neben Berufsverbänden stehen Gewerkschaften und Mutterhäuser. 72

Vgl. Fischer, Alfons, S. 144. Vgl. Schmidt, M a x i m i l i a n : Allgemeine Umrisse der culturgeschichtlichen Entwicklung des Hospitalwesens u n d der Krankenpflege, Gotha 1870, S. 24. 74 Sticker, Anna, Hrsg.: Die Entstehung der neuzeitlichen Krankenpflege, Stuttgart 1960, S. 15 u n d S. 22. 73

75

Vgl. Herder-Dorneich,

Philipp: Sozialökonomischer Grundriß, S. 61 if.

I. Analyse und Vergleich der

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195

Zur Zeit der Zünfte stellt sich das B i l d wesentlich einfacher dar; dennoch gab es auch damals schon bei einigen der untersuchten Aggregate organisierte Gruppen. Als Standesorganisation der Ärzte fungierten die Fakultäten der Universitäten. Daneben und zum Teil gegen deren Widerstand schlossen sich die Ärzte i n größeren Städten zu „collegia medica" zusammen 78 , um — wie es 1582 i n Augsburg heißt — „sich besser von den Quacksalbern und anderen Betrügern, so sich der Arztneikunst berühmt, zu unterscheiden, machten sie mit Genehmigung des Rathes eine besondere Ordnung und Statuta" 7 7 . Ein ebensolcher „Zunftverein von Ärzten" 7 8 wurde 1592 i n Nürnberg eingerichtet. Vom Rat wurden diesem Collegium Medicum die Geschäfte einer obersten Medizinalbehörde übertragen 79 . Schwierige Krankheitsfälle und deren Behandlung wurden besprochen, zusammen m i t Apothekern botanische Exkursionen veranstaltet und anatomische Übungen abgehalten 80 . Die Collegia Medica waren demnach keine wirtschaftlichen Interessenverbände, geschweige denn waren sie autorisiert, Verträge für ihre Mitglieder abzuschließen. Sie stellten sich vielmehr als Zusammenschlüsse dar, deren Aufgabe die Wahrung bestimmter Berufs- und Standesinteressen war: die medizinische Fortbildung, die Abgrenzung von Pfuschern und Scharlatanen, die Aufsicht über Disziplin und Wohlverhalten der Standesgenossen. I m Gegensatz zu den Ärzten, die sich nicht immer und nur i n größeren Städten zusammenschlossen, waren die Bader und Barbiere als Handwerker praktisch i n allen Städten zünftig organisiert. Auch die Zünfte stellten sich vorwiegend als berufliche Interessenverbände dar, die über die Ausbildung wachen und auf standesgemäßes Verhalten achten sollten. Die Abwehr von Pfuschern gelang ihnen wohl besser als den Ärztekollegien, da letzteren das wirkungsvolle Institut der Zwangsmitgliedschaft fehlte. Die ökonomischen Interessen der Barbiere und Bader wurden von den Zünften i n vielfacher Hinsicht beeinflußt, vor allem durch die zahlreichen Bestimmungen zur Reglementierung des Handwerksbetriebs (Festsetzung von Höchst- und Mindestpreisen, Einkaufs-, Arbeitszeit-, Lohnbestimmung usw. 81 ), sowie durch ihren Status als multifunktionale Versicherung für alle Wechselfälle des Lebens. Darüber hinaus trat die Zunft als anerkannter und einziger Verhand76 77 78 79 80 81

1*

Vgl. Meyer-Steineg, Th., u n d K . Sudhoff, S. 247. Nach Baas, J. Hermann, S. 188. Baas, J. Hermann, S. 188. Vgl. Königer, Ernst, S. 44. Vgl. Peters, Hermann, S. 70-71. Vgl. dazu T e i l 1, Β I I I : Sicherung gegen A r m u t .

196

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

lungspartner für alle das Handwerk insgesamt berührenden Angelegenheiten gegenüber dem Rat auf. Damit erscheinen die Zünfte als mächtige berufliche und wirtschaftliche Interessenverbände ihrer (Zwangs)mitglieder. Die Krankenpfleger(innen) waren — soweit es sich nicht um nur kurzfristig zu diesem Zwecke eingesetzte Spitalinsassen handelt — weitgehend organisiert. Als Mitglieder geistlicher oder weltlicher Genossenschaften (Orden) lag ihre Interessenvertretung vollständig i n den Händen des Verbandes, der unter Umständen auch Kollektivverträge abschloß. 3. Die Hospitäler

Ein an der zünftigen Alten- und Krankensicherung maßgeblich beteiligtes Aggregat waren die Hospitäler. Da sie sich von den heutigen Krankenhäusern zum Teil beträchtlich unterscheiden, sollen sie an dieser Stelle kurz behandelt werden. a) Die Aufgaben

der

Hospitäler

Der heutige Begriff Hospital läßt sich keineswegs auf die damalige Zeit übertragen. Lange Zeit behielt das abendländisch-christliche Hospital einen „funktional undifferenzierten Charakter als Wirkstätte einer Caritas, . . ., deren Gegenstand Hilfsbedürftige jeder A r t waren". Die aus dem Familienverband als Institution sozialer Bindung und Unterstützung ganz oder teilweise Ausgeschiedenen erhielten i n den Hospitälern „neben dem Lebensnotwendigen jene soziale Heimstätte, derer sie i n der Fremde, als Kranke, Arme oder Alte entbehrten" 82 . Die Hospitäler waren also gleichzeitig Herberge für durchreisende Fremde, Asyl und Pflegestätte für Arme, Alte und Kranke. Wenn sich auch dieser Mischcharakter nicht ganz verlor, so setzte im 11. und 12. Jahrhundert doch eine gewisse Funktionenteilung ein 83 , die sich m i t zunehmendem bürgerlichen Einfluß auf das Spitalwesen noch verstärkte 84 . Eine genaue Abgrenzung des eigentlichen Zwecks der Spitäler, der oftmals auch zeitlichen Schwankungen unterlag, bleibt schwierig. Von den Hauptspitälern wurde i n der Regel die Aufgabe allgemeiner Hilfeleistung beibehalten, d. h. sie entsprachen weiterhin dem Typ des 82 Rohde, Johann Jürgen: Soziologie des Krankenhauses, Stuttgart 1962, S. 65 - 66. Vgl. auch Schreiber, Georg, S. 37. 83 Vgl. Liese, W i l h e l m : Geschichte der Caritas, Bd. 1, Freiburg i. Br. 1922, S.170 - 222. 84 Vgl. Reiche, Siegfried: Das deutsche Spital u n d sein Recht i m M i t t e l alter, i n : Stutz, Ulrich, u n d Johannes Heckel, Hrsg.: Kirchenrechtliche A b handlungen, Heft 111 - 112, Stuttgart 1932, S. 293.

I. Analyse und Vergleich der Aggregate

197

frühen undifferenzierten Hospitals 85 . Für Reisende und Pilger wurden besonders im 14. und 15. Jahrhundert eigene Anstalten gegründet: Fremden- und Pilgerhospitäler, Gasthäuser, Elendenherbergen 86 . Sie gewährten notleidenden Fremden Unterkunft und Verpflegung für eine Nacht, kranken Reisenden zuweilen auch länger 87 . Meist lagen sie vor den Toren der Städte, weil diese vielfach aus berechtigtem Mißtrauen nur ungern Fremde i n ihre Mauern aufnahmen; zum anderen war diese Lage aber auch vorteilhaft für die Reisenden, da sie auf diese Weise noch eine Unterkunft fanden, auch wenn sie erst spät abends nach Schließung der Stadttore ankamen 88 . Ebenfalls außerhalb der Städte wurden eigene Anstalten für die ansteckenden Kranken angesiedelt. Der Schrecken, den die großen Seuchen des Mittelalters —> Lepra, Blattern, Pest und andere — verbreiteten, veranlaßte viele Städte, ihre Bevölkerung durch Errichtung besonderer Häuser vor der Ansteckung zu schützen 89 . Die Leprosorien, i n Süddeutschland auch Gutleut-Häuser genannt 90 , Blatter- oder Franzosenhäuser (für Syphilis-Erkrankte) und Pesthäuser dienten weniger der Heilung der Kranken als vielmehr ihrer Isolierung von den Gesunden. Diese Absonderung und die Lage der Anstalten außerhalb der Stadtmauern „ i m Feld" führte auch zu den Bezeichnungen Sondersieche bzw. Feldsieche 91 . Vereinzelt wurden i n den Städten auch eigene Anstalten für Geisteskranke errichtet. Solche besonderen Narren- oder Tollhäuser gab es 1460 i n Nürnberg, 1475 i n Augsburg, 1544 i n Eßlingen, 1604 in Frankfurt 9 2 . Zum Teil wurden i m 14. und 15. Jahrhundert gefährliche Irre in den Türmen der Stadtmauern untergebracht, die einen Ausbruch erschwerten und die Kranken zudem unter ständiger Aufsicht hielten. I m 16. und 17. Jahrhundert bediente man sich zu ihrer Unterbringung vielfach der jetzt meist leerstehenden Leprosorien 93 . 85

Vgl. Reiche, Siegfried: Heft 111 - 112, S. 293. Die Bezeichnung Elendenherberge ist eine A b l e i t u n g v o n elend = ohne L a n d ; elilenti bedeutet i m Althochdeutschen: die Fremde. Vgl. Goldhahn, Richard, S. 62. 87 Vgl. Reiche, Siegfried: Heft 111 - 112, S. 304. 88 Vgl. Wörner, Α.: Das städtische Hospital zum hl. Geist i n Schwäb. G m ü n d i n Vergangenheit u n d Gegenwart, Tübingen 1905, S. 18. 89 Vgl. Ruppel, F.: Allgemeine Krankenhäuser, Bautechnik, i n : Liebe, Georg, u.a., Hrsg.: Handbuch der Krankenversorgung u n d Krankenpflege, Bd. 1, B e r l i n 1899, S. 759. 90 Vgl. Wörner, Α., S. 21. 91 Vgl. Jetter, Dieter: Geschichte des Hospitals, i n : Sudhoff s Archiv, Bd. 1, Beiheft 5, Wiesbaden 1966, S. 39; Mone, F. J.: A r m e n - u n d Krankenpflege, Bd. 12, S. 25. 92 Vgl. Königer, Ernst, S. 45. 86

93

Vgl. Jetter, Dieter, S. 53 - 54.

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2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

Wie bei den Aussätzigen galt auch bei den Geisteskranken die Sorge weniger der medizinischen Versorgung oder gar Heilung als vielmehr der Absonderung der Kranken 9 4 . Eine sehr große Zahl kleiner Spitäler diente der Aufnahme armer, meist altersschwacher Männer und Frauen. Die Zahl derer, die dort Aufnahme finden konnte, war meist sehr niedrig, sechs, acht, häufig — i n Anlehnung an die Zahl der Apostel — zwölf. Sie wurden von wohlhabenden Bürgern gestiftet, und die Aufnahme der Armen wurde an die Bedingung geknüpft, daß diese für das Seelenheil der Stifter zu beten hatten 95 . Die überwiegende Zahl der Spitäler waren jedoch Pfründneranstalten 98 . „Der Gedanke, die Spitalleistungen auch wohlhabenden und gesunden Bürgern zum Zwecke bequemer Alters- und Lebenssicherung zuzuführen, tauchte schon i n den Anfängen bürgerlicher Einfiußnahme auf das Spitalwesen auf 9 7 ." U m finanzielle Engpässe oder gar Zusammenbrüche zu vermeiden, griffen die meisten allgemeinen Spitäler diesen Gedanken gerne auf und gingen dazu über, Pfründner aufzunehmen, d. h. Bürgern gegen Überlassung des gesamten Eigentums oder vertragsweise festgelegte Zahlungen bis zu ihrem Tode Wohnung und Verpflegung i m Spital zu gewähren 98 . I n vielen Hospitälern nahm der A n t e i l der Pfründner ständig zu, so daß sie bald zu reinen Pfründneranstalten wurden, andere wurden von vorneherein zu diesem Zweck gegründet. Die Verträge, die die Zünfte und Gesellenverbände m i t den Hospitälern zur Aufnahme alter und/ oder kranker Genossen schlossen, waren ebenfalls Pfründnerverträge: Gegen regelmäßige Zahlungen oder einmalige Übergabe eines bestimmten Vermögens erhielten die Zünfte das Recht auf eine bestimmte A n zahl von Pflegeplätzen. b) Gründer

und Träger

der Hospitäler,

Spitalverwaltung

I n den ersten Jahrhunderten deutscher Spitalentwicklung waren es vor allem die Klöster, die sich der anstaltlichen Wohlfahrtspflege annahmen und das ganze Mittelalter hindurch von besonderer Bedeutung blieben. Grundlage der klösterlichen Spitalpflege bildete seit dem 9. Jahrhundert die Benediktinerregel: „Die Sorge für die Kranken gehe vor allem und über alles... Es sei also eine Hauptsorge für den Abt, daß 94

Vgl. Liese, W i l h e l m : Bd. 2, S. 136 ff. Vgl. Reiche, Siegfried: Heft 111 - 112, S. 307 - 308. 96 Vgl. Goldhahn, Richard, S. 62. 97 Reiche, Siegfried: Heft 111 - 112, S. 285. 98 Z u den Spitalverpfründungsverträgen vgl. Reiche, 113 - 114, S. 113 - 114 u n d S. 192 f. 95

Siegfried:

Heft

I. Analyse und Vergleich der

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199

sie i n keinem einzigen Punkte vernachlässigt werde. Diesen kranken Brüdern werde eine eigene Zelle zur Verfügung gestellt und ein gottesfürchtiger, eifriger, treubesorgter Wärter ( s e r v i t o r ) . . . " . " Schon sehr früh läßt sich i n den Klöstern ein eigenes Krankenhaus unter der Leitung eines „Hospitalarius" oder „Infirmarius" nachweisen, wobei i m einzelnen unklar bleibt, ob dieser Spitalleiter selbst Arzt war oder lediglich ein Verwalter 1 0 0 . Diese Krankenhäuser dienten vorwiegend der Pflege der erkrankten Ordensmitglieder. Daneben schrieb die Benediktinerregel aber auch vor, sich aller Armen und Pilger anzunehmen. Diese Pflicht der „hospitalitas" stellte die Grundlage der klösterlichen Wohltätigkeitspflege i m weitesten Sinne dar und blieb i n ihrer umfassenden, funktional ungegliederten Form lange Zeit fast unverändert 101 . Seit dem 10. Jahrhundert gaben von der Abtei Cluny ausgehende Reformbestrebungen den Klöstern neue Richtlinien für ihre karitative Betätigung. Umfaßte nach der Benediktinerregel die hospitalitas noch Arme wie Reiche, setzte sich nunmehr die Erkenntnis durch, daß nur die Gastfreundschaft an Armen eigentlich Wohltätigkeit sei, und es kam zur Errichtung getrennter Institutionen für zahlende Wohlhabende (hospitale nobilium) und Unvermögende (hospitale pauperum), wobei sich die klösterliche Wohlfahrtspflege auf das hospitale pauperum konzentrierte 102 . Trotz der Vielzahl der Klosterspitäler darf ihre Bedeutung nicht überschätzt werden. I n der Regel waren sie klein und ihre Aufnahmefähigkeit begrenzt. Die dauernde Aufnahme Hilfsbedürftiger war die Ausnahme, und i m Vordergrund stand die Aufnahme und Pflege vorüberziehender Bettler, Pilger und Reisender 103 . Die unmittelbare Verwaltung der klösterlichen Hospitäler lag i n Deutschland allgemein i n Händen eines Hospitalars. Je nach Größe der Anstalt wurde i h m eine entsprechende Anzahl von Helfern zugeteilt. Seine Hauptaufgabe bestand i n der internen Geschäftsführung: der Verwendung der Einkünfte, der Verpflegung der Armen, der Aufsicht über die Insassen. Das Spitalamt war ein Klosteramt, d. h. es war eingebettet i n die allgemeine Ordnung des betreifenden Ordens. Das zeigt sich besonders auch daran, daß die oberste Leitung über das Spital dem A b t vorbehalten blieb, der m i t Unterstützung des Konvents die Oberaufsicht über Anlage, Ausstattung und Erhaltung des Spitals 99 100 101 102 103

Nach Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Goldhahn, Richard, S. 37. Goldhahn, Richard, S. 38. Reiche, Siegfried, Heft 111 - 112, S. 13. Jetter, Dieter, S. 12; Reiche, Siegfried: Heft 111 - 112, S. 15 - 16. Reiche, Siegfried: Heft 111 - 112, S. 21.

200

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

sowie dessen Vermögensverwaltung führte. Nach außen hin war i n der Regel allein der A b t zuständiger Rechtsvertreter des Hospitals. Oblag in seltenen Fällen die Vertretung des Spitals i n Rechtsgeschäften und -Streitigkeiten dem Hospitalar, so war dieser an die Weisungen des Abtes bzw. des Konventes gebunden 104 . Wichtigste Hospitalgründer und -träger wurden neben den Klöstern für eine Zeit die Ritterorden und bürgerliche Spitalorden. Die m i t Begeisterung aufgenommene Kreuzzugsidee setzte i m 11. Jahrhundert einen breiten Strom Wallfahrer in Bewegung, die auf ihrem beschwerlichen Zug Unterkunft, Pflege bei Krankheit und Hilfe bei sonstigen Notfällen benötigten. Dieser Aufgaben nahmen sich die Ritterorden an, die — zum Teil i m Heiligen Land selbst entstanden — sehr bald auch i n Deutschland Bedeutung erlangten 105 . Heimgekehrte Fürsten und Edelleute setzten i n der Heimat die Spitalpflege fort 1 0 6 . Neben dem Johanniter-Orden, dessen Vorschriften über die Hospitaldienste von den übrigen Ritterorden vielfach nachgeahmt wurden 1 0 7 , erlangten besonders der Deutschorden und der Lazaristenorden größere Bedeutung. Zu den Aufgaben der Sorge für die Pilger kam bei den Ritterorden sehr bald der Waffendienst, dem die Hospitalpflege allmählich untergeordnet wurde, bis sie schließlich „vorwiegend zur Aufrechterhaltung der Tradition und pietätvollen Erinnerung erfolgte" 1 0 8 . Da die Ritter dem Waffendienst den Vorzug vor dem Hospitaldienst gaben, überdauerten nur wenige Spitäler der Ritterorden eine längere Zeit. Dennoch ging von den Ritterorden der zündende Funke aus, der das allgemeine Interesse für die Versorgung und Pflege Alter, Armer, Kranker und Reisender weckte. Wie i n den Klosterspitälern führte ein Hospitalar, Spitalmeister, oder auch Spittler genannter Ordensbruder die unmittelbare Verwaltung des Hospitals. Er unterstand dem Komtur, dem die oberste Leitung und Verwaltung des Spitals zustand, und der i n dieser Eigenschaft auch die Vertretung des Spitals nach außen wahrnahm und Rechtsgeschäfte tätigte. Der Komtur selbst war i n die allgemeine Beamtenhierarchie des Ordens eingegliedert und unterstand seinerseits dem Landkomtur. Bei den Johannitern, an deren Spitze der Großmeister stand, teilte sich der Orden i n acht Ordensprovinzen, von denen jede ein bestimmtes Großwürdenamt besetzte, unter anderem Frankreich den obersten Auf104 105 108 107 108

Vgl. Reiche, Siegfried: Heft 113 - 114, S. 3 - 19. Vgl. Steynitz, Jesko von, S. 32. Vgl. Reiche, Siegfried: Heft 111 - 112, S. 96. Vgl. Steynitz, Jesko von, S. 73. Reiche, Siegfried: Heft 111 - 112, S. 119.

I. Analyse und Vergleich der

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201

seher über die Wohltätigkeitsanstalten, den Hospitalier. Er war letzte Instanz i n allen das Spital betreffenden Fragen. Ähnlich gab es bei den Deutschrittern das A m t des Obersten Spittlers 109 . Je mehr die Hospitalpflege bei den Ritterorden i n den Hintergrund trat, um so mehr übernahmen bürgerliche Spitalorden diese Aufgaben. Nicht-adlige Frauen und Männer riefen eine Vielzahl von Ordensgemeinschaften ins Leben, die sich i n von ihnen gegründeten und verwalteten Hospitälern der Sorge um die Armen, Kranken und Alten annahmen. Ein großer Teil dieser Ordensgemeinschaften war nur für ein einziges Hospital zuständig, andere — wie die Antoniter, die Alexianer, die Elisabethinerinnen und insbesondere der Orden der Brüder vom Heiligen Geist — waren überregional tätig 1 1 0 . Die innere Verwaltung sowie die Vertretung der Spitäler nach außen lag in Händen des von der Gesamtheit der Brüder in der Regel auf Lebenszeit gewählten Spitalmeister. Die bei den Klosterspitälern und den Hospitälern der Ritterorden noch getrennten Funktionen von Hospitalar und A b t bzw. Komtur fielen hier zusammen. Die Autonomie der Konvente bei der Wahl ihrer Vorsteher wurde allerdings vielfach eingeschränkt durch ein Mitspracherecht von Stiftern und Förderern der Anstalt, der zuständigen Bischöfe sowie, m i t zunehmender Verbürgerlichung, der Stadträte, denen am Ende der Entwicklung die alleinige Ernennungsbefugnis des Spitalmeisters oblag. Die Stellung des Spitalmeisters bei externen Angelegenheiten war beschränkt durch das Mitspracherecht des Spitalkonvents, der sich bei wichtigen Geschäften die Zustimmung vorbehielt. Der Konvent als Gesamtheit der Ordensmitglieder delegierte bei größeren Gemeinschaften seine diesbezüglichen Befugnisse an einen Beirat, dem i n der Regel die älteren und erfahrenen Brüder angehörten, und der bei wichtigen Angelegenheiten den Spitalmeister mit Rat und Tat unterstützte 111 . Trotz der Bedeutung, die die bürgerlichen Spitalorden eine zeitlang in der allgemeinen Wohlfahrtspflege erlangten, konnten sie dennoch den sich ändernden Bedingungen nicht standhalten. Wie die Ritterorden wichen auch die bürgerlichen Spitalorden anderen Krankenhausträgern 112 . „Weitaus die bedeutsamste und nachhaltigste Einwirkung auf das mittelalterliche Spitalwesen ging von der Entwicklung der Städte 109 Vgl. Reiche, Siegfried: Heft 113-114, S. 39 - 5 3 ; Steynitz, Jesko von, S. 39 - 4 0 ; Liese, W i l h e l m : Bd. 2, S. 33. 110 Vgl. Steynitz, Jesko von, S. 74. 111 Vgl. Reiche, Siegfried: Heft 113 - 114, S. 19 - 39. 112 Vgl. Baas, K a r l : Z u r Geschichte der Krankenpflege u n d des K r a n k e n hauswesens v o m Ausgang der A n t i k e bis zum A u f k o m m e n der Städtefreiheit i n Deutschland, i n : Sozialhygienische Mitteilungen, Heft 2, Karlsruhe 1922, S. 52.

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2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

zu politischen Körperschaften aus. M i t ihnen trat ein vollkommen neues Element i n die bisher rein kirchlich bestimmte Wohlfahrtspflege: das organisierte Bürgertum 1 1 3 ." M i t wachsenden Bevölkerungszahlen erlangten die Städte nicht nur Reichtum, Ansehen und Einfluß, sie wurden auch vor neue soziale Aufgaben gestellt. Weite Kreise mittelloser, notleidender Bürger, aber auch das Bemühen wohlsituierter Bürger, bei Krankheit und Alter eine sichere Pflegestätte zu finden, erforderten die Errichtung von Spitälern i n einem Umfange, dem die Kirche nicht mehr gewachsen war. Vorwiegend durch private Wohltätigkeit gemeinsinniger Bürger und oft i m Zusammenwirken m i t den Stadtherren, wurde — besonders i m 13. Jahrhundert — eine Vielzahl neuer Spitäler gegründet 114 . Entsprechend dem gewachsenen Selbstbewußtsein der Bürger begnügten diese sich nicht mehr m i t der Beibringung der Mittel, sie verlangten gleichzeitig die Leitung, mindestens die Kontrolle der Spitäler. Der bürgerliche Anspruch ging aber über die Verwaltung der von ihnen gegründeten Spitäler hinaus: „Er richtete sich ohne Rücksicht auf Gründung und Verfassung auch auf die Erfassung der Spitaleinrichtungen, die von ihrem Ursprung an ausschließlich i n der Hand kirchlicher Gewalten standen und von den Formen der Kirche getragen waren 1 1 5 ." Dieses Bestreben der Städte führte aber keineswegs zu starken Spannungen mit der Kirche. Die Beziehungen zwischen Spital und Kirche blieben bestehen, wie viele religiöse Vorschriften in den Spitalordnungen beweisen11®. Ziel der Städte war es lediglich, Einfluß auf die Verwendung der letztlich von ihren Bürgern aufgebrachten Geldmittel zu gewinnen, da die Spitäler einen nicht unbeachtlichen Wirtschaftsfaktor darstellten 117 . Der Prozeß der Verbürgerlichung der Spitäler, der vereinzelt i m 12., verstärkt i m 13. Jahrhundert einsetzte, war i m 14. Jahrhundert i m großen und ganzen abgeschlossen. Bis zum Ausgang des Mittelalters war das anstaltliche Wohlfahrtswesen durch das kommunalisierte Spital geprägt 118 . Verfassung und Verwaltung der städtischen Spitäler waren durch eine Dreiteilung der Leitungsgewalt gekennzeichnet, deren Träger Spitalmeister, Spitalpflegschaft und Rat waren. Die unmittelbare Spital113

Reiche, Siegfried: Heft 111 - 112, S. 196. 114 V g l > wörner, Α., S. 22; Reiche, Siegfried: Heft 111 - 112, S. 197 u n d S. 215; Baas, K . : Z u r Geschichte der Krankenpflege, S. 46. 115

Reiche, Siegfried: Heft 111 - 112, S. 197. Vgl. Meffert, Franz: Caritas u n d Krankenwesen bis zum Ausgang des Mittelalters, Freiburg i. Br. 1927, S. 316; Fischer, Alfons, Bd. 1, S. 76. 117 Vgl. Meffert, Franz, S. 316 ff.; Liese, W i l h e l m : Bd. 1, S. 171; Fischer, Alfons: Bd. 1, S. 76. 116

118

Vgl. Reiche, Siegfried: Heft 111 - 112, S. 197 - 198.

I. Analyse und Vergleich der

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203

Verwaltung lag i n Händen eines gewöhnlich auf Lebenszeit bestellten Spitalmeisters. Sein Aufgabenkreis war je nach den i h m eingeräumten Befugnissen in den einzelnen Spitälern recht unterschiedlich. I n der Regel oblag i h m die Überwachung der gesamten Wirtschaftsführung, d. h. Kontrolle der laufenden Einnahmen und Ausgaben, Erfassung von Inventar und Vorräten, Erhaltung der Anstaltsgebäude sowie die Beschaffung der für den Unterhalt der Insassen notwendigen Kleidung, Lebensmittel usw. Die Bewohner der Anstalt unterstanden seiner Ordnungsbefugnis, er überwachte die Einhaltung der Hausordnung, sorgte für ordnungsgemäße Verteilung und Durchführung der Pfründen und für die Pflege der Kranken. Bei größeren Spitälern zeichnete er für das mehr oder weniger umfangreiche Dienstpersonal verantwortlich. Der Spitalmeister war grundsätzlich besoldeter Angestellter, der aus dem Anstaltsvermögen festen Lohn bezog 119 . Die dem Spitalmeister unmittelbar übergeordnete Instanz waren die vom Rat gewählten, ehrenamtlich tätigen Pfleger, auch provisores, procuratores, Vorsteher, Schaffner genannt. Ihre Zahl schwankte je nach Größe des Spitals zwischen eins und vier; i n der Regel wurden zwei Pfleger eingesetzt, deren Amtsdauer gewöhnlich ein Jahr betrug, jedoch durch mögliche Wiederwahl teilweise zu einer lebenslänglichen Stellung führte. Entsprechend den mehr oder weniger ausgedehnten Befugnissen der Spitalmeister schwankte auch der Aufgabenbereich der Pfleger. Ihre Tätigkeit bestand i m wesentlichen i n der Aufsicht und Kontrolle. So nahmen sie dem Spitalmeister die jährliche Rechnungslegung ab, wachten über die sachgemäße Vermögensverwaltung oder übernahmen diese auch ganz, vertraten das Spital in allen wichtigen Rechtsgeschäften, entschieden — soweit der Rat sich diese Rechte nicht vorbehalten hatte — über die Aufnahme von Pfründnern, über Ernennung und Besoldung von Spitalmeistern und anderer Spitalbeamter. Eine erschöpfende Darstellung der Befugnisse und Aufgaben der Pflegschaften ist nicht möglich, da sie i n den einzelnen Spitälern zu unterschiedlich waren. Überschneidungen m i t den Obliegenheiten der anderen Verwaltungsträger waren häufig. „Trotz allem stempeln Stellung und Bedeutung die städtischen Pflegschaften zu dem charakteristischsten Organ der kommunalisierten Spitalpflege. Sie bildeten i m Rahmen der städtischen Wohlfahrtspolitik die eigentlich tragenden und wirksamsten Kräfte der äusseren und inneren Verwaltung der Spitäler 1 2 0 ." Oberste Instanz der Spitalverwaltung war der Rat, der sich insbesondere als Schutzherr und Vormund des Spitals verstand. Er erließ 119 120

Vgl. Reiche, Siegfried: Heft 113 - 114, S. 95 - 116. Reiche, Siegfried: Heft 113 - 114, S. 70 - 95, insbesondere S. 95.

