Die Rolle Badens in der Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs [1 ed.] 9783428477029, 9783428077021

126 90 9MB

German Pages 86 Year 1993

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Die Rolle Badens in der Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs [1 ed.]
 9783428477029, 9783428077021

Citation preview

KARLHEINZ MUSCHELER

Die Rolle Badens in der Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs

Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Herausgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.

Neue Folge . Band 16

Die Rolle Badens in der Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs

Von

Karlheinz Muscheler

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Muscheler, Karlheinz: Die Rolle Badens in der Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs / von Karlheinz Muscheler. Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Freiburger rechtsgeschichtliche Abhandlungen; N. F., Bd. 16) ISBN 3-428-07702-4 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41

Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0720-6704 ISBN 3-428-07702-4

Vorwort

Die wichtigsten Ergebnisse der nachfolgenden Arbeit waren Gegenstand meines im Februar 1992 vor der Juristischen Fakultät der Universität Freiburg gehaltenen Habilitationsvortrags. Den Teilnehmern des Kolloquiums, das sich an jenen Vortrag anschloß, danke ich für wertvolle Anregungen. Mein ganz besonderer Dank gilt meinem Lehrer Prof. Dr. Detlef Liebs: In seinen Seminaren habe ich das rechtshistorische Handwerk gelernt. Er hat mich auch zur vorliegenden Arbeit ermuntert. Bedanken möchte ich mich ferner bei den Damen und Herren des Generallandesarchivs Karlsruhe für die Unterstützung bei der Archivarbeit sowie vor allem bei Frau Ingrid Kellermeier, die das Manuskript erstellt hat.

Freiburg, November 1992

Karlheinz M uscheler

Inhaltsverzeichnis

I.

Einleitung............................................... 11

u.

Entwicklung des badischen Privatrechts bis zur ReichsglÜndung . . . . . . . . . . . . .. 12

III.

Baden und die Lex Lasker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

IV.

Personeller und institutioneller Rahmen der Beteiligung Badens an der Ausarbeitung des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I.

Die sog. Vorkommission

2.

Die Konstituierung der 1. BGB -Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

3.

Stellungnahme Badens zum 1. Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 25

4.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

a)

Die badische BGB-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

b)

Antwort auf die 68 Fragen des Reichskanzlers ... . . . . . . . . . . . . . . .. 30

Die 2. BGB-Kommission a)

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

Badische Vorstellungen über Arbeitsweise und Zusammensetzung der 2. BGBKommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

b) Schwierigkeiten bei der Berufung Gebhards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 35 c) 5.

V.

Gebhards Stellung zu den badischen Änderungswünschen . . . . . . . . . . . . 36

Verhandlungen im Bundesrat und Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 a)

Reaktion auf das Kanzlerschreiben vom 19.12.1893 . . . . . . . . . . . . . . .. 38

b)

Eugen v. Jagemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

Inhaltliche Wünsche Badens für die Ausgestaltung des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1.

Allgemeiner Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a)

Internationales Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 41

b) Vereinsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 46 c) Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 47 d) 2. 3.

Anfechtungsrecht bei Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

Schuld recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Grundstücksrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 52 a)

Badisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 53

b) Badische Forderungen für die Grundstücksveräußerung . . . . . . . . . . . . .. 54 c)

Badische Forderungen für das Grundpfandrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

8

Inhaltsverzeichnis

4.

Familienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 62 a)

Ehegüterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

b) Scheidungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 62 c) Religiöse Eniehung der Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 d) Zwangseniehung MindeIjähriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 e) 5.

Vonnundschaftsrecht (insbesondere: Der Gemeindewaisenrat) . . . . . . . . .. 67

Erbrecht............................................. 71 a)

Überblick.......................................... 71

b) Eigenhändiges Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 VI.

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

Abkiinungeo AcP

Archiv ffir die civilistische Praxis

ArchBürgR

Archiv ffir Bürgerliches Recht

AS.

Aktenseite

C.c.

Code civil

DJZ

Deutsche Juristenzeitung

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

EI

Entwurf der 1. BGB-Kommission

E2

Entwurf der 2. BGB-Kommission

Ges.BI.

Gesetzblatt

GLA

Generallandesarchiv (Karlsruhe)

JherJh

Jherings Jahrbücher ffir die Dogmatik des bürgerlichen Rechts

JuS

Juristische Schulung

LRS

Landrechtssatz

OLG

Oberlandesgericht

RA

Rechtsanwalt

Reg.BI.

Regierungsblatt

RG

Reichsgericht

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

Sten.Ber.RT

Stenographischer Bericht Reichstag

SZGerm

Zeitschrift der Savigny-Stiftung ffir Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung

ZGO

Zeitschrift ffir die Geschichte des Oberrheins

I. Einleitung Wenn heute in Deutschland Gesetze zivilrechtlichen Inhalts erlassen werden, kommt nur in seltenen Ausnahmefällen jemand auf die Idee, nach dem Anteil einzelner Bundesländer an der inhaltlichen Gestaltung dieser Gesetze zu fragen. Für das 1896 verabschiedete Bürgerliche Gesetzbuch drängt sich diese Frage aber geradezu auf. Denn unsere bürgerlich-rechtliche Kodifikation stellt im Grunde eine Synthese verschiedener Partikularrechte dar. Und selbst wo sie, selten genug, sich für Lösungen entschieden hat, bei denen sie sich nicht an eines der damals geltenden Partikularrechte anlehnen konnte, vermag sie die Spuren jenes Einflusses nicht zu verbergen, den die Interessenvertreter zumindest der größeren Bundesstaaten ausübten. Die Gründe für dieses Phänomen liegen auf der Hand: Die Verfassung des 2. Kaiserreiches war, pointiert gesprochen, die Vertragsurkunde eines Bundes souveräner Landesfürsten, der Bundesrat dementsprechend, jedenfalls in der Theorie, und anfangs auch in der Praxis, das zentrale Gesetzgebungsorgan. Die teilweise sehr lange zurückreichenden Traditionen der Landesprivatrechte prägten, wenn auch nicht die Theorie der universitären Lehre, so doch die Lebensgewohnheiten der Bevölkerung und die Praxis der meisten Juristen; Praktiker aber beherrschten das Feld bei der Erarbeitung des BGB. Diese Tatsachen sind an sich bekannt. Weniger bekannt ist jedoch, wie sich die Einflußnahme der Bundesstaaten im einzelnen vollzogen hat. Wemer Schubert hat 1980 in seiner Arbeit "Bayern und das Bürgerliche Gesetzbuch" erstmals die Rolle eines größeren Bundesstaates einer genaueren Analyse unterzogen. Die folgende Untersuchung will ein weiteres Mosaikstück für die Rekonstruktion des Gesamtbildes liefern. Sie beschäftigt sich mit dem Großherzogtum Baden.

11. Entwicklung des badischen Privatrechts bis zur Reichsgründung Als man sich nach Gründung des Deutschen Reiches Gedanken über die Schaffung eines einheitlichen deutschen Zivilrechts zu machen begann, konnte das Großherzogtum Baden bereits auf eine mehr als 60-jährige Tradition seiner zivilrechtlichen Kodifikation zurückblicken. Das von dem badischen Staatsrat Johann Nikolaus Friedrich Brauer verfaßte "Badische Landrecht"·, eine mit Zusätzen versehene Übersetzung des Code civil, war am 1.1.1810 in Kraft getreten. Alsbald nach dem Sturz Napoleons einsetzende Versuche zur Abschaffung des Landrechts2 blieben erfolglos. Das neue Recht wurde vielmehr in der Praxis der Gerichte und im Rechtsleben der Bevölkerung heimisch3• Das hatte

I Amtlicher Titel zunächst "Code Napoleon mit Zusätzen und Handelsgesetzen als Land-Recht für das Großherzogthum Baden", ab 1814 "Land-Recht für das Großherzogthum Baden nebst Handeisgesetzen "; zur Titeländerung von 1814 Federer, Beiträge zur Geschichte des Badischen Landrechts, in: K.S. Bader (Hrsg.), Baden im 19. und 20. Jahrhundert, I, Karlsruhe 1948,81 (117); Schuben, Das französische Recht in Deutschland zu Beginn der Restaurationszeit (1814-1820), SZGerm 94 (1977), 129 (179); Andreas, Die Einführung des Code Napoleon in Baden, SZGerm 31 (1910), 182 (225).

2

Dazu Federer (Fn.I), 117 ff.; Schuben (Fn.I), 179 f.; Andreas (Fn.I), 225 f.

3 Andreas (Fn.I), 223 f.; vgl. ferner die Äußerungen des langjährigen bad. OLG-Präsidenten Richard Schneider zum 50jährigen Regierungsjubiläum des Großherzogs Friedrich im Jahre 1902: "Obwohl seinem Ursprunge nach für uns fremdes Recht, wurde es doch als solches nicht empfunden; denn der Code civil enthält neben großen Prinzipien einer weltgeschichtlichen Epoche, welche ihm eine gewisse internationale Bedeutung verleihen, manche deutschrechtliche Elemente, so daß sich das Gesetzbuch mehr und mehr bei uns eingelebt hatte und wir uns damit im fast hundertjährigen Besitze eines einheitlichen Rechtes einer Wohltat erfreuen konnten, welcher selbst große deutsche Staaten bis zum Beginne des neuen Jahrhunderts entbehrt haben" (Badische Rechtspraxis und Annalen der GroßherzogIich Badischen Gerichte 68, 1902, 119); ähnlich den;. , Verhandlungen der Slände-Versammlung des Großherzogthums Baden, I. Kammer, Protokollheft, Karlsruhe 1899, 303; ferner Frhr.Albrecht Radt von Collenberg-Bödigheim (Verhandlungen der Stände-Versammlung des Großherzogthums Baden, I.Kammer, Protokollheft, Karlsruhe 1899,299): "Gerade wir in Baden hätten alle Ursache, über den Verlust unseres wohl bewährten Rechts, das sich bei uns völlig eingebürgert hat, ein gewisses Bedauern zu empfinden. Redner beabsichtige weder dem alten Recht einen Nachrufzu widmen, noch dem neuen ein Wiegenlied zu singen, doch werde man es begreiflich finden, daß Jemand, der sich immer mit dem Landrecht befaßt hat, beim Aufhören der Geltung desselben von einer wehmütigen Stimmung erfaßt werde. Ein langjähriger Begleiter werde auch dann vermißt, wenn man nicht immer mit ihm einer Meinung war"; ferner Zöpjl, Über das germanische

n. Entwicklung des badischen Privatrechts bis zur Reichsgründung

13

im wesentlichen folgende Gründe: Die Übernahme des Code civil 4 war nicht so sehr das Ergebnis französischen Zwanges als vielmehr ein Akt echter, innerlicher Rezeption gewesen. Zweitens handelte es sich nicht um eine Übernahme in Bausch und Bogen, sondern um eine "anpassende Rezeption", die klug und umsichtig den Landesgegebenheiten Rechnung trug. Drittens ließ das Badische Landrecht der richterlichen Rechtsfortbildung und damit auch der wissenschaftlichen Bearbeitung einen relativ großen Spielraum. Schließlich verstand es eine tüchtige und liberale Gesetzgebung, das Landrecht in den Jahrzehnten nach seiner Einführung den sich verändernden Erfordernissen anzupassen. Baden hatte sich bereits zu einem Zeitpunkt für den Code entschieden, als Napoleon noch keinen Druck in dieser Richtung ausübte. Da das Land ohnehin vor der Aufgabe stand, die durch die neuen Gebietsgewinne noch vermehrte Rechtszersplitterung zu beenden, die eigenen Kräfte aber für eine völlig selbständige Kodifikation nicht ausreichten, hatte man nur die Wahl, sich an eine der vorhandenen Rechtsordnungen anzulehnen. Den Prinzipien des Code stand aber selbst ein so sehr auf herkömmlich Bewährtes bedachter Staatsmann wie Brauer näher als denen des nur zehn Jahre älteren ALR. Freilich war man auf eine, wie es das I. Einführungsedikt ausdrückte, "der hierläRdischen Landesart und Sitte nicht nachtheilige Anwendung" des französischen Gesetzbuches bedacht. Anders als in den linksrheinischen deutschen Gebieten galt der Code nicht im französischen Original, sondern in einer amtlichen Übersetzung. Diese wich mehrfach - teils beabsichtigt, teils unbeabsichtigt - vom Original abs. Es setzte sich in der badischen Auslegungslehre sehr bald die Auffassung durch, daß selbst bei unbeabsichtigten Übersetzungsfehlern nicht auf den Urtext zurückgegriffen werden dürfe, solange nur der Sinn der Überset-

Element im Code Napoleon, Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft 5 (1841),110 (114); Kohler, Einführung, Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozessrecht I (1909), 1 f.

• DazuFederer(Fn.l), 81 fT.;Andreas (Fn.I), 182 fT.; E.Fehrenbach, TraditionaleGesellschaft und revolutionäres Recht, Göttingen 1974, 104fT.; W. Schuben, Französisches Recht in Deutschland zu Beginn des 19.Jahrhunderts, KölnIWien 1977,193 fT.; D.Schumacher, Das Rheinische Recht in der Gerichtspraxis des 19.Jahrhunderts, 22 fT.; Dölemeyer, in: H.Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, 111/2, München 1982, 1443 fT.; Ziekow, Die Übernahme fremden Rechts durch die Gesetzgebung, Das Badische Landrecht von 1810, Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg 6 (1985), 471 fT.; H. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, n, Karlsruhe 1966,400 fT.; Beyerle, Rezeplionsvorgängein Südwestdeutschland, in: Der KonstanzerJuristentag (2.-5. Juni 1947), Tübingen 1947, 219 (223). , Beispiele bei W.Behaghel, Das Badische bürgerliche Recht und der Code Napoleon, 3.Aufl., Tauberhischofsheim 1891/92, I, § 18; Schumacher (Fn.4), 26; C.Barazetti, Einführung in das Französische Civilrecht (Code Napoleon) und das Badische Landrecht (sowie das Rheinische Recht überhaupt), Frankfurt a.M.lLahr 1889, 288 fT.

14

D. Entwicklung des badischen Privatrechts bis zur Reichsgründung

zung eindeutig sei6 • Noch bedeutsamer waren die über 500, insgesamt 1/5 des Gesamtkorpus ausmachenden7 Zusiitze, die man jeweils bei den einschlägigen Artikeln des Code einfügte. Bei diesen handelte es sich teils um klarstellende Erläuterungen, die, wie etwa im allgemeinen Schuldrecht, gemeinrechtliche Streitfragen abschneiden sollten, teils aber auch um echte Änderungen des Code, die Brauer aus den ehemaligen Gewohnheitsrechten, Gerichtsgebräuchen und Rechtsverordnungen des alten badischen Kernlandes schöpfte. Diese materiellen Änderungen standen teilweise in krassem Gegensatz zum Geist des Code: Das galt für die in zahlreichen Zusätzen wenigstens vereinheitlichten Institute der feudalen Agrarverfassung wie das geteilte Eigentunf und die ihm korrespondierenden Schuldverträge (Erblehen9 , Schupflehenl~ sowie die grundherrlichen Lasten des ungeteilten bäuerlichen Eigentums (Erbdienstbarkeiten ll , Grundpflichtigkeitenl~, galt für die Unteilbarkeit der adligen Stammgüter13 und der geschlossenen Hofgüter l4 des Schwarzwaldes und für die GeschlechtsbeistandsschaftlS der unverheirateten Frau. Die spätere Gesetzgebung hat diese konservativen Elemente, sieht man von der Bevorzugung der Stamm- und Hofgüter einmal ab, bis zur Reichsgtündung weitgehend beseitigtl6 . Brauers Zusätze enthielten aber auch manchen sozialpolitisch motivierten Fortschritt gegenüber dem französischen Recht: Zum Vorteil des unehelichen Kindes wurde die Nachfragemöglichkeit nach dem Vater erweitert l7 , die erb-li und schei-

• Behaghel (pn.5), § 18; Barazeni (pn.5), 288 fT.; K.F.Bauriuel, Handbuch des Badischen bürgerlichen Rechts, Für Geschäftsmänner aller Art entworfen, Karlsruhe 1838-1844,31. 7

Zum Umfang der Zusätze Schumacher (pnA), 29; Federer (pn.l), 109.

1 LRSe 577 aa - ar (die einzelnen Paragraphen des Landrechts werden herkömmlicherweise als "Landrechtssätze" bezeichnet); J.N.F.Brauer, Erläuterungen über den Code Napoleon und die Großherzoglich Badische bürgerliche Gesetzgebung, Karlsruhe 1809 fT., I, 439-445.



LRSe 1831 ba - bl; Brauer (pn.8), 10, 632 f.

'0 LRSe 1831 8a - ab; Brauer (pn.8), 10, 631 f. 11

LRSe 710 aa - fm; Brauer (pn.8), I, 521 fT.

12

LRSe 710 gd - ka; Brauer (pn.8), I, 563 fT.

13

LRSe 577 ca - cv; Brauer (pn.8), I, 447 f.

14

LRSe 827 c - g; Brauer (pn.8), D, 266 fT.

" LRSe 515 a - k; Brauer (pn.8), I, 357. '6 Die Geschlechtsbeistsndsschaftwurde 1835 aufgehoben (Reg. BI. 1835,233). Zur Beseitigung der feudalen Agrarverfassung Andreas (pn.l), 219.

17

LRS 340 a; Brauer (pn.8), I, 246 fT.; Schubert (pnA), 474 fT.

," LRSe 738 a, 745 a; Brauer (pn.8), 11, 75 fT.; Schubert (pnA), 511 fT.; Federer (pn.l), 112 f.

D. Entwicklung des badischen Privatrechts bis zur Reichsgrundung

15

dungsrechtliche 19 Stellung der Ehefrau verbessert, zugunsten des Schuldners die Zinsfreiheit eingeschränkt:20, der Lohnanspruch der Dienstboten stärker geschützt21 , das Urheberrecht eigentumsgleich ausgestaltet22 • Will man den in vielen Gebieten eigenständigen Entwicklungsgang des badischen Privatrechts verstehen, muß man neben den materiell-rechtlichen Zusätzen auch berücksichtigen, daß der badische Gesetzgeber von 1810 die sog. "organische Umgebung" des Code nicht mitübernommen hatte: Das galt für den Friedensrichter, das Kollegialgericht erster Instanz, den Familienrat, die weitgehenden zivilrechtlichen Befugnisse der Staatsanwaltschaft und das private Notariat. Nicht alles (und vielleicht aus guten Gründen nicht alles), aber doch manches holte hier die spätere Gesetzgebung nach: Im Zuge der großen Reformgesetze der sechziger Jahre wurde die Justiz endgültig von der Verwaltung getrennt, das Kollegialgericht erster Instanz zur Regel gemacht, die Grundlage für ein eigenständiges (wenngleich verbeamtetes) Notariat geschaffen, die Mündlichkeit zum tragenden Prinzip des Zivilprozesses erhoben 23 , schließlich die staatliche Standesbeurkundung und die obligatorische Zivilehe eingeführt24 • Zusammenfassend und damit zugleich die auf Brauer folgende Gesetzgebung charakterisierend kann man sagen: Die großen Grundsätze des Code: Freiheit der Person, des Eigentums und des Rechtsverkehrs, sowie die Gleichheit in Ansehung der bürgerlichen Rechte blieben selbst da prägend, wo Brauer noch von ihnen abgewichen war, erlangten aber nie jene exklusive Dominanz in einem Land, dessen Politik von der Tendenz beherrscht war, in brisanten Fragen einen gesunden Mittelweg zu beschreiten. Gewiß nicht das Wenigste trug zum Heimischwerden des Landrechts das große Gewicht bei, das Brauer auf die Sprache seines Gesetzes gelegt hatte. Er verdeutschte sämtliche lateinischen Ausdrücke, selbst da, wo das französische Original sie verwendet hatte. Damit wollte er verhindern, daß der gemeinrechtlich geschulte Jurist den Code mißverstand und ihn in römischrechtlichem Sinne interpretierte. Zum anderen leitete ihn, Aufklärer, der er war, das Ziel, daß jeder Staatsbürger bei einiger Anstrengung den Sinn des neuen Rechts erfassen konnte. Selbst die durch die jüngere gemeinrechtliche Wissenschaft geprägten

" Die Ehefrau erhielt in weiterem Umfang als nach dem C.c. das Recht, wegen Ehebruchs des Mannes auf Scheidung zu klagen: LRS 230; Schuben (Fn.4), 457 f. 20

LRSe 1907 a ff.; Brauer (Fn.8), III, 670 ff.

21

LRS 1781 a; Brauer (Fn.8), III, 614 f.

22

LRSe 577 da ff.; Brauer (Fn.8), I, 465 ff.

23

Schuben (Fn.4), 568 (Notariat) sowie DahJmanns, in: Coing (Fn.4), 2631 f.

2A

Sog. ·Standesbeamtungs- oder Civilehe-Gesetz· v. 21.12.1869 (Ges. BI. XL, 587).

16

D. Entwicklung des badischen Privatrechts bis zur Reichsgrundung

deutschen Fachbegriffe verschmähte er nicht selten und ersetzte sie durch Provinzialismen aus dem alten Durlacher Landrecht, so daß das neue Gesetzbuch eine unverkennbar regionale Färbung erhielt. Wir begegnen beispielsweise der" AnWÜDschung" statt Adoption, der "Mundtotmachung" statt Entmündigung wegen Verschwendung oder der "Wettschlagung" statt Aufrechnung bzw. Kompensation. Nicht von ungefähr hat man Brauers Werk als "eine der wenigen eigenständigen sprachlichen Leistungen deutscher Juristen auf legislatorischem Gebiet"2S bezeichnet. Der richterlichen Rechtsfortbildung begegnete das badische Landrecht mit viel weniger Mißtrauen als das ALR, ja es ebnete ihr geradezu die Wege. Dem Richter war verboten, in Zweifelsfällen die Entscheidung auszusetzen und den Gesetzgeber zu befragen26• Bei Unklarheiten und Lücken verwies ihn das Gesetz zunächst auf "Grund und Zweck des Gesetzes", dann auf den "Geist des Gesetzbuchs", drittens auf die "Rechtsähnlichkeit" (sprich: Analogie) und endlich auf römisches Recht und Naturrecht27 • Das römische Recht, gegen den Widerstand Brauers schließlich als subsidiäre Rechtsquelle zugelassen28 , spielte in der Praxis der Gerichte - immerhin gingen ihm mehrere Rechtsfindungsquellen vor nur eine geringe Rolle29 , ganz anders als in den linksrheinischen deutschen Geltungsgebieten des Code, wo die Richter oft von auswärts kamen und zudem das gemeine Recht Hilfsmittel für die - in Baden schon durch den Gesetzgeber geleistete - Anpassung an heimische Rechtsvorstellungen war. Ausgiebig wurde

2> Schubef1 (FnA), 214; zur Sprache Brauers jetzt auch den., Die ersten deutschen Übersetzungen des Code civil/Code Napoleon (1804-1814), in: J . EckertlH . Haltenhauer (Hrsg .), Sprache - Recht - Geschichte, Heidelberg 1991, 133 (158 ff.).

26

LRS 4.

r1 LRS 4 a; § 3 des U.Einffihrungsedikts v. 22.12.1809 (abgedruckt in den Landrechtsausgaben).

2. So jedenfal1s die herrschende badische Rechtsauffassung: A.Mayer, Vorträge über die al1gemeinen Lehren des französischen Civil- und badischen Landrechts, Freiburg LB. 1855, § 19; A. Muncke, Vorträge zur Einleitung in das Studium des Badischen, bürgerlichen Rechtes, Mannheim 1845, § 7; A.SUJbel, Vorträge über das französische und badische Civilrecht insbesondere über dessen Einleitung (titre preliminaire), Freiburg i.B. 1843, § 8; A.Seng, Grundzüge des französischen Zivilrechts und des Badischen Landrechts, Hal1e a.S. 1904,5 Fn.9; Barazeui (Fn.5), § 6; Ladenburg, Wie weit gilt das römische Recht in dem Großherzogthum Baden?, Annalen der GroßherzogIich Badischen Gerichte 35 (1869), 235; a.A. Behaghel (Fn.5), § 12; A.Platenius, Grundriß des badischen Landrechts, Freiburg LB./Leipzig 1896, § 3 UI. 29 Schumacher (FnA), 149 f.; Neumayer, Die wisssenschaftliche Behandlung des kodifIZierten Privatrechtsstoffes im Großherzogtum Baden und auf dem linken Rheinufer bis zum Beginn der Vorarbeiten zum BGB (1874), in: H.CoinglW.Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19.Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1974,201 ff.

ß. Entwicklung des badischen Privatrechts bis zur Reichsgriindung

17

vielmehr die französische Judikatur und Literatur berücksichtigtJO • Die Methode der Rechtsfindung war freilich die in Deutschland herrschende, nämlich die pandektistische3J • Während es in Preußen seit den strengen Worten, mit denen Savigny gegen das ALR vom Leder gezogen hatte, mit der wissenschaftlichen Reputation des dortigen Landrechts nicht zum besten stand, besaß Baden "von allen deutschen Territorien die reichste Literatur zum Landesprivatrecht ... , an Reichtum der Lehrbuchliteratur selbst Preußen und Österreich weit übertreffend" 32. Die vorherrschende Methode war auch hier die pandektistische, Vorbild das streng systematisch aufgebaute Lehrbuch des Heidelberger Rechtslehrers Zachariae von Lingenthal zum französischen Zivilrecht, das selbst in Frankreich Epoche machte und dort den Einfluß der am Wortlaut klebenden exegetischen Schule zurückdrängte. Und auch die universitäre Lehre räumte dem Landesprivatrecht einen relativ großen Raum ein; in Freiburg betrug das Verhältnis zum römischen Recht etwa 1:3, in Heidelberg immerhin noch 1:4,93 • Betrachtet man zusammenfassend den Stand, den die badische Zivilgesetzgebung, Rechtsprechung und Privatrechtswissenschaft bis zur Verwirklichung der Reichseinheit erreicht hatten, so darf man sagen, daß Baden in die beginnenden Arbeiten am BGB einiges einbringen konnte. Vieles hing hier freilich von Einsicht und Willen der Karlsruher Ministerialbürokratie ab .

.. Schumacher (FnA), 133 ff.; Neumayer (Fn.29), 200. 31

Neumayer (Fn.29), 204.

Neumayer (Fn.29), 198 f.; vgl. ferner Federer, Recht und Juristen im alten Baden, in: Festschrift zur Eröffnung des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe, 0.0.1950,49 (58); ders. (Fn.I), 71 ff. 32

33

Neumayer (Fn.29), 205.

2 Muscheler

m. Baden und die Lex Lasker Dem Deutschen Reich stand nach Art.4 Nr.13 der Verfassung auf dem Gebiet des Zivilrechts die Gesetzgebungskompetenz zunächst nur für das Obligationen-, Handels- und Wechsel recht zu. Die liberale Mehrheit des Reichstags versuchte von Anfang an, die Kompetenz des Reiches auf das "gesammte bürgerliche Recht" auszudehnen34 • Mehrfache Beschlüsse des Reichstags, initiiert durch Anträge der Nationalliberalen Miquel und Lasker, wurdenjedoch bis 1873 durch Sachsen, Württemberg und namentlich Bayem3S blockiert, die zusammen im Bundesrat über eine Sperrminorität gegen Verfassungsänderungen verfügten (Art.78 RV). Preußen stellte sich demgegenüber voll und ganz hinter die Initiative des Reichstags. Schon in dieser ersten Phase der Entstehungsgeschichte des BGB nahm Baden eine Haltung ein, die auch für den weiteren Gang der Beratungen kennzeichnend wurde: Es schlug sich vorbehaltlos auf die Seite Preußens; eine geschlossene süddeutsche Opposition gegen die Vormacht des Bundes kam daher nicht zustande. Bereits am 9.12.1871, als der Ausschuß des Bundesrates für Verfassung und Justizwesen zum ersten Mal über den Antrag abstimmte, sprach sich v.Türckheim, der badische Gesandte in Berlin, persönlich für seine Annahme aus, freilich unter Vorbehalt, da er noch nicht im Besitz einer formellen Instruktion seiner Regierung wa~. Um sich über eine solche Instruktion schlüssig zu machen, forderte das Karlsruher Staatsministerium durch Erlaß vom 23.12.1871

54 Hierzu und zum Folgenden Laufs. Die Begründung der Reichskompetenz tür das gesamte bürgerliche Recht, JuS 1973,740 fT.; H.Getz, Die deutsche Rechtseinheit als politisches Problem, Bonn 1966, 152 fT.; W.Schuben, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB - Eintührung, Biographien, Materialien -, BerliniNew York 1978, 27 fT., 125 fT.; G.Planck. Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Eintührungsgesetz, I: AllgemeinerTeil, 4.Aufl., Berlin 1913, Einleitung XXß fT. 35 Zur Rolle Bayerns bei der Ausdehnung der Reichskompetenz auf das gesamte bürgerliche Recht W.Schuben, Bayern und das Bürgerliche Gesetzbuch, Ebelsbach 1980, 8-15; ders. (Fn.34), 27 fT.

36

Schuben (Fn.34), 129.

m. Baden und die Lex Lasker

19

beim lustizministerium ein Gutachten über die Frage an. Dieses Gutachten31 , erstattet am 25 .1.1872, beschäftigt sich in seinem ersten Teil mit formellen Fragen und lehnt hier namentlich die vorherige Einholung der ständischen Zustimmung als formales Erfordernis für die Verfassungsmäßigkeit der Abstimmung im Bundesrat ab. Zur Begründung führt es an38 , "daß die verfassungsmäßige Zustimmung der Volksvertretung zu Gesetzen mit der Annahme der Reichsverfassung bezüglich der vom Reiche zu erlassenden Gesetze und insbesondere auch bei Abänderung der Reichsverfassung von den Einzellandtagen auf den Reichstag übergegangen· sei. Entsprechend scheint man in der Praxis verfahren zu sein, und weder die Erste noch die Zweite Badische Kammer hatten dagegen etwas einzuwenden. Anders als in Bayern, Sachsen und Württemberg fand in Baden eine öffentliche Debatte nicht statt, weder über die Frage, ob die Regierung bei einer Zustimmung zur Erweiterung von Reichskompetenzen die Gefolgschaft der Landstände benötigte (womit man sich übrigens auch für alle zukünftigen Fälle präjudizierte), noch über die Sachfrage, ob ein einheitliches Reichszivilrecht wünschenswert sei. Diese passive Haltung der Kammern kann nur als ein vollkommenes stillschweigendes Einverständnis mit dem Vorgehen der Regierung interpretiert werden. Sie erklärt sich speziell für die Zweite Kammer durch die Tatsache, daß bei den Wahlen von 1871 und 1873 die Nationalliberalen etwa 80 % der Sitze erobert hatten39 • In der Sache selbst sprach sich das Gutachten des lustizministeriums für eine Ausdehnung der Reichskompetenz aus. Es fallen harte Worte gegen das Landrecht. Zwar sei dieses vom Volke nicht nur duldend hingenommen worden, sondern bis zu einem gewissen Grade in seine Sitten eingedrungen; aber es bestehe "doch nirgends eine Vorliebe für dasselbe. Man hat es stets mit Mißbehagen erkannt, daß es nicht ein Erzeugnis deutschen Rechtbewußtseins ist, daß eine selbständige wissenschafthliche Ausbildung des Code civil als badisches Particularrecht unmöglich, vielmehr auch die Entwicklung des Rechts vorzugsweise auf fremde Quellen hingewiesen ist, während das deutsche Recht und seine Fortschritte als fast fremdartige Producte uns gegenüberstehen. Wegen dieses unnatürlichen Verhältnisses wird man in Baden das fremde Recht gerne

:17 GLA (= GenerallandesarchivKarlsruhe) 233/12705. Zur Stimmung im badischenlustizministerium vgl. auch Bingner (von 1865 bis 1879 Ministerialrat im bad. lustizministerium), Die lustizgesetzgebung des neuen deutschen Reiches, Annalen der Großherzog lieh Badischen Gerichte XXXVII (1871), 7: "Die noch zu wünschende Ausdehnung auf das gesamte Civilrecht wird hoffentlich nicht lange ausbleiben. "

31

Gutachten, 7 f.

