Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende: Strukturelle Voraussetzungen, Formen und Folgen gesellschaftlicher Koordinationsprozesse 9783839463017

Angesichts der Klimakrise ist die Frage nach gesellschaftlicher Reaktionsfähigkeit auf ökologische Gefährdungen aktuelle

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Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende: Strukturelle Voraussetzungen, Formen und Folgen gesellschaftlicher Koordinationsprozesse
 9783839463017

Table of contents :
Inhalt
Danksagung
1 Die systemtheoretische Perspektive auf gesellschaftliche Koordinationsprozesse: Gesellschaftliche Abstimmung als Problem
2 Die Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme: Luhmanns Begriff systemischer Resonanz
Einleitung
2.1 LUHMANNS RESONANZBEGRIFF
2.2 DIE DREI DIMENSIONEN SYSTEMISCHER RESONANZ: RESONANZFÄHIGKEIT, RESONANZEN UND RESONIEREN
2.3 DIE ‚UMWELT‘ DES SYSTEMS
2.4 DIE ERSTE DIMENSION SYSTEMISCHER RESONANZ: RESONANZFÄHIGKEIT
2.5 DIE ZWEITE DIMENSION SYSTEMISCHER RESONANZ: RESONANZEN
2.6 DIE DRITTE DIMENSION SYSTEMISCHER RESONANZ: RESONIEREN
2.7 FAZIT: BESTIMMUNGEN UND LEERSTELLEN DES LUHMANNSCHEN RESONANZBEGRIFFS ALS BESCHREIBUNG DER UMWELTOFFENHEIT OPERATIV GESCHLOSSENER SYSTEME
3 Die systemtheoretische Konzeptualisierung systemischer Resonanz
3.1 ANALYTISCHER ZUGANG ZU SYSTEMISCHEN ERWARTUNGSSTRUKTUREN
3.2 KONZEPTUALISIERUNG DER ERSTEN DIMENSION SYSTEMISCHER RESONANZ: RESONANZFÄHIGKEIT
3.3 KONZEPTUALISIERUNG DER ZWEITEN DIMENSION SYSTEMISCHER RESONANZ: RESONANZEN
3.4 KONZEPTUALISIERUNG DER DRITTEN DIMENSION SYSTEMISCHER RESONANZ: RESONIEREN
3.5 ZUSAMMENFÜHRUNG DER DREI RESONANZDIMENSIONEN ZU EINEM ANALYTISCHEN KONZEPT SYSTEMISCHER RESONANZ
3.6 FAZIT: RESONANZ ALS ANALYTISCHES KONZEPT ZUR BESCHREIBUNG DER UMWELTOFFENHEIT OPERATIV GESCHLOSSENER SYSTEME
4 Vom systemtheoretischen Konzept zur empirischen Analyse systemischer Resonanz
4.1 VON DER GESELLSCHAFTSTHEORIE ZUR EMPIRIE: SYSTEMTHEORIE UND EMPIRISCHE SOZIALFORSCHUNG
4.2 OPERATIONALISIERUNG DES RESONANZKONZEPTS: ZUR EMPIRISCHEN BEOBACHTUNG UND METHODISCH KONTROLLIERTEN REKONSTRUKTION SYSTEMISCHER RESONANZ
4.3 FAZIT: DIE EMPIRISCHE ANALYSE DER RESONANZ KONKRETER SOZIALSYSTEME
5 Illustrative Fallstudie zur Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende
5.1 DATENMATERIAL: FOKUSGRUPPENINTERVIEWS ZU CHANCEN UND HINDERNISSEN DER ENERGIEWENDE
5.2 VERFAHREN DER AUSWERTUNG: RESONANZANALYSE UNTER RÜCKGRIFF AUF KONTEXTURANALYTISCHE METHODEN
5.3 KONTEXTURANALYTISCHE REKONSTRUKTION DER WIRTSCHAFTSSYSTEMISCHEN RESONANZFÄHIGKEIT FÜR DIE ENERGIEWENDE ANHAND DES DATENMATERIALS
5.4 FAZIT: RESONANZ ALS EMPIRISCHES PHÄNOMEN
6 Systemische Resonanz als strukturelle Voraussetzung gesellschaftlicher Koordination
Literatur
Anhang

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Hannah Vermaßen Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

Sozialtheorie

Editorial Der »State of the Art« der Soziologie ist in Bewegung: zum einen durch einen tiefgreifenden Strukturwandel der (Welt-)Gesellschaft, zum anderen durch einen Wandel ihres eigenen kognitiven Repertoires, der alte theoretische Frontstellungen durch neuere Sichtweisen auf Gesellschaft und Sozialität ergänzt. Die Reihe Sozialtheorie präsentiert eine Soziologie auf der Höhe der Zeit: Beiträge zu innovativen Theoriediskussionen stehen neben theoriegeleiteten empirischen Studien zu wichtigen Fragen der Gesellschaft der Gegenwart.

Hannah Vermaßen, geb. 1987, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt.

Hannah Vermaßen

Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende Strukturelle Voraussetzungen, Formen und Folgen gesellschaftlicher Koordinationsprozesse

Die vorliegende Publikation wurde 2021 von der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-n b.de abrufbar.

© 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Bild von Peter Janetschke auf Pixabay Gestaltung der Abbildungen: Doris Söderberg. Kontakt: [email protected] Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839463017 Print-ISBN 978-3-8376-6301-3 PDF-ISBN 978-3-8394-6301-7 Buchreihen-ISSN: 2703-1691 Buchreihen-eISSN: 2747-3007 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

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Die systemtheoretische Perspektive auf gesellschaftliche Koordinationsprozesse: Gesellschaftliche Abstimmung als Problem ….………………………………………………………….9

2

Die Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme: Luhmanns Begriff systemischer Resonanz …………..………….23

2.1 Luhmanns Resonanzbegriff …………………………………………….....30 2.2 Die drei Dimensionen systemischer Resonanz: Resonanzfähigkeit, Resonanzen und Resonieren…………………………………………….....31 2.3 Die ‚Umwelt‘ des Systems………………………………………………...34 2.4 Die erste Dimension systemischer Resonanz: Resonanzfähigkeit………...40 2.5 Die zweite Dimension systemischer Resonanz: Resonanzen……………...53 2.6 Die dritte Dimension systemischer Resonanz: Resonieren……………......63 2.7 Fazit: Bestimmungen und Leerstellen des luhmannschen Resonanzbegriffs als Beschreibung der Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme………………………………………………….....66 3

Die systemtheoretische Konzeptualisierung systemischer Resonanz …………………………………………….71

3.1 Analytischer Zugang zu systemischen Erwartungsstrukturen………………………………….………………......72 3.2 Konzeptualisierung der ersten Dimension systemischer Resonanz: Resonanzfähigkeit…………………………………………………….…...85 3.3 Konzeptualisierung der zweiten Dimension systemischer Resonanz: Resonanzen……………………………………………………………….126 3.4 Konzeptualisierung der dritten Dimension systemischer Resonanz: Resonieren………………………………………….…………………….151 3.5 Zusammenführung der drei Resonanzdimensionen zu einem analytischen Konzept systemischer Resonanz…...……………….181 3.6 Fazit: Resonanz als analytisches Konzept zur Beschreibung der Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme…...………………186 4

Vom systemtheoretischen Konzept zur empirischen Analyse systemischer Resonanz …………....191

4.1 Von der Gesellschaftstheorie zur Empirie: Systemtheorie und empirische Sozialforschung……………..…………………………..192 4.2 Operationalisierung des Resonanzkonzepts: Zur empirischen Beobachtung und methodisch kontrollierten Rekonstruktion systemischer Resonanz……….…………………………213 4.3 Fazit: Die empirische Analyse der Resonanz konkreter Sozialsysteme………………………………………………….219

5

Illustrative Fallstudie zur Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende …....223

5.1 Datenmaterial: Fokusgruppeninterviews zu Chancen und Hindernissen der Energiewende……………………………………..226 5.2 Verfahren der Auswertung: Resonanzanalyse unter Rückgriff auf kontexturanalytische Methoden……...................................................…..233 5.3 Kontexturanalytische Rekonstruktion der wirtschaftssystemischen Resonanzfähigkeit für die Energiewende anhand des Datenmaterials……………………………………………….………242 5.4 Fazit: Resonanz als empirisches Phänomen..……………………….……303 6

Systemische Resonanz als strukturelle Voraussetzung gesellschaftlicher Koordination ……………..….………………..309

Literatur ……………………………...…...…………………………….....319 Anhang …………………………………………..…………………………347

Danksagung

Die vorliegende Publikation wurde 2021 von der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt als Dissertation angenommen. Sie ist inhaltlich mit der eingereichten Fassung bis auf wenige redaktionelle Anpassungen identisch. Beim Schreiben dieser Arbeit habe ich von einer Vielzahl von Personen auf unterschiedliche Art und Weise Unterstützung erhalten. Ich danke André Brodocz für seine hervorragende Betreuung, die wertvolle Orientierung, seine wohltuende Unaufgeregtheit in kritischen Phasen und die stets vertrauensvolle Zusammenarbeit an der Professur. Jasmin Siri danke ich ebenfalls für ihre erstklassige fachliche Betreuung in theoretischen wie empirischen Fragen und ihr unvergleichlich ermutigendes female empowerment. Meinen Kolleg*innen an der Universität Erfurt und im BMBF-Projekt Investitionsschub für die deutsche Energiewende danke ich für fachliche wie moralische Unterstützung: meinen Kolleg*innen an der Professur für Politische Theorie Stefanie Hammer, Manuel Kautz, Lorina Buhr und Christiane Pilz; den Mitgliedern des Center for Political Practices and Orders sowie der Erfurter Forschungswerkstatt, insbesondere Andreas Anter, Hermine Bähr, Madeleine Böhm, Lena Burth, Sarah Eckardt, Ulrich Franke und Michael Güpner; den Mitarbeiter*innen im BMBF-Projekt Jahel Mielke, Hendrik Zimmermann, Christoph Bals, Saskia Ellenbeck und Nane Retzlaff. Nane Retzlaff danke ich ebenfalls für die vielen gemeinsamen Studienjahre und das minutiöse Korrekturlesen des Manuskripts, das sicherlich Nerven gekostet hat. Meiner Familie, insbesondere meinen Eltern Martina und Klaus Vermaßen, meiner Schwester Ina Vermaßen und meinem Freund Robert Fritzsch danke ich für ihre Präsenz und bedingungslose Unterstützung in allen Lebenslagen, ihr Vertrauen und ihr Interesse. Robert Fritzsch danke ich außerdem für seine ausdauernde Diskussionsbereitschaft über alle Phasen des Projekts hinweg und die Gewissheit, dass er da ist, wenn es darauf ankommt. Rio Vermaßen danke ich für den Termindruck, der nicht unwesentlich zur Fertigstellung der Arbeit beigetragen hat. Ich widme dieses Buch meinem Vater, Klaus Vermaßen, der es leider nicht mehr lesen konnte.

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Die systemtheoretische Perspektive auf gesellschaftliche Koordinationsprozesse: Gesellschaftliche Abstimmung als Problem „Wir stellen uns eine wohlgeordnete Gesellschaft üblicherweise so vor, dass die unterschiedlichen Logiken, Interessen, Intelligenzen und Problemlösungskompetenzen irgendwie kooperativ aufeinander bezogen sind […]. Genau das aber scheint immer weniger vorausgesetzt werden zu können.“ (Nassehi 2015: 139)

Bereits ein kurzer Blick in die Nachrichten – auf die aktuelle Corona-Pandemie, die seit Jahren ungelöste Situation flüchtender Menschen oder die immer spürbarer werdenden Auswirkungen des Klimawandels – macht unmissverständlich deutlich, dass sich die moderne Gesellschaft aktuell mit einer Reihe von teilweise existenziellen Risiken konfrontiert sieht. Für einen Großteil dieser Risiken gilt, dass sie zum einen ‚hausgemachte‘, durch die Gesellschaft selbst (mit-)verursachte Probleme darstellen und zum anderen, zumindest bis zu einem gewissen Grad, durch gesellschaftliches Handeln gelöst oder abgemildert werden können.1 Im Kontext solcher „Großprobleme“ (Kaldewey et al. 2015: 16) erscheint die Gesellschaft somit nicht nur als Verursacherin und Betroffene, sondern zugleich auch als Quelle für das Finden und Umsetzen potentieller Lösungen. Wie ist es aber um die Problemlösungskapazität der Gesellschaft – ihre Fähigkeit, Lösungsstrategien für gesellschaftliche Großprobleme zu entwickeln und umzusetzen – bestellt? Die Bevölkerung in Deutschland scheint diesbezüglich eher skeptisch zu sein. Dies zeigt sich etwa in repräsentativen Umfragen zum Klimawandel, der laut des Global Risks Reports des Weltwirtschaftsforums das gegenwärtig größte Risiko für die Weltgesellschaft darstellt (Franco 2020: 12). Zwischen zwei Drittel und drei Viertel der Deutschen sind der Meinung, dass sowohl sie selbst als Bürger*innen als auch Politiker*innen und Unternehmen zu wenig für den Klimaschutz tun. 2 Dabei

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Vgl. dazu z.B. Baecker (2006: 42); Mölders (2019: 9) oder Büscher (2010: 37). Repräsentative Befragung der über 18-Jährigen in Deutschland (n = 1325 Personen). Online abrufbar unter: https://de.statista.com/infografik/19554/umfrage-zum-klimapaket-der-bu ndesregierung -2019/; zuletzt abgerufen am 26.01.2021.

10 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

sieht insbesondere die junge Generation, die von den zukünftigen Auswirkungen des Klimawandels wohl am massivsten betroffen sein wird und die sich seit nunmehr über zwei Jahren im Rahmen der „Fridays for Future“-Bewegung gesellschaftlich Gehör verschafft, gerade die beiden letztgenannten Akteursgruppen – Politiker*innen und Wirtschaftsunternehmen –, in der Pflicht, sich des Problems des Klimawandels anzunehmen. Gleichzeitig vertraut nur etwa jede*r Zehnte von ihnen darauf, dass diese Akteure auch tatsächlich in der Lage sind, „das Klima retten [zu] können“. Vergleichsweise mehr Vertrauen haben sie dagegen in die Problemlösungskapazität anderer gesellschaftlicher Domänen – etwa in die Fähigkeit von Wissenschaft und Forschungseinrichtungen, der Zivilgesellschaft und selbst der älteren Generation im Allgemeinen, dem Klimawandel wirksam begegnen zu können.3 Die Gesellschaftstheorie, vor allem moderne soziologische Differenzierungstheorien, halten eine Reihe von Erklärungen für die unterschiedliche Ausgestaltung der Problemlösungskapazität verschiedener gesellschaftlicher Teilbereiche bereit. Unabhängig davon, wie gesellschaftliche Differenzierungsprozesse dabei genau gefasst werden – ob mit Durkheim als zunehmende gesellschaftliche „Arbeitsteilung“, mit Weber als „Pluralisierung von ‚Wertsphären‘“, mit Parsons beziehungsweise Luhmann als Ausbildung gesellschaftlicher Subsysteme mit spezifischen Funktionen oder mit Habermas als Auseinanderdriften von Systemen und Lebenswelt (vgl. Schimank 2007: 25–26, 98, 123; Joas/Knöbl 2020: 342–343, 355–356) – verbindet diese Theorien die Grundintuition, dass sich die moderne Gesellschaft in zunehmend autonom operierende Sphären ausdifferenziert. Jede dieser Sphären folgt einer eigenen Orientierung oder Logik, die auf spezifische Problemstellungen zugeschnitten ist und die sich nicht ohne weiteres in die Logik anderer Domänen überführen lässt. Im Hinblick auf die Problemlösungskapazität der Gesellschaft haben solche gesellschaftlichen Differenzierungsprozesse sowohl positive als auch negative Effekte. Auf der einen Seite steigern Differenzierungsprozesse die Fähigkeit der Gesellschaft unterschiedliche Problemlagen erkennen und diverse Lösungsstrategien erarbeiten zu können, indem sie die zunehmende Spezialisierung – den Aufbau interner Komplexität – innerhalb der verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereiche begünsti-

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Repräsentative Befragung unter den 14 bis 25-Jährigen in Deutschland (n=1102). Online abrufbar unter: https://www.sinus-institut.de/veroeffentlichungen/meldungen/detail/news/ klimaschutz-umfrage-die-jugend-fuehlt-sich-im-stich-gelassen/news-a/show/news-c/News Item/; zuletzt abgerufen am 26.01.2021. Aus einer Liste verschiedener gesellschaftlicher Akteure oder Bereiche wählten 69% beziehungsweise 49% Prozent der Befragten „Politiker/Parteien“ beziehungsweise „Unternehmen/Wirtschaft“ als die beiden zentralen gesellschaftlichen Akteure aus, die ihrer Meinung nach „etwas für den Klimaschutz tun“ müssten. Andere gesellschaftliche Domänen sahen die Befragten dagegen weniger in der Bringschuld: Wissenschaft und Forschungseinrichtungen, die ältere Generation im Allgemeinen sowie Umwelt- und Tierschutzvereine wurden nur von zwischen 10 bis 13% der Befragten ausgewählt. Letzteren Institutionen vertrauen die Befragten jedoch stärker, „dass sie das Klima retten können“: Für Wissenschaft/Forschungseinrichtungen und Zivilgesellschaft gaben jeweils 73% der Befragten an, dass sie diesen Einrichtungen diesbezüglich sehr bis etwas vertrauen. Für die Bereiche Politik und Wirtschaft gilt dies nur für 22% beziehungsweise 32% der Befragten.

1. Gesellschaftliche Abstimmung als Problem | 11

gen. Weil sich etwa die Wissenschaft in der Regel weder um die politische oder wirtschaftliche Bedeutung noch um die religiösen Implikationen ihrer Erkenntnisse zu kümmern braucht, kann sie sich allein auf die korrekte wissenschaftliche Unterscheidung von wahren und falschen Aussagen konzentrieren. Dies hat die wissenschaftsinterne Ausbildung zahlreicher Disziplinen mit je eigenem Erkenntnisinteresse und darauf zugeschnittene Theorien und Methoden ermöglicht, die sich der Erforschung von teils sehr spezifischen Problemstellungen widmen können. Ähnliches gilt für andere Teilbereiche der Gesellschaft: Im politischen System werden die unterschiedlichsten Interessen in der Form von Parteien oder zivilgesellschaftlichen Gruppen organisiert, das Rechtsystem mit seinen zahlreichen Anwendungsbereichen bietet Prozeduren für so gut wie jeden Konfliktfall an, und auch im Wirtschaftssystem bemühen sich unzählige Unternehmen darum, die diversen Präferenzen ihrer Kund*innen möglichst passgenau zu bedienen. Wie Niklas Luhmann (1991a: 59) konstatiert, bewirkt gesellschaftliche Differenzierung also einerseits, dass sich „das Komplexitätsgefälle zwischen System und Umwelt verändert in der Richtung, daß komplexere und zugleich voraussetzungsvollere Gesamtsysteme entstehen, die eine komplexere relevante Umwelt haben können, das heißt mit mehr möglichen Zuständen der Welt kompatibel sind“. Auf der anderen Seite führt der Aufbau von systemspezifischer Komplexität und Problemlösungskompetenz innerhalb der verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereiche nicht automatisch auch zu einer Steigerung der Problemlösungskapazität der Gesellschaft als Ganze. Im Gegenteil scheint es eher so, dass mit der zunehmenden Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilbereiche zugleich deren Fähigkeit abnimmt, aufeinander Rücksicht zu nehmen und – etwa im Hinblick auf die Bearbeitung gesellschaftlicher Großprobleme – ihre je spezifischen Problemdiagnosen und Lösungsstrategien zueinander in Bezug zu setzen. Dass die „unterschiedlichen Logiken, Interessen, Intelligenzen und Problemlösungskompetenzen“ der gesellschaftlichen Teilsysteme im Sinne einer gesellschaftlichen Arbeitsteilung organisiert und „irgendwie kooperativ aufeinander bezogen sind“, scheint daher „immer weniger vorausgesetzt werden zu können“ (Nassehi 2015: 139). Aus diesem Grund gibt auch Luhmann (1991a: 60) zu bedenken, dass die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in autonome, aber für die Belange außerhalb ihrer spezialisierten Perspektive zunehmend blinde Sphären selbst wiederum gewisse Risiken birgt: Die verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereiche laufen Gefahr, durch ihre immer stärker ausgeprägte ausschließliche Orientierung an den eigenen Relevanzen und Rationalitäten ihr „inneres Maß“, also „ihren Bezug auf geschichtlich ausgereifte, gesamtgesellschaftlich ausgeglichene und Norm gewordene Erfordernisse“ zu verlieren. Oder, wie Nassehi (2015: 139; vgl. auch ebd.: 141) es ausdrückt: „Die Perspektiven und Logiken verlieren letztlich ihre Orientierung am Ganzen“. Eben „[w]eil sich Politik um Wiederwahl bemühen muss, die Wirtschaft letztlich an Zahlungen interessiert ist und die Wissenschaft rücksichtslos nach Erkenntnissen strebt, werden die großen Probleme zunächst in politische, wirtschaftliche oder wissenschaftliche Fragen übersetzt“ (Mölders 2019: 9). Jeder gesellschaftliche Teilbereich bearbeitet somit stets nur bestimmte Aspekte oder Dimensionen eines gesellschaftlichen Großproblems, die sich nur schwerlich in eine gemeinsame „übersystemische“ Lösungsstrategie überführen lassen (Mölders 2019: 9). Der hochspezialisierten „verteilten Intelligenz“ ihrer Teilsysteme zum Trotz scheint die moderne Gesellschaft demnach statt gemeinsame Problemlö-

12 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

sungen vor allem interne „Übersetzungskonflikte“ zu produzieren (Nassehi 2015: 113, 258, Hervorhebung i.O.).4 Gesellschaftliche Differenzierung führt also sowohl zu einem „gewaltigen Leistungs- und Komplexitätszuwachs der modernen Gesellschaft“ und einer damit einhergehenden Diversifizierung und Schärfung der gesellschaftlichen Reaktionsmöglichkeiten auf existenzielle Risiken, als auch zu „Probleme[n] der Integration, das heißt der geringen Resonanzfähigkeit sowohl zwischen den Teilsystemen der Gesellschaft als auch im Verhältnis des Gesellschaftssystems zu seiner Umwelt“ (Luhmann 2008: 48). Letzteres ist insofern problematisch, als die Lösung beziehungsweise Abmilderung gesellschaftlicher Großprobleme ein gewisses Maß an Integration oder Resonanz zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen und ihren je spezifischen Formen der Problembearbeitung und -lösung voraussetzt. Denn so verschieden etwa die eingangs genannten gesellschaftlichen Großprobleme im Einzelnen auch gelagert sein mögen, sind sie doch durch ein gemeinsames Merkmal gekennzeichnet: Sie sind nie nur wissenschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher oder rechtlicher Natur, sondern stets „grenzüberschreitend[e]“ Phänomene, die gewissermaßen „quer zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft [stehen]“ (Kaldewey 2017: 6). Sie sind zu vielschichtig, als dass sie durch die Expertise eines gesellschaftlichen Teilsystems alleine für die Gesamtgesellschaft gelöst werden könnten. Kein gesellschaftliches Teilsystem ist in der Lage, die Komplexität des Klimawandels, weltweiter Fluchtbewegungen oder durch neuartige Erreger ausgelöste Pandemien vollständig zu erfassen, isoliert zu bearbeiten und einseitig Lösungen bereitzustellen. Vielmehr erfordert die gesellschaftliche Diagnose, Bearbeitung und Lösung beziehungsweise Abmilderung solcher Problemlagen ein mehr oder weniger konzertiertes Zusammenwirken der jeweils punktuellen Expertisen unterschiedlicher Systeme. Im Falle des Klimawandels müssen etwa wissenschaftliche Erkenntnisse – beispielsweise die Erkenntnis, in welchem Umfang und durch welche konkreten Maßnahmen Treibhausgasemissionen gesenkt werden können – in politische Entscheidungen zur Emissionsreduktion transformiert werden, die dann sowohl rechtlich in Form von Normen und Zertifikaten abgesichert werden als auch entsprechende wirtschaftliche (Preis-)Anpassungen induzieren können. Damit dies gelingen kann, müssen diese funktional codierten wissenschaftlichen, politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Informationen zugleich auch in Sozialsystemen anderen Typs – in Organisationsund Interaktionssystemen, die wiederum durch ihren eigenen spezifischen Logiken der Mitgliedschaft beziehungsweise Anwesenheit geprägt sind – in konkreten Einzelfallentscheidungen oder Gesprächsthemen aufgegriffen und respezifiziert werden. 5

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Mit seiner technischen Metapher der verteilten Intelligenz adressiert Nassehi (2015: 114, Hervorhebung i.O.) genau die gegenläufigen Effekte gesellschaftlicher Differenzierung, die auch hier im Zentrum stehen: „Verteilte Intelligenz ist […] vor allem der Gewinn pluraler Intelligenz und der Verlust zentraler Determinationsmöglichkeiten“. Die Bedeutung dieser gewissermaßen vertikalen wechselseitigen Bezugnahmen zwischen Systemen verschiedenen Typs, die – anders als die horizontalen Bezugnahmen unter Funktionssystemen – nicht in der codespezifischen Umdeutung abstrakter Informationen, sondern in der Abstraktion beziehungsweise Respezifikation von Informationen in mehr oder

1. Gesellschaftliche Abstimmung als Problem | 13

Das Ausmaß beziehungsweise die Qualität der Problemlösungskapazität der modernen Gesellschaft hängt demnach immer auch – und ganz entscheidend – davon ab, wie sich die „verteilten Intelligenzen“ der verschiedenen gesellschaftlichen Teilsysteme wechselseitig aufeinander beziehen und wie sie, in diesem Sinne, zusammenwirken können (Nassehi 2015: 262, 113). Eben diese Fähigkeit, andere Systeme in der eigenen Umwelt wahrnehmen, deren Belange und Handlungszwänge berücksichtigen und die eigene Beobachterperspektive daran anpassen zu können, bezeichnet Luhmann (2008: 48) in dem oben angeführten Zitat als die „Resonanzfähigkeit“ sozialer Systeme.6 Wie er in seiner Begriffsdefinition hervorhebt, ist die systemische Resonanzfähigkeit stets begrenzt in dem Sinne, dass operativ geschlossene Sozialsysteme sich nicht ohne weiteres auf ihre Umwelt beziehen beziehungsweise sich mit dieser abstimmen, sondern stets „nur nach Maßgabe ihrer eigenen Strukturen auf Umweltereignisse reagieren können“ (Luhmann 2008: 178). Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, diese strukturelle Begrenzung der Problemlösungskapazität der modernen Gesellschaft in Bezug auf ökologische und andere existenzielle Risiken genauer in den Blick zu nehmen. Als Theorieperspektive wird dazu die Systemtheorie von und im Anschluss an Niklas Luhmann herangezogen. Auch wenn dies auf den ersten Blick vielleicht kontraintuitiv erscheinen mag, 7 eignet sich die Systemtheorie Luhmannscher Prägung gerade deshalb dazu, sich mit den Bedingungen, Formen und Folgen innergesellschaftlicher Abstimmungsprozesse auseinanderzusetzen, weil sie die soeben dargestellten Konsequenzen sozialer Differenzierung – die zunehmende Spezialisierung der verschiedenen systemischen Beobachterperspektiven bei gleichzeitig steigender wechselseitiger Indifferenz und Intransparenz dieser Systeme füreinander – gewissermaßen auf die Spitze treibt. Indem sie als Vertreterin eines vergleichsweise „radikalisierten Steuerungspessimismus“ (Lange 2003: 227; vgl. auch Scharpf 1989: 6) die Möglichkeit gesellschaftlicher Koordination nicht einfach als gegeben voraussetzt, ermöglicht die Systemtheorie erstens eine grundlegende Problematisierung gesellschaftlicher Abstimmungsprozesse. Damit eröffnet sie eine Perspektive, die sich jenseits der zwar tradierten, aber immer weniger gewinnbringend erscheinenden Debatte um ‚mehr‘ oder ‚weniger Staat‘ bewegt. Zudem stellt sie, zweitens, das notwendige theoretische Vokabular zur Verfügung, mit dem sich die durch die operative Geschlossenheit sozialer Systeme beding-

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weniger konkreten Kontexten bestehen, wird vor allem in neueren systemtheoretisch motivierten Steuerungsansätzen herausgearbeitet. Vgl. zum Beispiel Renn (2006: 25, 417) oder Mölders (2019: 89). Anders als etwa das aktuell in der Soziologie und darüber hinaus intensiv diskutierte Resonanzkonzept Hartmut Rosas (2016), bezieht sich der an Luhmann anknüpfende Resonanzbegriff nicht auf die (gelungene) Beziehung zwischen Mensch und Welt, sondern auf die strukturellen Eigenschaften abstrakter sozialer Systeme, die sich in gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen reproduzieren. Zum Verhältnis dieser beiden Resonanzkonzeptionen vgl. Henkel (2017b). So vertritt etwa Czada (1991: 153) die genau gegenläufige Position, dass die steuerungsskeptische Systemtheorie für die Thematisierung gesellschaftlicher Abstimmungsprozesse ungeeignet sei, da sie den „‚Brückenbau‘ zwischen Teilsystemen […] nur unzureichend erfassen“ könne.

14 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

ten strukturellen Voraussetzungen, Formen und Folgen solcher Abstimmungsprozesse mit der notwendigen Präzision erfassen und diskutieren lassen. Die Systemtheorie beschreibt die moderne Gesellschaft als polykontexturale Gesellschaft, die aus einer Vielzahl verschiedener, operativ geschlossener und daher wechselseitig füreinander unzugänglicher Sozialsysteme besteht (Mölders 2012: 480). Jedes dieser Systeme verfügt über bestimmte konstitutive Erwartungsstrukturen, entlang derer es eine eigene Beobachterperspektive auf seine inner- wie außergesellschaftliche Umwelt ausbildet. Die Funktionssysteme der Gesellschaft etwa orientieren sich stets an einem spezifischen binären Code, der alle ihre (Umwelt)Beobachtungen grundlegend strukturiert. Auf diese Weise gibt der Code vor, in welcher Form etwa gesellschaftliche Großprobleme wie der Klimawandel systemintern verstanden und bearbeitet werden können: Im Rechtssystem wird der Klimawandel als eine Frage von Recht und Unrecht – beispielsweise als Haftungsproblem zwischen Verursacher*innen und Geschädigten extremer Wettereignisse – behandelt, während er im politischen System lediglich im Hinblick auf seine Machtrelevanz – etwa als potentielles Wahlkampfthema – beobachtet wird. Im Wissenschaftssystem erscheint der Klimawandel dagegen in Form eines Forschungsgegenstands, zu dem theoretisch oder experimentell gestützte wahre Aussagen getroffen beziehungsweise falsche Aussagen zurückgewiesen werden können. Im Wirtschaftssystem wiederum geht es primär darum, wie sich der Klimawandel auf zukünftige Zahlungsströme auswirken wird. Diese verschiedenen Deutungen und Prozessierungsformen des Großproblems Klimawandel bestehen beziehungsweise vollziehen sich in der modernen Gesellschaft allesamt gleichzeitig und nebeneinander. Was der Klimawandel für die Gesellschaft bedeutet, lässt sich also nicht eindeutig bestimmen, sondern variiert je nachdem, welchen gesellschaftsinternen Blickwinkel man einnimmt. Die moderne Gesellschaft als polykontexturale Gesellschaft zu beschreiben bedeutet daher vor allem, die „Pluralisierung“ inkongruenter – sich nicht sinnhaft überlappender – und „synchron koexistierender Verstehenskontexte als Ergebnis sozialer Differenzierung“ sowie die daraus resultierenden Konsequenzen für gesellschaftsinterne Koordinationsprozesse ernst zu nehmen (Schneider 2008c: 476). Diese Konsequenzen bestehen in erster Linie darin, dass gesellschaftliche Koordinationsprozesse aus systemtheoretischer Perspektive nicht (mehr) als lineare Prozesse der „kausale[n] Einflussnahme[.]“ eines Systems auf ein anderes System konzipiert werden können (Nassehi 2015: 266). Da jedes operativ geschlossene Sozialsystem stets an seine systemkonstitutiven Strukturen und seine dadurch geprägte spezifische Beobachterperspektive gebunden ist, kann es keine unmittelbare Sinnübertragung von einem System in ein anderes System – und somit auch keine lineare Steuerung eines Systems durch ein anderes – geben. Positiv formuliert bedeutet dies, dass jede Form der wechselseitigen Bezugnahme zwischen sozialen Systemen immer nur indirekt und unter Inkaufnahme systemspezifischer „Bedeutungsbrüche“ (Renn 2006: 480) vollzogen werden kann.8 Auch dem politischen System kommt „in dieser

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So hält Luhmann (1994: 334) fest: „Für die Systemtheorie gibt es keine grenzüberschreitenden Inputs und Outputs als strukturdeterminierende Bedingungen der Autopoiesis; es gibt allenfalls Beobachter, die mit Hilfe entsprechender eigener Unterscheidungen andere Systeme so beobachten, aber dabei selber nicht von Inputs und Outputs abhängig sind,

1. Gesellschaftliche Abstimmung als Problem | 15

Hinsicht keine Ausnahmeposition“ zu (Luhmann 1994: 334). Anders als in klassischen Vorstellungen gesellschaftlicher Koordination, in denen dem Staat die Funktion einer „Spitze“ oder eines „Zentrums“ der Gesellschaft zugeschrieben wird, von dem aus die verschiedenen Perspektiven und Kompetenzen der anderen gesellschaftlichen Teilsysteme zu einem einheitlichen Ganzen integriert werden (Luhmann 2008: 109), geht die Systemtheorie davon aus, dass „[a]uch die Politik“ nicht direkt auf andere Sinndomänen zugreifen, sondern – ebenso wie alle anderen sozialen Systeme der modernen Gesellschaft – letztlich „nur sich selbst steuern“ kann (Luhmann 1994: 334). Systemtheoretisch betrachtet handelt es sich bei gesellschaftlichen Koordinationsprozessen daher um ein „hochkomplexes Konglomerat von Wechselseitigkeiten“, das daraus resultiert, dass sich verschiedene operativ geschlossene Systeme gleichzeitig und in strikter Bindung an ihre je eigene Beobachterperspektive auf andere Systeme in ihrer Umwelt beziehen (Nassehi 2015: 266). Ob und in welchem Maße gesellschaftliche Abstimmung stattfinden kann, hängt demnach nicht so sehr von der Steuerungskompetenz irgendeiner systemexternen Instanz, sondern vor allem von der internen Resonanzfähigkeit der an der Koordination beteiligten Systeme, also ihrer Fähigkeit ab, beobachtete Umweltereignisse wahrnehmen und systemintern verarbeiten zu können (Mölders 2019: 89). Was genau die Resonanzfähigkeit sozialer Systeme ausmacht – welche systemischen Erwartungsstrukturen ihre umweltbezogene Beobachterperspektive in der Sach-, Zeit und Sozialdimension von Sinn prägen, welche Prozessierungsformen beobachteter Umweltereignisse im Rahmen dieser Strukturen möglich und welche Arten und Grade der systemischen Anpassung an solche Ereignisse denkbar sind – wurde bisher jedoch weder von Luhmann selbst, noch in der an ihn anschließenden Literatur systematisch herausgearbeitet. Den Begriff systemischer Resonanz führt Luhmann in seinem 1986 erschienenen Buch Ökologische Kommunikation ein, das sich mit der Frage auseinandersetzt, inwiefern „die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen [kann]“ (Luhmann 2008: 7).9 Er zielt darauf ab, das „Verhältnis von System und Umwelt“ (Luhmann 2008: 27), das heißt die spezifische Offenheit operativ geschlossener Sozialsysteme grundlegend in den Blick zu nehmen. Die Ökologische Kommunikation ist eins der wenigen Werke Luhmanns, das nicht vorrangig auf die Beschreibung der operativen Geschlossenheit sozialer Systeme ausgerichtet ist, sondern den Beobachterfokus vor allem auf die spezifische (Umwelt-)Offenheit legt, die aus dieser Geschlossenheit resultiert. In seinen auf die Ökologische Kommunikation folgenden Arbeiten greift Luhmann den Resonanzbegriff kaum mehr auf. Weder setzt er

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sondern nur von eben dieser selbstkonstruierten Unterscheidung. Was im Steuerungsprozeß als Input wahrgenommen wird, ist nur eine im System selbst konstruierte Information, und diese Konstruktion ist nichts anderes als die Komponente der Unterscheidung, deren Differenz das System zu minimieren sucht.“ Die Ökologische Kommunikation basiert auf einem Vortrag, den Luhmann ein Jahr zuvor auf der Jahresversammlung der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften zur Frage: Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? gehalten hat und der 1996 im Band Protest. Systemtheorie und soziale Bewegungen abgedruckt wurde (Luhmann 1996a).

16 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

ihn in systematischer Weise zum allgemeinen Vokabular der Systemtheorie in Bezug, das auf die Beschreibung systemischer Autopoiesis und operativer Geschlossenheit ausgerichtet ist, noch stellt er Verbindungen zwischen dem Konzept systemischer Resonanz und der für die Auseinandersetzung mit der spezifischen Offenheit operativ geschlossener Systeme zentralen Figur der strukturellen Kopplung her. Im Gesamtgefüge seiner Theorie nimmt das Phänomen systemischer Resonanz daher – ebenso wie die allgemeine Frage nach der Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme – eine eher marginale Stellung ein.10 Ähnliches gilt für die an Luhmann anschließenden Theoretiker*innen, die ebenfalls ab Mitte der 1980er Jahre beginnen, sich mit der Ausarbeitung systemtheoretischer Steuerungskonzepte zu befassen.11 Die zentrale Frage, mit der sich die systemtheoretische Steuerungsdebatte seitdem auseinandersetzt, lautet: „Wie können gesellschaftliche Bereiche trotz ihres Eigensinns in eine gewisse Richtung gelenkt werden?“ Oder, theoretisch präziser formuliert: „Wie kann in eigensinnig operierende gesellschaftliche Teilbereiche so eingegriffen werden, dass diese ihre Handlungen sozialverträglich gestalten? Und: wer kann das wie veranlassen?“ (Mölders 2013: 5– 6).12 Wie in diesen Formulierungen bereits anklingt, ist die systemtheoretische Steuerungsdebatte bis heute von der Unterscheidung zwischen steuernden und zu steuernden Instanzen geprägt. Ihr Fokus liegt vor allem darauf, eine steuernde Instanz zu finden, die in Lage wäre, die Operationen von zu steuernden Instanzen mittels „produktive[r] Irritationen“ (Mölders 2019: 90) von außen in eine bestimmte, von der steuernden Instanz intendierte Richtung lenken zu können. Die Frage der systeminternen Verarbeitung der von diesen Steuerungsinstanzen ausgehenden Steuerungsimpulse – das heißt deren Rezeption, operative Prozessierung und strukturelle Konsequenzen – innerhalb der jeweils zu steuernden Systeme spielt demgegenüber eine eher untergeordnete Rolle. So stehen beispielsweise in dem von Teubner und Willke 1984 eingeführten Konzept der „dezentralen Kontextsteuerung“ (Teubner/Willke 1984: 33),13 das für die systemtheoretische Steuerungsdebatte bis heute wegweisend wirkt (Mölders 2013: 10), insbesondere die Rolle des „Supervisionsstaates“ als steuernde Instanz sowie dessen zentrales Steuerungsinstrument, das „reflexive Recht“, im Mittelpunkt (Willke 1996a: 335; Teubner/Willke 1984: 4). Dieses ermöglicht die Initiierung von „Verhandlungssystemen“ (Teubner/Willke 1984: 33), in deren Rahmen verschiedene teilsystemische Logiken aufeinandertreffen und sich durch wechselseitige Irritationen in ihrer jeweiligen Selbststeuerung beeinflussen können. In Bezug auf die Frage, ob

10 Die begriffliche Einbettung sowie der Stellenwert des Resonanzbegriffs im systemtheoretischen Theoriegefüge wird in Kapitel 2 genauer dargelegt. 11 Die im Folgenden überblicksartig dargestellten neueren systemtheoretischen Steuerungsansätze werden im Kapitel 3 nochmals genauer aufgegriffen und in das analytische Konzept systemischer Resonanz integriert. 12 Für eine detaillierte Rekonstruktion der frühen Phase dieser Debatte, die sich auch mit deren Anschlussfähigkeit an die eher politikwissenschaftlich geprägte GovernanceDiskussion beschäftigt, vgl. Mölders (2013; 2019: 89–99). 13 Vgl. dazu weiter Teubner (1987; 1991) sowie Willke (1983a; 1983b; 1987; 1989; 1992; 1996a; 1996b; 1997; 1999; 2001; 2005; 2006; 2014).

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beziehungsweise wie diese Steuerungsimpulse innerhalb der zu steuernden Systeme aufgenommen und operativ verarbeitet werden können, finden sich dagegen lediglich vergleichsweise pauschal gehaltene Hinweise auf die grundlegende Fähigkeit sozialer Systeme zur Reflexion. Diese wird als Begründung dafür angeführt, dass zu steuernde Systeme grundsätzlich bereit und motiviert sind, ihre eigene Operationsweise auf die Bedürfnisse ihrer Umwelt abzustimmen. Die Argumentation erfolgt dabei typischerweise in drei Schritten: Da reflexiv operierende Systems in der Lage sind, sich selbst in Relation zu ihrer Umwelt zu beobachten, können sie erstens erkennen, dass sie in ein komplexes Geflecht aus verschiedenen sozialen Systemen eingebunden sind, auf dessen Basis sie sich entfalten und reproduzieren können. Um ihre eigenen Existenzbedingungen nicht zu untergraben, versuchen sie daher, zweitens, ihr eigenes Operieren so zu gestalten, dass sie andere Systeme in ihrer Umwelt nicht gefährden, sondern „für die jeweils anderen Systeme eine brauchbare Umwelt darstellen“ (Teubner/Willke 1984: 6). Dies tun sie, drittens, indem sie sich selbst beschränken, also das Spektrum systemintern zugelassener Operationen „auf die sehr begrenzte Zahl subsystemisch kompatibler Optionen reduzier[en]“ (Willke 1983b: 129–130). Wie genau – das heißt mittels welcher operativen Mechanismen der systeminternen Irritationsverarbeitung und Strukturanpassung – dies geschieht und inwiefern eine passgenaue Selbstbeschränkung trotz der unüberwindbaren Sinngrenzen, die zwischen dem jeweiligen System und (Systemen in) dessen Umwelt bestehen, möglich ist, wird in diesem Kontext jedoch kaum thematisiert. Auch das Gros der neueren Beiträge zur systemtheoretischen Steuerungsdebatte folgt dieser Schwerpunktsetzung auf Steuerungsinstanzen und deren Steuerungsinstrumente. Bis etwa Mitte der Nullerjahre liegt der Fokus dabei zumeist auf den verschiedenen kommunikativen Steuerungsarenen, die sich im Sinne der Verhandlungssysteme der dezentralen Kontextsteuerung für die Relationierung verschiedener gesellschaftlicher Funktionssysteme eignen. Diese firmieren unter Stichworten wie beispielsweise „Konversationskreise“ (Hutter 1989), „intersystemische Diskurse“ (Bendel 1993) oder – im Anschluss an Luhmanns Charakterisierung von Organisationssystemen als „Treffraum für Funktionssysteme“ (Luhmann 2000b: 398) – „multireferentielle“, „intermediäre“ beziehungsweise „intersystemische Organisationen“.14 Im Zuge der zunehmenden Öffnung der Systemtheorie für die empirische Rekonstruktion und Analyse gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse (Meseth 2011: 180),15 verschiebt sich dieser Fokus ab Mitte der Nullerjahre dann wiederum zunehmend in Richtung der konkreten operativen Mechanismen, mittels derer verschiedene Systemlogiken innerhalb dieser Steuerungsarenen aufeinander bezogen werden können. So setzt sich etwa Krönig (2007: 59; 2009) mit der Ökonomisierung verschiedener gesellschaftlicher Funktionssysteme über sogenannte „generative Metaphern“ auseinander. In ähnlicher Form beschreibt Jung (2009: 137–144) die Verknüpfung moralischer, wissenschaftlicher und politischer Relevanzen im US-amerikanischen

14 Vgl. zu diesen verschiedenen Bezeichnungen Bora (2001: 54); Bode/Brose (2001: 112); Drepper (2003: 200); Ulrich (1994: 177). Für eine kritische Bestandsaufnahme zum Verhältnis von Organisations- und Funktionssystemen in der Systemtheorie vgl. Kneer (2001). 15 Für eine ausführliche Rekonstruktion und Bestandsaufnahme zum aktuellen Verhältnis von Systemtheorie und empirischer Sozialforschung vgl. Abschnitt 4.1.

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Bioethikrat als „Hybridisierung“.16 Das zentrale Stichwort, das sich auf theoretischer Ebene als Verklammerung dieser verschiedenen operativen Mechanismen durchgesetzt hat, lautet „Übersetzung“ (Renn 2006; Schwinn et al. 2008; Nassehi 2015; Atzeni/Nassehi 2015; Barth/Mayr 2017). Im Einklang mit den soeben erwähnten empirischen Befunden zu unterschiedlichen Formen des kommunikativen Anschließens an nicht ohne weiteres anschlussfähige Umweltereignisse verweist der Übersetzungsbegriff darauf, dass die wechselseitigen Bezüge zwischen gesellschaftlichen Teilsystemen in der polykontexturalen Gesellschaft weder als „lineare Übertragung“, noch als ein „bloß [.] taumelndes Nebeneinander inkommensurabler Welten“ konzeptualisiert werden können (Renn 2006: 345). Angemessener wäre es, so der Tenor, gesellschaftliche Koordinationsprozesse als „Übersetzungskonflikte“ (Nassehi 2015: 113) zu beschreiben, die durch je spezifische „Bedeutungsbrüche“ gekennzeichnet sind (Renn 2006: 480). Die Kernkompetenz steuernder Instanzen scheint vor diesem Hintergrund insbesondere darin zu bestehen, die aus der Inkongruenz der eigenen Perspektive und der Perspektive der jeweils zu steuernden Instanzen resultierenden Bedeutungsbrüche antizipieren und in die eigenen Steuerungsimpulse einkalkulieren zu können (Renn 2006: 480). Dieser Fähigkeit, die eigenen Steuerungsimpulse sowohl in der Sach-, Zeit- und Sozialdimension von Sinn gezielt auf die Erwartungsstrukturen der jeweils anvisierten zu steuernden Instanzen abzustimmen, geht in jüngerer Zeit insbesondere Mölders (2015a: 8; 2015b; 2019: 127–135) näher auf den Grund. Anders als noch Teubner und Willke sieht er diese Form der „Irritationsexpertise“ (Mölders 2014b: 15, Übersetzung H.V.) jedoch nicht in erster Linie beim Supervisionsstaat und dessen Steuerungsinstrument des reflexiven Rechts, sondern vor allem bei zivilgesellschaftlichen Akteuren angelegt, die im Medium der „Publizität“ auf andere Systeme in ihrer Umwelt einwirken (Mölders 2019: 101). Als eine*r der wenigen Vertreter*innen neuerer systemtheoretischer Steuerungsansätze geht Mölders zudem auf die Frage ein, wie die von solchen Instanzen ausgehenden Steuerungsimpulse innerhalb der zu steuernden Systeme aufgegriffen und operativ verarbeitet werden können. In Anlehnung an Piaget beschreibt er den systeminternen Rezeptions- und Anpassungsprozess an umweltinduzierte Irritationen innerhalb eines zu steuernden Systems als eine „Äquilibration“ oder „Transformation“ der durch diese Irritationen zeitweise ins Ungleichgewicht geratenen systemischen Erwartungsstrukturen (Mölders 2011: 122). Obwohl dieser Vorgang der systeminternen Strukturanpassung in Reaktion auf umweltinduzierte Irritationen ziemlich genau das trifft, was Luhmann in der Ökologischen Kommunikation als systemische Resonanz bezeichnet (Luhmann 1996a: 50; 1996b: 27, 34; vgl. auch Abschnitt 2.5), spielt der Resonanzbegriff in Mölders Äquilibrationstheorie keine Rolle.

16 Zum Phänomen der Hybridisierung vgl. auch Karafillidis (2010; 2014). Für weitere Vorschläge zur Konzeptualisierung der Relationierung verschiedener Systemlogiken vgl. zum Beispiel Schneider und Kusches (2010: 180) Unterscheidung unilateraler beziehungsweise reziproker Endo- und Ektoparasiten oder Boras (1999: 183–314) empirisch fundierte Rekonstruktion von „Diskurskollisionen“ zwischen verschiedenen funktionssystemischen Logiken im Rahmen von öffentlichen Anhörungsverfahren im Kontext der GentechnikGesetzgebung.

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Überhaupt finden sich im Verlauf der systemtheoretischen Steuerungsdebatte nur sehr sporadische und meist recht oberflächlich gehaltene Verweise auf den Begriff systemischer Resonanz. Diese werden vor allem dazu genutzt, um auf den qualitativen Unterschied hinzuweisen, der zwischen lediglich oberflächlichen, nur momenthaft beziehungsweise semantisch wirksamen Reaktionen von Systemen auf ihre Umwelt und Resonanzen im Sinne dauerhafter, strukturwirksamer, vielleicht gar mit der Ausbildung „sozial integrative[r] strukturelle[r] Kopplungen“ verbundenen Reaktionen besteht (Bora 1999: 90, 312; vgl. auch Fuchs 2008: 14; Melde 2012: 131– 132).17 Es ist daher nicht verwunderlich, dass Büscher und Japp (2010b: 8) in ihrem 2010 herausgegebenen Band Ökologische Aufklärung feststellen, dass die Frage, was man sich unter dem Phänomen systemischer Resonanz – insbesondere den von Luhmann diesbezüglich vorgenommenen Qualifizierungen wie „zu wenig“ oder „zu viel“ Resonanz – genau vorzustellen habe, auch 25 Jahre nach Erscheinen der Ökologischen Kommunikation noch in weiten Teilen unbeantwortet bleibt. In diesem Sinne schließt auch Weingart (2010: 170–171) seinen Beitrag in diesem Band mit der Aufforderung, den systemtheoretischen Resonanzbegriff genauer auszuloten und zu einem „analytische[n] Konzept“ auszubauen, mit dem sich das Verhältnis operativ geschlossener Systeme zu ihrer Umwelt grundlegend in den Blick nehmen lässt. Ebendieser Ausbau des systemtheoretischen Resonanzbegriffs zu einem analytischen Konzept, mit dem die spezifische Umweltoffenheit operativ geschlossener Sozialsysteme in umfassender und theoretisch kohärenter Art und Weise beschrieben werden kann, wird im ersten Teil der vorliegenden Arbeit angestrebt. Geleitet wird dieses Anliegen von der These, dass die Kapazität der modernen Gesellschaft, gemeinsame Lösungen für gesellschaftlichen Großprobleme zu finden im Wesentlichen davon abhängt, wie die Resonanz ihrer Teilsysteme strukturiert ist. In Kapitel 2 wird zunächst Luhmanns Begriff systemischer Resonanz anhand von drei Dimensionen rekonstruiert: Die erste Dimension systemischer Resonanz, die Resonanzfähigkeit, nimmt in den Blick, auf Basis welcher systemischen Erwartungsstrukturen die ‚Umwelt‘ Eingang in operativ geschlossene Systeme finden kann. Die zweite Dimension systemischer Resonanz, das Resonieren, bezieht sich auf die operativen Verarbeitungsmechanismen, mittels derer Umweltbeobachtungen systemintern weiter prozessiert werden können. Ob, beziehungsweise welche ‚umweltinduzierten‘ systemischen Strukturänderungen aus diesem Prozess systemischen Resonierens resultieren können und in welchem Maße diese die weitere Informationsverarbeitung des betreffenden Systems verändern, ist wiederum eine Frage, die auf die dritte Dimension systemischer Resonanz, die Formen und Grade systemischer Resonanzen, abstellt. Wie diese Rekonstruktion zeigt, sind die wesentlichen Elemente einer umfassenden Konzeptualisierung der strukturellen Bedingungen, Prozesse und Resultate des Umweltbezugs operativ geschlossener Sozialsysteme und der dadurch bedingten Abstimmungs- beziehungsweise Koordinationsmöglichkeiten in der modernen, polykontexturalen Gesellschaft in Luhmanns Resonanzbegriff bereits angelegt. Zugleich offenbart die Re-

17 In ähnlicher Weise wird in jüngeren Beiträgen auch der Begriff der „Responsivität“ verwendet; unter anderem von Bora (2016), Mölders (2015c; 2019: 82–87), Kaldewey (2015: 214–217), Teubner (2014: 207–212) und Torka (2015). Für einen kurzen Überblick über die Verwendung des Responsivitätsbegriffs vgl. Kaldewey et al. (2015: 8–10).

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konstruktion jedoch auch eine Reihe von theoretisch-konzeptionellen Unklarheiten oder Leerstellen, die es auf dem Weg zu einem substantiellen Resonanzkonzept zu adressieren gilt. In Kapitel 3 wird der Resonanzbegriff daher sowohl unter Rückgriff auf den weiteren luhmannschen Theoriekontext als auch unter Einbezug neuerer systemtheoretischer Steuerungsansätze zu einem analytischen Konzept weiterentwickelt. Auf diese Weise wird deutlich, dass das systemtheoretische Konzept systemischer Resonanz sich nicht einfach in die Vielzahl der aktuell existierenden systemtheoretischen Beiträge zur (Selbst-)Steuerung der modernen Gesellschaft einreiht, sondern als übergreifender analytischer Rahmen fungieren kann, innerhalb dessen sich verschiedene systemtheoretische Offenheitsbegriffe verorten und zu einer kohärenten Beschreibung der spezifischen Offenheit operativ geschlossener Sozialsysteme verbinden lassen. Vor diesem Hintergrund kann dann auch genauer bestimmt werden, was es für die Problemlösungskapazität der modernen Gesellschaft bedeutet, dass soziale Systeme „nur nach Maßgabe ihrer eigenen Struktur auf Umweltereignisse reagieren“ (Luhmann 2008: 178) und sich auch nur auf dieser Basis mit Systemen in ihrer Umwelt koordinieren können. Im zweiten Teil der Arbeit, der sich mit systemischer Resonanz als empirisches Phänomen auseinandersetzt, wird illustriert, wie eine solche Form der Koordination zwischen verschiedenen operativ geschlossenen Systemen in Bezug auf gesellschaftliche Großprobleme konkret aussehen kann. In Kapitel 4 werden zunächst die methodologischen Voraussetzungen der Resonanzanalyse, das heißt der empirischen Beobachtung und methodisch kontrollierten Rekonstruktion systemischer Resonanz geklärt. Im Anschluss an den aktuellen methodologischen Kernbestand des systemtheoretisch-empirischen Forschens wird das Konzept systemischer Resonanz dabei wie folgt operationalisiert: Das Resonieren eines sozialen Systems – die operative Prozessierung von systemintern registrierten Umweltereignissen – manifestiert sich im Rahmen von konkreten gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen in all jenen Mitteilungsereignissen, die eine vorangegangene Mitteilung erstens anhand des jeweils systemkonstitutiven Beobachtungsschemas verstehen und diese zweitens in irgendeiner Form der Umwelt zurechnen. So lässt sich etwa das Resonieren des Wirtschaftssystems in all jenen Mitteilungsereignissen beobachten, die eine bestimmte Aussage als Information über ein zahlungsrelevantes oder -irrelevantes Umweltereignis begreifen, während das Resonieren des politischen Systems in all jenen Mitteilungsereignissen sichtbar wird, die auf die Machtrelevanz oder -irrelevanz der jeweils registrierten Umweltereignisse rekurrieren. Die Resonanzfähigkeit eines sozialen Systems – dessen erwartungsstrukturell vorgezeichnete Möglichkeiten, sich auf seine Umwelt zu beziehen – lässt sich anhand der systemischen Attributionsmuster erschließen, das heißt anhand der typischen Formen, in denen Umweltereignisse im systemischen Resonieren sachlich, sozial oder temporal gerahmt beziehungsweise gedeutet werden. Systemische Resonanzen – umweltinduzierte Anpassungen der systemischen Erwartungsstrukturen – zeichnen sich ebenfalls im systemischen Resonieren, nämlich in einer Veränderung solcher systemischen Attributionsmuster im Zeitverlauf, ab. Was dies genau bedeutet, lässt sich etwa am Beispiel der politischen Rezeption des Klimawandels in der Bundesrepublik Deutschland nachvollziehen. Wie Weingart, Engels und Pansegrau (2002: 47–71) in ihrer Analyse thematisch einschlägiger Bundestagsdebatten zum Klimawandel – also, in den Begriffen der Resonanzanalyse formuliert: einem eines bestimmten Ausschnitts des Resonierens im politi-

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schen System – zeigen, war die Resonanzfähigkeit des politischen Systems in Bezug auf den Klimawandel zunächst sehr begrenzt: Bis Mitte der Achtzigerjahre wurde der Klimawandel vor allem als spekulative Hypothese über weit in der Zukunft liegende mögliche Ereignisse behandelt. Als solche war er, so das zentrale politische Deutungsmuster, vor allem für die Wissenschaft interessant, bot aber wenig Anknüpfungspunkte für politisches Handeln. Im Verlauf der darauffolgenden zehn Jahre hat sich diese typische politische Deutung des Klimawandels durch eine Reihe von Resonanzen – vor allem auf zunehmende wissenschaftliche Warnungen und zivilgesellschaftlichen Protest – jedoch deutlich verschoben: Die Betrachtung des Klimawandels als wissenschaftliches Problem wurde nach und nach von der Vorstellung abgelöst, dass der Klimawandel als drohende „Katastrophe“ zu verstehen sei, die politisches Handeln unmittelbar erforderlich macht. Auf diese Weise kam es in der ersten Hälfte der 1990er Jahre zu einer „Überführung des Klimaproblems in einen Gegenstand politischer Regulierung“ (Weingart et al. 2002: 60). Kapitel 5 ist ebenfalls der aktuellen gesellschaftlichen Rezeption des Klimawandels als eine der größten ökologischen Bedrohungen, mit denen sich die moderne Gesellschaft aktuell konfrontiert sieht, gewidmet (Kaldewey et al. 2015: 19–20; Smirnova et al. 2018: 11). Anstatt des politischen Systems steht dabei jedoch das Wirtschaftssystem, genauer: dessen Resonanzfähigkeit für die aktuelle politische Lösungsstrategie der deutschen Bundesregierung in Bezug auf das gesellschaftliche Großproblem Klimawandel – die sogenannte „Energiewende“ – im Fokus. Im Rahmen einer illustrativen Fallstudie wird anhand von Fokusgruppeninterviews mit Unternehmensmitgliedern nachgezeichnet, wie die Energiewende im wirtschaftssystemischen Resonieren verstanden und operativ prozessiert wird und ob beziehungsweise welche Formen und Grade wirtschaftssystemischer Strukturanpassungen an die Energiewende vor diesem Hintergrund möglich erscheinen. Anhand des auf diese Weise ausbuchstabierten und operationalisierten Konzepts systemischer Resonanz kann sowohl auf theoretischer Ebene als auch anhand eines konkreten empirischen Beispiels gezeigt werden, welchen Beitrag eine systemtheoretische Betrachtung gesellschaftlicher Koordinationsprozesse zur Beschreibung der strukturellen beziehungsweise systemischen Effekte leisten kann, die sich aus gesellschaftlichen Differenzierungsprozessen ergeben. Diese Effekte sollten als Bedingungen der Möglichkeit gesellschaftlicher Koordinationsprozesse und der daraus resultierenden Problemlösungskapazität der modernen, polykontexturalen Gesellschaft für gesellschaftliche Großprobleme in Rechnung gestellt werden.

2

Die Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme: Luhmanns Begriff systemischer Resonanz

Wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt, eröffnet die Systemtheorie eine zugleich skeptische wie instruktive Perspektive auf die Problemlösungskapazität der modernen, polykontexturalen Gesellschaft. Die beschränkten Möglichkeiten, die der Gesellschaft zur Entgegnung auf ökologische und andere Risiken zur Verfügung stehen sowie die strukturellen Grenzen der damit verbundenen innergesellschaftlichen Koordinationsprozesse werden hierbei im Wesentlichen auf die limitierte Kapazität operativ geschlossener Sozialsysteme zur Umweltbeobachtung und -berücksichtigung zurückgeführt: Jedes System erfasst nur bestimmte Aspekte seiner Umwelt als relevant und versteht diese Umweltaspekte auf eine spezifische, durch seine jeweiligen Systemstrukturen vorgeprägte Art und Weise. Der von Niklas Luhmann prominent in der Ökologischen Kommunikation eingeführte Begriff systemischer Resonanz, mit dem das Verhältnis von Systemen zu ihrer Umwelt grundlegend in den Blick genommen wird (Luhmann 2008: 27; Luhmann 1996a: 49), trägt diesem Umstand Rechnung. Er verweist darauf, „daß Systeme nur nach Maßgabe ihrer eigenen Strukturen auf Umweltereignisse reagieren können“ (Luhmann 2008: 178). Wie Dirk Baecker bemerkt, gibt die Resonanzfähigkeit eines Systems die Rahmenbedingungen vor, innerhalb derer „Übertragungsmöglichkeiten zwischen gesellschaftlichen Subsystemen“ bestehen: „Mit dem Begriff der Resonanz analysiert Luhmann, über welche Strukturen die Subsysteme verfügen, um auf die Informationen über die Umwelt zu reagieren und die eigenen Operationen auf sie einzustellen“ (Baecker 2006: 42). Aus diesem Grund bietet der luhmannsche Resonanzbegriff ein konzeptuelles Einfallstor für eine grundsätzliche systemtheoretische Auseinandersetzung mit der (Umwelt-)Offenheit operativ geschlossener Systeme und damit den Bedingungen gesellschaftlicher Koordination. Luhmann entwickelt seinen Resonanzbegriff zunächst auf externe Anregung (Luhmann 2008: 7) im Rahmen eines 1985 gehaltenen Vortrags auf der Jahresversammlung der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften zur Frage Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? (Luhmann 1996a). Anschließend arbeitet er den Begriff in der 1986 veröffentlichten Abhandlung Ökologische Kommunikation weiter aus (Luhmann 2008). Sowohl sein Vortrag als auch die darauffolgende Abhandlung lassen sich grob in zwei Teile gliedern: Im ersten, theoretisch-konzeptionellen Teil wird der Resonanzbegriff vor dem

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Hintergrund zentraler systemtheoretischer Konzepte – insbesondere der Autopoiesis und operativen Geschlossenheit – eingeführt und diskutiert. Darauf folgt ein zweiter, empirisch-exemplarischer Teil, der der Beschreibung der spezifischen Resonanzfähigkeit unterschiedlicher gesellschaftlicher Funktionssysteme gewidmet ist. 18 Betrachtet man den Stellenwert des Resonanzbegriffs in der luhmannschen Theoriearchitektur, so fällt auf, dass dieser kaum systematisch mit anderen systemtheoretischen Konzepten des Umweltbezugs sozialer Systeme, insbesondere nicht mit dem in der allgemeinen Rezeption prominentesten Offenheitskonzept der strukturellen Kopplung19, verbunden wird. In der Ökologischen Kommunikation selbst widmet sich Luhmann lediglich dem Zusammenhang zwischen der Resonanzfähigkeit eines Systems und dessen Pro-

18 Luhmanns Vortrag zum Thema Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? gliedert sich in sieben Abschnitte: Im ersten Abschnitt zu Moral und Theorie werden die Fragestellung und die theoretische Perspektive, anhand derer diese diskutiert wird, entwickelt; in den Abschnitten II–IV, dem theoretisch-konzeptionellen Teil, wird der Resonanzbegriff eingeführt und systemtheoretisch eingebettet. In Abschnitt V. werden diese theoretisch-konzeptionellen Überlegungen am Beispiel des Rechtssystems illustriert. Der Vortrag schließt ab mit zwei kritischen Abschnitten zu den gesellschaftspolitischen wie -theoretischen Konsequenzen, die sich aus einer systemtheoretischen Antwort auf die Ausgangsfrage ergeben, und nimmt dabei eine Abgrenzung zu ökologischen Protestbewegungen vor. Die 1986 veröffentlichte Abhandlung Ökologische Kommunikation: Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? schließt, wie der Untertitel bereits verrät, an die Fragestellung des Vortrags an und orientiert sich in ihrer Gliederung an ähnlichen Punkten: In Kapitel I und II finden sich einleitende Bemerkungen zur Fragestellung, gefolgt von einem theoretisch-konzeptionellen Teil zum Resonanzbegriff und den mit diesem verwandten systemtheoretischen Konzepten (Kapitel III– IX). Es folgen ein empirisch-exemplarischer Teil zur Resonanzfähigkeit der Funktionssysteme Wirtschaft, Recht, Wissenschaft, Politik, Religion und Erziehung (Kapitel X–XV) sowie eine Diskussion der gesellschaftspolitischen wie -theoretischen Konsequenzen der systemtheoretischen Analyse gesellschaftlicher Resonanz (XVII–XXI). Zudem enthält die Ökologische Kommunikation ein Glossar, in dem zentrale theoretische Begriffe definiert werden. 19 Der Begriff der strukturellen Kopplung spielt für das Konzept systemischer Resonanz, wie es in der Ökologischen Kommunikation entwickelt wird, keine Rolle. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass der Begriff der strukturellen Kopplung zum Zeitpunkt deren Erscheinens 1985/86 noch kein etablierter Bestandteil des systemtheoretischen Theoriegebäudes ist. Der Begriff wird zwar bereits 1984 in Soziale Systeme eingeführt (vgl. Luhmann 1987: 270, 280, 300), erhält aber erst in der Gesellschaft der Gesellschaft eine prominentere Stellung im Rahmen der luhmannschen Gesellschaftstheorie (vgl. Luhmann 1997: 92–120, 776–788; Henkel 2017: 107; für eine Abgrenzung und Einordnung des Begriffs in die Theorieentwicklung vgl. Brodocz 2003: 81–83; Willke 2014: 52–53). Demensprechend enthalten auch erst Luhmanns spätere Monografien zu den einzelnen Funktionssystemen der Gesellschaft ein Kapitel zum Thema strukturelle Kopplungen (vgl. jeweils Kapitel 10 in Luhmann 1995b; 2000a). In diesen späteren Arbeiten ist jedoch wiederum kaum noch von Resonanz die Rede (vgl. dazu auch Fußnote 20).

2. Die Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme | 25

grammierung und Codierung in ausführlicher Weise (Luhmann 2008: 50–66). Andere systemtheoretische Begriffe, die in diesem Zusammenhang ebenfalls relevant wären, werden dagegen entweder überhaupt nicht diskutiert oder lediglich beispielhaft angerissen. Dabei räumt Luhmann selbst ein, dass der Verweis auf funktionssystemische Programme und Codes allein nicht ausreicht, um die Ausgestaltung der Resonanzfähigkeit eines operativ geschlossenen Systems in theoretisch adäquater Weise zu erfassen. Bereits zu Beginn der Ökologischen Kommunikation nennt er eine Reihe weiterer systemtheoretischer Konzepte, die er in diesem Zusammenhang ebenfalls als relevant erachtet – etwa „Komplexität und Reduktion, Selbstreferenz und Autopoiesis, oder rekursiv-geschlossene Reproduktion bei umweltoffener Irritierbarkeit“ (Luhmann 2008: 27) oder „Systemdifferenzierung, Repräsentation und Selbstbeobachtung“ (Luhmann 2008: 33). Diese werden jedoch nicht konsequent an den Resonanzbegriff rückgebunden. Seine Begründung, mit diesen Konzepten seien „komplizierte theoretische Fragen aufgeworfen, die wir bei den folgenden Überlegungen nicht ständig im Blick behalten können“ (Luhmann 2008: 27), erscheint dabei zwar aus (vortrags-)pragmatischen Gründen nachvollziehbar, kann aber auf einer theoretischen Ebene nicht überzeugen. Auch in den auf die Ökologische Kommunikation folgenden Werken Luhmanns wird die Einbettung des Resonanzbegriffs in den breiteren Theoriekontext nicht nachgeholt. Hier finden sich zwar zahlreiche Ausführungen zu zentralen Konzepten des System/Umweltverhältnisses und der (Un-)Möglichkeit gesellschaftlicher Koordination (Luhmann 1981: 57–70; 1989; 1992b; 1994: 324–349; 1997: 92–120, 776– 788); der Resonanzbegriff selbst wird jedoch nur noch selten und wenig systematisch verwendet (Henkel 2017b: 107).20 Gleiches gilt für neuere, an Luhmann anschließen-

20 In diesem Zusammenhang wird wiederum die unzureichende Verknüpfung des Resonanzkonzepts mit dem Begriff der strukturellen Kopplung ersichtlich (vgl. Vogd 2011: 176). In Luhmanns zweitem Hauptwerk, der Gesellschaft der Gesellschaft, werden zwar beide Konzepte aufgegriffen, aber jeweils separat diskutiert. Dem an die Problemstellung der Ökologischen Kommunikation anschließenden Thema Ökologische Probleme wird zwar ein eigenes Kapitel gewidmet (Kapitel I.VIII, 128–133); dieses wird jedoch völlig unabhängig von der allgemeinen Frage des systemischen Umweltbezugs verhandelt. Letztere wird in einem anderen Kapitel und ausschließlich unter Rückgriff auf die Figur der strukturellen Kopplung (Kapitel I.VI, 92–199 und II.IX, 776–788) erörtert. Anders als etwa Henkel (2017: 107) konstatiert, ist diese Umstellung von Resonanz auf Kopplung nicht nur rein begrifflicher Natur im Sinne einer Bevorzugung „biologische[r] anstelle einer physikalischen Terminologie“ ohne theoretische Konsequenz. Denn Resonanz und strukturelle Kopplung sind keine äquivalenten Konzepte, sondern unterscheiden sich deutlich hinsichtlich ihres Beobachterfokus: ‚Resonanz‘ legt den Fokus auf die Erklärung von Offenheit vor dem Hintergrund operativer Geschlossenheit. ‚Kopplung‘ dagegen richtet das Augenmerk auf die Erklärung von Geschlossenheit vor dem Hintergrund systemischer Offenheit – auf die Frage der Aufrechterhaltung systemischer Autonomie angesichts einer turbulenten Umwelt (Luhmann 1997: 776). Mit der begrifflichen Verschiebung von Resonanz auf strukturelle Kopplung geht demnach auch eine theoretische Umfokussierung von der Frage der Änderbarkeit bestehender Strukturen durch Umweltirritation auf die Frage der Aufrechterhaltung bestehender Strukturen trotz Umweltirritation einher. Die Marginalität des

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de systemtheoretische Arbeiten. Obwohl vor allem empirisch oder methodisch orientierte Beiträge den Begriff systemischer Resonanz hin und wieder aufgreifen,21 wird dieser auf theoretischer Ebene kaum weiterentwickelt, geschweige denn – wie von Weingart (2010: 170) angeregt – zu einem umfassenden „analytische[n] Konzept“ ausgebaut.22 Insgesamt steht der Begriff systemischer Resonanz im Theoriegefüge der Systemtheorie bis dato somit relativ isoliert da. Im systemtheoretischen Kontext fungiert er nach wie vor in der Weise, in der er von Luhmann (1996a: 49) Mitte der Achtzi-

Resonanzbegriffs im systemtheoretischen Theoriegefüge spiegelt sich auch in der Sekundärliteratur wider: Weder im Luhmann-Lexikon (Krause 2001) noch in den Schlüsselbegriffen der Systemtheorie (Dieckmann 2006) oder dem GLU – Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme (Baraldi et al. 1997) finden sich Beiträge zum Resonanzbegriff. Mit Einschränkung gilt dies auch für das relativ umfassende Luhmann-Handbuch (Jahraus et al. 2012), in dem der Ökologischen Kommunikation zwar ein Kapitel gewidmet ist (Grundmann 2012), das jedoch den Resonanzbegriff kaum diskutiert. Eine Ausnahme dieser Regel stellt der Sammelband Ökologische Aufklärung dar, der 2010a anlässlich des 25. Jubiläums der Ökologischen Kommunikation von Büscher und Japp herausgegeben wurde: Unter dem theoretischen Fokus auf Resonanz werden hier zum einen ökologische Themen aufgegriffen (Halfmann 2010; Daschkeit/Dombrowsky 2010); zum anderen wird, analog zu Luhmanns Abhandlung, die Resonanzfähigkeit einzelner gesellschaftlicher Funktionssysteme in den Blick genommen (für die Wirtschaft vgl. Engels 2010; für das Recht vgl. Ladeur 2010; für die Wissenschaft vgl. Weingart 2010; für die Politik vgl. Wiesenthal 2010; für die Erziehung vgl. Bolscho 2010) und dann auf gesamtgesellschaftlicher Ebene diskutiert (vgl. die Beiträge von Grundwald 2010; Kusche 2010 und Japp 2010). 21 Vgl. zur Resonanzfähigkeit verschiedener Funktionssysteme die Beiträge in Büscher/Japp (2010); zur Unternehmensberatung Simon (2008) sowie Seidl/van Aaken (2007); zur Entwicklung „resonanzhaltiger struktureller Kopplungen“ in rechtlichen Partizipationsverfahren Bora (1999: 387–392) und in der Wirtschaft Melde (2012: 134). Im Kontext empirischer Sozialforschung rekurriert Vogd (2011: 178) auf das systemtheoretische Resonanzkonzept als verbindendes Element zwischen Systemtheorie und „akteurstheoretischen Forschungszugängen“; Arndt (2007) diskutiert das Verhältnis von Resonanz und Soziokybernetik. 22 Als eine der wenigen Ausnahmen liefert Bora erstens eine theoretische Einbettung des Resonanzbegriffs, indem er diesen mit den Begriffen „soziale Integration“ und „strukturelle Kopplung“ verbindet (Bora 1999: 333). Mittels der Rekonstruktion unterschiedlicher Resonanzformen, nämlich prozeduraler und inhaltlicher Resonanz, und des Vergleichs unterschiedlicher Resonanzgrade vollzieht er zudem, zweitens, eine erste Annäherung an ein differenzierteres, analytisches Verständnis des Phänomens Resonanz an sich (vgl. Bora 1999: 183, 207, 378). Unter dem Stichwort der Responsivität entwickelt sich zudem seit kurzem eine Debatte, die resonanzähnliche Phänomene unter einer teilweise dezidiert systemtheoretischen, zumindest jedoch systemtheoretisch informierten Theorieperspektive in den Fokus stellt. Vgl. für einen kurzen Überblick Kaldewey et al. (2015: 8–10); zur Verwendung des Konzepts vgl. Bora (2016); Mölders (2015c; 2019: 82–87); Teubner (2014: 207–212); Torka (2015); Kaldewey (2015). Diese an Luhmann anschließende Ansätze werden in Kapitel 3 als Beiträge zum Konzept systemischer Resonanz eingehender diskutiert.

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gerjahre selbst angelegt wurde: als eine Art „Abkürzung“ oder „Vereinfachung“, anhand derer „komplizierte systemtheoretische Vorüberlegungen auf einen einzigen Begriff zusammen[gezogen]“ werden können. So bemerkt auch Vogd (2011: 176), dass die „Theoriefigur der Resonanz“ trotz ihrer „zentralen Rolle“ für die Konzeptualisierung systemischer Offenheit,23 „innerhalb der Luhmannschen Systemtheorie praktisch kaum ausgearbeitet worden [ist]“. Ihre Funktion als „wichtige Brückenkonzeption“ (ebd.: 177) zur systemtheoretischen Konzeptualisierung gesellschaftlicher Koordinationsmöglichkeiten kann der Resonanzbegriff folglich in der von Luhmann selbst vorgeschlagenen Fassung aktuell nicht einlösen. Dieser Umstand ist gewissermaßen symptomatisch für die allgemeine Thematisierung der spezifischen Offenheit operativ geschlossener Systeme in der luhmannschen Systemtheorie: Obwohl die Systemtheorie durchaus eine Reihe von Begriffen und Konzepten hervorgebracht hat, die die Offenheit operativ geschlossener Systeme beschreiben (vgl. Aschke 2002: 74–75, 80), stehen diese – insbesondere im Verhältnis zum systemtheoretischen Konzept der operativen Geschlossenheit und der Autopoiesis – zumeist relativ unverbunden nebeneinander. Ein kohärentes und über die Analyse einzelner struktureller Kopplungen von gesellschaftlichen Funktionssystemen hinausreichendes generelles Konzept systemischer Umweltoffenheit kann die Systemtheorie daher aktuell nicht vorweisen.24 Dies lässt sich darauf zurückführen, dass der theoretische Ausgangs- und Schwerpunkt der Systemtheorie deutlich auf der Beschreibung gesellschaftlicher Schließungsprozesse, nämlich der operativen Geschlossenheit sozialer Systeme, liegt (Aschke 2002: 57; Willke 2014: 52; Baecker 2001a: 219). Die sich aus dieser spezifischen Form der Schließung ergebende Offenheit wird demgegenüber kaum systematisch, sondern eher punktuell und häufig erst als Reaktion auf ‚Umweltirritationen‘, etwa der Anfrage der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften (Luhmann 2008: 7), explizit in den Fokus der Theo-

23 Vgl. hierzu auch Henkel (2017b: 107). 24 Dass die Systemtheorie zwar über eine elaborierte Theorie systemischer Geschlossenheit verfügt, aber keine kohärente, theoretisch überzeugende Konzeptualisierung der anderen Seite dieser Medaille, der Offenheit, anzubieten hat, lässt sich allerdings wiederum systemtheoretisch erklären: „Als Sinnpraxis sieht sich auch Kommunikation genötigt, Unterscheidungen zu treffen, um die eine Seite zu bezeichnen und auf dieser Seite für Anschlüsse zu sorgen. Damit wird die Autopoiesis des Systems fortgesetzt. Aber was geschieht mit der anderen Seite? Sie bleibt unbezeichnet und braucht daher nicht auf Konsistenz hin kontrolliert zu werden. Hier wird nicht auf Zusammenhänge geachtet. Daher wird normalerweise rasch vergessen, wovon das Bezeichnete unterschieden worden war – sei es vom unmarked space, sei es von Gegenbegriffen, die für weitere Operationen nicht in Betracht kommen. Die andere Seite wird zwar laufend mitgeführt, weil anders keine Unterscheidung zustande käme, aber sie wird nicht benutzt, um etwas Bestimmtes zu erreichen“ (Luhmann 1997: 71). Die hier postulierte theoretische Umfokussierung besteht daher im Wesentlichen darin, dass nun Offenheit statt Geschlossenheit als bezeichnete Seite der Unterscheidung von Offenheit/Geschlossenheit fungiert.

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riebildung gestellt (vgl. Philippopoulos-Mihalopoulos 2010: 173; Opitz 2015: 247, 251; Bora 1999: 63; Teubner 2008: 26; Lieckweg 2001: 268).25 Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, in dieser Frage eine theoretische Umfokussierung vorzunehmen, indem die bisher vernachlässigte Seite der Unterscheidung Geschlossenheit/Offenheit – nämlich die spezifische Offenheit operativ geschlossener Systeme – zum expliziten Untersuchungsgegenstand gemacht wird. 26 Auf diesem Wege soll in diesem Kapitel zunächst aufgezeigt werden, dass das theoretische Potential des luhmannschen Resonanzbegriffs weit über dessen aktuelle Funktion im Theoriegerüst der Systemtheorie als abgekürzter Verweis auf eine nicht weiter bestimmbare Offenheit sozialer Systeme hinausreicht. Wie die folgende Rekonstruktion der luhmannschen Ausführungen zeigt, kann das Konzept systemischer Resonanz trotz seiner aktuell marginalen Stellung im Theoriegefüge als theoretisch wie empirisch fruchtbarer Ausgangspunkt dienen, um die spezifische Offenheit operativ geschlossener Systeme theoretisch konzeptualisieren und im Hinblick auf konkrete Systeme systematisch zu erfassen. Die Besonderheit des Resonanzbegriffs besteht dabei zum einen darin, dass er die gleichzeitige Betrachtung von Offenheit und Geschlossenheit als wechselseitiges Bedingungsverhältnis ermöglicht: Da sich systemische Offenheit und Geschlossenheit sowohl gegenseitig ermöglichen wie limitieren,27 kann Offenheit auch immer nur vor dem Hintergrund von Geschlossenheit als mitlaufende Seite der beobachtungsleitenden Unterscheidung thematisiert werden (Luhmann 1987d: 606; Luhmann 1991d: 173–174; Kneer/Nassehi 2000: 51; Henkel 2017a; vgl. Abschnitt 2.3). Aufgrund der sehr basalen Ausrichtung auf das Verhältnis von System und Umwelt im Allgemei-

25 Dies gilt vor allem für Luhmann selbst. Für einen Überblick über die aus der luhmannschen Systemtheorie hervorgegangenen Steuerungskonzepte, die sich der Frage widmen, „[w]ie [...] in eigensinnig operierende gesellschaftliche Teilbereiche so eingegriffen werden [kann], dass diese ihre Handlungen sozialverträglich gestalten“ vgl. Mölders (2013: 7). 26 Damit wird Vogds (2009b: 100, Hervorhebungen i.O.) Charakterisierung von „Theoriearbeit“ gefolgt, die durch „das Bemühen […], die impliziten beobachtungs- und erklärungsleitenden Unterscheidungen aktiv zu verschieben“ gekennzeichnet ist. „Eine fruchtbare Theorie kann aus dieser Perspektive kein festes oder starres Gebilde mehr sein, sondern fordert vielmehr eine ständige Anstrengung, ihre Begriffe in Bewegung zu halten, um so neue Perspektiven zu eröffnen. […] Dies hieße, sich den bisherigen Unterscheidungsgebrauch reflexiv zugänglich zu machen, um dann bewusst andere, bislang unvertraute Sichtweisen für eine gewisse Zeit konstant zu halten – um sehen zu können, wohin man hierdurch gelangt.“ 27 Das Verhältnis von Offenheit und Geschlossenheit, das in Abschnitt 2.3. nochmal genauer im Hinblick auf das sich daraus ergebende Verhältnis von System und Umwelt diskutiert wird, beschreibt Luhmann (1997: 97, Hervorhebung i.O.) wie folgt: „Im operativen Vollzug (dadurch daß sie geschieht) reproduziert die Kommunikation die Geschlossenheit des Systems. Durch die Art ihrer Beobachtungsweise (dadurch wie sie geschieht, nämlich durch die Unterscheidung von Mitteilung und Information) reproduziert sie die Differenz von Geschlossenheit und Offenheit. Und so entsteht ein System, das auf Grund seiner Geschlossenheit umweltoffen operiert, weil seine basale Operation auf Beobachtung eingestellt ist.“

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nen (Luhmann 2008: 27) eignet sich der Begriff systemischer Resonanz zudem als übergreifender Analyserahmen, innerhalb dessen die von und im Anschluss an Luhmann vorgebrachten Beschreibungen der Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme verortet und zu einem kohärenten Konzept verbunden werden können. Kurz gesagt: Anhand des Resonanzkonzepts als begrifflich-analytischem Rahmen kann der theoretische Fokus der Systemtheorie von Geschlossenheit auf Offenheit umgestellt werden. Aus diesem Grund eignet sich das Resonanzkonzept nach der hier vertretenen Auffassung auch besser zur umfassenden Analyse der Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme als das systemtheoretisch zwar wesentlich prominentere (vgl. etwa Bora 1999: 316), aber weniger grundlegend ansetzende und immer wieder als problematisch eingestufte Konzept struktureller Kopplung.28 Interessanterweise lässt sich bezüglich der Kritik am Konzept struktureller Kopplung eine Parallele zu der hier vertretenen Einordnung des Resonanzkonzepts als einerseits vielversprechendes und theoretisch notwendiges (Brodocz 2003: 80), andererseits aber nicht hinreichend ausgearbeitetes Konzept systemischer Offenheit feststellen (Aschke 2002: 74–75, 80). Ähnlich wie der Resonanzbegriff (Vogd 2011: 176) wird auch der Begriff strukturelle Kopplung als theoretischer „Suchbegriff“ (Baecker 2001b: 316) oder „Residualbegriff“ bezeichnet, der „an ganz verschiedenen Stellen zu ganz unterschiedlichen Zwecken behelfsmäßig eingesetzt [wird]“ (Mölders 2011: 108) und daher häufig als eine Art „systemtheoretische Metapher“ fungiert, „die oft genug rein metaphorisch, als Markierung einer theoretischen Leerstelle, verwendet wird“ (Kaldewey 2015: 217). Dass auch das Konzept der strukturellen Kopplung nicht in der Lage ist, die theoretische Leerstelle der spezifischen Offenheit operativ geschlossener Systeme in Gänze auszufüllen, stützt wiederum die hier vertretene These, dass dieser Aspekt bisher theoretisch vernachlässigt und daher nicht hinreichend kohärent reflektiert worden ist. Während Luhmann selbst dazu tendiert, den Begriff der strukturellen Kopplung als die Antwort auf die Frage nach den möglichen Beziehungen zwischen System und Umwelt hervorzuheben (Luhmann 1997: 92, 779; 1995b: 440), werden strukturelle Kopplungen in dieser Arbeit (lediglich) als ein Element systemischer Resonanz behandelt (vgl. Abschnitt 3.2). Um Luhmanns Resonanzbegriff systematisch erfassen und als Ankerpunkt für die theoretische Konzeptualisierung der spezifischen Offenheit operativ geschlossener Systeme in Stellung bringen zu können, werden Luhmanns diesbezügliche Ausführungen in diesem Kapitel wie folgt diskutiert: Ausgehend von einer allgemeinen Einführung in Luhmanns Verständnis systemischer Resonanz (Abschnitt 2.1) werden zunächst drei Dimensionen von Resonanz unterschieden (Abschnitt 2.2): die systemische Resonanzfähigkeit, das operative Resonieren und dessen strukturwirksame Effekte auf die Ausgestaltung der systemischen Erwartungsstrukturen, die Formen und Grade systemischer Resonanzen. Bevor diese drei Dimensionen systemischer Resonanz eingehender diskutiert werden können (Abschnitte 2.4–2.6), müssen jedoch zunächst, in Auseinandersetzung mit zentralen systemtheoretischen Prämissen,

28 Vgl. zur Problematik des Konzepts der strukturellen Kopplung z.B. Aschke (2002: 326, 339–340); Krönig (2007: 18–22); Görlitz (2003: 285); Schemann (1993); Kaldewey (2015: 217); Baecker (2001b: 316) sowie Bornemann (2007: 81).

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die für den Umweltbezug operativ geschlossener Systeme notwendigen Bedingungen geklärt werden (Abschnitt 2.3). Das Kapitel schließt mit einem Fazit, in dem einerseits die unter Rückgriff auf Luhmann vorgenommenen Bestimmungen systemischer Resonanz nochmals zusammengefasst werden. Andererseits wird auf noch offene oder unzureichend geklärte Fragen bezüglich der systemtheoretischen Konzeption gesellschaftlicher Resonanz verwiesen (Abschnitt 2.7). Diese werden dann unter Rückgriff auf den weiteren Theoriekontext sowie unter Einbezug neuerer systemtheoretischer Steuerungsansätze in Kapitel 3 adressiert.

2.1 LUHMANNS RESONANZBEGRIFF In der Ökologischen Kommunikation führt Luhmann „Resonanz“ als grundlegenden Begriff ein, um das „Verhältnis von System und Umwelt“ zu beschreiben (Luhmann 2008: 27). Er tut dies vor dem Hintergrund der Frage, ob sich die moderne Gesellschaft als operativ geschlossenes, auf Kommunikation basierendes System auf ökologische Gefährdungen durch seine nicht-gesellschaftliche Umwelt einstellen kann. Diese Frage kann nur sinnvoll beantwortet werden, so Luhmann, sofern man in einer Beobachtung zweiter Ordnung die Perspektive des jeweils beobachteten Systems – hier also der Gesellschaft als das „umfassende soziale System aller aufeinander Bezug nehmenden Kommunikationen“ (Luhmann 2008: 17) – einnimmt. Dies ermöglicht eine Beobachtung der „Wirkungsweise“ des im betreffenden System selbst angelegten „System-/Umweltverhältnisses“ (Luhmann 2008: 35), und damit die „Rekonstruktion der Probleme aus Sicht des Systems, das sich den Auswirkungen ökologischer Veränderungen ausgesetzt sieht“ (Luhmann 2008: 18). Nur auf der Basis einer solchen Rekonstruktion systemischer Beobachterperspektiven 29 kann beschrieben werden, wie ökologische Gefährdungen zum Gegenstand gesellschaftlicher Kommunikation gemacht und in ihr verarbeitet werden können. Es geht also um die „Bedingungen […], unter denen Sachverhalte und Veränderungen der gesellschaftlichen Umwelt in der Gesellschaft Resonanz finden“ (Luhmann 2008: 28) können. Als Thema der Kommunikation, so Luhmann, haben ökologische Gefährdungen bereits Eingang in das Gesellschaftssystem gefunden (Luhmann 1996a: 46; Luhmann 2008: 9; Grundmann 2012: 167; vgl. zum Entstehungskontext Simon 2008: 4619). Anhand des Begriffs der Resonanz beziehungsweise der Resonanzfähigkeit der Gesellschaft und ihrer Funktionssysteme soll untersucht werden, inwiefern die Gesellschaft in der Lage ist, auf diese Gefährdungen zu reagieren (Luhmann 2008: 32, 164), das heißt, sich in ihrer Operationsweise zukünftig auf diese einzustellen (Luhmann 2008: 7).30 Resonanz wird dabei allgemein definiert als ein Fall, in dem ein operativ geschlossenes System „durch Faktoren der Umwelt irritiert, aufgeschaukelt, in Schwin-

29 Wie Luhmann (1996a: 54) bemerkt, kann die funktional differenzierte Gesellschaft nicht als Einheit, sondern immer nur vermittelt über ihre Funktionssysteme Resonanz erzeugen. 30 Auf welche Art von Reaktion der Resonanzbegriff dabei abstellt und inwiefern sich Resonanz von anderen Reaktionen auf Umweltbeobachtungen, also von anderen Formen systemischer Fremdreferenz, abgrenzen lässt, wird in Abschnitt 2.5 diskutiert.

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gung versetzt“ wird (Luhmann 2008: 27): „Die Resonanz eines Systems wird immer dann in Anspruch genommen, wenn das System durch seine Umwelt angeregt wird“ (Luhmann 2008: 34). Anders als diese Passivkonstruktionen vermuten lassen, legt dabei jedoch nicht die Umwelt, sondern das System selbst die „besonderen Bedingungen“ (Luhmann 1996a: 49) fest, unter denen es sich durch seine Umwelt anregen lässt: Ein operativ geschlossenes System kann nur dann und nur so auf „Umweltereignisse“ reagieren, wenn beziehungsweise wie „dies nach den eigentümlichen Strukturbedingungen dieses Systems möglich ist“. Resonanz ist damit immer „beschränkte […], strukturabhängige Resonanz“ (ebd.). Im Fall sozialer Systeme sind diese Strukturen kommunikative Erwartungsstrukturen. Als „Strukturschemata der Informationsverarbeitung“ (Mölders 2011: 192) formen sie die je systemspezifische Beobachterperspektive und definieren auf diese Weise die Bedingungen, unter denen Systeme ihre Umwelt beobachten und auf diese reagieren können. Eine systematische Auseinandersetzung mit der Resonanzfähigkeit eines sozialen Systems besteht daher im Kern aus einer Analyse der aktuellen Ausgestaltung und der durch diese vorgezeichnete Änderbarkeit der jeweiligen systemischen Erwartungsstrukturen. Anders ausgedrückt: Indem sie vorgeben, wie „Irritationen und Störungen“ im System „aufgegriffen und normalisiert werden“ können (Luhmann 1996a: 50, Hervorhebung H.V.), bilden die systemischen Erwartungsstrukturen den theoretischen Dreh- und Angelpunkt des Konzepts systemischer Resonanz. Dementsprechend hebt Luhmann diesen Aspekt in seiner Resonanzdefinition im Glossar der Ökologischen Kommunikation nochmals hervor: „Der Begriff der Resonanz weist darauf hin, daß Systeme nur nach Maßgabe ihrer eigenen Strukturen auf Umweltereignisse reagieren können“ (Luhmann 2008: 178, Hervorhebung H.V.).

2.2 DIE DREI DIMENSIONEN SYSTEMISCHER RESONANZ: RESONANZFÄHIGKEIT, RESONANZEN UND RESONIEREN Ausgehend von diesen ersten Begriffsbestimmungen, werde ich im Folgenden drei grundlegende Dimensionen systemischer Resonanz voneinander unterscheiden: 31 Die erste Dimension betrifft die systemische Resonanzfähigkeit – die erwartungsstrukturell vorgeprägten Möglichkeiten eines operativ geschlossenen Systems, sich auf seine ‚Umwelt‘ zu beziehen. Sie legt fest, auf welche Weise die Umwelt überhaupt „auf den Bildschirmen des [...] Systems“ (Luhmann 1981: 61) erscheinen kann. Definiert wird die systemische Resonanzfähigkeit durch die je aktuelle Ausgestaltung der Erwartungsstrukturen des Systems. Diese formen das „enge[.] Sinnpotential“ (Luhmann 2005c: 76) des Systems, das heißt den „Rahmen seiner möglichen Wahrnehmungen“ (Luhmann 2008: 34), innerhalb dessen es Beobachtungen auf seine Umwelt zurechnen und mit den eigenen Operationen verknüpfen kann. Dabei kön31 Luhmann selbst nimmt diese konzeptionelle Unterteilung nicht vor. In seiner Analyse differenziert er zwar allgemein zwischen Resonanzfähigkeit und Resonanz, unterscheidet dabei jedoch auf begrifflicher Ebene nicht explizit zwischen dem Prozess des Zustandekommens, den Formen und Graden von Resonanz.

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nen, je nach Systemlogik, stets nur bestimmte Aspekte der operativen Umwelt systemintern relevant werden, während andere Umweltaspekte keinerlei Berücksichtigung und daher auch keine Resonanz im System erfahren können. In diesem Zusammenhang spricht Luhmann daher auch von der „Selektivität der Resonanz“ (Luhmann 2008: 28). Dass sich ein System im Rahmen seiner strukturell gegebenen Beobachtungsmöglichkeiten durch seine Umwelt anregen lassen kann, sagt jedoch noch nichts darüber aus, wie solche Anregungen systemintern weiter prozessiert werden. Ob die systemischen Umweltbeobachtungen letztlich strukturell folgenlos bleiben oder aber in einer Veränderung der systemischen Erwartungsstrukturen – und damit in einer veränderten systemischen Informationsverarbeitung – resultieren, ist eine Frage der zweiten Dimension von Resonanz, den Formen und Graden systemischer Resonanzen. Der Begriff der Resonanzen bezieht sich auf die möglichen Resultate des im Rahmen der Resonanzfähigkeit ermöglichten wie limitierten Umweltbezugs im jeweils beobachtenden System. 32 Nach dem in diesem Kapitel (vgl. Abschnitt 2.5) entwickelten Verständnis werden dabei all jene systemischen Reaktionen auf die Umwelt als eine Form von Resonanz bezeichnet, die strukturwirksam sind, also mit einer Anpassung der systemischen Erwartungsstrukturen einhergehen: Systemische Resonanz liegt vor, sofern eine systeminterne ‚Reaktion‘ auf die ‚Umwelt‘ nicht momenthaft-irritativ bleibt, sondern für die weitere Informationsverarbeitung des Systems einen Unterschied macht.33 Die zweite Dimension systemischer Resonanz stellt also vor allem auf die möglichen Effekte der Resonanz im System im Sinne eines umweltinduzierten, systemischen „Strukturwandel[s]“ (Engels 2010: 99) ab. Auf welche Weise ein System seine Umweltbeobachtungen operativ in systeminterne Strukturänderungen umsetzen kann, ist eine Frage des Resonierens, der operativen Prozessierung von in der ‚Umwelt‘ beobachteten Ereignissen. Als theoretisches Verbindungsstück zwischen der den systemischen Umweltbezug ermöglichenden Resonanzfähigkeit und den Resonanzen als mögliche, systeminterne Effekte dieses

32 In ihrer Thematisierung „ökologische[r] Resonanzen in der Wirtschaft“ differenziert Engels (2010: 99, Hervorhebung H.V.) in ähnlicher Form zwischen zwei „Teilaspekten“, die hier als Resonanzfähigkeit und Resonanzformen und -grade bezeichnet werden: „Erstens geht es um die Frage, inwiefern das Wirtschaftssystem als resonanzfähig für ökologische Kommunikation erachtet wird. Zweitens geht es aber auch um die weitergehende Frage, ob damit ein grundlegender Strukturwandel des Wirtschaftssystems selbst einhergeht, etwa im Sinne einer umfangreichen Ökologisierung von Märkten und Produktionsweisen“. Schimank (2016: 64–65) differenziert im Hinblick auf die gesellschaftliche Bearbeitung ökologischer Probleme ebenfalls zwischen der Dimension der „Problemerzeugung“, „Problemthematisierung“ und „Problembearbeitung“, ordnet diese jedoch jeweils spezifischen Funktionssystemen in einer Art gesellschaftlichen Arbeitsteilung zu. 33 Für eine ähnliche Differenzierung zwischen Reaktion und Resonanz vgl. Bora (1999: 312– 313). In eine ähnliche Richtung weisen auch Kaldeweys (2015: 214–217) Unterscheidung von „formaler“ und „materialer Responsivität“. Während formale Responsivität zunächst einmal nur darauf verweist, dass extern situierte Problemlagen systemintern aufgegriffen werden, bezeichnet der Begriff der materialen Responsivität „‚erfolgreiche‘ Responsivität, beispielsweise im Sinne eines strukturverändernden Antwortverhaltens“.

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Umweltbezugs auf die an diese anschließende Informationsverarbeitung des Systems, bildet das Resonieren daher die dritte Dimension des systemtheoretischen Begriffs systemischer Resonanz. Unter Rückgriff auf diese Differenzierung lässt sich nun auch die Problemstellung dieser Arbeit als eine Frage systemischer Resonanz fassen. Die Resonanzfähigkeit bestimmt, auf der Basis welcher systemischen Erwartungsstrukturen sich ein System auf seine ‚Umwelt‘ beziehen kann. Das operative Resonieren nimmt in den Blick, über welche operativen Verarbeitungsmechanismen der Sinn systemischer Umweltbeobachtungen in diesen Systemen weiter prozessiert werden kann. Ob, beziehungsweise welche ‚umweltinduzierten‘ systemischen Strukturänderungen aus diesem Prozess systemischen Resonierens resultieren können und in welchem Maße diese die weitere Informationsverarbeitung des betreffenden Systems verändern, ist wiederum eine Frage der Formen und Grade systemischer Resonanzen. Die drei Dimensionen systemischer Resonanz erfahren in der Ökologischen Kommunikation keine gleichmäßige Aufmerksamkeit. Der Schwerpunkt der von Luhmann vorgenommenen Analyse liegt eindeutig auf der Auseinandersetzung mit der ersten Dimension, der systemischen Resonanzfähigkeit. Dies zeigt sich bereits an seiner recht knapp gehaltenen Resonanzdefinition im Glossar der Ökologischen Kommunikation, die nicht auf unterschiedliche Formen oder Grade systemischer Reaktionen auf ökologische Gefährdungen eingeht, sondern lediglich auf die grundlegenden Bedingungen der Möglichkeit solcher Reaktionen verweist.34 Eine genauere Betrachtung der weiteren Verwendung des Resonanzbegriffs in der Ökologischen Kommunikation bestätigt diesen Eindruck. In drei viertel der Fälle, in denen Luhmann explizit über Resonanz spricht, thematisiert er vor allem die grundlegenden Bedingungen von Resonanz – also die systemische Resonanzfähigkeit –, lässt aber das Phänomen operativ realisierbarer Resonanzen dabei relativ unbestimmt.35 Auch das systemische Resonieren wird kaum systematisch diskutiert, sondern vornehmlich metaphorisch umschrieben. Streng genommen entwickelt Luhmann in der Ökologischen Kommunikation somit, zumindest auf analytischer Ebene, keine umfassende Antwort auf die für ihn zentrale Frage, „wie die Gesellschaft auf Umweltprobleme

34 „Der Begriff der Resonanz weist darauf hin, daß Systeme nur nach Maßgabe ihrer eigenen Struktur auf Umweltereignisse reagieren können“ (Luhmann 2008: 178). 35 In der Ökologischen Kommunikation verwendet Luhmann den Begriff der „Resonanz“ insgesamt 60-mal; davon in 22 Fällen zur Beschreibung eines Systemzustandes, indem er beispielsweise von mehr oder weniger (Luhmann 2008: 27) Resonanz spricht, und 38-mal in Bezug auf die Bedingungen der Erzeugung von Resonanz, die als Beschreibung beziehungsweise Betonung der begrenzten Resonanzfähigkeit sozialer Systeme zu verbuchen sind. In diesen Fällen geht es etwa um den begrenzten Spielraum (Luhmann 2008: 115); die Beschränkungen, Grenzen oder Schranken (vgl. z.B. Luhmann 2008: 36, 37, 75, 101, 104, 109, 115, 117, 125); die Limitationen (vgl. z.B. Luhmann 2008: 118, 114) oder die Selektivität (Luhmann 2008: 28, 31, 43, 80) von Resonanz. Der Begriff der „Resonanzfähigkeit“ wird 28-mal verwendet. Das bedeutet, dass Luhmann in insgesamt 66 von 88 Fällen, in denen er explizit über Resonanz spricht, vor allem die Bedingungen der Möglichkeit von Resonanz thematisiert.

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reagiert“ (Luhmann 2008: 164).36 Mit seinem Fokus auf die Dimension der Resonanzfähigkeit liefert er vor allem eine Analyse der Bedingungen solcher – nicht weiter spezifizierten – gesellschaftlichen Reaktionen auf Umweltprobleme. Dennoch werden im Folgenden sowohl Luhmanns Ausführungen zur systemischen Resonanzfähigkeit (Abschnitt 2.4) als auch zu möglichen Formen und Graden systemischer Resonanzen (Abschnitt 2.5) sowie dem operativen Resonieren (Abschnitt 2.6) näher in den Blick genommen. Ziel dieser Rekonstruktion ist es einerseits, die drei Dimensionen des luhmannschen Resonanzbegriffs genauer zu bestimmen. Auf dieser Basis können andererseits auch die theoretisch-konzeptionellen Leerstellen innerhalb sowie die unzureichenden Verknüpfungen zwischen den Resonanzdimensionen aufgezeigt werden. Unter Rückgriff auf den weiteren Theoriekontext und neuere systemtheoretische Steuerungsansätze sollen diese Leerstellen im weiteren Verlauf der Arbeit gefüllt und fehlende theoretische Verknüpfungen vorgenommen werden, um zu einem kohärenten und für die empirische Analyse der spezifischen Offenheit sozialer Systeme operationalisierbaren Konzept systemischer Resonanz zu gelangen. Bevor Luhmanns Ausführungen zu den einzelnen Dimensionen systemischer Resonanz dezidierter in den Blick genommen werden können, müssen jedoch zunächst zwei grundlegende systemtheoretische Prämissen bezüglich des System/Umweltverhältnisses rekapituliert werden, die sich aus der allgemeinen Theorieanlage ergeben und das gesamte Konzept systemischer Resonanz übergreifen: Die erste Prämisse besteht darin, dass operativ geschlossene Systeme keinen unmittelbaren Zugang zu ihrer Umwelt haben und sich daher lediglich auf der Basis ihrer systeminternen Umweltkonstruktionen durch diese anregen lassen können. Um überhaupt resonanzfähig zu sein – das heißt die Umwelt zum Gegenstand systemischer Operationen machen zu können –, müssen operativ geschlossene Systeme ihre Umwelt daher zunächst in sich selbst in Form einer systeminternen Zurechnungsadresse konstituieren. Dies setzt wiederum, zweitens, voraus, dass die betreffenden Systeme über den Selbstreferenzmodus der Reflexion beziehungsweise der Rationalität verfügen, in denen Selbstreferenz auf das System und Fremdreferenz auf dessen Umwelt verweist. Da die gesamte Argumentation der Ökologischen Kommunikation auf diesen Prämissen beruht, werden sie im folgenden Abschnitt unter Rückgriff auf den weiteren luhmannschen Theoriekontext kurz expliziert.

2.3 DIE ‚UMWELT‘ DES SYSTEMS Wie bereits bemerkt, definiert Luhmann Resonanz allgemein als einen Fall, in dem ein operativ geschlossenes System „durch Faktoren der Umwelt irritiert, aufgeschaukelt, in Schwingung versetzt“ wird (Luhmann 2008: 27, Hervorhebung H.V.). Dabei legt er ein spezifisches, systemtheoretisch begründetes Umweltverständnis zugrunde. Operativ geschlossene Systeme konstituieren und reproduzieren sich, indem sie sich

36 „Es ging darum, herauszuarbeiten, wie die Gesellschaft auf Umweltprobleme reagiert, und nicht darum, wie sie reagieren sollte oder wie sie reagieren müßte, wenn sie ihr Umweltverhältnis verbessern wollte“ (Luhmann 2008: 164).

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durch jede Operation von ihrer Umwelt abgrenzen (Luhmann 1992b: 1420).37 In der Systemtheorie ist die Umwelt daher eine stets operativ-gleichzeitige, unerreichbare und systemrelative Umwelt. Aus diesem Grund können soziale Systeme auch niemals unmittelbar von ihrer operativen Umwelt aufgeschaukelt werden, sondern immer nur auf die eigenen „beschränkt[en] und kategorial vorformiert[en]“ (Luhmann 2008: 23) Umweltbeobachtungen reagieren – also auf das, was „für sie Umwelt ist“ (Luhmann 2008: 31, Hervorhebung H.V.; vgl. auch ebd.: 35). Operativ geschlossene Systeme kommunizieren also nie mit ihrer Umwelt, sondern lediglich „unter der Illusion eines Umweltkontaktes“ (Luhmann 1997: 93). Daraus folgt, dass soziale Systeme auch in Fällen systemischer Resonanz „notwendigerweise im Selbstkontakt [operieren], und sie haben keine andere Form für Umweltkontakt als Selbstkontakt“ (Luhmann 1987d: 59, Hervorhebung H.V.).38 Wenn Luhmann also davon spricht, dass ein System auf seine Umwelt ‚reagiert‘ (Luhmann 2008: 178) beziehungsweise durch diese ‚angeregt wird‘ (Luhmann 2008: 34), ist damit gemeint, dass das System auf seine eigenen, systeminternen Konstruktionen dieser Umwelt reagiert: „in der Orientierung auf die Umwelt reagiert das System auf etwas, was es selbst aufgebaut hat“ (Esposito 1997d: 198). Resonanz basiert also nicht auf einer unmittelbaren Einwirkung der Umwelt auf das System, sondern auf einer spezifischen Form systemischer Fremdreferenz: Das System kann immer nur durch sich selbst, durch seine eigenen, fremdreferentiellen – das heißt der von ihm wahrgenommenen Umwelt zugerechneten – Operationen angeregt werden. Folglich kommt in der Systemtheorie „[d]ie Differenz System/Umwelt […] zweimal vor: als durch das System produzierter Unterschied und als im System beobachteter Unterschied“ (Luhmann 1997: 45, Hervorhebung i.O.). Um eine trennscharfe Beschreibung des System/Umweltverhältnisses operativ geschlossener Systeme vornehmen zu können, empfiehlt es sich daher zunächst, die möglichen Beobachterperspektiven auf die Umwelt eines Systems voneinander abzugrenzen und deren Rolle in der Analyse systemischer Resonanz zu verdeutlichen. Wie Stäheli (2000: 32) zeigt, lassen sich auf der Basis von Luhmanns Differenzierung drei grundsätzliche systemtheoretische Beobachterperspektiven auf die Umwelt voneinander unterscheiden: Als durch das System produzierter Unterschied kann die Umwelt entweder als ‚unmarked space‘39 unbeobachtet bleiben (‚S/U1‘) oder aber durch einen Beobachter zweiter Ordnung als operative Umwelt des jeweils fokussierten Systems beobachtet werden (‚S/U2‘ beziehungsweise ‚S/U3‘). Daraus folgt, dass S/U1 – die

37 In dem Moment, in dem sich das System operativ schließt, konstituiert es gleichzeitig seine Umwelt. „In diesem Sinne ist Grenzerhaltung […] Systemerhaltung“ (Luhmann 1987d: 35, Hervorhebung i.O.). Folglich kann „[d]ie Gesellschaft [.] nicht mit ihrer Umwelt, sie kann nur nach Maßgabe ihrer Informationsverarbeitungskapazität über ihre Umwelt kommunizieren“ (Luhmann 2008: 145, Hervorhebung i.O.). 38 „Alle Beobachtung muss im System selbst als interne Aktivität mit Hilfe eigener Unterscheidungen (für die es in der Umwelt keine Entsprechung gibt) durchgeführt werden“ (Luhmann 1997: 92, Hervorhebung i.O.). 39 Insbesondere in den der Gesellschaft der Gesellschaft vorangegangenen Schriften, wird die Bezeichnung des ‚unmarked space‘ auf den Weltbegriff angewendet (vgl. Jung 2009: 189, insbesondere Fußnote 71).

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operative Umwelt als in den systemischen Operationen unbeobachtet mitlaufender ‚unmarked space‘ in dem Moment, in dem sie als ‚Umwelt‘ bezeichnet – also über die Umwelt kommuniziert wird, in S/U2 beziehungsweise S/U3 umschlägt, je nachdem, ob diese Bezeichnung der Umwelt von einem ‚Fremdbeobachter‘ zweiter Ordnung oder in dem diese operative Umwelt erzeugenden System selbst vorgenommen wird. Die Beobachterperspektive S/U3 erfolgt demnach als Beobachtung zweiter Ordnung und erfordert daher stets einen „Fremdbeobachter, der feststellt, aus was die Umwelt eines anderen Systems besteht“ (Stäheli 2000: 32). Diese Beobachterperspektive ist typisch für wissenschaftliche Beobachter gesellschaftlicher Koordinationsprozesse, die sich für die Operationslogiken unterschiedlicher gesellschaftlicher Funktionssysteme – also für die ‚Umwelt‘ Dritter und nicht für ihre eigene ‚Umwelt‘ – interessieren.40 Die dritte mögliche Beobachterperspektive bezieht sich dagegen auf die Umwelt als im diese Umwelt erzeugenden System selbst beobachteter Unterschied, das heißt auf die durch das re-entry der System/Umwelt-Unterscheidung in das System systemintern konstituierte und beobachtete Umweltkonstruktion des Systems als Beobachter erster Ordnung (‚S/U2‘). Es ist diese systeminterne Konstruktion der eigenen Umwelt, auf die sich ein System mittels Resonanz einstellen kann. Um insbesondere der Differenz der beiden letzten Umweltbeobachterperspektiven Rechnung zu tragen, wird in dieser Arbeit folgende Notation verwendet: ‚Umwelt‘ in einfachen Anführungsstrichen bezeichnet die Umwelt als im System beobachteter Unterschied (‚S/U2‘) – also die Konstruktion der Umwelt innerhalb des diese Umwelt produzierenden Systems selbst, die zwar eine Semantik der Umwelt darstellt, aber operativ stets Teil des beobachtenden Systems ist. Umwelt ohne einfache Anführungszeichen bezeichnet dagegen die operative Umwelt eines Systems, also die durch das Operieren des Systems produzierte Umwelt, die als solche nur aus der Perspektive eines anderen Systems als Beobachter zweiter Ordnung zugänglich wird (‚S/U3‘).41

40 So wird etwa der Ökologischen Kommunikation zumeist die Unterscheidung S/U3 zugrunde gelegt. Auch die Beobachtungen eines Beobachters zweiter Ordnung bleiben dabei natürlich systeminterne Konstruktionen; aber – und das ist für eine Beobachtung zweiter Ordnung entscheidend – sie sind eben andere Konstruktionen, mit deren Hilfe man sehen kann, was ein Beobachter erster Ordnung nicht sehen kann (vgl. Nassehi 1993: 197–198). In Bezug auf die Beobachtbarkeit der Operationen eines anderen Beobachters „erlaubt diese Position mehr Freiheiten der Analyse“ (Luhmann 2000a: 328; vgl. auch Luhmann 1992a: 80–81). Denn während die Beobachterperspektive erster Ordnung stets als „,selbstevident‘“ und „alternativlos aus der Welt direkt abgeleitet“ erscheint, kann in der distanzierten Beobachtung zweiter Ordnung deren Kontingenz „als sinnhafte Engführung einer verweisungsoffenen Horizontstruktur […]“ reflektiert werden (Heidenescher 1999: 111, Hervorhebung i.O.). Aus diesem Grund wird erst aus der Perspektive eines Beobachters zweiter Ordnung sichtbar „wie ein Beobachter erster Ordnung beobachtet, was er beobachtet, und das heißt: wie er mit Unterscheidungen umgeht“ (Luhmann 2017b: 55, Hervorhebung i.O.) und „welche kulturellen, institutionellen und sozialen Bedingungen einen Beobachter dazu disponieren, es so und nicht anders zu machen“ (Luhmann 2017b: 52). 41 Ebenso wie die Beobachterperspektiven zweiter und erster Ordnung inkongruente Perspektiven darstellen, sind auch die aus diesen Perspektiven beobachteten Umwelten stets als

2. Die Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme | 37

Operativ ist die ‚Umwelt‘ des Systems folglich stets Teil des Systems und niemals Teil der Umwelt (Luhmann 1992b: 1421; Luhmann 1987d: 146–147, 641). Die kognitive Offenheit eines operativ geschlossenen Systems für seine ‚Umwelt‘ kann die operative Unerreichbarkeit der Umwelt somit niemals aufheben, sondern lediglich entschärfen. Die konsequente, systemtheoretisch informierte Definition von ‚Umwelt‘, die auch im Konzept systemischer Resonanz zugrunde gelegt wird, muss daher wie folgt lauten: „Umwelt ist für das System der Gesamthorizont seiner fremdreferentiellen Informationsverarbeitung. Umwelt ist für das System also eine interne Prämisse der eigenen Operationen, und sie wird im System nur konstituiert, wenn das System die Differenz von Selbstreferenz und Fremdreferenz (oder ‚innen‘ und ‚außen‘) als Schema der Ordnung eigener Operationen verwendet“ (Luhmann 2008: 34, Hervorhebung H.V.).

Vor diesem Hintergrund wird auch jegliche Form der systemischen Reaktion auf die ‚Umwelt‘ als eine ‚Reaktion‘ auf systemeigene Selektionen erkennbar, deren Ursache erst durch und gewissermaßen im System selbst in dessen ‚Umwelt‘ verortet wird. So erscheint dem System als Beobachter erster Ordnung zwar jegliche systemische Information über die eigene ‚Umwelt‘ typischerweise als ‚fremde‘ Selektion der Umwelt (Heidenescher 1999: 111); sie beruht jedoch stets auf den eigenen, strukturbasierten Selektionen des beobachtenden Systems selbst: „Information ist nur im System, nur dank dessen Selbstreferenz, nur dank dessen Auffassungsschema möglich. Sie kann gleichwohl durch das System der Umwelt zugerechnet werden. Sie erscheint als Selektion aus einem Möglichkeitsbereich, den das System selbst entwirft und für relevant hält; aber sie erscheint als Selektion, die nicht das System, sondern die Umwelt vollzieht. […] Das System kann auf diese Weise Distanz von der Umwelt gewinnen und sich gerade dadurch der Umwelt aussetzen. Es kann sein Verhältnis zur Umwelt konditionieren und dabei doch der Umwelt die Entscheidung überlassen, wann welche Bedingungen gegeben sind“ (Luhmann 1987a: 104). 42

verschiedene Umwelten zu verstehen. Ein wichtiger Unterschied der Beobachterperspektiven erster und zweiter Ordnung besteht darin, dass sich das System/Umwelt-Verhältnis aus der Perspektive des (systemtheoretisch operierenden) Beobachters zweiter Ordnung als ein Gleichzeitigkeitsverhältnis darstellt (System und Umwelt werden in jedem Moment gleichzeitig operativ (re-)produziert), während es aus der Beobachterperspektive erster Ordnung typischerweise als Ungleichzeitigkeitsverhältnis erscheint (Umweltursachen erfordern anschließende Systemreaktionen oder umgekehrt). 42 Hier zeigt sich, dass aus Sicht der Systemtheorie „Kausalfeststellungen“, in denen „bestimmte Ursachen auf bestimmte Wirkungen […] unter Auswahl aus unendlich vielen Kausalfaktoren“ zugerechnet werden, immer beobachterabhängige Diagnosen darstellen. „Will man wissen, welche Kausalzusammenhänge angenommen (ausgewählt) werden, muß man also Beobachter beobachten, und man kann wissen, daß jede Zurechnung kontingent ist (was aber keineswegs heißt daß sie beliebig oder rein fiktiv erfolgen kann)“ (Luhmann 1997: 130).

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Als strikt systeminterner Prozess basiert Resonanz somit immer auf einer Form von Fremdreferenz, bei der das System das ‚Fremde‘ als ‚Umwelt‘ vom ‚Selbst‘ des ‚Systems‘ unterscheidet. Folglich kann allein anhand der Perspektive des jeweils beobachtenden Systems als Beobachter erster Ordnung bestimmt werden, ob Resonanz im Sinne einer strukturwirksamen ‚Reaktion‘ auf die ‚Umwelt‘ vorliegt oder nicht. Nur diejenigen Beobachtungen, die ein System selbst in seiner ‚Umwelt‘ verortet, können zum Gegenstand systemischer Resonanz werden. Und zwar unabhängig davon, ob ein (anderer) Beobachter zweiter Ordnung dieser Umweltattribution aufgrund seiner eigenen Beobachtungen der operativen Umwelt des Beobachters erster Ordnung widersprechen würde (Bora 2003: 129).43 Ob ein System seine Umwelt überhaupt als solche beobachten und als Zurechnungsadresse seiner fremdreferentiellen Operationen verwenden kann, ist wiederum abhängig vom Modus der systemischen Selbstreferenz. Wie Luhmann insbesondere in Soziale Systeme zeigt, bilden operativ geschlossene Systeme erst in den Selbstreferenzmodi der Reflexion und der Rationalität die für die systeminterne Konstitution der ‚Umwelt‘ notwendige „Fähigkeit zur Selbstbeobachtung“ (Luhmann 1987d: 245) aus. Luhmann unterscheidet insgesamt vier Formen systemischer Selbstreferenz: basale Selbstreferenz, prozessuale Selbstreferenz beziehungsweise Reflexivität, Reflexion und Rationalität (Luhmann 1987d: 600–601, 640–641; vgl. auch Krönig 2007: 41–49).44 In den Modi basaler und prozessualer Selbstreferenz ist eine Zurechnung von beobachteten Ereignissen auf das System selbst oder dessen Umwelt nicht möglich, da sich das System in seiner Selbst- und Fremdreferenz lediglich an der Unterscheidung von „Element/Relation“ oder „Vorher/Nachher“ orientiert (Luhmann 1987d: 600–601). Vorstellungen über das System selbst als Gesamtzusammenhang und die von diesem unterschiedene Umwelt kommen in den systemeigenen Operationen nicht als zurechenbare Größen in Betracht: weder ‚System‘ noch ‚Umwelt‘ können zum Gegenstand systemischer Beobachtungen werden.

43 Wenn etwa das Wirtschaftssystem die Finanzkrise als extern, etwa durch politische Fehlregulierung, verursacht versteht – ihre Ursache also in seiner ‚Umwelt‘ verortet –, wären die an diese Beobachtung anschließenden wirtschaftlichen ‚Reaktionen‘ als (potentielle) Formen wirtschaftlicher Resonanz zu verstehen. Und zwar völlig unabhängig davon, ob ein politischer oder wissenschaftlicher Beobachter diese wirtschaftsinterne Zurechnung teilen oder zurückweisen würde. 44 Der Modus der Rationalität könnte auch als komplexere Unterform von Reflexion, etwa als „Reflexion zweiter Ordnung“ (Bora 1999: 390, Hervorhebung i.O.) gefasst werden (vgl. auch Luhmann 1987d: 640; Nassehi 1993: 199). Aufgrund der besonderen Bedeutung, die dieser Form von Selbstreferenz mit Blick auf systemische Resonanz zukommt, wird Rationalität in diesem Zusammenhang jedoch als eigene Form systemischer Selbstreferenz behandelt. Die Modi der Selbstreferenz bauen aufeinander auf in dem Sinne, dass jedes operativ geschlossene System immer basal selbstreferentiell operiert, aber darüber hinaus auch komplexere Formen der Selbst- und Fremdreferenz entwickeln kann (Luhmann 1987d: 600). Ein System kann diese unterschiedlichen Selbstreferenzmodi parallel verwenden (Luhmann 1987d: 596).

2. Die Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme | 39

Im Modus der Reflexion dagegen beobachtet sich das System selbst als Einheit in Differenz zu seiner Umwelt. „Von Reflexion wollen wir sprechen, wenn die Unterscheidung von System und Umwelt zu Grunde liegt. […] In diesem Falle ist das Selbst das System, dem die selbstreferentielle Operation sich zurechnet. Sie vollzieht sich als Operation, mit der das System sich selbst im Unterschied von seiner Umwelt bezeichnet“ (Luhmann 1987d: 601, Hervorhebung i.O.). Im Reflexionsmodus verweist folglich die Selbstreferenz als Innenbezug auf das ‚System‘ als geschlossenen Gesamtzusammenhang oder imaginierte Einheit, während sich Fremdreferenz als Außenbezug auf die von dieser Einheit unterschiedene ‚Umwelt‘ bezieht (Luhmann 2008: 34). Die ‚Umwelt‘ wird dabei jedoch, im Gegensatz zum System, nicht klar als Einheit umrissen, sondern fungiert typischerweise als relativ diffuser Verweisungshorizont auf all das, was nicht dem System zugerechnet wird. 45 Auch im Modus der Rationalität operiert das System auf Basis der Differenz von ‚System‘ und ‚Umwelt‘. Die in dieser „voraussetzungsreichste[n] Form der Selbstbeobachtung“ (Esposito 1997b: 145) zugrunde gelegten System- und Umweltvorstellungen sind jedoch deutlich komplexer: Rationales systemisches Operieren setzt voraus, dass sich Systeme der Nichthintergehbarkeit ihrer eigenen Operationsweise bewusst werden und diese (trotz dieser Einsicht) als ihre eigene, spezifische Realisierungsform der System/Umweltdifferenz im Verhältnis zu anderen Realisierungsformen (anderer Systeme in ihrer Umwelt) beobachten. Demnach ist Rationalität „erst gegeben, wenn der Begriff der Differenz selbstreferentiell benutzt, das heißt, wenn auf die Einheit der Differenz reflektiert wird. […] Für Systeme heißt dies, daß sie sich selbst durch ihre Differenz zur Umwelt bestimmen und dieser Differenz in sich selbst operative Bedeutung, Informationswert, Anschlußwert verleihen müssen“ (Luhmann 1987d: 640–641, Hervorhebung i.O.). Kurz: Rationales Operieren setzt voraus, dass Systeme sich ihrer Verfasstheit als operativ geschlossene Systeme gewahr – also in gewisser Weise selbst zu Systemtheoretikern – werden.46 ‚Umweltereignisse‘ werden im beobachtenden System dann typischerweise als Rückmeldungen anderer Systeme auf die eigene Operationsweise und deren Auswirkungen verstanden (Luhmann 2008: 162). 47 Während also im Modus der Reflexion Selbstreferenz

45 So bemerkt Luhmann (2008: 34): „In dieser Funktion einer internen Prämisse hat die Umwelt des Systems keine Grenze, und sie braucht auch keine Grenze. Sie ist das Korrelat aller im System benutzten Fremdreferenzen und ist phänomenal als Horizont gegeben.“ 46 Dementsprechend komplex gestaltet sich die Selbst- und Umweltbeschreibung, die Systeme auf der Basis rationalen Operierens ausbilden können. Als rational operierende „müßte die Gesellschaft selbst sich dann mit Metabegriffen als polykontextural oder als hyperkomplex beschreiben. Jede einzelne Selbstbeschreibung trägt dann als Beschreibung ihrer eigenen Kontingenz Rechnung. Sie berücksichtigt […], daß es auch andere Selbstbeschreibungen desselben Systems geben kann“ (Luhmann 1997: 891–892; vgl. auch Luhmann 1987d: 256–257). 47 Ein rational operierendes System kann beobachten, dass es sich selbst anders beobachtet, als es von anderen Systemen in seiner Umwelt beobachtet wird. Aus der Abweichung dieser Beobachtungen kann es wiederum Informationen in Bezug auf sich selbst, genauer: auf die Auswirkungen seiner Operationsweise auf seine gesellschaftliche Umwelt generieren. So bemerkt auch Luhmann, dass ein System „seine Rationalität darin finden kann, daß es

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auf das ‚System‘ und Fremdreferenz auf die ‚Umwelt‘ als unabhängig vom beobachtenden System bestehende faktische Einheiten verweisen, besteht das ‚Selbst‘ im Modus der Rationalität in der operativen, das heißt durch die eigene Operationsweise erst erzeugten Einheit (im Sinne einer ‚Einheit durch Differenz‘), die sich von anderen (als nichtdurchschaubar durchschauten) operativ erzeugten Einheiten unterscheidet. In seiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob sich die Gesellschaft auf ökologische Gefährdungen einstellen kann, setzt Luhmann stets voraus, dass die hochkomplexen gesellschaftlichen Funktionssysteme in der Lage sind, reflexiv beziehungsweise rational zu operieren und daher grundsätzlich über die Option verfügen, die eigenen Beobachtungen auf ihre ‚Umwelt‘ zuzurechnen und auf diese zu ‚reagieren‘. Auf welche Weise ein System diese Zurechnungsoption jeweils handhabt, hängt von der je aktuellen Ausgestaltung seiner systemischen Erwartungsstrukturen ab. Diese formen die systemische Resonanzfähigkeit, die im folgenden Abschnitt eingehender diskutiert wird.

2.4 DIE ERSTE DIMENSION SYSTEMISCHER RESONANZ: RESONANZFÄHIGKEIT Die Resonanzfähigkeit eines operativ geschlossenen sozialen Systems ergibt sich aus der Gesamtheit aller diesem System zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, sich auf seine Umwelt zu beziehen. Diese Möglichkeiten hängen von der je aktuellen Ausgestaltung der systemischen Erwartungsstrukturen ab. Denn, wie alle sonstigen Operationen eines Systems auch, sind sämtliche Formen der systemischen Bezugnahme auf die eigene ‚Umwelt‘ stets durch diese Strukturen „konditionierte Operationen“ (Luhmann 2008: 72): Die operative Umwelt kann systemintern nur „nach Maßgabe interner Strukturen aufgegriffen“ werden (Luhmann 1996a: 50). In der Form beobachtungsleitender Differenzschemata geben diese vor, auf welche Weise ein System seine operative Umwelt sinnhaft – als ‚Umwelt‘ – erfassen kann. „Das System führt eigene Unterscheidungen ein und erfaßt mit Hilfe dieser Unterscheidungen Zustände und Ereignisse, die für das System selbst dann als Information erscheinen. Information ist mithin eine rein systeminterne Qualität. […] Die Umwelt ist, was sie ist. […] Erst für Systeme wird es möglich, die Umwelt zu ‚sehen‘, denn dazu […] ist die Vorgabe eines Differenzschemas und die Lokalisierung von Items in diesem Differenzschema als ‚dies und nicht das‘ erforderlich“ (Luhmann 2008: 30, Hervorhebung i.O.).

Aus diesem Grund steht die Resonanzfähigkeit eines Systems in einem grundsätzlich positiven Zusammenhang mit dessen struktureller Eigenkomplexität: Je umfangreicher beziehungsweise differenzierter die Erwartungsstrukturen sind, die ein System im Hinblick auf seine ‚Umwelt‘ ausgebildet hat, desto mehr kann es von seiner „Umwelt zu ‚sehen‘“ bekommen und desto „mehr und verschiedenartige Beziehun-

die Auswirkungen seiner eigenen Operationen auf seine Umwelt im Hinblick auf die Rückwirkungen auf sich selbst kalkuliert“ (Luhmann 2008: 117).

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gen zur Umwelt“ kann es unterhalten (Luhmann 2008: 24). Auf metaphorischer Ebene verdeutlicht Luhmann (2008: 27) dieses Steigerungsverhältnis am Beispiel eines Lexikons: „Je reicher ein solches Lexikon ist, desto mehr wird es auch durch Sprachentwicklungen in Bewegung gehalten werden, desto mehr Resonanz kann es aufbringen“. Eine systematische Rekonstruktion der Resonanzfähigkeit eines sozialen Systems erfordert daher eine umfassende Analyse der aktuellen Ausgestaltung derjenigen systemischen Erwartungsstrukturen, die den Umweltbezug des betreffenden Systems regulieren. Um nachvollziehen zu können, wie sich die ‚Umwelt‘ aus der jeweiligen systemspezifischen Beobachterperspektive darstellt, muss für jedes System zu jedem Zeitpunkt untersucht werden, „in welchem Differenzschema Tatsachen erfaßt werden, welche Wunschzustände die Zustände ins Relief setzen und wie Erwartungen an das herangeführt werden, was in bezug auf sie dann als Realität erscheint“ (Luhmann 2008: 31, Hervorhebung H.V.).48 Anstatt eine solche umfassende Darstellung der den Umweltbezug sozialer Systeme regulierenden Erwartungsstrukturen vorzulegen und sich deren Wirkungsweise auf analytischer Ebene zu nähern, beschränken sich Luhmanns Ausführungen im abstrakt-theoretischen Teil der Ökologischen Kommunikation jedoch im Wesentlichen auf die funktionssystemkonstitutiven Erwartungsstrukturen der Programme und Codes (Luhmann 2008: 50–66). Während die Programme die kognitive Offenheit ihres Systems sicherstellen, organisieren die funktionssystemkonstitutiven binären Codes dessen operative Geschlossenheit (Luhmann 2008: 55). Mit dieser „Differenzierung von Programmierung von Codierung“ sei, so konstatiert Luhmann, „der Schlüssel für das Problem der gesellschaftlichen Resonanz auf Gefährdungen durch die Umwelt“ bereits gefunden (Luhmann 2008: 60, Hervorhebung i.O.).49 Für eine systematische Analyse der Resonanzfähigkeit sozialer Systeme greift der Verweis auf Programme und Codes – so die hier vertretene These – jedoch deutlich zu kurz. Trotz der sicherlich zentralen Bedeutung dieser funktionssystemkonstitutiven Beobachtungsschemata, muss ein System darüber hinaus immer auch auf weitere Erwartungsstrukturen zurückgreifen, um den Sinn eines beobachteten ‚Umweltereignisses‘ in allen drei Sinndimensionen so weit bestimmen zu können, dass dieser systemintern anschlussfähig wird und potentiell Resonanz erzeugen kann. Die Differenz von Programmierung und Codierung alleine kann die Frage nach der Resonanzfähigkeit sozialer Systeme daher nicht bereits umfassend beantworten. Als ‚Schlüssel‘ stößt sie lediglich die Tür auf, hinter der sich eine Vielzahl weiterer systemischer

48 So setzt Luhmann (2008: 43) die „Analyse der Resonanzfähigkeit des Gesellschaftssystems“ mit der „Analyse möglicher Kommunikation“ gleich. 49 In Gänze lautet Luhmanns Aussage an dieser Stelle: „Durch die Differenzierung von Codierung und Programmierung gewinnt ein System also die Möglichkeit, als geschlossenes und offenes System zugleich zu operieren. Deshalb ist diese Differenzierung mitsamt der dadurch gewonnenen Artikulationsfähigkeit der Schlüssel für das Problem der gesellschaftlichen Resonanz auf Gefährdungen durch die Umwelt“ (Hervorhebungen i.O.).

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Beobachtungsschemata verbergen, die das Verhältnis von Systemen zu ihrer Umwelt strukturieren.50 Bestätigt wird diese These bereits durch einen Blick in den an die abstrakttheoretischen Ausführungen anschließenden empirisch-exemplarischen Teil der Ökologischen Kommunikation, in dem Luhmann die Resonanzfähigkeit unterschiedlicher gesellschaftlicher Funktionssysteme nachzeichnet. Hier finden sich zahlreiche Hinweise darauf, welche weiteren Erwartungsstrukturen die systemische „Verarbeitungskapazität […] für Umweltinformationen“ (Luhmann 2008: 45) organisieren und damit „die Schranken möglicher Resonanz“ (Luhmann 2008: 75) definieren. Diese Hinweise sind jedoch zumeist eher impliziter Natur. Sie werden weder auf empirischer Ebene systematisch herausgearbeitet, noch auf theoretischer Ebene an den Resonanzbegriff rückgebunden. Um die Strukturierungsleistung unterschiedlicher systemischer Erwartungsstrukturen in Bezug auf die systemische Resonanzfähigkeit nicht nur – wie in der Ökologischen Kommunikation – an konkreten Beispielen aufzuzeigen, sondern auch auf analytischer Ebene rekonstruieren zu können, werden Luhmanns diesbezügliche Bemerkungen im Folgenden unter drei Formen von Erwartungsstrukturen subsumiert. Die Wirkungsweise dieser Erwartungsstrukturen und die damit verbundenen gesellschaftstheoretischen Implikationen werden sodann jeweils am Beispiel der Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems und des politischen Systems illustriert. Diese beiden Systeme werden hier herausgegriffen, da sie auch im zweiten, empirischen Teil der Arbeit, der sich der Rekonstruktion der Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für das politische Programm der Energiewende widmet, von besonderer Bedeutung sein werden. In diesem Kapitel beschränken sich die Ausführungen zur Resonanzfähigkeit dieser beiden gesellschaftlichen Teilsysteme zunächst auf die recht knappen Beschreibungen, die Luhmann selbst (2008: 67–81, 109–119) in der Ökologischen Kommunikation vornimmt. Im Rahmen der systemtheoretischen Konzeptualisierung des Resonanzbegriffs in Kapitel 3 werden dann auch weitere Werke Luhmanns sowie die an ihn anschließende Literatur hinzugezogen. Auf diese Weise lässt sich erstens nachvollziehen, wie die systemische Programmierung, die die Zuordnung einer Umweltbeobachtung zur einen oder anderen Seite des funktionssystemischen Codes regulieren, durch weitere, systemisch routiniert verfügbare Schemata konkretisiert werden. Diese werden im Folgenden als etablierte Programm-Ergänzungsschemata bezeichnet (vgl. Abschnitt 2.4.1). Zweitens wird deutlich, dass ein System zur Attribution seiner Beobachtungen auf sich ‚selbst‘ oder seine ‚Umwelt‘ auf Vorstellungen zurückgreifen muss, die in seinen Selbst- und Umweltbeschreibungen semantisch fixiert sind (vgl. Abschnitt 2.4.2). Drittens zeigt sich, dass die systeminterne Konstitution der ‚Umwelt‘ auch in zeitlicher Hinsicht durch die jeweils spezifische Zeitstruktur erwartungsstrukturell geprägt ist. Die systemischen Zeithorizonte bestimmen, in welcher Form und in welchem Ausmaß mögliche Zukunftsentwicklungen in gegenwärtige Systemoperationen einbezogen werden können (vgl. Abschnitt 2.4.3).

50 Insbesondere wird die Bestimmung eines beobachteten Ereignisses als ‚Umweltereignis‘ erst unter Rückgriff auf die in der Sozialdimension wirkenden Unterscheidung von Fremdund Selbstreferenz möglich (vgl. Abschnitt 2.4.2).