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2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

die Spitalordnungen, behielt sich eine Generalkontrolle der Vermögensverwaltung vor. Dem Hat oblag die Besetzung der Pflegschaft, teilweise auch die des Spitalmeisteramts; er entschied bei Streitigkeiten, führte wichtige Rechtsgeschäfte selbst durch und machte andere, den Pflegern oder Spitalmeistern überlassene Entscheidungen von seiner Zustimmung abhängig. Damit lagen Bestand und Entwicklung des Spitals letztlich in Händen des Rats der Stadtgemeinde 121 . II. Analyse und Vergleich der Leistungen „Das Streben nach Sicherheit ist eine universale menschliche Eigenschaft, d. h. es lassen sich immer und überall menschliche Verhaltensweisen finden, als deren adäquate Interpretation ein ,Streben nach Sicherheit' anzusehen ist 1 2 2 ." Zu diesen Verhaltensweisen gehört der Aufbau eines Systems der sozialen Sicherung, von dem m i t h i n erwartet wird, daß es die Mangellage „soziale Unsicherheit" beseitigt und das Gut „soziale Sicherheit" erbringt. Nun sind Sicherheit und soziale Sicherheit — und ihre Antipoden Unsicherheit und soziale Unsicherheit — keinesewgs eindeutig definierte Begriffe; sie sind sehr komplexer Natur und beinhalten verschiedene Aspekte. Selbst i m wissenschaftlichen Sprachgebrauch werden die Worte selten definiert und m i t durchaus unterschiedlicher Sinngebung verwandt: „No consistent definitions or theory have yet been developed around the concepts of security and insecurity 1 2 3 ." Die wichtigsten Komponenten der sozialen Sicherheit sind wirtschaftliche Sicherheit, politische Sicherheit, Sicherheit der Orientierung und Selbstsicherheit 124 , d.h. sie beinhaltet ökonomische, soziologische und psychologische Aspekte. Von einem System der sozialen Sicherung kann damit einerseits eine materielle (ökonomische) Daseinssicherung und zum anderen eine immaterielle Daseinssicherung (in soziologischem und psychologischem Sinne) erwartet werden 1 2 5 . Materielle Sicherung bedeutet das Versprechen einer Hilfeleistung beim Eintreffen bestimmter, standardisierter Risiken, denen alle Ge121

Vgl. Reiche, Siegfried: Heft 113 - 114, S. 56 - 70. Kaufmann, Franz-Xaver: Sicherheit als soziologisches u n d sozialpolitisches Problem, Stuttgart 1970, S. 10. 123 Cameron , W i l l i a m B., u n d Thomas C. McCormich: Concepts of Security and Insecurity, i n : The American Journal of Sociology, Bd. 59, 1954, S. 561. Vgl. hierzu auch Hofstätter, Peter R.: Was heißt Sicherheit?, i n : Wo ist Sicherheit? Eine Sendereihe des Süddeutschen Rundfunks, Kröners Taschenausgabe Bd. 322, Stuttgart 1960, S. 11 f.; Achinger, Hans: Soziale Sicherheit, Stuttgart 1953, S. 9. 124 Vgl. Kaufmann, Franz-Xaver, S. 17 ff. 125 Vgl. Essen-Braune, Günter von: Das Wesen Sozialer Sicherung u n d die Grundprobleme ihrer Gestaltung, Diss. Nürnberg 1960, S. 31 ff. 122

II. Analyse und Vergleich der Leistungen

205

sellschaftsmitglieder ausgesetzt sind, ohne sich dagegen schützen zu können. „Jedem Gesellschaftsmitglied wird, welchen Notlagen es auch immer ausgesetzt sein mag, die Grundchance einer Existenz i n Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Einkommenssicherheit geboten 126 ." Die immaterielle Sicherung bewegt sich i m emotionàl-affektiven Bereich, d. h. im Bereich menschlicher Gefühle. Sie verweist insbesondere auf die Mitgliedschaft in Primärgruppen und ihre wichtigen Funktionen für persönliche Anerkennung, Statussicherheit, Kontakte und Kommunikation. 1. Materielle Sicherung

I n jedem menschlichen Leben können Perioden existenzieller Unsicherheit eintreten, die durch das Fehlen der nötigen Mittel zur Lebenserhaltung gekennzeichnet sind. Bei der Mehrzahl aller Menschen ist der Einkommensfluß ausschließlich von der eigenen Arbeitsleistung abhängig. Ist es nicht möglich, von diesem Einkommen ausreichende Rücklagen für Krisen zu bilden, so kann jede Unterbrechung und erst recht der Abbruch des Einkommensflusses zu einer ernsthaften Existenzbedrohung werden 127 . Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit (Unterbrechung des Einkommensstromes), Invalidität, Alter und Tod des Ernährers (Abbruch des Einkommensflusses) gelten als „Standardrisiken", da sie i m Leben jedes Menschen auftreten können 128 . Kindheit und Jugend, i n denen noch kein Einkommen erzielt wird, sind weitere Unsicherheitsperioden 129 . Ein System der sozialen Sicherung muß daher diesen Risiken ihre Bedrohlichkeit nehmen, d.h. Vorsorge treffen für Ereignisse, die „die Möglichkeit des eigenen Erwerbs des Lebensunterhaltes beeinträchtigen oder ausschließen" 130 . Wie auch immer i m einzelnen gestaltet, muß jedes System es ermöglichen, den Ausfall des Arbeitsverdienstes zu er126 Molitor, Bruno: Kausalprinzip u n d Finalprinzip, i n : Boettcher, E r i k , Hrsg.: Sozialpolitik u n d Sozialreform, Tübingen 1957, S. 253 - 254. 127 Vgl. Albrecht, Gerhard: Sozialpolitik, Grundriß der Sozialwissenschaft, Bd. 16, Göttingen 1955, S. 160. 128 Vgl. Zöllner, Detlev: Sozialpolitik heute. Fortbildung und Praxis, Heft 41, Bad Godesberg 1959, S. 33. 129 Vgl. Schreiber, W i l f r i d : Die Einrichtungen der sozialen Sicherheit u n d ihre gesellschaftlichen Funktionen, i n : Kloten, Norbert, u.a., Hrsg.: Systeme u n d Methoden i n den Wirtschafte- u n d Sozialwissenschaften, E r w i n von Beckerath zum 75. Geburtstag, Tübingen 1964, S. 669, u n d ders.: Soziale Ordnungspolitik heute u n d morgen. Betrachtungen nach Abschluß der Sozialenquête, K ö l n 1968, S. 23. 130 Kleeis, Friedrich, S. 13; vgl. auch Weisser, Gerhard: „Soziale Sicherheit", i n : Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 9, Göttingen — S t u t t gart — Tübingen 1956, S. 396.

206

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

setzen 131 und/oder zur Behebung oder Verhinderung der Krise beitragen, ζ. B. bei Krankheit durch Bereitstellung medizinischer Leistungen. Eine materielle soziale Sicherung kann erreicht werden durch die „Fürsorge", die den Nachteil hat, nur die größte Not zu lindern, und den Empfänger m i t dem Makel behaftet, nicht für sich und seine Familie sorgen zu können 132 . Ein umfassendes System der sozialen Sicherung i n Form der Fürsorge führt zum Abbau der Selbsthilfe und einer wünschenswerten eigenverantwortlichen Vorsorge. Da die Leistungen „nicht aus eigenen Beiträgen, sondern aus allgemeinen Staatsund Steuermitteln finanziert werden, droht eine Begehrlichkeit zu entstehen, welche keine Grenzen kennt" 1 3 3 . Die effizientere Form eines System der sozialen Sicherung ist die Bildung von Solidargemeinschaften, gekennzeichnet durch gegenseitige Hilfe, durch gemeinsame Übernahme der Lasten. Sie erhält die Eigenverantwortlichkeit des einzelnen, indem er seinen Beitrag zum Fonds der Gemeinschaft leistet 1 3 4 und dadurch den Anspruch auf Hilfe aus diesem Fonds erwirbt, falls er selbst diese Unterstützung benötigt. Die Solidargemeinschaften sind sowohl als freiwillige Zusammenschlüsse als auch i n Form von Zwangsverbänden, wie z.B. die heutige Sozialversicherung, denkbar. I n diesen Zwangsverbänden w i r d die Selbstverantwortung des einzelnen zwar nicht aufgegeben, aber doch stark eingeschränkt 135 . Die materielle Sicherung i n den Solidargemeinschaften w i r d i m wesentlichen durch drei vom System erbrachte Leistungen bewirkt: durch den Risikoausgleich, die Einkommensumverteilung und die Bereitstellung von Sachleistungen. Dabei müssen nicht notwendigerweise alle drei Leistungen erbracht werden: Eine gewisse materielle Sicherung ist beispielsweise allein durch den Risikoausgleich oder allein durch die Bereitstellung bestimmter Sachleistungen denkbar und möglich. Ein System zur sozialen Sicherung w i r d jedoch zweifellos durch eine Kombination aller drei Leistungen effizienter. a)

Risikoausgleich

I m Kontext der materiellen sozialen Sicherung bedeutet Risiko die Gefahr des Eintritts eines Ereignisses „ m i t negativen, speziell w i r t 131 Vgl. Bethusy-Huc, Viola Gräfin von: Das Sozialleistungssystem der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1965, S. 3. 132 Vgl. Albrecht, Gerhard: Sozialpolitik, S. 161. 133 Möller, Hans: Sicherheit u n d eigenverantwortliche Vorsorge, i n : Wo ist Sicherheit?, S. 35 - 36. 134 Vgl. Albrecht, Gerhard: Grundfragen der Sozialversicherung, B e r l i n 1929, S. 11; ders.: Sozialpolitik, S. 163. 135 v g l . Bogs, Walter: Grundfragen des Rechts der sozialen Sicherheit und seiner Reform, B e r l i n 1955, S. 31.

II. Analyse und Vergleich der Leistungen

207

schaftlich nachteiligen Folgen"13®. Die Gefahr besteht dabei i n der Ungewißheit bezüglich des Eintritts des Ereignisses überhaupt und/oder bezüglich des Zeitpunktes und/oder bezüglich des Ausmaßes. Diese drei Unsicherheitsfaktoren bewirken, daß es für den einzelnen außerordentlich schwierig, wenn nicht unmöglich ist, sich durch entsprechende Vorsorge gegen die nachteiligen Folgen dieser Ereignisse zu schützen. Jeder Mensch ist i m Verlauf seines Lebens einer Vielzahl solcher Risiken ausgesetzt, die zum Teil individueller, zum Teil aber durchaus allgemeiner A r t sind i n dem Sinne, daß sie jeden Menschen betreffen. Aufgabe eines Systems der sozialen Sicherung ist es, diese Risiken vom einzelnen, der gegen ihre Folgen machtlos ist, auf andere, leistungsfähigere Gefahrenträger zu überwälzen. Bei diesem Überwälzungsprozeß gewinnt der ursprüngliche Träger des Risikos nicht etwa den Schutz vor der Gefahr als solcher, sondern lediglich die Gewißheit, daß i m Zeitpunkt des Schadenseintritts ein anderer die wirtschaftlichen Folgen des Risikos übernimmt 1 3 7 . Übernehmende Gefahren träger sind Solidargemeinschaften: i m heutigen Deutschland die Sozialversicherung m i t ihren verschiedenen Sparten, für die Handwerker des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit die Zünfte und Gesellenverbände. Eine wesentliche Leistung, die diese Solidargemeinschaften erbringen können und die zur sozialen Sicherung beiträgt, ist der Risikoausgleich. Das Prinzip ist einfach: Eine Anzahl von Individuen mit gleichartigen Risiken schließt sich zu einer Gefahrengemeinschaft zusammen, um beispielsweise eine Sicherung gegen die Folgen des Risikos Unfall zu erreichen. Alle Beteiligten zahlen regelmäßig einen festen Betrag in eine Kasse ein, die — falls ein Mitglied einen Unfall erleidet — die daraus entstehenden finanziellen Lasten übernimmt. Da nun nicht zu erwarten ist, daß z.B. innerhalb eines Jahres alle Mitglieder einen Unfall erleiden und daß darüber hinaus der entstandene Schaden beim einzelnen unter Umständen unter der Summe seiner Beitragsleistungen liegt, bleibt der Kasse ein Uberschuß, der es ermöglicht, einem anderen Mitglied auch über dessen Beitragsleistungen hinausgehende finanzielle Mittel auszuzahlen. Das Geheimnis liegt i m Gesetz der großen Zahl. Während das isolierte Individuum jeweils m i t dem Maximalschaden rechnen und entsprechende Vorsorge treffen müßte, genügt in der Solidargemeinschaft der 136 Braess, Paul: Versicherung u n d Risiko, Wiesbaden 1960, S. 11. 137 v g l . Braess, Paul, S. 1 2 - 1 3 ; Schreiber, W i l f r i d : Die gesetzliche K r a n kenversicherung i n der freiheitlichen Gesellschaft, i n : Schreiber, W i l f r i d , Hrsg.: Gesetzliche Krankenversicherung i n einer freiheitlichen Gesellschaft, Analyse u n d Probleme, B e r l i n 1963, S. 23; Rohrbeck, Walter: Sozialversicherung, i h r Wesen u n d ihre Bedeutung, Kevelaer (1949), S. 2.

208

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

durchschnittliche Schadensbetrag als Maßzahl für die notwendige M i t telaufbringung. Die Gefahr — für den einzelnen unübersehbar, unkalkulierbar und daher durch Vorsorgemaßnahmen nicht in den Griff zu bekommen — w i r d in ausreichend großen Gemeinschaften zu einer mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung meßbaren, mathematisch berechenbaren Größe. Es liegt auf der Hand, daß dieser Risikoausgleich um so eher und um so besser funktioniert, je größer der beteiligte Personenkreis ist. Sieht man von der Möglichkeit der Rückversicherung ab, ist damit die Größe der Solidargemeinschaft entscheidendes K r i t e r i u m für die Feststellung, ob das System die Leistung Risikoausgleich zu erbringen vermag. Zweifellos kommt in den einzelnen Sparten unseres heutigen Systems der sozialen Sicherung das Gesetz der großen Zahl voll zum Tragen. So garantieren ζ. B. i n der gesetzlichen Krankenversicherung vorgeschriebene Mindestkassengrößen die Leistung Risikoausgleich. Nicht so bei den Zünften und Gesellenverbänden. Ihre Mitgliederzahlen waren zu niedrig. Selbst wenn man eine für den Risikoausgleich notwendige Mindestgröße von nur 50 Mitgliedern annimmt — Herder-Dorneich hält diese Zahl für wahrscheinlich zu klein 1 3 8 — waren die Zünfte und Gesellenverbände von der Größe her nicht zur Produktion dieser Leistung i n der Lage. Sie zählten in der Regel sehr viel weniger Mitglieder, und diese Situation änderte sich auch nicht m i t zunehmender Stadtgröße, da gleichzeitig eine wachsende Abschließungstendenz der Handwerker einsetzte, die ihre Zahl möglichst niedrig zu halten trachtete. Zünfte und Gesellenverbände mit zeitweilig nur zwei bis fünf Mitgliedern waren keine Seltenheit. Dennoch hätten auch die Zünfte die Leistung Risikoausgleich erbringen können, wenn sich die kleinen Einzelzünfte ζ. B. innerhalb einer Stadt zum Zweck der sozialen Sicherung zusammengeschlossen hätten. Dies ist jedoch nicht geschehen. Der Risikoausgleich ist aber nicht allein durch eine ausreichend große Zahl von Mitgliedern der Gefahrengemeinschaft zu erbringen. Notwendigerweise setzt er ebenso sehr eine richtige Kalkulation der benötigten M i t t e l und damit der vom einzelnen Mitglied zu zahlenden Beiträge voraus. Diese Beiträge sind so zu bemessen, „daß sie insgesamt ausreichen, um die schätzungsweise eintretenden Schadensfälle zu dekken (versicherungstechnisches Äquivalenzprinzip)" 1 3 9 . Dabei wächst die Beitragshöhe m i t steigender Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und mit steigender (erwarteter) durchschnittlicher Schadenshöhe140. 138 Vgl. Η erder-Dorneich, Philipp: Sozialökonomischer Grundriß der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 80. 139 Bofifs, Walter, S. 16.

140

Vgl. Möller, Hans, S. 27.

II. Analyse und Vergleich der Leistungen

209

Diese entscheidenden Daten sind nur aufgrund sorgfältiger, über eine Reihe von Jahren erhobener Statistiken erhältlich 1 4 1 . Die Mitglieder der Zünfte und Gesellenverbände zahlten i n der Regel keine direkten Beiträge, die der sozialen Sicherung dienten, vielmehr wurden allgemeine Beiträge erhoben, die für die Deckung aller den Zünften entstehenden Ausgaben bestimmt waren. Sofern besondere Kassen für die soziale Sicherung bestanden, fehlte es auch hier an Statistiken und damit an einer versicherungsmathematisch exakten Berechnung der Beiträge. Demnach bleibt festzuhalten, daß die Produktion der Leistung Risikoausgleich weder von der Größenordnung der Kassen her, noch von der Beitragskalkulation her langfristig funktionieren konnte. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Zünfte und Gesellenverbände überhaupt keinen Risikoausgleich leisteten. Zweifellos fand ein gewisser Ausgleich statt. So erhielten z.B. Kranke einen Pflegeplatz i m Hospital, der von den Gesunden mitfinanziert wurde; das gleiche gilt für gewährte Barleistungen, sofern sie nicht rückzahlbar waren. Hier und da wurde also kurzfristig ein Risikoausgleich erreicht, nur langfristig konnte ihn das System aus den angeführten Gründen nicht als permanente Leistung erbringen. b)

Einkommensumverteilung

Von den modernen Systemen der sozialen Sicherung w i r d erwartet und vorausgesetzt, daß sie i n einem begrenzten Umfang die Leistung Einkommensumverteilung erbringen. Dabei werden je nach politischem Standort zwei verschiedene Arten von Umverteilung gefordert und gefördert: Einkommensumverteilung als bedarfsadäquate Umschichtung des eigenen Lebenseinkommens oder als Umverteilung des Einkommens innerhalb einer Gruppe 142 . Die Konzeption der bedarfsadäquaten Umschichtung des Lebenseinkommens geht von dem Gedanken aus, daß das menschliche Leben durch drei Phasen gekennzeichnet ist — Kindheit und Jugend, Erwerbsleben, Alter —, von denen nur i n der mittleren Phase Einkommen erzielt w i r d und das auf die beiden anderen Phasen umzuschichten ist 1 4 3 . 141 v g l , Fossil, A l f r e d : V o m Wesen der Sozialversicherung, i n : Soziale Sicherheit, Heft 4,1952, S. 111. 142

Die EWG-Studie spricht hier v o n der Ausgleichsfunktion u n d der Umverteilungsfunktion der sozialen Sicherheit. Vgl. Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Hrsg.: Das Wesen der sozialen Sicherheit i n den Ländern der E W G i n der Gegenwart, Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, EWG-Studien, Reihe Sozialpolitik, Bd. 3, Brüssel 1962, S. 16. 143 Vgl. Schreiber, W i l f r i d : Die Einrichtungen der sozialen Sicherheit, S. 668; ders.: Soziale Ordnungspolitik, S. 23; ders.: Die gesetzliche K r a n k e n versicherung i n der freiheitlichen Gesellschaft, S. 21. 14 Fröhlich

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2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

Hinzu kommen innerhalb des Erwerbslebens Perioden, i n denen kein Einkommen fließt — Krankheit, Arbeitslosigkeit — und die ebenfalls zu überbrücken sind. Solange Einkommen erzielt wird, w i r d Konsumverzicht geleistet und Teile des Einkommens i n einen entsprechenden Fonds eingezahlt, aus dem bei unterbrochenem bzw. abgebrochenem Einkommensstrom entsprechende Geldleistungen an den Betroffenen fließen. Dieser Gedanke der langfristigen Umschichtung, auch als intertemporaler Einkommensausgleich 144 oder horizontale Umverteilung 1 4 5 bezeichnet, entspricht einer liberalen Wirtschaftsordnung und stellt den Willen und die Fähigkeit des Menschen zur Selbsthilfe und Eigenverantwortung i n den Vordergrund 1 4 8 . „Der Mensch (empfängt) Sicherheit . . . vor allem auch durch das Bewußtsein seiner Freiheit und seiner geistigen und materiellen Selbsthilfefähigkeit 147 ." Bei der (kurzfristigen) Einkommensumverteilung innerhalb einer Gruppe, auch als vertikale Umverteilung 1 4 8 oder interpersoneller Einkommensausgleich 149 bezeichnet, könnte man zwischen einer „technischen Umverteilung" und einer „fortgesetzten Umverteilung" unterscheiden 150 . Die letztere w i r d m i t der ungleichen Verteilung des Volkseinkommens und mit der Verpflichtung der Gesellschaft begründet, auch ihre sozial schwachen Mitglieder zu unterhalten. I m System der sozialen Sicherung findet diese Position ihren sozialpolitischen Niederschlag in 144 Vgl. Liefmann-Keil, Elisabeth: ökonomische Theorie der Sozialpolitik, B e r l i n — Göttingen — Heidelberg 1961, S. 60; Külp, Bernhard: K o n t r o l l mechanismen innerhalb des Gesundheitswesens, i n : Schreiber, W i l f r i d , Hrsg.: Gesetzliche Krankenversicherung i n einer freiheitlichen Gesellschaft, S. 122. 145 Vgl. Achinger, Hans: Vertikale oder horizontale Umverteilung?, i n : Achinger, Hans, L u d w i g Preller u n d Hermann Josef Wallraff, Hrsg.: Normen der Gesellschaft, Festgabe f ü r Oswald v o n Nell-Breuning, Mannheim 1965, S.235. 148 Vgl. Schreiber, W i l f r i d : Eine Sozialpolitik f ü r Europa. Fortschrittsziele der freien Gesellschaft, i n : Die politische Meinung, Heft 2, 1958, S. 29 - 3 0 ; ders.: Sozialpolitik i n einer freien Welt, Osnabrück 1961, S. 87 ff.; Hoernigk, Rudolf: Konzeptionen der Gewährung sozialer Leistungen, i n : Blind, Adolf, Christian v o n Ferber u n d Hans-Jürgen K r u p p , Hrsg.: Sozialpolitik u n d persönliche Existenz, Festgabe f ü r Hans Achinger, B e r l i n 1969, S. 111-112; Jantz, K u r t : Personalität, Subsidiarität u n d Solidarität i n der sozialen Sicherheit, i n : Blind, Adolf, u. a., Hrsg.: S. 132 - 133. 147 Deutsche Forschungsgemeinschaft, Hrsg.: Soziale Umverteilung, M i t teilung 1 der Kommission f ü r dringliche sozialpolitische Fragen, Wiesbaden (1964), S. 11. Vgl. auch Sozialenquête-Kommission: Soziale Sicherung i n der Bundesrepublik Deutschland, Bericht der Sozialenquête-Kommission, S t u t t gart — B e r l i n — K ö l n — Mainz (1966), S. 147. 148 Vgl. Achinger, Hans: Vertikale oder horizontale Umverteilung?, S. 235. 149 Vgl. Liefmann-Keil, Elisabeth, S. 45 ff. 150 v g l . Achinger, Hans: Grundprobleme der sozialen Sicherung unter besonderer Berücksichtigung der Sozialenquête, K ö l n — Opladen 1967, S. 94 - 95.

II. Analyse und Vergleich der Leistungen

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einer Staffelung der Beitragshöhe gemäß dem Einkommen, aus der sich eine Begünstigung schwacher Einkommensträger ergibt, die von Bessergestellten erbrachte Leistungen empfangen: Es findet ein sozialer Ausgleich zwischen Leistungsstärkeren und Leistungsschwächeren statt. Die „technische Umverteilung" ergibt sich aus der Tatsache, daß nicht jedes Mitglied der Solidargemeinschaft deren Leistungen i n gleichem Maße i n Anspruch nimmt, ζ. B. auf die Krankenversicherung übertragen: Morbide empfangen Leistungen der Solidargemeinschaft, die teilweise von den Gesunden finanziert wurden. Es erhebt sich jedoch die Frage, ob hier zu Recht von einer interpersonellen Einkommensumverteilung gesprochen wird. Tatsächlich empfängt nämlich bei gemäß dem versicherungstechnischen Äquivalenzprinzip kalkulierten Beiträgen kein Mitglied Leistungen, die durch Beiträge anderer finanziert wurden. Vielmehr erhalten alle als Gegenleistung für ihren Beitrag das gleiche Gut: Sicherheit 151 . Es handelt sich hier also nicht eigentlich um Umverteilung, sondern lediglich um das Wirksamwerden des Versicherungsprinzips. I m Interesse der begrifflichen Klarheit sollte unter interpersoneller Einkommensumverteilung ausschließlich die „fortgesetzte Umverteilung" verstanden werden; die „technische Umverteilung" ist nichts anderes als ein Risikoausgleich aufgrund des Versicherungsprinzips 152 . Das deutsche System zur sozialen Sicherung weist eine Fülle von Umverteilungsprozessen der oben geschilderten A r t auf, von denen hier nur die wichtigsten genannt seien. Die Einrichtung zur Minderung des Risikos Armut, die Sozialhilfe, erweist sich am deutlichsten als Instrument einer interpersonellen Einkommensumverteilung. Die Leistungen werden nicht über Beiträge der möglicherweise Betroffenen finanziert, sondern ausschließlich durch Steuermittel (zu denen die Leistungsempfänger allerdings unter Umständen i n früherer Zeit auch beigetragen haben). Es erfolgt also eine Einkommensumverteilung zugunsten der Sozialhilfeempfänger und zu Lasten der Gesamtheit der Steuerzahler 153 . Nicht ganz so eindeutig sind die Leistungen des Familienlastenausgleichs zu klassifizieren. Rein formal gesehen handelt es sich auch hier um eine interpersonelle Einkommensumverteilung, da das Kindergeld ausschließlich vom Bund, d. h. i m wesentlichen aus Steuermitteln finanziert wird. Daraus ergibt sich eine Umverteilung von den i m Erwerbsleben Stehenden zu den noch kein Einkommen erzielenden Kindern und 151

Vgl. Herder-Dorneich, P h i l i p p : Sozialökonomischer Grundriß, S. 84 - 85. 152 Y g i Sozialenquête-Kommission, S. 147 - 148. 153 v g l . Sozialenquête-Kommission, S. 149 - 150.