,. K.Sliefel, Baden, 1648-1952,2 Bde., 1.12. Aufl., Karlsruhe 1978179,311; grundlegend zum badischen Liberalismus L. GaU, Der Liberalismus als regierende Partei, Das Großherzogtum Baden zwischen Restauration und Reichsgrundung, Wiesbaden 1968.

m. Baden und die Lex Lasker

20

hingeben. w40 Es sei aber nicht nur fremdes, sondern auch schlechtes Recht: Die häufigen Widersprüche gegen die Prinzipien des Code, die französisch-badischen Unterschiede in Prozeß- und Organisationsrecht erschwerten die Gesetzesanwendung außerordentlich. Einzelne Rechtsmaterien seien ganz verfehlt geregelt, so vor allem das Pfand- und Liegenschaftsrecht4 •• Allerdings sei die Reichsgesetzgebung nicht auf allen Gebieten zu gleicher Wirksamkeit berufen, es gebe gewisse Rechtsgebiete, auf denen die Rechtsbildung in engeren Kreisen sich vollzieht ... Ohne Zweifel gibt es auch in Baden solche schutzbedürftigen Volksmeinungen, wobei indessen zweifelhaft sein mag, ob sie mehr an das verhältnismäßig neue Landrecht, oder an die früheren gemeinen Rechte sich anschließen. w42 Solche Materien seien das Familien-, Ehegüter- und Erbrecht. Allerdings bedürfe es hier keines ausdrücklichen Vorbehalts, man vertraue darauf, daß die Reichsgesetzgebung von selbst maßhalten werden. W

Mit diesem Gutachten war die Haltung Badens in den folgenden Bundesratsverhandlungen festgelegt. Man übernahm nicht einmal die Forderung der anderen Mittelstaaten, deren Erfüllung diese schließlich kompromißbereit machte, daß nämlich sofort nach der Kompetenzerweiterung eine umfassende Kodifikation (unter entscheidender Mitwirkung der Bundesstaaten) in Angriff genommen werden solle, womit v.a. Bayern die Verabschiedung von Reichsspezialgesetzen auf der Grundlage rein preußischer Vorentwürfe verhindern wollte. Als schließlich im März 1873, nach einer von Preußen gesteuerten Pressekampagne, Württemberg und Sachsen der Verfassungsänderung zustimmten und die Sperrminorität damit beseitigt war, die bayerische Regierung allerdings ihr Einverständnis noch von der Stellungnahme der Stände im Herbst des Jahres abhängig machte, stellte Baden, dem es nicht schnell genug gehen konnte, in der Sitzung vom 31.3.1873 den Antrag, sofort abzustimmen. Da Preußen jedoch Bayern eine Abstimmungsniederlage ersparen wollte, wurde dieser Antrag abgelehnCo . Als im Dezember des Jahres die Mehrheit der bayerischen Kammern schließlich zustimmte, konnte auch Bayern ein entsprechendes Votum abgeben. Die in dem Gutachten des badischen Justizministeriums zum Ausdruck kommende pauschale Abqualifizierung des Landrechts, in der sich bereits die in den späteren Beratungen erfolgende Preisgabe auch bewährter Institute ankündigt, wurde sicher von der Mehrheit der badischen Juristen nicht geteilt; zahlreiche

40

Gutachten, 10.

41

Gutachten, 11, 24 .

•2

Gutachten, 12.

.. Schuhen (Fn.34), 32.

m. Baden und die Lex Lasker

21

Äußerungen aus Zeiten, die gerechter Beurteilung günstiger waren, belegen das zur Genüge44 • Gewiß spiegelt sich in der Begründung des Gutachtens etwas von jener Erbitterung wider, die der Deutsch-Französische Krieg hervorgerufen hatte. Immerhin war Baden in diesem Krieg Frontstaat gewesen, und schon in den Jahren vor dem Krieg hatte es sich mehrfach französischen Drohungen ausgesetzt gesehen4.5. Aber die eigentlichen Gründe lagen tiefer: Der badische Großherzog und seine engsten Berater, zu denen nicht zuletzt der von 1870 1876 das Justizressort leitende Rudolf v.Freydorf zählte, verfochten spätestens seit 1866 eine kompromißIose, bisweilen an Selbstaufgabe grenzende propreußische Politik46 , die in der überwiegend katholischen47 Bevölkerung Badens keineswegs auf durchgehende oder auch nur überwiegende Zustimmung rechnen konnte und ihre Kritiker erst in der Euphorie der nationalen Begeisterung von 1870171 zum Schweigen brachte. Als Bayern und Württemberg nach 1866, als Pendant zu dem von Preußen dominierten Norddeutschen Bund, die Errichtung eines Sonderbundes der süddeutschen Staaten anstrebten, unternahm namentlich v.Freydorf alles, um dies zu verhindern und statt dessen den Eintritt Badens in den Norddeutschen Bund anzubahnen 48 • Dabei ging man so eifrig zu Werk, daß selbst Bismarck vor der Gefahr einer "insularen Lage" Badens im Süden warnen mußte49 • Dasselbe wiederholte sich in den Versailler Verhandlungen, die zur Reichsgründung führten: Während Bayern und Württemberg um die Erhaltung wichtiger Souveränitätsrechte stritten, beschränkten sich die badischen Unterhändler, zu denen wiederum v.Freydorf gehörte, auf die Erlangung von

.. s.o. Fn.3 . ., Stiefel (Fn.39), 295 f .

... Zur Rolle Badens vor und während der Reichsgründung: Stiefel (Fn.39), 290-298; Otmad, Politische Geschichte von 1850 bis 1918, in: J.Becker u.a. (Hrsg.), Badische Geschichte, Vom Großherzogturn bis zur Gegenwart, Stuttgart 1979,65 (74 ff.); Andennann, Baden und die deutsche Einigung, in: Generallandesarchiv Karlsruhe/Gesellschaft für kulturhistorische Dokumentation (Hrsg .), Baden, Land-Staat-Volk, 1806-1871, Karlsruhe 1980, 196 ff.; H. Oncken (Hrsg .), Großherzog Friedrich I. von Baden und die deutsche Politik von 1854-1871, Briefwechsel, Denkschriften, Tagebücher, 2 Bde., StuttgartlBerlinlLeipzig 1927; W.P.Fuchs (Hrsg.), Großherzog Friedrich I. von Baden und die Reichspolitik 1871-1907,3 Bde., Stuttgart 1968-1980 . • 7 1871 waren 2/3 der badischen Bevölkerung Katholiken, vg\. die Statistik in "Baden, LandStaat-Volk, 1806-1871" (Fn.46), 27; die Relation verschob sich in den folgenden Jahrzehnten leicht zugunsten der Protestanten (1895: 37:61 ,3 %), On, Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung von der Mitte des 19.Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, in: Badische Geschichte, Vom Großherzogtum bis zur Gegenwart (Fn.46), 103 (111) .

.. v. Weech, Badische Biographien, IV, Karlsruhe 1891, 137 (140); Andennann (Fn.46), 197 .

•• Gesandtschaftsbericht v.Türckheims aus Berlin v. 23.2.1870 (abgedruckt bei AndennannFn.46 -, 205); vgl. ferner Becker, Bismarck und die Frage der Aufnahme Badens in den Norddeutschen Bund im Frühjahr 1870, ZGO 119 (1971),427 ff.

22

m. Baden und die Lex Lasker

Zugeständnissen in Sachen Postzustellung und TelegraphenJeitungenso . In einer biographischen Notiz über v . Freydorf SI finden wir den bezeichnenden Satz: ·Und freudigen Herzens stimmte er allen hochherzigen Entschlüssen seines Landesherm zu, durch welche dieser, unter freiwilligem Verzicht auf eine Reihe von Rechten, auf die er auch unter der Herrschaft der Reichsverfassung hätte Anspruch erheben können, einer der eifrigsten Förderer des nationalen Einigungswerkes wurde.· Der Unterschied zwischen Baden und den anderen süddeutschen Staaten lag nicht darin, daß letztere die politische und rechtliche Einheit ablehnten - das konnten und wollten sie auf Dauer auch nicht -, wohl aber darin, daß diese nicht bereit waren, berechtigte partikulare Interessen auf dem Altar der Einheit - einer inhaltlich von Preußen definierten Einheit - zu opfern.

'" Andennann (Fn.46), 206 ff. >I

v. Weech (Fn.48), 141.

IV. Personeller und institutioneller Rahmen der Beteiligung Badens an der Ausarbeitung des BGB 1. Die sog. Vorkommission

Die sog. "Vorkommission ", eingesetzt vom Bundesrat, um Plan und Methode der Erarbeitung eines BGB festzulegen, hatte in ihrem Gutachten aus der Sicht der Bundesstaaten drei wesentliche Entscheidungen getroffens2 : Der Ausgangsentwurf sollte nicht von einem einzigen (dann wahrscheinlich preußischen) Redaktor entworfen werden; vielmehr sollten einzelne Kommissionsmitglieder jeweils Teilentwürfe erstellen. Ferner sollte die Kommission nicht "alles ganz neu aufbauen" (v.Kübel), sondern von den bestehenden Zivilrechten ausgehen. Schließlich hielt man es für geboten, daß die wichtigsten Rechtsgebiete in der Kommission repräsentiert würden. Alles im allem also günstige Voraussetzungen für jeden Bundesstaat, der seine partikularen Interessen zur Geltung bringen wollte. Levin Goldschmidt, der Vorsitzende dieser Vorkommission, war übrigens auf Anregung der badischen Regierung berufen worden s3 • Er hatte, nachdem er sich wegen seiner jüdischen Konfession in Preußen nicht habilitieren konnte, von 1855 bis 1870 in Heidelberg gelehrt, verdankte also die Grundlegung seiner Karriere der liberalen badischen Kulturpolitik. Goldschmidt konnte sich in der Vorkommission mit seinen Forderungen nach stärkerer Berücksichtigung von Theoretikern und einem nicht bloß kompilatorischen, sondern grundlegenden Neuanfang gegen v.Kübel, der die partikularen Interessen der größeren Mittelstaaten vertrat, nicht durchsetzen.

>2

Schuben (Fn.34), 33 ff., 170 ff.

Jahnel, Kurzbiographien der Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuchs, in: Schubert (Fn.34), 70. Goldschmidt war übrigens mit dem damaligen badischen Staatsminister v.Jolly befreundet, vgl. den Brief an v.Jolly v. 9.4.1874 (Schuben -Fn.34-, 36 Fn.42). >3

24

IV. Personeller und institutioneller Rahmen der Beteiligung Badens

2. Die Konstituierung der 1. BGB-Kommission

Was die 1. BGB-Kommission angeht, so hatten die fünf größten Bundesstaaten völlig freie Hand hei der Nominierung ihrer Mitglieder. Baden schlug als seinen Vertreter GebhardS4 vor und als einen der heiden vorgesehenen Theoretiker den damals in Heidelberg lehrenden Windscheid, der dann in den folgenden Beratungen eine wichtige Rolle spielte, aber natürlich keineswegs als originärer Interessenvertreter Badens gelten konnte. Diese Rolle sollte vielmehr Gebhard spielen. Albert Gebhardss war seit 1868 als Ministerialrat im badischen lustizministerium tätig und hatte sich bereits 1871 als badisches Mitglied in der Reichskommission zur Vereinheitlichung des Zivilprozßrechts seine legislatorischen Sporen verdient. Richterliche Erfahrung besaß er nur in geringem Umfang S6 • Es hat in Baden wahrscheinlich genauere Kenner und mit Sicherheit eifrigere Anhänger des Landrechts als ihn gegebenS7• Sein zivilrechtliches Denken war überwiegend

!14 Gebhard bekam in der Wahl des Bundesratsausschusses rur Verfassung und Justiz am 30.6.1874, sieht man von den Sonderfällen Planck und Derscheid ab, als einziger eine Gegenstimme (Schubert -Fn.34-, 203). Um das elfte Kommissionsmitglied, Gustav Derscheid, gab es eine heftige Auseinandersetzung: Er sollte, seit 1871 Rat am Appellationsgericht in Kolmar nach vorhergehenden Tätigkeiten im rheinpreußischen Rechtskreis, das rheinisch-französische Recht vertreten. Die kleineren Bundesstaaten hätten damit überhaupt keinen Vertreter in der Kommission gehabt; sie stellten sich deshalb hinter den von Lübeck vorgeschlagenen Hamburger Herrmann Baumeister, der denn auch in der Ausschußsitzung vom 30.6.1874 anstelle Derscheids zunächst gewählt wurde (übrigens mit der Stimme Badens). In der Plenarsitzung des Bundesrats v. 2.7.1874 machte sich jedoch Preußen rur Derscheid stark, mit der Begründung, das Gebiet des Code civil müsse unbedingt in der Kommission vertreten sein; "Gebhard von Carlsruhe genüge nicht in dieser Richtung, da das badische Recht nicht als Code-civil-Recht anerkannt werden könne" (Schubert -Fn.34-, 37 f., 204). Derscheid wurde schließlich, diesmal mit der Stimme Badens. gewählt.

" Biographisches zu ihm bei M.Behn, Die Entstehungsgeschichte der einseitigen Kollisionsnormen des EGBGB unter besonderer Berücksichtigung der Haltung des badischen Redaktors Albert Gebhard und ihre Behandlung durch die Rechtsprechung in rechtsvergleichender Sicht, Frankfurt 1980, 117 ff.; W. Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren rur die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Allgemeiner Teil, I. BerlinlNew York 1981, XIV ff.; Planck, Albert Gebhard, DJZ 1908, 119 f.; P.Kögler, Arbeiterbewegungund Vereinsrecht, Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des BOB, Berlin 1974, 54 ff.; T. Vonnbaum, Die Rechtsfähigkeit der Vereine im 19.Jahrhundert, Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des BOB, Berlin 1976, 131 ff.; Jahnel (Fn.53),73 f. >6 Im Herbst 1864 wurde er Gerichtsrat am Kreisgericht in Karlsruhe, 1867 stellvertretender Vorsitzender des Handelsgerichts Karlsruhe-Pforzheim.

SI In seiner Studienzeit hat er nur eine einzige Vorlesung über "Französisches und badisches Zivilrecht" gehört (bei Renaud, Heidelberg SS 1852). Nach bestandener zweiter juristischer Staatsprüfung verbrachte er Anfang 1857 sechs Wochen in Paris und Lyon "zu seiner Ausbildung in der

3. Stellungnahme Badens zum 1. Entwurf

25

pandektistisch, d.h. begrifflich und systematisch, geprägt; rechtspolitisch relevante Neuerungen durfte man von ihm nicht eJWarten.

In der 1. Kommission, die sich am 17.9.1874 konstituierte, wurde Gebhard zum Redaktor des Allgemeinen Teils ernannt, "keine sehr glückliche Entscheidung"58, da weder der Code civil noch das Badische Landrecht einen echten Allgemeinen Teil im Sinne des deutschen Pandektenrechts besaßen. "So mußte sich der ohnehin schon stark gemeinrechtlich interessierte Gebhard fast ausschließlich am gemeinen Recht orientieren.·59 Sein Vorentwurf zeichnet sich durch eine Vielzahl doktrineller, eher in ein Lehrbuch als in ein Gesetz passender Bestimmungen60 sowie eine besondere Detailverliebtheit in technisch komplizierten Materien aus; so sind z.B. der Bedingung und Befristung insgesamt 32 Paragraphen gewidmef l • Gebhards Motive zu den Bestimmungen des Vorentwurfs über das Rechtsgeschäft stellen zweifellos eine auch heute noch wertvolle Fundgrube für Doktrin und Rechtsprechung des 19.Jahrhunderts dar. Sie sind klar gegliedert, reichhaltig belegt, gut geschrieben. Freilich haUen gerade in diesem Gebiet französisches und badisches Recht besonders wenig zu bieten. Die wohl eigenständigste Leistung des badischen Kommissionsmitglieds waren die IPR-Entwürfe von 1881 und 1887. Wegen seines Perfektionsdrangs und zeitweiliger Behinderung durch Krankheit gelang es Gebhard nur mit Not, den Vorentwurf samt Begründung bis zum Beginn der Kommissionsberatungen im Oktober 1881 fertigzustellen. In diesen Beratungen hielt er sich mit Anträgen und Diskussionsbemerkungen zu den nicht unmittelbar seinem Redaktionsgebiet angehörenden Materien sehr zurück62 • 3. Stellungnahme Badens zum 1. Entwurf

a) Die badische BGB-Kommission Weisungen des badischen Justizministeriums in bezug auf das Antrags- und Abstimmungsverhalten Gebhards in der 1. Kommission scheint es nicht gegeben

französischen Sprache und um sich mit dem französischen Gerichtsverfahren bekannt zu machen" (Behn -Fn.55-, 119). 51

Schuhen (Fn.34), 41.

'" Ebd .

.., Vgl. etwa §§ 1-3,90 f., 111 13,141 f., 146, 148 f., 197-199 (Schuhen -Fn.55-, 17 ff.) . • , §§ 130-161 (Schuhen -Fn.55-, 23-27). 62

Schuhen (Fn.55), XIV.

26

IV. Personeller und institutioneller Rahmen der Beteiligung Badens

zu haben; jedenfalls sind keine nachweisba~. Überhaupt gewinnt man den Eindruck, daß man sich in Karlsruhe um die immerhin 14 Jahre dauernden Arbeiten am 1. Entwurf kaum gekümmert hat. Bis zum Beginn der achtziger Jahre war man hier vollauf damit beschäftigt, die Reichsjustizgesetze auszuführen, und 1881 trat mit Wilhelm Nokk64 ein Mann an die Spitze des mit der Kultusverwaltung vereinigten Justizressorts, dessen Interessen sich einseitig auf das Kultus- und Schulwesen konzentrierten6.5. Nachdem der Reichskanzler Anfang 1888 den fertigen 1. Entwurf sämtlichen Bundesstaaten zugeleitet hatte, begann man in Baden aus der bisherigen Lethargie aufzuwachen. Durch Erlasse vom 14.3. und 8.5. 188gti6 bildete das Justizministerium eine Kommission, der die Aufgabe gestellt wurde, "die künftigen Maßnahmen der Regierung gegenüber dem Entwurfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich vorzubereiten". In diese Kommission wurden berufen: als Vorsitzender der Ministerialrat im Justizministerium Heß 67 sowie

63

Schubert (Fn.34), 49 .

.. Zu ihm (1832-1903; Justiz- u. Kultusminister 1881-1900, ab 1893 auch Staatsminister) v.d.Kall, Badische Biographien, VI, Heidelberg 1935, 495 ff.; v. Weech, Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog VßI (1903), 3 ff.; F. v. Weech, Staatsminister Dr. Nokk, Heidelberg 1904; K.Rhein, Wilhelm Nokk, Ein badischer Staatsmann, Diss.phil.München 1955. "' In der Justiz überließ Nokk die Zügel dem als Oberstaatsanwalt ins Ministerium berufenen Fmrn.v .Neubronn (zuletzt Ministerialdirektor, ab 1899 Präsident des OLG Karlsruhe); zu Neubronn Dietz, Freiherr von Neubronn +, DRiZ 1915,517 ff. .. Zum Folgenden vgl. den "Generalbericht" der Kommission v. 29.5.1889, GLA 234/3548, AS. 104 ff. 67 Heinrich Heß (19.9.1835-3.8.1906). Studierte WS 1853-WS 1855 in Heidelberg (wo er Roßhirt, Zöpfl, Häusser, v.Mohl, v.Vangerow, v.Jolly hörte), sodann bis Herbst 1855 in Berlin (Homeyer, Gneist u.a.), bis Herbst 1856 wieder in Heidelberg (Renaud, Rau, Puchelt usw.). Ab Februar 1858 als Rechtspraktikant beim Stadtamtsgericht Karlsruhe, Amtsgericht Oberkirch, Amtsgericht Mannheim, Hofgericht Bruchsal. Nach der 2.jur. Staatsprüfung in verschiedenen Amtsu. Anwaltsstellungen. 1864 Amtsrichter in Lahr, 1866 Assessor beim Kreisgericht Mosbach, 1868 Rat am selben Gericht. 1871 Staatsanwalt in Karlsruhe, 1872 Kreisgerichts-, 1879 Landgerichtsrat ebenfalls in Karlsruhe. Seit 1879 zuerst Mitglied des Vorstands, später Vorsitzender des Aufsichtsrats der Maschinenbaugesellschaft Karlsruhe. 1881 wurde er ins OLG Karlsruhe, 1886 als Rat ins Ministerium der Justiz, des Kultus und des Unterrichts berufen, wo er über ein Jahrzehnt (zuletzt als Nachfolger Neubronns -vgl. Fn.65- Ministerialdirektor) mit der Begutachtung des BGB und der durch dieses geforderten Überleitung des badischen Landeszivilrechts beschäftigt war. Wird als hervorragender Jurist von eisernem Fleiß und peinlicher Gewissenhaftigkeit, streng gegen sich und andere, im privaten Bereich als von großer Liebenswürdigkeit und von vielfältigen Interessen geschildert, seine Weltanschauung als die eines "durchaus unkirchlichen" (v. Teuffel, 14) Liberalen; emielt am 17.8.1896 rur seine Tätigkeit als Vorsitzender der BGB-Kommission das Kommandeurkreuz des Zähringer Löwenordens. Vgl. Krieger, Badische Biographien, VI (Fn.64), 104-106; K.Frhr. v. Teuffel, + Heinrich Heß, Ein badisches Juristenleben, Karlsruhe 1906 (17 S.). Zum bad. Justiz- u. Ministerialsystem vgl. v.Jagemann, in: Das Großherzogtum Baden in geographischer,

3. Stellungnahme Badens zum 1. Entwurf

27

als Mitglieder die Oberlandesgerichtsräte Heinsheimer68 , Schember69 und Mayer1O • Es handelte sich dabei durchgängig um bewährte und tüchtige Praktiker, die alle langjährige richterliche Erfahrung besaßen. Von ihnen war freilich nur

naturwissenschaftlicher, geschichtlicher, wirtschaftlicher und staatlicher Hinsicht dargestellt, Karlsruhe 1885,551 fT., 623 fT. .. Max Heinsheimer (14.8.1832-4.1.1892). 1851-1855 Studium in Heidelberg. Wurde 1855 Rechtspraktikant, 1857 Referendär (die Absolventen der ersten Priifung hießen Rechtspraktikanten, die der zweiten Referendäre, vgl. v.Jagemann - Fn.67 -, 607), 1864 Sekretär beim Kreis- u. Hofgericht Freiburg, 1865 Kreisgerichtsassessor in Lörrach, 1866 in Mannheim, 1867 Kreisgerichtsrat in Mannheim, 1871 Mitglied des Appellationsrats, 1879 OLG-Rat in Karlsruhe. Eifriger Anhänger der Nationalliberalen Partei. Verfaßte neben einer Reihe von Aufsätzen in juristischen Zeitschriften (z.B. Zeitschrift für das französische Civilrecht 2 (1872),270-285; 3 (1873),208-223): "Die civilrechtliche Verantwortlichkeit der Architekten und Ingenieure nach französischem und badischem Rechte", Karlsruhe 1881; "Das badische Pfandrecht", in: E.S. Puchelt, Das Rheinisch-französische Privilegien- und Hypothekenrecht, 11, Leipzig 1876, 95-196; "Die englische Wechsel-Ordnung vom Jahre 1882, In das Deutsche übertragen und mit Einleitung und erläuternden Bemerkungen versehen", Stungart 1882 (= Beilageheft zum 28. Bd. der "Zeitschrift für das gesarnmte Handelsrecht"); "Gesetze und Verordnungen über Gerichtsverfassung, Rechtsanwaltschaft, Gerichtskosten, Gebühren" (zus. mit E. Kamm), Mannheim 1880; "Führer durch die deutschen Reichs-Justizgesetze" (zus. mit K. v.Stösser), MannheimlStraßburg 1879. Vgl. auch Weilt, Badische Biographien, V, Heidelberg 1906, 269 f . .. Ludwig Schember (17.7.1835-29.12.1907).1853-1857 Studium in Heidelberg. 1858 erste, 1861 zweite juristische Staatspriifung. 1864 Amtsrichter in Pforzheim, 1868 in Karlsruhe. Dann in Waldshut zuerst Kreis-, später (1879) Landgerichtsrat, 1881 Rat am Landgericht Konstanz, 1883 am Landgericht Freiburg, 1884 OLG-Rat in Karlsruhe, 1899 LG-Präsident in Heidelberg, 1902 Senatspräsident am OLG Karlsruhe, 1903 Vorsitzender des Disziplinarhofes für nichtrichterliche Beamte (dessen Mitglied er seit 1896 war). 1887-1898 Mitherausgeber der" Annalen der GroßherzogIich Badischen Gerichte". 1903/04 vom Großherzog ernanntes Mitglied der Ersten badischen Kammer; dort Berichterstatter für die Gesetzentwürfe über die Änderung des Polizeistrafgesetzbuchs, über das Grundbuchwesen, die Zwangsvollstreckung in Grundstücke u. die Ausscheidung von Landstraßen. Seine einzige Tochter, Luise Ziska Sch. (pseudonym: Ziska de Laras), zu ihrer Zeit sehr bekannte Schriftstellerin. Vgl. Badische Biographien, VI (Fn.64), 8 \0 (Totenliste); Wer ist's?, 3.Ausgabe, Leipzig 1908, 1196; Chronik der Stadt Ksrlsruhe 1907,270; Verhandlungen der Ersten Kammer der Stände-Versammlung des Großherzogturns Baden 1907/08, Protokollheft, 56. 70 August Mayer (geb. 1837 in Mannheim, gest. wahrscheinlich 1898). 1859 Rechtspraktikant, 1862 Referendär, 1864 Amtsrichter in Karlaruhe, 1869 Kreisgerichtsrat in OfTenburg, im selben Jahr Staatsanwalt in Freiburg, 1872 Kreisgerichtsrat in Freiburg, 1879 Landgerichtsrat, 1886 Oberlandesgerichtsrat in Karlsruhe, seit 1890 auch Mitglied des Disziplinarhofs (zuständig für die Verhängung der Dienststrafen "Strafversetzung" und "Dienstentlassung" über nichtrichterliche Beamte), seit 1892 auch Mitglied des Kompetenzgerichtshofs. 1887-1898 Mitherausgeber der" Annalen der Großherzoglich Badischen Gerichte". 1885 Ritter 1.K1asse des Zähringer Löwenordens (Stufe 3a des Ordens), 1894 mit Eichenlaub. Vgl. Alphabetisches Verzeichnis der aktiven Hofdiener und der aktiven Staatsbeamten der oberen Klassen des Gehaltstarifs des Großherzogthums Baden nebst kurzen Personalnachrichten, 5.Ausgabe (Stand November 1894), Karlsruhe 1894, 123; Hof- und Staatshandbuch des Großherzogthums Baden 1896, Ksrlsruhe, 95, 246 f., 340 (nicht mehr aufgeführt im Hof- und Staatshandbuch 1898 - Stand November d. Jahres).

28

IV. Personeller und institutioneller Rahmen der Beteiligung Badens

Heinsheimer wissenschaftlich hervorgetreten; er hatte zahlreiche Aufsätze und Bücher, meist zu Themen des französisch-badischen Rechts, verfaßt und gab seit 1886 als Nachfolger von Puchelt die einflußreiche "Zeitschrift für französisches Civilrecht" heraus. Die Kommission bereitete ihre Beratungen durch sog. "Denkschriften"71 vor, in denen die als Referenten über die einzelnen Bücher des Entwurfs bestellten Mitglieder "unter eingehender Berücksichtigung des bestehenden Rechts" ihr Votum abzugeben und zu begründen hatten. Leitender Gesichtspunkt der Kommission war, die Begutachtung des Entwurfs "unter stetiger Vergleichung mit dem geltenden Landesrechte vorzunehmen, selbstverständlich nicht in dem Sinne, als ob damit ein absoluter Maßstab für Annahme oder Ablehnung der Bestimmungen des Entwurfs gegeben wäre, wohl aber in der Richtung, daß jeweils die vom Entwurfe betroffenen landesrechtlichen Bestimmungen zu bezeichnen und die Gesichtspunkte für ein hiedurch gefordertes landesgesetzgeberisches Vorgehen anzudeuten waren"72. Schember erarbeitete die Denkschriften zum Allgemeinen Teil, zum Sachen- und Erbrecht, Heinsheimer diejenige zum Schuld recht, Mayer die zum Familienrecht. Der Vorsitzende erstattete zu sämtlichen Denkschriften ein schriftliches Korreferat. Die Beratungen der Kommission erfolgten jeweils nach Fertigstellung dieser Vorarbeiten in der Zeit vom 4. Mai bis 23. Dezember 1888 in 23 Sitzungstagen. Die einzelnen Denkschriften, versehen mit kurzen Randbemerkungen über die gefaßten Beschlüsse, wurden sodann auf Anordnung des Ministeriums in einer größeren Anzahl von Exemplaren gedruckt und verteilt. Nachdem zahlreiche Stimmen der öffentlichen Kritik am 1. BGB-Entwurf sich zu Wort gemeldet hatten und der Text der sog. Nebengesetze (EGBGB, GBO, Gesetz über die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen) publiziert worden war, trat die badische Kommission in eine "zweite Lesung" ein, die an sieben Sitzungstagen in der Zeit vom 24. Januar bis 28. Februar 1889 erfolgte. Eine Zusammenstellung der hierbei gefaßten Beschlüsse, die teilweise ausführliche Stellungnahmen zu öffentlich geäußerter Kritik am E 1 enthielten, wurde ebenfalls gedruckt und verteilt,

71 Badische Kommission zur Begutachtung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich: I. Denkschrift des Referenten zum Ersten Buch (allgemeiner Teil) des Entwurfs, Karlsruhe 1888. U. Denkschrift des Referenten zum Zweiten Buch (Recht der Schuldverhältnisse) des Entwurfs, Karlsruhe 1888. m. Denkschrift des Referenten zum Dritten Buch (Sachenrecht) des Entwurfs, Karlsruhe 1888. IV. Denkschrift des Referenten zum Vierten Buch (Familienrecht) des Entwurfs, Karlsruhe 1888. V. Denkschrift des Referenten zum Fünften Buch (Erbrecht) des Entwurfs, Kar1sruhe 1888. VI. Zusammenstellung der gefaßten Beschlüsse, Karlsruhe 1889. VII. Denkschrift des Referenten zum Entwurf eines Einführungsgesetzes nebst Zusammenstellung der Beschlüsse zu diesem Entwurf, Karlsruhe 1889.

12

Badische Kommission I (Fn.71), 3.

