Die Reglementierung von Prostitution in Deutschland [1 ed.] 9783428494668, 9783428094660

Prostitution ist seit Jahrhunderten eine anerkannte Institution der städtischen Gesellschaft - nicht trotz, sondern wege

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Die Reglementierung von Prostitution in Deutschland [1 ed.]
 9783428494668, 9783428094660

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SABINE GLESS

Die Reglementierung von Prostitution in Deutschland

Kriminologische und sanktionenrechtliche Forschungen Begründet als "Kriminologische Forschungen" von Prof. Dr. Hellrnuth Mayer Herausgegeben von Prof. Dr. Detlev Frehsee und Prof. Dr. Eckhard Horn

Band 10

Die Reglementierung von Prostitution in Deutschland

Von Sabine GIeß

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Gieß, Sabine: Die Reglementierung von Prostitution in Deutschland I von Sabine GIeß. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Kriminologische und sanktionenrechtliche Forschungen; Bd. 10) Zug!.: Bonn, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09466-2

D5 Alle Rechte vorbehalten

© 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0933-078X ISBN 3-428-09466-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Zum Andenken an

Dr. Carl Brinitzer

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Winter 1996 abgeschlossen und von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen FriedrichWilhelms Universität in Bonn im Sommersemester 1997 als Dissertation angenommen. Ich danke Prof. Dr. Dr. h.c. Gerald Grünwald für seine Offenheit und die wissenschaftliche Freiheit, die mir die Arbeit an dieser Dissertation ermöglicht hat, sowie den Mitarbeitern seines Lehrstuhles für die fröhliche und lehrreiche Zeit der Zusammenarbeit. Prof. Dr. Helmut Marquart danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Stellvertretend für die vielen, die mir während der Arbeit an meiner Promotion hilfreiche Gesprächspartner waren, möchte ich an dieser Stelle Monika Lüke, Dr. Oliver Mertens, Nina Parra und Dr. Pet ra Velten für ihr Interesse, ihre Diskussionsbereitschaft und ihre Anregungen meinen Dank aussprechen. Gundula Hiller gilt mein Dank für ihre kompetente Unterstützung bei der Anfertigung der Druckvorlage. Prof. Dr. Detlev Frehsee und Prof. Dr. Eckhart Horn danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe "Kriminologische und sanktionenrechtliche Forschungen". Sabine Gieß

Inhaltsverzeichnis A.

Einleitung...........................................................................................................

11

B.

Prostitution als unehrliches Gewerbe.............................................................. 15 I.

Polizeilich konzessionierte Prostitution an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert ............................................................................................ 17

H.

Regelungen des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 1794 ............... 25

III. Das Ende der "konzessionierten Prostitution" ............................................. 30 C.

Prostitution als durch die Polizei geregelte Erwerbstätigkeit ....................... 47 I.

Zur Zeit des Preußischen Strafgesetzbuches von 1851................................ 47

H.

Im Kaiserreich............................................................................................. 53 1. § 361 Nr.6 StGB in der Fassung vom 15.5.1871 ................................... 54

2. § 361 Nr.6 StGB in der Fassung vom 26.2.1876 ................................... 58 3. § 180 StGB............................................................................................. 64 4. Prostitution als Erwerbstätigkeit ............................................................ 66 III. Abolitionistische Bewegung und andere Kritik an der Reglementierung von Prostitution ........................... .......... ............................................... 71 D.

Die Freigabe von Prostitution .... ...................................................................... 76 I.

In der Weimarer Republik ........................................................................... 76 1. Reglementierung der Prostitution........................................................... 79

a)

Straftatbestände als Ermächtigungsgrundlage für die Reglementierung .................................................................................... 80

b)

Regelungen des GeschlKrG als Ermächtigungsgrundlage für die Reglementierung..................................................................... 85

2. Prostitution als Erwerbstätigkeit ............................................................ 87 11. Im Nationalsozialismus.............................................................................. 90 1. An Straftatbestände geknüpfte Reglementierung................................... 91

2. Polizeiliche Reglementierung der Prostituierten ........... ............ ...... ....... 94 111. In der Bundesrepublik ............................................................................... 101 1. Prostitution als erlaubte Erwerbstätigkeit .............................................. 101

2. Prostitution als reglementierte Erwerbstätigkeit .................................... 106 a)

Straftatbestände als Ermächtigungsgrundlage der Reglementierung .................................................................................... 107

10

Inhaltsverzeichnis aa)

§§ 184 a, 184 b StGB und § 120 Abs.1 Nr.1 OWiG ........... 107

bb) § 180 a Abs.1 Nr.2 StGB .................................................... 109 b)

Sanitätspolizeigesetze als Ermächtigungsgrundlage der Reglementierung .............................................................................. 110

3. Keine Anerkennung von Prostitution als Erwerbstätigkeit ................... 115 a)

Prostitution als Gewerbe oder Beruf............................................ 117

b)

Kein Rechtsschutz für Prostituierte bezüglich ihrer Erwerbstätigkeit ........................................................................................ 120 aa)

Rechtsschutz durch das Zivilrecht ...................................... 120

bb) Rechtsschutz durch das Strafrecht ...................................... 126 cc)

Rechtsschutz durch das Verwaltungsrecht.......................... 129

E.

Fazit ................................................................................................................... 132

F.

Reform............................................................................................................... 134 I.

Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht................................................. 135 1. § 180 a Abs. 1 Nr.2 StGB ..................................................................... 136

2. Art. 297 EGStGB, § 184 a StGB, § 120 Abs.l Nr.1, OWiG................. 139 3. § 184 b StGB......................................................................................... 143 4. § 183 a StGB ......................................................................................... 144 5. §§ 119 Abs.l, 120 Abs.1 Nr.2, OWiG .................................................. 144 II.

Zivilrecht .................................................................................................... 145 1. Anerkennung der sogenannten Dimenverträge ..................................... 145

2. Anerkennung von "Arbeitsverträgen" ................................................... 149 3. Haftungsbegrenzung ............................................................................. 151 III. Sanitätspolizeigesetze ................................................................................. 152 1. Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten ........................... 152

2. Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen .......................................................................................... 155 IV. Sozialversicherung der Prostituierten ....................................... .................. 156 1. In einem Betrieb tätige Prostituierte .................................. ........... ........ 156

2. Selbständige Prostituierte...................................................................... 158 V. Interessenvertretungen ................................................................................ 162 VI. Fazit ............................................................................................................ 163

Literaturverzeichnis ................................................................................................. 165 Personen-und Stichwortverzeichnis ........................................................................ 180

A. Einleitung Prostitution wird umgangssprachlich als das "älteste Gewerbe der Welt" bezeichnet. Sie ist jedoch bis heute nicht offiziell als Erwerbstätigkeit anerkannt. Prostitution gilt nicht als Beruf, sondern als abweichendes Verhalten. Dementsprechend wird der Austausch der sexuellen Leistungen gegen Geld durch die Rechtsordnung nicht geschützt. Prostitution wird vielmehr gemeinhin mit Kriminalität assoziiert. Diese Verknüpfung steht in gewissem Widerspruch zu der Erfahrung, daß Prostitution in fast allen größeren deutschen Städten eine ständige - oft traditionell in einem bestimmten Viertel angesiedelte - Einrichtung ist. Da Prostitution nicht erst seit jüngerer Zeit als anrüchiges Gewerbe betrachtet wird, stellt sich die Frage, wie "käufliche Liebe" unter diesen Bedingungen zu einer Institution in der städtischen Gesellschaft werden konnte. Die folgende Darstellung geht dieser Frage nach, indem sie die historische Entwicklung der Reglementierung von Prostitution in Deutschland nachzeichnet. Nach einem kurzen Rückblick in das Mittelalter beginnt sie mit der Reglementierung während des aufgeklärten Absolutismus in Preußen. Zu diesem Zeitpunkt war Prostitution noch eine offen konzessionierte Erwerbstätigkeit. Die Lizenzierung ermöglichte die polizeiliche Überwachung von Bordellwirten und Prostituierten. Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts veränderte sich die Stellung von Prostitution allmählich. Durch den Wegfall der "guthen policey" als Staatsaufgabe, den Wandel der Einstellung zur Sexualität und die Entwicklung des bürgerlichen Frauenideals geriet die Prostituierte immer mehr ins Abseits der offiziellen Rechtsordnung. Das mittelalterliche Konzept eines unehrlichen Gewerbes - das heißt einer als notwendig anerkannten, aber stigmatisierten Tätigkeit - kannte der bürgerliche Staat des 19. Jahrhunderts nicht. Durch die Neuinterpretation des Gewerbebegriffes von der merkantil-fiskalischen Erwerbsquelle zur ehrlichen Arbeit verlor die Prostituierte schließlich ihre Einbindung in das Rechtssystem. Eine offizielle rechtliche Anerkennung von Prostitution als Erwerbstätigkeit schien nunmehr ausgeschlossen. Entsprechend erfolgte die Regelung der Gewerbsunzucht in der Folgezeit durch eine gesetzlich nicht im einzelnen festgelegte Reglementierung der Prostituierten durch die Polizeibehörden:

12

A. Einleitung

Nach dem Strafgesetzbuch von 1851 waren die "Weibspersonen, welche den polizeilichen Anordnungen zuwider gewerbsmäßige Unzucht" trieben, strafbar. Im Kaiserreich war Prostitution sogar nur dann unter Beachtung der Polizeivorschriften erlaubt, wenn die Prostituierte einer besonderen, gesetzlich nicht geregelten Polizeiaufsicht unterstellt war, die sie von der anständigen Gesellschaft de facto und de jure trennte. Dieses Reglementierungssystem geriet jedoch im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts zunehmend unter Kritik. Nach einer sozialreformerischen Kampagne, der sog. "Abolitionistischen Bewegung", wurde Prostitution schließlich im Jahr 1927 "freigegeben". Die Unterstellung der Prostituierten unter die Polizeiaufsicht wurde abgeschafft. Während des Nationalsozialismus wurde Prostitution einerseits als "Verfehlung gegen die geschlechtliche Sittlichkeit" durch die Propaganda verdammt und Prostituierte als Asoziale in Lager deportiert. Doch blieb andererseits nicht nur die aus der Weimarer Republik übernommene Freigabe der Prostitution offiziell bestehen. Man richtete darüber hinaus dort, wo dies für notwendig erachtet wurde, durch staatliche Maßnahmen Bordelle ein. In der Bundesrepublik ist Prostitution innerhalb der durch das Strafrecht gezogenen Grenzen erlaubt. Faktisch wird sie in vielen Städten auch über diese Grenzen hinweg geduldet. Als Erwerbstätigkeit ist sie jedoch nicht anerkannt. Das bedeutet beispielsweise, daß Prostituierte ihren Lohn auch dann nicht einklagen können, wenn sie ihre Leistung erbracht haben. Zur Durchsetzung ihrer Ansprüche sind sie vielmehr auf Eigeninitiative und private Hilfe angewiesen. Auch die notwendige Infrastruktur, die ihnen die Ausübung ihres Gewerbes ermöglicht, genießt selbst dann keinerlei Bestandsschutz, wenn sie über Jahre an einem bestimmten Ort existierte. Prostitution ist damit heute der einzige erlaubte Erwerbszweig, der den darin Tätigen nicht die üblicherweise mit einer Erwerbstätigkeit verbundenden Rechte vermittelt. Erst in jüngerer Zeit wird die Rechtlosigkeit der Prostituierten in bezug auf ihre Erwerbstätigkeit in Frage gestellt. Die diesbezüglich vorgelegten Reformvorschläge werden am Ende der Arbeit dargestellt. Als Prostituierte werden nachfolgend - der herkömmlichen juristischen Definition gemäß - Frauen bezeichnet, die entgeltliche Sexualleistungen an beliebige zahlungsbereite Männer erbringen. Der staatliche Umgang mit männlicher homosexueller Prostitution bleibt in dieser Arbeit außer Betracht. Denn diese wurde traditionell als kriminell bestraft und nicht in ein polizeiliches Reglementierungssystem einbezogen. Unter Bordellbetreibern werden diejenigen Personen verstanden, die einen Ort und weitere Organisationshilfe für die Ausübung des Gewerbes zur Verfügung stellen.

A. Einleitung

13

Die Untersuchung bezieht sich ausschließlich auf die Reglementierung freiwilliger Prostitution. Diese Fokussierung erfolgt formal anhand der von den je-

weiligen strafrechtlichen Tatbeständen gezogenen Grenzen. Freiwillig ist die Ausübung der Prostitution danach, wenn die Rechtsordnung bei der betroffenen Frau die Fähigkeit zu vollverantwortlichem Handeln voraussetzt, weil die Frau nicht mehr jugendlich ist und sie zur Ausübung der Prostitution weder durch eine strafrechtlich geahndete Handlung bewogen wurde, noch diese wegen einer solchen fortführtl. Zur Zeit des Partikularrechts und in Bereichen unterschiedlicher Landesregelungen wurde preußisches Recht zugrundegelegt. Für die zu jener Zeit bestehenden kommunalen Regelungen wurden die für Berlin gültigen herangezogen 2 •

1 Eine solche Definition von Freiwilligkeit mag auf den ersten Blick, angesichts vermuteter materieller und anderer Zwänge, die Frauen zur Prostitution bewegen könnten, zu einfach erscheinen. Doch ist nur eine solche Definition für die Untersuchung des staatlichen Umgangs mit Prostituierten sinnvoll. Andere als die genannten Zwangslagen werden nämlich innerhalb des Rechtssystem nicht als relevante, das heißt die Verantwortlichkeit modifizierende, Umstände angesehen. 2 In den verschiedenen Städten Deutschlands wurden zur Zeit des Partikularrechts unterschiedliche Reglementierungskonzepte verfolgt. Formal bestand zwar seit dem Strafgesetzbuch von 1871 und dem Gesetz betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten von 1900 eine einheitliche Regelung. In der Praxis wurden diese jedoch weiterhin uneinheitlich gehandhabt. Vgl. beispielsweise zu den verschiedenen Reglementierungsansätzen in den Städten Berlin, Hamburg, Duisburg während des 19. Jahrhunderts (Roth, S.348).

B. Prostitution als unehrliches Gewerbe Das in Preußen gegen Ende des 18. Jahrhunderts praktizierte Reglementierungskonzept war gekennzeichnet durch eudämonistisches Staatsdenken und wohlfahrtspolizeilichen Pragmatismus. Prostitution war ein bis ins Detail geregeltes und offen konzessioniertes Gewerbe. Dieser - uns heute fremde - Regelungsansatz hatte seine Wurzeln vermutlich in dem Regulierungskonzept von Prostitution in der spätmittelalterlichen Stadt. Mit Sicherheit läßt sich dies zum gegebenen Zeitpunkt deshalb nicht sagen, weil die historische Forschung zwar ausführlich die Frauenhäuser des 15. und 16. Jahrhunderts, nicht aber die Reglementierung von Prostitution während des 17. Jahrhunderts untersucht hat. Für eine Kontinuität in der städtischen Reglementierungspraxis spricht jedoch, daß Prostitution im 17. Jahrhundert offiziell verboten war, aber trotzdem von einem blühenden Gewerbe in den Städten des 18. Jahrhunderts berichtet wird!. Prostitution wird in der historischen Forschung als eines der unehrlichen Gewerbe bezeichnet 2. In fast allen mittelalterlichen Städten gehörte ein offiziell betriebenes Frauenhaus zur festen Einrichtung3 • Es war meist im Besitz der Stadt selbst4 . Verwaltet wurde das Frauenhaus durch den Frauenwirt. Dieser war entweder ein Bediensteter der Stadt - oft war der Scharfrichter zugleich Frauenwirt5 - oder aber das Frauenhaus war an ihn verpachtet. Die Stadtver-

I Vgl. dazu auch die Hinweise auf ein Bordellreglement aus dem Jahre 1700 (Haldy, S.22; Brinitzer, S.73). 2 Vgl. ausführlich: Danckert, S.148ff.; kritisch dazu: Peter Schuster, S.87. 3 Lömker-Schlögell, S.57. Seit dem 13. Jahrhundert begannen sich Prostituierte, die davor zumeist zum fahrenden Volk gehörten, in die städtischen Häuser zu integrieren. Mit dem Einzug in ein öffentliches Haus mußten sie sich der geltenden Frauenhausordnung beugen, dafür erhielten sie von der Stadt Schutz (vgl. ausführlich dazu: Beate Schuster, S.54f.). Zu besonderen Anlässen - wie beispielsweise Konzilen, Turnieren, etc. - wurden darüberhinaus noch fahrende Prostituierte in die Stadt aufgenommen (vgl. Beate Schuster, S.50). 4 Vgl. Beate Schuster, S.90ff. 5 Lömker-Schlögell, S.58f. In anderen Städten übernahm traditionell der Bader oder aber eine Person ohne andere offizielle Funktion die Position. Auch Frauen konnten diese Stellung innehaben (vgl. ausführlich Beate Schuster, S.2I8 und Anlage 4, S.430ff.).

B. Prostitution als unehrliches Gewerbe

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waltung selbst bestimmte jedoch Rechte und Pflichten von Dirne und Wirt sowie die Preise und Verpflegungskosten durch sog. Frauenhausordnungen6 • Die "freien Frauen,,7 waren zur Gewerbsunzucht privilegiert8, was bedeutete, daß außereheliche sexuelle Kontakte für sie nicht strafbar waren. Obwohl die Prostituierten ihren festen Platz im Gemeinwesen hatten 9 , gehörten sie nicht wirklich zur städtischen Gesellschaft. Vielmehr bildeten sie mit anderen Unehrlichen eine Gruppe unterhalb der Stände stehender mittelalterlicher Paria. Unehrlich waren die Erwerbstätigkeiten, die zwar sozial gewünscht und staatlich reglementiert - zum Teil auch zunftähnlich organisiert - waren, deren Betreibende aber geächtet wurden lO und außerhalb der ständischen und städtischen Ordnung standen. Das Leben der Unehrlichen unterschied sich von dem ehrlicher Bürger durch strengere Aufenthalts-, Kleidungs- und Verhaltensvorschriften. Unehrliche lebten in den Randbereichen der Städte. Sie waren durch vorgeschriebene Kleidung gekennzeichnet und zum Teil auch von bestimmten Religionsritualen ausgeschlossen. Ihre Rechte als Stadtbewohner waren regelmäßig eingeschränktlI. Prostituierte lebten in den mittelalterlichen Städten oft in der Nähe der Stadtmauer12 • In manchen Städten war es ihnen verboten, im Kirchenstuhl zu stehen l3 . Von anderen Orten wird berichtet, Prostituierte hätten nicht auf dem

Lömker-Schlögell, S.59; vgl. auch IrsiglerlLassolta, S.185. Die mittelalterliche Bezeichnung der Dirnen als "freie Frauen" erklären die einen damit, daß sie keinem patriarchalen Hausstand angehörten (vgl. dazu Reate Schuster, S.38), die anderen damit, daß sie "frei und nach ihrem Namen gemein" waren, also jedem Mann zugänglich waren (vgl. Lömker-Schlögell, S.54). 8 Lömker-Schlögell, S.57. Zu den Strafen für heimliche Prostitution vgl. ebda., S.75. 9 So nahmen sie beispielsweise an öffentlichen Tänzen und an Hochzeiten teil (Danckert, S.155). Überliefert ist auch, daß geschäftlich Reisende den Besuch im Frauenhaus als Spese abrechnen durften, bzw. der kostenlose Besuch des Frauenhauses bei dem Einzug fremder Herren in die Stadt einen Teil des Gastgeschenkes darstellen konnte (Lömker-Schlögell, S.61, 77). 10 Das heute bekannteste Beispiel ist der Henker. Aber auch Schäfer, Gerber und Schauspieler zählten zu den Unehrlichen. Die - vermutlich unterschiedlichen - Gründe für diese Ächtung sind bis heute nur unvollständig erforscht (vgl. dazu m.w. Literaturnachweisen Kramer, HRG, Band 1, Sp. 855ff.). Zur Problematik der Abgrenzung von Unehrlichen und Ehrlichen vgl.: Reate Schuster, S.189ff. II Der Umfang der Einschränkung war von Stadt zu Stadt verschieden. Unehrliche waren beispielsweise von der Rechtsprechung ausgeschlossen. Sie konnten keinen Reinigungseid leisten und durften kein ehrliches Gewerbe aufnehmen. 12 Zur räumlichen Trennung von Prostituierten und anständigen Bürgern und Bürgerinnen: Reate Schuster, S.72ff.; zur örtlichen Lage der Frauenhäuser in den verschiedenen mittelalterlichen Städten: Reate Schuster, S.98ff. und Anlage 3, S.426ff. 13 Reate Schuster, S.26lf m.H. auf die verschiedenen Städte. 6

7

16

B. Prostitution als unehrliches Gewerbe

Friedhof beerdigt werden dürfen 14 • Fast überall mußten Prostituierte besondere Kleidung tragen, durch die sie sich von anständigen Frauen unterschieden und schon von weitem erkannt werden konnten 15 • Auch ihre Rechtsstellung unterschied sich von der anderer Frauen 16 • Die historische Forschung hat sich bisher wenig mit der Frage nach dem Ursprung der Unehrlichkeit beschäftigt 17 • Doch erscheint in bezug auf das Gewerbe der Prostituierten der Grund für die Unehrlichkeit offensichtlich. Man hielt Prostitution einerseits zwar für ein notwendiges Ventil für sexuelle Betätigung, die nicht in einer Ehe stattfinden konnte 18 , andererseits verletzte die Prostituierte aber das christliche Gebot, nach dem Sexualität auf die Ehe beschränkt sein sollte 19 • Schon in der mittelalterlichen Stadt wurde dieser Konflikt zu Lasten der Prostituierten gelöst: Die Ausübung der Gewerbsunzucht stellte den strikten Sexualkodex nämlich dann nicht in Frage, wenn die öffentlichen Frauen als un14 Danckert, S.14f.; zu christlichen Begräbnissen von Prostituierten vgl. Peter Schuster, S.86f. 15 Lömker-Schlögell, S.78f.; Danckert, S.150ff.; einen genauen Überblick über die verschiedenen Kleiderordnungen gibt Beate Schuster, S.80ff. und in Anlage 1 auf, S.420f. 16 Vgl. speziell zur Rechtsstellung der Dirnen in den verschiedenen Städten: Beate Schuster, S.58ff. Die zweifelhafte Rechtsstellung der Prostituierten wird beispielhaft deutlich an der in vielen Stadtrechten erörterten Frage, ob Prostituierte vergewaltigt werden können, bzw. ob für die Vergewaltigung einer Prostituierten dieselbe Strafe auszusprechen sei, wie für die Vergewaltigung einer ehrlichen Frau. Verständlich wird diese Frage, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Vergewaltigung zu jener Zeit als Angriff auf die Ehre einer Frau und ihrer Familie galt. Die Strafe dafür wurde entsprechend dem Alter und dem sozialen Status des Opfers ausgesprochen (vgl. dazu Beate Schuster, S.60f m.w.N.). Prostituierte konnten aber in anderen Bereichen, einhergehend mit der Privilegierung zur Ausübung der Prostitution als Erwerbstätigkeit, im Gegensatz zu anderen Frauen der Unterschicht, Rechte geltend machen. So konnten sie beispielsweise, bevor sie unter die Vorherrschaft des Frauenwirtes gestellt wurden, Klage vor Gericht bringen (vgl. Beate Schuster, S.59). Ausführlich zur Rechtsposition von Prostituierten in Folge der "moralischen Neutralität" bestimmter Stadtrechte: Beate Schuster, S.62ff. 17 Vgl. auch oben, Fn.11. 1M Dementsprechend war der Besuch des Frauenhauses in einigen Städten für Ehemänner und Kleriker verboten, da die erste Gruppe sexuellen Kontakt nur zu ihrer Ehefrau haben sollte und die zweite Gruppe auf Sexualität verzichtet hatte. Allerdings können solche Verbote nach dem derzeitigen Stand der historischen Forschung nicht verallgemeinert werden. Ausführlicher zur Widersprüchlichkeit der Anerkennung sexueller Bedürfnisse einerseits und der Begrenzung ihrer Ausübung in der mittelalterlichen Stadt andererseits: Beate Schuster, S.224ff. 19 Vgl. zur Sexualmoral des Mittelalters: Lömker-Schlögell, S.52, Fn.l. Daraus wird auch das in einigen Städten existierende Verbot, Prostituierte an hohen christlichen Feiertagen aufzusuchen, verständlich (vgl. m.N. Beate Schuster, S.13lf.).

I. Polizeilich konzessionierte Prostitution (um 1800)

17

ehrliche Huren stigmatisiert und aus der städtischen Gesellschaft ausgeschlossen wurden. Das war möglich durch die Einrichtung eines unehrlichen Gewerbes. Als solches wurde Prostitution aber auch als Erwerbstätigkeit akzeptiert und insoweit rationalen Rechtsregelungen unterworfen 20 • Diese Form der Reglementierung von Prostitution verschwand, als im Laufe des 16. Jahrhunderts die Städte ihre Frauenhäuser schlossen 21 • Ob Grund dafür der Ausbruch der Syphilis oder der Wandel der Sexual ideologie infolge der Reformation war, ist in der historischen Forschung streitig22 • Für die vorliegende Darstellung ist diese offene Frage aber unerheblich.

I. Polizeilich konzessionierte Prostitution an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert Im Berlin des 18. Jahrhunderts war Prostitution ein entsprechend den örtlichen Polizeireglements konzessioniertes Gewerbe 23 • 1780 soll es in Berlin circa hundert offizielle "Freudenhäuser" mit je drei bis neun Prostituierten gegeben haben 24 , die - je nach Klientel und Dirnen - in verschiedene Klassen eingeteilt waren 25 • Das offiziell noch nicht abgelöste26 "Churfürstlich Brandenburgisch Revidierte Land-Recht des Herzogtums Preußen" von 1685 verbot Prostitution 27 -

Vgl. Danckert, S.148; Lömker-Schlögell, S.59. Dieser Prozeß zog sich im deutschsprachigen Raum über 70 Jahre hin. Vgl. zu den gen auen Daten: Peter Schuster, S.182ff. 22 Vgl. dazu beispielsweise Peter Schuster, S.185ff. 23 Du/our, S.93; Stieber, S.35; vgl. auch die Bordellreglements von 1700 und 1769 bei Haldy, S.22; Brinitzer, S.73. 24 Stieber, S.35. 25 Stieber, S.35. 26 Der Widerspruch zwischen städtischem Polizei recht und Landesrecht war trotz des Wirkens des Kurfürsten Friedrich Wilhelms und Friedrich Wilhelms I. noch nicht aufgelöst, da die staatliche Gewalt noch nicht zentralisiert werden konnte. In dieser - im Detail durch die historische Forschung noch nicht geklärten - Situation waren insbesondere die Regelungskompetenzen zwischen Kommunal- und Landesebene noch nicht endgültig geteilt (vgl. Bornhak, S.82ff.; 140ff.). 27 Sein Strafrecht begründete der König mit der Durchsetzung der göttlichen Ordnung: "Und ob nun wol die gemeinen kaiserlichen Rechte hierun keine Straffe verordnet/ dannoch! weil in Gottes Wort solche unordentliche Vermischung hart verboten" (6.Buch Titel VI Articulum II § I). Es spiegelte insofern noch nicht den schon in der zeitgenössischen Begründung und Rechtfertigung der Strafe vollzogenen Wandel von der theokratischen zu einer aufgeklärten Strafauffassung wieder (vgl. Eb.Schmidt, Kriminalpolitik Preußens, S.7f.; Regge, S.371). Zur Strafrechtswissenschaft im Gemeinen 20

21

2 Gieß

18

B. Prostitution als unehrliches Gewerbe

nämlich "wann mit gemeinen Weibs-Personen/ durch die soledig und nicht ehelichseyend/ Unzucht und Hurerei getrieben werde,,28: "So setzen ordnen und wollen Wirf daß sich keine unterstehe/ ihren Leib in Unzucht gemein zu machen/ und da eine darüber betreten werde/ soll das gemeine Weib öffentlich verwiesen 29/ oder mit dem Spinn-Hause auf eine Zeitlang (... ) belegt werden/ und der Mann/ so mit ihr zutun gehabt! mit Gefängnis oder mit Geldstraff belegt werden. 3o

Ebenso verboten waren "Huren-Wirtschaften" und "Kuppler": "Wo ... Personen '" ihres Nutzens und Geldes halben/ eine ehrliche oder ledige Person verkuppeln: Die sollen willkürlich/ als/ mit Staupenschlägen gestrafft werden.,,31

Daß den Zeitgenossen Prostitution trotzdem nur als unvermeidliches Laster und nicht als Straftat32 erschien, hatte wohl verschiedene Gründe. Prostitution Recht s.: Sellert/Rüping, S.24lff.). Das strafrechtliche Verbot der außerehelichen Unzucht sah keinen Strafvorbehalt für offiziell erlaubte Prostitution vor. Diese Regelung wurde auch im Verbesserten Land-Recht für Preußen von 1721 bestätigt (Friedrich Wilhelms I Königes in Preußen Verbessertes Land-Recht von 1721, Buch IV, Tit.VII, Art.III, § 1. Vgl. zur Entstehungsgeschichte: Bornhak, S.190; zum materiellen Strafrecht: s. Berner, Strafgesetzgebung in Deutschland, S.30). Dieses Gesetzeswerk galt nicht für Berlin, sondern nur für das damalige Königtum Preußen. Es gibt aber Zeugnis von der Geisteshaltung und Entwicklung jener Zeit. Neben der inhaltlich übereinstimmenden Regelung mit dem brandenburgischen Artikel bestimmt es trotz des offiziellen Wissens um die bestehenden konzessionierten Bordelle (vgl. Stieber, S.35) - die ausnahmlose Bestrafung der Hurenwirte: "Wenn auch andere Persohnen, so weder Ehe-Leute noch Eltern sind, als die HurenWirthe in Bier-Schencken, oder Caffee-Häusern, ihres schändlichen Genußes, Nutzen und Geldes halben, eine eheliche oder ledige Person verkuppeln würden, die sollen zumahlen wann das Verbrechen reiteriret worden, mit Ausstellung am Pranger und mit oder ohne Staupenschlägen des Landes auf ewig verwiesen werden. " (Verbessertes Landrecht von 1721 Buch VII, Art.III, § 4) "Wie dann auch diejenige, so ihre Häuser zu solchen unkeuschen Wercken wissendlich gefährden und boshafftiger Weise herleihen, oder solches in ihren Häusern auszuüben gestatten oder auch mit List fremde Weiber darzu an sich locken, mit der jetzt erwehnten Straffe angesehen und belegt werden sollen. " (Verbessertes Landrecht von 1721 Buch VII, Art.III, § 6). 28 Im Gegensatz zu anderen "ledige[nJ Weibes-Personen/ welche nicht öffentlicher hurischer Weisel und doch gleichwol in Unkeuschheit leben", 6.Buch Titel VI Articulum II § I. 29 Die Strafe der Landesverweisung wurde von der Strafrechtslehre schon damals kritisiert (vgl. J acob Fischer: "De poenarum humanarum abusu", 1712). In Preußen wurde sie durch Cabinetts-Ordre vom 4.1.1744 aufgehoben und durch Festungs- oder Zuchthausstrafe ersetzt (Hälschner, Preußisches Strafrecht I, S.181). 30 6.Buch Titel VI Articulum II § I unter der Überschrift "Von gemeiner Hurery". 31 6.Buch Titel VI Articulum IV, § 11. 32 Vgl. Cella, Antwort, S.62ff.; Reskript des Berliner Generaldirektoriums vom 5.2.1791 zitiert bei: Behrend, S.29ff.

I. Polizeilich konzessionierte Prostitution (um 18(0)

19

war - wie eingangs geschildert - seit dem Mittelalter eine feste Einrichtung der Stadt. Sie wurde als notwendig erachtet, um Konflikten aus der (oftmals unfreiwilligen) Ehelosigkeit vieler Männer vorzubeugen. Da die Bevölkerung Berlins durch die Einquartierungen Friedrich Wilhelms I. einen Überschuß von unverheirateten Männern aufwies, erschien der Obrigkeit eine Polizeiregelung des Gewerbes selbstverständlich: "Bei einem Zusammen fluß von Menschen männlichen Geschlechtes in einer großen Stadt, wovon ein Theil, und zwar in dem Alter, in welchem der Begauungstrieb am heftigsten wüthet, noch nicht im Stande ist, zu heirathen, ein anderer aber, nach seiner Lage und Bestimmung, niemals dazu in den Stand kommt, sind Hurenanstalten leider ein nothwendiges Übel, um größere durch keine Gesetze und Gewalt zu steuernde Unordnungen, die aus nicht zu beengender Brust entstehen, zu vermeiden.,,33

Die Organisation einer in sanitäts- und sittenpolizeilicher Hinsicht ungefährlichen Prostitution blieb - wie in der mittelalterlichen Stadt - Polizeiaufgabe34 • Sie stand in der Tradition des unehrlichen Gewerbes, obwohl die Gesellschaft den Umbruch von mittelalterlichen zu neuzeitlichen Strukturen längst vollzogen hatte und die früher formal geächteten Dirnen zusammen mit anderen Unehrlichen prinzipiell als Bürgerinnen anerkannt waren 35 • Die Konzeption der Prostituiertenreglementierung als Polizeiaufgabe wird deutlich an den Regelungen der von dem Berliner Polizeipräsidenten 36 im Jahr Cella stellte 1787 in seiner Schrift "Über Verbrechen und Strafe in Unzuchtsfällen " die bisher anerkannten Grundsätze des gemeinen Rechts über die Strafwürdigkeit von sog. Sittlichkeitsstraftaten in Frage. Er führte aus, daß Fleischesverbrechen, die nur wegen ihrer Unsittlichkeit gestraft würden, überhaupt keine Verbrechen seien, sondern "an und für sich nur als Gegenstände der Sittenpolizei anzunehmen" (Cella, Über Verbrechen und Strafe, S.77). Diese Ansicht setzte sich bald als "die allein herrschende" durch (Hälschner, StrafR H, S.308. Vgl. auch Wächter, § 236, Anm.70; Abegg, § 538). Dementsprechend sollten nicht mehr die unmoralischen, sondern nur noch die sozialschädlichen Handlungen bestraft werden (Vgl. dazu: Fischi, S.184f.; Kleinheyer, Staat und Bürger, S.89f.). 33 Reskript des Berliner Generaldirektoriums vom 5.2.1791 wiedergegeben in Behrend, S.29f.; vgl. auch Behrend, S.ll. 34 Zur Polizeiaufgabe der "Aufsicht über (... ) Spiel-, Sauf- und Hurenwinkel und liederliche Tanzböden" (vgl. Obenaus, S.38). 35 So daß sie beispielsweise keine besondere Kleidung mehr tragen mußten. Vgl. zur Entwicklung in den Städten: Pohl, in: leserichlPohllv. Unruh, S.264; Stieber, aaO, S.33ff. Allerdings prägten bestimmte Einschränkungen der Ehrlichkeit noch Rechte im 19. Jahrhundert (vgl. Gierke, S.417ff.). 36 Die örtliche Polizeigewalt in Berlin übte der Polizeipräsident durch entsprechende "Reglements" aus. Bis 1741 wurde die Polizei durch den Magistrat alleine ausgeübt (vgl. Obenaus, S.25ff.). Der Landesherr konnte auf die Polizei nur organisatorisch Einfluß nehmen. Im Zuge der Neuordnung der Staatsverwaltung hatte Friedrich Wilhelm I. staatliche und städtische Verwaltung durch die Einführung des "Generaldirektoriums" integriert (vgl.

20

B. Prostitution als unehrliches Gewerbe

179i7 erlassenen "Verordnung wider die Verführung junger Mädchen zu Bor-

dells und zur Verhütung der Ausbreitung venerischer Übel,,38.

Das Polizeireglemene9 nahm die polizeilich registrierten Dirnen und ihre Wirte und Wirtinnen von der allgemeinen Strafverfolgung wegen Unzucht aus, wenn sie ihr Gewerbe bei der Polizei anmeldeten und die einschlägigen Auflagen befolgten. Grundlage dieses Reglementierungssystems war die Konzessionierung des "Hurenwirts,t4O. Dieser mußte vor Eröffnung eines Bordells bei der Polizei eine "schriftliche Erlaubnis" beantragen (§ 1)41 und die bei ihm arbeitenden Prostituierten anmelden (§ 2). Prostitution außerhalb der staatlichen Organisation war nicht erlaubt: Straßen prostituierte, "im Finstern auf den Straßen herumwandernde Gassenhuren", wurden mit sechs Monaten Zuchthaus bestraft Ribbe-Escher, S.375). Friedrich der Große schließlich ernannte einen Beamten des Generaldirektoriums zum Polizeipräsidenten, um seinen Einfluß zu sichern (vgl. RibbeEscher, S.376; Oben aus, S.37). Zur Reform und der daraus folgenden Machtbeschränkung des Magistrats s.: HarnischmacherlSemerak, S.36f. 37 Zu Hinweisen auf ein 1700 und ein 1769 erlassenes Reglement vgl. Wolzendorff, Polizei und Prostitution, S.36. Zu Art und Ausmaß der polizeilichen Kontrolle vgl. weiterhin das Reskript des Berliner Generaldirektoriums vom 5.2.1791 (zitiert bei: Behrend, S.29ff.) sowie die Ausführungen in den Briefen Johann Friedels von 1782 (zitiert bei Brinitzer, S.74). 38 Mannkopff, ALR, S.565ff. Der Polizeipräsident führt zur Rechtfertigung der Verwaltungsregelung aus: "Es ist in Erfahrung gebracht, daß junge einfältige Mädchen, besonders aus kleinen Städten, unter arglistigen Vorspiegelungen, sie in vorteilhaften Diensten unterzubringen, nach Berlin gelockt, hier aber ohne es zu wissen, in Bordelle gebracht, und wider ihren Willen zum feilen Hurenleben, also zu ihrem Verderben verleitet werden. Gleichergestalt ist bemerkt worden, daß die feilen Dirnen nachdem sie selbst angesteckt sind, sich solange als es ihr Krankheitszustand nur immer zuläßt preiszugeben fortfahren, und hierdurch die weiteren Ansteckungen außerordentlich vermehrt und ausgebreitet werde. Solchen schädlichen Verführungen und den höchst verderblichen Folgen der überhand nehmenden Mittheilung des venerischen Übels nachrücklich zu begegnen, werden nachstehende Vorschriften zur Kenntniß und genauesten Beachtung der Hurenwirthschaften und der Frauenspersonen, die aus der Unzucht für Lohn ein Gewerbe machen, hierdurch gegeben und festgesetzt. " 39 Inhaltlich waren die Regelungen des Reglements schon durch einen königlichen "Spezialbefehl" vom 5.2.1791 durch v.Hofs vorbereitet. Abgedruckt in: Stieber, S.38ff. 40 Der Hurenwirt, bzw. die Hurenwirtin, diente - wie auch schon im Mittelalter - dazu, die Prostituierten als alleinstehende Frauen über die Bordelle in die durch Hausstände gegliederte Gesellschaft zu integrieren. Diese offizielle Konzessionierung der Prostituierten war nicht unumstritten: So wies auch das Berliner Generaldirektorium in einem Reskript vom 5.2.1791 (zitiert nach Behrend, S.29f.) darauf hin, daß Bordelle "sich ohne Übelstand und andere nachteilige Folgen für die Moralität nicht durch öffentliche Gesetze, die immer eine gewisse Billigung mit sich führen", regeln ließen. 41 Daneben gab es aber die - vom Reglementgeber wegen der schweren Kontrollierbarkeit weniger gewünschte - Möglichkeit einer Frau, sich als selbständige Prostituierte einschreiben zu lassen (§ 18; vgJ. auch Haldy, S.22).

I. Polizeilich konzessionierte Prostitution (um 18(0)

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(§ 20). Nicht angemeldete Bordelle schloß die Polizei. Die Betreiber konnten mit ein bis zwei Jahren Zuchthaus bestraft werden (§ 1). Meldete ein Wirt eine Prostituierte nicht bei der Polizei an, mußte er zunächst eine Geldstrafe bezahlen 42 • Bei dreimaligem Verstoß sollte "sein Gewerbe ihm nicht weiter verstattet, sondern solches aufgehoben werden" (§ 2). Das Polizeireglement traf weiterhin sowohl Vorkehrungen zum Schutz der Allgemeinheit vor einer ungewollten Konfrontation mit Prostituierten43 , als auch zum Schutz des Freiers bei Inanspruchnahme der Prostitution44 sowie zur sanitätspolizeilichen Überwachung der Prostituierten. Insbesondere der letzte Aspekt verdient Aufmerksamkeit, da das Reglement nicht nur eine - scheinbar45 - effektive Gesundheitsüberwachung konzipierte, sondern darüberhinaus die Verteilung der dabei anfallenden Kosten regelte. Die regelmäßige Untersuchung der Prostituierten auf ansteckende Krankheiten war die Basis der Gesundheitsüberwachung (§ 10). DaTÜberhinaus wurden ihr und dem Bordellbetreiber medizinische und hygienische Grundkenntnisse vermittelt. Dieses Wissen sollte sie in die Lage versetzen, eine Erkran-

§ 22 des Reglements: "Von den einkommenden Geldstrafen, so wie in den Fällen, wenn, dem Befinden nach Leibes- oder in Geldstrafen verwandelt werden, sollen die Denuncianten die Hälfte erhalten, auch die übrigen Geldstrafen bloß zur Belohnung derer, die Contravictionen gegen diese Verordnung entdecken und anzeigen, verwendet und dazu aufgesammelt und berechnet werden. " Auch der Preis von sechs Groschen für ein Exemplar des Reglements durch Wirt und Dirne ging in den "Belohnungsfondfür die Denuncianten" (§ 24). 43 Vgl. insbesondere § 5, nach dem die Dirne für jede unsittliche Emittierung aus dem Bordell, wie beispielsweise werbende Zeichen der Prostituierten, eine kurzzeitige, der Wirt die jeweils doppelte Strafe erhielt. Um solchen Störungen von vornherein vorzubeugen, wurden Bordelle in Wohngegenden und stark frequentierten Straßen und Plätzen nicht geduldet, sondern nur in verlassenen Gegenden - jedoch stets in einer solchen Nähe zur Polizei, daß diese "ohne Schwierigkeiten beobachten und den darin vorgefallenen Unordnungen mit gehöriger Schnelligkeit steuern könne" (§ 16). 44 In den Bordellen herrschte Verzehrverbot für starke Getränke oder Speisen, lediglich "Thee, Caffee, Chokolade, Bier und dergleichen nicht berauschende Erfrischungen" waren erlaubt (§ 6). Der Freier sollte sich weder zu lange in dem Etablissement aufhalten, noch durch Rausch die Kontrolle über seine Entscheidungen verlieren. Kam es in dem Bordell zu Diebstählen, Schlägereien oder anderen Straftaten, war der Wirt dem Geschädigten, der auf andere Weise keinen Schadensersatz erlangen konnte, haftbar (§ 7 Abs.l). Darüberhinaus war "derselbe der Theilnehmung an dem Verbrechen so lange selbst verdächtig, als das Gegentheil nicht ausgemittelt werden kann, und wenn gefunden wird, daß er zur Verhütung solcher Verbrechen nicht alle mögliche Mittel und Sorgfalt angewendet hat; so soll er nach Verhältnis der begangenen Fahrlässigkeit, mit Geld- oder Leibesstrafe belegt werden" (§ 7 Abs.2). 45 Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts machte die medizinische Forschung geltend, daß die Ansteckungsgefahr bei den meisten Geschlechtskrankheiten dann am höchsten sei, wenn die Krankheit bei dem Infizierten noch nicht äußerlich erkennbar sei. 42

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B. Prostitution als unehrliches Gewerbe

kung an einer ansteckenden Krankheit frühzeitig zu erkennen 46 • War eine Prostituierte infiziert47 , durfte sie nicht mehr arbeiten 48 • Zur Finanzierung dieser Gesundheitsvorsorge führte das Polizeireglement - lange vor der Einrichtung allgemeiner Krankenkassen - eine Hurenheilungskasse 49 ein50 : Der Wirt war als zahlungskräftigster Kostenschuldner primär zur Entrichtung der Kassenbeiträge

46 Wirte und Prostituierte wurden durch eine von der zuständigen Behörde abgefaßte und durch den Revierarzt erläuterte Anweisung aufgeklärt, wie sie eine Ansteckung bzw. den Anfang einer Geschlechtskrankheit erkennen könnten, um so selbst ihren Zustand beurteilen und dem Arzt fachgerecht mitteilen zu können, so daß dieser die Krankheit möglichst früh erkennen konnte (§ 10). Darüberhinaus sollten die Prostituierten durch die Anleitung befähigt werden, auch bei ihren Freiern Anzeichen einer Geschlechtskrankheit zu erkennen und den Geschlechtsverkehr nicht zu vollziehen (§ 10). 47 Die Prostituierte mußte ihre Krankheit sofort ihrem Wirt und dem Revierarzt meIden und sich in Behandlung begeben. Unterließ sie die Anzeige, wurde sie nach ihrer Genesung das erste Mal mit dreimonatiger Gefängnis-, im Wiederholungsfalle mit sechsmonatiger Zuchthausstrafe bestraft (§ 11 Abs.l). Hatte sie ihre Geschlechtskrankheit verschwiegen und andere angesteckt, wurde sie schon das erste Mal mit Zuchthaus (sechs Monate bis ein Jahr) bestraft (§ 11 Abs.2). War eine Prostituierte mit einer Geschlechtskrankheit infiziert und hätte "nach Erkenntnis von Sachverständigen, sie solche schon eine Zeitlang gewußt haben könne oder müsse", hat dies aber nicht angezeigt, so wurde sie - auch wenn sie niemanden angesteckt hatte - ebenso bestraft, "als wenn sie ihr Übel Anderen wirklich mitgetheilt hätte" (§ 13). Der Bordellwirt, der von der Infizierung einer Hure gewußt hat und sie nicht an der Fortsetzung ihres Gewerbes gehindert oder gar dazu angehalten hat, wurde mit gleicher Strafe belegt. Überdies hatte er die Heilungs- und Verpflegungskosten der von dieser Prostituierten angesteckten Männer zu tragen, wenn sie dies verlangten oder die Kosten nicht selbst bezahlen konnten (§ 11 Abs.3). Diese Kosten mußte der Wirt aber selbst dann erstatten, wenn er von der Infizierung nicht gewußt hatte, weil ihm diese Verbindlichkeit als eine "mit dem von ihm zugelassenen Gewerbe um des allgemeinen Besten willen verknüpfte Last und Gefahr geachtet werden soll" (§ 11 Abs.4). 48 Die Überwachungsregelungen verpflichteten nur die Gewerbetreibenden - die Prostituierte und ihren Wirt. Doch mußte der Freier, der eine Prostituierte nachweislich infiziert hatte, "auf ihre und des Bordellwirths Anzeige und Klage" nicht nur die Unterhaltungs- und Heilungskosten tragen, bis sie - nach Ermessen der Charite-Behörde - genesen war, sondern wurde auch mit fünfzig Thalern Geld- oder dreimonatiger Zuchthausstrafe belegt (§ 12). 49 Insgesamt war eine Entwicklung des Versicherungsgedankens im Zeitalter der Aufklärung zu beobachten, vgl. dazu und zu anderen Beispielen eines entstehenden Versicherungswesens: Schmitt-Lermann, S.83ff. 50 "Da bisher die venerischen Krankheiten der Lohnhuren darum verschwiegen wurden, und dieselben sich damit unerfahrenen Leuten anvertraut haben, weil die Bordellwirthe, die ihnen schwerfallenden Kur- und Pflegekosten in der Charite bezahlen müssen, so ist, um dieses Hinderniß aus dem Weg zu räumen, die Einrichtung zu einer Heilungskasse für dieselben getroffen, vermöge welcher die Wirthe und ihre Lohnhuren, bei geschehener Ansteckung, von den gedachten oft ihr Vermögen erschöpfenden Kosten befreiet, und gegen eine lebenswierige, aus dem Wachsthume solcher bösen Krankheit erfolgenden Zerrüttung ihres Körpers und ihrer Gesundheit bewahrt werden" (§ 14).

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verpflichtet. Er konnte diese Obliegenheit aber per Vertrag auf die Prostituierte abwälzen (§ 14 Nr.1)51. Wenn sich eine Prostituierte in ärztliche Behandlung oder in ein Krankenhaus begeben mußte, durfte von ihr keine zusätzliche Bezahlung gefordert werden (§ 14 Nr.1i 2 • Das Reglement sah darüberhinaus vor, daß die Rechte und Arbeitsbedingungen der Prostituierten in einer Vereinbarung zwischen Prostituierter und Wirt festgelegt wurden (§ 2). Dieser Vertrag wurde auf der Polizeibehörde abgeschlossen53 . Wirt und Dirne erhielten davon je eine Abschrift (§ 4). Der Vertragsschluß erfolgte laut einem Polizeibericht aus dem beginnenden 19. Jahrhunderts, um der Prostituierten "einen gewissen Schutz gegen mögliche despotische Willkür und grausame Behandlung des Wirthes angedeihen zu lassen,,54.

Welche exakte rechtliche Funktion diesem Arbeitsvertrag zugemessen wurde, läßt sich mangels weiterer Quellen leider nicht erschließen.

Obwohl durch die Anfertigung eines Arbeitsvertrages nicht nur Rechte und Arbeitsbedingungen, sondern auch eine Arbeitspflicht der Prostituierten festgelegt wurde, durfte der Wirt eine Prostiutierte, die die Prostitution aufgeben wollte, nicht daran hindern, das Bordell zu verlassen (§ 4). Auch die Polizei war verpflichtet, der Dirne "wirksamen Beistand" bei einem Bordellaustritt zu leisten (§ 4 Abs.1). Dies galt selbst dann, wenn sie bei dem Wirt verschuldet war und er dadurch die Forderung nicht mehr durchsetzen konnte (§ 4 Abs.1)55. Um dieser Aufforderung an die Polizei in der Praxis Wirkung zu verleihen, bestimmte das Reglement, daß ein Vertreter der Polizei die Prostituierten ohne Beisein des Wirtes über die Behandlung in den Bordellen befragen sollte (§ 4 Inwieweit dies in der Praxis auch geschehen ist, ist nicht dokumentiert. Die ursprünglich in § 14 Nr.2 u.3 getroffene Regelung hatte nicht geWährleisten können, daß ein zur Versorgung aller erkrankten Prostituierten ausreichender Beitrag erhoben wurde. Deshalb wurde die Erhebung 1795 per Reskript reorganisiert (Behrend, S,45). Wann diese Berliner Regelung aufgehoben wurde, ist aus den vorhandenen Quellen nicht feststell bar. 53 ''leder Bordellwirth muß ehe er eine Dirne zu seinem Gewerbe auf- und annimmt, dieselbe dem Polizeidirectorio gestellen, und nicht anders und eher einen Vertrag mit ihr machen, als bis das Polizeidirectorium ihm dazu schriftliche Erlaubnis ertheilet haben wird, da denn zugleich die Bedingungen, auf welche der Hurenwirth und eine solche Person sich vereinigen, bei der Polizei registrieret werden müssen, und jedem Theil eine Abschrift /favon zu ertheilen ist, wofür überhaupt acht Groschen an Gebühren zu erlegen sind. Die schon vorhandenen Bordellwirthe aber, welchen das Polizeidirectorium fernerhin die Duldung zugestehen wird, müssen auf desselben Befeh~ auch die jetzt schon bei sich habenden Lohnhuren anzeigen, dieselben auf Erfordern zu solcher Genehmigung gestellen, und es müssen die Bedingungen unter ihnen gleichfalls auf die vorgedachte Art schriftlich verfasset werden. 51

52

"

Wiedergegeben bei Behrend, S.79. Spätere Untersuchungen weisen auf einen "regen Frauenhandel" unter den Wirten hin, der durch die Verschuldung der Frauen ermöglicht worden sei (Stursberg, S.98f.). 54

55

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B. Prostitution als unehrliches Gewerbe

Abs.5). Wollte eine Prostituierte lediglich in ein anderes Bordell überwechseln, war das ohne die Einwilligung ihres bisherigen Wirtes nur nach drei Monaten möglich. Etwas anderes galt nur, wenn die Behandlung durch den Wirt - nach Dafürhalten der Polizei - Ursache für den Wechsel war (§ 4 Abs.2)56. Verließ eine Prostituierte "unter dem Vorwand einer zu ergreifenden ehrbaren Lebensart das Bordell", ging dann aber tatsächlich der Prostitution "auf eigene Hand" nach, wurde sie mit vier Wochen Zuchthaus "mit Willkommen und Abschied"57 bestraft (§ 4 AbsA). Damit drohte ihr eine viel empfindlichere Strafe als beispielsweise dem Wirt für die Nichtanmeldung einer Dirne. Diese Bewertung mag auf den ersten Blick befremden. Sie ist aber unter den Prämissen des durch das Polizeireglement etablierten Systems schlüssig: Die Austrittsmöglichkeit der Dirne eröffnete ihr - entgegen dem prinzipiell statuierten Rechtsschutz für das Prostitutionsgewerbe - die Möglichkeit, die vertragliche Gebundenheit einseitig aufzukündigen, damit sie die Prostitution verlassen und einer anderen Tätigkeit nachgehen konnte. Übte sie trotzdem weiter Prostitution aus, so hattte sie die Privilegierung mißbraucht. Insgesamt ist festzuhalten, daß das Polizeireglement in seinem pragmatischen Ansatz einen staatlich sanktionierten Interessenausgleich zwischen Prostituierter, Bordellwirt, Kunde und Allgemeinheit geschaffen hat, durch den das Milieu - allerdings auf Kosten der persönlichen Freiheit der Prostituierten - befriedet werden konnte. Möglich war die relativ unvoreingenomme Regulierung des Gewerbes wohl vor allem deshalb, weil in der offiziellen Regelung dieses Erwerbszweiges noch nicht seine staatliche Anerkennung gesehen wurde. Die Obrigkeit förderte die "Glückseligkeit der Unterthanen vielmehr mit allen Mitteln und Maßregeln ,,58 also auch durch die Einrichtung eines unehrlichen Gewerbes.

56 Einer Bordellhure, die das Bordell verlassen wollte, "um auf ihre eigene Hand Lohnhurerei fortzusetzen", durfte nach § 4 Abs.3 der Bordellaustritt nicht gewährt werden, da die "Einspännerei" nach der Konzeption des Reglements die Ausnahme sein

sollte. Doch in der Praxis wurde der Bordellaustritt geduldet, wenn die Frau sich einschreiben ließ und in einer entsprechenden Geaend bei einer Wirtin oder "Tante" wohnte, die der Polizei gegenüber wie ein Bordellwirt verantwortlich war (Behrend, S,44; Haldy, S.23). Wieviele Frauen aus einem Bordell zur selbständigen Prostitution übergegangen sind, kann aus den heute zugänglichen Quellen nicht festgestellt werden. Da sich aber einige Hinweise darauf finden, daß Prostituierte beispielsweise durch eine Neueinkleidung oder hohe Zimmermieten bei ihren Wirten verschuldet waren, ist anzunehmen, daß die meisten an ihre Wirte gebunden blieben (vgl. dazu: Behrend, S.85). 57 Wohinter sich - entgegen dem freundlich klingenden Namen - eine Tracht Prügel zu Beginn und zum Abschluß der Gefängnisstrafe verbirgt. 5M Zur zeitgenössischen Staatszwecklehre vgl.: v.Pfeiffer, Bd.l, S.51; v.Justi, § 30, S,45.

11. Regelungen des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 1794

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11. Regelungen des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 1794 Das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794 knüpfte mit seiner Prostituiertenreglementierung an die pragmatischen Regelungen des Berliner Polizeireglements an 59 , ergänzte es durch weitere Regelungen und harmonisierte die partikuliarrechtlichen, widersprüchlichen Polizei- und Strafrechtsbestimmungen 60 • Prostitution 61 war danach in den dafür konzessionierten Hurenwirtschaften62 zugelassen. 63 Sie war - als eine Form der "hurerey" - nur den bei der Polizei an-

59 Daß das Bordellreglement von 1792 nicht durch das Allgemeine Landrecht außer Kraft gesetzt wurde, ergibt sich schon aus Einl. § 1 ALR. Vgl. dazu auch Conrad, ALR, S.l1 m.w.N.; Bargon, S.70. 60 Vgl. zur Bedeutung des Landrechtes für die Rechtsvereinheitlichung: Kleinheyer, Einführung, S.17. 61 Prostituierte waren die Frauen, "welche die Hurerei des Gewinnes wegen treiben und sie als Erwerbsmittel behandeln, (... ) welche sich ohne Unterschied für Geld oder sonstige Bezahlung" hingeben (Reskript vom 11.11.1799 abgedruckt in: Mannkopff, ALR, Bd.Vn, S.571). Bloße Promiskuität genügte nicht. Daß es sich hier um die Abgrenzung eines Berufsstandes und nicht um die Kriminalisierung einer Handlungsweise handelte, wird unter anderem daran deutlich, daß eine "Weibsperson, [die sich gegen Bezahlung) Jedem ohne Unterschied zur fleischlichen Vermischung hergiebt" eine Hure war, ohne daß es noch darauf ankam "wie oft die Hurerei wirklich getrieben worden ist" (Reskript vom 10.5.1824, abgedruckt in: Mannkopff, ALR, Bd.Vn, S.577). 62 Das Landrecht unterschied zwischen Kuppelei und verbotener, weil geheimer Hurenwirtschaft. Kuppler, die "junge Leute, oder auch verheirathete Personen zu Ausschweifungen verführen, ihnen dazu Gelegenheit verschaffen, oder sonst beförderlich sind, haben Zuchthaus oder andere Strafarbeit auf sechs Monate bis zwey Jahre verwirkt." Personen, die "aus dergleichen Kuppeleyen ein Gewerbe [gemacht haben): so soll zwey- bis dreyjährige Zuchthausstrafe eintreten; diese mit Willkommen und Abschied geschärft; und ein dergleicher Verbrecher, nach deren Erduldung, aus seinem bisherigen Aufenthaltsorte für immer verbannt werden. " Kuppelei war auch und gerade dem diesbezüglich gefährdeten Hurenwirt verboten (Haldy, S.23; Reskript v.14.0kt.1799 über die Bestrafung von Winkelkuppler und heimlichen Hurenwirte, abgedruckt bei Mannkopff, S.562ff. Vgl. auch: v.der Hende, S.382). Der Betrieb einer unerlaubten "Hurenwirthschaft", das heißt eines Bordelles ohne Zulassung durch die Polizeiobrigkeit des Ortes wurde mi~ ein- bis zweijähriger Zuchthausstrafe geahndet (§ 1001). 63 Der Wunsch, alle Prostituierten in einem Bordell unterzubringen, erklärte sich zu jenem Zeitpunkt - wie auch zuvor - aus dem gesellschaftlichen Rahmen. Das Landrecht konzipierte die Gesellschaft um den väterlich geleiteten Hausstand (vgl. dazu WeberWill, S.41ff.). Frauen nahmen am allgemeinen Rechtsverkehr prinzipiell nur über einen Mann (Vater, Vormund, Ehemann) teil. Dies galt für verheiratete Frauen schon aufgrund der Regelungen des Landrechtes. So konnte die Ehefrau beispielsweise nur für sie vorteilhafte Verträge wirksam abschließen und - bei Verhinderung des Mannes - ein Notverwaltungsrecht ausüben (Th.n, Tit.1, §§ 202ff.). Ihre Geschäftsfähigkeit wurde aber vor allen Dingen durch das Güterrecht beschränkt, das dem Mann ein unbe-

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B. Prostitution als unehrliches Gewerbe

gemeldeten und eingetragenen64 Prostituierten erlaubt65 . Die Anmeldung erfolgte in der Regel durch den Hurenwirt vor der Aufnahme einer Frau in seinen Betrieb (§ 1004)66. Vor der Arbeitsaufnahme schlossen Wirt und Prostituierte darüberhinaus den Bestimmungen des Polizeireglements entsprechend auf der Polizeiwache einen Arbeitsvertrag ab 67 • An die Anmeldung der Wirtschaft und der einzelnen Frauen schloß sich eine Vielzahl - insbesondere sanitätspolizeilicher68 - Pflichten69 •

schränktes Nieß- und Verwaltungsrecht am eingebrachten Eigentum der Frau gewährte. Th.II, Tit.1, § 184 ALR legt fest: "Der Mann ist das Haupt der ehelichen Gesellschaft; und sein Entschluß giebt in gemeinschaftlichen Angelegenheiten den Ausschlag. " (Ausführlich dazu: Weber-Will, S.159ff.). Ledige, geschiedene und verwitwete Frauen, die nach dem Landrecht prinzipiell voll geschäftsfähig gewesen waren, waren aufgrund der in den meisten Provinzen geltenden Geschlechtsvonnundschaft männlicher Vonnundschaft unterstellt. Auch das Landrecht verlangte in bestimmen Fällen eine Vonnundschaft (beispielsweise die verschiedenen Beistände Th.II, Tit.18, § 51; ausführlich dazu: Weber-Will, S.224ff.). Die Prostituierte war aufgrund ihres Gewerbes aus dieser Familienstruktur herausgelöst. Sie sollte über die Unterbringung im Bordell wieder in das Grundmodell der damaligen Gesellschaft integriert werden. 64 Die nicht eingeschriebene Straßenprostituierte sollte mit Arbeitshaus bestraft werden, bis sie zu "einem ehrlichen Unterkommen Lust und Gelegenheit" erhält (§ 1024). Konnte einer Frau nicht nachgewiesen werden, daß sie das gesetzliche Verbot der heimlichen Prostitution, der sog. "Winkelhurerei", gekannt hatte, so sollte sie nach einem Reskript vom 11.November 1799 "nur mit einer außerordentlichen Polizeistrafe belegt und verwarnt werden, ehe die im § 1023, ALR Th.2, Tit.20 festgesetzte Strafe Platz greifen kann" (Stengels Beiträge, Bd.x, S.318). Diese Regelung galt nach dem Reskript des Justizministers vom 19.Juli 1814 nur für die Stadt Berlin (abgedruckt in: v.Kamptz, Jahrbücher, Bd.III, S.285). 65 "Liederliche Weibspersonen, welche mit ihrem Körper ein Gewerbe treiben wollen; müssen sich in die unter der Aufsicht des Staats geduldeten Hurenhäuser begeben." (§ 999) (vgl. dazu: Schmölder, Z:StW 13 (1893), S.544). Doch wurde auch zu dieser Zeit auf eine Zwangseinweisung in ein Bordell verzichtet, wenn sich die Prostituierte bei einer "Tante" offiziell einschreiben ließ (Behrend, S.44; Haldy, S.23). 66 "Ohne Vorwissen und Erlaubniß der Polizey, muß kein Hurenwirth oder Hurenwirthin, bey funfzig Thaler Strafe für jeden Übertretungsfall, eine Weibsperson aufnehmen." 67 Ein Polizeibericht aus dem Jahr 1811 beschreibt den Vorgang folgendennaßen: Nachdem die einzuschreibende Frau und der Wirt bei der Polizei erschienen waren, wurden zunächst der Volljährigkeitsnachweis sowie "sonstige Atteste über das frühere Leben" der Frau vorgelegt und ihr dann "die Folgen dieses Wandels geschildert und das Ende vorgehalten, dem sie entgegenläuft". Wollte sie trotzdem eingeschrieben werden, was nach Ansicht des Berichters in der Regel der Fall gewesen zu sein scheint, wurden die Verhältnisse des Wirtes überprüft. Bei positivem Ergebnis wurde eine Erlaubnis zur Aufnahme der Frau sowie ein Arbeitsvertrag ausgefertigt (Behrend, S.79f.). 68 Die Polizei führte regelmäßig - unter Hinzuziehung eines Arztes - Gesundheitskontrollen durch (§ 1002, vgl. auch § 1016). War eine Prostituierte mit einer Geschlechtskrankheit infiziert, mußte der Wirt dies der Polizei sofort anzeigen "und nach

11. Regelungen des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 1794

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Das Landrecht behandelte Prostitution so, wie es alle konzessionierten Gewerbe regulierte, nämlich als prinzipiell verbotene Tätigkeit mit Erlaubnisvorbehalt7o • Durch die polizeiliche Erlaubnis wurden die Dirnen zu der - für die Allgemeinheit verbotenen - hurerey, ihre Wirte zu der - für jeden Unkonzessionierten strafbaren - Hurenwirtschaft legitimiert71. In der zeitgenössischen Lite-

deren Anordnung, für die Cur und Verhütung des weiteren Ansteckens sorgen" (§ 1013) (vgl. auch Regulativ vom 8.8.1835 Gesetz-Sammlung, S.240). Durch Ministerial-Reskript wurde die Polizei informiert, daß "Frauenspersonen, welche der Prostitution ergeben oder wegen gewerbsmäßiger Unzucht bereits bestraft sind oder welche als notorische Huren sich wegen syphilistischer Krankheit bereits in ärztlicher Behandlung befunden haben", aufgegeben werden könne, "allmonatlich aber auch in kürzerer Frist Gesundheitsatteste beizubringen" (GS 1835, S.239ff.). Die Kosten für die regelmäßigen Untersuchungen der Prostituierten mußten außerhalb des Bereichs der Hurenheilungskasse, also außerhalb Berlins, die Gemeinden selbst tragen (Regulativ vom 6.August 1853 MB1.1853, 166; Regulativ vom 11.Aprii 1854 MBI. 1854, 99). Die Behandlungskosten dagegen waren - im Gegensatz zu erstattbaren Armenpflegekosten - Kosten der örtlichen Polizeiverwaltung nur dann, wenn der Heilungsprozeß durch die Polizei angeordnet worden war (v.Rönne, ALR 1880, S.1057 m.w.N.). Im übrigen hatte die Prostituierte nur dann einen Anspruch auf kostenlose Behandlung, wenn sie das Armenrecht geltend machen konnte (v.Rönne, ALR 1880, S.1057 m.w.N.). 69 Für "Diebstähle, Schlägereyen, oder andere Verbrechen" in einem Bordell war der Wirt dem Geschädigten, der auf andere Weise Ersatz nicht erhalten konnte, haftbar (§ 1017). Darüberhinaus galt er "der Theilnehmung des Verbrechens selbst so lange verdächtig, als das Gegentheil nicht ausgemittelt werden" konnte (§ 1018 ). Hatte der Wirt keine ausreichenden Vorkehrungen zur Verhütung von Straftaten getroffen, wurde er "nach Verhältnis der begangenen Fahrlässigkeit, mit Geld-oder Leibesstrafe belegt" (§ 1019). Wurde eine Prostituierte schwanger, mußte der Hurenwirt dies der Polizei unverzüglich anzeigen (§ 1008). Unterließ er das und die Geburt erfolgte "heimlich" oder endete gar in einem Kindermord, wurde der Hurenwirt, und zwar weil er die Schwangerschaft nicht angezeigt hatte, mit einer mehrmonatigen Gefängnis- oder Zuchthausstrafe bestraft (§ 1009). Die Verpflegung der Schwangeren "während der Wochen" oblag dem Hurenwirt, wenn keine öffentliche Anstalt zur Verpflegung der Wöchnerin vorhanden war (§ 1010). Es blieb ihm aber vorbehalten, Ersatz von dem Schwängerer oder, wenn dieser nicht zu ermitteln war, von der Mutter selbst oder aus der Armenkasse zu fordern (§ 1011). 70 Vgl. beispielsweise die Regelungen über den Betrieb von Apotheken (II.Tb. 8.Tit., 5.Abschn., §§ 462f.). Der Begriff der "Concession" (von lat. concessio) umschrieb seinerzeit eine besondere Form eines Privilegs, nämlich das eine bestimmte - sonst verbotene - Handlung oder ein bestimmtes Gewerbe zum Gelderwerb betreiben zu dürfen (vgl. Klüber, §'461; Weiske, Rechtslexikon, Bd.8, S.494. Zum Forschungsstand auf diesem Gebiet vgl. ausführlich: Willoweit, S.60ff. 71 Den Bedeutungsgehalt der Konzession setzte das Landrecht in den einschlägigen Vorschriften voraus, ohne ihn selbst zu definieren (vgl. Bielitz, ALR, S.164; Hamberger, ALR, S.55).

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B. Prostitution als unehrliches Gewerbe

ratur und Rechtsprechung bezeichnete man das Reglementierungsmodell 72 des Polizeireglements und des daran anknüpfenden Landrechtes deshalb auch als

"konzessionierte Gewerbsunzucht,t73.