1*

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2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

Jugendlichen bzw. deren Eltern. Darüber hinaus finden Umverteilungsprozesse statt von Erwerbstätigen ohne Kinder zu solchen m i t Kindern sowie von Erwerbstätigen mit wenigen zu solchen m i t mehr Kindern. Das B i l d wandelt sich jedoch, wenn man das Kindergeld als vorweggenommenen Konsum betrachtet: Das K i n d erhält einen Kredit von den derzeit Erwerbstätigen, den es zurückzahlt, sobald es selbst Einkommen erzielt. Durch diese Betrachtungsweise bleibt es zwar optisch bei der interpersonellen Einkommensumverteilung: Die i m Erwerbsleben stehende Generation sorgt gleichzeitig für sich und die nachfolgende Generation (sowie für die aus dem Erwerbsleben ausgeschiedene vorangehende Generation, worauf noch zurückzukommen sein wird) 1 5 4 . Faßt man jedoch Leistung und Gegenleistung ins Auge, so sorgt nun jede Generation für sich selbst. Das i m Erwerbsleben erwirtschaftete Einkommen w i r d bedarfsadäquat auf alle drei Lebensphasen umgeschichtet; es erfolgt ein intertemporaler Einkommensausgleich 155 . Eindeutiger und einsichtiger als beim Kindergeld sind die Umverteilungsprozesse bei der Rentenversicherung. Sie w i r d zum überwiegenden Teil über Beiträge finanziert, d. h. die i m Erwerbsleben stehende Generation leistet Konsumverzicht, der i n Form von Beiträgen an die Rentenversicherungsträger fließt. I m Gegenzug w i r d damit ein Anspruch auf künftige, äquivalente Rentenzahlungen erworben. Damit w i r d eine intertemporale Einkommensumschichtung von der Erwerbsperiode i n die einkommenslose Phase des Lebensabends erreicht 156 . Zwar überwiegt i n der Rentenversicherung der intertemporale Einkommensausgleich, doch w i r d er durch eine Reihe interpersoneller Umverteilungsprozesse verwässert: Zunächst gilt rein formal das bereits beim Kindergeld Gesagte, daß nämlich volkswirtschaftlich gesehen die Renten aus den laufenden Beiträgen der Erwerbstätigen bezahlt werden, m i t h i n aus dieser Sicht eine interpersonelle Umverteilung stattfindet. Wesentlich für unsere Betrachtung sind jedoch andere Faktoren, die zu einem sozialen Ausgleich führen, oder zumindest nach den Intentionen des Gesetzgebers dazu führen sollen. 154 v g l dazu Mackenroth, G.: Die Reform der Sozialpolitik durch einen deutschen Sozialplan, Schriften des Vereins f ü r Sozialpolitik, N. F., Bd. 4, B e r l i n 1952, S. 41: „ . . . a l l e r Sozialaufwand (muß) i m m e r aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden." Achinger, Hans: Wer bezahlt die soziale Sicherung?, i n : Wo ist Sicherheit?, ebd., S. 77 - 78: „ M a n k a n n das Brot u n d das Stück Fleisch, das m a n v o r 10 Jahren weniger gegessen hat, nicht nach 20 Jahren wiederfinden u n d verzehren. V o l k s w i r t schaftlich k a n n n u r aus dem jeweils vorhandenen i n der jeweiligen Produktionsperiode erstellten Gütervorrat geleistet werden." 155

Vgl. Schreiber, Vgl. Schreiber, schaft, i n : Boettcher, 1957, S. 93 ff., u n d i n sion, S. 148. 158

W i l f r i d : Kindergeld, S. 16 ff. u n d S. 31 ff. W i l f r i d : Existenzsicherheit i n der industriellen GesellE r i k , Hrsg.: Sozialpolitik u n d Sozialreform, Tübingen vielen anderen Publikationen; Sozialenquête-Kommis-

II. Analyse und Vergleich der Leistungen

213

Seit 1891 gehören Staatszuschüsse zu den Finanzierungsquellen der Rentenversicherung. I h r A n t e i l an den Ausgaben der Rentenversicherungsträger ist allerdings ständig gefallen. Insgesamt zahlte der Bund 1970 und 1971 jeweils ein Fünftel der Gesamtausgaben der Rentenversicherung 157 . Das M i t t e l der Staatszuschüsse zur Erreichung einer interpersonellen Einkommensumschichtung erscheint höchst fragwürdig, wenn man bedenkt, daß der Staat eben diese Gelder zunächst den Bürgern i n Form von Steuern abnimmt, u m „sie i h m dann m i t der großen Geste des Wohltäters zurückzugeben" 158 . Der Nettoeffekt der durch die Staatszuschüsse erreichten Umverteilung ist daher nur gering und kaum meßbar. Selbst bei Betrachtung nur einer Periode w i r d keine Umverteilung i n Höhe der Staatszuschüsse erreicht, da ja auch die Rentner selbst zu dem überwiegend aus indirekten Steuern erzielten Steueraufkommen 1 5 9 beitragen. Ähnliches gilt für die Arbeitgeberanteile zur Rentenversicherung, durch die nur optisch ein Umverteilungseffekt erreicht wird. Die Arbeitgeberbeiträge sind echte Lohnanteile, die als Lohnnebenkosten i n die Kostenrechnung und damit i n die Preise eingehen 180 . Die echten interpersonellen Umverteilungsprozesse bleiben daher i m wesentlichen auf folgende Tatbestände beschränkt: Das Äquivalenzprinzip w i r d teilweise durchbrochen, d. h. höheren Beiträgen entsprechen nicht immer höhere Leistungen; bei der Bemessung der Rente werden zahlreiche Ersatz- und Ausfallzeiten berücksichtigt; die Rentenversicherung sieht Kinderzuschüsse und Hinterbliebenenversorgung vor 1 8 1 . Die Arbeitslosenversicherung w i r d durch Beiträge finanziert. Der Erwerbstätige erhält als Gegenleistung die Sicherheit, bei Arbeitslosigkeit ein entsprechendes Arbeitslosengeld zu beziehen. Insoweit handelt es sich also um einen Risikoausgleich. Bezüglich der Arbeitgeberanteile gelten die obigen Ausführungen zur Rentenversicherung. Interpersonelle Umverteilungsprozesse entstehen durch Familienzuschläge und bei der Arbeitslosenhilfe, die i n voller Höhe vom Bund finanziert wird. 157 Vgl. Bundesminister f ü r A r b e i t u n d Sozialordnung, Hrsg.: Übersicht über die soziale Sicherung, S. 85; Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Hrsg.: Statistisches Jahrbuch 1972, S. 379. 158 Schreiber, W i l f r i d : Existenzsicherheit i n der industriellen Gesellschaft, S. 86. Vgl. auch Schreiber, W i l f r i d : Die zwei Dimensionen der EinkommensUmverteilung, i n : Schreiber, W i l f r i d : Z u m System sozialer Sicherung, hrsg. von Heinz Allekotte, K ö l n 1971, S. 38. 159 Vgl. Bethusy-Huc, Viola Gräfin von: Das Sozialleistungssystem, S. 19; Ferber, Christian von: Sozialpolitik i n der Wohlstandsgesellschaft, Hamburg 1967, S. 55. ιβο Ygi Schreiber, W i l f r i d : Existenzsicherheit i n der industriellen Gesellschaft, S. 84; Sozialenquête-Kommission, S. 63.

161

Vgl. Sozialenquête-Kommission, S. 62 - 63.

214

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

Die gesetzlichen Krankenversicherung w i r d wie die Arbeitslosenversicherung ausschließlich über Beiträge finanziert und leistet an erster Stelle und vorwiegend den Risikoausgleich. Daneben finden aber sowohl intertemporale als auch interpersonelle Einkommensumverteilungsprozesse statt. Eine intertemporale Umschichtung w i r d insofern ermöglicht, als die Kosten der Gesundheitspflege für das ganze Leben i n jeder Lebensphase nach der Leistungskraft bemessen werden, nicht aber nach der Morbidität, was vor allem eine stärkere Belastung i m Alter bedeuten würde 1 6 2 . Bei den interpersonellen Umverteilungsprozessen kann differenziert werden nach solchen zwischen Außenstehenden und Versicherten und solchen innerhalb der Versichertengemeinschaft. Daß die Arbeitgeberanteile entgegen dem optischen Eindruck keine Umverteilung bewirken, wurde bereits bei der Rentenversicherung sowie der Arbeitslosenversicherung betont 1 6 3 . Echte Umverteilungsprozesse zugunsten der Versicherten und zu Lasten der Allgemeinheit entstehen hingegen durch die Rabatte in Apotheken, bei Optikern usw., durch die steuerliche Begünstigung der obigen Umsätze (halber Mehrwertsteuersatz) sowie durch günstige Krankenhaustarife. Den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung werden Pflegesätze i n Rechnung gestellt, die i n der Regel nicht kostendeckend sind. Die Differenz zwischen entstandenen und gedeckten Kosten w i r d auf andere Träger verlagert 1 6 4 . Die gesetzliche Krankenversicherung bewirkt ferner auf den ersten Blick Umverteilung zwischen niedergelassenen Ärzten und Mitgliedern, da die Kassen den Ärzten nur niedrigere Honorare vergüten, als sie von Privatpatienten zu zahlen sind. Da die Ärzte jedoch wegen der geringeren Vergütung je Fall auf eine Vielzahl der Fälle ausgewichen sind, funktioniert diese ehemals gewünschte Umverteilung praktisch nicht mehr 1 6 5 . Interpersonelle Umverteilungsprozesse innerhalb der Versichertengemeinschaft entstehen durch die Beitragsstaffelung gemäß dem Ein162

Vgl. Sozialenquête-Kommission, S. 260. les v g l , d a z u Schreiber, W i l f r i d : Die gesetzliche Krankenversicherung i n der freiheitlichen Gesellschaft, S. 16; Herder-Dorneich, P h i l i p p : Sozialökonomischer Grundriß, S. 9 4 - 9 5 ; Sozialenquête-Kommission, S. 203; vgl. hingegen Hansmeyer, der die Ansicht v e r t r i t t , über die auf die Preise überwälzten Arbeitgeberanteile finanziere die Allgemeinheit die Krankenversicherung m i t , es lägen also Umverteilungsprozesse v o n der Allgemeinheit zur V e r sichertengemeinschaft vor. Vgl. Hansmeyer, K a r l - H e i n r i c h : Effekte der E i n kommensumverteilung i n der sozialen Krankenversicherung, i n Schreiber, W i l f r i d , Hrsg.: Gesetzliche Krankenversicherung i n einer freiheitlichen Gesellschaft, S. 107. 164

Vgl. Herder-Dorneich, Philipp: Sozialökonomischer Grundriß, S. 95 ff. Vgl. Sozialenquête-Kommission, S. 204, S. 228-229; zu weiteren U m verteilungsprozessen unter den Ärzten vgl. Herder-Dorneich, Philipp: Sozialökonomischer Grundriß, S. 98 ff. 165

II. Analyse und Vergleich der Leistungen

215

kommen: Das Krankengeld w i r d i n seiner Höhe nach den Beiträgen ausgerichtet und entspricht insofern dem Äquivalenzprinzip. Die Sachleistungen werden hingegen unabhängig von der Beitragsleistung gewährt, das bedeutet gleiche Leistung bei ungleichen Beiträgen, d.h. interpersonelle Einkommensumverteilung zu Lasten der Höherverdienenden, zugunsten der Einkommensschwächeren 16®. Weitere interpersonelle Umverteilung kommt zustande durch die Familienmitversicherung, durch die bei gleichen Beiträgen der Versicherte sowie seine Familienangehörigen Versicherungsschutz genießen 167 , durch besonders günstige Bedingungen für die freiwillig Weiterversicherten 168 sowie zugunsten der Rentner, die ohne eigene Beitragsleistung (diese werden vom Rentenversicherungsträger geleistet) die gesetzliche Krankenversicherung i n Anspruch nehmen können 169 . Die Nettoeffekte dieser Umverteilungsprozesse lassen sich praktisch nicht berechnen. Darüber hinaus gleichen sie sich i n der langen Periode zum Teil aus: Der begünstigte Lehrling w i r d später bei höherem Verdienst höher belastet, die jetzt begünstigten Kinderreichen zahlten als Alleinstehende höhere Beiträge usw. 170 . Die Sicherung i m Todesfall ist — soweit sie von einer privaten Lebensversicherung getragen w i r d — durch den Risikoausgleich und die intertemporale Einkommensumschichtung geprägt. Die Umverteilungsprozesse bei der durch die Rentenversicherung gewährten Hinterbliebenenversorgung wurden bereits erwähnt. Es w i r d nun i m folgenden — ebenfalls nach Risiken getrennt — zu zeigen sein, ob und wenn ja, welche Umverteilungsprozesse die Zünfte und Gesellenverbände leisteten. Die Zünfte versuchten, dem Risiko Armut auf dreierlei Weise beizukommen, nämlich durch Reglementierung des Handwerksbetriebs, teilweise durch Anlegen eines Roggenvorrats und durch Sachleistungen. Ziel der interpersonellen Einkommensumverteilung ist der soziale Ausgleich, der in seiner extremen Form zu einer Nivellierung der Einkommen führen würde. Eben dieses Ziel verfolgten auch die Zünfte mit ihren vielfältigen Anordnungen bezüglich des Handwerksbetriebs, die den Ausdehnungsmöglichkeiten des einzelnen Grenzen setzten.

1ββ

Vgl. Sozialenquête-Kommission, S. 62 - 63. Vgl. Sozialenquête-Kommission, S. 63, S. 204 - 205. 168 Vgl. Herder-Dorneich, P h i l i p p : Sozialökonomischer Grundriß, S. 88 ff. 169 Vgl. Sozialenquête-Kommission, S. 205; die i n den Jahren 1968 una 1969 v o n den Rentnern erhobenen Beiträge zur Krankenversicherung (rezessionsbedingte Abgaben) sollen nunmehr zurückgezahlt werden. 167

1 g

Herder-Dorneich,

Philipp: Sozialökonomischer Grundriß, S. 8 .

216

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

I m Gegensatz zur heutigen Sozialversicherung, die von bestehender Ungleichheit ausgehend durch interpersonelle Einkommensumverteilung eine ausgleichende, nivellierende Wirkung erzielen w i l l , strebten die Zünfte zwar ebenfalls nach einem Einkommensausgleich, jedoch ohne Umverteilungsprozesse. Sie setzten früher an, d. h. sie versuchten von vorneherein größere Einkommensunterschiede durch geeignete Maßnahmen zu verhindern. Interpersonelle Umverteilung wurde zum Teil bei der Unterstützung verarmter Gesellen wirksam, nämlich zunächst immer dann, wenn die Gesellen keine eigenen Beiträge zur Zunftkasse leisteten und die erhaltene Unterstützung nicht zurückzuzahlen hatten. Ferner wurde bei einigen Zünften eine Umverteilung zwischen Meistern und Gesellen durch eine Beitragsstaffelung erreicht: Bei gleicher Leistung i m Risikofall zahlten die Gesellen niedrigere Beiträge als die Meister. Eine intertemporale Einkommensumschichtung wurde durch das bei einigen Zünften übliche Anlegen eines Roggenvorrats ermöglicht. Da das gehortete Getreide i n Teuerungszeiten zu normalen Preisen an die Zunftmitglieder verkauft wurde, bewirkte diese Maßnahme eine gleichmäßigere Belastung des Einkommens. Das gleiche gilt für die von den Zünften gewährten einmaligen Darlehen und die wöchentlichen Geldzuwendungen an verarmte Zunftgenossen. Der Meister zahlte regelmäßige Beiträge, i m Notfall wurde ihm ein einmaliges Darlehen (oder wöchentliche Festbeträge) ausgezahlt, die empfangene Summe wurde nach Vermögen, also oftmals über eine längere Zeitspanne hinweg, an die Zunft zurückerstattet. Die Mitgliedschaft in der Solidargemeinschaft, manifestiert i n den Beiträgen, ermöglichte es dem Zunftmeister, sein Einkommen gleichmäßiger zu belasten; das Darlehen konnte entsprechend seiner Leistungskraft zurückgezahlt werden 171 . Eine Sicherung der einkommenslosen Phase Kindheit und Jugend gab es bei den Zünften nur i n sehr rudimentären Ansätzen. Eine intertemporale Umschichtung des Einkommens von der Phase des Erwerbslebens i n die Phase der Kindheit — das Kindergeld — ermöglichten die Zünfte nicht generell, sondern lediglich verwaisten Kindern. Sie erhielten finanzielle Unterstützung, die sie später in Form von Beiträgen an die Zunft zurückzahlten. Sofern die Meister verpflichtet waren, verwaiste Kinder von Zunftmitgliedern kostenlos i n die Lehre zu nehmen, bzw. wenn die Zunft die Kosten für eine Lehre i n einem anderen Handwerk übernahm, führten diese Regelungen zu interpersoneller Einkommensumverteilung zu Lasten der zahlenden Zunftgenossen 172 .

171 172

Vgl. T e i l 1, Β I I I : Sicherung gegen A r m u t . Vgl. T e i l 1, Β V 1: Soziale Sicherung i n K i n d h e i t u n d Jugend.

II. Analyse und Vergleich der Leistungen

217

Die Alterssicherung der Zünfte bewirkte wie die heutige Rentenversicherung i m wesentlichen eine intertemporale Einkommensumschichtung. Die Beiträge der Mitglieder ermöglichten es den Zünften, m i t den Hospitälern Verträge abzuschließen oder Spenden zu machen und damit das Recht auf die Pflege ihrer alten Handwerksgenossen i m Hospital zu erlangen: I n der Erwerbsphase erzielte Einkünfte werden auf die einkommenslose Phase des Alters umgeschichtet. Noch deutlicher w i r d dieser Prozeß bei den Zünften, die ihrem alten Mitglied eine lebenslängliche Rente zahlten. Eine interpersonelle Umverteilung fand immer dann statt, wenn die Leistungen der Zünfte an die Hospitäler unter deren Aufwendungen für die alten Zunftmitglieder blieben. Die übrigen Spitalinsassen — vor allem die Pfründner — wurden zugunsten der alten Handwerker belastet. Darüber hinaus wurde, solange die Zunftkasse zahlungsfähig blieb, das Risiko „Sterbealter" überwunden und damit ein gewisser Risikoausgleich erreicht. Die Arbeitslosensicherung bei den Zünften führte zu interpersonellen Umverteilungsprozessen zwischen Meistern und Gesellen, und zwar sowohl durch die kostenlose Beherbergung und Verpflegung der Wandergesellen als auch durch die Gewährung eines Zehrpfennigs für die Weiterreise. Die Mittel zu dieser Unterstützung stammten entweder indirekt über die Innungskassen oder aber direkt aus den Händen der Meister und flössen i n die der Gesellen. Nach dem Erstarken der Gesellenverbände übernahmen diese auch die Unterstützung ihrer arbeitslosen Genossen. Wie die heutige Arbeitslosenversicherung war auch die Arbeitslosensicherung der Gesellenverbände i n erster Linie durch den Risikoausgleich gekennzeichnet. Solange der Geselle in Arbeit stand, trug er mit seinen regelmäßigen Zahlungen zur Gesellenkasse bei, aus der die Unterstützung gezahlt wurde. Das entscheidend Neue besteht i n der Tatsache, daß die Gesellen, die letztlich das Zehrgeld und/oder Unterkunft und Verpflegung erhielten, nicht selbst vorher i n diese Kasse eingezahlt hatten, sondern in die der Gesellenverbände anderer Städte. Der Risikoausgleich fand also nicht innerhalb eines lokalen Verbandes, sondern überregional über alle — organisatorisch völlig unabhängigen — Gesellenverbände des betreffenden Handwerks statt 1 7 3 . Zweifellos könnte man i n dieser Tatsache eine interpersonelle Umverteilung sehen, doch zahlten die Gesellen ihren Beitrag ja nicht zur Unterstützung fremder Gesellen, sondern ebenso sehr zur eigenen 173 Bezüglich der Einschränkungen über das Funktionieren des Risikoausgleichs vgl. T e i l 2, Β I I 1 a: Risikoausgleich.

218

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

Sicherung, nämlich um selbst auf der Wanderschaft finanzielle Hilfe zu erhalten. Die Krankensicherung der Zünfte und Gesellenverbände bewirkte sowohl einen gewissen Risikoausgleich (der kennzeichnend für die gesetzliche Krankenversicherung ist) als auch interpersonelle und intertemporale Umverteilungsprozesse. Es kann hier i m wesentlichen wiederholt werden, was bereits bei der Sicherung gegen das Risiko A r m u t bzw. der Alterssicherung gesagt wurde: Darlehen, Wochengeld und Unterbringung i m Hospital durch die Zünfte ermöglichten eine gleichmäßige Belastung des Einkommens und bewirkten somit eine intertemporale Umverteilung. Das gleiche gilt für die entsprechenden Leistungen der Gesellenverbände. Interpersonelle Umverteilungsprozesse entstanden bei Differenzen zwischen Leistungen der Zünfte an die Hospitäler und deren Gegenleistungen; desgleichen, soweit die Gesellen keine oder geringere Beiträge zahlten als die Meister, jedoch die gleichen Zunftleistungen in Anspruch nehmen konnten. Die Krankenkassen der Gesellen erhoben zum Teil auch regelmäßige Beiträge von den Meistern 174 . Diese „Arbeitgeberanteile" führten in voller Höhe zu einer interpersonellen Umverteilung. M i t dieser Aussage stellen w i r nicht etwa die Ausführungen bezüglich der Arbeitgeberanteile i n der modernen Sozialversicherung, denen ja heute allgemein ihre Umverteilungswirkung abgesprochen wird, auf den Kopf. Die Situation war vielmehr eine wesentlich andere: Während heute alle Arbeitgeber gesetzlich gezwungen sind, diese Anteile abzuführen, war diese Regelung nur bei einigen Gesellenverbänden üblich. Damit entstanden den Meistern dieser Zünfte Ausgaben, die sie nicht ohne weiteres auf die Preise überwälzen konnten, und die somit ihr eigenes Einkommen belasteten. Auch eine Deckung eventuell i n den Gesellen-Krankenladen entstehender Defizits durch die Zunftkasse führte zu interpersoneller Umverteilung zwischen Meistern und Gesellen. Die Sicherung der Zünfte und Gesellenverbände i m Todesfall durch Stellung von Leichengerät, Särgen, Grabplätzen und durch Übernahme der Begräbniskosten ermöglichte den Mitgliedern eine intertemporale Umschichtung ihrer Einkünfte von der Zeit ihrer Arbeitstätigkeit auf den Zeitpunkt des Sterbefalls. Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, daß die Zünfte und Gesellenverbände i n der Lage waren, eine ganze Reihe von Einkommensumverteilungsprozessen zu bewirken, wenn sie auch nicht annähernd so vielschichtig waren wie in der heutigen Sozialversicherung. 174 vgl. Teil 1, C I I I 1 c: Eigene Gesellen-Krankenkassen.

II. Analyse und Vergleich der Leistungen c) Bereitstellung

von

219

Sachleistungen

Neben Risikoausgleich und Einkommensumverteilung bilden die Sachleistungen die dritte wichtige Leistungsgruppe. Sie sind die Leistungen i m engeren Sinne, auf die sich bei der Betrachtung von Systemen zur sozialen Sicherung das Augenmerk zunächst und mit besonderem Interesse richtet, da sie eher meßbar und vergleichbar sind als Risikoausgleich und Einkommensumverteilung. Die Sachleistungen sind Leistungen der Einkommensverteilung, d. h. die Empfänger der Leistungen beziehen ein Einkommen von der Versicherung, das entweder bar oder i n Naturalien ausgezahlt wird. Diese Differenzierung der Sachleistungen in Bar- und Naturalleistungen ist insofern von Bedeutung, als bei der Gewährung von Barleistungen dem Leistungsempfänger die A r t der Mittelverwendung freisteht, während diese Dispositionsfreiheit bei der Gewährung von Naturalleistungen nicht besteht. Hier ist die Mittelverwendung endgültig festgelegt. M i t der Entscheidung, Naturalleistungen zu gewähren, kann folglich eine bestimmte Steuerungsfunktion insofern ausgeübt werden, als die Leistungsempfänger zu einer gewünschten Mittelverwendung gezwungen werden können 175 . Die Sachleistungen der Zünfte und Gesellenverbände wurden bereits i m ersten Teil dieser Arbeit eingehend dargestellt. A n dieser Stelle kann daher eine kurze Gegenüberstellung zu den Sachleistungen der modernen Sozialversicherung genügen. Die Sozialhilfe — als „Hilfe zum Lebensunterhalt" oder als „Hilfe in besonderen Lebenslagen" gewährt — kennt sowohl Bar- als auch Naturalleistungen. Die „Hilfe zum Lebensunterhalt", die den Bedarf an Nahrung, Kleidung, Hausrat usw. decken soll, w i r d bar ausgezahlt. Die „Hilfe i n besonderen Lebenslagen" umfaßt unter anderem Leistungen zum Aufbau und zur Sicherung der Lebensgrundlage, d. h. Barleistungen, die es dem Empfänger ermöglichen sollen, eine eigene Existenz aufzubauen; Ausbildungshilfen, die als Bar- oder Naturalleistungen gewährt werden; vorbeugende Gesundheitshilfe, die i m wesentlichen Naturalleistungen, wie ärztliche Untersuchungen und Erholungsmaßnahmen, beinhaltet; Krankenhilfe und Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen, die ärztliche Behandlung, Versorgung m i t Arznei- und Hilfsmitteln, Krankenhausbehandlung einschließt. Weitere Teile der Sozialhilfe sind: Eingliederungshilfe für Behinderte, Tuberkulosenhilfe, Blindenhilfe, Hilfe für Pflege, Hilfe zur Weiterführung des Haushalts, Hilfe für Gefährdete, Altenhilfe, Hilfe für Deutsche im Ausland 1 7 6 . 175

Vgl. Herder-Dorneich, P h i l i p p : Sozialökonomischer Grundriß, S. 82 - 83. Vgl. Bundesminister f ü r A r b e i t u n d Sozialordnung, Hrsg.: Ubersicht über die Soziale Sicherung, S. 241 - 245. 178

220

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

Die Maßnahmen der Zünfte gegen das Risiko A r m u t decken sich teilweise mit denen der Sozialhilfe. Der „Hilfe zum Lebensunterhalt" entspricht die Barleistung: Gewährung von Darlehen. Die Sicherung der Lebensgrundlage wurde bei den Zünften durch die strenge Reglementierung des Handwerksbetriebes angestrebt — i m weitesten Sinne eine Naturalleistung; die Möglichkeit des billigen Getreidekaufs in Teuerungszeiten ist ebenfalls eine Naturalleistung. Die „Hilfe i n besonderen Lebenslagen" fand bei den Zünften Entsprechung i m Grundsatz der Pflicht zur gegenseitigen Hilfe und Solidarität i n allen Wechselfällen des Lebens. Entsprechend den jeweiligen Erfordernissen und Möglichkeiten wurden Bar- und/oder Naturalleistungen gewährt. Die Arbeitslosenversicherung teilt sich i n die Sicherung vor und bei Arbeitslosigkeit. Dabei sind die Maßnahmen zur Sicherung vor Arbeitslosigkeit i m wesentlichen Naturalleistungen: Förderung der beruflichen Aus- und Fortbildung, Umschulungsmaßnahmen, Arbeitsplatzbeschaffung und -Vermittlung. Zu den Naturalleistungen, die dem Versicherten allerdings nur mittelbar zufließen, gehören die Maßnahmen zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen, die die Bundesanstalt für Arbeit i n Form finanzieller Beteiligung bei der Ansiedlung, Erweiterung, Modernisierung und Rationalisierung gewerblicher Unternehmen i n Förderungsgebieten ergreift. Barleistungen i m Rahmen der Sicherung vor Arbeitslosigkeit sind vor allem Kurzarbeitergeld, Schlechtwettergeld, Winterbauförderung i n Form von Zuschüssen an die Unternehmer. — Die Sicherung bei Arbeitslosigkeit besteht aus den Barleistungen Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe sowie aus den Naturalleistungen Arbeitsvermittlung und Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung 177 . Die Bemühungen der Zünfte und Gesellenverbände um eine Sicherung vor Arbeitslosigkeit zeigen teilweise die gleichen Ansatzpunkte wie die heutige Arbeitslosenversicherung. So sorgten die Zünfte für eine gründliche Aus- und Fortbildung der Lehrlinge und Gesellen, wobei die Gesellenverbände gegebenenfalls — ähnlich den heutigen Gewerkschaften — Druck i n der gewünschten Richtung ausüben konnten. Zu den Naturalleistungen der Zünfte und später der Gesellenverbände gehörte ein gut funktionierendes System der Arbeitsvermittlung und die Förderung der Wandergesellen. Hier überschneiden sich die Maßnahmen zur Verhinderung von Arbeitslosigkeit m i t denen bei Arbeitslosigkeit. Die Unterstützung der Wandergesellen trug ebensosehr zur Verhinderung von Arbeitslosigkeit bei wie sie wirksame Hilfe bei Arbeitslosigkeit war. Naturalleistungen wurden den wandernden Ge177 Vgl. Bundesminister f ü r A r b e i t u n d Sozialordnung, Hrsg.: Übersicht über die Soziale Sicherung, S. 169 - 186.