2. Die Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme | 43

2.4.1 Die konstitutiven Beobachtungsschemata gesellschaftlicher Funktionssysteme: Programmierung und Codierung Die binären Codes der Funktionssysteme bilden das grundlegende Beobachtungsschema, das jegliche Informationsverarbeitung im System (mit-)bestimmt (Luhmann 2008: 50). Indem der jeweilige funktionsbezogene Code systemweit „universelle Geltung beansprucht und dritte Möglichkeiten ausschließt“ (Luhmann 2008: 50), fungiert er als unhintergehbare „Leitdifferenz“ funktionssystemischer Operationen, die „alle weitere Informationsverarbeitung“ im System „kanalisiert“ und auf diese Weise systeminterne Informationsverarbeitung überhaupt erst möglich macht (Luhmann 2008: 56). Nur was anhand des Codeschemas beobachtet wird, kann zum operativen Bestandteil des Systems werden – und zwar bereits dadurch, dass es auf diese Weise beobachtet wird (Luhmann 2008: 56).51 Nicht-codierte Mitteilungen sind als solche für das jeweilige Funktionssystem dagegen nicht anschlussfähig – das heißt nicht informativ – und können lediglich als undefinierbares Rauschen wahrgenommen werden, das keine spezifischen ‚Reaktionen‘ und somit auch keine Resonanz erzeugen kann. In diesem Sinne organisiert der Code die Sinngrenze, über die sich ein Funktionssystem als Einheit formiert und so gleichzeitig von seiner Umwelt abgrenzt: Jedes Funktionssystem konstituiert und reproduziert sich stets anhand seines Codes. Als „hochabstrakte Schematismen“ (Luhmann 2008: 59) ermöglichen die funktionssystemischen Codes jedoch lediglich die rekursive Identifikation von Systemoperationen. Sie stellen klar, dass ein etwa nach der Maßgabe Zahlung/Nicht-Zahlung beobachtetes Ereignis eine Operation des Wirtschaftssystems darstellt. 52 Wie dieses Ereignis jedoch verstanden wird – das heißt, welcher Codewert und welche konkrete Bedeutung ihm im Wirtschaftssystem zukommt, kann erst mit Blick auf weitere systemische Erwartungsstrukturen beantwortet werden, mittels derer Ereignisse im System interpretiert werden (Hellmann 1996: 22). Eine in diesem Kontext zentrale Erwartungsstruktur sind die funktionssystemischen Programme. Als „vorgegebene Bedingungen für die Richtigkeit der Selektion von Operationen“ (Luhmann 2008: 60) definieren sie die Kriterien, anhand derer die konkreten Umweltbeobachtungen des Systems dessen jeweiligen Codewerten zugewiesen werden können (Luhmann 2008: 156).53 Wirtschaftliche Zahlungsentscheidungen lassen sich beispielsweise nur unter Rückgriff auf konkrete Preise sowie

51 Die Anwendung des Beobachtungsschemas funktionssystemischer Code ist damit eine sowohl hinreichende wie notwendige Bedingung der Zugehörigkeit von Operationen zu einem bestimmten Funktionssystem. 52 Für eine Übersicht zu allen Codes und Programmen der Funktionssysteme vgl. Krause (2001: 43). 53 An anderer Stelle bezeichnet Luhmann (1997: 362) Programme als „Kriterien, die festlegen, unter welchen Bedingungen die Zuteilung des positiven bzw. negativen Wertes richtig erfolgt. Wir werden diese Konditionierungen ‚Programme‘ nennen. Sie hängen sich wie ein riesiger semantischer Apparat an die jeweiligen Codes; und während die Codes Einfachheit und Varianz erreichen, wird ihr Programmbereich, gleichsam als Supplement dazu, mit Komplexität und Veränderlichkeit aufgeladen.“

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„Zweckprogramme und Budgets“ (Krause 2001: 43) treffen. Und auch diese „Programmierung erfordert [wiederum, Anmerkung H.V.] eine Programmierung“ (Luhmann 2008: 69) – etwa in dem Fall, in dem die Programme selbst hinterfragt werden und Kriterien dafür angeführt werden müssen, „ob die Preise selbst richtig sind“ (ebd.).54 Im Hinblick auf die in diesem Kapitel angestrebte Systematisierung resonanzrelevanter Erwartungsstrukturen werden diese weiteren Konkretisierungen systemischer Programme im Folgenden – in Anlehnung an den von Luhmann (1996c: 318) in einem ähnlichen Kontext eingeführten Sammelbegriff der „Ergänzungsschemata“55 – als etablierte Programmergänzungsschemata bezeichnet. Als codebezogene „‚Konkretisierungen‘ (oder: ‚Operationalisierungen‘)“ (Luhmann 2008: 60) ermöglichen die Programme und Programmergänzungsschemata eine erste Einordnung von beobachteten (Umwelt-)Ereignissen im System und sind damit für die systemische Beobachterperspektive ebenso konstitutiv wie die durch sie angeleiteten binären Codes: „Erst anhand von Programmen kann man in den Funktionssystemen sinnvoll kommunizieren“ (Luhmann 1996a: 55; zur „Ergänzungsbedürftigkeit“ des Codes vgl. auch Luhmann 2008: 84; Stäheli 1996). Die herausgehobene Bedeutung der systemischen Codes und der ihre Verwendung regelnden Programmstrukturen für die Resonanzfähigkeit gesellschaftlicher Funktionssysteme besteht insbesondere darin, dass diese jeweils systemkonstitutive Erwartungsstrukturen darstellen. Als solche bilden sie die grundlegend perspektivbildenden Filter, durch die jegliche ‚Umwelt‘-Wahrnehmung im System notwendigerweise (mit-)strukturiert wird: „Wenn ökologische Problemlagen diese Doppelfilter der Codierung und Programmierung durchlaufen, gewinnen sie systeminterne Relevanz und gegebenenfalls weitreichende Beachtung – so und nur so!“ (Luhmann 2008: 144). Auf diese Weise formen die Codes der Funktionssysteme den Möglichkeitsrahmen, innerhalb dessen funktionssystemischer Umweltbezug stattfinden kann: „Wie immer ‚responsiv‘ […] ein System aufgebaut wird […]: seine Reaktionsfähig-

54 Die folgenden Darstellungen gehen von Luhmanns recht pauschalen (und auch überwiegend so rezipierten) Bestimmungen der Programme der gesellschaftlichen Funktionssysteme aus. So bestehen nach Luhmann die Programme des Rechtssystems in „Gesetze[n] und Verfahren“ und die der Wissenschaft in „Theorien und Methoden“ (Esposito 1997a: 139). Legt man ein weiter gefasstes Verständnis systemischer Programme zugrunde und geht davon aus, dass sämtliche „Kriterien für die korrekte Zuschreibung der Codewerte“ (Esposito 1997a: 139; vgl. auch Luhmann 1997: 362) als solche zu fassen sind, wären die hier als ‚etablierte Programmergänzungsschemata‘ bezeichneten Strukturen ebenfalls unter den Programmbegriff zu subsumieren. 55 In seinem Aufsatz Zeit und Gedächtnis schreibt Luhmann (1996c: 318) diesbezüglich: „Jeder Typ von Schematisierung ermöglicht auf ihn bezogene Ausarbeitungen. So fordern abstrakte Codes wie gut/schlecht oder wahr/unwahr auf sie bezogene Programme, die sagen, unter welchen Bedingungen der positive bzw. negative Wert richtig oder falsch bezeichnet wird; und auch dies sind Zwei-Seiten-Schemata. Auch Kausalschemata können durch Attributionsregeln konkretisiert werden – so wenn man sagt, daß Autoabgase der den Wäldern oder der Stratosphäre schadet. […] Die Kommunikation kann sich nicht die Zeit nehmen, jedem Einsatz eines Schemas eine Wahrheitsprüfung vorzuschalten. Wenn Zweifel auftauchen, werden Ergänzungsschemata angeboten.“

2. Die Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme | 45

keit beruht auf der geschlossenen Zweiwertigkeit seines Codes und ist dadurch scharf begrenzt“ (Luhmann 2008: 55). Programmierung und Codierung im Wirtschaftssystem Im Falle des Wirtschaftssystems bedeutet dies, dass sich dieses nur unter Rückgriff auf seinen binären Code Zahlung/Nicht-Zahlung auf seine Umwelt beziehen kann. ‚Umweltereignisse‘ werden stets im Hinblick auf deren Zahlungsrelevanz beobachtet (Luhmann 1996a: 54; Luhmann 2008: 75): „Zahlen oder Nichtzahlen – das ist, ganz streng gemeint, die Seinsfrage der Wirtschaft“ (Luhmann 2008: 68; vgl. auch ebd.: 58). 56 Als „Programmierung der Zahlungen“ (Luhmann 2008: 69) im Wirtschaftssystem, die festlegt, „ob Zahlungen richtig sind oder nicht“, fungieren die am Markt beobachtbaren „Preise“ (Luhmann 2008: 69). Durch die „Sprache der Preise“ wird „vorweg alles gefiltert, was in der Wirtschaft geschieht […]. Auf Störungen, die sich nicht in dieser Sprache ausdrücken lassen, kann die Wirtschaft nicht reagieren“ (Luhmann 2008: 80). Umweltbeobachtungen können in der Wirtschaft folglich „[…] immer nur in Form von Preisen und Preisänderungen Ausdruck finden“ (Luhmann 2008: 70), indem sie „über Mengen- und Nutzenkalküle“ (Luhmann 2008: 75) in die Wirtschaftskommunikation eingebracht werden. Um eine solche sinnhafte Eingliederung von Umweltbeobachtungen in ökonomische Zahlungsentscheidungen zu realisieren, müssen die am Markt beobachtbaren Preise jedoch zunächst in ihrer Bedeutung für konkrete „Entscheidungseinheiten des Wirtschaftssystems“ 57 spezifiziert werden. Hierzu werden sie in für die jeweilige Entscheidungseinheit zahlungsrelevante Kosten übersetzt, sodass die „[s]elbstreferentielle Art des wirtschaftlichen Prozessierens von Informationen“ letztlich dazu führt, „daß Probleme in die Form von Kosten gebracht werden“. In dieser Kostenform können ‚Probleme‘ dann ökonomisch weiterverarbeitet werden: „Sie werden so Bestandteil einer Kalkulation, die darüber entscheidet, ob es wirtschaftlich rational ist, die entsprechende Zahlung zu leisten oder nicht. In dieser Form unterscheidet das System zwischen lösbaren und unlösbaren (nicht finanzierbaren bzw. nicht rentabel zu finanzierenden) Problemen“ (Luhmann 2008: 79; vgl. auch Luhmann 2005a: 279). Das Wirtschaftssystem unterscheidet dabei zwischen verschiedenen Formen von Kosten, wie beispielsweise „externe Kosten“ (Luhmann 2008: 78), „Grenzkosten“ (Luhmann 2008: 76) oder „Produktionskosten“ (Luhmann 2008: 79), die die Kalku-

56 Diese Formulierung verrät bereits, dass es sich bei den Zahlungskommunikationen der Wirtschaft im Wesentlichen um Entscheidungen beziehungsweise um Kommunikation über Entscheidungen handelt: „Diese [systemeigenen, Anmerkung H.V.] Operationen bestehen, da das System über Negationsmöglichkeiten verfügt, in Entscheidungen. Zahlungen qualifizieren sich vor dem Hintergrund der Möglichkeit, nicht zu zahlen (bzw. nicht zahlen zu können)“ (Luhmann 2008: 68). Später spezifiziert Luhmann, dass es sich bei wirtschaftlichen Zahlungsentscheidungen um „Entscheidungen unter Unsicherheit über die von den Entscheidungen anderer abhängigen Erfolgsbedingungen“ (Luhmann 2008: 71) handelt. 57 Hiermit dürften im Wesentlichen operativ am Wirtschaftssystem teilnehmende Unternehmen und Haushalte gemeint sein (vgl. Luhmann 2008: 79; 1994: 200, 249–50).

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lationen wirtschaftlicher Entscheidungseinheiten in je unterschiedlicher Weise beziehungsweise in unterschiedlichem Ausmaß beeinflussen. So werden etwa ‚externe Kosten‘, anders als ‚Produktionskosten‘, typischerweise als nicht zahlungsrelevant verstanden und daher grundsätzlich selten in Zahlungsentscheidungen einbezogen. Als die unternehmerischen Zahlungsentscheidungen leitende Beobachtungsschemata sind solche Kostenformen systemweit routiniert abruf- und prozessierbar und können somit regelmäßig als etablierte Programmergänzungsschemata zur systeminternen Einordnung und Verarbeitung bestimmter Preise herangezogen werden. 58 Anhand dieser konstitutiven wirtschaftlichen Beobachtungsschemata – Zahlung/Nicht-Zahlung, Preise und Kosten – können ‚Umweltereignisse‘ im Wirtschaftssystem in unterschiedlicher – nicht aber beliebiger – Weise sinnhaft bestimmt und operativ verarbeitet werden. Programmierung und Codierung im politischen System Ebenso wie die Wirtschaft kann auch das politische System seine Umwelt lediglich durch die ‚Brille‘ seines binären Codes ‚machtüberlegen/-unterlegen‘ beziehungsweise ‚Regierung/Opposition‘ (Luhmann 2008: 111) beobachten. ‚Umweltereignisse‘ erscheinen vor diesem Hintergrund stets als potentielle Macht- beziehungsweise Regierungschancen oder -gefährdungen. Die Programmierung der Politik, das heißt die Kriterien, anhand derer Machtüberlegenheit und Machtunterlegenheit beziehungsweise Regierung und Opposition bestimmt werden können, besteht in dem aktuell legitimen „Vorgang der Auswahl von Personen und Programmen“ (Luhmann 2008: 111) für „Staatsämter“ (Luhmann 2008: 111). In der „Wettbewerbsdemokratie“ (Luhmann 2008: 118) sind dies vor allem Wahlen, in denen unterschiedliche Parteien mit ihren jeweiligen Regierungsprogrammen und Kandidaten um die Gunst des „Publikums der Bürger“ (Baraldi 1997c: 138) – politisch repräsentiert durch die „öffentliche Meinung“ (Luhmann 2008: 169; vgl. auch Luhmann 1992a: 84–85) – buhlen: „In der politischen Kommunikation geht es immer nur darum, mit welchen politischen Programmen Regierung und Opposition sich ablösen oder nicht ablösen“ (Luhmann 2008: 148). Für die Resonanzfähigkeit des Systems bedeutet dies, dass Umweltereignisse nur in Form von „differentielle Chancen der Wiederwahl“ (Luhmann 2008: 114) suggerierenden Themen Eingang in die politischen „Wahlstimmenkalküle“ (Luhmann 1996a: 56) finden können und dort mittels kollektiv bindender Entscheidungen und Regierungsprogrammen weiter bearbeitet werden (Luhmann 2008: 118). Zur themenübergreifenden Charakterisierung der zur Wahl gestellten Regierungsprogramme verfügt das politische System über eine Reihe typischer Unterscheidungen von als gegensätzlich konstruierten Politikprogrammen, anhand derer

58 Anders als in früheren Differenzierungsstadien der Gesellschaft benötigt das moderne Wirtschaftssystem keine Programmergänzungsschemata mehr, anhand derer festgestellt werden kann, „ob die Preise selbst richtig sind“ (Luhmann 2008: 69): „Für die wirtschaftliche Kalkulation ergeben die Preise sich selbstregulativ aus dem Wirtschaftsgeschehen selbst und bedürfen keiner externen (naturrechtlichen bzw. moralischen) Regulation. Ihre Beschränkungen liegen in der Durchsetzbarkeit am Markt, die ihrerseits durch die verfügbare Geldmenge mitbedingt ist“ (Luhmann 2008: 70).

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sich schnell erkennen lässt, „wie man politische Gewalt ausüben will und was man dabei als richtiges Verhalten ansieht“ (Luhmann 2008: 113). Diese „ideologische[n] Codes“ (Luhmann 2008: 60) haben sich im Laufe der Zeit als etablierte Programmergänzungsschemata in der politischen Kommunikation „eingebürgert“ (Luhmann 2008: 113). Seit der Französischen Revolution fungiert insbesondere die Unterscheidung von konservativer/progressiver Politik (Luhmann 2008: 113) als ein solches, Orientierung bietendes Schema möglicher politischer Positionen. Der „realen Dynamik des gesellschaftlichen Wandels“ (Luhmann 2008: 113) Rechnung tragend, wird dieses klassische Schema aktuell jedoch zunehmend durch ein alternatives Schema ersetzt, welches politische Programme anhand ihres entweder „mehr restriktiven“ oder „mehr expansiven Staatsverständnisses“ (Luhmann 2008: 113) zueinander in Beziehung setzt.59 Ebenso wie die konstitutiven Beobachtungsschemata des Wirtschaftssystems dessen Umweltbezug strukturieren, definiert auch die aktuelle Ausgestaltung der politischen Codes und Programmstrukturen die Art und Weise, in der die ‚Umwelt‘ politisch relevant werden kann. 2.4.2 Die systeminterne Konstitution der ‚Umwelt‘: Fremd- und Selbstreferenz Resonanz kommt zustande, wenn ein System in bestimmter Weise auf Ereignisse oder Zustände reagiert, die es selbst seiner Umwelt zurechnet. Wie bereits erläutert, setzt dies voraus, dass „das System über die Fähigkeit verfügt, sich die Umwelt als Einheit (und das heißt zugleich: sich selbst in Differenz zur Umwelt als Einheit) zu präsentieren“ (Luhmann 2008: 34; vgl. dazu Abschnitt 2.3). Das Beobachtungsschema, das eine solche Zurechnung beobachteter Ereignisse auf das ‚System‘ selbst beziehungsweise auf die eigene ‚Umwelt‘ ermöglicht, ist die Unterscheidung von reflexiver beziehungsweise rationaler ‚Selbstreferenz/Fremdreferenz‘. Erst die durch dieses Schema geleistete Unterscheidbarkeit von ‚System-‘ und ‚Umweltereignissen‘ im System macht Resonanz im Sinne einer systemischen ‚Reaktion‘ auf die ‚Umwelt‘ möglich. Ebenso wie die Attribution beobachteter Ereignisse auf eine Seite der abstrakten binären Codes den Rückgriff auf Programme erfordert, benötigt ein System auch für die Handhabung des Beobachtungsschemas ‚Selbstreferenz/Fremdreferenz‘ beziehungsweise ‚System/Umwelt‘ konkretisierende Zuweisungsregeln. Diese Zuweisungsregeln sind in den jeweiligen Selbst- und Umweltbeschreibungen des Systems enthalten, in denen die systemintern wirksamen Vorstellungen bezüglich der Charakteristika des systemischen ‚Selbst‘ sowie anderer ‚Systeme‘ in der eigenen

59 Luhmann bezeichnet diese Schemata idealtypischer gegensätzlicher Politikprogramme als „Zweitcodierungen“ (Luhmann 2008: 113) des politischen Systems, in denen „einerseits die binäre Struktur des Codes copiert und andererseits zugleich ein Auswahlgesichtspunkt für das angedeutet [wird], was man für richtig hält (Luhmann 2008: 114; für eine Diskussion des Begriffs der Zweitcodierung vgl. Krönig 2007: 26–28). Indem sie die Kriterien konkretisieren, an denen sich politische Entscheidungen orientieren können, leisten diese Zweitcodierungen, so Luhmann, eine erste „Überbrückung der Differenz von Code und Programm“ (Luhmann 2008: 113; vgl. auch Baraldi 1997c: 137).

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‚Umwelt‘ semantisch fixiert sind. Unter Rückgriff auf ihre Selbstbeschreibungen können Systeme „angeben, was der Sinn ihrer Einheit ist“ und diesen Sinn als „Reflexionstheorie“ (Luhmann 2008: 57), als „systeminterne Theorie systeminterner Vorgänge“ (Luhmann 2008: 76) formulieren.60 Selbstbeschreibungen bleiben dabei jedoch stets „Selbstsimplifikationen“ (Luhmann 1987d: 25; vgl. auch Luhmann 2008: 168), also vereinfachte Modelle des Systems – gleichsam als ‚System‘ – im System. Auch die Umwelt kann im System nicht in ihrer operativen Komplexität, sondern stets nur in simplifizierter Form – als ‚Umwelt‘ – abgebildet werden. Über Vorstellungen bezüglich der grundlegenden Verfasstheit von System und Umwelt hinaus, thematisieren Selbst- und Umweltbeschreibungen auch die Beziehung, in der diese zueinander stehen (Luhmann 1987d: 257). So beeinflussen sie nicht nur, ob ein System ein beobachtetes Ereignis im ‚System‘ selbst oder in seiner ‚Umwelt‘ lokalisiert. Darüber hinaus enthalten Selbst- und Umweltbeschreibungen auch Erwartungen bezüglich der wechselseitigen Zuständigkeiten und Verschränkungen von System und Umwelt und verweisen somit darauf, in welchem Zusammenhang ‚Umweltereignisse‘ als für das System relevant beziehungsweise irrelevant zu gelten haben. Nach Luhmann haben alle Funktionssysteme der modernen Gesellschaft seit Mitte des achtzehnten Jahrhunderts solche Beschreibungen „in bemerkenswerter Übereinstimmung“ entwickelt (Luhmann 2008: 57). Um deren Relevanz als den Umweltbezug regulierende systemische Erwartungsstrukturen zu illustrieren, konzentrieren wir uns im Folgenden jedoch wiederum darauf, auf welche Weise das

60 Anhand von Reflexionstheorien versuchen Systeme also, „die Einheit des Systems zu beschreiben“ (Luhmann 2008: 62). Zum Verhältnis von „Selbstbeobachtung“ und „Selbstbeschreibung“ bemerkt Luhmann (1984: 323, Hervorhebung H.V.) unter Verweis auf das Wirtschaftssystem: „Wenn in der Wirtschaft über Wirtschaft gesprochen wird, ist natürlich auch heute noch eine ganz untheoretische Sprache in Gebrauch. Zu der auf ‚Preise‘ bezogenen Sprache kommt die auf ‚Kapital‘ bezogene Sprache hinzu. Man kann über Umsatz und Umsatzsteigerungen sprechen, über das Verhältnis von Eigenkapital und Umsatz oder Eigenkapital und Verschuldung, kann darin Erfolge und Mißerfolge oder Risiken bzw. ausreichende Sicherheiten erkennen. Die Differenzen, an denen man sich orientiert, mögen im Zeitvergleich liegen, oder auch in der Beziehung zu Zahlen, die ‚branchenüblich‘ sind. […] Dennoch kommt aufs Ganze gesehen mit der Anfertigung theoretischer Selbstbeschreibungen ein neues Moment hinzu. Deshalb müssen wir zwischen Selbstbeobachtung (laufendes Erleben) und Selbstbeschreibung (Anfertigung semantischer Artefakte) unterscheiden. Die Theorien wirken auf das System, das sie beschreiben, ein. Sie beeinflussen Wirtschaftspolitik, Investitionsverhalten etc., und dies sehr rasch.“ Für eine ähnliche Differenzierung im Hinblick auf das politische System vgl. Luhmann (2000a: 320). Dass diese Selbstbeschreibungen als systeminterne Theorien systeminterner Vorgänge vielleicht doch nicht so ‚systemintern‘ sind in dem Sinne, dass sie eine gewisse Nähe zur Logik wissenschaftlicher Kommunikation aufweisen, und wie in diesem Zusammenhang das Verhältnis von Sozialstruktur (als operative Trennung von Funktionssystemen, die lediglich auf der Basis struktureller Kopplungen wechselseitige Beziehungen entwickeln können) und Semantik (hier in Form einer systemischen Selbstbeschreibung) in und zwischen Funktionssystemen gedacht werden kann, diskutiert unter anderem Stichweh (2006: 6).

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Wirtschaftssystem und die Politik die Differenz von Selbst- und Fremdreferenz handhaben. Fremd- und Selbstreferenz im Wirtschaftssystem Die Selbstbeschreibung des Wirtschaftssystems ist, so Luhmann, an die „ökonomische Theorie“ (Luhmann 2008: 76) angelehnt, die sich zur Beschreibung wirtschaftlicher Operationen an der „Metapher des ‚Kreislaufs‘“ (Luhmann 2008: 73; vgl. auch ebd.: 74) sowie an „Gleichgewichtstheorien oder Multivariablenoptimierungsmodelle[n]“ (Luhmann 2008: 74) orientiert. Vor diesem Hintergrund wird die ‚Umwelt‘ der Wirtschaft entweder als ökonomisch verwertbare Ressource, „die Nutzenströme an die individuellen Teilnehmer des wirtschaftlichen Produktions- und Konsumprozesses“61 abgibt (Luhmann 2008: 75) oder als Begrenzung wirtschaftlicher Aktivitäten, als „Schranke[.] des zur Zeit technisch Möglichen und wirtschaftlich Rentablen“ (Luhmann 2008: 76) wahrgenommen. Bezüglich der wechselseitigen Zuständigkeiten und Beziehungen zwischen System und Umwelt vertritt die wirtschaftliche Selbstbeschreibung grundsätzlich „den Standpunkt der Selbstregulierung des Systems“ (Luhmann 2008: 76) und hebt damit insbesondere die Eigenständigkeit des Systems im Verhältnis zu seiner Umwelt hervor. Dennoch wird die gesellschaftsbezogene Integrationsleistung der Wirtschaft im Sinne einer systeminternen Berücksichtigung von Umweltfaktoren als relativ hoch eingeschätzt (Luhmann 2008: 76). Dies lässt sich darauf zurückführen, dass die systemische Selbstbeschreibung „aufgrund von modelltheoretischen Überlegungen“ (Luhmann 2008: 76) davon ausgeht, dass sich sämtliche relevante Umweltinformationen, etwa über ökologische Gefährdungen, in den Marktpreisen niederschlagen. Dementsprechend wird unterstellt, dass die Umwelt stets indirekt und in optimaler Weise in die Zahlungsentscheidungen von Wirtschaftsakteuren einbezogen ist (Luhmann 2008: 76). Aus dieser Perspektive ermöglicht die Selbstregulierung wirtschaftlicher Aktivitäten über Preise „die bestmögliche Verteilung von Informationen auch über die Umwelt“ (Luhmann 2008: 76) und führt in Sachen Umweltschutz etwa dazu, dass „der Grenznutzen und die Grenzkosten des Umweltschutzes sich ausgleichen“ (Luhmann 2008: 76–77)62. Ökologisch motivierte, ‚externe‘ Eingriffe in das Marktgeschehen erscheinen vor diesem Hintergrund nur in Ausnahmefällen vonnöten.

61 Um die wirtschaftliche Perspektive auf die ökologische Umwelt als Ressource aufzuzeigen, greift Luhmann (2008: 75) beispielhaft auf die makroökonomische Umweltdefinition des Wirtschaftswissenschaftlers Dieter Bender (1976: 10) zurück: „Dieter Bender definiert Umwelt in diesem Sinne zum Beispiel ‚als die Gesamtheit aller naturgegebenen, nichtproduzierte Güter und Dienste, die Nutzenströme an die individuellen Teilnehmer des wirtschaftlichen Produktions- und Konsumprozesses abgeben.‘“ 62 Dass es sich bei diesem, in der wirtschaftlichen Selbstbeschreibung verankerten „Prinzip“ der wirtschaftsinternen Berücksichtigung ökologischer Bedingungen um ein Element der Selbstbeschreibung und nicht um ein operationsfähiges Skript handelt, zeigt Luhmann mit dem Verweis darauf, dass dieses „noch unermeßliche Meßprobleme und praktische Probleme der Zurechnung“ offenlässt (Luhmann 2008: 77).

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Fremd- und Selbstreferenz im politischen System Die Selbstbeschreibung des politischen Systems stützt sich auf eine historisch gewachsene und bis heute präsente gesellschaftliche Erwartungshaltung, die dem politischen System eine „Ausnahmestellung“ 63 (Luhmann 2008: 109) im Sinne einer „Gesamtverantwortung der Politik für die Gesellschaft“ (Luhmann 1981: 143) zuweist.64 Hieran anknüpfend sieht sich auch die Politik selbst in der Pflicht, durch die „Lösung aller anderswo unlösbaren Probleme“ die „gesellschaftliche Integration“ durch kollektiv bindende Entscheidungen zu gewährleisten (Luhmann 2008: 109). Die Umwelt erscheint im politischen System typischerweise in der Form der „öffentlichen Meinung“, die „als der eigentliche Souverän“ (Luhmann 2008: 114) die Themen beziehungsweise Anlässe für politische Regierungsprogramme und kollektiv bindendes Entscheiden setzt. Aus dem in der Selbstbeschreibung des Systems verankerten Integrationsanspruch im Hinblick auf seine gesellschaftliche Umwelt ergibt sich eine gewisse Universalzuständigkeitshaltung der Politik für sämtliche soziale Problemlagen: „Als gerufene Kraft, die Verhältnisse in Ordnung zu bringen, wirkt sie [die Politik, Anmerkung H.V.] hauptsächlich dadurch, daß sie dem Appellieren an Politik keine Schranken zieht“ (Luhmann 2008: 110). Dementsprechend reagiert das politische System typischerweise als eine Art gesellschaftlicher „Durchlauferhitzer“ (Luhmann 2008: 148) auf fast alle beobachteten Umweltereignisse, die in der Form zu regulierender Problemlagen in der öffentlichen Meinung relevant werden.65 2.4.3 Die systeminterne Konstitution der ‚Zukunft‘: Zeitstruktur Der Umweltbezug sozialer Systeme wird auch in temporaler Hinsicht durch je systemspezifisch ausgebildete Beobachtungsschemata geprägt, die Luhmann in der Ökologischen Kommunikation mit den Begriffen der „Systemzeit“ (Luhmann 2008: 74) beziehungsweise der systemspezifischen „Zeitstruktur“ (Luhmann 2008: 118) umreißt. So entwickeln alle Funktionssysteme der Gesellschaft je „eigene Zukunfts/Vergangenheits-Perspektiven, eigene Zeithorizonte und eigenen Zeitdruck“ (Luhmann 2008: 74, in Bezug auf das Wirtschaftssystem; vgl. auch Luhmann 1991d: 47). Neben sachlichen und sozialen Divergenzen, beschränkt daher auch die fehlende Synchronisation eines operativ geschlossenen Systems mit seiner Umwelt dessen Resonanzfähigkeit: „Man kann nicht voraussetzen, daß diese Systemzeit mit der Zeitlichkeit der Prozesse in der ökologischen oder auch in der gesellschaftlichen Umwelt

63 Symbolisiert wird diese Ausnahmestellung in unterschiedlichen gesellschaftlichen Selbstbeschreibungen beispielsweise durch die Metapher der Politik als „Kopf“, „Seele“, beziehungsweise „Spitze“ oder „Zentrum“ der Gesellschaft (Luhmann 2008: 109). 64 Zur gesellschaftlichen Erwartungshaltung der „Universalzuständigkeit des Staates“ führt Luhmann (1981: 143–144) aus: „Die Tradition der politischen Theorie […] disponiert uns dazu, eine Art Gesamtverantwortung der Politik für die Gesellschaft anzunehmen. Der Staat wird dann als der organisierte Zustand der Gesellschaft angesehen.“ 65 Hohe Irritabilität wird hierbei als begünstigende Voraussetzung für Resonanz verstanden; Irritation allein ist jedoch nicht hinreichend für das Zustandekommen von Resonanz entsprechend der hier vertretenen Definition.

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des Systems abgestimmt ist. Auch insofern gibt es begrenzte Resonanzfähigkeit“ (Luhmann 2008: 74).66 Im Hinblick auf die Ausgestaltung der systemischen Resonanzfähigkeit für ökologische Gefährdungen liegt die besondere Relevanz temporaler Beobachtungsschemata in ihrer Funktion, die ‚Zukunft‘ des Systems zu konstituieren; nämlich in der Frage, ob beziehungsweise auf welche Weise ein System einen Umgang mit aktuellen Ursachen für in der ‚Zukunft‘ erwartbare Folgen finden kann (vgl. am Beispiel der politischen Resonanz auf den Klimawandel Wiesenthal 2010: 177, 184–185). Inwiefern soziale Systeme in der Lage sind, in ihrem eigenen Operieren Ursachen für zum Teil weit entfernte Folgen zu identifizieren und diese gegebenenfalls durch gegenwärtige, zukunftsbezogene Entscheidungen zu bearbeiten, hängt insbesondere von der Ausgestaltung der systemischen Zukunftshorizonte ab. Als Zuweisungsregeln für die systeminterne Unterscheidung von gegenwärtig einbeziehbarer und gegenwärtig ausgeblendeter Zukunft definieren diese, welche zukünftig möglichen (Umwelt-)Entwicklungen in den aktuellen Operationen des Systems berücksichtigt und somit potentiell in zukunftsbezogene systemische Entscheidungen einbezogen werden können, und welche möglichen Zukunftsentwicklungen außen vor bleiben (Luhmann 2017a: 59; Luhmann 1991d: 50–52). Die Zeitstruktur des Wirtschaftssystems Bezüglich der Systemzeit des Wirtschaftssystems betont Luhmann vor allem das im Verhältnis zu anderen Funktionssystemen relativ hohe Tempo und die dadurch erzeugte „Turbulenz“ (Luhmann 2008: 72) wirtschaftlichen Operierens, die sich aus der vornehmlichen Orientierung am Markt statt an einer „direkten kommunikativen Abstimmung“ mit anderen Wirtschaftsakteuren (Luhmann 2008: 71) ergeben:67 „Das System reagiert […] über quasi simultane Verarbeitung der Erwartungen im Hinblick auf die Verarbeitung der Erwartungen anderer. […] Eine der bemerkenswertesten Folgen ist ein außerordentlicher Tempogewinn“ (Luhmann 2008: 71; vgl. dazu grundlegend Priddat 2014; Esposito 2007). Das hohe Operationstempo beeinflusst die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems insofern, als dieses sich lediglich in ‚Ereignisform‘ auf seine Umwelt beziehen kann: „Das System operiert so schnell, daß es nur noch Ereignisse beobachten und kaum mehr durch Strukturen integriert werden kann (Luhmann 2008: 71). Dieser starken Fokussierung auf Ereignisse statt auf Zustände entsprechend tendiert das Wirtschaftssystem zu vergleichsweise kurzen Zeithorizonten und kann daher nur relativ kurze Zukunftsausschnitte in seine aktuellen Zahlungsentscheidungen einbeziehen. Jenseits der systemischen Zeithorizonte können selbst mit „katastrophale[n] Folgen“ verbundene Zukunftsentwicklungen

66 Thyge Thygesen (2012: 29) spricht in diesem Zusammenhang von „polycroni“, um die Polykontexturalität der Gesellschaft in temporaler Hinsicht zu betonen. Vgl. hierzu auch Cevolini (2007: 145) sowie Vorderstraße (2014: 277–278). 67 Franz-Kasper Krönig (2007: 134) führt die von ihm beobachtete Ökonomisierung der Gesellschaft auf eben dieses relativ hohe Tempo wirtschaftlichen Operierens zurück: „Der rein quantitative Sachverhalt, dass bestimmte Systeme mehr oder schneller kommunizieren als die anderen Systeme, kann zu einem verstärkten impact auf andere Systeme und somit zu Dominanz führen.“

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„vom Markt nicht wahrgenommen“ werden, weil sie für dessen Relevanzgrenzen zu weit „entfernt“ liegen (Luhmann 2008: 76).68 So mag es aus wirtschaftlicher Perspektive etwa trotz eines zukünftig zu erwartenden Engpasses an fossilen Brennstoffen „‚jetzt noch nicht‘ rentabel sein, auf andere Energieträger umzustellen“ (Luhmann 2008: 74). Während eine solche Nichtberücksichtigung wirtschaftlich bedeutsamer zukünftiger Entwicklungen aus einer langfristiger ausgerichteten, ökologischen Perspektive als problematischer „Zeitverlust“ (Luhmann 2008: 74) beklagt wird, ist diese ökonomisch gesehen, so Luhmann, nicht als akzidentielle ökonomische Fehlkalkulation zu verstehen, sondern strukturell folgerichtig: „[S]elbst wenn es eine Unternehmensverantwortung für solche Folgen gäbe, wäre es ökonomisch rational, sie außer Acht zu lassen“ (Luhmann 2008: 76). Als Gegenpol zur relativen Kurzfristigkeit der wirtschaftlichen Beobachterperspektive kann die wirtschaftsinterne Bildung von Kapital verstanden werden: „Man kann geradezu sagen, daß die Wirtschaft sich ständig um Zeitgewinn bemüht und Kapital bildet, um Zeit in der Form von Jederzeitigkeit zur Verfügung zu haben“ (Luhmann 2008: 74). Je nachdem, mit welchen Laufzeiten beziehungsweise Rentenerwartungen dieses Kapital eingesetzt wird, entwickeln die beteiligten wirtschaftlichen Entscheidungseinheiten unterschiedliche Zukunftsperspektiven, an denen sie ihre gegenwärtigen Zahlungsentscheidungen ausrichten. Die Zeitstruktur des politischen Systems Auch die „politische Resonanz“ folgt in „zeitlicher Hinsicht“ einer gewissen „Eigenlogik“: „[S]ehr wichtige Beschränkungen der Politik liegen im eigensinnigen Umgang mit Zeit“ (Luhmann 2008: 117). Dabei wird je nach Politikfeld mit verschiedenen Zukunftsausschnitten operiert, denn „die Einzelthemen der Politik [haben] sehr unterschiedliche Zeithorizonte, die sich nicht aggregieren lassen“ (Luhmann 2008: 118). Als gemeinsame Bezugspunkte, die dieser Binnendifferenzierung systeminterner Zeithorizonte entgegenwirken, fungieren insbesondere Wahltermine, die themenübergreifend Anlässe für „einen kurzfristigen Wechsel der politischen Richtungen“ (Luhmann 2008: 117) bieten. Während das politische System in Bezug auf potentielle, auf die ‚Zukunft‘ gerichtete Entscheidungen, insbesondere im Vorfeld von Wahlen, zu recht kurzfristigen Umorientierungen tendiert und auf diese Weise die Umsetzung von langfristigen, an ökologischen Relevanzen ausgerichteten Politikprogrammen erschwert (Luhmann 1996a: 56; Luhmann 2008: 117), erweist es sich im Hinblick auf einmal getroffene kollektiv bindende Entscheidungen deutlich weniger revisionsfähig: „[P]olitisch durchgebrachte Regulierungen [sind], wenn sie einmal in Kraft sind, oft stabiler, als gut wäre. Auch wenn ihre Prämissen längst in Zweifel geraten sind und ihre Folgen längst erkennbar sind: Geltendes wieder infrage zu stellen […] ist schwierig und politisch oft nicht ratsam“ (Luhmann 2008: 117). Mit Blick auf vergangene Entscheidungen weist das politische System also eine relativ beschränkte Anpassungsfähigkeit auf, aus der sich eine der kurzfristigen Instabilität politischer Wahlprogramme entgegenstehende Pfadabhängigkeit politischer Operationen ergibt. Die Folge daraus

68 Dabei operieren unterschiedliche Märkte und die an ihnen beteiligten Wirtschaftsorganisationen mit teilweise recht unterschiedlichen Zeithorizonten.

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ist, so Luhmann (2008: 117), dass in der Politik „manches einem zu schnellen, anderes einem zu langsamen Wechsel unterworfen“ ist.

2.5 DIE ZWEITE DIMENSION SYSTEMISCHER RESONANZ: RESONANZEN Wie im letzten Abschnitt beschrieben, definieren verschiedene Beobachtungsschemata und die auf diese bezogenen Zuweisungsregeln eines Systems, auf welche Weise ‚Umweltprobleme‘ überhaupt auf dessen ‚Bildschirm‘ erscheinen können. Anhand der ersten Dimension systemischer Resonanz, der Resonanzfähigkeit eines Systems, lassen sich so die grundlegenden Bedingungen von Resonanz beschreiben. Die Ausgangsfrage der Ökologischen Kommunikation, „wie die Gesellschaft auf Umweltprobleme reagiert“ (Luhmann 2008: 164, Hervorhebung H.V.), lässt sich über die Analyse der Resonanzfähigkeit eines Systems allein jedoch noch nicht abschließend beantworten. Denn wie diese ‚Umweltprobleme‘ im System weiterverarbeitet werden und wann Resonanzen im Sinne eines tatsächlichen, operativ realisierten Effektes der ‚Umwelt‘ auf das System vorliegen, bleibt dabei zunächst offen. Erst unter Rückgriff auf die zweite Dimension systemischer Resonanz, die systemischen Resonanzen, lässt sich klären, inwiefern Systeme Entwicklungen in ihrer Umwelt nicht nur wahrnehmen, sondern sich darüber hinaus in ihrer Operationsweise auf diese einstellen können.69 Beide Dimensionen systemischer Resonanz hängen eng mit den systemischen Erwartungsstrukturen zusammen: Während sich die Resonanzfähigkeit aus deren aktueller Ausgestaltung ergibt, hängen die dem System zur Verfügung stehenden Resonanzen von der Änderbarkeit dieser Strukturen – und damit von den Möglichkeiten eines durch Umweltbeobachtungen eingeleiteten „Strukturwandels“ (Engels 2010: 99) im System – ab.70 Entgegen seiner recht ausführlichen Darstellungen zu wesentlichen Aspekten der Resonanzfähigkeit sozialer Systeme, schenkt Luhmann den möglichen Resultaten des systemischen Umweltbezugs in der Ökologischen Kommunikation nur wenig Beachtung. So bleiben die Formen und Grade systemischer Resonanzen im Sinne operativ realisierbarer Effekte der ‚Umwelt‘ im System relativ unbestimmt. Im Folgenden ist daher zunächst zu klären, inwiefern sich ausgehend von Luhmanns Ausführungen bestimmen lässt, welche Eigenschaften systemische ‚Reaktionen‘ auf die ‚Umwelt‘ aufweisen müssen, um als Resonanzen gelten zu können. Hierzu wird eine Begriffsabgrenzung von Resonanz als spezifische Form reflexiver beziehungsweise rationaler Fremdreferenz vorgenommen. Dieser zufolge liegt eine

69 Die Differenz dieser beiden Dimensionen wird deutlich, wenn Luhmann (1996a: 50, Hervorhebungen H.V.) davon spricht, dass „Irritationen und Störungen […] nach Maßgabe interner Strukturen aufgegriffen und normalisiert werden“. In diesem Duktus wäre Resonanz als eine spezifische Form der Normalisierung von irritativen ‚Umweltbeobachtungen‘ durch systeminterne Strukturanpassung zu verstehen. 70 Beides, sowohl die aktuelle Ausgestaltung als auch die Änderung systemischer Erwartungsstrukturen werden durch die Operationen des Systems selbst geregelt (vgl. Abschnitt 2.6).

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Form systemischer Resonanz (nur) dann vor, wenn eine systemische ‚Reaktion‘ auf die eigenen Umweltbeobachtungen in einer Anpassung der systemischen Erwartungsstrukturen – und damit in einer Veränderung der Beobachterperspektive des Systems – resultiert (Abschnitt 2.5.1). An diese Definition systemischer Resonanz anschließend wird gezeigt, dass sich bei Luhmann sowohl verschiedene Formen als auch Grade systemischer Resonanzen unterscheiden lassen (Abschnitt 2.5.2). Erstere ergeben sich aus den verschiedenen Ebenen, auf denen Erwartungsstrukturen verändert beziehungsweise an die ‚Umwelt‘ angepasst werden können. Letztere dagegen beziehen sich auf das Ausmaß, in dem solche Strukturanpassungen die Beobachterperspektive des betreffenden Systems verändern. Da es Luhmanns eigenen Ausführungen in beiden Punkten an Systematik mangelt, kann in diesem Kapitel jedoch zunächst nur eine erste Annäherung an eine systematische und umfassende Klassifikation der Formen und Grade systemischer Resonanzen vorgenommen werden. 2.5.1 Wann wird Fremdreferenz zu Resonanz? In seiner Resonanzdefinition im Glossar der Ökologischen Kommunikation beschränkt sich Luhmann (2008: 178) auf den Hinweis, „daß Systeme nur nach Maßgabe ihrer eigenen Struktur auf Umweltereignisse reagieren können“. Durch diesen ausschließlichen Verweis auf die Bedingungen systemischer Resonanz lässt diese Definition zunächst offen, was mit dem Phänomen systemischer Resonanz an sich eigentlich gemeint ist. Auch die zahlreichen weiteren Passagen, in denen er den Resonanzbegriff verwendet, erweisen sich diesbezüglich als wenig aufschlussreich. Dort ist zumeist nur allgemein davon die Rede, dass ein System durch seine Umwelt „zur Resonanz gebracht“ (Luhmann 2008: 27) werden kann oder systemische Resonanz „ausgelöst“ (Luhmann 2008: 133, 37), „erzeugt“ (Luhmann 2008: 41, 64, 88, 107, 125, 146) beziehungsweise „in Anspruch genommen“ (Luhmann 2008: 34) wird. Diesem wenig differenzierten Gebrauch des Resonanzterminus entsprechend, verwendet Luhmann auch im weiteren Verlauf seiner Argumentation die Begriffe der systemischen „Reaktionsfähigkeit“ und „Resonanzfähigkeit“ synonym (Luhmann 2008: 55)71 und spricht zumeist in recht allgemeiner Weise davon, dass ein System auf seine Umwelt „reagiert“ (vgl. z.B. Luhmann 2008: 28, 29, 31, 32, 50), ohne den Charakter dieser Reaktionen weiter zu spezifizieren. Es bleibt also zunächst unklar, welche Eigenschaften eine operativ realisierte ‚Reaktion‘ eines Systems auf seine ‚Umwelt‘ aufweisen muss, um als Resonanz gelten zu können und inwiefern sich Resonanz von (anderen Formen) reflexiver beziehungsweise rationaler Fremdreferenz unterscheidet.

71 „Je abstrakter und je technischer die Codierung, desto reicher die Vielfalt der (stets natürlich internen!) Operationen, mit denen das System geschlossen und offen zugleich operieren, also auf interne und externe Bedingungen reagieren kann. Man kann genau dies auch als Steigerung der Resonanzfähigkeit bezeichnen. Wie immer ‚responsiv‘ aber ein System aufgebaut wird und wie reichhaltig seine Eigenfrequenzen sein mögen: seine Reaktionsfähigkeit beruht auf der geschlossenen Zweiwertigkeit seines Codes und ist dadurch scharf begrenzt“ (Luhmann 2008: 55, Hervorhebungen H.V.).

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Aus Luhmanns weiteren Ausführungen lassen sich diesbezüglich zwei mögliche Lesarten von Resonanz ableiten: Aus der ersten Lesart ergibt sich ein relativ breit gefasster Begriff systemischer Resonanz, nach dem jegliche ‚Reaktion‘ eines Systems auf seine ‚Umwelt‘ als solche zu gelten hat. In diesem Fall wäre Resonanz folglich mit der bloßen Berücksichtigung der ‚Umwelt‘ im System – und damit mit jeglicher Form reflexiver beziehungsweise rationaler Fremdreferenz – gleichzusetzen.72 Aus der zweiten Lesart dagegen lässt sich ein spezifischerer Resonanzbegriff ableiten, demzufolge sich Resonanz gegenüber anderen Formen reflexiver beziehungsweise rationaler Fremdreferenz dahingehend auszeichnet, dass sie nicht nur momenthaftirritativer Natur ist, sondern stets strukturwirksame Effekte im System zeitigt. Angesichts der allgemeinen Problemstellung der Ökologischen Kommunikation sowie der durch einen spezifischeren Resonanzbegriff gewonnenen Differenzierungsmöglichkeit zwischen Resonanz und anderen Formen des systemischen Umweltbezugs wird in dieser Arbeit für die zweite Lesart optiert. Diese engere Auslegung des Resonanzbegriffs legt bereits Luhmanns leitende Fragestellung nahe. Denn ob es der modernen Gesellschaft gelingt, sich mittels Resonanz auf ökologische Gefährdungen einzustellen, hängt von deutlich mehr ab als von der reinen Thematisierung solcher Umweltgefährdungen.73 Das Problem, das Luhmann unter Rückgriff auf den Resonanzbegriff diskutiert, besteht nämlich gerade nicht in einer fehlenden oder unzureichenden Kommunikation über ökologische Gefährdungen; im Gegenteil bemerkt er: „All dies sind heute Themen gesellschaftlicher Kommunikation. Wie nie zuvor alarmiert die heutige Gesellschaft sich selbst“. Die

72 Diese breite Auslegung des Resonanzbegriffs folgt aus einer strikt wörtlichen Auslegung der wenigen expliziten Charakterisierungen von Resonanz, die Luhmann selbst vornimmt. So spricht er in der Ökologischen Kommunikation davon, dass „[d]ie Resonanz eines Systems […] immer dann in Anspruch genommen [wird], wenn das System durch seine Umwelt angeregt wird“ (Luhmann 2008: 34, Hervorhebungen H.V.). Im Rahmen seines 1985 gehaltenen Vortrags führt Luhmann (1996a: 49) zudem aus, dass der Resonanzbegriff prinzipiell „offen[läßt], was durch Resonanz im System bewegt wird: ob es zu einem Aufschaukeln der Reaktionen kommt, die das System schädigen oder sogar zerstören können; oder ob die Resonanz wieder abklingt bzw. in normale Systemprozesse überführt werden kann.“ In dieser Auslegung von Resonanz als nicht weiter zu qualifizierende Form systemischer Fremdreferenz ließe sich das systemtheoretische Konzept systemischer Resonanz auf dessen erste Dimension, die systemische Resonanzfähigkeit, reduzieren. Für einen dieser ersten Lesart entsprechenden, ähnlich breiten beziehungsweise nicht weiter spezifizierten Resonanzbegriff vgl. Wiesenthal (2010: 174), der Resonanz allgemein als die „umweltbezogene[.] Reagibilität gesellschaftlicher Teilsysteme“ definiert. Einer solchen Auffassung, nach der beispielsweise auch die systeminterne Markierung eines beobachteten ‚Umweltereignisses‘ als irrelevant als ein Fall systemischer Resonanz zu verbuchen wäre, widersprechen beispielsweise die Ausführungen von Bora (1999: 251) oder Fuchs (2008: 14). 73 In der breiten Auslegung des Resonanzbegriffs (vgl. z.B. Luhmann 2008: 34; 1996a: 49) wäre eine solche kommunikative Thematisierung ökologischer Gefährdungen als fremdreferentielle Operation des Gesellschaftssystems bereits als Reaktion der Gesellschaft auf ihre ‚Umwelt‘ und somit als eine Form von Resonanz zu verstehen.

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Schwierigkeit liege, so Luhmann, vielmehr darin, dass die Gesellschaft keine angemessene Entgegnung auf diese Gefährdungen zustande bringe, da es ihr an „zureichende[n] kognitive[n] Mittel[n] der Prognose und der Praxisanleitung“ fehle (Luhmann 2008: 9). In Bezug auf die Fähigkeit des politischen Systems „Umweltthemen kontrovers in die Politik einzubringen“, führt Luhmann (2008: 118) beispielsweise aus, dass trotz „aller Bereitschaft zu Bekenntnissen und Absichtsbekundungen und trotz einer spektakulären Karriere des Themas selbst“ von einer wirklichen Einstellung der Politik auf ökologische Gefährdungen „bisher nicht [viel] zu spüren [ist]“.74 Das in diesem Zusammenhang konstatierte Defizit bezieht sich demnach auf eine (für Resonanz?) unzureichende ‚Reaktion‘ des politischen Systems auf ökologische Gefährdungen.75 Dieser Argumentation folgend, differenziert Luhmann an anderer Stelle zwischen „möglicher und möglicherweise verständlicher und gar möglicherweise erfolgreicher Kommunikation“ (Luhmann 2008: 43, Hervorhebung H.V.) über ökologische Gefährdungen. Der ‚Erfolg‘ von umweltbezogenen Kommunikationen scheint also nicht bereits darin zu bestehen, dass diese – im Sinne eines wie auch immer gearteten systeminternen Anschlusses an die ‚Umwelt‘ – überhaupt stattfinden beziehungsweise als verständlich beziehungsweise anschlussfähig beobachtet werden, sondern sich eher auf die Umsetzung einer durch diese Kommunikationen im System ausgelösten Strukturanpassung zu beziehen. Demnach sind lediglich solche systemischen ‚Umweltreaktionen‘ als Resonanzen zu verstehen, die „die Bedingungen der laufenden Reproduktion systemspezifischer Kommunikationen [verändern]“ (Luhmann 2008: 144; vgl. auch (Luhmann 1997: 130).76 Anders ausgedrückt: Resonanz liegt nur in

74 Diese oberflächlichen Thematisierungen ökologischer Gefährdungen bezeichnet Luhmann auch als „loose talk“ (Luhmann 2008: 148). Melde (2012: 131–132) spricht in diesem Zusammenhang auch von semantischer Integration, die er von einer durch Resonanz im Sinne ‚umweltinduzierter‘ Strukturanpassungen ermöglichten Form der strukturellen Integration unterscheidet. 75 So spricht Luhmann (1996a: 59) in seinem Vortrag auch von „inadäquaten systemischen Reaktionen auf Umweltveränderungen“. In ähnlicher Weise differenziert er dort zwischen semantischen und strukturellen Reaktionen im Rechtssystem, wobei lediglich letztere „nichtjuristische[.] in juristische Probleme“ umsetzen und somit für seine Fragestellung als relevant betrachtet werden können: „Würde man, wie in Brüssel geplant, eine allgemeine ‚Umweltverträglichkeitsprüfung‘ einführen, würden die Juristen dafür rasch die Bezeichnung UVP bereitstellen; aber um genauer zu wissen, ob und was diese Neuerung bedeutet, müßten sie durchprüfen, was im Hinblick darauf konkret geändert oder auch neu benannt werden muß, kann oder auch nicht kann“ (Luhmann 1996a: 57–58). 76 In ähnlicher, der hier präsentierten Lesart von Resonanz entsprechenden Weise formuliert Luhmann (1997: 130, Hervorhebungen H.V.) im Kapitel zu Ökologischen Problemen in der Gesellschaft der Gesellschaft die zentrale Frage nach den gesellschaftlichen Effekten von „Umweltkausalität“ wie folgt: „Verändert sie irgendwie – und in welchen Zeithorizonten – die Bedingungen der Selektion weiterer Operationen im System?“. Resonanz entspricht also dem, was Mölders (2015c: 3, Hervorhebung H.V.) als „Integration“ bezeichnet, nämlich dass „autonome Systeme zu Strukturentscheidungen gebracht werden, die sie ohne Kenntnisnahme ihrer (systemischen) Umwelt nicht getroffen hätten“. Für ähnliche

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dem Fall vor, in dem ein System seine Beobachtung externer Umweltveränderungen in systeminterne Strukturanpassungen umsetzt und damit versucht, die eigene Beobachterperspektive dauerhaft, das heißt über den konkreten Moment der Beobachtung hinaus, auf diese veränderten Umweltbedingungen einzustellen. Vor dem Hintergrund dieses voraussetzungsreicheren Verständnisses von Resonanz als spezifische Form systemischer Fremdreferenz erscheinen auch Luhmanns grundlegende Charakterisierungen systemischer Resonanz als unwahrscheinlicher „Ausnahmefall“ (Luhmann 2008: 144, vgl. auch 27–28), also als gerade nicht-allgegenwärtiges und nicht rein momenthaftes Phänomen, wie es systemische Fremdreferenz im Allgemeinen darstellt, deutlich plausibler.77 In theoretisch-konzeptioneller Hinsicht hat dieser spezifischere Resonanzbegriff gegenüber einem breiten Verständnis von Resonanz als Fremdreferenz zudem den Vorteil, dass er eine differenzierte Perspektive auf systemische Anpassungsprozesse ermöglicht. Denn von dieser Warte aus lassen sich strukturell folgenreiche systemische ‚Reaktionen‘ auf die ‚Umwelt‘ von all jenen Antwortmöglichkeiten eines Systems abgrenzen, die rein momenthaft-irritativer Natur sind und die erwartungsstrukturell geformte systemische Beobachterperspektive an sich nicht tangieren. Einer solchen Differenzierung systemischer Antwortmöglichkeiten auf die eigene ‚Umwelt‘ folgend bezeichnet etwa Bora (1999: 312, Hervorhebung i.O.; vgl. auch Fuchs 2008: 14) bestimmte systemische ‚Reaktionen‘ auf ‚Umweltereignisse‘ als „resonanzlos […], weil hier die Beobachtung fremden Operierens nicht zu einer veränderten Selbstbeobachtung führt, also keine Programmierungsmöglichkeiten […] entstehen“. Vor diesem Hintergrund kann die als Resonanz bezeichnete, strukturelle Selbstanpassung eines Systems an die eigene ‚Umwelt‘ als spezifische reaktive Strategie beschrieben und von anderen reaktiven Strategien, wie beispielsweise der Irrelevanzmarkierung beobachteter Störungen (Bora 1999: 251) oder das Assimilieren beobachteter Umweltereignisse in bereits bestehende systemische Beobachtungssche-

Auslegungen des Resonanzbegriffs vgl. z.B. Fuchs‘ (2008: 14) Gleichsetzung von Resonanz und systemischen „‚Eigen-Schematisierungen‘“, von Grundwald (2010: 253, Hervorhebung H.V.), der Resonanz als „die Entwicklung entsprechender Maßnahmen zum Neujustieren der Systeme bzw. ihrer Regeln und Teile“ charakterisiert oder auch Weingart (2010: 160), der am Beispiel des Wissenschaftssystems die Frage nach der Strukturwirksamkeit der Reaktion auf Umweltbeobachtungen aufwirft: „Bleiben die Anpassungen gegenüber der ‚eigentlichen‘ Kommunikation ‚äußerlich‘ und nur ‚Theater‘ für das allgemeine Publikum oder haben sie auch Auswirkungen auf die Forschungsprozesse, die Prioritätensetzungen, die Qualitätskriterien der Forschung?“. Auch der wiederholte Hinweis auf die potentiell katastrophalen, systemgefährdenden Effekte von Resonanzen (vgl. Abschnitt 2.5.2) verweisen darauf, dass es sich bei Resonanzen (zumindest auch) um Phänomene handeln muss, die über den operativen Moment hinaus – und das heißt: auf der Ebene der systemischen Erwartungsstrukturen – auf das System wirken. 77 „Nur im Ausnahmefall bringen Umweltveränderungen ein mit sich selbst beschäftigtes System zur Resonanz, nur in Ausnahmefällen stören und verändern sie die Bedingungen der Reproduktion systemspezifischer Kommunikationen“ (Luhmann 2008: 84).

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mata (Mölders 2011: 79), unterschieden werden.78 Auf diese Weise wird schließlich auch das Scheitern von Resonanz – und damit möglicherweise auch die Gründe für dieses Scheitern – auf analytischer Ebene beobachtbar. 2.5.2 Formen und Grade systemischer Resonanzen Auch wenn sich Luhmann in seiner Argumentation nicht eindeutig festlegt, ab wann systemische ‚Reaktionen‘ auf die ‚Umwelt‘ als Resonanzen gelten können, wird doch deutlich, dass er Resonanz als mannigfaltiges und graduelles Phänomen versteht. Das heißt, ‚umweltinduzierte‘ „Irritationen und Störungen“ (Luhmann 1996a: 50) können die „Bedingungen der laufenden Reproduktion systemspezifischer Kommunikationen“ (Luhmann 2008: 144) sowohl auf unterschiedliche Art und Weise als auch in unterschiedlichem Ausmaß verändern (vgl. auch Weingart 2010: 160). Jenseits der „Schwelle der Resonanz“ (Luhmann 2008: 133) lassen sich daher, wie im Folgenden gezeigt wird, sowohl unterschiedliche Formen als auch verschiedene Grade systemischer Resonanzen unterscheiden. Über diese grundsätzliche Beobachtung hinaus nimmt Luhmann auf analytischer Ebene jedoch keine weitere Systematisierung unterschiedlicher Resonanzformen und -grade vor. Dementsprechend kann anhand von Luhmanns Ausführungen in der Ökologischen Kommunikation zunächst nur die Grundlage zur Konzeptualisierung systemischer Resonanzen gelegt werden, die es sodann unter Rückgriff auf neuere systemtheoretische Ansätze in Kapitel 3 auf analytischer Ebene auszuarbeiten gilt. Der Begriff systemische Resonanzformen wird zur Bezeichnung sämtlicher strukturwirksamer ‚Reaktionen‘ eingeführt, die einem System im Hinblick auf seine ‚Umwelt‘ zur Verfügung stehen. Wie sich anhand von Luhmanns empirischexemplarischen Darstellungen der Resonanzformen in Wirtschaft und Politik demonstrieren lässt, verfügen die gesellschaftlichen Funktionssysteme diesbezüglich über „breit gefächerte, alternativenreiche Möglichkeiten der Reaktion auf Umweltanstöße“ (Luhmann 2008: 81). So kann etwa die Berücksichtigung von „Umweltfragen“ im Wirtschaftssystem nicht nur in einer Beschränkung wirtschaftlicher Aktivitäten resultieren, sondern auch über die Erschließung „neue[r] Märkte“ und der damit verbundenen „Verdienstmöglichkeiten“ erfolgen (Luhmann 2008: 75); insbesondere, wenn ein ökologischer „‚Wertewandel‘“ (Luhmann 2008: 79) unter den Konsumenten zur Entstehung „neue[r] oder verlagerte[r] Kaufanreize“ (Luhmann 2008: 75) beiträgt.79 Alternativ

78 Folgte man stattdessen einer breiten Auslegung des Resonanzbegriffs, ließen sich die möglichen Effekte der ‚Umwelt‘ auf das System zunächst nicht analytisch klassifizieren, sondern lediglich normativ als ‚zu viel‘ oder als ‚zu wenig‘ Resonanz im Sinne einer überfordernden oder unzureichenden Entgegnung auf der Gesellschaft äußerliche Umweltentwicklungen bewerten – und wäre dann natürlich mit der Frage nach der Adäquatheit oder Legitimität der diese Evaluation vornehmenden Beobachterperspektive konfrontiert (vgl. Luhmann 2008: 143–148; Japp 2010: 281). 79 Auch weniger altruistische Motive können neue Kaufanreize entstehen lassen. Denkbar wäre beispielsweise, dass aufgrund zunehmend extremer Wetterverhältnisse die Nachfrage

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können Wirtschaftsunternehmen auf ökologische Gefährdungen reagieren, indem sie ihre Programme, parallel zu rein profitorientierten Aktivitäten, auch an „Umweltschonung als Nebenziel“ (Luhmann 2008: 79) ausrichten. Dies scheint insbesondere in weniger konkurrenzintensiven Bereichen möglich, in denen kein „dringende[r] Anlaß zu einer aktionärsfreundlichen, an Aktienkursen orientierten Dividendenpolitik“ (Luhmann 2008: 79) besteht. Auch das politische System verfügt über unterschiedliche Formen systemischer Resonanzen. Durch eine entsprechende Modifikation politischer Wahlprogramme besteht zunächst die Möglichkeit, „Umweltthemen in die Parteienkonkurrenz selbst einzubringen, also Differenz zu erzeugen in dem Sinne, daß die eine Partei mehr als die andere sich für langfristige Umweltprogramme […] einsetzt und mit dieser Differenz in die politische Wahl geht“ (Luhmann 2008: 118). Im Anschluss an eine solche ökologischere Ausrichtung der politischen Wahlvorschläge wird es dann möglich, „es mit einer anderen Regierung, einer anderen Partei, eventuell mit einer Änderung der Verfassung zu versuchen“ (Luhmann 2008: 110), oder über den Einsatz von Macht „‚politische[.] Preise‘ für Umweltgüter“ durchzusetzen beziehungsweise Gesetze zugunsten ökologischer Programme zu ändern oder Geld für solche Programme bereitzustellen (Luhmann 2008: 116). All diese Formen systemisch verfügbarer Resonanzen sind strukturell folgenreich in dem Sinne, dass sie die Bedingungen, unter denen Zahlungen generiert beziehungsweise Macht erlangt werden kann, nicht nur momenthaft infrage stellen, sondern dauerhaft verändern. Eine theoretisch-konzeptionelle Reflexion beziehungsweise Einordnung dieser empirisch illustrierten Bandbreite systemischer Resonanzformen nimmt Luhmann, wie bereits bemerkt, in der Ökologischen Kommunikation nicht vor. Aus den wenigen Textpassagen, die der analytischen Auseinandersetzung mit systemischen Resonanzen gewidmet sind, lässt sich lediglich schließen, dass er ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassungen auf der Ebene der systemischen Programme verortet (Luhmann 1996a: 56; Luhmann 2008: 54–55, 60, 69, 84–85). Resonanzen werden demnach konzipiert als systeminterne Anpassungen der Zuweisungsregeln, nach denen konkrete Beobachtungen den Werten des jeweiligen funktionssystemischen Codeschemas zugewiesen werden. Denn, anders als in Bezug auf die funktionssystemkonstitutiven und daher invarianten Codeschemata, haben Systeme auf der Ebene ihrer Programme die Möglichkeit, sich dauerhaft auf ‚Umweltveränderungen‘ einzustellen, indem sie „Strukturen auswechseln. Auf der Ebene der Programme kann daher in gewissem Umfange Lernfähigkeit organisiert werden“ (Luhmann 2008: 60, Hervorhebung H.V.). Diese in der Ökologischen Kommunikation anklingende Reduktion systemisch verfügbarer Resonanzformen auf den ‚Prototyp‘ codebezogener Umprogrammierungen unterliegt jedoch zwei Engführungen. Diese ergeben sich aus dem Umstand, dass Luhmann seine theoretisch-konzeptionellen Überlegungen zur Ausgestaltung der systemischen Resonanzfähigkeit allein auf die Erwartungsstrukturen Programme und Codes stützt, anstatt einen analytischen Zugang zur Wirkungsweise

für Produkte in unterschiedlichen Bereichen des Katastrophenschutzes entsteht. Ebenso dürften sich dadurch in der Versicherungsbranche neue Verdienstmöglichkeiten ergeben.

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und Änderbarkeit systemischer Erwartungsstrukturen im Allgemeinen zu entwickeln (vgl. Abschnitt 2.4). Aus diesem Grund gerät erstens aus dem Blick, dass sich die systemische Lernfähigkeit nicht auf die Programme als Zuweisungsregeln der binären Codes beschränkt, sondern sich darüber hinaus auch auf die Zuweisungsregeln anderer systemischer Beobachtungsschemata erstreckt, die – wie in Abschnitt 2.4.2 und 2.4.3 gezeigt – den systemischen Umweltbezug regulieren. Resonanzen können demnach nicht nur in Form von Strukturänderungen der codebezogenen Programme, sondern – wie Luhmann selbst in seinen zahlreichen Rekonstruktionen der Evolution gesellschaftlicher Teilsysteme immer wieder aufzeigt80 – auch in anderen Formen, beispielsweise als ‚umweltinduzierte‘ Anpassung der systemischen Zeithorizonte oder Selbst- und Umweltbeschreibungen, vorliegen. Diese Ausweitung möglicher Resonanzformen auf die Anpassung nichtfunktionssystemkonstitutiver Erwartungsstrukturen macht zweitens deutlich, dass ‚umweltinduzierte‘ Strukturänderungen nicht nur auf der Ebene der Zuweisungsregeln beobachtungsleitender Differenzschemata, sondern auch auf der Ebene der Differenzschemata selbst vorgenommen werden können. Denn, anders als das von Luhmann in den Fokus gestellte systemkonstitutive und daher invariante Codeschema, können nicht-konstitutive Beobachtungsschemata an sich verändernde ‚Umweltbedingungen‘ angepasst werden, ohne die Einheit des Systems zu gefährden. Eine solche Anpassung systemischer Beobachtungsschemata illustriert Luhmann am Beispiel der Ersetzung beziehungsweise Ergänzung der klassischen politischen Unterscheidung von ‚konservativer/progressiver Politik‘ durch ein neues, umweltadäquateres Beobachtungschema, welches politische Programme anhand ihres entweder ‚mehr restriktiven‘ oder ‚mehr expansiven Staatsverständnisses‘ zueinander in Beziehung setzt (Luhmann 2008: 113).81 Mittels einer ersten analytischen Einordnung der in der Ökologischen Kommunikation lediglich empirisch illustrierten Mannigfaltigkeit unterschiedlicher Formen systemischer Resonanzen lässt sich somit grundsätzlich zeigen, dass ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassungen erstens im Hinblick auf unterschiedliche Erwartungsstrukturen vorgenommen werden und zweitens auf unterschiedlichen Ebenen dieser

80 Bezüglich der systemischen Selbst- und Umweltbeschreibung des politischen Systems, die das Beobachtungsschema reflexiver beziehungsweise rationaler Selbstreferenz/Fremdreferenz anleiten, zeichnet Luhmann (2000a: 319–371) etwa in der Politik der Gesellschaft nach, wie sich die systeminternen Konzeptionen des ‚Staates‘ als „ Formel für die Selbstbeschreibung des politischen Systems der Gesellschaft“ (Luhmann 1987e: 78, Hervorhebung i.O.) über mehrere Stationen bis hin zur aktuell dominierenden Vorstellung des Sozial- beziehungsweise Wohlfahrtsstaats gewandelt haben. 81 „Seit der französischen Revolution gibt es die Unterscheidung von restaurativer (konservativer) und progressiver Politik, die ihrerseits mit sehr verschiedenen Inhalten besetzt werden kann. Es hat sich aber gezeigt, daß diese Codierung kaum einen Bezug zur realen Dynamik des gesellschaftlichen Wandels gewinnen kann […]. In jüngster Zeit machen sich deshalb Tendenzen bemerkbar, sie durch die Unterscheidung eines mehr restriktiven bzw. mehr expansiven Staatsverständnisses zu ersetzen“ (Luhmann 2008: 113, Hervorhebung H.V.).

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Erwartungsstrukturen – nämlich entweder auf der Ebene der beobachtungsleitenden Differenzschemata oder auf der Ebene der diese anleitenden Zuweisungsregeln – erfolgen können.82 Neben verschiedenen Formen lassen sich auch unterschiedliche Grade systemischer Resonanzen unterscheiden. Je nachdem, in welchem Ausmaß eine ‚umweltinduzierte‘ systemische Strukturanpassung die „Bedingungen der Selektion weiterer Operationen im System“ (Luhmann 1997: 130) verändert, lässt sich „mehr“ (Luhmann 2008: 27) oder weniger beziehungsweise große oder „geringe[.] Resonanz“ (Luhmann 1996a: 63) verzeichnen.83 Im Extremfall von „zu viel“ (Luhmann 2008: 144, Hervorhebung i.O.) Resonanz kann es „zu einem sogenannten Aufschaukeln der Reaktionen“ kommen, „die das System schädigen oder sogar zerstören können“. Ebenso ist es jedoch möglich, dass „Resonanz wieder abklingt bzw. in normale Systemprozesse überführt werden kann“ (Luhmann 1996a: 49). Eine über diese recht allgemein gehaltenen Bestimmungen hinausgehende, spezifischere Charakterisierung der unterschiedlichen Grade systemischer Resonanz bleibt Luhmann jedoch schuldig. Anstatt das Spektrum möglicher Resonanzgrade systematisch auszuleuchten, schwanken seine Ausführungen zumeist zwischen den beiden Extrempolen der möglichen Resultate der operativen Prozessierung von ‚Umweltereignissen‘: dem Ausbleiben von Resonanz, also Resonanzlosigkeit, einerseits, und dem mit systemdestruktiven Folgen verbundenen „Aufschaukeln[.]“ (Luhmann 2008: 65) von Resonanz, der in gesellschaftlicher Entdifferenzierung gipfelnden „Resonanzkatastrophe“ (Weingart 2010: 170), andererseits. Aufgrund dieser ausschließlichen Betrachtung der zwei Pole des Resonanzspektrums kann eine differenziertere Systematisierung unterschiedlicher Resonanzgrade nicht bereits in diesem Kapitel unter Rückgriff auf die Ökologische Kommunikation allein vorgenommen werden. Vielmehr erfordert die analytische Auseinandersetzung mit der Frage, wie „tief“ beziehungsweise „nachhaltig“ Resonanzen die Beobachterperspektive ihres Systems verändern können (Weingart 2010: 160) den Einbezug des weiteren luhmannschen Theoriekontextes sowie neuerer systemtheoretischer Ansätze, die in Kapitel 3 vorgestellt werden. Resonanzlosigkeit im Sinne einer lediglich oberflächlichen, strukturell folgenlosen Thematisierung ökologischer Relevanzen, beschreibt Luhmann dabei als gesellschaftsweiten Normalfall. Denn das Zustandekommen systemischer Resonanz ist, wie er immer wieder bemerkt, „aufs Ganze gesehen und systemtheoretisch gesehen eher unwahrscheinlich“ (Luhmann 2008: 28, vgl. auch ebd.: 144). Ungeachtet dessen birgt Resonanz – wenn sie denn zustande kommt – immer auch ein nicht unerhebliches gesellschaftliches Selbstgefährdungspotential: „Es kann nämlich gleichzeitig auch zu viel Resonanz geben, und das System kann, ohne von außen zerstört zu werden, an internen Überforderungen zerspringen“ (Luhmann 2008: 144). Dementsprechend setzt Luhmann Resonanz auch mit innersystemischen „Turbulenzen“ (Luhmann 2008: 145) gleich, denen die Funktionssysteme in gewisser Weise „hilflo-

82 Eine weitere, über Luhmann hinausgehende Systematisierung systemischer Resonanzformen wird in Abschnitt 3.3.1 vorgenommen. 83 An anderer Stelle spricht Luhmann (2008: 146) auch von einem „höhere[n] Maß an Resonanz“.

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se“ beziehungsweise „wehrlos“ (Luhmann 2008: 145, 146) ausgeliefert sind. Insbesondere zwischen den sich wechselseitig beobachtenden Funktionssystemen kann es zu einem solchen „Sichaufschaukeln von Resonanz“ mit „wahrscheinlich eher destruktiven Folgen“ (Luhmann 2008: 148) für das Gesellschaftssystem kommen. Die in der Ökologischen Kommunikation dominante koordinationsskeptische These von ‚zu wenig‘ gesellschaftlicher Resonanz findet somit ihr Gegenstück in der immer wieder anklingenden Warnung vor ‚zu viel‘ Resonanz im Sinne systemgefährdender, „disproportionaler Reaktionen“ auf ‚Umweltanstöße‘ (Luhmann 2008: 147). Resonanz spielt also nicht nur als (unwahrscheinliche) Entgegnung auf externe Gefährdungen eine Rolle, sondern kann auch selbst zu einer Gefahr für die Gesellschaft erwachsen: Wenn Resonanz auftritt, kann sie von Fall zu Fall gesamtgesellschaftlich integrative wie desintegrative84 Effekte zeitigen (Luhmann 2008: 147). In Bezug auf das Ausgangsproblem dieser Arbeit, die Bedingungen der Möglichkeit gesellschaftlicher Koordination, lässt sich demnach festhalten, dass das Zustandekommen systemischer Resonanz als solches nicht bereits gleichzusetzen ist mit einer Lösung der durch gesellschaftliche Differenzierungsprozesse zunehmend verschärft auftretenden Integrations- oder Koordinationsprobleme innerhalb der modernen Gesellschaft selbst, beziehungsweise zwischen der Gesellschaft und ihrer nichtgesellschaftlichen Umwelt. Da operativ geschlossene Systeme keinen unmittelbaren Zugang zu ihrer Umwelt haben, sondern lediglich auf ihre eigenen, systeminternen Umweltkonstruktionen reagieren können, kann es leicht zu Resonanzen kommen, die einer Lösung dieser Probleme nicht zuträglich sind und diese, im Gegenteil, sogar verschärfen können (Luhmann 2008: 66). Dementsprechend besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass systemische Resonanzen die Form „weithin inadäquate[r] Reaktionen auf Umweltveränderungen“ (Luhmann 1996a: 59) annehmen. Mit einem, im Hinblick auf die Koordination gesellschaftlicher Teilsysteme beziehungsweise der Teilsysteme und ihrer nicht-gesellschaftlichen Umwelt, „‚richtigen Maß[.]‘“ an Resonanz ist demnach eher selten zu rechnen (Japp 2010: 281). Aus systemtheoretischer Perspektive stellt Resonanz somit ein gesellschaftliches Phänomen dar, das potentiell ebenso viele Koordinationsprobleme mit sich bringt, wie es zu lösen verspricht. 85 Diesen Diagnosen

84 Integration meint hier im klassisch-luhmannschen Sinne die Bewahrung beziehungsweise Herstellung der Kompatibilität der unterschiedlichen gesellschaftlichen Funktionssysteme; oder – einfacher ausgedrückt – die weitgehende „Abwesenheit von Störungen“ (Mölders 2012: 488–489; vgl. dazu auch Luhmann 1997: 776; Bora 1999: 59). 85 Einen Weg zur Eindämmung der mit Resonanz einhergehenden potentiellen Selbstgefährdungseffekte sozialer Systeme sieht Luhmann (2008: 162, siehe auch Abschnitt 2.3) in einer rationalen, das heißt gewissermaßen systemtheoretisch informierten, systemischen Operationsweise. Rational operierende Systeme betrachten sich selbst als operativ geschlossene Sinnzusammenhänge (Selbstbeschreibung) und gehen davon aus, dass sich in ihrer Umwelt weitere operativ geschlossene Systeme ausdifferenziert haben (Umweltbeschreibung). Die im System wahrgenommenen ‚Umweltereignisse‘ werden dementsprechend erstens als Kommunikationen anderer operativ geschlossener Systeme verstanden und zweitens als Rückmeldungen dieser Systeme auf das eigene Operieren interpretiert. Über diese Rückkopplungsschleife können rational operierende Systeme die Auswirkungen

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entsprechend weist der Resonanzbegriff bei Luhmann, anders als in anderen Theoriekontexten (vgl. z.B. Rosa 2016; Henkel 2017b), nicht nur positive Konnotationen auf.

2.6 DIE DRITTE DIMENSION SYSTEMISCHER RESONANZ: RESONIEREN In Auseinandersetzung mit den ersten beiden Dimensionen des systemtheoretischen Resonanzbegriffs hat sich gezeigt, dass ein System die im Rahmen seiner Resonanzfähigkeit möglichen Umweltbeobachtungen in verschiedene Formen systemischer Strukturänderungen umsetzen und damit die eigene Beobachterperspektive in unterschiedlichem Ausmaß an diese Umweltbeobachtungen anpassen kann. Die dritte Dimension systemischer Resonanz widmet sich der bis dato ungeklärten Frage, wie genau ein solcher systemischer Anpassungsprozess an die ‚Umwelt‘ vonstattengeht; das heißt wie Resonanzen über eine „Sequenz von Reaktionen im System“ (Luhmann 1996a: 49) operativ erzeugt werden können. Als letzter Baustein auf dem Weg zu einem theoretisch kohärenten Konzept der Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme bildet der operative Resonanzprozess das theoretisch-konzeptionelle Verbindungsstück zwischen der den systemischen Umweltbezug ermöglichenden Resonanzfähigkeit auf der einen Seite und den Graden und Formen operativ realisierbarer Resonanzen als strukturwirksame Resultate dieses Umweltbezugs auf der anderen Seite. Luhmann selbst behandelt die Frage, wie genau ein System seine Umweltbeobachtungen operativ in systemische Strukturänderungen umsetzen kann, lediglich am Rande. Im theoretisch-konzeptionellen Teil der Ökologischen Kommunikation beschränkt er sich diesbezüglich auf recht wenige und zumeist eher sinnbildhafte Darstellungen des systemischen Resonierens. Unter Rückgriff auf physikalische Metaphern wird der operative Resonanzbildungsprozess mehrfach als ein „Prozeß des Aufschaukelns von Störungen“ (Luhmann 2008: 65) umschrieben: Resonanz wird erzeugt, indem die „Selbstreproduktion“ eines Systems durch eine auf die Umwelt

ihrer Operationen auf ihre ‚Umwelt‘ beobachten und diese daraufhin in ihrer eigenen Operationsweise antizipieren. Die Wahrscheinlichkeit eines destruktiven Aufschaukelns von Resonanz kann, so Luhmann, durch eine solche Antizipationsleistung verringert werden. Dementsprechend beendet er sein Kapitel zu Beschränkung und Verstärkung: Zu wenig und zu viel Resonanz mit dem an das politische System gerichteten Appell, dass es „zu den Ansprüchen an politische Rationalität gehören [muß], die Rückwirkungen der Auswirkungen von Politik miteinzukalkulieren“ (Luhmann 2008: 148). Da eine rationale Operationsweise die Wahrscheinlichkeit gesamtgesellschaftlich desintegrativer Resonanzformen minimieren kann, gesteht der steuerungsskeptische Luhmann (2008: 169) dem Hinwirken auf Rationalität eine gewisse Plausibilität zu: „Dann mag es nicht ohne Nutzen sein, sich doch an der Utopie der Rationalität zu orientieren, um zu sehen, ob und wie man von einzelnen Systemen aus rationalere, weitere Umwelten einbeziehende Problemlösungen gewinnen kann.“ Diese Position greifen unter anderem die Vertreter des ‚Reflexive Governance‘Ansatzes auf (vgl. Rip 2006; Voß et al. 2006; Voß/Bornemann 2011).

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zugerechnete Störung „aufgeschaukelt“ beziehungsweise „in Schwingung versetzt“ (Luhmann 2008: 27; vgl. auch ebd.: 65, 110, 148; Luhmann 1996a: 49) wird. An anderen Stellen bemüht Luhmann weitere Bilder, denen zufolge „ökologische Impulse in die Funktionssysteme einsickern und dort die merkwürdigsten Blasen treiben“ (Luhmann 1996a: 57) oder eine – auf das Rechtssystem bezogen – „Normenflut auslösen“ können, die dann wiederum in andere Systeme „zurückbrande[n]“ kann (Luhmann 2008: 65).86 Zudem veranschaulicht er den Resonanzprozess mittels einer Analogie zwischen einem operativ geschlossenen System und einem Lexikon, welches Veränderungen in seiner Umwelt, in diesem Falle in der Sprache, systemintern in veränderte lexikalische Begriffsdefinitionen umsetzt. „Man könnte auch an ein Lexikon denken, das (nahezu) alle Begriffe, die es zur Definition von Begriffen benutzt, an der entsprechenden Stelle selbst definiert und nur ausnahmsweise Referenzen auf undefinierbare Begriffe zuläßt. Für dieses Lexikon mag dann ein Redaktionskomitee gebildet werden, das überwacht, ob die Sprache den Sinn jener undefinierbaren Begriffe ändert oder durch Neubildung von Begriffen die Geschlossenheit des lexikalen Universums stört, ohne mit dieser Störung festzulegen, wie Änderungen der Einträge zu behandeln sind“ (Luhmann 2008: 27).

Was auf der Ebene funktionaler Teilsysteme, die auf sich selbst nicht entscheidungsförmig zugreifen – also auch nicht entscheiden können, ob sie auf Umweltveränderungen reagieren wollen oder nicht (Luhmann 2008: 145–146, 166) – als ‚Redaktionskomitee‘ fungieren und eine systemweit verbindliche Strukturänderung durchsetzen könnte, bleibt dabei zunächst unklar. Dennoch lässt diese Analogie bereits vorsichtige Rückschlüsse auf einzelne Stationen der operativen Resonanzbildung zu: Diese wird stets ausgelöst durch eine systeminterne, auf die Umwelt zugerechnete Störung – das Lexikon erfasst nicht (den korrekten Sinn) alle(r) Begriffe einer bestimmten Sprache –, die operativ in eine systemspezifische Information transformiert – der Sinn eines Begriffs hat sich geändert/es hat sich ein neuer Begriff herausgebildet – und durch die Anpassung systemischer Strukturen – Abänderung eines bestehenden Lexikonartikels/neuer Lexikonartikel – normalisiert wird. Wie dieser Prozess konkret aussehen kann, illustriert Luhmann am Beispiel des Rechtssystems. Die dort beobachtbare „Maschinerie des Umsetzens von nichtjuristischen in juristische Probleme“ (Luhmann 1996a: 57) erfolgt anhand einer rechtlichen Konsistenzprüfung, mittels derer der durch das jeweilige ‚Umweltproblem‘ entstehende Anpassungsbedarf der bestehenden rechtlichen Strukturen festgestellt werden kann. Ausgelöst wird diese Konsistenzprüfung zunächst durch die sinnhafte Bestimmung der beobachteten ‚Umweltprobleme‘ vor dem Hintergrund der bereits bestehenden systemischen Erwartungsstrukturen – die in den unterschiedlichen Rechtsgebieten bestehenden Gesetze –, welche die Resonanzfähigkeit des Rechtssystems prägen:

86 Zu Luhmanns teilweise expliziten, teilweise metaphorischen Anleihen an physikalische Phänomene zu Beschreibung der Resonanz sozialer Systeme vgl. auch Weingart (2010: 157); Aschke (2002: 123); Vogd (2011: 176).

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„Bereits seit einer Reihe von Jahren kann man beobachten, daß und wie Umweltprobleme in das Recht eindringen. […] Zunächst und vor allem: das Recht kann nur anhand des vorhandenen Rechts Neuerungen aufnehmen. Es geht nicht um Neuland, das erstmals mit einem Netz von Normen zu überziehen wäre, sondern um Polizeirecht, Gewerberecht, Raumordnungsrecht, Abgabenrecht und immer wieder: Verfassungsrecht. Jede Neuerung muß ihre Anschlußfähigkeit im System sichern“ (Luhmann 1996a: 57).

Im Prozess systemischen Resonierens wird sodann von Juristen geprüft, in welchem dieser Bereiche Anpassungen vorgenommen werden müssten, um eine allgemeine Umweltverträglichkeitsprüfung im Rechtssystem zu etablieren. „Würde man, wie in Brüssel geplant, eine allgemeine ‚Umweltverträglichkeitsprüfung‘ einführen, würden die Juristen dafür rasch die Bezeichnung UVP bereitstellen; aber um genauer zu wissen, ob und was diese Neuerung bedeutet, müßten sie durchprüfen, was im Hinblick darauf konkret geändert oder auch neu benannt werden muß, kann oder auch nicht kann“ (Luhmann 1996a: 57–58).

Als Ergebnis dieses Prozesses ist dementsprechend „zu erwarten, daß das Einbringen von Umweltperspektiven ins Recht eine Springflut von Neunormierungen auslösen“ (Luhmann 1996a: 58) – und das heißt in umfangreichen, ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassungen resultieren wird, die die Informationsverarbeitungsregeln des Rechts dauerhaft verändern. Auf die genauen Diffusionswege, über die sich solche zunächst punktuellen Strukturanpassungen über die systemische Binnendifferenzierung hinweg im gesamten Rechtssystem ausbreiten und systemweit Geltung erlangen können, geht Luhmann in der Ökologischen Kommunikation jedoch nicht ein.87 Er bemerkt lediglich, dass Funktionssysteme niemals als „geschlossene Einheit“ auf ihre Umwelt reagieren können, sodass es keine das gesamte System unmittelbar bindenden „Totaloperationen“ (Luhmann 2008: 31–32) gibt. Daraus folgt, dass nicht jede systemische Strukturanpassung unmittelbar und notwendigerweise das gesamte Funktionssystem betrifft und automatisch in sämtlichen nachfolgenden Systemoperationen in Rechnung gestellt wird. Dementsprechend macht es einen Unterschied, in welchem Binnenbereich eines Funktionssystems eine Strukturanpassung vorgenommen wird und wie dieser mit anderen Binnenbereichen desselben Funktionssystems erwartungsstrukturell verbunden ist.88 An diesem Beispiel wird zugleich deutlich, dass sich Resonanzfähigkeit und Resonanzformen über das operative Resonieren stets wechselseitig beeinflussen: Einerseits bildet die aktuelle Ausgestaltung der systemischen Erwartungsstrukturen den Ausgangspunkt beziehungsweise Rahmen möglicher ‚umweltinduzierter‘ Strukturanpassungen; andererseits wird dieser Rahmen selbst wiederum durch jede Strukturanpassung, die die aktuelle Ausgestaltung der systemischen Erwartungsstrukturen

87 Vgl. dazu jedoch Mölders (2011: 182–184), der unter Rückgriff auf Teubners (1987) Konzept der Episodenverknüpfung eine Konzeptualisierung der systeminternen Diffusionswege für Strukturanpassungen im Rechtssystem und in der Wissenschaft entwickelt. 88 Zum Konzept der Binnendifferenzierung, das in Kapitel 3 dezidierter diskutiert wird, vgl. Mölders (2011: 182).

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verändert, neu gesteckt. Die Resonanzfähigkeit eines Systems und die in diesem Rahmen möglichen Resonanzformen und -grade sind also nicht als zeitfeste Bestände aufzufassen, sondern dynamisch konstituiert: Sie müssen stets operativ erzeugt werden, indem die systemischen Erwartungsstrukturen entweder reproduziert oder transformiert werden. „Es handelt sich […] nicht um naturgesetzliche Beschränkungen und um a priori festgelegte Bedingungen der Unmöglichkeit, sondern um Konsequenzen der autopoietischen Autonomie und funktionsbezogenen Differenzierung“ (Luhmann 2008: 114). Die Bedingungen und Formen systemischer Resonanzen müssen also stets durch den operativen Informationsverarbeitungsprozess „im System selbst geregelt und gegebenenfalls geändert werden“ (ebd.).

2.7 FAZIT: BESTIMMUNGEN UND LEERSTELLEN DES LUHMANNSCHEN RESONANZBEGRIFFS ALS BESCHREIBUNG DER UMWELTOFFENHEIT OPERATIV GESCHLOSSENER SYSTEME Wie eingangs bemerkt, besteht der systemtheoretische Beitrag zum Verständnis gesellschaftlicher Koordinationsprozesse in der polykontexturalen Gesellschaft im Wesentlichen in der Beobachtung, dass sowohl der Umfang als auch die Qualität solcher Prozesse von der operativen Geschlossenheit und der durch diese begrenzte Kapazität der gesellschaftlichen Funktionssysteme zur Umweltbeobachtung und -berücksichtigung beschränkt werden. Möchte man diese Beschränkungen weiter spezifizieren, um die Bedingungen der Möglichkeit gesellschaftlicher Koordination detaillierter auszuleuchten, bewegt man sich systemtheoretisch jedoch auf recht dünnem Eis. Denn ein kohärentes und über vereinzelte ‚strukturelle Kopplungen‘ hinausgehendes Konzept der spezifischen Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme kann die Systemtheorie bis dato nicht vorweisen. Um ein solches Konzept zu entwickeln, muss daher zunächst – so die hier vertretene These – der Theoriefokus von Geschlossenheit auf Offenheit verschoben werden. Wie in diesem Kapitel gezeigt, lässt sich eine solche Verschiebung von Geschlossenheit auf Offenheit ausgehend von Luhmanns Begriff systemischer Resonanz vornehmen. Dieser widmet sich dem Verhältnis operativ geschlossener Systeme zu ihrer Umwelt auf einer sehr grundlegenden Ebene und verweist im Kern darauf, dass das Umweltverhältnis eines Systems in mehreren Hinsichten durch dessen Erwartungsstrukturen geprägt wird. Dies wurde zum Anlass genommen, um Luhmanns Begriff systemischer Resonanz mittels der Unterscheidung von drei Resonanzdimensionen – (1) der Resonanzfähigkeit, (2) der Formen und Grade systemischer Resonanzen sowie (3) dem Resonieren – zu diskutieren. Im Ergebnis kann dadurch einerseits gezeigt werden, dass die wesentlichen Elemente für eine umfassende Konzeptualisierung der Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme in Luhmanns Resonanzbegriff bereits angelegt sind. Andererseits wird ersichtlich, welche theoretisch-konzeptionellen Leerstellen es auf dem Weg zu einem substantiellen und für empirische Fragestellungen operationalisierbaren Resonanzkonzept noch zu füllen gilt. Im Folgenden werden sowohl die in diesem Kapitel herausgearbeiteten Bestimmungen des Luhmannschen

2. Die Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme | 67

Resonanzbegriffs als auch die in diesem Kontext identifizierten Leerstellen kurz rekapituliert. Abbildung 1: Die drei Dimensionen systemischer Resonanz und ihr Bezug zu den systemischen Erwartungsstrukturen

Quelle: eigene Darstellung

(1) Die erste Dimension systemischer Resonanz, die Resonanzfähigkeit, beschreibt, auf welche Weisen sich ein System auf seine Umwelt beziehen, das heißt die eigenen Beobachtungen im Rahmen seiner spezifischen Perspektive sinnhaft als Umweltbeobachtungen bestimmen kann. Geformt wird die Resonanzfähigkeit durch die aktuelle Ausgestaltung und Verfasstheit der den systemischen Umweltbezug regulierenden Erwartungsstrukturen. Über welche Mechanismen diese Strukturen die systemische Beobachterperspektive konstituieren und so den Umweltbezug ihres Systems organisieren, konnte beispielhaft an Luhmanns Beschreibung der funktionssystemkonstitutiven Strukturen Programmierung und Codierung aufgezeigt werden: Die binären Codes fungieren als beobachtungsleitende Differenzschemata, indem sie vorgeben, ‚als was‘ eine Umweltbeobachtung im System erscheinen kann. Angeleitet werden sie durch die systemischen Programme, die in ihrer Funktion als codebezogene Zuweisungsregeln die inhaltlichen Kriterien definieren, mittels derer konkrete Beobachtungen innerhalb des abstrakten Codeschemas verortet, das heißt einem der beiden Codewerte zugeordnet werden können. Erst durch diese Kombination von abstraktem Differenzschema und konkretisierender Zuweisungsregel kann der Sinn eines beobachteten ‚Umweltereignisses‘ systemintern bestimmt werden. Anders als Luhmanns Ausführungen im abstrakt-theoretischen Teil der Ökologischen Kommunikation suggerieren, kann der Umweltbezug gesellschaftlicher Funktionssysteme jedoch nicht allein über Codes und Programme geregelt werden, sondern erfordert den Rückgriff auf eine Reihe weiterer Erwartungsstrukturen. Erste Rück-

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schlüsse darauf, welche Erwartungsstrukturen in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen und in welcher Weise diese die Umwelt systemintern verstehbar werden lassen, konnten durch eine systematische Einordnung der im empirisch-exemplarischen Teil der Ökologischen Kommunikation illustrierten Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems und des politischen Systems gezogen werden. Diese werden in der folgenden Übersicht zusammengefasst. Tabelle 1: Erste Systematisierung der den Umweltbezug sozialer Systeme regulierende Erwartungsstrukturen beobachtungsleitendes Differenzschema

Zuweisungsregel

Strukturierungsleistung im Wirtschaftssystem

Strukturierungsleistung im politischen System

binärer Code

Programme und Programmergänzungsschemata

Zahlung bzw. zahlungsrelevant oder Nichtzahlung bzw. nicht zahlungsrelevant

reflexive bzw. rationale Selbstreferenz/ Fremdreferenz System/ Umwelt gegenwärtig einbeziehbare Zukunft/ gegenwärtig ausgeblendete Zukunft

Selbstbeschreibung/ Umweltbeschreibung

Wirtschaftsereignis oder Umweltereignis

(Chance auf) Machtüberlegenheit bzw. Regierung oder (Risiko von) Machtunterlegenheit bzw. Opposition politisches Ereignis oder Umweltereignis

Systemzeit; Zeithorizonte

Gegenstand aktueller Zahlungskalküle oder (noch) kein Gegenstand aktueller Zahlungskalküle

Gegenstand aktueller Machtkalküle oder (noch) kein Gegenstand aktueller Machtkalküle

beobachtetes Umweltereignis wird systemintern verstehbar als

Quelle: eigene Darstellung

Eine über diese empirisch-exemplarischen Ausführungen hinausgehende, analytische Konzeptualisierung der die Resonanzfähigkeit eines Systems in allen drei Sinndimensionen – der Sach-, Sozial- und Zeitdimension – regulierenden Erwartungsstrukturen, nimmt Luhmann jedoch nicht vor. Als Zwischenfazit zur ersten Resonanzdimension lässt sich somit festhalten, dass die Ökologische Kommunikation zwar bereits eine Reihe zentraler theoretischer Anknüpfungspunkte für die Konzeptualisie-

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rung der Resonanzfähigkeit sozialer Systeme liefert. Aufgrund des wenig analytischen Zugangs zur Wirkungsweise systemischer Erwartungsstrukturen im Allgemeinen sowie der eher eklektisch-illustrativen statt umfassenden Klassifikation der für den Umweltbezug sozialer Systeme relevanten Beobachtungsschemata erweisen sich Luhmanns Ausführungen jedoch als nicht hinreichend, um die Resonanzfähigkeit eines sozialen Systems systematisch erfassen und analysieren zu können. (2) Ähnliches gilt für die zweite Dimension systemischer Resonanz, die systemischen Resonanzen, welche die einem System zur Verfügung stehenden Reaktionsmöglichkeiten auf die im Rahmen seiner Resonanzfähigkeit realisierbaren Umweltbeobachtungen in den Blick nimmt. In Abgrenzung zu einfacher Fremdreferenz wurde die Bezeichnung ‚systemische Resonanz‘ zunächst auf all jene systemischen Reaktionen auf ‚Umweltereignisse‘ beschränkt, die nicht nur rein momenthaftirritativer, sondern strukturwirksamer Natur sind. Nach dem hier vertretenen Verständnis liegt eine Form systemischer Resonanz somit immer dann vor, wenn ein System Umweltirritationen mittels einer Anpassung seiner systemischen Erwartungsstrukturen normalisiert. Die einem System zur Verfügung stehenden Anpassungsmöglichkeiten an die eigene ‚Umwelt‘ hängen also im Wesentlichen von der Änderbarkeit der systemischen Erwartungsstrukturen ab. Wie insbesondere unter Rückgriff auf den empirisch-exemplarischen Teil der Ökologischen Kommunikation illustriert werden konnte, können solche Strukturanpassungen verschiedene Formen annehmen und sich in unterschiedlichem Ausmaß auf die systemische Beobachterperspektive auswirken. Es lassen sich also sowohl verschiedene Formen als auch Grade systemischer Resonanzen unterscheiden. Obwohl er Resonanz grundsätzlich als mannigfaltiges und graduelles Phänomen versteht, nimmt Luhmann selbst keine systematische Differenzierung der verschiedenen Formen oder Grade systemischer Resonanzen vor. Als erste Annäherung an eine noch weiter zu erarbeitende umfassende Klassifikation der einem System zur Verfügung stehenden Resonanzformen wurde daher vorgeschlagen, diese dahingehend zu unterscheiden, welche systemischen Erwartungsstrukturen auf welcher Ebene an die ‚Umwelt‘ angepasst werden – auf der Ebene der beobachtungsleitenden Schemata selbst oder auf der Ebene der Zuweisungsregeln, die die Kriterien für die Verwendung dieser Schemata enthalten. In Bezug auf die Beschreibung unterschiedlicher Grade systemischer Resonanzen lassen sich zunächst lediglich die zwei Extrempunkte des Spektrums möglicher Resonanzgrade – die Resonanzlosigkeit auf der einen und die in Entdifferenzierung resultierende Resonanzkatastrophe auf der anderen Seite – voneinander unterscheiden. Eine differenziertere Klassifikation möglicher Resonanzgrade sowie eine eingehendere Diskussion des Zusammenspiels von Resonanzformen und -graden kann aufgrund der in der Ökologischen Kommunikation fehlenden Beschreibung der systeminternen Diffusionswege, über die punktuelle Strukturanpassungen einerseits systemweit Geltung erlangen und andererseits weitere Folgeanpassungen induzieren können, an dieser Stelle vorerst nicht vorgenommen werden.

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Abbildung 2: Vorläufige Systematisierung möglicher Formen und Grade systemischer Resonanzen

Quelle: eigene Darstellung

(3) Dies ist unter anderem dem Umstand geschuldet, dass die dritte Dimension systemischer Resonanz, das operative Resonieren, in der Ökologischen Kommunikation kaum Aufmerksamkeit erfährt. Auf welche Weise die erwartungsstrukturell geprägten Umweltbeobachtungen operativ über eine Sequenz von Reaktionen in systemische Strukturanpassungen transformiert werden und systemweit Geltung erlangen können, wird lediglich metaphorisch beschrieben. Anhand dieser Ausführungen lässt sich daher auch nur bedingt nachvollziehen, über welche Mechanismen das Zusammenwirken von struktureller und operativer Ebene das systemische Resonieren formt. Zwar konnten aus den von Luhmann angeführten Beispielen bereits erste Rückschlüsse auf einzelne Stationen des Prozesses operativer Resonanzbildung gezogen werden; eine theoretisch fundierte Darstellung dieses Prozesses lässt sich daraus jedoch noch nicht ableiten. Gleichwohl konnte mittels des operativen Resonierens als theoretisches Verbindungsstück der ersten beiden Resonanzdimensionen aufgezeigt werden, dass die systemische Resonanzfähigkeit und die systemischen Resonanzen dynamisch konstituiert sind und sich stets wechselseitig beeinflussen: Die Änderbarkeit der systemischen Erwartungsstrukturen wird von deren aktueller Ausgestaltung vorgezeichnet, welche jedoch selbst wiederum das Produkt vergangener Strukturänderungen darstellt. Die im Rahmen dieser Rekonstruktion des luhmannschen Resonanzbegriffs identifizierten Leerstellen sollen im folgenden Kapitel durch den Einbezug des weiteren Theoriekontextes sowie unter Rückgriff auf neuere systemtheoretisch motivierte Steuerungsansätze ‚gefüllt‘ werden. Ausgehend von einem analytischen Zugriff auf die Verfasstheit, die operative Wirkungsweise und die Änderbarkeit systemischer Erwartungsstrukturen, sollen sowohl die offenen Fragen bezüglich der einzelnen Resonanzdimensionen geklärt als auch fehlende Verbindungen zwischen diesen Dimensionen gezogen werden. Das Ziel dieser theoretischen Unterfütterung besteht darin, zu einem theoretisch kohärenten und für empirische Fragestellungen operationalisierbaren Konzept systemischer Resonanz – und damit zu einem umfassenderen Verständnis der spezifischen Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme – zu gelangen.

3

Die systemtheoretische Konzeptualisierung systemischer Resonanz

Wie in Kapitel 2 gezeigt, eignet sich der von Luhmann in der Ökologischen Kommunikation entwickelte Begriff systemischer Resonanz als konzeptuelles Einfallstor für eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der spezifischen Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme. Mit seinen drei Dimensionen – die auf die strukturelle Verfasstheit des Systems abstellende Resonanzfähigkeit, die die Änderbarkeit der systemischen Erwartungsstrukturen in den Blick nehmenden Resonanzen sowie das auf die operative Prozessierbarkeit systemischer ‚Umweltbeobachtungen‘ verweisende Resonieren – enthält er bereits alle wesentlichen Elemente, um den Umweltbezug sozialer Systeme umfassend beschreiben zu können. Gleichzeitig wurden in der Diskussion der Ökologischen Kommunikation jedoch auch einige theoretisch-konzeptionelle Leerstellen identifiziert, die es auf dem Weg zu einem kohärenten analytischen Konzept systemischer Resonanz zu füllen gilt. Diese betreffen sowohl jede Resonanzdimension für sich als auch das Verhältnis, in dem diese drei Dimensionen zueinanderstehen. Bezüglich der ersten Dimension systemischer Resonanz, der Resonanzfähigkeit sozialer Systeme gilt es, die bereits gewonnenen Erkenntnisse bezüglich der Fragen, auf welche Weise die systemischen Erwartungsstrukturen den Umweltbezug ihres Systems organisieren und welche Erwartungen dabei eine (besondere) Rolle spielen, auf analytischer Ebene zu spezifizieren. Hinsichtlich der zweiten Dimension systemischer Resonanz, den Resonanzen, muss geklärt werden, inwiefern und auf welchen analytischen Ebenen sich unterschiedliche Formen und Grade ‚umweltinduzierter‘ Strukturanpassungen voneinander unterscheiden lassen. Am wenigsten ausgearbeitet sind Luhmanns Ausführungen zur dritten, die beiden ersten Dimensionen gewissermaßen verbindenden Dimension systemischer Resonanz, dem Resonieren. Um die einem System zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der operativen Prozessierung von ‚Umweltbeobachtungen‘ und deren potentielle Resultate – Resonanz, Resonanzlosigkeit oder Resonanzkatastrophe – systematisch erfassen zu können, müssen Luhmanns recht metaphorisch gehaltene Ausführungen in der Ökologischen Kommunikation auf analytischer Ebene expliziert und erweitert werden. Dadurch wird zugleich deutlich, in welcher Weise die drei Resonanzdimensionen aufeinander bezogen sind und sich jeweils wechselseitig bedingen. Das Ziel dieses Kapitels besteht darin, diese konzeptionellen Leerstellen des luhmannschen Resonanzbegriffs unter Einbezug des breiteren Theoriekontextes so-

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wie neuerer systemtheoretischer Ansätze zu füllen. Durch diese theoretische Unterfütterung kann Luhmanns Resonanzbegriff zu einem kohärenten Konzept systemischer Resonanz ausgebaut werden, mit dessen Hilfe sich die spezifische Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme auf analytischer Ebene umfassend beschreiben lässt. Gleichzeitig wird auf diese Weise deutlich, dass sich das Resonanzkonzept als analytischer Rahmen eignet, innerhalb dessen die bis dato relativ unverbunden nebeneinanderstehenden systemtheoretischen Begriffe zur Beschreibung der Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme – etwa „Komplexität und Reduktion, Selbstreferenz, […] Irritierbarkeit“ (Luhmann 2008: 27) oder auch ‚strukturelle Kopplung‘ – verortet und aufeinander bezogen werden können. Dadurch wird auch nachvollziehbar, auf welche Weise der Resonanzbegriff – entgegen der ihm in der luhmannschen Theoriearchitektur zugewiesenen marginalen Stellung – eine „zentrale Rolle“ (Vogd 2011: 176) bei der Umfokussierung der Systemtheorie von Geschlossenheit auf Offenheit und damit für die systemtheoretische Auseinandersetzung mit den Bedingungen gesellschaftlicher Koordination spielen kann. Im Folgenden wird jede der drei Resonanzdimensionen – die Resonanzfähigkeit (Abschnitt 3.2), die Resonanzen (Abschnitt 3.3) und das Resonieren (Abschnitt 3.4) – zunächst jeweils für sich unter Rückgriff auf den weiteren luhmannschen Theoriekontext sowie neuere systemtheoretische Ansätze konzeptionell unterfüttert. Im Anschluss daran können die drei Dimensionen dann auch in ihrem Zusammenspiel analysiert werden (Abschnitt 3.5). Zuvor wird jedoch ein analytischer Zugang zur Verfasstheit, operativen Wirkungsweise und Änderbarkeit systemischer Erwartungsstrukturen entwickelt, der als gemeinsamer Ausgangspunkt für die Konzeptualisierung (aller drei Dimensionen) systemischer Resonanz dient (Abschnitt 3.1). Das Kapitel schließt mit einem Fazit (Abschnitt 3.6), in dem die wesentlichen Elemente des Konzepts systemischer Resonanz nochmals zusammengefasst werden.

3.1 ANALYTISCHER ZUGANG ZU SYSTEMISCHEN ERWARTUNGSSTRUKTUREN Die Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme ist, wie im letzten Kapitel festgestellt, als eine durch die systemische Beobachterperspektive vermittelte Offenheit zu verstehen. Ein operativ geschlossenes System kann nicht unmittelbar durch seine Umwelt zur Resonanz gebracht werden, sondern lediglich auf seine eigenen Umweltbeobachtungen, seine ‚Umwelt‘, reagieren: „Alle Umweltbeobachtung muss im System selbst als interne Aktivität mit Hilfe eigener Unterscheidungen (für die es in der Umwelt keine Entsprechung gibt) durchgeführt werden“ (Luhmann 1997: 92, Hervorhebung i.O.; vgl. auch von Groddeck 2011a: 22; Luhmann 1981: 61; Mölders 2011: 89). Über welche systemeigenen Unterscheidungen zur Umweltbeobachtung und -behandlung ein System zu einem gegebenen Zeitpunkt verfügt, hängt von der Ausgestaltung und der dadurch vorgezeichneten Änderbarkeit seiner Erwartungsstrukturen ab. Aufgrund der zentralen Stellung systemischer Erwartungsstrukturen als Dreh- und Angelpunkt systemischer Resonanz, die aus dieser Tatsache resultiert, muss auch die Konzeptualisierung von Resonanz von einer grundlegenden, analyti-

3. Die Konzeptualisierung systemischer Resonanz | 73

schen Auseinandersetzung mit der Verfasstheit, der operativen Wirkungsweise sowie der Änderbarkeit systemischer Erwartungsstrukturen ihren Ausgang nehmen. 3.1.1 Zur Verfasstheit systemischer Erwartungsstrukturen: Attributionsschemata und Attributionsregeln Erwartungsstrukturen sind „bewährte[r], bekannte[r]“ (Luhmann 1997: 47) beziehungsweise „typisierte[r]“ (Kirchmeier 2012: 116; Luhmann 1980: 18) Sinn, anhand dessen ein System beobachtete Ereignisse einordnen und bestimmen kann. Sie „begrenzen“ beziehungsweise „[.]sortieren“ die möglichen Bedeutungen eines beobachteten Ereignisses „vor[.]“ (Luhmann 1987d: 102) und stellen gangbare Anschlussund Reaktionsweisen bereit (Luhmann 1987d: 384, 475): „Eine Struktur besteht also, was immer sie sonst sein mag, in der Einschränkung der im System zugelassenen Relationen“ (Luhmann 1987d: 384, Hervorhebung i.O.; vgl. auch Luhmann 1987d: 392; Bora 2003: 126). Erst unter Rückgriff auf spezifische Erwartungen können Systeme beobachtete Ereignisse verstehen, das heißt auf der Basis eines strukturell bereitgestellten „begrenzte[n] Repertoire[s] von Wahlmöglichkeiten“ (Luhmann 1987d: 73) als Informationen behandeln und sich in ihrem weiteren Operieren an diesen Informationen orientieren (Luhmann 1987d: 102, 392; Luhmann 2008: 30; Bora 2003: 125).89 Denn da einem Kommunikationsereignis an sich „keine sinnhafte Motivation seines Auftretens zu entnehmen [ist]“ – es also prinzipiell „‚alles mögliche‘“ (Bora 1999: 174– 175) bedeuten kann – wären ohne solche komplexitätsreduzierende „‚Erwartungsbeschränker‘“ (Mölders 2011: 210) „sinnvolle Anschlüsse ausgeschlossen […] und keine Kommunikation verstehbar“ (von Groddeck 2012: 120): „Ein Gruß wäre nicht als Gruß zu entschlüsseln, ein Streit nicht als Streit, eine Handlung nicht als Handlung“ (von Groddeck 2012: 120) und – was im Hinblick auf systemische Resonanz insbesondere relevant ist – die ‚Umwelt‘ nicht als ‚Umwelt‘. Ein Kommunikationsereignis erlangt demnach immer „[e]rst im Kontext bestehender Erwartungsstrukturen […] Bedeutung oder Sinn“ (Jung 2009: 182; vgl. auch Luhmann 1987d: 384; Süssenguth 2012: 72). Umgekehrt bedeutet dies, dass die Konstitution jeglichen Sinns stets auf die erwartungsstrukturell geleitete Attributionsleistung eines systemischen Beobachters zurückzuführen ist (Renn 2006: 395). Erwartungsstrukturen ermöglichen diese systemische Attributionsleistung von Sinn, indem sie die potentiellen Bedeutungen eines beobachteten Ereignisses auf zwei Ebenen beschränken: In ihrer Funktion als beobachtungsleitende Attributionsschemata formen sie erstens die grundlegenden Verstehenskategorien, mittels derer ein System ein beobachtetes Ereignis als etwas Spezifisches bezeichnen kann. Als Attributionsregeln stellen sie zweitens die Kriterien bereit, anhand derer diese Be-

89 In diesem Sinne wird in der Systemtheorie das „Verstehen […] zum sinnproduktiven Moment in der Kommunikation […]. Das kommunikative Verstehen entscheidet darüber, ob und welchen Sinn eine Äußerung in der Kommunikation erhält“ (Luhmann 1986: 95, zitiert nach Schneider 1996: 269).

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zeichnung vorgenommen, das heißt ein beobachtetes Ereignis einer Seite der jeweiligen beobachtungsleitenden Unterscheidung zugeordnet wird.90 Attributionsschemata sind relativ abstrakte, typischerweise binäre (Luhmann 1996c: 318; Luhmann 2005b: 81) Verstehenskategorien oder Zurechnungsoptionen, die vorgeben, als was ein beobachtetes Kommunikationsereignis systemintern aufgefasst werden kann: „Schemata sind im einfachsten Falle Kategorisierungen, die es ermöglichen, etwas als etwas zu bezeichnen“ (Luhmann 2000a: 299, Hervorhebung i.O.; vgl. auch Luhmann 1987f: 168–169; Luhmann 2008: 30; zum systemtheoretischen Schemabegriff vgl. auch Mölders 2015b: 55–56; Melde 2012: 131). Sie reduzieren die durch die Vielzahl möglicher Bedeutungen beobachteter Ereignisse aufgespannte Komplexität „grob verkürzt und vereinfacht“ auf zwei gegensätzliche Zurechnungsoptionen und erleichtern so „Zuordnungen und auch das Wechseln von Zuordnungen“ im operativen Verstehensprozess (Luhmann 1987d: 126–127). Jede sinnhafte Bestimmung von beobachteten Kommunikationsereignissen ‚als etwas‘ im Unterschied zu etwas mehr oder weniger bestimmten ‚anderen‘ 91 greift auf solche Attributionsschemata zurück. In diesem Sinne „gibt [es] keine schemafreie Kommunikation“ (Luhmann 1996c: 318; vgl. auch Luhmann 2005b: 81; Nassehi 1993: 155). Neben den binären Codes, den funktionssystemischen Attributionsschemata par excellence (vgl. Abschnitt 2.4.1), operieren soziale Systeme mit einer Vielzahl weiterer Schemata:

90 Luhmann (2005b: 85) differenziert in ähnlicher Weise zwischen dem „binären Schematismus“ und „den Kriterien, nach denen über dessen beide Möglichkeiten disponiert wird“. Für die beobachtungsleitenden Schematismen, die in dieser Arbeit als Attributionsschemata bezeichnet werden, verwendet Luhmann zwar keinen einheitlichen, aber dem im Rahmen dieser Arbeit verwendeten sehr ähnliche Begriffe wie beispielsweise „Selektionsschemata“ (Luhmann 1997: 94) oder „Zurechnungsschematism[en]“ (Luhmann 2005b: 86). Für einen alternativen, an diese Differenzierung Luhmanns anschließenden Vorschlag, Erwartungsstrukturen als Inhalts- und Strukturschemata zu fassen vgl. Mölders (2011: 87). Diese Differenzierung zwischen Attributionsschemata als systemisch verfügbare Bezeichnungs- oder Kategorisierungsoptionen und Attributionsregeln als diese Schemata mit Inhalt füllenden Konkretisierungen erinnert an die aus der Semiotik stammende Unterscheidung des Bezeichnendem (Signifikant) und dem dadurch Bezeichneten (Signifikat). Zum Verhältnis von Semiotik und Systemtheorie vgl. Habermann (2012); für die theoretische Verknüpfung von Systemtheorie und Zeichentheorie vgl. Stäheli (1996; 2000) sowie das 2010 erschienene Themenheft Medien, Zeichen, Sinn: Semiotik und Systemtheorie der Zeitschrift für Semiotik. 91 Die Binarität solcher Schemata kann dabei, so Luhmann (1991d: 24; vgl. auch Mölders 2011: 86), entweder darin bestehen, dass bestimmte „Objekte“ unspezifisch von ‚allem anderen‘ unterschieden werden oder aber in bestimmten „Begriffen“, die explizit von einem ‚konkreten anderen‘ abgegrenzt werden. Für eine kritische Hinterfragung der Luhmannschen Konzentration auf binäre ‚Zwei-Seiten-Schemata‘ vor dem Hintergrund von George Spencer Browns nicht-numerisch ausgelegtem Unterscheidungsbegriff vgl. Wille (2007: 35–36).

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„Beispiele wären standardisierte Formen der Bestimmung von etwas als etwas (zum Beispiel: Getränk als Wein), Attributionsschemata, die Ursachen und Wirkungen verknüpfen […]. Aber auch Zeitschemata, insbesondere Vergangenheit/Zukunft oder Präferenzcodes wie gut/schlecht, wahr/unwahr, Eigentum/Nichteigentum, erfüllen die Schematisierungsfunktion. […] Die Schemata können konkretisiert und jedem Bedarf angepaßt werden“ (Luhmann 1997: 111; vgl. auch Luhmann 2005b: 86).

Die durch ein bestimmtes Attributionsschema vorgegebene Unterscheidung impliziert selbst jedoch noch „keinerlei Vorentscheidung darüber, wie die Beziehung des auf diese Weise Unterschiedenen zu verstehen ist“. Folglich sind „[j]egliche Qualifizierung von formalen (also: auf die Form bezogenen) Beziehungen […] Zusätze und verdanken sich nie der Form der Unterscheidung selbst […]. Sie sind das Produkt von weiteren […] Konditionierungen“ (Karafillidis 2014: 23–24).92 Diese ‚weiteren Konditionierungen‘ systemischer Attributionsschemata werden im Folgenden als Attributionsregeln bezeichnet. Attributionsregeln stellen „Konkretisierungen des Schemagebrauchs“ dar, also zum Beispiel auf „abstrakte Codes wie gut/schlecht oder wahr/unwahr […] bezogene Programme, die sagen, unter welchen Bedingungen der positive bzw. negative Wert richtig oder falsch bezeichnet wird“ (Luhmann 1996c: 319; vgl. auch Stäheli 1996: 273–274; Mölders 2012: 485). Erst in Verbindung mit konkreten Attributionsregeln werden die abstrakten und für sich genommen wenig Orientierung bietenden Attributionsschemata operativ verwendbar.93 So lässt sich etwa nur mithilfe von Theorien und Methoden als Programme des Wissenschaftssystems feststellen, wie beziehungsweise warum ein beobachtetes Ereignis einer der beiden durch das wissenschaftliche Attributionsschema wahr/unwahr vorgegebenen Seiten zugeordnet und somit ‚als etwas‘ Wissenschaftliches bezeichnet werden kann (vgl. Abschnitt 2.4.1). Zur Bestimmung des Sinns eines Ereignisses im jeweiligen systemischen Beobachtungskontext können Attributionsregeln dabei sowohl auf die „Zuschreibung von Wesensmerkmalen“ der einzelnen Seiten der jeweiligen schematischen Unterscheidung, als auch auf die Beziehung zwischen diesen Seiten abstellen (Wille 2007: 30).94 Darüber hinaus stellen Attributionsregeln auch Anweisungen bezüglich der an

92 Vgl. dazu auch Mölders (2011: 86); in Bezug auf den binären Code gesellschaftlicher Funktionssysteme vgl. Stäheli (1996). Luhmann (2008: 60; Hervorhebungen i.O.) selbst führt hierzu am Beispiel von Codierung und Programmierung aus: „Kriterien beziehen sich […] auf binäre Codierungen, aber sie sind nicht ein Pol dieser Codes selbst“. 93 Daher sind, wie Mölders (2011: 148) am Beispiel der systemischen Programme und der durch diese angeleiteten Codes feststellt, Attributionsschemata „in einem konstitutiven Sinne“ auf Attributionsregeln angewiesen. 94 Ob systemische Erwartungsstrukturen bei der operativen Bestimmung des Sinns eines beobachteten Ereignisses als beobachtungsleitendes Schema oder als dieses Schema konkretisierende Regel fungieren, ist im Vorfeld konkreter Beobachtungen nicht bereits festgelegt, sondern hängt vielmehr von dem jeweiligen Beobachterfokus ab. Das heißt, dass ein und dieselbe Erwartungsstruktur, je nach operativem Kontext, sowohl als beobachtungsleitendes Attributionsschema als auch als ein anderes Schema konkretisierende Attributionsregel fungieren kann. Geht es einem Beobachter etwa darum, wissenschaftliche Kommunikation

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eine schematisch verortete Beobachtung anschließbaren ‚Reaktionen‘ bereit (Mölders 2011: 86). Solche handlungsanleitenden Attributionsregeln bezeichnet Luhmann (1997: 111, 854; 2000a: 299) als „Skripts“. Attributionsregeln leiten also sowohl die retrospektive als auch prospektive Verwendung ihres Attributionsschemas an (vgl. Abschnitt 3.1.2).95 Abbildung 3: Schematische Darstellung der strukturellen Verfasstheit systemischer Erwartungsstrukturen: Attributionsschemata und Attributionsregeln

Quelle: eigene Darstellung

von politischer Kommunikation zu unterscheiden, bilden die durch die funktionssystemischen Codes vorgegebenen Relevanzen Wahrheit/Macht die Attributionsregeln, anhand derer das beobachtungsleitende Attributionsschema Wissenschaft/Politik gehandhabt werden kann. Sollen dagegen wissenschaftsinterne Unterscheidungen, etwa in Bezug auf die Wahrheit oder Unwahrheit einer Aussage, getroffen werden, fungiert der Code wahr/unwahr selbst als Attributionsschema, dessen Verwendung durch die wissenschaftlichen Programme als Attributionsregeln konkretisiert wird. Und auch Programme können nicht nur, wie von Luhmann typischerweise hervorgehoben wird, als Konkretisierungen der funktionssystemischen Codeschemata, sondern ebenso als beobachtungsleitende „Zwei-Seiten-Schemata“ mit eigenen Attributionsregeln operativ Verwendung finden: So können beispielsweise wissenschaftliche Theorien als „Kausalschemata […] durch Attributionsregeln konkretisiert werden – so wenn man sagt, daß Autoabgase den Wäldern oder der Stratosphäre schaden“ (Luhmann 1996c: 318). 95 Um die Konzeptualisierung des systemtheoretischen Resonanzbegriffs zu visualisieren, werden die einzelnen Argumentationsschritte und -ergebnisse in einer Reihe von Abbildungen und Tabellen zusammengefasst. Diese Abbildungen und Tabellen enthalten keine Argumente oder Informationen, die über den Text hinausreichen.

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Um für das beobachtende System operations- beziehungsweise anschlussfähig96 zu werden, muss der Sinn eines Ereignisses dabei stets zugleich in drei Hinsichten oder „Sinndimensionen“ bestimmt werden: der Sach-, Zeit- und Sozialdimension von Sinn (Luhmann 1987d: 123; Luhmann 1997: 1136–1137). In der Sachdimension geht es darum, unter Rückgriff auf Attributionsschemata wie „‚dies‘ und ‚anderes‘“ (Luhmann 1993a: 101) die „Themen sinnhafter Kommunikation“ (Luhmann 1987d: 114, Hervorhebung i.O.) zu identifizieren, während es in der Zeitdimension um die durch Schemata wie „Vorher und Nachher“ geleitete „Interpretation der Realität im Hinblick auf eine Differenz von Vergangenheit und Zukunft“ (Luhmann 1987d: 116) geht. In der Sozialdimension wiederum, in der Ego und Alter als differente Beobachterperspektiven reflektiert werden, wird der Sinn eines beobachteten Ereignisses mittels Unterscheidungen wie „Konsens/Dissens“ dahingehend bestimmt, „ob ein anderer ihn genau so erlebt wie ich oder anders“ (Luhmann 1987d: 119).97 Im systemischen Verstehen, das auf eine Vielzahl unterschiedlicher Attributionsschemata zurückgreift, fallen die sachlichen, temporalen und sozialen Bedeutungen eines beobachteten Ereignisses stets „selbdritt“ (Luhmann 1987: 127) in der Form spezifischer „Konstellationen“ (Luhmann 1987: 134) zusammen.

96 Operationsfähig in dem von Luhmann (1987d: 123) ausgeführten Sinne, dass „[j]ede Operation […] durch ihren Bezugsrahmen dazu angehalten [wird], ihren gemeinten Sinn im Gefüge der Dimensionen und ihrer Horizonte zu verorten. Sie muß entsprechende Bestimmungen vollziehen – nicht so sehr um der eigenen Bestimmtheit willen, sondern deshalb, weil anderenfalls keine weiteren Operationen angeschlossen werden könnten“. 97 Als weitere zentrale Schemata der Sachdimension führt Luhmann Unterscheidungen wie „‚Innen‘ und ‚Außen‘“ (Luhmann 1997: 1136) beziehungsweise „intern/extern“ (Luhmann 1987: 123), „System/Umwelt“ (Luhmann 1987: 123) oder auch „Erleben/Handeln“ (Luhmann 1987: 124) an; als insbesondere in der Zeitdimension Orientierung bietende Schemata nennt er zudem „vorher/nachher“ (Luhmann 1997: 1136), „alt und neu“ (Luhmann 1997: 577), „Ereignisse/Bestände“ (Luhmann 1987: 117) beziehungsweise „konstant/variabel“ (Luhmann 1997: 53), während er in der Sozialdimension Kategorisierungen wie Ego/Alter (Luhmann 1997: 1136) beziehungsweise „Ego-Perspektive“ und „eine oder viele AlterPerspektive(n)“ (Luhmann 1987: 119) als ebenfalls zentral hervorhebt. Obwohl diese Schemata insbesondere in je einer der drei Sinndimensionen wirken, ist es nicht möglich, eine eindeutige beziehungsweise ausschließliche Zuordnung der verschiedenen systemischen Attributionsschemata zu einer spezifischen Sinndimension vorzunehmen. Insbesondere komplexere Schemata wirken stets gleichzeitig in mehreren Sinndimensionen. So impliziert beispielsweise die Unterscheidung von Konsens/Dissens neben der Inrechnungstellung zweier divergenter Beobachterperspektiven in der Sozialdimension immer auch unterschiedliche Auffassungen in sachlicher Hinsicht. Dementsprechend ist die von Luhmann vorgenommene Dekomposition von Sinn in drei Sinndimensionen als eine rein analytische Beobachtungskategorie zu verstehen (vgl. Heidenescher 1999: 94–95). Sie ermöglicht es einem Beobachter zweiter Ordnung, einen „deutlicheren Aufriß der Bedingungen der Möglichkeit des Bestimmens von Sinn“ vorzunehmen und hieran „weitere Schritte der Analyse“ anzuschließen (Luhmann 1987d: 122). Für ähnliche Bezüge auf die drei Sinndimensionen vgl. Fuchs (1999: 77–78) und Mölders (2011: 210–211).

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3.1.2 Zur operativen Wirkungsweise systemischer Erwartungsstrukturen: retrospektive und prospektive Rekursivität In ihrer Funktion als Attributionsschemata und -regeln leiten die systemischen Erwartungsstrukturen das Verstehen beobachteter Kommunikationsereignisse in allen drei Sinndimensionen an. Dadurch ermöglichen sie gleichzeitig die Integration dieser Kommunikationsereignisse in den systemischen Operationsprozess (Jung 2009: 182– 183; Mölders 2011: 210; Schneider 2008c: 472–473). Denn es ist das systemische Verstehen – die erwartungsstrukturell geleitete Selektion einer Information aus einer beobachteten Mitteilung, die selbst wiederum mitgeteilt wird –, welches Kommunikationsereignisse entsprechend der jeweiligen systemspezifischen Logik miteinander verkettet und so die stetige operative Reproduktion des Systems in Gang hält. Indem das Verstehen festlegt, „ob und welchen Sinn eine Äußerung“ im System erhält (Schneider 1996: 271), „konstituiert“ es zum einen eine „spezifische Perspektive“ auf diese vergangene Äußerung und legt zum anderen spezifische „Anschlussselektionen“ für mögliche darauffolgende Äußerungen nahe (Heidenescher 1999: 99; vgl. auch Bora 1999: 174).98 Anders ausgedrückt: Das Verstehen integriert beobachtete Kommunikationsereignisse in den systemischen Operationsprozess, indem es diese sowohl mit einer der systemspezifischen „Selektivität“ (Henkel 2017b: 108) entsprechenden „retrospektiv gerichteten“ als auch mit einer „antizipierenden Rekursivität“ versieht (Mölders 2011: 210 unter Rückgriff auf Schneider 1994a: 169; vgl. auch Schneider 2008c: 472–479). Abbildung 4: Schematische Darstellung der operativen Wirkungsweise systemischer Erwartungsstrukturen: retrospektive und prospektive Rekursivität

Quelle: eigene Darstellung

Wie in Abbildung 4 dargestellt, wirken Erwartungsstrukturen, vermittelt über das Verstehen, im systemischen Operationsprozess demnach sowohl „rückwärts“ (von

98 Luhmann (1987d: 397) spricht in diesem Zusammenhang auch davon, dass „[d]ie Erwartungsbildung […] Behandlungslinien vor[zeichnet].“

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M6 zu M5) als auch „nach vorne gerichtet“ (von M6 zu M7) (Schneider 1994a: 169; vgl. auch Messmer 2003: 96–97).99 Retrospektiv gerichtet stellen sie die notwendigen Anhaltspunkte für das Verstehen und damit die sinnhafte Verortung eines beobachteten Ereignisses im systemischen Kontext bereit. So wird ein beobachtetes Ereignis im Rahmen vorhandener Attributionsschemata und -regeln beispielsweise als ein von einer anderen Person an einen selbst gerichteter Gruß bestimmbar.100 Prospektiv entfalten die systemischen Erwartungsstrukturen Orientierung, indem sie in ihrer Funktion als systemspezifische „Anknüpfungsregeln“ (Bora 2003: 126) das „Finden und Einsetzen“ sinnvoller „Anschlußhandlungen“ (Luhmann 1987d: 475–476; vgl. auch Bora 1999: 175; Mölders 2009: 65) an das jeweilige Ereignis – in diesem Falle etwa eine dem Anlass entsprechende Erwiderung des Grußes – ermöglichen. Durch diese operative Einbettung in den erwartungsstrukturell formierten systemischen Kontext erhält somit jede „kommunikative Äußerung“ einerseits eine spezifische „Vorgeschichte, in deren Licht sie eben als erwartbar oder überraschend erscheinen kann“ und eröffnet gleichzeitig „für alles an sie Anschließende erwartbare Möglichkeiten“ (Mölders 2011: 210). 3.1.3 Zur Änderbarkeit systemischer Erwartungsstrukturen: das soziale Gedächtnis Erwartungsstrukturen und operativer Prozess stehen dabei stets in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis. Einerseits kanalisieren Erwartungsstrukturen in der soeben beschriebenen Art und Weise den systemischen Informationsverarbeitungsprozess, andererseits werden die Erwartungsstrukturen selbst in und durch diesen Prozess erst geformt (Luhmann 1987d: 73, 77; vgl. auch von Groddeck 2012: 120; Corsi 1997b: 185): „The structures of the system condense and are confirmed as a result of the system’s own operations, and the operations are in turn recursively reproduced by structural mediation“ (Luhmann 1992b: 1424).101 Dementsprechend sind

99

Sie zeigen also stets „wie eine Situation beschaffen ist und was in Aussicht steht“ (Baraldi 1997a: 45). 100 Das diese Beobachtung leitende Attributionsschema könnte in der einfachsten Fassung die Unterscheidung von ‚Gruß/kein Gruß‘ sein; die dieses Schema orientierenden Attributionsregeln würden die Charakteristika eines ‚Grußes‘, wie z.B. das Heben oder Entgegenstrecken der Hand oder das Äußern bestimmter Grußwörter fixieren und von für einen ‚Gruß‘ untypischen Verhaltensweisen, z.B. einen abgewandten Blick oder das Kramen in der eigenen Tasche, abgrenzen. 101 An anderer Stelle führt Luhmann (1992: 1439–1440) die ko-konstitutive Beziehung von Erwartungsstrukturen und operativem Prozess weiter aus: „An autopoietic system does not consist of two different kinds of entities, namely structures and processes. It is not composed of two different kinds of matter or substance. […] As observers, and for analytical purposes, we may distinguish these two functions of producing operations and using, confirming or changing structures. In reality, these are only two aspects which necessarily require each other. In a complex system you cannot fix the next operation without selecting it, you cannot select without narrowing the choice in the first place, and you

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systemische Erwartungsstrukturen nicht als „statische“ (Jung 2009: 182–183) oder „zeitlose“ Bestände, sondern als dynamische, mit dem Operieren des Systems evoluierende Strukturen zu verstehen (Luhmann 1987d: 73; vgl. auch Luhmann 1997: 94).102 Im systemischen Informationsverarbeitungsprozess werden Erwartungen entweder durch „konforme[s] […] Anschlußhandeln“ operativ reproduziert oder aber durch „abweichende[s] Anschlußhandeln[.]“103 zunächst momenthaft enttäuscht und – sofern die jeweilige Abweichung wiederum als Erwartung stabilisiert wird und dadurch selbst „Strukturwert“ erlangt – angepasst (Luhmann 1987d: 476; vgl. auch Luhmann 1996c: 313). „Autopoiesis ist also die Bedingung dafür, daß eine Struktur sich ändern oder nicht ändern kann“ (Luhmann 1987d: 476). Den operativen „Sortiermechanismus“ (Luhmann 1997: 588), der die (Re-)produktion beziehungsweise Transformation systemischer Erwartungsstrukturen regu-

cannot restrict the possibilities at hand without accepting […] structures.“ Wie an diesen Ausführungen deutlich wird, wirken Strukturen niemals deterministisch im Sinne einer „Spielregel, die vorweg definiert und dann ‚angewendet‘ wird“ (Bora 1999: 165) und dadurch eine bestimmte Bedeutung oder einen bestimmten Anschluss an ein Ereignis vorschreibt. Sie reduzieren lediglich die für ein solches Verstehen oder Anschließen zur Verfügung stehenden Optionen auf ein operativ handhabbares Maß an Komplexität, und eröffnen so „einen Spielraum“, innerhalb dessen die „Beziehung zwischen zwei Elementen […] ‚so‘ oder ‚so‘ beschaffen sein [kann], aber eben nicht „irgendwie“;“ (Bora 2003: 174; vgl. auch Fuchs 2008: 9). Daher ermöglicht die „Selektivität der Strukturbildung“, so Luhmann (1997: 437–439), „zugleich die Chance unterschiedlicher Entwicklungen“ im System. In Bezug auf die Dynamik operativ geschlossener Sozialsysteme trägt also weder die Struktur, noch das Ereignis alleine die „Erklärungslast, sondern das selbstreferentielle Operieren des Systems, das aus dem selektiven Anschluß eines nächsten an dieses Ereignis erst emergiert und die sequentielle Verknüpfung der Ereignisse über Erwartungsstrukturen herstellt“ (Bora 1999: 175; vgl. auch ebd.: 165; 2003: 126). Der genaue Mechanismus dieser Selektion bleibt als „‚generatives Moment der Dynamik des Sozialen bzw. der Offenheit des Sozialen“ (Jung 2009: 195) dabei jedoch relativ unbestimmt und führt in der Frage einer konsistenten systemtheoretischen Erklärung der Emergenz von neuem Sinn zu Problemen (vgl. Bora 2003: 121; Jung 2009: 195–199; Aschke 2002: 111–124; für einen Lösungsvorschlag vgl. Krönig 2007: 59–64). Das heißt: auch hier zeigt sich der systemtheoretische Fokus auf die Beschreibung systemischer Geschlossenheit, der im Hinblick auf die sich daraus ergebende Form der Offenheit noch einige Fragen offenlässt. 102 Aus diesem Grund plädiert etwa von Groddeck (2012: 120) dafür, den „systemtheoretische[n] Strukturbegriff somit konsequent in eine poststrukturalistische Theorietradition einzuordnen, die sich für Strukturaufbau in der Praxis interessiert“. 103 Mit Luhmann (1987d: 476) lassen sich abweichende Anschlusshandlungen nochmals unterteilen in „konformes Abweichen (erlaubte Innovation, zum Beispiel Gesetzgebung)“ und ein „Abweichen von noch undefinierten Erwartungen, nämlich Ausweichen in einen semantisch noch nicht besetzten Strukturbereich“. Diese Differenz wird hier insofern aufgegriffen, als Resonanzen sowohl in der Anpassung bestehender als auch in der Ausbildung neuer Erwartungsstrukturen bestehen können.

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liert, bezeichnet Luhmann als das „soziale Gedächtnis“ (Luhmann 1996c: 316).104 Als unbeobachtet mitlaufende „Reflexionsinstanz“ (Luhmann 1996c: 310; vgl. auch Luhmann 1995c: 61) diskriminiert das soziale Gedächtnis im laufenden Operationsprozess zwischen denjenigen Aspekten systemischer Beobachtungen, die vergessen, und denjenigen Aspekten, die erinnert und so für weitere Systemoperationen in der Form generalisierter Erwartungen präsent gehalten werden sollen. Hierzu verfügt das soziale Gedächtnis einerseits „über genügend Freiheitsgrade [.], um nicht an dem, was geschieht, kleben zu bleiben, sondern es [.] durch die Ereignisform des Beobachtens verschwinden [zu lassen]“ (Luhmann 1996c 310). Andererseits zieht es von dem, was passiert, abstrahierende „Schemata ab[.], die wiederverwendet werden können“ (ebd.; vgl. auch Fuchs 1999: 76–77; Esposito 2008: 182–183).105 So stellen sich im Laufe des systemischen Prozessierens zunehmend Orientierung bietende „Pauschalbezeichnungen, Typenvorstellungen und Heterogenes übergreifende Begriffe ein“ (Luhmann 1987d: 137), die dann für das „Wiedererkennen ähnlicher Sachverhalte zur Verfügung steh[en]“ (Luhmann 1996c: 313; vgl. auch Luhmann 1997: 94). Finden Attributionsschemata über einen längeren Zeitraum keine Verwendung in konkreten Operationen, können sie wieder „vergessen“ (Luhmann 1996c: 134) werden. Ebenso ist es möglich, dass Schemata aufgrund von irritierenden, das heißt den jeweils aufgebauten Erwartungen widersprechenden Ereignissen angepasst werden.106 Dies setzt jedoch voraus, dass das betreffende System die jeweilige Irritation nicht als lediglich zufällige beziehungsweise einmalige Abweichung vom erwarteten Normalfall begreift. Vielmehr muss die Irritation als Symptom eines strukturellen „Systemproblem[s]“ (Mölders 2011: 80, Hervorhebung i.O.) verstanden werden, das

104 Vgl. zur Bedeutung des sozialen Gedächtnisses in diesem Kontext auch Mölders (2011: 83–89, 110–117); Vogd (2011: 179–186); Fuchs (1999: 76–79); Nassehi (2011: 215; 1993: 202, unter Rückgriff auf Baecker 1991). Wie Mölders (2011: 112–113) bemerkt, verfügen die gesellschaftlichen Funktionssysteme über jeweils eigene Spezialgedächtnisse (vgl. z.B. Luhmann 1995b zu Gedächtnis der Politik oder Baecker 1987 zum Gedächtnis der Wirtschaft). 105 Das Gedächtnis sozialer Systeme ist also nicht als Speicher oder Ansammlung vergangener Ereignisse zu verstehen, die als solche irgendwie überdauern, sondern als strikt operativ-gegenwärtiges Gedächtnis konzipiert (vgl. Luhmann 1992b: 1433; Mölders 2011: 82; Vogd 2011: 181, 185): „Systeme häufen also nicht Ereignisse an, die sie speichern und gegebenenfalls wieder aktivieren können, vielmehr bringt ein System Erinnerungen an vergangene Ereignisse als gegenwärtige Ereignisse hervor“ (Nassehi 1993: 202, Hervorhebung i.O.). 106 Die Funktion des sozialen Gedächtnisses besteht also einerseits, im Hinblick auf den Aufbau systemischer Erwartungsstrukturen, in der Kombination von Erinnern und Vergessen und andererseits, im Hinblick auf die Anpassung systemischer Erwartungsstrukturen, in einer laufenden Prüfung der Konsistenz „alle[r] anlaufenden Operationen […] mit dem, was das System als Realität konstruiert“ (Luhmann 1997: 578–579; vgl. zu letzterem auch Mölders 2011: 88). Die Anpassung der Attributionsschemata kann sowohl durch eine Veränderung der jeweils beobachtungsleitenden Unterscheidungen als auch der diese Unterscheidung regulierenden Attributionsregeln stattfinden.