3. Stellungnahme Badens zum 1. Entwurf

29

ebenso wie die Denkschrift samt Beschlüssen zum Einführungsgesetz, über das man am 6. und 9. Mai 1889 beraten hatte. Schließlich erstattete die Kommission dem Ministerium am 29.5.1889 einen "Generalbericht"73, in dem sie sich zusammenfassend über den - v.a. aus dem Entwurf des EGBGB zu entnehmenden - Umfang, über den Inhalt im allgemeinen und namentlich über die Sprache des Entwurfs äußerte. Zusammenfassend heißt es in diesem Generalbericht: "Mit Annahme des Entwurfs wird für Deutschland ein neues gemeines Recht geschaffen und dadurch die seit Ende des vorigen Jahrhunderts zerrissene Rechtsgemeinschaft der deutschen Staaten und Stämme wiederhergestellt. Daß diese national und kulturhistorisch hochbedeutsame Thatsache für Baden zugleich die Loslösung von dem seit fast 80 Jahren in Fonn des Landrechts bei uns geltenden französischen Gesetzbuch bedeutet, ist nicht zu beklagen. Wohl hat die Geltung dieses Gesetzbuches es nicht verhindert, daß sich in Baden, und zwar vielleicht in höherem Maße als in den übrigen deutschen Ländern des französischen Rechts, eine anerkennenswerthe Verarbeitung und Fortbildung dieses Rechts durch Wissenschaft und Praxis entwickelt hat; aber dieselbe litt doch unter dem Umstande, daß wir durch Annahme dieses Gesetzbuches von der gemeinrechtlichen Wissenschaft abgeschnitten und unter das Joch einer geistigen Fremdherrschaft gebeugt waren, die um so drückender empfunden wurde, als die französische Rechtsliteratur , bei allen glänzenden äußeren Vorzügen, an Tiefe und Gehalt mit der gemeinrechtlichen deutschen sich nicht messen kann. Schon im Jahre 1819 war in Baden durch landesherrliche Entschließung vom 25. Mai (Reg.BI. Nr.17) 'um das durch Uebermacht aufgedrungene französische Recht dem Charakter Unserer Unterthanen und ihrem angewohnten Rechte mehr anzupassen' eine Gesetzgebungskommission 'zur Revision oder Entwerfung eines neuen Landrechts' niedergesetzt worden, deren Thätigkeitjedoch, wie so manche andere Kodifikationsbestrebung in den Zeiten des deutschen Bundes, im Sande verlief. Das damals in beschränktem Sinne Geplante wird sich nun nach Herstellung der politischen Einigung der Nation in großem Stile erfüllen. Groß sind die Anforderungen, welche die Einführung des Gesetzbuchs an die überleitende Thätigkeit der Landesgesetzgebung und Justizverwaltung stellen wird. Es wird neben einem umfassenden Ausführungsgesetze, welches wohl auch die noch stehen gebliebenen kümmerlichen Reste des Landrechts in sich aufnehmen wird, eine größere Anzahl von Sondergesetzen und Vollzugsverordnungen zu erlassen sein und sind namentlich bei Einführung des neuen Grundbuchsystems, welches noch vor der Einführung durch Übergangsgesetze vorbereitet werden muß, organisatorische Schwierigkeiten ersten Ranges zu überwinden. Uebrigens

" Vgl. Fn.66.

30

IV. Personeller und institutioneller Rahmen der Beteiligung Badens

müssen wir es für höchst wüoschenswerth erachten, wenn der Zeitraum, mit welchem der Entwurf Gesetz werden wird, thunlichst abgekürzt werden könnte, da eine allzulange Dauer des Uebergangszustandes dem Studium und der Anwendung des geltenden Rechtes nicht förderlich ist. Nach dem Vorgetragenen glauben wir unsere Ueberzeugung dahin aussprechen zu sollen, daß die Großh. Regierung in der Lage ist, zu dem Entwurfe eine freundliche und im Ganzen zustimmende Stellung einnehmen zu können. " b) Antwort auf die 68 Fragen des Reichskanzlers Dieser "Generalbericht" blieb zunächst ungedruckt. Denn mit Schreiben vom 27.6.1889 legte der Reichskanzler sämtlichen Bundesregierungen einen Katalog von 68 Fragen vor, zu denen eine Stellungnahme erbeten wurde74 • Der Reichskanzler vertrat nach einem Bericht des badischen Gesandten in Berlin7S die Ansicht, "daß den erbetenen Äußerungen eine genaue Prüfung des gesammten Materials vorherzugehen habe und daß die verbündeten Regierungen in diesem Augenblick ihr particulares Interesse an der Gestaltung des bürgerlichen Rechts nach allen Richtungen hin klar stellen sollten, um dann bei der 11. Lesung in der Lage zu sein, mitzuarbeiten bzw. durch ihre Commissionen ihre Anschauungen zur Geltung zu bringen, was bei den Verhandlungen im Bundesrathe der Natur der Sache nach nicht mehr möglich sein werde." Nach dem Gesandtenbericht hatte der Staatssekretär im Reichsjustizamt hinzugefügt: "Wenn er offen sprechen dürfe, so müsse er sagen, daß es sich darum handle, das, was während der ersten Lesung versäumt worden sei, nachzuholen", womit offensichtlich auf das Desinteresse der einzelnen Bundesregierungen an der Arbeit der 1. Kommission angespielt wurde. Zunächst ging die badische Kommission recht zügig ans Werk, um die 68 gestellten Fragen zu beantworten. Es wurden Gutachten der badischen Gerichtshöfe angefordert, deren Ansichten, wenn sie relativ einheitlich ausfielen, sich die Kommission in der Regel zu eigen machte. Das Ergebnis war ein 77-seitiges Kommissionsgutachten, das in der Folge gedruckt wurde76 und als "Einleitung" den oben erwähnten "Generalbericht" (mit Ausnahme von dessen letztem, oben zitierten Abschnitt) enthielt. Ab Mitte November 1890 fanden im Justizministe,. Schubert (Fn.34), 329; GLA 234/3548, AS. 118 ff.; vgl. zum Folgenden auch Behn (Fn.55), 144 f.

" Schreiben v. 13.10.1889, GLA 234/3548, AS. 140.

7. Badische Kommission zur Begutachtung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich: VIII. Gutachten der Kommission über eine Anzahl von Punkten allgemeiner Bedeutung, 0.0., 0.1. (aber wohl Karlsruhe 1890).

3. Stellungnahme Badens zum 1. Entwurf

31

rium mehrere Sitzungen statt, in denen der von der Kommission erarbeitete Entwurf einer offiziellen Antwort der badischen Regierung beraten wurde. Namentlich die Ministerialräte v .Jagemann77 und Domer78 stellten zahlreiche Änderungsanträge zu diesem Entwurf79. Das Reichsjustizamt hatte ursprünglich für die Erarbeitung der Stellungnahme durch die Bundesregierungen einen Zeitraum von 1 1/2 Jahren veranschlagt. Die offizielle badische AntworfO ging jedoch erst im Laufe des Jahres 1891 in Berlin ein, zu einem Zeitpunkt, als die 2. Kommission schon ihre Arbeit aufgenommen hatte. Die "Denkschriften" der badischen Kommission waren freilich schon am 9.12.1889 dem Reichsjustizamt übersandt worden. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung in den späteren Phasen der innerbadischen Beratung war eine private "Eingabe" Adrian BingnergBl an das Reichsjustizamt82 , die zahlreiche Änderungsvorschläge zum 1. Entwurf enthielt und mit 77 Zu ihm: Leiser, Badische Biographien, N.F.l, Stuttgart 1982,180 f.; Krebs, Neue Deutsche Biographie, X, Berlin 1974,293 f.; vgl. fernerv . .JagemannsAutobiographie "Fünfundsiebzig Jahre des Erlebens und Erfahrens (1849-1924)", Heidelberg 1925.

,. Zu ihm: Leiser, Badische Biographien, N.F.l (Fn.77), 99 f.; Jordan, Karlsruher Richterbilder, in: Festschrift zur Eröffnung des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe (Fn.32), 49 (102-104). 19

GLA 234/3548, AS. 189 ff.

Bemerkungen der Großherzoglich Badischen Regierung zu dem Entwurf erster Lesung eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, 0.0. 1891. 10

11 Zu ihm (26.9.1830-8.5.1902): v. Weech, Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog, VH, Berlin 1905, 142 f.; Federer, Neue Deutsche Biographie, H, Berlin 1955,248; Dietl., Badische Biographien, VI (Fn.64), 109-113; Müller, in: Die ersten 25 Jahre des Reichsgerichts, Sonderheft des Sächsischen Archivs rur Deutsches Bürgerliches Recht zum 25jährigen Bestehen des höchsten Deutschen Gerichtshofs, Leipzig 1904, 48 f.

.. Diese "Eingabe" wird mehrfach zitiert in: Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, gefertigt im Reichs-Justizamte, Als Manuskript gedruckt, 6 Bde., Berlin 1890/91. Sie ist veröffentlicht in: Sächsisches Archiv für Bürgerliches Recht und Prozeß 1(1891),81-112, 161-193; vgl. ferner Bingner, Bemerkungenzu dem zweiten Entwurfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich, Sächsisches Archiv für Bürgerliches Recht und Prozeß 3 (1893),270-296; 4 (1894),385-432; 5 (1895),77-117,593-630. Weitere nichtamtliche badische Stimmen zum BGB (namentlich von badischen Juristen bzw. Juristen, die in Baden tätig waren): E.J. Beklcer (prof. in Heidelberg), System und Sprache des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, Berlin 1889 (Beiträge zur Erläuterung und Beurtheilung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, hrsgg. v. E.J.Beklcer u. O.Fischer, Heft 2); G.Bin1. (RA in Karlsruhe), Das bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Karlsruhe 1896; M.Heinsheimer (s.o. Fn.68), Gutachten über die Frage: Empfiehlt sich die Beibehaltung der Vorschriften, welche der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs im allgemeinen Theil (§§ 98-102) über den lrrthum bei Willenserklärungen aufstellt?, in: Verhandlungen des XX. Deutschen Juristentags, Bd. 3, Berlin 1889,3-22; ders., Kritik über "Gutachten aus dem Anwaltsstande Heft 1", Zeitschrift für französisches Civilrecht 19 (1889), 381; K.Heinsheimer (Sohn d. in Fn.68 Genannten; zuerst Richter, dann Prof. in Heidelberg), Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch mit

32

IV. Personeller und institutioneller Rahmen der Beteiligung Badens

Sicherheit auch in Karlsrube vorlag; Wortlaut und Begründung der Bingnerschen Anträge kehrten teilweise wörtlich wieder in den Drucksachen der badischen BGB-Kommission. Bingner genoß bei badischen Juristen allerhöchste Autorität. Er war 14 Jahre im badischen Justizministerium tätig gewesen, ehe er 1879 auf Vorschlag Badens zum Präsidenten des 2. Zivilsenats des RG berufen wurde, dem alle Sachen aus dem französisch-rechtlichen Gebiet zugewiesen waren. Bingner prägte mehr als zwanzig Jahre lang die Judikatur dieses und damit auch des badischen Rechtskreises.

seinen Nebengebieten und das Badische Recht, 2 Bde., Karlsruhe 1901105; M.Hachenburg (RA in Mannheim), Das französisch-badische Recht und der Entwurf des deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs,AnnalenderGroßherzoglichBadischenGerichte 54 (1888), 334 tT., 348tT., 363 tT., 379 tT.; 55 (1889), 14 tT., 27 tT., 46 tT., 60 tT., 80, 95 f., I IO f., 125 tT., 153 tT.; 56 (1890), 332 tT., 348 tT. (dasselbe, erweiterter Separatabdruck aus den Annalen, Mannheim 1889/90, 160 S.); ders., Gutachten über die Frage: Ist die im Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs angenommene Behandlung der Pertinenzen zu billigen, oder eine Abänderung derselben wünschenswerth und in welchem Sinne? , in: Verhandlungen des XX. Deutschen Juristentags, Bd. 3, Berlin 1889, 122-144; ders., Gutachten über den Zweiten Abschnitt des Rechts der Schuldverhältnisse: Schuldverhältnisse aus Rechtsgeschäften unter Lebenden, in: Gutachten aus dem Anwaltsstande über die erste Lesung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs, hrsgg. im Auftrage des Deutschen Anwalt-Vereins von den Rechtsanwälten Adams, Wilke, Mecke, Hartmann, Erythropel, 15 Hefte in einem Band, Berlin 1888-1890,110-158; ders., Das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Vorträge, Mannheim 1897; I. Kohler (in OtTenburg geboren, bis 1878 Richter in Mannheim), Gutachten über die Frage: Soll an Stelle der väterlichen Gewalt eine der Mutter subsidiär zustehende elterliche Gewalt im bürgerlichen Gesetzbuche aufgenommen werden? und mit welchen Modalitäten?, in: Verhandlungen des XIX. Deutschen Juristentags, Bd.2, BerliniLeipzig 1888, 220-228; ders., Gutachten über die Frage: Ist die im Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches angenommene Behandlung der Pertinenzen zu billigen, oder eine Abänderung derselben wünschenswerth, und in welchem Sinne?, in: Verhandlungen des XX. Deutschen Juristentags, Bd.3, Berlin 1889, 145-151; ders., Über den Vertrag unter Abwesenden mit Bezug auf den Entwurf, in: 30.Jahresbericht der Berliner juristischen Gesellschaft 1888/89,40 (= ArchBürgR 1, 1889,324); H.Rosin (Prof. in Freiburg i.Br.), Gutachten über die Frage: An welche rechtlichen Voraussetzungen kann die freie Korporationsbildung geknüpft werden?, in: Verhandlungen des XIX. Deutschen Juristentags, Bd.2, BerliniLeipzig 1888, 135-152; G.Rilmelin (Prof. in Freiburg i.Br.), Das Gewohnheitsrecht, JherJb 27 (1889), 153 tT.; ders., Zur Lehre von der Theilung der Rechte, JherJb 28 (1889),386 tT.; R.Schröder (Prof. in Heidelberg), Gutachten über die Frage: Bedarf das System des gesetzlichen Güterstandes in dem Entwurfe des bürgerlichen Gesetzbuchs einer grundsätzlichen Abänderung und in welcher Richtung?, in: Verhandlungen des XXI. Deutschen Juristentags, Bd.I, Berlin 1890, 167171; ders., Das Familiengüterrecht in dem Entwurfe eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, Berlin 1889 (Beiträge - s.o. Bekker -, Heft 15); K. v.Stößer (Senatspräs. OLG Karlsruhe), Kritik über "Reinhold, Die Lehre vom Klaggrund" , Annalen der GroßherzogIich Badischen Gerichte 54 (1888), 384; Verhandlungen der XXXV . General-Versammlung der Katholiken Deutschlands zu Freiburg i.Br. vom 2. bis 6. September 1888, Freiburg 1888 (Referat des RA Schultz u. Resolution, 198-203).

4. Die 2. BGB-Kommission

33

Im großen und ganzen gesehen, betrachtete man in Baden den 1. Entwurf als "geeignete Grundlage für eine Kodifikation des Privatrechts "'3 . Weder gegen das gewählte System noch gegen die inhaltlichen Prinzipien seien grundlegende Einwendungen zu erheben, die zu einer völligen Ablehnung führen müßten. Erhebliche Bedenken brachte man jedoch gegen die Sprache des Entwurfs vor: Zwar könne - und insofern verabschiedete man sich von dem alten Brauerschen Ideal, das noch das Landrecht geprägt hatte - ein modemes Gesetzbuch kein gemeinverständliches Volksbuch sein; aber einige Partien seien selbst für Juristen nur schwer verständlich und müßten deutlicher, übersichtlicher und ohne allzuviele Verweisungen formuliert werden84• Ferner forderte man in einer ganzen Reihe von Fällen, in denen der Entwurf eine Regelung unterlassen bzw. der Landesgesetzgebung vorbehalten hatte, eine einheitliche reichsrechtliche Regelung, wobei man wohl mehr Wert auf die Einheitlichkeit als solche denn auf den konkreten Inhalt legte8S ; demgegenüber begehrte man nur in ganz wenigen Fällen einen Vorbehalt für die Landesgesetzgebung, so daß man Baden gewiß zuletzt für das verantwortlich machen kann, was man später als die "Verlustliste des deutschen Einheitsgedankens"86 bezeichnet hat. Was die materiellen Einzelheiten anging, so trug man immerhin über 30 ÄnderungsWÜDsche vor. Ferner ließ man sich nicht davon abhalten, auch solche Fragen anzusprechen, die im Katalog des Reichskanzlers nicht enthalten waren, der badischen Regierung aber als besonders wichtig erschienen und ihrer Ansicht nach eine andere Lösung erforderten.

4. Die 2. BGB-Kommission a) Badische Vorstellungen über Arbeitsweise und Zusammensetzung der 2. BGB-Kommission Die 1. Kommission wurde zum 31.3.1889 aufgelöst. Da Gebhard keine rechte Lust zeigte, in den Verwaltungsdienst zurückzukehren, verschaffte ihm das Karlsruher Ministerium für Justiz und Kultus mit Wirkung zum 1.1.1890 eine Professur für Reichszivilrecht an der Universität Freiburg; heftige Widerstände

.. Bemerkungen E 1 (Fn.80), I. 14 Bemerkungen E 1 (Fn.80), 3; Generalbericht (Fn.66), AS. 108 ff.; Badische Kommission VI (Fn.71), 27 ff. (§§ 1410-1430),37 f. (§§ 2092-2150); Badische Kommission vm (Fn.76), IX ff. IS

Bemerkungen EI (Fn.80),2 f., 7 (Nr.15) .

.. Abg. Ksuffmsnn in der ersten Beratung des BGB im Reichstag, Sten.Ber.RT, 1896, 31.Sitzung, 4.2.1896. 3 Muschel.r

34

IV. Personeller und institutioneller Rahmen der Beteiligung Badens

der Freiburger Fakultät konnten nur übelWUDden werden, indem man die Stelle auf Dauer einrichtete87 • Aber lange blieb Gebhard nicht in Freiburg. Das Reichsjustizamt war spätestens Mitte 1890 entschlossen88 , eine zweite, selbständige BGB-Kommission einzusetzen, in der neben den größeren Bundesstaaten die wichtigsten Wirtschaftszweige und die Reichstagsparteien vertreten sein sollten. Von diesem Plan, den Preußen wohl zuvor mit Bayern abgestimmt hatte, erfuhren die übrigen Mitglieder des Bundesratsjustizausschusses und damit auch Baden erstmals am 16.10.1890. Nachdem der badische Gesandte in Berlin davon nach Karlsruhe berichtet hatte, versuchte das dortige Justizministerium, den Plan zu Fall zu bringen89 : Der Plan ziele darauf ab, die künftige Verhandlung im Reichstag abzukürzen; aber der Reichstag werde sich letztendlich durch die Mitarbeit einiger Abgeordneter doch nicht präjudizieren lassen. Daher komme es zunächst darauf an, einen Entwurf herzustellen, der im Bundesrat konsens fähig sei. Dazu aber brauche man keine große, unabhängige Kommission. Es empfehle sich vielmehr, "nur eine kleine, an die Weisungen des Bundesrathes gebundene Kommission einzusetzen". Diese solle dann diejenigen sachlichen Änderungen des Entwurfs vornehmen, die in den offiziellen Stellungnahmen der größeren Bundesstaaten angeregt würden, und im übrigen "den ganzen Entwurf hinsichtlich der Sprache einer Revision" unterziehen. Aus wie vielen Mitgliedern die Kommission bestehe, sei sekundär. "Die Hauptsache ist, daß der richtige Mann u. zwar mit sehr umfassenden Befugnissen an die Spitze gestellt und daß ihm nur solche Mitarbeiter beigegeben werden, mit denen er speciell arbeiten kann u. arbeiten will." Dieser Weg habe den Vorteil, daß die Arbeit zügiger voranschreite. Der badische Gesandte in Berlin wurde darauthin instruiert, im Justizausschuß des Bundesrates vertrauliche Erkundigungen darüber einzuziehen, ob die Regierungen geneigt wären, den badischen Weg zu befürworten, einen offiziellen Antrag aber nur zu stellen, wenn die Mehrheit sicher sei. Der Gesandtenbericht vom 31.10.1890 war dann allerdings niederschmetternd90 : Die Vorschläge des Reichsjustizamts hätten im Justizausschuß des Bundesrats ungeteilte Zustimmung erhalten. Die badischen Bedenken seien von keiner anderen der vertretenen Regierungen geteilt worden. Vergeblich habe er den Staatssekretär im Reichsjustizamt "persönlich zur Aenderung seines Programms zu bestimmen gesucht". Auch bei den Vertretern Bayerns, Württem-

17

Zu der ganzen Angelegenheit ausführlich Sehn (Fn.55), 150 tT.

a

Schuhen (Fn.34), 50 tT.

.. Zum Folgenden vgl. das Schreiben des Ministeriums für Justiz, Kultus und Unterricht v. 23.10.1890, GLA 234/3548, AS. 174 tT. 90

GLA 234/3548, AS. 182.

4. Die 2. BGB-Kommission

35

bergs und Sachsens habe er keinen Anklang gefunden. Selbst sein Antrag, "wenigstens nur je einen Parlamentarier der drei großen Parteien zuzuziehen, um die ohnehin viel zu umfangreiche Kommission doch noch um einige Mitglieder zu mindern, fand keine genügende Unterstützung". Baden hatte also fast so etwas wie einen kleinen Aufstand gegen den großen preußischen Bruder geplant - freilich, und das ist bezeichnend, nicht in einer sachlichen Frage, sondern zur Beschleunigung der Rechtseinheit. Die von Baden gewünschte 2. Kommission wäre der Sache nach eine reine Redaktionskommission gewesen, deren einzige eigenständige Aufgabe in der sprachlichen Glättung des Entwurfs bestanden hätte. Ein erneuter Beweis dafür, welch große Bedeutung Baden der Sprache und Übersichtlichkeit des BGB beimaß. b) Schwierigkeiten bei der Berufung Gebhards Nachdem die grundlegende Entscheidung getroffen war, ging es um die personelle Besetzung der Kommission91 • Darüber berichtete der badische Gesandte am 19.10.1890 nach Karlsruhe92 : Der Staatssekretär des Reichsjustizamts habe in bezug auf Baden gemeint, daß "er entweder das frühere Mitglied Herrn Geheimrath Gebhard oder den Prof. Schröder in Heidelberg vorschlagen möchte. Während an Juristen des Französischen Rechts in der Kommission kein Mangel sei, fehle ihr ein tüchtiger Germanist, und deshalb werde er als badisches Mitglied eventuell Herrn Schröder sich erbitten, falls es nicht etwa noch möglich sei, den Germanisten Gierke in Berlin, der übrigens wenig Neigung zur Annahme habe, in irgend einer Kategorie in die Kommission hereinzubringen". Der Gesandte fügte hinzu, daß ohne besondere Einwirkung seinerseits der Justizausschuß voraussichtlich Schröder empfehlen werde. Das badische Justizministerium wollte aber unbedingt wieder Gebhard in der Kommission haben. Es sei "dringend wünschenswerth" , Baden durch einen eigenen Delegierten vertreten zu lassen. "Abgesehen von dem Reichslande Elsaß-Lothringen ist der Code civil nur in Baden für das ganze Land die Grundlage des Civilrechts geworden, während er in Preußen und Bayern nur in einzelnen Provinzen zur Herrschaft gelangt ist, und dürfte es daher geboten sein, dem für die Entwicklung des Civilrechts so wichtigen französischen Recht eine durchaus selbständige Stimme in der Kommission einzuräumen."93 Als ein

., Zum Folgenden Sehn (pn.55), 164 ff. 92

GLA 234/3548, AS. 166 ff.

Schreiben des Ministeriums für Iustiz, Kultus und Unterricht an das Staatsministerium v. 20.IO.\890,GLA 234/3548, AS. 163. •3

36

IV. Personeller und institutioneller Rahmen der Beteiligung Badens

solcher Vertreter komme nur Gebhard in Betracht 94 • Professor Schröder in Heidelberg, dessen Bedeutung als Germanist man "vollständig zu würdigen" wisse, sei in Heidelberg kaum zu ersetzen und zudem "mit den speciell badischen Verhältnissen weniger vertraut, als das wünschenswerth" erscheine. Gebhard dagegen werde im Hinblick auf die Art seiner Vorlesungen in Freiburg leichter ersetzt werden können; er sei "ein genauer Kenner des badischen bzw. französischen Rechts" und "mit dem Entwurfe u. mit dessen Entstehungsgeschichte auf das Genaueste vertraut". Am 4.12.1890 wurde Gebhard schließlich vom Plenum des Bundesrats auf Empfehlung des Justizausschusses in die 2. BGB-Kommission berufen. Der badische Gesandte berichtete allerdings, er habe im Justizausschuß "nur mit Mühe" die Zustimmung für diese Empfehlung gefunden. Worin die Grunde für diesen Widerstand lagen, ist nicht ganz klar. Es scheint nicht ausgeschlossen, aber doch eher unwahrscheinlich, daß hier die Abneigung Preußens gegen die von Gebhard wesentlich mitverantworteten allseitigen IPR-Nonnen des 1. Entwurfs eine Rolle spielten. Näher liegt, daß die anderen Mittelstaaten die preußische Meinung teilten, man müsse durch Berufung eines Germanisten der öffentlichen Kritik den Wind aus den Segeln nehmen, und daß man Baden am ehesten glaubte dazu bewegen zu können, auf einen eigenen Interessenvertreter zugunsten eines Theoretikers zu verzichten. c) Gebhards Stellung zu den badischen Änderungswünschen In dem Beschluß des Bundesrats vom 4.12.1890 über die weitere Behandlung des BGB-Entwurfs9S war bestimmt, daß sowohl der Reichskanzler als auch die einzelnen Bundesregierungen zu den Beratungen der 2. Kommission Kommissare sollten entsenden können, die berechtigt waren, das Wort zu ergreifen und Anträge zu stellen. Um zu erkunden, ob die Entsendung eines solchen Kommissars für Baden notwendig sei, schrieb das Justizministerium am 23.2.1891 96 an Gebhard, die großherzogliche Regierung müsse dringend wünschen, daß ihre Änderungs- und Ergänzungswünsche in den Beratungen der 2. Kommission vertreten würden. Ob deswegen die Entsendung eines besonderen Kommissars erforderlich sei, hänge namentlich davon ab, ob und inwieweit er mit diesen

.. Zum Folgenden: Schreiben des Ministeriums rur Justiz, Kultus und Unterricht an das Staatsministerium v. 23.10.1890, GLA 234/3548, AS. 174!T. •s § 612 der Bundesratsprotokolle von 1890 . .. GLA 234/3549, AS. 26.

4. Die 2. BGB-Kommiasion

37

Anträgen einverstanden und inwieweit er dieselben zu stellen und zu verteidigen in der Lage sei. Die sehr aufschlußreiche Antwort Gebhards datiert vom 28.2.189191 • Es gehe, so meinte Gebhard, nicht um ein ganz neues Produkt, sondern um Verbesserungen in einzelnen Punkten. "Enthaltsamkeit wird noth thun ... Unter den Vorschlägen, welche bei der zweiten Lesung in Betracht zu ziehen sind, müssen selbstverständlich zum Gegenstande ernsthafter Beachtung diejenigen gemacht werden, welche von den Bundesregierungen ausgehen. Ich werde die mir bekannt gewordenen Intentionen der Großherzoglichen Regierung jederzeit mit gewissenhaftester Sorgfalt zu Rathe ziehen und nach Kräften bemüht sein, auch da, wo ich einer anderen Anschauung folgen zu müssen glaube, den von der Großherzoglichen Regierung betonten Gesichtspunkten bei der Berathung eingehende Würdigung zu sichern. " Er könne aber wohl auf Billigung des Ministers rechnen, wenn er hinzufüge, daß er seine Stellung zu den einzelnen Anträgen nur unter dem Vorbehalt detjenigen Modifikationen präzisieren könne, zu welchen der Gang der Beratungen führen möge. In der Anlage unterbreitete Gebhard eine Skizze, in der er seine Position zu den einzelnen Änderungsanträgen darlegte, die die badische Regierung in ihrer Antwort auf den Fragenkatalog des Reichskanzlers gestellt hatte. An dieser Skizze fällt auf, daß Gebhard bei fast der Hälfte aller badischen Änderungsanträge sich entweder ablehnend oder abwartend verhält. Und selbst bei den von ihm gebilligten gilt sein genereller Vorbehalt im Begleitbrief, daß der Gang der Beratungen zur Aufgabe einer Position Anlaß geben könne. Gebhard scheint schon in der 1. Kommission stark unter den Einfluß der preußischen Kommissionsmitglieder gekommen zu sein und sich von diesem Einfluß auch in der Folgezeit nicht befreit haben zu können. Nicht umsonst bezieht er sich in der erwähnten Skizze mehrfach und ausführlich auf die Äußerungen des preußischen lustizministers zum 1. EntwurfJ8, die dieser ihm persönlich zugesandt hatte und die er genauer gelesen zu haben scheint als die Bemerkungen der badischen BGB-Kommission. Es fällt auch auf, daß Gebhard aus den Protokollen der sog. Vorkommission des ReichsjustizamtS'" zitiert; diese sind ihm, wie er selber schreibt, zwar "nicht offiziell mitgetheilt", aber "in vertraulicher Weise privatim zugänglich geworden"; offensichtlich hielt man ihn im Reichsjustizamt für einen potentiellen Gefolgsmann. Wenn auch die Briefe

97

GLA 234/3549, AS. 27 ff.

.. Zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, Bemerkungen des Königlich Preußischen Justizministers über die in dem Rundschreiben des Reichskanzlers vom 27. Juni 1889 hervorgehobenen Punkte, Als Manuskript gedruckt, Berlin 1891. .. Zu dieser "Vorkommission" Kögler (Fn.55), 78 f.; Schuben (Fn.34),54.

38

IV. Personeller und institutioneller Rahmen der Beteiligung Badens

zwischen Gebhard und Karlsruhe im Verlauf der Beratungen der 2. Kommission etwas reger hin und her wechselten als zu Zeiten der 1. Kommission, so hätte die badische Regierung insgesamt wohl doch besser daran getan, den Vorsitzenden ihrer eigenen BGB-Kommission, der die badische Stellungnahme zum E 1 wesentlich mitbestimmt hatte, nach Berlin zu schicken, so wie Bayern es mit Jacubezky tat. An die Entsendung eines eigenen Kommissars zu den Beratungen der 2. Kommission war - bei der badischen Scheu vor Alleingängen - jedenfalls spätestens ab dem Zeitpunkt nicht mehr zu denken, in dem die anderen Mittelstaaten sich gegen diese Möglichkeit entschieden, und zwar deshalb, weil sie ihre eigenen Interessen durch ihre Kommissionsmitglieder vollkommen gewahrt wußten. In der 2. Kommission wurde Gebhard das Referat über den Allgemeinen Teil und das Einführungsgesetz übertragen. Ob er auch selber an den Beratungen der Vorkommission des Reichsjustizamts teilgenommen hat, deren Ergebnisse von den Reichskommissaren in die 2. Kommission eingebracht wurden, ließ sich bisher nicht aufklären.

5. Verhandlungen im Bundesrat und Reichstag a) Reaktion auf das Kanzlerschreiben vom 19.12.1893 Über den Gang der Beratungen in der 2. Kommission, die am 1.4.1891 begannen, wurde die Öffentlichkeit von vornherein viel besser informiert als bei der 1. Kommission.· Die jeweiligen Teilentwürfe wurden gleich nach ihrer Fertigstellung durch die Redaktionskommission veröffentlicht; der Teilentwurf des Allgemeinen Teils schon im Jahre 1892. Durch Erlaß vom 14.1.1893 (Nr.1087)'OO beauftragte das Karlsruher Justizministerium die badische BGB-Kommission, im Anschluß an ihre früheren Arbeiten sich auch über den aus der zweiten Lesung hervorgehenden Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs gutachtlich zu äußern. Die Kommission setzte sich immer noch aus denselben Mitgliedern zusammen, sieht man einmal von dem inzwischen verstorbenen Heinsheimer ab, dessen Stelle nicht wieder besetzt wurde. Im Laufe des Jahres 1893 fertigten die Referenten umfangreiche Denkschriften zu Buch 1 und 2 des 2. Entwurfs. Sorgfältig und kritisch gedachte man auch die folgenden Bücher durchzugehen.