II. Analyse und Vergleich der Leistungen

221

seilen i n Form von Arbeitsvermittlung, von Unterkunft und Verpflegung sowie durch eine — wenn auch zum Teil beschränkte — Krankensicherung gewährt. Barleistungen erhielten sie m i t dem Zehrpfennig. Das Kindergeld — zur Uberbrückung der erwerbslosen Phase K i n d heit und Jugend — ist eine reine Barleistung, die bei den Zünften und Gesellenverbänden keine Entsprechung hat. Direkte Unterstützung erhielten nur Waisen und dies zumeist i n Form von Sorge für Kleidung, Unterkunft und Verpflegung und gegebenenfalls i n der Übernahme der Ausbildungskosten. Während also das Kindergeld ausschließlich Barleistung ist, stellten die Zünfte ausschließlich Naturalleistungen zur Verfügung. Die Rentenversicherung bietet dem Versicherten i n erster Linie die Barleistung: Zahlung einer Rente; darüber hinaus die Naturalleistungen Krankensicherung und unter Umständen Unterbringung in einem Altersheim. I m Gegensatz hierzu standen bei den Zünften die Naturalleistungen i m Vordergrund: Verpflegung, Kleidung, Betreuung der Alten durch jüngere Mitmeister, Stellung eines Gesellen, Unterbringung in Hospitälern, Krankensicherung. Die Zahlung einer Rente war selten, doch wurde sie bereits bei einigen Zünften zur Regelleistung 178 . Das verhältnismäßig breiteste Spektrum an Naturalleistungen findet sich i n der Krankensicherung, da hier eine zweckentsprechende Mittelverwendung besonders dringlich erscheint und auf diesem Wege zwangsweise erreicht wird. Die wichtigsten Leistungen sind Maßnahmen zur Krankheitsverhütung wie Aufklärungskampagnen, Schutzimpfungen usw., i m Krankheitsfalle ärztliche und zahnärztliche Untersuchung und Behandlung, Versorgung m i t Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, Krankenhausbehandlung und -pflege, Hauspflege. Der Versicherte erhält ferner Barleistungen 179 in Form von Krankengeld bei Arbeitsunfähigkeit, Hausgeld bei Krankenhausaufenthalt und Mutterschaftsgeld, das für die Zeit des Beschäftigungsverbots vor und nach der Niederkunft gewährt wird. Diese drei Formen der Barleistung gelten als Lohnersatz und sind somit nicht an eine bestimmte Mittelverwendung gebunden. Das von der Krankenversicherung i m Todesfall gewährte Sterbegeld ist eine Mischung zwischen Bar- und Naturalleistung. Es w i r d zwar immer bar ausgezahlt, jedoch ist die Mittelverwendung zum Teil gebunden: Es werden zunächst die Bestattungskosten davon gedeckt und nur ein eventuell verbleibender Uberschuß steht den nächsten Angehörigen zur freien Verfügung 1 8 0 . ne v g l T e i l i g Y 2 c : Zahlung einer Rente. Durch die Ausdehnung der sechswöchigen Lohnfortzahlung durch die Arbeitgeber auf die Arbeiter w u r d e n die Barleistungen i n der gesetzlichen Krankenversicherung 1970 weiter abgebaut. 180 vgl. Bundesminister f ü r A r b e i t u n d Sozialordnung, Hrsg.: Übersicht über die Soziale Sicherung, S. 128 - 140. 179

222

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

Die Krankensicherung der Zünfte und Gesellenverbände wurde ebenfalls durch eine Koppelung von Bar- und Naturalleistungen gewährleistet. Als Naturalleistungen boten die Zünfte die Stellung eines Gesellen, Krankenpflege durch Zunftangehörige oder angestellte Krankenpflegerinnen), Behandlung und Pflege i n Hospitälern. Die Gesellenverbände sicherten die Krankenpflege durch Angehörige der Brüderschaft oder durch Verträge m i t dem Herbergsvater, die ärztliche Betreuung und die Versorgung m i t Medikamenten wurde durch Verträge mit Apothekern, Ärzten und Hospitälern erreicht. Barleistungen erhielten die Zunftangehörigen i n Form von Darlehen oder eines bis zur Genesung gezahlten Wochengeldes. Ähnlich hielten es die Gesellenverbände. Die Sicherung bei den Zünften und Gesellenverbänden scheint damit schon weitgehend der i n der heutigen Sozialversicherung zu entsprechen. Dies trifft auch zu, sofern man alle Leistungsarten aller Zünfte bzw. Gesellenverbände betrachtet. Die Sicherung des einzelnen Meisters (Gesellen) einer bestimmten Zunft (Brüderschaft) war hingegen nicht so umfassend, da eine Zunft ζ. B. lediglich Pflege und/oder Unterbringung i m Hospital gewährte, die andere wiederum ausschließlich ein- oder mehrmalige Darlehen, die dritte nur ein Wochengeld auszahlte. Darlehen und Rente mußten den Lohnausfall ersetzen und zusätzlich die Kosten für ärztliche Behandlung, Medikamente usw. decken. Ob die gezahlten Summen dazu ausreichten, muß fraglich erscheinen. Die Sicherung i m Todesfall besteht bei der Lebensversicherung ausschließlich aus einer Barleistung an die Hinterbliebenen i n Form einer einmaligen Zahlung oder einer Rente. Die Sozialversicherung bietet i m Todesfall folgende Leistungen: Wie bereits erwähnt, ersetzt die Krankenversicherung die Bestattungskosten und zahlt eventuell die diese Kosten übersteigenden Beträge des Sterbegeldes an die Hinterbliebenen. Barleistungen gewährt die Rentenversicherung an die Hinterbliebenen i n Form von Witwen- bzw. Witwer- und Waisenrenten. Die Sicherung i m Todesfall bestand bei den Zünften hingegen i m wesentlichen aus Naturalleistungen: Stellung von Leichengerät, Übernahme der Begräbniskosten, Stellung von Sarg und Begräbnisplatz. Die Witwe wurde durch organisatorische Maßnahmen unterstützt: Weiterführung des Handwerksbetriebs, Erleichterung der Wiederheirat, Stellung eines Gesellen; die Sicherung der Waisen wurde bereits oben erwähnt. Einige Zünfte boten — vor allem i n späterer Zeit, als eigene Totenladen errichtet wurden — auch Barleistungen, die in der Regel als einmaliges Sterbegeld an die Hinterbliebenen ausgezahlt wurden 1 8 1 . Die Leistungen der Gesellenverbände deckten sich weitgehend mit denen der Zünfte. 181

Vgl. T e i l 1, Β V I I 1 d: Begräbnis- oder Sterbekassen (Totenladen).

II. Analyse und Vergleich der Leistungen

223

Bisher wurden nur die Leistungen der Versicherungen an die Versicherten betrachtet. Die Versicherten bilden jedoch nur ein Aggregat, und auch die anderen Aggregate der Heilberufe und der Hospitäler sind durch Leistung und Gegenleistung m i t der Versicherung verbunden. Barleistungen erhalten i n den Zweigen der Sozialversicherung ζ. B. die Kassenangestellten und Funktionäre, Kassenärzte, Apotheker, Krankenhauspersonal, Beerdigungsinstitute, Pfleger(innen) in Alters- und Kinderheimen. Naturalleistungen erhalten diese Gruppen ζ. B. i n Form von Unterkunft und Verpflegung. Auch die Zünfte und Gesellenverbände leisteten i m Rahmen der sozialen Sicherung nicht nur an die Mitglieder. So erhielten zum Teil Ärzte und Apotheker, Hospitalverwaltung und -personal, Kassenführer und Herbergsvater Barleistungen aus der Zunftkasse. Damit w i r d deutlich, daß die Leistung der Einkommensverteilung an Versicherte und andere am System beteiligte Aggregate bereits von den Zünften und Gesellenverbänden — wenn auch i n beträchtlich geringerem Umfange — erbracht wurde 1 8 2 . Wie gezeigt wurde, bot das System der sozialen Sicherung der Zünfte und Gesellenverbände bereits eine breite Skala von Bar- und Naturalleistungen. Während die Gewährung von Naturalleistungen in der modernen Sozialversicherung jedoch bewußt als Steuerungsinstrument der Mittelverwendung eingesetzt wird, scheint diese Überlegung bei den Zünften und Gesellenverbänden keine oder nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben. Vielmehr w i r d die Vergabe von Naturalleistungen häufig der für die Zünfte einfachere und billigere Weg zur schnellen Hilfe gewesen sein. 2. Exkurs: Konzeptionen der Gewährung sozialer Leistungen

Nachdem die Leistungen der Sozialversicherung und der Zünfte und Gesellenverbände zur materiellen Sicherung analysiert und verglichen wurden, soll vor die Analyse der immateriellen Leistungen eine Betrachtung der sich i n A r t und Modi manifestierenden Konzeptionen und Prinzipien der Leistungsgewährung eingeschoben werden. Grundsätzlich ist eine soziale Sicherung denkbar durch individuelle Selbsthilfe, durch gemeinschaftliche Selbsthilfe und durch Fremdhilfe. Die individuelle Selbsthilfe ist und war stets nur dem relativ geringen Bevölkerungsanteil möglich, der durch besonders hohe Einkommens- und/oder Vermögensverhältnisse begünstigt ist. Von besonderem Interesse bleiben damit die gemeinschaftliche Selbsthilfe und die Fremdhilfe. Entsprechend haben sich i n den letzten Jahrzehnten 182 v g L dazu Herder-Dorneich,

Philipp: Sozialökonomischer Grundriß, S. 82.

224

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

drei Grundformen einer systematischen sozialen Sicherung herauskristallisiert: Die (Sozial-)Versicherung, die Versorgung und die Fürsorge 188 . Das Prinzip der Selbsthilfe w i r d — wenn auch gegenüber der individuellen Selbsthilfe i n abgeschwächter Form — i n der Versicherung verwirklicht, und zwar unabhängig davon, ob die Mitgliedschaft freiwillig (Privatversicherung) oder zwangsweise (Sozialversicherung) erworben wurde 1 8 4 . I n den Formen der Versorgung und der Fürsorge spiegelt sich der Grundsatz der Fremdhilfe: Beide werden aus allgemeinen Steuermitteln finanziert; die Leistungen werden ohne voraufgegangene Leistungen der Empfänger gewährt. Die Bemessung der Leistung kann nach dem Entschädigungsprinzip, dem Versicherungsprinzip oder dem Bedarfsprinzip erfolgen. Beim Entschädigungsprinzip ist allein die Höhe des entstandenen Schadens für die Leistung maßgeblich; beim Versicherungsprinzip gilt der gezahlte Beitrag als Berechnungsgrundlage, d.h. gleicher Beitrag — gleiche Leistung 1 8 5 ; beim Bedarfsprinzip w i r d weder nach der Höhe des entstandenen Schadens noch nach gezahlten Beiträgen gefragt, entscheidend ist vielmehr der individuelle Bedarf, der zur Behebung der Notlage erforderlich ist 1 8 8 . Voraussetzungen für die Leistungsgewährung sind bei der ( S o z i a l versicherung: Eintritt des Risikofalles, voraufgegangene eigene Beitragsleistung; bei der Fürsorge: Bedürftigkeit, d.h. Eintritt einer Notlage, die nicht aus eigener K r a f t zu überwinden ist; bei der Versorgung ist zu unterscheiden zwischen Sonderversorgung, die bei Eintritt von Schäden aufgrund „bestimmter, staatspolitisch erheblicher Ursachen" 187 gewährt w i r d und der Staatsbürgerversorgung, die bei Eintritt standardisierter Risiken gewährt wird, jedoch ohne die bei der Versicherung notwendige Voraussetzung der Eigenleistung 188 . 183 Vgl. Quante, Peter: Grundsätze der Versorgung, Versicherung u n d F ü r sorge, i n : Boettcher, E r i k , Hrsg.: Sozialpolitik u n d Sozialreform, S. 227; Bohl, H e l m u t : Beitrag zur begrifflichen Abgrenzung sozialer Existenzsicherungssysteme, i n : Soziale Sicherheit, 2. Jahrg., K ö l n 1953, S. 153 - 162. Vgl. auch Weddingen, Walter: Grundfragen der Sozialversicherungsreform, Jena 1931, S. 17, u n d ders.: Sozialpolitik, Jena 1933, S. 224 f. 184 Vgl. Schreiber, W i l f r i d : Die Einrichtungen der Sozialen Sicherheit und ihre gesellschaftliche Funktion, S. 659; Quante, Peter, S. 233. 185 Dabei ist zu beachten, daß der Risikoausgleich keine Abweichung v o m Versicherungsprinzip bedeutet, sondern i h r wesentlicher Bestandteil ist. Ohne Risikoausgleich wäre der Beitragszahler nicht versichert, sondern hätte sich durch Sparen gesichert. Vgl. Bogs, Walter, S. 17. 186 Ygi Braun, Heinrich: M o t i v e sozialer Hilfeleistungen, F r a n k f u r t 1955, S.9-11. 187

Quante, Peter, S. 229. iss v g l . d a z u Bogs, Walter, S. 1 9 - 2 2 ; bei der sozialen Sicherung i n Form der Staatsbürgerversorgung ist jedoch zu beachten, daß die Bezeichnung der

II. Analyse und Vergleich der Leistungen

225

Der grundlegende Unterschied zwischen Versicherung und Versorgung besteht m i t h i n darin, daß der Gesicherte bei der Versicherung selbst in Form von Beitragsleistungen aktiv werden muß und daraus einen Rechtsanspruch auf Gegenleistungen i m Risikofall ableiten kann; dieser Rechtsanspruch richtet sich gegen die Gefahrengemeinschaft, deren Mitglied er ist. Bei der Versorgung bleibt der Gesicherte passiv, d. h. ohne Leistungsverpflichtung gegenüber einer Gefahrengemeinschaft. Sein Rechtsanspruch richtet sich vielmehr gegen den Staat, der ein entsprechendes Sicherungsversprechen gegeben hat und dieses aus allgemeinen Steuermitteln finanziert. Das gleiche gilt für die Fürsorge: Auch hier hat der Gesicherte einen Rechtsanspruch gegen den Staat, jedoch leistet dieser nur subsidiär, d. h. sofern nicht andere zur Leistung verpflichtet sind. Zu Beginn dieses Abschnitts wurden drei mögliche Wege zur sozialen Sicherung aufgezeigt: die individuelle Selbsthilfe, die gemeinschaftliche Selbsthilfe und die Fremdhilfe. Ihnen entsprechen jeweils unterschiedliche Auffassungen von der „Personalität" 1 8 9 , d. h. dem Wesen des Menschen. Die Forderung, soziale Sicherung solle grundsätzlich durch individuelle Selbsthilfe erreicht werden, entspringt einem betont individuellen Personalitätsbegriff: Der Mensch ist kraft seines Menschtums auf sich allein gestellt und absolut, er ist Selbstzweck und seinem Wesen nach nicht auf die Gesellschaft bezogen 190 . Aus diesem Grund ist der einzige dem Wesen des Menschen gemäße Weg der sozialen Sicherung der der individuellen Selbsthilfe (wobei die Möglichkeit der Fremdhilfe auf dem Wege der Caritas und Fürsorge nicht ausgeschlossen ist). Der entgegengesetzte Personalitätsbegriff, nämlich der vom Individuum als ausschließliches Mittel, als bloße Funktion der Gemeinschaft, des Kollektivs, ohne Selbstzweck, führt zur Fremdhilfe (Versorgung) als adäquater Form der sozialen Sicherung 191 . „Aber weder die Einseitigkeit des Individualismus noch die Einseitigkeit des Kollektivismus w i r d der Wirklichkeit gerecht; diese ist nun einmal doppelseitig 192 ." Das beLeistungen als Fremdhilfe nur bedingt richtig ist. Die Mittel für die Sicherung wurden ja von der Bevölkerung selbst in Form von Steuern aufgebracht, und nur über den Umweg des Staatshaushaltes statt auf direktem Wege über 189 Beiträge an den geleitet! Jantz, K u Sicherungsträger r t , S. 122. 190 v g l . Nell-Breuning, Oswald von: Solidarität u n d Subsidiarität i m Räume v o n Sozialpolitik u n d Sozialreform, i n : Boettcher, E r i k , Hrsg.: Sozialp o l i t i k u n d Sozialreform, S. 216.

191 Vgl. Jantz, K u r t , S. 122; Nell-Breuning, Oswald von, S. 216; Weddingen, Walter: Sozialpolitik, Jena 1933, S. 35 ff.; vgl. auch Zwiedineck-Südenhorst, Otto von: Sozialpolitik, Leipzig — B e r l i n 1911, S. 51, der zwischen I n d i v i d u a l prinzip u n d Sozialprinzip unterscheidet. 192 Nell-Breuning, Oswald von, S. 217. Vgl. a u d i Preller, L u d w i g : Sozialpolitik. Theoretische Ortung, Tübingen — Zürich 1962, S. 8.

15 Fröhlich

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

226

deutet: Der Mensch ist gleichzeitig Einzelwesen und Gemeinschaftswesen. Auch bei diesem Personalitätsbegriff w i r d das Recht des Menschen auf Eigenständigkeit, auf Selbstentfaltung und auf Eigenverantwortung bejaht; hinzu t r i t t aber die Beziehung zur Gemeinschaft, die i h m erst die Möglichkeit zur vollen Entfaltung seiner Person bringt. Der einzelne hat der Gemeinschaft gegenüber sowohl Rechte als auch Pflichten 193 . Die gemäße Form der sozialen Sicherung ist die der gemeinschaftlichen oder solidarischen Selbsthilfe (Versicherung) 194 . Das Solidaritätsprinzip bedeutet „wechselseitiges Verhaftetsein in Verantwortung ,eines für alle und aller für einen'" 1 9 5 . Die soziale Sicherung durch Solidargemeinschaften schließt weder die individuelle Selbsthilfe noch die Fremdhilfe aus. Die individuelle Selbsthilfe w i r d sogar gefordert und gefördert. Das Solidaritätsprinzip findet hier seine Ergänzung i m Subsidiaritätsprinzip: „Was der Mensch selbst tun kann, soll ihm nicht durch gesellschaftliche Tätigkeit abgenommen werden, denn das wäre nicht Hilfe . . .sondern . . . Schädigung . . . der Persönlichkeitsentfaltung, die immer an das Regen der eigenen Kräfte gebunden ist. Alles was die Gesellschaft für den Menschen tut, soll ja Hilfe (subsidium) für i h n sein 196 ." Damit hat die Fremdhilfe den Charakter einer ultima ratio, d. h. sie setzt nur dann ein, wenn weder das Individuum noch die Solidargemeinschaft die Notlage beseitigen können. Welche Konzeption liegt nun dem heutigen deutschen System der sozialen Sicherung zugrunde? I m Vordergrund steht die gemeinschaftliche Selbsthilfe, d. h. die soziale Sicherung durch Solidargemeinschaften. Diese Solidargemeinschaften sind Zwangsverbände i n Form der Sozialversicherung (gesetzliche Krankenversicherung, Unfallversicherung, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung). Der individuellen Selbsthilfe w i r d insoweit Raum gegeben, als die Zwangsmitgliedschaft i n der Sozialversicherung nur für Arbeitnehmer gefordert w i r d und in 193 194

V g L

jantz,

K u r t , S. 123 - 125.

Den drei Personalitätsbegriffen entsprechen verschiedene Wirtschaftsordnungen; somit besteht auch eine Abhängigkeit zwischen Wirtschaftsordnung u n d F o r m der sozialen Sicherung. Z u dieser Interdependenz vgl. Hoernigk, Rudolf, S. 111-114; Weddingen, Walter: Sozialpolitik (IV), in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 9, Stuttgart — Tübingen — Göttingen 1956, S. 563. 195 Nell-Breuning, Oswald von, S. 217. Z u m Solidarismus vgl. auch Messner, Johannes: Z u r philosophischen u n d theologischen Begründung des Solidarismus, i n : Achinger, Hans, L u d w i g Preller u n d Hermann Josef Wallraff, Hrsg.: Normen der Gesellschaft, S. 72 ff.; Durkheim , Emile: De la division du t r a v a i l social, 8. Aufl., Paris 1967 („solidarité méchanique" u n d „solidarité organique") ; ders.: On Mechanical and Organic Solidarity, i n : Parsons, Talcott, u. a., Hrsg.: Theories of Society, Glencoe, 111. 1965, S. 208 - 213. 196 Nell-Breuning , Oswald von, S. 220; vgl. dazu auch Link , Ewald: Das Subsidiaritätsprinzip, Freiburg 1955, S. 9 ff.; Utz, A r t h u r - F r i d o l i n : Formen u n d Grenzen des Subsidiaritätsprinzips, Heidelberg 1956, S. 57 ff.; Preller, L u d w i g , S. 217 ff.

II. Analyse und Vergleich der Leistungen

227

der gesetzlichen Krankenversicherung bei Angestellten darüber hinaus nur bis zu einer bestimmten Einkommenshöhe. Empfänger hoher Einkommen haben hier grundsätzlich die Möglichkeit zur individuellen Selbsthilfe, doch w i r d i n aller Regel der freiwillige Beitritt zu einer Solidargemeinschaft (Privatversicherung) als Weg der sozialen Sicherung gewählt. Das Prinzip der Fremdhilfe kommt i n der Fürsorge zum Ausdruck, die gemäß dem Subsidiaritätsprinzip nur dann gewährt wird, wenn der Leistungsempfänger zur Selbsthilfe außerstande ist, und wenn keine Solidargemeinschaft für die Behebung der Notlage zuständig ist, sowie i n verschiedenen Versorgungsleistungen (Beamtenversorgung, Kriegsopferversorgung, Flüchtlingshilfe). Die Leistungsbemessung erfolgt sowohl nach dem Entschädigungsais auch nach dem Versicherungs- und dem Bedarfsprinzip, die zum Teil in reiner Form verwirklicht sind, zum Teil sich gegenseitig durchdringen. So werden die Leistungen der Fürsorge nach dem Bedarfsprinzip gewährt, Unfallversicherung und Kriegsopferversorgung grundsätzlich nach dem Entschädigungsprinzip, jedoch unter teilweiser Einbeziehung des Bedarfsprinzips. Das Versicherungsprinzip gilt grundsätzlich i n der Rentenversicherung, der Arbeitslosenversicherung und i n der Krankenversicherung i n bezug auf die Barleistungen; die Naturalleistungen werden gemäß dem Bedarfsprinzip gewährt, das auch i n die Renten- und Arbeitslosenversicherung teilweise Eingang fand. Die Zünfte und Gesellenverbände waren Institutionen gemeinschaftlicher Selbsthilfe, Solidargemeinschaften. Die Gründung der Gemeinschaften erfolgte aus freiem Antrieb durch die Mitglieder, doch setzte sich sehr bald die Zwangsmitgliedschaft durch. Das Sicherungssystem der Zünfte entsprach keinem der drei Idealtypen Versicherung 4 , ,Versorgung ,Fürsorge'. Fremdhilfe (Fürsorge) spielte i m Sicherungssystem der Zünfte nur eine Rolle bei der Sicherung der Wandergesellen und bei der allgemeinen Sicherung der Gesellen, soweit diese keine Beiträge an die Zunftkasse leisteten. A m treffendsten würde man das Sicherungssystem der Zünfte und Gesellenverbände als Vorform der Versicherung bezeichnen, denn einige Wesensmerkmale der Versicherung waren bereits vorhanden: Zünfte und Gesellenverbände waren Zusammenschlüsse von Individuen, die gleichartigen Risiken ausgesetzt waren, zu Gefahrengemeinschaften. Die Finanzierung der Sicherung erfolgte durch Erhebung von Beiträgen. Zum Wesen der Versicherung gehört aber darüber hinaus der Risikoausgleich, gewährleistet durch Kalkulation der Beiträge entsprechend den Risiken, und durch eine genügend große Zahl von Mitgliedern. Diesen Risikoausgleich konnten aber weder die Zünfte noch die Gesellenverbände i n der Regel leisten. Ein Anspruch 15*

228

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

des Mitglieds auf Schadensausgleich i m Risikofall war nur bedingt gegeben. Während der Versicherte einen durchsetzbaren Rechtsanspruch gegenüber der Versicherung hat, blieb der Anspruch des Zunftmeisters und Gesellen lediglich ein moralischer. Darüber hinaus leisteten die Zünfte und Gesellenverbände nur subsidiär an ihre Mitglieder. I m Gegensatz zur Versicherung löste also nicht der Schadensfall die Leistung der Zunft aus, sondern erst Schadensfall und Bedürftigkeit. Damit ist die individuelle Selbsthilfe implizit als wünschenswert i n das System eingeschlossen. Das Subsidiaritätsprinzip galt aber nicht nur für die Leistungen der Zünfte an die Meister bzw. der Gesellenverbände an die Gesellen; i m Verlaufe der Zeit bildete sich eine Subsidiaritätslinie heraus. Wurde z.B. ein Geselle krank, so war er zunächst selbst verantwortlich; als Mitglied der Meisterfamilie stand i h m als nächstes deren Hilfe zu; reichte auch diese nicht aus, sprang die Zunft ein. Nach Bildung der Gesellenverbände übernahmen diese die bisherigen Pflichten der Zünfte. Als schließlich verschiedene Mißstände den Staat zum Eingreifen veranlaßten, wurde die Verantwortlichkeit wie folgt geregelt: Zunächst mußte wie bisher der Geselle eigene Anstrengungen zur Behebung der Notlage unternehmen; eine gewisse Fürsorgepflicht oblag sodann seinem Meister. Als Mitglied des Gesellenverbandes konnte er m i t dessen Hilfe rechnen. Waren die Mittel des Gesellenverbandes erschöpft, war die entsprechende Zunft zur Unterstützung verpflichtet; konnte auch sie nicht mehr helfen, sprang als letztes Glied dieser Kette die städtische Gemeinde (Armenkasse) ein 1 9 7 . Die Barleistungen der Zünfte und Gesellenverbände wurden meist nach dem Versicherungsprinzip gewährt: bei gleichen Beiträgen wurden Darlehen i n festgesetzter Höhe oder aber ebenfalls i m voraus feststehende Renten und Wochengelder gewährt. Dieses Versicherungsprinzip wurde teilweise vom Bedarfsprinzip durchsetzt, indem gegebenenfalls ein mehrmaliges Darlehen gewährt werden konnte. Bei den Naturalleistungen galt das reine Bedarfsprinzip. Das Entschädigungsprinzip fand i n der Leistungsbemessung der Zünfte und Gesellenverbände keine Anwendung. 3. Immaterielle Sicherung

Über die dargestellte materielle Sicherung hinaus nahmen die Zünfte und Gesellenverbände wichtige Funktionen i m Bereich immaterieller Sicherung wahr — Leistungen, die von den heutigen staatlichen und privaten Trägern sozialer Sicherung nicht erbracht werden und auch nicht erbracht werden können. Daß hier eine verkürzte Lösung des Sicherungsproblems vorliegt, daß Sicherheit auch einen immateriellen 197

Vgl. Teil 1, C I I I 3: Das Problem der krank zuwandernden Gesellen.

II. Analyse und Vergleich der Leistungen

229

Aspekt hat, w i r d i n Teilen der sozialpolitischen Literatur nicht übersehen. So sagt Schreiber: „Letzter Zweck der Sozialpolitik ist es, bestimmte Bewußtseinsinhalte i m Menschen wachzurufen: er soll ein Gefühl der Sicherheit haben, er soll sich gerecht behandelt wissen, er soll sich i n der Gesellschaft wohl fühlen, er soll m i t sich und den anderen i n Frieden leben, er soll Heimatgefühl i n der Freiheit empfinden 198 ." Die immaterielle Sicherheit weist verschiedene Aspekte auf, die unter dem Oberbegriff ,Sicherheit der Orientierung' zusammengefaßt werden können. Seine Dimensionen erstrecken sich i n die individualpsychologische und die soziologische Ebene. Die Beschränkung der heutigen Sozialpolitik auf die materielle Seite der Sicherung und die Vernachlässigung des immateriellen Aspektes ist bedauerlich, kann jedoch auch bei bewußter sozialpolitischer Zielsetzung durch sozialplanerische und gesetzgeberische Maßnahmen nicht aufgehoben werden. Die Wurzel des Dilemmas liegt i n einer gesellschaftlichen Entwicklung, die am prägnantesten durch den Einzelfaktor ,soziale Arbeitsteilung' und — i n ihrem Gefolge — die Industrialisierung gekennzeichnet ist. Ihre bedingenden Faktoren sind jedoch früher i n der europäischen Geschichte angelegt, und gerade die mittelalterliche und früh-neuzeitliche Stadt hat i n diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle gespielt. Immaterielle Unsicherheit ist ein Strukturelement der hocharbeitsteiligen, komplexen Gesellschaft. Sie durchzieht alle Lebensbereiche des modernen Menschen, sie ist ein Universalphänomen i n Industriegesellschaften. Dieses Unsicherheitsgefühl wurde seit Beginn dieses Jahrhunderts zunehmend i n Literatur, Philosophie und Sozialwissenschaften durchleuchtet. I n Form der „ K u l t u r k r i t i k " fand das Thema seine konservativen Bearbeiter, die das „Massenhafte", „Seelenlose" der Industriegesellschaft herausstellten und die implizite Forderung nach Rückbesinnung auf die alten Werte und Traditionen, auf frühere Gesellschaftsformen und Arten zwischenmenschlicher Beziehungen erhoben 199 . Immaterielle Unsicherheit ist auch i m Marx'schen Entfremdungsbegriff

198

Schreiber, W i l f r i d : Schein u n d W i r k l i c h k e i t i n der Sozialversicherung, i n : Schreiber, W i l f r i d : Z u m System sozialer Sicherung, S. 48. Vgl. auch Bethusy-Huc, Viola Gräfin von: Sozialpsychologische Überlegungen zur sozialen Sicherungspolitik, i n : B l i n d , Adolf, u. a., Hrsg.: S. 29 - 35. Noch grundsätzlicher w i r d diese Problematik v o n Günter v o n Essen-Braune erarbeitet. Vgl. Essen-Braune, Günter von. 199 Vgl. z.B. Ortega y Gasset, José: Der Aufstand der Massen, Gütersloh o. J., besonders S. 160 ff.; Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlandes, München 1963, besonders S. 1190 ff.; ders.: Der Mensch u n d die Technik, München 1931, insbesondere S. 7 2 - 7 4 ; Jaspers, K a r l : Die geistige Situation der Zeit, B e r l i n — Leipzig 1931; Man, H e n d r i k de: Vermassung u n d K u l t u r v e r f a l l , Bern 1951, besonders S. 50 ff. u n d S. 105 f.