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nicht einfach ignoriert werden kann, sondern auf welches es mit einer Anpassung der eigenen Erwartungen zu reagieren gilt (Luhmann 1996c: 134; Luhmann 1997: 578– 579; vgl. für ein Beispiel Luhmann 1997: 327). Solche durch Irritationen induzierte Anpassungen können sowohl in der Abänderung bestehender als auch in der Formierung neuer Erwartungsstrukturen bestehen (Luhmann 1997: 78). Im System „restabilisier[en]“ sie sich „dadurch, dass zunehmend [von ihnen] Gebrauch gemacht wird“ und sie sich im Laufe des systemischen Operierens „immer weiter im Systemgedächtnis ausbreite[n]“ und schließlich auch ohne Rekurs auf das für ihre Entstehung ursprüngliche Systemproblem routiniert und unhinterfragt verwendet werden können (Mölders 2011: 173). Wie insbesondere Mölders (2011) herausarbeitet, bezeichnet Luhmann solche „Anpassung[en] der Erwartung an die [durch Irritationen angezeigte, Einfügung H.V.] Enttäuschungslage“ als systemisches „Lernen“ (Luhmann 1987: 397). 3.1.4 Resonanz und systemische Erwartungsstrukturen Basierend auf diesem analytischen Zugang zur Verfasstheit, operativen Wirkungsweise und Änderbarkeit systemischer Erwartungsstrukturen kann nun auch das Konzept systemischer Resonanz weiter präzisiert werden. Die systemische Resonanzfähigkeit, also die Möglichkeiten eines Systems sich auf seine ‚Umwelt‘ zu beziehen, wird, wie in der Box oben links in Abbildung 5 abgebildet, durch eine Vielzahl systemischer Attributionsschemata strukturiert. Angeleitet durch je spezifische Attributionsregeln geben diese vor, ‚als was‘ Umweltbeobachtungen in allen drei Sinndimensionen – retrospektiv gerichtet – verstanden werden können und auf welche Weisen das System – prospektiv gerichtet – an diese Umweltbeobachtungen anschließen kann. Der im Rahmen der systemischen Resonanzfähigkeit realisierte erste Anschluss an ein beobachtetes Ereignis und dessen damit einhergehende Charakterisierung als ‚Umweltereignis‘ setzt gleichzeitig das in Abbildung 5 in der Form von Pfeilen dargestellte systemische Resonieren – die operative Prozessierung einer systemischen ‚Umweltbeobachtung‘ – in Gang. Im Kontext seiner bestehenden umweltbezogenen Erwartungen kann dem System das jeweilige ‚Umweltereignis‘ dabei entweder als erwartbar beziehungsweise normal oder als unerwartet beziehungsweise irritierend erscheinen. Wird das ‚Umweltereignis‘ als erwartbar aufgefasst, besteht für das jeweils beobachtende System kein Anlass, die bestehenden Erwartungen anzupassen. In diesem Fall führt die Umweltbeobachtung zur Reproduktion der bereits bestehenden Attributionsschemata und -regeln und damit auch zur Reproduktion der durch diese geprägte systemische Resonanzfähigkeit.

3. Die Konzeptualisierung systemischer Resonanz | 83

Abbildung 5: Verfasstheit, operative Wirkungsweise und Änderbarkeit systemischer Erwartungsstrukturen

Quelle: eigene Darstellung

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Irritierende ‚Umweltereignisse‘ dagegen bedeuten stets eine Enttäuschung der bestehenden Erwartungen und bergen daher das Potential für systemische Resonanzen im Sinne ‚umweltinduzierter‘ Strukturanpassungen.107 Denn anstatt die jeweilige Irritation als zufällig oder unbedeutend zu behandeln, sie also lediglich erlebend hinzunehmen, kann ein System auf die Enttäuschung seiner Umwelterwartungen auch durch eigenes Handeln reagieren. Je nachdem, wie diese erste Anschlussreaktion auf die systemintern als ‚umweltinduziert‘ verstandene Enttäuschungslage operativ weiterprozessiert wird, kann sie entweder in einem Festhalten an bestehenden Erwartungen, und damit der Reproduktion der systemischen Erwartungsstrukturen, oder aber in einer Anpassung bestehender Erwartungen, also der Transformation der systemischen Erwartungsstrukturen resultieren, wie in Abbildung 5 in der mittleren linken Box als ‚Erwartungsstrukturen‘ dargestellt. Der zweite Fall einer letztlich strukturwirksamen Reaktion auf die eigene ‚Umwelt‘ wird im Kontext dieser Arbeit als systemische Resonanz bezeichnet. Je nachdem, ob die jeweilige Strukturanpassung auf der Ebene der Attributionsschemata oder der diese anleitenden retro- oder prospektiv ausgerichteten Attributionsregeln vollzogen wird, ob sie die systemische Beobachterperspektive in sachlicher, temporaler oder sozialer Hinsicht modifiziert und mit welchen operativen Folgeeffekten sie verbunden ist, lassen sich dabei verschiedene Formen systemischer Resonanzen voneinander unterscheiden. Das Ausmaß, in dem eine solche ‚umweltinduzierte‘ Transformation systemischer Erwartungsstrukturen die systemische Beobachterperspektive, und damit auch die systemische Resonanzfähigkeit, verändert, bestimmt wiederum den jeweiligen Grad systemischer Resonanz. Wie Luhmann (2008: 144) immer wieder anmahnt, kann es im Fall von „zu viel Resonanz“ auch zu einer durch die untere linke Box symbolisierten Resonanzkatastrophe kommen, also zu einer operativen Überforderung des Systems, die dazu führt, dass dieses „ohne von außen zerstört zu werden, an internen Überforderungen zerspring[t]“. Aufbauend auf dieser ersten schematischen Darstellung der drei Resonanzdimensionen sowie deren Zusammenhangs, wird das analytische Konzept systemischer Resonanz in den folgenden Abschnitten weiter entfaltet. Dazu werden die einzelnen Resonanzdimensionen – die Resonanzfähigkeit (Abschnitt 3.2), die Resonanzen (Abschnitt 3.3) und das Resonieren (Abschnitt 3.4) – zunächst je für sich thematisiert und sodann in ihrem Zusammenspiel analysiert (Abschnitt 3.5).

107 Die ‚Umweltinduziertheit‘ der jeweiligen Strukturanpassung bezieht sich allein auf die Ebene der systeminternen Zurechnung des jeweils beobachtenden Systems. Als objektivierende Beschreibung hat es „[i]n keinem Falle Sinn zu sagen, ‚das‘ Ereignis sei ‚die Ursache‘ der Strukturänderung; es ist nur deren Identifikation. Die Möglichkeit, Strukturänderungen im Wege des Ereignisses zu identifizieren und sie entsprechend zu vollziehen […], mag zahlreiche Ursachen katalysieren, sie focussieren, sie bündeln und dadurch Strukturänderungen ermöglichen, die sonst nicht möglich wären. Das legt eine Überinterpretation des Ereignisses als Ursache der Änderung nahe. Sie ist dennoch gänzlich unrealistisch und sollte Sozialwissenschaftlern nicht unterlaufen. Sie gehört in den Kontext der stark simplifizierenden Selbstbeschreibung des sich ändernden Sozialsystems“ (Luhmann 1987d: 482).

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3.2 KONZEPTUALISIERUNG DER ERSTEN DIMENSION SYSTEMISCHER RESONANZ: RESONANZFÄHIGKEIT Die erste Dimension systemischer Resonanz, die Resonanzfähigkeit, bezeichnet die einem System im Rahmen der aktuellen Ausgestaltung seiner Erwartungsstrukturen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, sich auf seine Umwelt zu beziehen. Das heißt die eigenen Beobachtungen im Rahmen seiner spezifischen Perspektive sinnhaft als Umweltbeobachtungen bestimmen und an diese anschließen zu können. Erste Rückschlüsse darauf, welche Erwartungsstrukturen in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle spielen und auf welche Weise sie die Umwelt systemintern beobachtbar werden lassen, konnten ausgehend von Luhmanns Ausführungen in der Ökologischen Kommunikation bereits gezogen werden (vgl. Abschnitt 2.7). Aufgrund der wenig analytischen Auseinandersetzung mit der Verfasstheit und operativen Wirkungsweise systemischer Erwartungsstrukturen im Allgemeinen sowie der eher eklektisch-illustrativen Diskussion einzelner, die Resonanzfähigkeit der gesellschaftlichen Funktionssysteme prägenden Erwartungsstrukturen, reichen Luhmanns theoretisch-konzeptionelle Bestimmungen jedoch nicht aus, um die Resonanzfähigkeit sozialer Systeme systematisch erfassen zu können. Aufbauend auf dem in Abschnitt 3.1 entwickelten analytischen Zugang zur Verfasstheit und zur operativen Wirkungsweise systemischer Erwartungsstrukturen kann Luhmanns Konzeptualisierung systemischer Resonanzfähigkeit nun in vier Hinsichten präzisiert werden: Erstens lassen sich die systemischen Erwartungsstrukturen, mittels derer ein System seine Umwelt erfasst, als beobachtungsleitende Attributionsschemata und auf diese bezogene Attributionsregeln fassen. Dadurch wird es möglich, die in der Ökologischen Kommunikation am Beispiel von Codierung und Programmierung bereits illustrierte Verfasstheit und Wirkungsweise systemischer Erwartungsstrukturen auf analytischer Ebene zu explizieren und sie auf diese Weise zugleich über den spezifischen Fall funktionssystemischer Codes und Programme hinaus zu generalisieren. Zweitens können zwei operative Richtungen unterschieden werden, in denen Erwartungsstrukturen im System wirken: retrospektiv gerichtet verleihen die systemischen Erwartungsstrukturen einem beobachteten ‚Umweltereignis‘ eine dem systemischen Kontext entsprechende Bedeutung; prospektiv gerichtet zeichnen sie mögliche Anschlüsse an dieses ‚Umweltereignis‘ vor. Durch diese Differenzierung wird drittens deutlich, dass sich die Resonanzfähigkeit eines Systems – anders als es Luhmanns Ausführungen in der Ökologischen Kommunikation vermuten lassen – nicht allein auf die sich aus der retrospektiven Wirkungsweise systemischer Erwartungsstrukturen ergebende Irritabilität eines Systems reduzieren lässt. Auch die durch die prospektive Wirkungsweise systemischer Erwartungsstrukturen strukturierte Reagibilität und Lernfähigkeit eines Systems müssen als Elemente systemischer Resonanzfähigkeit in die Analyse einbezogen werden.

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Die Irritabilität108 eines Systems bezeichnet dessen strukturelle Disposition sich durch ‚Neues‘ überraschen zu lassen – das heißt von den bestehenden systemischen Erwartungen abweichende ‚Umweltereignisse‘ als Irritationen zu registrieren (Luhmann 2011: 156; Luhmann 1997: 838).109 Irritationen sind besondere Formen

108 Luhmann selbst entnimmt diesen Begriff aus der Evolutionstheorie Lamarcks (Luhmann 1997: 504) und verwendet ihn im hier gemeinten Sinne mehrfach, ohne ihn jedoch genauer zu bestimmen (vgl. z.B. Luhmann 1997: 184, 767, 789, 790, 793, 886, 1108; 1993a: 104). Zum Teil spricht er auch von der „Irritierbarkeit“ (Luhmann 1997: 118, 124, 127, 504, 789, 791, 838, 1013) bzw. „Unirritierbarkeit“ (Luhmann 1997: 797, 798) und von dem „Irritationskoeffizienten“ (Luhmann 1997: 763), der „Störungsanfälligkeit“ (Luhmann 1991g: 310) oder der „Informationsempfindlichkeit“ (Luhmann 1987d: 476) sozialer Systeme. Der Begriff der Informationsempfindlichkeit ist in diesem Kontext insofern hilfreich, als er darauf hinweist, dass ein hoher Grad systemischer Irritabilität nicht (nur) bedeutet, dass sich ein System überhaupt durch seine Umwelt irritieren lässt, sondern dass es diese Irritationen immer auch als spezifische ‚Informationen über Unerwartetes‘ begreift. Vgl. zur Irritabilität sozialer Strukturen auch Fuchs (1999: 97–100). 109 Irritationen sind besondere Formen fremdreferentieller Systemoperationen (vgl. Stäheli 2000: 42). Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf etwas verweisen, das systemintern zwar registriert wurde, aber im Rahmen der gegebenen Erwartungsstrukturen „noch nicht spezifizierbar ist“ (Luhmann 1990a: 307, zitiert nach Stäheli 2000: 42). Die Annahme, dass sich operativ geschlossene Systeme durch solche Irritationen von ihrer ‚Umwelt‘ überraschen lassen können, ist systemtheoretisch nicht unproblematisch. Wenn man – wie diese Arbeit – davon ausgeht, dass solche Systeme ihre ‚Umwelt‘ stets nur durch die Brille ihrer erwartungsstrukturell geformten Beobachterperspektive wahrnehmen können, so folgt daraus, dass auch Überraschungen einerseits immer schon erwartet werden müssen, ohne dadurch jedoch, andererseits, ihren Überraschungscharakter verlieren zu dürfen. Eine Möglichkeit, diesen Widerspruch der ‚erwartbaren Überraschung‘ im Rahmen des systemtheoretischen Theoriegefüges aufzulösen, besteht in der Annahme, dass (reflexiv operierende) Systeme erwarten, dass sie in einer kontingenten Umwelt operieren, die zwar normalerweise gewissen Regelmäßigkeiten folgt, aber ausnahmsweise oder zufällig auch von diesen abweichen kann. Wie Luhmann es ausdrückt, „[.]richten“ solche Systeme auf der Ebene ihrer Erwartungsstrukturen eine „interne Repräsentation für extern induzierte Zufälle ein[.]“ (Luhmann 1997: 503; vgl. auch Aschke 2002: 113; Bora 2003: 126 sowie Luhmann 1997: 449–450). Um es in der Terminologie dieser Arbeit auszudrücken: Reflexiv operierende Sozialsysteme verfügen über das Attributionsschema „‚erwartet/unerwartet‘“ beziehungsweise „normal/abweichend“ (Luhmann 1997: 470; vgl. auch Luhmann 1996c: 312; Fuchs 1999: 101). Dieses Schema versetzt sie in die Lage zwischen bekannten und überraschenden ‚Umweltereignissen‘ zu unterscheiden – und damit auch unerwartete, irritative ‚Umweltereignisse‘ als solche wahrnehmen zu können. Die Attributionsregeln, die die Verwendung dieses Attributionsschemas regulieren, behandeln all das, was in den Attributionsregeln aller anderen systemischen Schemata des Umweltbezugs verankert ist, als erwartet. Sie umfassen demnach alle Erwartungen, die ein System bezüglich des (normalen) Verhaltens und der (normalen) Beschaffenheit seiner ‚Umwelt‘ ausgebildet hat. Die andere Seite des Schemas fungiert dagegen lediglich als relativ unspezifizierter, das heißt in den Attributionsregeln nur als Negativfall des Erwar-

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fremdreferentieller Systemoperationen (Stäheli 2000: 42). Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf etwas verweisen, das systemintern zwar wahrgenommen wurde, jedoch im Rahmen der gegebenen Erwartungen „noch nicht spezifizierbar ist“ (Luhmann 1990a: 307, zitiert nach Stäheli 2000: 42). Als in diesem Sinne registrierte, aber nicht gänzlich sinnhaft bestimmte Informationen über Unerwartetes werden „Irritationen“ stets „in der Form enttäuschter Erwartungen registriert“ (Luhmann 1997: 791). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein System „unpassende“ vom „eigentlich Erwartbare[n]“ abweichende ‚Umweltereignisse‘ nur dann als solche wahrnehmen kann, wenn es bereits etwas erwartet (Fuchs 2008: 8–9; Kneer/Nassehi 1991: 345– 346).110 Indem „Erwartungen […] immer auch die Möglichkeit der Enttäuschung einer Erwartung mit[führen]“, versetzen sie ihr System in die Lage „Abweichendes, Überraschendes, Neues oder Zufälliges“ zu registrieren (von Groddeck in Jahraus 2012: 120). Oder anders herum ausgedrückt: Irritationen können nur deshalb als spezifische ‚Abweichungen‘ auffallen, weil sie sich vor dem Hintergrund bereits bestehender Erwartungen im Sinne einer Vorstellung dessen, was ‚eigentlich‘ hätte passieren müssen, vollziehen. Wie im Rahmen der Auseinandersetzung mit Luhmanns Ausführungen zur systemischen Resonanzfähigkeit bereits angedeutet (vgl. Abschnitt 2.4), folgt daraus, dass die Irritabilität eines Systems – die Wahrscheinlichkeit, dass es in einem System zu Erwartungsenttäuschungen und damit zu Irritationen kommt –, positiv von der Komplexität – also dem Umfang und der Spezifizierung – seiner umweltbezogenen Erwartungen abhängt: Je mehr verschiedene ‚Umweltaspekte‘ oder ‚Umweltbereiche‘ ein System in seinen Erwartungsstrukturen verankert beziehungsweise je stärker die mit bestimmten ‚Umweltaspekten‘ oder ‚-bereichen‘ verbundenen Erwartungen ausdifferenziert sind, desto wahrscheinlicher ist es nicht nur, dass es ‚Umweltereignisse‘ überhaupt wahrnehmen kann, sondern auch, „daß abweichendes Geschehen“ im System „an Hand der Erwartung[en] als Störung sichtbar wird (Luhmann 1987d: 397, Hervorhebung H.V.). In eben diesem Sinne nimmt die Irritabilität eines Systems die „Störbarkeit […] von Strukturen“ (Luhmann 1987d: 476, Hervorhebung H.V.; vgl. auch Thomae 1996: 24) in den Blick.

teten behandelter Verweisungshorizont auf ‚all das, was nicht erwartet wird‘. Dadurch werden „bestimmte Kausalzusammenhänge […] beobachtet, erwartet, […] normalisiert – und andere werden dem Zufall überlassen“ (Luhmann 1997: 450). So wird es einerseits möglich, „daß abweichendes Geschehen anhand der Erwartung als Störung sichtbar wird“, ohne dass das System, andererseits, bereits „die Gründe dafür zu kennen braucht“ (Luhmann 1987b: 397). Auf der Basis des Attributionsschemas ‚erwartet/unerwartet‘ kann dann von der Normalität Abweichendes als Überraschung registriert werden, ohne dabei genauer spezifiziert werden zu können und dadurch seinen Überraschungscharakter zu verlieren: Das System kann zwar grundsätzlich feststellen, dass etwas Unerwartetes geschehen ist. Was dies im Einzelnen bedeutet und was im Folgenden zu tun ist, bleibt jedoch zunächst völlig offen (vgl. dazu auch Abschnitt 3.4.1). 110 Daraus folgert Fuchs (2008: 8–9), „daß man Struktur auch begreifen kann als: Irritabilität“.

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Abbildung 6: Irritabilität, verstanden als strukturelle Disposition sozialer Systeme, sich durch Unerwartetes überraschen zu lassen

Quelle: eigene Darstellung

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Die Reagibilität111 eines Systems bezeichnet dessen strukturelle Disposition auf „Veränderungen in der Umwelt […] zu reagieren“ (Luhmann 1997: 789) – das heißt handelnd an diese anzuschließen anstatt sie als unbeteiligter Betroffener erlebend hinzunehmen (Luhmann 2005a: 156). Erst durch ein solches „Anschlußhandeln“ (Luhmann 1987: 476), in dem „die Umwelt […] als Kontext der Bedingungen von Handlungen im System“ (Luhmann 1987d: 248) erscheint, wird eine systeminterne ‚Reaktion‘ auf die ‚Umwelt‘ operativ realisiert. 112 Denn die „bloße Irritation“ lässt zunächst „offen“, ob in ihrem Anschluss „über weitere Irritationen Lernprozesse eingeleitet werden oder ob das System sich darauf verläßt, daß die Irritation mit der Zeit von selbst verschwinden werde, weil sie nur ein einmaliges Ereignis war“ (Luhmann 1997: 790). Worin solche ‚Reaktionen‘ jeweils bestehen können, hängt von dem betrachteten Funktionssystem ab. So manifestiert sich die „Reagibilität auf Störungen“ im Wissenschaftssystem etwa in dessen Neigung, aufgrund von irritierenden, die normale Wissensproduktion störenden ‚Umweltereignissen‘ „neue Publikationen“ herauszugeben und „die alten für überholt“ zu erklären, während es in Wirtschaft und Politik darum geht, aufgrund von überraschenden Ereignissen „Geldströme umlenken“ beziehungsweise „Gesetze ändern“ zu können (Luhmann 2011: 156). Von der Reagibilität eines Systems hängt folglich ab, ob „ein Weiterhandeln überhaupt ermöglicht“ (Luhmann 1987: 476, Hervorhebung H.V.) wird. Ob dieses ‚Weiterhandeln‘ dann auch in eine Form systemischer Resonanz mündet – ob sich die anfängliche ‚Reaktion‘ auf die ‚Umwelt‘ also „eignet, Erwartungen zu formen“ und so dauerhaft „Strukturwert gewinnt“ (Luhmann 1987: 476; vgl. auch Aschke 2002: 51–52) – hängt von der dritten Unterdisposition systemischer Resonanzfähigkeit ab: der systemischen Lernfähigkeit. Die Lernfähigkeit113 eines Systems bezeichnet dessen strukturelle Disposition die eigenen Erwartungsstrukturen aufgrund von irritierenden Umweltereignissen anzupassen und diese so zu einer Form von systemischer Resonanz weiterzuverarbeiten.

111 Ebenso wie den Begriff der Irritabilität verwendet Luhmann (1997: 764; 2011: 156) auch den Begriff der Reagibilität im hier ausgeführten Sinne, ohne ihn jedoch systematisch einzuführen (vgl. auch Wiesenthal 2010: 174–175; 2004). 112 Die „Umwelt“ erscheint dem System dann „als Kontext der Bedingungen für Handlungen im System“ (Luhmann 1987d: 248). 113 Neben ähnlichen Bezeichnungen wie der „Rekuperationsfähigkeit“ oder „Reparaturfähigkeit“ (Luhmann 2011: 156) sozialer Systeme greift Luhmann auch auf den Begriff der systemischen „Lernfähigkeit“ zurück (vgl. Luhmann 1997: 360, 790; 1991c: 211; 2008: 60, 88, 104, 143). Außerdem greifen eine Reihe systemtheoretisch orientierter Studien zu einzelnen Funktionssystemen den Begriff der Lernfähigkeit, Lernbereitschaft oder Lernwilligkeit sozialer Systeme auf, ohne ihn jedoch theoretisch einzubetten (vgl. z.B. Neves 2007: 381–382; Amstutz 2009: 350 und Theile 2011: 618, 623 für das Rechtssystem; Thiel/Meier 2004: 624 für Sportvereine; Görke 2014: 48 für den Journalismus; für das Lernen in Organisationssystemen im Allgemeinen Thomae 1996: 5 sowie Heidenreich 2003: 39–40, der die strukturelle Institutionalisierung systemischer Lernbereitschaft als wesentliches Kennzeichen der Wissensgesellschaft ausmacht). In theoretischkonzeptioneller Hinsicht ist insbesondere Mölders (2011: 75; 2009) Auseinandersetzung mit Luhmanns diesbezüglichen Ausführungen hervorzuheben, die er zu einem soziologi-

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Abbildung 7: Reagibilität, verstanden als strukturelle Disposition sozialer Systeme, auf unerwartete Ereignisse mit eigenem Handeln zu reagieren

Quelle: eigene Darstellung

schen Lernbegriff weiterentwickelt. In Anlehnung an Piaget besteht das Lernen sozialer Systeme nach Mölders in der Äquilibration der kommunikativen Strukturen: „Lernen bedeutet also die Akkommodation von Informationsverarbeitungsroutinen an durch Irritationen sichtbar gewordene Systemprobleme. Das Lernen sozialer Systeme ist die Äquilibration kommunikativer Strukturen (Mölders 2010: 4, Hervorhebung i.O.)

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Abbildung 8: Lernfähigkeit, verstanden als strukturelle Disposition sozialer Systeme, die eigenen Erwartungen an Unerwartetes anzupassen

Quelle: eigene Darstellung

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Wie bereits erwähnt lernt ein System immer dann, wenn es eine Störung, also eine Enttäuschung seiner auf die ‚Umwelt‘ gerichteten Erwartungen, weder ignoriert noch im Verlauf weiteren Operierens innerhalb der gegebenen Erwartungen assimiliert,114 sondern umgekehrt eben diese ‚Umwelterwartungen‘ aufgrund der beobachteten Störung anpasst (vgl. Mölders 2010: 4). In diesem Sinne definiert auch Luhmann die „Lernfähigkeit“ eines Systems als dessen „Fähigkeit […] eine Ausgangsirritation im System zu vermehren und im Abgleichen mit vorhandenen Strukturen solange weitere Irritationen zu erzeugen, bis die Irritation durch angepaßte Strukturen konsumiert ist“ (Luhmann 1997: 790–791, Hervorhebung H.V.; vgl. auch Melde 2012: 126). Die systemische Lernfähigkeit verweist somit auf die „Änderbarkeit von Strukturen“ (Luhmann 1987d: 476, Hervorhebung H.V.). Dieser Differenzierung systemischer Resonanzfähigkeit in drei Unterdispositionen entsprechend, hängt die in Bezug auf ein spezifisches System erwartbare „Häufigkeit bzw. Tempo von [‚unweltinduzierten‘, Anmerkung H.V.] Strukturänderungen“ (Luhmann 1987d: 476) von dessen strukturellen Dispositionen ab, (1) sich überhaupt durch seine ‚Umwelt‘ irritieren zu lassen (Irritabilität), (2) mittels eines handelnden Anschlusses auf diese Irritationen zu ‚reagieren‘ (Reagibilität) sowie (3) dieser ‚Reaktion‘ die spezifische Form der Anpassung der eigenen Erwartungsstrukturen zu verleihen (Lernfähigkeit).115 Viertens wurde deutlich, dass ein System beobachtete ‚Umweltereignisse‘ nicht bereits auf Basis der in der Sachdimension von Sinn wirkenden funktionssystemischen Codes allein, sondern erst unter Einbezug weiterer, auf die Sozial- und Zeitdimension von Sinn bezogener Attributionsschemata und -regeln sinnhaft bestimmen und operativ weiter prozessieren kann. Um die „‚Grundsemantik“ des systemischen Umweltbezugs nicht nur in der Sachdimension, sondern in allen drei „konstitutiven Sinndimensionen“ erfassen zu können (Schützeichel 2007: 264), 116 wird daher vorgeschlagen, das analytische Konzept systemischer Resonanzfähigkeit über die binären Codes hinaus um die für die Zeit- und Sozialdimension konstitutiven Beobachtungsschemata ‚Fremdreferenz/Selbstreferenz‘ und ‚Zukunft/Vergangenheit‘ zu erweitern. Da diese drei basalen Attributionsschemata das einem System grundsätzlich

114 Etwa indem es die „Abweichung der Situation zurechnet, sie dem Vergessen überläßt oder sie sogar explizit ablehnt“ (Aschke 2002: 51–52); für eine Beschreibung der operativen Prozesse systemischer Irritationsverarbeitung vgl. Abschnitt 3.4. 115 Wie auch Luhmann (1997: 790–791) in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Irritabilität und Lernfähigkeit bemerkt, sind diese drei Unterdispositionen nicht völlig unabhängig voneinander, sondern bauen gewissermaßen aufeinander auf. Die hier eingeführte Differenzierung ist also wiederum als eine analytische zu verstehen, die es einem Beobachter zweiter Ordnung erleichtern soll, einen „deutlicheren Aufriß der Bedingungen der Möglichkeit des Bestimmens von Sinn“ vorzunehmen und hieran „weitere Schritte der Analyse“ (Luhmann 1987d: 122) anzuschließen. 116 Wie Schützeichel (2007: 264) bemerkt handelt es sich bei der ‚Grundsemantik‘ eines Systems „um die basale Semantik in den drei konstitutiven Sinndimensionen des sozialen, des temporalen und des sachlichen Sinns.“ Diese sollen hier unter Rückgriff auf die drei basalen Attributionsschemata der binären Codes, Vergangenheit/Zukunft und Fremdreferenz/Selbstreferenz abgebildet werden.

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zur Verfügung stehende Spektrum möglichen Sinns – und damit auch deren grundlegende Resonanzfähigkeit – in der Sach-, Sozial- und Zeitdimension aufspannen,117 bilden sie einen sowohl abstrakten als auch umfassenden analytischen Rahmen, innerhalb dessen die „Bedingungen der Möglichkeit“ des systemischen Umweltbezugs „zunächst ganz allgemein nach zeitlichen, sachlichen und sozialen Gesichtspunkten“ (Bergmann 1981: 62) systematisiert und dann – je nach betrachtetem System, ‚Umweltbereich‘ und Beobachtungszeitpunkt – fallbezogen verfeinert werden können.118 Im Folgenden wird für jedes dieser Schemata – die binären Codes (Abschnitt 3.2.1) sowie für die Unterscheidungen ‚Fremdreferenz/Selbstreferenz‘ (Abschnitt 3.2.2) und ‚Zukunft/Vergangenheit‘ (Abschnitt 3.2.3) – einzeln gezeigt, welche grundlegenden sachlichen, sozialen beziehungsweise temporalen Verstehenskategorien sie eröffnen, durch welche Attributionsregeln sie angeleitet werden und wie deren Zusammenspiel das System in die Lage versetzt, ‚Umweltereignisse‘ retrospektiv (als solche) zu verstehen und prospektiv mit eigenen Operationen zu verknüpfen. Dadurch wird auch deutlich, inwiefern die jeweiligen Erwartungsstrukturen die Ausgestaltung der Resonanzfähigkeit ihres Systems in den drei Unterdispositionen Irritabilität, Reagibilität und Lernfähigkeit (mit-)strukturieren. Sofern möglich, wird zudem unter Rückgriff auf den weiteren luhmannschen Theoriekontext sowie neuere systemtheoretische Literatur eine erste, theoriegeleitete Charakterisierung der (relativen) Resonanzfähigkeit einzelner Funktionssysteme der modernen Gesellschaft vorgenommen. 3.2.1 Die Konstitution funktionssystemischer Resonanzfähigkeit in der Sachdimension: Programme Die Funktionssysteme der modernen Gesellschaft konstituieren und reproduzieren sich selbst anhand ihres spezifischen, ihre „thematische Spezialisierung“ (Bergmann 1981: 199) bestimmenden binären Codes. Wie in Abschnitt 2.4.1 eingehender erläutert, bedeutet dies, dass jegliche systeminterne Beobachtung der ‚Umwelt‘ stets nur durch die ‚Brille‘ des jeweiligen Codes möglich ist. Auf der Ebene der gesellschaftlichen Funktionssysteme fungiert der Code damit als unhintergehbares, systemkonstitutives Attributionsschema, welches das seinem System zur Verfügung stehende Spektrum sachlichen Sinns bestimmt und dadurch notwendigerweise jegliche Form des systemischen Umweltbezugs (mit-)strukturiert (Luhmann 2008: 55; Fuchs 1999: 27). Darin besteht dessen Besonderheit im Unterschied zu anderen systemischen Attributionsschemata: „[D]ie in den binären Codierungen enthaltenen Unterscheidungen [sind] nicht irgendwelche kontingenten Beobachtungsgeneratoren [...], die in der Wirtschaft, in der Politik, im Recht usw. neben anderen vorkommen. Sie kommen

117 Für eine solche Einordnung systemischer Schemata entlang der drei Sinndimensionen plädiert auch Fuchs (1999: 76–77). 118 In einer empirischen Rekonstruktion der Resonanzfähigkeit eines bestimmten Systems können diese drei Schemata zunächst die Suchrichtungen vorgeben, um dann selbst wiederum durch die in dem jeweiligen System beobachtbaren konkreten Formen des Umweltbezugs in der Sach-, Sozial- und Zeitdimension angereichert beziehungsweise verfeinert zu werden.

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nicht in den Systemen vor, sondern sie sind es letztlich selbst, die die jeweiligen Teilsysteme als soziale Systeme konstituieren“ (Nassehi 1993: 323, Hervorhebung i.O.).119 Die Attributionsregeln, die diese Codes anleiten, sind die systemischen Programme.120 Retrospektiv gerichtet ermöglichen die Programme das Verstehen einer beobachteten Mitteilung aus der ‚Umwelt‘ in der Sachdimension als codebezogene, systemintern anschlussfähige Information: als Zahlung oder Nicht-Zahlung im Wirtschaftssystem, als Recht oder Unrecht im Rechtssystem, als Wahrheit oder Unwahrheit in der Wissenschaft. Prospektiv gerichtet regulieren sie die weitere systeminterne Prozessierung dieser Information. Im Wirtschaftssystem etwa legen preis- und kostenbasierte Kalkulationen passende Reaktionsmöglichkeiten auf beobachtete Zahlungen oder NichtZahlungen nahe (Luhmann 1994: 250–251); im Rechtssystem geben Gesetze und Verfahren den weiteren Umgang mit beobachtetem Recht oder Unrecht vor (Luhmann 1995b: 175), ebenso wie in der Wissenschaft Theorien und Methoden Vorgaben darüber enthalten, wie wahre oder unwahre Aussagen wissenschaftlich zu prozessieren sind (Süssenguth 2012: 72): „[S]o kann z.B. auf eine wissenschaftliche Wahrheit bei künftigen Forschungen zurückgegriffen werden“, während [d]ie widerlegte Theorie […] zugleich als explizit unwahre Kommunikation zukünftige Operationen des Systems [informiert], denn sie blockiert jene Forschungsvorhaben, die ihre Wahrheit voraussetzen müssten“ (Süssenguth 2012: 72). Sachliche Irritabilität: Komplexität der Programme Luhmann selbst reduziert die Funktion der systemischen Programme in seinen Darstellungen zumeist darauf, dass sie die „Richtigkeitsbedingungen“ (Luhmann 2008: 63, 123) für die Verwendung der binären Codes vorgeben, also die Kriterien definieren, anhand derer ‚Umweltereignisse‘ in korrekter Weise etwa als ‚Recht‘ oder ‚Unrecht‘ beziehungsweise ‚Wahrheit‘ oder ‚Unwahrheit‘ verstanden werden können (Luhmann 2008: 60; Luhmann 1995b: 189; Luhmann 1996c: 318; Luhmann 2005a: 266). Dadurch gerät eine weitere, der systeminternen Unterscheidbarkeit zwischen richtigen und falschen Codezuweisungen gewissermaßen vorgelagerte Funktion der Programme als sachliche Inklusionsordnung ihres Systems leicht aus dem Blick: Die systemischen Programme legen nicht nur fest, wie der Code gehandhabt wird, son-

119 Obwohl „Differenzen zu anderen Systemen“ nicht allein „sachlich erzeugt [werden] durch thematische Spezialisierung“, sondern auch „sozial durch die Ausbildung spezifischer […] Zugehörigkeitsvoraussetzungen und zeitlich durch ‚Zeitverschiebungen‘ zwischen den Teilsystemen“ (Bergmann 1981: 199, Hervorhebungen i.O.), macht Luhmann in der durch den binären Code in der Sachdimension vollzogenen operativen Schließung die entscheidende Sinngrenze zwischen einem Funktionssystem und dessen operativer Umwelt aus (vgl. auch Abschnitt 2.4.1). 120 Anders als in der Rekonstruktion von Luhmanns Perspektive in Abschnitt 2.4.1 (vgl. Fußnote 54) wird in den folgenden Darstellungen ein weit gefasster Programmbegriff zugrunde gelegt, der sämtliche „Kriterien für die korrekte Zuschreibung der Codewerte“ (Esposito 1997a: 139) einbezieht. Daher wird hier – anders als in Abschnitt 2.4.1 – nicht zwischen Programmen und Programmergänzungsschemata unterschieden.

3. Die Konzeptualisierung systemischer Resonanz | 95

dern bestimmen zunächst einmal grundlegend darüber, was dem jeweiligen Funktionssystem im Rahmen seines Codes überhaupt „thematisierbar“ (Fuchs 1997: 63, Hervorhebung H.V.) erscheint. Denn nur was prinzipiell einen Preis haben kann, also in den Programmen des Wirtschaftssystems erfasst ist, kann überhaupt potentiell gekauft oder nicht gekauft und so zum Gegenstand wirtschaftlicher Operationen werden. Ebenso können nur diejenigen ‚Umweltaspekte‘, die als gesetzlich normierbar betrachtet werden, sinnvollerweise im Rechtssystem als ‚Recht‘ oder ‚Unrecht‘ behandelt werden. Alle anderen Umweltaspekte bleiben dagegen unbeobachtbar und können daher weder systemische Irritationen hervorrufen, noch Lernprozesse in Gang setzen. Auf diese Weise strukturieren die systemischen Programme die sachliche Irritabilität ihres Systems für die in dessen Umwelt herrschenden Themen und Rationalitäten. Je komplexer die Programme ausgestaltet sind – das heißt je mehr Themen sie um- beziehungsweise je spezifischer sie diese erfassen –, desto höher die sachliche Irritabilität des Systems. Dieser grundlegende positive Zusammenhang zwischen der Komplexität systemischer Programme und der allgemeinen sachbezogenen Irritabilität des Systems sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass innerhalb dieser Programme nicht alle ‚Umweltaspekte‘ gleichermaßen relevant sind. Vielmehr bildet jedes System jeweils besondere „Themenpräferenzen“ aus, die seine Beobachtungen auf spezifische ‚Umweltaspekte‘ konzentrieren (Bora 1999: 164), sodass „Tiefenschärfe und Differenziertheit der erfaßten Umwelt“ – und damit das Ausmaß der systemischen Irritabilität – von ‚Umweltaspekt‘ zu ‚Umweltaspekt‘ variieren können. Die gesellschaftlichen Funktionssysteme verfügen also stets sowohl über „komplexe[.]“ als auch „einfache[.], differenzierte[.] und undifferenzierte[.] Umweltbeziehungen“ (Luhmann 1991e: 108; vgl. auch Bora 1999: 164).121 Sachliche Reagibilität: symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien Die sachliche Reagibilität, also die Disposition eines Systems, auf eine in der ‚eigenen Umwelt‘ beobachtete Information durch eigenes Anschlusshandeln zu ‚reagieren‘, wird durch dessen jeweiliges „symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium“ (Luhmann 1997: 355) strukturiert.122 Als spezifische Attributionsregeln code-

121 Eine genaue Beschreibung der (relativen) sachlichen Irritabilität gesellschaftlicher Funktionssysteme erfordert dementsprechend eine bis dato noch nicht verfügbare, detaillierte Analyse (sowie einen daran anschließenden Vergleich) des durch die jeweiligen systemischen Programme ermöglichten Umweltbezugs in der Sachdimension. Dies könnte beispielsweise durch eine Zusammenführung beziehungsweise Metaanalyse verschiedener Studien gelingen, die sich aus systemtheoretischer Perspektive mit spezifischen Funktionssystemen und/oder Umweltthematiken auseinandersetzen. Als analytischer Rahmen für eine solche überblicksartige Zusammenführung könnte sich etwa die von Akerstrom-

Andersen und Born (2007: 179) entwickelte „observation matrix“ eignen, die die zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Funktionssystemen bestehenden wechselseitigen Beobachtungsverhältnisse darstellt. 122 Die in dieser Arbeit gleichermaßen als codespezifische Attributionsregeln behandelten systemischen Programme und symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien stehen in einem engen, aber nicht ohne weiteres eindeutig bestimmbaren Verhältnis zueinander

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bezogenen ‚Handelns‘ und ‚Erlebens‘ konditionieren die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien ihr System, 123 retrospektiv gerichtet, darauf, beobachtete ‚Umweltereignisse‘ entweder als fremde Handlungsaufforderungen oder fremdes Erleben zu deuten und, prospektiv gerichtet, entweder durch entsprechendes Anschlusshandeln oder -erleben an dieses anzuschließen.124 Auf diese Weise „akti-

beziehungsweise zu ihrem Attributionsschema, den binären Codes (vgl. hierzu z.B. Luhmann 1997: 317–319, 349, 359–364). Im Kontext dieser Arbeit werden Programme als ‚feste Kopplungen‘, das heißt als relativ spezifische Ausformungen ihres allgemeinen, prinzipiell verschiedene Formen ermöglichenden symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums behandelt. Das heißt, dass etwa Preise als feste Kopplungen des wirtschaftlichen Mediums Geld, Theorien und Methoden als feste Kopplungen des Mediums Wahrheit, Gesetze als feste Kopplung des Mediums Recht und die Auswahlmechanismen von Personen und Programmen für politische Ämter als feste Kopplungen des Mediums Macht fungieren. Dieses Verständnis schließt an Luhmanns (1997: 320) Bemerkung an, dass „symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien strikte Kopplung nur durch die für das jeweilige Medium spezifische Form – etwa Theorien, Liebesbeweise, Rechtsgesetze, Preise [erreichen]“. 123 ‚Handeln‘ und ‚Erleben‘ bezeichnen zwei Varianten, in denen die Selektion eines beobachteten Ereignisses auf eine spezifische Attributionsadresse zugerechnet werden kann (Fuchs 1999: 43). Wird die Selektion eines Ereignisses intern zugerechnet, wird die jeweils fokussierte Attributionsadresse als handelnder Verursacher dieses Ereignisses verstanden. Wird die Selektion des Ereignisses extern zugerechnet, erscheint die Adresse dagegen in Bezug auf das jeweilige Ereignis in der Rolle des Erlebenden (vgl. Luhmann 1997: 334–335; 2005b: 79; 1991b: 175; Luhmann 2005a: 156). Unter Rückgriff auf dieses Schema kann ein System folglich sowohl andere Adressen-in-seiner-Umwelt in Bezug auf ein beobachtetes ‚Umweltereignis‘ als handelnde oder erlebende Akteure begreifen, als auch den eigenen Anschluss an dieses systemintern erlebte ‚Umweltereignis‘ als eigenes Handeln – also als eine ‚Reaktion‘ auf die ‚Umwelt‘ – oder aber als eigenes Erleben charakterisieren. Einen schwindelerregenden Eindruck des durch die Unterscheidbarkeit von Handeln und Erleben ermöglichten „gesteigerte[n] Auflösevermögen[s]“ systemischen Beobachtens vermitteln Luhmanns (2005b: 72) exemplarische Ausführung: „Ego kann erleben, daß Alter handelt. Ego kann erleben, daß Dritte handeln. Ego kann sich selbst als handelnd erleben und zugleich erleben, daß Alter ihn als handelnd erlebt. Ego kann erleben, daß Alter sich selbst als handelnd erlebt und in bezug auf dieses Miterleben nun besondere Handlungen – etwa Erläuterungen von Absichten – für erforderlich hält, die nur verständlich sind, wenn man die Gesamtkombination von Erleben und Handeln in einer solchen Situation versteht.“ 124 Die Besonderheit der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien besteht folglich erstens darin, dass sie stets eine Präferenz für eine der beiden Seiten des Attributionsschemas ‚Erleben/Handeln‘ beinhalten. Zudem ermöglichen die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien, zweitens, nicht einfach nur bestimmte positive oder negative Anschlüsse, sondern konditionieren ihre Funktionssysteme auch „gegen die Plausibilität“ (Luhmann 1997: 317–318) auf die Annahme beobachteter Selektionsofferten (vgl. Luhmann 1997: 321). Auf diese Weise erleichtern sie die Reproduktion ihres Systems. Aufgrund ihrer sich daraus ergebenden Fähigkeit auch unwahrscheinliche Selektionszu-

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vier[en]“ sie stets bestimmte, systemtypische „Zurechnungs-“ (Luhmann 1997: 337, Hervorhebung i.O.) beziehungsweise – aus der Perspektive des jeweiligen Systems gesprochen – „Interaktionskonstellationen“ (Luhmann 1991b: 176), die auf die spezifische „Problemlage[.]“ (Luhmann 1997: 337, 335) ihres Systems abgestimmt sind (für eine Übersicht vgl. Tabelle 2) . Tabelle 2: Durch symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien konditionierte Zurechnungskonstellationen von Handeln/Erleben in verschiedenen gesellschaftlichen Funktionssystemen prospektive Konditionierung (Anschließen) retrospektive Konditionierung (Verstehen)

eigenes Anschlusserleben

eigenes Anschlusshandeln

beobachtetes ‚Umwelterleben‘125

(E1) Wahrheit in der Wissenschaft

(H1) Liebe in Intimbeziehungen

beobachtetes ‚Umwelthandeln‘

(E2) Geld in der Wirtschaft

(H2) Geld in der Wirtschaft (H3) Macht in der Politik (H4) Recht im Rechtssystem

Quelle: eigene erweiterte Darstellung ausgehend von Luhmann (1997: 336; 1991b: 175)126

In dem auf Anschlusserleben konditionierten Wissenschaftssystem (E1) besteht diese ‚spezifische Problemlage‘ beispielsweise darin, „neues unerhörtes Wissen durchzusetzen“ und dadurch Möglichkeiten zu schaffen, „von vorgefundenem Wissen

sammenhänge zu stabilisieren, weist Luhmann den symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien eine besondere ‚Katalysatoren‘-Rolle bei der evolutionären Ausdifferenzierung der Funktionssysteme der modernen Gesellschaft zu (Luhmann 1997: 358, 482– 483) 125 Die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien konditionieren sowohl die operative Prozessierung von selbstreferentiellen, als systemzugehörig behandelten Ereignissen, als auch von fremdreferentiellen, auf die ‚Umwelt‘ zugerechneten Ereignissen. Im Hinblick auf die strukturelle Ausgestaltung der sachlichen Reagibilität sind jedoch lediglich auf die ‚Umwelt‘ zugerechnete Ereignisse relevant. In den folgenden Darstellungen geht also um die systeminterne Prozessierung von ‚Umweltereignissen‘, die in der Sozialdimension auf die ‚Umwelt‘ zugerechnet werden. Dies umfasst alle Ereignisse, ‚in der Umwelt vorkommen‘ und/oder von einem Alter aus der ‚Umwelt‘ ausgehen. 126 Zum Konzept der Binnendifferenzierung, das in Kapitel 3 dezidierter diskutiert wird, vgl. Mölders (2011: 182).

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ab[zu]weichen oder es [zu] kritisieren“ (Luhmann 1997: 339). Dementsprechend stattet das Wahrheitsmedium auch „unwahrscheinliche Behauptungen“ (Luhmann 1997: 319) mit einem gewissen „Annahmezwang“ (Luhmann 1997: 340) aus und fördert so eine „Erlebnisübertragung“ (Luhmann 1991b: 176) zwischen ‚Umwelt‘ und System: Das System beobachtet, dass in der eigenen ‚Umwelt‘ gewisse Ereignisse erlebt werden und kann dieses Fremderleben als wahre Information über eine als gemeinsam unterstellte Welt ins eigene Erleben übernehmen, sofern dieses nach wissenschaftlichen Kriterien zustande gekommen ist (Luhmann 2005a: 155). Ungeachtet seines Zumutungsgehalts wird ‚fremdes‘ Erleben im Wissenschaftssystem daher regelmäßig akzeptiert, weil es wahr ist. Im grundsätzlich ebenfalls auf Anschlusserleben gepolten Wirtschaftssystem (E2) stellt dagegen das Kommunikationsmedium Geld sicher, dass „diejenigen, die am Tausch gar nicht beteiligt sind, stillhalten und akzeptieren, daß auf diesem Wege knappe Güter verteilt werden“ (Luhmann 1994: 255; Luhmann 1997: 347). Es wirkt also darauf hin, dass ‚fremdes‘ Zahlungshandeln typischerweise nicht als Anlass zum eigenen Eingreifen verstanden, sondern regelmäßig erlebend hingenommen wird (Luhmann 1997: 348). Dies wird durch die Tatsache begünstigt, dass Geld – im Gegenteil zu manch anderem knappen Gut – durch die Transaktion nicht unwiederbringlich verbraucht wird, sondern weiterhin zur „Wiederverwendung in anderen Tauschzusammenhängen“ zur Verfügung steht (Luhmann 1994: 258; Esposito 2016: 38–39). Im Wirtschaftssystem wird die ‚fremde‘ Aneignung knapper Güter also normalerweise erlebend hingenommen, weil dafür gezahlt wird. Ausgenommen von dieser allgemeinen wirtschaftssystemischen Disposition des ‚fremde‘ Zahlungen akzeptierenden Anschlusserlebens ist die spezifische ‚Interaktionskonstellation‘ zwischen direkten Transaktionspartnern (H2). In diesem Kontext wird eine ‚fremde‘ Zahlung nicht einfach erlebt, sondern als Aufforderung zu eigenem Handeln verstanden und regelmäßig mit einer entsprechenden ‚Reaktion‘ beantwortet. Auf diese Weise macht das Medium Geld es erwartbar, „dass jemand, den ich gar nicht kenne, mir etwas gibt, mir hilft oder mir Dienste leistet“ (Luhmann 2005a: 154): „Wenn bezahlt wird, kann man über riesige Felder von ökonomischen Sachverhalten Transaktionen herstellen“ (Luhmann 2005a: 154). Geld sorgt also auch regelmäßig dafür, dass Tauschbeziehungen in der Form eines dem beobachteten ‚Umwelthandeln‘ entsprechenden Anschlusshandelns zustande kommen. 127 Im System der Intimbeziehungen (H1) wirkt das Medium Liebe ebenfalls darauf hin, dass ein in der ‚Umwelt‘ beobachtetes Erleben im eigenen Handeln Wiederhall findet.128 Die für Intimbeziehungen typische Zurechnungskonstellation ist demnach die von als authentisch akzeptiertem ‚Umwelterleben‘ und diesem entsprechenden

127 Das Wirtschaftssystem verfügt demnach über zwei typische Interaktionskonstellationen. Welche dieser Konstellationen jeweils aktualisiert wird hängt davon ab, in welcher sozialen Beziehung sich das System zur jeweils beobachteten ‚Umweltadresse‘ sieht. In seiner Darstellung der durch die symbolisch generalisierten Funktionsmedien in den gesellschaftlichen Funktionssystemen begünstigten Zurechnungskonstellationen diskutiert Luhmann diese durch Geld vermittelte Konstellation nicht. 128 Also darauf, „daß Ego, wenn es liebt, sich in seinem Handeln darauf einstellt, was Alter erlebt“ (Luhmann 1997: 344).

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Anschlusshandeln. Der Beobachter ist bereit, sich auf die beobachtete „Andersheit des anderen einzulassen und sie […] zu bestätigen ohne Absicht auf Angleichung, Umerziehung, Besserung“ (Luhmann 1997: 346), weil er den Anderen liebt.129 Das politische System (H3) ist ebenfalls auf Anschlusshandeln konditioniert, ‚reagiert‘ dabei jedoch auf den eigenen, systemspezifischen „Sonderfall, daß das Handeln Alters in einer Entscheidung über das Handeln Egos besteht, deren Befolgung verlangt wird: in einem Befehl, einer Weisung, eventuell in einer Suggestion, die durch mögliche Sanktionen gedeckt ist“ (Luhmann 1997: 355, Hervorh i.O.). Die im politischen System zu motivierende Interaktionskonstellation besteht also in einem systeminternen Anschlusshandeln an eine in der ‚Umwelt‘ beobachtete Handlungsaufforderung. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine solche Handlungsaufforderung auch jenseits einer bestimmten „Zumutungsschwelle“ (Luhmann 1997: 355) befolgt wird, steigt in dem Maße, in dem die jeweilige ‚Umweltadresse‘ Macht besitzt.130 Ähnliches gilt im Falle des Rechtssystems (H4). Auch hier stärkt das Medium der „Rechtsgeltung“ die Wahrscheinlichkeit, dass aus der ‚Umwelt‘ an das System herangetragene Handlungsaufforderungen beziehungsweise Handlungsunterlassungsaufforderungen durch entsprechendes (Unterlassen von) eigenem Handeln angenommen werden (Luhmann 1995b: 98–99). Und zwar deshalb, weil diese ‚fremden‘ Handlungs(unterlassungs)aufforderungen rechtmäßig sind. Dieser an Luhmann anschließenden Klassifizierung funktionssystemischer Anschlussdispositionen zufolge, weisen das System der Intimbeziehungen, das politische System, das Rechtssystem sowie – in Bezug auf direkte Transaktionspartner – das Wirtschaftssystem eine relativ höhere, allgemeine Reagibilität in Bezug auf die eigene ‚Umwelt‘ auf als das Wissenschaftssystem und – abgesehen von konkreten Transaktionen – das Wirtschaftssystem. Sachliche Lernfähigkeit: kognitiv und normativ modalisierte Programmierung Wie wahrscheinlich es ist, dass ein System sein eigenes, ‚umweltbezogenes‘ Handeln dann auch in eine strukturwirksame Anpassung der eigenen Erwartungen überführt, hängt wiederum von dessen sachlicher Lernfähigkeit ab; das heißt von dessen struktureller Disposition, die eigenen Programme aufgrund von irritierenden ‚Umweltereignissen‘ anzupassen und diese so zu einer Form systemischer Resonanz weiterzuverarbeiten. Die allgemeine sachbezogene Lernfähigkeit eines Systems wird durch dessen primären „Erwartungsstil[.]“ und den mit diesem verbundenen typischen Umgang mit Irritationen geprägt (Luhmann 1991a: 58; Luhmann 1990a: 138–139):131 Je nachdem, ob die Erwartungen der gesellschaftlichen Funktionssysteme primär normativ oder primär kognitiv „modalisiert“ sind, tendiert das System entweder dazu, die eigenen Erwartungen auch gegen eine durch irritierende ‚Umweltereignisse‘ verursachte Enttäuschung aufrechtzuerhalten oder eine solche Enttäuschung als Anlass

129 Wer jeweils als ein solcher ‚Anderer‘ oder ‚Alter‘ infrage kommt, wird in der Sozialdimension bestimmt, vgl. Abschnitt 3.2.2. 130 Diese Macht kann auch rechtlich zweitcodiert sein (vgl. Luhmann 1997: 357). 131 Zu den Umgangsmöglichkeiten eines Systems mit Irritationen vgl. Luhmann (1995c: 55– 100).

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für eine Anpassung der eigenen Erwartungen zu verstehen (Heidenreich 2003: 28, im Anschluss an Luhmann 1990a: 138). Normatives Erwarten disponiert ein System also dazu, an seinen als „‚berechtigt‘“ (Luhmann 1990a: 138) abgesicherten Erwartungen „auch im Enttäuschungsfalle festzuhalten“ und „sich dabei auf entsprechende Ressourcen wie innere Überzeugung, Sanktionsmittel, Konsens“ zu stützen (Luhmann 1991a: 55; vgl. auch Luhmann 1987d: 397).132 Kognitives Erwarten dagegen disponiert ein System dazu, nicht auf eine Änderung der ‚Umwelt‘ zu drängen, sondern vielmehr die eigenen Erwartungen im Enttäuschungsfall zu korrigieren und sich dabei „seinerseits auf entsprechende Ressourcen, vor allem auf die Erwartung, daß sich in Enttäuschungslagen die Richtung der Erwartungsänderung hinreichend rasch und hinreichend eindeutig ausmachen läßt“ zu stützen (Luhmann 1991a: 55; vgl. hierzu auch Amstutz 2009: 344; Theile 2011: 618; Neves 2007: 373; Heidenreich 2003: 28– 29; Görke 2014: 48).133 Kurz: „Kognitives Erwarten sucht sich selbst, normatives Erwarten sucht sein Objekt zu ändern“ (Luhmann 1991a: 55). Luhmann selbst (1987d: 437, Hervorhebungen i.O.) beschreibt den Zusammenhang zwischen kognitivem beziehungsweise normativem Erwartungsstil und der Ausgestaltung der systemischen Lernfähigkeit wie folgt: „Lernen oder Nichtlernen, das ist die Frage. Lernbereite Erwartungen werden als Kognitionen stilisiert. Man ist bereit, sie zu ändern, wenn die Realität andere, unerwartete Seiten zeigt. Man hatte gedacht, der Freund sei zu Hause, aber er nimmt das Telephon nicht ab: Also ist er nicht zu Hause. Man muß davon ausgehen und für diese Sachlage das nächstsinnvolle Verhalten suchen. Dagegen werden lernunwillige Erwartungen als Normen stilisiert. Sie werden auch im Enttäuschungsfalle kontrafaktisch festgehalten. Man erfährt später, daß der Freund doch zu Hause war, aber sich nicht stören lassen wollte. Oder: Er hatte zugesagt, zu Hause zu sein und auf den Anruf zu warten. Dann sieht man keinen Anlaß, seine Erwartungen zu revidieren, weil man auf Telephonabnehmebereitschaft und erst recht auf Zusagen nicht verzichten möchte. Man fühlt sich im Recht und läßt das den Freund spüren. Er wird nach einer Entschuldigung suchen, die die Erwartung reetabliert.“

Daraus folgt, dass die systemische Lernfähigkeit – das heißt die strukturelle Disposition eines Systems, die eigenen Erwartungen aufgrund von Enttäuschungen anzupassen, umso größer ist, je stärker das betreffende System kognitiv statt normativ erwar-

132 Die Metaregel des normativen Erwartungsstils gibt also für den Enttäuschungsfall Folgendes vor: „[H]alte die Struktur fest und externalisiere deine Enttäuschung: rechne sie einem System der Umwelt zu, das sich anders verhalten sollte“ (Heidenreich 2003: 28, im Anschluss an Luhmann 1990a). Dementsprechend dürften primär normativ erwartende Systeme eher dazu neigen, Irritationen negativ als „‚Abweichung zu definieren“ anstatt sie „als Neuheit [zu] begrüße[en]“ (Luhmann 1995c: 63). 133 Die „Metaregel“ des kognitiven Erwartungsstils lautet also: „ändere die Struktur so, daß die Irritation als strukturkonform erscheinen kann“ (Heidenreich 2003: 28, im Anschluss an Luhmann 1990a). Primär kognitiv erwartende Systeme dürfen daher stärker dazu neigen, Irritationen „als Neuheit [zu] begrüß[en]“ statt sie „als Abweichung ab[zu]lehn[en]“ (Luhmann 1995c: 63).

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tet (Luhmann 1991a: 56; Mölders 2011: 98, 148; Bora 2009: 57; Schimank 2005b: 405). Diesen Zusammenhang zwischen der systemischen Lernfähigkeit und dem primären systemischen Erwartungsstil aufgreifend, entwickelt Mölders (2011: 179) in seiner Auseinandersetzung mit der Frage funktionssystemischen Lernens eine gesellschaftliche „Lernbereitschaftsskala“, entlang derer die gesellschaftlichen Funktionssysteme entsprechend der (relativen) Anpassungsfähigkeit ihrer Programme angeordnet werden können. Am einen Ende dieser Lernbereitschaftsskala befindet sich, so Mölders, das vornehmlich durch einen normativen Erwartungsstil geprägte Rechtssystem als das gesellschaftsweit „‚lernunwilligste‘“ – oder in diesem Zusammenhang passender: lernunfähigste – Funktionssystem der Gesellschaft. Das Recht reagiert auf irritierende ‚Umweltbeobachtungen‘ normalerweise mit auf die ‚Umwelt‘ gerichteten Sanktionen bei gleichzeitiger Bestätigung seiner als Programme fungierenden Rechtsnormen. Das vornehmlich kognitiv programmierte Wissenschaftssystem bildet dagegen den „entgegengesetzte[n] Extremfall“ des gesellschaftsweit lernfähigsten Funktionssystems (Mölders 2011: 149, Hervorhebung i.O.), für das „Lernen geradezu auf der Tagesordnung zu stehen [scheint]“ (Mölders 2011: 14).134 Denn in der Wissenschaft besteht die reguläre Reaktion auf irritierende ‚Umweltereignisse‘ darin, etwaige Widersprüche zwischen Beobachtung und Erwartung durch die Anpassung der eigenen Programme – Theorien und Methoden – aufzulösen.135 Die Einordnung und relative Positionierung der anderen gesellschaftlichen Funktionssysteme, deren Programme nicht so eindeutig als primär kognitiv oder normativ ausgerichtet charakterisiert werden können, fällt dagegen ungleich schwerer. 136 Die

134 Für eine ähnliche Charakterisierung des Rechtssystems als primär normativ operierendes und daher relativ lernunfähiges System sowie des Wissenschaftssystems als primär kognitiv operierendes und daher relativ lernfähiges System vgl. auch Luhmann 1991a: 58; 1990a: 138; Schimank 2005b: 405; Bora 2009: 57; Amstutz 2009: 349; Heidenreich 2003: 39, 47–48; Theile 2011: 618–619. 135 Natürlich sind auch jeweils umgekehrte Reaktionen – etwa die Anpassung von Rechtsnormen aufgrund von Nichtbeachtung oder Kritik aus der ‚Umwelt‘ oder die Weigerung, Theorien und Methoden an zufällige Abweichungen oder Messfehler anzupassen – möglich. So etwa, wie Mölders (2011: 153, Hervorhebung i.O.) unter Rückgriff auf Lakatos (1974) zeigt, wenn Irritationen den „harten Kern eines wissenschaftlichen Forschungsprogramms“ betreffen. Sie sind nur angesichts des systemtypischen Erwartungsstils relativ weniger wahrscheinlich. 136 So widmet sich auch Mölders (2011: 148–149) in seiner Arbeit zunächst nur den mit Recht und Wissenschaft besetzbaren „Extremseiten“ der gesellschaftlichen Lernbereitschaftsskala, anstatt auch die Lernbereitschaft der anderen gesellschaftlichen Funktionssysteme theoriegeleitet durch zu „deklinieren“. Luhmann selbst (1995c: 73, 63–73) zeigt in seiner Analyse der funktionssystemischen Dispositionen, Irritationen negativ als Abweichungen oder positiv als Neuerungen zu konnotieren, dass sich insbesondere im Wissenschaftssystem, im Kunstsystem und im Wirtschaftssystem im Zuge der Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft ein relativ positiverer Umgang mit Irritationen etabliert hat. Anders als im politischen System und im Religionssystem, in denen „die alten Vorbehalte [gegenüber Neuerungen, Anmerkung H.V.] […], zumindest zunächst [beste-

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hier angedeutete theoriegeleitete Beschreibung der (relativen) sachlichen Lernfähigkeit ganzer Funktionssysteme sollte daher eher als tentativer Ansatzpunkt für kleinteiligere Untersuchungen denn als funktionssystemweit gültige und verbindliche Diagnose verstanden werden. So weist auch Theile (2011: 623, Hervorhebung i.O.) darauf hin, dass „die von Luhmann behauptete rigide und ausschließliche Zuweisung unterschiedlicher Erwartungsstrukturen zu dem jeweiligen System […] zweifelhaft“ ist. Viel näher läge es, „von Mischformen auszugehen, so dass bezogen auf das jeweilige System“ nicht ein spezifischer Erwartungsstil dominiert, sondern „der Anteil kognitiver und normativer Erwartungselemente variiert“.137 Dementsprechend ist auch anzunehmen, dass die Lernfähigkeit eines Systems nicht systemweit gleichförmig ausgestaltet ist, sondern stets davon abhängt, welcher Typ von Erwartungen jeweils durch eine konkrete Irritation enttäuscht wird. In einigen Bereichen dürften Funktionssysteme ihre Erwartungen leicht, in anderen dagegen nur sehr schwer an irritierende ‚Umweltbeobachtungen‘ anpassen können. 3.2.2 Die Konstitution funktionssystemischer Resonanzfähigkeit in der Sozialdimension: Umwelt- und Selbstbeschreibungen Wie bereits festgestellt setzt das Zustandekommen systemischer Resonanzfähigkeit grundlegend voraus, dass das betreffende System in der Lage ist, seine ‚Umwelt‘ zu beobachten, also in der Sozialdimension zwischen sich ‚selbst‘ und seiner ‚Umwelt‘ zu unterscheiden (vgl. Abschnitt 2.3). Das Attributionsschema, das die Zurechnung systemischer Beobachtungen auf das ‚System selbst‘ oder dessen ‚Umwelt‘ ermöglicht, ist die Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz (Luhmann 1997: 92, 97–98; Luhmann 2005d: 162). In den Selbstreferenzmodi der Reflexion und der Rationalität verweist Selbstreferenz stets auf das ‚System‘, während Fremdreferenz auf die von diesem unterschiedene ‚Umwelt‘ abstellt. In diesen Operationsmodi ist die Unterscheidung von Selbst- und Fremdreferenz daher mit der systeminternen Unterscheidung von System(zurechnung) und Umwelt(zurechnung) gleichzusetzen (vgl. Abschnitt 2.3). Indem ein System anhand des „Beobachtungsschema[s] ‚System und Umwelt‘“ operiert, versetzt es sich also in die Lage, „in sich selbst, über sich selbst oder über [seine] Umwelt zu kommunizieren“ (Luhmann 1997: 96, Hervorhebung i.O.).138 Die Attributionsregeln, die die systeminterne Unterscheidung von ‚System‘ und ‚Umwelt‘ anleiten, sind die systemischen Selbst- und Umweltbeschreibungen. In die-

hen bleiben]“, schlage der Umgang mit Irritationen im Wissenschafts-, Kunst- und Wirtschaftssystem im Laufe der Zeit „geradezu um in eine emphatische Begrüßung und Förderung des Neuen“. 137 Vgl. für die Beschreibung eines solchen ‚Mischfalls‘ etwa Boras (2009: 57) Auseinandersetzung mit dem politischen System. 138 In diesem Sinne fixieren Selbst- und Umweltbeschreibungen die durch Selbstreferenz auf der operativen Ebene hergestellte Identität des Systems auch auf der semantischen Ebene (Luhmann 2008: 62). Umweltbeschreibungen sind dagegen als systeminterne „Fremdbeschreibungen“ zum Beispiel von anderen Systemen in der eigenen ‚Umwelt‘ eines Systems zu verstehen (Kieserling 2004: 46–48).

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sen „semantischen Artefakten“ (Luhmann 1987d: 618) hält ein System sowohl bestimmte Vorstellungen über sich ‚selbst‘ und seine ‚Umwelt‘ als auch bezüglich des Verhältnisses, in dem diese zueinander stehen, strukturell verfügbar (Lehmann 2015: 311).139 Retrospektiv gerichtet ermöglichen die Selbst- und Umweltbeschreibungen es ihrem System, unter Rückgriff auf „lokale Punkte der Zurechnung von Kommunikation“ in ‚System‘ und ‚Umwelt‘ zu bestimmen, „wer etwas gesagt hat, wer damit gemeint war“ (Stichweh 2000: 221) und auf diese Weise „Reizungen und Störungen durch die Umwelt“ in der Sozialdimension „einen Sinn zu geben“ (Luhmann 1987b: 139; Luhmann 1994: 33). Indem sie darüber hinaus mögliche operative Prozessierungsweisen für diese ‚System-‘ beziehungsweise ‚Umweltereignisse‘ vorzeichnen, versetzen sie das System zudem, prospektiv gerichtet, in die Lage, „auf die eigene Interpretation [dieser Reizungen und Störungen, Anmerkung H.V.] zu reagieren“ (Luhmann 1987b: 139) – also beispielsweise zu entscheiden „wen man künftig in einer Angelegenheit sprechen möchte“ (Stichweh 2000: 221).140

139 Luhmann selbst (und auch die an ihn anschließende Literatur) differenziert nicht systematisch zwischen Selbst- und Umweltbeschreibung, da er letztere bereits im Begriff der Selbstbeschreibung, die erst durch den Bezug auf die Umwelt möglich wird, mitdenkt: Über seine Selbstbeschreibung schreibt sich ein System „Merkmale zu[.], durch die es sich von seiner Umwelt unterscheidet“ (Luhmann 1987d: 247, Hervorhebung H.V.). Oder, an anderer Stelle: „[A]lle Umweltbeobachtung [stimuliert] Selbstbeobachtung […] und jeder Distanzgewinn zur Umwelt [wirft] die Frage des Selbst, der eigenen Identität auf[.]“ (Luhmann 1997: 92–93; vgl. dazu auch Saakes (2005) Beitrag Selbstbeschreibungen als Weltbeschreibungen. Die Homologie-Annahme revisited). Da für die Auseinandersetzung mit der Frage systemischer Resonanzfähigkeit gerade die Umweltbeschreibung von besonderer Bedeutung ist – also wiederum eine Fokusverschiebung von Geschlossenheit auf Offenheit erfordert – wird hier explizit zwischen Selbst- und Umweltbeschreibungen unterschieden. Wie prominent die ‚Umwelt‘ in den Selbstbeschreibungen der gesellschaftlichen Funktionssysteme vorkommt, lässt sich an Luhmanns Darstellungen der einzelnen Funktionssysteme im Detail nachvollziehen (vgl. für eine Übersicht Besio/Pronzini 2010a: Absatz 17–18; zur Entwicklung politischer, wissenschaftlicher, wirtschaftlicher, rechtlicher, erziehungs- und kunstbezogener Selbstbeschreibungen Luhmann 1997: 965–980; ausführlicher zu den Selbstbeschreibungen von Politik und Recht vgl. Luhmann 2000a: 319–371; 1995b: 496–549. 140 Wie das retrospektiv gerichtete Verstehen der ‚Umwelt‘ mit dem prospektiven Anschließen an die ‚Umwelt‘ zusammenhängt, illustriert Luhmann (1987d: 252–253, Hervorhebungen H.V.) etwa an folgendem Beispiel: „Diese Thematisierung [der Umwelt, Anmerkung H.V.] kann zwei verschiedene Formen annehmen, je nachdem, wie die Umwelt gesehen wird: Wird die Umwelt als Ressource aufgefaßt, erfährt das System Kontingenz als Abhängigkeit. Wird sie als Information aufgefaßt, erfährt das System Kontingenz als Unsicherheit. […] [D]ie systeminternen Formen des Kontingenzmanagements divergieren je nachdem, welche Thematisierung gewählt wird. Für das Ausfallen von Ressourcen wird man intern Redundanzen, Notfallsaggregate, Reservelager bereithalten. Angesichts von Unsicherheiten mögen sich rein interne, umweltunabhängige Evidenzen, Akten oder Protokolle empfehlen.“

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Als Fremd- beziehungsweise „Selbstsimplifikationen“ (Luhmann 1987d: 25) enthalten die Selbst- und Umweltbeschreibungen jedoch, wie bereits erwähnt (vgl. Abschnitt 2.4.2), niemals eine „vollständige Beschreibung“ des Systems „von sich selbst, von anderen Systemen oder von seiner Umwelt“ (Luhmann 1981: 60, Fußnote 39). Vielmehr basieren sie stets auf „erhebliche[n], hochselektive[n] Vereinfachungen“ (Luhmann 1994: 33; Henkel 2013/2014: 482; Osrecki 2015: 242–243), die dem systemischen Operieren als semantische Orientierungspunkte dienen. Ihre wesentliche Funktion besteht folglich darin dafür zu sorgen, „daß für interne und externe Anschlußprozesse Adressen zur Verfügung stehen und daß man in Bezug auf das Verhalten an diesen Stellen gesteigerte Erwartungen normalisieren kann“ (Luhmann 1987d: 280 am Beispiel von Input-Output-Schemata, Hervorhebung H.V.). Wie in diesem Zitat bereits anklingt, sind die in den systemischen Selbst- und Umweltbeschreibungen semantisch fixierten Vorstellungen über die Verfasstheit und das Verhältnis von ‚System‘ und ‚Umwelt‘ entlang kommunikativer „Attributionsadressen“ organisiert (Kneer 2001: 424; Kusche/Schneider 2010: 173; vgl. grundlegend Fuchs 1997: 57, 60; Nassehi 1997: 159).141 Attributionsadressen sind spezifische „Strukturidentitäten“ (Henkel 2011: 372) wie beispielsweise ‚Dinge‘ (Stichweh 2000: 222; Henkel 2013/2014: 484), ‚Personen‘ (Hutter/Teubner 1994: 117), ‚Organisationen‘ (Kneer 2001: 407) oder auch ‚Systeme‘ (Luhmann 1987d: 256–257; Luhmann 2009: 7), aus denen sich das jeweilige ‚System‘ beziehungsweise dessen ‚Umwelt‘ der systeminternen Vorstellung nach zusammensetzt. Als systeminterne „Zurechnungspunkte“ beziehungsweise „Mitteilungsinstanzen“ (Fuchs 1997: 57) werden Attributionsadressen durch das jeweils beobachtende System „im Management [seiner] Selbstsimplifikation erzeugt“ (Fuchs 1997: 41) und dabei mit je spezifischen ‚Erwartungsbündeln‘ (Weinbach 2004: 10; Henkel 2011: 372; Fuchs 2006: 385; Fuchs 1997: 60)142 – etwa mit Attributen wie „nah/fern“, „Freund/Feind“ oder „kooperierend/konkurrierend“ (Luhmann 1987d: 256–257)143 – angereichert. Basierend auf seiner Selbst- und Umweltbeschreibung behandelt beispielsweise das politische System sowohl „individuelle […] Personen“ wie „Politiker“, „Wähler“ oder „Regelungsadressaten“, als auch „öffentliche“ wie „private“ „korporative Personen“ als relevante „Zurechnungsadressaten“ und weist ihnen dabei je spezifische „Publi-

141 Anhand von kommunikativen Attributionsadressen werden folglich „Identitäten projektiert, an denen man Erwartungen festmachen kann, und durch solche Zuweisung an identisch Bleibendes werden Erwartungen sachlich geordnet. So richtet man Zusammenhänge und Unterscheidungen ein“ (Luhmann 1987d: 426–427; vgl. auch Nassehi 1993: 207). Luhmann (2009: 3) spricht in diesem Zusammenhang auch davon, dass „Zurechnungen […] gleichsam den Selektionsprozess an Stellen oder Trägern [lokalisieren]“. 142 Fuchs (2006: 386) spricht in diesem Zusammenhang auch von Adressenformularen: „Das Adressenformular ist eine Metapher für ein Kompendium von Merkmalen, die zu einer gegebenen Zeit und in einer gegebenen ‚Kultur‘ der sozialen Adresse plausibel eingeschrieben werden können“. 143 Auf diese Weise kann ein System in Bezug auf seine ‚Umwelt‘ „aggregierende Strategien“ entwickeln, also „die Systeme seiner Umwelt nach eigenen Differenzierungsschemata zusammenfassen und ordnen“ (Luhmann 1987d: 256–257).

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kums-“ beziehungsweise „Leistungsrollen“ zu (Kneer 2001: 424).144 Andere Aspekte der Umwelt werden im politischen System dagegen ausgeblendet – das heißt nicht in den eigenen Erwartungsstrukturen als Adresse oder als mit einer Adresse verbundenen Erwartung verankert: „So interessiert eine politische Partei sich nicht dafür, ob ihre Mitglieder sich morgens und abends die Zähne putzen; nicht dafür, weshalb Blätter grün sind; nicht dafür, wie Sonnen es fertig bringen, im Gleichgewicht zu bleiben“ (Luhmann 1987d: 178).145 Soziale Irritabilität: Komplexität der Umweltbeschreibungen und ‚Kopplungsadressen‘ Wie an diesem Beispiel deutlich wird, fungieren Umweltbeschreibungen als soziale „Inklusionsordnung“ (Kneer 2001: 424; Farzin 2008: 203–204) der ‚Umwelt‘ in das System: Ebenso wie die codebezogenen Programme die für ein System in der Sachdimension thematisierbaren ‚Umweltaspekte‘ definieren, werden in der Sozialdimension nur diejenigen ‚Umweltadressen‘ im System berücksichtigt, die in der systemischen Umweltbeschreibung als „adressabel“ (Fuchs 1997: 63; vgl. auch Bora 2013/2014: 461–462) behandelt werden. Alle anderen ‚Umweltadressen‘ bleiben dagegen unbeobachtbar (Fuchs 1999: 43).146 Indem sie auf diese Weise darüber „disponier[en], wer oder was als Adresse in Frage kommt und wer oder was nicht“ (Fuchs 1997: 63), bestimmen die systemischen Umweltbeschreibungen den Grad der sozialen Irritabilität ihres Systems.147 Dabei gilt auch hier: Je komplexer die Selbst- und

144 Für eine analytische Unterscheidung verschiedener Formen der Rollenzuschreibung vgl. Henkel (2013/2014: 483, im Anschluss an Stichweh 1988). Eine empirische Untersuchung der strukturellen „Segmentierung“ des politischen Publikums findet sich bei Kusche (2012). 145 In Abhängigkeit von der Anzahl kommunikativer Attributionsadressen sowie dem Umfang der mit diesen verbundenen ‚Erwartungsbündeln‘ können Selbst- und Umweltbeschreibungen unterschiedliche Komplexitätsgrade bis hin zu systemtheoretischkonstruktivistischen „Reflexionstheorien“ (Luhmann 1987b: 620) erreichen. Die systemische Selbstbeschreibung ist dabei tendenziell komplexer ausgestaltet als die systeminternen Vorstellungen über die eigene Umwelt (Luhmann 2008: 76). Wohlgemerkt ist ein höherer Grad an Komplexität nicht mit einem höheren „Objektivierungsgrad[.]“ systemischer Umweltbeschreibungen gleichzusetzen: „Systemkomplexität [bedeutet] keineswegs, daß das System als ganzes von selbstbezüglichen zu stärker objektivierenden Umweltdifferenzierungen übergeht“ (Luhmann 1987: 257). 146 Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die Figur der sozialen Adresse in der systemtheoretischen Literatur vornehmlich in Bezug auf die Frage von Inklusion und Exklusion diskutiert wird (Fuchs/Fuchs 2005: 44). Für systemtheoretisch motivierte Studien zum Zusammenhang von Adressabilität und Inklusion/Exklusion in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten vgl. z.B. Weinbach (2004: 63–100); Henkel (2013/2014: 483); Farzin (2006: 32–37); Stichweh (2016: 47); Bommes (1999: 43); sowie die im Themenheft der Zeitschrift Soziale Systeme zu Inklusion/Exklusion: Rhetorik, Körper Macht erschienenen Beiträge (Farzin et al. 2008). 147 Fuchs (1997: 63) spricht im Zusammenhang mit der sozialen Irritabilität auch von der systeminternen „Adressabilität“ der Umwelt.

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Umweltbeschreibung, desto irritabler das System. „Ein System kann Eigenkomplexität und damit Irritabilität aufbauen. Es kann die Unterscheidung System/Umwelt auf beiden Seiten durch weitere Unterscheidungen ergänzen und damit seine Beobachtungsmöglichkeiten erweitern […]. Mit all dem kann der Wiedereintritt der Unterscheidung in das Unterschiedene angereichert und mit komplexeren Anschlußfähigkeiten ausgestattet werden“ (Luhmann 1997: 184, Hervorhebung H.V.; vgl. auch Luhmann 1987d: 620; Luhmann 1987b: 139). Ebenso wie ein System in der Sachdimension besondere Themenpräferenzen ausbildet, schenkt es auch den in seiner Umweltbeschreibung verankerten Adressen unterschiedlich große Aufmerksamkeit. Folglich gibt es auch in der Sozialdimension bestimmte ‚Umweltbereiche‘, die für das System relativ „wichtiger sind, das heißt sich irritierender auswirken können als andere“ (Luhmann 2000a: 382). Als besonders irritabel erweisen sich die gesellschaftlichen Funktionssysteme hinsichtlich eines bestimmten Typus kommunikativer Attributionsadressen; nämlich derjenigen Adressen, die deren strukturelle Kopplungen zu anderen ‚Systemen-in-ihrer-Umwelt‘ vermitteln (Luhmann 1990b: 206).148 Im politischen System sind dies beispielsweise

148 Strukturelle Kopplungen bezeichnen eine besondere Form der wechselseitigen Ausbildung systeminterner Bezüge von zwei operativ geschlossenen Systemen zueinander (Lieckweg 2001: 268–269; Mölders 2011: 108–109). Sie zeichnen sich dadurch aus, dass zwei Systeme ihre wechselseitigen Erwartungen auf ein und dieselbe kommunikative Adresse konzentrieren. Durch die Bezugnahme auf dieselbe kommunikative Adresse werden in den gekoppelten Sozialsystemen regelmäßig operative Kopplungen realisiert (vgl. Luhmann 1997: 788; Besio 2015: 165). Das heißt, dasselbe kommunikative Ereignis wird, als „Mehrsystemereignis“ (Bora 1999: 62–63) gleichzeitig, aber dennoch auf je systemspezifische Weise in beiden Systemen wahrgenommen und verarbeitet und erhält dadurch zwei differente, der jeweiligen Systemlogik entsprechende Bedeutungen (vgl. Luhmann 1992b: 1432; Kneer 2001: 416). Der Effekt solcher Kopplungen besteht darin, dass sich die gekoppelten Systeme laufend „gewissermaßen ‚produktiv mißverstehen‘“ (Bora 1999: 63, 280). Ihre so auf Dauer gestellte, hohe wechselseitige Irritabilität erlaubt es ihnen zudem, im Laufe der Zeit eine relativ „schnellere und besser abgestimmte Informationsgewinnung“ (Luhmann 1997: 788) für diejenigen systemischen ‚Umweltbeobachtungen‘ zu entwickeln, die sie der jeweiligen Kopplungsadresse zurechnen (Luhmann 1997: 381). Der langfristige Struktureffekt solcher Kopplungen besteht daher in der für einen Beobachter zweiter Ordnung nachvollziehbaren „koordinierte[n] Strukturentwicklung[.]“ (Luhmann 1995b: 495) der jeweils gekoppelten Systeme: Die Strukturänderungen innerhalb der gekoppelten Systeme lassen sich demnach nur unter Rückgriff auf deren wechselseitige Bezüge zueinander erklären. Denn, „[o]bwohl es keine Möglichkeit des Durchgriffs auf Strukturentwicklungen von außen mehr gibt, spielt eine wesentliche Rolle, mit welchen Irritationen ein System sich immer und immer wieder beschäftigen muß“ (Luhmann 1997: 780; vgl. auch Vogd 2011: 176). Wie an dieser Darstellung bereits ersichtlich wird, betonen systemtheoretische Beschreibungen struktureller Kopplungen insbesondere die Wechselwirkungen, die sich – aus der Perspektive eines Beobachters zweiter Ordnung – durch strukturelle Kopplungen zwischen den jeweils gekoppelten Systemen nachvollziehen lassen (vgl. Baecker 2001b: 316; Luhmann 1992b: 1420; Kneer 2001: 416). Es handelt sich dabei stets um „einen System/Umwelt-Zusammenhang, den

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die „Verfassung“, die „Person des Entscheiders“, die „öffentliche Meinung“, wissenschaftliche „Beratungsorganisationen“ oder „Krankenhäuser“ (Brodocz 2003: 85; für weitere Beispiele vgl. Luhmann 1997: 781–788; Drieschner/Gaus 2014: 20). Mittels solcher Kopplungsadressen konzentrieren Systeme ihre Erwartungen in Bezug auf spezifische ‚Systeme-in-ihrer-Umwelt‘ auf besondere ‚Einrichtungen‘ (Luhmann 1995b: 441; Baecker 2001b: 321) und setzen damit sowohl bestimmte „Eigenarten“ (Luhmann 1995b: 441) als auch bestimmte wechselseitige Zuständigkeiten oder Austauschverhältnisse zwischen ihnen und ihrer ‚Umwelt‘ dauerhaft voraus. Kopplungsadressen verweisen demnach stets auf systemintern „institutionalisierte“ ‚Umweltbeziehungen‘ (Bornemann 2007: 82), die im System „mit bevorzugter Aufmerksamkeit“ (Luhmann 1990b: 206) beobachtet werden. In den Umweltbeschreibungen gesellschaftlicher Funktionssysteme bilden Kopplungsadressen daher besonders herausgehobene Bereiche „spezifische[r] Empfindlichkeit“ (Luhmann 2000a: 374), die es ihrem System ermöglichen seine soziale „Irritabilität zu konzentrieren“ (Luhmann 1995b: 443–444). Soziale Reagibilität: Systeminterne Vorstellungen der Zuständigkeit für beziehungsweise der Abhängigkeit von der ‚Umwelt‘ Die soziale Reagibilität eines Systems, also die Frage, inwieweit ein System dazu neigt auf beobachtete ‚Umweltereignisse‘ mit eigenem Handeln zu ‚reagieren‘, hängt dagegen davon ab, in Bezug auf wie viele der in seiner Umweltbeschreibung verankerten Adressen sich das System in welchem Maße, im positiven Sinne, als zuständig beziehungsweise verantwortlich149 sowie, im negativen Sinne, als abhängig150 betrachtet. Die systeminternen Vorstellungen der „Zuständigkeiten und Unzuständig-

nur ein Beobachter sehen kann“ (Luhmann 2006: 31–32, zitiert nach Mölders 2011: 92). Um genauer beschreiben zu können, wie strukturelle Kopplungen die systemische Resonanzfähigkeit eines Systems (mit)strukturieren, muss die Beobachterperspektive dagegen insbesondere darauf gerichtet werden, in welcher Weise sie die Beobachtbarkeit der ‚Umwelt‘ auf der Innenseite sozialer Systeme beeinflussen. Als wechselseitige Irritationsverhältnisse instituierende operative Mechanismen werden strukturelle Kopplungen in den gekoppelten Systemen selbst explizit nicht beobachtet (vgl. Corsi 2001: 253). In den Binnenperspektiven der jeweiligen Systeme tauchen sie vielmehr, so zumindest der in dieser Arbeit entwickelte Vorschlag, als besondere Zurechnungspunkte oder Attributionsadressen auf. 149 So bezeichnet etwa Bora (2009: 51) die „Semantik der Verantwortung“ als eine „Form der Selbstbeschreibung in sozialen Systemen“. 150 Ein System betrachtet sich als von seiner ‚Umwelt‘ abhängig in dem Maße, in dem es dieser ‚Umwelt‘ eine Verantwortung oder Zuständigkeit für sich ‚selbst‘ zuschreibt. Dies betrifft vor allem die wechselseitigen Zuständigkeitsverhältnisse der Funktionssysteme untereinander, die füreinander bestimmte „Leistungen“ bereitstellen (Luhmann 1981: 81, Hervorhebung i.O.). So erwartet etwa das Wirtschaftssystem, dass das politische System die Rahmenbedingungen des Marktes gesetzlich festlegt, das Rechtssystem diese sofern nötig durchsetzt und das Erziehungssystem hinreichend qualifizierte Arbeitskräfte ausbildet.

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keiten“ für (Tyrell 1978: 184)151 beziehungsweise der ‚Abhängigkeit‘ oder ‚Unabhängigkeit‘ von der eigenen ‚Umwelt‘ bestimmen sowohl, welche ‚Umweltereignisse‘ ein System als in den eigenen Verantwortungs- oder Verletzlichkeitsbereich fallende „Systemproblem[e]“ (Mölders 2011: 80, Hervorhebung i.O.) begreift, als auch für welche Probleme es andere-Adressen-in-seiner-Umwelt als zuständig betrachtet. Über die Differenzierung seiner ‚umweltbezogenen‘ Zuständigkeits- oder Abhängigkeitsbeziehungen bestimmt das System folglich auf der einen Seite das Ausmaß seiner ‚umweltbezogenen‘ Reagibilität und auf der anderen Seite den Grad seiner „legitime[n] Indifferenz gegenüber dem ‚Innenleben‘ […] anderer Teilsysteme“ in seiner ‚Umwelt‘ (Tyrell 1978: 183, Hervorhebung i.O.; vgl. auch Luhmann 1991g: 184– 185). Während es Interventionen anderer in seinem eigenen Zuständigkeitsbereich tendenziell als illegitime „‚Einmischungen‘“ zurückweist, zeigt es im Hinblick auf diejenigen Aspekte, in denen es sich als von seiner ‚Umwelt‘ abhängig betrachtet eine hohe „Bereitschaft“, ‚fremde‘ Leistungen wie beispielsweise „wissenschaftliche Ergebnisse, rechtliche oder politische Entscheidungen“ oder „medizinische Ratschläge ‚respekt- oder vertrauensvoll‘ abzunehmen“ (Tyrell 1978: 183–184). Wie Luhmanns Charakterisierungen in der Ökologischen Kommunikation vermuten lassen, dürfte die Politik, die sich als einziges gesellschaftliches Teilsystem in „so etwas wie eine[r] Rahmenverantwortung für ihre innergesellschaftliche Umwelt insgesamt“ (Tyrell 1978: 190) sieht und sich dementsprechend „[i]m Grenzfalle […] als zuständig für den Ausgleich von Schicksalsschlägen jeglicher Art“ betrachtet (Luhmann 2000a: 424), das im Allgemeinen sozial reagibelste Funktionssystem der Gesellschaft darstellen (vgl. auch Willke 2002: 199; Czerwick 2008: 78). Das Wirtschaftssystem, das „aufgrund von modelltheoretischen Überlegungen“ (Luhmann 2008: 76) davon ausgeht, dass sich sämtliche relevante Umweltinformationen gewissermaßen automatisch in den Marktpreisen niederschlagen, scheint dagegen einen relativ hohen Grad ‚legitimer Indifferenz‘, also eine weitgehende „Freisetzung von internen Rücksichten“ (Tyrell 1978: 183) auf seine ‚Umwelt‘ ausgebildet zu haben (vgl. ausführlicher dazu Abschnitt 2.4.2). Unabhängig von der Ausgestaltung ihrer allgemeinen sozialen Reagibilität erweisen sich die gesellschaftlichen Funktionssysteme im Hinblick auf ihre Kopplungsadressen als besonders reagibel. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sie in Bezug auf diese herausragenden ‚Umweltadressen‘ über spezielle „Auffangstrukturen“ (Luhmann 1995b: 444; vgl. auch Luhmann 1990b: 206) verfügen, die ihnen einen

151 Der Begriff der legitimen Indifferenz bezieht sich also auf diejenigen ‚Umweltbereiche‘, die zwar im System beobachtet werden können, aber typischerweise kein systemisches Handeln induzieren. Kuhn (2014: 354) spricht in diesem Zusammenhang auch von der Differenzierung zwischen „Eigenverantwortung/Fremdverantwortung“. Davon zu unterscheiden ist die Form systemischer Indifferenz, die sich aus der Nichtbeobachtbarkeit derjenigen Umweltbereiche ergibt, die in den Umweltbeschreibungen nicht vorkommen und für die das System daher blind ist. Für neuere Bezüge auf Tyrells Begriff der ‚legitimen Indifferenz‘ vgl. z.B. Berger (2003: 209–210); Mölders (2014a: 284) sowie Küsters (2014: 220).

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routinierten Umgang mit kopplungsbezogenen Enttäuschungen ermöglichen.152 Diese Auffangstrukturen sorgen dafür, dass auf Kopplungsadressen zugerechnete Irritationen, retrospektiv gerichtet, problemlos in operativ anschlussfähige Informationen transformiert werden können (Luhmann 1995b: 443), und dass, prospektiv gerichtet, für die auf diese Weise identifizierten „‚Probleme‘“ konkrete „Lösungen schon bereitliegen und rasch zu greifen sind“ (Luhmann 1990b: 207). So reagiert beispielsweise das politische System auf die Beobachtung, dass ein parlamentarisch beschlossenes Gesetz durch das Rechtssystem als verfassungswidrig eingestuft wird, zwar zunächst überrascht, da es normalerweise von der Verfassungskonformität seiner Gesetze ausgeht. Dennoch „erscheint“ ihm dieser Umstand insofern als „‚vertraut‘“ (Luhmann 1990b: 207), als es auf routinierte Verfahren zur Gesetzesanpassung – also auf etablierte Pfade der systemischen Prozessierung dieser Information – zurückgreifen kann. Soziale Lernfähigkeit: Kognitiv und normativ stilisierte Umweltbeziehungen und konformes Lernen in strukturellen Kopplungen Die allgemeine soziale Lernfähigkeit eines Systems, das heißt dessen Disposition, die an die Adressen in seiner ‚Umwelt‘ gerichteten Erwartungen aufgrund von irritierenden Ereignissen anzupassen, hängt wiederum davon ab, ob es die in seinen Selbstund Umweltbeschreibungen verankerten ‚Umweltbeziehungen‘ primär kognitiv oder primär normativ stilisiert. Kognitiv stilisierte Erwartungen bezüglich der zwischen ‚System‘ und ‚Umwelt‘ herrschenden wechselseitigen Beziehungen lassen sich im Enttäuschungsfalle leicht ändern: Werden die für die ‚Umwelt‘ bereitgestellten Systemleistungen von dieser nicht mehr angenommen, werden sie nicht mehr erbracht; ebenso wie ein Ausfall der Leistungen, die ein System bis dato aus seiner ‚Umwelt‘ bezogen hat, rasch durch eigene Strukturanpassungen kompensiert wird. Wenn sich ein System dagegen dazu verpflichtet sieht, sich um einen spezifischen ‚Umweltbereich‘ zu kümmern oder umgekehrt davon ausgeht, dass ein anderer ‚Umweltbereich‘ ihm eine bestimmte Leistung bereitstellen sollte, tendiert das System dazu, diese normativen Erwartungshaltungen auch gegen registrierte Enttäuschungen – etwa die Beobachtung, dass das eigene Kümmern von dem jeweiligen ‚Umweltadressaten‘ als lästige Einmischung verstanden und abgeblockt wird oder dass die jeweils erwartete Leistung aus der ‚Umwelt‘ regelmäßig ausbleibt – aufrechtzuerhalten. Hier gilt also ebenso wie im Falle der in der Sachdimension wirkenden Programme: Je kognitiver die Selbst- und Umweltbeschreibungen ausgerichtet sind, desto lernfähiger ist das System im Allgemeinen.153

152 Kopplungsbezogene Auffangstrukturen können demnach als besondere, auf eine spezifische ‚Kopplungsadresse‘ bezogene ‚Erwartungsbündel‘ verstanden werden. 153 Wie bereits bemerkt (vgl. Abschnitt 3.2.1) operieren die hochkomplexen gesellschaftlichen Funktionssysteme sowohl mit kognitiven als auch normativen Erwartungen. Je nach systemischer Schwerpunktsetzung lassen sich daher zwar Tendenzaussagen über die systemintern wahrscheinlichere beziehungsweise typische „konkrete[.] Form der Enttäuschungsverarbeitung“ treffen, die aber im Einzelfall „situativ variier[en] und deshalb nur

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Unabhängig von dieser allgemeinen sozialen Lerndisposition fällt einem System soziales Lernen besonders leicht in den Fällen, in denen es mit kopplungsbezogenen Erwartungsenttäuschungen konfrontiert ist. Da die mit den systemischen Kopplungsadressen verbundenen Auffangstrukturen nicht nur routinierte Formen des Verstehens und Reagierens auf Irritationen vorzeichnen, sondern darüber hinaus auch institutionalisierte Formen systemischer Strukturanpassungen – etwa, um im obigen Beispiel zu bleiben, die Veränderung von Gesetzen – vorzeichnen, ist auch die systemische Lernfähigkeit in diesen Kopplungsbereichen relativ stärker ausgeprägt als in Bezug auf weniger wichtige ‚Umweltbereiche‘. Strukturelle Kopplungen sind also nicht nur mit hoher Irritabilität und Reagibilität, sondern auch mit „verdichteten Lernchancen“ verbunden (Luhmann 1990b: 206). Bei den auf Kopplungsadressen zugerechneten ‚institutionalisierten‘ Strukturanpassungen handelt es sich jedoch meistens um eine spezifische Art des Lernens, nämlich um ein „konformes Abweichen“, das dem in den kopplungsbezogenen Auffangstrukturen verankerten erwartungsgemäßen Umgang mit Enttäuschungen entspricht. Solche im Rahmen von strukturellen Kopplungen leicht realisierbaren „erlaubte[n] Innovationen“ sind zu unterscheiden von ‚radikaleren‘ Formen systemischer Resonanzen, die auf dem „Abweichen von noch undefinierten Erwartungen, nämlich Ausweichen in einen semantisch noch nicht besetzten Strukturbereich“ beruhen (Luhmann 1987: 475). Die gesellschaftlichen Funktionssysteme verfügen über eine Vielzahl verschiedener Kopplungsadressen zu allen anderen Funktionssystemen der Gesellschaft (Luhmann 1997: 779). Die über diese Kopplungsadressen organisierten besonderen Beziehungen zu anderen ‚Funktionssystemen-in-der-eigenen-Umwelt‘ sind jedoch – wie auch die systemintern eingerichteten ‚Umweltbeziehungen‘ im Allgemeinen – nicht „gleichförmig“ ausgestaltet (Luhmann 2000a: 382), sondern variieren je nach ‚Umweltsystem‘ in Anzahl und Intensität (Luhmann 1997: 780–781; Besio 2015: 165). Sie können sich im Laufe des systemischen Operierens sowohl verdichten als auch abschwächen, neu ausbilden oder vergessen werden (Bora 1999: 312; Luhmann 1995b: 446, 456–457).154 Eine umfassende Beschreibung der sozialen Irritabilität, Reagibilität und Lernfähigkeit gesellschaftlicher Funktionssysteme, die über die recht unspezifische Feststellung, dass diese im Allgemeinen mit der Komplexität der Selbst- und Umweltbeschreibungen zunehmen, hinausgehen soll, erfordert daher eine genaue Analyse der Art und Weise, in der unterschiedliche ‚Umweltbereiche‘ zu einem bestimmten Zeitpunkt im jeweils untersuchten System strukturell verankert sind. In der systemtheoretischen Literatur finden sich bis dato jedoch – abgesehen von Bestandsaufnahmen zu

empirisch erforscht, nicht jedoch begrifflich vorab festgelegt werden kann“ (Bora 2009: 57). 154 Gesellschaftliche Phänomene der Intensivierung beziehungsweise Ausweitung struktureller Kopplungen zu einem spezifischen Funktionssystem der Gesellschaft werden in der Systemtheorie typischerweise als gesellschaftliche Ausbreitung der jeweiligen funktionssystemspezifischen Relevanzen gedeutet, also zum Beispiel als Politisierung, Verrechtlichung oder Ökonomisierung der Gesellschaft (vgl. z.B. Bornemann 2007; Krönig 2007: 28–29; Schimank/Volkmann 2017; Bora 1999: 177, 383; Teubner 1987: 437; Mölders 2011: 291 anhand von Teubner 2008; Nassehi 1993: 328).

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den von Luhmann selbst diskutierten strukturellen Kopplungen (Brodocz 2003; Drieschner/Gaus 2014) oder Detailstudien zur Funktionsweise einzelner Kopplungsformen (Esposito 2001; Baecker 2001b; Lieckweg 2001; Gaus/Drieschner 2014) – kaum Untersuchungen, die darauf abzielen, das Umweltverhältnis eines sozialen Systems in Gänze zu erfassen. 3.2.3 Die Konstitution funktionssystemischer Resonanzfähigkeit in der Zeitdimension: Vergangenheits- und Zukunftshorizonte Die Attributionsschemata der funktionssystemischen Codes sowie die systeminterne Unterscheidung von ‚System‘ und ‚Umwelt‘ ermöglichen es den gesellschaftlichen Funktionssystemen, beobachtete Ereignisse in der Sach- und Sozialdimension als spezifische ‚Umweltereignisse‘ zu verstehen. Um deren Sinn auch in der Zeitdimension bestimmen zu können, muss ein System darüber hinaus auf Attributionsschemata zurückgreifen, die „Zeit, Zeithorizonte und bestimmte Auslegungen zeitlicher Relevanzen“ systemintern „sinnhaft verfügbar“ (Luhmann 1991e: 104) machen. Das in diesem Zusammenhang zentrale Attributionsschema, das Zeit als systemischen Beobachtungsgegenstand konstituiert (Luhmann 1976: 135–136; Luhmann 1991d: 46),155 ist die Unterscheidung von ‚Vergangenheit‘ und ‚Zukunft‘.156 Mittels

155 Ebenso wie bei der systemtheoretischen Beschreibung der System-/Umwelt-Differenz zwischen der operativen Herstellung und der systeminternen Beobachtung der Umwelt unterschieden werden muss (vgl. Abschnitt 2.3), erfordert auch die Beschreibung systemischer Zeitlichkeit eine Differenzierung zwischen der „operativen Zeit“ systemischer Autopoiesis auf der einen Seite und der auf der semantischen Ebene verankerten „Beobachtungszeit“ des jeweils operierenden Systems auf der anderen Seite (Nassehi 1993: 193, Hervorhebung i.O.; vgl. auch ebd.: 253 sowie Luhmann 1989: 7). Operativ geschlossene, soziale Systeme sind immer schon temporalisierte Systeme in dem Sinne, dass sie sich durch aneinander anschließende Operationen konstituieren und reproduzieren. Ein soziales System kann demnach immer nur in der beziehungsweise durch Zeit existieren. Als „elementare Zeitlichkeit“ wird operative Zeit daher stets „gewissermaßen blind vorausgesetzt, sobald ein System operiert“ (Nassehi 1993: 192, Hervorhebung i.O.). Diese „blinde[.] Konstitution von Zeit durch Temporalisierung der Elemente“ ist zu unterscheiden von der durch komplexere Formen der Selbstreferenz ermöglichten systeminternen „Nutzung von Zeit durch Beobachtung“ (Nassehi 1993: 199, Hervorhebung i.O.; vgl. auch ebd: 208). Bei letzterer handelt es sich, mit Nassehi gesprochen, um die „Beobachtungszeit“ des Systems. Beobachtungszeit entsteht dadurch, „daß eine temporal relevante Unterscheidung […] angewendet [wird]“ (Nassehi 1993: 199; 253). Über die reine Inanspruchnahme von Zeit durch Autopoiesis hinaus, ‚entdeckt‘ ein soziales System durch solche zeitbezogenen Unterscheidungen oder Attributionsschemata ‚Zeit in die Welt hinein‘ (vgl. Nassehi 1993: 197) und kann somit Sinn nicht nur in der Sach- und Sozialdimension, sondern auch in der Zeitdimension bestimmen (vgl. Nassehi 1993: 195, 208; Luhmann 1975: 104). Durch das Attributionsschema ‚Vergangenheit/Zukunft‘ wird die aus „vielen Variablen“ (Luhmann 1987d: 253–254) bestehende ‚Beobachtungszeit‘ des Systems grundlegend strukturiert (vgl. Luhmann 1976: 135–136).

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dieses Schemas versetzt sich ein System in die Lage, sowohl sich ‚selbst‘ als auch seine ‚Umwelt‘ „in Zeithorizonten zu beobachten“ (Luhmann 1994: 22) und dadurch zugleich deren Identität in der Zeit auszudehnen (Gehring 2007: 425; Luhmann 1997: 442): Das System kann erwarten, dass es ‚selbst‘ und seine ‚Umwelt‘ nicht nur jetzt existieren, sondern über eine Geschichte und Zukunft verfügen, die sich im aktuellen systemischen Operieren als „gegenwärtige Vergangenheit“ beziehungsweise „gegenwärtige Zukunft“ beobachten lassen (Nassehi 1993: 194; Luhmann 2000a: 23; Luhmann 1997: 396).157 Die Attributionsregeln, die die systeminterne Unterscheidung von ‚Vergangenheit‘ und ‚Zukunft‘ anleiten, sind die sowohl in Richtung ‚Vergangenheit‘ als auch in Richtung ‚Zukunft‘ ausgebildeten systemischen Zeithorizonte. 158 Analog zu den Selbst- und Umweltbeschreibungen, in denen bestimmte Erwartungen bezüglich der Verfasstheit und des wechselseitigen Verhältnisses von ‚System‘ und ‚Umwelt‘ semantisch fixiert sind, enthalten die Vergangenheits- und Zukunftshorizonte als systemische „Semantik[en] der Zeitlichkeit“ (Luhmann 1987d: 421) jeweils spezifische Vorstellungen zur Geschichte und zur ‚zukünftigen Entwicklung von ‚System‘ und ‚Umwelt‘ und legen die systemintern gültigen „Regeln zur Verknüpfung künftiger

156 Zurechnungen auf die Gegenwart gibt es streng genommen nicht. „Gegenwart ist […] nichts anderes als die Unterscheidung von Vergangenheit und Zukunft. Sie ist keine eigenständige Zeitetappe, sondern nimmt nur so viel Operationszeit in Anspruch, wie benötigt wird, um Unterschiede in den Zeithorizonten der Vergangenheit und der Zukunft […] zu beobachten“ (Luhmann 1997: 581; vgl. auch Nassehi 1993: 342). Nichtsdestotrotz kann das System die ‚Vergangenheit‘ als gegenwärtig andauernd (vgl. Gehring 2007: 426) beziehungsweise die ‚nahe Zukunft‘ als „erstreckte Gegenwart“ (Vorderstraße 2014: 137–138) beobachten in dem Sinne, dass sich das aktuelle Geschehen entweder gerade erst ereignet hat oder sich gleich sofort ereignen wird. 157 ‚Vergangenheit‘ und ‚Zukunft‘ sind dabei stets als gegenwärtig-operative Systemreferenzen auf an sich unerreichbare „Zeithorizonte“ (Luhmann 1991e: 114; vgl. auch Luhmann 1987d: 116–117) zu verstehen. Durch die Einordnung beobachteter ‚Umweltereignisse‘ in das Schema ‚Vergangenheit/Zukunft‘ vollzieht das jeweils beobachtende System folglich eine „Historisierung“ beziehungsweise „Futurisierung“ (Bergmann 1981: 85, unter Rückgriff auf Luhmann 1975: 112, 115) seiner ‚Umwelt‘. 158 Luhmann (1976: 136) selbst verwendet zur Bezeichnung der systemintern „prevailing interpretations of past and of future“ zumeist den Begriff der ‚(Sinn)Geschichte‘: „Unter Geschichte soll hier nicht einfach die faktische Sequenz der Ereignisse verstanden werden, derzufolge Gegenwärtiges als Wirkung vergangener Ursachen bzw. als Ursache künftiger Wirkungen verstanden werden kann. Das Besondere an der Sinngeschichte ist vielmehr, daß sie wahlfreien Zugriff auf den Sinn von vergangenen bzw. künftigen Ereignissen ermöglicht, also ein Überspringen der Sequenz. Ein Sinnsystem hat in dem Maße Geschichte, als es sich durch freigestellte Zugriffe limitiert – sei es durch bestimmte vergangene Ereignisse […], sei es durch Finalisierung der Zukunft. Geschichte ist demnach immer: gegenwärtige Vergangenheit bzw. gegenwärtige Zukunft; immer Abstandnahme von der reinen Sequenz; und immer: Reduktion der dadurch gewonnenen Freiheit des sprunghaften Zugriffs auf alles Vergangene und alles Künftige“ (Luhmann 1987d: 118; vgl. auch Gehring 2007: 424).

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und vergangener (eigener und umweltlicher) Ereignisse“ fest (Luhmann 1987d: 254; vgl. auch Vorderstraße 2014: 134; Nassehi 1993: 208). 159 „In Zeitsemantiken wird also einerseits […] vorstrukturiert, wie sich ein System selbst temporal beschreibt, zum anderen kommt in ihnen zum Ausdruck, inwiefern ein System […] mit zyklischen Erwartungen, mit Planungsverhalten und Geschichtsverständnis umgeht“ (Nassehi 1993: 253). Ebenso wie die systemischen Programme und die Selbst- und Umweltbeschreibungen sind auch diese Zeitsemantiken nicht als aus sämtlichen vergangenen beziehungsweise künftig erwartbaren „Ereignissen bestehende Mengen“, sondern als „selektive Leistungen des Systems“ zu verstehen. Dementsprechend ist „nicht alles, was geschehen ist, […] relevant für die Vergangenheitsbildung, und diese Bildung […] kann nicht vollständig dem entsprechen, was ‚wirklich‘ geschehen ist. Dasselbe gilt für die Zukunft, weil die Projektion künftiger Möglichkeiten ausschließlich vom System abhängt“ (Corsi 1997c: 215).160 Retrospektiv gerichtet ermöglichen die systemischen Zeithorizonte das Verstehen beobachteter ‚Umweltereignisse‘ als bereits vergangene beziehungsweise zukünftig zu erwartende Ereignisse. Prospektiv gerichtet legen sie spezifische Anschlussmöglichkeiten an diese Ereignisse nahe. So geben sie beispielsweise vor, ob angesichts eines antizipierten ‚Umweltereignisses‘ „die Zeit [drängt]“ und präventive Maßnahmen ergriffen werden müssen oder ob ein Ereignis schlicht „nicht mehr zu ändern ist“ beziehungsweise noch so „weit in der Zukunft liegt“, dass es gegenwärtig als irrelevant betrachtet werden kann (Heidenescher 1999: 94).161 Auf diese Weise strukturieren die systemischen Zeithorizonte die „Eigenzeit“ (Vorderstraße 2014: 134; Nassehi 1993: 208) ihres Systems – also „die Zeit“, die ein System angesichts vergangener oder zukünftiger Ereignisse „‚haben‘ kann; die Zeit, die knapp werden kann; die Zeit der Eile und der Langeweile“ (Luhmann 1987d: 255; vgl. auch Luhmann 1997: 82–83; Bergmann 1981: 166–171). Temporale Irritabilität: Weite und Ausdifferenzierung der systemischen Zeithorizonte Während die Programme und Umweltbeschreibungen definieren, welche Aspekte beziehungsweise Bereiche der ‚Umwelt‘ einem System in sachlicher Hinsicht thematisierbar und in sozialer Hinsicht adressabel erscheinen (Fuchs 1997: 63), legen die systemischen Zeithorizonte fest, wie weit ihr System in die ‚Vergangenheit‘ beziehungsweise ‚Zukunft‘ blicken kann. Je kürzer die systemischen Zeithorizonte, desto eher „hafte[t]“ das System „am Geschehen selbst und seinen unmittelbaren Vorbedingungen und Folgen“ (Luhmann 1991e: 109); desto „rascher“ werden „Vergan-

159 So kann die Zukunft etwa als „ewige Wiederkehr“ der Vergangenheit, als sich von der Vergangenheit entfernender „Fortschritt“ oder als unaufhaltbar auf eine „apokalyptische Wende“ zulaufend aufgefasst werden und dadurch jeweils unterschiedliche gegenwärtige „Ordnungseffekte“ (Tellmann/Opitz 2011: 27) produzieren. 160 Wie Gehring (2007: 422) es formuliert, „ist deswegen ‚die Zukunft‘ eine ähnlich abgeleitete, lediglich momentane Extrapolation, wie ‚die Vergangenheit‘ eine aktuelle Legende ist“. 161 Zum Zusammenhang von Zukunftsvorstellungen und präventiven Praktiken vgl. auch Bröckling (2012: 93) und Tellmann/Opitz (2011: 46–47).

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genheiten […] unmaßgeblich“ und desto näher rücken „[d]ie Zukunftshorizonte, die noch als planbar erscheinen, […] an die Gegenwart heran“ (Luhmann 1997: 765). „Je weiter die Zeithorizonte“ dagegen vom unmittelbaren Geschehen abstrahierend „ausgezogen werden“, desto mehr vergangene beziehungsweise zukünftige Ereignisse können in den gegenwärtigen Operationen in Betracht gezogen werden (Luhmann 1991d: 128).162 Die innerhalb der systemischen Zeithorizonte beobachtbaren vergangenen oder zukünftigen ‚„Zeitpunkte“ werden systemintern wiederum – analog zu den in der Sach- und Sozialdimension ausgebildeten Themen und Adressen – mit jeweils „verschiedene[n] Stellenwerten“ (Luhmann 1991e: 111) versehen, die von einem „detaillierte[n] Interesse“ bis hin zu einem „indifferente[n] Abschieben in eine erledigte Vergangenheit“ (Luhmann 1991e: 109; vgl. auch Bora 1999: 164) beziehungsweise weit entfernte Zukunft reichen können.163 Indem sie auf diese Weise die systemischen „Relevanzgrenzen in Richtung auf Zukunft und Vergangenheit“ (Luhmann 1987d: 254) abstecken, bestimmen die Zeithorizonte den Grad der allgemeinen temporalen Irritabilität ihres Systems. Dieser erhöht sich stets in dem Maße, in dem die temporale Komplexität – das heißt der Umfang beziehungsweise die Tiefenschärfe der in der Vergangenheit und Zukunft beobachtbaren Zeitpunkte (Luhmann 1991e: 107–108; Nassehi 1993: 251) – zunimmt. In der modernen Gesellschaft variiert die allgemeine temporale Irritabilität von Funktionssystem zu Funktionssystem: Während etwa das Wissenschaftssystem in Bezug auf seine „Theorieproduktion“ und das System der Intimbeziehungen in punkto „Eheleben“ und „Kindererziehung“ typischerweise mit recht weiten Zeithorizonten – also relativ hoher temporaler Irritabilität – operieren, beschränken das an „Konjunkturschwankungen“ orientierte Wirtschaftssystem und das auf „Wahlzyklen“ ausgerichtete politische System ihre Beobachtungen auf vergleichsweise kurze Zeit-

162 Jenseits seiner Zeithorizonte kann ein System weder vergangene Ereignisse erinnern, noch mögliche Ereignisse antizipieren (vgl. Luhmann 1976: 136). Der systemintern beobachtbare und nicht-beobachtbare Bereich von ‚Vergangenheit‘ und ‚Zukunft‘ sind dabei nicht durch eine klare Grenze voneinander getrennt, sondern gehen eher in der Form eines inkrementellen Auslaufens des Beobachtens von einer „nahe[n]“ in eine „ferne[.] Vergangenheit (bzw. Zukunft)“ bis hin zu kaum noch beobachteten „Fernzeiten“, die „nicht im eigentlichen Sinne Zeit sind, sondern Dunkelzonen, für die andere Regeln der Glaubwürdigkeit und Relevanz gelten“ (Luhmann 1991e: 109) ineinander über. 163 Innerhalb der für das politische System zentralen vier- bis fünf Jahre dauernden „Wahlund Amtszyklen“ (Vorderstraße 2014: 195) stellen beispielsweise Wahlkampfphasen und Wahltermine oder auch die 100-Tage-Bilanz einer Regierung besonders wichtige Ereignisse dar, die mit spezifischen ‚Erwartungsbündeln‘ verknüpft und mit hoher Aufmerksamkeit beobachtet werden. Ähnliches gilt für Bilanzstichtage in den „Quartalsdimensionen“ (Willke 2002: 235) des Wirtschaftssystems. In Bezug auf solche in ihren Vergangenheits- und Zukunftsbeschreibungen besonders hervorgehobenen zukünftigen oder vergangenen ‚Umweltereignisse‘ erweisen sich soziale Systeme als deutlich irritabler als in Bezug auf andere, weniger systemzentrale Zeitpunkte. Für einen systemtheoretischen Steuerungsansatz, der diese unterschiedlich temporalen Phasen systemischer Irritabilität berücksichtigt vgl. Mölders (2015b: 59) „Irritationsdesign“.

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spannen (Schimank 2005a: 170; vgl. auch Willke 2002: 235; Vorderstraße 2014: 195).164 Temporale Reagibilität: Weite und Ausdifferenzierung der gegenwärtig handlungsrelevanten Zeithorizonte Die temporale Reagibilität der gesellschaftlichen Funktionssysteme hängt wiederum von der „Weite [ihres] […] handlungsrelevanten Zeithorizontes“ ab (Luhmann 1991e: 104; Luhmann 1987c: 59, Hervorhebung H.V.). Dieser legt fest, auf welche der systemintern beobachtbaren vergangenen beziehungsweise zukünftigen ‚Umweltereignisse‘ ein System gegenwärtig noch oder schon reagieren – das heißt handelnd anschließen – kann und welche dieser Ereignisse es als außerhalb seines (aktuellen) Einflussbereichs liegend betrachtet und daher nur erlebend verarbeiten kann. 165 In Bezug auf die Vergangenheit wird die Unterscheidung von gegenwärtig (noch) beeinflussbaren und gegenwärtig (nicht mehr) beeinflussbaren ‚Umweltereignissen‘ durch das Attributionsschema ‚reversibel/irreversibel‘ reguliert (Gehring 2007: 428, Fußnote 7). Mittels dieses Schemas kann ein System zwischen einer unwiderruflich abgeschlossenen „erledigten Vergangenheit“ (Luhmann 1991e: 109, 120) und einer gegenwärtig noch verfügbaren Vergangenheit im Sinne einer „Zone des Rückgängigmachbaren“ (Gehring 2007: 426, Fußnote 5) differenzieren. Reversibilität bedeutet in diesem Zusammenhang im Wesentlichen „Korrigierbarkeit“ (Luhmann 1997: 908): „Ein Ding ist noch da, wo man es verlassen hatte; ein Unrecht kann wieder gut gemacht werden“ (Luhmann 1987d: 117; vgl. auch Nassehi 1993: 373). Indem es die gegenwärtigen Möglichkeiten umweltbezogenen Handelns auf reversible ‚Umwelter-

164 Obwohl die Thematisierung der Zeitdimension des Sozialen aktuell immer mehr Aufmerksamkeit zu erlangen scheint (vgl. z.B. Esposito 2012; 2014; Siri/von Groddeck 2012; Thyge Thygesen 2012; Vorderstraße 2014), findet sich in der systemtheoretischen Literatur bis dato kein an solche punktuellen Charakterisierungen der Eigenzeit einzelner Funktionssysteme anknüpfender, systematischer Vergleich der Zeithorizonte – und der damit einhergehenden relativen temporalen Irritabilität – der gesellschaftlichen Funktionssysteme. Diesbezüglich scheint sich an Boras (2009: 47) Feststellung, dass „[d]as Feld der Zukunftsorientierung sozialer Strukturen […] soziologisch noch wenig erforscht [ist]“, bisher nicht viel geändert zu haben. 165 Die Weite des handlungsrelevanten Zeithorizontes legt also für das jeweilige System fest, in welchem Bereich Handeln potentiell möglich erscheint. Ob dann an ein innerhalb dieses Bereichs verortetes ‚Umweltereignis‘ auch tatsächlich handelnd angeschlossen werden soll oder nicht, ist damit jedoch noch nicht entschieden, sondern hängt etwa von den symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien und den systemischen Zuständigkeitsvorstellungen für die eigene ‚Umwelt‘ ab. In diesem Kontext ist zudem zu beachten, dass die Weite des handlungsrelevanten Zeithorizontes selbst wiederum von den vollzogenen Handlungen beeinflusst, also durch diese Handlungen stets operativ aktualisiert wird: „Die Zeithorizonte verschieben sich durch die Operation des Entscheidens, denn nach der Entscheidung sind sie nicht mehr dieselben“ (Japp 2010: 285). So wandelt sich etwa die durch „liquide Geldmengen“ offen gehaltene Zukunft im Wirtschaftssystem in eine „nicht mehr verhinderbare Zukunft“, sobald Geld „investiert, also durch Geschichte festgelegt“ wird (Luhmann 1991e: 121).

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eignisse‘ beschränkt, steckt das Attributionsschema ‚reversibel/irreversibel‘ die handlungsrelevanten Zeithorizonte seines Systems – und damit dessen allgemeine temporale Reagibilität – in Richtung Vergangenheit ab. Als Attributionsschema zur Differenzierung der gegenwärtig (schon) beeinflussbaren beziehungsweise (noch) nicht beeinflussbaren Zukunft fungiert dagegen die Unterscheidung von ‚Risiko/Gefahr‘.166 Geht ein System davon aus, dass seine „gegenwärtigen Entscheidungen […] bedingen […], was in der Zukunft passieren wird“, so behandelt es seine Zukunft – beziehungsweise ein spezifisches, antizipiertes Zukunftsereignis – als Risiko: „Der Begriff des Risikos bezieht sich auf die Möglichkeit des Eintretens künftiger Schäden als Folge eigener (gegenwärtiger) Entscheidungen“ (Esposito 1997c: 160, Hervorhebung H.V.). Tut es dies nicht, so versteht es das jeweilige Zukunftsereignis als Gefahr: „Von Gefahren spricht man dagegen, wenn und soweit man die etwaigen Schäden auf Ursachen außerhalb der eigenen Kontrolle zurechnet“ (Luhmann 1993b: 148–149; vgl. auch Nassehi 1993: 373) – also auf Faktoren, die man gegenwärtig gerade nicht durch eigenes Handeln beeinflussen kann. Wählt ein System die Zurechnung als Risiko, so beobachtet es sich selbst in der Rolle des Entscheiders, der „interne Reaktionen auf noch gar nicht eingetroffene Umweltereignisse vorbereiten“, also „zum Beispiel für den Fall von Feuer ein Feuerlöschgerät bereithalten“ kann (Luhmann 1987d: 419). Im Falle der Zurechnung als Gefahr begreift sich das System dagegen als Betroffener; also als jemand, der „nicht zu den Entscheidern gehört, sondern ohne eigenes Zutun von einem Schaden heimgesucht“ wird, vor dem er sich nicht selbst schützen kann (Nassehi 1993: 373).167 In Richtung Zukunft begrenzt das Attributionsschema ‚Risiko/Gefahr‘ die handlungsrelevanten Zeithorizonte eines Systems – und damit dessen allgemeine temporale Reagibilität – demnach auf riskante ‚Umweltereignisse‘. Ob ein System ein spezifisches vergangenes oder in der Zukunft antizipiertes ‚Umweltereignis‘ als gegenwärtig behandelbar – also als reversibel beziehungsweise

166 Die Ergänzungsschemata, mit denen die Systeme die Kontingenz der Zukunft erfassen und zum Ausgangspunkt ihres gegenwärtigen Handelns machen können, bezeichnet Luhmann als ‚Defuturisierungstechniken‘. Beispiele für solche „Formen der Vergegenwärtigung von Zukunftsungewißheit“ (Luhmann 1997: 140; vgl. auch Luhmann 1976: 141; Bora 2009: 55) sind etwa Prognosen, Risiko-Management-Modelle (vgl. Esposito 2011: 17; Priddat 2014: 2) oder Szenarien (vgl. Tellmann/Opitz 2011: 27–28). 167 Der Unterschied zwischen den Positionen des handelnden Entscheiders und des dessen Handlung erlebenden Betroffenen besteht insbesondere darin, dass der Entscheider über die Freiheit verfügt, anders zu handeln – sein Handeln dem beobachtenden System also als kontingent, als Entscheidung zwischen verschiedenen Alternativen (vgl. Luhmann 2009: 5) – erscheint. Dagegen sieht sich der Betroffene der für ihn unverfügbaren fremden Entscheidung ausgeliefert (vgl. Luhmann 2005b: 85–86; Luhmann 1997 356). Daher gilt: „Wer Handlungszurechnungen wählt, […] distanziert“ dementsprechend „zugleich […] ‚alle anderen‘ von dem, dem das Handeln zugerechnet wird“ (Luhmann 2005b: 86). In diesem Sinne produziert die externe „Weltzurechnung als Erleben […] Gleichheit“ von System und ‚Umweltadresse‘, während die interne „Systemzurechnung als Handeln Ungleichheit“ impliziert (Luhmann 2005b: 85–86).

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riskant – oder als dem eigenen Handeln aktuell unzugänglich – das heißt als irreversibel oder gefährlich – begreift, hängt von dessen Kausalitätsvorstellungen ab.168 Als Attributionsregeln der Schemata ‚reversibel/irreversibel‘ und ‚Risiko/Gefahr‘ zeichnen diese vor, wie „bestimmte Ursachen auf bestimmte Wirkungen zugerechnet werden“ können (Luhmann 1997: 130, 436) und prägen somit die systeminternen Vorstellungen der eigenen Einwirkungsmöglichkeiten auf die ‚Umwelt‘.169 Temporale Affinitäten systemischer Reagibilität: Konditionalund Zweckprogrammierung Die gesellschaftlichen Funktionssysteme können ihre temporale Reagibilität entweder gleichermaßen an ihrer reversiblen Vergangenheit und riskanten Zukunft ausrichten oder sich besonders auf einen dieser beiden Zeithorizonte konzentrieren. 170 Ob beziehungsweise welchen temporalen Schwerpunkt ein Funktionssystem diesbezüglich setzt, hängt von der Ausgestaltung der Attributionsregeln ab, die dessen gegenwärtige ‚Reaktionen‘ auf die ‚Umwelt‘ programmieren: den systemischen Entscheidungsprogrammen (Bergmann 1981: 87–89).171 Als Attributionsregeln systemischen Handelns „definieren“ diese „die Bedingungen der sachlichen Richtigkeit von Entscheidungen“ (Luhmann 2000b: 257). Luhmann unterscheidet zwei grundlegende Formen systemischer Entscheidungsprogramme: Konditional- und Zweckprogramme (Luhmann 1987d: 432).172 Konditionalprogramme disponieren ein System dazu, auf „vergangene, gegenwärtig feststellbare Tatsachen“ zu ‚reagieren‘ und das eigene Handeln somit vornehmlich an der Vergangenheit auszurichten (Luhmann 1995: 197; Luhmann 1987d: 117). Konditionalprogrammiertes Handeln orientiert sich stets an

168 Diese ermöglichen es ihrem System, „simplifizierende […] Kausalattributionen“ des eigenen vergangenheits- beziehungsweise zukunftsbezogenen Handelns vorzunehmen (Luhmann 2008: 140; vgl. auch Luhmann 1987d: 527; 2011: 94; Vogd 2009b: 113). Für konkrete Beispiele aus der Empirie vgl. Kusche (2008: 183–191) zu den Kausalschemata der Hartz-IV-Kommission. 169 Die Attribution von Kausalitäten in der Form von system- wie umweltbezogenen ‚Ursachen‘ und ‚Wirkungen‘ wird erst unter Einbezug solcher temporalen Beobachtungsschemata möglich (vgl. Bergmann 1981: 87). 170 Im Verhältnis zu vormodernen Zeiten richten sich alle Funktionssysteme der modernen Gesellschaft, wenn auch in unterschiedlichem Maße, relativ stark an ihrer Zukunft aus (vgl. Luhmann 1976: 142; 1991e: 115, 119), die sie als offen und daher als grundsätzlich durch gegenwärtiges Handeln beeinflussbar – also als ‚Risiko‘ – begreifen (vgl. Luhmann 1976: 140; Luhmann 1991a: 49–50; Esposito 2011: 15; Esposito 2016: 40; Bora 2009: 54). 171 Entscheidungen stellen eine spezifische Form von Handeln dar, nämlich diejenige Form, bei der die Kontingenz des Handelns – das heißt die grundsätzliche Möglichkeit, zwischen verschiedenen Handlungsoptionen wählen zu können – durch den jeweiligen Beobachter selbst reflektiert wird (vgl. Luhmann 2009: 5; 2000b: 262). 172 Konditional- und Zweckprogramme definieren, wie an ein beobachtetes Umweltereignis handelnd angeschlossen werden kann. Über die der Ausgestaltung konkreter Anschlusshandlungen gewissermaßen vorgeschaltete Frage, ob angesichts eines beobachteten Umweltereignisses überhaupt gehandelt werden soll oder nicht, disponieren sie jedoch nicht.

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bereits vergangenen Ereignissen, „die als Ursache die Entscheidung auslösen sollen“ (Luhmann 1991g: 101, Hervorhebung i.O.). Die generelle Entscheidungsregel eines Konditionalprogramms lautet demnach: „[W]enn ein gewisser Umstand sich ergibt, dann muß ein gewisses Verhalten realisiert werden“ (Esposito 1997a: 141; vgl. auch Thiel/Meier 2004: 111).173 Konditionalprogrammierte Systeme betrachten ihr gegenwärtiges Handeln daher stets als „Wirkung vergangener Ursachen“ (Luhmann 1987d: 118). Zweckprogramme sind grundsätzlich anders gelagert. Hier fungieren nicht vergangene Ereignisse, sondern zukünftig zu erreichende Ziele und auf diese bezogene Mittel als Bezugspunkte gegenwärtigen Handelns (Luhmann 2000b: 261, 267; Luhmann 1995b: 203; Süssenguth 2012: 72). Zweckprogramme „regel[n] […] die Wirkung in der Umwelt, die das System bewirken soll“ (Luhmann 1991g: 101– 102, Hervorhebung i.O.). Dementsprechend begreift ein System sein zweckprogrammiertes Handeln als „Ursache zukünftiger Wirkungen“ (Luhmann 1987d: 118). Im Unterschied zu Konditionalprogrammen sind Zweckprogramme deshalb „reine Zukunftsprogramme“ (Luhmann 2000b: 266):174 Sie konditionieren ein System dazu, das gegenwärtige Handeln an der Zukunft auszurichten. Daraus folgt, dass vornehmlich zweckprogrammierte Systeme im Hinblick auf ihre temporale Reagibilität eine relativ höhere Zukunftsaffinität175 aufweisen als primär konditionalprogrammierte Systeme. In der modernen Gesellschaft lässt sich diese unterschiedliche zeitliche „Schwerpunktsetzung“ (Bergmann 1981: 201, Hervorhebung i.O.) am prägnantesten, wie sowohl Tellmann und Opitz (2011) als auch Bergmann (1981: 202)176 aufzeigen, am Beispiel des primär konditionalprogrammierten Rechtssystems und des vornehmlich zweckprogrammierten Wirtschaftssystems nachvollziehen. Während „[d]ie konditionale Programmierung des Rechts eine Orientierung an der Zukunft und damit an den Folgen der rechtlichen Entscheidung schwer“ macht

173 Anders ausgedrückt liegt die „Auslösebedingung“ einer konditionalprogrammierten Entscheidung „relativ zur ausgelösten Operation in der Vergangenheit“ (Luhmann 2000b: 263, Hervorhebung H.V.). Dass „zukünftige, im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht feststehende Tatsachen bei der Entscheidung […] den Ausschlag geben“ ist „[d]urch die Form des Konditionalprogramms […] ausgeschlossen“ (Luhmann 1995b: 198). Zudem sich Konditionalprogramme zumeist recht geschlossen, also so gestrickt, „daß man bei vorgesehenen Informationen wissen kann, was daraufhin zu geschehen hat“ (Luhmann 1997: 524). 174 „Das Kausalverhältnis von Mittel und Zweck, das ihnen zu Grunde liegt, kann leicht darüber hinwegtäuschen; aber auch Mittel sind, vom programmierten Entscheiden aus gesehen, immer künftige Mittel“ (Luhmann 2000b: 266, Hervorhebung H.V.). 175 Der analytische Schwerpunkt liegt in diesen Darstellungen insbesondere auf der Zukunftsaffinität der gesellschaftlichen Funktionssysteme, da diese im Hinblick auf die Frage, ob sich die moderne Gesellschaft auf in der Zukunft erwartbare ökologische Gefährdungen einstellen kann von größerer Bedeutung ist als deren Vergangenheitsaffinität (vgl. auch Abschnitt 2.4.3). 176 Bergmann (1981: 88) beschreibt primär konditionalprogrammierte Systeme auch als „inputorientierte“ und primär zweckprogrammierte Systeme als „outputorientierte“ Systeme.

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(Bergmann 1981: 211),177 ist das vornehmlich an Zwecken ausgerichtete Wirtschaftssystem (Luhmann 1984: 315) „[w]ie kein anderes System […] auf eine kontingente Zukunft ausgerichtet und zeichne[t] sich durch eine besondere Reizbarkeit durch die Zukunft aus“ (Tellmann/Opitz 2011: 32, in Anschluss an Luhmann 1994: 65, 278).178 Während sich Recht und Wirtschaft gewissermaßen als entgegengesetzte Extrempole der gesellschaftlichen Zukunftsaffinität darstellen und kontrastieren lassen, ist die temporale Reagibilität anderer gesellschaftlicher Funktionssysteme weniger eindeutig auf ihre Vergangenheit oder Zukunft ausgerichtet. Denn die komplexen Funktionssysteme der modernen Gesellschaft orientieren sich nicht notwendigerweise primär an einer bestimmten Form systemischer Entscheidungsprogramme, sondern operieren sowohl mit Zweck- als auch mit Konditionalprogrammen, die zudem in der Form von „Mischprogramme[n]“ ineinander verschachtelt sein können (Luhmann 2000b: 263; vgl. auch Luhmann 1995b: 195).179 Der relative Anteil konditional- beziehungsweise zweckprogrammierter Erwartungselemente – und damit auch die allgemeine funktionssystemische Zukunfts- beziehungsweise Vergangenheitsaffinität – dürfte deshalb von Funktionssystem zu Funktionssystem variieren. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass auch innerhalb eines Funktionssystems die temporale Reagibilität in verschiedenen Bereichen unterschiedlich ausgestaltet sein kann. Temporale Lernfähigkeit: kognitive und normative Defuturisierungsformen Die allgemeine temporale Lernfähigkeit eines Systems, also dessen strukturelle Disposition, seine auf die ‚Vergangenheit‘ oder ‚Zukunft‘ gerichteten Erwartungen aufgrund von irritierenden Ereignissen anzupassen, hängt wiederum davon ab, ob diese Erwartungen kognitiv oder normativ stilisiert sind. Im Hinblick auf die Vorstellungen, die sich ein System von seiner Zukunft machen kann, unterscheidet Luhmann,

177 Dies gilt vor allem für die „vergangenheitsorientierte Rechtsprechung“. „In der Gesetzgebung ist, wenn auch noch kaum praktiziert, eine Zukunftsorientierung des Rechts möglich“ (Bergmann 1981: 211). Dies zeigt auch Mölders (2009: 59; 2010) in seiner Analyse der sich zunehmend etablierenden rechtlichen „Praxis der prospektiven Gesetzesfolgenabschätzung“. 178 Der Zukunftsaffinität des Wirtschaftssystems steht „als Kehrseite die Ablösung von der Bindung an die Vergangenheit“ gegenüber: „Die Vergangenheit existiert in der Ökonomie nur als ‚Dispositionsfond für eine offene Zukunft‘ (Luhmann 2005e: 259) und die Ökonomie kann und muss ‚fast ohne Gedächtnis operieren‘ (Luhmann 1994: 19; vgl. Baecker 1987)“ (Tellmann/Opitz 2011: 32). Das relativ zukunftsaverse Recht, das sich eine weitestgehend „indifferente Haltung gegenüber den in der Zukunft lauernden Kontingenzen [erlaubt]“, konzentriert sich dagegen stark auf die Vergangenheit: „Rechtsurteile entscheiden darüber, ob ein vergangenes Verhalten […] rechtens oder nicht rechtens gewesen ist“. Das Recht „schaltet sich“ also stets „nachträglich ein“ (Tellmann/Opitz 2011: 39, Hervorhebung i.O.). 179 So verfügt beispielsweise das Erziehungssystem sowohl über Zweckprogramme wie „Curricula“ als auch über Konditionalprogramme wie „Zeugnisse“ oder „Zertifikate“ (Corsi 1997a: 51).