100

Dazu und zum Folgenden GLA 234/3550, AS. 13 ff.

5. Verhandlungen im Bundesrat und Reichstag

39

Eine entscheidende Veränderung im Vorgehen der badischen BGB-Kommission erfolgte, nachdem der Reichskanzler in einem gleichlautend an alle Bundesregierungen gerichteten Schreiben vom 19.12.1893101 seine Vorstellungen über die Beratung des Entwurfs im Bundesrat entwickelt hatte: Diese demnächst stattfindenden Beratungen müßten sich auf das Notwendigste beschränken, damit man dann auch vom Reichstag verlangen könne, auf eine Detailberatung zu verzichten. Zur Beschleunigung der Beratung des Bundesrates könne es dienen, wenn die Bundesregierungen schon demnächst sukzessiv zum 2. Entwurf sich äußerten; dabei sollten sie ihre Erörterungen aber "auf solche Punkte beschränken, die von hervorragender wirthschaftlicher und sozialpolitischer Bedeutung sind oder besondere Interessen des einzelnen Landesgebietes berühren". Für den Eingang der Stellungnahmen wurden relativ kurze Fristen genannt, so daß sich die einzelnen Bundesstaaten unter erheblichen Zeitdruck gesetzt sahen. Das badische Justizministerium ging auf diese Vorstellungen bereitwillig ein. Durch Erlaß vom 5.1.1894 beauftragte es seine BGB-Kommission, sich nur noch im Sinne des Kanzlerschreibens gutachtlich zu äußern; zunächst sehe man einer Äußerung über die ersten zwei Bücher des BGB in zwei Monaten entgegen. Zeitdruck und der Wunsch nach Beschränkung auf Punkte von hervorragender Bedeutung bewirkten, daß die Karlsruher Kommission weitgehend in Resignation verfiel. Obwohl viele erhebliche badische Änderungswünsche zum 1. Entwurf auch jetzt noch nicht erfüllt waren, ließ man sie im wesentlichen fallen. Die handschriftlichen Gutachten zu den einzelnen Büchern umfaßten teilweise nicht mehr als drei Seiten. Hinzu kam, daß man, abgesehen von einigen wenigen auf badische Verhältnisse zugeschnittenen Vorschlägen, statt der wirklich wichtigen Punkte teilweise nur Quisquilien ansprach. b) Eugen v.Jagemann Die Beratungen im Bundesrat begannen am 7.10.1895 und waren bereits am 23.1.1896 abgeschlossen. Ausschließliche Grundlage der Beratungen sollte nach den Vorstellungen des Reichsjustizamtes eine Zusammenstellung der bis zum Beginn eingegangenen offiziellen Stellungnahmen der Bundesregierungen zum 2. Entwurf sein. Bayern bewirkte, daß darüber hinaus noch neue Anträge gestellt werden durften; Baden hat von diesem Nachschieberecht in keinem einzigen Fall Gebrauch gemacht. Baden wurde bei den Verhandlungen durch seinen Berliner Gesandten und Bundesratsbevollmächtigten Eugen v.Jagemann vertreten, dem die Berichterstat-

101

Abgedruckt bei Schuben (Fn.34), 360 f.

40

IV. Personeller und institutioneller Rahmen der Beteiligung Badens

tung über das Schuldrecht übertragen war. v.lagemann lO2 war seit 1881 im badischen lustizministerium tätig gewesen. Obwohl seine praktischen und theoretischen Interessen eher auf dem Gebiet des Strafvollzugs lagen, stand ihm das Zivilrecht keineswegs fern. Als ihm bei der Berufung der badischen BGB-Kommission sein Kollege Heß als Vorsitzender vorgezogen wurde, war er zeitweilig sogar etwas verbittert und dachte an Abwanderung in die Wissenschaft lO3 • 1893 wurde er dann badischer Gesandter am preußischen Hof und stellvertretender Bevollmächtigter Badens beim Bundesrat. Dort verfügte er infolge seiner Gewandtheit und Umtriebigkeit bald über glänzende Beziehungen. Während der entscheidenden Beratungen des BGB-Entwurfs im Bundesrat und Reichstag lO4 schickte er ausführliche Berichte nach Karlsruhe 1os • Auch in den Sitzungen des für den BGB-Entwurf zuständigen XII. Reichstagsausschusses und dann später des Reichstagsplenums war er stets präsent; mehrfach ergriff er dort das Wort, was die meisten anderen Bundesratsbevollmächtigten nur ungern taten, da sie lediglich den Kammerton der Bundesratsdebatten beherrschten. Zwar war v.lagemann an die Instruktionen der badischen Regierung gebunden, die im Falle des BGB sich zum Schluß auf relativ wenige Punkte beschränkten. Aber vereinzelt gelang es ihm doch, durch geschickt abgefaßte Berichte Instruktionen in der von ihm gewünschten Richtung zu erhalten. Mit einem Mann wie ihm hätte Baden also weit mehr erreichen können, wenn es nur gewollt hätte, um so mehr, als v.lagemann, wie sich später in anderem Zusammenhang zeigen sollte, bei der Verteidigung badischer Interessen sogar das Risiko nicht scheute, in Berlin zur persona non grata zu werden und seine dortige Stellung zu verlieren lO6 •

•02

'0'

Biographische Hinweise o. Fn.77.

v.Jagemann, Fünfundsiebzig Jahre des Erlebens und Erfahrens (Fn.77), 61 .

v.Jagemann, Fünfundsiebzig Jahre des Erlebens und Erfahrens (Fn.77), 140 f. (141: " ... die Mitarbeit überhaupt an dem wichtigen Werk - gemeint ist das BGB, K.M. - ist mir eine wichtige Erinnerung") . • 04

•os GLA 233/13996 . • 06 v.Jagemann, Fünfundsiebzig Jahre des Erlebens und Erfahrens (Fn.77), 190 (vgl. schon ebd., 114). Zu dem von vJagemanngetörderten "Verein von Badenern" in Berlin (dem auch Gebhard angehörte) ebd., 134.

V. Inhaltliche Wünsche Badens für die Ausgestaltung des BGB 1. Allgemeiner Teil a) Internationales Privatrecht Die Entstehungsgeschichte der ursprünglichen IPR-Normen des EGBGB (Artt. 7-31) ist bereits geschrieben, und zwar unter Verwertung und gleichzeitiger Publikation lange Zeit unveröffentlichten (anfangs sogar geheimen) Materials lO7 • Dasselbe gilt für den badischen Anteil an dieser Entstehungsgeschichte lO8 • Da Baden gerade im Bereich des IPR eine nicht ganz unwichtige Rolle spielte, darf diese Arbeit, will sie mehr als ein nur lückenhaftes Bild ihres Themas bieten, nicht einfach auf die einschlägigen Arbeiten verweisen. Sie kann sich aber auf eine Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse beschränken. Die Entstehungsgeschichte der kollisionsrechtlichen Regeln ist durch einen tiefgreifenden Wandel in zweifacher Hinsicht geprägt: Durch einen äußerlichsystematischen insofern, als das Kollisionsrecht zunächst im Allgemeinen Teil des BGB stand (Redaktorvorentwürfe für die 1. Kommission), dann in einem separaten Entwurf außerhalb des BGB (1. Kommission), schließlich in einem 6. Buch des BGB (2. Kommission), bis es endlich in die Gerümpelkammer des EGBGB abwanderte. Durch einen sachlichen insofern, als Vorentwürfe, 1. und

.07 O.HanwieglF.Koridsch. Die geheimen Malerialien zur Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrechts 1881-1896, Tübingen 1973 (enthält neben den Einleitungsaufsätzen der beiden Herausgeber die wichtigsten Quellen, namentlich die beiden Vorentwürfe Gebhards, die Pr0tokolle der I. Kommission, den Schriftverkehr der beteiligten Ämter, die Protokolle der IPRKommission). Der Wortlaut der Gebhardschen Vorentwürfe wurde - unter Mißbilligung von Auswärtigem Amt und Reichsjustizamt- noch vor der Verabschiedung des 8GB erstmals veröffentlicht von F.Meili. Geschichte und System des Internationalen Privatrechts im Grundriß, Leipzig 1892, 198-209. Die ausführlichen BegründungenGebhards publizierte erstmals - diesmal' dank der Erlaubnis des Reichsjustizamtes' - T. Memeyer. Zur Vorgeschichte des Internationalen Privatrechts im Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch, Die Gebhardschen Materialien, München/Leipzig 1915, 23 ff. Gebhards Vorentwürfe sind jetzt (in der ursprünglichen Satzanordnung) erneut abgedruckt bei Schuben, Die Vorlagen der Redaktoren, AT (Fn.55). Vgl. zur allgemeinen Entstehungsgeschichte des lPR auch Behn (Fn.55), 19-108 . •• Behn (Fn.55), 117-194 (v.a. 158-160,176-194) (gründlich und vollständig). Zur badischen Rechtslage vor Inkrafttreten des BGB: ebd., 219, 346-361.

42

V. Inhaltliche Wünsche Badens rur die Ausgestaltung des BGB

2. Kommission eine umfassende, fremdrechtsfreundliche Regelung der Materie durch zweiseitige Kollisionsnormen vorsahen, bis schließlich das EGBGB die bald nach Inkrafttreten viel kritisierte fragmentarische Regelung in überwiegend einseitigen und unvollkommen zweiseitigen Normen brachte, die im wesentlichen nur noch den Anwendungsbereich des nationalen materiellen Rechts bestimmte. Als Redaktor des Allgemeinen Teils war Gebhard auch für das IPR zuständig. Es ist unverkennbar, daß er gerade diesem Rechtsgebiet besondere Aufmerksamkeit und Sorgfalt widmete. Gebhard legte der 1. Kommission 1881 einen ersten, 1887 einen zweiten (geänderten) Entwurf vor, jeweils mit umfangreicher Begründung. Beide Vorentwürfe beruhten weitgehend auf dem Staatsangehörigkeitsprinzip, sahen daher in relativ großem Umfang die Anwendung ausländischen Rechts vor. Vor allem für das Personal statut bedeutete das eine Änderung gegenüber den meisten der damals bestehenden Rechte, die die lex domicilii bevorzugten. Die badische Praxis haUe dagegen schon vor 1900 dem Staatsangehörigkeitsprinzip durch Bilateralisierung des LRS 3 III Geltung verschafft 109 • Nach Vorlage der Gebhardschen Entwürfe bestimmte den weiteren Gang der Verhandlungen vor allem der außerordentlich massive politische Druck, den das Auswärtige Amt in Berlin ausübte. Ihm paßte die ganze Gebhardsche Richtung nicht. Es versuchte lange Zeit, jede Regelung des Kollisionsrechts zu verhindern, und stützte sich dabei hauptsächlich auf zwei Argumente: Soweit die Anwendung ausländischen Rechts angeordnet werde, handle es sich um Normen des Völkerrechts, die der nationalen Gesetzgebung entzogen seien. Ferner werde die Wahrnehmung deutscher Interessen beim Abschluß von Staatsverträgen beeinträchtigt, wenn man sich durch zu weitgehende gesetzliche Anwendung ausländischen Rechts die Hände binde. Das Auswärtige Amt sorgte zunächst dafür, daß die 1. Kommission ihren IPR-Entwurf separat vorlegte, ihn nicht veröffentlichte und in den "Motiven" jeden Hinweis auf die Beratung der Materie unterließ. Gebhards Vorentwürfe versuchte man ebenfalls geheim zu halten. Die endgültige Entscheidung über Aufnahme, Standort, Umfang und Inhalt der IPR-Bestimmungen fiel weder in der 2. Kommission (in der Gebhard erneut

.09 Vgl. etwa OLG Karlsruhe, Zeitschrift rur französisches Civilrecht 25 (1894),51 (53): "LRS 3 Abs. 3 ... Wenn nun auch diese Gesetzesstelle ausdrücklich nur von Inländern ... spricht, so liegt doch darin, wie in Wissenschaft und Rechtsprechung jetzt allgemein angenommen wird, nur ein Ausdruck des Prinzips, daß rur die Beurteilung des Zustandes und der Rechtsfähigkeit der Personen, seien sie nun Inländer oder Ausländer, nicht das Recht des Domizils, sondern das der Staatsangehörigkeit maßgebend sei." (weitere Nachweise bei Sehn - Fn.55 -, 358 ff.)

1. Allgemeiner Teil

43

für das IPR zuständig war) noch im Bundesrat oder seinem Iustizausschuß, sondern in einer Ende 1895 im preußischen Staatsministerium tagenden Sonderkommission, der zwei Vertreter des Auswärtigen Amtes, zwei Vertreter des Reichsjustizamtes, ein Vertreter des preußischen Iustizministeriums und, als Vertreter der Hansestädte, der Präsident des hanseatischen OLG Sieveking angehörten (sog. IPR-Kommission). In den Beratungen dieser Kommission, von der Gebhard auf Wunsch des Auswärtigen Amtes ausgeschlossen blieb, entstand, auf der Grundlage eines schon zuvor von Sieveking ausgearbeiteten hanseatischen Gegenentwurfs zu den Regelungen der 2. Kommission, jener unbefriedigende, weil zur Lückenhaftigkeit des Gesetzes führende Kompromiß, der als Preis dafür bezahlt werden mußte, daß das Auswärtige Amt - IPR-freundlicher übrigens die Haltung des Reichsjustizamtes - seine grundsätzlich ablehnende Position gegenüber der Aufnahme von IPR-Regeln überhaupt aufgab. Das von Preußen als eigener Gegenantrag in den Iustizausschuß des Bundesrates eingebrachte Ergebnis der Kommissionsberatungen wurde ohne Widerstand der übrigen Bundesstaaten verabschiedet; Bayern hatte sich ohnehin schon zuvor aus völkerrechtlichen Gründen für einseitige Kollisionsnormen ausgesprochen. Auch der Reichstag erhob keine wesentlichen Einwände. In Baden nahm man es mit der in bezug auf die IPR-Beilage der 1. Kommission von Berlin verordneten Geheimhaltung llO so genau, daß offenbar nicht einmal die eigene BGB-Kommission von der Existenz dieser Beilage erfuhr, geschweige denn, sich mit ihrem Inhalt auseinandersetzte. Schember stellte in seiner Denkschrift zum Allgemeinen Teil des 1. Entwurfs fest: "In Ansehung der räumlichen Herrschaft der Gesetze (Statutenkollision, internationales Privatrecht) hat sich der Entwurf aus internationalen Gründen der Regelung enthalten"lI) - eine Behauptung, die objektiv gar nicht zutraf, da die 1. Kommis-

110 Am 16.1.1888 schrieb der Präsident des badischen Staatsministeriums an den Präsidenten des badischen lustizministeriums, man habe ihn in vertraulicher Weise dariiber unterrichtet, "der Reichskanzler sei entschieden dagegen, daß die dem Entwurf eines deutschen Civilgesetzbuches in besonderer Beilage beigegebenen Bestimmungen über die räumliche Herrschaft der Rechtsnormen (internationales Privatrecht) demselben einverleibt würden bzw. zur Veröffentlichung gelangten" . Er rate, "von einer Veröffentlichung des fraglichen Aktenstückes oder seines Inhalts seitens der zu seiner Kenntnisnahme im Bereich der Großher.wglichen Regierung etwa amtlich berufenen Personen bis auf weiteres" abzusehen (GLA 234/3548, AS. 30). Am 17.1.1888 erhielt das Karlsruher lustizministerium Kenntnis eines vom 14.1.1888 datierenden, von Staatssekretär v.Schelling unterzeichneten Schreibens des Reichsjustizamts (das gleichlautend auch an die anderen Bundesregierungen abgegangen war): "Der Aufmerksamkeit des Großherzoglichen Staatsministeriums wird nicht entgangen sein, daß die internationale Natur dieser Bestimmungen (über das internationale Privatrecht) eine vertrauliche Behandlung dieser Beilage dringend wünschenswerth macht. Indes verfehle ich nicht, noch besonders die Bitte um eine solche Behandlung ergebenst auszusprechen. " (GLA 234/3548, AS. 32); Behn -Fn.55-, 158, 160; Hartwieg/Korldsch -Fn.107-, 183 f. 111

Badische Kommission I (Fn.71), 6.

44

V. Inhaltliche Wünsche Badens für die Ausgestaltung des BOB

sion ja durchaus eine IPR-Regelung ausgearbeitet hatte. In ihrem Entwurf für die badische Antwort auf den Fragenkatalog des Reichskanzlers meinte die badische Kommission, in der Sache nun schon etwas bestimmter: "Ebensowenig vermögen wir die (in den Motiven nicht berührten) Rücksichten als ausschlaggebend anzuerkennen, welche den Entwurf zu einem vollständigen Schweigen über die hochwichtige Materie des örtlichen Geltungsbereichs der Gesetze (internationales Privatrecht) geführt zu haben scheinen; wir glauben, daß, da eine durchgreifende völkerrechtliche Regelung dieser Materie für absehbare Zeit nicht in Aussicht stehen dürfte, sich eine Kulturnation der Aufgabe nicht entschlagen kann, diese Fragen, soweit nicht Staatsverträge eingreifen, durch ihre Gesetzgebung von sich aus zu lösen. "112 Ähnlich formulierte die badische Regierung in ihrer offiziellen Antwort auf den Fragenkatalog des Reichskanzlers zum E I, der - das versteht sich nach dem oben Gesagten von selbst - das IPR gar nicht angesprochen hatte: "Daß Vorschriften über die räumliche Herrschaft der Rechtsnormen in einem Bürgerlichen Gesetzbuche für das Deutsche Reich nicht fehlen dürfen, hat bereits die Kommission durch Aufstellung eines entsprechenden Entwurfes mit vollem Rechte anerkannt. Wir haben keinen Grund anzunehmen, daß politische Erwägungen die Aufnahme dieser in zahlreichen Kodifikationen behandelten Materie verbieten."113 Außer Baden traten in ihren Antworten auf den Fragenkatalog des Reichskanzlers nur noch Elsaß-Lothringen und Coburg-Gotha für eine Regelung des IPR ein ll4 • Die 2. BGB-Kommission beschloß auf Grund eines Antrags von Gebhard schon am 1.4.1891 (ihrem ersten Sitzungstag), daß das IPR im Gesetzbuch zu regeln sei; die inhaltliche Beratung erfolgte freilich erst, nachdem die ersten fünf Bücher des Gesetzbuches fertiggestellt waren. Als im 1. Buch des E 2 das IPR fehlte, wiederholte die großherzogliche Regierung ihren Standpunkt noch einmal: "Daß Vorschriften über die räumliche Herrschaft der Rechtsnormen in dem bürgerlichen Gesetzbuche nicht fehlen dürfen, wird einer weiteren Begründung nicht bedürfen, nachdem die zweite Kommission durch ihren Beschluß vom 1. April 1891 (Protokoll S. 11-13) dieses Bedürfnis anerkannt hat. Daß eine internationale Regelung der Materie in absehbarer Zeit erfolgen werde, ist nicht wahrscheinlich und erscheint es daher geboten, zunächst für Deutschland einen sicheren und klaren Rechtszustand herzustellen."1IS Der letzte Satz war

112 Badische Kommission VIII (Fn.76), IX. Diese Äußerung enthielt bereits der "Generalbericht" v. 29.5.1889 (Fn.66) .

•" Bemerkungen E I (Fn.80),2. "' Zusammenstellung der Aeußerungender Bundesregierungenzu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches gefertigt im Reichs-lustizamt (2 Bde., Berlin 1891), I, 210 u. 11,49. m GLA 234/3550, AS. 55.

1. Allgemeiner Teil

45

veranlaßt durch Besorgnisse Gebhards, der befürchtete, das Auswärtige Amt werde die seit 1893 tagende Haager Konferenz als weiteres Argument benutzen, um eine nationale Regelung zu verhindern, obwohl die bisherigen Erfahrungen Gebhards Ansicht nach nicht für ein Gelingen der Konferenz sprachen ll6 • Als dann die 2. Kommission im 6. Buch ihren IPR-Entwurf vorlegte, meinte die Karlsruher Regierung: "Gegen die Vorschriften dieses Buches sind keine Einwendungen zu erheben. "117 Hier wird - das 6.Buch enthielt zweiseitige Normen - zum ersten Mal deutlich, wie Baden sich eine Regelung des IPR vorstellte. Ein gewisses Einlenken kam jedoch schon in einem Gespräch zum Ausdruck, das v.Jagemann im September 1894 mit v.Frantzius, dem Leiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes und entschiedenen Gegner einer umfassenden IPR-Regelung, geführt hatte: "(v.Frantzius) sagte mir (auf die ihm bekannte Auffassung der badischen Regierung), die Notwendigkeit einer Reichsregelung, um die partikularrechtliche Entscheidung der Statutencollision auszuschließen, ließe sich nicht verkennen. Das auswärtige Amt werde eine annehmbare Lösung wohl auch schließlich annehmen ... , aber nur in Form eines vom bürgerlichen Gesetzbuch abgetrennten Specialgesetzes, weil man den Stoff leicht flüssig erhalten müsse. Denn um sich nicht zu schädigen, dürfe man dem ausländischen Recht ohne Reciprocität und Garantie keine oder nur geringe Concessionen machen und müsse die Macht in der Hand behalten." v.Jagemann hatte darauf erwidert, "daß die badische Regierung die nationale Seite der Sache voll würdige. Es komme ihr nur auf Schaffung eines klaren Zustands, nicht auf erhebliche Zulassung des ausländischen Rechts an. Der Stoffkreis für die Geltung der lex originis, domicilii etc. könne ja sehr eingeschränkt und der inländische Richter mit Vorzug an sein Recht, namentlich wo Reciprocität ermangelt, gewiesen werden. "118 So wundert es nicht, daß Baden keine Einwände erhob, als der von der "IPRKommission" erarbeitete Entwurf als Preußischer Antrag im Justizausschuß des Bundesrats eingebracht wurde. Die Haltung der badischen Regierung läßt sich nach alledem wie folgt zusammenfassen: Ihr Hauptbestreben ging dahin, daß das IPR überhaupt einheitlich geregelt wurde l19 • Der systematische Standort der Regelung war ihr

116 Schreiben Gebhards nach Karlsruhe v. 4.5.1894, GLA 23413550, AS. 7 f. (Behn -Fn.5S-, 185 fT.). 117

GLA 234/3550, AS. 217.

111

GLA 234/3550, AS. 79 fT.; Behn (Fn.55), 190 fT.

V. Inhaltliche Wünsche Badens für die Ausgestaltung des BGB

46

gleichgültig':xJ. Keineswegs gleichgültig waren ihr Umfang und Inhalt der Regelung: Zweifellos hätte sie ein umfassendes System zweiseitiger Normen vorgezogen. Denn mit der dürftigen, einseitigen Regelung in LRS 3 haUe man in Baden große Schwierigkeiten gehabt, wenn die Praxis diese auch im Laufe der Zeit gemeistert haUe. Die eigenen inhaltlichen Vorstellungen stellte man jedoch zurück, um das Erreichen einer einheitlichen Regelung zu fördern. b) Vereinsrecht Beim Vereinsrecht, einer der politisch umstriUensten Partien des BGB, nahm Baden, wie übrigens die meisten anderen Bundesstaaten auch, eine relativ konservative Haltung ein, ohne aber deswegen von Haus aus zu den besonderen Scharfmachern zu gehören. Es schloß sich im wesentlichen der preußischen Regierung an und sah sich deshalb gezwungen, deren Schwenkungen mitzuvollziehen und von sich aus nicht geforderte Verschärfungen in polizeistaatlicher Richtung mitzutragen. Bis zuletzt stand man in Karlsruhe auf dem Standpunkt, daß eine umfassende privatrechtliche Regelung der Entstehung und Endigung juristischer Personen so lange untunlich sei, als es an einem einheitlichen öffentlich-rechtlichen Reichsvereinsgesetz fehle '21 • Es müsse also zunächst ein Reichsvereinsgesetz erlassen werden, da die Frage der juristischen Persönlichkeit wesentlich durch die Vorfrage bestimmt sei, ob der Personenverein als solcher öffentlich-rechtlich überhaupt existieren dürfe bzw. noch dürfe oder nicht. Ein hiernach erlaubter Verein hätte alsdann die Körperschaftsrechte weder nach dem Konzessionsprinzip (das den gegenwärtigen Rechtsanschauungen nicht entspre-

\19 Für wie wichtig man in Baden eine klare gesetzliche Entscheidung kollisionsrechtlicher Fragen hielt, zeigt sich auch daran, daß Baden der einzige deutsche Bundesstaat war. der rur die durch das EGBGB dem Landesprivatrecht vorbehaltenen Materien eine Kollisionsregel aufstellte. Art.2 bad. AGBGB: "Die Artikel 7 bis 30 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch finden auf badische Landesgesetze privatrechtlichen Inhalts entsprechende Anwendung." Dazu E.Domer, Das Badische Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Karlsruhe 1902, Art.2 Anm.I-8; Stunn, Eine verkannte badische Perle, Zeitschrift rur das Notariat in Baden-Württemberg 1974, 125 ff. Die Mühe, allseitige Normen im Sinne Gebhards auszuarbeiten, wollte man sich wohl für den dürftigen Restbestand an Landesprivatrecht nicht mehr machen.

\20 Vgl. auch Bingner, Sächsisches Archiv für Bürgerliches Recht und Prozeß 6 (1896), 19: "Dieser neue Theil des Gesetzbuches" (= 6.Buch des E 2) "ist als eine werthvolle Bereicherung desselben und eine sehr gute und umfassende Codifikation des internationalen Privatrechts anzuerkennen. Sollte der Bundesrat diese Vorschriften in das Einführungsgesetz oder ein besonderes Reichsgesetz verweisen, so wäre hiergegen nichts einzuwenden." Vgl. auch dens., Sächsisches Archiv für Bürgerliches Recht und Prozeß I (1891),82. \2\

Bemerkungen E I (pn.80), 4.

1. Allgemeiner Teil

47

che) noch nach dem Prinzip der freien Körperschaftsbildung, sondern nach dem Prinzip der Normativbestimmungen mit Registerzwang zu elWirken l22 • Der 2. Entwurf regelte dann das Recht der juristischen Personen, obwohl ein öffentliches Vereinsgesetz immer noch ausstand; er sah grundsätzlich das Prinzip der Normativbestimmungen mit Registerzwang vor, gewährte aber der VelWaltungsbehörde bei politischen, sozialpolitischen und religiösen Vereinen ein Einspruchsrecht gegen die Eintragung, dessen Ausübung allerdings im Wege des VelWaltungsstreitverfahrens überprüft werden konnte. Erneut meinte die badische Regierung l23 , es sei besser, die entsprechenden Vorschriften zu vertagen, bis die Unterschiede zwischen den verschiedenen Landesvereinsrechten beseitigt seien. Für den Fall, daß es zu einer solchen Vertagung nicht komme, erkannte man ausdrücklich an, daß der Entwurf eine annehmbare Lösung der Frage biete. Im Bundesrat wurden auf Druck Preußens zwei Verschärfungen beschlossen: Das Einspruchsrecht der VelWaltungsbehörden wurde auf Erziehungs- und Unterrichtsvereine ausgedehnt und das VelWaltungsstreitverfahren als Rechtsbehelf gegen den Einspruch abgeschafft. Baden ging diesen Weg mit, und gerade die Erstreckung auf Unterrichts- und Erziehungsvereine ließ Reminiszenzen an die alte badisch-preußische Koalition in Sachen Kulturkampf aufkommen. Als der Reichstag das Einspruchsrecht der VelWaltungsbehörden insgesamt beseitigen wollte, wurde v.Jagemann instruiert, entschieden dagegen Stellung zu nehmen l24 • Preußen erklärte sich wenig später im Rahmen eines Kompromisses mit den wichtigsten Parteien des Reichstags wenigstens bereit, die im Bundesrat beschlossenen Verschärfungen fallen zu lassen. In Karlsruhe dürfte man darüber nicht unglücklich gewesen sein, waren doch die Zeiten längst vorbei, da man in liberalistischem Übereifer nichts unversucht gelassen hatte, das katholische Unterrichts- und Vereinswesen unter staatliche Kuratel zu bringen. c) Staatshaftung Eine von Anfang bis zum Ende der Beratungen durchgehaltene badische Forderung zum Allgemeinen Teil bestand darin, das BGB solle die Haftung des Staates für den von seinen Beamten bei Ausübung öffentlicher Gewalt angerich-

122

Badische Kommission VIII (Fn.76), 4.

Bemerkungen der Großherzoglich Badischen Regierung zu Buch I des Entwurfs zweiter Lesung eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Allgemeiner Theil, sub 11 (GLA 234/3550, AS. 55 ff.). 123

lU Schreiben des Ministeriums des Großherzoglichen Hauses und der Auswärtigen Angelegenheiten an vJagemann v. 29.5.1896, GLA 233/13996.

48

V. Inhaltliche Wünsche Badens für die Ausgestaltung des 8GB

teten Schaden regeln l25 • Der 2. Entwurf hatte die Frage dem Landesrecht überlassen. In Karlsruhe meinte man dazu: Jede einheitliche Regelung, ob die Haftung bejahend oder verneinend, sei dem bestehenden Zustand der Rechtszersplitterung vorzuziehen. Es sei nicht zu erwarten, daß in absehbarer Zeit die sämtlichen einzelnen Landesgesetzgebungen zu einer klaren Regelung gelangten, und noch weniger, daß dabei die gleichen Grundsätze maßgebend sein würden. Es müsse aber zusätzlich darauf hingewiesen werden, daß dringende Gründe der Billigkeit für eine ausgedehnte Haftung des Staates sprächen und daß "nur auf diese Weise einer Mißstimmung vorgebeugt werden kann, welche nicht nur bei den zunächst Betroffenen, sondern auch in weiteren und weitesten Kreisen unzweifelhaft entsteht, so oft eine solche Haftpflicht abgelehnt wird"I26. Mit dieser modern-rechtsstaatlichen, an die Rechtsprechung zu LRS 1384127 anknüpfenden Forderung nach einer nicht nur subsidiären, sondern primären (Gesamtschuld-) Haftung des Staates blieb Baden im Bundesrat jedoch vollkommen allein l28 • • 1> Badische Kommission I (Fn.71), 15; Badische Kommission VI (Fn.71), 4; Badische Kommission vn (Fn.71), 9, 14; Badische Kommission VIß (Fn.76), 5 f.; Bemerkungen E I (Fn.80), 2, 4 f.; Bemerkungen E 2 - AT (Fn.122), sub Iß .

• 26

Bemerkungen E 2 - AT (Fn.122), sub Iß .