230

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

enthalten m i t der zukunftbezogenen Perspektive, daß die Vereinzelung des Menschen i n der kommunistischen Gesellschaft aufgehoben sein wird 2 0 0 . Als strukturelle Eigenart der modernen Industriegesellschaft w i r d das Thema der immateriellen Unsicherheit von Helmut Schelsky unter dem Stichwort „Realitätsverlust des modernen Menschen" 201 hervorgehoben, und Niklas Luhman versucht, das Problem m i t dem Begriff der „Reduktion von Komplexität" zu umreißen 202 . Anton C. Zijdervelds „abstrakte Gesellschaft" 203 deutet die Orientierungsprobleme und die Schwierigkeiten des direkten Erlebens der Gesellschaft durch den modernen Menschen an, während Hans Peter Dreitzel, ausgehend von der soziologischen Rollentheorie auf die psychologischen Folgen einer hochkomplexen Gesellschaft verweist: „Die gesellschaftlichen Leiden und das Leiden an der Gesellschaft" 204 . A l l e n Autoren ist gemeinsam, daß sie die Wurzeln des Problems i n der sozialen Arbeitsteilung zwischen Individuen und Regionen sehen, die zur Ausbildung einer differenzierten, komplexen Gesellschaft führt. Was verbirgt sich hinter diesen Begriffen? Wie erklären die Sozialwissenschaften das Sicherheitsproblem? W i r können hier nur eine sehr skizzenhafte Darstellung bringen, die darüber hinaus noch idealtypisch vergröbert ist. Ausführlichere Erörterungen würden den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Aus einer Gegenüberstellung bestimmter Aspekte der mittelalterlichen Agrargesellschaft und der modernen Industriegesellschaft w i r d die Problematik des Sicherheitsaspektes deutlich. Die agrarische Gesellschaft — w i r denken hier vor allem an die sozialen Verhältnisse auf dem Lande, nicht i n der Stadt — war relativ undifferenziert, d. h. die soziale Arbeitsteilung auf dem Lande war relativ gering entwickelt. Dies beinhaltet i m einzelnen: eine personell und institutionell nur rudimentäre Trennung gesellschaftlicher Funktionen: Der mittelalterliche Landbewohner war oft „ A r z t " , „formaler" Erzieher, Soldat, Bauer usw. in einer Person. Die Familie und die kleine Gemeinde waren Produk200 v g l . M a r x , K a r l : Die entfremdete Arbeit, i n : Lieber, Hans-Joachim, u n d Peter Furth, Hrsg.: Frühe Schriften, 2 Bde., Darmstadt 1962, Bd. 1, S.559 - 575. 201 Vgl. Schelsky, H e l m u t : Der Realitätsverlust des modernen Menschen, i n : Schelsky, H e l m u t : A u f der Suche nach Wirklichkeit, Düsseldorf — K ö l n 1965, S. 391 - 404. 202 Vgl. Luhman, Niklas: Vertrauen. E i n Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, Stuttgart 1969. 203 Vgl. Zijderveld, A n t o n C.: Die abstrakte Gesellschaft, F r a n k f u r t 1972. 204 Dreitzel, Hans Peter: Die gesellschaftlichen Leiden u n d das Leiden an der Gesellschaft. Vorstudien zu einer Pathologie des Rollenverhaltens, S t u t t gart 1968.

II. Analyse und Vergleich der Leistungen

231

tions- und Konsumptionseinheiten; Sozialisation, die Weitergabe von Normen und Werten einer Gesellschaft, lag fast ausschließlich i n den Händen der Familie und der Nachbarschaft. Die Gemeinde, das Dorf, hatte den Charakter einer Gesellschaft i m kleinen mit eigenen gewohnheitsrechtlichen Normen und Werten 2 0 5 . Sie war i n normalen Zeiten eine Wehrgemeinschaft; man kann sie als einen Staat innerhalb der mittelalterlichen Welt der Königs- und Fürstentümer bezeichnen 208 . Die bedeutungsvolle Welt des damaligen Menschen war — i m Großen wie i m Kleinen — direkt überschaubar, einsichtig, deutbar; Werkzeuge wurden selbst produziert; Sinn und Zweck der Produktion und ihr Ablauf waren durchsichtig und verstehbar; i n einer relativ statischen Gesellschaft, i n der Veränderungen i m Alltagsleben eine rare Ausnahme darstellten und sozialer Wandel sich nur i n kleinsten Schritten und zwischen mehreren Generationen vollzog, war „Zeit" ein problemloser Begriff; der Sohn ergriff den Beruf des Vaters — er wuchs durch tägliche Anschauung unmerklich i n ihn hinein. I n diesen Gemeinden kannte man sich persönlich, und die bekannte und relevante Welt reichte i m allgemeinen bis zum Nachbardorf. Die „Große Welt" trat nur selten ins Blickfeld des einzelnen: i n Kriegen, i n Gestalt von Steuereinnehmern, Grundherren und dergleichen. Sie hatten die Qualität von übermächtigen Ereignissen, deren Hintergründe unverständlich blieben, deren Kenntnis nach den Wertvorstellungen der damaligen Zeit vom einzelnen aber auch nicht verlangt wurde. Der Mensch der damaligen Zeit läßt sich als realitätssicher bezeichnen. Sein Handeln fußte auf der direkten Erfahrung der Gesellschaft und ihrer handlungsrelevanten Aspekte. Jeder kannte jeden persönlich, zwischenmenschliche Beziehungen wurden eher als Selbstzweck denn als M i t t e l zum Zweck aufgefaßt. Diese Sozialorganisation w i r d i n der Soziologie als Primärgruppe oder „face-to-face group" bezeichnet 207 . Als Besonderheit der Primärgruppe sind die emotionalen, gefühlsmäßigen Bindungen ihrer Mitglieder hervorzuheben. Nicht mehr Selbstzweck, sondern vorwiegend M i t t e l zum Zweck werden die zwischenmenschlichen Beziehungen i m sekundären System 208 , das i m folgenden näher betrachtet werden soll. 205 Vgl. Bader, K a r l Siegfried: Das mittelalterliche Dorf als Friedens- u n d Rechtsbereich, 2 Bde., Weimar 1957. 206 Vgl. Brinton, Crane: From M a n y One. The Process of Political I n t e gration, Cambridge, Mass. 1948, S.49, u n d Bader , K a r l Siegfried: Bd. 1, S. 1, S. 17, S. 71, S. 131. 207 Vgl. Cooley, Charles H.: Social Organization, Glencoe, 111. 1956, der diesen Begriff erstmals prägte u n d inhaltlich füllte. 208 Vgl. Dobriner, W i l l i a m M.: Social Structures and Systems. A Sociological Overview, Pacific Palisades, Cal. 1969, Kap. 5.

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2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

Die moderne Industriegesellschaft stellt sich völlig anders dar als die Agrargesellschaft. Funktionen, die früher von Familie und Gemeinde erfüllt wurden, sind hier spezialisierten Institutionen zugeordnet. I n den Sozialisationsprozeß greifen zusätzlich Kindergärten und Schulen verschiedenster A r t ein. Die Familie ist typischerweise nur noch Konsumptionseinheit, die Produktion ist ausgelagert. Dem entspricht die Trennung von Arbeitsplatz und Wohnung. Der Produktionsprozeß selbst ist durch Arbeitsteilung und Arbeitszerlegung aufgesplittert i n eine Vielzahl von Einzeltätigkeiten, deren Ausführung zum Teil eine lange Ausbildung und spezialisiertes Einzelwissen erfordert und die deshalb zu Berufen wurden. Für junge Menschen sind Anforderungen und Ablauf der Produktion und des Berufslebens abstrakt und unanschaulich geworden — die Trennung von Wohnung und Arbeitsplatz hat dazu beigetragen. Auch die Gemeinde hat wichtige Funktionen verloren. Das mittelalterliche Dorf als ein „soziales, rechtliches und wirtschaftliches Gebilde, das . . . unter seinen eigenen Gesetzen steht" 2 0 9 , verfügt über ein „Sonderstrafrecht, das dem Schutz des innerdorflichen Friedens" 2 1 0 diente. Dorfbewohner zu sein, begründete eine „genossenschaftliche Verteidigungspflicht" 211 , d. h. der Dorfbewohner war gleichzeitig Soldat. Heute sind diese Funktionen, die als Beispiele aufgeführt wurden und zu denen sich weitere anführen ließen, auf staatliche Institutionen wie das Rechtswesen, Militär und Polizei übergegangen. Sehr viel stärker als i m Mittelalter kann heute sozialer Status, die Stellung eines Individuums i n einem hierarchischen Kontinuum des Sozialprestiges, durch eigene Anstrengung verändert werden. Sozialstatus i n der modernen Industriegesellschaft ist prinzipiell nicht mehr eine „angeborene" Eigenschaft (ascribed status) einer Person; er kann durch Eigenleistung erworben werden (achieved status) 212 . Sind sozialer Abstieg und Aufstieg möglich, so verändern sich m i t ihnen aber auch soziale Umwelten und Kontaktpersonen. Neben der notwendigen Bereitschaft, sich auf neue soziale Umwelten einstellen zu müssen, haben sozialer A u f - und Abstieg psychologische Konsequenzen. Neuere empirische Untersuchungen zeigen, daß vertikale Mobilität psychische Ängste und Störungen i m Individuum hervorrufen können 213 . 209

Bader, K a r l Siegfried: Bd. 1, S. 1. Bader, K a r l Siegfried: Bd. 1, S. 131. 211 Bader, K a r l Siegfried: Bd. 1, S. 16 u n d S. 139. 212 Vgl. Linton , Ralph: The Study of Man, New Y o r k — London 1936, der dieses Begriffspaar i n die Soziologie einführte. 213 Z u Einzelheiten vgl. Fürstenberg, Friedrich: Das Aufstiegsproblem i n der modernen Gesellschaft, 2. Aufl., Stuttgart 1969, insbesondere S. 106 -110; Ortmann, Hedwig: Arbeiterfamilie u n d sozialer Aufstieg, München 1971. 210

II. Analyse und Vergleich der Leistungen

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M i t der vertikalen sozialen Mobilität hat sich heute auch die geographische Mobilität erhöht. Verließ der mittelalterliche Dorfbewohner sein Dorf nur i n Ausnahmefällen, so sind Wanderungen, Ortswechsel selbst über größere Distanzen heute ein relativ häufiges Phänomen. Auch hier ergibt sich für das Individuum wieder ein Zwang zur Anpassung an neue, ihm bisher unbekannte Umwelten. I m Gegensatz zu den oben skizzierten interpersonalen Beziehungen w i r d das Individuum heute nicht mehr als Gesamtperson angesprochen sondern i n seiner Eigenschaft als Träger spezifischer Rollen, als Ehemann, Berufstätiger, Krankenversicherter, Vereinsmitglied, Wähler, Katholik usw. M i t Recht kann deshalb behauptet werden, der soziologische Rollenbegriff und die Rollentheorie seien adäquate Denkkategorien zur Erfassung der sozialen Wirklichkeit der modernen Industriegesellschaft 214 . Nur noch in der Familie und i m Freundeskreis w i r d der Mensch als Gesamtpersönlichkeit angesprochen und bewertet, nicht als Träger von Rollen, die er gut oder schlecht ausfüllt, „spielt". Folglich ist hier der Ort, an dem die Zerstückelung der Persönlichkeit unterbleibt und die Folge dieser Zerstückelung, die emotionale Verunsicherung, aufgehoben wird. „Emotionale Stabilisierung w i r d zur manifesten Funktion der Familie 2 1 5 ." Als primäre Umwelt, d. h. direkt erlebbar, ist die Gesellschaft heute nur noch i n der Familie, der Nachbarschaft und durch Mitgliedschaft i n intermediären, vermittelnden Institutionen wie der Arbeitsorganisation (Betrieb usw.), Vereinen, Parteien usw. Wenn w i r Familie und Nachbarschaft zum Privatbereich des modernen Menschen zählen, die anderen Institutionen und insbesondere den Betrieb zur Öffentlichkeit, so ergibt sich der Beruf als der wichtigste direkte Zugang zur Öffentlichkeit 21 ®, demgegenüber die anderen angedeuteten Kontaktmöglichkeiten zur Öffentlichkeit (ζ. B. Partei- und Gewerkschaftsmitgliedschaft) — da freiw i l l i g — stark i n ihrer Bedeutung zurücktreten. Für den überwiegenden Teil seiner Erfahrung von der Welt, der Öffentlichkeit, ist der moderne Mensch deshalb auf die „sekundären Umwelten", die Massenmedien — Presse, Funk, Fernsehen, Bücher — angewiesen 217 . Hier 214

Vgl. Kaufmann, Franz-Xaver, S. 195. Kaufmann, Franz-Xaver, S. 254. 218 Vgl. Schelsky, H e l m u t : Die Bedeutung des Berufs i n der modernen Gesellschaft, i n : Schelsky, H e l m u t : A u f der Suche nach Wirklichkeit, S.238 - 249. 217 „Je differenzierter eine Gesellschaft ist, desto begrenzter ist der durch Primärerfahrung vermittelte T e i l der Realität. Massenmedien stellen i n differenzierten Gesellschaften eine .sekundäre U m w e l t ' dar, i n der die nicht unmittelbar zugänglichen Aspekte v o n Realität nacherlebt u n d nachvollzogen werden." Scheuch, E r w i n K . : Soziologie der Freizeit, i n : König, René, Hrsg.: Handbuch der empirischen Sozialforschung, Bd. 2, Stuttgart 1969, S. 793. 215

234

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

wiederum handelt es sich um Informationen aus zweiter Hand, die er i n den seltensten Fällen direkt erleben und nachprüfen kann, die geglaubt werden wollen 2 1 8 . Aus allem Gesagten w i r d das Wort vom „Orientierungsverlust", „Realitätsverlust" des modernen Menschen verständlich. Die Welt ist für ihn unanschaulich geworden; das Funktionieren der Gesellschaft ist nur noch über große Abstraktionsleistungen zu erfassen. I n den zwischenmenschlichen Beziehungen begegnen sich Individuen — m i t Ausnahme von Familienmitgliedern und Freunden — überwiegend als Rollenträger i n einer sachlich-distanzierten Atmosphäre. Gemeinschaftsgefühle müssen i n der modernen Gesellschaft ihren Weg über abstrakte Ideen und Symbole suchen 219 . Bezeichnenderweise ist der Begriff „Sicherheit" und seine Verwendung i n der Öffentlichkeit relativ neuen Datums. Seit Beginn dieses Jahrhunderts taucht er immer häufiger auf und w i r d als ein Indikator für den Zustand gesellschaftlichen Unbehagens und Unsicherheit i m weitesten Sinne gebraucht. Nach den bisherigen Ausführungen dürfte es keinen Zweifel geben, daß diese A r t der Sicherheitsleistungen von den Institutionen der modernen Sozialversicherung nicht übernommen werden kann. Vielmehr ist dieses hochdifferenzierte System der Sicherung selbst Ausdruck der Entwicklung, die zum gegenwärtigen Zustand immaterieller Unsicherheit geführt hat. Wo liegen aber nun die besonderen Sicherheitsleistungen der Zünfte und Gesellenverbände auf immateriellem Gebiet? Zu ihrem Verständnis müssen w i r die oben skizzierte Dichotomie zwischen Agrar- und Industriegesellschaft aufgeben und auf die besonderen gesellschaftlichen Bedingungen verweisen, i n denen die Zünfte und Gesellenverbände entstanden und ihre Blütezeit erlebten. Die Zünfte waren ein rein städtisches Phänomen. Bedenkt man die Stellung und Funktion der Stadt i n einer Agrargesellschaft, so erklärt diese Tatsache die besondere Struktur der Sicherheitsleistungen der Zünfte und Gesellenverbände. I n der Stadt w i r d erstmals das Prinzip gesellschaftlicher Arbeitsteilung wesentlich erweitert und erhält eine neue Qualität. Die Existenz relativ großer Menschenansammlungen auf engstem Raum ohne eigene Nahrungsproduktion ist nur denkbar durch die Existenz eines agrarischen Umlandes m i t Überschußproduktion (Marktproduktion) sowie einer handwerklich-gewerblichen Marktpro218

Vgl. Schelsky, H e l m u t : Die Bedeutung des Berufs, S. 245. Z u m Entstehen des Gemeinschaftsgefühls „Nationalismus" ζ. B. vgl. Fröhlich, Dieter: Nationalismus u n d Nationalstaat, Meisenheim am Glan 1970, besonders S. 10 - 110. 219

II. Analyse und Vergleich der Leistungen

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duktion in der Stadt, so daß Stadt- und Landbevölkerung in kommerziellen Austausch treten können. Da Stadtbewohner typischerweise nicht auch noch Nahrungsmittelproduzenten sind, können sie sich auch i n ihrem eigenen Produktionsbereich — Handwerk und Gewerbe — spezialisieren: Die Arbeitsteilung zwischen Stadt- und Landbevölkerung provoziert zusätzlich eine Ausweitung der Arbeitsteilung i n der Stadt. Weiterhin verlangt das Zusammenleben großer Menschenmengen auf engstem Raum nach Regelung, Koordination und Organisation. Auch hier ist die Grundlage zur Ausdifferenzierung von Funktionen angelegt. Wenn w i r die mittelalterliche Stadt unter diesen Aspekten betrachten, erweist sie sich als ein abweichendes Phänomen in der Agrargesellschaft — abweichend von den gesellschaftlichen Organisationsformen, in denen die Majorität der Bevölkerung — zirka 95 Prozent 220 — lebte. I n dieser marginalen Stellung ist sie zugleich die Keimzelle neuer Gesellschaftsstrukturen. I n ihr sind wesentliche Züge der modernen Gesellschaft bereits vorgezeichnet, und m i t Recht leitet Gideon Sjoberg seine Arbeit über die vorindustrielle Stadt m i t dem Satz ein: „The city and civilization are inseparable 221 ." Entsprechend können die Funktionen der Zünfte und Gesellenverbände und insbesondere ihre Sicherheitsleistungen als ein Ausdruck gelungener Anpassung von Institutionen an veränderte Gesellschaftsstrukturen und -Organisationen gesehen werden — hier an ein Z w i schenstadium zwischen Agrar- und Industriegesellschaft. Aus der Agrargesellschaft übernahmen sie viele Sicherheitsleistungen und formten sie für die städtische Gesellschaft um: Die bisherige Arbeit hat gezeigt, daß Zünfte und Gesellenverbände viele Charakteristika einer erweiterten Familie trugen. Ihre Mitglieder wurden nicht — wie heute i m Bereich der Arbeitsorganisation — nur nach spezialisierten Arbeitsfunktionen bewertet. Wie i n einer Familie wurden arbeitsirrelevante Kriterien in die Bewertung der Persönlichkeit einbezogen. Die Bewertung der Persönlichkeit war total. Die aus Meisterfamilie und Gesellen bestehende Arbeitsgruppe sowie die — zahlenmäßig meist kleine — Zunft selbst wurden nicht nur und nicht primär als Funktionseinheiten, sondern ebenso als Gemeinschaften erlebt, i n denen emotionale Beziehungen zwischen den Mitgliedern analog Verwandschafts- und Familienbeziehungen bestanden. Dies zeigt sich z.B. in der Freizeit — heute ein institutionell und größtenteils auch personell von der Arbeitsorganisation abgetrennter 220 Wenn bis M i t t e des 18. Jahrhunderts der bäuerliche A n t e i l an der Bevölkerung 85 - 90 Prozent betrug, so dürfte es sich bei einer Z a h l von 95 Prozent noch u m eine vorsichtige Schätzung handeln. Vgl. Bolte, K a r l M a r t i n , Dieter Kappe u n d Friedhelm Neidhardt: Soziale Schichtung, i n : Bolte, K a r l M a r t i n , Hrsg.: Deutsche Gesellschaft i m Wandel, Opladen 1967, S. 264. 221 Sjoberg, Gideon, S. 1.

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2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

Lebensbereich. Auch sie vollzog sich weitgehend i m Rahmen der durch Z u n f t u n d Gesellenverband vorgezeichneten Mitgliedergruppen. W i r zeigten i n einer Reihe von Beispielen, daß Feste und Geselligkeiten Zunftangelegenheiten waren, für die auch gemeinsame materielle Leistungen erbracht wurden. Das europäische Mittelalter und die beginnende Neuzeit waren durch tiefe Religiosität und Frömmigkeit gekennzeichnet. Auch hier boten Z u n f t u n d Gesellenverband den personellen Rahmen, i n dem metaphysische Bedürfnisse gemeinsam befriedigt wurden. Gemeinsam wurden verstorbene Zunftangehörige bestattet, gemeinsam wurde der Toten gedacht. Z u n f t und Gesellenverband schlossen die Angehörigen zu einer solidarischen Gruppe zusammen. Die Zünfte hatten den Wanderzwang institutionalisiert, einen Zwang zu großräumiger geographischer Mobilität, wie sie bei der Landbevölkerung n u r i n Krisenzeiten und unter Zwang praktiziert wurde. Ortswechsel bedeutet, bekannte Situationen u n d soziale u n d emotionale Bindungen aufgeben. Er ist ein Schritt ins Ungewisse und entsprechend emotional belastend — vor allem dürfte dies für den mittelalterlichen Menschen zutreffen. Indem die Z u n f t oder der Gesellenverband i n einer anderen Stadt als A n l a u f - und Auffangstation diente und den Neuankömmling — wenn er A r b e i t fand — fast wie ein Familienmitglied integrierte, waren wesentliche psychische Sicherheitsrisiken beträchtlich reduziert 2 2 2 . Statuserwerb, d.h. die Beeinflussung der eigenen Prestigeposition durch eigene Leistung, kann nicht als typisches M e r k m a l der damaligen Welt angesehen werden. Die „Geburt" glich einem „Kristallisationskern, u m den herum sich wichtige andere soziale K r i t e r i e n lagerten" 2 2 3 . Hervorzuheben sind hier die durch Geburt weitgehend festgelegten Zugangsmöglichkeiten u n d -beschränkungen zu bestimmten Berufsgruppen, zu Bildungsmöglichkeiten u n d Chancen der politischen M i t w i r kung. Andererseits darf der statische Aspekt dieses Schichtungsgefüges nicht überbetont werden: Soziale Abstiege u n d Aufstiege, vertikale soziale Mobilität, waren i n den Städten häufiger als ein undifferenziertes B i l d der „statischen" Gesellschaft des Mittelalters vermuten läßt 2 2 4 . 222 Heute w i r d i n einigen Entwicklungsländern der bewußte Aufbau derartiger Auffang- und Integrationsinstitutionen versucht, u m die sozialen Desorganisationserscheinungen bei Lockerung der Familien- und Stammesbindung i m Zuge der Stadtwanderungen zu vermeiden. I n A f r i k a versuchen besonders die Gewerkschaften, den Stadtwanderern eine Ersatz-Stammesgesellschaft zu bieten u n d sie dadurch i n die städtische Sozialorganisation zu integrieren. Vgl. Uhlig, Christian: Entwicklungsländer u n d Gewerkschaften, Hamburg 1967, S. 56 - 61. 223 Bolte, K a r l Martin, Dieter Kappe u n d Friedhelm Neidhardt, S. 268.

224

Vgl. Bolte, Karl Martin, Dieter Kappe und Friedhelm Neidhardt, S. 271.

II. Analyse und Vergleich der Leistungen

237

Trotzdem kann diese A r t der Mobilität nicht als typisch bezeichnet werden. Vor allem fehlt ihr die ideologische Verankerung, nach der Aufstiegswille vorausgesetzt und die Statushöhe als durch Eigenleistung bestimmbar dargestellt wird. Fehlt diese Ideologie, so sind Status oder sozialer Abstieg nicht als persönliches Versagen zu bewerten; sie rufen keine Frustrationen und Unsicherheitsgefühle hervor. Auch hier wirkten Zünfte und Gesellenverbände stabilisierend. Sie vermittelten Statussicherheit, denn durch das Prinzip der Nahrung stand das einzelne Zunftmitglied grundsätzlich nicht unter gesellschaftlichem Erfolgszwang, sei es als Anhäufung von Reichtum oder Erhöhung des eigenen Prestiges. Andererseits war auch die Gefahr des individuellen Abstiegs gering. Trotzdem war Prestigedenken unter dem Begriff der „Ehre" stark ausgeprägt. Es kristallisierte sich jedoch i n der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Zunft, zu einem bestimmten Gesellenverband. Die bloße Zunftzugehörigkeit garantierte den Status i n der Gemeinde, und dieser „kollektive Status" äußerte sich i m Stolz auf die Zugehörigkeit zu einem spezifischen Berufsstand. Der besondere Ehrbegriff der berufsständischen Gruppen führte gleichzeitig zu starker sozialer Distanzierung gegenüber anderen, ähnlichen Gruppen 225 , was wiederum den Zusammenhalt der Eigengruppe und die Solidarität ihrer Mitglieder verstärkte und den einzelnen emotional eng an die Gemeinschaft band. Letztlich verbürgte die zünftige Organisation und Lebensweise eine weitgehende Sicherheit der Orientierung. Die städtische Gesellschaft zur Zunftzeit war keine „abstrakte" Gesellschaft, oder zumindest war sie es i n sehr viel geringerem Maße als heute. So trug die Zunft als Institution zur politischen Willensbildung der Stadt bei; i n Kriegszeiten hatte sie einen gesonderten Abschnitt der Stadtmauer zu verteidigen. Politik und Verteidigung waren keine ausdifferenzierten Handlungsbereiche, die an spezialisierte Personengruppen übertragen wurden. Durch diese direkte Teilnahme blieb das Funktionieren der Stadt oder der Gesellschaft — wenn man die mittelalterliche Stadt als solche bezeichnen darf — transparent, direkt erlebbar. Die Erkenntnis sozialer Zusammenhänge bedurfte keiner besonderen Abstraktionsleistung, sie wurde aus eigener Anschauung und Erfahrung gewonnen 228 . Ein prägnantes Beispiel bietet hier die Regelung der materiellen Sicherung. Heute werden A r t und Umfang der Sicherung, die Höhe der 225

Vgl. Boîte, K a r l M a r t i n , Dieter Kappe u n d Friedhelm Neidhardt, S. 269, die einen Spruch der Stralsunder K r ä m e r i n n u n g zitieren, der am Eingang zu ihrer Kirchenbank unter dem Relief eines Keulenschwingers angebracht ist: „ W a t ken K r a m e r ist, de blief buten, oder ick schla em u m de Schnuten." 220 Dies ist bei der damaligen Einwohnerzahl der Städte durchaus möglich gewesen: „Orte m i t mehr als 2 000 Einwohnern galten schon als groß." Bolte, K a r l Martin, Dieter Kappe u n d Friedhelm Neidhardt, S. 265.

238

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

Beiträge, die Definition der Begünstigten und die Auszahlungsmodi durch quasi anonyme politische und bürokratische Instanzen geregelt. Die Wirkungsweise der Institution „Sozialversicherung" bleibt normalerweise undurchschaubar, ihr Verständnis erfordert eine wissenschaftliche Ausbildung, ihre Funktionen werden durch Inhaber der verschiedensten Berufe ausgeführt. Soziale Sicherung bei den Zünften und Gesellenverbänden konnte konkret erlebt und nachvollzogen werden. Beitragshöhe, Bestände und Leistungsmöglichkeiten waren direkt erfahrbar und mitgestaltbar. Nicht die klaren materiellen und kognitiven Aspekte sollen hier hervorgehoben werden, sondern die emotional befriedigenden und Gewißheit vermittelnden Formen einer Organisationsstruktur, die dem Erfahrungshorizont des Menschen adäquat ist und i h m emotional nicht als etwas Fremdes, nicht mehr Nachvollziehbares, gegenübertritt. Zusammenfassend stellen sich Zünfte und Gesellenverbände als genossenschaftlich organisierte Solidargemeinschaften auf der Basis von Primärgruppenbeziehungen dar, gekennzeichnet durch Multifunktionalität: I n derselben Gruppe spielen sich Arbeit und Freizeit, Religionsausübung und politische Interessenvertretung, soziale Sicherung und die Erhaltung eines gruppenbezogenen Sozialprestiges ab — eine Welt i m kleinen, die ihren Mitgliedern Zusammengehörigkeitsgefühl und Geborgenheit i n weitem Maße garantierte. Das heutige System der sozialen Sicherung kann diese Leistungen nicht erbringen — w i r leben i n einer anderen Gesellschaft. Man mag dies bedauern oder auch positiv bewerten, man muß es zur Kenntnis nehmen und akzeptieren. I I I . Zur Analyse der Steuerungselemente Das heutige System der sozialen Sicherung ist eine „Massenveranstaltung". Millionen von Bürgern sind an diesem i n höchstem Maße arbeitsteiligen System beteiligt, und zwar jeweils i n einer spezifischen Rolle, nämlich als Versicherter, als Funktionär, als Politiker, als Produzent von Leistungen (z.B. als Arzt, Krankenpfleger usw.) 227 . I n diesem System sozialer Sicherung m i t vielen Millionen Mitgliedern kann der einzelne nur eine sehr geringe Zahl aller Beteiligten kennen. Diese Tatsache weist es als eine „Sekundärgruppe" (secondary group) i m Sinne Charles H. Cooleys aus 228 . 227 I m Sinne des soziologischen Rollenbegriffs, w i e er erstmals v o n Ralph Linton (The Study of Man) entwickelt u n d später v o n Tolcott Parsons (The Social System, Glencoe, III. 1951), S. F. Nadel (The Theory of Social Structure, London 1957) u n d N. Gross, W. S. Mason, W. McEachern (Explorations i n Role Analysis, New Y o r k 1958) weiterentwickelt wurde. F ü r die deutschsprachige L i t e r a t u r vgl. Dahrendorf, Ralf: Homo Sociologicus, K ö l n — Opladen 1958. 228 I m Gegensatz zu Primärgruppen, i n denen alle Mitglieder persönlich miteinander bekannt sind. Vgl. Cooley, Charles H.