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wie Bora (2009: 54) herausarbeitet, „im Wesentlichen zwei Mechanismen der Defuturisierung“ – das heißt der systeminternen Vergegenwärtigung der ‚zukünftigen Gegenwart(en)‘ als ‚gegenwärtige Zukunft‘180; „nämlich Utopien und Technologien“. Utopisch strukturierte Zukunftsvorstellungen, wie beispielsweise „Leitbilder“ oder „Normsätze“ und technologisch ausgerichtete Zukunftsvorstellungen, etwa „Prognosen“ oder „Wetten“, unterscheiden sich grundsätzlich „durch die Formen des Erwartens, auf die sie jeweils bauen“ (Bora 2009: 56): Während erstere durch einen vornehmlich normativen Erwartungsstil geprägt sind, stützen sich letztere vor allem auf kognitive Erwartungen. Dementsprechend variiert auch die Art und Weise, in der ein mit utopischen beziehungsweise technologischen Zukunftsvorstellungen operierendes System typischerweise mit „Überraschungen und Abweichungen vom vorhergesehenen Lauf der Dinge“ (Bora 2009: 54–55) umgeht. Normativ stilisierte Zukunftserwartungen werden tendenziell auch gegen Enttäuschungen aufrechterhalten, wohingegen kognitiv stilisierte Zukunftserwartungen im Enttäuschungsfalle relativ leicht angepasst werden können. Ebenso wie im Falle der Modalisierung der in der Sachdimension wirkenden Programme und der den systemischen Umweltbezug in der Sozialdimension regulierenden Umweltbeschreibungen gilt folglich auch hier: Je stärker ein System mit kognitiven Vergangenheits- beziehungsweise Zukunftserwartungen operiert, desto größer ist seine temporale Lernfähigkeit. Auf dieser Unterscheidung zwischen normativ und kognitiv modalisierten „Formen des Umgangs mit Zukunft“ aufbauend entwickelt Bora (2009: 57–59) einen „ersten, noch unvollständigen und unabgeschlossenen Überblick“ über die „Formen der Defuturisierung in einigen wichtigen Funktionssystemen der modernen Gesellschaft“. In diesem Zusammenhang zeigt er auf, dass sich insbesondere das Wissenschaftssystem an kognitiv stilisierten Zukunftsvorstellungen orientiert. Denn hier werden „mittels Prognosen […] zukünftige Gegenwarten in einer Form kommuniziert, die der Überprüfung und ggf. der Korrektur fähig sind“. Folglich führen Abweichungen vom jeweils erwarteten Lauf der Dinge in der Wissenschaft regelmäßig zu „Lernen“: zu einer Anpassung der auf die Zukunft gerichteten systemischen Erwartungsstrukturen (Bora 2009: 57). Als ähnlich anpassungsfähig dürften sich die als kognitive „Risiko-Kalkulationen“ stilisierten Zukunftsvorstellungen des Wirtschaftssystems erweisen. „Im Rechtssystem“ dagegen „dominiert die […] Form normativen Erwartens“. Da das Recht seine „Zukunft in Gestalt von Normsätzen konstruiert“, hat „[d]ie Enttäuschungsverarbeitung […] hier in der Regel die Gestalt der Sanktion, mit welcher die ursprüngliche Erwartung konfirmiert wird“. Zukunftsbezogenes „Lernen“ findet im Rechtssystem dementsprechend eher „selten“ statt (Bora 2009: 57). Da das politische System, das Erziehungssystem und das Religionssystem ebenfalls mit normativen Zukunftserwartungen – nämlich „Leitbilder[n]“, „Curricula“ und „Prophetie[n]“ (Bora 2009: 58) – operieren, dürften auch diese Funktionssysteme im

180 Wie Tellmann und Opitz (2011: 28–29) herausarbeiten, scheint sich in der modernen Gesellschaft zunehmend die Vorstellung einer katastrophalen, disruptiven Zukunft durchzusetzen, die sich nicht mehr durch vergangenheitsbasierte Prognosen und Hochrechnungen vergegenwärtigen lässt, sondern einen gänzlich neuen Mechanismus der Defuturisierung – das sogenannte Scenario Planning – zu erfordern scheint.

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gesellschaftsweiten Vergleich mit einer relativ geringen temporalen Lernfähigkeit ausgestattet sein. Wie bereits bemerkt, sind solche auf die Lerndisposition ganzer Funktionssysteme gerichteten Aussagen lediglich als theoriegeleitete Tendenzaussagen zu begreifen (vgl. Abschnitt 3.2.1). Da die Zukunftserwartungen dieser hochkomplexen „Großkontexte der Informationsverarbeitung“ (Kusche/Schneider 2010: 176) stets – wenn auch in unterschiedlichen Anteilen – sowohl normative als auch kognitive Elemente enthalten, ist davon auszugehen, dass die „konkrete Form der Enttäuschungsverarbeitung situativ variiert und deshalb [in letzter Konsequenz, Anmerkung H.V.] nur empirisch erforscht, nicht jedoch begrifflich vorab festgelegt werden kann“ (Bora 2009: 57). 3.2.4 Zwischenfazit Resonanzfähigkeit Wie in den Abschnitten 3.2.1 bis 3.2.3 gezeigt, wird die Resonanzfähigkeit der gesellschaftlichen Funktionssysteme, also deren Fähigkeit sich sinnhaft auf die eigene ‚Umwelt‘ zu beziehen, durch drei systemische Attributionsschemata konstituiert, die ihrem System die grundlegenden Beobachtungskategorien für das Verstehen und die operative Prozessierung von ‚Umweltereignissen‘ in der Sach-, Sozial- und Zeitdimension zur Verfügung stellen: Die binären Codes zeichnen vor, als was ein ‚Umweltereignis‘ in der Sachdimension, retrospektiv gerichtet, verstanden werden und worin, prospektiv gerichtet, ein angemessener Anschluss bestehen kann. Das Attributionsschema ‚Fremdreferenz/Selbstreferenz‘ versetzt das System in die Lage, in der Sozialdimension retrospektiv festzustellen, wer in der ‚Umwelt‘ das beobachtete Ereignis verursacht oder registriert hat und prospektiv festzulegen, in wessen systeminternen Zuständigkeitsbereich dies fällt. In der Zeitdimension ermöglicht das Attributionsschema ‚Vergangenheit/Zukunft‘ es dem System, retrospektiv gerichtet zu bestimmen, wann ein ‚Umweltereignis‘ stattgefunden hat beziehungsweise zukünftig stattfinden könnte und prospektiv zu beurteilen, ob beziehungsweise wann eine ‚Reaktion‘ darauf möglich wäre. Tabelle 3 fasst für jedes dieser Schemata zusammen, durch welche Attributionsregeln es angeleitet wird und wie diese die ‚Umwelt‘ im System sowohl retrospektiv (als solche) verstehbar als auch prospektiv für die eigenen Operationen anschlussfähig werden lassen. Im Rahmen dieser analytischen Spezifizierung der die Resonanzfähigkeit eines Systems konstituierenden Attributionsschemata wurde zudem deutlich, in welcher Weise jedes dieser drei Schemata die systemische Resonanzfähigkeit in den drei Unterdispositionen Irritabilität, Reagibilität und Lernfähigkeit mitstrukturiert.

122 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

Tabelle 3: Übersicht zu den die systemische Resonanzfähigkeit konstituierenden Attributionsschemata Sinndimension Sachdimension

Attributionsschema Binärer Code (z.B. Zahlung/ NichtZahlung)

Attributionsregeln Programme, symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien

Sozialdimension

Fremd-/ Selbstreferenz (Umwelt/ System) Vergangenheit/ Zukunft

Umwelt- und Selbstbeschreibungen (insbes. Kopplungsadressen)

Zeitdimension

Vergangenheits- und Zukunftshorizonte Kausalitätsvorstellungen

Retrospektives Verstehen

Prospektives Anschließen

sachliche Bestimmung eines beobachteten Ereignisses als Information über die ‚Umwelt‘, z.B. zahlungsrelevantes oder irrelevantes ‚Umweltereignis‘… soziale Zurechnung eines beobachteten Ereignisses auf eine Attributionsadresse in der ‚Umwelt‘…

… an das mit eigenen Zahlungen angeschlossen oder nicht angeschlossen werden kann.

temporale Lokalisierung eines beobachteten ‚Umweltereignisses‘ in der (reversiblen/irreversiblen) Vergangenheit oder (riskanten/gefährlichen) Zukunft…

… auf das gegenwärtig (noch/schon) eingewirkt oder nicht eingewirkt werden kann.

… für das eigene Adressen zuständig oder nicht zuständig sein können.

Quelle: eigene Darstellung

Die Irritabilität eines Systems – dessen strukturelle Disposition ‚Umweltereignisse‘ als Irritationen zu registrieren – hängt von der Komplexität, das heißt dem Umfang und der Ausdifferenziertheit derjenigen Erwartungsstrukturen ab, die es im Hinblick auf die sachliche, soziale und temporale Verfasstheit seiner ‚Umwelt‘ ausgebildet hat. Die allgemeine systemische Irritabilität, also das Ausmaß der überhaupt systemintern beobachtbaren Umwelt, wird in der Sachdimension von der Bandbreite der in den Programmen verankerten Themen, in der Sozialdimension von der Anzahl der in den Umweltbeschreibungen berücksichtigten Attributionsadressen und in der Zeitdimension von der Weite der systemischen Zeithorizonte bestimmt. Da die systemischen Programme, Umweltbeschreibungen und Zeithorizonte nicht gleichförmig ausgestaltet sind, sondern sich stets auf bestimmte, besonders wichtige Bereiche konzentrieren, unterscheidet sich die Tiefenschärfe, in der ein System seine ‚Umwelt‘ beobachten kann – und damit dessen spezifische Irritabilität – in der Sachdimension von Umweltaspekt zu Umweltaspekt in der Sozialdimension von Umweltbereich zu Umweltbereich und in der Zeitdimension von Zeitpunkt zu Zeitpunkt. Als besonders

3. Die Konzeptualisierung systemischer Resonanz | 123

irritabel erweisen sich die gesellschaftlichen Funktionssysteme dabei im Hinblick auf diejenigen Umweltbereiche, zu denen sie strukturelle Kopplungen ausgebildet haben. Abbildung 9: Die Strukturierung funktionssystemischer Irritabilität

Quelle: eigene Darstellung

Zusammenfassend gilt daher: Je umfangreicher beziehungsweise ausdifferenzierter die systemischen Programme, Umweltbeschreibungen und Zeithorizonte des Systems, desto höher dessen Irritabilität, das heißt desto wahrscheinlicher ist es, dass ein System überraschende ‚Umweltereignisse‘ anhand seiner Erwartungen als Abweichungen registrieren und als ‚umweltinduzierte‘ Irritationen verstehen kann. Die Reagibilität eines Systems – dessen strukturelle Disposition, mit eigenem Handeln an beobachtete ‚Umweltereignisse‘ anzuschließen, anstatt sie lediglich erlebend hinzunehmen – wird in der Sachdimension von dessen symbolisch generalisiertem Kommunikationsmedien strukturiert. Dieses konditioniert sein System darauf, entweder handelnd oder erlebend an beobachtete ‚Umweltereignisse‘ anzuschließen. In der Sozialdimension hängt die Reagibilität eines Systems davon ab, in welchem Maße es sich selbst als für seine ‚Umwelt‘ zuständig beziehungsweise als von seiner ‚Umwelt‘ abhängig betrachtet. In der Zeitdimension wird die systemische Reagibilität wiederum von der durch die systemischen Kausalitätsvorstellungen vorgezeichneten Weite der für das System gegenwärtig handlungsrelevanten Zeithorizonte bestimmt. Diese stecken die temporalen Grenzen der durch gegenwärtiges systemisches Handeln grundsätzlich beeinflussbaren reversiblen Vergangenheit beziehungsweise riskanten Zukunft ab. Ob sich ein System dabei stärker auf seine reversible Vergangenheit oder seine riskante Zukunft konzentriert, hängt von der Art seiner Entscheidungsprogramme ab: primär zweckprogrammierte Systeme sind in ihrem Handeln eher zukunftsaffin, primär konditionalprogrammierte Systeme stärker vergangenheitsaffin ausgerichtet. Als besonders reagibel erweisen sich soziale Systeme wiederum im Hinblick auf diejenigen ‚Umweltbereiche‘, zu denen sie strukturelle Kopplungen ausgebildet haben. Denn hier verfügen sie über spezifische Auffangstruktu-

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ren, die konkrete Reaktionsmöglichkeiten auf irritative ‚Umweltereignisse‘ vorzeichnen und ihnen dadurch den Umgang mit diesen Irritationen erleichtern. Abbildung 10: Die Strukturierung funktionssystemischer Reagibilität

Quelle: eigene Darstellung

Die Lernfähigkeit gesellschaftlicher Funktionssysteme – deren strukturelle Disposition die eigenen Erwartungsstrukturen aufgrund von irritierenden ‚Umweltereignissen‘ anzupassen – hängt wesentlich davon ab, ob es sich bei den jeweils enttäuschten Erwartungen um normativ oder kognitiv modalisierte Strukturen handelt. Während Enttäuschungen im Rahmen kognitiver Erwartungen typischerweise durch eine Korrektur, also eine Anpassung der Erwartungen an den Enttäuschungsfall verarbeitet werden, führt die Enttäuschung normativer Erwartungen in der Regel nicht zu einer Anpassung der enttäuschten Erwartungen, sondern zu einer Externalisierung der Enttäuschung auf die ‚Umwelt‘. Das Zustandekommen systemischer Resonanz im Sinne einer ‚umweltinduzierten‘ Anpassung systemischer Erwartungen ist demnach umso wahrscheinlicher, je stärker sich das System in der Sachdimension auf kognitiv ausgerichtete Programme, in der Sozialdimension auf kognitiv stilisierten Vorstellungen wechselseitiger System/Umweltbeziehungen und in der Zeitdimension auf kognitivtechnologische Zukunftsvorstellungen stützt. Darüber hinaus ist zu bemerken, dass die soziale Lernfähigkeit – ebenso wie die soziale Irritabilität und Reagibilität – im Kontext struktureller Kopplungen besonders stark ausgeprägt ist. Denn die mit den jeweiligen Kopplungsadressen verknüpften Auffangstrukturen etablieren für ihren ‚Umweltbereich‘ zum einen die grundsätzliche Notwendigkeit ‚umweltinduzierter‘ Strukturanpassungen im Irritationsfall und zeichnen zum anderen bereits routinierte Wege für die operative Umsetzung solcher Strukturanpassungen vor.

3. Die Konzeptualisierung systemischer Resonanz | 125

Abbildung 11: Die Strukturierung funktionssystemischer Lernfähigkeit

Quelle: eigene Darstellung

Im Hinblick auf die (relative) Resonanzfähigkeit der Funktionssysteme der modernen Gesellschaft erlauben die diskutierten Ansätze zum Teil erste tentative Hypothesen: Aufgrund ihrer im gesellschaftsweiten Vergleich relativ weiten Zeithorizonte erweisen sich etwa das Wissenschaftssystem sowie das System der Intimbeziehungen, vor allem im Verhältnis zu den recht kurzfristig ausgerichteten Systemen der Wirtschaft und der Politik als temporal besonders irritabel. Im Hinblick auf die relative sachliche oder soziale Irritabilität der gesellschaftlichen Funktionssysteme lassen sich dagegen auf der Basis von Luhmanns eigenen Ausführungen beziehungsweise der an ihn anschließenden Literatur bis dato keine gesellschaftsweiten Vergleiche anstellen. Die funktionssystemische Reagibilität wiederum ist in der Sachdimension besonders ausgeprägt im politischen System, im Rechtssystem, im System der Intimbeziehungen sowie – im Hinblick auf direkte Transaktionspartner – im Wirtschaftssystem. In der Sozialdimension erweist sich wiederum insbesondere das politische System, das sich für seine gesellschaftliche Umwelt im hohen Maße verantwortlich sieht, als sehr reagibel, während sich das Wirtschaftssystem durch eine relativ stark ausgeprägte Haltung der ‚legitimen Indifferenz‘ gegenüber seiner ‚Umwelt‘ auszeichnet. Bezüglich der temporalen Reagibilität lässt sich festhalten, dass diese im vornehmlich konditionalprogrammierten Rechtssystem stark auf die Vergangenheit und im primär zweckprogrammierten Wirtschaftssystem vor allem auf die Zukunft ausgerichtet ist. Als sowohl in der Sach- als auch in der Zeitdimension gesellschaftsweit lernfähigstes System konnte wiederum die mit mehrheitlich kognitiv modalisierten Erwartungen operierende Wissenschaft ausgemacht werden. Am lernunfähigsten erscheint dagegen das vornehmlich normativ programmierte Rechtssystem. Diese ersten und ausschließlich theoriegeleiteten Charakterisierungen der (relativen) Resonanzfähigkeit der gesellschaftlichen Funktionssysteme sind recht pauschal gehalten und sollten daher insbesondere in ihrer empirischen Aussagekraft nicht

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überschätzt werden. Ihr heuristischer Wert besteht an dieser Stelle vornehmlich darin, dass sie nochmals verdeutlichen, auf welche Weise die in diesem Abschnitt vorgenommenen analytischen Differenzierungen dazu beitragen, die Resonanzfähigkeit gesellschaftlicher Funktionssysteme in ihrer Vielschichtigkeit abbilden und deren vielfältigen empirischen Ausprägungen systematisch erfassen zu können.

3.3 KONZEPTUALISIERUNG DER ZWEITEN DIMENSION SYSTEMISCHER RESONANZ: RESONANZEN Nachdem mit der ersten Dimension systemischer Resonanz, der Resonanzfähigkeit, die strukturellen Voraussetzungen des systemischen Umweltbezugs näher beleuchtet wurden, wird der Blick mit der zweiten Dimension des Resonanzkonzepts, den Resonanzen, nun auf die möglichen Effekte solcher ‚Umweltbeobachtungen‘ auf die Erwartungsstrukturen des Systems gelenkt. Resonanz kommt immer dann zustande, so die aus der Diskussion der Ökologischen Kommunikation gewonnene Begriffsbestimmung (vgl. Abschnitt 2.5.1), wenn ein System auf ein beobachtetes ‚Umweltereignis‘ mit einer Anpassung der eigenen Erwartungsstrukturen reagiert und seine eigene Perspektive auf die ‚Umwelt‘ dadurch relativ dauerhaft – das heißt über den operativen Moment hinaus – verändert. Als Resonanzen sind also all jene Fälle zu verstehen, in denen die operative Prozessierung von ‚Umweltereignissen‘ – das systemische Resonieren – zu einem „strukturellen Drift“ (Vogd 2011: 107), einer „Transformation“ der die systemischen Umweltbeobachtungen leitenden „aktuelle[n] Unterscheidungen und Bezeichnungen“ (Luhmann 1997: 95) führt. Wie in Auseinandersetzung mit Luhmanns Ausführungen bereits gezeigt wurde (vgl. Abschnitt 2.5.2), können solche ‚umweltinduzierten‘ Strukturtransformationen zum einen auf unterschiedlichen Ebenen – mittels verschiedener Formen von Resonanz – realisiert werden. Zum anderen können Resonanzen den Blick und den Umgang eines Systems auf beziehungsweise mit seiner ‚Umwelt‘ in unterschiedlichem Ausmaß verändern, also mit unterschiedlichen Graden von Resonanz verbunden sein.181 Eine systematische Konzeptualisierung der damit angesprochenen „breit gefächerte[n], alternativenreiche[n] Möglichkeiten“, die einem System zur „Reaktion auf Umweltanstöße“ (Luhmann 2008: 81) zur Verfügung stehen, bleibt Luhmann in der Ökologischen Kommunikation jedoch weitestgehend schuldig. Die folgenden Ausführungen versuchen diese konzeptionelle Leerstelle zu füllen, indem im Anschluss an Luhmanns Ausführungen sowie unter Rückgriff auf neuere systemtheoretische Ansätze und den in Abschnitt 3.1 entwickelten analytischen Zugang zur Verfasstheit und Änderbarkeit systemischer Erwartungsstrukturen eine analytische Kategorisierung sowohl verschiedener Resonanzformen (Abschnitt 3.3.1) als auch Resonanzgrade (Abschnitt 3.3.2) vorgenommen wird.

181 Für eine ähnliche Differenzierung zwischen der „Form und d[em] Ausmaß der Responsivität“ sozialer Systeme – in diesem Fall des Wissenschaftssystems – vgl. Kaldewey et al. (2015: 9).

3. Die Konzeptualisierung systemischer Resonanz | 127

Abbildung 12: Hervorhebung der zweiten Dimension systemischer Resonanz: Resonanzen

Quelle: eigene Darstellung

128 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

3.3.1 Analytische Kategorisierung systemischer Resonanzformen Im Hinblick auf die analytische Systematisierung unterschiedlicher Formen systemischer Resonanzen beschränken sich Luhmanns theoretisch-konzeptionelle Ausführungen in der Ökologischen Kommunikation allein auf den ‚Prototyp‘ der codebezogenen Umprogrammierung: der Anpassung der insbesondere in der Sachdimension wirkenden Programme, die als Attributionsregeln des funktionssystemkonstitutiven Attributionsschemas der binären Codes fungieren (vgl. Abschnitt 2.5.2). Um diese implizite Reduktion des mannigfaltigen Phänomens ‚umweltinduzierter‘ Strukturtransformationen auf lediglich einen spezifischen Fall der strukturellen „Reorganisation eines Systems“ (Stäheli 1996: 274) aufzubrechen, wurde bereits in Kapitel 2 vorgeschlagen den analytischen Blick in zwei Richtungen, nämlich erstens auf die Anpassung der Attributionsregeln anderer Attributionsschemata und zweitens auf die Veränderung der einem System zur Verfügung stehenden nicht-systemkonstitutiven Attributionsschemata auszuweiten. Unter Rückgriff auf den in Abschnitt 3.1. entwickelten analytischen Zugriff auf die Verfasstheit und Änderbarkeit systemischer Erwartungsstrukturen sowie unter Zuhilfenahme neuerer systemtheoretischer Ansätze kann dieser erste tentative Vorschlag zur Differenzierung verschiedener Formen systemischer Resonanzen nun weiter ausbuchstabiert werden. Auf der strukturellen Ebene lässt sich dabei, wie im Folgenden erläutert wird, eine Differenzierung zwischen kategorialen und konnotativen Resonanzen vornehmen. Als kategoriale Resonanzen werden all jene ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassungen bezeichnet, die die Ebene der systemischen Attributionsschemata betreffen und daher mit der Emergenz neuer systeminterner Kategorisierungs- oder Bezeichnungsmöglichkeiten verbunden sind. Die Bezeichnung konnotative Resonanzen bezieht sich dagegen auf diejenigen ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassungen, die die Attributionsregeln ihres Systems verändern und auf diese Weise die Re-Definition der Bedeutung beziehungsweise Prozessierung bereits bestehender Bezeichnungen ermöglichen.182 Quer zu dieser strukturbezogenen Verortung systemischer Resonanzformen steht deren Kategorisierung entlang der drei Sinndimensionen: der Sach-, Sozial- und Zeitdimension. Je nachdem, in welcher Sinndimension die jeweils angepassten Erwartungsstrukturen wirken, kann zwischen sachlichen, sozialen und temporalen Resonanzen unterschieden werden. Angesichts der in der Ökologischen Kommunikation immer wieder anklingenden Warnungen vor „[z]u wenig“ oder „zu viel Resonanz“ (Luhmann 2008: 143), muss auf einer dritten Analyseebene auch danach gefragt werden, welche Formen systemischer Resonanzen sich im Hinblick auf deren operative Effekte identifizieren lassen. Diesbezüglich wird vorgeschlagen, auf der Ebene des die Anpassung vollziehenden Systems selbst zwischen funktionalen und dysfunktionalen Resonanzen und auf der Ebene der Gesamtgesellschaft zwischen integrativen und desintegrativen Resonanzen zu differenzieren.

182 Für eine ähnliche Differenzierung verschiedener Formen von „conceptual shifts“ vgl. Akerstrom Andersen (2010b: 167).

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Strukturbezogene Kategorisierung ‚umweltinduzierter‘ Strukturanpassungen: kategoriale und konnotative Resonanzen Im Rahmen der Auseinandersetzung mit der strukturellen Verfasstheit systemischer Erwartungsstrukturen wurde in Abschnitt 3.1.1 zwischen Attributionsschemata und Attributionsregeln unterschieden (vgl. Abbildung 3). Systemische Resonanzen können auf beiden Strukturebenen vollzogen werden, also sowohl in der ‚umweltinduzierten‘ Anpassung der Attributionsschemata als auch der Attributionsregeln bestehen. Welche Anpassungsstrategien in einem System hierbei zur Verfügung stehen und auf welche Weise diese die systemische Beobachterperspektive verändern, wird im Folgenden, zunächst für die Ebene der Attributionsschemata und dann für die Ebene der Attributionsregeln, dargestellt. ‚Umweltinduzierte‘ Anpassung der Attributionsschemata: Kategoriale Resonanzen Der Begriff der Attributionsschemata bezieht sich auf die beobachtungsleitenden, typischerweise binären Unterscheidungen, mittels derer sich ein System in die Lage versetzt, etwas ‚als Etwas‘ (und damit immer auch: im Unterschied zu ‚etwas Anderem‘) zu bezeichnen. Attributionsschemata dienen folglich der Kategorisierung beobachteter Ereignisse – etwa als ‚System-‘ oder ‚Umweltereignisse‘ – in einem operativ geschlossenen System. 183 Wie bereits erläutert, operieren die hochkomplexen Funktionssysteme der modernen Gesellschaft mit einer Vielzahl verschiedener Attributionsschemata (vgl. Abschnitt 3.1.1). Einige, besonders grundlegende Schemata, von denen die Existenz beziehungsweise die Resonanzfähigkeit der gesellschaftlichen Funktionssysteme abhängt, müssen in dieser Arbeit, deren Fragestellung von der sozialen Wirkmächtigkeit der funktionalen Differenzierung der modernen Gesellschaft in verschiedene Funktionssysteme sowie deren grundsätzlicher Befähigung zum Umweltbezug ausgeht, als theoretisch gesetzt betrachtet werden. Dies betrifft, wie in Abschnitt 3.2 näher erläutert, die Attributionsschemata der binären Codes sowie die beobachtungsleitenden Unterscheidungen ‚System/Umwelt‘ und ‚Vergangenheit/Zukunft‘. Diese drei Attributionsschemata werden im Folgenden als operativ unveränderbare Unterscheidungen behandelt, die – auf der Ebene der beobachtungsleitenden Kategorien 184 – zumindest kurz- bis mittelfristig nicht zum Gegenstand systemischer Resonanzen werden können. Denn obwohl selbst diese grundlegenden Schemata natürlich keine zeitlich invarianten, sondern historisch gewachsene Unterscheidungen sind, die ebenso wie alle anderen Erwartungsstrukturen sozialer Systeme vergessen werden oder ‚umweltinduzierten‘ Anpassungen unterliegen können,185 würde ihre Abänderung

183 Mölders (2011: 87, 116) spricht in diesem Zusammenhang von „Inhaltsschemata“. 184 Wohlgemerkt: die das Schema konstituierenden Beobachtungskategorien – die Bezeichnungen der beiden Seiten des jeweiligen Schemas – werden als invariant verstanden. Nicht aber deren genaue Bedeutung, die auf der Ebene der Attributionsregeln festgelegt beziehungsweise angepasst wird. 185 Dies wird besonders in Luhmanns Darstellungen der Ausdifferenzierung der Gesellschaft durch die evolutionäre Herausbildung und Stabilisierung funktionssystemischer Logiken,

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den Charakter der gesellschaftlichen Funktionssysteme, und dadurch mittelbar auch die primäre Differenzierungsform der modernen Gesellschaft, so tiefgreifend verändern, dass die Fragestellung dieser Arbeit als obsolet betrachtet werden müsste. Über diese drei basalen Schemata hinaus, verfügen die gesellschaftlichen Funktionssysteme jedoch über zahlreiche weitere Attributionsschemata zur Umweltbeobachtung, die im Rahmen der operativen Prozessierung ‚umweltinduzierter‘ Irritationen durchaus abgewandelt beziehungsweise durch neue Schemata ergänzt werden können, ohne dass dies die Existenz oder die Resonanzfähigkeit des jeweiligen Systems grundlegend infrage stellen würde. In Bezug auf ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassungen solcher weder system- noch resonanzkonstitutiven Attributionsschemata verfügen die gesellschaftlichen Funktionssysteme über zwei grundlegende Optionen. Erstens können sie bereits bestehende Attributionsschemata durch einen „Gegenbegriffstausch“ (Luhmann 2000a: 295; vgl. auch Luhmann 1991f: 69–70) abändern, indem sie die Bezeichnung einer Seite der jeweiligen beobachtungsleitenden Unterscheidung durch eine neue Bezeichnung ersetzen und auf diese Weise gleichsam die (relationale) Bedeutung beider Seiten der betreffenden Unterscheidung verändern (Luhmann 1991f: 70). So ist beispielsweise, wie Luhmann (1996c: 318) nachzeichnet, „[w]enn von Natur gesprochen wird, […] die andere Seite unter heutigen Bedingungen nicht mehr Gnade, sondern Technik, eventuell Zivilisation“. Diese „Auswechslung“ der beobachtungsleitenden „Code-Antonyme[.]“ (Stäheli 1996: 274) führt sowohl zu einer neuen Möglichkeit der systeminternen Bezeichnung von ‚etwas‘ als ‚Technik‘ beziehungsweise ‚Zivilisation‘, als auch zu einem abgewandelten Verständnis dessen, was mit ‚Natur‘ – jetzt eben nicht mehr im Unterschied zu ‚Gnade‘, sondern im Unterschied zu ‚Technik‘ bzw. ‚Zivilisation‘ – gemeint ist.186 Zweitens können Systeme auch gänzlich neue Attributionsschemata entwickeln, die die bereits bestehenden Unterscheidungen entweder ergänzen oder – im Sinne einer „Formsubstitution“, also dem „Auswechseln von Unterscheidungen, mit denen gearbeitet wird“ (Luhmann 1995a: 109; vgl. auch Stäheli 1996: 247) – ersetzen.187

symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien und Codes deutlich (vgl. z.B. Luhmann 1997: 316–332, 408–412; für einen Überblick vgl. Schützeichel 2007: 264–266). 186 Ein weiteres Beispiel für die Konsequenzen solcher strukturellen „Gegenbegriffsauswechselungen (antonym substitutions)“ erläutert Luhmann (Luhmann 1991f: 69–70, Hervorhebung i.O.) an anderer Stelle wie folgt: „Was geschieht, wenn die Unterscheidung utilitas/honestas im Drehpunkt des Nutzens durch die Unterscheidung nützlich/unnütz (oder schädlich) ersetzt wird und mit dieser Wende Adel und vor allem Mönchstum auf die Seite des Unnützen geraten? […] Offensichtlich koloriert der Gegenbegriff die Seite der Unterscheidung, die im Zentrum der Aufmerksamkeit steht“. Zur Auffassung solcher „Antonymsubstitution[en]“ als systemischer beziehungsweise gesellschaftlicher Wandel vgl. Stichweh (2010: 25) sowie Akerstrom Andersen (2010b: 167). 187 Während die Ausbildung neuer Bezeichnungen auf der Ebene der Selektion, der strukturellen Stabilisierung einer irritationsinduzierten operativen Innovation stattfindet, wird die Frage, ob ein bereits bestehendes Attributionsschema durch ein neues, positiv selegiertes Schema ergänzt oder ersetzt wird, im Verlauf der Restabilisierung entschieden: Sofern das neue Schema mit dem bereits bestehenden alten Schema strukturell kompati-

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Auch diese Art der Strukturanpassung stattet das jeweilige System mit alternativen Bezeichnungs- und Unterscheidungsoptionen aus. Wie Luhmann (2008: 113; vgl. auch Abschnitt 2.5.2) bereits in der Ökologischen Kommunikation aufzeigt, werden etwa die dem politischen System zur Kategorisierung politischer Regierungsprogramme zur Verfügung stehenden Möglichkeiten durch die operative Herausbildung des neuen Schemas ‚restriktives/expansives Staatsverständnis‘ über die traditionelle Beobachtungsform ‚konservativer/progressiver‘ Programmatiken hinaus erweitert. Abbildung 13: Kategoriale Resonanzen: Strukturanpassungen auf der Ebene der Attributionsschemata

Quelle: eigene Darstellung

Das Wirtschaftssystem wiederum hat den Beobachterfokus seiner Reflexionstheorien im Laufe seines systemischen Operierens bereits mehrfach, beispielsweise von „reich/arm“ über „Kapital/Arbeit“ hin zu „Investition/Konsum“ „ausgewechselt“ (Luhmann 1984: 325). Die folgende Abbildung 13 fasst diese verschiedenen Varianten von auf der Ebene der Attributionsschemata realisierbaren Resonanzformen schematisch zusammen. Wie diese Beispiele aufzeigen, besteht der Struktureffekt von auf der Ebene der systemischen Attributionsschemata vollzogenen Resonanzen stets in einer Abänderung beziehungsweise Erweiterung der einem System zur Verfügung stehenden Bezeichnungs- oder Beobachtungskategorien: Sie versetzen das betreffende System in die Lage, ‚Umweltereignisse‘ als ‚etwas Neues‘ (in Differenz zu ‚etwas anderem (Neuen)‘) zu kategorisieren. Aus diesem Grund werden ‚umweltinduzierte‘ Anpas-

bel ist, können diese gleichzeitig nebeneinander bestehen (Formergänzung), ohne dass es zu systeminternen Widersprüchlichkeiten kommt. Sind sie dagegen strukturell inkompatibel und fällt diese zunächst operativ latente strukturelle Inkompatibilität im systemischen Resonieren auf, indem sie Konflikte produziert, kann es zu einer Formsubstitution kommen, sofern sich die neue Erwartung gegen die alte als richtige Unterscheidung systemintern durchsetzt (Hierarchisierungslösung). Zu den Prozessen der Selektion und der Restabilisierung systemischer Resonanzen vgl. Abschnitte 3.4.2 und 3.4.3.

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sungen systemischer Attributionsschemata im Rahmen dieser Arbeit als kategoriale Resonanzen bezeichnet. ‚Umweltinduzierte‘ Anpassung der Attributionsregeln: Konnotative Resonanzen Wie bereits erwähnt, können Resonanzen nicht nur die einem System auf der Ebene der Attributionsschemata bereitgestellten Zurechnungsoptionen verändern, sondern sich auch auf die Bedeutungen auswirken, die mit bereits bestehenden Bezeichnungskategorien verbunden werden. Letzteres ist der Fall, wenn ein System eine ‚umweltinduzierte‘ Anpassung seiner Attributionsregeln vornimmt. Als Attributionsregeln werden in dieser Arbeit diejenigen Erwartungsstrukturen bezeichnet, die die Kriterien für die Zuweisung bestimmter Ereignisse zu einer der beiden Seiten eines Attributionsschemas festlegen und die auf diese Weise die Bedeutung der durch das Schema erzeugten und an sich inhaltsleeren Zurechnungsoptionen konkretisieren (vgl. Abschnitt 3.1.1).188 So bestimmen etwa Methoden und Theorien als Attributionsregeln des binären Codes des Wissenschaftssystems, welche beobachteten Ereignisse retrospektiv gerichtet als ‚wahr‘ beziehungsweise ‚falsch‘ bezeichnet und prospektiv gerichtet als Grundlage weiterer Forschungen dienen oder verworfen werden können, ebenso wie es von den als Attributionsregeln des Rechtscodes fungierenden geltenden Gesetzen abhängt, welche Verhaltensweisen retrospektiv gerichtet als ‚rechtmäßig‘ oder ‚unrechtmäßig‘ verstanden und prospektiv gerichtet mit entsprechenden Rechtsfolgen versehen werden. Sofern die Systeme ihre Attributionsregeln aufgrund von irritierenden ‚Umweltereignissen‘ anpassen, kann es auch auf dieser Ebene zu systemischen Resonanzen kommen. Durch ‚umweltinduzierte‘ Anpassungen der systemischen Attributionsregeln erwerben die einem System als Attributionsschemata zur Verfügung stehenden Beobachtungskategorien ‚neue‘ Bedeutungen, die deren „‚ursprüngliche‘ Bedeutung“ entweder (teilweise) ersetzen, also eine Bedeutungsverschiebung mit sich bringen, oder sie durch das Hinzufügen „neue[r] Verwendungsmöglichkeiten“ anreichern, das heißt deren „Bedeutungsspektrum vergrößern“ können in dem Sinne, dass die „zuvor konstituierte Bedeutung komplexer wird“ (Stäheli 2000: 149, Hervorhebung H.V.).189 Wie Luhmann in der Ökologischen Kommunikation zeigt, können die gesellschaftlichen Funktionssysteme beispielsweise ihre Programme, also die die Bedeutung und Verwendung ihrer binären Codes regulierenden Attributionsregeln, durch ‚umweltinduzierte‘ Umprogrammierungen anpassen. So kann etwa das Wirtschaftssystem im

188 Mölders (2011: 87) spricht in diesem Zusammenhang, wenn auch nicht ganz deckungsgleich, sondern mit einem stärker prospektiv ausgerichteten Fokus, von „Strukturschemata“. 189 Die Herausbildung neuer Attributionsregeln findet im Rahmen der Selektion statt (vgl. Abschnitt 3.4.2). Das Verhältnis zwischen diesen neuen und den bereits bestehenden alten Attributionsregeln, also die Frage, ob letztere durch erstere ergänzt (Bedeutungserweiterung) oder ersetzt (Bedeutungsverschiebung) werden, wird dagegen beim operativen „Einbau“ der neuen Attributionsregeln in das bereits bestehende „Gefüge vorhandener Strukturen“ (Luhmann 1997:490) – der Restabilisierung – entschieden (vgl. Abschnitt 3.4.3).

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Anschluss an einen ökologisch motivierten „Wertewandel“ (Luhmann 2008: 79) seiner Kunden, retrospektiv gerichtet, sein Verständnis zahlungsrelevanter Kosten auf neue Kostenformen, wie etwa ‚umweltbezogene‘ Reputationskosten, ausweiten, um dann, prospektiv gerichtet, die eigenen Aktivitäten durch die Erschließung „neue[r] Märkte“ (Luhmann 2008: 75) auf ökologisch unbedenklichere und für die eigene Reputation weniger riskante „Verdienstmöglichkeiten“ (Luhmann 2008: 75) zu verlagern.190 Ebenso kann das politische System vormals kaum berücksichtigte Umweltfragen, retrospektiv gerichtet, als zunehmend machtrelevante Themen behandeln, denen es, prospektiv gerichtet, durch ökologisch motivierte Gesetzesänderungen oder „langfristige Umweltprogramme“ (Luhmann 2008: 118) zu begegnen versucht (vgl. hierzu auch Abschnitt 2.5.2). In beiden Fällen werden die systemischen Programme und die durch diese angeleiteten binären Codes, retrospektiv gerichtet, durch neue Bedeutungen des Macht- oder Zahlungsrelevanten sowie, prospektiv gerichtet, durch neue Umgangsstrategien mit solchen neuerdings zahlungs- oder machtrelevanten Ereignissen angereichert. In der folgenden Abbildung 14 werden diese verschiedenen Varianten von auf der Ebene der Attributionsregeln realisierbaren Strukturanpassungen schematisch dargestellt. Der Struktureffekt dieser zweiten, auf der Ebene der systemischen Attributionsregeln angesiedelten Formen systemischer Resonanzen besteht folglich nicht in der Veränderung der systemisch verfügbaren Beobachtungskategorien selbst, sondern in der relativ „unauffälligere[n] Re-Definition“ (Stäheli 1996: 274) dessen, was mit diesen Kategorien jeweils gemeint ist. Bei Resonanzen, die die Ebene der systemischen Attributionsregeln betreffen, geht es also stets um die ‚umweltinduzierte‘ Abänderung oder Erweiterung dessen, was innerhalb bereits bestehender Kategorien als ein Fall von ‚etwas‘ (im Unterschied zu ‚etwas anderem‘) bezeichnet und operativ weiter prozessiert werden kann. Durch eine ‚umweltinduzierte‘ Anpassung der systemischen Attributionsregeln können demnach zwar keine neuen Beobachtungskategorien oder Bezeichnungen, wohl aber neue Bedeutungen oder Konnotationen emergieren. Daher werden diese Resonanzformen in der vorliegenden Arbeit als konnotative Resonanzen bezeichnet. Je nachdem, in welche operative Richtung die neuen Attributionsregeln wirken, kann dabei nochmals zwischen retrospektiven und prospektiven konnotativen Resonanzen differenziert werden. Retrospektive konnotative Resonan-

190 Diesen Prozess zeichnet auch Melde (2012: 228–229) in seiner Untersuchung der wirtschaftlichen Resonanz auf gesellschaftliche Nachhaltigkeitssemantiken nach: „Ökologische und gesellschaftliche Kosten, die das Wirtschaftssystem in seiner Umwelt erzeugt, wurden bislang innerhalb des Wirtschaftssystems kaum durch Preise abgebildet. Das ändert sich: Emissionsrechte werden versteigert und gehandelt, Unternehmen beginnen ihre externalisierten Kosten in ihre Bilanzen zu internalisieren und Investitionsentscheidungen nach Nachhaltigkeitskriterien zu treffen. Das bedeutet nicht, dass ökonomische Rationalität nicht mehr Gewinn- oder Nutzenmaximierung bedeutet. Es zeigt aber, dass Informationen über das Verhältnis von System und Umwelt für die Einlösung dieser Rationalität relevant werden. […] Mit der wachsenden erwartungsbildenden Substanz der Nachhaltigkeitssemantik wird Corporate Responsibility und der dokumentierbare Umgang von Unternehmen mit den Selbstgefährdungen der modernen Gesellschaft zum relevanten Wettbewerbsfaktor im Wirtschaftssystem.“

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zen betreffen das systemische Verstehen und zeichnen sich durch eine Veränderung der Bedeutungsmöglichkeiten der im Rahmen eines bestimmten Attributionsschemas verorteten ‚Umweltereignisse‘ aus. Prospektive konnotative Resonanzen wirken dagegen auf die Art des systemischen Anschließens an solche beobachteten Ereignisse, indem sie die einem System im weiteren Umgang mit bestimmten Beobachtungen von ‚etwas‘ zur Verfügung stehenden Möglichkeiten abändern oder erweitern (für eine schematische Darstellung der retrospektiv und prospektiv gerichteten Rekursivität systemischer Erwartungsstrukturen vgl. Abbildung 4). Abbildung 14: Konnotative Resonanzen: Strukturanpassungen auf der Ebene der Attributionsregeln

Quelle: eigene Darstellung

Ebenso wie im Falle der auf der Ebene der systemischen Attributionsschemata selbst vollzogenen kategorialen Resonanzen, beschränken sich auch die die Ebene der Attributionsregeln betreffenden konnotativen Resonanzen nicht allein auf die hier beispielhaft angeführten Attributionsregeln der systemischen Programme. Resonanzen können sowohl verschiedene Attributionsschemata als auch Attributionsregeln betreffen und auf diese Weise die Beobachterperspektive ihres Systems in allen drei Sinndimensionen – der Sach-, Sozial- und Zeitdimension – verändern. Dies wird deutlich, wenn man zusätzlich zu der auf die strukturelle Verortung systemischer Strukturanpassungen bezogenen Unterscheidung von kategorialen und konnotativen Resonanzen auch die Sinndimension, in der solche Resonanzen jeweils wirken, in den Blick nimmt. Auf dieser, zur Frage der strukturellen Verfasstheit systemischer Resonanzen gewissermaßen quer liegenden Ebene, kann – wie im folgenden Abschnitt erläutert wird – zwischen sachlichen, sozialen und temporalen Resonanzen differenziert werden.

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Sinnbezogene Kategorisierung ‚umweltinduzierter‘ Strukturanpassungen: sachliche, soziale und temporale Resonanzen Um ein beobachtetes ‚Umweltereignis‘ verstehen und mit eigenen Operationen verknüpfen zu können, müssen soziale Systeme den Sinn dieses Ereignisses unter Rückgriff auf ihre Erwartungsstrukturen in allen drei Sinndimensionen – der Sach-, Sozial- und Zeitdimension von Sinn – grundlegend bestimmen (vgl. Abschnitt 3.1.1). Hierzu verfügen insbesondere die hochkomplexen gesellschaftlichen Funktionssysteme über eine Vielzahl unterschiedlicher Attributionsschemata und -regeln. In der Sachdimension muss ein System, retrospektiv gerichtet, identifizieren, um ‚was‘ es sich bei einem beobachteten Ereignis handelt sowie prospektiv festlegen, was als angemessene ‚Reaktion‘ auf dieses Ereignis in Frage kommt. Das basale und zugleich systemkonstitutive Attributionsschema, auf das sich jede sachliche Bestimmung des Sinns eines beobachteten Ereignisses in den gesellschaftlichen Funktionssystemen gründet, ist deren jeweiliger binärer Code (vgl. Abschnitt 3.2.1). Darüber hinaus operieren die gesellschaftlichen Funktionssysteme mit einer Reihe weiterer sachbezogener Attributionsschemata, beispielsweise mit Unterscheidungen wie „nachhaltig/nicht-nachhaltig“ (Melde 2012: 226), „Demokratie/Diktatur“ (Luhmann 1995a: 109), „nützlich/schädlich“ (Luhmann 2008: 150) oder „‚liberal‘/‚sozial‘“ (Kuhn 2014: 28, 32), die den sachlichen Sinn eines beobachteten Ereignisses über dessen Zuweisung zu einer der beiden Seiten des binären Codes hinaus weiter konkretisieren. In der Sozialdimension wird wiederum festgelegt, ‚wem‘ ein bestimmtes Ereignis als handelnde oder erlebende Attributionsadresse, retrospektiv gerichtet, zuzuschreiben ist und ‚durch wen‘ eine an dieses Ereignis anschließende Entgegnung vorzunehmen wäre. Das Attributionsschema, das grundlegende Zurechnungen in der Sozialdimension ermöglicht, ist die Unterscheidung von Selbst- und Fremdreferenz beziehungsweise von ‚System‘ und ‚Umwelt‘ (vgl. Abschnitt 3.2.2). Zusätzlich dazu verfügen die gesellschaftlichen Funktionssysteme über eine Vielzahl weiterer Schemata zur sozialen Differenzierung und Charakterisierung ihrer Attributionsadressen, wie beispielsweise „gleich/ungleich“ (Fuchs 1999: 78), „Selbstverantwortung/ Fremdverantwortung“ (Kuhn 2014: 354), „Produzent/Profiteur“ (Kuhn 2014: 374) oder „dazugehörig/nicht dazugehörig“ (Fuchs 1999: 69). In der Zeitdimension gilt es dagegen zum einen, retrospektiv gerichtet, den ‚Zeitpunkt‘ zu selegieren, an dem das jeweils beobachtete Ereignis stattgefunden hat beziehungsweise stattfinden wird, und zum anderen, prospektiv gerichtet, zu bestimmen, ‚wann‘ eine Entgegnung auf dieses Ereignis geboten ist. Das temporale Attributionsschema, das die Zeitdimension als systemischen Zurechnungshorizont von Sinn aufspannt, ist die Unterscheidung von Vergangenheit/Zukunft (vgl. Abschnitt 3.2.3). Über dieses basale Schema hinaus, wird der temporale Sinn eines beobachteten Ereignis durch etliche weitere Zurechnungsoptionen, etwa durch Unterscheidungen wie „früher/später“ (Fuchs 1999: 118), „schnell/langsam“ (Luhmann 2008: 150), „erwünschte[.]/nicht-erwünschte[.] Zukunft“ (Fuchs 1999: 87) oder „veränderlich/konstant“ (Luhmann 2005a: 47) bestimmt. Ebenso wie irritative ‚Umweltereignisse‘ in jeder dieser drei Sinndimensionen – etwa in der Form unerwarteter Themen, überraschender Attributionsadressen oder außergewöhnlicher Zeitpunkte – anfallen können, kann ein System auch seine Beobachterperspektive im Hinblick auf jede dieser drei Sinndimensionen anpassen.

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Dementsprechend kann auf analytischer Ebene zwischen sachlichen, sozialen und temporalen Resonanzen unterschieden werden. Als sachliche Resonanzen werden all jene ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassungen bezeichnet, die die Beobachterperspektive ihres Systems verändern, indem sie entweder – in der Form kategorialer sachlicher Resonanzen – neue Themen auf dem Systembildschirm etablieren oder – in der Form konnotativer sachlicher Resonanzen – die Bedeutungs- und Prozessierungsmöglichkeiten von bereits als relevant erachteten Themen verändern. Soziale Resonanzen verändern die Beobachterperspektive ihres Systems, indem sie entweder – in der Form kategorialer sozialer Resonanzen – dessen System- und Umweltbeschreibungen durch neue Attributionsadressen anreichern oder – in der Form konnotativer sozialer Resonanzen – die in Bezug auf bereits systemintern inkludierte Attributionsadressen ausgebildeten ‚Erwartungsbündel‘ anpassen beziehungsweise weiter ausdifferenzieren.191 Als temporale Resonanzen können wiederum all jene ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassungen kategorisiert werden, die die Beobachterperspektive ihres Systems dadurch verändern, dass sie entweder – als kategoriale temporale Resonanzen – neue Zeitpunkte in Zukunft beziehungsweise Vergangenheit beobachtbar werden lassen und dabei gegebenenfalls auch die systemintern als (handlungs-)relevant betrachteten Zeithorizonte weiter ausdehnen, oder – als konnotative temporale Resonanzen – die dem System in Bezug auf bereits als relevant betrachtete Zeitpunkte zur Verfügung stehenden Beobachtungs- und Anschlussmöglichkeiten abändern oder erweitern. Je nachdem, auf welcher Sinnebene Resonanzen vollzogen werden, statten sie ihre jeweiligen Systeme folglich in sachlicher, temporaler oder sozialer Hinsicht entweder mit neuen oder tiefenschärferen Möglichkeiten zur ‚Umweltbeobachtung‘ aus. Operative Kategorisierung ‚umweltinduzierter‘ Strukturanpassungen: funktionale und dysfunktionale sowie integrative und desintegrative Resonanzen Angesichts der in der Ökologischen Kommunikation immer wieder anklingenden Warnungen vor den potentiell katastrophalen gesellschaftlichen Folgen systemischer Resonanzen (vgl. Abschnitt 2.5.2) gilt es zudem, die Frage der Bewertbarkeit der systeminternen beziehungsweise gesellschaftsweiten Effekte ‚umweltinduzierter‘ Strukturanpassungen zu diskutieren. Denn Resonanzen sind, wie Luhmann mehrfach betont, nicht notwendigerweise mit einer besseren Anpassung des jeweiligen Systems an seine ‚Umwelt‘ verbunden. Sie können sich immer auch als Fehlanpassungen erweisen, die sich, anstatt ihr Funktionssystem beziehungsweise die Gesellschaft als Ganze mit neuen Möglichkeiten zur Entgegnung auf in der ‚Umwelt‘ beobachtete Gefährdungen auszustatten,

191 Wie bereits bemerkt (vgl. Abschnitt 3.1), handelt es sich bei dieser an den drei Sinndimensionen orientierten Auffächerung von Erwartungsstrukturen und deren ‚umweltinduzierter‘ Anpassung um in erster Linie analytische Kategorisierungen. Im operativen Verstehen eines konkreten Ereignisses fällt dessen sachliche, temporale und soziale Deutung stets „selbdritt“ (Luhmann 1987d: 127) in der Form spezifischer „Konstellationen“ (Luhmann 1987d: 134) zusammen.

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auch selbst zu einer (weiteren) Gefährdung entwickeln können: „If a system can organize structural changes, it can increase its adaptive efficiency, but also its maladaption“ (Luhmann 1992b: 1440, Hervorhebung H.V.). Im Extremfall kann Resonanz, so Luhmann (2008: 144), sogar dazu führen, dass ein System, anstatt – wie befürchtet – „von außen zerstört zu werden, an internen Überforderungen zerspring[t]“. Bezüglich der sich an diese Feststellung anschließenden Frage, anhand welcher Kriterien (oder Attributionsregeln) unterschieden werden kann, ob es sich bei einer spezifischen ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassung um eine Verbesserung oder Verschlechterung der adaptiven Effizienz des betreffenden Systems beziehungsweise der Gesellschaft als Ganze handelt, bleiben Luhmanns Ausführungen in der Ökologischen Kommunikation allerdings recht vage. Sie deuten jedoch darauf hin, dass Luhmann seine Bewertung systemischer Resonanzen nicht auf ein bestimmtes substantielles, (system-)spezifisches Kriterium – etwa die Verbesserung oder Verschlechterung etwa der Wirtschaftlichkeit, Rechtmäßigkeit oder Umweltverträglichkeit der Gesellschaft beziehungsweise, wie seine recht polemische Kritik an der Polemik „neue[r] soziale[r] Bewegungen“ verdeutlicht (Luhmann 2008: 149–155),192 auf irgendeine Form der „moralische[n] Bewertung“ (Luhmann 2008: 154) – stützen möchte. Vielmehr scheint er an einer operativ-funktionalen Perspektive interessiert zu sein, die ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassungen danach beurteilt, „ob es“ in deren Anschluss in dem die Anpassung vollziehenden System „zu einem sogenannten Aufschaukeln der Reaktionen kommt, die das System schädigen oder sogar zerstören können; oder ob die Resonanz wieder abklingt bzw. in normale Systemprozesse überführt werden kann“ (Luhmann 1996a: 49, Hervorhebung H.V.).193 Der erste Fall – das der systemischen Kontrolle entgleitende ‚Aufschaukeln‘ des systemischen Operierens – deutet darauf hin, dass es sich bei der jeweiligen Form der Resonanz um eine für das betreffende System dysfunktionale Fehlanpassung handelt: Anstatt sich in ihr System einzufügen und die Störungsintensität der systeminternen Operationsprozesse durch eine neue Art und Weise der Prozessierung ehemals irritativer Ereignisse zu verringern, entwickeln sich solche dysfunktionalen Resonanzen selbst zu einer „Quelle“ nicht-normalisierbarer Irritationen (Kusche/Schneider 2010: 176),194 die ihr System überfordern (Luhmann 2008: 144) und das normale systemi-

192 „Die Rekursivität in der Formulierung ist beabsichtigt“ (Luhmann 2008: 151). 193 Ebenso wie jedes substantielle, auf den Inhalt der jeweiligen Strukturanpassung abstellende Bewertungskriterium, ist auch die Frage, ob beziehungsweise in welcher Intensität die systemische Kommunikation im Anschluss an solche Strukturanpassungen störungsreicher oder -ärmer wird, abhängig davon, mit welchem Verständnis von Störungen der diese Unterscheidung vornehmende Beobachter zweiter Ordnung operiert. In dieser Arbeit werden die operativen Prozesse, die mit diesem Aufschaukeln oder Normalisieren des systemischen Operierens infolge einer Irritation verbunden sind, im Kontext des systemischen Resonierens (vgl. Abschnitt 3.4) diskutiert. 194 Kusche/Schneider (2010: 175–176) untersuchen in dem hier zitierten Beitrag, inwiefern bestimmte „Netzwerke[.], […] die sich im Binnenkontext oder der Peripherie einzelner Organisationen und Funktionssysteme ansiedeln […] dort spezifische Funktionen übernehmen bzw. charakteristische dysfunktionale Effekte erzeugen können“. Dabei gehen

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sche Operieren dadurch dauerhaft überlagern beziehungsweise blockieren können. 195 Der zweite Fall, die im Anschluss an eine ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung gelingende Normalisierung des dann relativ störungsfreier verlaufenden systemischen Operierens, lässt dagegen darauf schließen, dass es sich bei der betreffenden ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassung um eine funktionale Form systemischer Resonanz handelt, die „die Anschluss- und Problemlösungsfähigkeit“ des betreffenden Systems „steigert“, indem sie es dazu befähigt, vormals unlösbare und daher irritierende „Probleme“ in routinierter Weise operativ zu verarbeiten (Mölders 2011: 88).196 In ähnlicher Weise können die operativen Effekte systemischer Resonanzen auch im Hinblick auf ihre gesellschaftsweiten Folgen kategorisiert werden. Dabei geht es um die Frage, inwieweit solche ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassungen zu mehr oder weniger Störungen in anderen gesellschaftlichen Teilsystemen und damit zu einer besseren oder schlechteren Integration der Gesellschaft – im Sinne der „Vermeidung des Umstandes, dass die Operationen eines Teilsystems in anderen Teilsystemen zu unlösbaren Problemen führen“ – beitragen (Luhmann 1982: 242, zitiert nach Mölders 2012: 488).197 Denn da Resonanzen nicht nur den Umweltbezug ihres eige-

sie davon aus, dass sich die Ausbildung solcher Netzwerke „unter bestimmten Voraussetzungen als Folge von Schwierigkeiten in der Informationsverarbeitung in bestimmten Funktionssystemen“, also als aus Irritationen resultierende Strukturanpassungen, als „Effekt von Rauschen bzw. Lärm“ begreifen lassen, die dann selbst wiederum zu weiteren Irritationen führen und damit wiederum zur „Quelle“ solchen ‚Lärms‘ werden können. 195 Für ein Beispiel vgl. Teubners (2008) Rekonstruktion der operativen Überforderung des Rechtssystems, die aus dessen Versuch resultiert, die in der ‚Umwelt‘ beobachteten Gerechtigkeitsanforderungen strukturell zu berücksichtigen. Der Versuch, Recht und Gerechtigkeit zu versöhnen, führt im Rechtssystem, so Teubner (2008: 29), letztlich zu einem „verzweifelte[n] Suchprozess […], der die permanente innere Unruhe des Rechts erzeugt, der sich immer wieder anderen Erfahrungen der Ungerechtigkeit aussetzt, der ruhelos neue Rechtskriterien der Gleichheit konstruiert und ständig neue Entscheidungsbegründungen erfindet und gerade dadurch aufs Neue die Gerechtigkeit zerstört. Die Suche nach Gerechtigkeit wird zu einer bloßen Sucht des Rechts, zerstörerisch und erfinderisch zugleich“. 196 An anderer Stelle spricht Mölders (2011: 95) davon, dass Strukturanpassungen, die er als die Resultate systemischen Lernens beschreibt, zu „[e]iner verbesserten Selbstregulierung im Sinne einer besseren Reaktionsfähigkeit auf Störungen“ führen. In diesem Sinne erhöhen funktionale Resonanzen „die Autonomie eines Systems“ (Mölders 2011: 88 in Anschluss an Luhmann 1987b: 279). 197 Wie bereits erwähnt (vgl. Fußnote 84) meint Integration hier also im klassischluhmannschen Sinne die Bewahrung beziehungsweise Herstellung der Kompatibilität der unterschiedlichen gesellschaftlichen Funktionssysteme, die sich in der weitgehenden „Abwesenheit von Störungen“ manifestiert (Mölders 2012: 488–489; vgl. dazu auch Luhmann 1997: 776; Bora 1999: 59). Dementsprechend sollte eine Verbesserung beziehungsweise Verschlechterung der gesellschaftlichen Integration mit einer Verringerung beziehungsweise Steigerung der Störungsintensität funktionssystemischer Kommunikationen einhergehen.

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nen Systems, sondern immer auch „die gesellschaftsinterne Umwelt anderer Teilsysteme“ (Luhmann 2008: 65) verändern, können sie sich mittelbar auch auf deren Informationsverarbeitungsprozesse auswirken. Je nachdem, ob systemische Resonanzen als Veränderungen-in-der-Umwelt anderer gesellschaftlicher Funktionssysteme die Störungsintensität in diesen Systemen verringern oder steigern, können sie als integrative oder desintegrative Resonanzen bezeichnet werden. Zu ‚unlösbaren Problemen‘ in anderen gesellschaftlichen Teilsystemen führen als Veränderungen-in-der-Umwelt beobachtete ‚fremde‘ Resonanzen immer dann, wenn sie in den von diesen betroffenen Systemen entweder zu nicht-normalisierbaren ‚umweltinduzierten‘ Irritationen führen oder wenn die mit diesen ‚Umweltveränderungen‘ verbundenen Irritationen über ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassungen normalisiert werden, die sich als dysfunktional erweisen. In beiden Fällen wirken Resonanzen desintegrativ: Sie lösen eine relative Vermehrung gesellschaftsweiter, andere Funktionssysteme betreffender Störungen aus, was auf eine schlechtere Integration der Gesellschaft hindeutet. So etwa in dem von Luhmann beschriebenen Fall, in dem „eine hohe politische Empfindlichkeit für Umweltfragen“ im Rechtssystem „eine neue Welle in der ‚Normenflut‘ auslös[t], die die spezifisch juristischen Weisen der Handhabung von Rechtsfragen überfordert und wiederum ins politische System zurückbrandet, das dann schizophren zu operieren beginnt, nämlich Entrechtlichung fordert und Verrechtlichung erzeugt“ (Luhmann 2008: 65, Hervorhebung H.V.). Aber auch der umgekehrte Fall, in dem Resonanzen integrativ wirken, das heißt zu einem relativ störungsfreieren „Zusammenwirken der Funktionssysteme“ (Luhmann 2008: 65) beitragen, ist möglich. Nämlich dann, wenn die mit diesen Resonanzen verbundenen Veränderungen-in-der-Umwelt anderer Systeme entweder eine bis dato problematische Irritationsquelle in deren ‚Umwelt‘ ausschalten oder es den betreffenden Systemen gelingt, die durch die jeweilige ‚Umweltveränderung‘ erzeugten systeminternen Irritationen zu verdrängen oder in eine funktionale Form systemischer Resonanz zu transformieren. Als Beispiel für einen solchen Fall integrativer Resonanzen führt Luhmann (2008: 65, Hervorhebung i.O.) die konzertierten politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Reaktionen auf die „wissenschaftlichen Forschungsergebnisse[.]“ zur Nutzung nuklearer Energie an. So sei „[d]er Bau von Kernkraftwerken aufgrund von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen zunächst durch eine politische Entscheidung über rechtliche Haftungsbeschränkungen wirtschaftlich ermöglicht worden“.198

198 Bei der Kategorisierung einer konkreten ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassung als für das betreffende System funktionale/dysfunktionale beziehungsweise für die Gesellschaft als Ganze integrative/desintegrative Form systemischer Resonanz ist dabei stets zu beachten, dass diese sinnvollerweise nur zu einem Zeitpunkt vorgenommen werden kann, an dem die durch eine bestimmte ‚umweltinduzierte‘ Irritation ausgelösten systemischen Anpassungsprozesse bereits abgeschlossen sind. Ansonsten läuft der jeweilige Beobachter Gefahr, die insbesondere während der system- beziehungsweise gesellschaftsweiten Restabilisierung von Resonanzen erwartbare kurzfristige Vermehrung von Störungen sowie die gegebenenfalls durch diese angestoßenen weiteren strukturellen Folgeanpassungen (vgl. Abschnitt 3.4.3) als Zeichen der Dysfunktionalität beziehungsweise Desintegrativität dieser Strukturanpassungen fehl zu deuten. Dass solche Restabilisierungsprozesse

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Hinsichtlich der Bewertung der operativen Effekte systemischer Resonanzen kann folglich – in Bezug auf das die jeweilige ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung vollziehende System – zwischen funktionalen und dysfunktionalen Resonanzen und – im Hinblick auf die Gesellschaft als Ganze – zwischen integrativen und desintegrativen Resonanzen unterschieden werden.199 Im Anschluss an diese Kategorisierung der möglichen operativen Effekte systemischer Resonanzen lässt sich nun auch eine präzisere Lesart für diejenigen Phänomene vorschlagen, die Luhmann als „[z]u wenig und zu viel“ Resonanz umschreibt (Luhmann 2008: 143–148; Luhmann 1996a: 59–61; vgl. Abschnitt 2.5.2). Zu wenig Resonanz liegt vor, wenn ein System eine in seiner ‚Umwelt‘ beobachtete Gefährdung zwar operativ thematisiert, dann aber verdrängt – also zum normalen Operieren zurückkehrt – ohne daraus strukturelle Konsequenzen zu ziehen. Luhmanns Bewertung dieser ‚Reaktion‘ als unzureichend, als ‚zu wenig‘ Resonanz, rührt daher, dass diese an der beobachteten externen Gefährdung des betreffenden Systems durch seine ‚Umwelt‘ nichts ändert: Durch eine solche, lediglich oberflächliche Form der Fremdreferenz sieht sich das System (weiterhin) mit dem Risiko konfrontiert, „von außen zerstört“ zu werden (Luhmann 2008: 144). Nach dem in dieser Arbeit zugrunde gelegten Verständnis von Resonanz, das nur strukturwirksame ‚Reaktionen‘ eines Systems auf seine ‚Umwelt‘ als Resonanz begreift (vgl. Abschnitt 2.5.1), handelt es sich bei ‚zu wenig‘ Resonanz um das Ausbleiben von Resonanz, also um Resonanzlosigkeit. Im Unterschied dazu lässt sich von ‚zu viel‘ Resonanz sprechen, wenn es einem System nicht gelingt, eine ‚umweltinduzierte‘ Irritation operativ zu normalisieren. Das ist erstens dann der Fall, wenn das System weder in der Lage ist, eine systemintern thematisierte unerwartete Gefährdung operativ zu verdrängen, noch ihr mit einer Anpassung seiner Erwartungsstrukturen zu begegnen. Zweitens misslingt die operative Normalisierung auch dann, wenn dem betreffenden System eine solche ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung zwar gelingt, sich in der Folge aber als dysfunktional erweist und damit weitere operative Störungen produziert. In beiden Fällen kommt es zu systemintern problematischen Nebenfolgen – nämlich zu einem stetigen Anwachsen ‚umwelt-‘ beziehungsweise resonanzinduzierter Irritationen, die sich im systemischen Operieren kaum noch normalisieren lassen. In diesen Fällen führt der Versuch des Systems, sich auf eine externe Gefährdung durch seine ‚Umwelt‘ einzustellen dazu, dass es sich einer weiteren intern erzeugten (Selbst-)Gefährdung – und damit dem Risiko „an internen Überforderungen [zu] zerspringen“ (Luhmann 2008: 144) – aussetzt. Eine solche, auf Resonanz rückführbare Zerstörung des Systems von innen

sehr lange andauern können, zeigen unter anderem Mölders (2011: 166) Erläuterungen zur Restabilisierung des „hypothetisch-deduktiven Schließens“ in der Wissenschaft, die „Jahrzehnte in Anspruch genommen hat“. Für ein weiteres Beispiel vgl. Luhmanns (1997: 487) Ausführungen zur Französischen Revolution. 199 Unabhängig von dieser prozessual-operativen Perspektive, die ihre Bewertung systemischer Resonanzen allein daran orientiert, wie Resonanzen die Kommunikationsprozesse der Gesellschaft verändern, können systemische Resonanzen natürlich auch an substantiellen Kriterien, das heißt im Hinblick darauf, was, wie schnell oder für oder gegen wen sie die Gesellschaft verändern, gemessen werden.

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kann im Anschluss an Weingart (2010: 170) als Resonanzkatastrophe bezeichnet werden.200 Sowohl bei zu wenig als auch bei zu viel Resonanz handelt es sich demnach, operativ betrachtet, um letztlich „inadäquate Reaktionen auf Umweltveränderungen“ (Luhmann 1996a: 59), die im Extremfall auf ihre je eigene Art und Weise zur Zerstörung des Systems von außen beziehungsweise innen, und damit zu gesellschaftlicher Entdifferenzierung, führen können. 3.3.2 Analytische Kategorisierung systemischer Resonanzgrade Neben der mit der Konzeptualisierung systemischer Resonanzformen adressierten Mannigfaltigkeit ‚umweltinduzierter‘ Strukturanpassungen, gilt es zudem Resonanz als graduelles Phänomen zu betrachten. Aus dieser, auf die Grade systemischer Resonanzen gerichteten Perspektive geht es nicht so sehr darum, auf welche Art und Weise, sondern in welchem Ausmaß eine ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung die Beobachterperspektive ihres Systems und damit auch die „Bedingungen der laufenden Reproduktion systemspezifischer Kommunikationen“ (Luhmann 2008: 144) verändert. Dass ein System grundsätzlich mit mehr oder weniger beziehungsweise großer oder geringer Resonanz auf seine ‚Umwelt‘ ‚reagieren‘ kann, konnte in der Diskussion der Ökologischen Kommunikation bereits gezeigt werden (vgl. Abschnitt 2.5.2). Da sich Luhmann in diesem Zusammenhang jedoch fast ausschließlich mit den Extrempolen des Resonanzspektrums, dem Ausbleiben von Resonanz – der Resonanzlosigkeit – auf der einen und dem systemdestruktiven Aufschaukeln von Resonanz – der Resonanzkatastrophe – auf der anderen Seite, auseinandersetzt, blieb dabei allerdings weitestgehend unklar, wie sich das Ausmaß der durch eine spezifische, ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung ausgelösten systeminternen Anpassungsprozesse jenseits dieser Extreme analytisch beschreiben und kategorisieren lässt. Auf welche Weise sich systemische Resonanzen strukturell etablieren, weitere Strukturanpassungen induzieren und systemweit diffundieren können, konnte auf Basis dieser Darstellungen zunächst nicht genauer bestimmt werden. Um diese konzeptionelle Lücke schließen zu können, werden daher im Folgenden auf Basis des in Abschnitt 3.1 entwickelten analytischen Zugangs zur operativen Wirkungsweise und Änderbarkeit der systemischen Erwartungsstrukturen sowie unter Rückgriff auf neuere systemtheoretische Ansätze drei verschiedene Bestimmungsmaße vorgeschlagen, anhand derer sich bemessen lässt, wie „nachhaltig“ beziehungsweise „‚tief‘ […] Resonanzen in das System reichen“ (Weingart 2010: 160): Der Etabliertheitsgrad, der Ausdifferenziertheitsgrad und der Diffusionsgrad systemischer Resonanz. Je nachdem welche(s) dieser Maße zur Ermittlung des Grades systemischer Resonanz angelegt wird, wird das Ausmaß der durch eine spezifische ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung angestoßenen Veränderung der systemischen

200 Obwohl es im ersten Fall, dem Scheitern der an eine ‚umweltinduzierte‘ Irritation anschließenden Strukturanpassung gar nicht zu Resonanz kommt, wird auch der auf diese Weise erzeugte systemgefährdende Zustand der Dauerirritation in dieser Arbeit als Resonanzkatastrophe bezeichnet (vgl. Abschnitt 3.4).

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Beobachterperspektive entweder daran festgemacht, wie selbstverständlich ein System die jeweilige neue Erwartung operativ verwendet (Etabliertheitsgrad), wie viele weitere strukturelle Folgeanpassungen eine neue Erwartung in ihrem System induziert (Ausdifferenziertheitsgrad) oder ob sich innerhalb des Systems eine binnenbereichsübergreifende Bezugnahme auf die neue Erwartung verzeichnen lässt (Diffusionsgrad). Der Etabliertheitsgrad systemischer Resonanzen Anhand des Kriteriums der systeminternen Etabliertheit lässt sich der Grad systemischer Resonanz dahingehend bestimmen, wie selbstverständlich ein System bei der operativen Prozessierung seiner Beobachtungen auf seine durch Resonanz erzeugten neuen Erwartungsstrukturen zurückgreifen kann. Der Etabliertheitsgrad vollzieht also nach, wie sich Resonanzen von einer zunächst neuartigen und daher ungewöhnlichen Form des Umweltbezugs „durch zunehmende Verwendung […] sukzessive im Gedächtnis eines Funktionssystems verbreiten“ können, bis sie schließlich „ganz selbstverständlich […] als strukturelle Bedingung für weitere Anschlüsse fungieren“ (Mölders 2011: 182).201 Als in Reaktion auf ein konkretes, irritierendes ‚Umweltereignis‘ entwickelte Strukturanpassung wird jede Form systemischer Resonanz zunächst als strukturelle Innovation, das heißt als eine neuartige Form des Umweltbezugs, im systemischen Gedächtnis verankert. Auf diese Weise wird nicht nur die durch Resonanz ermöglichte alternative Art der systemischen Informationsverarbeitung, sondern auch deren Abweichungscharakter – der an Resonanz als Strukturänderung beobachtbare Unterschied des Neuen oder Innovativen vom bisher Dagewesenen – (mit-)erinnert. Dementsprechend stehen diejenigen Operationen, die an systemische Resonanzen anschließen, indem sie die jeweiligen neuartigen Erwartungen zur Prozessierung „ähnliche[r] Sachverhalte“ (Luhmann 1996c: 313) verwenden,202 zunächst unter einem gewissen systeminternen Begründungsvorbehalt. Anders ausgedrückt: Da es (noch) nicht selbstverständlich ist, dass ein beobachtetes Ereignis auf die als ungewöhnlich oder abweichend erinnerte Art und Weise verstanden beziehungsweise operativ verknüpft wird, kann das System (vorerst) nicht ‚einfach so‘ auf diese zurückgreifen. Soll die neuartige Deutung des jeweils beobachteten Ereignisses nicht infrage gestellt werden oder gar auf expliziten Widerspruch stoßen, muss sie vielmehr durch weitere Erläuterungen, Rechtfertigungen oder andere Formen der Immunisierung gegen (systeminterne) Kritik flankiert werden.

201 Mölders (2011: 182, Hervorhebung i.O.) zieht in seiner Analyse die hier als separate Analysekriterien behandelten Etabliertheits- und Diffusionsgrade systemischer Resonanzen zusammen, indem er explizit auf die „zunehmende Verwendung“ solcher strukturellen „Lernresultate […] innerhalb eines Funktionssystem […] durch andere innersystemische Einheiten“ – also die Ausbreitung von Resonanz über einen spezifischen Binnenbereich des Funktionssystems hinaus, abstellt. Vgl. zu diesem Punkt die Ausführungen zum Diffusionsgrad systemischer Resonanz (Abschnitt 3.3.2). 202 Für eine genauere Darstellung der mit der strukturellen Selektion einer neuen Erwartung verbundenen Prozesse vgl. Abschnitt 3.4.2.

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Je häufiger das System beobachtete Ereignisse unter Rückgriff auf die durch Resonanz erzeugten neuen Erwartungen bestimmt, desto mehr verblasst jedoch deren Abweichungs- oder Innovationscharakter.203 Denn mit zunehmender Verwendung schwinden sowohl das Attribut der Neuartigkeit als auch die Erinnerung an den konkreten Entstehungskontext der durch Resonanz erzeugten Erwartungen sukzessive aus dem systemischen Gedächtnis. In der Folge erscheinen die mit diesen Erwartungen verbundenen Deutungen beobachteter Ereignisse dem System als zunehmend normal und immer weniger begründungspflichtig. Je weiter dieser Prozess voranschreitet, desto mehr etablieren sich die jeweiligen Resonanzen in ihrem System, bis sie schließlich ganz selbstverständlich „im Modus der Vertrautheit“ (Fuchs 2008: 13)204 – ohne jegliche Begründung oder Rechtfertigung – als normale Formen des Verstehens und Prozessierens beobachteter Ereignisse verwendet werden können.205 Der Etabliertheitsgrad systemischer Resonanzen bemisst das Ausmaß, in dem eine ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung die systeminternen „Bedingungen der laufenden Reproduktion systemspezifischer Kommunikationen“ (Luhmann 2008: 144) verändert, folglich daran, wie selbstverständlich und unhinterfragt das System in seinem Operieren auf die durch Resonanzen erzeugten neuen Erwartungsstrukturen zurückgreift. Je weniger das System die ‚umweltinduzierte‘ Anpassung seiner Beobachterperspektive als solche reflektiert – und das heißt im Umkehrschluss: je normaler sie ihm erscheint –, desto etablierter ist die jeweilige Form systemischer Resonanz. Der Ausdifferenziertheitsgrad systemischer Resonanzen Das Kriterium der Ausdifferenziertheit systemischer Resonanzen fragt danach, ob beziehungsweise in welchem Umfang es im Anschluss an eine durch Resonanz erzeugte neue Erwartung zu weiteren systeminternen, dann jedoch nicht mehr unmittelbar ‚umwelt-‘, sondern resonanzinduzierten Folgeanpassungen der systemischen Erwartungsstrukturen kommt. Aus dieser Perspektive hängt der Grad systemischer Resonanz folglich davon ab, wie viele verschiedene Erwartungen im Rahmen der durch eine spezifische ‚umweltinduzierte‘ Irritation ausgelösten Anpassungsprozesse verändert werden.

203 Zur Frage, ob die gesellschaftlichen Funktionssysteme dazu neigen, Irritationen beziehungsweise Strukturänderungen eher negativ konnotiert als „Abweichung“ oder eher positiv konnotiert als „Neuheit“ zu behandeln, vgl. Luhmann (1995c: 63–74). 204 „Was damit gemeint ist, erschließt sich“, wie Fuchs (2008: 13) festhält, „am ehesten, wenn man sich klar macht, daß man sich typischerweise nicht daran erinnern muß, wie man spricht, grüßt, läuft, springt, liebt […]. All dies ‚Tun‘ beruht auf Strukturdeterminationen, deren Genese (deren Erlernen) schlicht vergessen werden kann“. Genau in diesem, mit dem Etablierungsgrad systemischer Resonanzen angesprochenen Phänomen des Vergessen-könnens, des nicht-mehr „Erinnern-müssens“ an bestimmte Neuerungen sieht Fuchs (2008: 13) das entscheidende Kriterium für „Nachhaltigkeit“. 205 Für ein Beispiel vgl. Mölders (2011: 182, Hervorhebung i.O.) Rekonstruktion der schrittweisen Etablierung des „hypothetisch-deduktiven Schließens“ als zunächst neuartige und lediglich „vereinzelt praktiziert[e]“ Form zur Generierung wissenschaftlicher Erkenntnisse, die sich im Laufe der Zeit soweit etabliert hat, dass sie aktuell „aus der modernen Wissenschaft nicht mehr wegzudenken ist“.

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Wie Luhmann (2008: 119) in der Ökologischen Kommunikation bereits am Beispiel der durch eine ‚umweltinduzierte‘ Gesetzesänderung im Rechtssystem ausgelösten „Springflut“ weiterer „Neunormierungen“ (Luhmann 2008: 119) illustriert (vgl. Abschnitt 2.6), werden Resonanzen nicht in einem luftleeren Raum, sondern innerhalb eines bereits bestehenden und mit einer Vielzahl verschiedener Erwartungsstrukturen operierenden Systems vollzogen. Die durch Resonanz erzeugten neuen Erwartungen treffen also stets auf ein „Gefüge“ von bereits „vorhandene[n] Strukturen“ (Luhmann 1997: 490), in das sie sich mehr oder weniger geräuschlos einordnen. Sofern eine neue Erwartung die Gültigkeit der bereits bestehenden Erwartungen nicht infrage stellt, sondern sie lediglich um eine weitere, strukturell kompatible Zurechnungs- oder Prozessierungsoption ergänzt, fügt sie sich problemlos in den jeweiligen systemischen Kontext ein. Ebenso ist es jedoch möglich – und angesichts der hohen Komplexität funktionssystemischer Erwartungsstrukturen sogar relativ wahrscheinlich –, dass eine neue Erwartung im Widerspruch zu (einigen) bereits vorhandenen Strukturen steht (Melde 2012: 127). In diesem Fall produzieren Resonanzen „strukturelle Inkompatibilitäten“ (Luhmann 1997: 489), die, sofern sie sich operativ in konkreten Beobachtungen manifestieren, zu erneuten systeminternen – dann jedoch nicht zu ‚umwelt-‘, sondern zu resonanzinduzierten – Irritationen führen können. Werden diese resonanzinduzierten Irritationen nicht verdrängt, sondern durch systeminterne Strukturanpassungen normalisiert, kommt es zu weiteren, an die primäre ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung anschließenden Folgeanpassungen der systemischen Erwartungsstrukturen, die in dieser Arbeit als sekundäre Resonanzen bezeichnet werden. Auch diese sekundären Resonanzen können natürlich selbst wiederum zu strukturellen Inkompatibilitäten und gegebenenfalls zu erneuten Strukturanpassungen, also tertiären Resonanzen, führen, die dann quartäre Resonanzen erzeugen können und so weiter. Entscheidend ist, dass sich systemische Resonanzen durch solche, im systemischen Anpassungsprozess entstehende operative Ansteckungseffekte nach und nach auf eine Vielzahl unterschiedlicher Erwartungen übertragen und sich in diesem Sinne immer weiter ausdifferenzieren können.206 Dementsprechend kann Resonanz die Beobachterperspektive eines Systems auf seine ‚Umwelt‘ nicht nur in einer einzigen, sondern in einer Vielzahl von Hinsichten verändern. Genau an diesem Aspekt, der Anzahl der insgesamt infolge einer ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassung veränderten Erwartungsstrukturen, bemisst der Ausdifferenziertheitsgrad das Ausmaß systemischer Resonanz.

206 Für ein Beispiel vgl. Luhmanns (1997: 487) Ausführungen zu den zahlreichen und durch extrem langwierige Anpassungsprozesse vermittelten Struktureffekten der Französischen Revolution: „Im Jahre 1789 wurden Pariser Unruhen als ‚Revolution‘ beobachtet und mit einem eigens dafür modifizierten Begriff beschrieben. Die Folgen waren weder aufzuhalten noch zu kontrollieren, und man kann sie wohl am besten als ein hundertjähriges Mißlingen weiterer Revolutionen beschreiben, die dann aber in ihren Konsequenzen das politische System Frankreichs auf eine repräsentative Demokratie umstellten.“

3. Die Konzeptualisierung systemischer Resonanz | 145

Der Diffusionsgrad systemischer Resonanzen Mittels des Kriteriums der Diffusion kann der Grad systemischer Resonanz daran festgemacht werden, wie weit sich eine ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung innerhalb eines Systems – das heißt über verschiedene systemische Binnenbereiche hinweg – ausgebreitet hat. Der Grad systemischer Resonanz hängt in diesem Kontext also davon ab, ob eine ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung lediglich in einem einzigen, mehreren oder gar in sämtlichen strukturellen Binnenbereichen eines Funktionssystems zur operativen Prozessierung systemischer Beobachtungen verwendet wird.207 Die hochkomplexen Funktionssysteme der modernen Gesellschaft sind nicht als gleichförmig strukturierte „einheitlichen Gebilde“ zu verstehen, die jeweils als homogene „Einheit operieren“ (Nassehi 1993: 328). Vielmehr sind sie in verschiedene, mehr oder weniger lose gekoppelte Binnenbereiche ausdifferenziert, die sich zwar allesamt auf denselben binären Code beziehen, darüber hinaus jedoch mit verschiedenen, bereichsspezifisch ausgestalteten sachlichen, sozialen und temporalen Erwartungen – beispielsweise bestimmten „Themenpräferenzen, daraus sich ergebene[n] Rollenmuster[n] oder auch Besonderheiten der zeitlichen Sequenzierung“ – operieren (Bora 1999: 164–165; vgl. auch Mölders 2011: 126; Teubner 1987: 433; Drieschner/ Gaus 2014: 18).208 So orientieren sich etwa die verschiedenen „disziplinäre[n] Kommunikationsgemeinschaften“ im Wissenschaftssystem zwar allesamt an der systemspezifischen Unterscheidung von Wahrheit und Unwahrheit, beziehen sich dabei jedoch – in jeweils unterschiedlichem Maße – auf verschiedene Theorien und Methoden, Gegenstandsbereiche oder Zeiträume (vgl. z.B. Mölders 2011: 182, 158; Kusche/Schneider 2010: 182; Nassehi 1993: 328). Ähnliches gilt für politische „Parteien“ (Kusche/Schneider 2010: 192), „Richtungen“ (Bora 1999: 164) oder „Einzelthemen“ (Luhmann 2008: 118) im politischen System, für verschiedene Regelungsbereiche (Luhmann 1996a: 57–58; Teubner 1987: 437) oder „Schulen“ (Bora 1999: 164) im Rechtssystem oder einzelne „Märkte[.], Betriebe[.] und Haushalte[.]“ im Wirtschaftssystem (Luhmann 2005e: 276). Dementsprechend ist es, wie Luhmann (2008: 31–32, Hervorhebung H.V.) bereits in der Ökologischen Kommunikation festhält, „irreführend anzunehmen, daß ‚das‘ System auf ‚die‘ Umwelt“ reagieren könne: „Die System/Umwelt-Differenz ist zwar Voraussetzung aller Beobachtung der Umwelt, aber das heißt nicht, daß das System als geschlossene Einheit auf die Umwelt reagieren kann. […] Es gibt keine Totaloperationen.“

207 Der Begriff der „Diffusion“ ist Mölders (2011: 180) Ausführungen zum funktionssystemischen Lernen entlehnt, der in Bezug auf die Frage, ab wann man nicht mehr (nur) vom Lernen spezifischer „innersystemische[r] lernfähige[r] Einheiten“, sondern vom Lernen eines Funktionssystems als Ganzes sprechen kann, auf das Ausmaß der „Diffusion von Lernen über die interne Ausdifferenzierung [eines Systems, Anmerkung H.V.] hinweg“ verweist. 208 Operativ formuliert bedeutet dies, wie Teubner (1987: 433) am Beispiel des Rechts ausführt, dass „[d]er Ereignisstrom der sich auf Recht beziehenden Kommunikationen […] als solcher durchaus diskretionär [ist]“.

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Im Hinblick auf die systemweite Diffusion systemischer Resonanzen fungiert die durch „Binnendifferenzierungen“ erzeugte strukturelle Trennung verschiedener funktionssystemischer Bereiche als systeminterne „Interdependenzunterbrechung“ (Kusche/Schneider 2010: 189; vgl. auch Schneider 2014: 99–100): Sie sorgt dafür, dass eine ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung, die in einem dieser funktionssystemischen Binnenbereiche realisiert wird, „sich nicht ohne weiteres auf andere Teile, also nicht auf das Ganze [übertragen]“ kann (Luhmann 1991g: 185).209 Dementsprechend wirkt sich eine ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung weder unmittelbar noch notwendigerweise auf die „Bedingungen der laufenden Reproduktion“ sämtlicher „systemspezifischer Kommunikationen“ (Luhmann 2008: 144) aus, sondern bleibt zunächst einmal auf einen begrenzten Bereich des jeweiligen Funktionssystems – etwa eine bestimmte Disziplin, eine bestimmte Partei oder einen bestimmten Betrieb – beschränkt.210 „[Q]uantitativ betrachtet“ kann es sich dabei durchaus um „vergleichsweise kleine Einheiten“ mit einem geringen Anteil an den gesamten funktionssystemischen Kommunikationen handeln (Mölders 2011: 170).211 Eine funktionssystemweite Geltung können Resonanzen folglich nur dann erlangen, wenn sie sich nicht lediglich innerhalb einer „innersystemischen Einheit“, sondern auch „über die Binnendifferenzierung des Funktionssystems hinweg durchsetzen können“ (Mölders 2011: 182). Hierzu müssen sie in anderen Binnenbereichen wiederum operativ registriert und strukturell adaptiert werden.212 Welchen systemin-

209 Luhmann (1991g: 185) spricht in diesem Kontext davon, dass sich ‚störende Umwelteinwirkungen‘ nicht ohne weiteres über die Grenzen der „Innendifferenzierung des Systems“ hinweg ausbreiten können: „Die Bildung von Untersystemen bedeutet […] einen zumeist überlebenskritischen Gewinn an Anpassungsfähigkeit: Störende Umwelteinwirkungen können auf diese Weise in Teilen des Systems lokalisiert und abgekapselt werden; sie übertragen sich nicht ohne weiteres auf andere Teile, also nicht auf das Ganze“. 210 Die Grenze der systemischen Binnenbereiche kann – wie etwa im Fall von Parteien oder Betrieben – mit den operativen Grenzen von primär an der jeweiligen funktionssystemischen Logik ausgerichteten Organisationssystemen ineins fallen (zur Frage der Primärorientierung von Organisationssystemen an einer bestimmten funktionssystemischen Logik vgl. z.B. Bode/Brose (2001a: 112); Lieckweg/Wehrig (2001: 55). 211 Dies eröffnet auf der einen Seite die Möglichkeit, dass „störende Umwelteinwirkungen […] in Teilen des Systems lokalisiert und abgekapselt werden“ können (Luhmann 1991g: 185), „erschwert“ es jedoch gleichzeitig, „dass ein Wandel den Geltungsbereich des gesamten Systems erreicht“ (Mölders 2011: 15). 212 Für ein Beispiel vgl. Mölders (2011: 183) Rekonstruktion der wissenschaftssysteminternen Diffusion des zunächst in der Physik entwickelten hypothetisch-deduktiven Schließens, das sich nach und nach auch in anderen Disziplinen etabliert und so schließlich „funktionssystemweit“ ausgebreitet hat: „Im Beispiel der Wissenschaft wurden die Lernresultate disziplinärer Kommunikationsgemeinschaften (i.e. veränderte Informationsverarbeitungsregeln in Form von neuen bzw. spezifisch modifizierten Theorien und/oder Methoden) zu Variationen, die wiederum von anderen Gemeinschaften selektiert wurden, bis ihre Verwendung über die extrem heterogene (disziplinäre) Binnendifferenzierung hinweg nahezu selbstverständlich wurde […]. Dieser Diffusionsprozess ist augenscheinlich ein operativ gedachter.“

3. Die Konzeptualisierung systemischer Resonanz | 147

ternen Verbreitungs- oder Diffusionsgrad Resonanzen auf diese Weise erreichen können, hängt unter anderem von der internen Differenzierungsform des betreffenden Systems ab, also der Art und Weise, in der dessen Binnenbereiche aufeinander bezogen und die operativen Diffusionswege ausgestaltet sind. So dürften die Chancen einer systemweiten Verbreitung systemischer Resonanzen beispielsweise in primär segmentär binnendifferenzierten Funktionssystemen, etwa in der in relativ autonom operierende Disziplinen gegliederten Wissenschaft (Mölders 2011: 178), tendenziell geringer sein als in Funktionssystemen, die, wie das Rechtssystem (Mölders 2011: 178) oder das politische System (Hellmann 2003:181–182), um ein systemisches Zentrum herum strukturiert sind, von dem aus sich Resonanzen in Richtung Peripherie ausbreiten können.213 Unabhängig von diesen strukturellen Voraussetzungen gilt: Je mehr Binnenbereiche sich in ihrem Operieren an einer durch Resonanz erzeugten neuen Erwartung orientieren, desto höher der Grad systemischer Resonanz. Der Diffusionsgrad bemisst das Ausmaß systemischer Resonanz folglich an der funktionssysteminternen Reichweite einer ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassung. 3.3.3 Zwischenfazit Resonanzen Operativ geschlossene Systeme verfügen über „breit gefächerte, alternativenreiche Möglichkeiten“, um ihre eigenen Strukturen aus Anlass eines irritierenden ‚Umweltereignisses‘ anzupassen. Um diese Vielfalt strukturwirksamer Reaktionsmöglichkeiten auf die ‚Umwelt‘ auf analytischer Ebene systematisieren zu können, wurde im Anschluss an Luhmanns Ausführungen in der Ökologischen Kommunikation vorge-

213 Umgekehrt dürfte natürlich die Chance der Ausbreitung von in der Peripherie vollzogenen Resonanzen in Richtung Zentrum relativ weniger wahrscheinlich sein, „da alle artikulierten Meinungen, Interessen und Ansprüche, die zu einem Großteil von der Peripherie her ihren Ausgang nehmen, auf dem Weg zum Zentrum des politischen Systems sukzessive nach Kriterien der politischen Wichtigkeit und Dringlichkeit bewerten und aussieben, um nur einen Bruchteil der insgesamt vorgebrachten Anliegen bis ins Zentrum durchzulassen“ (Hellmann 2003: 181–182). Luhmann unterscheidet grundsätzlich zwischen den vier Differenzierungsformen der „Segmentation“, der „hierarchische(n) Differenzierung in Schichten“, der „funktionalen Differenzierung“ und der Differenzierung in „Zentrum/Peripherie“ (Baraldi 1997b: 65). Da diese Differenzierungsformen durchaus nebeneinander bestehen beziehungsweise ineinander verschachtelt sein sowie sich über die Zeit hinweg verändern können, lässt sich die Form der funktionssystemischen Binnendifferenzierung häufig nicht eindeutig auf eine bestimmte Differenzierungsform festlegen. Abgesehen von teilweise recht spezifischen Detailstudien zur internen Differenzierungsform einzelner Funktionssysteme (vgl. z.B. für das System der Massenmedien Becht et al. 2011: 185–208; für das politische System Lanfer/Köhling 2010: 59 sowie Vorderstraße 2014: 197–199) fehlt es in der systemtheoretischen Literatur bis dato an einer systematischen Aufarbeitung der Binnenstrukturierungsmuster der verschiedenen gesellschaftlichen Funktionssysteme (vgl. Holz 2003: 34–35), auf deren Basis die systemweiten Diffusionswege und Restabilisierungschancen systemischer Resonanzen genauer dargestellt werden könnten.

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schlagen, zwischen unterschiedlichen Formen und Graden systemischer Resonanzen zu unterscheiden. Während der Begriff der Resonanzformen sich auf die verschiedenen Arten der einem System zur Verfügung stehenden Strukturanpassungen bezieht, stellt der Begriff der Resonanzgrade auf das Ausmaß ab, in dem solche Strukturanpassungen die systemische Beobachterperspektive modifizieren können. Diese recht grobe analytische Kategorisierung systemischer Resonanzen konnte in diesem Abschnitt unter Rückgriff auf den in Abschnitt 3.1 entwickelten analytischen Zugang zu systemischen Erwartungsstrukturen sowie unter Einbezug neuerer systemtheoretischer Ansätze weiter präzisiert und ausdifferenziert werden. Bezüglich der analytischen Kategorisierung möglicher Formen systemischer Resonanzen wurden drei Kategorisierungsebenen identifiziert, auf denen sich insgesamt neun verschiedene Resonanzformen voneinander unterscheiden lassen (vgl. Tabelle 4). Tabelle 4: Analytische Kategorisierung systemischer Resonanzformen

Kategorisierungsebene strukturbezogene Kategorisierung systemischer Resonanzen sinnbezogene Kategorisierung systemischer Resonanzen operative Kategorisierung systemischer Resonanzen

      

Resonanzformen kategoriale Resonanzen konnotative Resonanzen (retrospektiv/prospektiv) sachliche Resonanzen soziale Resonanzen temporale Resonanzen System: funktionale und dysfunktionale Resonanzen Gesellschaft: integrative und desintegrative Resonanzen

Quelle: eigene Darstellung

Auf der strukturellen Ebene kann zwischen kategorialen Resonanzen, die die systemischen Attributionsschemata betreffen, und konnotativen Resonanzen, die sich auf die systemischen Attributionsregeln beziehen, differenziert werden. Während kategoriale Resonanzen die einem System zur Bezeichnung beobachteter Ereignisse als ‚etwas‘ zur Verfügung stehenden Beobachtungskategorien verändern, wirken sich konnotative Resonanzen auf die mit einer bestimmten, bereits vorhandenen Beobachtungskategorie verbundenen Bedeutungen (retrospektive konnotative Resonanzen) beziehungsweise Anschlussmöglichkeiten (prospektive konnotative Resonanzen) aus. Im Hinblick auf die sinnbezogene Kategorisierung können ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassungen als entweder sachliche, soziale oder temporale Resonanzen charakterisiert werden. Sachliche Resonanzen etablieren entweder neue Themen auf dem Systembildschirm (kategoriale sachliche Resonanzen) oder verändern die Art und Weise, in der sich ein System mit bereits beobachtbaren Themen auseinandersetzen kann (konnotative sachliche Resonanzen). Soziale Resonanzen führen entweder neue Attributionsadressen in das System ein (kategoriale soziale Resonanzen) oder wirken sich auf die mit bereits systemintern berücksichtigen sozialen Adressen verbundenen

3. Die Konzeptualisierung systemischer Resonanz | 149

‚Erwartungsbündel‘ aus (konnotative soziale Resonanzen). Temporale Resonanzen erzeugen wiederum entweder neue systemintern beobachtbare Zeitpunkte (kategoriale temporale Resonanzen) oder passen die im Hinblick auf bereits als relevant erachtete Zeitpunkte ausgebildeten Beobachtungs- und Reaktionsmöglichkeiten ihres Systems an (konnotative temporale Resonanzen). Die Kategorisierung der möglichen operativen Effekte systemischer Resonanzen wurde sowohl aus der Perspektive des die jeweilige ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung vollziehenden Funktionssystems als auch aus Sicht der Gesellschaft als Ganze vorgenommen. Je nachdem, ob ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassungen innerhalb ihres Systems beziehungsweise in anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen zu einer Vermehrung oder Verringerung kommunikativer Störungen führen, können sie als entweder funktionale beziehungsweise dysfunktionale oder als integrative beziehungsweise desintegrative Resonanzen bezeichnet werden. Tabelle 5: Bestimmungsmaße zur Identifikation systemischer Resonanzgrade Resonanzgrad

Bestimmungsmaß

geringe Resonanz große Resonanz

Etabliertheit systemischer Resonanzen

operative Selbstverständlichkeit der Bezugnahme auf eine ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung

neuartige hinterfragte außergewöhnliche Form des Verstehens und Prozessierens

normale, unhinterfragte selbstverständliche Form des Verstehens und Prozessierens

Ausdifferenziertheit systemischer Resonanzen

Anzahl der insgesamt infolge einer ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassung veränderten Erwartungsstrukturen

Anpassung einer einzigen systemischen Erwartung

Anpassung sämtlicher systemischer Erwartungen

Diffusion systemischer Resonanzen

systeminterne Reichweite einer ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassung über einzelne Binnenbereiche hinweg

Verwendung der ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassung in einem systemischen Binnenbereich

Verwendung der ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassung in allen systemischen Binnenbereichen

Quelle: eigene Darstellung

Auch in Bezug auf die Frage, wie sich der Grad systemischer Resonanzen auf analytischer Ebene bestimmen lässt, konnten weitere Präzisierungen vorgenommen werden: Das Ausmaß, in dem eine ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung die systemische Beobachterperspektive und damit die gültigen „Bedingungen der laufenden Re-

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produktion systemspezifischer Kommunikationen“ (Luhmann 2008: 144) verändert, kann durch drei verschiedene Bestimmungsmaße erfasst werden. Das erste Bestimmungsmaß orientiert sich am Etabliertheitsgrad systemischer Resonanzen: Je selbstverständlicher ein System beobachtete Ereignisse unter Rückgriff auf eine durch Resonanz erzeugte neue Erwartung bestimmen und operativ prozessieren kann, desto höher der an der systeminternen Etabliertheit bemessene Grad systemischer Resonanz. Das zweite Bestimmungsmaß dagegen bezieht sich auf den Ausdifferenziertheitsgrad systemischer Resonanzen und geht dementsprechend davon aus, dass der Grad systemischer Resonanz positiv von der Anzahl der insgesamt infolge einer primären ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassung veränderten Erwartungsstrukturen abhängt. Dem dritten Bestimmungsmaß, dem Diffusionsgrad, zufolge, wird der Grad systemischer Resonanz durch die systeminterne Reichweite einer ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassung bestimmt: Je mehr funktionssystemische Binnenbereiche sich an einer durch Resonanz erzeugten neuen Erwartung orientieren, desto höher der Grad systemischer Resonanz. Durch diese analytische Auffächerung der einem System zur ‚Reaktion‘ auf seine ‚Umwelt‘ zur Verfügung stehenden Resonanzformen und -grade wird es nun möglich, die von Luhmann in der Ökologischen Kommunikation bereits empirischillustrativ dargelegte Mannigfaltigkeit ‚umweltinduzierter‘ Strukturanpassungen auch auf abstrakter Ebene zu diskutieren. Über die reine Feststellung, ob ein ‚Umweltereignis‘ zu einer Anpassung der systemischen Erwartungen geführt oder nicht geführt hat, hinaus kann auf dieser Basis nun auch genauer präzisiert werden, um welche Form von Resonanz es sich dabei handelt und in welchem Maße diese die Beobachterperspektive des jeweiligen Systems auf seine Umwelt verändert.

3. Die Konzeptualisierung systemischer Resonanz | 151

3.4 KONZEPTUALISIERUNG DER DRITTEN DIMENSION SYSTEMISCHER RESONANZ: RESONIEREN Die dritte Dimension des Resonanzkonzepts, das Resonieren, betrifft den operativen Prozess der systemischen Verarbeitung von ‚Umweltereignissen‘. Ein mögliches Resultat dieses Prozesses, das in dieser Arbeit im Fokus steht, ist das Zustandekommen systemischer Resonanz: einer ‚umweltinduzierten‘ Anpassung der systemischen Erwartungsstrukturen, die mit einer relativ dauerhaften Veränderung der systemischen Beobachterperspektive einhergeht. Resonieren muss jedoch nicht zwangsläufig und nicht einmal mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Form systemischer Resonanz führen. Wie Luhmann in der Ökologischen Kommunikation bereits betont (vgl. Abschnitt 2.5.2), kann die operative Prozessierung von ‚Umweltereignissen‘ ebenso gut strukturell folgenlos bleiben – also die bereits bestehenden Systemstrukturen reproduzieren anstatt sie zu verändern (Resonanzlosigkeit) – oder aber, im Gegenteil, extreme systeminterne Effekte zeitigen, die für das System mit katastrophalen Folgen verbunden sein können (Resonanzkatastrophe). Wie in Kapitel 2 dargestellt, bieten Luhmanns eigene, metaphorisch-beispielhafte Darstellungen der operativen Prozessierung systemischer Umweltbeobachtungen in der Ökologischen Kommunikation nur wenig Anknüpfungspunkte, um das systemische Resonieren und dessen potentielle Struktureffekte – Resonanz (Strukturtransformation), Resonanzlosigkeit (Struktursicherung) oder Resonanzkatastrophe (Zerstörung der Systemstrukturen) – auf analytischer Ebene beschreiben und systematisieren zu können. Ausgehend von Luhmanns Lexikon-Analogie sowie seiner empirischen Illustration von Resonanz im Rechtssystem konnten daher zunächst nur wenige, vorsichtige Rückschlüsse auf die operativen Stationen gezogen werden, über die systemisches Resonieren Resonanzen erzeugen kann: Ausgelöst wird Resonanz stets durch eine systemintern auf die Umwelt zugerechnete Störung oder Irritation, die zunächst operativ in eine systemspezifische Information über ‚Neues‘ transformiert werden und daran anschließend über den operativen Moment hinaus strukturell stabilisiert werden muss. Die auf diese Weise erzeugte ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung kann dann wiederum weitere strukturelle Folgeanpassungen anregen und sich innerhalb des Systems über dessen Binnenbereiche hinweg ausbreiten (vgl. Abschnitt 2.5.2). Über welche konkreten operativen Mechanismen „Irritationen und Störungen“ aus der ‚Umwelt‘ in einem System „aufgegriffen und normalisiert“ sowie über „eine Sequenz von weiteren Reaktionen“ (Luhmann 1996a: 49–50) in strukturwirksame Effekte transformiert werden, bleibt dabei weitestgehend offen. Um diese konzeptionellen Leerstellen weiter bearbeiten zu können, wird das systemische Resonieren im Folgenden, in Anlehnung an Luhmanns Darstellung gesellschaftlicher Evolutionsprozesse, in die drei Stationen Variation, Selektion und Restabilisierung unterteilt (Luhmann 1997: 454–517; vgl. auch Mellmann 2012: 81).

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Abbildung 15: Hervorhebung der dritten Dimension systemischer Resonanz: Resonieren

Quelle: eigene Darstellung

Die erste Station systemischen Resonierens, die Variation, umfasst alle operativen Prozesse, die die Ebene der Systemelemente – also einzelne Kommunikationsereignisse – betreffen (Luhmann 1997: 454). Eine Variation im Systemgeschehen, verstanden als eine einmalige, innovative Abweichung der Systemoperationen von den strukturell vorgezeichneten Routinen, ist immer dann möglich, wenn das System

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durch die Beobachtung „unerwarteter, überraschender Kommunikation“ in seiner ‚Umwelt‘ in seinen operativen Routinen irritiert wird (Luhmann 1997: 454). Die zweite Station systemischen Resonierens, die Selektion, „betrifft die Strukturen des Systems“ (Luhmann 1997: 454). Sie bezieht sich auf all jene operativen Prozesse, über die zunächst rein momenthafte, operative Innovationen mit Strukturwirksamkeit ausgestattet und dadurch in eine strukturelle Innovation, also eine Form systemischer Resonanz transformiert werden. Die dritte Station systemischen Resonierens, die Restabilisierung, nimmt den operativen „Einbau“ systemischer Resonanzen in die „Einheit des Reproduktionszusammenhangs“ (Luhmann 1997: 455) in den Blick. Sie umfasst all jene operativen Prozesse, über die „neue Strukturen“ in das bereits bestehende „Gefüge vorhandener Strukturen“ (Luhmann 1997: 490) – auch über die Grenzen innersystemischer Binnendifferenzierungen hinweg – integriert werden.214 Die Orientierung an diesem „3-Phasen-Modell[.]“ (Hellmann 2003: 196) der operativen Prozessierung systemischer ‚Umweltbeobachtungen‘ ermöglicht es zum einen diejenigen operativen Prozesse nachzuzeichnen, über die ein System ‚Umweltstörungen‘ in Strukturanpassungen transformieren und so Resonanzen erzeugen kann. Zum anderen werden auf diese Weise auch diejenigen Momente des systemischen Resonierens analytisch sicht- und verortbar, an denen die operative Resonanzbildung scheitern kann, indem das Resonieren entweder „wieder abklingt“ (Luhmann 1996a: 49), ohne Struktureffekte zu produzieren (Resonanzlosigkeit) oder sich in einer Weise ‚aufschaukelt‘ (Luhmann 2008: 27, 65), die die operative Reproduktion und damit die Existenz des Systems gefährden kann (Resonanzkatastrophe). Im Folgenden werden die operativen Prozesse, die das Resonieren in seinen drei Stationen Variation (Abschnitt 3.4.1), Selektion (Abschnitt 3.4.2) und Restabilisierung (Abschnitt 3.4.3) durchlaufen kann, jeweils einzeln dargestellt und im Hinblick auf ihre systeminternen Effekte – Resonanzbildung, Resonanzlosigkeit und Resonanzkatastrophe – voneinander abgegrenzt. Dazu werden Luhmanns evolutionstheoretische Ausführungen unter Rückgriff auf den in Abschnitt 3.1 entwickelten analytischen Zugang zur operativen Wirkungsweise und zur Änderbarkeit systemischer Erwartungsstrukturen sowie durch neuere systemtheoretische Ansätze unterfüttert. 3.4.1 Die erste Station systemischen Resonierens: Variation Das systemische Resonieren, die operative Prozessierung von ‚Umweltereignissen‘ in einem operativ geschlossenen System, wird initiiert durch die retrospektiv gerichtete Attribution eines beobachteten Ereignisses auf die ‚Umwelt‘. Dieses ‚Umweltereignis‘ kann systemintern entweder als normales beziehungsweise erwartbares und

214 Vgl. zu den drei Stationen systemischen Resonierens auch Luhmanns (1995b: 242, Hervorhebungen i.O.) überblicksartige Zusammenfassung: „(1) Variation eines autopoietischen Elements im Vergleich zum bisherigen Muster der Reproduktion; (2) Selektion der damit möglichen Struktur als Bedingungen weiterer Reproduktion; und (3) Stabilhalten des Systems im Sinne der dynamischen Stabilität, also Weiterführen der autopoietischen, strukturdeterminierten Reproduktion in dieser geänderten Form. In nochmals abstrahierter Form heißt dies: Variation betrifft die Elemente, Selektion betrifft die Strukturen, Stabilisierung betrifft die Einheit des Systems.“

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folglich „strukturkonformes Ereignis“ oder als überraschendes, von der erwartbaren Normalität „‚abweichendes‘ Ereignis“ verstanden werden (Bora 2003: 129; Mölders 2011: 210).215 Im Fall der Beobachtung strukturkonformer, normaler ‚Umweltereignisse‘ werden die bestehenden umweltbezogenen Erwartungen des Systems bestätigt und auf diese Weise operativ reproduziert (Luhmann 1997: 584; Mölders 2011: 87). Das Resonieren verläuft dann in geregelten, im Rahmen der systemischen Strukturen bereits vorgezeichneten Bahnen. Die Resonanzfähigkeit des Systems wird dadurch in ihrer zum Zeitpunkt der Umweltbeobachtung bestehenden Form zwar operativ aktualisiert und gefestigt; sie kann jedoch weder verändert noch erweitert werden. Normale beziehungsweise erwartbare Umweltereignisse können daher keine systemischen Resonanzen erzeugen. ‚Umweltinduzierte‘ Anpassungen des bestehenden Gefüges systemischer Erwartungsstrukturen werden lediglich durch die operative Prozessierung abweichender ‚Umweltereignisse‘ – sogenannte „Umweltstörung[en]“ (Krönig 2007: 30) – ermöglicht. Als „unerwartete, überraschende Kommunikation[en]“ (ebd.) enttäuschen diese einen Teil derjenigen Erwartungen, die ein System im Hinblick auf die normale Beschaffenheit und das normale Verhalten seiner ‚Umwelt‘ aufgebaut hat und erzeugen somit systemische Irritationen. Denn erst die durch die jeweilige Erwartungsenttäuschung provozierte Abweichung, die „Differenz von normaler, strukturell vorgezeichneter Operationsabfolge und einem Zustand, dessen Konsequenzen unklar, dessen Überleitung in Anschlußoperationen unentschieden ist […] macht es möglich, die Irritation zu bezeichnen, etwa als Problem oder eventuell auch als Ambivalenz, als Unklarheit, die man vielleicht auch auf sich beruhen lassen kann“ (Luhmann 1997: 792–793). Im Rahmen von Irritationen kann ein System folglich Unerwartetes als Abweichung vom Normalen registrieren, ohne dabei jedoch den genauen Charakter dieser Abweichung selbst genauer bestimmen zu können (Stäheli 2000: 42). Dies ist darauf zurückzuführen, dass dem System zum Verstehen des jeweils Unerwarteten „zunächst die geeigneten Beobachtungsmittel fehlen“ (Stäheli 2000: 42), da die jeweiligen „systeminternen Kriterien unter den gegebenen Bedingungen (noch) nicht ausreichen, um eine eindeutige Codewertzuordnung [oder die Zuordnung innerhalb eines anderen Attributionsschemas, Anmerkung H.V.] zu ermöglichen“ (Kusche/ Schneider 2010: 177– 78). Als Informationen über Unerwartetes bestehen Irritationen also stets aus einer informativen Komponente, die auf sinnhaft bestimmbares Normales – etwa eine bekannte und „lokalisierbare[.] Störquelle“ (Mölders 2011: 206; Melde 2012: 126) – verweist und einer irritativen Komponente, die aus einem auf Basis der bestehenden systemischen Erwartungsstrukturen nicht interpretierbaren Rest resultiert. Durch diese Kombination aus Erwartbarem und Unerwartetem unterscheiden sich Irritationen

215 Wie bereits erläutert (vgl. Fußnote 109) verfügen die gesellschaftlichen Funktionssysteme über das Attributionsschema „‚erwartet/unerwartet‘“ beziehungsweise „normal/abweichend“ (Luhmann 1997: 470; vgl. auch Luhmann 1996c: 312; Fuchs 1999: 101)‚ das sie in die Lage versetzt, zwischen erwartbaren und überraschenden ‚Umweltereignissen‘ zu unterscheiden – und damit auch unerwartete, irritative ‚Umweltereignisse‘ als solche wahrnehmen zu können.

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als nicht gänzlich sinnhaft spezifizierbare Informationen über Unerwartetes sowohl von gänzlich unbestimmbarem „unspezifische[m] (sinnlose[m]) ‚Rauschen‘“ (Luhmann 1997: 65) als auch von restlos bestimmbaren strukturkonformen ‚Umweltereignissen‘.216 Unerwartetes kann dabei grundsätzlich in jeder der drei Sinndimensionen anfallen:217 In der Sachdimension besteht es darin, dass jemand-in-der-Umwelt zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas anderes getan oder erlebt hat beziehungsweise tun oder erleben wird, als dies normalerweise der Fall ist. In der Sozialdimension geht es dagegen darum, dass jemand-anderes-in-der-Umwelt als erwartet zu einem bestimmen Zeitpunkt etwas getan oder erlebt hat beziehungsweise tun oder erleben wird, während der Irritationsgehalt in der Zeitdimension in dem von der erwarteten Normalität abweichenden Zeitpunkt des jeweils beobachteten ‚Umweltereignisses‘ liegt.218 Da die Bedeutung des jeweils beobachteten Unerwarteten auf der Basis der bestehenden systemischen Erwartungsstrukturen nicht weiter bestimmt werden kann, bleibt im retrospektiv gerichteten Verstehen von überraschenden ‚Umweltereignissen‘ stets eine „‚Restkategorie‘“ (Stäheli 2000: 42) dessen, „‚was erfahren wird, aber noch nicht spezifizierbar ist‘“ offen (Luhmann 1990a: 307, zitiert nach Stäheli 2000: 43). Prospektiv gerichtet führt dieser „Verlust von Bestimmbarkeit“ (Bora 1999: 311) zu einer Unklarheit darüber, ob und in welcher Weise das beobachtende System an das jeweilige ‚Umweltereignis‘ anschließen kann, also zu verhältnismäßig „freieren Anschlußmöglichkeiten“ (Luhmann 1997: 462; vgl. auch ebd.: 459; Mölders 2011: 62). Denn während die systemischen Attributionsregeln recht spezifische und daher operativ leicht realisierbare Anschlussmöglichkeiten an erwartbare ‚Umweltereignisse‘ vorzeichnen, fehlen im Fall von unerwarteten ‚Umweltereignissen‘ vergleichbare prospektive Orientierungspunkte. „Klar ist nur, dass der routinierte Weg einer Informationsverarbeitung in diesem Fall nicht gangbar ist“ (Mölders 2015b:

216 Der Unterschied beruht also darauf, dass dem Rauschen die informative Komponente und strukturkonformen Ereignissen die irritative Komponente fehlt. Denn, wie Stäheli (2000: 42, Hervorhebung H.V.) festhält, ist „[e]ine ‚normale‘ Operation […] jeweils vollständig als Operation des Systems spezifiziert“. 217 In der systemtheoretischen Literatur wird zumeist (teilweise auch implizit) davon ausgegangen, dass Irritationen vor allem in der Sachdimension anfallen (vgl. z.B. Hellmann 2003: 191) und in der Sozialdimension auf eine „lokalisierbare Störquelle in der jeweiligen Umwelt“ des Systems – typischerweise bestimmte Kopplungsadressen (vgl. Abschnitt 3.2.2) – zugerechnet werden können (vgl. z.B. Mölders 2009: 68, 81). Die Rolle der Zeitdimension wird in der Diskussion systemischer Irritationsverarbeitung kaum thematisiert. 218 Unerwartetes kann auch in zwei Sinndimensionen gleichzeitig anfallen. In mindestens einer Sinndimension muss das ‚Umweltereignis‘ jedoch als auf jemanden oder etwas Erwartbares rekurrierend verstanden werden, um systemintern als sinnhaft erfassbare Abweichung beobachtet und als Information über Unerwartetes bestimmt werden zu können. Ein in allen drei Sinndimensionen unspezifizierbares Ereignis kann dagegen nicht als Abweichung – von was? – bezeichnet werden und daher im System nicht als Irritation, sondern nur als gänzlich sinnloses Rauschen anfallen.

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58).219 Die systeminterne Beobachtung einer ‚umweltinduzierten‘ Irritation – eines von den bestehenden Erwartungen abweichenden ‚Umweltereignisses‘ – erzeugt also sowohl retrospektiv, im Hinblick auf seine genaue Bedeutung, als auch prospektiv, bezüglich seiner weiteren Prozessierung, eine „momentane Orientierungslosigkeit“ im System, die dessen operative „Routinen ins Stocken geraten“ lässt (Mölders 2011: 79; vgl. auch Stäheli 2000: 42).220 Um die mit dieser momentanen Orientierungslosigkeit einhergehende operative Blockade überwinden und das systemische Resonieren fortsetzen zu können, muss das System die ‚umweltinduzierte‘ Irritation „normalisieren“ (Luhmann 1996a: 50). Das heißt es muss die zunächst nicht prozessierbare Information über Unerwartetes operativ in eine gänzlich sinnhaft spezifizierte Information transformieren, die für das System im Rahmen seiner bestehenden Erwartungsstrukturen anschlussfähig ist. 221 „Dies Wiederherstellen der Erwartbarkeit ist […] ein Erfordernis der Reproduktion“ (Luhmann 1987d: 391) und damit der Existenz des betreffenden Systems. Für eine solche Normalisierung ‚umweltinduzierter‘ Irritationen stehen dem System zwei operative Mechanismen zur Verfügung: die struktursichernde Normalisierung, die auf der Verdrängung der irritativen Komponente der jeweiligen Information über Unerwartetes beruht, und die innovative Normalisierung, bei der die irritative Komponente der Information über Unerwartetes in eine systemintern anschlussfähige neue Information über die ‚Umwelt‘ transformiert wird. 222 Im ersten Fall, der struktursichernden Normalisierung, reagiert das System auf die ‚umweltinduzierte‘ Irritation mit sogenannten „Struktursicherungsoperationen“ (Bora 1999: 97, 301–302).223 Das heißt es schließt mittels „Abwehr“, „Irrelevanzmarkierungen“ oder „Schweigen“ an die irritative Komponente der Information über

219 Lediglich in Bezug auf seine strukturellen Kopplungsadressen verfügen die gesellschaftlichen Funktionssysteme über relativ spezifische „Auffangstrukturen“ (Luhmann 1995b: 444), die ihnen den Umgang mit Irritationen erleichtern. Hier handelt es sich dann – aus der Perspektive des Systems – um eine Form ‚konformen Abweichens‘ (vgl. Abschnitt 3.2.2). 220 Mölders (2011: 162) spricht auch von einem „Zustand der Unentschiedenheit“. 221 Es geht also um die „Frage: wie kommt man aus dem bloßen Irritiertsein heraus, wie gewinnt man auf Grund dieser Ausgangslage nutzbare Informationen?“ (Luhmann 1995c: 64). 222 „Im Offenhalten beider Möglichkeiten liegt eine Garantie für die Autopoiesis des Systems und zugleich eine Garantie seiner Evolutionsfähigkeit“ (Luhmann 1997: 790). Dass Irritationen entweder verdrängt oder weiterbearbeitet werden können, wird in der systemtheoretischen Literatur generell angenommen – auch wenn die ‚Ursache‘ hierfür zum Teil in der (außersystemischen) Qualität der Irritationen, „die ihre eigene Wiederholung ankündigen“ (Melde 2012: 127), anstatt in der Sinnattribution des jeweils irritierten Systems verortet wird. Die Bezeichnung der damit verbundenen operativen Prozesse der Irritationsverarbeitung als struktursichernde und innovative Normalisierung werden von Luhmann selbst beziehungsweise der an ihn anschließenden Literatur jedoch nicht verwendet. 223 Vgl. auch Aschke (2002: 107); Bora (2001: 184, 186, 189); Hitzler (2012: 79); Schneider (1997: 175) und Torka (2015: 49).

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Unerwartetes an (Bora 1999: 310): „Man sieht die Konsequenzen nicht oder verdrängt sie“ (Luhmann 1997: 791); man behandelt „die als Irritation beobachteten Ereignisse“ als „Zufälle“ (Luhmann 1997: 313) und „verläßt sich darauf, daß die Irritation mit der Zeit von selbst verschwinden werde, weil sie nur ein einmaliges Ereignis war“ (Luhmann 1997: 790) oder rechnet sie „anderen Teilsystemen […] als deren Probleme zu[.]“ und „externalisiert“ die eigene Orientierungslosigkeit somit auf die ‚Umwelt‘ (Aschke 2002: 108–109). Gemeinsam ist diesen struktursichernden Anschlüssen, dass sie Unerwartetes als lediglich „momentane Inkonsistenzen“ behandeln, um die man sich nicht zu kümmern braucht und die daher im weiteren Operieren „vergessen werden können“ (Luhmann 1997: 791). Indem sie deren irritative Komponente auf diese Weise aus dem systemischen Resonieren verdrängen, transformieren Struktursicherungsoperationen zunächst nicht anschlussfähige Informationen über Unerwartetes in gänzlich spezifizierte Informationen über Erwartbares. Im Anschluss an solche Operationen können zunächst überraschende ‚Umweltereignisse‘ dann, retrospektiv gerichtet, als normale ‚Umweltereignisse‘ verstanden werden, die sich, prospektiv gerichtet, im Rahmen der operativen Routinen weiter prozessieren lassen. Mit der irritativen Komponente des ‚Umweltereignisses‘ verschwindet also auch die momentane Orientierungslosigkeit aus dem System und das Resonieren kann in geregelten, den bestehenden Erwartungen entsprechenden Bahnen fortgesetzt werden. ‚Umweltinduzierte‘ Strukturanpassungen können solche „autopoietische[n] Immunreaktionen gegen Strukturwechsel“ (Bora 1999: 97) natürlich nicht erzeugen. Vielmehr schirmen sie die Systemstrukturen gegen äußeren Anpassungsdruck ab, indem sie dafür sorgen, dass die bestehenden ‚umweltbezogenen‘ Erwartungen trotz Enttäuschung nicht infrage gestellt, sondern operativ reproduziert werden. Im Fall der struktursichernden Normalisierung müssen ‚umweltinduzierte‘ Irritationen demnach letztlich „leerlaufen“ und können „keine Resonanz“ erzeugen (Bora 1999: 311). Resonanzen können nur auf Basis der zweiten Form der operativen Normalisierung ‚umweltinduzierter‘ Irritationen, der innovativen Normalisierung, zustande kommen. Diese setzt ein, wenn das System die registrierte Abweichung nicht als vernachlässigbare oder externalisierbare momentane Inkonsistenz, sondern als ein „Systemproblem[.]“ versteht, dem es mit eigenem Handeln zu begegnen gilt (Mölders 2011: 80, Hervorhebung i.O.). In diesem Fall reagiert das System auf überraschende ‚Umweltereignisse‘ nicht mit einer struktursichernden Verdrängung der registrierten Abweichung, sondern, im Gegenteil, mit „Abweichungsverstärkung“ (Luhmann 1997: 477): Es macht die irritative Komponente des überraschenden ‚Umweltereignisses‘ zum expliziten Thema des Resonierens und versucht auf diese Weise den „Ursachen der Abweichung“ (Luhmann 1987d: 398) auf den Grund zu gehen und einen neuen, sinnvollen Anschluss an das zunächst nicht-anschlussfähige ‚Umweltereignis‘ zu finden (Krönig 2009: 1). Dadurch setzt es einen sinngenerativen Prozess in Gang, in dessen Verlauf die zunächst unspezifizierbare irritative Komponente der beobachteten Information über Unerwartetes schrittweise in eine neuartige, aber dennoch für das System anschlussfähige Information transformiert werden kann. Wie genau strukturdeterminierte, operativ geschlossene Systeme „aus dem bloßen Irritiertsein heraus[kommen]“ und „aufgrund dieser Ausgangslage nutzbare Information“ (Luhmann 1995c: 64), das heißt retrospektiv neuen Sinn und prospektiv

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neue Anschlüsse, generieren können, ist in der systemtheoretischen Diskussion bis dato „auffällig unterbestimmt“ geblieben (Bora 2003: 123).224 Mit seinem Konzept der ‚generativen Metapher‘ bietet Krönig (2007: 63) in diesem Kontext jedoch einen interessanten Ansatzpunkt, um das „‚generative Moment‘“ (Jung 2009: 195) des systemischen Operierens im Sinne der operativen „Umwandlung“ von systemintern zunächst nicht anschlussfähigen „Störungen“ in zugleich neuartige und operativ prozessierbare „Information[en]“ als einen zirkulären Entparadoxierungsprozess metaphorischer Umdeutung zu begreifen. Krönig beschreibt generative Metaphern als operative Mechanismen (Krönig 2007: 52), die sich durch eine spezifische Form des Verstehens – der Selektion einer Information aus einem beobachteten Ereignis – auszeichnen; nämlich auf der paradoxen Gleichsetzung von zwei eigentlich ungleichen Elementen beruhende „Auffassungsweise“ (Krönig 2007: 56) von „etwas als etwas anderes“ (Krönig 2007: 59). Über diese besondere Form des „metaphorical understanding“ (Krönig 2007: 56) versetzen sich operativ geschlossene Systeme in die Lage, Unerwartetes im Lichte des Erwartbaren, beziehungsweise als Erwartbares, zu betrachten und es auf diese Weise im Rahmen der bestehenden systemischen Erwartungen anschlussfähig zu machen. Generative Metaphern eröffnen also die eigentlich unmögliche „Möglichkeit der Überschreitung von Sinngrenzen“, indem sie Operationen vollziehen, „die logisch schlicht nicht möglich sind“ (Krönig 2007: 52, 53). Die auf diese Weise erzeugte Paradoxie – die Gleichsetzung des offensichtlich Ungleichen – muss dann systemintern im Rahmen eines dynamischen Entparadoxierungsprozesses weiterbearbeitet werden (Krönig 2007: 54). Anders als im Fall struktursichernder Prozesse wird Unerwartetes dabei jedoch nicht einfach im Rahmen des bereits Erwartbaren assimiliert. Vielmehr werden Unerwartetes und Erwartetes immer wieder wechselseitig aufeinander bezogen und dadurch so lange schrittweise umgedeutet und aneinander angepasst, bis die anfängliche Paradoxie ihrer Gleichsetzung verschwimmt und sowohl retrospektiv neue Bedeutungen als auch prospektiv neue Anschlussmöglichkeiten emergieren (Krönig 2007: 54).225

224 Dieser Umstand kann wiederum als Symptom der systemtheoretischen Konzentration auf – jetzt operativ formuliert – Schließungsprozesse verstanden werden. Die Frage der „Dynamik des Sozialen bzw. der Offenheit der Sozialen“ (Jung 2009: 195) rückt vor der Erklärung autopoietischer Selbstorganisation und operativer Geschlossenheit in den (theoretischen) Hintergrund, sodass die konsistente systemtheoretische Erklärung der Entstehung neuen Sinns in strukturdeterminierten, operativ geschlossenen Systemen auch aktuell noch nicht als gänzlich etabliert gelten kann (vgl. Jung 2009: 123–199; vgl. auch Bora 2003: 135–136). 225 Krönig (2007: 59, Hervorhebung i.O.) beschreibt diese wechselseitige metaphorische Umdeutung des jeweils aufeinander Bezogenen wie folgt: „Wenn die generative Metapher etwas als etwas anderes sieht, dann geschieht dies in einem Prozeß, bei dem sich beide Bezugspunkte kontinuierlich ändern, indem sie sich im Lichte des jeweils anderen (sich gleichfalls synchron verändernden) sehen. Es handelt sich um einen im kybernetischen Sinne nicht-linearen Prozeß […]. […] Bei diesem dynamischen Rückkopplungsprozeß wechselseitiger Umdeutung ist nicht absehbar, was am Ende als output dabei herauskommt.“

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Krönig zeichnet solche neuen Sinn generierende Entparadoxierungsprozesse für eine Reihe gesellschaftlicher Funktionssysteme nach. So zeigt er beispielsweise, wie das politische System die generative Metapher „‚Sozial ist, was Arbeit schafft‘“ nutzt, um auf den in seiner ‚Umwelt‘ erhobenen Anspruch Sozialpolitik müsse auch wirtschaftlich profitabel sein reagieren zu können (Krönig 2007: 67–73). Die generative Metapher macht wirtschaftliche Relevanzen sozialpolitisch anschlussfähig, indem sie Wirtschaftliches und Soziales in paradoxer Weise miteinander gleichsetzt, also das Wirtschaftliche als das Soziale und das Soziale als das Wirtschaftliche begreift. In dem an diese Paradoxie anschließenden Entparadoxierungsprozess werden dann wirtschaftliche und sozialpolitische Relevanzen immer wieder im Lichte der jeweils anderen betrachtet und dadurch so lange schrittweise umgedeutet und miteinander verwoben (Krönig 2007: 70–73), bis schließlich eine „neue Gesamtbedeutung“ (Krönig 2007: 69) des ‚Sozialen‘ entsteht: „Es wird durch die generative Metapher ‚Sozial ist, was Arbeit schafft‘ möglich, ‚soziale Standards‘ als das Gegenteil des Sozialen zu verstehen, wenn nämlich der generative Prozeß des seeing-as des Sozialen durch das Wirtschaftliche einsetzt. Soziale Standards sind nicht mehr sozial, wenn man behauptet, sie vernichten Arbeitsplätze, um dann weiter zu behaupten, das Gegenteil des Vernichtens von Arbeitsplätzen (also die Schaffung) sei zugleich sozial. ‚Arbeit‘ verweist dann in einem zirkulären semantischen Prozess auf ‚sozial‘ und ‚sozial‘ auf ‚Arbeit‘. Begriffe, die zuvor mühelos unabhängig voneinander gedacht werden konnten, können dies nun nicht mehr, was die Tragweite der Sichtveränderung durch die generative Metapher zeigt“ (Krönig 2007: 70, Hervorhebung i.O.).

Indem sie die Differenzen zwischen dem ‚Sozialen‘ und dem ‚Wirtschaftlichen‘ auf diese Weise operativ verschwimmen lässt, ermöglicht die generative Metapher „Sozial ist, was Arbeit schafft“ sozialpolitische Innovationen: Die sozialpolitische Lage wird nun retrospektiv gerichtet neu interpretierbar und lässt folglich auch prospektiv gerichtet andere, innovative sozialpolitische Maßnahmen als sinnvoll erscheinen. Gelingt eine solche, durch metaphorische Umdeutung ermöglichte Transformation der irritativen Komponente einer Information über Unerwartetes in eine systemintern anschlussfähige Information über Neues, kann das System die ‚umweltinduzierte‘ Irritation, statt sie zu verdrängen, durch eine operative „Innovation“ (Luhmann 1997: 479, 488) – einen neuartigen Anschluss an das zunächst Nicht-Anschlussfähige – normalisieren. Ebenso wie das Unerwartete, welches die Irritation verursacht, kann auch das Neue, welches die Innovation ermöglicht, dabei in jeder der drei Sinndimensionen anfallen: In der Sachdimension besteht es etwa im erstmaligen Einbezug neuer Themen, in der Sozialdimension in der Berücksichtigung neuer Akteure und in der Zeitdimension in der operativen Ausweitung der Systemperspektive auf bis dato unbeobachtbare neue Zeiträume. Im Fall der innovativen Normalisierung ‚umweltinduzierter‘ Irritationen überwindet das System seine momentane Orientierungslosigkeit folglich durch eine Variation im Systemgeschehen: Das Resonieren wird durch eine „einmalige Abweichung der Elemente des Systems durch die Elemente des Systems“, die im Rahmen der bestehenden Erwartungsstrukturen so nicht vorgesehen

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war, fortgesetzt und dadurch wieder in geregelte Bahnen überführt (Luhmann 1997: 454; vgl. auch Luhmann 1995c: 92; Mellmann 2012: 81).226 Scheitert diese innovative Normalisierung ‚umweltinduzierter‘ Irritationen, weil dem System „die Umwandlung von Irritation in Information nicht ohne weiteres gelingt“ (Kusche/Schneider 2010: 177), kann die operative Vermehrung ‚umweltinduzierter‘ Irritationen jedoch auch zu einer dauerhaften Blockade des systemischen Resonierens führen. Wenn sich Irritationen über einen längeren Zeitraum weder innovativ auflösen noch verdrängen lassen, sondern sich immer weiter ‚aufschaukeln‘, entwickelt sich die zunächst momentane Orientierungslosigkeit des Systems zu einem unüberwindbaren, das System paralysierenden Dauerzustand. Das System steuert dann auf eine seine Existenz gefährdende Resonanzkatastrophe zu: Es droht von Irritationen „überflutet“ (Kusche/Schneider 2010: 177) zu werden und „an internen Überforderungen [zu] zerspringen“ (Luhmann 2008: 144). 3.4.2 Die zweite Station systemischen Resonierens: Selektion Wie im vorangegangenen Abschnitt dargestellt, können ‚umweltinduzierte‘ Irritationen im systemischen Resonieren, sofern sie sich nicht zu einer das System paralysierenden Dauerirritation – einer Resonanzkatastrophe – hochschaukeln, entweder durch struktursichernde Anschlüsse oder operative Innovationen normalisiert werden. Während struktursichernde Anschlüsse die bereits bestehenden systemischen Erwartungen reproduzieren und damit zu Resonanzlosigkeit führen, bergen operative Innovationen aufgrund ihrer momenthaften Abweichung von den bestehenden Erwartungen das Potential, eine Anpassung der systemischen Erwartungsstrukturen – also systemische Resonanzen – zu bewirken. Als lediglich einmalig auftauchende Kommunikationsereignisse sind operative Innovationen jedoch nicht bereits unmittelbar mit strukturellen Effekten verbunden, sondern als zunächst rein „situationsgebundenes Geschehen“ zu verstehen, das „tagtäglich“ und „massenweise“ vorkommt und „normalerweise rasch wieder an Bedeutung [verliert]“ (Luhmann 1997: 462; vgl. auch ebd.: 474–475).227 Es ist also nicht

226 Als Element von Variation ist eine operative Innovation zunächst ‚nur‘ als momenthafte Abweichung zu verstehen, die in Systemen „dauernd vorkommt“ (Luhmann 1997: 476). Ob sie auch über den Moment hinaus „Strukturwert gewinnt, ob [sie] sich also eignet, Erwartungen zu formen“ (Luhmann 1987d: 476), ist eine Frage, die (erst) auf der Ebene der Selektion eine Rolle spielt. Auf diese Ebene können ereignishafte Innovationen dann auch zu strukturwirksamen Resonanzen werden. 227 Um Variation und Selektion analytisch unterscheiden zu können, ist es „also wichtig, sich den Bagatellcharakter der evolutionären Variation vor Augen zu führen“ (Luhmann 1997: 462). Die Variation wird stets auf die Logik der Situation bezogen und nicht „als solche kommuniziert […]. Sie wird nicht im Hinblick auf Selektion mitgeteilt. Sie begründet sich irgendwie, aber nicht mit ihrer evolutionären Funktion. […] Man hält sich nicht an das Zinsverbot – aber nicht, weil man damit der Evolution des Wirtschaftssystems dient, sondern weil sich juristisch und kirchlich haltbare Umgehungskonstruktionen finden lassen“ (Luhmann 1997: 462–463; vgl. auch Luhmann 1997: 475; 509–510). Das bedeutet auch, dass sich systemische Anpassungsprozesse nur in besonderen Fällen, nur aus-

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unwahrscheinlich, dass eine „operationsgebundene Variation vergeht, ohne Strukturen zu ändern, und alles so bleibt, wie es war und ist“ (Luhmann 1997: 474). Resonanzen kommen nur dann zustande, wenn es dem System gelingt, seine operativen Innovationen über eine einmalig „abweichende[.] Reproduktion der Elemente durch die Elemente des Systems“ (Luhmann 1997: 454) hinaus auf der Ebene systemischer Erwartungsstrukturen als strukturelle Innovationen zu stabilisieren. Hierzu muss der durch operative Variation erzeugte neue Sinn zu generalisierten „Sinnverarbeitungsregeln“ (Mölders 2011: 110) verdichtet werden, die dann „als Richtlinie für die weitere Kommunikation“ (Luhmann 1997: 454; vgl. auch Melde 2012: 131) fungieren und auf diese Weise die Beobachterperspektive des Systems auf seine ‚Umwelt‘ dauerhaft verändern. Auf der Ebene der die Erwartungsstrukturen des Systems betreffenden Selektion ‚umweltbezogener‘ Innovationen verfügen soziale Systeme dementsprechend über zwei Optionen: „Wenn die Kommunikation […], bisherige Strukturen gegeben, eine abweichende Variante aktualisiert, kann diese zur Struktur gerinnen – oder auch nicht“ (Luhmann 1997: 477, Hervorhebung i.O.). Im ersten Fall handelt es sich um positive, im zweiten Fall um negative Selektion: „Eine positive Selektion nimmt die Abweichung in das Erwartbare auf, vollzieht also eine Strukturänderung; bei negativer Selektion verschwindet die Variation wieder und alles bleibt, wie es ist“ (Mellmann 2012: 81; vgl. auch Hellmann 2003: 191).228 Anders ausgedrückt: Allein positive Selektion versieht die zunächst momenthaft-operativen Innovationen des systemischen Umweltbezugs mit Strukturwirksamkeit und verleiht ihnen auf diese Weise die Qualität systemischer Resonanz. Der operative Mechanismus, der darüber entscheidet, welche dieser beiden Varianten angesichts einer konkreten Innovation im System aktualisiert wird, ist das soziale Gedächtnis. Es steuert die Selektion, indem es darüber disponiert, ob eine operative Innovation erinnert und dem System damit über den Moment hinaus als generalisierte Erwartung „für das Wiedererkennen ähnlicher Sachverhalte zur Verfügung“ gestellt oder aber vergessen und damit für die Prozessierung künftiger Operationen unverfügbar wird (Luhmann 1996c: 313; vgl. auch Abschnitt 3.1.3).

nahmsweise, als reflexive Prozesse darstellen lassen, bei denen eine Irritation nicht erstmal nur eine situative (und systemintern situativ begründete) Innovation produziert, die sich später strukturell durchsetzen kann oder nicht, sondern eine bewusste und unmittelbar auf die ‚Logik des Systems‘ abzielende „interne Konsistenzprüfung“ und Anpassung der bestehenden Erwartungsstrukturen zur Folge hat. „[N]ur ein sehr kleiner Teil der evolutionär relevanten Vorkommnisse [hat] diese intentionale Form“ (Luhmann 1997: 463; vgl. auch Luhmann 1996c: 313; 1987d: 491–492). Mölders (2011: 102–109) begrenzt seinen Begriff systemischen Lernens auf die strukturwirksamen Resultate solch reflexiver Prozesse und grenzt Lernen damit von Evolution ab. Im Kontext dieser Arbeit wird eine solche Differenzierung nicht vorgenommen. Das heißt für das Zustandekommen von Resonanz spielt es keine Rolle, ob eine ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung im Rahmen eines im obigen Sinne reflexiven Prozesses zustande gekommen ist. 228 Es wird also entweder die „Innovation“ oder der „bisherige Zustand“ positiv selegiert (Luhmann 1997: 474).