Die badische Rspr. bejahte - trotz Fehlens einer ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift - eine nicht nur subsidiäre, sondern primäre (gesamtschuldnerische) Haftung des Staates für den Schaden, den seine (weisungsgebundenen) Beamten in Ausführung (nicht nur "bei Gelegenheit") der ihnen anvertrauten (privatrechtlichen oder hoheitlichen) Verrichtungen einem Drillen widerrechtlich zufügten. Sie stützte sich dabei auf LRS 1384 m, wonach "Geschäftsgeber (C.c.: commellants) für das Benehmen ihrer Geschäftsträger (C.c.: preposCs) in den ihnen anvertrauten Verrichtungen" gutstehen, so lange sie nicht beweisen, "daß sie die Handlungen, wofür sie verantwortlich gemacht werden wollen, nicht haben hindern können." Vgl. OLG Karlsruhe, Annalen der Großherzoglich Badischen Gerichte 46 (1880), 49; 50 (1884), 291; 56 (1890), 275; 60 (1894), 24 (Vorinstanz zu RG); 62 (1896), 193. Das RG teilte diese Auffassung (anders als für das gemeine Recht) für den gesamten Bereich des rheinisch-französischen Rechts (RGZ 5,48; 7,289; 10,286; 19, 101; RG, Rheinisches Archiv 79, 111, 28; RG. Annalen der GroßherzogIich Badischen Gerichte 49, 1883, 140; 60, 1894,24; 61, 1895,298). Die französische Praxis lehnte dagegen Art. 1384 C.c. jedenfalls für die hoheitliche Tätigkeit der Beamten ab u. entwickelte erst relativ spät spezielle (öffentlichrechtliche) Regeln für "faute de service". Lit.: Behaghel (Fn.5), n, § 185 (S.114 f.); Domer(Fn.119), Art.5 Anrn.3; K.S.Zachariae v.Lingenthal/C. Crome, Handbuch des Französischen Civilrechts, n, 8.Autl., Freiburg i.B. 1894, § 417 Fn.5; Scherer, Ist der Staataus Art. 1384 C.c. civilrechtlich für die Folgen der Amtsdelikte seiner Beamten haftbar?, Annalen der GroßherzogIich Badischen Gerichte 54 (1888), 25 ff.; E.Rothschild, Die Haftung des Justizbeamten und des Staates aus unerlaubten Amtshandlungen mit besonderer Berücksichtigung des badischen Rechts, Diss. Freiburg i.B. 1902 (131 S.); Dreyer, Verpflichtung des Staates aus den Handlungen seiner Beamten, Zeitschrift für französisches Civilrecht 4 (1874), 383 ff. •27

'2' Telegramm v.Jagemanns v. 12.10.1895 (GLA 233/13996). Schon Gebhard hatte sich unmittelbar nach seiner Wahl in die 2. Kommission gegen den badischen Änderungswunsch ausgesprochen(vgl. sein Expose zu den badischen Änderungswünschen, o.Fn.97): "Ein reichsrecht-

2. Schuldrecht

49

d) Anfechtungsrecht bei Irrtum Erfolgreich war man dagegen in einem anderen Punkt. Der 1. Entwurf hatte Nichtigkeit der Willenserklärung angeordnet, wenn diese durch wesentlichen Irrtum beeinfluß war (§ 98). Die badische Stellungnahme zum 1. Entwurf empfahl statt dessen, die Geltendmachung des Irrtums von der fristgebundenen Anfechtung des Irrenden abhängig zu machen l29 • Dem entspricht die heutige Regelung. 2. SchuldrechI Gegenüber dem Schuldrecht des 1. BGB-Entwurfs machte Baden eine ganze Reihe überwiegend sozialpolitisch motivierter Forderungen geltend, die meist den Schutz des - als wirtschaftlich oder sozial schwächer unterstellten - Schuldners, teils den Schutz des deliktisch Geschädigten oder des kleinen bzw. mittelständischen Gläubigers bezweckten: So sollte die schriftliche Benachrichtigung des Schuldners Wirksamkeitsvoraussetzung der Forderungsabtretung sein1JO ; der Schuldner einer mit mehr als 6 % verzinslichen Schuld ein Sonderkündigungsrecht erhalten 131; der Richter bei wenigstens teilweiser Erfüllung der Hauptverbindlichkeit eine Konventionalstrafe ermäßigen dürfen l32; beim Abzahlungsgeschäft die Geltendmachung des Eigentumsvorbehalts Rücktritt bedeuten und der

Iicher Satz dieses Inhalts ist in seinen praktischen Folgen schwer übersehbar und verkündet ein Prinzip, das dem im weitaus größeren Theile Deutschlands geltenden Rechte in dieser Allgemeinheit fremd ist." Art.77 EGBGB überließ die Regelung der Frage der Landesgesetzgebung. Vgl. Art.5 I bad. AGBGB: "Verletzt ein Beamter des Staats in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trim dem Betheiligten gegenüber die im Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmte Verantwortlichkeit an Stelle des Beamten den Staat." Vgl. zu den Einzelheiten Domer (Fn.119), Art.5 Anm.I-19 u. Rothschild (Fn.127). Preußen dagegen machte von dem Vorbehalt in Art.77 EGBGB grds. keinen Gebrauch, sah eine Staatshaftung daher nur für Verschulden bei Auswahl u. Überwachung vor, ließ allerdings in Art.89 Nr.2 AGBGB für den Geltungsbereich des meinischen Rechts Art. 1384 C.c., "soweit er auf die Haftung des Staats Anwendung findet", weitergelten . •29

Bemerkungen E I (Fn.80),5 .

• 30 Badische Kommission 11 (Fn.71), 19,21 f.; Badische Kommission VI (Fn.71), 11; Badische Kommission vm (Fn.76), 18 (Nr.16); BemerkungenE I (Fn.80), 7 (Nr.16). Nach LRS 1690wurde die Abtretung Dritten gegenüber erst durch "feierliche Bekanntmachung" (Signifikation) wirksam.

13. Badische Kommission VI (Fn.71), 12; Badische Kommission VII (Fn.71), 7; Badische Kommission VIII (Fn.76), 21 (Nr.20 a); Bemerkungen EI (Fn.80),8 (Nr.20). In Badische Kommission 11 (Fn.71), 37; Badische Kommission VI (Fn.71), 14; Badische Kommission VIII (Fn.76), 22 (Nr.20 b); BemerkungenE I (Fn.80),8 (Nr.20). Wie der Antrag LRS 1231.

4 Muscheie.

50

V. Inhaltliche Wünsche Badens für die Ausgestaltung des BGB

Verfall bereits geleisteter Raten verboten sein133 ; die Miete (jedenfalls für eine Anzahl von Jahren) nicht durch Kauf gebrochen werden l34 ; der Pächter einen Zinsnachlaß fordern dürfen, wenn die Ernte durch Zufall erheblich beeinträchtigt wird l3s ; bei der deliktischen Haftung von Aufsichtspflichtigen, Geschäftsherren und Tierhaltern die Beweislast in bezug auf das Verschulden umgekehrt werden l36 • Es sollten ferner die Bauhandwerker einen Hypothekentitel für das Baugrundstück erhalten l37 und die Vermieter ihr Pfandrecht auch an eingebrachten Einrichtungsgegenständen eines Dritten geltend machen dürfen l38 • Der sozialpolitische Hintergrund wird auch in einer weiteren Frage deutlich: Der 1. Entwurf hatte bei der Regelung des Schadensersatzrechts, unter Abweichung vom französisch-badischen Recht, auf die Voraussehbarkeit als ersatzbegrenzendes Kriterium verzichtet. Die badische BGB-Kommission sprach sich in Übereinstimmung mit den Gutachten aller badischen Gerichtshöfe für die Beibehaltung des Entwurfs aus, weil jenes Kriterium in der Praxis zu großen Härten geführt habe 139• Eine zentrale Rolle spielte in der Diskussion der Kom-

m Badische Kommission 0 (Fn.71), 41; Badische Kommission 01 (Fn.71), 13; Badische Kommission VIII (Fn.76), 22 (Nr.20 c); Bemerkungen E I (Fn.80),8 (Nr.20). \:14 Badische Kommission 0 (Fn.71), 47-49, 52 f.; Badische Kommission VI (Fn.71), 15 f.; Bsdische Kommission VIII (Fn.76), 26 (Nr.24 b); BemerkungenE I (Fn.80), 10 (Nr.24). Vgl. LRS 1743: "Wenn der Bestandgeber die Bestandsache verkauft, so hat der Käufer kein Recht, den Beständer, dessen Vertrag vor dem Verkauf beurkundet ist, zu vertreiben, wenn nicht dieses Recht im Bestandbrief ausbedungen ist. •

m Badische Kommission 0 (Fn.71), 53; Badische Kommission VI (Fn.71), 16; Bsdische Kommission VIII (Fn.76), 30 (Nr.24 t); Bemerkungen E I (Fn.80), 10 (Nr.24). Vgl. LRSe 17691773.

"6 Bsdische Kommission 0 (Fn.71), 75 f.; Badische Kommission VI (Fn.71), 18 f.; Bsdische Kommission VOI (Fn.76), 36 f. (Nr.32 b); BemerkungenE I (Fn.80), 12 (Nr.32). Teilweise noch geschädigtenfreundlicher LRSe 1384-1386.

137 Bemerkungen E I (Fn.80), 11 (Nr.26); ablehnend noch Badische Kommission 11 (Fn.71), 59; Bsdische Kommission VI (Fn.71), 16; Bsdische Kommission VOI (Fn.76), 32 (Nr.26 b). LRSe 2103 Nr.4 u.5, 2110 räumten den Bauhandwerkern ein gesetzliches Vorzugsrechtarn Bsugrundstück ein - allerdings unter so lästigen Formvorschriften, daß die Praxis nur selten Gebrauch von diesem Recht machte.

\31 Bsdische Kommission 11 (Fn.71), 50 tT.; Badische Kommission VIII (Fn.76), 29 f. (Nr.24 e); Bemerkungen E I (Fn.80), 10 (Nr.24). Vgl. LRS 2102.

\'" Bsdische Kommission 11 (Fn.71), 6 f.; Badische Kommission VIII (Fn.76), 15 (Nr.12 a); Bemerkungen EI (Fn.80), 7 (Nr.12). Vgl. LRSe 1150, 1150 a, b, 1383 a. Anders als der I.BGBEntwurf dann § 247 (revidierte Fassung) des 2.Entwurfs (auf das bayerische Kommissionsmitglied Jacubezky zurückgehend, aber schließlich doch nicht Gesetz geworden), vgl. Schubert, Bsyern und das Bürgerliche Gesetzbuch (Fn.35), 53 f.

2. Schuldrecht

51

mission ein reichsgerichtliches Urteil zu einem badischen Fall l40 , in dem ein Arbeiter durch den Einsturz eines Stapels von Zementsäcken schwer verletzt worden war und das Reichsgericht das Ersatz gegen den Fabrikinhaber zusprechende Urteil des Karlsruher OLG wegen der möglicherweise gegebenen Nichtvoraussehbarkeit des Unfalls kassiert hatte141 . Von den genannten neun badischen Änderungswünschen wurden sechs in der 2. Kommission erfüllt 142. Was die aus badischer Sicht unerledigten Punkte angeht, so beschränkte sich Karlsruhe darauf, in den Bundesratsversammlungen erneut das Remissionsrecht des Pächters zu verlangen. Das badische Landrecht 143 gewährte dem Pächter, dem die (noch nicht geschnittene) Ernte wenigstens zur Hälfte durch Zufall zugrunde gegangen war, einen Anspruch auf verhältnismäßige Erlassung des Pachtzinses (der bei mehljähriger Pacht jedoch mit dem überdurchschnittlichen Ertrag anderer Jahre verrechnet wurde). Gebhard hatte einen Antrag in dieser Richtung in der 2. Kommission nicht durchsetzen können l44 • Aber nach wie vor überzeugten die Gründe der Kommissionsmehrheit in Baden nicht: Vom technisch-juristischen Standpunkt aus sei die Lösung des Entwurfs zwar nicht zu beanstanden. Aber in sozialpolitischer Hinsicht mute es bedenklich an, "das in dem größeren Teile von Deutschland bisher bestehende Recht zu Ungunsten des - präsumtiv wirthschaftlich schwächeren - Pächters zu ändern"14s. Die Vorschriften des badischen Landrechts hätten zu irgendweIchen erheblichen Schwierigkeiten nicht geführt. Die badische BGB-

'40

RGZ 10, 288.

'" In gewissem Sinne konträr zu dieser sozialpolitischen Linie stand die Tatsache, daß man in einigen Punkten die Übernahme handelsrechtlicher Regelungen in das bürgerliche Recht verlangte; vgl. Bemerkungen EI (Fn.80),9 (Nr.21), 18 (zu § 361), 18 (zu § 367), 19 (zu § 397). 142 Kündigungsrecht bei mehr als sechsprozentiger Verzinsung: § 241 11 E 2 ursprgl. Fassung); richterliches Herabsetzungsrechtbei Konventionalstrafe: § 338 E 2 Abzahlungsgeschäfte: AbzG v. 16.5.1894; Kauf bricht nicht Miete: § 563 E 2 (§ 571 thekentitel für Baugrundstück: § 638 E 2 (§ 648 BGB); Deliktsrecht: §§ 817 ff. E BGB). 14'

(§ 247 BGB (§ 343 BGB);

BGB); Hypo2 (§§ 831 ff.

LRSe 1769 ff.; Behaghel (Fn.5), 11, 263 f.

,.. Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Im Auftrage des Reichs-lustizamts bearheitet von Achilles, Gebhard, Spahn, 7 Bde., Berlin 1897-1899, 11, 238 ff. Der hier (238 f.) abgedruckte Antrag Nr.1 stammte von Gebhard (vgl. Schreiben Gebhards an den badischen lustiz- und Kultusminister Nokk v. 24.3.1894 - GLA 234/3550, AS. 25; ebenso H.Jalwbs/W.Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Recht der Schuldverhältnisse 11, Berlin/New York 1980,625). 14' Bemerkungen der GroßherzogIich Badischen Regierung zu Buch 11 des Entwurfs zweiter Lesung eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Recht der Schuldverhältnisse, sub 11 (GLA 234/3550, AS. 66 ff.).

52

V. Inhaltliche Wünsche Badens rur die Ausgestaltung des BGB

Kommission l46 sah in der Strenge des Entwurfs "eine unbillige Bevorzugung des Eigenthümers, namentlich des großen Grundbesitzes". Die Pächter auf Versicherung und Ausnutzung des Pachtgegenstandes durch Viehzüchtung zu verweisen, gehe nicht an, wenn man "an die durch Stromregulirungen, auch durch unvorsichtige Abholzungen gesteigerte Ueberschwemmungsgefahr, an die regelmäßigen Nothschreie aus den Flußniederungen" denke. Aber letztendlich war dem Antrag auch im Bundesrat kein Erfolg beschieden. Besonders stark machte sich im Schuldrecht das badische Streben nach umfassender Rechtsvereinheitlichung geltend. Schon am 1. Entwurf hatte man kritisiert, daß dieser beim Hinterlegungsrecht zu viel der Landesgesetzgebung überlasse l47 ; die 2. Kommission schaffte hier in der Tat Abhilfe. Und für die Verhandlungen im Bundesrat erhielt v.Jagemann Instruktionen, die auf eine fast ausnahmslose Ablehnung der von anderen Bundesstaaten beantragten Landesvorbehalte hinausliefen l48 • 3. Grundstacksrecht Von Beginn an orientierten sich Beratungen und Entwürfe des BGB an dem modemen und verkehrsfreundlichen Immobiliarrecht Preußens. Im Code ci vii war dieses Rechtsgebiet alles andere als glücklich geregelt. Baden hatte zwar durch einige, teils anfängliche, teils von der späteren Gesetzgebung ausgehende Abweichungen vom französischen Vorbild versucht, den Bedürfnissen des v.a. seit der Grundentlastung lebhafter werdenden GrundslÜcksverkehrs gerecht zu werden. Aber weil man dabei nicht an den Prinzipien gerüttelt, sondern nur an einzelnen Symptomen kuriert hatte, waren die Erfolge eher bescheiden geblieben. Daher mußte man sich darauf einstellen, mit dem BGB ein völlig neues Recht zu erhalten, und das badische Bestreben konnte nur dahin zielen, den radikalen Kurswechsel in einzelnen Punkten abzumildern.

146

Badische Kommission VIII (Fn.76). 30 (Nr.24 f.).

Badische Kommission 11 (Fn.71), 15 f.; Badische Kommission VIII (Fn.76), 17 f. (Nr.15); Bemerkungen E I (Fn.80), 7 (Nr .15). Auch rur die Kündigungsfristen im Gesinderecht drängte man auf Vereinheitlichung (Bemerkungen E I - Fn.80 -, 11 Nr.25). 107

I" Instruktion an v.Jagemann v. 9.10.1895 (GLA 233/13995).

3. Grundstücksrecht

53

a) Badisches Recht Für die Grundstacksveritußerung l49 ging das badische Landrecht ebenso wie der Code von dem Grundsatz aus, daß schon durch den (formlosen) schuldrechtlichen Verpflichtungsvertrag Eigentum auf den Erwerber übergehtiSO, ohne daß hierzu (wie nach gemeinem Recht) die Übergabe oder (wie nach dem vor 1810 in Baden überwiegend geltenden RechtlSI) die Grundbucheintragung erforderlich war. Mängel des obligatorischen Vertrages schlugen automatisch auf die dingliche Rechtslage durch. Zwar schrieb das Landrecht lS2 für alle abgeleiteten Erwerbsarten Eintragung in ein Grundbuch vorl53 • Aber deren Wirkungen waren sehr beschränkt: Da man weder den abstrakten dinglichen Vertrag noch eine konstitutive Wirkung der bloßen Bucheintragung kannte, wurde bei nichtigem Schuldgeschäft auch der eingetragene Erwerber nicht Eigentümer, ebensowenig deljenige, der von ihm gutgläubig erwarb. Andererseits setzte bei wirksamem Schuldgeschäft der Eigentumserwerb die Eintragung nicht voraus: Für die Parteien sowie die Gesamtrechtsnachfolger und Gläubiger des Veräußerers blieb der fehlende Eintrag des Käufers ohne Belang. Allein Dritte, die mit dem noch eingetragenen Veräußerer kontrahierten, wurden geschützt, wenn sie nur mit der Eintragung ihres Rechtserwerbs dem Ersterwerber zuvorkamen i54 . - Die Grundbücher wurden in den größeren Städten von juristisch geschulten Einzelbeamten, in der Mehrzahl der Gemeinden aber vom Gemeinderat (der Sache nach vom Ratschreiber) geführt. Der Eintrag erfolgte durch Einschreiben des schriftlichen oder mündlichen Schuldvertrags in das Grundbuch, nachdem die Buchbehörde zuvor den Eintragungsantrag auf seine gesetzliche Zulässigkeit geprüft und sog. "Gewähr" erteilt hatte. Was das Grundpfandrecht angeht, so war das badische Landrecht den Anforderungen eines modemen Realkredits bei weitem nicht gewachsen. Hinderlich wirkte zunächst das umständliche, von patriarchalischer Fürsorge für Schuldner

... Dazu Platenius (Fn.28), 157; Behaghel (Fn.5), I, 253 ff.; E.Domer/A.Seng, Badisches Landesprivatrecht, Halle a. S. 1906,146 ff.; F.Endemann/Heinsheimer, Badische Ausfiihrungs-und Spezialgesetze über bürgerliches Recht und Verfahren, Heidelberg 1907, XIX ff. '.50

LRSe 711, 938, 1138, 1583.

15.

DomerlSt:ng (Fn.149), 142-146.

152 Anders als der Code civil, der bis zum Transskriptionsgesetz v. 23.3.1855 Eintragung in ein öffentliches Register nur rur bestimmte einzelne Fälle vorsah.

m § 25 des ß.Einfiihrungsedikts (Fn.27) verallgemeinerte die in den LRSen 939 a, 1002 1583 a fiir Schenkung, Vennächtnis und Kauf gegebenen Sonderbestimmungen. ,$4

LRS 1583 a, § 25 des ß.Einruhrungsedikts(Fn.27).

B,

54

V. Inhaltliche Wünsche Badens für die Ausgestaltung des BGB

und Gläubiger geprägte Verfahren der "Unterpfand"-Bestellung I55 : Der Eigentümer hatte dem "Pfandgericht" - da dieses identisch mit der Grundbuchbehörde war, also in der Regel dem Gemeinderat - in urkundlicher Aufzeichnung die erforderlichen Angaben über seine und des Gläubigers rechtlich erhebliche Verhältnisse, Grund und Inhalt der Schuld, das zu belastende Grundstück mit etwaigen Beschränkungen und Belastungen des Eigentums und, bei Verpfändung zur Sicherung eines Darlehens, die schriftliche Darlehenszusage des Gläubigers vorzulegen. Das "Pfandgericht " prüfte sodann die Geschäftsfähigkeit des Verpfänders und dessen Verfügungsbefugnis sowie die Verpfändbarkeit des Grundstücks. Sah es die Voraussetzungen für die Gültigkeit der PfandbesteIlung als erfüllt an, so stellte es aus Grund- und Pfandbuch fest, welche Vorzugs- und Pfandrechte bereits eingetragen waren, und ermittelte durch Schätzung den Wert, welchen das Grundstück nach dem geringsten Anschlag der seit Jahr und Tag üblichen Preise beim Verkauf haben würde, eine Tätigkeit, für dessen sachgerechte Erledigung seine Mitglieder haftbar gemacht werden konnten. Sodann fertigte das "Pfandgericht" den Eintrag zum Pfandbuch, der die wesentlichen von ihm festgestellten Tatsachen enthielt, namentlich auch den geschätzten Wert und die schon bestehenden Pfandrechte, und ließ ihn vom Schuldner unterschreiben. Von diesem Eintrag waren zwei Abschriften dem Amtsgericht vorzulegen, das daraufhin, nach erneuter rechtlicher Überprüfung, die öffentliche "Unterpfandsverschreibung" fertigte. Sowohl Bucheintrag als auch gerichtliche Unterpfandsverschreibung waren Wirksamkeitsvoraussetzungen der PfandbesteIlung. Materiell gesehen kannte das Landrecht nur eine einzige Form der Hypothek, und diese entsprach der Sache nach der heutigen Sicherungshypothek, die, streng akzessorisch, keinen Gutglaubensschutz zuläßt. Der Realkredit wurde schließlich auch dadurch behindert, daß die Grundsätze der Publizität und der Spezialität mehrfach durchbrochen waren zugunsten von gesetzlichen Vorzugsund Pfandrechten, die teils gar nicht, teils nur pauschal eingetragen werden mußten und doch alle gegenwärtigen und künftigen Liegenschaften des Schuldners erfaßten. b) Badische Forderungen für die Grundstücksveräußerung Für die Grundstücksveräußerung sahen beide BGB-Entwürfe gerichtliche oder notarielle Form der obligatorischen causa mit der dem heutigen § 313 S.2 BGB Jjj Im einzelnen Behaghel (Fn.5), n, 422 f.; Heinsheimer, Das badische Pfandrecht (Fn.68), 95 fT.; DornerlSeng (Fn.149), 155; J.B.Bekk, Über die dinglichen Rechte an Liegenschaften, insbesondere über die Bewahrung derselben durch die Eintragung in die Grund- und Pfandbücher , nach dem französischen und badischen Recht, Karlsruhe 1831. Gesetzliche Grundlage: § 26 des II.Einführungsedilcts (Fn.27), LRSe 2092 fT.

3. GrundslÜcksrecht

55

entsprechenden Heilungsmöglichkeitdurch dinglichen Vollzug vor (§§ 351 E 1, 265 - bzw. 307 revidierte Fassung - E 2). Nach einem Beschluß der 2. Kommission sollte im EG bestimmt werden, daß, wenn durch Landesgesetz die Führung des Grundbuchs einer anderen Behörde als dem Gericht übertragen war, die causa auch vor dieser Behörde errichtet werden könne. Während nach § 868 des 1. Entwurfs die Auflassung zwingend vor dem Grundbuchamt geschlossen werden mußte, erkannte der 2. Entwurf (§ 838 bzw. 910 der rev. Fassung) neben dem Grundbuchamt auch Gericht und Notar als Auflassungsstellen an. Beide Entwürfe standen streng auf dem Standpunkt des Abstraktionsprinzips: Für die Wirksamkeit des dinglichen Vertrags war weder die Vorlage noch die Angabe wnoch die Wirksamkeit der causa erforderlich lS6 • W

In Übereinstimmung mit dem Gutachten der badischen BGB-Kommission begrüßte die Karlsruher Regierung die neu eingeführte Formpflicht für die Veräußerungscausa als großen Fortschritt. Dahinter standen die schlechten Erfahrungen, die man mit den offenbar sehr zahlreichen Prozessen über die Erfüllung mündlicher, nicht selten im Wirtshaus abgeschlossener Liegenschaftskäufe gemacht hatte. In der Schuldrechtsdenkschrift der badischen BGB-Kommission heißt es: wDie Wirthshaushändel haben eine traurige Rolle in unserem Rechtsleben gespielt. wlS7 Eine bloß privatschriftliche Form hielt man nicht für ausreichendI SI!. Gerade deshalb wollte man aber auch Ernst machen mit der Formpflicht. Die badische Regierung wünschte primär eine Einschränkung des Abstraktionsprinzips in dem Sinne, daß die Eintragung nicht ohne Vorlegung der causa erfolgen sollte, hilfsweise aber, daß die Heilungsmöglichkeit durch dinglichen Vollzug gestrichen werde lS9 ; andernfalls bestehe die Gefahr, daß der überlegte Abschluß des obligatorischen Vertrages nicht gewährleistet und der aus der Formpflicht entspringende Vorteil wieder preisgegeben werde. Hinter diesen Vorschlägen verbarg sich, nebenbei gesagt, auch die Absicht, für den Ansatz der GrundslÜcksverkehrsteuer die erforderlichen Grundlagen zu schaffen. Im

IjO So noch ausdrücklich § 829 E I BGB. Der 2. Entwurf strich die Bestimmung als selbstverständlich.

157 Badische Kommission U (Fn.7I), 30; ferner: Badische Kommission I (Fn.7I), 21; Badische Kommission VIII (Fn.76), 21.

"" Badische Kommission VIII (Fn.76), 21; Bemerkungen E 2 - Schuldrecht (Fn.145).

I'"

Bemerkungen E I (Fn.80), 8 (Nr.19), 13 (Nr.34). In den bad. Bemerkungen zum 2. Entwurf fehlen diese Forderungen, die man offensichtlich nicht ror so entscheidend hielt. In der definitiven Instruktion an v.Jagemann ror die Abstimmung im Bundesrat (v. 9.10.1895, GLA 233/13996) tauchen die Forderungen in umgekehrter Reihung wieder auf: v.Jagemann könne dem - von Bayern eventuell, von Hessen primär gestellten - Antrag auf Streichung des § 265 11 (= Heilungsmöglichkeit) beitreten; eventuell sei dem von Bayern primär gestellten Antrag - Verpflichtung der Parteien, bei der Auflassung die Urkunde über das Kausalgeschäft vorzulegen - beizutreten.

56

V. Inhaltliche Wünsche Badens für die Ausgestaltung des BGB

Justizausschuß des Bundesrats l60 wurde zwar von der aus Bayern, Sachsen, Hessen-Darmstadt und Baden bestehenden Mehrheit die Beseitigung der Heilungsmöglichkeit in erster Lesung akzeptiert. Diese Entscheidung traf jedoch auf den energischen Widerstand Preußens, so daß in zweiter Lesung nur noch Bayern für ihre Aufrechterhaltung stimmte. Auch der zweite Wunsch Badens, die Abschwächung des Abstraktionsprinzips, war als Reichsrecht jedenfalls nicht durchsetzbar. Preußen erklärte sich lediglich bereit, in die Grundbuchordnung den Vorbehalt aufzunehmen, daß das Landesrecht die Vorlage der causa bei der Auflassung anordnen könne l61 • Eine gewisse Abschwächung des Abstraktionsprinzips bedeutete auch die badische Forderung nach Beseitigung des Gutglaubensschutzes bei unentgeltlichem Grundstückserwerb, für den es keine Rechtfertigung gebe, wenn man tatsächlich jeweils die Vorlage der causa verlange l62 • Die zweite Gruppe der badischen Änderungsanträge zielte auf den Schutz des kleinen ländlichen Grundbesitzes vor zu langen Wegen und zu hohen Kosten. Noch 1895 lebten 43 % der badischen Bevölkerung von der Landwirtschaftl63 , in welcher der Grund und Boden, sieht man von den geschlossenen Hofgütern des Schwarzwalds ab, nach dem Realteilungsprinzip vererbt wurde. Die infolgedessen eintretende, nahezu beispiellose Zersplitterung des Bodens, die nicht zuletzt auch zu dem unverhältnismäßig großen badischen Anteil an der deutschen Auswanderung nach Amerika beitrug l64 , führte zu zahllosen Verträgen, in denen Kleinstparzellen von geringem Wert ihren Eigentümer wechselten. Baden beantragte daher im Bundesrat, es solle jeder Bundesstaat bestimmen können, daß weitere Behörden außer den im BGB-Entwurf genannten für die Beurkundung des Veräußerungsvertrages und für die Entgegennahme der Auflassung zuständig seien l 6.5. Beide Anträge hatten insoweit Erfolg, als entsprechende Vorbehalte in das EGBGB aufgenommen wurden. Art. 142 EGBGW 66 bestimmte: "Unberührt

'60 Zum Folgenden Schuhen. Bayern und das Bürgerliche Gesetzbuch (Fn.35), 29. ,., § 98 GBO; dazu § 23 des badischen Ausfiihrungsgesetzes zur Grundbuchordnung v. 19.6.1899 (Gbl. 273) (abgedruckt bei EndemannlHeinsheimer - Fn.149 -, 181 tT.).

'62 Bemerkungen E I (Fn.80), 13 (Nr.35); in den Bemerkungenzum E 2 nicht mehr enthalten. 163

On (Fn.47), 113, 129.

'64 Baden, Land - Staat - Volk (Fn.46), 120 tT. ,., Bemerkungen E 2 - Schuldrecht (Fn.145), sub I; Bemerkungen der Großherzoglich Badischen Regierung zu Buch 111 des Entwurfs zweiter Lesung eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht (GLA 233/13995), sub I. ,.. Inzwischen aufgehoben durch Beurkundungsgesetz v. 28.8.1969 (BGBI. I 1513). Für alle badischen Grundbuchbeamten wurde von der Ennächtigung nach Art.142 EGBGB Gebrauch

3. Grundstücksrecht

57

bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, welche in Ansehung der in dem Gebiete des Bundesstaates liegenden Grundstücke bestimmen, daß für die Beurkundung des in § 313 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Vertrags sowie für die nach § 873 Abs.II des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Bindung der Beteiligten erforderliche Beurkundung der Erklärungen außer den Gerichten und Notaren auch andere Behörden und Beamte zuständig sind." Und Art. 143 Abs.I EGBGB I67 ordnete an: "Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, welche in Ansehung der in dem Gebiete des Bundesstaats liegenden Grundstücke bestimmen, daß die Einigung der Parteien in den Fällen der §§ 925, 1015 des Bürgerlichen Gesetzbuchs außer vor dem Grundbuchamt l68 auch vor Gericht, vor einem Notar, vor einer anderen Behörde oder vor einem anderen Beamten erklärt werden kann." Hinter den badischen Anträgen stand der Sache nach der Wunsch, den Gemeinde-Ratschreiber als zuständige Behörde zu erhalten. In der Begründung des Antrags zum Verpflichtungsvertrag heißt es l69 : "Die Beurkundung von Kaufund Tauschverträgen über Liegenschaften ihrer Gemarkung könnte den Gemeindebehörden (insbesondere den Rathschreibern) ohne Anstand überlassen werden, da diese Verträge (einschließlich der Ausbedingung einer Sicherungshypothek an Stelle des bisherigen Vorzugsrechts des Kaufschillings)juristische Schwierigkeiten regelmäßig nicht bieten. Dazu kommt aber noch, daß ein Gemeindebeamter besser als ein Richter oder Notar in der Lage ist, darauf hinzuwirken, daß ökonomisch schädliche Verträge, insbesondere die so vielfach beklagten Wirthshausgeschäfte, nicht zur Beurkundung und damit nicht zur Perfection gelangen." Wenn man sich allerdings die spätere Ausgestaltung des badischen Grundbuchwesens betrachtet 1iO , kommt man zu der Erkenntnis, daß Baden sich eigentlich mit den Beschlüssen der 2. Kommission hätte zufriedengeben können: Als Grundbuchämter sind nämlich nach Inkrafttreten des BGB für Baden wie für Württemberg, abweichend von allen übrigen Bundesstaaten, nicht die Amtsgerichte, sondern besondere, für eine jede Gemeinde geschaffene Behörden bestimmt worden. Jede Gemeinde besaß demnach ein eigenes (i.d.R. gemacht; vgl. §§ 2 IV, 3 11, 6 111 des badischen Ausffihrungsgesetzes zur Grundbuchordnung (Fn.16l). 167 Ebenfalls aufgehoben durch das BeurkG (Fn.166). Vgl. auch § 15 1 des badischen Ausffihrungsgesetzeszur Grundbuchordnung(Fn.16l), wonach jeder badische Notar zur Entgegennahme einer Auflassung in bezug auf ein in Baden gelegenes Grundstück zuständig war.