III. Zur Analyse der Steuerungselemente

239

Es liegt auf der Hand, daß ein solches System besondere Schwierigkeiten der Steuerung aufwirft. Wer soll wann, welche Leistung, i n welcher Höhe erbringen? Wer ist berechtigt, diese Leistungen i n welcher Höhe i n Anspruch zu nehmen? Probleme der Steuerung der „Produktion" und des „Absatzes" 229 sind zu lösen. Richtige Steuerung von Produktion und Absatz ist abhängig von einer gut funktionierenden Information. Das Problem der Steuerung des sozialen Systems w i r d damit weitgehend zu einem Problem der Informationssteuerung m i t dem Ziel, den richtigen Empfänger zu erreichen, dessen Aufnahmebereitschaft möglichst zu optimieren und eine möglichst große Kontinuität der Information zu erreichen 230 . Zum Verständnis eines arbeitsteiligen, unübersichtlichen Systems der sozialen Sicherung genügt es nicht, die Elemente der beteiligten Personengruppen (Aggregate) und der Leistungen zu untersuchen. Als drittes Element müssen notwendig die Steuerungsinstrumente hinzutreten, durch die ja erst „das Zusammenwirken der Aggregate und der Leistungen des Systems koordiniert und gelenkt" w i r d 2 3 1 . Als häufig verwendete, praktikable und äußerst wirksame Steuerungselemente haben sich „Scheine" (im Sinne Herder-Dorneichs) erwiesen, deren gebräuchlichste Typen Geldscheine, Wahlscheine, Gutscheine und Berechtigungsscheine sind 232 . Durch diese Scheine „werden Aktionen ausgelöst, Güter in Bewegung gesetzt, erstellt und verteilt, und es werden Menschen durch sie Gruppen zugewiesen und mit anderen Menschen i n Kontakt gebracht" 233 . Zum Beispiel werden i m System der gesetzlichen Krankenversicherung Wahlscheine zur Durchführung der Sozialwahlen, der Wahlen zu den Vertreterversammlungen der Kassenärztlichen Vereinigungen und einer Vielzahl kleiner Wahlen verwendet; Gutscheine i n Form von Rezepten, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, Erneuerungsscheinen und andere lösen bestimmte Leistungen (Ausgabe von bestimmten Medikamenten, eines festgesetzten Krankengeldes) aus; Berechtigungsscheine weisen den Inhaber als zur Entgegennahme i m voraus nicht genau fixierter Leistungen berechtigt aus (Krankenscheine: Ärztliche Untersuchung und Behandlung; Leistungsblätter: Anteil an der Gesamt229 Bei der Übertragung dieser Begriffe aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften i n den der Sozialwissenschaften folgen w i r Herder-Dorneich. Vgl. Herder-Dorneich, P h i l i p p : Soziale Kybernetik. Die Theorie der Scheine, K ö l n 1965, S. 29 - 30. 230 Vgl. Herder-Dorneich, P h i l i p p : Soziale Kybernetik, S. 36 - 40. 231 Herder-Dorneich, P h i l i p p : Sozialökonomischer Grundriß, S. 176. 232 Vgl. Herder-Dorneich, P h i l i p p : Soziale Kybernetik, S.41f. u n d S.44ff.; ders.: Sozialökonomischer Grundriß, S. 176 ff.

233 Herder-Dorneich,

Philipp: Sozialökonomischer Grundriß, S. 176.

240

2. Teil, Β. Analyse und Vergleich der Elemente

Vergütung der Kassenärztlichen Vereinigung der Ärzte); Geldscheine, denen in ökonomischen Systemen eine zentrale Steuerungsfunktion zukommt, werden zwar in der gesetzlichen Krankenversicherung i n großem Umfang verwendet, doch haben sie hier ihre Funktion als Steuerungselement weitgehend eingebüßt 234 . Wie die gesetzliche Krankenversicherung werden auch die anderen Sparten der sozialen Sicherung durch eine Vielzahl von Scheinen gesteuert. Eingangs wurde betont, daß die Schwierigkeiten der Steuerung i n den Sekundärgruppen besonders zu Tage treten und damit den Einsatz geeigneter Steuerungsinstrumente erforderlich machen. Die Zünfte und Gesellenverbände aber waren — wie bereits dargestellt — Primärgruppen. Jeder kannte jeden, Lebensbedingungen, Krankheiten, Unfälle, Geburt und Tod waren für jedes Mitglied der Gruppe einsichtig, die Information war vollkommen und kontinuierlich. Bei dieser Sachlage war der Einsatz besonderer Steuerungselemente nahezu überflüssig und unterblieb auch weitgehend. Nur i n einigen Fällen wurden Scheine als Steuerungselemente eingesetzt: Wollte ein Meister von einer Stadt in eine andere ziehen, mußte er sich dort als zünftiger Meister ausweisen können. Die entsprechenden Papiere berechtigten ihn zur Ausübung seines Handwerks und verpflichteten i h n gleichzeitig zum Beit r i t t i n die dort zuständige Zunft. Das gleiche gilt für einen zum Meister geschlagenen Gesellen, der sich in einer anderen Stadt niederlassen wollte. Eine größere Bedeutung als Steuerungselemente gewannen die „Kundschaften" (Führungszeugnisse) der Gesellen auf der Wanderschaft. Sie wiesen sie als ordentliche Gesellen eines bestimmten Handwerks aus, die i n gutem Einvernehmen m i t ihrem Meister, der Zunft und dem Gesellenverband die Wanderschaft angetreten hatten. Diese Scheine berechtigten sie zur Entgegennahme der jeweils üblichen Wanderunterstützung und lösten ferner die Leistungen der Arbeitsvermittlung und gegebenenfalls der Krankenunterstützung aus. Berechtigungsscheine waren ferner unter Umständen gegenüber dem Vertragshospital erforderlich. Uber die genannten Beispiele hinaus w u r den Scheine als Steuerungselemente praktisch nicht verwendet. Selbstverständlich wurden auch i m System der sozialen Sicherung der Zünfte und Gesellenverbände Geldscheine" weitergereicht — sie flössen als Beiträge i n die Zunft- und Gesellenkassen, als Darlehen oder Rente an die Mitglieder, an Ärzte und Hospitäler — es fand sich jedoch kein Hinweis auf ihren Einsatz als Steuerungselemente. 234 Z u der Verwendung von Scheinen i m System der gesetzlichen K r a n k e n versicherung vgl. Herder-Dorneich, P h i l i p p : Sozialökonomischer Grundriß, S.178 - 182.

III. Zur Analyse der Steuerungselemente

241

Das System der sozialen Sicherung wurde i n den Zünften und Gesellenverbänden also weitgehend informell gesteuert. Erst wenn der Rahmen der Primärgruppe gesprengt wurde und Interaktionen m i t Außenstehenden erforderlich waren, griff man zu Scheinen als Steuerungselementen.

C· Analyse und Vergleich der Struktur Die bisherige Analyse hat gezeigt, welche Elemente am System der sozialen Sicherung der Zünfte und Gesellenverbände beteiligt waren, wie sie aufgebaut waren und inwieweit sich Parallelen oder auch Abweichungen zum heutigen System nachweisen ließen. Die Strukturanalyse soll nun deutlich machen, wie ein Netz formeller und informeller Beziehungen die bis dahin isoliert betrachteten Elemente miteinander verknüpft, wie Aktionen Reaktionen auslösen, wie Leistungsströme zwischen den Elementen fließen, kurz, wie das System funktioniert. Aus der Fülle der Beziehungen hat Herder-Dorneich zur Analyse des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung fünf herausgehoben und einer genaueren Betrachtung unterzogen: Vertrauensbeziehungen, Zwangsbeziehungen und die sozialen Steuerungssysteme Märkte, Wahlen und Gruppenverhandlungen 1 . U m einen sinnvollen Vergleich der Systeme zu erleichtern, w i r d ihnen auch i m folgenden das Hauptaugenmerk gelten. Es w i r d sich zeigen, daß diese Beziehungsformen bereits i m System der sozialen Sicherung der Zünfte und Gesellenverbände bestanden, sich i n ihrer Wirkung zum Teil allerdings vom heutigen System unterschieden. Zur Analyse der Beziehungen soll — pars pro toto — die Krankensicherung herangezogen werden, da sie bei den Zünften und Gesellenverbänden besonders ausgeprägt war und sich hier die meisten Ansatzpunkte zu einer vergleichenden Analyse bieten. I. Die Beziehungen zwischen Mitgliedern und Kassen 1. Vertrauens- und Zwangsbeziehungen

Die heutige Sozialversicherung ist weitgehend eine Zwangsversicherung, das heißt, die Mitglieder müssen der Kasse beitreten, wenn bestimmte Kriterien auf sie zutreffen. Freiwillige Mitgliedschaft spielte anfangs keine Rolle, hat indes heute an Bedeutung gewonnen. Kriterium für die zwangsweise Mitgliedschaft i n der gesetzlichen Krankenversicherung ist „Einkommen aus abhängiger Arbeit", das heißt, es werden alle Personen erfaßt, die abhängige Arbeit leisten (Arbeiter, A n 1

Vgl. Herder-Dorneich,

Philipp: Sozialökonomischer Grundriß, S. 183.

I. Die Beziehungen zwischen Mitgliedern und Kassen

243

gestellte), leisten wollen (Arbeitslose), geleistet haben (Rentner) oder wahrscheinlich leisten werden (Lehrlinge). Für die Angestellten t r i t t ein weiteres K r i t e r i u m hinzu, nämlich ein regelmäßiges Einkommen bis zu einer bestimmten Höhe (Versicherungspflichtgrenze). K r i t e r i u m für die Zwangsmitgliedschaft i n den Zünften war die selbständige Ausübung eines Handwerks, wobei für jedes Handwerk eine bestimmte Zunft vorgeschrieben war. Entscheidendes Merkmal für die Gesellenverbände war die unselbständige Ausübung eines Handwerks, die Zuständigkeit auch hier nach Handwerken getrennt. Eine freiwillige Mitgliedschaft war bei den Zünften und Gesellenverbänden i n der Regel ausgeschlossen; erst die gegen Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts teilweise gegründeten besonderen Zunft- und Gesellenkrankenkassen boten die Möglichkeit einer freiwilligen Mitgliedschaft 2 . Die Institutionalisierung des Zwangs konnte nicht von den Kassen selbst durchgeführt werden, sie bedurfte einer übergeordneten Institution: des Staates. Per Gesetz wurde von der Bismarck'schen Regierung die gesetzliche Krankenversicherung eingeführt und der von ihr zu erfassende Personenkreis definiert. Diese Konstellation hat sich bis heute nicht geändert. Jede Ausdehnung des Versicherungszwangs muß vom Gesetzgeber, nicht von den Kassen beschlossen werden. Die Zünfte und Gesellenverbände wurden zwar aus eigener K r a f t und Initiative gegründet, zur wirkungsvollen Durchführung des Zwanges benötigten jedoch auch sie die Anerkennung ihres Verbandes als Zwangsverband durch die zuständigen Regierungen, ohne deren Einwilligung Sanktionen gegen Nicht-Beitrittswillige unmöglich gewesen wären. Als Primärgruppen m i t überschaubarer Mitgliederzahl sahen sich die Zünfte und Gesellenverbände bei der Durchsetzung des Beitrittszwangs allerdings kaum größeren Schwierigkeiten gegenüber. Die Städte selbst waren so klein, daß ein Meister, der sich dem Zunftverband zu entziehen suchte, bald aufgespürt und mit empfindlichen Strafen entweder zum Beitritt oder zur Aufgabe des Handwerks gezwungen wurde. Ein nicht beitrittswilliger Geselle kam in Verruf, die Kunde seiner Unbotmäßigkeit eilte i h m überall hin voraus, und es wurde i h m dadurch unmöglich gemacht, eine Anstellung, geschweige denn irgendeine soziale Unterstützung zu finden. I n dieser Hinsicht waren die Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung vor größere Probleme gestellt. Der Kreis der Betroffenen war weitaus größer und unübersichtlicher und die Tendenz, sich dem Versicherungszwang zu entziehen, anfangs nicht unbeträchtlich. Der Gesetzgeber sah sich genötigt, dem Zwang zur Versicherung einen weite2 Vgl. T e i l 1, Β V I 1 d: Eigene Krankenkassen u n d T e i l 1, C I I I 1 c: Eigene Gesellen-Krankenkassen.

16»

244

2. Teil, . Analyse und Vergleich der t

den folgen zu lassen: den Zwang, die Erfassung der Versicherungspflichtigen und die Abführung der entsprechenden Beiträge durch den Arbeitgeber durchzuführen 8 . Es wurde festgestellt, daß zwischen Mitgliedern und Kassen Zwangsbeziehungen geschaffen und eingehalten wurden. Offen blieben indessen die Einstellung der Mitglieder zu diesem Zwang und die daraus resultierenden Verhaltensweisen. Von außen oktroyierter Zwang schafft Spannungen, die die ständige Gefahr eines Konfliktausbruchs i n sich bergen. Eine solche A r t von Zwang kann nur m i t ständiger Androhung und Ausübung von Sanktionen aufrechterhalten werden, er ist „abnormal und kann sich nur durch Gewalt behaupten" 4 . Andererseits kann aber die durch den Zwang erstrebte Verhaltensweise als einleuchtend erkannt werden. Die Unterordnung wird, da sie weitergehenden Zielen dient, als erstrebenswert, als Wert anerkannt, die Norm w i r d internalisiert (verinnerlicht) 5 , der Zwang w i r d zur Obligation, zur Verpflichtung. Er ruft i n diesem Falle nicht mehr Widerstand hervor, sondern w i r d freiwillig angenommen®. Damit werden zwar Sanktionen nicht überflüssig — sie müssen bestehen bleiben, um abweichendes Verhalten gegebenenfalls zu unterbinden —, aber sie werden zum Ausnahmefall. Die Beziehungen zwischen Kassen und Mitgliedern waren i n der gesetzlichen Krankenversicherung i n der Anfangszeit durch den Versicherungszwang negativ belastet. Die Betroffenen suchten sich i h m zu entziehen, da er ihrer freien Willensentscheidung entgegenstand. I m Laufe 8

Vgl. Herder-Dorneich, P h i l i p p : Sozialökonomischer Grundriß, S. 197 - 198. Durkheim, Emile: Regeln der soziologischen Methode, 2. Aufl., Neuw i e d — B e r l i n 1965, S. 203. 5 Vgl. König, René: Einleitung zu Durkheim, Emile: Regeln der soziologischen Methode, S. 6 0 - 6 1 ; Parsons, Talcott: The Structure of Social Action, 2. Aufl., Glencoe, III. 1949, S. 385 - 386. 6 W i r müssen hier zwei A r t e n v o n Z w a n g bzw. Sanktionen unterscheiden. Bei der Verinnerlichung einer Norm, bei der Aufnahme der N o r m i n das „Über-Ich", sanktioniert das I n d i v i d u u m bei einer Normverletzung sich selbst. Ausdruck hierfür sind „Gewissensbisse", Schamgefühle usw. Normalerweise läßt es „das Gewissen" jedoch gar nicht erst zu einer Normverletzung k o m men. — Die zweite A r t des Zwangs bzw. der Sanktionen w i r d v o n außen dann an das I n d i v i d u u m herangetragen, w e n n trotz Verinnerlicherung oder wegen fehlender Internalisation Normen verletzt werden. Sanktionen werden dann entweder informell, z.B. durch Bekannte, Nachbarn, Kollegen, erteilt oder formell durch staatliche Institutionen (Polizei, Gerichte usw.). Z w a n g als Massenphänomen ist untypisch f ü r eine funktionierende Gesellschaft. Zwänge „finden sich n u r i n den extremen Verhältnissen der Despotie". König, René: Soziologie, Stichwort „Beziehung", S.45. Dennoch sollen hier die T e r m i n i Beitritts„zwang" u n d Versicherungs„zwang" beibehalten werden, da sie i n der Sozialpolitik allgemein gebräuchlich sind. Allerdings hat sich ein gewisser Wandel i n der Terminologie angebahnt, indem i m m e r häufiger statt von Zwangskassen u n d Zwangsmitgliedern v o n Pflichtversicherung u n d Pflichtmitgliedern gesprochen w i r d . 4

I. Die Beziehungen zwischen

i t e n und

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der Zeit wurde der Versicherungszwang i n die eigene Wertstruktur eingebettet, er wurde verinnerlicht, die Zugehörigkeit zur gesetzlichen Krankenversicherung wurde zu einem erstrebenswerten Ziel, ja es entstand — scheinbar paradox — „so etwas wie eine Nachfrage nach Versicherungszwang" 7 . Zweifellos war der Beitrittszwang bei den Zünften und Gesellenverbänden bereits i n der Anfangszeit internalisiert. I n der Regel fügten sich Handwerker und Gesellen freiwillig dieser Norm, denn eines der fördernden Momente bei der Gründung der Zünfte und Gesellenverbände war die Vorstellung, daß ein Leben außerhalb einer solchen kleineren Gemeinschaft undenkbar war 8 . Eine große Rolle spielte dabei auch die Tatsache, daß die Gründung der Zünfte nicht von oben angeordnet wurde, sondern daß sie aus eigener Initiative der Betroffenen erfolgte. Der Zwang stellte keine negative Belastung für die Beziehungen zwischen Mitgliedern und Kassen dar. Zwang i m Sinne von Gewalt schließt Vertrauen aus. Wer andere zu bestimmten Handlungen zwingen muß, besitzt kein Vertrauen, wer Vertrauen genießt, erreicht die gewünschte Handlungsweise normalerweise ohne solchen Zwang. W i r d die durch Zwang erreichte Verhaltensweise als Norm internalisiert, löst sich die Unvereinbarkeit zwischen Vertrauen und Zwang auf, sie werden zu zwei Aspekten einer Sache. I n diesem Sinne bestanden zwischen den Mitgliedern und den Zünften und Gesellenverbänden enge Vertrauensbeziehungen. Die Meister und Gesellen waren zwar zum Beitritt „gezwungen", und dieser Zwang löste einen Strom von Beitragsleistungen von den Mitgliedern zu den Kassen aus. Die Betroffenen fügten sich jedoch freiwillig i m Vertrauen auf die Funktionsfähigkeit und Nützlichkeit der Institution: Ein Strom sozialer Leistungen flöß von den Kassen zu den Mitgliedern. Ob sich zwischen den Versicherten und den Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung eine direkte Vertrauensbeziehung entwickeln konnte, oder ob sie nur mittelbar über das Vertrauen zum Staat als letztlich zuständiger, übergeordneter Institution besteht, mag dahingestellt sein. Ohne Vertrauen i n die Kassen bzw. i n den Staat, der das Funktionieren der Kassen garantiert, hätte der Beitrittszwang jedoch keine Chance zur Internalisation gehabt, das soziale System der gesetzlichen Krankenversicherung wäre i n seinem Bestand permanent i n Frage gestellt. Neben den Beitrittszwang und den sich daraus ergebenden Zwang zur Beitragszahlung trat bei den Zünften und Gesellenverbänden noch eine Reihe weiterer „Zwänge", die dem System der gesetzlichen Kran7 8

Herder-Dorneich, P h i l i p p : Sozialökonomischer Grundriß, S. 189. Vgl. T e i l 1, A I I 2: Gründungsursachen.

246

2. Teil,

. Analyse und Vergleich der t

kenversicherung fremd sind. Sie resultierten zum größten Teil aus der „Multifunktionalität" der Zünfte (Reglementierung von Produktion und Absatz, Personalfragen, religiöse Aufgaben), und standen nicht in direktem Zusammenhang m i t der Krankensicherung; sie können daher hier vernachlässigt werden. Ein auch für die soziale Sicherung relevanter Zwang w i r d bei der Darstellung der Wahlbeziehungen erläutert werden. 2. Kontrollen

Um einen Mißbrauch der Leistungen des sozialen Systems zu verhindern, werden Kontrollen durchgeführt. Die Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung setzen dazu Vertrauensärzte ein — seit Einführung der Lohnfortzahlung frühestens nach sechs Wochen. Den Vertrauensärzten fällt die Aufgabe zu, die tatsächliche Arbeitsunfähigkeit festzustellen und gegebenenfalls zu prüfen, ob Vorsorgemaßnahmen medizinisch zweckmäßig sind. Die Kassen wollen damit verhindern, daß ihre Leistungen von Simulanten und Arbeitsscheuen ungerechtfertigt i n Anspruch genommen werden und die Gesamtheit der Mitglieder dadurch belastet wird. Eine große Beeinträchtigung des vertrauensärztlichen Dienstes besteht i m Fehlen objektiver Maßstäbe zur Feststellung von Krankheit und Gesundheit. M i t der wachsenden Bedeutung psychosomatischer Erkrankungen w i r d die Entscheidung für den Vertrauensarzt immer schwieriger. Die unmittelbare Wirksamkeit der Kontrollen durch den Vertrauensarzt auf das Krankenverhalten der Versicherten hat sich als begrenzt erwiesen; inwieweit die Drohung m i t der Kontrolle das Verhalten beeinflußt, ist nur sehr schwer feststellbar. M i t dem Fehlen objektiver Maßstäbe und dem Infragestellen der Wirksamkeit w i r d dem vertrauensärztlichen Dienst als Kontrollorgan der Boden entzogen. I n der Diskussion um seine zukünftige Entwicklung w i r d der Schwerpunkt zunehmend i n der Wahrnehmung sozialmedizinischer Aufgaben gesehen9. Auch die Zünfte und Gesellenverbände kontrollierten ihre Mitglieder. Bevor die Kasse leistete, wurde zunächst die Bedürftigkeit des Antragstellers „überprüft", d.h. eigentlich war es mehr eine Feststellung als eine Prüfung, denn bei den geringen Mitgliederzahlen und dem engen Kontakt war die wirtschaftliche Lage des einzelnen in der Regel allen ohne weiteres einsichtig. I m Krankheitsfalle wurden bei verschiedenen Zünften und Gesellenverbänden Kontrolleure eingesetzt, deren Aufgabe sich weitgehend m i t der der Krankenkontrolleure deckte, d. h. es wurde vor allem die Einhaltung der Bettruhe überprüft. Ferner wurde darauf geachtet, daß Kranke das Hospital nicht verließen und vor allem, Vgl. Herder-Dorneich,

Philipp: Sozialökonomischer Grundriß, S.

f.

I. Die Beziehungen zwischen

i t e n und

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daß sie nicht anderweitig einer Beschäftigung nachgingen. Einen vertrauensärztlichen Dienst gab es noch nicht. Wenn die Zünfte und Gesellenverbände dennoch Ärzte einstellten, so weniger zur Kontrolle ihrer Mitglieder als vielmehr, um deren medizinische Versorgung sicherzustellen. Die Gefahr eines Mißbrauchs der sozialen Leistungen war bei den Zünften und Gesellenverbänden weitaus geringer als in der gesetzlichen Krankenversicherung, denn hier w i r d dem Simulanten nur selten bewußt, daß er letztlich sich selbst schadet — er handelt i m Glauben, auf Kosten einer großen, reichen, anonymen Organisation „krank zu feiern". I n den Primärgruppen der Zünfte und Gesellenverbände war hingegen für jeden einsichtig, daß der Kasse nur beschränkte M i t t e l zur Verfügung standen, und daß er selbst unter Umständen wegen leerer Kassen ohne Unterstützung zurechtkommen mußte, wenn er unnötige Forderungen stellte. Kontrollen wurden aber nicht nur einseitig von den Kassen zu den Versicherten durchgeführt, sondern ebenso i n umgekehrter Richtung. Bei den Zünften und Gesellenverbänden wurde von den jeweiligen Vorständen in regelmäßigen Abständen — meist halbjährlich oder jährlich — Rechnungslegung gefordert, d.h. die Gesamtheit der Mitglieder prüfte auf diesen Versammlungen, ob die M i t t e l der Kasse sachgerecht verwaltet wurden. Die Gesellen hatten als „passive" Mitglieder i n den Zünften kein Mitspracherecht, selbst wenn sie Zunftbeiträge leisteten. Umgekehrt übten die Meister i n einigen Gesellenverbänden Kontrollrechte aus, ohne selbst Mitglied der Kasse zu sein. Uber die regelmäßige Rechnungslegung hinaus standen die Mitglieder i n einem so unmittelbaren ständigen Kontakt mit den Verbänden, daß praktisch auch zwischen diesen Versammlungen eine ständige Kontrolle gegeben war. Anders bei den Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung, deren Mitgliederzahl so groß ist, daß eine unmittelbare Rechnungslegung der Kasse vor allen Mitgliedern undurchführbar ist. Die Kontakte zwischen Kassen und Versicherten sind i m allgemeinen auch so gering, daß den Versicherten das Interesse und die Information fehlen, die zu einer unmittelbaren Kontrolle notwendig wären. Die Kontrolle erfolgt über die Vertreterversammlung (§ 345 Abs. 2 Nr. 2 RVO). Bei der Untersuchung der Wahlbeziehungen w i r d sich zeigen, daß — wie bei den Zünften und Gesellenverbänden — einerseits Nicht-Mitglieder (Arbeitgeber) an der Kontrolle beteiligt werden, andererseits ein Teil der Mitglieder durch die Wahlpraxis von der Kontrolle ausgeschlossen ist. Ein gewisser Ausgleich für die fehlende direkte Kontrollmöglichkeit ist den Versicherten dadurch gegeben, daß zwischen den Kassen eine beschränkte Konkurrenz besteht, d.h. innerhalb gesetzlich fixierter Merkmalsgrenzen haben die Versicherten die freie Wahl zwischen ver-

248

2. Teil,

. Analyse und Vergleich der t

schiedenen Kassenarten 10 . Sind sie der Meinung, ihre Kasse sei weniger günstig, so können sie unter Umständen die Kasse wechseln. K o n k u r renz als Kontrollmechanismus erhält besondere Bedeutung für die Gruppe der aus der Versicherungspflicht herauswachsenden Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung, da für sie nicht nur die Wahl zwischen den Pflichtkassen besteht, sondern zusätzlich die privaten Versicherungen i n den Wettbewerb um die Mitglieder eintreten. Eine solche Konkurrenz zwischen Versicherungsträgern gab es bei den Zünften und Gesellenverbänden nicht. Jeder war von vorneherein einem bestimmten Verband zugeordnet. 3. Wahlen Eng m i t den Kontrollen verbunden sind die Wahlbeziehungen zwischen Mitgliedern und Kassen. Bei den Zünften wählte die Gesamtheit der aktiven Mitglieder, also die Meister, aus ihrer Mitte den Zunftvorstand, dem für die Dauer der Wahlperiode die Geschäftsführung übertragen wurde. Bei diesen Wahlen wurden zwei interessante Zwänge wirksam: A l l e Mitglieder mußten unter Androhung von Strafe an dieser Versammlung und folglich an der Wahl teilnehmen; die Gewählten mußten — konnten sie nicht schwerwiegende Hinderungsgründe nennen — diese Wahl annehmen 11 . Auch i n den Gesellenverbänden wurde der Vorstand von allen M i t gliedern aus deren Mitte gewählt, wobei ebenfalls Wahlpflicht sowie Annahmezwang der Wahl galten". Was bereits zum Beitrittszwang gesagt wurde, gilt auch hier: I m theoretisch strengen Sinne dürfte nicht von „Zwang" gesprochen werden, da die Beteiligung an der W a h l sowie die Übernahme der Verantwortung i m Verband zu den internalisierten Verhaltensweisen gehörte. Die Solidarität der Mitglieder untereinander sowie die enge Verknüpfung von Einzel- und Verbandsinteressen bewirkten ein weitgehendes Engagement der Mitglieder, die gleichzeitig die moralische Verpflichtung spürten, nicht nur passive Nutznießer zu sein, sondern auch selbst Aufgaben i n der Zunft bzw. i m Gesellenverband zu übernehmen. I m Gegensatz dazu w i r d bei den Wahlen i n der gesetzlichen Krankenversicherung eine erhebliche Kontaktschwäche zwischen Kassen und Versicherten deutlich. Der Vorstand w i r d nicht unmittelbar von den Versicherten sondern von der Vertreterversammlung gewählt. Diese w i r d ihrerseits bei den Ersatzkassen allein von den Arbeitnehmern, also 10

Vgl. Herder-Dorneich, P h i l i p p : Sozialökonomischer Grundriß, S. 242 ff. Vgl. ζ. B. Ordnung der Frankfurter Schuhmacher v o m 13. August 1579, i n : Bücher, K a r l , u n d Benno Schmidt: Bd. 2, S. 52. 12 Vgl. z . B . Ordnung der M ü l l e r - u n d Bäckerknechte zu Speyer, 1410, i n : Schanz, Georg: Z u r Geschichte der deutschen Gesellenverbände, S. 175. 11

I. Die Beziehungen zwischen

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den Versicherten, gewählt; bei den RVO-Kassen findet eine paritätische Besetzung durch Arbeitgeber (Nicht-Mitglieder) und Arbeitnehmer statt, eine Regelung, die aus der Form der Beitragserhebung — 50 Prozent von den Versicherten, 50 Prozent vom Arbeitgeber — abgeleitet wurde. Ein Indiz für die Kontaktschwäche zwischen Kassen und Versicherten ist i n der Verlagerung der Wahlen von den Versicherten zu organisierten Gruppen zu sehen. So werden die Arbeitgebervertreter grundsätzlich nicht von den Arbeitgebern gewählt, sondern von deren Verbänden benannt 13 . Für die Vertreterwahl der Versicherten hat sich ein ähnliches Verfahren eingespielt: I n der Regel gehen die Wahlvorschläge nicht von den Versicherten aus und werden von ihnen diskutiert, diese Aufgabe w i r d vielmehr von den Gewerkschaften wahrgenommen. Diese stellen eine Liste auf, die so viele Namen enthält, wie Plätze i n der Vertreterversammlung zu besetzen sind. Die auf diesen Vorschlagslisten genannten Bewerber gelten als gewählt, die eigentliche Wahlhandlung entfällt 1 4 . Da nur ein Teil der Versicherten Mitglied einer Gewerkschaft ist, w i r d praktisch auch nur diese Gruppe bei der Willensbildung vertreten. Die nicht organisierten Versicherten können allerdings durch Aufstellung einer eigenen Liste eine Wahl erzwingen 15 . Die Erfolgsaussicht solcher freier Vorschlagslisten bei einer Wahl ist jedoch gering, da es schwierig ist, genügend Stimmen i m Verhältnis zur Stimmenzahl für die Liste der Gewerkschaften aufzubringen 18 . Solche Wahlen finden äußerst selten statt — meist w i r d die geschilderte Praxis der sogenannten „Friedenswahlen" angewandt. E i n Grund dafür ist sicherlich i n der Tatsache zu sehen, daß nur eine äußerst geringe Wahlbeteiligung verzeichnet werden konnte, die darüber hinaus noch eine sinkende Tendenz erkennen ließ 17 . Damit bleibt festzuhalten, daß sich die Willensbildung weitgehend von den Sozialwahlen i n die Verbandsstrukturen verlagert hat. Einen gewissen Ausgleich für die schwindende Willensbildung bei den Sozialwahlen bieten die politischen Wahlen. Über die Wahl einer politischen Partei nehmen die Versicherten Einfluß auf die relevante Gesetzgebung, wodurch der Einflußspielraum insofern erweitert wird, als 18

Vgl. Herder-Dorneich, P h i l i p p : Sozialökonomischer Grundriß, S. 230. Vgl. Schulz-Lüke, Gerd: Handbuch der Selbstverwaltung i n der Sozialversicherung, Stuttgart 1968, S. 228. 15 Vgl. Eckert, I., u n d Schraft: Versicherte, Arbeitgeber, Geschäftsführer u n d Ärzte i n der Selbstverwaltung der Sozialversicherung, München 1952, S. 44. 16 Vgl. Eckert, I., u n d Schraft, S. 226 - 227. 14

Vgl. Herder-Dorneich,

Philipp: Sozialökonomischer Grundriß, S. 2

- 21.