Diese Bezeichnung erschien zur Zeit des Landrechtes nicht ungewöhnlich, weil die Konzessionierung noch vorrangig die Bedeutung hatte, Wirtschaft und Erwerbstätigkeit der Untertanen zu lenken 74, und weil die Institution des unehrlichen Gewerbes noch nicht aus dem Bewußtsein verschwunden war. Die Regulierung des Prostitutionsmarktes war für die zeitgenössische Verwaltung Gewerbereglementierung 75. Doch war Prostitution kein Gewerbe wie jedes andere, sondern eine stigmatisierte Tätigkeit. Dies äußerte sich zum einen darin, daß die Vorschriften über die Ausübung der Prostitution innerhalb des Strafrechtstitels unter den "fleischlichen Verbrechen" niedergelegt wurden (Th.II Tit.20 §§ 999 bis 1026), obwohl man sich allgemein darüber einig war, daß die Regelungen materiell nicht zum Strafrecht gehörten 76. Die Ansiedlung in diesem Teil des Gesetzbuches diente

72 Dem Konzessionierungsgedanken entsprechend wurden auch Planungsentscheidungen über die Ausgestaltung des Prostitutionsmarktes, beispielsweise die Anlegung neuer Bordelle, getroffen: Die Polizeibehörden des betroffenen Ortes wogen die aus den besonderen örtlichen Verhältnissen resultierenden dafür und dagegen sprechenden Gründe ab (v gl. beispielsweise Reskript vom 25.11.1823, Annalen 1823, Bd.II, S.886; Reskript vom 12.12.1823, Annalen 1823, Bd.II, S.887). Maßgebend war, ob "die Gestaltung oder Nichtduldung einer solchen Anlage größeres Übel herbeiführt" (Reskript vom 25.11.1823, Annalen 1823, Bd.II, S.886). Als Entscheidungskriterium wurde beispielsweise die "Rücksicht auf die Lage und den Handel der Stadt" angesehen (v.RönneSimon zitiert nach Wolzendorff, S.39). Fehlerhafte Entscheidungen wurden von der vorgesetzten Behörde wieder aufgehoben (vgl. Reskript vom 30.11.1837, Annalen 1837, Bd.l, S.159ff.). 73 Vgl. Ministerial-Reskript vom 15.2.1842 (abgedruckt bei Behrend, S.145); "wenngleich der Staat solche Häuser priveligiert hat", "Bordellwirth, der zur Hurenwirthschaft berechtigt ist" (GräfflKochlv.Rönne, Criminalordnung, S.437, 442; Dufour, S.97). Auch gesetzliche Regelungen verwendeten diese Begrifflichkeit: §§ 1,2 des Reglements forderten die "schriftliche Erlaubnis", § 1001 ALR die "ausdrückliche Zulassung" und § 1004 ALR die Erlaubnis. § 11 des Reglements bestimmte, daß der Wirt bestimmte Heilungskosten der Dirne zu übernehmen hat, da diese aus dem ihm llzugelassenen Gewerbe" resultieren. Doch spricht das Landrecht an anderer Stelle wieder nur von den "unter Aufsicht des Staats geduldeten Hurenhäuser" (§ 999). 74 In bestimmtem Grade polizeifeste gewerbliche Rechte waren lediglich die durch die Zünfte wohlerworbenen Rechte, vgl. dazu Nelken, S.68,84. 75 Das wird schon daran deutlich, daß die Behörden nach Einführung der Gewerbefreiheit entsprechende Gewerbescheine ausgaben (v gl. Reskript vom 8.10.1818, Annalen 1818, Bd.II, S.1076). 76 Da "die daran teilnehmenden Personen [sie] freiwillig verüben, [und] dadurch niemand im Besitz und Genuße des Seinigen gestört 11 wird (Carl Gottlieb Svarez, in: ConradlKleinheyer, S.384).

11. Regelungen des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 1794

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der Stigmatisierung von Prostitution. Denn trotz seiner pragmatischen Herangehensweise war das Landrecht weder neutral in bezug auf die Gewerbsunzucht, noch war es gleichgültig hinsichtlich der sittlichen Erziehung der Bevölkerung77 • Zum anderen wurde die Ächtung des Gewerbes in der Ausgrenzung der Prostituierten aus dem täglichen Leben deutlich: Bordelle sollten an abgelegenen und von öffentlichen Straßen entfernten Orten angesiedelt werden (§ 1000). Jedes auffällige Benehmen der Prostituierten konnte von der Polizei unterbunden, zum Teil auch bestraft werden 78 • Prostituierten war es verboten,

"an frequentierten Orten, namentlich im Schauspielhause, im Parterre und in den Logen zu erscheinen,,79.

Den Kunden der Prostituierten oblagen in bezug auf die Reglementierung keine Pflichten. Die Bestimmungen erfaßten schon nach ihrem Wortlaut nur Huren und ihre Wirte. 1799 warfen Gerichte trotzdem die Frage auf, ob nicht auch "diejenige Mannsperson bestraft werden soll, welche mit einer solchen nicht authorisierten Weibsperson Hurerei getrieben hat',so. Darauf erwiderte die untersuchende Kommission, daß nach den Bestimmungen der Preußischen Gesetze unehelicher Geschlechtsverkehr ebenso straflos sei, wie der Verkehr mit Huren, "welche sich bei diesem Gewerbe unter die Aufsicht der Polizei be-

geben, zur Hurerei, wozu sie doch Mannspersonen nöthig haben, Concessionen

Nach einer von dem Vertreter der Pommersehen Regierung während der Gesetzgebungsberatungen vorgetragenen Ansicht sollten die Vorschriften insgesamt aus dem Strafrechtstitel in die Polizeigesetzgebung genommen werden (Bericht des Großkanzlers G. v. Carmer vom 23.Nov.1787 wiedergegeben in GräfflKochlv.Rönne, Criminalordnung, S.439 m.w.N.). _ 77 Vielmehr war das Landrecht insofern dem Naturrecht verpflichtet. So war beispielsweise in II.Th., Tit. 20, § 992 statuiert: "Aeltern und Erzieher müssen ihre Kinder und Zöglinge gegen das verderbliche Laster der Unzucht durch wiederholte lebhafte Vorstellungen der unglücklichen Folgen derselben warnen, und sie zu einem ehrbaren sittsamen Lebenswandel ernsthaft anweisen." 78 Gegen Dirnen, die durch "unsittliches Benehmen, durch Umhertreiben, absichtliche Erregung von Aufsehen, auffallende Bezeichnung der Wohnung" auffielen, konnte die Polizeibehörde einschreiten (GräffIKochlv.Rönne, Criminalordnung, S.440). Prostituierte, die "von den Straßen, vor den Häusern und in den Fenstern, durch Geberden, Zeichen und Winke die Vorübergehenden anzulocken und sich einzuladen suchen", wurden nach den Vorschriften des Landrechtes das erste Mal mit drei, das zweite MaI mit acht Tagen Gefängnis bestraft. Ein Wirt, der eine solche Handlung erlaubte oder gar veranlaßte, wurde doppelt so schwer bestraft (v.der Hende, S.378 mit Verweis auf das Rescript des hohen Ministerii der Polizei vom 17.0ct.181O). Dirnen, die sich "an offene Fenster setzten oder aus denselben sehen und sich an anderen Fenstern aufhalten, als solchen, welche mit zugezogenen Gardinen versehen sind", waren nach einer Verordnung für Berlin vom 16.September 1828 körperlich zu züchtigen (v. der Hende, S.378). 79 Behrend, S.58. 80 Mannkopff, ALR, Bd.VII, S.572.

B. Prostitution als unehrliches Gewerbe

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erhalten und obrigkeitlich authorisiert,,81 worden seien. Ein Mann, der eine nicht konzessionierte Prostituierte "konsultiert" habe, könne nicht bestraft werden, da er nicht verpflichtet sei, die Dirne auf ihre Konzession zu untersuchen 82 .

IH. Das Ende der "konzessionierten Prostitution" Die offene Konzessionierung von Prostitution als pragmatische Lösung der Reglementierungsfrage konnte jedoch im 19. Jahrhundert nicht lange bestehen. Schon wenige Jahre nach Verabschiedung des Allgemeinen Landrechtes kritisierte das Ministerium, das seit Erlaß einer neuen Städteordnung83 Aufsicht über die Städte führte, die Berliner Praxis, Bordelle "zu konzessionieren und ihnen dadurch eine gewisse Art Sanktion geben,,84. Es forderte, "dergleichen Wirthschaften den verdienten Stempel der tiefsten Verworfenheit und Schandbarkeit aufzudrücken ,,85. Auch die Stadtverordnetenversammlung86 beschloß87, "daß alle Bordellwirthe wegen des niederträchtigen Characters ihres Gewerbes des Bürgerrechts verlustig sein und daß sie zwar an den Lasten der Bürger, aber nicht an den Berechtigungen derselben Theil haben sollten,,88. Das Polizeipräsidium gab hinsichtlich der gewünschten Diskreditierung der Bordelle zu bedenken, daß es dadurch vermehrt zur geheimen Prostitution, der sog. WinkelMannkopjf, ALR, Bd.VII, S.572. "[NJicht der einzelne Beischlaf der Hure (werde) bestraft, sondern ihr Gewerbe an welchem eine solche Mannsperson keinen Antheil nimmt" (Gräjf/Koch/v.Rönne, Criminalordnung, S.441). Anders wäre dies nach Ansicht der Kommission nur dann zu beurteilen, wenn der Gesetzgeber ausschließlich Bordellhurerei erlaubt und damit nur die dort anzutreffenden Huren konzessioniert hätte, dann wäre § 1023 dahingehend zu ergänzen: "daß auch Mannspersonen, die solche außer den Hurenhäusern lebende feile Dirnen zu ihrem Willen für Geld gebrauchen, mit derselben Strafe belegt werden sollen" (Mannkopff, ALR, Bd.VII, S.572). Solange aber selbständige Prostitution legal sei, sei eine Teilnahmestrafbarkeit abzulehnen (Mannkopff, ALR, Bd.VII, S.572). Auch die anderen Sonderpflichten der Prostitutionsausübung galten für den Freier nicht. Wohl war er gemäß der im Landrecht festgelegten Regeln über den unehelichen Beischlaf verpflichtet. Er mußte beispielsweise Kindesunterhalt zahlen (§ 1027 II 20 ALR; II 9 ALR). Dieser Bestimmung kam - angesichts der Beweisschwierigkeiten - vermutlich eher normative als praktische Bedeutung zu. Ein Freier mußte allerdings die "Schwächung" einer Prostituierten nicht nach den allgemeinen Regeln kompensieren (§ 1037 11 1 ALR), da dieser keine solche Entschädigung zustand (Gräjf/Koch/v.Rönne, Criminalordnung, S.442). 83 Vom 19.11.1808, GS, S.324ff. 84 Brinitzer, S.89. 85 Stieber, S.52f.; Brinitzer, S.89; vgl. auch Wolzendorff, S.38. 86 Ermächtigt durch § 39 der Städteordnung vom 15.August 1809. 87 Erlangung und Verlust des Bürgerrechtes sind in ALR I1.Theii 8.Titel l.Abschn. geregelt. Das Bürgerrecht verlor danach unter anderem, wer "als ehrlos" erklärt wurde (§ 54). 88 Stieber, S.53; vgl. auch Brinitzer, S.90; Henne am Rhyn, S.102. 81

82

III. Das Ende der "konzessionierten Prostitution"

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hurerei, und "einzeln lebenden Mädchen (... )[kommen könne, die] der Moralität und Gesundheit gerade am gefährlichsten [seien], da sie nicht so genau, wie in den Bordellwirthschaften kontrolliert werden" könnten. Ihre Unzuverlässigkeit vor allem gegenüber der gesundheitspolizeilichen Kontrolle könne durch die "Listen der in der Charite wegen Syphilis aufgenommenen Lohnhuren " ersehen werden 89 • Darüber hinaus sei fraglich 90 "aufwelche Weise der von dem Minister

gewünschte 'Stempel der öffentlichen Schandbarkeit und Verworfenheit' dem Gewerbe der Prostitution aufzudrücken sei, wenn man nicht etwa den Dirnen eine bestimmte auffallende und von der Kleidung anständiger Frauen abweichende Tracht vorschreiben wollte,r91. Allerdings beschloß die Polizei in Folge

der Kritik, daß sie zunächst keine neuen Konzessionen für Bordellbetriebe mehr erteilen und "es auf ein allmähliches Erlöschen der bereits vorhandenen Kon-

zessionen wolle ankommen lassen ,,92.

Am 17.10.1810 regte ein Resolut93 des Ministeriums an, daß erstens fortan kein Bordellwirt mehr Eigentümer sein könne, weil Eigentum das Bürgerrecht voraussetze 94 • Weiterhin empfahl das Ministerium, daß künftig keine allein lebende Prostituierte mehr zu dulden sei. Eine solche müßte entweder in einem Bordell untergebracht, ausgewiesen oder in ein Arbeitshaus eingewiesen werden und zwar solange, bis sie nachweise, daß sie sich von einem ehrbaren Erwerb ernähre95 • Drittens sollten die bestehenden Bordelle aus belebten in abgelegene Straßen oder Gassen verlegt werden 96 • Viertens dürfte unter keinen Umständen die Zahl der vorhandenen Bordelle vergrößert werden, sondern vielBehrend, S.57f.; vgl. auch ebda., S.65f. Er spielte dabei auf die im Vorhergehe!lden erläuterte mittelalterliche Pflicht der Prostituierten an, sich durch bestimmte Kleidungsmerkmale kenntlich zu machen. 91 Behrend, S.55. 92 Stieber, S.53. 93 Die Wirkung dieses Resoluts war mäßig: Punkt 1 zeigte nach zeitgenössischem Bericht deshalb keine Wirkung, weil die Hurenwirte Eigentümer der Grundstücke blieben, und für die darauf betriebenen Bordelle Strohmänner einsetzten. Punkt 2 stellte nur noch einmal ausdrücklich fest, was schon § 999 ALR angeordnet hatte. Allerdings ist nach den vorhandenen Quellen zweifelhaft, inwieweit diese Anordnung faktisch durchgesetzt wurde, da es danach in Berlin immer noch allein lebende, eingeschriebene Prostituierte gab. Die weiteren Punkte gaben erneut Anlaß zu Streit zwischen Ministerium und Polizeipräsidium: Die Polizei befürchtete bei strikter Handhabung ein neues Ansteigen der heimlichen Prostitution mit allen Folgen, die man durch die bisherige tolerante Handhabung habe verhindern können, und drängte deshalb darauf, das "traurige" und "nutzlose Experiment" nicht durchzuführen (Behrend, S.6lf.). Behauptet wurde weiterhin, daß eine Folge der Durchsetzung des Reskripts das Ansteigen von Geschlechtskrankheiten gewesen sei (Wolzendorff, S.38). 94 Zum Begriff des Bürgers und zur Erteilung des Bürgerrechtes im landrechtlichen Staat vgl. Koselleck, S.55ff., 562, 660ff. 95 Haldy, S.23; Wolzendorff, S.38. 96 Haldy, S.23. 89

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mehr sollte versucht werden, die vorhandene Anzahl zu reduzieren 97 • Ebenfalls sollte die Anzahl der Frauen in den bestehenden Bordellen nicht erhöht werden 98 • Diese Diskussion zwischen Ministerialverwaitung und Polizei illustriert den Umbruch in der öffentlichen Diskussion über Prostitution. Während Prostitution früher noch als offizielle Einrichtung akzeptiert wurde, wurde nunmehr die deutliche Ausgrenzung gefordert. Dieser Wunsch, der Prostitution sichtbar "den verdienten Stempel der tiefsten Verworfenheit und Schandbarkeit aufzudrücken", würde sich in der Folgezeit dahingehend auswirken, daß Prostitution - mit der Entstehung des modernen Gewerberechts - die Einbindung in die allgemeine Rechtsordnung verlieren würde. Daß die Reglementierung von Prostitution ihren Charakter als Gewerbereglementierung parallel zur Entwicklung des modernen Gewerberechts verlor, ist kein Zufall. Das moderne Gewerberecht hatte seinen Ursprung in den Forderungen des aufstrebenden Bürgertums nach grundlegenden Verwaitungs- und Wirtschaftsreformen 99 • Dieses Verlangen fand nach dem Zusammenbruch Preußens in den Jahren 1806/1807 Gehör. Nach den liberalen Vorstellungen des Bürgertums sollte künftig dem Staatsbürger Gelegenheit gegeben werden, "seine Fähigkeiten und Kräfte in moralischer sowohl als in physischer Hinsicht auszubilden"lOO. Das überkommene Konzessionierungsmodell sollte abgeschafft werden 101 • Am 2.11.1810 führte das preußische Gewerbesteueredikt 102 die allgemeine Gewerbefreiheit in den preußischen Staaten ein. Nunmehr konnte jeder103 , der

Haldy, S.23; vgl. auch Miller, S.44; Henne am Rhyn, S.102. Behrend, S.60f. Bis 1810 wurden minderjährige Ausländerinnen geduldet (Behrend, S.91). 99 Koselleck, S.563ff. 100 § 3 der Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-, Polizei- und Finanzbehörden vom 26.12.1806, GS, S.1806-10, 464; vgl. auch v.RottecklWelcker, Staatslexikon, Bd.x, S.362. 101 Nach dem liberalen Grundsatz, daß jeder - solange er die Rechte seines Nachbarn nicht kränke - seine natürlichen vorstaatlichen Fähigkeiten ohne Erlaubnis zum Gelderwerb nutzen dürfe (v.RotteckIWelcker, Staatslexikon, Bd.x, S.362), war eine Konzessionierung nur dann und nur so weit zulässig, als der Staatszweck eine beschränkte Zulassung erforderte (v.RotteckIWelcker, Staatslexikon, Bd.x, S.362); beispielsweise wegen besonderer staatlicher Aufsichtspflichten. So wurde eine Konzession "gewöhnlich zu solchen Handlungen gebraucht, zu denen der Staat die Aufsicht behalten will" (Weiske, Bd.2, S.757); vgl. auch Klüber, § 461 m.w.N.; Maurenbrecher, §§ 179,206; Rüfner, Verwaltungstätigkeit, S.476 m.w.N. 102 GS, S.79ff. 97

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"ein Attest der Polizey-Behörde seines Orts über seinen rechtlichen Lebenswandel beibringt,,11J4, einen Gewerbeschein lösen, der ihm das Recht gab, "ein Gewerbe fortzusetzen oder ein neues anzufangen" (§ 2, § 19 Abs.1)105. Dementsprechend wurden zunächst auch an Bordellwirte und Prostituierte Gewerbescheine ausgegeben 106. Doch das Bürgertum propagierte in Anknüpfung an das Naturrecht nicht nur die wirtschaftliche Liberalität, sondern auch die sittliche Bindung der Person und ihrer Handlungen. Diese Idee prägte die liberalen Forderungen in den verschiedenen Lebensbereichen und füllte auch den Begriff der Gewerbefreiheit: Der einzelne war nach damaligem Denken von Natur aus nur berechtigt, "durch selbstgewählte ehrliche Arbeit sich und die Seinigen" zu ernähren 107. Zwar waren nach der Entmystifizierung der den mittelalterlichen Ver- und Geboten zugrunde liegenden Tabus fast alle Tätigkeiten zur ehrlichen Arbeit geworden, doch die Dienstleistungen der Prostituierten konnten nicht ehrbar werden, da sie mit Grundwerten der bürgerlichen Familien- und Sexualmoral unvereinbar waren. Das Bürgertum des 19. Jahrhunderts war zwiespältig gegenüber jeder Form der Sexualität. Außereheliche Sexualität verurteilte es prinzipieU 108 • Der Ur103 Unter der Einschränkung des § 19 Abs.2: "Minderjährige müssen indessen die Einwilligung ihrer Aeltern oder Vormünder, Ehefrauen die ihrer Ehemänner; Staatsdiener die ihrer Vorgesetzten; in Privatdiensten stehende Personen, die ihrer Lohnherren beibringen. " 104 § 19 Abs.1. 105 Für Gewerbe, "bei deren ungeschicktem Betriebe eine gemeine Gefahr obwaltet", zu denen gern. § 21 Nr.7 auch "Gast- und Schänkwirthe aller Art" gehörten, galten darüberhinaus die Anforderungen des § 21. 106 Vg!. den Verweis in Reskript vom 8.10.1818 (Annalen 1818, Bd.II, S.1076) auf die Circular-Verfügung vom 10.10.1814. Nach zeitgenössischem Verständnis gingen damit auch entsprechende Verpflichtungen einher. Vg!. beispielsweise ein Reskript des Justizministers vom 19.7.1814 (abgedruckt in: Kamptz, Jahrbücher, Bd.III (1814): "... dergleichen Weibspersonen, die eben deswegen, weil sie die Hurerei als ein Gewerbe betreiben, um die darauf sich beziehenden Gesetze sich bekümmern, und danach erkundigen müßen, nicht einmal der § 13 der Einleitung des Allgemeinen Landrechts zu statten kommen kann ... " Nach § 13 Ein!. ALR schützte Nichtkenntnis bei nachträglicher Änderung der Gesetzgebung, wenn den Täter keine Erkundigungspflicht traf. 107 v.Rotteck/Welcker, Staatslexikon, Bd.III, S.587. Dieses Denken schlug sich beispielsweise auch in den durch Stein-Hardenberg erteilten Geschäftsinstruktionen an die Regierungen nieder. So bestimmte § 50, daß Gewerbefreiheit insoweit gewährt werde, "als sie nicht gegen Religion, gute Sitte und Staatsverfassung verstößt" (wiedergegeben bei Nelken, S.12). 108 Daß man die Hebung der Sittlichkeit in der preußischen Ministerialverwaltung sehr ernst nahm, illustriert ein Reskript des Ministeriums des Inneren und der Polizei vom 25.11.1813, das anregte, den Begriff "Freudenhaus" in Zukunft nicht mehr für Bordellwirtschaften zu gebrauchen: "[AJn sich schlechte Dinge dürfen durch Namen nicht veredelt werden können" zudem sei "die gedachte Benennung nicht passend, da

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sprung dieser Sexualfeindlichkeit ist noch nicht abschließend durch die historische und soziologische Forschung geklärt. Im Grunde scheint die Sexualfeindlichkeit zu einem großen Teil darauf zu beruhen, daß ein vom Geschlechtstrieb gesteuerter Mensch das aufklärerische Bild vom Menschen lO9 in Frage stellte, da es drohte, ihn auf ein triebgebundenes - eigentlich tierisches - Wesen zu reduzieren llo . Ein Auszug aus Kants Ethikvorlesung illustriert das zugrunde liegende Denken: Sexuelle Betätigung war demnach dem Menschen als Person nur dann angemessen, wenn der Zweck "als Bedingung der Rechtmäßigkeit des Gebrauchs ... moralisch nothwendig [ist]. Der Mann kann weder das Weib begehren, um es gleich als Sache zu genießen, d.i. unmittelbares Vergnügen an der bloß thierischen Gemeinschaft mit demselben zu empfinden, noch das Weib sich ihm dazu hingeben, ohne daß beide Theile ihre Persönlichkeit aufgeben (fleischliche oder viehische Beiwohnung), d.i. ohne unter der Bedingung der Ehe, welche, als wechselseitige Dahingebung seiner Person selbst in

die Bordelle nur zu oft die Quelle langer Leiden und Reue werden" (Annalen 1818, Bd.II, S.886). 109 Dies war auch das Menschenbild des deutschen Liberalismus; vgl. beispielsweise die Ausführungen Welckers, in: v.Rotteck/Welcker, Staatslexikon, "Sittlichkeit, Sitten-, Religions- und Unterrichtspolizei" (Band XIV), S.572ff., Altona 1848. 110 Vgl. dazu beispielsweise Kant (Vorlesung, S.206): "Wenn also ein Mann seine Neigungen befriedigen will und ein Weib wiederum die ihrigen, so reizt eines die Neigung des anderen auf sich und beide Neigungen geraten gegeneinander und gehen gar nicht auf die Menschlichkeit, sondern aufs Geschlecht und einer entehrt des anderen Menschheit. Demnach ist die Menschheit ein Instrument, die Begierden und Neigungen zu befriedigen. Dadurch wird sie aber entehrt, und der Tierheit gleich geschätzt. Die Geschlechtsneigung setzt also die Menschheit in Gefahr, daß sie der Tierheit gleich werde. " Auch in Schillers Schriften kommt dieses Menschenbild zum Ausdruck: "Beherrschung der Triebe durch die moralische Kraft ist Geistesfreiheit, und Würde heißt ihr Ausdruck in der Erscheinung. " (S.294) Die Blüten, die die Bestrebung um die sittlichen Abhebung des gebildeten Bürgers vom Volke hervorbrachte, illustriert eine 1837 durch das Ministerium des Inneren und der Polizei ausgesprochene Verwerfung einer - vorab durch eine untere Polizeibehörde erteilten - Konzession für ein "Hurenhaus für das höhere und gebildete Publikum": Ein Bedürfnis für ein solches Bordell bestehe nicht. Denn "[djer gebildete Theil des Publikums soll dem roheren durch gute Gesittung, Achtung vor Ehrbarkeit und Anstand ein rühmliches Beispiel geben. Diese Verpflichtung folgt aus dem Anspruche auf edlere Bildung, und die Polizei muß sie zur Erreichung ihrer Zwecke, mit allem Ernste geltend machen. Sie würde mit ihren Absichten in einen gar nicht zu rechtfertigenden Widerspruch gerathen, wollte sie hiervon entbinden, und der Immoralität der höheren Klassen dieselbe Nachsicht schenke, welche sie für die niederen Stände der Gesellschaft gerade nur durch den Mangel an Bildung motiviert werden kann. " Reskript vom 30.11.1837 (Annalen 1837, Bd.l, S.160).

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den Besitz der anderen, vorher geschlossen werden muß: um durch körperlichen Gebrauch, den ein Theil von dem anderen macht, sich nicht zu entmenschen"l1l. Unter dieser Prämisse konnte keine Person einer anderen erlauben, an ihr seinen Geschlechtstrieb gegen ein Entgelt zu befriedigen. Denn "[w]enn nun aber eine Person sich aus Interesse als ein Gegenstand der Befriedigung der Geschlechterneigung des anderen gebrauchen läßt, wenn sie sich zum Objekt des Verlangens des anderen macht, dann disponiert sie über sich als über eine Sache und macht sich dadurch zu einer Sache, wodurch der andere seinen Appetit stillt, ebenso wie durch Schweinsbraten seinen Hunger. Nun ist offenbar, da die Neigung des anderen auf das Geschlecht und nicht auf die Menschheit geht, daß die Person ihre Menschheit zum Teil dahingibt und dadurch in Ansehung der moralischen Zwecke Gefahr läuft. Der Mensch ist also nicht befugt, zur Befriedigung der Geschlechterneigung aus Interesse sich als eine Sache dem anderen zum Gebrauch darzugeben, denn alsdann läuft seine Person, seine Menschheit Gefahr, von jedermann als eine Sache, als ein Instrument der Befriedigung seiner Neigungen gebraucht zu werden . ... Dieses ist das Schändlichste, sich für Geld dem anderen zur Befriedigung seiner Neigungen preiszugeben und seine Person zu vermieten.,,112 So einleuchtend Kants Erläuterung vielen heute noch erscheinen mag, zeigt sich doch die Zeitabhängigkeit solcher Ableitungen an der folgenden Argumentation, die im Mittelalter zur Begründung der Unehrlichkeit der Spielleute diente: "Wer aber, nach damaliger Anschauung, diese schöne Gottesgabe [= Kunst, Verf.] so herabwürdigen konnte, daß er Pressionen davon machte: durch Singen und Saitenspielen für Geldgewinn zu Anderer Ergötzen allezeit dienstbar aufzuwarten, den konnte man unmöglich achten. In der hierin liegenden Entäußerung der eigenen innerlichen Willensfreiheit erkannte man ein Aufgeben der Manneswürde an, ein 'sich zu Eigen geben', das dem herrschenden Ehrbegriff genauso verächtlich erschien, als das Spielen mit dem Ernste, das Darstellen unempfundener Gesinnungen und Affecte, um den Preis von Geld und Geldeswerth. Man nannte sie und alle ähnliche

111 Kant, Metaphysik der Sitten (Band VI), S.359. Vgl. auch: "In diesem Act {dem Geschlechtsakt, VerfJ macht sich ein Mensch selbst zur Sache, welches dem Rechte der Menschheit an seiner Person widerstreitet. Nur unter der einzigen Bedingung ist dieses möglich, daß indem die eine Person von der anderen gleich als Sache erworben wird, diese wiederum jene erwerbe; denn so gewinnt sie wiederum sich selbst, erwirbt und stellt ihre Persönlichkeit wieder her. " (Kant, Metaphysik der Sitten (Band VI), S.278). Dementsprechend lehnte Kant nicht nur Konkubinat und Prostitution ab, sondern auch die sog. Ehe zur linken Hand (11. Th. l.Titel 9. Abschn. ALR), durch die die Ehefrau nicht alle Standes- und Familienrechte ihres Ehemannes erwarb (§ 835) (Kant, Metaphysik der Sitten (Band IV), S.278f.). 112 Kant, Vorlesung, S.207f.

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Kunstproducenten kurzweg 'Spielleute', und ließ es als Grundsatz gelten, daß sie unehrlich seien: Spielleute und Alle, die Gut für Ehre nehmen und sich für Geld zu Eigen geben."IB

Beide Beweisführungen zeigen zum einen die Geringschätzung der Gesellschaft für die Person, die etwas verkauft, was als ihr Wesen definiert wird. Sie verdeutlichen zum anderen, daß das Urteil darüber, wann die entgeltliche Erbringung einer Handlung zum Verkauf der Person wird, nicht an rationalen, zeitunabhängig gültigen Kriterien gebildet wird, sondern vielmehr den Grad der Tabuisierung einer bestimmten Handlung in einem bestimmten Kulturkreis widerspiegelt. Wesensbestimmend für die bürgerliche Frau war ihr Anstand im sexuellen Bereich 114 . Ehre wurde ihr nur in bezug auf solche Anständigkeit zugeschrieben. Entsprechend konnte sie diese auch nur durch verbotene sexuelle Betätigung verlieren. War außereheliche Sexualität zwar prinzipiell für Mann und Frau verboten, so wurde doch nur die Frau durch solche Betätigung entehrt. Unter diesen Prämissen konnte der Verkauf sexueller Leistungen an jeden zahlungsbereiten Mann nicht offen staatlich sanktioniert werden. Deshalb konnten Prostituierte und ihre Wirte in dem neu entstehenden Wirtschaftssystem keinen Anspruch auf Verkauf dieser Leistungen und damit keinen Anspruch auf Gewerbeausübung erlangen.

1814 verbot das Polizeiministerium den unteren Polizeibehörden, den Bordellbesitzern Gewerbescheine zu erteilen 115 . Sie erhielten aber weiterhin Konzessionen von den örtlichen Polizeibehörden. Welche Rechtsbedeutung dieser Form der Polizeierlaubnis zugemessen wurde, wird erst deutlich, als jene Konzessionen - in der Mitte des Jahrhunderts - wieder entzogen wurden. Diese Problematik wird am Ende des Kapitels näher erläutert. Mit der Begrenzung des Gewerbeanspruches auf die "ehrliche Arbeit,,116 war das unehrliche Gewerbe von der allgemeinen Rechtsentwicklung abgelöst. Der Beneke, S.26 (Hervorhebung im Original). Das Bürgertum tradierte die Sexualitätsfeindlichkeit bis in die Ausbildung überzogener Formen von Sittlichkeit und Anstand (vgl. dazu ausführlich Schulte, S.115ff.). Die Pflege dieser Moral war wohl als Teil der Konstituierung eines bürgerlichen Verhaltenskodexes und zur Herausbildung eines gemeinsamen Standesbewußtseins wichtig, da das Bürgertum keine homogenene Gruppe war (vgl. dazu Siemann, S.145ff.). 115 Die Verfügung betonte, daß Bordelle zwar weiterhin der polizeilichen Erlaubnis bedürften, damit sie der "allerschärfsten" polizeilichen Kontrolle nicht entgingen, daß es aber "unter der Würde des Staates ist, von diesem Gewerbe pecunäre Vorteile zu ziehen" (vgl. Verweis in Reskript vom 8.10.1818, Annalen 1818, Bd.II, S.1076). 116 Daß damit sittlichen Erwägungen eine Rechtswirkung eingeräumt wurde, widersprach zwar der aufklärerischen Bestrebung nach Trennung von Recht und Moral. Dieser Aspekt war aber in der sog. "zweiten Blüte" des Vernunftsrechtes ohnehin in den Hintergrund gerückt - zugunsten der Vorstellung, daß der Mensch durch seine Ausstat1B 114

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Staat sollte nunmehr "keinen Vertrag mit dem Laster schließen und für dasselbe sogar den unschädlichen Besitz eines Gebietes zu sichern suchen, sondern es bekämpfen, wo er kann"l17. Der mit einer staatlichen Anerkennung assoziierte Rechtsschutz wurde der Prostituierten fortan versagt: "Nach dem alten Rechtsgrundsatze: 'aus einem Verbrechen und einem Laster ist kein Recht zu folgern und jedes für Verübung eines Verbrechens oder Lasters eingeräumte Recht ist nichtig' kann zwischen der Lohnhure und dem Hurenwirthe also auch kein Kontrakt im rechtlichen Sinne bestehen, sondern nur eine polizeilich verfügte Feststellung des Verhältnisses zweier der polizeilichen Obhut verfallenen Personen" 118.

Prostitution wurde trotzdem weiterhin in staatlich konzessionierten und kontrollierten Bordellen ausgeübt l19 • 1829 reformierte die Berliner Polizei sogar das Bordellreglement. Die Neufassung sollte vorrangig die Verbesserung sanitätspolizeilicher Maßnahmen sicherstellen l20 . In diesem Zusammenhang wurden auch die Bestimmungen über

tung mit natürlichen Fähigkeiten verpflichtet sei, diese zu vervollkommnen und zur Verbesserung der Gesellschaft einzusetzen. Vgl. dazu beispielsweise Röhrmann, S.l1: "Jeder Mensch ist von Natur verpflichtet, die Triebe und Kräfte, welche sie in ihn gelegt hat, ihrer Bestimmung gemäß zu benutzen. Jeder in einer Staatsgewalt lebende, von ihren Verhaltnissen participierende Mensch ist demgemäß auch schuldig, nach seinen Kräften zum gemeinen Besten beizutragen und die in ihn gelegten Triebe unter der Bedingung zur Reife zu bringen, welche die gesamte Verbindung nothwendig macht. " 117 Robert von Mohl (S.623, Fn.3) äußerte dies über die Praxis, Bordelle polizeilich zu konzessionieren. AaO findet sich auch eine ausführliche Darstellung der zeitgenössischen Kontroverse. 118 Behrend, S.8!. 119 Vgl. Behrend, S.97ff.; Henne am Rhyn, S.102; Wolzendorff, S.40; beispielsweise die Instruktion vom 19.7.1814 zu § 1023 ALR an den Oberappellationssenat des Kammergerichts, aus der sich ergibt, daß bei der "jetzigen Revision des Kriminalrechts an den Grundsätzen des Allgemeinen Landrechts nichts geändert werden soll" (Gräff, Verordnungen, S.375) in den Vorarbeiten zu einer Strafrechtsreform (Haldy, S.23f m.w.N.). Auch an der Unterscheidung zwischen strafbarer Kuppelei und strafloser, weil konzessionierter BordelIierung sollte festgehalten werden, vgl. die Entwürfe von 1830, 1833, 1836, in: Berner, Strafesetzgebung in Deutschland, S.213ff.; vgl. auch Miller, S.44; Wolzendorff, S.38. 120 Die Hurenwirte mußten beispielsweise "einen hohen Stuhl" und für jede Prostituierte eine eigene "Muttersprütze" bereithalten und die Frauen "anzuweisen sich nach jedem Beischlafe die Scheide mit lauwarmem Seifenwasser auszusprützen" (§ 10). Der gerichtlich bestellte Wundarzt mußte jetzt den Gesundheitszustand der Frauen in der Regel wöchentlich zweimal überprüfen. Den Termin bestimmte der Arzt. War eine Frau nicht zu der bestimmten Zeit anzutreffen, hatte der Bordellwirt eine Strafe in die Hurenheilungskasse zu entrichten.

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die Hurenheilungskasse insgesamt reformiert (§ 14)121. Das Reglement statuierte darüberhinaus weitere Beschränkungen in bezug auf die Bewegungsfreiheit der Prostituierten, die teilweise schon vorher durch Ministerialreskripte angeordnet worden waren l22 und dehnte solche Beschränkungen auch auf Hurenwirte aus 123 . Diese Neuauflage des Bordellreglements darf aber nicht darüber hinweg täuschen, daß die Zeit der offenen amtlichen Konzessionierung zu jenem Zeitpunkt schon der Vergangenheit angehörte. Zu den Angriffen auf die offizielle Form der Konzessionierung des unsittlichen Gewerbes traten Zweifel an der Zuständigkeit der Polizeiverwaltung zur Reglementierung von Prostitution: Das Landrecht selbst erkannte neben der Gefahrenabwehr zwar noch die Wohlfahrtspflege 124 als Polizeiaufgabe an (§§ 2,3 11 13 ALR)125. Doch um die landrechtliehe Generalklausel (Theil 11 Titel 17 § 10) entwickelte sich - wenn auch für die Reglementierung des Prostitutionsgewerbes zunächst folgenlos - die allmähliche Begrenzung der Polizeitätigkeit 126 • Wurde "polizey" früher umfassend im Sinne des Berufs der Obrigkeit

121 Die monatlichen Beiträge bestimmten sich nach einer Einteilung der Bordelle durch ein Reskript vom 22.12.1895 (Behrend, S.46) - in erste, zweite oder dritte Klasse. Der Wirt war dafür verantwortlich, daß alle bei ihm arbeitenden Frauen die Kassenbeiträge rechtzeitig bezahlten. Bei Rückständen konnte er seine Konzession verlieren. Prinzipiell mußte er schon, wenn er die Erlaubnis beantragte, eine Kaution dafür hinterlegen. 122 Vgl. Behrend, S.255. Prostituierte durften keine "Tanzböden", Konzerte, "stark besuchten Orte" oder öffentlichen Spazierwege betreten. Der Besuch der "öffentlichen Schauspiele" wurde ihnen sogar bei sofortiger Verhaftung und dreitäger Gefängnisstrafe untersagt (§ 5 a.E) Vgl. auch v.der Hende, S.377 mit Verweis auf das Rescript des hohen Ministerii der Polizei vom 17.0kU81O. 12.l Beispielsweise das Verbot, Schauspielhäuser, insbesondere in den Logen und im Parterre (v.der Hende, S.377 mit Verweis auf das Rescript des hohen Ministerii der Polizei vom 17.0kt.181O), und andere stark frequentierte Orte zu besuchen (vgl. v.der Hende, S.377 mit Verweis auf das Rescript des hohen Ministerii der Polizei vom 23.Mai 1830, A.v.K. Jahrg.1830; H.2.Nr.74). Alle hatten "die strengste polizeiliche Ahndung" zu gegenwärtigen (v.der Hende, S.377 mit Verweis auf das Rescript des hohen Ministerii der Polizei vom 23.Mai 1830, A.V.K. Jahrg.1830; H.2.Nr.74 und v. 8.März 1833; A.V.K. Jahrg.1833; H.1, Nr.90). Bordelle sollten weiterhin an abgelegenen Orten und nicht in der Nähe von Kirchen, größeren Schulen und Lehranstalten oder Universitäten angesiedelt werden (§ 16). 124 Kleinheyer, Staat und Bürger, S.1l5. 125 Demgemäß veranstaltete der Staat Hazard- und Commerzspiel, Lotto und lotterien sowie Theater und andere Anstalten zur Förderung der Privatglückseligkeit und "Volksbelustigung" (Kleinheyer, Staat und Bürger, S.117f.). 126 Auch wenn der Beginn einer Polizeirechtsdogmatik schon vor Erlaß des ALR angesiedelt werden kann, vgl. beispielsweise Heumann von Teutschenbrunn, Nürnberg 1757; Puetter, "Institutiones Juris Publici Germanici, Göttingen, l.Aufl. 1770.

III. Das Ende der "konzessionierte Prostitution"

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verstanden 127, für gute Ordnung und gemeinen Wohlstand zu sorgen, machten sich nunmehr die Bemühungen, die Polizei zu verrechtlichen und auf die Gefahrenabwehr zu begrenzen, bemerkbar 128 • Die Notwendigkeit einer Neuorientierung an den neuen Vorgaben einerseits, und andererseits das Weiterbestehen der Überzeugung, daß Prostitution doch ein notwendiger Teil einer städtischen Gesellschaft sei, brachte die Verantwortlichen in eine Zwangslage: Immer wieder 129 beteuerte der Minister des Inneren, daß er verstärkt gegen die Konzessionierungen vorgehen werde, "weil nach [sleiner Überzeugung der Vortheil, den man sich von solchen Einrichtungen verspricht, illusorisch ist, und die Nachtheile nicht aufwiegen kann, die mit der ausdrücklichen Billigung solcher Schand anstalten von seiten des Staates verbunden sind. ( ... ) In den Bordellen ein kleineres Übel als Schutz gegen ein größeres erkennen wollen, heißt sich mit Sophismen täuschen. Es kann kein größeres Übel geben, als die öffentliche Billigung eines Gewerbes, das aller Achtung vor Sitte und Anstand Hohn spricht, ( ... ). So lange man unzweifelhaft darüber ist, die Kuppelei für ein strafbares Vergehen zu halten, kann es nichts Ungereimteres geben, als der Polizei das im Großen anzusinnen, was dort im Kleinen bestraft wird.,,13o

1837 hält das Ministerium einer aus seiner Sicht fehlerhaft erteilten Polizeierlaubnis zur Betreibung eines Bordelles entgegen: "Es ist schwer zu rechtfertigen, daß Sie eine Verpflichtung der Polizei anerkennen wollen, 'für die legale Befriedigung des Geschlechtstriebes zu sorgen"ll31 • Nach Ansicht des Ministers sollte jede Art der Hurerei, im Bordell oder auf der Straße, unnachgiebig verfolgt werden. Diesem sittenpolizei lichen Anliegen räumte er auch Vorrang gegenüber einer effektiven Sanitätspolizei ein: "Sich in der unverständigen Befriedigung geschlechtlicher Bedürfnisse vor Schaden und Ansteckung gesichert zu sehen, darauf hat niemand einen Anspruch an die Poli-

Vgl. Kleinheyer, Staat und Bürger, S.38. "Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publico, oder einzelnen Mitgliedern desselben, bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey. " Die Anforderungen an die Eingriffe der Polizei waren je nach Art der Aufgabe abgestuft (vgl. Kleinheyer, Staat und Bürger, S.ll8 m.N.): "Einschränkungen, welche zur Abwehr gemeiner Störungen und Gefahren abzielen", wurde ein "stärkeres Recht" zugebilligt "als solchen, wodurch bloß der Wohlstand, die Bequemlichkeit, die Schönheit oder andere dergleiche Nebenvorteilefür das Ganze befördert werden sollen." (Kleinheyer, Staat und Bürger, S.120 m.N.). 129 Reskript vom 13.12.1836 und Reskript vom 25.6.1839 zitiert nach Wolzendorff, S.40. 130 Behrend, S.105; vgl. dazu auch Haldy, S.25 m.w.N.in, Fn.l. 131 Reskript vom 30.11.1837 (Annalen Band 1837, Bd.I, S.162), Hervorhebung im Original. 127

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B. Prostitution als unehrliches Gewerbe zei, wohl aber verlangen alle mit Recht, daß nicht geduldet werde, was die guten Sitten beleidigt,(oo.). ,,132

Veranlaßt durch Beschwerden Berliner Bürger erging am 1.1.1840 ein Umzugsbefehl des Ministeriums 133 an alle Bordelle, um sie in einer einzigen Gasse anzusiedeln 134 • Nach weiteren Bürgerprotesten 135 wurde die Polizei angewiesen, streng auf die Einhaltung aller Vorschriften zu achten 136 • Doch die Kritik ebbte nicht ab. Nach Ansicht der Protestierenden gefährdeten die Bordelle in hohem Maße die Sittlichkeit und ihre staatliche Konzessionierung die obrigkeitliche Autorität. Man forderte, daß die Prostitution sich in "Schlupfwinkel" zurückziehen solle 137 • Schließlich ordnete der Minister die Schließung der Hälfte aller Bordelle innerhalb der Stadt an 138 • Mit Kabinettsordre vom 5.August 1841 wurde zum ersten Mal die Aufbebung der bis dahin polizeilich konzessionierten Bordelle offiziell angeordnet 139 . Die tatsächliche Schließung ließ noch eine Weile auf sich warten 140. Diese Wende in der Prostituiertenreglementierung beeinflußte die Gesetzgebungsberatungen 141 für ein neues Strafgesetzbuch und sorgte für Unklarheiten 132 Stieber, S.60f.; Behrend 105f. Allerdings reagierte die Ministerialverwaltung durch entsprechende Anweisungen an die Gesundheitsbehörden auf die zunehmende Anzahl selbständig tätiger Prostituierter: "Frauenspersonen, welche der Prostitution ergeben oder wegen gewerbsmäßiger Unzucht bereits bestraft sind oder welche als notorische Huren sich wegen syphilistischer Krankheit bereits in ärztlicher Behandlung befunden haben, können angestellt werden, allmonatlich, aber auch in kürzerer Frist Gesundheitsatteste beizubringen" (Reskript vom 8.8.1935, GS 1835, S.239f.). m Derselbe Minister erklärte im Rahmen der Strafrechtsreformarbeiten, daß Bordelle überhaupt nicht mehr geduldet werden sollten, worauf man ihm entgegenhielt, der Bordellwirt sei kein gewöhnlicher Kuppler (Haldy, S.25, Fn.3 mit Hinweis auf die Beratungsprotokolle der zur Revision des Strafrechts ernannten Kommission des Staatsrats I 1840 § 557; Staatsratsverhandlungen 1840, Protokolle 252-265). 134 Behrend, S.11lff.; Haldy, S.25. 135 Behrend, S.117. 136 Behrend, S.122ff. 137 Behrend, S.135ff.; vgl. auch Stieber, S.58. 138 Behrend, S.140f.; Henne am Rhyn, S.103. 139 Haldy, S.25, Fn.4. 140 Haldy, S.25; Wolzendorff, Polizei und Prostitution, S.40f. 141 Eine polizeiliche Konzessionierung von Prostituierten und Bordellen war in den Gesetzesentwürfen von 1830, 1836, 1840 noch vorgesehen: Schmälder, ZStW 13 (1893) 544. Vgl. beispielsweise: Motive zum Entwurf 1833, aaO, S.257: "So lange aber Bordelle bestehen, dürfen Bestimmungen über dieselben im Gesetzbuche nicht fehlen. (00') Das Allg. Landrecht ist hierin aber zu weit gegangen, wenn es in den §§ 999 ff. auch die Vorschriften über ihre inneren Verhältnisse und Polizei

111. Das Ende der "konzessionierten Prostitution"

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im Gesetzestext 142 • Während der Beratungen erklärte der Minister des Inneren, daß die Regierung beabsichtige, das Bordellwesen auf der Grundlage polizeilicher Duldung gänzlich abzuschaffen 143 und auc):l die "privilegierte Lohnhurerei" nicht mehr zu gestatten l44 . Im Entwurf von 1843 gab es erstmals keine besonderen Vorschriften für die Bordellreglementierung l45 • Erhalten blieb jedoch die Regelung des § 1023 ALR 146 , so daß die Polizei auch in Zukunft in sittenund sanitätspolizeilicher Hinsicht Anordnungen treffen konnte l47 • Am 26.8.1844 schließlich wurde dem Polizeipräsidenten von Berlin angezeigt "daß des Königs Majestät (...) mittels allerhöchster Ordre vom 5.August

die gänzliche Aufhebung der hier bestehenden Bordelle mit der Maßgabe zu befehlen geruhet, daß dieselbe mit dem l.Januar 1846 eintreten solle. ,,148

Dies war das vorläufige Ende der polizeilich konzessionierten Bordelle l49 • Die Berliner Bordelle wurden geschlossen 150. Die Ausländerinnen wurden ausgewiesen, die Einheimischen zum Teil in die Einzelprostitution "überführt"l5l. Selbständige Prostitution wurde - soweit sie unter polizeilicher Aufsicht stand mit Hinweis auf § 1023 ALR weiterhin erlaubt 152 • Doch wird von Polizeiübergriffen berichtet, die die Frauen "ohne weiteres" dem Arbeitshaus zuführten 153 • Jetzt "sind die Dirnen rechtlos, weil über sie kein Richterspruch, sondern nur

solcher Häuser aufgenommen, und diese nicht vielmehr den besonderen Reglements vorbehalten hat (...). Der Entwurf von 1830 ist dagegen aber auch zu weit gegangen, wenn er selbst diejenigen Bestimmungen nicht aufgenommen hat, welche nicht das Innere dieser Anstalten, sondern das Publikum überhaupt betreffen." 142 Haldy, S.25. Vgl. auch Schmölder, Bestrafung, S.34ff.; ders., Prostitution, S.12ff. 143 Goltdammers Materialien 11, S.308. 144 Haldy, S.26; vgl. auch Gutachten der Universität Tübingen, in: Deutsches Strafgesetzbuch, S.203; Schmölder, Bestrafung, S.33; Stieber., S.59. 145 Haldy, S.26. 146 Nach § 1023 ALR sollten "Weibspersonen, die von der Hurerey ein Gewerbe machen, ohne sich ausdrücklich unter die Aufsicht der Polizey zu begeben, ... aufgegriffen und zu dreymonatlicher Zuchthausstrafe verurteilt werden". 147 Haldy, S.26; vgl. auch: Gutachten der Universität Berlin und Tübingen, in: Deutsches Strafgesetzbuch, S.223, 205. 148 Behrend, S.154. Wobei diesbezüglich verschiedene Daten angegeben werden (v gl. Haldy, S.26f: 31.10.1845; vgl. auch Schmölder, Bestrafung, S.33f.; Dufour, S.93; Gutachten der Universität Bonn, in: Deutsches Strafgesetzbuch, S.260). 149 Dieses Verbot wird mit der Kabinetts-Ordre vom 31.10.1845 auch auf die Bordelle außerhalb Berlins erweitert. 150 Behrend, S.154f.; Berner, LB, 6.Aufl., S.571, Fn.l; Miller, SA4; Henne am Rhyn, S.103; Wolzendorff, SA1. 151 Behrend, S.155; vgl. Berner, LB, 6.Aufl., S.571, Fn.1. 152 Vgl. Brinitzer, S.95.; Behrend, S.159ff.; insbesondere die Vorschläge auf, S.164ff.; 172ff. Vgl. auch Wolzendorff, SAH. 153 Röhrmann, S.24.

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B. Prostitution als unehrliches Gewerbe

der gewaltige Wille der Polizei oder der Inspection des Arbeitshauses entscheidet,,154 155. Mit der königlich angeordneten Schließung der Bordelle verloren Wirte und Prostituierte ihre bislang durch Konzessionen erschlossenen Erwerbsquellen. Sie verloren aber nach zeitgenössischer Ansicht keine Rechtsposition. Nach der zeitgenössischen Dogmatik bedeutete "Concession, Erlaubnis, Verstauung einer Handlung, zu der man außerdem nicht befugt wäre,,156. Sie begründete prinzipiell gegenüber dem Staat eine Rechtspositioni 57, die nur dann wieder aufgehoben werden konnte, wenn sich ein Widerrufsrecht aus "ihrer precären Natur" ergab 158 oder" aus überwiegenden Gründen des gemeinen Wohls,,159. Die Aufhebung war gegebenenfalls entschädigungspflichtig (Ein\. § 70 ALR)160. Unerheblich war in diesem Zusammenhang, ob das Privileg vom Staat gegen Geld erworben worden war oder nicht l61 162. Eine solche Rechtsposition hatte der Bordellwirt aber nach zeitgenössischer Ansicht durch seine

154 Röhrmann, S.24. 155 Zeitgenössischen Berichten zufolge führte das Bordellverbot zu einer Zunahme der geheimen Prostitution, der Winkelhurerei, einer damit einhergehenden weiteren Verbreitung von Geschlechtskrankheiten, zunehmender Verführung Minderjähriger zur Unzucht und einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit. Vgl. Behrend, S.206; Röhrmann, S.59. Vgl. auch Wolzendorf, S.42; Dufour, S.93,97; Haldy, S.27; Miller, aaO, S.44ff.; Henne am Rhyn, S.103. 156 Weiske, Rechtslexikon, Bd.2, S.757 (Hervorhebung im Orig.). 157 Erteilt wurden Konzessionen beispielsweise durch die Erteilung eines Gewerbescheines. Konzession gab es auch für "schädliche Gewerbe, wie Lotto- und Hazardspiel" (Weiske, Rechtslexikon, Bd.2, S.758). 158 Weiske, Rechtslexikon, Bd.8, S.502, Bd.2, S.758. 159 Auch die Aufhebung aller Konzessionen einer Art war möglich: "[IJnsofern sämmtliche zu derselben Gattung gehörige Privilegien aufgehoben werden, geschieht dies durch ein allgemeines Gesetz; die gesetzgebende Gewalt ist in der Aufhebung der besonderen Rechte und Privilegien vermöge allgemeiner Gesetze ebensowenig beschränkt, als in der Abänderung des allgemeinen Rechtes" (Weiske, Rechtslexikon, Bd.8, S.501). 160 In der Gewerbeordnung war der Entzug des Gewerbescheins nicht geregelt. Also galten insoweit - e contrario § 31 - die Bestimmungen des Landrechtes, insbesondere die allgemeinen Regelungen über polizeiliche Beschränkungen (vgl. auch § 18). 161 "[WJenn sie [die Privilegien, Verf} auch auf bloßer Liberalität beruhen, haben, insofern sie nach Analogie der Schenkung zu beurtheilen sind, die Natur eines Vertrages und können daher nicht nach Willkür zurückgenommen werden, weil der Privilegierte durch die Acceptation ein wohlerworbenes Recht erwirbt. " (Weiske, Rechtslexikon, Bd.8, S.500). 162 Zur in der Wissenschaft entwickelten Unterscheidung zwischen verschiedenen Formen des Privilegs, beispielsweise zwischen dem Privilegium conventionalia und gratiosa, dem durch Vertrag oder durch bloße Gnade erworbenen Privileg vgl. Weiske, Rechtslexikon, Bd.8, S.495; Klüber, § 483.

III. Das Ende der "konzessionierten Prostitution"

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Konzession nicht erworben 163 . Begründet wurde dies damit, daß § 1000 Th.II Tit.20 ALR nur eine Duldung der Bordelle gestatte. "Ob, wo und wie lange diese Duldung stattfinden soll, bleibt ganz dem Ermessen der Behörde überlassen. Man duldet nur das, was man jeden Augenblick zu hindern und zu verbieten befugt ist. Die Duldung welche man einem verderblichen Gewerbe zugesteht, ist nur eine precäre Bewilligung, die jederzeit zurückgenommen werden kann; der Charakter eines Rechts, das unter allen Umständen nothwendig anerkannt werden muß, bleibt ihr fremd.,,164

Das Landrecht habe nirgends, so heißt es, "einem so niederträchtigen Gewerbe Schutz verheißen"; "es hat sich auf die Ermächtigung beschränkt, daß ausnahmsweise etwas geduldet werde, was niemals anerkannt werden kann ,,165. Damit wurde die Konzession des Bordellwirts als Erlaubnis eigener Art qualifiziert, nämlich als Niederlegung einer vorübergehenden polizeilichen Duldungs ab sicht eines an sich - wenn auch nicht gesetzlich, so doch sittlich - verbotenen Gewerbes. Daß diese Konstruktion auch später nicht angefochten wurde, erscheint unter pragmatischen Gesichtspunkten verständlich, da sie zwei Probleme zugleich löste: Zum ersten bedurfte es keiner Rechtfertigung mehr, daß ein ehrloses Gewerbe staatlich unterstützt und kontrolliert wurde, da - nach dem eben Ausgeführten - alle staatlichem Maßnahmen ja nur als Duldung, nicht als Anerkennung des "unausrottbaren Übels" erfolgten. Zum zweiten konnte mit Hilfe dieser besonderen Form der Polizeierlaubnis begründet werden, daß die Betreiber der Prostitution keine subjektive Rechtsposition erlangen konnten l66 • 163 Reskript vom 30.11.1837 (Annalen 1837, Bd.l, S.159ff.). Walzendorfführt dazu später mit Hinweis auf Rönne-Simon aus: "Die Haltung von Bordellen durfte nicht anderen Gewerben gleichgestellt werden, denn nach preußischem Verwaltungsrecht war sie nie (gesetzlich) erlaubt, sondern nur (polizeilich) geduldet. Das war schon im Jahr 1700 festgestellt worden und das hat noch ein Zirkularreskript des Ministeriums des Inneren und der Polizei vom 22. März 1833 ausdrücklich betont. Die Bedeutung dieses Unterschiedes liegt, wie dies Reskript ausführt, gerade darin, daß der Inhaber nicht wie bei anderen Konzessionierungen ein wohlerworbenes Recht erlangt. " (Polizei und Prostitution, S.39). 164 Reskript vom 30.11.1837 (Annalen 1837, Bd.l, S.160) (Hervorhebung im Original). 165 Reskript vom 30.11.1837 (Annalen 1837, Bd.l, S.160f.) (Hervorhebung im Original). 166 "Daß der Staat zu unerlaubten, das heißt unrechtlichen, unsittlichen und sonst unvernünftigen (... Zwecken) keine Beihilfe leistet, noch leisten darf, versteht sich von selbst (.. .). Aus diesen Gründen kann dem Staat weder geboten, noch erlaubt sein (...) durch Regulierung der Bordelle und Lustdirnen für gefahrlose und leichte Begehung der Unsittlichkeit zu sorgen. " (v.Rotteck/Welcker, Staatslexikon "Polizei", Bd. XIV, S.629ff. (697) A1tona 1848).

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B. Prostitution als unehrliches Gewerbe

Diese Form der polizeilichen Erlaubnis ebnete den Weg zum rechts- und gesetzesfreien Reglementierungsmodell des 19. Jahrhunderts, dessen Grundstrukturen sich bis heute fortgesetzt haben. Nur durch das Zusammenspiel von Stigmatisierung und Erlaubnis war es möglich, Prostitution außerhalb gesetzlicher Vorschriften in einer Weise zu reglementieren, in der die staatlichen Maßnahmen als Regulierung eines notwendigen "Ventils" akzeptiert wurden. Daß sich die Institutionalisierung einer gesetzlich nicht geregelten Polizeiaufsicht ausgerechnet in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts anbahnte, erstaunt aus heutiger Sicht zunächst. Denn eine solche Konstruktion stand im Widerspruch zu den Versuchen der zeitgenössischen liberalen Verfassungsbewegungen, Verwaltungshandeln durch Gesetze zu binden. Seit dem Vormärz bemühte sich das Bürgertum darum, durch eine Verfassung und die darin verankerten Gesetzesvorbehalte bürgerliche Freiheiten festzulegen und die staatliche Machtausübung insgesamt an Gesetze zu binden 167 . Der Rechtsstaat schien aus damaliger Sicht als "der Staat des wohlgeordneten Verwaltungsrechts,,168. Der Vorbehalt des Gesetzes, der eine wesentliche Forderung der liberalen Verfassungsbewegungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts war, sollte zum einen sicherstellen, daß die Staatsgewalt nicht willkürlich angewandt würde 169 , zum anderen, daß die Bürgervertretungen der Ermächtigung zu einem Eingriff in ihr Eigentum und ihre Freiheit zustimmten 17o. Die gesetzlich nicht geregelte Reglementierung der Dirnen wurde auch dann noch als sachgerechte Lösung empfunden, als die liberalen Bewegungen des Vormärz erreichten, daß die bürgerliche Privatsphäre in einem bestimmtem Umfang gegen gesetzlich nicht geregelte staatliche Eingriffe geschützt wur167 Die Idee eines durch Bürgerfreiheiten limitierten Staatszwecks (vgl. Oestereich, S.8lff.) gehörte nach der Formulierung der Paulskirchenverfassung von 1848 und der Niederlegung der Rechte der Preußen in der Verfassungsurkunde vom 30.1.1850 zum gefestigten Staatsrechtsdenken. Vgl. beispielsweise auch schon den Verfassungsentwurf 1819 von Wilhelm von Humboldt, in dem u.a. gesetzesmäßige Freiheit und Sicherheit der Person, richterlicher Schutz von Person und Eigentum gefordert wird (dazu: Oestereich, ebda., S.81, 84), oder v.Mohls Ausführungen über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, S.19ff. Vgl. weiter das Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit vom 12.2.1830. Die Anerkennung individueller Autonomie als Grund subjektiver Rechte findet sich auch in den anderen Rechtsgebieten. Vgl. beispielsweise F.e. v.Savignys Definition von 1840 in seinem System des heutigen Römischen Rechts - danach ist ein subjektives Recht "die der einzelnen Person zustehende Macht, ein Gebiet, worin ihr Wille herrscht, und mit unsrer Einstimmung herrscht. Diese Macht nennen wir ein Recht dieser Person, gleichbedeutend mit Befugniß" (Bd.I, S.7). 168 Ouo Mayer, VerwR, S.58. 169 Sog. Grundsatz der Gleichheit der Belastung; vgl. dazu beispielsweise von Unruh, NVwZ 1988, 690f. 170 Vgl. dazu mit Hinweisen auf die einzelnen landesrechtlichen Regelungen Erichsen, Staatsrecht, S.23.

III. Das Ende der "konzessionierten Prostitution"

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de 171 , und daß der Grundsatz, daß Verwaltungseingriffe in Eigentum und Freiheit 172 - im Sinne wohlerworbener Rechte 173 - der gesetzlichen 174 Ermächtigung bedurfte 175 • Beispielhaft deutlich wird das an den Regelungen des Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit vom 12.2.1850. Dieses Gesetzeswerk regelte u.a. die Voraussetzungen für den empfindlichsten staatlichen Eingriff in die Freiheit des Bürgers, nämlich die Verhaftung l76 • Die Verhaftung von Prostituierten war nach der ausdrücklichen Regelung in § 12 Nr.2 des Gesetzes ohne weitere Einschränkungen zulässig 177•

171 Vgl. beispielsweise Art.5 der Verfassungsurkunde von 1850, wonach "Bedingungen und Formen, unter welchen eine Beschränkung [der persönlichen Freiheit}, insbesondere eine Verhaftung zulässig ist, ... durch das Gesetz bestimmt" sein mußten. Daß diese Verfassungsnorm für die Reglementierung der Prostitution nur eine begrenzte Rolle hätte spielen können, liegt in der Interpretation des Grundrechts begründet: Nach zeitgenössischem Verständnis schützte die Freiheitsverbürgung des Art.5 VerfU lediglich vor willkürlicher Verhaftung. Zwangsbefugnisse der Verwaltungsbehörden zur Durchführung ihrer Aufgaben ließ es darüberhinaus unberührt (vgl. Adolf Arndt, Art.5, Anm.2 m.w.N.;Anschütz, Verfassungsbeschwerden, S.135). 172 Die maßgebliche Prägung erhielt die Lehre vom Gesetzesvorbehalt aber erst im Spätkonstitutionalismus. Vgl. dazu Krebs, S.17 mit Nachweisen in Fn.6. 173 Vgl. dazu Erichsen, Staatsrecht, S.22f.; vgl. beispielsweise zur weiteren und engeren Auslegung dieser Begriffe im badischen Staatsrecht: Franz Rosin, S.7ff. 174 Im Vorliegenden kann dahingestellt bleiben, ob der Gesetzesbegriff von Beginn an in einer demokratischen Tradition stand, vgl. dazu Krebs, S.25ff. 175 So überzeugend: Erichsen, der zum einen auf die Entwicklung der Eingriffsbefugnis der zentralisierten Monarchenverwaltung aufgrund besonderer Rechtstitel, zum anderen auf die zunehmende Bedeutung des Gesetzes als der staatlichen Ermächtigung hinweist und dies mit zeitgenössischen Quellen illustriert (Grundlagen, S.148ff.); ebenso ders., Staatsrecht, S.24; Krebs, S.20. A.a.: fesch, S.148ff.; Selmer, JuS 1968, S.490, Fn.13. 176 Die bürgerliche Freiheit, nicht willkürlich verhaftet zu werden - auch nicht im Rahmen von Verwaltungsmaßnahmen - wurde bereits früh durch das Gesetz zur Trennung der Aufgaben von Verwaltung und Rechtspflege vom 26.12.1808 (GS 1806/10, S.464) anerkannt - trotz Kritik: "Der Staat begiebt sich sehr viel, wenn er über die Verpflichtung an sich Polizeiverfügungen zu gehorchen, den weg Rechtens offen läßt; wohl nirgends ist dies der Fali; dem preußischen Staat steht solche Liberalität, so preiswürdig an sich, im gegenwärtigen Moment wohl nicht an, ... " (Vincke zitiert nach Koselieck, S.255). Allerdings wurde dieser Schutz später wieder durch Einzelgesetze - insbesondere gegenüber Polizeiverfügungen - eingeschränkt und durch das Gesetz vom 11.5.1842 (GS 1842, 192) fast vollständig aufgehoben (Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz, S.127ff, 154ff.; Stump, S.26). Das heißt prinzipiell war nur noch der Beschwerde-, nicht mehr der Rechtsweg eröffnet (vgl. Loening, S.262ff.; Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz 157f.; zur Entstehungsgeschichte des Gesetzes: Loening, S.177f.). 177 Ein Reskript des Ministeriums des Inneren vom 7.7.1850 stellte erneut fest, daß die §§ 6 und 12 des Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit vom 12.2.1850 den Polizeibehörden im allgemeinen diejenigen Befugnisse gewähren, welche zu einem er-

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B. Prostitution als unehrliches Gewerbe

Auch der polizeiliche Spielraum zur Reglementierung von Betrieben., in denen die Prostitution ausgeübt wurde, blieb nicht lange beschränkt: Schon im März 1850 stellte eine Königliche Kabinetts-Ordre die Duldung von Bordellen wieder in das Ermessen der Polzeibehörden größerer Städte 178 • Worauf in Berlin wieder - auch neue - Bordelle eröffnet wurden 179 • Da die Polizei die Instrumente einer offiziellen Kontrolle, die ihr früher im Rahmen der Konzessionierung von Bordellen zur Verfügung standen, nunmehr nicht mehr nutzen konnte, bediente sie sich inoffizieller Maßnahmen bei der Duldung180 von Einrichtungen, um sich die Kontrolle über das Milieu zu sichern l81 •

folgreichen Einschreiten gegen das Treiben der der Prostitution ergebenen Frauenzimmer erforderlich seien (MinBI. 1850, S.247; Arndt, Preuß. Verf.Urkunde Art.5, Anm.2). Die Deklarierung der Verhaftungen als polizeilich präventive und nicht als repressive Maßnahme hatte auch erhebliche praktische Vorteile: Dem "Treiben der Dirnen" konnte durch "sofortige und kürzer oder länger andauernde Inhibierung wirksam entgegen getreten werden". Die Verhaftungspraxis wäre im Rahmen der Strafverfolgung nach zeitgenössischer Einschätzung - wegen der vergleichsweisen Geringfügigkeit des Vergehens und der dem Strafverfahren zugrundeliegenden Prinzipien nicht möglich gewesen (Sentzke, S.12). 178 Behrend, S.206; Henne am Rhyn, S.103. Jedoch gab es seitens der Ministerialverwaltung noch immer Widerstand: 1851 lehnte das Ministerium per Erlaß die Wiedereinführung der Bordelle als ein notwendiges oder geeignetes Mittel zur Überwachung der Prostitution ab (Erlaß vom 16.September 1851 zitiert nach Brinitzer, S.97): "fEJs ergehe vielmehr Anweisung an das Polizeipräsidium, diese Häuser wieder zu schließen, wobei mit der Schließung derjenigen zu beginnen sei, welche sich durch luxeriöse Einrichtungen vor anderen auszeichneten. " (Wiedergegeben bei Haldy, S.30). Dies geschah jedoch zunächst nicht. Nachdem aber am 1.7.1852 die öffentlichen Häuser in den Rheinprovinzen geschlossen wurden (Haldy, S.30; vgl. Justizministerial-Blatt 1853, S.255), gab es in Berlin erneut Versuche, alle Bordelle zu schließen, aber wiederum nicht erfolgreich (vgl. die Gutachten der Universitäten Berlin und Bonn, in: Deutsches Strafgesetzbuch, S.226f.; 26lf.). 1854 schließlich wurde erneut die Schließung der Bordelle in Berlin angeordnet, die allerdings erst 1856 - nach erneuten Bürgerbeschwerden (Haldy, S.31) - durchgesetzt wurde (Henne am Rhynn, S.103). Trotzdem wird auch aus dieser Zeit von einer polizeilichen Duldungspraxis gegenüber Bordellen berichtet (Haldy, S.3lf.; Dufour, S.106ff.; vgl. auch Sentzke, S.9). 179 Dufour, S.93-97; 106, 107; Gutachten der Universität Jena, in: Deutsches Strafgesetzbuch, S.295; Haldy, S.27. 180 Für die Straflosigkeit polizeilich konzessionierter Bordelle, soweit keine der preußischen Regelung entsprechenden Gesetze existierten, sprachen sich Klein, S.323, Feuerbach, LB, 14.Aufl., S.471 und HeJfter, LB, 4.Aufl., S.395 aus. 181 Behrend, S.206; WolzendorJf, S.42f.

C. Prostitution als durch die Polizei geregelte Erwerbstätigkeit In der Mitte des Jahrhunderts hatte sich die Praxis der polizeilichen Duldung von Bordellen und Prostitution etabliert. Diese Reglementierung in polizeilicher Kompetenz sollte nunmehr auch offiziell sanktioniert werden.