I" Die endgültige Fassung des BGB (§ 925) sah anders als der 2. Entwurf (s.o. im Text) nur noch das Grundbuchamt als Auflassungsstelle vor. I'" Bemerkungen E 2 - Schuld recht (Fn.145), sub I. Allgemein zur Entwicklung des Ratschreiberamtes H.Mckel, Der Badische Ratschreiber, Diss. Freiburg LB. 1983 (725 5.). 170

Domer/Seng (Fn.149), 168 fT.

58

V. Inhaltliche Wünsche Badens für die Ausgestaltung des BGB

staatliches) Grundbuchamt, das von einem (für mehrere Gemeinden zuständigen) Notar verwaltet wurde; in dessen Abwesenheit konnte sein "Hilfsbeamter" , der Ratschreiber, in beschränktem Umfang selbständige Amtshandlungen vornehmen, insbesondere die Beurkundung nach § 313 BGB und die Entgegennahme der Auflassung. Die beiden badischen Änderungswünsche lassen sich nur dadurch erklären, daß man sich 1895 wohl noch nicht vorstellen konnte, abweichend von der preußischen Praxis in jeder Gemeinde ein eigenes Grundbuchamt zu errichten und es zudem, jedenfalls in Gestalt des subsidiär zuständigen "Hilfsbeamten ", mit dem juristisch nicht vorgebildeten Ratschreiber zu besetzen. c) Badische Forderungen für das Grundpfandrecht Die Änderungen im Bereich des Grundpfandrechts, die schon der 1. BGBEntwurf für Baden verhieß, waren außerordentlich einschneidend: Die ganze fürsorgliche Kontrolle des Bestellungsaktes durch immerhin zwei Instanzen sollten durch formlosen dinglichen Vertrag und öffentlich beglaubigte Eintragungsbewilligung des Eigentümers ersetzt werden. Die Sicherungshypothek bildete nur noch die unterste Sprosse auf einer über Buchhypothek, Briefhypothek bis hin zur Grundschuld an Abstraktheit und damit Verkehrs freundlichkeit ansteigenden Leiter von Pfandformen. Aber sowohl die badische BGBKommission als auch die Karlsruher Regierung erklärten sich mit den Prinzipien des neuen Systems einverstanden: Zwar werde es in Süddeutschland lange dauern, bis der Verkehr sich an die abstrakteren Formen, namentlich die Grundschuld und die Briefhypothek, gewöhnt haben werde, und man werde in diesen Gebieten noch lange Zeit die traditionelle Form der Sicherungshypothek vorziehen. Aber dies könne für die Landesgesetzgebung kein Grund sein, die fortgeschritteneren Formen, die sich andernorts schon eingebürgert hätten und mit der Zeit sich wohl auch in Baden einleben würden, abzulehnen. Es werde Sache der Grundbuchämter und der diesen zu erteilenden Dienstanweisung und wichtige Obliegenheit der Kautelarjurisprudenz sein, die Beteiligten über die Verschiedenheit der Formen zu belehren und auf die für ihre Zwecke geeignete hinzuweisen. Auf Fürsorgemaßnahmen wie die Schätzung der verpfändeten Liegenschaft müßten die Gläubiger eben in Zukunft verzichten, zumal vorsichtige Geldgeber mit ihr sich schon bisher nicht begnügt hätten l71 • Der von vielen Seiten beklagten Überschuldung des Grundbesitzes könne eine ihrer wahren Aufgaben bewußte Kodifikation des Zivilrechts nur dadurch abzuhelfen versuchen, daß sie einen Teil der Ursachen, die mit Notwendigkeit zu immer höherer Verschuldung führten, namentlich auf dem Gebiet des Erbrechts beseitige; "im

171

Badische Kommission III (Fn.71), 20.

3. Grundstücksrecht

59

Uebrigen hat sie dem that8ächlich vorhandenen Kreditbedürfniß thunlichst entgegenzukommen ... Es verdient daher Billigung, daß der Entwurf verschiedene Formen des Grundkredits zur Auswahl darbietet, insbesondere ist anzuerkennen, daß in manchen Fällen die Grundschuld that8ächlichen Bedürfnissen besser als die Hypothek gerecht wird. wl12 Während Bayern zunächst gegen die Grundschuld und später, als diese nicht mehr zu verhindern war, gegen die Briefhypothek kämpftel13 , trat Baden sogar dafiir ein, daß von den beiden Formen der Verkehrshypothek nur die Briefhypothek zugelassen werde: wDie Briefhypothek hat insofern etwas Natürliches, als der Kapitalist, der Geld auf Hypothek gibt, doch auch ein Dokument hierüber im Portefeuille wird haben wollen. Die in diesem Dokument verkörperte Briefhypothek, welche nach den Vorschriften der Grundbuchordnung (§. 57) die zur Beurtheilung ihrer Sicherheit wichtigsten Nachrichten in sich aufnimmt und dem Erwerber in der Regel die Einsicht des Grundbuchs ersparen wird, ist für den Verkehr (die Weiterbegebung und Beleihung) geeigneter als die Buchhypothek und wird, auch da wo beide nebeneinander bestehen, im Verkehr, namentlich dem der Hypothekenbanken, vor der Buchhypothek weitaus bevorzugt. wI14 Dementsprechend stimmte Gebhard in der 2. Kommission gegen den von dem bayerischen Kommissionsmitglied Jacubezky gestellten Antrag auf Abschaffung der Briefhypothek l1S • Insgesamt läßt sich feststellen, daß es auch in der Frage des Realkredits, wo man dies noch am ehesten hätte erwarten können, wegen des badischen Ausscherens keine geschlossene süddeutsche Opposition gegen das in diesem Punkt eindeutig preußisch inspirierte Recht gab, obwohl in Baden der kleine Grundbesitz noch weit verbreiteter war als in Bayern und obwohl Bayern schon vor dem BGB immerhin die (Gutglaubensschutz ermöglichende) Verkehrshypothek (in Buchform) kanntel16.

172 Bemerlrungen EI (Fn.80), 14 (Nr.43); vgl. auch Badische Kommission VIII (Fn.76), 48 ff. (Nr.43). 17>

Schuben. Bayern und das Bürgerliche Gesetzbuch (Fn.35), 30-41.

17.

Badische Kommission VIII (Fn.76), 49 f. (Nr.43); Bemerkungen E I (Fn.80), 14 (Nr.43).

m Schuben, Bayern und das Bürgerliche Gesetzbuch (Fn.35), 39. Am 10.10.1893 beschloß die 2. Kommission ferner, die Erteilung des Hypothekenbriefes in Übereinstimmung mit dem preußischen Recht zur gesetzlichen Regel zu machen; warum Gebhard hier mit Jacubezky dagegen stimmte (Schuben, a.a.O., 40 Fn.162), bleibt unerfindlich, verstieß dies doch gegen die in den Ausfiihrungen der badischen BGB-Kommission und der badischen Regierung zum Ausdruck kommende Befiirwortung der Briethypothek als alleiniger Form der Verkehrshypothek (dazu Fn.174). 176 In der I. BGB-Kommission halle sich freilich Gebhard mit dem bayerischen Vertreter (v.Schmill) gegen die Grundschuld ausgesprochen. Dabei dürfte es sich um seine (allerdings durch die badischen Verhältnisse beeinflußte) Privatmeinung gehandelt haben.

60

V. Inhaltlichc Wünschc Badens rur dic Ausgcstaltung dcs 8GB

Dem eben Gesagten entsprechend, stellte Baden nur wenige Forderungen an die Ausgestaltung des Grundkredits. Für die Verhandlungen in der 2. Kommission wünschte man dringend die gänzliche Beseitigung der Zwangs- und Arresthypothek tn , die der 1. Entwurf noch als materiellrechtliche Institute ins BGB aufnehmen wollte (§§ 1130 ff. E 1) und die heute - in der Sache mit dem 1. Entwurf übereinstimmend - in der ZPO (§§ 866 ff., 932) geregelt sind. Zum einen sah man in diesen Hypothekenformen eine ungerechtfertigte Bevorzugung des Titelgläubigers vor den anderen Gläubigem. Und zum anderen velWies man auf die schlechten Erfahrungen, die Baden mit der französischen Urteilshypothek l78 gemacht hatte, die zu jenen oben elWähnten (a), von Gesetzes wegen entstehenden Unterpfandrechten gehörte. Die 2. Kommission entschied sich nach längerer Debatte mit äußerst knapper Mehrheit l79 für die Beibehaltung der beiden Institute. Gegen den 2. BGB-Entwurf erhob man folgende Forderungeni"': Man wollte die Abtretung der Briefhypothek in ihrer Wirksamkeit von der öffentlichen Beglaubigung der Abtretungserklärung abhängig machen. Bei der Geltendmachung dieser Hypothek müsse der Gläubiger ohnehin sich durch eine zusammenhängende Reihe von beglaubigten Abtretungserklärungen legitimieren l81 ; er sei also u. U. genötigt, die fehlende Beglaubigung nachholen zu lassen, was er in vielen Fällen - "so insbesondere wenn der Cedent gestorben oder ausgewandert ist" - nur mit großer Mühe und großem Zeitaufwand bewirken könne. "Es ist mit Sicherheit zu elWarten, daß in vielen Fällen die Unkenntnis dieser Gefahren und die Scheu vor den Kosten dazu verleiten wird, die alsbaldige Beglaubigung der Abtretungserklärung zu unterlassen, wenn solche nicht als notwendige Förmlichkeit vorgeschrieben ist, und es läßt sich auch nicht bezweifeln, daß schlimme Erfahrungen in dieser Richtung geeignet wären, die Briefhypothek namentlich in den Rechtsgebieten zu diskreditieren, in welchen sie - wie u.a. im Großherzogtum Baden -, erst durch das bürgerliche Gesetzbuch eingeführt werden soll. " - Zweitens verlangte man, daß die Gültigkeit der Abtretung einer Sicherungshypothek von der Eintragung ins Grundbuch abhängig gemacht werde. Die Annahme der 2. Kommission, daß die Kautionshypothek, für welche diese Formalisierung vielleicht entbehrt werden könne, den praktisch wichtigsten Anwendungsfall der Sicherungshypothek bilde, treffe für Baden nicht zu. Hier

177 Badischc Kommission m (Fn.71), 20-22; Badische Kommission VI (Fn.7I), 24; Badische Kommission vm (Fn.76), 48 f. (Nr.43); Bemerkungen E I (Fn.80), 14 f. (Nr.43).

n, 418 . m, 694 ff.

171

Zu ihr Behaghel (Fn.5),

•19

Protokolle (Fn.I44),

... BemerkungenE 2 - Sachcnrccht(Fn.165), sub •1. Vgl. heutc § 1160 BGB.

m f.

3. GrundSlÜcksrecht

61

müßten, da man bisher andere Formen nicht gekannt habe, durch Landesgesetz alle bestehenden Hypotheken in Sicherungshypotheken übergeführt werden. Es liege aber "im dringenden Interesse eines gesicherten Realkredits, dafür zu sorgen, daß nachträgliche (scil. unbefugte) Verfügungen des Cedenten, welche geeignet sind, die Cessionare schwer zu schädigen, nicht zum Grundbuch eingetragen werden". Von den beiden Forderungen setzte sich im Bundesrat nur die zweite durch l82 • Eine dritte, freilich etwas spätl83 vorgetragene Anregung blieb leider - auch heute darf und muß man es noch beklagen - unerfüllt, jedenfalls was ihre erste Hälfte angeht: "In vielen Teilen des deutschen Reichs und so insbesondere auch im Großherzogtum Baden wird es selbst für Juristen schwierig sein, sich in das volle Verständnis der neuen und ungewohnten Rechtssätze einzuarbeiten und es ist dringend zu wünschen, daß durch übersichtliche Gruppierung des in dem umfangreichen Titel von der Hypothek (§§ 10221099 184) angeführten Stoffes und durch sorgfältige Motive, namentlich zu Abschn. VIII des III. Buches, die Einbürgerung des neuen Rechtes thunlichst erleichtert wird. " Insgesamt gesehen tasteten die badischen Forderungen die Grundlagen des neuen Grundpfandrechts nicht an. Sie dienten nicht oder nicht einseitig dem Schutz des Eigentümers, sondern (bei der Zwangshypothek) der Gläubigergesamtheit, (bei Sicherungs- und Briethypothek) dem Zessionar bzw. (bei der Forderung nach übersichtlicher Gliederung) dem Publikum allgemein. Im Grunde entsprachen sie den von den Entwürfen selbst zugrunde gelegten Prinzipien: Dem Konsensprinzip (was die Beseitigung der Zwangs- und Arresthypothek anging), der strengen Akzessorietät der Sicherungshypothek (die keinen Bedarf für erleichterte Verfügbarkeit entstehen ließ). Sie waren darauf angelegt, dem neuen System zu einer besseren Akzeptanz in der einheimischen Bevölkerung zu verhelfen.

112 Nach §§ 1185, 1154 01, 873 BOB erfolgt die Abtretung der Sicherungshypothek durch dinglichen Vertrag und Eintragung ins Grundbuch. Nur rur die Höchstbetragshypothek ist eine Ausnahme vorgesehen, wobei allerdings bei formloser Abtretung der Forderung die Hypothek nicht mit übergeht: § 1190 IV BOB.

113 Erst nach Fertigstellung des 2. Entwurfs; vgl. Bemerkungen E 2 - Sachenrecht (Fn.165), sub V. Diese Bemerkungen wurden am 15.1.1895 an das Reichsjustizamt abgeschickt, GLA 233/13995.

I"

Gemeint ist hier der 2. (noch unrevidierte) Entwurf.

62

V. Inhaltliche Wünsche Badens für die Ausgestaltung des BGB

4. Familienrechl

a) Ehegüterrecht Relativ wenige Anträge stellte Baden zum Familienrecht des BGB. Mit der Regelung des Ehegüterrechts war man einverstanden l85 , obwohl das BGB sich für die Verwaltungsgemeinschaft als gesetzlichen Güterstand entschied, während das badische Landrecht (LRSe 1387, 1399-1496) die Fahrnisgemeinschaft als gesetzlichen Nonnaltypus vorsah und in den Eheverträgen der Sache nach überwiegend die Errungenschaftsgemeinschaft bevorzugt wurde. Für das sog. Regionalsystem, nach dem es der Landesgesetzgebung überlassen gewesen wäre, den gesetzlichen Güterstand zu bestimmen, konnte sich unter den auf umfassende Rechtsvereinheitlichung gestimmten badischen Juristen niemand erwärmen. Als Vorteil der Verwaltungsgemeinschaft betrachtete es die badische BGB-Kommission, daß diese das Vermögen der Ehefrau besser sichere als jede Art von Gütergemeinschaft l86 • b) Scheidungsrecht Im persönlichen Eherecht sah man sich in Baden mit einer gravierenden Einschränkung der Scheidungsgründe konfrontiert. Der 1. Entwurf kannte nur Scheidungsgründe, die auf dem Verschulden eines Ehegatten beruhten, das badische Landrecht darüber hinausgehend die dreijährige "Wahnsinnigkeit" (LRS 232 a) sowie die "beiderseitige und beharrliche Einwilligung der Ehegatten" (LRSe 233, 275-294). Die badische BGB-Kommission vertrat die Ansicht, es lägen keine Gründe dafür vor, die Zulässigkeit der Ehescheidung ausschließlich vom Verschulden eines Ehegatten abhängig zu machen. Sie beantragte daher in Übereinstimmung mit der Mehrzahl der badischen Gerichtshöfe, die bereits drei Jahre dauernde unheilbare Geisteskrankheit als Scheidungsursache anzuerkennen. "In gleicher Weise würde die Kommission nach den seither in Baden gemachten Erfahrungen bei Zulassung der nach Art des code ci vii erschwerten l87 Ehescheidung auf gegenseitige Einwilligung keinen Mißbrauch

.1> Abgesehen von der fortgesetzten Gütergemeinschaft; zu dieser s.u. 5.a) . ... Badische Kommission VIII (Fn.76), 57 (Nr.49, 50); vgl. auch Badische Kommission IV (Fn.71), 13 f . • 17 Die Scheidung bei wechselseitiger Einwilligung war ausgeschlossen, wenn der Mann unter 25, die Frau unter 21 Jahre alt war (LRS 275), die Ehe noch nicht 2 Jahre (LRS 276) oder schon 20 Jahre bestanden hatte (LRS 277), die Eltern der Ehepartner die Scheidung nicht genehmigten (LRS 278), die Ehepartner sich nicht über wesentliche Punkte der Scheidungsfolgen einigen konnten

4. Familienrecht

63

dieser Befugnis befürchten. "188 Die badische Regierung machte sich in ihrer offiziellen Stellungnahme zum 1. Entwurf die erste Anregung zu eigen, ließ jedoch die zweite fallen, wohl deswegen, weil dafür keinerlei Erfolgsaussichten bestanden l89 • Der Scheidungsgrund der Geisteskrankheit, den die 2. BGB-Kommission in ihren Entwurf aufnahm l90 , entzündete im weiteren Verlauf der Beratungen noch manche konfessionell erhitzte Debatte, an der sich Baden, in altem kulturkämpferischem Elan, munter beteiligte: Im Justizausschuß des Bundesrats wurde ein von mehreren Bundesstaaten gestellter Antrag auf Beseitigung dieses Scheidungsgrunds gegen die Voten von Bayern, Württemberg und HessenDarmstadt niedergestimmt l91 • Die für das BGB zuständige Reichstagskommission strich dann allerdings die entsprechende Vorschrift. v.Jagemann berichtete nach Karlsruhe\92, er habe zwar den badischen Standpunkt nach Kräften zu verteidigen gesucht, sei aber in der Kommission nicht durchgedrungen, "da evangelisch-lutherische Gegenden hier von vornherein und mit großer Entschiedenheit sich auf den gleichen Standpunkt stellten, wie auch das Centrum, insbesondere ist dies auch von dem Abgeordneten v.Bennigsen geschehen. Nach der auf konfessionellem Grunde liegenden Anschauung der Evangelischen ist dieser Scheidungsgrund, bei welchem ein Verschulden nicht vorliegt, mit der Heiligkeit der Ehe nicht vereinbar.· Auch der Regierungskommissar habe den Entwurf nur matt verteidigt, und die Vertreter Bayerns und Mecklenburgs seien erneut gegen ihn aufgetreten. Erst in der Plenarsitzung des Reichstags vom 1. 7 .1896, buchstäblich in letzter Minute, wurde der Scheidungsgrund der Geisteskrankheit angenommen l93 , nachdem v.Jagemann neben den Vertretern Preußens und Sachsens noch einmal ausdrücklich für ihn Stellung genommen hatte. In seinem Rapport nach Karlsruhe meinte v.Jagemann, obwohl selber Katholik: ·Politisch hat der Beschluß die erhebliche Bedeutung, daß auch das Centrum in einer eherechtlichen Frage unterlegen ist." Damit sei das Ansehen der Regierung nur vermehrt.

(LRS 280). Außerdem mußten die Ehegatten 4 Mal in je dreimonatigem Abstand ihren Scheidungswillen vor dem Amtsrichter bekunden (LRSe 285 ff.). ,a Badische Kommission VIß (Fn.76), 60 (Nr.53 a); ferner Badische Kommission IV (Fn.71), 35; Badische Kommission VI (Fn.71), 28.

'19

Bemerkungen E I (Fn.80), 16 (Nr.53).

'90 § 1554 der revidierten Fassung.

'9'

Schuhen, Bayern und das Bürgerliche Gesetzbuch (Fn.35), 52.

'92 Schreiben v. 9.5.1896, GLA 233/13996. '93 Stenographische Berichte - Reichstag 1895/97,3089 (mit 161 gegen 133 Stimmen, bei 6 Enthaltungen). Vgl. § 1569 BGB (ursprgl. Fassung).

64

V. Inhaltliche Wünsche Badena für die Ausgestaltung des 8GB

Nicht durchsetzen konnte sich Baden allerdings mit seinem Antrag, dem Vormund des geschäftsuntihigen Ehegatten mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts die Erhebung der Scheidungsklage zu ermöglichen l94 • Dagegen hatte sich schon Gebhard in seiner Stellungnahme zum Entwurf einer amtlichen Äußerung der badischen Regierung zum Familienrecht des 2. Entwurfs ausgesprochen l9s , ohne damit freilich die badische Regierung beeindrucken zu können: Eine Norm, welche die Vertretung im Eheauflösungswillen statuiere, so meinte Gebhard, widerstrebe an sich der rechtlichen und sittlichen Natur des ehelichen Verhältnisses. "So richtig es ist, daß das bürgerliche Eherecht seine Normen nicht nach den konfessionellen Anschauungen eines Theiles der Bevölkerung gestalten kann und soll, so beachtenswerth möchte auf der anderen Seite das Gebot schonenden Maßhaltens sein. Wird die Erwirkung der Scheidung einer katholischen Ehe dem Ermessen des, vielleicht einem anderen Bekenntnis angehörigen Vormundes und des Vormundschaftsgerichtes anheimgegeben, so läßt sich nicht mehr sagen, daß der Staat, indem er die Scheidung an sich zuläßt, doch die Herbeiführung derselben lediglich von dem Gewissen der Eheleute abhängig mache. " Auch gegen die von Bayem l96 und der Zentrumspartei geforderte "Trennung von Tisch und Bett"197 (als eines gegenüber der Scheidung milderen Mittels) konnte die badische Regierung l98 nichts mehr ausrichten, nachdem das Reichsjustizamt jenen bekannten Kompromiß mit Zentrum, Nationalliberalen und Reichspartei geschlossen hatte, der es dann ermöglichte, daß das BGB ohne größere Schwierigkeiten von der Mehrheit des Reichstags angenommen wurde, und in dem die Bundesregierungen Zugeständnisse der Parteien im Vereinsrecht mit Zugeständnissen im Eherecht (u.a. der Trennung von Tisch und Bett) honorierten.

,... Badische Kommission IV (Fn.71), 35; Badische Kommission VI (Fn.71), 28; Badische Kommission VßI (Fn.76), 61 (Nr.55 b); Bemerkungen E I (Fn.80), 16 (Nr.55); Bemerkungen der GroßherzogIich Badischen Regierung zu Buch IV des Entwurfs zweiter Lesung eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Familienrecht, sub I (GLA 233113995). Erfolgreich (vgl. § 1595 U BGB) war dagegen der Antrag, dem Vormund des geschäftsuntihigenEhemanns mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zu erlauben, die Ehelichkeit eines Kindes anzufechten (Bemerkungen E I -Fn.80-, 16 - Nr.55 -). '95

Schreiben v. 8.2.1895, GLA 234/3550, AS. 132 f.

'96

Schubert, Bayern und das Bürgerliche Gesetzbuch (Fn.35), 51.

'97 § 1575 BGB (ursprgl. Fassung).

'9' Zur ablehnenden Haltung der badischen Regierung gegenüber der Trennung von Tisch und Ben vgl. den Erlaß des Ministeriums des Großherzoglichen Hauses und der Auswärtigen Angelegenheiten an vJagemann v. 29.5.1896, GLA 233113996.

4. Familienrecht

65

c) Religiöse Erziehung der Kinder Bis zuletzt forderte Baden, daß im BGB normiert werden müsse, wem die Bestimmung der religiösen Erziehung der Kinder obliege und ab wann das Kind selbständig seine Religion wechseln könne l99 • Das Großherzogtum hatte die Frage in einem relativ liberalen Gesetz vom 9. 10. 186Q200 geregelt, mit dem man nach wie vor zufrieden war, so daß an sich kein Handlungsbedarf bestanden hätte. Aber man argumentierte, daß infolge der gewachsenen "Freizügigkeit" die große Rechtsverschiedenheit und die in manchen Territorien herrschende Rechtsunsicherheit sich auch in solchen Bundesstaaten peinlich fühlbar mache, die wie Baden - an sich keine Veranlassung hätten, eine Änderung ihres befriedigenden Rechtszustandes zu erstreben. "Es sollte daher nicht versäumt werden, die gegenwärtige - voraussichtlich niemals wiederkehrende - Gelegenheit zu benützen, um ein einheitliches und klares Recht in dieser Materie für ganz Deutschland zu schaffen. "201 Selbst hier scheute man also in Karlsruhe das Risiko nicht, den alten "konfessionellen Hader aufzureißen"m. Aber Preußen, ehemals badischer Zögling in Sachen Kulturkampf"l, war inzwischen vorsichtiger geworden: Namentlich im preußischen Kultusministerium vertrat man die Ansicht, daß "auf die Annahme befriedigender Vorschläge im Reichstage nicht zu rechnen sei und daß die Materie, wenn sich das Gesetzbuch mit ihr nicht

'99 Badische Kommission IV (Fn.71), 41 ("Es ist doch wohl überall anerkannt, daß die Bestimmung der Religion der Kinder ein Ausfluß des Erziehungsrechtes ist und daß nur die Erziehungsberechtigten und etwa die Aufsichtsbehörden, nicht aber die Kirchenbehörden dabei mitzureden haben. "); ferner ebd., 58; Badische Kommission VI (Fn.71), 30, 33; Badische Kommission VIU (Fn.76), 65 (Anhang zu Buch IV. A.); Bemerkungen E I (Fn.80), 2 (Vorbemerkungen 3.); Bemerkungen E 2 - Familienrecht (Fn.194), sub 11. 200 Abgedruckt bei K.Kah, Das Badische Landrecht nach Einführung der Reichsjustizgesetze, 2.Aufl., Baden-Baden 1887, Anhang X. Vgl. auch K.Schmidt, Die Konfession der Kinder, nach den Landesrechten im Deutschen Reiche, Freiburg LB. 1890.

20.

Bemerkungen E 2 - Familienrecht (Fn.194), sub 11.

So Jacubezky (zitiert nach Schuhen, Bayern und das Bürgerliche Gesetzbuch - Fn.35 -, 50). Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß auch hinter dem badischen Antrag (zum E I) auf Beseitigung der befreiten Vormundschaft ein gewisses antiklerikales Mißtrauen stand (Bemerkungen EI - Fn.80 -, 19; Badische Kommission IV - Fn.71 -, 61 tT.; Badische Kommission VI - Fn.71 -, 33 f.; Badische Kommission VIU - Fn.76 -,65). In einer antikirchlichen Frontstellung stand Baden, jedenfalls dem äußeren Auftreten nach, !luch im Vereinsrecht, s.o. V, I, b). Grundlegend zum badischen "Kulturkampf" J. Becker, Liberaler Staat und Kirche in der Ära von Reichsgründung und Kulturkampf, Geschichte und Strukturen ihres Verhältnisses in Baden 1860-1876, Mainz 1973. 202

203 Zur Vorbildrolle Badens für den preußischen Kulturkampf Becker, Der badische Kulturkampf und die Problematik des Liberalismus, in: Badische Geschichte, Vom Großherzogturn bis zur Gegenwart (Fn.46), 86 tT.; Galt, Die partei- und sozialgeschichtliehe Problematik des badischen Kulturkampfes, ZGO 113 (1965), 151 (152 f.).

S Muscheier

66

V. Inhaltliche Wünsche Badens für die Ausgestaltung des BGB

befasse, in dieser Körperschaft voraussichtlich nicht zum Gegenstand einer Erörterung werde gemacht werden R:104. Dementsprechend weigerte sich der Bundesrat, die von bei den Berliner BGB-Kommissionen unterlassene Regelung nachzuholen, und in den Verhandlungen des Reichstags bewahrheitete sich in der Tat die Prognose des preußischen Kultusministeriums. d) Zwangserziehung Minderjähriger Zu Auseinandersetzungen namentlich mit der katholischen Kirche und dem Zentrum kam es auch in einer anderen Frage: der Zwangserziehung Minderjähriger. In Baden hatte v.Jagemann205 , noch während seiner Zeit als Rat im Justizministerium, in Anlehnung an das französische Modell ein 1886 in Kraft getretenes Gesetz ausgearbeitet, das erstmals in Deutschland die staatliche Zwangserziehung Minderjähriger auch ohne Straftat des Kindes und ohne Mißbrauch des elterlichen Erziehungsrechts ermöglichte, wenn diese "nötig ist zur Verhütung völligen sittlichen Verderbens "206 • Der 1. BGB-Entwurf ließ die Zwangserziehung nur in den beiden zuerst genannten Fällen zu1D7. Der auf Einbeziehung auch des dritten Zwangserziehungsgrundes gerichtete badische ÄnderungsantragDl wurde in der 2. BGB-Kommission akzeptiert209 , in den Verhandlungen der Reichtstagskommission aber wieder gestrichen. v.Jagemann berichtete nach Karlsruhe2lO , die Bestimmung sei Rauf klerikales Andrängen" beseitigt und "damit dem badischen Zwangserziehungsgesetz eine Erschütterung in seinem prinzipiellen Fundamente zugefügt worden". Der Freiburger Zen-

204 Schreiben Gebhards an das badische Ministerium der Justiz, des Kultus und des Unterrichts v. 8.2.1895, GLA 234/3550, AS. 133.

20' Zum Folgenden v.Jagemann, Fünfundsiebzig Jahre des Erlebens und Erfahrens (pn.77), 64. 206 § I des Gesetzesv. 4.5.1886 (Gbl. 225). Zu diesem GesetzA.Schwall-Daren, Kinder- und Jugendfürsorge im Großherzogtum Baden in der Epoche der Industrialisierung, FreiburglMünchen 1980, 197-224.

m § 1546 E 1 i.V.m. Art. 16 des I. EGBGB-Entwurfs; Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, 5 Bde., BerIinILeipzig 1888, IV, 802 tT. 201 Bemerkungen E 1 (pn.80), 19. Die badische BGB-Kommission hatte sich zu dem Thema nicht geäußert. Es war v.Jagemann, der in den entscheidenden Beratungen im Justizministerium (vgl. o.Fn.79) die Aufnahme dieses Punktes in die offIZielle Stellungnahme der badischen Regierung zum EIbewirkte. Vgl. ferner den Erlaß des Ministeriums des Großherzoglichen Hauses und der Auswärtigen Angelegenheiten an v .Jagemann v. 29.5.1896, GLA 233/13996.

n E 2 (revidierte Fassung).