250

2. Teil,

. Analyse und Vergleich der t

auch am System Nichtbeteiligte zu Leistungen an die gesetzliche Krankenversicherung herangezogen werden können 18 . Die Willensbildung vollzog sich bei den Zünften zwar intern über die Vorstandswahlen und i n den regelmäßigen Versammlungen, doch kam auch politischen Wahlen i n gewissem Umfang eine unterstützende Funktion zu. I n den freien Städten gelang es den Zünften häufig, bei den Ratswahlen eigene Mitglieder zu delegieren und so an den Entscheidungen des Rats mitzuwirken. Da sich die Zünfte — wie die Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung — zwar generell selbst verwalteten, die Stadtregierung sich aber vielfach die Zustimmung zu Satzungsänderungen vorbehielt oder die Aufnahme bestimmter A r t i k e l i n die Zunftordnungen anordnete, waren die politischen Wahlen auch für die zunftinternen Angelegenheiten von Bedeutung. II. Die Beziehungen zwischen „Versicherten" und Ärzten 1. Vertrauen und Autorität

Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient ist durch Vertrauen und Autorität gekennzeichnet. Der Patient bringt dem Arzt Vertrauen entgegen, d. h. er geht davon aus, daß der Arzt ihm i n seiner spezifischen Situation als Kranker helfen wird. Dieses Vertrauen basiert auf funktionaler und/oder persönlicher Autorität des Arztes 19 . Aus der funktionalen Autorität 2 0 resultiert das Vertrauen des Laien i n die Fähigkeiten des Fachmanns, der i n spezifischen Situationen (hier: Krankheit) konsultiert wird. Durch erfolgreiche Behandlung w i r d dieses Vertrauen bestärkt, bei späteren Erkrankungen w i r d der Patient den gleichen Arzt aufsuchen. W i r d es enttäuscht, so schlägt sich dies unter Umständen i n einem Arztwechsel nieder. K o m m t es nicht zu dieser Konsequenz und konsultiert der Patient weiterhin den gleichen Arzt, so kann das latente Mißtrauen bei komplizierteren und insbesondere bei psychosomatischen Erkrankungen zur „sich-selbst-erfüllenden Prophezeiung" (self-fulfilling prophecy) werden, d.h. das Mißtrauen führt seine Berechtigung selbst herbei 21 . Der Arzt ist nämlich bei der Behandlung vieler Krankheiten auf das Vertrauen des Patienten an18

Vgl. Herder-Dorneich, P h i l i p p : Sozialökonomischer Grundriß, S. 233. Die ärztliche A u t o r i t ä t w i r d hier aus der Sicht des Patienten betrachtet. Z u r A u t o r i t ä t aus der Sicht des Arztes, d. h. unter welchen Bedingungen der A r z t gegenüber dem Patienten A u t o r i t ä t ausübt, vgl. Kaupen-Haas, Heidrun: Stabilität u n d Wandel ärztlicher A u t o r i t ä t , Stuttgart 1969. 20 Funktionale A u t o r i t ä t ist die „Chance . . . auf G r u n d persönlicher Sachverständigkeit das künftige Handeln bzw. die zukünftige Einstellung anderer zu ändern". Hartmann, Heinz: Funktionale Autorität, Stuttgart 1964, S. 6. 21 Z u m Begriff u n d zur W i r k u n g der „sich-selbst-erfüllenden Prophezeiung" (self-fulfilling prophecy) vgl. Merton, Robert Κ . : Social Theory and Social Structure, Glencoe, 111., 8. Aufl., 1963, S. 421 - 436. 19

II. Die Beziehungen zwischen „Versicherten" und Ärzten

251

gewiesen, d. h. seine Autorität („die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden" 22) muß anerkannt werden. Ist dies nicht der Fall und werden folglich die ärztlichen Anweisungen nicht oder nur teilweise befolgt, so w i r d häufig ein therapeutischer Mißerfolg das Resultat sein. Das Vertrauen des Patienten i n den Arzt ist also i n zweifacher Hinsicht erforderlich: erstens u m die Leistung des Arztes überhaupt abzurufen und zweitens, damit dieser das Bedürfnis nach Heilung befriedigen kann. Für den Besuch beim Facharzt w i r d vorwiegend das Vertrauen i n dessen spezielle Fähigkeiten, d. h. dessen funktionale Autorität maßgeblich sein. Affektive Beziehungen wie Sympathie und Antipathie, gesellschaftliche Stellung, Anerkennung als Ratgeber und/oder Vorbild auch i n nicht-medizinischen Fragen spielen dagegen bei der Wahl des Hausarztes auch eine Rolle 23 . Die Vertrauensbeziehungen zwischen Arzt und Patient entwickeln sich grundsätzlich unabhängig vom jeweiligen System der sozialen Sicherung; sie haben daher sowohl für das System der gesetzlichen Krankenversicherung als auch für das der Zünfte und Gesellenverbände Gültigkeit. Das System der Krankensicherung kann die Entwicklung dieser Beziehungen allerdings institutionell hemmen, indem ζ. B. nicht dem Patienten selbst die Wahl des Arztes überlassen wird, sondern die Zuständigkeit eines bestimmten Arztes von der Kasse festgelegt wird. Während das Verhältnis zum Facharzt, da vorwiegend auf funktionaler Autorität basierend, von einer solchen Regelung kaum beeinträchtigt würde, könnte das erstrebte Vertrauensverhältnis zwischen Patient und praktischem Arzt, besonders Hausarzt, erheblich gestört werden. I n der gesetzlichen Krankenversicherung ist die freie Arztwahl innerhalb der Kassenärzte — und das ist das Gros der Ärzte — gesichert. Von daher w i r d also der Aufbau einer engen Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patient nicht gehemmt. Auch den Angehörigen der Zünfte und Gesellenverbände stand i n der Regel die Wahl des Arztes frei, doch war eine solche freie Arztwahl wegen der geringen Zahl der Ärzte lange Zeit praktisch nicht aktuell. Aus dieser ärztlichen Unterversorgung resultierte auch der Entschluß einiger Zünfte und Gesellenverbände, einen bestimmten Arzt unter Vertrag zu nehmen, der dann von den Mitgliedern konsultiert werden mußte. Eine Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses durch diese Maßnahme war kaum zu befürchten, da die Mitglieder bei der Anstellung dieses Arztes Mitspracherecht hatten, und da ohnehin kaum Wahlmöglichkeiten bestanden. 22 Weber, M a x : Wirtschaft u n d Gesellschaft, Bd. 1, 5. Aufl., K ö l n — B e r l i n 1964, S. 38. 23 Vgl. Dunckelmann, Henning: Das Verhältnis zwischen A r z t u n d Kassenpatient, i n : Boettcher, E r i k , Hrsg., S. 205.

252

2. Teil,

. Analyse und Vergleich der t

Trotz der gewährleisteten freien Arztwahl bietet die Organisation der gesetzlichen Krankenversicherung Ansatzpunkte, die sich auf die Entwicklung enger Arzt-Patient-Beziehungen hemmend auswirken können. A n die Stelle direkter rechtlicher und wirtschaftlicher Beziehungen zwischen Arzt und Patient trat das Dreiecksverhältnis Arzt — Kasse — Patient. Der Arzt leistet an den Patienten, bezieht die Gegenleistung aber nicht mehr direkt von diesem, sondern indirekt über die Kasse. Das bedeutet für einen Bereich der Arzt — Patient — Beziehungen Versachlichung, Bürokratisierung, Entfremdung, die sich möglicherweise auf die gesamte Breite dieser Beziehungen auswirkt. Das würde bedeuten, daß die Autorität des Arztes vom Patienten häufiger i n Frage gestellt wird, und daß damit die Entwicklung so enger Vertrauensbeziehungen, wie sie besonders zum Hausarzt entstanden, gehemmt wird 2 4 . Das System der Zünfte und Gesellenverbände bot institutionell einen solchen Ansatz nicht. I n der Regel blieben auch die juristischen und wirtschaftlichen Beziehungen innerhalb der Paar-Beziehung Arzt — Patient bestehen. Ein Dreiecksverhältnis ähnlich dem i n der gesetzlichen Krankenversicherung entstand nur bei den von den Zünften und Gesellenverbänden angestellten Ärzten, die ihr Honorar i n Form einer Pauschale von der Zunft bzw. dem Gesellenverband bezogen. Ob das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient dadurch gelockert wurde, läßt sich nicht mehr feststellen. Es ist indes auch i n der gesetzlichen Krankenversicherung eine solche Folge nicht nachgewiesen, eine Umfrage hat i m Gegenteil ergeben, daß 80 Prozent der Bevölkerung der Meinung sind, eine Bindung zu einem Hausarzt zu haben 25 . Es bleibt festzuhalten, daß die gesetzliche Krankenversicherung institutionelle Elemente enthält, die die engen Vertrauensbeziehungen zwischen Arzt und Patient lockern können, jedoch nicht zwangsläufig lokkern müssen. Selbst wenn eine Tendenz der wachsenden Entfernung vom durch funktionale und persönliche Autorität geprägten Hausarztideal nachweisbar wäre, bliebe doch zu prüfen, ob diese Entwicklung durch das System der gesetzlichen Krankenversicherung bedingt wäre oder nicht vielmehr durch die zunehmende Spezialisierung i m Arztberuf, d. h. i n einer wachsenden Bedeutung des Facharztes, bei dem die persönliche Autorität i m Vergleich zur funktionalen Autorität eine geringere Rolle spielt. Das System der Zünfte und Gesellenverbände enthielt i n der Regel keine Elemente, die die Arzt — Patient — Beziehung negativ hätten beeinflussen können. 24

Vgl. Dunckelmann, Henning, S. 200 - 201. 1957 v o n E m n i d durchgeführte Repräsentativ-Umfrage. Nach: HerderDorneich, P h i l i p p : Sozialökonomischer Grundriß, S. 188. 25

II. Die Beziehungen zwischen „Versicherten" und Ärzten

253

2. Marktbeziehungen

Die zwischen Arzt und Patient bestehenden Marktbeziehungen weisen i m Vergleich zu anderen Marktbeziehungen einige Besonderheiten auf. Die Nachfrage nach ärztlichen Leistungen ist besonders unelastisch: Der erkrankte Patient ist auf die sofortige Hilfe eines Arztes angewiesen, er kann den Zeitpunkt seiner Nachfrage nicht oder nur i n sehr geringem Umfange selbst bestimmen. I n bezug auf die Zeit ist also eine Orientierung der Nachfrage am Preis nicht möglich. Einer preisorientierten Nachfrage i n bezug auf die Wahl des Arztes stehen räumliche, persönliche und sachliche Präferenzen (Bevorzugung bestimmter Heilmethoden) entgegen. Darüber hinaus ist die Nachfrage weitgehend fremdbestimmt, d. h. nicht der Patient selbst fragt bestimmte medizinische Leistungen nach — er verlangt lediglich Heilung seiner Erkrankung —, sondern der Arzt, also der Anbieter, bestimmt A r t und Umfang der Leistungen. Diese Besonderheiten auf der Nachfrageseite gelten nicht nur heute, sie trafen i n bezug auf Zeitgebundenheit und Fremdbestimmtheit auch für die Zeit der Zünfte zu. Einer preisorientierten Verschiebung der Nachfrage unter den Anbietern (Ärzten) standen weniger bestimmte Präferenzen i m Wege als vielmehr die noch außerordentlich geringe Zahl der Ärzte. Wie die Nachfrage ist auch das Angebot ärztlicher Leistungen relativ unelastisch. Die Zahl der Ärzte läßt sich nur langfristig durch Förderung des Medizinstudiums erhöhen. Die Möglichkeiten, die Angebotssituation über die örtliche Mobilität der Ärzte zu steigern, sind gering. Zur Zeit der Zünfte machten Städte und Gesellen verbände Anstrengungen i n dieser Richtung, indem sie Ärzte fest anstellten. Zum Teil erreichten sie damit aber lediglich, daß überhaupt ärztliche Leistungen angeboten wurden, eine wesentliche Angebotssteigerung konnte dadurch kaum herbeigeführt werden. Eine Vermehrung des Angebots durch längere Arbeitszeit des Arztes ist ebenfalls nur begrenzt möglich. Können w i r also heute davon ausgehen, daß der Markt für ärztliche Leistungen durch die geringe Vermehrbarkeit des Angebots und durch die Präferenzen der Nachfrage stark monopolistische Züge trägt, die durch die Dringlichkeit der Nachfrage noch verstärkt werden 28 , so trifft dies für die Zeit der Zünfte und Gesellenverbände i n noch stärkerem Umfange zu. Der Arzt war vielfach wirklich Monopolist i m ursprünglichen Sinne, d. h. einziger Anbieter. Das galt lange Zeit für die praktischen Ärzte, für die kaum vorhandenen Fachärzte i n noch größerem Maße. I n dieser Situation könnte der Arzt vom Patienten theoretisch jeden Preis fordern; dieser hätte i m Extremfall eines einzigen Anbieters 26

Vgl. Herder-Dorneich,

Philipp: Sozialökonomischer Grundriß, S. 256 - 261.

254

2. Teil,

. Analyse und Vergleich der t

lediglich die Wahl, den genannten Preis zu akzeptieren oder ohne ärztliche Behandlung zu bleiben. U m aber die Behandlung auch unvermögender Patienten sicherzustellen, w i r d seit Hippokrates eine Preisdifferenzierung nach der Leistungsfähigkeit des Patienten gefordert. Sie w i r d bis heute i n der Privatpraxis durchgeführt. Zur Zeit der Zünfte und Gesellenverbände schrieben die Städte den Ärzten ausdrücklich vor, arme Patienten kostenlos zu behandeln. Der Preis der ärztlichen Leistung spielt bei der Entscheidung, ob ein Arzt aufgesucht werden soll und bei der Wahl des Arztes so lange eine besondere Rolle, als der Patient die Kosten für die Behandlung selbst tragen muß. Das war sowohl bei den Zünften als auch bei den Gesellenverbänden der Regelfall. Zwischen Arzt und Patient bestanden echte Marktbeziehungen, denn weder die Zünfte noch die Gesellenverbände zahlten die Arztrechnungen. Sie gewährten lediglich ein Darlehen oder sie zahlten ein Krankengeld, das aber in seiner Höhe von den Arztkosten unabhängig war. I n der privaten Krankenversicherung, die Kostenerstattung gewährt, steht der Patient m i t dem Arzt zwar noch i n einer finanziellen Beziehung, denn er muß die Rechnung ja zunächst selbst begleichen. A u f die Entscheidung für oder gegen einen Arztbesuch bzw. auf die Arztwahl hat der Preis der ärztlichen Leistung jedoch kaum noch Einfluß. I m System der gesetzlichen Krankenversicherung sind die finanziellen Beziehungen zwischen Arzt und Patient schließlich vollends aufgehoben. Der Patient händigt dem Arzt vor Beginn der Behandlung einen von der Krankenkasse ausgestellten Krankenschein aus und ist damit ohne jede weitere Verpflichtung berechtigt, sich behandeln zu lassen. Der Arzt seinerseits erhält die Vergütung für seine Leistung über die Kassenärztliche Vereinigung von der Krankenkasse. Bei diesem Verfahren erhält der Patient keinerlei Einblick i n die Kosten seiner Behandlung. Die Entscheidung für oder gegen einen Arztbesuch w i r d somit völlig unabhängig von den Behandlungskosten getroffen. Auch auf die Wahl des Arztes hat der Preis der ärztlichen Leistung keinen Einfluß mehr. Die freie Arztwahl w i r d allerdings dadurch eingeschränkt, daß der Krankenschein jeweils Gültigkeit für ein Quartal hat und innerhalb dieser Zeit ein Arztwechsel nur sehr schwer möglich ist (die Uberweisung an einen Facharzt bzw. ein Krankenhaus w i r d nicht eingeschränkt). Für den Arzt bedeutet dieses System eine Einschränkung seiner Liquidationsfreiheit. Eine Preisdifferenzierung nach der Leistungsfähigkeit des Patienten ist nicht mehr möglich (und auch nicht mehr nötig), feste Gebührenordnungen legen vielmehr den Preis für jede Einzelleistung fest.

III. Beziehungen zwischen Zünften und Hospitälern

255

Damit bleibt festzuhalten: Der M a r k t für ärztliche Leistungen war zur Zeit der Zünfte und Gesellenverbände wie auch heute gekennzeichnet durch stark monopolistische Züge bei relativ starrer Angebots- und Nachfragefunktion. Während die finanziellen Beziehungen zwischen Arzt und Patient i m System der Zünfte und Gesellenverbände i n der Regel voll erhalten blieben, sind diese i m System der gesetzlichen Krankenversicherung aufgehoben. I I I . Die Beziehungen zwischen Zünften bzw. Gesellenverbänden und Hospitälern I m heutigen System der sozialen Sicherung spielt das Aggregat „Krankenhäuser" als Anbieter medizinischer und pflegerischer Leistungen nur i m Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung — hier allerdings eine bedeutende — Rolle. Der Aufgabenkreis des Hospitals zur Zeit der Zünfte und Gesellenverbände war hingegen breiter gefächert: Neben der Versorgung Kranker bot es armen und alten, arbeitsunfähigen Bürgern Unterkunft und Verpflegung, es war also gleichzeitig Krankenhaus, Altersheim und Armenhaus. Die Beziehungen — besonders der Zünfte und Gesellenverbände — zu diesem Aggregat sind Gegenstand der folgenden Untersuchung. 1. Einführung

Soweit das Hospital als Anbieter bestimmter Leistungen einzelnen oder Gruppen von Nachfragern eben dieser Leistungen gegenüberstand, handelt es sich zweifellos um Marktbeziehungen, doch ist diese Aussage allein unzureichend. Bei der Analyse der Marktbeziehungen ging die sozialwissenschaftliche Theorie zunächst von der Annahme aus, daß einem einzelnen Anbieter bei Verhandlungen ein einzelner Nachfrager gegenübertritt (individual bargaining). A u f dieser Prämisse basierte die Markttheorie. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Begriff des collective bargaining (Gruppenverhandlungen) eingeführt 27 , der vor allem neuen Formen der Beziehungen auf dem Arbeitsmarkt Rechnung trug. Nicht mehr der einzelne bot seine Arbeitskraft dem Unternehmer an, sondern mehr und mehr handelten Gewerkschaften für eine Gruppe von Arbeitnehmern Löhne und Arbeitsbedingungen aus. Die i n diesen Gruppenverhandlungen wirksam werdenden Gesetzmäßigkeiten konnten von der alten Markttheorie nicht voll erfaßt werden. Seit dem 2. Weltkrieg entstanden theoretische Analysen des collective bargaining, der Grup27

Vgl. Herder-Dorneich,

Philipp: Zur Theorie der sozialen Steuerung, S. 20.

256

2. Teil,

. Analyse und Vergleich der t

penverhandlungen. Obwohl auch die Gruppenverhandlungen Marktbeziehungen sind, erweist sich terminologisch eine Nebenordnung beider Begriffe als sinnvoll. Danach w i r d unter Marktbeziehungen das individual bargaining, unter Gruppenverhandlungen das collective bargaining verstanden. Heute dominieren i m Bereich der privaten Krankenversicherung die Marktbeziehungen — Märkte bestehen zwischen Patient und Arzt, Patient und Krankenhaus, Patient und Apotheke, Versichertem und Versicherung — während i m Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung die Gruppenverhandlungen entscheidend geworden sind: A n Stelle der Marktbeziehungen zwischen Arzt und Patient sind die Gruppenverhandlungen zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen und Kassen getreten, an die Stelle der Beziehungen zwischen Patient und Krankenhaus Gruppenverhandlungen zwischen Kassen und Krankenhausgesellschaft. I m System der Zünfte und Gesellenverbände bestanden beide Formen nebeneinander. Teils stand der Zunftgenosse (Geselle) mit dem Arzt i n einer Marktbeziehung, teilweise, allerdings seltener, wurde das Arzthonorar (Pauschalhonorierung) i n Gruppenverhandlungen m i t Zunft bzw. Gesellenverband festgelegt. Das gleiche gilt für die Beziehungen zu den Hospitälern: Wenn die häusliche Pflege nicht möglich oder nicht ausreichend war, mußten sich Zunftangehörige und Gesellen bei K r a n k heit oder i m A l t e r vielfach selbst u m einen Pflegeplatz i m Hospital bemühen (Marktbeziehungen). Einige Zünfte und Gesellenverbände suchten ihren Mitgliedern einen Pflegeplatz zu sichern, indem sie mit den Hospitälern entsprechende Verträge abschlossen (Gruppenverhandlungen). 2. Zur Lage auf dem Markt für Krankenhausleistungen

Eine Analyse des damaligen Marktes für Krankenhausleistungen und der Gruppenverhandlungen zwischen Zünften (Gesellenverbänden) und Hospitälern ist heute außerordentlich schwierig und problematisch. Genauere Statistiken fehlen, ebenso Unterlagen über den Verlauf der Verhandlungen. Die folgenden Ausführungen können deshalb nur ein vorsichtiger Versuch sein, einige Anhaltspunkte zu gewinnen. Das Angebot auf dem Markt für Krankenhausleistungen war wohl, ähnlich dem auf dem M a r k t für ärztliche Leistungen, recht unelastisch. Selbst wenn man die zeitweilig sehr rege Gründungstätigkeit der vielen größeren und kleineren Ordensgemeinschaften i n Rechnung stellt, bleibt doch zu bedenken, daß eine Vermehrung der Hospitalbetten entsprechend dem Bedarf kurzfristig nicht möglich war. Die Bettenzahl der meisten Spitäler war sehr gering (6 bis 12); darüber hinaus machte

III. Beziehungen zwischen Zünften und Hospitälern

257

sich sehr bald ein erheblicher Mangel an geeignetem Pflegepersonal bemerkbar. Die Lage war also der heutigen Angebotssituation auf dem Krankenhaussektor nicht unähnlich. Auch hier liegt der wichtigste Engpaß für die Vermehrung der Krankenhausbetten neben den gestiegenen Bau- und Unterhaltungskosten auf dem Arbeitsmarkt, der nicht genügend Pflegepersonal zur Verfügung stellen kann. Das Angebot von Krankenhausleistungen war also damals wie heute relativ starr. Demgegenüber dürfte die Nachfrage i m Vergleich zur heutigen Situation elastischer gewesen sein. Eine Reihe von Gründen hat dazu geführt, daß eine häusliche Krankenpflege, abgesehen von leichten Erkrankungen, wie etwa Grippe, bei denen der Kranke nicht völlig auf die Hilfe anderer angewiesen ist, heute nahezu nicht mehr möglich ist: die Auflösung der Großfamilie; die gestiegene geographische Mobilität, die es m i t sich gebracht hat, daß Verwandte weit voneinander entfernt wohnen; die häufige Berufstätigkeit der Frau; der medizinische Fortschritt, der immer höhere Anforderungen an die Ausbildung des Pflegepersonals stellt. Alle diese Faktoren haben ein Wachsen der Nachfrage, verbunden mit steigender relativer Dringlichkeit bewirkt: Die Nachfrage ist relativ starr. Hingegen wurde die Unterbringung i m Hospital zur Zeit der Zünfte und Gesellen verbände wohl weniger häufig als so dringend und unumgänglich empfunden. Die medizinischen Kenntnisse waren noch nicht so weit fortgeschritten, daß die Krankenpflege i m Hause besondere A n forderungen stellte; i n der Regel konnten die notwendigen Maßnahmen unter Anleitung eines Arztes auch i m Hause durchgeführt werden. Die Frauen der Handwerksmeister waren nicht berufstätig und konnten die Krankenpflege ihrer Ehemänner, der Gesellen und Lehrlinge, die i m Hause wohnten, übernehmen. Zwar war die Drei-Generationen-Großfamilie bereits aufgelöst, doch waren Institutionen an ihre Stelle getreten, deren Modell die Familie war („künstlicher Familismus" 2 8 ): die Zunft oder der Gesellenverband. Durch ihre Verfassung kennzeichneten sie sich „als Nachbilder wenn nicht der Sippen, so doch familiärer Konsumtions- und Arbeitsgemeinschaften" 29 . Auch i n der Krankenpflege übernahmen Zunftgenossen und deren Familien Aufgaben, die ehemals den Verwandten zufielen: Sie versorgten die Kranken und hielten Nachtwache; wenn nötig stellte die Zunft auf ihre Kosten Pflegepersonal ein. Ähnlich bei den Gesellenverbänden: Die Gesellen hatten die Verpflichtung zur Krankenwache und -pflege, soweit es i n ihren Kräften 28

Neidhardt, Friedhelm: Die Familie i n Deutschland, Opladen 1966, S. 24. Gothein, E.: „ F a m i l i e " , i n : Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 4, 3. Aufl., Jena 1909, S. 3 f. 29

17 Fröhlich

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2. Teil,

. Analyse und Vergleich der t

stand. Vielfach schlossen sie Verträge m i t dem Herbergsvater ab, der dann die Unterbringung und Pflege erkrankter Gesellen übernahm (Gruppenverhandlungen). Eine Krankenpflege außerhalb des Hospitals war also recht weitgehend möglich. Nur bei besonders schwierigen Erkrankungen wurde eine Unterbringung i m Hospital als unumgänglich erachtet, und nur i n diesen Fällen war die Nachfrage besonders dringlich. 3. Z u den Gruppenverhandlungen

Entscheidend für den Verlauf von Gruppenverhandlungen sind vor allem die Verhandlungsmacht der Beteiligten und die Willensbildung i m Verband. Wichtige Bestimmungsfaktoren der Verhandlungsmacht können sein: Organisationsgrad und Kontrolldichte des Verbandes, seine Mitgliederzahl, seine Finanzkraft, seine rechtlichen Privilegien und Handikaps, seine Aktionsmittel, die Unterstützung, die er von Dritten erhält und das Verhalten der Funktionäre 3 0 . Organisationsgrad und Kontrolldichte waren bei Zünften und Gesellenverbänden hoch; das gleiche gilt für die Hospitäler als Verhandlungspartner, deren Verwaltung die Städte i m Laufe der Zeit weitgehend übernommen hatten oder kontrollierten. Für die Verhandlungsmacht der Zünfte hatte diese hohe Kontrolldichte praktisch keine Bedeutung, da das Verhalten der einzelnen Mitglieder keinen Einfluß auf Zustandekommen oder Fortdauer eines Vertrages zwischen Hospital und Zunft ausübte. Anders bei den Hospitälern: Die hohe Kontrolldichte bewirkte, daß der Hat einer Stadt die Hospitalverwaltungen anweisen konnte, Verträge nur zu ganz bestimmten Bedingungen abzuschließen. Bestanden i n dieser Stadt keine freien Hospitäler ohne Bindung an die städtische Verwaltung, blieb Zünften und Gesellenverbänden nur die Wahl zwischen Annahme oder Ablehnung dieser Bedingungen. Die Mitgliederzahl der Einzelzünfte war gering und für die Verhandlungen wohl kaum von Bedeutung, da die Anzahl der bereitstehenden Hospitalbetten ohnehin klein war, es also für die Hospitalverwaltungen keine Notwendigkeit gab, die Bettenbelegung vertraglich abzusichern. I m Gegenteil: Anlaß der Zünfte, solche Verträge anzustreben, war ja gerade die Schwierigkeit, i m Notfall einen Platz i m Hospital zu bekommen. Die Verhandlungsmacht wurde durch die Finanzkraft beeinflußt, und zwar auf beiden Seiten. Bei den Zünften schwankte die Finanzkraft ganz erheblich. Neben sehr reichen Zünften mit hohem Beitragsaufkommen und Vermögenswerten standen solche m i t nur geringen Einkünf30 Vgl. Herder-Dorneich, Philipp: Ansatzpunkte zu einer Sozialpolitiklehre der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 136 - 138.