I. Zur Zeit des Preußischen Strafgesetzbuches von 1851 Das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 schrieb mit seinem Reglementierungsmodell erstmals eine gesetzlich ungeregelte Polizeiüberwachung des Prostitutionsgewerbes mit Hilfe eines Straftatbestandes1 fest. Nach § 146 Abs.l StGB wurden "Weibspersonen, welche den polizeilichen Anordnungen zuwider gewerbsmäßige Unzucht treiben,,2, mit Gefängnis bis zu

1 Diese Konzeption war während der Vorbereitungen des Strafgesetzbuches noch umstritten: "Die Erörterung der Nothwendigkeit und Rathsamkeit der Bo;delle und ähnlicher Anstalten gehört nicht in die Berathung eines Kriminalgesetzbuches. Daß Anstalten dieser Kategorie in der Allgemeinheit weder nothwendig, noch rathsam sind, ist eben so entschieden, als die Erfahrung gelehrt hat, dass sie unter besonderen Verhältnissen rathsam sind (... ). Die Beurtheilung ihrer Rathsamkeit und ihrer Fortdauer muß von einem ganz anderen Standpunkt, als dem des Strafrechts und der Theorie, sondern von dem der Erfahrung, der Nothwendigkeit und der Kollision verschiedener Übel ausgehen. " (Motive zum Entwurf 1833, aaO, S.257). Vgl. auch oben, Fn.144. 2 "Unzucht trieb", wer sich dem außerehelichen Beischlaf preisgab (Ober-Tribunal Ld.Erk.v.7.Mai 1852, zitiert in Gräff/v.Rönne, PrSTGB, § 146, Anm.lb); OppenhoJ!, PrSTGB, § 146, Anm.2). "Gewerbsmäßig" war dies nach der weitesten Ansicht nicht nur, wenn der gesamte Lebensunterhalt durch die Hurerei bestritten werden sollte (Gräff/v.Rönne, PrSTGB, § 146, Anm.lb) oder wenn die "Handlung gegen Lohn für jeden, der sie fordert" geschah (Goltdammers Materialien, S.305), sondern schon "wenn Weibspersonen aus dem unzüchtigen Verkehr mit Männern eine Erwerbsquelle machen" (OppenhoJ!, PrSTGB, § 146, Anm.3). Zeitgenössische Äußerungen weisen darauf hin, daß die Kontrolle über die Prostitutierten auch als Kontrolle über das Sexual verhalten von Unterschichtsfrauen instrumentalisiert wurde, wenn dieses von dem bürgerlichen Standard abwich (so für den anglo-sächsischen Rechtskreis: Walkowitz). Inwieweit das auch für Deutschland zutrifft, ist aus den derzeit erschlossenen Quellen nicht ersichtlich. Äußerungen wie die folgende deuten aber auf eine solche Tendenz hin:

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C. Prostitution als durch die Polizei geregelte Erwerbstätigkeit

acht Wochen bestraft3 . Daneben konnte das Gericht anordnen, daß die Prostituierte nach Beendigung der Gefängnisstrafe in einem Arbeitshaus untergebracht wurde4 (§ 146 Abs.2, Abs.4 StGBf Gern. § 147 StGB war, "wer gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz durch seine Vermittlung oder durch Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit der Unzucht einer oder mehrer Personen des einen oder anderen Geschlechts Vorschub leistet", wegen Kuppelei strafbar6 • Bei Verurteilung drohte der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte sowie die Stellung unter Polizeiaufsicht. Prostitution war also der Prostituierten - wenn sie die Polizeianordnungen befolgte - weiterhin erlaubt. Dem Bordellwirt war sein Gewerbe nach dem Wortlaut des § 147 StGB aber ausnahmlos untersagt, obwohl die Polizeibehörden in allen größeren Städten Preußens wieder entsprechende Erlaubnisse erteilten 7. Schon bei den Verhandlungen zu dem neuen Strafgesetzbuch in den bei den Kammern des Parlaments war man sich des Widerspruchs zwischen der Straftosigkeit der entsprechend der Polizeivorschriften tätigen Prostituierten und der Strafbarkeit jeder Form des Bordellbetriebes bewußt. In den Protokollen der zweiten Kammer wurde festgehaiten: "Das gegen die Fassung erhobene Bedenken, daß selbige in Bezug auf polizeilich geduldete Bordelle würde Verlegenheiten bereiten können, wurde von der Bemer-

"Wo bleibt die Grenze zwischen (...) Geschenk und Hurenlohn? Wo, kann man da fragen, hört die Sittlichkeit auf und fängt die Prostitution an?" (Sentzke, S.7). 3 Im Entwurf von 1847 war noch eine allgemeine Vorschrift enthalten, nach der "[wjer den zur Beschränkung der Unzucht erlassenen polizeilichen Anordnungen zuwider handelt" mit Gefängnis bis zu sechs Wochen zu bestrafen war (Entwurf 1847, S.65). 4 War die Frau Ausländerin, so konnte sie - neben der Gefängnisstrafe - des Landes verwiesen werden (§ 146 Abs.3). 5 Ein Tatbestand, der strafwürdiges oder polizeiwidriges Verhalten der Freier erfaßte, existierte nicht. Die im Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1847 - in der Hoffnung auf eine effektivere Durchsetzung der Gesundheitskontrolle - konzipierte Formulierung, "[wjer den zur Beschränkung der Unzucht erlassenen polizeilichen Vorschriften zuwiderhandelt" (§ 441 des Entwurf 1847, S.65), wurde im vereinigten Ständischen Ausschuß nicht angenommen (Goltdammers Materialien, S.304f.). Ob eine Teilnahme an § 146, PrSTGB ("z.B. durch Anreizung'') vorlag, wurde prinzipiell nach allgemeinen Grundsätzen bestimmt (Oppenhoft, PrSTGB, § 146, Anm.6). Doch der Kunde der Prostituierten galt nicht als Teilnehmer (Oppenhoft, PrSTGB, § 146, Anm.6). 6 Damit war die gesetzliche Unterscheidung zwischen erlaubter oder unerlaubter Hurenwirtschaft und Kuppelei aufgegeben, vgl. v.Strampft, S.331. 7 Diese wurden von Literatur und Rechtsprechung weiterhin als Konzessionen beurteilt (Lanz, PrSTGB, § 147, Anm.1 m.w.N.; Schmölder, Bestrafung, S.4).

I. Zur Zeit des Preußischen Strafgesetzbuches von 1851

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kung beseitigt, daß eine solche polizeiliche Genehmigung von dem Staatsanwalte bei Steilung seiner Anträge berücksichtigt werde,,8. Eine solche prozessuale Lösung war aufgrund des durch § 6 der Verordnung vom 3.1.1849 in Verbindung mit einem Ministerialerlaß vom 4.4.1854 niedergelegten Opportunitätsprinzips noch möglich. Die erste Kammer bemerkte "zu § 147 (Reg.-Vorl. § 136) 00" daß darin jede ... Beförderung fremder Unzucht mit Strafe bedroht ist und darunter nach der Wortfassung sogar eine polizeilich geduldete Bordellwirtschaft mitbegriffen werden könnte. Weil jedoch im § 146 nur eine den polizeilichen Anordnungen zuwiderlaufende gewerbsmäßige Unzucht (00') mit Strafe bedroht, folglich die polizeilich geduldete straflos ist, so wird ein Gleiches bei einer derartigen Bordellwirtschaft anzunehmen sein,,9. Die gleiche Ansicht vertrat auch das preußische Justizministerium lO • Auswirkungen auf die Tatbestandsfassung hatten diese Erwägungen nicht. Nach Inkraftreten des Strafgesetzbuches wurde dann entsprechend der im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Ansichten vertreten, der Passus des § 146 "den polizeilichen Anordnungen zuwider" könne in den direkt darauffolgenden § 147 hineingelesen werden 11. Das Obertribunal 12 sprach die Betreiber von Bordellen in verschiedenen Urteilen frei l3 . So wurde das Gewerbe des Bordellwirtes bei Bedarf weiter polizeilich geduldet und gleichzeitig als kriminelle Handlung geächtet. Darüber in welcher Form die Prostituierten ihre - offiziell erlaubte - Erwerbstätigkeit ausüben durften, entschied gern. § 146 StGB die Polizei ohne weitere Vorgaben. Daß § 146 StGB nicht als Straftatbestand, sondern als Vorschrift zur Gewerbereglementierung angesehen wurde, wird deutlich an der Kontroverse darüber, wie mit Prostituierten an den Orten zu verfahren sei, an denen keine Polizeianordnungen bezüglich der Ausübung von Prostitution erlassen worden waren. Diese Kontroverse erscheint zunächst unverständlich. Denn wenn keine Polizeianordnungen existierten, konnten Prostituierte - so sollte man meinen auch nicht gegen solche verstoßen, und somit den Straftatbestand des § 146 überhaupt nicht erfüllen 1\ da eine den Blankettatbestand ausfüllende Norm 8 Bericht der "Kommission für Prüfung des Entwurfs" (2.Kammer) zu § 136 Reg.Voriage (Verhandlungen, S.127). 9 Bericht der "Kommission über die Beratung des Entwurfs" (l.Kammer) (Verhandlungen, S.468). Vgl.a. Goltdammers Materialien 11, S.308f.; Duboc, S.lO; Hippe, S.92. 10 Zitiert nach Duboc, S.ll unter Verweis auf ein Rescript vom 7.4.1853 erklärt. 11 Berner, LB, 6.Aufl., S.57l. 12 Vormaliger 4. Senat des Berliner Kammergerichts, der 3. Instanz für alle Provinzen war (vgl. Bornhak, S.264). 13 Urt. v.6.5.1853 GA 1 (1853) 394ff, vgl. GA 2 (1854) 120,394. 14 Blankettstrafgesetze wurden, da sowohl die Strafandrohungen als auch die ausfüllenden Regelungen vorher festgelegt waren, im Hinblick auf das Gesetzlichkeitsprinzip 4 Gieß

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C. Prostitution als durch die Polizei geregelte Erwerbstätigkeit

fehlte. Daß prinzipiell bei Fehlen einer ausfüllenden Norm der Verstoß gegen das "Blankettstra!gesetz,,15 straflos war, ergab sich auch nach zeitgenössischer Ansicht bereits aus der Natur der Norm. Nur im Falle des § 146 PrStGB wurde dies anders beurteilt: Während eine Literaturansicht16 bei Fehlen einer ausfüllenden Norm mit Hinweis auf den Wortlaut und die Motive des Gesetzgebers 17 für die Straflosigkeit der Prostituierten argumentierte, sahen höchstrichterliche Rechtsprechung18 und andere Vertreter der Literatur19 in § 146 PrStGB ein grundsätzliches Prostitutionsverbot, das nur ausnahmsweise durch spezielle Polizeianordnungen aufgehoben werden könne 20 • Prostituierte sollten nach dieser als unproblematisch angesehen. Der - seit Ende des 18. Jahrhunderts wieder in das gemeine deutsche Recht integrierte - Grundsatz "nullum crimen, nulla poena sine lege" war insbesondere während der Aufklärungszeit als ein Kern der Beschränkung staatlicher Willkür durch das Gesetz weiterenwickelt worden (zur historischen Entwicklung vgl. Schreiber, in HRG I1I, Sp.ll03-1111). Schon 1801 war Feuerbachs Lehrbuch mit der Formel von "nulla poena sine lege" erschienen (LB 1.Aufl., § 20; vgl. auch Eb.Schmidt Strafrechtspflege, S.313). Das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 bestimmte in § 2, daß eine Handlung "nur dann mit einer Strafe belegt werden {konnte], wenn diese Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde". Das Gesetzlichkeitsprinzip galt zu diesem Zeitpunkt mit gewissen Einschränkungen in ganz Deutschland. 15 Vgl. beispielsweise: §§ 306, 307, 340 Nr.8, 342, 344 Nr.8. 16 So: Goltdammers Materialien, Bd.2, S.305; vgl. Gräjf/v.Rönne, PrSTGB, § 146, Anm.2a; Brinitzer, S.95; Schmölder, Prostitution, S.13; Neumann, S.9. 17 Der Gesetzgeber habe es bei dem zum Zeitpunkt der Normsetzung bestehenden Zustand polizeilich konzessionierter Prostitution belassen wollen (Oberprokurator in Köln Justizministerial- Blatt 1853, 255). Nur die Ausübung der Gewerbsunzucht, die gegen polizeiliche Anordnungen verstoße, sC?,i strafbar, denn der Gesetzgeber sehe Prostitution nicht als Straftat, sondern nur als "Ubel" an, dessen Regelung er der Sittenpolizei überlassen wolle (Berner, LB, 6.Aufl., S.570). 18 Obertribunal Erk.v.7.5.1852 GA 1 (1853), 84; Obertribunal Erk.v.20.2.1861 (Oppenhojfs Rechtspr. I, S.242 (243); Obertribunal Erk.v.24.4.1862 (Oppenhojfs Rechtspr. 11, S.358 (359)). 19 Lanz, PrSTGB, § 146, Anm.4; Oppenhojf, PrSTGB, § 146, Anm.1. 20 Erk. des Preußischen Obertribunals v. 20.2.1861 (Oppenhojfs Rechtspr. I, S.242 (243)). Auch sollten nicht alle von der Polizei erlassenen sitten- oder sanitätspolizeilichen Anordnungen ohne weiteres als - strafausschließende - Gestattung der Gewerbsunzucht gelten (Obertribunal Erk.v.24.4.1862, in: Oppenhojfs Rechtspr.lI, S.358). Vielmehr müsse vom Richter in jedem Einzelfall festgestellt werden, ob die Polizei die Anordnungen "als eine Konzession oder wissentliche Duldung des Betriebes der Unzucht" (Obertribunal Erk.v.1O.7.1862, in: Oppenhojfs Rechtspr. II, S.518, Obertribunal Erk.v. 8.3.1866, in: Oppenhojfs Rechtspr. VII, S.165) erlassen habe. Was bedeutete, daß die Frau, auch wenn sie die Anordnungen befolgte, nicht straffrei ausgehen mußte (vgl. beispielsweise Erk. des Preußischen Obertribunals v. 20.2.1861 (Oppenhojfs Rechtspr., Bd.I, S.242 (243)). Die erforderliche Genehmigung wurde als Strafausschließungsgrund nicht von Amts wegen, sondern nur dann geprüft, wenn die Angeklagte ihn geltend machte (Erk. des Preußischen Obertribunals v. 20.2.1861, in: Oppenhojfs Rechtspr. I, S.242 (243).

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Ansicht bei Fehlen eines ausfüllenden Blankettgesetzes strafbar sein. Zur Begründung wiesen sowohl die Rechtsprechung als auch die Gegenansicht auf die frühere Rechtslage hin, nach der die Gewerbsunzucht dann strafbar war, wenn sie nicht im Einzelfall durch eine Konzession erlaubt war2 !. Der Streit reduzierte sich also im Kern auf die Frage, ob die Regelung des § 146 StGB ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt oder eine Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt darstellte. Das ist eine gewerberechtliche Fragestellung, die dem Strafrecht fremd ist. Die quasi-gewerberechtliche Ausgestaltung, nämlich die in § 146 StGB konstituierte Abhängigkeit der legalen Ausübung des Gewerbes von der Befolgung nicht näher definierter "polizeilicher Anordnungen", war für die weitere Entwicklung der Prostitutiertenreglementierung entscheidend. Diese Konzeption bedeutete faktisch die Unterstellung der Prostituierten unter eine gesetzlich nicht begrenzte Polizeigewalt22 • Die den Dirnen auf der Grundlage von § 146 StGB erteilten Weisungen umfaßten Verbote, bestimmte Örtlichkeiten oder Veranstaltungen zu besuchen 23 oder nach Einbruch der Dunkelheit ihre Wohnungen zu verlassen 24 • Prostituierte mußten sich in regelmäßigen Abständen von einem Arzt untersuchen las-

21 Obertribunal Erk.v.19.1O.1865 (Oppenhojfs Rechtspr. VI, S.399 (400)); Obertribunal Erk.v.20.12.1866 (Oppenhojfs Rechtspr. VII, S.745). 22 Unter dem Aspekt der rechtsstaatlichen Begrenzung des Polizeihandelns gewinnt auch der Grundsatz von "nullum crimen, nulla poena sine lege" (§ 2, PrSTGB) neue Bedeutung: Im konstitutionellen Rechtsstaat stellte der Grundsatz, der zusätzlich in Art.8 der Verfassungsurkunde von 1850 niedergelegt war, zum einen sicher, daß Strafgesetze nicht rückwirkend erlassen werden konnten. Zum anderen sicherte er ab, daß nur mit Zustimmung des die Bürgerschaft repräsentierenden Organs, des Landtages, Strafgesetze überhaupt erlassen werden konnten. Sie sollten also das königliche Verordnungsrecht beschränken (Adolf Arndt, Art. 8, Anm.2). Die Formel "nulla poena sine lege" hatte damit jetzt prinzipiell eine neue - über § 2, PrSTGB hinausreichende - Bedeutung: Entscheidend war nicht mehr allein, daß eine Bestrafung einer gesetzlichen Grundlage bedurfte, sondern daß Strafgesetze der Beteiligung der Volksvertretung bedurften. Die Bürgerrepräsentanten sollten selbst bestimmen, wann der Staat die Bürger bestrafen durfte (vgl. fesch, S.103; Kotulla, S.38f.). Unter Zugrundelegung dieser neuen Bedeutung des nullum-crimen-sine-lege Grundsatzes erscheint es zweifelhaft, ob der Verweis auf Polizeianordnungen der Forderung nach bürgerlicher Mitbestimmung im Bereich des Strafrechts genügte. In der zeitgenössischen Literatur wird jedoch ohne weitere Diskussion darauf hingewiesen, daß es ausreiche, wenn die Strafbarkeit nicht durch Gesetz, sondern durch eine auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassenen Regelung bestimmt war (Adolf Arndt, Art.8, Anm.2). Ob unter dieser Maßgabe eine Beschränkung der Exekutivgewalt erreicht werden konnte, darf bezweifelt werden. 23 Obertribunal Erk.v.1O.7.1862 (Oppenhojfs Rechtspr. II, S.518). Zu den Maßnahmen zur "Aufrechterhaltung des öjfentlichen Anstandes" (vgl. Sentzke, S.17). 24 Obertribunal Erk.v.1O.7.1862 (Oppenhojfs Rechtspr. II, S.518); Stursberg, S.3lf.

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C. Prostitution als durch die Polizei geregelte Erwerbstätigkeit

sen 25 • Ihre Wohnungen konnten auch nachts durchsucht werden 26 • Die praktizierte Prostituiertenreglementierung war also sowohl im Hinblick auf die liberale Forderung eines staatsfreien Freiheitsraumes des Individuums als auch bezüglich der Bindung der Verwaltung an das Gesetz bedenklich 27 . Zwar wurde an die Bestimmtheit der Eingriffsnorm zu jenem Zeitpunkt noch keine besonderen Anforderungen gestellt 28 • Jedoch erkannte man durchaus die Gefahr unbestimmter Eingriffsermächtigungen in der zeitgenössischen Literatur 29 : "Man spricht soviel von der Nothwendigkeit einer gesetzlichen Regelung des Prostitutions-Überwachungs-Systems: es scheint dabei, als wenn der Unterschied zwischen Verordnung und Anordnung gar nicht beachtet werde. Eine Verordnung ist ein Publicandum und betrifft das Allgemeine; die Anordnung bezieht sich auf den speciellen Fall. Über Zuwiderhandlungen gegen eine Verordnung erkennt der Richter; durch gesetzlich festgestellte Zwangsmittel ihre Verfügungen durchzusetzen, ist die Polizei berechtigt (§ 20 Pol.Verw.G 1850). Wenn dieselbe nun, wie es in den meisten größeren Städten Preußens geschieht, in der weiter unten bezeichneten Form Behufs Aufrechterhaltung des öffentlichen Anstandes und zur Verhütung der Verbreitung der Syphillis Anordnungen trifft, denen sich die Prostitution treibenden Frauenspersonen zu fügen haben, so möchte ein solches Verfahren doch schwerlich als der 'gesetzlichen Regelung' bedürftig aufzufassen sein. Wenige sind es wohl auch nur, die in der Verfolgung der Idee des Rechtsstaates die Prostitution als reine Rechtssache behandelt wissen wollen.,,3o

25 So ist in dem der Entscheidung Obertribunal Erk.v.24.4.1862 (Oppenhoffs Rechtspr.II, S.358 (359» zugrunde liegenden Sachverhalt eine wöchentliche Untersuchung vorgeschrieben. Vgl.a.: Reskript vom 7.7.1850, in: [Preussisches] Ministerialblatt für die gesamte innere Verwaltung in den königlich Preussischen Staaten 1850, 247, Nr.335. Diese Untersuchungen wurden verlangt, obwohl schon damas von Ärzten geltend gemacht wurde, daß die Gefahr der Weiterverbreitung kurz nach der Ansteckung am größten war, so daß durch die Untersuchungen der Verbreitungsgefahr nur bedingt entgegengewirkt werden konnte (Sentzke, S.17,22). 26 Vgl. § 12 Nr.2 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit (GS, S.45-48). 27 Rechtsschutz gegen die von der Polizei ausgesprochenen Anordnungen existierte nur im Rahmen der sog. Kammerjustiz, das heißt die Prüfung erfolgte durch die oberen Verwaltungsbehörden (vgl. von der Groeben, S.443 m.w.N.). Die Anordnungen mußten überdies sofort nach der Bekanntgabe angefochten werden. Eine Kontrolle der Polizeianordnungen in dem justizförmig ausgestalteten Strafverfahren war schon dadurch ausgeschlossen, daß der Tatbestand des § 146 die Existenz solcher Anordnungen lediglich voraussetzte, ohne ihren Inhalt näher zu spezifizieren. Der Strafrichter konnte lediglich überprüfen, ob die reglementierte Person tatsächlich der Prostitution nachging. 28 Vgl. dazu m.N. Erichsen, Grundlagen, S.157f. 29 Vgl. im allgemeinen: Schmitthenner, S.562. 30 Sentzke, S.12.

11. Im Kaiserreich

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Daß aber die durch § 146 StGB gewählte Form der Reglementierung der Prostituierten nicht nur aus heutiger Sicht zweifelhaft ist, sondern auch zeitgenössischen Kriterien nicht standhielt, wird unter anderem an der gesetzlichen Normierung der allgemeinen Polizeiaufsicht über "verdächtige Individuen" in §§ 26ff, 116 StGB deutlich3l . Diese Form der Polizeiaufsicht konnte in bestimmten Fällen als Maßnahme nach einer strafrechtlichen Verurteilung verhängt werden. Bevor diese Maßnahme 32 angewendet werden durfte, wurde sie gesetzlich geregelt, um die Einschränkungen der persönlichen Freiheit dieser Personen auf ein "bestimmtes und möglichst beschränktes Maß zurückzuführen,,33. Während also "die polizeiliche Aufsicht, welche über Lohndirnen geführt wird, ... nach dem Ermessen der Polizei eingerichtet" wurde 34 , entwickelte sich die allgemeine Polizeiaufsicht zu einer "rechtlich geordneten Einrichtung,,35. § 146 StGB legte den Grund zur Institutionalisierung eines Anachronismus in dem sich ausbildenden Rechtsstaat, nämlich zu der gesetzlich nicht fixierten ÜbersteIlung der Dirnen unter die Polizeiaufsicht. Daß die Konzeption, auf der § 146 StGB basierte, trotz der Entwicklung einer rechtsstaatlichen Verwaltung in der Folgezeit nicht in Frage gestellt wurde, lag wohl daran, daß eine offiziell anerkannte staatliche Reglementierung von Prostitution undenkbar geworden und die Polizeipflicht der Prostituierten im zeitgenössischen Judiz verhaftet war36 • Die Prostituierten wurden deshalb ohne Bedenken in einer der rechtsstaatlichen Kontrolle entzogenen Reglementierung zurückgelassen 37 und nahmen künftig mit ihrer Erwerbstätigkeit nicht mehr an der allgemeinen Rechtsentwicklung teil.

11. Im Kaiserreich Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich von 1871 übernahm in § 361 Nr.6 StGB zunächst die Regelung des § 146 PrStGB38 • Fünf Jahre später wurde 31 Dabei wird wohl auch eine Rolle gespielt haben, daß das politisch engagierte Bürgertum von einer solchen Maßnahme tatsächlich selbst bedroht war. Zur Regelung selbst, die dem Code Penal entnommen war, vgl. Eb.Schmidt, Strafrechtspflege, S.318. 32 Gesetz v.12.2.1850 G.S.1850, S.49. 33 Rönne, Staatsrecht 1884, Bd.lV, S.125. 34 Heinrich Rosin, in: Stenge/s, Wörterbuch, Bd.2, S.249. 35 Heinrich Rosin, in: Stengels, Wörterbuch, Bd.2, S.249. 36 "Den hohen Grad der Freiheit ... {soll, Verf] ... der ehrliche Arme vor den Dirnen voraushaben" (Stursberg, S.111; vgl. auch Miller, S.27). 37 Obertribunal Erk.v.8.2.1867 zit. nach Bemer, LB, 18.Aufl., S.702, Fn.1. 38 Die Regelungen des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund vom 31.5.1870 (BGBI, S.193) entsprachen der Nachfolgeregelung im RStGB.

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C. Prostitution als durch die Polizei geregelte Erwerbstätigkeit

dieser Tatbestand novelliert und sah dann jene Form der Prostituiertenreglementierung vor, die heute als eine typische Einrichtung des 19. Jahrhunderts in Erinnerung ist, nämlich die formale Einschreibung der Prostituierten durch die Polizei als I/Kontrollmädchen 1/.

1. § 361 Nr.6 StGB in der Fassung vom 15.5.1871 Nach § 361 Nr.6 StGB (in der Fassung vom 15.5.1871 39) war I/eine Weibspersonl/40 (nur) dann strafbar, wenn sie den "polizeilichen Anordnungen zuwider gewerbsmäßige41 Unzucht42 treibtl/. Neben Haft43 konnte das Gericht die Überweisung der Verurteilten nach verbüßter Strafe an die Landespolizeibehörde anordnen. Dadurch erhielt die Landespolizeibehörde das Recht, sie im Rahmen einer korrektionellen Nachhaft bis zu zwei Jahren entweder in einem Arbeitshaus unterzubringen oder zu gemeinnützigen Arbeiten heranzuziehen (§ 362 Abs.2, Abs.3 n.F.)44. RGBI. 1871, 127. Der Begriff "Weibsperson" umfaßte nach allgemeiner Meinung zwar jede Frau. Die Bezeichnung war jedoch bewußt gewählt worden, um die "Bescholtenheit" der Frau zum Ausdruck zu bringen (Justus v.Olshausen, StGB, 8.Aufl., § 361 Nr.6, Anm.a m.w.N; Ernst Schwartz, StGB, § 361, Anm.15). Diese war aber nicht Tatbestandsmerkmal (OLG Dresden, 'ZStW 6 (1886) 267; vgl. auch Hälschner, StrafR II, S.687). 41 Gewerbsmäßig betrieb eine Frau die Unzucht, wenn sie beabsichtigte, zur Errichtung einer dauernden Einnahmequelle die Leistungen an jeden zahlungsbereiten Mann zu erbringen. Gewerbsmäßige Unzucht lag also nicht vor, wenn eine Frau von einem Mann unterhalten wurde (OVG 1.7.1899 PrVerwBI1899/1900, S.61; ErnstSchwartz, StGB, § 361, Anm.xV). Auch die einmalige Gestattung des entgeltlichen Beischlafs konnte "gewerbsmäßig" sein, wenn dieser in der "Absicht erfolgte, demnächst zum Zwecke des Erwerbs auch mit anderen Männern Unzucht zu begehen" (RGSt 41, 59 (60); vgl. auch Westerkamp, S.49f.). 42 Unter "Unzucht" wurde weiterhin jede gegen Zucht und Sitte verstoßende außereheliche sexuelle Handlung - jedenfalls solche gegen Bezahlung verstanden (vgl. dazu RGSt 11, 4 (5); 37, 303 (304)). Das Entgelt konnte in "bar oder geldwerten Gegenständen wie überhaupt in jedem Vermögensvortheil bestehen (.. .) auch freie Speisen und Getränke, eine angenehme Schlafstätte usw. ", solange sie nach dem Willen der Frau gerade die Entlohnung für die Unzucht sein sollten (RGSt 51, 262f.; Justus v.Olshausen, StGB, l1.Aufl., § 361 Nr.6, Anm.a.). 43 § 361 Nr.6 StGB, stellte also kein Vergehen mehr, sondern nur noch eine Übertretung dar (vgl. § 1 Abs.3 StGB). 44 Die Länge der "korrektionellen Nachhaft" stand im Ermessen der Verwaltungsbehörde. De facto wurde die Unterbringung - je nach Verfahrensweise der Länder - oft deshalb zur unbestimmt langen Haft, weil die Prostituierten zwischen Strafhaftverbüßung und Nachhaft in polizeilicher Verwahrung blieben. Diese Praxis sollte durch Bundesratsbeschlüsse 1889 abgemildert und vereinheitlicht werden - die Nachhaft sollte sich "thunlichst" an die Strafhaft anschließen (Justus v.Olshausen, StGB, § 362, 39

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II. Im Kaiserreich

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Ebensowenig wie die Vorgängernorm, § 146 des preußischen Strafgesetzbuches, konkretisierte § 361 Nr.6 StGB über die Verwendung des Terminus "polizeiliche Anordnungen" hinaus, in welchem Umfang und in welcher Form der polizeilichen Anordnung Prostitution reglementiert werden solle45 • Als Rudolf Gneist 1872 konstatierte, "[djer Rechtsstaat im historischen und philosophischen Sinne des Worts ist in langsamer mühevoller Bildung, in stetigem Widerstreit mit den Grundneigungen der Gesellschaft erwachsen, und kann auch in der heutigen Welt nur in einem solchen Widerstreit erhalten und wiedergewonnen werden,,46, hatte er wohl kaum die Reglementierung von Prostitution im Auge. Doch traf seine Aussage gerade auf die Reformbedürftigkeit jener Einrichtung zu. Im Rahmen der Polizeianordnungen wurden "die Strichgänge auf bestimmte Straßenzüge" beschränkt und Prostituierte zur "ärztlichen Kontrolle" verpflichtet. Sie mußten "auf Aufforderung jederzeit die Wohnung öffnen" bzw. Vorkehrungen treffen, daß die Polizei die Wohnung auch in ihrer Abwesenheit betreten konnte47 • Ihnen wurde der "Besuch öffentlicher Tanzlustbarkeiten", "der Verkehr mit einem bestimmten Manne,r48, "auffälliges Benehmen,r49, das Wohnen in bestimmten Straßen50 und in bestimmten Häusern (sogar im eigenen51 ) verboten 52 • Prostituierte durften ihre Wohnung nicht mit ihrem "Zuhälter" teilen bzw. diesen nicht beherbergen, wenn Männer sie besuchten53 • Zu ihrer Polizeiakte mußten sie regelmäßig ein aktuelles Bild beibringen54 .

Anm.4b). Trotzdem hielten einzelne Länder an ihrer Verfahrensweise bis in das 20. Jahrhundert fest (vgl. Ebermayer, RStGB, 4.Aufl., § 362, Anm.9). 45 In der Praxis beriefen sich die Behörden zur Begründung ihrer Reglementierungskompetenz sowohl auf § 361 Nr.6 StGB als auch auf Th.II, Tit.10, § 17 ALR i.V.m. § 6 i) des Polizeigesetzes vom 11.3.1850, vgl. dazu Friedrichs, Polizeigesetz von 1850, § 6, Anm.1, Anm.37, 3). 46 Gneist, S.6. 47 Stursberg, S.35. 48 ]ustus v.Olshausen, StGB, l1.Aufl., § 361 Nr.6, Anm.a m.w.N. 49 RG DRZ 19, Nr.437. 50 OLG Hamburg DJZ 32, 94. 51 KG44, 66. 52 Im Zusammenhang mit einer solchen Auflage wurde die Frage aufgeworfen, ob eine Prostituierte von der Pflicht, die eheliche Wohnung ihres Mannes zu teilen, dadurch entbunden wurde, daß dieser seinen Wohnsitz in das Sperrgebiet verlegte. Das OVG entschied: Das "Recht des Ehemanns von seiner Frau Aufenthalt in der gemeinsamen Wohnung zu verlangen, findet seine Grenze an (.. .) Bestimmungen der Polizei" (OVG Vrt. v. 13.12.1898 PrVerwBI1898/1899, 250 (251)). 53 Stursberg, S.34. 54 Stursberg, S.35.

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C. Prostitution als durch die Polizei geregelte Erwerbstätigkeit

Die materielle Rechtmäßigkeit55 der Polizeianordnungen konnte im Strafverfahren nicht überprüft werden 56, weil sie als durch die Strafgerichtsbarkeit nicht überprüfbarer Verwaltungsbereich anerkannt waren 57• Gegen die Maßnahmen konnte sich die Prostituierte also nur im Verwaltungsgerichtsverfahren 5R wehren. In der juristischen Diskussion wurde die Frage, ob solche weitreichenden Eingriffe in die Privatsphäre, wie sie im Rahmen der Prostituiertenreglementierung vorgenommen wurden, überhaupt zulässig seien, nicht erörtert59 • Auch daß die Eingriffe nach allgemeiner Meinung durch formlose Polizeiverfügungen erfolgen konnten, wurde nur von wenigen kritisiert. Anordnungen umfaßten nach der damaligen verwaltungsrechtlichen Terminologie sowohl förmliche Rechtsverordnungen als auch (formlose) Einzelverfügungen 60 ,61. Die Poli55 Wohl aber die "formelle Rechtmäßigkeit" (Justus v.Olshausen, StGB, 1l.Aufl., § 361 Nr.6, Anm.b m.w.N.), das heißt insbesondere der Erlaß durch die zuständige Behörde (Galli, S.ll). 56 Nur auf dem Beschwerdeweg konnte die Frau geltend machen, die Behörde habe von ihrem Verfügungsrecht einen "unnötigen, unangemessenen, unzweckmäßigen Gebrauch" gemacht und dadurch Interessen des Bürgers verletzt (Heinrich Rosin, in: Stengels, Wörterbuch, S.271). 57 Justus v.Olshausen, StGB, 11.Aufl. m.v.w.N. § 361 Nr.6, Anm.b. Ebensowenig konnte der Strafrichter überprüfen, ob eine Frau tatsächlich der Prostitution nachging, da der Tatbestand lediglich die UnteraufsichtsteIlung voraussetzte. 58 Die Gesetzesmäßigkeit des Verwaltungshandelns wurde zu diesem Zeitpunkt durch eine eigenständige Verwaltungsgerichtsbarkeit überprüft. Der Verwaltungsrechtsschutz war durch das Gesetz v.1.1.1874 (GS 1871, S.661) und das Gesetz, betr. die Verfassung der Verwaltungsgerichte und das Verwaltungsstreitverfahren von 1875 (GS 1875, S.375) weiter ausgebaut und - vorläufig abschließend - durch das Landesverwaltungsgesetz vom 30.7.1883 reformiert worden (GS, S.195). Im folgenden wird lediglich auf die Anfechtung nach § 127 LVG Bezug genommen. Alle drei Gesetze eröffneten nach Durchlauf der Beschwerdeinstanzen - den Zugang zu den Verwaltungsgerichten zur Anfechtung von Polizeiverfügungen. Auf dem Rechtsweg konnte die Frau prüfen lassen, ob die Anordnungen von der zuständigen Behörde und aufgrund zutreffender Tatsachenbehauptungen erlassen worden seien. Vgl. dazu: OVG Urt.v.13.12.1898 PrVerwBlI898/99, 250. Die Zweckmäßigkeit polizeilicher Auflagen konnte lediglich die vorgesetzte Dienstbehörde überprüfen, so daß die Prostituierten insoweit auf den Beschwerdeweg verwie. sen waren (v gl. Heinrich Rosin, in: Stengels, Wörterbuch, S.271). 59 Ein Zeitgenosse bemerkte angesichts der Polizeivorkehrungen zutreffend: "Polizei-Maßregeln werden aufgeboten, um eine unter den heutigen Verhältnissen nicht durchführbare Moral unter allen Umständen zum Schein aufrecht zu halten" (Flesch, S,47). 60 Die Einzelverfügungen wurden bald einheitlich als Verwaltungsakt bezeichnet (vgl. beispielsweise Ouo Mayer, VerwR, S.94ff.; Fleiner, S.175), als "obrigkeitlicher Anspruch der Verwaltung, der dem Individuum im gegebenen Falle sein Recht zuweist" (Hatschek, S.8). 6l Fleiner, S.174ff.; Mohn, S.l.

II. Im Kaiserreich

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zeianordnungen gern. § 361 Nr. 6 StGB hätten somit in bei den Formen ergehen können 62 • Im Gegensatz zu der polizeilichen Einzelverfügung wurden an den Erlaß von Rechtsverordnungen höhere formale Voraussetzungen geknüpft. Rechtsverordnungen mußten öffentlich bekannt gegeben werden und waren bei Verstoß gegen höherrangiges Recht nichtig. In bestimmten Fällen wurde eine Mitwirkung der Selbstverwaltungsorgane vorausgesetzt63 , wodurch dem Erlaß ein - zumindest teilweise - öffentlicher und konträr geführter Entscheidungsprozeß vorausging. Vom Standpunkt einer möglichst rechtsstaatlichen Verwaltung wäre also der Erlaß von Polizeianordnungen in der Form der Polizeiverordnung vorzuziehen gewesen64 • Doch die herrschende Ansicht knüpfte an die Auslegung des § 146 PrStGB an und ließ eine Reglementierung in Form von Einzelverfügungen genügen 65 • Nur wenige glaubten, daß die Prostituiertenreglementierung eine förmliche Polizeiverordnung fordere 66 • Entsprechend der herrschenden Meinung wurden Reglementierungsauflagen als Ermessensmaßnahmen "der der Polizei zustehenden Exekutive" angesehen67 • Dadurch wurde ein durch den Wortlaut des § 361 Nr. 6 StGB möglicher Weg zu einer rechtsstaatlicheren Prostituiertenreglementierung vergeben. 68

Vgl. beispielsweise Friedriehs, Polizeigesetz von 1850, § 6, Anm.l, Anm.37, 3). Vgl. beispielsweise §§ 5, 7 des Polizeigesetzes vom 11.3.1850. Diese Mitwirkung war in unterschiedlicher Form ausgestaltet, teilweise war lediglich eine Anhörung, in anderen Fällen aber eine formale Mitwirkung vorgesehen (vgl. dazu Heinrich Rosin, S.225ff.; vgl. auch Wolzendorff, Polizeigedanke, S.180). 64 Vgl. dazu ausführlich Duo Mayer, VerwR, S.230f. 65 Sie begründeten dies damit, daß die Polizei nicht aufgrund delegierter Rechtsetzungsgewalt, sondern aufgrund der polizeilichen GeneralklauseI tätig werde (Erk. d. Obertribunals v.15.2.1877 GA 26 (1878) 60; RGSt 40, 349; OLG Stettin GA 45 (1897) 293; OVGE 3, 337 (339); OVG Ur!.v.13.12.1898 PrVerwBI. 1898/1899, 250; Stettin GA 45 (1897) 293; Kassel GA 51 (1904) 415; Ebermayer RStGB 1.Aufl., § 361, Anm.VI 6; vgl. auch: Daleke, Anmerkung zu Stettin GA 45 (1897) 293, GA 45 (1897) 294). In der Zwischenzeit hatte sich die Heranziehung der landrechtlichen GeneralklauseI (Th. II, Ti!. 10, § 17 ALR) als Ermächtigungsgrundlage allgemein durchgesetzt. Zum Teil wurden die Polizeianordnungen sogar als "Verwaltungsvorsehriften", weIche die Polizei innerhalb ihrer allgemeinen Zuständigkeit erläßt, bezeichnet (Ebermayer, RStGB 1.Aufl., § 361, Anm.VI 6). 66 Rubo, StGB, S.1030 mit Verweis auf § 145 StGB; vgl. auch Hinweise in OberTribunal Erk.v.21.2.1877 JMBI.S.72ff.; OVGE 3, 337 (339); OVG Urt.v.13.12.1898 PrVerwBI.1898/1899, 250; Daleke, Anmerkung zu Stettin GA 45 (1897) 293, GA 45 (1897) 294. 67 Statt vieler: Erk. d. Obertribunals v.15.2.1877 GA 26 (1878) 60; OLG Stettin GA 45 (1897) 293; OVG Urt.v.13.12.1898 PrVerwBI. 1898/1899,250. . 68 Daß eine gesetzliche Festschreibung der Reglementierung vermieden werden sollte, wird auch daran deutlich, daß das Gesetz, das die allgemeine Sanitätspolizei regelte, nämlich das Gesetz betreffend die Bekämpf~ng gemeingefährlicher Krankheiten von 1900 (Ges. v. 30.6.1900, RGBI.I, S.306), die Uberwachung der Prostituierten nicht umfaßte. 62 63

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C. Prostitution als durch die Polizei geregelte Erwerbstätigkeit

2. § 361 Nr.6 StGB in der Fassung vom 26.2.1876 Im Jahr 1876 wurde § 361 Nr. 6 StGB novelliert. Nach der neuen Fassung machte sich "eine Weibsperson, welche wegen gewerbsmäßiger Unzucht einer

polizeilichen Aufsicht unterstellt ist, wenn sie den in dieser Hinsicht zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes erlassenen polizeilichen Vorschriften zuwiderhandelt, oder welche, ohne einer solchen Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht treibt", stratbar69 • Die zweite Alternative des Tatbestandes verbot die polizeilich nicht gemeldete Prostitution. Damit sollte die im vorigen Kapitel erläuterte Diskussion über den Blankettcharakter der Vorschrift beendet werden 70. Maßgeblich für die weitere Entwicklung der Reglementierung der Prostituierten wurde die erste Tatbestandsaiternative, auf die sich auch die nachfolgenden Ausführungen beziehen. Sie etablierte die sog. "Unteraufsichtstellung der Dirnen" durch die örtliche Polizeibehörde71. Das Verfahren der UnteraufsichtsteIlung war im Strafgesetzbuch nicht geregelt 72 • In Preußen existierten zunächst73 überhaupt keine landesweiten Vorga-

69 Die Vorschrift erfaßte den Kunden der Prostituierten nicht als Täter. Dieser Umstand wurde nur vereinzelt kritisiert (vgl. beispielsweise Galli, S.7f.). An dem Übertretungstatbestand § 361 Nr.6 war Teilnahme nur in der Form der Anstiftung (§ 48), nicht als Beihilfe (§ 49) möglich. Demgemäß hätte sich der Freier strafbar gemacht, wenn er durch sein Angebot oder seine Entlohnung die Prostituierte vorsätzlich durch die in § 48 StGB genannten Anstiftungsmittel zu einer Tat gern. § 361 Nr.6 bestimmt hätte. In Betracht karn insbesondere die Alternative "durch Versprechen". Fahrlässige Anstiftung war straflos (statt aller: ]ustus v.Olshausen, StGB, 1O.Aufl., Bd.1, § 48, Anm.6). Daß der Kunde die Tat nicht als Täter verwirklichen konnte, war insofern unmaßgeblich (vgl. ]ustus v.Olshausen, StGB, 11.Aufl., § 48, Anm.2 II). Vorsatz hätte vorgelegen, wenn der Freier auch die fehlende UnteraufsichtsteIlung bzw. die Nichteinhaltung der polizeilichen Anordnungen gekannt hätte. Ohne auf diese Problematik einzugehen, wurde eine mögliche Strafbarkeit aber nie näher geprüft (vgl. beispielsweise Berner, LB, 18.Aufl., S.703). Vgl. dazu auch:, Fn.284. 70 Die Rechtsprechung, die der früheren Auslegung durch die preußischen Gerichte folgte und Prostituierte wegen Ausübung der Gewerbsunzucht bei Fehlen polizeilicher Anordnungen nach § 361 Nr.6 verurteilte, war unter dem Reichsstrafgesetzbuch nicht mehr zu halten (v gl. Obertribunal Beschl.v.8.5.1873 (Oppenhoffs Rechtspr. XIV, S.342ff.); Obertribunal Erk.v.6.9.1873 (Oppenhoffs Rechtspr. XIV, S.516f.». Es setzte sich nun die Auffassung durch, daß Gewerbsunzucht nur dann strafbar sei, wenn polizeiliche Anordnungen erlassen worden waren und die Frau gegen diese verstoßen hatte (vgl. die Nachweise in Obertribunal Beschl.v.8.5.1873 (Oppenhoffs Rechtspr. XIV, S.342 (343); Westerkamp, S.49f.). 71 Funktionell zuständig für die Einschreibung war die sog. "Sittenpolizei" (vgl. dazu ausführlich Roth, S.355ff.). 72 Vorn Reichsgericht wurde dies unter Hinweis auf eine wünschenswerte Flexibilität gerechtfertigt:

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ben für das Verfahren. Nach herrschender Ansicht war einzige Voraussetzung für die Unteraufsichtstellung, daß "die zu beaufsichtigende Person [durch die Polizei, Verf.] des Treibens gewerbsmässiger Unzucht überführt ist,,74. Eine Frau konnte also gegen ihren Willen als Prostituierte eingeschrieben werden 75. Lediglich eine Stimme bestritt die Ermächtigung zur Zwangsreglementierung76 • Die Maßnahme erfolgte durch Verfügung der örtlichen Polizeibehörde77 für ihren Bezirk78 • Sie erlosch nicht, wenn die Frau den Polizeibezirk verließ. Das bedeutete beispielsweise, daß eine von der Polizei "unter Kontrolle gestellte" Frau, die umgezogen war und einen anderen Beruf ausübte, sich bei Rückkehr

"Unter der polizeilichen Aufsicht im Sinne des Paragraphen [§ 361 Nr.6, Verf] ist nicht eine ihrem Inhalt und Umfange nach vom Gesetze geregelte und ganz allgemein bei gewissen Voraussetzungen in Aussicht gestellte Maßregel zu verstehen, durch welche, wie bei der von dem Strafgesetzbuche angedrohten Polizeiaufsicht, der von ihr betroffenen Person gewisse, im voraus bestimmte und für das Herrschaftsgebiet des Strafgesetzbuchs gültige Beschränkungen ihrer persönlichen Freiheit auferlegt werden, sondern eine dem Ermessen und der Machtbefugnis der einzelnen Polizeibehörde entfließende Anordnung, auf Grund welcher sie zum Erlaß von Vorschriften berechtigt wird, die dem Zwecke der Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes dienen müssen, im übrigen aber den Verhältnissen des Bezirkes der anordnenden Behörde anzupassen sind. " (RGSt 11, 286 (286)). 73 Die Verrechtlichung der Reglementierungspraxis bahnte sich in Preußen mit dem Erlaß des Ministers des Innem vom 11.12.1907 an (Ministerialblatt für die preußische innere Verwaltung 1908, S.14-16. Vgl.a. de Grais, S.305; Galli, S.9). 74 OVG Urt.v.1.7.1890 PrVerwB1.1899/1900, S.61; ebenso: ]ustus v.Olshausen, StGB, U.Aufl. m.v.w.N. § 361 Nr.6, Anm.b. Da Polizei Ländersache sei, stünde es den Ländern frei, dieses Verfahren gesetzlich oder durch verwaltungsrechtliche Regelungen auszugestalten (vgl. Stursberg, S.71). Erfolgte keine landesrechtliche Regelung, "entscheidet das Ermessen der Polizeibehörde" (Ebermayer, RStGB 1.Aufl., § 361, Anm.VI.5). Zum Teil wurde als Voraussetzung der UnteraufsichtsteIlung wenigstens eine rechtskräftige Verurteilung wegen eines Verstoßes nach § 361 Nr.6 StGB verlangt (OLG Cöln Urt. 18.4.1890 GA, Bd.38 (1891) 364f.; ]ustus v.Olshausen, StGB, l1.Aufl., § 361 Nr.6 a; vgl. auch Ernst Schwartz, StGB, § 361, Anrn.xVI). 75 OLG Cöln GA, Bd.38 (1891), S.364 (365); ]ustus v.Olshausen, StGB, l1.Aufl., § 361 Nr.6, Anm.a; Brinitzer, S.lll; vgl. beispielsweise ebenso für Württernberg: Schicker, S.58. 76 Schmölder, Bestrafung, S.7; vgl. auch Oppenhoff-Delius, StGB, 14.Aufl., § 361, Anm.37a. 77 Nur vereinzelt wurde die Zulässigkeit der Ableitung einer polizeilichen Reglementierungskompetenz aus § 361 Nr.6 StGB bezweifelt. Die Norm sei nicht als Ermächtigungsgrundlage, sondern als "Einschränkung polizeilicher Befugnis" gedacht gewesen (Schmölder, Prostitution, S.15; vgl. auch Galli, S.9), denn durch die Neufassung einer Strafbestimmung "werden die Machtbefugnisse der Polizei nach keiner Richtung erweitert, sie werden lediglich (...) beschränkt" (Schmölder, Bestrafung, S.7). 7~ RGSt 11, 286 (287).

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C. Prostitution als durch die Polizei geregelte Erwerbstätigkeit

in ihren Heimatort wieder bei der Polizei als Prostituierte melden mußte 79 • Zog ein "Kontrollmädchen,,8o in einen anderen Polizeibezirk, informierte die Polizeibehörde die Behörde des neuen Wohnortes 81 • Ebenso wie für die einzelnen Polizeianordnungen, war es auch für die UnteraufsichtsteIlung anerkannt, daß es sich dabei um einen der strafrichterlichen Kontrolle entzogenen Bereich der Verwaltung handele. Das hatte zur Folge, daß eine Frau in einem Strafverfahren, in dem sie wegen Verstoßes gegen § 361 Nr.6 StGB angeklagt war, nicht mehr geltend machen konnte, daß sie der Prostitution gar nicht nachgehe82 . Wollte sie sich gegen die Einschreibung wehren, so mußte sie dagegen vielmehr direkt Beschwerde (vor dem Kreis-, bzw. Bezirksausschuß) und gegen eine abschlägige Entscheidung Klage vor dem Oberverwaltungsgericht erheben83 • 79

halt.

Vgl. dazu den der Entscheidung Bay OLG 11, 86ff. zugrunde liegenden Sachver-

80 Die Dimensionen der Polizeigewalt illustriert eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes aus dem Jahr 1899: Eine ledige Heimarbeiterin klagte gegen ihre UnteraufsichtsteIlung bis zum Oberverwaltungsgericht. Das Gericht stellte folgenden Sachverhalt fest: Ein vorausgegangener Strafprozeß wegen § 361 Nr.6 2.Alt. StGB war eingestellt worden, nachdem sechs von der Polizei als Belastungszeugen benannte Männer den Vorwurf der gewerbsmäßigen Unzucht nicht bestätigt hatten. Die Polizeibehörde wurde von der Einstellung benachrichtigt. Bevor die Frau aus dem Ort wegziehen konnte, wurde sie erneut wegen des Verdachts der polizeilich nicht gemeldeten Gewerbsunzucht festgenommen. Der Amtsrichter setzte sie auf freien Fuß. Die Frau zog in einen anderen Polizeibezirk. Als sie nach einem Jahr wieder - zu Besuch - in die Stadt zurückkehrte, unterstellte die Polizei sie der Kontrolle. Gegen diese Anordnung klagte die Frau nunmehr und obsiegte schließlich vor dem Oberverwaltungsgericht, obwohl der Polizeiinspektor des Ortes, der die Ermittlungen "über das Treiben der Klägerin" geleitet hatte, als Zeuge unter Eid aussagte, "daß die Klägerin ihm seit mehreren Jahren als der Unzucht ergeben bekannt sei und hierdurch wiederholt Ärgerniß gegeben habe, daß er aber die Namen der Männer, die mit ihr verkehrt haben, nicht angeben könne" (OVG Erk.v.11.7.1899 PrVwBl 1899/1900, S.6lf.). Nicht viele Frauen waren so konfliktfähig (vgl. dazu FIeseh, S.44). 81 Vgl. dazu: Weiss, S.980. 82 Ebermayer, RStGB, § 361, Anm.VI N.5 m.w.N. Selbst wenn ein Strafrichter davon überzeugt war, daß eine Frau der Gewerbsunzucht nie nachgegegangen war, mußte er sie nach herrschender Ansicht nach UnteraufsichtsteIlung bei Verstößen gegen die polizeilichen Anordnungen verurteilen (vgl. OLG Cöln 1890 GA, Bd.38 (1891); vgl. auch Bay OLG 11, 86ff.; Schicker, aaO, S.59). Insofern stellte die Novellierung sogar eine Verschärfung dar, da der Strafrichter zuvor zumindest überprüfte, ob die Angeklagte tatsächlich der Prostitution nachging. 83 Vgl. Ebermayer, RStGB l.Aufl., § 361, Anm.VI.5; Stettin GA 45 (1897) 293; KG GA 49 (1901) 349; für Bayern BayOLG St 11, 88. In Preußen mußte bis zur rechtskräftigen Verwaltungsentscheidung prinzipiell keine Folge geleistet werden (§ 127 LVG). Etwas anderes galt, wenn die Behörde für den Fall der Beschwerde sofortige Wirkung angeordnet hatte. In Sachsen genügte die faktische Unterstellung (s. Justus v.Olshausen, StGB, 11.Aufl., § 361 Nr.6, Anm.b m.w.N.). Vgl. allg. zur Ausgestaltung der Rechts-

H. Im Kaiserreich

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Sobald eine Frau unter Aufsicht gestellt war, war sie verpflichtet, alle für Prostituierte erlassenen Anordnungen zu beachten84 • War eine Frau erst einmal als "Kontrollmädchen" eingeschrieben, konnte sie nur sehr schwer wieder in das bürgerliche Leben zurückkehren85 • Das lag - neben der gesellschaftlichen Ächtung des Gewerbes - daran, daß für die Entlassung aus der UnteraufsichtsteIlung kein Verfahren normiert war. Sie stand nach allgemeiner Meinung im Ermessen der örtlichen Sittenpolizei. Die Entlassung wurde - wenn sie überhaupt möglich war - in den verschiedenen Städten ganz unterschiedlich gehandhabt. Die Voraussetzungen dafür reichten von dem Nachweis "eines ehrlichen Broderwerbs" bis zur Heirat86 • Die Polizei handhabte die Entlassung aus der Kontrolle zunächst sehr restriktiv. So wird u.a. von einer halbjährigen "unauffällige[nJ Beobachtung" einer ehemalig Eingeschriebenen nach Antritt einer regulären Arbeitsstelle an deren neuem Arbeitsplatz87 berichtet88 . Erst in den neunziger Jahren - als sich schon zunehmend Protest gegen diese Form der Reglementierung regte - scheint die Polizei großzügiger verfahren zu sein, wie insgesamt seit jener Zeit der fürsorgerische Aspekt gegenüber Prostituierten in der Polizeiarbeit mehr betont wurde 89 • mittel: Heinrich Rosin, in: Stengels, Wörterbuch, S.271f. Beispiele für solche Klagen finden sich in OVGE 3, 338ff.; PrVwBI. 1901, 1902. 84 Vgl. zur Praxis: Roth, S.355. 85 Vgl. Schmölder, Prostitution, S.16; Peters, S.62f.; Henne am Rhyn, S.104f. Selbst wenn eine Frau für eine neue Stelle kein polizeiliches Zeugnis vorlegen mußte, offenbarte doch der Umstand, daß sie in einer für Prostituierte vorgesehenen Straße wohnte, in der sie während der Unteraufsichstellung wohnen mußte, ihren Status. Die gesellschaftlichen Vorurteile erwiesen sich dann meist als unüberwindbar. Ein Polizeilehrbuch führte aus: "Da die Stellung unter sittenpolizeiliehe Aufsicht für eine weibliche Person von ganz schwerwiegenden Folgen ist und ihr die Rückkehr in geordnete Verhältnisse und zu einem sittlichen Lebenswandel sehr erschwert und oft unmöglich gemacht wird, so ist bei der Beschlußfassung ganz besonders vorsichtig zu handeln; (. ..)" (Weiss, S.980). Daß man sich der Folgen einer UnteraufsichtsteIlung bewußt war, wird auch daraus deutlich, daß bei unter 16jährigen eine Einschreibung nur erfolgen durfte, wenn dies zur Behandlung von Syphilis notwendig war (Stursberg, S.38f.; vgl. auch Henne am Rhyn, S.104f.; Ströhmberg, S.186f.). 1907 ordnete das Ministerium des Inneren in Preußen an, daß alle Auflagen, die die Rückkehr der Frauen in ein "geordnetes Leben" hinderten, vermieden werden saUten. 86 Vgl. Weiss, S.981. 87 Stursberg, S.29ff. 88 Nach zeitgenössischen Darstellungen gab es auch "zahlreiche polizeiliche Mißgriffe, durch die anständige Frauen arretiert und der Zwangsuntersuchung zugeführt wurden" (vgl. Pappritz, S.13, 26). 89 So ordnete beispielsweise ein preußischer Ministerialerlaß von 1908 an, daß "die dauernde Mitwirkung einer mit den Bestrebungen der Rettungsvereine vertrauten Dame, welcher der Zutritt und freiester Verkehr mit eingelieferten weiblichen Personen zu

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C. Prostitution als durch die Polizei geregelte Erwerbstätigkeit

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß § 361 Nr.6 l.Alt. StGB in der neuen Fassung also trotz der gesetzlichen Festlegung bestimmter Anforderungen an die Polizeianordnungen als "zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes erlassenen polizeilichen Vorschriften" den Prostituierten keine rechtsstaatlichere Form der Reglementierung verschaffte. Denn die in § 361 Nr.6 l.Alt. StGB formulierten Voraussetzungen waren - insbesondere durch den Verweis auf den öffentlichen Anstand - zu weit gefaßt 9o • "[E]s wird sich - von reiner Schikane abgesehen - wohl kaum eine Anordnung hinsichtlich der Gewerbsunzucht denken lassen, die man nicht schließlich von irgendeinem Gedanken ausgehend als zur Sicherung der oben erwähnten Interessen dienend ansehen könnte',91.

Durch das Institut der UnteraufsichtsteIlung wurde vielmehr - mitten im konstitutionellen Verfassungsstaat 92 - ein Stand eingeschriebener Frauen geschaf-

gestatten sei", um "gefallenen Frauen" die Umkehr zu einem anständigen Lebenswandel zu erleichtern (abgedruckt bei Westerkamp, S.58; vgl. auch Dannemann, S.13; Roth, S.372f.). Mitte des 19. Jahrhunderts war bereits in Berlin, nach einem Hamburger Vorbild, eine Zufluchtstätte für besserungswillige Prostituierte eingerichtet worden, das "Magdalenenstift", das von einem 1841 gegründeten "Frauen- Verein zur Besserung der Strafgefangenen" ins Leben gerufen und 1843 königlich anerkannt wurde. Die Polizeibeamten wurden angewiesen, "die Zwecke des Vereins in jeder nur möglichen Weise zu unterstützen" (Stieber, S.198, 200). In der Neuinterpretation der polizeilichen Aufgabe bei der Prostituiertenreglementierung liegen auch die Anfänge der weiblichen Polizei (vgl. dazu: Nienhaus, S.243ff.). 90 Weder die polizeiliche Generalklausei, nach der im Einzelfall die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung begründet werden mußte (OVG Erk.v.8.11.1901 PrVwB1.1901/1902, S.549; vgl. auch Gall~ S.9), noch § 361 Nr.6 StGB, der "Maßnahmen zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung oder des öffentlichen Anstandes" forderte, begrenzte die Reglementierungskompetenz faktisch. Einen Ansatz von Schranken versucht Justus v.Olshausen zu konstruieren (vgl. § 361 Nr.6, Anm.a). Ein während des Gesetzgebungsverfahrens geäußerter Vorschlag des Bundesrates, Grundsätze zur UnteraufsichtsteIlung und der Art der polizeilichen Regelungen zu erlassen, wurde nicht umgesetzt (vgl. Haldy, S.150). Er wurde sowohl in dem Strafrechtsentwurf von 1909 (vgl. Vorentwurf 1909 Nr.6, S.62), als auch in dem von Strafrechtslehrern erstellten Gegenentwurf wiederaufgegriffen (v gl. KahllLilienthallv.LisztIGoldschmidt, S.70, 240f: "Grundzüge für diese Vorschriften sind durch Reichsgesetze zu bestimmen"). Sie führten zur Begründung aus, daß, wenn die "strafbare von der straflosen Gewerbsunzucht abgegrenzt" werde, "die Mitwirkung des Parlaments wenigstens insoweit unentbehrlich ist, als es sich um die Festlegung der Grundzüge handelt" (KahllLilienthallv.LisztIGoldschmidt, S.241). 91 Finger, GerS, Bd.94, S.373. 92 Die Verwaltung des Kaiserreichs war weitgehend den Grundsätzen des Rechtsstaates verpflichtet: Der Staat durfte prinzipiell in die bürgerlichen Freiheiten nur unter Vorbehalt und Vorrang der Gesetze eingreifen (vgl. dazu die zeitgenössischen Verwal-

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fen, die unter Polizeiaufsicht die Prostitution ausübten. Insofern stellte diese Form der Reglementierung von ihren gesetzlichen Vorgaben her einen Rückschritt im Vergleich zu den Bemühungen des Polizei reglements von 1792 und des Allgemeinen Landrechtes von 1794 dar. Denn jene Regelungen waren nicht nur auf eine sozialverträgliche Organisation von Prostitution ausgerichtet, sondern auch darauf, Frauen, die der Prostitution nachgingen, durch die Möglichkeit das Gewerbe jederzeit aufzugeben, den Weg aus der Prostitution offenzuhalten. Durch die Einschreibung nach dem Strafgesetzbuch von 1871 gehörten die "Kontrollmädchen" de jure und de facto nicht mehr zur bürgerlichen Gesellschaft 93 . Die polizeiliche UnteraufsichtsteIlung übernahm damit in den Städten des 19. Jahrhunderts die Stigmatisierungsfunktion, die im Mittelalter die Zugehörigkeit zum unehrlichen Gewerbe hatte. Gerade dies schien zu jener Zeit wohl notwendig, damit das "Treiben der Dirnen" den offiziellen Moralkodex nicht in Frage stellte. Die verstärkte Ausgrenzung und Stigmatisierung der Prostituierten durch das Recht im Verlauf des 19. Jahrhunderts ging - zeitgenössischen Berichten zufolge - einher mit einem ständigen Ansteigen der Prostitution in den Städten94 •

tungsrechtslehrbücher: z.B. Otto Mayer, VerwR, S.248). Eine Ausnahme stellte das besondere Gewaltverhältnis dar. Die Freiheitspositionen waren, da die Reichsverfassung keine entsprechenden Regelungen enthielten (vgl. dazu: Huber, S.665f., 758), weiterhin durch die einschlägigen Vorschriften der Landesverfassungen abgesteckt. Nach neuer Interpretation des Art.5 VerfU erstreckte sich der Gesetzesvorbehalt auch auf die zur Aufgabenerfüllung notwendigen Zwangsbefugnisse der Verwaltungsbehörden. Damit schützte Art.5 VerfU prinzipiell alle Betätigungsmöglichkeiten der individuellen Handlungsfreiheit (Ernst Schwartz, Verfassungsurkunde, Art.5, Anm.B a.E.; vgl. Heinrich Rosin, aaO, S.7ff. Vgl. zur Rechtslage außerhalb Preußens: Heinrich Rosin, aaO, S.9 m.w.N.). 93 Eine Klasse "en dehors du droit commun ... pour Laquelle La liberte individuelle n'existe pas" konstatierte WolzendorJf, AöR, Bd.24 (1909), S.335 über die Situation der französischen Prostituierten, die sich von der der deutschen nicht bedeutend unterschied. Vgl. auch Ouo Mayer, französisches VerwR, S.198f. 94 Als Erklärung dafür wird in historischen und soziologischen Arbeiten darauf verwiesen, daß in Folge der Entsexualisierung der anständigen Frau sich männliche Phantasien und in der Ehe nicht zu befriedigende Bedürfnisse von Männern auf die Prostituierte konzentrierten, ebenso wie deren Verachtung in Form der Hurenstigmatisierung. Hinzu traten Vorstellungen über die gesundheitliche Notwendigkeit "natürlicher" sexueller Betätigung für junge Männer. So war Prostitution als "notwendiges Ventil" erwünscht, um den Männern Humor und Gesundheit und den Damen der Gesellschaft ihre Tugend und ihren Anstand zu bewahren (vgl. dazu RGSt 51, 46; Born, S.283). Einer zeitgenössischen Untersuchung zufolge verdoppelte sich in Berlin zwischen 1859 und 1871 die Anzahl der Prostituierten, während die Bevölkerungszahl insgesamt nur um die Hälfte wuchs (v.Oettingen, S.180f.). Gleiches schien für Hamburg zu gelten: "Kaum ist der Abend angebrochen, so wimmeln der Jungfernstieg und die Hauptstraßen der Stadt von prostituierten Dirnen . ... Unter 10 Mädchen, die am Abend mit

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C. Prostitution als durch die Polizei geregelte Erwerbstätigkeit

3. § 180 StGB Den Bordellwirten95 war ihr Gewerbe auch durch das Strafgesetzbuch von

1871 verboten. Nach § 180 StGB war strafbar, wer "gewohnheitsmäßig oder

aus Eigennutz durch seine Vermittelung 96 oder durch Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit97 der Unzuchr 8 Vorschub leister 9 ".JOo

einem Körbchen am Arm in den Gassen einhergehen, kann fast wohl die Hälfte als öffentlich und für Geld zu erkaufen angenommen werden. " (Hamburger Polizeibericht zitiert nach Schulte, S.23). 95 Zum Begriff des Bordells: Menzel, GA, Bd.72 (1924) 130. 96 "Vermittelung" war nach herrschender Meinung jede "Tätigkeit, welche die Annäherung der die Unzucht ausübenden Personen ermöglicht" (RGSt 2, 164 (165f.); 2, 258 (259); 11, 149 (15lf.)). Dazu reichte schon die "intellektuelle Einwirkung", "namentlich die Herbeiführung eines inneren vorher nicht vorhandenen Zustandes, der eine Geneigtheit zur Ausübung der Unzucht bedeute" (vgl. Westerkamp, S.51). Beispielsweise vermittelte, wer eine Frau für ein Bordell anwarb oder in ein solches überführte (vgl. RGSt 2, 258ff.; Hälschner, StrafR 11, S.688; Ernst Schwartz, StGB, § 180, Anm.6). 97 Vorschub durch "Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit" leistete, wer günstigere Voraussetzungen zur Ausübung der Unzucht, insbesondere in Bezug auf den notwendigen Ort, schaffte (Justus v.Olshausen,lO.Aufl., § 180, Anm.7). 98 Die Leistungen der Prostituierten erfüllten das Tatbestandsmerkmal der Unzucht s.o. 99 "Vorschub" i.S.d. § 180 leistete, wer mit Hilfe der genannten Mittel günstigere Bedingungen für die Ausübung der Unzucht schuf (vgl. RGSt 2, 258 (259); 8, 236 (237f.); Binding, LB, BT/2 1904, S.206; Justus v.Olshausen, StGB, 11.Aufl., § 180, Anm.3; Bacharach, S.19,20; Haldy, S.SI). IlXl Soweit ersichtlich wurde über die Strafbarkeit des Freiers wegen seiner Teilnahme an der ihn begünstigenden Kuppelei des Bordellwirtes nie entschieden. Nach ständiger Rechtsprechung - in der Literatur war die entgegengesetzte Ansicht herrschend konnte auch die ihre eigene straflose Unzucht erstrebende Person an der dazu notwendigen Kuppelei teilnehmen (RGSt 4, 252 (254f.); Reinhard Frank, StGB, 5.-7.Aufl. §§ 180, 181, Anm.VI; Justus v.Olshausen, StGB, 1O.Aufl., § 180, Anm.14 m.w.N.). Dementsprechend hätten die Gerichte die Kunden der Prostituierten bestrafen können. Doch obiter dicta weist das Reichsgericht einen entsprechenden Vorhalt in einer anderen Fallgestaltung zurück: "Wenn die Verteidigung gegen diese Auffassung geltend macht, daß in Konsequenz derselben jeder Besucher eines Bordells als Anstifter zur Kuppelei anzusehen sei, so kann der Richtigkeit der Folgerung nicht zugegeben werden, weil regelmäßig der Besucher zur Erreichung des unterstellten Zweckes einer Einwirkung auf den Willen des Wirtes nicht bedürfen wird. " (RGSt 4, 252 (255)).Selbst wenn man dem Gericht in seiner Pauschal beurteilung des Bordellwirtes als omnimodo facturus zu allen konkret zu begehenden Taten folgte - was zweifelhaft erscheint, weil das Reichsgericht in anderen Fällen die Entschlossenheit eines prinzipiell Tatgeneigten sehr viel differenzierter betrachtet (beispielsweise RGSt 37, 171 (172)) - bliebe für den bordell besuchenden Freier die psychische Beihilfe zur Tat des Wirtes. Doch entsprechende Urteile fehlen. Auch die h.L. verneinte nicht die Erfüllung des Tatbestandes, sondern schloß eine Bestrafung durch teleologische Reduktion des Tatbestandes unter Hinweis auf das Wesen der Kuppelei, die Förderung fremder Unzucht aus (Justus v.Olshausen, StGB,

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§ 180 StGB sah keine Ausnahme für polizeilich "konzessionierte", bzw. geduldete Betriebe vor. Trotzdem waren Wohnungseinweisungen in die Häuser der etablierten Rotlichtviertel eine allgemein praktizierte Auflage im Rahmen des § 361 Nr.6 StGB 101 . In allen größeren deutschen Städten existierten diese von der Polizei geduideten l02 und z.T. auch staatlich besteuerten lO3 Bordelle 104 . Auch nach zeitgenössischer Ansicht war es ein "höchst bedenklicher Widerspruch, daß das Strafgesetzbuch in § 180 die Kuppelei ohne jede Beschränkung für strafbar erklärt, dagegen in § 361 Nr.6 die LandesPolizeibehörden für befugt erklärt die Concession zur gewerbsmäßigen Unzucht unter der Bedingung zu ertheilen, daß die zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes erlassenen polizeilichen Vorschriften beachtet werden, denn derartige Vorschriften führen unvermeidlich dazu, daß die Unzucht um sie aus der Öffentlichkeit zu verbannen, an bestimmte Orte verwiesen wird und damit andere Personen die polizeiliche Erlaubnis erhalten, ihr durch Gewährung von Gelegenheit Vorschub zu leisten.,,105 Dieser Widerspruch 106 provozierte zwar eine rechtspolitische Diskussion um den richtigen Ansatz zur Reglementierung von Prostitution107, eine Lösung fand man jedoch nicht !08. Als Folge der gesetzlichen Regelung waren - historischen Berichten zufolge - Prostituierte insbesondere in Berlin, wo ohnehin Wohnungsnot herrschte, den Forderungen der Zimmerwirte, die von der Polizei geduldet an sie vermieteten, ausgeliefert !09. 1O.Aufl., § 180, Anm.14b; Reinhard Frank, § 180, Anm.VII; Binding, Handbuch 1361; Bohne, FG-Frank, S.471 m.w.N. in, Fn.2). Vgl. dazu auch:, Fn. 252. 101 Von offizieller Seite wurde dies u.a. damit begründet, daß man Prostituierten, wären sie ohne festen Wohnsitz, weder Ladungen noch Strafbefehle zustellen könnte. Tatsächlich ging es der Polizei jedoch wohl darum, Kontrolle über das Milieu zu behalten (vgl. dazu Roth, S.389). 102 Vgl. Pappritz, S.13, 19; Westerkamp, S.52; Haldy, S.65; ausführlich zur Situation in Berlin, Hamburg und Duisburg: Roth, S.397f. 103 Vgl. RGSt 45, 97ff.; RGSt 46, 237ff. 104 Vgl. Stursberg, S.92ff. m.w.N.; Henne am Rhynn, S.4f. ,7. 105 Hälschner, StrafR 11, S.690f.; vgl. auch Schmölder, Prostitution, S.24. Den Höhepunkt wissenschaftlicher Auseinandersetzung über die polizeiliche Konzessionierung stellte die sog. "Hamburger Bordellfehde" von 1872 dar, vgl. dazu Gieß, ZRP 1994, 440ff. 106 Auch die Rechtsprechung erkannte den Widerspruch, hielt aber eine einschränkende Auslegung nicht für angebracht: Diejenigen, "die ein Erwerbsgeschäft daraus machen, Mädchen zu dem Zwecke zu halten, daß sie zur Ausübung der Unzucht gegen Lohn benutzt werden können" als "die gewinnsüchtige Ausbeutung sittlicher Verkommenheit" verdienten eine andere strafrechtliche Reaktion als "die niedrige Gesinnung und Hingabe einer feilen Dirne" (RGSt 1, 88 (89)). 107 Vgl. dazu Roth, S.388f. 108 Zu den Reformvorschlägen vgl. Roth, S.389f. 109 Vgl. zur Situation in Berlin Roth, S.389. 5 Gieß

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C. Prostitution als durch die Polizei geregelte Erwerbstätigkeit

4. Prostitution als Erwerbstätigkeit

Die neue Form der Reglementierung von Prostitution - nämlich die Einrichtung einer ungeregelten Polizeiaufsicht - änderte nichts an dem Umstand, daß Prostitution, wenn sie in Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften ausgeübt wurde, eine erlaubte Tätigkeit darstellte. Dementsprechend stellt sich auch für die Epoche des Kaiserreichs die Frage, wie die zeitgenössische Jurisprudenz den Umstand beurteilte, daß es sich bei der Gewerbsunzucht um eine Erwerbstätigkeit handelte, die zwar als unsittlich galt, aber durch das Gesetz nicht verboten war. Eine Anerkennung der Prostitution als Gewerbe wurde nicht durch die Definition des Gewerbes - als "der Urproduktion nicht angehörige fortgesetzte an

und für sich erlaubte private Erwerbstätigkeit, welche ihrem Wesen nach auf dauernde Erzielung eines Gewinns gerichtet ist,,110 - gehindert. Ein Gewerbe

mußte nach damals herrschender Ansicht aber darüberhinaus objektiv erlaubt, das heißt nicht rechtswidrig sein 111 . "Rechtswidrig dem Inhalte nach ist eine Tätigkeit, die ein Jedermann verbotenes Tun darstellt"l12. Aus diesem Grunde so wurde gefolgert - könne die Prostitution kein Gewerbe sein ll3 • Daß Prostitution, wie andere gefahrenträchtige Gewerbe 1l4, lediglich derjenigen verboten war, der die Polizei die erforderliche Erlaubnis nicht erteilt hatte, bzw. die die polizeilichen Auflagen verletzte, wurde ignoriert1l5 •

Intuitiverfaßten die zeitgenössischen Juristen die Bedeutung der UnteraufsichtsteIlung als moralisch stigmatisierte, als "verschämte,,116 Erlaubnis zum Betriebe der Gewerbsunzucht sehr wohl 117• Sie konstatierten, eingeschriebenen Prostituierten werde von der in ihrem Bezirk zuständigen Polizeibehörde ein

110 Neukamp, § 1, Anm.2 m. Rspr.N.; ebenso Berg/Wilhelmi, S.42; Schecher, S.l; Nelken, S.47ff. 111 Nelken, S.S3. 112 Schecher, S.3. 1lJ Schecher, S.3, Fn.3 m.H. auf Wirschinger, Die deutsche Gewerbeordnung, der die strafrechtlichen Verbote der Tätigkeiten Kuppelei, Hehlerei usw. für Ausnahmen von dem Grundsatz der Gewerbefreiheit hält. 114 Vgl. beispielsweise §§ 32 ff. GewO. 115 Unbestritten war, daß die Prostituiertenaufsicht Züge trug, die der Gewerbereglementierung vergleichbar waren: "Zweck und Ziel der Überwachung ist also in erster Linie rein hygienischer Art. Nicht die Bekämpfung der Prostitution an sich ... " (DelbancoIBlumenfeld, S.29). Denn "[wJer ein Gewerbe, insbesondere ein gefährliches Gewerbe betreibt ist zur Anwendung einer erhöhten Aufmerksamkeit im Interesse der Allgemeinheit verpflichtet" (Schmölder, Bestrafung, S.18). 116 Fleiner, S.378, Fn.4; W.Jellinek, S.468. 117 Vgl. stellvertretend Fleiner, S.378.