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Das Erinnern einer operativen Innovation und die mit diesem einhergehende positive Selektion wird dabei im Normalfall nicht als bewusste Entscheidung vollzogen – wie es etwa die von Luhmann in der Ökologischen Kommunikation verwendete Metapher des Abweichungen evaluierenden ‚Redaktionskomitees‘ nahelegt (vgl. Abschnitt 2.6) –, sondern geschieht gewissermaßen unbemerkt und nebenbei: „Das Gedächtnis leistet, so könnte man sagen, eine nicht intendierte Zweitauswertung dessen, was ohnehin als Operation durchgeführt wird“ (Luhmann 1996c: 312, vgl. auch ebd.: 316; Luhmann 1997: 589, 591). In dieser Zweitauswertung werden bestimmte Aspekte der operativen Innovation – nämlich die konkreten Umstände der Irritationssituation, der sie entstammt (Mölders 2009: 65) – wiederum vergessen, während all das erinnert wird, was darüber hinaus „für Wiederwendung in Betracht kommt“ (Luhmann 1995a: 110).229 Durch dieses „selektive[.] Kondensieren“ (Luhmann 1997: 47) der aus der Perspektive des beobachtenden Systems „wiederholenswert[en]“ Aspekte der operativen Innovation wird diese aus ihrem konkreten, situativen „Kontext[.] herausgezogen“ und in eine abstrahierte, typisierte Form gebracht (Luhmann 1997: 582). Auf diese Weise „[hebt] das Gedächtnis […] von der Ebene der Systemoperationen ab[.]“ (Luhmann 1997: 583; Mölders 2009: 65).230 Anders als die situativ gebundene operative Innovation ist die von ihr abgezogene abstrakte Erwartung „so gefaßt […], daß sie zu vielen, konkret verschiedenartigen Situationen ‚pass[t]‘“ (Luhmann 1997: 474). Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass im laufenden Operieren immer wieder Beobachtungen anfallen, die sich unter Rückgriff auf diese Erwartung prozessieren lassen. Der so ermöglichte „wiederholte Gebrauch derselben Referenzen“ (Luhmann 1997: 584) in verschiedenen, aber derselben Typik zurechenbaren Situationen führt dazu, dass die positiv selegierte neue Erwartung nun regelmäßig operativ aktualisiert und reproduziert werden kann. Dieses „konfirmierende[.] Generalisieren“ (Luhmann 1997: 47) der positiv selegierten neuen Erwartung hat zwei sich wechselseitig stützende und verstärkende Effekte im Sys-

229 Ob beziehungsweise welche Aspekte einer Innovation dem System als wiederholenswert erscheinen und welche nicht, orientiert sich an systeminternen, das heißt strukturellen „Selektionskriterien“ (Luhmann 1997: 494). Worin diese Selektionskriterien, die die „Unterscheidung“ zwischen Variationen „mit und ohne Strukturwert“ regulieren, genau bestehen, ist, wie Hellmann (2003: 195) bemerkt, „theoretisch weitgehend unklar“. Als entscheidende systemische „Selektionsmittel“ hebt Luhmann (1997: 481, 494) in diesem Kontext insbesondere die systemischen Programme und die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien hervor. Anhand dieser Strukturen prüft „die Selektion dann [beispielsweise, Anmerkung H.V.], ob man sich für Machbarkeit und Folgenvoraussicht auf Wahrheit berufen kann, ob die Innovation finanzierbar ist oder ob Macht ausreicht zur Durchsetzung gegen eventuellen Widerstand“ (Luhmann 1997: 481). Neben diesen, insbesondere für sachbezogene Innovationen ausschlaggebenden Selektionskriterien dürften für soziale oder temporale Innovationen auch andere, etwa die hier dargestellten Umwelt- und Selbstbeschreibungen beziehungsweise Vergangenheits- und Zukunftshorizonte von besonderer Bedeutung sein. 230 Daher bezeichnet „[d]er Strukturbegriff […] eine andere Ebene der Ordnung von Wirklichkeit als der Ereignisbegriff“ (Luhmann 1987d: 393).

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tem: Da durch „Wiederholung der Kommunikation, ihres Wortgebrauchs, ihrer Referenzen ein Kompakteindruck des Bekanntseins, des Vertrautseins“ mit der jeweiligen neuen Erwartung „aufgebaut [wird]“ (Luhmann 1997: 579–580), kann das System einerseits immer selbstverständlicher auf diese zurückgreifen, sie also in den eigenen Operationen immer routinierter verwenden. „[A]ndererseits wird genau dadurch dem Vergessen überlassen, wie es vorher war, als bestimmte Eindrücke oder Anforderungen neu, überraschend, unvertraut anfielen“ (Luhmann 1997: 579–580; vgl. auch Fuchs 2008: 13), sodass die neue Erwartung zugleich immer weiter von ihrem ursprünglichen Entstehungskontext abgelöst wird. 231 Metaphorisch umschreibt Luhmann dieses schrittweise operative Festigen und Generalisieren neuer systemischer Erwartungen als einen Kondensations- oder Gerinnungsprozess (Luhmann 1997: 473, 476, 477, 579; vgl. auch Baraldi 1997a: 45; Fuchs 2008: 12), in dem sich durch „laufende[s] ‚Reimprägnieren‘“ (Luhmann 1997: 588; vgl. auch Luhmann 1996c: 316) der ‚Aggregatzustand‘ der Kommunikation von zunächst flüchtig-momenthaften, situationsgebundenen Operationen hin zu relativ stabilen beziehungsweise dauerhaften, abstrakten Strukturen verändert. Für eine etwas weniger bildhafte und auf konkrete funktionssystemische Operationsprozesse bezogene Auseinandersetzung mit der durch Selektion ermöglichten Veränderung kommunikativer Aggregatzustände eignet sich – wie auch Mölders (2011: 165) argumentiert – Teubners Konzept der Episodenverknüpfung.232 Wie Teubner (1987: 437) unter anderem am Beispiel der durch das „Fallrecht“ ermöglichten Strukturbildung im Rechtssystem aufzeigt,233 vollzieht sich die positive Selektion operativer

231 Luhmann (1996c: 313) beschreibt diese beiden Effekte am Beispiel des Essens mit einem Löffel: Je öfter man mit einem Löffel isst, desto leichter fällt dies auch in unterschiedlichen Situation oder mit verschiedenen Formen von Löffeln und desto weniger braucht man sich „daran zu erinnern, wann und unter welchen Umständen man gelernt hat, wie man einen Löffel anfaßt, um damit zu essen; und folglich ist und bleibt, wenn man es kann, vergessen, wie es war, als man lernte, mit dem Löffel zu essen“ (vgl. für ein ähnliches Beispiel Fuchs 2008: 13). 232 Obwohl es Teubner (1987: 434) in seinen Ausführungen auch um die Frage geht, auf welche Weise „über die einzelne Rechtsepisode hinaus Selektionsmuster im Recht stabilisiert werden können“, liegt sein Hauptaugenmerk dabei nicht so sehr auf der Analyse der systemischen Selektion neuen Sinns – also der Beschreibung systemischer Offenheit, sondern ist eher – klassisch systemtheoretisch – auf Schließungsprozesse, nämlich darauf gerichtet, „[m]it Hilfe des Begriffs der Episodenverknüpfung, der einen selbstreferentiellen Mechanismus im Rechtssystem bezeichnet, […] plausibel [zu machen] […], daß die Autonomie gesellschaftlicher Teilsysteme als ein Steigerungsprozeß zu denken ist, der in ihrer Autopoiese kulminiert“ (Teubner 1987: 424). Die Verschiebung von Teubners analytischem Fokus hin zur Beschreibung systemischer Offenheit – in diesem Fall funktionssystemischer Lernprozesse – ist vor allem Mölders (2011: 165) Verdienst. Wie dieser illustriert, lassen sich im Rahmen der Episodenverknüpfung als analytischem Beobachtungsrahmen nicht nur Selektions-, sondern auch Diffusions- und Restabilisierungsprozesse nachvollziehen. 233 Teubner (1987: 437) unterscheidet zwischen drei klassischen Formen der ‚Episodenverknüpfung‘ im Rechtssystem: Fallrecht, Gesetzgebungsrecht und Wissenschaftsrecht.

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Rechtsinnovationen im Rahmen einer „zyklische[n] Verknüpfung dezentrierter Kommunikationskreisläufe“: Durch das Ineinandergreifen verschiedener operativer Episoden werden zunächst vereinzelte, innovative „Rechtshandlungen“ – etwa auf konkrete Fälle bezogene Präzedenzentscheidungen – nach und nach zu generellen, fallunabhängigen Kriterien der Unterscheidung von Recht und Unrecht – also zu allgemein gültigen „Rechtsstrukturen“ – weiterentwickelt (Teubner 1987: 432–434).234 Dass sich Teubners Konzept auch auf andere Funktionssysteme anwenden lässt, demonstriert Mölders (2011: 173; vgl. für eine ähnliche Beschreibung Kusche/Schneider 2010: 173) mit seiner Rekonstruktion der Episodenverknüpfung im Wissenschaftssystem. Hier bilden nicht von der bisherigen Rechtsprechung abweichende Gerichtsurteile, sondern innovative, etablierte Forschungsergebnisse infrage stellende „Publikation[en] [...] das Ausgangsmaterial, das sich evolutionär dann stabilisiert, wenn weitere Publikationen die dort zur Verfügung gestellten gelernten Strukturen selektieren.“ Es gibt also durchaus verschiedene, je systemspezifisch ausgestaltete Selektionswege, über die der „iterative […] Wiedergebrauch“ einer operativen Innovation „in immer anderen Situationen“ bewirkt, dass sich diese nach und nach „festigen und generalisieren“ und dadurch die Form einer Erwartungsstruktur annehmen kann (Luhmann 2000a: 320). Wann genau ein solcher Selektionsprozess als abgeschlossen betrachtet werden kann, also die sich schrittweise etablierende neue ‚umweltbezogene‘ Erwartung hinreichend gefestigt und generalisiert ist, um als eine Form systemischer Resonanz gelten zu können, lässt sich nicht anhand eindeutiger „quantitativer Schwellenwerte“ festmachen (Mölders 2011: 173).235 Als definitiv strukturell etabliert kann eine neue Erwartung jedoch spätestens dann gelten, wenn die mit ihr ursprünglich verknüpfte Charakterisierung als innovative Abweichung vergessen, das heißt nicht mehr mitkommuniziert wird.236 In diesem Stadium des Selektionsprozesses wird die durch Resonanz realisierte „Sichtveränderung“ (Krönig 2007: 70) der systemischen Beobachterperspektive auf die ‚Umwelt‘ nicht mehr als solche reflektiert, sondern erscheint dem System als völlig normal: Die ehemals neue Erwartung ist dann aus dem System

234 Das Konzept der Episodenverknüpfung bezieht sich sowohl auf die Evolutionsschritte der Selektion – also die Kondensierung und Generalisierung operativer Innovationen zu systemischen Erwartungsstrukturen – als auch der Restabilisierung – also den sukzessiven Einbau dieser Erwartungen in das bereits bestehende Gesamtgefüge systemischer Erwartungen (vgl. Teubner 1987: 434–435). Obwohl diese Prozesse empirisch zumeist ineinandergreifen beziehungsweise gleichzeitig vollzogen werden dürften, sollen sie hier analytisch zunächst getrennt betrachtet werden. Daher ist auch die Darstellung der teubnerschen Episodenverknüpfung entsprechend analytisch aufgetrennt (vgl. zu Fragen der Restabilisierung Abschnitt 3.4.3). 235 Mölders (2011: 173, 184) bezieht sich in der hier zitierten Aussage auf die Frage, ab wann man davon ausgehen kann, dass „Gelerntes die funktionssystemische Ebene erreicht hat“. 236 Vgl. in diese Richtung weisend auch Fuchs (2008: 13).

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„nicht mehr wegzudenken“ und „[fungiert] ganz selbstverständlich […] als strukturelle Bedingungen für weitere Anschlüsse“ (Mölders 2011: 182, Hervorhebung i.O.). 237 Im operativen Resonieren manifestiert sich diese Normalisierung des ursprünglich Neuen „ins Verkehrsübliche“ (Luhmann 1980: 18–19) darin, dass ‚Umweltereignisse‘, die unter Rückgriff auf die ehemals neue Erwartung prozessiert werden, nicht mehr als Irritationen, sondern als erwartbare Ereignisse, als „ordentliche[r], […] regulär verwendbare[r] Sinn“ behandelt werden (Luhmann 1980: 18). Positiv selegierte ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassungen erkennt ein Beobachter zweiter Ordnung also daran, „daß bestimmte Irritationen nicht mehr irritieren, weil sie zu oft, zu erwartbar anfallen“ (Fuchs 2008: 10). Dies gilt unabhängig davon, um welche Form systemischer Resonanz es sich handelt: Um die routinierte Auseinandersetzung mit (zuvor unbeobachtbaren) Themen in der Sachdimension, den geregelten Einbezug von (zuvor exkludierten) Akteuren in der Sozialdimension oder die planmäßige Berücksichtigung von (ehemals ausgeblendeten) Zeithorizonten in der Zeitdimension.238 3.4.3 Die dritte Station systemischen Resonierens: Restabilisierung Ist es einem System gelungen im Anschluss an eine ‚umweltinduzierte‘ Irritation eine Innovation zu realisieren und diese über den operativen Moment hinaus positiv als eine Form systemischer Resonanz zu selegieren, so muss diese „innovierte[.] Struktur“ in der dritten Station systemischen Resonierens, der Restabilisierung, „dem System eingepaßt werden, ohne daß im Voraus (bei der Selektion) ausgemacht werden könnte, ob und wie das gelingt“ (Luhmann 1997: 487; vgl. auch ebd.: 485). Beim „Prozeß der Restabilisierung“ systemischer Resonanzen geht es also darum, die durch Resonanz erzeugten „neue[n] Strukturen in ein Gefüge vorhandener Strukturen“ (Luhmann 1997: 490) einzubauen und sie dadurch in die systemische „Einheit des Reproduktionszusammenhangs“ (Luhmann 1997: 455) zu integrieren.

237 Da Erwartungsstrukturen und Operationsprozess, wie bereits erläutert (vgl. Abschnitt 3.1), stets in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis zueinanderstehen, folgt aus dem Umstand, dass der Prozess positiver Selektion zu einem Abschluss kommt, jedoch nicht, dass die selegierte Struktur(anpassung) von diesem Zeitpunkt an dauerhaft bestehen bleiben muss. Ebenso wenig darf der hier nur in einer Richtung beschriebene Prozess systemischer Resonanzbildung, also der positiven Selektion einer ‚umweltbezogenen‘ Innovation, nicht als linear verlaufende Einbahnstraße in Richtung Kondensation oder Gerinnung begriffen werden. In diesem Prozess ist es immer auch möglich, dass sich Erwartungen wieder verflüchtigen, sofern sie zu selten oder gar nicht mehr operativ aktualisiert werden. 238 Diese verschiedenen Resonanzformen können entweder auf der Ebene der Attributionsschemata – als Etablierung einer (neuen) Form der Bezeichnung von ‚etwas‘ als ‚etwas‘ (im Unterschied zu ‚etwas Anderem‘) – oder auf der Ebene der solche Schemata anleitenden Attributionsregeln – als Etablierung einer (neuen) retrospektiven Zuordnung oder prospektiven Handhabung bereits bestehender Bezeichnungen – verankert sein (vgl. Abschnitt 3.3.1).

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Dieser „Einbau“ (Luhmann 1997: 490) erweist sich insbesondere dann als problematisch, wenn die neuen Erwartungsstrukturen sich nicht nahtlos in die alten Erwartungen einfügen – sie also einfach ergänzen – sondern im Widerspruch zu diesen stehen.239 In diesem Fall verursachen Resonanzen systeminterne „Probleme struktureller Kompatibilität“ (Luhmann 1997: 488): Sie führen dazu, dass ein und dasselbe Ereignis auf Basis der bestehenden, neuen und alten Erwartungen gleichzeitig auf zwei unterschiedliche, nebeneinander bestehende aber sich wechselseitig ausschließende Weisen verstanden beziehungsweise operativ prozessiert werden kann. Sofern solche „strukturelle[n] Inkompatibilitäten“ (Luhmann 1997: 489) nicht an konkreten Beobachtungen auffallen, können sie im systemischen Resonieren latent bleiben.240 Ebenso ist es jedoch möglich, dass die sich widersprechenden neuen und alten Erwartungen aus Anlass eines konkreten Ereignisses miteinander kollidieren (vgl. in Bezug auf ‚umweltinduzierte‘ Programmänderungen Melde 2012: 127). Solche operativen Erwartungskollisionen produzieren dann weitere, nun resonanzinduzierte Irritationen, die sich im systemischen Resonieren in der Form überraschender Widersprüche manifestieren: Die Bedeutung, die einem bestimmten Ereignis durch

239 Wie im Folgenden erläutert wird, handelt es sich – ebenso wie im Falle der strukturellen Selektion operativer Innovationen (vgl. Fußnote 227) – auch bei der Restabilisierung systemischer Resonanzen im Normalfall nicht um ein reflexives Ab- beziehungsweise Angleichen neuer und alter Erwartungsstrukturen im Sinne eines aktiven „Befragens“ (Mölders 2009: 65) des Systemgedächtnisses: Strukturelle Inkompatibilitäten werden in der Regel weder in abstrakter Form antizipiert, noch als auf der Ebene der eigenen Erwartungsstrukturen angesiedelte Probleme reflektiert. Insbesondere in den hochkomplexen Funktionssystemen der modernen Gesellschaft „[bleiben] die Verhältnisse“ hierfür zu „unübersichtlich. Man kann bei der Einführung neuer Strukturen […] nicht voraussehen, was geschehen wird“ (Luhmann 1997: 490–491; vgl. auch Luhmann 1987d: 491–492). Darum ist auch die „Konsistenz“ systemischer Erwartungen in der Vorausschau nur „schwer zu prüfen“. Inkonsistenzen zwischen alten und neuen Erwartungen lassen sich daher „im allgemeinen erst erkennen […], wenn die Neuerung eingeführt ist und in der Praxis zu Problemen führt“ (Luhmann 1997: 474). Als „reaktive[s] Verfahren“ (Luhmann 1997: 490–491) setzt eine „interne Konsistenzprüfung“ (Mölders 2011: 182) der systemischen Erwartungen demnach typischerweise nur und erst dann ein, wenn sich die durch Resonanz erzeugten „strukturelle[n] Widersprüche“ (Luhmann 1997: 488) auch in der Form konkreter, situationsgebundener Irritationen operativ manifestieren. 240 Dass strukturelle Inkompatibilitäten operativ latent bleiben, ist insbesondere dann wahrscheinlich, wenn die sich widersprechenden Erwartungsstrukturen in unterschiedlichen systemischen Binnenbereichen verankert sind. In diesem Fall können auch sich widersprechende Erwartungen innerhalb eines Funktionssystems gleichzeitig und widerspruchsfrei reproduziert werden. Kusche und Schneider (2010: 187: vgl. auch Schneider 2014: 99–100) illustrieren dies am Beispiel des in „Schulen“ strukturell binnendifferenzierten Wissenschaftssystems: „Schulenbildung verhindert, dass wissenschaftliche Kommunikation durch solche Situationen der Unsicherheit [über die richtige Differenzierung zwischen wahr und falsch, Anmerkung H.V.] blockiert wird, und ermöglicht durch interne Differenzierung zwischen verschiedenen Kommunikationszusammenhängen, dass einander ausschließende Alternativen nebeneinander erprobt werden können.“

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eine der beiden widerstreitenden strukturellen Zurechnungsoptionen verliehen wird, wird in der an diese Bedeutungszuweisung anschließenden Kommunikation unter Berufung auf die jeweils andere Zurechnungsoption zurückgewiesen. Am Beispiel der binären Codes verdeutlicht, führt dies etwa dazu, dass „verschiedene Kommunikationen im System jeweils denselben Mitteilungsinhalt den beiden entgegengesetzten Werten des systemspezifischen Codes zuordnen und sich im Modus des Widerspruchs aufeinander beziehen“ (Kusche/Schneider 2010: 177). So manifestiert sich „die Unsicherheit darüber, welcher der beiden Codewerte zuzuordnen ist, […] auf der Ebene der Autopoiesis des Systems zunächst als bestimmte Art des Anschlusses, als Ablehnung einer vorgeschlagenen Codewertzuordnung und Optieren für die andere Seite des Codes“. 241 Solche Widerspruchskommunikationen versetzen das System in einen Zustand momentaner „Unentschiedenheit, d[er] Erwartungssicherheit auflöst“ (Kusche/Schneider 2010: 178). Operativ problematisch ist dieser durch überraschende Widersprüche erzeugte Zustand momentaner Orientierungslosigkeit deshalb, weil er sich auf Basis der bestehenden systemischen Erwartungsstrukturen nicht auflösen lässt. 242 Da die bis zum Zeitpunkt der operativen Erwartungskollision latente Inkompatibilität zwischen neuen und alten Strukturen durch den Widerspruch selbst erst aufgedeckt – also erstmals als solche beobachtbar wird (Luhmann 1987d: 495, 507) –, fehlt es dem System zunächst an diese Strukturen relationierenden Kriterien. Nur auf der Basis solcher „zusätzliche[n] (und das heißt zwangsläufig: einschränkende[n]) Bestimmungen“ (Luhmann 1987d: 493–494), die, gewissermaßen als sekundäre Strukturen, die Beziehung der sich widersprechenden Erwartungen spezifizieren, ließe sich die „nach aktuellem Wissensstand“ des Systems „unentscheidbare[.] Frage“ (Kusche/Schneider 2010: 185) klären, welche der beiden gegensätzlichen Zurechnungsoptionen im Hinblick auf das beobachtete Ereignis die Richtige ist. Das System verfügt also nicht nur im Falle unmittelbar ‚umweltinduzierter‘, sondern auch im Falle von resonanzinduzierten Irritationen nicht über die „geeigneten Beobachtungsmittel“ (Stäheli 2000:

241 Wie Luhmann (1987d: 497) ausführt, „[erzeugen] [s]oziale Systeme […] Widersprüche […] durch Kommunikation von Ablehnung“. Eine solche „kommunikative Ablehnung“ wird wiederum sequentiell durch zwei aufeinanderfolgende Kommunikationen entfaltet, indem „eine[.] Kommunikation […] eine Sinnselektion [negiert] und […] eine andere gewissermaßen dagegen [setzt]“ (Bonacker 2005: 272). Abstrakt formuliert sieht sich das Systeme durch den Widerspruch mit einer irritierenden „Tautologie“ konfrontiert. Es stellt fest: „A ist (nicht) A“ (Luhmann 1987d: 492–493). „Es handelt sich bei allen Tautologien, also auch bei Widersprüchen, um extrem verkürzte, pure Selbstreferenz. Gewonnen wird damit beliebige Anschlußfähigkeit. Jede bestimmte oder näher bestimmbare Anschließung setzt dann eine Entfaltung der Tautologie voraus, die zusätzliche (und das heißt zwangsläufig: einschränkende) Bestimmungen in sich aufnimmt: Eine Rose ist keine Rose – wenn sie ...“. 242 So etwa, wie Kusche und Schneider (2010: 185) am Beispiel des Wissenschaftssystems illustrieren, wenn „die Entscheidung einer nach aktuellem Wissensstand unentscheidbaren Frage zur Bedingung der Möglichkeit für die Fortsetzung wissenschaftlicher Kommunikation wird“.

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42), um den jeweiligen unerwarteten Widerspruch auflösen und dadurch die Bedeutung des beobachteten Ereignisses restlos bestimmen zu können. Als nicht gänzlich sinnhaft spezifizierbare Informationen über Unvereinbares bestehen resonanzinduzierte Irritationen folglich ebenfalls aus einer auf Erwartbares verweisenden informativen Komponente und einer auf Unerwartetes im Sinne von Unvereinbarem verweisenden irritativen Komponente. Die informative Komponente ergibt sich daraus, dass das jeweils beobachtete Ereignis auf zwei unterschiedliche, aber – je für sich – gänzlich sinnhaft spezifizierbare Weisen verstanden und operativ prozessiert werden kann. Denn „das, was sich widerspricht, ist ja bestimmt; sonst könnte man keinen Widerspruch feststellen“ (Luhmann 1987d: 493). Die irritative Komponente besteht dagegen darin, dass diese „[z]wei Erwartungslinien“ durch den unerwarteten Widerspruch „als unvereinbar herausgestellt werden“, sodass „man [dann nicht] weiß […], ob die Erwartungen in die eine oder andere Richtung erfüllt werden sollen“ (Luhmann 1987d: 501).243 Im retrospektiv gerichteten Verstehen unerwarteter resonanzinduzierter Widersprüche bleibt für das System dementsprechend völlig offen, für welche der operativ widerstreitenden Deutungen des beobachteten Ereignisses es sich entscheiden soll. Prospektiv gerichtet führt dies zu einer Unklarheit darüber, mittels welcher der beiden strukturell verfügbaren Möglichkeiten es an das beobachtete Ereignis anschließen kann. Resonanzinduzierte Irritationen versetzen das System folglich in einen Zustand momentaner Orientierungslosigkeit, indem sie systeminterne Situationen der „Unentscheidbarkeit“ (Luhmann 1987d: 492; vgl. auch Kusche/Schneider 2010: 178) produzieren, die sich im Rahmen der operativen Routinen nicht auflösen lassen und das systemische Resonieren somit zum Stocken bringen. Je nachdem, in welcher Sinndimension Unvereinbares anfällt, bleibt im systemischen Resonieren daher fraglich, ob es in Bezug auf das jeweils beobachtete Ereignis in der Sachdimension um dieses oder jenes Thema geht, ob das beobachtete Ereignis in der Sozialdimension diesem oder jenem Adressaten zuzurechnen ist oder ob es in der Zeitdimension eine sofortige oder spätere Reaktion erfordert. „[U]nd all dies letztlich, weil widersprüchliche Erwartungen im Spiel sind“ (Luhmann 1987d: 501).244

243 Durch seine irritative Komponente „zerstört [der Widerspruch] für einen Moment die Gesamtprätention des Systems: geordnete, reduzierte Komplexität zu sein. Für einen Augenblick ist dann unbestimmte Komplexität wiederhergestellt, alles ist möglich.“ Gleichzeitig sorgt die informative Komponente dafür, dass „der Widerspruch genug Form [hat], um die Anschlußfähigkeit des kommunikativen Prozessierens von Sinn doch noch zu garantieren. Die Reproduktion des Systems wird nur auf andere Bahnen gelenkt“ (Luhmann 1987d: 508, Hervorhebungen i.O.). 244 Wie diese Ausführungen zeigen, resultiert die operative Orientierungslosigkeit des Systems bei resonanzinduzierten Irritationen – anders als bei den das Resonieren initiierenden ‚umweltinduzierten‘ Irritationen – nicht aus der Unverständlichkeit des betreffenden Ereignisses selbst, sondern aus der Unvereinbarkeit der beiden verfügbaren und – je für sich – routiniert prozessierbaren systemischen Bedeutungsbestimmungen. Resonanzinduzierte Irritationen resultieren also, in Luhmanns (1987d: 193) Worten, aus einer „sekundäre[n] Unbestimmtheit“ der systemischen Erwartungsstrukturen. Denn „das, was sich

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Wie in der Auseinandersetzung mit Luhmanns Argumentation in der Ökologischen Kommunikation bereits angesprochen wurde (vgl. Abschnitt 2.5.2), kann die Restabilisierung systemischer Resonanzen also durchaus mit aus „strukturellen Widersprüche[n]“ (Luhmann 1997: 488) resultierenden „Folgeprobleme[n]“ (Luhmann 1997: 490–491) verbunden sein, die dann selbst wiederum über die drei Stationen Variation, Selektion und Restabilisierung operativ verarbeitet werden müssen. „[D]er Begriff der Restabilisierung [bezeichnet]“ folglich „Sequenzen des Einbaus von Strukturänderungen in ein strukturdeterminiert operierendes System; und er trägt dabei der Einsicht Rechnung, daß dies auch über Variationen und Selektionen […] geschieht“ (Luhmann 1997: 488). Die systeminterne Restabilisierung systemischer Resonanzen muss das Resonieren folglich nicht zwangsläufig abschließen, sondern kann es, sofern es zu resonanzinduzierten, aus operativen Kollisionen zwischen neuen und alten Erwartungen resultierenden Irritationen kommt, ebenso weiter in Gang halten beziehungsweise wiederum von vorn beginnen lassen. Unter Umständen kann die operative Prozessierung resonanzinduzierter Irritationen auf diese Weise auch zu weiteren Strukturanpassungen führen. Solche, an die primäre Form systemischer ‚Umweltanpassung‘ anschließende resonanzinduzierte Folgeanpassungen der systemischen Erwartungsstrukturen werden in dieser Arbeit, wie in Abschnitt 3.3.2 bereits erwähnt, als sekundäre Resonanzen bezeichnet.245 Um nachvollziehen zu können, auf welche Weisen resonanzinduzierte Irritationen im systemischen Restabilisierungsprozess weiterverarbeitet werden können und mit welchen systeminternen Effekten – (sekundäre) Resonanzen, (sekundäre) Resonanzlosigkeit oder Resonanzkatastrophe – dies potentiell verbunden ist, werden im Folgenden die drei Schritte der systemischen Restabilisierung – Variation, Selektion und Restabilisierung – wiederum einzeln in den Blick genommen. Auf der Ebene der Variation stehen dem System zum Umgang mit seinen resonanzinduzierten Irritationen, wie bereits in Bezug auf die Prozessierungsmöglichkeiten ‚umweltinduzierter‘ Irritationen dargestellt (vgl. Abschnitt 3.4.1), zwei operative Normalisierungsformen zur Verfügung: Die struktursichernde Normalisierung, die auf der Verdrängung der irritativen Komponente der Information über Unvereinbares beruht, und die innovative Normalisierung, bei der die Unvereinbarkeit der dem Sys-

widerspricht, ist ja bestimmt; sonst könnte man keinen Widerspruch feststellen. Nur bestimmte Vorstellungen, nur bestimmte Kommunikationen können sich widersprechen, und die Form des Widerspruchs scheint dann dazu zu dienen, die schon erreichte Sinnbestimmtheit wieder in Frage zu stellen. Der Widerspruch ist eine Unbestimmtheit des Systems; nicht eine Unbestimmtheit der Einzeloperationen“. 245 Vor allem solche sekundären, an die primäre Form systemischer ‚Umweltanpassung‘ anschließenden Folgeanpassungen werden in Steuerungsdebatten häufig als nichtintendierte Nebenfolgen gesellschaftlicher Koordinationsprozesse diskutiert (vgl. z.B. Voß 2008: 244–245; Böschen 2007: 76). Ob eine spezifische ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung als primäre oder sekundäre Resonanz charakterisiert wird, hängt jeweils davon ab, zu welchem Zeitpunkt oder aus Anlass welches ‚Umweltereignisses‘ der diese registrierende Beobachter zweiter Ordnung in die Beobachtung des systemischen Resonierens einsteigt.

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tem zur Verfügung stehenden Deutungen des jeweils beobachteten Ereignisses operativ thematisiert und durch eine neuartige Relationierung aufgelöst wird. Im ersten Fall, der struktursichernden Normalisierung resonanzinduzierter Irritationen, schließt das System an den unerwarteten Widerspruch mit „Meidungskommunikation[en]“ (Bora 2003: 94) – etwa „Nachgeben“, „Einlenken“ oder „Stehenlassen[.]“ (Hitzler 2012: 202; Messmer 2003: 147, 301) – an. Diese struktursichernden Anschlüsse sorgen dafür, dass das System das ins Stocken geratene Resonieren fortführen kann, indem es die kommunikative Zurückweisung der ersten Deutung des jeweils beobachteten Ereignisses akzeptiert und die durch diese offerierte alternative Deutung als gültig übernimmt.246 Dadurch wird der jeweilige Widerspruch zwar implizit zugunsten einer der beiden widerstreitenden Deutungen entschieden. Von einer Lösung des Widerspruchs als Widerspruch, der eine neuartige Spezifizierung der Beziehung der sich gegenüberstehenden Zurechnungsoptionen ermöglicht, kann jedoch keine Rede sein. Denn anstatt ihn als solchen zu thematisieren, wird der Widerspruch im systemischen Resonieren „lediglich stehen gelassen und nicht weiter verfolgt“ (Hitzler 2012: 203; vgl. auch Kusche/Schneider 2010: 184). So überlässt das System es letztlich schlicht dem Zufall, welche der beiden widerstreitenden Zurechnungsoptionen sich bis auf Weiteres im systemischen Resonieren durchsetzt. Durch eine struktursichernde Normalisierung resonanzinduzierter Widersprüche versetzt sich das System folglich in die Lage, operative Widersprüche aufzulösen, ohne die diesen zugrundeliegende Unvereinbarkeit der jeweils widerstreitenden Deutungen im systemischen Resonieren thematisieren zu müssen.247 Indem sie deren irritative Komponente aus dem Resonieren verdrängen, transformieren Meidungskommunikationen die zunächst nicht anschlussfähige Information über Unvereinbares in eine gänzlich sinnhaft spezifizierte Information über Erwartbares: Das beobachtete Ereignis kann auf Basis einer der beiden systemischen „Erwartungslinien“ (Luhmann 1987d: 501), retrospektiv gerichtet, als normales Ereignis verstanden und, prospektiv gerichtet, routiniert weiter prozessiert werden. Mit der Widerspruchskommunikation verschwindet dann auch die momentane operative Orientierungslosigkeit aus dem System, sodass das systemische Resonieren wieder in geregelte Bahnen überführt wird. Indem sie auf diese Weise sicherstellen, dass Widersprüche „in den sozialen Systemen [versickern], fast ohne Spuren zu hinterlassen“ (Luhmann 1987d: 541), verhindern solche struktursichernden Anschlüsse jedoch zugleich, dass es zu einer weiteren resonanzinduzierten Anpassung der systemischen Erwartungsstrukturen kommen kann. Anstatt den durch den irritierenden Widerspruch erzeugten inneren An-

246 Der die Widerspruchskommunikation beendende kommunikative „Dreischritt[.]“ (Messmer 2003: 119, Hervorhebung i.O.) folgt dann dem operativen Muster: Kommunikation1: ‚Es gilt A!‘  Kommunikation2: ‚Nein, es gilt B!‘  Kommunikation3: ‚Aus B folgt…‘. 247 Aus diesem Grund bezeichnet Messmer (2003: 94) solche Meidungskommunikationen auch als operative „Stoppmechanismen“ für Widerspruchskommunikation, die verhindern, dass die bestehenden Erwartungen (aufgrund ihrer Inkompatibilität) infrage gestellt werden können. „Durch ein Nachgeben werden die Bedingungen der Möglichkeit einer Unvereinbarkeit damit schon im Kern neutralisiert“ (Messmer 2003: 281).

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passungsdruck als Anlass für eine „interne Konsistenzprüfung“ (Mölders 2011: 182) der eigenen Erwartungen zu verstehen, weichen sie diesem aus und sorgen somit dafür, dass das Resonieren ohne eine Klärung des Verhältnisses der jeweils kollidierenden Erwartungen fortgesetzt werden kann. Die bestehenden, neuen wie alten Erwartungen werden nicht infrage gestellt, sondern – wenn auch nur einseitig – operativ reproduziert. Sekundäre Resonanzen sind im Rahmen der struktursichernden Normalisierung resonanzinduzierter Irritationen daher nicht zu erwarten. Im zweiten Fall, der innovativen Normalisierung resonanzinduzierter Irritationen, lässt das System die Widerspruchskommunikation dagegen nicht ins Leere laufen, sondern führt sie weiter fort. Es reagiert also nicht lediglich „auf die eine oder andere Möglichkeit, die sich wechselseitig ausschließen, sondern auf das Ausschließungsverhältnis selbst“ (Luhmann 1987d: 502).248 Hierzu kann das System an den beobachteten Widerspruch entweder direkt mit einem weiteren, für die jeweils abgelehnte Deutung plädierenden Gegen-Widerspruch – ein auf das beobachtete „Nein“ reagierendes „Gegennein“ (Luhmann 1995b: 566, zitiert nach Ley/Meyhöfer 2016: 84)249 – oder mit einer reflexiven „Thematisierung der Ablehnung“ als solche (Luhmann 1988: 5, zitiert nach Ley/Meyhöfer 2016: 84)250 anschließen. In beiden Fällen wird die im Rahmen des Widerspruchs letzte offerierte Deutung des beobachteten Ereignisses explizit nicht als gültig übernommen, sondern wiederum infrage gestellt. Durch diese operative Verdopplung des Widerspruchs wird die „Unvereinbarkeit“ der beiden widerstreitenden „Sinnperspektiven“ im systemischen Resonieren aufgedeckt und das System wechselt seinen Operationsmodus von Normalkommunikation in Widerspruchskommunikation: Es kommt zu einem offenen „Konflikt“ (Messmer 2003: 218, Hervorhebung i.O.),251 einem das Resonieren bestimmenden

248 Das heißt: auf die „im System selbst konstituierte Synthese[.]“ als solche, die zwei „Sinnmomente[.] unter dem Gesichtspunkt der Unvereinbarkeit“ zusammenfasst (Luhmann 1987d: 525). 249 Der die Widerspruchskommunikation fortführende „Dreischritt[.] von Sinnzumutung, Widerspruch und einer weiteren ablehnenden Reaktion“ (Messmer 2003: 119, Hervorhebung i.O.) folgt dann dem operativen Muster: Kommunikation1: ‚Es gilt A!‘  Kommunikation2: ‚Nein, es gilt B!‘  Kommunikation3: ‚Nein, es gilt A!‘. 250 Der die Widerspruchskommunikation fortführende „Dreischritt[.] von Sinnzumutung, Widerspruch und einer weiteren ablehnenden Reaktion“ (Messmer 2003: 119, Hervorhebung i.O.) folgt dann dem operativen Muster: Kommunikation1: ‚Es gilt A!‘  Kommunikation2: ‚Nein, es gilt B!‘  Kommunikation3: ‚Was gilt denn nun: A oder B?‘. 251 Das hier zugrunde gelegte systemtheoretische Konfliktverständnis folgt Messmer (2003: 281), der davon ausgeht, dass Konflikte erst durch drei aufeinanderfolgende Kommunikationen und nicht, wie Luhmann (1987d: 530) ‚Konflikt‘ in Soziale Systeme bestimmt, bereits durch einen singulären, aus zwei Kommunikationen bestehenden Widerspruch konstituiert werden: „Während die einzelne Ablehnung zunächst nur den Widerspruch konstituiert, begründet die Zurückweisung des Widerspruchs an dritter Zugposition den Konflikt.“ Denn „[e]rst wenn klar ist, dass der Ablehnungsbetroffene trotz Widerspruch an seinen Absichten und Standpunkten festhält, lässt sich verlässlich auf die Unvereinbarkeit zweier Sinnselektionen schließen“. Der Übergang von Widerspruch zu Konflikt setzt dementsprechend voraus, dass sachliche Unvereinbarkeiten auch in der Sozialdimension

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„Streit“ (Luhmann 1995b: 566, zitiert nach Ley/Meyhöfer 2016: 84) zwischen zwei sich unversöhnlich gegenüberstehenden Positionen über die richtige Deutung des jeweils beobachteten Ereignisses, der sich an der Leitunterscheidung „Nachgeben/Nicht-Nachgeben“ orientiert (Messmer 2003: 300):252 Der Konflikt „übernimmt“ dann „für eine Weile die Autopoiesis, die Weiterführung der Kommunikation“ (Luhmann 1987d: 530) im System, indem er „dessen ‚Normalkommunikation überform[t] und mit Widerspruch perforiert[t]“ (Messmer 2003: 76–77; vgl. auch Luhmann 1987d: 508; Kusche/Schneider 2010: 178).253 Um einen solchen Konflikt beenden und das Resonieren wieder in geregelte Bahnen – in „(widerspruchsfreie) Normalkommunikation“ (Messmer 2003: 78) – überführen zu können, muss das System eine verbindliche Entscheidung über die richtige Deutung des beobachteten Ereignisses herbeiführen. Die gesellschaftlichen Funktionssysteme verfügen hierzu über eine Reihe unterschiedlicher „Standardeinrichtungen wie Gerichtsverfahren, wissenschaftliche Debatten oder politische Abstimmungen bzw. Wahlen, die als Entscheidungsverfahren dienen, mit denen zwischen einander widerstreitenden Kommunikationen entschieden werden kann. Die gemeinsame Funktion dieser Verfahren im Blick auf die Produktion von Information liegt in der Desambiguierung der Bezeichnungsverhältnisse nach systeminternen Kriterien“ (Kusche/Schneider 2010: 179; vgl. auch Schneider 2014: 98; Luhmann 1997: 317). Mittels solcher ‚Entscheidungsverfahren‘ setzt das System wiederum einen sinngenerativen Prozess in Gang, in dessen Verlauf es die Beziehung der bis dato unver-

an zwei gegensätzliche unversöhnliche Beobachterpositionen rückgebunden werden: „Selbst wenn die eine Seite der anderen anhaltend und scharf widerspricht, kommt es solange nicht zum Konflikt, wie diese den Widerspruch ebenso anhaltend hinnimmt“. Wie Ley und Meyhöfer (2016: 84–85; vgl. auch Schneider 2008a: 138–139) zeigen, entspricht Messmers Konfliktverständnis der Auffassung, die auch Luhmann selbst an anderen Stellen, insbesondere in Das Recht der Gesellschaft (1995b) und Macht (1988), vertritt. 252 Dass Irritationen innersystemische Konflikte produzieren können, die – je nachdem, ob es dem System gelingt, den Konflikt operativ auszulösen oder nicht – die systemischen Informationsverarbeitungskapazitäten erweitern oder die systemische Reproduktion gefährden können, zeigen auch Kusche und Schneider (2010: 179–180, Hervorhebung i.O.): „Konflikte in Funktionssystemen […] lassen sich verstehen als Modus der innersystemischen Verarbeitung von Unsicherheit im Hinblick auf die Zuordnung von Codewerten zu Mitteilungsinhalten. Sie prozessieren diese Unsicherheiten durch Forcierung von Widerspruch, dessen Resonanz durch antagonistische und nach Ausbreitung trachtende Netzwerke verstärkt wird. Konfliktantreibende Netzwerke, die sich am Lärm des Konflikts nähren, können zu Quellen gesteigerten Lärms, d.h. zu Störquellen, zu unilateralen Parasiten des Systems werden. Möglich ist freilich auch das Gegenteil: Sofern Konflikte unter Kontrolle gehalten, auf bestimmte Mitteilungsinhalte beschränkt und damit domestiziert werden, wirken die daran beteiligten Netzwerke als schützende Mechanismen der Dämpfung von unsicherheitsinduziertem Lärm. Sie fungieren dann nicht als schädigende unilaterale, sondern als Lärm einhegende reziproke Parasiten in Relation zu dem von ihnen besiedelten System“. 253 Aufgrund dieser Eigenschaft werden Konflikte auch als „parasitäre Systeme“ bezeichnet, die „sich gleichsam in einem Gastsystem einnisten“ (Kusche/Schneider 2010: 179).

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bunden nebeneinanderstehenden widerstreitenden Deutungen durch neuartige „zusätzliche […] Bestimmungen“ (Luhmann 1987d: 493–494) in einer Weise spezifizieren kann, die deren Unvereinbarkeit operativ relativiert. Die zu Beginn dieses Prozesses unvereinbaren Deutungen müssen dabei nicht in einem strikt logischen, sondern lediglich in einem operativen Sinne miteinander kompatibel gemacht werden, der es dem System erlaubt zu einer richtigen Deutung des beobachteten Ereignisses zu gelangen, die keine weiteren Widersprüche erzeugt und den Konflikt somit befriedet (Messmer 2003: 83).254 Eine solche neuartige Relationierung kann sowohl durch eine Hierarchisierung als auch durch eine „Hybridisierung“ (Karafillidis 2014: 17, Hervorhebung i.O.; vgl. auch Jung 2009: 137–144; Torka 2015: 43, 49) der jeweils widerstreitenden Deutungen erreicht werden. Im Fall der Hierarchisierung wird eine der beiden strukturell offerierten Zurechnungsoptionen als richtige Deutung identifiziert, während die jeweils andere als falsch disqualifiziert wird. Der Konflikt kann dann durch eine Entscheidung beendet werden, bei der sich eine der beiden systemisch verfügbaren Deutungen gegen die jeweils andere durchsetzt.255 Im Fall der Hybridisierung vermittelt das System dagegen zwischen den beiden widerstreitenden Zurechnungsoptionen, indem es sie in einem metaphorisch geleiteten zirkulären Entparadoxierungsprozess wechselseitiger Umdeutung, wie er bereits unter Rückgriff auf Krönigs Konzept der generativen Metapher in Abschnitt 3.3.1 beschrieben wurde, immer wieder aufeinander bezieht und die registrierten Inkompatibilitäten dabei schrittweise auflöst. Durch diese oszillierende „Vermischung“ (Karafillidis 2014: 17) werden die zunächst widerstreitenden Deutungen operativ miteinander versöhnt und zu einer dritten, neuen Deutung des Ereignisses verbunden, die sich auf keine der bereits bestehenden Deutungen reduzieren lässt. Der Konflikt kann dann durch eine aus beiden zuvor bestehenden Deutungen emergierende Kompromissentscheidung gelöst werden. Beide Relationierungsformen führen demnach auf ihre je spezifische Art zu innovativen Konfliktlösungen: Sie sorgen dafür, dass die Konfliktkommunikation durch die Etablierung einer von beiden Konfliktparteien als gültig akzeptierbaren neuartigen Beziehung der jeweils widerstreitenden Deutungen beendet werden, also der „Konflikt[.] auf[ge]löst“ und der durch diesen erzeugte „‚Lärm‘ in Information […] verwandel[t]“ (Kusche/Schneider 2010: 179; vgl. auch Schneider 2014: 99) werden kann.256

254 Wie auch Luhmann (1987d: 526) an einem Beispiel ausführt, geht es, systemtheoretisch betrachtet, also nicht primär darum, den Konflikt begründenden „Widerspruch“ zu „lösen, sondern [zu] entscheiden“. 255 Anders als im Fall der Verdrängung des Widerspruchs durch Meidungskommunikationen im Rahmen der struktursichernden Normalisierung, geschieht dies jedoch nicht unreflektiert, sondern durch eine bewusst herbeigeführte, das Verhältnis der widerstreitenden Deutungen explizierende Entscheidung. 256 Kusche und Schneider (2010: 179) formulieren dies folgendermaßen: „Dadurch, dass es dem Wirtssystem gelingt, diesen [durch den Konflikt erzeugten, Anmerkung H.V.] ‚Lärm‘ in Information zu verwandeln, indem es solche Konflikte auflöst, setzt es sich immer wieder neu durch“.

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Auf diese Weise transformieren sie gleichsam die irritative Komponente der Information über Unvereinbares in eine gänzlich sinnhaft spezifizierte und systemintern anschlussfähige Information über Vereinbares. Je nachdem, in welcher Sinndimension solche operativen Innovationen realisiert werden, beruht die durch die jeweilige Konfliktlösung hergestellte neue Vereinbarkeit auf einer systemintern konsensfähigen Begründung dafür, warum es bei dem jeweils beobachteten Ereignis um dieses statt um jenes Thema geht, warum das Ereignis in der Sozialdimension diesem statt jenem Adressaten zuzurechnen ist beziehungsweise warum eine Reaktion zu diesem statt zu jenem Zeitpunkt angezeigt ist. Auf dieser Basis kann das System das jeweils beobachtete Ereignis dann, retrospektiv gerichtet, eindeutig bestimmen, sodass prospektiv gerichtet weitere Anschlüsse folgen können. Gelingt es dem System, eine in diesem Sinne innovative Konfliktlösung herbeizuführen, kann es die resonanzinduzierte Irritation durch eine operative Innovation – einen neuartigen Anschluss an das zunächst nicht Anschlussfähige – normalisieren und das systemische Resonieren über diese Variation im Systemgeschehen wieder in „(widerspruchsfreie) Normalkommunikation“ (Messmer 2003: 78) überführen.257 Scheitert die innovative Normalisierung resonanzinduzierter Irritationen dagegen, weil das System es nicht schafft, den Konflikt durch eine solche neuartige Relationierung der widerstreitenden Deutungen zu beenden, kann sich dieser über eine vorübergehende „Konfliktepisode“ (Messmer 2003: 281, 92) hinaus dauerhaft im System etablieren. Je länger die Widerspruchskommunikation andauert, desto wahrscheinlicher wird es, dass sich der Konflikt operativ verselbstständigt, indem er eigene „Strukturen und Regeln“ ausbildet (Messmer 2003: 91, Hervorhebung i.O.) und sich in der Folge sukzessive im System ausbreitet und verstärkt (Messmer 2003: 280): Denn „[e]rstens tendieren autopoietische Konfliktsysteme in der Sachdimension dazu, daß immer mehr Themen, Sachverhalte und Merkmale der Konfliktparteien in den Konflikt gezogen werden“ (Bonacker 2005: 275, Hervorhebung i.O.). Zweitens entfalten Konfliktsysteme in der Sozialdimension häufig eine Dynamik, bei der „Konfliktgegner versuchen, unbeteiligte Dritte auf ihre Seite zu ziehen, Gegner ihres Gegners als Bündnispartner zu gewinnen und so weitreichende Allianzen zu schmieden“ (Kusche/Schneider 2010: 179). Und „[d]rittens schließlich, neigen Konflikte in der Zeitdimension dazu, […] Vergangenes, zum Beispiel vergangene Handlungen der Konfliktpartei, immer wieder in die Gegenwart zu ziehen“ (Bonacker 2005: 275, Hervorhebung i.O.).258 Dieses sukzessive Aufschaukeln der aus resonanzinduzierten Irritationen resultierenden Widerspruchskommunikationen führt dazu, dass immer mehr normale Sys-

257 In diesem Sinne bieten erfolgreich „[r]egulierte Konflikte“ eine „Form, die Funktionssysteme als Verfahren der order-from-noise-Produktion verwenden“ können. „So transformiert, verlieren Konflikte ihren parasitären Status“ (Schneider 2014: 99, Hervorhebung i.O.). 258 Für eine idealtypische Beschreibung der unterschiedlichen Stadien der Ausdifferenzierung von Konfliktsystemen von einem zunächst auf die Sachdimension begrenzten „Sachkonflikt“ über einen auch in die Sozialdimension ausstrahlenden „Beziehungskonflikt“ hin zu einem „auf Zwangs- und Gewaltmittel“ verweisenden „Machtkonflikt“ vgl. Messmer (2003: 279–289).

3. Die Konzeptualisierung systemischer Resonanz | 175

temoperationen in den Bann des Konfliktsystems gezogen beziehungsweise von diesem „überform[t]“ werden (Messmer 2003: 76). Im Extremfall kann dieser Prozess so weit fortschreiten, dass „die Ressourcen des Gastsystems […] umfassend absorbiert“ (Messmer 2003: 77) werden und es zu einer Resonanzkatastrophe – zur Zerstörung des Systems infolge einer nicht-normalisierbaren resonanzinduzierten Irritation – kommt.259 Wie diese Ausführungen zeigen, können resonanzinduzierte Irritationen – analog zu ‚umweltinduzierten‘ Irritationen – sich folglich entweder zu einer das normale Resonieren dauerhaft blockierenden beziehungsweise mit Widerspruch überformenden Resonanzkatastrophe hochschaukeln, oder aber durch struktursichernde Anschlüsse beziehungsweise operative Innovationen normalisiert werden. 260 Wie ihr Name bereits verrät, führen struktursichernde Anschlüsse an resonanzinduzierte Irritationen zu einer Reproduktion der bereits bestehenden Erwartungen und damit zu (sekundärer) Resonanzlosigkeit. Sekundäre Resonanzen können lediglich durch gelungene, innovative Formen der Konfliktbewältigung hervorgebracht werden. Dies setzt jedoch voraus, dass solche, auf der Ebene der Systemelemente erzeugten operativen Innovationen in der zweiten Station der systemischen Restabilisierung systemischer Resonanzen, der Selektion, zu einer strukturellen Innovation weiterentwickelt werden. Denn als operative Innovation bezieht sich die jeweilige Konfliktlösung zunächst nur auf einen einzigen, spezifischen Fall. Nur wenn die in diesem situationsgebundenen Rahmen hergestellte Vereinbarkeit zweier konkret widerstreitender Deutungen über die bereits beschriebenen Prozesse des selektiven Kondensierens und konfirmierenden Generalisierens auch über den operativen Moment hinaus erinnert und als generalisierte Erwartung im systemischen Gedächtnis verankert wird (vgl. Abschnitt 3.4.2), kann es zu einer resonanzinduzierten Folgeanpassung der systemischen Erwartungsstrukturen kommen.261 Dass auch solche sekundären Resonanzen selbst wiederum neue strukturelle

259 Kusche und Schneider (2010: 179; vgl. auch Schneider 2014: 99) sprechen in diesem Zusammenhang etwa davon, dass das System „durch ‚Lärm‘ übertönt und so gleichsam gelöscht“ werden kann. 260 An diesem Beispiel der potentiellen strukturellen Effekte von aus resonanzinduzierten Irritationen resultierenden Konflikten zeigt sich, dass Konflikte – wie in der systemtheoretischen Literatur betont wird (vgl. Ley/Meyhöfer 2016: 87–90) – sowohl funktional als auch dysfunktional wirken können (Kusche/Schneider 2010: 180). 261 Je nachdem, welches Verhältnis sekundäre Resonanzen zwischen neuen und alten Strukturen etablieren, kann die primäre, ‚umweltinduzierte‘ Anpassung der systemischen Erwartungsstrukturen im Rahmen ihrer systeminternen Restabilisierung entweder abgeschwächt oder weiter verstärkt werden. Im Falle einer strukturell stabilisierten hierarchisierenden Relationierung alter und neuer Erwartungen wird der Grad der Anpassung abgeschwächt, wenn die alten, vor der Strukturanpassung bereits bestehenden Erwartungen die neuen Erwartungen dominieren. Wenn sich dagegen, umgekehrt, die neuen Erwartungen gegenüber den alten durchsetzen, werden die jeweiligen systemischen Resonanzen weiter verstärkt. Bei einer strukturell stabilisierten hybridisierenden Relationierung, die auf einer „Vermischung“ (Karafillidis 2014: 17) der bereits bestehenden, alten und neuen Erwartungen zu einer selbst wiederum neuen, emergenten Struktur beruht, lassen sich die

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Inkompatibilitäten erzeugen und dadurch im Rahmen ihrer eigenen Restabilisierung über die soeben beschriebenen Prozesse weitere Strukturanpassungen – tertiäre, quartäre Resonanzen etc. – induzieren können, ist dabei weder ausgeschlossen noch unwahrscheinlich.262 Über diese Prozesse des „Einbaus von Strukturänderungen“ (Luhmann 1997: 488) innerhalb eines bestimmten funktionssystemischen Binnenbereichs hinaus gilt es auch die systemweite Restabilisierung, also die Diffusion systemischer Resonanzen über die Grenzen der systeminternen Binnendifferenzierung hinweg, zu berücksichtigen. Wie in Abschnitt 3.3.2 bereits ausgeführt wurde, sind die gesellschaftlichen Funktionssysteme keine homogenen, als geschlossene „Einheit[en]“ operierende „Gebilde“ (Nassehi 1993: 328), sondern intern in unterschiedliche strukturelle – das heißt mit jeweils spezifischen, aber stets allesamt am funktionssystemischen Code ausgerichteten Erwartungen ausgestattete – Binnenbereiche ausdifferenziert. Operativ manifestiert sich diese strukturelle Binnendifferenzierung, wie Teubner (1987: 433) am Beispiel des Rechtssystems ausführt, darin, dass „[d]er Ereignisstrom der sich auf Recht beziehenden Kommunikationen“ nicht ein einziger stetig-homogener Prozessstrang, sondern „durchaus diskretionär[er]“ Natur ist. In diesem Sinne hält auch Luhmann (2008: 31–32) fest: „Die Einheit des Systems ist nichts anderes als die Geschlossenheit seiner autopoietischen Operationsweise. Die Operationen selbst sind notwendigerweise einzelne Operationen im System, das heißt einzelne unter vielen anderen. Es gibt keine Totaloperationen.“ Funktionssysteme bestehen also stets aus verschiedenen „dezentrierte[n] Kommunikationskreisläufe[n]“ (Teubner 1987: 432, Hervorhebung i.O.), die in der durch die jeweilige Form der funktionssystemischen Episodenverknüpfung vorgegebenen Art und Weise operativ aufeinander bezogen sind. Dementsprechend wirken sich ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassungen, die über die soeben beschriebenen Stationen der Variation, Selektion und Restabilisierung innerhalb eines dieser Binnenbereiche oder Kommunikationskreisläufe vollzogen wurden, weder notwendigerweise noch automatisch auf die Informationsverarbeitungsprozesse in anderen Binnenbereichen aus. Zu einer systeminternen Diffusion systemischer Resonanzen über die Grenzen der systeminternen Binnendifferenzierung hinweg kommt es nur dann, wenn die jeweilige ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung in anderen Bereichen des Funktionssystems – und dann entsprechend der in

Effekte sekundärer Resonanzen auf analytischer Ebene nicht eindeutig klassifizieren. Hier kommt es darauf an, im Einzelfall und in Abhängigkeit vom jeweiligen Beobachterstandpunkt zu bestimmen, inwieweit die sekundären Resonanzen die ursprüngliche ‚umweltinduzierte‘ Anpassungsleistung des Systems relativieren oder ausweiten. 262 Wie lange solche operativen Anpassungsprozesse andauern können, illustriert Luhmann (1997: 487) etwa an der sich über Jahrhunderte entfaltenden Restabilisierung der Französischen Revolution: „Im Jahre 1789 wurden Pariser Unruhen als ‚Revolution‘ beobachtet und mit einem eigens dafür modifizierten Begriff beschrieben. Die Folgen waren weder aufzuhalten noch zu kontrollieren, und man kann sie wohl am besten als ein hundertjähriges Mißlingen weiterer Revolutionen beschreiben, die dann aber in ihren Konsequenzen das politische System Frankreichs auf eine repräsentative Demokratie umstellten“.

3. Die Konzeptualisierung systemischer Resonanz | 177

diesem Bereich gültigen Erwartungsstrukturen – als Irritation registriert, strukturell adaptiert und restabilisiert wird. Dies verdeutlicht nochmals die Komplexität und Vielschichtigkeit der operativen Prozesse, über die Resonanzen systemintern restabilisiert werden: Der Einbau neuer Strukturen in die Einheit des systemischen Reproduktionszusammenhangs findet selbst wiederum durch eine Vielzahl weiterer „Resonanzwellen“ (Luhmann 1995b: 443) im Sinne von an primäre Resonanzen anschließenden Variations-, Selektionsund Restabilisierungsprozessen statt, die sich zudem in verschiedenen systemischen Binnenbereichen gleichzeitig vollziehen können. Die systeminterne Restabilisierung fächert das Resonieren im Normalfall also eher weiter auf, als es zu beenden. 3.4.4 Zwischenfazit Resonieren Das systemische Resonieren, die operative Prozessierung von ‚Umweltereignissen‘ in einem operativ geschlossenen System, lässt sich auf analytischer Ebene in die drei Stationen Variation, Selektion und Restabilisierung unterteilen. Die Station der Variation umfasst all jene operativen Prozesse, die die Ebene der Systemelemente betreffen, die Station der Selektion bezieht sich auf diejenigen Prozesse, die die systemischen Erwartungsstrukturen betreffen und die Station der Restabilisierung wiederum fokussiert auf die Einheit des systemischen Reproduktionszusammenhangs. In den Abschnitten 3.4.1–3.4.3 wurde für jede dieser drei Stationen gezeigt, welche operativen Prozesse diesen zugrunde liegen und in welcher Weise sie zur Ausbildung beziehungsweise Verhinderung systemischer Resonanzen beitragen können. Im Fokus dieser systematischen Aufarbeitung des systemischen Resonierens standen dabei insbesondere diejenigen operativen Mechanismen, über die ‚Umweltereignisse‘ in ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassungen – also systemische Resonanzen – umgesetzt werden können. Die folgende Grafik fasst die verschiedenen Prozessschritte der operativen Resonanzbildung überblicksartig zusammen. Erste Station: Variation – von der Irritation zur operativen Innovation: Der Prozess operativer Resonanzbildung wird initiiert durch die systemische Beobachtung eines überraschenden, von der je systemspezifisch erwartbaren Normalität abweichenden ‚Umweltereignisses‘. Als im Rahmen der bestehenden systemischen Erwartungsstrukturen nicht gänzlich sinnhaft spezifizierbare Information über Unerwartetes produzieren solche überraschenden ‚Umweltereignisse‘ ‚umweltinduzierte‘ Irritationen, die das System in einen Zustand momentaner Orientierungslosigkeit versetzen und das Resonieren dadurch kurzzeitig zum Stocken bringen. Gelingt es dem System, solche ‚umweltinduzierten‘ Irritationen durch den operativen Mechanismus der innovativen Normalisierung in eine gänzlich sinnhaft spezifizierte und systemintern anschlussfähige Information über Neues zu transformieren, so kann es das Resonieren mittels einer operativen Innovation – einer einmaligen Abweichung von den strukturell vorgegebenen Routinen – fortsetzen und es dadurch wieder in geregelte Bahnen überführen.

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Abbildung 16: Darstellung des Prozesses operativer Resonanzbildung anhand der drei Stationen Variation, Selektion und Restabilisierung

Quelle: eigene Darstellung

Zweite Station: Selektion – von der operativen Innovation zu systemischer Resonanz (strukturelle Innovation): Wird diese zunächst rein ereignishaft-operative Innovation positiv selegiert, also durch die operativen Mechanismen des selektiven Kondensierens und generalisierenden Konfirmierens erinnert und dadurch schrittweise im systemischen Gedächtnis verankert, kommt es zu einer strukturellen Innovation: Die Beobachterperspektive des Systems wird durch eine neue systemische Erwartung erweitert und damit über den operativen Moment hinaus dauerhaft verändert. Eine solche ‚umweltinduzierte‘ Veränderung beziehungsweise Anpassung der systemischen Erwartungsstrukturen wird in dieser Arbeit als (primäre) Resonanz bezeichnet. Dritte Station: Restabilisierung – der Einbau (primärer) Resonanz (struktureller Innovation) in die Einheit des Systems: Sofern diese neue Erwartung die bereits bestehenden Erwartungen nicht lediglich ergänzt, sondern im Widerspruch zu diesen steht, können solche primären Resonanzen zu operativen Kollisionen zwischen alten und neuen Erwartungen führen. Im Resonieren manifestieren sich diese Kollisionen als Widerspruchskommunikationen über die richtige Deutung eines weiteren, im Anschluss an die ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung beobachteten Ereignisses. Als systemintern nicht gänzlich sinnhaft spezifizierbare Informationen über Unvereinbares produzieren solche Widersprüche weitere, nun resonanzinduzierte Irritationen im System. Wird die Unvereinbarkeit der jeweils widerstreitenden Deutungen im Rahmen der struktursichernden Normalisierung der resonanzinduzierten Irritation aus dem Resonieren verdrängt, beschränkt sich die Anpassung der systemischen Erwartungsstrukturen auf die bereits positiv selegierte Form primärer Resonanz. Lässt das System dagegen einen operativen Konflikt über die richtige Deutung des jeweiligen Ereignisses zu, kann die Unvereinbarkeit im Rahmen der innovativen Normalisierung durch eine neuartige Relationierung der widerstreitenden Deutungen operativ aufgelöst werden. Das Resonieren kann dann durch eine weitere operative Innovation

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– eine zuvor nicht verfügbare Entscheidung über die richtige Deutung des beobachteten Ereignisses – in normalen, widerspruchsfreien Bahnen fortgesetzt werden. Wird diese operative Innovation positiv selegiert, also zu einer auch auf andere Konfliktsituationen anwendbaren strukturellen Innovation weiterverarbeitet, nimmt sie die Form sekundärer Resonanz an. Wird sie dagegen negativ selegiert, verschwindet die operative Innovation wieder aus dem Resonieren, ohne strukturwirksam zu werden und es bleibt bei der bereits positiv selegierten Form primärer Resonanz. Die systeminterne Reichweite solcher Resonanzen wird dadurch bestimmt, inwiefern sie sich über weitere Selektions- und Restabilisierungsprozesse über die Grenzen ihres ursprünglichen Binnenbereichs hinweg systemweit ausbreiten können. Wie Luhmann in der Ökologischen Kommunikation mehrfach hervorhebt, ist das soeben analytisch nachvollzogene Zustandekommen systemischer Resonanzen jedoch weder das einzig mögliche, noch das wahrscheinlichste Resultat der operativen Verarbeitung ‚umweltinduzierter‘ Irritationen. Das systemische Resonieren kann ebenso abklingen, ohne Struktureffekte zu produzieren – also zu Resonanzlosigkeit führen – oder sich zu einer systemgefährdenden Resonanzkatastrophe hochschaukeln. Durch die in diesem Abschnitt vorgenommene Systematisierung des systemischen Resonierens können nun auch diejenigen operativen Prozesse, die zu diesen beiden Formen des Scheiterns systemischer Resonanzbildung führen, schrittweise nachvollzogen und analytisch verortet werden. In Bezug auf das ‚Scheitern‘ der systemischen Resonanzbildung in Richtung Resonanzlosigkeit im Sinne der Reproduktion – statt Transformation – der bestehenden Erwartungsstrukturen, konnten drei operative Wege identifiziert werden, die in der folgenden Grafik als Abzweigungen vom operativen Prozess systemischer Resonanzbildung dargestellt sind. Zu Resonanzlosigkeit führt das systemische Resonieren demnach erstens immer dann, wenn ein beobachtetes ‚Umweltereignis‘ nicht als überraschend, sondern als normal – und das heißt den bestehenden Erwartungen entsprechend – verstanden wird. Gleiches gilt, zweitens, für den Fall, in dem das System ein ‚Umweltereignis‘ zwar als ‚umweltinduzierte‘ Irritation behandelt, aber diese nicht gänzlich sinnhaft spezifizierbare Information über Unerwartetes in der Folge – im Rahmen der struktursichernden Normalisierung – in eine normale, den bestehenden Erwartungen entsprechende Information über Erwartbares transformiert, indem es dessen irritative Komponente mittels Struktursicherungsoperationen verdrängt. Drittens kann die systemische Resonanzbildung auch dann noch scheitern, wenn es dem System bereits gelungen ist, eine Irritation im Rahmen der innovativen Normalisierung in eine operative Innovation zu transformieren, sofern dieses Innovationsereignis nicht über den Moment hinaus erinnert, sondern vergessen, also negativ selegiert wird.

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Abbildung 17: Darstellung der zu Resonanzlosigkeit führenden operativen Prozesse anhand der drei Stationen Variation, Selektion und Restabilisierung

Quelle: eigene Darstellung

In Richtung Resonanzkatastrophe im Sinne einer operativen Zerstörung – statt Transformation – der bestehenden Erwartungsstrukturen, kann der Prozess systemischer Resonanzbildung dagegen an zwei Stellen kippen. Nämlich immer dann, wenn das System Irritationen operativ thematisiert – also eine innovative Normalisierung einleitet – aber es in der Folge nicht schafft, diese Irritationen auch tatsächlich durch eine systemische Innovation zu normalisieren. Gelingt es dem System über einen längeren Zeitraum hinweg nicht, eine im Resonieren thematisierte, also operativ vermehrte ‚umweltinduzierte‘ Irritation durch die Generierung einer systemintern anschlussfähigen Information über Neues zu normalisieren, kann es zu einem Aufschaukeln der Irritationen kommen. Das System versetzt sich dann gewissermaßen selbst in einen Zustand der Dauerirritation, der die bereits aufgebaute Erwartungssicherheit immer weiter zerstört. Wird die Fortsetzung des Resonierens auf diese Weise dauerhaft blockiert, kann es passieren, dass das System „ohne von außen zerstört zu werden“, schließlich „an internen Überforderungen zerspring[t]“ (Luhmann 2008: 144).

3. Die Konzeptualisierung systemischer Resonanz | 181

Abbildung 18: Darstellung der zu einer Resonanzkatastrophe führenden operativen Prozesse anhand der drei Stationen Variation, Selektion und Restabilisierung

Quelle: eigene Darstellung

Gleiches gilt im Falle des Scheiterns der innovativen Normalisierung resonanzinduzierter Irritationen: Gelingt es dem System nicht, den operativ erzeugten beziehungsweise zugelassenen Konflikt über die richtige Deutung eines beobachteten Ereignisses durch eine neuartige, hierarchische oder hybridisierende, Relationierung der jeweils widerstreitenden Deutungen zu befrieden, kann sich die Widerspruchskommunikation immer weiter hochschaukeln und der Konflikt eskalieren: Das normale, strukturell vorgezeichnete Resonieren wird dann dauerhaft blockiert, sodass anstelle der systemischen Erwartungsstrukturen des durch den Konflikt betroffenen Systems schließlich nur noch die Konfliktstrukturen selbst operativ reproduziert werden. Auch in diesem Fall kann es zu einer operativen Zerstörung der normalen Erwartungen und damit zu einer Gefährdung der Existenz des Systems kommen.

3.5 ZUSAMMENFÜHRUNG DER DREI RESONANZDIMENSIONEN ZU EINEM ANALYTISCHEN KONZEPT SYSTEMISCHER RESONANZ Nachdem in den Abschnitten 3.2 bis 3.4 die drei Dimensionen systemischer Resonanz jeweils einzeln betrachtet wurden, widmen sich die folgenden Ausführungen dem Verhältnis, in dem Resonanzfähigkeit, Resonanzen und Resonieren zueinanderstehen. Als geeigneter Ausgangspunkt hierzu erweist sich das operative Resonieren

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als theoretisch-konzeptionelles Verbindungsstück zwischen den strukturellen Bedingungen des systemischen Umweltbezugs auf der einen und dessen potentiellen strukturellen Effekten auf der anderen Seite. Wie in der Diskussion des luhmannschen Resonanzbegriffs in Abschnitt 2.7 bereits gezeigt, sind die strukturell konditionierten Möglichkeiten und Formen des systemischen Umweltbezugs dynamisch konstituiert. Vermittelt über das operative Resonieren beeinflussen und verändern sich die systemische Resonanzfähigkeit und die systemischen Resonanzen stets wechselseitig: Die Resonanzfähigkeit – das heißt die aktuelle Ausgestaltung der den Umweltbezug eines Systems regulierenden Erwartungen – begrenzt die systemintern verfügbaren Formen und Grade ‚umweltinduzierter‘ Strukturanpassungen, welche selbst wiederum die bestehenden Erwartungen verändern und dadurch die Grenzen der systemischen Resonanzfähigkeit neu abstecken. Unter Rückgriff auf die in diesem Kapitel vorgenommene, an Luhmanns Begriffsbestimmungen anschließende Konzeptualisierung der Bedingungen, der operativen Herausbildung sowie der Formen und Grade systemischer Resonanz, kann die Art und Weise, in der die drei Resonanzdimensionen aufeinander wirken, nun weiter präzisiert werden. Die folgende Abbildung 19 stellt die zwischen den Resonanzdimensionen bestehenden Wechselwirkungen zusammenfassend dar und zeigt auf, an welchen Stellen die Resonanzfähigkeit (die Irritabilität, Reagibilität und Lernfähigkeit) eines Systems die operative Prozessierung von ‚Umweltereignissen‘ und die auf diese Weise erzeugten Struktureffekte beeinflusst. Die systemische Resonanzfähigkeit – die einem System im Rahmen der aktuellen Ausgestaltung seiner Erwartungsstrukturen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, sich auf seine Umwelt zu beziehen – setzt sich aus den drei Unterdispositionen der systemischen Irritabilität, Reagibilität und Lernfähigkeit zusammen. Diese sind in der obigen Darstellung des systemischen Resonierens (vgl. Abbildung 19) in Form von gelben Kreisen an denjenigen Stellen eingezeichnet, an denen sie den Verlauf der operative Prozessierung ‚umweltinduzierter‘ Irritationen beeinflussen. Die Irritabilität bezeichnet die strukturelle Disposition eines Systems, sich durch seine ‚Umwelt‘ überraschen zu lassen. Je irritabler ein System – das heißt je komplexer dessen ‚umweltbezogene‘ Erwartungsstrukturen –, desto wahrscheinlicher ist es, dass es ‚Umweltereignisse‘, die von diesen Erwartungen abweichen, systemintern als Irritationen registriert. Die systemische Irritabilität spielt folglich sowohl bei der Initiierung des systemischen Resonierens durch ein überraschendes ‚Umweltereignis‘ als auch bei der Frage, ob es im Rahmen der Restabilisierung systemischer Resonanzen zu operativen Erwartungskollisionen kommt oder nicht eine Rolle. Die Reagibilität eines Systems beschreibt dessen strukturelle Disposition, solche als Irritationen registrierten Veränderungen in der ‚Umwelt‘ nicht einfach erlebend hinzunehmen, sondern mit eigenem Handeln auf diese zu reagieren. Je eher ein System dazu neigt, ‚Umweltereignisse‘ als den eigenen aktuellen Zuständigkeitsbereich betreffende Risiken zu verstehen, die eigenes Handeln erfordern, desto wahrscheinlicher ist es, dass es sowohl seine unmittelbar ‚umwelt-‘ als auch resonanzinduzierten Irritationen im Rahmen einer innovativen Normalisierung aktiv weiterbearbeitet, anstatt sie durch struktursichernde Anschlüsse zu ignorieren oder zu verdrängen.

Quelle: eigene DarstellungQuelleQuwelwsc

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 19: Zusammenspiel der drei Dimensionen des Resonanzkonzepts: Resonanzfähigkeit, Resonanzen und Resonieren

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Die Lernfähigkeit eines Systems verweist auf dessen strukturelle Disposition, den durch eine Irritation angezeigten Anpassungsdruck als Anlass für eine Anpassung der eigenen Erwartungsstrukturen zu verstehen, anstatt ihn auf die ‚Umwelt‘ zu externalisieren. Je stärker ein System sich in seinem Operieren auf kognitive Erwartungen stützt, desto wahrscheinlicher ist es, dass es die aus einer gelungenen innovativen Normalisierung ‚umweltinduzierter‘ beziehungsweise resonanzinduzierter Irritationen resultierenden operativen Innovationen positiv selegiert und damit in eine Form systemischer Resonanz transformiert. Umgekehrt gilt: je stärker ein System normativ erwartet, desto wahrscheinlicher ist es, dass die bestehenden Erwartungen auch im Enttäuschungsfall aufrechterhalten und operative Innovationen dementsprechend negativ selegiert werden. Je resonanzfähiger – also irritabler, reagibler und lernfähiger – ein System ist, desto umfangreicher sind die ihm, retrospektiv gerichtet, zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, seine Umwelt zu beobachten und desto wahrscheinlicher ist es, dass es, prospektiv gerichtet, mit ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassungen auf seine ‚Umwelt‘ ‚reagiert‘. Umgekehrt gilt: Je geringer die systemische Irritabilität, Reagibilität und Lernfähigkeit eines Systems, desto wahrscheinlicher ist es, dass das Resonieren nicht zu einer Anpassung, sondern zu einer Reproduktion der systemischen Erwartungen – also zu Resonanzlosigkeit – führt. Dass es aufgrund des Scheiterns einer systemintern eingeleiteten innovativen Normalisierung ‚umweltinduzierter‘ beziehungsweise resonanzinduzierter Irritationen zu einer Resonanzkatastrophe kommt, ist insbesondere dann wahrscheinlich, wenn das System über eine hohe Reagibilität, aber eine geringe Lernfähigkeit verfügt: In diesem Fall tendiert das System auf der einen Seite dazu, registrierte Irritationen operativ zu thematisieren, ohne jedoch, andererseits, über die entsprechenden Mittel zur Befriedung der damit einhergehenden Unsicherheiten und Konflikte durch funktionale Resonanzen zu verfügen. Welche Form ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassungen annehmen, hängt davon ab, in welcher Hinsicht das System durch seine ‚Umwelt‘ irritiert wird. Irritationen in der Sachdimension können zu sachlichen Resonanzen führen. Diese verändern die Beobachterperspektive ihres Systems, indem sie entweder neue Themen auf dem Systembildschirm etablieren (kategoriale Resonanzen) oder die Bedeutungs- und Prozessierungsmöglichkeiten von bereits als relevant erachteten Themen verändern (konnotative Resonanzen). Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu sachbezogenen Resonanzen kommt, steigt in dem Maße, in dem die Komplexität sowie die kognitive Orientierung der systemischen Programme zunimmt. Soziale Resonanzen werden durch ‚umweltinduzierte‘ Enttäuschungen in der Sozialdimension von Sinn initiiert. Sie passen die Beobachterperspektive ihres Systems an dessen ‚Umwelt‘ an, indem sie dessen System- und Umweltbeschreibungen entweder durch neue Attributionsadressen anreichern (kategoriale Resonanzen) oder die in Bezug auf bereits systemintern inkludierte Attributionsadressen ausgebildeten ‚Erwartungsbündel‘ abändern beziehungsweise ergänzen (konnotative Resonanzen). Die Wahrscheinlichkeit, dass ein System mit sozialen Resonanzen auf diese Irritationen ‚reagiert‘ steigt in dem Maße, in dem die Komplexität der Umweltbeschreibungen im Allgemeinen sowie die in diesen verankerten systeminternen Vorstellungen der eigenen Abhängigkeit von beziehungsweise der Verantwortung für die ‚Umwelt‘ im Besonderen – und das heißt auch: die Anzahl struktureller Kopplungen – zunimmt und deren allgemeine kognitive Ausrichtung verstärkt wird.

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Irritationen in der Zeitdimension können wiederum operativ zu temporalen Resonanzen weiterverarbeitet werden, die entweder neue Zeitpunkte in Zukunft beziehungsweise Vergangenheit im System beobachtbar werden lassen (kategoriale Resonanzen) oder die dem System in Bezug auf bereits als relevant betrachtete Zeitpunkte zur Verfügung stehenden Beobachtungs- und Anschlussmöglichkeiten verändern (konnotative Resonanzen). Temporale Resonanzen sind umso wahrscheinlicher, je weiter die (handlungsrelevanten) Zeithorizonte des Systems in Richtung Zukunft und Vergangenheit ausgezogen, je stärker sie intern differenziert und je kognitiver sie ausgerichtet sind. Darüber hinaus ist die systemische Disposition, auf in der Zukunft beobachtete Veränderungen der eigenen ‚Umwelt‘ zu ‚reagieren‘ in vornehmlich zweckprogrammierten Systemen stärker ausgeprägt als in überwiegend konditionalprogrammierten Systemen. Die strukturelle Stabilisierung solcher kategorialen beziehungsweise konnotativen sachlichen, sozialen oder temporalen Resonanzen wird durch die positive Selektion von operativen Innovationen vollzogen, die im Rahmen der innovativen Normalisierung ‚umweltinduzierter‘ Irritationen generiert werden. Ob die dabei selegierten neuen Erwartungen zu den bereits bestehenden alten Erwartungen in ein Ergänzungsverhältnis treten – also die einem System zur Verfügung stehenden Möglichkeiten des Umweltbezugs lediglich um eine zusätzliche Option erweitern263 – oder bereits bestehende Strukturen ersetzen – und damit die systemischen Möglichkeiten des Umweltbezugs abändern264 – hängt vom Verlauf deren systeminterner Restabilisierung ab: Sofern die durch Resonanz etablierten neuen Erwartungen nicht im Widerspruch zu bereits bestehenden, alten Erwartungen stehen oder – falls doch – solange solche strukturellen Inkompatibilitäten operativ latent bleiben, bleibt es bei einer friedlichen Koexistenz, einem Ergänzungsverhältnis. Sobald sich etwaige resonanzinduzierte strukturelle Inkompatibilitäten jedoch im systemischen Resonieren in der Form von operativen Widersprüchen manifestieren und Konflikte produzieren, kann es dazu kommen, dass sich neue Erwartungen gegen alte Erwartungen durchsetzen. Alternativ kann es in diesem Fall auch geschehen, dass sich die alten Erwartungen gegen die neuen durchsetzen und damit die operative Wirkmächtigkeit der positiv selegierten ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassung verdrängen. Zudem können Erwartungskonflikte auch durch die operative Verschmelzung der widerstreitenden Deutungsoptionen zu einer dritten, die alte und neue Deutungsmöglichkeit hybridisierenden Erwartung gelöst werden. Zusätzlich zu diesen Bestimmungen der verschiedenen Formen ‚umweltinduzierter‘ Strukturanpassungen, lässt sich das Ausmaß, in dem Resonanzen die systemische Beobachterperspektive verändern, anhand des Grades systemischer Resonanzen bemessen. Diesbezüglich wurde zwischen dem Etabliertheits-, dem Ausdifferenziertheits- und dem Diffusionsgrad unterschieden. In der obigen Darstellung sind diese

263 Im Falle kategorialer Resonanzen wurde in diesem Zusammenhang von Formergänzung gesprochen; im Falle konnotativer Resonanzen von Bedeutungserweiterung (vgl. Abbildungen 13 und 14). 264 Dieser Fall wurde in Bezug auf kategoriale Resonanzen als Formsubstitution und in Bezug auf konnotative Resonanzen als Bedeutungsverschiebung bezeichnet (vgl. Abbildungen 13 und 14).

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drei Gradmesser systemischer Resonanzen in der Form blauer Rauten an denjenigen Stellen des systemischen Resonierens vermerkt, an denen über deren jeweiliges Ausmaß entschieden wird. Der Etabliertheitsgrad systemischer Resonanzen bemisst das Ausmaß, in dem eine ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung die systeminternen „Bedingungen der laufenden Reproduktion systemspezifischer Kommunikationen“ (Luhmann 2008: 144) verändert, daran, wie selbstverständlich und unhinterfragt das System in seinem Operieren auf die durch Resonanzen erzeugten neuen Erwartungsstrukturen zurückgreifen kann. Dies hängt wiederum davon ab, wie weit das im Rahmen der Selektion vollzogene selektive Kondensieren und generalisierende Konfirmieren einer neuen Erwartung vorangeschritten ist.265 Der Ausdifferenziertheitsgrad systemischer Resonanzen steigt mit der Anzahl der insgesamt infolge einer ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassung veränderten Erwartungsstrukturen. Sofern es im Rahmen der Restabilisierung ‚umweltinduzierter‘ Strukturanpassungen zu operativen Erwartungskollisionen kommt, können diese primären, unmittelbar ‚umweltinduzierten‘ Formen systemischer Resonanz weitere, resonanzinduzierte Strukturanpassungen – sekundäre, tertiäre … Resonanzen – auslösen. Der Diffusionsgrad systemischer Resonanzen wird ebenfalls im Zuge der Restabilisierung ‚umweltinduzierter‘ Strukturanpassungen bestimmt. Je weiter sich eine aus einem spezifischen strukturellen Binnenbereich stammende Strukturanpassung über die Grenzen der internen Binnendifferenzierung hinweg im System ausbreitet – das heißt in je mehr systemischen Binnenbereichen diese registriert, strukturell adaptiert und restabilisiert wird –, desto höher ihr Diffusionsgrad. Das Ausmaß, in dem Resonanzen die strukturelle Verfasstheit ihres Systems verändern, bestimmt gleichzeitig, inwieweit sich dessen Resonanzfähigkeit wandelt. Hier schließt sich also der Kreis: Die zum Zeitpunkt der Beobachtung eines ‚Umweltereignisses‘ bestehende Resonanzfähigkeit eines Systems strukturiert dessen Möglichkeiten, dieses Ereignis aufzugreifen und operativ zu einer ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassung zu verarbeiten; wird aber selbst wiederum – sofern eine ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassung operativ realisiert wird – durch diese restrukturiert.

3.6 FAZIT: RESONANZ ALS ANALYTISCHES KONZEPT ZUR BESCHREIBUNG DER UMWELTOFFENHEIT OPERATIV GESCHLOSSENER SYSTEME Wie in Kapitel 1 gezeigt, besteht die zentrale systemtheoretische Einsicht im Hinblick auf die der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft zur Entgegnung auf ökologische Gefährdungen zur Verfügung stehenden internen Reaktions- und Koordinationsmöglichkeiten darin, dass deren Umfang und Qualität durch die limitierte Kapazität der gesellschaftlichen Funktionssysteme zur Umweltbeobachtung und -berücksichtigung beschränkt wird: Jedes System kann stets nur bestimmte As-

265

Dies gilt sowohl für die Selektion unmittelbar ‚umweltinduzierter‘ als auch resonanzinduzierter Strukturanpassungen.

3. Die Konzeptualisierung systemischer Resonanz | 187

pekte seiner Umwelt auf die durch seine jeweiligen Erwartungsstrukturen konditionierte Art und Weise erfassen und verarbeiten. Will man die aus dieser Erkenntnis resultierenden Konsequenzen weiter spezifizieren, indem man nach der genauen Ausgestaltung dieser limitierten Kapazitäten funktionssystemischen Umweltbezugs und den in diesem Rahmen (un)möglichen gesellschaftlichen Reaktions- und Koordinationsformen fragt, bewegt man sich systemtheoretisch jedoch schnell auf recht dünnem Eis. Denn obwohl die Systemtheorie über eine Reihe unterschiedlicher Begriffe verfügt, um die spezifische Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme zu beschreiben, fehlt es ihr an einem kohärenten Konzept, das diese Begriffe in systematischer Weise aufeinander bezieht und zu einer umfassenden, über einzelne strukturelle Kopplungen hinausreichenden Beschreibung systemischer Offenheit verbindet. Um die gesellschaftlichen Reaktionsmöglichkeiten auf ökologische Gefährdungen systemtheoretisch weiter ausleuchten zu können, muss daher zunächst eine Umfokussierung der systemtheoretischen Beobachterperspektive von Geschlossenheit auf Offenheit vorgenommen werden. Als theoretisch-konzeptioneller Ausgangspunkt für eine solche Umfokussierung eignet sich – so die in Kapitel 2 entfaltete These – Luhmanns Begriff systemischer Resonanz, den er insbesondere in der Ökologischen Kommunikation entwickelt. Wie anhand der Explikation der in diesem Begriff enthaltenen drei Resonanzdimensionen – der Resonanzfähigkeit, dem Resonieren und den Resonanzen – gezeigt wurde, enthält dieser bereits alle wesentlichen Elemente, um die Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme umfassend beschreiben zu können: Die Resonanzfähigkeit nimmt die strukturellen Bedingungen des systemischen Umweltbezugs in den Blick. Das Resonieren fokussiert auf die einem System zur Verfügung stehenden operativen Prozessierungsmöglichkeiten der in diesem strukturellen Rahmen beobachtbaren ‚Umweltereignisse‘, während deren potentielle Struktureffekte sich wiederum als Resonanzen erfassen lassen. Gleichzeitig wurde in der Diskussion der Ökologischen Kommunikation jedoch auch deutlich, dass Luhmanns Konzeptualisierung systemischer Resonanz in Bezug auf jede dieser drei Dimensionen teils erhebliche theoretisch-konzeptionelle Leerstellen aufweist, die insbesondere aus der unzureichenden Rückbindung des Resonanzbegriffs an den breiteren systemtheoretischen Theoriekontext resultieren. Um diese theoretisch-konzeptionellen Leerstellen zu füllen, wurde der Resonanzbegriff daher in Kapitel 3 unter Rückgriff auf die von Luhmann an anderen Stellen entwickelten Beschreibungen der spezifischen Offenheit operativ geschlossener Systeme sowie unter Einbezug von in diesem Kontext anschlussfähigen neueren systemtheoretisch motivierten Ansätzen unterfüttert. Auf diese Weise konnte Luhmanns Resonanzbegriff zu einem kohärenten analytischen Konzept ausgebaut werden, auf dessen Basis sich die spezifische Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme umfassend beschreiben lässt. Dabei hat sich der Resonanzbegriff zugleich als geeigneter analytischer Rahmen erwiesen, innerhalb dessen verschiedene und bis dato relativ unverbundene systemtheoretische Offenheitsbegriffe verortet und aufeinander bezogen werden können. Die wesentlichen Elemente des analytischen Konzepts systemischer Resonanz lassen sich wie folgt zusammenfassen:

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Abbildung 20: Die drei Dimensionen systemischer Resonanz

Quelle: eigene Darstellung

(1) Die Resonanzfähigkeit der gesellschaftlichen Funktionssysteme – die diesen strukturell zur Verfügung stehenden Möglichkeiten des Umweltbezugs – ergibt sich aus deren strukturellen Dispositionen, sich durch ihre ‚Umwelt‘ irritieren zu lassen (Irritabilität), mittels eines handelnden Anschlusses auf diese Irritationen zu ‚reagieren‘ (Reagibilität) sowie diesen ‚Reaktionen‘ die spezifische Form der Anpassung der eigenen Erwartungsstrukturen zu verleihen (Lernfähigkeit). Grundlegend geformt werden diese Dispositionen in der Sachdimension durch die systemischen Attributionsschemata der binären Codes und die diese anleitenden Programme und symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien; in der Sozialdimension durch das Attributionsschemata der ‚Selbst-/und Fremdreferenz‘ und die dessen Verwendung regulierenden Selbst- und Umweltbeschreibungen; sowie in der Zeitdimension durch das Attributionsschema ‚Vergangenheit/Zukunft‘ und dessen Attributionsregeln, die systemischen Zeithorizonte. Diese geben vor, in welcher Weise ein System ‚Umweltereignisse‘ retrospektiv gerichtet sinnhaft bestimmen und prospektiv gerichtet weiter prozessieren und damit das systemische Resonieren initiieren kann. (2) Das systemische Resonieren – die einem System zur Verfügung stehenden operativen Prozessierungsmöglichkeiten beobachteter ‚Umweltereignisse‘ – lässt sich in drei Stationen oder Phasen unterteilen: die Variation, die Selektion und die Restabilisierung. Das systemische Resonieren kann sowohl zu Resonanzen – also einer Transformation der systemischen Erwartungsstrukturen – als auch zu Resonanzlosigkeit (Strukturreproduktion) oder zu einer Resonanzkatastrophe (Zerstörung der Systemstrukturen) führen. Zu Resonanzen kommt es immer dann, wenn es einem System gelingt, eine ‚umweltinduzierte‘ Irritation über eine operative Innovation – eine einmalige Abweichung von den strukturell vorgezeichneten operativen Routinen – zu normalisieren und diese zunächst rein situationsbezogene Abweichung in der

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Form einer generalisierten Erwartung über den operativen Moment hinaus strukturell zu (re-)stabilisieren. (3) Der Begriff der Resonanzen bezieht sich auf alle strukturwirksamen – das heißt in einer Anpassung der systemischen Erwartungsstrukturen resultierenden – ‚Reaktionen‘ eines Systems auf seine ‚Umwelt‘. Je nachdem, auf welcher strukturellen Ebene und in Bezug auf welche Sinndimension solche ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassungen vorgenommen werden, verändern sie die einem System zur Verfügung stehenden sachlichen, sozialen oder temporalen Bezeichnungsoptionen oder die mit diesen Bezeichnungsoptionen verbundenen Konnotationen. Auf diese Weise transformieren sie gleichzeitig die systemische Resonanzfähigkeit: die dem System strukturell zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, sich auf seine Umwelt zu beziehen. In welchem Ausmaß sich die systemische Beobachterperspektive durch eine spezifische Form systemischer Resonanz verändert, lässt sich anhand deren Etabliertheits-, der Ausdifferenziertheits- beziehungsweise Diffusionsgrad feststellen. Die im Rahmen der theoretisch-konzeptionellen Entfaltung des Resonanzkonzepts gewonnenen Möglichkeiten zur analytischen Spezifizierung der Ausgangsbedingungen, Prozesse und Resultate des systemischen Umweltbezugs erlauben einen differenzierteren Blick auf den Umfang und die Qualität, aber auch die Begrenztheit, der internen Reaktions- und Koordinationsformen, die der modernen Gesellschaft zur Entgegnung auf ökologische Gefährdungen zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund erweist sich das systemtheoretische Konzept systemischer Resonanz insbesondere im Hinblick auf eine steuerungstheoretische Perspektive als anschlussfähig. Zum einen lassen sich unter Rückgriff auf das systemtheoretische Resonanzkonzept nun die Ziele gesellschaftlicher Koordination genauer als bestimmte Formen und Grade von Resonanzen benennen, die in Bezug auf ein spezifisches System angestrebt werden: Geht es darum, neue Zurechnungsoptionen zu schaffen, also etwa neue Themen diskutieren oder neue Akteure beziehungsweise bisher ausgeblendete zukünftig mögliche Entwicklungen einbeziehen zu können? Oder sollen lediglich die in Bezug auf bereits etablierte Themen, Akteure oder Zeiträume verfügbaren Beobachtungs- oder Reaktionsmöglichkeiten erweitert beziehungsweise abgeändert werden? Sollen diese Veränderungen im gesamten System oder nur in einzelnen Bereichen, zum Beispiel spezifischen Wirtschaftsbranchen oder Rechtsgebieten, implementiert werden? Durch die Relationierung solcher nun konkreter benenn- und strukturell verortbaren Koordinationsziele mit der Resonanzfähigkeit, der aktuellen strukturellen Verfasstheit des anvisierten Systems, kann dann auch die jeweils angesteuerte Differenzminderung zwischen systemischem Ausgangs- und Zielzustand genauer konzipiert werden. Insbesondere die Unterscheidung der drei Unterdispositionen systemischer Resonanzfähigkeit – die systemische Irritabilität, Reagibilität und Lernfähigkeit – erleichtert es, mögliche Engpässe beziehungsweise Stolpersteine gesellschaftlicher Koordinationsbemühungen zu antizipieren. Ob hierbei wesentliche Elemente vergessen oder fehleingeschätzt wurden, lässt sich durch die Beobachtung des Resonierens – der tatsächlichen ‚Reaktion‘ eines Systems auf den jeweiligen ‚Umweltanstoß‘ – kontrollieren. Im Rahmen einer solchen prozessual orientierten Erfolgskontrolle gesellschaftlicher Koordination kann zum einen rückblickend festgestellt werden, inwieweit ein realisierter systemischer Strukturwandel die erwünschten, aus der jeweiligen Steuerungsperspektive als funk-

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tional oder integrativ bewerteten Folgen mit sich bringt oder nicht. Zum anderen lässt sich im Falle des Scheiterns von Resonanz, das sich entweder in Resonanzlosigkeit oder in einer Resonanzkatastrophe manifestiert, rekonstruieren, an welcher Prozessstelle das Resonieren in die eine oder andere Richtung gekippt ist, worauf dies im Einzelnen zurückzuführen war und in welcher Hinsicht es gegebenenfalls nachzusteuern gilt. Natürlich kann auch die durch das Konzept systemischer Resonanz eröffnete Beobachterperspektive auf die spezifische Offenheit sozialer Systeme dabei weder die operative Geschlossenheit des jeweils beobachteten Systems noch dessen Beobachters aufheben (wollen). Es bietet lediglich eine differenzierte „Art des Beobachtens, deren Leitdifferenz ‚die System Umwelt-Differenz eines anderen Systems‘ darstellt“ an (Vogd 2011: 220, unter Rückgriff auf Luhmann 1986: 86), mittels derer ein steuerungsorientierter Beobachter zweiter Ordnung versuchen kann, die Perspektive des Systems, an das sich seine Koordinationsbemühungen richten, möglichst umfassend und systematisch zu erfassen und mit seiner eigenen Perspektive in Verbindung zu setzen. Ob sich dieses Angebot bewährt, hängt wiederum davon ab, ob beziehungsweise inwieweit es in der gesellschaftlichen Praxis funktioniert. Um dies feststellen zu können, bedarf es jedoch – zusätzlich zu dem in den ersten zwei Kapiteln dieser Arbeit offerierten theoretisch-konzeptionellen Zugang zur Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme – einer empirisch-methodischen Unterfütterung des Resonanzkonzepts, die es für die Rekonstruktion beziehungsweise Planung konkreter gesellschaftlicher Koordinationsprozesse anschlussfähig macht. Im Anschluss an die in Kapitel 2 und 3 vorgeschlagene theoretische Umfokussierung der Systemtheorie von Geschlossenheit auf Offenheit, muss daher in den folgenden Kapiteln eine zweite Öffnung der als abstrakte Gesellschaftstheorie angelegten Systemtheorie für empirische Fragestellungen und Analysen vorgenommen werden.

4

Vom systemtheoretischen Konzept zur empirischen Analyse systemischer Resonanz

Als theoretische Perspektive auf die spezifische Offenheit operativ geschlossener Systeme bietet das in den Kapiteln 2 und 3 im Anschluss an Niklas Luhmann entwickelte Konzept systemischer Resonanz einen analytischen Zugang zum Verständnis der strukturellen Bedingungen, Prozesse und Resultate des Umweltbezugs operativ geschlossener Sozialsysteme und den dadurch bedingten Abstimmungs- beziehungsweise Koordinationsmöglichkeiten in der modernen, polykontexturalen Gesellschaft. Um diese abstrakte Perspektive auch für empirische Analysen der strukturellen Voraussetzungen, Formen und Folgen des Umweltbezugs konkreter Sozialsysteme anschlussfähig zu machen, muss das systemtheoretische Resonanzkonzept im Folgenden operationalisiert, das heißt in seinen drei Dimensionen – der Resonanzfähigkeit, dem Resonieren und den Resonanzen – empirisch beobachtbar und methodisch kontrolliert erfassbar gemacht werden.266 Als Ausgangspunkt für diese Operationalisierung dient die seit Beginn der 1990er Jahre laufende Debatte zum allgemeinen Verhältnis von Systemtheorie und empirischer Sozialforschung (Abschnitt 4.1). Anhand einer überblicksartigen Bestandsaufnahme dieser Debatte werden zunächst die aktuell verfügbaren Formen systemtheoretisch-empirischen Forschens in fünf verschiedene Forschungsstränge systematisiert (Abschnitt 4.1.1). Diese Systematisierung ist notwendig, um zu zeigen, dass diese unterschiedlichen Stränge trotz ihrer je spezifischen methodischen wie analytischen Schwerpunkte durch eine Reihe grundlegender Gemeinsamkeiten gekennzeichnet sind (Abschnitt 4.1.2), die – so die in dieser Arbeit vertretene These – den methodologischen Kernbestand des systemtheoretisch-empirischen Forschens bilden (Abschnitt 4.1.3). Erst auf der Basis dieses methodologischen Kernbestands, der sich sowohl auf die Frage der konkreten kommunikativen Manifestationen zentraler systemtheoretischer Konzepte als auch auf methodische Aspekte der Erhebung und Bearbei-

266 Wie Vogd (2007: 295) herausstellt, geht es bei einer solchen „Operationalisierung des Systembegriffs für empirische Forschung“ also sowohl darum zu beschreiben, wie „Systeme [und deren Struktureigenschaften, Anmerkung H.V.] als empirische Gegenstände begriffen werden [können], die zwar als relationale Gebilde nicht sichtbar und greifbar, die sehr wohl aber als prinzipiell rekonstruierbar zu verstehen sind“, als auch um die Frage, wie die Rekonstruktion solcher ‚empirischen Gegenstände‘ forschungspraktisch umgesetzt werden kann.

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tung empirischen Materials bezieht, kann das Konzept systemischer Resonanz operationalisiert und in eine empirisch anschlussfähige Resonanzanalyse überführt werden (Abschnitt 4.2).

4.1 VON DER GESELLSCHAFTSTHEORIE ZUR EMPIRIE: SYSTEMTHEORIE UND EMPIRISCHE SOZIALFORSCHUNG Als hochabstrakte Gesellschaftstheorie mit einem in sich recht geschlossenen Begriffsgefüge gilt die Luhmannsche Systemtheorie weithin als ein „für die empirische Sozialforschung nur schwer zugängliches Theorieangebot“, das „keine expliziten Hinweise für eine methodisch kontrollierte empirische Erdung ihres theoretischen Gebäudes“ zu liefern vermag (Meseth 2011: 180; vgl. auch Blaser 2003: 95).267 Über diesen „Vorwurf der Empirievergessenheit“ (John et al 2010: 9) hinaus wird der Systemtheorie – auch von ihren eigenen Vertreter*innen – bisweilen gar ein dezidiert „anti-empirischer Habitus“ bescheinigt (Nassehi 1998, zitiert nach Vogd 2011: 35; vgl. auch Vogd 2011: 38–39), der die bereits bei Luhmann anklingende „Frontstellung“ zwischen abstrakter systemtheoretischer Begriffsarbeit und konkreter empirischer Forschung tradiert (Nassehi 1997: 136; vgl. auch Messmer 2007: 482; Knoblauch 2010: 271): „Auf der einen Seite begibt sich der Systemtheoretiker nicht gerne in die Niederungen der Probleme der Dateninterpretation, und auf der anderen Seite vermeidet es der qualitative Sozialforscher unter der Last seiner Forschungspraxis, sich mit theoretischen Modellen zu beschäftigen, die eine andere Theoriesprache verwenden als die mehr oder weniger bewährten Traditionen“ (Vogd 2011: 21, Hervorhebung i.O.).

Entgegen dieser Frontstellung mehren sich in der systemtheoretischen Literatur seit geraumer Zeit jedoch auch die Stimmen derer, die für eine Öffnung der Systemtheorie für empirische Fragestellungen und Analysen plädieren (Meseth 2011: 177; Knudsen 2010: Absatz 1). Als Pioniere eines solchen „Brückenschlages“ (Sutter 1997: 12)268 zwischen Systemtheorie und empirischer Sozialforschung können sicherlich Autoren wie Schneider (1991; 1992a; 1992b, 1994b; 1994a; 1994b; 1996) und Hausendorf (1992b; 1992a), aber auch Bora (1994) oder Kneer und Nassehi (1991) gelten. Ausgehend vom systemtheoretischen Begriff des Verstehens hatten sie bereits in den frühen 1990er Jahren begonnen, sich mit der Ausarbeitung einer genuin „systemtheoretisch informierten Hermeneutik“ (Kneer/Nassehi 1991; Nassehi 1997, Hervorhebung H.V.) beziehungsweise mit der metatheoretischen Kompatibilität von Systemtheorie und rekonstruktiven Forschungsprogrammen wie der objekti-

267 Vgl. dazu auch Bora (1994: 283; 1997: 244 – 245); Hausendorf (1997: 255); Vogd (2007: 295; 2011: 21, 30); Besio/Pronzini (2010a: Absatz 1) und Wolf et al. (2010: Absatz 3). 268 Für eine ähnliche Charakterisierung dieser Debatte als ein ‚Brückenbau‘ zwischen der Systemtheorie und rekonstruktiver Sozialforschung vgl. auch Vogd (2011: 21) sowie John et al. (2010b: 10).

4. Vom systemtheoretischen Konzept zur empirischen Analyse | 193

ven Hermeneutik oder der ethnomethodologischen Konversationsanalyse auseinanderzusetzen. Zudem haben sie die mit diesen Forschungsprogrammen verbundenen methodischen Zugänge zur Empirie in ersten systemtheoretisch orientierten „Pilotstudien“ (Hausendorf 1997: 255) forschungspraktisch ausgelotet. Erstmals zusammengeführt wurden die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen methodologischen Fragen in dem 1997 von Sutter herausgegebenen Band Beobachten verstehen, Verstehen beobachten – Perspektiven einer konstruktivistischen Hermeneutik.269 Seither wurden sie sowohl in zahlreichen Einzelbeiträgen als auch immer wieder in gebündelter Form weiter diskutiert (Meseth 2011: 180; Knudsen 2010: Absatz 1).270 In diesem Zuge hat eine zweite Generation empirisch interessierter Forscher*innen die von den Pionieren der 1990er Jahre begründeten Forschungsstränge erstens – in teils enger generationenübergreifender Zusammenarbeit 271 – auf methodologischer wie forschungspraktischer Ebene weiter vorangetrieben und diese, zweitens, durch neue ‚Brückenschläge‘ zu weiteren rekonstruktiven Forschungsprogrammen aus dem Kanon der qualitativen Sozialforschung – allen voran der dokumentarischen Methode und diskursanalytischen Verfahren – ergänzt. Auf diese Weise haben sich mittlerweile erste Konturen des Forschungsfelds der systemtheoretisch informierten empirischen Sozialforschung herauskristallisiert: So lassen sich zum gegenwärtigen Stand der Debatte – gemäß des in dieser Arbeit unterbreiteten Systematisierungsvorschlags – fünf unterschiedliche Stränge systemtheoretischen Forschens voneinander unterscheiden, die sich in Auseinandersetzung mit den bereits genannten rekonstruktiven Forschungsprogrammen entwickelt haben. Als „alternative Zugänge zur Operationalisierung der Systemtheorie“ setzen diese Forschungsstränge je eigene analytische Schwerpunkte (John 2010: 321). Zugleich sind sie jedoch auch durch eine Vielzahl grundlegender methodologischer Gemeinsamkeiten verbunden. Diese betreffen sowohl die Art und Weise der Operationalisierung zentraler systemtheoretischer Konzepte – etwa sozialer Sinn oder operativ geschlossene Systeme – als kommunikativ manifeste und damit empirisch beobachtbare Phä-

269 In seinem Vorwort charakterisiert Sutter (1997: 9) diesen Band als einen „ersten Überblick über eine noch junge Diskussion, die hoffentlich eine längere, fruchtbare Zukunft haben wird.“ 270 Etwa in dem 2007 erschienenen Themenheft zu Systemtheorie und empirische Forschung der Zeitschrift Soziale Welt, im Sammelband Theoretische Empirie – Zur Relevanz qualitativer Forschung von 2008 (mit systemtheoretisch orientierten Beiträgen von Nassehi (2008: 79–106), Schneider (2008a: 129–164), Scheffer (2008: 368–398), Bereswill/Rieker (2008: 399–431) und Wagner (2008: 432–448)), in der 2010 veröffentlichten Ausgabe des Forums Qualitative Sozialforschung zum Thema Methods for Qualitative Management Research in the Context of Social Systems Thinking oder im ebenfalls 2010 herausgegebenen Band Die Methodologien des Systems – Wie kommt man zum Fall und wie dahinter?, das im Nachgang einer gleichnamigen Tagung des 2007 gegründeten Arbeitskreis Funktionale Analyse entstanden ist (vgl. Siri 2009). Zu zentralen Einzelbeiträgen, die in diesem Kontext eingebracht wurden, vgl. die Darstellung der verschiedenen systemtheoretischen Forschungsstränge in Abschnitt 4.1.1. 271 So haben etwa Jung, Kaldewey und Mölders bei Bora, von Groddeck und Siri bei Nassehi und Jansen und Harth bei Vogd promoviert.

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nomene als auch die Auswahl der grundlegenden Erhebungs- und Auswertungsmethoden, mittels derer sich diese kommunikativen Manifestationen rekonstruieren und auf ihre spezifischen Struktureigenschaften hin untersuchen lassen. Um einen Überblick über die Vielfalt der gegenwärtig verfügbaren systemtheoretischen Zugänge zur Empirie zu geben, werden im Folgenden zunächst die verschiedenen Forschungsstränge mit ihren jeweiligen methodologischen wie analytischen Spezifika einzeln vorgestellt (Abschnitt 4.1.1). Daran anschließend werden die gemeinsamen Grundpfeiler systemtheoretischen Forschens adressiert, die diese Stränge miteinander verbinden (Abschnitt 4.1.2). Auf diese Weise lässt sich im Fazit zeigen, dass die Systemtheorie aktuell sowohl über verschiedene, auf spezifische Systemtypen oder Fragestellungen spezialisierte Zugänge zur Empirie als auch über einen gemeinsamen „methodologischen Kernbestand“ (John et al. 2010a: 321) verfügt (Abschnitt 4.1.3). 4.1.1 Die Ausdifferenzierung des Forschungsfelds systemtheoretisch informierter empirischer Sozialforschung in fünf Forschungsstränge Wie bereits bemerkt ist die Systemtheorie in der von Luhmann vorgelegten Form einer hochabstrakten Gesellschaftstheorie nicht ohne Weiteres für konkrete empirische Analysen anschlussfähig (Besio/Pronzini 2010a: Absatz 1). Um systemtheoretische Fragestellungen empirisch untersuchen zu können, muss die Systemtheorie daher zunächst methodologisch ‚geerdet‘ werden (Meseth 2011: 180). Die fünf Forschungsstränge, in die sich das Forschungsfeld der systemtheoretisch informierten empirischen Sozialforschung gegenwärtig ausdifferenziert, greifen hierzu auf zwei verschiedene Strategien zurück: Die ersten vier Forschungsstränge stellen klassische ‚Brückenschläge‘ dar in dem Sinne, dass sie auf der „methodologische[n] Einpassung“ anderer metatheoretisch anschlussfähiger „rekonstruktiver Verfahren“ aus dem Kanon der qualitativen Sozialforschung – namentlich der objektiven Hermeneutik, der ethnomethodologischen Konversationsanalyse, der Diskursanalyse und der dokumentarischen Methode – „in die Systemtheorie“ basieren (Bora 1997: 245; vgl. auch John et al 2010: 321). Die metatheoretische Anschlussfähigkeit dieser „rekonstruktive[n] Verfahren“ für systemtheoretische Forschungsanliegen ergibt sich daraus, dass diese von ähnlichen beziehungsweise mit der Systemtheorie kompatiblen Basisprämissen ausgehen (Vogd 2011: 16). In Bezug auf den Forschungsgegenstand bestehen die Gemeinsamkeiten zwischen Systemtheorie und rekonstruktiver Sozialforschung, erstens, in ihrem geteilten Interesse an sozialem, das heißt im Prozess des Kommunizierens hergestelltem, statt an subjektiv gemeintem Sinn. Damit verbunden ist auch die Betrachtung von Phänomenen wie „Handlung“, „Intentionalität“ oder „Entscheiden“ als soziale „Zurechnungsproblem[e]“ (Vogd 2011: 15, Hervorhebung i.O.; vgl. auch Kleemann et al. 2013: 16–17). Zweitens gehen sowohl Systemtheorie als auch rekonstruktive Sozialforschung davon aus, dass die sie interessierende, kommunikativ erzeugte „soziale Wirklichkeit“ zwar einerseits „in ihrer Entstehungsgeschichte kontingent“, andererseits jedoch – „wenn einmal konstituiert“ – von sozialen Regeln und Strukturen geprägt ist. Da sich diese Strukturen in „Texten“ oder anderen „kulturellen Artefakten“ kommunikativ manifestieren, können sie empirisch beobachtet, methodisch rekonstruiert und – je nach theoretischem Hintergrund – „als

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‚Feld‘, ‚System‘ oder ‚objektive Sinnstruktur‘“ beschrieben werden (ebd.). Im Hinblick auf den Forschungsprozess teilen Systemtheorie und rekonstruktive Sozialforschung, drittens, ebenfalls zwei zentrale Annahmen: Statt auf „lineare Erklärungsmodelle und einfache Ursache-Wirkungszusammenhänge“ zurückzugreifen, gehen sie zum einen davon aus, dass Forschung und Gegenstand durch „zirkuläre Kausalitätsverhältnisse“ geprägt sind. In diesem Zusammenhang wird, zum anderen, auch die Rolle des Forschenden selbst, das heißt dessen „Standortgebundenheit“ und deren Einfluss auf die Forschungsergebnisse, anerkannt und bestmöglich reflektiert (Vogd 2011: 15, Hervorhebung i.O.; vgl. auch Kleemann et al. 2013: 18–19). Anders als die ersten vier Forschungsstränge, knüpft der fünfte Forschungsstrang, die von Nassehi und Saake begründete systemtheoretisch informierte Hermeneutik, nicht direkt an ein Forschungsprogramm aus der rekonstruktiven Sozialforschung an. Er stützt sich vornehmlich auf die Operationalisierung zentraler „systemtheoretischer Konzepte als analytische Beobachtungsstrategien“ (John et al 2010: 321), auf deren Grundlage die Systemtheorie gewissermaßen aus sich selbst heraus als eigenständige Forschungsperspektive expliziert wird (von Groddeck et al. 2015: 175; Sutter 1997: 24). Im Folgenden werden diese fünf Forschungsstränge einzeln vorgestellt. (1) Als ein erster Forschungsstrang kann die von Bora (1994; 1999)272 begründete Tradition identifiziert werden, die systemtheoretische Fragestellungen unter Rückgriff auf das Verfahren der objektiven Hermeneutik nach Ulrich Oevermann bearbeitet.273 Analytisch fokussieren objektiv-hermeneutische Untersuchungen vornehmlich auf die Systembildungsebene Gesellschaft – das heißt auf die empirische Analyse gesellschaftlicher Funktionssysteme. Als zentrale Referenzstudie des objektivhermeneutischen Strangs systemtheoretischer Sozialforschung kann Boras (1999) Untersuchung Differenzierung und Inklusion. Partizipative Öffentlichkeit im Rechtssystem moderner Gesellschaften gelten. Am Beispiel von drei öffentlichen Erörterungsterminen über die Freisetzung bestimmter gentechnisch veränderter Organismen, die im Rahmen von rechtlichen Genehmigungsverfahren nach dem deutschen Gentechnikgesetz zu Beginn der 1990er Jahre durchgeführt wurden, zeichnet Bora (1999: 159, 184–185) nach, wie sich verschiedene funktionssystemische Logiken – in diesem Falle die Logiken des Rechts, der Politik, der Wissenschaft und der Religion – interaktiv manifestieren.274 Entgegen der mit diesen Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung verbundenen Hoffnungen zeigt Boras Analyse, dass die betrachteten Erörterungstermine weniger zur gesellschaftlichen Integration – etwa durch die Ausbildung struktureller Kopplungen, die institutionalisierte wechselseitige Bezugnahmen der verschiedenen Logiken aufeinander ermöglicht hätten – als vielmehr zur konfliktären Kollision dieser verschiedenen funktionssystemischen Relevanzen beigetra-

272 Auf methodologischer Ebene hat Bora auch zum Verhältnis von Systemtheorie und Konversationsanalyse gearbeitet (vgl. Hausendorf/Bora 2006). Da er in seiner empirischen Forschung jedoch auf die objektive Hermeneutik zurückgreift (vgl. Bora 1999), wird er hier primär dem ersten Forschungsstrang zugerechnet. 273 Vgl. grundlegend zum Forschungsprogramm der objektiven Hermeneutik Kleemann et al. (2013: 112–152) sowie Przyborski/Wohlrab-Sahr (2014: 246–276). 274 Entsprechend des Beobachtungsfokus Gesellschaft werden Interaktionssysteme hier als „Episoden des Gesellschaftsvollzugs“ (Bora 1999: 159) aufgefasst.

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gen haben (Bora 1999: 381–396). Aktuell wird dieser Strang systemtheoretischer Sozialforschung beispielsweise von Mölders und Jung fortgeführt, die sich unter anderem der objektiv-hermeneutischen Rekonstruktion des Strukturwandels im Rechtssystem (Mölders 2009; 2011), der Charakteristika des auf politische Resonanz zielenden ‚Irritationsdesigns‘ investigativ-journalistischer Organisationen (Mölders 2019) oder der im Kontext des US-amerikanischen Bioethikrats beobachtbaren Formen der ‚Hybridisierung‘ politischer und moralischer Relevanzen (Jung 2009) widmen. (2) Den zweiten Forschungsstrang bildet die auf die Arbeiten von Schneider (1997; 2000; 2008a) 275 und Hausendorf (1992a; 1992b; 1997) zurückgehende Verbindung von Systemtheorie und ethnomethodologischer Konversationsanalyse im Anschluss an Harold Garfinkel,276 die vor allem in der Untersuchung der Eigendynamik von Interaktionssystemen277 Anwendung findet. Als exemplarisch für diesen Zugang zur Empirie können die von Hausendorf beziehungsweise Schneider vorgelegten Rekonstruktionen der „interaktive[n] Selbstfestlegung“ von Kommunikationsepisoden zwischen einem Krankenhausseelsorger und einem Patienten über die Relevanz des Glaubens (Hausendorf 1992b: 119) sowie zwischen einem Lehrer und dessen Schüler*innen im Rahmen des Schulunterrichts (Schneider 1997: 181–220; vgl. auch Schneider 2004) herangezogen werden. Wie in diesen Fallstudien bereits deutlich wird, kommt aus konversationsanalytischer Perspektive vor allem der Frage der Annahme oder Ablehnung von Kommunikationsofferten und der damit verbundenen Unterscheidung von „konsensorientierter und konfliktärer Interaktion“ eine bedeutsame Rolle zu (Schneider 1997: 172–174; vgl. auch Schneider 1999: 164–165). In dieser Tradition stehend hat insbesondere Messmer (2003) mit seiner konversationsanalytischen Studie Der soziale Konflikt einen zentralen Beitrag zum Verständnis der interaktiven Emergenz und systemischen Reproduktion von Konfliktsystemen geleistet. Darüber hinaus findet die Konversationsanalyse aktuell in einer Reihe systemtheoretisch orientierter Studien Verwendung, die sich beispielsweise mit Besprechungen in Wirtschaftsunternehmen (Domke 2006), der interaktiven Verhandlung von Geschlechterdifferenzen (Weinbach 2004; 2006; 2007) oder mit schulischen Unterrichtsinteraktionen zum Thema Nationalsozialismus und Holocaust (Meseth et al. 2004; Hollstein et al. 2016; Hollstein 2019) beschäftigen.

275 Ähnlich wie Bora (vgl. Fußnote 272) hat auch Schneider sowohl zum Verhältnis der Systemtheorie zur Konversationsanalyse als auch zur (objektiven) Hermeneutik publiziert (vgl. Schneider 1991; 1992a; 1999; 2008b). Hier wird er (primär) als Vertreter des konversationsanalytischen Forschungsstrangs verortet, weil seine empirischen Analysen zumeist auf ebendieser Methode fußen (vgl. Schneider 1997: 173–220; 2008a: 138–146; für eine entsprechende Selbsteinordnung vgl. Schneider 1997: 170, Fußnote 25). 276 Vgl. grundlegend zum Forschungsprogramm der ethnomethodologischen Konversationsanalyse Eberle (2008: 139–160). 277 Dabei wird der Kontext, in dem die jeweils untersuchten Interaktionen stattfinden, nicht ausgeblendet, sondern als Umweltreferenz des Interaktionssystems in die Analyse einbezogen. Der analytische Fokus liegt dabei jedoch – anders als etwa bei den oben angeführten objektiv-hermeneutischen Analysen – stets auf der „interaktive[n] Selbstfestlegung“ der Kommunikation (Hausendorf 1992b: 119; vgl. auch Schneider 1997: 183).

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(3) Drittens zeichnet sich etwa seit Beginn der 2000er Jahre eine zunehmende Anlehnung systemtheoretischer Forschung an diskursanalytische Verfahren, insbesondere an die wissenssoziologische oder die an Foucault orientierte Diskursanalyse ab.278 Diskursanalysen eignen sich insbesondere zur Beobachtung des Wandels gesellschaftlicher Strukturen und der damit verbundenen Untersuchung von vergleichsweise langen Zeiträumen und umfangreichen Datenkorpora (Kaldewey 2013: 158). So zeichnen etwa Engels, Weingart und Pansegrau (2002; vgl. auch dies. 1997; 2000) in ihrer diskursanalytischen Studie Von der Hypothese zur Katastrophe. Der anthropogene Klimawandel im Diskurs zwischen Wissenschaft, Politik und Massenmedien auf der Basis von über 600 Dokumenten nach,279 wie der anthropogene Klimawandel im Zeitraum von 1975–1995 gesellschaftlich verhandelt worden ist. Neben der empirischen Rekonstruktion einzelner funktionssystemspezifischer „Diskursprofile“ (Weingart et al. 2002: 160) verdeutlicht insbesondere ihre Analyse der „Interferenzen“ zwischen dem Wissenschaftssystem, dem politischen System und dem System der Massenmedien, wie die zunehmend dringliche wissenschaftliche „Warnung vor der drohenden Katastrophe“ und deren massenmediale „Resonanzverstärk[ung]“ nach anfänglicher Abwehr zu einer schrittweisen „Politisierung des Klimas“ – das heißt zur Etablierung des „anthropogene[n] Klimawandel[s] als politisches Handlungsfeld“ – beigetragen hat (Weingart et al. 2002: 95; Engels/Weingart 1997). Wie etwa Besio/Pronzinis (2010b) Rekonstruktion der gegenwärtigen Formen massenmedialer Berichterstattung über den Klimawandel oder Kaldeweys (2013: 195–402; 2018) Auseinandersetzung mit der historischen Ausbildung und Veränderung wissenschaftlicher Selbstbeschreibungen zeigen, finden diskursanalytische Verfahren auch weiterhin in der systemtheoretisch informierten empirischen Sozialforschung Anwendung. (4) Den vierten Forschungsstrang bildet die seit Mitte der 2000er Jahre insbesondere von Vogd (2005; 2007; 2009a; 2009b; 2010; 2011; 2015)280 vorangetriebene Verknüpfung systemtheoretisch ausgerichteter Sozialforschung mit der dokumentarischen Methode nach Ralf Bohnsack,281 die zur Entwicklung des derzeit elaborier-

278 Zur Verbindung von Systemtheorie und wissenssoziologischer Diskursanalyse vgl. Weingart et al. (2002); Keller (2010); Kaldewey (2013: 156–189); zur Kompatibilität von systemtheoretischer und an Foucault orientierter diskursanalytischer Forschung vgl. Kneer (1997); Stäheli (2004); Arnoldi (2010: 43–45); Gansel (2011); Siri/Robnik (2016). 279 Bei diesen Dokumenten handelt es sich um thematisch einschlägige wissenschaftliche Gutachten und Fachzeitschriftenartikel, Protokolle von Plenarsitzungen und Ausschüssen des Bundestags beziehungsweise den von diesem einberufenen Kommissionen sowie um Berichte aus Leitmedien wie dem Spiegel, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Süddeutschen Zeitung. Eine vollständige Auflistung der analysierten Quellen findet sich in Weingart et al. (2002: 161–179). 280 Vgl. dazu aber auch die Beiträge von Bohnsack (2010) selbst sowie von Gentile (2010) oder Jansen (2013). 281 Vgl. grundlegend zum Forschungsprogramm der dokumentarischen Methode Kleemann et al. (2013: 154–197) sowie Przyborski/Wohlrab-Sahr (2014: 277–313).

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testen systemtheoretischen Forschungsprogramms 282 – der Kontexturanalyse (Jansen/ Vogd 2013; Jansen et al. 2015) – geführt hat.283 Das Alleinstellungsmerkmal der Kontexturanalyse besteht darin, dass sie, im Gegensatz zu den anderen bisher aufgeführten systemtheoretischen Zugängen zur Empirie, nicht nur die Forschungsstrategien eines anderen, metatheoretisch kompatiblen Forschungsprogramms übernimmt, sondern diese Forschungsstrategien selbst systemtheoretisch fundiert beziehungsweise methodologisch untermauert und weiterentwickelt: Über die reine Verwendung der dokumentarischen Methode für systemtheoretische Analysen hinaus haben die Vertreter der Kontexturanalyse – ausgehend von Günthers Konzept der Polykontexturalität – eine eigene, dezidiert systemtheoretische Methodologie entwickelt, aus der heraus auch die forschungspraktische Auswahl der konkreten Erhebungs- und Auswertungsmethoden begründet wird (Jansen et al. 2015; Vogd/Harth 2019).284 Wie Vogds Arbeiten zur operativen Reproduktion verschiedener, sowohl interaktiver, organisatorischer als auch funktionssystemischer Relevanzen im Krankenhaus zeigen,285 widmet sich dieser Forschungsstrang insbesondere der Rekonstruktion des „polykontexturale[n] Arrangement[s]“ unterschiedlicher gesellschaftlicher Systemlogiken und -typen in sogenannten ‚Verbundkontexturen‘ (Vogd/Harth 2019: Absatz 22, Hervorhebung H.V.; vgl. auch Vogd 2011: 102; Jansen 2013: 42–43; Jansen et al. 2015: Absatz 30). Diese ‚Verbundkontexturen‘ – zumeist multireferentielle Organisationen (Jansen/Vogd 2013: 82) – werden daraufhin beobachtet, ob beziehungsweise wie es ihnen gelingt, die aus anderen gesellschaftlichen Domänen an sie herangetragenen Ansprüche systemintern im Rahmen ihrer eigenen Entscheidungspraxis in ein operativ tragfähiges Verhältnis zueinander zu setzen. Das Konzept der Polykontexturalität bietet damit erstmals einen methodologischen Rahmen, um zu beobachten, wie verschiedene Logiken zueinander ins Verhältnis gesetzt werden, ohne jedoch ineinander aufzugehen. Auf „diesem Wege wird es möglich, die analytisch wenig

282 Dass es sich bei den „Studien von Werner Vogd“ um die aktuell „beste Quelle für systemtheoretische Forschung auf höchstem Niveau“ handelt, haben Nassehi und Saake (2007: 238) bereits einige Jahre vor der Vorstellung der Kontexturanalyse als eigenständiges, systemtheoretisch fundiertes Forschungsprogramm (vgl. Jansen et al. 2015; Vogd/Harth 2019) festgestellt. 283 Günther konzipiert Kontexturen als „zweiwertige[.] logische[.] Räume […], [die] jeweils über einen positiven und negativen Wert verfüg[en]“ (Jansen et al. 2015: Absatz 21). Die Gesellschaft besteht aus einer Vielzahl dieser Räume – ist also dementsprechend als polykontexturale Gesellschaft zu verstehen. Indem sie vorschlagen „Günthers Begriff der Kontextur“ als systemtheoretisch gewendete „Alternative“ zu Bohnsacks „Konzept des konjunktiven Erfahrungsraums“ zu begreifen, verknüpfen sie eine systemtheoretische Metatheorie mit der dokumentarischen Methode (Jansen et al. 2015: Absatz 4). 284 Letzteres unterscheidet die Kontexturanalyse als umfassendes Forschungsprogramm von der hier als fünfter Forschungsstrang gelisteten systemtheoretisch informierten Hermeneutik, die zwar ebenfalls eine eigenständige systemtheoretische Methodologie ausarbeitet, dabei jedoch die forschungspraktische Frage möglicher Erhebungs- und Auswertungsmethoden kaum systematisch in den Blick nimmt (vgl. Vogd 2011: 24–26). 285 Vgl. dazu Vogd (2009a: 65–90; 2009b: 117–133; 2011: 51–76; 2015; 2016) sowie Vogd et al. (2018).

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hilfreichen Dichotomien der üblichen Konfliktmodelle zu überwinden (beispielsweise: Ökonomie vs. Medizin), um stattdessen das Augenmerk auf die Raffinesse zu lenken, wie die unterschiedlichen Kontexturen miteinander zu einem Arrangement finden“ (Vogd 2009b: 109). Dass sich die Kontexturanalyse auch außerhalb der in Vogds Arbeiten im Zentrum stehenden Verbundkontextur Krankenhaus bewährt, zeigen aktuell etwa die Studien von Jansen (2012; 2013; Jansen/Vogd 2013; 2014) zum Arrangement von politischen, ökonomischen und organisatorischen Relevanzen in mitbestimmten Aufsichtsräten sowie die von Kleve, Köllner, Rüsen und von Schlippe vorgelegten Untersuchungen zum prekären Verhältnis von Familie, Wirtschaft und formaler Organisation in weit verzweigten Unternehmergroßfamilien (von Schlippe et al. 2015; Rüsen et al. 2019; Kleve et al. 2020). (5) Als fünfter Forschungsstrang lässt sich die auf Nassehi und Saake zurückgehende „systemtheoretisch informierte[.] Hermeneutik“ ausmachen (Nassehi 1997: 137, Hervorhebung H.V.; 1995; 2008; Nassehi/Saake 2002; 2007; Saake 2010). Wie eingangs erwähnt, zeichnet sich diese gegenüber den anderen vier Forschungssträngen dadurch aus, dass sie gerade nicht auf die Verknüpfung der Systemtheorie mit anderen, methodologisch verwandten Forschungsprogrammen setzt (Nassehi/Saake 2007: 244–245). Vielmehr zielt sie darauf ab, systemtheoretische Konzepte – insbesondere die Differenz zwischen operativem und beobachtendem Verstehen – als „analytische Beobachtungsstrategien“ (John et al. 2010c: 321) zu operationalisieren und auf diese Weise die epistemologischen Spezifika der Systemtheorie als eigenständige Forschungsperspektive herauszuarbeiten.286 Das entscheidende Charakteristikum dieser Perspektive besteht demzufolge darin, dass nicht nur der Gegenstand systemtheoretisch-empirischer Forschung – das heißt „in Texten geronnene[.] Kommunikation“ (Nassehi 199: 145) –, sondern auch die Forschung selbst – die wissenschaftliche Interpretation dieser Kommunikation – als beobachterabhängige Konstruktionen erster beziehungsweise zweiter Ordnung verstanden werden, „die das, was sie sehen, selbst erzeugen“ (Nassehi/Saake 2002: 68; vgl. auch Sutter 1997: 25). Systemtheoretische Sozialforscher*innen stehen damit stets vor einer doppelten Aufgabe: Im Hinblick auf das empirische Material gilt es erstens, das sich in diesem manifestierende „operative[.] Verstehen“ (Nassehi 1997: 143, Hervorhebung i.O.) – die Genese und Struktureigenschaften der jeweiligen kommunikativ erzeugten Bedeutungen – als Beobachtungen erster Ordnung im Rahmen einer wissenschaftlichen Beobachtung zweiter Ordnung zu rekonstruieren und sie – in der Tradition der funktionalen Methode Luhmanns287 – mit anderen empirisch beobachtbaren Formen der operativen „Kontingenzbearbeitung und -entfaltung“ zu vergleichen (Nassehi/Saake

286 Vgl. dazu auch Meseth (2011: 177). 287 Die funktionale Methode, die Luhmann zu Beginn den 1960er Jahre einführt (vgl. Luhmann 1964) und auf die er in seinen späteren Werken nur noch sporadisch verweist (Knudsen 2010: Absatz 6), stellt weniger eine Methode im Sinne einer konkreten Anleitung zu einer bestimmten Art und Weise der Erhebung und Interpretation empirischer Daten dar, als vielmehr eine grundlegende Forschungsperspektive oder ‚analytische Strategie‘ (vgl. Akerstrom Andersen 2010a), die sich dadurch auszeichnet, dass sich die wissenschaftliche Beobachtung zweiter Ordnung an der Unterscheidung von Problem und Lösung(en) orientiert (vgl. Knudsen 2010: Absatz 8–17).

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2002: 71; Nassehi 2008: 92). Zweitens muss auch der Forschungsprozess selbst – als standortgebundenes „beobachtende[s] Verstehen“ des operativen Verstehens anderer Beobachter (Nassehi 1997: 143, Hervorhebung i.O.) – dahingehend reflektiert werden, welche „beobachtungsleitenden Unterscheidungen“ die Interpretation der empirischen Daten und die daraus generierten wissenschaftlichen Erkenntnisse formen (Nassehi 1997: 156; Nassehi/Saake 2002: 81).288 Aktuell wird das Anliegen der systemtheoretisch informierten Hermeneutik insbesondere in der systemtheoretischen Organisations- beziehungsweise Managementforschung aufgegriffen: Auf methodologischer Ebene haben Besio/Pronzini (2010) und Akerstrom Andersen (2010: 110) erste Systematisierungen verschiedener systemtheoretischer „analytical strategies“ erarbeitet. Über die bereits bei Nassehi und Saake im Zentrum stehende Kontingenzanalyse, die sich an der Unterscheidung von Kontingenzentfaltung/-reduktion orientiert und der mit dem Schema Problem/Lösung(en) operierenden funktionalen Methode Luhmanns hinaus,289 differenzieren sie unter anderem zwischen Semantik-, Kopplungs- oder Medienanalysen.290 Forschungspraktisch spielt die systemtheoretisch informierte Hermeneutik gegenwärtig etwa bei Siris und von Groddecks Analysen zu politischen Parteien beziehungsweise Wirtschaftsunternehmen eine zentrale Rolle (Siri/von Groddeck 2012; von Groddeck et al. 2015; Siri 2011; 2012; 2015; von Groddeck 2010; 2011a: 71–78; 2011b; 2015).

288 Wie Nassehi (1997: 156, Hervorhebung i.O.) zugleich betont, führt diese Form der methodischen Kontrolle selbstverständlich nicht dazu, dass „wissenschaftliche Operationen […] ihrem eigenen blinden Fleck entkommen“ können. Die Herstellung größtmöglicher forschungspraktischer Transparenz zielt eher darauf ab, die eigenen wissenschaftlichen Beobachtungen wiederum anderen Beobachtern und deren Kritik zugänglich zu machen: Wissenschaftliche Operationen sollten sich also stets „so weit limitieren, d.h. auf ein Repertoire beobachtungsleitender Unterscheidungen einlassen, daß der – dann übrigens meist textförmig vorliegende – Verstehensprozeß so weit transparent wird, daß ein Leser des wissenschaftlichen Textes genauer beobachten kann, aufgrund welcher Unterscheidungen bestimmte Ergebnisse erzielt wurden“. Systemtheoretische Analysen erheben demnach keinen Anspruch auf Objektivität, sondern verstehen sich als einen Beitrag zur wissenschaftlichen Kommunikation der Gesellschaft. Sie stellen den Versuch dar, „durch Ansetzen bestimmter Unterscheidungen an sich selbst sehen zu lernen, was man sieht, wenn man so hinsieht (und nicht anders)“ (Nassehi 1998, zitiert nach von Groddeck 2011a: 71). 289 Vgl. dazu ausführlich Knudsen (2010). 290 Diese Darstellung ist nicht abschließend und verwendet deutsche statt – wie im Original – englische Begriffe. Für eine englischsprachige Auflistung des gesamten systemtheoretischen „reservoir of analytical strategies“ vgl. Akerstrom-Andersen (2010a: 110) beziehungsweise Besio/Pronzini (2010a). Für konkrete Anwendungsbeispiele aus der Forschungspraxis vgl. Besio/Pronzini (2010a: Absatz 16, 20, 24, 28, 32 und 36).