III. Beziehungen zwischen Zünften und Hospitälern

259

ten. Ähnlich unterschiedlich war die Lage der Hospitäler. Einige waren durch reiche Pfründner und großzügige Stiftungen finanziell weitgehend unabhängig, andere blieben ständig auf Spenden angewiesen. Je reicher nun die Zunft und je finanzschwächer das Hospital war, um so eher konnte die Zunft günstige Vertragsbedingungen aushandeln. Rechtliche Privilegien und Handikaps waren auf Seiten der Zünfte ohne Bedeutung, eher dagegen auf Seiten der Hospitäler, die zum Teil verpflichtet waren, auch arme Bürger aufzunehmen und kostenlos zu pflegen, was sich wiederum auf ihre finanzielle Lage auswirken konnte. Aktionsmittel, wie Streik oder Aussperrung, spielten bei den Vertragsverhandlungen keine Rolle. Die Zunft konnte unter Umständen beim Rat der Stadt intervenieren und fand dort möglicherweise Unterstützung bei einigen Ratsmitgliedern. Erfolgversprechender konnte dieser Schritt sein, wenn ein Zunftgenosse selbst Mitglied des Rates war. — Wie bei allen Verhandlungen war das Ergebnis nicht zuletzt abhängig vom Geschick der Funktionäre. Die Willensbildung der heute an Gruppenverhandlungen beteiligten Verbände (z.B. der Gewerkschaften) w i r f t eine Reihe von Problemen auf. Die Mitgliederzahl dieser meist überregionalen Verbände ist so groß, daß es für die Funktionäre unmöglich geworden ist, sich über die Meinung der einzelnen Mitglieder zu informieren. Umgekehrt übersteigen die Verbandsinteressen und -ziele i n der Regel den Horizont des einzelnen. Er kennt nur noch einen sehr kleinen Teil der Gruppenmitglieder persönlich und damit auch nur noch einen Bruchteil aus der Vielfalt der i m Verband anstehenden Fragen und Probleme. Aus diesem fehlenden Überblick folgt weitgehende Lethargie und Passivität i n der Verbandspolitik; vom einzelnen Mitglied sind keine Anregungen und Initiativen zu erwarten. Damit liegt die verbandsinterne Willensbildung weitgehend in Händen weniger Funktionäre, die häufig nicht aus den Reihen der Mitglieder stammen, sondern als Berufsfunktionäre von außen in die Verbandsspitze berufen werden. Hier besteht nun die Gefahr, daß die Verbandspolitik nicht nur weitgehend losgelöst von der Masse der Mitglieder betrieben wird, sie kann an deren Interessen vorbei· oder ihnen sogar zuwiderlaufen. Anders bei den Zünften und Gesellenverbänden, i n denen der Prozeß der Willensbildung noch relativ unproblematisch war. Jeder kannte jeden (face-to-face group), und bei den regelmäßigen Zusammenkünften hatte der Vorstand, der aus den eigenen Reihen gewählt wurde, genügend Gelegenheit, die Ansichten der einzelnen Mitglieder kennenzulernen. Das Verbandsinteresse führte kein Eigenleben, sondern entsprach den Einzelinteressen der Mitglieder, die die Verbandspolitik durch Vorschläge, Anregungen, Bedenken aktiv mitgestalteten. 17«

260

2. Teil,

. Analyse und Vergleich der t

Es konnten nur einige Aspekte zur Lage auf dem Markt für Krankenhausleistungen, zur Verhandlungsmacht der Verbände und zu deren interner Willensbildung angedeutet werden. Weitergehende Aufschlüsse wären nur durch umfangreiche Sonderstudien möglich, die den Rahmen dieser Arbeit überschreiten würden.

D . Z u r Analyse der Entwicklung Ziel dieser Analyse ist es, eine Verbindung herzustellen zwischen der sozialen Sicherung der Zünfte und Gesellenverbände und dem heutigen System der sozialen Sicherung. Diese Betrachtung w i r d einzelne Entwicklungslinien hervorheben und sich vor allem auf drei Stufen konzentrieren: A u f die Entwicklung von der sozialen Sicherung durch die Zünfte zu der durch Zünfte und Gesellenverbände, von deren allgemeiner Sicherung zu eigenen Kranken- und Totenladen und schließlich von diesen Handwerkskassen zur allgemeinen Krankenversicherung. I. Von den Zünften zu den Gesellenverbänden I n der Anfangszeit der Zünfte gehörten Gesellen und Lehrlinge zur erweiterten Familiengemeinschaft der Meister und fanden hier auch Unterstützung i n Krankheit und anderen Notlagen. Als passive M i t glieder der Zünfte standen sie ferner unter dem Schutz dieser Solidargemeinschaften, die finanzielle Hilfe gewährten, wenn die Pflege i n der Meisterfamilie nicht ausreichte. M i t der wachsenden Tendenz, Meisterstellung und Zunftzugehörigkeit als Privileg zu betrachten, das es gegen eine ständig steigende Zahl von Gesellen und damit zukünftigen Meistern zu verteidigen galt, und einer immer unerträglicher werdenden Bevormundung der Gesellen entstand aus der einstigen Interessengemeinschaft zwischen Meistern und Gesellen ein Interessenkonflikt. Dank ihrer straffen Organisation i n der Zunft besaßen die Meister eine starke Macht, gegen die der einzelne Geselle nichts auszurichten vermochte. Galbraith hat gezeigt, wie sich unter dem Druck einer vorhandenen, originären Macht die schwächere Partei zusammenschließt und eine Gegenmacht bildet, die mit wachsender Konzentration und Organisation schließlich i n der Lage ist, die originäre Macht i n Schranken zu halten und ein Marktgleichgewicht herbeizuführen 1 . Entsprechend diesem Gegengewichtsprinzip entstanden auch die Gesellenverbände. I n der Erkenntnis der Aussichtslosigkeit, ihre Lage als 1 Vgl. Galbraith, John Kenneth: American Capitalism — The Concept of Countervailing Power, Boston 1952, S. 118, S. 121 ff., S. 159 ff.; vgl. auch die Darstellung des Prinzips der countervailing power am Beispiel der Gewerkschaften durch Spary, Peter: Das Gegengewichtsprinzip. Dargestellt am Beispiel der Gewerkschaften, Bonn 1965.

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2. Teil, D. Zur Analyse der Entwicklung

einzelne zu verbessern, bildeten die Gesellen eine Gegenmacht, indem auch sie sich zusammenschlossen und organisierten. Zwar bestanden bereits Gesellenbrüderschaften m i t überwiegend religiösen und geselligen Aufgaben, doch wurden diese nun m i t neuem Inhalt gefüllt, andere von vorneherein als Gegenpol zu den mächtigen Zünften gegründet. Nunmehr geschlossen auftretend, konnten die Gesellen ihre wirtschaftlichen Interessen den Zünften gegenüber wirkungsvoller vertreten und manche Verbesserung durchsetzen. So sehr sich Obrigkeit und Zünfte gegen die Bildung dieses neuen Machtfaktors innerhalb der städtischen Gemeinschaft wehrten, konnten sie sie doch nicht verhindern. M i t der Vertretung der wirtschaftlichen Interessen (Löhne, Arbeitszeit usw.) übernahmen die Gesellenverbände auch die soziale Sicherung ihrer Mitglieder i n eigene Verantwortlichkeit. Standen die Zünfte den Gesellenverbänden auch insgesamt feindlich gegenüber, so war ihnen die Übernahme der sozialen Sicherung doch sehr willkommen. Die Bildung einer Gegenmacht zum Ausgleich vorhandener Macht war auch i n der gesetzlichen Krankenversicherung zu beobachten. Durch ihre Monopolstellung auf dem Markt bildeten die Ärzte einen starken Machtfaktor, dem durch die Bildung von Versicherungsvereinen als Gegenmacht Schranken gesetzt wurden. Die Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung m i t ihrem Mitgliedszwang und ihrer straffen Organisation stellten auf einer zweiten Stufe eine originäre Macht dar, der gegenüber die unorganisierten Ärzte schließlich eine so schwache Verhandlungsposition besaßen, daß sie praktisch alle von den Kassen gestellten Bedingungen akzeptieren mußten. Unter diesem Druck schlossen sich die Ärzte zur Gegenmacht i n Form von Ärzteverbänden zusammen. Es folgte „ein Prozeß organisatorischer Aufrüstung und fortschreitender Verfestigung der Organisation beider Partner" 2 . M i t der Bildung der Gegenmacht i n Form der Gesellenverbände war eine Ausdehnung des Zwangs verbunden. Nur i n einigen Zünften waren Gesellen anfangs zur Zahlung eines Beitrags i n die Zunftkasse verpflichtet; Gesellenbrüderschaften existierten nicht überall. Sehr bald waren jedoch fast überall die Gesellen i n Verbänden organisiert, zu denen Beitrittszwang bestand, der gleichzeitig Zwang zur Zahlung der regelmäßigen Beiträge beinhaltete. Jedes soziale System gewinnt i m Laufe der Zeit eine Eigengesetzlichkeit, nach der es sich weiterentwickelt, wobei dies nicht immer Fortschritt bedeuten muß; auch unzweckmäßige Systemänderungen können 2 Vgl. Herder-Dorneich, P h i l i p p : Sozialökonomischer Grundriß, S. 359 ff.; vgl. auch ders.: Z u r Theorie der sozialen Steuerung, S. 31 ff.

II. Von den Zunftkassen zu eigenständigen Kranken- und Totenladen

263

sich eine Zeitlang halten, werden aber m i t großer Wahrscheinlichkeit irgendwann revidiert 3 . Der Wanderzwang und der damit verbundene häufige Ortswechsel der Gesellen erschwerte eine umfassende soziale Sicherung, vor allem bei Arbeitslosigkeit. Darüber hinaus schmälerte er die Macht des örtlichen Gesellenverbandes gegenüber den Meistern, die aufsässige Gesellen entlassen und Ersatz aus anderen Städten heranziehen konnten. Folgerichtig nahmen die Gesellenverbände eines Handwerks engen Kontakt miteinander auf, der sich sehr bald über das gesamte deutschsprachige Gebiet erstreckte. Damit wurde zweierlei erreicht: Eine Streikdrohung wurde wirkungsvoller, wenn die Meister wußten, daß arbeitswillige Gesellen aus anderen Städten vom örtlichen Gesellenverband geächtet wurden und überdies ihr Name an alle anderen Gesellenverbände weitergeleitet wurde. Durch dieses Verfahren hatten Streikbrecher keine Chance mehr, i n irgendeinen Gesellenverband aufgenommen zu werden. Aus diesem Grunde wagte es praktisch kein Geselle, bei einem Meister zu arbeiten, der vom örtlichen Gesellenverband bestreikt wurde. Zum anderen wurde durch diesen engen Kontakt eine soziale Sicherung der Gesellen auch während ihrer Wanderschaft erreicht. Die Gesellenverbände waren verpflichtet, zuwandernden Gesellen Arbeit zu vermitteln bzw. ihnen für die Fortsetzung der Wanderung ein Zehrgeld zu geben. Krank ankommenden Gesellen mußte Unterkunft und Pflege gewährt werden. Lange Zeit waren somit Hilfe bei Arbeitslosigkeit und Krankheit der Gesellen recht gut geregelt. M i t dem Niedergang der Zünfte und Gesellenverbände traten jedoch auch auf dem Gebiet der sozialen Sicherung Mißstände ein, die den Staat zum Eingreifen veranlaßten. Immer häufiger wurden kranke Gesellen abgeschoben und krank zuwandernden Gesellen wurde die Hilfe versagt. Staatliche Verordnungen regelten schließlich die Zuständigkeit in Form der bereits beschriebenen Subsidiaritätslinie. II. Von den allgemeinen Zunft- und Gesellenkassen zu eigenständigen Kranken- und Totenladen Anfangs bestanden bei Zünften und Gesellenverbänden i n der Regel keine eigenen Kassen für soziale Hilfeleistungen. Die Unterstützung verarmter Genossen wurde vielmehr aus der allgemeinen Zunftkasse bzw. Gesellenkasse gezahlt, aus der auch alle übrigen entstehenden Auslagen bestritten wurden. Entsprechend waren auch die Beiträge nicht differenziert. Meister und Gesellen konnten nicht überschauen, welchen Beitrag sie für ihre soziale Sicherung aufbrachten und welche Summen für die übrigen Verbandsaufgaben bestimmt waren. 3

Vgl. Herder-Dorneich,

Philipp: Sozialökonomischer Grundriß, S. 351.

264

2. Teil, D. Zur Analyse der Entwicklung

Diese Organisationsform konnte sich durchaus positiv auswirken, barg aber auch Gefahren. Solange der Zunftvorstand sparsam w i r t schaftete und nicht übermäßige Beträge für Festessen, Prunk- und Ziergerät usw. ausgab, stand ein großer Teil der Kasseneinnahmen für die Unterstützung i n Not geratener Mitglieder zur Verfügung. Ebensogut konnte aber die soziale Sicherung der Mitglieder gefährdet oder gar unmöglich werden, wenn i m Bedarfsfalle i n der Zunftkasse wegen größerer Ausgaben für andere Zwecke keine M i t t e l mehr vorhanden waren, M i t glieder finanziell zu unterstützen. Da nur bei wenigen Zünften und Gesellenverbänden eine Verpflichtung bestand, durch ad hoc erhobene Umlagen die Kassen aufzufüllen, und da auch die Mitglieder nur Anspruch auf Unterstützung besaßen, solange die finanzielle Lage der Zunft Hilfsmaßnahmen erlaubte, enthielt diese Form der sozialen Sicherung einen erheblichen Risikofaktor. Einige Zünfte und Gesellenverbände zweigten bereits relativ früh eine bestimmte Summe der Beiträge für die Unterstützung armer und kranker Genossen sowie für das Begräbnis Verstorbener ab und unterhielten hierfür eine eigene Kasse. Teilweise wurden Armenlade (gleichzeitig für die Unterstützung erkrankter Genossen) und Sterbelade getrennt. Konsequente Weiterentwicklung dieser Trennung war die Errichtung besonderer Kranken- und/oder Sterbekassen bei Zünften und Gesellenverbänden, für die gesonderte Beiträge erhoben wurden. Für den einzelnen bedeutete dies eine größere Übersicht über die Aufwendungen für seine eigene soziale Sicherung sowie die Gewißheit, daß diese Beiträge nicht zweckentfremdet ausgegeben werden konnten. Diese zunfteigenen Kranken- und Sterbekassen erhielten eine eigene Verwaltung und besondere Kontrollorgane. I m Gegensatz zur sonst allgemein üblichen Zwangsmitgliedschaft bestanden einige dieser Kassen auf freiwilliger Basis. M i t der Zerschlagung der Zunfthoheit und der Privilegien der Zünfte und Gesellen verbände durch die Gewerbeordnung von 1845 war aus naheliegenden Gründen kein Verbot der zunft- und geselleneigenen Kranken- und Sterbekassen verbunden. Sie hatten eine zu lange Tradition und hatten sich zu sehr bewährt, denn sie bildeten eine Entlastung der Fürsorgepflicht der Städte für ihre Bewohner, als daß man sich zu einem Verbot entschließen konnte. So bedeutete die Gewerbeordnung zwar das Ende der wirtschaftlichen Autonomie und des Einflusses der Zünfte und Gesellenverbände auf dem handwerklichen Sektor, nicht aber das Ende ihrer sozialen Einrichtungen. Zünften und Gesellenverbänden wurde weiterhin gestattet, für die bestehenden Kassen Versicherungszwang auszuüben, und eine gewisse soziale Sicherung der Handwerker blieb damit bestehen.

III. Von den Zunftkassen zur gesetzlichen Krankenversicherung

265

I I I . Von den selbständigen Zunft- und Gesellenkassen zur allgemeinen gesetzlichen Krankenversicherung Von der Entscheidung, die bewährten Institutionen der Zünfte und Gesellenverbände zur Krankensicherung bestehen zu lassen, bis zur allgemeinen gesetzlichen Krankenversicherung blieb nur mehr eine kurze Wegstrecke. Kennzeichnend für diese Periode war die fortschreitende Ausdehnung des Zwangs. Die Zünfte und Gesellenverbände besaßen seit altersher das Recht, Zwang auszuüben, und nach ihrer Aufhebung durch die Gewerbeordnung blieb dieses Recht ihren Kranken- und Sterbekassen erhalten (Stufe des konzedierten Zwangs 4 ). Nach 1845 erhielten durch verschiedene Verordnungen die Gemeinden das Recht, bestehende örtliche Krankenkassen zu Zwangskassen zu erklären (Stufe des fakultativen Zwangs). Eine Verordnung von 1849 erlaubte den Gemeinden, für Fabrikarbeiter den Beitritt zu bestehenden Krankenkassen obligatorisch zu machen. Solche Zwangskassen bestanden bald i n Preußen, Hannover, Hessen, Schleswig-Holstein, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Mecklenburg und Hamburg. 1864 schrieb ein Gewerbegesetz vor, daß i n Hamburg jeder gewerbliche Hilfsarbeiter einer Krankenkasse beizutreten habe. Für die regelmäßigen Beitragszahlungen hatte der Arbeitgeber zu haften. I n Bayern wurde 1869 den Gemeinden die Pflicht zur Versorgung erkrankter Arbeiter auferlegt und ihnen gleichzeitig das Recht erteilt, zwangsweise Beiträge einzuziehen 5 . Neben diesen Zwangskassen entwickelten sich i n ständig wachsender Zahl freie Kassen, denen jedoch eine für ganz Deutschland gültige gesetzliche Grundlage über Ausdehnung und Befugnisse fehlte. Diesem Mangel wurde durch das „Reichsgesetz über die eingeschriebenen Hilfskassen" (Hilfskassengesetz) vom 7. A p r i l 1876 abgeholfen. Es sollte den Kassen, die freiwillige Mitglieder aufnehmen wollten, eine rechtliche Basis gegeben und zum anderen die Durchführung der Versicherungspflicht ermöglichen, soweit diese eingeführt worden war. Das Hilfskassengesetz setzte für die freien Hilfskassen Minimal- und Maximalleistungen fest. Die Organisation sollte auf genossenschaftlicher Selbstverwaltung beruhen, aber Arbeitgebern, die Zuschüsse zahlten, wurde ein Recht zur Beteiligung eingeräumt®. Der Zwang wurde — soweit die Gemeinden von ihrem Recht Gebrauch machten — nicht nur auf weitere Kreise von Arbeitnehmern ausgedehnt, sondern zum Teil auch auf die Arbeitgeber, die verpflichtet wurden, Arbeitgeberanteile an diese Kassen abzuführen. 4

Vgl. Herder-Dorneich, P h i l i p p : Sozialökonomischer Grundriß, S. 352. Vgl. Jaffé , K a r l : Stellung u n d Aufgaben des Arztes auf dem Gebiet der Krankenversicherung, Jena 1903, S. 4. 6 Vgl. Jaff é, K a r l , S. 4 - 5. 5

266

2. Teil, D. Zur Analyse der Entwicklung

Zweifellos wurde das System dadurch effizienter, behielt aber eine ganze Reihe schwerer Mängel. Die Arbeitgeber versuchten m i t ihrem Einfluß auf die Gemeindeverwaltung die Einführung des Versicherungszwangs zu verhindern, da sie um ihre Wettbewerbsfähigkeit fürchteten. Mußten sie Arbeitgeberanteile zahlen, stiegen ihre Personalkosten, die in Gemeinden ohne Zwangskassen niedriger blieben. Da die Zwangskassen regional begrenzt waren, behinderten sie die Mobilität der Arbeiter, die bei einem Ortswechsel trotz bisheriger Leistungen an eine Zwangskasse möglicherweise bei Krankheit völlig ungeschützt blieben. Die Beiträge zu überregionalen freiwilligen Kassen waren für die einfachen Arbeiter meist zu hoch. „Die Vorteile des fakultativen Versicherungszwangs blieben damit auf relativ schmale Schichten und w i r t schaftlich relativ bevorzugte Gruppen beschränkt 7 ." Erst das Krankenversicherungsgesetz von 1883, das den allgemeinen Versicherungszwang für alle Arbeiter gewerblicher Betriebe einführte, behob diese Mängel (Stufe des allgemeinen Zwangs). Die Mobilität der Arbeiter wurde nicht mehr beeinträchtigt, da ein Ortswechsel nicht mehr zum Verlust des Versicherungsschutzes führen konnte. Der allgemeine Zwang ermöglichte i n größerem Umfange Einkommensumverteilung; Wettbewerbsvorteile bestimmter Arbeitgeber zu Lasten der sozialen Sicherung ihrer Arbeitnehmer waren nicht mehr zu realisieren, keiner konnte sich dem Versicherungszwang entziehen. Damit w i r d deutlich, daß die Ausdehnung des Versicherungszwanges nicht nur quantitativ größere Teile der Bevölkerung schützte, sondern auch qualitativ mehr leistete 8 . Durch diese Entwicklung ließ sich das Handwerk aber keineswegs die Eigeninitiative nehmen. Es ist vielmehr bis zum heutigen Tag bemüht, durch eigene berufsständische Unterstützungseinrichtungen die soziale Sicherheit seiner Standesangehörigen zu gewährleisten. I m Bereich der Sozialversicherung sind es die Innungskrankenkassen, die gleichberechtigt neben Orts-, Ersatz- und Betriebskrankenkassen stehen. I m Bereich der Privatversicherung wurde 1951 auf Anregung des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks die Arbeitsgemeinschaft berufsständisch orientierter Versicherungsgesellschaften gegründet. M i t glieder sind die Versicherungsgesellschaften, die einst von deutschen Handwerkern als Selbsthilfeeinrichtungen ins Leben gerufen wurden. Wenn diese Versicherungsgesellschaften heute auch ihre Lebens-, Kranken«, Sach- und Unfall-Versicherungspolicen allen anbieten, so bemühen sie sich doch nach wie vor besonders um die Handwerker. 7 8

Herder-Dorneich, Philipp: Sozialökonomischer Grundriß, S. 353. Vgl. Herder-Dorneich, P h i l i p p : Sozialökonomischer Grundriß, S. 353.

Schluß Die Zünfte und Gesellenverbände waren i n der Vergangenheit Gegenstand so vieler Untersuchungen, daß man Bibliotheken damit füllen könnte. Es stellt sich daher m i t Recht die Frage, ob es sinnvoll und nützlich ist, den bereits vorhandenen Bänden noch einen weiteren hinzuzufügen. Die meisten Autoren waren vorwiegend an der gewerblichen und politischen Seite des Zunftwesens interessiert. Zwar fehlt es keineswegs an Büchern und Aufsätzen, die sich auch m i t den sozialen Leistungen der Zünfte und Gesellenverbände auseinandersetzen; sie beschränken sich jedoch meist auf einzelne Zünfte, auf die einer Stadt oder auf eine sehr grobe Ubersicht. Eine umfassende Darstellung aller Varianten der sozialen Sicherung i n Zünften und Gesellenverbänden fehlt jedoch bis heute. Ziel dieser Arbeit war es, m i t Blick auf die moderne Sozialversicherung i n der Bundesrepublik zu zeigen, welche sozialen Leistungen die Zünfte und Gesellenverbände i m deutschsprachigen Raum i m Laufe der Jahrhunderte ihres Bestehens erbrachten und wie sie diese veränderten Umständen anpaßten. Wichtigstes Anliegen dieser Untersuchung war es, dabei über die bloße Darstellung hinauszukommen und m i t Hilfe eines wissenschaftlichen Instrumentariums seine Funktionsweise zu durchleuchten und Punkt für Punkt m i t der der Sozialversicherung zu vergleichen. Der erste Teil dieser Arbeit hat dargelegt, daß Zünfte und Gesellenverbände bemüht waren, ihren Mitgliedern i n allen Notlagen zu helfen. Unterstützung bei Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit, Sterbegeld und Hilfe für hinterbliebene Familienangehörige gehörten zu den selbstverständlichen Bestandteilen nahezu jeder Zunftordnung. Somit wurden alle Risiken, die heute von der Sozialversicherung gedeckt werden, damals bereits erfaßt. Zwar war die soziale Sicherung der M i t glieder nicht i n jedem Einzelverband befriedigend und vollständig geregelt, doch betrachtet man Zünfte und Gesellenverbände i n ihrer Gesamtheit, so zeigt sich eine erstaunliche Fülle von Maßnahmen zum Schutz der Mitglieder vor finanzieller Not. Zünfte und Gesellenverbände erfaßten den ganzen Menschen und strebten eine möglichst vollständige Sicherung i n allen Lebensbereichen

268

Schluß

an. Sie waren daher i m Gegensatz zur Sozialversicherung i n der Lage, auch immaterielle Leistungen zu erbringen: persönliche Anerkennung, Statussicherheit, Kontakte, Kommunikation, Sicherheit der Orientierung. Diese genannten Leistungen kann die moderne Sozialversicherung nicht erbringen, weil sie als hochdifferenziertes System einer arbeitsteiligen Gesellschaft selbst Ausdruck der Entwicklung ist, die die Unsicherheit der Orientierung m i t sich brachte. Zwar w i r d dieser Mangel von Sozial Wissenschaftlern i n zunehmendem Maße erkannt: Sicherheit beinhaltet nicht nur eine materielle sondern auch eine immaterielle Seite. Doch selbst bei bewußter sozialpolitischer Zielsetzung kann unsere Sozialversicherung über die verkürzte Lösung des Sicherheitsproblems durch ausschließlich materielle Leistungen nicht hinauskommen. Die Analyse des Systems der sozialen Sicherung bei Zünften und Gesellenverbänden und der Vergleich m i t dem heutigen System der Sozialversicherung haben eine Reihe von Parallelen gezeigt. Bei beiden Systemen handelt es sich um Solidargemeinschaften mit Zwangsmitgliedschaft. Märkte, Wahlen und Gruppenverhandlungen kennzeichnen ihre Struktur. Während die materielle Sicherung i m System der Sozialversicherung durch Sachleistungen, Einkommensumverteilung und den Risikoausgleich sichergestellt wird, konnten Zünfte und Gesellenverbände vor allem wegen der zu geringen Zahl ihrer Mitglieder einen Risikoausgleich nicht erreichen. Dieser Mangel wurde zwar teilweise durch stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl kompensiert, doch lag gerade hier ein wesentlicher Grund dafür, daß Zünfte und Gesellenverbände oftmals an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit stießen. Schon wenige Schadensfälle innerhalb einer kurzen Zeitspanne konnten die M i t t e l der Zunftkasse erschöpfen. Folgerichtig räumten die Zünfte ihren Mitgliedern auch lediglich einen moralischen Anspruch auf Hilfe ein, der erlosch, wenn die Kasse leer war. Der Vergleich hat deutlich gemacht, daß das System der Zünfte und Gesellenverbände am zutreffendsten als eine Vorform der Versicherung gekennzeichnet werden kann. Die Eigendynamik des Systems bewirkte eine Entwicklung, die bei den multifunktionalen Zunftkassen einsetzt und schließlich in der allgemeinen Sozialversicherung endet. Der nahezu nahtlose Ubergang von der zünftigen sozialen Sicherung zur allgemeinen Sozialversicherung zeigt, daß nicht etwas völlig Neues geschaffen wurde, sondern daß sich lediglich eine Entwicklung fort-

Schluß

269

setzte. Die lange und bewährte Tradition der sozialen Sicherung der Mitglieder von Zünften und Gesellenverbänden hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, daß i n Deutschland relativ früh eine allgemeine Versicherungspflicht der Arbeiter i n einem funktionsfähigen System der Sozialversicherung eingeführt wurde.

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Zunftakten Zunftakten Zunftakten Zunftakten Zunftakten Zunftakten Zunftakten

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

20, S. 235. 20, S. 237. 20, S. 241 - 244. 32, S. 169 - 173. 468, S. 1 - 6. 469. 470, S. 219 - 231. I I . Gedruckte Quellen

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