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"desfalliger, jederzeit widerruflicher Erlaubnisschein" ausgestellt 118 und "damit die Ausübung der Gewerbsunzucht gestattet,,119. Prostitution sei noch immer konzessioniert und "ebendarum einer besonderen polizeilichen Kontrolle unterworfen,,120. Mit dieser Begründung rechtfertigte auch das Reichsgericht die

strafrechtliche Verankerung der Prostituiertenaufsicht:

"Denn wenn auch die Unzucht, so lange durch dieselbe nicht besondere Pflichten oder öffentliche Interessen verletzt werden, als ein lediglich dem Gebiete der inneren Moral angehöriges Handeln, der Einwirkung der staatlichen Gesetzgebung sich entziehen mag, so charakterisiert sie sich doch, sobald sie gewerbsmäßig betrieben wird, nach Außen als eine Erwerbstätigkeit. Es findet dann dasselbe Verhältniß wie bei jeder andern Erwerbsthätigkeit statt, daß sowohl über ihre Zulässigkeit überhaupt, wie eventuell über die Bedingungen und Art ihrer Ausübung Bestimmungen im Wege der Gesetzgebung getroffen werden können, deren Verletzung eine Strafbarkeit nach sich zieht." 121

Warum die verschämte Erlaubnis nicht als Gewerbeberechtigung Rechte vermittelte, wurde bereits im vorangegangenen Kapitel dargestellt. Die polizeiliche Reglementierung der Prostitution wurde auch im Kaiserreich als Ausdruck der Polizei, "daß sie den Betrieb der gewerbsmäßigen Unzucht seitens der betroffenen Weibsperson dulden wolle,,122, qualifiziert. Das Institut der "polizeilichen Duldung" vermittelte nach allgemeiner Ansicht keine Rechtsposition 123 • Eine dogmatische Ausarbeitung und Fundierung der Unterscheidung zwischen polizeilicher Duldung und Erlaubnis gab es nicht l24 •

118 Auf der Grundlage des Gesetzes die Bestrafung von Polizei-Übertretungen betreffend, vom 22.12.1870 Herzogthum Braunschweig, Ade, S.169. 119 Justus v.Olshausen, StGB, 11.Aufl., § 361 Nr.6, Anm.b m.w.N.; ähnlich Frank, StGB, 2.Aufl., § 361, Anm.lV. 120 Oppenhoff-Delius, StGB, 14.Aufl., § 361, Anm.37a. Deshalb seien Dirnen auch nicht der allgemeinen Polizeiaufsicht nach § 361 Nr.1 unterworfen. Ein "staatliches Konzessionierungssystem" sehen DelbancolBlumenfeld, S.27. 121 Erk.v.14.Juni 1873 (Oppenhoffs Rechtspr. XIV, S.431). 122 RGSt 11, 286 (287) (Hervorhebung durch Verf.); vgl. auch Justus v.Olshausen, StGB, 11.Aufl., § 361, Anm.a; zur Vorgehensweise der Polizei: Stursberg, S.104f. 123 So konstatierte Ade (S.169) für das Herzogtum Braunschweig, daß Frauen nur dann der Prostitution nachgehen durften, wenn ihnen von der betreffenden Ortspolizeibehörde ein "desfalliger, jederzeit widerruflicher Erlaubnisschein" ausgestellt worden war. 124 WeIche gesamtrechtlichen Wirkungen die Polizeierlaubnis hat, wurde nicht in bezug auf den Status der "Kontrollmädchen" diskutiert, sondern in Zusammenhang mit dem Wunsch nach einem Strafbarkeitsausschluß für Bordellbetreiber. Hier wurde eine Rechtfertigung durch die "Lehre von den Berufsrechten" erwogen (so beispielsweise Binding, Handbuch I, S.793: "Wo ein dauerndes Bedürfnis zur Vornahme bestimmter Handlungen besteht, die in fremde Rechte oder Rechtsgüter eingreifen und wo diese Handlung jahraus, jahrein

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C. Prostitution als durch die Polizei geregelte Erwerbstätigkeit

Daß sich Prostituierte und Bordellwirte in bezug auf ihre Erwerbstätigkeit nicht auf einen Rechtsstatus berufen konnten, würde sich in der Folgezeit in verschiedener Hinsicht auswirken. Im folgenden soll nur ein Aspekt näher beleuchtet werden: Die Weigerung, Prostitution als Erwerbstätigkeit anzuerkennen, umfaßte auch die Verweigerung von Rechtsschutz 125 in bezug auf die Ausübung des Gewerbes 126. Prostituierte konnten sich und ihre Einnahmen dementsprechend unter den Augen der Behörden vorgenommen werden, ohne daß diese daran Anstoß nehmen, da spricht die Vermutung für das Bestehen eines Berufsrechts. " Dagegen argumentiert Frank (StGB 2.Aufl., S.llO), daß Straffreiheit nicht mehr durch besondere Berufsrechte gerechtfertigt werden könne. Vgl.a. Meyer-Allfeld, S.196ff.; Justus v. Olshausen, Vorb. zum 4.Abschn., Anm.9. Vgl. Haldy, S.1l8ff, 123. Obwohl Kuppelei - im Gegensatz zur Prostituton - ohne Erlaubnisvorbehalt verboten war, wurde sie als "Quasi-Gewerbe" bezeichnet, das den Grundsätzen des Gewerbes, nicht des Strafrechtes, unterläge. Die Betätigung sei nicht antisozial, sondern geschehe zum allgemeinen Wohl. Die staatlich geduldete Prostitutionsbeherbergung sei vergleichbar mit der staatlichen Organisation des Glücksspiels in Form einer Lotterie, bei der auch der "allgemein stark vorhandene Spieltrieb in staatlich geregelte und geordnete Bahnen gelenkt" werde (Haldy, S.124, 126). 125 Allerdings ist kein Urteil überliefert, das sich mit der Gültigkeit des sog. Dirnenvertrages explizit auseinandergesetzt hat. 126 Auch überhöhten Mieten in den sog. freigegebenen Wohnungen waren Prostituierte schutzlos preisgegeben. Diese Mietpreise wurden unter anderem auch durch die uneinheitliche Rechtsprechung zu § 180 StGB verursacht. Wann das Überlassen eines Raumes an eine Dime tatbestandsmäßige Kuppelei darstellte, war nämlich strittig: Schon die bloße Wohnungsvermietung trug ihren Teil zur Existenzsicherung der Dime und damit zu einer günstigeren Voraussetzung zur Ausübung der Unzucht bei und hätte damit strafbar sein müssen, "weil in der Versagung eines Unterkommens für eine Prostituierte eine Erschwerung der Unzucht überhaupt liegen würde" (Justus v.Olshausen, StGB, 11.Aufl., § 180, Anm.5; RGSt 8, 236 (237f.); 25, 142 (144); vgl. auch Frank, StGB, 5.-7.Aufl., S.296; Haldy, S.8lf.; Bohne, FG-Frank, S.446). Doch sollte § 180 StGB - nach herrschender Ansicht - die reine Wohnungsvermietung nicht erfassen (RGSt 8, 236 (237); Justus v.Olshausen, 1l.Aufl, § 180, Rz.8. "ln Deutschland können Prostituierte rechtlich überhaupt nicht wohnen. Tatsächlich wohnen sie aber doch. " (Schmölder, Bestrafung, S.lO). Trotz dieser Einschränkung war das Vermieten an eine Prostituierte jedoch gefährlich, da der Vermieter nur dann straflos blieb, wenn er zu jedem Zeitpunkt davon ausgehen durfte, daß die Dime die Wohnung nicht auch zur Gewerbeausübung nutzte. Vgl. dazu die Rechtsprechung zur strafbaren Kuppelei durch Unterlassen: Vermieter, die Kündigung und Räumungsklage unterließen, obwohl sie zwischenzeitlich wußten, daß in den vermieteten Räumen Prostitution betrieben wurde, waren strafbar (vgl. Justus v.Olshausen, StGB, 11.Aufl., § 180, Anm.9; Hein, S.14; dagegen: Bohne, FG-Frank, S.464). Denn das Überlassen eines Raumes zur Ausübung der Prostitution war - wie bereits erwähnt - nach herrschender Lehre tatbestandsmäßig (vgl. RGSt 1, 88 (89f.); 8, 236 (237); 25, 142 (143f.); 41; 41, 225 (226)f.; Bohne, FG-Frank, S.446; Haldy, S.l; Miller, S.39; Westerkamp, S.52; Justus v.Olshausen, StGB, 11.Aufl., § 180, Anm.3 m.w.N.). Gegen die Ahndung der bloßen Beherbergung als Kuppelei wandte sich vor allem die Polizei. Dies wird verständlich, wenn man bedenkt, daß eine der häufigsten Auflagen nach § 361 Nr.6 StGB die Einweisung einer Dime bei einem

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nur selbst oder durch die Hilfe privater Dritter schützen. Dies hatte zur Folge, daß sich der Markt für kommerzialisierte sexuelle Leistungen in einem sublegalen System etablierte. In diesem System war die Prostituierte schwächstes Glied. Schon zu jener Zeit wiesen insbesondere die mit der Überwachung der Prostitution betrauten Ärzte darauf hin, daß die formelle Anerkennung von Prostitution als Gewerbe eine Handhabe gegen Mißbrauch innerhalb der - in Folge des Fehlens offizieller Regelungssysteme - etablierten Subkultur darstellen könnte 127 • Solche Hinweise wurden aber in der rechtspolitischen Diskussion nicht aufgegriffen. Die bürgerliche Welt war aber mit dem Prostitutionsmilieu durch geschäftliche Kontakte verbunden, beispielsweise weil der Eigentümer eines Grundstükkes, das in einer Bordellstraße lag, faktisch keine andere Möglichkeit hatte, dieses wirtschaftlich zu nutzen, als es an einen Betreiber zu verpachten oder zu verkaufen. Deshalb mußte abgegrenzt werden, wo der bürgerliche Rechtsschutz aufhörte und die Rechtlosigkeit anfing. 1896 128 verurteilte ein Gericht den Mieter eines Bordells zur Zahlung des vereinbarten Mietzinses, da "die aus einem Mietvertrage entspringenden Verpflichtungen als solche nie auf etwas Unsittliches gerichetet, noch mit einer unsittlichen Causa behaftet seien, und der vom Bekl. bei der Mietung ins Auge gefaßte Zweck beim Vertragsschlusse für ihn nur ein Beweggrund gewesen sei, der rechtlich nicht weiter in Betracht komme,,129. Der VI. Senat des Reichsgerichts stellte sich auf einen anderen Standpunkt: Er war der Ansicht, wenn "nach dem übereinstimmenden Bewußtsein beider Kontrahenden das vermietete Haus Unzuchtszwecken" dienen sollte, so sei das Geschäft als Kuppelei gern. § 180 StGB strafbar. Der Mietvertrag dürfe dann nicht zivilrechtlich als gültig behandelt werden, "da alle Verträge, deren unmittelbarer Inhalt gegen die guten Sitten verstößt, nichtig sind". Demgegenüber nahm der 11. Senat des Reichsgerichts im Jahr 1906 bezüglich des Bordellverkaufes eine andere Differenzierung vor130 : Das Berufungsgericht hatte festgestellt, "für den rechtlichen Charakter eines Kaufgeschäftes sei einschlägigen Vermieter war (vgl. Haldy, S.66). Das Strafverfolgungsrisiko oder das kalkulierte Ausnutzen der Situation machte sich für die Dirnen in einem Zuschlag auf die Miete bemerkbar (vgl. Schmölder, Prostitution, S.19). Dadurch verschlimmerte sich die soziale Situation der Dirnen (FIeseh, S.56f.; Haldy, S.87f.; Bohne FS-Frank, S.452f.). 127 FIeseh, S.49ff. 128 Auch in dieser Zeit galten Verträge, deren unmittelbarer Inhalt gegen die guten Sitten verstieß, was von der Vereinbarung des entgeltlichen Geschlechtsverkehrs ohne weiteres angenommen wurde, als nichtig (1.4 Cod. de inutil. stip. 8,39 (38». 129 Wiedergegeben in RGZ 38,193 (200) m.w.N. 130 RGZ 38, 193 (200).

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C. Prostitution als durch die Polizei geregelte Erwerbstätigkeit

es gleichgültig, zu welchem Zwecke der Käufer die gekaufte Sache verwenden wolle, insbesondere ob er sie zu unsittlichen Zwecken zu verwenden beabsichtige", da dem Verkäufer nach der Veräußerung keine Einwirkung auf die Sache mehr möglich sei l3l . Der Kaufvertrag sei also gültig, obwohl anzunehmen sei, daß die Beklagte das Inventar nur - und nur zu dem hohen Preis - gekauft habe, um das. Bordell zu erhalten 132 • Der H. Senat des Reichsgerichts 133 verweist zurück, um feststellen zu lassen, ob nach dem "aus der Zusammenfassung von Inhalt, Motiv und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter" das Geschäft nach objektiven und subjektiven Momenten - insbesondere wegen der "aufgeputzten Preise" - nicht doch gegen die guten Sitten verstößt 134 • Diese Tendenz, dem besonderen Profit aus der Prostitutionsausübung keinen Rechtsschutz zu gewähren 135 , wurde auch durch ein Urteil im Jahr 1909 bestätigt. Dieses sprach einem Handwerker die Werklohnforderung wegen Werkleistungen an einem Haus, das als Bordell genutzt werden sollte, zu, obwohl sie mit Wissen um die geplante Verwendung des Hauses erbracht worden waren 136 • In dem Urteil führte das Gericht aus, zur Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit genüge nicht, daß ein Vertrag mit Wissen des unsittlichen Verwendungszwecks abgeschlossen werde. Ein Vertrag sei gültig, solange der auf Förderung der Unzucht gerichtete Zweck nicht Inhalt und Gegenstand des Vertrages geworden sei. So liege es in dem zu entscheidenden Fall, da weder besondere bauliche Vorrichtungen für den Betrieb als Bordell vorgenommen, noch überhöhte Preise für die Leistung vorgesehen worden seien 137 • Mit Hilfe dieser Kasuistik trennte das Reichsgericht die Ehrlichen von den Unehrlichen in der Sphärung der Ehrbarkeit: Wer an dem Profit der Prostituierten teilnahm, machte sich selbst unehrlich und verlor damit seinen Rechtsschutz im Gegensatz zu jenem, der eine neutrale Vertragsleistung zum üblichen Preis erbrachte.

1J1 RGZ 63, 346 (347). Dies gilt nach Ansicht des Reichsgerichts auch, wenn dem Verkäufer bekannt sei, daß der Käufer einen unsittlichen Gebrauch beabsichtige. Alle Nebenabreden, die den Vertrag mit anderen unsittlichen Rechtsgeschäften derartig eng verbänden, daß auch er gegen die guten Sitten verstoße, seien relevant (RGZ 63, 346 (347)). 132 RGZ 63, 346 (348). m Obwohl der Senat der Argumentation im wesentlichen zustimmt (RGZ 63, 346 (349)). 134 RGZ 63, 346 (350). 135 Vgl.a. RGZ 68, 97ff. 136 RGZ 71, 192ff. m RGZ 71,192 (193f.).

III. Abolitionistische Bewegung

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III. Abolitionistische Bewegung und andere Kritik an der Reglementierung von Prostitution Mit dem Ende des 19. Jahrhunderts schwand die gesellschaftliche Akzeptanz für das auf der ungeregelten Polizeiaufsicht basierende Modell der Prostituiertenreglementierung 138. Sozialreformerische Bewegungen, die teils in der Kirche, teils in der sich allmählich konstituierenden Frauenbewegung angesiedelt waren, formulierten öffentlich Protest gegen die staatliche Reglementierung einer Klasse von Frauen zur Ausübung der Gewerbsunzucht. Die sog. Abolitionisten und Abolitionistinnen wehrten sich sowohl gegen die Vermarktung von Frauen als auch gegen die der Reglementierung zugrundeliegende Doppelmoral der Gesellschaft. 139 Die Bewegung wurde zur Plattform sozialreformerischen Engagements bürgerlicher Frauen 140 in Deutschland 141 • Sie forderte die Abschaffung der polizeilichen Reglementierung als m Vgl. dazu Roth, S.382ff.

139 Interessanterweise war es dieser Kampf gegen die staatlich reglementierte Prostitution, der bürgerliche Frauen in Deutschland das erste Mal bewog, aus ihrer traditionellen Rolle herauszutreten. Wahrscheinlich, weil sie sich entsprechend dem bürgerlichen Ideal der Fr.au als Tugendträgerin, Gattin und Mutter auch gerade dazu berufen fühlten. Welche Uberwindung es die prüde erzogenen Frauen zu jener Zeit gekostet haben muß, entgegen ihrer Gewohnheit "aus dem ihnen von der Häuslichkeit gebotenen Wirkungskreise herauszutreten" (Pappritz, Einführung, S.4) und sich gerade dieses tabuisierten Männerthemas anzunehmen, ist heute nur schwer nachzuvollziehen (vgl. dazu: ausführlich Janssen-Jurreit). Bezeichnend für die dadurch ausgelöste Empörung ist eine Äußerung des Bundesbevollmächtigten von Hamburg, Syndikus Schäfer: "Solche Damen, die in dieser Weise derartige Fragen besprechen, bilden trotz ihrer wohlmeinenden Absichten für die öffentliche Sittlichkeit eine weit größere Gefahr als diejenigen Einrichtungen, die sie kritisieren. " (zitiert nach Janssen-Jurreit, S.24). 140 Männliche Unterstützer hatten sie vor allem aus dem kirchlichen Bereich (vgl. beispielsweise FIeseh, S.9f., 15ff.; ausführlich dazu Tschirch, S.42). 141 Die Abolitionistische Föderation war nach dem Vorbild Josephine Butlers "Abolition ist Movement" (ausführlich dazu: Josephine J. Butler) gegründet. Die Föderation stellte den ersten breiten Bürgerinnenprotest in Deutschland dar, obwohl die Versammlungen und Vereinigungen der Abolitionistinnen wegen § 8 des Vereinsgesetzes vom 11.3.1850 (GS 1850, S.277), der die Aufnahme von Frauen in politische Vereine verbot, von polizeilicher Schließung bedroht waren. Für das gesellschaftspolitische Engagement bürgerlicher Frauen in Deutschland kennzeichnete sie den Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert, während sich beispielsweise in Großbritannien Frauen für die Einführung des Frauenwahlrechts engagierten. Schon 1880 hatte Gertrud Guillaume-Schack den "Deutschen Kulturbund", der sich die Abschaffung des § 361 Nr.6 zum Ziel gesetzt hatte, gegründet. Doch ihre Arbeit fand noch nicht das Echo, das die abolitionistische Bewegung in den 90er Jahren hervorrufen würde, geführt von Anna Papp ritz und Hanna Bieber-Böhm und unterstützt durch den sog. "linken Flügel" der Frauenbewegung.

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C. Prostitution als durch die Polizei geregelte Erwerbstätigkeit

"einseitige, nur die Frau betreffende polizeiliche Kontrolle (Reglementierung) und die damit zusammenhängende staatliche Anerkennung der Prostitution als 'Gewerbe,.,,142 "Der schlechte Einfluß ... , den diese Maßnahmen auf das sittliche Bewußtsein im Volke ausüben, indem sie den Glauben an die Nothwendigkeit des Übels unterstützen und der Schwäche des Mannes Vorschub leisten, kommt zur vollen Geltung und zwar nicht nur den Frauen unter Kontrolle, sondern allen Frauen gegenüber."143

Die Abolitionistische Bewegung löste mit dem Protest eine grundsätzliche rechtspolitische Diskussion über Zulässigkeit und Zweck staatlicher Reglementierung von Prostitution aus. Gegenpol der Abolitionistischen Bewegung in dieser Diskussion waren - obwohl sie im Ergebnis ebenfalls eine Abschaffung des praktizierten Reglementierungssystems forderten - bürgerliche Vertreter im Parlament, die eine konsequente Unterdrückung der Prostitution forderten 144 • Die Forderungen der Abolitionistinnen nach einer Abschaffung der Einschreibung fand insbesondere Unterstützung bei den Ärzten, die in der öffentlichen Gesundheitsfürsorge tätig waren. Die Ärzte hofften, Prostituierte würden sich nach Abschaffung des Einschreibungsmodells, freiwillig zu den Kontrolluntersuchungen begeben, wenn sie keine weiteren Repressalien infolge einer Zwangseinschreibung zu fürchten hätten. Schließlich zweifelten auch Juristen an der Zulässigkeit der bis dato praktizierten Reglementierung. Sie prüften die von der Polizei für die Prostituierten-

Die Bewegung spaltete sich jedoch bald. Die sogenannten "Moralistinnen", zu ihnen zählte Hanna Bieber-Böhm, wollten die bestehenden Strafbestimmungen auch auf Männer ausweiten und traten für eine längerfristige Unterbringung Geschlechtskranker in Asylen ein. Ihnen standen die radikaleren "Abolitionistinnen" gegenüber. Ihre Hauptwortführerin war Anna Pappritz, die die Abschaffung des Reglementierungssystems und die Entkriminalisierung der Prostitution forderte (vgl. ausführlich Anna Pappritz, S.Hf.). 142 DelbancolBlumenfeld, S.29. 143 Guillaume-Schack, in: Jansen-Jurreit, S.64. Sie attackierten die den Gesetzen zugrundeliegende "doppelte Moral", die die Frauen der Reglementierung, das heißt Zwangsuntersuchungen, Wohnungs- und Bewegungsbeschränkungen unterwarf, während der Mann, der sich der Prostituierten bediente, keiner Maßregelung ausgesetzt wurde (vgl. auch Anna Pappritz, Einführung,·S.222): Die praktizierte Reglementierung sei "schädlich und demoralisierend", da die Frauen durch die "Inskribierung" zur Prostitution gebracht oder darin festgehalten würden (Löwenstein, S.3f.; Schmölder, Prostitution, S.26; Peters, S.64f.; insbesondere, wenn sie die Prostitution nur als Nebenerwerb betrieben (Blaschko, S.9) und - "zur Ware" gemacht lediglich der gesundheitlich möglichst ungefährdeten Befriedigung männlicher Sexualtriebe dienten (Peters, S.63; vgl. Tschirch, S.4H.; Schewen, S.165). Insgesamt sei das Modell geeignet, "die Achtung des Mannes vor der Frau systematisch zu untergraben" (Schmölder, Bestrafung, S.6). 144 Vgl. dazu Roth, S.389, 391.

III. Abolitionistische Bewegung

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reglementierung herangezogenen Ermächtigungsgrundlagen kritisch: Die polizeiliche Generalklausel (11 17 § 10 ALR) war - im Gegensatz zu den anderen Gesetzen, die vergleichbar empfindliche Polizeieingriffe zur Gefahrenabwehr regelten - unbestimmt gehalten. Die daraus entstehenden Probleme hat das vorige Kapitel vor Augen geführt. Immer öfter wurde in Frage gestellt, ob die polizeiliche Generalklausel angesichts der wachsenden Anforderungen an den Gesetzesvorbehalt noch für die praktizierte Prostituiertenreglementierung ausreichte. Ob § 361 Nr.6 StGB als Ermächtigungsgrundlage herangezogen werden durfte, wurde mit der zunehmenden Durchsetzung der Rechtsgutslehre in der Strafrechtswissenschaft ebenfalls bezweifelt. Jetzt sprach man wieder aus, was seit dem Allgemeinen Landrecht verdrängt worden war: Prostitution sei an sich nicht strafwürdig. Sie stelle keinen Eingriff in die Rechte anderer dar, sondern lediglich möglicherweise eine Verletzung der eigenen Person 145 : "Eine Frau, die sich jedem preisgibt, verletzt damit eigentlich nur ihre eigene Geschlechtsehre. Sie begeht eine Selbstverletzung wie der Selbstmörder, und eine Selbstverletzung, mag sie moralisch noch so verwerflich sein, ist nach heutiger Anschauung rechtlich eine indifferente Handlung. Dabei bleibt es auch dann, wenn die Selbstverletzung zum Gewerbebetrieb wird." 146

Allerdings dürfe auch die Prostituierte nicht den öffentlichen Anstand oder die öffentliche Sicherheit beeinträchtigen 147 . Der Staat "muß darüber wachen, daß daraus [aus der Prostitution, Verf.] weder Rechtsverletzungen noch andere Schädigungen erwachsen. Da der Staat namentlich auch über die Erhaltung der öffentlichen Gesundheit zu wachen hat, so muß er dies auch gegenüber der Unzucht tun, welche bekanntlich die Gefahr der Ansteckung mit Krankheiten in sich birgt." 148

Von diesem Konsens, nämlich daß der Staat nicht eine Klasse von Frauen zur Ausübung der Gewerbsunzucht der Polizeireglementierung überlassen darf, um eine möglichst ungefährliche und unauffällige Prostitution zu gewährleisten, er aber sittliche oder gesundheitliche Gefährdungen abwehren dürfe, gingen alle Reformbestrebungen aus.

Schmölder, Prostitution, S.l. Schmölder, Bestrafung, S.18. 147 Schmölder, Prostitution, S.2,18. Dementsprechend wurde in einem 1909 geschaffenen Vorentwurf die vollständige Entkriminalisierung der Gewerbsunzucht zunächst erwogen, dann aber wegen der sanitäts- und siuenpolizeilichen Gefahren und dem "notorischen innigen Zusammenhang mit dem Verbrechertum abgelehnt" (Begr. zum Vorentwurf von 1909, S.850f., wiedergegeben bei Westerkamp, S.66). 14M Grundsätze zum StGB wiedergegeben bei Henne am Rhyn, S.104. 145

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C. Prostitution als durch die Polizei geregelte Erwerbstätigkeit

Mit dem Gesetz betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30.6.1900 149 gab der Gesetzgeber den Forderungen der Vertreter der Sanitätspolizei nach einer neutralen Grundlage für die Prävention ansteckender Krankheiten nach. Das Gesetz sah die UnteraufsichtsteIlung nicht mehr als Voraussetzung einer Zwangsuntersuchung vor. Diesem Beispiel folgte das 1905 erlassene preußische Gesetz betreffend die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten l50 • Durch die Neuregelung hätte erstmals in Deutschland eine Prävention gegen übertragbare Krankheiten stattfinden können, die zum einen nicht nur auf Prostituierte ausgerichtet, und zum anderen für Prostitutierte von den Repressalien einer polizeilichen Einschreibung abgelöst gewesen wäre l51 • Allerdings wurde dieses Konzept in der Praxis in beiderlei Hinsicht nicht akzeptiert. Viele zeitgenössische Äußerungen sprechen dafür, daß fast ausschließlich Prostituierte einer Zwangsbehandlung unterzogen wurden 152 . Begründet wurde dies mit der "unglaublichen Indolenz gegen venerische Krankheiten"I53. "Ganz ausnahmsweise begegnet man einer Prostituierten, die ihre venerische Krankheit als ein Unglück be149 RGBI I 1900, 306. Gern. § 12 des Gesetzes konnten "Kranke und krankheitsoder ansteckungsverdächtige Personen" einer Beobachtung unterworfen werden. Eine Beschränkung in der Wahl des Aufenthalts war zu diesem Zwecke "nur bei Personen zuläßig, welche obdachlos oder ohne festen Wohnsitz sind oder berufs- oder gewohnheitsmäßig umherziehen." Nach § 14 konnte für "kranke oder krankheits- oder anstekkungsverdächtige Personen" Quarantäne angeordnet werden; etc. 150 Gesetz vom 28.8.1905; Gesetz-Sammlung f.d. Kgl.Preuß.Staaten 1905,373. Um die Ausbreitung von Syphilis, Tripper und Schanker zu verhindern, konnte gegen Personen, welche "gewerbsmäßig Unzucht treiben", für die Dauer der Krankheitsgefahr folgende Absperrungs- und Aufsichtsrnaßregeln angeordnet werden (§ 8 Nr.9): Beobachtung kranker, krankheits- oder ansteckungsverdächtiger Personen und Absonderung kranker Personen gern. §§ 12, 14 Abs.2 des Reichsgesetzes betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten (RGBI. 1900,306). 151 Allerdings bestimmten die preußischen Ausführungsbestimmungen vom 7.10.1905 (abgedruckt bei Westerkamp, S.56) zu § 9 des Landesgesetzes: "Personen, welche gewerbsmäßig Unzucht treiben sind anzuhalten, sich an bestimmten Orten und zu bestimmten Tagen und Stunden zur Untersuchung einzufinden. Wird bei dieser Untersuchung festgestellt, daß sie an Syphilis, Tripper oder Schanker leiden, so sind sie anzuhalten, sich ärztlich behandeln zu lassen. - Es empfiehlt sich durch die Einrichtung öffentlicher ärztlicher Sprechstunden diese Behandlung möglichst zu erleichtern. - Können die betreffenden Personen nicht nachweisen, daß sie diese Sprechstunden in dem erforderlichen Umfange besuchen, oder besteht begründeter Verdacht, daß sie trotz ihrer Erkrankung weiter der gewerbsmäßigen Unzucht nachgehen, so sind sie unverzüglich in ein geeignetes Krankenhaus zu überweisen und aus demselben nicht zu entlassen, bevor sie geheilt sind. " 152 Vgl. dazu: Dannemann, S.13; Westerkamp, S.55; ]ustus v.Olshausen, StGB, 11.AufI., § 361 Nr.6., Anm.c). 153 Ströhmberg, S.52.

III. Abolitionistische Bewegung

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trachtet und völlige Genesung wünschend, gern alle ärztlichen Verordnungen erfüllt." 154

1907 forderte ein Ministererlaß die Polizei auf, von sanitätspolizeilichen Maßnahmen "ganz unabhängig von der Frage Gebrauch zu machen, ob gemäß § 361 Nr.6 StGB eine sittenpolizeiliche Aufsicht zu verhängen sei, und [... ] die gesundheitspolizeiliche Überwachung der Prostituierten als vorwiegend ärztliche Einrichtung von den besonderen zur Aufrechterhaltung der Sittlichkeit erforderlichen Maßnahmen [zu] trenne[n], sie dadurch von manchen lästigen Nebenwirkungen befreien und doch gleichzeitig zum Besten der Volksgesundheit in weiterem Umfang zur Durchführung bringen könnten.,,155 In dem Erlaß wurde weiterhin angeordnet, daß einer Frau, die wegen des Verdachts der Gewerbsunzucht von der Polizei aufgegriffen werde, ein Verzeichnis der öffentlichen Sprechstunden zur Beratung Geschlechtskranker ausgehändigt und die Auflage erteilt werden solle, sich dort untersuchen zu lassen und anschließend ein Gesundheitszeugnis vorzulegen. Einer Zwangsuntersuchung sollten nur die Frauen unterworfen werden, bei denen ernsthaft zu befürchten stehe, sie würden sich der Untersuchung nicht freiwillig unterziehen 156 • Durch das Gesetz von 1905 seien ausreichende Möglichkeiten geschaffen worden, um die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten zu verhindern. Deshalb sollte die "einschneidende und ernsthafte Maßnahme" der UnteraufsichtsteIlung nur noch durch "ein besonders gründliches und vorsichtiges Verfahren (...) trotz damit verbundener Verzögerung" möglich sein 157• Zeitgenössischen Äußerungen zufolge scheiterte die Reform jedoch an der Haltung der zuständigen Verwaitungsbeamten: "Die neue Tonart fand damals keinen rechten Widerhall in den praktisch zuständigen Dienststellen und deshalb blieb vieles beim alten."m

154 Ströhmberg, S.53. Daß die Prostituierten sich gegen die Zwangsbehandlung gewehrt haben, verwundert angesichts der Umstände nicht: "ln Dorpat wurden bis vor wenigen Jahren die Prostituierten in einer mit Gittern versehenen Abtheilung des Krankenhauses hinter Schloß und Riegel gehalten. 1/ (Ströhmberg, S.53; vgl. auch v.Zumbusch, S.107). 155 Erlaß des Ministers des Innem vom 11.12.1907 (Ministerialblatt für die preußische innere Verwaltung 1908, S.14ff.); vgl. auch Westerkamp, S.57f.; de Grais, S.305; Galli, S.9. 156 Erlaß des Ministers des Innem vom 11.12.1907 (Ministerialblatt für die preußische innere Verwaltung 1908, S.14ff.); vgl. auch Westerkamp, S.58; Wolzendorff, Polizei und Prostitution, S.43f. 157 Erlaß des Ministers des Innem vom 11.12.1907 (Ministerialblatt für die preußische innere Verwaltung 1908, S.14ff.); vgl. auch Dannemann, S.13; Wolzendorff, S.44f. 15~ Lindenau, Sp.81. Vgl.a. Haldy, S.73f.; Dannemann, S.13.

D. Die Freigabe von Prostitution Die Reformbedürftigkeit des Einschreibungsmodells war - aus den im vorangegangenen Kapitel ausgeführten Gründen - schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch von offizieller Seite anerkannt worden. Trotzdem überdauerte diese Einrichtung noch zwei Jahrzehnte.

I. In der Weimarer Republik Erst im Jahr 1927 wurde die Prostitutionsausübung durch das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten (GeschIKrG) "freigegeben ,,1. Das bedeutete, daß Prostituierte nicht mehr der Polizeiaufsicht unterstellt sein mußten, um straflos ihrem Gewerbe nachgehen zu können. Sie mußten - den gesetzlichen Regelungen zufolge - lediglich die durch das Strafrecht festgelegten Grenzen der Prostitutionsausübung beachten und sich regelmäßig auf ansteckende Krankheiten untersuchen lassen. Die Prostituierten konnten in den durch § 361 Nr.6 und § 361 Nr.6a StGB kodifizierten Grenzen tätig sein. Strafbar war danach, "wer öffentlich 2 in einer Sitte oder Anstand verletzenden oder andere belästigenden Weise zur Unzucht' auffordert4 oder sich dazu anbietetS" (§ 361 Nr.6 n.F.) oder "wer gewohnheitsmäßig6 zum Zwecke des Erwerbes in der Nähe von Kirchen oder in der Nähe von 7 Schulen oder anderen zum Besuche durch Kinder oder Jugendliche beI Vgl.: Begr. zu dem Entwurf von 6.Juni 1925, der dem Gesetz zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten von 1927 zugrundelag (E 1925), abgedruckt in: Hellwig, GeschlkrG, GeschlkrG, S.458. 2 Öffentlich war das Anerbieten an einen unbestimmten Personenkreis. Dieser konnte auch durch eine einzelne Person repräsentiert werden (RG DJZ 1928, Sp.1026). Tatbestandsmäßig konnte also eine Aufforderung an einen beliebigen Straßenpassanten sein (Ebermayer, RStGB, 4.Aufl., § 361, Anm.VI, Rz.7). , Unter Unzucht wurde noch immer ''jedes gegen Zucht und Sitte verstoßende Handeln im Bereich des geschlechtlichen Umgangs zwischen mehreren Personen" verstanden (RGSt 11,4; Hellwig, GeschlkrG, GeschlkrG, S.325). Die Unzucht mußte nach dem Wortlaut dieser Alternative nicht gewerbsmäßig betrieben werden. Hier handelte es sich aber wohl um ein Versehen des Gesetzgebers, das von der Literatur nicht weiter zur Kenntnis genommen wurde, vgl. beispielsweise Ebermayer, RStGB, 4.Aufl., § 361, Anm.lV, Rz.l, der seinen Ausführungen zu § 361 Nr.6 voranstellte, daß die "gewerbsmäßige" Unzucht neu geregelt sei.

I. In der Weimarer Republik

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stimmten Örtlichkeiten~ oder in einer Wohnung in der Kinder oder jugendliche Personen zwischen drei und achtzehn Jahren wohnen 9 , oder in einer Gemeinde mit weniger als fünfzehntausend Einwohnern, für welche die oberste Landesbehörde zum Schutze der Jugend oder des öffentlichen Anstandes eine entsprechende Anordnung getroffen hat lO , der Unzucht nachgeht" (§ 361 Nr.6a).

4 Als Aufforderung i.S.d. § 361 Nr.6 n.F. galt eine "an einen anderen sich richtende Kundgebung, durch welche der Auffordernde diesen in einer erkennbaren, wenn auch vieleicht von ihm nicht erkannten Tun oder Lassen bestimmen will" (Justus v.Olshausen, § 110, Anm.3; Hellwig, GeschlkrG, S.324f.). 5 Ein "Sichanbieten" lag vor, "wenn jemand sich einem anderen gegenüber bereit erklärt, Unzucht zu begehen" (Hellwig, GeschlkrG, S.325). 6 Darunter wurde der "durch Übung ausgebildete, bewußt oder unbewußt selbsttätig fortwirkende Hang zur Vornahme der fraglichen Handlung" verstanden (Hellwig, GeschlkrG, S.326). Diese Umschreibung der Gewerbsmäßigkeit zeigt, wie nunmehr - im Gegensatz zu früheren Definitionen - der Schwerpunkt von dem Aspekt der Erwerbstätigkeit auf das abweichende Verhalten verlagert wird. 7 Diese kursorische Tatbestandsfassung wurde kritisiert. Man fürchtete, daß das Merkmal "in der Nähe von" der Polizeiwillkür wieder Tür und Tor öffnen könnte. Versuche, dieses Merkmal anhand der ratio der Vorschrift zu konkretisieren, illustrieren seine Untauglichkeit: Nach Ansicht des Bayrischen Oberlandesgerichts war für die Strafbarkeit maßgeblich, ob die Prostitution an einem Ort ausgeübt wurde, "der in einem solchen Verhältniss räumlicher Nähe zu der Kirche steht, daß wegen dieser Nähe der Unzuchtsbetrieb geeignet ist, von der religiös gesinnten Bevölkerung als eine Verletzung der Ehrwürdigkeit des Ortes empfunden zu werden." (BayObLG JurW 58, S.3393; vgl. auch Dalcke, StGB, 24.Aufl., § 361, Anm.74c). 8 Auch die "für Kinder oder Jugendliche bestimmten Orte" entpuppten sich als problematisches Kriterium: Der Gesetzgeber hatte sie weder definiert (eine gesetzgeberische Definition forderte: Löwenstein, Deutsche Zeitschrift für die Wohlfahrtspflege, Jhg.2, S.613), noch Vorgaben für die maßgeblichen Altersgrenzen gemacht. Im Hinblick auf die ratio, Kinder keiner sittlichen Gefährdung auszusetzen, wurde die untere Grenze an der Wahrnehmungsfähigkeit, die obere an der sittlichen Festigung gezogen. Kinder i.d.S. seien zwischen 3 bis 9 Jahre alt (Hellwig, OeschlkrG, S.330). Die Orte mußten zum Besuch durch die Kinder bestimmt sein und nicht bloß von diesen tatsächlich in Anspruch genommen werden. Vom Tatbestand erfaßt wurden beispielsweise Pensionate, Waisenhäuser, etc. (Hellwig, GeschlkrG, S.330). 9 Es war Prostituierten verboten, in einer von Kindern oder Jugendlichen bewohnten Wohnung ihrem Gewerbe nachzugehen. Doch sie durften dort wohnen (Hellwig, GeschlkrG, S.33lf.). Eine gemeinsame Wohnung i.d.S. sollte nicht nach dem Abschluß eines gemeinsamen Mietvertrages, sondern nach der faktischen räumlichen Enge bemessen werden. Als eine Wohnung galten demgemäß alle Räume, "die einen gemeinsamen Korridorabschluß haben oder die so liegen, daß ihre Bewohner, auf die gemeinsame Benutzung der Küche, des Aborts oder des Baderaums angewiesen sind" (Erklärung des Ministerialdirektors Dammann bei Beratung des GE IV Ber.l, S.17 (wiedergegeben bei Hellwig, GeschlkrG, S.333). 10 Wollte eine Gemeinde von der Regelung Gebrauch machen, mußte sie die Ausübung von Prostitution gänzlich verbieten. Man befürchtete, daß, wenn die Möglichkeit

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D. Die Freigabe von Prostitution

Diese - durch das Gesetz zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten (GeschIKrG) eingeführten - Strafvorschriften sollten vor allem sicherstellen, daß die Allgemeinheit nicht durch sichtbare Prostitution belästigt wurde. Das GeschlKrG erweiterte den - bereits im vorangegangenen Kapitel erläuterten - Kuppeleitatbestand (§ 180 StGB ll ) zum einen um ein ausdrückliches Bordellverbot in § 180 Abs.2 StGB: "Als Kuppelei gilt insbesondere die Unterhaltung eines Bordells oder eines bordellartigen Betrieb.,,12 Zum anderen legalisierte er in § 180 Abs.3 StGB die Wohnungsgewährung J3 an eine Prostituierte, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte, wenn damit kein "Ausbeuten l4 der Person, der die Wohnung gewährt ist, oder ein Anwerben 15 oder Anhalten dieser Person zur Unzucht verbunden ist" (Abs.3).

bestanden hätte, die Ausübung von Gewerbsunzucht an die Einhaltung bestimmter Auflagen zu binden, sich in Kleinstädten wieder eine Reglementierung alten Stils etabliert hätte (Hellwig, GeschlkrG, S.335). Andere Aufenthaltsbeschränkungen oder Verhaltensmaßregeln durch polizeiliche Strafvorschriften waren aufgrund der reichsrechtlichen Bestimmungen unzulässig (Abschn III des Runderlaßes über die Sittenpolizei vom 23.6.1927, VMBL, S.699 u. MBliV, S.957; Sellmann, GeschlkrG, GeschlkrG, S.28). Wie schon zuvor konnte der Strafrichter lediglich die formelle Rechtmäßigkeit, nicht aber die Zweckmäßigkeit der Anordnung überprüfen (Hellwig, GeschlkrG, S.335). 11 Der frühere Kuppeleitatbestand war zu § 180 Abs.l geworden. An seiner Auslegung änderte sich nichts. Restriktivere Auslegungen des Tatbestandes, beispielsweise in der Form, daß das Vorschubleisten auf Fälle der tatsächlichen Ausübung der Unzucht begrenzt würde (vgl. dazu: Hein, S.8ff.), konnten sich nicht durchsetzen (vgl. beispielsweise: RGSt 15,361; 2, 164). Zu Vorschlägen zur Reform des Kuppeleiparagraphen (beispielsweise lediglich Gewaltanwendung, den Mißbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses und Jugendschutzbestimmungen als Kuppelei zu bestrafen), vgl. Bohne, FG-Frank, S.515. 12 Bordell i.S.d. § 180 Abs.2 wurde als "ein auf Gewinnerzielung gerichtetes Unternehmen, bei dem der Inhaber Dirnen, die in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen und sich zur Ausübung der Unzucht für verpflichtet halten, Räume zur Ausübung der Unzucht zur Verfügung stellt" definiert (RG JW 1929, 1019; RG JW 1929, 1023; vgl. Bohne JW 1929, 1019ff.; Drs.RT XIII/II Session 1914/18, Nr.1287, S.110; Dannemann, S.105f.). 13 Unter Wohnungsgewährung i.S.d. § 180 Abs.3 wurde von der Rechtsprechung das "Gewähren einer zu dauerndem Aufenthalt bestimmten Räumlichkeit", auch zur Ausübung der Unzucht verstanden (Hellwig, GeschlkrG, S.316). 14 Ausbeutung i.S.d. § 180 Abs.3 wurde - in Abgrenzung zum Begriff der Eigennützigkeit i.S.d. Abs.1 - nur dann bejaht, "wenn aus der Zwangslage der Person, der die Wohnung gewährt wird, bewußtermaßen ein übermäßiger Vorteil gezogen wird" (RG JW 1929, 1019; 62, 341ff. (345ff.); RG JW 1929, 1023; RGSt 63, 166ff.; OLG Hamburg JW 1929, 1068; Hellwig, GeschlkrG, S.317; Bohne, FG-Frank, S.493).

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Hintergrund der Reform der strafrechtlichen Vorschriften waren vor allem gesundheitspolizeiliche Erwägungen. Unter der alten Regelung hatten Frauen sich aus Angst davor, nach einer Kontrolluntersuchung in die Kontrolliste der Polizei eingetragen und damit der umfassenden Reglementierung unterworfen zu werden, der sanitätspolizeilichen Kontrolle entzogen 16 • Hinzu traten fürsorgerische Aspekte. Man glaubte, daß die Frauen durch die Abschaffung der UnteraufsichtsteIlung leichter einen Weg aus der Prostitution finden würden 17 •

1. Reglementierung der Prostitution Durch die Freigabe sollten also die Repressalien des vorhergehenden Reglementierungsmodelles entfallen und mit Hilfe der neuen sanitätspolizeilichen

In Zusammenhang mit diesem Tatbestandsmerkmal etablierte sich die Rechtsprechung zum sog. "Unbequemlichkeitszuschlag": Eine in geringem Maße überhöhte Miete wurde mit Hinweis auf die Unbequemlichkeiten in Zusammenhang mit der Vermietung an eine Prostituierte gerechtfertigt. Schon in der Begründung zum GeschlKrG sei ausgeführt worden, daß Vermieter "mit Rücksicht auf die Entwertung der anderen Wohnungen und mit Rücksicht auf die sonstigen Unanehmlichkeiten und Unbequemlichkeiten einen etwas höheren Mietzins" verlangten (Begründung, S.12 zit. nach Hellwig, GeschlkrG, S.317). Eine solche Argumentation widersprach dem Geist des § 180 Abs.3: "Es darf nie und in keiner Form auf die Frauen Druck ausgeübt werden, daß sie ihre Zahlungsfähigkeit dadurch erhöhen, daß sie sich der Gewerbsunzucht hingeben oder darin verbleiben. " Vgl. auch § 10 ReichsrnietenG vom 24.3.1922, nach dieser Regelung konnte von Prostituierten ein Zuschlag nicht verlangt werden. Erkannte man den Unbequemlichkeitszuschlag als zulässig an, stellte sich die Frage, wann ein über dem normalen Mietzins liegender Betrag als Ausbeuten i. S.d. § 180 Abs.3 strafbar war (Bohne, FG-Frank, S.493 m.w.N. in, Fn.3, 4, 5 u., S.507f.). Auch die verschiedenen Senate des Reichsgerichtes beurteilten das Vorliegen einer Ausbeutung unterschiedlich: Während der erste Senat auf abstrakte Rechtsregeln abstellte, nämlich, ob die Prostituierte gegen den Mietzins nach § 49a MietSchG hätte vorgehen können (RGSt JW 1929, 1021; RGSt 62, 345), stellte der dritte Senat auf die tatrichterlichen Feststellungen im Einzelfall ab, demzufolge ein Ausbeuten' nur dann vorliege, wenn es sich um "ein bewußtes, über die Gewiihrung eines für die Wohnung zu fordernden angemessenen Entgelts hinausgehendes Ausnutzen der Mieterinnen" handele (RG JW 1929,1023). 15 Zur Prostitution warb an, wer einen anderen durch Vertrag zur Ausübung der Prostitution "für längere Zeit" verpflichtete (Dalcke, StGB, 23.Aufl., § 180, Anm.66d). Anhalten im Sinne dieser Vorschrift war die dauernde Beeinflußung dahingehend, die Gewerbsunzucht auszuüben (Ebermayer, RStGB 4.Aufl" § 180, Anm.16), Das Fehlen veröffentlichter Rechtsprechung zu den Alternativen wirft ein Licht auf die praktische Relevanz der Vorschrift. 16 Vgl. beispielsweise Begründung zu dem Entwurf des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 6Juni 1925 abgedruckt bei Hellwig, GeschlkrG, S.439ff. (454). 17 Bohne, FG-Frank, S.488; Hellwig, GeschlkrG, S.31L

D. Die Freigabe von Prostitution

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Regelungen des GeschlKrG eine Verbreitung von Geschlechtskrankheiten durch eine gesundheitliche Kontrolle der Prostituierten verhindert werden. Doch auch durch eine Gesetzesänderung ließ sich die über Jahrzehnte praktizierte Prostituiertenreglementierung nicht ohne weiteres ändern.

a) Straftatbestände als Ermächtigungsgrundlage für die Reglementierung Vielmehr suchte die Polizei nach Möglichkeiten, weiterhin die traditionelle Reglementierung fortzuführen. Solche eröffneten sich durch polizeiliche Kompetenzen bei der Strafverfolgung. Zum ersten bot die Auslegung von § 361 Nr.6 n.F. durch die Rechtsprechung ein ständiges Ermittlungsthema für die Polizei: Nach Ansicht des Reichsgerichtes war die Aufforderung oder das Angebot zum entgeltlichen Beischlaf schon an sich geeignet, Sitte und Anstand zu verletzen 18 , so daß jede ihr Gewerbe ausübende Prostituierte stets diese Tatbestandsmerkmale erfüllte 19 . Die Rechtsprechung ließ die vom Gesetzgeber durch das Tatbestandsmerkmal in "belästigender Weise" gewollte Begrenzung der Strafbarkeit auf gemeinlästige Prostitutionsanbahnungshandlungen, also auf Angebote, die "in einer Sitte oder Anstand verletzenden oder andere belästigenden Weise" erfolgten 2o , ins Leere laufen. Nach Ansicht der Rechtsprechung war es weiterhin unerheblich, ob die Aufforderung sich an eine bestimmte Person richtete, ein Dritter sie zur Kenntnis nahm, verstand oder willens war, sie anzunehmen 21 • Praktisch bedeutete diese Auslegung, daß die Polizei - jetzt in ihrer Funktion als Hilfsorgan der Strafverfolgungsbehörde - weiterhin die Prostituierten unter Hinweis auf ihre Strafbarkeit reglementieren konnte22 • Die vereinzelte Kritik an dieser Lesart des § 361 Nr.6 n.F. durch Rechtswissenschaftler änderte trotz konstruktiver Vor-

RG DJZ 1928, Sp.1026; vgl. auch Hellwig, GeschlkrG, S.326f. Im Gegensatz dazu versuchten Strafrechtswissenschaftler mit Hinweis auf die Fassung des § 361 Nr.6 die Angebote auszunehmen, die "in einer Form oder in einem Verhalten ergehen, die dem Uneingeweihten nicht verständlich und daher nicht verletzend sind." (Ebermayer, RStGB, 4.Aufl., § 361, Anm.VI 3 m.w.N). 20 Begr. zu dem E 1925 abgedruckt in Hellwig, GeschlkrG, S.458. 21 RG DJZ 1928, Sp.1026; Bay ObLG DRZ 20, Nr.517; OLG Hamburg HRR 1929, Nr.798. Dagegen: AG Hamburg HRR 1929, Nr.798, das ausführt, daß "ein solches Verhalten in bestimmten Strassen Hamburgs nicht anstössig wirkt"; Ebermayer, RStGB, 4.Aufl., § 361, Anm.VI 2; Dalcke, StGB, 24.Aufl., § 361, Anm.74a; Hellwig, GeschlkrG, S.325 m.w.N. Nur eine Mindermeinung sah in der Vorschrift ein Verletzungsdelikt (OLG Dresden JW 1928, 3007; OLG Dresden DRZ 1928, Nr.967; OLG Karlsruhe DRZ 1930, S.157, Beilage). 22 Vgl. OLG Dresden JW 1934, 501. 18 19

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schläge - beispielsweise, daß der Gesetzgeber zumindest den für die Bestrafung notwendigen Grad der Belästigung für Dritte festlegen solle 23 - nichts. Eine zweite strafrechtlich verankerte Regulierungsmöglichkeit ergab sich aus der polizeilichen Duldung von Bordellen und Absteigen. Die Polizei machte diese nämlich oft davon abhängig, daß die Wirte Sorge dafür trugen, daß die dort arbeitenden Prostituierten bestimmte polizeiliche Anordnungen einhielten. Diese Polizeipraxis widersprach dem gesetzgeberischen Anliegen: Durch die Novellierung des § 180 StGB hatte man einerseits Raum für die Gewerbeausübung der Prostituierten schaffen 24 , und andererseits die bis dahin übliche Polizeipraxis, Bordelle zu dulden, unterbinden wollen 25 • Dadurch sollte die von einer Bordellorganisation für die Unabhängigkeit der Prostituierten ausgehende Gefahr gebannt werden 26 • Der Gesetzgeber hatte es der Rechtsprechung überlassen, die Grenze zwischen strafloser Vermietung und strafbarer BordelIierung zu ziehen. Die Rechtsprechung sah strafbare Kuppelei i.S.d. § 180 Abs.2 StGB prinzipiell dann als gegeben an, wenn Prostituierten über den Raum, in dem sie Hellwig, GeschlKrG, S.327. Vgl. dazu: Bohne, FG-Frank, S.494; Schäfer-Lehmann, S.199; Hellwig, GeschlkrG, S.316. 25 Hellwig, GeschlkrG, S.315f. "[D}ie Polizeibehärde [ist} nicht befugt ... , auf Grund ihrer allgemeinen Befugnisse die Polizeierlaubnis zur Errichtung eines Bordells zu geben und den Bordellwirt dadurch der Strafverfolgung wegen Kuppelei zu entziehen. " Hellwig, GeschlkrG, S.315; Bohne, FG-Frank, S.484. Vgl. Erlaß des Ministers für Volkswohlfahrt vom 1.3.1922 (wiedergegeben bei Sellmann, GeschlkrG, GeschlkrG, S.l1): "Ich ersuche ergebenst, die in Ihrem Bezirke vorhandenen Bordelle und Zwangskasernierungen von Dirnen, als im Widerspruch mit § 180 Abs.2, StGB, stehend, alsbald aufzuheben. Gegen das Fortbestehen einer freiwilligen Kasernierung der Dirnen habe ich Einwendungen nicht zu erheben. Die auf Anordnung fremder Besatzungsmächte eingericheteten Bordelle und Kasernierungen der Dirnen werden durch diesen Erlaß nicht berührt. " 26 Die strikte, ablehnende Haltung des Gesetzgebers gegenüber Bordellen (vgl. Hellwig, GeschlkrG, S.309) war vor allem auf das durch die Schilderungen der Abolitionistinnen geprägte Bordellbild zurückzuführen: "Es ist eine von allen Kennern der Verhältnisse und der Polizei eingestandene Tatsache, daß die in den Bordellen internierten Mädchen sich in einer furchtbaren Zwangslage befinden, indem sie zu ihren gewissenlosen, profitsüchtigen Wirten in ein drückendes Schuld- und Abhängigkeitsverhältnis geraten, welches ihnen jede Rückkehr ins ehrliche Leben abschneidet. " (aus einer Petition der Abolitionistischen Förderation von 1904 wiedergegeben in: Pappritz, S.19; vgl. auch Schmälder, Bestrafung, S.18). Daneben wurde von einem Netz von Mädchenfängem berichtet, die Frauen, vor allem junge Zugereiste vom Land, für die Bordelle anwarben und zwischen den Städten einen Austausch der Frauen organisierten (v gl. Henne am Rhyn, S.13lff.; Stursberg, S.53; Peters, S.72f.; Pappritz, S.19; vgl. auch Sehe wen, S.141; Bohne, FG-Frank, S.486). 23

24

6 Gieß

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D. Die Freigabe von Prostitution

ihr Gewerbe ausübten, weitere Leistungen gewährt wurden, durch die ein Abhängigkeitsverhältnis 27 geschaffen wurde 28. Doch wurde an diesem Kriterium nicht ausnahmslos festgehalten: Für den ebenfalls strafbaren Betrieb eines "bordellartigen Betriebes", der sich lediglich in der äußeren - "die wahre Natur des Betriebes verschleiernden" - Gestaltung von dem Bordell unterscheide 29 , mußte ein solches Abhängigkeitsverhältnis nicht vorliegen 3o • Wesentlich sei nur, "daß der Haus- und Wohnungsinhaber in einer nach außen erkennbaren Weise den mehreren sich bei ihm zum Zwecke des gewerbsmäßigen Unzuchtstreibens an Ort und Stelle bereithaltenden Personen nicht nur gelegentlich, sondern für eine gewisse Zeitdauer regelmäßig in irgendeiner Form zur Förderung des Unzuchttreibens be-

27 Das pönalisierte Abhängigkeitsverhältnis konnte wirtschaftlicher Natur oder derart sein, daß die Prostituierte bei der Ausübung der Unzucht den Anweisungen des Bordeli wirts zu folgen hat, beispielsweise den Freier nicht frei wählen konnte (Bohne, FGFrank, S.501). 28 Trotz der Sensibilisierung für soziale Zusammenhänge differenzierten die wenigsten Reformer in ihrer Bordellkritik zwischen den Aspekten der Bordelle, die die Selbstbestimmung der Prostituierten konkret gefährdeten und solchen, die notwendige Folge der Ausübung des Gewerbes mithilfe der Infrastruktur, die ein Dritter zur Verfügung stellte, waren, die aber die Unabhängigkeit der Prostituierten unangetastet ließen. Nur einzelne versuchten, Stadtverwaltungen davon zu überzeugen, den Prostituierten "öffentliche Häuser" zur Verfügung zu stellen. Früh wurde dies schon in Bremen und Altona praktiziert (vgl. Schmölder, Bestrafung, S.19f.; Schewen, S.168 m.w.N. Vgl. auch die Diskussion über die sog. "Wohnungsfrage der Prostituierten", s. die gleichnamige Schrift von Haldy, S.lO, 131ff.). Sie hatten erkannt, daß Frauen, die ihren Lebensunterhalt durch Prostitution bestritten, dies einerseits - aufgrund der gesellschaftlichen Umstände und des typischen Lebenshintergrundes einer Prostituierten - einfacher mit Hilfe der von Dritten geschaffenen Organisationsstrukturen ausführen konnten, daß aber andererseits in den Bordellen Abhängigkeitsgefahren lauerten. Doch das Gros der Reformer lehnte eine Mithilfe an der Organisation von Prostitution kompromißlos ab (zur Strafbarkeit "kommunal betriebener Dirnenhäuser" vgl. Hellwig, GeschlkrG, S.313ff. Bohne, FG-Frank, S.484f, Fn.1). 29 Bohne, FG-Frank, S.491; vgl. Hein, S.30f. 30 RGSt 62, 339 (340); Runderlaß des MdJ vom 21.1.1929 II D 742 III abgedruckt in PrJMinBI1929,482. Einzelne Stimmen in der Literatur forderten, daß - mit Rücksicht auf die ratio des Gesetzes (Gegenüberstellung von Abs.2 und Abs.3) - ein Betrieb LS.d. Abs.2 nur bei "Organisationsabhängigkeit" bestehe. Eine solche sei jedenfalls dann nicht gegeben, wenn die Prostituierte selbst "Unternehmerin" sei, sondern nur, wenn "eine gemeinschaftliche Organisation geschaffen ist, an die sich die männliche Nachfrage richtet, die die erforderlichen Frauen zur Verfügung hält und auf diese einen irgendwie gearteten Druck ausübt, sich den Besuchern zur Verfügung zu stellen (...)" (Bohne, FG-Frank, S.502f., 505f.; ders., JW 1929, 1021. Vgl. auch Engelhard JW 1929, 1024, der aber auf das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit verzichten möchte, da ansonsten das kommunal betriebene Bordell nicht erfaßt würde).

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hilflieh und entweder selbst an den aus dem Unzuchttreiben erzielten Erträgen irgendwie beteiligt ist oder auch ohne eine solche Beteiligung gewohnheitsmäßig handelt,,31. Dementsprechend wußten Betreiber von Einrichtungen, in denen Prostituierte ihr Gewerbe ausübten, nicht mit Sicherheit, wann sie die Grenze des § 180 Abs.3 StGB überschritten 32 • Selbst die Vermieter von "Absteigequartieren" waren von der Strafdrohung betroffen 33 , obwohl diese Form der Raumgewährung wegen des Fehlens einer ürganisationsstruktur, der sich die Prostituierte unterordnen mußte, ihre Unabhängigkeit am wenigsten gefährdete. Da die Betreiber von Einrichtungen, in denen der Prostitution nachgegangen wurde, wegen dieser Rechtsprechung stets mit Strafverfolgung rechneten 34 , wa-

31 RGSt 62, 339ff. 32 Was unter anderem dazu führte, daß seriöse Vermieter, weil sie eine Strafverfolgung fürchteten, nicht an Prostituierte vermieteten (vgl. beispielsweise Begründung zu dem Entwurf des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 6.Juni 1925 abgedruckt in: Hellwig, GeschlkrG, S.439ff. (455); andere ließen sich das Strafverfolgungsrisiko von den Frauen vergüten (vgl. dazu Hellwig, GeschlkrG, S.318; Bohne, FG-Frank, S.489). 33 Die herrschende Meinung argumentierte, daß "Wohnen" im natürlichen Sprachgebrauch nicht das Aufsuchen eines Raumes zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs erfasse (Hellwig, GeschlkrG, JR 1928, 253ff.; RGSt 12, 132f.; 62, 221; BayObLG JW 1929, 2876) und die ratio des § 180 Abs.3 lediglich legales Wohnen der Prostituierten ermöglichen sollte. "Absteigen" sei demgemäß kein Wohnen i.d.S. (vgl. die Begründung zu dem Entwurf des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 6.6.1925 abgedruckt bei Hellwig, GeschlkrG, S.455f.; vgl. auch, S.317 m.w.N.; Finger, GS 94, S.377; w.N. bei Bohne, FG-Frank, S.496, Fn.l.). Nach anderer Ansicht sollte der Begriff der "Wohnung" im Hinblick auf die ratio des Tatbestandes sehr weit ausgelegt werden - mit Hinweis auf den Tatbestand des Hausfriedensbruchs (vgl. Bohne, FGFrank, S.497): Wohnungsgewährung sei so lange straflos, wie die Prostituierte ihr Gewerbe selbständig ausübe Bohne, FG-Frank, S.495ff.; Köhler, GS 92, S.420, Anm.2; vgl. auch ders., JW 1928, 3249f.). 34 Betrachtet man die damalige Rechtsprechung zu § 180 Abs.l StGB näher, liegt der Schluß nahe, daß sie sich nicht vorrangig am Schutz der Unabhängigkeit der Prostituierten orientierte, sondern die Bordellwirte für den Profit aus der Prostitutionsausübung bestrafen wollte - ganz unabhängig von der konkreten Situation der Dirnen in dem jeweiligen Bordell. Nach der Rechtsprechung lag ein strafbarer Betrieb eines bordeli artigen Betriebes - im Unterschied zur bloßen Vermietung LS.d. Abs.3 - nicht nur dann vor, wenn der Vermieter in irgendeiner Art und Weise Kontakte zwischen das Haus aufsuchenden Freiern und den Dirnen herstellte (vgl. OLG Dresden JW 1929, 2761, in dem die Pensionsinhaberin "Besucher auf ihre Frage nach den Mädchen in das obere Stockwerk, in dem deren Zimmer sich befanden, wies"), sondern auch schon dann, wenn die - damals im Rahmen einer Zimrnervermietung übliche - "Versorgung mit Bedienung, Licht und Bettwäsche" (RGSt 62, 339 (340); RG JW 1929, 1023; vgl. Bohne, FG-Frank, S.504), bzw. mehrmaliges Wechseln der Bettwäsche (RG JW 1929, 1023) oder Verpflegung bereitgestellt wurde. 6'

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D. Die Freigabe von Prostitution

ren sie der Polizei gegenüber zur Kooperation bereies . Sie achteten darauf, daß die bei ihnen arbeitenden Dirnen polizeiliche Kontrollvorschriften einhielten, um zu verhindern, daß ihre Betriebe, von der Liste der "freigegebenen Häuser" gestrichen wurden 36 • Deshalb existierten auch nach 1927 noch polizeilich geduldete Bordelle37 • Daß die polizeilichen Vorschriften nach der Freigabe der Prostitution nicht mehr zulässig waren, wurde nicht moniert. In manchen Städten wurden Prostituierte sogar noch durch polizeiliche Anordnungen in ein Bordell eingewiesen 38 . Prostituierte suchten die Einrichtungen aber auch freiwillig auf, weil sie mit Hilfe dieser Infrastruktur ihr Gewerbe ungefährlicher und ohne die Widrigkeiten des Straßenstrichs ausüben konnten 39 • Die Polizei versuchte wohl, extremen Mißbräuchen dadurch abzuhelfen, daß sie zwischen Wirt und Prostituierter vermittelte "wenigstens äußerlich oder vorübergehend. Wenn der persönliche Einfluß der oberen Exekutivbeamten nicht genügt, so pflegt die Untersagung des weiteren Betriebs, zeitweise oder gänzliche 'Schließung' des Hauses, polizeiliche Zwangsstrafe oder als ultima ratio - Verfolgung wegen Kuppelei einzutreten,,4Q.