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4.1.2 Die gemeinsamen Grundpfeiler systemtheoretischempirischen Forschens Wie dieser Überblick über die Ausdifferenzierung des Forschungsfelds der systemtheoretisch informierten empirischen Sozialforschung zeigt, verfügt die Systemtheorie derzeit über vielfältige Möglichkeiten, empirische Fragestellungen methodologisch reflektiert und methodisch kontrolliert zu untersuchen. Obwohl jede dieser verschiedenen „Methodologien des Systems“ eine eigene Forschungsperspektive mit besonderen analytischen Schwerpunkten darstellt, basieren sie dennoch – als systemtheoretische Zugänge zur Empirie – auf einer Reihe geteilter Annahmen (John et al. 2010c: 321). In Bezug auf die Operationalisierung zentraler systemtheoretischer Konzepte bestehen diese in der über alle Forschungsstränge hinweg geteilten Auffassung, dass sich die operative Genese und Evolution sozialen – und genauer: systemischen – Sinns empirisch anhand von konkreten, gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen nachvollziehen lässt; und zwar in der spezifischen Art und Weise, in der einzelne kommunikative Mitteilungsereignisse miteinander verknüpft sind. Zur methodisch kontrollierten Rekonstruktion solcher kommunikativen Manifestationen sozialen beziehungsweise systemischen Sinns greifen die verschiedenen Ansätze systemtheoretisch-empirischen Forschens allesamt auf eine Kombination aus sequenzanalytischen und komparativen Auswertungsmethoden zurück. Diese gemeinsamen Grundpfeiler des systemtheoretischen Forschens werden im Folgenden genauer erläutert. Das allgemeine Forschungsinteresse der systemtheoretisch informierten empirischen Sozialforschung besteht in der Rekonstruktion von sozialem Sinn. 291 Als sozial wird dieser Sinn deshalb bezeichnet, weil er sich nicht auf den „Sinn [bezieht], den der Handelnde mit seinem Verhalten psychisch verbindet“, sondern „durch die Anschlußäußerungen anderer Autoren erzeugt wird“ (Schneider 2008a: 129). Sozialer Sinn entsteht (und vergeht) in und durch Kommunikation; nämlich dadurch, dass als kommunikative Äußerungen auftretende Mitteilungsereignisse durch andere, anschließende Mitteilungsereignisse als spezifische Informationen verstanden werden (Schneider 2008a: 147; Meissner et al. 2014: 206–207).292 Worin diese Informationen bestehen wird dabei nicht bereits durch die Mitteilungen selbst, sondern erst im an diese anschließenden (und wiederum mitgeteilten) Verstehen festgelegt. Dies ist möglich, da jedes Mitteilungsereignis grundsätzlich „polyvalent“ ist (Vogd 2009b: 113): Es spannt – prospektiv gerichtet – eine Vielzahl potentieller Bedeutungen auf, aus denen das im nächsten Mitteilungsereignis artikulierte Verstehen – retrospektiv gerichtet – eine bestimmte Bedeutung auswählt (vgl. Abbildung 21; siehe dazu auch Abschnitt 3.1.2). 293 Welche dieser möglichen Bedeutungen oder Informationen in

291 Vgl. dazu Bora (1994: 291–292); Schneider (2008a: 129–130); Weingart et al. (2002: 20– 24); Vogd (2007: 295; 2011: 32) sowie Nassehi (2012: 426–427). 292 In der Systemtheorie wird Kommunikation definiert als die „Synthese von drei verschiedenen Selektionen – nämlich Selektion einer Information, Selektion der Mitteilung dieser Information und selektives Verstehen […] dieser Mitteilung und ihrer Information“ (Luhmann 1995d: 115, Hervorhebungen i.O.). 293 Für eine ähnliche, aber stärker auf Interaktionen zugeschnittene Visualisierung des systemtheoretischen Kommunikationsverständnisses vgl. Messmer (2003: 97). Die sich im

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einem konkreten Verstehensakt selegiert wird, hängt von den Erwartungsstrukturen – den Attributionsschemata und -regeln – des Beobachters ab, der die jeweilige Mitteilung sinnhaft bestimmt. Die systemtheoretische Methodologie basiert damit auf einem „operative[n] Verständnis von Kommunikation als fortlaufende Kette von Selektionsprozessen, […] die jeweils Unbestimmtes in einen bestimmten Sinnhorizont einrasten lassen, um sich dann zur nächsten ‚Bestimmung des Unbestimmten‘ hangeln zu können“ (Vogd 2009b: 112). Abbildung 21: Das systemtheoretische Verständnis von Kommunikation als operativer Selektionsprozess

Quelle: eigene Darstellung

Als empirisches Material kommen in der systemtheoretisch informierten empirischen Sozialforschung dementsprechend jegliche Formen vertexteter und damit zeitlich stabilisierter Kommunikationsprozesse in Frage, in denen sich das operative ‚Nacheinander‘ kommunikativer Mitteilungsereignisse beobachten lässt: Transkripte von authentischen oder eigens für die Forschung generierten Gesprächen, aber auch primär textförmige Daten wie Zeitungsartikel, Broschüren oder Briefe (von Groddeck 2011a: 75; vgl. auch Meseth 2011: 188). Die zentrale Beobachtungseinheit innerhalb dieser Kommunikationsprozesse bildet die kommunikative Operation. Als Synthese der drei Selektionen Mitteilung, Information und (wiederum mitgeteiltem) Verstehen bestehen kommunikative Operationen aus je zwei aufeinander bezogenen Mitteilungsereignissen (Schneider 2008c: 472).294 Die erste Mitteilung ist dabei insbesondere in ihrer prospektiven Dimension Kommunikationsprozess zeigenden Bezüge zwischen einzelnen Mitteilungsereignissen müssen dabei nicht notwendigerweise – wie in Abbildung 21 vereinfacht dargestellt – strikt sequentiell erfolgen in dem Sinne, dass sich das operative Verstehen stets (nur) an dem zuletzt artikulierten Mitteilungsereignis orientiert. „[A]uch weiter zurückliegende kommunikative Ereignisse können als Bezugspunkt späterer Anschlüsse aufgerufen und immer wieder neu gedeutet werden“ (Schneider 2008c: 476). Die genauen Bezüge zwischen einzelnen Mitteilungsereignissen müssen dementsprechend stets empirisch erschlossen werden. 294 Schneider (2008a: 146–148; 2008c: 475) spricht hier von der „Elementareinheit von Kommunikation“.

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– hinsichtlich der durch sie aufgespannten Anschlussmöglichkeiten –, die zweite Mitteilung vor allem im Hinblick auf ihre retrospektive Dimension – die aus diesen Möglichkeiten tatsächlich selegierte Information – relevant. Das besondere Augenmerk der systemtheoretischen Rekonstruktion solcher kommunikativen Operationen liegt typischerweise auf dem Akt des Verstehens (Paul 2010: 53; Nassehi 2008: 99), der – als „sinnproduktives Moment“ der Kommunikation – darüber entscheidet, „ob und welchen Sinn eine Äußerung in der Kommunikation erhält“ (Luhmann 1986: 95, zitiert nach Schneider 1996: 269). Im Gegensatz zu den im empirischen Material direkt dokumentierten Mitteilungsereignissen ist das operative Verstehen als Prozess der Informationsselektion, der diese Mitteilungsereignisse miteinander verbindet, nicht unmittelbar empirisch beobachtbar. Als „so und nicht anders stattgefundene Sinnselektion“ lässt es sich lediglich indirekt aus dem Verhältnis der aufeinander bezogenen Mitteilungsereignisse ableiten (von Groddeck 2011a: 74–75; vgl. auch Schneider 1999: 146; Jansen 2013: 49). Dazu muss sowohl die semantische als auch die operative Dimension des kommunikativen Geschehens in den Blick genommen werden: Auf der Ebene der Semantik geht es darum festzustellen, worin die jeweils selegierte Information besteht, das heißt was konkret in der betrachteten kommunikativen Operation als Sinn zustande gekommen ist. Auf der operativen Ebene gilt es, die „Sinnverarbeitungsregeln“ nachzuvollziehen, die dieser Sinnselektion zugrunde liegen. Hier steht also die Frage im Mittelpunkt, wie – unter Rückgriff auf welche sachlichen, sozialen und temporalen Attributionsschemata und -regeln – diese spezifische Information aus der Vielfalt der prinzipiell möglichen Bedeutungen des operativ verstandenen Mitteilungsereignisses ausgewählt wurde (von Groddeck 2011a: 76–77; Gentile 2010: Absatz 9–10; Baecker 2008: 18). Konkret lässt sich dies etwa an den folgenden Mitteilungsereignissen verdeutlichen, die einem Zeitungsbericht über ein Treffen der EU-Finanzminister zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 entnommen sind (vgl. Abbildung 22).295 Abbildung 22: Beispielsequenz einer kommunikativen Operation

Quelle: eigene Darstellung

295 Vgl. https://www.sueddeutsche.de/politik/coronavirus-eu-finanzminister-rettungspaket-eu ropaeische-union-1.4873429; zuletzt abgerufen am 9.4.2020.

204 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

Die erste Mitteilung – „die EU-Finanzminister haben sich in der Corona-Krise auf milliardenschwere Hilfen für gefährdete Staaten, Firmen und Jobs geeinigt“ – spannt verschiedene Anschlussmöglichkeiten auf. So könnte man sich angesichts dieser Aussage beispielsweise fragen, ob die EU-Finanzminister damit ihre rechtlichen Kompetenzen überschreiten. Alternativ ließe sich diskutieren, inwiefern eine moralische Verpflichtung zu solchen Hilfen besteht oder welche Firmen oder Wirtschaftszweige hiervon besonders profitieren könnten. Man könnte jedoch auch überlegen, ob man diese Neuigkeit bei der nächsten Besprechung mit den Kolleg*innen oder der anstehenden Familienfeier ansprechen oder dieses Thema besser vermeiden sollte, etwa um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Mitteilung2 schließt an Mitteilung1 wie folgt an: „Der französische Finanzminister Bruno Le Maire sprach auf Twitter von einem exzellenten Kompromiss. […] Europa habe sich entschieden und zeige, dass es der Krise gewachsen sei“. Das in dieser Mitteilung dokumentierte Verstehen behandelt Mitteilung1 als Entscheidung des Kollektivsubjekts ‚Europa‘, deren besondere Bedeutung oder Exzellenz – aus der im Text aufgegriffenen Beobachterperspektive des französischen Finanzministers – darin begründet liegt, dass sie Europas Fähigkeit zur gemeinsamen Krisenbewältigung symbolisiert (‚Was-Ebene‘). Anders als in den soeben dargelegten hypothetischen Anschlüssen wird hier also eine vornehmlich politische Information selegiert, die die Einigung der Finanzminister als kollektiv bindende Entscheidung begreift und auf ihre Machtrelevanz – ihre Konsequenzen für die Stabilität Europas – hin beobachtet (‚Wie-Ebene‘).296 Wie in diesem Beispiel bereits anklingt, zeigt das operative Verstehen – die aus dem vorangegangenen Mitteilungsereignis selegierte Information – nicht nur an, welcher Sinn in einer kommunikativen Operation erzeugt wurde, sondern verweist immer auch auf die Systemreferenz(en), in die sich diese Operation einreiht. Dies ist darauf zurückzuführen, dass operativ geschlossene Sozialsysteme – im Verständnis der Systemtheorie – nichts anderes sind als spezifische Formen des Verstehens von Mitteilungsereignissen, die sich empirisch darin manifestieren, dass die Kommunikation in ihrem Verlauf einem „bestimmte[n] Typus von Selektivität“ folgt (Vogd 2009b: 101; vgl. auch Schneider 1999: 146; Stichweh 2010: 19, 26; Messmer 2007: 483). Operativ geschlossene Sozialsysteme lassen sich dementsprechend nicht als substantielle ‚Dinge‘, sondern lediglich als Prozesse – im konkreten Vollzug ihres Operierens – empirisch beobachten.297 Als „relationale Gebilde“ (Vogd 2007: 295) konstituieren und reproduzieren sie sich durch eine bestimmte Logik der Verknüp-

296 Die hier exemplarisch ausgeführte Rekonstruktion des operativen Verstehens fokussiert vor allem auf die Sachdimension des kommunizierten Sinns. Würde man die Sozialdimension stärker berücksichtigen, stünde vor allem der Mitteilungsaspekt im Vordergrund – also die Frage, wer auf welche Art und Weise etwas mitteilt – hier etwa die Selektion der Perspektive des französischen Finanzministers, der die Ergebnisse der Verhandlungen ‚Europas‘ via Twitter bewertet. Im Hinblick auf die Zeitdimension wäre vor allem die gegenwärtige Funktion der auf dem Gipfel getroffenen Entscheidung – die Stabilisierung der politischen Zukunft Europas – zu betonen. 297 In diesem Sinne – als spezifische Form der Verkettung von auftretenden und verschwindenden Mitteilungsereignissen – sind soziale System daher stets als „‚temporalisierte Systeme‘“ zu verstehen (von Groddeck et al. 2015: 172).

4. Vom systemtheoretischen Konzept zur empirischen Analyse | 205

fung kommunikativer Ereignisse, die durch deren jeweilige systemkonstitutive Attributionsschemata strukturiert werden (vgl. auch Vogd 2011: 101–103; Schneider 2008c: 472–473). Entscheidend für die empirische Rekonstruktion von operativ geschlossenen Sozialsystemen ist folglich nicht der Inhalt oder das Thema der Kommunikation, sondern die Art und Weise, in der sie operativ vollzogen wird: Es geht nicht darum, worüber gesprochen wird, sondern darum, wie – unter Rückgriff auf welche Rahmungen oder Attributionsschemata – ein in letzter Konsequenz beliebiges Thema verhandelt wird (Jansen 2013: 49). Im Falle der verschiedenen gesellschaftlichen Funktionssysteme sind diese systemkonstitutiven Attributionsschemata die binären Codes: Das Rechtssystem etwa besteht aus all jenen kommunikativen Operationen, die sich in ihrer Informationsselektion an der Unterscheidung von ‚Recht/Unrecht‘ orientieren, das politische beziehungsweise das Wirtschaftssystem aus allen Operationen, die Mitteilungsereignisse im Hinblick auf ihre Macht- oder Zahlungsrelevanz beobachten (Luhmann 1987a: 21; Nassehi 1993: 323).298 Über die gesellschaftlichen Funktionssysteme hinaus lassen sich zudem mindestens zwei weitere Typen sozialer Systeme unterscheiden,299 die sich unter Rückgriff auf andere Formen konstitutiver Attributionsschemata schließen: Organisationssysteme, die sich „[ü]ber die Kriterien der Mitgliedschaft beziehungsweise der selbstreferentiellen Entscheidungskommunikation“ als eigenständige Sinnzusammenhänge reproduzieren, und Interaktionssysteme, die dies „über das Kriterium der Anwesenheit“ tun (Henkel 2010: 184–185).300 Ob beziehungsweise welche der verschiedenen gesellschaftlichen Funktions-, Organisations- beziehungsweise Interaktionssysteme in einem konkreten Kommunikationsprozess aktualisiert werden, ist prinzipiell kontingent oder – methodologisch formuliert – eine empirisch offene Frage. Denn das operative „Verstehen ist zwar nicht beliebig, muss aber auch nicht notwendigerweise in einen spezifischen Sinn einrasten. Wir haben zwar mit gesellschaftlichen Konditionierungen zu rechnen, wel-

298 Vgl. dazu auch Abschnitt 3.2.1. 299 Über diese klassischen Systemtypen hinaus wird auch der Status oder Systemcharakter anderer sozialer Formen wie Gruppen, Familien oder Bewegungen diskutiert; vgl. z.B. Kühl (2014). 300 Neben der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft in unterschiedliche Funktionssysteme berücksichtig die Systemtheorie folglich auch eine „Ebenendifferenzierung“ von Interaktion, Organisation und Gesellschaft. Die gesellschaftlichen Funktionssysteme mit ihren binären Codes differenzieren sich in der Sachdimension von Sinn aus, wohingegen die konstitutiven Attributionsschemata von Interaktions- und Organisationssystemen – Anwesenheit beziehungsweise Mitgliedschaft oder Entscheidung (als durch kommunikative Adressen vollzogenes Handeln im Sinne einer Auswahl aus Alternativen) – sich in der Sozialdimension als eigenständige Systemtypen konstituieren. Da die konstitutiven Attributionsschemata dieser verschiedenen Differenzierungsformen sich nicht wechselseitig ausschließen, sondern gewissermaßen quer zueinander liegen, kann ein und dieselbe kommunikative Operation – als sogenanntes „Mehrsystemereignis[.]“ (Bora 2001: 178) – gleichzeitig bis zu drei Systeme – ein Funktionssystem, ein Organisationssystem und ein Interaktionssystem reproduzieren (vgl. dazu Vogd 2009b: 109–110; Stichweh 2000a: 16; Weinbach 2014).

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che die Wahl möglicher Anschlüsse konditionieren. Welche der potentiellen Anschlüsse im konkreten Fall gewählt wird, ist jedoch nicht determiniert“ (Vogd 2011: 108; vgl. auch Nassehi 2008: 97–98). Es kann also durchaus sein, dass die Kommunikation, sobald sie einmal in eine spezifische Systemreferenz – etwa, wie im obigen Beispiel in die des politischen Systems – ‚eingerastet‘ ist, auch durch die darauffolgenden Operationen in dieser „Spurrille[.]“ (Vogd 2011: 131) weitergeführt wird. Ebenso gut ist es jedoch möglich, dass die Systemreferenz in anschließenden Operationen gewechselt wird, sodass sich die Kommunikation in ihrem nächsten Zug an anderen, beispielsweise wirtschaftlichen oder rechtlichen Relevanzen orientiert. Abbildung 23: Operationen verschiedener Typen operativ geschlossener Sozialsysteme

Quelle: eigene Darstellung

Zudem können in ein und derselben Operation zugleich interaktions-, organisationsund funktionssystemische Relevanzen aktualisiert werden; etwa wenn in einer Besprechung von Mitgliedern eines Wirtschaftsunternehmens Entscheidungen über zukünftige Investitionsprojekte getroffen werden. Dementsprechend betrachtet die systemtheoretische Sozialforschung ihr empirisches Material als grundsätzlich polykontexturales Setting, innerhalb dessen sich viele verschiedene, mehr oder weniger gesellschaftlich „vorformatierte“ Beobachterperspektiven manifestieren und wechselseitig konditionieren können (Vogd 2011: 123; 2009b: 106; Nassehi 2008: 97–98; Mölders 2019: 34). Die Polykontexturalität gesellschaftlicher Kommunikation lässt sich empirisch in zwei verschiedenen Formen beobachten: Erstens im Wechsel der Systemreferenz von einem zu einem anderen System desselben Systembildungstyps in zwei aufeinanderfolgenden kommunikativen Operationen, zum Beispiel von politischer zu wirtschaftlicher Kommunikation. Da dies nur in Form eines ‚Nacheinanders‘ möglich ist, kann in diesem Zusammenhang – so der in dieser Arbeit unterbrei-

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tete Vorschlag – von diachroner Polykontexturalität gesprochen werden. Zweitens kann sich Polykontexturalität auch darin zeigen, dass verschiedene Systeme unterschiedlichen Typs gleichzeitig in ein und derselben kommunikativen Operation aktualisiert werden – etwa als eine interaktiv verhandelte Zahlungsentscheidung eines Unternehmens, das zugleich einer Interaktions-, einer Organisations- und der Wirtschaftslogik folgen kann (Stichweh 2000: 16). Dies wäre ein Fall synchroner Polykontexturalität. In der systemtheoretisch informierten empirischen Sozialforschung – insbesondere in der Kontexturanalyse – werden beide Formen von Polykontexturalität berücksichtigt; auch wenn sie auf analytischer Ebene nicht so stark voneinander getrennt oder unterschiedlich bezeichnet werden. Um solche polykontexturalen Settings analytisch aufzuschlüsseln, wird in der systemtheoretisch informierten Sozialforschung typischerweise eine Kombination aus sequenzanalytischen und komparativen Auswertungsmethoden verwendet. 301 Sequenzanalysen dienen vor allem dazu, die operative Selektivität der im empirischen Material dokumentierten Kommunikationsprozesse nachzuzeichnen und die sich in diesem Kontext in der Form spezifischer Typiken des operativen Verstehens manifestierenden Systemreferenzen zu identifizieren (Domke 2006: 73; Bora 1997: 241). Dazu wird der „Kommunikationsverlauf Äußerung für Äußerung in strikter Bindung an die protokollierte sequentielle Abfolge analysiert und jede Einzeläußerung darauf hin untersucht, aus welchen Möglichkeiten sie auswählt und welche unmittelbaren Anschlußmöglichkeiten sie eröffnet“ (Schneider 1999: 152; vgl. auch Bora 1997: 241).302 Wie im obigen Beispiel anhand des Zeitungsberichts über das Treffen der EU-Finanzminister illustriert (vgl. Abbildung 22), kann auf diese Weise etwa gezeigt werden, dass eine bestimmte kommunikative Operation ein Element des politischen Systems darstellt, weil sie sich in ihrer Informationsselektion an Fragen der Macht orientiert. Um die Struktureigenschaften – die „Selektionsbeschränkungen, welche allgemein in sozialer, sachlicher wie zeitlicher Hinsicht die Art und Weise des Kommuni-

301 Vgl. dazu stellvertretend für ‚ihre‘ jeweiligen Forschungsstränge Bora (1999: 191–193); Schneider (2008a: 130); Weingart et al. (2002: 11); Vogd/Harth (2019: 18); sowie Nassehi, der sich zwar gegen eine strikte Form der Sequenzanalyse ausspricht, aber in seinen eigenen Forschungsarbeiten – ebenso wie andere Vertreter*innen dieses Forschungsstrangs – ebenfalls sequenzanalytisch und komparativ arbeitet (Nassehi 1997: 157, Fußnote 75; vgl. auch dazu Schneider 1997: 170, Fußnote 25). Die genaue Ausgestaltung dieser Methoden variiert von Forschungsprogramm zu Forschungsprogramm (vgl. dazu etwa die Gegenüberstellung der „Analyseschritte“ der objektiven Hermeneutik, der ethnomethodologischen Konversationsanalyse und der dokumentarischen Methode in Kleemann et al. (2013: 199). 302 Das heißt nicht, dass die in der Kommunikation hergestellten Sinnbezüge selbst strikt sequentiell verlaufen müssen in dem Sinne, dass ein Mitteilungsereignis stets notwendigerweise (nur) an die unmittelbar zuvor artikulierte Äußerung anschließt. „[A]uch weiter zurückliegende kommunikative Ereignisse können als Bezugspunkt späterer Anschlüsse aufgerufen und immer wieder neu gedeutet werden“ (Schneider 2008c: 476). Die genaue Ausgestaltung der intrakommunikativen Bezüge muss dementsprechend stets aus dem empirischen Material selbst heraus erschlossen werden.

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zierens in Sozialsystemen steuern“ (Bora 1999: 164) – einzelner Systeme herausarbeiten zu können, muss eine Vielzahl solcher Systemelemente im Rahmen einer komparativen Analyse auf wiederkehrende „Selektions-“ oder „Attributionsmuster“ (Schneider 1999: 144; Vogd 2011: 113, 238) hin untersucht werden.303 Denn diese systemtypischen „Wahrnehmungsgewohnheiten“ (Luhmann 1991g: 183) – beispielsweise bestimmte „Themenpräferenzen, daraus sich ergebende Rollenmuster oder auch Besonderheiten der zeitlichen Sequenzierung“ (Bora 1999: 164) – geben Aufschluss darüber, welche Attributionsschemata und -regeln die Beobachterperspektive des betreffenden Systems – über die gewissermaßen deduktiv gesetzten systemkonstitutiven Schemata hinaus – in Sach-, Zeit- und Sozialdimension strukturieren (Saake 2010: 62). So konnten beispielsweise Weingart et al. (2002: 12–13) in einem Vergleich verschiedener kommunikativer Elemente des politischen Systems zeigen, dass der Klimawandel im politischen System der BRD in den 1980er Jahren in der Sachdimension typischerweise als wissenschaftliche Hypothese statt als unumstößliches Faktum verstanden wurde, die in der Zeitdimension – hinsichtlich der zukünftig zu erwartenden Machtverteilungseffekte gegenwärtiger klimapolitischer Maßnahmen – keine hinreichende Entscheidungssicherheit bieten konnte und daher – in der Sozialdimensionen – zur weiteren Beforschung an die Wissenschaft zurückverwiesen wurde, anstatt eigens politisches Handeln zu stimulieren. Abbildung 24: Analysemethoden: Sequenzanalyse und komparative Analyse

Quelle: eigene Darstellung

Im Hinblick auf den epistemischen Status der auf diese Weise generierten Forschungsergebnisse wird dabei stets betont, dass es sich bei diesen dezidiert nicht um objektive Beschreibungen einer wie auch immer gearteten Realität, sondern um standortgebundene, wissenschaftlich codierte Beobachtungen handelt, die – wie jede

303 Auch ein kontrastierender Vergleich mit Operationen anderer Systeme, die sich auf dieselben oder ähnliche Themen, Zeiträume oder Personen beziehen, kann sich in diesem Kontext sinnvoll erweisen.

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Form von Kommunikation – durch ihre eigenen Schemata sowie durch einen unhintergehbaren blinden Fleck geprägt sind (von Groddeck 2011a: 20–21; Bora 1997: 249; Gentile 2010: 19–20). Das Gütekriterium einer so verstandenen empirischen Sozialforschung besteht vor allem darin, die eigene Beobachterperspektive so weit wie möglich transparent – und damit auch der Kritik durch andere (wissenschaftliche) Beobachter*innen zugänglich – zu machen (Nassehi 1997: 156). In diesem Sinne gilt es erstens offenzulegen, auf welche Systemreferenz(en) die jeweilige Analyse fokussiert – also ob sie beispielsweise das Protokoll einer Bundestagsdebatte vornehmlich als Interaktionssystem oder als ein kommunikatives Setting betrachtet, in dem sich politische Macht- oder organisatorische Parteienkommunikation reproduziert.304 Zweitens sollte präzisiert werden, in welcher Hinsicht – das heißt unter Rückgriff auf welche forschungsleitenden Beobachtungsschemata – das jeweilige System untersucht wird; etwa dahingehend, ob sich unter den Gesprächspartner*innen des Interaktionssystems ein konsensueller oder konfliktärer Modus von Kommunikation etabliert, welche Themen bestimmte Parteien als entscheidungsrelevant oder irrelevant betrachten oder wer in der politischen Kommunikation insgesamt als ‚Publikum‘ adressiert beziehungsweise invisibilisiert wird. Drittens sollten auch die Attributionsregeln dieser forschungsleitenden Attributionsschemata expliziert werden, sodass beispielsweise nachvollziehbar wird, woran man konfliktäre Kommunikation im Unterschied zu konsensueller Kommunikation konkret erkennen kann (Akerstrom Andersen 2010a: 105–107).305 4.1.3 Zwischenfazit: Der methodologische Kernbestand systemtheoretisch-empirischen Forschens In Auseinandersetzung mit den Konturen, die sich in der seit den 1990er Jahren zunehmend intensiver geführten Debatte zum Verhältnis von Systemtheorie und empirischer Sozialforschung herausgebildet haben, konnte zweierlei gezeigt werden: Erstens hat sich das Feld der systemtheoretisch informierten empirischen Sozialforschung im Verlauf der vergangenen dreißig Jahre in fünf verschiedene Forschungsstränge ausdifferenziert, die auf unterschiedliche rekonstruktive Forschungsprogramme aus dem Kanon der qualitativen Sozialforschung zurückgreifen oder sich – wie im Falle der systemtheoretisch informierten Hermeneutik – in expliziter Abgrenzung zu diesen entwickelt haben. Jeder dieser Forschungsstränge setzt einen je eige-

304 Oder ob die Analyse darauf abzielt zu rekonstruieren in welcher Weise sich diese Systemreferenzen im Sinne eines ‚polykontexturalen Arrangements‘ zueinander verhalten. 305 Akerstrom-Andersen (2010: 105–107, Hervorhebungen i.O.) spricht in diesem Zusammenhang erstens vom „observation point“, der die durch die Forschung selegierte Systemreferenz markiert; zweitens vom „choice of guiding distinction“, dem forschungsleitenden Attributionsschema, das angibt, in welcher Hinsicht das selegierte System analysiert werden soll, sowie, drittens, vom „conditioning of the chosen guiding distinction“, den konkreten Attributionsregeln des forschungsleitenden Attributionsschemas, die für die „empirical sensitivity of the analytical strategy“ verantwortlich sind, weil sie die Bedingungen festlegen, unter denen die eine oder andere Seite der forschungsleitenden Unterscheidung bezeichnet werden kann.

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nen analytischen Schwerpunkt (vgl. dazu Tabelle 6). Dementsprechend verfügt die Systemtheorie gegenwärtig über vielfältige Möglichkeiten, empirische Fragestellungen methodologisch reflektiert und methodisch kontrolliert zu untersuchen. Tabelle 6: Übersicht zur Ausdifferenzierung des Forschungsfelds systemtheoretisch informierter empirischer Sozialforschung in fünf Forschungsstränge Forschungsstrang (1) Verbindung von Systemtheorie und objektiver Hermeneutik (2) Verbindung von Systemtheorie und ethnomethodologischer Konversationsanalyse (3) Verbindung von Systemtheorie und wissenssoziologischer bzw. an Foucault orientierter Diskursanalyse (4) Verbindung von Systemtheorie und dokumentarischer Methode; Weiterentwicklung zur systemtheoretischen Kontexturanalyse (5) Ausarbeitung einer eigenständigen systemtheoretisch informierten Hermeneutik

Analytischer Fokus empirische Rekonstruktion gesellschaftlicher Funktionssysteme empirische Rekonstruktion von Interaktionssystemen empirische Rekonstruktion von gesellschaftlichem Strukturwandel empirische Rekonstruktion des polykontexturalen Arrangements verschiedener Systemtypen in ‚Verbundkontexturen‘ Explizierung zentraler methodologischer Prämissen der Systemtheorie

Quelle: eigene Darstellung

Zugleich wurde, zweitens, deutlich, dass diese verschiedenen Zugänge zur Empirie – trotz divergierender methodologischer und analytischer Foki – durch eine Reihe grundlegender Gemeinsamkeiten gekennzeichnet sind, die sich immer deutlicher zu einer Art „methodologische[m] Kernbestand“ des systemtheoretisch-empirischen Forschens konsolidieren (John et al. 2010c: 321; vgl. Tabelle 7):306 Im Grunde zielen alle fünf Stränge des Forschungsfelds der systemtheoretisch informierten empirischen Sozialforschung darauf ab, die Genese und Evolution sozialen Sinns anhand von schriftlich fixierter Kommunikation nachzuvollziehen. Dabei folgen sie einem strikt prozessorientierten Verständnis von Kommunikation: Diese wird konzeptualisiert als erwartungsstrukturell geleitete rekursive Verkettung einzelner kommunikativer Operationen, die aus je zwei sinnhaft aufeinander bezogenen Mitteilungsereignissen bestehen. Vollzogen wird diese Verkettung durch das operative Verstehen: der in der jeweils zweiten Mitteilung artikulierten Selektion einer Information aus der jeweils vorangegangenen Mitteilung. Methodisch kann dieses operative Verstehen, das sich empirisch zwar mittelbar aus dem Verhältnis von zwei aufeinander bezogenen

306 Wie Tabelle 7 zeigt, wird hier von einem breiter gefassten beziehungsweise konkreter beschreibbaren methodologischen Kernbestand systemtheoretischen Forschens ausgegangen als in John et al. (2010c: 321), die diesen „vor allem in der funktionalen Analyse und der Form des Fragens (nicht Was, sondern Wie)“ verorten.

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Äußerungen erschließen, als solches aber nicht direkt beobachten lässt, unter Rückgriff auf sequenzanalytische Verfahren rekonstruiert werden. Je nachdem, welche Anschlusslogik dabei sichtbar wird, können kommunikative Operationen bestimmten sozialen Systemen – das heißt bestimmten, gesellschaftlich stabilisierten Typiken operativer Selektivität – zugeordnet werden. Die Struktureigenschaften solcher Sozialsysteme – die Attributionsschemata und -regeln, die deren Beobachterperspektive zusätzlich zu ihren durch die Forschung gewissermaßen deduktiv gesetzten konstitutiven Attributionsschemata in Sach,- Zeit- und Sozialdimension prägen – manifestieren sich in der Form systemtypischer Attributionsmuster, die empirisch im Rahmen einer komparativen Analyse verschiedener Operationen desselben Systems herausgearbeitet werden können. Die auf diese Weise erzielten Forschungsergebnisse werden dabei nicht als unmittelbare Beschreibungen objektiver Tatsachen, sondern als durch die Standortgebundenheit des Forschenden geprägte Beiträge zur wissenschaftlichen Kommunikation der Gesellschaft verstanden. Das zentrale Gütekriterium der systemtheoretischinformierten empirischen Sozialforschung besteht in der Herstellung größtmöglicher Transparenz in Bezug auf die Auswahl und forschungspraktische Handhabung der Attributionsschemata und -regeln, an denen sich die jeweilige Analyse orientiert.

212 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

Tabelle 7: Methodologischer Kernbestand des systemtheoretisch-empirischen Forschens Forschungsinteresse Empirisches Material

Rekonstruktion der Genese und Evolution sozialen Sinns verschriftliche Kommunikationsprozesse: Texte; Transkriptionen authentischer beziehungsweise für die Forschung generierter Gespräche

Operationalisierung zentraler systemtheoretischer Konzepte Kommunikative Operation Synthese der drei Selektionen Mitteilung, Information, Verstehen Operatives Verstehen Selektion einer Information aus einer vorangegangen Mitteilung

empirisch beobachtbar als...

Soziale Systeme Verkettung von Operationen eines bestimmten Typs

… eine bestimmte Typik des operativen Verstehens von Äußerungen (Funktionssysteme: binärer Code; Organisationssysteme: Entscheidungsrelevanz; Interaktionssysteme: Anwesenheit) … kommunikative Attributionsmuster im Sinne systemtypischer Deutungs- oder Wahrnehmungsgewohnheiten

Systemische Erwartungsstrukturen beobachtungsleitende Attributionsschemata und -regeln sozialer Systeme

Epistemischer Status der Ergebnisse Gütekriterien

methodisch rekonstruierbar durch …

… zwei aufeinander bezogene Äußerungen

… Art und Weise, in der zwei aufeinander bezogene Äußerungen sinnhaft miteinander verknüpft sind

sequenzanalytische Verfahren*

komparative Analyse einer Vielzahl (sequenzanalytisch identifizierter) Operationen eines bestimmten Systems*

Standortgebundene Beobachtungen, die zur wissenschaftlichen Kommunikation der Gesellschaft beitragen Transparente Darlegung der Forschungsperspektive: beobachtete Systemreferenz(en), forschungsleitende Attributionsschemata und -regeln

Quelle: eigene Darstellung. * Die genaue Ausgestaltung der sequenzanalytischen und komparativen Verfahren variiert je nach Forschungsstrang und dem in diesem gegebenenfalls zugrunde gelegten rekonstruktiven Forschungsprogramm.

4. Vom systemtheoretischen Konzept zur empirischen Analyse | 213

4.2 OPERATIONALISIERUNG DES RESONANZKONZEPTS: ZUR EMPIRISCHEN BEOBACHTUNG UND METHODISCH KONTROLLIERTEN REKONSTRUKTION SYSTEMISCHER RESONANZ In Auseinandersetzung mit den aktuellen Ansätzen der systemtheoretisch informierten empirischen Sozialforschung konnte gezeigt werden, in welcher Form sich zentrale Konzepte der Systemtheorie empirisch in konkreten gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen beobachten und methodisch kontrolliert rekonstruieren lassen: Kommunikative Operationen, soziale Systeme und deren Erwartungsstrukturen manifestieren sich als bestimmte Typiken der Verknüpfung kommunikativer Äußerungen und der diese kennzeichnenden Attributionsmuster und können mittels einer Kombination aus Sequenz- und komparativer Analyse rekonstruiert werden. Auf der Basis dieses methodologischen Kernbestands systemtheoretisch-empirischen Forschens kann nun auch das Konzept systemischer Resonanz, welches das Verhältnis von System und Umwelt auf theoretischer Ebene in den Blick nimmt, operationalisiert und somit für die empirische Analyse der Möglichkeiten, Formen und Folgen des Umweltbezugs konkreter Sozialsysteme anschlussfähig gemacht werden. Dazu wird zunächst wird die Frage diskutiert, in welcher Weise sich systemische Resonanz in seinen drei Dimensionen – Resonanzfähigkeit, Resonieren, Resonanzen – in konkreten gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen als empirisch beobachtbares Phänomen manifestiert (Abschnitt 4.2.1). Daran anschließend kann dann auf die methodischen Werkzeuge, die Erhebungs- und Auswertungsmethoden, eingegangen werden, mittels derer sich solche empirisch beobachtbaren Manifestationen systemischer Resonanz rekonstruieren lassen (Abschnitt 4.2.2). 4.2.1 Die empirische Beobachtung systemischer Resonanz Wie in Kapitel 2 und 3 ausgeführt, hängt die Resonanz sozialer Systeme von der aktuellen Ausgestaltung und der dadurch vorgezeichneten Änderbarkeit ihrer umweltbezogenen Erwartungsstrukturen, das heißt ihrer beobachtungsleitenden Attributionsschemata und -regeln, ab. Empirisch lassen sich diese Erwartungsstrukturen im Kontext des systemischen Resonierens – dem fremdreferentiellen Operieren des betreffenden Systems – in der Form systemtypischer Attributionsmuster des Umweltbezugs beobachten. Dementsprechend können aus der Verfasstheit beziehungsweise der Veränderung der Attributionsmuster eines Systems Rückschlüsse auf dessen Resonanz gezogen werden (vgl. für einen Überblick Spalte 2 in Tabelle 8). Wie genau sich systemische Resonanz empirisch beobachten lässt, wird im Folgenden entlang der drei Resonanzdimensionen – der Resonanzfähigkeit, dem Resonieren und den Resonanzen – näher ausgeführt. Das Resonieren eines Systems manifestiert sich in all jenen Elementen eines Kommunikationsprozesses, die zum einen der jeweils fokussierten systemtypischen Verstehenslogik folgen, also eine Systemoperation darstellen, und sich, zum anderen, in irgendeiner Weise auf die ‚Umwelt‘ des Systems beziehen. Als ‚Umwelt‘ kann dabei alles – jedes Thema, jede Attributionsadresse, jeder Zeithorizont – gelten, was in der Kommunikation selbst als dem ‚System‘ nicht zugehörig behandelt wird.

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Die Resonanzfähigkeit – die einem System im Rahmen seiner Erwartungsstrukturen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, sich auf seine Umwelt zu beziehen, das heißt die eigenen Beobachtungen im Rahmen seiner spezifischen Perspektive als Umweltbeobachtungen bestimmen und operativ verarbeiten zu können, wird geprägt von der aktuellen Ausgestaltung der systemischen Erwartungsstrukturen. Als beobachtungsleitende Attributionsschemata und deren Verwendung steuernde Attributionsregeln geben diese vor, wie Umweltereignisse in der Sach-, Zeit- und Sozialdimension systemintern verstanden und operativ prozessiert werden können. Empirisch manifestiert sich die systemische Resonanzfähigkeit dementsprechend in der Verfasstheit derjenigen umweltbezogenen Attributionsmuster – der systemtypischen Deutungsgewohnheiten der eigenen ‚Umwelt‘ –, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt im Resonieren des jeweils fokussierten Systems beobachten lassen. Neben den verschiedenen Formen, in denen die ‚Umwelt‘ auf den Bildschirmen eines Systems erscheinen kann, wird auch dessen strukturelle Disposition, die eigenen Erwartungen aufgrund von irritativen ‚Umweltereignissen‘ anzupassen – die Irritabilität, Reagibilität und Lernfähigkeit eines Systems –, durch die aktuelle Ausgestaltung seiner Erwartungsstrukturen geprägt (vgl. Abschnitt 3.2). Die Irritabilität, die strukturelle Disposition eines Systems, unerwartete Umweltereignisse zu registrieren, hängt von der Komplexität – dem Umfang und der Ausdifferenziertheit – seiner umweltbezogenen Erwartungsstrukturen ab. In der Sachdimension betrifft dies vor allem die Bandbreite der in den systemischen Programmen verankerten Themen, in der Sozialdimension die Anzahl der in den Umweltbeschreibungen berücksichtigten Attributionsadressen und in der Zeitdimension die Weite der systemischen Zeithorizonte in Richtung Vergangenheit und Zukunft (vgl. dazu im Detail Abschnitte 3.2 und 3.5). Empirisch lässt sich die Irritabilität eines Systems anhand der sachlichen, sozialen und temporalen Varianz und Vielschichtigkeit der im systemischen Resonieren aktualisierten umweltbezogenen Attributionsmuster nachvollziehen. Die Reagibilität eines Systems – dessen strukturelle Disposition, mit eigenem Handeln an ‚Umweltereignisse‘ anzuschließen, statt diese erlebend hinzunehmen –, wird in der Sachdimension durch dessen symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien, in der Sozialdimension durch die in dessen Umweltbeschreibung verankerten Vorstellungen bezüglich der wechselseitigen Abhängig- beziehungsweise Zuständigkeiten von ‚System‘ und ‚Umwelt‘ und in der Zeitdimension durch die von den systemischen Kausalitätsvorstellungen geprägten Weite der handlungsrelevanten Zeithorizonte konditioniert (vgl. dazu im Detail Abschnitte 3.2 und 3.5). Denn diese geben vor, welche ‚Umweltereignisse‘ systemintern als den eigenen Zuständigkeitsbereich betreffende Risiken verstanden werden, die eigenes Handeln erfordern – und im Gegensatz zu unbeeinflussbaren Gefahren auch ermöglichen. Der empirisch beobachtbare Indikator der systemischen Reagibilität sind die sich in den umweltbezogenen systemischen Attributionsmustern manifestierenden Vorstellungen bezüglich der eigenen Zuständigkeit für beziehungsweise der eigenen Abhängigkeit von sowie der kausalen Beeinflussbarkeit der eigenen ‚Umwelt‘. Die Lernfähigkeit eines Systems bezeichnet dessen strukturelle Disposition, den durch eine Irritation angezeigten Anpassungsdruck als Anlass für eine Veränderung der eigenen Erwartungsstrukturen zu verstehen, anstatt ihn auf die ‚Umwelt‘ zu externalisieren. Je stärker ein System sich in seinem Resonieren auf kognitive statt auf

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normative Erwartungen stützt, desto wahrscheinlicher ist es, dass es seine Erwartungen in sachlicher, sozialer beziehungsweise temporaler Hinsicht an unerwartete Ereignisse angleicht, anstatt diese Ereignisse zu verdrängen oder im Rahmen seiner bereits bestehenden Erwartungen zu assimilieren (vgl. dazu im Detail Abschnitt 3.2 und 3.5). Empirisch lässt sich die systemische Lernfähigkeit anhand der Art und Weise erschließen, in der registrierte Enttäuschungen sowie die Notwendigkeit, sich an diese anzupassen, in den umweltbezogenen Attributionsmustern auf das System selbst beziehungsweise dessen Umwelt zugerechnet werden. Die vor dem Hintergrund des durch die Resonanzfähigkeit vorgezeichneten systemischen Selbständerungspotentials tatsächlich realisierten Anpassungen der systemischen Erwartungsstrukturen – die systemischen Resonanzen – manifestieren sich empirisch in der Veränderung oder Verschiebung der im systemischen Resonieren beobachtbaren Attributionsmuster. Die Art dieser Veränderung lässt wiederum Rückschlüsse auf die jeweilige Form systemischer Resonanz zu (vgl. dazu im Detail Abschnitte 3.3.1 und 3.5): Tauchen in den systemischen Attributionsmustern neue Begriffe zur Bezeichnung der Umwelt auf, handelt es sich um eine Strukturanpassung auf der Ebene der beobachtungsleitenden Attributionsschemata, also um sogenannte kategoriale Resonanzen. Verändert sich dagegen der Gebrauch bereits bestehender Bezeichnungen, handelt es sich um eine Strukturanpassung auf der Ebene der die Verwendung der Attributionsschemata anleitenden Attributionsregeln, also um eine konnotative Form systemischer Resonanz. Je nachdem, ob diese veränderten Konnotationen sich darauf auswirken, wie ein beobachtetes Ereignis verstanden oder wie es systemintern weiter prozessiert wird, lässt sich dabei nochmals zwischen retrospektiven und prospektiven Formen konnotativer Resonanzen differenzieren. In Abhängigkeit von der Sinndimension, in der diese Resonanzen die systemischen Attributionsschemata oder -regeln verändern, können sie zudem als sachlich-themenbezogene, sozial-adressenbezogene oder temporal-vergangenheitsbezogene beziehungsweise -zukunftsbezogene Resonanzen charakterisiert werden: Sachliche Resonanzen zeigen sich in der Abbildung neuer beziehungsweise in einer anderen Art der Behandlung bereits bestehender Themen in den umweltbezogenen Attributionsmustern des jeweils betrachteten Systems; soziale Resonanzen in der Berücksichtigung neuer beziehungsweise in einer anderen Art der Adressierung bereits bestehender Attributionsadressen; temporale Resonanzen in der veränderten (Handlungs-)relevanz bereits bestehender beziehungsweise dem Einbezug von bis dato nicht berücksichtigten Zeiträumen. Auch die drei Gradmesser systemischer Resonanz, die die systeminterne Etabliertheit, Ausdifferenziertheit sowie die Diffusion einer umweltinduzierten Strukturanpassung in den Blick nehmen, lassen sich empirisch nachzeichnen (vgl. dazu im Detail Abschnitt 3.3.2 und 3.5). Der Etabliertheitsgrad systemischer Resonanz bezieht sich auf die Selbstverständlichkeit, mit der umweltinduzierte Strukturanpassungen im systemischen Operieren verwendet werden. Als gering etabliert kann eine Strukturanpassung gelten, wenn die mit ihr verbundenen neuen Formen des Verstehens beziehungsweise Prozessierens beobachtbarer Ereignisse im systemischen Resonieren als neuartig oder begründungsbedürftig behandelt werden. Mit steigendem Etabliertheitsgrad erscheint sie dagegen immer normaler und wird dementsprechend weniger hinterfragt. Empirisch manifestiert sich die Etabliertheit systemischer Resonanzen darin, ob beziehungsweise in welchem Maße die sich in den veränderten At-

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tributionsmustern manifestierenden Deutungen selbst mit Erläuterungen, Rechtfertigungen oder Erklärungen ausgestattet sind beziehungsweise inwieweit solche Erläuterungen, Rechtfertigungen oder Erklärungen aufgrund der ‚Neuartigkeit‘ einer Deutung im an diese anschließenden Resonieren eingefordert werden (können).307 Der Ausdifferenziertheitsgrad systemischer Resonanz richtet den Blick auf die Anzahl der insgesamt infolge einer ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassung veränderten Erwartungsstrukturen. Je mehr Attributionsschemata und -regeln infolge einer initialen Strukturänderung als sekundäre, tertiäre, usw. Resonanzen angepasst werden, desto höher ist der Grad systemischer Resonanz. Er lässt sich empirisch darin beobachten, wie stark unterschiedliche, nacheinander auftretende Veränderungen der systemischen Attributionsmuster aufeinander bezogen – beispielsweise als Elemente eines gemeinsamen Anliegens oder als Symptome ein und desselben Problems gerahmt – werden. Der Diffusionsgrad bemisst das Ausmaß systemischer Resonanz an der systeminternen Reichweite ‚umweltinduzierter‘ Strukturanpassungen. Er fragt danach, ob eine solche Strukturanpassung nur innerhalb eines bestimmten systemischen Binnenbereichs – etwa einer einzelnen Wissenschaftsdisziplin, politischen Partei oder Wirtschaftsbranche – oder in mehreren solcher Binnenbereiche beziehungsweise systemweit, über alle Binnengrenzen eines Systems hinweg, operativ wirksam wird. Empirisch beobachtbar wird der Diffusionsgrad in der (relativen) Häufigkeit, mit der neuartige Attributionsmuster in verschiedenen Kontexten des systemischen Resonierens aufgerufen werden. 4.2.2 Die methodisch kontrollierte Rekonstruktion systemischer Resonanz Wie in den obigen Ausführungen gezeigt, lässt sich die Resonanz eines operativ geschlossenen Systems anhand von bestimmten, kommunikativ manifesten Eigenschaften seiner umweltbezogenen Attributionsmuster entschlüsseln. Die Analyse systemischer Resonanz besteht dementsprechend im Kern in einer methodisch kontrollierten Rekonstruktion und Charakterisierung der für das jeweils fokussierte System typischen Formen der Umweltwahrnehmung. Gegenstand der Resonanzanalyse ist stets ein bestimmtes operativ geschlossenes System (Systemreferenz der Analyse), dessen Operationen daraufhin untersucht werden, wie sie zwischen ‚System‘ – allen Themen, Attributionsadressen und Zeitbezügen, die sie sich ‚selbst‘ zurechnen – und ‚Umwelt‘ – allen Themen, Attributionsadressen und Zeitbezügen, die sie sich nicht ‚selbst‘ zurechnen – unterscheiden und in welchen Formen sie die auf diese Weise konstituierte ‚Umwelt‘ typischerweise systemintern relevant werden lassen (forschungsleitendes Attributionsschema und -regeln). Als empirisches Material eignen sich hierzu grundsätzlich, wie auch in der systemtheoretisch informierten empirischen Sozialforschung im Allgemeinen, verschiedene Formen entzeitlichter gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse. In Anbetracht der Tatsache, dass die Resonanzanalyse auf die Rekonstruktion der im systemischen Resonieren operativ wirksamen Erwartungsstrukturen – und nicht etwa auf

307 Das heißt: ob diese Forderungen in der an diese anschließende Kommunikation auch als legitim behandelt und ihnen durch tatsächliche Erläuterungen Folge geleistet wird.

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die ‚gepflegten‘ Semantiken systemischer Selbstbeschreibungen – abzielt, erscheint es jedoch sinnvoll, vor allem spontane und authentische Kommunikation in den Blick zu nehmen. Diese entfaltet sich vornehmlich im Rahmen interaktiver Kommunikation, die in einem für das jeweilige kommunikative Setting natürlichen Kontext stattfindet (Domke 2006: 54; von Groddeck 2011a: 77–78).308 Die Datenerhebung sollte daher, wie auch in anderen rekonstruktiven Forschungsprogrammen empfohlen, so non-reaktiv wie möglich gestaltet werden (Kleemann et al. 2013: 199). Zudem bietet es sich an ein kommunikatives Setting zu wählen, in dem die Aktualisierung der jeweils analytisch fokussierten Systemreferenz relativ wahrscheinlich ist. Auf diese Weise lässt sich sicherstellen, dass die erhobenen Daten eine hinreichende Anzahl an Operationen des zu analysierenden Systems enthalten; also die Bildung eines Datenkorpus erlauben, der so umfangreich ist, dass sich darin „Redundanzen“ oder Muster im Sinne typischer Formen des Umweltbezugs abzeichnen können (Saake 2010: 32). Hierzu kann es sinnvoll sein, Organisationen oder Personen zu beobachten beziehungsweise zu befragen, die sich routiniert in bestimmten systemisch geprägten kommunikativen Settings bewegen; also beispielsweise Interviews mit Pfleger*innen und Ärzt*innen zu führen oder deren Interaktionen im Krankenhaus teilnehmend zu beobachten, um medizinische Kommunikation zu dokumentieren. Und dies wohlwissend, dass diese Personen oder Organisationen, obgleich sie – so die theoretische Hypothese – relativ häufig medizinisch kommunizieren, als solche nicht mit dem System der Krankenbehandlung gleichzusetzen sind oder es in irgendeiner Form repräsentieren können (Vogd 2011: 73–76).309 Die Analyse des empirischen Materials erfolgt in vier Schritten (vgl. für einen Überblick Spalte 3, Tabelle 8): (1) In einem ersten Schritt wird der Datenkorpus der Resonanzanalyse erstellt, indem aus dem polykontexturalen Arrangement des im empirischen Material dokumentierten Kommunikationsprozesses, in dem sich potentiell eine Vielzahl unterschiedlicher Systemreferenzen manifestieren kann, diejenigen kommunikativen Operationen selegiert werden, die Elemente des zu analysierenden Systems darstellen. Dazu wird der gesamte Kommunikationsprozess einer Sequenzanalyse unterzogen, die Mitteilungsereignis für Mitteilungsereignis untersucht, ob das operative Verstehen der spezifischen Typik des zu untersuchenden Systems folgt – also eine Operation dieses Systems darstellt – oder nicht. Die weitere Analyse basiert alleine auf diesen Systemoperationen. Alle anderen Kommunikationen werden nicht mehr berücksichtigt. (2) In einem zweiten Schritt werden die systemischen Attributionsmuster des Umweltbezugs herausgearbeitet. Dazu werden die Operationen des zu analysierenden Systems – insbesondere dessen fremdreferentielle Elemente – in einer weiteren Sequenzanalyse auf ihre wesentlichen Strukturmerkmale – ihre in Sach-, Zeit und Sozialdimension leitenden Attributionsschemata und -regeln – hin untersucht und sodann

308 Über Gruppenformate statt Einzelbefragungen kann dabei noch gezielter zwischen kollektiv-gesellschaftlichen und individuellen Attributionsmustern unterschieden werden (Jansen 2013: 58–59). 309 Für ähnliche Erhebungsdesigns vgl. z.B. Jansen (2013: 58–67) oder von Groddeck (2011a: 79–84).

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einer komparativen Analyse unterzogen, die auf die Rekonstruktion der typischen – das heißt in verschiedenen Operationen in ähnlicher Form beobachtbaren – Muster der sinnhaften Bestimmung und systeminternen Verarbeitung von ‚Umweltereignissen‘ abzielt. Ausgehend von diesen Attributionsmustern können Rückschlüsse auf die aktuelle Ausgestaltung der systemischen Attributionsschemata und -regeln gezogen werden, die die Beobachterperspektive des betreffenden Systems auf dessen Umwelt in der Sach-, Zeit- und Sozialdimension von Sinn strukturieren. (3) In einem dritten Schritt werden diese Attributionsmuster entlang der Kriterien, die im Hinblick auf dessen Resonanzfähigkeit relevant sind, genauer charakterisiert. Die sachliche, soziale und temporale Vielschichtigkeit und Varianz der systemischen Attributionsmuster wird als Indikator der systemischen Irritabilität behandelt. Die typischen Einschätzungen der Beeinflussbarkeit sowie der eigenen Zuständig- beziehungsweise Abhängigkeiten von der ‚Umwelt‘ verleihen der systemischen Reagibilität Ausdruck, ebenso wie die typische Verortung der Ursache registrierter Enttäuschungen und deren Behebung in ‚System‘ oder ‚Umwelt‘ auf die Ausgestaltung der systemischen Lernfähigkeit verweist. (4) Um die Resonanzen eines Systems rekonstruieren zu können, müssen die Schritte eins bis drei mit neuem Datenmaterial, das zu einem (deutlich) späteren Zeitpunkt erhoben wurde, nochmals wiederholt werden.310 Im Anschluss daran können die sich zu diesem späteren Zeitpunkt im systemischen Resonieren manifestierenden systemischen Attributionsmuster in einer diachronen komparativen Analyse mit den Attributionsmustern aus dem früheren Erhebungszeitraum verglichen werden. Anhand der Verschiebungen, die in diesem Vergleich sichtbar werden, lassen sich sowohl eventuelle Formen als auch die Grade systemischer Resonanz bestimmen: Die Emergenz neuer Bezeichnungen deutet auf kategoriale, eine veränderte Verwendung von bereits im ersten Zeitraum beobachtbaren Bezeichnungen dagegen auf konnotative Resonanzen hin. Je nachdem, ob sich diese Veränderungen auf bestimmte Themen, Attributionsadressen oder Zeithorizonte beziehen, können sie als sachliche, soziale oder temporale Resonanzen charakterisiert werden. In welchem Ausmaß solche Resonanzen die Beobachterperspektive ihres Systems verändert haben, lässt sich an der Notwendigkeit ihrer kommunikativen Rechtfertigung (Etabliertheitsgrad), der (relativen) Häufigkeit ihres Auftretens in bestimmten Kontexten (Diffusionsgrad) ablesen. Ob beziehungsweise wie verschiedene Resonanzen miteinander zusammenhängen, kann anhand der Bezüge, die neue beziehungsweise veränderte Attributionsmuster zueinander ausbilden können, erschlossen werden (Ausdifferenziertheitsgrad). Unter Umständen kann dies die Erweiterung der Analyse auf mehr als zwei Zeitpunkte erfordern. Im Hinblick auf die konkrete Durchführung der Erhebung sowie der sequentiellen und komparativen Auswertung empirischer Daten kann sich die Resonanzanalyse – je nach analytischem Fokus oder methodischen

310 Wie beispielsweise die Analysen von Weingart et al. (2002), Mölders (2011) und Kaldewey (2013) zum systemischen Strukturwandel in Wissenschaft, Recht, Politik und Massenmedien zeigen, lässt sich die Anpassung systemischer Erwartungen erstens nicht im Entstehen, sondern lediglich ‚ex post‘ rekonstruieren und manifestiert sich daher, zweitens, typischerweise erst im Vergleich relativ weit auseinanderliegender Analysezeiträume von mehreren Jahren oder gar Jahrzehnten.

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Schwerpunkten – auf jedes der in Abschnitt 4.1.1 vorgestellten rekonstruktiven Forschungsprogramme stützen.311

4.3 FAZIT: DIE EMPIRISCHE ANALYSE DER RESONANZ KONKRETER SOZIALSYSTEME Die Operationalisierung des analytischen Konzepts systemischer Resonanz und die mit dieser herstellbaren Anschlussfähigkeit des Resonanzkonzepts für konkrete empirische Fragestellungen und Analysen erfordert es – wie in den vorangegangenen Abschnitten gezeigt – im Wesentlichen zwei Fragen zu klären. Die erste Frage bezieht sich auf die empirische Beobachtbarkeit systemischer Resonanz: In welcher Weise manifestiert sich systemische Resonanz in seinen drei Dimensionen – der Resonanzfähigkeit, dem Resonieren und den Resonanzen – in konkreten gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen? Ausgehend von dem in Abschnitt 4.1 herausgearbeiteten methodologischen Kernbestand des systemtheoretischempirischen Forschens, der zentrale Erkenntnisse im Hinblick auf die empirische Beobachtbarkeit von sozialen Systemen und deren Strukturmerkmale im Allgemeinen bereithält, konnte diese Frage wie folgt beantwortet werden: Die Resonanz eines Systems lässt sich anhand von bestimmten Eigenschaften seiner kommunikativ manifesten Attributionsmuster des Umweltbezugs erschließen. Um diese Attributionsmuster herauszuarbeiten, muss zunächst das Resonieren des Systems – die Gesamtheit der auf die ‚Umwelt‘ bezogenen Systemoperationen – auf Redundanzen im Sinne systemtypischer Deutungen und Prozessierungsformen von ‚Umweltereignissen‘ untersucht werden. Ebendiese Redundanzen – die umweltbezogenen Attributionsmuster des Systems – werden im Kontext der Resonanzanalyse als Ausdruck der dahinterliegenden systemischen Erwartungsstrukturen begriffen. Die Ausgestaltung der Resonanzfähigkeit eines konkreten Sozialsystems kann anhand der Vielschichtigkeit und Varianz dieser Muster (Irritabilität), der in diesen verankerten Vorstellungen in Bezug auf die kausale Beeinflussbarkeit sowie die wechselseitigen Zuständig- und Verantwortlichkeiten zwischen System und ‚Umwelt‘ (Reagibilität) sowie des systemtypischen Umgangs mit ‚umweltinduzierten‘ Enttäuschungen (Lernfähigkeit) nachvollzogen werden. Systemische Resonanzen manifestieren sich wiederum in spezifischen Formen der Verschiebung dieser umweltbezogenen Attributionsmuster im Zeitverlauf: in der Herausbildung neuer beziehungsweise dem veränderten Gebrauch bereits bestehender Bezeichnungen (kategoriale und konnotative Resonanzen) sowie in der Berücksichtigung neuer Themen, Attributionsadressen oder Zeitpunkte (sachliche, soziale, temporale Resonanzen). Der mit diesen Veränderungen einhergehende Grad systemischer Resonanz zeigt sich, je nach angelegtem Kriterium, in dem in der Kommunikation beobachtbaren Ausmaß, in dem neue oder veränderte Deutungen kommunikativ infrage gestellt beziehungsweise abgesichert werden (Etabliertheitsgrad), in den Bezügen, die zwischen unterschiedlichen Deutungsverschie-

311 Die in Kapitel 5 ausgeführte illustrative Fallstudie stellt ein konkretes Beispiel der Verbindung von Resonanzanalyse und kontexturanalytischen Erhebungs- und Auswertungsmethoden dar. Vgl. dazu insbesondere Abschnitt 5.2.

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bungen hergestellt werden (Ausdifferenziertheitsgrad) sowie in der (relativen) Häufigkeit, mit der neuartige Attributionsmuster in bestimmten Kontexten des systemischen Resonierens aufgerufen werden (Diffusionsgrad) (vgl. Spalte 2 in Tabelle 8). Tabelle 8: Operationalisierung des Resonanzkonzepts und seiner drei Dimensionen: Resonieren, Resonanzfähigkeit und Resonanzen Resonanzdimension

Empirisch beobachtbar als…

Resonieren fremdreferentielles Operieren eines sozialen Systems

auf die ‚Umwelt‘ bezogene Systemoperationen im Sinne von zwei aufeinanderfolgenden Äußerungen, die durch die jeweils systemspezifische Typik des operativen Verstehens verknüpft sind

Resonanzfähigkeit durch die Ausgestaltung der systemischen Erwartungsstrukturen bestimmte Möglichkeiten des systemischen Umweltbezugs; bestehend aus:  Irritabilität: strukturelle Disposition eines Systems, unerwartete ‚Umweltereignisse‘ zu registrieren  Reagibilität: strukturelle Disposition eines Systems, mit eigenem Handeln an ‚Umweltereignisse‘ anzuschließen  Lernfähigkeit: strukturelle Disposition eines Systems, die eigenen Erwartungen aufgrund einer Irritation anzupassen

Verfasstheit der systemischen Attributionsmuster, insbesondere hinsichtlich … … ihrer Vielschichtigkeit und Varianz

… der Vorstellungen zur Beeinflussbarkeit sowie der Zuständig- bzw. Abhängigkeit für die/von der ‚Umwelt‘ … der Verortung der Ursache registrierter Enttäuschungen in ‚System‘ oder ‚Umwelt‘

Methodisch rekonstruierbar durch … sequenzanalytische Verfahren zur Rekonstruktion der operativen Verstehenstypik

synchrone komparative Analyse mehrerer Systemoperationen, die zu einem (ähnlichen) Zeitpunkt erhoben wurden

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Resonanzen ‚umweltinduzierte‘ Anpassungen der systemischen Erwartungsstrukturen

Resonanzformen Ebene der Strukturanpassungen:  kategoriale bzw. konnotative Resonanzen: ‚umweltinduzierte‘ Anpassung der systemischen Attributionsschemata bzw. -regeln



sachliche, soziale, temporale Resonanzen: ‚umweltinduzierte‘ Anpassung der sachlichen, sozialen bzw. temporalen Attributionsschemata oder -regeln

Resonanzgrade Ausmaß der Strukturanpassungen:  Etabliertheitsgrad: Selbstverständlichkeit, mit der ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassungen im systemischen Operieren verwendet werden  Ausdifferenziertheitsgrad: Anzahl der insgesamt infolge einer ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassung veränderten Erwartungsstrukturen  Diffusionsgrad: systeminterne Reichweite ‚umweltinduzierter‘ Strukturanpassungen über systemische Binnenbereiche hinweg Quelle: eigene Darstellung

Veränderung der ‚umweltbezogenen‘ Attributionsmuster im Sinne …

…der Herausbildung neuer Bezeichnungen bzw. einer (retro- bzw. prospektiv) veränderten Verwendung bereits bestehender Bezeichnungen … der Herausbildung neuer bzw. der Veränderung der Bezüge zu bereits bestehenden Themen, Attributionsadressen, (handlungsrelevanten) Zeithorizonten

… des Maßes an Absicherung einer neuen/veränderten Deutung durch Erklärungen/Rechtfertigungen … des Maßes an internen Bezügen zwischen aufeinander folgenden Verschiebungen systemischer Attributionsmuster … der (relativen) Häufigkeit, mit der neuartige Attributionsmuster in bestimmten Kontexten des systemischen Resonierens aufgerufen werden

diachrone komparative Analyse mehrerer Systemoperationen, die zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten erhoben wurden

222 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

Im Anschluss an die Diskussion der empirischen Beobachtbarkeit systemischer Resonanz konnte dann auch die zweite, für die Operationalisierung des Resonanzkonzepts zentrale Frage – die methodisch kontrollierte Rekonstruierbarkeit systemischer Resonanz – adressiert werden: Unter Rückgriff auf welche Analysetechniken können die der Resonanz eines Systems Ausdruck verleihenden kommunikativ manifesten Attributionsmuster und deren Eigenschaften aus konkretem Datenmaterial – das heißt aus realen, schriftlich fixierten gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen – in nachvollziehbarer und transparenter Art und Weise extrahiert werden? Auch die Antwort auf diese Frage fußt im Wesentlichen auf dem methodologischen Kernbestand des systemtheoretisch-empirischen Forschens: Die Resonanzanalyse basiert auf einer Kombination sequenzanalytischer und komparativer Auswertungsmethoden. Unter Rückgriff auf die Sequenzanalyse lassen sich die wesentlichen Strukturmerkmale von konkreten, textlich fixierten Äußerungen oder Mitteilungsereignissen – insbesondere die diese jeweils leitende Verstehenstypik, die über deren Systemzugehörigkeit(en) entscheidet – entschlüsseln. Die komparative Analyse mehrerer, sequenzanalytisch rekonstruierter Operationen eines bestimmten Systems wiederum dient der Identifikation von wiederkehrenden, systemtypischen Attributionsmustern (synchrone komparative Analyse mehrerer Systemelemente, die zu einem ähnlichen Zeitpunkt erhoben wurden) sowie der Veränderung dieser Attributionsmuster im Zeitverlauf (diachrone komparative Analyse der sich zu zwei verschiedenen Zeitpunkten im Material manifestierenden Muster) (vgl. Spalte 2 in Tabelle 8). Auf methodologischer Ebene ist die Resonanzanalyse damit ausbuchstabiert. Um darüber hinaus auch ihre forschungspraktische Anschlussfähigkeit zu demonstrieren – also die verschiedenen Schritte der Resonanzanalyse an konkreten, empirischen Daten veranschaulichen und zeigen zu können, welche Art von Erkenntnissen sich auf diese Weise generieren lassen – wird sie in Kapitel 5 an einem konkreten Beispiel illustriert: der Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die ‚Energiewende‘ im Sinne eines politisch-fixierten und ökologisch motivierten gesellschaftlichen Anliegens.

5

Illustrative Fallstudie zur Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

Der Klimawandel gilt als eine der größten ökologischen Bedrohungen, mit denen sich die moderne Gesellschaft aktuell konfrontiert sieht (Kaldewey et al. 2015: 19– 20; Smirnova et al. 2018: 11). Als anthropogenes – durch menschliches Handeln ebenso verursachtes wie in seinem weiteren Verlauf beeinflussbares – Phänomen, handelt es sich beim Klimawandel, soziologisch betrachtet, vor allem um ein gesellschaftliches „Risiko des durch eigenes Handeln hervorgerufenen künftigen Schadens“ (Engels/Weingart 1997: 90; vgl. auch Voss 2010: 9; Corti/Pronzini 2016: 85– 87). Diesen Schaden abzuwenden wird insbesondere als Aufgabe des politischen Systems betrachtet, was im Laufe der vergangenen Jahrzehnte – insbesondere in Resonanz auf zunehmende wissenschaftliche wie zivilgesellschaftliche Warnungen vor dessen potentiell katastrophalen Folgen – zu einer schrittweisen „Politisierung“ des Klimawandels geführt hat (Engels/Weingart 1997: 92, 100; vgl. auch Smirnova et al. 2018; Ruß 2014). Mittlerweile hat sich die Klimapolitik als ein eigenständiges Politikfeld etabliert, das sowohl auf internationaler Ebene – beispielsweise auf den jährlich von der UN-Klimarahmenkonvention ausgerichteten Weltklimagipfeln – verhandelt wird als auch auf nationaler Ebene aus kaum einem Wahlkampf oder Koalitionsvertrag mehr wegzudenken ist.312

312 Im Rahmen der Vereinten Nationen haben sich in den letzten 40 Jahren eine Reihe von Organisationen herausgebildet, die sich der globalen Bekämpfung des Klimawandels verschrieben haben. Besonders hervorzuheben ist dabei zum einen das Ende der 1980er Jahre gegründete Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), mit dem die Verzahnung von (Klima-)wissenschaft und Politik auf internationaler Ebene institutionalisiert wurde (zur Bedeutung des IPCC als „hybride Organisation“, die zwischen den „divergenten Logiken“ von Wissenschaft und Politik vermittelt vgl. Beck 2016: 151). Seitdem wird nicht nur der wissenschaftliche Kenntnisstand zum Klimawandel in regelmäßigen Abständen in sogenannten Sachstandsberichten zusammengetragen. Auch die politischen Implikationen dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse werden in einem gesonderten Teil der Berichte – dem summary for policymakers – adressiert (online abrufbar unter: https://www.ipcc.ch/reports/; zuletzt abgerufen am 28.12.2020). Als für die politische Umsetzung globaler Klimapolitik zuständige Organisation wurde, zum anderen, zu Be-

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Eine zentrale Säule der Klimapolitik in Deutschland, die in der folgenden Analyse im Fokus steht, ist die sogenannte „Energiewende“, die – so das aktuell federführende Bundeswirtschaftsministerium – darauf abzielt, „Deutschlands Energieversorgung grundlegend um[zustellen]: Weg von nuklearen und fossilen Brennstoffen, hin zu erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz“313. Neben einer Reihe anderer gesellschaftlicher Bereiche berührt die Energiewende mit ihren „vier Hauptziele[n]“ – dem Ausstieg aus der Atom- und Kohlekraft, dem Ausbau der Erneuerbaren Energien an der Stromproduktion, der Steigerung der Energieeffizienz und der Reduktion von Treibhausgasemissionen –, insbesondere die gesellschaftliche Umwelt und die Reproduktionsbedingungen des Wirtschaftssystems (Giacovelli 2017b: 6; vgl. auch Weber 2018: 149–153). Um die Rezeption dieses ökologisch motivierten „politische[n] Projekts“ (Giacovelli 2017b: 6) innerhalb des Wirtschaftssystems auszuloten, wird im Folgenden anhand von Fokusgruppeninterviews mit Mitgliedern aus Unternehmen der Finanz- und Realwirtschaft untersucht, wie die Energiewende im Wirtschaftssystem beobachtet und operativ prozessiert wird. Der Fokus der Analyse liegt dabei auf der Rekonstruktion der wirtschaftssystemischen Resonanzfähigkeit, das heißt der sich in der Wirtschaftskommunikation zum

ginn der 1990er Jahre die Klimarahmenkonvention (UNFCCC) ins Leben gerufen, die sich dem „Endziel“ verschrieben hat, „die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird“ (Art. 2 UNFCCC) und aus der unter anderem das Kyoto Protokoll (1997) und das Übereinkommen von Paris (2015) hervorgegangen sind (online abrufbar unter: https://unfccc.int/document; zuletzt abgerufen am 28.12.2020). Auch auf nationaler Ebene ist der Klimawandel ein zentrales politisches Thema. So wurde er in den TV-Debatte zwischen den US-Präsidentschaftskandidaten 2020 Donald Trump und Joe Biden zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder explizit als Thema aufgegriffen (online abrufbar unter: https://www.theguardian.com/usnews/2020/sep/30/presidential-debate-climate-crisis-question-trump-biden-analysis; zuletzt abgerufen am 28.12.2020). Wie sich der Klimawandel seit Mitte der 1970er Jahre als Politikfeld in Deutschland etabliert hat, zeichnen Weingart, Engels und Pansegrau (2002) diskursanalytisch nach (vgl. auch Reusswig 2010; für die Parteienlandschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz vgl. Ruß 2014). Im aktuellen Koalitionsvertrag bekennen sich die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD sowohl zur deutschen Energiewende als auch zu den internationalen Klimazielen, die im Rahmen der Klimarahmenkonvention beschlossen wurden (vgl. Koalitionsvertrag 2018: 14, 71–73, 142–143; online abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/koalitionsvertragzwischen-cdu-csu-und-spd-195906; zuletzt abgerufen am 29.12.20). Und auch auf Landes- und kommunaler Ebene wird der Klimawandel zunehmend politisch relevant. So haben seit Mai 2019 rund 70 deutsche Kommunen den sogenannten „Klimanotstand“ ausgerufen (Hirschl/Pfeifer 2020: 5). 313 Vgl. https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Dossier/energiewende.html; zuletzt abgerufen am 28.12.2020. Für eine aktuelle Übersicht zu den im Rahmen der Energiewende erlassenen Gesetzen und Verordnungen vgl. BMWi 2020. Für eine sozialwissenschaftliche Einführung zur deutschen Energiewende vgl. Radtke/Canzler (2019); für deren Einordnung im Rahmen internationaler wie nationaler Klimapolitik vgl. Hook (2018).

5. Illustrative Fallstudie | 225

Zeitpunkt der Untersuchung manifestierenden Irritabilität, Reagibilität und Lernfähigkeit in Bezug auf die Energiewende und die mit ihr verbundenen Zielstellungen. Zudem wird ein Ausblick auf die sich in dieser Rekonstruktion abzeichnenden strukturellen Resonanzblockaden sowie auf erste Ansatzpunkte für die Überwindung dieser Blockaden auf dem Weg zu (weiteren) wirtschaftlichen Strukturanpassungen an die Energiewende gegeben.314 Die Auseinandersetzung mit diesem Fall ist vor allem illustrativer Natur: Sie dient dazu, an einem konkreten Fall zu explizieren, in welcher Weise das Resonanzkonzept für empirische Analysen fruchtbar gemacht werden kann, wie die verschiedenen Schritte der empirischen Resonanzanalyse konkret durchgeführt werden können und welche Art von Forschungsergebnissen sich auf diese Weise generieren lassen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die folgende Illustration dezidiert nicht den Anspruch erhebt, den untersuchten Fall, das heißt die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die Energiewende, umfassend durchdringen und beschreiben zu können. Um es mit Nassehis Worten zu sagen: Die folgenden Darstellungen sind nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein erster, explorativer „Versuch, durch Ansetzen bestimmter Unterscheidungen“ – in diesem Fall der durch das Resonanzkonzept substantiierten systeminternen Unterscheidung von ‚System‘ und ‚Umwelt‘ – „an sich selbst sehen zu lernen, was man sieht, wenn man so hinsieht (und nicht anders)“ (Nassehi 1998, zitiert nach von Groddeck 2011a: 71). Zunächst werden die für die Fallstudie erhobenen Daten präsentiert (Abschnitt 5.1). Daran anschließend werden die leitenden Forschungsfragen sowie die Verfahren beschrieben, die zur Auswertung dieser Daten herangezogen wurden. Die Analyse des empirischen Materials erfolgt entlang der ersten drei Schritte der Resonanzanalyse und orientiert sich an der Kontexturanalyse nach Vogd, die selbst wiederum wesentlich auf der dokumentarischen Methode aufbaut (Abschnitt 5.2). In Abschnitt 5.3 wird das methodische Vorgehen Schritt für Schritt unter Rückgriff auf einzelne aussagekräftige Passagen aus dem empirischen Material illustriert. Um deutlich zu machen, welche Art von Erkenntnissen sich im Rahmen der Resonanzanalyse generieren lassen, werden in diesem Zusammenhang auch bereits erste, vorläufige Ergebnisse in Bezug auf die sich in der analysierten Wirtschaftskommunikation manifestierende Resonanzfähigkeit für die Energiewende – die dem Wirtschaftssystem zur Ver-

314 Ob sich seit dem hier betrachteten Untersuchungszeitraum von Februar bis Juli 2014 (vgl. Tabelle 9) im Wirtschaftssystem im Anschluss an die Energiewende Strukturanpassungen im Sinne systemischer Resonanzen ergeben haben, lässt sich anhand des vorliegenden Materials jedoch nicht nachzeichnen. Dazu müsste zu einem (deutlich) späteren Zeitpunkt erneut Material erhoben, auf typische Attributionsmuster untersucht und im Rahmen einer diachronen komparativen Analyse mit den hier vorgestellten Attributionsmustern auf systematische Verschiebungen hin verglichen werden (vgl. dazu auch Schritt 4 der Resonanzanalyse, Abschnitt 4.2.2). Wie beispielsweise die Analysen von Weingart et al. (2002), Mölders (2011) und Kaldewey (2013) zum systemischen Strukturwandel in Wissenschaft, Recht, Politik beziehungsweise Massenmedien zeigen, lässt sich der Wandel systemischer Erwartungen erstens nicht im Entstehen, sondern lediglich ‚ex post‘ rekonstruieren und manifestiert sich daher, zweitens, typischerweise erst im Vergleich relativ weit auseinanderliegender Analysezeiträume von mehreren Jahren oder gar Jahrzehnten.

226 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

fügung stehenden Formen, sich auf die Energiewende zu beziehen – formuliert. Abschließend werden diese Ergebnisse sowohl in Bezug auf die im vorangegangenen Kapitel angestellten methodologischen Überlegungen als auch im Hinblick auf ihre Aussagekraft für den analysierten Fall diskutiert (Abschnitt 5.4).

5.1 DATENMATERIAL: FOKUSGRUPPENINTERVIEWS ZU CHANCEN UND HINDERNISSEN DER ENERGIEWENDE Das der Fallstudie zugrundeliegende Datenmaterial besteht aus fünf Fokusgruppeninterviews mit Mitgliedern von Wirtschaftsunternehmen sowie wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Das Thema der Fokusgruppeninterviews waren die unternehmerischen Chancen und Hindernisse der Energiewende. Die Interviews entstammen dem durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt „Investitionsschub durch die deutsche Energiewende in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise“, das von 2013 bis 2016 unter der Leitung der Nichtregierungsorganisation Germanwatch e.V. in Kooperation mit dem Forschungsinstitut Global Climate Forum e.V. durchgeführt wurde. Ich war über den gesamten Verlauf des Projekts als wissenschaftliche Begleiterin in die Forschung involviert und habe in diesem Rahmen an der Konzeption, Durchführung, Dokumentation und projektinternen Auswertung aller fünf Gesprächsrunden teilgenommen. 315 Ziel des Forschungsprojekts war es, ausgehend von einer makroökonomischen Perspektive, die die allgemeine Gleichgewichtstheorie mit spieltheoretischen Elementen und keynesianischen Ansätzen zur Erwartungskoordination verbindet, eine Re-Koordination der Erwartungen von zentralen Akteuren aus Finanz- und Realwirtschaft zu unterstützen. Auf diese Weise sollten „Win-Win-Strategien für grünes Wachstum im Hinblick auf Rahmenbedingungen und Geschäftsmodelle“ in Richtung einer „prosperierenden Niedrig-Emissions-Ökonomie“ aufgezeigt werden (Mielke et al. 2016b: 5–6). Im Zentrum standen dabei die durch die Energiewende besonders betroffenen Branchen der Energiewirtschaft, der Informations- und Kommunikationstechnologie, Netzbetreiber und institutionelle Investoren wie etwa Banken oder Versicherungen. Gemeinsam mit Vertreter*innen aus zivilgesellschaftlichen und wissenschaftlichen Organisationen wurden Mitglieder von Unternehmen, die in diesen Branchen tätig sind, im Rahmen der Gesprächsrunden gebeten, die Chancen und Hindernisse zu diskutieren, die sich für ihre Organisationen aus der Energiewende ergeben. 316

315 Die Kurzbeschreibung des BMBF-Projekts ist abrufbar unter: http://www.transformationdes-energiesystems.de/sites/default/files/Innovationsschub-Kurzbeschreibung.pdf; zuletzt abgerufen am 08.12.2022. Den Abschlussbericht Grüner Investitionsschub für Europa, an dem ich als Co-Autorin beteiligt war, kann unter folgendem Link abgerufen werden: https://www.germanwatch.org/sites/germanwatch.org/files/publication/17223.pdf; zuletzt abgerufen am 08.12.2022. 316 Im Nachgang wurden die in diesem Kontext diskutierten Fragen mit einzelnen Akteuren (Mitgliedern eines Technologiekonzerns, eines Netzbetreibers, eines Energieversorgungsunternehmens und eines institutionellen Investors) in insgesamt sieben offenen

5. Illustrative Fallstudie | 227

Als Erhebungsform wurde das Fokusgruppeninterview gewählt. Als eine Form der Gruppendiskussion ermöglicht es nicht nur die Artikulation der Erwartungen, die einzelne Unternehmensmitglieder mit der Energiewende verbinden, sondern bietet darüber hinaus auch Möglichkeiten, diese Erwartungen im interaktiven Austausch aufeinander zu beziehen und somit auf die Koordination von Erwartungen hinzuwirken. Das Charakteristikum der thematischen Fokussierung wurde als hilfreich erachtet, um eine grundsätzlich offene Interviewführung mit der Wahrung des Bezugs zur Energiewende zu kombinieren, auf die vonseiten der Interviewenden – bei Bedarf – etwa durch „immanente Nachfragen“ oder andere „sanfte Korrekturen“ hingewirkt wurde (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 135). Wie in dieser Beschreibung bereits anklingt, wurden die Fokusgruppeninterviews nicht im klassischen Sinne der Marktforschung, in dessen Kontext der Begriff erstmals verwendet wurde, gestaltet, sondern lehnten sich stärker an das in der Tradition von Mangold und Bohnsack entwickelte Verständnis von Gruppendiskussionsverfahren an (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 88–90, 133–134).317 Das bedeutet erstens, dass Gruppen hier nicht als Ansammlungen atomistischer Individuen verstanden wurden, deren subjektive Meinungen oder Perzeptionen es möglichst forschungseffizient zu erfassen galt. Vielmehr wurden Gruppen als eigenständige und für die Forschung relevante Repräsentationen „makrosoziale[r] Einheit[en]“ betrachtet. Dementsprechend wurde bei der Erhebung und der Analyse des Datenmaterials nicht nur die Ebene der einzelnen Aussagen der Gesprächsteilnehmer*innen ‚für sich‘, sondern auch das „interaktive Moment“ der Gruppendynamik und die sich in diesem manifestierende Kollektivität berücksichtigt (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 89–90). Zweitens wurden die Interviews nicht als direktive Abfrage gestaltet, sondern folgten einer eher nondirektiven Interviewführung, bei der die Steuerung der Interaktion weitestgehend der Gruppe selbst überlassen wurde. In der Folge lag der diskursive Charakter der im Rahmen des BMBFProjekts durchgeführten Fokusgruppeninterviews stets „somewhere between a meeting and a conversation“ (Agar/MacDonald 1995: 80, zitiert nach Kidd/Parshall 2000: 294).

Leitfadeninterviews vertieft. Auch an der Konzeption, Durchführung und Auswertung dieser Interviews war ich als wissenschaftliche Begleitung beteiligt. Da sie sich sehr explizit mit dem Geschäftsmodell des jeweiligen Unternehmens auseinandersetzen, können diese Einzelgespräche aus Anonymitätsgründen nicht direkt in die Analyse einbezogen, sondern nur indirekt zur Kontextualisierung und teilweisen Validierung der Analyse der Fokusgruppeninterviews verwendet werden. 317 Vgl. für eine solche Wendung des Fokusgruppeninterviews auch Liebes/Katz (1993, zitiert nach Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 89–90). Für eine Kontrastierung dieser beiden Verständnisse des Fokusgruppeninterviews vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr (2014: 132).

228 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

Tabelle 9: Übersicht über das Datenmaterial: Fokusgruppeninterviews zu den wirtschaftlichen Chancen und Hindernissen der Energiewende Nr.

Thema der Fokusgruppe

G1

Chancen und Hindernisse der Energiewende

02/2014 2 Std. 18 Min.

G2 02/2014

Chancen und Hindernisse der Energiewende

ca. 2 Std. G3 04/2014

Chancen und Hindernisse der Energiewende

2 Std. 47 Min.

G4 07/2014 2 Std. 30 Min.

G5 07/2014 2 Std. 12 Min.

Was hindert Sie daran, verstärkt in nachhaltige Infrastruktur zu investieren?

Was hindert Sie daran, verstärkt in Energieeffizienz zu investieren?

Quelle: eigene Darstellung

Teilnehmer*innen (TN) aus folgenden Organisationen 2 TN Energieversorger 1 TN industrienahe Stiftung 1 TN Verband von Netzbetreibern 2 TN Zivilgesellschaft 2 Moderator*innen 1 TN wiss. Begleitung 1 TN Industrieunternehmen 3 TN institutionelle Investoren 2 TN Zivilgesellschaft 2 Moderator*innen 1 TN wiss. Begleitung 1 TN Energieversorger 4 TN institutionelle Investoren 1 TN Industrieverband 1 TN Technologieunternehmen 1 TN Zivilgesellschaft 2 Moderator*innen 1 TN wiss. Begleitung 1 TN Bundesagentur 1 TN Energieversorger 2 TN Industrieunternehmen 1 TN Verband von Netzbetreibern TN Zivilgesellschaft 3 Moderator*innen 1 TN wiss. Begleitung 2 TN Forschungsinstitute 1 TN Industrieverband 1 TN Verband von Netzbetreibern 2 TN Zivilgesellschaft 1 Moderator*in 1 TN wiss. Begleitung

Datenmaterial

Audioaufzeichnung, Transkript

Gesprächsprotokoll, (Audioaufzeichnung abgelehnt) Audioaufzeichnung, Transkript

Audioaufzeichnung, Transkript

Audioaufzeichnung, Transkript

5. Illustrative Fallstudie | 229

An den Fokusgruppeninterviews nahmen zwischen acht und elf Personen teil.318 Die Dauer der Gespräche betrug jeweils etwa zwei Stunden (vgl. für eine Übersicht Tabelle 9). Die Auswahl der Diskussionsteilnehmer*innen erfolgte auf Organisationsebene: Aus den bereits genannten Branchen wurden Wirtschaftsunternehmen und -verbände angesprochen, deren Geschäftsmodelle durch die im Kontext der Energiewende beschlossenen politischen Entscheidungen und gesetzlichen Rahmenbedingungen berührt werden. Die von diesen Organisationen in die Gespräche entsandten Mitarbeiter*innen waren alle in operativen Geschäftsbereichen, zumeist in leitender Position, tätig. Sie wurden nicht als neutrale Expert*innen, sondern als in die Energiewende involvierte beziehungsweise durch diese betroffene „Stakeholder“ adressiert; das heißt als Akteure, denen „neben einer inhaltlichen Kompetenz auch ein [in diesem Fall: wirtschaftliches, Anmerkung H.V.] Interesse an der Ausgestaltung eines Realitätsausschnitts zugeschrieben wird, weil sie sich in diesem bewegen und ein Teil davon sind“ (Niederberger/Wassermann 2015a: 12–13).319 Auch die Gesprächsteilnehmer*innen aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft wurden in diesem Sinne als Stakeholder in die Gespräche einbezogen. Inhaltlich wurden die Fokusgruppeninterviews in je drei Blöcke unterteilt: Zunächst wurde offen danach gefragt, mit welchen Hindernissen und Chancen die Energiewende für die jeweils vertretenen Organisationen verbunden ist.320 Im An-

318 Dies entspricht in etwa der für das Fokusgruppeninterview empfohlenen Anzahl von zehn bis zwölf Teilnehmer*innen. Dieser Richtwert orientiert sich an zwei Kriterien: Erstens sollen stets genügend Teilnehmer*innen in das Fokusgruppeninterview einbezogen werden, um eine interaktive Dynamik entstehen zu lassen. Zweitens soll die Zahl der Teilnehmer*innen nur so groß sein, dass jede*r die Möglichkeit hat, sich in das Gespräch einzubringen (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 134–135). Um dies zu gewährleisten wurden die Fokusgruppeninterviews allesamt in größeren Besprechungsräumen abgehalten (vgl. genauer dazu Fußnote 320), in denen alle Teilnehmer*innen gemeinsam an einem Tisch sitzen und sich unmittelbar aufeinander beziehen konnten. 319 Zur Einbindung von Stakeholdern in empirischen Forschungsprojekten vgl. Welp et al. (2006); Niederberger/Wassermann (2015b) sowie Mielke et al. (2016a). 320 Anders als in Gruppengesprächen 2–5, in denen direkt nach den mit der Energiewende verbundenen unternehmerischen Chancen und Hindernissen gefragt wurde, wurde im Gruppengespräch 1 ein Stimulus gewählt – ein zu Beginn des Gesprächs ausgeteiltes Zukunftsszenario ‚gescheiterte Energiewende‘ –, das als Ausgangspunkt für die Diskussion gegenwärtiger Hindernisse fungieren sollte. In den ersten drei Gruppengesprächen (G1– 3) wurde allgemein danach gefragt, welche Chancen und Hindernisse mit der Energiewende für die jeweils vertretenen Unternehmen verbunden sind. Die Gruppengespräche G4 und G5 bezogen sich dagegen speziell auf die Hindernisse und Chancen von Investitionen in die Energiewende: Hier wurden die Gruppeninterviews mit der Frage begonnen, was die jeweiligen Akteure daran hindert, verstärkt in nachhaltige Infrastruktur (G4) beziehungsweise in Energieeffizienzmaßnahmen (G5) zu investieren. Bis auf G3, zu dem nur ein Gesprächsprotokoll vorliegt, konnten alle Gespräche aufgezeichnet und transkribiert werden. Die Gespräche fanden in den Konferenzräumen des Global Climate Forums e.V. (G1, G4, G5) oder in den Räumlichkeiten eines der teilnehmenden Unternehmen (G2, G3) statt.

230 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

schluss an diese Eingangsdiskussion von Chancen und Hindernissen wurden die Gesprächsteilnehmer*innen gebeten, die aus ihrer Sicht wichtigsten Hindernisse auf Moderationskarten zu notieren und diese – nach der Bildung thematischer Cluster – mittels der Vergabe von Punkten zu priorisieren. Der dritte Block des Gesprächs bestand in der gemeinsamen Diskussion der aus der Sicht der Teilnehmer*innen zentralen Hindernisse und den Möglichkeiten ihrer Überwindung. Mit dieser Strukturierung der Gespräche sollte auf der einen Seite die Konzentration auf den thematischen Fokus – die mit der Energiewende verbundenen wirtschaftlichen beziehungsweise unternehmerischen Chancen und Hindernisse – gewährleistet werden. In diesem Zusammenhang diente die zu Beginn der Gespräche angeregte Sammlung von Chancen und Hindernissen dazu, das Diskussionsthema in seiner Breite zu erfassen. Die anschließende Priorisierung und Fokussierung auf besonders wichtige Hindernisse sollte es den Gesprächsteilnehmer*innen zudem ermöglichen, bestimmte Aspekte tiefgehender zu beleuchten. Auf der anderen Seite wurde der inhaltliche Verlauf dieser Diskussion, also die Frage, welche Chancen und Hindernisse gesehen und wie diese – auch in Relation zueinander – bewertet werden, weitestgehend den Gesprächsteilnehmer*innen selbst überlassen. Auf diese Weise wurde versucht, den für das Fokusgruppeninterview als Erhebungsform entscheidenden Kriterien der thematischen Spezifität, der Erfassung eines breiten Spektrums und der Tiefgründigkeit sowie dem Kriterium der Nicht-Beeinflussung durch den oder die Interviewenden gerecht zu werden (vgl. zu diesen Kriterien Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 142). Für die in dieser Arbeit angestrebte explorative Analyse der Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende eignet sich dieses Datenmaterial aus mehreren Gründen. Erstens eröffnete mir die Kooperation mit den Projektverantwortlichen des BMBF-Forschungsprojekts einen privilegierten Zugang zum Untersuchungsfeld der durch die deutsche Energiewende betroffenen Branchen und Unternehmen. Da sich sowohl Germanwatch e.V. als auch das Global Climate Forum e.V. seit Langem in diesem Feld engagieren, verfügen sie über eingehende Kenntnisse darüber, welche Wirtschaftszweige sich aktuell besonders intensiv mit der Energiewende auseinandersetzen. Zudem haben sie im Rahmen von teilweise jahrelangem Austausch vertrauensvolle Beziehungen zu Unternehmen und Verbänden aus diesen Wirtschaftszweigen aufgebaut. Dies erhöhte die Bereitschaft vonseiten der Unternehmen an den Interviews teilzunehmen und leitende Mitarbeiter*innen aus dem operativen Geschäftsbereich hierfür freizustellen.321 Anders als etwa Beschäftige aus Public Relations Abteilungen, die vornehmlich mit der Außendarstellung – der gepflegten Selbstbeschreibung322 – ihrer Unternehmen befasst sind und daher häufig als Teilneh-

321 Germanwatch e.V. und das Global Climate Forum e.V. fungierten in Bezug auf meine Forschungsarbeit also als sogenannte „gatekeeper“, die mir den Zugang zum Untersuchungsfeld ebneten. Zur Bedeutung solcher gatekeeper, insbesondere im Hinblick auf den Zugang zu formalen Organisationen, vgl. Ritchie/Lewis (2003: 62–63). 322 Wie Luhmann an der Differenz von wirtschaftswissenschaftlichen Theorien als Selbstbeschreibungen des Wirtschaftssystems und dem wirtschaftssystemischen Operieren als solches erläutert, können Selbstbeschreibung und operativer Selbstvollzug sozialer Sys-

5. Illustrative Fallstudie | 231

mer*innen in solche Interviewformate entsandt werden, zeichneten sich die an den Fokusgruppeninterviews beteiligten Unternehmensmitglieder dadurch aus, dass sie, als leitende Angestellte aus den jeweiligen geschäftlichen Kernbereichen, unmittelbar an der Ausgestaltung und gegebenenfalls Anpassung der unternehmerischen Zahlungsentscheidungsprogramme beteiligt waren. Zweitens dürfte auch die Bereitschaft der Gesprächsteilnehmer*innen, sich in der Gruppe mit anderen Mitgliedern von teils konkurrierenden Unternehmen sowie mit Vertreter*innen aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft auszutauschen zumindest teilweise auf das über Jahre gewachsene Vertrauensverhältnis zu den Projektverantwortlichen zurückzuführen sein. Für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist das auf diese Weise ermöglichte Format der Gruppendiskussion vor allem deshalb von Vorteil, weil es sich besser für die Beobachtung und Rekonstruktion sozialer Strukturen im Sinne kollektiver – in diesem Fall: wirtschaftssystemischer – Deutungsmuster und operativer Prozessierungsformen eignet als Einzelinterviews (Kleemann et al. 2013: 161; Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 93, 278). Drittens erwies sich die Zusammensetzung der Fokusgruppen aus Mitgliedern wirtschaftlicher, zivilgesellschaftlicher und wissenschaftlicher Organisationen als günstig: Die Unternehmensmitglieder, welche in den Gesprächsrunden zumeist die Mehrheit bildeten, betrachteten die Energiewende vor allem aus wirtschaftlicher Perspektive, welche wiederum durch die Vertreter*innen aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft herausgefordert oder – systemtheoretisch gesprochen – mit Irritationen konfrontiert wurde.323 Auf diese Weise konnte insbesondere das wirtschaftssystemische „Grenzmanagement“ (Jansen 2013: 52) im Sinne der spezifischen Form der operativen Schließung und Öffnung gegenüber anderen gesellschaftlichen Beobachterperspektiven beobachtet und untersucht werden.

teme nicht ohne Weiteres in eins gesetzt werden. So wäre es etwa „falsch, anzunehmen, dass wirtschaftliche Entscheidungen Theorieanwendungsentscheidungen sind“ (Luhmann 2005a: 267). 323 Wie in Abschnitt 4.2 bereits erwähnt bietet es sich an, zur Erhebung des Datenmaterials Personen zu adressieren oder zu beobachten, die sich regelmäßig in den sozialen Kontexten bewegen, die Gegenstand der jeweiligen (Resonanz-)Analyse sind. Wichtig ist jedoch, dass dies nicht mit einem Kurzschluss von Personen als Repräsentant*innen von Systemen begründet werden kann. Diese Art der Auswahl von Personen basiert vielmehr auf der Hypothese, dass es wahrscheinlicher ist, dass bestimmte Kommunikationslogiken von Personen mit bestimmten Rollen beziehungsweise in bestimmten gesellschaftlichen Settings aktualisiert werden als von anderen Personen mit anderen Rollen oder in anderen Settings. Ob es sich bei den erhobenen Daten dann tatsächlich um die jeweils fokussierte Form der Kommunikation handelt, muss direkt am empirischen Material sequenzanalytisch durch die Rekonstruktion systemkonstitutiver Attributionsschemata – etwa der Rahmung der Kommunikation entlang des wirtschaftssystemischen Codes ‚Zahlung/Nicht-Zahlung‘ – nachvollzogen und begründet werden (vgl. dazu Abschnitt 5.3.1). In diesem Sinne folgt die vorliegende Arbeit dem von Akerstrom Andersen/Born (2007: 180; vgl. auch Siri 2012: 28; Jansen 2012: 165) vorgegebenen Credo: „We must seek our answers inside communication”.

232 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

Ein wesentlicher Nachteil des empirischen Materials besteht in den Restriktionen im Hinblick auf die Samplingstrategie, die der Datenerhebung zugrunde lag. Da sich diese vornehmlich an der systematischen Erschließung des für das BMBF-Projekt zentralen Erkenntnisinteresses – eines durch die Energiewende induzierbaren Investitionsschubs – orientierte, kann sie in Bezug auf die in dieser Arbeit angestrebte Exploration der Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die Energiewende kaum als theoretisches Sampling betrachtet werden (vgl. zu diesem Problem auch Gentile 2010: Absatz 34–35). Die Strategie des theoretischen Samplings zielt darauf ab, die Erhebung und Analyse empirischer Daten in einem mehrstufigen, iterativen Prozess miteinander zu verschränken, um auf diese Weise nach und nach „die Strukturiertheit des Phänomens und das Spektrum seiner Ausprägungen zu erfassen“ (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 180). Zunächst orientiert sich die Datenerhebung an einer relativ offenen Forschungsfrage; in diesem Fall etwa die Frage nach der aktuellen Ausgestaltung der Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems in Bezug auf die Energiewende. Um diese auszuloten, werden erste Daten – hier etwa erste Gruppendiskussionen mit Unternehmensmitgliedern – erhoben und ausgewertet. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden genutzt, um vorläufige Hypothesen über den Fall zu generieren – beispielsweise, dass die Energiewende im Wirtschaftssystem, retrospektiv gerichtet, typischerweise entweder als politisches Projekt oder als Ausdruck eines allgemeinen Markttrends verstanden wird. Oder dass, prospektiv gerichtet, die Form der Anschlüsse an die Energiewende mit der Eigentümerstruktur der Unternehmen zu variieren scheinen. Diese Hypothesen informieren dann wiederum den Fortgang des Samplingprozesses: Dem Prinzip der minimalen Kontrastierung entsprechend könnten nun etwa weitere Gruppengespräche in ähnlicher Zusammensetzung durchgeführt werden, um zu prüfen, ob sich die bereits gefundenen Verständnisse der Energiewende in ähnlich strukturierten Gruppen ebenfalls finden und inhaltlich substantiieren lassen. Oder es könnten, entlang des Prinzips der maximalen Kontrastierung, separate Gruppengespräche mit Mitgliedern von börsennotierten beziehungsweise eigentümergeführten Unternehmen organisiert und daraufhin untersucht werden, inwiefern sie sich bezüglich der Prozessierung der Energiewende unterscheiden. Dieses sukzessive und systematische Ausleuchten des Forschungsgegenstands wird so lange fortgeführt, bis sich – im Hinblick auf die Forschungsfrage – keine neuen Erkenntnisse, das heißt keine weiteren Ähnlichkeiten oder Unterschiede mehr beobachten lassen. Wenn diese sogenannte „theoretische Sättigung“ eintritt, kann die Untersuchung beendet werden (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 181–182). Wie bereits erwähnt, war es im Rahmen des BMBF-Projekts aufgrund von zeitlichen wie finanziellen Restriktionen nur sehr eingeschränkt möglich, die Zusammensetzung und Abfolge der Fokusgruppeninterviews in dieser Form auf die systematische Erhebung der wirtschaftssystemischen Resonanzfähigkeit abzustimmen. Problematisch ist dies insbesondere im Hinblick auf die Reichweite oder Generalisierbarkeit der in Auseinandersetzung mit dem empirischen Material gewonnenen Erkenntnisse.324 Die folgende Analyse des mit fünf Fokusgruppeninterviews zudem recht be-

324 Vgl. zum allgemeinen Zusammenhang von Sampling und Generalisierbarkeit Przyborski/ Wohlrab-Sahr (2014: 32, 177).

5. Illustrative Fallstudie | 233

grenzten Ausschnitts wirtschaftssystemischer Kommunikationsprozesse kann mithin lediglich für sich selbst stehen. In Bezug auf die Verfasstheit der Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems im Allgemeinen können die auf dieser Basis generierten Erkenntnisse dagegen nur erste, vorsichtige Hinweise liefern, die – als vorläufige Hypothesen – weitere Forschungsschritte informieren könnten.325 Für das zentrale Anliegen, das mit den folgenden Darstellungen verbunden wird, spielt die Generalisierbarkeit der Analyseergebnisse jedoch ohnehin nur eine untergeordnete Rolle: Wie bereits ausgeführt wurde, ist die Auseinandersetzung mit dem Fall, erstens, explorativ – und in diesem Sinne auf die Generierung, nicht unbedingt die Bestätigung von Hypothesen – angelegt. Zweitens dient sie vor allem illustrativen Zwecken: Das primäre Ziel dieses Kapitels besteht darin, die forschungspraktische Anschlussfähigkeit der Resonanzanalyse – die einzelnen Analyseschritte sowie die Art der Ergebnisse, die sich auf diese Weise erzielen lassen – an konkretem Datenmaterial zu demonstrieren. Auf diesem Wege werden im folgenden Abschnitt die Verfahren der Datenauswertung vorgestellt und sodann Schritt für Schritt unter Rückgriff auf aussagekräftige Passagen aus der Fokusgruppeninterviews nachvollzogen.

5.2 VERFAHREN DER AUSWERTUNG: RESONANZANALYSE UNTER RÜCKGRIFF AUF KONTEXTURANALYTISCHE METHODEN Die Auswertung des empirischen Materials erfolgte entlang der ersten drei Schritte der Resonanzanalyse, die auf die Rekonstruktion der ersten Dimension systemischer Resonanz, die Resonanzfähigkeit, gerichtet sind (vgl. Abschnitt 4.2.2). Wie im Folgenden näher erläutert wird, wurden diese drei Schritte methodisch unter Rückgriff auf die Kontexturanalyse durchgeführt, die von Vogd im Anschluss an die dokumentarische Methode nach Bohnsack entwickelt wurde (vgl. Abschnitt 4.1.1). Für die Analyse systemischer Resonanz eignet sich die Kontexturanalyse in mehrfacher Hinsicht. Erstens zielt sie, ebenso wie die dokumentarische Methode, auf das „Entschlüsseln“ sozialer „Relevanzstrukturen“ ab (Przyborski 2004: 53). Anders als bei der dokumentarischen Methode liegt der Fokus der Kontexturanalyse dabei jedoch nicht so sehr auf den gemeinsamen Erfahrungshorizonten – den sogenannten „konjunktive[n] Erfahrungsräume[n]“ – gesellschaftlicher Gruppen oder Milieus, sondern – passend zur systemtheoretischen Fragestellung dieser Arbeit – auf den Erwartungsstrukturen sozialer Systeme (Jansen et al. 2015: Absatz 3–4). Im Anschluss an Günther, dessen polykontexturale Logik als Metatheorie der Kontexturanalyse herangezogen wird, werden soziale Systeme als „Kontexturen“ gefasst: als „zweiwertige[.] logische[.] R[ä]um[e], die jeweils über einen positiven und einen negativen Wert verfüg[en]“. Entlang dieser beiden Werte werden alle Beobachtungen dieser

325 Wie genau die Analyseergebnisse einzuordnen sind, wird in Abschnitt 5.3.4 unter Rückgriff der Begrifflichkeiten der dokumentarischen Methode und der Kontexturanalyse ausgeführt.

234 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

Räume grundlegend strukturiert (Jansen et al. 2015: Absatz 21).326 Übersetzt in die Termini dieser Arbeit könnte man davon sprechen, dass sich jede Kontextur oder jedes soziale System durch ein bestimmtes, binär strukturiertes Attributionsschema, beispielsweise einen funktionssystemischen Code, konstituiert. Kommunikativ manifestieren sich diese systemkonstitutiven Attributionsschemata oder Werte als „positive Horizont[e]“, auf die die Kommunikation zustrebt, sowie als „negative Gegenhorizont[e]“, von denen sie sich abgrenzt (Przyborski 2004: 56; Kleemann et al. 2013: 162; vgl. auch Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 295–296). In ihrer operativen Verwendung werden sie, ebenso wie alle weiteren, nicht-systemkonstitutiven Schemata, auf deren Basis Systeme Beobachtungen sachlich, sozial und temporal deuten, durch konkretisierende Attributionsregeln angeleitet. Diese bieten nicht nur Orientierung im Hinblick auf die retrospektive Deutung beobachteter Ereignisse, sondern zeichnen auch prospektive Anschlussmöglichkeiten an diese vor. Die dokumentarische Methode spricht in diesem Zusammenhang vom „Enaktierungspotential“ – der „Einschätzung der Realisierungsmöglichkeiten“ einer kommunikativen Orientierung (Przyborski 2004: 53, zitiert nach Bohnsack 1989). Die Gesellschaft besteht aus einer Vielzahl solcher Kontexturen, die entlang ihrer spezifischen Attributionsschemata und -regeln eine je eigenständige Beobachterperspektive auf sich und ihre Umwelt ausbilden. In diesem Sinne begreift Günther die Gesellschaft als polykontexturales – in eine Vielzahl ko-präsenter inkongruenter logischer Räume differenziertes – Gebilde (Vogd 2011: 94–101). Über die Rekonstruktion der Attributionsschemata und -regeln einzelner Systeme oder Kontexturen hinaus setzt sich die Kontexturanalyse, zweitens, dezidiert mit den Formen des systemischen Umweltbezugs und den daraus resultierenden „polykontexturale[n] Arrangement[s]“ verschiedener logischer Räumer auseinander (Vogd/Harth 2019: Absatz 22). Konkret geht es dabei um die Frage, „wie die wechselseitige Verfügbarkeit eben jener Räume erklärt werden kann, ohne dass deren jeweilige Identität als eigenständiger Raum aufgehoben wird“ (Jansen et al. 2015: Absatz 26). Um dies zu untersuchen bedient sich die Kontexturanalyse des ebenfalls von Günther entwickelten Konzepts transjunktionaler Operationen, auf dessen Basis das operative „Grenzmanagement“ (Jansen 2013: 52) eines Systems gegenüber seiner Umwelt – und in diesem Zuge, wie im Folgenden näher dargelegt, auch dessen Resonanzfähigkeit – erfasst werden kann. Wie Jansen (2013: 52) im Anschluss an Günther ausführt, dienen transjunktionale Operationen einem System dazu, fremde Kontexturen in der eigenen ‚Umwelt‘ systemintern anschlussfähig zu machen, indem entweder „einzelne Elemente aus dem eigenen Wertesystem aus[geschlossen], ganze Reflexionshorizonte aus[geschlossen] oder aber komplette Kontexturen ge[spiegelt]“ werden. Entsprechend dieser verschiedenen Varianten des operativen Umweltbezugs unterscheidet

326 Die Konzepte der zweitwertigen Logiken systemischer Attributionsschemata und der diese anleitenden Attributionsregeln bilden in gewisser Weise die methodologischen Gegenpaare zu den in der dokumentarischen Methode verwendeten Begriffen der Orientierungsrahmen und des prospektiv gerichteten Enaktierungspotentials, das sich auf „die Einschätzung der Realisierungsmöglichkeiten“ einer solchen Orientierung bezieht (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 296).

5. Illustrative Fallstudie | 235

die Kontexturanalyse zwischen drei Formen transjunktionaler Operationen: der partiellen, der totalen undifferenzierten sowie der totalen differenzierten Rejektion. Bei einer „partiellen Rejektion“, der einfachsten Form transjunktionaler Operationen, wird ein in einer vorangegangenen Mitteilung hervorgehobener „Wert“ als in der eigenen – etwa der wirtschaftlichen – Systemlogik als nicht abbildbar oder anschlussfähig und damit als „Qualität von etwas Fremde[m]“ verstanden. Worum es sich bei diesem fremden Wert genau handelt und welcher Kontextur oder Attributionsadresse der ‚Umwelt‘ dieser als zugehörig verstanden wird, bleibt dabei weitestgehend unbestimmt. Partielle Rejektionen bauen also „keine zweite Kontextur als Reflexionshorizont auf[.], sondern [dienen] einfach nur zur Grenzsicherung zwischen einem ‚Wir‘ und einem unbestimmten Fremden“. Die Funktion des operativen Umweltbezugs in der Form partieller Rejektionen besteht daher vornehmlich in der nach ‚innen‘ gerichteten Bestärkung der eigenen Beobachterperspektive (Jansen et al. 2015: Absatz 27, Hervorhebung H.V.). Dementsprechend erscheint die ‚Umwelt‘ im System, retrospektiv gerichtet, in einer vergleichsweise geringen Komplexität und ermöglicht beziehungsweise erfordert, prospektiv gerichtet, kaum systemisches Anschlusshandeln. Aus diesem Grund können partielle Rejektionen im Rahmen des Resonanzkonzepts als Indikatoren dafür gelten, dass das betreffende System in Bezug auf ‚Umweltereignisse‘, die auf diese Weise prozessiert werden, nur eine sehr begrenzte Resonanzfähigkeit aufweist. Die zweite Form transjunktionaler Operationen – die „totale undifferenzierte Rejektion“ – geht über die partielle Rejektion in dem Sinne hinaus, dass sie das jeweils ‚Fremde‘ explizit als „Qualität“ einer anderen Kontextur oder Attributionsadresse in der eigenen ‚Umwelt‘ behandelt. Charakteristisch für diese Form transjunktionaler Operationen ist dabei, dass diese fremde Kontextur oder Attributionsadresse als „willkürlich handelnde, eigenmächtige Instanz“ charakterisiert wird, „deren Bewertungsmuster weder verstanden noch akzeptiert werden können“. „[D]er zunächst unbestimmte Raum des Fremden“ wird somit zwar im System sinnhaft „bestimmt, dann jedoch in der Folgeoperation als nicht-eigener logischer Raum vollkommen verworfen. […] Die andere Seite, auf die in der Abgrenzung verwiesen wird, stellt sich damit als das absolut Fremde, Andere dar, das logisch nicht zugänglich erscheint, weil es nicht verstanden und entsprechend auch nicht akzeptiert werden kann“ (Jansen et al. 2015: Absatz 28, Hervorhebung H.V.).327 Obwohl totale undifferenzierte Rejektionen also – im Unterschied zu partiellen Rejektionen – den Ursprung des ‚Fremden‘ in bestimmten eigenlogisch operierenden ‚Umweltkontexturen‘ lokalisieren (können), dienen sie dem System vor allem dazu, die eigene Operationsweise gegen fremde Ansprüche oder Deutungsweisen abzuschotten. Diese werden, retrospektiv gerichtet, als unverständlich und damit, prospektiv gerichtet, als systemintern nicht anschlussfähig behandelt. Folglich weisen auch operative Umweltbezüge in der Form

327 Das ‚Fremde‘ wird in diesem Kontext üblicherweise „als ein Hort der Ignoranz und Dummheit beschrieben“ und in „Bewertungsmuster“ wie „‚dumm‘, ‚krank‘ oder ‚böse‘“ eingeordnet (Jansen 2015: Absatz 28). Vgl. für konkrete Beispiele Jansens (2013: 52–53) Darstellung der verschiedenen Formen, in denen Wirtschaftslogik und politische Logik im Kontext mitbestimmter Aufsichtsräte aufeinander bezogen werden.

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totaler undifferenzierter Rejektionen auf eine begrenzte systemische Resonanzfähigkeit hin. Die dritte und komplexeste Form transjunktionaler Operationen, die „totale differenzierte Rejektion“, ist hingegen darauf gerichtet, die Eigenlogik des ‚Fremden‘ als solche zu erschließen und im eigenen Operieren zu berücksichtigen: „Wie im Fall der totalen undifferenzierten Rejektion entsteht hier eine neue Kontextur als eigenständige Reflexionsinstanz. Anders als im vorherigen Fall wird die Eigenlogik der zurückgewiesenen Kontextur jedoch begriffen, d.h. die Selbstreferenz der anderen Kontextur wird in Rechnung gestellt und mitbeachtet. […] Die Position der Selbstreferenz der anderen Seite wird zwar nicht geteilt, jedoch aufgegriffen, um eine eigene Form des Umgangs damit zu finden“ (Jansen et al. 2015: Absatz 29, Hervorhebung H.V.). Bezieht sich ein System in dieser Form auf seine ‚Umwelt‘, erscheint diese, retrospektiv gerichtet, als autonom operierende Instanz, auf die sich das System, prospektiv gerichtet, mit eigenem Handeln einstellen kann beziehungsweise muss. Daher weisen Umweltbezüge im Modus der totalen differenzierten Rejektion auf eine vergleichsweise stark ausgeprägte systemische Resonanzfähigkeit hin: Das System erkennt andere ‚Umweltbereiche‘ in ihrer Eigenlogik an und entwickelt eigene Strategien, mittels derer es sich auf diese einstellen beziehungsweise mit ihnen umgehen kann. Mit ihrer Konzeption systemischer Kontexturen als operativ geschlossene logische Räume, die durch bestimmte Attributionsschemata und -regeln – kommunikativ manifest als positive und negative Horizonte, auf die sie zustreben beziehungsweise von denen sie sich abwenden – strukturiert werden und die das Grenzmanagement gegenüber ihrer Umwelt über drei verschiedenen Formen transjunktionaler Operationen organisieren können, stellt die Kontexturanalyse das zentrale metatheoretische Rüstzeug für die empirische Analyse systemischer Resonanz zur Verfügung. Mittels welcher Analyseschritte diese kommunikativen „Strukturmerkmale“ (Przyborski 2004: 53, 56), die für die Rekonstruktion der Resonanzfähigkeit konkreter Sozialsysteme zentral sind, aus dem empirischen Material methodisch kontrolliert herausgearbeitet wurden, wird im Folgenden näher erläutert (vgl. für eine Übersicht Abbildung 25).328

328 Wie anhand dieser Darstellung deutlich wird, orientieren sich die verschiedenen Schritte der Datenauswertung im Rahmen der Kontexturanalyse im Wesentlichen an den Analyseschritten der dokumentarischen Methode (vgl. für die Kontexturanalyse Vogd 2011: 39–76; 2010: 126–139; für die dokumentarische Methode Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 283–314; Kleemann et al. 2013: 168–191). Die folgende Darstellung adaptiert die einzelnen Analyseschritte im Rahmen der Resonanzanalyse (vgl. dazu Abschnitt 4.2.2).

5. Illustrative Fallstudie | 237

Abbildung 25: Analyseschritte der kontexturanalytischen Rekonstruktion wirtschaftssystemischer Resonanzfähigkeit für die deutsche Energiewende

Quelle: eigene Darstellung

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Schritt 1 der Resonanzanalyse: Erstellung des Datenkorpus ‚Wirtschaftskommunikation‘ 1.1: Sequenzanalyse: Zunächst wurde der Datenkorpus der Resonanzanalyse erstellt. Hierzu wurden der thematische Verlauf der Gespräche nachvollzogen und mittels einer Sequenzanalyse all jene „Passagen“ – thematisch abgeschlossene Gesprächsabschnitte – aus dem Material ausgewählt, die aufgrund ihrer Orientierung an der Frage der ‚Zahlungsrelevanz‘ als Operationen des Wirtschaftssystems charakterisiert werden konnten (vgl. dazu Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 292; Przyborski 2004: 50–51).329 Als operative Sequenzen des wirtschaftssystemischen Resonierens bildeten diese Passagen den Datenkorpus der weiteren Analyse. Alle anderen Passagen, die sich nicht am Code des Wirtschaftssystems orientierten, da sie beispielsweise reine Interaktionssequenzen – etwa Begrüßungen oder Verabschiedungen – darstellten oder auf andere funktionale Systemreferenzen – etwa die Frage der politischen Durchsetzbarkeit der Energiewende – fokussierten, wurden dagegen in den weiteren Analyseschritten nicht berücksichtigt. 1.2: Formulierende Interpretation: Von besonderem Interesse waren dabei all jene Passagen von Wirtschaftskommunikation, in denen ein Bezug zur Energiewende beziehungsweise den mit dieser verfolgten Zielen – dem Ausstieg aus der Atom- und Kohlekraft, dem Ausbau der Erneuerbaren Energien an der Stromproduktion, der Steigerung der Energieeffizienz und der Reduktion von Treibhausgasemissionen – hergestellt wurde. Ob dies der Fall war, wurde im Rahmen der „formulierenden Interpretation“, der „zusammenfassenden (Re-)Formulierung des immanenten […] oder – alltagssprachlich ausgedrückt – allgemein verständlichen Sinngehalts“ nachvollzogen (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 293).330 Die formulierende Interpretation fragte

329 Die Identifikation des Wirtschaftssystems erfolgt also auch hier strikt prozessorientiert – das heißt allein auf Basis der sich in der Kommunikation selbst manifestierenden und sequenzanalytisch rekonstruierten Anschlusslogiken und unabhängig davon, welchen Personen diese Kommunikation zugerechnet wurde oder welche Themen diskutiert wurden (vgl. dazu auch Fußnote 323). So zeigt etwa Jansen (2012: 165) in seiner kontexturanalytischen Rekonstruktion von Aufsichtsratskommunikation, dass das Reden von „Macht“ nicht alleine im Rahmen von politischer Kommunikation möglich ist, sondern ebenso gut Teil von Wirtschaftskommunikation sein kann. Nämlich beispielsweise dann, wenn „Macht als Problem wirtschaftlicher Effizienz gesehen und diskutiert wird: Vermachtungsprozesse führen zu Fehlinformationen für Preissysteme, die unterbunden werden müssen“. 330 Dieser Interpretationsschritt dient vor allem dazu, eine „gewisse Distanz“ zum Material herzustellen, bevor es in der reflektierenden Interpretation in die eigenen forschungsleitenden Attributionsschemata eingeordnet wird. Zum einen „sichert [dies] eine Kontrolle im interpretativen Vorgehen“. Darüber hinaus trägt die formulierende Interpretation jedoch auch zur Transparenz der Forschung bei, indem „das weitere Vorgehen in der Interpretation nachvollziehbarer gemacht [wird]. So kann etwa ein Leser sich ein Urteil darüber bilden, ob eine bestimmte Interpretation, die ihm unschlüssig erscheint, vielleicht auf ein unangemessenes Verständnis des Originaltextes auf immanenter Ebene zurückzuführen ist, oder ob das Problem in der weitergehenden Interpretation zu finden ist. Für den Interpreten stellt dieser Zwischenschritt ebenso methodische Kontrolle sicher. Er

5. Illustrative Fallstudie | 239

also danach, was in den Passagen der Wirtschaftskommunikation gesagt beziehungsweise welche Themen dort verhandelt wurden (Vogd 2011: 43–44, 53).331 Schritt 2 der Resonanzanalyse: Rekonstruktion der systemtypischen Attributionsmuster des Umweltbezugs Um die systemtypischen Attributionsmuster des Umweltbezugs, die sich in der Wirtschaftskommunikation dokumentieren, herausarbeiten zu können, wurde, erstens, jede einzelne dieser Passagen im Rahmen einer Sequenzanalyse auf die für die systemische Resonanzfähigkeit zentralen Strukturmerkmale hin rekonstruiert: die beobachtungsleitenden Attributionsschemata und -regeln, die die Deutung und operative Prozessierung der Energiewende in Sach-, Zeit und Sozialdimension strukturieren sowie das operative Grenzmanagement der Wirtschaftskommunikation gegenüber der eigenen ‚Umwelt‘ mittels verschiedener Formen transjunktionaler Operationen. Dieser Analyseschritt lässt sich – in Anlehnung an die Kontexturanalyse wie die dokumentarische Methode – als reflektierende Interpretation bezeichnen (Schritt 2.1). Im Anschluss an die reflektierende Interpretation wurden, zweitens, die verschiedenen Passagen und die sich in diesen dokumentierenden Erwartungsstrukturen in einer komparativen Analyse miteinander verglichen, um Redundanzen oder Homologien im Sinne typischer, passagenübergreifender Attributionsmuster des wirtschaftssystemischen Umweltbezugs nachzeichnen zu können (Schritt 2.2). 2.1. Reflektierende Interpretation: Anders als die formulierende Interpretation nahm die reflektierende Interpretation nicht das Was, sondern das Wie der Kommunikation in den Blick. Damit verbunden war ein Wechsel der Forschungsperspektive von einer „‚Beobachtung erster Ordnung‘“ – dem Blick auf den Inhalt der Kommunikation – zu einer „Beobachtung zweiter Ordnung“, die das „Augenmerk auf den modus operandi der thematischen Anschlüsse, das heißt auf ‚die spezifischen Weichen- und Problemstellungen bei der Behandlung‘ eines Themas und ‚damit dem für die Behandlung ausschlaggebenden Rahmen‘“ lenkte (Vogd 2010: 126, unter Bezug auf Bohnsack 2007; Hervorhebungen i.O.; vgl. auch Vogd 2011: 45).332 Um Aussage für Aussage rekonstruieren zu können, „[w]elche Unterscheidung […] im ersten Zug getroffen, welcher Horizont entworfen [wurde], sodass der nächste Zug als sinnvolle Reaktion/Weiterführung nachvollziehbar wird“, wurden neben der semantischen Rahmung auch die interaktiven Bezüge zwischen einzelnen kommunikativen Äußerungen – die sogenannte „formale Diskursorganisation“ (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 296) – sequenzanalytisch untersucht.

sorgt dafür, dass die Entfernung von der vorgestellten Ontologie nur Schrittweise erfolgt und immer wieder auch für den Interpreten rekonstruierbar ist“ (Jansen 2013: 55–56). 331 Für eine Illustration dieses Interpretationsschritts vgl. Abschnitt 5.3.1. 332 Durch die Auswahl des Datenkorpus ‚Wirtschaftskommunikation‘ war die primäre Rahmung der Themen als eine Frage von ‚Zahlung/Nicht-Zahlung‘ bereits gesetzt. Wie genau innerhalb dieser Rahmung zwischen zahlungsrelevanten und zahlungsirrelevanten Aspekten in Sach-, Zeit- und Sozialdimension unterschieden wurde, war damit jedoch noch nicht (abschließend) geklärt. Genau auf diese Frage war die reflektierende Interpretation ausgerichtet.

240 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

Bei der Rekonstruktion der semantischen Rahmung der Wirtschaftskommunikation ging es darum, die sich in den verschiedenen Äußerungen dokumentierenden Bedeutungsgehalte als kommunikative Attributionen und damit als Ausdruck wirtschaftssystemischer Erwartungsstrukturen zu entschlüsseln. Dabei wurden die drei im Hinblick auf die systemische Resonanzfähigkeit entscheidenden kommunikativen Strukturmerkmale – die in Sach-, Zeit- und Sozialdimension beobachtungsleitenden Attributionsschemata und -regeln sowie die Formen der transjunktionalen Operationen des Umweltbezugs – ins Zentrum der Analyse gestellt. Geleitet wurde die Rekonstruktion im Anschluss an Przyborski und Wohlrab-Sahr (2014: 295) etwa durch folgende Fragen: „Welche Bestrebungen und/oder welche Abgrenzungen sind in den Redezügen impliziert? Welches Prinzip, welcher Sinngehalt kann die Grundlage der konkreten Äußerung sein?“ Und schließlich: „Welches Prinzip kann mir verschiedene (thematisch) unterschiedliche Äußerungen als Ausdruck desselben ihnen zugrundeliegenden Sinnes verständlich machen?“. Die formale Diskursorganisation beleuchtete dagegen die operative Entfaltung der Kommunikation und die sich darin manifestierenden Bezüge zwischen einzelnen Äußerungen oder Systemoperationen. Dazu wurde die Art und Weise nachvollzogen, in der eine in einer Mitteilung proponierte semantische Rahmung eines bestimmten Themas – beispielsweise die Deutung der Energiewende als unternehmerische Chance – innerhalb einer Passage in anschließenden Äußerungen aus- oder weiterbearbeitet wurde: Wurde sie mit Argumenten oder Beispielen unterlegt (validierende Exemplifizierung), wurde auf die Grenzen dieser Rahmung hingewiesen (Differenzierung) oder wurde sie gar verneint, indem etwa ein gegenläufiger Horizont – zum Beispiel die Rahmung der Energiewende als unternehmerisches Risiko – aufgespannt wurde (Antithese) (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 298–301; Vogd 2011: 44)? 333 Auf diese Weise konnte Aufschluss darüber erlangt werden, inwieweit bestimmte Deutungen systemweit geteilt werden oder umstritten sind. 334 2.2. Komparative Analyse: Die auf diese Weise in den einzelnen Gesprächspassagen rekonstruierten Strukturmerkmale wirtschaftssystemischer Operationen wurden dann im Rahmen einer synchronen komparativen Analyse miteinander verglichen, um Redundanzen im Sinne typischer Attributionsmuster des wirtschaftssystemischen Umweltbezugs auf die Energiewende zu identifizieren. 335 Ihren Ausgang

333 Die dokumentarische Methode spricht hier von der „Proposition“ und der anschließenden „Elaboration“ eines Orientierungsgehalts. Für eine Übersicht zu den verschiedenen Modi der Diskursorganisation vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr (2014: 299). 334 Die formale Diskursorganisation kann vor allem bei der Bestimmung von Resonanzgraden hilfreich sein, da sie nachvollziehbar macht, inwiefern bestimmte systeminterne Deutungen als ‚normal‘ beziehungsweise ‚strittig‘ behandelt werden. Für eine Illustration dieses Interpretationsschritts vgl. Abschnitt 5.3.2. 335 In der synchronen komparativen Analyse werden die Strukturmerkmale verschiedener Gesprächspassagen miteinander verglichen, die innerhalb eines bestimmten Untersuchungszeitraums erhoben wurden. In der diachronen komparativen Analyse – in deren Rahmen sich auch Strukturveränderungen, etwa Resonanzen nachzeichnen lassen – werden dagegen Gesprächspassagen aus unterschiedlichen Untersuchungszeiträumen miteinander verglichen.

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nahm die komparative Analyse von fallimmanenten Vergleichen, bei denen „[v]erschiedene thematisch oder strukturell ähnliche Passagen“ aus einem Fokusgruppeninterview „als Kontrastfolie nebeneinandergehalten [wurden], um eine, zunächst nur provisorische, Interpretation für den einzelnen Fall zu erhalten“ (Jansen 2013: 56–57). Diese ersten Interpretationsergebnisse wurden dann durch fallvergleichende Analysen mit Passagen aus anderen Fokusgruppeninterviews erweitert und in diesem Rahmen validiert, verfeinert oder revidiert, um schließlich zu einer Rekonstruktion der sich in dem betrachteten Ausschnitt der Wirtschaftskommunikation manifestierenden typischen Verstehens- und Prozessierungsformen der Energiewende zu gelangen.336 Schritt 3 der Resonanzanalyse: Charakterisierung der umweltbezogenen Attributionsmuster des Wirtschaftssystems entlang der für die Resonanzfähigkeit relevanten Kriterien Wie bereits erläutert, sind im Kontext der Resonanzanalyse bestimmte Eigenschaften dieser Attributionsmuster von besonderer Bedeutung (vgl. Abschnitt 4.2). Um diese herausarbeiten und daraus Rückschlüsse auf die aktuelle Ausgestaltung der wirtschaftlichen Resonanzfähigkeit – das heißt auf die Irritabilität, Reagibilität und Lernfähigkeit – in Bezug auf die Energiewende ziehen zu können, wurden die in der komparativen Analyse identifizierten Attributionsmuster daher im dritten und letzten Schritt der hier durchgeführten Resonanzanalyse entlang der folgenden Kriterien charakterisiert. 3.1 Rekonstruktion der Irritabilität: Die wirtschaftliche Irritabilität für die Energiewende – die der Wirtschaftskommunikation zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, sich auf die Energiewende zu beziehen und in diesem Kontext auch unerwartete ‚Umweltereignisse‘ zu registrieren – dokumentiert sich in der sachlichen, sozialen wie temporalen Vielschichtigkeit der in den wirtschaftssystemischen Attributionsmustern enthaltenen Verständnisse der Energiewende. Die zentrale Forschungsfrage in Bezug auf die Ausgestaltung der wirtschaftlichen Irritabilität für die Energiewende lautete demnach: Wie beziehungsweise als was wird die Energiewende im Rahmen typischer Attributionsmuster der Wirtschaftskommunikation, retrospektiv gerichtet, verstanden? 3.2 Rekonstruktion der Reagibilität: Die wirtschaftliche Reagibilität für die Energiewende – die wirtschaftssystemische Disposition, handelnd statt erlebend an die Energiewende anzuschließen – zeigt sich in den in den Attributionsmustern enthaltenen Vorstellungen bezüglich der Möglichkeit, des Willens beziehungsweise Notwendigkeit die Energiewende in den eigenen Zahlungsentscheidungen zu berücksichtigen. Die zentrale Forschungsfrage in Bezug auf die Ausgestaltung der wirtschaftlichen Reagibilität für die Energiewende lautete daher: Inwiefern sehen sich Wirtschaftsakteure, prospektiv gerichtet, in der Lage beziehungsweise willens oder genötigt, mit eigenem Handeln auf die Energiewende zu reagieren, indem sie sie in ihre Zahlungskalküle einbeziehen? 3.3 Rekonstruktion der Lernfähigkeit: Die wirtschaftliche Lernfähigkeit für die Energiewende – die wirtschaftssystemische Disposition, sich nicht nur durch verein-

336 Für eine Illustration dieses Interpretationsschritts vgl. Abschnitt 5.3.3.

242 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

zelte Handlungen, sondern strukturell, das heißt durch eine dauerhafte Veränderung der eigenen Entscheidungsprogramme, an die Energiewende anzupassen – manifestiert sich in den systemischen Attributionsmustern in der Art und Weise, in der mit Erwartungsenttäuschungen umgegangen wird: Werden sie als Anlass zur Anpassung der eigenen Erwartungen verstanden oder wird der mit ihnen verbundene Anpassungsdruck ignoriert beziehungsweise auf die ‚Umwelt‘ externalisiert? Dies hängt wiederum mit der normativen beziehungsweise kognitiven Modalisierung dieser Erwartungen zusammen. Während Enttäuschungen im Rahmen kognitiver Erwartungen eher zu einer systeminternen Selbstanpassung führen, werden normative Erwartungen auch im Enttäuschungsfall kaum revidiert. Die zentrale Forschungsfrage zur Erfassung der wirtschaftlichen Lernfähigkeit in Bezug auf die Energiewende lautete folglich: Inwiefern werden eventuell mit der Energiewende verbundene Enttäuschungen wirtschaftlicher Erwartungen und Routinen, prospektiv gerichtet, als Anlass für deren Anpassung betrachtet, anstatt ignoriert oder auf die ‚Umwelt‘ externalisiert zu werden? Im nächsten Abschnitt 5.3 werden die einzelnen Schritte der Resonanzanalyse anhand von aussagekräftigen Passagen aus dem empirischen Material illustriert. In diesem Kontext werden zudem bereits erste, vorläufige Analyseergebnisse im Hinblick auf die aktuelle Ausgestaltung der wirtschaftssystemischen Resonanzfähigkeit für die Energiewende formuliert und in ihrer Aussagekraft und Reichweite kritisch reflektiert.

5.3 KONTEXTURANALYTISCHE REKONSTRUKTION DER WIRTSCHAFTSSYSTEMISCHEN RESONANZFÄHIGKEIT FÜR DIE ENERGIEWENDE ANHAND DES DATENMATERIALS Die folgenden Ausführungen zielen darauf ab, die im vorangegangenen Abschnitt dargelegten Analyseschritte anhand des empirischen Materials – den im Rahmen des Forschungsprojekts „Investitionsschub durch die deutsche Energiewende in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise“ durchgeführten Fokusgruppeninterviews – schrittweise nachzuvollziehen. Daraus sollen auch bereits erste vorsichtige Schlüsse auf die Ausgestaltung der wirtschaftssystemischen Resonanzfähigkeit für die Energiewende gezogen werden. Zunächst wird der erste Analyseschritt, die sequenzanalytische Rekonstruktion von Wirtschaftskommunikation, die den Datenkorpus der Analyse bildet, sowie die im Rahmen der formulierenden Interpretation vorgenommene Systematisierung der in der Wirtschaftskommunikation verhandelten Themen, illustriert (Abschnitt 5.3.1). Daran anschließend werden zwei exemplarische Passagen aus dem dritten Fokusgruppeninterview herangezogen, um den Analyseschritt 2.1 – die reflektierende Interpretation – nachzuvollziehen. In diesem Kontext soll gezeigt werden, wie die für die Ausgestaltung der systemischen Resonanzfähigkeit zentralen kommunikativen Strukturmerkmale – die die Wirtschaftskommunikation in Sach-, Zeit- und Sozialdimension kennzeichnenden Attributionsschemata und -regeln sowie die transjunktionalen Operationen des systemischen Umweltbezugs – sequenzanalytisch rekonstruiert werden können (Abschnitt 5.3.2). Abschnitt 5.3.3 ist den letzten beiden

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Analyseschritten der Resonanzanalyse gewidmet: Der komparativen Analyse der sich in der Wirtschaftskommunikation dokumentierenden Strukturmerkmale über verschiedene Passagen hinweg sowie der Charakterisierung der auf diese Weise herausgearbeiteten wirtschaftstypischen Attributionsmuster in Bezug auf die Energiewende entlang der für die systemische Resonanzfähigkeit ausschlaggebenden Kriterien. Als vorläufiges Ergebnis der Resonanzanalyse konnten zwei typische wirtschaftslogische Verstehens- und Prozessierungsformen der Energiewende identifiziert werden: die wirtschaftssystemische Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ und die wirtschaftssystemische Binnenkontextur ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘. Der Abschnitt schließt ab mit einem Zwischenfazit, in dem sowohl die sich aus der ersten explorativen Auseinandersetzung mit dem empirischen Material ergebenden Ergebnisse zusammengefasst und diskutiert als auch daran anschließende inhaltliche wie methodische Fragen aufgeworfen werden (Abschnitt 5.3.4). 5.3.1 Erstellung des Datenkorpus: Wirtschaftskommunikation und ihre thematischen Bezüge zur Energiewende Der Datenkorpus der Resonanzanalyse setzte sich aus all jenen kommunikativen Äußerungen zusammen, die sich als Wirtschaftskommunikation charakterisieren lassen. Wie bereits ausgeführt, wird die Systemzugehörigkeit einer Äußerung im Rahmen der systemtheoretisch informierten empirischen Sozialforschung anhand der Art und Weise bestimmt, in der sich diese Äußerung auf vorangegangene Mitteilungen bezieht: Das operative Verstehen – die Selektion einer Information aus einer vorangegangenen Mitteilung – legt fest, welches System durch eine bestimmte kommunikative Operation reproduziert wird. Dementsprechend basiert die Identifikation von Wirtschaftskommunikation auf der sequenzanalytischen Rekonstruktion der sich im empirischen Material manifestierenden Verstehenskriterien. Sämtliche kommunikative Anschlüsse, die sich für die Zahlungsrelevanz oder -irrelevanz vorangegangener Mitteilungsereignisse interessieren, können als Elemente des Wirtschaftssystems betrachtet und als solche in den Datenkorpus der Resonanzanalyse eingeschlossen werden. Alle Anschlüsse, die Informationen auf der Basis anderer Attributionsschemata selegieren – etwa der Unterscheidung wahr/falsch, machtüberlegen/-unterlegen oder Begrüßung/Verabschiedung – gehören, als wissenschaftliche, politische oder reine Interaktionskommunikationen, dagegen nicht zum Wirtschaftssystem. Aus diesem Grund werden solche kommunikativen Operationen in den folgenden Analyseschritten nicht berücksichtigt. Insgesamt konnten im Rahmen der Sequenzanalyse der Fokusgruppeninterviews 36 Passagen Wirtschaftskommunikation identifiziert werden, in denen eine Reihe verschiedener Themen verhandelt wurden. Die vielfältige thematische Ausrichtung wirtschaftslogischer Operationen wurde in der formulierenden Interpretation näher in den Blick genommen. Neben der aktuell eher schleppenden Umsetzung von Investitionen in Energieeffizienz, die in fünf dieser Passagen das Oberthema bildete (Passagen 13, 17, 30, 34 und 35), wurde etwa über unternehmerisch günstige oder ungünstige Investitionsbedingungen im Kontext der Energiewende (Passagen 4, 8, 16, 18, 25, 26, 27 und 33), das durch den Staat im Rahmen der Energiewende bereitgestellte

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regulatorische Design (Passagen 6, 10, 12, 14, 19, 20, 23 und 31) oder die ambivalente Rolle der Energiewende im Hinblick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen gesprochen (Passagen 3, 9, 29, 32 und 36). 337 Zur Darstellung der Ausschnitte aus dem empirischen Material ist Folgendes zu beachten: In der Form ‚P1: 34‘ werden stets die Nummer der Passage (hier Passage 1) sowie die Zeilennummer (hier Zeile 34), an deren Stelle sich der zitierte Ausschnitt innerhalb dieser Passage befindet, ausgewiesen. Die anonymisierten Transkripte der Fokusgruppengespräche können auf Nachfrage eingesehen werden. Die für die Transkription verwendeten Transkriptionsregeln (in Anlehnung an Przyborski 2004: 331–334) sind in Anhang 2 dargelegt. Erläuterungen zu den anonymisierten Personenbezeichnungen finden sich in Anhang 3. Der Buchstabe des verwendeten Alias bezeichnet stets die Branche, aus der die Organisationsmitglieder stammen: E für Energiewirtschaft, F für institutionelle Investoren/Finanzwirtschaft, I für Industrieunternehmen oder -verbände, K für Unternehmen aus der Informations- und Kommunikationstechnologie, N für Netzbetreiber, W für Mitglieder wissenschaftlicher Forschungseinrichtungen, B für Mitglieder von Bundesagenturen und G und Z für Mitglieder von Gewerkschaften beziehungsweise (anderen) zivilgesellschaftlichen Organisationen. Die Mitglieder des Forschungsteams, die die Moderation der Fokusgruppeninterviews übernommen haben, werden mit M bezeichnet. Die vergebene Nummer spiegelt – über alle Fokusgruppeninterviews hinweg – die Reihenfolge wider, in der die Gesprächsteilnehmer*innen das Wort ergreifen. Um die Anonymität der Gesprächsteilnehmer*innen zu wahren, von denen nur wenige weiblich waren, wird in der Darstellung stets von Teilnehmer*innen oder Ähnlichem gesprochen. Die Darstellung des empirischen Materials sowie dessen Interpretation orientieren sich an den Standards der dokumentarischen Methode beziehungsweise der Kontexturanalyse.338 Bei der Illustration der Sequenzanalyse (Abschnitte 5.3.1 und 5.3.2) werden vergleichsweise lange Passagen zitiert, um die operative Entfaltung der Kommunikation im Gesprächsverlauf zu dokumentieren. Dabei werden in Bezug auf die leitende Fragestellung besonders relevante Textpassagen, die auch im Fließtext aufgegriffen werden, durch Kursivsetzung hervorgehoben. In der komparativen Analyse, in der die verschiedenen Passagen zu ersten sinngenetischen Typen verdichtet werden (Abschnitt 5.3.3), werden dagegen eher kürzere, exemplarische Ausschnitte aus dem empirischen Material herangezogen, an denen sich die für den jeweiligen Typus charakteristische Deutungsweise nachzeichnen lässt. In welchen Formen sich wirtschaftlich codierte Kommunikation konkret manifestiert, kann beispielhaft anhand der sequenzanalytischen Auseinandersetzung mit den folgenden zwei Gesprächsausschnitten aus den Passagen 1 und 17 verdeutlicht werden. In diesen Passagen werden der deutsche Atomausstieg sowie die Förderung von Investitionen in Energieeffizienz im Rahmen des konstitutiven wirtschaftssystemi-

337 Eine tabellarische Übersicht, in der die Oberthemen aller 36 Passagen Wirtschaftskommunikation aufgeführt sind, befindet sich im Anhang 1. 338 Vgl. zur Präsentation von Material und Interpretation im Rahmen der dokumentarischen Methode Przyborski (2004) sowie Przyborski/Wohlrab-Sahr (2014: 305–314) und im Rahmen der Kontexturanalyse Vogd (2011: 51–76) und Vogd/Harth (2019).