209

§ 1645

lIO

Schreiben v. 17.5.1896, GLA 233/13996.

4. Familienrecht

67

trumsabgeordnete Marbe211 , der mit seiner Partei gestimmt habe, habe ihm aber bis zur zweiten Lesung eine nochmalige Überprüfung der Sache in Aussicht gestellt. Das Zentrum befürchtete wohl v.a. eine Zurückdrängung kirchlicher Besserungs- und Fürsorgeanstalten durch staatliche Institute, ganz abgesehen davon, daß man in katholischen Kreisen jeder staatlichen Einschränkung des elterlichen Erziehungsrechts mit Mißtrauen begegnete. Schließlich wurde die entsprechende BGB-Regelung gestrichen, in Art.135 EGBGB aber der Landesgesetzgebung vorbehalten, den dritten Zwangserziehungsgrund zu regeln2l2 • e) Vormundschaft (insbesondere: Der Gemeindewaisenrat) Mit dem Gemeindewaisenrat (heute Jugendamt) der §§ 1849-1851 (inhaltlich bis heute im wesentlichen unveränderten Vorschriften) hat das BGB "einen im bad. Rechte von Alters her ausgeprägten Gedanken bis zu einem gewissen Grade aufgenommen "213. Schon die 1622 gedruckte, 1654 publizierte baden-durlachische Landesordnung hatte zwar, in Übereinstimmung mit der spätestens seit dem 16. Jahrhundert in Deutschland vorherrschenden Tendenz, die Obervormundschaft den staatlichen "Amtmännern" übertragen, erstmals aber auf der Ebene der Gemeinden in Gestalt der sog. "Waisenrichter" zusätzlich besondere Behörden zur Unterstützung der Amtmänner bei der Überwachung des Vormundschaftswesens hestellt214• Unmittelbar vor dem Inkrafttreten des BGB besaß das Institut des

211

Zu ihm Jahnel (Fn.53), 121; Scholer, Badische Biographien, VI, Heidelberg 1935,254-262.

Zur badischen Rechtslage nach Inkrafttreten des BGB Domer/Seng (Fn.149), 665 tT.; Schwall-Daren (Fn.206), 278 tT.; O.Schell, Das badische Fürsorgewesen in seiner geschichtlichen Entwicklung, Bruchsa11927, 49 tT.; F.v.Engelberg, Zwangserziehungin Baden, Diss. Heidelberg 1912; H.Reicher, Die Fürsorge für die verwahrloste Jugend, I. Die Zwangserziehungim Großherzogtum Baden, Wien 1904. 212

213 Motive (Fn.207), IV, 1017; W.Schuben(Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Familienrecht, D, SerlinlNew York 1989, 958. Seide Stellen beziehen die Formulierung zwar auf die dem BGB unmittelbar vorangehende Gesetzgebung, mittelbar aber auch auf das 8GB.

214 Vgl. Teil 3, Titel 6 LO (hier zitiert nach der amtlichen Neuauflage Durlach 1715 unter dem Titel "Lands-Ordnung Der Fürstenthummcr und Landen Der Marggraffschaffien Baden und Hachberg/LandgratTschaffi Sausenberg/Und Herrschaffi RöttelnlBadenweiler/Lahr und Mahlberg etc. "): "Ein jeder Amptrnann ist und soll seynlaller Pupillen und Waisen Vatter/ ... "; Kapitel I "Von Waisenrichteren": "AutT daß aber alles mit mehrerem Fleiß und Treu/den Waisen zur Wohlfahrt! Nutz und Gutem/ordentlich möge angestellt und verrichtet werdenIso sollen injeder StattlDortT oder FleckenIzum wenigsten zwey ehrbare/autTrichtige Minner/von GerichtlRaht oder Gemeind/welche darzu taugenlich/geordnetlund denselbigen insonderheit Juramento eingebunden und autTerlegt

68

V. Inhaltliche Wünsche Badens für die Ausgestaltung des BGB

Waisenrichters folgende Gestalt2lS : In jeder badischen Gemeinde hatte der Gemeinderat aus der Zahl der Gemeindebürger mindestens eine, höchstens sechs Personen zur Unterstützung der Obervormundschaft (Amtsgerichte) vorzuschlagen, die dann vom Amtsgericht bestätigt und auf sechs Jahre zu Waisenrichtern ernannt wurden. Den Waisenrichtern oblag, neben anderen Aufgaben als öffentliche Schätzer, Versteigerungsbeamte usw., die Fürsorge für aUe Mündel ihrer Gemeinde; sie waren gemeindliches Hilfsorgan der staatlichen (gerichtlichen) Obervormundschaft. Im einzelnen hatten sie die Tatsachen anzuzeigen, die die Ernennung eines Vormundes oder Gegenvormundes erforderlich machten; werden/ihr Auffsehens auff die pfleger und die pflegkinder zu halten/damit die pfleger ihrem Ambt würcldich nachsetzen und außwarten/die auch die Ambtleuth an jedem Orth/mit Raht und Gutbeduncken eines Gerichts/ordnen sollen". - § I: "Diese beyde sollen allwegen/zu Außgang lahrs/von den Ambtleuthen/zu der Verhör der Rechnungen erfordert/und bey Beschluß jeder Rechnunglbey ihren pflichten befragt werden/ob sie einigen Fehl oder Mangel in der pfleghandlungwissen/es gelange gleich der pflegkinder in Religione oder sonsten auffsehen/underhaltungNerrechnungoder Handhabung ihrer Güter an/solches anzuzeigen." - § D: "Und sollen diese also geordnetelWaisenrichter genannt/und sonsten dargegen anderer pflegschafften überhaben seyn/und erlassen werden. Dann wo man nicht also in jedem Flecken zum wenigsten einen oder zwey Waisen = Richter hat/und allein zu der Verhör etliche Gericht= und Rahts=Personen erfordert/werden dieselbe durchs lahr allein auff ihre eigene Sachen sehen/und wann man sie von der pfleger Verhandlung fragt/nichts darum wissen/dargegen aber hat dannoch ein jeder Waisenrichter zu gedencken/daß er nach Außgang deß lahrs/deßhalb gefragtlRed und Antwort wird geben müssen/daß er auch derowegen anderer pflegschafften gefreyet seye." - Als in Baden der Code Napoleon als Landrecht eingeführt wurde, behielt man - zumal der französische Familienrat nicht rezipiert (s.o. Text 11), sondern die alte "Pflegschaftsordnung " , d.h. die alten Einrichtungen des Vormundschaftswesens, aufrechterhalten wurde (vgl. § 5 11. Einführungsedikt- Fn.27 -) - auch das Institut des Waisenrichters bei und dehnte es auf jene Gebiete des Großherzogtums aus, die das Institut noch nicht kannten (Gesetz v. 5.5 .1810). Zur Geschichte des badischen Waisenrichters: R. Carlehach, Badische Rechtsgeschichte, D: Das Zeitalter des dreißigjährigen Kriegs, Heidelberg 1909, 87 f., 112; W. T.Kraul, Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des Deutschen Rechts, I, Göttingen 1835,90 f.; c.Barazel';, Die Vormundschaft (la Tutelle), die pflegschaft (la Curatelle) und die Beistandschaft (le Conseil) nach dem Code Napoleon und dem badischen Landrecht, Hannover 1894, 62 Fn.14 (teilweise unzuverlässig; der Waisenrichter ist in der badischen Landeseroordnungvon 1511 noch nicht enthalten); K.Maier, Die Anfänge der Polizei- und Landesgesetzgebungin der Markgrafschaft Baden, Pfaffenweiler 1984, 70; Schuhen (Fn.4), 488 Fn.61 0; Stenographische Berichte über die Verhandlungen des preußischen Herrenhauses, 1875, D, Drucksache Nr.7, 28. m Rechtsgrundlagen: §§ 2, 11-16 RPG (= Gesetz v. 6.2.1879, die Verwaltung der freiwilligen Gerichtsbarkeit betr. - Rechtspolizeigesetz -, Gbl. 131); § 77 RPO (= Geschäftsordnung für die Amtsgerichte als Rechtspolizeibehörden - Rechtspolizeiordnung- v. 2.11.1889, Gbl. 259); Waisenrichterordnungv. 30.10.1889 (Gbl. 427); Dienstweisung für Waisenrichter v. 2.11.1889 (Gbl. 433). Lit.: Behaghel (Fn.5), 220 f.; Barazelli (Fn.214), 62 ff.; Plalenius (Fn.28), 106; DomerlSeng (Fn. 149), 675. Zur Rechtslage vor 1879: H.Kaiser, Handbuch über Vormundschaft, pflegschaft und Beistandschaft,3.Autl., 0.0.1873,69 ff.; R.Gageur, Die Vormundschaft, Pflegschaft und Beistandschaft nach badischen Gesetzen und Verordnungen, Freiburg i. B. 1852,64 ff.; G.J.f(jnltinger, Die Gesetzgebung Badens systematisch dargestellt, D: Die Civil- und Strafgesetzgebung, ferner der Geschäftskreis sämtlicher Behörden, Karlsruhe 1829,65 ff.

4. Familienrecht

69

geeignete Personen für diese Ämter vorzuschlagen; sich über die Persönlichkeit der durch Gesetz oder elterliche Verordnung berufenen Vormünder zu erklären; die Vormünder durch Rat zu unterstützen; deren Amtstätigkeit, sowohl was die Personensorge als auch was die Vermögensverwaltung anging, laufend zu überwachen. Zu ihren Aufgaben gehörte es, die Tatsachen, die die Absetzung eines Vormundes veranlassen konnten, anzuzeigen; für die Sicherung des MÜDdelpfandrechts Sorge zu tragen; bei der Prüfung der von den Vormündern gestellten Rechnungen mitzuwirken. Ferner waren sie Bindeglied zwischen Amtsgericht und "Beirat", dem (seit 1864) bei jeder Vormundschaft zwingend zu etablierenden, ständigen (aus zwei bis vier Personen bestehenden) "Familienrat" mit allerdings nur beratender Stimme: Die Waisenrichter hatten geeignete Beiräte vorzuschlagen und waren an der "Einvernahme" der Beiräte beteiligt. Für ihre dienstlichen Verrichtungen erhielten sie verordnungsmäßig festgesetzte Gebühren zu Lasten des Mündelvermögens; daneben konnte ihnen noch ein Gehalt aus der Gemeindekasse bewilligt werden. Die badische Idee, die obervormundschaftliche Aufsicht des Staates durch Einschaltung einer mit den lokalen Verhältnissen vertrauten Gemeindebehörde effektiver zu machen, hatte in den 70er Jahren des 19.Jahrhunderts mehrfach Gefolgschaft gefunden216 , so in einem weimarischen Gesetz von 1872, in einem anhaltischen Gesetz von 1877, dem bayerischen Entwurf einer Vormundschaftsordnung von 1874 und vor allem in der preußischen Vormundschaftsordnung von 1875. Nach §§ 52-54 der preußischen Vormundschaftsordnung211 waren dem Vormundschaftsgericht für jede Gemeinde oder für örtlich abzugrenzende Gemeindeteile ein oder mehrere Gemeindeglieder als "Waisenräthe" zur Seite zu setzen. Der "Waisenrath" - das Amt wurde unentgeltlich geführt - hatte die Aufsicht über das persönliche Wohl des Mündels und über dessen Erziehung zu führen; insbesondere Mängel und Pflichtwidrigkeiten, die er bei der körperlichen oder sittlichen Erziehung des Mündels wahrnahm, anzuzeigen; auf Erfordern über die Person des Mündels Auskunft zu erteilen. Er hatte außerdem diejenigen Personen vorzuschlagen, die ihm im einzelnen Fall zur Berufung als Vormund oder Gegenvormund geeignet erschienen. Das BGB stand bei der Regelung der Vormundschaft vor der Wahl zwischen drei Systemen der Obervormundschaft: Es konnte die Obervormundschaft 216 Zur Vorbildrolle Badens für die im Folgenden genannten Gesetze: Schuben (Fn.213), 944 f., 957 f., 1161; Motive (Fn.207), IV, 1017; Stenographische Berichte Herrenhaus (Fn.214), 28, 31; H.Demburg, Das Vormundschaftsrecht der preußischen Monarchie nach der Vormundschaftsordnungvom 5. Juli 1875, Berlin 1875,62 Fn.4.

217 Abgedruckt bei Demburg (Fn.216), 258 f. Zum preußischen Waisenrat vgl. ferner H.Demburg, Familienrecht und Erbrecht des Privatrechts Preußens und des Reichs, 3.Aufl., Halle a.S. 1884, § 78; weitere Lit. läßt sich erschließen über Buchholz, in: Coing (Fn.4), 1675 f.

V. Inhaltliche Wünsche Badens für die Ausgestaltung des BGB

70

entweder (wie die meisten deutschen Rechte) dem Staat oder (wie das französische Recht und einige seiner Tochterrechte) der Familie oder schließlich (wie mehrere schweizer Rechte, die Hansestädte und Württemberg) der Gemeinde übertragen. Schon Planck, Familienrechtsredaktor der 1. Kommission, entschied sich in seinem Vorentwurf für die staatliche (gerichtliche) Obervormundschaft, worin ihm beide BGB-Kommissionen ohne Zögern gefolgt sind. Gleichzeitig war er jedoch bemüht, in sein System gewisse Konzessionen an die beiden anderen Modelle einzubauen. Dem kam das badische Recht in günstiger Weise entgegen: Es stand einerseits auf dem Standpunkt der Mehrheit der deutschen Rechte, indem es im Prinzip strikt an der Obervormundschaft als einer staatlichen (gerichtlichen) Aufgabe festhielt. Andererseits aber ordnete es Gemeinde und Familie als beratende und kontrollierende Hilfsorgane der staatlichen (gerichtlichen) Obervonnundschaft funktional zu. So wurde für Planck das badische Recht in mehrfacher Hinsicht wichtig: Zum einen und vor allem konnte er für das Verhältnis StaatlGemeindt?18 die Übertragung der Obervormundschaft an die Gemeinde ablehnen, da ja auch ein in Sachen gemeindlicher Mitwirkung so weit gehender Staat wie Baden diesen Schritt nicht getan hatte. Gleichzeitig bot sich ihm im badischen Waisenrichter und in den das badische Vorbild nachahmenden neueren Gesetzen ein Kompromißmodell für eine gewisse Berücksichtigung der Kommunen dar. Unmittelbarer Ansatzpunkt war für Planck freilich die preußische Vormundschaftsordnung von 1875, da diese den fortgeschrittensten Stand der Gesetzgebung repräsentierte. Der preußische "Waisenrath" unterschied sich vom badischen "Waisenrichter" vor allem durch die Unentgeltlichkeit seiner Tätigkeit und durch die strenge Begrenzung seiner Kompetenz auf Überwachung der vormundschaftlichen Personensorge. Die auf Planck zurückgehende219 Bestimmung des § 1850 II BGB läßt sich nun aber ihrerseits nur verstehen als Kompromiß zwischen der die Überwachung der Vermögensverwaltung völlig ausschließenden preußischen Regelung und der die Überwachung der Vermögensverwaltung mindestens gleichberechtigt anordnenden, wenn nicht in den Vordergrund stellenden badischen Regelung220 •

211

Schubert (Fn.213), 957 ff.

219 Schubert(Fn.2\3), 1160f.; H.H.Jakobs/W.Schubert(Hrsg.), Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Familienrecht 11, BerlinlNew York 1989,976 (Abänderungsantrag Plancks Nr.2). 220 Zur Vorbild rolle des bad. Rechts für § 1850 11 BGB Schubert (Fn.213), 1161; Motive (Fn.207), IV, 1226. Das badische Recht ging insofern weiter als § 185011 BGB, als derWaisenrichter nicht nur bei zufällig erlangter Kenntnis von Mißwirtschaft aktiv werden mußte, sondern verpflichtet war, sich selber Informationen über die Vermögensverwaltung zu verschaffen (vgl. DomeriSeng - Fn.149 -,675). Das württembergische Kommissionsmitglied v.Mandry stellte in der 2. Kommission den Antrag, § 185011 so zu formulieren: "Der Waiscnrath hat dem Vormundschaftsgericht auf Erfordern über Angelegenheiten, welche für das Vermögen des Mündels von Bedeutung sind, Auskunft zu ertheilen und auch ohne Erfordern Anzeige zu erstatten, wenn er ... ";

5. Erbrecht

71

Darüber hinaus wurde das badische Recht für Planck bedeutsam auch für das Verhältnis Staat/Familie. Hier konnte er darauf verweisen, daß selbst ein an sich unter französischem Recht lebender Staat wie Baden den Familienrat als entscheidendes Organ der Obervormundschaft abgelehnt hatte221 • In "Anknüpfung"222 u.a. an den (nur beratenden) badischen Familienbeirat ordnete das BGB (§ 1847) jedoch immerhin an, daß das Vormundschaftsgericht die Verwandten in wichtigen Fällen hören solle. Die geschilderten Eintlüsse des badischen Rechts auf das BGB vollzogen sich schon in der 1. Kommission und ohne daß eine Aktivität der badischen Interessenvertreter erforderlich gewesen wäre. Gegenüber dem fertigen E 1 verlangte die großherzogliche Regierung die Abschaffung der Vorschriften über die befreite Vormundschaft, die das einheimische Recht nicht kannte und die man verdächtigte, "die Rechte und Interessen der Mündel eher zu gefährden, denn zu fördem"223. Durchdringen konnte man damit allerdings nicht (§§ 1852 ff. BGB).

5. Erbrecht a) Überblick Das französisch-badische Erbrecht unterschied sich in seinen Prinzipien erheblich vom Erbrecht des im Entstehen begriffenen BGB. Es ging, beeintlußt von germanischrechtlichen Traditionen, jedenfalls im Ansatz davon aus, daß nur das Gesetz, nicht aber der Erblasser Erben schaffen könne und daß letztwillige Verfügungen, selbst wenn sie den gesamten Nachlaß betreffen, doch immer nur Vermächtnisse seien. War danach die Stellung der gesetzlichen Erben schon an sich besonders herausgehoben, so verfestigte sie sich noch bei der wichtigsten Klasse derselben, den sog. Ptlichterben, denen zwingend eine bestimmte Erbquote und damit eine dingliche Beteiligung am Nachlaß vorbehalten blieb. - Mit der im BGB verwirklichten Gleichstellung von testamentarischer und gesetzlicher Erbfolge sowie der Ausgestaltung des Pflichtteils als eines bloßen Geldan-

dieser Antrag wurde von der Kommissionjedoch ebensowenig gebilligt wie der abgeschwächte Vorschlag, die Auskunftserteilungdem Waisenrat wenigstens bezüglich solcher Vermögensangelegenheiten zur Pflicht zu machen, die ihm bekannt sind (protokolle - Fn.l44 -, IV, 838; zur Autorschaft v.MandrysJalwbs/Schuben- Fn.219 -, 1139). %21

Zu diesem Argument: Schuben (Fn.213), 964; Motive (Fn.207), IV, 1020.

2Z2

Motive (Fn.207), IV, 1022.

%23

Bemerkungen E I (Fn.80), 65 f.; vgl. auch Badische Kommission IV (Fn.71), 61 ff. (zu

§ 1733); Badische Kommission VI (Fn.71), 33 f.

72

V. Inhaltliche Wünsche Badens rur die Ausgestaltung des BGB

spruchs war Baden trotz entgegengesetzter eigener Rechtslage von Anfang an einverstanden. Den von Bayern noch in den Bundesratsverhandlungen gestellten Antrag, den Ptlichtteilsberechtigten ein unentziehbares Recht auf einen Teil der Erbschaft selbst zu geben, lehnte es ab.

In seiner Stellungnahme zum 1. Entwurf des BGB verteidigte Baden jedoch eine ganze Reihe von Rechtssätzen, die auf den freiheitlichen Prinzipien des Code beruhten, und im Grunde war es ja schon mit seiner eben erwähnten Zustimmung zur Gleichbehandlung der testamentarischen Erbfolge und zur qualitativen Herabstufung des Pflichtteils konsequenter als der Code, der hier in Abweichung von seinen eigenen liberalen Grundsätzen Konzessionen an das nord französische Gewohnheitsrecht gemacht hatte. In ihrer offiziellen Stellungnahme zum 1. Entwurf sprach sich die badische Regierung zunächst gegen solche Institute aus, die zu einer langdauernden Vermögensbindung führten oder führen konnten: Die nach dem Entwurf beim Tode eines Ehegatten automatisch eintretende Fortsetzung der ehelichen Gütergemeinschaft lehnte sie ganz ab224 • Für die Nacherbschaft stellte sie den Antrag, dieses Institut nur in den Grenzen der Landrechtssätze 1048, 1049 zuzulassen22S , also nur gegenüber den Kindern des Erblassers zugunsten der Enkel und gegenüber den Geschwistern des kinderlosen Erblassers zugunsten von deren Kindern; man konnte sich, wie es in der Begründung heißt, "mit der vom Entwurfe beliebten subjektiven Allgemeinheit des Instituts aus volkswirthschaftIichen Rücksichten nicht befreunden". Das gleiche Verdikt traf die Pflichtteilsbeschränkung in guter Absicht226 , die den Pflichtteil bzw. die zugewandte Erbquote auf eine Generation vor den Gläubigern des verschwenderischen oder überschuldeten Erben abschinnt. In bezug auf die Ausgestaltung der Erbengemeinschaft221 befürwortete man statt der preußischen Gesamthandsgemeinschaft das römisch-französische Modell, das die

224 Badische Kommission IV (Fn.71), 28; Badische Kommission VI (Fn.71), 27; Badische Kommission VIII (Fn.76), 58 (Nr.52); Bemerkungen E I (Fn.80), 16 (Nr.52). Das badische Recht kannte nur einen einzigen Fall der fortgesetzten Gütergemeinschaft: wenn einer der Ehegatten verschollen war und der andere bis zur endgültigen Entscheidung über die Fortexistenz des Verschollenen die Gemeinschaft fortsetzen wollte (LRS 124). 22> Badische Kommission V (Fn.71), 6 f.; Badische Kommission VI (Fn.71), 35; Badische Kommission vm (Fn.76), 77; Bemerkungen E I (Fn.80), 19 f. Das grds. Verbot der Nacherbeneinsetzung hatte nach badischem Recht, anders als nach dem Code civil, nicht die Ungültigkeit der ganzen Verffigung, sondern nur die Unverbindlichkeit der Nacherbeneinsetzung rur den Vorerben zur Folge (LRS 896).

226

Badische Kommission V (Fn.71), 20; Badische Kommission VI (Fn.71), 37.

Badische Kommission V (Fn.71), 25; Badische Kommission VIII (Fn.76), 73 (Nr.66); BemerkungenE I (Fn.80), 17 (Nr.66). Zum badischen Recht LRSe 724,870,873,876,883,12201223. 227

5. Erbrecht

73

Erben schon vor der Auseinandersetzung verfügungsbefugt macht. - Die weiteren badischen Wünsche standen im Zusammenhang mit der konsequenten Ausgestaltung der Testieifreiheit: In Übereinstimmung mit der restriktiven Tendenz des französisch-badischen Rechts beantragte man eine Einschränkung der Erbverträge228 ; vertragsmäßige Verfügungen sollten nur zulässig sein, wenn sie entweder in einem Ehevertrag (zugunsten des Ehegatten oder der zu erwartenden Kinder) oder zum Zwecke der Erlangung einer lebtäglichen Versorgung erfolgten. Ablehnend zeigte sich Baden demgemäß auch gegenüber den mehrfach erhobenen Forderungen nach Zulassung des gemeinschaftlichen Testaments229 , für das man selbst bei Ehegatten kein Bedürfnis erkennen konnte und dem man die Gefahr einer "thatsächlichen Beschränkung der freien Widerruflichkeit" und eine "unklare MittelsteIlung zwischen Erbvertrag und Testament "230 vorwarf. Auf das ebenfalls in diesen Zusammenhang gehörende badische Eintreten für das eigenhändige Testament wird noch zurückzukommen sein. - Aus sozialpolitischen Granden beantragte Baden eine Beschränkung der Verwandtenerbfolge2Jl : Es erscheine zwar durchaus gerechtfertigt, sämtliche Aszendenten als erbberechtigt anzuerkennen; dagegen empfehle es sich, das Erbrecht der Seitenverwandten auf die ersten vier Parentelen zu beschränken. Dieser Vorschlag kam im Ergebnis dem französisch-badischen Recht nahe, das die Intestaterbfolge nach dem zwölften Verwandtschaftsgrad abbrach. Abgesehen von der Begrenzung der Verwandtenerbfolge, die dann aber später im Reichstag ohne größeren badischen Widerstand wieder fallengelassen wurde, hatte keiner dieser badischen Wünsche in den Beratungen der 2. BGB-Kommission Erfolg. Ja der 2. Entwurf hatte nun sogar noch, abweichend vom ersten, das gemeinschaftliche Ehegattentestament zugelassen und die preußische Erbengemeinschaft adaptiert. Die badische BGB-Kommission meinte bei ihrer Begutachtung des fünften Buches zweiter Lesung, von all den im badischen Sinne unerledigten Forderungen seien nur die in bezug auf die Erbengemeinschaft und die Nacherbschaft von "erheblicher Bedeutung" im Sinne des Reichs-

221 Badische Kommission V (Fn.71), 11; Badische Kommission VI (Fn.71), 36; Badische Kommission vm (Fn.76), 77. Zum badischen Recht LRSe 1082, 1093, 1389 (Grundsatz: LRS 1130 Il). 229 Badische Kommission V (Fn.71), 10; Badische Kommission vm (Fn.76), 69 (Nr.61); Bemerkungen E 1 (Fn.80), 17 (Nr.61). Zum Verbot gemeinschaftlicher Testamente im badischen Recht LRSe 968, 1001,1097. 230

Badische Kommission vm (Fn.76), 69 (Nr.61).

2" Badische Kommission V (Fn.71), 14; Badische Kommission VI (Fn.71), 36; Badische Kommission vm (Fn.76), 70 (Nr.63 a); Bemerkungen E 1 (Fn.80), 17 (Nr.63). Zum badischen Recht LRS 755.

6 MuscheIer

74

V. Inhaltliche Wünsche Badena rur die Ausgestaltung des BGB

kanzlerschreibens vom 19.12.1893 232 • Sie glaubte aber wauch diese Anträge wegen völliger Aussichtslosigkeit nicht aufrecht erhalten zu sollen, insbesondere mit Rücksicht auf die Stellung, welche die preußische Regierung zu dieser Frage eingenommen "233 habe. Statt dessen erhob die badische Regierung in ihrer offiziellen Stellungnahme zum 2. Entwurf folgende Forderungen234 : Es solle der Auskunftseid des Erben bei Nachlaßkonkurs und Nachlaßpflegschaft geregelt, die Unwirksamkeit des Vermächtnisses über die Erbschaft eines noch lebenden Dritten ausdrücklich ausgesprochen, der Vermächtnisnehmer einer vermieteten Sache voll in den Mietvertrag eingebunden, das Nachlaßgericht bei Meinungsverschiedenheiten mehrerer Testamentsvollstrecker für entscheidungsbefugt erklärt23S und der Pflichtteilsergänzungsanspruch auch auf Schenkungen von Einkünften erstreckt werden. Von allen diesen Anträgen berührte keiner spezifisch badische Interessen; allenfalls der letzte war von "hervorragender Bedeutung" im Sinne des Reichskanzlerschreibens, aber selbst er doch in Wirklichkeit bei weitem weniger gewichtig als jeder der aufgegebenen Wünsche. Alles in allem handelte es sich um resignierte und prinzipienlose Detailkritik. Immerhin gelang es v.Jagemann im Bundesrat, die zwei letzten Forderungen durchzusetzen: So verdanken wir der großherzoglichen Regierung den heutigen § 2224 I 1 HS.2 BGB, wonach bei einer Meinungsverschiedenheit unter mehreren Testamentsvollstreckern das Nachlaßgericht entscheidet, sowie die geltende Fassung des § 2325 I BGB, in der für die Pflichtteilsergänzung nicht mehr, wie von der 2. Kommission vorgesehen 236 , eine Schenkung "aus dem Stamm" des Erblasservermögens, sondern nur noch eine beliebige Schenkung gefordert wird. Im Bundesrat stimmte Baden übrigens gegen die meisten der zahlreichen von Bayern gestellten, auf Jacubezky zurückgehenden Anträge zum Erbrecht237 , so u.a. gegen das Vindikationslegat238 , gegen die Zulassung gemeinschaftlicher Te-

232

s.o. Fn.IOt.

233 Schreiben der Kommission an das Ministerium der Justiz, des Kultus und des Unterrichts v. 3.7.1895, GLA 234/3550, AS. 188 f.

,.. Bemerkungen der GroßherzogIich Badischen Regierung zu Buch V und VI des Entwurfs zweiter Lesung eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Buch V, Erbrecht (GLA 234/3550, AS. 220 ff.). m So schon: Badische Kommission V (Fn.71), 29; Badische Kommission VI (Fn.71), 36; ferner Bingner, Sächsisches Archiv rur Bürgerliches Recht und Prozeß I (1891), 180. 136

§ 2299 E 2 (revidierte Fassung).

Vgl. die Instruktion der badischen Regierung an v.Jagernann, GLA 234/3550. Mit Bayern stimmte Baden bei den (bayerischen) Anträgen auf Beseitigung der Surrogationsnorm des heutigen § 2019 BGB, auf Zulassung des eigenhändigen Testaments (dazu u. V.5.b) und auf Zulassung des im Testament zum Testamentsvollstrecker Ernannten als Urkundsperson. m

'31 Ablehnend bereits Badische Kommission V (Fn.71), 7 f.; Badische Kommission VI (Fn.71), 35; Badische Kommission VIII (Fn.76), 68 (Nr.60); Bemerkungen EI (Fn.80), 17 (Nr.60).

5. Erbrecht

75

stamente für Verlobte, gegen die automatische (d.h. auch ohne ausdrückliche Anordnung des Erblassers gegebene) Ermächtigung des Testamentsvollstreckers zur Teilung nach billigem Ermessen, gegen die Abschwächung einiger Bestimmungen für die Errichtung öffentlicher Testamente zu bloßen Ordnungsvorschriften. b) Eigenhändiges Testament Der einzige wirklich bedeutende Beitrag Badens zur inhaltlichen Gestaltung des BGB bestand in seinen letztlich erfolgreichen Bemühungen für die Zulassung des eigenhändigen Testaments. Das eigenhändige Testament239 , dem klassischen römischen Recht unbekannt, war durch eine Novelle Kaiser Valentinians III. im Jahre 446 für das weströmische Reich kurz vor dessen Zusammenbruch eingeführt worden. Da das Justinianische Gesetzgebungswerk es, jedenfalls als ordentliche Testamentsform, nicht rezipierte, ging es nicht in das gemeine Recht ein. Allerdings fand die Novelle Valentinians Aufnahme in das westgotische Römergesetz von 506, so daß das eigenhändige Testament sich zunächst in Südfrankreich festsetzte und später, nach dem Eindringen des justinianischen corpus in den Süden, in Nordfrankreich gewohnheitsrechtlich überlebte. Volle Geltung hat ihm in Frankreich eine ordonnance von 1735 und schließlich der Code civil in Art.970 verschafft. Im Deutschen Reich galt das testamentum holographum bis zum Inkrafttreten des BGB lediglich in den rheinisch-badischen Geltungsgebieten des Code als ordentliche Testamentsform. Das preußische ALR etwa ließ nur das gerichtliche, das bayerische Notariatsgesetz von 1861 nur das notarielle Testament zu. Da das Rheinland zu Preußen gehörte, Elsaß-Lothringen unter preußisch dominierter Reichsverwaltung stand und die linksrheinische Pfalz Bestandteil Bayerns war, bestand in den Beratungen des BGB die Gefahr, daß das eigenhändige Testament verdrängt würde. Auf Baden, dem einzigen deutschen Bundesstaat, in dem diese Testamentsform überall galt, ruhten daher die Hoffnungen vieler Juristen des rheinisch-französischen Rechts. Daß die eben erwähnte Gefahr nicht fern lag, sollte sich nur allzu schnell erweisen: Der Erbrechtsredaktor der 1. BGB-Kommission, der von Bayern entsandte Gottfried v.Schmitt, ließ in seinem Vorentwurfnur das richterliche und

.>9 Zur Geschichte des eigenhändigen Testaments F.Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 10/1, 8. u. 9.Autl., Berlin 1919,280 f.; U. v.Lübtow, Erbrecht, Berlin 1971, 125; F. v.Hippel, Fonnalismus und Rechtsdogmatik, Hamburg 1935,164; M.Kaser, Das Römische Privatrecht, D, 2.Autl., München 1975, 481 Fn.34 m.w.N.