35 Daß Polizisten deshalb auf ihren guten Erfahrungen mit Bordellen beharrten ist verständlich (vgl. die Wiedergabe eines Schriftstückes der Polzeiverwaltung der Stadt Hagen bei Sellmann, GeschlkrG, S.ll). 36 Haldy, S.6. Darüberhinaus bot die Möglichkeit der schankwirtschaftlichen Konzessionierung von Bordellbetrieben eine weitere Möglichkeit für die Polizei, Einfluß zu nehmen (vgl. beispielsweise PrOVG Urt. v. 18.12.1919 in Reger, 41, 16f.). 37 Vgl. Bohne, FG-Frank, S.480. In einem Verwaltungslehrbuch von 1929 werden die "früheren Bordelle" zu einem Hauptfall einer von der Polizeierlaubnis verschiedenen "polizeilichen Duldung". Die Polizei dulde sie nämlich nur, weil sie so die Prostituierten besser kontrollieren könne (GaU, S.138). Diese VerwaItungspraxis wurde beispielsweise durch das Instrumentarium des Gaststättenrechts ermöglicht (vgl. beispielsweise PrOVG Urt.v. 18.12.1919 in Reger, 41, 16f.) und von den Aufsichtsbehörden nicht gerügt (vgl. den Erlaß der Minister des Inneren und des Kultus vom 11.Dez.1907 (MinBlatt f.d.preuß.innere Verwaltung 1908, S.14-16); Haldy, S.16, 66ff.,72f.). 38 Vgl. Hellwig, GeschlkrG, S.309. Zur möglichen Strafbarkeit der Polizisten, für die bei der Verfolgung von Straftaten gern. § 152 Abs.2 StPO das Legitimitätsprinzip galt vgl. Haldy, S.16f. 39 Bordellbefürworter wiesen deshalb auch auf die Vorteile von Bordellen für Prostituierte hin (vgl. Sellmann, GeschlkrG, S.ll). Nach ihrer Ansicht erforderte eine straflose Prostitution auch eine straflose, offiziell kontrollierte BordelIierung, da die Frauen sonst in "schmutzige Schlupfwinkel" und Zuhälterhände gedrängt würden (Hippe, 88ff.; Bacharach, S.45ff.). Dieses Szenario wurde zeitgenössischen Berichten zufolge durch die Realität bestätigt (vgl. Haldy, S.8, 15, Fn.1; vgl. aber auch Peters, S.72). 40 Haldy, S.6.

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b) Regelungen des GeschlKrG als Ermächtigungsgrundlage für die Reglementierung

Eine neue Grundlage zur Reglementierung der Prostituierten sah die Polizei in dem neu eingeführten GeschlKrG. Kernstück der Prostituiertenkontrolle auf der Grundlage des GeschlKrG war - und ist bis heute - § 4 des GeschlKrG. Nach dieser Vorschrift konnte die zuständige Gesundheitsbehörde, Personen, "die dringend verdächtig sind, geschlechtskrank zu sein und die Geschlechtskrankheit weiterzuverbreiten, anhalten, ein ärtztliches Zeugnis, nur in begründeten Ausnahmefällen ein von einem durch die zuständige Gesundheitsbehörde benannten Arzt auszustellendes Zeugnis über ihren Gesundheitszustand vorzulegen oder sich der Untersuchung durch einen solchen Arzt zu unterziehen. Auf Antrag des untersuchenden Arztes können solche Personen angehalten werden, wiederholt derartige Gesundheitszeugnisse beizubringen. ,,41

Prostituierte galten nach Ansicht der Behörden prinzipiell "als dringend verdächtig, geschlechtskrank zu sein und die Krankheit weiterzuverbreiten,,42. Gegründet auf diese Annahme43 nutzten manche Behörden die Befugnisse aus dem

§ 4 Abs.2 GeschlKrG bestimmte: "Personen, die geschlechtskrank und verdächtig sind, die Geschlechtskrankheit weiterzuverbreiten, können einem Heilverfahren unterworfen werden, auch in ein Krankenhaus verbracht werden, wenn dies zur Verhütung der Ausbreitung der Krankheit erforderlich erscheint. " Das Gesetz verpflichtete weiterhin Personen, die mit Syphilis, Tripper und Schanker (§ 1) infiziert waren und dies wußten oder den Umständen nach annehmen mußten, sich in ärztliche Behandlung zu begeben (§ 2 Abs.1). 42 Hellwig, GeschlkrG, S.338. Vgl. auch Begründung zu dem Entwurf der Ausführungsverordnung vom 24.8.1927 abgedruckt bei Hellwig, GeschlkrG, S.369ff. (369) sowie die vorläufige Anweisung zur Durchführung des Reichsgesetzes zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten vom 18.2.1927 und die hierzu ergangene Ausführungsverordnung vom 24.8.1927 (GS, S.l71) abgedruckt bei Hellwig, GeschlkrG, S.38lff. (384). 43 Denn die Ausübung der Prostitution war nunmehr nicht mehr Eingriffsvoraussetzung. Vgl. dazu: R.Hahn, S.25; 28ff. Der Gesetzgeber hatte - vorausahnend - schon in der Gesetzesbegründung gemahnt: "Die der Gesundheitsbehörde zugewiesenen Befugnisse sind nicht etwa nur gegen die Prostituierten anwendbar, sondern unterschiedslos gegen beide Geschlechter. Geht auch die Ansteckung außerordentlich häufig von der der Gewerbsunzucht ergebenen Person weiblichen Geschlechts aus, so sollen doch in gleicher Weise vor allem auch diejenigen Männer getroffen werden, die unbekümmert um die gesundheitlichen Folgen in ständigem Wechsel ihrer geschlechtlichen Beziehungen sich der schrankenlosen Befriedigung ihrer Triebe hingeben. " (aus der Begründung zu dem Entwurf des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 6.Juni 1925 abgedruckt bei Hellwig, GeschlkrG, S.439ff. (445». 41

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GeschlKrG44 auch dazu, möglichst viele Elemente der überkommenen Reglementierungspraxis zu konservieren 45 • Ein solches Vorgehen war möglich, weil der Gesetzgeber - trotz Bedenken im Gesetzgebungsverfahren - seine Ziele nicht durch entsprechende Ausführungsbestimmungen abgesichert, sondern die Umsetzung den Ländern bzw. den Kommunen überlassen hatte (vgl. § 18t6 • Dadurch war es möglich, daß trotz der gesetzgeberischen Bemühungen47 , das alte Reglementierungsmodell abzuschaffen und damit den von der bürgerlichen Gesellschaft abgegrenzten Stand der Dirnen aufzulösen 48 , eine polizeiliche Reglementierung faktisch weiter existierte. Die Polizei rechtfertigte dieses Vorgehen mit der Behauptung, daß sich durch die Novellierung von 1927 der Rechts44 Die Gesundheitsbehörden waren beispielsweise berechtigt, die Daten einer Person, gegen die eine Anordnung aufgrund des GeschlKrG erfolgt war, im Falle des Umzuges, "wenn die betreffende Person im Zeitpunkte des Aufenthaltswechsels noch verdächtig war, eine Geschlechtskrankheit weiter zu verbreiten, und vermutet werden kann, daß sie sich auch an ihrem neuen Aufenthaltsorte der Weiterverbreitung verdächtig machen wird", der Gesundheitsbehörde des neuen Aufenthaltsortes zu melden (vorläufige Anweisung zur Durchführung des Reichsgesetzes zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten vom 18.2.1927 und die hierzu ergangenen Ausführungsverordnung vom 24.8.1927 (GS, S.l71) abgedruckt bei Hellwig, GeschlkrG, S.38lff. (389». 45 Hellwig, GeschlkrG, S.340; Weiss, S.978. Vgl. auch Hagemann, S.415. Im Gegensatz dazu wies der Runderlaß des Ministers des Inneren und des Ministers für Volkswohlfahrt vom 25.6.1927, Ministerialblatt für die preußische Verwaltung, Nr.26 vom 29.6.1927, S.655, abgedruckt in: Hellwig, GeschlkrG, S.362ff. (363), die preußischen Polizeibehörden an, daß Auflagen für Prostituierte weiterhin nur "insoweit anzuwenden [seien], als sie gesundheitspolizeilichen Zwecken dienen und den ordnungspolizeilichen Bestimmungen des Reichsgesetzes entsprechen . ... Alle übrigen sittenpolizeilichen Vorschriften sind nicht mehr zu handhaben ... ". 46 So eröffnete der Bund den Ländern die Möglichkeit, die Reform durch die Hintertür zu umgehen; vgl. Heinz-Trossen, S.47). § 18 GeschlKrG stellte zwar durchaus eine übliche Regelung dar. Doch hätte man Ausführungsvorschriften nach den schlechten Erfahrungen der Reform von 1907 erwarten können, um sicherzustellen, daß durch entsprechende Vorschriften an die unteren Dienststellen eine Sittenpolizei im alten Stile nicht mehr möglich gewesen wäre (v gl. Hellwig, GeschlkrG, S.35lf.). 47 VgJ. Begr. zu dem Entwurf von 6.Juni 1925, der dem Gesetz zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten von 1927 zugrundelag (E 1925), abgedruckt in Hellwig, GeschlkrG, S.458. Vgl. auch: aus dem Runderlaß des Ministers des Inneren und des Ministers für Volkswohlfahrt vom 25.6.1927 (Ministerialblatt für die preußische Verwaltung, Nr.26 vom 29.6.1927, S.655) abgedruckt bei Hellwig, GeschlkrG, S.362ff. (362): "Das am 1.0kt.1927 in Kraft tretende Reichsgesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom IB.Febr.1927 (RGBI., S.61) beseitigt die Reglementierung der Prostitution und damit die Sittenpolizei als solche. " 48 In diesen Zusammenhang gehörte insbesondere auch das durch § 17 GeschlKrG statuierte Kasernierungsverbot. Dadurch sollten die im Rahmen der Reglementierung angeordneten Wohnungsauflagen, die zu einer faktischen Kasernierung der Prostituierten in vielen Städten führten, unterbunden werden, um so die Stigmatisierung durch das Wohnen in bestimmten Straßen und die - durch die MonopolsteIlung weniger Vermieter ermöglichten - überhöhten Mieten zu bekämpfen (Bohne, FG-Frank, S.452f.).

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zustand nicht prinzipiell geändert habe 49 • Nach ihrer Ansicht durften weiterhin auf der Grundlage der polizeilichen Generalklausel die zur Wahrung des öffentlichen Anstandes notwendigen - jetzt nur noch polizeirechtlich bewehrte Anordnungen erlassen werden. Gerade aus der Ermächtigung zum Erlaß eines Verbotes in Städten mit einer Einwohnerzahl unter 15.000 und dem ausdrücklichen Kasernierungsverbot in § 17 dürfe geschlossen werden, daß alle anderen Maßregelungen zulässig seien50 • Das Reich habe nämlich den Ländern durch § 18 GeschlKrG auch den Erlaß von Ausführungsbestimmungen überlassen 51 • Dementsprechend sei zweifelhaft, ob durch die Neufassung des § 361 Nr.6 StGB Vorschriften, die die Duldung der Gewerbsunzucht davon abhängig machten, daß die Dime sich einer Kontrolle unterwerfe, per se unzulässig seien52 • Diesen Rechtfertigungen hielt die Rechtsprechung zu Recht entgegen, daß der Reichsgesetzgeber die Materie abschließend geregelt und damit Landesrnaßnahmen, die den Reformzweck faktisch unterlaufen wollten, die Grundlage entzogen habe 53 • Insbesondere stelle die Ermächtigung zum Erlaß von Ausführungsbestimmungen gern. § 18 GeschlKrG keine Ermächtigung zur Beibehaltung der Reglementierung, sondern nur zur Umsetzung der vom Gesetzgeber intendierten Regelung dar54 .

2. Prostitution als Erwerbstätigkeit Der Reformgesetzgeber von 1927 hat sich nicht dazu geäußert, ob die Freigabe der Prostitutionsausübung Auswirkungen auf den Status dieser Tätigkeit als Erwerbstätigkeit haben sollte. Zeitgenossen befürchteten, daß Prostitution "damit für eine erlaubte, d.h. also eine sittlich einwandfreie Handlung erklärt,,55 werde, daß "nunmehr das Gewerbe der Prostitution genau so ein ehrliches und anständiges Gewerbe darstelle, wie irgendein anderes. ,,56 Da Prostituierte auch nach der Freigabe ihres Gewerbes keine Gewerbeerlaubnis beantragten, kann man nur spekulieren, wie die Behörden auf einen solchen Antrag reagiert hätten. In die allgemein verwendete Gewerbedefinition hatte eine über-

Vgl. Hellwig, GeschlkrG, S.347 m.w.N. Finger, GS 94, S.376. 51 Vgl. Hellwig, GeschlkrG, S.350. 52 Finger, GS, Bd.94, S.374. 53 Sächs.OVG RuVwBl 1928, 918; KG GA 72 (1927), 266 (267); OLG Braunschweig GA 73 (1928), 233 (235). Vgl. auch Hellwig, GeschlkrG, S.340 m.w.N. A.A.: BayOblG JW 1929, 2284 (2285). 54 Mit Hinweis auf den Regelungsgehalt von Ausführungsbestimmungen (vgl. Hellwig, GeschlkrG, S.350f.). 55 Kahl, S.4ff. 56 Hellwig, GeschlkrG, S.lO. 49

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gesetzliche Beschränkung durch das Sittenrecht jedenfalls noch keinen Eingang gefunden 57 • Da die Freigabe der Prostitution aus der Polizeiregulierung aber aus pragmatischen Erwägungen - nämlich im Hinblick auf eine effektive sanitätspolizeiliche Kontrolle - erfolgt war, steht zu vermuten, daß sich der Gesetzgeber darüber, welchen Status Prostitution als Erwerbstätigkeit nach der Reform inneha~en sollte, überhaupt keine Gedanken gemacht hat. Die Prostituierten waren in einen rechtsfreien Raum entlassen, in dem ihre Tätigkeit nach zeitgenössischer Vorstellung als Erwerbstätigkeit nicht faßbar war58 • Das verdeutlicht ein Urteil des Reichsfinanzhofes59 zu der Steuerpflicht Prostituierter. Es lehnte eine Besteuerung des Dirneneinkommens ab, da dieses unter keine der in § 6 Abs. 1 EStG genannten Einkommen gefaßt werden könne: Die gewerbsmäßige Unzucht sei trotz dieser Bezeichnung nach der gültigen Verkehrsauffassung60 kein Gewerbebetrieb i.S.v. § 6 Abs. 1 Nr.2 EStG, denn "man kann bei ihr nicht von einer Beteiligung am wirtschaftlichen Verkehr sprechen; sie kann aber auch als sonstige selbständige Berufstätigkeit (§ 6 Abs.1 Nr.3, § 35 aaO) nicht gelten, weil die Verkehrsauffassung in der körperlichen Hingabe einer Frau keine Tätigkeit erblickt,,61. Diese Wertung begründete das Gericht mit Hinweis auf § 35 EStG, der den einkommenssteuerlichen Begriff der "sonstigen selbständigen Berufstätigkeit" erläuterte. Dieser nahm keine abschließende Aufzählung der möglichen anderen Erwerbstätigkeiten vor, sondern zählte lediglich exemplarisch die Einkunftsmöglichkeiten auf, die "insbesondere" als sonstige selbständige Berufstätigkeit

Vgl. stellvertretend: Neese/Lossau, S.3; Hoffmann, S.4f. Zivilgerichtliche Urteile über den sog. Dimenvertrag waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht ergangen, wohl aber über Rechtsgeschäfte in Zusammenhang mit der Betreibung von Bordellen. Vgl. beispielsweise Sächs.OLG Sächsisches Archiv für Rechtspflege 1920, 28f: Der Kläger hatte an die Beklagte, eine Bordellbesitzerin, 500 Flaschen Sekt für 7000 M verkauft. Das Sächs.OLG hält den Kaufvertrag wegen Verstoßes gegen die guten Sitten für nichtig, da der Kläger nicht nur gewußt habe, daß Sekt für den Bordeli betrieb gedacht war, sondern im Hinblick darauf ein "minderwertiges" Getränk, das "flach" und "nichtssagend" schmecke und pro Flasche höchstens 10 M wert wäre, geliefert habe. "Der Sachverständige würde einen solchen Wein überhaupt nicht kaufen." Der Kläger sei sich darüber im klaren gewesen, daß er ein solches Getränk nur an ein Bordell mit Gewinn verkaufen könne und habe deshalb mit der Beklagten den Vertrag abgeschlossen und damit Nutzen aus dem Unzuchtsbetriebe gezogen. 59 In dem zugrundeliegenden Fall wehrte sich eine Prostituierte gegen eine nachträgliche Steuerveranlagung für die Jahre 1926 bis 1928 auf der Grundlage eines geschätzten Einkommens. 60 Diese ist gern. § 6 Abs.2 EStG als maßgeblich zugrunde zu legen, wenn nicht eine ausdrückliche gesetzliche Regelung besteht. 61 RFH Urt.v.4.3.1931 RStB11931, 528 (Hervorhebung durch Verf.). 57

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gelten sollten, u.a. auch künstlerische Tätigkeiten 62 • Prostitution fiel nach Ansicht des Gerichts nicht unter den Tatbestand, weil . "die gewerbsmäßige Unzucht vollkommen aus dem Rahmen dessen fällt, was das Einkommenssteuergesetz unter selbständiger Berufstätigkeit verstanden wissen will,,63. Mit einem möglichen Wertungswiderspruch zwischen der ständigen Rechtsprechung, nach der die sittliche Bewertung einer Einkommensquelle steuerlich nicht berücksichtigt werde, und der Klassifizierung der Erwerbstätigkeit der Prostituierten als Nichttätigkeit im steuerlichen Sinne setzte sich der Reichsfinanzhof nicht auseinander 64 • 62 Dazu zählte der Erwerb aus "wissenschaftlicher, künstlerischer, schriftstellerischer, unterrichtender oder erziehender Tätigkeit, aus der Berufstätigkeit der Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten und Ingenieure" (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 EStG) sowie "Vergütungen aus Vermögensverwaltungen und für Vollstreckung von Testamenten sowie Vergütungen (Tantiemen) oder unter sonstiger Benennung gewährte Bezüge, geldwerte Vorteile und Entschädigungen, die den Mitgliedern des Aufsichtsrates (...) gewährt werden (.. .)" (§ 35 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Dies galt auch, wenn diese Tätigkeiten nur vorübergehend ausgeübt wurden (§ 35 Abs. 2 EStG). 63 RFH Urt.v.4.3.1931 RStBi 1931, 528. Aus denselben Gründen entfalle auch die Besteuerung als "wiederkehrende Bezüge" (§ 6 Abs.l Nr.7 EStG) oder als Einkünfte, die "infolge einer anderen Tätigkeit anfallen, die nicht zu den in § 6 Abs.l Nr.l bis 4, 6 bezeichneten gehört, insbesondere Einkünfte aus gelegentlichen Vermittlungen und aus der Vermietung beweglicher Gegenstände einschließlich der Schiffe, die nicht ins Schiffsregister eingetragen sind". (§ 41 Abs.1 Nr.2 EStG). Daß es sich bei der Feststellung des Reichsfinanzhofes von 1931 um eine mit dem Wortlaut des Einkommenssteuergesetzes zwar vereinbare, aber nicht zwingende Wertung handelte, illustriert ein Urteil des Reichsfinanzhofes von 1943 - wenngleich man einräumen muß, daß der Finanzhof in diesem Urteil kein Vorbild für eine einwandfreie Subsumtion gab: Das Gericht konstatierte, daß die frühere Rechtsprechung, nach der Gewerbsunzucht nach Verkehrsauffassung keine Tätigkeit im Sinne der Steuertatbestände darstelle, wohl zutreffend sei. Doch, so führt es ohne weitere Begründung aus, es bestünde "kein trifftiger Grund", solange Einkommen aus Kuppelei steuerpflichtig sei, "die Einkünfte aus eigener gewerbsmäßiger Unzucht von der Einkommensteuer freizulassen" (RFH StuW 1943,334. Vgl. dazu auch:, FG Bremen EFG 1968, 357 (358f.». 64 Obwohl das Gericht der Klage i.E. stattgab, hielt es daran fest, daß die Steuerpflicht von Prostituierten nicht davon berührt werde, daß "die Betätigung, die Einkünfte abwirft, unsittlich oder rechtswidrig sei" (RFH Urt.v.4.3.1931 RStBI 1931, 528 (Hervorhebung durch Verf.». Nach neuer Rechtsprechung der Finanzhöfe war es für die Steuerpflicht nämlich unerheblich, ob der besteuerte Gewinn strafbarer oder sittenwidriger Tätigkeit entstammte (vgl. RFHE 3, 173ff(174f.); 5, 228ff.; RFHE 10, 218ff.; RFHE 14, 251 ff.). § 5 Abs.2 des Steueranpassungsgesetzes von 1934 (Begr. RStBI 1934, 1398ff.) legte ausdrücklich fest, daß eine Besteuerung nicht dadurch ausgeschlossen werde, daß ein Verhalten, das einen Steuertatbestand erfüllt, gegen die guten Sitten verstosse. So daß nunmehr auch nach den gesetzlichen Regelungen der Be-

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Faktisch ordnete die Polizei den Alltag auf dem Markt kommerzialisierter Sexualität - soweit sie das wollte - mangels anderer Regelungen nach eigenem Gutdünken, angelehnt an die bewährte traditionelle Reglementierung65 • Im Unterschied zu früher mußte der Staat hierfür offiziell nicht mehr die Verantwortung übernehmen 66 •

11. Im Nationalsozialismus Eine Darstellung der Reglementierung von Prostitution im Nationalsozialismus wird dadurch erschwert, daß Prostitution einerseits als "Verfehlung gegen die Sittlichkeit" verdammt wurde67 , andererseits aber nicht nur die gesetzliche "Freigabe", die während der Weimarer Republik erfolgt war, beibehalten68 , sondern Prostitution für staatliche Zwecke instrumentalisiert wurde 69 • Hinzu tritt, daß die gesetzlichen Regelungen die tatsächlich über Prostituierte ausgeübte Hoheitsgewalt nur teilweise wiedergeben 70 und die Situation der Dirnen im sog. "Dritten Reich" von den Historikern bisher nur bruchstückhaft aufgearbeitet worden ist. Um die Darstellung übersichtlich zu gestalten, wird die Reglementierung von Prostitution im folgenden Kapitel entlang zweier Stränge aufgezeigt, die sich während der nationalsozialistischen Herrschaft herausgebildet haben: Die an Straftatbestände geknüpfte Reglementierung und die polizei-

griff des Einkommens eine "sittliche Betätigung" nicht voraussetzte (vgl. RFH StuW 1943,334). 65 Vgl. Hellwig, GeschlkrG, S.541. 66 Zur Eingriffsbreite der Prostitutionsüberwachung vgl. beispielsweise den Vorschlag einer "systematisch durchgeführten kommunalen Wohnungsinspektion" bei Blaschko, Behandlung der Geschlechtskrankheiten, S.18. 67 Hit/er beispielsweise widmete in seiner Schrift "Mein Kampf" dem Zusammenhang von Prostitution, Syphilis und dem gesundheitlichen und moralischen Verfall eines Volkes ein ganzes Kapitel (München 1943, S.269-288). 68 Nach Ansicht zeitgenössischer Juristen war das notwendige Normwerkzeug vorhanden, um die "richtige, sittliche Haltung des Volkes", nämlich eine moralische Verurteilung der Prostitution, wiederherzustellen (Hans Frank, Leitsätze, S.60; Mittelbach, S.190). Es sei in den vergangenen Jahren lediglich nicht entsprechend genutzt worden (vgl. v.Gleispach, S.116 (speziell zur Prostitution und Kuppelei, S.126ff.); Hans Frank, Leitsätze, S.60f.). 69 Zur ''Absonderung und Vorbehaltung einer Anzahl von Personen weiblichen Geschlechts zum gelegentlichen schnell vorübergehenden, ... geschlechtlichen Verkehr ... einer gewissen Sicherung von Ehe, Familie und Gesellschaftsordnung willen" Hagemann, S.393 unter Bezug auf L. Wiese. 70 Diese Problematik ist nicht prostitutionsspezifisch. Das Nebeneinander von Strafrecht und Polizeistrafgewalt sowie das ungeklärte Verhältnis verschiedener hoheitlicher Befehle findet sich auch in anderen Bereichen.

11. Im Nationalsozialismus

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liehe Reglementierung, die es unter anderem ermöglichte, Prostitution für staatliche Zwecke zu nutzen 71. 1. An Straftatbestände geknüpfte Reglementierung Wie bereits erwähnt, galten zu Beginn des sog. Dritten Reiches zunächst die für die Reglementierung der Prostitution maßgeblichen Straftatbestände in der Fassung weiter, die sie in der Weimarer Republik erhalten hatten. Im Mai 1933 wurden sie novelliert, aber inhaltlich nicht wesentlich verändert 72: Nach § 361 Nr.6 n.F. war nunmehr strafbar, "wer öffentlich73 in auffälliger Weise oder in einer Weise, die geeignet ist, einzelne oder die Allgemeinheit zu belästigen 74, zur Unzucht auffordert oder sich dazu anbietet7s ". Es wurde also

71 Die Prostituierte wurde nicht mehr als eigenständige Person, sondern als den staatlichen Interessen dienendes Objekt betrachtet. Dies wird insbesondere deutlich an der Form der Reglementierung in den offiziellen Bordellen, s. dazu unten, S.84, 87f. Vgl. aber auch die Ausführungen des Reichsgerichts in einem anderen Zusammenhang: Fraglich war, ob eine Prostituierte Verletzte ihrer ausbeuterischen Zuhälterei (§ 181a StGB) sei und deshalb in der Strafverhandlung gegen den Zuhälter nicht vereidigt werden dürfe: Das Gericht führte aus, daß Verletzter nur derjenige sein könne, "in dessen Rechte die strafbare Handlung unmmittelbar eingreift, nicht aber schon der, den nur die schädlichen Folgen der Straftat treffen. Ein unmittelbarer Eingriff in die Rechte eines Dritten liegt stets vor, wenn die Handlungen gegen ein Rechtsgut dieses Dritten gerichtet ist". Die Strafvorschrift müsse also unmittelbar dem Schutz derjenigen Person gelten. § 181a diene aber nicht dem Schutz der Dime, sondern dem polizeilichen Zweck, "der Bekämpfung der Gemeingefährlichkeit des zuhälterischen Treibens". Daß die Ausbeutung der Dime im Tatbestand gefordert sei, mache weder die Dime noch ihr Gewerbe zum schutzwürdigen Gegenstand (RGSt 69, 107 (109)). 72 Novelle vom 26. 5. 1933. Das Nationalsozialistische Handbuch für Recht und Gesetzgebung von 1935 führte aus: § 361 n.F. StGB solle "die Mißstände im Gebiet der Gewerbsunzucht schärfer bekämpfen, ohne an der bisherigen GrundeinsteIlung des Strafrechts zu diesem Punkt etwas zu ändern" (Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung 1935, S.1388). 7J Öffentlich waren diese Handlungen nunmehr nicht nur, wenn Dritte sie tatsächlich bemerkten, sondern schon dann, wenn es möglich gewesen wäre, daß ein unbestimmter Personen kreis sie hätte bemerken können (OLG Dresden JW 1934, 501; OLG Breslau DJ 1934,685 (686); zum Begriff der Öffentlichkeit vgl. auch: RGSt 73,90). Nicht notwendig war also, daß "tatsächlich Männer angelockt worden sind". (OLG Dresden JW 1934,501). 74 Jedes "anstößige Gebaren des Dirnentums auf der Straße" war "auffällig" oder "geeignet, einzelne oder die Allgemeinheit zu belästigen" (SchäferIRichterISchafheuthe, . S.25; vgl. auch: OLG Dresden JW 1934,501). 75 Ein Sichanbieten war nicht nur in dem ausdrücklichen Bereiterklären gegenüber einem anderen, mit ihm unzüchtige Handlungen zu begehen, sondern bereits in dem "äußerlich erkennbare Sich bereithalten zur Unzucht", dem "Herumstehen, Auf- und Abgehen auf bestimmten Straßen" gegeben (OLG Dresden JW 1934, 501; OLG Breslau DJ 1935, 685; Köln HRR 1935, 1358).

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lediglich die ohnehin herrschende Interpretation dieses Tatbestandes als abstraktes Gefährdungsdelikt festgeschrieben 76. Durch die Novelle wurde § 361 Nr.6a a.F. in drei Einzeltatbestände geteilt (§ 361 Nr.6a-c n.F.): Danach war strafbar, wer "gewohnheitsmäßig,m, "in der Nähe von Kirchen oder einer Wohnung (... ), in der Kinder oder jugendliche Personen zwischen drei und achtzehn Jahren wohnen" (§ 361 Nr.6a n.F. 78 ) "in der Nähe von Schulen oder anderen zum Besuche von Kindern und Jugendlichen bestimmten Örtlichkeiten oder in seinem Hause, in dem Kinder oder jugendliche Personen zwischen drei und achtzehn Jahren wohnen, in einer diese Minderjährigen gefährdenden Weise" (§ 361 Nr.6b n.F.) in einer Gemeinde mit weniger als zwanzigtausend Einwohnern (... ), in der die Ausübung der Unzucht zum Erwerbe durch eine zum Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstandes erlassenen Anordnung der obersten Landesbehörde verboten ist" (§ 361 Nr.6c) "zum Erwerbe Unzucht treibt". Mit dieser Regelung wurde zum ersten Mal eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung zur Einrichtung von Sperrbezirken geschaffen. Die Reform sollte einen "vom Standpunkt der allgemeinen Moral erträglichen Zustand des Straßenbildes,,79 gewährleisten, also die Prostitution flaus dem Straßenbilde" zurückgedrängen und ''Auswüchse,,8o beseitigen. Eine wesentliche Veränderung erfuhren die an einen Verstoß gegen die Straftatbestände über die Ausübung der Prostitution geknüpften Rechtsfolgen: Durch Art.3 Ziff.21 des Gesetzes vom 21.11.1933 gegen gefahrliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Besserung und Sicherung konnten Prostituierte, die gegen § 361 Nr.6 und Nr.6 a verstießen, in ein Arbeitshaus eingewiesen werden 8!, wenn dies für erforderlich gehalten wurde, um die Verurteilte zur Arbeit anzuhalten und an ein gesetzesmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen (§ 42 d StGB).

SchäferlRichterlSchajheuthe, S.25. Die Formulierung der § 361 Nr.6a-c n.F. stellte klar, daß sich das Merkmal der Gewohnheitsmäßigkeit nur auf die Gewerbsunzucht, nicht auf den dazu aufgesuchten Ort bezog (SchäferIRichterISchajheuthe, S.26). 78 Durch § 361 Nr.6b n.F. wurde die alte Regelung insofern gemildert als das bisher geltende absolute Verbot, Gewerbsunzucht in der Nähe der in § 361 Nr.6a a.F. genannten Orte auszuüben, aufgehoben und auf die Fälle beschränkt wurde, in denen das Verhalten der Dirne die Minderjährigen tatsächlich sittlich gefährdet. Damit sollte der Geltungsbereich der Norm auf die wirklich strafwürdigen Fälle beschränkt werden (SchäferlRichterlSchajheuthe, S.26). 79 SchäferlRichterlSchajheuthe, S.25. 80 OLG Breslau DJ 1935,685. 81 RGBI. 133,995. Vgl. dazu Bock, S.86. 76 77

11. Im Nationalsozialismus

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Die Rechtsprechung, die zu diesen Tatbeständen veröffentlicht ist, läßt nicht erkennen, daß die Judikatur im Bereich der an die Straftatbestände geknüpften Prostituiertenreglementierung einem polizeilichen Bedürfnis nach weiteren Eingriffsbefugnissen in besonderem Maße entgegengekommen wäre. Dies war nach der weiten Fassung der Tatbestände82 wohl auch gar nicht mehr notwendig 83 • Vielmehr legen die Urteile nahe, daß die Gerichte versuchen, polizeilicher Verfolgung Grenzen zu setzen, soweit solche noch den Straftatbeständen entnommen werden konnten 84 •

§ 180 StGB blieb unverändert bestehen. Es galt also weiterhin das Verbot der Kuppelei in Abs.l, das Verbot ein Bordell oder einen bordell artigen Betrieb zu unterhalten (§ 180 Abs.2 StGB) sowie die Ausnahme von der Strafbarkeit für die bloße Wohnungsgewährung an volljährige Prostituierte (§ 180 Abs.3 StGB). § 180 Abs.2 StGB hatte aber insofern keine Bedeutung mehr, als Bordelle durch staatliche Organe eingerichtet worden waren. Ein Leitfaden für das Strafrecht von 1944 konstatierte dementsprechend: "Die Vorschrift entbehrt jedoch der praktischen Bedeutung, weil man in vielen Städten zur Einrichtung von Bordellen und zur Kasernierung der Prostitution wieder

X2 § 91 des Entwurfes eines Deutschen Strafgesetzbuches durch die amtliche Strafrechtskommission 1933/34 hatte noch eine Erweiterung der Tatbestände vorgesehen, nach der auch strafbar sein sollte, wer "Vorschriften ... zur Überwachung der gewerbsmäßigen Unzucht" verletzt (abgedruckt in ReggelSchubertlRießISchmid, S.21). Damit war aber wohl keine Rückkehr zur Reglementierung alten Stils intendiert (vgl. v.Gleispach, S.127; vgl. auch SchäferlRichterlSchafheute, S.25). Schon in dem Entwurf von 1935 wurde geäußert, daß nur "Vorschriften ... zur gesundheitlichen Überwachung" erlassen werden können (ReggeISchubertIRießISchmid, S.198). Daß es zu einer entsprechenden Erweiterung des Tatbestandes nicht gekommen ist, obwohl sich das Vorhaben in allen nachfolgenden Entwürfen wiederfindet, mag daran gelegen haben, daß die Polizei durch die Kompetenzausweitung im Rahmen vorbeugender Verbrechensbekämpfung ohnehin die gewünschten Regelungen als polizeiliche Maßnahmen durchsetzen konnte. N) SO konnte die Rechtsprechung aufgrund der weiten Tatbestandsfassung schon in der Partizipation am traditionellen Straßenstrich - durch Auf- und Abgehen oder Warten "nach Dirnenart" - ein Vergehen sehen (OLG Dresden JW 1934, 501; vgl. auch KG Berlin DStR 36,237; OLG Breslau DJ 1935, 685; LG Berlin JW 1936, 2488 (2489». 84 So urteilte das OLG Königsberg (HRR 1939, 356) zu § 361 Nr.6 l.Alt. StGB: "Wartet eine Dirne nur darauf angesprochen zu werden, so fordert sie nicht selbst auf" Welche Kriterien die Polizei im einzelnen zugrunde gelegt haben mag, illustriert ein Urteil des OLG Köln (HRR 1935, Nr.1358): Die Richter begründeten den Freispruch einer Frau damit, daß nicht festgestellt sei, daß sie "zum Zwecke des Anlockens von Männern in dem Variere-Restaurant war. Dazu reicht ihr Benehmen, daß sie nämlich zuweilen gelacht und mit übereinandergeschlagenen Beinen dagesessen hat, ebensowenig wie der Umstand, daß sie stark geschminkt war, und daß man ihrem Aussehen entnehmen konnte, daß sie eine Dirne war."

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D. Die Freigabe von Prostitution übergegangen ist. Soweit dies mit Billigung der Staatsgewalt geschieht, ist die Rechtswidrigkeit ausgeschlossen. ,,85

2. Polizeiliche Reglementierung der Prostituierten Während des Nationalsozialismus veränderte sich das Rechtssystem so grundlegend, daß eine Schilderung der gesetzlichen Vorgaben zur Umgrenzung der erlaubten Prostitutionsausübung, die tatsächliche Situation der Prostituierten nicht mehr hinreichend beschreiben kann 86 • Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger lagen im Nationalsozialismus - selbst wenn sie Strafcharakter hatten - nicht mehr vorrangig bei den Strafverfolgungsbehörden87 : Originäre Polizeikompetenzen88 ermächtigten die Polizeien89, Personen im Rahmen polizeilicher "vorbeugender Verbrechensbekämpfung" planmäßig zu 85 Mittelbach, S.194. Kritisch gegenüber der Wiedereinführung von Bordellen: Hagemann, S.416. Vgl. zur faktischen Kasernierung Bsp. Hamburg Dokument 2, in: Ebbinghaus/Kaupen-Haas/Roth, S.87f. 86 Während die Betroffenen beispielsweise im Strafverfahren durch die Justizförmigkeit des Verfahrens einen größeren Rechtsschutz genossen (beispielsweise die Möglichkeit von Rechtsmitteln gegen richterliche Entscheidungen)., war ein förmliches Rechtsmittelverfahren weder bei der planmäßigen polizeilichen Uberwachung noch bei der Vorbeugungshaft vorgesehen (Werle, S.495, 508; vgl. beispielsweise auch die gerichtliche Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung gern. § 42a StGB). Statthaft war lediglich eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den einweisenden Beamten (Terhorst, S.159). 87 Die Ausweitung dieser Eingriffsbefugnisse wurde unter anderem durch die Ideologie begünstigt, nach der die Volksgemeinschaft der zentrale Begriff der neuen Staatswissenschaft wurde (vgl. Huber, 'Z!)tW 95 (1935), S.46). Nicht als Individuum hatte der einzelne "Rechte und Pflichten, sondern als Glied einer sich im Recht ihre Lebensform gebende Gemeinschaft" (Larenz, S.241). "Damit steht ab jetzt über der Person und der Sache im deutschen Rechtsleben von jetzt ab das Volk" (Reichstagsrede Hitlers vom 30Januar, in Auszügen abgedruckt in ZAkDR 1937, S.97; vgl. auch Scheuner, S.82, 89f.) In diesem Sinne sollte nach dem Willen der neuen Machthaber der "leere Gesetzesstaat" der Weimarer Zeit mit den Ideen des "sittlichen Rechtsstaates" - mit dem "Pflicht- und Freiheitsgedanken des gemeindeutschen Idealismus" bekämpft und der liberale Gegensatz von Staat und Individuum aufgelöst werden. Demensprechend hatten Personen, die durch ihr "asoziales Verhalten die Allgemeinheit schädigte[n - dazu gehörten auch Prostituierte - ihre Rechte verwirkt]" (Erlaß A II 1e zitiert nach Werle, S.501, Fn.18). Sie hatten im Nationalsozialismus nicht nur strafrechtliche Reaktionen, sondern auch die Maßnahmen im Rahmen der polizeilichen vorbeugenden Verbrechensbekämpfung (dazu ausführlich Werle, S.488ff.) zu gegenwärtigen. 88 Der Machtzuwachs der Polizei im Faschismus galt für alle Lebensbereiche. Er hatte verschiedene Quellen: Eine maßgebliche Rolle spielte die Schaffung neuer polizeilicher Kompetenzen bzw. die extensive Interpretation bestehender Ermächtigungen (beispielsweise auf die Verordnung des Reichstagspräsidenten zum Schutz von Volk und Ordnung, sog. "Reichstagsbrandverordnung" vom 28.2.1933 (RGBI I, 83), die die Polizei ermächtigte, Grundrechte ohne Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen einzuschränken. Obwohl die Verordnung gemäß ihrer Präambel nur zu Maßnahmen gegen

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überwachen und ihnen - gesetzlich nicht festgelegte - Auflagen zu erteilen oder sie in Vorbeugungshaft zu nehmen 9o • Im Bereich der Prostituiertenreglementierung konnte mit Hilfe dieser Ermächtigungen wieder ein Modell polizeilicher Regulierung installiert werden 91 ,

Kommunisten ermächtigte, wurde sie gegen alle Gegner der nationalsozialistischen Herrschaft angewandt (vgl. dazu Wagner, S.13lff.; Mejer, S.139ff., 145). Stellvertretend für die Billigung in der Staatsrechtslehre: Maunz, Gestalt und Recht der Polizei, S.lO, 26ff.,43ff. Dabei wäre diese Rechtfertigung für das polizeiliche Handeln formal gar nicht notwendig gewesen. Denn die Nationalsozialisten hatten den Grundsatz der Gesetzesmäßigkeit der Verwaltung beseitigt. Er galt als überwunden durch das Prinzip der "Rechtmäßigkeit der Verwaltung" (Maunz, Rechtmäßigkeit der Verwaltung, S.66; ders., Verwaltung, S.38f.). Justiz und Verwaltung sollten nicht mehr in einem Hierarchieverhältnis stehen und demgemäß auch keine die andere kontrollieren können (Maunz, Rechtmäßigkeit der Verwaltung, S.65f.). Dementsprechend wurde die Verwaltungsgerichtsbarkeit zunächst in Einzelbereichen und schließlich durch die Aufhebung des Instituts der Anfechtungsklage durch Führererlaß (vom 28.8.und 6.11.1939 zitiert nach Scheerbarth, DöV 1963, 732) erheblich beschnitten (vgl. Scheerbarth, DöV 1963, 731). Eine justitielle Überprüfung war schon wegen der Begründung von Verwaltungskompetenzen durch unveröffentlichte Führerbefehle, Verfügungen u.ä., erschwert (v gl. Scheerbarth, DöV 1963, 723ff.). Faktisch kam es wohl ohnehin selten zum Konflikt, da die Justiz regelmäßig ohne Zwang vor der Macht und dem Tun der Polizei in vorbeugendem Gehorsam zurückwich (Terhorst, S.114; Rüping, S.114). Die faktische Führungsrolle der Polizei(en) gegenüber der Justiz sowie die enge Zusammenarbeit im Rahmen der präventiven Kriminalitätsbekämpfung war für die Prostituiertenreglementierung im nationalsozialistischen Staat grundlegend (vgl. dazu Rüping, S.38, Fn.35, 114, Fn.47). H9 Eine nicht zu unterschätzende Stärkung erfuhr die Polizei auch durch die organisatorische Umstrukturierung, d.h. Verselbständigung (dazu: Wagner, S.127ff.) und Zentralisierung der Polizeibehörden (Übertragung der Polizeihoheit auf das Reich durch das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30.1.1934 (RGBI I, 75); Umgestaltung der Polizeibehörden zu Reichsbehörden durch das Gesetz über die Vereinheitlichung des Behördenaufbaus vom 5.7.1935 (RGBI I, 1197). Ausführlich dazu: HarnischmacherlSemerak, S.l00ff.). '!O Ausführlich Terhorst; Werle, S.488ff. Diese beiden schon seit Beginn des Dritten Reiches praktizierten Maßregeln - Rechtsgrundlage dafür war die sog. "Reichstagsbrandverordnung" vom 28.2.1933 (RGBI I, 83) erfaßten zunächst nur "Berufs- und Gewohnheitsverbrecher". Zum regulären Reglementierungsinstrument wurden sie erst durch den Erlaß vom 14.12.1937, der den Anwendungsbereich auf sog. ''Asoziale'', also auf jeden, der "ohne Berufs- oder Gewohnheitsverbrecher zu sein, durch sein asoziales Verhalten die Allgemeinheit gefährdet", ausdehnte (Erlaß zitiert nach Werte, S.501 N.in, Fn.18; Terhorst, S.138; zur Anwendung dieser Vorschrift auf "Zuhälter", die einer strafbaren Handlung nicht überführt werden konnten Broszatllacobsenl Krausnick, S.82f., 90f.). 91 Zu den "Berufs- und Gewohnheitsverbrechern" zählten gemäß der Rechtsfolgennovelle vom 21.11.1933 (Art.3 Ziff.21 des Gesetzes gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Besserung und Sicherung (RGBI I 33, 995» über § 42d StGB LV.m. § 361, Nr.6a auch wegen verbotener Prostitutionsausübung verurteilte Dirnen (vgl. Werte, S.502, Fn.20.). Der Erlaß vom 14.12.1937 erweiterte den Anwendungsbereich auch auf Dirnen (vgl. Werte, S.501 N.in, Fn.18; Terhorst, S.138).

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D. Die Freigabe von Prostitution

das in Grundzügen an die Reglementierung während des Allgemeinen Landrechtes erinnert92 • Ein Vertraulicher Runderlaß des Reichsministers des Inneren von 1939 bestimmte, daß "die Polizei ... mit sofortiger Wirkung die

Maßnahmen zur Erfassung der Prostituierten zu treffen und deren öffentliche Beaufsichtigung durch die Gesundheitsbehörden sicherzustellen" habe 93 . Wie dies in praxi aussehen konnte, zeigt das Beispiel94 Essen 95 : Dort war man bestrebt,

"unter radikaler Ausnutzung der gesetzlich gegebenen Möglichkeiten die Dirnen aus dem öffentlichen Verkehrsleben herauszubringen und über den Rahmen des RGBG hinaus Raum zu geben für eine allgemeine ordnungs- und sicherheitspolizeiliche Überwachung und Beeinflussung des Dirnengewerbes,,96. Dies geschehe "mit dem Endziel, die Öffentlichkeit unter allen Umständen von den Dirnen zu säubern,,97. Nach der Essener Dienstanweisung sollte allen Prostituierten ein mit Personalien und Lichtbild versehenes Merkbuch ausgehändigt werden, aus dem der genehmigte Ort der Gewerbeausübung, sowie alle Eintragungen der Gesundheitsbehörden hervorgingen 98 • Erkrankte die Prostituierte, entzog ihr die Polizei das Buch bis zur Heilung. Eine Frau, die nach Ansicht der Polizei der gewerbsmäßigen Unzucht nachging, aber kein Merkbuch mit sich führte, wurde verhaftet und dem Gesundheitsamt vorgeführt 99 • Essener Prostituierten lOO war der Aufenthalt auf öffentlichen Wegen verboten, "wenn

Zur Auflagenerteilung vgl. Werle, S.493f. Nach den näheren Ausführungsbestimmungen sollten beispielsweise auch Kleiderauflagen zulässig sein (Werle, S.494 m.N. in, Fn.15). 92 Es beeinhaltete jetzt aber nicht mehr - wie noch im Landrecht - eine ausdrückliche Regelung dahingehend, daß der Wunsch einer Frau, das Bordell zu verlassen, Vorrang vor einer Vertragsverpflichtung hatte. 93 Vertraulicher Runderlass des Reichsministers des Inneren von 1939, S.l zitiert nach Heinz-Trossen, S.48. 94 Vgl. beispielsweise den Erlaß ähnlicher Vorschriften in Hamburg durch die Polizei (Dokument 2, in: Ebbinghaus/Kaupen-Haas/Roth, S.87f.). 95 Diese Reglementierung sollte durch eine innerbehördliche Dienstanweisung konstituiert werden, da es auch "formaljuristisch" einer gesetzlichen Regelung nicht bedürfe, da die Artt.114, 115 WRV außer Kraft gesetzt seien (zitiert nach Sellmann, Der Kampf gegen Prostitution, S.38). 96 Sellmann, Der Kampf gegen Prostitution, S.36. 97 Zitiert nach Sellmann, Der Kampf gegen Prostitution, S.38. 98 Zur Einrichtung einer Prostituierten-Kartothek in Köln: Bock, S.90f. 99 Nr.9 der Essener Dienstanweisung zitiert nach Sellmann, Der Kampf gegen Prostitution, S.40f. \00 D.h. "jede weibliche Person, welche gewerbsmäßig Unzucht treibt. - Weibliche Personen, die ohne ein Gewerbe daraus zu machen verdächtig sind, wahllos wechselnden Geschlechtsverkehr zu pflegen, sind, ebenso wie die Männer, in gesundheitspolizeilicher Hinsicht nach den Bestimmungen des GBG. [=GschLKrG, Verf] zu behandeln. "

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sich aus ihrem Gesamtverhalten ergibt, daß sie sich auf dem öffentlichen Wege zur Werbung von 'Freiern' ('auf dem Strich') bejinden"lOl. Sie durften sich nur in solchen öffentlichen Lokalen aufhalten, "deren Inhaber der Polizei ihren Willen, Dirnen zu dulden, mitgeteilt haben und denen diese Duldung nicht von der Polizei verboten ist" 102. Ihr Gewerbe durften sie "nur in solchen Straßen und Häusern ausüben, in denen ihnen dieses vom Vorsteher der Dienststelle für die Überwachung der Dirnen ausdrücklich erlaubt ist,,103. Innerhalb des ganzen Reiches wurde durch Vertrauliche Runderlasse des Reichsministers vom 9.9.1939 und 16.3.1940 das Kasernierungsverbot zunächst eingeschränkt 104 und durch das Gesetz vom 21.10.1940 105 schließlich aufgehoben 106 • Das sog. Essener Modell beeinhaltete aber auch fürsorgende Aspekte: Die Miete sowie alle anderen Dienstleistungen unterlagen einer polizeilichen Preiskontrolle. Beuteten Vermieter Prostituierte aus, so drohte ihnen Zwangsgeld, Zwangshaft oder Ordnungshaft 107 • Die Fürsorge ging so weit, daß "Kuppler, Zuhälter, oder solche Mannspersonen, die von der Polizei ausdrücklich bezeichnet werden", sich nicht am Arbeitsplatz der Dirne aufhalten durften 108• Aus den bis heute erschlossenen Quellen kann nicht ersehen werden, ob das "Essener Modell" repräsentativ war. Fest steht, daß in vielen größeren deutschen Städten Deutschlands Bordelle eingerichtet wurden 109 • Einem unver-

Nr.1 der Essener Dienstanweisung zitiert nach Sellmann, Der Kampf gegen Prostitution, S.39 (Hervorhebung LOrig.). 101 Nr.2 der Essener Dienstanweisung zitiert nach Sellmann, Der Kampf gegen Prostitution, S.39. 1112 Nr.3 der Essener Dienstanweisung zitiert nach Sellmann, Der Kampf gegen Prostitution, S.39. 103 NrA der Essener Dienstanweisung zitiert nach Sellmann, Der Kampf gegen Prostitution, S.39. 104 Bock, S.102. 105 RGBI I 1940,1459. 106 Das Kasernierungsverbot war ohnehin in der Praxis nicht mehr beachtet worden (vgl. beispielsweise für Hamburg Dokument 2, in: Ebbinghaus/Kaupen-Haas/Roth, S.87f.). 107 Nr.6 der Essener Dienstanweisung zitiert nach Sellmann, Der Kampf gegen Prostitution, SAO. 108 Nr.7 der Essener Dienstanweisung zitiert nach Sellmann, Der Kampf gegen Prostitution, SAO. 1119 Es gab Einrichtungen für Wehrmachtssoldaten, ''fremdvälkische Arbeiter" und für neutrale Ausländer (vgl. Schnell brief des Reichskriminalamtes vom 21.9.1939 zitiert nach Heinz-Trossen, SA8f.; Tidl, S.41 m.H.; Rolnikaitz, SA3-60. Ausländische Frauen, deren "schlechte Arbeitsleistungen im Reichsgebiet nicht mehr vertretbar waren", wurden durch offizielle Stellen angehalten, in "ein Bordell für fremdvälkische Arbeiter einzutreten" (Akte des GA Wiesbaden vom 29.5.1943 zitiert nach Heinz-Trossen, SA9). "Das große Schweigen - Bordelle in Konzentrationslagern", Sendung von Carotine von 7 Gieß

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D. Die Freigabe von Prostitution

öffentlichten Runderlaß zufolge soll die oberste Parteispitze selbst wegen vermehrter sexueller Kontakte zwischen ausländischen Zwangsarbeitern und deutschen Frauen "die baldige Errichtung von Bordellen zur Abwendung der dem deutschen Blute drohenden Gefahren" angeordnet haben 110. Hierfür sollten zunächst "die Leiter der Kriminal-Polizei-Leitdienststellen, die Präsidenten der Landesarbeitsämter und die Kommunaldezementen der Reichsmittelinstanz der allgemeinen Verwaltung unter Vorsitz der Gauobmänner der DAF in jedem Gaubereich zusammentreten, um den Bedarf an Bordellen festzustellen, die Planung in die Hand zu nehmen und die Grundlagen der Finanzierung festzulegen". Zur Finanzierung herangezogen werden sollten Unternehmer, die ''fremdvölkische Arbeitnehmer" beschäftigten bzw. die Gemeinden, die "auf die Bedeutung der Aufgabe hingewiesen" worden waren, und die zumindest die entspre-

chenden Grundstücke zur Verfügung stellen sollten. Diese neu einzurichtenden Bordelle sollten an Privatleute verpachtet und durch die Kriminalpolizei überwacht werden. Die Prostituierten zahlten eine feste Miete an den Pächter. "Wie-

viel sie von den Besuchern erhalten, ist ihre Sache. ,,111

Neben der polizeilichen Reglementierung von Prostitution in den einzelnen Städten existierte auch eine überörtliche Zusammenarbeit der Behörden, durch die u.a. an der Etappe und in Arbeits- ll2 und Konzentrationslagern ll3 Bordelle der Tann u.a., in den Allgemeinen Rundfunkanstalten Deutschlands (im folgenden: ARD), Donnerstag, 9. November 1995, 22.30h. 110 Rundschreiben Nr.136/41 ("Nicht zur Veröffentlichung") des Leiters der ParteiKanzlei Bormann (Senatsverwaltung Hansestadt Hamburg vom 6.11.1941 (17/1705/41) über die Einrichtung von Bordellen für fremdvölkische Arbeiter (abgedruckt als Dokument 6, in: Ebbinghaus/Kaupen-Haas/Roth, S.90). 111 Rundschreiben Nr.136/41 ("Nicht zur Veröffentlichung") des Leiters der ParteiKanzlei Bormann (Senatsverwaltung Hansestadt Hamburg vom 6.11.1941 (17/1705/41) über die Einrichtung von Bordellen für fremdvölkische Arbeiter (abgedruckt als Dokument 6, in: Ebbinghaus/Kaupen-Haas/Roth, S.90). ll2 Für Facharbeiter wurde der Besuch des Lagerbordells als Arbeitsanreiz ausgelobt Vgl. dazu Trials, vol. V p.246; IMT vol.XXII p.16; Tenenbaum, S.203; Mitschertich/Mielke, S.53f.; "Das große Schweigen - Bordelle in Konzentrationslagern", Sendung von Carotine von der Tann u.a., in den ARD, Donnerstag, 9. November 1995, 22.30h m.H. auf Dokumente des Bundesarchivs. Solche Bordelle existierten in Auschwitz I, 11 und III; (vgl. zur Rolle des sog. "FFF-System" (Fressen, Freigang, Frauen) bei der Zwangsarbeit beispielsweise für das IG-Farben-Werk in Auschwitz: Kaienburg, S.330, Fn.100, Buchenwald, Dachau, Flossenbuerg, Mauthausen, Ravensbrueck, Sachsenhausen und Neuengamme vgl. dazu: Bingen, SZB 5; Kaienburg, S.330f., 411, 448. Vgl. auch Himmler zur Einrichtung dieses Anreizsystems im KZ Buchenwald zitiert bei Bock, S.103f. 113 In den Konzentrationslagern wurden nach Aussagen von Zeitzeugen Bordelle in Sonderbaracken eingerichtet ("Das große Schweigen - Bordelle in Konzentrationslagern", Sendung von Carotine von der Tann u.a., in den ARD, Donnerstag, 9. November 1995, 22.30h). Mit der Einrichtung von Bordellen wurden verschiedene Zwecke

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eingerichtet wurden 1l4 • Die Prostituierten in diesen Einrichtungen wurden aus den Reihen der weiblichen Häftlinge rekrutiert 115 , zu denen auch Prostituierte gehörten 1l6 • Ob diese aufgrund präventiv polizeilicher Maßregelungen oder durch Maßnahmen der Strafjustiz inhaftiert wurden, läßt sich nicht mehr feststellen 117. Nach dem Stand der historischen Forschung wurden Prostituierte in erster Linie dann in Lagern interniert, wenn sie die Prostitution entgegen den § 361 Nr.6a-c StGB oder den Anweisungen des Gesundheitsamtes ausübten 1l8 • verfolgt u.a. auch, die Homosexualität unter den Wärtern einzudämmen und die "Moral der Truppe" aufrechtzuerhalten (ebda.). 114 Vgl. beispielsweise Rundschreiben Nr.136/41 ("Nicht zur Veröffentlichung") des Leiters der Partei-Kanzlei (Senatsverwaltung Hansestadt Hamburg vom 6.11.1941 Az.17/1705/41) über die Einrichtung von Bordellen für fremdvölkische Arbeiter abgedruckt als Dokument 6, in: Ebbinghaus/Kaupen-Haas/Roth, S.90. vgl.: Klinksiek, S.99, "Das große Schweigen - Bordelle in Konzentrationslagern", Sendung von Caroline von der Tann u.a., in den ARD, Donnerstag, 9. November 1995, 22.30h. 115 Inwieweit Frauen dabei zur Prostitution gezwungen wurden, läßt sich mangels Aufarbeitung der Quellen nicht mit Sicherheit sagen (vgl. dazu Aussagen von Zeitzeugen in: "Das große Schweigen - Bordelle in Konzentrationslagern", Sendung von Caroline von der Tann u.a., in den ARD, Donnerstag, 9. November 1995, 22.30h). Bei den für die Prostitution abgestellten Frauen sollte darauf geachtet werden, daß für die Häftlinge nur nichtarische oder nichtarisch aussehende Frauen, für arische Männer arische Frauen herangezogen wurden, vgl. Runderlaß des Preußischen Ministeriums des Innern vom 22.2.1933 wiedergegeben bei Sellmann, Der Kampf gegen Prostitution, S.26f. 116 Vgl. beispielsweise Tenenbaum, S.388 m.w.H. in, Fn.16. Vgl. auch "Das große Schweigen - Bordelle in Konzentrationslagern", Sendung von Caroline von der Tann u.a., in den ARD, Donnerstag, 9. November 1995, 22.30h. 117 Vgl. beispielsweise Schaffstein, ZStW 58 (1939), 310. Ausführlich Werle, S.508ff. Die Internierung im Rahmen der Vorbeugungs~!ift sollte nach den Vorgaben des Erlasses subsidiär zu den Auflagen und polizeilicher Uberwachung angeordnet werden (v gl. Werle, S.499 m.N. in, Fn.1 u. Fn.3). Zuständig dafür waren die KriminalpolizeisteIlen, die ihre Entscheidung nach einem innerbehördlichen Erkenntnisverfahren und in Abstimmung mit dem Reichskriminalpolizeiamt trafen (Werle, S.507 m.w.N.). Die Anordnung der Haft war den Betroffenen in einer "Eröffnungsverhandlung" bekanntzugeben und kurz zu begründen (ausführlich: Werle, S.508 m.w.N.). Vollstreckt wurde die Vorbeugungshaft in "geschlossenen Besserungs- und Arbeitslagern", sprich Konzentrationslagern (ausführlich zur Vollstreckung: Terhorst, S.145ff.). Die Dauer war grundsätzlich unbegrenzt (Werle, m.N. in, Fn.60). llH Terhorst, S.139, Fn.143. Vgl. auch Werle, S.502; Dokument 3, in: Ebbinghaus/Kaupen-Haas/Roth, S.88f. Vgl. auch schon Hans Frank, der 1936 ausführte, daß eine Verfehlung gegen die geschlechtliche Sittlichkeit nur "[d]ie gewerbsmäßige Unzucht in ihren bedenklichen Auswüchsen" darstelle, Leitsätze, S.61; "Aus der Arbeit der Sittenpolizei" abgedruckt in: Bock, S.84. Prostituierte, die ihren vorgeschriebenen Untersuchungspflichten nicht nachkamen, mußten aufgrund einer Anordnung des Reichsinnenministers vom 18.9.1939 unmittelbar der Polizeibehörde gemeldet werden (Schreiben des Reichsinnenministers vom 18.9.1939 zitiert nach Heinz-Trossen, S.49). Die Ermächtigung zu einer solchen Regelung wiederum ließ sich auf § 10 des Gesetzes zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens vom 3.7.1934 (RGBI I 1934, 530f.) zurückführen. Der Minister des Inneren ordnete in seinem Erlaß weiter an: 7·

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D. Die Freigabe von Prostitution

Genaue Zahlen darüber, wie viele Prostituierte in Lager eingewiesen wurden, sind nicht bekannt 1l9 • Doch wird der sprunghafte Anstieg weiblicher Häftlinge in einzelnen Konzentrationslagern 120 auf verschärfte Maßnahmen gegen Frauen, die der Prostitution in verbotener Weise nachgegangen sind, zuruckgeführt l21 • Die für ein solches System notwendige Koordination wurde durch die Zusammenarbeit zwischen Fürsorge- und Polizeibehörden 122 und die Gleichschaltung der Gesundheitsämter l23 ermöglicht. Mit dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft entfielen die Einrichtungen staatlich organisierter Prostitution ebenso wie die faktisch unbegrenzten Polizeiermächtigungen. Die Straftatbestände124 , durch die die Ausübung der Prostitution reglementiert wurden und die Vorschriften des GeschlKrG blieben bestehen 125 •

"Personen, die sich den Anordnungen der Gesundheitsbehörde widersetzen oder entziehen, können wegen asozialen Verhaltens in polizeiliche Vorbeugehaft genommen werden. " (zitiert nach Heinz-Trossen, S.50 m.N. in, Fn.102). Das Gesundheitsamt Wiesbaden händigte Prostituierten ein Merkblatt aus, auf dem darauf hingewiesen wurde, daß eine Pflichtverletzung "die Überführung in polizeiliche Vorbeugehaft (Konzentrationslager) nach sich zieht" (Heinz-Trossen, S.50). 119 Elling, S.119 m.H. Studien zur Geschichte der Konzentrationslager Schriftenreihe der Vierteljahreshefte zur Zeitgeschichte, Nr.21 1977, S.99 mit Hinweis auf das Lager Ravensbrück, aaO, S.120. Vgl. auch: "Aus der Arbeit der Sittenpolizei" abgedruckt in: Bock, S.84. 120 Hinweise gibt es auch darauf, daß Prostituierte auch in Irrenanstalten wegen "moralischen Schwachsinns" eingewiesen und dort Zwangssterilisationen und Euthanasieaktionen zum Opfer fielen (v gl. beispielsweise Bock, S.95f.). Das durch die Nationalsozialisten propagierte Frauenbild zeichnete die deutsche Frau als Mutter (Klinksiek, S.23) und opferbereite Fürsorgerin (Klinksiek, S.66f.). Dies stand in krassem Gegensatz zu dem von der Prostituierten gezeichneten Bild - der "verwahrlost[en], verkommen[en], verschmutzt[en]", "moralisch schwachsinnig[en]" Frau. 121 Terhorst, S.153f. m.N. in, Fn.282. 122 Vgl. dazu: Dokument 3, in: Ebbinghaus/Kaupen-Haas/Roth, S.87. 123 Sie erfolgte durch das Gesetz zur Vereinheitlic~!lng des Gesundheitswesens vom 3.7.1934 (RGBI. I, 53lf.), durch das die einzelnen Amter beispielsweise verpflichtet wurden, Personen mit häufig wechselndem Geschlechtsverkehr (hwG-Personen) und Geschlechtskranke der Erb- und Rassekartei zu melden, auf die auch die allgemeinen Polizeibehörden Zugriff hatten. Grundlage dafür waren die Durchführungsbestimmungen der Erbbestandsaufnahme vom 23.3.1938 (vgl. dazu Heinz-Trossen, S.49, Fn.96 m.N.). 124 Vgl. zur Diskussion über eine grundlegende Strafrechtsreform Etzel, S.170ff. Im Rechtsfolgenbereich des Strafrechtes kritisierten die Besatzungsmächte die Möglichkeit der Sicherungsverwahrung gern. § 42 e StGB, schafften diese aber nicht ab. Vgl. dazu ausführlich: Etzel, S.179. 125 Zu den verschiedenen Formen der sog. "Nachkriegsprostitution" in deutschen Städten vgl.: Kreuzer, S.218ff.

III. In der Bundesrepublik

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III. In der Bundesrepublik Auch in der Bundesrepublik besteht das in den vorangegangenen Kapiteln herausgearbeitete Muster im staatlichen Umgang mit Prostitution fort: Prostitution ist erlaubt und wird reglementiert. Sie wird aber als Erwerbstätigkeit nicht anerkannt und genießt keinen Rechtsschutz. 1. Prostitution als erlaubte Erwerbstätigkeit

In der Bundesrepublik konnte Prostitution zunächst entsprechend der aus der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus übernommenen Regelungen ausgeübt werden 126. Das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts (4. StrRG) kodifizierte 1974127 die strafrechtlichen Grenzen der Prostitutionsausübung neu, ohne diese inhaltlich wesentlich zu verändern. Prostitution ist erlaubt. Die Ausübung unterliegt aber bestimmten Beschränkungen. Gern. § 120 Abs.1 Nr.1 OWiG 128 handelt ordnungswidrig, wer in einem durch eine Rechtsverordnung zum Sperrbezirk erklärten Gebiet (Art.297 EGStGB)129 der Prostitution nachgeht. Gern. § 184 a StGB wird wegen "Ausübung der verbotenen Prostitution" mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bestraft, wer gegen eine solche Sperrbezirksverordnung "beharrlich" verstößt. Ein beharrlicher Verstoß liegt nach h.M. vor, wenn aus

126 Lediglich die Einweisung in das Arbeitshaus gern. § 42d StGB wurde durch das 1. StrRG 1969 (BGBI I, 645ff.) abgeschafft. 127 Vom 2.3.1974, BGB!. 1,469,502. 128 Dieser Tatbestand hat § 361 Nr. 6 c StGB a.F. ersetzt. 129 Zulässigkeit und Verfahren zum Erlaß einer Sperrbezirksverordnung werden durch Art. 297 EStGB (2. Strafrechtsreformgesetz vom 7.4.1970 (BGBl.I 1970, 313» geregelt. Danach ist die Landesregierung ermächtigt, "zum Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstandes 1. für das ganze Gebiet einer Gemeinde bis zu fünfzigtausend Einwohnern, 2. für Teile des Gebiets einer Gemeinde über zwanzigtausend Einwohner oder eines gemeindefreien Gebiets 3. unabhängig von der Zahl der Einwohner für öffentliche Straßen, Wege, Plätze, Anlagen und für sonstige Orte, die von dort aus eingesehen werden IWnnen, im ganzen Gebiet oder in Teilen des Gebiets oder eines gemeindefreien Gebiets" die Ausübung der Prostitution durch Rechtsverordnung zu verbieten. Das Verbot kann auf bestimmte Tageszeiten beschränkt werden (Abs.l). Die Ermächtigung kann durch Rechtsverordnung auf eine oberste Landesbehörde oder höhere Verwaltungsbehörde übertragen werden (Abs.2). Wohnungsbeschränkungen auf bestimmte Straßen oder Häuserblocks zum Zwecke der Ausübung der Prostitution (Kasernierungen) sind verboten (Abs.3). Letzteres wurde aber faktisch oft mit der Sperrbezirksregelung erreicht (vg!. Hanack, Rechtsgutachten, Rz.252).

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D. Die Freigabe von Prostitution

der Zuwiderhandlung eine "besondere Hartnäckigkeit und damit die gesteigerte GLeichgüLtigkeit des Täters gegenüber dem gesetzlichen Verbot" hervorgeht 13o.

§ 184 b verbietet - entsprechend § 361 Nr.6 b, bzw. § 361 Nr.6 b StGB a.F. die Ausübung von Prostitution "in der Nähe einer Schule oder einer Örtlichkeit, die zum Besuch von Personen unter achtiehn Jahren bestimmt ist, oder in einem Haus, in dem Personen unter achtzehn Jahren wohnen, in einer Weise ... , die diese Personen sittlich gefährdet". Prostituierte dürfen nicht werben: Nach § 120 Abs.1 Nr.2 OWiG begeht eine Ordnungswidrigkeit, "wer durch Verbreiten von Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen, Gelegenheit zu entgeltlichen sexuellen Handlungen anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, dem Verbreiten steht das öffentliche Ausstellen, Anschlagen, Vorführen oder sonstiges öffentliches Zugänglichmachen gleich." Nach herrschender Meinung soll sich aus § 120 Abs.1 Nr.2 OWiG in Zusammenschau mit § 119 Abs.1 OWiG 131 ergeben, daß jede, das heißt auch die schlichte Kontaktanzeige ordnungswidrig sei l32 . Die Regelung des § 361 Nr.6 StGB a.F. - das Verbot öffentlich in auffälliger oder die Allgemeinheit belästigender Weise zur Unzucht aufzufordern oder sich dazu anzubieten - entfiel, ebenso das Verbot die Prostitution in der Nähe VOn Kirchen auszuüben.

§ 184 a, 184 b StGB sowie § 120 Abs.1 OWiG dienen - wie ihre Vorgängernormen - dazu, die Ausübung VOn Prostitution örtlich zu begrenzen und dadurch soziale Konflikte zu vermeiden. Ihre Aufgabe ist es nicht, Prostitution zu

DU Sch/Sch-Lenckner, § 184a, Rz.5; SK-Horn, § 184a, Rz.3. Die Vorschrift wird deshalb auch als ''formfreie Rückfallvorschrift" (DreherITröndle, StGB, § 184 a, Rz.5). BI Danach begeht eine Ordnungswidrigkeit, wer "1. öffentlich in einer Weise, die geeignet ist, andere zu belästigen, oder 2. in grob anstößiger Weise durch Verbreiten von Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen und Darstellungen Gelegenheit zu sexuellen Handlungen anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt". 132 BayObLG AfP 1981, 403; OLG Karlsruhe NJW 1978, 61; OLG Koblenz GA 1979, 149; OLG Schleswig, DöV 1977, 534; OLG Stuttgart NStZ 1982, 77; Göhler, § 120, Rz.11 m.w.N. Mit dieser Interpretation soll die Verletzung des Sittlichkeitsempfindens einzelner durch die Konfrontation mit kommerzialisierter Sexualität geschützt werden (stellvertretend für viele: KK-Kurz, OWiG, § 119, Rz.2. Vgl. auch: BTDrs. VI/1552, S.36f.; BT-Prot. Sonderausschuß Strafrecht VI, S.1952). Da eine solche Verletzung im Einzelfall nur sehr schwer festzustellen sei, müsse schon die abstrakte Gefährdung pönalisiert werden (KK-Kurz, OWiG, § 119, Rz.2).