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schen Attributionsschemas ‚Zahlung/Nicht-Zahlung‘ beziehungsweise ‚rentabel/ unrentabel‘ verhandelt. In der ersten Gesprächssequenz, die dem ersten Fokusgruppeninterview entnommen ist (vgl. P1: 55–68 sowie 71–81), erläutert E1, Mitglied eines kommunalen Energieversorgers, wie sich die vier größten deutschen Energieversorger RWE, EnBW, Vattenfall und E.on – die er*sie als die vier „Großen“ bezeichnet (P1: 55) – auf den politischen Beschluss zum deutschen Atomausstieg eingestellt haben. E2, ebenfalls Mitglied eines Energieversorgungsunternehmens, pflichtet E1 in seinen*ihren Ausführungen mehrfach bei (P1: 59, 74, 78). E1:

E2: E1:

E2: E1:

Das würde sicherlich auch die also vier Großen, also bis 2011, also bis Fukushima glaube ich, gab es keinen Plan B; oder nicht glaub ich, sondern weiß ich dass es keinen Plan B gab äh für den Fall dass das Land tatsächlich mit dem Kernernergieaus- ausstieg dann auch ernst gemeint würde [Mhm [sondern bis dahin hat man also Vereinbarungen 2000 hin oder her gedacht na ja, wenn die Schwarzen dann wieder kommen dann gibts ne Laufzeitverlängerung und das ganze andere Gekruschtel das kann man mal so sein lassen und da tauchen wa durch. So, und was war dann? Nix war (.) äh es zeigte sich äh die Bevölkerung war war dage:gen und ich glaube (.) 2021 glaub ich geht das letzte ein oder zwei-? [Zwei-undzwangig [Zweiundzwanzig geht das letzte vom Netz

Wie E1 darlegt, hatten die großen Energieversorgungsunternehmen die ursprünglich im Jahr 2000 getroffene politische Entscheidung zum Atomausstieg bis 2020, 339 retrospektiv gerichtet, zunächst nicht als ernstzunehmende, das heißt: nicht als tatsächlich verbindliche und damit ökonomisch relevante Entscheidung wahrgenommen. Da es den betreffenden Unternehmen nicht plausibel erschien, „dass das Land tatsächlich mit dem Kernenergieausstieg dann auch ernst“ (P1: 57–58) machen würde, leiteten sie, prospektiv gerichtet, keinerlei Veränderungen ihres Geschäftsmodells in Richtung alternativer Energieträger ein. Anstatt einen „Plan B“ zu entwickeln, setzten sie vielmehr darauf, dass der Beschluss zum Atomausstieg von einer späteren, konservativen Regierung – den „Schwarzen“ (P1: 61) – wieder revidiert werden würde. Kurz: sie gingen davon aus, dass sie unter der geplanten Regulierung ‚durchtauchen‘ (P1: 63) und auch nach 2020 weiterhin Zahlungen durch Atomstrom generieren können würden. Der entscheidende historische Einschnitt, der diese Strategie letztlich scheitern ließ, war die Reaktorkatastrophe, die sich 2011 im japanischen Fukushima ereignete (P1: 55). In Reaktion auf dieses Ereignis drehte sich in Deutschland die öffentliche Meinung in puncto Atomenergie: Es zeigte sich, dass „die Bevölkerung […] dagegen“ war (P1: 64), weiterhin auf Kernkraft zu setzen. Aus

339 Vgl. Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14, Juni 2000. Online abrufbar unter: https://www.bmu.de/down load/vereinbarung-zwischen-der-bundesregierung-und-den-energieversorgungsunternehm en-vom-14-juni-2000/; zuletzt abgerufen am 05.02.2021.

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diesem Grund wurde die „Laufzeitverlängerung“ der Atomkraftwerke (P1: 62),340 die in der Zwischenzeit tatsächlich, wie von den Unternehmen antizipiert, von einer konservativen Regierung beschlossen worden war, wieder zurückgenommen. 341 Stattdessen wurde nun doch der ursprüngliche politische Ausstiegsbeschluss realisiert. Nun war klar, dass „das letzte“ deutsche Atomkraftwerk im Jahr 2022 „vom Netz“ gehen würde (P1: 67–68). Was dies für das Geschäftsmodell der großen Energieversorger bedeutet, führt E1 im Anschluss weiter aus: 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81

E1: E2: E1: E2: E1:

und äh ähm also man könnte jetzt theoretisch für ein paar Anlagen wahrscheinlich den Hebel noch rumwerfen, aber das wird niemand machen, weil er eben tatsächlich volle Fahrt voraus in die andere Richtung [genau [der eine schneller der andere langsamer ist (.) und dann nochmal Geld dafür auszugeben ähm, das wär ja rausgeschmissen °also° ( ) Kernenergie ist nicht [genau [mehr kapitalmarktfähig (.) das ist einfach so. also deswegen hab ich auch gar keine Angst vor irgendeiner großen Reconquista die da kommt das kann kein Mensch bezahlen

Hier zeigt sich nun deutlich, dass es sich bei E1 Schilderung um Wirtschaftskommunikation handelt. Die politische Entscheidung zum Atomausstieg wird im Hinblick auf seine wirtschaftliche Bedeutung, das heißt vor dem Hintergrund des Attributionsschemas ‚Zahlung/Nicht-Zahlung‘ diskutiert. Die Relevanz des Atomausstiegs rührt daher, dass sie bewirkt, dass „Kernenergie“ nun endgültig „nicht mehr kapitalmarkfähig“ ist und dass es daher, ökonomisch betrachtet, ‚rausgeschmissenes Geld‘ (P1: 76–79) auch nach 2011 weiterhin auf eine Rücknahme des Ausstiegsbeschlusses zu drängen. Denn „das“, wie E1 resümiert „kann kein Mensch bezahlen“ (P1: 81). In der zweiten Gesprächssequenz, einem Ausschnitt aus dem dritten Fokusgruppeninterview, wird ein anderes Thema – die im Rahmen der Energiewende angestrebte Förderung von Energieeffizienz – in ähnlicher, wirtschaftslogischer Form verhandelt. Hier diskutieren drei Unternehmensmitglieder, F4 und F5 aus der Finanzwirtschaft und I3 aus der Realwirtschaft, darüber, weshalb die energetische Sanierung von Gebäuden aktuell nicht in dem politisch beabsichtigten Maße umgesetzt wird (vgl. P17: 274–309). Die Problemdiagnose von F4 ist diesbezüglich eindeutig: Die Umsetzung solcher Energieeffizienzmaßnahmen stockt, weil sich diese, ökonomisch betrachtet, nicht rechnen: 274 275 276

F4:

ähm (.) also wir kommen immer wieder zu der Frage (.) mei- meines Erachtens über Anreize (.) Informationen (.) Subventionen (.) diese Gemengelage in Summe ähm entscheidet darüber ob in Maßnahmen investiert wird oder nicht

340 Vgl. Elftes Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 8. Dezember 2010 (Bundesgesetzblatt 2010). 341 Vgl. Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 31. Juli 2011 (Bundesgesetzblatt 2011: 1704–1705).

5. Illustrative Fallstudie | 247

Diese Aussage kann insofern als eine Operation des Wirtschaftssystems gedeutet werden, als sich das in ihr dokumentierte operative Verstehen an dessen konstitutivem Attributionsschema orientiert: Die Steigerung von Energieeffizienz wird hier vor dem Hintergrund ihrer Zahlungsrelevanz, nämlich als Investition behandelt, die dann – und nur dann – getätigt werden kann, wenn sie sich ökonomisch rechnet. Ob dies der Fall ist oder nicht hängt wiederum, so F4, von der „Gemengelage“ verschiedener Kostenfaktoren – von „Anreize[n], Informationen“ und „Subventionen“ – ab (P17: 275). Im Anschluss an diese Aussage hakt zunächst F5 und im weiteren Gesprächsverlauf auch I3 kritisch ein. In der Manier einer Differenzierung, die die Grenzen der von F4 proponierten wirtschaftslogischen Orientierung auslotet („Da bin ich mir nicht so sicher“ (P17: 277), „Nee“ (P17: 289), „Wobei das“ (P17: 291), „Naja“ (P17: 293)), weisen sie darauf hin, dass auch andere, gegebenenfalls sogar nichtmonetäre Gründe der Umsetzung von Effizienzmaßnahmen entgegenstehen könnten. Um seine*ihre Zweifel an F4s Problemdiagnose zu untermauern, exemplifiziert F5 seine*ihre Differenzierung anhand von zwei Fällen, in denen das Ausbleiben von Effizienzmaßnahmen nicht auf deren fehlende Rentabilität zurückgeführt werden kann: Es sind nicht nur „die Siebzigjährigen“ (P17: 280), für die sich solche langfristigen Investitionen aufgrund des „Erbdilemma[s]“ (P17: 307) nicht (mehr) lohnen, die zu wenig sanieren. Ebenso werden „die ganzen Wohnungsbaugesellschaften“ trotz vorhandener ökonomischer Anreize „nicht in dem Maße aktiv“ (P17: 302–303), wie es, wirtschaftlich betrachtet, rentabel wäre. Vor diesem Hintergrund stellt F5 infrage, ob es nicht vielleicht auch „andere Hemmnisse“ (P17: 301) geben könnte, die der Förderung von Energieeffizienz entgegenstehen. Ergänzend dazu wirft I3 ein, dass „die demografische Struktur […] da auch noch ne Rolle [spielt]“ (P17: 293–294). F5: Da bin ich mir nicht so sicher ((Name F4)). Also grad der Gebäudebereich F4: [Ja? F5: [Der private also es sind ja irgendwie nicht nur die Siebzigjährigen, die nicht sanieren, sondern wir sehen eigentlich insgesamt (.) viel zu wenig Sanierungen und wir sehen jetzt F4: [Ja und je- darf ich einhaken? F5: [wir sehen jetzt F4: [Und wissen Sie warum? Weil weil de- weils den Leuten noch nicht wichtig genug ist, weil sie den Tritt noch in den Hintern noch nicht bekommen haben oder weil sich die Amortisationszeit erst fuffzehn Jahre später ergibt I3: [((unverständlicher Kommentar))] F5: [Nee F4: weil sie den Tritt noch in den Hintern noch nicht bekommen haben I3: [wobei das F4: oder weil sich die Amortisationszeit erst 15 Jahre später ergibt I3: [Naja die demografische Struktur spielt da auch noch ne Rolle F5: [ja, oder weil sie irgendwie noch nicht genug Geld geschenkt bekommen @(.)@ F4: [ja F5: [ähm äh es das wäre ja in der Logik auch ein Argument, aber das ist natürlich die Frage äh erhöhe ich eigentlich die Subven-

277 278 279 280 281 282 283 284 285 286 287 288 289 290 291 292 293 294 295 296 297 298 299

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tionen oder die Anreize ((M1: mhm)) äh neutraler gesprochen, eigentlich soweit, bis die Leute sich bewegen oder gibt es nicht andere Hemmnisse, wo ich hier äh äh viel eleganter was machen könnte, also warum beispielsweise werden denn die ganzen Wohnungsbaugesellschaften nicht in dem Maße aktiv äh wenn ich momentan eigentlich sowieso äh relativ gut n relativ gutes Zinsniveau hab, äh irgendwie Planungssicherheit hab, weil ich genau weiß äh hier werd ich irgendwie drüber einsparen, ich weiß, dass ich mich äh vor steigenden Reparaturen und so weiter schützen kann, stellt sich ja schon die Frage: jemand, der off- offensichtlich nicht in diesem Erbdilemma steckt ((M1: ja)) warum wird der denn da nicht aktiv? F4: Kann er das auf die Miete umlegen? Verdient das schnell genug? Von diesen Zweifeln lässt sich F4 jedoch ebenso wenig irritieren wie von der scherzhaft-ironischen Distanzierung vonseiten F5s, der*die mit einem kurzen Lachen darauf hinweist, dass die schleppende Umsetzung der energetischen Gebäudesanierung – in der von F4 vorgeschlagenen „Logik“ – ja auch darauf zurückzuführen sein könnte, dass die jeweiligen Investoren „irgendwie noch nicht genug Geld geschenkt bekommen“ (P17: 298, 295–296). Diese Bemerkung quittiert F4 mit einem knappen „ja“ (P17: 297). Auf die anderen Einwände reagiert er*sie mit einer Rationalisierung der jeweils vorgebrachten Gegenbeispiele, die diese in den Rahmen des Attributionsschemas Zahlung/Nicht-Zahlung assimilieren. Auch diese Effizienzinvestitionen bleiben deshalb aus – so F4s Vermutung –, weil sie sich nicht rentieren: Weil „sich die Amortisationszeit erst fünfzehn Jahre später ergibt“ (P17: 292) oder die Sanierungskosten sich nicht „auf die Miete umlegen“ (P17: 309) lassen. Auf diese Weise wird gleichsam die Weiterführung der Wirtschaftskommunikation gegenüber einem Referenzwechsel in eine andere Verstehenslogik abgesichert. Das ausschlaggebende Kriterium, vor dessen Hintergrund die schleppende Umsetzung energetischer Sanierung sinnhaft gedeutet werden kann, bleibt stets gerahmt von der an Zahlungsrelevanz orientierten Frage: „Verdient das schnell genug?“ (P17: 309). Dass die sich in diesen Gesprächsausschnitten dokumentierenden wirtschaftslogischen Prozessierungen nicht die einzig mögliche semantische Rahmung ist, vor deren Hintergrund sich die Energiewende und deren Ziele diskutieren lassen, wird deutlich, wenn man sich mögliche Alternativen vor Augen führt. Wissenschaftliche Kommunikation würde hier vielleicht nach technologischen Aspekten fragen. Aus politischer Perspektive könnte man die unzureichende gesellschaftliche Akzeptanz für zu strikte Auflagen zur Gebäudedämmung als Erklärung dafür anführen, dass regulatorische Anreizstrukturen oder Vorschriften zur Förderung von Energieeffizienz nicht umgesetzt werden (können). Erziehungskommunikation schließlich könnte – wie etwa I3 dies im folgenden Gesprächsausschnitt tut (P17: 233–244) – mit der Frage anschließen, was man tun könnte, um Personen zu energiesparenderem Verhalten zu bewegen:

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I3: Nee (.) ich- ich frag mich dann halt immer das ist jetzt so ein bisschen weg von dem ganzen ähm ökonomischen oder technologischen äh Aspekten, ob wir da nicht einfach ähm warten müssen bis das quasi so im Bewusstsein verankert ist also einfach ne Generation ähm dass das wie so logisch ist (.) also dass es äh ganz klar ist, dass wenn ich ne Produktionsstätte aufbaue ich sowieso von vornherein ein integriertes ähm Energiemanagement mit einbaue und das nicht nur so als Gimmick mache (.) also das ist immer auch so ein bisschen ne, wenn wir auch sagen es ist zu wenig Transpar- Transparenz da es ist zu wenig Bewusstsein da (.) auch grade wenn es darum geht ähm die Erneuerbaren werden

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unglaublich präsent wahrgenommen ähm während die Energieeffizienz auch auch jetzt bei den Leuten, die sehr grün unterwegs sind, einfach noch nicht so richtig da ist (.) also vie- vielleicht ähm (.) muss man da nachhaltig @(.)@ in eine sehr große Kampagne und in Erziehung investieren oder so (.) Solche semantischen Rahmungen, die sich nicht an der Unterscheidung von Zahlung/Nicht-Zahlung orientieren, wurden nicht in den Datenkorpus der Resonanzanalyse übernommen. 5.3.2 Sequenzanalytische Rekonstruktion kommunikativer Strukturmerkmale: Wirtschaftssystemische Attributionsschemata und -regeln sowie transjunktionale Operationen des systemischen Umweltbezugs Dass sich die in den Datenkorpus der Resonanzanalyse einbezogenen Kommunikationsprozesse am Kriterium der Zahlungsrelevanz orientieren und aus diesem Grund als Operationen des Wirtschaftssystems angesehen werden können, sagt für sich genommen noch nicht allzu viel darüber aus, wie genau ‚Umweltereignisse‘ in diesem Rahmen, retrospektiv gerichtet, sinnhaft bestimmt und, prospektiv gerichtet, weiter prozessiert werden können. Welche Erwartungsstrukturen über das systemkonstitutive Schema des Wirtschaftssystems – ‚Zahlung/Nicht-Zahlung‘ beziehungsweise ‚rentabel/unrentabel‘ – hinaus in der hier betrachteten Wirtschaftskommunikation operativ wirksam sind, lässt sich erst durch eine tiefergehende sequenzanalytische Auseinandersetzung mit dem Datenkorpus bestimmen. Diese ist auf die Rekonstruktion der für die Resonanzanalyse wesentlichen Strukturmerkmale gerichtet: die die Wirtschaftskommunikation in Sach-, Zeit- und Sozialdimension leitenden Attributionsschemata und -regeln sowie die Formen des operativen Grenzmanagements – die transjunktionalen Operationen –, mittels derer die wirtschaftssystemischen Bezüge zur ‚Umwelt‘ organisiert werden. Wie im Folgenden an zwei exemplarischen Stellen aus dem empirischen Material dargelegt wird, werden dabei sowohl die semantische Rahmung einzelner Aussagen (Semantikanalyse) als auch die interoperationalen Bezüge zwischen verschiedenen Aussagen (Analyse der formalen Diskursorganisation) in den Blick genommen. Die Gesprächsausschnitte, die zur Illustration der Sequenzanalyse herangezogen werden, sind ebenfalls dem dritten Fokusgruppeninterview entnommen. 342 Der erste Ausschnitt setzt unmittelbar nach der Vorstellungsrunde ein, bei der jede*r der Gesprächsteilnehmer*innen zunächst die Gelegenheit bekam, ein paar einleitende Worte zu ihrer oder seiner Organisation, der eigenen Rolle in dieser Organisation sowie zu deren Bezug zur Energiewende zu sagen. Nachdem er*sie diese Ausführungen

342 Bei diesen handelt es sich um Ausschnitte aus den Passagen 16, Zeile 1–59 und 17, Zeile 124–221. Zwischen dem ersten und dem zweiten Gesprächsausschnitt liegen circa zehn Minuten. Die Sequenzanalyse der Passage 16 wurde im Rahmen der qualitativen Forschungswerkstatt der Universität Erfurt gemeinsam mit anderen Forscher*innen durchgeführt. Ich danke Hermine Bähr, Lena Burth, Victoria Fischer, Ulrich Franke und Manuel Kautz vielmals für ihre Beiträge.

241 242 243 244

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nochmals knapp zusammengefasst hat, stellt M2, eine*r der Moderator*innen aus dem Forschungsteam, die Frage in den Raum, welche unternehmerischen Chancen die Gesprächsteilnehmer*innen mit der Energiewende verbinden. Nach einer kurzen, fünf Sekunden andauernden Pause ergreift F4 das Wort. Als Vertreter*in eines institutionellen Investors stellt er*sie in seiner*ihrer Antwort auf M2s Frage das Thema der „Finanzierung der Energiewende“ (P16: 20–21, 34) ins Zentrum seiner*ihrer Ausführungen: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

M2:

M2: F4:

Gut, wir haben jetzt in der Vorstellungsrunde schon einige Aufschläge gehört von ICT über Energieeffizienz bis E-Mobilität und so weiter, das sind Themen ähm, die uns interessieren ähm wir wollten erstmal ganz allgemein fragen ähm vor dem Hintergrund, dass Sie wichtig für uns sind, für unsere weitere Forschung ähm und wir gemeinsam eigentlich die Energiewende gerne nach vorne denken würden ähm wo Sie eigentlich ähm jeweils Chancen, Geschäftsmodelle, der Begriff ist eben gefallen, Geschäftsfelder der Zukunft sehen im Rahmen der Energiewende, und vor allem Chancen, die durch die Energiewende entstehen ähm für Ihr Unternehmen ganz konkret und für ihre Organisation. Wir haben ein paar Punkte schon gehört ähm wenn Sie da vielleicht nochmal kurz sagen könnten ähm bisschen in die Zukunft gedacht, wir haben eben gehört drei Jahre plus, man kann auch gerne noch weiter gehen und ein bisschen weiter nach vorne denken, strategisch, ähm wo geht ihre Organisation, ihr Unternehmen hin, wo sind Chancen, die durch die Energiewende aufkommen °in nächster Zeit°? ähm (4) Genau, man kann erstmal auch nen kleinen Moment sich Gedanken machen, was man sagen möchte, das muss jetzt nicht aus der Pistole geschossen kommen, ich seh schon einige schreiben, die Zeit sollen sie auch gerne bekommen, aber ähm (5) Ja gerne? Ich kann gerne anfangen ähm es gibt ja in den let- in den letzten Jahren gibt's ja relativ viele ähm Konferenzen mit dem Thema Fin- mit dem zum Thema Finanzierung der Energiewende (.) ich find die Antwort eigentlich immer relativ einfach, wenn man so auf die, zumindest auf die Historie schaut ähm (.) nämlich die lautet bislang (.) oder vielleicht in zwei Blöcke unterteilt, es gibt einige Maßnahmen, die rentieren sich, und die werden auch gemacht, wenn es zum Investitionszyklus passt - das ist meistens Energieeffizienzthemen, also wenn man ohnehin ein Haus renoviert, dann investiert man in neuere Standards, wenn man ohnehin den Maschinenpark austauscht, dann schaut man, dass man sich effizientere Maschinen anschaut, wenn man ohnehin in den Fuhrpark investiert, dann versucht man effizientere Fahrzeuge anzuschaffen. Das sind Dinge, die gemacht werden, wo man auch nicht wirklich größere Impulse von Seiten des Staates benötigt. Also das ist die eine Seite, diese rech- die sich rechnet - alles andere, nach meiner Überzeugung wird alles das gemacht und umgesetzt, was subventioniert wird aktuell, und alles und alles andere was nicht subventioniert wird findet derzeit nicht statt. Und das ist eigentlich die kurze Antwort zur Frage Finanzierung der Energiewende

Dass es sich bei diesem Gesprächsausschnitt um Wirtschaftskommunikation handelt, zeigt sich in der Art und Weise, in der F4 seine*ihre „kurze Antwort zur Frage Finanzierung der Energiewende“ (P16: 34–35) rahmt: Das in der Sachdimension beobachtungsleitende Attributionsschema, vor dessen Hintergrund die Energiewende verstanden wird, besteht, retrospektiv gerichtet, in der Unterscheidung dessen, was sich „rentier[t]“ oder „rechnet“ (P16: 24, 32) als positiver Horizont, der von dem ne-

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gativen Gegenhorizont „alles andere“ (P16: 32), also allem, was sich nicht rechnet, abgegrenzt wird. Prospektiv gerichtet können all jene energiewendebezogenen Maßnahmen oder Investitionen, die sich rechnen, im Rahmen wirtschaftlicher Aktivitäten realisiert werden (P16: 25: „und die werden auch gemacht“), während all jene Maßnahmen oder Investitionen, die sich nicht rentieren, nicht umgesetzt werden können (P16: 33–34: „und alles andere […] findet derzeit nicht statt“). In diesem Abschnitt dokumentiert sich also zunächst das, was Nassehi (2015: 213) als grundlegende und unhintergehbare „Geschäftsgrundlage“ des Wirtschaftssystems bezeichnet hat: „Ökonomisch möglich ist nur, was sich ökonomisch rechnet“. F4s Ausführungen machen zudem deutlich, wovon es – von seinem*ihrem Beobachterstandpunkt aus betrachtet – im konkreten Fall der Energiewende abhängt, ob sich etwas ökonomisch rechnet oder nicht und geben damit Aufschluss über die Attributionsregeln, die die operative Verwendung des Schemas ‚was sich rechnet/nicht rechnet‘ anleiten. F4 unterteilt diese Attributionsregeln im Hinblick auf den positiven Horizont dessen, was sich rechnet, in „zwei Blöcke“ (P16: 24). Der erste Block besteht aus denjenigen Maßnahmen oder Investitionen, die sich auch ohne „größere Impulse vonseiten des Staates“ (P16: 31) rentieren. Dies gilt für all jene Maßnahmen, die im Rhythmus des normalen unternehmerischen Investitionszyklus „ohnehin“ (P16: 26, 27, 29) anstehen und die in diesem Zuge zusätzlich auf ihre Energieeffizienz hin (mit-)optimiert werden. Die recht knappe Exemplifizierung dieser Maßnahmen an Investitionen in Gebäude, den Maschinen- oder Fuhrpark, die in drei strukturidentischen Sätzen erfolgt (P16: 27–29), lässt darauf schließen, dass es sich bei dieser Art von Investitionen um normale, das heißt in die unternehmerischen Routinen eingelassene Investitionen handelt. Der zweite Block, dem F4 in der Folge vergleichsweise mehr Aufmerksamkeit schenkt, besteht dagegen aus all jenen energiewendebezogenen Maßnahmen oder Investitionen, die „aktuell“ durch den Staat „subventioniert“ werden (P16: 33). In diesem Kontext wird auch erstmals spezifiziert, wann sich etwas „nicht rechnet“; nämlich immer dann, wenn der Staat nicht oder nicht ausreichend subventioniert (P16: 33–35). Auch in Bezug auf diesen zweiten Block staatlich subventionierter energiewendebezogener Maßnahmen führt F4 eine Reihe von Beispielen an, die seine*ihre Orientierung im Positiven wie Negativen exemplifizieren: F4:

Das funktioniert bei den Erneuerbaren wo wir das EEG, ne gesicherte Rendite haben, das ist für (.) die (.) operativen Kollegen das beste, was passieren kann (.) der Staat übernimmt die Risiken und (.) was soll passieren. Also, ein Geschäft, mit dem man gesichert Geld verdienen kann ohne dass was passiert, weil über die EEGUmlage und über die garantierten äh Vergütungen (.) äh sich ein solches Investment auf jeden Fall rentiert. Wo nicht investiert wird ist derzeit zum Beispiel äh in konventionelle Kraftwerke, weil die zu wenig Auslastung haben. Deshalb diskutieren wir über Kapazitätsmärkte. Äh wo nicht, oder zu wenig investiert wird, obwohl es (.) durchaus ja auch Anreizregulierung gibt, ist der Bereich Netze, wo nicht investiert wird sind Speicher, weil es keine Subventionen gibt, äh (2) wo noch viel zu wenig investiert wird, und was mich auch am meisten ärgert, was in der Energiewendediskussion viel zu kurz kommt, ist das Thema Gebäude - Wärmemarkt, ne, wir diskutieren immer über diesen Strombereich, auch heute das (.) der Kabinettsbeschluss ähm zum EEG, das ist eigentlich nur das Stromthema (.) alles andere lassen wir außen vor, und auch dort sind

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M1: I3: F4:

[mh [ja aber das[sind die Anreize eventuell zu: gering als dass au:sreichend zumindest investiert würde um das (2) ja umzusetzen, was man sich denn als Ziele vor- äh vorstellt. Und das ist für mich so die grobe Einteilung eigentlich aus der volkswirtschaftlichen Perspektiv- Perspektive natürlich (.) dort wo Subventionen fließen wird investiert dort wo noch keine Subventionen fließen passiert wenig bis zu (.) genau bis nichts (2) abgesehen von natürlich von nem Effizienzbereich wo wenn's passend zumindest zu- zum Investitionszyklus passt ähm schon einiges passiert

F4s Ausführungen zum Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verdeutlichen, weshalb sich dieser zweite Block energiewendebezogener Maßnahmen ökonomisch rechnet: In der Sachdimension garantiert der Staat für einen festgelegten Zeitraum bestimmte Vergütungssätze und übernimmt so, in der Zeit- und Sozialdimension, das mit einer Investition verbundene Risiko unvorhergesehener Zukunftsentwicklungen, die dazu führen können, dass zukünftige Gewinne nicht in der erwarteten, mindestens kostendeckenden Höhe realisiert werden und die Investition somit zu einem Verlustgeschäft wird. Durch sein Handeln transformiert der Staat also ein zunächst unrentables in ein rentables „Geschäft, mit dem man gesichert Geld verdienen kann, ohne dass was passiert“ (P16: 37–38). Die wirtschaftliche Umsetzbarkeit dieses zweiten Blocks an Maßnahmen hängt demnach ausschließlich von den Aktivitäten des Staates ab. Reichen die staatlichen Subventionen nicht aus – wie an den Bereichen Netze, Gebäudesanierung und konventionelle Kraftwerke exemplifiziert – bleiben Maßnahmen ökonomisch unrentabel und können dementsprechend nicht realisiert werden (P16: 40–44). Anhand dieser Unterscheidungen zeichnet F4 ein Bild, in dem Wirtschaft in zwei separaten Bereichen stattfindet: in einem Wettbewerbsmarkt, in dem auf die Energiewende bezogene Maßnahmen in kleinerem Umfang im Rahmen des unternehmerischen „Investitionszyklus“ (P16: 25) mitrealisiert werden können und in einem regulierten Markt, in dem die Profitabilität solcher ökonomischen Aktivitäten vor allem ‚von außen‘ durch den Staat programmiert wird. Mit dem „Staat“ wird hier also eine erste, für die wirtschaftliche Rezeption und Umsetzung der Energiewende zentrale Attributionsadresse aus der ‚Umwelt‘ des Wirtschaftssystems eingeführt (P16: 37). Das operative Grenzmanagement gegenüber dem Staat folgt der Struktur einer totalen undifferenzierten Rejektion: Der Staat wird einerseits explizit als fremde Kontextur markiert, die sich in ihrer Funktionsweise als zweckprogrammierte Instanz, die ihr Handeln am Erreichen bestimmter Ziele orientiert, begreifen und von der Funktionsweise der Wirtschaft unterscheiden lässt. Die Wirtschaft dient dem Staat in der Rolle einer Art Dienstleisterin dazu, seine eigenen Ziele zu realisieren (P16: 53–54: „um das (2) ja umzusetzen, was man sich denn als Ziele vor- äh vorstellt“). Hierzu kann er monetäre Anreize setzen, die die wirtschaftlichen Zahlungskalküle gleichsam automatisch in die von ihm gewünschte Richtung lenken. Gleichzeitig wird jedoch, andererseits, die Art und Weise, in der der Staat diese Ziele setzt und verfolgt, als – aus wirtschaftlich-unternehmerischer Perspektive – logisch nicht nachvollziehbar bewertet: Dass bestimmte Aspekte „in der Energiewendediskussion viel zu kurz“ kommen, wird als ärgerlich empfunden (P16: 45–46). Ebenso werden die staatlichen Maßnahmen der Zielerreichung als „zu gering“ bewertet (P16: 52). Inwiefern sich Wirtschaftsakteure selbst auf diese staatli-

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chen Regulierungsdefizite einstellen und mit ihnen umgehen können, wird in diesem Kontext nicht thematisiert. F4 charakterisiert seinen*ihren Beobachterstandpunkt als „volkswirtschaftliche[.] Perspektive“ auf die Energiewende (P16: 55). Dass es sich bei dieser Perspektive nicht um den einzigen Blickwinkel handelt, von dem aus die Bedeutung und operative Prozessierbarkeit der Energiewende im Wirtschaftssystem sinnhaft bestimmt werden kann, zeigt sich im weiteren Gesprächsverlauf des Fokusgruppeninterviews, in dem das Thema Finanzierung der Energiewende von den anderen Gesprächsteilnehmer*innen aufgegriffen und – teils anhand konkreter Beispiele – weiter diskutiert wird. So auch in dem zweiten Gesprächsausschnitt aus dem dritten Fokusgruppeninterview, der sich circa zehn Minuten nach der soeben präsentierten Eingangssequenz abgespielt hat (P17: 124–221). In diesem setzen sich drei weitere Gesprächsteilnehmer*innen – ein Mitglied eines Industrieverbands (I3) und zwei Mitglieder eines institutionellen Investors (F5, F7) – mit der soeben dargelegten Proposition von F4 zur ökonomischen Betrachtung der Energiewende als vornehmlich politisch gesetztes und entsprechend zu förderndes Projekt auseinander. Im Zentrum steht dabei die Frage, welche Umstände es Unternehmen ermöglichen, in die Steigerung ihrer Energieeffizienz zu investieren. Im Vorfeld dieses Ausschnitts führt I3 aus, dass viele der in seinem*ihrem Verband organisierten Unternehmen aus dem Mittelstand ihre Produktionsprozesse bereits aktuell in vielfältiger Weise energetisch optimieren. Nur gehe es den Unternehmen dabei gar nicht um das (politisch gesetzte) Ziel der Steigerung von Energieeffizienz, sondern schlicht darum, Kosten einzusparen. Deshalb würden diese Effizienzinvestitionen von den Mittelständler*innen auch nicht als Förderung ihrer Energieeffizienz, sondern als ganz normale, mit dem unternehmerischen Investitionszyklus abgestimmte Maßnahmen zur Kostenreduktion wahrgenommen. Eine*r der Moderator*innen, M1, greift diese Ausführungen von I3 auf, um F5 als Vertreter*in eines institutionellen Investors nach seiner*ihrer Einschätzung zu diesem Thema zu befragen. Daraufhin führt F5 eine Reihe von Faktoren an, von denen die praktische Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen in Unternehmen aus seiner*ihrer Sicht abhängt. Wie im Folgenden genauer nachgezeichnet wird, nimmt er*sie hierbei jedoch – anders als F4 – einen Blickwinkel ein, dessen Fokus nicht so sehr auf der ‚volkswirtschaftlichen‘ Ebene des Verhältnisses von Markt und Staat situiert ist, sondern vor allem auf den Parametern konkreter unternehmerischer Entscheidungspraktiken im Kontext des Marktwettbewerbs liegt. M1: Aber kommt das bei Ihnen ((gewandt an F5)) auch an? Dieses (.) zum Beispiel dieses Bild aus dem Mittelstand? Oder (.) überhaupt im ((Bereich, in dem der Investor tätig ist))? F5: Ja na- also wir ähm (.) machen relativ viel eben auch im Bereich Energieeffizienz ((M1: mhm)) in Unternehmen und äh nach meiner Wahrnehmung ist das eigentlich n nen Bündel von Faktoren, was es für die Unternehmen da auch schwierig macht äh wirklich Maßnahmen in dem Bereich auch zu ergreifen einen Teil haben Sie schon gesagt (.) ist das Know-How da? Da kommen wir wahrscheinlich auch das machen wir ja auch über diese Beratungsgeschichten relativ gut ansetzen. Ein zweiter Punkt ist (.) sind denn eigentlich spezialisierte Leute da (.) haben die die Ressourcen dafür? Ein dritter äh Punkt ist (.) das haben wir vorhin diskutiert ist eigentlich so diese Amortisationszeit(.) äh rechnen die mit zwei oder drei Jahren oder äh äh sind da auch zehn oder zwölf Jahre zuläs-

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sig? Ein vierter Punkt ist wahrscheinlich (.) wenn das irgendwie nur ein Prozent der Kosten ausmacht dann fällt das nicht in den Kernbereich ((M1: mhm)) ähm also will ich da überhaupt irgendwas machen? Ein fünfter Punkt ist äh das äh grade bei Verwaltungsgebäuden äh viele von diesen Unternehmen, die bei uns sind äh Schwierigkeiten haben äh so ein Verwaltungsgebäude @(.)@ äh dann eigentlich auch äh voll zu sanieren, weil sie gar nicht wüssten, wo sie in der Zwischenzeit eigentlich hinsollen M1: [okay ja @(.)@ so ganz banale Dinge F5: [Ja, aber das ist also das ist I3: [Ja ja ((unverständliche Aussage)) aber das stimmt schon F5: [Das ist wirklich eine Vielzahl von Gründen (.) und das ist für jedes Unternehmen ein bisschen anders. Also deswegen äh ich kann Sie da wirklich auch nur vor warnen also die ganze Energiewende ist kein Block Auch bei diesem Ausschnitt des Fokusgruppeninterviews handelt es sich um Wirtschaftskommunikation: F5 diskutiert das Thema unternehmerischer Investitionen in Energieeffizienz vor dem Hintergrund der beobachtungsleitenden Unterscheidung dessen, ‚was sich rechnet/nicht rechnet‘. Die Attributionsregeln dieses Schemas stellen sich jedoch – anders als in der von F4 angelegten „volkswirtschaftlichen Perspektive“ (P16: 55) – nicht als zwei überschaubare Blöcke, sondern als in Sach- und Zeitdimension komplexes und vergleichsweise tiefenscharf aufgelöstes „Bündel von Faktoren“ (P17: 128–129) dar, das zudem – in der Sozialdimension – „für jedes Unternehmen ein bisschen anders“ (P17: 147) gelagert ist. Die Differenz dieser beiden Beobachterstandpunkte unterstreicht F5, indem er*sie sich mit einer expliziten Warnung an das Forschungsteam wendet: „Das ist wirklich eine Vielzahl von Gründen […] ich kann Sie da wirklich auch nur vor warnen, also die ganze Energiewende ist kein Block“ (P17: 146–148). Diese Kontrastierung der von F4 im ersten Gesprächsausschnitt eingebrachten Orientierung und der von F5 proponierten alternativen Perspektive auf die wirtschaftliche Deutung und Prozessierung der Energiewende macht also zunächst deutlich, dass auch innerhalb des Wirtschaftssystems durchaus von Beobachterstandpunkt zu Beobachterstandpunkt variieren kann, wann oder weshalb sich etwas „ökonomisch rechnet“ (Nassehi 2015: 213). Wie F5 elaboriert, ziehen die Unternehmen in ihren konkreten Zahlungsentscheidungskalkülen stets eine Reihe verschiedener Kostenformen in Betracht: Zum einen hängt die Rentabilität von Effizienzinvestitionen – in Sach- und Sozialdimension – davon ab, ob das jeweilige Unternehmen über das nötige „Know-How“ (P17: 131) verfügt oder dieses erst unter gewissen Informationsbeschaffungskosten, etwa durch die Inanspruchnahme externer Beratungsangebote, generieren muss. Ebenso sind sogenannte Opportunitätskosten, die die Rentabilität bestimmter unternehmerischer Aktivitäten in Relation zueinander bewerten, zu berücksichtigen: Ist es sinnvoll, personelle Ressourcen, das heißt „spezialisierte Leute“ (P17: 133), für die Planung und Durchführung von Effizienzinvestitionen einzusetzen? Oder wäre es – auch vor dem Hintergrund des bei den meisten Unternehmen vernachlässigbaren Anteils der Energiekosten an der allgemeinen Kostenstruktur – nicht profitabler, wenn sich diese Mitarbeiter*innen in ihrer Arbeitszeit vergleichsweise wichtigeren Dingen widmen könnten, die den eigentlichen „Kernbereich“ der unternehmerischen Aktivitäten betreffen (P17: 136–138)? Im Falle von Investitionen in Gebäudesanierung gilt es außerdem logistische Fragen mitzudenken, also etwa für den Zeitraum von Umbau-

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maßnahmen für die Bereitstellung alternativer Arbeitsplätze Sorge zu tragen (P17: 138–141). In der Zeitdimension geht es stets darum, mit dem für Investitionen charakteristischen Auseinanderfallen von gegenwärtig anfallenden Kosten und zukünftig erwarteten – und damit stets unsicheren – Gewinnen umzugehen. Diese Problematik wird unter Rückgriff auf das Konzept der „Amortisationszeit“ einer Investition und deren Verhältnis zur Amortisationserwartung des jeweiligen Unternehmens in dessen Entscheidungspraktiken abgebildet (P17: 134–136). Das Verhältnis dieser beiden Parameter bestimmt, wie viel Zeit zwischen dem Anfallen der Investitionskosten und der Realisierung der Gewinne maximal vergehen darf, damit eine Investition für das betreffende Unternehmen gegenwärtig (noch) lukrativ erscheint.343 Anders ausgedrückt: Unabhängig vom konkreten Verhältnis von Investitionskosten und erwarteten Einnahmen hängt die Rentabilität einer Investition stets auch davon ab, zu welchem zukünftigen Zeitpunkt die durch sie generierten Einnahmen die mit der Investition verbundenen Kosten voraussichtlich übersteigen, die Investition also Gewinne abwerfen wird. Alle Investitionen, die sich – gemäß der zum Zeitpunkt der Entscheidung bestehenden Zukunftserwartungen – nicht innerhalb des durch die unternehmerischen Amortisationserwartungen abgesteckten Zeitraums rechnen, werden als nicht (schnell genug) rentabel betrachtet und können dementsprechend nicht realisiert werden. Auf diese Weise markieren die Amortisationserwartungen die Grenze des gegenwärtig handlungs- beziehungsweise zahlungsrelevanten Zeithorizonts eines Unternehmens. All diese Faktoren bestimmen, so die Darstellungen von F5, ob sich eine Energieeffizienzinvestition, retrospektiv gerichtet, unternehmerisch rechnet oder nicht und daher, prospektiv gerichtet, realisiert oder nicht realisiert werden kann. F7, ein*e Kolleg*in von F5, pflichtet diesen Ausführungen bei. In seiner*ihrer Validierung der von F5 aufgeworfenen Proposition exemplifiziert er*sie zum einen die von dieser*m angesprochene Konzentration der Unternehmen auf ihr „Kerngeschäft“, die im Zweifel dazu führt, dass weniger zentrale Geschäftsbereiche vernachlässigt werden müssen (P17: 151–152). In diesem Zusammenhang unterstreicht F7 nochmals die für die unternehmerischen Zahlungskalküle entscheidende Bedeutung der Opportunitätskosten: Es geht den Unternehmen nicht nur darum, ob sich eine Investition absolut gesehen „zu negativen Kosten rechnet“ (P17: 156). Ebenso entscheidend ist es, dass diese Investition im Verhältnis zu anderen Verwendungsmöglichkeiten für die knappen unternehmerischen Ressourcen – hier: der begrenzten Arbeitszeit von Ingenieuren oder Managern – als die relativ lukrativste Handlungsalternative angesehen werden kann. Sofern dies nicht der Fall ist, können die entsprechenden Maßnahmen – ökonomisch betrachtet – nicht realisiert werden: Unabhängig davon, wie günstig sich alle anderen Kostenfaktoren gestalten – ob „das Geld noch

343 Als Amortisationszeit wird der Zeitraum bezeichnet, der vergeht, bis der Geldbetrag, der für eine Investition gezahlt wurde der Summe der Rückflüsse aus dieser Investition entspricht. Für den Bereich der Gebäudesanierung etwa ist die Amortisationszeit einer Sanierungsinvestition relevant, das heißt der zu überbrückende Zeitraum, der zwischen der Zahlung der Investitionssumme und der dieser Zahlung entsprechenden Rückflüsse, beispielsweise durch Stromkosteneinsparungen, liegt. Innerhalb dieses Zeitraums ist das Kapital an die konkrete Investition gebunden und steht dem Zahlenden nicht im Geldmedium zur Verfügung.

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so sehr auf der Straße“ liegt (P17: 164), die „Amortisationszeit“ kurz oder die „Planungssicherheit“ hoch ist,344 „kommt es trotzdem nicht“ (P17: 167–169), weil „der Manager oder die Ingenieure einfach wichtigere Dinge zu tun haben“ (P17: 164– 165). 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166 167 168 169

F7: Mhm (.) und vielleicht noch ergänzend dazu diese (.) Querschnittstechnologien, die Sie ja vorhin auch vielleicht auch mit angesprochen haben so Druckluft und Wärmerückgewinnung und effiziente Beleuchtung und den- das ist das was ((Name F5)) eben sagte (.) das ist dann vielleicht hat nichts mit dem Kerngeschäft zu tun I3: [Ja genau F7: [Ich ich kann mich immer drüber amüsieren, dann sind da so tolle Kurven von McKinsey und so (.) was sich alles zu negativen Kosten rechnet. Aber wenn (.) aber so ne Energieeffizienzinvestition das ist das ist nen Produktionsprozess (.) da braucht es nicht nur Geld für und Information zu, sondern es braucht zum Beispiel auch nen nen Ingenieur oder nen Management, das sich einfach nur die Zeit hat F5: [Mhm I3: [Ja F7: [sich dadrum zu kümmern (.) und ich und wenn dieser- wenn dieser Faktor in diesem Miniproduktionsprozess fehlt dann kann das Geld noch so sehr auf der Straße liegen - es bleibt da liegen ((M1: mhm okay)) weil der Manager oder die Ingenieure einfach wichtigere Dinge zu tun haben F5: Auch wenn Planungssicherheit da ist F7: [Und selbst wenn Planungssicherheit und selbst wenn die Amortisationszeit ein Jahr ist selbst wenn das alles gegeben ist kommts trotzdem nicht Dieser Gesprächsabschnitt ist durch eine vergleichsweise hohe interaktive Dichte gekennzeichnet: F7s Ausführungen werden durch I3 und F5 mit validierenden Äußerungen begleitet (P17: 153, 160, 161); am Ende stimmt F5 mit einer Ergänzung in F7s Erklärung ein (P17: 166), welche dieser wiederum scheinbar mühelos aufgreift, um den gemeinsamen Gedanken zu Ende zu formulieren. Dies weist darauf hin, dass die hier entfaltete Orientierung sowohl intersubjektiv geteilt wird als auch von „hohe[r] Relevanz“ für die Gesprächsteilnehmer*innen ist (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 293; vgl. auch Kleemann et al. 2013: 170–171).

344 Die Planungssicherheit wird hier als weiterer Einflussfaktor eingeführt, der die Rentabilität ökonomischer Aktivitäten in der Zeitdimension beeinflusst. Anders als bei der Amortisationszeit, geht es dabei nicht so sehr um die Frage, bis wann Gewinne realisiert werden müssen, sondern darum, mit welcher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sich bestimmte Marktentwicklungen oder Regulierungsbedingungen, von denen die Profitabilität einer Investition abhängt, zukünftig tatsächlich so oder zumindest so ähnlich realisieren werden, wie es zum Zeitpunkt der Tätigung der Investition erwartet wurde. Konfrontiert mit einer grundsätzlich offenen, kontingenten Zukunft müssen die Unternehmen also stets auch die Möglichkeit eines unerwarteten Auseinanderfallens von gegenwärtiger Zukunftserwartung und tatsächlich eintretender zukünftiger Gegenwart in ihre unternehmerischen Investitionsentscheidungen einkalkulieren.

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Inhaltlich zeichnet sich diese Orientierung vor allem durch zwei Elemente aus: Erstens wird unterstrichen, dass unternehmerische Entscheidungskalküle in der Praxis durch eine hohe Komplexität gekennzeichnet sind, die sich aus der gleichzeitigen Berücksichtigung vieler verschiedener Kostenfaktoren ergibt. Zweitens bemessen sie die ökonomische Rentabilität einer Maßnahme nicht (allein) an ihrem absoluten, sondern vor allem an ihrem relativen Gewinn. Das bedeutet, dass sich nicht sämtliche Maßnahmen, bei denen die Kosten geringer ausfallen als die Einnahmen, ökonomisch realisieren lassen, sondern nur diejenigen, die – im Verhältnis zu allen anderen gegenwärtig verfügbaren Handlungsalternativen eines Unternehmens – die vergleichsweise größten Gewinne versprechen. Im Rahmen des operativen Grenzmanagements wird dieser Beobachterstandpunkt mittels einer totalen undifferenzierten Rejektion gegenüber der alternativen Sichtweise von Unternehmensberatungen abgesichert, die – so die Darstellung – die tatsächliche Komplexität unternehmerischer Entscheidungsprozesse in unzulässiger und unternehmerisch nicht anschlussfähiger Weise verkürzen: Wie F7 mit ironischem Unterton feststellt, kann er*sie sich „immer drüber amüsieren, dann sind da so tolle Kurven von McKinsey und so (.) was sich alles zu negativen Kosten rechnet“ (P17: 154–156), was dann aber in der Realität der unternehmerischen Praxis, in der es eben nicht nur auf die zwei Faktoren „Geld […] und Information“ (P17: 157–158) ankommt, dennoch nicht realisiert werden kann. Im direkten Anschluss an die soeben dargestellte Elaboration der zweiten, binnenwirtschaftlichen Perspektive auf die Energiewende meldet sich F4 als Proponent*in der „volkswirtschaftlichen Perspektive“ (P16: 55) nochmals zu Wort. In einem ersten Syntheseversuch schlägt er*sie vor, diese beiden widerstreitenden Perspektiven wie folgt zueinander in Beziehung zu setzen:345 F4: Gut das sind ja auch die- diese Effizienzmaßnahmen die über die wir F7: [oder kann es- ja(.) tschuldigung ja F4: [Ja oder über die wir jetzt gra:de diskutiert haben über die wir jetzt gra:de diskutieren sind ja auch meistens komplett außerhalb von jeglicher (.) staatlicher Beeinflussung ja das ist etwas wo wo das Unternehmen für sich kalkuliert F7: [Ja F4: [wa- bis wann rechnet sich das? ist das für mich ausreichend schnell genug oder nicht? Äh oder hab ich die Managementkapazitäten oder ist der Leidensdruck nicht groß genug oder ist die Maschine, also ne- also die verschiedenen die verschiedenen Dinge ((M1: ja)) Das ist äh da da F5: [Ist aber nicht no- nja: ich mein das ist nicht notwendigerweise außerhalb von jeglicher staatlicher Beeinflussung. Ich kann Vorgaben machen über das Ordnungsrecht F4: [ja das ist 'ne andere Sache

345 Im Sinne der dokumentarischen Methode stellt eine Synthese eine Form der Konklusion eines Themas beziehungsweise der Darlegung eines Orientierungsgehaltes dar. Bei einer Synthese werden „[a]ntithetische Orientierungskomponenten [.] in einer weiteren, der eigentlichen Orientierung als einer Produktionsregel, auf die auch die (scheinbar) widersprüchlichen Komponenten zurückgeführt werden können, aufgehoben“ (Przyborski 2004: 74–75).

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F5: [ich kann über F4: Das wollt ich ja damit nicht ausschließen F5: [das kann ich ja verschärfen F4: [Ja ja, das ist ja F5: [Ich kann die Beratung verschärft anbieten F4: [Das ist auch nicht der Punkt, den ich meinte. Im im Regime wie wir es bis jetzt haben F5: [Mhm F4: [Sind diese Effizienzmaßnahmen diejenigen, die (.) wo sich die- das Unternehmen entscheidet oder überlegt mach ich das oder mach ichs nicht F5: [Mhm F4: [Natürlich könntdas wäre der nächste Schritt, diskutiert (.) was sind eigentlich die besten Instrumente, die der Staat hat, um (.) Anreize, Subventionen äh Gebote, Verbote, was immer marktwirtschaftliche Instrumente (.) Steuern einzusetzen um das (.) umzusetzen, was was man denn anstrebt, ja. Und ob wir da schon den ak- den besten Mix haben (.) da bin ich doch am zweifeln, ja ((M1: ja)) ich glaub da haben wir wenn wir (.) da überfrachten wir auch glaub ich auch einzelne Instrumente und dann haben wir Instrumente, die sich gegenseitig widersprechen. Aber da tut sich die Politik auch schwer (.) I3: [@(Ja)@ F4: [Wieder n nen Schritt zurück zu gehen und zu sagen: Mensch, da haben wir vielleicht äh (.) an der Stelle nen Fehler gemacht, das müssen wir irgendwie neu justieren das ist ja auch etwas was sich äh durch die Politik durchzieht (.) viele der Maßnahmen, die (.) nicht nur im Bereich der Energiewende, sondern auch in anderen Bereichen (.) Rente und sonstigen Bereichen momentan im Koalitionsvertrag steht ist bis 2017 das ist so ein bisschen Politik nach mir die Sintflut soll doch die Politik, die nächste Regierung mal sehen, wie sie mit den Dingen zurecht kommt, die dann anstehen F7: Aber jetzt für ihr Projekt ((M1: ja)) eigentlich (.) wenn wir jetzt über diese kleinen Dinge reden ((M1: mhm)) die sich vielleicht schnell amortisieren könnten (.) das ist ja vielleicht für ihr Projekt gar nicht so relevant denn das ist kein Finanzierungsthema ((M1: mhm)). also für ne Maßnahme die sich schnell (.) wenn man sie denn wirklich angehen würde und die sich schnell amortisieren würde wird sich immer am Finanzierungsmarkt ne ne Kurzfristfinanzierung finden (.) das ist nicht das Problem ((M1: ja)) also wahrscheinlich sollten Sie eher nach den Dingen gucken äh die irgendwie Langfristinvestitionsbedarf haben Diese Einordnung der beiden im dargestellten Gesprächsverlauf vorgebrachten Orientierungen entspricht im Wesentlichen der bereits eingangs von F4 vorgeschlagenen Unterteilung des Themas der Finanzierung der Energiewende in zwei Blöcke. Der erste Block besteht aus all jenen Maßnahmen, die sich ohne staatliche Förderung rentieren; der zweite Block aus all jenen Maßnahmen, die nur durch größere Impulse vonseiten des Staates ökonomisch rentabel und umsetzbar werden. F4 relationiert diese beiden Blöcke mittels einer Hierarchisierung zugunsten des zweiten Blocks der staatlich zu fördernden Maßnahmen. Hier sieht er*sie den vergleichsweise größeren Handlungsbedarf. Während die Logik rein unternehmerischer Entscheidungskalküle und die darin für die Umsetzung der Energiewende implizierten Grenzen nicht weiter thematisiert werden, werden die Defizite aufseiten des Staates recht ausführlich moniert: Das wesentliche Problem in Bezug auf die wirtschaftliche Umsetzung der Energiewende besteht – so F4 – darin, dass „[d]ie Politik“ (P17: 205, 210, 213) we-

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der in der Lage ist, Instrumente sinnvoll einzusetzen und aufeinander abzustimmen, noch aus ihren Fehlern zu lernen. Im Sinne einer „Politik nach mir die Sintflut“ (P17: 213) verschiebt sie vielmehr aktuelle Probleme in die Zukunft, anstatt gegenwärtig Verantwortung für diese zu übernehmen und tragfähige Lösungen zu erarbeiten. F5 und F7 weisen diesen Synthesevorschlag auf ihre je spezifische Art und Weise jedoch zurück. Zunächst stellt F5 die von F4 vorgebrachte Grenzziehung zwischen staatlich beeinflusster und nicht-beeinflusster wirtschaftlicher Sphäre in Zweifel, indem er*sie darauf hinweist, dass auch die zuvor exemplifizierten unternehmerischen Zahlungsentscheidungen durchaus durch das Ordnungsrecht oder staatlich bereitgestellte Beratungsangebote beeinflusst werden können (P17: 182–184). Als sich zeigt, dass F4 diesen Einwand nicht gelten lässt („das ist auch nicht der Punkt, den ich meinte“, P17: 192), verschiebt F7 den Fokus des Gesprächs, indem er*sie sich von F4 ab- und den Projektverantwortlichen zuwendet. Mit seiner*ihrer Frage, was denn eigentlich „für ihr Projekt“ […] relevant“ sei (P17: 215), überträgt er*sie die Entscheidung darüber, welche Deutung im Folgenden gelten und weiter besprochen werden soll, auf die Moderator*innen. Auf diese Weise rückt er*sie „[e]in Nebenthema [.] in den Vordergrund“ und suspendiert somit die Auseinandersetzung um die richtige Relationierung der widerstreitenden Beobachterperspektiven mit einer „rituelle[n] Konklusion“ (Przyborski 2004: 75). Damit stehen sich an diesem Punkt des Fokusgruppeninterviews letztlich zwei binnenwirtschaftliche Beobachterperspektiven auf die Energiewende gegenüber: Auf der einen Seite die von F4 artikulierte „volkswirtschaftliche Perspektive“ (P16: 55), in der die ökonomische Anschlussfähigkeit der Energiewende vor allem an die staatliche Bereitstellung von Subventionen oder anderweitigen Formen politisch gesetzter Anreizregulierung geknüpft wird. Auf der anderen Seite die von F5, F7 und I3 vorgebrachte binnenwirtschaftliche Sichtweise, die vor allem auf die realen Bedingungen konkreter unternehmerischer Zahlungsentscheidungspraktiken schaut und bei der der Staat an keiner Stelle als kalkulatorisch entscheidende Attributionsadresse aufgerufen wird.

5.3.3 Komparative Analyse: Systemtypische Attributionsmuster des Umweltbezugs und die sich darin manifestierende wirtschaftliche Resonanzfähigkeit für die Energiewende Im Rahmen der soeben ausführlich dargelegten Sequenzanalyse konnte die diskursive Kontrastierung von zwei verschiedenen wirtschaftssystemischen Beobachterperspektiven auf die Energiewende nachgezeichnet werden. Dadurch wurde bereits im Ansatz deutlich, dass das Wirtschaftssystem – als Gesamtheit aller gesellschaftlichen Kommunikationen, die mit dem Code ‚Zahlung/Nicht-Zahlung‘ operieren – nicht als ein homogener gesellschaftlicher Beobachterstandort beschrieben werden kann. Vielmehr ließen sich schon innerhalb des in dieser Fallstudie betrachteten begrenzten Ausschnitts wirtschaftlicher Operationen durchaus disparate Blickwinkel voneinander unterscheiden, die der Energiewende eine jeweils spezifische ökonomische Bedeutung zuweisen.

260 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

Die komparative Analyse zielte darauf ab, diese verschiedenen Blickwinkel zu systematisieren und durch abduktives Schließen schrittweise zu verschiedenen Typen wirtschaftssystemischer Bezugsformen auf die Energiewende zu verdichten. 346 Hierzu wurden die in den 36 Passagen Wirtschaftskommunikation sequenzanalytisch rekonstruierten sachlichen, sozialen und temporalen Attributionsschemata und -regeln sowie die Formen des operativen Grenzmanagements gegenüber der ‚Umwelt‘ fallimmanent wie fallübergreifend miteinander verglichen, um Redundanzen im Sinne wiederkehrender Attributionsmuster zu identifizieren.347 Im Ergebnis konnten die sich im empirischen Material manifestierenden binnenwirtschaftlichen Beobachterstandpunkte zur Energiewende als Ausdruck zweier abstrakter Typen – oder, in den Termini der Kontexturanalyse gesprochen: wirtschaftssystemischen Binnenkontexturen – gefasst werden: Die wirtschaftssystemische Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ und die wirtschaftssystemische Binnenkontextur ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘. Diese beiden wirtschaftssystemischen Verständnisse und operativen Prozessierungsformen der Energiewende, die sich in einigen zentralen Elementen bereits in den in Abschnitt 5.3.2 ausführlich diskutierten Gesprächspassagen finden, werden im Folgenden unter Rückgriff auf weitere Ausschnitte aus dem empirischen Material – also auch unter Einbezug der anderen vier Fokusgruppeninterviews –, genauer charakterisiert. Hierzu werden zum einen besonders aussagekräftige Materialsequenzen, mit denen sich die jeweilige Beobachterperspektive exemplarisch dokumentieren lässt, direkt zitiert. 348 Zum anderen werden diese direkten Zitate ergänzt durch Verweise auf weitere Stellen aus dem empirischen Material, die in ähnlicher Weise als Ausdruck der jeweiligen Perspektive auf die Energiewende begriffen werden können. Dem Vorgehen der Resonanzanalyse entsprechend erfolgt die Charakterisierung der beiden wirtschaftssystemischen Binnenkontexturen entlang der zentralen Kategorien der systemischen

346 Bei der Abduktion handelt es sich um ein für die dokumentarische Methode leitendes „[l]ogisches Schließverfahren, bei dem eine empirische Beobachtung durch eine hypothetisch angenommene neue theoretische Annahme erklärbar gemacht wird“ (Kleemann et al. 2013: 233; für ein konkretes Beispiel vgl. ebd.: 22). 347 Es ging also darum, durch fallimmanente und -kontrastierende Vergleiche unterschiedlicher Materialsequenzen herauszuarbeiten, inwiefern „verschiedene (thematisch) unterschiedliche Äußerungen als Ausdruck desselben ihnen zugrundeliegenden Sinnes verständlich“ gemacht werden können (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 295, vgl. auch ebd.: 33). Im Sinne der dokumentarischen Methode handelt es sich dabei um die sinngenetische Typenbildung, mittels derer verschiedene Orientierungsrahmen inhaltlich bestimmt werden können. Von dieser zu unterscheiden ist die soziogenetische Typenbildung, die auf die Erklärung der sozialstrukturellen Verankerung dieser Typen – etwa als geschlechter- oder milieutypische Rahmungen – gerichtet ist. Vgl. dazu die Diskussion der Ergebnisse in Abschnitt 5.3.4. 348 Anders als in Abschnitt 5.3.2, der Sequenzanalyse, werden diejenigen Ausschnitte aus dem Material, die im Folgenden direkt Fließtext zitiert werden, aus Gründen der besseren Lesbarkeit leicht geglättet, indem Wortwiederholungen („ich meine die die die Gründe“) sowie Verzögerungslaute wie „mh“ oder „ähm“ ausgelassen werden. Längere, eingerückte Zitate werden weiterhin in der feintranskribierten Fassung zitiert.

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Resonanzfähigkeit: der die jeweilige Beobachterperspektive kennzeichnenden Irritabilität, Reagibilität und Lernfähigkeit. Die wirtschaftssystemische Binnenkontextur der ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ Der erste Typ der sich in der untersuchten Wirtschaftskommunikation dokumentierenden Deutungs- und Prozessierungsformen der Energiewende – die wirtschaftssystemische Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ – begreift diese als in erster Linie staatliche Zielstellung und verortet sie damit stets vor dem Hintergrund des allgemeinen Verhältnisses von Wirtschaft und Politik. Die Differenz der damit angesprochenen gesellschaftlichen Domänen Wirtschaft und Politik schlägt sich dabei in der Unterscheidung von zwei Marktbereichen nieder: dem Wettbewerbsmarkt, in dem Unternehmen weitestgehend frei von staatlichen Einflüssen kalkulieren und dem staatlich programmierten Markt, in dem vornehmlich die Politik die Weichen dafür stellt, welche Geschäftsmodelle sich ökonomisch rentieren. Da die wirtschaftliche Umsetzung der Energiewende aus dieser Beobachterperspektive vor allem in Letzterem stattfindet, liegt ihr Fokus stets auf den Möglichkeiten und Grenzen der politischen beziehungsweise staatlichen Programmierung unternehmerischer Zahlungsentscheidungskalküle. Wie im Folgenden näher ausgeführt wird, spricht vieles dafür, diese Form der Deutung und Prozessierung der Energiewende als eine konkrete Manifestation der strukturellen Kopplung von Wirtschaftssystem und politischem System über den staatlich programmierten Markt zu beschreiben. Als solche ist sie durch eine hohe wirtschaftliche Irritabilität, Reagibilität und Lernfähigkeit im Hinblick auf bestimmte politische Regulierungsinstrumente bei gleichzeitig weitgehender Indifferenz gegenüber der (ökonomischen) Bedeutung der Energiewende jenseits dieser etablierten wirtschaftspolitischen Kooperationsformen gekennzeichnet. Um nachvollziehen zu können, welche Erwartungen die Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ im Einzelnen prägen und wie sich dies im empirischen Material nachzeichnen lässt, wird sie im Folgenden entlang der drei Unterdispositionen systemischer Resonanzfähigkeit – der Irritabilität, Reagibilität und Lernfähigkeit – in ihren spezifischen Struktureigenschaften vorgestellt. Zunächst geht es darum, die Irritabilität dieser binnenwirtschaftlichen Beobachterperspektive für die Energiewende – deren strukturelle Disposition, die Energiewende als relevantes Umweltgeschehen in den eigenen Operationen aufzugreifen – zu beschreiben. Die diesen ersten Abschnitt leitende Forschungsfrage lautet: Wie beziehungsweise als was wird die Energiewende im Rahmen der Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘, retrospektiv gerichtet, verstanden? Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit der sich im Rahmen dieser Binnenkontextur abzeichnenden Reagibilität, also mit deren struktureller Disposition, handelnd an die Energiewende anzuschließen. Die Reagibilität lässt sich anhand der folgenden Forschungsfrage erschließen: Inwiefern findet im Rahmen der Deutung der ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘, prospektiv gerichtet, ein wirtschaftlichunternehmerisches Anschlusshandeln an die Energiewende statt oder wird als Möglichkeit in Betracht gezogen? Im dritten Abschnitt geht es darum die Lernfähigkeit dieser binnenwirtschaftlichen Beobachterperspektive nachzuvollziehen. Diese bezieht sich auf deren strukturelle Disposition, die eigenen Erwartungsstrukturen auf-

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grund von irritierenden ‚Umweltereignissen‘ zu verändern. Als konkrete Forschungsfrage formuliert, geht es hier folglich darum zu klären, inwiefern mit der Energiewende verbundene Enttäuschungen wirtschaftlicher Erwartungen und Routinen, prospektiv gerichtet, als Anlass für deren Anpassung betrachtet, anstatt ignoriert oder auf die ‚Umwelt‘ externalisiert zu werden. In diesem Kontext lassen sich zudem erste Hinweise auf strukturelle Resonanzblockaden thematisieren, die solchen wirtschaftssystemischen Strukturanpassungen an die Energiewende aktuell entgegenstehen. Irritabilität: Wie wird die Energiewende, retrospektiv gerichtet, verstanden? Wie bereits erwähnt, wird die Energiewende im Rahmen der wirtschaftssystemischen Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ als staatlich gesetztes Ziel verstanden, dessen Umsetzung der Re-Orientierung bestimmter ökonomischer Aktivitäten bedarf. Bei der Energiewende handelt es sich aus diesem Blickwinkel, in der Sozialdimension von Sinn, folglich in erster Linie um etwas der Wirtschaft Fremdes: Einem „außer dem Markt befindlichen Investitionsrahmen“ (P26: 150–151), der sich danach richtet, „was der Staat will, und was sich ansonsten nicht rechnet“ (P23: 8–9). Aus diesem Grund ist es nicht verwunderlich, dass bei der Frage, mit wem die Gesprächsteilnehmer*innen in puncto Energiewende gerne ins Gespräch kommen würden, „die Politik“ beziehungsweise – äquivalent dazu – „der Staat“ als erste relevante Ansprechpartner genannt werden. „Der Staat“ oder „die Politik“ werden dabei typischerweise in dieser globalen Form als etablierte Attributionsadressen aufgerufen, bei denen allen Beteiligten auch ohne weitere Erklärungen oder Spezifizierungen klar ist, wer oder was damit gemeint ist (vgl. z.B. P6: 5–6; P15: 9; P20: 21; P27: 12). Diese Form der routinierten und kaum erläuterungswürdigen Bezugnahme auf die Umweltadressen „Politik“ beziehungsweise „Staat“ kann als ein erster Hinweis darauf gedeutet werden, dass diese Bezeichnungen auf eine innersystemisch institutionalisierte Kopplungsadresse verweisen, mit der bereits bestimmte Vorstellungen im Hinblick auf die Eigenarten und das wechselseitige Austauschverhältnis von Wirtschaftssystem und politischem System verknüpft sind und auf die sich die Umweltbeobachtung – und damit verbunden auch die Irritabilität – der Unternehmen im Hinblick auf die Energiewende konzentriert (vgl. abstrakt dazu Abschnitt 3.2.2). Gegenüber „der Politik“ erscheint dann auch die Wirtschaft als eine recht homogene Gruppe von Unternehmen, deren Entscheidungskalküle grundsätzlich nach ein und derselben Logik funktionieren: Im Unterschied zur Politik zeichnen sich „Unternehmen“ dadurch aus, dass sie „[…] nicht in der Wohlfahrt tätig [sind], sondern meistens eben um Geld zu verdienen ähm klar“ (P17: 422–423). Das politische System wird demgegenüber als zweckprogrammierte Instanz begriffen, die an der Erfüllung ihrer selbstgesteckten Ziele orientiert ist. Seine wesentliche Leistung wird in der Wahrung beziehungsweise Förderung volkswirtschaftlicher Effizienz und internationaler Wettbewerbsfähigkeit gesehen. Dies dokumentiert sich beispielsweise in der Frage von F5, einer*m Vertreter*in eines institutionellen Investors, weshalb „die Politik“ bei der Förderung der energetischen Gebäudesanierung nicht „aktiver“ wird, obwohl dies sowohl zur Realisierung ihrer „eigenen Ziele“ beitragen als auch sich „volkswirtschaftlich rechnen“ würde (vgl. P17: 329–339):

5. Illustrative Fallstudie | 263

F5:

M1: F5: F4: F5:

[…] wir haben ja irgendwie auch äh, also grad in diesem Sanierungsbereich, ja da äh hab ich mich die letzten Wochen mehr mit beschäftigt äh doch nen mittlerweile einiges an Studien auch vorliegen, dass sich sowas auch volkswirtschaftlich rechnet und man könnte sich ja auch die Frage stellen, ähm warum äh wird denn da eigentlich die Politik nicht aktiver? Also warum stellt sich beispielsweise der Gabriel hin und sagt ähm wir müssen hier ganz ganz viel machen [Wir müssen die Arbeitsplätze schützen (.) mhm [Müssen hier ganz ganz viel machen ((M1: mhm)) ähm und es passiert aber letzen Endes weniger [weil's Geld kostet [als äh als für die Erfüllung der eigenen Ziele notwendig finden (.)

Das Verhältnis von politischem System und Wirtschaftssystem wird dabei vor allem als Einbahnstraße dargestellt, die von der Politik zur Wirtschaft verläuft: Um ihre Ziele – in diesem Fall: die Energiewende – umsetzen zu können, muss „die Politik“ in einer Art und Weise auf die Unternehmen als zentrale Entscheidungsinstanzen des Wirtschaftssystems zugreifen, die diese zu einer Re-Orientierung ihrer auf das Verdienen von Geld ausgerichteten Aktivitäten im Sinne der Energiewende motiviert. Dies wird dadurch möglich, dass „der Staat“ als Programmierer unternehmerischer Zahlungskalküle, die er mittels etablierter Regulierungsinstrumente wie Subventionen, Anreize oder ordnungsrechtliche Vorgaben (mit-)strukturieren kann, aktiv wird. Auf diese Weise transformiert er energiewendebezogene Maßnahmen, die seinen Zielen entgegenkommen, in ökonomisch profitable Maßnahmen, die unternehmerisch anschlussfähig sind. In der Sachdimension erscheint die Energiewende im Rahmen dieser Perspektive daher vor allem auf der positiven Seite des wirtschaftlichen Codes als – dank staatlicher Regulierung – profitable Chance zur Zahlungsgenerierung. Situiert werden diese Zahlungschancen vornehmlich außerhalb des normalen, von direkten staatlichen Einflüssen weitestgehend freigehaltenen Marktwettbewerbs. Vielmehr konzentrieren sich die Unternehmen in ihrer Beobachtung der Energiewende auf den staatlich regulierten Markt, in dem vor allem „das regulatorische Design bestimmt, welche Geschäftsmodelle sich durchsetzen“ (P11: 4). Die staatliche Transformation zunächst ökonomisch unprofitabler und damit zahlungsirrelevanter in ökonomisch profitable, zahlungsrelevante Aktivitäten vollzieht sich dabei stets zugleich in der Sach-, Zeit und Sozialdimension von Sinn: In der Sachdimension sorgt etwa die gesetzliche Zusicherung bestimmter Vergütungssätze – eine „Garantierendite“ (P27: 10) – dafür, dass die mit spezifischen energiewendeförderlichen Maßnahmen verbundenen Einnahmen deren Kosten übersteigen; dass sie sich also – ökonomisch betrachtet – rentieren. Dies liegt auch daran, dass „der Staat“, in der Sozialdimension, das ansonsten unternehmerische Risiko von Fehlentscheidungen übernimmt: Während im Marktwettbewerb tätige Unternehmen im Normalfall bei jeder Zahlungsentscheidung selbst das Risiko eingehen (müssen), nicht nur die erwarteten positiven Effekte dieser Entscheidung, sondern im Zweifel – sollten sich die Dinge anders entwickeln als zum Zeitpunkt der Entscheidung vorhergesehen – auch den damit verbundenen finanziellen Schaden zu tragen, sind sie im Falle staatlich regulierter Aktivitäten von diesem Risiko befreit. Denn indem der Staat bestimmte Vergütungen oder Rahmenbedingungen unabhängig von zukünfti-

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264 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

gen (Markt-)Entwicklungen garantiert, übernimmt er zugleich das Risiko, die mit ungünstigen Entwicklungen verbundenen Verluste und die mit diesen einhergehenden Kosten zu tragen. Auf diese Weise schafft der Staat, in der Zeitdimension, einen Grad an unternehmerischer Planungs- oder Investitionssicherheit, der weit über das im Marktwettbewerb erwartbare Maß hinausreicht. Die offene und kontingente, stets mit Unsicherheiten behaftete Zukunft, mit der sich Unternehmen im Rahmen ihrer Entscheidungskalküle normalerweise auseinandersetzen müssen, verwandelt sich im Kontext staatlich regulierter wirtschaftlicher Aktivitäten in eine vergleichsweise stabile, verlängerte Gegenwart: Der Staat garantiert, dass sich die für die gegenwärtigen Zahlungsentscheidungen der Unternehmen entscheidenden Parameter, beispielsweise bestimmte Marktbedingungen oder Preise, in Zukunft nicht ändern werden. Auf diese Weise transformiert er die unternehmerischen Zahlungsentscheidungen von einem mehr oder weniger riskanten Wagnis in ein vergleichsweise risikoarmes Geschäft. Als Paradebeispiel für eine solche Form der staatlichen Programmierung wirtschaftlicher Aktivitäten außerhalb des normalen Marktwettbewerbs verweisen die Gesprächsteilnehmer*innen mehrfach auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG).349 Dieses Gesetz sichert den Erzeugern von Energie aus regenerativen Energiequellen für einen festgelegten Zeitraum bestimmte, staatlich garantierte Einspeisevergütungen zu. Dazu bemerkt etwa I4, Mitglied eines Industriekonzerns, im Gespräch mit M1 (vgl. P26: 148–154): 148 149 150 151 152 153 154

E4: I4:

[E- e- es fehlen ja überhaupt Investitionen [Ja (.) na gut ich meine bei- in- in Erneuerbare investieren wir ja weil wir dort einen außer dem Markt befindlichen äh Investitionsrahmen haben über das M1: [das EEG I4: [das EEG. Das ist ja politisch induziert In einem anderen Gruppengespräch fasst F4, Mitglied eines institutionellen Investors, die Funktionsweise der staatlichen Regulierung wirtschaftlicher Aktivitäten am Beispiel des EEG wie folgt zusammen (vgl. P16: 35–40):

35 36 37 38 39 40

F4:

Das funktioniert bei den Erneuerbaren wo wir das EEG, ne gesicherte Rendite haben, das ist für (.) die (.) operativen Kollegen das beste, was passieren kann (.) der Staat übernimmt die Risiken und (.) was soll passieren. Also, ein Geschäft, mit dem man gesichert Geld verdienen kann ohne dass was passiert, weil über die EEGUmlage und über die garantierten äh Vergütungen (.) äh sich ein solches Investment auf jeden Fall rentiert

In der Zeitdimension wird die Energiewende als politische Zielvorgabe in eine Traditionslinie mit anderen politischen Großprojekten eingeordnet, die sich innerhalb des Wirtschaftssystems ebenfalls in der Form der staatlichen Regulierung bestimmter ökonomischer Aktivitäten und damit der Mit-Programmierung unternehmerischer Zahlungsentscheidungskalküle manifestiert haben. So vergleicht etwa I1, Mitglied 349 Das EEG in der zum Zeitpunkt der Fokusgruppeninterviews gültigen Fassung kann im Bundesgesetzblatt 2014, Teil I, Nr. 33, S. 1066 –1132 eingesehen werden.

5. Illustrative Fallstudie | 265

einer unternehmensnahen Stiftung, die anstehende Reform des EEG im Kontext der Energiewende mit der Einführung der Riesterrente. Für beide politischen Großprojekte – Energiewende und Rentenreform – gelte gleichermaßen, dass man die Bedingungen für deren Umsetzung (vgl. P4: 51–60): I1:

nur schaffen [wird] indem man nicht über klein-klein nur redet, sondern indem dieses Land wirklich ne große Investition zeigt (.) ansonsten ist das bis zur oder zur nächsten Wahl wieder die große Debatte wollen wir eigentlich ne Energiewende haben wollen wir keine Energiewende haben (.) mit mit ner der siebten Reform des EEGs das ist so wie die Rentenreformgesetze ((M1: mhm)) (unverständliches Wort) da passiert nichts ne (.) auch äh wenn wir mal überlegen wie viele Jahrhundertreformen wir im Rentensystem haben aber wir haben das Rentensystem per se nicht umgestellt, nach nach diesem bisschen Riesterrente ist nichts mehr passiert in den letzten Jahren obwohl die Demografie so läuft und wir laufen sehenden Auges in eine riesen Katastrophe finanzieller Art passiert da nichts ne

In diesem Sinne wird die Energiewende nicht als etwas völlig Neues oder Einmaliges verstanden, sondern reiht sich in eine Vielzahl anderer wirtschaftspolitischer Projekte und damit in bereits bestehende Erfahrungen bezüglich der ökonomischen Effekte staatlicher Programme ein. Reagibilität: Inwiefern findet, prospektiv gerichtet, ein wirtschaftlich unternehmerisches Anschlusshandeln an die Energiewende statt oder wird als Möglichkeit in Betracht gezogen? Die möglichen Reaktionen der Unternehmen auf solche Formen politischer Regulierung – die Abwägung zwischen unternehmerischem Anschlusshandeln im Sinne der Umsetzung bestimmter energiewendebezogener Maßnahmen und Anschlusserleben im Sinne der Nicht-Umsetzung solcher Maßnahmen – werden, in der Sachdimension, als routiniertes und vergleichsweise einfach strukturiertes Konditionalprogramm beschrieben: Wenn es dem Staat gelingt solche Maßnahmen ökonomisch rentabel zu gestalten, dann werden sie im Rahmen der unternehmerischen Routinen durch entsprechende Zahlungen umgesetzt. Umgekehrt gilt: Gelingt es dem Staat nicht, energiewendebezogene Aktivitäten in den unternehmerischen Zahlungsentscheidungskalkülen rentabel erscheinen zu lassen, führen sie nicht zu unternehmerischem Anschlusshandeln. In diesem Fall nehmen die Unternehmen eine erlebend-abwartende Haltung in Bezug auf die Energiewende ein. Die staatlichen Regulierungsinstrumente, die diese politische Programmierung unternehmerischen Handelns möglich machen – „Anreize, Subventionen, Gebote, Verbote, […] Steuern“ (P17: 199–200) – erscheinen dabei als in unproblematischer Weise ökonomisch anschlussfähige Informationen, die sich ohne größere Übersetzungserfordernisse in die herkömmlichen Zahlungsentscheidungskalküle der Unternehmen integrieren lassen. Durch die passende politische „Rahmensetzung“ wird die „Finanzierung“ der Energiewende demnach „im Wesentlichen zum Selbstläufer“ (P7: 81). Diese routinierte unternehmerische Prozessierung staatlicher Anreize deutet darauf hin, dass die Unternehmen über bereits etablierte Erwartungsstrukturen verfü-

51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

266 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

gen, mittels derer sie den ökonomischen Informationsgehalt politischer Regulierungsentscheidungen, retrospektiv gerichtet, leicht erfassen und, prospektiv gerichtet, unmittelbar in ihre Entscheidungen einfließen lassen können. Auch dies kann als Hinweis darauf verstanden werden, dass das Verhältnis von Staat und Unternehmen im Rahmen der Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ eine spezifische Form der Kopplung – der systemintern institutionalisieren Koordination – von Wirtschaftssystem und politischem System darstellt. Den positiven Fall des durch staatliche Regulierung ermöglichten wirtschaftlichunternehmerischen Anschlusshandelns an energiewendebezogene Maßnahmen illustrieren E4, Mitglied eines Energieversorgers, und Z1, Mitglied einer zivilgesellschaftlichen Organisation, am Beispiel der Stromnetze (vgl. P27: 8–18): 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

E4:

Z1: E4: Z1: E4: Z1: E4:

[Was wir ja gesehen haben als die die die äh Transportnetze äh zum Verkauf standen da wurde ja massiv investiert (..) also das war schon ein interessantes Renditeobjekt. (.) Garantierendite das hat funktioniert. Sobald sobald die Politik nen Rahmen dafür schafft [Ja [Äh fließt das Geld im Moment massiv rein ja [Fließt das Geld [Aber- das wird (2) trotzdem passiert das im Moment nur punktuell ne Ja da wo die Rendite gesetzt ist

Den umgekehrten Fall – das Ausbleiben von Anschlusshandeln aufgrund fehlender oder unzureichender Regulierung – beschreibt F4, Vertreter*in eines institutionellen Investors, am Beispiel von Subventionen wie folgt: „ja also wenn Politi- wenn der Staat sich irgendetwas wünscht, das sich, das sich ohne Subventionen aber nicht rechnet, dann wird’s nicht finanziert“ (P20: 21–22). Als in dieser Weise konditionalprogrammierte Instanzen orientieren sich die Unternehmen in ihren Zahlungsentscheidungskalkülen, in der Zeitdimension, vor allem an der gegenwärtigen Ausgestaltung staatlicher Regulierung. Da ein Großteil dieser Zahlungen Investitionen darstellen und dementsprechend auf die Generierung zukünftiger Gewinne gerichtet sind, ist es für die Unternehmen jedoch ebenso entscheidend, dass diese gegenwärtigen Regulierungsbedingungen auch in der Zukunft, also über den Zeitpunkt der Entscheidungsfindung hinaus, Bestand haben. Damit die Profitabilität einer Investition auf dem regulierten Markt mit hinreichender Sicherheit berechnet werden kann, muss klar sein, ob beziehungsweise wie sich die staatliche Regulierung innerhalb des für die Unternehmen handlungsrelevanten Zeithorizonts – das heißt bis zum Zeitpunkt der Amortisation der betreffenden Investition, an dem sich deren Kosten und Erträge die Waage halten – verändern wird. Aus diesem Grund wird in Bezug auf die Frage nach den Bedingungen unternehmerischen Handelns im Anschluss an die Energiewende insbesondere die Bedeutung zukünftiger Investitions- oder Planungssicherheit hervorgehoben. Nur wenn diese in hinreichendem Maße besteht, können Investitionen in die Energiewende von unternehmerischer Seite getätigt werden. Ansonsten sehen sich die Unternehmen – wie I1, Mitglied einer unternehmensnahen Stiftung ausführt – gezwungen „einfach [zu] warten“. In diesem Sinne stellt fehlende oder unzureichende Planungssicherheit im Hinblick auf

5. Illustrative Fallstudie | 267

staatliche Regulierungsbedingungen aktuell eines der „Haupthemmniss[e]“ für die wirtschaftliche Umsetzung der Energiewende dar (vgl. P4: 15–29): I1: Also d- (.) ich ich glaube das das Haupthemmnis ist im Moment wirklich Unklarheit über die Investitionsbedingungen es kann keiner langfristig in eine neue Halle oder n nen Blockheizkraftwerk oder ein großes Kraftwerk investieren wenn er nicht weiß wie die Bedingungen für die nächsten äh zehn, fünfzehn Jahre ungefähr sind. das bedeutet nicht dass die technischen Bedingungen alle geklärt sein müssen dass man aber sagt was äh so ne Entwicklungskurve wieviel wollen wir über erneuerbare Energien machen, wieviel wollen wir äh machen über Energieeinsparung und was brauchen wir dann für Netz- und Speicherkapazitäten und dann sollen die Leute neue Speichernetze=äh und ()Kapazitäten sowas bauen ne (.) also ty- typisch heute ruft bei mir jemand an und will wissen ob da sein Konzern die drei Blockheizkraftwerke bauen soll ((@(Auflachen mehrerer Personen)@)) die dieses Jahr ans Netz gehen sollen was denn jetzt mit dem EEG ist (.) ja wissen sie nicht und da muss ich auch sagen äh würd ich nicht bauen im Moment, einfach einfach warten @(.)@ aber vielleicht wird das auch im nächsten Jahr wieder nicht geklärt oder im übernächsten Jahr oder man bekommt ne nur kurzfristige Regelung also Investitionssicherheit ist am wichtigsten Dieser Beschreibung unternehmerischer Zahlungsentscheidungskalküle zufolge wird das Handeln der Unternehmen im Kontext der Energiewende also in ausschlaggebender Weise durch das Handeln des Staates (mit-)programmiert. Wie F4, Vertreter*in eines institutionellen Investors, mit Bezug auf die Frage der „Finanzierung der Energiewende“ resümiert, hängt die wirtschaftliche Umsetzung der Energiewende „im Kern“ von der Frage ab: „[…] Reichen die Anreize Schrägstrich Subventionen oder der Tritt in den Hintern über das Ordnungsrecht aus um, dass diese Maßnahmen, die man sich von der Politik erwünscht auch umgesetzt werden?“. Und weiter: „Also wir kommen immer wieder zu der Frage meines Erachtens über Anreize, Informationen, Subventionen, diese Gemengelage in Summe entscheidet darüber, ob in Maßnahmen investiert wird oder nicht“ (P17: 257–259, 274–276). Die eigentliche Entscheidung darüber, ob der Energiewende zuträgliche Maßnahmen oder Investitionen in der Wirtschaft umgesetzt werden oder nicht, wird folglich – in der Sozialdimension – nicht in der Hand der Unternehmen selbst, sondern in der Hand des Staates verortet. Es liegt an diesem, die regulatorischen Voraussetzungen zu schaffen, unter denen die Energiewende profitabel und damit unternehmerisch umsetzbar erscheint. Im Hinblick auf die Energiewende als politische Zielstellung nehmen die Unternehmen eine dementsprechend reaktive bis indifferente Haltung ein. So betont etwa F1, Mitglied eines institutionellen Investors: „Erst kommt die Regulierung. Wir antworten darauf, spielen eine eher passive Rolle hierbei“. Dies bewertet er*sie als „eher eine gute, reaktive Position; wir können mit fast allem leben“ (P12: 32–33). Diese Position der legitimen Indifferenz können sich die Unternehmen insofern leisten, als sie nicht unbedingt auf die mit der Energiewende verbundenen, politisch induzierten Zahlungen angewiesen sind. Dies zeigt sich etwa in der Diskussion der Frage, was ein Scheitern der Energiewende für deutsche wie internationale Unternehmen bedeuten würde. Hierzu bemerkt I1, Mitglied einer unternehmensnahen Stiftung, dass die Unternehmen auch in einem solchen Fall durchaus in der Lage wären weiterhin Geld zu verdienen (vgl. P2: 5–8, 66–68):

15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29

268 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

5 6 7 8

I1:

[ähm aber samma für für die Unternehmen selber würd ich sagen die die die wirds alle hinterher auch geben die die werden halt nen anderen Weg gehen einige werden sogar gut zu tun haben weil sie irgendwelche Materialien bauen um Hochwasserschutz herzustellen Dämme zu befördern

[…] [naja, damit will ich es mal belassen erstmal aber ich glaub dass es eben für viele Unternehmen gar nicht so dramatisch ist die machen ihr Geschäft vor allen Dingen internationale Unternehmen

66 67 68

Als deutlich problematischer wird ein Scheitern der Energiewende dagegen – wie I1 ebenfalls ausführt – für die Entwicklung der allgemeinen Wohlfahrt der Bevölkerung und die Stabilität der bestehenden politischen Ordnung begriffen. Ein Scheitern der Energiewende wäre dieser Rahmung zufolge also ein vornehmlich politisches und weniger wirtschaftliches Problem (vgl. P2: 9–26): 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

I1:

unterm Strich werden aber diese ganzen Aufwendungen die kommen ja nicht mehr dem dem (.) dem Wohlergehen der Bevölkerung zu Gute zwar im Sinne von Überleben ja aber nicht im Sinne äh von einem gehobenen Lebensstandard, sondern man wird immer mehr in Verteidigung sag ich mal investieren müssen äh gegen gegen die Unwellen äh von von Starkwindereignissen Überflutungsereignissen und solchen Dingen äh wobei ich persönlich glaube dass die größte Auswirkung die wir in Europa spüren werden eigentlich Migrationsströme sind (.) wenn das so kommt, dass es in immer mehr Gegenden in der Welt so ungemütlich wird äh ähm Holland ist dann mal @sicherlich ein Ausnahmefall@ ähm die sind auch extrem stark betroffen, weil se wenn dann wenn der Meeresspiegel ansteigt oder in anderen Regionen wenn die Trockenzeiten zunehmen, dass aber der Migrationsdruck aus den Gegenden die unter schwankenden Niederschlagsereignissen oder eben stark schwankenden äh ähm Wasserspiegeln einfach sich auf den Weg machen in andere Regionen. Und und das (.) das wird dann destabilisierend sein, sowohl für die Demokratie als auch für das Wirtschaftssystem was wir heute haben. Die Unternehmen können natürlich auch mit nem totalitären Staat leben der die Grenzen dicht macht und und und, aber es werden denk ich mal ein dramatischer Wohlfahrtsverlust zu spüren sein

Die in dieser Aussage bereits anklingende Differenzierung von Wirtschaft und Politik als zwei separate gesellschaftliche Sphären mit je spezifischen Zuständigkeitsbereichen wird im Rahmen des operativen Grenzmanagements durch eine Reihe transjunktionaler Operationen unterstrichen. Beim Großteil dieser transjunktionalen Operationen handelt es sich um totale undifferenzierte Rejektionen, in denen die Politik – aus wirtschaftlich-unternehmerischer Perspektive – als fremde Domäne charakterisiert wird, deren Handlungslogik und Zielsetzungen wenig nachvollziehbar erscheinen. So erklärt etwa I6, Vertreter*in eines Industrieverbands, am Beispiel der staatlichen Regulierung zu Energieeffizienz, dass „zwischen dem Satz ‚wir wollen die Energieeffizienz in unserem Land steigern‘ und Energiekonzept und von dem, was viele auch in den Parteiprogrammen schreiben“ auf der einen Seite und den „tatsächlichen Probleme[n], die die Unternehmen vor Ort haben“ auf der anderen Seite ein „himmelweiter Unterschied“ besteht (P36: 59–61).

5. Illustrative Fallstudie | 269

In der Sachdimension wird das Handeln des Staates als unbeständiges „rumeiern“ (P31: 100), „Herumgedoktore“ (P23: 111–112; P17: 384) oder „Hin- und Herpendeln“ (P13:16) charakterisiert, das immer neue „Baustellen“ (P17: 223, 387; P21: 123; P23: 107–108) schafft und auf diese Weise unternehmerisches Anschlusshandeln hemmt. Die teils von der Politik selbst unintendierten Effekte ihrer gesetzlichen Regelungen – etwa die „Vermaisung der Landschaft“ bei der Förderung von Biomethan (P23: 90), die Entstehung von Fehlanreizen bei der Förderung von Effizienzmaßnahmen (P36: 42–51) oder die aus Sicht einiger Akteure zu starke Konzentration auf den „Minibereich“ der Stromerzeugung (P17: 382) werden als „natürlich total blöd“ (P23: 92), als „großer Schwachsinn“ (P36: 51) beziehungsweise als „extremst traurig“ (P17: 381) bewertet. Dies spiegelt sich, in der Zeitdimension, in einer Charakterisierung politischen Handelns als verhältnismäßig kurzfristiges und daher wenig verlässliches Agieren wider. Wie E2, Vertreter*in eines Energieversorgers, moniert, „[neigt] die Politik [.] schnell zu irgendwelchen Kurzschlussreaktionen“ (P7: 88). An anderer Stelle führt er*sie dazu aus (vgl. P4: 2–5): E2:

man hat immer irgendwie äh wenn man zum Beispiel eine Investitionsentscheidung trifft irgendwie muss man irgendwie immer die Angst haben okay jetzt kommt @(halt wieder)@ irgendein Politiker und sagt dann zwei drei Monate später nee wir machen das jetzt doch nicht so (.) wir machen jetzt was andres also

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F3, Mitglied eines institutionellen Investors, stellt fest: Die „Politik knickt schnell ein, wenn fünf Hansel demonstrieren“ (P15: 9). Auch der begrenzte handlungsrelevante Zeithorizont politischer Akteure, der maximal bis zur nächsten Wahl reicht, wird als problematisch empfunden. So spricht etwa F4, Mitglied eines institutionellen Investors, von „etwas, was sich durch die Politik durchzieht“. „Viele der Maßnahmen“, die die Politik trifft – „nicht nur im Bereich der Energiewende, sondern auch in anderen Bereichen“ – charakterisiert er*sie als eine „Politik nach mir die Sintflut: Soll doch die Politik, die nächste Regierung mal sehen, wie sie mit den Dingen zurecht kommt, die dann anstehen“ (P17: 209–213). In der Sozialdimension wird die Politik als „Bürokratie“ mit recht starren Zuständigkeitsbereichen beschrieben (P7: 32). Anders als die vergleichsweise agilen Unternehmen tue sie sich schwer, die verschiedenen Elemente der Energiewende auch über ministeriale Ressortgrenzen hinweg zu verknüpfen und die Interessen der beteiligten (Wirtschafts-)Akteure sinnvoll zu koordinieren. So kontrastiert etwa I1, Vertreter*in einer unternehmensnahen Stiftung, die Handlungslogiken staatlicher und wirtschaftlicher Akteure im Kontext der Frage, mit wem er*sie im Verlauf des Projektes gerne ins Gespräch kommen würde, wie folgt (vgl. P7: 1–26): I1:

Bei der Frage mit wem müssten wir noch sprechen (.) ich fände es eigentlich mal total spannend, wenn es so einen einen einen Tisch geben würde M1: [Ja I1: [Wie wir den jetzt machen mit den Vertretern von den- die Ministerien die es eigentlich zusammen umsetzen müssten ((M1: mhm)) ein Staa- ich äh ein Staatssekretär hat mal beim @(.)@ Abendessen des ((Name eines politischen Gremiums)) so n schönen Satz- so einen schönen Satz gesagt äh äh jedes Herstellen von Bezug ist der Eingriff in das Ressort eines anderen

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((@(Auflachen mehrerer Personen)@)) I1:

[So bin ich überhaupt dafür zuständig? und das ist ein großes Hindernis bei vielen Dingen, die man zusammen denken muss ähm ich bin nächste Woche auf auf so nem Kongress vom Facility-Management und da spricht nach mir jemand von ((Name eines Unternehmens aus der Automobilbranche)) zu den Gebäudemanagementleuten dadrüber wie ((Name des Unternehmens aus der Automobilbranche)) in Zukunft glaubt, seine Autos CO2-frei herstellen zu können ei- ein Thema was das kommt jetzt wieder bei euch ne, jetzt sind se wohl so weit und wo sie dann sagen ja dann dann dann müssen wir aber Biogas ist ja auch nur ne Übergangsstufe (.) eigentlich bräuchte man dann Synthesegase aus Wind und Sonne oder so äh und und und wie kann man mit anderen Brennstoffen, anderen Treibermodellen, mit Stromautos und wie kann man das durch viele viele Maßnahmen hinkriegen. aber und bei jedem dieser Maßnahmen brauchen sie ein anderes Gegenüber ne (.) einmal ist es die Gaswerke, einmal sinds Windmühlenleute, einmal sinds die Hersteller von Gebäuden äh dann sinds äh Käufer von Privatwagen, gewerbliche Fuhrparke also äh ne ne Vielzahl von- (.) während Politik immer noch so funktioniert das ´se sagt ach das macht das Ministerium, das Ministerium, das Ministerium

Während den Unternehmen also die Ergebnisse politischen Handelns – die Regulierungsbedingungen auf dem staatlich programmierten Markt – zumeist durchaus verständlich und anschlussfähig erscheinen, fällt es ihnen vergleichsweise schwer, die Logik, nach der diese Ergebnisse zustande gekommen sind – die Operativität des politischen Systems – nachzuvollziehen und sich in ihrem Handeln auf diese einzustellen. Lernfähigkeit: Inwiefern werden mit der Energiewende verbundene Enttäuschungen wirtschaftlicher Erwartungen und Routinen, prospektiv gerichtet, als Anlass für deren Anpassung betrachtet, anstatt ignoriert oder auf die ‚Umwelt‘ externalisiert zu werden? Wie soeben dargelegt, besteht die zentrale Erwartung der Wirtschaftsakteure im Rahmen der Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ darin, dass der Staat die Energiewende unter Rückgriff auf seine Regulierungsinstrumente rentabel gestaltet und auf diese Weise unternehmerisch anschlussfähig macht. Enttäuscht wird diese Erwartung immer dann, wenn der Staat die herrschenden Regulierungsbedingungen so verändert, dass zuvor geförderte unternehmerische Aktivitäten oder Geschäftsmodelle wieder unprofitabel werden. Eine solche Veränderung der politischen Förderung energiewendebezogener ökonomischer Aktivitäten kann sich in zwei verschiedenen Formen auf die unternehmerischen Zahlungskalküle auswirken: Zum einen gibt es regulatorische Anpassungen, die nur die Rentabilität zukünftig anstehender unternehmerischer Zahlungsentscheidungen betreffen. Zum anderen gibt es jedoch auch Fälle, in denen diese Anpassungen – gewissermaßen rückwirkend – die Profitabilität von bereits getroffenen Zahlungsentscheidungen beeinträchtigen. Bei diesen Zahlungsentscheidungen handelt es sich zumeist um noch nicht gänzlich amortisierte Investitionen: Um Zahlungen, die bereits in der Vergangenheit getätigt worden sind, die jedoch zum Zeitpunkt der unerwarteten Veränderung der politischen Regulierungsbedingungen noch keinen unternehmerischen Gewinn generiert haben und dies – aufgrund der jeweiligen politischen Veränderung – vermutlich auch zukünftig nicht tun werden. Vielmehr stellen sich solche Investitio-

5. Illustrative Fallstudie | 271

nen, entgegen der auf der ursprünglichen politischen Rahmensetzung fußenden unternehmerischen Erwartungen, als Verlustgeschäft heraus. Diese beiden Formen der Erwartungsenttäuschung sind für die Unternehmen mit unterschiedlichen Konsequenzen verbunden: Während sie ihre zukünftigen Zahlungskalküle im Rahmen routinierter Auffangstrukturen relativ leicht an veränderte regulatorische Bedingungen anpassen können, steht ihnen diese Anpassungsmöglichkeit im Hinblick auf bereits getroffene Zahlungsentscheidungen nicht (mehr) zur Verfügung. In diesem letztgenannten Fall führt das unerwartete Staatshandeln deswegen dazu, dass bereits getätigte Investitionen unrentabel werden, ohne dass die Unternehmen daran noch etwas ändern können. In diesem Kontext wandelt sich die Rolle des Staates daher von einem die Unternehmen entlastenden RisikoÜbernehmer, der die Energiewende in eine ökonomische Chance zur Zahlungsgenerierung transformiert, zu einer unberechenbaren Gefahr. Als ein relativ drastisches Beispiel für eine Veränderung des wirtschaftlichen Regulierungsumfelds für zukünftige unternehmerische Zahlungskalküle – die erste Form der Erwartungsenttäuschung im Hinblick auf die Verlässlichkeit der staatlichen Regulierung energiewendebezogener ökonomischer Aktivitäten – führt E2, Mitglied eines Energieversorgungsunternehmens, den 2011 gefassten politischen Beschluss zum deutschen Atomausstieg bis zum Jahr 2022 an (vgl. Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 31. Juli 2011, Bundesgesetzblatt 2011: 1704–1705). Den unternehmerischen Anpassungsprozess an diese Veränderung der politischen Rahmensetzung für die Stromerzeugung beschreibt E2 wie folgt (vgl. P1: 27–41): E2:

[nja wird davon natürlich davon ziemlich stark betroffen, weil einfach einen Großteil unseres Erzeugungsportfolios natürlich aus AKWs momentan noch produziert wird (.) also (.) aber ich denk auch grade ((Name des Unternehmens aus der Branche der Energieerzeuger)) auch wenn man sieht was der Vorstand momentan macht und ähm auch (.) wie sich die Stakeholder momentan dazu committed haben, ich denk man hat verstanden, dass man sich einfach nicht mehr an dieser Eisscholle festklammern kann, die jetzt immer noch am schmilzen ist, und man muss jetzt halt gucken, wie man sich davon wieder wegbewegt. Es gibt sicherlich irgendwie auch andre Große, die das noch nicht so ganz verstanden haben oder zumindest hab ich den Eindruck (.) ((@??@)) die halt auf ihrem Geschäftsmodell da gerne noch ein bisschen sitzen bleiben würden M1: Zum Beispiel? E2: [nja: also ich denk da (@M1@) die Namen sind eigentlich klar aber auf jeden Fall orientieren wir uns grad sehr stark hin zu neuen Geschäftsmodellen wollen auch natürlich nen Biss vom vom Brot abhaben Wie in dieser Aussage deutlich wird, erscheint das Unternehmen grundsätzlich bereit und in der Lage, seine konditionalprogrammierten Entscheidungsprogramme an veränderte Regulierungsbedingungen für zukünftig anstehende Zahlungsentscheidungen anzupassen.350 Im Hinblick auf solche Formen regulatorischer Veränderungen ope-

350 Zu beachten ist in diesem Kontext, dass die Energieversorger in Deutschland im Hinblick auf ihre bereits getätigten Investitionen in Atomkraftwerke – ähnlich wie im Falle der durch den aktuell für 2038 betroffenen Ausstieg aus der Kohlekraft – staatliche Ausgleichszahlungen und Entschädigungen verlangen und gerichtlich durchzusetzen suchen.

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272 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

riert es folglich mit vornehmlich kognitiv stilisierten Erwartungen, deren Enttäuschung in der Regel zu einer Anpassung der eigenen Entscheidungsstrukturen führt: Wenn sich der zukünftige politische Rahmen ändert, wird auch die zukünftige Fließrichtung des Geldes entsprechend angepasst. Auf diese Weise bleibt dem Unternehmen die Energiewende als potentielle Zahlungschance erhalten: Es besteht weiterhin die Möglichkeit, dass es „einen Biss vom Brot abhaben“ wird (P1: 41). Zudem kann das Unternehmen auf routinierte Auffangstrukturen im Sinne etablierter Zuständigkeiten und Wege der internen Strukturanpassung zurückgreifen. So erscheint hier etwa „der Vorstand“ als zuständig für den Beschluss und die Durchsetzung veränderter organisatorischer Entscheidungsprämissen nach innen (P1: 30), während „die Stakeholder“ diese Veränderung der unternehmerischen Ausrichtung von außen mit ihrem ‚commitment‘ stützen (P1: 31). All dies lässt darauf schließen, dass es sich bei dieser Form der ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassung unternehmerischer Erwartungen an politische Veränderungen um eine Form des konformen Lernens handelt. Das heißt um eine Form der Irritationsverarbeitung und Strukturanpassung, die die eigentlichen unternehmerischen Routinen zwar zunächst unterbricht, aber dennoch in der Art eines bereits vorhandenen Back-up-Programms zur Verfügung steht. Diese Form der umweltinduzierten Strukturanpassung entlang vorgezeichneter Wege wird als typische Form des systemischen Lernens im Kontext struktureller Kopplungen beschrieben. Wesentlich problematischer gestaltet sich die Situation für die Unternehmen, wenn sich eine Änderung der regulatorischen Bedingungen nicht nur auf zukünftig anstehende Zahlungsentscheidungen, sondern auch auf die Rentabilität bereits getätigter, aber noch nicht amortisierter Investitionen auswirkt. In diesem Fall – der zweiten Form der Erwartungsenttäuschung im Hinblick auf die Verlässlichkeit der politischen Regulierung energiewendebezogener ökonomischer Aktivitäten – haben die Unternehmen kaum Möglichkeiten, sich, gewissermaßen im Nachhinein, an diese Veränderungen so anzupassen, dass sie weiterhin Gewinne generieren können. So führt etwa E2 weiter aus, dass eine erneute Veränderung des Atomausstiegsgesetzes, das die politischen Rahmenbedingungen für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle nochmals modifizieren würde, bevor sich die bereits eingeleitete strategische Anpassung des Energieversorgers an den Atomausstieg amortisiert hat, diesem große Probleme bereiten würde (vgl. P1: 41–47): 41 42 43 44 45 46 47

E2:

und ähm ja=also ich mein für uns wär es halt natürlich nicht so gut wenn wir im Jahr 2030 sind, wir unsere Atomkraftwerke abgeschaltet haben natürlich strategisch uns dementsprechend ausgerichtet haben, versucht haben, andere Kapazitäten aufzubauen, und uns dann natürlich nochmal komplett um hundertachtzig Grad drehen müssten (.) also die Sache ist wir bewegen uns grad sehr stark, und wenn wir dann nochmal den Schwenk machen müssten wäre das natürlich sicherlich nicht vorteilhaft für uns

Der in der soeben angeführten Passage beschriebene Bereitschaft zur Anpassung eigener Erwartungen und Geschäftsmodelle bezieht sich lediglich auf Investitionen, die in der Zukunft getroffen werden und nicht für all jene Investitionen, die bereits getroffen wurden, sich aber noch nicht amortisiert haben.

5. Illustrative Fallstudie | 273

In einem anderen Gruppengespräch diskutieren die Gesprächsteilnehmer*innen einen ähnlich gelagerten Fall der – aus der unternehmerischen Perspektive – rückwirkenden Veränderung politischer Regulierungsbedingungen, welcher ebenfalls den Bereich der Stromerzeugung betrifft: In der Erwartung, dass der durch die Energiewende forcierte Ausbau der erneuerbaren Energieträger zu mehr Volatilität in der Stromerzeugung führen wird, hatten einige Energieversorger in den Bau und Betrieb von Gaskraftwerken investiert. Diese Kraftwerke waren dafür vorgesehen, für den Ausgleich der Erzeugungsschwankungen zu sorgen. Aufgrund der staatlichen Regulierung des Strommarkts nach dem ‚Merit-Order-Prinzip‘, das den an der Börse gehandelten Strompreis an den Grenzkosten der Stromerzeugung bemisst, wird diese Ausgleichsfunktion aktuell jedoch vornehmlich durch zwar deutlich weniger klimafreundliche, aber mit geringeren Grenzkosten verbundene Kohlekraftwerke erfüllt. 351 Die Konsequenz dieser staatlichen Regulierung bestand also darin, dass die Gaskraftwerke weitestgehend aus dem Strommarkt verdrängt wurden. Die eigentlich auf die politischen Ziele der Energiewende abgestimmte Investition in den Energieträger Gas erwies sich somit im Nachhinein, das heißt als die Investition bereits getätigt und die Gaskraftwerke gebaut waren, aufgrund des ‚Merit-Order-Prinzips‘ als ökonomisch unrentabel. E3, Mitglied eines Energieversorgungsunternehmens, beschreibt diese Problematik wie folgt (vgl. P18: 53–63): E3:

[Ähm ja Sie haben Sie haben Dinge wie wie CO2-Zertifikate, das hängt alles davon ab. Wenn Sie dann gucken, ich mein wir erzeu- wir betreiben ja Kraftwerke auch um Energie zu erzeugen und dann sollten die möglichst lange laufen ähm jetzt läuft das über ein merit order Prinzip an der Börse, das heißt die günstigsten- macht ja auch wieder volkswirtschaftlich Sinn (.) die günstigsten Kraftwerke sind drin. Wenn wir uns jetzt wundern warum in der Energiewirtschaft grade äh so viel CO2 erzeugt wird trotz Zubau Erneuerbare ähm haben wir höhere CO2Emissionen, warum ist das so? Weil die Braunkohlekraftwerke einfach durchlaufen, und die Gaskraftwerke von denen man gedacht hat, dass die die Flexibilisierung dann ins System reinbringen, die rechnen sich einfach nicht mehr, die werden jetzt alle zur Stilllegung angemeldet

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Dass die Unternehmen sich auf solche Formen rückwirkender regulatorischer Veränderungen kaum einstellen können, zeigt sich in den Reaktionen der Gesprächsteilnehmer*innen auf die Frage des*der Moderierenden, M1, wie die Kraftwerksbetreiber mit diesem Problem umgehen könnten (vgl. P18: 70–83): M1: [Aber w- und wie gehen Sie damit um, mit dieser Situation? E3: Äh (3) F7: Abschalten, einmotten @(.)@ F4: [und und abwarten bis die Politk sagt wir müssen euch Geld dafür geben dass die Dinger stehn bleiben E3: [@(wie gehen wir damit um? äh)@ (.) I3: [( will heißen die haben da) ein Gaskraftwerk, was faktisch nicht läuft ne also das ist schon

351 Zur Funktionsweise und den Effekten der Strommarktregulierung nach der ‚Merit-Order‘ vgl. Cludius et al. (2013); Sensfuß et al. (2008).

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274 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

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E3: I3:

[Ja klar das äh puh [Das ist ganz neu und es wird einfach nicht kommt nicht ans Netz- also is- erzeugt nicht E3: Wir überlegen uns natürlich, wie wir aus äh weil ich mein wir sind ein im Wettbewerb stehendes Unternehmen müssen uns überlegen wie kommen wir aus regulierten Bereichen raus in nicht-regulierte Märkte E3 reagiert zunächst zögerlich mit einem „äh“ und einer dreisekündigen Pause auf die Frage der Moderatorin und verleiht sodann seiner*ihrer spontanen Ratlosigkeit durch die Aussage „ja klar, das äh puh“ Ausdruck (P18: 71, 78). Im Anschluss an E3s anfängliches Zögern schaltet sich F7, Mitglied eines institutionellen Investors, in das Gespräch ein und schlägt etwas scherzhaft das „Abschalten, [E]inmotten“ der Anlagen als unternehmerische Anpassung vor (P18: 72). F4, ebenfalls in der Finanzwirtschaft tätig, verweist auf eine andere Alternative, die die Unfähigkeit der Unternehmen, sich an diese Situation anzupassen, nochmals unterstreicht. Denn diese besteht schlicht darin abzuwarten, „bis die Politik sagt, wir müssen euch Geld dafür geben, dass die Dinger steh‘n bleiben“ (P18: 73–74). I3, Vertreter*in eines Industrieverbands, wiederum, begegnet dieser scheinbar schwer zu beantwortenden Frage, indem er*sie die vertrackte Lage der Unternehmen weiter ausführt: „die haben da ein Gaskraftwerk, was faktisch nicht läuft […] das ist ganz neu und es wir einfach nicht und es kommt nicht ans Netz […]“ (P18: 76–80). Schließlich meldet sich auch E3 nochmals zu Wort und verweist darauf, dass die langfristige Lektion, die sein Unternehmen aus solchen Erwartungsenttäuschungen in Bezug auf die Verlässlichkeit staatlicher Rahmenbedingungen ziehen könne, im Kern darin besteht, sich für die Zukunft dem Einfluss des Staates auf die eigenen Geschäftsmodelle zu entziehen, indem man sich „aus regulierten Bereichen raus in nicht-regulierte Märkte“ begibt (P18: 82–83). Unmittelbar scheint jedoch „die Politik“ die einzige Instanz zu sein, die in Lage wäre, ein solches, unternehmerisches Problem zu lösen, indem sie für den durch diese Art von Fehlinvestitionen entstandenen finanziellen Schaden aufkommt. In diesen Reaktionen wird zum einen deutlich, dass die Unternehmen auf diese zweite Form der Erwartungsenttäuschung in Bezug auf die Verlässlichkeit des politisch gesetzten Regulierungsrahmens vergleichsweise schlecht vorbereitet sind und dementsprechend keine Möglichkeit sehen, sich auf diese einzustellen. Zum anderen zeigt sich, dass sie den aus solchen Enttäuschungen resultierenden Anpassungsdruck auf „die Politik“ externalisieren, die aus ihrer Perspektive für den entstandenen wirtschaftlichen Schaden aufkommen kann – oder besser gesagt: sollte. Dass es sich dabei um eine normativ stilisierte Erwartung handelt, die auch im Enttäuschungsfall kontrafaktisch aufrechterhalten wird, dokumentiert sich in einer weiteren Schilderung von E3, die von I3 zustimmend kommentiert wird (vgl. P23: 24–43). Nachdem die Gesprächsteilnehmer*innen wesentliche Hindernisse gesammelt und mittels einer Punktvergabe priorisiert haben, erläutert E3 am Beispiel des verzögerten Anschlusses von Offshore-Windparks an das Stromnetz, weshalb er*sie das Hindernis ‚zu wenig staatliche Instrumente zur Übernahme von Risiken‘ als besonders problematisch erachtet: Seiner*ihrer Meinung nach sollten weder die mit dem Bau des Windparks beauftragten Unternehmen, noch die Stromverbraucher den finanziellen Schaden tragen, der aus dem verzögerten Netzanschluss resultiert. Vielmehr sollte der Staat als

5. Illustrative Fallstudie | 275

hier „einspringen“. Denn – wie E3 zusammenfasst – „wenn der Staat sagt ich will offshore, dann soll er offshore bezahlen“ (P23: 42–43): E3:

I3: E3: I3: E3:

I3: E3: I3: E3:

Also ich hab da oben einen Punkt auch hingeklebt bei zu wenig staatliche äh Instrumente zur Übernahme von Risiken und ich hab dabei an die Offshore-Windanlagen gedacht. Warum soll ich denn als Privatkunde jetzt da irgendwie n Viertel Cent oder was auf mein- auf meinen Verbrauch draufschlagen, nur weil es irgendwelche Konzerne nicht hinkriegen, da eine gescheite OffshoreAnlage hinzustellen? [Genau (.) ja also aus genau aus Privatkundensicht seh ichs auch so Und ich hab nie entschieden, dass da offshore-Wind hinsoll (.) [Ja [Wenn wir das nicht können, dann machen wirs nicht, aber (.) und wenn jemand sagt er kanns dann soll ers machen, dann kann er auch ne Einspeisevergütung dafür kriegen, die dann fair ist, bin ich voll dafür, aber warum werd ich denn jetzt noch damit belastet [Das ist genau der Punkt [Weil irgendeiner sagt, ja ich krieg aber die Netzverbindung nicht hin (.) damit hab ich echt n Problem Ja geht- das geht mir geht mir genauso Und da sag ich, da soll eigentlich der Staat einspringen, wenn der Staat sagt ich will offshore, dann soll er offshore bezahlen

Eine ‚umweltinduzierte‘ Anpassung dieser normativ stilisierten Erwartungen im Sinne des wirtschaftssystemischen Lernens erscheint in diesem Kontext folglich vergleichsweise unwahrscheinlich. An der Gegenüberstellung des unterschiedlichen Umgangs der Unternehmen mit diesen beiden Formen der Erwartungsenttäuschung im Hinblick auf die Verlässlichkeit der politischen Regulierungsbedingungen lässt sich schlussfolgern, dass die Lernfähigkeit im Kontext der Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ von Fall zu Fall variiert: Während Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen für in der Zukunft anstehende unternehmerische Zahlungsentscheidungen grundsätzlich als erwartbare Änderungen behandelt werden, an die die unternehmerischen Entscheidungsroutinen vergleichsweise leicht angepasst werden können, stellt sich die unternehmerische Anpassung an veränderte Regulierungsbedingungen, die die Rentabilität bereits getätigter Investitionen beeinträchtigen, als weitaus problematischer dar. Im ersten Fall handelt es sich um die Enttäuschung einer kognitiven Erwartung, der die Unternehmen mit einer Selbstanpassung durch konformes Lernen im Rahmen routinierter Auffangstrukturen begegnen können. Im zweiten Fall wird dagegen eine normative Erwartung enttäuscht, die in der Regel keine unternehmerischen Anpassungsprozesse in Gang setzt, sondern vielmehr zu einer Externalisierung des Anpassungsdrucks in Richtung Politik führt. Diese zweite Form der Erwartungsenttäuschung hat zudem Konsequenzen für die Funktionalität der Kooperationsbeziehungen zwischen Staat und Unternehmen im Allgemeinen. Wie bereits mehrfach angedeutet, lässt sich diese Kooperationsbeziehung als eine konkrete Manifestation der strukturellen Kopplung des politischen Sys-

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276 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

tems und des Wirtschaftssystems über den staatlich regulierten Markt deuten: 352 Im Rahmen der Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ beobachten die Unternehmen die Politik über diesen Bereich des Marktes mit erhöhter Aufmerksamkeit. Dabei verstehen sie sie als zweckprogrammierte Instanz, die zur Umsetzung ihrer Ziele – hier: der Energiewende – auf die unternehmerischen Zahlungsentscheidungskalküle zugreifen kann, indem sie die Rentabilität ökonomischer Aktivitäten mittels bestimmter Regulierungsinstrumente – Anreize, Subventionen oder gesetzliche Ge- beziehungsweise Verbote – in entscheidender Weise (mit-) programmiert. Sowohl zur retrospektiven Deutung dieser staatlichen Regulierungsinstrumente als unternehmerisch anschlussfähige Informationen als auch zu deren prospektiven Berücksichtigung im Rahmen der eigenen Zahlungsentscheidungskalküle verfügen die Unternehmen über bereits etablierte Erwartungsstrukturen, die ihnen einen routinierten Anschluss an diese Instrumente erleichtern. Für den Fall bestimmter Formen der Erwartungsenttäuschung im Hinblick auf das Verhalten der Politik – der Veränderung der staatlichen Regulierungsbedingungen für künftig anstehende Zahlungsentscheidungen – haben sie zudem sogenannte Auffangstrukturen entwickelt, die ihnen eine routinierte Strukturanpassung an diese Art von Irritationen ermöglichen.353 In diesem Sinne weisen die Unternehmen eine spezifische und ausgeprägte Irritabilität, Reagibilität und Lernfähigkeit in Bezug auf die Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm auf. Wie soeben gezeigt, ist eine bestimmte Form der Erwartungsenttäuschung von dieser systemisch institutionalisierten Kopplungsbeziehung jedoch ausgenommen: Die – aus unternehmerischer Perspektive – rückwirkende Veränderung der politischen Regulierungsbedingungen für bereits getätigte, aber noch nicht amortisierte Investitionen. Diese Form der Veränderung politischer Regulierungsbedingungen führt dazu, dass ehemals profitable Geschäfte auf dem staatlich regulierten Markt in unprofitable Geschäfte transformiert werden, ohne dass die Unternehmen sich auf diesen Umstand einstellen könnten. Hier zeigt sich die negative Kehrseite der Übernahme unternehmerischer Risiken durch den Staat: Auf der einen Seite erweitert das staatliche Handeln die Bandbreite der ökonomisch rentablen Aktivitäten; auf der anderen Seite wird das staatliche Handeln, das sich dem Zugriff der Unternehmen entzieht, dadurch für die Unternehmen zu einer Gefahr, der sie kaum mit eigenem Handeln begegnen können. Die einzige Konsequenz, die die Unternehmen langfristig aus solchen Erwartungsenttäuschungen ziehen können, besteht – wie E3 anmerkt – in einem Rückzug aus dem staatlich programmierten Markt: „wir […] müssen uns überlegen: Wie kommen wir aus regulierten Bereichen raus in nicht-regulierte Märkte?“ (P18: 81–83). Daraus folgt: Die strukturelle Kopplung zwischen politischem System und Wirtschaftssystem über den staatlich programmierten Markt kann nur solange funktionieren, wie die Unternehmen, in der Sozialdimension, auf die grundsätzliche

352 Und genauer: Als die wirtschaftssystemischen Binnenperspektive auf diese Kopplung. Die politische Perspektive auf diese Kooperationsbeziehung zwischen Wirtschaftssystem und politischem System kann nur anhand von Operationen des politischen Systems erschlossen werden. 353 Zum Verhältnis der theoretischen Konzepte systemischer Resonanzfähigkeit und struktureller Kopplung vgl. Fußnote 20 sowie Abschnitt 3.2.2.

5. Illustrative Fallstudie | 277

Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit des politisch gesetzten Regulierungsrahmens vertrauen (können).354 Schwindet dieses Vertrauen aufgrund wiederholter Erwartungsenttäuschungen der zuletzt beschriebenen Form, droht auch die etablierte Kopplungsbeziehung zwischen politischem System und Wirtschaftssystem zunehmend zu erodieren. Der Staat erscheint den Unternehmen dann nicht mehr als ein Akteur, der unternehmerische Risiken abmildert und auf diese Weise die Profitabilität bestimmter ökonomischer Aktivitäten positiv beeinflusst, sondern als unberechenbare Gefahr, die die Profitabilität dieser Aktivitäten bedroht. Wie es eine*r der Gesprächsteilnehmer*innen formuliert bestehen „[d]ie Implikationen“ solcher Enttäuschungserfahrungen „für die Energiewende“ darin, dass sich die Unternehmen zunehmend fragen

354 Eine Erosion des unternehmerischen Vertrauens in die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit des Staates und dessen wirtschaftspolitische Programme in der Sozialdimension führt auch dazu, dass sich gewisse strukturelle Inkongruenzen zwischen dem politischen System und dem Wirtschaftssystem in Sach- und Zeitdimension als zunehmend hinderlich für das unternehmerische Anschlusshandeln an die Energiewende erweisen. In der Sachdimension kommt es gelegentlich vor, dass die Regulierungsbedingungen für Wirtschaftsbereiche, die politisch als getrennte Bereiche behandelt werden, wirtschaftlich aber durchaus zusammenwirken, nicht aufeinander abgestimmt sind. Aus der Perspektive der Wirtschaftsakteure produzieren solche regulatorischen Inkohärenzen widersprüchliche ökonomische Informationen, die das unternehmerische Anschlusshandeln erschweren. Wie F2, Mitglied eines institutionellen Investors, anmerkt, ist dies beispielsweise bei der aktuellen Regulierung des Finanz- und Energiemarkts der Fall, die sich beide auf das Geschäftsmodell des Unternehmens auswirken: „Als ((Name des institutionellen Investors)) sind wir hochreguliert. Diese Regulierung denkt das Erneuerbare- und Klimaziel nicht mit. Es entstehen Fehlanreize durch Finanzmarktregulierung, da ErneuerbareInvestitionsmöglichkeiten in eine Quote mit anderen, hochrentablen Anlagen zusammengelegt werden“ (P13: 21–23). In der Zeitdimension kann sich die strukturelle Inkongruenz der handlungsrelevanten Zeithorizonte im politischen System und Wirtschaftssystem als problematisch erweisen. Besonders deutlich zeigt sich dies im Hinblick auf unternehmerische Investitionen in Kraftwerke zur Stromerzeugung, deren Amortisationszeiten bis zu 40 Jahre betragen können und damit die Zeithorizonte politischer Akteure, deren Handeln vor allem auf vier- bis fünfjährige Wahlperioden ausgerichtet ist, um ein Vielfaches überschreiten. Bei solchen Langfristinvestitionen kann eine Änderung der politischen Rahmenbedingungen noch vor Ablauf der Amortisationszeit kaum ausgeschlossen werden. Vertrauen die Unternehmen auf die langfristige Bindekraft staatlicher Zielstellungen – also in diesem Fall darauf, dass die Energiewende als staatliches Ziel gesetzt ist, an das sich nicht nur gegenwärtige, sondern auch zukünftige Regierungen gebunden fühlen werden, kann sowohl diese temporale „Diskrepanz zwischen Laufzeit und Regulierungsintervallen“ (P26: 202) als auch die sachliche Inkohärenz politischer Regulierungsbedingungen in unterschiedlichen Regulierungsbereichen bis zu einem gewissen Grad entschärft werden. Denn dann können die Unternehmen – in der Sozialdimension – davon ausgehen, dass auch künftige Regierungen die staatlichen Förderungsmaßnahmen und Rahmensetzungen zumindest grundsätzlich nicht revidieren und eventuell auftretende sachliche Widersprüchlichkeiten im Zweifel zugunsten der Energiewende auflösen werden.