76

V. Inhaltliche Wünsche Badens für die Ausgestaltung des BGB

das notarielle Testament als ordentliche Formen Kommission an24l •

ZU240.

Dem schloß sich die 1.

Die badische BGB-Kommission stand dem holographischen Testament zunächst ebenfalls ablehnend gegenüber. In der Denkschrift Schembers zum Erbrecht des 1. BGB-Entwurfs heißt es zur Regelung der Testamentsformen lapidar242 : "Die Materie ist vom Entwurf in zweckentsprechender Weise geordnet, und wird namentlich die Beseitigung des eigenhändigen Testaments bei den badischen Praktikern Beifall finden." Dieses Urteil machte sich die Gesamtkommission zu eigen, und während sie in ihrer zweiten "Lesung" sonst kaum eine der inzwischen zahlreich erschienenen Stimmen der öffentlichen Kritik unberücksichtigt ließ, soweit es um französisch-rechtliche Institute und deren Beibehaltung ging, hielt sie Anton Mengers scharfes Verdikt gegen die Ablehnung des eigenhändigen Testaments243 nicht einmal einer Erwähnung für werfM. Bezeichnenderweise meinte auch Bingner in seiner Eingabe an das Reichsjustizamt24S , es sei sehr ZU wünschen, daß für das ganze Reich nur eine Testamentsform, und zwar die notarielle, vorgesehen werde; erwägenswert sei das eigenhändige Testament allenfalls bei Verfügungen zugunsten von Ehegatten und Kindern246 • Erst als der von der Karlsruher BGB-Kommission ausgearbeitete Entwurf einer offiziellen Stellungnahme der badischen Regierung im Justizministerium beraten wurde, gewann die Meinung Oberhand, man müsse sich für das eigenhändige Testament einsetzen. Entscheidend dürfte in diesem Stadium das energische Drängen Dorners gewesen sein. Obwohl der Fragenkatalog, den der Reichskanzler den Bundesregierungen vorgelegt hatte, die Testamentsformen, wohl um keine schlafenden Hunde zu wecken, gar nicht erwähnte, ließ man es sich schließlich nicht nehmen, in einem Anhang "praktisch besonders wichtiger"

240 W.SchubeT1 (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Erbrecht, BerlinlNew York 1984, I, 37 (§ 168),516 ff. (Motive).

>AI § 1914 E I und dazu Motive (Fn.207), V, 258. 2.Kommission: § 2207 E 2 (revidierte Fassung) und dazu Protokolle (Fn.I44), V, 357 ff. 2A2

Badische Kommission V (Fn.71), 10.

2Al

A.Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, I.Auft., Tübingen 1900,

233 ff.

... Badische Kommission VI (Fn.71) enthält keinen Abänderungsantrag zugunsten des eigenhändigen Testaments. Badische Kommission vm (Fn.76), 69 spricht sich sogar gegen Formerleichterungen für im Testament vorbehaltene "Nachzettel" aus. 2A'

Sächsisches Archiv für Bürgerliches Recht und Prozeß I (1891), 181 .

.... In Anlehnung an § 2115 des Sächsischen BGB.

5. Erbrecht

77

Punkte festzustellen:z47, die Aufrechterhaltung des eigenhändigen Testaments, welches sich "in Baden durchaus bewährt" habe, müsse "für dringend wüoschenswerth erklärt werden". Was die eigentlichen Sachgründe für dieses Petitum waren, läßt sich anband der vorhandenen Archivmaterialien im einzelnen nicht mehr aufklären. Man geht jedoch wohl kaum fehl in der Annahme, daß auch hinter ihm wie hinter so manchem anderen badischen Änderungswunsch u.a. der Wille stand, die Bodenzersplitterung in erträglichen Grenzen zu halten: Kostspielige, umständliche und der Geheimhaltung nicht förderliche Testamentsformen hätten zwangsläufig dazu führen müssen, daß die mißtrauische und schwerfällige Bevölkerung auf dem Lande zunehmend weniger testierte und es beim Anfall des Hinterlassenen an eine Mehrzahl von Erben beließ. Von einem übergeordneten Standpunkt aus betrachtet, fügte sich die Parteinahme für das eigenhändige Testament auch gut in die sonstigen grundlegenden badischen Änderungswüosche zum EI, denen durchgehend die freiheitlichen Prinzipien des Code zugrunde lagen. Denn sehr zu Recht hatte Crome in seiner glänzenden Bearbeitung von Zachariaes Handbuch zum französischen Zivilrecht den Satz aufgestellt: "Das eigenhändige Testament ist, als Erweiterung der bürgerlichen Freiheit, von unschätzbarem Werthe. ":z.48 Nicht viel Gutes war nun allerdings für die badische Seite von den Verhandlungen der 2. BGB-Kommission in Berlin zu erwarten, hatte doch selbst ihr Kommissionsvertreter Gebhard in seinem Expose zu den Änderungswüoschen der Großherzoglichen Regierung2"9 unter Berufung auf Bingner geäußert, die Gründe, die gegen die Zulassung des eigenhändigen Testaments sprächen, seien seines Erachtens überwiegend. Als in der Tat auch der 2. BGB-Entwurf auf der Exklusivität von gerichtlichem und notariellem Testament beharrte, begann man in Karlsruhe zu resignieren. Die eigene BGB-Kommission überging in ihrem Gutachten diesen Punkt, eine Haltung, die sich dieses Mal auch die Regierung in ihren offiziellen Bemerkungen zum 2. Entwurf zu eigen machte. Nachdem aber bekannt geworden war, daß Bayern, durch die positiven Erfahrungen seines pfälzischen Landesteils umgestimmt, im Bundesrat die Aufnahme des eigenhändigen Testaments beantragen werde, instruierte man v.Jagemann, mit Bayern zu stimmen. Bei der Abstimmung im zuständigen Ausschuß des Bundesrates war

.., Bemerkungen E I (Fn.80), 20. Die Entscheidung für eine Stellungnahme zugunsten des eigenhändigen Testaments war in der im lustizministerium abgehaltenen Sitzung v. 21.11.1890GLA 234/3548, AS. 239 - gefallen. >AI C.S.Zachariae v.lingenlhal/C. Crome, Handbuch des franzäsischenCivilrechts, IV, 8.Aufl., Freiburg 1895, 280 Fn.l. Allgemein "Über den Freiheitsgedanken im Code civil und Badischen Landrecht" Federer, Deutsche Rechts-Zeitschrift I (1946),7 tT.

... S.o. Fn.97.

78

V. Inhaltliche Wünsche Badens für die Ausgestaltung des BGB

freilich gegen die geschlossene norddeutsch-sächsische Front nicht durchzukommen. Spannend wurden dann die Verhandlungen im Reichstag, dessen Plenum den BGB-Entwurf nach kurzer erster Lesung einer aus 21 Mitgliedern bestehenden Kommission übetwies. Mehrfach kommt v.Jagemann in seinen Berichten über die Sitzungen dieser Kommission auf das weitere Schicksal des eigenhändigen Testaments zu sprechen, das ihm offenbar sehr am Herzen lag und bei dessen schließlicher Durchsetzung er eine wichtige, wenn nicht die zentrale Rolle spielte. Am 27.4.1896 schreibt v.Jagemann an den ihm vorgesetzten Minister des Großherzoglichen Hauses und der Auswärtigen Angelegenheiten2S0 : Es sei sicher, daß im weiteren Fortgang der Beratungen verschiedene Kommissionsmitglieder aus dem Gebiet des französischen Rechts, "ohne Rücksicht der ParteisteIlung" ,den Umständen nach insbesondere Nationalliberale und Zentrumsangehörige, Anträge zugunsten des eigenhändigen Testaments stellen würden. Nieberding, der Staatssekretär im Reichsjustizamt, habe ihm im vertraulichen Gespräch gesagt, es sei ihm persönlich ganz gleichgültig, wenn die Reichstagskommission einen entsprechenden Beschluß fasse. Zugleich gehe aus diesem Gespräch hervor, "daß es Baden in keiner Weise von der Reichsvetwaltung verübelt würde", wenn es beim" Auftauchen dieser Frage" in der Reichstagskommission durch seine Berliner Stellung "eine dem eigenhändigen Testament günstige Erklärung" abgebe. "Bezüglich des Mißbrauchs dieser Testamentsform von klerikaler Seite zur Etwirkung geheimer Zuwendungen im Gegensatz zum Familieninteresse" sei Nieberding der Meinung, daß für diese Frage die Testamentsform in Wahrheit gar keine Rolle spiele, da das mystische Testament diesen Mißbrauch fast ebensosehr ermögliche. Sowohl Gebhard, inzwischen einer der Kommissare des Bundesrates für die Reichstagsverhandlungen, als auch der Freiburger Zentrumsabgeordnete MarbelS I - außer v.Jagemann die einzigen Badener, die an den Beratungen der Reichstagskommission teilnahmen seien "von dem entschiedenen Wunsche beseelt, diese Testamentsform zu erhalten". Er, v.Jagemann, zweifle nicht, daß "in weiten Kreisen der Bevölkerung Badens der Verlust des eigenhändigen Testaments schwer empfunden würde". Bei dieser Lage ersuche er um Weisung, wie er sich in dieser Frage gegebenenfalls verhalten solle. - Aus welchen Gründen Gebhard seine Position um 180 Grad geändert hatte, läßt sich nicht mehr aufklären. Möglich und zugleich bezeichnend für seine Haltung wäre, daß er ursprünglich weniger aus sachlichen Gründen als wegen der anfangs strikten Gegnerschaft Preußens sich gegen das

2>0

GLA 233/13996.

2'1

S.o. Fn.2I1.

5. Erbrecht

79

eigenhändige Testament aussprach und nun, nach der nur noch äußerlichen Ablehnung durch Preußen, eine Zustimmung als gefahrlos ansah. Mit Erlaß vom 18.5.189(i2S2, dessen Inhalt einer zuvor eingeholten gutachtlichen Äußerung des Justizministeriums entsprach, setzte das Ministerium des Großherzoglichen Hauses und der Auswärtigen Angelegenheiten v.Jagemann davon in Kenntnis, daß die großherzogliche Regierung nach wie vor die Erhaltung des eigenhändigen Testaments für wünschenswert halte. Er werde daher ersucht, "eintretenden Falles entschieden für die Erhaltung dieser Testamentsform Stellung zu nehmen, sofern die Zulassung derselben als gemeines Recht erreichbar" sei. Dagegen erachte es die großherzogliche Regierung für "unthunlich und unpolitisch", diese Testamentsform durch Vorbehalt für die Landesgesetzgebung zu retten. Wider Erwarten hatte die Kommission jedoch schon in der Sitzung vom 16.5.1896 mit der Beratung des 5. Buches begonnen, und zwar unter Vorwegnahme der Anträge zum eigenhändigen Testament. Obwohl noch nicht im Besitz der soeben skizzierten formellen Instruktion, ergriff v.Jagemann, ebenso wie sein bayerischer Kollege Heller, Partei für die gestellten Abänderungsanträge2S3 : In Baden habe die Einführung dieser Form zu Anfang des Jahrhunderts, "obwohl es damals mit dem Lesen und Schreiben bei der Bevölkerung des Landes noch ziemlich schlecht bestellt gewesen sei, doch keine Schwierigkeiten hervorgerufen". Wenn die "nun allgemein in die Rechtssitte eingebürgerte Form" wiederum beseitigt werden sollte, bestehe die Gefahr, daß in der Übergangszeit, bis die Bevölkerung sich an die neuen strengeren Formen gewöhnt habe, vielfach ungültig testiert werde. Obwohl in dieser Sitzung die Vertreter der Bundesratsmehrheit sich erneut für die Exklusivität der gerichtlichen und notariellen Form aussprachen, wurde das eigenhändige Testament mit 12 : 8 Stimmen angenommen. In seinem Bericht über die Sitzun~ betonte v.Jagemann erneut, daß der Beschluß selbst dem Reichsjustizamt nicht unangenehm sei, da Nieberding davon ausgehe, daß die Versagung dieser Form das einzuführende Gesetzbuch in den Rheinlanden unpopulär machen würde. Auch

=

GLA 233/13996.

Bericht der Reichstags-Kommission über den Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs und Einfiihrungsgesetzes nebst einer Zusammenstellung der Kommissionsbeschlüsse, Berlin 1896, 319 f. - Zu korrigieren ist die Feststellung von E.R.Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789,01: Bismarck und das Reich, 3.Aufl., StuttgartlBerlinIKölnlMainz 1988, 850: "Doch hat niemals ein Bundesratsbevollmächtigter im Reichstag das Wort ergriffen, um der Opposition seiner Regierung gegen die Bundesratsmehrbeit Ausdruck zu verleihen. " 2Jl

2'4

Schreibenv. 17.5.1896,GLA233113996.

80

V. Inhaltliche Wünsche Badens für die Ausgestaltung des 8GB

der preußische Justizminister 2S5 habe ihm gesagt, er meine, man solle den Beschluß passieren lassen. Noch waren freilich nicht alle norddeutsch-preußischen Widerstände überwunden. v.Jagemann berichtete am 2.6.1896 nach Karlsruhe, "eine der eigenthümlichsten Unterströmungen gegen das Gesetz" sei die "fiskalische". In eingeweihten Kreisen erachte man als "letzten Autor" eines in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung erschienenen Artikels gegen das eigenhändige Testament den preußischen Finanzminister, welcher "so wie gegen diese das StaatsgebührenEinkommen mindernde Geschäftsform" auch gegen andere fiskalisch unwillkommene Kommissionsbeschlüsse, namentlich die unbegrenzte Ausdehnung der Verwandtenerbfolge, Stellung bezogen habe. Allerdings sei der Reichskanzler "für das eigenhändige Testament gewonnen" und die Majorität ihm im preußischen Staatsministerium gesichert. - Zwei Tage später beschloß das preußische Staatsministerium, gegen das holographische Testament nur noch "mäßigen Widerstand" zu leisten. 2S6 Die endgültige Entscheidung fiel in der Plenarsitzung des Reichstags vom 27.6.1896. Es lagen Anträge von Mitgliedern der Freisinnigen Volkspartei und der Deutsch-konservativen Partei vor 251, den Beschluß der Reichstagskommission zu verwerfen und zum Formen-Regime des 2. BGB-Entwurfs zurückzukehren. Nach Informationen, die v.Jagemann am Tag vor dieser Sitzung von Bachem2S8 , einem führenden Vertreter des Zentrums aus dem Rheinland, erhalten hatte, schien das eigenhändige Testament wieder ernsthaft getährdet 259 • Nachdem die bei den ersten Redner sich gegen das eigenhändige Testament ausgesprochen hatten, ergriffv.Jagemann das Wort zu einer längeren, sachkundigen und mehrfach von Zustimmungsäußerungen unterbrochenen Rede2liO • In seinem Bericht nach Karlsruhe2S9l heißt es, er habe "viel Glück" gehabt, es seien "mehrere Gegner in letzter Minute umgefallen". Diese Entwicklung habe die Vertreter einzelner Regierungen, welche entschieden gegen diese Testamentsform seien, namentlich die des Königreichs Sachsen, dazu veraniaßt, den Staatssekretär im Reichsjustizamt zu drängen, daß er etwas gegen das eigenhändige Testament



Karl Heinrich Schönstedt (1894-1905 preußischer lustizminister).

2>6

Schuhen (Fn.34), 412.

m

Antragsteller: v.Buchka und Lenzmann; zu beiden lohnel (Fn.53), 117, 120.

m

Zu ihm: Riuhaler, Neue Deutsche Biographie, I, Berlin 1953,494.

Dazu und zum Folgenden: Schreiben v Jagemanns an das Ministerium des Großherzoglichen Hauses und der Auswärtigen Angelegenheiten v. 27.6.1896, GLA 233/13996. 2'"

200 Erste, zweite und drine Berathung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs im Reichs· tage, Stenographische Berichte, Berlin 1896,728-732.

5. Erbrecht

81

sage, obwohl dieser am liebsten geschwiegen und ihn, v.Jagemann, allein hätte machen lassen. In der Tat weist das Protokoll des Reichstags als nächsten Redner nach v.Jagemann Nieberding aus, der nicht nur Staatssekretär des Reichsjustizamtes, sondern gleichzeitig preußischer Interessenvertreter beim Bundesrat war. Seine kurze und etwas laue Erklärung, deren wesentlicher Inhalt dahin ging, daß die verbündeten Regierungen in ihrer Mehrheit nach wie vor auf ihrem ablehnenden Standpunkt stünden, konnte freilich den Reichstag nicht mehr umstimmen. Das eigenhändige Testament wurde nach einigen weiteren Debattenbeiträgen mit großer Mehrheit angenommen 26l • v.Jagemann hatte ein Dreifaches erreicht: Er hatte Karlsruhe gezwungen, Farbe zu bekennen und ihm eine förmliche Instruktion zu erteilen, so daß er als offizieller Vertreter Badens auftreten konnte. Das war auch für die Stimmung im Reichstag wichtig, da man dort nicht das Gefühl haben mußte, gegen eine geschlossene Front des Bundesrats doch nichts ausrichten zu können. Er hatte zweitens durch seine überzeugenden Reden dazu beigetragen, daß im Reichstag eine Mehrheit für das eigenhändige Testament zustande kam. Und schließlich das Wichtigste: Er hatte durch seine Gespräche mit den Vertretern Preußens den Anführer der Ablehnungsfront zum Nachgeben bewogen, so daß schließlich auch der Bundesrat dieser Testamentsform zustimmte. In richtiger Einschätzung der in Karlsruhe herrschenden Mentalität wußte er, daß die badische Regierung nie bereit gewesen wäre, im Reichstag gegen ein fest entschlossenes Preußen Position zu beziehen.

26. Das die Annahme venneldende Telegramm v Jagemanns v. 29.6.1896 (GLA 233/13996) ist im Ministerium des Großherzoglichen Hauses und der Auswärtigen Angelegenheiten an der das eigenhändige Testament betreffenden Stelle mit blauer Farbe dick unterstrichen worden. Auf der Rückseite ist vennerkt: "Mit dem Bemerken zu den Akten, daß dem lustizministerium (z.H. des Hm. Geh.Ob-RegRaths Heß mit der Bitte um Verstaendigung der anderen Herren) sofort Abschrift zugesandt wird.'

VI. Zusammenfassung Fremdrechtsfreundlich im Internationalen Privatrecht, überwiegend sozialpolitisch motiviert im Schuld- und Grundstücksrecht, gemäßigt antikonfessionell im Familienrecht, an den freiheitlichen Prinzipien des Code civil orientiert im Erbrecht: So präsentieren sich uns die badischen Wünsche für die inhaltliche Gestaltung des BGB. Insgesamt stellen sie eine Verbindung sozialer und liberaler Elemente dar. In Sachen Liberalismus brauchte die badische Regierung keinen Nachhilfeunterricht. Hier hatte sie in den letzten Jahrzehnten vor der Reichsgründung sogar eine Art Vorreiterrolle gespielt, so daß insoweit unser Ergebnis den Kenner gewiß nicht überrascht. Aber es bleibt dennoch beachtlich, mit welchem Selbstvertrauen man sich in Karlsruhe etwa mit dem neuen Grundpfandrecht, verkehrsfreundlich wie es war, nicht nur abfand, sondern anfreundete, mit welcher Zähigkeit man noch in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts den klerikalen Einfluß auf das Familienrecht zurückzudrängen suchte. Was den sozial inspirierten Teil der Forderungen angeht, so darf man sich die Sache keineswegs in der Weise vorstellen, als ob die großherzogliche Regierung der Ideenwelt der Sozialdemokratie nahegestanden hätte: Nicht als ob die Arbeiterschaft und ihre Interessen gar keine Beachtung gefunden hätten; daß man bei den Forderungen nach Verschärfung des Schadensersatzrechts nicht zuletzt an sie dachte, zeigt das erwähnte Urteil des RG2I!2, das eine Auseinandersetzung zwischen Arbeiter und Fabrikant zum Gegenstand hatte; zeigen ferner die Anregungen für den Abzahlungskaufund das Gesinderecht263 • Aber der Schwerpunkt lag doch unverkennbar im Schutz des kleinen Grundbesitzers, des bäuerlichen Pächters, des mittelständischen Handwerkers, die man nicht den Gefahren einer schrankenlosen Privatautonomie aussetzen und mit den Hürden einer übertrieben umständlichen Bürokratie konfrontieren wollte. Das Verständnis dieser Zusammenhänge erfordert es, sich das in Baden massenhaft verbreitete Phänomen des sog. "Arbeiterbauern" vor Augen zu führen: Ein außerordentlich großer Prozentsatz der badischen Arbeiterschaft bezog zugleich agrarische Nebeneinkommen, war Haus- und Grundbesitze~. Und die reine Industriearbei-

262 s.o. Fn.I40. ,., s.o. Fn.133 u.

Fn.147 (Baden haue ein relativ soziales Gesinderecht, vgl. das einschlägige Gesetz v. 3.2.1868, abgedruckt bei Kah - 0.Fn.200 -, Anhang 13, 3).

VI. Zusammenfassung

83

terschaft, die eine derartige, wenn auch noch so minimale, agrarische oder sonstige kleingewerbliche Absicherung nicht besaß, war in Baden schon früh ins Blickfeld einer relativ fortschrittlichen Sozialpolitik gelangt26S • Beides, Arbeiterbauerntum und fortschrittliche Sozialpolitik, hatte dazu beigetragen, daß die Lage der Arbeiterschaft in Baden einigermaßen erträglich war, größere soziale Spannungen und Arbeitskämpfe ausblieben und die Sozialdemokratie weit weniger klassenkämpferisch auftrat (bei Wahlen allerdings auch schlechter abschnitt266) als in anderen Teilen des Reiches. So richtig die ebenso weitverbreitete267 wie pauschale Behauptung, der partikulare Einfluß auf das BGB sei inhaltlich überwiegend konservativer, feudalistischer, autoritärer und bürokratischer Natur gewesen, für einige deutsche Bundesstaaten sein mag (wenngleich eindeutige Beweise in dieser Richtung noch ausstehen), so wenig trifft dieses Urteil nach alledem auf Baden zu. Die badischen Verhältnisse verfehlt auch jenes andere Urteil, welches den Eindruck zu erwecken versucht, als hätte sich die Mitwirkung der Bundesstaaten darin erschöpft, möglichst viele landesrechtliche Vorbehalte im Einführungsgesetz unterzubringen. Kein anderer der größeren deutschen Bundesstaaten hat so wenige landesrechtliche Vorbehalte beantragt wie Baden, kein anderer im Bundesrat so oft gegen die entsprechenden Anträge anderer Bundesmitglieder gestimmt, kein anderer so oft eine reichseinheitliche Lösung verlangt in Punkten, in denen die BGB-Kommissionen von sich aus die Regelung den Bundesstaaten überlassen wollten. Was für die Politik Badens im allgemeinen gilt, läßt sich auch von seiner Mitwirkung am BGB sagen: Sie war eindeutig unitarisch 260 w. Boelcke, Sozialgeschichte Baden-Württembergs 1800-1989, StuttgartlBerlinfKöln 1989, 217 fT.; On (Fn.47), 127; F.Kistler, Die wirtschaftlichen und sozialen Vemältnisse in Baden 18491870, Freiburg 1954, 194.

26' Von zentraler Bedeutung war hier die sog. "Fabrikinspektion" ,nach der Reichsgewerbeordnung 1878 in allen Bundesstaaten des Reiches obligatorisch eingefiihrt mit dem Zweck, die Einhaltung der AIbeiterschutzbestimmungen zu gewährleisten. Die badische Variante der Fabrikinspektion, die weit über die bloße Überwachung der Arbeiterschutzbestimmungen hinausging, hat einen Rang erlangt, der sogar international AnerkeMung fand, vgl. On (Fn.47), 118, Boelcke (Fn. 264), 199 f., W.Bocks, Die badische Fabrikinspektion: Arbeiterschutz, AIbeiterverbältnisse und AIbeiterbewegung in Baden 1879-1914, FreiburgfMünchen 1978. 266 F.L. Sepaintner, Die Reichstagswahlen im Großherzogtum Baden, Frankfurta .M .IBern 1983, 220. Vgl. ferner J.SchadJ, Die Sozialdemokratische Partei in Baden, Von den Anfängen bis zur lahmundertwende (1868-1900), Hannover 1971; H.-J.Franzen, Auf der Suche nach politischen Handlungsspielräumen, Die Diskussion um die Strategie der Partei in den regionalen und lokalen Organisationen der badischen Sozialdemokratie zwischen 1890 und 1914, Frankfurt a.M .IBern 1987; K.ElslJsser, Die badische Sozialdemokratie, 1890 bis 1914, Marburg 1978. 2Ii1

480.

Vgl. etwa F. Wieacker, Privatrcchtsgeschichteder Neuzeit, 2.Aufl., Göttingen 1967,471 f.,

84

VI. Zusammcnfa88Ung

ausgerichtet. Baden erklärte sich nicht selten sogar bereit, auf eigene inhaltliche Vorstellungen zugunsten anderer Lösungen zu verzichten, wenn eine reichseinheitliche Regelung nur dadurch erreichbar schien. In der Literatur, die sich mit dem Anteil der Bundesstaaten an der Entstehung des BGB beschäftigt, stößt man vielfach auf die Behauptun~, die wesentliche Frontlinie im Bundesrat sei zwischen Preußen auf der einen Seite und den süddeutschen Staaten auf der anderen Seite verlaufen. Eine geschlossene süddeutsche Opposition gegen die Präsidialmacht Preußen - ein Bild, mit dem man im Bereich des Privatrechts gern das Gegensatzpaar konservativ = süddeutsch, liberal = preußisch verbindet - hat es jedoch in Wirklichkeit nicht gegeben. Denn Baden stellte sich in den meisten Punkten, in denen es zu einem Konflikt zwischen Preußen sowie Bayern und Württemberg kam, auf die Seite Preußens bzw. des von diesem beherrschten Reichsjustizamts. Die Ausnahmen von dieser Regel lassen sich an einer Hand abzählen; sie finden sich etwa im Grundstücksrecht (und selbst hier nur in untergeordneten Details) oder beim eigenhändigen Testament.

Eine kompromißlos unitarische Einstellung verbunden mit vorbehaltloser Anerkennung der Hegemonialrolle Preußens führte aber auch dazu, daß der Einfluß Badens und damit des französischen Rechts auf die Gestaltung des BGB insgesamt eher bescheiden blieb269 • Beim geringsten preußischen Widerstand warf man in Karlsruhe selbst die berechtigtsten Forderungen über Bord. Mochten preußische Bedenken noch nicht einmal offen oder definitiv ausgesprochen sein - Baden trug ihnen in vorauseilendem Gehorsam Rechnung. Sogar das eigenhändige Testament war man drauf und dran preiszugeben, und nur dem persönlichen Einsatz v.Jagemanns und der unter der Hand ausgesprochenen Einwilligung Preußens ist es zuzuschreiben, daß die Karlsruher Regierung sich in der Endph8S(; der Beratungen für diese in der Bevölkerung verwurzelte Testamentsform offen einsetzte. Baden hätte - das bayerische Beispiel zeigt es - viel mehr erreichen können, als es tatsächlich erreicht hat, wenn es nur nicht vor jedem preußischen Stirnrunzeln alsbald ins Mäuseloch gekrochen wäre. Die Einstellung zum BGB stellte das getreue Spiegelbild der allgemeinen badischen Politik jener Jahrzehnte dar. Bezeichnend sind in ihrer Mischung aus sentimentalem Idealismus und unverhohlenem Neid auf die Bevorzugung der weniger

201 Schuhen, Bayern und das Bürgerliche Gesetzbuch (Fn.35), XI; Kroeschell, JZ 1985, 570 (571). Daß eine süddeutsche Koalition gegen Preußen im Bundesrat auch sonst selten zustande kam, zeigt H.K.Reichen, Baden am Bundesrat 1871 bis 1890, Diss. Heidelberg 1962 (232 S.), 138, 140. 269 Zum relativ geringen Einfluß des französischen Rechts auf das 8GB vg\. auch Boehmer, Der Einfluß des Code Civil auf die Rechtsentwicklung in Deutschland, AcP 151 (1950/51),289

(306 tT.).

VI. Zusammenfassung

85

bescheidenen Bundesratsgenossen die kurz nach Verabschiedung des BGB im Reichstag gemachtenZlO Äußerungen des badischen Ministers v . Brauer gegenüber dem preußischen Gesandten in Karlsruhe27l : "Der Großherzog ist von jeher bemüht gewesen, den Partikularismus in seinem Lande zu bekämpfen und auf das richtige Maß zurückzuführen. Dadurch ist Baden für die Reichsregierung ein sehr bequemes Land geworden, auf das man an der Zentralstelle keine besondere Rücksicht zu nehmen braucht. Für Württemberg und Bayern dagegen gilt das Sprichwort: Einem bösen Hunde gibt man zwei Stück Brot. "212 Wenn in Baden die zentripetalen Kräfte überwögen, so sei dies "dem persönlichen Einfluß des Großherzogs und der Regierung zuzuschreiben, welche über ein seit 25 Jahren vortrefflich geschultes, niemals frondierendes Beamtentum273 verfügt. Dazu kommen die loyalen Gesinnungen des Richterstandes, welcher sich mit den besten und zuverlässigsten Schichten der badischen Bevölkerung ergänzt. In Bayern und Württemberg liegen die Verhältnisse weniger günstig. "

%70

wenngleich nicht konkret auf das BGB bezogenen.

271 H.-J.Knmer (Hrsg.). Das Großherzogturn Baden in der politischen Berichterstattung der preußischen Gesandten 1871-1918, Erster Teil: 1871-1899,Stuttgart 1990, 629 (Nr.635: Bericht des Gesandten Wangenheim v. 6.7.1896).

272

Das erinnert fatal an Karl Kraus' Worte von den "Rentabilitätsgrenzen der Feigheit".

27' Vgl. dazu H.-G.Merz. Beamtenturn und Beamtenpolitik in Baden, Studien zu ihrer Geschichte vom Großherzogturn bis in die Anfangsjahre des nationalsozialistischen Herrschaftssystems, FreiburglMünchen 1985.; J.v.MaUer, Der öffentliche Dienst in Baden im 19. Jahrhundert, Diss. Heidelberg 1974 (141 S.).