III. In der Bundesrepublik

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unterbinden 133 , sondern kommerzialisierte Sexualität aus dem Blickfeld der Gesellschaft zu verbannen 134 • Dies geht aus den Tatbeständen selbst hervor und wurde auch in der dem 4. StrRG von 1973 vorangegangenen Diskussion deutlich ausgesprochen: "[J]ahrhundertealte Erfahrung [lehrt], daß der Staat die weibliche Prostitution nicht ausrotten kann". 135 Allerdings sollten die Prostituierten aus gewissen Lebensbereichen gedrängt und bestimmte Formen der Prostitutionsausübung nur eingeschränkt zugelassen werden. "[E]s kommt uns eigentlich nicht in erster Linie darauf an strafrechtlich tätig zu werden, sondern wir müssen einfach das Milieu im Griff haben, damit es uns nicht aus den Fingern gleitet" 136. Im Rahmen der Diskussionen zur Strafrechtsreform wurden verschiedene Modelle der staatlichen Reglementierung von Prostitution erörtert 137 • Der Ge133 Ein vollständiges Verbot von Prostitution in Gemeinden mit über 20.000 Einwohnern wäre unzulässig. In den 50er Jahren hatten verschiedene Städte mit über 20.000 Einwohnern versucht, durch polizeiliche Anordnung, das gesamte Stadtgebiet zum "Dirnensperrbezirk" zu erklären. Diese Praxis hatte der Bundesgerichtshof mit Hinweis auf die abschließende Regelung der Materie durch § 361 Nr.6, Nr.6a-c StGB für unzulässig erklärt (BGHSt 11,31 (32); vgl. auch LK-Mösl, 9.Aufl., § 361, Rz.18). 134 Treffend dazu: Molloy, S.37. 135 Begr. zu E 62, BT-Drs. IV/650, S.390; vgl. auch Begr. zu E 62, BT-Drs. IV/650, S.388; Horstkotte, BT Prot.V/12, Unterausschuß Strafrecht, S.309; MdB Schlee, BT Prot.VI Sonderausschuß Strafrecht, S.1675; Begr.AE, BT, S.45. 136 MdB Schlee, BT-Prot. Sonderausschuß Strafrecht VI, S.1675; vgl. auch Hanack, Rechtsgutachten, Rz.260; Horstkotte (BMJ), BT-Prot.V/12. Ausschuß Unterausschuß Strafrecht, S.3099. Auch das 1968 für den Deutschen Juristentag erstellte Gutachten kommt zu dem Ergebnis, daß die vorgesehenen Straftatbestände nur als Druckmittel gegen Prostituierte sinnvoll seien, nicht zur Verhinderung von Prostitution (Hanack, Rechtsgutachten, Rz.260). Im gleichen Sinne sprach sich das Bundesinnenministerium gegen eine Abwertung der bisher in § 361 Nr.6 bis Nr.6c erfaßten Handlungen zu Ordnung~widrigkeiten mit Hinweis darauf aus, daß erkennungsdienstliehe Maßnahmen sowie Uberwachung und Kontrolle erschwert würden (BT-Prot. V, S.3101). 137 Nach dem von Strafrechtslehrern - als Erwiderung zum Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission - erarbeiteten Alternativentwurf (AE) sollte die Regulierung des Prostitutionsangebotes nicht dem Strafrecht, sondern den "elastischeren Einwirkungsmöglichkeiten ... einer Normierung primär unter verwaltungsrechtlichen Aspekten" unterstellt werden (Begr. AE, BT, S.45). Auch nach den Empfehlungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (BT-Drs.7/514, S.16) sollte für bestimmte polizeiliche Maßnahmen eine besondere gesetzliche Grundlage geschaffen werden. Demgegenüber wollten andere die für die Öffentlichkeit sichtbaren Auswirkungen der Prostitution mit Hilfe des Strafrechts in Schranken weisen. So führte beispielsweise der Vertreter des Justizministeriums aus, daß es mit Hilfe der Sperrbezirksregelungen und dem polizeirechtlichen Opportunitätsprinzip möglich sei, auf weibliche Prostitution

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D. Die Freigabe von Prostitution

setz geber hat sich nicht für eine verwaltungsrechtliche Lösung, sondern für die oben dargestellte Kombination von Ordnungswidrigkeits- und Straftatbeständen entschieden. Ob es sich bei den dort bezeichneten Handlungen aber tatsächlich um strafwürdiges Unrecht handelt, wird zutreffenderweise bezweifelt 138 - soll aber im Vorliegenden nicht näher ausgeführt werden. Auch bezüglich des Betriebes von Einrichtungen, in denen Frauen der Prostitution nachgehen, hat sich der Reformgesetzgeber trotz anderer Vorschläge 139 für eine Regelung durch einen Straftatbestand entschieden. Gern. § 180 a Abs.l Nr.2 StGB, der im Vorliegenden ausschließlich interessiert 140 , wird wegen "Förderung der Prostitution" mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, "wer gewerbsmäßig einen Betrieb unterhält oder leitet, in dem Personen der Prostitution nachgehen und ( ... ) die Prostitutionsausübung durch Maßnahmen gefördert wird, welche über das bloße Gewähren von Wohnung, Unterkunft oder Aufenthalt und die damit üblicherweise verbundenen Nebenleistungen hinausgehen." Dieser Tatbestand soll nach der Gesetzesbegründung "dem Schutz desjenigen, der der Prostitution nachgeht oder Gefahr läuft zur Prostitution gebracht zu werden", dienen l4l , indem zwar nicht die Ausübung der Prostitution als solin ''flexibler Weise zu reagieren und Auswüchsen entgegenzutreten" (Horstkotte (BMJ), BT Prot. V, S.3101). D8 Vgl. beispielsweise Hanack, JR 1980, 432 unter Hinweis auf den Alternativentwurf; Horstkotte (BMJ), BT-Prot. VIJ, S.1697. D9 Hanack hatte schon in seinem Rechtsgutachten ein gesetzlich geregeltes Verfahren zur Zulassung von Bordellen und Dirnenwohnheimen gefordert: "Es ist unerträglich und unehrlich, die Prostitution zu dulden und im Interesse der Allgemeinheit von den einzelnen Städten brauchbare Reglementierungen zu erwarten, wenn solche Reglementierungen und Bemühungen formaljuristisch als strafbare Förderung fremder Unzucht erscheinen können oder müssen. " (Hanack, Rechtsgutachten, Rz.262.) 140 Die beiden anderen Alternativen des § 180 a gehören nicht zu dem vorliegend untersuchten Bereich der freiwillig ausgeübten Prostitution: Danach ist strafbar, wer gewerbsmäßig einen Betrieb leitet oder unterhält, in dem Personen der Prostitution nachgehen und "in dem diese in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten werden" (§ 180 a Abs.l Nr.l StGB). Nach § 180 a Abs.2 StGB ist strafbar, wer "einer Person unter achtzehn Jahren zur Ausübung der Prostitution Wohnung, gewerbsmäßig Unterkunft oder gewerbsmäßig Aufenthalt gewährt oder einem anderen, dem er zur Ausübung der Prostitution Wohnung gewährt zur Prostitution anhält oder im Hinblick auf sie ausbeutet. " Folge der letztgenannten Regelung ist, daß minderjährigen Prostituierten nur der Straßenstrich bleibt. Das soll wohl auch so sein, denn "gerade diese unbeliebteste Art der Prostitutionstätigkeit stellt für junge Mädchen keine Verlockung dar, mit diesem Gewerbe zu beginnen" (Lux, Kriminalistik 1985, 406). 141 BT-Drs. VI/1552, S.25; BVerfG NJW 1993, 1911 m.w.N.

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ehe, aber - über ein abstraktes Gefährdungsdelikt l42 - Einrichtungen und Maßnahmen, die typischerweise die Unabhängigkeit der Prostituierten beeinträchtigen oder aufheben, kriminalisiert werden 143 • Als strafbare Maßnahmen gelten nach herrschender Ansicht nicht nur das zentrale Abkassieren, feste Anwesenheitszeiten 0.ä. 144 , von denen man annehmen möchte, daß sie eine Prostituierte zumindest mittelbar zur Prostitutionsausübung anhalten könnten, sondern auch das Schaffen "günstigerer Bedingungen zur Prostitutionsausübung"145, die sog.

"sanfte Masche,,146, "die der Prostituierten die Tätigkeit wesentlich erleichter[t]"l47.

Straflos soll nach der gesetzgeberischen Begründung lediglich das Betreiben eines sog. Dirnenwohnheimes sein, in dem lediglich der Raum sowie "die damit üblicherweise verbundenen Nebenleistungen" gewährt werden 148 • Wo die Grenze zwischen erlaubten Nebenleistungen und strafbarer Bordellbetreibung konkret verläuft, kann nur einer fast unübersehbaren Kasuistik 149 entnommen wer142 Für eine restriktive Interpretation in dem Sinne, daß eine konkrete Gefährdung der Unabhängigkeit der Prostituierten vorliegen müsse, trat nur das Kammergericht Berlin ein (vgl. dazu KG NJW 1976, 813; KG NJW 1977,2223), das diese Rechtsprechung in KG JR 1980,121 aufgegeben hat. 143 OLG Köln JR 1979, 342; KG JR 1980, 121. 144 Vgl. dazu m.H. auf unveröffentlichte Rechtsprechung LK-Laujhütte, § 180 a, RZ.11. 145 Beispielsweise das Schaffen günstiger Arbeitsbedingungen für die Prostituierte (BGH NJW 1986, 596; BGH NJW 1987, 3209 (3210); BayObLG NJW 1985, 1566 (1567); vgl. Lackner, StGB, § 180 a, Rz.4; LK-Laujhütte, StGB (11. Aufl.), § 180 a, Rz.ll; Vorsorge dafür, daß nur zahlungskräftige Kunden die Prostituierte aufsuchen (OLG Köln JR 1979, 342); weitere Beispiele m.H. auf die Rspr.: LK-Laujhütte, StGB (11. Aufl.), § 180 a, RZ.ll. 146 Geerds, JR 1979,345. 147 BayObLG NJW 1985, 1566 (1567); BGH NJW 1986, 596; BGH NJW 1987, 3209 (3210); Geerds, JR 1979, 344 und JR 1985, 473; Lackner, StGB, § 180a, Rz.4. I.E. werden alle Maßnahmen geahndet, die geeignet sind, die Prostituierte "enger an die Prostitution zu binden" (BGH NJW 1986, 596; vgl. auch BGH NJW 1987, 3209 (3210); Lackner, StGB, § 180a, Rz.4). 148 Vgl. dazu BT-Drs. VI/3521, S.47, BT-Drs. VII/514, S.9. 149 Ein Beispiel dafür, daß diese Kasuistik wenig faßbar ist, gibt die oft zitierte Wendung, daß das "Schaffen einer gehobenen und diskreten Atmosphäre" den Tatbestand des § 180 a Abs.1 Nr.2 StGB erfülle. Tatsächlich hat der BGH in einem Urteil ausgeführt, daß das "Schaffen einer gehobenen und diskreten Atmosphäre" als Schaffung besonders günstiger Bedingungen für die Prostitutionsausübung geeignet sei, Prostituierte weiter in die Prostitutionsausübung zu verstricken (BGH NJW 1986, 596). Er hat dies jedoch nur kumulativ mit anderen Maßnahmen, die "über das bloße Gewähren. von Wohnung, Unterkunft oder Aufenthalt und die damit üblicherweise verbundenen Nebenleistungen " hinausgingen als Tatbestandserfüllung gewertet. Schon durch den Wortlaut des § 180 a Abs.1 Nr.2 StGB ist ausgeschlossen, daß das bloße "Schaffen einer gehobenen und diskreten Atmosphäre" mit Hilfe von Nebenleistungen, die bei jeder Vemietung gewährt werden können (z.B. luxuriöse Innenausgestaltung; Portier; etc.) nach dieser Norm strafbar ist.

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den 150. Das führt in der Praxis dazu, daß Betreiber von Einrichtungen, in der der Prostituierten nicht nur ein Zimmer überlassen wird, stets mit Strafverfolgung rechnen müssen. Der Widerspruch zwischen dem Verbot, für eine andere vollverantwortlich handelnde Person Infrastruktur zur Ausübung der Prostitution bereitzustellen und der prinzipiellen Erlaubnis, Prostitution auszuüben, löst sich erst bei näherer Betrachtung der polizeilichen Reglementierungspraxis auf. 2. Prostitution als reglementierte Erwerbstätigkeit Eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für eine Prostituiertenreglementierung gibt es in der Bundesrepublik nicht. Trotzdem ordnen und kontrollieren Polizeibehörden auch heute noch faktisch die Prostitutionsausübung. Sie tun dies - an die Praxis in Kaiserreich und Weimarer Republik anknüpfend - im Rahmen ihrer Kompetenzen als Strafverfolgungsbehörden und aufgrund der Ermächtigungsgrundlagen der Sanitätspolizeigesetze. Ein Rückgriff auf die polizeilichen Generalklauseln ist jedoch derzeit nicht mehr ohne weiteres möglich, da heute in der Rechtsprechung bestimmte Grenzen polizeilicher Reglementierung anerkannt werden. So gelten beispielsweise Dirnenwohnheime seit Inkrafttreten des 4. StRG nach allgemeiner Ansicht wegen der gesetzgeberischen Entscheidung in § 180 a Abs.1 Nr.2 - als polizeifest. Zur Begründung wird zum einen angeführt, daß sich aus dem 4. StRG ergebe, daß der Gesetzgeber in diesem Bereich Zurückhaltung staatlicher Behörden bei der Durchsetzung hergebrachter Moralvorstellungen wünsche l51 • Zum anderen wird geltend gemacht, daß die Polizei nicht gestützt auf die Generalklausel wieder in diejenigen Lebensbereiche eingreifen dürfe, aus denen sich der Staat durch eine gesetzgeberische Liberalisierung zurückgezogen habe152•

150 Allerdings hat das BVerfG (in: NJW 1993, 1911) entschieden, die Vorschrift lasse "nach ihrem Wortlaut hinreichend deutlich vorhersehen, unter welchen Voraussetzungen das Unterhalten oder Leiten eines Betriebes, in dem der Prostitution nachgegangen wird, strafbar ist. Mit Strafe bedroht sind alle die Prostitutionsausübung fördernden Maßnahmen, die über die im Gesetz ausdrücklich erlaubten Leistungen hinausgehen ". Das beantwortet aber nicht die Frage, welches die über die mit dem Gewähren von Wohnung, Unterkunft oder Aufenthalt üblicherweise verbundenen Nebenleistungen hinausgehenden Leistungen in einem konkreten Einzelfall sind. 151 VG Wiesbaden NJW 1975, 663f.; Lüthge-Bartholomäus, NJW 1975, 1872; vgl. auch Drews/Wacke, Gefahrenabwehr, S.253. 152 Vgl. dazu: VG Wiesbaden NJW 1975, 663; Kese, der diese Argumentation ausführlich damit begründet, daß die polizeiliche Generalklausei nur Auffangtatbestand für

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Während die Polizei also in den 50er und 60er Jahren noch ohne Bedenken die polizeilichen und/oder ordnungsbehördlichen Generalklauseln als Ermächtigungsgrundlage zur Schließung von Dirnenwohnheimen herangezogen - und damit Prostitution auch sittenpolizeilich reglementiert - hat, ist den Behörden seit Erlaß des 4. StrRG eine solches Vorgehen nicht mehr möglich 153 • Prostitution kann heute, solange sie innerhalb der von dem 4. StRG gezogenen Grenzen ausgeübt wird, nicht mehr aufgrund polizeilicher Generalklauseln verboten werden i54 • a) Straftatbestände als Ermächtigungsgrundlage der Reglementierung

An dieser Stelle soll nicht umfassend erläutert werden, wie die Polizei Prostituierte - gestützt auf Kompetenzen zur Ermittlung von Straftaten - reglementiert. Dazu wurde erst in jüngerer Zeit eine ausführliche Darstellung vorgelegt 155 • Im folgenden wird lediglich anhand zweier Beispiele die Fortführung überkommener Reglementierungskonzepte illustriert, die nach heute geltenden Rechtsprinzipien unzulässig ist. aa) §§ 184 a, 184 b StGB und § 120 Abs.1 Nr.1 OWiG Ein Beispiel dafür, daß bis heute ein überkommenes Konzept zur Reglementierung von Prostitution fortgeführt wird, ist die Wahl und Interpretation des Tatbestandsmerkmales "der Prostitution nachgehen" in den §§ 184 a, 184 b StGB und § 120 Abs.l Nr.1 OWiG. Das Merkmal ersetzte die altmodische Formulierung "Unzucht ausüben" oder "Unzucht treiben". Im Grunde geht es auf die Regelung des § 361 Nr.6 StGB im Kaiserreich zurück, die auf dem Moneue ordnungswidrige Zustände sei (S.21) und daß die gesetzgeberische Entscheidung im Strafrecht auch in allen anderen Rechtsgebieten Beachtung finden müsse (S.26). 153 Damit war die "Rechtsprechung überholt, derzufolge die Polizei ohne weiteres

befugt war, aus Gründen der öffentlichen Ordnung Dirnenwohnheime zu schließen".

OVG Lüneburg GewArch 1975, 396f.; vgl. auch Schl.-Holst. VG GewArch 1975, 398f.; DrewslWacke, Gefahrenabwehr, S.255. Anders noch: OVG Lüneburg GewArch 1974, 102f.; OVG Münster GewArch 1974, 354f., die argumentierten, daß die strafrechtliche Regelung - wie auch die polizeiliche Duldung - lediglich zur Vorbeugung größerer Mißstände erfolgt sei und mit dem Werturteil über Prostitution nichts zu tun habe und daß eine Reglementierung der Prostituierten zum Schutz der Allgemeinheit "vor nicht gewollten oder abgelehnten Kontakten mit dem Dirnenmilieu" zulässig sei (DrewsIWacke, Gefahrenabwehr, S.255 m.N. auf die Rspr. des BVerwG. Vgl. dag~gen: VG Regensburg, NVwZ 1982, 268). Prostitution ist also "eine im Sinne der Rechtspre-

chung des Bundesverfassungsgerichtes 'erlaubte' wirtschaftliche Betätigung, die nicht polizeilich unterbunden werden kann". 154 Vgl. DrewslWacke, Gefahrenabwehr, S.254 m.w.N. 155 Leo, S.126ff.

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deli der polizeilichen Einschreibung der Prostituierten basierte. Danach ging der Prostitution nach, wer von der Polizei als Prostituierte eingeschrieben war. "Der Prostitution nachgehen" umschrieb nach damaliger Ansicht nicht eine bestimmte Handlung, sondern eine Lebensweise, die die Person auch in rechtlicher Hinsicht charakterisierte, nämlich als Frau, die einer besonderen polizeilichen Aufsicht unterstand und deshalb bestimmten - unter anderem örtlichen Beschränkungen unterworfen war. Als Tatbestandsmerkmal des Tatstrafrechtes ist die Umschreibung ungeeignet, weil sie nicht die vom bundesrepublikanischen Gesetzgeber als strafwürdig angesehene Handlung beschreiben kann. Dies veranschaulichen zwei Beispiele: Im ersten Fall stelle man sich vor, eine Frau böte sich innerhalb des Sperrbezirks zu entgeltlichen Sexualleistungen an. Sie beabsichtigte aber von Anfang an nicht, diese Leistungen zu erbringen. Vielmehr plante sie, nach Entgegennahme des in Vorkasse geleisteten Geldes wegzulaufen. Diese Frau würde nicht nur der geprellte Freier nicht als Prostituierte, sondern als Betrügerin bezeichnen.Ginge die Frau immer nach ihrem vorgefaßten Plan vor, erlaubte kein "noch mögliche[r] Wortsinn"l56 es 157 , sie zu bestrafen, weil sie der Prostitution 158 nachgehe l59. Nach allgemeiner Meinung geht aber der Prostitution im Sinne der §§ 184 a, 184 b StGB und § 120 Abs.1 Nr.1 OWiG auch schon nach, wer nur Handlungen vornimmt, die auf die Vornahme kommerzialisierter sexueller Handlungen abzielen l6o • Diese Auslegung ist im Lichte des vom Gesetzgeber mit den Vorschriften verfolgten Zweckes, nämlich die unbeteiligte Allgemeinheit, bzw.

BVerfGE 71, 108 (115). Zur Wortlautgrenze bei der Auslegung von Straftatbeständen vgl. LK-Gribbohm, (l1.Aufl.) StGB, § 1, Rz.87 m.w.N; zu einschränkenden Ansätzen vgl. LK-Tröndle, StGB, § 1, Rz. 43 und 46. 158 Der mögliche Wortsinn von Prostitution umfaßt: "das öffentliche preisgeben (besonders in geschlechtlicher beziehung)" (Grimms, Wörterbuch, Bd.13, Sp.2174); "eine Form des sexuellen Verkehrs, bei der eine Person ihren Körper La. unbestimmt vielen Personen zu deren sexueller Befriedigung gegen materielle Entlohnung anbietet" (Brockhaus, Bd. 17, S.545). 159 Nachgehen bedeutet, "einer person oder sache folgen, um sie zu erreichen" (Grimm, Wörterbuch, Bd.13, Sp.61). 160 BVerfG NJW 1985, 1767 m., Anm. Lüdersen, StV 1985, 178; BGHSt 23, 167 (173); OLG Karlsruhe MDR 1974, 858; Dreher!fröndle, StGB, § 184a, Rz.3; Bargon, S.79. AA: Behm, JZ 1989, 301, der auf die Differenzierung zwischen "typischen" und "untypischen" Anbahnungshandlungen hinweist. Nach h.M. genügt schon ein "konkludentes Sichanbieten, etwa durch Herumstehen oder bloßes Aufundabgehen, das nicht in auffälliger Weise vonstatten gehen muß" (BVerfG NJW 1985, 767 m.w.H.). 156 157

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Minderjährige vor einer Konfrontation mit Prostituierten l61 zu schützen 162, sinnvoll. Sie ist aber wegen Überschreitung des Wortlautes unzulässig. Im zweiten Beispielsfall bahnt eine Frau in verschiedenen Fällen telefonisch Kontakte zu potentiellen Kunden an und erbringt dann - ohne bei der Anfahrt weitere Aufmerksamkeit zu erregen - in den im Sperrbezirk gelegenen Wohnungen der Kunden entgeltlich sexuelle Leistungen. Sie muß nach dem Wortlaut von § 184 a StGB wegen Ausübung der verbotenen Prostitution verurteilt werden, obwohl kein unbeteiligter Dritter mit dem Umstand konfrontiert wird, daß sie entgeltlich sexuelle Leistungen erbringt, denn sie geht im Sperrbezirk der Prostitution nach. Daß sie vom Tatbestand erfaßt wird ist - wie das BayOBLG zutreffend feststellt - Folge davon, daß der Zweck der Vorschrift, nämlich die Allgemeinheit vor Belästigungen zu schützen, nicht Tatbestandsmerkmal geworden ist 163 •

bb) § 180 a Abs.1 Nr.2 StGB

§ 180 a Abs.1 Nr.2 StGB ist ein Beispiel für einen Straftatbestand, dessen vorrangiger Zweck es nicht ist, die dort beschriebene Handlung zu verhindern, sondern Polizeikompetenzen für eine Prostituiertenreglementierung zu begründen. § 180 a Abs.1 Nr.2 StGB verbietet nach herrschender Ansicht alle Maßnahmen, die über die üblichen Leistungen einer Vermietung hinausgehen 164 • Dementsprechend müßten die Bordelle, die es in allen größeren deutschen Städten gibt, geschlossenl 65 und ihre Betreiber gemäß § 180 a Abs.l Nr.2 StGB bestraft

161 Im Gegensatz dazu wird der Kunde der Prostituierten, der die dem Gewerbebetrieb anhaftenden Belästigungen mitverursacht (beispielsweise Kontaktaufnahme auf dem Straßenstrich; Lärm durch Anfahrt), nicht von § 184 a StGB erfaßt: § 184 a StGB kann nach h.M. als sog. eigenhändiges Delikt, "nur von der Prostituierten selbst begangen werden" (BGH(Z) NJW-RR 1987, 999 (1000); BayObLG NJW 1985, 1566; SKHorn, StGB, § 184 a, Rz.5). Diese Auslegung tradiert eine Polizeipflichtigkeit der Prostituierten, nach der sie die Verantwortung für eine sozialverträgliche Ausübung der Prostitution trägt, obwohl eine Inanspruchnahme Dritter, beispielsweise des Freiers oder BordeIIbetreibers, viel effektiver wäre. Zur Fragwürdigkeit der eigenhändigen Delikte als Kategorie in einem auf den Schutz vor Rechtsgutsverletzungen ausgerichteten Strafrecht vgl. Eb.Schmidt, FG- Frank, S.128f.; Roeder, ZStW 69 (1957) 250). 162 Vgl. beispielsweise Dreherffröndle, § 184 a, Rz.2. 163 BayObLG MDR 1989, 181; vgl. auch SK-Horn, StGB, § 184 a, Rz.1. 164 s.o.: D. III. 1. a.E. 165 Dies gilt auch dann, wenn diese Duldung über Jahrzehnte besteht. Denn eine polizeiliche Duldung begründet keinen Vertrauensschutz (vgl. beispielsweise OVG Münster JZ 1966, 31 (32) m.w.N.).

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werden. Sie werden aber von den Strafverfolgungsbehörden in der Regel geduldet, solange sie bestimmte Anforderungen einhalten 166 • Schon im Gesetzgebungsverfahren äußerte man, daß die Strafdrohung des § 180 a Abs.l Nr.2 StGB Betreiber von Einrichtungen, in denen Prostitution ausgeübt wird, veranlassen sollte, "zu seiner eigenen Absicherung ein einigermaßen vertrauensvolles Verhältnis zur Polizei anzustreben ,,167. Da - wie bereits erläutert - die Grenze zwischen strafbarem Betrieb eines Bordells und straflosem Betrieb eines Dirnenwohnheims nur an hand einer schwer überschaubaren Kasuistik bestimmt werden kann, rechnen Betreiber solcher Einrichtungen stets mit Ermittlungsmaßnahmen. Um solche - oder gar eine Strafverfolgung - zu vermeiden l68 , bemühen sie sich um jenes vertrauensvolle Verhältnis zur Polizei, das sie auch dazu veranlaßt, dafür Sorge zu tragen, daß die bei ihnen tätigen Prostituierten bestimmte Auflagen erfüllen 169 • So kann ein Teil der polizeilichen Reglementierung der Prostituierten mittelbar - und effektiv - über die Bordellwirte erfolgen 17o • Damit löst sich auch der vermeintliche Widerspruch zwischen den gesetzgeberischen Entscheidungen, den Entschluß einer vollverantwortlich handelnden Frau, außerhalb eines Bordelles der Prostitution nachzugehen, einerseits zu akzeptieren, aber andererseits Dritten prinzipiell zu verbieten, die Ausübung von Prostitution über die Gewährung eines Raumes hinaus zu unterstützen. Denn der Gesetzgeber beabsichtigte mit dem Tatbestand nie eine nachdrückliche Strafverfolgung, sondern wollte den Strafverfolgungsbehörden lediglich ein Ermittlungsthema an die Hand geben. b) Sanitätspolizeigesetze als Ermächtigungsgrundlage der Reglementierung

Zur Rechtfertigung polizeilicher Reglementierung berufen sich die Behörden - neben den polizeilichen Ermittlungsaufgaben im Rahmen der Strafverfolgung - auf ihre Kompetenzen zur Gesundheitsüberwachung. 166 Die polizeiliche Duldung ist für zwei Fallgruppen anerkannt - nämlich für baupolizeiwidrige Bauten und Bordelle (ausführlich dazu: Drews/Wacke, Gefahrenabwehr, S.386f.). In diesem Rahmen dulden Behörden Bordelle unter Berufung auf die allgemeinen Grundsätze des Polizeirechts (OVG Münster JZ 1966, 31 (32)). 167 BT-Drs. VI/1552, S.27. 168 Solche Ermittlungsmaßnahmen fürchten die Betreiber unter anderem deshalb, weil damit erheblich Umsatzeinbußen einhergehen können. Als wirksamstes Mittel zur Durchsetzung einer polizeilichen Anordnung im Rotlichtmilieu hat es sich aus den Augen der Polizei bewährt, regelmäßig Razzien in den Bordellen oder Personenkontrollen auf den Parkplätzen der Einrichtung durchzuführen. 169 Beispielsweise die Registrierung in einer Dimenkartei der Polizei. 170 Vgl. dazu Hanack, NJW 1974, 6.

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Die Sanitätspolizeigesetze, das Gesetz zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten (GeschIKrG) und das Gesetz zur Bekämpfung von Seuchen (SeuchenG) enthalten keine Regelung dahingehend, daß Prostituierte wegen ihrer Tätigkeit besonderen Kontrollpflichten unterlägen 171. Trotzdem sind diese Gesetze eine Grundlage für die Prostituiertenreglementierung in den meisten deutschen Städten 172• Die im Rahmen der Gesundheitsuntersuchungen erlangten Daten stellen in vielen Städten für die Behörden die einzige Möglichkeit dar, sich einen Überblick über Umfang und Art der dort existierenden Prostitution zu verschaffen 173 • Kernstück der traditionellen Kontrolle der Prostituierten durch den öffentlichen Gesundheitsdienst ist - wie bereits in der Weimarer Republik - die Erteilung eines Gesundheitszeugnisses gern. § 4 Abs.l GeschlKrG. Nach dieser Regelung müssen "Geschlechtskranke, sowie solche Personen, welche dringend verdächtig 174 sind geschlechtskrank zu sein und Geschlechtskrankheiten weiterzuverbreiten", dem Gesundheitsamt auf Verlangen, gegebenenfalls wiederholt, ein Zeugnis eines Arztes über ihren Gesundheitszustand 175 vorlegen 176 • Prostituierte gelten nach herrschender Meinung - ohne nähere Darlegung der diese Annahme begründenden Tatsachen - prinzipiell als dringend verdächtig (... ) geschlechtskrank zu sein und Geschlechtskrankheiten weiterzuverbreiten 177 und benötigen deshalb stets ein Gesundheitszeugnis gemäß § 4 GeschIKrG 178 • Kontrolliert werden die Zeugnisse in der Regel durch 171 Tatsächlich wurde die Reglementierung der Prostitution bei der Neufassung lediglich ein einziges Mal erwähnt, nämlich bezüglich der Nichtaufnahme des Kasernierungsverbots (vgl. BT-Prot. I/13420f.). 172 Die Anwendung des BSeuchenG wird - wegen des offenen Anwendungsbereiches - seit dem Auftreten der Immunschwäc~ekrankheit AIDS verstärkt diskutiert; vgl. dazu VG München GewArchiv 1987, 229f.; Seewald, NJW 1987, 2265. 173 Vgl. dazu: LeopoldlSteffanlPaul (unter Mitarbeit von: v.GalenIVorwerk, S.19f.,49,128ff.,179ff.,196ff. usw. 174 Der dringende Verdacht Ld.S. konstituiert sich nach allgemeiner Ansicht "durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit" (ErbsIKohlhaas-Pelchen, GeschlKrG (G 56), § 4, Anm.2. a). 175 Der Inhalt des Gesundheitszeugnisses wird durch § 1 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten (v.28.12.1954 BGBI 1523) näher bestimmt. 176 Ist die Prostituierte mit einer Geschlechtskrankheit infiziert, muß sie sich gem. § 3 Abs.1 GeschlKrG behandeln lassen. Weitergehende Maßnahmen, wie beispielsweise ein Betätigungsverbot sieht das GeschlKrG nicht vor. Glaubt das Gesundheitsamt einem Attest nicht, kann es "in begründeten Fällen" die Untersuchung in der Beratungsstelle oder bei bestimmten Ärzten anordnen und eine befristete Beobachtung in einem geeigneten Krankenhaus anordnen (§ 4 Abs.2 GeschIKrG). Vgl. dazu ErbsIKohlhaas-Pelchen, GeschlKrG (G 56), § 4, Anm.3. 177 ErbsIKohlhaas-Pelchen, GeschlKrG (G 56), § 4, Anm.2; Becker, NDV 1963, 369. 178 Die Kunden der Prostituierten werden regelmäßig nicht in die Pflicht genommen, obwohl gegen sie aus den gleichen Gründen derselbe Verdacht vorliegen müßte. Das

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die Streifenpolizei 179 , die sich dabei in vielen Städten an einer "Dirnenkartei,,180 orientiert. In einer solchen Kartei werden üblicherweise die Daten der Kontrolluntersuchungen, die Ergebnisse, "Künstlernamen", Adressen u.ä. der Prostituierten festgehalten 181. Prostituierte, die kein aktuelles Gesundheitszeugnis vorweisen können oder einen Kontrolltermin nicht wahrnehmen, werden bei entsprechender Anweisung durch das Gesundheitsamt vorgeführt l82 . Erst in jüngerer Zeit engagieren sich Gesundheitsämter in verschiedenen Städten, in denen es ein Rotlichtmilieu von gewissem Umfang gibt, für neue Ansätze der öffentlichen Gesundheitsarbeit, die nur noch eine freiwillige Beratung der Prostituierten vorsieht. In der neueren medizinischen Forschung wird nämlich nunmehr - auf der Grundlage der Auswertung von Unterlagen der Gesundheitsämter - geltend gemacht, daß eine erhöhte Infizierung der Prostituierten mit Geschlechtskrankheiten 183 in Deutschland überhaupt nicht nachgewiesen werden könne l84 . Würden die Behörden diese Forschungsergebnisse künftig Argument geringerer Frequenz von Sexualpartnem und deshalb geringerer Anstekkungs- und Übertragungsmöglichkeiten kann nur insoweit überzeugen, als für die Kontrolle der Freier mehr Kräfte aufgebracht werden müßten. Die Kontrolle aller Freier müßte aber jedenfalls zu derselben Präventionswirkung führen. 179 Kann eine Prostituierte kein Zeugnis vorlegen, so wird sie zwar nicht bestraft. Ihr drohen aber gem. § 17 GeschlKrG die landesrechtlich zugelassenen polizeilichen Zwangsmittel. 180 Vgl. BT-Prot. VI Sonderausschuß Strafrecht, S.1681, 1688, 1714; Rupperecht, Die Polizei 1974,329. 181 Vgl. dazu beispielsweise Leopold/Steffan/Paul (unter Mitarbeit von: v.Galen/ Vorwerk, S.129. Die Karteien enthalten damit Daten im Sinne des Datenschutzrechtes (v gl. beispielsweise Kommentierung zu § 3 Abs.2 Nr.2 BDSG Ordemann/Schomerus, BDSG, § 3, Rz.4.4), die zur Bearbeitung und Übermittlung - zumindest an den Streifendienst der Polizei - bestimmt sind. Darüber, zu welchen anderen Zwecken die Behörden die auf den Dirnenkarteien festgehaltenen Daten nutzen, und inwieweit ein Datenabgieich mit anderen öffentlichen Stellen stattfindet, ist wenig bekannt. 182 Das Gesundheitsamt kann Personen, die dringend verdächtig sind, geschlechtskrank zu sein und Geschlechtskrankheiten weiterzuverbreiten, und die sich weigern, ein Zeugnis über ihren Gesundheitszustand vorzulegen, durch die zuständige Verwaltungsbehörde vorführen lassen (§ 18 GeschIKrG). § 18 GeschlKrG, der ein Recht zur Vorführung, aber kein Recht zur Festhaltung beinhaltet (Hagen/Bernhardt, § 18, Anm.lO; Erbs/Kohlhaas-Pelchen, GeschlKrG (G 56), § 18, Anm.2) wurde beispielsweise in den sechziger Jahren von der Polizei dazu benutzt, eine Prostituierte, die sich weigerte, ein Gesundheitszeugnis vorzulegen, "wenigstens eine Nacht aus dem Verkehr zu ziehen" (Hanack, Rechtsgutachten, Rz.252). 183 Geschlechtskrankheiten werden in der moderneren Forschung zu den sog. STDKrankheiten (Socially Transmitted Diseases) gezählt. 184 Vgl. beispielsweise Jäger/Pätzelt/Schmacke, Gesundh.-Wesen 1993, S.182 (Abb.6) auf der Grundlage einer Auswertung des Datenbestandes des Gesundheitsamtes Bremen über die Jahre 1973-85; Mielck, AIFO 4, 183-186; Heß/Massig/Rossol/ Voth/Clemens/Schütt/Meyer!zum Büschenfelde, MMW 1991 16-19. Diese Erkenntnis wurde in jüngerer Zeit durch die intensiv betriebene Forschung über die Verbreitung

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ihrem Handeln zugrunde legen, so dürften sie aus dem Umstand, daß eine Person der Prostitution nachgeht, nicht ohne weiteres einen Verdacht auf die Infizierung mit einer Geschlechtskrankheit herleiten. Allerdings könnten diese neueren Forschungsergebnisse in Zweifel gezogen werden, weil den Analysen Daten zugrunde gelegt wurden, die im Rahmen der Kontrolluntersuchungen der Gesundheitsämter erhoben wurden. Dadurch wurde von Anfang an eine bestimmte, möglicherweise nicht repräsentative Auswahl von Prostituierten getroffen. Denn zum einen ist nach den Erfahrungen der Gesundheitsämter davon auszugehen, daß Prostituierte, die drogenabhängig sind, und Prostituierte, die sich illegal in Deutschland aufhalten, den öffentlichen Gesundheitsdienst oft meiden 185 • Zum anderen könnte man argumentieren, daß die untersuchten Prostituierten gerade wegen der Kontrolluntersuchungen eine geringe Belastungsquote aufweisen. Die Zweifel an der Repräsentanz der Datengrundlage ist allerdings solange nur Spekulation, bis die Experten der medizinischen Empirie die durchgeführten Forschungen überprüfen und widerlegen. Bisher werden aber die oben erläuterten Ergebnisse in der medizinischen Forschung nicht angegriffen. Im übrigen machen die Mitarbeiter der Gesundheitsämter geltend, daß Zwangsuntersuchungen insgesamt eine nachteilige Wirkung für eine Krankheitsprävention hätten, da Prostituierte hierdurch dazu veranlaßt würden, die Verantwortlichkeit für ihre Gesundheit all ei ne bei den Behörden zu sehen, anstatt selbst Vorsorge zu treffen 186 • Dementsprechend dürfte aus dem Umstand, daß sich eine Prostituierte den Untersuchungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes unterzieht, nicht auf eine geringere Belastung dieser Prostituierten geschlossen werden. Eine einleuchtende Erklärung für die niedrige Infizierungsrate der Prostituierten in Deutschland ist vielmehr, daß Prostituierte, die ein großes Interesse an ihrer körperlichen Gesundheit haben, den Geschlechtsverkehr regelmäßig nur mit Kondomen durchführten und andere Vorkehrungen träfen, um nicht zu erkranken. des HIV-Virus erhärtet;vgl. beispielsweise: Marquart, Gesundheitswesen 1994, 617ff. (619); Marquart/Müller/Fischer, AIFO 1993, S.22 m.w.N. in, Anm.ll und 12; Rapprich/Weber/Preiser, Stazcewski/Helm/Stille/Peters/Doerr, AIFO 1994, S.129f. Anders sieht die Situation wohl für Prostituierte in den Entwicklungsländern aus (vgl. dazu Marquart, Gesundheitswesen 1994, 619). Nach der Auswertung von Jäger/Pätzelt/Schmacke machten Männer den überwiegenden Anteil der mit STDKrankheiten infizierten Personen über den Beobachtungszeitraum von 1973 bis 1985 aus (S.183 (Abb.9)). 185 Gerade erstere stellen aber nach Ansicht der Ärzte eine besondere Risikogruppe im Hinblick auf STD-Krankheiten dar. Eine Risikoerhöhung ergebe sich jedoch nicht aus der Ausübung der Prostitution, sondern aus der intravenösen Drogeninjektion, vgl. dazu: Marquart/Müller/Fischer, Gesundheitswesen 1994, S.619; Rapprich/Weber/ Preiser/Stazcewski/Helm/Stille/Doerr, AIFO 1994, S.129; Marquart/Müller/Fischer AIFO 1993, S.21. 186 Vgl. Jäger/Pätzelt/Schmacke, Gesundh.-Wesen 1993, S.183f.; Leopold/Steffan/Paul (unter Mitarbeit von: v.GalenlVorwerk, S.24. 8 Gieß

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Solange die neueren Forschungsergebnisse in der medizinischen Forschung nicht bestritten werden, sollten auch die Behörden diese auch ihrem Handeln zugrunde legen. Auf diesem Hintergrund wäre das pauschale Verlangen nach Vorlage eines Gesundheitszeugnisses nicht von § 4 GeschlKrG gedeckt und deshalb unzulässig. Dies gilt auch für das Führen von "Dirnenkarteien". Die Behörden berufen sich für diese Einrichtung auf § 15 Abs.1 GeschlKrG 187 • Danach sind die Gesundheitsämter berechtigt, "geeignete Maßnahmen zu treffen, um geschlechtskranke Personen und solche, bei denen die begründete Befürchtung besteht, daß sie angesteckt werden und Geschlechtskrankheiten weiterverbreiten, festzustellen und gesundheitsfürsorgerisch zu beraten und betreuen." Welche Maßnahmen i.S. der Vorschrift geeignet sein sollen, hat der Gesetzgeber nicht näher festgelegt. Aus den drei Sätzen der Gesetzesbegründung geht lediglich hervor, daß mit § 15 GeschlKrG klargestellt werden sollte, daß die Organisation der Beratungsstellen den Gesundheitsbehörden überlassen Sd 88 • Ob diese Vorschrift zum Führen von Datensammlungen ermächtigen kann, ist nicht nur im Hinblick auf das im vorangegangenen erläuterte Problem, ob bei Prostituierten prinzipiell "die begründete Befürchtung besteht, daß sie angesteckt werden und Geschlechtskrankheiten weiterverbreiten" - fraglich. Zweifel daran ergeben sich vor allem im Hinblick auf die Anforderungen des Datenschutzrechtes. Danach ist eine solche Erfassung zulässig, wenn sie durch eine besondere Ermächtigungsgrundlage oder eine dazu ermächtigende Generalklausel gedeckt ist 189 • § 15 GschlKrG, auf den zu diesem Zweck verwiesen wird, könnte nur dann zur Führung der Dateien ermächtigen, wenn die Datensammlung zur Erfüllung der dort angeordneten hoheitlichen Maßnahme notwendig und geeignet wäre. Das ergibt sich schon daraus, daß auch das sanitätspolizeiliche Handeln unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit steht l90 • Die Karteien sind aber - wie die Zwangskontrollen selbst - nach den Erfahrungen der Gesundheitsämter regelmäßig nicht geeignet, Prostituierte ''festzustellen und ge-

187 Vgl. dazu: BT-Prot. VI Sonderausschuß Strafrecht, S.1681, 1688, 1714; vgl. Hanack, Rechtsgutachten, Rz.250, Fn.276; Rupperecht, Die Polizei 1974, 329 (331); zur Rechtfertigung von "Hurenkarteien" als Datensarnmlungen im Rahmen der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung s. Laskowski, S.334ff. 188 BT-Drs. 11/3232, S.14. 189 Einschlägig ist die jeweils in den Landesgesetzen statuierte Regelung, die, § 4 BDSG entspricht. 190 Vgl. dazu mit ausführlich Verweisen: Seewald, NJW 1987, 2268.

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sundheitsfürsorgerisch zu beraten und betreuen", weil diese gerade aus Angst vor der Registrierung den öffentlichen Gesundheitsdienst meiden 191.

3. Keine Anerkennung von Prostitution als Erwerbstätigkeit Obwohl Prostitution eine legale und durch die Behörden regulierte Erwerbstätigkeit ist und sich Frauen, die "in sittlicher Hinsicht bedenklichen" Einrichtungen arbeiten, in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union auf ihre Grundfreiheiten aus Art. 48 und 56 EGV berufen können 192, wird Prostitution in Deutschland nicht als Erwerbstätigkeit - also als Gewerbe oder Beruf - anerkannt. Vielmehr scheint Prostitution noch heute als das Gegenteil der ehrlichen Arbeit schlechthin zu gelten 193 - nämlich als "sozial unwerte Lebensweise,,194, in die man sich "verstrickt,,195. Lediglich in den Fällen, in denen der Staat an die Ausübung einer Erwerbstätigkeit bestimmte Anforderungen oder Verpflichtungen knüpft, wird Prostitution als solche anerkannt. So ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofes Prostitution "bei Anwendung von § 47 I Nr.2 AuslG als Erwerbstätigkeit i.S. von § 1 II Nr.l DVAuslG anzusehen,,196. Damit ist Prostitution Angehörigen von Staaten, die nicht Mitglied der Europäischen Union sind, nur dann erlaubt, wenn sie im Besitz einer Arbeitserlaubnis sind. Ein anderes oft gebrauchtes Beispiel dafür, daß der Staat Prostitution als wirtschaftliche Betätigung ansehe, ist die Steuerpflicht der Prostituierten 197. Nach der Rechtsprechung in Steuersachen IYI Vgl. Jäger/Pätzelt/Schmacke, Gesundh.-Wesen 1993, S.179. Der Gesetzgeber selbst erachtete eine Dirnenkartei zur Überwachung Prostituierter wohl nicht für notwendig. Denn er hat anders als in den Fällen, in denen er ein Register wünschte (beispielsweise in den Fällen der §§ 149 GewO oder bei dem Verkehrszentralregister), keine entsprechende Regelung geschaffen; vgl. auch Laskowski, S.350ff. 192 EuGH Rs. 115 und 116/81, Slg. 1982, 1665 (1669). Daß die Betroffenen sich vor dem EuGH tatsächlich auf ihre Tätigkeit als Prostituierte beriefen, ergibt sich aus der Beschreibung ihrer Tätigkeit "in einer in sittlicher Hinsicht bedenklichen Bar (... ), in der Serviererinnen sich im Fenster zur Schau stellten und die Möglichkeiten besäßen, mit Kunden allein zu sein" (aaO, S.1668). 19J BGHSt 9, 71 (74). 194 BayObLG NJW 1977, 1209. 195 BGH NJW 1987, 3209 (3210). 196 BGH NStZ 1990, 443 (LS). 197 Dabei wird oft übersehen, daß die sittliche Beurteilung von Prostitution einer Besteuerung schon seit Inkrafttreten des § 5 Abs.2 StAG im Jahre 1934 nicht mehr entgegen steht. Man hatte sich in der Bundesrepublik zwar vor einer Veranlagung der Prostituierten zunächst gescheut (vgl. BFH Urt.v.22.6.1962 BStB11962, 465f (465», möglicherweise nicht nur deshalb, weil man an der Unsittlichkeit nicht mitprofitieren wollte, sondern auch weil man befürchtete, aus der Besteuerung würden über kurz oder lang weitere Rechte hergeleitet werden. Denn traditionell ist die Steuerpflicht die Kehrseite des Bürgerrechts. Diese Wurzel reicht in die mittelalterliche Stadt, in der derjenige



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steht "[dJie Auffassung der Rechtsprechung, daß die Ausübung des Ge-

schlechtsverkehrs lediglich den persönlichen, nicht den wirtschaftlichen Bereich berühre, ... mit der heutigen Verkehrsanschauung nicht mehr in Einklang,,198. Einkünfte aus der Prostitutionsausübung werden allerdings nicht als Gewerbeeinkünfte, sondern als Einkünfte aus Leistungen im Sinne des § 22 Nr.3 EStG veranlagt l99 • Betreiber von Einrichtungen, in denen der Prostitution nachgegangen wird, müssen - wegen der in § 40 A0 200 getroffenen Regelung ihre Einkünfte auch dann versteuern, wenn der Betrieb der Einrichtung strafbar war. Dem Bundesverfassungsgericht wurde 1996 im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle die Frage vorgelegt, ob sich diese Regelung mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden "Gebot der Folgerichtigkeit der Gesamtrechtsordnung" vereinbaren ließe201 • Das Bundesverfassungsgericht verneinte einen Wertungswiderspruch und führte dazu aus: "Wenn die Rechtsordnung neben den Ansprüchen der Opfer insbesondere das strafrechtliche Mittel des Verfalls vorsieht, um dem Straftäter das durch die Tat Erlangte nicht auf Dauer zugute kommen zu lassen, die dem Straftäter aber dennoch verbleibenden Früchte seiner Tat weiterhin besteuert, erscheint dies folgerichtig. ,,202

Freiheit und Rechte genießen durfte, der Steuern entrichtete ("purger sint, die wachtent und steuerent mit anderen purgern") (Erler, Sp.1965f.). Steuerlisten waren identisch mit den Bürgerbüchern und der Steuereid war eine Form des Bürgereides (Erler, Sp.1967f.). 198 BFH Urt.v.23.6.1964 BStBI1964, 500f(501). 199 BFH Urt.v.23.6.1964 BStBI1964, 500f (501). Als Gewerbeeinkünfte wertete der Bundesfinanzhof die Verdienste nicht - mangels Teilnahme am wirtschaftlichen Verkehr: "Wirtschaft bedeutet die planmässige Bedarfsdeckung, an der ein gewerbliches Unternehmen teilnimmt, indem es Sachgüter oder sonstige Leistungen - auch solche immaterieller Art - gegen Vergütungen eintauscht. Der Grosse Senat vermag in Übereinstimmung mit dem Schriftum und der ständigen Rechtsprechung nicht anzuerkennen, daß es sich bei der 'gewerbsmässigen Unzucht' um ein solches sich am Wirtschaftsleben beteiligendes Unternehmen handelt. " Hier folgt nicht etwa eine Erklärung, sondern Hinweise auf andere Urteile, deren Inhalt nicht weiter erörtert wird. Die Prostitution stelle nämlich nur "das Zerrbild eines Gewerbes" dar. 200 Dessen Wortlaut ist: "Für die Besteuerung ist es unerheblich, ob ein Verhalten, das den Tatbestand eines Steuergesetzes ganz oder zum Teil erfüllt, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt. " 201 BVerfG NJW 1996, 2086. 202 BVerfG NJW 1996, 2086.

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a) Prostitution als Gewerbe oder Beruf Als Gewerbe im Sinne der Gewerbeordnung wird Prostitution von der herrschenden Ansicht deshalb nicht anerkannt, weil sie keine erlaubte auf Gewinnerzielung gerichtete, selbständige Tätigkeit darstelle 203 • Nach allgemeiner Ansicht bedeute erlaubt im Sinne des Gewerberechts nicht nur unverboten, sondern auch nicht sozialunwertig: "Soweit Prostitution nicht verboten ist, steht dies der Annahme nicht entgegen, sie gleichwohl als sittenwidrig und in verschiedener Hinsicht sozial widrig anzusehen, was z.B. zur Folge hat, daß sie kein Gewerbe im Sinne der GewO darstellt.,,204.

Diese Ansicht wurde auf der Grundlage einer obiter dictum vom Bundesverwaltungsgericht geäußerten Formel entwickelt205 : Danach ist Gewerbe 'jede nicht sozial unwertige (generell nicht verbotene = "erlaubte"), auf Gewinnerzielung gerichtete und auf Dauer angelegte selbständige Tätigkeit (...)"206. In dem Urteil findet sich kein Wort der Erklärung zu dem Klammerzusatz. Nach unbefangenem Verständnis müßte er aber bedeuten, daß in diesem Sinne nicht sozial unwertig jedenfalls die Tätigkeiten sind, die nicht nur generell unverboten und damit erlaubt, sondern sogar erlaubnisfrei sind - wie beispielsweise die Prostitution 207 • Prostitution ist eine erlaubte, auf Dauer angelegte, der Erhaltung der Lebensgrundlage dienende Erwerbstätigkeit und dementsprechend nach der in der Rechtsprechung allgemein verwendeten Definition ein Beruf im Sinne von Art.l2 GG 208 • Trotzdem wurde die Tätigkeit bisher nicht als Beruf von der herrschenden Meinung anerkannt 209 • Vielmehr werden Frauen, die sich prostituie203 Bis zur Strafrechtsreform wurde die Frage der Gewerbefähigkeit von Prostitution nicht mehr erörtert. Erst als das Bundesverwaltungsgericht anerkannte, daß der Gesetzgeber im Rahmen des 4. StrRG Prostitution in diesen Grenzen akzeptiert habe (vgl. BVerwG GewA 1974, 201), warf man erneut die Frage auf, ob Prostitution als Erwerbstätigkeit - innerhalb der vom 4. StrRG gezogenen Grenzen - als Gewerbe anzuerkennen sei (Kienzle, GewArch 1974, 253; ablehnend Robinski, S.20f.). 204 Götz, PolizeiR, Rz.105. Vgl. auch Hans-WolfgangArndt, Rz. 130 m.w.N. 205 Zu prüfen war in jenem Falle, ob die Vermietung von Stellplätzen für Wohnwagen ein Gewerbe darstelle (BVerwG GewArch 1976, 293ff.). 206 BVerwG GewArch 1976,293 (294). 207 Daß sich die hier gegenüber gestellten Begriffe auch in der Terminologie der herrschenden Meinung nicht entsprechen, sieht man gerade am Beispiel der Prostitution, die von Gerichten zwar als sozial unwertig beurteilt wird, aber nicht als generell verboten bezeichnet werden kann (ebenso: v.Ebner, GewArch 1979, 178). 2()~ Vgl. Drews/Wacke, Gefahrenabwehr, S.254 m.w.N. 2UY Ausnahmen sind: Leo, S.65; Scholz in seiner Kommentierung zu Art.12 GG in dem Kommentar von Maunz/Dürig/Herzog ("Nicht nur nach dem Eigenverständnis der Angehörigen dieses 'Gewerbes', sondern auch nach mancher gesellschaftlichen Anschauung kann auch die Prostitution den Schutz der Berufsfreiheit bzw. die tatbestand-

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ren, zumeist alleine aufgrund der Ausübung dieser Erwerbstätigkeit als Besserungsbedürftige, Asoziale oder Kriminelle qualifiziert 21O • Diese Wahrnehmung von Prostitution wird noch unterstützt durch die Assoziation mit Kriminalität. Ein solcher Zusammenhang wird zum einen dadurch hergestellt, daß die Reglementierung von Prostitution traditionell durch Strafvorschriften erfolgt. Zum anderen wird in der Diskussion über Prostitution immer wieder auf die sog. Milieukriminalität hingewiesen. Dabei wird nicht bedacht, daß diese zum Teil Folge der Ausgrenzung von Prostitution aus dem allgemeinen Rechtssystem und der Gesellschaft ist 2l1 • Wiederum obiter dictum führte das Bundesverwaltungsgericht - in seiner sog. "Astrologenentscheidung" - aus, daß "eine Betäti-

gung, die nach den Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft - ... - allgemein als gemeinschaftsschädlich betrachtet wird, wie etwa die Betätigung als 'Berufsverbrecher' und die Ausübung der Gewerbsunzucht von vorneherein außerhalb der Freiheitsverbürgung des Art.12 Abs.l Satz 1 GG" liege212• Diese en

passant getroffene Feststellung ist schon deshalb bemerkenswert, weil die Rechtsprechung im übrigen stets bemüht ist, den Schutzbereich des Art.12 GG weit zu interpretieren 213 • Nach ständiger Rechtsprechung ist der Berufsbegriff "offen", das heißt funktionsabhängig und entwicklungsbezogen weit auszulegen 214 und nicht an bestimmte, gesetzlich geregelte oder überlieferte Berufsbil-

liehe Qualität eines verfassungsrechtlich geschützten Berufs beanspruchen" (M/D/HScholz, GG, Bd.l Art.12, Rz.25»; Pieroth/Schlink, Rz. 817. 210 Sozial wissenschaftliche Studien zeigen, daß Prostituierte ihr Privatleben wie andere Frauen gestalten, daß sie - mit unterschiedlicher Vorbildung - aus verschiedenen sozialen Schichten kommen und oft der Prostitution nur als Nebenbeschäftigung oder übergangsweise nachgehen (vgl. beispielsweise Röhr, S.65ff.; Friedrichsmeier, S.3lff.). 211 Beispielsweise werden seriöse Vermieter davon abgeschreckt, an Prostituierte zu vermieten, weil sie sich über die Strafbarkeitsgrenze nicht im Klaren sind; "Zuhälter" können notwendiger Schutz auf dem Straßenstrich sein, etc. 212 BVerwGE 22, 286 (289). Die Inkorporation eines Sittenvorbehalts in Art.12 GG begründet das Bundesverwaltungsgericht mit der Gemeinschaftsgebundenheit des Individuums - "nur in diesem Rahmen läßt sich von dem Wert und der Würde der Arbeit als 'Beruf (.. .) sprechen" (BVerwGE 22, 286, (288». Durch den Sittenvorbehalt werden für Art.12 GG immanente Schranken konstruiert, die den Schutzbereich von vorneherein einschränken. Eingriffsvorbehalte und die dazu entwickelte Grundrechtsdogmatik werden damit bedeutungslos, da eine nach richterlicher Ansicht sittenwidrige Tätigkeit demzufolge nie in den Schutz von Art.12 gelangen könnte (vgl.: Bleckmann, Grundrechte, S.332; Berg, GewArch 1977,249; AK-Rittstieg, Art.12, Rz.68). 213 Zur Entwicklung dieser Definition vgl. von BVerfGE 7, 377 (397), Beruf als die "vom einzelnen frei gewählten untypischen (erlaubten) Betätigungen, aus denen sich dann wieder neue Berufsbilder ergeben mögen" bis zu BVerfGE 14, 19 (22), seit dem das Bundesverfassungsgerich auf die Klammern verzichtet hat. Vgl. für die Literatur: Kunig-Gubelt, GG, Art.12, Rz.8 m.w.N. 214 BVerfGE 7, 377 (397); M/D/H-Scholz, GG, Art.12, Rz.8.

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der gebunden, sondern umfaßt auch die von dem einzelnen gewählten untypisehen Betätigungen215 • Durch die Feststellung, daß eine Tätigkeit "yon yorneherein" außerhalb des Schutzbereiches des Art. 12 GG liege, kommt die Vorbehaltsdogmatik des Art. 12 GG nicht mehr zur Wirkung. Dies hat den Effekt, daß eine staatliche Beschränkung oder gar das Verbot einer Erwerbstätigkeit nicht differenziert begründet werden muß 216 • Diese Problematik illustriert auch das oben zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgericht: Prostituierten darf danach der Schutz von Art.12 GG alleine deshalb versagt werden, weil sie "allgemein als gemeinschaftsschädlich betrachtet werden,,217. Es muß nach dieser Ansicht nicht näher erläutert werden, worin der gemeinschaftsschädliche Aspekt der Prostitution liegen soll. Ebensowenig bedarf es einer Auseinandersetzung mit dem Widerspruch zwischen der gesetzgeberischen Entscheidung, die Ausübung von Prostitution zu erlauben, und dem Umstand (angeblicher) Sozialschädlichkeit. Ein solch undifferenziertes Urteil erinnert an den Ausschluß der Prostituierten aus den sich entwikkeinden Gewerberechten im 19. Jahrhundert mit der Behauptung, ihre Tätigkeit werde generell als sozial unwertig betrachtet. Will man Prostituierten in der Bundesrepublik weiterhin Berufs- und Gewerberechte versagen, so müßte aber zunächst begründet werden, warum und wie sich ein Sittenurteil über eine Tätigkeit auf deren Qualität als (grund)rechtlich geschützte Erwerbstätigkeit auswirken kann 218 • Es kann nicht genügen, alte Vorurteile gegenüber Prostitution und Prostituierten zu perpetuieren 219 .

BVerwGE 22, 286 (287) m.w.N.; Friauf, JA 1984, 538. Vgl. dazu auch: Friauf, JA 1984, 538f.; Laskowski, S.156ff., 365f. 217 BVerwGE 22, 286 (289). 218 Daß nicht alle Grundrechte ohne weiteres einem Sittenvorbehalt unterstehen, ist allgemeine Ansicht (vgl. stellvertretend: Lerche, aaO, § 122, Rz.7). Die von Dürig in den fünfziger Jahren entwickelte These, alle Grundrechte stünden als Anwendungsfälle des Art.2 GG auch unter dessen Schrankentrias (AöR (1953/54), S.59), wurde lediglich in einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes zustimmend aufgenommen (BGHZ 12, 197ff.), aber in der Literatur stark kritisiert (Löffler, DöV 1957, 900; Rohde-Liebenau, DöV 1957, 472ff.). 219 Daß es schwer fällt, kommerzialisierte Sexualität unvoreingenommen als Vertragsleistung nach den allgemeingültigen Kriterien unserer Rechtsordnung zu beurteilen, illustrierte beispielsweise in jüngerer Zeit Singer (JZ 1995, 1134ff.): Er untersuchte, ob der Vertragsfreiheit durch die Grundrechte Schranken gesetzt sind, die auch gegenüber den Grundrechtsträgern gelten und weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß in unserer Rechtsordnung - wegen der Fiktion gleichstarker privatautonomer Partner regelmäßig nur eine formale Vertragskontrolle erfolge (S.1137). Er glaubt aber, zum "Schutz des Menschen als Reaktion auf Defizite formaler Entscheidungsfreiheit" auf weitere Kontrolle von Privatrechtshandeln nicht verzichten zu können. Während er die Gründe für die Mängel an Entscheidungsfreiheit in Bezug auf die Gurt- und Helm215

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b) Kein Rechtsschutz für Prostituierte bezüglich ihrer Erwerbstätigkeit Prostituierten wird Rechtsschutz in bezug auf ihre Erwerbstätigkeit nur fragmentarisch gewährt. Das gilt sowohl für das Zivil-, als auch für das Strafund Verwaltungsrecht. aa) Rechtsschutz durch das Zivilrecht Mietverträge über Wohnraum, in dem Prostitution ausgeübt wird, werden prinzipiell als rechtsgültig anerkannt220 • Der Bundesgerichtshof sieht aber beispielsweise in entgangenem Dirnenlohn keinen ersatzfähigen Schaden i.S.d. § 249 BGB221 • Denn der Schadensersatzanspruch finde seine Grenze dort, wo das "verhinderte erwerbsbegründende Verhalten zwar nicht gegen ein gesetzliches Verbot, wohl aber gegen das Anstandsgefühl aller gerecht und billig Denkenden" verstoße 222 • Verträge, aufgrund derer sexuelle Leistungen in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis erbracht werden, gelten nicht als rechtsgültige Arbeitsverträge. Ob ein solches Verhältnis nach den Grundsätzen des faktischen Vertrages abzuwickeln ist, wird je nach den Umständen des Einzelfalls unterschiedlich beurteilt223 • Der sog. Dirnenvertrag, das heißt die Vereinbarung über den Austausch einer sexuellen Leistung gegen ein Entgelt, soll nach einhelliger Ansicht gemäß

pflicht differenziert ausführt, konstatiert er hinsichtlich der Freiheit von Frauen, in Peep-Shows zu arbeiten, lediglich: "Daß hier persönliche und soziale Zwänge das Einverständnis in die entwürdigende Prozedur beeinflussen, erscheint mir geradezu evident". 220 BGHZ 63, 365 (367). 221 BGH JR 1977, 104. 222 BGH JR 1977, 104 (105). Daß der Prostituierten ein reduzierter Schadensersatzanspruch zugesprochen wurde, damit sie nicht der Sozialhilfe zur Last fallen mußte (BGH JR 1977, 104 (106f.», wurde in der Literatur allgemein kritisiert (statt vieler vgl. die Anmerkung von Stürner, JZ 1977, 176f.). m Der V. Senat des Bundesarbeitsgerichtes entschied 1972, daß das Arbeitsverhältnis zwischen einem Clubbesitzer und einer Stripteasetänzerin nach den Grundsätzen des faktischen Arbeitsverhältnisses (dazu ausführlich Schaub, HdB, § 35 III Nr.3 m.w.N.) abzuwickeln sei (BAG AP, Nr.2 zu § 611 BGB): "Es erscheint nicht mit Treu und Glauben vereinbar, wenn der Beklagte unter diesen Umständen nach Vertragsende den etwaigen Sittenverstoß benutzt, um sich von der Lohnzahlungspflicht zu lösen. " Der IV. Senat des Bundesarbeitsgerichts verweigert drei Jahre später Rechtsschutz für einen zur Vorführung des Geschlechtsverkehrs auf der Bühne abgeschlossenen Arbeitsvertrages - mit Hinweis auf den "besonders schwere[nJ Mangel" des Arbeitsvertrages (BAGE 28,83 (93» - (Leitsätze BAGE 28, 83ff.).

III. In der Bundesrepublik

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§ 138 Abs.l BGB nichtig sein, weil er gegen die "guten Sitten" verstoße 224 . So konstatiert der Bundesgerichtshof, "daß eine Prostituierte durch ihre Betätigung (zumindest im Regelfall) gegen die guten Sitten verstößt ( ... ), ist im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 138 seit jeher anerkannt,,225. Das Gericht belegt aber weder die seit jeher bestehende Ansicht durch Nachweise226 , noch erklärt es die Bedeutung des Klammerzusatzes. Das Urteil führt weiter aus, der Vorwurf, "daß die gewerbsähnliche geschlechtliche Hingabe gegen Bezahlung in entwürdigender Weise Intimbereiche zur Ware macht, die gerade aus moderner psychologischer Sicht mit dem Kern der Persönlichkeit aufs engste verknüpft sind, [hat] eher noch an Bedeutung gewonnen,,227. Dieser Versuch, das Sittenwidrigkeitsurteil durch Hinweis auf die Verletzung der Menschenwürde der Frau zu substantiieren, gewinnt in jüngerer Zeit als Argument für die Ächtung von Prostitution immer mehr an Bedeutung. Doch vermag m.E. weder das Sittenwidrigkeitsurteil noch der Hinweis auf die Verletzung der Menschenwürde durch Prostitutionsausübung überzeugend zu begründen, warum der Prostituierten kein Zivilrechtsschutz in bezug auf ihre Erwerbstätigkeit gewährt wird. Zwar sieht die deutsche Rechtsordnung - beispielsweise in § 138 Abs.l BGB vor -, daß ein "Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt" keine Rechtsbindung entfalten kann. Begründet wird dies damit, daß bestimmten Dispositionen des einzelnen, auch wenn sie durch die normierte Rechtsordnung nicht verboten seien, der Rechtsschutz versagt werden müsse, wenn sie einen Mißbrauch der dem einzelnen eingeräumten Privatautonomie darstellten 228 .

224 BGHZ 53, 369 (375); LG Düsseldorf MDR 1975, 661; OLG Düsseldorf NJW 1970, 1852; Müko-Maly, § 138, Rz.50 m.w.N.; Soergel-Hefermehl, § 138, Rz.208. Dagegen: Kühne, ZRP 1975, 185; ausführlich dazu: Rother, AcP 172 (1972), 302ff. Im Gegensatz zu der Bedeutung, die dem Problem in der Theorie beigemessen wird, steht die Praxis: In nur einem veröffentlichten Urteil war die Gültigkeit des Dimenvertrages tatsächlich entscheidend, nämlich in LG Düsseldorf MDR 1975, 661. Die vielzitierte Entscheidung BGHZ 67, 119ff. beurteilte die Frage obiter dictum. 225 BGHZ 67,119 (122). Die späteren Urteile berufen sich ohne weitere Begründung auf diese Ausführung, ohne jedoch den Klammerzusatz weiter zu interpretieren. 226 Dies wäre auch nicht möglich, weil eine solche Ansicht zuvor nicht formoliert worden war. 227 BGHZ 67, 119 (125). Auch die modemen psychologischen Erkenntnisse sind nicht durch Nachweise belegt. Vgl. auch VG Minden, NVwZ 1988, 663f.; dagegen: VGH Mannheim, NVwZ 1988, 640. 22Jj Vgl. statt aller: Palandt-Heinrichs, § 138, Rz.l und 6.