278 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

müssen: „Wie sicher ist denn da eigentlich politische Sicherheit oder Planungssicherheit?“ (P24: 53–54). In der Konsequenz ziehen es immer mehr Unternehmen in Erwägung, sich aus dem staatlich programmierten Markt zurückzuziehen und ihre Aktivitäten stärker auf weniger stark regulierte Märkte zu konzentrieren. Auf diese Weise verliert das politische System einen entscheidenden Einflusskanal in Richtung des Wirtschaftssystems, was – in dem hier betrachteten Fall – dazu führen kann, dass wirtschaftssystemische Resonanzen auf die Energiewende blockiert werden. Dass solche Erosionstendenzen in Bezug auf die strukturelle Kopplung zwischen politischem System und Wirtschaftssystem über den staatlich programmierten Markt bereits zu erkennen sind, zeigt sich beispielsweise an der in den Fokusgruppeninterviews mehrfach geäußerten Kritik, dass es der Politik aktuell an einem überzeugenden „Szenario“ für die Energiewende fehlt, „auf das man sich wirklich verlassen kann“ und auf dessen Basis sich das zukünftige Handeln des Staates auch über mehrere Wahlzyklen hinweg abschätzen lässt (P7: 109–110). Dass die politische Debatte zur Energiewende, wie I1, Mitglied einer unternehmensnahen Stiftung, moniert, derzeit als „reine Fachdiskussion“ geführt wird, erscheint den Wirtschaftsakteuren im Hinblick auf die „Entschlusskraft“ des „politische[n] Willen[s]“ und „das Momentum“, diesen auch dauerhaft „durchhalten zu können“ als wenig vertrauenserweckend (P4: 34, 30–31). Glaubwürdiger wäre es, wenn es der Politik gelänge, die Energiewende als eine der Mondlandung ähnliche, utopisch-motivierende gesamtgesellschaftliche Zielstellung einer „völlig neue[n] Energiezukunft“ (P4: 35) zu entfalten, an die sie sich selbst und andere gesellschaftliche Akteure langfristig binden könnte (vgl. P4: 30–39): 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39

I1:

ich glaube damit der politische Wille ne Entschlusskraft hat und ne äh äh ähm ähm das Momentum hat durchhalten zu können (.) ist es politisch glaub ich ganz gefährlich das zu tun was im Moment gemacht wird, dass wir nur noch darüber diskutieren wie wird der Strompreis gestaltet, wie soll das EEG passieren ((M1: mhm)) das ist ne reine Fachdiskussion wenn wir als Land wirklich sagen wollen wir wollen von da: in eine völlig neue Energiezukunft starten °in zwanzig Jahren° dann muss ich sagen das ist unser Ziel wir wollen zum Mond fliegen und es geht nicht dadrum ob die Rampe nochmal verstärkt wird nicht verstärkt wird, oder sowas das ist im Moment die äh Diskussion, die wir haben und wie wir die Rakete anmalen wollen (.) wo wir mal sagen hey Leute, wir wollen zum Mond fliegen wir wollen unser Energiesystem komplett umstellen Ein solches Zukunftsszenario, das das Handeln politischer Akteure ebenso glaubhaft wie langfristig an der Energiewende orientieren würde, könnte dem schwindenden Vertrauen der Unternehmen in die Verlässlichkeit der staatlich gesetzten Regulierungsbedingungen und den damit potentiell verbundenen Resonanzblockaden entgegenwirken. Die wirtschaftssystemische Binnenkontextur der ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘ Die zweite typische Deutungs- und Prozessierungsform der Energiewende, die im Rahmen der komparativen Analyse des empirischen Materials herausgearbeitet werden konnte, – die wirtschaftssystemische Binnenkontextur ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘ –, zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Dimension der Energiewende als übergreifende staatliche Zielstellung weitestgehend ausblendet. Die Energiewende wird hier also nicht in ihrer ‚systemfremden‘ Bedeutung

5. Illustrative Fallstudie | 279

als wirtschaftspolitisches Programm relevant, sondern als ein Element eines breiten globalen Markttrends zur Transformation des Energiesystems begriffen, der sich bereits aktuell im Weltmarkt abzuzeichnen beginnt. Wie jede Veränderung im evolutorischen Marktwettbewerb, ist auch dieser Transformationsprozess für die Unternehmen sowohl mit Innovationschancen als auch Risiken verbunden. Um diese Chancen nutzen beziehungsweise diese Risiken vermeiden zu können, stehen die Unternehmen vor der Aufgabe, die für ihr Geschäftsmodell bedeutsamen Veränderungen, die mit der zukünftigen Transformation des Energiesystems verbundenen sind, bestmöglich zu antizipieren und in ihre aktuellen Zahlungsentscheidungskalküle einzubeziehen. Im Fokus dieser Kontextur stehen daher die konkreten Formen, in denen sich die Energiewende beziehungsweise einzelne ihrer Elemente als Kostenbelastungen oder Gewinnmöglichkeiten im Wettbewerbsmarkt manifestieren (könnten) und auf diesem Wege Eingang in die diversen Entscheidungsstrukturen verschiedener Wirtschaftsunternehmen und -branchen finden. Anders als im Kontext der ersten staatszentrierten Beobachterperspektive, erfolgt die Deutung und Prozessierung der Energiewende im Rahmen der Binnenkontextur ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘ nicht in innersystemisch institutionalisierten Bahnen. Vielmehr lassen sich hier viele verschiedene Formen der Bezugnahme auf die Energiewende nachvollziehen: Als was die Energiewende verstanden wird – ob als Zahlungschance, als Risiko für das aktuelle Geschäftsmodell oder als letztlich nur sehr begrenzt zahlungsrelevantes, da auf den deutschen Markt begrenztes Geschehen – variiert von Unternehmen zu Unternehmen und von Branche zu Branche. Da die Energiewende dabei lediglich mittelbar in der Art und Weise Eingang in die unternehmerischen Zahlungskalküle finden kann, in der sie sich im Wettbewerbsmarkt manifestiert, liegt die Begrenztheit der Resonanzfähigkeit hier vor allem in einer vergleichsweise eng gefassten Irritabilität und Reagibilität. Nichtsdestotrotz ist die Binnenkontextur ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘ durch eine recht ausgeprägte Lernfähigkeit gekennzeichnet: Wenn bestimmte Aspekte der Energiewende einmal als für die (zukünftige) unternehmerische Gewinnmaximierung relevant begriffen wurden, kann dies die Unternehmen zu vergleichsweise kreativen und neuartigen Strukturanpassungen anregen. Durch diese strukturelle Disposition zu nicht-konformem Lernen können auch jenseits der wirtschaftspolitisch vorgezeichneten beziehungsweise geebneten Pfade innovative, auf die Energiewende bezogene neue Produkte und Geschäftsmodelle entstehen. Die folgende Rekonstruktion der wirtschaftssystemischen Binnenkontextur ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘ orientiert sich ebenfalls an den drei strukturellen Unterdispositionen, die deren Resonanzfähigkeit für die Energiewende regulieren. Der erste Abschnitt widmet sich der Irritabilität dieser wirtschaftssystemischen Binnenperspektive im Hinblick auf die Energiewende; also der Frage, wie die Energiewende in diesem Kontext, retrospektiv gerichtet, verstanden wird. Im zweiten Abschnitt geht es um die Rekonstruktion der Reagibilität: Inwiefern findet, prospektiv gerichtet, ein wirtschaftlich-unternehmerisches Anschlusshandeln an die Energiewende statt oder wird als Möglichkeit in Betracht gezogen? Der dritte Abschnitt wiederum richtet den Blick auf die die Binnenkontextur ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘ prägende Lernfähigkeit: Inwiefern werden mit der Energiewende verbundene Enttäuschungen wirtschaftlichunternehmerischer Erwartungen und Routinen, prospektiv gerichtet, als Anlass für

280 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

deren Anpassung betrachtet, anstatt ignoriert oder auf die ‚Umwelt‘ externalisiert zu werden? In diesem Zusammenhang können dann ebenfalls einige Schlaglichter auf die sich in diesem Kontext abzeichnenden strukturellen Blockaden geworfen werden, die der unternehmerischen Anpassung an die Energiewende – und damit dem Zustandekommen von Resonanzen – aktuell entgegenwirken. Irritabilität: Wie wird die Energiewende, retrospektiv gerichtet, verstanden? Die wirtschaftssystemische Binnenkontextur ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘ zeichnet sich, in der Sozialdimension, dadurch aus, dass die Energiewende hier nicht als Programm der Politik verstanden, sondern aus der Perspektive der konkreten „betrieblichen Praxis“ – der „operative[.] Ebene vor Ort“ – in den Blick genommen wird (P33: 2, 25). Dementsprechend wird die Energiewende nicht als zusammenhängender Block staatlicher Maßnahmen, sondern in den vielen unterschiedlichen und kleinteiligen Formen wahrgenommen, in denen sie sich aktuell in die Entscheidungspraktiken von im Marktwettbewerb agierenden Unternehmen einschreibt. Ob beziehungsweise in welcher Hinsicht die Energiewende im Rahmen dieser wirtschaftssystemischen Beobachterperspektive, retrospektiv gerichtet, als relevant erachtet wird, „hängt“ dabei – wie F2, Mitglied eines institutionellen Investors ausführt – stets „sehr davon ab: ‚Wer bin ich?‘. Alle haben unterschiedliche Interessen […] Es kommt sehr darauf an, welche Interessen man hat“ (P11: 2–3, 11). Dies führt dazu, dass die Energiewende in der Sachdimension – wie F3, Mitglied eines institutionellen Investors ausführt – als „unheimlich differenziertes Thema“ wahrgenommen wird (vgl. P16: 113–123): 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122 123

F5:

also die Finanzierung der Energiewende ist ein unheimlich differenziertes Thema (.) ((M1: mhm)) wir sprechen da wirklich über äh ganz andere Finanzierungen ähm wenn wir über ähm ein neues Kraftwerk sprechen, wenn wir über den Ausbau von Netzen sprechen, ähm wenn wir über äh Energieeffizienzmaßnahmen in Unternehmen sprechen äh wenn wir darüber sprechen dass äh (2) dass Haushalte irgendwie unterstützt werden (.) und da braucht man auch ganz andere wahrscheinlich maßgeschneiderte Antworten drauf ((M2: mhm)) und äh das kommt auch in Ihrem Antrag letztenendes noch nicht äh so ganz klar raus ((M1: mhm)) obwohl das natürlich irgendwie natürlich total naheliegend ist (.) da wird es nicht (.) die eine Lösung geben sondern da wird man siebenundfünfzig Lösungen für brauchen

Das Verständnis der Energiewende als übergreifende staatliche Zielstellung, das, wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt, die Irritabilität der Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ prägt, wird in diesem Kontext als unzulässige Verkürzung begriffen und als solche im Rahmen des operativen Grenzmanagements explizit zurückgewiesen. Wird die Energiewende in den Gruppengesprächen in dieser Weise thematisiert, führt dies zu Irritationen. So spricht etwa F5 eine explizite Warnung an die Forschenden aus, die Energiewende nicht als einheitlichen „Block“, sondern in ihren jeweiligen unternehmens- beziehungsweise branchenspezifischen Bedeutungen zu begreifen: „Das ist wirklich eine Vielzahl von Gründen (.) und das ist für jedes Unternehmen ein bisschen anders. Also deswegen also ich kann

5. Illustrative Fallstudie | 281

Sie da wirklich auch nur vor warnen also die ganze Energiewende ist kein Block“ (P17: 146–148). Dass hier nicht der Staat und dessen wirtschaftspolitische Programme, sondern der Wettbewerbsmarkt und das Agieren der auf diesem Markt befindlichen Konkurrenten als zentrale Orientierungspunkte der Unternehmen fungieren, zeigt sich auch darin, dass die Gesprächsteilnehmer*innen bei der Frage, mit wem sie im weiteren Projektverlauf gerne ins Gespräch kommen würden, nicht auf staatliche Stellen oder Akteure verweisen. Vielmehr sind sie an einem Austausch mit anderen Wirtschaftsbranchen oder Unternehmen interessiert, die für sie entweder als Kooperationspartner in der Entwicklung neuer Produkte und Geschäftsmodelle oder als potentielle Kunden von Bedeutung sind. Zudem bleibt das Spektrum anvisierter Kooperationen oder zu erschließender Marktanteile nicht auf den deutschen Markt – und damit auch nicht auf den deutschen Regulierungsrahmen – beschränkt. Unternehmerisch relevant wird die Energiewende, insbesondere für international tätige Investoren und Industrieunternehmen, nicht so sehr als „was Kleines in Deutschland“ (P9: 3). Eine solche rein „deutsche Sichtweise“ wird als „viel zu eng“ beziehungsweise „zu klein gedacht“ bewertet (P12: 6): „Wir denken die Energiewende eher nicht im deutschen Verständnis, sehen eher viele Energiewenden. Man guckt auf viele Märkte und Rahmenbedingungen“ (P9: 11–13). Das unternehmerische Interesse an der deutschen Energiewende liegt vielmehr darin begründet, dass sie als ein Element eines „mittel- bis langfristige[n] Trend[s] weg von den Fossilen hin zu neuen Energieformen“ begriffen wird, „der stabil, global und dauerhaft ist“ (P9: 5–6). Denn – wie ein Mitglied eines international tätigen Industrieunternehmens konstatiert – nicht nur in Deutschland, sondern auch „[g]lobal verändert sich was in den Energiemärkten“ (P9: 27). Angesichts dieses allgemeinen, die Politik einzelner Staaten übergreifenden, globalen Transformationsprozesses erscheint es den Unternehmen, wie beispielsweise N1, Mitglied eines Verbands von Stromnetzbetreibern, festhält, auch nicht unbedingt entscheidend, ob die deutsche Energiewende als einer unter mehreren ‚Drivern‘ dieses Prozesses gelingt oder scheitert: „The Energiewende as a driver, I think, it can be not realized, but the transformation of the energy system as a result of all the innovation that is happening anyway“ (P3: 33–34). Für im globalen Marktwettbewerb agierende Unternehmen erweist sich die Energiewende demnach vor allem als eine Art Pilotprojekt und damit potentieller „Exportschlager“ für den Weltmarkt als relevant (P9:16). Zusätzlich zu dieser Abwendung von einem eher staatszentrierten Verständnis der deutschen Energiewende wird die im Rahmen der Binnenkontextur ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘ eingenommene Perspektive der konkreten unternehmerischen Entscheidungspraxis auch gegenüber anderen, abstrakteren Beobachterstandpunkten aus Wissenschaft oder Unternehmensberatungen abgegrenzt. Bei diesen transjunktionalen Operationen handelt es sich vornehmlich um totale undifferenzierte Rejektionen, mittels derer diese alternativen Beobachterstandpunkte zwar zunächst als solche aufgegriffen, dann aber als mit dem eigenen Standpunkt unvereinbar und daher als im Rahmen der Binnenkontextur ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘ nicht anschlussfähig beurteilt werden. W1, Mitglied eines Forschungsinstituts, kontrastiert diese verschiedenen Blickwinkel wie folgt (vgl. P33: 1–25):

282 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

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W1: Äh ja eins ich hätte noch ((M2: mhm)) den Gott der kleinen Dinge (.) ((M2: mhm)) naja (.) sagen wa mal (.) in der betrieblichen Praxis hat man nen Haufen sag ich jetzt mal Randbedingungen Details die Akademiker gern wegabstrahieren (.) aber die man nicht so leicht wegabstrahieren kann (.) konkre:tes Beispiel ähm haben meine Kollegen aus ((Name einer deutschen Großstadt) mir erzählt vom ((Name eines Forschungsinstituts)) äh Pumpen Elektropumpen elektrische Pumpen für was auch immer da gibt es verschiedene Energieeffizienzklassen und äh die höchste Klasse wird kaum verkauft (.) na dann haben die sich das angeguckt warum nicht? Und da kommt etwas ganz Spannendes es ist so ne Art LockIn (.) äh sie haben nen Betrieb da geht ne Pumpe kaputt Sie brauchen sofort Ersatz weil sonst steht ihr Betrieb (.) also rufen sie den Großhändler an der Großhändler hat auf Lager die Standardpumpen dann fragen Sie ja es gibt’s auch effiziente ja kann er auch besorgen dauert ne Woche äh ja dann nehmen Sie die Standardpumpe (.) und weil jeder die Standardpumpe nimmt legt der Großhändler die hocheffizienten Pumpen nicht auf Lager und weil die nicht auf Lager sind nimmt jeder die Standardpumpe (.) so zack boom kann ich wunderbar als spieltheoretisches Gleichgewicht modellieren aber in der betrieblichen Praxis ist es halt grad mal so und das krieg ich nicht einfach so aufgelöst und da kann ich dann lang ich kann lang auf der Makroebene mit irgendwelchen McKinsey Kostenkurven schauen an der- an der Tiefe geht geht es M2: [Das passt wahrsch- ganz schön hier auch rein ne? also das ist jetzt die operative Ebene W1: [Auf die operative Ebene und (.) ma könnts auch vielleicht wenn man es etwas griffiger machen will äh äh Details äh äh details matter (.) wie sagt man das auf deutsch? so Details spielen eine Rolle ((M2: mhm)) Details richtig auf der operativen Ebene vor Ort Die Neigung externer Beobachter, die vielschichtigen „Details“, die die realen unternehmerischen Entscheidungsprozesse „auf der operativen Ebene vor Ort“ prägen (P33: 3, 24–25), zu ignorieren führt – so W1 – regelmäßig dazu, dass sie das ökonomisch tragfähige Ausmaß an energiewendebezogenen Investitionen überschätzen. Das in Deutschland aktuell vorherrschende Framing der Energiewende, welches diese vor allem mit dem politischen Ziel der Vermeidung von CO 2-Emissionen verknüpft, wird vor diesem Hintergrund als wenig attraktiv beziehungsweise anschlussfähig empfunden. Denn, wie F1 als Mitglied eines institutionellen Investors bemerkt, ist die für die Unternehmen in puncto Energiewende zentrale Frage „‚was gewinnt man dabei?‘ […] bei CO2 schwierig zu thematisieren“. Passender wäre es zu betonen, dass ein „längerfristige[s] Setzen auf Erneuerbare [.] auch ökonomisch eine vernünftige Idee [ist]“ (P10: 11–13). Aus diesem Grund plädiert auch E1, Mitglied eines Energieversorgers, dafür die Energiewende von „missionarisch[en]“ Fragen zu lösen und ihre ökonomische Dimension als „Modernisierungschance“ zu betonen (vgl. P3: 4–9):

4 5 6 7 8 9

E1:

[was ich spannend finde ist ähm dass die Chancen eigentlich (.) sozusagen sehr ökonomisch motivierbar sind (.) es geht nich- also es geht auch, aber nicht im Kern darum jetzt irgendwie ähm missionarisch zu sein I1: [mhm E1: [und was Gutes zu tun, sondern es ist natürlich eine Modernisierungschance ähm (.) Energiewende

5. Illustrative Fallstudie | 283

Gelingt es den Unternehmen die mit der Energiewende verbundene Modernisierungschance rechtzeitig zu erkennen und zu nutzen, können sie sich als „first mover“ (P2: 110; P7: 92) zukünftige Wettbewerbs- und Standortvorteile sichern. Gleichzeitig bergen die mit der Energiewende verbundenen Transformationsprozesse jedoch auch gewisse Risiken für die Unternehmen. Denn wenn sie es verpassen, die sich ihnen in diesem Kontext bietenden Chancen rechtzeitig zu nutzen oder auf „die falsche Technologie“ setzen (P2: 43–44), laufen sie Gefahr, von anderen Wettbewerbern ausgebotet zu werden und ihre Marktanteile an diese zu verlieren. Diesen Fall beschreibt I1, Mitglied einer unternehmensnahen Stiftung, am Beispiel des Energiesektors (vgl. P2: 43–55): I1:

wenn wir in die falsche Technologie investieren oder wir meinen wir müssten den Strom noch mit Kohle machen dann aber wird er wird er doch regenerativ erzeugt weil das andere dann vielleicht schon für sieben oder fünf oder vier Cent oder drei Cent machen äh mit regenerativen Methoden ähm dann kann ja auch ein Kohlekraftwerk nicht mehr im Wettbewerb laufen ((M1: mhm)) und dann dann machen aber ganz andere das Geschäft. Und ähm darin sehe ich eigentlich eine ganz große Gefahr einer einer mangelnden Wettbewerbsfähigkeit jetzt im Bereich ähm Energie der der deutschen Unternehmen, dass ihr Kapitalstock dadurch entwertet wird. Die deutsche Wirtschaft ist eigentlich immer dann gut wenn sie Probleme der Zukunft cleverer löst als andere. das macht uns reich und das exportieren wir auch ((M1:@mhm@)) und wenn wir das nicht mehr können, und Energie wird ein zen- zentraler Baustein davon sein ähm dann haben wir ein Problem

In der Zeitdimension erscheint die Energiewende den im Wettbewerbsmarkt agierenden Unternehmen demnach vor allem als ambivalenter Zukunftstrend, der ihnen sowohl Chancen zur Generierung zukünftiger Gewinne offeriert als auch ein Risiko für die zukünftige Profitabilität ihrer aktuellen Geschäftsmodelle darstellt. Ob sich eine bestimmte Investition in Bezug auf die Energiewende, retrospektiv gerichtet, lohnt oder nicht, wird anhand einer Vielzahl unterschiedlicher Kostenschemata bestimmt, aus denen sich die unternehmerischen Zahlungsentscheidungskalküle in der konkreten „betrieblichen Praxis“ (P33: 2) zusammensetzen. Wie F5, Mitglied eines institutionellen Investors ausführt, basiert die unternehmerische Bewertung der Rentabilität bestimmter Maßnahmen stets auf einem ganzen „Bündel von Faktoren“ (P17: 128–129): Neben Informations- beziehungsweise Schulungskosten für technisches „Know-How“ und „spezialisierte Leute“ in der Sach- und Sozialdimension (P17: 131, 133) spielen in der Zeitdimension sowohl der jeweilige unternehmerische „Amortisationshorizont“ (P17: 56, 134) – und, damit verbunden, der „Investitionszyklus“ (P16: 25) – als auch der Grad an zukünftiger „Planungssicherheit“ (P17: 166–167) eine Rolle. Außerdem rücken „so ganz banale Dinge“ aus der Betriebspraxis ins Blickfeld der Unternehmen; beispielsweise die Frage, wo Mitarbeiter*innen für den Zeitraum der Durchführung energetischer Sanierungsmaßnahmen an Firmengebäuden möglichst günstig untergebracht werden können (P17: 138– 144) oder ob es sich lohnt, bestehende Pfadabhängigkeiten und „Lock-in“-Effekte aufzubrechen, um defekte Maschinenteile nicht durch die schnell verfügbaren Standardersatzteile, sondern durch effizientere, aber nicht sofort verfügbare Teile ersetzen zu können (P33: 9–17).

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284 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

Neben dieser recht differenzierten Berechnung der absoluten Rentabilität unternehmerischer Investitionen – also der Frage, ob die mit einer Investition verbundenen (erwarteten) Gewinne deren Kosten übersteigen – stützen sich die unternehmerischen Zahlungskalküle zudem – und ganz entscheidend – auf das Kriterium der „Opportunitätskosten“ (P34: 2–6). Anhand dieses relativen Bewertungsmaßstabs kann ein Unternehmen die Rentabilität der verschiedenen, ihm zur Verfügung stehenden Investitionsmöglichkeiten in Relation zueinander setzen, um die vergleichsweise profitabelste Handlungsalternative – das heißt die Alternative mit den geringsten Opportunitätskosten – auszuwählen. Im Rahmen des aus einer solchen Kostenkalkulation entstehenden „Prioritätenprofil[s]“ (P34: 136) der verschiedenen unternehmerischen Entscheidungsmöglichkeiten bewerten die Unternehmen, retrospektiv gerichtet, nur diejenigen Investitionsmöglichkeiten als rentabel, von denen sie sich die verhältnismäßig höchsten Gewinne erwarten. So führt etwa I6, Mitglied eines Industrieverbands, aus, dass bei Investitionen in neue, energieeffizientere Maschinen stets abgewogen wird, wie diese in Relation zu anderen Investitionsmöglichkeiten, die beispielsweise das aktuelle „Kerngeschäft“ oder die Entwicklung „neue[r] Produkte“ betreffen, einzuordnen sind (vgl. P31: 11–17): 11 12 13 14 15 16 17

I6: Ja ist auch wieder die Frage was ist meine Entscheidungsgrundlage für ne Investition Z3: Mhm oder? W1: [Ja I6: [Kann ich das- kann ich das Kapital in was anderes stecken Kerngeschäft, Entwicklung neue Produkte oder steck ichs in ne Anlage wo ich weiß gut in den nächsten fünf zehn Jahren krieg ich, krieg ichs irgendwie nich- a- amortisiert sich das die Anlage nicht Über die begrenzte Verfügbarkeit von Kapital und die Priorisierung des unternehmerischen Kerngeschäfts gegenüber eher peripheren Geschäftsbereichen hinaus wird in diesem Kontext auch die Verwendung der knappen „Managementkapazität“ problematisiert. Ob sich eine Investition aus Unternehmensperspektive, retrospektiv gerichtet, lohnt, hängt also stets ab von der Frage (P34: 93–98, 106–107):

93 94 95 96 97 98

W1:

wie sieht eigentlich mein BusinessModel aus was mach ich denn? bin ich Ölgeschäft oder produzier ich Schrauben oder was auch immer und dann ist die Frage mit was beschäftige ich mich also sprich äh wo geh ich wo geh ich mit meiner Managementkapazität rein worum kümmer ich mich und wo sag ich ah das funktioniert schon das geht schon dann dann weiß ich eh nicht was kommt dann mach ich am besten gar nichts so fertig (.) das sind so die Dinge

Und weiter: 106 107

W1: Ja (.) letztlich ist es ne Frage wie wo sind meine Prioritäten auch wo geh ich mit meiner Aufmerksamkeit rein Im engeren Sinne profitabel ist eine Investition entlang dieses relativen Kalküls folglich nicht bereits dann, wenn sie überhaupt Gewinne generiert, sondern erst in dem Fall, in dem sie diese Gewinne – im Verhältnis zu allen anderen, alternativen Investitionsmöglichkeiten des Unternehmens – maximiert. Im Rahmen der Binnenkontextur ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘ stützen sich die unternehme-

5. Illustrative Fallstudie | 285

rischen Zahlungsentscheidungskalküle folglich nicht alleine auf die absolute Unterscheidung von lohnenswerten oder nicht-lohnenswerten Aktivitäten, sondern orientieren sich zudem an einer relativen Variante dieses Attributionsschemas: der Unterscheidung von mehr oder weniger lohnenswerten Aktivitäten. Reagibilität: Inwiefern findet, prospektiv gerichtet, ein wirtschaftlich unternehmerisches Anschlusshandeln an die Energiewende statt oder wird als Möglichkeit in Betracht gezogen? In Bezug auf die Frage, inwiefern sich die Unternehmen in der Lage sehen, mit eigenem Handeln auf die Energiewende zu reagieren, kommt diesem relativen Schema eine ausschlaggebende Bedeutung zu: Vor dem Hintergrund des Marktwettbewerbs und der damit verbundenen Notwendigkeit, sich gegen aktuelle wie zukünftige Konkurrenten behaupten zu können, besteht die Handlungsorientierung der Unternehmen in der Maximierung der eigenen Gewinne. Die absolute Rentabilität von Investitionen spielt daher für die Frage des unternehmerischen Anschlusshandelns an die Energiewende stets nur eine nachrangige Rolle. Entscheidend ist vielmehr deren relative Rentabilität, die – wie soeben dargelegt – unter Rückgriff auf das Schema der Opportunitätskosten berechnet wird: Es werden stets diejenigen Investitionen priorisiert, mittels derer sich die (erwarteten) unternehmerischen Gewinne maximieren – und das heißt im Umkehrschluss: die Opportunitätskosten minimieren – lassen. Was das im Hinblick auf das unternehmerische Handeln konkret bedeutet, führen F7 und F5, Mitglieder eines institutionellen Investors, am Beispiel von Energieeffizienzinvestitionen, etwa in „Druckluft“, „Wärmerückgewinnung“ oder „effiziente Beleuchtung“ aus (P17: 150–151). Absolut gesehen „rechne[n]“ sich solche Investitionen zwar „zu negativen Kosten“ (P17: 156); sie betreffen jedoch meist lediglich periphere Geschäftsbereiche und werden daher tendenziell zurückgestellt, um es Manager*innen und Ingenieur*innen zu ermöglichen, sich um die verhältnismäßig wichtigeren unternehmerischen Kernbereiche kümmern zu können (vgl. P17: 149–169): F7: Mhm (.) und vielleicht noch ergänzend dazu diese (.) Querschnittstechnologien, die Sie ja vorhin auch vielleicht auch mit angesprochen haben so Druckluft und Wärmerückgewinnung und effiziente Beleuchtung und den- das ist das was Herr ((Name F5)) eben sagte (.) das ist dann vielleicht hat nichts mit dem Kerngeschäft zu tun I3: [Ja genau F7: [Ich ich kann mich immer drüber amüsieren, dann sind da so tolle Kurven von McKinsey und so (.) was sich alles zu negativen Kosten rechnet. Aber wenn (.) aber so ne Energieeffizienzinvestition das ist das ist nen Produktionsprozess (.) da braucht es nicht nur Geld für und Information zu, sondern es braucht zum Beispiel auch nen nen Ingenieur oder nen Management, das sich einfach nur die Zeit hat F5: [Mhm I3: [Ja F7: [sich dadrum zu kümmern (.) und ich und wenn dieser- wenn dieser Faktor in diesem Miniproduktionsprozess fehlt dann kann das Geld noch so sehr auf der Straße liegen - es bleibt da liegen ((M1: mhm okay)) weil der Manager oder die Ingenieure einfach wichtigere Dinge zu tun haben F5: Auch wenn Planungssicherheit da ist

149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166

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167 168 169

F7:

[Und selbst wenn Planungssicherheit und selbst wenn die Amortisationszeit ein Jahr ist selbst wenn das alles gegeben ist kommts trotzdem nicht

Selbst wenn also das Kapital und die notwendigen „Information[en]“ (P17: 157–158) für solche Effizienzinvestitionen vorhanden sind, hinreichende „Planungssicherheit“ (P17: 166) besteht und die „Amortisationszeit“ (P17: 168) den unternehmerischen Amortisationshorizont nicht überschreitet, können solche Investitionen häufig nicht getätigt werden, weil ihnen für das Geschäftsmodell des Unternehmens als Ganzes schlicht keine hinreichende Bedeutung zugemessen wird: „[D]er Manager oder die Ingenieure [haben] einfach wichtigere Dinge zu tun“ (P17: 165). Im Schema der Opportunitätskosten ausgedrückt: Die Opportunitätskosten solcher Energieeffizienzinvestitionen – der Verzicht auf Manager*innen oder Ingenieur*innen in anderen Unternehmensbereichen – sind so hoch, dass sie sich in Relation zu anderen Investitionsmöglichkeiten nicht rentieren. Dementsprechend werden die Gewinne, die das Unternehmen mit solchen Investitionen generieren könnte, zugunsten anderer, relativ lukrativerer Handlungsalternativen zurückgestellt: „Das Geld“ bleibt „auf der Straße liegen“ (P17: 164). Einen ähnlichen Fall beschreibt I3, Mitglied eines Industrieverbands, am Beispiel von eigentümergeführten Unternehmen. Da diese Unternehmen mit vergleichsweise weiten handlungsrelevanten Zeithorizonten operieren, sind sie zwar relativ empfänglich für die mit zumeist recht langen Amortisationszeiten verbundenen Investitionen in Energieeffizienz. Aber auch hier gilt: Solche eher sekundären Investitionen lassen sich nur solange beziehungsweise in dem Maße realisieren, wie das jeweilige Unternehmen über eine gute Stellung im Marktwettbewerb verfügt und nichts Wichtigeres dazwischenkommt. Der unternehmerische Fokus liegt auch hier stets auf dem Kerngeschäft (vgl. P17: 31–44): 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

I3:

Ja: auch im Mittelstand (.) also im Mittelstand ist es ganz häufig so, dass sogar ähm (.) das ist unsere Erfahrung (.) die Tatsache, dass sich manche Investitionen vielleicht eben erst ab fünf oder zehn Jahren rechnen weniger ein Hinderungsgrund sind, diese Investitionen auch zu tätigen ((M1: okay)) weil man ja grade wenn es noch eigentümergeführte Unternehmen sind ähm (.) ein bisschen die die Entscheidungs- äh strukturen und prozesse anders sind (.) a:ber es ist eben auch ganz klar wenn der Auftragseingang nach unten geht ähm und und und die Exporte nach China und Russland schlechter sind, dann werden natürlich auch solche Investitionen eher hintenangestellt (.) und das hatten Sie grade angesprochen das sind einfach rein pragmatische Gründe, ne, also da geht's dann auch darum (.) muss ich jetzt zusehen äh dass meine Aufträge wieder nach oben gehen, damit ich eben auch keine, keinen entlassen muss und niemanden auf Kurzarbeit setzen muss, oder mache ich das wirklich so, dass ich jetzt zu dem Zeitpunkt schon eben die Effizienzinvestition tätige

Im Kontext des Marktwettbewerbs folgt das unternehmerische Handeln im Wesentlichen einem Zweckprogramm: Zahlungen werden getätigt, um Gewinne zu maximieren beziehungsweise Opportunitätskosten zu minimieren. Die „Handlungspriorität“ der Unternehmen liegt dabei stets auf derjenigen Alternative, die – in der Sachdimension – im Verhältnis zu allen anderen die höchsten Einnahmen verspricht, die sich – in der Zeitdimension – am vergleichsweise schnellsten rentiert und es den Unterneh-

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men somit – in der Sozialdimension – ermöglicht, die eigene, auf dem unternehmerischen Kerngeschäft basierende Stellung im Marktwettbewerb im Verhältnis zur Konkurrenz abzusichern oder gar auszubauen (P34: 142–148). In diesem Sinne hängt das unternehmerische Handeln im Kontext des Marktwettbewerbs immer auch vom Verhalten der Konkurrenz – also „auch davon ab, was der Rest der Welt dann macht“ (P17: 245). Da es den Unternehmen im Rahmen ihrer so strukturierten Zahlungskalküle nicht in erster Linie um die Energiewende, sondern „immer ums Ganze“ geht, läuft ein Großteil der im Kontext des Marktwettbewerbs getätigten Investitionen in energiewendeförderliche Maßnahmen gewissermaßen unter dem Radar. Wie I3 zur Entscheidungspraxis der in seinem*ihrem Verband organisierten Industrieunternehmen ausführt, sind diese zwar durchaus bereit, im Rahmen des „ganz normale[n] Prozess[es]“ Investitionen zu tätigen, die die Energieeffizienz ihrer „Produktionsschritte“ erhöhen (P17: 11–12). Dieser Umstand ist für die Unternehmen selbst jedoch nicht entscheidend. Sie reflektieren ihr Handeln kaum beziehungsweise nur auf explizite Nachfrage im Kontext der Energiewende (vgl. P17: 9–14, 23–27): I3: Bei unseren Unternehmen […] (.) ähm die sind ähm das muss man auch dazu sagen im Durchschnitt (.) schon bereit in Energieeffizienz zu investieren (.) die tun das auch, die reden nur nicht drüber. Also es ist für die ein ganz normaler Prozess (.) äh wenn es darum geht, diese Produktionsschritte zu optimieren und zu gucken ähm da wird natürlich auch äh wenn es ansteht in in energieeffiziente Maschinen und Produktionsprozesse oder Schn- Schnittstellenanpassung investiert

9 10 11 12 13 14

Und weiter: I3: Insofern ähm aus unserer Sicht, also für den ((Bezeichnung der Industriebranche, die durch den Verband repräsentiert wird)) kann man eigentlich nicht sagen, dass da nicht so viel passie:rt da passiert schon viel (.) sie re- also es wird einfach nur nicht so wahrgenommen, dass es wirklich um einen- also dass es explizit jetzt nur um Energieeffizienz geht, sondern es geht im Prinzip immer ums Ganze

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Betrachtet man die im Rahmen des Marktwettbewerbs getätigten Investitionen, die – intendiert oder unintendiert – zur Umsetzung der Energiewende beitragen etwas genauer, so wird deutlich, dass sich im Wesentlichen zwei Formen energiewendeförderlicher Investitionen unterscheiden lassen: Bei der ersten Form handelt es sich um Investitionen mit geringen Opportunitätskosten, die – obwohl sie zumeist nicht das Kerngeschäft der Unternehmen betreffen – im Rahmen der normalen unternehmerischen Routinen gewissermaßen als eine Art Nebenprodukt (mit-)realisiert werden. Diese Art von Investitionen werden von den Unternehmensmitgliedern als „lowhanging fruits“ bezeichnet, die ohne viel zusätzlichen Aufwand im Rhythmus des normalen unternehmerischen Investitionszyklus „abgegrast“ werden können (P13: 4). Wie F4, Mitglied eines institutionellen Investors ausführt, geht es dabei um (vgl. P16: 24–30): F4:

[…] Maßnahmen, die rentieren sich, und die werden auch gemacht, wenn es zum Investitionszyklus passt - das ist meistens Energieeffizienzthemen, also wenn man ohnehin ein Haus renoviert, dann

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288 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

investiert man in neuere Standards, wenn man ohnehin den Maschinenpark austauscht, dann schaut man, dass man sich effizientere Maschinen anschaut, wenn man ohnehin in den Fuhrpark investiert, dann versucht man effizientere Fahrzeuge anzuschaffen

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Bei der zweiten Form des unternehmerischen Anschlusshandelns an die Energiewende handelt es sich dagegen um sogenannte „Invest-Them[en]“; das heißt um vergleichsweise „massive Investitionen“, die mit hohen Opportunitätskosten, wie etwa dem umfangreichen Einsatz von Managementzeit zur Entwicklung neuer Produkte beziehungsweise zur Umstellung ganzer Produktionsprozesse, verbunden sind (P13: 4–5). Solche Investitionen lassen sich nur dann realisieren, wenn die mit ihnen verbundenen zukünftigen Gewinnerwartungen – beziehungsweise der durch sich verändernde Marktbedingungen verursachte Anpassungsdruck – deren recht hohe Opportunitätskosten noch übertreffen. Folglich gestaltet sich die Umsetzung solcher Investitionen für die Unternehmen, insbesondere im Verhältnis zum Abernten der ‚low hanging fruits‘, deutlich voraussetzungsvoller. I3, Mitglied eines Industrieverbands, beschreibt diese beiden Formen unternehmerischer Investitionen in die Energiewende am Beispiel eines Papierproduzenten, der die Beschaffung neuer, energieeffizienterer Maschinen im Rhythmus seines Investitionszyklus – auf der einen Seite – als normalen und routinierten Vorgang betrachtet; dem darüber hinausgehende Investitionen, die mit einer Umstellung bewährter unternehmerischer Prozesse verbunden sind – auf der anderen Seite – jedoch vergleichsweise schwer fallen (vgl. P17: 75– 93): 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93

I3:

[auf jeden Fall (.) also ich glaube wir müssen da auch nochmal unterscheiden zwischen ähm Investitionen in die Maschine (.) F4: [genau] I3: [Ja? also in ne in ne energieeffiziente Papier( )maschine oder auch Druckmaschinen, die sind ja auch riesig,die Dinger und äh (.) ja die sind auch also we:rden extre:m energieeffizient produziert von unseren Mitgliedsunternehmen und die gebens an die Kunden weiter (.) wenns bei der Investition um die Maschine geht (.) ja (.) wenn es aber darum geht vielleicht ähm (.) dass der Papierhersteller dann wenn er die Maschine schon hat darüber hinaus weitere Anpassungen macht (.) und da ist eben dann die Maschine nicht mehr unbedingt entschei:dend sondern ähm da sind eben die Produktio:nsschritte eben auch entscheidend um dieses Papier F4: [Mhm okay I3: [Eben zu produzieren ähm (.) Energiemanagementsysteme (.) zu gucken ob man die- wirklich die Produktion langfristig umstellt und also (.) die Schritte ändert da wird's dann schwieriger also da sind dann die Investitionen, oder da ist dann die ähm (.) diese ähm wie soll man sagen diese diese Hemmschwelle (.) da Investitionen zu tätigen die sich nicht sofort rechnen und die dann auch vielleicht noch nen entsprechend hohen (.) Investitionswert haben, relativ hoch Diese zweite Form unternehmerischer Investitionen in die Energiewende ist für die Unternehmen, zum einen, mit recht hohen finanziellen Risiken und dementsprechenden „Hemmschwelle[n]“ (P17: 91) verbunden. Zum anderen bieten sie ihnen jedoch zugleich große wirtschaftliche Chancen: Wenn es ihnen gelingt, zukünftige Entwicklungen zu antizipieren in ihren gegenwärtigen Zahlungsentscheidungen abzubilden,

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können ihre Positionierung im Marktwettbewerb als „first mover“ (P2: 110) gegenüber ihren Konkurrenten ausbauen. In diesem Sinne geht es etwa für E2, Mitglied eines Energieversorgers, bei dieser Form unternehmerischer Investitionen um die Frage (vgl. P2: 107–111): E2: [was können wir für Produkte schaffen um auch zukünftig irgendwie 2030 dann ähm Systemstabilität zu verkaufen, und zwar nicht nur ähm im Sinne von wir stellen irgendwo ein großes Gaskraftwerk hin, sondern wi- was für Lösungen braucht man in=ner Welt fluktuierender Erzeugungskapazitäten? und wenn man da natürlich first mover ist in in der Hinsicht, kann man das natürlich dann auch anderen Ländern wieder anbieten

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In der Zeitdimension ist das Handeln der Unternehmen im Kontext des Zweckprogramms Gewinnmaximierung also vor allem auf die Zukunft ausgerichtet. Diese erscheint als offener Möglichkeitsraum, der sowohl „Risik[en]“ als auch „Prämien“ bereithält, auf die sich die Unternehmen mit ihrem gegenwärtigen Entscheidungshandeln einzustellen versuchen (P34: 99–105). Lernfähigkeit: Inwiefern werden mit der Energiewende verbundene Enttäuschungen wirtschaftlicher Erwartungen und Routinen, prospektiv gerichtet, als Anlass für deren Anpassung betrachtet, anstatt ignoriert oder auf die ‚Umwelt‘ externalisiert zu werden? Die prinzipielle Offenheit und Kontingenz der Zukunft erscheint den Unternehmen im Kontext des Marktwettbewerbs – anders als in der Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ – nicht so sehr als eine hemmende Bürde, die es, etwa vonseiten des Staates, durch regulatorische Vorkehrungen aufzulösen oder zu mildern gälte. Dass zukünftige (Markt-)Entwicklungen stets unsicher sind, wird vielmehr als unhintergehbare Grundbedingung wirtschaftlichen Handelns verstanden. Ein*e Gesprächsteilnehmer*in formuliert dies wie folgt: „Wir sind keine Götter, wir kennen die Zukunft nicht und damit müssen wir klarkommen“ (P31: 56– 57). Marktwirtschaft und Unsicherheit sind hier untrennbar miteinander verbunden. „Märkte“ werden begriffen (vgl. P31: 40–43): W1:

[als Suchprozess und da die Zukunft unsicher ist muss ich damit rechnen dass es rauf und runter geht (.) ((M2: mhm)) also würde ich sagen Unsicherheit besteht weil der Markt funktioniert also vertrau ich dem Markt und deswegen weiß ich dass ich nicht weiß wie die zukünftigen Preise sind Dieses spezifische Verständnis der Zukunft als offener, potentielle Chancen wie Risiken bergender Möglichkeitsraum, den es von unternehmerischer Seite bestmöglich auszuloten gilt, prägt auch den im Rahmen der Binnenkontextur ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘ typischen Umgang mit Erwartungsenttäuschungen. Die Unsicherheit über zukünftige Entwicklungen und die damit notwendigerweise verbundenen Enttäuschungserfahrungen werden als konstitutive Bestandteile eines funktionierenden Marktwettbewerbs und damit als Normalbedingungen wirtschaftlich-unternehmerischen Kalkulierens betrachtet: „Unklarheiten und Risiken gibt’s da immer. Das ist Marktwirtschaft und das ist auch nicht schlimm. Das sind die Unternehmen auch gewohnt zu nehmen“ (P4: 45–46). Das Erfolgsrezept der Unternehmen besteht in diesem Kontext darin, sich bestmöglich auf diese Unsicherheit einzustellen, um aus der gegenwärtigen Antizipation möglicher Zukunftsentwicklun-

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gen Wettbewerbsvorteile generieren zu können. Wie I1, Mitglied einer unternehmensnahen Stiftung, in Bezug auf die „deutsche Wirtschaft“ (P2:55) festhält, ist diese (vgl. P2: 51–54): 51 52 53 54

I1: eigentlich immer dann gut wenn sie Probleme der Zukunft cleverer löst als andere. das macht uns reich und das exportieren wir auch ((M1:@mhm@)) und wenn wir das nicht mehr können, und Energie wird ein zenzentraler Baustein davon sein ähm dann haben wir ein Problem Inwiefern es den Unternehmen gelingt, die „Probleme der Zukunft“ (P2: 52) besser zu adressieren als ihre Konkurrenten hängt im Wesentlichen von ihrer Fähigkeit ab, ihre Zukunftserwartungen im Hinblick auf potentiell tragfähige Geschäftsmodelle oder Produktinnovationen permanent mit den sich im Markt abzeichnenden Entwicklungen abzugleichen. Hierzu initiieren sie beispielsweise – wie K1, ein Unternehmensmitglied aus der Branche der Informations- und Telekommunikationstechnologie ausführt – eigene Studien, die das „Geschäftspotential“ neuer Technologien in verschiedenen Wirtschaftssektoren untersuchen und so ökonomisch tragfähige unternehmerische Entwicklungspfade aufzeigen sollen (P21: 40–45). Die Unternehmen operieren folglich mit vornehmlich kognitiv stilisierten Erwartungen, die sie im Enttäuschungsfall revidieren. Diese tendenziell proaktive Haltung stattet sie insbesondere mit Blick auf die Zukunft mit einer recht hohen Lernfähigkeit – das heißt mit einer ausgeprägten Disposition zur Anpassung der eigenen Erwartungsstrukturen – aus. Eine eher erlebende Einstellung in Bezug auf künftige Marktentwicklungen, die diese weder bewusst adressieren noch als (potentiellen) Anlass zur Anpassung der eigenen unternehmerischen Zukunftsvorstellungen begreifen, wird vor diesem Hintergrund als übermäßig riskantes und wenig nachvollziehbares Verhalten beschrieben. Aus diesem Grund plädiert etwa E1 dafür, die mit der Energiewende verbundene „Modernisierungschance“ nicht zu verpassen: „Es sollte eigentlich klar sein wir wären völlig verrückt, wenn wir das riskieren würden“ (P3: 9–13). Im Gegensatz zu dieser stark ausgeprägten strukturellen Anpassungsfähigkeit an in der Zukunft antizipierte Marktveränderungen verfügen die Unternehmen über eine vergleichsweise gering ausgeprägte Fähigkeit, aus vergangenen Fehlern zu lernen. Wie I1, Mitglied eines Industrieunternehmens, beschreibt, werden einmal getroffene Zahlungsentscheidungen im Nachhinein nur selten darauf geprüft, ob sie tatsächlich zur Realisierung der damals erwarteten Gewinne geführt haben oder nicht (P8: 11– 24):

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I1:

[Das er- erlebt man ja auch immer wieder wenn die Leute diese Abschreibungsanreize haben, sowohl bei Unternehmern in Betrieben als auch Privaten die- da kalkuliert ja keiner nach zehn Jahren nach, ob das dann wirklich so aufgegangen ist (.) nee, da gibts irgendso einen Anreiz, dann sagen die boah, jetzt machen wir die Verschrottungsprämie, ist nur‘n Schwachsinnsbeispiel für Autos, dann wird das gemacht, da kalkuliert ja auch sieben Jahre später keiner mehr nach war das jetzt eigentlich gut, dass ich den alten Wagen verkauft hab und nen neuen gekauft hab und da hab ich die dreitausend Euro Vorteil gehabt und so, und hat sich das gerechnet? Nee, das Geschäft wird gemacht und fünf Jahre später ist man wieder ganz woanders ((M1: mhm)) das ist in Betrieben auch dann wächst das aus der Bilanz langsam raus das interessiert dann keinen mehr. ein CEO der eh nur auf drei vier fünf Jahre da ist, den interessierts gar

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nicht mehr. Also der schreibt alles ab möglichst im ersten Jahr wo er die Firma übernimmt, da haut der alles in die Miesen @(.)@ was da noch von den Vorgängern da ist, katastrophales Geschäftsjahr, uh, das war wohl besonders schlecht, und dann kommt seine Ära Anders als im Fall der Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘, in der unternehmerische Strukturanpassungen typischerweise als ‚außen‘ durch eine Veränderung der politischen Regulierung induziert und in bestimmte Bahnen gelenkt werden, erfolgt das unternehmerische Lernen hier gewissermaßen frei von Strukturvorgaben aus der ‚Umwelt‘: In welche Richtung sich die Unternehmen entwickeln – welche Produkte oder Geschäftsmodelle sie als zukunftsfähig ansehen – bleibt allein ihrer eigenen Bewertung des für sie relevanten Marktumfelds überlassen. Dies setzt, wie E4, Mitglied eines Energieversorgers, es formuliert „enorm viel kreatives Potential“ frei, „das wir noch nicht im Markt sehen“ und das stets „auch durchaus neue Player in den Markt bringen“ könnte (P27: 150–151). Verstanden als globaler Markttrend kann die Energiewende demnach auch nichtkonforme Formen des wirtschaftssystemischen Lernens im Sinne eines „Ausweichen[s] in einen semantisch noch nicht besetzten Strukturbereich“ (Luhmann 1987: 475; vgl. Abschnitt 3.2.2) auslösen. Unabhängig von staatlich vorgezeichneten Entwicklungspfaden können so etwa gänzlich unvorhergesehene Produkte, Technologien oder Geschäftsmodelle entstehen. Trotz ihrer grundsätzlichen Fähigkeit zum nicht-konformen Lernen stoßen die wirtschaftssystemischen Anpassungsmöglichkeiten an die ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘ jedoch auch an gewisse strukturelle Grenzen. Diese Resonanzblockaden betreffen insbesondere die Umsetzbarkeit von Energieeffizienzinvestitionen. Obwohl diese Investitionen, absolut betrachtet, häufig mit „Einspargewinne[n]“ verbunden sind (P35: 27), sehen sich viele Unternehmen aus der Realwirtschaft – wie bereits dargelegt – zumeist nicht in der Lage, in die Steigerung ihrer Energieeffizienz zu investieren: Da diese Investitionen nur selten das unternehmerische Kerngeschäft berühren, müssen sie regelmäßig zugunsten anderer, relativ wichtigerer – das heißt mit geringeren Opportunitätskosten verbundener – Investitionen zurückgestellt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass sich auch die alternative Form der Finanzierung solcher Effizienzmaßnahmen über „Fremdinvestitionen“ auf dem Finanzmarkt schwierig gestaltet (P13: 72–88). Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die „Investitionsvolumina“, die auf dem Finanzmarkt gehandelt werden, um ein Vielfaches größer sind als die Investitionssummen, die vonseiten der Unternehmen aus der Realwirtschaft zur Finanzierung ihrer Effizienzprojekte nachgefragt werden (P27: 57). In den Fonds und Bonds der Finanzmärkte lassen sich diese Investitionsmöglichkeiten daher aktuell nicht abbilden. Diese strukturelle Inkongruenz zwischen Real- und Finanzmärkten hat zur Folge, dass die Nachfrage einzelner Industrieunternehmen nach Krediten zur Förderung ihrer Energieeffizienz aus der Investorenperspektive momentan weder eine retrospektiv intelligible noch prospektiv anschlussfähige Information darstellt. So konstatiert etwa F1, Mitglied eines institutionellen Investors, in Bezug auf die Fremdfinanzierung von Effizienzmaßnahmen: „Als Finanzdienstleister kommt man da nicht auf Geschäftsmodell“ (P13: 88). F2, Mitglied eines anderen Investors, pflichtet ihm*ihr mehrfach bei: „Das ist viel zu kleinteilig“ (P13: 43). Und weiter „Das kann man relativ schnell vergessen […] wird nicht schnell ge-

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nug groß genug“. „Für uns ist es nicht gelungen, da eine Investorensicht drauf zu entwickeln“ (P13: 86, 94). Eine Lösung für diese strukturelle Blockade wirtschaftssystemischer Resonanz auf die Energiewende sehen die institutionellen Investoren darin, eine Vielzahl von Effizienzprojekten zu aggregieren und beispielsweise zu einem „Bond“ zu bündeln, der aus ihrer Sicht „groß genug und dann kompetitiv ist“ (P13: 36). „Die Herausforderung ist: es muss groß sein, als eine von zwanzig Optionen präsentiert werden, als Investitionspalette fürs Portfolio“ (P13: 36, 41–42). Während also die prinzipielle Bereitschaft vonseiten der institutionellen Investoren, in Effizienzprojekte zu investieren durchaus gegeben ist, fehlt ihnen dazu aktuell noch „so ein zwischendrin, damit wir da reininvestieren“ (P27: 146–147). E4, Vertreter*in aus der Energiewirtschaft, fasst dies wie folgt zusammen: „[D]ie Aggregation fehlt; die [Großinvestoren] investieren nur, wenn die Aggregatoren da sind, die würden nicht selbst aggregieren“ (P27: 112–113, Anmerkung H.V.). Wie hier bereits anklingt, kommt für die institutionellen Investoren nicht infrage diese „Aggregatorrolle“ (P13: 32) zur Überbrückung der strukturellen Inkongruenz zwischen Real- und Finanzwirtschaft selbst zu übernehmen. Da sie über hinreichend viele andere, einfachere Investitionsmöglichkeiten verfügen, übersteigen die Opportunitätskosten, die mit der Entwicklung eines neuen „Investmentprodukt[s]“ zur Finanzierung von Effizienzprojekten verbunden sind, den damit erzielbaren Nutzen deutlich (P13: 48). So wiegelt etwa F2 diese Option wie folgt ab: „Das ist kein leichtes Produkt. Man hat bessere, einfachere Alternativen. Warum also sollten wir uns darauf stürzen?“ F3 ergänzt: „Man hat nicht die Managementzeit, sich damit zu beschäftigen“. Und erläutert an anderer Stelle, dass die Aggregation vonseiten seines*ihres Unternehmens „vom Aufwand her nicht machbar [ist]. […] wenn daraus ein Fonds, Investmentprodukt gemacht werden soll, zu aufwändig“ (P13: 64–65, 47– 48, Anmerkung H.V.). Eine Auflösung der Resonanzblockade durch eine Strukturanpassung vonseiten der Finanzmarktakteure ist demnach aktuell nicht zu erwarten. Die einzige Möglichkeit, Effizienzinvestitionen zu einem „Businesscase“ für Finanzierer zu machen, sehen die Gesprächsteilnehmer*innen in der Herausbildung beziehungsweise Stärkung „neue[r] Player“ im Markt, sogenannter „Contractoren“. Dies diskutieren etwa Z3, Mitglied einer zivilgesellschaftlichen Organisation, I6, Mitglied eines Industrieverbands und W1, Vertreter*in eines Forschungsinstituts, im Rahmen seiner*ihrer Analyse der zentralen Hemmnisse für Effizienzinvestitionen (vgl. P35: 73–84): 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83

W1: Ja wir können auch sagen es ist kein Businesscase wenn es ein Businesscase wäre könnte man ihn kreditieren I6: Es sei denn sie haben nen Contractor dann haben sie dann si- dann ist natürlich ihr ihr ihr Fokus ihr Geschäftsfokus ist dann Energie einzusparen W1: [Ja genau M2: [Ja I6: [Deswegen ist das Modell Contractoren ja so an sich so interessant für Effizienz W1: [Ja Z3: [Wäre das nicht später schon ne Maßnahme? also sozusagen ähm um daraus nen Businesscase zu machen äh muss

5. Illustrative Fallstudie | 293

sozusagen ein neuer Player reinkommen also der Contractor der sozusagen das Risiko übernimmt Contractoren stoßen genau in die aktuelle Lücke der fehlenden Finanzierungsangebote für unternehmerische Effizienzinvestitionen, indem sie ihr Kerngeschäft darauf ausrichten, viele verschiedene Effizienzprojekte aus der Realwirtschaft zu bündeln und somit zu einem Gesamtvolumen zu aggregieren, das für institutionelle Investoren auf dem Finanzmarkt anschlussfähig ist. Auf diese Weise senken sie sowohl aufseiten der realwirtschaftlichen als auch finanzwirtschaftlichen Akteure die Opportunitätskosten von Effizienzinvestitionen: Den Unternehmen aus der Realwirtschaft werden Effizienzinvestitionen dadurch erleichtert, dass sie diese über standardisierte Formen der Fremdfinanzierung, die ihnen von den Contractoren angeboten werden, abwickeln können. Für die institutionellen Investoren bestehen die Vorteile darin, dass sich die gebündelten Effizienzprojekte nun erstens in herkömmliche, großvolumige Finanzmarktprodukte wie Fonds oder Bonds integrieren lassen und zweitens das Pooling mehrerer Projekte zu einer deutlichen Senkung der Ausfallsrisiken von Effizienzinvestitionen führt. Die Contractoren selbst finanzieren sich wiederum dadurch, dass sie einen Teil der im Rahmen der Effizienzinvestitionen erzeugten „Einspargewinne“ (P35: 27) abschöpfen. Auf diese Weise sollten Contractoren – so die in den Fokusgruppeninterviews geäußerten Erwartungen – einen deutlichen Beitrag zur Überbrückung der strukturellen Inkongruenz zwischen Real- und Finanzmarkt leisten. In Bezug auf die Energiewende bedeutet dies, dass die Umsetzung unternehmerischer Effizienzmaßnahmen – und damit weitere wirtschaftliche Resonanzen – deutlich wahrscheinlicher werden dürften. 5.3.4 Erste Einblicke in die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende Die in diesem Kapitel anhand von fünf Fokusgruppeninterviews zu den unternehmerischen Chancen und Hindernissen der Energiewende durchgeführte Resonanzanalyse zielte darauf ab, die aktuelle Ausgestaltung der Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende zu eruieren. Es ging also darum, nachzuvollziehen, wie die Energiewende im Rahmen der dokumentierten Wirtschaftskommunikation, retrospektiv gerichtet, verstanden sowie, prospektiv gerichtet, operativ prozessiert wird und welche Anpassungsmöglichkeiten der wirtschaftlichen Erwartungsstrukturen sich vor diesem Hintergrund abzeichnen. Eine erste, explorative Auseinandersetzung mit dem empirischen Material hat gezeigt, dass sich bereits innerhalb des hier betrachteten und recht begrenzten Ausschnitts des Wirtschaftssystems durchaus unterschiedliche wirtschaftssystemische Verständnisse der Energiewende nachzeichnen lassen. Das Wirtschaftssystem kann folglich nicht als ein monolithischer Beobachterstandpunkt beschrieben werden, sondern setzt sich selbst wiederum aus diversen Binnenperspektiven oder -kontexturen zusammen. Durch die komparative Analyse konnten diese verschiedenen wirtschaftslogischen Deutungs- und Prozessierungsformen der Energiewende zu zwei Typen verdichtet werden: der wirtschaftssystemischen Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ und der wirtschaftssystemischen Binnenkontextur ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘. Die für die Ausgestaltung

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294 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

der Resonanzfähigkeit entscheidenden strukturellen Charakteristika dieser Binnenkontexturen sind in Tabelle 10 überblicksartig zusammengefasst. Tabelle 10: Vorläufiges Ergebnis der Resonanzanalyse: Zwei wirtschaftssystemische Binnenkontexturen auf die Energiewende Resonanzfähigkeit

Irritabilität

Unterdisposition

Sinndimension Sachdimension

Sozialdimension

Reagibilität

Zeitdimension

Zentrale Eigenschaften der Binnenkontextur ‚Die Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ Energiewende als staatlich programmierte Zahlungschance; ausschlaggebend: absolute Zahlungskalküle (Gewinne > Kosten) ‚die Politik‘ als zentrale Attributionsadresse – Energiewende findet auf dem staatlich programmierten Markt statt Energiewende in der Tradition früherer wirtschaftspolitischer Programme des Staates

Sachdimension

konditionalprogrammiertes Anschlusshandeln: Wenn der Staat entsprechende Regulierungsbedingungen schafft, dann wird die Energiewende umgesetzt

Sozialdimension

Abgrenzung gegenüber staatlicher Handlungslogik der Regulierung als unbeständig und unternehmerischer Logik nicht zugänglich (totale undifferenzierte Rejektionen) Kontingenz der Zukunft als Bürde, die gegenwärtiges Handeln hemmt  muss durch staatliche Garantien in verlängerte Gegenwart transformiert werden

Zeitdimension

‚Die Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘ Energiewende als (zukünftige) unternehmerische Chance bzw. Risiko; ausschlaggebend: relative Zahlungskalküle (mehr/weniger Gewinne) ‚die Konkurrenten‘ als zentrale Attributionsadressen – Energiewende findet im evolutorischen Marktwettbewerb statt Energiewende als Element eines Zukunftstrends in Richtung Transformation des Energiesystems zweckprogrammiertes Anschlusshandeln: Die Energiewende wird in die Zahlungskalküle einbezogen, um zukünftige unternehmerische Gewinne zu maximieren

Abgrenzung gegenüber Handlungsempfehlungen aus Wissenschaft und Beratungsorganisationen als zu abstrakt für die unternehmerische Praxis (totale undifferenzierte Rejektionen) Kontingenz der Zukunft als Normalbedingung wirtschaftlichen Handelns  ermöglicht Chancen durch Antizipation zukünftig lukrativer Produkte/Geschäftsmodelle

5. Illustrative Fallstudie | 295

Sachdimension

Zeitdimension

Zentrale Resonanzblockade

Lernfähigkeit

Sozialdimension

Quelle: eigene Darstellung

zentrale Enttäuschung: unerwartete Veränderung der politischen Regulierungsbedingungen Ursache der Erwartungsenttäuschung kommt von ‚außen‘: ‚die Politik‘, ‚der Staat‘ verändert die Regulierung eher gegenwarts-/vergangenheitsaffin: stark ausgeprägte Fähigkeit zur Anpassung der unternehmerischen Entscheidungsprogramme aufgrund von bereits realisierten Veränderungen im Regulierungsumfeld, sofern diese noch nicht getätigte Zahlungsentscheidungen betreffen sinkendes Vertrauen in Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit staatlicher Regulierung führt zur Erosion der systemintern institutionalisierten Bahnen staatlichunternehmerischer Kooperation  potentielle Lösung: Energiewende als gesellschaftsweit verbindliches Zukunftsszenario (Utopie)

zentrale Enttäuschung: unerwartete Veränderung des Marktumfelds

Ursache der Erwartungsenttäuschung kommt von ‚innen‘: zukünftige Marktentwicklungen sind stets kontingent eher zukunftsaffin: stark ausgeprägte Fähigkeit zur Anpassung der unternehmerischen Entscheidungsprogramme aufgrund von in der Zukunft antizipierten Veränderungen des Marktumfelds

strukturelle Inkongruenz zwischen Investitionsvolumina der Real- und Finanzmärkte verhindert routinierte Fremdfinanzierung unternehmerischer Effizienzmaßnahmen  potentielle Lösung: Neue Marktakteure, deren Geschäftsmodell auf die Aggregation realwirtschaftlicher Effizienzinvestitionen für den Finanzmarkt ausgerichtet ist

296 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

Im Rahmen der Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ wird die Energiewende, retrospektiv gerichtet, als durch staatliche Anreizstrukturen und Garantien induzierte und daher vergleichsweise risikoarme Zahlungschance verstanden. Das prospektiv gerichtete unternehmerische Anschlusshandeln an die Energiewende folgt einem Konditionalprogramm: Wenn – und nur wenn – der Staat energiewendebezogene ökonomische Aktivitäten hinreichend attraktiv ausgestaltet, setzen die Unternehmen diese um. In Bezug auf ‚den Staat‘ oder – äquivalent dazu – ‚die Politik‘ operieren die Unternehmen sowohl mit kognitiven, leicht revidierbaren als auch normativen, enttäuschungsresistenten Erwartungen. Unerwartete Veränderungen der politischen Regulierungsbedingungen führen vor allem dann zu einer Anpassung der unternehmerischen Entscheidungsprogramme, wenn sie sich lediglich auf zukünftig anstehende Zahlungsentscheidungen auswirken. Berühren sie dagegen die Profitabilität von bereits getätigten, aber noch nicht amortisierten Zahlungsentscheidungen, tendieren die Unternehmen dazu, den registrierten Anpassungsdruck zu externalisieren. Sie erwarten, dass ‚der Staat‘ den wirtschaftlichen Schaden, der durch solche Veränderungen entsteht, übernimmt: Wenn ‚die Politik‘ ihre Ziele unter Rückgriff auf das Wirtschaftssystem realisieren will, soll sie die Unternehmen im Zweifel auch dafür bezahlen. Im Kontext der Binnenkontextur ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘ erscheint die Energiewende dagegen weitestgehend losgelöst von der Attributionsadresse des Staates. Retrospektiv gerichtet wird sie nicht als politische Zielstellung, sondern als Ausdruck eines allgemeinen Transformationsprozesses hin zu neuen Energieerzeugungs- und Wirtschaftsformen verstanden, der sich nicht nur in Deutschland, sondern im internationalen Marktwettbewerb beobachten lässt. Wie jeder Zukunftstrend, der die im aktuellen Wettbewerb herrschenden Bedingungen zu verändern droht, ist die Energiewende für die Unternehmen sowohl mit Chancen als auch Risiken verbunden. Welche Chancen beziehungsweise Risiken dies im Einzelnen sind und ob beziehungsweise wie sie sich bereits gegenwärtig in die unternehmerischen Zahlungsentscheidungskalküle einmischen, hängt dabei stets von der konkreten Ausrichtung – etwa dem Kerngeschäft, der Größe oder der Eigentümerstruktur – der jeweiligen Unternehmen ab. Das prospektiv gerichtete unternehmerische Anschlusshandeln an die Energiewende folgt einem Zweckprogramm: Die Unternehmen zielen darauf ab, ihre Gewinne in Anbetracht knapper finanzieller, zeitlicher wie personeller Ressourcen zu maximieren, um sich auf diese Weise gegen ihre Marktkonkurrenten durchsetzen zu können. Dabei erweisen sie sich als recht anpassungsfreudig. Da ihnen die Kontingenz zukünftiger Marktentwicklungen als Normalbedingung wirtschaftlichen Entscheidens erscheint, sind die Unternehmen grundsätzlich darauf ausgerichtet, sich abzeichnende Veränderungen frühestmöglich zu antizipieren und sich – im Idealfall schneller als ihre Konkurrenz – auf diese einzustellen. In Bezug auf die systemtheoretische Einordnung dieser beiden Perspektiven spricht vieles dafür, die wirtschaftssystemische Deutungs- und Prozessierungsform der ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ als eine konkrete Manifestation der strukturellen Kopplung – im Sinne einer wirtschaftssystemintern institutionalisierten Form der Koordination – von Wirtschaftssystem und politischem System

5. Illustrative Fallstudie | 297

zu begreifen:355 ‚Die Politik‘ beziehungsweise ‚der Staat‘ wird in dieser binnenwirtschaftlichen Kontextur als etablierte Attributionsadresse aufgerufen, die sich in ihrer ökonomischen Wirkmächtigkeit über den staatlich programmierten Markt beobachten lässt. Hier beeinflusst der Staat die unternehmerischen Zahlungskalküle durch bestimmte Regulierungsinstrumente, die den Unternehmen wiederum unmittelbar informativ und routiniert prozessierbar erscheinen. Dementsprechend fällt es den Unternehmen vergleichsweise leicht, die wirtschaftliche Relevanz der mit der Energiewende verbundenen staatlichen Ziele zu erfassen und ihr Handeln an diesen auszurichten. Für bestimmte Formen der unerwarteten Veränderung des wirtschaftspolitischen Agierens der Politik haben die Unternehmen zudem sogenannte Auffangstrukturen entwickelt. Indem sie routinierte Wege zur Prozessierung solcher politisch induzierten Enttäuschungen vorzeichnen, erleichtern diese Auffangstrukturen es den Unternehmen ihre Entscheidungsprogramme an einen Wechsel der Regulierungsbedingungen anzupassen. Systemtheoretisch ausgedrückt könnte man daher sagen, dass sie die Unternehmen zu konformem Lernen im Sinne „erlaubte[r] Innovationen“ befähigen (Luhmann 1987d: 476). Demgegenüber ist die Energiewende im Rahmen der Binnenkontextur ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘ nicht durch einen gemeinsamen politisch-staatlichen Orientierungspunkt, sondern durch vergleichsweise vielfältige, differenzierte Zugänge zur Energiewende verbunden. In Auseinandersetzung mit den konkreten Implikationen der mit der Energiewende verbundenen, zukünftig möglichen (Welt-)Marktentwicklungen gestaltet sich deren Bedeutung und Relevanz für jede Branche und jedes Unternehmen ein bisschen anders: Den einen mag sie gänzlich irrelevant erscheinen, während sie das aktuelle Geschäftsmodell und die Wettbewerbsfähigkeit anderer grundlegend infrage stellt. Bei wieder anderen mag sie als Anreiz für kleinere Optimierungsinvestitionen fast unbemerkt mitlaufen oder aber neue Innovationspfade zur zukünftigen Zahlungsgenerierung eröffnen, die mit großer Aufmerksamkeit verfolgt werden. Dabei handelt es sich, mit Nassehi (2015: 258–259) gesprochen, insofern um eine für das Wirtschaftssystem typische Perspektive, als „[d]ie Erfolgsbedingungen des Ökonomischen“ hier „letztlich individualisierte Erfolgsbedingungen [sind], die Investitionen in ein Verhältnis zu Returns setzen und so ökonomischen Spielern in je konkreten Gegenwarten Zahlungsfähigkeit sichern oder nehmen. Diese Erfolgsbedingung wird deshalb individualisiert, weil Zahlungsvorgänge konkreten Adressen zugerechnet und über Besitzansprüche legitimiert werden“. Im Unterschied zur Kontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ wird „ökonomischer Erfolg“ damit „nicht an Ordnungsfolgen“ – etwa der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland –, „sondern an den Folgen für individuelle Spieler mit Besitzansprüchen scharf gestellt [.]. Einfacher ausgedrückt: Aus der Perspektive ökonomischer Akteure erscheint das ökonomische System als ein betriebswirtschaftliches (oder: privatwirtschaftliches) Problem, nicht als ein gesamtwirtschaftliches.“ Eine strukturell vorge-

355 Diese Kopplungsbeziehung kann anhand des Datenmaterials lediglich von der ‚Innenseite‘ des Wirtschaftssystems her beobachtet und beschrieben werden. Ob beziehungsweise wie sich die Relationierung des politischen Systems in Richtung des Wirtschaftssystems über den staatlich programmierten Markt darstellt, kann nur anhand einer (Resonanz-) analyse politischer Kommunikationsprozesse untersucht werden.

298 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

zeichnete und in diesem Sinne routinierte Einbindung der Energiewende in die unternehmerischen Zahlungskalküle lässt sich vor diesem Hintergrund kaum ausmachen. Diese Spezifität und Vielfalt marktorientierter Prozessierungen der Energiewende ermöglicht – systemtheoretisch gesprochen – vor allem nicht-konforme Arten des Lernens im Sinne eines „Abweichen[s] von noch undefinierten Erwartungen“. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich nicht so sehr an wirtschaftspolitischen Programmen und Zielvorgaben, die der systemexternen Attributionsadresse des Staates zugerechnet werden, ausrichten, sondern als gewissermaßen wirtschaftssystemendogene Innovationen „in einen semantisch noch nicht besetzten Strukturbereich“ vordringen können (Luhmann 1987d; 476).356 Ebenso wie ihr prinzipieller Zugang ist auch die Resonanzfähigkeit dieser beiden binnenwirtschaftlichen Beobachterperspektiven für die Energiewende unterschiedlich ausgestaltet: Die wirtschaftliche Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ zeichnet sich durch eine recht hohe, aber spezifisch auf die Attributionsadresse des Staates zentrierte Irritabilität, Reagibilität und Lernfähigkeit aus. Sofern das Vertrauen der Wirtschaftsunternehmen in die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit staatlicher Regulierungsbedingungen nicht zu stark oder zu häufig erschüttert wird, ist es demnach recht wahrscheinlich, dass staatliche Impulse zur Energiewende im Rahmen dieser Binnenkontextur – in wirtschaftsspezifischer Art und Weise – registriert und über etablierte Kopplungsstrukturen in die unternehmerischen Zahlungsentscheidungsprogramme integriert werden. Auch gewisse Formen der Veränderung politischer Regulierungsbedingungen sollten sich regelmäßig und vergleichsweise geräuschlos in einer Anpassung der unternehmerischen Entscheidungsprogramme niederschlagen. Zugleich ist es jedoch relativ unwahrscheinlich, dass es jenseits dieser systemintern institutionalisierten Formen der Umweltbeobachtung und -berücksichtigung zu Resonanzen auf die Energiewende kommt. Bei der Binnenkontextur ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘ gestaltet sich dies anders: Da die Energiewende kaum als politische Zielstellung reflektiert wird, sondern lediglich in ihren unmittelbar wettbewerbsrelevanten Effekten Eingang in die unternehmerischen Zahlungsentscheidungskalküle finden kann, liegt der Engpass der Resonanzfähigkeit hier vor allem in einer recht eng begrenzten Irritabilität und Reagibilität. Wenn bestimmte Aspekte der Energiewende dagegen als für die (zukünftige) Gewinnmaximierung relevant und in diesem Sinne als handlungsleitend begriffen werden, kann dies die Unternehmen zu kreativen und neuartigen Strukturanpassungen anregen. Dies birgt die Möglichkeit, dass (auch) jenseits der staatlich induzierten Pfade innovative, auf die Energiewende bezogene Produkte und Geschäftsmodelle entstehen. In diesem Sinne verfügt das Wirtschaftssystem über verschiedene Wege der internen Prozessierung der Energiewende, die mit unterschied-

356 Die hier getroffene Unterscheidung zwischen systemexogen und -endogen induziertem Lernen bezieht sich nicht auf die operative Ebene, denn auch der Umweltbezug findet ja stets im Wirtschaftssystem statt. Vielmehr bezieht sie sich auf die Ebene der Selbstbeschreibung des Wirtschaftssystems, das heißt die interne Unterscheidung, die in der Wirtschaftskommunikation selbst zwischen ‚System‘ und ‚Umwelt‘ getroffen wird. Im Rahmen der in diesem Kapitel vorgestellten Fallstudie wurde diese Differenzierung anhand der verschiedenen Typen transjunktionaler Operationen auch empirisch nachgezeichnet.

5. Illustrative Fallstudie | 299

lich gelagerten Wahrscheinlichkeiten zu verschiedenen Formen systemischer Resonanzen führen können. Wie sind die im Rahmen dieser Fallstudie generierten Erkenntnisse zur Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die Energiewende nun einzuordnen? Wie bereits erwähnt ist die Reichweite der Analyseergebnisse sehr begrenzt und reicht kaum über den konkret untersuchten Ausschnitt der Wirtschaftskommunikation hinaus. Dies liegt erstens daran, dass die Analyse auf lediglich fünf Fokusgruppeninterviews – also einem recht geringen Umfang an empirischem Material – basieren. Erschwerend kommt, zweitens, hinzu, dass die dem Material zugrundeliegende Samplingstrategie vornehmlich am zentralen Erkenntnisinteresse des BMBF-Projekts, dem es entstammt – einem durch die Koordination zentraler Energiewendeakteure induzierbaren grünen Investitionsschub – orientiert war. Im Hinblick auf die Fragestellung der Resonanzanalyse kann daher kaum von einem theoretischen Sampling gesprochen werden, das die aktuelle Ausgestaltung der Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die Energiewende in systematischer Weise in seiner Breite und Vielfältigkeit abzubilden vermag. Als erste und zentrale Einordnung der vorliegenden Fallstudie muss somit festgehalten werden, dass die in dieser erzielten Erkenntnisse nicht generalisiert werden, sondern nur für sich selbst – für den konkret analysierten Ausschnitt an Wirtschaftskommunikation – stehen können (vgl. auch Abschnitt 5.1). Es ist also nicht möglich, aus dem hier betrachteten konkreten Ausschnitt an Wirtschaftskommunikation unmittelbar valide Rückschlüsse auf die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems insgesamt zu ziehen. 357 Dennoch können die erzielten Analyseergebnisse hierzu einen mittelbaren Beitrag leisten, indem sie in der Form vorläufiger Hypothesen potentielle Anknüpfungspunkte für die weitere Erforschung der ökonomischen Rezeption der Energiewende aufzeigen. Gerade in dieser Generierung erster Einblicke und Hypothesen in ein bisher vergleichsweise unbekanntes gesellschaftliches Terrain besteht ja die zentrale Funktion explorativer Analysen (Kleemann et al. 2013: 19–20).358 Mit den Begrifflichkeiten der Kontexturanalyse beziehungsweise der dokumentarischen Methode lassen sich der Status der empirischen Ergebnisse und die Art und Weise, in der diese Ergebnisse weitere Fallstudien informieren können noch etwas präziser fassen: Bei der Unterscheidung der beiden wirtschaftssystemischen Binnenkontexturen ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ und ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘ handelt es sich um eine vorläufige sinngenetische Typenbildung. Das heißt: um die Rekonstruktion zweier wirtschaftssystemischer Formen der Deutung und operativen Prozessierung der Energiewende, die sich fallübergreifend – in einer Reihe verschiedener Passagen und Fokusgruppeninterviews – nachzeichnen lassen (Bohnsack 2010: 308). Um die sinngenetische Ty-

357 Für eine Diskussion verschiedener Arten der Generalisierung empirischer Forschungsergebnisse im Rahmen quantitativer wie qualitativer Sozialforschung vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr (2014: 366–397). 358 Dass es sich bei der wirtschaftssoziologischen Auseinandersetzung mit der Energiewende, verstanden als eine Form des „Wandel[s] von Marktstrukturen im Sinne eines Wandels von Erwartungsstrukturen“, um ein noch recht unbeackertes Forschungsfeld handelt, konstatiert etwa Giacovelli (2017b: 2; 2017c: 218–219).

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penbildung abschließen zu können, müssten weitere Gesprächsrunden in ähnlicher wie unterschiedlicher Zusammensetzung durchgeführt und analysiert werden. Durch eine solche minimale beziehungsweise maximale Kontrastierung der vorläufigen Analyseergebnisse mit weiteren Fällen ließe sich zum einen überprüfen, ob sich die bereits rekonstruierten Typen in ähnlicher Form auch in anderen Gesprächen wiederfinden und auf dieser Basis in ihrer Typik weiter verfeinern oder abstrahieren lassen (Vogd 2010: 126; Bohnsack 2010: 308–309). So könnten beispielsweise die genaue Ausgestaltung der ambivalenten Rolle des Staates zwischen einer positiv besetzten Instanz der Risikoübernahme und einer unberechenbaren Gefahr in der Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ oder die Attributionsregeln zur Bezeichnung der Energiewende als entweder unternehmerische Innovationschance oder Risiko im Rahmen der Binnenkontextur ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘ genauer ausgelotet werden. Zum anderen sollte die Analyse zeigen, ob sich über diese beiden Binnenkontexturen hinaus weitere wirtschaftssystemische Formen der Deutung und Prozessierung der Energiewende finden lassen. Ist hier ein hinreichender Grad an theoretischer Sättigung erreicht, bei dem sich weder die bereits rekonstruierten Typen durch weitere Elemente ergänzen oder durch eine genauere Beschreibung bereits identifizierter Elemente präzisieren lassen, noch neue Deutungsformen sichtbar werden, kann die sinngenetische Typenbildung beendet werden. Man hätte dann einen Überblick über die Vielfalt und Bandbreite erlangt, in der die Energiewende im Wirtschaftssystem sinnhaft gedeutet und prozessiert wird. Dem Vorgehen der dokumentarischen Methode wie der Kontexturanalyse entsprechend könnte in einem weiteren Schritt die sogenannte Soziogenese dieser Typen in den Blick genommen werden. Bei der Rekonstruktion der Soziogenese geht es darum, die sozialstrukturelle Verankerung der verschiedenen sinngenetischen Typen zu ergründen (Bohnsack 2010: 309). Klassischerweise wird in diesem Zusammenhang danach gefragt, wie spezifische Deutungsformen mit bestimmten sozialisatorischen „Erfahrungsräumen“ – etwa dem sozialen Milieu oder Geschlecht – zusammenhängen (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 304–305). Im hier betrachteten Fall könnte man etwa untersuchen, ob die verschiedenen sinngenetischen Typen, die die Deutung und Prozessierung der Energiewende innerhalb des Wirtschaftssystems strukturieren, mit der Ausrichtung der Unternehmen auf Real- oder Finanzmärkte beziehungsweise den deutschen Markt oder den Weltmarkt zusammenhängt. Oder inwiefern es eine Rolle spielt, ob sich das jeweilige unternehmerische Kerngeschäft auf traditionell staatlich regulierte Bereiche – etwa Strommarkt und -infrastruktur – oder auf Bereiche konzentriert, die bislang weniger im wirtschaftspolitischen Fokus standen. Auch die Eigentümerstruktur der Unternehmen – die Frage, ob sie eigentümergeführt oder börsennotiert sind – und die dadurch bedingte Ausdehnung der jeweiligen handlungsrelevanten Zeithorizonte könnten für die Wahrnehmung der Energiewende von Bedeutung sein. Um den soziogenetischen Erklärungsgehalt dieser potentiellen Einflussfaktoren zu untersuchen, müssten weitere systematische Fallkontrastierungen vorgenommen werden, bei denen stets eines der eben genannten Kriterien variiert wird (Vogd 2011: 47–48). Denn erst indem beispielsweise einmal nur Mitglieder von Finanzmarktunternehmen und einmal nur eigentümergeführte Unternehmen zur Energiewende befragt und die Ergebnisse dieser Befragungen miteinander verglichen werden, lässt sich feststellen, ob beziehungsweise in welcher Weise dieser Unter-

5. Illustrative Fallstudie | 301

schied hinsichtlich der systemischen Resonanzfähigkeit für die Energiewende auch tatsächlich einen Unterschied macht. Im Hinblick auf die Rekonstruktion der Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die Energiewende ergänzen die sinn- und soziogenetische Typenbildung einander: Während erstere zeigt, wie die Energiewende im Rahmen von Wirtschaftskommunikation gedeutet und operativ prozessiert wird, legt letztere offen, woher diese Deutungen stammen. In den Termini der Resonanzanalyse gesprochen kann eine abgeschlossene sinn- und soziogenetische Typenbildung also sowohl die Bandbreite der im wirtschaftssystemischen Deutungs- und Prozessierungsformen der Energiewende darstellen als auch die wirtschaftssystemische Binnendifferenzierung, entlang derer diese verschiedenen Deutungen systemintern organisiert sind, klären. Auf diese Weise wird zugleich das zu einem bestimmten Zeitpunkt gegebene systemische Potential möglicher Strukturanpassungen an die Energiewende offengelegt. Ob und in welcher Weise dieses Potential auch tatsächlich realisiert wird, ist wiederum eine Frage, die sich nur unter Rückgriff auf die dritte Dimension systemischer Resonanz – die Grade und Formen systemischer Resonanzen – beantworten lässt. Um nachvollziehen zu können, ob beziehungsweise welche umweltinduzierten Strukturanpassungen sich im Zeitverlauf im Wirtschaftssystem materialisiert und in welchem Ausmaß sie die systeminternen Bezüge auf die Energiewende verändert haben, müssen wiederum neue Daten erhoben werden. Da sich Strukturanpassungen nur schwerlich in ihrem Werden, sondern meist erst im Nachhinein rekonstruieren lassen, muss diese zweite Phase der Datenerhebung zu einem deutlich späteren Zeitpunkt erfolgen als die erste. Auch dieses Material muss analog zu den im ersten Erhebungszeitraum generierten Daten entlang der ersten drei Schritte der Resonanzanalyse aufgeschlüsselt werden. Auf dieser Basis können die sich zum ersten und zweiten Zeitpunkt in den betrachteten Kommunikationsprozessen dokumentierenden Attributionsmuster in einer diachronen komparativen Analyse miteinander verglichen und veränderte beziehungsweise neuartige Deutungs- und Prozessierungsformen der Energiewende offengelegt werden. Dass die mit dem systemtheoretischen Resonanzkonzept anvisierte Auseinandersetzung mit der aktuellen Verfasstheit und Änderbarkeit systemischer Erwartungsstrukturen einen vielversprechenden Ansatzpunkt für die soziologische Erforschung gesellschaftlicher Prozesse im „Spannungsfeld zwischen Wandel und Beharrung“ bietet, wie sie etwa die Energiewende darstellt, zeigen auch neuere wirtschaftssoziologische Studien (Giacovelli 2017b: 2). So plädiert etwa Giacovelli in dem von ihm herausgegebenen Band Die Energiewende aus wirtschaftssoziologischer Sicht. Theoretische Konzepte und empirische Zugänge dafür, die Energiewende aus einer dezidiert systemtheoretischen Perspektive als eine Form des „Wandel[s] von Marktstrukturen im Sinne eines Wandels von Erwartungsstrukturen“ zu begreifen, der notwendigerweise bestimmte „Erwartungskonflikte“ mit sich bringt (Giacovelli 2017c: 218– 219, 222–223). Ob und wie die Energiewende die Erwartungsstrukturen des Wirtschaftssystems verändern kann, hängt demnach stets davon ab, in welcher Weise diese Erwartungskonflikte systemintern bearbeitet und gelöst werden (können). Im Hinblick auf die Frage, wie man solche Erwartungsstrukturen und -konflikte konzeptionell fassen und empirisch untersuchen kann, bietet das in dieser Arbeit vorgeschlagene systemtheoretische Konzept sowie die daran anschließende empirische Analyse systemischer Resonanz einige fruchtbare Denkanstöße. Dies ist insbesondere deshalb

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von Relevanz, weil die wirtschaftssoziologische Forschung zu diesem Thema aktuell, so Giacovelli (2017b: 2–5), noch in den Kinderschuhen steckt. 359 Die wenigen soziologischen Beiträge zur „wirtschaftliche[n] Seite der Energiewende“ konzentrieren sich vor allem auf die Themen des Emissionszertifikatehandels und die Transformationen im Strommarkt.360 Erst allmählich rückt die wirtschaftliche Bedeutung der Energiewende in ihrer gesamten Breite und Komplexität ins Blickfeld der Wirtschaftssoziologie: Über den Stromsektor hinaus werden nun, erstens, zunehmend auch andere Marktbereiche und deren Interdependenzen als relevante Felder der Energiewende erkannt – etwa die Bereiche Verkehr, Stromnetze und Informationsund Telekommunikationstechnologie (Canzler et al. 2017), die auch in der vorliegenden Fallstudie adressiert werden. Auf diese Weise wird, zweitens, die „Verständnisvielfalt“ dessen, was die Energiewende ökonomisch bedeutet, offenbar. Wie Czada und Radtke (2018: 46) herausarbeiten, wird die Energiewende etwa als „technologische Herausforderung“, eine neue „Erwerbschance“ oder als Kostentreiber durch „Strompreiserhöhungen“ begriffen. Als Systematisierung dieser verschiedenen Verständnisse scheint sich dabei eine ähnliche Dichotomie abzuzeichnen, wie sie sich auch in dieser Fallstudie mit den zwei binnenwirtschaftlichen Kontexturen angedeutet hat: Auf der einen Seite ein primär staatsbezogenes Verständnis der Energiewende als „politisches Programm“ (Fettke/Fuchs 2017: 33; vgl. auch Langenohl 2017; Jacobsen et al. 2017; Giacovelli 2017c; Schraten 2017), auf der anderen Seite eine Betrachtung der Energiewende vor dem Hintergrund des „endogenen Wandel[s] von Märkten“ (Reischauer 2017: 66), der durch die Inkompatibilität verschiedener „Produktzyklen, Branchenlogiken und Innovationskulturen“ erschwert wird (Canzler et al. 2017: 120; vgl. auch Möllering 2017; Radtke/Czada 2018). Auch die Relevanz der verschiedenen, inkongruenten Zeitstrukturen der unterschiedlichen politischen beziehungsweise wirtschaftlichen Bereiche, die für die Umsetzung der Energiewende eine Rolle spielen, wird zunehmend prominent diskutiert (Langenohl 2017). In diesem Kontext wird die Energiewende vor allem im Spannungsfeld zwischen „Risiko“ und „Vertrauen“ analysiert (Büscher/Sumpf: 2018: 129; Corti/Pronzini 2016). All diese verschiedenen Aspekte der Energiewende können im analytischen Rahmen des systemtheoretischen Konzepts systemischer Resonanz konzeptuell verortet, miteinander verbunden und durch weiterführende empirische Resonanzanalysen systematisch vertieft werden.

359 Soziologische Beiträge müssten sich, so Giacovelli (2017b: 5), „insbesondere mit wirtschaftlichen Kernthemen wie Marktkonstituierung, Marktwandel, Hemmnissen eines Marktwandels, Preisbildung, Knappheit, den wettbewerblichen und/oder kooperativen Verhältnissen zwischen Marktakteuren und der Beziehung zwischen Energiemärkten und Energiepolitik auseinandersetz[en]“ und in diesem Zusammenhang vor allem die Bedeutung und Wirkmächtigkeit sozialer Strukturen untersuchen, die in anderen, vor allem wirtschaftswissenschaftlichen Zugängen, weitestgehend ausgeblendet wird. 360 Zum Emissionshandel vgl. zum Beispiel die Beiträge von Engels (2006; 2010); Engels et al. (2008); Knoll (2012); MacKenzie (2009); Voß (2007, zitiert nach Giacovelli 2017b: 4); zum Strommarkt vgl. Fettke/Fuchs (2017); Reischauer (2017); Jacobsen et al. (2017); Möllering (2017) sowie Besio (2016).

5. Illustrative Fallstudie | 303

5.4 FAZIT: RESONANZ ALS EMPIRISCHES PHÄNOMEN Der zweite Teil der vorliegenden Arbeit zielte darauf ab, das im ersten, analytischkonzeptionellen Teil im Anschluss an Luhmann sowie neuere, systemtheoretisch motivierte Steuerungsansätze entwickelte Resonanzkonzept für die empirische Analyse der strukturellen Voraussetzungen, Folgen und Prozesse des Umweltbezugs konkreter Sozialsysteme anschlussfähig zu machen. Dabei wurde zunächst deutlich, dass die Operationalisierung der als hochabstrakte Gesellschaftstheorie angelegten Systemtheorie für empirische Fragestellungen und Analysen mit einer Reihe grundlegender methodologischer Fragen und Herausforderungen verbunden ist, die es auf dem Weg vom analytischen Konzept zur empirischen Analyse systemischer Resonanz zu adressieren gilt. Auch in dieser Hinsicht muss die Systemtheorie als vergleichsweise hermetisches und abstraktes Begriffsgefüge also zunächst für empirische Beobachtungen geöffnet – und in diesem Sinne wiederum von Geschlossenheit auf Offenheit umgestellt werden. Als Ausgangspunkt dieser in Kapitel 4 zunächst auf methodologischer Ebene vorgenommenen Umfokussierung in Richtung Empirie diente eine Bestandsaufnahme der seit den 1990er Jahren laufenden Debatte zum allgemeinen Verhältnis von Systemtheorie und empirischer Sozialforschung. In diesem Zusammenhang konnte gezeigt werden, dass es eine Reihe von rekonstruktiven Forschungsprogrammen gibt, die sich aufgrund ihrer metatheoretischen Gemeinsamkeiten mit der Systemtheorie als für die empirische Auseinandersetzung mit systemtheoretischen Fragestellungen anschlussfähig erweisen. Entlang dieser Forschungsprogramme konnten insgesamt fünf Stränge systemtheoretisch-empirischen Forschens identifiziert werden. Obwohl sich diese Stränge im Hinblick auf ihre analytischen Foki sowie ihre spezifischen methodischen Zugänge zur Empirie unterscheiden, sind sie dennoch durch eine Reihe grundlegender Gemeinsamkeiten gekennzeichnet, die in dieser Arbeit als methodologischer Kernbestand des systemtheoretisch-empirischen Forschens bezeichnet werden: Die systemtheoretische Perspektive auf die Empirie ist im Allgemeinen dadurch gekennzeichnet, dass sie operativ geschlossene Sozialsysteme als eine Verkettung sprachlicher Äußerungen entlang einer spezifischen Verstehenstypik begreift, die durch das jeweilige systemkonstitutive Attributionsschema vorgegebenen wird. So manifestiert sich etwa das Wirtschaftssystem in all jenen Äußerungen, die vorangegangene Äußerungen als zahlungsrelevante oder -irrelevante Informationen verstehen. Die Erwartungsstrukturen, mit denen diese sozialen Systeme operieren, lassen sich als innerhalb dieser Äußerungsketten wiederkehrende Attributionsmuster im Sinne typischer Deutungs- oder Prozessierungsgewohnheiten empirisch beobachten. Als Datenmaterial, das eine Beobachtung und Rekonstruktion der so verstandenen Sozialsysteme und der diese in der Sach-, Zeit- und Sozialdimension von Sinn leitenden Erwartungsstrukturen ermöglicht, kommen jegliche Formen entzeitlichter – das heißt typischerweise verschriftlichter – Kommunikationsprozesse infrage. Die Auswertung dieser Daten erfolgt in allen systemtheoretischen Forschungssträngen mittels einer Kombination aus sequenzanalytischen und komparativen Verfahren. Die Sequenzanalyse ist auf die Rekonstruktion der sich in den Kommunikationsprozessen manifestierenden Anschlusslogiken – und damit auf die Identifikation von Systemelementen und deren Struktureigenschaften – gerichtet. Die komparative Analyse dient dazu, durch einen Vergleich verschiedener solcher sequenzanalytisch identifi-

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zierten Elemente eines Systems Deutungsredundanzen zu erkennen und auf diese Weise systemtypische Attributionsmuster herauszuarbeiten. Auf diesen grundlegenden methodologischen Überlegungen zur empirischen Beobachtbarkeit und methodisch kontrollierten Rekonstruierbarkeit sozialer Systeme basiert auch die Operationalisierung des Resonanzkonzepts mit seinen drei Dimensionen: der Resonanzfähigkeit, dem Resonieren und den Resonanzen. Im ersten Schritt der Resonanzanalyse wird der Datenkorpus erstellt, indem das gesamte Material sequenzanalytisch daraufhin untersucht wird, ob die sich in diesem manifestierenden kommunikativen Anschlüsse im Rahmen des konstitutiven Attributionsschemas des jeweils fokussierten Systems vollzogen werden oder nicht. Nur diejenigen Äußerungen, die in diesem Sinne Operationen des zu untersuchenden Systems darstellen, werden in der weiteren Analyse berücksichtigt. Im Fokus steht dabei das systemische Resonieren – das heißt all jene Systemelemente, die sich in irgendeiner Form auf die ‚Umwelt‘ des Systems beziehen. Im zweiten Schritt der Resonanzanalyse werden die verschiedenen Systemelemente einer komparativen Analyse unterzogen, die auf die Rekonstruktion von Redundanzen im Sinne systemtypischer Muster der sinnhaften Bestimmung und Verarbeitung von ‚Umweltereignissen‘ abzielt. In den so herausgearbeiteten systemtypischen Attributionsmustern des Umweltbezugs manifestiert sich die systemische Resonanzfähigkeit: die dem jeweiligen System im Rahmen der aktuellen Ausgestaltung seiner Erwartungsstrukturen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, sich auf seine Umwelt zu beziehen. Im dritten Schritt der Resonanzanalyse werden diese systemtypischen Attributionsmuster des Umweltbezugs dann im Hinblick auf eine Reihe von Kriterien charakterisiert, die Rückschlüsse auf die drei Unterdispositionen der Resonanzfähigkeit – die systemische Irritabilität, Reagibilität und Lernfähigkeit – zulassen. Diese formen die strukturelle Disposition des Systems, sich im Rahmen seines Resonieren an unerwartete ‚Umweltereignisse‘ anzupassen. Die systemische Irritabilität – die strukturelle Disposition eines Systems, unerwartete ‚Umweltereignisse‘ zu registrieren, lässt sich empirisch anhand der sachlichen, sozialen und temporalen Varianz und Vielschichtigkeit der umweltbezogenen Attributionsmuster erschließen. Um diese Varianz und Vielschichtigkeit systematisch erfassen zu können, gilt es danach zu fragen, wie beziehungsweise als was die Umwelt im Rahmen des systemischen Resonierens, retrospektiv gerichtet, verstanden wird. Die systemische Reagibilität – die strukturelle Disposition eines Systems, mit eigenem Handeln an ‚Umweltereignisse‘ anzuschließen, statt diese erlebend hinzunehmen –, lässt sich anhand der in den systemischen Attributionsmustern enthaltenen Vorstellungen bezüglich der eigenen Zuständigkeit für beziehungsweise der eigenen Abhängigkeit von sowie der kausalen Beeinflussbarkeit der eigenen ‚Umwelt‘ empirisch beobachten. Diese zeichnen vor, inwiefern es im Rahmen der systemtypischen Deutungen der ‚Umwelt‘ möglich, sinnvoll oder geboten erscheint, auf registrierte ‚Umweltereignisse‘ zu reagieren.

5. Illustrative Fallstudie | 305

Abbildung 26: Theoretische Konzeptualisierung und empirische Manifestation der drei Dimensionen systemischer Resonanz

Quelle: eigene Darstellung

Die Lernfähigkeit eines Systems – dessen strukturelle Disposition, dem durch ein irritierendes ‚Umweltereignis‘ angezeigten Anpassungsdruck mit einer Veränderung der eigenen Erwartungsstrukturen zu begegnen, manifestiert sich innerhalb der systemischen Attributionsmuster in der Art und Weise, in der Enttäuschungen der umweltbezogenen Erwartungen verarbeitet werden. Sie lässt sich anhand der Frage erschließen, inwiefern ‚umweltinduzierte‘ Enttäuschungen systemischer Erwartungen – seien sie kognitiver oder normativer Natur, prospektiv gerichtet, dazu führen, dass die eigenen Erwartungen infrage gestellt werden, anstatt den mit einer Enttäuschung verbundenen Anpassungsdruck zu ignorieren oder auf die ‚Umwelt‘ zu externalisieren. In der Zusammenschau ergibt sich ein Bild der Resonanzfähigkeit des jeweils untersuchten Systems, das heißt der dem System aktuell zur Verfügung stehenden Formen des Umweltbezugs und des dadurch strukturierten Selbständerungspotentials. Der vierte und letzte Schritt der Resonanzanalyse ist darauf ausgerichtet, Resonanzen, also tatsächlich operativ vollzogene Veränderungen der systemischen Erwar-

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tungsstrukturen des Umweltbezugs, zu rekonstruieren. Dazu müssen zunächst die Analyseschritte eins bis drei mit neuem Datenmaterial, das zu einem späteren Zeitpunkt erhoben wurde, wiederholt werden. Die Ergebnisse dieser Analyse – die sich zu einem späteren Zeitpunkt im systemischen Resonieren manifestierenden systemischen Attributionsmuster des Umweltbezugs – werden dann in einer diachronen komparativen Analyse mit den Attributionsmustern aus dem früheren Erhebungszeitraum verglichen. Die sich in diesem Vergleich zeigenden Veränderungen der umweltbezogenen Attributionsmuster werden als Ausdruck einer dahinterliegenden Verschiebung der umweltbezogenen systemischen Erwartungsstrukturen – als Indikator für verschiedene Formen und Grade systemische Resonanzen – gedeutet: Kategoriale Resonanzen manifestieren sich in der Emergenz neuer Bezeichnungen, während sich konnotative Resonanzen in einer veränderten Verwendung von bereits bestehenden Bezeichnungen zeigen. Sachliche, soziale und temporale Resonanzen lassen sich empirisch in der Emergenz neuer beziehungsweise der veränderten Bezüge auf bereits bestehende Themen, Attributionsadressen oder Zeithorizonte beobachten. Der Etabliertheitsgrad solcher Resonanzformen lässt sich daran erkennen, ob beziehungsweise in welchem Maße sie als erklärungs- oder rechtfertigungsbedürftig behandelt werden. Die relative Häufigkeit, in der bestimmte neue oder veränderte Attributionsmuster im systemischen Resonieren aufgerufen werden, lässt wiederum gewisse Rückschlüsse auf deren Diffusionsgrad zu. Der Ausdifferenziertheitsgrad systemischer Resonanzen wiederum manifestiert sich in den Bezügen, die sich zwischen verschiedenen neuen beziehungsweise veränderten Attributionsmustern nachzeichnen lassen. Die forschungspraktischen Implikationen dieser methodologischen Überlegungen zur empirischen Analyse systemischer Resonanz wurden in Kapitel 5 anhand eines konkreten Fallbeispiels – der Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende – ausgelotet. Hierzu wurden fünf Fokusgruppeninterviews mit Mitgliedern verschiedener Wirtschaftsunternehmen zur Frage der mit der Energiewende verbundenen unternehmerischen Chancen und Hindernisse resonanzanalytisch ausgewertet. Die Auseinandersetzung mit diesem Fallbeispiel diente vor allem illustrativen Zwecken: Zum einen ging es darum, die verschiedenen Auswertungsschritte der Resonanzanalyse anhand von konkretem empirischen Material nachzuvollziehen. Zum anderen sollte gezeigt werden, welche Art von Erkenntnissen sich auf diese Weise generieren lassen. So konnten im Rahmen der untersuchten wirtschaftssystemischen Operationen zwei verschiedene Beobachterperspektiven auf die Energiewende ausgemacht werden: Die Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘, in dessen Kontext die Energiewende als staatliche Zielstellung begriffen und im Rahmen routinierter Kooperationspfade zwischen Staat und Unternehmen prozessiert wird und die Binnenkontextur ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘, in der die Bedeutung der Energiewende und die den Unternehmen zur Verfügung stehenden Reaktionen auf diese vor dem Hintergrund des evolutorischen Marktwettbewerbs bestimmt werden. Aufgrund des sehr begrenzten und nicht durch theoretisches Sampling erhobenen Datenmaterials, besitzen die aus dieser Resonanzanalyse gezogenen Schlussfolgerungen nur sehr begrenzte Aussagekraft. Sie erheben daher auch nicht den Anspruch, die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die Energiewende umfassend durchdringen und beschreiben zu können. Wie bereits bemerkt, sind sie nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein erster Versuch, entlang der durch das analytische Resonanzkonzept angeregten Unter-

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scheidungen „an sich selbst sehen zu lernen, was man sieht, wenn man so hinsieht (und nicht anders)“ (Nassehi 1998, zitiert nach von Groddeck 2011a: 71). Dennoch können sie als ein erster, illustrativer Einblick in die Möglichkeiten und Grenzen der in dieser Arbeit entwickelten Resonanzanalyse fungieren: Auf methodischer Ebene konnte gezeigt werden, wie konkrete gesellschaftliche Kommunikationsprozesse unter Rückgriff auf etablierte rekonstruktive Forschungsprogramme aus dem Kanon der empirischen Sozialforschung als Elemente sozialer Systeme identifiziert und in ihren Struktureigenschaften sequenzanalytisch und komparativ aufgeschlüsselt werden können. Aus den auf diese Weise rekonstruierbaren systemtypischen Deutungen und Prozessierungsformen von ‚Umweltereignissen‘ können dann – entlang der in der Operationalisierung des Resonanzkonzepts herausgearbeiteten Kriterien – Rückschlüsse auf die aktuelle Ausgestaltung der Resonanz des betreffenden Systems gezogen werden. Inhaltlich eröffnet sich damit zugleich ein Blickwinkel auf gesellschaftliche Koordinationsprozesse, der erstens vor allem die Binnenperspektive – die systemische ‚Innenseite‘ – der an dieser Koordination beteiligten Gesellschaftsbereiche in den Blick nimmt und dabei, zweitens, insbesondere auf die Beschreibung der strukturellen oder systemisch vorgezeichneten beziehungsweise blockierten Ermöglichungsbedingungen, Prozessierungspfade und Folgen dieser Prozesse gerichtet ist.

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Systemische Resonanz als strukturelle Voraussetzung gesellschaftlicher Koordination

Die vorliegende Arbeit zielte darauf ab, die Kapazität der modernen, polykontexturalen Gesellschaft zur Entwicklung und Umsetzung gemeinsamer Lösungsstrategien für gesellschaftliche Großprobleme – wie beispielsweise den anthropogenen Klimawandel, weltweite Fluchtbewegungen oder Pandemien – aus systemtheoretischer Perspektive zu untersuchen. Ausgangspunkt der in diesem Rahmen angestellten Überlegungen war die in Kapitel 1 dargelegte These, dass die Problemlösungskapazität der modernen Gesellschaft im Wesentlichen davon abhängt, ob und in welcher Form sich deren hochspezialisierte Teilsysteme aufeinander beziehen und ihre jeweiligen Problemdiagnosen und Lösungsstrategien untereinander abstimmen können. Die Systemtheorie eignet sich zur Bearbeitung dieser Fragestellung, weil sie die Fähigkeit operativ geschlossener Systeme, sich auf andere Systeme in ihrer Umwelt einzustellen – die systemische Resonanzfähigkeit – als grundsätzlich begrenzt beschreibt. Diese koordinations- oder steuerungsskeptische Positionierung ermöglicht es, die Bedingungen, Formen und Folgen gesellschaftlicher Koordination grundlegend zu problematisieren und begrifflich präzise zu analysieren. Der erste Teil der Arbeit widmete sich der theoretischen Konzeptualisierung der spezifischen Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme. In Kapitel 2 wurde dazu zunächst Luhmanns Resonanzbegriff, den er im Wesentlichen in der Ökologischen Kommunikation entwickelt, rekonstruiert. Dabei wurden drei Dimensionen systemischer Resonanz – die Resonanzfähigkeit, das Resonieren und die Formen sowie Grade systemischer Resonanzen – unterschieden. Im Ergebnis wurde zum einen deutlich, dass die wesentlichen Elemente für eine umfassende Beschreibung der spezifischen Umweltoffenheit operativ geschlossener Sozialsysteme – die systemische Fähigkeit, Umweltereignisse zu beobachten, systemintern zu prozessieren und die eigenen Erwartungsstrukturen an diese anzupassen – in Luhmanns Begriff systemischer Resonanz bereits grundlegend angelegt sind. Zum anderen wurden jedoch auch eine Reihe von theoretischen Leerstellen identifiziert, die in Kapitel 3 unter Rückgriff auf den weiteren luhmannschen Theoriekontext sowie neuere systemtheoretische Steuerungsansätze adressiert wurden. Luhmanns Resonanzbegriff diente dabei als übergreifender Analyserahmen, innerhalb dessen diese verschiedenen Beschreibungen der spezifischen Offenheit operativ geschlossener Sozialsysteme verortet und miteinander zu einem kohärenten Konzept systemischer Resonanz, das heißt der Be-

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dingungen, Prozesse und Folgen des systemischen Umweltbezugs, verbunden wurden. In Bezug auf die strukturellen Bedingungen des systemischen Umweltbezugs – die Resonanzfähigkeit sozialer Systeme – konnte gezeigt werden, dass diese von der je aktuellen Ausgestaltung der umweltbezogenen systemischen Erwartungsstrukturen geformt werden. Im Falle der gesellschaftlichen Funktionssysteme wird die systemische Resonanzfähigkeit in der Sachdimension von Sinn durch das Attributionsschema des jeweiligen binären Codes und die dessen Verwendung regulierenden Programme geprägt. In der Sozialdimension ist hierfür die Unterscheidung von Umwelt und System maßgeblich, die von den jeweiligen systemischen Umwelt- und Selbstbeschreibungen angeleitet wird. In der Zeitdimension wiederum wird der Umweltbezug durch die von den systemischen Zeithorizonten konstituierte Unterscheidbarkeit von Vergangenheit und Zukunft organisiert. Vor dem Hintergrund dieser Erwartungsstrukturen können operativ geschlossene Sozialsysteme Umweltereignisse registrieren und grundlegend sinnhaft bestimmen. Die operative Prozessierung dieser Umweltereignisse – das Resonieren – wurde entlang von drei Stationen, der Variation, der Selektion und der Restabilisierung, genauer konzeptualisiert. Im Rahmen der Variation kann ein System registrierte ‚Umweltereignisse‘, retrospektiv gerichtet, entweder als erwartbare oder als unerwartete und daher irritierende Ereignisse verstehen. Irritierende Ereignisse können entweder durch eine struktursichernde Normalisierung verdrängt oder aber durch eine innovative Normalisierung in eine systemintern anschlussfähige Information über Neues – eine operative Innovation – transformiert werden. Solche zunächst lediglich momenthaften operativen Innovationen können dann, im zweiten Schritt des systemischen Resonierens, der Selektion, entweder negativ selegiert, also vergessen, oder aber positiv selegiert, das heißt über den Moment hinaus in der Form einer generalisierten Erwartung im systemischen Gedächtnis erinnert werden. Ist letzteres der Fall, wird die operative Innovation zu einer strukturellen Innovation verfestigt, die das betreffende System über den initialen Irritationsmoment hinaus mit dauerhaft neuen Deutungsmöglichkeiten ausstattet. Im dritten Schritt des systemischen Resonierens, der Restabilisierung, werden diese strukturellen Innovationen dann in das vorhandene Gefüge der bereits bestehenden systemischen Erwartungsstrukturen integriert. Sofern sich bestehende und neue Erwartungen nicht einfach ergänzen, sondern im Widerspruch zueinanderstehen, kann es dabei zu operativen Kollisionen dieser Erwartungen kommen, die sowohl zugunsten der bereits bestehenden oder der neuen Deutungsmöglichkeiten als auch durch eine wiederum innovative Verbindung alter und neuer Erwartungen aufgelöst werden können. Wie wahrscheinlich es ist, dass es im Rahmen des systemischen Resonierens zu einer solchen ‚umweltinduzierten‘ Anpassung der systemischen Erwartungsstrukturen kommt, hängt wiederum von drei Unterdispositionen der systemischen Resonanzfähigkeit ab: Von der Irritabilität eines System – dessen struktureller Disposition, Ereignisse in seiner Umwelt zu registrieren, von der Reagibilität eines System – dessen struktureller Disposition, mit eigenem Handeln auf solche ‚Umweltereignisse‘ zu reagieren sowie von der Lernfähigkeit eines Systems – dessen struktureller Disposition, die eigenen Erwartungen aufgrund von irritierenden ‚Umweltereignissen‘ anzupassen. Das Ausmaß der systemischen Irritabilität variiert mit der Komplexität – also dem Umfang und der Spezifizierung – der umweltbezogenen Erwartungen eines

6. Resonanz als strukturelle Voraussetzung gesellschaftlicher Koordination | 311

Systems; das heißt mit dem Umfang und der Spezifizierung seiner Programme, seiner Umwelt- und Selbstbeschreibungen sowie der Ausdehnung seiner Zeithorizonte in Richtung Vergangenheit und Zukunft. Die systemische Reagibilität wird erstens, in der Sachdimension, davon beeinflusst, ob das jeweilige symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium des betreffenden Systems dieses eher zu handelnden oder erlebenden Anschlüssen disponiert. In der Sozialdimension ist, zweitens, entscheidend, inwieweit sich das System als für seine ‚Umwelt‘ zuständig beziehungsweise von seiner ‚Umwelt‘ abhängig betrachtet. In der Zeitdimension kommt es, drittens, darauf an, welche Aspekte von Zukunft beziehungsweise Vergangenheit das System als gegenwärtig schon beziehungsweise noch handlungsrelevant begreift. Die systemische Lernfähigkeit hängt wiederum davon ab, ob die systemischen Erwartungsstrukturen in Sach-, Zeit- und Sozialdimension eher kognitiv oder normativ stilisiert sind: Kognitive, anpassungsfähige Erwartungen sind mit einer hohen systemischen Lernfähigkeit assoziiert, während normative Erwartungen, die auch im Enttäuschungsfall aufrechterhalten werden, das systemische Lernen tendenziell blockieren. Die Folgen des ‚umweltinduzierten‘ systemischen Lernens konnten sowohl in ihrer Struktur als drei Formen systemischer Resonanzen als auch in ihrem Ausmaß entlang von drei Graden systemischer Resonanzen kategorisiert werden. In Bezug auf die Formen systemischer Resonanzen wurde, erstens, auf der strukturellen Ebene zwischen kategorialen und konnotativen Resonanzen unterschieden. Kategoriale Resonanzen bestehen in einer Veränderung der systemischen Attributionsschemata und der durch diese vorgegebenen Möglichkeiten, ‚Umweltereignisse‘ als ‚etwas‘ zu bezeichnen. Konnotative Resonanzen verändern dagegen die Ausgestaltung der systemischen Attributionsregeln, die sich nicht auf die Bezeichnungsformen, sondern auf die mit bestimmten Bezeichnungen verknüpften retrospektiven Bedeutungen und prospektiven Anschlussmöglichkeiten auswirken. Zweitens wurde auf der Ebene der Sinndimensionen zwischen sachlichen, sozialen und temporalen Resonanzen differenziert: Sachliche Resonanzen verändern das Spektrum beziehungsweise die Bedeutung systemintern beobachtbarer Themen. Soziale Resonanzen führen neue Adressen in das System ein oder wirken sich auf die Bedeutung bereits bestehender Adressen aus. Temporale Resonanzen äußern sich entweder in einer Ausweitung der systemischen Zeithorizonte in Richtung Vergangenheit beziehungsweise Zukunft oder in einer veränderten Betrachtung bereits beobachtbarer vergangener beziehungsweise zukünftiger Ereignisse. Im Hinblick auf deren operative Konsequenzen lassen sich systemische Resonanzen wiederum, drittens, in Bezug auf das betreffenden System selbst als funktional beziehungsweise dysfunktional sowie, in Bezug auf die Gesellschaft als Ganze, als integrativ beziehungsweise desintegrativ bezeichnen. Die Grade systemischer Resonanzen beziehen sich auf das Ausmaß, in dem ‚umweltinduzierte‘ Strukturanpassungen die interne Informationsverarbeitung und die daraus resultierende Beobachterperspektive sozialer Systeme verändern. Der erste Gradmesser, der Etabliertheitsgrad systemischer Resonanzen, steigt mit der Selbstverständlichkeit, mit der das System auf die jeweils neue oder angepasste Erwartung rekurrieren kann. Der zweite Gradmesser, der Ausdifferenziertheitsgrad systemischer Resonanzen, wird durch die Anzahl der auf eine primäre Strukturanpassung induzierten Folgeanpassungen bestimmt. Der dritte Gradmesser, der Diffusionsgrad systemischer Resonanzen, bemisst sich wiederum an der systeminternen Reichweite einer ‚umweltinduzierten‘ Strukturanpassung.

312 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

Mit der Ausarbeitung dieser verschiedenen Elemente systemischer Resonanz, die sowohl die strukturellen Bedingungen und Konsequenzen als auch die operativen Prozesse des systemischen Umweltbezugs näher beleuchteten, konnte, im Ergebnis, ein umfassendes analytisches Konzept der spezifischen Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme erarbeitet werden. Daran anschließend widmete sich der zweite Teil der Arbeit der Frage, inwiefern sich Resonanz auch als empirisches Phänomen – als Eigenschaft konkreter gesellschaftlicher Sozialsysteme – beobachten und analysieren lässt. Die damit angesprochene Operationalisierung des systemtheoretischen Resonanzkonzepts wurde in Kapitel 4 vorgenommen. Ausgehend von einer Bestandsaufnahme des aktuellen methodologischen Kernbestands, der die verschiedenen Stränge der systemtheoretisch ausgerichteten empirischen Sozialforschung miteinander verbindet, wurde ein Vorschlag erarbeitet, wie sich systemische Resonanz in ihren drei Dimensionen empirisch beobachten und methodisch kontrolliert rekonstruieren lässt. Der Datenkorpus, auf dem die so verstandene Resonanzanalyse beruht, besteht aus verschiedenen Elementen des systemischen Resonierens. Diese manifestieren sich in all jenen Ausschnitten schriftlich fixierter gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse, die sich zum einen an dem jeweils systemkonstitutiven Attributionsschema – im Falle der gesellschaftlichen Funktionssysteme an dem jeweiligen binären Code – orientieren und zum anderen in irgendeiner Form auf die ‚Umwelt‘ gerichtet sind. Die Resonanzfähigkeit, die durch die systemischen Erwartungsstrukturen des Umweltbezugs geprägt wird, lässt sich in diesen Daten in der Form sogenannter systemischer Attributionsmuster rekonstruieren: den im Resonieren wiederholt beobachtbaren, typischen Formen der retrospektiven Deutung und prospektiven Prozessierung von ‚Umweltereignissen‘. Systemische Resonanzen – also strukturelle Anpassungen der systemischen Erwartungsstrukturen – schlagen sich wiederum in einer Verschiebung dieser systemtypischen Attributionsmuster im Zeitverlauf nieder. Um solche Resonanzen empirisch herausarbeiten zu können, muss das systemische Resonieren daher zu mindestens zwei verschiedenen und weit auseinanderliegenden Zeitpunkten analysiert und miteinander verglichen werden. Wie eine solche Resonanzanalyse konkret aussehen kann, wurde in Kapitel 5 mittels einer explorativen Fallstudie zur Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die Energiewende – einem zentralen Baustein der deutschen Klimaschutzpolitik – illustriert. Auf der Basis von fünf Fokusgruppeninterviews mit Mitgliedern verschiedener Unternehmen aus der Real- und Finanzwirtschaft sowie Vertreter*innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft konnten zwei typische Deutungsmuster und Prozessierungsformen der Energiewende im Wirtschaftssystem resonanzanalytisch rekonstruiert werden: die wirtschaftliche Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ und die wirtschaftliche Binnenkontextur ‚Energiewende als Element eines globalen Markttrends‘. Im Rahmen des ersten Deutungs- und Prozessierungsmusters – der wirtschaftlichen Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ – wird die Energiewende als staatlich programmierte Zahlungschance behandelt. Dementsprechend konzentriert sich die wirtschaftssystemische Irritabilität in diesem Kontext fast ausschließlich auf die Umweltadresse ‚des Staates‘ beziehungsweise ‚der Politik‘. Die Reagibilität folgt im Wesentlichen einem Konditionalprogramm: Wenn der Staat die entsprechenden Regulierungsbedingungen schafft, werden die von ihm geförderten energiewendebezogenen Maßnahmen im Rahmen der unternehmerischen

6. Resonanz als strukturelle Voraussetzung gesellschaftlicher Koordination | 313

Routinen aufgegriffen und weiter prozessiert. Die wirtschaftliche Lernfähigkeit in Bezug auf den Staat – die Bereitschaft, die unternehmerischen Entscheidungsstrukturen an politische Regulierungsbedingungen anzupassen – ist im Rahmen dieser Binnenkontextur folglich recht stark ausgeprägt. Jenseits der auf diese Weise staatlich geförderten Aktivitäten spielt die Energiewende dagegen kaum eine Rolle. Gefährdet werden solche Formen ‚staatlich induzierter‘ wirtschaftlicher Resonanzen auf die Energiewende durch das mehrfach artikulierte schwindende Vertrauen wirtschaftlicher Entscheidungsinstanzen in die langfristige Verbindlichkeit staatlicher Regulierung: Wird der Staat als eher wankelmütig wahrgenommen, wandelt sich dessen wirtschaftliche Rolle von einer risikoreduzierenden Instanz zu einer für die Unternehmen unberechenbaren Gefahr. In der Folge erscheint den Unternehmen die Umsetzung des wirtschaftspolitischen Programms der Energiewende nur noch wenig attraktiv und die systemintern etablierten staatlich-unternehmerischen Kooperationsformen drohen nach und nach zu erodieren. Im Rahmen der zweiten wirtschaftssystemischen Binnenkontextur wird die Energiewende weitestgehend losgelöst von staatlichem Handeln, nämlich als ‚Element eines globalen Markttrends‘ verstanden. Die wirtschaftliche Irritabilität ist hier dementsprechend anders gelagert: Sie bezieht sich nicht auf den Bereich der (unmittelbar) staatlich regulierten Wirtschaftsaktivitäten, sondern konzentriert sich auf die mit der Energiewende verbundenen Transformationen im globalen Marktwettbewerb. Je nach Geschäftsmodell erscheinen diese Transformationen den Unternehmen zum einen als mehr oder weniger relevant und zum anderen eher als potentielle Chancen oder Risiken, die sich vermutlich positiv beziehungsweise negativ auf ihre zukünftigen Marktanteile auswirken können. Da die konkreten unternehmerischen Konsequenzen der Energiewende vor allem davon abhängen, wie sich die Unternehmen zu diesen Chancen oder Risiken verhalten, zeichnet sich diese wirtschaftliche Binnenkontextur durch eine hohe Reagibilität aus: Die Zukunft einfach auf sich zukommen zu lassen oder sich auf das Handeln anderer, etwa staatlicher Instanzen, zu verlassen kommt in diesem Kontext nicht infrage. Vielmehr geht es darum, im Rahmen eines Zweckprogramms gegenwärtige Entscheidungen zu treffen, die die Maximierung zukünftiger Gewinne ermöglichen. Diese Bereitschaft, antizipativ auf zukünftige Veränderungen zu reagieren, drückt sich in einer hohen Lernfähigkeit aus. Anders als im Falle eines eher staatszentrierten Verständnisses der Energiewende, ist das systemische Lernen in diesem Kontext allerdings nicht bereits durch institutionalisierte Formen der wirtschaftspolitischen Kooperation vorgezeichnet und in diesem Sinne ‚konformes‘, sondern gewissermaßen ‚innovatives‘, kreatives Lernen. Wie das Beispiel der sogenannten Contractoren zeigt, die ihr Geschäftsmodell auf die Überbrückung der strukturellen Inkongruenz zwischen real- und finanzwirtschaftlichen Finanzierungsbedarfen ausrichten und auf diese Weise neue Formen von Effizienzinvestitionen ermöglichen, kann dieses innovative Lernen beispielsweise zur Entstehung neuer Marktakteure führen, die in der Lage sind, aktuelle Resonanzblockaden aus dem Markt heraus zu lösen. Über diese ersten, konkreten Einblicke in die aktuelle Ausgestaltung der Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende hinaus, können aus der illustrativen Fallstudie auch weiterreichende Schlüsse auf die generelle Bedeutung der empirischen Analyse systemischer Resonanz gezogen werden. So wurde deutlich, dass sich die abstrakten Begriffe, auf die sich das analytische Konzept sys-

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temischer Resonanz stützt, durchaus in einer Weise operationalisieren lassen, die eine empirische Auseinandersetzung mit konkreten Fällen – mit der Resonanz spezifischer Sozialsysteme für bestimmte Aspekte ihrer Umwelt – erlaubt. Die in diesem Rahmen generierten Erkenntnisse können sowohl instruktive Einblicke in die Bedingungen und Möglichkeiten gesellschaftlicher Koordinationsprozesse liefern, als auch auf die analytisch-konzeptionelle Ebene rückwirken: Sie zeigen vor allem, dass sich die in der Theoriesprache zumeist recht monolithisch anklingenden Begriffe – das Wirtschaftssystem, die strukturelle Kopplung, die Resonanz – auf sehr vielschichtige und komplexe Phänomene beziehen, die es methodologisch ernst zu nehmen und sorgfältig zu rekonstruieren gilt. Als zusammenfassendes Fazit dieser Arbeit kann nun, zum Schluss, festgehalten werden, dass mit der systemtheoretischen Konzeptualisierung und Analyse systemischer Resonanz ein Beitrag zum analytischen wie empirischen Verständnis der spezifischen Umweltoffenheit operativ geschlossener Sozialsysteme geleistet wurde. Dieser Beitrag ist sowohl, im engeren Sinne, für die Systemtheorie als auch, im weiteren Sinne, für die Auseinandersetzung mit der Problemlösungskapazität der modernen, polykontexturalen Gesellschaft in Bezug auf existenzielle Risiken von Bedeutung. Der systemtheoretische Beitrag besteht in einer doppelten Umfokussierung der Theorie von Geschlossenheit auf Offenheit: Einer theoretischen Umfokussierung von Schließungs- auf Öffnungsprozesse und eine Öffnung der als abstrakte Gesellschaftstheorie angelegten Systemtheorie für empirische Fragestellungen und Analysen. Diese Umfokussierungen adressieren zwei zentrale Vorwürfe, mit denen sich die Systemtheorie bisweilen konfrontiert sieht. Die erste, theoretische Umfokussierung reagiert auf den wohl nicht ganz zu Unrecht geäußerten Vorwurf, dass sich die Systemtheorie von und in Anschluss an Luhmann zu einseitig auf die Beschreibung systemischer Geschlossenheit – die Autopoiesis sozialer Systeme – konzentriert. Die andere Seite der Unterscheidung, die aus dieser spezifischen Form der operativen Geschlossenheit resultierende Offenheit werde dagegen, wenn überhaupt, nur punktuell beleuchtet, um diese Geschlossenheit zu plausibilisieren. Mit der nötigen Sorgfalt und begrifflichen Kohärenz werde sie dagegen kaum adressiert (vgl. z.B. Philippopoulos-Mihalopoulos 2010: 173; Keller/Lau 2008: 250). Unter Rückgriff auf das Konzept systemischer Resonanz konnte dieser Kritikpunkt aufgegriffen und theorieimmanent bearbeitet werden: Der theoretische Beobachterfokus wurde von Schließung in Richtung Öffnung verschoben, ohne dabei systemtheoretische Basisprämissen in Zweifel zu ziehen. Auf diese Weise konnte gezeigt werden, dass und wie sich die Systemtheorie von ihrer „normativen Übersteigerung der Grenzkonzeption“ lösen und in Bezug auf das Beobachtungsschema Offenheit/Geschlossenheit gewissermaßen „‚zweiseitig‘ [.] verfahren“ kann (Opitz 2015: 260–261). In seiner Funktion als übergreifender analytischer Rahmen, in dem sich verschiedene Begriffe und Beschreibungen der Offenheit operativ geschlossener Systeme verorten und zu einem kohärenten Konzept verbinden lassen, leistet das Konzept systemischer Resonanz somit einen theoretischen Beitrag, der die Systemtheorie in die Lage versetzt – wie Opitz (2015: 260–261) es formuliert – „sowohl die Differenzierung unterschiedlicher Prozesse als auch die Dynamiken ihrer Überlagerung, Vermischung und Durchdringung“ systematisch in den Blick zu nehmen.

6. Resonanz als strukturelle Voraussetzung gesellschaftlicher Koordination | 315

Die zweite Öffnung der Systemtheorie für empirische Fragestellungen und Analysen greift einen anderen Kritikpunkt auf. Als hochabstrakte Gesellschaftstheorie mit einem in sich recht geschlossenen Begriffsgefüge gilt die Systemtheorie weithin als ein „für die empirische Sozialforschung nur schwer zugängliches Theorieangebot“, das „keine expliziten Hinweise für eine methodisch kontrollierte empirische Erdung ihres theoretischen Gebäudes“ zu liefern vermag (Meseth 2011: 180; vgl. auch Blaser 2003: 95). Dies hinderte jedoch insbesondere Luhmann nicht daran, sich exemplarischer Evidenzen aus der Empirie zu bedienen, um seine theoretischen Positionen zu plausibilisieren (Vogd 2011: 21–23; Farzin 2008: 193). Die Systemtheorie – so der Vorwurf – fischt also gelegentlich in den Gründen der empirischen Sozialforschung, ohne dabei die methodologischen Grundlagen ihrer Beobachtungen mit der gebotenen Sorgfalt zu reflektieren. Auch wenn dieser Vorwurf der „Empirievergessenheit“ (John et al 2010: 9) in Bezug auf die Systemtheorie als Ganze sicherlich auch aktuell noch zutrifft, konnte in dieser Arbeit gezeigt werden, dass sich seit Mitte der 1990er Jahre immer mehr Systemtheoretiker*innen im Rahmen von Fallstudien und methodologischen Reflexionen mit der metatheoretischen Kompatibilität von Systemtheorie und rekonstruktiver Sozialforschung auseinandersetzen. Sowohl die Zusammenschau ihrer empirisch generierten Erkenntnisse als auch die Ergebnisse der in dieser Arbeit durchgeführten Resonanzanalyse machen deutlich, dass und wie Systemtheorie und rekonstruktive Sozialforschung voneinander profitieren können: Zum einen liefert die Systemtheorie eine Reihe von begrifflichen Konstrukten, die sich für die empirische Analyse gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse durchaus als instruktive Beobachtungsinstrumente erweisen können. So konnten etwa die institutionalisierten wirtschaftlichen Verarbeitungsformen politischer Steuerungsimpulse im Rahmen der Binnenkontextur ‚Energiewende als wirtschaftspolitisches Programm‘ als eine konkrete Manifestation der strukturellen Kopplung von Wirtschaftssystem und politischem System interpretiert werden. Zum anderen bewahrt die kleinteilige, empirisch fundierte Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen die Systemtheorie davor, in eine allzu monolithisch klingende Sprache zu verfallen. Denn je genauer man hinschaut, desto deutlicher wird es, dass man es in der modernen Gesellschaft eben nicht einfach mit dem Wirtschaftssystem, dem Rechtssystem oder dem politischen System, sondern mit einer Vielzahl unterschiedlicher Kontexturen zu tun hat. In der Zusammenschau zeigen diese theoretisch-konzeptionellen und methodologisch-empirischen Überlegungen auf, was es bedeutet, die Systemtheorie als eine strikt prozessuale Theorie zu fassen. Jeglichem Verständnis von Systemen als irgendwie geartete ‚Einheiten‘, die über eine konsistente Selbstbeschreibung verfügen und eventuell sogar handelnd auf sich selbst zugreifen können, muss vor diesem Hintergrund mit Skepsis begegnet werden. Anders als es auch in systemtheoretischen Argumentationen – wenn auch womöglich vor allem aufgrund von sprachlichen Gewohnheiten – allzu oft anklingt, sind gesellschaftliche Funktionssysteme als solche nicht organisier- oder repräsentierbar und stellen aus diesem Grunde auch keine handlungsfähigen oder von außen adressierbaren Einheiten dar. Vielmehr sind sie als strikt operative Gebilde zu begreifen, die sich allein durch ihre gemeinsame Orientierung an ihrem jeweiligen binären Code konstituieren. In diesem Sinne plädiert eine operative Lesart der Systemtheorie für eine minimalistische Definition gesellschaftlicher Funktionssysteme und – in der Konsequenz – für eine grundsätzlich ergebnisof-

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fene, empirische Auseinandersetzung mit deren über den systemkonstitutiven Code hinausgehenden Struktureigenschaften; etwa der systemintern ausgebildeten Form der Binnendifferenzierung oder den in den Systemoperationen aufgerufenen, mehr oder weniger homogenen Selbst- und Umweltbeschreibungen. Dies impliziert unter anderem, dass aus der Tatsache, dass ein System sich im Rahmen seiner Kommunikationen als Einheit beschreiben und von seiner Umwelt unterscheiden kann, nicht zwingend folgt, dass es dies immer auf die gleiche oder nur auf eine konsistente Art und Weise tut. Insofern gilt es selbstkritisch anzumerken, dass auch das Sprechen von der systemischen Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die Energiewende eine Vereinfachung ist. Denn auch die systemische Struktureigenschaft der Resonanzfähigkeit ist, wie in Kapitel 5 explorativ nachgezeichnet werden konnte, vielschichtig: Die wirtschaftliche Bedeutung und Prozessierbarkeit der Energiewende variieren in einem gegebenen Zeitraum entlang bestimmter wirtschaftssystemischer Binnenkontexturen und verändern sich im Zeitverlauf des systemischen Operierens. Gesellschaftstheoretisch folgt aus dieser strikt operativen Konzeption sozialer Systeme, dass es nicht so sehr darauf ankommt, sich auf eine bestimmte gesellschaftliche Struktur – etwa ihre (primär) funktionale Differenzierung –, festzulegen, sondern die Gesellschaft als polykontextural zu begreifen: als ein Zusammenspiel verschiedener, funktions-, organisations- und interaktionssystemischer Kontexturen, die in nichttrivialer, aber eben doch empirisch erschließbarer Weise aufeinander bezogen sind. Über diese systemtheoretischen Anregungen hinaus ermöglicht das Resonanzkonzept zudem einen differenzierten Blick auf das Ausmaß beziehungsweise die Qualität der Problemlösungskapazität der modernen, polykontexturalen Gesellschaft für gesellschaftliche Großprobleme. Wie bereits erwähnt, hängt die gesellschaftliche Problemlösungskapazität vor allem davon ab, ob beziehungsweise in welcher Weise die verschiedenen gesellschaftlichen Teilsysteme ihre jeweiligen Problemdiagnosen und Lösungsstrategien in Bezug auf diese Großprobleme wechselseitig aufgreifen und aufeinander abstimmen können. Im Hinblick auf die damit angesprochenen strukturellen Bedingungen, Formen und Folgen des systemischen Umweltbezugs bietet das systemtheoretische Konzept systemischer Resonanz eine Reihe von Einblicken. Diese Einblicke sind sowohl aus einer prospektiv-planerischen Perspektive, die selbst bestimmte Ziele gesellschaftlicher Koordination verfolgt, als auch aus einer retrospektiv-evaluativen Perspektive anschlussfähig, die sich eher dafür interessiert, wie sich bestimmte, gesellschaftliche Anpassungsprozesse in der Vergangenheit vollzogen haben. Die strukturellen Ausgangsbedingungen und die sich vor diesem Hintergrund abzeichnenden Möglichkeiten gesellschaftlicher Koordination lassen sich unter Rückgriff auf die erste Dimension systemischer Resonanz, die systemische Resonanzfähigkeit, genauer bestimmen. In Bezug auf den Klimawandel kann beispielsweise danach gefragt werden, in welchen Bereichen der Gesellschaft dieser bereits, retrospektiv gerichtet, als Problem – und genauer: Als was für eine Art von Problem? Als wessen Problem? Als bereits gegenwärtig akutes oder erst in der fernen Zukunft anstehendes Problem? – beobachtet wird. Zudem kann ausgelotet werden, welche Art von prospektiven Anschlüssen an den Klimawandel in diesen verschiedenen Sphären als sinnvoll erachtet werden. Davon ausgehend können dann wiederum Rückschlüsse auf das aktuelle Ausmaß und die Veränderbarkeit der auf den Klimawandel bezogenen Irritabilität, Reagibilität und Lernfähigkeit der verschiedenen gesellschaftlichen

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Teilbereiche gezogen und – planerisch gedacht – in etwaigen Koordinationsversuchen berücksichtigt werden. Worauf diese Koordinationsversuche genau abzielen, lässt sich unter Rückgriff auf die zweite Dimension systemischer Resonanz, die verschiedenen Formen und Grade systemischer Resonanzen, präzisieren: Geht es etwa darum, den Klimawandel in bestimmten Gesellschaftsbereichen überhaupt als gegenwärtiges, existenzielles Risiko zu etablieren? Oder soll die Konnotation des Klimawandels vielmehr um zusätzliche, handlungsmotivierende Bedeutungen – etwa als eine wirtschaftliche Chance für bestimmte Wirtschaftsbranchen und deren Produkte – erweitert werden? Und reicht es aus, wenn ein solches, positiv konnotiertes Verständnis des Klimawandels nur in bestimmten Wirtschaftsbereichen vorherrscht und sich von dort aus gegebenenfalls systemweit ausbreitet? Zudem sollte insbesondere die Unterscheidung von funktionalen und dysfunktionalen beziehungsweise integrativen und desintegrativen Resonanzen dafür sensibilisieren, dass Resonanz nicht unbedingt mit einer Steigerung der gesellschaftlichen Problemlösungskapazität für gesellschaftliche Großprobleme einhergehen muss. Ebenso gut kann sie auch in einer Ablehnung oder Umlenkung von Koordinationsversuchen bestehen. So hat etwa der vonseiten der Politik, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft in Richtung der Ölindustrie ausgeübte Druck, das eigene Geschäftsmodell aufgrund des Klimawandels zu überdenken, zunächst zur Bildung strategischer Allianzen unter verschiedenen Wirtschaftsakteuren geführt, die sich eine gewisse Zeit mit einer auf Zweifel ausgerichteten Framingstrategie erfolgreich gegen diesen Druck abschirmen konnten (vgl. Oreskes/Conway 2014). Wie sich gesellschaftliche Koordinationsprozesse genau vollziehen und an welche Stellen sie gelingen, aber auch scheitern oder aus dem Ruder laufen können, lässt sich mit der dritten Dimension systemischer Resonanz, dem Resonieren, genauer in den Blick nehmen. Werden neue Erkenntnisse zum Klimawandel überhaupt als Irritation registriert? Werden sie konstruktiv aufgegriffen und weiterverarbeitet oder eher verdrängt – etwa indem darauf verwiesen wird, dass es schon nicht so schlimm kommen werde oder dass man selbst sowieso nichts dagegen unternehmen könne? Und was passiert mit eventuell vorgebrachten innovativen Lösungsstrategien: Verpuffen sie? Oder werden solche neuen Lösungen innerhalb der betreffenden Gesellschaftsbereiche strukturell integriert und als Anregung für weitere Anpassungsprozesse verstanden? Als Ausgangspunkt all dieser Fragen kann das systemtheoretische Konzept systemischer Resonanz dazu beitragen, die Komplexität und Vielschichtigkeit – und damit immer auch die voraussetzungsreichen Erfolgsbedingungen sowie die Möglichkeit eines Scheiterns – gesellschaftlicher Koordinationsprozesse zu beachten. Koordination in diesem Sinne als komplexes Problem ernst zu nehmen, bedeutet jedoch nicht zugleich, dass man vor dieser Komplexität erstarren müsste. Denn das systemtheoretische Resonanzkonzept sowie die daran anschließende empirische Resonanzanalyse hält einiges an begrifflichem wie methodischem Handwerkszeug bereit, das dabei helfen kann, insbesondere die systemischen Voraussetzungen, Prozesse und Folgen gesellschaftlicher Koordination systematisch aufzuschlüsseln.

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342 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

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346 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

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Anhang | 347

ANHANG 1: ÜBERSICHT ZU DEN FÜR DIE FEININTERPRETATION AUSGEWÄHLTEN PASSAGEN ‚WIRTSCHAFTSKOMMUNIKATION‘ Laufende Nr.* 1 2

Fokusgruppeninterview G1, Passage 1 G1, Passage 2

3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

G1, Passage 3 G1, Passage 4 G1, Passage 5 G1, Passage 6 G1, Passage 7 G1, Passage 8 G2, Passage 1 G2, Passage 2 G2, Passage 3 G2, Passage 4

13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

G2, Passage 5 G2, Passage 6 G2, Passage 7 G3, Passage 1 G3, Passage 2 G3, Passage 3 G3, Passage 4 G3, Passage 5 G3, Passage 6 G3, Passage 7 G3, Passage 8 G3, Passage 9 G4, Passage 1 G4, Passage 2

27 28 29

G4, Passage 3 G4, Passage 4 G4, Passage 5

30 31

G5, Passage 1 G5, Passage 2

32

G5, Passage 3

33

G5, Passage 4

Oberthema der Passage Atomausstieg Rolle der Unternehmen im Zukunftsszenario ‚gescheiterte Energiewende‘ Energiewende als Modernisierungschance Unklare Investitionsbedingungen Investor-Nutzer-Dilemma Fehlende Investitionssicherheit Interessante Gesprächspartner Motivation und Logik von Investitionen Global agierende Unternehmen Das Narrativ der deutschen Energiewende Geschäftsmodell und regulatorisches Design Zukünftige Marktentwicklung und Regulierung Investoren und Energieeffizienz Zentrale Funktion des Marktdesigns Der Verbraucher als Wähler Finanzierung der Energiewende Investitionen in Energieeffizienz Investitionsentscheidungen unter Unsicherheit Staatliche Fehlanreize I Staatliche Fehlanreize II Interessante Gesprächspartner Wording ‚Politikversagen‘ Staatliche Instrumente der Risikoübernahme Technologie und gesellschaftliche Akzeptanz Wirtschaftlichkeit von Netzinvestitionen Wirtschaftlichkeit von Investitionen in die Energieerzeugung Investitionen von Großinvestoren Was können Unternehmen tun? Die Bedeutung der deutschen Energiewende für den Weltmarkt Energieeffizienz ist kein Investitionsgrund Zukunftsunsicherheit zwischen Markt und Staat Internationale Wettbewerbsfähigkeit und Vorreiterrolle Details matter in Investitionsentscheidungen

348 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

34

G5, Passage 5

35 36

G5, Passage 6 G5, Passage 7

Bedingungen für Investitionen in Energieeffizienz Effizienzinvestitionen durch contracting Internationale Wettbewerbsfähigkeit und carbon leakage

* Darstellung angelehnt an Kleemann et al. 2013: 171. Im Text werden ausgewählte Stellen der Gruppeninterviews unter Verweis auf die laufende Nummer der Passage (P1–P36) sowie die Zeilennummern des vollständigen Transkripts diskutiert.

Anhang | 349

ANHANG 2: TRANSKRIPTIONSREGELN In Anlehnung an die Transkriptionsregeln der dokumentarischen Methode nach Przyborski (2004: 331–334): Notation [

(.) (3)

Bedeutung Beginn einer Überlappung bzw. direkter Anschluss beim Sprecherwechsel Ein direkter Anschluss beim Sprecherwechsel bzw. ein Wechsel mit minimaler Pause ist in den Transkripten durch einen Beginn am Anfang der Zeile ohne Häkchen erfasst Kurzes Absetzen (bis 1 Sekunde) Anzahl der Sekunden, die eine Pause dauert Ab 4 Sekunden Pause erfolgt die Notation in einer Extrazeile. Auf diese Weise wird das Schweigen der ganzen Gruppe zugeordnet, was bei längeren Pausen meist dem Eindruck des Gehörten entspricht.

Intonation nein nein °nee° ? vielleioh=nee nei:n (doch) () ((runzelt die Stirn)) @nein@ @(lacht auf)@ @(3)@ Groß- und Kleinschreibung

betont laut (in Relation zur üblichen Lautstärke des Sprechenden) sehr leise (in Relation zur üblichen Lautstärke des Sprechenden) stark steigende Intonation Abbruch eines Wortes Wortverschleifung Wortdehnung Unsicherheit bei der Transkription aufgrund schwer verständlicher Äußerungen Unverständliche Äußerungen, die Länge der Klammer entspricht etwa der Dauer der unverständlichen Äußerung Kommentar bzw. Anmerkungen zu parasprachlichen, nichtverbalen oder gesprächsexternen Ereignissen lachend gesprochen kurzes Auflachen 3 Sekunden Lachen Hauptwörter werden groß geschrieben; beim Neuansetzen eines Sprechenden wird das erste Wort mit Großbuchstaben begonnen. Nach Satzzeichen wird klein weitergeschrieben, um deutlich zu machen, dass Satzzeichen die Intonation anzeigen und nicht grammatikalisch gesetzt werden.

350 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

Alias-Vergabe (s. Anhang 3)

Allen Personen einer Fokusgruppendiskussion wurde ein Buchstabe, der ihrer Gruppenzugehörigkeit (etwa I für „Mitglied eines institutionellen Investors“) und eine Zahl in der Reihenfolge ihres Auftretens (über alle Gruppendiskussionen hinweg) zugewiesen. Dieser Alias blieb bei allen Erhebungen bestehen, an denen die Person beteiligt war. Konnte eine Äußerung keinem/r der Teilnehmer*innen eindeutig zugeordnet werden, wurden zwei ?? statt des Alias gesetzt. Namen von Unternehmen oder Ähnlichem wurden zur Wahrung der Anonymität der Gesprächsteilnehmer*innen aus dem Transkript gelöscht und mit einem Kommentar, z.B. ((Name eines Unternehmens aus der Finanzwirtschaft)) maskiert.

Anhang | 351

ANHANG 3: ALIASTABELLE ZU DEN TRANSKRIBIERTEN PASSAGEN Alias

E1 E2 E3 E4 F7 F6 F5 F4 F3 F2 F1 I1 I3 I2 I4 I5 I6 K1 N1 N2

Affiliation*

Teilnahme an Fokusgruppeninterview(s)

Mitglieder von Wirtschaftsunternehmen Mitglied eines Energieversorgungsunternehmens (A) Mitglied eines Energieversorgungsunternehmens (B) Mitglied eines Energieversorgungsunternehmens (C) Mitglied eines Energieversorgungsunternehmens (D) Mitglied eines institutionellen Investors (E) Mitglied eines institutionellen Investors (E) Mitglied eines institutionellen Investors (E) Mitglied eines institutionellen Investors (F) Mitglied eines institutionellen Investors (G) Mitglied eines institutionellen Investors (H) Mitglied eines institutionellen Investors (I) Mitglied einer unternehmensnahen Stiftung (K) Mitglied eines Industrieverbands (L) Mitglied eines Industrieunternehmens (M) Mitglied eines Industrieunternehmens (N) Mitglied eines Industrieunternehmens (O) Mitglied eines Industrieverbands (L) Mitglied eines Technologieunternehmens (P) Mitglied eines Verbands von Netzbetreibern (Q) Mitglied eines Verbands von Netzbetreibern (Q)

W1 W2

Mitglieder von wissenschaftlichen Einrichtungen Mitglied eines Forschungsinstituts (R) 5 Mitglied eines Forschungsinstitut (S) 5

G1

Mitglieder zivilgesellschaftlicher Organisationen Mitglied einer Gewerkschaft (J)

1 1 3 4 3 3 3 3 2 2 2 1 3 2 4 4 5 3 1, 4 5

1

352 | Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende

Z1 Z3 Z2 Z4

M1 M2 M3 M4 M5 B1

Mitglied einer ganisation (T) Mitglied einer ganisation (T) Mitglied einer ganisation (U) Mitglied einer ganisation (V)

zivilgesellschaftlichen Or-

1, 2, 3, 4

zivilgesellschaftlichen Or-

3, 5

zivilgesellschaftlichen Or-

2

zivilgesellschaftlichen Or-

5

Forschungsteam/Moderation Forschungsteam/Moderation Forschungsteam/Moderation Forschungsteam/Moderation Unterstützung Moderation Protokollierung Mitglied einer Bundesagentur (W)

1, 2, 3, 4 1, 2, 3, 5 4 4 1, 2, 3, 4, 5 4

* gleicher Buchstabe in Spalte 2 bedeutet, dass die Gesprächsteilnehmer*innen derselben Organisation angehören

Soziologie Michael Volkmer, Karin Werner (Hg.)

Die Corona-Gesellschaft Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft 2020, 432 S., kart., 2 SW-Abbildungen 24,50 € (DE), 978-3-8376-5432-5 E-Book: PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5432-9 EPUB: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5432-5

Vera Hofmann, Johannes Euler, Linus Zurmühlen, Silke Helfrich

Commoning Art – Die transformativen Potenziale von Commons in der Kunst Juli 2022, 124 S., kart 19,50 € (DE), 978-3-8376-6404-1 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-6404-5

Kerstin Jürgens

Mit Soziologie in den Beruf Eine Handreichung 2021, 160 S., kart. 18,00 € (DE), 978-3-8376-5934-4 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5934-8

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Soziologie Gabriele Winker

Solidarische Care-Ökonomie Revolutionäre Realpolitik für Care und Klima 2021, 216 S., kart. 15,00 € (DE), 978-3-8376-5463-9 E-Book: PDF: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5463-3

Wolfgang Bonß, Oliver Dimbath, Andrea Maurer, Helga Pelizäus, Michael Schmid

Gesellschaftstheorie Eine Einführung 2021, 344 S., kart. 25,00 € (DE), 978-3-8376-4028-1 E-Book: PDF: 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4028-5

Bernd Kortmann, Günther G. Schulze (Hg.)

Jenseits von Corona Unsere Welt nach der Pandemie – Perspektiven aus der Wissenschaft 2020, 320 S., Klappbroschur, 1 SW-Abbildung 22,50 € (DE), 978-3-8376-5517-9 E-Book: PDF: 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5517-3 EPUB: 19,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5517-9

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