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D. Die Freigabe von Prostitution

Ausgefüllt wird der Begriff der Sittenwidrigkeit von der Rechtsprechung mit dem Anstandsgefühl aller gerecht und billig Denkenden 229 . Daß die Bindung durch einen Dirnenvertrag dem Anstandsgefühl aller gerecht und billig Denkenden widerspricht, wurde in jüngerer Zeit des öfteren bezweifelt 230 • M.E. ist ein solcher Streit müßig. Denn ob eine Handlung zu Recht als eine solche qualifiziert wird, die das Anstandsgefühl aller gerecht und billig Denkenden verletzt 231 und deshalb sittenwidrig ist, ist einer rationalen Überprüfung nur schwerlich zugänglich 232 • Vielmehr muß für ein solches Urteil gesetztes Recht durch die Wertentscheidung eines Richters, durch dessen "Fühlen", durchbrachen werden. Die Gefahr, daß Sittlichkeit dabei als "Leerwort mit

beliebig austauschbaren, notwendig falschen weltanschaulichen Emotionalitäten verknüpft,,233 und so als Instrument zur Durchsetzung nicht mehr rational

angreifbarer Interessen mißbraucht wird 234 , ist zwar insbesondere dann graß, wenn das zu beurteilende Verhalten einen sexuellen Bezug hat 23S , doch hat der

BGHZ 10, 232; 69, 297; Palandt-Heinrichs, § 138, RZ.2. Vgl. beispielsweise Rother, AcP 172,498 (514), Leo, S.120f . 231 BGHZ 10, 232; 69, 297; Palandt-Heinrichs, § 138, RZ.2. 2.12 Rationale Kriterien für ein "richtiges" Sittlichkeitsurteil gibt es nicht, und letztverbindliche Instanz für das Anstandsgefühl aller gerecht und billig Denkenden ist das entscheidende Gericht. m Ernst Wolf, S.347. Vgl. auch Bleckmann, JZ 1988, S.60; Enquete-Kommission, BT-Drs. 11/7200, S.249f.; vgl. dazu auch: Bargon, S.289f. 234 Zu den erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten bei der Anwendung der Sittenvorbehalte auf den konkreten Fall vgl.: Rother, AcP 72 (1972), 499(501). 235 So fehlt es auch in der Kasuistik zur Gültigkeit von Verträgen in Zusammenhang mit kommerzialisierter Sexualität an einer gefestigten Erkenntnis darüber, wann eine Handlung gegen das Anstandsgefühl aller gerecht und billig Denkenden verstößt: Noch 1972 führte das VG Bremen aus, daß kein Zweifel bestehe, "daß käufliche 'Liebe', entgeltlicher Geschlechtsverkehr ohne Liebe mit dauernd wechselnden Partnern und gerade das gewerbliche ZurverJügungstellen von Räumen zur Ausübung der Gewerbsunzucht nach der Auffassung der überwiegenden Mehrheit der Gesamtbevölkerung unsittlich geblieben ist" (VG Bremen GewAreh 1973, 251). 1974 entschied das Bundesverwaltungsgericht, daß - nach der in der Strafrechtsreform zutage getretenen gesetzgeberischen Ansicht - Dirnenwohnheime nicht mehr per se, sondern nur noch unter bestimmten Umständen als sozial schädlich und sittenwidrig anzusehen seien (BVerwG GewArch 1974,201 (202); dagegen: OVG Münster GewAreh 1974, 354f.). Die Kasuistik, nach der Striptease alleine und kombiniert mit pornographischen Filmen nicht unsittlich sei (BVerwGE 71, 29ff.), auch Bedienung durch "barbusiges Personal" nicht (vgl. Michel/Kienzle, § 4, Rz.16), wohl aber Bedienung durch gänzlich nacktes Personal (VGH Mannheim GewArch 1976, 200f.), ebenso wie die vollkommene Entblößung der Gäste zur Prämierung (vgl. BayObLG JZ 1977, 277), verraten uns etwas über die Anerkennung bestimmter Ventilsitten durch Verwaltungsgerichte. Einen objektivierbaren Maßstab dafür, was sittlich oder unsittlich ist, geben sie nicht. Sie können und wollen dies wohl auch nicht. 229

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III. In der Bundesrepublik

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Gesetzgeber dies durch die Beibehaltung des § 138 Abs.1 BGB sehenden Auges hingenommen 236 • Eine eingehende Auseinandersetzung damit, ob der Sittenvorbehalt eine sinnvolle Funktion erfüllt, und wenn ja welche, würde den Rahmen dieser Darstellung sprengen. Jedoch soll an dieser Stelle - ganz abgesehen von vorgelegten Reformvorschlägen 237 - auf dem Hintergrund der Geschichte der Regelementierung von Prostitution für eine Einschränkung der Anwendung des § 138 Abs.1 BGB durch die Rechtsprechung plädiert werden: In Zusammenhang mit der Reglementierung von Prostitution wurden Sittenvorbehalte nämlich regelmäßig dazu genutzt, der offiziellen Erlaubnis, diese Tätigkeit auszuüben, eine Rechtswirkung zu entziehen. Das hatte zum einen eine partielle Rechtlosigkeit der Prostituierten in bezug auf ihre Erwerbstätigkeit zur Folge, zum andern galt Prostitution stets als makelhaft, ohne daß es einer rationalen Begründung hierfür bedurft hätte. Eine solche dauerhafte Aufspaltung der rechtlichen Bewertung in Erlaubnis einerseits und Ächtung andererseits - kann nicht zulässig sein. Deshalb sollte die Rechtsprechung über § 138 Abs.1 BGB nur solchen Sachverhalten die Rechtsgültigkeit versagen, die als mit den Grundwerten unserer Rechtsordnung unvereinbar erscheinen und auf die der Gesetzgeber noch nicht durch entsprechende Verbote reagieren konnte. Die Rechtsprechung soll aber nicht Phänomenen, die der Gesetzgeber nicht verbieten, sondern in einem bestimmten Rahmen stabilisieren will - wie beispielsweise die Prostitution - unter Rückgriff auf "die guten Sitten" den Rechtsschutz versagen 238 • Diese Forderung nach einer Einschränkung des Anwendungsbereiches des Sittenvorbehalts kann auch durch den Verweis auf die Verletzung der Menschenwürde der Prostituierten durch die Ausübung der Prostitution nicht entkräftet werden 239 , und zwar aus zwei Gründen:

236 Zu einer grundlegenderen Auseinandersetzung mit Sittenvorbehalten im Rechtsstaat vgl. RGZ 97, 253 (255); BGHZ 10, 228 (232ff.); Soergel-Hefermehl, § 138, Rz.208. Einerseits: BVerfGE 7,198 (206f.) andererseits: Wieacker, JZ 1961, 341. Ausführlich im Hinblick auf Verträge in Zusammenhang mit der Prostitution: Rother, AcP 72 (1972), 498ff. 2.17 s. dazu unten: F. 11. 1. 2.18 Dies wurde auch durch die höchstrichterliche Rechtsprechung in Zivilsachen anerkannt, nach der Mietverträge über Zimmer und Häuser, die zur Prostitutionsausübung an gemietet werden, prinzipiell als gültig anerkannt werden sollen, um den vom Strafrechtsreformgesetzgeber anvisierten Zielen zur Geltung zu verhelfen (BGHZ 63, 365 (366); BGH NJW 1970, 1179 (1180)). 2.19 Eine Beleg dafür, daß die Ausübung der Prostitution persönlichkeitszerstörend wirkt, beispielsweise durch psychologische Studien o.ä., ist die Rechtsprechung bisher schuldig geblieben.

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D. Die Freigabe von Prostitution

Zum ersten ist schon zweifelhaft, in welcher Form das in ArU Abs.l GG niedergelegte Gebot neben dem Staat auch den Grundrechtsträger selbst verpflichten kann. Eine Person könnte ihre Menschenwürde, dadurch daß sie sich prostituiert, nämlich nur dann verletzen, wenn ihr aus ArU GG eine Pflicht erwachsen würde, einen durch das Grundgesetz vordefinierten Akt der Menschwerdung zu vollziehen. Dem ist aber nicht so. Denn die Menschenwürde kommt - nach traditioneller Ansicht 240 - jedem Menschen ungeachtet seiner Handlungen oder Fähigkeiten zu 241 • Im Gegensatz zu der Prostituierten spricht die herrschende Lehre weder dem "Verbrecher" noch dem "ganz Asozialen" die Menschenwürde ab - "gerade diese freie Möglichkeit zur Selbsterniedrigung -

ein Vorgang, der etwa in der Tierwelt undenkbar ist - beweist diese dem Menschen eigene, seine Würde ausmachende Möglichkeit zur freien Selbstgestaltung,,242. ArU Abs.l GG will also nicht dem Schutz einer objektiv bestimmten

Menschenwürde gegen den Menschen selbst dienen, denn dadurch würde der Ausgangspunkt der Menschenwürde - die Autonomie - verleugnet. Er statuiert dementsprechend auch keine staatliche Verpflichtung des Menschen zum richtigen Menschsein 243 • Zum zweiten überzeugte der nicht näher begründete Rekurs der Rechtsprechung auf eine Verletzung der Menschenwürde durch die Ausübung der Prostitution selbst dann nicht, wenn man annähme, Prostituierte seien als Grundrechtsträgerinnnen durch ArU Abs.l GG zum Unterlassen bestimmter Verhaltensweisen verpflichtet. Die von der Rechtsprechung als entwürdigend bezeichnete Handlung, nämlich die Verpflichtung zur Vornahme einer sexuellen Handlung im Austausch gegen eine materielle Zuwendung, kann in unserer Rechtsordnung nicht ohne weitere Begründung als die Menschenwürde verletzend angesehen werden. Eine solche Verpflichtung wurde nämlich viele Jahre innerhalb der ehelichen Lebensgemeinschaft als gegenseitige Verpflichtung der Ehegatten zum Geschlechtsverkehr244 rechtlich sanktioniert245 • An praktischer 240 Der Ansatz Luhmanns, wonach Menschenwürde ein Kommunikationsakt der gelingenden Selbstdarstellung ist (S.61), bleibt hier außer Betracht. 241 "Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Würde zu." (BVerfGE 39, 1 (49». 242 MlDIH - Dürig, Art.1, Rz.21 m.w.N.; GraJVitzhum, JZ 1985, 202 m.w.N. 243 Vgl. Henning v.Olshausen,NJW 1982, 2222; Götz PolizeiR, Rz.ll1. Vgl. ausführlich zu dem Problem der Verpflichtung des Grundrechtsträgers durch Art.1 GG: Gusy, DVBI 1982, 984; ders., GewArch 1984, 151 (154); Höfling, NJW 1983, 1582; Kirchberg, NVwZ 1983, 141; Hoerster, JuS 1983, 93; Starck/Mangoldt/Klein-Starck, GG 1985 Art.1, Rz.7; Götz, Rz.ll1; Drews-Wacke-Vogel-Martens, Gefahrenabwehr, 9.Aufl., S.257; v.Münch, FS-Ipsen 1977, S.128; Würkner, NVwZ 1988, 601; Denninger, JZ 1975, 545; Laskowski, S.19lf. 244 Diese Pflicht gilt als Teil der ehelichen Pflichten gern. § 1353 BGB (PalandtDiederichsen, § 1353, Rz.5). 245 Vgl. zur Entwicklung stellvertretend: RG Recht 1908, Nr.3429; RG WarnE 1912, Nr.262; Staudinger, BGB, 9.Aufl., § 1353, Anm.1.

III. In der Bundesrepublik

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Bedeutung hat diese Verpflichtung zwar durch die Abschaffung des Verschuldensprinzips im Rahmen der Reform des Scheidungsrechtes verloren 246 • In jüngerer Zeit wird auch anerkannt, daß sie nicht gegen den Willen eines Ehegatten durchgesetzt werden darf247 • Sie gilt jedoch bis heute als eine Plicht aus der ehelichen Lebensgemeinschaft, ohne daß ihre Bedeutung im Hinblick auf die Menschenwürde der Ehegatten problematisiert würde 248 • Auf diesem Hintergrund erscheint es so, als ob auf das Menschenwürdeargument im Zusammenhang mit der Frage der Anerkennung von Prostitution als Erwerbstätigkeit nicht so sehr wegen der Befürchtung zurückgegriffen werde, die Prostituierte könne durch die vertragliche Verpflichtung ihre Würde verlieren, sondern um einer Institution die rechtliche Anerkennung zu versagen, ohne dies rational begründen zu müssen. Hinter dem Sittenwidrigkeitsurteil über die Prostitution verbirgt sich somit nichts anderes als die moderne Verarbeitung des Tabubruchs der Prostituierten249 , wie sie ehemals durch die Stigmatisierung "unehrlich" geleistet wurde.

246 Die "hartnäckige Verweigerung des Beischlafs" war früher ein Grund für - schuldige - Scheidung (Vgl. beispielsweise RG Warneyers Jahrbuch 1916, Nr.142; BGH NJW 1967, 1079). 247 Vgl. dazu beispielsweise: OLG Schleswig FamRZ 1993, 548 sowie die durch das 6. StrRG eingeführte Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe. 248 Vgl. dazu: Palandt-Diederichsen, § 1353, Rz.5; Müko-Wacke, § 1353, Rz. 30 m.w.N. und kritischen Anmerkungen. 249 Daß der momentanen Bewertung kommerzialisierter Sexualleistungen keine rationalen Kriterien zugrundeliegen, wird unter anderem deutlich an der Rechtsprechung zu den sog. Telefonsexverträgen einerseits, -und zu Peep-Shows andererseits: So bescheinigten einzelne Zivilgerichte den Verträgen über Telefonsex Rechtsgültigkeit, da "nicht schlechthin jedes zu einem sexualbezogenen Verhalten gegen Entgelt verpflichtende Rechtsgeschäft als sittenwidrig angesehen werden" könne. "Der 'Telefonsex' spielt sich (. ..) auf einer rein akkustisch-kommunikativen Ebene ab, auf der sich die Beteiligten nur mit ihren Stimmen (.. .) darbieten. Gerade durch das Fehlen eines unmittelbaren persönlichen Kontaktes wird vermieden, daß der Intimbereich in einer entwürdigenden Weise zur Ware gemacht wird" ' (AG Düsseldorf NJW 1990, 1856; ebenso: OLG Düsseldorf Stuttgart NJW 1989, 2899). Im Gegensatz dazu sah das BVerwG in dem sog. Peep-Show-Urteil das Fehlen jeden Körperkontaktes gerade als besonders entwürdigend an, nämlich "die durch den Fensterklappmechanismus und den einseitigen Sichtkontakt hervorgehobene verdinglichende Isolierung der als Lustobjekt zur Schau gestellten Frau vor im Verborgenen bleibenden Voyeuren; der durch diesen Geschehensablauf besonders kraß hervortretende Eindruck einer entpersonifizierenden Vermarktung der Frau; die Isolation auch des allein in der Kabine befindlichen Zuschauers und das damit verbundene Fehlen einer sozialen Kontrolle; die durch das System der Einzelkabine bewußt geschaffene Möglichkeit zur Selbstbefriedigung" (BVerwG NJW 1982, 664f.; vgl. dazu weiterhin: BVerwG NvWZ 1987, 411; BVerwG NvWZ 1990, 668; BVerwG NvWZ 1996,1424). Bezüglich des letzteren Aspekts unterscheidet sich der "Telefonsex" natürlich LE. nicht.

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D. Die Freigabe von Prostitution bb) Rechtsschutz durch das Strafrecht

Im Strafrecht stellt sich die Frage nach dem Schutz der Prostituierten tätigkeit insbesondere in der Fallkonstellation der "geprellten Dirne", das heißt in den Fällen, in denen eine Prostituierte - entgegen dem Verkehrsüblichen - ohne Vorkasse geleistet und dann keine Bezahlung erhalten hat. Diesen Fall hat der Bundesgerichtshof - in zwei oft zitierten Entscheidungen 250 _ dahingehend entschieden, daß der prellende Freier (im Gegensatz zur prellenden Dirne) mangels einer für das Strafrecht relevanten Vermögensverschiebung nicht des Betruges strafbar sei. Er begründet dies in BGHSt 4, 373 in ungewohnter Kürze 251 folgendermaßen: "Dem Geschlechtsverkehr kommt für das Recht kein in Geld zu veranschlagender Wert zu. Die Hingabe der Dime ist daher weder für sie eine Vermögensverfügung, noch für den 'Freier' ein Vermögensvorteil.,,252 Diese Feststellung mag unter der Prämisse, daß Sexualität nicht kommerzialisiert werden solle, noch vielen einleuchten. Sie läßt sich aber mit dem von der Rechtsprechung gegenwärtig zu § 263 StGB vertretenen Vermögensbegriff nicht leicht vereinbaren. Deutlich wird der Wertungswiderspruch durch einen Rückblick auf die Entwicklung des Vermögensbegriffes durch die Rechtsprechung: Das Reichsgericht vertrat - nach seiner Abwendung 253 vom sog. ''iuristischen Vermögensbegrit:f54" - eine ''iuristisch-ökonomische Betrachtungsweise". Da-

nach gehörten nichtige Ansprüche - und nur solche erwirbt die Prostituierte, wenn man den ihrer Leistung zugrunde liegenden Dienstvertrag wegen Sittenwidrigkeit als unwirksam qualifiziert - nicht zum Vermögen i.S.d. § 263 StGB255 • Begründet wurde dies damit, daß sich das Wesen einer Forderung in ihrem rechtlichen Bestand erschöpfe256 • Deshalb war nach der reichsgerichtlichen Dogmatik die Verneinung eines Vermögensschadens seitens der Dirne und 250 BGHSt 4, 373f.; BGH JR 1988, 125f. 251 Die komplette rechtliche Würdigung des Falles umfaßt neun Zeilen. 252 BGHSt 4, 373. 253 Vollzogen hat es die Abkehr durch die Entscheidung der Vereinigten Strafsenate in RGSt 44, 230ff., nach der auch derjenige geschützt wird, der "Geld aufgewendet [habe}, ohne einen Gegenwert dafür einzutauschen", nämlich im Hinblick auf einen wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot oder wegen Sittenwidrigkeit - nichtigen Vertrag (RGSt 44, 230 (236); vgl. in der Folgezeit RGSt 47, 67ff.; 65, 3f.; RG GA 1912, 134ff.). 254 Vgl. dazu RGSt 19, 186 (191); 37, 30 (31); 37, 161 (161). 255 RGSt 44, 230 (236). Diese Rechtsprechung wurde u.a. in RGSt 65, 99ff. bestätigt, das - entgegen den Ausführungen des Bundesgerichtshofes in BGHSt 2, 364 (366) - insofern keine Einschränkung der früheren Rechtsprechung darstellt. 256 RGSt 44,230 (236f.); 65,99 (100).

IIl. In der Bundesrepublik

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das Vorliegen eines Vermögensschadens bei dem geprellten Freier, der "gutes Geld" hergibt, konsequent. Von dieser Rechtsprechung hat sich der Bundesgerichtshof in BGHSt 2, 364ff abgewandt 257 • Er stellte dort ausnahmsweise nichtige Forderungen den Sachwerten gleich und zählt sie zu dem Vermögen im Sinne des § 263 StGB, wenn sie einen wirtschaftlichen Wert haben, weil sie faktisch durchsetzbar sind 258 • Begründet wurde dies - in Anknüpfung an die Argumentation des Reichsgerichtes bei der Hinwendung zum juristisch-ökonomischen Vermögensbegriff259 - damit, daß es für das Strafrecht in erster Linie darauf ankomme, eine allgemeine Rechtsbefriedung zu erreichen, so daß eine sittliche Verfehlung des Geschützten in den Hintergrund treten könne260 , sowie mit dem rechtspolitischen Argument, daß eine Versagung des Rechtsschutzes "unter Betrügern" geradezu ein Anreiz sein könne, sich seine Opfer in den Kreisen "der sittlich schwachen Personen" zu suchen 261 . Der Bundesgerichtshof vertritt damit heute einen sog. rein "wirtschaftlichen Vermögensbegrifj", der als Vermögen die Summe aller geldwerten Güter einer Person nach Abzug der Verbindlichkeiten umfassen so1l262. Dazu wird prinzipiell auch die wirtschaftlich verwertbare Arbeitskraft, die Arbeitsleistung, gezählt263 .

BGHSt 2, 364 (366). Dabei sei Irin erster Reihe an geschäftliche, verwandschaftliche, freundschaftliche, sonstige gesellschaftliche oder andere Bindungen zu denken, die den Schuldner veranlassen können, die wegen Nichtigkeit unklagbare Forderung zu begleichen, etwa um Nachteile zu vermeiden, die sich aus der Zahlung ergeben können (vgl Grünhut JW 1932, 2334), gegebenenfalls aber auch aus Beweggründen anderer Art. Namentlich die Persönlichkeit des Schuldners sowie dessen Zahlungsfähigkeit und das Verhältnis beider Partner zueinander können dabei von Bedeutung sein. " (BGHSt 2, 364 (366f., 369f.». 259 RGSt 44, 248f. 260 BGHSt 2, 364 (368), 261 BGHSt 2, 364 (368) unter Bezug auf RGSt 44, 230 (239ff.). Die Ausführungen schließen damit, daß "bei wirtschaftlicher Betrachtung das verschiedenartige Ergebnis befremden [müßte}, zu dem man gelangen würde, wenn man im Bereiche des Strafrechts der nichtigen Forderung grundsätzlich eine andere Beurteilung als der mit einem rechtlichen Makel behafteten Sache zuteil werden ließe." Denn dann - so stellt das Gericht zutreffend fest - würde die Strafbarkeit vom Zufall abhängen, da es maßgeblich auf das Stadium der Abwicklung des Geschäfts im Einzelfall ankäme (BGHSt 2, 364 (369». 262 SI. Rspr. BGHSt 16,220 (221). 263 Vgl. dazu LK-Lackner, § 263, Rz.140 m.w.N. 257

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D. Die Freigabe von Prostitution

Warum unter diesen Prämissen die wirtschaftlich verwertbaren Leistungen einer Prostituierten keinen Vermögenswert i.d.S. darstellen 264, erklärt der entscheidende 2. Senat des Bundesgerichtshofes in dem eingangs zitierten Urteil nicht. Er konstatiert lediglich: "Aus diesem Grunde [wegen der fehlenden Vermögensverschiebung, Verf.] steht auch der 'Anspruch' der Dime gegen den Freier nicht einem durch ein sittenwidriges Rechtsgeschäft erlangten Sachwert gleich. Wer die Dime um den Lohn prellt, begeht daher auch nach den Grundsätzen der Entscheidung BGHSt 2, 364 ff keinen Betrug" 265 .

Das Gericht überprüfte weder, ob die Forderung der Prostituierten in dem entschiedenen Fall faktisch durchsetzbar war, noch erläuterte es, wie die Entscheidung in einem solchen Falle ausgefallen wäre. Es äußert sich auch nicht dazu, warum dem Rechtsfrieden zwischen Freier und Prostituierter - im Unterschied zu dem zwischen Betrügern - sittliche Erwägungen vorangehen sollten, oder ob für einen Freier der Anreiz bestehen dürfe, sich seine Opfer unter Prostituierten zu suchen. Der 5. Senat des Bundesgerichtshofes bestätigte diese Rechtsprechung 1987. Er fügte zur Begründung hinzu, daß sich das Strafrecht, schützte es den Anspruch der Dirne auf Lohn, in Widerspruch zur Rechtsordnung im übrigen setzte266 , und übernahm damit - ohne weitere Auseinandersetzung - einen Einwand der Gegner des wirtschaftlichen Vermögensbegriffes gegen denselben. Nimmt man die wirtschaftliche Bestimmung des Vermögens entsprechend der in BGHSt 2, 364ff aufgestellten Kriterien ernst, so enthält diese Rechtsprechung einen Wertungswiderspruch 267 • Denn auch wenn nach Ansicht der Rich-

264 Diese Rechtsprechung wurde in der Literatur heftig kritisiert, vgl. dazu Kohlhaas, JR 1954, 97f.; Kühne, ZRP 1975, 184 (186ff.); vgl. im übrigen LK-Lackner, StGB, § 263, Rz.122, Fn.217 m.w.N. 265 BGHSt 4, 373. 266 BGH JR 1988, 125 (126). Derselbe Senat begründete in NStZ 1990, 443 seine Entscheidung, daß Prostitution als Erwerbstätigkeit im Sinne von § 1 Abs.2 Nr.1 DV AuslG anzusehen sei, folgendermaßen: "Für die Frage, ob die Prostitution als 'Erwerbstätigkeit' i.S.d. § 1 11 Nr.1 DVAuslG anzusehen ist, kommt es nicht darauf an, wie die Prostitution in anderen Rechtsbereichen, z.B. im bürgerlichen Recht, Strafrecht, Steuerrecht oder Sozialrecht behandeltwird". 267 Ebenso beispielsweise Tenckhoff, JR 1988, 126; Otto, Jura 1993, 427; LKLackner, StGB, § 263, Rz.122, Fn.217 m.w.N., Laskowski, S.32lf. Denn zum einen sind die Leistungen der Prostituierten wirtschaftlich verwertbar, da ihre Kunden bereit sind, dafür zu bezahlen, zum anderen existieren im Prostitutionsmilieu sublegale Strukturen, die es ermöglichen, Ansprüche faktisch durchzusetzen.

III. In der Bundesrepublik

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ter dem Geschlechtsverkehr ''für das Recht kein in Geld zu veranschlagender Wert zukommt", so messen die Parteien der Leistung der Prostituierten sehr wohl einen Geldwert ZU 26R • Rechtspolitisch ist die Rechtsprechung verfehlt, da Prostituierte sich bei Verweigerung staatlichen Rechtsschutzes ihren Schutz bei privaten Beschützern suchen müssen.

ce) Rechtsschutz durch das Verwaltungsrecht Rechtsschutz für Prostitution als Erwerbstätigkeit könnte man - trotz der Nichtanerkennung eines Berufs- oder Gewerbestatus - in zweierlei Hinsicht erwarten: Erstens durch eine Festlegung von Mindestgrößen sog. Toleranzzonen 269 (gegründet auf einen Gegenschluß aus der Sperrbezirksregelung in Art. 297 EGStGB, die ein Verbot der Prostitution für bestimmte Stadtbezirke nur unter bestimmten Voraussetzungen zuläßt sowie dem dort in Abs.3 statuierten Kasernierungsverbot), zweitens durch die Anerkennung eines Bestandsschutzes der - regelmäßig in Reaktion zur Festlegung der Sperrbezirke - gewachsenen Infrastruktur . Der Erlaß von Sperrbezirksverordnungen ist in verschiedenen Bundesländern im Rahmen des § 47 Abs. 2 Nr.l VwGO gerichtlich überprüfbar270 . Antragsbefugt sind sowohl der betroffene Bordellbesitzer als auch die Prostituierte27l . Die Beschwer wird dabei nicht aus dem Recht auf Prostitutionsausübung abgeleitet, sondern aus der Beschränkung der bis zur neuen Festlegung des Sperrbezirkes "geduldeten Betätigung,,272. Die Verwaltungsgerichte überprüfen den Erlaß der Verordnungen 273 an hand allgemeiner Rechtsprinzipien, nämlich der sachlichen Vertretbarkeit von Abwägungen und Wertungen des Verordnungs-

Vgl. dazu auch: Otto, Jura 1993,427. Das sind die Gebiete, in denen Prostitution ausgeübt werden darf.; zur Bedeutung der Sperrgebietsverordnungen als Eingriffe in Art.12 GG siehe Laskowski, S.216ff. 270 Vgl. beispielsweise München NJW 1972, 2149 LS; VGH, Bd.-Württ., DöV 1978, 848; VGH Kassel NJW 1984,505 (506). 271 Vgl. dazu VGH, Bd.-Württ., DöV 1978, 849. 272 In dem "Betroffenwerden von einem Rechtsverbot" liege eine hinreichende Beschwer (VGH München NJW 1972, 2149f.). m Prüfungskriterien sind das ordnungsgemäße Zustandekommen der Verordnung (VGH Kassel NJW 1984, 505) sowie die Einhaltung der durch die Ermächtigungsgrundlage gezogenen Grenzen (BayVerfGH NJW 1983, 2188 (2189)), das heißt die Prüfung der Frage, ob die getroffenen Regelungen der Abwehr einer abstrakten Gefahr für die Jugend oder den öffentlichen Anstand dienen (VGH Mannheim, DöV 1978, 848 (850)). 26M

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D. Die Freigabe von Prostitution

gebers 274 , der Ermessensfehlerfreiheit275 und der Vereinbarkeit mit höherrangigern Recht276 • Ein Anspruch auf eine Mindestgröße des Toleranzgebietes - abgeleitet aus der Stadtgröße, der Anzahl von Prostituierten, dem Bedarf an Prostitution277 o.ä. - wird insoweit anerkannt als Art.297 EGStGB die Länder und ihre Behörden kompetenzrechtlich hindert, Prostitution in größeren Städten oder Stadtbezirken generell zu verbieten, sowie durch Sperrbezirke faktische Kasernierungen zu bewirken 278 . Eine weitergehende Anerkennung eines Anspruches auf eine bestimmte Mindestgröße erfolgt nur zögerlich 279. Anerkannt ist aber, daß die als Toleranzzone ausgewiesenen Flächen auch tatsächlich zur Ausübung der Prostitution geeignet sein müssen 280 • Eine eigentumsrechtlich verfestigte Position in bezug auf einen eingerichteten und ausgeübten Bordellbetrieb oder ein Vertrauensschutz281 dahingehend, VgI. BayVerfGH NJW 1983, 2188f. VGH München NJW 1972, 2149 (2151); VG Bremen GewArch 1973,251; OVG Lüneburg NJW 1974, 820. 276 VGH Kassel NJW 1984, 505. Hier wird insbesondere auf die verfassungsrechtliche Werteordnung abgestellt (BayVerfGH NJW 1983, 2188 (2189). 277 "Wenn im Bereich der Prostitution auch nicht von einem Bedarf gesprochen werden kann, ... " könne es für den Verordnungsgeber doch von Bedeutung sein, welche Größenordnung die Prostitution in der jeweiligen Gemeinde habe (BayVerfGH NJW 1983, 2188 (2189). Nach Ansicht des VGH Kassel gebietet auch "die Stationierung starker amerikanischer Truppenverbände und die gleichzeitige Anwesenheit von etwa 1.000 frauenlosen Türken im Umland einer Stadt ... nicht zwingend, von einem Vollverbot ... abzusehen" (VGH Kassel NJW 1984,505 LS). 278 BVerwG GewArch 1966, 140f.; BayVerfGH NJW 1983, 2188. VGH München NJW 1972,2149 (2150)); VGH Kassel, NVwZ-RR 1990,472 (LS 3). 279 Beispielsweise durch den VGH Kassel in NVwZ-RR 1990, 472 (LS 3): "Die ausgewiesenen Toleranzzonen müssen flächenmäßig zur Aufnahme der vorhandenen Prostituierten und Bordelle in der Lage sein und über eine ausreichende verkehrstechnische Anbindung verfügen. " 280 VgI. beispielsweise BayVerfGH NJW 83, 2189. 281 Vor der Strafrechtsreform hatte sich die Rechtsprechung mit der Frage beschäftigt, ob die langjährige polizeiliche Duldung eines Bordells einen Vertrauensschutztatbestand schaffe, der eine Schließung hindere. Das wurde von der damals herrschenden Ansicht zutreffend verneint (OVG Münster JZ 1966, 31 (32) m.w.N.). Begründet wurde es damit, daß die Duldung nichts daran ändere, daß der Betrieb gegen die öffentliche Ordnung verstoße (OVG Münster Urt.v. 18.5.1954 - VII A 1289/53; Dahmen, Städtetag 1972, 432. Umstritten war, wie der Sachverhalt zu beurteilen ist, wenn die Behörde ausdrücklich zusage, einen gesetzeswidrigen Zustand zu dulden. Das Bundesverwaltungsgericht hat in den sechziger Jahren die Bindung einer solchen Zusage bejaht, aber den nächsten Schritt einer Bindung im Unrecht ausdrücklich ausgeschlossen (BVerwG DVBI 1965, 525 (527)). Nach Ansicht des OVG Münster ist die behördliche Zusage, daß bei freiwilliger Aufgabe eines bestehenden "Dirnenhauses" ein neues Etablissement an anderer Stelle eröffnet werden könne, unwirksam (OVG Münster GewArch 1971, 92, vgI. auch Dahmen, Der Städtetag 1972,433). 274 275

III. In der Bundesrepublik

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daß eine bestimmte Sperrbezirksregelung weiterbestehen werde, wird nicht anerkannt 2S2 • Begründet wird dies zum einen damit, daß "[eJine solche mit der Menschenwürde nicht zu vereinbarende Art der Erzielung von Einkünften" nicht rechtlich geschützt sei 283 , zum anderen damit, daß der Betreiber eines BordeIlbetriebes als "latenter Störer stets damit rechnen [müsse, Verf.J, au/grund der an kommunalen Planungen zu orientierenden Fortschreibung von Verordnungen nach Art.297 EGStGB aus bestimmten Stadtteilen oder Liegenschaften verdrängt zu werden,,284. Der erstgenannten Begründung, daß Einkünfte aus dem BordeIlbetrieb per se außerhalb des Grundrechtsschutzes liegen, stehen die bereits oben ausgeführten Einwände gegenüber285 • Daß BordeIIbetreiber und Prostituierte als latente Störer entschädigungslos weichen müssen, wenn sich der Charakter einer Toleranzzone faktisch ändert, mag - unter der Prämisse, daß Art.297 EGStGB ein Vertrauen in eine über lange Zeit geltende Sperrbezirksregelung nicht schützen kann - einleuchten. Jedoch sollte auch in diesem Bereich berücksichtigt werden, was im Planungsrecht allgemein anerkannt ist: Konflikte hinsichtlich der räumlichem Nutzung eines Gebietes lassen sich nicht dauerhaft über das Polizei- und Ordnungsrecht lösen, sondern nur über eine ausgewogene Planung286 •

BayVerfGH NJW 1983, 2188ff.; VGH Kassel, NVwZ-RR 1996, 84ff. BayVerGH NJW 1983, 2189. 284 VGH Kassel, NVwZ-RR 1996, 86. 2H5 s.o.: D. III. 3. a). 286 Vgl. dazu: Götz, Rz.234. Zur Frage der entschädigungslosen Sozialpflichtigkeit des "latenten Störers" vgl. MID/H-Papier, GG, Art.14, Rz.SI7 m.w.N. 2H2 21ß

E. Fazit Die Antwort, die uns die Geschichte der Reglementierung von Prostitution auf unsere Ausgangsfrage - nämlich wie Prostitution trotz der fehlenden rechtlichen Anerkennung zu einer Institution in der städtischen Gesellschaft werden konnte - gegeben hat, ist einfach und kurz: Prostitution wurde zu einer festen Einrichtung in den Städten, weil sie - als geächtete und rechtlose Erwerbstätigkeit - in einer sozial verträglichen Form gewährleistet werden konnte, und in dieser Form stets erwünscht war. Als Geächtete stellten Prostituierte den allgemeinen Normkodex nicht in Frage. Wegen der Rechtlosigkeit des Gewerbes war es möglich, die Art der Ausübung pragmatisch an die jeweiligen Bedürfnisse der verschiedenen Epochen anzupassen. Dies wird deutlich, wenn man die Entwicklung der Reglementierung von Prostitution noch einmal kurz Revue passieren läßt: Während der offenen Konzessionierung in Berlin im ausgehenden 18. Jahrhundert erfolgte die Verwaltung der städtischen Prostitution - wie allgemein die Gewerberegulierung - noch im Rahmen der "guthen polizey". Prostituierte waren gesellschaftlich als konzessionierte Huren stigmatisiert und in ihrer persönlichen Freiheit in vielfältiger Weise eingeschränkt. Ihre Tätigkeit war einer pragmatischen Regelung unterworfen, die heute insofern erstaunt, als sich die Ächtung der Gewerbsunzucht in den Rechtsvorschriften fast nicht äußerte. Vielmehr bemühte man sich vorrangig darum, das Milieu durch entsprechende Vorschriften zu befrieden, was auch bedeutete, daß die Rechte der Dirne abgesichert wurden. Das änderte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit der Durchsetzung bestimmter Wertvorstellungen des Bürgertums und der Entwicklung des modernen Gewerberechts in Preußen. Eine offen staatlich konzessionierte Prostitution war danach nicht mehr möglich. Den Wirten und Prostituierten wurden ihre Konzessionen entschädigungslos entzogen. Nach zeitgenössischer Ansicht verloren sie dadurch kein wohl erworbenes Recht. Denn die ihnen erteilten Erlaubnisse wurden lediglich als widerrufliche Niederlegung einer polizeilichen Duldungsabsicht ihres "schändlichen Gewerbes" interpretiert. Prostitution wurde danach zunächst ohne weitere gesetzliche Vorgaben durch die Polizei geregelt. Die darauf folgende, an die Strafgesetzbücber - nämlich das preußische Strafgesetzbuch von 1851 und das Reichsstafgesetzbuch von 1871 - angeknüpfte Polizeireglementierung rückte Prostitution in den Bereich der Kriminalität.

E. Fazit

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Mit dieser Ansiedlung wurde Rechtsschutz in bezug auf die ausgeübte Tätigkeit undenkbar. Die Tatbestände des § 146 PrStG und § 361 Nr.6 i.d.F. von 1871 eröffneten durch den Verweis auf die Straflosigkeit der polizeigemäßen Ausübung der Prostitution die Möglichkeit einer flexiblen, gesetzlich nicht fixierten Reglementierung in Form von Polizeianordnungen. Diese Form der Reglementierung mündete in die Einführung der besonderen Polizeiaufsicht über die Prostituierten (§ 361 Nr.6 1.Alt. i.d.F. von 1876). Durch die "Einschreibung" aller Prostituierten bei der Polizei wurde ein in ihren bürgerlichen Rechten eingeschränkter Stand der "Kontrollmädchen " geschaffen. Diese Regelung überdauerte knapp fünfzig Jahre. Sie wurde erst während der Weimarer Republik abgeschafft. Doch auch diese "Freigabe" der Prostitution änderte an der Rechtlosigkeit der Prostituierten faktisch kaum etwas, da die Reform in der Verwaltungspraxis nur unzureichend umgesetzt und dem Gewerbe nach der Entlassung aus der Polizeiaufsicht kein neuer Status eingeräumt wurde. Die faktische Entwicklung der polizeilichen Reglementierung während des Nationalsozialismus setzte dann den neuen - als Gesetz fortgeltenden - Regelungsansatz der Weimarer Zeit wieder teilweise außer Kraft. Erneut wurde Prostitution in einer als sozial nützlich definierten Form durch die Polizeiverwaltung auf Kosten der persönlichen Freiheit der Prostituierten institutionalisiert. Gegenwärtig ist Prostitution innerhalb der strafrechtlich bestimmten Grenzen erlaubt. Insoweit gilt sie auch als polizeifeste Einrichtung. Sie vermittelt aber auch heute noch nicht die Rechte, die mit einer Erwerbstätigkeit prinzipiell verbunden sind. Die verschiedenen Formen der Reglementierung von Prostitution, wie sie in den vorangegangenen Kapiteln geschildert wurden, zeigen aber nicht nur die Einbindung der Reglementierung von Prostitution in die verschiedenen Epochen deutscher Rechtsgeschichte und den dadurch fixierten Rahmen, in dem Prostituierte ihrer Erwerbstätigkeit in den letzten bei den Jahrhunderten nachgehen konnten. Sie dokumentieren darüberhinaus, daß die Geschichte der Reglementierung von Prostitution nicht nur eine Geschichte der Prostituierten ist, sondern ebenso die Geschichte der Reglementierer. Die aufeinanderfolgenden Reglementierungsmodelle sind Sozialgeschichte insofern, als sie illustrieren, in weIchem Umfang eine Institutionalisierung kommerzialisierter Sexualität in jeder Epoche für notwendig erachtet und akzeptiert wurde. Die Details der Reglementierung zeigen, in weIcher Form Prostitution als sozialverträglich galt. Als Rechtsgeschichte ist die Geschichte der Reglementierung von Prostitution vor allem deshalb interessant, weil die Versuche, die Reglementierung auch wenn sie anerkannten Rechtsprinzpien widersprach - zu legitimieren und dogmatisch zu fundieren, das Dilemma der staatlichen Regulierung von Prostitution dokumentieren. Dieses Dilemma bestand - und besteht - darin, daß mit juristischen Argumenten eine besondere Behandlung von Prostitution als Erwerbstätigkeit gerechtfertigt wurde und wird, die sich dogmatisch nicht einwandfrei erklären läßt.

F. Reform Derzeit wird eine Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Prostitution in Deutschland auf breiterer Ebene diskutiert. Juristen!, Sozialwissenschaftier2 , Rechtspolitiker3 und nicht zuletzt auch die Prostituierten selbst legten Reformvorschläge vor4 • Diese Reformvorschläge sehen zum Teil umfassende Neuregelungen, zum Teil lediglich punktuelle Änderungen vor. Im folgenden werden sie in ihren wesentlichen Punkten - gegliedert nach den verschiedenen Rechtsgebieten - dargestellt und kurz diskutiert. Ein eigener Reformvorschlag erfolgt in diesem Rahmen aus zwei Gründen nicht: Zum ersten müssen m.E. zunächst im Wege der Datenerhebung die Strukturen des Prostitutionsmarktes und die Bedürfnisse von Prostituierten ermittelt werden, bevor ein sachgemäßer umfassender Vorschlag formuliert werden kann. Solche Daten liegen zum gegebenen Zeitpunkt nicht in ausreichendem Umfang vors. Zum anderen bedarf es einer grundsätzlichen Klärung durch 1 Schon in den 60er Jahren regte Hanack im Rahmen seines Rechtsgutachtens für den 47.DIT eine grundsätzliche Reform der rechtlichen Stellung der Prostituierten in einem "Dirnengesetz" an (Rechtsgutachten, Rz. 258ff.); vgl. auch Kühne ZRP 1975, 184ff.; Bargon, S.308ff. In jüngerer Zeit legten Laskowski, S.365ff., Leo, S.149f., die Niedersächsische Kommission zur Reform des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts (im folgenden: Albrecht u.a.) der Strafverteidigertag (Beschlüsse des 17.Strafverteidigertages (1993) Arbeitsgruppe 2 (Strafverteidigervereinigungen, S.5) Reformvorschläge vor. Der jüngste Vorschlag zur Reform des § 180 a Abs.l Nr.2 StGB wurde im Rahmen eines im Bundesministerium der Justiz erarbeiteten Entwurfes eines Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) (Stand 15.Juli 1996) unterbreitet. 2 Vgl. dazu eine vom Bundesministerium für Frauen und Jugend in Auftrag gegebene Untersuchung von Leopold /SteffanlPaul (unter Mitarbeit von: v.GalenlVorwerk). J Bspw. der von der Partei Die Grünen in Zusammenarbeit mit Prostituiertenorganisationen in den Bundestag eingebrachte Vorschlag eines Antidiskriminierungsgesetzes Teil III (im folgenden: ADG III), BT-Drs. 11/7140 sowie die Vorschläge der EnqueteKommission des Bundestages "Gefahren von AIDS und wirksame Wege zu ihrer Eindämmung", BT-Drs. 11/7200 (im folgenden: Enquete-Kommission), S.247ff. 4 Der jüngste umfangreiche und- ausführlich erläuterte Vorschlag stammt von der Deutschen Hurenbewegung (Entwurf eines Gesetzes zur Anerkennung und Regelung des Berufes der/des Prostituierten), einem Zusammenschluß von Prostituiertenorganisationen aus verschiedenen deutschen Stadten. Der Entwurf ist derzeit noch unveröffentlicht. Er ist über Kassandra e.V., Kopernikusplatz 12, 90459 Nürnberg erhältlich (im Folgenden: Deutsche Hurenbewegung). 5 Einige Informationen ergeben sich aus der - bereits erwähnten - vom Bundesministerium für Frauen und Jugend in Auftrag gegebenen Dokumentation zur rechtlichen und sozialen Situation der Prostituierten in der Bundesrepublik Deutschland. Die Daten-

I. Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht

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Experten aller Rechtsgebiete darüber, in welcher Dichte nach ihrer Ansicht eine Reform der Rechtsstellung der Prostituierten umgesetzt werden kann und soll. Denn einerseits erscheinen Änderungen in einzelnen Punkten nicht ausreichend, da das Prostitutionsgewerbe seit Jahrhunderten von der allgemeinen Rechtsentwicklung isoliert war. Eine detaillierte, alle Rechtsgebiete betreffende Regelung, die diese Entwicklung auf einmal nachholen würde und zudem von vorneherein verhinderte, daß Rechtsprechung und Verwaltung durch Lückenfüllung am status quo festhielten, könnte aber andererseits der zweite Schritt vor dem ersten sein. Eine solche Normierung wäre ein Novum, für das es auch in anderen Ländern kein Vorbild gibt. Allerdings können Eckpunkte für eine Reform der Rechtsstellung der Prostituierten aufgrund der im vorangegangenen Kapitel vorgenommenen Analyse der momentanen Rechtslage sowie auf der Grundlage der bereits über die soziale Situation der Prostituierten bekannten Daten formuliert werden: Richtschnur einer Reform sollte m.E. der umfassende Schutz der Prostituierten in bezug auf ihre Erwerbstätigkeit sein. Dies bedeutet beispielsweise, daß der sog. Dirnenlohn einklagbar ist, daß eine adäquate Sozialversicherung für Prostituierte geschaffen wird, daß jede Form staatlicher Reglementierung durch eine spezifische gesetzliche Ermächtigungsgrundlage festgelegt sein muß. Nur mit Hilfe solcher Absicherungen kann der über Jahrhunderte gewachsene traditionelle Rahmen des Marktes für kommerzialisierte Sexualleistungen aufgebrochen werden. Prostituierte wären dann nämlich nicht mehr auf sublegale Strukturen angewiesen, um ihre Ansprüche durchzusetzen. Sie könnten auf eine verläßliche und staatlich kontrollierte Infrastruktur zurückgreifen und soziale Sicherheit erlangen. Reformbedarf besteht deshalb vor allem hinsichtlich der Straftatbestände, die noch das Konzept des polizeilichen Reglementierungsmodelles fortschreiben, bezüglich einer zivil rechtlichen Anerkennung von Prostitution als Erwerbstätigkeit und im Hinblick auf die soziale Absicherung der Prostituierten.

I. Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht Im Bereich des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts wurden verschiedene Vorschläge zur Entkriminalisierung bestimmter Handlungen in Zusammenhang mit der Prostitutionsausübung unterbreitet.

sammlung berücksichtigt aber in der Hauptsache nur die bei den Gesundheitsämtern verschiedener Städte registrierten Prostituierten.

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F. Reform

Wegen der oben 6 dargestellten Problematik des eingeschränkten Schutzes der Erwerbstätigkeit der Prostituierten durch das Strafrecht bedarf es keiner Änderung im Strafrecht. Sie löst sich mit der zivilrechtlichen Anerkennung des sog. Dirnenvertrages als rechtsgültig 7•

1. § 180 a Abs. 1 Nr.2 StGB Das Gros der Reformvorschläge spricht sich - m.E. zu Recht - für eine Entkriminalisierung der Unterstützungshandlungen Dritter bei der Prostitutionsausübung aus, die auf einer freien Willensentscheidung einer erwachsenen Person beruht8 . Sie sehen deshalb vor, die bloße Unterstützung freiwilliger Prostitution durch Dritte zu entkriminalisieren, also § 180 a Abs. 1 Nr.2 StGB zu streichen 9 . Begründet wird dies unter anderem damit, daß ein strafrechtlicher Steuerungsbedarf nicht voriiege lll , bzw. daß die Kriminalisierung der Unterstützung von freiwilliger Prostitutionsausübung dem erklärten Ziel, Prostitution als Erwerbstätigkeit zu schützen, entgegenstehe". Weiterhin wird geltend gemacht, daß sich die Vorschrift zur Vorbeugung vor Ausbeutung der Prostituierten als

D. III. 3. b) bb). Vgl. dazu unten: F. H. 1. x ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.3; Deutsche Hurenbewegung, S.1f.; Albrecht u.a., S.63; Beschlüsse der Arbeitsgruppe 3 auf dem 17.Strafverteidigertag; Leo, S.26: vgl. auch Leopold ISteffanlPaul (unter Mitarbeit von: v.Galen/Vorwerk, S.206; Laskowski, S.299. 9 Albrecht u.a., S.64; ADG II1, BT-Drs. 11/7140, S.3; Leo, S.150; Deutsche Hurenbewegung, S.l, deren Entwurf noch weitergehende Streichungen vorsieht vgl. ebda., S.1f. 10 Albrecht u.a., S.63; Deutsche Hurenbewegung, S.14; vgl. dazu a.: Sch/SchLenckner, § 180 a, Rz.lO. 11 ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.16f., mit der Begründung, daß eine nicht selbständig ausgeübte Tätigkeit stets Anweisungen im Arbeitsverhältnis voraussetze. Ebenso: Deutsche Hurenbewegung, S.14f.; vgl. dazu auch Leo, S.120f. Der Begründung ist zwar insofern zuzustimmen, als Prostituierte, wenn sie ihr Gewerbe nicht über den Straßenstrich ausüben wollen und nicht ausreichend eigene Mittel besitzen, um sich die notwendige Infrastruktur zu schaffen (z.B. ein eigenes Appartment zu mieten), auf die von Dritten zur Verfügung gestellten Einrichtungen angewiesen sind. Nicht von ungefähr hatte die Diskussion um die "Wohnungsfrage" der Prostituierten, die im Grunde eine "Arbeitsplatzfrage" war (und ist), ihren Höhepunkt nach der sog. Freigabe der Prostitution im Jahre 1927. Nicht richtig ist, daß das Verhältnis zwischen Betreibern von solchen Einrichtungen und Prostituierten tatsächlich als Arbeitsverhältnis mit Direktionsrechten ausgestaltet sein müßte (s. dazu unten: F. H. 2.). Auch nach dem von den Prostituierten vorgelegten Vorschlag soll ein bestehendes Direktionsrecht eingeschränkt werden (s. dazu unten: F. H. 2.). 6 S.O.: 7

I. Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht

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uneffektiv erwiesen habe 12 • Im vorangegangenen Kapitel wurde gezeigt, daß § 180 a Abs.l Nr.2 StGB desweiteren derzeit vorrangig dazu dient, mittelbar Maßnahmen zur Reglementierung der Prostituierten durchzusetzen. Die Autorinnen der von dem Bundesministerium für Frauen und Familie in Auftrag gegebenen Untersuchung empfehlen ebenfalls eine Streichung des § 180 a Abs. 1 Nr.2 StGB 13 • Für den Fall, daß der Gesetzgeber sich dazu nicht entschließen könne, befürworten sie eine Einschränkung dahingehend, daß das Schaffen guter Arbeitsbedingungen nicht mehr unter den Tatbestand falle 14 • Sie begründen ihren Vorschlag weder mit dogmatischen Überlegungen noch mit dem Respekt vor der selbstbestimmten Entscheidung der Prostituierten, sondern führen pragmatische Gründe an. Ein generelles Verbot der Unterstützung Dritter bei der Prostitution führe zu schlechten Arbeitsbedingungen. Dies sei aus rechtspolitischer Sicht nicht wünschenswert. Darüber hinaus sei eine pauschale Kriminalisierung des Betriebes von Bordellen im Hinblick auf eine effektive Gesundheitsprävention kontraproduktiv 15. In letzterem Sinne äußerte sich auch die Enquete-Kommission "AIDS" des Bundestages. Sie empfahl, "ordentlich geführte Bordelle, die mit den Gesundheitsbehörden zusammenarbeiten" aus dem Tatbestand des § 180 a Abs. 1 Nr.2 StGB zu nehmen 16 . Nach einem Referentenentwurf des BMJ zum 6. StrRG (im folgenden: Referentenentwurf) soll § 180 a Abs.l Nr.2 StGB künftig als konkretes Gefährdungsdelikt gefaßt werden 17 • Dies wurde mit der Schutzrichtung des Straftatbestandes begründet,

12 Leopold ISteffanlPaul (unter Mitarbeit von: v.GalenlVorwerk), S.305. Demgegenüber hatte das BVerfG festgestellt, daß der Straftatbestand zur Erreichung des vom Gesetzgeber intendierten Zweckes "nicht offensichtlich ungeeignet" sei (NJW 1993, 1911). Das Gericht bricht die Verhältnismäßigkeitsprüfung aber an diesem Punkte ab und überprüft die Erforderlichkeit des § 180 a Abs.l Nr.2 StGB nicht mehr. I3 Leopold ISteffanlPaul (unter Mitarbeit von: v.GalenlVorwerk), S.306. 14 Leopold ISteffanlPaul (unter Mitarbeit von: v.GalenlVorwerk), S.306. 15 Leopold ISteffanlPaul (unter Mitarbeit von: v.GalenlVorwerk), S.306. 16 BT-Drs. 11/7200, S.251; in diesem Sinne äußerte sich auch schon Hanack, Rechtsgutachten, Rz. 262 (2). 17 Der Entwurf sieht folgende Fassung vor: "2. die Prostitutionsausübung durch Maßnahmen gefördert wird, die über das bloße Gewähren von Wohnung, Unterkunft oder Aufenthalt und die damit üblicherweise verbundenen Nebenleistungen in einer Weise hinausgehen, daß sie die persönliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit dieser Person gefährden." (Referentenentwurf, S.lO). Eine solche Einschränkung wurde auch schon zuvor unter Hinweis auf Sinn und Zweck des § 180 a StGB, nämlich die Unabhängigkeit der Prostituierten zu schützen, gefordert (Sch/Sch-Lenckner, § 180 a, Rz.l, 10, 11).

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F. Reform

"der nicht der Bekämpfung von Prostitution als solcher dient, sondern lediglich den Zweck hat, die Prostituierten in ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit zu schützen,,18.

M.E. sollte § 180 a Abs.l Nr.2 StGB ganz gestrichen werden. Zwar führte auch die von Referentenentwurf vorgeschlagene Einschränkung des § 180 a Abs.l Nr.2 StGB auf konkrete Gefährdungen der Unabhängigkeit der Prostituierten zu einer Verbesserung gegenüber der jetzigen Rechtslage. Denn in Folge dieser Änderung blieben jedenfalls solche über das "bloße Gewähren von Wohnung, Unterkunft oder Aufenthalt" hinausgehenden Nebenleistungen straflos, die in keinem konkreten Falle die Freiheit einer Prostituierten gefährdet hatte 19 • Unbefriedigend ist allerdings, daß sich der Entwurf nicht mit der auch nach der Änderung weiter bestehenden unterschiedlichen Wertung in § 180 a Abs.l Nr.l und Nr.2 StGB auseinandersetzt. Es bedürfte aber der Erklärung, warum die Gefährdung der persönlichen und wirtschaftlichen Freiheit durch die Gewährung von Nebenleistungen innerhalb des Betriebes einer Einrichtung, in dem die Prostitution ausgeübt wird (§ 180 a Abs.l Nr.2 StGB), als ebenso strafwürdig angesehen wird, wie der Betrieb eines Bordelles, in dem Prostituierte tatsächlich in ''persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit" gehalten werden (§ 180 a Abs.l Nr.l StGB). Solange eine solche fehlt, erscheint die vom Referentenentwurf vorgeschlagene Lösung nicht als konsequent 2o • Eine Streichung des § 180 a Abs. 1 Nr.2 StGB würde die Strafbarkeit von im Rahmen eines Bordellbetriebes vorgenommenen Maßnahmen auf solche begrenzen, die die Entscheidungsfreiheit der Prostituierten tatsächlich beeinträchtigen und deshalb als strafwürdig angesehen werden müssen, Sie würde sich widerspruchsfrei in das System der anderen zum Schutz der Freiheit der Prostituierten geschaffenen Straftatbestände einfügen21 ,

18 Referentenentwurf, S.119. 19 Die Strafverfolgungsbehörden dürften einer solchen Änderung aber eher skeptisch gegenüberstehen, da sie bei Geltung einer solchen Vorschrift die Gefährdung in einem konkreten Fall nachweisen müßten. Sie beklagen aber heute schon, daß der Strafanspruch gegenüber Bordellbetreibern selten durchgesetzt werden könne, weil die Prostituierten versuchten, sich ihrer Zeugenpflicht zu entziehen, bzw. weil - im Falle ausländischer Prostituierter - diese bis zu einem Prozeßtermin meist bereits in ihr Heimatland abgeschoben seien. 2U Darüberhinaus eröffnete die vorgeschlagene Regelung erneut ein "ständiges Ermittlungsthema" für die Polizei. Diese Bedenken gelten auch hinsichtlich des Vorschlages der Enquete-Kommission sowie des Vorschlages, aus § 180 a Abs.l Nr.2 StGB lediglich die Schaffung guter Arbeitsbedingungen herauszunehmen. 21 Der Schutz vor unfreiwilliger Prostitution sowie der Schutz der Prostituierten vor persönlicher und/oder wirtschaftlicher Abhängigkeit wird abgesichert durch die §§ 180 a Abs.l Nr.l und Abs.2, 180b, 181, 181 a StGB.

I. Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht

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Würde § 180 a Abs. 1 Nr.2 StGB gestrichen, so würde es sich empfehlen, ein entsprechendes gesetzlich geregeltes Genehmigungsverfahren zur Zulassung von Einrichtungen, in denen Prostitution ausgeübt wird, zu schaffen22 • Darin könnte festgelegt werden, welche Voraussetzungen an den Betrieb einer solchen Einrichtung gestellt werden. Ein solches Zulassungsverfahren sollte neben der Mitwirkung kommunaler Behörden auch die Mitarbeit von Vertreterinnen der Prostituierten vorsehen. Es stünde zu hoffen, daß die Infrastruktur, die zur Ausübung der Prostitution notwendig ist, sich in Folge eines solchen Zulassungsverfahrens zu einem Dienstleistungssektor entwickeln könnte, innerhalb dessen sich die Prostituierten die Einrichtung wählen können, die ihren Bedürfnissen entspricht. Solche strukturellen Voraussetzungen würden m.E. einer Abhängigkeit und Ausbeutung der Prostituierten weit besser vorbeugen, als § 180 a Abs.l Nr.2 StGB dies kann23 •

2. Art. 297 EGStGB, § 184 a StGB, § 120 Abs.1 Nr.1, OWiG Unterschiedlich fallen die Reformvorschläge aus, bezüglich der Notwendigkeit, Sperrbezirke einzurichten: Das von der Partei Die Grünen in Zusammenarbeit mit Prostituiertenorganisationen erarbeitete Antidiskriminierungsgesetz Teil III (im folgenden: ADG III)24 sowie der von den Prostituiertenorganisationen vorgelegte Vorschlag fordern eine ersatzlose Streichung der Ermächtigungsgrundlage zum Erlaß von Sperrbezirksverordnungen (Art. 297 EGStGB)25. Sie begründen dies damit, daß die Einrichtung von Sperrbezirken "erheblich zur Stigmatisierung von Prostituierten, zu ihrer Ghettoisierung, Kriminalisierung, Ausbeutung und Abhängigkeit von Zuhältern beigetragen hat,,26. Denn durch die räumliche Begrenzung würden Standplätze, Absteigezimmer etc. im sog. Toleranzgebiet ein begrenztes

Vgl. dazu auch schon: Hanack, Rechtsgutachten, RZ.264f. Auch die Polizei während der Beratungen zum 4. StrRG dazu, eine gesetzliche Grundlage für die Uberwachung der Bordelle zu schaffen (vgl. BT-Prot. VI Sonderausschuß Strafrecht, S.1675, 1680, 1690, 1717). 23 In dem von den Prostituiertenorganisationen vorgelegten Vorschlag ist folgende Regelung vorgesehen: 22

~.rängte

"Der/die Bundesminister(in) für ... wird ermächtigt, mit Zustimmung der berufsständischen Organisationen der Prostituierten eine Verordnung über Mindestanforderungen an Räumlichkeiten aufzustellen, in denen der lohnabhängigen Prostituion nachgegangen wird, um die Gesundheit der Beschäftigten zu gewährleisten. " (§ 617 e, Hurenbewegung, S.6). Vgl. auch Leo, S.148f. 24 ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.3; vgl. Laskowski, S.28l. 25 26

Deutsche Hurenbewegung, S.l. ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.15; vgl. auch Deutsche Hurenbewegung, S.9 und 13.

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F. Reform

und deshalb für die Prostituierte teuer zu bezahlendes Gut 27 • Hinzu komme, daß ein solches Gebiet nicht nur für die Polizei, sondern auch für andere Dritte kontrollierbar würde und damit beispielsweise Einflußmöglichkeiten für Zuhälter geschaffen würden 28 . Mit dem Wegfall der Sperrbezirke würden die Straftatbestände (§ 184 a StGB, § 120 Abs.1 Nr.1, OWiG) gegenstandslos 29 und könnten ebenfalls gestrichen werden. Auch die Autorinnen der von dem Bundesministerium für Frauen und Jugend in Auftrag gegebenen Untersuchung fordern, zu überprüfen, ob Art. 297 EGStGB gestrichen werden könne 3o . Sie kommen zu dem Ergebnis, daß die Etablierung von Sperrbezirken einerseits Anwohnerinteressen nicht effektiv schützen könne 3 !, und sich andererseits auf die Belange der Prostituierten sehr schädlich auswirke 32 . Dies gelte insbesondere, wenn lediglich entlegene, infrastrukturell nicht entwickelte Gebiete zu Toleranzzonen erklärt würden. Dort hätten Prostituierte weder die Möglichkeit, hygienische Vorsorge zu treffen, noch sich gegen Gefahren vorzusehen 33 • Dementsprechend drängten Prostituierte auch nach Verschiebung der Toleranzzonen wieder in die Gebiete der Städte, die die notwendige Infrastruktur böten. Würden sie dort wegen Verletzung des Sperrgebiets bestraft, so empfänden sie dies - insbesondere bei wechselnder Intensität der Verfolgung, die in diesem Bereich üblich ist, als bloße Willkür 34 • Demgegenüber setzen die Empfehlungen der Niedersächsischen Kommission zur Reform des Strafrechts und Strafverfahrensrechts mit dem Vorschlag, die Ausübung der verbotenen Prostitution gern. § 184 a StGB zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen, die Existenz von Sperrbezirksverordnungen weiter voraus35 • Die Herabstufung der Verstöße als Ordnungswidrigkeiten wird damit 27 Zu Beginn 90er Jahr kostete ein Zimmer in einer Bordellstraße täglich: in Dortmund ca. 100 DM (Leopold ISteffanlPaul (unter Mitarbeit von: v.GalenlVorwerk, S.70), in Hamburg ca. 100 - 150 DM (Leopold ISteffan/Paul (unter Mitarbeit von: v.Galen/Vorwerk, S.124) und in Frankfurt (mit einer sehr kleinen Toleranzzone in der Innenstadt) 180 - 280 DM (Leopold ISteffanlPaul (unter Mitarbeit von: v.GalenIVorwerk, S.144). 2M ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.15f.; Deutsche Hurenbewegung, S.13. 29 ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.3. 30 Leopold ISteffan/Paul (unter Mitarbeit von: v.GalenIVorwerk), S.305. Allerdings wollen sie Art. 297 Abs. 3 EGStGB - das Kasernierungsverbot - aufrechterhalten. Das ist aber unnötig, denn mit Wegfall der Absätze 1 und 2 des Art. 297 EGStGB entfällt ja die Ermächtigungsgrundlage zur örtlichen Beschränkung von Prostituierten. 31 Leopold ISteffanlPaul (unter Mitarbeit von: v.GalenlVorwerk), S.304. 32 Leopold ISteffanlPaul (unter Mitarbeit von: v.GalenlVorwerk), S.302ff. 33 Leopold ISteffanlPaul (unter Mitarbeit von: v.GalenlVorwerk), S.302. 34 Leopold ISteffanlPaul (unter Mitarbeit von: v.GalenlVorwerk), S.303. 35 Albrecht.u.a., S.64; vgl. in diesem Sinne auch schon Hanack, Rechtsgutachten, RZ.263 und Bargon, S.309f.

I. Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht

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begründet, daß es sich hier um einen typischen Fall des Verwaltungsungehorsams handele 36 . Mit der Aufrechterhaltung der Sperrbezirksregelung soll wohl der Besorgnis, daß sich ohne diese Prostitution über alle Viertel verteilen könnte, Rechnung getragen werden. M.E. sollte die im Strafrecht angesiedelte Sperrbezirksregelung insgesamt gestrichen und eine neue verwaltungsrechtliche Regelung geschaffen werden. Denn die Ermächtigung zur Festlegung von Sperrbezirken, wie sie in Art. 297 EGStGB vorgesehen ist, stellt keine sachgemäße Regelung zur Lösung eines Interessenskonfliktes über die Nutzung eines bestimmten Gebietes dar. Danach werden Sperrbezirke und Toleranzzonen durch die Behörden ohne formalisierte Mitwirkung der Betroffenen erlassen. Oft wird informeller Einfluß ausgübt 37 . Der Interessenskonflikt zwischen den Personen, die mit der Ausübung von Prostitution in bestimmten Stadt-, insbesondere in Wohngebieten nicht konfrontiert werden wollen, und den Prostituierten, die ihr Gewerbe dort betreiben wollen, wo sie eine entsprechende Infrastruktur vorfinden und von ihren Kunden erreicht werden können, muß in einem Verfahren gelöst werden, in dem beide Interessen offen gegeneinander abgewogen werden. Die Einführung eines solchen Verfahrens stellte einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Überführung der Prostitution in legale Strukturen dar. Ein solches Festsetzungsverfahren gehört aber nicht in das Strafrecht, sondern in das Verwaltungsrecht, als dem sachnäheren Rechtsgebiet für die Festsetzung der Zwecknutzung von Gebieten 3R • Beispielsweise könnte eine am Bauplanungsrecht orientierte Regelung geschaffen werden 39 • Wie diese im einzelnen aussehen sollte, soll in diesem Rahmen nicht erörtert werden, wohl aber soll auf einige Punkte, die Beachtung finden sollten, hingewiesen werden: Zum ersten ist festzuhalten, daß ein pauschales Verbot jeder Form von Prostitution in bestimmten Stadtbezirken jedenfalls unzulässig, weil unverhältnismäßig wäre. Es muß vielmehr differenziert werden zwischen den verschiedenen Formen der Prostitutionsausübung4o : Bei Prostitution, die von der unbeteiligten Allgemeinheit wahrgenommen werden kann, besteht 'ein stärkeres Interesse an einer Beschränkung als bei solcher, die gar nicht oder kaum störend für Dritte

,/i Albrecht u.a., S.64. Ebenso: Hanack, Rechtsgutachten, RZ.263.

,7 Ein Beispiel dafür in jüngerer Zeit sind die verschiedenen Maßnahmen in Zusammenhang mit der fast vollständigen Aufhebung der Toleranzzone um den Bahnhof und die Breite Gasse in Frankfurt am Main. Vgl. zur Entwicklung der dortigen Sperrbezirksverordnungen: Mol/oy, S.45ff. Vgl. auch schon: Hanack, Rechtsgutachten, Rz.26lf. Ein adäquater Interessensausgleich könnte m.E. mit Hilfe der Baunutzungsverordnung gefunden werden. Vgl. schon zur heutigen Praxis: BVerwG GewArch 1984. 14lf. 40 Ebenso: Leo, S.204ff.

,x ,y

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wirkt. Dementsprechend könnte die Ansiedlung von Appartmentprostitution, von der Dritte lediglich durch erhöhten Publikumsverkehr - vergleichbar dem von Arztpraxen, Kanzleien, etc. - betroffen werden, entsprechend den für diese Einrichtungen entwickelten Grundsätzen erlaubt werden41 • Im Falle von Bordellprostitution, die - je nach Größe der Einrichtung - erheblich mehr durch Anund Abfahrtslärm etc. stören kann, muß im konkreten Einzelfall entschieden werden, ob eine solche Einrichtung noch in ein Mischgebiet mit entsprechendem Charakter paßt oder in ein Gewerbegebiet42 gehört. Im Falle des sog. Straßenstrichs ist das Angebot zur Prostitution für jeden Passanten wahrnehmbar und Dritte, die Dienste der Prostituierten nicht in Anspruch nehmen wollen, könnten sich nicht nur wegen an- und abfahrender Fahrzeuge, sondern auch deswegen gestört fühlen, weil ihnen solche Dienste angeboten bzw. sie zur Erbringung solcher aufgefordert werden. Diese Form der Prostitutionsausübung kann deshalb nur in einem Gebiet angesiedelt werden, dessen Charakter das zuläßt43 • Zum zweiten sollte - abhängig von der Größe der Stadt - eine Mindestgröße des zur Ausübung von Prostitution ausgewiesenen Gebietes festgelegt werden. Nur so kann verhindert werden, daß Räumlichkeiten, in denen Prostitution ausgeübt werden kann, ein künstlich verknapptes Gut darstellen. Heute profitieren von Sperrbezirken tatsächlich vorrangig die Dritten, die dort anstatt öffentlicher Stellen den Zugang zu diesen Ressourcen verteilen und für Ordnung - das heißt die Aufrechterhaltung dieser Verteilung - sorgen44 • Zum dritten muß sichergestellt sein, daß sich dieses ausgewiesene Gebiet auch für die Ausübung der Prostitution eignet. Das heißt, im Falle des sog. Straßenstrichs muß es ausreichende Beleuchtung, sanitäre Einrichtungen, Verkehrsanbindung u.ä. aufweisen45 • Bspw. in Mischgebieten § 6 BauNVO. § 8 BauNVO. 43 Mischgebiete können dafür unter bestimmten Umständen geeignet sein, beispielsweise wenn ein Teil entsprechend geprägt ist (§ 6 Abs.2 Nr.8 BauNVO). Vgl. dazu auch: Leo, S.92f. 44 Vgl. dazu beispielsweise VGH München NvWZ-RR 1989, 75 (76). Vgl. dazu auch Hanack, der schon in den 60er Jahren darauf hinwies, daß die Kommunen durch Größe und Struktur der Toleranzgebiete die dort herrschende Kriminalität mitbestimmen (Rechtsgutachten, Rz.248). 45 Das gebietet nicht nur das Prinzip der Interessenabwägung, bei der auch die Interessen der Prostituierten berücksichtigt werden müssen, sondern ebenso die pragmatische Erwägung, daß sich andernfalls die Straßenprostitution faktisch an diesem Ort nicht etablieren würde. Die Erfahrung zeigt, daß Prostituierte dort ihre Tätigkeit ausüben, wo es hinreichend Absteigequartiere, eine Grundversorgung an sanitären Einrichtungen, etc. sowie genügend andere Prostituierte gibt. Dies geschieht der eigenen Sicherheit und der Frequenz durch potentielle Kunden wegen. Parallel zu einer Ansiedlung bestimmter Formen von Prostitution in bestimmten Stadtgebieten sollten ohnehin entsprechende Entwicklungsmaßnahmen erfolgen, denn hierin liegt m.E. die effek41

42

I. Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht

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Zum vierten müßten die in der jeweiligen Stadt tätigen Prostituierten an der Ausweisung solcher Gebiete mitwirken, damit sie ihre Interessen ausreichend verteten können 46 •

3. § 184 b StGB § 184 b StGB wird nur in zwei Reformvorschlägen behandelt: Die Grünen und die Prostituiertenorganisationen fordern eine ersatzlose Streichung der Vorschrift47 • Sie begründen dies damit, daß die dem Straftatbestand zugrundeliegende Prämisse, die Konfrontation mit Prostitution schade der Entwicklung Jugendlicher, sich nicht empirisch belegen lasse, sondern lediglich ein Vorurteil bekräftige48 • Kinder und Jugendliche würden heutzutage - insbesondere durch die Medien - mit verschiedensten Formen von Sexualität konfrontiert, ohne daß sich der Gesetzgeber zum Einschreiten veranlaßt sehe49 • Dieses Argument läßt sich nur schwer von der Hand weisen. Denn die sittliche Entwicklung eines Menschen ist ein komplexer Vorgang, in den die Vielzahl seiner Erfahrungen aus allen ihm zugänglichen Quellen einfließen. Will der Gesetzgeber argumentieren, daß die Kenntnisnahme von Prostitution als Teil des realen Lebens zu einer Gefährdung der sittlichen Entwicklung eines Minderjährigen führt, unterliegt er m.E. einer ausführlichen Darlegungslast, die er mit der bisherigen Gesetzesbegründung nicht erfüllt hat5o • Auch die Verurteiltenstatistik der letzten 15 Jahre spricht dafür, daß sich die Streichung von § 184 b StGB praktisch nicht auswirken würde51 • Denn über diesen Zeitraum wurden in der Bundesrepublik im Durchschnitt vier Personen pro Jahr wegen eines Verstoßes gegen § 184 b StGB verurteilt52 • Daß diese niedrige Verurteiltenrate auf die Präventivwirkung des § 184 b StGB zurücktivste Möglichkeit der Kommunen, die Entwicklung - insbesondere der Straßenprostitution - zu beeinflussen. Daß Erschließungsmaßnahmen wie die Installation von Straßenlaternen, öffentlichen sanitären Einrichtungen u.ä. aus öffentlichen Geldern erfolgen, erscheint angesichts der Steuerpflicht der Prostituierten auch nicht unangemessen. 46 Ebenso: Lea, S.100f. 47 ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.3; Deutsche Hurenbewegung, S.3; vgl. auch Laskawski, S.286ff. 4H ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.22; ausführlich zu Jugendschutz und Prostitution: Laskawski, S.253ff., 283ff. 49 ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.22; Deutsche Hurenbewegung, S.19f. 50 Vgl. dazu auch: Lea, S.215ff. 51 Inwieweit die Vorschrift in der Praxis von der Polizei als Ermittlungsermächtigung herangezogen wird, kann leider nicht festgestellt werden. Denn in der Polizeilichen Kriminalstatistik wird § 184 b nur in der Gruppierung "1400" zusammen mit §§ 180, 180a, 180b, 181, 181a, 184, 184a StGB ausgewiesen. 52 Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Rechtspflege Reihe 3, Strafverfolgung.

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zuführen wäre, erscheint schon angesichts sehr viel höherer Verurteiltenzahlen des § 184 a StGB unwahrscheinlich. M.E. könnte eine Konfrontation von Kindern und Jugendlichen mit Prostitution in der Regel schon dadurch vermieden werden, daß - wie bereits erläutert - bestimmte Formen der Ausübung von Prostitution nur in Gewerbegebieten oder Mischgebieten mit entsprechendem Charakter ausgeübt werden dürfen.

4. § 183 a StGB § 183 a StGB (Erregung öffentlichen Ärgernisses) findet nur im ADG III Erwähnung. Dort wird eine ersatzlose Streichung der Vorschrift gefordert53 • Begründet wird dies damit, daß (a) ein Schutzbedürfnis dahingehend, nicht ungewollt mit sexuellen Handlungen konfrontiert zu werden, heute nicht mehr reklamiert werden könne; und (b) die praktische Bedeutung der Vorschrift so gering sei, daß sie letztendlich nur als Eingriffsbefugnis für die Polizei angesehen werden könne 54 • M.E. ist es nicht unbedingt notwendig, § 183 a StGB im Rahmen einer Reform der rechtlichen Stellung der Prostituierten zu streichen. Prostituierte werden typischerweise mit der Vorschrift nicht in Kollision geraten 55 , da die öffentlich wahrnehmbaren Geschäftsanbahnungshandlungen nicht den Begriff der sexuellen Handlung erfüllen (vgl. § 184 c Nr.1 StGB). Etwas anderes könnte gelten, wenn sie ihre Dienstleistung "absichtlich oder wissentlich" in der Öffentlichkeit erbrächten. Das wäre weder im Interesse der Allgemeinheit noch im Interesse der Prostituierten wünschenswert. 5. §§ 119 Abs.l, 120 Abs.l Nr.2 OWiG Das ADG III und der von den Prostituiertenorganisationen vorgelegte Reformvorschlag fordern - m.E. im Ergebnis zu Recht - eine Streichung des in §§ 119 Abs.1, 120 Abs.1 Nr.2, OWiG statutierten Werbeverbotes für Prostituierte56 • Sie begründen dies damit, daß ein Werbeverbot dem Anspruch auf uneingeschränkte Berufsausübung entgegenstehe57 • ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.3. ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.21. 55 Dies räumt auch das ADG III ein (ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.21). 56 ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.3; Deutsche Hurenbewegung, S.3; vgl. auch Laskowski, S.281. 57 ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.22; Deutsche Hurenbewegung, S.20, 21. Aus der Anerkennung von Prostitution als Erwerbstätigkeit folgt aber nicht zwingend, daß das Werbeverbot gestrichen werden muß. Denn auch andere Berufe - wie z.B. Rechtsan53

54

11. Zivilrecht

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Auch die Enquete-Kommission schlägt vor, das Verbot für "unauffällige Werbung" zu streichen58 , da sie eine die Allgemeinheit nicht belästigende Form der Anwerbung von Freiern darstelle59 • Dem ist zuzustimmen: Einschlägige Annoncen müssen nur von denjenigen gelesen werden, die die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen wollen. Alle anderen können auf den Kauf entsprechender Magazine verzichten oder solche Anzeigenseiten überschlagen. Schriftliche Werbung ermöglicht eine die Allgemeinheit nur minimal berührende Art der Anwerbung von Kunden und ist auch für die Prostituierte von Vorteil 6o •

11. Zivilrecht Im Bereich des Zivilrechts stellt sich vorrangig die Frage, ob Austauschverhältnisse, die sich in Zusammenhang mit der Ausübung von Prostitution ergeben, als rechtsgültige Verträge anerkannt werden sollen. Gegebenenfalls schließen sich daran weitere Fragen nach einer Modifikation der dann anwendbaren gesetzlichen Vorschriften an. 1. Anerkennung der sogenannten Dimenverträge

Alle Reformvorschläge, die sich zu zivilrechtlichen Fragestellungen äußern, sprechen sich für eine rechtliche Anerkennung der sog. Dirnenverträge, also der Vereinbarungen zwischen Prostituierter und Kunden über die entgeltliche Erbringung einer sexuellen Leistung aus61 • Das ADG m62 sieht vor, § 611 Abs. 2 BGB wie folgend zu ergänzen: "Gegenstand des Dienstvertrages können Dienstleistungen jeder Art - sexuelle Dienstleistungen eingeschlossen - sein,,63.

wälte oder Ärzte - müssen ein Werbeverbot - wenn auch aus anderen Gründen - hinnehmen. 5K BT-Drs. 11/7200, S.251. 59 BT-Drs. 11/7200, S.249, 251. 60 Die Kundensuche über Annoncen birgt weniger Gefahren als eine Anwerbung auf der Straße. Sie eröffnet weiterhin die Möglichkeit, den Kundenkreis einzugrenzen. /\l Mit konkreten Vorschlägen: ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.3; Deutsche Hurenbewegung, S.5f.; Enquete-Kommission des Bundestages BT-Drs. 11/7200, S.251 (6.9.4.1.1); Leopold ISteffanlPaul (unter Mitarbeit von: v.GalenlVorwerk), S.30l. 62 BT-Drs. 11/7140. 63 BT-Drs. 11/7140, S.3. tO GIeß

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Nach einem neueren Vorschlag der Prostituiertenorganisationen soll ein neu einzuführender § 617a BGB bestimmen: "Für die Erbringung sexueller Dienstleistungen gegen Entgelt (Prostitution) gelten zusätzlich die §§ 617 b - e. ,,64 Begründet werden die beiden Reformvorschläge damit, daß der zum Schutz der Prostituierten notwendige Zivilrechtsschutz nur durch eine ausdrückliche gesetzliche Anerkennung begründet werden könne65 • Ein solches Vorgehen ist zwar ungewöhnlich, aber aufgrund der bisherigen Rechtsprechung in diesem Bereich m.E. tatsächlich geboten. In welcher konkreten Form die Legalisierung erfolgen sollte, kann den Experten der Gesetzesformulierung überlassen bleiben. M.E. ist der von den Prostituiertenorganisationen vorgelegte Vorschlag eleganter, nämlich inzident durch Sondervorschriften klarzustellen, daß der Dirnenvertrag wirksam ist. Zu der. Frage, ob es - in Folge der Anerkennung des Dirnenvertrages als rechtsgültig - neuer Sonderregelungen bedarf, nimmt nur der von den Prostituiertenorganisationen vorgelegte Vorschlag Stellung. Er sieht vor, daß mögliche Sekundäransprüche gegen die Prostituierte wie folgt einzuschränken seien: "Im Falle der Schlechtleistung und der Nichterfüllung haftet der/die Dienstleistende nur auf das negative Interesse,,66. Diese Vorschrift soll die sexuelle Selbstbestimmung Prostituierter absichern67 , indem auch indirekter Druck auf die Willensentscheidung der Prostituierten durch Schadensersatzforderungen verhindert wird 68 . Ziel des Reformvorschlages ist es, daß die Prostituierten "zu jedem Zeitpunkt der Vertragsdurchführung die (weitere) Dienstleistung verweigern [können], ohne Schadensersatzansprüche fürchten zu müssen. Es ist lediglich das Entgelt zurückzuerstatten. ,,69 Hinter der Regelung steht also die - nicht näher begründete - Erwägung, daß die sexuelle Selbtsbestimmung der Prostituierten prinzipiell vor dem Erfüllungsinteresse des Kunden Vorrang hat. Diese Erwägung ist m.E. zwar richtig. Doch bedarf eine solche Privilegierung der Prostituierten einer Begründung. Denn es versteht sich nicht von selbst, daß der Gegenstand, den die Prostituierte im Dirnenvertrag zu ihrem Tauschobjekt macht, nämlich ihre Möglichkeiten, Deutsche Hurenbewegung, S.5. ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.14, Deutsche Hurenbewegung, S.8. 66 Deutsche Hurenbewegung, S.34. 67 Deutsche Hurenbewegung, S.23. 6X Deutsche Hurenbewegung, S.23. 69 Deutsche Hurenbewegung, S.23.

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sexuelle Leistungen zu erbringen, nicht insoweit ihrem Selbstbestimmungsrecht entzogen sein soll, als daß sie bei Abstandsnahme von dem Vertrag im Rahmen der allgemeinen Bestimmungen liegen soll.70 Gerechtfertigt werden kann - und sollte - eine solche Privilegierung damit, daß die rechtliche Anerkennung des Dirnenvertrages vorrangig auf der pragmatischen Erwägung beruht, daß die Prostituierte aus den sublegalen Strukturen gelöst und ihre Erwerbstätigkeit einer rechtlichen Regelung unterworfen werden soll. Innerhalb einer solchen pragmatischen Regelung hat der Gesetzgeber einen weiten Entscheidungsspielraum71. Trotz der rechtlichen Anerkennung kann der Gesetzgeber also dem Selbstbestimmungsrecht der Prostituierten im Konfliktfall den Vorzug geben 72 • Unter dieser Prämisse geht die von den Prostituiertenorganisationen vorgeschlagene Regelung in die richtige Richtung. Allerdings ist anzumerken, daß sich das negative Interesse nicht nur auf die bloße Rückgewähr erhaltener Leistungen beläuft. Vielmehr ist der Gläubiger im Falle des sog. Vertrauensschadens so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er nicht auf die Gültigkeit des Vertrages vertraut hätte73 . Der Schadensersatz umfaßt dementsprechend jeden Vermögensschaden, beispielsweise auch fehlgeschlagene Aufwendungen 74. Wollte man sicherstellen, daß lediglich die in Vorkasse erhaltene Bezahlung zurückgegeben werden muß, sollte genau dies in einer entsprechenden Vorschrift niedergelegt werden 75 . Daß der Kunde - entgegen den allgemeinen Regeln - das

70 Dabei muß zunächst außer Betracht bleiben, daß die Prostituierte wegen der in § 888 Abs.2 ZPO getroffenen Regelung ohnehin nicht in natura erfüllen muß. Denn gern. § 893 Abs.1 ZPO ist sie trotzdem prinzipiell "zur Erfüllung des Interesses" verpflichtet. Vgl. im übrigen: Fn.703. 71 Daß dem Gesetzgeber insoweit ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht, also Prostitution nicht zwangsläufig allen Regelungen des Dienstleistungsrechts unterworfen werden muß, zeigt beispielsweise die Regelung des § 656 BGB, bei der der Gesetzgeber die vertragliche Bindung auf der Seite desjenigen, der die Dienstleistung in Anspruch nimmt, eingeschränkt hat. Vgl. dazu BVerfGE 20, 31 (32ff.) zu der in § 656 BGB getroffenen Regelung. 72 Würde eine solche rechtspolitische Entscheidung getroffen, müßte weiterhin überlegt werden, ob die Privilegierung im Wege von Einzelfallregelungen - wie hier vorgeschlagen - oder durch eine generelle Norm statuiert werden sollte. Einzelfallregelungen bergen prinzipiell das Risiko, daß nicht bedachte und deshalb ungeregelte Fälle (e-contrario) nach nicht sachgemäßen allgemeinen Regelungen beurteilt werden. Einer solchen Gefahr könnte allerdings durch eine entsprechende Gesetzesbegründung vorgebeugt werden. 73 Vgl. beispielsweise BGH NJW-RR 90, 230. 74 Solche können beispielsweise in Form von Anfahrtskosten oder Getränkekosten, wenn diese nur im Hinblick auf den Abschluß eines Dimenvertrages erbracht würden, anfallen.

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Risiko fehlgeschlagener Aufwendungen trägt, ist Konsequenz der rechtspolitischen Entscheidung, daß die Möglichkeit, daß ein Dirnenvertrag trotz invitatio nicht abgeschlossen bzw. nicht erfüllt wird, prinzipiell in die Risikosphäre des potentiellen Kunden fällt. Das kann - wie bereits erläutert - dadurch gerechtfertigt werden, daß der Dirnenvertrag als solcher zwar zur Befriedung des Prostitutionsmarktes anerkannt wird, aber eine vertragliche Verpflichtung der Prostituierten nur in geringem Umfang erfolgen soll, um diese nicht - auch nicht mittelbar - zur Prostitution zu zwingen 76 • Bisher nicht bedacht wurde die Frage, ob und wenn ja welche Auswirkungen eine Anerkennung der Dirnenverträge auf die Rechtsordnung insgesamt haben könnte. Solche Konsequenzen, die sich beispielsweise im Hinblick auf die Kasuistik zu § 138 Abs.l BGB in anderen Bereichen sexueller Verpflichtung ergeben könnten, sollten im Vorfeld im Rahmen einer zivilrechtlichen Untersuchung umfassend geprüft werden, um gegebenenfalls entsprechende Angleichungen vorzunehmen 77 •

75 Eine solche Regelung könnte beispielsweise lauten: "Die Verletzung von Dienstpflichten, die eine sexuelle Leistung zum Inhalt haben, löst als sekundären Ersatzanspruch nur die Rückerstattung einer Vorauszahlung aus." 76 Sollte ein Konsens für eine prinzipielle Privilegierung der Prostituierten im Hinblick auf ihre vertraglichen Verpflichtungen nicht gefunden werden, so stellt sich die Frage, inwieweit sie nach allgemeinen Regeln Schadensersatzansprüchen bei Nichterfüllung ihrer Vertragsverpflichtung ausgesetzt sein könnte: Wie bereits erwähnt, kann die Prostituierte wegen § 888 Abs.2 ZPO nicht gezwungen werden, ihre Dienstleistung zu erbringen. Gern. § 893 Abs.l ZPO berührt § 888 Abs.2 ZPO nicht "das Recht des Gläubigers ... , die Leistung des Interesses zu verlangen". Dieses bestimmt sich nach den allgemeinen Vorschriften. Eine Schadensersatzpflicht bestünde also, wenn durch die Nichterfüllung eines Dimenvertrages ein kompensierbarer Schaden entstünde. Das ist zweifelhaft, da kompensierbar nur ein Vermögensschaden ist (§ 253 BGB). Hier ist zum einen zu beachten, daß die Kommerzialisierbarkeit eines Gutes nicht notwendig zur Ersatzfähigkeit nach den zivilrechtlichen Vorschriften führt (vgl. dazu: Palandt-Heinrichs, v.§ 249, Rz.lO und 11); BGHZ 86,128 (131)); zum anderen könnte auch ein im Familienrecht entwickelter Ansatz als Argumentation nutzbar gemacht werden, nach dem ein ersatzfähiger Schaden bei Verletzung der persönlichen Pflichten aus der ehelichen Lebensgemeinschaft u.a. deshalb nicht anerkannt werden soll, weil es sich insoweit um die Realisierung eines allgemeinen Lebensrisikos handele (vgl. BGH NJW 1957,671; BGH NJW 1967, 2008; Palandt-Diederichsen §1353, RZ.16 m.w.N.; zum allgemeinen Prinzip der Realisierung des allgemeinen Lebensrisikos als Ausschluß für Schadensersatzansprüche vgl. Deutsch, VersR 1993, 104lff.). 77 Zu prüfen wäre auch, wie die Differenzierung zwischen der Anerkennung des Dirnenvertrages und der Nichtanerkennung des Ehemäklervertrages in § 656 BGB zu rechtfertigen ist.

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2. Anerkennung von "Arbeitsverträgen" Sowohl das ADG III als auch der von den Prostituierten vorgelegte Reformvorschlag gehen davon aus, daß zwischen Betreibern von Einrichtungen, in denen Prostitution ausgeübt wird, und Prostituierten ein Lohnarbeitsverhältnis bestehen kann 78. Ein Arbeitsverhältnis im arbeitsrechtlichen Sinne ist in der Regel bei Vorliegen folgender Kriterien gegeben: weisungsgebundene Verrichtung von Arbeit, Pflicht zur Einhaltung bestimmter Arbeitszeiten, Zuweisung des Arbeitsplatzes, regelmäßige Berichterstattungspflicht sowie die Verlagerung des wirtschaftlichen Risikos der Tätigkeit auf den Dienstberechtigten79 • Diese Kriterien sind aber immer nur Indizien. Ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt, muß im Einzelfall bestimmt werden 8o • Derzeit wäre eine Verbindung zwischen Betreiber und Prostituierter, die die eben genannten Charakteristika aufweist, sowohl nach § 180 a Abs.l StGB als auch nach § 181 a Abs.l Nr.2 StGB strafbar. So daß - wegen § 134 BGB - die Streichung dieser Vorschriften eine erste Voraussetzung für eine Rechtsgültigkeit wäre 81 • Ob und in wie vielen Fällen derzeit in der Praxis faktisch Arbeitsverhältnisse gegeben sind, ist - aus naheliegenden Gründen - nicht bekannt. Zwar ist verständlich, daß in den Reformentwürfen für die Fälle, in denen Verbindungen zwischen Betreibern und Prostituierten bestehen, die die Merkmale eines faktischen Arbeitsverhältnisses tragen, entsprechender Schutz für die Prostituierten eingefordert wird. M.E. ist aber zweifelhaft, ob eine Anerkennung dieser Verbindungen als Arbeitsverhältnisse im technischen Sinne wünschenswert ist. Denn daraus würde sich ein Komplex von Rechtsverpflichtun-

ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.lS; Hurenbewegung, S.6. Vgl. dazu Schaub, S.21S f m.w.N. 80 Die verschiedenen Formen der Ausübung von Prostitution - beispielsweise in Bordellen, Clubs, Kontakthöfen, etc. - würden hier zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis "im steuerrechtlichen Sinn" zwischen dem Betreiber eines Clubs und einer Prostituierten hält der Bundesgerichtshof für möglich, wenn zwischen beiden die Einnahmen hälftig geteilt werden (vgl. BGH wistra 1996, 106f.) und weitere Bedingungen erfüllt sind. Zu denken ist hier beispielsweise an die in Clubbetrieben bestehende Anwesenheitsverpflichtung oder bestimmte Kleidungsvorschriften. Zur Verpflichtung des Betreibers solcher Einrichtungen, Lohnsteuer für die bei ihm tätigen Prostituierten abzuführen, vgl. BGH wistra 1996, 106f.; BVerfG NJW 1996, 2086f. 81 Die beiden genannten Vorschläge sehen auch eine entsprechende Reform vor. Laut ADG III soll § 181 a StGB neu gefaßt werden (BT-Drs. 11/7140, S.3). Nach dem von den Prostituiertenorganisationen vorgelegten Vorschlag soll § 181 a StGB gestrichen werden. 78 79

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gen ergeben, der das Verhältnis von Betreibern von Einrichtungen und Prostituierten nicht sachgemäß regelt: Das Arbeitsverhältnis wurde zur Regelung einer längerfristigen Verbindung zwischen zwei Personen zur Ausübung einer weisungsgebunden Tätigkeit geschaffen. Eine solche (im übrigen auch nicht wünschenswerte) Form der Verbindung liegt regelmäßig bei der Ausübung von Prostitution in einer durch einen Dritten betriebenen Einrichtung aus folgenden Gründen nicht vor: Übt eine Prostituierte in einem Betrieb ihre Tätigkeit aus, so sind zum ersten in der Regel drei Personen involviert, nämlich neben Betreiber und Prostituierter auch noch der Kunde, der - außer in den Fällen, in denen zentral kassiert wird - die Prostituierte selbst und zwar den von ihr geforderten Preis für die erbrachte Leistung bezahlt. Zum zweiten liegen zwischen Betreiber und Prostituierter regelmäßig nur auf kurzfristige Zusammenarbeit angelegte Verbindungen vor, die kein Weisungsrecht beinhalten. Diese Form der Einbindung in Betriebe wird auch von den Prostituierten gewünscht. Dementsprechend versucht der von den Prostituiertenorganisationen vorgelegte Vorschlag an diesem Einzelpunkt korrigierend einzuwirken. Danach soll nämlich ein Direktionsrecht des Dienstberechtigten durch einen § 617 d BGB eingeschränkt werden 82 . Danach wäre die l/[lJohnabhängig arbeitende Prostituierte ... berechtigt, bei einzelnen Kunden sämtliche oder auch nur einzelne Dienstleistungen abzulehnen. 1/ (Abs.l) I/Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, an eine Ablehnung im Sinne des Absatzes 1 Sanktionen zu knüpfen. I/(Abs.2)83. Einen Grund für die Ablehnung eines Kunden muß die Prostituierte nach diesem Vorschlag nicht angeben. Dem Mißbrauch eines solchen Ablehnungsrechts könne - der Begründung des Entwurfes zufolge - durch eine entsprechende Ausgestaltung der Bezahlung (aufgeteilt nach Grundlohn und Prämie pro Dienstleistung) vorgebeugt werden 84 . Nach dem Vorbild dieser Regelung könnten weiterhin die Kündigungsregelungen so modifiziert werden, daß den Prostituierten eine kurzfristige Ablösung vom Arbeitsverhältnis ermöglicht würde. Es könnten weitere Einzelregelungen, beispielsweise angelehnt an gesetzlich nicht geregelte, aber in Rechtsprechung und Literatur entwickelte Vertragsverhältnisse, die das Dreipersonenverhältnis berücksichtigen, entwickelt werden 85 . M.E. ist es aber unzweckmäßig, zunächst ein rechtliches Grundver-

Deutsche Hurenbewegung, S.24. Deutsche Hurenbewegung, S.6. H4 Deutsche Hurenbewegung, S.24. H5 Hier könnte beispielsweise auf den Dienstverschaffungsvertrag (v gl. dazu Schaub, S.221) zurückgegriffen werden. Allerdings wäre auch dabei zu beachten, daß diese Form der vertraglichen Bindung ebenfalls zu einer längerfristigen, einem fremden Weisungsrecht unterliegenden Tätigkeit verpflichtet. H2

83

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hältnis zu wählen, um diesem per Gesetz die Charakteristika zu nehmen, damit sich eine angemesse Regelung ergibt. Es erscheint sinnvoller, direkt ein neues Verhältnis sui generis zur Regelung der Verbindung zwischen Betreibern von Einrichtungen, in denen der Prostitution nachgegangen wird, und Prostituierten zu schaffen. Darin könnten die speziellen Bedürfnisse beider Parteien berücksichtigt werden. Welche Bedürfnisse das im einzelnen sind, muß noch ermittelt werden. Dieses Verhältnis sui generis sollte eine Verpflichtung des Betreibers zur sozialen Absicherung der Prostituierten beinhalten86 , soweit er wirtschaftlichen Nutzen aus ihrer Erwerbstätigkeit zieht. Das Austauschverhältnis könnte dergestalt erfaßt werden, daß die Prostituierte auf eine gewisse Zeit das Recht auf Nutzung einer Einrichtung erhält, dafür aber ihre Anwesenheit versprechen muß. Wobei hier der Prostituierten ein kürzerfristiges Kündigungsrecht als dem Betreiber eingeräumt werden könnte. Daß die Prostituierte mit einer solchen Vertragsgestaltung wiederum privilegiert würde, rechtfertigte sich aus den bereits im Vorangegangenen 87 ausgeführten GrÜnden 88 •

3. Haftungsbegrenzung Nach dem Vorschlag der Prostituiertenorganisationen sollen in einem neu einzufügenden § 617 c BGB die Haftung von Prostituierten und Kunden für Schäden des Vertragspartners auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt werden (Abs.1). Die Haftung für Schäden aus einer Infektion mit einer durch sexuellen Kontakt übertragbaren Krankheit soll bei Einhaltung der Regeln des "safer sex" ganz ausgeschlossen sein (Abs.2). Beide Einschränkungen sollen aber dann nicht gelten, wenn ein Vertragspartner eine Infektion verschweigt und diese zu einem Schaden führt (Abs.3)89. Hintergrund dieses Reformanliegens ist der Gedanke, daß die Vertragspartner "es in der Hand [haben], sich durch die anerkannten Schutzmaßnahmen (safer sex etc.) vor den bei sexuellen Dienstleistungen möglichen Risiken zu schützen". Von den Regelungen erhoffen sich die Prostituierten u.a., daß Pro86

Vgl. dazu im einzelnen unten: F. IV. 1.

~7 s.o.: F. 11. 2.

~~ Falls eine Privilegierung nicht erfolgt, müßte geprüft werden, ob sich eine Einschränkung des Direktionsrechtes des Dienstberechtigten parallel zu heute schon anerkannten Ansätzen im Arbeitsrecht entwickeln ließe. Ob die Rspr. des BAG hier herangezogen werden kann (so: Leo, S.149), nach der der Arbeitgeber beispielsweise bei noch zu konkretisierender Arbeitsleistung einen ihm vom Arbeitnehmer offenbarten Gewissenskonflikt berücksichtigen muß (BAG NZA 1990, 144 (LS», ist allerdings zweifelhaft. 89 Deutsche Hurenbewegung, S.6.

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stituierte und Kunden mit den dafür angemessenen Mitteln des Zivilrechts angehalten werden, die Regeln des "safer sex" zu beachten9o • Eine solche Regelung wäre m.E. zwar möglich, da dem Deliktsrecht ein Anreizsystem zur Schadensvermeidung und -begrenzung nicht gänzlich fremd ist 91 • Allerdings gibt es eine dem Vorschlag entsprechende Haftungsmodifikation bisher nur bei unentgeltlichen Geschäften 92 , und zwar mit dem Ziel den uneigennützigen Geber zu schützen. Es besteht deshalb weiterer Erklärungsbedarf dafür, warum im Rahmen der Erfüllung eines entgeltlichen Vertrages der allgemein gültige Haftungsmaßstab 93 modifiziert werden solle 94 . Würde aber der vorgeschlagene § 617 c eingeführt, müßten weiterhin die Regeln des "safer sex" festgelegt werden 95. Sollten die in § 617 c Abs.1 und 2 vorgeschlagenen Regelungen Gesetz werden, so stellte der vorgeschlagene § 617 c Abs.3 eine sachgemäße Einschränkung dar.

IH. Sanitätspolizeigesetze Im Bereich der gesundheitspolizeilichen Regelungen konzentriert sich die Diskussion auf die Frage, ob das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten (im folgenden: GeschlKrG) abgeschafft werden solle.

1. Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten Die von den Grünen und den Prostituiertenorganisationen vorgelegten Vorschläge fordern - m.E. zu Recht -eine ersatzlose Streichung des GeschlKrG96 •

Deutsche Hurenbewegung, S.23. Vgl. beispielsweise die in § 254 BGB getroffene Regelung oder die Rechtsprechung, nach der bei der Festlegung der Höhe des Schadensersatzes zur Kompensation einer Verletzung des Persönlichkeitsrechtes auch präventiven Erwägungen Bedeutung zukommt (vgl. beispielsweise BGH NJW 1996, 985 m.w.N.). 92 Vgl. dazu §§ 521, 599 BGB. 93 Möglicherweise wäre es sinnvoller der Rechtsprechung die Lösung dieser Problematik zu überlassen. 94 Weiterhin ist fraglich, ob sich eine solche Regelung positiv für die Prostituierten auswirken würde. Voraussichtlich würden an ihre Sorgfalt, da sie die sexuelle Leistung im Rahmen einer Erwerbstätigkeit erbringen, ohnehin höhere Sorgfaltsanforderungen gestellt (vgl. dazu Palandt-Heinrichs, BGB, § 276, Rz.15ff.). 95 Darüber hinaus wäre beispielsweise zu klären, in wessen Risikosphäre die Funktionstüchtigkeit von Hilfsmitteln (z.B. auch von Kondomen) fällt. 90 ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.4; Deutsche Hurenbewegung, S.5. 91l

91

III. Sanitätspolizeigesetze

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Dieses Gesetz ermächtigt die Gesundheitspolizei, Maßnahmen gegen die Ausbreitung der vier in § 1 GeschlKrG genannten Krankheiten, nämlich Syphilis (Lues), Tripper (Gonorrhoe), Weicher Schanker (Ulcus molle) und Venerische Lymphknotenentzündung (Lymphogranulomatosis inguinalis Nicolas und Favre) zu ergreifen. Zur Begründung führen die Reformvorschläge an, daß der von den Behörden auf der Grundlage des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten ausgeübte Zwang eine effektive Krankheitsprävention 97 geradezu verhinderte, da die Prostituierten versuchten, sich solchen Zwangsmaßnahmen zu entziehen 98 . Eine funktionierende Gesundheitsfürsorge sei nur dann möglich, wenn sie nicht auf Zwangsmaßnahmen beruhe, sondern auf Freiwilligkeit, Mitverantwortung und Hilfe zur Selbsthilfe ausgerichtet sei 99 • Zudem wird bemängelt, daß die im GeschlKrG vorgesehenen Eingriffsbefugnisse - insbesondere § 15 GSchlKrG - bisher meist nur zur Kontrolle der Prostituierten und nicht auch gegenüber den Kunden zur Prävention gegen die Ausbreitung ansteckender Krankheiten genutzt würden 100. Da neuere medizinische Untersuchungen belegten, daß Prostituierte nicht häufiger als die Normalbevölkerung mit Geschlechtskrankheiten infiziert seien 101 , gäbe es keinen sachlichen Grund dafür, daß von den Kunden der Prostituierten, die ebenso als Personen mit häufig wechselnden Sexual partnern zu betrachten seien, kein Gesundheitszeugnis verlangt werde Hl2 • Die von dem Bundesministerium für Frauen und Jugend in Auftrag gegebene Untersuchung fordert ebenfalls eine Überprüfung der Regelungen des GeschlKrG mit dem Ziel, in einer Neufassung neue epidemologischeErkenntnisse zu berücksichtigen, Ptlichtuntersuchungen und Zwangsmaßnahmen auf Personen mit erhärtetem Erkrankungs- und Infektionshinweis zu beschränken sowie der Beratungsarbeit der Gesundheitsämter eine neue Grundlage zu ge-

~7 Hinzu kommt, daß die vier von dem GeschlKrG erfaßten Krankheiten in der Zwischenzeit in Deutschland selten sind und durch die von den Gesundheitsämtern durchgeführten Tests nur schwer nachgewiesen werden können (vgl. dazu das Arbeitspapier der Arbeitsgruppe 5 ("Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten") zur Novellierung des Bundesseuchengesetzes (unveröffentlicht)). 9M ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.24. 99 ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.24. \IX) ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.23f.; Deutsche Hurenbewegung, S.22. 101 Deutsche Hurenbewegung, S.22; vgl. zu Bedenken gegenüber diesen Forschungsergebnissen oben:, S.124f. 102 ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.24.

154

F. Reform

ben lO3 • Darüberhinaus werden neue Formen und Ansätze in der Beratungsstellenarbeit angeregt 104 • Dieses Reformanliegen unterstützen auch Mitarbeiter aus Gesundheitsämtern verschiedener Städte, die ebenfalls eine grundlegende Novellierung der Beratungsstellenarbeit wünschen 105 . Das 1927 geschaffene GeschlKrG erscheint aufgrund seiner Begrenzung auf die vier in § 1 GeschlKrG genannten Krankheiten, die in Deutschland nur noch selten vorkommen l06 , im Hinblick auf eine effektive Krankheitsbekämpfung antiquiert. Seine Abschaffung hinterließe keine Lücke im Gesundheitsschutz, da in den Fällen, in denen staatliche Präventionsmaßnahmen notwendig sind, das Bundesseuchengesetz - das nicht durch eine enumerative Aufzählung im Anwendungsbereich beschränkt ist - eine ausreichende Grundlage zur Ergreifung von Maßnahmen bietet 107 . Ein modernes Präventionskonzept zur Bekämpfung von STD-Krankheiten kann von den Experten der öffentlichen Gesundheitsarbeit im Rahmen des Bundesseuchengesetzes erarbeitet werden. Leopold ISteffanlPaul (unter Mitarbeit von: v.Galen/Vorwerk, S.309. Leopold ISteffanlPaul (unter Mitarbeit von: v.Galen/Vorwerk, S.3lOf. Auch die Enquete-Kommission empfiehlt, daß "auf eine vertrauensvolle, kooperative Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsverwaltungen und Prostituierten hinsichtlich deren Bemühen um eine risikofreie Ausübung ihrer Tätigkeit" hingewirkt werden soUe (BT-Drs. ll/7200, S.251 (6.9.4.2). Fraglich ist in diesem Zusammenhang zum einen, ob die Beratungsarbeit auch in Zukunft - ausschließlich oder vorrangig - von den staatlichen Gesundheitsämtern oder aber von freien Trägern bzw. von den Prostituierten selbst wahrgenommen werden soU. Zu bedenken ist dabei, daß das für eine Beratung notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Prostituierten und Gesundheitsämtern in vielen Städten dadurch belastet ist, daß die Behörden sowohl die fürsorgerische Betreuung als auch die Zwangsuntersuchung gern. § 4 GSchlKrG durchgeführt haben. Zum anderen wäre zu überprüfen, ob die Beratungsarbeit bundeseinheitlich normiert werden muß oder ob die Kommunen selbst Konzepte erarbeiten sollten. Letzteres würde zwar die Chance einer flexiblen örtlichen Lösung bieten. Dagegen steht jedoch das Risiko vieler uneinheitlicher Ansätze sowie die Gefahr, daß die öffentliche Gesundheitsarbeit in bezug auf Prostituierte in einzelnen Kommunen in den althergebrachten Strukturen bliebe. 105 S. beispielsweise das Arbeitspapier der Arbeitsgruppe 5 ("Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten") zur Novellierung des Bundesseuchengesetzes (unveröffentlicht); Konzeptpapier (Januar 1992) des Hauptgesundheitsamtes Bremen, Beratungsstelle bei sexuell übertragbaren Krankheiten (unveröffentlicht); vgl. auch Darstellung der sozialpädagogischen Tätigkeit der Beratungsstellen - Geschlechtskrankheiten in Berlin (unveröffentlicht). 106 1991 waren in der Bundesrepublik von je 100.000 Einwohnern 1,59 an Syphilis, 15,25 an Tripper, 0,04 an Weicher Schanker und 0,04 an Venerischer Lymphknotenentzündung erkrankt (Statistisches Bundesamt Fachserie 12, Reihe 2, S.30-33). 107 Vgl. dazu die in §§ 34ff. BSeuchenG vorgesehenen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in § 38 BSeuchenG niedergelegte Möglichkeit, die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit zu untersagen. 103

104

III. Sanitätspolizeigesetze

155

2. Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen Sowohl das ADG III als auch der von den Prostituiertenorganisationen vorgelegte Vorschlag sehen eine Einschränkung der im Bundesseuchengesetz (im folgenden: BSeuchenG) enthaltenen Eingriffsermächtigungen vor: Danach solle "Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berujsgruppe,,108 bzw. die "Ausübung eines bestimmten Berujes,,109 nicht mehr grundsätzlich die Annahme rechtfertigen, daß eine übertragbare Krankheit auftrete. Eine solche Einschränkung wird sowohl für § 2 Nr.3 des BSeuchenG llU als auch für § 10 Abs. 1 BSeuchenG 11l , § 31 Abs.1 BSeuchenG 1l2, § 34 Abs.1 BSeuchenG gefordert l13 . Mit dieser Ergänzung soll erreicht werden, daß Personen künftig nicht mehr allein wegen des Umstandes, daß sie die Prostitution ausüben, den Maßnahmen des BSeuchenG unterworfen werden können 1l4 • Damit soll den neueren Forschungserkenntnissen Rechung getragen werden, laut denen Prostituierte nicht häufiger als die Normalbevölkerung mit Geschlechtskrankheiten infiziert sind ll5 . Mit der gesetzlichen Regelung würde somit unverhältnismäßigen Eingriffen der Gesundheitsbehörden gegenüber Prostituierten vorgebeugt 116 • M.E. ist zweifelhaft, ob die vorgeschlagene Einschränkung der Eingriffsermächtigungen des Bundesseuchengesetzes notwendig ist. Wenn nunmehr durch neuere medizinische Erkenntnisse belegt wäre, daß Prostituierte nicht häufiger als die Normalbevölkerung mit Geschlechtskrankheiten infiziert sind, könnten die genannten Ermächtigungsgrundlagen nicht mehr nur aufgrund des Umstandes, daß eine Person der Prostitution nachgeht, als erfüllt angesehen werden. Darüberhinaus stellen die Ermächtigungsgrundlagen, deren Änderung die Reformentwürfe vorsehen, an Eingriffe schon in ihrer derzeitigen Fassung, höhere Anforderungen als die "Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berujsgruppe" oder die "Ausübung eines bestimmten Berujes,,117. ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.4. Deutsche Hurenbewegung, S.4. 110 Deutsche Hurenbewegung, S.4. 111 ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.4; Deutsche Hurenbewegung, S.4. 112 Deutsche Hurenbewegung, S.4. m Deutsche Hurenbewegung, S.4f. 114 ADG III, BT-Drs. 11/7140, S.23. 115 Deutsche Hurenbewegung, S.2lf.; vgl. zu Bedenken gegenüber diesen Forschungsergebnissen oben:, S.124f. 116 Deutsche Hurenbewegung, S.22. 117 § 2 Nr.3 des BSeuchenG setzt voraus, daß "Erscheinungen bestehen, welche das Bestehen einer bestimmten übertragbaren Krankheit vermuten lassen" (Hervorhebung durch Verf.). Entsprechend bestimmt § 10 Abs. 1 BSeuchenG, daß "Tatsachen festgestellt [werden), die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können" (HerlOH

10\1

156

F. Reform

Aufgrund des Engagements vieler Gesundheitsämter für eine sachgerechte Regelung der öffentlichen Gesundheitsarbeit in bezug auf Prostituierte, wäre zu hoffen, daß diese bei entsprechender Aufklärung und verwaltungsinterner Weisung die im BSeuchenG vorhandenen Ermächtigungsgrundlagen nur in Anspruch nehmen würden, wenn im konkreten Einzelfall ein auf Tatsachen begründeter Verdacht einer Infektion bestünde. Eine Neuregelung der Beratungsarbeit könnte hier ebenfalls unterstützend wirken.

IV. Sozialversicherung der Prostituierten Die vorgelegten Reformvorschläge beschäftigen sich nicht mit der Frage der Einbindung der Prostituierten in die Sozialversicherung. Sie scheinen davon auszugehen, daß Prostituierte mit der rechtlichen Anerkennung ihrer Erwerbstätigkeit automatisch in das Sozialversicherungssystem integriert würden 118 • Das ist aber nicht der Fall.

1. In einem Betrieb tätige Prostituierte Nur für Prostituierte, die ihre Erwerbstätigkeit in einer Form ausübten, die als Beschäftigung i.S.d. § 2 Abs.2 SGB IV, nämlich als nichtselbständige Tätigkeit, insbesondere als Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs.l SGB IV) qualifiziert werden könnte, ergäbe sich die Aufnahme in die gesetzlichen Versicherungen aus § 2 Abs.l1. Spiegelstrich SGB IV. Die Frage, ob die Verbindung zwischen dem Betreiber einer Einrichtung, in der Prostitution ausgeübt wird, und der Prostituierten als Arbeitsverhältnis im klassischen Sinne klassifiziert werden sollte, wurde bereits oben verneint. Es wurde aber nicht ausgeschlossen, daß ein Betreiber, in dessen Einrichtung Provorhebung durch Verf.), oder daß anzunehmen ist, daß solche Tatsachen vorliegen. § 31 Abs.1 BSeuchenG setzt voraus, daß sich ergibt oder anzunehmen ist, "daß jemand krank, krankheitsverdächtig, ansteckungsverdächtig ... " ist. § 34 Abs.1 BSeuchenG bezieht sich auf "Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige ... " In beiden letztgenannten Fällen muß die Behörde ihren Verdacht auf Tatsachen stützen. Hier ergibt sich, das - auch aus anderen Bereichen bekannte - Problem, worauf ein Verdacht gestützt werden sollte, wenn nicht auf Tatsachen. Würden sich die Behörden auf bloße Erfahrungswerte berufen, nämlich dergestalt, daß Prostituierte nach ihrer Erfahrung stets krankheits- oder ansteckungsverdächtig seien, so ließe sich dem die derzeit in der medizinischen Forschung vertretene Auffassung entgegenhalten, daß Prostituierte nicht häufiger infiziert seien als andere Personen. 118 Vgl. dazuADG III, BT-Drs.ll/7140, S.7 (2.1.3); Deutsche Hurenbewegung, S.9. Zum Ausschluß· von Arbeitsverhältnissen, die als sittenwidrig klassifiziert wurden, aus der Sozialversicherung vgl.: BSGE 15, 89 (91); Merten, in: Krause/v.Maydell/Merten/ Meydam, § 7 Rz. 27 m.w.N.

IV. Sozialversicherung der Prostituierten

157

stituierte aufgrund eines Verhältnisses tätig sind, das Merkmale des Arbeitsverhältnisses aufweist, zur Mitfinanzierung der sozialen Absicherung der Prostituierten herangezogen wird ll9 . Eine nichtselbständige Arbeit i.S. des Sozial rechts ist aber nicht nur bei Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses gegegeben, sondern immer, wenn eine Beschäftigung in persönlicher Abhängigkeit von einem Dritten geleistet wird l20 , der das wirtschaftliche Risiko der Arbeit trägt 121 • Die persönliche Abhängigkeit offenbart sich in dem Direktions-, Verfügungs- und Weisungsrecht desjenigen, der Anspruch auf Erbringung der Arbeitsleistung hat l22 • Ob ein Beschäftigungsverhältnis in persönlicher Abhängigkeit besteht, kann nicht aus einzelnen Merkmalen, sondern nur durch Bewertung der Oesamtsituation im Einzelfall festgestellt werden 123 • Zur Prüfung der Frage, ob die Tätigkeit von Prostituierten in von Dritten betriebenen Einrichtungen als nichtselbständige Arbeit i.S. von § 7 Abs.l SOB IV zu bewerten ist, müßte also im konkreten Fall zum einen festgestellt werden, ob zwischen Betreiber und Prostituierter ein Weisungsverhältnis besteht, das die oben genannten Kriterien erfüllt. Zum anderen müßte ermittelt werden, wer von beiden das wirtschaftliche Risiko der Tätigkeit der Prostituierten trägt. Hierzu gilt auch das bereits oben zu der Frage der Anerkennung von Arbeitsverträgen zwischen Betreibern von Einrichtungen und Prostituierten Ausgeführte 124 • Selbst wenn man der Bewertung der beiden eingangs genannten Reformentwürfe fo 19te 125 , nämlich daß Lohnarbeitsverhältnisse zwischen Betreibern von Einrichtungen, in denen Prostitution ausgeübt wird, und Prostituierten bestehen,

119

s.o.: F. 11. 2.

Merten, in: Krauselv.Maydell/MertenIMeydam, § 7, Rz.9 m.w.N. 121 Merten, in: Krauselv.MaydelllMertenIMeydam, § 7, Rz.11 m.w.N. Allerdings

120

kann auch derjenige in einem Arbeitsverhältnis stehen, der den Umfang seiner Arbeit und die Höhe seines Verdienstes durch das Maß seines Arbeitseinsatzes selbst bestimmen kann (BSGE 11, 257 (261)). 122 Das Weisungsrecht beinhaltet regelmäßig die Befugnis, Arbeitsort, Arbeitszeit, Arbeitsfolge und Arbeitsausführung festzulegen (vgl. dazu Bley, S.131). Eine persönliche Abhängigkeit entfällt allerdings nicht schon deshalb, weil im Einzelfall bestimmte Weisungsrechte nicht bestehen, nicht ausgeübt werden oder aufgrund von Besonderheiten der Tätigkeit nur eingeschränkt bestehen (Merten, in: Krauselv.MaydelllMertenl Meydam, § 7, Rz.12 m.w.N.) so daß beispielsweise besondere Leistungsverweigerungsrechte der Prostituierten eine Bewertung eines Beschäftigungsverhältnisses als abhängige Tätigkeit nicht hindern würden. 123 Merten, in: Krauselv.MaydelllMertenIMeydam, § 7, Rz.14 m.w.N. 124 s.o.: F. 11. 2. 125 Dabei könnte man an die Bewertung im Steuerrecht anknüpfen, nach der in bestimmten Fällen eine Verpflichtung der Betreiber besteht, Lohnsteuer für die bei ihnen tätigen Prostituierten abzuführen (vgl. BGH wistra 1996, 106f.; BVerfG NJW 1996, 2086).

158

F. Reform

ist zweifelhaft, wie viele Prostituierte nach der derzeitigen Gesetzesfassung der gesetzlichen Sozialversicherungspflicht unterfielen. De lege ferenda wäre zu prüfen, ob nicht die wirtschaftliche Nutzung der Arbeitskraft der Prostituierten durch den Betreiber einer Einrichtung ein hinreichender Anknüpfungspunkt für eine Verpflichtung wäre, Sozialversicherungsbeiträge zugunsten der Prostituierten abzuführen, so daß auf diesem Wege eine Anbindung für die in einen Betrieb integrierten Prostituierten in die Sozialversicherungen gefunden werden könnte. Sollte dies geschehen, müßte weiterhin überprüft werden, durch welche Maßnahmen der Gefahr vorgebeugt werden könnte, daß die Betreiber die ihnen neu entstehenden Kosten wieder auf die Prostituierten abwälzen könnten, indem sie ihren Anteil an deren Einkommen um den Betrag erhöhen, den sie nunmehr zur Sozialversicherung abführen müssen 126 •

2. Selbständige Prostituierte Den größten Teil der Prostituierten wird man als selbständige Unternehmerinnen betrachten müssen, da sie weisungsungebunden und auf eigene Rechnung ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen und somit selbst das wirtschaftliche Risiko der Prostitutionsausübung tragen. Für Selbständige besteht nach dem bundesdeutschen Sozialversicherungssytem prinzipiell keine Versicherungspflicht 127 - und damit auch kein Versicherungsrecht. Sie tragen in der Regel die Last der Wechselfälle des Lebens selbst. Jedoch kann der Staat auch für Selbständige auf verschiedene Weise Vorsorge treffen 128 • Im folgenden werden solche Möglichkeiten aufgezeigt. Welcher Weg der sachgemäße ist und wie die Regelungen im einzelnen auszugestalten sind, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht umfassend erläutert werden. 126 M.E. kann dieser Gefahr nur dadurch vorgebeugt werden, daß die strukturellen Bedingungen der Ausübung von Prostitution geändert werden, so daß die Betreiber von Clubs nicht mehr einseitig die Bedingungen einer Zusammenarbeit festlegen können (vgl. dazu oben: F. I. 2.). 127 Vgl. § 2 SGB IV. Ein Recht auf Aufnahme in das Sozialversicherungsnetz ließe sich aus dem Sozialstaatsprinzip ableiten. Dieses Grundprinzip begründet nach Meinung des Bundesverfassungsgerichtes eine (nicht einklagbare) Pflicht des Gesetzgebers, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Allerdings stehe dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsraum zu: BVerfGE 44,70 (89), s.a. 59, 231 (263); 65, 182 (193); 75, 348 (359f.); 82,60 (80). Der Umstand, daß augenblicklich in der Bundesrepublik Reformen in Angriff genommen werden, um Sozialversicherungskosten zu senken, ändert nichts daran, daß auch Prostituierte ein Anrecht auf ihren Anteil an den allgemein anerkannten und gewährten Leistungen haben. 128 Zu Fragen der Gesetzgebungskompetenz des Bundes vgl. Boecken, S.249ff.

IV. Sozialversicherung der Prostituierten

159

Eine sozialversicherungsrechtliche Grundversorgung der Prostituierten könnte als Versorgung für Selbständige zum ersten durch staatliche Organisation im Wege einer berufsständischen Pflichtversicherung eröffnet werden. Eine solche könnte entsprechend den Modellen des Versorgungswerkes der sog. "verkammerten Berufe", die sich mittlerweile für fast alle Sparten finden l29 , ausgestaltet werden. Vorteil einer solchen Versicherung - im Gegensatz zu der freiwilligen Vorsorge - ist zum ersten die Pflicht zur Vorsorge, zum zweiten die solidarische Absicherung entsprechend den Bedürfnissen einer bestimmten Berufsgruppe 13o. Bei dieser Form der Versicherung kann aber eine Beitragsüberwälzung auf Dritte nur in ganz speziellen Ausnahmefällen stattfinden l3l , was bedeutet, daß die Versicherten die volle Beitragslast selbst tragen müssen. Zum zweiten kann der Gesetzgeber unter bestimmten Voraussetzungen auch besonders schutzbedürftige Selbständige l32 mit einer (teilweisen) Beitragsüberwälzung auf Dritte in den Kreis der gesetzlich Versicherten einbeziehen 133 • Dies ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nur dann zulässig, wenn ein sachlicher Grund die Beitragsüberwälzung rechtfertigt. Nur aus "spezifischen Solidaritäts- und Verantwortlichkeitsbeziehungen zwischen Zahlungsverpjlichteten und Versicherten ... , die in den Lebensverhältnissen wie sie sich geschichtlich entwickelt haben und weiter entwickeln, angelegt sind" kann sich eine Beitragspflicht ergeben, beispielsweise "aus einem kulturgeschichtlich gewachsenen besonderen Verhältnis gleichsam symbiotischer Art,,134. Eine gesetzliche Sozialversicherung für Selbständige existiert heute für Künstler und Publizisten sowie für Landwirte. Im Fall der Landwirte liegen der Privilegierung der Aufnahme in die gesetzliche Sozialversicherung strukturelle E~ägungen135 und die besondere Bedeutung, die man der Landwirtschaft für die Versorgung zumißt, zugrunde. So wird beispielsweise, weil die traditionelle Alterssicherung - das bei Hofübergabe vereinbarte Altenteil - wegen des Strukturwandels in der Landwirtschaft eine funktionierende Altersversorgung nicht mehr gewährleisten konnte l36 , die AlVgl. zu den einzelnen Modellen Boecken, S.52ff.; Di~rk Hahn, S.57f. Boecken, S.43ff. 131 Z.B. wird im Rahmen der Seelotsenversicherung ein Teil der Versicherungsleistungen durch die Tarifzuschläge der Reeder finanziert (vgl. dazu Dierk Hahn, S.52, 187). 132 Schulin, Rz.115. 133 Schulin, Rz.115. 134 BVerfG NJW 1987, 3115 (LS). 13S Beispielsweise die wirtschaftlichen Probleme im Zusammenhang mit fallenden Erzeugerpreisen (BT-Drs. VI/1812, S.2;, BT-Drs. VI/3012, S.35). 136 Ähnliche Probleme ergaben sich bei der Umstellung vieler Betriebe auf Nebenerwerbslandwirtschaften. Vgl. dazu: Rombach, S.25. Vgl. auch: BT-Drs. 7/1161, S.3. 129

130 Vgl.

160

F. Reform

tersversicherung der Landwirte zu einem Teil aus Mitteln der öffentlichen Hand finanziert. Für Künstler und Publizisten wurde eine gesetzliche Sozialversicherung mit einer Überwälzung eines Teils der Beitragslast auf die Vermarkter ihrer Produkte durch das Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) geschaffen. Dies wurde damit begründet, daß Künstler und Publizisten einerseits wenig Bereitschaft zeigten, Vorsorge zu treffen und die damit verbundenen Belastungen auf sich zu nehmen, daß ihr beruflicher Lebensweg ungemein risikoreich sei und ihre Einkommensverhältnisse überdurchschnittlichen Schwankungen unterlägen 137, sie aber andererseits eine schwache Stellung gegenüber denjenigen hätten, die von ihrer Arbeit im wesentlichen durch Gewinn profitieren, nämlich den Vermarktem. Da es den Künstlern und Publizisten nach Ansicht des Gesetzgebers ohne gesetzliche Regelung nicht gelingen würde, einen Teil der Beitragslast auf diese zu übertragen 138 , könnten die Vermarkter faktisch - ohne soziale Lasten in irgendeiner Form tragen zu müssen - aus einem großen Pool an Kunstleistungen Spitzenprodukte vermarkten 139 • Dieser Situation sollte durch das KSVG Rechnung getragen werden, indem die Künstlersozialversicherung eingerichtet wurde. Fraglich ist, ob die Erwägungen, die in diesen beiden Fällen zu einer Ausdehnung der gesetzlichen Sozialversicherung geführt haben, sich auch auf die Situation der selbständigen Prostituierten übertragen lassen. Die Erwägungen, aufgrund derer die Landwirte in die Sozialversicherung einbezogen wurden, würden eine Aufnahme der Prostituierten wohl nicht tragen 140. Jedoch lassen sich die für eine Versicherung der Künstler und Publizisten angeführten Argumente auf die Situation der Prostituierten durchaus übertragen: Wie bei den Künstlern findet sich auch bei den Prostituierten wenig Bereitschaft, Vorsorge zu treffen und die damit verbundenen Belastungen auf sich zu nehmen. Der berufliche Lebensweg der Prostituierten ist ungemein risikoreich und ihr Einkommen unterliegt überdurchschnittlichen Schwankungen. Diese Erwägungen alleine genügen aber nicht, um eine der Künstlersozialversicherung ähnliche Einrichtung zu schaffen. Darüberhinaus muß die Heranziehung Dritter, als "Beteiligter" zur Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen zugunsten Prostituierter, gerechtfertigt werden. Maßgeblich dafür ist, daß zwischen diesen und Dritten eine "spezifische Solidaritäts- und Verantwortlichkeitsbeziehung" in bezug auf die Prostitutionsausübung besteht. Vgl. dazu Begründung zum KSVG, BT Drs. 8/3172, S.19. Vgl. dazu Begründung zum KSVG, BT Drs. 8/3172, S.19. 139 Vgl. dazu Begründung zum KSVG, BT Drs. 8/3172, S.19. 140 Im Falle der Prostitution ist ein - von öffentlicher Hand gesteuerter - Strukturwandel nicht zu verzeichnen. Der Prostitution wird zudem keine Bedeutung für die öffentliche Versorgung zugemessen. 137

13M

IV. Sozialversicherung der Prostituierten

161

Eine Inanspruchnahme der Kunden der Prostituierten ist nicht möglich, weil sie keine feste veranlagungsfahige Gruppe Dritter bilden. Sie gelten vielmehr ihren Nutzen durch das Entgelt für die Leistung ab. Auf sie könnte ein Beitrag zur Sozialversicherung nur direkt von der Prostituierten durch Erhöhung der Preise umgelegt werden. Eine pauschale Umlage an alle Personen, die aus der Vermarktung von Sexualität Gewinn ziehen, würde den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien für die Überwälzung der Kostenlast schon deshalb nicht standhalten, weil solche Artikel nicht nur in Zusammenhang mit Prostitution vertrieben werden. Es blieben Unternehmer, die Einrichtungen betreiben, in denen kommerzialisierte Sexualleistungen angeboten werden, ohne daß die dort tätigen Prostituierten in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis i.S. des Sozialversicherungsrechts stehen. Zu dieser Gruppe gehörten beispielsweise Betreiber von sog. Stundenhotels, Dirnenwohnheimen, Kontakteinrichtungen o.ä. Diese stehen in einem "kulturgeschichtlich gewachsenen besonderen Verhältnis gleichsam symbiotischer Art" zu der Gruppe der Prostituierten 141, so daß prinzipiell eine Heranziehung zur Sozialversicherungspflicht möglich wäre. An diesem Punkt schließt sich der Kreis zu der oben aufgeworfenen Frage, ob die wirtschaftliche Nutzung der Tätigkeit der Prostituierten alleine ein hinreichender Anknüpfungspunkt für die Heranziehung zu Sozialversicherungsbeiträgen sein könnte. Diese Fragen müssen von Experten des Sozialversicherungsrechts geprüft werden. Sollten sie zu einer positiven Antwort kommen, könnte eine an dem KSVG orientierte Regelung geschaffen werden 142 .

141 Vgl. zu den Anforderungen an eine solche Verbindung: BVerfG NJW 1987, 3115ff. 142 So könnten alle Prostituierte in der Rentenversicherung der Angestellten und in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert werden, wenn sie nicht durch eine anderweitige Tätigkeit bereits sozial versichert wären. Zur Versicherungsfreiheit, Befreiung von der Versicherungspflicht auf Antrag sowie Kündigungsrechte bei privaten Versicherungen müßten entsprechende Regelungen getroffen werden. Zur Versicherung würden die Prostituierten nach Anmeldung oder bei Feststellung der Versicherungspflicht über die berufsständischen Gruppen zu den "Prostituiertensozialkassen" gemeldet. Entsprechend müßten Auskunfts- und Meldepflichten der Prostituierten und beitragspflichtigen Dritten gegenüber der Prostituiertensozialkasse festgelegt werden. Die Mittel für die Versicherung würden zur einen Hälfte durch Beitragsanteile der Versicherten, zur anderen durch eine Sozialabgabe beitragspflichtiger Dritter - nämlich der Betreiber von Einrichtungen, die der Ausübung von Prostitution dienen - finanziert. Eine solche Sozial abgabe könnte auf der Grundlage der Gesamtheit aller Einnahmen berechnet werden, die der Unternehmer durch kommerzialisierte Sexualleistungen ein-

11 Gieß

162

F. Reform

V. Interessenvertretungen In verschiedenen Bereichen 143 stellt sich die Frage, ob - und wenn ja, wie Vertretungen der Prostituierten in ein neues Regulierungskonzept für den Markt für kommerzialisierte Sexualität eingebunden werden können und sollen l44 • M.E. ist die Einbeziehung der Prostituierten in ein künftiges Regelungsmodell unerlässlich, damit ihr Wissen über Bedingungen und Bedürfnisse der Prostituierten nutzbar gemacht werden kann l45 • Außerdem kann nur auf diesem Wege gewährleistet werden, daß Kontrolle über die Ausübung der Tätigkeit durch diejenigen erfolgt, die ein ureigenes Interesse an der Veränderung der bisherigen Strukturen haben. Es erscheint naheliegend, für diese Zwecke die in vielen größeren Städten entstandenen Prostituiertenorganisationen 146 zur Mitarbeit einzuladen. Sollten ihnen öffentliche Aufgaben übertragen werden, so müßte geprüft werden, ob gesetzlich Organisationsstrukturen normiert werden müßten, die einen bestimmten Meinungsbildungsprozeß und eine entsprechende Vertretung gewährleisteten. Denkbar wäre eine Institutionalisierung vergleichbar 147 den berufsständischen Vertretungen 148.

nimmt. Die Einzelheiten müßten in entsprechenden Regelungen über die Höhe der Beitragsanteile, die Beitragsverfahren etc. festgelegt werden. 143 Insbesondere im Zusammenhang mit der sozialen Absicherung der Prostituierten durch Versicherungen, aber auch bezüglich einer Mitarbeit bei Entscheidungen über die Zulassung von Einrichtungen, in denen die Prostitution ausgeübt werden soll, stellt sich die Frage, wer die Interessen der Prostituierten vertritt und anfallende Verwaltungsaufgaben übernimmt. 144 Eine solche ist auch in dem von den Prostituierten vorgelegten Reformvorschlag vorgesehen: § 617 e, Deutsche Hurenbewegung, S.6. VgJ. zum Wortlaut oben: Fn.651. 145 Man muß sich allerdings bei einem solchen Schritt in Richtung einer umfassenden Regelung der Prostitutionsausübung darüber im klaren sein, daß damit auch Kontrollstrukturen geschaffen werden, die eine flexible Ausübung der Prostitution, wie sie bisher möglich war, erschweren würden (vgJ. dazu auch die Beiträge deutscher Prostituierten in einer Diskussionen auf dem 1. europäischen Prostituiertenkongress, in: Drößler/Kratz (Hrsg.), S.5lf., S.52f., 56, 63f., 65 und die dort verabschiedeten Thesen, S.69ff.). 146 Auflistungen finden sich bei Molloy, S.126; Drößler/Kratz, S.242. 147 Daß solche Vereinigungen allerdings insgesamt einer Reform bedürfen, wurde in der Auseinandersetzung um die Zwangsmitgliedschaft in den Handelskammern deutlich. 148 Dies könnte beispielsweise aber auch in Form eines "Prostituiertengenossenschaftsgesetzes" erfolgen, das - angelehnt an die Handwerksordnung - Regelungen über die Gründung, Verwaltung, Mitgliedschaft und Aufgaben der Vereinigungen trifft. Zu klären wäre, wer diese Aufgaben in Städten wahrnimmt, in denen die Gründung einer Genossenschaft mangels einer entsprechenden Anzahl von Prostituierten nicht möglich wäre.

VI. Fazit

163

VI. Fazit Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß bei der dringend notwendigen Reform der rechtlichen Stellung der Prostituierten noch viele Schritte zurückgelegt werden müssen, die an dieser Stelle nicht im einzelnen nachgezeichnet werden können. Als grober Rahmen für die notwendigen Neuregelungen lassen sich aber jedenfalls folgende Leitlinien festhalten: Strafrechtliche Regelungen sollen Handlungen, welche in Zusammenhang mit der Prostituionsausübung erfolgen, nur dann erfassen, wenn es sich bei diesen Handlungen tatsächlich um kriminelles Unrecht handelt. Straftatbestände, die lediglich als formaler Anknüpfungspunkt für eine inhaltlich verwaItungsrechtliche Regelung dienen, darf es nicht geben. Die Zivilgerichte sollten ihre Rechtsprechung hinsichtlich von Verträgen, die in Zusammenhang mit der Prostitutionsausübung geschlossen werden, überdenken - nicht zuletzt mit Blick auf die verschiedenen Reformvorschläge, die alle auf eine Verbesserung der Rechtsstellung der Prostituierten abzielen. Nur wenn dies nicht geschieht, ist der Gesetzgeber gefordert, durch eine entsprechende Regelung sicherzustellen, daß das Bürgerliche Recht auch im sog. Rotlichtmilieu seine Befriedungsfunktion ausübt. Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, daß eine solche gesetzliche Regelung noch einer sorgfältigen Klärung der tatsächlichen Umstände der verschiedenen Formen der Prostitutionsausübung bedürfte. Dieser Klärung bedarf es auch, bevor die notwendige soziale Absicherung der Prostituierten bewerkstelligt werden kann. Gegenüber einer staatlich organisierten sozialen Absicherung bestehen keine grundsätzlichen rechtlichen Bedenken; jedoch wird es für ihre Realisierung grundSätzlich neuer Modelle bedürfen. Neue Konzepte braucht auch die staatliche Gesundheitsüberwachung, wenn sie den Prostituierten weiterhin besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen möchte. Das GeschlKrG kann hierfür keine sinnvolle Funktion mehr erfüllen. Bei der Erarbeitung neuer Modelle erscheint es angebracht, weniger auf die Schaffung neuer gesetzliche Regelungen hinzuwirken, als auf die SichersteIlung einer aufgeklärten Anwendung der vorhandenen Vorschriften. Insgesamt wird eine Reform der RechtsteIlung der Prostitutierten nicht nur Geduld und Offenheit von den Betroffenen verlangen - bis die tatsächlichen Umstände der Prostitutionsausübung geklärt, notwendige gesetzliche Regelungen geschaffen, verabschiedet und umgesetzt werden können - , sondern von der gesamten Gesellschaft.

11"

164

F. Reform

Es werden mit Sicherheit nicht nur viele verschiedene rechtliche Gestaltungen erprobt, sondern auch andere Hindernisse überwunden werden müssen. Doch ist m.E. die Zeit reif für eine pragmatische, am Schutz der Prostituierten orientierte, ehrliche Lösung 149 , die nicht mehr verneint, daß Prostitution, soweit sie erlaubt ist, als Erwerbstätigkeit betrachtet werden muß, und daß sie als solche ein~r gesetzlichen Regelung bedarf.

14~ Vgl. dazu auch schon Hanack, der bereits in den siebziger Jahren die "unpopuläre, peinliche aber ehrliche Lösung" einforderte (Rechtsgutachten, Rz.265).

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Personen- und Stichwortverzeichnis Abolitionistische Bewegung 7H. Absteigen( -quartiere) 81 Allgemeines Preußisches Landrecht von 1794 25 f. - Anmeldung einer Hure 26 - Rechtsstellung der Frau 25 Fn.63 - Schwangerschaft einer Prostituierten 27 Fn. 69 Altemativentwurf eines Strafgesetzbuches 103 Fn.137 Anerkennung der sog. Dirnenverträge 145 Arbeitserlaubnis 115 18,24,31,41,48,54, 101 Fn.126

Arbei~haus

Arbei~vertrag

23, 26, 149f.

Auflagen (s. Polizeiauflagen)

Churfürstlich Brandenburgisch Revidiertes Land-Recht 17f. Dimenkartei 96 Fn.98, 112, 114f. Dimenlohn 12H. Dimenvertrag 120f., 145f. Duldung 41,43,46,49,67,110 ehrliche Arbeit 33, 36 Eingriff in Freiheit und Eigentum 45 Essener Modell 97f. Frauenhaus 14 Frauenhausordnungen 15 Frauenwirt (s. Bordellwirt) freie Frauen 15

Bauplanungsrecht 14lf. Berufsfreiheit 117f. Bieber-Böhm, Hanna 71 Fn. 141 Blankettstrafgesetz 49f. Bordellreglement von 1792 19f. Bordellreglement von 1829 37f. Bordellwirte 14, 15, 18,20, 22f., 25, 27,30,33,49,65, 69f., 78, 81, 84f., 93, 105f., 110f., 130, 137, 157f. Bundesrepublik lOH. Bundesseuchengesetz 111, 156f. Bürgerrechte 30f., 45 Butler, Josephine 72 Fn. 141

Freier 16 Fn. 18, 21, 29f., 58 Fn. 69, 64 Fn.100, 109 Fn. 161, l1lf. Fn.178 Freigabe der Prostitution 76f. Freigegebene Häuser 69f., 84 Friedrich Wilhelm I. 17 Fn. 26 Fürsorge 61,72,79, 114f. Gesetz betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30.6.1900 74 Gesetz betreffend die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten von 1905 74

Personen- und Stichwortverzeichnis Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher vom 21.11.1933 95 Fn.90,91 Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit vom 12.2.1850 45 Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten von 1927 76f. Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten (GeschIKrG) 111f., 152f. Gesetz zur Bekämpfung von Seuchen (BSeuchenG) 111, 155f.

181

Kant,Immanuel 34f. Kasernierung 93 Kasernierungsverbot 86 Fn. 48, 97 Fn. 106 Kleidungsordnungen 16 Kontrollmädchen 60f., 63 Konzentrationslager 98 Konzession (Concession) 20, 27f., 42 Konzessionierte Gewerbsunzucht 27f.,30 Konzessionsentzug 42

(Viertes) Gesetz zur Reform des Strafrechts von 1974 (4. StrRG) lOH.

Kuppelei 18, 48, 65, 78, 84, 93

Gesetzesvorbehalt 44

Menschenwürde 121f.

Gesundheitsämter 96,99, 112, 156

Ministerialerlaß von 1907 75

Gesundheitsatteste, -zeugnisse 75, 85, 111

mittelalterliche Stadt 14f.

Gewerbe( -reglementierung) 32, 36f., 42f, 66 Fn. 115, 117f.

(korrektionelle) Nachhaft 54 Fn. 44

Gewerbescheine 33, 36, 42 Fn. 160 Gewerbesteueredikt vom 2.11.1810 32 Gewerbsunzucht, konzessionierte 17, 28 Guillaume-Schack, Gertrud 71 Fn. 141 Haftungsbegrenzung 151f. Henker (Scharfrichter) 14, 15 Fn. 10

Nationalsozialismus 90f Nullum crimen sine lege 50 Fn. 14,51 Fn.22 Ordre vom 26.8.1844 41 Ordre vom März 1850 46 Papp ritz, Anna 71 Fn. 141 Polizeiauflagen, -anordnungen

Hurenheilungskasse 22, 38

- Allgemeines Landrecht von 1794 28

Hurenwirt (s. Bordellwirt)

- Strafgesetzbuch von 1851 47f.

Hurenwirtschaft 18,25f.

- Strafgesetzbuch von 1871 54f.,

hurerey 18, 25f.

- Nationalsozialismus 96f

Interessenvertretungen der Prostituierten 162f.

polizeilich konzessionierten Bordelle 20,25,30,40 Fn. 141,66 Polizeierlaubnis (s. Duldung) Polizeireglement von 1792 19f.

(Königliche) Kabinettsordre vom 5.8.1841 40

Preußisches Strafgesetzbuch von 1851 47f

182

Personen- und Stichwortverzeichnis

Rechtsschutz 45f., 57f., 60 Fn. 82, 94, 120f., 126f., 129f. Reformvorschläge 136f. Resolut vom 17.10.1810 31 sanitätspolizeiliche Überwachung 22, 26, 38f., 52f, 55, 74f., 85f., 96, 99f. Fn. 118, 111f. Schließung der polizeilich konzessionierten Bordelle 41f. sittenpolizeiliche Überwachung 22, 29,55,63 Sittenpolizei 58 Fn. 71 Sittenwidrigkeit 69f., 120f., 123

Teilnehmer (s. Freier) Toleranzgebiet, -zonen BOr., 140

Unbequemlichkeitszuschlag 79 Fn. 14 unehrliches Gewerbe 14f. UnteraufsichtsteIlung 59f., 64, 66f. verbessertes Landrecht von 1721 18 Fn.27 Vermögensbegriff des Betrugstatbestandes 127f.

Sozialversicherung 156f.

weibliche Polizei 62 Fn. 89

Sperrbezirke 101 Fn. 129, 130f., 140f.

Weimarer Republik 76f.

Steuerpflicht 88f., 115f., 149 Fn.80

Winkelhurerei 26 Fn. 64 Wohnungsfrage 82 Fn. 28

Strafgesetzbuch von 1851 (s. Preußisches Strafgesetzbuch von 1851) Strafgesetzbuch von 1871 54f. Strafrechtsreform (s. Gesetz zur Reform des Strafrechts von 1974)

Zuhälter 55,95 Fn. 90, 97, 104 Fn. 140 Zwangseinschreibung 59f.